Comœdianten und Ordnungsmächte: Frühes deutschsprachiges Berufstheater (1650–1730) im Kontext von Kirche, Staat und Stadt [1 ed.] 9783737010467, 9783847110460


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Comœdianten und Ordnungsmächte: Frühes deutschsprachiges Berufstheater (1650–1730) im Kontext von Kirche, Staat und Stadt [1 ed.]
 9783737010467, 9783847110460

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Theater – Film – Medien

Band 4

Herausgegeben von Klemens Gruber, Stefan Hulfeld und Christian Schulte am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien Reihe mitbegründet von Elisabeth Büttner

Eva-Maria Hanser

Comœdianten und Ordnungsmächte Frühes deutschsprachiges Berufstheater (1650–1730) im Kontext von Kirche, Staat und Stadt

Mit einem Vorwort von Stefan Hulfeld

V& R unipress Vienna University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. Verçffentlichungen der Vienna University Press erscheinen bei V& R unipress. Diese Publikation wurde gefçrdert von der Kulturabteilung der Stadt Wien.  2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung:  KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien, ÖTM GS_GBK7731, Johannes Ernestus Hoffmann – Brustbild im Oval, Apotheose mit zwei Frauengestalten Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2366-3618 ISBN 978-3-7370-1046-7

There he is standing on a ruined pier left over from the English, in some uniform of his own devising. He is flanked by Opium Jones, the de Fuentes twins and Captain Strobe, all looking like a troupe of traveling players a bit down on their luck but united in determination to play out their assigned roles. Boys trail behind them, carrying an assortment of bags, cases, and chests. They walk across the beach and disappear one after another into a wall of leaves. I don’t know what gave me such an impression of shabbiness about this procession, since they all must have chests of gold and precious stones, but for a moment they appeared to my eyes as seedy players with grand roles but no money to pay the rent. The jewels and the gold are false, the curtains patched and shredded and torn, the theater long closed. I was smitten by a feeling of sadness and desolation, as the words of the Immortal Bard came to my mind: These our actors, As I foretold you, were all spirits, and Are melted into air… (William S. Burroughs, Cities of the Red Night, S. 96)

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.1. Übersicht der Spieltexte des Kodex Ia 38.589 . . . . . . . . . .

11 33

II. »Auch in vielen Großen Vornehmen und Weitberuhmbten Stätten« – Berufstheater und Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1. Freie Reichsstadt Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2. Universitäts- und Messestadt Leipzig . . . . . . . . . . . . . . II.2.1. Berufstheater und Universität . . . . . . . . . . . . . II.2.2. Die Leipziger Messe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.3. Gottsched und das Berufstheater . . . . . . . . . . . . II.3. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . .

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45 54 63 64 70 78 92

III. Andronicus – Berufstheater und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . III.1. Geistliche Theaterfeindlichkeit und Konfession . . . . . . . . . III.2. Andronicus – Jesuiten- und Berufstheater . . . . . . . . . . . . III.2.1. Andronicus im Kontext des Jesuitentheaters . . . . . . III.2.2. Andronicus im Kontext des Berufstheaters . . . . . . . III.2.2.1. Saladin – eine comœdiantische Figur? . . . . . III.2.2.2. Schauattraktivität . . . . . . . . . . . . . . . . III.3. Exkurs: Funktionalisierung von Märtyrern und Märtyrerinnen III.4. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . .

95 98 109 111 132 138 150 162 174

IV. Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat . . . . . IV.1. Formen höfischer Anbindung . . . . . . . . . . . . . . IV.2. Funktionen des Berufsschauspiels im höfischen Kontext IV.2.1. Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.2.2. Unterhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.2.3. Politisches Instrument . . . . . . . . . . . . . .

179 185 197 197 203 208

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8

Inhalt

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210 213 226 227 227 230 233 239 243 246 255 259 267

V. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personen-, Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Stückeregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV.2.4. Herrschaftsregulativ . . . . . . . . . . . . IV.3. Das Gespenst der Souveränität . . . . . . . . . . . IV.4. Affekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.4.1. Dramaturgie der Affekte . . . . . . . . . . IV.4.1.1. Oronthea . . . . . . . . . . . . . . IV.4.1.2. Die glückselige Ey¨fersucht . . . . . IV.4.1.3. Amor der Ty¨rann . . . . . . . . . IV.4.1.4. Titus und Aran . . . . . . . . . . IV.4.1.5. Der durchlauchtige Kohlenbrenner IV.4.2. Affekt, Ethik und Herrschaftspraxis . . . . IV.4.3. Rhetorik und Affekt . . . . . . . . . . . . . IV.4.4. Affekt und Heilung . . . . . . . . . . . . . IV.5. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . .

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Vorwort

Das europäische Berufstheater der Frühen Neuzeit ist ein komplexes Phänomen, in dem sich traditionelle Spielformen von Akteur*innen mit humanistischen und frühaufklärerischen Theaterauffassungen vermischen. Entsprechend ausdauernd und intensiv wurde es dort erforscht, wo es bis heute als kultureller Resonanzraum dient, vor allem in Italien, England, Spanien oder Frankreich. Die etwas spätere Herausbildung des deutschsprachigen Berufstheaters im 17. Jahrhundert entbehrt eines solchen Stellenwerts in der Forschung, es liegt zeitlich jenseits der intellektuellen und künstlerischen Leistungen, die im deutschsprachigen Raum das kulturelle Selbstbewusstsein prägen. Für die gestörte Beziehung der Theaterhistoriographie zu den deutschen Berufstheatertruppen des 17. Jahrhunderts ließen sich zahlreiche Gründe nennen. Die Schwierigkeit, aus den gegebenen Dokumenten die Komplexität dieses Professionalisierungsprozesses zu begreifen, ist einer davon; die zerklüftete Dokumentation des Wissens und dessen Vermischung mit lieb gewonnenen Irrtümern ein zweiter ; das tendenzielle Desinteresse ist ein gewichtiger dritter Grund. Die Monographie Comœdianten und Ordnungsmächte. Frühes deutschsprachiges Berufstheater (1650–1730) im Kontext von Kirche, Staat und Stadt von Eva-Maria Hanser verfügt über das Potential, dieses Interesse wieder zu wecken. Sie ist präzise im Umgang mit dem dokumentierten Wissen und bleibt doch fokussiert auf die Ambition, die Arbeitsbedingungen sowie das künstlerische und intellektuelle Profil der ersten Generationen von Berufsschauspielern auszuloten. Damit dies gelingen kann, befreit Hanser die theatrale Grundversorgung im deutschsprachigen Raum zunächst von terminologischen Romantizismen wie beispielsweise von der Bezeichnung »Wanderbühne«. Die methodische Besonderheit der Arbeit liegt indes in der Analyse der Abhängigkeiten des Berufsstandes von den Ordnungsmächten Kirche, Staat und Stadt, wobei arbeitsorganisatorische Dokumente und Spieltexte gleichermaßen ins Kalkül gezogen werden. Durch dieses Verfahren wird das deutschsprachige Berufstheater als chamäleontisches Phänomen erkennbar, das aus strukturellen Gründen klare Zuschreibungen verweigert. Berufsmäßig Theater zu spielen war

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Vorwort

vor allem auch eine Überlebenskunst unter reichlich schwierigen Bedingungen. Gerade dadurch, dass es für Berufsschauspieler*innen keinen definierten Platz in der Gesellschaft gab und für die Theaterkunst keinen Platz im System der erhabenen Künste, nichtsdestotrotz aber eine stetige Nachfrage herrschte und vielerlei Diskussionen um die Schädlichkeit oder Nützlichkeit der Comœdien zu führen waren, war das frühe Berufstheater vor allem eins: ambivalent. Diese grundsätzliche Ambivalenz scheint dem Spiel der frühen Berufscomœdianten seine Stärke verliehen zu haben – und sie scheint auch dafür verantwortlich, dass sich die Weltsicht von Zeitgenoss*innen und Theaterhistoriograph*innen so bereitwillig in diesem Phänomen spiegelte. Stefan Hulfeld

I.

Einleitung »Aber wir schmieren uns die Farbe trotzdem aufs Haupt, ist ja keine Staatsaktion«1

Das frühe deutschsprachige Berufstheater ist das von der Theaterhistoriographie Verworfene, nicht aber Ausgelassene. Es hat einen Platz: den des Anderen, des Abweichenden, des Überwundenen – Zuweisungen, die es auf ein sinnloses Rauschen reduzieren und eine Annäherung erschweren.2 Die Barrieren ergeben sich weniger aus dem Nicht-Gesagten als dem Gesagten, das diesen Gegenstand teils beabsichtigt, teils unbeabsichtigt verdunkelt. Einen Anteil an der Obskurität, die dem frühen deutschsprachigen Berufstheater als Gegenstand anhaftet, haben umgebende Begriffe, die Differenz erzeugen, die es antiquierter und fremdartiger erscheinen lässt, als es sein müsste. Dazu gehören die Begriffe Wanderbühne und Haupt- und Staatsaktion. Es sind Begriffe, die notwendig sind, um Literatur zu erschließen und die vorgeben, das Genuine dieser Theaterform zu erfassen. Das Genuine dieser Theaterform ist jedoch nicht die ausgeprägte Mobilität, die Akzidens ist, sondern die Professionalität, die sie in ihrer Zeit von anderen Theaterformen abhebt. Die Mobilität war eine Konsequenz, die aus den Bedingungen folgte: Im 17. Jahrhundert gab es im deutschsprachigen Raum keine institutionalisierten öffentlichen Theater mit Ensemble-System. Es gab kommunale, private und höfische Spielstätten, die von diversen Theaterschaffenden bespielt wurden, sowie höfisch subventionierte Theaterensembles. Die Professionalität ging mit der Abhängigkeit von Spielgelegenheiten einher. Das Schauspiel, nicht nur jenes des Berufstheaters, war dabei Beschränkungen und Reglementierungen ausgesetzt. Es konnte nicht zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort gespielt werden. Zu den beschränkenden Faktoren zählten christliche Feiertage und Festzeiten, Landes- und Hoftrauer, Seuchen, Krieg und Kriegsgefahr. Hinzu kamen religiös oder moralisch begründete Vorbehalte gegen Theater. Aber auch finanzielle Ursachen und wirtschaftliche Erwägungen hatten das Ausbleiben von Spielgelegenheiten zur Folge. Außerdem konnten sich Ver1 Jelinek, Elfriede: Gier. Ein Unterhaltungsroman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009. S. 450. 2 Vgl. zu diskursiven Ausschlussverfahren: Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Mit einem Essay von Ralf Konersmann. Frankfurt am Main: Fischer, 2014.

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Einleitung

treter anderer Theaterformen (Schultheater, Meistersinger) gegen Spielbewilligungen für das Berufstheater aussprechen. (Vgl. Kap. II., III. 1. und IV. 1.). Der Begriff Wanderbühne evoziert nicht zuletzt auch zweifelhafte Bilder und Vorstellungen hinsichtlich der Spielpraxis und des sozialen Hintergrunds der Berufsschauspieler*innen: Viele assoziieren mit ihm Gaukler, die unter freiem Himmel, etwa auf Marktplätzen, auf einer notdürftigen (Wagen-)Bühne improvisieren. Es sind pejorative sowie romantisierende Vorstellungen einer auf Mobilität beruhenden Lebensweise, die dieses Kompositum hervorruft. Diese Vorstellungen gründen auf der dichotomischen Verkettung von Sesshaftigkeit/ Mobilität, Schriftlichkeit/Mündlichkeit, Geist/Körper, Bildung/Unbildung, Qualität/Mangelhaftigkeit, Sittlichkeit/Lasterhaftigkeit, Hochdramatik/Trivialdramatik etc. Tatsächlich traten sie nicht auf Marktplätzen auf, sondern, sofern sie in der Stadt und nicht bei Hof spielten, in Räumlichkeiten oder Bauten, die ihnen seitens der Stadt oder privater Hand zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurden. Der soziale Hintergrund der Berufsschauspieler*innen war divers: Viele rekrutieren sich aus dem städtischen mittelständischen Milieu (Handwerker-, Beamten-, und Kaufmannsfamilien), hatten eine höhere Schulbildung oder ein Studium begonnen oder auch abgeschlossen.3 Bei der Mehrzahl der von ihnen gespielten Stücke handelte es sich um Adaptionen von Dramen europäischer (englischer, holländischer, spanischer, italienischer und französischer) Provenienz, darunter auch solche, die noch heute auf dem Spielplan stehen, wie jene Shakespeares, MoliHres, Corneilles oder Calderjns. Ihrer Spielpraxis lagen handschriftlich fixierte Spieltexte zu Grunde, auf deren Basis Rollenauszüge angefertigt wurden.4 Die Mehrheit der Spieltexte stimmt mit ihren Vorlagen größtenteils überein. 3 Vgl.: Rudin, Bärbel: Eine Leipziger Studentenbühne des 17. Jahrhunderts. Universität und Berufstheater – Das Ende einer Legende. In: Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 28 (1976), S. 3–17; – Rudin, Bärbel: »Heinrich Rademin, Hanswursts Schattenmann. Jurist, Bühnenchef, Stückeschreiber – Versuch über eine Gründerfigur des Wiener Theaters«. In: Marschall, Brigitte (Hg.): Theater am Hof und für das Volk. Beiträge zur vergleichenden Theater- und Kulturgeschichte. Festschrift für Otto G. Schindler. Wien: Böhlau, 2002 (= Maske und Kothurn; Bd. 48). S. 271–301. Hier: S. 272–274; – Rudin, Bärbel: Der Blankenburger Herzog Ludwig Rudolph und die »Mecklenburgischen Hofcomoedianten« oder : Die Katholiken kommen! In: Daphnis 24 (1995), S. 329–374. Hier : S. 355–359; – Bolte, Johannes: Der Jude von Venetien. In: Jahrbuch der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft 22 (1887), S. 189–201. Hier : S. 201; – Gstach, Ruth: Mirant – Komödiant und Mönch. Leben und Werk des Barockdichters Laurentius von Schnifis. Graz; Feldkirch: Wolfgang Neugebauer Verlag; 2003 (= Schriften der Vorarlberger Landesbibliothek; Bd. 7). S. 72–75. 4 Dies belegen Rechnungen für die Anfertigung von Rollenauszügen (»in Parten geschrieben«), vgl.: Rudin, Bärbel: Das Fürstlich Eggenbergische Hoftheater in Böhmisch Krumau (1676– 1691). Zur ästhetischen Allianz zwischen Wanderbühne und Hofkultur. In: Daphnis 25 (1996), S. 467–488. Hier: S. 479.

Einleitung

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Umstritten ist die Frage nach der Texttreue ihrer Aufführungen und dem Anteil der Improvisation. Dass ihr Spiel primär auf Improvisation beruhte, wie etwa Devrient in seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst glauben machen möchte, ist auszuschließen.5 Dagegen spricht nicht nur die Kenntnis von Rollenauszügen, sondern auch die Vielzahl der erhaltenen Spielhandschriften, in denen sich nur selten Hinweise auf improvisierte szenische Vorgänge finden und zumeist selbst die Reden der comœdiantischen Figuren ausformuliert sind. Andererseits, auch hierfür gibt es Hinweise, hielten sie sich nicht sklavisch an die einmal ausgearbeiteten Spieltexte. Im Nachvollzug der Transferprozesse werden Änderungen sichtbar, die teils simultan, teils sukzessiv, teils auf die Intervention des Dramaturg*innen, teils auf jene der einzelnen Schauspieler*innen erfolgten. Die Spieltexte schienen als Angebote zu fungieren, deren Elemente angenommen, erweitert, verändert oder zurückgewiesen werden konnten (so wie es auch heute Praxis ist). Abgesehen vom Primat der Bühnenwirksamkeit, auf das sich bestimmte Transformationen zurückführen lassen, musste der Umgang mit den Spieltexten ein flexibler sein, da das Berufstheater mit immer differenten Bedingungen und Erfordernissen konfrontiert war : Es sind diverse Haltungen verschiedener Publika, die berücksichtigt werden mussten, sowie wechselnde spielpraktische Gegebenheiten. Auch weil die Schauspieler*innen innerhalb eines kurzen Zeitraumes ein enormes Programm zu bewältigen hatten6, konnte es hinsichtlich der Gedächtnisleistung zu Textabweichungen kommen. Dass Texttreue dennoch nicht für nebensächlich gehalten wurde und als Kriterium zur qualitativen Beurteilung herangezogen werden konnte, belegt ein Vertrag, der anlässlich eines höfischen Gastspiels zwischen der Truppe Johannes Veltens7 und dem Kurfürsten Karl I. Ludwig von der Pfalz geschlossen wurde. Darin heißt es: »Wann es aber nur eine halbstudirte Comoedie da sie den halben theil dazu 5 Vgl.: Devrient, Eduard: Geschichte der deutschen Schauspielkunst. In zwei Bänden neu herausgegeben v. Rolf Kabel und Christoph Trilse. Bd. 1. München; Wien: Langen Müller, 1967. S. 160–166. 6 Zu den aufschlussreichsten Dokumenten gehört das Tagebuch Ferdinand Albrechts I. zu Braunschweig-Lüneburg, der das Gastspiel zweier Truppen an seinem Hof, zum Teil auch die Rollenbesetzung, dokumentierte. Die Truppe Johannes Veltens führte innerhalb von 22 Tagen 21 Stücke und drei Tänze auf. Einer ihrer wichtigsten Schauspieler, Gottfried Salzsieder, der zumeist Tyrannen und Intriganten darstellte, war nachweislich an der Aufführung von 13 Stücken beteiligt. Bei einer Aufführung spielte er zwei Rollen, vermutlich war er aber auch bei einem Großteil jener Aufführungen involviert, deren Besetzung vom Herzog nicht dokumentiert wurde. Es ist davon auszugehen, dass er in diesem kurzen Zeitraum mindestens 15 größere verschiedene Rollen, wenn nicht mehr, spielte. Vgl.: Zimmermann, Paul: Herzog Ferdinand Albrechts I. zu Braunschw. u. Lüneburg theatralische Aufführungen im Schlosse zu Bevern. In: Jahrbuch d. Geschichtsvereins f. d. Herzogtum Braunschweig 3 (1904), S. 111–156. Hier : S. 140–152. 7 Zu Johannes Velten, siehe u. a.: Heine, Carl: Johannes Velten. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Theaters im XVII. Jahrhundert. Halle a. S.: Ehrhardt Karras, 1887.

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selbst erdenken will Churpfalz nicht mehr als 10 Rthl. zahlen«.8 Die Formulierung lässt auf Erfahrungen mit teilimprovisierten Aufführungen schließen, die in diesem Schreiben auf mangelnde Vorbereitung zurückgeführt werden. In welchem Maß insgesamt improvisiert wurde, lässt sich nicht eruieren, sicher ist aber, dass die Spielpraxis Literalität, hervorragende Gedächtnisleistungen sowie auch die Fähigkeit zur Improvisation erforderte. Der andere Begriff, die so genannte Haupt- und Staatsaktion, gibt vor, das Genuine der Spielpraxis des frühen Berufstheaters zu erfassen. Es heißt immer wieder, dass die Wanderbühne Haupt- und Staatsaktionen spielte9, womit suggeriert wird, dass etwas gespielt wurde, von dem wir uns heute keinen rechten Begriff machen können. Das Berufstheater verwendete verschiedene Begriffe für die Ankündigungspraxis ihrer Schauspiele, neben Comoedia, Tragoedia oder Tragico-Comoedia, u. a. auch Aktion. Mit Haupt-Aktion wurde die im Mittelpunkt stehende dramatische Attraktion von dem darauffolgenden Nachspiel geschieden. Staatsaktion als Hinweis auf ein politisch-historisches Setting war keine Standardbezeichnung, sondern einer von vielen verschiedenen Ankündigungstermini, die variierten.10 Die Verwendung des Ankündigungsterminus Haupt- und Staatsaktion lässt sich erstmals 1722 nachweisen und wurde bei Dramen mit historischem und politischem Setting bzw. Inhalt sowie den aktuellen Dokumentarstücken11 angewandt.12 Gottsched griff den Ankündigungs8 Zitiert nach: Speyer, Carl: Magister Johannes Velthen und die sächsischen Hofkomödianten am kurfürstlichen Hof in Heidelberg und Mannheim. In: Neue Heidelberger Jahrbücher, N. F. 3 (1926), S. 64–77. Hier: S. 73. 9 Dies betrifft nicht nur ältere Forschungsliteratur, bei Ernst, Eva-Maria: Zwischen Lustigmacher und Spielmacher. Die komische Zentralfigur auf dem Wiener Volkstheater im 18. Jahrhundert. Münster ; Hamburg; London: Lit Verlag, 2003 (= Literatur – Kultur – Medien; Bd. 3). S. 23f. heißt es etwa: »Sein Name [Pickelhering, E.-M. H.] ist untrennbar mit der Haupt- und Staatsaktion verbunden, jener für die fahrenden Truppen typischen Gattung, der es vor allem auf Bühnenwirksamkeit ankam, weniger auf den Text oder eine geschlossene Handlung. Die Haupt- und Staatsaktionen sind noch am ehesten als »Mischspiele« zu charakterisieren, in denen komische und ernste Szenen nicht selten ohne jeglichen Übergang nebeneinander gestellt wurden, was das problemlose Einfügen der komischen Figur in nahezu jedes Stück erlaubte. Durch den Einsatz der komischen Figur ergab sich für die Haupt- und Staatsaktion der Wanderbühnen ein Spiel auf zwei Ebenen.« 10 Vgl.: Heine Carl (Hg.): Der Unglückseelige Todes-Fall Caroli XII. Ein Drama des XVIII. Jahrhunderts. Halle a. S.: Niemeyer, 1888. S. I–VIII. 11 Mit aktuellen Dokumentarstücken werden von Bärbel Rudin Dramen bezeichnet, die selbst vom Berufstheater geschaffen wurden und historische oder jüngere Ereignisse von öffentlichem Interesse zum Inhalt hatten. Heine ordnet sie den biographischen Dramen zu. Vgl.: Rudin, Bärbel: Wanderbühne. In: Kohlschmidt, Werner ; Mohr, Wolfgang (Hgg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 4. Berlin; New York: De Gruyter, 2001. S. 808– 815. Hier: S. 815; – Heine (1888), S. IX–XII. 12 Vgl.: Rudin, Bärbel: Banise als Haupt- und Staatsaktion. Zum erfolgreichsten Lückenbüßer der deutschen Verspätung im Drama. In: Martin, Dieter ; Vorderstemann, Karin (Hgg.): Die europäische Banise. Rezeption und Übersetzung eines barocken Bestsellers. Berlin; Boston:

Einleitung

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terminus Haupt- und Staatsaktion auf und verwendete ihn für die von der Regelpoetik abweichenden Stücke des Berufstheaters13, was das spätere Missverständnis zur Folge hatte, dass es eine Sondergattung Haupt-und Staatsaktion gegeben hätte.14 Die Versuche, eine Gattung zu beschreiben und zu füllen, die niemals als solche existierte, führte zu unstimmigen Befunden: Karl Friedrich Flögel (1778) ging davon aus, dass es sich um »Nachahmung[en] des spanischen Theaters« handelte.15 Eduard Devrient (1848) vertrat die Position, dass es sich keinesfalls um Übersetzungen handeln würde – »weder aus dem Spanischen, wie herkömmlicherweise angenommen wird, noch aus andern Sprachen« – sondern diese nur lose und stofflich auf fremden Originalen basierten.16 Robert Prutz (1847) sah im dramaturgischen Zwei-Ebenen-Prinzip, d. h. in der Verknüpfung von staatstragender Ebene und comœdiantischer Figur, ihr wesentlichstes Charakteristikum und versuchte auf dieser Grundlage eine politische Lesart abzuleiten.17 Willi Flemming wiederum betonte in dem im Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte enthaltenen Beitrag Haupt- und Staatsaktion (1958), dass die Staatsebene ihr besonders Merkmal sei, kam aber letztendlich zu dem Schluss, dass sie Stoffe, Motive, Effekte und Psychologie mit der Oper und dem Kunstdrama weitgehend teilte, jedoch der Stil das Trennende sei – »weder Ton- noch Wortkunst kann der Wandermime nachahmen noch sein Publikum aufnehmen, ihm bleibt allein Vorgang und Mimik«.18 Flemmings Beitrag findet sich zwar in der unveränderten Neuausgabe der besagten zweiten Auflage des Reallexikons von 2001, jedoch ist in der dritten Auflage des Reallexikons (Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Realle-

13

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De Gruyter, 2013b (= Frühe Neuzeit; Bd. 175). S. 67–90. Hier: S. 74; – Rudin, Bärbel: An der Schwelle zur Theaterreform. Die Neuberin in Breslau 1724. In: Jahrbuch für schlesische Kultur und Geschichte 53/54 (2015a), S. 213–233. Hier: S. 221–223. Vgl. u. a.: [Gottsched, Johann Christoph; Hamann, Johann Georg; May, Johann Friedrich]: Die Vernünfftigen Tadlerinnen. Erster Jahr-Theil. Frankfurt; Leipzig: Johann Brandmüller, 1725. S. 133; – Ders.: Die Schauspiele und besonders die Tragödien sind aus einer wohlbestellen Republik nicht zu verbannen. In: Ders.: Schriften zur Literatur. Herausgegeben von Horst Steinmetz. Stuttgart: Reclam, 2009. S. 3–11. Hier: S. 5f. Vgl.: Rudin (2001), S. 815; – Heine (1888), S. I–II; VIII. Flögel, Carl Friedrich: Geschichte des Grotesk-Komischen. Ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit. Liegnitz; Leipzig: David Siegert, 1788. S. 115. Vgl.: Devrient (1967), S. 186. Vgl.: Prutz, Robert E.: Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters. Berlin: Verlag von Duncker und Humblot, 1847. S. 177–182. Flemming, Willi: Haupt- und Staatsaktion. In: Kohlschmidt, Werner ; Mohr, Wolfgang (Hgg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 1. Berlin; New York: De Gruyter, 2001. S. 619–621. Hier: S. 620.

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Einleitung

xikons der deutschen Literaturgeschichte, 1997–2003) nunmehr überhaupt kein Eintrag zur Haupt- und Staatsaktion enthalten.19 Was es mit diesen so genannten Haupt- und Staatsaktionen bzw. dem frühen Berufstheater und seiner Spielpraxis auf sich hatte, war die Ausgangsfrage des FWF-Projekts Staatsaktionen zwischen Repräsentation und Parodie (2011– 2014, Leitung: Stefan Hulfeld)20, auf das das FWF-Projekt Herausbildung eines deutschen Theaterrepertoires, 1650–1730: Die Cicognini Rezeption (2015–2018) folgte. Im Zentrum beider Projekte, in denen auch die vorliegende Arbeit angesiedelt ist, stand die Edition des Kodex Ia 38.589. Diese in der Wienbibliothek aufbewahrte Sammelhandschrift enthält vierzehn Spieltexte, die sich mit der Spielpraxis verschiedener Truppen in Verbindung bringen lassen. Der Entstehungszeitraum der einzelnen Manuskripte reicht ungefähr von der Mitte des 17. bis zum frühen 18. Jahrhundert. Die Spieltexte gehen auf Vorlagen verschiedener Provenienz zurück und weisen unterschiedliche Bearbeitungsgrade auf. Bei manchen der Stücke handelte es sich um Kassenschlager, für einige andere ließ sich kein einziger Aufführungsbeleg finden (zur Übersicht der Spieltexte, Aufführungsbelege und Vorlagen, vgl. I. 1.). Die einzelnen Manuskripte kamen erst, nachdem sie nicht mehr in theaterpraktischem Gebrauch waren, in Form dieser Sammelhandschrift zusammen. Auf wessen Initiative und zu welchem Zeitpunkt ist nicht bekannt. 1866 befand sie sich im Besitz des Postdirektors Ritter von Gerl, 1911 wurde sie von der Wienbibliothek angekauft.21 Es deutet allerdings einiges darauf hin, dass die Manuskripte Heinrich Rademin vorgelegen sind (vgl. Spieltexte der Comœdianten, Teil I., Einleitung). Anhand des Kodex lassen sich die Behauptungen, die in Hinblick auf die angebliche Sondergattung Haupt- und Staatsaktion getroffen wurden, anschaulich widerlegen bzw. relativieren. 19 Vgl.: Fricke, Harald (Hg.): Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band II. Berlin; u. a.: De Gruyter, 2007 (2000). 20 Siehe: Hulfeld, Stefan; Mansky, Matthias; Hanser, Eva-Maria: Tauschhandel in Sachen Theater. Zur Edition und Erschließung der Spielhandschrift Ia 38.589 der Wienbibliothek, mit Beobachtungen zur Rezeption MoliHres. In: Eybl, Franz M. (Hg.): Häuser und Allianzen. Mit 25 Abbildungen (= Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des Achtzehnten Jahrhunderts; Bd. 30). Bochum: Dr. Dieter Winkler, 2016, S. 197–218. 21 Vgl.: Asper, Helmut G.: Spieltexte der Wanderbühne. Ein Verzeichnis der Dramenmanuskripte des 17. und 18. Jahrhunderts in Wiener Bibliotheken. Wien: Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, 1975 (= Quellen zur Theatergeschichte; Bd. 1). S. 3; – Fürlinger, Leokadia: 14 Handschriftliche Dramen der Wanderbühne des 17. Jahrhunderts. Wien: Univ.-Diss., 1948. S. 1; – Wagner, Joseph Maria: Alte Dramen. In: Serapeum 27 (1866), S. 319–320; – Glossy, Karl: Fach-Katalog der Abtheilung für Deutsches Drama und Theater. Internationale Ausstellung für Musik und Theaterwesen 1892 Wien. Wien: Selbstverl. d. Ausstellungs-Commission, 1892. S. 90.

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In diesem Kodex sind keine direkten Übertragungen aus dem Spanischen vertreten. Vier Spieltexte gehen auf Arbeiten des italienischen Dramatikers und Librettisten Giacinto Andrea Cicognini (1606–1649) zurück. Zwei weitere, Aspasia und Titus und Aran, basieren auf niederländischen Vorlagen und ein Spieltext auf MoliHres weniger bekannten Komödie Le D8pit amoureux (1663), ein anderer auf das anonyme englische Drama The Weakest goeth to the Wall (1595–1600). Bei einem weiteren Spieltext handelt es sich um eine wortwörtliche Abschrift von Johannes Riemers (1648–1714) Drama Asphalides (1685), bei einem anderen um eine Adaption eines jesuitischen Märtyrerdramas. Von drei Spieltexten ist die Vorlage unbekannt. Und Aurora und Stella geht zwar stofflich auf Calderjns Lances de amor y fortuna (1635) zurück, seine direkte Vorlage bildet aber entweder Hendrick de Graefs Aurora, en Stella, of Zusterlijcke Kroonzucht (1665) oder – wie die neuere Forschung annimmt – Philippe Quinaults Les coups de l’amour et de la fortune (1655).22 Dennoch war das Spanische in mehrfacher Hinsicht für das frühe Berufstheater bedeutsam. Erstens spielte das frühe Berufstheater tatsächlich Stücke, die aus dem Spanischen entlehnt waren, was zumeist aber indirekt, vor allem über niederländische Bearbeitungen erfolgte23, wie das Beispiel Aurora und Stella zeigt. Zweitens wurde das dramaturgische Modell der comedia nueva24 auch außerhalb des spanischsprachigen Raums intensiv rezipiert. Eine wichtige Brückenfunktion nahm hier Giacinto Andrea Cicognini ein25, dessen Dramen und Libretti (hier : Le gelosie fortunate del prencipe Rodrigo; Il Giasone; L’Adamira overro La Statua dell’onore und L’Orontea) sich u. a. durch die Verknüpfung von Komischem und Tragischem, die Unvorhersehbarkeit des 22 Hendrick de Graefs Aurora, en Stella, of Zusterlijcke Kroon-zucht beruht unmittelbar auf Philippe Quinaults Les coups de l’amour et de la fortune, weshalb die Frage nach der Vorlage des deutschsprachigen Spieltextes einer detaillierten Untersuchung bedarf. Während Junkers die holländische Fassung als Vorlage für den deutschen Spieltext annimmt, vgl. Junkers, Herbert: Niederländische Schauspieler und Niederländisches Schauspiel im 17. und 18. Jahrhundert in Deutschland. Haag: Martinus Nijhoff, 1936. S. 178–183, votiert Rudin für Quinault, vgl.: Rudin, Bärbel: »Zwei Mal in der Wochen Komödie«. Das erste deutsche Hoftheater in Heidelberg. Zur ortsfesten Subventionierung professioneller Schauspielkunst seit 1656. In: Daphins 46 (2018), S. 467–503. Hier: S. 483–486. 23 Vgl.: Rudin, Bärbel: Komödien um maskierte, verwechselte, verlorene Identitäten. Amsterdamer Zugstücke des Goldenen Zeitalters auf der deutschen Berufsbühne. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 40 (2013), S. 143–165. 24 Vgl. zur comedia nueva: Eglseder, Andreas: Der »Arte Nuevo« von Lope de Vega. Theaterwissenschaftliche Erschließung eines »der am häufigsten mißverstandenen Texte der spanischen Literatur«. Frankfurt am Main; u. a.: Peter Lang, 1998 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe XXX, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften; Bd. 72). 25 Vgl.: Palma, Pina: The Spanish Muse in Italy : Tirante el Blanco, La vida es sueÇo, and Don Quijote. In: DaSilva, Zenia Sacks (Hg.): The Hispanic Connection. Spanish and SpanishAmerican Literature in the Arts of the World. Westport: Praeger, 2004 (= Contributions to the Study of World Literature). S. 43–54. Hier: S. 48f.

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Handlungsverlaufs, Verwechslungen und den Einsatz von Verkleidungen auszeichnen (vgl. IV. 2. 2., IV. 4. 1. 1. und IV. 4. 1. 2.). Das Theaterprogramm Die glückseelige Eifersucht Zwischen Don Roderich Und Delmira der Truppe Andreas Elensons26 von 1700 verweist auf einen dritten Bedeutungsaspekt des Spanischen für das frühe deutschsprachige Berufstheater : Das Drama wird hier als »Eine aus dem Spanischen In das Hoch-Deutsche übersetzte Haupt-Opera« (vgl. I. 1.) beworben. Es ist auszuschließen, dass dem erfahrenen Theaterprinzipal Elenson, der dieses Stück zu diesem Zeitpunkt bereits fast drei Jahrzehnte in seinem Repertoire hatte, die Vorlage unbekannt war, zumal er den Schauspieler Christoph Blümel27, der dieses Drama adaptierte, persönlich gekannt hatte.28 Das Spanische wurde hier bewusst werbestrategisch gesetzt – die Frage ist, welche Erwartungen damit geweckt werden sollten. Verknüpfte das Publikum um 1700 mit spanischer Dramatik bereits eine bestimmte Vorstellung eines dramaturgischen Modells? Oder ging es um ein bestimmtes imaginäres Setting, das mit diesem Attribut verbunden wurde, wie etwa heftige Liebesaffekte, Pracht oder die Erwartung besonderer Kostüme, da das Stück in Spanien spielt? Vermutlich hatten all diese Aspekte Anteil an der Idee des Spanischen nach der das Publikum u. a. verlangte und mit der das Berufstheater gegebenenfalls seine Aufführungen bewarb. Zudem steht aber schließlich auch die Vermutung im Raum, dass über die verbreitete Gleichsetzung des Spanischen mit dem unregelmäßigen Drama29 diese Annahme Fuß fasste, da beispielsweise keiner der vierzehn Spieltexte dem Anspruch der Regelmäßigkeit, der für das berufsmäßige Schauspiel im 17. Jahrhundert und sein heterogenes Publikum auch nicht relevant war, gerecht wird (vgl. II. 2. 3.). Den »Beweis«, dass es sich bei den Dramen, die das Berufstheater spielte, keinesfalls um Übersetzungen handeln würde, sondern diese nur lose auf fremden Originalen basierten, trat Eduard Devrient mit dem in der Österreichischen Nationalbibliothek befindlichen Spieltext Die rasende Medea mit Arlequin einem verzagten Soldaten30 an. Dieser Spieltext war laut ihm

26 Zu Andreas Elenson, siehe: Scherl, Adolf; Rudin, Bärbel: Andreas Elenson. In: Jakubcov#, Alena; Pernerstorfer, Matthias J. (Hgg.): Theater in Böhmen, Mähren und Schlesien. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Ein Lexikon. Wien: Verlag der ÖAW, 2013. S. 172–175. 27 Zu Christoph Blümel, siehe u. a.: Bolte (1887). 28 Vgl.: Havl&cˇkov#, Margita: Berufstheater in Brünn, 1668–1733. Brno: Masarykova univerzita, 2012. S. 30. 29 Vgl. u. a.: Lessing, Gotthold Ephraim: Hamburgische Dramaturgie. Kritisch durchgesehene Gesamtausgabe mit Einleitung und Kommentar von Otto Mann. Stuttgart: Alfred Körner, 1963. S. 271–274. 30 Hoffmann, Karl Ludwig: Die rasende Medea mit Arlequin einem verzagten Soldaten. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 13189 Han.

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allerdings aus der Tragödie des Euripides gezogen, aber in welcher Behandlung erscheint sie hier! Abgesehen davon, daß sie in der plattesten Prosa verfaßt ist, so sind die Verhältnisse ganz in das höfische Zeremoniell jener Zeit gezogen. Medea erzürnt sich zumeist, daß sie bei dem König Kreon nicht an [den] Hof kommen darf. Einen Soldaten, der ihr den Eingang zum Audienzsaale wehren will, verwandelt sie in eine Säule, einen andern in einen Baum, den Saal in eine Wildnis usw. An Flugwerken und Erscheinungen ist kein Mangel, denn in der Haupt- und Staatsaktion mußte Medea natürlich ihre Zauberkünste sichtlich produzieren, um sich als Magierin zu dokumentieren. Harlekin, der auf der Seite des Jason ist und sich über die abgedankte Schöne lustig macht, sich ihr mit einer Pistole gegenüberstellt und ihr dreister als die verwandelten Soldaten wehren will, wird auch verzaubert, und zwar – in einen Nachtstuhl. Wer möchte dieses Stück nun noch für eine Übersetzung des Euripides ausgeben? Auf ähnliche Enttäuschungen wird die Behauptung: daß die Staatsaktionen Übersetzungen gewesen seien, überall stoßen.31

Abgesehen davon, dass Devrient aufgrund der intensiven Rezeptionsgeschichte, die mit diesem Stoff einhergeht, ein denkbar ungeeignetes Beispiel für seine Argumentation gewählt hatte, müsste seine letzte Bemerkung eigentlich dahingehend verkehrt werden, dass die Behauptung, die Spieltexte des Berufstheaters würden nicht auf direkten Vorlagen basieren, zumeist auf Enttäuschung stoßen wird. Vielmehr ist es die Frage nach einem Eigenen des frühen deutschsprachigen Berufstheaters, das die größere Herausforderung bereitet. Bei dem von Devrient herangezogenen Spieltext handelt es sich um eine Adaption von Jan Vos’ (1612–1667) Medea (1665)32. Vos’ Medea konzentriert sich auf Medeas Rache. Nach einer Reihe von Schauerszenen sowie szenisch herausfordernder Vorgänge wird Medea letztendlich durch den Beschluss Jupiters mit Jason vereinigt.33 Die markantesten Abweichungen des Wiener Spieltexts gegenüber der Vorlage betreffen die Einfügung der comœdiantischen Figur Arlequin sowie die Streichung der Choreinlagen und Intermedien.34 Auch der im Kodex enthaltenen Spieltext Der durchläuchtige Schiffadmiral Jason oder das bezauberte güldene Flüß ist keine Eigenkreation des deutschsprachigen Berufstheaters. Dieser geht auf Giacinto Andrea Cicogninis Il Giasone (Commedia, 1664) zurück. Cicognini transponierte diesen Stoff zu einer Liebeskomödie, in der Jason zwischen seiner heftigen Liebe zu Medea und seiner Verantwortung gegenüber Isifile schwankt. Ein von Jason in Auftrag gegebenes, aber gescheitertes Mordkomplott an Isifile führt dazu, dass Medea erkennt, dass sie eigentlich dem König Egeo bestimmt ist, den sie am Ende zum Gemahl nimmt, was schließlich in Jasons Rückkehr zu Isifile mündet. Markante Ab31 32 33 34

Devrient (1967), S. 186. Vos, Jan: Medea; Treurspel. Amsterdam: Jacob Lescailje, 1667. Vgl.: Junkers (1936), S. 213–220; – Rudin (2015a), S. 228–231. Vgl.: Junkers (1936), 214–219.

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weichungen des Spieltextes gegenüber dem Libretto ergeben sich daraus, dass als unmittelbare Vorlage nicht das Libretto, sondern eine 1664 erstmals publizierte Komödien-Fassung diente.35 Um bei einem weiteren heute noch bekannten Stoff zu bleiben: Auch bei Titus und Aran handelt es sich nicht um eine durch das deutschsprachige Berufstheater gänzlich eigenmächtig fabrizierte Bearbeitung des mit dem Namen Shakespeare assoziierten Titus-Andronicus-Stoffes, sondern hier war die Tragödie Aran en Titus, of Wraak en Weerwraak (1641) des oben bereits erwähnten Holländers Jan Vos die Vorlage.36 Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass es im Spieltext wieder die Intermedien und der Prolog sind, die gestrichen wurden. In all diesen Beispielen beruhen die Spieltexte nicht bloß lose auf ihren Vorlagen, die Zeilen lassen sich im Vergleich fast durchgängig Wort für Wort nachverfolgen. Selbst Übersetzungsschwierigkeiten sind zu erkennen, und doch ist der Terminus »Übersetzung« nicht passend, da die Berufsschauspieler*innen Eingriffe vorgenommen haben. Es sind neben der Auswahl der Stücke für das Repertoire die Eingriffe, die auf ein Eigenes des Berufstheaters verweisen. Beide Akte, der Akt der Auswahl und des Eingriffes, bedeuten Entscheidungen, die entlang bestimmter Prinzipien, Zwänge, Bedürfnisse und spontaner Eingebungen getroffen wurden. Zu den Standardeingriffen zählt die Prosaauflösung und die Eliminierung von Prologen und Intermedien.37 Die häufigsten Abweichungen betreffen die Rede der comœdiantischen Figur, die zumeist zwar sinngemäß jener der Vorlage entspricht, sich aber anderer sprachlicher Mittel bedient. In Bezug auf die Adaptionspraxis des Berufstheaters sind zwei Spieltexte des Kodex besonders bemerkenswert: Die gekröndte Schäfferin Aspasia und Der vom Christenthum abgefallene und dazu wiederbekehrte Andronicus. Im ersten Fall könnte von einer Parodie auf die Vorlage, das ist Koningklyke Herderin Aspasia, Blyeyndig-Spel (Jacob Cats, 1655), gesprochen werden. Die konstitutiven Momente von Cats hofkritischem Schäferdrama wurden ins Lächerliche 35 Vgl.: Jeschgo, Bettina: »Comoedia. Genandt: Der durchläuchtige Schiffadmiral Jason. Oder. Das bezauberte güldene Flüß.« Eine Transformationsanalyse. Wien: Dipl.-Arb., 2012; – Fürlinger (1948), S. 53f. 36 Gegenüber der shakespearschen Fassung Titus Andronicus (1594) fehlt bei Jan Vos’ Aran en Titus u. a. der Streit zwischen Titus und Saturninus um die Krone; während bei Shakespeare Tamoras ältester Sohn geopfert wird, ist es hier Aran der geopfert werden soll, dessen Opferung aber durch Thameras (= Tamora) Intervention – sie verspricht Saturninus zu ehelichen – verhindert wird, vgl. Fürlinger (1948), S. 29f. 37 Dass Prologe und Intermedien in den Spieltexten zumeist gestrichen wurden, bedeutet nicht, dass das frühe Berufstheater gänzlich auf deren Adaption verzichtete, wie etwa das folgende Theaterprogramm anlässlich einer Aufführung von Titus und Aran zeigt: Hoffmann, Johann Ernst; Schwarz, Peter ; Hart, Andreas: Rach und Gegenrach: oder : Titus unde Aran. Augsburg, 1658. Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, 4 Aug 694 A-3.

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verkehrt, die Intrige wurde gestrichen und stattdessen eine zweite comœdiantische Figur samt neuer Szenen eingeführt (vgl. IV. 2. 2.).38 In Anbetracht der gängigen Adaptions-Usancen des frühen Berufstheaters erscheint dieser Spieltext als außergewöhnliches Beispiel, das Devrients polemischer Argumentation sicher zu Gute gekommen wäre. Bei Andronicus wiederum handelt es sich um die Adaption eines Jesuitendramas, das angesichts der konfessionellen Parteiungen und der Übernahme durch eine andere Theaterform mit einigen Ambivalenzen konfrontiert. Dieses Stück, das aufgrund seiner geistlichen Thematik und Provenienz aus dem Kodex heraussticht, steht im Mittelpunkt des gesamten zweiten Kapitels. Zuletzt sind es auch die Originaldramen, die Auskunft über ein Eigenes des Berufstheaters geben könnten. Die Schwierigkeit liegt häufig in ihrem Nachweis, denn bloß weil sich keine Vorlagen finden lassen, bedeutet es nicht zwangsläufig, dass es keine gab. Bei drei Spieltexten des Kodex konnte bislang keine Vorlage eruiert werden: Der durchlauchtige Kohlenbrenner, Dulcander und Dorella und Der durch den Tryumph einer flüchtigen Königin unterdrukte Tyrann. Lediglich für Der Kohlenbrenner, das vermutlich das älteste dieser drei Stücke ist, gibt es Aufführungsbelege. Vom jüngsten Stück des gesamten Kodex, Tryumph einer flüchtigen Königin, ist anzunehmen, dass es in Wien entstanden ist. Dafür sprechen Wien-Verweise, die der hier sehr aktive und den Handlungsgang mitvorantreibende Hanswurst tätigt. Die Liebestragödie Dulcander und Dorella hingegen, deren Dramaturgie dem Primat der Bühnenwirksamkeit absolut zu unterliegen scheint, entzieht sich einer zeitlichen, örtlichen sowie personalen Verortung. Gemeinsam ist allen dreien das Motiv des Tyrannenmordes (das sich sonst noch in Titus und Aran findet), ein verschlungener und wendungsreicher Plot und die Einflechtung comœdiantischer Figuren. Der Tyrannenmord ereignet sich in Der Kohlenbrenner und in Dulcander und Dorella unter ähnlichen Bedingungen: In beiden Stücken ist der Tyrann inkognito und im Begriff eine Gewalttat zu begehen. Der Held tötet ihn in einem Akt der Verteidigung – nicht wissend, dass es sich um den König handelt, und bittet nach der Entdeckung der Identität des Ermordeten den Leichnam nahezu wortgleich um Verzeihung: »Verzeihe mir[,] m‹it› Blut ‹b›esprengter Leichnam, […]«39 / »[…] ach verzeihe mir du mit Blut besprengter Laichnamb, […]«40. Diese Übereinstimmung legt den Verdacht nahe, dass dem Schreiber oder der Schreiberin von Dulcander und Dorella der Spieltext Der Kohlenbrenner in irgendeiner Form vorlag. Aber auch 38 Vgl.: Caemmerer, Christiane: Siegender Cupido oder Triumphierende Keuschheit. Deutsche Schäferspiele des 17. Jahrhunderts dargestellt in einzelnen Untersuchungen. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1998 (= Arbeiten und Editionen zur Mittleren Deutschen Literatur, Neue Folge; Bd. 2). S. 371–410. 39 Der Kohlenbrenner, Kodex Ia 38.589, fol. 151v. 40 Dulcander und Dorella, Kodex Ia 38.589, fol. 188r.

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zwischen Dulcander und Dorella und Die flüchtige Königin gibt es eine motivische, wenn auch weniger signifikante Parallele: die Interaktion der comœdiantischen Figur mit dem Leichnam bzw. den Leichenteilen des Tyrannen. Vor diesem Hintergrund mag es nicht erstaunen, dass Robert Prutz im dramaturgischen Zwei-Ebenen-Prinzip das Genuine der Haupt- und Staatsaktionen sah und davon ausgehend eine ihnen inhärente politische Funktion abzuleiten versuchte. Er interpretierte Haupt- und Staatsaktionen als höfische »Abfall«produkte, die sich das geknechtete »Volk« angeeignet, karikiert und mit der Figur des Hanswursts angereichert hätte. Die comœdiantischen Aktionen dieser Figur, in der die Stimme des »Volkes« ihren Ausdruck finden würde, ermöglichten der unterdrückten Bevölkerung sich zumindest auf einer ideellen Ebene, im Modus des Sich-Luft-Machens, von der absolutistischen Repression zu befreien.41 Dass sich Prutz als Erster um eine politisch-zentrierte Lesart bemühte, ist ihm anzurechnen, bloß basiert seine Argumentation auf verkürzten und falschen Annahmen. Neben seiner unzureichenden Kenntnis des Publikums und der Spielpraxis des frühen Berufstheaters machen die einseitige und überzogene Interpretation der comœdiantischen Figur (insbesondere Hanswursts), die Fehleinschätzung des Verhältnisses von Berufstheater und Hof sowie die ihm als Ausgangspunkt dienende, aber mittlerweile veraltete Absolutismus-Auffassung eine Relativierung seiner These zwingend notwendig. Entgegen Prutz’ pathosreicher Schilderung der angeblich erbärmlichen Beschaffenheit des Berufsschauspiels und seines Publikums – es ist von Hütten, Ställen und Goldpapier, von den Schauspielern als »kreischende[n] Trunkenbolde[n]« die Rede; über das Publikum konstatiert er, dass es nicht las, sondern nur schaute, etc.42 – war der Theaterbesuch nicht für die gesamte städtische Bevölkerung, insbesondere nicht für die untersten Einkommensschichten, leistbar43. Die Ausstattung war für die Stadträte, die die Spielbewilligung er41 Vgl.: Prutz (1847), S. 170–173. 42 Vgl.: Prutz (1847), S. 171; 177. 43 Als die Truppe von Johann Ernst Hoffmann und Peter Schwarz (auch bekannt unter dem Namen Innsbrucker Comœdianten) 1664/65 im Boyerschen Haus in Wien gastierten, verlangten sie einen Eintrittspreis von 4 bis 12 Groschen (1 Groschen = 3 Kreuzer), vgl. Ludvik, Dusˇan: Die Chronologie und Topographie der Innsbrucker Komödianten (1652–1676). In: Acta Neophilologica 4 (1971), S. 3–39. Hier: S. 20. Der Eintrittspreis für die schlechtesten Plätze entsprach damit dem Tageslohn eines Maurerhandlagers (12 Kreuzer). Der Tageswinterlohn eines Maurer- oder Ziegelgesellen betrug 18 Kreuzer, vgl. Pribram, Alfred Francis (Hg.): Materialien zur Geschichte der Preise und Löhne in Österreich. Bd. 1. Wien: Ueberreuter, 1938. S. 348, womit für diese Einkommensgruppe in Anbetracht der damaligen Lebenserhaltungskosten ein Theaterbesuch nicht leistbar war. Als diese Truppe in Graz spielte, wurde festgesetzt, dass sie nicht mehr als 6 Kreuzer pro Person verlangen durfte, vgl. Ludvik (1971), S. 21, womit der Eintritt zwar wesentlich billiger als in Wien war, aber die unteren Einkommensschichten immer noch ausschloss: So erhielt ein Tagelöhner in Graz zu dieser Zeit etwa 8 Kreuzer, ein Zimmergeselle zwischen 13 und 18 Kreuzer, ein Schuhknecht um 11

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teilten, ein wesentliches Kriterium bei der qualitativen Beurteilung der Truppen und ihrer Spielpraxis (vgl. II. 1.). Nicht zuletzt musste ihr Schauspielstil den höfischen Maßgaben entsprochen haben, denn andernfalls wären sie nicht für repräsentative Festaufführungen engagiert worden (vgl. IV. 2. 1.). Prutz’ Ausführungen zum Zwei-Ebenen-Prinzip erweisen sich, insbesondere in Hinblick auf das 17. Jahrhundert, in mehrfacher Hinsicht problematisch: Erstens, weil Hanswurst als comœdiantische Figur erst im 18. Jahrhundert, mit Joseph Anton Stranitzkys Aneignung und Ausgestaltung dieser Figur, Bedeutung für die Spielpraxis des Berufstheaters erlangte. Zweitens, da die comœdiantischen Figuren zumindest in Grundzügen häufig aus den Vorlagen mitübernommen wurden, und drittens, da der Einsatz von comœdiantischen Figuren nicht obligatorisch war. Im Kodex finden sich drei Hanswürste, die jedoch nicht mehr gemeinsam haben als den Namen und den Status einer comœdiantischen Figur. In Die Ehrenstatue wurde nachträglich im Rollenverzeichnis, nicht aber in der Marginalspalte, der Name »Despino« zu »Hanswurst« geändert. Despino/Hanswurst bildet hier mit Fichetto ein comœdiantisches Duo. Dass hier die Wahl auf Despino und nicht auf Fichetto fiel, könnte mit einem besonderen Merkmal Despinos korrelieren, der als »verschnittener Page«44 (Eunuch, eventuell Kastrat) charakterisiert wird. In Zusammenhang mit dem, dem Namen nach, phallisch konnotierten Hanswurst würde das neue Aktionsräume eröffnen. Dieser Eingriff hat den Status einer Notiz, der Möglichkeiten andeutet, die ausgeschöpft werden oder aber auch unangetastet bleiben konnten. Despino/ Hanswurst und Fichetto (in der Vorlage heißt er Ventura) wurden aus der Vorlage, Cicogninis Libretto L’Adamira overro La Statua dell’onore (1657), übernommen. Im Wesentlichen stimmen ihre Sprecheinsätze mit der Vorlage überein. Auch in dem ebenfalls auf ein Libretto Cicogninis zurückgehenden Spieltext Oronthea wurde die comœdiantische Figur der Vorlage »Gelone Buffone« zu Hanswurst geändert. In diesen beiden Spieltexten, die nach Libretti gearbeitet sind, entspringt also nicht nur die hohe Ebene, sondern auch die der comœdiantischen Figuren der Oper. Einzig in Die flüchtige Königin begegnet ein Hanswurst, dessen Ausgestaltung den typischen mit dieser Figur assoziierten Erwartungen entgegenkommt: Seine Aktionen, die weitreichende Missverständnisse und Wirrungen zufolge haben, zu deren Lösung er zugleich aber auch Kreuzer. In diesem Zusammenhang gilt jedoch zu bedenken, dass in etwa auf jeden Sonntag ein Feiertag kam und dass Taglöhner und Bauhandwerker nur in der frostfreien Zeit ihrer Tätigkeit aufnehmen konnten, womit je nach Gewerbe zwischen 160 bis 260 Arbeitstage zu veranschlagen sind und somit das Tagesgehalt aufs Jahr gerechnet, wesentlich niedriger war, vgl. Popelka, Fritz: Die Lebensmittelpreise und Löhne in Graz vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. In: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 23 (1930), S. 157–218. Hier: S. 213–218. 44 Kodex Ia 38.589, fol. 1v.

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beiträgt, wirken auf die Haupthandlung, womit er zum aktiven und den Handlungsgang mitbeeinflussenden Part wird. Hinzukommen der Sauschneider-Verweis, der ihn – gemeinsam mit einigen Wien-Bezügen sowie einer Titelgestaltung, die ihn explizit hervorhebt (Der durch den Tryumph einer flüchtigen Königin unterdrukte Tyrann. Oder Die Liebe thuet allzeit zuletzt obsigen. Mit Hanswurst den untter königlicher Kleidung unglickseeligen Naren.) – in die Nähe Joseph Anton Stranitzkys rückt, der Hanswurst als einen Salzburger Sauund Krautschneider ausgestaltete und für dessen Popularisierung am Theater maßgeblich verantwortlich war.45 Neben Hanswurst finden sich im Kodex comœdiantische Figuren mit den Namen »Hannß von der Nadl« (Der Schwehst), »Phryx« und »Stryx« (Aspasia), »Despino«/»Hanswurst« und »Fichetto« (Die Ehrenstatue), »Piccariglio« und »Trufaldino« (Jason), »Jodolet« und »Mascarilias« (Ein verliebter Verdruss), »Mendo« (Der Kohlenbrenner) und schließlich »Frantello« (Dulcander und Dorella), der als einziger im Rollenverzeichnis als Pickelhering46 ausgewiesen 45 Zu Joseph Anton Stranitzky und Hanswurst, siehe u. a..: Scherl, Adolf; Rudin, Bärbel: Joseph Anton Stranitzky. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 666–670; – Asper, Helmut G.: Hanswurst. Studien zum Lustigmacher auf der Berufsschauspielerbühne in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. Emsdetten: Lechte, 1980; – Müller-Kampel, Beatrix: Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert. Paderborn; u. a..: Schöningh, 2003; – Stranitzky, Joseph Anton; Kurz, Joseph Felix von; Hafner, Philipp; Perinet, Joachim; Bäuerle, Adolf: Hanswurstiaden. Ein Jahrhundert Wiener Komödie. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Johann Sonnleitner (= Eine österreichische Bibliothek). Salzburg: Residenz, 1996; – Neuhuber, Christian: Der Vormund des Hanswurst. Der Eggenbergische Hofkomödiant Johann Valentin Petzold und sein Kilian Brustfleck. In: Daphnis 35 (2006), S. 263–300; – Payer von Thurn, Rudolf (Hg.): Wiener Haupt- und Staatsaktionen. Eingeleitet und hg. von Rudolf Payer von Thurn. Bd. I. (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien; Bd. 10). Wien: Verlag des Literarischen Vereins, 1908; – Payer von Thurn, Rudolf (Hg.): Wiener Haupt- und Staatsaktionen. Eingeleitet und hg. von Rudolf Payer von Thurn. Bd. II. (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien; Bd. 13). Wien: Verlag des Literarischen Vereins, 1910; – Brukner, Fritz (Hg.): Türckisch-bestraffter Hochmuth, oder das ano 1683 von denen Türcken belagerte und von denen Christen entsetzte Wienn, und Hans Wurst, die kurzweilige Salve-Guarde des Frauen-Zimmers, lächerlicher Spion, und zum Tode verdamter Mißethäter. Die Haupt- und Staatsaktion des Josef Anton Stranitzky. Innsbruck; Wien; München: Verlagsanstalt Tyrolia, 1933; – Homeyer, Fritz (Hg.): Stranitzkys Drama vom »Heiligen Nepomuck«. Mit einem Neudruck des Textes (= Palaestra; Bd. 62). Berlin: Mayer & Müller, 1907. 46 Zur Figur des Pickelherings, siehe u. a.: Alexander, John: Will Kemp, Thomas Sacheville and Pickelhering. A Consanguinity and Confluence of Three Early Modern Clown Personas. In: Daphnis 36 (2007a), S. 463–486; – Katritzky, M. A.: »A Plague o’ These Pickle Herring«. From London Drinkers to European Stage Clown. In: Proch#zka, Martin et al. (Hgg.): Renaissance Shakespeare: Shakespeare Renaissances. Proceedings of the Ninth World Shakespeare Congress. Newark: University of Delaware Press, 2014. S. 159–170; – Rudin, Bärbel: Christian Janetzky. Die (Wieder-)Entdeckung des barocken Entertainers. In: Havl&cˇkov#, Margita; Neuhuber, Christian; Sˇkrob#nkov#, Kl#ra (Hgg.): Das vielsprachige Theater Tschechiens in der Frühen Neuzeit / V&cejazycˇn8 divadlo ran8ho novoveˇku v cˇesky´ch zem&ch. Brno: Masarykova univerzita 2019 (= Theatralia 22, H. 2). S. 79–92 [im Druck].

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wird.47 Bei den Stücken, deren Vorlagen bekannt sind, ließ sich nur in einem Fall die Hinzufügung einer comœdiantischen Figur nachweisen (Aspasia). Dass Komik ein wichtiges Element für die Spielpraxis des frühen deutschen Berufstheaters war, bedeutet nicht, dass die Zwei-Ebenen-Dramaturgie immer eingesetzt wurde. Fünf Spieltexte des Kodex (Andronicus, Aurora und Stella, Titus und Aran, Amor der Ty¨rann, Die glückselige Ey¨fersucht) kommen ohne comœdiantische Figuren aus. Zudem bedurfte das frühe Berufstheater nicht zwangsläufig comœdiantischer Figuren, um Komik zu erzeugen: In Die glückselige Ey¨fersucht sowie in Aurora und Stella sind es vor allem die an der Grenze des Wahrscheinlichen, aber immer noch im Bereich des Möglichen liegenden Zufälle, die der Komik nicht entbehren. Hinzukommen bei Die glückselige Ey¨fersucht die immer wieder im Scheitern begriffenen Verstellungsbemühungen des an Eifersucht leidenden Königs, der diesen Affekt zu dissimulieren versucht (vgl. IV. 4. 1. 2.). Auch in Amor der Ty¨rann ist es der König, der aufgrund seines Wahnsinns zu einem lächerlich-komischen Subjekt, hier in grotesker Verzerrung, gerät (vgl. IV. 4. 1. 3.). In Andronicus wiederum ist es der spielleitende Intrigant Saladin, dessen pointenreiche Spitzen gegen die katholische Volksfrömmigkeit eine beinahe riskante Komik aufweisen (vgl. III. 2. 2. 1.). Dass das Fehlen comœdiantischer Figuren mitunter dennoch als Mangel empfunden wurde, belegen einige Theaterzettel und -programme aus dem 18. Jahrhundert: Im Fall von Amor der Ty¨rann und Die glückselige Ey¨fersucht wurde jeweils eine Figur zu einer comœdiantischen transformiert. In Amor der Ty¨rann ist es der schon in der Vorlage etwas lächerlich erscheinende Jurist, den der wahnsinnige König zu fressen wünscht, der 1718 als Arlequin (Amor Der Tyrann. Oder : Arlequin der lustige Advocat) ausgestaltet wurde (vgl. I. 1. und IV. 4. 1. 3.). Bei Die glückselige Ey¨fersucht ist es der Höfling Cortadiglio, der dem König immer wieder neue Indizien für die vermeintliche Untreue seiner Verlobten liefert und dessen allmähliche Transformation sich anhand des Materials vergleichsweise gut nachverfolgen lässt (vgl. III. 2. 2. 1. und IV. 4. 1. 2.).48 Dass sich die städtische Bevölkerung etwa über szenische Interaktionen zwischen comœdiantischer Figur und Potentaten-Figur Luft machte, war mit Sicherheit auch der Fall, allerdings war es eine Rezeptionsmöglichkeit unter vielen verschiedenen. Unterprivilegierte Schichten konnten aus derartigen In47 Doris Hillebrand befasst sich im Rahmen ihres Dissertationsprojekts, in dem die CicogniniRezeption des frühen Berufstheaters im Zentrum steht, eingehend mit den comœdiantischen Figuren des Kodex sowie mit der Bühnenpraxis des frühen Berufstheaters. 48 Hanser, Eva-Maria: »Verbessert aber undt zierlicher in hochteitscher Sprach gegeben« Cicogninis Le gelosie fortunate del prencipe Rodrigo im frühen deutschsprachigen Berufstheater. In: Sommer-Mathis, Andrea; Großegger, Elisabeth; Wessely, Katharina (Hgg.): Spettacolo Barocco – Performanz, Translation, Zirkulation. Wien: Hollitzer Verlag, 2018. S. 169–188.

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teraktionen ebenso einen Genuss ziehen wie Stadträte, die um die Freiheiten der Stadt kämpften, und auch der Klerus, Gelehrte, Beamte, der Adel, die Hofgesellschaft, die Fürstenfamilie etc. Das Publikum des frühen deutschsprachigen Berufstheaters war heterogen, der soziale Status der immer auch sozial mobilen Schauspieler*innen im Grunde nicht greifbar und das Berufstheater ständig mit den Interessen der Ordnungsmächte Kirche, Staat und Stadt konfrontiert. Entgegen Prutz’ Annahme war die Beziehung zwischen Berufstheater und Hof relativ eng: Die einzelnen Truppen standen häufig unter höfischer Protektion oder strebten eine solche an, da diese erstens mit der Vergabe eines Spielprivilegs im Territorium des Fürsten oder der Fürstin verbunden war, das die Stadträte bei der Spielbewilligungspraxis zu berücksichtigen hatten; zweitens mit der Verleihung eines Titelprädikats, das als Qualitätssiegel fungierte und den Truppen außerhalb des fürstlichen Territoriums das Lukrieren von Spielgelegenheiten erleichtern konnte; drittens mit regelmäßigen Spielgelegenheiten am Hof von Theater fördernden Adeligen sowie mit der Weiterempfehlung der Truppen an befreundete Höfe und nicht zuletzt mit Geschenken wie Geld, Kostümen etc. Einige Höfe leisteten sich die Haltung eines festen Ensembles, das sich aus bereits erfahrenen Vertretern und Vertreterinnen des deutschsprachigen Berufstheaters rekrutierte. Diese Engagements waren besonders begehrt, aber dennoch nicht sicher, da neben dem Todesfall des Mäzens oder der Mäzenin auch finanzielle Ursachen oder Desinteresse die Entlassung des Ensembles zur Folge hatten bzw. haben konnten. Schließlich wurden die Truppen auch von Höfen für Gastspiele engagiert, woran die Truppen die Hoffnung auf die Etablierung eines Protektionsverhältnisses oder auf ein festes Engagement knüpften. (Vgl. IV. 1.). Vor allem das höfische Protektionssystem veranlasste Ralf Haekel in seiner Arbeit über die englischen Comœdianten im deutschsprachigen Raum zu der These, dass die Truppen von Fürst*innen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung sowie Sozialdisziplinierung der Untertanen instrumentalisiert wurden.49 Dafür gibt es auch später Indizien (vgl. IV. 2. 3.). Im Zusammenhang mit den Spieltexten des Kodex aber, die zu einem Großteil den Konflikt von Herrschaft und Affekt zum Thema haben, stellt sich die Frage, inwiefern bzw. vielmehr auf welche Weise das Berufstheater zudem auch als Herrschaftsregulativ fungierte: Diese Stücke, die die Relevanz der Herrschertugenden vor allem ex negativo vor Augen führen und an dem im 17. Jahrhundert virulenten Souveränitätsdiskurs partizipierten (vgl. IV. 3.), wurden auch bei Hof gespielt. Albrecht Koschorke et al. weisen darauf hin, dass mit Jean Bodins Souveränitätskonzeption, die dem Herrscher die alleinige Gesetzgebungs- und 49 Vgl.: Haekel, Ralf: Die Englischen Komödianten in Deutschland. Eine Einführung in die Ursprünge des deutschen Berufsschauspiels. Heidelberg: Winter, 2004 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte; Bd. 212). S. 37.

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Befehlsgewalt zuspricht und ein aktives Widerstandsrecht gegen den Souverän ausschließt, die moralisch-theologische Disziplinierung des Fürsten einen wesentlichen Stellenwert erhielt: »Umso wichtiger werden für die Bändigung der fürstlichen Gewalt andere Regulative: von Staatstraktaten, Memoranden, ständischen Zeremoniellen, Predigten, Opern bis hin zur Literatur.«50 Obwohl die Bodin’sche Souveränitätskonzeption Attraktion ausübte, war aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Instanz im Heiligen Römischen Reich souverän. Über den Territorialfürst*innen51 stand das Reichskammergericht – eine Rechtsinstanz, bei der die Untertanen Beschwerde einreichen konnten – sowie der Kaiser. Der Kaiser wiederum bedurfte der Mitwirkung der Reichsstände, um Beschlüsse erlassen zu können (vgl. IV. 3). Dennoch versuchten die Territorialfürst*innen, die Kompetenzen der Landesstände immer weiter einzuschränken und die Territorien ihren Zentralisierungsbestrebungen zu unterwerfen.52 Landesfürstlichen Städten drohte im Verlauf dieses Prozesses der Verlust ihrer Freiheiten und Rechte. 1718 erließ das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg sogar ein Edikt, das den Städten das Recht auf die Bewilligung von Schauspielen entzog (vgl. Kap. II.). Die frühneuzeitlichen Städte waren heterogen: Neben den landesfürstlichen Städten gab es die freien Reichsstädte, die lediglich dem Kaiser unterstanden und denselben Rechtsstatus wie die Territorialstaaten innehatten, außerdem Residenzstädte, Hauptstädte, Universitätsstädte, Handelsstädte etc., hinzu kamen Faktoren wie Konfession oder Größe. Der Heterogenität der Städte entsprach auch die Heterogenität in Bezug auf die Haltung zu Theater sowie des Umgangs mit Berufstheatertruppen. (Vgl. Teil II.). Die Kirche war jene Ordnungsmacht, die am heftigsten gegen das Berufsschauspiel sowohl in den Städten als auch bei Hof intervenierte. Das Berufstheater reagierte auf den theaterfeindlichen Klerus etwa über die performative Lächerlichmachung dieses Standes, häufig unter dem Deckmantel des Heidnischen; durch Eingaben oder auch, wie zumindest zwei Fälle belegen, durch

50 Koschorke, Albrecht; Lüdemann, Susanne; Frank, Thomas; Matala de Mazza, Ethel: Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas. Frankfurt am Main: Fischer, 2007. S. 116. 51 Im vorliegenden Untersuchungszeitraum war die Herrschaft von Fürstinnen im Heiligen Römischen Reich auf die Regentschaft beschränkt. Eine weitere Ausnahme bildeten die habsburgischen Niederlande: dort konnten Fürstinnen als Statthalterinnen fungieren. Vgl.: Wunder, Heide: »Er ist die Sonn’, sie ist der Mond« – Frauen in der Frühen Neuzeit. München: Beck, 1992. S. 206. 52 Vgl.: Oestreich, Gerhard: Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des alten Reiches. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1974 (= Handbuch der deutschen Geschichte; Bd. 11). S. 40–43.

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öffentliche Schriften.53 Zum einen aber unterschied sich die Haltung der Geistlichkeit zu Theater zumindest in der Tendenz je nach Konfession, zum anderen gab es unter der Geistlichkeit nicht nur erbitterte Gegner des Berufstheaters, sondern auch großzügige Förderer. Manche Schauspieler beendeten ihre Bühnenkarriere und wurden Geistliche, andere wiederum, die eine geistliche Laufbahn eingeschlagen hatten, wechselten zur Bühne. Während Schulund Ordenstheater oft ein Theatermonopol für sich beanspruchten und dabei Elemente der Spielpraxis des Berufstheaters übernahmen, hatten manche Berufsschauspieler ihre ersten Schauspielerfahrungen im Rahmen von Schultheateraufführungen gemacht, zudem adaptierte das Berufstheater wiederum geistliche Dramen. Viele Berufsschauspieler*innen, vor allem jene der so genannten Trümmergeneration (also jener, die noch im Dreißigjährigen Krieg geboren waren) hatten zudem konfessionsbedingte Repressionen erfahren. Konfessionswechsel waren nicht ungewöhnlich, manche Schauspieler*innen ließen sich für konfessionelle Dienste einspannen und verfolgten womöglich selbst eine konfessionsorientierte Agenda, wobei die Mehrheit eine konfessionstolerante Haltung einzunehmen schien – auf jeden Fall aber passten sie ihre Spielpraxis an die konfessionellen Gegebenheiten an. (Vgl. Teil III.). Diese Trias der Ordnungsmächte begründet die Struktur der hier vorliegenden Arbeit, die das frühe deutschsprachige Berufstheater und seine Spielpraxis, mit Hinblick auf seine Flexibilität und seine (soziale und räumliche) Mobilität, in seinen Wechselwirkungen mit diesen Ordnungsmächten untersucht. Neben den Spieltexten des Kodex Ia 38.589 dienen neuere Forschungen, wie vor allem jene von Bärbel Rudin, Christian Neuhuber und Ralf Haekel, die durch ihre Arbeiten Missverständnisse und Fehlinterpretationen ausgeräumt sowie neue Perspektiven eröffnet haben, als wesentliche Grundlage dieser Arbeit. Da nur wenige Zeugnisse erhalten sind, in denen Bezug auf die Spielpraxis des Berufstheaters sowie auf seine Rezeption genommen wird, gewinnt diese Arbeit über die Kontextualisierung mit frühneuzeitlichen Diskursen, performativen Praktiken und anderen Theaterformen Erkenntnisse über die Spielpraxis des frühen Berufstheaters und seiner Rezeption. 53 Velten, Catharina Elisabeth: Zeugnis der Warheit Vor Die Schau-Spiele oder Comödien/ Wider Hn. Joh. Joseph Wincklers/ Diaconi an der hohen Stiffts-Kirchen in Magedburg/ Herausgegebenen Schrifft/ Worinnen er Dieselbe heftig angegriffen/ um verhast zu machen sich vergeblich bemühet/ Aus vieler Theologorum Zeugnis auch anderer Gelehrten Schrifften zu sammen getragen und auffgesetzt Von Frauen C. E. Velthemin/ Principalin der Königl. Polnischen und Chur-Fürstl. Sächsischen Hoff-Comödianten. 1701. Abgedruckt in: Niessen, Carl (Hg.): Frau Magister Velten verteidigt die Schaubühne. Schriften aus der Kampfzeit des deutschen Nationaltheaters. Emsdetten: 1940; – [Hoffmann, Karl Ludwig]: Curieuse und wohlerörterte Frage: Ob Comödien unter denen Christen geduldet/ und ohne Verletzung ihres Gewissens von denenselben besuchet werden können? Per Namsoh. Hamburg: 1722. Abgedruckt in: Niessen, 1940.

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Der erste Teil dieser Arbeit (II.) nimmt sich des frühen Berufstheaters im Kontext von Stadt an. Da das Städtische in den Stücken des Kodex unterrepräsentiert ist, entfällt in diesem Teil die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Kodex weitgehend. Stattdessen werde ich zuerst, ausgehend von einer Supplik des Prinzipals Carl Andreas Paulsen, einen Überblick über die Städtelandschaft des deutschsprachigen Raumes geben und jene Faktoren erläutern, durch die sich die Heterogenität der Städte konstituierte und wie diese auf das Berufstheater wirkten. Im Anschluss daran werde ich näher auf die für das Berufstheater im 17. Jahrhundert bedeutenden Städte Nürnberg (II. 1.) und Leipzig (II. 2.) eingehen. Der zweite Teil dieser Arbeit (III.), der das Verhältnis von Berufstheater und Kirche zum Gegenstand hat und in dessen Mittelpunkt der Spieltext Der vom Christenthum abgefallene und dazu wiederbekehrte Andronicus steht, unterteilt sich in drei Hauptkapitel: Das einleitende Kapitel III. 1. befasst sich mit den verschiedenen Ausprägungen geistlicher Theaterfeindlichkeit und ihren Auswirkungen auf das Berufstheater und seine Spielpraxis; mit dem Einfluss von Konfession auf die Spielbewilligungspolitik und der Einkalkulierung dieses Faktors durch das Berufstheater. Das Kernkapitel III. 2. widmet sich dem Vergleich von Jesuiten- und Berufstheater und leitet ausgehend von Andronicus im Kontext beider Theaterformen Prinzipien der Spielpraxis des Berufstheaters ab. Das abschließende Kapitel III. 3. fragt nach dem Phänomen von Märtyrern und Märtyrerinnen und seiner Funktionalisierung, der konfessionell differenten Bewertung dieses Phänomens, nach medialen Strategien zu deren Konstruktion sowie nach Stellvertreterpositionen von Tyrannen und Märtyrer*innen. Die Verurteilung und Hinrichtung des englischen Königs Karl I., der von seinen Anhängern und Anhängerinnen als Märtyrer verehrt wurde, bildet den Übergang zum dritten Hauptteil, der mit einer Flugschrift einsetzt, in der die Zulässigkeit seiner Hinrichtung durch zwei comœdiantische Figuren diskutiert wird. Der dritte Hauptteil (IV.) geht den Bedingungen für die Vereinbarkeit der höfischen Anbindung des Berufstheaters und seinen zumeist ex negativo auf die Herrschertugenden rekurrierenden Spieltexten nach. In einem ersten Schritt (IV. 1.) wird auf die verschiedenen Anbindungsformen des Berufstheaters an die Höfe eingegangen, in einem zweiten (IV. 2.) auf die Funktionen, die das Berufsschauspiel im Kontext des Hofes erfüllte. Kapitel IV. 3, kontextualisiert die Spieltexte mit der Souveränitätsdebatte sowie der Literatur der Fürstenspiegel, um auf Rezeptionsmöglichkeiten dieser Spieltexte zu schließen. In Kapitel IV. 4. werden die Spieltexte schließlich in Beziehung zu ethischem, rhetorischem und medizinischem Affektwissen gesetzt. Diese Vorgehensweise, die hier als Schlüs-

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sel zum Verständnis des legitimen Status dieser Stücke bei Hof fungiert, wandte bereits Ralf Haekel an54. Abschließend sei auf sprachliche Entscheidungen dieser Arbeit verwiesen. Diese betreffen erstens die Bezeichnungen Comœdie, Comœdianten und comœdiantische Figur und zweitens die aus dem Kodex zitierten Passagen. Im vorliegenden Untersuchungszeitraum überkreuzen sich zwei Begriffe von Comœdie bzw. eben Komödie. Unter Comœdie wurde bis weit in das 18. Jahrhundert hinein Theater im weitesten Sinn inklusive Artistik, Akrobatik, Tanz etc. verstanden, »Comœdiant« bezeichnete in diesem Sinne keinen Komiker, sondern einen Berufsschauspieler. Parallel zur Diskreditierung dieser weit gefassten, vielgestaltigen und zusammengestückelten Art von Theater und seiner Berufsleute, erlebte der Begriff Komödie zur Bezeichnung der dramatischen Gattung des Lustspiels seinen Aufschwung. Dabei diente Komödie als Gegenbegriff von Tragödie, gemäß einer auf Heiterkeit zielenden Wirkungsästhetik, deren sozialpädagogischer Mehrwert in den Poetiken der Zeit festgeschrieben war.55 Um diese zentrale Unterscheidung zu akzentuieren, wird für den Gattungsbegriff die Schreibweise Komödie verwendet, während das von der aufklärerischen Intervention noch nicht erfasste Theater als Comœdie bezeichnet wird und dessen Künstler*innen als Comœdiant*innen. In diesem Zusammenhang wird außerdem zugunsten des Begriffs »comœdiantische Figur« konsequent auf Bezeichnungen wie »lustige« oder »komische« Figur verzichtet. Damit soll der Fokus weg von einem bloßen Lustig-Sein auf schauspielerische Praktiken gelegt werden, die an überindividuelle Kunstfiguren gebunden sind, und die Gerda Baumbach in Abgrenzung zum rhetorischen und veristischen Schauspielstil unter dem Begriff Comödien-Stil fasst. Zu den Merkmalen des Comödien-Stils zählt neben der grotesken und gestikulierenden Leiblichkeit, das offensive Spiel mit dem doppelten Ort (also dem Spiel mit dem Aufeinandertreffen von Realitäts- und Fiktionsebene in der Theatersituation) und das spielerische Auseinandersetzen »mit Sozialrollen […], mit Geschlechtern, mit familiären Rollen, mit Göttern und anderen Gestalten der Mythologie […], mit Tieren, mit anderen Kunstfiguren […] oder auch mit Objekten«.56 Die aus dem Kodex zitierten Passagen entstammen der Edition, die in zwei Bänden erscheinen wird. Der erste Band mit dem Titel Spieltexte der Comœdianten. Deutsches ›Internationaltheater‹ aus dem Kodex Ia 38.589 der Wienbibliothek, der die der Spielpraxis des frühen Berufstheaters inhärente Hetero-

54 Vgl.: Haekel (2004), S. 180–241. 55 Vgl.: Baumbach, Gerda: Schauspieler. Historische Anthropologie des Akteurs. Band 1.: Schauspielstile. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2012. S. 99–107. 56 Baumbach (2012), S. 215; vgl. insbesondere S. 246–252.

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genität aufzeigt, enthält neun Spieltexte, die unter folgenden Kurztiteln ediert werden: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Der Schwechst ligt unden (fol. 401–453) Titus und Aran (fol. 454–500) Die gekröndte Schäfferin Aspasia (fol. 089–132) Ein verliebter Verdruss (fol. 286–317) Der vom Christenthum abgefallene und dazu wiederbekehrte Andronicus (fol. 318– 350) Der durchlauchtige Kohlenbrenner (fol. 133–156) Aurora und Stella (fol. 501–539) Dulcander und Dorella (fol. 157–201) Der durch den Tryumph einer flüchtigen Königin unterdrukte Tyrann (fol. 047–088)

Der zweite Band mit dem Titel Spieltexte der Comœdianten. Die CicogniniRezeption enthält vier Spieltexte: 1. 2. 3. 4.

Adamira oder Das verliebte und geliebte Ehrenbild (fol. 001–046) Glückselige Ey¨fersucht zweschen Rodrich undt Delomira (fol. 201–285) Der durchläuchtige Schiffadmiral Jason (fol. 351–400) Die durchleüchtige Oronthea Königin von Aegy¨pten (fol. 577–600)

Nicht in die Edition aufgenommen wurde Amor der Ty¨rann oder Die bereüete Rache (fol. 540–576), da von diesem Stück Riemers nicht allein ein Druck aus dem Jahr 1685 existiert, sondern zusätzlich sowohl eine moderne Edition dieses mit der Wiener Handschrift fast identischen Druckes, als auch eine Edition der Wiener Handschrift selbst im Rahmen der theaterhistorischen Arbeit über Prag von Adolf Scherl57. Allerdings werden auch Zitate aus diesem Spieltext hier den Editionsrichtlinien, die für den Kodex Ia 38.589 erarbeitet wurden, entsprechend widergegeben. Die Editionsrichtlinien sind in aller Ausführlichkeit der Einleitung von Band 1 zu entnehmen. An dieser Stelle seien zur Orientierung lediglich die wichtigsten Entscheidungen genannt: – Der historische Lautstand wurde bewahrt, Abkürzungen aufgelöst und bezüglich der Groß- und Klein- bzw. Zusammen- und Getrenntschreibung gemäß gegenwärtiger Orthographie normiert. – In die Interpunktion wurde nur dann eingegriffen, wenn dies im Sinne der Lesbarkeit ratsam schien. Ergänzte oder mit Bedacht als Punkt, Komma, Semikolon, Doppelpunkt etc. interpretierte Zeichen erscheinen in eckigen Klammern oder Konjektur. 57 Vgl.: Riemer, Johannes: Werke. Bd. II. Dramen. Hg. v. Helmut Krause. Berlin; New York: De Gruyter, 1984. S. 534–585; – Scherl, Adolf: Berufstheater in Prag, 1680–1739. Wien: Verlag der ÖAW, 1999 (= Theatergeschichte Österreichs; Bd. 10; Donaumonarchie; Bd. 5). S. 147– 193.

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– Korrekturen im Haupttext der Dramen wurden ab Wortgröße prinzipiell in den edierten Text eingearbeitet und mittels runder Klammern verdeutlicht, wobei (+Ergänzungen+) und (-Streichungen-) durch zusätzliche Zeichen voneinander unterschieden wurden. – Konjekturen wurden mittels spitzer Klammern ‹ › ausgewiesen, dezidierte Eingriffe in den Text durch die Herausgeber mit eckigen Klammern [ ] kenntlich gemacht. – Das A-parte-Sprechen, das in mehreren Texten durch Sonderzeichen markiert wird (meist jj: für den Beginn, :jj für das Ende einer Beiseite gesprochenen Passage), wurde am Anfang und am Ende durch zwei parallele, senkrechte Striche hervorgehoben, also jj Beiseite gesprochener Text jj. An dem Transkriptionsprozess, der oftmals mühevoll aber auch auf vielen Ebenen bereichernd war, waren Stefan Hulfeld, Matthias Mansky, Doris Hillebrand und Bettina Jeschgo direkt beteiligt. Ich werde die Termine, in denen wir uns mit den unzähligen Problemstellen befasst haben, in guter Erinnerung behalten und vermissen. Auch die Diskussionen im Zusammenhang mit der Entwicklung eines digitalen Archives zum frühen deutschsprachigen Berufstheater »thespis.digital«, das von Johannes Löcker-Herschkowitz und Christian Wagner implementiert wurde, erwiesen sich als äußerst fruchtbar. Mein besonderer Dank gilt Stefan Hulfeld, der diese Arbeit betreut hat, mir fortwährend mit seinem Wissen und seiner Erfahrung zur Seite gestanden hat und mir bei Herausforderungen immer neue Perspektiven und Ansätze aufgezeigt hat. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Bärbel Rudin, die durch ihr unermüdliches Engagement maßgeblich dazu beigetragen hat, Forschungsirrtümer zu bereinigen und mich während des gesamten Arbeitsprozesses mit vielen Hinweisen unterstützt hat. Zu erwähnen sind außerdem Julia Danielczyk, Franz M. Eybl, Alena Jakubcov#, Friedemann Kreuder, Andreas Kotte, Christian Neuhuber, Alfred Noe, Walter Obermaier, Hubert Reitterer, Andrea SommerMathis und Johann Sonnleitner, die die Projekte in verschiedenen Phasen mit ihrer Expertise begleitet haben. An dieser Stelle möchte ich mich auch beim FWF bedanken, der beide Projekte finanziert hat. Zuletzt möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mir bei den Korrekturen geholfen oder mir geduldig zugehört haben, wenn ich nicht vorangekommen bin: Sophie Pircher, Jakob Kraner, Corina Cinkl, Daniel Cinkl, Rosie Pilz, Aniela Jez, Philipp Stadelmaier, Christian Groß-Strahlenbach, Caroline Herfert, David Krych, Matthias Klapper, Oliver Horvath, Sabine Harrer und Nils Gabriel.

Fehlende Textpassage am Beginn des Ms.; von mehreren Händen verfasst; eine Hand weist Ähnlichkeiten mit einer Hand des Ms. Titus und Aran auf; am Ende des Ms. findet sich die Abkürzung: O[mnia] A[d] M[aiorem] D[ei] G[loriam].

Jacob Cats: Koningklyke Herderin Aspasia, Blyeyndig-Spel (1655)70

Repertoirenummer am Titelblatt (Nr. 15); unbekannt dem Stück wird eine Inhaltsangabe und eine Beschreibung der Bühnenbilder, vorangestellt; zwischen dem ersten und dem zweiten Akt wurde ein Requisitenverzeichnis von anderer Hand ergänzt.

Die flüchtige Königin

Aspasia

Giacinto Andrea Cicognini: L’Adamira overro La Statua dell’onore (1657)59

Ergänzungen durch andere Hand; eine Figur (Despino) wurde im Ms. zu Hanswurst geändert. In der königlichen Bibliothek Kopenhagen wird ein Theaterzettel aufbewahrt, der der Truppe C.E. Veltens, vermutlich 1707, zugeschrieben wird.58

Der durch den Tryumph einer flüchtigen Königin unterdrukte Tyrann. Oder Die Liebe thuet allzeit zuletzt obsigen. Mit Hanswurst den untter königlicher Kleidung unglickseeligen Naren. Comoedia genandt Die gekröndte Schäfferin Aspasia

Vorlage

Besonderheiten

Manuskripttitel

Die Comoediæ genand: Ehrenstatue Das verliebte und geliebte Ehrenbild. Oder Die Ehrenstatue

Übersicht der Spieltexte des Kodex Ia 38.589

Kurztitel

I.1.

1667 Nürnberg (Paulsen)71; 1672 Weißenfels72 ; 1674 Dresden (Paulsen)73 ; 1690 Torgau (Velten)74 ; 1711 Riga (V. C Benecke)75 ; 1718 Riga (V. C Benecke)76 ; 1720 Weißenfels (Haacke)77

1684 Dresden (Velten)60 ; 1689 Dresden (Velten)61; 1690 Torgau (Velten)62 ; 1707(?) Kopenhagen (C. E. Velten) (?)63 ; 1708 Graz64 ; 1710 Gera (BraunschweigischLüneburgische Hofcomœdianten)65 ; 1700–1715 Nürnberg66 ; 1718–19 Riga (V. C. Benecke)67; 1720 Prag (Hilverding u. Tilly)68 ; 1722 Braunschweig69 unbekannt

Aufführungen

Übersicht der Spieltexte des Kodex Ia 38.589

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Manuskripttitel

Der durchlauchtige Kohlenbrenner. Tragico-Comoedia genant Lieb Glück und Müh Tückh oder : Der durchleüchtige Kohlbrenner. Dulcander Comedia von und Dorella Dulcander und Dorella Die Comædia von der glückselige glückseligen Ey¨fersucht Ey¨fersucht zweschen Rodrich undt Delomira von Valenza. Ein königliches Werckh.

Der Kohlenbrenner

Kurztitel

(Fortsetzung)

Giacinto Andrea Cicognini: Le gelosie fortunate del prencipe Rodrigo (1654)85

Schreiber : Christoph Blümel und zwei bis drei weitere Schreiber ; laut Titelblatt leistete Graf Veit von Künigl die Übersetzung und Christoph Blümel die sprachliche Überarbeitung; Ms. wurde 1662 in Innsbruck verfasst. In der Nationalbibliothek ist ein nahezu identer Spieltext erhalten – ein Dedikationsexemplar, das Kaiserin Claudia Felicitas durch die Elensons überreicht wurde (Cod. 13229).81 Die königliche Bibliothek Kopenhagen besitzt ein Theaterprogramm Elensons, das anlässlich der Aufführung 1700 in Glückstadt gedruckt wurde.82 Das Theaterprogramm zur Prager Aufführung von 1713 wurde unlängst im Prager Nationalmuseum wieder aufgefunden.83 Bei Mentzel ist ein Theaterzettel von einer Aufführung Wallerottis 1741 in Frankfurt abgedruckt.84

ˇ esky´ 1671 Altenburg86 ; 1677 C Krumlov (Eggenbergische Comœdianten)87; 1679 Dresden (Velten)88 ; 1679 Heidelberg (Velten)89 ; 1680 Lüneburg (Elenson/ Ratscomœdie)90 ; 1685 ˇ esky´ Krumlov (Eggenbergische C Comœdianten)91; 1690 Torgau (Velten)92 ; 1700 Glückstadt (Elenson)93 ; 1713 Prag (Spiegelberg u. Haacke)94 ; 1718 Riga (V. C. Benecke)95 ; 1723 Augsburg (K. L. Hoffman)96 ; 1741 Frankfurt/M. (Wallerotti)97; 1750 Ingolstadt (Schulze)98

unbekannt

unbekannt

Repertoirenummer am Titelblatt (Nr. 101); keine Akt- oder Szeneneinteilung.

Aufführungen 1667 Heidelberg (Hoffmann & Schwarz)78 ; 1670 Wien (Kuhlmann) (?)79 ; 1684 München (Treu)80

Vorlage

Schreiber : Adam Christoph Schüler ; Ms. unbekannt zwischen den 6. und 7. August 1670 in Wien angefertigt; Repertoirenummer am Titelblatt (Nr. 18).

Besonderheiten

34 Einleitung

Jason

Andronicus

[Ein verliebter Verdruss oder die duellierende Liebe]

Schreiber : [Adam Christoph Schüler] ; Titelblatt fehlt, der Titel wird aber in einem Argumentum genannt. Im Generallandesarchiv Karlsruhe ist ein nahezu identer Spieltext erhalten (Hfk-Hs Nr. 6 (Rastatt)), ein Dedikationsexemplar, das 1688 vom Pickelhering-Darsteller Johann Philipp Riedel (Truppe Andreas Elenson) niedergeschrieben wurde und Fürstin Maria Anna von Lobkowitz gewidmet ist.100 Tragœdia. Genandt: Schreiber : [Gabriel Möller]102 ; Titelblatt Der vom enthält einen Hinweis auf den Christenthum darauffolgenden Spieltext »Jason ünt abgefallene und dazu Med‹ea›« sowie den Vermerk »Die Comoedia wiederbekehrte hat mier gegeben Mons. Johann Adolph Eck Andronicus. von Franckfurt am Main«, der sich entweder auf Andronicus oder Jason beziehen könnte. Comoedia. Genandt: Schreiber : [Gabriel Möller]109 Der durchläuchtige Schiffadmiral Jason. Oder. Das bezauberte güldene Flüß.108

99

Ein verliebter Verdruss

Besonderheiten

Manuskripttitel

Kurztitel

(Fortsetzung) Aufführungen

Giacinto Andrea Cicognini: Il Giasone (Commedia, 1664)110

Anon.: Andronicus Aegyptus (Jesuitendrama, 1659)103

Aufgrund zweier weiterer Bearbeitungen des Jason und Medea-Stoffs im Repertoire des Berufstheaters kann nicht entschieden werden, welche Aufführungen sich auf welche Bearbeitung beziehen. Es handelt sich um Jan Vos’ Medea (1665)111 und um F. C. Bressands Die unglückliche Liebe des tapffern Jasons (1692).112

1668 Nürnberg (Treu)104 ; 1671 Würzburg105 ; 1683 München (Treu)106 ; 1700–1715 Nürnberg107

MoliHre: Le D8pit unbekannt (vermutlich als amoureux (1663)101 Nachspiel aufgeführt)

Vorlage

Übersicht der Spieltexte des Kodex Ia 38.589

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Comoedia genannt Der Schwehst ligt unden Titus und Aran

Der Schwehst

Aurora und Aurora und Stella Stella

Titus und Aran

Manuskripttitel

Kurztitel

(Fortsetzung)

Von zwei bis drei Schreibern niedergeschrieben, ein Schreiber war vermutlich Andreas Elenson; beigefügtes Requisitenverzeichnis; durchgestrichene Repertoirenummer am Titelblatt (Nr. 79; Nr. 58 durchgestrichen). Von einer Aufführung des Prinzipalenduos Hoffmann & Schwarz für den Augsburger Stadtrat (1658) ist ein Theaterprogramm erhalten.115 Der Inhalt eines Theaterprogramms zur Linzer Aufführung 1699 ist bei Creizenach abgedruckt.116 Schreiber : [Heinrich Rademin]127. Es sind zwei weitere Spielhandschriften erhalten: Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (J 1 Nr. 100 C) unter dem Titel Glück und Liebstück (1673)128 ; in der Österreichische Nationalbibliothek (Cod. 13.516) unter dem Titel Der KronenStreitt zwischen Aurora und Stella Prinzessinen auß Barcelona (niedergeschrieben von Carl Kopp 1754 in Baden bei Wien)129. Bei Bolte ist der Theaterzettel der Danziger Aufführung von 1695 wiedergegeben130 ; bei Mentzel zwei Theaterzettel zu den Frankfurter Aufführungen 1741131.

unbekannt

Besonderheiten

Aufführungen

Entweder nach Philippe Quinault: Les coups de l’amour et de la fortune (1655) oder Hendrick de Graef: Aurora, en Stella, of Zusterlijcke Kroonzucht (1665).132

1666 Lüneburg (Treu/ Repertoireliste)133 ; 1668 Nürnberg134 ; 1673 Stuttgart135 ; 1676 Dresden (Paulsen)136 ; 1679 Dresden (Velten)137; 1679 Heidelberg (Velten)138 ; 1680 Torgau (Velten)139 ; 1681 u. 1683 ˇ esky´ München (Treu)140 ; 1688 C Krumlov (Eggenbergische Comœdianten)141; 1690 Torgau (Velten)142 ; 1695 Danzig (C. E. Velten)143 ; 1700–1715 Nürnberg144 ; 1741 Frankfurt (Wallerotti)145

Anon.: The Weakest 1669 Nürnberg (Treu)114 goeth to the Wall (1595–1600)113 Jan Vos: Aran en 1658 Augsburg (Hoffmann & Titus (1641)117 Schwarz/Ratscomœdie)118 ; 1666 Lüneburg (Treu/ Repertoireliste)119 ; 1667 Nürnberg (Paulsen)120 ; 1679 Heidelberg (Velten/Repertoireliste)121; 1680 ˇ esky´ Bevern (Velten)122 ; 1685 C Krumlov (Eggenbergische Comœdianten)123 ; 1699 Linz (Kuhlmann)124 ; 1700–1715 Nürnberg125 ; 1719 Kopenhagen126

Vorlage

36 Einleitung

58

Die durhleüchtige Oronthea Königin von Aegy¨pten

Schreiber : [Heinrich Rademin]154. Das Haupstaatsarchiv Stuttgart (A 21, Bü 593) besitzt ein Textbuch mit dem Titel Orontea, oder : Die siegende Liebe.155

Manuskripttitel Besonderheiten Amor der Ty¨rann oder Schreiber : [Heinrich Rademin]147. In der Die bereüete Rache Forschungsbibliothek Gotha (Sig. Sammelband Poes. 48 2169) ist eine weitere Handschrift mit dem Titel Die bereuete Rache (1684) erhalten.148 Das Nationalmuseum Prag besitzt zwei Theaterzettel (Theaterabteilung, Sig. P-VI-A-265, Inv.Nr. 11653) von Aufführungen – 1717 (Geissler) und 1718 (Haacke) – im Spork’schen Komödienhaus.149 Johannes Riemer : Asphalides (1685) [In: Amor Der Tyranne. Mit seiner lächerlichen Reuterey/ Spielweise/ doch in Ernst zur Warnung wider die vermaledeyte Eiffersucht/ In zweyen/ theils Historischen Begebenheiten Curieusen Gemüthern Vorgestellet durch J. R.]150 Giacinto Andrea Cicognini: L’Orontea (1649)156

Vorlage

1660 Dresden157; 1667 Heidelberg (Hoffmann & Schwarz)158 ; 1679 Dresden (Velten)159 ; 1679 Heidelberg (Velten/ Repertoireliste)160 ; 1699 Stuttgart161

1717 Prag (Geissler)151; 1718 Prag (Haacke)152 ; 1719 Hamburg (Haacke)153

Aufführungen

[Velten, Catharina E. (?)]: Statua, Oder : Die in ein Marmor-steinernes Bild verliebte Princeßin Adamira. Königliche Bibliothek Kopenhagen, Sig. 34/ III – 48 (Box – Teater-plakater, ca. 1700–1805). Abgedruckt in: Gstach, Ruth: ›Die Liebes Verzweiffelung‹ des Laurentius von Schnüffis. Eine bisher unbekannte Tragikomödie der frühen Wanderbühne. Mit einem Verzeichnis der erhaltenen Spieltexte. Berlin; Boston: Walter de Gruyter, 2017 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte; Bd. 92). S. 391. Laut Theaterzettel fand die Aufführung an einem Freitag den

Oronthea

Amor der Ty¨rann146

Kurztitel

(Fortsetzung)

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4. November statt, da der 4. November lediglich im Jahre 1707 ein Freitag war, fallen die anderen in der Literatur vermuteten Jahre (1709, 1710, 1730) weg. Cicognini, Giacinto Andrea: L’Adamira overo La statua dell’honore. Opera scenica del D. Giacinto Andrea Cicognini, Accademico Instancabile. Venedig: Nicolk Pezzana, 1662. Die erste italienischsprachige Aufführung im deutschsprachigen Raum, erfolgte 1681 am Innsbrucker Hof, vgl.: Martino, Alberto: Die italienische Literatur im deutschen Sprachraum. Ergänzungen und Berichtigungen zu Frank-Rutger Hausmanns Bibliographie. Amsterdam; Atlanta: Rodopi, 1994 (= Chloe; Bd. 17). S. 90. Vgl.: Fürlinger (1948), S. 42. Vgl.: Fürlinger (1948), S. 42. Vgl.: Fürlinger (1948), S. 43. Vgl.: Fürlinger (1948), S. 43; – Gstach (2017), S. 391. Vgl.: Fürlinger (1948), S. 43. Vgl.: Hahn, Ferdinand: Geschichte von Gera und dessen nächster Umgebung. Zweiter Theil. Gera: Selbstverlag, 1855. S. 1087f. Vgl.: Meissner, Johannes: Die Englischen Komödianten in Österreich. In: Jahrbuch der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft 19 (1884b), S. 113–154. Hier : S. 146. Es wurde in dieser Spielsaison insgesamt drei Mal – am 2. und am 15. Mai 1718 sowie am 11. Februar 1719 – von Victoria Clara Benecke (auch Bönicke, Tochter von Jakob Kuhlmann) in Riga aufgeführt. Vgl.: Bolte, Johannes: Von Wanderkomödianten und Handwerkerspielen des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse 19 (1934), S. 446–487. Hier : S. 478. Vgl.: Scherl (1999), S. 76. Vgl.: Fürlinger (1948), S. 43. Cats, Jacob: Koningklyke Herderin Aspasia, Blyeynding-Spel, […]. Amsterdam: J. I. Schipper, 1655. Vgl.: Birken, Sigmund von: Die Tagebücher des Sigmund von Birken. Bearbeitet v. Joachim Kröll. Bd. 1. Würzburg: Schöningh, 1971 (= Veröffentlichung der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, Reihe 8: Quellen und Darstellungen zur fränkischen Kunstgeschichte; Bd. 5). S. 309. Vgl.: Fürlinger (1948), S. 33. Vgl.: Caemmerer (1998), S. 373. Vgl.: Caemmerer (1998), S. 373. Vgl.: Bolte (1934), S. 476. Vgl.: Bolte (1934), S. 476. Vgl.: Schmiedecke, Adolf: Die Neuberin in Weißenfels. In: Euphorion 54 (1960), S. 188–194. Hier : S. 190. Vgl.: Speyer, Karl: Beiträge zur Geschichte des Theaters am kurpfälzischen Hofe zur Zeit Karl Ludwigs. In: Mannheimer Geschichtsblätter 23 (1922), S. 80–82. Hier : S. 81. Vgl.: Fürlinger (1948), S. 67. Es ist nicht gesichert, ob es 1670 in Wien von Kuhlmann aufgeführt wurde.

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Vgl.: Trautmann, Karl: Deutsche Schauspieler am bayrischen Hofe. In: Jahrbuch für Münchener Geschichte 3 (1889), S. 259–430. Hier : S. 311. [Elensons]: Comoedia genandt Die glückseelige Eifersucht Don Rodrichs König von Valenza. (Überreicht durch Maria Margaretha Elenson). Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 13229 Han. Elenson, Andreas: Eine aus dem Spanischen In das Hoch-Deutsche übersetzte Haupt-Opera, Betitult: Die glückseelige Eifersucht Zwischen Don Roderich Und Delmira. Glückstadt [1700]. Königliche Bibliothek Kopenhagen, 36,–15 48. Abgedruckt in: Rudin, Bärbel: »Ein herrlich und vortreffliches Stück«. Zur Hermeneutik theatergewerblicher Öffentlichkeitsarbeit (1652–1700). In: Pernerstorfer, Matthias J. (Hg.): Theater – Zettel – Sammlungen. Bd. 2.: Bestände, Erschließung, Forschung. Wien: Hollitzer, 2015b (= Bibliographica; Bd. 2). S. 3–46. Hier : S. 16–26. Spiegelberg, Johann Christian; Haacke, Johann Caspar : Die glückseelige Eyffersucht zwischen Roderich und Delmiren. Prag: 1713. Sammlung Nationalmuseum Prag, Theaterabteilung, Sign. H6p-1/84. Vgl.: Jakubcov# ml., Alena: Lustiger Hoff-Diener als Vorstufe des Hanswursts. Eine theaterhistorische Analyse. Die glückselige Eifersucht auf Wanderung. In: Divadeln& revue 30 (2019). [In Druck] Wallerotti, Franz Gerwald: Eine extra-ordinair-intrigante, recht vollkommene Haupt- und Staats-Action, betitult: ALLA GELOSIA ILVENTO STESSO E SOSPETOSO, overo: La Gelosia Fortunata. […]. Frankfurt am Main, 1741. Abgedruckt in: Mentzel (1882), S. 457f. Cicognini, Giacinto Andrea: Le gelosie fortunate del prencipe Rodrigo, et il D. Gastone di Moncada. Venedig: Giacomo Batti, 1658. Die erste italienischsprachige Aufführung im deutschsprachigen Raum, erfolgte am Wiener Kaiserhof im Fasching 1659, vgl.: Senn, Walter : Musik und Theater am Hof zu Innsbruck. Geschichte der Hofkapelle vom 15. Jahrhundert bis zu deren Auflösung im Jahre 1748. Innsbruck: ÖVA, 1954. S. 292. Vgl.: Fürstenau, Moritz: Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu Dresden. Nach archivalischen Quellen. Erster Theil: Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe der Kurfürsten von Sachsen, Johann Georg II., Johann Georg III. und Johann Georg IV., unter Berücksichtigung der ältesten Theatergeschichte Dresdens. Dresden: Verlagsbuchhandlung von Rudolf Kunze, 1861. S. 233. Vgl.: Neuhuber (2006), S. 274. Vgl.: Fürstenau (1861), S. 253. Vgl.: Speyer (1926), S. 67; 73. Vgl.: Magnus, Peter v.: Die Geschichte des Theaters in Lüneburg bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Lüneburg: Museumsverein für das Fürstentum Lüneburg, 1961. S. 230. Vgl.: Neuhuber (2006), S. 275. Vgl.: Fürstenau (1861), S. 307. Rudin, Bärbel: »Ein herrlich und vortreffliches Stück«. Zur Hermeneutik theatergewerblicher Öffentlichkeitsarbeit (1652–1700). In: Pernerstorfer, Matthias J. (Hg.): Theater – Zettel – Sammlungen. Bd. 2.: Bestände, Erschließung, Forschung. Wien: Hollitzer, 2015b (= Bibliographica; Bd. 2). S. 3–46. Hier : S. 16–26. Vgl.: Scherl (1999), S. 48. Vgl.: Bolte (1934), S. 478. Der Beleg ist einer 1724 in Augsburg erschienen theaterfeindlichen Schrift zu entnehmen, in der Repertoirestücke des Berufstheaters aufgezählt werden, die sich laut Rudin (2008b) auf das Augsburger Gastspiel der Kgl. Polnischen und Kurfürstl. Sächsischen Hofcomœdianten unter der Leitung

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Karl Ludwig Hoffmanns beziehen. Diese Schrift antwortet auf die von Karl Ludwig Hoffmann unter dem Pseudonym »Namsoh« verfassten und 1722 veröffentlichten Schrift zur Verteidigung des Schauspiels. Vgl.: Ruprecht, Georg: Gewissenhaffte Und in GOttes Heil. Wort gegründete Untersuchung Der so genandten curieusen und wohl-erörterten Frage: Ob Comödien unter den Christen gedultet, und ohne Verletzung ihres Gewissens von denenselben besuchet werden können? Per Namsoh. Hamburg, Anno 1722. Wohlmeynend, nothdringlich und bedächtlich vorgenommen Von einem, der vor GOttes Ehre Und das Heil der Seelen billig eifert. Augsburg: Paul Rühtzens seel. Wittwe, 1724. Bayerische Staatsbibliothek, 037/4 Aug 1313# (Beibd. S. 18; – Rudin, Bärbel: Morgenröte der Com8die italienne in Deutschland. Das gelöste Rätsel um den Autor der Ollapatrida-Collage (1711). In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 35 (2008b), S. 1–21. Hier : S. 19. Vgl.: Mentzel, Elisabeth: Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt am Main. Von ihren ersten Anfängen bis zur Eröffnung des städtischen Komödienhauses. Ein Beitrag zur deutschen Kultur- und Theatergeschichte. Frankfurt am Main: K. Th. Völcker’s Verlag, 1882. S. 457f. Vgl.: Schulze-Kummerfeld, Karoline: Ein fahrendes Frauenzimmer. Die Lebenserinnerungen der Komödiantin Karoline Schulze-Kummerfeld. 1745–1815. Herausgegeben von Inge Buck. München: DTV, 1994. S. 43f. Der Schreiber ist nicht ausgewiesen, jedoch stimmt die Handschrift mit jener von Adam Christoph Schüler (vgl. Der Kohlenbrenner) überein. Riedel, Johann Philipp: Comoedia. Der Verliebte Verdruß oder Die duellirende Liebe (Reichstadt, 1688). Generallandesarchiv Karlsruhe, Hfk-Hs Nr. 6 (Rastatt); – Mansky, Matthias: »Von geberden und Reden aber recht gut teütsch worden« Adaptions- und Transferprozesse im frühneuzeitlichen Berufstheater. In: Sommer-Mathis, Andrea; Großegger, Elisabeth; Wessely, Katharina (Hgg.): Spettacolo Barocco – Performanz, Translation, Zirkulation. Wien: Hollitzer Verlag, 2018. S. 151–168; – Rudin, Bärbel: Von Baden nach Böhmen und retour. Neues aus der Frühzeit der deutschen MoliHre-Rezeption. In: Divadeln& revue 26 (2015c), S. 129–138. MoliHre, Jean-Baptiste Poquelin de: Œuvres complHtes I. Pdition dirig8e par Georges Forestier, avec Claude Bourqui. (BibliothHque de la pl8iade). 2. Vol. Paris: Gallimard, 2010. S. 297–392. Der Schreiber ist nicht ausgewiesen, jedoch stimmt die Handschrift mit jener von Gabriel Möller (vgl. Möller, Gabriel: Tragicomoedia Der verirrte Liebes-Soldat oder des Glückes Probierstein. (Dresden, 1689). Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 13158 Han.) überein. Vgl.: Die unmittelbare Vorlage ist nicht erhalten, vgl. Teil III., insbesondere Kap. III. und III. 2. 1. Vgl.: Birken (1971), S. 397. Vgl.: Schulz, Wolfgang: Theater in Würzburg, 1600–1945. Würzburg: Univ.-Diss., 1970. S. 46. Vgl.: Trautmann (1889), S. 310. Vgl.: Meissner (1884b), S. 150. Bereits ediert von: Noe, Alfred (Hg.): Spieltexte der Wanderbühne. 5. Bd.; Erster Teil: Italienische Spieltexte aus unveröffentlichten Handschriften (= Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts; Bd. 156). Berlin; New York: Walter de Gruyter, 1999. S. 423–505; – Jeschgo (2012). Der Schreiber ist nicht ausgewiesen, jedoch stimmt die Handschrift mit jener von Gabriel Möller (vgl. Möller, Gabriel: Tragicomoedia Der verirrte Liebes-Soldat oder des Glückes Probierstein. (Dresden, 1689). Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 13158 Han.) überein. Cicognini, Giacinto Andrea: Il Giasone. Venedig: Camillo Bortoli, 1664.

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111 Vgl.: Hoffmann, Karl Ludwig: Die rasende Medea mit Arlequin einem verzagten Soldaten. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 13189 Han; – Junkers (1936), S. 213–220; – Rudin (2015a), S. 228–231. 112 Vgl.: Bolte (1934), S. 456f. 113 Anon.: The Weakest goeth to the Wall. As it hath bene sundry times plaide by the right honourable Earle of Oxenford, Lord great Chamberlaine of England his servants. London: Thomas Creede, 1600. 114 Vgl.: Birken (1971), S. 486f; – Mansky, Matthias: Die deutschsprachige Wanderbühne als Medium eines frühneuzeitlichen Kulturtransfers. Zum Spieltext Der Schwehst ligt unden. In: Bandhauer, Andrea; Lu, Yixu; Morgan, Peter ; Lay, Tristan (Hgg.): Die Welt auf Deutsch. Fremdbilder und Selbstentwürfe in der deutschsprachigen Literatur und Kultur. Melbourne: Australian Scholarly, 2018. S. 279–300. 115 Hoffmann, Johann Ernst; Schwarz, Peter ; Hart, Andreas: Rach und Gegenrach: oder : Titus unde Aran. Augsburg, 1658. Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, 4 Aug 694 A-3. 116 Vgl.: Creizenach, Wilhelm (Hg.): Die Schauspiele der englischen Komödianten. Berlin; Stuttgart: Verlag v. W. Speman, [1889] (= Deutsche NationalLitteratur; Bd. 23). S. 12–15. 117 Vos, Jan: Aran en Titus, of Wraak en Weerwraak: Treurspel. Amsterdam: Bouman, 1662. 118 Hoffmann, Johann Ernst; Schwarz, Peter ; Hart, Andreas: Rach und Gegenrach: oder : Titus unde Aran. Augsburg, 1658. Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, 4 Aug 694 A-3. 119 Vgl.: Creizenach (1889) S. XXX. Aufgrund eines Tippfehlers findet sich in der Forschungsliteratur die falsche Jahreszahl 1660. Dieser Fehler findet sich u. a. bei Fürlinger (1948), S. 23 und Ludvik, Dusˇan: Die Eggenbergischen Komödianten. In: Acta Neophilologica 3 (1970), S. 65–92. Hier: S. 87. 120 Vgl.: Birken (1971), S. 300f. 121 Vgl.: Speyer (1926), S. 76. 122 Vgl.: Zimmermann (1904), S. 149. 123 Vgl.: Rudin, Bärbel: Die Textbibliothek der eggenbergischen Hofkomödianten in Cesky´ Krumlov / Böhmisch Krumau (1676–1691). Eine kulturgeographische Zeitreise. In: Bepler, Jill; Meise, Helga (Hgg.): Sammeln, Lesen, Übersetzen als höfische Praxis der Frühen Neuzeit. Die böhmische Bibliothek der Fürsten Eggenberg im Kontext der Fürsten- und Fürstinnenbibliotheken der Zeit. Wiesbaden: Harrassowitz, 2010 (=Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 126). S. 73–106. Hier : S. 81. 124 Vgl.: Rudin (2010), S. 81. 125 Vgl.: Meissner (1884b), S. 150. 126 Vgl.: Fürlinger (1948), S. 24. 127 Der Schreiber ist nicht ausgewiesen, jedoch stimmt die Handschrift mit jener von Heinrich Rademin (vgl. Rademin, Heinrich: Die beschützte Unschuldt in der Persohn der Engelberta Römischen Kay¨serin. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 15009 Han.) überein. 128 Anon.: Glück und Liebstück Oder Aurora et Stella. (Stuttgart, 1673). Hauptstaatsarchiv Stuttgart, J 1 Nr. 100 C. 129 Kopp, Carl: Der Kronen-Streitt zwischen Aurora und Stella Prinzessinen auß Barcelona. (Baden bei Wien, 1754). Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 13516 Han.

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130 Velten, Catharina E.: Der künstliche verliebte Lügner Oder Die beyden umb der Cron streitenden Schwestern AURORA und STELLA. […] Danzig, [1695]. Abgedruckt in: Bolte, Johannes: Das Danziger Theater im 16. und 17. Jahrhundert. Hamburg; Leipzig: Verlag von Leopold Voss, 1895 (= Theatergeschichtliche Forschungen; Bd. XII). S. 143. 131 Wallerotti, Franz Gerwald: Eine wohl elaborirte sehens-würdige lustige Action Betitult: DIE ZWEY CRONEN-STREITENDE SCHWESTERN AURORA UND STELLA oder: Die triumphirende Unschuld. Mit Arlequins Lustbarkeiten durch und durch untermischt. […] Frankfurt am Main, 1741. Abgedruckt in: Mentzel (1882), S. 453 und 460. 132 Quinault, Philippe: Les coups de l’amour et de la fortune. Tragi-com8die. Paris 1655; – Graef, Hendrick de: Aurora, en Stella, of Zusterlijcke Kroonzucht. Blyspel. […] Amsterdam: Jacob Lescaille, 1665.; – Junkers (1936), 178–183; – Rudin (2018), S. 483–486. 133 Vgl.: Creizenach (1889), S. XXXI. 134 Vgl.: Birken (1971), S. 359. 135 Vgl.: Sittard, Josef: Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Württembergischen Hofe. 1. Bd.: 1458–1733. Stuttgart: Kohlhammer, 1890. S. 230f. 136 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 248. 137 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 253. 138 Vgl.: Speyer (1926), S. 74. 139 Vgl.: Heine (1887), S. 29. 140 Vgl.: Trautmann (1889), S. 310. 1681 ist es unter »Von den Zwey Mießgünstigen Schwestern« und 1683 unter »Den Streidt zwieschen Ehr Vnd Liebe« verzeichnet. 141 Vgl.: Neuhuber (2006), S. 275. 142 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 307. 143 Vgl.: Bolte (1895) S. 143. 144 Vgl.: Meissner (1884b), S. 152. 145 Vgl.: Mentzel (1882), S. 453 und 460. 146 Bereits ediert von Scherl (1999), S. 147–193. 147 Der Schreiber ist nicht ausgewiesen, jedoch stimmt die Handschrift mit jener von Heinrich Rademin (vgl. Rademin, Heinrich: Die beschützte Unschuldt in der Persohn der Engelberta Römischen Kay¨serin. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 15009 Han.) überein. 148 Anon.: Die bereuete Rache (1684). Forschungsbibliothek Gotha, Sig. Sammelband Poes. 48 2169. Das Entstehungsjahr dieses Manuskripts verweist darauf, dass die Vorlage schon 1684 im Umlauf war. 149 Geissler, Anton J.: Amor der Tyrann Oder : Der in Staats und Liebs Affairen verwickelte und verwirte König von Arabien ASPHALIDES. […] Prag, 1717. Nationalmuseum Prag, Theaterabteilung, Sig. P-VI-A-265, Inv.Nr. 11653. Abgedruckt in: Scherl, Adolf; Rudin, Bärbel: Anton Joseph Geissler. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 210–212. Hier : S. 211; sowie in Scherl (1999), S. 54; – Haacke, Johann Caspar : Amor Der Tyrann. Oder : Arlequin der lustige Advocat. Prag, 1718. Nationalmuseum Prag, Theaterabteilung, Sig. P-VI-A-265, Inv.Nr. 11653. Abgedruckt in: Scherl (1999), S. 60.

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Riemer, Johannes: Werke. Bd. II. Dramen. Hg. v. Helmut Krause. Berlin; New York: De Gruyter, 1984. S. 534–585. Vgl.: Gstach (2017), S. 405. Vgl.: Gstach (2017), S. 405. Vgl.: Schütze, Johann F.: Hamburgische Theatergeschichte. Hamburg: J. P. Treder, 1794. S. 40; – Gstach (2017), S. 405. Der Schreiber ist nicht ausgewiesen, jedoch stimmt die Handschrift mit jener von Heinrich Rademin (vgl. Rademin, Heinrich: Die beschützte Unschuldt in der Persohn der Engelberta Römischen Kay¨serin. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 15009 Han.) überein. Anon.: Orontea oder: Die siegende Liebe. Stuttgart, 1699. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 21, Bü 593. Cicognini, Giacinto Andrea: Orontea. Drama musicale del D. Hiacinto Andrea Cicognini, Academico Instancabile. Da Rappresentarsi in Venetia nel Theatro di SS. Apostoli. Venedig: Giacomo Batti, 1649. Die erste italienischsprachige Aufführung im deutschsprachigen Raum, erfolgte 1656 am Innsbrucker Hof, vgl. Kimbell, David: Italian Opera. Cambridge: Cambridge University Press, 1991. S. 163. Vgl.: Martino (1994), S. 13. Vgl.: Speyer (1922), S. 82. Vgl.: Fürstenau (1861), S. 253. Vgl.: Speyer (1926), S. 77. Vgl.: Gstach (2017), S. 575.

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II.

»Auch in vielen Großen Vornehmen und Weitberuhmbten Stätten« – Berufstheater und Stadt

1666 richtete der Prinzipal Carl Andreas Paulsen162 eine Supplik mit dem Ansuchen um Spielgenehmigung an die Stadt Hamburg. Der gängigen Praxis entsprechend, versucht er darin über die Nennung von Fürsten, für die er bislang tätig war, sowie von Städten, in denen er bereits gespielt hatte, den Stadtrat von der Qualität seiner Truppe zu überzeugen: […] Allermaßen Ich solche [= Comedien, E.-M. H.] durch sonderliche Concession, Gnade und Gunst Bey Unterschiedlichen Hohen Potentaten, Fürsten und Herren, Alß Bei Ihr Konigl. Mayst. zu Dennemark, Norwegen etc. In dero Residentz Statt Copenhagen, Bey Ihr Fürstl. Durchl. zu Holstein in der Residentz Gottorff, Bey dero nunmehr in Gott seel. ruhenden Fürstl. Durchl. Christian Ludewig [= Christian Ludwig, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, E.-M. H.], Glorwürdigen Angedenken, Wie auch bey der jetzig regierenden Fürstl. Durchl. zu Mecklenburg, Bey Ihro Durchl. zu SachßenLauwenburg, Auch in vielen Großen Vornehmen und Weitberuhmbten Stätten und Universitäten, alß Lübeck, Bremen, Rostock, Helmstedt, Jehn [= Jena, E.-M. H.], Leipzig, Wittenberg, Straßburg, Basell, Augßburg, Bareitz [= Bayreuth, E.-M. H.], Prage, Breßlaw, Frankfortt am Main, Collen am Rhein und letzliche, in Dero Churfl. Durchl. zu Brandenburg Residentz Statt Berlin, in Zeit von Jahren Vielfältig und ohn Jactanz und uppigen Ruhm, mit sonderl. Contentement u. Vergnügen der Spectatoren praesentiert u. offentlich gehalten.163

Ungewöhnlich an dieser Supplik ist die nahezu überwältigende Menge an genannten Spielorten – zumeist fiel dieser Passus weniger umfangreich aus. Mit dieser Aufzählung, die sowohl hinsichtlich der Reihenfolge als auch der Auswahl der Orte nicht willkürlich ist, versuchte Paulsen eine Reihe von Aussagen zu transportieren: 162 Zu Carl Andreas Paulsen, siehe: Scherl, Adolf; Rudin, Bärbel: Carl Andreas Paulsen. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 503–505. 163 Zitiert nach: Riedel, E[mil]: Die ersten Wanderkomödianten. Ein Beitrag zur Theatergeschichte. In: Koppmann, Karl (Hg.): Aus Hamburgs Vergangenheit. Kulturhistorische Bilder aus verschiedenen Jahrhunderten. Erste Folge. Hamburg; Leipzig: Verlag von Leopold Voß, 1886. S. 263–309. Hier: S. 306f.

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»Auch in vielen Großen Vornehmen und Weitberuhmbten Stätten«

Indem er zuerst Fürsten nennt, will Paulsen den Hamburger Stadtrat davon überzeugen, dass die Qualität seiner Truppe höfischen Maßstäben entspricht, womit auch die Einhaltung städtischer Standards gewährleistet sei. Darüber hinaus deutet er damit an, nicht nur vor den Fürsten selbst gespielt zu haben, sondern auch in deren Territorien tätig gewesen zu sein. Die Berufstheatertruppen strebten aufgrund ökonomischer Zwänge eine maximale Publikumsreichweite an, weshalb sie höfische Gastspiele nicht zuletzt auch dazu nutzten, weitere Spielgelegenheiten zu lukrieren. Sofern sie kein Privileg innehatten oder erhielten, das ihnen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubte, das gesamte Territorium des Fürsten oder der Fürstin zu bespielen, versuchten sie etwa über die Fürsprache von Fürst*innen oder von Personen aus dem Umfeld der Fürstenfamilie, die Ausstellung eines Empfehlungsschreibens oder den Verweis auf ein bevorstehendes bzw. zurückliegendes Gastspiel bei Hof eine Spielgenehmigung in Städten des Territoriums zu erlangen (siehe auch IV. 1.).164 Eine weitere Auffälligkeit bildet der Umstand, dass er in beiden Abschnitten Residenzstädte hervorhebt: Oben Kopenhagen, unten Berlin. Es hat den Anschein, dass Paulsen auf diese Weise darzulegen versuchte, in Kopenhagen sowohl bei Hof als auch in der Stadt, in Berlin hingegen nur in der Stadt gespielt zu haben. Bei der genannten Residenz Gottorf handelte es sich nicht um eine Residenzstadt, sondern um einen Hof, der an die Residenzstadt Schleswig angebunden war. Paulsen spielte hier wiederholt sowohl in der Residenz Gottorf als auch in der Stadt Schleswig. Er wurde vom Fürsten maßgeblich unterstützt, u. a. indem dieser lediglich Paulsen erlaubte, in der Stadt zu spielen.165 Kopenhagen und Berlin sind nicht die einzigen Residenzstädte, die in dieser Supplik genannt werden: Auch bei Bayreuth und zu einem gewissen Teil auch Prag, das aber nach dem Regierungsantritt von Kaiser Matthias (1611) nicht mehr Hauptresidenz der habsburgischen Länder war166, handelte es sich um Residenzstädte. In beiden Fällen spielte Paulsen laut Supplik nur in der Stadt, nicht aber bei Hof. Wie der Name schon sagt, residierten in den Residenzstädten die Landesfürst*innen. 164 Vgl. u. a.: Zielske, Harald: Kunst und Kommerz. Zu den gewerberechtlichen Grundlagen des deutschen Berufstheaters im 18. Jahrhundert. In: Rudin, Bärbel; Schulz, Marion (Hgg.): Vernunft und Sinnlichkeit. Beiträge zur Theaterepoche der Neuberin. Ergebnisse der Fachtagung zum 300. Geburtstag der Friederike Caroline Neuber, 8–9. März 1997. Reichenbach i. V.: Neuberin-Museum, 1999 (= Schriften des Neuberin-Museums; Bd. 2). S. 9– 36; – Magnus (1961), S. 214; 215; 229; – Rudin (2018), S. 472. 165 Vgl.: Bischoff, Malte; Hill, Thomas: Gottorf. In: Wolfgang, Adam; Westphal, Siegrid (Hgg.): Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum. Berlin; Boston: De Gruyter, 2012. S. 669–712. Hier: S. 697f.; – Pies, Eike: Das Theater in Schleswig, 1618–1839. Kiel: Verlag Ferdinand Hirt, 1970 (= Veröffentlichungen der Schleswig-Holsteinischen Universitätsgesellschaft, Neue Folge; Bd. 53). S. 27. 166 Vgl.: Albrecht; Stefan: Prag. In: Wolfgang; Westphal (2012), S. 1649–1694. Hier: S. 1659.

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Diese Städte waren maßgeblich vom Hof dominiert, der die Stadt »zu einer großen Kulisse des Hofstaates« überformte, zudem fungierten diese häufig auch als Hauptstadt des jeweiligen Territoriums, was in der Ansiedlung zentraler Behörden kulminierte.167 In Residenzstädten, wie beispielsweise in Wien, konnte es durchaus der Fall sein, dass lediglich dem Fürsten oder der Fürstin die Entscheidung über Spielkonzessionen von Truppen im städtischen Raum oblag.168 Rechtlich hatten Residenzstädte den Status von Landstädten (auch landesfürstliche Städte oder Territorialstädte genannt) inne. Landstädte unterstanden, im Gegensatz zu den so genannten Reichsstädten, Landesfürst*innen. In der Regel erfuhr deren Autonomie im Zusammenhang mit den einsetzenden Zentralisierungsbestrebungen der Territorialherrschaft erhebliche Einschränkungen. »Allgemein gilt, dass die Landesherren mehr oder weniger massiven Druck ausübten – von rechtlichen, politischen oder wirtschaftlichen Maßnahmen bis hin zu offener militärischer Gewalt.«169 So wurde u. a. die ihre Autonomie verteidigende Stadt Braunschweig 1671 vom Landesherrn militärisch eingenommen.170 Zu den Landstädten ohne aufrechter Residenzfunktion zählten aus Paulsens Auflistung: Rostock, Helmstedt, Jena, Leipzig und Breslau. Dabei gelang es Rostock, Breslau und auch Leipzig ihre Autonomie gegenüber der Territorialherrschaft weitgehend zu bewahren.171 Landstädte hatten zumindest Spielprivilegien von Truppen sowie Spielverbote im Zusammenhang mit Landestrauer oder Krisenphänomenen (v. a. Krieg bzw. Kriegsgefahr, Seuchen bzw. Seuchengefahr) zu berücksichtigen. Inwiefern die Landstädte darüberhinausgehende Bestimmungen zu beachten hatten, hing von der jeweiligen Landesregierung ab. In Brünn etwa mussten die Truppen sowohl die Genehmigung der Landeshauptmannschaft als auch des Stadtrates einholen, dabei kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den beiden Behörden172 – ähnliches schien wohl auch für die anderen Landstädte des Habsburgerreiches zu gelten. Im Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg erging 1718 ein Edikt, mit dem den landesfürstlichen Städten die Entscheidungsgewalt über Spielbewilligungen ent167 Dülmen, Richard van: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. 2. Bd.: Dorf und Stadt, 16. – 18. Jahrhundert. München: C.H. Beck, 2005a. S. 72. 168 Vgl.: Hadamowsky, Franz: Wien. Theatergeschichte. Von den Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Wien; München: Jugend und Volk, 1988 (= Geschichte der Stadt Wien; Bd. 3). S. 105. 169 Schilling, Heinz; Ehrenpreis, Stefan: Die Stadt in der Frühen Neuzeit. 3., um einen Nachtrag erweiterte Auflage. Berlin: De Gruyter, 2015 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 24). S. 45. 170 Vgl.: Schilling; Ehrenpreis (2015), S. 44; – Bepler, Jill: Wolfenbüttel und Braunschweig. In: Wolfgang; Westphal (2012), S. 2249–2291. 171 Vgl.: Schilling; Ehrenpreis (2015), S. 44f; sowie folgende Beiträge aus Wolfgang; Westphal (2012): Mirosława Czarnecka zu Breslau, S. 197–238, hier S. 202; und Detlef Döring zu Leipzig, S. 1253–1297, hier S. 1259. 172 Vgl.: Havl&cˇkov# (2012), S. 40.

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zogen wurde. Truppen, die nicht ohnehin schon privilegiert waren, mussten von nun an in der Residenzstadt Hannover um Spielgenehmigung ansuchen und die landesfürstlichen Städte des Territoriums (beispielsweise die Stadt Lüneburg) wiederum die in Hannover getroffenen Entscheidungen akzeptieren.173 Zu den Reichsstädten andererseits – diese hatten lediglich den Kaiser über sich – zählten aus Paulsens Supplik neben der adressierten Stadt Hamburg die Städte Bremen, Lübeck, Straßburg, Augsburg, Frankfurt am Main und Köln. Hier konnten die Städte frei über Spielbewilligungen entscheiden. Allerdings mussten auch diese einen Konsens mit der hiesigen Geistlichkeit finden. Wie Paulsens einleitende Worte in den zweiten Abschnitt – »Auch in vielen Großen Vornehmen und Weitberuhmbten Stätten und Universitäten« – deutlich machen sollen, handelte es sich bei den nachfolgend aufgezählten Städten nicht um irgendwelche beliebigen Städte, sondern mehrheitlich um solche, die einen bedeutenden Status als kulturelle, wirtschaftliche und/oder politische Zentren innehatten.174 Paulsens Aufzählung beginnt hier mit der Nennung der Städte Lübeck, Bremen und Rostock. Aufgrund der räumlichen Nähe sowie der auf der Hanse fußenden wirtschaftlichen sowie politischen Verflechtungen dieser norddeutschen Handelszentren zu dem adressierten Hamburg, nannte Paulsen diese Städte zuerst. Zur Hanse zählte zu diesem Zeitpunkt außerdem noch das weiter unten genannte Köln. Ebenfalls in der Aufzählung vertreten sind die beiden Messestädte Frankfurt am Main und Leipzig. Von den genannten Städten waren außerdem Straßburg, Basel, Augsburg, Prag und Breslau wirtschaftliche Zentren von überregionaler Bedeutung.175 Im Zusammenhang mit Spielbewilligungen von Berufstheatertruppen lässt sich die Tendenz erkennen, dass Handelsstädte wirtschaftliche Interessen vor etwaige geistliche oder moralische Bedenken stellten, weshalb dort zur Attraktion bzw. Unterhaltung von Gästen (Handelspartner, Kaufleute, Jahrmarkts- bzw. Messepublikum, etc.) Berufstheatertruppen, insbesondere zu Jahrmärkten und Messen, eher zugelassen wurden. Beispielsweise wurden in Danzig im frühen 17. Jahrhundert anlässlich des Dominiksmarktes Berufstheatertruppen zugelassen, während Schultheateraufführungen scheinbar für einen längeren

173 Vgl.: Magnus (1961), S. 252–255. 174 Mit Ausnahme der Städte Bremen, Bayreuth und Rostock, wurden alle Städte in dem hier bereits mehrfach herangezogenen Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit aufgenommen. Als kulturelle Zentren werden hier Orte angesprochen »an denen sich kulturelles Leben konzentriert[e]« und die als »Bühnen der Aufmerksamkeit über die Grenzen des Ortes oder der Region hinaus« fungierten, vgl.: Sittig, Claudius: Kulturelle Zentren der Frühen Neuzeit. Perspektiven der interdisziplinären Forschung. In: Wolfgang; Westphal (2012), S. XXXI–LV. Hier: S. XXXII. 175 Vgl. zur Hanse, Hansestädten sowie anderen Handelszentren des deutschsprachigen Raumes: Schilling; Ehrenpreis (2015), S. 22–28.

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Zeitraum eingestellt wurden.176 Über Messe- und Marktzeiten konnten sich Truppen über Kalender informieren, in denen die betreffenden Termine zu vielen Städten verzeichnet waren.177 Eine nächste Gruppe bilden die lutherischen Universitätsstädte Rostock, Helmstedt, Jena, Leipzig und Wittenberg.178 Mit deren Nennung versuchte Paulsen den ebenfalls lutherisch geprägten Hamburger Stadtrat von der moralischen sowie konfessionellen Unbedenklichkeit seiner Truppe zu überzeugen.179 Gerade Leipzig hatte für das Berufstheater aufgrund seiner Doppelfunktion als Universitäts- und Messestadt eine besondere Bedeutung, da sich ein nicht unerheblicher Anteil von Nachwuchsschauspielern aus der hiesigen Studentenschaft rekrutierte (vgl. II. 2. 1.).180 Universitäten waren auch in weiteren der von Paulsen genannten Städte vertreten, jedoch waren diese hier entweder kein dominierender Faktor oder hatten eine andere konfessionelle Ausrichtung: Die lutherisch geprägte Universität Straßburg war zu diesem Zeitpunkt noch relativ jung und ging aus der Akademie hervor, die 1621 zu einer Universität umge176 Vgl.: Bolte, Johannes: Das Danziger Theater im 16. und 17. Jahrhundert. Hamburg; Leipzig: Verlag von Leopold Voss, 1895 (= Theatergeschichtliche Forschungen; Bd. XII). S. 30f.; 31; 35; 37–40; 41; 47–51; – Limon, Jerzy : Gentlemen of a Company. English Players in Central and Eastern Europe, 1590–1660. Cambridge; u. a.: Cambridge University Press, 1985. S. 37. 177 Vgl. beispielsweise: Köhler, Johann-Erhard: Prognosticon Astrologicum Oder Practica, Auf das Jahr nach der Gnadenreichen Geburt unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi. M. DC. LXXXV. Darinnen zu finden I. Die vier Haupt-Quartale. II. Die zwölff Monate. III. Auf ieden Monat eine merckwürdige Historia/ so von allerhand Begebenheiten handelt. IV. Von Finsternüssen Friedens- und Krieges-Händeln/ Seuchen und Kranckheiten/ Säen und Pflanzen/ wie auch von allerhand Roß-Artzney und Viehzucht. Und dann letzlich ein Verzeichnüß der vornehmsten Messen und Jahr-märckte/ worbey auch eine ResolvierTafel. […] Weimar : Johann-Andreas Müller, 1684. Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Stadtarchiv Altenburg, KAL1:1685(3P). 178 Siehe zur Universität Rostock: Heidorn, Günther et al. (Hgg.): Die Geschichte der Universität Rostock, 1419–1969. Festschrift zur Fünfhundertfünfzig-Jahr-Feier der Universität. 2. Bände. Berlin: Dt. Verlag der Wissenschaften, 1969. Vgl. zu den Universitätsstädten Helmstedt, Jena, Leipzig und Wittenberg folgende Beiträge aus Wolfgang; Westphal (2012): Jens Bruning zu Helmstedt, S. 901–934; Joachim Bauer, Gerhard Müller und Thomas Pester zu Jena, S. 981–1035; Detlef Döring zu Leipzig, S. 1253–1297; und Heiner Lück zu Wittenberg, S. 2201–2248. 179 Im Zusammenhang mit Paulsen und Wittenberg sei auf den Spieltext Der bestrafte Brudermord oder : Prinz Hamlet aus Dännemark verwiesen, der sich ursprünglich im Nachlass von Ekhof befand. In der Schauspieler-Szene tritt der »Principal Carl« auf, den Hamlet »vor wenig Jahren zu Wittenberg auf der Universität« gesehen hatte. Hamlet ruft sich daraufhin Carls Wittenberger Gastspiel in Erinnerung, dass er trotz vielen Lobes auch in einigen Punkten (Kostüm und Darstellung von hohen Figuren) kritisiert. Abgedruckt in: Cohn, Albert (Hg.): Shakespeare in Germany in the Sixteenth and Seventeenth Centuries: An Account of English Actors in Germany and the Netherlands and of the Plays performed by them during the same Period. London: Asher & Co, 1865. S. 240–304. Die betreffende Szene (2. Akt, Scene VII.) findet sich auf S. 263–268. 180 Vgl.: Rudin (1976).

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wandelt wurde. Die Universität des reformierten Basels hatte im 17. Jahrhundert einen Bedeutungsverlust erfahren; bei der Universität Prag handelte es sich zwar um die älteste Universität des Heiligen Römischen Reichs, jedoch wurde Prag im Zuge des Dreißigjährigen Kriegs gewaltsam rekatholisiert. Ebenfalls katholisch war schließlich die Universität Köln, die zu den größten Universitäten des deutschsprachigen Raums zählte.181 Bei genauer Betrachtung aller im zweiten Abschnitt genannten Städte zeigt sich, dass es sich vor allem um protestantische bzw. protestantisch-geprägte Städte handelte. Lediglich Prag und Köln waren zu diesem Zeitpunkt katholisch, wobei Prag in konfessioneller Hinsicht eine wechselhafte Geschichte hinter sich hatte und sich in Köln wiederum in Folge des Achtzigjährigen Krieges viele Protestanten angesiedelt hatten.182 Eine besondere Position hatte Augsburg inne, das bikonfessionell war.183 Für diese starke Unterrepräsentation von katholischen Städten in Paulsens Aufzählung gibt es neben der Adressierung Hamburgs noch einen weiteren Grund: Paulsen war als gebürtiger Hamburger selbst lutherischen Bekenntnisses. Da im Zusammenhang mit Spielbewilligungen immer wieder auch die Konfession von Truppen eine Rolle spielte, konzentrierten sich diese nicht selten auf Spielorte ihrer Konfession. Konfession als Faktor wurde nicht nur im Zusammenhang mit Spielbewilligungen und Diskriminierungserfahrungen schlagend, Truppen mussten ihre Spielpraxis auch an konfessionelle Gegebenheiten anpassen (vgl. III. 1.). Zudem ging mit diesem Faktor auch eine alltagspraktische Problematik einher, nämlich die Kalenderfrage: In katholischen Gebieten fand in der Regel der Gregorianische Kalender, in protestantischen bis 1700 der Julianische Kalender Verwendung. Zwischen diesen beiden Kalendersystemen gab es im 17. Jahrhundert eine Differenz von zehn Tagen.184 Sofern also Truppen in beiden konfessionellen Gebieten aktiv waren, mussten sie diese Differenz in Bezug auf ihre Reiseplanung im Blick haben. Allerdings konnten sie diese Differenz im Zusammenhang mit Fastnacht oder mit Spielverboten, die mit der heiligen Zeit korrelierten, theoretisch auch zu ihrem Vorteil nutzen. Die konfessionelle Situation einer Stadt kann schließlich auch als Indikator für die Haltung zu Theater fungieren: so wiesen reformierte Städte eine höhere Tendenz zu Theaterfeindlichkeit auf (vgl. III. 1.). Mitunter waren es aber auch einzelne Geistliche, die jegliche Theaterei zu verhindern 181 Vgl. die folgenden Beiträge aus Wolfgang; Westphal (2012): Bernard Vogler zu Straßburg, S. 1833–1876, hier S. 1836; Kaspar von Greyerz zu Basel, S. 89–131, hier S. 101; Stefan Albrecht zu Prag, S. 1649–1694, hier S. 1654; und Klaus Wolf zu Köln, S. 1093–1152, hier S. 1107. 182 Vgl.: Albrecht (2012) und Wolf (2012), S. 1102f. 183 Vgl.: Tschopp, Silvia Serena: Augsburg. In: Wolfgang; Westphal (2012), S. 1–50. 184 Zur Kalenderreform, vgl.: Koller, Edith: Strittige Zeiten. Kalenderreformen im Alten Reich, 1582–1700. Berlin; Boston: De Gruyter, 2014 (= Pluralisierung & Autorität; Bd. 41).

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versuchten. Als in der lutherischen Stadt Lüneburg 1689 eine Truppe zum Spiel zugelassen wurde, intervenierte der Superintendent Johann Wilhelm Petersen zuerst erfolglos beim Stadtrat, anschließend versuchte er die anderen Geistlichen der Stadt dazu zu überreden, beim Gottesdienst gegen Theater zu predigen. Diese entgegneten aber, dass »Comoedien, wann obscoena ausblieben« nicht zu verdammen sein. In der Sonntagspredigt schließlich verweigerte er allen, die Aufführungen der Truppe besucht hatten, darunter auch Mitgliedern des Rates, den kirchlichen Segen. Letztendlich versuchte sich die Stadt seiner zu entledigen, was drei Jahre später auch gelang.185 Die Fortsetzung von Paulsens Auflistung scheint sich, unter weitgehender Beibehaltung des Kriteriums der kulturellen, wirtschaftlichen und/oder politischen Bedeutsamkeit, vor allem an einem geographischen Prinzip zu orientieren: Nach Nennung der drei nördlichen Hansestädte und der nordöstlich gelegenen Universitätsstädte folgen die drei südlich gelegenen Städte Straßburg, Basel und Augsburg. Dann, ausgehend von Bayreuth, die östlich gelegenen Landstädte Prag und Breslau; darauf die westlich gelegenen Reichsstädte Frankfurt am Main und Köln und schließlich wird noch die nordöstlich gelegene Residenzstadt Berlin genannt. Die Gesamtaussage des zweiten Abschnittes lautet also, dass Paulsen bereits in nahezu allen Teilen des deutschsprachigen Raums gespielt hatte. Auch die Lage einer Stadt konnte sich als relevanter Faktor für das Berufstheater erweisen. Vor allem in Folge von Kriegen sahen sich die Truppen gezwungen auf andere Gebiete auszuweichen. So fanden beispielsweise die englischen Comœdianten während des Dreißigjährigen Krieges in deutschsprachigen Städten Polens und des Baltikums – Regionen also, die von dem Krieg nicht unmittelbar betroffen waren – Spielgelegenheiten vor und verlagerten ihre Aktivitäten dorthin.186 Zudem hat es zumindest den Anschein, dass Städte in städtearmen Regionen wie Pommern und Preußen187 für das Berufstheater weniger attraktiv waren, da mit den größeren Distanzen eine Verringerung von möglichen Spielgelegenheiten einherging, was aber nicht bedeutet, dass sie dort nicht auftraten, sofern sie sichere Spielgelegenheiten vorfanden. Noch nicht angesprochen wurde das Kriterium der Bevölkerungsgröße. Prinzipiell kann gesagt werden, dass bevölkerungsreiche Städte aufgrund potentiell höherer Publikumszuströme eine größere Attraktivität für das Berufstheater besaßen. Bevölkerungsreichtum konnte in diesem Sinne eine geringere Städtedichte kompensieren. Eine grundsätzliche Schwierigkeit bildet in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Bevölkerungszahlen heute in vielen 185 Vgl.: Magnus (1961), S. 217–219. 186 Vgl.: Limon (1985), S. 29f. 187 Vgl. zu regionalen Unterschieden hinsichtlich der Städtedichte: Schilling; Ehrenpreis (2015), S. 7.

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Fällen nur geschätzt werden können. Hinzukommt, dass diese aufgrund von Kriegen (insbesondere des Dreißigjährigen Krieges), Seuchen sowie differenten wirtschaftlichen Entwicklungen im Verlauf des 17. Jahrhunderts erheblichen Schwankungen ausgesetzt sein konnten. Um 1600 gab es im deutschsprachigen Raum nur wenige Städte mit (mehr als) 40.000 Einwohnern und Einwohnerinnen, dazu zählten, neben dem adressierten Hamburg und den von Paulsen genannten Städten Augsburg, Köln und Prag noch Danzig, Nürnberg, Magdeburg und Wien. Zu den Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern und Einwohnerinnen gehörten Breslau, Berlin, Straßburg und Lübeck, außerdem München, Mainz und Ulm. Nach dem Dreißigjährigen Krieg hatte sich die Situation in vielen Städten drastisch verändert: In Augsburg, Berlin, Breslau, Mainz, München und Nürnberg hatte sich die Bevölkerung mehr oder weniger halbiert; Magdeburg wurde in Folge des von kaiserlichen Truppen verübten Massakers von 1631, bei dem ca. 20.000 Einwohner*innen starben, sogar auf 5.000 Einwohner*innen dezimiert. Erhebliche Zugewinne andererseits konnten Hamburg und Danzig verzeichnen; ebenfalls angestiegen war die Bevölkerung Wiens, Lübecks und Kölns. Um 1700 waren dann Wien (ca. 114.000), Hamburg (ca. 70.000), Berlin (ca. 55.000) und Danzig (ca. 50.000) die größten Städte des deutschsprachigen Raumes.188 Die Annahme, dass in Großstädten eine höhere Nachfrage nach theatralen Lustbarkeiten bestand, mag richtig sein, jedoch war dies noch kein Garant für ein reges Theaterleben. Dementsprechend erstaunt bemerkte der englische Reisende Edward Brown, der sich 1669 in Wien aufgehalten hatte: Observing much freedom, musick, and jollity in the City. I wondered how they could content themselves without Plays, for there were few while I was there, till the Players came hither out of Saxony, and acted here for a time. The Jesuites would sometimes entertain the Emperour and Empress with a Comedy at their Colledge; and I had once the favour to be at one when they were present.189

Warum sich Wien, trotz seiner Größe und seiner Funktion als kaiserliche Residenz- und Hauptstadt, erst ab ca. 1690 zu einer Theaterstadt entwickelte190, ist nach wie vor nicht restlos geklärt. Einen erheblichen Anteil daran hatten auf jeden Fall mehrere Ereignisse, die zu einem Ausbleiben theatraler Vergnügungen 188 Die Zahlen wurden zum größten Teil Schilling; Ehrenpreis (2015), S. 4; 12f.entnommen; – zu Breslau, vgl. Czarnecka (2012), S. 206f.; – zu Magdeburg, vgl. Nahrendorf (2012), S. 1349–1390, hier S. 1357f. 189 Brown, Edward: An Account of Several Travels Through a great part of Germany : In Four Journeys. I. From Norwich to Colen. II. From Colen to Vienna, with a particular Description of that Imperial City. III. From Vienna to Hamburg. IV. From Colen to London. Wherein The Mines, Baths, and other Curiosities of those Parts are Treated of. London: Benj. Tooke, 1677. S. 110. 190 Vgl.: Rudin (2002), S. 274–278.

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geführt haben: Im Übergang zum 17. Jahrhundert war es vor allem die Angst vor einer erneuten Belagerung Wiens durch das osmanische Heer, die mehrere Erlässe zur Folge hatte, in denen der Wiener Bevölkerung ein frommer Lebenswandel verordnet wurde. So wurde nicht nur Tanz, Musik, Spiel und Theater, sondern mitunter auch Unzucht und Ehebruch explizit untersagt und darüber hinaus die Teilnahme am »Türkengebet« sowie an den Mittwochsprozessionen gefordert (1594, 1595, 1601).191 Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde 1642 von Ferdinand III. ein moralisch begründetes Spielverbot erlassen, das bis zu Beginn der 1650er-Jahre in Kraft war. Argumentiert wurde neben der Seuchengefahr und Geldverschwendung mit dem schädlichen Einfluss auf die gemeinen Leute und die Jugend. 1646 wurde es mit dem Hinweis, dass lediglich geistliche Stoffe erlaubt seien, erneuert.192 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren es die große Pestepidemie von 1679 und die Belagerung Wiens 1683, die öffentliche Theateraufführungen für fast ein Jahrzehnt zum Erliegen brachten. Hinzukamen unzählige Todesfälle im Kaiserhaus, die mit einer Staatstrauer im Umfang von drei Monaten bis zu einem Jahr einhergingen.193 Neben diesen Ereignissen könnte aber auch der Einfluss der Jesuiten, die ein Theatermonopol beanspruchten, sowie die Vorliebe des Kaiserhauses für italienische Theaterschaffende eine Rolle gespielt haben.194 Andererseits schien der Kaiser den 1670 von Peter Hüttler von Hüttenberg gefassten Plan, eine Art stehenden Theaterbetrieb in dem in seinem Besitz befindlichen Ballhaus in der Himmelpfortgasse zu errichten, zu befürworten. Vielleicht war es Hüttlers Idee, eine Truppe aus Ortsansässigen zusammenzustellen, die überzeugte, zumal dadurch nicht nur das Geld in der Stadt bliebe, wie Hüttler argumentierte, sondern theoretisch auch eine bessere Kontrolle über Schauspiele und Schauspieler*innen gewährleistet gewesen wäre. Letztendlich aber wurde dieser Plan,

191 Vgl.: AT-OeStA/ HHStA StK Patente 5–102; -122 und -124, sowie Patente 6–29. 192 Vgl.: Hadamowsky (1988), S. 104f. 193 Betroffen waren die Jahre 1592, 1618, 1625, 1641, 1644, 1646, 1649, 1654, 1655, 1657, 1662, 1664, 1665, 1673, 1675, 1676, 1686, 1688, 1689, 1705, vgl.: Schlager, J. E.: Wiener Skizzen aus dem Mittelalter. Neue Folge. Wien: Gerold, 1839. S. 251–259; – AT-OeStA/ HHStA StK Patente 5–65; Patente 6–29; Patente 7–15; -17; Patente 9–36; -97; -99; -152; -169; Patente 10–64; -66; -74; -86; Patente 11–26; -55. Außerdem: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Sammlungen, Patente (1512–1759), Akt 3.6.A1.402 (30. 12. 1641); 462 (15. 5. 1646); 520 (9. 4. 1657); 584 (22. 11. 1662); 655 (13. 3. 1673); 678 (9. 4. 1676). 194 Vgl.: Schindler, Otto G.: »Mio compadre Imperatore«. Comici dell’arte an den Höfen der Habsburger. In: Maske und Kothurn 38, H. 2–4 (1997), S. 25–154. Hier: S. 80; – Neuhuber, ¨ er lieber Johann Geörg Gettner«. Zum Leben des Prinzipals der Christian: »Unßer Gethrew Eggenbergischen Hofkomödianten. In: Havl&cˇkov#, Margita; Neuhuber, Christian: Johann Georg Gettner und das barocke Theater zwischen Nikolsburg und Krumau (= Opera Universitatis Masarykianae Brunesis Facultas Philosophica, Bd. 427). Brno: Masarykova Univerzita, 2014. S. 9–19. Hier : S. 18.

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vermutlich weil Hüttler kurz darauf verstorben war, nicht realisiert.195 Ein derartiges Vorhaben wurde erst im 18. Jahrhundert am Wiener Kärntnertortheater durch Joseph Anton Stranitzky erfolgreich umgesetzt.196 Nach dieser Auseinandersetzung mit der frühneuzeitlichen Städtelandschaft werden nun Nürnberg und Leipzig einer näheren Betrachtung unterzogen. Ausschlaggebend für die Wahl dieser Städte ist neben ihrer Bedeutung für das frühe Berufstheater und der hervorragenden Quellenlage der Umstand, dass in beiden Städten nachweislich die Spielpraxis des frühen Berufstheaters von als Dramatiker tätigen Vertretern der städtischen Bildungselite – der Nürnberger Schriftsteller Sigmund von Birken (1626–1681) und der Leipziger Gelehrte Johann Christoph Gottsched (1700–1766) – rezipiert wurde. Aufgrund der Doppelfunktion Leipzigs als Universitäts- und Messestadt sowie der Tatsache, dass die Theaterreform hier ihren Anfang nahm, fällt die Erörterung Leipzigs umfangreicher aus.

II.1. Freie Reichsstadt Nürnberg Nürnberg war, wie Markus Paul in seiner herausragenden Studie über die Theatrale Kunst in Nürnberg des 17. Jahrhunderts (2002)197 aufzeigt, von einer lebhaften Vielfalt theatraler Ereignisse geprägt. Der Stadtrat schien sich früh der mit Theater einhergehenden gesellschaftlichen und politischen Implikationen bewusst gewesen zu sein, da dieser eine Kulturpolitik forcierte, in deren Rahmen er nicht nur bestimmte Theaterformen förderte (Berufstheater) und andere unterband (Meistersinger)198, sondern auch zur besseren sozialen und finanziellen Kontrolle199 eigene kommunale Theaterbauten, das sogenannte Fechthaus (1628) und das Nachtcomödienhaus (1668)200, errichten ließ und betrieb. Das auf festliche und musikdramatische Aufführungen ausgerichtete Nachtcomödienhaus ging auf eine Anregung Carl Andreas Paulsens zurück: Als Paulsen seine Spielzeit 1667 beendet hatte, wandte er sich mit der Bitte an den Nürnberger Rat, im kommenden Winter in einem winterfesten Gebäude spielen zu dürfen und regte an, dass die Stadt eine derartige Spielstätte errichten lassen könnte. Der Stadtrat erteilte daraufhin dem Baumeister den Auftrag, dass dieser 195 Vgl.: Hadamowsky (1988), S. 112f. 196 Vgl.: Scherl; Rudin (2013), S. 668; – Hadamowsky (1988), S. 178–190. 197 Paul, Markus: Reichsstadt und Schauspiel. Theatrale Kunst im Nürnberg des 17. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer Verlag, 2002 (= Frühe Neuzeit; Bd. 69). 198 Vgl.: Paul (2002), S. 65. 199 Vgl.: Paul (2002), S. 49. 200 Vgl.: Paul (2002), S. 1.

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»solchen bau unter die hand nehmen und vollziehen wolte«201 und finanzierte das Projekt aus den von Paulsen geleisteten Abgaben.202 Das nach oben hin offene und somit nicht winterfeste Fechthaus wurde bereits während des Dreißigjährigen Krieges (1628) errichtet und gehörte zu den ersten kommunalen Theaterbauten des deutschsprachigen Raums. »Ein imposanter Gebäudekomplex, der von außen in den Stadtfarben rot und weiß leuchtete, rund 3.000 Zuschauer faßte und in dem die Nürnberger Ratsherren in besonders ausgestalteten Logen Platz nahmen.«203 Mit diesem Bau wurden alle Veranstaltungen auf einen Ort konzentriert. Das ermöglichte der Stadt eine bessere Kontrolle über die Veranstaltungsbesucher*innen und die einfachere Intervention bei mit Menschenansammlungen verbundenen Problemen. Zudem konnte die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Wirte bisheriger Spielorte, vor allem in Hinblick auf die Weitergabe von Abgaben, umgangen werden.204 Wurden die Einnahmen in der ersten Phase an das Spital weitergegeben, womit die Errichtung des Fechthauses karitativ gerechtfertigt und geistliche Kritik unterbunden werden konnte, flossen diese bald an das Bauamt und die Kriegsstube. Das Fechthaus fungierte somit als städtische Einnahmequelle.205 Zudem erfüllte es repräsentative Funktionen, indem es erstens »nach außen hin als ein sichtbares Zeichen der Prosperität, politischen Selbstständigkeit und kulturellen Bedeutung der Reichsstadt verstanden werden« und zweitens nach innen hin, »gegenüber der eigenen Bürgerschaft Größe und Ansehen der Stadt demonstrieren und zur Identifikation der Untertanen mit ihrer Gemeinde beitragen« konnte.206 Es diente ausdrücklich der Ablenkung, Erholung und Unterhaltung der städtischen Bevölkerung und war in diesem Sinne ein herrschaftsstabilisierendes Mittel; eine Funktion, die auch als Argument gegen die protestierende Geistlichkeit angeführt wurde (vgl. zur herrschaftsstabilisierenden Funktion von Theater IV. 2.).207 Im Gegensatz zu vielen anderen Städten konnte der selbstbewusste Stadtrat seine Autorität in kulturpolitischer Hinsicht sowohl gegenüber der Geistlichkeit als auch dem Adel ohne weiteres behaupten. Trotzdem bemühte er sich um ein gutes Verhältnis zu diesen Gruppen, was sich im Gewähren von Anliegen und dem Erteilen von Spielkonzessionen zeigen konnte.208 Als der Stadtrat aufgrund von »gefährlichen conjuncturen« jedes 201 Zitiert nach: Hampe, Theodor : Die Entwicklung des Theaterwesens in Nürnberg von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis 1806. Nürnberg: J. L. Schrag, 1900. S. 288. 202 Vgl.: Paul (2002), S. 174; 293–295. 203 Paul (2002), S. 1. 204 Vgl.: Paul (2002), S. 53–55. 205 Vgl.: Paul (2002), S. 49–53. 206 Paul (2002), S. 85. 207 Vgl.: Paul (2002), S. 58; 82f. 208 Vgl.: Paul (2002), S. 80.

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Spielgesuch ablehnte, sich zu diesem Zeitpunkt aber eine Gruppe von Gesandten mehrmals nach Comœdien erkundigte, ließ der Stadtrat eine Truppe für den Zeitraum ihres Aufenthalts zu.209 Der Stadtrat, der versuchte seine Einflusssphäre »auf alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens auszudehnen«210, agierte in Hinblick auf seine Spielbewilligungen nicht willkürlich, sondern verfolgte, wie Paul ausführt, eine gezielte Kulturpolitik: Diese Quellen zeigen den Rat nicht nur als eine regulierend und zensierend eingreifende Ordnungsmacht, die mittels eines vielschichtigen Systems obrigkeitlicher Zensur- und Kontrollmechanismen bestimmte ästhetische Normen und Geschmacksvorstellungen durchzusetzen versuchte und damit gleichsam eine Kulturpolitik ex negativo betrieb, sondern zudem als Mäzen und Förderer von Theateraktivitäten, der sowohl qualitative Maßstäbe bei der Beurteilung der Gesuche anwandte als auch sich der Funktion des Schauspiels und Theaters als herrschaftsstabilisierendes wie -legitimierendes Instrument mit hohem kommunikativen Potential bewußt war und dieses im Sinne einer reichsstädtischen Repräsentationskunst als wirksames Element innerhalb der urbanen Festkultur gezielt einzusetzen verstand.211

Zu den Kontrollvorkehrungen zählte die Vor- und Nachzensur : Zuerst musste der Spieltext oder eine Inhaltsangabe eingereicht werden212 ; fiel die Begutachtung im Falle des Berufstheaters positiv aus, wurden erstmals nur wenige Spieltage zur Probe bewilligt. Erfolgten auch hier keine Beschwerden, konnte die Spielzeit verlängert werden, im anderen Fall ein Spielabbruch bzw. -verbot die Konsequenz sein.213 Zudem holte der Stadtrat häufig auch Erkundigungen über die Antragsteller*innen ein.214 Wie genau der Stadtrat abwog, zeigt dessen Entscheidungsfindung anlässlich der zeitgleichen Aufenthalte von Carl Andreas Paulsen und Michael Daniel Treu (Drey)215. Nachdem Paulsen 1667 eine überaus erfolgreiche Spielzeit hinter sich hatte und sich 1668 wieder in Nürnberg einfand, musste er sich dort mit Treu die Spielzeit teilen und suchte deshalb beim Rat darum an, diesem die Spielbewilligung zu entziehen.216 Der Stadtrat befand aber stattdessen zu Gunsten Treus, da dieser die besseren Stücke sowie kostbarere Kostüme hätte und seine Truppe besser spielen würde, außerdem befänden sich in Paulsens Truppe einige in schlechtem Ruf stehende Personen und schließlich hätte er ohnehin schon mehr 209 210 211 212 213 214 215 216

Vgl.: Hampe (1900), S. 295. Paul (2002), S. 61. Paul (2002), S. 64f. Vgl.: Paul (2002), S. 73. Vgl.: Paul (2002), S. 74–75. Vgl.: Paul (2002), S. 75. Zu Michael Daniel Treu, siehe: Trautmann (1889), S. 300–312. Vgl.: Paul (2002), S. 76; 174f.; – Hampe (1900), S. 290.

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Stücke gespielt als ursprünglich vereinbart worden war.217 Paul deutet die Ermahnung, »ärgerliche sachen und possenspiel« zu unterlassen, mit der Paulsen in die Spielsaison 1668 gestartet war, als Hinweis darauf, dass die vorherige Spielzeit Paulsens zwar durchaus den Vorstellungen des städtischen Publikums, nicht jedoch jenen des Stadtrats entsprochen hätte.218 Diese Ermahnungen schienen sich insbesondere auf die Aktionen der comœdiantischen Figuren zu beziehen, so wurde Jakob Kuhlmann219 1685 eingeschärft, »sich aller ärgerlichen materien, auch der zwischen- und nachspile, worinnen obscoena vorkommen, gänzlich zu enthalten.«220 1695 empörte sich der Stadtrat über die SachsenMerseburgischen Hofcomœdianten, »welche bei denen ihnen vergünstigten actionibus viel grobe und der jugend zum ärgernus gereichende possen eingemenget, sonsten auch wenig geschickte personen in ihrer compagnie haben«221. Im Zeitraum von 1667 bis 1669 besuchte der Autor Sigmund von Birken Vorstellungen beider Prinzipale. Er vermerkte die Theaterbesuche in seinem Tagebuch, das einen Teil des Nürnberger Repertoires beider Truppen überliefert. Unter den knapp vierzig Aufführungen, die er besuchte, finden sich fünf, deren Spieltexte im Kodex überliefert sind: Die Comoedie von Tito Andronico u. dem Mohren Aron (Paulsen), Aspasia (Paulsen), Aurora u. Stella (Paulsen oder Treu), Comoedie vom verk[ehrten] u. wiederbek[ehrten] Andronico (Treu), Comoedie von Her[zog] Ludwig in Burgund, der vom Duc D’Anjou mit Statthaltern in abwesen des nach dem H[eiligen] Land verreisten H[errn] Ludovici, verjagt worden [= Der Schwehst] (Treu).222 Denkbar wäre, dass Interaktionen wie beispielsweise jene der comœdiantischen Figuren Phryx und Stryx in Aspasia, in denen Elemente des Grotesk-Leiblichen vollkommen ausgeschöpft wurden (vgl. IV. 2. 2.), unter jene vom Stadtrat negativ bewertete Kategorie »ärgerliche sachen und possenspiel« fielen. Blicken wir andererseits auf die beiden Stücke, die Treu definitiv gespielt hatte, fällt auf, dass es sich um Dramen handelte, in denen Protagonisten auftraten, die Verhaltensideale verkörperten. Da wäre zum einen, der den Märtyrertod sterbende Jüngling Andronicus (vgl. Teil III.) und zum anderen, der tugendhafte und Entbehrungen auf sich nehmende Herzog Ludwig von Burgund in Der Schwehst (vgl. IV. 3.). Alleine aber auf Basis dieser fünf Spieltexte lassen sich keine ausreichenden Schlüsse ziehen, zumal auch Paulsen Märtyrerdramen und geistliche Stoffe in seinem Repertoire hatte (Ibrahim

217 Vgl.: Paul (2002), S. 76; 174f.; – Hampe (1900), S. 290. 218 Vgl.: Paul (2002), S. 174. 219 Zu Jakob Kuhlmann, siehe: Scherl, Adolf; Rudin, Bärbel: Jakob Kuhlmann. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 367–369. 220 Zitiert nach: Hampe (1900), S. 295f. 221 Zitiert nach: Hampe (1900), S. 302. 222 Vgl.: Birken (1971), S. 300f; 309; 359; 397; 486f.

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Bassa, St. Margareta und St. Georg und Genoveva)223 und auch Treu nicht auf Aktionen comœdiantischer Figuren verzichtete. Das vom Stadtrat geförderte professionelle Schauspiel animierte auch die städtische Bevölkerung zum Theaterspiel. Manche dieser Darbietungen wurden vom Stadtrat unterstützt, während andere kritisch beäugt wurden. Sigmund von Birken war als Schriftsteller in jene Nürnberger Theaterprojekte involviert, die vom Stadtrat als prestigeträchtig und förderungswürdig aufgefasst wurden. Sein Debut gab Birken 1650 mit dem von der »Überwindung der Zwietracht«224 handelnden und in einem gewaltigen Feuerwerk mündenden allegorischen Ballett Teutscher Kriegs Ab- und FriedensEinzug. Dieses wurde anlässlich des kaiserlichen Festbanketts während des stattfindenden Friedenskongresses (Nürnberger Exekutionstag) aufgeführt.225 Dabei wurde den Patriziersöhnen die ehrenvolle Aufgabe übertragen, als Darsteller dieses Spektakels mitzuwirken. Birken verfasste im Zuge seiner Tätigkeit als Hauslehrer auch eine Reihe von Schuldramen. Unter anderem adaptierte er hierfür das erfolgreiche Jesuitendrama Androphilus (Jakob Masen, 1645) unter dem Titel Androfilo und verfasste dazu die Komödie Silvia als Nachspiel.226 Androfilo behandelt die Heilsgeschichte allegorisch und setzt mit der Adoption des Findelkindes Anthropo (Mensch) durch den König Andropater (Gott) ein. Antagonisten sind Androfilo (Jesus) und Andromiso (Satan), wobei letzterer versucht, Anthropo vom Gehorsam gegen Andropater abzubringen. Androfilo schließlich befreit Anthropo, der aufgrund seines Ungehorsams zum Galeerendienst verurteilt wurde, durch einen Akt der Selbstaufopferung.227 Birken bemühte sich bei seiner Adaption um größtmögliche Publikumsnähe und -wirksamkeit, indem er das lateinische Versdrama mit Ausnahme der Intermedien in deutsche Prosa übersetzte und dabei einige Szenen kürzte.228 Um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erlangen, ließ er den Prolog von einer Säule sprechen.229 Außerdem erweiterte er die mit Eufronimo – der Schutzengel der Vernunft – assoziierten belustigenden Elemente.230 Dieses Adaptionsver223 Vgl.: Bolte (1895), S. 104–122. 224 Silber, Karl-Bernhard: Die dramatischen Werke Sigmund von Birkens (1626–1681). Tübingen: Gunter Narr Verlag, 2000 (= Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft; Bd. 44). S. 52. 225 Vgl.: Paul (2002), S. 344–361. 226 Birken, Sigmund v.: Neues Schauspiel/ Betitelt Androfilo Oder Die WunderLiebe […] und Nebst einem Nachspiel/ Betitelt Silvia Oder Die Wunderthätige Schönheit/ In Nürnberg auf den Schauplaz gebracht durch S. v. B. C. P. N. Wolfenbüttel: Johann Bißmarck, 1656. Staatsund Stadtbibliothek Augsburg, LD 2696#(Beibd. 3. 227 Vgl.: Silber (2000), S. 269–275. 228 Vgl.: Silber (2000), S. 266. 229 Vgl.: Silber (2000), S. 278. 230 Vgl.: Silber (2000), S. 280f.

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fahren erinnert stark an jenes des Berufstheaters, bei dem die Dramen in der Regel ebenso in deutsche Prosa überführt, lange Szenen gekürzt wurden und sich die Berufsschauspieler*innen bei Vorgängen, die in Zusammenhang mit comœdiantischen Figuren stehen, größere Freiheiten erlaubten. Birkens Nachkomödie Silvia Oder Die Wunderthätige Schönheit, in dessen Mittelpunkt ein tölpelhafter Patriziersohn steht, der sich bei einem Landaufenthalt in Silvia verliebt und dadurch von seiner Flegelhaftigkeit geläutert wird, weist eine Reihe von Elementen und Vorgängen auf231, wie sie sich auch in der Spielpraxis des Berufstheaters finden. So sind zwei komplementäre und der lateinischen Komödie entstammende Dienerfiguren, der eine liebenswürdig (Davus), der andere grob (Dorus), mit der Haupthandlung verflochten.232 Davus bricht schon im Prolog herein, der wie in Androfilo von einer Säule vorgetragen wird. Davus wundert sich über die sprechende Säule, macht sich über sie lustig und treibt Späße mit ihr.233 Zu Davus’ rhetorischem Fundus zählt u. a. die Verwendung von Küchenlatein234, Metaphern bzw. doppelbödigen Aussagen235, lächerlichen Kosenamen und die falsche Aussprache von fremden Ausdrücken (»Arschenal« statt Arsenal)236. Davus verliebt sich später, die Haupthandlung spiegelnd, in die Dienerin Silvias, jedoch nimmt diese Liebe kein gutes Ende, denn nachdem er von Dorus verprügelt wird, schüttet sie ihren Nachttopf über ihn aus.237 Im Gegensatz zu den Stücken des Berufstheaters ist die Handlung durch weitere Zwischenspiele erheblich zerklüftet und einer dominanten moralischen Perspektivierung unterworfen. In Hinblick auf den Kontext dieser Komödie, die Nachspiel eines Schuldramas war, verwundert dies keineswegs. In vielen Stücken des Berufstheaters werden moralische Verfehlungen in Liebesdingen nicht nur verziehen, sondern auch toleriert, vor allem wenn es sich um comœdiantische Figuren handelt. In dem Spieltext des Kodex Ein verliebter Verdruss wird weder der voreheliche Geschlechtsverkehr Dorotheas noch die angedeutete Nebenerwerbsprostitution der Dienerin Marinette bzw. der Besuch eines solchen einschlägigen Etablissements durch Eraste oder die Aussicht auf eine M8nage-/-trois zwischen Marinette, Eraste und Jodolet bestraft oder überhaupt eingehender thematisiert. Dennoch werden diese vom Publikum als Verfehlungen interpretierten erotischen Ausflüge nicht affirmiert. Sie machen gerade dadurch lachen, weil es sich bei ihnen um Überschreitungen der sozialen Norm 231 232 233 234 235 236 237

Vgl.: Silber (2000), S. 304–318. Vgl.: Silber (2000), S. 319–324. Vgl.: Silber (2000), S. 304. Vgl.: Silber (2000), S. 304. Vgl.: Silber (2000), S. 320. Vgl.: Silber (2000), S. 321. Vgl.: Silber (2000), S. 341.

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handelt. In Birkens Silvia hingegen ist die gleichnamige Protagonistin zutiefst tugendhaft und überlässt sogar die Entscheidung, wer ihr künftiger Ehemann werden soll, ihren Eltern und ihrem Vertrauten. Zudem erfährt die Unkeuschheit, darunter auch die Prostitution durch die Prostituierte Geilwig, in den Zwischenspielen eine eindeutig negative moralische Bewertung. Schließlich wird auch das Liebestreiben der Dienerfigur Davus durch die schroffe Abweisung einer ihm gleichgestellten Figur sanktioniert. Birken verfasste im Rahmen der Teutsche Rede-bind- und Dicht-Kunst (1679)238 auch eine Dramenpoetik und versuchte dabei, das theaterfeindliche Argument, dass die Schauspiele auf den heidnischen Götzendienst zurückgingen, zu entkräften, indem er eine alternative Ursprungstheorie von Theater entwickelte. Er führt das Schauspiel auf Hirtensingspiele zurück, die die Hirten in der Natur zur eigenen Belustigung angestimmt hätten.239 Die Hirten seien dann auch in die Städte gekommen, nachdem die Städter ihren Spielen beigewohnt hätten. Dort hätten sich ihre Spiele erstmals geringfügig verändert, sie wären nämlich dazu übergegangen, mythische Figuren in die Spielhandlung einzuflechten. Bald darauf hätten die Städter angefangen, ihre eigenen Spiele aufzuführen, die von ihrem eigenen Stand handelten und somit die Komödie hervorgebracht. Die Tragödie hingegen sei mit der Übernahme der Spiele durch die Höfe entstanden, weshalb sie aus dem Leben der Herrschenden erzählte, die damals aufgrund ihres tyrannischen Regierungsstils zumeist ein tragisches Ende genommen hätten. Mit dem Christentum aber hätte sich eine weitere Variante entwickelt, die von frommen und guten Regenten handelte und glücklich ausging, weshalb diese Tragikomödie genannt würden.240 Birken spricht sich gegen die Bezeichnungen ›Tragödie‹ und ›Komödie‹ aus, da diese den Nutzen dieser Spielformen nicht angemessen ausdrücken würden und votiert stattdessen für ›Heldenspiele‹ und ›Tugendspiele‹: Obige Eintheilung der Schauspiele in Tugend-und Helden-spiele/ gibet vonselbst an die hand/ daß in jener gemeine/ in dieser hohe Personen/ auftreten müßen: es mag aber in beiden von Freud und Leid gehandlet werden/ weil beiderlei Personen beides widerfahren kan. Doch in Heldenspielen muß alles häftiger seyn: da müßen Tyranneyen/ Glücks-änderungen/ Unglücksfälle/ Meineid und Verrätherey/ Mordthaten/ Betrüge und Practiken/ grobe Unzucht/ Kriege und Schlachten/ Verzweiflung/ Pralereyen/ KlagReden/ endlich auch Begräbnise und Grabschriften/ und dergleichen/ mit einlauffen. Die Zier von Heldenspielen ist/ wann alles ineinander verwirrt/ und nicht nach 238 Birken, Sigmund v.: Teutsche Rede-bind- und Dicht-Kunst/ oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy/ mit Geistlichen Exempeln […] Samt dem Schauspiel Psyche und Einem Hirten-Gedichte. Nürnberg: Christof Riegel, 1679. Bayerische Staatsbibliothek, L.germ. 28 tls. 239 Vgl.: Paul (2002), S. 113–117. 240 Vgl.: Birken (1679), S. 314–324; – Silber (2000), S. 23–29.

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der Ordnung/ wie in Historien/ erzehlet/ die Unschuld gekränkt/ die Bosheit beglückt vorgestellt/ endlich aber alles wieder entwickelt und auf einen richtigen Ablauf hinausgeführet wird.241

Hier wird deutlich, dass das Berufstheater durchaus auch den Erwartungshaltungen eines gelehrten Publikums entsprach, wenn es blutrünstige Dramen wie Titus und Aran spielte, dessen hohe Anzahl gewaltsamer Tode auch Birken erstaunte, der in seinem Tagebuch notierte: »Die Comoedie von Tito Andronico u. dem Mohren Aron, 10 Mörde gesehen: Key[ser] Saturninus hängt sich an die gefangene Gothische Königin, die mit dem Mohren buhlte.«242 Dass alle, die in diesem Drama Laster begangen haben, bestraft werden, kommt Birkens Poetik ebenso entgegen, wie dass die Ermordung der Verbrecher auf offener Bühne gezeigt wird, da dadurch der Schauer und Abscheu von den Lastern und Verbrechen gesteigert werde – »weswegen/ was auch andere dawider sagen mögen/ nicht ungereimt ist/ wann man vorstellig machet/ wie die Verbrecher/ von andern oder durch ihre eigne Fäuste/ erhenkt/ erschossen und erstochen werden/ oder mit dem Kopf wider die Wand laufen.«243

Birken macht sich sogar Gedanken über die szenische Umsetzung von Schauerszenen: »Aber das Haupt-abschlagen/ kann nur erzehlet/ oder der Kopf auf einem Bekken vorgetragen/ oder selbiger von der Person/ unter einem verhängten Tisch (wie in der Arcadia mit der Filoclea geschehen) empor gestreckt werden.«244 Schließlich steht er auch der Einflechtung von Narrenfiguren in den Heldenspielen positiv gegenüber, denn: Weil an Höfen gemeinlich Hof-Narren sind/ auch unter den gemeinen Leuten immer kurzweilige Gesellen und Knechte zu finden/ als werden billig in Schauspielen/ die dem Hof und Gemein-Leben nachahmen/ dergleichen Personen/ welche den Spielschauer mit ihren Scherz-Reden belustigen/ mit eingeführet: die dann/ wie vorzeiten die Satysti [= Satyrn; E.-M. H.], über böse Zeiten/ Höfe und Herren klagen und dieselben ausfilzen. Man muß aber hierbei nicht Schand-reden/ und aus den Schauspielen Sau-spiele machen.245

Schauspiele sollen aber nicht bloß erschrecken und belustigen, sondern vor allem auch Gott zur Ehre gereichen; ein Imperativ, der im Versuch, den Publikumserwartungen gerecht zu werden, häufig vernachlässigt würde und zu negativen Auswirkungen auf das Publikum führe.246 Obwohl Birken das profes241 242 243 244 245 246

Birken (1679), S. 329f. Birken (1971), S. 300f. Birken (1679), S. 335. Birken (1679), S. 336. Birken (1679), S. 334f. Vgl.: Birken (1679), S. 337.

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sionelle Schauspiel häufig selbst besuchte, äußert er sich diesem gegenüber kritisch, letztlich auch, um sich als Dramenschreiber für das Schultheater und für höfische Festaufführungen gegen theaterfeindliche Stimmen positiv abzuheben: Dergleichen Leute/ die von solchen Schauspielen beruff machen/ und um ein leidiges Geld den Leuten die Laster durch die Augen ins Herze spielen/ sind in alten und neuen Zeiten den Taschenspielern/ Gaucklern und Seildänzern gleich geachtet und verachtet worden. Aber Schauspiele vernünftig schreiben und spielen/ und die Jugend sich damit üben/ auch gute mutige Sitten und Redfärtigkeit ihr dardurch angewöhnen lassen/ solches ist allerding unsträfflich und löblich: maßen voralters und noch heutiges Tags/ Käisere/ Könige/ Fürsten und Herren/ sowol mit Verfassung solcher Spiele/ als mit deren persönlicher Vorstellung/ ihnen Arbeit und Ergetzung gemacht und noch machen.247

Dabei sollte der ihm nahestehende Nürnberger Buchhändler und Verleger Georg Scheurer später aus Theaterbegeisterung selbst den Versuch wagen, sich als Theaterprinzipal zu etablieren. 1685 reichte er beim Stadtrat ein Ansuchen um Spielgenehmigung ein. Der Stadtrat wünschte daraufhin genaue Auskunft über die Mitglieder seiner Truppe sowie die Vorlage eines Finanzierungsplans. Letzteres deutet Paul als Akt der Fürsorgepflicht, um sicherzustellen, dass sich der Antragsteller nicht finanziell übernahm und ruinierte.248 Scheurer gab sein Debut mit einem überaus aufwendigen und zweiteiligen Josephs-Drama und durfte in dieser Spielsaison noch weitere Aufführungen geben. Darunter war Der getreue/ falsche/ und scheinbare Freund und die beständige Ehren-Liebe, eine Nähe zu dem Stück Der Hertzog von Ferrara aufweist.249 Scheurer hatte in dieser Spielsaison erhebliche Konkurrenz, nämlich den erfahrenen Theaterprinzipal Jakob Kuhlmann, gegen den er sich nicht durchsetzen konnte, was schließlich sogar in Handgreiflichkeiten zwischen Scheurer und Kuhlmanns Sohn mündete.250 In der darauffolgenden Spielsaison wurde Scheurer wieder eine Spielgenehmigung erteilt. Diese Spielzeit verlief erfolgreicher als seine erste. Schließlich wollte er sein Glück auch in einer anderen Stadt versuchen und reiste mit seiner Truppe zur Frankfurter Messe. Sein Spielansuchen wurde jedoch zurückgewiesen, auch im Jahr darauf wurde er trotz Unterstützung des Landgrafen von Hessen-Kassel mit dem Hinweis auf gefährliche Zeiten nicht zugelassen.251 1687 begann er seine dritte und letzte Spielsaison in Nürnberg. Bald darauf wurde er von einem alten Kompagnon wegen ausstehender Bezahlung

247 248 249 250 251

Birken (1679), S. 338f. Vgl.: Paul (2002), S. 600–601. Vgl.: Paul (2002), S. 606. Vgl.: Paul (2002), S. 608–610. Vgl.: Paul (2002), S. 612–613.

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angezeigt, was der Stadtrat zum Anlass nahm, Scheurers Theateraktivitäten ein Ende zu setzen, dessen mangelnde künstlerische Leistung er monierte: »[…] ihme, Scheurern, aber, der um nochmalige verstattung einer comoedie auf künftigen montag bittet und sich damit bishero sehr schlecht aufgeführet hat, solch begehren allerdings abschlagen und den davon zu gewarten habenden schimpf und schaden ihme wol remonstriren.«252

Ein weiteres Ärgernis in den Augen des Stadtrates war Scheurers Vergehen, in Frankfurt fälschlicherweise ein Nürnberger Privileg angegeben zu haben. Jedes weitere Ansuchen Scheurers wurde von nun an negativ beschieden, so dass er seine Prinzipalstätigkeit beendete und sich wieder ausschließlich seinem eigentlichen Beruf widmete. Zwar musste er immer wieder Geldforderungen aus dieser Zeit begleichen, doch hatte diese Tätigkeit keinen negativen Einfluss auf seine weitere Karriere.253 Der Nürnberger Stadtrat verfolgte eine gezielte Kulturpolitik und begegnete aktiv dem Phänomen Berufstheater. Der Stadtrat hatte ein konkretes Prozedere in Hinblick auf die Spielbewilligungspraxis und Abgabenpflicht festgelegt und orientierte sich bei der Beurteilung der Truppen an einer Reihe qualitativer Kriterien. Die Spielpraxis des Berufstheaters wiederum beeinflusste städtische Theaterschaffende. Zum einen indem wesentliche Elemente seiner Spielpraxis etwa vom Schultheater übernommen wurden, zum anderen indem es Bürger*innen zur Gründung von Theaterunternehmen animierte.

II.2. Universitäts- und Messestadt Leipzig Leipzig hatte zwar den rechtlichen Status einer landesfürstlichen Stadt inne, genoss jedoch große Autonomie.254 In Bezug auf das frühe Berufstheater war Leipzig in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Erstens waren mehrere Berufsschauspieler an der Universität Leipzig immatrikuliert und fanden über die Leipziger Messe ihren Weg zum Theater. Zweitens zählte die Leipziger Messe zu den begehrtesten Spielmöglichkeiten, was einen wesentlichen Ausschlag dafür gab, dass um das kursächsische Spielprivileg erbitterte Kämpfe geführt wurden. Und drittens gelangte Gottsched hier zur Überzeugung, dass das Schauspiel einer Reform bedurfte.

252 Zitiert nach: Hampe (1900), S. 300. 253 Vgl.: Paul (2002), S. 613–618. 254 Vgl.: Döring (2012), S. 1259.

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II.2.1. Berufstheater und Universität Die 1409 gegründete Universität Leipzig zählte zu den bestbesuchten Hochschulen des deutschsprachigen Raums. Ihre Attraktivität ging »auf die günstige geographische Lage der Stadt, die dort gegebenen guten Erwerbsmöglichkeiten, den Reichtum der Universität«255 und einer höheren Anzahl von Stipendien256 zurück. Zu den Erwerbsmöglichkeiten für die Studierenden zählte der Beruf des Hauslehrers sowie das Übersetzen fremdsprachiger Texte für die Verlage.257 Ansprechend waren schließlich auch die Unterhaltungsmöglichkeiten, die vor allem durch die Institution der drei Mal jährlich stattfindenden Messe gegeben waren. Auch einige der professionellen Schauspielkräfte hatten hier studiert oder sich zumindest immatrikuliert, darunter waren Johann Janicke (1644)258, Johann August Uhlich (1655–1659)259, Johannes Velten (1660–1661)260, Adam Christoph Schüler (1660)261, Christian Starke (1663)262 und Heinrich Rademin (1696)263. Häufig wurden die Studierenden, das trifft auch auf fast alle der hier genannten zu, schon weit vor ihrem eigentlichen Studienantritt immatrikuliert, da »die Würde eines civis academiae« »mit verschiedenen Privilegien und Immunitäten verbunden war.«264 Dazu gehörte im Allgemeinen das Fallen unter die weitgehend autonome universitäre Gerichtsbarkeit, die Steuerbefreiung sowie die Befreiung vom militärischen Dienst.265

255 Döring, Detlef: Samuel Pufendorf als Student in Leipzig. Eine Ausstellung zum 300. Todestag Samuel Pufendorfs und anläßlich des Symposiums »Samuel Pufendorf und seine Wirkungen bis auf die heutige Zeit« an der Universität Leipzig im Oktober 1994. Leipzig: Universitätsbibliothek Leipzig, 1994. S. 7. 256 Vgl.: Döring (2012), S. 1264. 257 Vgl.: Bünz, Enno; Rudersdorf, Manfred; Döring, Detlef: Geschichte der Universität Leipzig. 1409–2009. Bd. 1.: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit. 1409–1830/31. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2009. S. 608–610. 258 Vgl.: Erler, Georg (Hg.): Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig, 1559–1809. Als Personen- und Ortsregister bearbeitet und durch Nachträge aus der Promotionsliste ergänzt. Bd. 2. Die Immatrikulationen vom Wintersemester 1634 bis zum Sommersemester 1709. Leipzig: Giesecke und Devrient, 1909. S. 203. 259 Vgl.: Erler (1909), S. 467; – Rudin (1976), S. 8. 260 Vgl.: Erler (1909), S. 470; – Rudin (1976), S. 6. 261 Vgl.: Erler (1909), S. 387; – Rudin (1976), S. 9. 262 Vgl.: Erler (1909), S. 435; – Rudin (1976), S. 9. 263 Vgl.: Erler (1909), S. 345; – Rudin (2002), S. 273. Zu Heinrich Rademin, siehe: Rudin (2002); – Rudin, Bärbel; Scherl Adolf: Heinrich Rademin. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 540–545. 264 Döring (1994), S. 10. 265 Vgl.: Ridder-Symoens, Hilde de; Rüegg, Walter (Hgg.): A History of the University in Europe. Bd. 2: Universities in Early Modern Europe (1500–1800). Cambridge: Cambridge University Press, 1996. S. 331–333.

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Die Immatrikulation war mit einer zu zahlenden sozial gestaffelten Summe – pauperes waren davon befreit – und einem Eidesschwur nach Vollendung des 17. Lebensjahres verknüpft.266 Uhlich, Janicke, Schüler, Starke und Velten (Erstinskription) hatten 16 Groschen zu bezahlen, ein Beitrag, der über der 1620 als Norm festgesetzten Summe von 10 12 Groschen lag, aber neben 22 Groschen am häufigsten in den Matrikeln genannt wird.267 Als Velten sich 1660 wieder in Leipzig inskribierte, musste er 24 Groschen zahlen und Rademin sogar einen Reichstaler und 8 Groschen (= 32 Groschen). Aber nicht alle legten einen Eid ab: Janicke war daher nur als Kind immatrikuliert und nahm seine Studien vielleicht auf einer anderen Universität auf, Rademin immatrikulierte sich zwar als junger Erwachsener, studierte dann aber in Halle weiter und Starke hatte sich erneut immatrikuliert, aber keinen Eid geschworen. Uhlich, Schüler und Velten hatten ihre Studien in Leipzig zwar aufgenommen, aber nur Velten, der 1657 in Wittenberg mit dem Studium begann und 1660 nach Leipzig wechselte, hatte 1661 dort das Bakkalaureat und den Magister erworben.268 Die Erlangung eines solchen akademischen Grades brachte zwar ein gewisses Prestige mit sich, war aber mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden und keine notwendige Vorrausetzung für das berufliche Fortkommen, außer beispielsweise für eine akademische Laufbahn.269 Die intellektuellen Voraussetzungen der Studierenden waren sehr verschieden, weshalb der Besuch der Artistenfakultät bzw. Philosophischen Fakultät – hier wurden die artes liberales gelehrt – die Vorbedingung zur Zulassung zu den höheren Studien (Medizin, Jurisprudenz und Theologie) war.270 Das Studium an der Philosophischen Fakultät war zweistufig und der jeweilige Abschluss mit einem verpflichtendem Lektürekanon verknüpft.271 Im Bakkalaureat stand das Trivium (Grammatik, Rhetorik und Dialektik) und im Magisterstudium das Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) im Vordergrund.272 Johannes Velten (Carl Andreas Paulsens späterer Schwiegersohn) sollte die Laufbahn eines Gelehrten, genauer eines Theologen, einschlagen und wurde laut Heine, der sich auf ein vom Leipziger Professor Friedrich Rappolt verfasstes Lobgedicht anlässlich Veltens Graduierung beruft273, zuerst von zwei Magistern 266 267 268 269 270 271 272 273

Vgl.: Ridder-Symoens; Walter (1996), S. 285–289. Vgl.: Erler (1909), S. XXIX. Vgl.: Rudin (1976), S. 6. Vgl.: Ridder-Symoens; Walter (1996), S. 363–377; – Dülmen, Richard van: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung. München: C.H. Beck, 2005b. S. 191f. Vgl.: Ridder-Symoens; Walter (1996), S. 289–293. Vgl.: Bünz; Rudersdorf; Döring (2009), S. 182–185. Vgl.: Bünz; Rudersdorf; Döring (2009), S. 181; 186. Vgl.: Heine (1887), S. 4f.

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in Halle unterrichtet und anschließend zu seinem Schwager, einem Pastor, nach Loburg geschickt, der ihn auf das Universitätsstudium vorbereitete. In Wittenberg studierte er u. a. bei Abraham Calovius und Aegidius Strauch, die beide vehemente Verfechter eines orthodoxen Luthertums waren.274 Außerdem studierte er bei August Buchner, der Autoren wie Philipp von Zesen und Paul Fleming unterwiesen hatte.275 Am 16. November 1659 unterzog sich Velten bei Samuel Hentschel einer Disputation zum Thema De Terra Lemnia (über Tonheilerde). Beisitzende waren Michael König, der Theologe Gottfried Olearius und der Mediziner Andreas Nitner.276 Diese Disputation bildete vermutlich den Abschluss des Triviums. Dass er erst in Leipzig das Bakkalaureat zugleich mit dem Magister erworben hatte, liegt vermutlich daran, dass dieses als akademischer Grad fast nur noch in Leipzig vergeben wurde277, d. h. das in Wittenberg abgeschlossene Trivium wurde in Leipzig anerkannt und ihm dort das Bakkalaureat zugleich mit dem Magister zuerkannt. Über Veltens Studienzeit in Leipzig schreibt Heine: In Leipzig hörte Velten nicht viel theologische Collegia, sondern beschäftigte sich fast ausschliesslich mit den ›schönen Wissenschaften‹. Er hörte Philosophie bei Ittig[,] Beredtsamkeit bei Sluter und Frankenstein und Poesie bei Rappoldi. Auch als Dichter that sich Velten in Leipzig hervor ; wenn wir auch dafür keine directen Beweise haben, so erhellt dies doch daraus, dass Rappoldi, der selbst Dichter war, ihn seinen ›sodalem‹ nennt.278

Friedrich Rappolt, der das Lobgedicht auf Velten verfasst hatte, war ein Rezipient der aristotelischen Poetik.279 Christian Friedrich Franckenstein lehrte u. a. auch neuere Geschichte, damit verbunden auch Politik und hinterließ auf seine Studierenden Samuel Pufendorf und Christian Weise einen bleibenden Eindruck.280 Johann Adam Schertzer, der Velten den Eid in Leipzig abnahm und bei dem er in Pension lebte – das Leben im Haushalt eines Professors war mit einer Verpfle274 Vgl.: Schimmelpfennig, Adolf: Strauch, D. Aegidius. In: Allgemeine Biographie 36 (1893), S. 525–527; – Schüssler, Hermann: Calov, Abraham. In: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 99f. 275 Vgl.: Borcherdt, Hans Heinrich: Buchner, Augustus. In: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 703. 276 Vgl.: Hentschel, M. Samuel; Velthem, Johannes: Q. D. B. V. De Terra Lemnia. Particulam alteram. Disquisitioni publicæ exponunt, Præses M. Samuel Hentschel Lesnensis, Et Respondens Johannes Velthem Hallensis Saxo. Ad Diem 16. Novembr. A.M.DC.LIX. Wittenberg: Fincelius, 1659. 277 Vgl.: Bünz; Rudersdorf; Döring (2009), S. 685. 278 Heine (1887), S. 5. 279 Vgl.: Wels, Volkhard: Der Begriff der Dichtung in der Frühen Neuzeit. Berlin; New York: Walter de Gruyter, 2009. S. 166–170; – Rappolt, Friedrich: Poetica Aristotelica sive Veteris Tragoediæ ex positio […]. Leipzig: Joh. Wittigau & Frid. Knoch, 1679. 280 Vgl.: Döring (1994), S. 22f.

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gung wie zumeist auch mit Unterweisungen durch diesen verbunden und kostete etwa 200 Gulden jährlich281 –, galt aufgrund seiner Orthodoxie und Streitbarkeit als das Leipziger Gegenstück zu Abraham Calovius. Er unterrichte auch Gottfried Wilhelm Leibniz, der 1661 die Universität Leipzig bezog.282 Vielleicht waren sich Leibniz und Velten, der am 24. 1. 1661 den Magister erhielt283, noch begegnet. Schertzer war später ein entschiedener Gegner Samuel Pufendorfs und erwirkte das Verbot seiner Schrift De iure naturae et gentium (1672).284 An der Durchsetzung dieses Verbots beteiligte sich auch Veltens jüngere Bruder Valentin Velten (auch Veltheim, Velthem), der die Gelehrtenlaufbahn einschlug und 1672 Professor für Ethik und Politik und 1679 für Logik und Metaphysik an der Universität Jena wurde. Pufendorf sowie einer seiner Anhänger Gottfried Klinger – Klinger veröffentlichte eine Streitschrift unter einem Pseudonym und wurde wegen dieser sogar verhaftet285 – ließen sich auf einen akademischen Streit mit Valentin Velten ein286 und polemisierten u. a. mit dem Schauspielerstand seines Bruders Johannes Velten gegen ihn, indem sie Valentin Velten als Comœdianten darstellten, »der seine Argumente in einer billigen Komödie zum besten gibt.«287 Klinger nannte Valentin Velten unter Bezugnahme auf Terenz sogar den Selbsträcher (»Velthemius Heautontimorumenos«). Dass Johannes Velten Schauspieler wurde, dass er sich mit dem Filzhut genauso gefiel wie ehemals mit dem Magisterhut, wie Pufendorf schreibt, war in der gelehrten Welt nur allzu bekannt – Klinger wusste sogar, welcher Truppe Velten angehörte.288 Die Gründe, die Velten dazu bewogen haben, Schauspieler zu werden, sind nicht restlos geklärt. Unmittelbare existenzielle Nöte scheinen es nicht gewesen zu sein, da immerhin eine gesicherte Gelehrtenlaufbahn vor ihm lag. Heines Annahme, dass Velten erst nach dem Tod seines Vaters (Mai 1664) und Onkels (1665) Schauspieler wurde, trifft nicht zu, da er sich bereits ab April 1664 bei 281 Vgl.: Döring (1994), S. 11f. 282 Vgl.: Bünz; Rudersdorf; Döring (2009), S. 485. 283 Es ist eine Gelegenheitsschrift zu diesem Anlass erhalten: Schertzer ; Johann Adam et al.: Suprema Philosophiæ Laurea Viro Juveni Per-Eximio et Præstantißimo Dn. Ioh. Veltheim/ Hallensi, SS. Theol. Stud. XXIV. Jan M DC LXI, In Illustri Lipsiensium Academia […]. Leipzig: Köhler, 1661. Ratsschulbibliothek Zwickau 6.2.12.(35). 284 Vgl.: Wagenmann, Julius August: Schertzer, Johann Adam. In: Allgemeine Deutsche Biographie 31 (1890), S. 137–138. 285 Vgl.: Tschackert, Paul: Veltheim, Valentin. In: Allgemeine Deutsche Biographie 39 (1895), S. 595–596. 286 Vgl.: Tschackert, (1895), S. 595–596. 287 Pufendorf, Samuel: Gesammelte Werke. Bd.5.: Eris Scandica und andere polemische Schriften über das Naturrecht. Hg. v. Fiammetta Palladini. Berlin: Akademie Verlag, 2002. S. XI. 288 Vgl.: Pufendorf (2002), S. 74; – Rolletus, Joann [= Klinger, Gottfried]: Palatini, Scarenschmidus vapulans. Stralsund: 1678. S. 17f.

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einer Gastspielreise Michael Daniel Treus durch Schweden nachweisen lässt, zu dem er vermutlich schon 1663 gestoßen war.289 Zudem geht aus einer Gelegenheitsschrift anlässlich des Todes seines Vaters hervor, dass er sich zum Zeitpunkt des Begräbnisses »in der fremde« befand.290 Dem Tagebuch Ferdinand Albrechts I. zu Braunschweig-Lüneburg nach wäre es die Liebe gewesen, die Velten zum Theater brachte: Dieser Velthen hat wohl studiret, zu Leibzig in Mag. Ph. promoviret, ist aus Hall in Sachsen bürtig, hernach sich in sein ietzige Fraw Catharina Elisabeth, des berühmten Englischen Comœdianten Carl Pauls Tochter, verliebt, wie er sie so wohl agiren gesehen, das er sie geheirathet, vnd ein Comœdiant worden.291

Allerding scheint der Umweg über Michael Daniel Treu nicht ganz hineinzupassen. Vielleicht handelte es sich um ein theaterwirksames Märchen, möglicherweise kam Velten aber auch über Umwege zu Treu. Ungeklärt ist auch wie Heinrich Rademin zum Theater gelangte. Rademin hatte Rechtswissenschaften studiert und war in diesem Zusammenhang mit einer Reihe von Universitäten in Berührung gekommen – Kiel, Greifswald, Königsberg, Leipzig, Halle. 1697 promovierte er mit dreiundzwanzig Jahren in der neuen und von Christian Thomasius mitgegründeten Universität in Halle an der Saale bei Henrich von Bode, einem Vertreter des christlichen Naturrechts292, zum »Doktor der Jurisprudenz und Lizentiaten beider Rechte«.293 Zwar wurde der Stellenwert des Vorstudiums an der philosophischen Fakultät betont, jedoch war es möglich, dieses zu umgehen und war zumindest für das Studium der Rechte nicht zwangsläufig eine Vorbedingung.294 Mit der Doktorwürde gingen zwar noch in der Theorie besondere Vorrechte und Privilegien einher, die aber de facto seit der Mitte des 17. Jahrhunderts immer weniger beansprucht werden konnten.295 289 Vgl.: Heine (1887), S. 6; – Rudin (1976), S. 6f. 290 Vgl.: Olearius, Johann Gottfried: Fröliche Himmelfahrt […] Herr Valtin Velthem/ E. E. Hochweisen Raths wohlverordneter Worthalter/ Krahmermeister/ wie auch Pfänner und Handelsmann allhier/ Nach ausgestandener Leibs-Schwachheit. Gleich am Heil. Fest-Tage der Siegr. Himmelfahrt JEsu Christi/ war der 19. Mäy/ 1664 […]. Halle a. d. Saale: Christoph Salfelden, 1664. Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, LP P 88 IV, 00021 (40). 291 Zitiert nach: Zimmermann (1904), S. 140. 292 Vgl.: Lieberwirth, Rolf: Die Gründung der Universität Halle aus dem Geist des Naturrechts: Die Frühzeit. In: Berg, Gunnar ; Hartwich, Hans-Hermann (Hgg.): Martin-Luther-Universität. Von der Gründung bis zur Neugestaltung nach zwei Diktaturen. 1694–1994. Opladen: Leske und Budrich, 1994. S. 9–25. Hier: S. 15. 293 Vgl.: Rudin (2002), S. 272–274. 294 Vgl.: Bünz; Rudersdorf; Döring (2009), S. 244. 295 Vgl.: Grimm, Gunter E.: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung. Tübingen: Niemeyer, 1983 (= Studien zur deutschen Literatur; Bd. 75). S. 43.

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Wie Thomasius den Schritt des an seiner jungen Universität promovierten Doktoranden zum Schauspielwesen beurteilt hätte, lässt eine Abhandlung mit dem Titel Ob und wie weit Comödianten/ Pickelheringe/ item Scharffrichters Söhne ad Dignitates Academicas zuzulassen; item ob das Papiermachen denselben praejudiciere296 erahnen. Thomasius schildert hier den Fall eines Mannes, der einst als Seiltänzer und Pickelhering für einen Marktschreier gearbeitet, dann eine Witwe geheiratet, damit das Bürgerrecht erworben hatte und schließlich dem Beruf des Chirurgen nachgehen wollte, was ihm von der Zunft aber verwehrt wurde. Aus diesem Grund wollte er sich an der Universität Wittenberg zum Arzt promovieren, die ihm die Promotion aber verweigerte. Grundsätzlich wurden seine fehlenden Latein- und Philosophiekenntnisse angeführt, dass er seine frühere Tätigkeit aber noch als Bürger ausgeübt hatte, nahm ihm Thomasius übel, da er sich seinem Stand nicht entsprechend verhalten hatte und seine Aufnahme damit dem Ansehen des Doktorstandes Schaden zufügen würde. Thomasius war aber nicht unbedingt theaterfeindlich, denn er berichtet auch von einem Leipziger Studienkollegen, der sich in Leipzig einer Truppe angeschlossen hatte und mit dieser einige Jahre herumzog, dabei verschiedene Sitten und Gebräuche des deutschsprachigen Raums kennenlernte und nach einigen Jahren zurückkam, um sein Theologiestudium wieder aufzunehmen. In seiner anschließenden geistlichen Laufbahn hätte er als Prediger also von seiner Bühnenerfahrung sowie den Erkundungen des deutschsprachigen Raumes profitiert. Worauf es Thomasius, dessen Argument vom Prestigeverlust der Doktorwürde motiviert war, ankam, ist, dass ihm das standesgemäße Verhalten im Falle der Doktorwürde mit dem gewerblichen Schauspiel unvereinbar schien.297 Bärbel Rudin gelang es, mehr über diesen temporären Comœdianten, der später Geistlicher wurde, in Erfahrung zu bringen: Es handelt sich um den von Catharina Elisabeth Velten in ihrer Verteidigungsschrift erwähnten Gottfried Erdmann298 aus Leipzig. Dieser schloss sich kurz nach Studienantritt der studentischen Schauspieltruppe eines gewissen Ernst Tilemanns (auch Thelmann, Tellemann) an, dem jedoch nach neun Vorstellungen aufgrund von Schulden die Spielerlaubnis entzogen wurde. Erdmann heuerte aus diesem Grund anschließend beim zeitgleich in Leipzig anwesenden Paulsen an und war von da an drei 296 Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Erinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Zweyte Auflage. Halle im Magdeburgischen: 1724. S. 167–185. Abgedruckt in: SchubartFikentscher, Gertrud: Zur Stellung der Komödianten im 17. und 18. Jahrhundert (= Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologischhistorische Klasse; Bd. 107, Heft 6). Berlin: Akademie-Verlag, 1963. S. 103–117. 297 Vgl.: Schubart-Fikentscher (1963), S. 103–117; 80–85. 298 Vgl.: Velten (1701), Blatt C3bf.

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Jahre als Schauspieler bei ihm tätig.299 Die Institution der Leipziger Messer begünstigte den Weg von Studierenden zum Berufstheater.

II.2.2. Die Leipziger Messe Die Leipziger Messe bot neben einer Vielzahl von Waren und Attraktionen vielfältige performative Darbietungen: Neben Comœdiant*innen unterhielten u. a. Akrobat*innen, Schaufechter, Puppenspieler*innen, Taschenspieler*innen, Schausteller*innen, Wanderärzte und Glückstöpfer*innen, die Lose verkauften, das Messepublikum. Bis 1678 waren auch regelmäßig Tanzbären zu sehen, die ab dann aber ausblieben. Dafür zeigten Schausteller*innen allerhand exotische Tiere, wie Kamele, Löwen, Leoparden, Tiere, seltene Vögel, Affen, Elefanten, Schlangen oder Salamander.300 Einmal ist sogar von einem »grönländisch Wall, oder See Roß«301 die Rede. Es wurden auch Tierhetzen veranstaltet.302 Immer wieder ließ sich das Messepublikum auch von dressierten Tieren unterhalten, vor allem von Pferden303, Hunden304, aber auch vereinzelt von Affen305. 1691 war »ein exercirtes Engeländisches Pferd« zu sehen: Unter andern kunte es Reverenze machen / wenn man ihm eine Weise-Uhr zeigete / wuste es die Stunde anzudeuten; Ingleichen die Karte / und den Preiß des Geldes / wie auch das gute von dem bösen zu kenen. Weiter so hatte es Militärische Exercitia zu machen / seinen Herrn zu küssen / das verlohrene zusuchen und wieder zubringen / ein Glaß Wein / ohne Verschütten eines Tropffens / auszutrincken / sich / als ob es einen Rausch hätte / anzustellen / ein Pistol abzudrücken / und andere Exercitia mehr erlernet. Welche alle mit Verwunderung anzusehen waren.306

Auch sogenannte Wundergeburten wurden vorgeführt – etwa ein achtfüßiges Pferd, ein Schaf, dem ein langes Horn aus dem Hals gewachsen war, ein zweiköpfiges Kalb sowie eines mit einem Hundekopf oder auch eine Kuh mit sechs 299 Vgl.: Rudin (1976), S. 9–11. 300 Vgl.: Rudin, Bärbel (Hg.): Lebenselixier. Theater, Budenzauber, Freilichtspektakel im Alten Reich. 1. Bd.: Das Rechnungswesen über öffentliche Vergnügungen in Hamburg und Leipzig (mit einem Anhang zu Braunschweig). Quellen und Kommentare. Herausgegeben von Bärbel Rudin in Verbindung mit Horst Flechsig und Lars Rebehn. Reichenbach im Vogtland: Neuberin-Museum, 2004 (= Schriften des Neuberin-Museums; Bd. 13). S. 190; 191; 193; 199; 207; 210; 211; 216; 217; 218; 219; 221; 233; 240; 258. 301 Zitiert nach: Rudin (2004), S. 221. 302 Vgl.: Rudin (2004), S. 234; 252. 303 Vgl.: Rudin (2004), S. 197; 229; 234; 237; 240; 243; 248; 250; 258; 261. 304 Vgl.: Rudin (2004), S. 214; 216; 258; 262; 264. 305 Vgl.: Rudin (2004), S. 209; 214. 306 Zitiert nach: Rudin (2004), S. 215f.

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Beinen, Siamesische Zwillinge oder ein Junge, dessen Haut geschuppt war.307 Besonders häufig werden in den Rechnungsbelegen Klein-308 und Großwüchsige309 genannt, außerdem Personen, denen bestimmte Glieder fehlten und die unter Zuhilfenahme anderer Glieder sowie des Mundes bestimmte Fertigkeiten vorführten310 – In der Michaelis-Messe war allhier ein Zwerg / seines Alters 33. Jahr / nicht viel über 4 Spannen hoch / ohne Arm gebohren / ums Geld zu sehen / welcher sich des Mundes und der Zunge an statt der Hände bediente: Er schrieb ziemlich sauber mit der Feder / so er sie mit dem Maule vom Tische nahm / und eintunckete. Er mischete mit dem Munde die Karte / schlug damit aus und zog hier und dar mit der Zungen Blätter heraus / er fädelte mit der Zunge Zwirn in die Nadel und knüpffete beyde Enden des Fadens eben mit der Zungen so künstlich zusammen / daß er mit grosser Verwunderung anzusehen war. So kunte dieser Zwerg auch alleine Suppe essen. Er fassete erstlich den Löffel / schöpffete damit die Suppe aus der Schüssel / legte darauff den Löffel qver über die Schüssel und aß die Suppe daraus / und das trieb er so lange biß er satt war. Im übrigen muste ihm das andere Essen ins Maul gestecket und die Trinck-Kanne vorgehalten werden. Er kunte viele Sprachen reden und war sehr eyfrig und eines geschwinden Sinnes / wer ihn beleidigte / dem sprang er wie ein Hahn auff den Hals und schlug mit den Füssen um sich / welches sehr kurzweilig anzusehen war.311

Schließlich waren auch sogenannte »wilde« Menschen zu sehen, die sich animalisch gebärdeten und rohes Fleisch aßen312. Dabei legte man Wert auf Authentizität, denn einmal wird die Enttäuschung darüber kundgetan, dass es sich lediglich um einen groben Bauern handelte, der sich so gestellt hatte.313 Die Schausteller*innen zeigten auch optische und technische Innovationen, neben der Laterna magica, der Camera obscura, Schattenspielen und optischen Spiegeln314 lockten sie mit Wachsfigurenkabinetten, die bedeutende Persönlichkeiten sowie Ereignisse nachbildeten.315 Sie warteten aber auch mit sogenannten Weltmaschinen auf, mechanische Schauplätze, deren Nähe zur Bühnenmaschinerie unverkennbar ist, da sie »Städte, Festungen, Belagerungen, sowohl zu Wasser als Land, Landschaften, Schiffe, auf welchen Canonen abgefeuert wurden, ingleichen Sonne, Mond und Sterne bei dammrigen und finstrem Nachthimmel p.p.«316 zeigten. 307 308 309 310 311 312 313 314 315 316

Vgl.: Rudin (2004), S. 194; 200; 206; 226; 250; 261; 241; 242; 246; 213. Vgl.: Rudin (2004), S. 189; 191; 208; 210; 213. Vgl.: Rudin (2004), S. 191; 195; 204; 206; 208; 222; 223; 232. Vgl.: Rudin (2004), S. 201; 209; 216; 223; 226; 227; 242; 249; 236; 258. Zitiert nach: Rudin (2004), S. 190. Vgl.: Rudin (2004), S. 200; 231; 260. Vgl.: Rudin (2004), S. 200. Vgl.: Rudin (2004), S. 199; 200; 202; 204; 207; 208; 209; 213; 214; 259; 260. Vgl.: Rudin (2004), S. 203; 235; 236. Zitiert nach: Rudin (2004), S. 259.

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Es fanden sich auch Wander- bzw. Messärzte ein, die im Verbund mit comœdiantischen Figuren ihre Heilkunst anboten. Jedoch sind diese aufgrund ihres weitgehenden Fehlens in den Messerechnungen des 17. Jahrhunderts schwer auszumachen und scheinen erst ab 1723 regelmäßig auf.317 Aus ihrem Fehlen lässt sich aber nicht ihre Abwesenheit ableiten, wie Martina Hädge unter Zuhilfenahme anderer Quellen erhellt: 1676 erging vom Stadtrat ein Verbot gegen die Allianz von Ärzten und comœdiantischen Figuren, woraus Hädge schließt, dass es sich hierbei in Leipzig um nichts Neues handelte, zumal diese Praxis an anderen Messen gang und gäbe war.318 Ein Jahr darauf beschwerte sich ein Okulist, Stein- und Bruchschneider über einen anderen Arzt, der mit drei Narren und lärmenden musikalischen Mitteln seinem Gewerbe nachging.319 Auch aus den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts finden sich Hinweise auf ihre Anwesenheit, darunter der vielfach privilegierte und berühmte Johann Andreas Eisenbarth320, der wegen eines Konkurrenten, der ihn angeblich ruinieren wollte, beim Rat vorsprach. Letztendlich lief es darauf hinaus, dass er Leipzig auf Betreiben der Universität verlassen musste, weil er sich einer Überprüfung durch diese entzog.321 Dass die auf der Messe auftretenden Künstler*innen ihren Darbietungen comœdiantische Elemente beifügten, war kein Sonderfall und gilt auch für die Seiltänzer*innen, die ihre Vorführungen mit Aktionen kombinierten, in denen u. a. die vorher gezeigten Nummern parodiert wurden.322 Zu den Akrobat*innen zählte ein Leitertänzer, der seine Leiter von acht Stuffen hoch mit auf dem Theatro in freyer Lufft hinstellete, und ohne Ansetzung oder Anhaltung derselben nicht nur von dem untersten Tritt biß auff den obersten hinauff steigen, sondern auch vor und hinter sich damit fortspringen kunte. Er ließ ihm ein Glaß Wein einschencken, und trank solches auf Gesundheit der Zuschauer aus, als er oben auff der Leiter stund. Mit grosser Geschwindigkeit kunte er 317 Vgl.: Rudin (2004), S. 192; 198; 261; 262. 318 Vgl.: Hädge, Martina: »Meß-Ärtzte« in Leipzig im 17. und 18. Jahrhundert. In: Baumbach, Gerda (Hg.): Theaterkunst und Heilkunst. Studien zu Theater und Anthropologie. Köln; Weimar ; Wien: Böhlau Verlag; 2002. S. 41–74. Hier : S. 41–43. 319 Vgl.: Hädge (2002), S. 52. 320 Zu Johann Andreas Eisenbarth, siehe: Pies, Eike: Eisenbarth. Das Ende einer Legende. Leben und Werk des genialen Chirurgen, weit gereisten Landarztes u. ersten deutschen Arzneimittelfabrikanten Johann Andreas Eisenbarth (1663–1727). Wuppertal: E. & U. Brockhaus, 2004. 321 Vgl.: Hädge (2002), S. 54. 322 Vgl.: Flechsig, Horst: »… und zeigten ihre Künste«. Fragmente zum schaustellerischen Umfeld der Neuberschen Theaterreform. In: Rudin, Bärbel; Schulz, Marion (Hgg.): Vernunft und Sinnlichkeit. Beiträge zur Theaterepoche der Neuberin. Ergebnisse der Fachtagung zum 300. Geburtstag der Friederike Caroline Neuber, 8. – 9. März 1997. Reichenbach i.V.: Neuberin-Museum, 1999 (= Schriften des Neuberin-Museums; Bd. 2). S. 96–123. Hier: S. 99f.

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die Leiter umkehren, oben drüber weg steigen, auch von einer auff die andere Seite springen, auch bißweilen mit den Füssen, unterweilen mit den Händen von der Leiter loß seyn, und dennoch nicht umfallen. Er tantzte auff der Leiter nach der Music die Folie d’Espagne, und that solche Sprünge auff derselben, daß man ihn bald zu oberst, bald zu unterst sahe, und man sich über diese und andere Exercitia sehr verwundern muste.323

Auch starke Frauen und Männer fanden sich zur Vorführung ihrer Kräfte in Leipzig ein, wie Elisabeth Cadnes, die mit ihren Zöpfen einen »Amboß von 6. Centnern erhoben«324 oder der damals legendäre Johann Carl von Eckenberg, der zwölf Proben seiner Stärke demonstrierte: 1. eine Canone von 2000 Pfund neben einem Tambour aufzuheben. 2. konnte er nicht von drei bis vier Personen von der Stelle gezogen werden. 3. reißet er einen Strick, zwei Zoll dick, entzwei. 4. leget er sich auf zwei Stühle mit Kopf und Beinen und läßt sechs Personen auf sich treten, ohne sich zu biegen, doch so, daß der Rücken und Leib hohl lag. 5. hebt er ein Pferd mit ein, auch zwei Männern auf. 6. läßt er einen Amboß von 500 bis 600 Pfund auf seine Brust setzen und ein Stück Eisen darauf entzwei schlagen. 7. können ihn zwei Pferde nicht von der Stelle ziehen. 8. hebt er zehn bis zwölf starke Männer mit einer Hand in die Höhe. 9. dreht er einen eisernen Nagel wie einen Kretzer [Korkenzieher]. 10. nimmt er eine Bank, 18 Fuß lang, darauf am Ende ein Stuhl lieget, mit dem andern Ende in den Mund und hebt sie 10 Fuß von der Erde. 11. ihm können zwei der stärksten Männer einen Stock nicht aus dem Munde ziehen; und 12. kann er eine Flinte auf 100 Schritt accomodiren und ein Pistol auf 100 Schritt.325

Eckenberg kooperierte mit Comœdiant*innen und anderen Artist*innen, und verkaufte Medizin, mit der er seine Kräfte begründete.326 Außerdem gab es gelegentliche Vorführungen von sogenannten Wassertrinkern, die Unmengen an Flüssigkeiten in sich aufnahmen und ausspien327 und Feuerfressern, die »glühende Kohlen / zerbeissen / zerlassen Pech / Siegelwachs schlucken / auch glühendes Eisen ohne Schaden angreiffen und damit sich anrühren lassen«328 konnten. Die Taschenspieler*innen wiederum unterhielten das Messepublikum mit Zaubertricks, eine talentierte Vertreterin trat 1704 in Leipzig auf: Sie spielete über 20. veränderliche Künste mit Bechern, und nicht allein mit drey, sondern mit 6. 9. 12. biß 15. Ballen. 5 Ballen warff sie auff einmahl in die Höhe, welche in der Lufft verschwunden, und sich unter denen Bechern wiederfunden. Drey Ballen 323 324 325 326

Zitiert nach: Rudin (2004), S. 239. Zitiert nach: Rudin (2004), S. 213. Zitiert nach: Rudin (2004), S. 254. Vgl.: Hägde (2002), S. 57f.; – Scherl, Adolf; Rudin, Bärbel: Johann Carl (von) Eckenberg. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 165–168. 327 Vgl.: Rudin (2004), S. 199. 328 Zitiert nach: Rudin (2004), S. 199.

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macht sie auf einem Becher unsichtbar, biß sie ein gewisses Pulver darauf streuete, und sie also wieder sichtbar wurden. Auch spielete sie über 15. rare Stücke mit Geld, welches sie meisterlich in die Hand und aus der Hand brachte, und auch durch den Tisch in einen Becher zuschlagen, wuste e.c. Sie warff ein Glaß in die Höhe, welches verschwandt, und sich hernach unter den Leuten wieder fand. Auch warff sie einen Ball auf den Tisch, welcher sich in währenden Lauff in einen lebendigen Vogel veränderte. Geld kunte sie ohne Feuer und Hitze schmeltzend machen, auch etliches verschwindendt, so sie hernach andern Personen abforderte. Sechs und zwantzig bis 300 00. Stecknadeln kunte sie aus ihrem Mund s[pe]yen, wie auch mit allerhand andern Instrumenten noch auf die 50. Künste, und über das auf die 40. Künste mit der Karten praesentieren, womit dieses Frauen-Zimmer von vielen Meistern den Ruhm behielt, und von vielen hohen Standes-Personen mit höchster Verwunderung ihr zugesehen wurde.329

Unter den Taschenspielern und Taschenspielerinnen war auch die Familie Reitzenstein vertreten, wobei Johann Phillip Reitzenstein seine Tricks als Hanswurst darbot330, aber auch als Marionettenspieler auftrat.331 Diese Vermengung der in den Standgeldrechnungen einzeln ausgewiesenen Künste war nicht ungewöhnlich und trifft zum Teil auch auf die Berufsschauspieler*innen zu. Von Prinzipalen des 18. Jahrhunderts wie Joseph Anton Stranitzky und Johann Ferdinand Beck ist überliefert, dass sie neben dem Schauspiel, in dem sie als Hanswurst auftraten, als Zahnärzte (Stranitzky ; Beck), Puppenspieler (Stranitzky) und Aussteller von Weltmaschinen (Beck) tätig waren.332 Andererseits grenzte sich der Prinzipal Karl Ludwig Hoffmann in seiner unter einem Pseudonym 1722 veröffentlichten Verteidigungsschrift der Comœdien vehement von den Messekünstlern und -künstlerinnen ab und gab diesen die Schuld für den schlechten Ruf der Berufsschauspieler*innen: »Was aber die Comödianten heut zu Tage so verhaßt macht/ verursachtet/ daß sich ein jeder Marionetten- und Taschen-Spieler (ja wohl gar solche Leuthe/ welche unvernünfftige Thiere/ als Pavion, Hunde/ Pferde/ u. d. g. vor Geld sehen lassen) den Nahmen Comödiant zueignen.«333

Inwieweit die hier in den Blick genommenen Truppen des 17. Jahrhunderts Elemente und Innovationen der Jahrmarktskünste in ihre Spielpraxis integrierten, lässt sich nicht beantworten. Lediglich von den Innsbrucker Comœdi329 330 331 332

Zitiert nach: Rudin (2004), S. 235f. Vgl.: Rudin (2004), S. 255. Vgl.: Rudin (2004), S. 263; 264. Vgl.: Rommel, Otto: Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte vom Barocken WeltTheater bis zum Tode Nestroys. Wien: Verlag von Anton Schroll & Co, 1952. S. 197–205; – Baumbach, Gerda: Kreuzerkomödie. »[…] um einen Kreuzer kann man von redenden Marionetten nicht viel fordern«. In: Maske und Kothurn 44 (1998), Heft 1–2, S. 101–131. Hier: S. 106f. 333 Vgl.: Hoffmann (1722), S. 50f.

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anten ist bekannt, dass sie auch Schattenspiele aufführten.334 Hinweise auf medizinische Vorgänge, abgesehen von der Heilkraft, die dem Theaterspiel zugeschrieben wurde (vgl. IV. 4. 4.), sind nicht vorhanden, auch wenn die Truppen medizinisch bewandertes Personal bei sich hatten. Dazu zählte der Eggenbergische Comœdiant Johann Valentin Petzold335 sowie der zu Velten gehörende Barbier Georg Friedrich Schubart, der neben anderen Rollen, mitunter auch (junge) Frauen und die zweite comœdiantische Figur spielte.336 Für das frühe Berufstheater war die Leipziger Messe eine der wichtigsten Spielmöglichkeiten. Die Spielzeit betrug insgesamt etwa 15 Tage, wurde aber zusehends immer weiter ausgedehnt.337 Im 17. Jahrhundert waren für die Berufsschauspieler*innen zwei Spielorte, das Fleischhaus und der Rothhäupts Hof, vorgesehen, die beide im Stadtzentrum gelegen waren. Der Fechtboden über dem Fleischhaus war die begehrtere Spielstätte, auf die sich die Kursächsischen Hofcomœdianten ihr Vorrecht sicherten. Blieb ihr Besuch aus oder verspäteten sie sich mit der Anmeldung, konnten ihn andere Truppen oder Artist*innen nutzen. Außerhalb der Messezeit wurde der Raum von Exercitien-Meistern zu Fecht- und Tanzunterweisungen gemietet.338 Ab 1739 kam eine weitere Spielstätte, der von den Neubers ausgebaute Zotens Hof, hinzu, während das Fleischhaus nach 1741 als Spielort wegfiel. Schließlich gelang es Friederike Caroline Neuber – über die Ausdehnung der Spielzeit – an diesem Spielort einen stehenden Theaterbetrieb mit zwei wöchentlichen Spieltagen zu etablieren.339 Das kursächsische Privileg war das einträglichste von allen und erteilte den Kursächsischen Hofcomœdianten ein Monopol über die Leipziger Messe. Zwischen den Messen spielten sie zumeist noch im Dresdner Gewandhaus sowie bei Hof. Von Paulsen ging das Privileg an Johannes Velten und von diesem an Catharina Elisabeth Velten über, danach an Sophie Julie Haacke und anschließend an die Neubers.340 Abgesehen von diesen privilegierten Truppen ließen sich in deren Abwesenheit bzw. nach Erlöschen des Privilegs, die Truppen Kuhlmanns341 und Elensons342 häufiger blicken. Auch Paulsens Sohn Ferdinand Egidius bespielte 334 335 336 337 338 339 340

Vgl.: Ludvik (1971), S. 29; 30. Vgl.: Neuhuber (2006), S. 277. Vgl.: Zimmermann (1904), S. 141; 143; 147; 148; 151. Vgl.: Rudin (2004), S. 170. Vgl.: Rudin (2004), S. 170f; 183. Vgl.: Rudin (2004), S. 171; 172f; 185. Vgl.: Rudin, Bärbel: Zwischen den Messen in die Residenz. Das Theater- und Schaustellergewerbe in Dresden und Leipzig nach den Standgeldrechnungen (1679–1728). In: Wanderbühne: Theaterkunst als fahrendes Gewerbe. Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 34/35 (1988), S. 74–104. Hier: S. 75–77. 341 Vgl.: Rudin (2004), S. 189; 192; 193; 196; 197; 198. 342 Vgl.: Rudin (2004), S. 194; 195; 202; 203; 204.

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zuerst mit David Mühlstreich343 und später im Verbund mit Hermann Reinhard Richter344 die Messe. Besonders häufig kam ab 1702 Gabriel Möller, der seinerseits aus der Velten’schen Truppe hervorgekommen war und sich zuerst als »Fürstl. Pareitischer Hoff-Comoediant«, dann als »Hochfürstl. Marggrafl. Brandenburgischer Comoediant« und bald als »Hochfürstl. Sachsen-Weymarscher Hoff-Comoediant« anmeldete.345 Die bei Hof engagierten französischen Comœdianten, die gegenüber den privilegierten Hofcomœdianten ein Vorrecht auf das Fleischhaus hatten, scheinen aufgrund ihrer Abgabenbefreiung nicht in den Standgeldrechnungen auf.346 Zudem versuchten vereinzelt auch unbekannte Prinzipale, darunter vermutlich auch Studententruppen wie die des bereits erwähnten Ernst Tilemanns, ihr Glück.347 Neben den französischen Hofcomœdianten kamen immer wieder auch Vertreter der Commedia dell’arte: 1688 spielten parallel zu Veltens Truppe Giovanni Nanninis »Churf. Sächs. Italiänische Comoedianten« in Leipzig.348 Der Venezianer Nannini, der den Dottore spielte, wurde drei Jahre zuvor mit seiner zwanzigköpfigen Truppe an den Münchner Hof geholt, wo er etwa ein Jahr blieb, anschließend den deutschsprachigen Raum bereiste und 1708 in Wien verstarb.349 Mehrmals besuchte Sebastian di Scio, der zwischen 1687 und 1711 im deutschsprachigen Raum aktiv war350, die Leipziger Messe.351 Scio verband die Aufführungen von italienischen Stücken sowie solchen des deutschsprachigen Berufstheaters mit Akrobatik, Puppenspiel, Balletteinlagen und dem Verkauf von Essenzen und Medikamenten.352 Sein erster Besuch in Leipzig, bei dem er »seine Kunst mit Tantzen, Springen und Fultesiren exerciren«353 wollte, war aufgrund mangelnder Besucher ein Misserfolg und könnte im Zusammenhang mit der ungünstigen Spielstätte stehen, da das Fleischhaus, das er bei seinen 343 Vgl.: Rudin (2004), S. 216; 217. 344 Vgl.: Rudin (2004), S. 221; 222; 223. 345 Vgl.: Rudin (2004), S. 231; 232; 233; 237; 238; 239; 244; 245; 247; 248. Weitere bekanntere Prinzipale, die die Messe bis 1725 bespielten waren Christian Bockhäuser (S. 190), Balthasar Brombach (S. 225), Uhlich (S. 229; 231), Denner (S. 243), Benecke (S. 248; 249; 250); Ferdinand Elenson (S. 251), Christoph Benjamin Horn und Anton J. Geissler (S. 239). 346 Vgl.: Rudin (2004), S. 173f. 347 Vgl.: Rudin (2004), S. 196; 197. 348 Vgl.: Rudin (2004), S. 211. 349 Vgl.: Schindler (1997), S. 90–92. 350 Vgl.: Frolowitz (2002), S. 100. 351 Vgl.: Rudin (2004), S. 214; 227; 234; 241; 242; 244f. 352 Vgl.: Frolowitz, Martin: Sebastian di Scio detto Arlecchino. Zur Personalunion von Arzt und komischer Maske im 17. und 18. Jahrhundert. In: Baumbach, Gerda (Hg.): Theaterkunst und Heilkunst. Studien zu Theater und Anthropologie. Köln; Weimar ; Wien: Böhlau, 2002. S. 97–128. Hier : S. 112; – Schindler (1997), S. 93; – Scherl, Adolf; Rudin, Bärbel: Sebastiano di Scio. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 620–621. 353 Zitiert nach: Rudin (2004), S. 214.

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nächsten Spielzeiten mietete, zu diesem Zeitpunkt von Velten belegt war.354 Im selben Jahr sollen Scio und Velten nochmals in Berlin aufeinandergetroffen sein und sogar dasselbe Stück gespielt haben, wobei den Berlinern Scios Aufführungen besser gefallen haben sollen.355 Später war Scio einer der ersten Schauspieler am Wiener Kärntnertortheater und spielte dort eine Zeit lang parallel zu Stranitzky.356 Ein weiterer Venezianer, der die Leipziger Messe bespielte, war Johann Ernst Leinhaas.357 Ihm kam eine besondere Brückenstellung in der Rezeption der Commedia dell’arte durch das deutschsprachige Berufstheater zu, da er immer wieder mit deutschsprachigen Comœdiant*innen zusammenarbeitete, darunter waren Stranitzky, Johann Heinrich Brunius, Anton Joseph Geissler, Christian Schulze, Johann Friedrich Marcus Waldtmann und Joseph Ferdinand Müller.358 Leinhaas soll den Akteur*innen gegenüber eine ungeheure Brutalität an den Tag gelegt haben: 1725 löste Waldtmann gemeinsam mit weiteren Schauspielern und Schauspielerinnen die Zusammenarbeit mit Leinhaas auf, die berichten, dass er sie gar auf dem öffentlichen Theatro mit Schlägen und Ohrfeigen despoticH tractiret, ja sogar auf ein und andern von uns das Gewehr entblößet und mit demselben verfolgt hat, – infolglich wir bei sothaner der Sachen Bewandniß weder unseres Lebens versichert wären, und nicht unbegründet zu befürchten haben, daß er einen oder andern nicht einmal auf dem öffentlichen Theatro bei einigen leichtlich unterlaufen kommenden Fehlern mit dergleichen unermeßlichen Furie den Degen in den Leib stöße, – umb so viel mehres, weilen er als ein italienischer Comödiant unserer deutschen Agirungsart nicht kundig, infolglich in jeder Producirung unendliche Streitigkeiten und seine gewöhnliche Excessen entspringen, – wie dann er auch selbst die Agentin Marianam Birtlerin abgedankt und hiedurch diesen Contract gebrochen hat, ja sie auf öffentlicher Gassen in Gegenwart vieles zusammbgeloffenen Volks eine s. V. H – gescholten und publicH prostituirt, – wo wir ohne Verkürzung unserer Ehren, ob er sie gleich mit der Zeit wiederumb aufgenommen, jedennoch mit ihr nicht agiren können; – wie er Leinhas ingleichen mit Vorstellung verschiedener scandalosen und einer sowohl hohen adeligen, als bürgerlichen Jugend ärgerlichen Actionum uns sambentlich nicht wenig prostituiret, und in nicht geringe Disrenom8e gebracht […].359 354 355 356 357 358

Vgl.: Frolowitz (2002), S. 103. Vgl.: Frolowitz (2002), S. 105. Vgl.: Frolowitz (2002), S. 122f. Vgl.: Rudin (2004), S. 252. Vgl.: Scherl, Adolf; Rudin, Bärbel: Johann Ernst Leinhaas. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 385–387; – Rudin, Bärbel: Venedig im Norden oder: Harlekin und die Buffonisten. »Die Hochfürstl. Braunschw. Lüneb. Wolffenbüttelschen Teutschen Hof-Acteurs« (1727–1732). Reichenbach i. V.: Neuberin-Museum, 2000 (= Schriften des Neuberin-Museums; Bd. 4). S. 56. 359 Zitiert nach: Schottky, Julius Max: Beiträge zur Geschichte der frühesten Prager Schauspiele. In: Monatsschrift der Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen 3 (1829), S. 199–229. Hier : S. 218f.

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Von besonderem Interesse ist der Hinweis auf die verschiedenen Spielweisen, deren Annäherung bzw. die Vermittlung der Spieltechniken der Commedia dell’arte beide Seiten zur Weißglut brachte. Es klingt danach, als ob Leinhaas die Schauspieler*innen zu dressieren und ihnen mit Gewalt Körpertechniken einzubläuen versuchte. Versuche des deutschsprachigen Berufstheaters, Elemente der Commedia dell’arte angesichts der italienischen Konkurrenz in die eigene Spielpraxis zu integrieren, gab es allerdings schon früher : Der erste nachweisbare Beleg eines Harlekin-Darstellers im deutschsprachigen Berufstheater stammt aus Wien, als am 16. 10. 1707 die »Hochfürstlich-Würtembergischen Hoff-Comoedianten/ sambt ihren Berühmten Teutschen Arlechin« ein Maria Stuart-Drama aufführen wollten, das ihnen zu spielen aber untersagt wurde. Bei diesem »Berühmten teutschen Arlechin« handelte es sich um Leonhard Andreas Denner.360 Die Rezeption der italienischen Typenkomödie, die jedoch über den Umweg der französischen Textsammlung Le Th8.tre italien de Gherardi (1694–1700) vollzogen wurde, stellte eine bedeutsame Bereicherung des Repertoires dar. Deutlich sichtbar wird diese Rezeption zwar erst ab den späten 1720er Jahren361, jedoch erfolgte diese schon wesentlich früher, wenn nicht schon unmittelbar nach Veröffentlichung dieser Textsammlung.362 Nicht zuletzt war es dieser Rezeptionsakt des Berufstheaters, dem der Theaterreformer Gottsched kritisch gegenüberstand.

II.2.3. Gottsched und das Berufstheater Gottsched kam 1724 als junger Mann nach Leipzig, nachdem er aus Preußen geflüchtet war, und erhielt ein durch die Stadt Königsberg finanziertes Stipendium. In Leipzig lebte er zeitweise bei dem Geschichtsprofessor Johann Burkhard Mencke, dessen Bibliothek er betreute und dessen Sohn er unterrichtete. Im Jahr darauf erhielt er einen der begehrten Plätze in einem Universitätskollegium.363 Nach eigener Aussage in der Vorrede zum sterbenden Cato (1732) lernte Gottsched das Berufstheater erst im Rahmen der Leipziger Messe kennen und 360 Vgl.: Hansen, Günther : Formen der Commedia dell’Arte in Deutschland. Emsdetten: Lechte, 1984. S. 25–27. 361 Vgl.: Rudin (2000), S. 58. 362 Vgl.: Hansen (1984), S. 74–83. 363 Vgl.: Gottsched, Johann Christoph: Briefwechsel unter Einschluß des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Bd. 1. 1722–1730. Herausgegeben und bearbeitet von Detlef Döring, Rüdiger Otto und Michael Schlott. Berlin; New York: Walter de Gruyter, 2007. S. XLI–XLII.

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besuchte so gut wie alle Aufführungen der Sächsischen Hofcomœdianten unter der Leitung von Karl Ludwig Hoffmann: Weil sich dieselben nur zur Meßzeit allhier einfanden, so versäumte ich fast kein einziges Stücke, so mir noch neu war. Dergestalt stillte ich zwar anfänglich mein Verlangen dadurch: Allein, ich ward auch die große Verwirrung bald gewahr, darin diese Schaubühne steckte. Lauter schwülstige und mit Harlekins Lustbarkeiten untermengte Haupt- und Staatsaktionen, lauter unnatürliche Romanstreiche und Liebeswirrungen, lauter pöbelhafte Fratzen und Zoten waren dasjenige, so man daselbst zu sehen bekam. Das einzige gute Stücke, so man aufführete, war ›Der Streit zwischen Liebe und Ehre oder Roderich und ChimHne‹, aber nur in ungebundener Rede übersetzt. Dieses gefiel mir nun, wie leicht zu erachten ist, vor allen anderen und zeigte mir den großen Unterscheid zwischen einem ordentlichen Schauspiele und einer regellosen Vorstellung der seltsamsten Verwirrungen auf eine sehr empfindliche Weise.364

Seine publizistische Tätigkeit setzte bereits kurz nach seiner Ankunft mit seiner Mitarbeit an der Zeitschrift Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen ein. Im Jahr darauf beteiligte er sich an der von Johann Georg Hamann und Johann Friedrich May (letzterer war ebenfalls Theaterreformer365) initiierten und an eine weibliche Leserschaft gerichteten Moralischen Wochenschrift Die Vernünfftigen Tadlerinnen (1725–1726). Die drei Autoren schrieben unter den Pseudonymen Iris (Hamann), Phyllis (May) und Calliste (Gottsched) und gaben an, aus Halle zu stammen. .366 Danach folgte die Herausgabe der Moralischen Wochenschrift Der Biedermann (1727–1729). Laut Münz hatten Gottscheds, im Rahmen der in den Zeitschriften veröffentlichten theaterbezogenen Schriften (in Relation zum großen Projekt der Theaterreform), die Stellung von »konzeptionellen Vorarbeiten zur Begründung der Nützlichkeit des Theaters«367. In dieser Phase zeigt sich noch eine gewisse Ambivalenz und Vorsicht, die sich sowohl in der Textstrategie als auch in den Beurteilungen von Theaterpraktiken andeuten. Münz spricht in diesem Zusammenhang von einem Taktieren Gottscheds, mit dem er »auf mögliche Bundesgenossen – z. B. Picander oder Ulrich König – Rücksicht nahm, ›Karnevalslustbarkeiten‹ tolerierte u. a.m.«368 Die erste dieser Schriften findet sich in der 17. Nummer der Zeitschrift Die Vernünfftigen Tadlerinnen, worin sich eine fiktive Leserin über das schlechte Benehmen des studentischen Publikums, anlässlich einer Aufführung von Cor364 Gottsched (2009), S. 199. 365 Vgl.: Münz, Rudolf: Theater im Leipzig der Aufklärung. In: Martens, Wolfgang (Hg.): Leipzig. Aufklärung und Bürgerlichkeit. Heidelberg: Verlag Lambert Schneider, 1990 (= Zentren der Aufklärung; Bd. 3). S. 169–178. Hier : S. 172. 366 Vgl.: Habermann, Mechthild: »Die vernünftigen Tadlerinnen«. Eine Moralische Wochenschrift als Stilllehre für Frauen. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 22 (1994), S. 259–283. Hier: S. 260. 367 Münz (1990), S. 176. 368 Münz (1990), S. 171.

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neilles Le Cid (es handelt sich um das von Gottsched im obigen Zitat positiv hervorgehobene Drama Der Streit zwischen Liebe und Ehre oder Roderich und ChimHne) durch die Sächsischen Hofcomœdianten bei der Leipziger Messe beschwerte. Ein großgewachsener Mann hätte ihr die Sicht verstellt, der Lichtputzer wäre vom Publikum beschimpft worden, zwischen den Handlungen hätte das Publikum laut mit den Füßen gestampft, einige Besucher wären während des Schauspiels selbst auf die Bühne getreten.369 Phyllis (May) antwortet ihr nun darauf, dass sie weder diesen noch andere Schauplätze in Leipzig selbst kenne, sie könne »doch aber so viel daraus schliessen, daß die Einrichtungen nicht gar zu sonderlich seyn müssen«370, und zerstreut die Einwände gegen die Studentenschaft, da man vom Fehlverhalten einiger weniger noch nicht auf die Gesamtheit schließen könnte. Diese erste Kritik der frühen Theaterreformatoren richtet sich im Subtext gegen die schwierigen Rezeptionsbedingungen des Schauspiels, bedingt durch das undisziplinierte Verhalten des Publikums, die das Schauspiel in der von den Theaterreformatoren ihm zugedachten Funktion einer moralischen Lehranstalt unterminieren. Phyllis konstatiert, dass die Komödien selbst »nicht zu verwerffen sind«371, und verweist anhand der ausdrücklich französischen Komödien auf den Nutzen des Verlachens der vorgestellten Laster, um im nächsten Schritt Kritik an der missliebigen und häufig vorgefundenen Unwahrscheinlichkeit der Fabel zu formulieren: Die Verkleidungen, Auswechslungen der Kinder und Ermordungen sind so seltsam im gemeinen Leben, daß sie sich fast niemals zutragen. Darum mercket der Zuschauer gleich, daß er blosse Fabeln und Hirn-Gespenster, nicht aber den gemeinen Lauff der Welt siehet. Er hält alle solche Vorstellungen entweder vor unmöglich, oder doch vor unwahrscheinlich; folglich haben sie in seinem Hertzen keine Krafft. Dahin gehören die Vorstellungen des Affects der Liebe, die man insgemein so unsinnig werden und so hefftig rasen läßt, als Gott Lob, nirgends unter uns geschiehet.372

Das Gebot der Wahrscheinlichkeit wird von nun an eines der wesentlichsten Kriterien für die Beurteilung der Dramen als regelmäßige oder unregelmäßige sein. Gottsched wird sie später als »die Ähnlichkeit des Erdichteten mit dem, was wirklich zu geschehen pflegt; oder die Übereinstimmung der Fabel mit der Natur«373 definieren und aus ihr weitere Bedingungen, wie die Einheit von Zeit und Ort, ableiten: Der Schau-Platz muß nicht in der ersten Handlung zu Rom, in der andern zu Constantinopel, in der dritten zu Lissabon, u.s.f. seyn; denn die Zuschauer, die an einem 369 370 371 372 373

Vgl.: Gottsched; Hamann; May (1725), S. 129–131. Gottsched; Hamann; May (1725), S. 132. Gottsched; Hamann; May (1725), S. 132. Gottsched; Hamann; May (1725), S. 133. Gottsched (2009), S. 129.

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Orte sitzen bleiben, können wahrscheinlicher weise solche Reisen nicht im Augenblicke thun, wo sie nicht etwa auf D. Fausts Mantel durch die Lufft hingezaubert werden. Eben daher kommt auch die Einigkeit der Zeit. Wenn es möglich ist, soll von rechtswegen die Fabel in eben soviel Stunden wircklich können geschehen seyn, als sie auf der Schau-Bühne währet. Geht das aber nicht an, so mag sie auch 6. 8. 10 höchstens aber 12 Stunden dauren. Währte sie länger ; so daß sich die Leute etlichemahl auf der Bühne eine gute Nacht anwünschen, und hernach wieder aufstünden, ihre Handlungen fortzusetzen: oder wohl gar etliche Wochen oder Monate damit zubrächten: so würde es abermahl unwahrscheinlich seyn, daß man ohne zu essen und zu schlafen so lange auf einer Stelle sitzen geblieben.374

Aus diesem Grund stößt er sich auch an dem durch die Bühnenmaschinerie ermöglichten schnellen Schauplatzwechsel: »Im Augenblicke verwandelt sich ein Pallast in eine Einöde; Ehe man sichs versieht wird diese zum Garten, und gleich darauf ist es eine wilde See mit Felsen und Klippen umgeben. Wo bleibt da die Wahrscheinlichkeit?«375 Ebenso unterliegt auch die Abbildung der Charaktere dem Wahrscheinlichkeitsgebot, über die Charaktere der Oper schreibt er : Mancher Held geberdet sich weibischer als ein Weib; und manche Opern-Prinzeßin viel heldenmüthiger als ein Held. Mancher Bediente übertrifft seinen Herrn und umgekehret. Die Römer werden wie Deutsche gebildet, und die Asiatischen Könige, reden wie Italienische Phantasten, etc.376

Nicht zuletzt ist davon auch die Sprache der handelnden Personen betroffen, die ihrem Stand sowie Affekt entsprechen sollte.377 Dass keines der im Kodex enthaltenen Dramen diesen Vorgaben entspricht, ist nicht neu, bedarf aber einer Erörterung: Der Einheit von Zeit und Ort widersprechen die beiden Dramen Andronicus und Der Schwehst wohl am stärksten. In ersterem dient der Ortwechsel von Ägypten und Arabien nicht zuletzt der kontrastiven Darstellung von Gut (christlich) und Böse (heidnisch). In letzterem stehen die Kriegswirren und die durch diese ausgelöste Flucht im Vordergrund, die durch häufige Schauplatzwechsel eine szenische Akzentuierung erfahren. Wenn Gottsched den rasanten Wechsel des Bühnenbildes kritisiert, lässt sich zum einen daraus schließen, dass er der an das Bühnenbild geknüpften Symbolik nicht bedarf und sich das Wunder der Bühnenmaschinerie mehr oder minder bereits als Schaustellerspektakel verbraucht hatte. Die Nichteinhaltung der Einheit der Handlung gehört zu den verbreitetsten Vorwürfen gegen die Dramaturgie des frühen Berufstheaters, vor allem in Hinblick auf die Zwischenspiele der comœdiantischen Figur, die sofern sie lose 374 [Gottsched, Johann Christoph]: Der Biedermann. Bd. 2. Leipzig: Wolffgang Deer, 1729. S. 179. 375 Gottsched (1729), S. 180. 376 Gottsched (1729), S. 179f. 377 Gottsched (1729), S. 180.

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an die Haupthandlung geknüpft sind, diese parodieren oder auch kommentieren und das Drama damit um eine Perspektive bereichern. Da die Affekte und deren Bewältigung in den Dramen im Vordergrund stehen, handelt es sich bei dem von Gottsched angekreideten Gebaren der Charaktere um einen zwangsläufigen Effekt, der aus der Notwendigkeit der Darstellung des affektiven Ungleichgewichts resultiert. Daraus ergibt sich die charakterliche Widersprüchlichkeit, die Gottsched im Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730) als »ein Ungeheuer«378 bezeichnen wird. Beispiele für die Unwahrscheinlichkeit der Handlung finden sich im Kodex zur Genüge: Da wäre die Qualität sowie die Quantität der Morde in Titus und Aran; weiters, dass dem Vater in Ein verliebter Verdruss nicht auffällt, dass sein Sohn eigentlich eine junge Frau ist; dass eine Schäferin davon träumt, Königin zu werden, und es tatsächlich wird (Aspasia); das Ausmaß an Wahnsinn sowie das Verhalten der anderen zu diesem (Amor der Ty¨rann); die Häufung von Zufällen (v. a. Die glückselige Ey¨fersucht); dass sich eine Prinzessin an einem andern Hof als Gärtner verkleidet und arbeitet (Die Ehrenstatue); nicht zu vergessen all jene Personen vermeintlich niederen Standes, die sich am Ende als blaublütig entpuppen (Der Schwehst, Oronthea, Dulcander und Dorella, Die Ehrenstatue) etc. Phyllis fordert weiter die Einhaltung der poetischen Gerechtigkeit ein. Lasterhaftes Verhalten sollte eine Bestrafung und tugendhaftes Verhalten eine Belohnung nach sich ziehen, alles andere würde das moralische Potential des Schauspiels entkräften oder sogar ins Gegenteil verkehren. Wie Gottsched später im Biedermann umreißen wird, soll in den Trauerspielen die Tugend zwar gedrückt, aber nicht unterdrückt und in den Komödien niemals verächtlich gemacht werden.379 In Bezug auf die Dramen des Kodex lässt sich konstatieren, dass die comœdiantischen Figuren für ihr Fehlverhalten nie bestraft, sondern sogar belohnt werden. Intrigante Höflinge gehen zumeist zwar straffrei, aber ohne Belohnung aus. Dass Bösewichte, die keine Läuterung erfahren, belohnt werden, ist in keinem Drama des Kodex der Fall. Komplizierter hingegen gestaltet sich die Frage nach der poetischen Gerechtigkeit im Kontext des Märtyrerdramas Andronicus, wo Andronicus zwar mit Freuden den Märtyrertod stirbt, die Gegenseite aber keine Bestrafung erfährt, jedoch auch nicht gewinnt. Die Rezeption der Regelpoetik wird also schon in den frühesten Schriften der angehenden Theaterreformatoren deutlich. Zugleich zeigen sich aber noch 378 »Ein widersprechender Charakter ist ein Ungeheuer, so in der Natur nicht leicht vorkommt: daher muß ein Geiziger geizig; ein Stolzer stolz; ein Hitziger hitzig; ein Verzagter verzagt sein und bleiben: Es würde denn in der Fabel durch besondre Umstände wahrscheinlich gemacht, daß er sich ein wenig geändert hätte. Denn eine gänzliche Änderung des Naturells oder Charakters ist ohnedem in so kurzer Zeit unmöglich.« Gottsched (2009), S. 168. 379 Vgl.: Gottsched (1729), S. 136.

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Ambivalenzen in Hinsicht auf die Bewertung des Unwahrscheinlichen, wie eine nächste Nummer in Die Vernünfftigen Tadlerinnen verrät. Diesmal schreibt Gottsched aus der Perspektive eines Studenten aus Halle namens Logophilus, der von seinen Theatererfahrungen berichtet. Er erzählt, dass er sich länger in Leipzig aufgehalten habe, um die Schauspiele der Sächsischen Hofcomœdianten bei der Messe zu besuchen, weshalb er zwar seine Studien ein wenig vernachlässigt hätte, es aber keinesfalls bereue. Er setzt mit einem Lob über diese Truppe ein und rühmt nicht nur ihre Schauspielkunst, sondern auch ihre Absicht und Fähigkeit, die menschlichen Laster eindrücklich vorzustellen. Seine Kritik aber gilt den italienischen sowie spanischen Einflüssen: Bei ersteren bezieht er sich vorerst auf die comœdiantische Figur, bei letzteren auf die umständliche Rhetorik der auftretenden Personen: »Man sagt da nicht, daß der Mittag vorüber sey ; sondern daß der Monarch der Gestirne den Mittagswirbel schon überstiegen habe. Ein Ritter liebet eine Prinzeßin nicht, sondern die Pflantze ihrer Annehmlichkeiten schlägt in dem Erdreiche seines Hertzens tieffe Wurtzeln […].«380

Letzteres resultiert vor allem aus den Vorlagen und dem Versuch, ihrer weitgehend wortwörtlichen Übersetzung. Zudem schweben den Theaterreformatoren lächerliche Handlungen vor, die wahrscheinlich sind. Während comœdiantische Figuren für Birken noch als Hofnarren oder lustige Schelme unter gemeinen Leuten eine reale Verortung haben, scheint dies für die Theaterreformatoren bereits weitaus weniger zu gelten. In einer drei Jahre darauf erschienenen Ausgabe des Biedermanns wird Gottsched aber noch nicht ihre Verbannung, sondern lediglich ihre Einschränkung fordern, d. h. dass sie erstens nicht in jede Komödie integriert werden sollten, da die handelnden Personen aus seiner Sicht häufig ohnehin genug Lachen erzeugen und zweitens, falls man ihrer doch bedarf, dann so, dass sie das Ehrgefühl des Publikums nicht verletzten. Gottsched generiert daraufhin die Unterscheidung zwischen einem »lustigen Harlekin« und »einem unflätigen Hans Wurste, der mit Quacksalbern, Taschenspielern, Marionetten und Marckschreyern von Dorf zu Dorfe herum ziehet«381. D. h. er unterscheidet zwischen einer domestizierten comœdiantischen Figur, die mehr oder weniger französischen Ursprungs ist und die er schriftlich fixiert vorfand, und einer deutschen Figur, die ihm v. a. aus den Niederungen des Schaustellergewerbes bekannt war und für all das stand, was er ablehnte. Dabei gilt festzuhalten, dass diese von ihm konstruierte Unterscheidung von Harlekin und Hans Wurst nicht der Realität der Bühnenpraxis entsprach. 380 Gottsched; Hamann; May (1725), S. 348. 381 Gottsched (1729), S. 140.

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Der Student Logophilus fährt nun mit Beispielen für aus seiner Sicht gelungene Dramen fort, die er gesehen hatte. Er nennt vier, die mehr oder minder französischen Ursprungs sind, nur lässt er unerwähnt, dass sich drei davon – Die verkehrte Welt, Das Gespräche im Reich der Todten und Der Dreßdenische Schlendrian – an Stu¨ cken aus dem Umfeld des Th8.tre Italien bzw. des Th8.tre de la Foire orientieren.382 Die verkehrte Welt war ein Meisterstück in dieser Gattung, darinnen etliche Frauenzimmer, ein Sachwalter, ein junger Stutzer u.a.m. aus der verkehrten Welt eingeführet wurden, welche durch ihre guten Sitten, die Fehler unsrer Welt sehr sinnreich beschämeten. Insonderheit kam vieles von der Teutschen Sprache, und Poesie darinnen vor, welches euren bißherigen Vorstellungen von diesen Materien so ähnlich war, daß ich hätte schwören wollen, unsre Hällische Tadlerinnen müsten die Urheberin dieses Schauspieles seyn: wenn mich nicht mein Beysitzer versichert hätte, daß der Königliche Pohlnische und Churfl. Sächsische Hof-Poet dieselbe verfertiget habe.383

Logophilus verschweigt zudem, dass darin Harlekin und Skaramutz eine entscheidende Rolle spielen. Der Bearbeiter war Johann Ulrich von König, der sich später mit Gottsched überwarf und aus dessen Feder auch Der Dreßdenische Schlendrian stammte384, über das Logophilus begeistert schreibt: Endlich in den letzten wurden die gezwungenen Manieren des bürgerlichen Frauenzimmers, die Spielsucht, das Zeitverderben, die Eitelkeit junger Stutzer, die Ausschweifungen des Dreßdenischen Frauenzimmers im Carneval u.a.m. so artig abgebildet, daß sich kein Mensch ohne besonderes Vergnügen davon begab, und den sinnreichen Verfasser dieses Lustspieles, nicht als einen unvergleichlichen Satyricum gepriesen hätte. Einige von meinen Beysitzern wolten mich auch versichern, daß dieser Dreßdenische Schlendrian mit gutem Rechte der Leipziger Schlendrian heissen könte: weil eben dieselben Gewohnheiten daselbst im Schwange gehen sollen.385

Auch bei diesem Stück386, das der »frühaufklärerischen sächsischen Typenkomödie« zugerechnet wird387, unterschlägt Logophilus die comœdiantische Figur. 382 Vgl.: Schindler, Otto G.: Das Reich der Toten, der Lederhändler von Bergamo und der Philosoph in der Narrengasse. Commedia dell’arte bei der Neuberin. In: Rudin, Bärbel; Schulz, Marion (Hgg.): Vernunft und Sinnlichkeit. Beiträge zur Theaterepoche der Neuberin. Ergebnisse der Fachtagung zum 300. Geburtstag der Friederike Caroline Neuber, 8.– 9. März 1997. Reichenbach i.V.: Neuberin-Museum, 1999 (= Schriften des Neuberin-Museums; Bd. 2). S. 37–95. Hier: S. 44–46. Zu Gottscheds Kritik am Th8.tre de la Foire, vgl. Gottsched (2009), S. 195. 383 Gottsched; Hamann; May (1725), S. 349. 384 Vgl.: Schindler (1999), S. 44–45. 385 Gottsched; Hamann; May (1725), S. 350. 386 Vgl.: König, Johann Ulrich von: Der Dreßdnische Mägde-Schlendrian/ In einem SatyrischMoralischen Nach-Spiele/ Auff dem Theatro zu Nirgendshausen. Vorgestellt durch Orestes. O.O: O. V., 1729. 387 Vgl.: Rudin (2015a), S. 215.

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Dennoch schien es aufgrund der weitgehenden Einhaltung des Wahrscheinlichkeitsgebots den Theaterreformatoren entgegengekommen zu sein. Ganz im Gegensatz zu dem von Logophilus höchstgelobten Das Gespräche im Reiche der Todten, bei dem er die Einrichtung der Handlung, die schauspielerische Qualität sowie die Fülle an lächerlichen Personen positiv hervorhebt: Das Gespräche im Reiche der Todten stellete einen alten Bürger vor, der an denen also benamten monatlichen Schrifften so gar einen Narren gefressen, daß er sich auch überredet hatte, es sey würcklich ein Reich der Todten verhanden, wo die Seelen der Verstorbenen zusammen kämen, sich ihre Lebensläuffe zu erzehlen. Welcher Einfalt sich einige Liebhaber seiner Töchter bedienten, seinen Beyfall zu ihrer Heyrath zu erschleichen: indem sie ihn im Schlaffe auf ein Landgut brachten; das Reich der Todten daselbst vorstelleten; und in demselben die Bewilligung des Alten erhielten, der sich schon in der andern Welt zu seyn einbildete. Wenn ihr doch wertheste Tadlerinnen die verschiedenen Personen gesehen hättet, die daselbst auftraten! Jungfer Gernegroß ein stoltzes Bürgermägdchen, Herr von Schlecht ein einfältiger Dorfjuncker, Murrkopf ein alter Schulfuchs, Herr von Haudegen ein feiger Officier, Frau Selberklug ein Sächsisch Frauenzimmer, Jungfer Opiniatre eine eigensinnige Frantzösin, und vor allen andern, vier Bursche von den berühmtesten Sächsischen Academien, waren so unvergleichlich charactesiret, daß ich mein Leblang nichts schöneres gesehen habe. Ich will Euch von diesen letztern nur so viel sagen, daß der Jenenser Ungestüm, der Hallenser Fleißig, der Wittenberger Haberecht und der Leipziger Zuallemgut geheissen, und daß diese vier verschiedene Leute, nemlich ein Schläger, ein Freund der morgenländischen Sprachen, ein Zäncker und ein galant homme von einem viermal verkleideten Frauenzimmer so herrlich vorgestellet worden, daß ihnen nichts, als eine männliche gröbere Stimme gefehlet.388

Die französische Vorlage der deutschen Bearbeitung findet sich in der Amsterdamer Edition von Gherardis Sammlung unter dem Titel Les Intrigues d’Arlequin aux Champs Elis8es.389 Auch hier sind comœdiantische Figuren vertreten, die Logophilus unter den Tisch fallen lässt.390 Wie Schindler ausführt, lässt sich der Bearbeitungsgrad der von Gottsched gesehenen Aufführung aufgrund mangelnden Materials schwer ausmachen, zumindest aber wurde »das Unterweltsmotiv zusätzlich von einem lokalen Motiv überlagert: der Parodie von Faßmanns ›Totengesprächen‹, die sich mit einer Satire auf deren leichtgläubigen Leser verbindet, ein Motiv, das der Szenenrevue vorgelagert ist und diese lose zusammenhält.«391

388 Gottsched; Hamann; May (1725), S. 349f. 389 Bordelon, Abb8 Laurent: Les Intrigues d’Arlequin, aux Champs Elis8es. In: Gherardi, Evariste: Le Th8.tre Italien. T. 2. Amsterdam: Braakman 1701. S. 433–570. 390 Vgl.: Schindler (1999), S. 46. 391 Schindler (1999), S. 48.

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In allen durch Theaterzettel überlieferten Aufführungen dieses Dramas auf der deutschsprachigen Bühne fehlt niemals die comœdiantische Figur, ob sie nun Harlekin oder Hanswurst heißt.392 Abgesehen aber von der Unwahrscheinlichkeit der Handlung und der comœdiantischen Figuren wird deutlich, dass es Personen des mittleren Standes sind, die hauptsächlich die Handlung dieser Komödien bestreiten. Genau diese aber sind im Kodex weitgehend absent, das Bühnenpersonal beschränkt sich vor allem auf die Ebene des Hofes und die der comœdiantischen Figuren. Eine Ausnahme bildet Ein verliebter Verdruss. Hier wird die Handlung vom niederen Adel bestritten. Eine höhere Dichte an mittelständischen Figuren weist Der Schwehst auf: Dazu zählen die Bürger, die die negativen innen- und außenpolitischen Auswirkungen als erstes wahrnehmen und von ihnen betroffen sind; ein holländischer Wirt, der sich durch Gier, Niedertracht und Lüsternheit auszeichnet und bei dem der flüchtige Ludwig mit seiner Familie unterkommt; schließlich, ein verwitweter und großzügiger Kaufmann, der die Familie Ludwigs bei sich aufnimmt und damit positives Gegenbeispiel zum Wirten ist. In Der Kohlenbrenner ist es der Kohlenbrenner Carbonius, den man aufgrund seines Arbeitseifers und ständischen Selbstbewusstseins schlechthin als Vertreter bürgerlicher Werte wahrzunehmen geneigt ist, dabei scheidet er aufgrund seines »unehrlichen« Berufs als Repräsentant des Bürgertums aus. Ihm stehen in anderen Dramen Angehörige eines frühen Bildungsbürgertums gegenüber, die jedoch immer zu Karikaturen geraten: Da wäre erstens, der pausenlos lateinische Phrasen dreschende Lehrer Metaphraste in Ein verliebter Verdruss, der sein Gegenüber nicht ausreden lässt, und zweitens, der als einfältig titulierte Advokat Fidele in Amor der Ty¨rann, der auf den wahnsinnigen Tyrannen Asphalides trifft, der ihn fressen will. Schließlich sind noch die groben und komisch akzentuierten Zimmermänner im Andronicus zu erwähnen. Im Biedermann verschärft Gottsched nun den Ton und wendet sich vor allem gegen die Oper, der er die regelmäßigen Schauspiele gegenüberstellt. Einer der immanenten Kritikpunkte richtet sich gegen die Unzuordenbarkeit der Oper in eine der beiden dramatischen Gattungen. Beiden Gattungen liegt laut Gottsched eine moralische Intention zugrunde: Die Tragödie, die sich der Affekte des Schreckens, der Bewunderung und des Mitleids bedient, lehrt anhand des Beispiels hochgestellter Personen dem Publikum dreierlei: Erstens die Vorbereitung auf das Unglück; zweitens das standhafte Ertragen desselben und drittens, dass diejenigen, die dafür verantwortlich sind, nicht ungestraft davonkommen. Die Komödie basiert auf dem Verlachen lasterhaften Verhaltens, das Personen der bürgerlichen Sphäre an den Tag legen. In der Oper aber, die er keiner der beiden Gattungen zuordnen kann, findet er keine moralische Intention vor, sie 392 Vgl.: Schindler (1999), S. 51.

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rühre weder zu Tränen, noch zeige sie das lasterhafte Verhalten der Bürger, vielmehr wäre sie »von Anfang bis zum Ende mit verliebten Romanstreichen angefüllt«393. Die Dramen des Kodex entziehen sich ebenfalls weitgehend einer eindeutigen Zuordenbarkeit, da sie häufig sowohl tragische als auch komische Anlagen bergen. Gegen diese »Mißgeburten der Schaubühne, die unter dem prächtigen Titel der Haupt- und Staatsaktionen mit untermischten Lustbarkeiten des Harlekins pflegen aufgeführet zu werden«394, wird sich Gottsched 1729 öffentlich wenden, als er seine Rede Die Schauspiele und besonders die Tragödien sind aus einer wohlbestellten Republik nicht zu verbannen an ein dezidiert akademisches Publikum in der »Deutschen Gesellschaft« richtete.395 Er setzt mit der Adressierung theaterfeindlicher Stimmen ein, von denen er dreierlei nennt: Erstens jene, die die Schauspiele nicht kennen; zweitens jene, die nicht zwischen nützlichen und schädlichen Schauspielen unterscheiden; und drittens jene, die aufgrund ihrer Frömmigkeit die Schauspiele mit dem Christentum für unvereinbar erachten. Da er aber ein vorurteilsfreies und gebildetes Publikum vor sich habe, so seine rhetorische Strategie, müsse er auf diese unvernünftigen Stimmen nicht eingehen. Dass Gottsched öffentlich für das Schauspiel eintrat, galt angesichts der weitverbreiteten negativen Haltung zu Theater als mutig.396 Wenn Gottsched von Republik spricht, meint er das Gemeinwesen. Theater soll zu einer öffentlichen Sache werden, zu einer Sache, von der das gesamte Gemeinwesen profitiert. Wie Münz ausführt, legte Gottsched das Fundament »eines bürgerlich dominierten Nationaltheaters«, eines Theaters »für Angehörige aller sozialen Klassen und Schichten unter der (ideologischen) Hegemonie des Bürgertums«.397 Diesen Punkt macht Gottsched deutlich, wenn er nicht nur die Herrschenden als Adressaten der Tragödie, sondern eben auch den mittleren Stand als solche sieht: So wenig kann man doch behaupten, daß deswegen die Trauerspiele denen von mittlerm Stande nichts helfen können. Sind denn nicht die meisten Begebenheiten und Zufälle dieses Lebens allen Menschen gemein? Sind wir nicht zu einerlei Tugenden und Lastern fähig und geneigt? Kann nicht ein Edler und Bürger, eben das im Kleinen ausüben, was Fürsten und Helden im Großen getan? Und bekömmt nicht der Schluß 393 Gottsched (1729), S. 178. 394 Gottsched (2009), S. 5. 395 Vgl.: Münz (1990), S. 176; – Graf, Ruedi: Der Professor und die Komödiantin. Zum Spannungsverhältnis von Gottscheds Theaterreform und Schaubühne. In: Rudin, Bärbel; Schulz, Marion (Hgg.): Vernunft und Sinnlichkeit. Beiträge zur Theaterepoche der Neuberin. Ergebnisse der Fachtagung zum 300. Geburtstag der Friederike Caroline Neuber, 8. – 9. März 1997. Reichenbach i. V.: Neuberin-Museum, 1999 (= Schriften des NeuberinMuseums; Bd. 2). S. 125–144. Hier: S. 125. 396 Vgl.: Graf (1999), S. 125. 397 Münz (1990), S. 170.

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selbst durch die Ungleichheit der Personen eine größere Kraft: Dieser oder jener Prinz hat sich in einem weit schrecklichern Unfalle gelassen und standhaft erwiesen; daher muß ich mich auch in geringern Zufällen nicht ungebärdig stellen. Dieser Held hat sich in weit traurigern Umständen mit der Unschuld und Tugend getröstet; daher will ich derselben in mittelmäßigen Bekümmernissen auch nicht abtrünnig werden; sondern lieber unschuldig leiden, als durch Laster groß und glücklich werden. Was will man, an dieser Art sich zu erbauen, Gründlichers und Nützlichers wünschen? Und wie will man’s mit einigem Scheine behaupten, daß die tragischen Schauspiele nur Königen und Fürsten nutzen können?398

Diese Wirkung kann laut Gottsched aber nur von einer regelmäßigen Tragödie geleistet werden, die die Kraft hätte, eine illusionistische Wirkung auf das Publikum auszuüben und er betont die Notwendigkeit ihrer Aufführung: Man liest, man höret sie nicht nur in einer matten Erzählung des Poeten; sondern man sieht sich gleichsam mit lebendigen Farben vor Augen. Man sieht sie aber auch nicht in toten Bildern auf dem Papiere; sondern in lebendigen Vorstellungen auf der Schaubühne. Alle ihre Helden leben. Ihre Personen denken, reden und handeln wahrhaftig. Es ist, sozureden, kein Bild, keine Abschilderung, keine Nachahmung mehr : Es ist die Wahrheit, es ist die Natur selbst, was man siehet und höret.399

Diesen Wahrheitsbegriff verwendet er dann auch, um das Argument, dass die angeblich schlechten Sitten der Schauspieler*innen das Schauspiel als moralische Instanz entkräften, zu widerlegen: Ich sehe nicht Komödianten; ich sehe Könige und Helden auf der Schaubühne. Ich höre, was sie reden und tun, solange sie ihre Rolle spielen; nicht aber, was sie zu Hause in ihrem Leben und Wandel vornehmen. Warum soll ich mich, um so weit gesuchter Ursachen halber, eines Vergnügens berauben, das so nützlich ist?400

Gottsched bemüht sich an dieser Stelle, wenn auch zaghaft, um die Hebung des Standes der Schauspieler*innen, indem er nahelegt, nicht allen Comœdiant*innen einen schlechten Lebenswandel zu unterstellen. Er hatte sie schließlich selbst kennengelernt und ihre Nähe gesucht, auch wenn er es an dieser Stelle nicht erwähnt. Die erste Truppe, der er begegnete, waren die von ihm mehrmals positiv hervorgehobenen Sächsischen Hofcomœdianten unter der Leitung Karl Ludwig Hoffmanns, zu der auch das Ehepaar Neuber gehörte. Nach seinen ersten Theaterbesuchen soll er das Gespräch mit dem Prinzipal gesucht und ihn gefragt haben, aus welchem Grund sie beispielsweise keine Stücke aus der Feder Gryphius’ spielen würden. Hoffmann soll ihm darauf geantwortet haben, dass er Gryphius sehr wohl gespielt habe, aber dass niemand Dramen in gebundener 398 Gottsched (2009), S. 8f. 399 Gottsched (2009), S. 7. 400 Gottsched (2009), S. 11.

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Rede sehen wolle, diese außerdem zu ernst seien und keine comœdiantischen Figuren darin vorkämen. Daraufhin versuchte Gottsched erstmals ein Drama für das Berufstheater anzufertigen, eine Adaption von Bernard Le Bouyer de Fontenelles Schäferspiel Endymion, das er in gebundene Rede übersetzte und dem er komische Zwischenspiele beifügte. Jedoch traute sich der Prinzipal nicht, es aufzuführen, was ihm Gottsched auch nicht übel zu nehmen schien, war er selbst nicht von seinem Erstlingswerk überzeugt.401 Nachdem sich diese Truppe aufgelöst hatte und die Neubers eine eigene gründeten, die schließlich auch das Sächsische Privileg erhielt, begann Gottsched mit ihnen zusammenzuarbeiten und ließ ihnen von ihm und seinen Kollegen verfertigte Übersetzungen klassizistischer Dramen zukommen.402 Die Neubers erhofften sich aus dieser Verbindung, neben der Zufuhr neuer Stücke, ein gebildetes Klientel sowie die Hebung des Standes der Schauspieler*innen. Darüber hinaus sollte diese Allianz als Alleinstellungsmerkmal der Neubers gegenüber ihrer Konkurrenz fungieren. Einer ihrer Konkurrenten war der Harlekin-Darsteller Joseph Ferdinand Müller, der so wie sie aus der Haacke-Hoffmann’schen Truppe hervorgegangen war und ihr nach dem Tod August des Starken mit Erfolg das Sächsische Privileg streitig machte.403 Die Neuberin verabschiedete sich aus Leipzig mit einem Vorspiel, das den Streit zwischen Müller und ihr sowie die von beiden vertretenen und konkurrierenden Schauspielmodelle thematisierte. Es trägt den Titel Ein Deutsches Vorspiel404 und lässt den Konflikt durch die beiden Musen Melpomene und Thalia austragen, wobei erstere für die Neuberin und die regelmäßigen Schauspiele bzw. das Trauerspiel und letztere für Müller und seine sich der comœdiantischen Masken bedienenden unregelmäßigen Comœdien steht. Zu Thalias Partei gehören der Satyr Silenus und der aus der plautinischen Komödie stammende Sklave Pseudolus, die Melpomene aus Neid mit Verleumdungen und Lügen aus der Öffentlichkeit drängen wollen. Sich empörend fasst Thalia die wesentlichen Punkte des von Melpomene von der Theaterreform getragenen Schauspielmodells zusammen: […] Ihr Fleiß und ihre Kunst wird mir zu schwersten Last; Ich soll die Leute nicht mit Possen mehr betrügen, Und nicht mit leichter Mühl viel Geld in Kasten kriegen; Ich soll, nach ihrer Art, nach strengen Regeln gehn, 401 402 403 404

Vgl.: Gottsched (2009), S. 199f. Vgl.: Gottsched (2009), S. 202. Vgl.: Schindler (1999), S. 67. Neuber, Friederike Caroline: Ein Deutsches Vorspiel […]. Leipzig: Breitkopf, 1734. Abgedruckt in: Rudin, Bärbel; Schulz, Marion (Hgg.): Friederike Caroline Neuber. Das Lebenswerk der Bühnenreformerin. Poetische Urkunden. 1. Teil. Reichenbach i. V.: Neuberin-Museum, 1997 (= Schriften des Neuberin-Museums; Bd. 1). S. 44–67.

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Und jede Leidenschaft recht aus dem Grund verstehn. Der Teufel plagt sie doch! den Leuten weiß zu machen: Man müßt im Lustspiel nicht, so, wie ein Bauer lachen; Und auf dem Schauplatz dürft kein Possenreiser seyn. Das nasenweise Ding bildt sich wahrhaftig ein, Sie thät noch recht daran, und fragt die klügsten Leute Wohl gar um Rath darum, und raubt mir meine Beute. Denk nur, Silenus, denk an alles, was sie spricht, Und was sie meiner Kunst für Schaden zugericht! Ich soll so viel verstehen: Kein Laster sey zu dulden; Kein Fehler soll geschehen, und zwar durch mein Verschulden. Ich soll den Leuten, die auf meiner Bühne stehn, Mit Vorsicht und Vernunft zu Rath entgegen gehn: Ja, wenn ich wo gefehlt, so soll ichs nicht bedecken; Mich bessern, und zugleich vor meiner That erschrecken.405

Melpomene aber hat Alethea (die Wahrheit) auf ihrer Seite, außerdem noch Tharsus, Sedulius und Obsequens, die ihr gut zureden. Ihre Sache wird vor Apollo getragen, der von Arete (Tugend), Vigilantia (Wachsamkeit), Meletander (Dichtkunst), Themis (Gerechtigkeit) und Euphrosyne (Anmut) umgeben ist und schließlich Partei für Melpomene ergreift, während er Thalia einschärft, sich zu bessern. Als Friederike Caroline Neuber 1737 nach Leipzig zurückkehrte, griff sie Müller erneut an, indem sie Harlekin symbolisch von der Bühne verbannte.406 Die öffentlichkeitswirksame Parteinahme für die Theaterreform war immer auch ein Mittel, ihre Gegner zu diskreditieren. 1736 inszenierte sie ein Vorspiel mit dem Titel Die von der Weisheit wider die Unwissenheit beschützte Schauspielkunst407, dass sich in erster Linie an Angreifer aus dem pietistischen Lager richtete und zugleich die Entbehrungen aufzeigte, denen sie aufgrund ihres von der Theaterreform getragenen Theatermodells ausgesetzt war. Sie lässt darin eine Reihe von allegorischen Figuren auftreten: die Scheinfrömmigkeit, die Unwissenheit, die unschuldige Lust, den Missbrauch, den Pöbel, den verderbten Geschmack, die Schauspielkunst, den erhabenen Geschmack, den Nutzen und die Weisheit. Die Scheinfrömmigkeit, die für das pietistische Lager steht, hasst alles, was Freude macht, und sieht in jeder Handlung eine Sünde. Sie kennt das Theater nicht, wie sie zugibt, hat keinen Begriff davon, dennoch verurteilt sie es, womit sie die Gedanken jener vergiftet, die es nicht kennen. Dabei gebraucht sie das Schauspielen selbst, wenn sie der schließlich verbündeten Unwissenheit 405 Neuber (1734), S. 46f. 406 Vgl.: Rudin; Schulz (1997), S. 171. 407 Neuber, Friederike Caroline: […] Die von der Weisheit wider die Unwissenheit beschützte Schauspielkunst […]. Lübeck: Willers, 1736. Abgedruckt in: Rudin; Schulz (1997), S. 96– 121.

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erklärt, wie sie sich fromm stellen kann, um bei den Leuten Gehör zu finden – »[…]Drum wenn du dich zum Fall der Schauspielkunst bemühest/ So schlag die Augen zu/ und häng den Kopf recht tief […].«408 Der Missbrauch hingegen, der für die Theatromanie steht, liebt jedes Schauspiel ohne Unterschied und möchte Tag und Nacht nur Theateraufführungen besuchen. Auch der Pöbel zählt zu den Theaterfreunden, ist aber wiederum nicht gewillt, dafür zu bezahlen und erkennt somit nicht den Wert der Schauspiele an. Der verderbte Geschmack schließlich möchte lediglich Comœdien mit comœdiantischen Figuren und Possen sehen und ärgert sich darüber, diese Elemente in dem angekündigten Schauspiel nicht zu finden. Als die Schauspielkunst (die Neuberin), auftritt und ihre Perspektive auf die jeweiligen Positionen eröffnet, bringt sie alle gegen sich auf. Sie versucht Trost bei ihrem Freund dem erhabenen Geschmack (Gottsched), zu finden, der ein Trauerspiel liest und sie nicht bemerkt, womit im Subtext eine zunächst noch kleinlaute Kritik an ihm formuliert ist: Er sieht sie nicht, da er auf das Primat des Geistigen fokussiert ist, vergisst dabei die Realität des Bühnengewerbes, das sie ernährt und bemerkt nicht, dass er ihr schadet, wenn er gegen das Schauspiel schreibt. Der erhabene Geschmack tröstet sie, sichert ihr zu, an ihrer Seite zu bleiben, und zeigt ihr den Nutzen auf, der ihr wiederum gut zuspricht. 1741 kühlte das Verhältnis zu Gottsched deutlich ab, da er Neubers Konkurrenten Schönemann mit Lob überhäufte, während er eine von ihr gezeigte Aufführung heftig kritisierte.409 Sie gab daraufhin das von ihr verfasste Vorspiel Der Allerkostbarste Schatz in Leipzig zum Besten, worin ein lächerlicher Tadler auftrat, der an allem etwas auszusetzen hat, am liebsten nur sich selbst sprechen hört und verkleidet war »als die Nacht, in einem Sternenkleide mit Fledermausflügen, hat eine Blendlaterne, und eine Sonne von Flittergolde um den Kopf«410. Sie hatte dieses Vorspiel bereits mehrmals an verschiedenen Orten gespielt und damit diverse selbsternannte Kunstrichter adressiert, hier aber war es dezidiert an Gottsched gerichtet, der sich davon auch öffentlich angesprochen fühlte.411 1743 schließlich eskalierte der Konflikt beider Parteien derart, dass sie in Leipzig neben diesem Vorspiel sogar eine Satire auf sein Werk Der sterbende Cato aufführte.412 Die Leipziger Messe war nicht nur eine der begehrtesten Spielmöglichkeiten des frühen Berufstheaters, sondern bot den Truppen auch eine günstige Gelegenheit, fähiges Personal zu rekrutieren: Zum einen Studierende, die rhetorisch geschult waren, eine umfassende Bildung besaßen und Fremdsprachen be408 409 410 411 412

Neuber (1736), S. 105. Vgl.: Rudin; Schulz (1997), S. 226. Zitiert nach: Rudin; Schulz (1997), S. 225. Vgl.: Rudin; Schulz (1997), S. 226f. Vgl.: Rudin; Schulz (1997), S. 229.

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herrschten und damit nicht zuletzt eine wesentliche personelle Ressource zur Erweiterung des Repertoires bildeten. Zum anderen Personen, die aus dem Schaustellergewerbe stammten, damit in diversen Jahrmarktskünsten bewandert waren und aufgrund ihrer Praxis wussten, mit welchen Mitteln das Interesse und Wohlwollen des Publikums erregt werden konnte. Zudem beeinflussten sich Berufsschauspieler*innen, die einzelnen Truppen und Jahrmarktskünstler*innen in Bezug auf Innovationen und diverse spielpraktische Elemente gegenseitig. Nicht zuletzt erhielten die Berufsschauspieler*innen auch vom zum Teil gelehrten Publikum, wie die Zusammenarbeit von Gottsched und Neuberin zeigt, Impulse zur Gestaltung ihrer Spielpraxis. Schließlich animierte das reichhaltige theatrale Angebot der Messe wiederum Gelehrte dazu, sich mit dem Berufsschauspiel als Gegenstand überhaupt zu befassen und sich für dieses, unter bestimmten Einschränkungen, öffentlich einzusetzen.

II.3. Zusammenfassung und Ergebnis Für das frühe Berufstheater war das Spiel in der städtischen Sphäre mit einer Reihe von Herausforderungen verbunden: Theoretisch mussten Truppen bei ihrer Reiseplanung zuerst in Erfahrung bringen, in welchen Regionen des deutschsprachigen Raums es sich überhaupt lohnte, um Spielgenehmigung anzusuchen und in welchen sie andererseits aufgrund von Krieg- bzw. Kriegsgefahr, Seuchen- bzw. Seuchengefahr oder Landestrauer wenig bis keine Chance auf Spielmöglichkeiten hatten. Anschließend mussten sie Informationen über die in Frage kommenden Städte einholen, insbesondere hinsichtlich der Zeiten in denen gespielt werden konnte: In manchen Städten war es mit Ausnahme der sogenannten Norma-Tage (Kirchenfeste und Feiertage) mehr oder weniger ganzjährig möglich aufzutreten; in einigen anderen war es aufgrund der Beschaffenheit der vorhandenen Spielstätten nicht möglich bei Kälte zu spielen (dazu zählte u. a. das nach oben hin offene Nürnberger Fechthaus) wiederum in anderen Städten, wie in Leipzig oder Danzig, wurden Truppen nur anlässlich von Märkten bzw. Messen zugelassen. Im letzten Fall mussten sie sich über die Termine informieren. Zudem mussten sie das Kalendersystem, das an den betreffenden Orten verwendet wurde, beachten. Eine weitere Herausforderung bildeten die Behördenwege: Nicht immer war der hiesige Stadtrat die Instanz, die Spielgenehmigungen erteilen durfte, sondern der Landesfürst oder die Landesfürstin, die Landesregierung oder die Statthalterei. Mitunter mussten die Truppen sogar die Genehmigung von zwei Behörden einholen. Beim Ansuchen um Spielgenehmigung konnte es ratsam sein, ansässige Fürsprecher*innen hinzuzuziehen sowie Empfehlungsschreiben

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von Fürst*innen vorzuweisen. Sofern sich aber eine Stadt in Konflikt mit der Landesherrschaft oder anderen Fürst*innen befand, konnte ein derartiges Schreiben gegebenenfalls auch schaden.413 In Bezug auf Landstädte war es für die Truppen am günstigsten, wenn sie ein Spielprivileg für das Territorium des Landesfürsten bzw. der Landesfürstin innehatten, dass die Städte zu berücksichtigen hatten. Die Truppen mussten beim Ansuchen um Spielgenehmigungen auch Auskunft über ihre Spielpraxis geben und versichern, nichts Anrüchiges zu spielen. Mit dem Verweis auf Stücke ihres Repertoires mit geistlichem Inhalt, versuchten sie moralisch oder geistlich begründete Bedenken zu zerstreuen. In reformierten Städten allerdings konnte sich ein derartiger Verweis aufgrund der strengeren Auslegung des Bilderverbots auch nachteilig auswirken (vgl. III. 1.). Als nächstes mussten die Spielbedingungen verhandelt werden, sofern der Stadtrat überhaupt dazu bereit war : Die Verhandlungen konnten den Spielort, die Spielzeit sowie die Höhe der Eintrittsgelder, der Abgaben und des Mietzinses für die Spielstätte betreffen. Häufig suchten die Truppen gegen Ende der gewährten Spielzeit um Verlängerung an. Im Gegensatz zum Hof, wo hinsichtlich des Spielplans sowie der Inszenierungsweise konkrete Absprachen getroffen werden konnten, mussten die Truppen in der Stadt eine Formel finden, die einerseits ein möglichst großes Publikum mit unterschiedlichen Erwartungen anzuziehen vermochte und andererseits Stadtrat und Geistlichkeit nicht verärgerte. Das von Friederike Caroline Neuber aufgeführte Vorspiel Die von der Weisheit wider die Unwissenheit beschützte Schauspielkunst (1737), in denen sie die Schauspielkunst, die Scheinfrömmigkeit, die Unwissenheit, den Missbrauch, den Pöbel, den verderbten Geschmack und den erhabenen Geschmack auftreten lässt, illustriert die Schwierigkeiten denen das Berufsschauspiel qua unterschiedlicher Publikumserwartungen und Haltungen zu Theater ausgesetzt war. Dass sich der Geschmack des intellektuellen Publikums im Laufe von einem halben Jahrhundert gewandelt hatte, wird anhand der differenten Rezeption des Berufstheaters durch Birken und Gottsched wahrnehmbar : Sigmund von Birken, der im Sektor des protestantischen Schultheaters aktiv war und eine Dramenpoetik verfasste, grenzte sich zwar vom Berufstheater als Institution, gleich weniger aber von seiner Spielpraxis, ab. Es war der schlechte Ruf der gewerbemäßigen Schauspieler*innen, von dem er das Schauspiel selbst zu trennen und es über diesen Abgrenzungsakt zu legitimieren versuchte. Birken aber besuchte die Vorstellungen des Berufstheaters regelmäßig und ließ konstitutive Elemente von dessen Spielpraxis sowohl in die Produktion seiner Dramen als auch seine Dramenpoetik einfließen. Dazu zählt die Verwendung deutscher Prosa, die Einflechtung von Narrenfiguren und comœdiantischer rhetorischer Strategien. 413 Vgl. Magnus (1961), S. 214–216.

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Zudem befürwortet er Schauerszenen, Pathos, Verwicklungen und Verwirrungen, den scheinbaren Triumpf der Lasterhaften sowie das Unglück der Tugendhaften, sofern am Ende die Gerechtigkeit und Ordnung wiederhergestellt wird. Insgesamt zeigt sich, dass er sich unter Einhaltung eines moralischen Primats um größtmögliche Publikumsnähe bemühte und die Gattungsgrenzen weiter fasste, weshalb er anstatt der Einteilung der Schauspiele in Komödien und Tragödien, für jene in Tugendspiele und Heldenspiele eintrat. Von Interesse ist schließlich auch seine Perspektive auf die Wahrscheinlichkeit, mit deren Argument er sowohl die Erweiterung der Gattungsgrenzen begründet als auch die Einflechtung von Narrenfiguren befürwortet, da zum einen sowohl Personen hohen als auch niederen Standes Leid und Freude widerfahre und zum anderen sowohl bei Hof als auch unter den gemeinen Leuten kurzweilige Gesellen anzutreffen seien. Gottsched wird später eine fast diametrale Position einnehmen, die Institution des Berufstheaters verteidigen, jedoch viele Elemente seiner Spielpraxis ablehnen: Die Aufführungen des Berufstheaters, die er regelmäßig in Leipzig besuchte und auf deren Basis er über Theater nachdachte, entsprachen nur in seltenen Fällen seinen ästhetischen Vorstellungen, die er sich über die Lektüre der französischen Klassik sowie des schlesischen Kunstdramas angeeignet hatte, jedoch beeindruckte ihn die schauspielerische Leistung der Hoffmann’schen Truppe. Er versuchte das Berufstheater mit seiner Publikumsreichweite, seiner Bühnenkompetenz und seinen Ressourcen als Kooperationspartner der Theaterreform zu gewinnen. Die Umsetzung aber gestaltete sich schwierig, nicht zuletzt, weil die Theaterreformatoren die Bedingungen, mit denen das Bühnengewerbe konfrontiert war und seine Abhängigkeit von einem zahlenden Publikum, nicht vollkommen zu berücksichtigen schienen. Die größte Herausforderung stellte für das frühe Berufstheater allerdings die geistliche Theaterfeindlichkeit dar, die das berufsmäßige Schauspiel häufig behinderte und der die Truppen mit der Adaption von geistlichen Dramen zu begegnen versuchten, wie der nächste Teil dieser Arbeit, der sich mit dem Verhältnis von Berufstheater und Kirche befasst, zeigen wird. Die geistliche Haltung zu Theater hing maßgeblich von der Auslegung der so genannten Adiaphora – jenen Gegenständen, zu denen die Bibel schweigt – ab, weshalb sich unter der Geistlichkeit sowohl vehemente Gegner als auch vereinzelt Förderer des Berufstheaters fanden. Theater blieb von den Prozessen der Konfessionalisierung nicht verschont, sondern wurde aufgrund der ihm zugesprochenen Wirkkraft auf das Publikum auch als Mittel für den Glaubenskampf instrumentalisiert. Nicht zuletzt deshalb wurden Aufführungen von Comœdiant*innen anderer Konfession kritisch beargwöhnt.

III.

Andronicus – Berufstheater und Kirche

Die Pietas Austriaca war eine der wichtigsten habsburgischen Herrschertugenden414 und beruhte »auf der Überzeugung, daß dem Hause Österreich von Gott her eine bestimmte Mission für Reich und Kirche zuteil geworden ist […].«415 Diese Mission fand nicht zuletzt in der Gegenreformation, also in der Rekatholisierung des Habsburgerreichs ihren Ausdruck, zumal im 16. Jahrhundert eine Mehrheit der adeligen Landesstände zum Luthertum konvertiert war.416 Die Gegenreformation wurde mit Mitteln der Gewalt, Vertreibung, politisch-wirtschaftlichen Sanktionen sowie schließlich auch geistlichen, pädagogischen und kulturellen Maßnahmen und Initiativen durchzusetzen versucht. Eine besondere Bedeutung kam dem papsttreuen Jesuitenorden mit seinen Schulen zu. Der »Schulunterricht war ein geeignetes Mittel, auf das Heil der Seelen hinzuarbeiten und durch die frühe Formung der künftigen kirchlichen und staatlichen Eliten auf das gesellschaftliche Leben einzuwirken.«417 Bestandteil des Unterrichts war das Schultheater, das zeitlich und örtlich unterschiedliche Reglementierungen erfahren hatte und neben einer pädagogischen Funktion – darunter fällt sowohl die Anwendung von Lehrinhalten sowie die moralische Belehrung von Schauspielern und Publikum – eine glaubensvermittelnde, aber auch eine werbende Funktion für das einzelne Gymnasium und den Orden erfüllen sollte.418 414 Vgl.: Pons, Rouven: »Wo der gekrönte Löw hat seinen Kayser-Sitz«. Herrschaftsrepräsentation am Wiener Kaiserhof zur Zeit Leopolds I. Engelsbach bei Frankfurt am Main: Dr. Hänsel-Hohenhausen, 2001 (= Deutsche Hochschulschriften; Bd. 1195). S. 377. 415 Coreth, Anna: Pietas Austriaca. Österreichische Frömmigkeit im Barock. Wien: Verlag für Geschichte und Politik, 1982. S. 6. 416 Vgl.: Zeeden, Ernst Walter : Das Zeitalter der Gegenreformation von 1555 bis 1648. München: Heyne, 1979. S. 270. 417 Pohle, Frank: Glaube und Beredsamkeit. Katholisches Schultheater in Jülich-Berg, Ravenstein und Aachen (1601–1817). Münster : Rhema, 2010 (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496; Bd. 29). S. 20. 418 Vgl.: Pohle (2010), S. 22–26.

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1659 spielte das Innsbrucker Jesuitengymnasium das die Apostasie thematisierende Märtyrerdrama Andronicus Aegyptus.419 Unter den Zuschauenden befanden sich die so genannten Innsbrucker Comœdianten420, eine Truppe deutschsprachiger Berufsschauspieler*innen, die bis 1662 im Dienst des Erzherzogs Ferdinand Karl von Tirol in Innsbruck stand. Die Aufführung muss gelungen sein, da diese von den italienischen und deutschen Ensemblemitgliedern des Innsbrucker Hoftheaters gelobt wurde, wie die Jesuiten vermerkten.421 Dieses Lob führte zu einer Adaption des Dramas durch das deutschsprachige Berufstheater, wovon eine Spielhandschrift unter dem Titel Der vom Christenthum abgefallene und dazu wiederbekehrte Andronicus im Kodex Ia 38.589 enthalten ist. Die Handschrift wurde bislang mit den so genannten Eggenbergischen Comœdianten422 in Verbindung gebracht423, jedoch zeigte ein Schriftvergleich mit der Handschrift Der verirrte Liebes-Soldat oder des Glückes Probierstein424, dass es sich bei dem Schreiber um Gabriel Möller handelt.425 Da einige Schau419 Vgl.: Zwanowetz, Günter : Das Jesuitentheater in Innsbruck und Hall von den Anfängen bis zur Aufhebung des Ordens. Wien: Univ.-Diss., 1981. S. 187; – Rudin (2010), S. 88. 420 »Mit dem Namen ›Ynsprugerische‹ bzw. ›Tyrolerische Comoedianten‹ wird in den Wiener Aktenstücken aus dem Jahre 1663 zum ersten Male jene Gruppe der hochdeutschen Komödianten bezeichnet, die am Hofe des Erzherzogs Ferdinand Karl in Innsbruck vom Jahre 1659 bis 1662 angestellt war. Die Bezeichnung ›Inspruggische Comoedianter (Comoedianten), In(n)spruggische Compagni Comoedianten, Innspruckerische, geweste Innsprukherische, Insprug(g)erische Comoedianten‹ findet sich dann in den verschiedenen Bittschriften und Aufzeichnungen bis zum Jahre 1675.« Ludvik (1971), S. 3. 421 Vgl.: Flemming, Willi: Geschichte des Jesuitentheaters in den Landen deutscher Zunge. Berlin: Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte, 1923 (= Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte; Bd. 32). S. 127f.; – Rudin (2010), S. 88. 422 Die Eggenbergischen Comœdianten war ein von etwa 1676 bis 1691 fest bestalltes Ensemble ˇ esky´ Krumlov. Zu den Eggenbergiam Hof von Johann Christian Fürst von Eggenberg in C schen Comœdianten, siehe: Rudin (2010); – Rudin (1996); – Neuhuber (2006); – Ludvik (1970); – Havl&cˇkov#, Margita; Neuhuber, Christian (Hgg.): Johann Georg Gettner und das barocke Theater zwischen Nikolsburg und Krumau. Brno: Masarykova univerzita, 2014; – Z#loha, Jirˇ&: Zu den Anfängen der ›Eggenbergischen Hofkomödianten‹ in Böhmisch Krumau. In: Maske und Kothurn 48 (2002), S. 265–269; – Sˇim#kov#, Jitka; Mach#cˇkov#, Eduarda: ˇ esk8m Krumloveˇ. Bd. 1. Praha: Knihovna N#rodn&ho muzea, Teatralia z#meck8 knihovny v C 1976; – Asper, Helmut G.: Kilian Brustfleck alias Johann Valentin Petzold und die Eggenbergischen Komödianten. In: Maske und Kothurn 16 (1970). S. 20–59. 423 Vgl.: Noe, Alfred (Hg.): Spieltexte der Wanderbühne. 5. Bd.; Zweiter Teil: Italienische Spieltexte aus unveröffentlichten Handschriften (= Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts; Bd. 157). Berlin; New York: Walter de Gruyter, 1999. S. 1252. 424 Möller, Gabriel: Tragicomoedia Der verirrte Liebes-Soldat oder des Glückes Probierstein. (Dresden, 1689). Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 13158 Han. 425 Neben dem signifikanten und unregelmäßigen Schriftbild hat der Schreiber zum einen die Gewohnheit hin und wieder Sprecheinsätze zumindest zweier Sprecher in eine Zeile zu schreiben. Zum anderen zeigt er eine signifikante Vorliebe für Abkürzungen, neben den auch in anderen Handschriften anderer Schreiber anzutreffenden Kürzel oder Abkür-

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spieler*innen der Innsbrucker Comœdianten später Mitglieder der Eggenbergischen Comœdianten waren, ist aber zumindest davon auszugehen, dass es sich auch in ihrem Repertoire befand. Gabriel Möller begann seine Karriere bei den Kursächsischen Comœdianten unter der Leitung von Johannes Velten, schien dann Mitglied der Truppe Catharina Elisabeth Veltens sowie Hermann Reinhard Richters gewesen zu sein und war auch zwischendurch und danach als Prinzipal aktiv (vgl. II. 2. 2.). Er kooperierte mit Theaterschaffenden, die im Umfeld Stranitzkys in Wien (Anton Joseph Geissler, Christoph Benjamin Horn und dem Ehepaar Benecke bzw. Bönicke) tätig waren.426 Dass sich Möllers Handschrift in Wien findet, mag auf seine Kooperationspartner zurückzuführen sein. Unklar ist aber unter welchen Umständen er den Spieltext selbst erhalten hatte427 und wer dieses Drama von den Comœdiant*innen, mit denen er in Kontakt stand, noch gespielt haben mag. Insgesamt lassen sich vier Aufführungen durch das Berufstheater belegen: Michael Daniel Treu spielte es 1668 in Nürnberg428 und 1683 unter dem Titel der geistliche Andronicus in München429, zudem wird es als Der gecreuzigte andronicus430 im so genannten Weimarer Repertoire genannt, was auf eine Aufführung in Nürnberg im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts hinweist. Außerdem wurde es von einer namentlich nicht ausgewiesenen Truppe 1671 in Würzburg gespielt.431 Somit war es definitiv im Repertoire der Innsbrucker Comœdianten, Michael Daniel Treus und Gabriel Möllers. Der vom Christenthum abgefallene und dazu wiederbekehrte Andronicus sticht aufgrund seiner geistlichen Thematik gegenüber den anderen Dramen des Kodex hervor und regt dazu an, das Verhältnis von frühem Berufstheater und der Ordnungsmacht Kirche in einer Zeit, die von konfessionellen Differenzen bestimmt war, zu untersuchen. Zur Erfassung dieses Zusammenhangs werden

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zungen für »nicht«, »den/m«, »a[ber]/ a[uch]« und »der«, verwendet er darüber hinaus solche für »durch«, »welcher«, »welche«, »welches« sowie für die Silben »ver« und »ber«. Schließlich schreibt er die Pronomen »mir« und »dir« häufig mit »ie«, d. h. »mier« und »dier«. Vgl.: Rudin, Bärbel: Der Prinzipal Heinrich Wilhelm Benecke und seine »Wienerische« und »Hochfürstlich Bayreuthische« Schauspielergesellschaft. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 62 (1975), S. 179–233. Hier: S. 203–208; – Asper (1975), S. 17f. Auf dem Titelblatt der Spielhandschrift steht: »Die Comoedia hat mier gegeben Mons. Johann Adolph Eck von Franckfurt am Main« und kann sich aber auch auf das am Titelblatt ebenfalls verzeichnete Drama »Jason ünt Med‹ea›« (= Comoedia genandt: Der durchläuchtige Schiffadmiral Jason. Oder Das bezauberte güldene Flüß) beziehen, siehe Kodex Ia 38.589, fol. 318r. Wer aber Johan Adolph Eck ist und in welchem Zusammenhang er mit dem Berufstheater stand, konnte bisher nicht geklärt werden. Vgl.: Birken (1971), S. 397. Vgl.: Trautmann (1889), S. 310. Vgl.: Meissner (1884b), S. 150. Vgl.: Schulz (1970), S. 46.

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drei Ebenen in den Blick genommen: Erstens das Verhältnis von frühem Berufstheater und Kirche sowie Konfession als zu bewältigender Faktor (III. 1). Zweitens die Gegenüberstellung der beiden Theaterformen Jesuitentheater und Berufstheater anhand des Andronicus (III. 2.). Und schließlich die Figur des Märtyrers bzw. der Märtyrerin in Hinblick auf ihre Funktionalisierung (III. 3.).

III.1. Geistliche Theaterfeindlichkeit und Konfession Das Christentum hatte zwar mit dem Nachweis vom Ursprung von Theater in einem polytheistischen Kult eine theologische Begründung432 für seine Ablehnungshaltung gefunden, jedoch gehörte der Gegenstand Theater zu den Adiaphora – den Mitteldingen, also jenen Gegenständen, die von Gott weder geboten noch verboten sind, zu denen die Bibel schweigt – weshalb die theologische Diskussion über Theater mit der Auslegung der Adiaphora selbst in Zusammenhang stand: Die einen deuteten das Schweigen als Verbot, andere wiederum machten die Beurteilung dieser Gegenstände von ihrem Gebrauch und Missbrauch abhängig.433 Seitens der Kirche fanden sich deshalb immer wieder auch Stimmen, die in Hinblick auf theatrale Praktiken Differenzierungen vornahmen und damit zwischen verdammungswürdigen und legitimen Spielen unterschieden, wobei der Inhalt der Darbietung und die Quantität sowie die Qualität des Körpereinsatzes Beurteilungskriterien waren.434 Mit der Aneignung theatraler Praktiken durch die katholische sowie später durch die evangelische Kirche wurden Differenzsetzungen tatsächlich auch notwendig. Glaubenskonforme und pädagogisch-sinnvolle theatrale Praktiken wie das Schultheater wurde den legitimen Spielen zugeordnet; das Berufstheater, das sich zur Bestreitung des Lebensunterhalts am Publikumsgeschmack orientieren musste, wurden den verdammungswürdigen Spielen zugerechnet.435 Während Katholiken und Lutheraner die Beurteilung von Theater weitgehend von ihrem Gebrauch abhängig machten, forderten vor allem Calvinisten und Anhänger der 432 Vgl.: Schnusenberg, Christine: Das Verhältnis von Kirche und Theater. Dargestellt an ausgewählten Schriften der Kirchenväter und liturgischen Texten bis auf Amalarius von Metz (a. d. 775–852). Bern; Frankfurt am Main; Las Vegas: Peter Lang, 1981 (= Europäische Hochschulschriften; Reihe XXIII Theologie; Bd. 141). S. 31. 433 Vgl.: Laube, Stefan: Von der Reliquie zum Ding: Heiliger Ort – Wunderkammer – Museum. Berlin: Akademie Verlag, 2011. S. 371. 434 Vgl.: Zimmermann, Julia: Gestus histrionici. Zur Darstellung gauklerischer Tanzformen in Texten und Bildern des Mittelalters. In: Egidi, Margreth et al. (Hgg.): Gestik: Figuren des Körpers in Text und Bild. Tübingen: Narr, 2000 (= Literatur und Anthropologie, Bd. 8). S. 71–85. Hier : S. 75f. 435 Vgl.: Hulfeld, Stefan: Theatergeschichtsschreibung als kulturelle Praxis. Wie Wissen über Theater entsteht. Zürich: Chronos, 2007 (= Materialien des ITW Bern; Bd. 8). S. 66–77.

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pietistischen Bewegung die Unterlassung aller als Adiaphora bestimmten Handlungen und Gegenstände.436 Zu den pauschal theaterfeindlichen Theologen zählte der pietistische Magdeburger Pastor Johann Josef Winckler, der unter Berufung auf Chrysostomos seinen Unmut über das Theater mit einer Streitschrift zu verbreiten suchte und den Standpunkt vertrat, dass Schauspiele und deren Besuch mit den christlichen Werten dezidiert unvereinbar seien.437 Sein zentrales Argument bezieht sich auf die Wirkung von Theater : Theater würde Wollust erregen. Maßgeblich verantwortlich seien hierfür vor allem die Schauspielerinnen, deren Kostüme, Gebärden und Spiel eine solche Wirkung auf die männlichen Besucher ausüben würden. Die durch die Schauspielerinnen evozierte Wollust hätte die Zerrüttung der Ehe und damit eine gemeinschaftsschädigende Wirkung zur Folge. Im Anschluss kritisiert Winckler das Spielen von geistlichen Dramen durch das Berufstheater : Es sei ein listiger »Griff des Satans denen Comödien einen guten Schein zu geben«438 und widersinnig, dass sich die Christen lieber von angeblich Verdammten, die die biblischen Stoffe durch das Medium der Fleischlichkeit (also durch den Leib der Schauspieler*innen) präsentieren und mit Narrenpossen unterlegen, erbauen ließen als von dazu vorgesehenen christlichen Autoritäten. Zudem stößt er sich am Lebenswandel der Berufsschauspieler*innen, die sich gegen eine geordnete Lebensführung entschieden hätten und somit unmöglich eine Vorbildfunktion einnehmen, geschweige denn in die Rolle von Heiligen schlüpfen könnten. Die Prinzipalin Catharina Elisabeth Velten439 setzte sich 1701 mit der Streitschrift Zeugnis der Warheit Vor Die Schau-Spiele oder Comödien gegen Wincklers Vorwürfe zur Wehr. Sie leitet ihre Streitschrift mit sechs üblichen Vorwürfen gegen Schauspiele ein. Bevor sie aber auf diese eingeht, schickt sie die Prämisse voran, dass Schauspiele nicht pauschal zu beurteilen seien, da es gelte »den rechten Gebrauch und den Mißbrauch eines Dinges« zu unterscheiden.440 Schauspiele, die unehrbar, unzüchtig, voll von Frechheiten und Ärgernissen wären, seien zu verwerfen, jedoch könnten nicht die Schauspiele selbst verurteilt 436 Vgl. Laube (2011), S. 371; – Stockinger, Ludwig: Ficta Respublica. Gattungsgeschichtliche Untersuchungen zur utopischen Erzählung in der deutschen Literatur des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer, 1981. S. 246; – Jahn, Bernhard: Die Sinne und die Oper. Sinnlichkeit und das Problem ihrer Versprachlichung im Musiktheater des nord- und mitteldeutschen Raumes (1680–1740). Tübingen: Niemeyer, 2005. S. 132–146. 437 Winckler, Johann Joseph: Des Heil. Vaters Chrisostomi Zeugnis der Wahrheit wieder die Schau-Spiele oder Comödien/ […]. Magdeburg: Johann Daniel Müller, 1701. Abgedruckt in: Niessen (1940). 438 Winckler (1701), Blatt B2. 439 Zu Catharina Elisabeth Velten, siehe: Scherl, Adolf; Rudin, Bärbel: Catharina Elisabeth Velten. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 714–717. 440 Velten (1701), Blatt A3c.

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werden, sondern nur das Publikum, das sich an ihnen belustige. Anschließend hebt sie den Nutzen von Theater hervor, wie die Aufmunterung des Gemüts, die Präsentation schöner Geschichten in lebendigen Bildern und das Wirken auf die Affekte des Publikums und belegt den Nutzen der Schauspiele anhand von Beispielen, in denen diese Missstände aufgezeigt und eine belehrende Wirkung ausgeübt hätten (vgl. auch IV. 2. 4.). Weiterhin sei in der Bibel selbst von keinem Verbot der Schauspiele die Rede, und falls sie tatsächlich so gottlos wären, könnte man diese nicht an fürstlichen Höfen vorfinden. Zudem könnten die Schauspiele selbst nicht im Widerstreit zu den zehn Geboten stehen, da nur Schauspieler*innen und Publikum gegen diese verstoßen könnten. Durch die Bestimmung von Schauspielen als »lebhaffte Tugend- und Laster-Spiegel/ jene zuthun/ diese zulassen: Sie sein lebende Lehr- und Lebens-Fürstellungen/ daraus wir in Lehr und Leben können unterrichtet werden«441, d. h. durch ihre Ausweitung auf den Begriff der Darstellung und durch ihre Gleichsetzung mit der Rhetorik der Bibel als Aneinanderreihung von Darstellungen versucht Velten zu demonstrieren, dass das Schauspiel selbst in seiner Verfasstheit nicht gottlos sein kann, da sich auch Gott dieser Technik bediene. Mit dem Rückgriff auf den Theatrum-mundi-Topos, dem Schauspiel als Grundprinzip, soll dieses gänzlich rehabilitiert werden. Der erste der insgesamt sechs Vorwürfe, mit denen sich die Schauspieler*innen konfrontiert sahen, lautet, dass die Schauspiele des Öfteren die Gesetze der Ehrbarkeit überschreiten würden. Velten gibt Chrysostomos in Bezug auf die heidnischen Spiele recht, brandmarkt diese als eine missbräuchliche Verwendungsform von Theater und setzt sie den »Engelländische[n] Comödien« gleich.442 Dass sie die Schauspiele der englischen Comœdianten als missbräuchlich einstuft, irritiert, da konstitutive Elemente deren Spielpraxis auch in ihrer Theaterpraxis präsent waren. Allerdings gerieten die englischen Comœdien im Laufe der 1670er aus der Mode und Velten richtete ihren Fokus verstärkt auf Dramen romanischer Provenienz (vgl. IV. 1. und IV. 2. 2.).443 Es hat den Anschein, dass sie über die Abgrenzung von den englischen Comœdien und Comœdianten ihr eigenes bzw. auch das zeitgenössische Theaterschaffen positiv hervorzuheben versucht und das Negative, das mit Berufscomœdiant*innen und ihrer Theaterpraxis verbunden wurde, an angeblich überwundene Phänomene, d. h. an die englischen Comœdianten binden will. Dem zweiten Vorwurf, dass die Schauspiele den Bedürfnissen eines wollüstigen Publikums nachkommen würden, hält sie den sozialpädagogischen Nutzen von Theater entgegen:

441 Velten (1701), Blatt B3f. 442 Velten (1701), Blatt C2. 443 Vgl.: Scherl; Rudin (2013), S. 714; – Speyer (1926).

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Was die Personen anbelangt/ so schöpffen auch diese daraus ihren grossen Nutzen; indem ihr Verstand durch Erkäntniß vieler Denckwürdigkeiten und unterschiedlichen Historien geschärffet/ in ihren Willen ein Haß gegen die Laster/ und hingegen ein Verlangen zu den Tugenden erwecket/ das Gedächtniß excolirt und eine Sache desto länger zu behalten gestärcket/ die Sprache fertiger und freudiger/ und die Sitten zur zierlichen Höfflichkeit auffgemuntert werden.444

Zudem versucht sie Wincklers Vorurteile gegenüber Schauspieler*innen durch Nennung von Geistlichen, die mit ihr auf Reisen waren, zu entkräften (vgl. auch II. 2. 1.). Der dritte Vorwurf betrifft den von Gott verbotenen Kleiderwechsel zwischen den Geschlechtern, so wie dieser im Theater praktiziert werde: Hier unterscheidet Velten zwischen einem betrügerischen und nützlichen Ziel; so wäre die Verkleidung zum Zweck einer Hilfeleistung eben kein Betrug. Unter der Prämisse der nützlichen Schauspiele seien Verkleidungen zur Darstellung gewisser Personen erforderlich. Sie entkoppelt also den Kleiderwechsel von der Geschlechtlichkeit und merkt an, dass die Schauspieler*innen auch nicht nackt auf die Bühne treten können. Dem vierten Vorwurf, dass sich die lebendig gezeigten Laster tiefer in die Seele als die Tugenden einbrennen würden, begegnet sie durch den Verweis auf die Verantwortung des Publikums; auch würden weder Predigt und Bibel auf Lasterschilderung verzichten. Fünftens sei das Lehren durch Schauspiele zwar eine heidnische Erfindung, aber sie hält entgegen, dass Theater auch einem guten Zweck dienen könne und verweist auf das Schultheater, das sich selbst dieses heidnischen Brauches bediene. Gegen den letzten Punkt, dass Theater Zeit- und Geldverschwendung sei, wendet sie ein, dass Theater unter den bisher genannten Voraussetzungen und unter der Einhaltung von Maß und Ziel einen Nutzen für die Allgemeinheit habe. Abseits pauschaler Theaterfeindlichkeit wurden die Schauspieler*innen häufig mit der Illegitimität ihres Schauspiels konfrontiert, selbst wenn es sich um geistliche Dramen handelte. Die Kriterien für den rechten Gebrauch von Theater schienen in der Beurteilung der Geistlichkeit über die Wahl des Stoffes hinauszugehen, sowohl auf protestantischer als auch auf katholischer Seite. 1606 intervenierte der lutherische Prediger des Wolgaster Hofes Magister Gregorius Hagius zu Loitz gegen eine geplante und vom Herzog Philipp Julius von Pommern-Wolgast bestellte Aufführung englischer Comœdianten in der Schlosskirche. Seine Sorge um die Entweihung dieses heiligen Ortes, dass aus der Kirche ein »Spielhaus, ein Tantzplatz, ein Possenkram vnd Narrenmarckt«445 gemacht werden würde, gründete nicht nur in der angeblich »unchristlichen« und 444 Velten (1701), Blatt C3b. 445 Zitiert nach: Meyer, C. F.: Englische Komödianten am Hofe des Herzogs Philipp Julius von Pommern-Wolgast. In: Jahrbuch der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft 38 (1902), S. 196–211. Hier: S. 200f.

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»leichtfertigen« Spielweise der Berufsschauspieler, die die geistlichen Stoffe mit »steckerey, lieder, tantz vnd gaukeley«446 untersetzten, sondern auch in der Konfession der Comœdianten, die entweder katholisch, calvinistisch oder/und zwinglisch wäre – so genau wusste er es nicht. Außerdem nannte er die englische Sprache, in der gespielt werden sollte, womit die Überprüfung der Anständigkeit des Spiels nicht gewährleistet werden konnte. Zuletzt beanstandete er, dass die von den Schauspielern aufgeführten Späße auf ihre Sünd- und Lasterhaftigkeit als Menschen schließen lasse. Der Ausgang seiner Intervention ist ungewiss.447 Insgesamt zeigte er sich zwar nicht prinzipiell theaterfeindlich, als Geistlicher versuchte er aber seinen Bereich, die Kirche, zu schützen. Vor allem vor dem Hintergrund der Konfessionalisierung wog das Argument der mehr oder minder religiösen Erbauung durch Comœdianten einer anderen Konfession schwer. Die englischen Comœdianten spielten anfangs häufig Stücke geistlichen Inhalts, also Stoffe, die dem Publikum bekannt waren, und versuchten so die Sprachbarriere zu umgehen.448 Diese Sparte des Repertoires blieb im Berufstheater allerdings auch erhalten, nachdem die Sprachbarriere durch ausreichende Sprachkenntnisse überwunden war. Mit dem Spiel bzw. der Ankündigung von Stücken geistlich-biblischen Inhalts wollten die Theatertruppen etwaigen zeitlich und geistlich begründeten Spielverboten und Vorbehalten entgegenwirken. Laut Hövel hätten sich die Truppen mit der Geistlichkeit im 16. Jahrhundert darauf geeinigt, an Sonn- und Feiertagen – nicht parallel zum Gottesdienst – biblische Stoffe zu spielen. Später, anfangs des 17. Jahrhunderts, sollte das Spiel an solchen Tagen gänzlich verboten sein.449 Dieser Imperativ der heiligen Zeit (Advent-, Fastenzeit, Sonn- und Feiertage) »diente zuweilen als einfaches Argument gegen unerwünschte Veranstaltungen«450, wurde aber nicht immer zur Anwendung gebracht. Konfliktstoff bot außerdem die Ankündigungspraxis der englischen Comœdianten, die angeblich zur Zeit des Gottesdienstes mit Pauken und Trompeten für ihr Theaterspiel warben und dabei den Gottesdienst beeinträchtigten, sodass diese für die Geistlichkeit ungünstige Praxis verboten bzw. mit einem Entzug der Spielerlaubnis geahndet wurde.451 Die frühen wie die späteren Schauspieltruppen zeigten sich von den konfessionellen Spannungen nicht unberührt und wandten verschiedene Taktiken an. Dazu zählte die Konversion, die Spezialisierung auf eine bestimmte Klientel und 446 447 448 449

Zitiert nach: Meyer (1902), S. 204. Vgl.: Meyer (1902), S. 199–207. Vgl.: Haekel (2004), S. 46. Vgl.: Hövel, Ernst: Der Kampf der Geistlichkeit gegen das Theater in Deutschland im 17. Jahrhundert. Münster : Universitätsbuchhandlung Franz Coppenrath, 1912. S. 30–32. 450 Hulfeld, Stefan: Zähmung der Masken, Wahrung der Gesichter. Theater und Theatralität in Solothurn, 1700–1798. Zürich: Chronos, 2000 (= Theatrum Helveticum; Bd. 7). S. 403. 451 Vgl.: Hövel (1912), S. 315f.

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die Umarbeitung ihrer Stücke nach konfessionellen Gesichtspunkten. Unter den anfangs protestantischen englischen Truppen im deutschsprachigen Raum kam es zu einer Konversionswelle zum Katholizismus, die auch in politischen Implikationen gründete und sich in topographischen Differenzierungen (je nach Konfession des jeweiligen Gebietes) niederschlug.452 Dass sich deutsche Truppen für gegenreformatorische Dienste einspannen ließen oder ihre Stücke den jeweiligen konfessionellen Gegebenheiten und Anforderungen anpassten, zeigt die von Bärbel Rudin dokumentierte Spielpolitik der Schauspielerfamilie Elenson: Der Aktionsradius des aus Wien stammenden und katholischen Andreas Elenson war in der ersten Phase seiner Prinzipalschaft auf habsburgischen Boden konzentriert, später fand er sich vermehrt im engeren Umfeld katholischer Fürst*innen norddeutscher Herkunft.453 1692 spielte er in Breslau vor dem Fürstbischof Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, der zu seinen Förderern zählte, das dem Jesuitentheater entlehnte Drama Das Leben des heil. Eustachii, »mit Wundern, mit Jesus, der als Knabe auftritt, mit Märtyrer-, Jagd- und Schäferszenen und mit dem Pickelhering«454. Im Gegensatz zum Wolgaster Hofprediger schien sich der Fürstenbischof nicht an dieser Inszenierungsweise geistlicher Dramen zu stoßen. Als Berufsschauspieler war es Elenson nicht immer möglich, sich auf katholische Gebiete zu beschränken, was die Anpassung der von ihm gespielten geistlichen Stücke an die vorherrschenden konfessionellen Rahmenbedingungen notwendig machte. Ebenso wie die Engländer dem Drama Niemand und Jemand 1608 in Graz eine katholische und antiprotestantische Konnotation verliehen455, spielte Elenson 1690 im Falle des geistlichen Stücks St. Margareta und St. Georg eine Fassung, die protestantischen Vorgaben entsprach: Das in Görlitz ausgegebene Programm überrascht einerseits mit der schon bei Paulsen bemerkbaren Abwesenheit des Pickelhering. Es dokumentiert andererseits die atmosphärischen Auswirkungen der kontroverstheologischen Dogmatisierung im Luthertum durch prägnante Abweichungen gegenüber der älteren Fassung: War dort der zum Märtyrertum bestimmten Heiligen im Traum und beim Gebet ›der Herr Christus‹ erschienen, so erfüllte diesen Part hier nun ein Engel, der – aus protestantischer Sicht einwandfrei – als imaginäres Wesen im Personenverzeichnis nicht vorkommt. Ganz wichtig ferner die Reinwaschung der Heldin von den Anstößigkeiten der katholischen 452 Vgl.: Haekel (2004), S. 60–75. 453 Dazu zählten: Herzogin Charlotte von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Wiesenburg, Herzog Julius Franz von Sachsen-Lauenburg, dessen Tochter Sibylla Augusta und dessen Schwiegersohn Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden. Vgl.: Rudin, Bärbel: Von Alexanders Mord-Banquet bis zur Kindheit Mosis. Eine unbekannte Kollektion von Theaterzetteln der Wanderbühne. In: Daphnis 35 (2006), S. 193–261. Hier: S. 216; 221f.; 224–226; 234. 454 Zitiert nach: Rudin (2006), S. 218. 455 Vgl.: Haekel (2004), S. 60–63.

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Heiligenverehrung. Sie hieß Margaretha, die fromme Frau, und wurde für nichts anderes als ihren personalen Glauben geköpft. Vollends unangreifbar machten sie semantische Anleihen beim ritterlichen Nimbus durch die Aufwertung des edlen Drachentöters, einer Episodenrolle, zur alleinigen Titelfigur.456

Trotz dieses Beispiels konfessioneller Wendigkeit ist eine Überpräsenz des Katholizismus der Familie Elenson sowohl in Bezug auf ihre Gönner als auch in innerfamiliärer Hinsicht wahrnehmbar, sodass Bärbel Rudin in diesem Zusammenhang von »Katholizismus als Unternehmensprofil« spricht.457 Neben Julie Sophie Elenson, die ihrem Mann Julius Franz (= Andreas Elensons Sohn) zuliebe zum Katholizismus konvertierte und ihre Kinder katholisch taufen ließ, zählte auch Michael Daniel Treu zu den bekannten Konvertiten des frühen deutschen Berufstheaters, der das katholische Bekenntnis im Zuge seiner Anstellung am Münchner Hof annahm.458 Innerhalb der Truppen konnte es aber auch zu konfessionell bedingten Spaltungen kommen, wie zwischen John Green und Robert Browne459 oder wie in der zweiten Generation der Elensons, die nach der Heirat der zwischenzeitlich verwitweten Sophie Elenson mit dem protestantischen Johann Caspar Haacke in einen protestantischen und katholischen Flügel zerfiel.460 Den Innsbrucker Comœdianten, die sich auch mit geistlichen Stücken um Spielkonzessionen bewarben, wurde immer wieder unter anderem aufgrund ihres angeblich lutherischen und calvinistischen Bekenntnisses sowie der Inszenierungsweise ihrer geistlichen Dramen die Spielbewilligung verwehrt. Dabei erwiesen sich vor allem Graz und Augsburg zumindest temporär als schwieriges Terrain. In Graz waren es die Jesuiten und in Augsburg die Meistersinger, die gegen das Berufstheater intervenierten – Institutionen, die selbst Theater spielten und ihr Monopol auf geistliche Dramen geltend machen wollten. Zwar waren die Augsburger Meistersinger keine geistlichen Autoritäten, jedoch kritisierten sie die geistlichen Stücke der Innsbrucker Comœdianten, die angeblich Liebeskomödien wären, und fügten hinzu, dass diese im Gegensatz zu den Meistersingern weder genug Schauspieler noch die geeignete Kleidung zur Inszenierung solcher Stücke hätten.461 Das Abschlagen der Spielbewilligung wurde hier also auch ästhetisch begründet, da die Meistersinger ihnen angeblich im Spielen geistlicher Stücke überlegen wären. Dass hierbei auf Seiten der Augsburger Meistersinger Konkurrenzfeindlichkeit im Spiel war, erkannten 456 457 458 459 460 461

Rudin (2006), S. 237f. Vgl.: Rudin (1995), S. 335–341; – Rudin (1988), S. 79. Vgl. Trautmann (1889), S. 305. Vgl.: Haekel (2004), S. 61. Vgl.: Rudin (1995), S. 354. Vgl.: Ludvik (1971), S. 21f.; 25f.

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auch die Innsbrucker Comœdianten und machten noch vor Bekanntwerden der Antwort eine Eingabe, in der sie ihre Kosten hervorhoben und zu erläutern versuchten, dass den Meistersingern durch ihre Anwesenheit kein Verlust entstehen würde. Es half nichts, die Eingabe wurde abgeschlagen und zudem mit der Mobilität und Ortsfremdheit der Berufsschauspieler*innen begründet – schließlich könnten sich gefährliche Personen unter dem Deckmantel von Comœdianten in Augsburg einschleichen.462 Der Monopolanspruch auf geistliche Dramen seitens der Meistersinger ist insofern interessant, da, wie etwa in Nürnberg, die Handwerkerspiele selbst immer wieder als Ärgernisse gebrandmarkt wurden und im Brennpunkt der geistlichen und obrigkeitlichen Kritik standen. Durch die Zunahme des theatralen Angebots durch das Schul- und Berufstheater verschärfte sich die Beurteilung der Spiele der Meistersinger, deren Laienspiel nicht mit der Professionalität der Berufsschauspieler*innen konkurrieren konnte463 und deren Nutzen im Laientheatersektor durch das als erbaulich eingestufte Schuldrama in Frage gestellt wurde.464 1663 wurde den Innsbrucker Comœdianten in Graz mit der Begründung, dass einige Mitglieder nicht-katholischen Glaubens wären, die Spielbewilligung verweigert. Als sie anschließend in Wien um eine Spielerlaubnis ansuchten, wurde diese zuerst erteilt und anschließend zurückgenommen. Hadamowsky nimmt an, dass der Kaiser nachträglich von der Ursache für die Grazer Ablehnung erfahren und die Bewilligung deshalb zurückgezogen hat.465 Schließlich spielten sie im Herbst 1665 doch noch in Graz. Als sie um eine Verlängerung ansuchten, wurde ihnen diese verwehrt. Argumentiert wurde, wie Ludvik zusammenfasst, mit der Hoftrauer, dem schlechten Einfluss der Schauspiele auf den Arbeitseifer von Studierenden und Hauspersonal, der Verleitung zu frivolem Verhalten und schließlich mit Bedenken religiöser Natur.466 Religiös bedenklich war wieder die Konfessionszugehörigkeit der Schauspieler*innen, die zu »mehrer theil Lutherisch oder Caluinisch«467 seien. Die moralischen Kritikpunkte sind allgemeiner Natur und entsprechen eher Gemeinplätzen, als dass sie auf konkrete Ereignisse Bezug nehmen würden. Dabei lässt sich die jesuitische Handschrift nicht leugnen, die sich hier nicht zuletzt in der Kritik an den gespielten Dramen zeigt. Diese würden nicht der Erbauung der Jugend dienen, sondern diese stattdessen vom Studieren abhalten, zu unzüchtigem Verhalten 462 Vgl.: Ludvik (1971), S. 26. 463 Vgl. zur Beurteilung der Nürnberger Meistersinger : Paul (2002), S. 30–36. 464 Vgl. zur Beurteilung der Breslauer Meistersinger : Koch, Max: Ein geistliches Gutachten gegen Komödien von 1582. In: Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte, Neue Folge 13 (1899), S. 202–205. 465 Vgl.: Hadamowsky (1988), S. 108. 466 Vgl.: Ludvik (1971), S. 23. 467 Zitiert nach: Ludvik (1971), S. 23.

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verleiten und Verführungskünste lehren, und in weiterer Folge den Ruf der verführten Frauen schädigen.468 Die Vorwürfe erinnern an das negative Gutachten eines evangelischen Pfarrers gegen ein von den Meistersingern 1582 in Breslau eingereichtes Spielgesuch, in dem ebenfalls auf unerwünschte Auswirkungen wie das Abhalten vom Studieren und die Verleitung zur Trunksucht Bezug genommen und das Schultheater als einzige Alternative entgegengestellt wurde.469 Auf diese Weise hob die Geistlichkeit ihre eigene besondere Stellung und ihren Anspruch als Inhaber eines Theatermonopols hervor. Aber selbst das geistliche Schultheater wurde von theaterfeindlichen Stimmen aus dem pietistischen und reformierten Lager kritisiert: Johann Jakob Breitinger, ein reformierter Züricher Theologe, richtete sich mit seiner 1624 veröffentlichten Schrift Bedencken von Comoedien oder Spilen in erster Linie dezidiert gegen das biblische Schuldrama. Ausgehend von der Auslegung der Adiaphora und dem von der Bibel verbotenen Kleidertausch ist für Breitinger nicht nur die Glaubensvermittlung durch eine heidnische Erfindung (= das Theaterspiel) ein blasphemischer Akt, sondern auch die Darstellung von Bibelereignissen auf der Bühne ein Verstoß gegen das Bilderverbot, weshalb Bibeldramen sogar sündhafter als weltliche Dramen seien. Letztere würden immerhin nicht gegen das Bilderverbot verstoßen. Den propagierten glaubensvermittelnden Nutzen von Theater versucht Breitinger durch Bezug auf die Kirchenväter zu widerlegen, die hierzu nie das Schauspiel, jedoch die Predigt und Lektüre der Heiligen Schrift empfohlen hätten. Dem missionarischen Nutzen begegnet er mit einem polemischen Verweis auf das für ihn abschreckende Beispiel der Jesuiten, die verkleidet versuchen würden, Protestanten von ihrem Glauben abzubringen. Nachdem er die positive Haltung einiger protestantischer Autoritäten gegenüber dem Schauspiel abzutun und zu entkräften versucht, warnt er vor den dämonischen Wirkungen des Theaters, wobei er die Persönlichkeitsveränderung der Agierenden nennt sowie Unglücksfälle, die über Städte hereingebrochen sein sollen.470 Für das Schauspiel des Berufstheaters auf reformierten Boden bedeutete dies, falls sie überhaupt eine Spielgenehmigung erhielten, den vertragsmäßigen Verzicht auf geistliche Inhalte.471 Dennoch wären Verallgemeinerungen fehl am Platze. Während Zürich für die Berufsschauspieler*innen unantastbar blieb, wie aus der Ablehnung eines Spielgesuchs des Prinzipals Johann Carl Samenham468 Vgl.: Ludvik (1971), S. 23. 469 Vgl.: Koch (1899), S. 202–205. 470 Vgl.: Brunnschweiler, Thomas (Hg.): Johann Jakob Breitingers »Bedencken von Comoedien oder Spilen«. Die Theaterfeindlichkeit im Alten Zürich. Edition – Kommentar – Monographie. Bern; Frankfurt am Main; u. a.: Peter Lang, 1989 (= Zürcher Germanistische Studien; Bd. 17). S. 1–63 bzw. 157–180. 471 Vgl.: Rudin (2006), S. 236.

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mer hervorgeht472, war etwa der calvinistische pfälzische Kurfürst Karl Ludwig ein begeisterter Theaterfreund und Förderer des Berufsschauspiels473. Nach Ludvik ist die vorgebrachte Begründung gegen die Innsbrucker Comœdianten in Bezug auf die Konfessionsangehörigkeit falsch – »als Grund der Ablehnung werden immer wieder falsch ihr lutherisches und kalvinisches Bekenntnis […] angegeben«474. Obwohl für die Jesuiten das religiöse Bekenntnis der einzelnen Schauspieler*innen wohl weniger bedeutend war als die mögliche Vermittlung protestantischen Gedankenguts, soll im Folgenden die Konfessionszugehörigkeit von Mitgliedern der Innsbrucker Comœdianten nachvollzogen werden. Johann Martin, auch bekannt als der Dichter Laurentius von Schnüffis, der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu der Truppe zählte, stammte aus Vorarlberg und besuchte gemeinsam mit Erzherzog Ferdinand Karl, in dessen Dienst er später mit den Innsbrucker Comœdianten stand, das Jesuitengymnasium in Feldkirch. Nach der Entlassung der Truppe vom Innsbrucker Hof wandte er sich vom Theater ab, vollzog die Priesterweihe und wurde Mönch.475 Johann Ernst Hoffmann, verheiratet mit Maria Ursula – gemeinsam mit Rebecca Schwarz zählt sie zu den ersten Schauspielerinnen im deutschsprachigen Raum und wurde nach dem Tod ihres Mannes die erste weibliche Prinzipalin476 –, ließ seine Töchter in Innsbruck taufen.477 Sein Sohn wurde 1664 in der Dompfarrei St. Ulrich in Regensburg getauft, die Patenschaft übernahmen der reformierte pfälzische Kurfürst Karl Ludwig, der katholische Erbprinz Ferdinand Maximilian von Baden-Baden, ein französischer Gesandter und drei adelige Damen, die die Reichsstädte Nürnberg, Augsburg und Frankfurt am Main repräsentierten.478 Peter Schwarz stammte aus Dresden und war somit wohl evangelisch getauft.479 Drei Kinder ließ er katholisch in Innsbruck taufen480, ein weiteres 1658 in Straßburg, dessen Pate der evangelische Graf (eines reformierten Gebiets) Friedrich Casimir zu Hanau-Lichtenberg war und der dieses Amt nochmals bei Schwarz’ 472 Vgl.: Rudin, Bärbel: Ein Wagen mit Rüstung und ein Pass aus Innsbruck. Theater-Journal der »Fürstlich. Eggenbergischen Komödianten« 1695–97. In: Havl&cˇkov#, Margita; Neuhuber, Christian (Hgg.): Johann Georg Gettner und das barocke Theater zwischen Nikolsburg und Krumau. Brno: Masarykova univerzita, 2014. S. 31–82. Hier : 71. 473 Vgl.: Rudin, Bärbel: Liselotte von der Pfalz als Theaterpatin. Komödianten unter kurpfälzischer Patronage. In: Heidelberger Jahrbuch zur Geschichte der Stadt 12 (2008a), S. 9–21. 474 Ludvik (1971), S. 23. 475 Vgl. zum Leben und Wirken Johann Martins: Gstach (2003); – Gstach (2017). 476 Vgl.: Rudin (1996), S. 476. 477 Vgl.: Senn (1954), S. 280. 478 Vgl.: Rudin (2008a), S. 16. 479 Vgl.: Ludvik (1971), S. 6. 480 Vgl.: Senn (1954), S. 281.

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Zwillingen 1668 in der reformierten Heidelberger Heiliggeistkirche übernahm, gemeinsam mit dem reformierten pfälzischen Kurfürsten, der Frau und zwei Kindern des Kurfürsten sowie dem reformierten Graf Friedrich Moritz zu Bentheim-Tecklenburg.481 Die Patenschaft, war nicht nur mit Geldgeschenken verknüpft, sondern auch ein »gern gepflegtes Mittel zur Geschäftspflege und Klientelbildung«482. Weitere bekannte Mitglieder der Truppe waren Johann Christoph Pernecker aus Wien483, der damit katholisch getauft war und dort im September 1672 mit Maria Anna Duson getraut wurde484 ; der aus dem evangelischen, jedoch zwangskatholisierten Bolkjw (Schlesien) stammende – er war an der protestantischen Universität in Frankfurt an der Oder immatrikuliert – Christoph Blümel (vgl. zur Zwangskatholisierung von Bolkjw III. 3.)485 und schließlich Johann Wohlgehaben, auf dessen Konfession sich keine Hinweise finden ließen. Es zeigt sich, dass die Truppe scheinbar nicht nur gemischt-konfessionell war, sondern vor allem auch frei von konfessionell begründeten Berührungsängsten agierte, wie nicht zuletzt aus den Taufepisoden hervorgeht. 1671 kam es in Graz zu einem Höhepunkt der Feindseligkeiten gegenüber dieser Truppe – konkret einer Splittergruppe der Innsbrucker Comœdianten unter Johann Wohlgehaben und Peter Schwarz (die Kerntruppe war um 1670 zerfallen): »die Studenten haben sich vor dem 5. 1. 1671 ›rottiert und einen Neuen tumult wider die Comoedianten und Ihren Gastgeb … Ackermann angefangen‹, was vom Stadtrichter stillschweigend geduldet wurde, weswegen er amtlich gerügt worden ist.«486 Es scheint, dieser Aussage nach, nicht der erste Zwischenfall gewesen zu sein. Der Stein des Anstoßes bleibt im Dunklen, dennoch wäre eine von den Jesuiten induzierte Aufstachelung der Jugend nicht undenkbar.

481 Vgl.: Rudin (2008a), S. 16. 482 Rudin (2008a), S. 16. 483 Vgl.: Scherl, Adolf; Rudin, Bärbel: Johann Christoph Pernecker. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 506–507. 484 St. Stephan, Trauungsbuch, 1669–1675, 195r. Pernecker (»Johann Christoph Pernegger«) wird hier als Grottierer (»Crottierer«), d. h. als Architekt von Grotten ausgewiesen. Maria Anna (»Mariana«) war bereits verwitwet. Trauzeuge war u. a. der »Comoediant« »Hanns Jacob Cullman« (= Jakob Kuhlmann?). 485 Vgl.: Bolte (1887), S. 201. 486 Ludvik (1971), S. 36.

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III.2. Andronicus – Jesuiten- und Berufstheater Zum Verhältnis von Jesuiten- und Berufstheater wurden verschiedene Annahmen getätigt. Kurt Adel etwa vertritt die Ansicht, dass sich das Jesuitentheater über die Aneignung von Inszenierungsweisen anderer Theaterformen gegen diese durchzusetzen versuchte: Die Spielübungen, neben denen das Jesuitendrama sich nun zu behaupten hat, sind die Wanderbühne, die Oper und das Ballett. […] Das Jesuitendrama übernimmt aus dem Bereich der Wanderbühnen eine Reihe von Späßen, das Stegreifspiel, die lustige Person. Es öffnet die Chorusszenen dem Einfluß der Oper oder des Balletts, bildet die festliche Form der Kaiserhuldigung unter dem Einfluß der Oper deutlicher aus. Bei solcher Vielfalt in den Formelementen bleibt es einheitlich im Willen, und die Bewahrung bei solcher Offenheit dem jeweils Neuen gegenüber ist ein deutliches Zeichen der Kraft. Wenn auch in dieser Zeit, in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, das Jesuitendrama und andere dramatische Formen einander so nahe stehen, ist der Grund nicht wie in der Frühzeit die geringe Ausbildung der eigenen Art, sondern die beherrschende Stellung, die andere zur Annäherung bewegt.487

Tatsache ist zwar, dass das Berufstheater Dramen jesuitischer Prägung adaptierte und einige Schauspieler, wie etwa Hans Martin488, im Rahmen ihrer gymnasialen Ausbildung mit dem jesuitischen Schultheater in Berührung gekommen waren. Dass das Jesuitentheater aber später, wie Adel behauptet, eine beherrschende Stellung eingenommen hat und sich andere Theaterformen diesem angeblich ästhetischen Idealtypus annäherten, scheint angesichts der vielfältigen Transferprozesse stark übertrieben. Frank Pohle wiederum behauptet, dass das Jesuitentheater das Berufstheater nicht als Konkurrenz wahrgenommen hätte: Die geringe Rezeption spricht dafür, dass die Wanderbühnen keine ernstzunehmende Konkurrenz für das Schultheater gewesen sind, da die Schauspielformen, ihre Zwecke und ihr Publikum doch zu unterschiedlich waren – oder zumindest die Abschottung des Schultheaters vor Einflüssen der ›unanständigen‹ Komödie funktionierte.489

Jedoch schließt Pohle ein von den Jesuiten empfundenes Konkurrenzverhältnis in Bezug auf die »geistig-literarische[n] Formung der eigenen Schülerschaft«490 nicht aus. Das Problematische an den hier angeführten Positionen ist deren Unkenntnis über die Spielpraxis des Berufstheaters, die eine genauere Bewertung des Verhältnisses erschwert. So reduzieren sowohl Adel als auch Pohle die 487 Adel, Kurt: Das Wiener Jesuitentheater und die europäische Barockdramatik. Wien: ÖBV, 1960. S. 18f. 488 Vgl.: Gstach (2003), S. 58–72. 489 Pohle (2010), S. 693. 490 Pohle (2010), S. 691.

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Besonderheit des Berufstheaters auf die comœdiantische Figur. Bei Pohle heißt es: Die englischen Wanderbühnen bzw. solche, die sich an der italienischen Commedia dell’Arte orientierten, dominierten zwar bis gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges die deutsche Theaterlandschaft, doch scheinen beide Spieltraditionen ohne Einfluss auf das hohe Schultheater geblieben zu sein und allenfalls Spuren in den Intermedien hinterlassen zu haben: In den Nachspielen zu den einzelnen Akten des Düsseldorfer Boetius von 1735 kommentiert Scaramutz die Handlung, und in der Jülicher Flavia von 1737 lassen sich in sehr konservativer, systemkonformer Deutung Elemente der Commedia dell’Arte finden, wenn zum Ende des dritten Aktes ›die Gasconnade des Harlequins [folget], wodurch die durch falschen Schein der Abgöttischen Religion vernarrte Welt ausgedrückt wird‹.491

Fraglos war Komik ein wichtiges Element der Spielpraxis der Berufsschauspieler*innen, wesentlich war aber vor allem ihre Professionalität, die sich nicht zuletzt in ihrer schauspielerischen Kompetenz und der Umsetzung effektvoller Szenen ausdrückte. Zumindest die Fertigkeit zur Produktion schockierender Effekte auf der Bühne hatten die Jesuiten vom Berufstheater übernommen.492 Bis zu Jakob Bidermann (1578–1639), ein jesuitischer Dramatiker, verfuhren die Jesuiten noch zurückhaltend mit auf der Bühne gezeigten Gewaltdarstellungen. Gewaltakte wurden durch Bericht vermittelt, im Ergebnis sichtbar oder akustisch wahrnehmbar gemacht.493 Später nahmen die Gewaltdarstellungen zu. Die Zunahme offener Gewaltdarstellungen bei den Jesuiten fällt also mit dem verstärkten Auftreten der Berufstheatertruppen zusammen, die als Spezialisten für die szenische Umsetzung derartiger Vorgänge galten.494 Da der Spieltext Der vom Christenthum abgefallene und dazu wiederbekehrte Andronicus auf das Jesuitendrama Andronicus Aegyptus zurückgeht, eröffnet der Nachvollzug seines Adaptionsprozesses ein besseres Verständnis von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Theaterformen Jesuiten- und Berufstheater. Von der jesuitischen Vorlage ist zwar kein Spieltext erhalten, dafür aber eine Vielzahl von Periochen, die Auskunft über diverse Ausgestaltungsmöglichkeiten dieses auf eine Heiligenlegende zurückgehenden Stoffes sowie über Grundzüge jesuitischen Dramenschaffens geben. Bevor im Detail auf die Inszenierung dieses Stoffes im Jesuitentheater eingegangen wird, wird das jesuitische Schultheater mit Hinblick auf seine Stellung im schulischen Alltag, 491 492 493 494

Pohle (2010), S. 692. Vgl.: Flemming (1923), S. 169. Vgl.: Flemming (1923), S. 167–168. Vgl.: Beise, Arnd: Verbrecherische und heilige Gewalt im deutschsprachigen Trauerspiel des 17. Jahrhunderts. In: Meumann, Markus; Niefanger, Dirk (Hgg.): Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert. Göttingen: Wallstein Verlag, 1997. S. 105–124. Hier: S. 106–108.

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seine Funktionen und Wirkungsabsichten erörtert. Im darauffolgenden Kapitel steht dann Andronicus im Kontext des Berufstheaters im Mittelpunkt. Auch hier werden grundsätzlich Annahmen über die Spielpraxis des frühen Berufstheaters vorangestellt, bevor hervorstechende Momente der Adaption mit spielpraktischen Prinzipien kontextualisiert werden.

III.2.1. Andronicus im Kontext des Jesuitentheaters Ausschlaggebend dafür, dass Jesuiten Schulen gründeten, war neben der Erziehung des Ordensnachwuchses und der Aufwertung des Klerus die schlechte Verfassung des katholischen Erziehungswesens im Gegensatz zum protestantischen.495 Die Protestanten hatten der katholischen Kirche moralische Korruptheit vorgeworfen und diese nicht zuletzt auf Bildungsfeindlichkeit und geistige Verrohung zurückgeführt.496 Für die Niederlassung von Jesuitenorden waren im Regelfall die Landesfürst*innen verantwortlich, die die Jesuiten mit finanziellen Mitteln unterstützten.497 Es war nicht nur die Durchsetzung der Gegenreformation498, die sich die Obrigkeit von den jesuitischen Ordensniederlassungen versprach. Die Jesuitengymnasien hatten auch positive Auswirkungen auf die städtische Wirtschaft, vor allem auf das Bauwesen und Kunsthandwerk, ferner konnte sich die städtische Bevölkerung über die Beherbergung von Schülern regelmäßige Einkünfte sichern.499 Argumentiert wurde außerdem mit der Wohlfahrt für die Untertanen sowie dem hervorragenden Bildungsangebot der Jesuiten.500 Letzteres kam der Obrigkeit im Besonderen entgegen, da das Schulziel »neben und vor der Vermittlung von Kenntnissen die Formung des Nachwuchses im Geiste der katholischen Reform, seine soziale Disziplinierung und seine Einordnung in Gesellschaft und Kirche«501 war. Die Begeisterung des Adels für das Jesuitentheater, das an manchen Orten eng an die Höfe gebunden war, ist nicht nur dem 495 Vgl.: Zeeden (1979), S. 161f. 496 Vgl.: Rädle, Fidel: Theatralische Formen der Wertekontrastierung im lateinischen Drama der Frühen Neuzeit. In: Meier, Christel; Meyer, Heinz; Spanily, Claudia (Hgg.): Das Theater des Mittelalters und der Frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation. Münster: Rhema, 2004 (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496; Bd. 4). S. 265–288. Hier: S. 266. 497 Vgl.: Pohle (2010), S. 20. 498 Vgl.: Drozd, Kurt: Schul- und Ordenstheater am Collegium S. J. Klagenfurt (1604–1773). Teil I. Wien: Diss., 1965. S. 1. 499 Vgl.: Pohle (2010), S. 21. 500 Vgl.: Zwanowetz (1981), S. 4–6. 501 Pohle (2010), S. 20.

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»festlichen Repräsentationsbedürfnis« geschuldet, sondern auch einem »politischen Kalkül«, nämlich seiner »›affirmative[n]‹ und solidarisierende[n] Wirkung« auf die Untertanen.502 Das jesuitische Schultheater erfüllte – sowohl nach innen als auch nach außen – pädagogische, glaubensvermittelnde und sozialdisziplinierende Funktionen. Theater wurde zu verschiedenen Anlässen gespielt. Dazu zählten neben der Fastnacht »die Feste des Kirchenjahrs, Marienfeste, Reliquienübertragungen, Einweihungen von Kirchen, die Hochzeit oder der Besuch fürstlicher Persönlichkeiten.«503 Eine hervorgehobene Stellung hatten die so genannten Herbstspiele (ludi autumnales), die mit der Prämienverleihung an die besten Schüler verbunden waren. Die Studienordnung reglementierte Theaterspiele sowohl in Hinblick auf Quantität als auch Qualität: So sollte nur selten, jedoch stets auf Latein gespielt werden, die Stücke einen geistlichen und erbaulichen Inhalt haben, weibliche Kostümierungen waren verboten.504 Manche dieser Bestimmungen wurden aber zumindest temporär außer Kraft gesetzt. Das zeigt sich etwa in den Diskussionen über die Häufigkeit theatraler Veranstaltungen505, oder in Bezug auf das Verbot weiblicher Rollen, das in Innsbruck 1603 aufgehoben wurde506. Die Theateraufführungen, hervorzuheben sind die Herbstspiele, waren fester Bestandteil der Studienordnung und bildeten den Höhepunkt der rhetorischen Ausbildung. Das Hauptaugenmerk der jesuitischen Gymnasien lag in der Vermittlung des Lateinischen und Altgriechischen, weshalb die Studienordnung auf die Wahrung strikter Latinität im Rahmen theatraler Veranstaltungen pochte. Das vorrangige Unterrichtsziel war das Erlernen des Lateinischen in Wort und Schrift, dabei wurde ein wesentliches Augenmerk auf die Vermittlung rhetorischer Fertigkeiten gelegt, nicht zuletzt um die Glaubenslehre begründen und verteidigen zu können.507 Der Rhetorikunterricht bestand aus einer Reihe von Übungen: Bei der praelectio hatten sich die Schüler die Argumentation eines vom Lehrer vorgetragenen Textes einzuprägen und diese frei in der recitatio vor der restlichen Klasse zu wiederholen, die ihrerseits die Aufgabe hatte, korri502 Vgl.: Rädle, Fidel: Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation. In: Valentin, Jean-Marie (Hg.): Gegenreformation und Literatur. Beiträge zur interdisziplinären Erforschung der katholischen Reformbewegung. Amsterdam: Rodopi, 1979 (= Beihefte zu Daphnis; Bd. 8.; H. 3/4). S. 167–199. Hier : S. 194–199. 503 Szarota, Elida Maria: Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine PeriochenEdition. Texte und Kommentare. Bd. I.: Vita Humana und Transzendenz. Teil 1. München: Fink, 1979. S. 8. 504 Vgl.: Farrell, Allan P.: The Jesuit Ratio Studiorum of 1599. Translated into English, with an Introduction and Explanatory Notes. Washington: 1970. S. 17. 505 Vgl.: Pohle (2010), S. 244–247. 506 Vgl.: Zwanowetz (1981), S. 14. 507 Vgl.: Pohle (2010), S. 216.

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gierend einzugreifen. Bei den concertationes wurden schriftlich verfasste Reden von anderen Schülern analysiert und korrigiert. Die nächst höhere Schwierigkeitsstufe bestand in den declamationes. Hierbei handelte es sich um Vorträge der Schüler vor einem größeren Publikum und in einem feierlichen Rahmen. Hier ging es bereits darum, jene rhetorischen Fertigkeiten einzusetzen, die auch für die Schultheateraufführung notwendig waren: das Memorieren des Redetextes und die Erregung von Affekten durch Gestik, Mimik und Stimmmodulation.508 Die Differenz zu den Theateraufführungen, die auch »Vorbereitung auf das Rollenspiel im Alltag«509 waren, bestand in der Quantität des Körpereinsatzes: Bei den declamationes war nur der Oberkörper sichtbar, während bei den Theateraufführungen der gesamte Körper zum Einsatz kam.510 Die gespielten Dramen sollten auf erbaulichen und geistlichen Stoffen basieren und der Bibel, Heiligenlegenden oder der Kirchengeschichte entstammen.511 Der Jesuit Franz Lang forderte von einem Stoff, »Geist« und »Kräften« des Choragen zu entsprechen und weiter »dem Ort und den Personen angemessen«, frei von Irrtümern, für die Bühne geeignet, »nach seinen Nebenumständen eher dürftig, hinsichtlich des Ausgangs ergiebig« und, am allerwichtigsten, »für den Affekt und zur Belehrung geeignet« zu sein.512 Auf der Stoffebene konnten auch andere Disziplinen wie Geschichte oder Geographie einfließen und Anlass zur Auseinandersetzung mit relevanten Hintergründen bieten. Geschichte wurde nicht nur als Hilfswissenschaft betrachtet, sondern zugleich auch als Heilsgeschichte interpretiert: »Nicht die Geschichte selbst wurde im Jesuitentheater zum Schauspiel, sondern Gottes Wirken in der Zeit, seine Vorsehung und sein Heilsplan. Zugleich kam dem geschichtlichen Ereignis auch auf der Bühne ein Exempelcharakter zu: Ein Beispiel aus der Geschichte sollte eine moralische Lehre anschaulich und einprägsam vermitteln. Gottes Vorsehung offenbart sich dem Menschen in den geschichtlichen Ereignissen, wenn er sie richtig zu lesen versteht, Träume können historisch Handelnden den Weg weisen. Es ging daher nicht darum, Geschichte auf der Bühne nur abzubilden, sondern ein Beispiel oder ein Deutungsmuster für die Gegenwart zu liefern, zumal die Geschichte, so Adam Contzen, im Gedächtnis tiefer haften bleibe als direkte moralische Belehrung. Die Wahl eines Stoffes erfolgte nicht nur im Hinblick auf den Reiz des Neuen, sondern im Hinblick auf ein seelsorglich-didaktisches Ziel, ohne deshalb über das Deuten ganz den Aspekt des geschichtlichen Belehrens zu verlieren.«513

508 509 510 511 512

Vgl.: Pohle (2010), S. 216–230. Göttert, Karl-Heinz: Geschichte der Stimme. München: Fink, 1998. S. 245. Vgl.: Pohle (2010), S. 220. Vgl.: Pohle (2010), S. 242. Lang, Franz: Abhandlung über die Schauspielkunst (1727). Übersetzt und herausgegeben von Alexander Rudin. Bern; München: Francke Verlag, 1975. S. 220. 513 Pohle (2010), S. 319.

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Im Falle des hier im Mittelpunkt stehenden Stückes Andronicus, das der FiliusProdigus-Motivik anverwandt ist, geht der Stoff auf eine von dem Jesuiten Matthäus Rader überlieferte Heiligenlegende mit dem Titel De ivvene qvodam martyre514 zurück. Sie erzählt von einem anonymen ägyptischen christlichen Jüngling, der am arabischen Hof vom Christentum abfällt und seine Rückkehr zu Christus als Märtyrer beschließt. Raders Heiligenerzählung besticht nicht gerade durch historische Faktizität, da sich der anonyme Heilige durch das Fehlen zeitlicher Eckdaten einer historischen Einordnung entzieht und sich zudem kein arabischer König namens »Amiranus« als historische Persönlichkeit ausmachen lässt. Im Anhang findet sich lediglich eine Erklärung zu den so genannten »Saracenern« mit Literaturverweisen. Evident ist jedoch die seelsorglich-didaktische Intention: Die Legende führt in einem ersten Schritt die Unstandhaftigkeit und Schwäche des Gemüts der Jugend vor Augen und zeigt in einem zweiten den Märtyrertod als Sühnehandlung auf, wodurch jene Tugenden beschworen werden, deren Ermangelung den Jüngling erst in diese Situation gebracht haben. Durch die Rückbesinnung auf diese Tugenden werden ihm schließlich die ewigen Freuden zuteil. Insgesamt ließen sich 23 Aufführungsbelege der von Rader überlieferten Legende am Schultheater in einem Zeitraum von 1605–1739 ausfindig machen. Davon ist ein Beleg unsicher, da es sich zwar vom Titel her um eine Bearbeitung dieses Stoffes handeln könnte, diese Annahme aber aufgrund des Fehlens von weiteren Informationen nicht verifiziert werden kann. Von zehn Aufführungen sind Periochen erhalten, jedoch ließ sich kein lateinischer Spieltext ausfindig machen. Aufführungen:515 1605 De Sardarare iuuene Aegyptio, ob fidem ab Amirano martyrio affecto (München).516 1 617 Jener Jüngling, der Christus verleugnet hat, aber durch die jungfräuliche Mutter Erlösung und Gnade findet (Klagenfurt).517 [vgl. 1702]

514 Vgl.: Rader, Matthäus: Viridarium Sanctorum, pars prima. […]. Augsburg: Mang, 1604. S. 103–107 bzw. in der deutschen Übersetzung: Rader, Matthäus; Stengel, Carl: Lustgarten Der Heyligen. […]. Augsburg: Dabertzhofer, 1640. S. 102–105. 515 Unsichere Aufführungsbelege werden mit [?], solche mit vorhandenen Periochen [Perioche], weitere Informationen werden ebenfalls mit eckiger Klammer kenntlich gemacht. Aufführungen, in denen der Jüngling »Andronicus« genannt wurde, werden hervorgehoben. 516 Vgl.: Valentin, Jean-Marie: Le Th8.tre des J8suites dans les Pays de Langue Allemande. R8pertoire chronologique des piHces repr8sent8es et des documents conserv8s (1555– 1773). Stuttgart: Hiersemann, 1983. S. 62; – Reinhardstöttner, Karl von: Zur Geschichte des Jesuitendramas in München. In: Jahrbuch für Münchner Geschichte 3 (1889), S. 53–176. Hier: S. 109.

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1642 B. Ivvenis Ægyptivs Anonymvs Martyr. […] Creutzlieb Deß H. Egyptischen Jünglings/ dessen Namen vnbekandt/ zu einem beyspil/ wie alle Sünder sollen zu dem Creutz kriechen (Landshut).518 [Perioche] 1646 4./6. September : Andronicvs. Das ist: Tragoedia Von einem Adelichen Ægyptischen Jüngling/ vnd Martirer/ Welcher Von Amiramo der Saracener König/ nach vieler Marter/ vnd Pein umb Christi willen/ enthauptet worden (Regensburg).519 [Perioche] 1651 Februar : Abfall vnd Widerkehr Zu dem Creutz Christi Eines Egyptischen heiligen Jünglings/ dessen Namen unbekandt (München).520 [Perioche] September : B. Ivvenis Ægyptivs Anonymvs Ex Apostata S. Crvcis defensor et Martyr. Das ist Leben und Wandel Eines unbenannten Egyptischen Jünglings/ so auß einem Abtrinnigen vom Glauben hernach ein herrlicher Verfechter deß H. Creütz vnd Christi Blutzeüg worden (Solothurn).521 [Perioche] 1655 5. September : Andronicvs Ivvenis Aegyptivs Ex Apostata Christi Martyr. Daß ist Leben und Wandel Andronici eines Egyptischen Jünglings so auß einem Abtrünnigen vom Glauben/ hernach ein herrlicher Christi BlutZeug worden (Rottenburg am Neckar).522 [Perioche] 1659 September : Andronicus Aegyptus (Innsbruck).523

517 Vgl.: Nussbaumer, Erich: Geistiges Kärnten. Literatur- und Geistesgeschichte des Landes. Klagenfurt: Verlag Ferdinand Kleinmayr, 1956. S. 177; – Drozd (1965), II. S. 299. 518 Anon.: B. Ivvenis Ægyptivs Anonymvs Martyr. […] Creutzlieb Deß H. Egyptischen Jünglings/ dessen Namen vnbekandt/ zu einem beyspil/ wie alle Sünder sollen zu dem Creutz kriechen/ fürgestellt/ Von der Jugendt deß Churfürstl: Gymnasij der Societet JESV zu Landtshuet. München: Henricus, 1642. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–34. 519 Anon.: Andronicvs. Das ist: Tragoedia Von einem Adelichen Ægyptischen Jüngling/ vnd Martirer/ Welcher Von Amiramo der Saracener König/ nach vieler Marter/ vnd Pein umb Christi willen/ enthauptet worden. Gehalten Von der Jugendt deß Löblichen Gymnasii der Societet Jesv bey S. Paul/ in Regensburg/ den 4. vnd 6. Septembris/ 1646. Regensburg: 1646. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–52. 520 [Schirmbeck, Adam:] Abfall vnd Widerkehr Zu dem Creutz Christi Eines Egyptischen heiligen Jünglings/ dessen Namen unbekandt […] Im Hornung. ANNO M. DC. LI. [München]: 1651. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–7. 521 Anon.: B. Ivvenis Ægyptivs Anonymvs Ex Apostata S. Crvcis defensor et Martyr. Das ist Leben und Wandel Eines unbenannten Egyptischen Jünglings/ so auß einem Abtrinnigen vom Glauben hernach ein herrlicher Verfechter deß H. Creütz vnd Christi Blutzeüg worden. Fürgestellt von der studierenden Jugent deß Gymnasij der Societ Jesv zu Sollothurn/ den Herbstmonat 1651. […] Freiburg: Darbellay, 1651. Bayerische Staatsbibliothek, Res/4 P.o.lat. 747,20. 522 Anon.: Andronicvs Ivvenis Aegyptivs Ex Apostata Christi Martyr. Daß ist Leben und Wandel Andronici eines Egyptischen Jünglings so auß einem Abtrünnigen vom Glauben/ hernach ein herrlicher Christi BlutZeug worden. Von der studierenden Jugendt zu Rottenburg am Necker zu einem Schawspil fürgestelt im Jahr Christi M. DC. LV. Den 5. Herbstmonats. […]. Konstanz: Geng, 1655. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–34. 523 Vgl.: Zwanowetz (1981), S. 187.

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1667 25./29./30. September : Die vnbedachtsame Schaaf-Jugend/ nimbt leichtlich den Balg deß innwendig reissenden Wolffs an sich. Dises beweißt Andonicus/ ein Egyptischer Jüngling/ damalen ein vnschuldiges Lämblein/ verführt durch Saladin einem verstellten vnter Schaaf-Balg/ doch innwendig reissenden Wolff. (Schwaz).524 [Franziskaner] [Perioche] 1673 4./6. September : Juvenis Ægyptivs Anonymvs Ex Apostata Gloriosus Martyr. […] Anonimus Ein Egyptischer Jüngling/ Verräther vnd Blutzeug Christi (Dillingen).525 [Perioche] 1695 5./6. Mai: Constantius Aegyptius Juvenis ex Apostata Martyr (München).526 1701 2./5. September : Staurophilus Ex Apostata Martyr. Staurophilus Nach dem Abfall von dem Glauben ein Blut-Zeig Christi (Dillingen).527 [Perioche] 1702 Ein ägyptischer Jüngling, ein Verräter des Glaubens, wird durch die Macht der heiligsten Jungfrau ein Blutzeuge (Klagenfurt).528 1703 Gloria Crucis ab Aegypto Juvene per Martyrium asserta (Eichstätt).529 1706 Antaeus ex casu fortior (Krems).530 [?] 1707 5./6. September : Eutelinus Niliacus Adolescens Ex casu fortior Das ist: Eutelinus Ein Egyptischer Jüngling/ Nach schändlichen Abfall von dem Christlichen Glauben/ ein glorreicher Bluetzeig (Neuburg an der Donau).531 [Perioche]

524 Anon.: Die vnbedachtsame Schaaf-Jugend/ nimbt leichtlich den Balg deß innwendig reissenden Wolffs an sich. Dises beweißt Andonicus/ ein Egyptischer Jüngling/ damalen ein vnschuldiges Lämblein/ verführt durch Saladin einem verstellten vnter Schaaf-Balg/ doch innwendig reissenden Wolff. Den Eltern/ wem sie ihre Kinder vertrawen sollen/ zu einem Beyspil; den Kindern aber/ der Eltern Gebott so leichtlich vergessend/ ihre Seeligkeit leichtfertiger weiß nit in den Wind zu schlagen/ zu einer Warnung. Spilweiß fürgestellt auff dem Freyherrlich-Firmianischen Saal zu Schwatz. Den 25. 29. vnd 30 Septembris, Anno 1667. […]. Innsbruck: Michael Wagner, 1667. Bayerische Staatsbibliothek, Res/ P.o.germ. 1205. 525 Anon.: Juvenis Ægyptivs Anonymvs Ex Apostata Gloriosus Martyr. […] Anonimus Ein Egyptischer Jüngling/ Verräther vnd Blutzeug Christi In dem Academischen vnd Bischöfflichen Gymnasio der Societet JESU zu Dillingen. Vorgestellt den 4. vnd 6. Septemb. Im Jahr 1673. Dillingen: Johann Federle, 1673. Württembergische Landesbibliothek, MC R 17 Sam 1-[15]. 526 Vgl.: Valentin (1983), S. 419; – Reinhardstöttner (1889), S. 121. 527 Anon.: Staurophilus Ex Apostata Martyr. Staurophilus Nach dem Abfall von dem Glauben ein Blut-Zeig Christi. Auf offentlicher Schau-Bühne vorgestelt Von der Studierenden Jungen deß Bischöfflichen Academischen Gymnasij der Societät Jesu zu Dillingen. Den 2. und 5. Herbstmonath. Dillingen: Bencardische Truckerey, 1701. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–18. 528 Vgl.: Nussbaumer (1956), S. 179; – Drozd (1965) II., S. 309. 529 Vgl.: Valentin (1983), S. 466. 530 Vgl.: Wlczek, Hermann: Das Schuldrama der Jesuiten zu Krems (1616–1763). Wien: Diss., 1952. S. 177. 531 Anon.: Eutelinus Niliacus Adolescens Ex casu fortior Das ist: Eutelinus Ein Egyptischer Jüngling/ Nach schändlichen Abfall von dem Christlichen Glauben/ ein glorreicher Bluetzeig. […] Von dem Churfürstl. Gymnasio der Societät JESU, zu Neuburg an der Thonau. Den 5. und 6. Herbst-Monat Anno M. DCCVII. Ingolstadt: Gratz, 1707. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–11.

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1708 4./6. September : Almaricus Juvenis Aegyptius In domo paterna Christianus In aula Idoloatra In theatro Martyr (Burghausen).532 1713 4./6. September : Ex Casu Fortior. Glücklicher Umfall (Landsberg).533 [Perioche] 1715 3./5. September : Ovis perdita et Reducta Das ist Eines Edlen Egyptischen Jünglings Unverhoffte Widerkehrung von dem Abfahl zu dem wahren Glauben und der Martyr-Cron (Mindelheim).534 1716 Herbst: Crux proculcata et adorata in iuvene Aegyptio anonymo (Feldkirch).535 1730 4./6. September : Felix ex infelici Casu Anastasis exhibita in Anastasio Irenae Nobilis Aegyptii Filio. Das ist Glückseelige Umständ von einem unglückseeligen Umfall In Anastasio Einem Edlen Egyptier Sohn (Dillingen).536 1738 September : Ovicula errans et inventa in Juvene Aegyptio (Straubing)537 1739 Anonymus Ägyptius ad fidem orthodoxam redux (Klagenfurt).538

Bei Durchsicht der Aufführungsbelege fällt zuerst auf, dass dem Jüngling verschiedene Namen gegeben wurden: Andronicus, Constantius, Staurophilus, Anateus [?], Eutelinus, Almaricus; in den Periochen von 1673 und 1713 findet man zudem noch die Namen Meander und Anastasius. Aus den Titeln der Klagenfurter Aufführungen von 1617 und 1702 ist zu schließen, dass diese Bearbeitungen in Kontext zur Marienverehrung gesetzt wurden. Alle Aufführungen, in denen der Jüngling »Andronicus« hieß, stimmen dramaturgisch überein. Zu dieser Übernahmetradition zählt auch Eutelinus (1707), wenn auch die Mehrheit der Namen geändert und die Choreinlagen vollständig erneuert wurden. Ein anderer Weg wurde 1673 in Dillingen eingeschlagen: Zwar zeigt sich hier noch der Einfluss der früheren Bearbeitungstradition, da einige Namen beibehalten wurden, jedoch ist die Intention, die mit der Aneignung dieses Stoffes verfolgt wurde, eine gänzlich andere: Es handelt sich um ein von Kampfrhetorik getragenes islamfeindliches Tendenzstück. Schon der Prolog macht diese Intention deutlich, wenn der arabische König von der Bühne gestoßen und Kreuze aufgerichtet werden oder an späterer Stelle der Halbmond umgestoßen wird. Am Ende gibt sich sogar eine Figur als Christus zu erkennen und tröstet den Jüngling vor seiner Hinrichtung. Während in den AndronicusFassungen der Hauptakzent auf der charakterlichen Schwäche des Jünglings liegt, die ihn für die größtenteils intriganten Persuasionsversuche der Sarazenen empfänglich macht, ist es hier die rohe Gewalt der Sarazenen, angesichts derer 532 Vgl.: Valentin (1983), S. 489. 533 Anon.: Ex Casu Fortior. Glücklicher Umfall. Auf Der Schau-Bühne vorgestellt Von der studierenden Jugend deß Gymnasij der Societet JESU zu Landsperg. Den 4. und 6. Herbstmonat/ im Jahr 1713. Augsburg: Johann Michael Labhart, 1713. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–43. 534 Vgl.: Valentin (1983), S. 526. 535 Vgl.: Valentin (1983), S. 530. 536 Vgl.: Valentin (1983), S. 621. 537 Vgl.: Valentin (1983), S. 684. 538 Vgl.: Drozd (1965) II., S. 319.

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der Jüngling nahezu zum Kriegsheroen im Glaubenskampf stilisiert wird. Von den Andronicus-Fassungen beibehalten wurde beim Staurophilus (1701) u. a. die anfängliche Liebenswürdigkeit des Königs gegenüber dem Jüngling, die seinem Glaubensabfall zuträglich ist, oder dass sein Vater durch ein göttliches Zeichen vom Abfall seines Sohnes erfährt und sich als Bote verkleidet zu ihm begibt. Weggelassen wurde hier aber die Figur des Intriganten, der mit allerlei Tricks versucht, den Jüngling vom christlichen Glauben abzubringen. Zudem ist der König hier in einen Krieg mit den Christen verwickelt und verliert diesen in jenem Moment, in dem der Jüngling zurück zum Christentum findet. Die Landsberger Bearbeitung (1713) schließlich orientiert sich zwar wieder mehr an den Andronicus-Fassungen, doch ist sowohl der Anlass zum Glaubensabfall als auch jener zur Re-Konversion flacher gehalten, es reicht zu beidem nur ein Funken, ohne intensivere dramatische Zuspitzungen. Am häufigsten, konkret in 7 Fällen (1642, 1646, 1651-München, 1651-Solothurn, 1655, 1659, 1667), wurde der Jüngling nachweislich Andronicus genannt. Leider ist von der Innsbrucker Aufführung Andronicus Aegyptus539 1659 nicht mehr als der Vermerk überliefert, dass die Aufführung bei den italienischen und deutschen Schauspielern des Hoftheaters Anerkennung fand540. Für die folgende Untersuchung ist dieser Quellenmangel insofern problematisch, da es sich bei dieser Aufführung um die direkte Vorlage der hier im Zentrum stehenden Spielhandschrift Der vom Christenthum abgefallene und dazu wiederbekehrte Andronicus handelt. Obwohl sich die Andronicus-Fassungen in ihrer Dramaturgie stark ähneln, verweist der Vergleich der Periochen mit der Berufstheaterfassung auf einen Missing Link – eben auf jene Innsbrucker Fassung. Den höchsten nachweisbaren Deckungsgrad mit der Spielhandschrift des Kodex hat die Franziskanerfassung541 mit dem Titel Die vnbedachtsame Schaaf-Jugend (1667), die scheinbar ebenfalls die Innsbrucker Fassung zur Vorlage hatte. Das wohl signifikanteste gemeinsame Merkmal der Franziskaner- und Berufstheaterfassung ist die Rolle der Hariadena (eine sarazenische Prinzessin). In den früheren Fassungen war es ein Prinz namens Hariadenus. Obwohl die ratio studiorum Frauenrollen verbot, wurde in Innsbruck die Darstellung weiblicher Figuren ab 1603 erlaubt542, was ein weiteres Indiz dafür ist, dass das Berufstheater dieses Stück tatsächlich in Innsbruck adaptiert hatte. Zugleich finden sich Überschneidungen zwischen der Berufstheaterfassung und anderen Andronicus539 Vgl.: Zwanowetz (1981), S. 187. 540 Vgl.: Flemming (1923), S. 127f. 541 Die Aufführung in Schwaz (1667) ist den Franziskaner zuzuschreiben: Auf dem Titelblatt dieser Perioche finden sich weder die Initialen »IHS« noch ein Hinweis auf die »Soci[tet Jesu«, außerdem war der Jesuitenorden dort nie vertreten, die Franziskaner sind es aber bis heute. 542 Vgl.: Zwanowetz (1981), S. 14.

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Fassungen, die in der Franziskanerfassung nicht enthalten sind: Beispielsweise handelt es sich in der Franziskanerfassung bei dem Intriganten Saladin nicht schlicht um einen Ungläubigen, sondern um einen abtrünnigen Christen. Das hat zur Folge, dass die Einstiegsszene verändert ausfällt, sodass sich die Einführung Saladins in die christlichen Gebräuche erübrigt und auf den Kauf von christlichen Gegenständen reduziert wird. Bevor nun im Detail auf die Andronicus-Fassungen eingegangen wird, bedarf es noch einiger Worte zu den Wirkungsabsichten der jesuitischen Dramatik. Während Szarota dem Jesuitentheater nicht nur eine intendierte, sondern auch eine faktisch manipulative Wirkung zuspricht und sich auf Überlieferungen bezieht, in denen Zuschauende durch Theateraufführungen zum Katholizismus bekehrt wurden543, verweist Pohle auf neuere Untersuchungen, die diese Überlieferungen als »rhetorische Konstruktion« entlarven.544 Dennoch stellt er weder die meinungsbildende noch die manipulative Intention des Jesuitentheaters in Frage. Die zwei wesentlichen Wirkungsabsichten des Jesuitentheaters waren Glaubensverkündigung und Verhaltensänderung von Publikum und Darstellern.545 Die intendierte Verhaltensänderung orientierte sich an dem Ideal eines gottgefälligen Lebens, das neben der Bereitstellung von Rollenmodellen546 und Identifikationsmöglichkeiten547 durch die Wirkung auf die Affekte erlangt werden sollte. Das bedeutet, dass der Evokation von Affekten im dramaturgischen Schaffen ein hoher Stellenwert beigemessen wurde. Die Jesuiten forcierten nicht die Unterdrückung der Affekte, sondern den Einklang von geistigen und sinnlichen Strebevermögen, was Grundbedingung für gutes Handeln ist.548 Die Affekte selbst sind zwar keine Tugenden, können aber Träger von Tugenden sein, wenn sie an die Vernunft angepasst sind. Um die Affekte in angemessene Bahnen zu lenken, können alle Affekte genutzt werden – die auf ein Gut ausgerichteten Affekte zur Aneiferung von Tugenden und die auf ein Übel ausgerichteten Affekte zur Läuterung von Lastern549 (vgl. zur scholastischen Affektenlehre IV. 4. 2.). Wesentlich für die Affekterregung waren im Jesuitentheater der sprachliche Stil, die actio der Schauspieler, die Musik, mitunter der Tanz550 und die Dramaturgie: 543 Vgl.: Szarota, Elida Maria: Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts. Bern; München: Francke, 1976. S. 116. 544 Vgl.: Pohle (2010), S. 655. 545 Pohle (2010), S. 653. 546 Vgl. Pohle (2010), S. 656. 547 Vgl.: Rädle (1979), S. 192. 548 Vgl.: Michel, Walter : Die Darstellung der Affekte auf der Jesuitenbühne. In: Holtus, Günter (Hg.): Theaterwesen und dramatische Literatur. Tübingen; u. a.: Francke, 1987 (= Mainzer Forschungen zu Drama und Theater ; Bd.1). S. 233–251. Hier : S. 234. 549 Vgl.: Drozd (1965) I, S. 46f. 550 Vgl.: Michel (1987), S. 241.

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Drama, Komödie und Tragödie sind dichterische Werke, die – durch Verflechtung von Handlungen, Ursachen und Wirkungen – eine geistreiche Anordnung von Szenen in sich vereinen; nicht auf so einfache Weise, wie sich etwas zugetragen hat, sondern wie es sich ereignet haben könnte, möglichst noch mit einem unerwarteten Ausgang, und zwar deswegen, damit sich durch die Spannung zurückgehaltenen Affekte angenehmer, wohltuender und nachdrücklicher einprägen. Daher wird auch der Gewinn für die Seelen reicher sein, wenn sie zur Sittsamkeit und Tugendliebe angespornt werden, was die vornehmste Aufgabe eines christlichen Dichters sein muß.551

Ein nach den Regeln der Kunst gebautes Drama mit solch angestrebten Effekten soll laut Lang durch die Teile Protasis, Epitasis, Katastase und Katastrophe angeordnet sein.552 Prolog Obwohl weder die Franziskaner- noch die Berufstheaterfassung einen Prolog aufweisen, deutet dies nicht zwangsläufig auf die Abwesenheit eines solchen in der Innsbrucker Jesuitenfassung hin, da in allen übrigen Andronicus-Periochen die vergebliche Suche nach dem Namen des Jünglings den thematischen Schwerpunkt des Prologs bildet. In der Regensburger-Perioche (1646) heißt es beispielsweise: »Bemüeth sich starck auß dem Alter/ vnd anderen den Namen des Jünglings herauß zubringen; aber umbsonst: gibt Ihme endlich selbst einen Namen/ vnd nennt Ihn Andronicum.«553 Die Anonymität des Jünglings, die in der Heiligenlegende die Identifikation mit diesem erleichtern sollte, wurde von den theaterspielenden Jesuiten, wie es scheint, als Mangel, vielleicht sogar als Problem empfunden, da sich das Bedürfnis erkennen lässt, seine Existenz zu rechtfertigen. In der Perioche von 1642 wird, neben der üblichen Praxis den Wahrheitsgehalt durch Quellenangaben zu untermauern554, auch versichert, dass diese Erzählung von einem glaubwürdigen Schreiber stammt555. Die drei Ziele des Prologs sind attentio, benevolentia und docilitas.556 1646 wirkten an dem Prolog insgesamt neun Personen mit: Prologsprecher, Præco, Vetustas, Dorylas, Davus (»Dauus«), Cornelius, Cucuphas, Diogenes und Claudius.557 Der Ausrufer (Præco) hatte die Funktion, die Aufmerksamkeit des 551 552 553 554 555 556

Lang (1975), S. 222. Vgl.: Lang (1975), S. 224–226. Anon.: Andronicvs […] (1646), Prologvs. Vgl.: Pohle (2010), S. 320. Vgl.: Anon.: B. Ivvenis […] (1642), Argvmentum. Vgl.: Flügel, Christoph: Prolog und Epilog in den deutschen Dramen und Legenden des Mittelalters. Zürich: Verlag P.G. Keller, 1969. S. 49. 557 »Die Rollennamen sind teils durch bekannte Inhalte gegeben, teils unverbindlich. Es werden auch aus der Geschichte oder der Dichtung überlieferte Namen frei verwendet […]. Gern gibt man Namen, die einen Bezug auf den Träger haben; besonders reizvoll sind hier griechische Wörter als Namen in allegorischen Spielen: Denn so bleibt der Abstand von den

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Publikums zu erregen (attentio). In den Periochen von 1642558 und 1651– M.[ünchen]559 ist der Ausruf »[…] wer solchen [den Namen des Jünglings] gefunden/ solle ihn seinem Herrn zustellen/ werde nit ohne Trinckgelt abgehen.«560 vermerkt. Damit wird dem Publikum nicht nur der Beginn der Aufführung signalisiert, sondern dieses auch durch eine Anrufung und Aufgabenstellung an das Bühnengeschehen gefesselt. Durch die Vergabe weiterer Informationen wird es dazu angehalten, über den Namen des Jünglings nachzudenken, d. h. die Funktion des Ausrufers beschränkt sich nicht nur auf die attentio, sondern erfüllt auch die Aufgabe der benevolentia, also der Gewinnung des Wohlwollens des Publikums. Die Vergabe notwendiger Informationen (docilitas) erfolgt durch die Befragung verschiedener Figuren – etwa von Vetustas bzw. Vetustus (die lange Dauer, das Alter, im Sinne von Geschichte oder auch Altertum, hier allegorisch personifiziert) oder anderer hier auftretender Vertreter der klassischen Komödie sowie der Hagiographie561. Obwohl der konkrete Ablauf dieses Vorgangs in den Periochen nicht erläutert wird, lassen sich drei Annahmen treffen: Erstens, dass das Publikum im Rahmen dieser Befragung Informationen über diesen Heiligen erhielt; zweitens, dass die eine oder andere befragte Figur wohl den Jüngling, nicht aber seinen Namen kennt, da das Gegenteil einem Eingeständnis der Fiktionalität gleichkommen würde; und drittens, schlussfolgernd aus dem Vorhandensein vermutlich zweier Dienerfiguren (Dorylas und Davus), dass erheiternde Elemente eingeflochten wurden, die wiederum der benevolentia zugute kamen.

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lateinischen Worten des Spieltextes gewahrt, und zugleich ergibt sich für den Wissenden der Genuß des Hinweises oder des Erratens von Zusammenhängen. So wird die Namengebung, andeutend und beziehungsreich zum Mitträger der Atmosphäre des Scheins, des Schwankens zwischen Anspruch auf Sein und Preisgabe der Illusion, wie er Spiel und Zeit beherrscht.« Adel, Kurt: Das Jesuitendrama in Österreich. Wien: Bergland Verlag, 1957 (= Österreich-Reihe; Bd. 39/40). S. 105f. Hier treten im Prolog nur der »Prologvs« und »Vestustus« auf. Hier ist kein Personenverzeichnis enthalten. Schirmbeck: Abfall […] (1651), Prologvs; – vgl. Anon.: B. Ivvenis […] (1642), Prologvs. Bei »Dorylas« handelt es sich um eine Dienerfigur des Jesuitentheaters, die sich u. a. in Jakob Bidermanns Josephus, Ægypti Prorex findet, vgl.: Drozd (1965) I, S. 130. »Davus« ist ein Sklavenname der römischen Komödie und ist u. a. in Terenz’ Andria (166 v. Chr.) vertreten. Das Vorhandensein einer bzw. zweier Dienerfiguren könnte auf komische Züge verweisen. Bei »Cucuphas« handelt es sich um einen spanischen Märtyrer, vgl. Stadler, Johann E.; Heim, Franz J. (Hgg.): Vollständiges Heiligen-Lexikon oder Lebensgeschichten aller Heiligen, Seligen etc. aller Orte und aller Jahrhunderte, deren Andenken in der katholischen Kirche gefeiert oder sonst geehrt wird, unter Bezugnahme auf das damit in Verbindung stehende Kritische, Alterthümliche, Liturgische und Symbolische, in alphabetischer Ordnung. Bd. 1. Augsburg: Schmid’sche Verlagsbuchhandlung, 1858. S. 694f. Die anderen Namen Cornelius, Diogenes und Claudius entziehen sich aufgrund deren Häufigkeit einer eindeutigen Zuordnung. Es schiene aber naheliegend, dass diese auf christliche Heilige rekurrieren.

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Der Prolog betont weiterhin das Jesuitengymnasium als Bildungsinstitution und die Wissenschaftlichkeit der Jesuiten, sofern man die Figuren als Quellen und folglich die Befragung der Figuren als Auseinandersetzung mit Quellen begreift. Dass der Name des Jünglings unklar bleibt, entschuldigt die diesbezügliche Unwissenheit der Jesuiten, denn wenn die Geschichte den Namen des Jünglings schon nicht kennt, kann es auf Erden niemand wissen.562

Protasis Die Protasis führt in die Handlung ein. In ihr wird »ein Teil des Inhalts erklärt, ein Teil vorenthalten«, das Publikum soll eine Ahnung von den zukünftigen Verstrickungen erhalten, jedoch über dessen Ende im Ungewissen bleiben.563 Bei Rader wird der Hergang des Abfalls vom Gauben nicht näher erläutert und lediglich mit der Unstandhaftigkeit des Gemüts und dem Wirken diabolischer Kräfte begründet. In den Andronicus-Fassungen werden die diabolischen Kräfte durch den Intriganten Saladin personifiziert, der vom arabischen König Amiram beauftragt wurde, christliche Jugendliche von ihrem Glauben abzubringen. In drei Fassungen (1642, 1651-S.[olothurn]),1651-M.[ünchen]) sowie in der Berufstheaterfassung lässt sich Saladin in der ersten Szene von einem Pilger in die christlichen Gebräuche einführen, um seine Pläne besser ausführen zu können. Er belauscht die Familie des Andronicus, tötet den Hofmeister Isma[l, der Andronicus auf seine Reise nach Arabien begleiten soll, und gibt sich als dieser aus. Saladin wird als Wolf im Schafspelz gezeichnet, der die Verstellung meisterhaft beherrscht. Andronicus verspricht seinem Vater Irenæus vor seiner Abreise den in Arabien gefangenen Vetter Sultan zu befreien. In 1642, 1651-M., 1651-S. und der Berufstheaterfassung wird Andronicus von seinem Vater im Rahmen einer »väterlichen Schule« an die christlichen Tugenden und den christlichen Lebenswandel erinnert. In all diesen Jesuiten-Fassungen hat Irenæus nach der Abreise seines Sohnes einen Alptraum, der das kommende Unheil ankündigt. Während Irenæus seinen Traum in der Fassung von 1642 vermutlich schildert und ausdeutet, wird dieser in 1651-M. und 1651-S im Chor szenisch dargestellt: Dem Vattern Irenæo kombt in der Ruhe in einer verstelten Bildnuß für/ Saladinus habe seinem Sohn den Weegzeiger vnd Marterfaul zum Verderben gerichtet; die Tugenden/ welche weegfertig wollen Andronico nacheylen/ werden von gemeltem Saladino in die 562 In Solothurn muss es sich 1651 ähnlich abgespielt haben, jedoch fallen »Cornelius«, »Cucuphas«, »Diogenes« und »Claudius« weg. Nachdem der Jüngling den Namen »Andronicus« erhält, wird hier der Inhalt des Schauspiels vorgetragen. 1655 scheint diese versinnbildlichte Namenssuche überhaupt wegzufallen, da nur der »Prologus« genannt wird. 563 Vgl.: Lang (1975), S. 224.

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flucht vnd zuruck gejagt. Entlich durch ein geringes anzeigen wirdt ihme angedeutet/ der Sohn werde zuletst zur besserung widerkehren.564

Fraglich ist, wie viele und welche Tugenden überhaupt auf die Bühne kamen – die drei theologischen Tugenden sind fides (Glaube), caritas (Wohltätigkeit) und spes (Hoffnung), die vier Kardinaltugenden sind prudentia (Klugheit), iustitia (Gerechtigkeit), fortitudo (Stärke) und temperantia (Mäßigkeit)565. Zur Ausgestaltung des symbolischen Sinnbildes der Tugend führt Lang zuerst die Tugend allgemein an – »Am Rücken geflügelt, trägt sie in der rechten Hand einen Speer, in der linken einen Lorbeerzweig, auf der Brust eine Sonne.«566 – und unterscheidet im Anschluss zwischen der heroischen, der militärischen und christlichen Tugend. Für die Darstellung der hier am ehesten in Frage kommenden christlichen Tugend schlägt er drei Möglichkeiten vor : Glänzt in Waffen, hat einen Helm auf dem Haupt und ist mit dem Bild des Hl. Geistes geschmückt. […] Oder : Ein behelmter Jüngling, der einen Speer in der Linken, ein Szepter in der Rechten trägt und mit Beinschienen versehen ist, tritt mit dem rechten Fuß auf eine Schildkröte. Oder : Sie ist mit Blumen bekränzt, soll in der Rechten einen Lorbeerzweig tragen, in der Linken einen Speer; auf ihren Schild schreibe man: In der Mitte am sichersten.567

Zumindest die zweite vorgeschlagene Darstellungsweise, in der der Schauspieler mit dem rechten Fuß auf eine Schildkröte tritt, kann ausgeschlossen werden, da die Tugenden Andronicus nachlaufen wollen und damit in Bewegung sind. Der Chor568 hat eine spannungserzeugende und zugleich auch zusammenfassende Funktion. Das Zukünftige bzw. die schon geschehene Verstrickung wird angedeutet, jedoch nicht gelöst, und ein möglicher Vorausblick gewährt, da der Traum Vorsehung, die Allgegenwart Gottes durch sein Zeichen aber auch ein Trugbild oder Befürchtungen ausdrücken kann: »All diese Zeichen, die falschen und die richtigen, erfüllten den Zuschauer mit Spannung und Erwartung; oft hatte er sich zu fragen, ob er denn das auf der Bühne sichtbar werdende Zeichen Gottes richtig oder falsch ausgelegt hatte.«569 In der Berufstheaterfassung deutet 564 Schirmbeck: Abfall […] (1651), Actvs I., Chorvs. 565 Vgl.: Szarota, Elida Maria: Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine PeriochenEdition. Texte und Kommentare. Bd. II.; Teil 1.: Tugend- und Sündensystem. München: Fink, 1980. S. 15–18. 566 Lang (1975), S. 307. 567 Lang (1975), S. 307f. 568 Zum Chor im Jesuitentheater, vgl.: Janning, Volker: Formen und Funktionen des Chorus symbolicus. In: Meier, Christel; Meyer, Heinz; Spanily, Claudia (Hgg.): Das Theater des Mittelalters und der Frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation. Münster: Rhema, 2004 (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496; Bd. 4). S. 367–390. 569 Szarota (1979) 1., S. 110.

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sich das drohende Unheil das erste Mal durch das Fallen des Kreuzes auf den Boden an. Das Regensburger Gymnasium (1646) ersetzte im ersten Akt den Chor durch ein Zwischenspiel, das in keinem engeren Zusammenhang zu der restlichen Handlung steht, jedoch Verstellung und Betrug zum Thema hat: »Drey fahrende Schüeler Discus, Dascus, vnd Lazius geben sich für treffliche Arzten auß/ vnd narren Mureto vnd Lazarello das Gelt ab.«570 Nach Lang besteht die dramaturgische Funktion des Zwischenspiels darin, das Publikum von der Abschweifung der Aufmerksamkeit abzuhalten und die Aufmerksamkeit wieder zu entfesseln.571 Epitasis

Die Epitasis ist die Anspannung und das Anwachsen der Verwirrungen und die Steigerung des ganzen dramatischen Irrtums […]. In diesem Teil muß das Werk aufwallen wie in der Begründung der Rede; auch auf die Rollen der Widersacher haben sich Fleiß und Mühe zu erstrecken; das Gewebe der dramatischen Fabel muß fortgesponnen und ausgestaltet werden.572

Der zweite Akt setzt in allen Fassungen, mit Ausnahme der Franziskaner- und der Berufstheaterfassung, in Ägypten ein. Irenæus wird unter Geschrei geweckt: Menedemus, der Diener von Irenæus’ Verwandten aus Arabien (dem auch Isma[l diente) vermutet, dass Isma[l ermordet wurde. In 1642, 1651-M. und 1646 versucht Irenæus sich selbst und den anderen diesen Verdacht noch auszureden, in 1651-S. kommen zudem noch die Diener des Andronicus zurück, die sich von Saladin nicht täuschen ließen. So befindet sich Irenæus trotz Verdichtung der Verdachtsmomente im Ungewissen über die Deutung der Zeichen. Menedemus sucht die Leiche auf, die ausgeplündert wurde. In 1642 und 1651-M. ist es ein Reisender, in 1646, 1651-S. und 1655 ist es der einfältige Bauer Pistoclerus, der die Kleidung des ermordeten Isma[ls an sich genommen hatte. Der vermeintliche Täter wird zu Irenæus gebracht und befragt; weil dieser den Mord aber abstreitet, schickt Irenæus einen Diener nach Arabien, der die Angelegenheit aufklären soll. Es ist wenig verwunderlich, dass diese Aneinanderreihung von Vergewisserungsmomenten später, also vermutlich schon in der verlorengegangenen Innsbrucker Fassung, weggelassen wurde. Wahrscheinlich sollten diese Momente in der Identifikation mit Irenæus mitfühlende Reaktionen erzeugen, da Irenæus die Gefahr von Minute zu Minute immer deutlicher wird. Währenddessen kommt Andronicus mit Saladin nach Arabien, wo ihm Saladin seinen wahren Namen offenbart. Er informiert Andronicus zudem über 570 Anon.: Andronicvs […] (1646), Actus primus, Scena VI. 571 Vgl.: Lang (1975), S. 226. 572 Lang (1975), S. 225.

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die Vorlieben und Abneigungen des Königs und die Sitten am Hof, wo sie freundlich empfangen werden. Saladin berät sich heimlich mit einem Höfling darüber, wie Andronicus vom Glauben abgebracht werden könnte. Schließlich werden Saladin und Andronicus zur Audienz gelassen. Andronicus erweckt beim König Sympathie und bewirkt die Freilassung seines Vetters. In zwei Periochen (1642, 1651-M) und der Berufstheaterfassung wird dezidiert erwähnt, dass der Vetter dem König als Fußschemel dient. Ob dieses starke Bild, das zugleich die Mächtigkeit des Königs sowie die Unterjochung der Christen bzw. deren Stellung in diesem fiktiven arabischen Reich verdeutlicht, auch in den anderen Aufführungen übernommen wurde, ist fraglich. Zumindest würde die Phrase »auf freyem Fuß«, die in einigen Periochen im Zusammenhang mit seiner Freilassung verwendet wird, für den Gebrauch dieses Bildes sprechen. Als sich der Vetter von Andronicus verabschieden möchte, lässt man ihn nicht zu ihm und Andronicus im Glauben, sein Vetter hätte gar nicht erst versucht sich zu verabschieden. Neben dem Wohlwollen des Königs, ein nächster Akt der Manipulation, der Andronicus von seiner Herkunft entfremden soll. Schließlich sucht auch der Königssohn Hariadenus bzw. in der Franziskaner- und Berufstheaterfassung sowie damit vermutlich auch schon in der Innsbrucker-Fassung die Königstochter Hariadena das Weite als er/sie das Kreuz an Andronicus entdeckt. Mit der Änderung des Geschlechts ist es nicht nur die Dimension der sozialen Anerkennung, die den Glauben untergräbt, sondern auch Liebe bzw. tiefe Zuneigung angesprochen, die eine nochmals höhere Hürde für die propagierte Tugend der constantia darstellt. In drei Fassungen (1642, 1651-M., 1651-S.) wird der zweite Akt mit folgendem Chor abgeschlossen: »Chorus richtet ein Vogelhärd an/ die Jugend darauff zufangen. Will dardurch anzeigen/ die vnbesunne Jugent werde durch der Welt Wollüsten gefeßlet/ vnd gehe zu grund/ alß wie die Vögel auff dem Vogelheerd.«573 Durch das Bild der Vogelfangvorrichtung, in der sich die Jugend verstrickt, wird die sich zuziehende Schlinge der Laster sinnfällig gemacht. Es unterstreicht nicht nur Andronicus’ Situation, sondern erfüllt zugleich eine didaktische Funktion, da es sich hierbei um eine an die Jugend gerichtete Warnung handelt, die an die von der Weltverhaftung herrührenden Gefahren gemahnt. Die Welt wird in der Jesuitendramatik zumeist pejorativ konnotiert, als eine »verlockende Versuchung«, als eine »›eitle‹, gefallene Welt, Gott entfremdet und dem Menschen gefährlich«.574 An diesem Punkt ist die dramatische 573 Anon.: B. Ivvenis […] (1651), Acte II, Chorvs avcvpivm ivventvtis. 574 Rädle, Fidel: Gottes ernstgemeintes Spiel. Überlegungen zum welttheatralischen Charakter des Jesuitendramas. In: Link, Franz; Niggl, Günter (Hgg.): Theatrum Mundi. Götter, Gott und Spielleiter im Drama von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin: Duncker und Humblot, 1981. S. 135–159. Hier : S. 148.

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Spannung gesteigert, Andronicus steht an einem Scheideweg, das wird dem Publikum deutlich gemacht, das durch den Chor eine zusätzliche Information über Andronicus’ Lage, jedoch zugleich noch nicht absolute Gewissheit über die zukünftigen Ereignisse oder deren Modalitäten erhält. Katastase

Die Katastase ist die Verdichtung und der Höhepunkt oder die Verfestigung der Fabel; in diesem Teil zeigt sich die größte Verwirrung und Verwicklung der Vorgänge, so daß man nicht weiß, wie das Ganze schließlich enden werde. Es macht sich gut, die Personen hier durch einen Umschlag so in Verwicklungen zu verstricken und sie dann in der Katastrophe so daraus zu lösen, daß ein unerwarteter Affekt entsteht.575

Die Wirkung seines Kreuzes auf andere betrübt Andronicus, weshalb er bei Saladin Trost sucht, der die Gelegenheit nutzt, Andronicus zu überzeugen, zum Heidentum zu konvertieren. Dem Menschen wurde nach Ignatius von Loyola der freie Wille gegeben und damit die Möglichkeit der freien Wahl. Jedoch kann es nur eine richtige Entscheidung geben, nämlich jene, die mit dem Willen Gottes übereinstimmt.576 Andronicus hat sich mit seinem freien Willen für die Apostasie – also gegen Gott – entschieden und somit die falsche Wahl getroffen. 1646 geschieht dies am Ende des zweiten Aktes, in den anderen Fassungen zu Beginn des dritten Aktes. Andronicus leugnet öffentlich vor dem König Christus und bekennt sich zum Heidentum. Die Perioche der Franziskanerfassung beschreibt das Konversionsritual, das sich in ähnlicher Form in der Berufstheaterfassung findet, präziser : »Andronicus in Gegenwart deß Königs vnd GötzenPfaffs/ wirfft das Creuz in das Fewr/ vnd opfert Sonn vnd Mond das erste mal den Weyhrauch/ vnd bekombt den Namen Isma[l.«577 Der Name »Isma[l« konnotiert eine Schwellenidentität: Der ermordete Hofmeister Isma[l war ein in Arabien lebender Christ; Saladin nimmt die Identität des Hofmeister Isma[ls an, um Zutritt zur christlichen Gemeinschaft zu bekommen, und legt diese ab, sobald er in Arabien ankommt; Andronicus wiederum erhält diesen Namen vom arabischen Hof mit der Abkehr vom Christentum und legt ihn mit seiner Rückkehr zum Christentum schließlich ab. Bibelkundigen Rezipient*innen war die Bedeutung dieses Namensspiels bewusst. Der biblische Ismael war der Sohn von Abraham und der ägyptischen Magd Hagar und repräsentiert damit das Bindeglied zwischen Israeliten und Arabern (Gen 16,1–16 und Gen 25,12–18). In manchen Periochen ist nach dem Konversionsritual von Schenkungen des Königs die Rede (1642, 1651-M., 1651-S., 1655). In 1642 heißt es zudem, dass Andronicus den Befehl erhält, Christen zu verfolgen. In allen Fassungen beginnt 575 Lang (1975), S. 226. 576 Vgl.: Rädle (1981), S. 157; – Szarota (1980), S. 24–27. 577 Anon.: Die vnbedachtsame […] (1667), Actus III., Scena II.

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Andronicus nun seinen Christenhass zu demonstrieren, indem er dem König »blutige Wahrzeichen« bringt. In der Franziskaner- und Berufstheaterfassung heißt es, dass er dem König das Haupt eines Christen bringt. In 1642, 1651-S., 1655, der Franziskaner- und Berufstheaterfassung gibt er in seinem Eifer Zimmerleuten den Befehl, ein Kreuz zu errichten, um Christen darauf hinzurichten. Andronicus hat alles hinter sich gelassen, seine christliche Erziehung, seine Wertvorstellungen und seine einstige Identität, nun strebt er danach, jede davon verbliebene Spur auszulöschen. In 1642, 1651-M., 1651-S., 1655 und in der Berufstheaterfassung wendet sich das Kreuz vom betenden Irenæus ab. Der freigelassene Vetter und ein Diener, den Irenæus nach Arabien geschickt hatte, kommen zu ihm und berichten ihm von der Abkehr seines Sohnes. Zuletzt kommen die entlassenen Diener des Andronicus und erzählen von den jüngsten Ereignissen. 1646 wird/ werden der/ die entlassene/n Diener weggelassen. In der Franziskaner- und Berufstheaterfassung ist es lediglich der freigelassene Vetter, der das Vorzeichen des Kreuzes bestätigt. Irenæus beschließt daraufhin, als Bote verkleidet nach Arabien zu reisen. In den Periochen, in denen ein Chor überliefert ist, also 1642, 1651-M. und 1651-S., fungiert der Chor als Memento mori, indem gezeigt wird, dass die »Gnad vnd Gunst sterblicher Menschen ebenfals sterblich vnd wanckelbar sey.«578 Andronicus orientiert sein Seelenheil am Irdischen. Dass dies der christlichen Lehre zuwiderläuft und nicht folgenlos bleiben kann, wird im Fortgang der Handlung gezeigt, wenn Andronicus die menschliche Gnade und Gunst verliert. Der vierte Akt wird mit Irenæus’ Ankunft in Arabien eingeleitet. In Botengestalt trifft er auf Andronicus und Saladin, wo er Andronicus einen von Irenæus unterzeichneten Brief übergibt. Andronicus reagiert mit Zorn und fürchtet, beim König in Verdacht zu geraten. Saladin befragt den Boten und erfährt den Namen des Absenders sowie den Inhalt des Briefes. Daraufhin erzählt Saladin dem König von dem Brief an Andronicus, der seinerseits Andronicus zu sich rufen lässt. Bevor Andronicus zum König geht, rät ihm Saladin, alles zu leugnen. Das Motiv dieser Intrige ist jedoch schleierhaft: Dass Saladin dem König davon berichtet, wird mit seiner eigenen Angst begründet, beim König in Ungnade zu fallen, falls Andronicus sich dem neu angenommenen Glauben gegenüber unstandhaft verhielte, da Saladin die Verantwortung für Andronicus trägt. Dass Saladin Andronicus eine Falle stellt, könnte mit schlichter Boshaftigkeit begründet werden, ist jedoch vermutlich eher dem Bedürfnis nach einer notwendigen Zuspitzung geschuldet und unterstreicht die menschliche Unzuver-

578 Schirmbeck: Abfall […] (1651), Actvs III., Chorvs.

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lässigkeit. Darüber hinaus scheint mit dieser Stelle Hofkritik geübt zu werden, da der Hof als Ort der Scheinhaftigkeit und Intriganz dargestellt wird. Andronicus leugnet also und fällt beim König in Ungnade. Amiram zieht sich mit den Vornehmen des Hofes zurück und berät die Sache. Bis auf 1651-M. und die Franziskaner- und Berufstheaterfassung folgt eine Hofnarrenszene, die den Verlust der königlichen Gnade auf groteske Weise vorführt: »Pseusidippus ein Speivogel last den Doctar ruffen/ vnd ein Todtenbahr zubereiten für die Königliche Gnad gegen Andronico/ welche albereit in den Zügen lige.«579 Nicht nur, dass Andronicus die Gnade verliert, er wird auch zum Gespött des Hofes. Andronicus trifft wieder auf den Boten, also seinen Vater, und reagiert mit Zorn. Nach einem verbalen Schlagabtausch gibt sich der Bote als sein Vater zu erkennen. Unter schweren Vorwürfen, macht er seinem Sohn deutlich, dass er ihn als solchen erst wieder anerkennen werde, wenn er sich – mit einem Kreuz vor den König tretend – öffentlich zum Christentum bekennt. Dass dies Andronicus’ Tod bedeuten würde, ist ihm dabei wohl bewusst. Andronicus’ Re-Konversion wird unterschiedlich ausgemalt: In 1642 und 1651-S. wird Andronicus wütend über seine Schuld und darüber, dass er von allen verlassen worden ist. Zornig und tobend wirft er sich zu Boden, dann setzt der Chor ein: Durch himmlische Tröstung wirdt das betriebte vnd schier verzweiffelte Gemüth Andronici widerumb geringert: vnd durch zuthun allerley Werckzeug/ so zu dem schmerzlichen Todt unsers Heylandts vnnd Seligmachers gedienet/ von solchen vbelzufelligen Gedancken erledigt: wirdt ihme auch sein Name/ welcher vor disem durch annemmung eines newen (dann er Isma[l genennt worden) ware auß- vnd durchgethan/ in dem Buch deß Lebens ganz vnd vnbefleckt fürgehalten.580

Die himmlische Tröstung wird hier durch einen Engelschor personifiziert. In 1651-M. beten seine Brüder in Ägypten und sein Vater in Arabien für ihn, während Andronicus am Boden liegt. Christus wird dadurch erweicht und nimmt Andronicus wieder mit Gnaden auf. In 1655 wird der Kampf der guten und schlechten Mächte um Andronicus’ Seele szenisch umgesetzt: Während sich Andronicus im Kampf zwischen Hoffnung und Verzweiflung befindet, treten vier höllische Geister in der Gestalt von Furien auf. Nach Lang werden diese folgenderweise dargestellt: »Alte Weiber mit zottigem und schwarzem Haar, in einem gleichfalls schwarzen Gewand, recken mit der Rechten eine Peitsche, mit der Linken eine Fackel aus.«581 Irenæus erhält von Christus – »Christus als Richter ist die höchste göttliche Person, die auf die Bühne kommt«582 – durch die 579 580 581 582

Anon.: Andronicvs […] (1655), Actvs quartvs., Scena III. Anon.: B. Ivvenis […] (1642), Actvs IV., Chorvs. Lang (1975), S. 270. Rädle (1981), S. 155.

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Fürbitte der Engel die Gnade für seinen Sohn, worauf sich die Teufel zur Wehr setzen. Nahezu das gesamte transzendente Personal ist in dieses »Scheingefecht« – der Sieger kann immer nur Gott sein583 – involviert. Die Kollision von personifizierten Kräften des Guten und des Bösen und ihre ständige, meist alternierende Bemühung, die Aufmerksamkeit des Menschen, um den gerungen wird, für sich zu gewinnen, ist a priori ein günstiges dramatisches Spannungsprinzip. Die Ausformulierung dieses Verhältnisses bietet große, auch komische, Möglichkeiten.584

Tatsächlich ist es möglich, dass diese Szene einer gewissen Komik nicht entbehrte, wenn das Furchterregende an den besiegten Furien zusehends schwindet und diese der Lächerlichkeit preisgegeben werden. In 1646 und der Franziskanerfassung scheint sich die Re-Konversion im Rahmen des väterlichen Gesprächs bzw. im Anschluss daran zu vollziehen. In der Berufstheaterfassung spricht eine Stimme dem verzweifelten und mit sich hadernden Andronicus Mut zu. Unbestimmt bleibt, ob es sich bei der Stimme um die eines Engels, die Stimme Gottes oder um die des Gewissens handelt. Katastrophe Die Katastrophe ist der vollkommene Wendepunkt der bisher eingetretenen Verwicklungen oder die Entwirrung; es begleiten sie oder folgen ihr die Lösung der Fabel und das letzte Entflechten des Knotens, so daß darüber hinaus nichts erwartet werden kann oder soll und das Ende aller Verstrickungen da ist.585

Der wieder zur Einsicht gekommene Andronicus ist Anfang des 5. Aktes schwermütig und stumm. Er vollzieht Handlungen, die den Bruch mit dem arabischen Glauben markieren. In 1642 gibt er die königlichen Geschenke in einen Korb und lässt diese zum König bringen. In 1651-M. befiehlt er seinen Dienern, bevor er diese entlässt, ihn nicht mehr Isma[l zu nennen. Diese berichten schließlich Saladin von dem Vorfall. Andronicus gibt also die neu gewonnene Identität wieder auf. Den Zimmerleuten erteilt er den Befehl, das Kreuz aufrichten zu lassen. Irenæus sieht die Zimmerleute bei ihrer Tätigkeit und versucht etwas darüber in Erfahrung zu bringen, was ihm aber verwehrt wird. Andronicus tritt zu dem Kreuz, grüßt und umarmt es. Während in 1646, 1651M., 1651-S. und 1655 mit dieser Szene schlicht seine Re-Konversion demonstriert wird, bedeutet sie in jenen Fassungen, in denen er ursprünglich den Auftrag zur Kreuzigung von Christen gab – also in 1642 und der Franziskanerund Berufstheaterfassung – weitaus mehr. Hier wird das aus seinem Kontext 583 Vgl.: Rädle (1981), S. 157. 584 Rädle (1981), S. 156. 585 Lang (1975), S. 226.

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gerissene und zum schieren Hinrichtungsinstrument gemachte Kreuz in seiner spezifisch christlichen Bedeutungsfülle wiederhergestellt. Auf der Bühne stehend suggeriert es nicht nur, dass das Christentum bzw. der Katholizismus die einzige religiöse Wahrheit seien, sondern auch den Sieg Christi und dessen Allgegenwärtigkeit sowohl auf der internen als auch auf der externen Kommunikationsebene. Andronicus bekennt gegenüber dem König den Empfang der Briefe und seine Re-Konversion. Als Amiram erzürnt (1642, 1646, 1651-S. und in der Franziskaner- und Berufstheaterfassung) und den Befehl gibt, Andronicus augenblicklich hinrichten zu lassen, ereignet sich ein Wunder, das auf das Walten Gottes verweist: Alle erstarren und erst als Andronicus das Kreuzzeichen macht, lösen sie sich aus der Erstarrung. Amiram befiehlt, Andronicus in den Kerker werfen zu lassen und Martern auszusetzen. Er berät sich mit seinem Hof und befiehlt Saladin, noch einmal mit ihm zu sprechen, ihm die Wahl zwischen der königlichen Gnade oder dem königlichen Zorn zu geben. Da dies erfolglos ist, versucht Amiram mit Versprechen und Drohungen Andronicus zum erneuten Abfall zu bewegen. Als ihm das nicht gelingt, lässt er Andronicus vom Kreuz reißen und auf einem Schiff enthaupten. In der Franziskaner- und Berufstheaterfassung versucht Hariadena (die letztlich den Ausschlag für Andronicus’ Apostasie gab) Andronicus, nachdem er ins Gefängnis geworfen wurde, zur Umkehr zu bewegen. Andronicus zeigt sich auch hier standhaft und verspricht ihr die ewige Seligkeit, falls sie zum Christentum konvertieren würde. Saladin besticht die Henker, dass sie Andronicus mit allerlei Härte foltern sollen, doch ist auch diese Pein nutzlos. Andronicus wird vor das Kreuz gestellt, um diesem abzuschwören, jedoch begehrt er, an ihm zu sterben. In der Berufstheaterfassung wird er nun gekreuzigt, die Formulierung in der Perioche der Franziskanerfassung legt dieselbe Todesart nahe: »[…] weil er nichts anders begehre/ als an demselben erhöcht zu werden/ wird also das Gottlose Urtheil an ihme vollzogen […].«586 Das würde bedeuten, dass er auch in der Innsbrucker Fassung gekreuzigt wurde. Hariadena stirbt sofort danach. Durch diese Todesart wird sein Märtyrerakt, seine Blutzeugenschaft, akzentuiert, sodass am Ende nicht schlicht Andronicus’ gekreuzigter Leib, sondern Jesus am Kreuz als Zeichen verbleibt und überdauert. Interessant ist die Schlussszene von 1655, in der eine Verbindung zur Prämienverleihung hergestellt wird: Nachdem Andronicus abgeführt wird, wollen die Henkersknechte das Kreuz niederreißen, finden darin aber die Prämie für die Schüler. Der König und Saladin legen ihren Hass gegen die Christen ab und verteilen die Prämie. Anhand derartiger Szenen wird die »besonders enge,

586 Anon.: Die vnbedachtsame […] (1667), Actus V., Scena Ultima.

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verpflichtende Verbindung zwischen der fiktionalen Dramenwelt und der Schulwirklichkeit sichtbar«587. Im Vergleich zur Rader’schen Stoffvorlage ist das Martyrium in jedem Fall milder : Bei Rader wird Andronicus nach seinem Bekenntnis für drei Tage ohne Speise und Trank ins Gefängnis geworfen, befragt, geschlagen, wieder drei Tage eingekerkert, härter geschlagen, nochmals eingesperrt, von Ochsen auf den Boden geworfen, die seinen Körper verwunden, und anschließend geköpft. Denkbar wäre, dass diese Änderung mit Umsetzungsschwierigkeiten oder der Rücksichtnahme auf die Jugend korreliert. Die beiden Hauptintentionen jesuitischer Dramatik – Glaubensvermittlung und Verhaltensänderung von Schauspielern und Publikum – werden hier durch den Kontrast zu einem anderen und somit »falschen« Glauben sowie durch die Identifikation mit dem Protagonisten, der in die Fänge dieses anderen Glaubens gerät, erzielt. Im Zentrum steht nicht die Auseinandersetzung mit einem speziellen »falschen« Glauben und dessen Bekämpfung, sondern der Verweis auf die Gefahren, die auf das katholisch-christliche Individuum lauern, wenn die Tugend der Standhaftigkeit nur schwach ausgeprägt ist. Zwar liegt es nahe, diesen anderen Glauben aufgrund des Schauplatzes mit dem Islam zu identifizieren, jedoch fehlen konkrete islamische Glaubensattribute, sodass es sich hier mehr um einen unbestimmten anderen Glauben zu handeln scheint, der den Protestantismus miteinschließt. Laut Rädle standen in der jesuitischen Dramatik etwa die Osmanen mitunter stellvertretend für die Protestanten.588 Durch die Identifikation mit dem Jüngling wird das Publikum mit zweifelhaften Situationen mit der Absicht konfrontiert, dass dieses seine eigenen Handlungen hinterfragt. Dazu gehören Handlungen, bei denen zugunsten weltlicher Werte entschieden wurde und deren Falschheit nicht zuletzt auch durch die Chorszene betont wird. Ein wenig eigentümlich in Hinblick auf die Kenntnis der hagiographischen Vorlage mutet hier der Umstand an, dass der Jüngling eigentlich erst umkehrt, nachdem er einer Intrige anheimgefallen und sozial isoliert ist. Bei Rader ist es schlicht das Gebet der Eltern und Gottes Gnade, die ihn zur Umkehr bewegen. Die Jesuiten wollten hiermit wohl der vergänglichen Weltlichkeit die unendliche Liebe Gottes entgegensetzen, durch die der Tod für den Glauben kein Verlust, sondern Gewinn der Seligkeit ist. Glaubensvermittelnde Momente finden sich im Aufblitzen göttlicher Zeichen, in Warnungen und Wundern, die die Allgegenwart und Allmacht Gottes demonstrieren sollen, sowie in der sogenannten väterlichen Schule, in der katholisch-christliche Tugenden behandelt werden.

587 Rädle (2004), S. 274. 588 Vgl.: Rädle (2004), S. 277.

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III.2.2. Andronicus im Kontext des Berufstheaters Bevor nun auf Andronicus im Berufstheater eingegangen werden kann, bedarf es der Erhellung grundlegender Faktoren, durch die sich das Berufstheater vom Jesuitentheater unterschied, sowie einer Reihe von Vorüberlegungen zur Spielpraxis des frühen Berufstheaters. Die Begeisterung des deutschsprachigen Publikums für das Schauspiel der englischen Comœdianten stieß bei Engländern, die sich zu jener Zeit in Deutschland aufhielten, auf Unverständnis und Verwunderung. Fynes Moryson, der das kontinentale Schauspiel der englischen Comœdianten mit jenem in England vergleichen konnte, kritisierte ihre Schauspielkunst, die Witzlosigkeit der Schwänke, die Kostüme, die schmucklose Bühne und die schlecht abgefassten ernsten Passagen.589 Seine Kritik beinhaltet auch die Erklärung für ihre eigentümliche Spielweise, ohne dass er das Symptom als Ursache reflektieren würde: […] yet the Germans, not understanding a word they sayde, both men and wemen, flocked wonderfully to see theire gesture and Action, rather then heare them, speaking English which they understoode not, and pronowncing peeces and Patches of English playes, which my selfe and some English men there present could not heare without great wearysomnes.590

Das Erfolgsrezept der englischen Comœdianten lag in ihrer sprachlichen Unabhängigkeit591, also in der speziellen Anpassung ihrer Spielpraxis an die Rezeptionsbedingungen im deutschsprachigen Raum – in einer Spielpraxis, die, statt einer dem Publikum unverständlichen Sprache den Vorzug zu geben, die visuellen und akustischen Elemente, die ein Verständnis der Vorgänge ermöglichten, stärker akzentuierte, d. h. das Gewicht auf allgemeinverständliche Ausdrucksformen wie körperliche und handlungsbezogene akustisch-visuelle Ausdrücke verlagerte sowie Musik als stimmungsgebende Universalsprache einsetzte. Sie machten sich außerdem anfangs weniger für ihre Dramen einen Namen – sie bedienten sich einer Nummerndramaturgie, in der die eindrucksvollsten Szenen englischer Dramatik gezeigt wurden – als für ihre akrobatischen Leistungen, ihre Musik, Tänze und Gags. »In the words of a Danish document, the English players were ›instrumentister och springere‹, ›mucisians and acrobats‹.«592 Summa summarum handelte es sich um eine Spielpraxis, die 589 Vgl.: Brand, Peter; Rudin, Bärbel: Der englische Komödiant Robert Browne (1563–ca. 1621). Zur Etablierung des Berufstheaters auf dem Kontinent. In: Daphnis 39 (2010), S. 1–134. Hier: S. 122. 590 Zitiert nach: Brand; Rudin (2010), S. 122. 591 Vgl.: Burke, Peter : Popular Culture in Early Modern Europe. London: Temple Smith, 1978. S. 94. 592 Burke (1978), S. 94.

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bei einem berufstheaterverwöhnten Engländer wie Moryson, der auf Vergleichsmöglichkeiten zurückgreifen konnte und aufgrund seiner Sprachkenntnisse keiner performativen Verständnishilfen bedurfte, wohl den Eindruck eines ›entstellten‹ Theaters englischer Provenienz hinterlassen musste – ganz im Gegensatz zum deutschsprachigen Publikum. In einer Münsterner Chronik heißt es: Den 26. novembris sindt alhir angekommen elven Engellender, so alle iunge und rasche gesellen waren, ausgenommen einer, so tzemliches alters war, der alle dinge regerede. Dieselbige agerden vif dage uf den raedthuse achtereinandern vif verscheiden comedien in ihrer engelischer sprache. Sie hetten bi sich vielle verschieden instrumente, dar sie uf speleden, als luten, zitteren, fiolen, pipen und dergelichen; sie dantzeden vielle neuwe und froemmede dentze (so hir zu lande nicht gepruechlich) in anfange und ende der comedien. Sie hetten bei sich einen schalkes narren, so in duescher sprache vielle boetze und geckerie machede under den ageren, wan sie einen neuwen actum wolten anfangen und sich umbkledden, darmidt ehr das volck lachent machede. Sie waren von dem rade vergeliedet nicht lenger als ses taghe. Do sie umb waren, musten sie wichen. Sie kregen in den vif taghen von den, so es sehen und hoeren wolten, vielle geldes … .593

Auch der Nürnberger Seidenhändler Balthasar Baumgartner lobte in einem Brief an seine Frau die unvergleichlichen und bis dahin noch nie gesehenen artistischen Leistungen, die Tänze und die Musik der englischen Berufsschauspieler und konnte sich im Gegensatz zu Moryson sogar für die Kostüme begeistern.594 Die Körperbeherrschung, der gezielte und gekonnte Einsatz des Körpers im Schauspiel war das wesentlich Neuartige, zu dem auch die Fertigkeit zählte, das Bühnengeschehen unabhängig von gesprochener Sprache verständlich zu machen. Hierzu bedienten sich die englischen Comœdianten auch situationsverdeutlichenden Bühnenpositionierungen. Sie arbeiteten etwa damit, »hochgestellte Figuren in der Bühnenmitte zu positionieren, Antagonisten deutlich einander gegenüberzustellen und Umschwünge durch Bewegungen auf der Bühne zu markieren«595. Während Moryson mit dem Berufstheater vertraut war, konnte der Seidenhändler Baumgartner nur zu jenen theatralen Praktiken Vergleiche ziehen, die ihm bekannt waren, also zu Theaterformen, die dem Laientheater zuzuordnen sind, wie die Handwerkerspiele der Meistersinger oder das Schultheater. In Bezug auf Theater korrelierten Hochkultur bzw. great tradition und Professionalität nur bedingt miteinander. Burke definiert great tradition und little tradition im Anschluss an Robert Redfield folgenderweise: 593 Zitiert nach: Alexander (2007a), S. 475f. 594 Vgl.: Brand; Rudin (2010), S. 32. 595 Fulda, Daniel: Komik des Sichtbarmachens. Zu Körper und Verkleidung als Medien des Wanderschauspiels, mit einer Wendung von der Medialität des Komischen zur Komik als Medium. In: Chloe 40 (2008), S. 71–103. Hier: S. 84.

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The great tradition was transmitted formally at grammar schools and at universities. It was a closed tradition in the sense that people who had not attended these institutions, which were not open to all, were excluded. In a quite literal sense, they did not speak the language. The little tradition, on the other hand, was transmitted informally. It was open to all, like the church, the tavern and the market-place, where so many of the performances occured.596

Die Bemerkung Bourdieus, »Der Tendenz nach ›haßt‹ der Professionelle den ›gemeinen Laien‹«597, geht in diesem Fall nicht auf, da die Dramen der great tradition für gewöhnlich, was ihre Spielweise betraf, ohne das Handwerk einer professionellen Schauspielkunst auskommen mussten. Sie verblieben im Sektor der Laiendarsteller, was die Vertreter der great tradition, die ihren Expertenstatus geltend machten, jedoch häufig nicht davon abhielt, das Schauspiel der Berufsschauspieler*innen zu kritisieren. Bourdieus Bemerkung könnte in diesem Fall sogar polemisch dahingehend umformuliert werden, dass der Laie hier tendenziell den Professionellen hasst. Aufgrund ökonomischer Beweggründe, also der Notwendigkeit, breite Publikumsschichten zu erreichen, sind die Berufsschauspieler*innen der little tradition bzw. der populären Kultur zuzuordnen: Sie fungierten als ihr Träger und partizipierten zugleich an ihr, indem sie Stücke, Stoffe, Themen bzw. Motive populärer Kultur aufgriffen und ausgestalteten, was sie jedoch auch nicht davon abhielt, Artefakte der great tradition in die little tradition zu integrieren, indem sie diese breitenwirksam aufbereiteten. Jedoch muss das aus der great tradition entwendete Artefakt, eine Grundkonfiguration aufweisen, die seiner populären Ausgestaltung in die Hände spielt und auf breitenwirksamen Zuspruch stößt. Popular culture may be described as a stock of genres, but also, in close-up, as a stock of forms (schemata, motifs, themes, formulae), whether these forms are peculiar to one genre or shared by two or more of them. It is the thesis of this section that folksongs and folktales, popular plays and popular prints all need to be seen as combinations of elementary forms, permutations of elements which are more or less ready-made.598

Welche Elemente also machten Andronicus für das Berufstheater attraktiv, abseits des Faktums, dass es sich um einen geistlichen Stoff handelte, der die Gemüter der Ratsleute versöhnlich zu stimmen vermochte? Da wäre zum einen der Ort der Handlung: Der Orient, eine räumlich ausgelagerte Projektionsfläche für Sehnsüchte und Ängste zugleich, deren Ausgestaltung dem Publikum als Zugabe prachtvolle Kostüme garantierte. Für seine Beliebtheit spricht auch die Häufigkeit seiner Auswahl. So tragen sich vier der vierzehn Stücke des Kodex hier zu (Andronicus, Amor der Ty¨rann, Dulcander und Dorella und Oronthea). In 596 Burke (1978), S. 28. 597 Bourdieu, Pierre: Rede und Antwort. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992. S. 168. 598 Burke (1978), S. 124.

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vielen Fällen mag der Ort für die Handlung irrelevant sein und eher Versprechen für ein Stückchen Exotik sein, in anderen Fällen aber, wie im Andronicus, erfüllt er wesentliche handlungsinhärente Funktionen, indem der Stereotyp des gottlosen und bösartigen Außenseiters bereitgestellt wird: »The popular image of the Turk or any other Muslim was that of a blasphemer who denies God, rather than a man with a religion of his own. In addition Turks were seen as bloodthirsty, cruel and treacherous.«599 Neben dem Intriganten verfügt das Drama mit einem Tyrannen über einen weiteren populären Typus: In any case the image of the tyrant was familiar enough, with obvious biblical prototypes. From the Old Testament there was Pharaoh, and from the New there was Herod, who was well-known in mystery plays in England, Poland, Russia and elsewhere. He was traditionally represented in England as a megalomaniac braggart, claiming to be God […].600

Die gottgleiche Selbstinszenierung des Tyrannen, in der sich hier die Gottlosigkeit der Sarazenen spiegeln soll, harmoniert mit dem Kontext des Dramas, das auf dem Antagonismus vom ›wahren‹ und ›falschen‹ Glauben, von Gut und Böse basiert. Ein weiteres Element, das Andronicus für das Berufstheater interessant machte, ist die Figur des Märtyrers, der das Publikum gegen Ende mit Tapferkeit, Unbeirrbarkeit und quasi-übermenschlichen Fähigkeiten besticht. Zuletzt bietet das Drama mehrere Möglichkeiten zur Ausgestaltung effektvoller Schockszenen, wie die Hinrichtung des Märtyrers. Wenn das frühe Berufstheater mit Andronicus ein Jesuitendrama spielte, ein Drama, das nach Burkes Definition der great tradition entsprang und dieses in die little tradition überführte, müssen folgende Differenzen beachtet werden: Während das Jesuitendrama auf Latein gespielt wurde, womöglich auch in gebundener Rede – das Jesuitentheater hatte als Schultheater nach innen eine pädagogische Funktion zu erfüllen, deren oberstes Ziel die Vermittlung von Latein und rhetorischen Fertigkeiten war –, übertrug das Berufstheater die Dramen in deutsche Prosa. Das bedeutet, dass die Berufstheaterfassung im Gegensatz zur Jesuitenfassung einem breiteren Publikum leichter verständlich war. Zweitens ist im Adaptionsprozess auf der Textebene von einer allgemeinen Tendenz zur Originaltreue auszugehen, die sich auch bei anderen Dramen des Kodex zeigt. Abweichungen ergeben sich aus dem Übersetzungsprozess, der Konnotationsverschiebungen mit sich bringen konnte, und aus Umstellungen bzw. Weglassungen, die der Straffung der Handlung dienten. Im Fall von Andronicus betreffen die Weglassungen wahrscheinlich – die unmittelbare Vorlage 599 Burke (1978), S. 167. 600 Burke (1978), S. 153.

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ist verloren – den Prolog und die Intermedien, womit die glaubensvermittelnden bzw. situationsunterstreichenden Momente und die Informationsvergabe bezüglich des Handlungsvorgangs eine Reduzierung erfahren. Außerdem kann das ursprüngliche Drama durch die Überführung ins Berufstheater, dem eine andere dramaturgische Praxis zu Grunde liegt, die Veränderung oder den Verlust bestimmter Bedeutungen erfahren haben: »However, taking over the forms of official culture did not necessarily involve taking over the meanings usually associated with them.«601 Drittens wurde die Jesuitenfassung von Laien, genauer von Schülern, und die Berufstheaterfassung von professionellen Bühnenkräften gespielt. Die Schauspielpraxis des Jesuitentheaters, deren Hauptakzent auf der gesprochenen Sprache lag, war im Gegensatz zum Berufstheater vornehmlich auf die theatrale Minimalfunktion des Schauspielerkörpers reduziert: Die theatrale Minimalfunktion des Schauspielerkörpers ist jedoch nicht mehr, als im Bühnenraum beweglicher Träger einer Stimme zu sein, in der sich ein Bewusstsein, Pläne und Empfindungen artikulieren. Theatrale Verkörperung als semiotische Leistung kann den konkreten Schauspielerkörper also weitgehend ungenutzt lassen, sich darüber erheben durch sprachliche Anreize für die Imagination des Publikums. In der frühen Neuzeit war vor allem das Schultheater, das den Bühnenauftritt primär als rhetorische Übung begriff, von einer solchen Auffassung geprägt. Die Wandertruppen des 17. Jahrhunderts leisten theatrale Verkörperung dagegen tatsächlich wesentlich mit ihren Körpern, und sie nutzen deren Artikulationsmöglichkeiten so umfangreich wie möglich.602

Neben der Ausschöpfung des Artikulationsspektrums des Körpers war das professionelle Schauspiel zudem in der Lage, die Rollen mit angemessenen Schauspielern und Schauspielerinnen zu besetzen; dies beinhaltete auch die Besetzung von Frauenrollen mit Schauspielerinnen. Viertens ist die Zielsetzung des Jesuitentheaters eindeutig – es diente als rhetorische Übung, der Glaubensvermittlung und der Verhaltensnormierung von Schauspielern und Publikum. Das Berufstheater, das in erster Linie von finanziellen Erwägungen abhängig war, strebte möglichst häufige Spielgelegenheiten und hohe Besucherzahlen an. Seine Flexibilität betraf nicht nur eine geographische, sondern auch eine soziale Mobilität, also die Kompetenz, verschiedene soziale Schichten über die Konfessionsgrenzen hinaus zu unterhalten. Die übergeordnete Zielsetzung seiner Schauspiele bestand in der Unterhaltung möglichst breiter Publikumsschichten, woraus sich zwei Annahmen ableiten lassen:

601 Burke (1978), S. 123. 602 Fulda (2008), S. 76.

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a) Die Truppen passten ihre Spielpraxis an die gegebenen bzw. geforderten Bedingungen an. Das konnte bedeuten, dass sie konfessionelle Gegebenheiten berücksichtigten, bestimmte sprachliche und performative Handlungsmomente oder Inhalte unterließen, Aufträge von Mäzen*innen befolgten, sozialdidaktische Funktionen und Momente hervorhoben603, zuspitzten oder in den Vordergrund rückten etc. b) Der Zielsetzung einer breitenwirksamen Unterhaltung gemäß mussten ihrer Spielpraxis Strukturelemente zu Grunde liegen, die auf eine breite Resonanz stießen und damit in einer Ästhetik der Professionalität604 kulminierten. Zu nennen wären: Schauattraktivität: Abseits einer pejorativen Konnotation im Sinne von Effekthascherei ist mit Schauattraktivität die Produktion von wirkungssicheren Szenen unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden optischen und akustischen Mittel gemeint. Dazu zählt nicht zuletzt der ziel- und treffsichere Körpergebrauch der Schauspieler und Schauspielerinnen. Auch das Jesuitentheater zielte unter Einsatz von Rhetorik, Tanz, Musik, Chören, Kulissen und Emblemen zur Steigerung der Wirksamkeit ihrer Dramen auf den Affekt und zur Vermittlung ihrer sozialdidaktischen und religiösen Implikationen auf Schauattraktivität.605 Dennoch scheint es sinnvoll, in Bezug auf diese beiden Theaterformen zwischen Wirkungsästhetik und Schauattraktivität zu unterscheiden. Während das Jesuitentheater alle zur Verfügung stehenden Mittel einer Wirkung unterordnete, die »außerhalb ihrer selbst liegende Zwecke zu erfüllen«606 hatten, fällt es in Hinblick auf die Spielpraxis des Berufstheaters schwer, derartig kon603 Vgl.: Brand; Rudin (2010), S. 81 u. S. 87. 604 Mit dem Terminus Ästhetik der Professionalität soll die dramaturgische und sinnliche Spezifik des frühen professionellen Schauspiels vor dem Einsetzen der Literarisierung akzentuiert werden. Dieser Terminus wurde hier der germanistischen Literaturgeschichte entlehnt, der sich dort allerdings auf den Professionalisierungsprozess deutschsprachiger Dramatiker*innen im Zusammenhang mit der Literarisierung und Sesshaftwerdung des Theaters bezieht. Es wurden Dramen verlangt, die den bühnentechnischen Möglichkeiten entsprachen und die »vermochten, ein finanzkräftiges Publikum zu interessieren und zu binden, dass dieses regelmäßig zurückkehren und dem Haus damit seine wirtschaftliche Existenz ermöglichen würde.« Dies erforderte von den Autoren ihre Werke an die Anforderungen der Bühne anzupassen. Siehe: Birgfeld, Johannes; Conter, Claude D.: Das Unterhaltungsstück um 1800. Funktionsgeschichtliche und gattungstheoretische Vorüberlegungen. In: Dieselb. (Hgg.): Das Unterhaltungsstück um 1800. Literaturhistorische Konfigurationen – Signaturen der Moderne. Zur Geschichte des Theaters als Reflexionsmedium von Gesellschaft, Politik und Ästhetik. Hannover : Wehrhahn, 2007. S. VII–XXIV. 605 Vgl.: Bauer, Barbara: Multimediales Theater : Ansätze zu einer Poetik der Synästhesie bei den Jesuiten. In: Plett, Heinrich F. (Hg.): Renaissance-Poetik. Berlin; NY: Walter de Gruyter, 1994. S. 197–238. 606 Fischer-Lichte, Erika: Semiotik des Theaters. Eine Einführung. Bd. 2.: Vom »künstlichen« zum »natürlichen« Zeichen. Theater des Barock und der Aufklärung. Tübingen: Gunter Narr Verlag, 2007. S. 28.

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krete Wirkungszwecke festzumachen, sodass von einem Primat der Schauattraktivität zu sprechen ist, ohne aber moral-didaktische Implikationen, die sehr wohl vorhanden waren, davon auszuschließen – die Differenz liegt im Primat. Komik: Während Komik im Jesuitentheater der Auflockerung der ernsten Handlung diente607 und didaktische Zwecke erfüllte, zielte das Berufstheater unter allen Theaterformen am stärksten dezidiert auf die Erzeugung von Komik. Neben der Körperkomik der comœdiantischen Figur sollten u. a. die aus dem häufig anzutreffenden Verkleidungsmotiv resultierenden Missverständnisse und Irrungen Komik erzeugen.608 Die comœdiantische Figur machte schon durch ihre bloße Erscheinung, ihre groteske Körperlichkeit lachen, die das Ideal des normierten Körpers invertierte.609 Komik im Kontext des Berufstheaters konnte sozialdidaktische Funktionen miteinschließen, auch gesundheitsfördernde, wenn die Berufsschauspieler*innen behaupteten, der Melancholie Linderung zu verschaffen610 (vgl. zu Affekt und Heilung IV. 4. 4.); in erster Linie war sie aber auf die unmittelbare Erheiterung und Unterhaltung des Publikums konzentriert. Kontrastive Dynamik: Während das Jesuitendrama dramaturgisch vor allem auf die Hervorhebung des Antagonismus von Gut und Böse abzielte, zeigt sich in der Spielpraxis des Berufstheaters zwar auch die Kontrastierung von Gut und Böse, aber ebenso der Kontrast von hohen und niederen Figuren, Tragik und Komik, Ruhe und Bewegung, Korpulenz und Schlankheit etc. Dabei schien der Fokus nicht bloß auf den Kontrasten zu liegen, sondern auch auf einem Prinzip der Bewegung und des Wechsels, wie die raschen Handlungsumschwünge und der Wechsel der Affekte, der Kostüme und der Orte zeigen. III.2.2.1. Saladin – eine comœdiantische Figur? Auch wenn das Berufstheater jene Theaterform war, die am meisten auf Komik abzielte und diese nicht zuletzt an die Aktionen der comœdiantischen Figur knüpfte, finden sich Spieltexte wie Andronicus, die ohne eine solche Figur auszukommen scheinen. Ihre Abwesenheit lässt sich nicht mit dem Stoff begründen, da ihre Einflechtung auch in geistliche Dramen nicht unüblich war.611 Allerdings wäre die schriftlich nicht fixierte Integration comœdiantischer Figuren in das Bühnengeschehen möglich. So ist beispielsweise in der Wiener Spielhandschrift von Aurora und Stella zwar keine comœdiantische Figur zu 607 Vgl.: Fulda (2008), S. 74. 608 Vgl.: Fulda (2008), S. 74. 609 Vgl.: Mourey, Marie-Th8rHse: Körperrhetorik und -semiotik der volkstümlichen Figuren auf der Bühne. In: Chloe 40 (2008), S. 105–141. Hier : S. 129; – Fulda (2008), S. 71–73. 610 Vgl.: Brand; Rudin (2010), S. 109. 611 Vgl.: Rudin (2006), S. 235.

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finden, dennoch bewarb Wallerotti dieses Drama als ein mit »Arlequins Lustbarkeiten« durchmischtes.612 Neben der (schriftlich fixierten oder nicht fixierten) Einflechtung comœdantischer Figuren kannte das Berufstheater noch eine weitere Vorgehensweise, dem Bedürfnis nach Komik entgegenzukommen: die (zumindest partielle) Ausgestaltung einer Figur zu einer comœdiantischen. Dieser Vorgang lässt sich u. a. im Zusammenhang mit dem ebenfalls von den Innsbrucker Comœdianten in Innsbruck adaptierten Stück Die glückselige Ey¨fersucht beobachten: Während der manipulative Höfling Cortadiglio in der Vorlage als »Confidente di Rodrigo«613, d. h. als Vertrauter des Königs und in der Innsbrucker Handschrift (1662) als sein »Favorit«614 bezeichnet wird, wird er im Dedikationsexemplar Elensons, das etwa zehn Jahre später überreicht wurde, als »Roderichs Fuchßschwänzer«615 (Schmeichler), und in einem Theaterprogramm Elensons (1700) als »Roderichs kurtzweiliger Diener«616 tituliert, während Wallerotti 1741 »mit Hanß Wurst einem intereßirten Hof-Spion«617 wirbt. Bereits in der Vorlage finden sich Angebote zur Komik: Beispielsweise, wenn Cortadiglio aufzählt, wo er überall nach der Prinzessin und ihren Hofdamen gesucht hat und dabei auch einen Ort nennt, an dem sie sich unmöglich aufhalten können, den Schreibtisch, was ihm als Rechtfertigung dient, die Sachen der Prinzessin zu durchsuchen. Die Innsbrucker Fassung nahm dieses Angebot an, indem hier noch zwei weitere Elemente, nämlich die »Schubladen und Küsten«618 hinzugefügt wurden. Am Ende dieser Szene hört Cortadiglio Stimmen und versteckt sich: Während weder im Original noch in der Innsbrucker Handschrift eine nähere Angabe zu diesem Vorgang zu finden ist, heißt es im Dedikationsexemplar Elensons von Cortadiglio: »Er steckt sich unter den

612 Wallerotti, Franz Gerwald: Eine wohl elaborirte sehens-würdige lustige Action Betitult: DIE ZWEY CRONEN-STREITENDE SCHWESTERN AURORA UND STELLA oder : Die triumphirende Unschuld. Mit Arlequins Lustbarkeiten durch und durch untermischt. […] Frankfurt am Main, 1741. Abgedruckt in: Mentzel (1882), S. 453 und 460. 613 Cicognini (1658), S. 5. 614 Kodex Ia 38.589, fol. 201v. 615 [Elensons]: Comoedia genandt Die glückseelige Eifersucht Don Rodrichs König von Valenza. (Überreicht durch Maria Margaretha Elenson). Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 13229 Han., fol. 2v. 616 Elenson, Andreas: Eine aus dem Spanischen In das Hoch-Deutsche übersetzte HauptOpera, Betitult: Die glückseelige Eifersucht Zwischen Don Roderich Und Delmira. Glückstadt [1700]. Königliche Bibliothek Kopenhagen, 36,–15 48. Abgedruckt in: Rudin (2015b), S. 16–26. 617 Wallerotti, Franz Gerwald: Eine extra-ordinair-intrigante, recht vollkommene Haupt- und Staats-Action, betitult: ALLA GELOSIA IL VENTO STESSO E SOSPETOSO, overo: La Gelosia Fortunata. […]. Frankfurt am Main, 1741. Abgedruckt in: Mentzel (1882), S. 457f. 618 Kodex Ia 38.589, fol. 207r.

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Tisch.«619 Dass er sich unter dem Tisch und nicht etwa hinter einem Vorhang verbirgt, verweist bereits in die Richtung seiner späteren dezidiert comœdiantischen Ausgestaltung. Er muss sich klein machen, sich auf den Boden, womöglich auf alle Viere begeben, eventuell krabbeln; vielleicht streckte er dem Publikum sogar kurzzeitig sein Gesäß entgegen. Zudem wurde er in der Innsbrucker Spielhandschrift in eine Szene eingefügt, um einen ironisierenden Kommentar beiseite-sprechend zu tätigen. Es handelt sich um minimale, aber dennoch richtungsweisende Eingriffe.620 Im Andronicus käme lediglich eine Figur in Frage, die das Potential hätte, die Funktion der comœdiantischen Figur zumindest partiell zu erfüllen: Saladin, der arabische Bösewicht, der Handlanger des Königs, der Andronicus in Versuchung führt, der als einzige Figur Komik generiert und mit Trickster-Eigenschaften ausgestattet die Rolle des Spielleiters übernimmt. Als »Der Vornehmste am Hoffe«621 widerspricht Saladin (so wie Cortadiglio in den frühen Fassungen auch) dem auffälligsten Merkmal comœdiantischer Figuren: ihrem niederen sozialen Status. Comœdiantische Figuren finden sich zumeist in der Dienerrolle, um sie an die meist höfische Haupthandlung zu binden. Auch Professionen wie die des Hofnarren, Schäfers oder Bauern – die bäuerliche Attribuierung der comœdiantischen Figur wird mit Petzolds Kilian Brustfleck und Stranitzkys Hans Wurst einen Höhepunkt erreichen622 – sind davon nicht ausgeschlossen. Die Ständeklausel differenzierte Komödie und Tragödie durch den sozialen Status der handelnden Personen, wobei die Komödie von gemeinen Leuten und die Tragödie von hohen Personen zu handeln hatte. Das Berufstheater spielte zumeist der Regelpoetik widersprechende Dramen, wovon die beliebteste Variante der gemischten Dramaturgie das ZweiEbenen-Prinzip darstellte (vgl. zu Berufstheater und Regelpoetik, II. 2. 3.). Die Verknüpfung der Ebenen variiert graduell und reicht von ihrem losen Nebeneinander bis hin zu einer starken Durchdringung, wodurch die comœdiantische Figur wesentliche Impulse für die Haupthandlung des Dramas setzt. Da Saladin ausführendes Organ der königlichen Weisungen ist und nicht davor zurückschreckt, seine Hände zu beschmutzen, ist ihm zumindest eine dienende Funktion inhärent. Ein weiteres Merkmal der comœdiantischen Figur, das in Zusammenhang mit ihrem niederen sozialen Status steht, ist ihr ständiges Streben nach der Befrie-

619 [Elensons]: Comoedia genandt Die glückseelige Eifersucht Don Rodrichs König von Valenza. (Überreicht durch Maria Margaretha Elenson). Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 13229 Han., fol. 8v. 620 Passagen dieses Absatzes sind in Hanser (2018), S. 183–184 eingeflossen. 621 Kodex Ia 38.589, fol. 318v. 622 Vgl.: Neuhuber (2006), S. 265–266.

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digung basaler Bedürfnisse.623 Damit dient sie einerseits als Negativfolie der Todsünden Wollust und Völlerei.624 Andererseits drückt sie dadurch auch Lebenslust aus und verweist auf die Konfrontation mit lebensfeindlichen Umständen wie Hunger und Krieg sowie mit Haltungen und Idealen, in denen das irdische Leben eine Geringschätzung erfährt.625 Saladin bleibt als Person hohen Standes die Erfahrung der leiblichen Not erspart, dennoch bildet das VerhaftetSein am Irdischen die Triebfeder seiner Handlungen und die Grundkonstante seines Seinsverständnisses: Er hängt am Leben. Wenngleich er zu Beginn verlautbart, dass er lieber sein Leben lassen würde, als sein Ziel, die christliche Jugend vom Glauben wegzuführen, nicht zu erreichen, offenbart sich diese Behauptung im weiteren Handlungsverlauf als Floskel. Als Irenæus in Botengestalt in Arabien ankommt und Saladin Andronicus’ Rückkehr zum Christentum befürchtet, versucht Saladin mit einer Intrige gegen Andronicus einen möglichen Schaden für seine eigene Person abzuwenden: […] Die vom Eifer erhitzte Feder seines Vaters kan leichtl‹ich› sein wachsernes Hertze erweichen, und so mein Glük angefangenes Spiel mit einem traurigen Ende verkehren, in welchem ich die vornehmste Person ungern vertreten wolt. Eröffne de‹n› Tempel und Wohnung deiner M i n e r v a , S a l a d i n , beschuldige einen anderen, so du für unschuldig wilt gehalten werden. Kanst du dich mit einem fremden Fall erhalten, so verschone a‹uch› der Götter nicht, ich muß de‹m› I s m a [ l das schweere Laster eines Abtrünnigen auf de‹n› Halß weltzen, wann s‹eine› Ehr und Herrlichkeit auf mich fallen sol. Ich wil dem Könige sein wankendes Gemüht entdekken, und so in der Gnad und ausser de‹m› Unglük bleiben.626

Seiner Haltung zum Leben entsprechend fällt auch sein Urteil über das Christentum, dem er wiederholt Morbidität unterstellt, durchwegs negativ aus: »[…] daß sie ihm verehren sollen, nageln sie ihm an das Kreutz, pfui, werfft diese Pestilentz von Euch.«627 Seine Ablehnung zielt nicht nur auf die symbolische Konfiguration des Christentums, sondern auch auf die christliche Haltung, die aus seiner Sicht die Verehrung des Todes (das Kreuz) den zu erstrebenden irdischen Gütern wie Macht und Reichtum vorzieht: »Das ist eine schöne Andacht, welche die Mörder so kek macht, daß sie de‹n› Kreutzgalgen mehr, alß einen Thron nachtrachten, Ihr werde[t] ihm mit solcher Andacht auch verschertzen.«628 623 Vgl.: Münz, Rudolf: Theatralität und Theater. Zur Historiographie von Theatralitätsgefügen. Mit einem einführenden Beitrag von Gerda Baumbach. Herausgegeben von Gisbert Amm. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 1998. S. 60–65. 624 Vgl.: Haekel (2004), S. 241. 625 Vgl. u. a.: Alexander (2007a), S. 472. 626 Kodex Ia 38.589, fol. 338v. 627 Kodex Ia 38.589, fol. 330v. 628 Kodex Ia 38.589, fol. 330v.

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Ein anderes auf der Hand liegendes Merkmal der comœdiantischen Figur besteht in ihrer Überschreitung von Normen629 : Sie repräsentiert das karnevaleske Prinzip630, zelebriert einen anhaltenden Ausnahmezustand, auch abseits der gesetzten zeitlichen Grenzen. Der Topos der verkehrten Welt setzt eine Norm voraus, die die comœdiantische Figur ebenso torpediert wie unfreiwillig konsolidiert, da sie als Akteur der Normdurchbrechung lächerlich bleibt und bleiben muss und die Stellung eines gesellschaftlichen Außenseiters innehat. Zugleich bildet ihr Bruch mit der Norm die Grundlage für die Erzeugung von Komik, die vor allem durch »Abweichungen von bestimmten Vorstellungsinhalten«631 generiert wird. Diese Abweichungen betreffen neben ihrem Aussehen, ihren Gebärden und Handlungen auch ihren Sprachwitz, der zumeist unvorhersehbar bleibt und überrascht. Die rhetorischen Strategien der comœdiantischen Figur, die zu einem großen Teil auf ihrem vordergründigen Bildungsdefizit aufbauen, setzen sich nach John Alexander zusammen aus alogischen Äußerungen, Rätseln ohne Lösungen, platten Aphorismen, dem Wörtlichnehmen von Metaphern und der Modifikation von Namen, Titeln, Phrasen und akademischen Terminologien; zudem bedient sie sich unzähliger bunter Metaphern für das Feld der Sexualität und geizt weder mit skatologischen Termini noch mit groben Flüchen.632 Saladin überschreitet als Fremder die religiösen und moralischen Normen sowohl der christlichen Gemeinschaft, die das Publikum bildet, als auch die der im Drama vertretenen christlichen Gemeinschaft. Er überschreitet jedoch nicht die Normen der im Drama gezeigten sarazenischen Gemeinschaft. Seine comœdiantischen Züge treten aufgrund des kontrastierenden Effekts nur in Zusammenhang mit jenen Szenen auf, in denen er versucht, sich Zutritt zur christlichen Gemeinschaft zu verschaffen. Wie äußert sich darin nun aber sein comœdiantisches Potential? Saladin ist die erste Figur, die die Bühne betritt, und jene Figur, die in die Handlung einführt und sie initiiert, womit er wesentliches Orientierungselement für das Publikum ist. Der Publikumsbezug Saladins wird zudem durch mehrere Monologe als auch durch mehrmaliges Beiseite-Sprechen hergestellt, in denen er seine eigentliche Identität sowie seine Absichten offenbart. Der Informationsvorsprung des Publikums dient der Spannungssteigerung. Dadurch aber, dass er diese Informationen nur mit dem Publikum teilt, werden die Ereignisse auch stärker aus seiner Sicht gezeigt, womit sich ihm gegenüber eine 629 Vgl.: Alexander (2007a), S. 471. 630 Vgl.: Münz (1998), S. 60–65. 631 Arend, Stefanie; Niefanger, Dirk: Einleitung. Grenzen und Möglichkeiten einer kulturhistorischen Untersuchung des Komischen im 17. Jahrhundert. In: Chloe 40 (2008), S. 9– 25. Hier: S. 20. 632 Vgl.: Alexander (2007a), S. 471–472.

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Ambivalenz aus Sympathie und Antipathie einstellen mag. Gleich in seinem ersten Sprecheinsatz nennt er seine Absichten und lässt seine Verschlagenheit erkennen: Die Götter, wollen mier mein Vorhaben nicht verhindern, indem ich dasjenige volbringen möge, welches ich mier vorgenommen, de‹nn› meinem Konige kan ich keinen grössern Gefallen erweisen, alß wan ich die Jugend von de‹n› Christen entführe, und zu unsern heidnischen Glauben bekehre; es ist ein alter Christenhund schon lang in meiner und meines Königs Gewalt, mit Nahmen Sultan, welchen ich überredet, daß ich mehr de‹n› christlichen alß heidnischen Glauben zugethan sei, und daß ich mier vorgenommen hätte, heimlicher Weise mich in das Christenthum zu verfügen, damit ich nach meines Hertzens Wunsch meine Andacht verrichten konte. Er glaubte solches, offenbarte mier auch, daß er in Æ g y p t e n in der Hauptstadt Me m p h i s seinen besten Freund mit Nahmen I r e n æ u s hätte, welcher nicht allein Geld und Gut vermag, sondern von de‹m› Himmel mit schönen Leibeserben beschenket worden. Bekomme ich nur einen davon, nach seine‹m› Geld und Gut frag ich nicht und dieses sol a‹uch› seine‹n› Fortgang haben, oder ich wil mein Leben lassen; aber stil, S a l a d i n , gehe behutsam, damit, du sicher gehest, und so mier recht ist, so höre ich schon einen von dieser Pest anhero kommen, doch dunkt mich, es ist ein Fremder, ich wil mich zu ihm machen.633

Saladin offenbart zudem seinen Namen, der unmittelbar Assoziationen zu einer paradoxen historischen Gestalt, dem zum Mythos avancierten Sultan Saladin (12. Jh.) weckt, der als Gegenspieler der Kreuzfahrer in der europäischen Literatur nicht nur als betrügerischer und mörderischer Bösewicht, sondern auch als freigiebiger und ritterlicher Held tradiert634 und zudem von Dante in den Limbus aufgenommen wurde.635 Während er in frühen Quellen als blutrünstiger Feind der Christen dargestellt wurde, unterstellten ihm spätere Narrative zunehmend eine christenfreundliche Haltung, deren fiktionaler Höhepunkt in Saladins Selbsttaufe gipfelte.636 Die Jesuiten wählten diesen Namen für die Rolle des Bösewichts vermutlich nicht nur aufgrund einer geographischen Passgenauigkeit (der historische Saladin war Sultan von Ägypten und Syrien), sondern vor allem, um die Gefährlichkeit dieses blutrünstigen und heimtückischen Gegners zu akzentuieren. Zudem wurde der mythologisierte Saladin als Meister der Verstellung bzw. der Verkleidung gezeichnet, die es ihm erlaubte, unerkannt (als Eremit, Gaukler oder Händler) auf christlichem Boden zu reisen637 – eine Fähigkeit, die den Saladin des Andronicus wesentlich auszeichnet und die durch 633 Kodex Ia 38.589, fol. 319r. 634 Vgl.: Jubb, Margaret: The Legend of Saladin in Western Literature and Historiography. Queenston, u. a.: The Edwin Mellen Press, 2000 (= Studies in Comparative Literature; Bd. 34). S. 32–85. 635 Vgl.: Dante, Alighieri: Die Göttliche Komödie. Stuttgart: Reclam, 2001. S. 21. 636 Vgl.: Jubb (2000), S. 87–103. 637 Vgl.: Jubb (2000), S. 118–122.

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den Kontrast zu seinem wahren, dem Publikum bekannten Charakter komische Effekte generiert. Zu nennen ist schließlich eine weitere Facette des in der Literatur tradierten Saladin, die mit der Berufstheaterfassung zu korrelieren scheint: Saladin wurde nicht zuletzt zur Satire gegen die Kirche funktionalisiert. Interessiert am Christentum will er sich selbst ein Bild machen und findet Missstände vor, die er humorvoll ankreidet, wie etwa die Habgier der Geistlichen.638 Derartige satirischen Elemente finden sich auch im Spieltext des Berufstheaters. Mit dem Auftritt des Pilgers vollzieht Saladin einen Moduswechsel – nannte er den Pilger zuerst noch die Pest, gibt er sich nun, zumindest zu Beginn des Aufeinandertreffens, gespielt freundlich: Saladin Sage mier, was singstu Gutes? Leander Ich singe eben dasjenige, was ich trage, ich lobe und trage das Kreutz, verkauffe es a‹uch,› so es einem beliebt. Saladin Ich wunsche dier, daß dier das Kreutz ankomme. Was machst du mit de‹m› Kreutz? Leander Die Christen pflegen es am Halse zu tragen. Saladin Das ist weißlich‹,› denn es ist besser, das Kreutz hange am Halse, alß der Halß am Kreutz, aber ist sonst keiner ein Christ, der nicht einen solchen Bierzeiger am Halse trage? Leander Wenig wird man in Æ g y p t e n sehen, welche nicht das christliche Zeichen haben. Saladin Wie theuer ist eines? Leander 3 umb einen halben Patzen. [319v] Saladin Es wird mier eines verdrießlich genung sein. Gib her eins. Leander Der Herr verzeihe mier, dieses Geld ist hie zu Lande nicht gültig. Saladin Wird doch d‹ein› Kreutz a‹uch› nicht viel geachtet. Leander Die Frommen halten es wehrt, ist Er aber ein Unglaubiger, warum kaufft Ers? Saladin Ein arger Vogel! Leander Gefält Ihm sonst nichts? Saladin Für dieses Mahl nicht. Leander Ein heiliges Halßgehäng für die Zauberei. Saladin Zauberei mit Zauberei zu vertreiben, ist de‹m› nicht also. Wirffts von sich. Leander Ist Er ein Christ, so sol Er de‹m› Hei‹l›thum keine solche Unehre anthun, es ist ein hochgeweihetes Wachs. Saladin So weich dei‹n› Wachs, so veränderlich ist a‹uch› m‹ein› Glaube, er läst sich in allen Satteln gebrauchen. Leander Kaufft Er ein schönes Bild von dem Leiden Christi. Saladin So ist de‹nn› Gott bei Euch feil, wie bei de‹n› Krämern die Wahre. Leander Nicht so wolfeil, wie Euer Glaube, wie ich sehe. Saladin Wer pflegt mit diesen Kugeln aus der Schlingen zu schiessen? Leander Hieran zehlet man das Gebeht der Gottesgebährerin. 638 Vgl.: Jubb (2000), S. 103–109.

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Saladin Pfui schäme dich. Leander Was? Ist die Stimme des Betenden nicht ein Gott wolgefalliges Wesen? Saladin O ihr Verbundenen, die ihr das Gebeht zehlet, wie der Kranke die Stunden. Leander Eure gottlose Zunge verräht Euch, daß Ihr kein Krist seid.639

Die gesamte Szene basiert auf der comœdiantischen Strategie des (vorgespielten) Bildungsdefizits. Dadurch, dass Saladin ein Außenstehender ist, darf er den christlichen Kosmos missverstehen. Dass er dabei aber u. a. heikle Momente der katholischen Glaubenspraxis ankreidet, macht die Szene überaus ambivalent: Er profaniert das heilige Kreuz, indem er es mit einem Hinrichtungsgegenstand und dem Brauerstern assoziiert, womit er es in die Sphäre sündhafter Örtlichkeiten rückt; er wirft das von Leander auf den abergläubischen Gebrauch reduzierte Agnus-Dei-Medaillon weg; er kritisiert den Handel mit Glaubensgegenständen und hebt schließlich den Pflichtübungscharakter des Rosenkranzgebets hervor. Dabei gerät der Pilger hier selbst zur Karikatur : Auf Saladins Frage, was er mit dem Kreuz mache, antwortet der Pilger, dass er es am Hals trage, womit der Pilger das Kreuz auf seinen äußeren Gebrauch reduziert; dass der Pilger es zu verkaufen gedenkt, zeigt ihn weniger als wahrhaft Gläubigen denn als jemand, der mit Sakralgegenständen Handel treibt. Als sich Saladin nach dem Preis erkundigt, nennt der Pilger ihm nicht den Preis für ein einzelnes Kreuz, sondern unterbreitet ihm ein Sonderangebot: »3 umb einen halben Patzen«. Nachdem er sich scheinbar ziert, Saladin ein Kreuz zu verkaufen (diese Stelle ist nicht eindeutig), bietet er ihm zwei weitere Sakralgegenstände zum Kauf an – ein Agnus-Dei-Amulett gegen die Zauberei und »ein schönes Bild von dem Leiden Christi«. Der Pilger vollzieht hier Handlungen, die aus protestantischer Sicht problematisch sind, womit er die pejorativen Zuschreibungen des von den Protestanten kritisierten Pilgerwesens erfüllt. Kritisiert wurde u. a., »dass Wallfahrten zu Götzendienst, Schwindel, Werkfrömmigkeit, Aberglauben und Missachtung der Gebote verleiten würden.«640 Auch in der protestantischen Populärkultur hatten die Pilger einen schweren Stand, so werden diese von Hans Sachs als faule Betrüger gezeichnet, die das Pilgerkleid zum Betteln missbrauchen würden, anstatt zu arbeiten.641 Neben dem Pilger erschienen auch das Agnus-Dei-Medaillon und der Rosenkranz den Protestanten verdächtig: Das Agnus-Dei-Medaillon bzw. das geweihte Wachs wurde vom Papst geweiht, dessen Name darauf eingeprägt war. Im Volksglauben fand es eine abergläubische Verwendung und 639 Kodex Ia 38.589, fol. 319r–319v. 640 Vgl.: Kälin, Kari: Schauplatz katholischer Frömmigkeit. Wallfahrt nach Einsiedeln von 1864–1914. Freiburg: Academic Press, 2005 (= Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz; Bd. 38). S. 13. 641 Vgl.: Herbers, Klaus: Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt. München: Beck, 2006. S. 89.

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sollte vor Hexerei, aber auch vor »Blitz und Unwetter, Feuer- und Wassergefahr« bewahren und Schwangere schützen.642 Saladins Reaktion auf diesen Sakralgegenstand – »Zauberei mit Zauberei zu vertreiben, ist de‹m› nicht also.« – deckt sich hier mit der protestantischen Kritik am Aberglauben im Kontext der katholischen Volksfrömmigkeit. Auch Saladins Reaktion auf den Rosenkranz entspricht hier einer protestantischen Perspektive. Da das Rosenkranzgebet der Marienverehrung angehört, wurde es vom Luthertum in den Hintergrund gerückt, zum einen, weil das Gebet aus protestantischer Sicht keiner Vermittlung durch Heilige bedarf, zum andern, weil die Marienverehrung ausuferte und damit von Jesus ablenke.643 Zudem – das ist der Aspekt, auf den Saladin abzielt – droht das Gebet durch die mechanische Rezitation inhaltsleer und bloß äußerliche Form, vielleicht sogar schiere Pflichtübung zu werden.644 Nicht unumstritten waren bildhafte Bibel-Darstellungen, die zwar unter dem Aspekt der Glaubensvermittlung toleriert wurden, auf keinen Fall aber mit Bezug auf die Ästhetik, die hier von Leander mit den Worten »ein schönes Bild von den Leiden Christi« in den Vordergrund gestellt wird. Das Paradoxe dieses szenischen Vorgangs liegt weniger darin, dass Saladin teilweise protestantisch argumentiert, sondern dass mit dem Pilger missbräuchliche Auswüchse innerhalb der katholischen Glaubenspraxis hervorgekehrt werden, die der katholischen Kirche als solche bewusst waren, jedoch von dieser weitgehend toleriert wurden. Es stellt sich die Frage, wie viele Freiheiten sich das Berufstheater im Zuge dieses Adaptionsprozesses nahm, da den Jesuiten im Kontext dieser Szene nicht daran gelegen sein konnte, missbräuchliche Auswüchse der katholischen Glaubenspraxis zu thematisieren. Selbst wenn es den Jesuiten darum ging, die Sarazenen, deren Boshaftigkeit im Drama evident wird, mit den Protestanten zu identifizieren, wäre es widersinnig, die eigene Position zu schwächen. Vielleicht aber waren sich die Jesuiten der mit diesem szenischen Vorgang einhergehenden Implikationen nicht bewusst und intendierten lediglich die Darstellung eines fröhlichen und gutgläubigen Katholiken, der Saladin zum Opfer fällt. Vielleicht erkannte das Berufstheater daraufhin das satirische Angebot dieses Vorgangs und ließ den Pilger zur Karikatur werden. Nachdem sich Saladin auf sein angebliches Bildungsdefizit herausredet, bietet ihm der Pilger eine Unterweisung in das Christentum an und möchte ihm die

642 Seligmann, Siegfried: Geschichte des Aberglaubens aller Zeiten und Völker. II. Band. Paderborn: Sarastro, 2012. [Nachdruck] S. 337. 643 Vgl.: Düfel, Hans: Luthers Stellung zur Marienverehrung. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1968 (= Kirche und Konfession; Bd. 13). S. 223–226. 644 Vgl.: Luther, Martin: Eine Einfältige Weise zu Beten (1535). In: Greshake, Gisbert; Weismayer, Josef (Hgg.): Quellen Geistlichen Lebens. Bd. III.: Die Neuzeit. Ostfildern: MatthiasGrünewald-Verlag, 2008. S. 40–47.

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Grundlagen der katholischen Lehre vermitteln. Saladin aber möchte lediglich in den Gebetshaltungen unterwiesen werden: Saladin Halt mit solchen Worten, verstehe ich schon nicht alles recht, so mustu wißen daß mier bißher nicht an Lust, sondern an Gelegenheit zu lernen gemangelt hat. Leander So begehret Er de‹nn› unterwisen zu werden. Saladin So sich d‹ein› Verstand so weit erstrekt, bin ichs zufrieden. Leander So wisset, daß nur ein Gott ist, aber Mensch und Gott zugleich. Saladin Alß wie ein weisser Kiehnruß, ich halte es mit de‹m› Scheinheiligen. Leander So höre ich wol‹,› die Rinde ist Euch lieber alß der Kerrn. Saladin Die M a n i e r zu behten, die Kirchengebrauch, das lehre mich, die übrigen Geheimnissen des Hertzens kan ein Aufrichtiges Gemüht selber erachten. [320r] Leander So merket de‹nn› auf; bißweilen mit gebognen Knieen. Saladin Damit sie weit von Gott sind. Leander De‹nn› mit aufgehobenen Händen. Saladin Auf daß sie desto besser zum Müssiggang werden. Leander Bald beten sie mit ausgestrektem Arm. Saladin Da messen sie das Gebeht mit Klafftern aus, oder probiren, wie sie sich mit der Zeit an das Kreutz schikken können. Leander Zur Zeit fallen sie auf die Erde. Saladin Da hassen sie den Himmel, weil sie ihm das Angesicht nicht würdig schätzen. Leander Bald klopften sie an die Brust. Saladin O daß ich die Faust wäre! Leander Hernach legen sie die Arme kreutzweiß an die Brust, übereinander und begrüssen die Mutter Gottes mit einem Rosenkrantz. Saladin Und sagen ihr einen guten Morgen. Ich habe genug, hier hast du eine Verehrung, ich wil di‹r› lieber d‹eine› Müh alß d‹ein› Gebeht bezahlen. Leander jj Dieses ist ein a r a b i s c h e r Schlag, ich fürchte meine Lehren werden diesem Unmenschen wenig nutzen. Ich wil mich von hinnen machen, damit ich durch s‹eine› Lästerungen nicht a‹uch› des Höchsten Zähren auf mich lade. jj Mein Herr ich bedanke mich und so fahre Er wol. Ab. Saladin Du auch. Diese Sachen, so mier werden zum Betrug helffen, wil ich hernach bald eine gute Nacht geben; ich wurde ein vornehmer Gaugler werden, wenn ich de‹m›jenigen nachfolgete, waß er mier gelernet hat. Aber wer komt hier, nun Saladin, spanne d‹ein› Netz, und Ohren, wan du eine Beut erjagen wilst. Trit an die Seite.645

Auch bei diesem szenischen Vorgang scheint dem Pilger ein Überzeichnetes anzuhaften, da es sich bei den von ihm gezeigten Gesten nicht um schlichte, sondern um besonders ostentative Gebetshaltungen handelt. Saladin parodiert die ihm vorgeführten Gesten sprachlich und vielleicht auch körperlich. Er bricht mit der Erwartungshaltung des Publikums, indem er den engmaschigen Bedeutungshorizont der Gesten aufbricht und um Assoziationen bereichert, die sie 645 Kodex Ia 38.589, fol. 319v–320r.

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in ihr Gegenteil verkehren. Saladin macht schon durch seine bloßen Worte aus den vorgängigen wohltemperierten christlichen Gebärden gesticulati, d. h. regellose und lasterhaften Gesten646. Denn seine Worte zerreißen die Ordnung der christlichen Gebärden und seine Intention entleert die Gesten von ihrem Sinn. Das Niederknien drückt das Sünd- und Schuldbewusstsein der Betenden aus, die sich unwürdig erachten, sich Gott physisch zu nähern.647 Wenn Saladin ausruft »Damit sie weit von Gott sind«, greift er den symptomatischen Ausdruck der intendierten Geste zwar auf, verkehrt aber die Intention der Demutsbekundung in Gottlosigkeit. Mit den erhobenen Händen assoziiert Saladin Untätigkeit und Arbeitsscheue: »Auf daß sie desto besser zum Müssiggang werden.« Die ausgestreckten Arme, die Orantenhaltung, die an den gekreuzigten Jesus erinnert, veranlasst Saladin zum Ausspruch: »Da messen sie das Gebeht mit Klafftern aus, oder probiren, wie sie sich mit der Zeit an das Kreutz, schikken können.« Das Niederwerfen, die Prostration, als »ein Zeichen der tiefsten Verdemütigung, der größten Bußtrauer und des angelegentlichsten Flehens«648 deutet Saladin wieder ins Gegenteil: »Da hassen sie den Himmel, weil sie ihm das Angesicht nicht würdig schätzen.« Das Schlagen auf die Brust ist eine Geste der schuldbewussten Selbstbezichtigung, die von den Worten »mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa« begleitet wird.649 Saladin aber durchschneidet die originäre Zusammengehörigkeit von Geste und Wort, indem er die Formel durch den Ausspruch »O daß ich die Faust wäre!« ersetzt, wodurch er andeutet, den Pilger schlagen zu wollen. In Bezug auf den Körpergebrauch wäre es denkbar, dass Saladin die Gesten übertreibt, verzerrt oder unpassend oft wiederholt.650 Bald darauf, wenn sich Saladin als der von ihm ermordete Isma[l ausgibt, führt er die Gebetsgebärden auf eine Weise aus, die Andronicus’ Familie davon überzeugt, dass es sich bei Saladin um einen tiefgläubigen Christen handelt. Aufgrund des Informationsvorsprungs, des Kontrasts zu der Pilgerszene und der Bemerkungen von Andronicus’ Familie ist auch dieser szenische Vorgang von ambivalenter Komik durchsetzt:

646 Vgl.: Schmitt, Jean-Claude: Die Logik der Gesten im europäischen Mittelalter. Stuttgart: Klett-Cotta, 1992. S. 31–32; – Baumbach, Gerda: Schauspieler. Historische Anthropologie des Akteurs. Bd. 2.: Historien. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2018. S. 69–72. 647 Vgl.: Eisenhofer, Ludwig: Handbuch der katholischen Liturgik. Bd.1. Freiburg im Breisgau: Herder, 1932. S. 252. 648 Eisenhofer (1932), S. 254. 649 Vgl.: Meyer, Hans Bernhard; Auf der Maur, Hansjörg; Fischer, Balthasar u. a. (Hgg.): Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft. Teil 3.: Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und Nichtsprachliche Ausdrucksformen. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet, 1990. S. 35. 650 Vgl. zum Körpergebrauch der comœdiantischen Figur : Mourey (2008), v. a. S. 129.

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Irenæus Wen sehe ich dort, er ist Isma[l, oder kein Mensch, und Gott näher, alß sich selbst. Neaniscus Herr Vater sprechet ihm zu. Irenæus Ich unterstehe michs kaum. Parmena Warum de‹nn›? In einer ehrl‹ichen› Sache ists nicht verboten kek zu sein, fürchtet Ihr vielleicht Euch einer Beleidigung; ist er ein Frommer so zürnet er nicht, ist er aber ein Gottloser, so hat er ein Mehrers verdienet. Neaniscus Er schlägt die Arme kreutzweiß übereinander. Aber sonst ist er gantz unbeweglich. Höret doch m‹ein› Herr[,] wer seid Ihr? [325v] Pantagath Vergönnet uns auffs wenigste Euer Angesicht. Parmena Der in himlischen Betrachtungen vertiefft ist, hat in de‹n› menschl‹ichen› weder Augen noch Ohren. Pantagath Er stehet so stil, alß ein gegossenes Bild. Tespio Ich habe offt zu Hause Mährlein unter alten Weibern gehöret, daß ein Schlaffender durch s‹einen› Nahmen kan aufgewekket werden. Irenæus Weißlich gleich wie eine Kertze[,] ohne That, ein Rad ohne Grund. Wer weiß wie er heist? Tespio Er muß I s m a [ l sein höret Ihr nicht I s m a [ l ! Er seuffzet und reget sich, und eröffnet seine Augen. Saladin Wer mißgönnet mier die himlische Freud? Wer verstöhret mich aus meiner Andacht?651

Im Gegensatz zur comœdiantischen Figur beherrscht Saladin die vollkommene Verstellung vor den anderen. Während die comœdiantische Figur aber immer als solche erkannt und stets enttarnt wird, kommt Saladins wahres Gesicht erst dann zum Vorschein, wenn er selbst beschließt, die Maske fallen zu lassen. Auch wenn Saladin keine comœdiantische Figur im engeren Sinne ist, erzeugt er, solange er ein Fremder ist, ambivalente komische Effekte und setzt sich spielerisch mit dem Christentum auseinander, womit er Funktionen der comœdiantischen Figur zumindest eingangs erfüllt. Auch hat er als Gegenspieler des christlichen Märtyrers per se Anteil am Diabolischen, dem das Schauspiel und insbesondere die comœdiantische Figur652 zugerechnet wurden. Der Teufel galt als Meister der Verwandlungsfähigkeit, der Sinnestäuschung, der Verführung, der Unordnung und des Spiels überhaupt653, alles Eigenschaften, die dem professionellen Schauspiel, als deren Aushängeschild die comœdiantische Figur galt, zugesprochen wurden und die in diesem Sinne das Berufstheater mit Saladin als Repräsentanten diabolischer Kräfte verbindet.

651 Kodex Ia 38.589, fol. 325r–325v. 652 Vgl.: Münz (1998), S. 60; 144; – Baumbach (2018), S. 37–49. 653 Vgl.: Schramm, Helmar : Karneval des Denkens. Theatralität im Spiegel philosophischer Texte des 16. und 17. Jahrhunderts. Berlin: Akademie Verlag, 1996. S. 86–95.

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III.2.2.2. Schauattraktivität Dass sich die Andronicus-Fassung des Berufstheaters mitunter ambivalent verhält, ließ die Auseinandersetzung mit Saladin (vgl. III. 2. 2. 1.) bereits erahnen. Zwar fungiert Saladin als Antagonist, als Negativfolie und als das Böse schlechthin, doch generieren einzelne mit ihm assoziierte Momente Effekte, die sich widersprüchlich zur Hauptintention dieses Märtyrerdramas verhalten und diese stören, wenn nicht sogar unterlaufen. Da diese Effekte mit den Interessen der Jesuiten unvereinbar scheinen, muss davon ausgegangen werden, dass diese im Zusammenhang mit der Adaptionspraxis des Berufstheaters stehen. Jedoch lässt sich aufgrund der Quellenlage nicht mit Sicherheit sagen, welchen Eingriffen dieses Drama im Detail unterworfen wurde. Es wäre denkbar, dass es sich bei den Ambivalenzen um paradoxe Effekte eines Unterhaltungsprinzips handeln könnte: Schauattraktivität, Komik und kontrastive Dynamik wurden als Grundelemente einer mit dem frühen Berufstheater in Zusammenhang stehenden Ästhetik der Professionalität genannt. Diese drei Elemente stehen in einem korrespondierenden Verhältnis zueinander, wobei der Schauattraktivität, also der wirkungssicheren Ausgestaltung szenischer Vorgänge, innerhalb dieses korrespondierenden Verhältnisses eine übergeordnete Rolle zukommt. Wirkungssicherheit bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht nur auf konkrete intendierte Wirkungen (Lachen, Erschaudern etc.), sondern zugleich auf die Komponente des ästhetischen Reizes – das Dargestellte soll von einer ansprechenden Wirkung sein. Bei Komik hingegen handelt es sich einerseits um ein dramaturgisches Mittel, das auf relativ konkrete Wirkungen abzielt (das Erregen von Lachen, Erheiterung, Auflockerung etc.), andererseits aber auch um einen Schauwert – es bestand Nachfrage nach komischen szenischen Vorgängen, der Schauwert Komik trägt also allgemein zur Schauattraktivität bei. Ähnlich verhält es sich mit der kontrastiven Dynamik: Auch hier handelt es sich sowohl um einen Schauwert als auch um ein Mittel, dessen Einsatz sich aber im Gegensatz zur Komik nicht auf eine Reihe sehr konkreter Wirkungen beschränkt; vielmehr erzeugt eine kontrastive Dynamik differente Wirkungen (Komik, Abscheu etc.), trägt zu ihrer Erzeugung bei und/ oder steigert diese. Komik und kontrastive Dynamik sind als Schauwerte und als dramaturgische Mittel letztendlich dem Prinzip der Schauattraktivität untergeordnet. Wenn wir nun die im vorherigen Kapitel beschriebenen szenischen Vorgänge aus der Perspektive des Zusammenspiels der Faktoren Schauattraktivität, Komik und kontrastive Dynamik betrachten, ergibt sich folgendes Bild: Die Intention der Jesuiten muss es gewesen sein, die Bösartigkeit und Verschlagenheit Saladins frei von Ambivalenzen deutlich zu machen, um Abscheu vor ihm zu erregen. Dazu bedienten sich die Jesuiten des Kontrastprinzips: Auf der

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einen Seite die guten und gutgläubigen Christen (der Pilger und die Familie des Andronicus), auf der anderen Seite der böse, gottlose und verschlagene Saladin bzw. die Sarazenen. Dem Berufstheater musste nun im Kontext des Adaptionsprozesses daran gelegen sein, die Schauattraktivität dieses Stückes insgesamt zu steigern. Um die Aufmerksamkeit des Publikums bereits zu Beginn zur erlangen, empfahl sich der Einsatz von Komik, die hier durch Verschiebungen im Bereich des Kontrastes zustande kommt – vom jesuitischen Kontrastprinzip hin zu einer kontrastiven Dynamik. Der fromme Pilger mutiert zum pejorativen Stereotypen, die Gutgläubigkeit von Andronicus’ Familie gerät zur Naivität, während Saladin zum Comœdianten wird – er ist mehr als ein gottloser Bösewicht, der sich des Mittels der Verstellung bedient, um seine Ziele zu erreichen. Er ist schlagfertig, entblößend aber auch unterhaltend. Bei Andronicus handelt es sich aber um kein Drama, dessen Attraktion auf dem Schauwert Komik beruht; Komik ist hier lediglich ein dramaturgisches Mittel. Es sind andere Schauwerte, die sich das Publikum von einem Märtyrerdrama versprach. Bevor diesen Schauwerten im Detail nachgegangen wird, bedarf es einiger Worte zum Stellwert der Schauattraktivität im Kontext der frühneuzeitlichen Rezeption von Schauspielen. Das Schauen ist der konstitutive Sinn für die Perzeption von Theater, von Schauspiel. Mit den Literarisierungsbestrebungen von Theater im 18. Jahrhundert wurde der Fokus von der Schau auf das auf der Bühne Gezeigte und Gesagte verlegt.654 Die Schau wurde dem Primat des Wortes untergeordnet, die Entsinnlichung von Theater angestrebt.655 Angesichts dieses Hintergrunds ist dem Terminus »Schauattraktivität« ein negativer Beigeschmack inhärent, der als Euphemismus des pejorativen Terminus »Effekthascherei« erscheinen mag. Wie Arnd Beise ausführt, hatte das Optische im 17. Jahrhundert einen weitaus höheren Stellenwert: Zum einen wurde der gesprochenen Sprache misstraut, »während man annahm, daß sich die oft verborgene Wahrheit – nicht nur auf der Bühne – in der Sprache des Körpers mitteilte«, zum anderen »war man seit der Antike allgemein davon überzeugt, daß der Mensch über die Augen am leichtesten und tiefsten affizierbar wäre«656. In diesem Sinne erscheint der Begriff Schauattraktivität passend, zudem nahm das Optische auch in der Beurteilung szenischer Vorgänge eine wesentliche Rolle ein. Dass dem Optischen gegenüber dem gesprochenen Wort der Vorzug gegeben wurde, zeigen die Tagebuchaufzeichnungen des Herzog Ferdinand Albrecht I. zu Braunschweig-Lüneburg (1636–1687) über die 1680 am Schloss zu Bevern ab654 Vgl.: Kotte, Andreas: Theaterwissenschaft. Eine Einführung. Köln; Weimar ; Wien: Böhlau, 2005. S. 135. 655 Vgl.: Birgfeld; Conter (2007), S. X. 656 Beise (1997), S. 116.

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gehaltenen theatralen Veranstaltungen. In dem Tagebuch sind sowohl die Gastspiele der Truppen Andreas Elensons und Johannes Veltens als auch Divertissements des Hofstaats dokumentiert. Drei Mal hebt Ferdinand Albrecht die Umsetzung herausfordernder szenischer Vorgänge hervor : »Kahland als eine Wasser Nymphe sang aus den Wellen, so naturel presentiret wurden, auch glückwünschende Versche ab […]«; »Aran der Mohr so lebendig geschmauchet worden, an händen vnd füssen mit grossen Ketten vber ein Fewr hangent, so naturel presentiret worden ist«; »Engel, so in den representirten Himmel sas vnd sang, auch der Genoveva als ein Echo antwortete […]«.657 Drei weitere Male bezieht er sich explizit auf schauspielerische Qualitäten: »4. Gottfried Saltzsieder, aus Dantzig, von den besten einer, so einen Tyrannen wohl repræsentiren kan. 5. Friderich Cornelius Beck, aus Strasburg, so auch gut, vnd den König wohl representiren soll […]«; »eine Lustige Comœdia, wie sie einen närrischen Menschen vor einen Printzen ansehen, der Ridel gesticuliret artig, als wann er b.[ruder] R.[udolf] A.[ugust] alberkeiten representirete.«658 Und einmal kommt er auf akrobatische Fertigkeiten zu sprechen: »vnd beschlossen mit einem Lustigen Tantz, darinnen sich ein vngeheuer grosser doppelter Mensch representiret.«659 Es sind also vor allem optische Eindrücke, die er in seinem Tagebuch lobend hervorhebt. Außerdem vermerkt er mehrere Verkleidungsbankette: Zwei Bauernhochzeiten; eine Wirtschaft mit Narren, Figuren der Commedia dell’arte und diversen Nationalitäten; und schließlich auch Tänze mit allegorischen Figuren.660 Dies zeugt von einem ästhetischen Reiz an Diversität und Kostümen, aber auch an Tanz und Musik. Während mit der Theaterreform das Primat des Wortes eingeleitet, also die sinnliche Dimension dem vorher schriftlich fixierten Wort untergeordnet wurde, wurde hier dem Sinnlichen eine weitaus bedeutendere Rolle eingeräumt. Ferdinand Albrecht, der gebildet und Literaturkenner war – er war Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft und der Royal Society661 –, bezieht sich in seinem Tagebuch kein einziges Mal auf die sprachliche Ebene, stattdessen richtet sich sein Fokus vor allem auf den Gang der Handlung, wobei es sich häufig um gewaltsame Höhepunkte handelt, die er erwähnt: »Nachmittages von 2 bis 4 Vhr 657 658 659 660 661

Zitiert nach: Zimmermann (1904), S. 150; 149; 146. Zitiert nach: Zimmermann (1904), S. 140; 138. Zitiert nach: Zimmermann (1904), S. 142. Vgl.: Zimmermann (1904), S. 132; 133; 134; 136; 152f. Vgl.: Bepler, Jill (Hg.): Barocke Sammellust. Die Bibliothek und Kunstkammer des Herzogs Ferdinand Albrecht zu Braunschweig-Lüneburg (1636–1687). Weinheim: VCH, 1988 (= Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Bd. 57). S. 177–179; 186– 204.

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war die schöne Tragœdia vnd Martyrium Polyectus oder der Christliche Ritter genandt, welcher vom Landpfleger Felix vnter dem Kaiser Decio ist decolliret worden, vnd sein liebster Freund verbrandt.«662 Angesichts dieser Marter hätte Ferdinand Albrecht ebenso Polyectus’ Standhaftigkeit und Mut hervorheben können, wie es die Jesuiten vermutlich getan hätten; stattdessen aber konzentrierte er sich auf die Gewalt, woraus sich ableiten lässt, dass es sich bei der Darstellung von Grausamkeit und Gewalt um einen besonderen Schauwert handelte. Ferdinand Albrecht attribuierte die gesehenen Dramen zumeist mit einem Adjektiv : »Kurtzweilige vnd Lustige Comœdia von Sidonia vnd Theagene«; »die bewegliche Tragœdia der dolle Marschalk aus Spanien«; »die bewegliche TragiComœdia: des zertreueten vnd wieder erfreueten Fürstlichen paars, oder das verhönete Fürsten paar«; »eine Lustige Comœdia«; »der Schein-heilige Mennonist, eine artliche Comedie«; »die schöne Tragœdia: Romio vnd Juliette«, »eine Possirliche bawerenhochzeit«; »die schöne Tragœdia vnd Martyrium Polyectus«; »die schöne Tragœdia vnd operos Werck: Die vmb die Krone Streitende Brüder Alari vnd Somiro«; »Ward die lustige Comœdia genandt: der Bürgerliche Edelmann agiret, darinnen artige Ballette.«; »Nachmittages ward die vberaus sinnreiche Tragicomœdia: Die vorsichtige Tollheit genandt, wohl vorgestellet.«; »Diese vberaus Lehr-reiche, bewegliche Tragicomœdia, genandt: Der schwere sündenfall, vnd die darauff erfolgte hertzliche Busse des Königes Davids, oder : David vnd Batseba«; »ward die erbauliche wahrhaftige Comœdia genandt: Die Standhaffte Genoveva Chur-Pfaltzgräffin von Trier repræsentieret«; »ward die schöne Tragikomœdia. Die Ehrliche Verrätherei, oder Don Gaston benamset, wohl vorgestellet«, »die Moralische Tragicomœdia […] Le Cid oder Liebes-geschichte Rodorigen vnd Chimena benamset, wohl fürgestelt«; »ward sehr wohl vorgestellet, die abscheuliche Tragædia vnd wahre historia, tituliret: Der Berühmte Römische General Titus Andronicus vnd grausamer Tyran Aran Gottischer Mohren General«; »die schöne Tragi-comœdia […] die dreifache Krönung von Epiro, war ein haupt-stück von Statssachen«.663 Kurzweilig (1 Mal), lustig (3), bewegend (3), artig (2), schön (5), possierlich (1), sinnreich (1), lehrreich (1), erbaulich (1), wahrhaftig (1), wahr (1), moralisch (1), abscheulich (1) – das sind die Attribute, die der Herzog verwendet. Eine Gruppe von Adjektiven ist eher objektorientiert: abscheulich, artig, possierlich, sinnreich, lustig. Eine nächste Gruppe verweist auf unmittelbare Wirkungen: kurzweilig, lustig, bewegend. Eine andere Gruppe wiederum auf längerfristige Nachwirkungen: lehrreich, erbaulich, moralisch. Schließlich verwendet er auch noch die Begriffe »wahr« und »wahrhaftig«, jedoch nur in Kombination mit 662 Zitiert nach: Zimmermann (1904), S. 139. 663 Zitiert nach: Zimmermann (1904), S. 136; 137; 138; 139; 143; 144; 146; 148; 149; 152.

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anderen Adjektiven. Das am häufigsten verwendete Adjektiv »schön« mag im Falle des oben erwähnten Märtyrerdramas Polyectus auch für »erbaulich« stehen, verweist ansonsten aber eher darauf, dass er von dem Drama und seiner szenische Umsetzung angesprochen wurde, da er sich dieses Adjektivs sowohl im Zusammenhang mit Liebesdramen als auch Schauerstücken wie Alari vnd Somiro bedient: Inhalt das der älteste Alari die khron von rechtswegen prætendirte, der Somiro aber wegen seiner tapfferkeit. Hagabertus der Vater ward endlich vberstimmet Somiro die khrone abzutretten, welcher aber als ein Tiran regierete, Mörder, Ehebrecher, Verräther los lies vnd nicht straffte, seinen Vatteren, Mutter Magilana, Schwester Abilana, weil in seinen vnkeuschen willen nicht einwilligen wollen, vnd jungsten Bruder ermordete, den Nahari. Endlich von den Alari heimlich mit Gift vergeben ward, wie das aber nicht operiren wolte, von den Marschalck Moralis im bette mit einer Partisan erstochen, vnd bekam [Alari] die khrone.664

Die Tagebucheintragungen Ferdinand Albrechts lassen erahnen, welche Schauwerte Andronicus für das frühe Berufstheater und sein Publikum attraktiv machten: Zum einen die Darstellung einer fremden, aber dennoch mit bestimmten Bildern assoziierten Kultur ; zum anderen die Umsetzung herausfordernder szenischer Vorgänge, die hier an die Darstellung von Gewalt geknüpft sind; und schließlich, im Zusammenhang mit Gewalt und Grausamkeit, die Darstellung moralisch korrupter Figuren – neben Saladin und dem Tyrannen ist auch Andronicus zu nennen. Saladin parodiert die Gebärden des Christentums nicht nur, sondern deutet sie auch als gotteslästerliche um. Er deutet das Christentum als Abwendung von alledem, wodurch das Göttliche für ihn bestimmt zu sein scheint – von der räumlichen Nähe zu Gott, vom Himmel und vom Leben. Wie aber lautet der arabische Gegenentwurf, wie wird der Islam, der nur einmal mit einem Halbmond665 angedeutet wird, ausgestaltet? Als sich Andronicus nach den arabischen Glaubensbräuchen erkundigt, verweigert ihm Saladin eine Antwort mit dem Hinweis, dass diese geheim seien und nur Neulingen des Glaubens vermittelt werden. Jedoch erläutert ihm Saladin bereitwillig das arabische Hofzeremoniell: »Durch Niederlassung beider Armen wird der König verehret; die Nächste nach ihm, gleich wie bei Euch, an de‹m› Saum des Kleides durch einen Kuß, Hariadena aber, des Königs Tochter mit Neigung einer Hand zur Erden gegrüst.«666 Bevor Saladin und Andronicus den Audienzsaal betreten, erklärt ihm Saladin zudem, auf welche Weise er sich dem König zu nähern hat: »Bleibt hier zur Seiten stehen, 664 Zitiert nach: Zimmermann (1904), S. 141. 665 »Allem Ansehen nach ist es ein Saracen. De‹nn› er führet einen halben Mond auf seinen Bund.« Kodex Ia 38.589, fol. 325r. 666 Kodex Ia 38.589, fol. 327v.

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biß Euch der König fodern läst. Alßde‹nn› nahet Euch zu ihm, verehret 3 Mahl mit geneigtem Haupt, und biß zur Erden niederfliessent Armen A m i r a m s May¨estät.«667 Den der christlichen Glaubenspraxis zugehörigen Gesten, die Saladin erlernen muss, um Eingang in die christliche Gemeinschaft finden zu können, werden die Gesten des arabischen Hofzeremoniells entgegengesetzt, die Andronicus erlernen muss, um Eingang in die arabische Gemeinschaft zu finden. Durch diese Gegenüberstellung erhält das arabische Hofzeremoniell eine dem christlichen Zeremoniell entsprechende Wertigkeit, womit der gottgleiche Status des arabischen Königs hervorgehoben wird: Saladin Mo n a r c h der Erden. Amiram Was für ein Unterscheid ist zwischen Gott und dem König? Saladin Nichts anders, alß daß die Götter von weiten, die Könige aber in der Nähe angebetet werden.668

Die gottgleiche Inszenierung des Königs, die hier durch die Projektion auf die Negativfolie der Sarazenen eine Kritik erfährt, wird durch eine weitere Aussage Saladins zusätzlich gesteigert: »In der Kirchen die Götter, aber in de‹n› königlichen Höfen betet die Könige an.«669 Diese Darstellung korrespondiert mit der europäischen Rezeption orientalischer Herrscher, die als absolute schlechthin wahrgenommen wurden, d. h. als solche, die im Gegensatz zum Oberhaupt des Heiligen Römischen Reichs die absolute Befehlsgewalt innehatten und deren Macht nicht von anderen Instanzen eingeschränkt war. Dieser Eindruck rief sowohl Faszination als auch Schrecken hervor. Während Martin Luther etwa noch die Herrschaft Süleymans I. lobte, wurde die Vorstellung von der uneingeschränkten Herrschaft zunehmend mit Despotismus assoziiert670, zugleich aber übte diese Vorstellung »eine nicht unbeträchtliche Attraktion auf viele Protagonisten und Theoretiker des Absolutismus aus.«671 Diese zwischen Faszination und Abscheu oszillierende Rezeption mag die Attraktivität dieses szenischen Vorgangs erklären. Als die Prinzessin vor Andronicus aufgrund seines Kreuzes flieht, lässt er sich von Saladin überreden, vom Christentum abzukehren, um die Gunst des Königs und der Prinzessin zu erlangen. Das Konversionsritual, dem sich Andronicus 667 668 669 670

Kodex Ia 38.589, fol. 328r. Kodex Ia 38.589, fol. 328v. Kodex Ia 38.589, fol. 328v. Vgl.: Katzer, Annette: Araber in deutschen Augen. Das Araberbild der Deutschen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Paderborn; u. a.: Ferdinand Schöningh, 2008. S. 112. 671 Grothaus, Maximilian: Vom Erbfeind zum Exoten. Kollektive Mentalitäten über die Türken in der Habsburger Monarchie der frühen Neuzeit. In: Feigl, Inanc; u. a. (Hgg.): Auf den Spuren der Osmanen in der österreichischen Geschichte. Frankfurt am Main; u. a.: Peter Lang, 2002 (= Wiener Osteuropa Studien; Bd. 14). S. 99–113. Hier: S. 102.

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unterzieht, enthält alle drei Phasen des Übergangsritus672 : In der Trennungsphase bespuckt Andronicus zuerst das Kreuz, wirft es auf den Boden und lässt es vom König, von Saladin und von der Prinzessin treten und tritt es schließlich selbst, bevor er es ins Feuer wirft. In der darauffolgenden Schwellenphase schwört er unter der Anweisung des Priesters Eleasar der Sonne, dem Mond, dem Himmel und dem König seinen neuen Glauben. In der Angliederungsphase erhält er den Namen Isma[l. Der oben erwähnte Halbmond deutet zwar den Islam an, jedoch wird weder eine monotheistische Religion präsentiert, noch fällt der Name des Propheten Mohammed, vielmehr handelt es sich also um einen Himmels- bzw. Gestirnenkult. Womöglich sollte hiermit nicht nur die Verschiedenheit der Religionen übersteigert, sondern auch die unterstellte Verherrlichung der Welt mit der Diesseitsverachtung des Christentums kontrastiert werden. Das aus heutiger Perspektive Erstaunliche dieses szenischen Vorgangs ist die Schändung des Kreuzes auf offener Bühne, zumal die damalige Gerichtspraxis die Zerstörung oder Schändung eines heiligen Gegenstandes mit Zuchthaus, gegebenenfalls auch mit der Todesstrafe sanktionierte.673 Wie geht das zusammen? Es mag überraschen, aber derartige Bühnenhandlungen entgingen dem Vorwurf der Blasphemie, wenn die auf der Bühne geschändeten Gegenstände nicht geweiht waren und das Publikum dabei nicht johlte.674 Erstaunen mag zudem, dass es sich bei dieser Szene nicht um eine Intervention des für die Ausgestaltung schauriger Bühnenhandlungen bekannten Berufstheaters handelte, sondern das Berufstheater diese Szene von der Vorlage übernommen hatte. In der Franziskaner-Perioche heißt es: »Andronicus in Gegenwart deß Königs vnd Götzen-Pfaffs/ wirfft das Creuz in das Fewr/ vnd opfert Sonn vnd Mond das erste mal den Weyhrauch/ vnd bekombt den Namen Isma[l.«675 Die Geistlichkeit setzte alles daran, die Korrumpiertheit der Glaubensfeinde deutlich zu machen und schreckte auch nicht vor der Darstellung blasphemischer und häretischer Akte zurück.676 Aus dieser Perspektive betrachtet könnte man meinen, dass dem Berufstheater der institutionelle Rückhalt fehlte, der die »Sinnhaftigkeit« dieser Szene garantieren würde. Jedoch wird dieser szenische Vor672 Vgl.: Turner, Victor W.: Liminalität und Communitas. In: Belliger, Andr8a; Krieger, David J. (Hgg.): Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch. Opladen; Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 1998. S. 251–262. Hier: S. 251. 673 Vgl.: Hehenberger, Susanne: Die beleidigte Ehre GOttes auf das empfindlichste zu rächen, in allweg gesonnen. Blasphemie und Sakrileg im 18. Jahrhundert. In: Scheutz, Martin; Valesˇ, Vlasta (Hgg.): Wien und seine WienerInnen. Ein historischer Streifzug durch Wien über die Jahrhunderte. Wien; u. a.: Böhlau, 2008. S. 179–202. 674 Ich möchte mich an dieser Stelle für die hilfreiche Einschätzung Gerd Schwerhoffs bedanken. 675 Anon.: Die vnbedachtsame […] (1667), Actus III., Scena II. 676 Vgl.: Adel (1960), S. 69.

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gang durch zwei Vorgänge im letzten Akt, in dem Andronicus’ Martyrium im Zentrum steht, ausgeglichen: Zum einen dadurch, dass Andronicus selbst an die Stelle des Kreuzes tritt und von den Mitgliedern des arabischen Hofstaats getreten wird; zum anderen durch die bildhafte Wiederauferstehung des Kreuzes selbst. Das Kreuz, das Andronicus von heidnischen Zimmerleuten aufrichten lässt, ist im letzten Akt in der 3., 4., 5., 6. und 14. Szene zu sehen. An diesem wird Andronicus in der Imitatio Christi in der letzten Szene gekreuzigt, womit das Drama mit dem starken und wirkungsmächtigen Bildnis des gekreuzigten Jesu schließt. Gewaltdarstellungen auf der Bühne sind nicht bloß ein Spezifikum des Berufstheaters, sondern finden sich ebenso in der Oper wie auch im Jesuitentheater. Der im 18. Jahrhundert getätigte Vorwurf der Effekthascherei677 verkennt den moraldidaktischen Impetus dieser szenischen Vorgänge und reduziert deren Intention auf die bloße Stimulation von Schaulust. Laut Arnd Beise war das frühe Berufstheater einem Dramenmodell verpflichtet, das durch die Konzentration auf die Gewalttäter Abscheu vor den Verbrechen evozieren und missliebige Standpunkte diskreditieren sollte678, wohingegen das Jesuitentheater die Aufmerksamkeit auf die Gewaltopfer lenkte, die mit ihrer Gleichmut gegenüber körperlichen Qualen, die sie weiter provozieren, die Nichtigkeit des Diesseits demonstrieren sollten.679 Andronicus ist nach der Rachetragödie Titus und Aran (vgl. IV. 4. 1. 4.) das gewalttätigste Drama des Kodex. Parallelen zwischen den beiden Stücken bestehen auf der Figurenebene in dem von außen kommenden spielleitenden Intriganten, der die Kette der Gewalt initiiert (Saladin/ Aran); im Tyrannen, der die Gewalt begünstigt (Amiram/ Saturninus); und in einer anfangs dem Ethos verpflichteten Figur, die im Verlauf der Handlung selbst zum Gewalttäter wird (Andronicus/ Titus). Während in Titus und Aran aber all diese Figuren durch gegenseitige Tötung ein gewaltsames Ende finden und die Reue für die begangenen Verbrechen ausbleibt, ist es in Andronicus lediglich der Titelheld, der getötet wird und seine Hinrichtung in einem Akt tiefster Reue provoziert. Mit Andronicus konzentriert sich das Drama auf beide Aspekte, auf das Ausüben und das Erleiden von Gewalt. Dass den Sarazenen das christliche Leben nichts zählt, soll bereits in den ersten beiden Akten durch die Ermordung Isma[ls und die Erniedrigung von Andronicus’ Neffen am Hof demonstriert werden. Saladin ermordet Isma[l auf heimtückische Weise. Er gibt sich als Vertrauter aus, bevor er ihm die Klinge in die Brust bohrt und seinen Todeskampf mit einem Schnitt durch die Kehle 677 Vgl.: Hulfeld (2000), S. 533. 678 Vgl.: Beise (1997), S. 109f.; 111f. 679 Vgl.: Beise (1997), S. 113f.

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beendet. Dieser szenische Vorgang ist laut, da die darauffolgende Szene mit Andronicus’ Frage nach dem Geschrei eröffnet wird. Später begegnet Andronicus am arabischen Hof seinem Neffen, der dem König Amiram als Fußschemel dient und von Amiram getreten wird. Mit seiner Konversion zum arabischen Glauben übernimmt Andronicus auch den Christenhass, auf den sich sein neuer Glaube verengt. Bereits direkt nach seiner Konversion schwört er : Andronicus Wie das Kreutz also wil ich a‹uch› die Nachfolger Christi verfolgen, in de‹m› Strom des Christenbluts zu baden sol hinfüro meine Ergötzlichkeit sein, diesen m‹einen› Säbel sol niemand alß sterbende Hunde entfliehen. Amiram So tapffer fort, auf de‹n› heiligen Fußpfad zur Tugend. Andronicus Die todten Körper sollen mier für Stapffeln dienen, biß ich so hochsteige, daß ich d‹einen› Füssen m‹ein› Haupt unterlegen (-werde-) könne.680

Diese hasserfüllten Verlautbarungen stehen im krassen Kontrast zu seinen zuvor noch stets bedachten Äußerungen und demonstrieren seine Wandlung zu einer Bestie. Von nun an ist jeder seiner Aussagen von seinem fanatischen Hass auf Christen durchdrungen. Er ist bestrebt, jede christliche Spur an sich auszulöschen. Dennoch drückt sich in seinem Hass zugleich die Unmöglichkeit des Loslassens aus, die durch seine pervertierte Instrumentalisierung christlicher Gegenstände demonstriert wird: »Ich hab in Willens ein grosses Kreutz aufrichten zu lassen. Und sobald mier nur ein Schatten von einem Kreutznarren oder ein Floh, (-oder ein-) welcher einen christl‹ichen› Blutstropffen gesogen hat, begegnen wird, sol er jämmerlicherweiße daran sterben […]«681.

Höhnisch sagt er, dass er selbst an diesem Kreuz hängen soll, sollte er vom arabischen Glauben abfallen. Sein Eifer erscheint aber selbst dem Höfling Mecharbal suspekt, der die Sorge äußert, Andronicus könne bald wieder rückfällig werden, da sich seine Wandlung zu schnell vollzog. Andronicus’ Hass bleibt nicht auf Worte beschränkt. Er macht dem König das Haupt eines von ihm ermordeten Christen zum Geschenk und schildert, dass ihn selbst die Tränen des Opfers nicht zur Barmherzigkeit bewegen konnten. Zudem äußert er den Wunsch, seinen eigenen Vater zu töten – »Das Haupt meines verfluchten Vaters, welches ich gerne mit eigenem Handstreich abschlagen, d‹einen› Füssen unter(-werffen-)(+streuen+), und so die christlichen Flekken abwaschen wolte.«682 Da Andronicus nun bewiesen hat, dass seine Worte nicht folgenlos bleiben, hat sein Wunsch eine spannungssteigernde Wirkung, denn 680 Kodex Ia 38.589, fol. 333r. 681 Kodex Ia 38.589, fol. 335r. 682 Kodex Ia 38.589, fol. 336v.

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sein Vater trifft in der nächsten Szene, die zugleich den Beginn des vierten Aktes markiert, in Arabien ein. Als Irenæus in Botenverkleidung Saladin und Andronicus begegnet, hat Andronicus einen Hund bei sich. Saladin Was habt Ihr hier vor einen Jagdhund? Andronicus Einen, welcher anstat eines Prügels, ein Kreutz an de‹m› Halße trägt.683

Der Hund, der Andronicus zur Jagd auf Christen dient, erfährt im Zusammenhang mit dem Kreuz die pejorative Bedeutung »Christenhund«. Bei dem Hund könnte es sich um einen Eingriff des Berufstheaters handeln, mit der Absicht, die Bestialität von Andronicus und die Bedrohlichkeit der Szene zu steigern. In den Periochen findet sich zwar kein Hinweis auf einen Hund auf der Bühne, jedoch bedient sich die Franziskaner-Perioche für die darauffolgende Szene einer sprachlichen Wendung, die einen Hund enthält – »Saladinus (deme der Hund vor dem Liecht vmbgieng)«684 –, um auszudrücken, dass Saladin durch den als Boten verkleideten Irenæus alarmiert ist. Denkbar wäre, dass eine sprichwörtliche Wendung das Berufstheater auf diese Idee brachte, es könnte aber auch sein, dass diese sprachliche Wendung auf die Innsbrucker Fassung verweist, in der womöglich tatsächlich ein Hund auf die Bühne gebracht wurde. Das Zusammentreffen mit Irenæus, den Andronicus aber nicht als seinen Vater erkennt, wird zwar von Andronicus’ Feindseligkeit dominiert, dennoch fügt er ihm kein Leid zu. Nachdem sich Andronicus aufgrund der Briefe seines Vaters den Ärger des Königs zugezogen hat, berät sich der Hofstaat des Königs, wie weiter zu verfahren sei. Dabei wird unter anderem die Anwendung von Folter angedacht, jedoch fürs Erste verworfen. In Folge eines erneuten Zusammentreffens mit Irenæus, der sich nun als sein Vater zu erkennen gibt, findet Andronicus zum Christentum zurück. Der fünfte Akt steht nun zur Gänze im Zeichen des Martyriums: Andronicus lässt den König zuerst in falscher Hoffnung, um ihn dann mit seinem Bekenntnis zu provozieren. Als ihn der König in seiner Wut mit seinem Schwert richten will, bleibt das Schwert aber durch das Eingreifen Gottes in der Scheide fixiert. Der König ergeht sich daraufhin in wüsten Drohungen und kündigt Andronicus die grausamsten Strafen an. Andronicus begegnet diesen Drohungen mit Gleichmut. Amiram Warum verliehren [wir] so viel Zeit, lasset den glüenen Ochsen, Leiter, Strikke, Schwerdt und Nägel hervor gebracht werden, denn du solst tieff in unsere Marter fallen. Andronicus Nicht tieffer alß ich in d‹einen› Händen bin. 683 Kodex Ia 38.589, fol. 337r. 684 Anon.: Die vnbedachtsame […] (1667), Actus IV., Scena II.

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Amiram Hervor mit de‹m› Werkzeug, so die henkerische Peinbank vermag. Andronicus O angenehmes Siegeszeichen! Warum verziehet man de‹nn› so lang? Amiram Fort fort mit ihm nach der Gefängnis. Andronicus Aber in keine grausamere, alß ich selber bin. Wird abgeführt.685

Amirams Drohungen lassen das Schlimmste erahnen und erzeugen eine dreifache Spannung: bezüglich der Frage, ob Andronicus angesichts der angedrohten Marter standhaft bleiben wird, bezüglich der Ausgestaltung sowie bezüglich der szenischen Umsetzung des Martyriums. Andronicus wird zwar im Anschluss gefoltert, jedoch wird die Folter selbst nicht gezeigt, sondern ist nur dem Bericht der beiden Henkersknechte zu entnehmen und letztlich im Ergebnis sichtbar : 1 Henkersknecht Entweder dieser Mensch ist stum oder Gott, denn er fühlet weder Geissel noch Ruhten. Saladin Wer selber nicht wil de‹m› können a‹uch› die Götter nicht helffen, ich hab ihm aus Ægypten einen Gefährten geschwohren, ich wil es halten, und ihn biß zum Kreutz begleiten. 2 Henkersknecht Wier haben so zugeschlagen, daß mier fast mei‹n› gantzer [346v] Leib wehe thut, gleichwol hat er sich geberdet, alß ob er unempfindlich wäre. Saladin Er sol schon empfindlich werden, gehet und bringet ihn vor dem König.686

In der Franziskaner Fassung wird das Zusammentreffen Saladins mit den Henkern der Folter vorangesetzt – Saladin besticht hier die Henker, besonders hart vorzugehen. Ohne weitere Informationen ist schwer abzuschätzen, worauf diese Reihenfolge abzielte, im Falle der Berufstheaterfassung aber hat sie den Effekt, dass die Tortur im Vergleich zu den von Amiram geäußerten Drohungen milder erscheint. In diesem Widerstreit zwischen Drohung und Geschehen deutet sich eine eigentümliche, sich immer weiter hochschaukelnde Dynamik an, die von dem Wunsch geleitet ist, Andronicus mit allen Mitteln – Drohungen, Versprechungen und Bestrafungen – zum arabischen Glauben zurückzuführen. Nachdem sich Andronicus erneut weigert, dem Christentum den Rücken zuzukehren, verkündet Amiram das Todesurteil und tritt ihn, bevor er abgeht. Andronicus wird nun von allen Anwesenden der Reihe nach auf dieselbe Weise getreten, wie einst das Kreuz im Konversionsritual: Amiram Dein verfluchtes Haupt sol von de‹m› Henker von d‹einen› Schultern geschlagen werden. So setzen die Könige, wenn sie schwere sein, ihre Füsse auf den Lasterboden, ich trete dich. Ab. Andronicus Weil ich auch getreten hab. Saladin Ich trete dich. Ab. 685 Kodex Ia 38.589, fol. 344(b)v. 686 Kodex Ia 38.589, fol. 346r–346v.

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Andronicus Durch dich Verführer hab ich getreten, (-durch dich-) von dier Verrähter werd ich wieder getreten. Mecharbal Ich trete dich. Ab. Andronicus Der du selbst zu treten bist, aber mit einem schweren Fuß. Selim Ich trete dich. Ab. Andronicus Alß eine Roll, welche, wenn sie hart getreten, desto höher fliehen kan, ist de‹nn› niemand mehr übrig, welcher A n d r o n i c noch mehr trete.687

Zuletzt kommt auch Hariadena hinzu und tritt ihn ebenfalls. Irenæus spricht Andronicus Trost zu und nimmt Abschied. Der Hofstaat betritt erneut die Richtstätte und Amiram verkündet, dass Andronicus gekreuzigt werden soll, da die Enthauptung doch eine zu milde Strafe sei. Diese Urteilsänderung mutet seltsam an, da Amiram Andronicus damit seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt, jedoch behauptet, dass es die grausamere Strafe sei. Andronicus wird an das Kreuz gebunden und eine Lanze in seine Brust gestoßen. Im Todeskampf übergibt er Gott seine reumütige Seele. Der Hofstaat verlässt die Richtstätte, lediglich Hariadena bleibt zurück und stirbt am Fuße des Kreuzes an ihrem Kummer. Im Gegensatz zum ersten Akt lassen sich in den letzten vier Akten keine stichhaltigen Hinweise auf größere Eingriffe durch das Berufstheater entdecken, jedoch wird deutlich, warum die Innsbrucker Comœdianten die Innsbrucker Aufführung der Jesuiten lobten und dieses Jesuitendrama adaptierten. Das Drama überzeugt in mehrfacher Hinsicht durch seine Schauattraktivität. Eine besondere Auffälligkeit stellen die wirkungsmächtigen Bilder dar, die in ein Gefüge kontrastierender Spiegelungen eingebunden sind. Angesprochen ist damit vor allem die Szene des Konversionsrituals in Zusammenhang mit dem beinahe rituell anmutenden Treten von Andronicus durch den Hofstaat sowie mit der bildhaften Wiederauferstehung des Kreuzes und Andronicus’ Kreuzigung. Sowohl mit Bezug auf die Schändung und Verbrennung des Kreuzes als auch mit Bezug auf die Kreuzigungsszene muss angesichts des dominanten Stellenwerts den Religion innehatte, von einer starken affekterregenden Wirkung dieser szenischen Vorgänge ausgegangen werden. In das Schema der kontrastierenden Spiegelung eingebunden ist zudem die Gegenüberstellung der christlichen Gebetsgebräuche und des arabischen Hofzeremoniells, durch die die Weltverhaftung und Gottlosigkeit der Sarazenen hervorgehoben werden soll. Durch einen starken Kontrast zeichnet sich schließlich auch die Wandlung von Andronicus aus, der nach seiner Konversion einer hasserfüllten Bestie gleicht, was in starkem Gegensatz zu seinem anfangs äußerst bedächtigen Auftreten steht. Ein weiteres Element, das dem Berufstheater entgegenkam, ist die Konzentration auf die Gewalttäter, die von der abgründigen Faszination zeugt, die 687 Kodex Ia 38.589, fol. 347v.

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von moralisch korrupten Figuren wie den hier dargestellten ausging (und auch heute noch ausgeht). Zugleich versucht Andronicus Antworten darauf zu geben, was Menschen zu Bestien werden lässt und beleuchtet dabei den Anteil von Manipulation, Verführung und sozialem Anpassungsdruck.

III.3. Exkurs: Funktionalisierung von Märtyrern und Märtyrerinnen Da Andronicus sowohl im katholischen als auch im evangelischen Raum gespielt wurde, muss davon ausgegangen werden, dass je nach Aufführungskontext und konfessionellem sowie persönlichem Hintergrund des Publikums mit der Aufführung dieses Dramas differente Wahrnehmungen und Assoziationen einhergingen. Während Andronicus 1683 im Zuge der Aufführung am Münchner Hof wahrscheinlich als gegen die Osmanen gerichtetes Tendenzstück inszeniert wurde, erscheint es durchaus denkbar, dass es im Kontext früherer Aufführungen vor dem Hintergrund der Konfessionalisierung gedeutet wurde. Nachdem sich über die Rezeption(en) dieses Dramas jedoch nur Vermutungen anstellen lassen, versucht dieses abschließende Kapitel mit der Aufführung von Märtyrerdramen in Zusammenhang stehende Assoziationsräume und Bilderwelten zu erschließen. Zudem werden hier Textverfahren erhellt, durch die Individuen zu Märtyrern und Märtyrerinnen gemacht werden. Abschließend wird anhand von zu Tode verurteilten Monarch*innen, die als Märtyrer*innen verehrt wurden, eine Brücke zum nächsten Hauptteil geschlagen, der sich mit dem Verhältnis von Berufstheater und Staat befasst. Märtyrer*innen-Körper Häupter, Arme, Gebeine, Knochensplitter und ganze Leiber, zusammengesetzt, unverwest, eingefasst oder mit Zierrat versehen und arrangiert – während die Nichtigkeit der Leiblichkeit einen nicht unerheblichen Topos des Märtyrerdiskurses darstellt, sind die sterblichen Überreste der Heiligen umso wertvoller. »Die Reliquien bilden den Nexus zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren; sie verbinden die Mystik mit dem Konkreten und demonstrieren so die Evidenz der sichtbaren Kirche.«688 Berichte über die unmittelbar nach dem Tod erfolgte Zerstückelung von Leibern heilig angesehener Personen finden sich mehrfach, so soll der Leib des 688 Baumgarten, Jens: Konfession, Bild und Macht. Visualisierung als katholisches Herrschafts- und Disziplinierungskonzept in Rom und im habsburgischen Schlesien (1560– 1740). Hamburg; München: Dölling und Galitz Verlag, 2004 (= Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas; Bd. 11). S. 82.

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Märtyrers Eudald nach seinem Ableben von Gläubigen zerrissen worden sein.689 Im Regelfall ging es aber weniger grob zu: Die Gebeine wurden aufgefunden, aus den Gräbern entnommen und feierlich überführt. Häufig findet sich in den Translationsberichten der Moment des Traumes, in dem der Aufenthaltsort der sterblichen Überreste offenbart wird. Man ging von der Vorstellung aus, dass die heiligen Gebeine aufgefunden werden wollten und auch das Ziel ihrer Reise bestimmten.690 Im 17. Jahrhundert waren es römische Katakombenheilige, die den Status eines Exportschlagers für sich beanspruchen konnten: Die in römischen Katakomben aufgefundenen Gebeine vermeintlicher Märtyrer*innen wurden auf Namen aus dem Martyrologium Romanum oder Namen, die »religiöse Ideale vermittelten«, getauft, und über die Alpen gebracht, wo sie feierlich empfangen wurden.691 Dieses Phänomen blieb auf Österreich, die Schweiz und den süddeutschen Raum beschränkt.692 Als Echtheitsnachweise galten durch Oxydationsprozesse rötlich gewordene Gefäße, die als Rückstände von Märtyrer*innenblut interpretiert wurden, wenn auch die Verfärbung von anderen Ingredienzien herrührte, die den Gräbern beigesetzt wurden. Aber auch in Marmorplatten eingeritzte Zeichen von Werkzeugen wurden »als instrumenta martyrii angesehen, die Buchstaben DM (Dis Manibus) [den Totengeistern] auf heidnischen Epitaphien zu Dei Martyr ergänzt.«693 Reliquien fanden aufgrund ihrer Wunder- und Wirkkräfte verschiedene Einsatzmomente: Im Mittelalter schwor man auf sie und setzte sie in Kriegshandlungen ein – die Belagerer der Stadt Mecheln etwa sollen mit einem Schild, an dem eine heilige Rippe angebracht war, vertrieben worden sein. Vor allem aber in Fällen körperlichen Leids oder in Situationen der Not wurden sie von den Gläubigen aufgesucht.694 Man ging davon aus, dass der oder die Heilige schon mit einem kleinen Teil seines bzw. ihres Körpers präsent sei. Zur Übertragung der heiligen Wirkkraft wurde aus heiligen Schädelreliquien Wein getrunken bzw. gereicht oder Reliquien in Gürtelschnallen eingefasst. Wer selbst keine Reliquien besaß, konnte diese aufsuchen: »Berühren, Bestreichen und Küssen vermittelten die Heilsaufnahme; es konnte aber auch das Durchkriechen unter dem Reliquienschrein oder ein Sich-davor-Niederwerfen gefordert sein.«695 689 Vgl.: Legner, Anton: Reliquien in Kunst und Kult. Zwischen Antike und Aufklärung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995. S. 46. 690 Vgl.: Legner (1995), S. 11–26. 691 Vgl.: Burschel, Peter : Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit. München: R. Oldenbourg Verlag, 2004 (= Ancien R8gime, Aufklärung und Revolution; Bd. 35). S. 221. 692 Vgl.: Angenendt, Arnold: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. München: Beck, 1994. S. 251. 693 Legner (1995), S. 302. 694 Vgl.: Legner (1995), S. 37–44. 695 Angenendt (1994), S. 157.

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Eine Besonderheit des barocken Reliquienkults stellte die Präsentation ganzer Leiber dar : Die Gebeine wurden in eine liegende, sitzende oder auch stehende Position gebracht, kostümiert, mit allerlei Kostbarkeiten und Zierrat geschmückt und die Schädel häufig mit (Wachs-)Masken versehen.696 Die Präsenz der Heiligen wurde auf diese Weise augenfällig gemacht, vor allem, wenn sie in Blickkontakt mit den Gläubigen traten. »Die Gläubigen sollten sich durch die Präsentation des vollständigen, bekleideten Corpus ein sinnhaftes, konkretes Bild von dem Heiligen machen, sich ihn als Person vorstellen und ihn als Himmelsfürsten verehren können.«697 Diese Installationen aus sterblichen Überresten, Wachs, Holz und Stoffen sind eigentümliche Schwellengestalten, die trotz der sichtbaren Zeichen des Todes den Eindruck leiblicher Unversehrtheit erwecken sollten. Die nahezu kaschierten und doch sichtbaren Gebeine dienten als Beweis der Echtheit der Reliquien.698 Dieser Drang zur Wirklichkeitsnähe bestimmte auch das Translationsritual (die feierliche Überführung der Heiligen). Bereits in Besitz befindliche Reliquien und Heiligenbilder wurden dem überstellten Heiligen von einer Prozession entgegengetragen, um diesen zu empfangen, dabei wurden Heilige auch durch lebende Personen verkörpert.699 Diese geschmückten ganzen Leiber erwecken den Eindruck der Unversehrtheit. Die erlittenen Qualen mögen durch Hinrichtungswerkzeuge angedeutet sein, jedoch ist die daraus resultierende Versehrtheit nicht Teil dieser Inszenierung, im Gegensatz zu den unzähligen Darstellungen, die das Martyrium selbst zum Inhalt haben und den gequälten Körper ins Zentrum rücken: Versengendes Feuer, entzweiende Sägen, glühende Zangen, knochenbrechende Räder, erschlagende Steine, durchbohrende Pfeile, siedendes Öl, Kreuze, Stichwaffen etc. – dem Theatrum der Marter scheinen keine Grenzen gesetzt. Es sind Einzelne, Gruppen, sogar Kinder und Säuglinge oder ein Heer von Märtyrern und Märtyrerinnen, die entsetzlichen Qualen ausgesetzt werden. Während Folterknechte und Henker die Körper der Märtyrer*innen malträtieren, übertragen sich die körperlichen Qualen häufig nicht auf ihr Antlitz: Aus ihren Leibern mögen sich Blutstrahlen ergießen, ihr Haupt mit kochendem Wasser übergossen werden, Stücke ihres Fleisches oder Brustwarzen mit Zangen entfernt werden, in ihren Gesichtern zeichnet sich keine Angst oder Schmerz ab, noch schreien sie oder vergießen Tränen. Sie wirken gefasst, den Schmerz er696 Vgl.: Legner (1995), S. 289–315. 697 Brossette, Ursula: Die Einholung Gottes und der Heiligen. Zur Zeremonialisierung des transzendenten Geschehens bei Konsekrationen und Translationen des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Berns, Jörg Jochen; Rahn, Thomas (Hgg.): Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Tübingen: De Gruyter, 1995 (= Frühe Neuzeit; Bd. 25). S. 432–470. Hier: S. 450. 698 Vgl.: Brossette (1995), S. 450. 699 Vgl.: Brossette (1995), S. 455f.

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duldend, mitunter lächeln sie sogar, während sie unter körperlichen Qualen den Empfang ihres Heils abwarten.700 Der visuellen Darstellung dieser überlieferten Schicksale wurde in der gegenreformatorischen Bildpolitik erheblicher Wert beigemessen. Ohne die Anstrengung der Lektüre konnten vergangene oder auch eher abstrakte heilsgeschichtliche Ereignisse sinnlich erfahrbar gemacht und ins Gedächtnis gebrannt werden.701 Vor allem die unmittelbare Wirkung auf Affekt und Körper hatte einen hohen Stellenwert. »Dies gilt insbesondere für die Darstellung von Höllenszenarien und Martyrienbildern, die eine exzessive Wirkung ausüben sollten, um Abscheu hervorzurufen bzw. die heroische Glaubenskraft zu stärken.«702 Konstruktion von Märtyrern und Märtyrerinnen Der schwierige Märtyrer*innen-Begriff leitet sich vom griechischen Wort »Zeuge« (martys) ab und erhielt mit seiner lateinischen Aufnahme die Bedeutung »Blutzeuge«.703 Bevor Blutzeugenschaft gemeint war, bedeutete »Zeuge« soviel wie »Zeuge Gottes« bzw. »Zeuge Christi«.704 Die erste schriftlich fixierte Verwendung im Sinne der Blutzeugenschaft findet sich im Zusammenhang mit dem Tod Polykarps im Jahre 156. Mit diesem Bericht entwickelte sich eine eigene Literaturgattung, die »explizit das Martyrium zum Inhalt hat.«705 Im Allgemeinen wird heute unter Märtyrer*in eine Person verstanden, die sich für ihre Überzeugung opfert oder Verfolgungen auf sich nimmt. Die Problematik in dieser Wendung liegt in der Entfremdung vom christlichen Kontext, der diesen Begriff erst gemünzt hat. Zugleich werden mit der Fixierung auf die begriffsgeschichtliche Dimension »Parallelen, Vorläufer und Vorformen der christlichen Märtyrer«706 negiert. Weigel weist diese Fixierung mit Bezug auf Tertullians Schrift Ad martyres zurück, da Tertullian nichtchristliche Vorbilder nennt, die für etwas gestorben sind.707 Die Märtyrer*innen-Figur erfüllt zumindest zwei gesellschaftliche Funktionen: Zum einen hat sie Vorbildcharakter in Bezug auf die christliche Lebensführung, ihre Standhaftigkeit, ihren Mut und ihre Ausdauer. Zum anderen wirkt 700 701 702 703 704 705 706 707

Vgl.: Burschel (2004), S. 204–209; 225–228; 233–236; 240–245. Vgl.: Baumgarten (2004), S. 69–73. Baumgarten (2004), S. 99. Vgl.: Weigel, Sigrid: Schauplätze, Figuren, Umformungen. Zu Kontinuitäten und Unterscheidungen von Märtyrerkulturen. In: Weigel, Sigrid (Hg.): Märtyrer-Porträts. Von Opfertod, Blutzeugen und heiligen Kriegern. München: Fink, 2007. S. 11–38. Hier : S. 22. Vgl.: Weigel (2007), S. 25. Cicek, Hüseyin I.: Martyrium zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit. Eine Kriteriologie im Blick auf Christentum, Islam und Politik. Wien; Berlin: LIT Verlag, 2011 (= Beiträge zur mimetischen Theorie; Bd. 31). S. 36. Weigel (2007), S. 22. Vgl.: Weigel (2007), S. 22–23.

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sie identitätsstiftend für Gruppen. Weigel erinnert daran, dass sich die Wandlung eines Individuums zum Märtyrer bzw. zur Märtyrerin eigentlich im Interesse der Überlebenden vollzieht708 und verweist auf kulturelle Konstitutionsprozesse, die bei der Herstellung dieses Figurentypus am Werk sind. Wesentlich für den Katholizismus sind die Märtyrerakten, in denen es zu einer Engführung von martyrium mit Bekenntnis (confessio: »Christiana sum«), Standhaftigkeit (constantia) und Zeugnis (testimonium) kommt. Dafür ist nicht nur ihr Tod als Zeugnis ihres Bekenntnisses bedeutsam, sondern mindestens ebenso wichtig, daß dies in schriftlichen Zeugnissen überliefert wird, daß also Blutzeugnis und Schriftzeugnis verknüpft werden.709

Mit der Reformation erfuhr das Phänomen des Martyriums Aktualität und eine Verschiebung: Während der Katholizismus die alten Märtyrer*innen verehrte, brachte er durch die Diffamierung der Mitglieder der neu entstandenen Bekenntnisgemeinschaften als Häretiker*innen neue Märtyrer*innen hervor. Die Institution der katholischen Kirche rückte somit in den Augen der neuen Bekenntnisgemeinschaften an die Position der einst heidnischen Tribunale.710 Peter Burschel fasst das Martyrium aus kulturanthropologischer Perspektive als »Medium kollektiver Leidenserfahrung […] und damit als Medium kollektiver Erinnerung und kollektiver Selbstvergewisserung«711. In seiner Auseinandersetzung mit dem Martyrium in der Frühen Neuzeit untersucht er die evangelische und katholische Bekenntniskultur sowie die Bekenntniskultur der Täuferbewegung. Zur Erhellung des Textverfahrens, das aus evangelischen ›Ketzern‹ Märtyrer machte, stützt sich Burschel auf frühreformatorische Flugschriften, unter anderem zur Hinrichtung von Heinrich Voes und Johann van den Eschen (1523), die als die ersten evangelischen Märtyrer gelten. Mehrere frühreformatorische Flugschriften mit hohen Auflagen verbreiteten die Kunde von den in Brüssel Hingerichteten. Laut Burschel war das Sterben für alleine nicht ausreichend, um die Verstorbenen zu Märtyrern und Märtyrerinnen zu erklären, da der katholischen Kirche die Deutungsmacht oblag. Burschel untersucht die Textstrategien anhand zweier Aspekte, erstens anhand der »Zeiterfahrungen und Zeitdeutungen, die den Märtyrerflugschriften eingeschrieben sind«, und zweitens anhand der »Dramaturgie der Ereignisse«712. Die Flugschriften, allen voran Luthers Brief an die Christen im Niederland (1523), interpretieren die Ereignisse in ihrer heilsgeschichtlichen Logik als den Anbruch der letzten Tage und spenden den Lesern und Leserinnen Trost, da die zu Un708 709 710 711 712

Vgl.: Weigel (2007), S. 16. Weigel (2007), S. 24. Vgl.: QRT [Leiner, Konradin]: Zombologie. Teqste. Berlin: Merve Verlag, 2006. S. 83. Burschel (2004), S. 5. Burschel (2004), S. 24.

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recht Gerichteten mit Christi wiederauferstehen und richten würden. Sie stünden an der Seite Christi und damit in Opposition zum Antichristen, der mit dem Papsttum identifiziert wird. Diese Ineinssetzung sollte einerseits die Stärke des Gegners erklären und zum anderen im Einklang mit der geleisteten heilsgeschichtlichen Verortung die Überwindung des Gegners garantieren. Die Flugschriften schildern zudem das gesamte Inquisitionsverfahren, das die »Vernichtung des Häretikers«713 zum Ziel hatte und damit aber nur verbreitet, »was mit der Vernichtung des Häretikers aus der Welt geschafft werden sollte.«714 Zuerst wird das Artikelverhör geschildert, an das Grundaussagen der Lehre Luthers angeschlossen sind. Darauf folgen die erfolglosen Bemühungen der Kirche, den Häretiker zur revocatio zu bewegen. Dann wird von der Urteilsverkündung berichtet, die im Falle der Geistlichen mit einem lächerlich machenden Degradierungsakt beschlossen wurde: Dem Verurteilten wurden zuerst die Messgewänder feierlich angezogen und gleich wieder ausgezogen, anschließend wurde er geschoren und mit einem neuen ihn lächerlich machenden Gewand bekleidet.715 Schließlich wurden die Verurteilten der weltlichen Obrigkeit zur Vollstreckung des Todesurteils übergeben. Die Flugschriften, die immer auch die Authentizität des Berichts betonten, orientieren sich hierbei an den Märtyrerakten, da die Verurteilten vor der Hinrichtung tun, was von Heiligen erwartet wurde: Sie blicken in den Himmel und bitten Gott um Vergebung für den Henker, sie »spenden Trost, sie lachen, sie singen, sie beten, immer wieder heißt es: sie schreien – das Glaubensbekenntnis, Psalmen, den Namen des Herrn.«716 In Zusammenhang mit der Urteilsvollstreckung wird häufig von Wundern berichtet, etwa, dass sich das Feuer nur schwer bis gar nicht entfachen ließ. Luther beschrieb darüber hinaus die individuelle Not der Verurteilten. Zusammenfassend hält Burschel fest: Indem die Verfasser der reformatorischen Märtyrerschriften ihre Berichte analog zur inneren Form der etablierten Passionsgeschichten anlegten, erzeugten sie eine eschatologisch codierte Wirklichkeit, in der die Ordnungen des Prozeß- und Hinrichtungsrituals sicherstellten, daß jene, die zur ›Imitatio Christi‹ berufen waren, ihr Leben in der ›Conformitas Christi‹ beenden konnten.717

Die reformatorische Kritik löste in der katholischen Kirche zunächst Verunsicherung aus, so dass diese zwischen 1523 und 1588 keine Heiligsprechungen vornahm.718 Mit dem Konzil von Trient reagierte die katholische Kirche auf die 713 714 715 716 717 718

Burschel (2004), S. 31f. Burschel (2004), S. 34f. Vgl.: Burschel (2004), S. 38. Burschel (2004), S. 44. Burschel (2004), S. 50. Vgl.: Burschel (2004), S. 211f.

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Reformation und fasste diverse Beschlüsse, die in einer Reform des Katholizismus kulminierten. Kritik an der katholischen Heiligenverehrung, an der den Heiligen zugesprochenen Mittlerfunktion wurde von protestantischer Seite u. a. mit dem Augsburger Bekenntnis formuliert. Die katholische Kirche sah hierbei keinen Widerspruch zur heiligen Schrift und hielt nicht nur an der Mittlerfunktion der Heiligen fest, sondern verurteilte sogar die Ablehnung dieser Lehre als häretisch.719 Mit dem Konzil von Trient wurde die Heiligenmaschinerie wieder angeworfen, dabei konstatiert Burschel, dass vor allem alte Heilige, deren Leben in zeitlicher Nähe zu Christi stand, einen Aufschwung erfuhren, während auch die Verehrung spätmittelalterlicher Scholastiker zunahm. Die Reanimation christusnaher Heiliger führt Burschel unter Berücksichtigung der christozentrischen Ausrichtung der tridentischen Beschlüsse u. a. auf die Vorstellung zurück, dass sie ihre besondere Eignung als Fürsprecher durch ihre Nähe zu Christi erhalten.720 Mit den alten Heiligen kamen auch die alten Märtyrer*innen zu neuen Ehren: »[o]b auf den Bühnen des Welttheaters der Jesuiten, ob in Liedern oder Predigten oder in den katholischen Viten- bzw. Historiensammlungen, die seit der Jahrhundertmitte wieder in großer Zahl entstanden«.721 Neben dem Heer alter und anonymer Märtyrer*innen fanden auch Märtyrer*innen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihre Würdigung, aber auch Missionare, die fernab der Heimat ihren Tod gefunden hatten. Matthäus Rader, der mit der Niederschrift der Legende die Grundlage für Andronicus lieferte, verfasste auch die sogenannte Bavaria Sancta, mit der u. a. aufgezeigt werden sollte, dass es in Bayern schon seit jeher Märtyrer*innen gab.722 Stellvertreterpositionen Die katholische Kirche war bei ihrer Umsetzung der tridentinischen Beschlüsse nicht zuletzt auf die Unterstützung weltlicher Potentat*innen angewiesen. Vor allem Habsburg wie auch das bayerische Herrscherhaus taten sich hier besonders hervor. Habsburg setzte in Bezug auf die Heiligenverehrung bestimmte Schwerpunkte wie die marianische Verehrung, die ihren Ausdruck u. a. mit der kaiserlichen Stiftung der Mariensäule am Hof 1647 fand, die Verehrung der Dreifaltigkeit (Stiftung der Dreifaltigkeitssäule am Graben durch Leopold I.) und die Eucharistie mit der dazugehörigen Fronleichnamsprozession, an der das Herrscherhaus teilnahm.723 Darüber hinaus erfuhren bestimmte Heilige eine 719 Vgl.: Kapner, Gerhardt: Barocker Heiligenkult in Wien und seine Träger. Wien: Verlag für Geschichte und Politik, 1978. S. 14. 720 Vgl.: Burschel (2004), S. 217. 721 Burschel (2004), S. 218f. 722 Vgl.: Burschel (2004), S. 223. 723 Vgl.: Kapner (1978), S. 26–28; – Coreth (1982), S. 27–32.

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besondere Würdigung: Kaiser Ferdinand II. soll zwar zu allen Heiligen gebetet, jedoch jene bevorzugt haben, die im deutschsprachigen Raum lebten oder dieses Gebiet zum Christentum bekehrt hatten, im Leben Kriegsleute waren oder Stifter von Orden. Als Fürsprecher*innen wählte er : Johannes den Täufer, Petrus und Paulus, Augustinus, Franziskus, Antonius von Padua, Ignatius von Loyola, Theresia von Avila und den Missionar Franz Xaver. Unter Leopold I. erreichte die Verehrung des heiligen Joseph (Joseph von Nazaret) einen Höhepunkt, außerdem von Namenspatronen wie dem Markgrafen Leopold III. von Babenberg. Karl IV. verehrte insbesondere Karl Borromäus, dem er nach der Pest die Karlskirche stiftete. Zudem erlangte Johannes von Nepomuk schon vor seiner Heiligsprechung 1729 einen besonderen Status, dessen Martyrium sowohl vom Jesuiten- als auch vom Berufstheater rezipiert wurde.724 Während sich die Habsburger als Verteidiger des ›wahren‹ Glaubens wahrnahmen und inszenierten und die Gegenreformation in ihren Gebieten nachdrücklich durchzusetzen versuchten, erschienen sie manchen ihrer Untertan*innen als Tyrannen. Schlesien mit seiner protestantischen Mehrheit war von den gegenreformatorischen Maßnahmen besonders betroffen. Zwar gehörten nicht alle Teile Habsburg an, diejenigen, die ihnen angehörten, wurden bis auf wenige Ausnahmen, denen die Ausübung des lutherischen Bekenntnisses zugesichert wurde, zwangskatholisiert. Angesichts der »Türkengefahr« soll unter der Bevölkerung sogar die Ansicht vertreten worden sein, dass man unter den Osmanen zumindest die Religion frei ausleben könnte, wenn man nur etwas Geld springen ließe.725 Der bereits erwähnte Schauspieler Christoph Blümel, der als »Poet« der Innsbrucker Comœdianten für die Adaption des Andronicus höchstwahrscheinlich verantwortlich war, kam 1630 in der schlesischen Stadt Bolkjw (Bolkenhain) zur Welt.726 Bis 1629 schien Bolkjw vom Dreißigjährigen Krieg, Repressalien und Nöten verschont, in jenem Jahr aber wurde der bis dahin geschlossen evangelischen Stadt der kaiserliche Befehl zur Katholisierung erteilt. Im Falle der Widersetzung wurde mit Verweis aus der Stadt gedroht, im anderen Falle jedoch mit diversen Belohnungen gelockt. Der Stadt wurde Bedenkzeit gegeben. Der Stadtrat weigerte sich, wurde abgesetzt und mit katholischen Beamten von außerhalb besetzt, der Pastor vertrieben und ein katholischer Pfarrer eingesetzt. Einen Tag vor der katholischen Weihe der Kirche mussten sich die Bewohner*innen unter militärischer Aufsicht im Rathaus versammeln, wo sie vor zwei Optionen gestellt wurden: zu konvertieren oder die 724 Vgl.: Coreth (1982), S. 73–78; – Homeyer (1907). 725 Vgl.: Oestreich, Gerhard: Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze. Berlin: Duncker und Humblot, 1980. S. 390–393. 726 Vgl.: Fürlinger (1948), S. 7.

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Stadt zu verlassen. Am nächsten Tag wurden die Einwohner*innen ebenfalls unter militärischer Aufsicht zur Teilnahme am Gottesdienst gezwungen. Nachdem das Militär abgezogen war, wurde ein sogenannter Königsrichter ernannt, der die Zwangskonvertit*innen überwachen und diejenigen, die sich immer noch weigerten, zur Konversion zwingen sollte. Darüber hinaus stellte er ohne Wissen der Stadtbevölkerung ein Schreiben aus, dass diese freiwillig zum Katholizismus übergetreten waren und diesem Bekenntnis für immer treu bleiben wollten. 186 Einwohner*innen verließen die Stadt, weitere traten zum Schein über, verkauften heimlich ihr Hab und Gut, um dann die Stadt zu verlassen. Beschwerden und Bitten an den Kaiser wurden von diesem mit dem Argument zurückgewiesen, dass sie jetzt, wo sie Katholiken waren, es auch bleiben sollten. 1632 musste die Stadt den nächsten Schlag verkraften, eine Feuersbrunst wütete, wobei bis auf vier Häuser alles abbrannte. Die Brandursache konnte nicht festgestellt werden, jedoch zog man neben Unachtsamkeit auch die kaiserlichen Soldaten als Verursacher in Betracht. Ein Jahr später wütete die Pest, bei der die eingesetzten katholischen Beamten umkamen, was dazu führte, dass Evangelische (bzw. Scheinkatholiken) in den Stadtrat unter Aufsicht eines katholischen Bürgermeisters eingesetzt wurden. Als der Stadtrat bat, eine Kirche für den evangelischen Gottesdienst wiederherzustellen, wurde dieses Ansuchen abgelehnt und die Stadträte wurden abgesetzt. Der 1639 eingesetzte katholische Pfarrer Kolbe duldete die Abhaltung evangelischer Veranstaltungen in Privathäusern und ließ auch einen evangelischen Lehrer in der Schule anstellen. Als die Stadt 1646 von den Schweden erobert wurde, wurden wieder ein evangelischer Stadtrat und ein evangelischer Pfarrer eingesetzt. Kolbes Toleranz wurde von der städtischen Bevölkerung hochgeschätzt, sodass sich diese gegen seine Vertreibung einsetzte. Als die Schweden 1650 vertrieben wurden, wurde auch der evangelische Pfarrer abgesetzt und Kolbe aufgrund seiner damaligen Milde abberufen. Die Stadt protestierte und suchte erneut mit Bittschriften beim Kaiser an, jedoch erfolglos. Mit der Eroberung Schlesiens durch die Preußen 1742 erhielt sie das Recht zur freien Religionsausübung.727 Obwohl es sich bei Andronicus ursprünglich um ein katholisches Märtyrerdrama handelte, wurde es wiederholt von protestantischen bzw. protestantischgeprägten Comœdiant*innen angeeignet und für ein protestantisches Publikum gespielt. Die Biographien der Berufsschauspieler Christoph Blümel und Michael Daniel Treu verweisen auf Parallelen mit Andronicus. Beide waren protestantischer Herkunft, aber für Herrscherhäuser tätig, die sich im Besonderen durch ihre katholische Frömmigkeit auszeichneten. Blümel adaptierte Andronicus am habsburgischen Hof in Innsbruck, Treu spielte es am bayrischen Hof in Mün727 Vgl.: Bolkenhainer Diöcesankonferenz (Hg.): Die Kirchengeschichte des Kreises Bolkenhain in der Provinz Schlesien. […]. Jauer : Opitz, 1851. S. 36–49.

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chen. Es ist nicht allzu weit hergeholt, anzunehmen, dass beide in der Figur von Andronicus persönliche Überschneidungsmomente vorfanden. Blümel war am Hof jenes Herrscherhauses tätig, das mit Vehemenz versuchte, in seiner Geburtsstadt die Gegenreformation durchzusetzen. Treu konvertierte in Zusammenhang mit seiner Anstellung am bayrischen Hof zum Katholizismus. Diese Überschneidungen verweisen auf die Aktualität des im Drama verhandelten Konflikts. Ein Großteil des Publikums, sowohl das protestantische als auch das katholische Publikum, mag dieses Drama in seiner warnenden und erbaulichen Funktion wahrgenommen haben. Einer Minderheit aber, zu der Blümel und Treu zählten, mag nicht nur die Austauschbarkeit der mit den beiden Figuren Tyrann und Märtyrer assoziierten Stellvertreterpositionen bewusst gewesen sein, sondern auch die fließende Grenze zwischen Zwangskonversion, Scheingläubigkeit und Opportunismus – Erscheinungen, die durch die Konfessionalisierungsprozesse hervorgebracht wurden. Saladin, der aus seinen schauspielerischen Fähigkeiten keinen Hehl macht, der behauptet, dass sich sein Glaube in allen Satteln gebrauchen lässt728 und an einer Stelle zu Andronicus sagt, dass es ausreichend sei, seinen Glauben in seinem Inneren verborgen zu halten, da es sich bei den äußerlich gezeigten Glaubensgebräuchen entweder um einen falschen Schein oder eine Liebe zur Gefahr handeln würde729, oszilliert zwischen der Figur des Opportunisten und des Scheingläubigen. Im Zusammenhang mit Andronicus’ Martyrium wird zudem ex negativo auf die Figur des Zwangskonvertiten verwiesen, eine Position, die Andronicus durch die Inkaufnahme des Martyriums jedoch zurückweist. Obwohl dieses Drama letztendlich nur eine richtige Wahl propagiert, nämlich seinen Glauben trotz aller Widrigkeiten weder zu verleugnen noch zu verraten, reflektiert es dennoch die Herausforderungen, die mit dieser Situation einhergehen und verweist in diesem Zusammenhang auf reale Leidenserfahrungen sowie auf verschiedene, teils »verwerfliche« Handlungsoptionen im Umgang mit dieser Situation. Übergang: Monarch*innen als Märtyrer*innen Mit Maria Stuart wurde 1587 das erste Mal eine gesalbte Monarchin verurteilt und hingerichtet. Karl Stuart war 1649 der nächste. Während die katholische Maria Stuart von der anglikanischen Königin Elisabeth I. verurteilt wurde, erhielt letzterer sein Todesurteil durch das von Puritanern dominierte Parlament. Maria wurde zu einer katholischen Märtyrerin und Karl zu einem Märtyrer der anglikanischen Kirche. Beide wurden wegen Hochverrats verurteilt: Maria, die sich zeitlebens weigerte, auf ihren legitimen Anspruch auf den englischen Thron zu verzichten, wurde der Beteiligung an der Babington-Verschwörung (deren 728 Vgl.: Kodex Ia 38.589, fol. 319v. 729 Vgl.: Kodex Ia 38.589, fol. 327r.

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Ziel die Durchsetzung des Katholizismus durch Ermordung Elisabeths und Inthronisierung Marias war)730 bezichtigt. Karl, der sich weigerte, dem Parlament Zugeständnisse zu machen, wurde als Urheber zweier Bürgerkriege wegen Hochverrats an seinem eigenen Volk verurteilt.731 Maria Stuart wurde schon früh im Ordenstheater als eine »ketzerischen« Machenschaften zum Opfer gefallene katholische Glaubensheldin inszeniert: Bereits 1593, also fünf Jahre nach ihrer Hinrichtung, inszenierten Benediktiner in Douai ihr Martyrium, weitere Aufführungen fanden 1594 in Ingolstadt (Jesuiten), 1644 an der Prager Universität, 1651 in Krems (Jesuiten) und 1659 in Hall/Tirol (Jesuiten) statt.732 Der holländische Dramatiker Joost van den Vondel, der als einer der ersten diesen Stoff abseits der Ordensdramatik aufnahm, lässt sie souverän mit dem Trost der katholischen Lehre in den Tod gehen. Märtyrerbezüge schafft er dadurch, dass er sie als Unschuldige erscheinen lässt, durch Marias Auffassung ihres bevorstehenden Todes als Opfertod und durch Parallelsetzungen zur Passion Christi.733 Auch der protestantische Johannes Riemer ließ sie als Märtyrerin auftreten. Dieses Drama erschien im Band Der Regenten Bester Hofmeister mit drei weiteren Dramen, die er als »Beitrag zur zeitgenössischen Fürstenerziehung«734 intendierte, wovon ein Drama mit dem Titel Von hohen Vermählungen735 die Vorgeschichte Maria Stuarts bis zu ihrer Hinrichtung behandelt und das als Intrigenstück vom Berufstheater adaptiert wurde.736

730 Vgl.: Mander, Gertrud: Elisabeth Tudor und Maria Stuart. Zwei Königinnen und eine Krone. In: Schultz, Uwe (Hg.): Große Prozesse. Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte. München: Beck, 1996. S. 135–147. Hier : S. 135. 731 Vgl.: Wende, Peter : Karl I. (1625–1649). In: Ders. (Hg.): Englische Könige und Königinnen der Neuzeit. Von Heinrich VII. bis Elisabeth II. München: Beck, 1998. S. 111–127. Hier: S. 125. 732 Vgl.: Alt, Peter-Andr8: Der Tod der Königin. Frauenopfer und politische Souveränität im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts. Berlin; New York: Walter de Gruyter, 2004 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte; Bd. 30). S. 188. 733 Vgl.: Szarota, Elida Maria: Künstler, Grübler und Rebellen. Studien zum europäischen Märtyrerdrama des 17. Jahrhunderts. Bern; München: Franck Verlag, 1967. S. 216–233. 734 Alt (2004), S. 191. 735 Riemer (1984), S. 473–519. 736 Vgl. Bolte (1934), S. 462; – Rudin (2006), S. 204–205. Die Forschungsbibliothek Gotha besitzt ein Bühnenmanuskript: [Uhlich, Johann August?]: Maria Stuart, Königin von Schottlandt. (Apenrade, 1711). Forschungsbibliothek Gotha, Ch. B. 1607. 1707 wurde dieser Stoff in Wien von den Württembergischen Hof-Comoedianten als Hohe Vermählung Zwischen Maria Stuart, Und Heinrich Darley König von Schottland und Franckreich angekündigt, jedoch die Aufführung aus politischen Gründen untersagt, vgl.: Hansen (1984), S. 25f. Einen weiteren interessanten Fund machte Rudin im Staatsarchiv Hildesheim: Dort fand sie den Vermerk, dass die Aufführung dieses Dramas 1730 unter Androhung von Strafe aus politischen Gründen verboten wurde, vgl.: Rudin (2006), S. 205.

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Obwohl sowohl Maria Stuart als auch Karl Stuart als gesalbte Monarch*innen hingerichtet wurden, ist es Karl Stuart, der als Märtyrer des Königtums auftrat, da im Falle Maria Stuarts das Königtum selbst nicht in Frage gestellt wurde. Die Verehrung Karl Stuarts als Märtyrer des Königtums und der anglikanischen Kirche setzte bereits mit seinem Tod 1649 ein. Dazu trug das direkt nach seinem Tod erschienene Werk Eikon Basilike (1649) – eine Sammlung von Memoiren, Mediatonen und Gebeten, die er während seiner Haft verfasst haben soll – wie auch sein Selbstverständnis als Märtyrer zu Lebzeiten bei.737 Schon 1640 begann eine Propagandaschlacht zwischen den beiden Konfliktparteien, dem Parlament und den Königstreuen, in denen folgende Positionen eingenommen wurden: Parliament claimed it was defending true religion and traditional liberties against a faction of papists and malignants who had captured the king and misled him by their ›evil counsels‹. The king claimed he was defending the Church of England, by law established, the royal prerogative and the traditional constitution from a rabble of sectaries and anarchists whose secret design was to pull down all order and property in the state.738

Karl und seine Partei (zu der auch die anglikanische Geistlichkeit zählte) waren darum bemüht, die Auffassung zu vermitteln, dass nur er alleine das Gesetz repräsentiert. Dazu zählt der Gedanke von der göttlichen Legitimation seines Königtums. Argumente wie solche, dass Gott die Monarchie sowohl in der Gesellschaft als auch in der Natur als die beste und sicherste aller Regierungsformen begründet hatte, implizierten, dass jeder Widerstand gegen den König dem Widerstand gegen Gott entspricht.739 Wichtig erschien darüber hinaus, ihn vollkommen schuldlos erscheinen zu lassen. So wurden in königstreuen Predigten die Bürgerkriege nicht als Folge von Karls Standpunkten und Handlungen propagiert, sondern als Ausdruck von Gottes Ärger über die Sündhaftigkeit des Volkes. Damit wurde auch versichert, dass erst wieder Friede herrschen würde, wenn sein Königtum vollständig hergestellt sei. In diesem Narrativ nahm Karl die Rolle eines vergebenden Vermittlers zwischen dem zürnenden Gott und seinen Untertanen ein, wodurch er seine Feinde in die Position armer unwissender Sünder brachte.740 Zur Legitimierung seines als göttlich-fundiert verstandenen Rechts konnte Karl zudem auf ein besonderes Mittel zurückgreifen: auf die Wunderkraft seiner königlichen Berührung (the Royal’s Touch), die in einem Ritual vollzogen wurde. Nach Vollzug des Rituals erhielt der Kranke eine Münze, auf der die königliche Wirkkraft übertragen war. Selbstverständlich 737 Vgl.: Lacey, Andrew : The Cult of Charles the Martyr. Woodbridge: The Boydell Press, 2003 (= Studies in modern British religious history ; Bd. 7). S. 1. 738 Lacey (2003), S. 19. 739 Vgl.: Lacey (2003), S. 20–24. 740 Vgl.: Lacey (2003), S. 26–28.

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wurden Berichte über daraus erfolgte Heilungen in Umlauf gebracht. Laut Lacey evozierte dieses Ritual das Bild einer Monarchie mit lebensspendender Wirkung und verhieß, dass der König die Wirkkraft hatte, die Nation, die als krank verstanden wurde, heilen zu können. Dieser Akt der königlichen Heilung wurde zunehmend informeller. Es wurde sogar von Wundern berichtet, die sich ohne direkten Kontakt mit dem König, sondern einzig durch die Macht seiner bloßen Präsenz ereigneten.741 Karls Körper wurde nach seiner Hinrichtung zwar nicht von Gläubigen zerrissen, doch tunkten diese und andere Schaulustige Taschentücher und Kleidungsstücke in das königliche Blut, die später als wundertätige Reliquien fungiert haben sollen. Dieser katholische Zug von Karls Heiligenverehrung verhielt sich paradox zu den protestantischen Grundsätzen der anglikanischen Kirche, die die Mittlerfunktion von Heiligen negierte. Die anglikanische Kirche berief sich schließlich darauf, dass in den Reliquien seine königliche Wirkkraft implementiert sei, er aber in ihnen weder präsent wäre noch dazu angerufen werden könne, Fürbitten der Gläubigen bei Gott vorzubringen.742 Diente der Märtyrervergleich vor seinem Tod zur Steigerung seiner Sympathie, war Karl als Märtyrer nach seinem Tod mächtiges Symbol gegen die Republik und die neue puritanische Kirche.743

III.4. Zusammenfassung und Ergebnis Das frühe Berufstheater sah sich wiederholt Anfeindungen durch die Geistlichkeit ausgesetzt. Während tendenziell evangelische und katholische Geistliche eine gemäßigte Haltung in Bezug auf Theater vertraten und zwischen legitimen und illegitimen Spielen differenzierten, lehnten calvinistische und pietistische Geistliche jede Form von Theaterei ab. Diese grundsätzliche Ablehnungshaltung wurde mit der Auslegung der Adiaphora als von Gott verbotenen Gegenständen begründet. Konfession war nicht nur ein Faktor, der die Haltung der Geistlichkeit zu Theater prägte, sondern auch ein Faktor, mit dem die Berufsschauspieler*innen umgehen mussten. Mit Andronicus adaptierte das Berufstheater ein jesuitisches Märtyrerdrama, das die Thematik des Glaubensabfalls behandelt und sich auf mit der Konfessionalisierung in Zusammenhang stehende Erscheinungen beziehen lässt. Obwohl das Drama im Orient spielt, zeigt sich im Vergleich zu späteren jesuitischen Bearbeitungen dieses Stoffes, dass es sich bei der als Vorlage für das Berufstheater herangezogenen Jesuitenfassung um kein islamfeindliches Tendenzstück 741 Vgl.: Lacey (2003), S. 37–41. 742 Vgl.: Lacey (2003), S. 61–65. 743 Vgl.: Lacey (2003), S. 48.

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handelt. So finden sich weder Bezüge auf den Propheten Mohammed noch wird auf einen Glaubenskrieg angespielt. Das einzige Element, das auf den Islam verweist, ist ein kleiner Halbmond, den Saladin an Isma[ls Leichnam anbringt. Es schien den Jesuiten weniger darum zu gehen, konkret den Islam, als vielmehr einen weitgehend unkonkreten anderen Glauben darzustellen. Dieses Andere wird durch die Anbetung von Sonne und Mond, sowie die Diesseitsverhaftung und -verherrlichung, die diesem Glauben immanent scheint, angezeigt. Da sich Saladin in der Berufstheaterfassung zum Teil protestantischer Argumente in der Begegnung mit dem Pilger bedient, wäre es durchaus denkbar, dass Saladin bereits in der Vorlage teils protestantisch argumentierte. Durch die Herstellung einer Verbindung zwischen Protestantismus und arabischem Heidentum würde der Protestantismus nicht nur eine Diskreditierung erfahren, sondern wäre auch ein Hinweis darauf gegeben, dass dieses Stück vor dem Hintergrund der Glaubensspaltung zu deuten wäre. Außerdem war es für die Adressat*innen dieses Stücks aufgrund der engen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen um vieles wahrscheinlicher, im deutschsprachigen als im muslimisch geprägten Raum mit der Option der Konversion konfrontiert zu werden. Mit dem Faktor Konfession umzugehen bedeutete für das Berufstheater, in erster Linie ihre Spielpraxis an konfessionelle Bedingungen anzupassen. Auf die Aufführung geistlicher Stoffe gänzlich zu verzichten, um den mit dem Faktor Konfession verbundenen Herausforderungen auszuweichen, war dem Berufstheater nicht möglich. Zum einen, weil es eine Nachfrage nach geistlichen Stoffen gab. Zum anderen, weil Stadtrat und Geistlichkeit mit dem Angebot und der Aufführung geistlicher Stücke in Hinblick auf die Erteilung und Verlängerung von Spielbewilligungen milde gestimmt werden konnten. Zudem konnte mit geistlichen Stücken das im Zusammenhang mit kirchlichen Festzeiten, Feiertagen und Sonntagen stehende Verbot von Spielen umgangen werden, sofern sich Stadtrat und Geistlichkeit kooperationsbereit zeigten. Die Anpassung der Stücke an konfessionelle Bedingungen wurde durch Neutralisierung bzw. durch Austausch, Hinzufügung oder Weglassung von Elementen, die eine konfessionelle Ausrichtung markierten, geleistet. Im Falle des Spieltextes von Andronicus zeigt sich, dass mit Ausnahme der Pilgerszene alle katholischen Elemente neutralisiert wurden. Die Pilgerszene selbst ist aber zutiefst ambivalent. Diese Ambivalenz ist nicht nur auf Saladins teils protestantische Argumentation zurückzuführen, sondern auch auf den Pilger, mit dem Missstände der katholischen Volksfrömmigkeit aufgezeigt werden. Aus katholischer Perspektive ergibt es zwar durchaus Sinn, dass Saladin mit einem Pilger zusammentrifft, dass Saladin teils protestantisch argumentiert und der Pilger mit genuin katholischen Gegenständen (Rosenkranz, Agnus-DeiAmulett, ein Bild von der Passion Christi) Handel treibt. Das Problem ist aber, dass der Pilger seine Waren auf eine Weise anpreist, die der protestantischen

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Kritik am Pilgerwesen, aber auch an der katholischen Volksfrömmigkeit in die Hände spielt. Zudem ist er nicht in der Lage Saladins Bemerkungen tatsächlich etwas entgegenzusetzen. Damit diese Szene in einem katholischen Rahmen einwandfrei funktioniert, müsste der Pilger eine geringere Angriffsfläche bieten und stärker argumentieren, während Saladins Bemerkungen ins Leere gehen oder zumindest schwächer sein müssten. Im Kontext des Jesuitentheaters würde das Zusammentreffen des Pilgers und des teils protestantisch argumentierenden Saladin zumindest eine gute Gelegenheit bieten, Publikum und Darsteller mit Argumenten gegen die protestantische Kritik an diesen Gegenständen zu rüsten. Im Zusammenhang mit einem protestantischen Publikum hat es wiederum Sinn, dass der Pilger zur Karikatur gerät, zumal das Pilgerwesen von protestantischer Seite heftig kritisiert wurde. Das Problem, dass sich hier aber stellt, ist, dass Saladin das Böse schlechthin personifiziert. Allerdings tätigt Saladin seine Aussagen aus der Position eines Außenstehenden und Unwissenden, womit akzentuiert wird, dass selbst für Heiden die mit dem katholischen Pilgerwesen in Zusammenhang stehenden Missbräuche klar erkennbar sind. Insgesamt scheint also einiges dafür zu sprechen, dass sich der Spieltext des Kodex an einem protestantischen Publikum orientiert. Hinzukommt, dass der Schreiber Gabriel Möller, der mutmaßliche Verfasser Christoph Blümel und Michael Daniel Treu, der Andronicus einmal im protestantischen Nürnberg und ein anderes Mal im katholischen München spielte, protestantischer Herkunft waren. Da die Münchner Aufführung im Dezember des Jahres 1683 und damit unmittelbar nach dem Entsatz Wiens stattfand, muss davon ausgegangen werden, dass es Treu hier als osmanenfeindliches Tendenzstück inszenierte. Die Berufsschauspieler*innen passten ihre Stücke nicht nur an die jeweiligen Aufführungsbedingungen an, sondern richteten die Spieltexte im Adaptionsprozess auch unter dem Gesichtspunkt der Publikumswirksamkeit ein. Dabei ist davon auszugehen, dass sie (mit Ausnahme jener Stücke, die ihnen von Mäzen*innen zu bearbeiten aufgetragen wurden) nur solche Dramen adaptierten, von denen sie sich Publikumswirksamkeit und eine große Publikumsreichweite versprachen, zumal der Adaptionsvorgang viel Zeit in Anspruch nahm: Der Text musste übersetzt, in eine angemessene sprachliche Form gebracht und eingerichtet werden. Andronicus ließ sich erstens mit relativ einfachen Mitteln an unterschiedliche Aufführungskontexte anpassen, ob es nun darum ging, ein katholisches oder protestantisches Publikum in seiner Glaubensbeständigkeit zu bestärken oder das Stück in Beziehung zu Türkengefahr und -kriegen zu setzen. Zweitens hatte Andronicus das Potential, sowohl die affektiven als auch intellektuellen Kapazitäten anzusprechen: Das Konversionsritual, Andronicus’ Wandlung zu einer Bestie und das Martyrium waren, davon ist auszugehen, von einer starken affekterregenden Wirkung. Intellektuell ansprechend waren die

Zusammenfassung und Ergebnis

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Namensverweise (insbesondere das Spiel mit dem Namen »Isma[l«) und die kontrastierenden Spiegelungen (christliche Gebetsgebräuche und arabisches Hofzeremoniell, Konversionsritual und Martyrium). Zudem lädt das Stück zur Auseinandersetzung mit einer Reihe von aktuellen, teils brisanten Fragen und Thematiken ein: Was macht einen Menschen zur Bestie und welche Remedien gibt es? Welche Formen der Glaubensverleugnung wären angesichts dieser Situation zulässig, falls überhaupt? Wie würde man (oder hat man) sich selbst in einer solchen oder ähnlichen Situation verhalten? Drittens operiert Andronicus mit starken und wirkungsmächtigen Bildern als auch mit herausfordernden szenischen Vorgängen. Hervorzuheben ist die Schändung und Zerstörung des Kreuzes einerseits sowie die symbolische Wiederauferstehung des Kreuzes, das Treten und insbesondere die finale Kreuzigung des Jünglings andererseits, mit der das Bildnis des gekreuzigten Jesus auf der Bühne aktualisiert wird; die Ermordung Isma[ls; die Szene, in der Andronicus’ Neffe dem König als Fußschemel dient; und jene andere, in der Andronicus dem König das abgeschlagene Haupt eines Christen zum Geschenk macht. Schließlich kommt das Drama einer Neugier am Anderen, Fremden, Abgründigen und moralisch Korrupten entgegen. Im Zusammenhang mit der Adaption, also mit der Überführung des Dramas Andronicus von der Theaterform Schultheater in die Theaterform Berufstheater, gilt zu beachten, dass das Jesuitentheater seine Theateraufführungen einer Reihe von ideellen Zielsetzungen unterordnete – Glaubensvermittlung, Verhaltensänderung von Schauspielern und Publikum sowie Vertiefung und Anwendung von Unterrichtsinhalten (Lateinkenntnisse, rhetorische Fertigkeiten etc.). Das frühe Berufstheater musste sich hingegen an dem Primat einer maximalen Publikumsreichweite sowie -wirksamkeit orientieren, was nicht bedeutet, dass das Berufstheater nicht auch ideelle Zwecke mit seinen Aufführungen verband. Die Berufsschauspieler*innen übertrugen das Stück aus dem Lateinischen in deutsche Prosa. Die Prosaform ermöglichte nicht nur ein flüssigeres Spiel, sondern vereinfachte auch die Improvisation, sofern die Situation es erforderte. Die Streichung von Prolog und Intermedien diente der Straffung der Handlung. Im Fall von Andronicus ging damit die Reduktion von glaubensvermittelnden und situationsverdeutlichenden Momenten einher. Zudem hat es den Anschein, dass das Berufstheater Saladin zumindest partiell zu einer comœdiantischen Figur transformierte, mit der Absicht, die attentio und benevolentia des Publikums zu erlangen und dadurch die Schauattraktivität des Stücks insgesamt zu steigern. Mit dem Faktor Konfession umzugehen bedeutete für die einzelnen Berufsschauspieler*innen auch Umgangsweisen in der Konfrontation mit konfessionsbedingten Schwierigkeiten zu entwickeln. In manchen Fällen konvertierten die Schauspieler*innen, was von der Aktualität des in Andronicus behandelten

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Andronicus – Berufstheater und Kirche

Grundkonflikts zeugt. In Andronicus sind zudem Hinweise auf weitere Taktiken enthalten, die von Saladin geäußert werden: seine Konfession nicht hervorzuheben, zu verbergen oder so zu tun, als ob man der »richtigen« Konfession angehörte. Eine weitere Möglichkeit bestand natürlich darin, diese Situation qua Spezialisierung auf eine bestimmte Klientel zu vermeiden. Nicht auszuschließen ist zuletzt, dass manche Berufsschauspieler*innen (zumindest für sich) eine mehr oder weniger überkonfessionelle Haltung einnahmen. Im letzten Kapitel dieses Teils wurde versucht, mit der Aufführung von Märtyrerdramen in Verbindung stehende Assoziationsräume und Bilderwelten zu erschließen. Mit der Figur des Märtyrers und der Märtyrerin gingen zwar je nach Konfession teils differente Funktionalisierungen einher (Reliquienverehrung, Mittlerfunktion im Katholizismus), jedoch bestand Einigkeit in Bezug auf ihre Vorbildfunktion. Zugleich zeigte sich die Austauschbarkeit der mit den Figuren Tyrann und Märtyrer*in assoziierten Stellvertreterpositionen, ein Aspekt, der es dem Berufstheater erlaubte, ein Märtyrerdrama sowohl im katholischen als auch protestantischen Raum zu spielen. Schließlich wurde verdeutlicht, dass es zur Herstellung von Märtyrern und Märtyrerinnen eines Textverfahrens bedarf, das auf Parallelsetzungen zur Passion Christi beruht. Mit der Machtergreifung des von den Puritanern dominierten Parlaments wurde ein Theaterverbot verhängt, in dessen Folge erneut englische Theaterschaffende auf den Kontinent emigrierten. Darunter war der Schauspieler und Prinzipal Joris Joliphus, in dessen Truppe mehrere Mitglieder der späteren Innsbrucker Comœdianten tätig waren. Von Joliphus übernahmen sie auch ein Stück, das die Hinrichtung des englischen Königs Karl I. zum Inhalt hatte. Dieses Stück und Joliphus’ mutmaßliche Verbindung zum englischen Königshaus werden in der Einleitung des nächsten Hauptteils erörtert, der sich mit dem Verhältnis von Berufstheater und Staat befasst und der Frage nachgeht, wie sich die engen Bindungen des Berufstheaters zur Sphäre des Hofes mit dem im Kontext der Spielpraxis des Berufstheaters häufig anzutreffenden Motiv des Tyrannenmordes vereinbaren ließen.

IV.

Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

Die Hinrichtung Karls I. wurde 1649 auch von deutschen Flugschriften aufgegriffen. Die Flugschrift mit dem Titel Gesprech/ Zwischen dem Englischen Bickelhering/ vnd Frantzösischen Schanpetasen/ vber das Schändliche Hinrichten Königl. Majestät in Engeland/ Schott-vnd Irland744 bediente sich hierzu des Comœdienpersonals der englischen Comœdianten: Der französische Narr Jean Potage (Schanpetase, auch Schanpetasche) und der englische Pickelhering diskutieren dieses hochbrisante Ereignis, wobei Pickelhering die Hinrichtung als schreckliches Verbrechen verurteilt und sich schließlich in der Diskussion durchsetzt. Pickelhering setzt mit einer Anklage gegen die Königsmörder und Engländer ein und verurteilt die Ungerechtigkeit sowie die Grausamkeit dieser Tat: Die Königin sei zur Witwe, die Königskinder zu Waisen gemacht, zudem seien sie ihres Königreiches beraubt und ihrer Güter enteignet worden, die ihnen aus Pickelherings Sicht »von Natur vnd Rechtswegen«745 zustünden. Außerdem würden die Königsmörder den Zutritt zum Leichnam des Königs nur gegen ein Entgelt gewähren und die Kirchen verkaufen – all dies zur Errichtung eines freien Staates. Angesichts dieser Vergehen fürchtet Pickelhering nun die Verschlechterung der ohnehin schon schlechten Reputation der Engländer im Ausland. Als englischer Comœdiant und somit als Aushängeschild Englands müsste er nun nicht nur mit pejorativen Zuschreibungen rechnen, die sich gegen seinen Beruf richten (»Englische Tanzmännerlein/ Comœdien-Spieler/ Feyge Memmen/ Taschenspieler/ Sailtäntzer Zuckerfresser/ Milch vnd Hongischlucker vnd dergleichen«746), sondern auch mit solchen, die auf den Königsmord Bezug nehmen würden: 744 Anon.: Gesprech/ Zwischen dem Englischen Bickelhering/ vnd Frantzösischen Schanpetasen/ vber das Schändliche Hinrichten Königl. Majestät in Engeland/ Schott-vnd Irland. o.O: o. V., [1649]. Bayerische Staatsbibliothek, Res/4 Eur. 400,34. Vgl. auch: Haekel (2004), S. 317f. 745 Anon.: Gesprech […] (1649), S. A. II.r. 746 Anon.: Gesprech […] (1649), S. A. II.v.

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Nach dem nun diese blutige Tragœdi offentlich zu Londen auffm Theatro gespielet worden: wie werden vnsere Titul nun fallen: Wird es nicht/ so bald ein Englisch Mann bey andern Nationen sich wird blicken lassen/ heissen: Du Königsmörder/ du Rebell/ du vntrewer Hund/ du Ehr vnd Pflichtvergessener Königsverräther/ du Königs Kinder Berauber […].747

Nun tritt Jean Potage hinzu, der Pickelherings Aufregung nicht nachvollziehen kann, da es doch Schicksal gewesen sei, und fragt, ob es möglicherweise nicht besser wäre von mehreren, anstatt von einem regiert zu werden. Daraufhin beschimpft ihn Pickelhering und sagt, dass es um vieles teurer sei von mehreren regiert zu werden, da sich nun alle Regierungsmitglieder wie Fürsten ausstatten wollten. Jean Potage verweist auf eine Deklaration der parlamentarischen Regierung, in der die Ursachen des Königssturzes dargelegt wurden, und die verlautbarte, dass es besser sei, einen freien Staat nach dem Vorbild Hollands, Venedigs und der Schweiz zu errichten. Auf die Nachfrage Pickelherings, ob er diese Deklaration denn gelesen hätte, fasst Jean Potage die für ihn wesentlichen Punkte zusammen: Die Könige seien erst durch die Gemeinschaft zu diesem Amt berufen worden, um die Gemeinschaft zu schützen. Jedoch hätte sich die Mehrzahl der Könige stattdessen auf den Ausbau ihrer Privatmacht konzentriert, was zur Unterdrückung ihrer Untertanen geführt hätte. Pickelhering kontert mit einem Bibelverweis, der die Entstehung des Königtums zum Inhalt hat (1 Sam 8,2–22), um darzulegen, dass Gott selbst den Königen umfassende Rechte eingeräumt hatte, nachdem die Israeliten in der Richterzeit einen König heidnischen Vorbilds begehrten. Dass sich Pickelhering hier, um die Ausbeutung der Untertanen durch den König zu rechtfertigen, einer Bibelstelle bedient, die etwa von Erasmus von Rotterdam als kritische Tyrannenschilderung interpretiert wurde748, mutet paradox an, verweist aber auf argumentative Zugänge und ihre Begründungsfundamente im Diskurs um die königlichen Rechte und Pflichten. Der zweite Punkt, den Jean Potage anführt, betrifft die Verbrechen Karls I., die schwerer wären als jene von anderen Königen, woraufhin sich Pickelhering nach der Schwere der Verbrechen erkundigt. Erstens hätte der König nicht nach der Todesursache seines Vaters geforscht – Pickelhering findet dieses Argument schlecht. Zweitens hätte sich der König nicht für die Protestanten in Frankreich eingesetzt – Pickelhering fragt, warum sich der König in fremde Angelegenheiten einmischen sollte. Drittens hätte sich der König gegen das Parlament aufgelehnt. Viertens hätte er die Hafenzölle gegen den Willen des Parlaments 747 Anon.: Gesprech […] (1649), S. A. II.v. 748 Vgl.: Rotterdam, Erasmus v.: Fürstenerziehung. Institutio Principis Christiani. Die Erziehung eines christlichen Fürsten. Einführung, Übersetzung und Bearbeitung von Anton J. Gail. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1968. S. 85f.

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eingezogen. Fünftens hätte er viele seiner Feinde bestraft – Pickelhering kritisiert an dieser Stelle, dass weder die Art der Strafe genannt wurde, noch dass der König beklagte, unschuldig hingerichtet worden zu sein. Sechstens hätte er sich ausländischer Streitkräfte bedient, die seine Untertanen unterdrückt hätten. Pickelhering entgegnet nun, dass selbst wenn der König schwerere Verbrechen begangen hätte – bei den von Jean Potage angeführten Vergehen handle es sich lediglich um Lappalien –, sich seine Untertanen nicht an ihm hätten rächen dürfen: Die Bibel fordere zum einen, den König zu ehren, ob dieser nun gerecht, ungerecht oder tyrannisch sei, zum anderen, dass die Gläubigen die Obrigkeit respektieren. Jean Potage fragt nach, ob man denn alles von einem König erleiden müsse und Pickelhering bejaht, da es sich bei einem ungerechten König um eine Strafe Gottes an den Sündern handeln würde. Zudem stünde es nur Gott zu, den König zur Rechenschaft zu ziehen. Jean Potage formuliert dieselbe Frage zu einer Aussage um. Nochmals bejaht Pickelhering und holt zu einer längeren Erklärung aus, in der er die Vorgangsweise des englischen Parlaments diskreditiert und Karl als Opfer von Verrat und Intrigen darstellt. Pickelhering gelingt es, Jean Potage von der angeblichen Blutrünstigkeit und Schändlichkeit der Königsgegner zu überzeugen. Der Fall Karls I. solle anderen Potentaten als abschreckendes Beispiel für die Folgen dienen, wenn man den Gegnern zu viel Macht einräumt. Als Analogie wird die Beseitigung Wallensteins genannt, durch die ein größeres Übel verhindert werden konnte. Nachdem Jean Potage und Pickelhering über die zu exekutierende Strafe für Königsmord sprechen, fragt Jean Potage, ob die Engländer die Hinrichtung nicht hätten verhindern können, worauf ihm Pickelhering erklärt, warum eine Rettung, trotz des guten Willens der Untertanen, unmöglich gewesen sei. Schließlich kommt Pickelhering auch auf die Hinrichtung Maria Stuarts durch Elisabeth zu sprechen, die laut Pickelhering allerdings rechtens war, weil Elisabeth sich durch andere Potentaten rechtlich beraten ließ und erst im Anschluss an diese Beratungen das Urteil fällte. Zuletzt wird das mögliche zukünftige Eingreifen anderer Potentaten erörtert, die sich aufgrund dieses Ereignisses in der Gefahr befänden, einem ähnlichen Schicksal zu erliegen, falls kein Exempel statuiert werden würde. Pickelhering hofft, dass den Plänen des Thronfolgers Erfolg beschieden sei, und vertraut darauf, dass Gott die Ungerechtigkeit sühnen werde. Dann gehen Pickelhering und Jean Potage auseinander. Dass sich der oder die anonyme Verfasser*in dieser Schrift, die Aufschluss über Pro- und Contra-Argumente in der Diskussion dieses Ereignisses gibt, des englischen Comœdienpersonals bediente, lässt sich nicht nur inhaltlich mit Pickelhering als Aushängeschild der englischen Comœdianten und somit als Stellvertreter der Engländer*innen erklären749, sondern auch auf die Popularität 749 Nach John Alexander vertritt Jean Potage hier zu Beginn eine Hugenottische oder zu-

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dieser Figuren zurückführen, die einen Anreiz zum Erwerb dieser Flugschrift darstellten. Nach Michael Schilling wurden diese Schriften häufig an belebten Plätzen wie vor oder nach Theateraufführungen verkauft.750 Womöglich wurde sie sogar bei einer Aufführung verkauft, die die Hinrichtung Karls I. zum Inhalt hatte. Bereits am 31. Oktober 1649, 10 Monate nach der Hinrichtung, wurde in Bremen, vermutlich von Joliphus, Die Enthauptung deß Konigs Caroli vom Anfang biß zu End gespielt.751 1650 spielte er es vermutlich auch in Thorn, da der Rektor des hiesigen Gymnasiums im selben Jahr von der Enthauptung Carl Stuarts inszenierte, und das Stück von Joliphus übernommen haben könnte.752 Die Truppe von Hoffmann & Schwarz spielte es 1656 in Schweinfurt (die tragoediam vom dekollirten König von England Carl Stuard) und in Windsheim (Tragödi von Carolo Stuardo).753 Carl Andreas Paulsen gab es 1652 in Schwäbisch Hall und 1655 anlässlich eines höfischen Festes in Sachsen.754 Von einer Aufführung unbekannten Datums zeugt zudem ein schwedischer Theaterzettel755, dessen sprachliche Verfasstheit leider nicht hinreichend zum Verständnis des auf der Bühne Gezeigten beiträgt: Heiit Werden die Hochteuschen Comoedianten Mit Bewilligung hiesiger Obrigkeit denen Hochgeneigten Herrn zuschauern eine vortreffliche Begebenheit vorstellen. So genant: Die Enthauptung Cerl Stuard. König von Englandt. Die Stat London presentirt sich Cromwel feuerfax [Fairfax] und Leßle dabey schaffent zweien Geister Mort und veradt sleigen sich in Londen/ des Königs verfolgung von Cromwal und Feuerfax der König auf die flucht nach den Comodanten Leßle des Königs ein führung nachher Londen von dieße beyden Generals Personen des Königs öffentliche enthauptun. Die

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mindest calvinistische Position. Vgl.: Alexander, John: Jean Potage: Shedding Light on the French Connection of an Early Modern Clown Persona. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 57 (2007b), S. 227–239. Hier: S. 228. Vgl.: Schilling, Michael: Flugblatt und Drama in der Frühen Neuzeit. In: Daphnis 37 (2008), S. 243–270. Hier: S. 263. Vgl.: Alexander, Robert J.: George Jolly [Joris Joliphus], der wandernde Player und Manager. Neues zu seiner Tätigkeit in Deutschland (1648–1660). In: Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 29/30 (1978), S. 31–48. Hier: S. 33; – Rudin, Bärbel: Karl Stuart und König Lear. Transfer und Transformation auf dem Theater Thorn (Torun´) als Wegmarke frühneuzeitlicher Schauspielkarrieren. In: Pełka, Artur ; Prykowska-Michalak, Karolina (Hgg.): Migrationen/Standortwechsel. Deutsches Theater in Polen. Łjdz´ ; Tübingen: Inst. für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, 2007 (= Thalia Germanica, Bd. 11). S. 85–105. Hier: S. 88. Vgl.: Rudin (2007), S. 88f. Vgl.: Kurz, Hans-Joachim; Rudin, Bärbel: Pickelhering, rechte Frauenzimmer, berühmte Autoren. Zur Ankündigungspraxis der Wanderbühne im 17. Jahrhundert. In: Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 34/35 (1988), S. 29–60. Hier: S. 40; 56. Vgl.: Rudin (2007), S. 89f. Vgl.: Rudin (2007), S. 90.

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Contentten weitter zu setzen ist dieser Setzel zu klein. Nach der Comoedie wird ein lustiges Nachspiel mit lebendigen Personen.756

Günther Hansen und Bärbel Rudin vermuten, dass das 1649 anonym erschienene Drama The Famous Tragedie of King Charles I. Basely Butchered757die Vorlage war758 – die Erstfassung von Gryphius’ Carolus Stuardus erschien erst acht Jahre später. Dafürsprechen könnte die royalistische Position und damit einhergehend die Perspektivierung dieses Ereignisses als Folge einer von Cromwell und seinen Anhängern gesponnenen Intrige, auf die sich das mit dem Theaterzettel beworbene Stück zu konzentrieren scheint. Jedoch finden sich in The Famous Tragedie weder David Leslie(?) noch Karl Stuart als handelnde Figuren759, noch wird die Flucht des Königs und seine Entführung behandelt oder seine Hinrichtung gezeigt, die lediglich über einen Bericht vermittelt wird. Nun kann aber auch dem Theaterzettel nicht mit Sicherheit entnommen werden, dass Karl Stuart als handelnde Person auftritt, noch dass seiner Hinrichtung szenisch mehr Raum zuteilwird. Zwar suggerieren dies einige Titelvarianten, die die Hinrichtung hervorheben, doch könnte es sich dabei auch um eine Werbestrategie handeln, die auf die Sensationslust des Publikums abzielte. Welches Drama nun auch immer als Vorlage fungiert haben mag, fest steht, dass eine Perspektive vertreten wurde, die die Hinrichtung Karls I. keineswegs guthieß. Dass das frühe Berufstheater ein Drama spielte, das die Hinrichtung Karls I. negativ bewertete, bedeutet nicht, dass es Pickelherings Argumentation der eingangs skizzierten Flugschrift restlos zustimmen würde. Zumindest legen diesen Verdacht mehrere Dramen des Kodex nahe. Tyrannei, ob im Ansatz oder in starker Ausprägung, wird in ihnen durchgängig kritisch beurteilt. Zudem wird in ihnen die Ermordung von Tyrannen geduldet, jedoch nicht affirmiert. Ihre Ermordung erscheint als mögliche, nicht aber notwendige Konsequenz ihrer tyrannischen Handlungen. Der differenten Bewertung sowie Perspektivierung dieser Königsmorde im Gegensatz zum Karl-Stuart-Stoff scheinen folgende Momente zu Grunde zu liegen: Erstens wird keiner dieser Potentaten mit juristischen Mitteln zu Tode verurteilt und hingerichtet. Ihre Ermordung ge756 Der Theaterzettel ist abgedruckt in: Björkman, Rudolf: Die Hochteutschen Comoedianten. In: Samlaren 29 (1908), S. 83–90. Hier : S. 89f. 757 Anon.: The Famous Tragedie of King Charles I. Basely Butchered by Those Who Are […]. London: J.Baker, 1709. [Reprint] 758 Vgl.: Hansen (1984), S. 68; – Rudin (2007), S. 89. 759 Hansen geht davon aus, dass »Leßle« mit »Sir George Lisle« ident ist, vgl. Hansen (1984) S. 68., jedoch handelt es sich um zwei verschiedene historische Persönlichkeiten: George Lisle war Royalist, während David Leslie auf der Seite Cromwells stand. Vgl.: Morgan, Basil: Lisle, Sir George (d. 1648), royalist army officer. In: Oxford Dictionary of National Biography (online). Zugriff: 28. 11. 2018; – Henderson, T.: Leslie, David, first Lord Newark (1601–1682), army officer. In: Oxford Dictionary of National Biography (online). Zugriff: 28. 11. 2018.

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schieht aus Versehen und im Affekt. Zweitens geht mit ihrem Tod nie die Etablierung einer neuen Regierungsform einher, die Monarchie bleibt bestehen. Drittens handelt es sich bei ihnen um fiktive Potentaten, womit die Gefahr, jemanden zu beleidigen, der etwa Einfluss auf etwaige Spielengagements oder -bewilligungen hatte, eine Eindämmung erfährt. Es besteht Grund zur Annahme, dass Joliphus, der das besagte Karl-StuartDrama im Repertoire hatte und es vermutlich auch aufs Festland exportierte, selbst Anhänger des hingerichteten Königs Karl I. war. Sowohl das Theaterverbot in England, das 1642 von puritanischen Kräften des Parlaments durchgesetzt und 1647 sowie 1648 erneut bestätigt wurde, als auch schließlich die Hinrichtung Karls, veranlassten die Flucht von vielen, nicht zuletzt auch königlichen Schauspielern. Ludvik, der als Erster die These von der Königstreue Joliphus’ äußerte, vermutet, dass Joliphus königlicher Schauspieler der Prince Charles’s Company (Prince Charles’s Men) war und aufgrund dieser Ereignisse emigrierte. Da Joliphus mit der Inthronisation Karls II. 1660 wieder nach England zurückkehrte und von Karl II. eine Theaterlizenz erhielt, sieht Ludvik seine Annahme bestätigt.760 Abgesehen von dieser engen Verbindung Joliphus’ zum englischen Königshaus, schien es aus der Perspektive des deutschsprachigen Berufstheaters ohnehin nicht ratsam, in dieser brisanten Frage eine andere Position einzunehmen: Nicht nur Karl Stuarts Sohn Karl II., vor dem Joliphus 1655 in Frankfurt spielte761, zählte zu dem Publikum des Berufstheaters, sondern auch andere Fürst*innen, die nicht nur über verwandtschaftliche Bindungen in einem persönlichen Verhältnis zu Karl Stuart gestanden hatten, sondern die ein Stück, das die Verurteilung sowie Hinrichtung eines zeitgenössischen Königs und damit einhergehend die Etablierung einer neuen politischen Ordnung positiv bewertete, nicht goutiert hätten. Andererseits aber schienen Schauspiele, die den Konflikt zwischen Herrschaftspflichten und Affekt thematisieren und dabei häufig Fragen nach der Souveränität und ihren Beschränkungen aufwerfen sowie Herrscherideale vor allem ex negativo manifest machen, auf ein breites Interesse zu stoßen, nicht zuletzt bei Hof. Es sind diese Stücke, die im Zentrum dieses Kapitels stehen. Angesichts eines erstarkenden höfischen Absolutismus mag die Aufführung dieser Stücke bei Hof durch das Berufstheater auf den ersten Blick irritieren. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass sie sich in einen Kanon systemimmanenter und herrschaftsregulierender Praktiken einfügen. Der Diskurs der 760 Vgl.: Ludvik, Dusˇan: Zur Chronologie und Topographie der »alten« und »späten« englischen Komödianten in Deutschland. In: Acta Neophilologica 8 (1975), S. 47–65. Hier: S. 58–59. 761 Vgl.: Alexander (1978), S. 37.

Formen höfischer Anbindung

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Herrschaftspraxis war tief in der Morallehre verankert. Die moraltheologischen Grundsätze fungierten als Richtschnur für gerechte Herrschaft. An diese Grundsätze sollten die Herrschenden beständig erinnert werden, wobei der Affektbeherrschung in diesem Zusammenhang ein besonderer Stellenwert zukam. Die Aufführung dieser Schauspiele des Berufstheaters bei Hof, das ist die These des vorliegenden Kapitels, sollten die Herrschenden nicht nur im Sinne der Tugendlehre disziplinieren, sondern auch eine affekttherapeutische Wirkung erfüllen, um die Einhaltung des Tugendideals und damit von gerechter Herrschaft zu fundieren. Bevor aber diese These über die Kontextualisierung der Dramen des Kodex mit der frühneuzeitlichen Herrschaftslehre (IV. 3.) und dem frühneuzeitlichen Affektwissen (IV. 4.) dargelegt werden kann, bedarf es der grundsätzlichen Klärung des Verhältnisses von Berufstheater und Hof (IV. 1.) sowie der Funktionen, die das Berufstheater im Kontext des Hofes innehatte (IV. 2.).

IV.1. Formen höfischer Anbindung Die beruflichen Beziehungen des Berufstheaters zum Hof waren vielfältig und sind nicht immer eindeutig zu erfassen. Grundsätzlich handelte es sich bei einer Truppe um ein eigenständiges Unternehmen, das zu diversen (potentiellen) Spielorten (Städten und Residenzen) sowie Veranstaltungen (Messen, Krönungsfeierlichkeiten, Karneval etc.) auf Einladung, gut Glück oder mit einer Spielkonzession reiste. Zwischen Berufstheater und Hof hatten sich, wie Ludvik ausführt, vor allem zwei Modi von Abhängigkeit etabliert: »Schutzherr und Schützling, Schutzherr und Diener.«762 Im ersten Fall blieb die Truppe ein eigenständiges Unternehmen, jedoch unter der Schirmherrschaft bzw. Protektion eines Mäzens oder einer Mäzenin. In diesem Fall wurde die Truppe bei Hof nicht bestallt, sondern fand sich auf Wunsch des Patrons bei Hof ein763, um für einen gewissen Zeitraum zu spielen. Der Truppe wurde zumeist sowohl ein Prädikat als auch ein Spielprivileg für das Herrschaftsgebiet des Mäzens bzw. der Mäzenin verliehen. Dieses Privileg hatten die Stadträte bei der Erteilung von Spielgenehmigungen zu berücksichtigen. Dabei wurde den Städten ein Mitspracherecht eingeräumt, das den Stadträten gewährte, die Spielbewilligung unter bestimmten Umständen abzulehnen. Die Spielprivilegien konnten Sondergenehmigungen enthalten und waren an Bedingungen geknüpft, wie die Abgabenpflicht oder dass sich die Privilegieninhabenden verpflichteten, nichts Anrüchiges zu spie762 Ludvik (1970), S. 65. 763 Vgl.: Haekel (2004), S. 26.

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

len. Das Privileg, auf das kein Rechtsanspruch bestand und einem Gnadenakt entsprach, erlosch mit Ableben des Landesfürsten bzw. der Landesfürstin oder des Prinzipals bzw. der Prinzipalin.764 Bei dem Prädikat »Hof-Comödiant« handelte es sich meistens um einen Ehren- und keinen Amtstitel.765 In einigen Fällen aber wurden Schauspieler*innen als Hofschauspieler*innen bestallt und fungierten als Diener*innen des Fürsten bzw. der Fürstin.766 Gastspiele bzw. -aufenthalte bildeten die häufigste Form des höfischen Kontakts des Berufstheaters. Die bereits erwähnten Gastspiele Elensons und Veltens in Bevern 1680 zählen neben jenem von John Green 1608 in Graz767 oder jenem von Velten, sowie von Hoffmann & Schwarz am Heidelberger Hof zu den am besten dokumentierten. Über das Zustandekommen eines längeren Gastaufenthaltes am Heidelberger Hof im Winter 1656/57768 klären u. a. die Verhandlungen zwischen Hoffmann & Schwarz und dem Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz auf, die indirekt über einen Dritten abgewickelt wurden. Da die Truppe, wie aus der Supplik hervorgeht, um ein Kleid pro Person jährlich bat, schien die Truppe eine längerfristige Anbindung an den Heidelberger Hof anzustreben. Karl Ludwig war zwar theaterbegeistert, konnte sich aber die Haltung einer Truppe über einen längeren 764 Vgl.: Zielske (1999), S. 10–20. 765 »Es war bloß eine allgemeine Auszeichnung und Würdigung der so betitelten Person und begründete keine engere Verbindung zwischen dem Titelträger und dem Titelverleiher. Vor allem kam durch die Titelverleihung kein irgendwie geartetes Dienstverhältnis zustande: Der so ausgezeichnete ›Hof-Comödiant‹ wurde durch diesen Titel mit seiner Truppe nicht etwa Mitglied eines fürstlichen Hofstaates mit besonderer Dienststellung und speziellen Dienstaufgaben. In einem solchen Fall würde es sich bei der Ernennung zum ›Hof-Comödianten‹ um die Verleihung eines Amtstitels gehandelt haben. Es hat durchaus solche Fälle gegeben, sie sind noch nicht systematisch gesammelt und untersucht worden. Aber sie beruhten dann auf jeden Fall auf dem gleichzeitigen Erlaß eines besonderen Bestallungsdekrets und wurden vor allem nicht sozusagen in einem Atemzug mit der Erteilung eines allgemeinen Spielprivilegs ausgesprochen und begründet.« Zielske (1999), S. 18. 766 »Jeder Anstellungsvertrag verpflichtete den Hofbediensteten dabei nicht primär für den Dienst an einer Hofinstitution, also etwa an einem Hoftheater, sondern zum Dienst am Hof des absolutistischen Herrschers schlechthin, d. h. praktisch jedoch zum Dienst an der Person des Fürsten selbst.« Zielske, Harald: Die deutschen Höfe und das Wandertruppenwesen im 17. und frühen 18. Jahrhundert – Fragen ihres Verhältnisses. In: Buck, August et al. (Hgg.): Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert. Vorträge und Referate gehalten anläßlich des Kongresses des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung und des Internationalen Arbeitskreises für Barockliteratur in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 4. bis 8. September 1979. Bd. 3.: Referate der Sektionen 6 bis 10. Hamburg: Hauswedell & Co., 1981 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 10). S. 521–532. Hier: S. 529. 767 Vgl.: Murad, Orlene: The English Comedians at the Habsburg Court in Graz, 1607–1608. Salzburg: Institut für Englische Sprache und Literatur, Universität Salzburg, 1978. 768 Vgl.: Anon.: Zur Geschichte der deutschen Bühne. In: Wirth, C. (Hg.): Der Sammler. Ein Blatt zur Unterhaltung und Belehrung 27 (1858), S. 284; – Rudin (2018).

Formen höfischer Anbindung

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Zeitraum aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage seines Herrschaftsgebiets infolge des Dreißigjährigen Kriegs769 nicht leisten. Für die zumindest sieben Personen starke Truppe forderte die Truppe ein nach Familienstand und Kompetenz gestaffeltes Gehaltsschema: für die Verheirateten acht Reichstaler pro Monat, für die Unverheirateten sechs, für Mitglieder, die assistieren und kleinere Rollen übernahmen, vier und schließlich für die drei Musikanten insgesamt zwölf Reichstaler.770 Die Truppe suchte außerdem darum an, keinesfalls in einem Wirtshaus untergebracht zu werden, da der Lärm des Wirtshauses dem Rollenstudium und der Comœdienvorbereitungen abträglich wäre. Falls kein ganzes Haus zur Verfügung stünde, wäre zumindest eine eigene Wohnung mit Herd ausreichend. Karl Ludwig stellte ihnen zur Einübung ihrer Stücke die große Stube, in der die Jesuiten früher ihre Bibliothek hatten, zur Verfügung. Um in benachbarten Städten spielen zu können, baten sie um die Ausstellung von Pässen und Empfehlungsschreiben. Anstatt eigener Pässe sollten vier der Comœdianten unter den Namen von Reitern der Garde und die übrigen unter denen von Musquetieren passieren, außerdem sollte sich Christoph Blümel in den Catalogum Studiosorum einschreiben lassen. Weitere Bestimmungen des Kurfürsten besagten, dass der Vertrag geheim bleiben sollte; dass sie pro Woche zwei Comœdien spielen sollten, wenn aber Gäste anwesend seien, so oft wie von ihnen verlangt würde; dass es ihnen gestattet sei, einmal pro Woche in der Stadt zu spielen; und dass sie Kleidung nach Gelegenheit erhalten, diese aber nicht verkaufen, sondern zum Spielen verwenden und wieder zurückgeben sollen, wenn sie fortzögen. In den Augen des Kurfürsten müssen sie gut gewesen sein, da er sie immer wieder engagierte und ca. elf Jahre später unter seine Protektion stellte. Als sich Hoffmann & Schwarz im Winter 1667/68 wieder am Heidelberger Hof einfanden, trugen sie bereits seit einigen Monaten den Titel Churpfälzische Compagnie Comoedianten.771 Auch hier wurde ein Vertrag geschlossen, jedoch die Konditionen modifiziert. Wurden sie zehn Jahre zuvor einzeln, nach Familienstand und Kompetenz gestaffelt monatlich entlohnt, zahlte der Kurfürst nun pro Aufführung und nach folgender Staffelung: Für Dramen, deren Aufführung vom Kurfürsten aufgetragen wurde und die sie somit erst einstudieren mussten, erhielten sie zehn, für Dramen, die bereits in ihrem Repertoire waren, acht, für Zwischen- und Nachspiele sechs Reichstaler. Sollte ihn die eine oder andere 769 Vgl.: Bolte, Johannes: Schauspiele am Heidelberger Hofe, 1650–1687. In: Euphorion 31 (1930), S. 578–591. Hier : S. 578. 770 Vgl.: Anon. (1858), S. 284; – Rudin (2018), S. 472. Verheiratete: Johannes Ernst Hofmann und Peter Schwarz. Unverheiratete: Christoph Blümel, Johannes Jakob Müldner und Johannes Janicius. Die »nothwendigen Handlanger der Kompanie, die zu Zeiten die geringern Parten vertreten«: David Irrländer und Gregor Washuber. 771 Vgl.: Rudin (2008a), S. 14.

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

Aufführung besonders zufriedenstellen, sollten sie etwas mehr erhalten. Geistliche Dramen waren vertraglich untersagt. Wenn die Truppe bei Hof spielte, übernahm der Hof die Kosten für Musik, Beleuchtung und Verpflegung. Ab Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sollten sie noch 5 Comœdien spielen – tatsächlich waren es mehr als doppelt so viele und bereits vor dem Vertragsdatum hatten sie vier Dramen aufgeführt.772 Gegenüber dem damaligen Vertrag hatte dieser den Nachteil, dass sie zu geringe Einnahmen machten, falls es zu wenig Spielgelegenheiten gab. Als sie ankamen, konnten sie aufgrund des schlechten gesundheitlichen Zustands des Kurfürsten nicht spielen, was zu Einbußen führte und sie zu einer Beschwerde veranlasste.773 Velten, der sich 1679, also elf Jahre später, zu einem Gastspiel in Heidelberg einfand – Hoffmann war bereits 1669 verstorben774 – forderte deshalb zumindest drei Aufführungen pro Woche bei Hof. Das Zahlungsschema entsprach in etwa jenem zehn Jahre zuvor, das Honorar war aber gestiegen: zwanzig Reichstaler für eine Hauptaktion und zehn für ein Nachspiel. Während Veltens Gastspiel modifizierte Karl Ludwig die Konditionen erneut, diesmal nach qualitativen Kriterien: Sollte eine Hauptaktion seinen Ansprüchen nicht genügen, behielt er sich vor nur zehn Reichstaler zu zahlen, sollte aber ein Nachspiel seine Erwartungen übertreffen, war er bereit die Gage auf zwanzig Reichstaler zu erhöhen. Das erste Kriterium betraf die Texttreue der Aufführung – »Wann es aber nur eine halbstudirte Comoedie da sie den halben theil dazu selbst erdenken will Churpfalz nicht mehr als 10 Rthl. zahlen«775 – das zweite die Dramen selbst: Während er eine Vorliebe für französische Dramen, vor allem für jene MoliHres zeigte, war er den englischen bzw. solchen, die sich an ihrem dramaturgischen Modell orientierten, abgeneigt.776 Zwischen diesen beiden Aufenthalten in Heidelberg gelang es der Truppe um Hoffmann & Schwarz als Hofcomœdiant*innen in Innsbruck bestallt zu werden. Ihrer Bestallung gingen 1654, 1656 und 1658 Gastspiele voran.777 Hoffmann, Schwarz und Hans Martin scheinen ab 1659 in den Rechnungsbüchern auf778, in der Besoldungsliste des darauffolgenden Jahres sind dann auch Maria Ursula Hoffmann, Rebecca Schwarz, Christoph Blümel, Johann Christoph Pernecker und Johann Wohlgehaben verzeichnet:

772 773 774 775 776 777 778

Vgl.: Speyer (1922). Vgl.: Rudin (2008a), S. 12. Vgl.: Rudin (2008a), S. 16. Zitiert nach: Speyer (1926), S. 73. Vgl.: Speyer (1926), S. 70–75. Vgl.: Ludvik (1971), S. 13f. Vgl.: Senn (1954), S. 279; – Ludvik (1971), S. 14.

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Formen höfischer Anbindung

(S. 83 v)

(S. 84 r)

(S. 84 v)

(S. 110r)

(S. 219 r)

(S. 60 v) (S. 89 r)

Matthias Portous, (6fl) Christoff Falkenberger, (Tanzmeister) 1.1. bis 31. 10. 1660 1.II. bis 31. 12. 1660 Hans Gerber (6fl) Hans Fux (9 fl) Johann Wohlgehaben (7 fl) Christoff Plieml (8 fl) 15.4. bis 31. 12. 1660 Johann Christoff Pernegger (7 fl) 1.3. – 31. 12.1660 Martin Hendler (7 fl) 15.4. – 15. 8. 1660 (damalen er von hier hinwekhverreist) Peter Stätins (15 fl) 1.1. – 15.8. 1660 (ist auch damals wekhgeraist) Ursula Hoffmannin (5 fl) 1.6. – 31. 12. 1660 Rebecca Schwarzin (5 fl) 1.6. – 31. 12. 1660 Hannss Ernst Hofman und Peter Schwarz Comedianten wegen gemachter Comedia Hannss Ernst Hofmann Silberdiener Peter Schwarz Guarda Roba Gehilf

72,– fl - 12 fl - 15 fl

150,– fl 72,– fl 108,– fl 84,– fl 68,– fl 70,–fl 28,– fl

112,30 fl

35,– fl 35,– fl 150,– fl 250, – fl 250, – fl779

Hans Martin ist mit 72 Gulden ebenfalls auf der Liste vertreten, jedoch wurde die Geldangabe durchgestrichen. Da er seine Besoldung aber entgegennahm, halten es Senn und Gstach für denkbar, dass er 1660 ein zusätzliches besonderes Amt erhielt und sein Gehalt deshalb möglicherweise später anders verrechnet werden sollte.780 1659, kurz nach seiner Übernahme, suchte er gemeinsam mit seinem Kollegen Matthias Portous um Entlassung an, die in seinem Fall nicht gewährt wurde. 1660 erkrankte er und bewarb sich mehrmals vergebens um eine Regiments-Registratur-Stelle. Möglicherweise war er mit seinem Gehalt unzufrieden oder versuchte sich aufgrund seiner Krankheit nach einer anderen Stelle umzusehen.781 Die höchste Besoldung erhielt das Prinzipalenduo Hoffmann und Schwarz: Ihr gemeinsames Gehalt für ihre Theaterarbeit fiel zwar durchschnittlich aus, wurde aber durch die viel einträglicheren Hofämter Silberdiener und »Guarda Roba Gehilf« aufgestockt. Die nächsthöher besoldeten Comœdi779 Zitiert nach: Gstach (2003), S. 125. 780 Vgl.: Gstach (2003), S. 124; – (1954), S. 278f. 781 Vgl.: Senn (1954), S. 278f.

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

anten waren Christoff Falkenberger in der Funktion des Tanzmeisters und Peter Stätin (bzw. Statius) – möglicherweise ein älterer englischer Comœdiant.782 Am wenigsten erhielten Rebecca Schwarz und Maria Ursula Hoffmann, vielleicht weil sie Frauen oder verheiratet waren. (Zum Vergleich: Die verheirateten Comœdiantinnen der Velten’schen Truppe bekamen am Hof Johann Georgs III. von Sachsen das gleiche Gehalt wie ihre Ehemänner.)783 Blümel, Wohlgehaben und Pernecker lagen im Mittelfeld, wobei Blümel ein wenig mehr erhielt, was vielleicht mit seiner Position als Schreiber und »Poet«784 korrelierte. Wie es scheint, erschloss sich die der Besoldung zugrundeliegende Logik auch den Betroffenen nicht: Im November 1661 kam es aus diesem Grund zu Unstimmigkeiten unter ihnen, weshalb sie um die Angleichung der Gehälter ansuchten. In der ersten Jahreshälfte 1662 verließen vermutlich mehrere Schauspieler*innen Innsbruck, darunter Hans Martin, Pernecker und die Hoffmanns, deren Namen sich nicht mehr in den Rechnungsbüchern finden.785 Als Ursache vermutet Ludvik eine zu geringe Entlohnung bzw. ausständige Zahlungen.786 Über ihre Anstellungskonditionen, Tätigkeitsbereiche oder die von ihnen aufgeführten Stücke am Innsbrucker Hof ist ansonsten nicht allzu viel bekannt. Festzuhalten ist, dass nicht der Truppenverband in den Hofdienst übernommen wurde, sondern die Schauspieler*innen einzeln bestallt wurden.787 Zu den älteren und gut dokumentieren Fällen fester Bestallungen bei Hof zählen die undatierten Bestallungsdekrete der englischen Comœdianten Robert Browne und Philip Kingsman beim Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel (1572–1632). Dieser verfasste selbst Dramen und Szenare und ließ zudem den ersten Theaterbau im deutschsprachigen Raum, das Ottonium, errichten.788 Robert Browne stand spätestens von 1593789 bis 1598 und nochmals 1605 bis 1607790 im Dienst des Landgrafen. Er wurde als Comœdiant und Musiker verpflichtet und mit der Ausbildung von Knaben in der darstellenden Kunst betraut. Als Comœdiant hatte er auf Aufforderung des Landgrafen hin Komödien, Tragödien und Spiele auszurichten – Dramen oder Szenare, die bereits Inhalt seines Repertoires waren, die er sich aneignete oder auch erfand, außerdem 782 783 784 785 786 787 788

Vgl.: Senn (1954), S. 281; – Ludvik (1975), S. 63. Vgl.: Fürstenau (1861), S. 272. Kodex Ia 38.589, fol. 201r. Vgl.: Senn (1954), S. 282. Vgl.: Ludvik (1971), S. 15. Vgl.: Zielske (1981), S. 529. Vgl.: Hartleb, Hans: Deutschlands erster Theaterbau. Eine Geschichte des Theaterlebens und der englischen Komödianten unter Landgraf Moritz dem Gelehrten von Hessen-Kassel. Berlin; Leipzig: De Gruyter, 1936. S. 82; 86. 789 Vgl.: Brand; Rudin (2010), S. 40. 790 Vgl.: Schindler, Otto G.; Rudin, Bärbel: Robert Browne. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 75–77.

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solche, die ihm vom Landgrafen aufgetragen wurden, wie auch solche, die der Landgraf geschrieben hatte. Reiseunternehmungen waren ihm unter Rücksprache gestattet.791 Brownes Kollege Philip Kingsman (der ihn zwischen 1594 und 1596 als Leiter vertrat)792 wurde ebenfalls als Comœdiant, nicht aber als Musiker verpflichtet. Neben der szenischen Umsetzung von Dramen bzw. Szenaren hatte er aber auch die Aufgabe, Inhalte bzw. Szenare zu Schauspielen »in seiner Sprache« auszuarbeiten und zu inszenieren. Hartlieb interpretiert diesen Passus des Bestallungsdekrets als Übertragung ins Englische und vermutet, dass die Aufführung in der Muttersprache der englischen Comœdianten, die der Landgraf hervorragend beherrschte, die Natürlichkeit ihres Spiels garantieren sollte.793 Haekel hält es aber auch für möglich, dass damit lediglich gemeint sein könnte, er sollte die Dramen in eigenen Worten verfassen.794 Die Bestallung garantierte kein ruhiges Leben bei Hof: Die Truppe wurde einmal wegen Pestgefahr zeitweilig entlassen und musste woanders ihr Auskommen finden. Zudem verreiste sie mitunter auch auf eigenen Wunsch795, was Haekel zu der Annahme veranlasst, dass sie sich alleine über das höfische Engagement nicht finanzieren konnte.796 Außerdem wurde vermutlich nicht die gesamte Truppe in den höfischen Dienst aufgenommen, sondern nur die Prinzipale, die neben ihrer Funktion als Bühnenleiter noch zusätzliche Aufgaben zu übernehmen hatten. Bei den englischen Comœdianten lässt sich außerdem eine Funktion feststellen, die mit ihrer Mobilität in Zusammenhang steht: der Transport und Import von Waren. Robert Browne organisierte und betreute den Transport von Pfeilen und Bögen, die der Landgraf in England bestellt hatte, nach Kassel. Sein ehemaliger Kompagnon Thomas Sacheville, der zu diesem Zeitpunkt vermutlich ein neues Tätigkeitsfeld suchte, betreute den nächsten Waffentransport797 und ließ sich anschließend als Kaufmann in der Stadt Wolfenbüttel nieder. Als Kaufmann hielt er sein gutes Verhältnis zu seinem ehemaligen Dienstgeber Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel aufrecht und wurde 1604 erneut, jedoch nicht als Comœdiant, in dessen Dienst gestellt. Zu seinen Aufgaben zählte auch die Tätigung von Einkäufen in England wie auch andernorts, beispielsweise bei der Frankfurter Messe.798 Sacheville gelangte zu Wohlstand und 791 Die betreffenden Bestallungsdekrete wurden in der Forschung bereits mehrfach zitiert: Brand; Rudin (2010), S. 48f.; – Hartleb (1936), S. 31f.; – Haekel (2004), S. 31f. 792 Vgl.: Schindler ; Rudin (2013), S. 76. 793 Vgl.: Hartleb (1936), S. 32f.; 36. 794 Vgl.: Haekel (2004), S. 33. 795 Vgl.: Brand; Rudin (2010), S. 40–52. 796 Vgl.: Haekel (2004), S. 39. 797 Vgl.: Brand; Rudin (2010), S. 41; 47f.; 61. 798 Vgl.: Zimmermann, Paul: Englische Komödianten am Hofe zu Wolfenbüttel. In: Braunschweigisches Magazin 8 (1902), S. 37–45. Hier : S. 40–42.

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

erhielt das Bürgerrecht der Stadt Wolfenbüttel. Seinen ehemaligen Beruf des Schauspielers gab er vollkommen auf, profitierte aber von den Bekanntschaften, die er durch diesen geschlossen hatte. Für Robert Browne hingegen stellte der Import von Waren eine zusätzliche Einnahmequelle neben seiner Schauspielerund Prinzipalstätigkeit dar. So transportierte er auch Affen und Bären an den französischen königlichen Hof und bot im Zuge seines Aufenthalts theatralische Lustbarkeiten dar. Es waren Mitglieder von Browns Truppe, die Ludwig XIII. als Kind, nach Aufführungen der englischer Comœdianten, imitiert hatte.799 Der Dresdner Hof war bekannt für seine rege Festkultur, die auch während des Dreißigjährigen Krieges nicht zum Erliegen kam. Die Truppe von Browne und Green, die von Robert Reynolds800 (der Schwiegersohn Robert Brownes) nach dem Tod Greens weitergeführt wurde, stand ab 1626 unter kursächsischer Protektion. An einigen Aufführungen sollen sich auch die kursächsischen Prinzen beteiligt haben.801 Spätestens ab 1669 wurden von Johann Georg II. von Sachsen, der bereits mit dem Hofpoeten Schirmer mehrere Schauspiele umgesetzt hatte802, nachweislich Hofschauspieler verpflichtet, die den Amtstitel »Hoff- und Cammer-Bediente« erhielten. Das Bestallungsdekret beinhaltete eine Verschwiegenheitsklausel, die Forderung den Lebensmittelpunkt auf die Residenz zu verlegen und alles Aufgetragene ohne Widerspruch zu lernen und zu spielen.803 Die Schauspieler partizipierten an Schauspielen, Bühnentänzen und Exerzitien und unterstützten Dilettantenaufführungen bei Hof.804 Unter den bestallten Bühnenkräften805 finden sich Comœdianten, die sich mit verschiedenen Truppen in Verbindung bringen lassen: Unter ihnen waren zwei Engländer, Gideon Gellius in der Funktion des Exerzitienmeisters und John Waite. Beide stammten aus der Nachfolgetruppe Reynolds unter William Roe und fungierten als dessen Mitprinzipale. Waite war bereits als Zehnjähriger zum Theater gekommen und 1671 etwa sechzig Jahre alt, womit er auf fünfzig Jahre Theaterpraxis zurückblicken konnte.806 Zu dem Ensemble gehörte auch der 799 Vgl.: Brand; Rudin (2010), S. 77–79. 800 Zu Robert Reynolds, siehe: Schindler, Otto G.; Rudin, Bärbel: Robert Reynolds. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 554–556. 801 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 101f. 802 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 109f. 803 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 230. 804 Vgl.: Deppe, Uta: Die Festkultur am Dresdner Hofe Johann Georgs II. von Sachsen (1660– 1679). Kiel: 2006, Ludwig (= Schleswig-Holsteinische Schriften zur Kunstgeschichte; Bd. 13). S. 56. 805 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 229f. 806 Vgl.: Schindler, Otto G.; Rudin, Bärbel: William Roe. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 562–564; – Schindler, Otto G.; Rudin, Bärbel: John Waite. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 736–737.

Formen höfischer Anbindung

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deutsche Schauspieler Johann Georg Encke, der damals etwa zwanzig Jahre Bühnenerfahrung hatte. Er arbeitete zuerst für Joliphus und später für den deutschen Prinzipal Johann Fasshauer, dessen Tochter er ehelichte und dessen Truppe er nach seinem Tod weiterführte, aber vermutlich bald auflöste.807 Zu den jüngeren Schauspielern zählten Christian Starke, Johann Christoph Dorsch und Johann Wolfgang Rieß. Starke und Dorsch stammten beide aus Dresden. Während Dorsch ab 1660 in Wittenberg studierte, trat Starke 1663 sein Studium in Leipzig an und entdeckte vermutlich dort das Schauspiel für sich (vgl. II. 2. 1.). Johann Wolfgang Rieß studierte ab 1660 in Altdorf.808 Obwohl all diese Schauspieler im höfischen Dienst standen, wurden immer wieder auch andere Truppen eingeladen, u. a. die sogenannten Hamburgischen Comœdianten809 unter der Leitung Carl Andreas Paulsens, die sich Ende 1673 in Dresden einfanden. Die Hamburgischen Comœdianten wurden »u. a. auf Wunsch der Kurfürstin Anna Sophie, einer dänischen Prinzessin«810, die diese Truppe wahrscheinlich aus Kopenhagen kannte, zu dem Gastspiel eingeladen. Paulsen brachte neue und erfolgserprobte Dramen mit sich, v. a. Adaptionen italienischer, niederländischer und französischer Dramen811, die davor noch nicht am Dresdner Hof gespielt wurden. Während die Hamburgischen Comœdianten bei ihrem Gastaufenthalt vermutlich eine Repertoireliste vorlegten, aus der das Kurfürstenpaar wählen konnte, mussten die Hofcomœdianten alles spielen, was ihnen aufgetragen wurde. Wahrscheinlich ging mit dem Gastspiel der Hamburgischen Comœdianten zugleich die Erweiterung der Textbibliothek des Dresdner Ensembles einher. Um 1676 wurde den Hamburgischen Comœdianten das kursächsische Privileg und Prädikat verliehen.812 1678 wurden sie – nun unter der Leitung Veltens – anlässlich der Festveranstaltung die Durchlauchtigste Zusammenkunfft des Hauses Sachsens813 engagiert814 (vgl. IV. 2. 1.). Es ist anzunehmen, dass die Hofschauspieler und die Velten’sche Truppe hier miteinander kooperierten. Nachdem Johann Georg II. 1680 verstorben war, wurden die Hofschauspieler aufgrund der Hoftrauer entlassen.815 1681 wurde Rieß und Starke erneut bestallt. 807 Vgl.: Schindler, Otto G.: Johann Georg Encke. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 175– 176; – Ludvik (1975), S. 60; 62. 808 Vgl.: Rudin (1976), S. 9. 809 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 235; 244. 810 Scherl; Rudin (2013), S. 503. 811 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 244. 812 Scherl; Rudin (2013), S. 503. 813 Vgl.: Tzschimmer, Gabriel: Die Durchlauchtigste Zusammenkunfft/ Oder : Historische Erzehlung […]. Nürnberg: Johann Hoffmann, 1680. Bayerische Staatsbibliothek, Res 2 Germ.sp. 152–1. 814 Vgl.: Heine (1887), S. 8. 815 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 256.

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

Ab Jänner 1683 fanden wieder Theateraufführungen statt, dabei wurden auch Dramen gespielt, die sich der Hof über Paulsen und Velten angeeignet hatte. 1683 kam Velten an den kursächsischen Hof zurück und wurde samt seiner Truppe in den höfischen Dienst übernommen.816 Die Truppe, deren Gehalt immer wieder neu verhandelt wurde, stand unter der Direktion von Rieß, Starke und Velten, wobei Rieß vermutlich verantwortliches Bindeglied zwischen der Truppe und dem Hof war.817 Laut Zielske war es Velten auf diese Weise möglich den Truppenverband zu schützen und sich jederzeit mit der Truppe, die auch außerhalb des Hofes auftrat, reisefertig zu machen.818 Aus einem Schreiben Veltens an den Kurfürsten (1687), anlässlich der durch den Tod der Kurfürstenmutter Magdalena Sibylle erfolgten Hoftrauer geht hervor, dass die Truppe bei Hoftrauer nur die halbe Besoldung erhielt und dass ihnen die Reisetätigkeit unter Rücksprache gestattet wurde.819 Die Truppe fand sich von 1683 bis 1691 bei fast allen Messen in Leipzig ein und spielte dort jedes Mal etwa fünfzehn Tage (vgl. II. 2. 2.).820 Außerdem spielte sie 1686 in Frankfurt, 1688 in Hamburg sowie 1691 in Berlin, zudem erhielt sie 1690 »eine Art Patent« für Brandenburg.821 Nachdem Johann Georg III. 1691 verstorben war, wurde die Truppe entlassen, behielt jedoch Prädikat und Privileg.822 ˇ esky´ Auch die böhmische Parallelerscheinung zum Dresdner Hoftheater in C Krumlov unter dem Fürstenpaar Johann Christian I. und Maria Ernestine von Eggenberg, die sogenannten Eggenbergischen Comœdianten, wurden 1691 entlassen.823 Der Entlassungsgrund ist unbekannt. Neuhuber stellt verschiedene mögliche Ursachen für die Entlassung zur Disposition: Etwa, dass Johann Christian von Eggenberg aufgrund seiner Bestellung zum »Wirklichen Kaiserlichen Rat« zu wenig Zeit für sein Hoftheater gehabt haben könnte, oder dass sich ein deutsches Ensemble im Kontext des Wiener Hofes, der eine starke Neigung zum italienischen Theater hatte, als weniger repräsentativ erwiesen hätte. Denkbar wäre aber auch die mögliche Unzufriedenheit der Schauspieler*innen, die zusehends immer seltener Spielgelegenheiten am Hof vorfanden und vermehrt andernorts spielten.824

816 Laut Fürstenau (1861), S. 272 war es 1685, jedoch geht aus dem Rechnungsbuch der Stadt Dresden hervor, dass er schon 1683 hinzugekommen war, vgl. Rudin (1988), S. 83. 817 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 311. 818 Vgl.: Zielske (1981), S. 531. 819 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 274f. 820 Vgl.: Rudin (2004), S. 204–216. 821 Vgl.: Heine (1887), S. 12–13. 822 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 314. 823 Vgl.: Z#loha, Jirˇ&; Kub&kov#, Anna: Johann Christian Fürst von Eggenberg. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 168–171. 824 Vgl.: Neuhuber (2014), S. 18.

Formen höfischer Anbindung

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In allen bisher hier besprochenen Fällen höfischer Anstellung waren Reisetätigkeiten immer noch Bestandteil ihrer Profession, sei es aufgrund mangelnder Spielgelegenheiten, ausgelöst durch Hoftrauer, Pest, Abwesenheit oder aufgrund von Desinteresse oder Erkrankungen von Mitgliedern der Fürstenfamilie. Vielleicht versuchten die Eggenbergischen Comœdianten, nicht zuletzt im Wissen um ein mögliches Anstellungsende, weiterhin im Gespräch zu bleiben und neue Kontakte für die Zukunft zu knüpfen. Die Eggenbergischen Comœdianten waren insgesamt über fünfzehn Jahre am ˇ esky´ Krumlov bestallt und blieben über diesen Zeitraum in ihrer ZuHof in C sammensetzung weitgehend unverändert. Für die unternommenen Reisen und Tourneen825 mussten sie, sofern sie diese aus eigenem Wunsch tätigten, zwar selbst aufkommen, dafür durften sie aber auf den Theaterfundus des Hoftheaters zurückgreifen.826 Die Eggenbergischen Comœdianten wurden 1675 eigens für das gegründete Hoftheater zusammengestellt. Zu den Gründungsmitgliedern zählten der bereits bei den Innsbrucker Comœdianten tätige Johann Christoph Pernecker und dessen Gattin Maria Anna, Johann Carl Samenhammer und Johann Georg Gettner – beide in der Funktion der Direktoren. Pernecker, der schon früher eintraf, kam eine entscheidende Funktion in der Gründungsphase zu: Er besorgte im österreichischen Freistadt Stoffe für Kostüme, die dann in Krumlov angefertigt wurden, außerdem »Accessoires aus unechtem Gold und Silber in Prag«827, zudem war er als Dramaturg tätig, studierte mit der Truppe Stücke ein und ließ Dramen und Rollenauszüge abschreiben. Er war auch für die Bühnentechnik verantwortlich und später (1680–1682) maßgeblich am Theaterbau involviert, der nach seinen Entwürfen gefertigt wurde. Schließlich soll er 1687 selbst ein Drama verfasst haben.828 Gettner, der den Pickelhering spielte, und Samenhammer erhielten zusätzlich zur künstlerischen Leitung feste Stellen als Hofkanzleischreiber.829 Zu den Schauspieler*innen, die für dieses Bühnenunternehmen rekrutiert wurden, zählten u. a. ehemalige Mitglieder der Innsbrucker Comœdianten und deren Nachwuchs: Maria Ursula Blümel (vormals Hoffmann), Sybille Juliane und Anna Claudia Felicitas Hoffmann, Johann Wohlgehaben und Johann Friedrich Schwarz; außerdem Johann Franz Manduk und Johann Valentin Petzold, und zu Beginn das Prinzipalenehepaar Elenson.830 Diese Zusammenstellung erinnert zum Teil strukturell an das HoftheaterenVgl.: Rudin (1996), S. 472; – Sˇim#kov#; Mach#cˇkov# (1976), S. 51. Vgl.: Neuhuber (2006), S. 272. Sˇim#kov#; Mach#cˇkov# (1976), S. 46. Vgl.: Scherl; Rudin (2013), S. 506–507; – Sˇim#kov#; Mach#cˇkov# (1976), S. 47; – Z#loha (2002), S. 266. 829 Vgl.: Rudin (1996), S. 472. 830 Vgl.: Z#loha (2002), S. 267.

825 826 827 828

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

semble Johann Georgs II. in Dresden: Das Ensemble bestand sowohl aus Comœdiant*innen, die bereits viel Bühnenerfahrung hatten und selbst als Prinzipale bzw. Prinzipalinnen tätig gewesen waren, als auch aus jüngeren akademisch gebildeten Akteuren in leitender Position, die u. a. für die Spieltextbeschaffung verantwortlich waren. Anfangs wurde die Truppe von einem Tanzmeister aus Prag unterwiesen.831 Neben einer festen Besoldung und Geschenken832 erhielten die Mitglieder auch eine gute Versorgung: Neben dem Gehalt, das bei den führenden Ensemblemitgliedern dem eines niederen Hofbeamten entsprach und in halbjährigen Raten ausbezahlt wurde, erhielten sie Naturalien (landwirtschaftliche Produkte und Holz) sowie Einrichtungsgegenstände, z. B. Bettdecken, Matratzen, Polster, Leintücher, Handtücher o. dgl. Jeder Schauspieler erhielt diese Gegenstände in unterschiedlicher Menge, meistens entsprechend der Familiengröße, aber auch je nach der Stellung innerhalb des Ensembles. An Naturalien erhielten sie: täglich 6 Laib Brot und 1 Pinte Wein; pro Woche 2 Stück Hühner, 18 Pfund Fleisch, 2 Seitel Schmalz, 1 1/2 Pfund Käse und 10 Stück Kerzen; dazu jährlich 1 Kufen Salz, 2 Strich Weizen, 1 1/2 Strich Hafer, 3/4 Strich Gerste, 2 1/2 Zuber Karpfen, 4 kleine Schweine, 6 Gulden für Gewürze, 9 Faß Bier, 16 Klafter Holz und auf Martini 1 Gans. Die Truppe konnte sich auch an der Tafel in der Schloßbäckerei verköstigen; in diesem Fall wurde ein Teil der Naturalien in die dortige Küche geliefert.833

Als die Eggenbergischen Comœdianten 1691 entlassen wurden, erhielten einige Schauspieler*innen eine Abfindung und die beiden Prinzipale jeweils ein Empfehlungsschreiben. Außerdem wurde ihnen gestattet, den Titel »HofComœdianten« weiterzuführen. Petzold wurde bis zum Tod des Herzogs weiterhin finanziell unterstützt.834 Das Engagement der Berufsschauspieler*innen bei Hof war zeitlich limitiert. Nicht alle Fürst*innen konnten oder wollten sich, sofern überhaupt Theaterbegeisterung und Interesse am deutschsprachigen Berufsschauspiel vorlagen, das dauerhafte Engagement eines Ensembles leisten. Zudem hatten politische Verpflichtungen, Erkrankungen oder Hoftrauer das Aussetzen von Spielgelegenheiten zufolge. Letztendlich ging mit dem Tod des Mäzens bzw. der Mäzenin das Erlöschen des Dienstverhältnisses einher. Es war die Summe dieser Faktoren sowie das Wissen um diese, die die Mobilität des Berufstheaters, auch während eines dauerhaften Engagements, bedingte. Das höfische Engagement zeitigte auch Effekte auf das Repertoire des Berufstheaters und trug wesentlich zu dessen Erweiterung bei, zugleich gingen aber nicht alle Dramen, deren Aufführung in Auftrag gegeben wurde, in sein Repertoire ein, wie im nächsten Kapitel u. a. 831 832 833 834

Vgl.: Sˇim#kov#; Mach#cˇkov# (1976), S. 49. Vgl.: Rudin (1996), S. 479. Z#loha (2002), S. 267. Vgl.: Neuhuber (2006), S. 279.

Funktionen des Berufsschauspiels im höfischen Kontext

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dargelegt wird, in dem verschiedene Funktionen des Berufsschauspiels im Kontext des Hofes erörtert werden.

IV.2. Funktionen des Berufsschauspiels im höfischen Kontext Wie Wolfgang Martens in seiner Auseinandersetzung mit der obrigkeitlichen Sicht auf das Bühnenwesen ausführt, unterschied die Kameralistik des 17. Jahrhunderts in Bezug auf Theater die Sphäre des Hofes und der Untertanen. Beiden Sphären wurden Schauspiele zugestanden, jedoch in Bezug auf ihren Nutzen differenziert. Wurde Theater im Kontext des Hofes aufgrund seiner repräsentativen Wirkung und als Mittel zur Erholung der Fürst*innen gutgeheißen, sollte es für die Untertanen eine Alternative zu problematischen Vergnügungen wie Glücksspiel und Alkoholkonsum bieten und von diesen abhalten. Ein moralischer Nutzen von Schauspielen schien nicht im Vordergrund zu stehen, wurde aber als positiver Nebeneffekt gewertet. Vor allem sollten die dargebotenen Schauspiele nicht anrüchig sein. Dass sie auch einem politischen Zweck in Hinblick auf die »Lenkung und Besänftigung der Untertanen« dienen konnten, formulierte zumindest der Kameralist Wilhelm Freiherr von Schröder explizit.835 Daraus lässt sich ableiten, dass das Berufstheater im Kontext des Hofes zumindest drei Funktionen erfüllen konnte: eine repräsentative, eine unterhaltende und eine politische. Die Verteidigungsschrift Catharina Elisabeth Veltens, in der sie Theater als herrschaftsregulierendes Instrument fasst836, verweist in Verbund mit jenen Dramen, die den Konflikt von Herrschaftspflichten und Affekt zum Inhalt haben, auf eine weitere Funktion des Berufstheaters: die eines Regulativs fürstlicher Gewalt.

IV.2.1. Repräsentation Wenn die Berufsschauspieler*innen für Feste engagiert, für einen bestimmten Zeitraum verpflichtet wurden oder diejenigen, die sie förderten, auf Reisen begleiteten837, ging damit immer auch eine repräsentative Wirkung einher.838 835 Vgl.: Martens, Wolfgang: Obrigkeitliche Sicht: Das Bühnenwesen in den Lehrbüchern der Policey und Cameralistik des 18. Jahrhunderts. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 6 (1981), S. 19–51. Hier : S. 20–23. 836 Vgl.: Velten (1701), Blatt B2. 837 Vgl.: Haekel (2004), S. 37; – Brand; Rudin (2010), S. 45f. 838 Vgl.: Müller, Rainer A.: Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit. München: R. Oldenbourg Verlag, 2004 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 33). S. 44.

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

Anlässlich des Namenstages des Herzogs Ferdinand Albrecht I. zu Braunschweig-Lüneburg gestaltete die Truppe Veltens ein Feuerwerk. Feuerwerke sollten die Macht der Regierenden demonstrieren, indem sie anzeigten, dass diese über das Schießpulver und dessen Einsatz verfügten und damit in der Lage waren, über Krieg und Frieden zu entscheiden.839 Der Tagebucheintrag des Herzogs vermittelt den Eindruck, eines routinierten Umgangs der Berufsschauspieler*innen in der Ausrichtung aufwendiger Feuerwerke: Zwischen 11 vnd 12 Vhr liessen wir durch Blasung des Liedes vom Hausman thurm: ›Kenstu nicht hertzog Christian von Braunschweig etc.‹ ein Zeichen geben, das Fewer werck auf dem Felde, hinter vnser Schäfferei anzuzünden, von den Comœdianten verfertiget, war ein brennendes Hertz im Fewer, also gestaltet … bedeutent die drei Ferdinand nahmen, in der mitte Christina vnser gemahlin, gehalten von Sophia Eleonora vnser tochter nahmen. Oben waren folgende buchstaben: Io DIV VIVat FerDInanDVs ALbertVs PrInceps. Die Jahrzahl buchstaben M. D. C. LXXX. presentireten sich blau, die anderen aber gelb. Es wurden viel hochsteigende raquetten geworffen, vnd ein Rad im Fewer, so viel raqueten aus sich speiete, wehrete bis 1 Vhr, hatten trommelen vnd schalmeien dabei.840

Nicht nur anhand des Feuerwerks zeigt sich die Vertrautheit von Veltens Truppe mit absolutistischen Inszenierungsweisen, sondern auch an den dem Feuerwerk vorangegangenen Divertissements, die mit einem allegorischen Vorspiel unter Einsatz einer Wellenmaschine eröffnet wurden, worin Merkur, eine Nymphe und ein wilder Mann den Herzog mit Glückwünschen bedachten. Auf die anschließende Komödie folgte ein Ballett von Jupiter, Merkur und den vier Jahreszeiten.841 Ein ähnliches Ballett hatte auch die Kurfürstin von Sachsen ein Jahr zuvor veranstaltet, in dem Johann Georg IV. als Jupiter auftrat.842 Es liegt nahe, dass sich Veltens Truppe dieses Ballett über den Dresdner Hof angeeignet hatte. Auch Johann Georg II. von Sachsen bediente sich bei seinen Festveranstaltungen professioneller deutschsprachiger Schauspielkräfte. 1678 fand in Dresden die so genannte Durchlauchtigste Zusammenkunfft statt, ein hochrepräsentativer Festzyklus, mit »Aufzügen/ Ritterlichen Exercitien, Schau-Spielen/ Schiessen/ Jagten/ Operern, Comœdien, Balleten, Masquaeraden, Königreiche/ Feuerwercke/ und andern/ Denkwürdiges«. Die von Gabriel Tzschimmer verfasste Festchronik843 enthält neben detaillierten Beschreibungen einzelner Di-

839 Vgl.: Kohler, Georg: Die Rituale der fürstlichen Potestas. Dresden und die deutsche Feuerwerkstradtion. In: Kohler, Georg (Hg.): Die schöne Kunst der Verschwendung. Fest und Feuerwerk in der europäischen Geschichte. Zürich; München: Artemis, 1988. S. 101–134. 840 Zitiert nach: Zimmermann (1904), S. 151. 841 Vgl.: Zimmermann (1904), S. 150f. 842 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 254. 843 Tzschimmer (1680).

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vertissements auch eine Vielzahl von Reflexionen, die Elemente des Festgeschehens erläutern. In der Anmerckung Der Comœdien und ihres uhralten nutzlichen Gebrauches nimmt er zuerst die üblichen Vorwürfe gegen das Theater auf – »Sie verderbten die guten Sitten der Menschen/ machten dieselben weich und weibisch/ reitzten sie zu aller Unzucht/ und Leichtfertigkeit/ und brächten auf solchen nichts/ als Buberey/ Ehebruch/ Huren und unzüchtige Possen vor.«844 – bevor er gegen diese Argumente Stellung bezieht. Tzschimmer betont, dass es auf den rechten Gebrauch ankomme, erinnert daran, dass biblische Schilderungen sündiger Handlungen nicht zu solchen animieren, sondern im Gegenteil als Abmahnung dienen und vergleicht Bibellegenden mit Dramen. Schauspiele würden nicht die Gemüter verderben, sondern im Gegenteil, erbauen, von Lastern abhalten, zu einem christlichen Lebenswandel ermahnen und zudem positiv auf den gesamten Organismus wirken (vgl. auch IV. 3. 4. 4.).845 An den Aufführungen der insgesamt sieben Dramen, denen zumeist ein thematisch abgestimmtes Ballett folgte, waren sowohl die Hofschauspieler als auch die Truppe Veltens beteiligt. Die Aufführungen fanden im 1667 erbauten Comœdienhaus statt, das mit dem Schloss verbunden war und ein Fassungsvermögen von 2000 Personen hatte, womit die Aufführungen einer größeren, wenn auch »ständisch limitierten Öffentlichkeit« zugänglich waren.846 Tzschimmer behandelt jedes der sieben Dramen in unterschiedlichem Umfang: Dem ersten, der Comœdia von dem Ertzvater Joseph, das in drei Teilen an drei aufeinanderfolgenden Abenden gezeigt wurde und am stärksten an eine repräsentative Funktion geknüpft war, widmete er nicht nur eine ausführliche inhaltliche Zusammenfassung, sondern erörterte auch dem Stück immanente moralische Lehren. Während er die Tragico-Comœdia von Amadis, die Comœdia von der Christabella, die Tragœdia von dem wilden Manne in Creta und die Comœdia von Jupiter und Amphitryo lediglich mit einer Inhaltsangabe bedachte, veranlasste ihn die Tragœdia von des Fortunati Wüntsch-Huthe und Säckel die Comœdia, welche von den Uhralten Possen-Spielen zusammen gesetzt/ und der lustige Pickelhering genant, hier unter Auslassung der Inhaltsangabe, zu kurzen Reflexionen mit den Titeln Des Glückes Ungewißheit und Die verstellte Thorheit richtet offters mehr als die gröste Weißheit aus. Der Grad der Repräsentativität des jeweiligen Ereignisses lässt sich u. a. an der Zahl der ihm gewidmeten Seiten ermessen. Alle diese Dramen wurden schon einmal in Dresden aufgeführt.

844 Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 135. 845 Vgl.: Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 134–137. 846 Vgl.: Deppe (2006), S. 31; 65.

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Joseph wurde bereits 1665, 1669, 1671 und 1672 anlässlich der Vertrauliche[n] und Fröliche[n] Zusammenkunfft gespielt.847 Mit »Zusammenkunft« war bei beiden Festzyklen das Zusammentreffen der Brüder Johann Georg II. von Sachsen, August von Sachsen-Weißenfels (bzw. dessen Sohn Johann Adolph), Christian von Sachsen-Merseburg und Moritz von Sachsen-Zeitz gemeint. Bei diesen Zusammenkünften stand u. a. »die Erörterung familienpolitischer Angelegenheiten auf dem Programm«.848 Wie Helen Watanabe-O’Kelly darlegt, veranstaltete Johann Georg II. höfische Feste auch, »um seine Position gegenüber seinen Brüdern herauszustreichen und seine dynastische Stellung zu untermauern«849. Unklarheiten im Testament von Johann Georg I. machten auch noch zehn Jahre nach seinem Tod Verträge und Vergleiche notwendig, wobei im Umfeld der Vertragstreffen häufig große Fastnachtsfeste stattfanden. Während Johann Georg II. seinen jüngsten Bruder Moritz bevorzugte, war das Verhältnis zu seinem nächstjüngeren Bruder August besonders angespannt, ein Sachverhalt, der auch im Rahmen der Feste seinen Ausdruck finden sollte.850 Die Legende von Joseph schien sich besonders zur Behauptung Johann Georgs gegen seine Brüder zu eignen. Johann Georg ließ sich mit Joseph, Moritz mit dem geliebten Bruder Benjamin und August und Christian mit den »Hauptanstiftern« Reuben und Judah gleichsetzen.851 Tzschimmer beginnt die Interpretationshilfe des Dramas mit der brüderlichen Zwietracht und einem eindeutigen Hinweis auf dessen Ursache – »Niemand aber ist gehässiger als ein fleischlicher Bruder/ wenn es den Wechsel der Ehre/ und Hoheit/ oder das Theil einer Erbschafft betrifft […].«852 – und erläutert diese anhand biblischer, mythologischer und historischer Beispiele. Durch Verwendung dieser Legende soll Johann Georg als idealtypischer Staatsmann erscheinen, der nicht nur der Liebste seines Vaters ist, womit ihm auch alle Ansprüche zustehen, sondern auch die Unterstützung Gottes hinter sich hat. Die glückliche Vereinigung der Familie und deren Fortbestand gelingt nur unter Anerkennung seiner rechtmäßigen Autorität als Familienoberhaupt, die ihm von seinem Vater übertragen wurde.853 Bei der Tragico-Comœdia von Amadis handelt es sich um eine Bearbeitung des ersten der insgesamt 24 deutschen Amadis-Bücher. Diese Ritterromane erfreuten sich (vor allem im sechzehnten Jahrhundert) einer regen Rezeption 847 Vgl.: Fürstenau (1861), S. 223; 229; 231; 235; – Deppe (2006), S. 202. 848 Vgl.: Deppe (2006), S. 174; 185; 188. 849 Watanabe-O’Kelly, Helen: Joseph und seine Brüder: Johann Georg II. und seine Feste zwischen 1660 und 1679. In: Dresdner Hefte 21 (1990), S. 29–38. Hier: S. 29. 850 Vgl.: Watanabe-O’Kelly (1990), S. 31–36. 851 Vgl.: Watanabe-O’Kelly (1990), S. 36. 852 Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 138. 853 Vgl.: Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 138–143; 151–153; 160–162; – Deppe (2006), S. 202– 204.

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durch den Adel. Sie fanden Eingang in Turnierspiele, Comœdien und später auch Opern.854 Der Notar Andreas Hartmann publizierte 1587 in Dresden die erste deutsche Amadis-Comœdie. Inspiriert wurde er dabei von insgesamt 18 vom sächsischen Kurfürsten August in Auftrag gegebenen Gemälden von Szenen aus dem Amadis.855 Vermutlich lieferte seine »in Knittelvers abgefaßte Comoedia« das Fundament der Adaption durch die Truppe des englischen Prinzipals Ralph Reeve, der um 1608 die Leitung der Casselschen Comoedianten übernahm und es im Rahmen der Hochzeitsfeierlichkeiten von Eva Christina von Württemberg (1590–1657) und Johann Georg von Brandenburg (1577–1624) 1610 in Krnov spielte.856 Die anlässlich der Durchlauchtigsten Zusammenkunfft gespielte Adaption orientierte sich grob an der Fassung Hartmanns, füllte es mit Elementen des ersten Amadis-Buches auf und strich von Hartmann erfundene Nebenfiguren.857 Auf die Tragico-Comœdia folgte ein »Ritter-Ballet«, das »von Sechs Personen getantzet worden.«858 Da sich das Drama sonst nicht mehr im jüngeren Spielplan des Berufstheaters findet, wurde es vermutlich ausschließlich für dieses Ereignis einstudiert. Zwei Tage später folgte mit der Comœdia von der Christabella das nächste in der ritterlichen Sphäre spielende Drama859, bei dem es sich um eine Adaption des mittelalterlichen englischen Epos Sir Eglamour of Artois handelte und das zum Repertoire des Berufstheaters zählte.860 Es beinhaltete eine Reihe von Kampfszenen – ein Duell, eine Schlacht und zuletzt auch ein Turnier – und bezog sich somit thematisch, wie auch der Amadis, auf die im Rahmen der Durchlauchtigsten Zusammenkunfft stattfindenden Ritterspiele (Ring- und Quintanrennen des Nimrod und der sieben Planetengottheiten, Ringrennen der Diana und der Jägerei und das Merkur-Ringrennen)861 und diente vermutlich, neben einem unterhaltenden Aspekt, der Veranschaulichung der von Johann Georg II. vertretenen ritterlichen Werte.

854 Vgl.: Weddige, Hilkert: Die »Historien vom Amadis auss Franckreich«. Dokumentarische Grundlegung zur Entstehung und Rezeption. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 1975 (= Beiträge zur Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts; Bd. 2). S. 114–181; 292–309. 855 Vgl.: Weddige (1975), S. 164–168. 856 Vgl.: Weddige (1975), S. 167; 163; 144f.; – Schindler, Otto G.; Rudin, Bärbel: Ralph Reeve. In: Jakubcov#; Pernerstorfer (2013), S. 547–549. 857 Vgl.: Weddige (1975), S. 171. 858 Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 206. 859 Vgl.: Tzschimmer (1680), Bd. 1. S. 209–211. 860 Es wurde 1626 in Dresden; 1651 in Prag unter dem Titel von den zwei streitbaren Rittern Etelmor und Trauenmor aufgeführt; und nochmals zwischen 1681 und 1685 in München gespielt. Vgl.: Baskervill, C.R.: An Elizabethan Eglamour Play. In: Modern Philology 14 (1917), S. 759–760; – Gstach (2017), S. 445. 861 Vgl.: Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 59–66; 76–94; 168–171; 184–198; 266–270; 273–280. Zu den Ritterspielen im Rahmen der Dresdner Festkultur, siehe: Deppe (2006), S. 36–44.

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Eher schwierig erscheint die Beurteilung der Wahl für die Tragœdia von dem wilden Manne in Creta, worin alle Personen bis auf den König durch Mord, Vergeltung und Selbstmord sterben. Der wilde Mann selbst spielt nur zu Beginn der Handlung eine Rolle, als er bei der Befreiung der von ihm entführten Prinzessin getötet wird.862 Auf die Tragödie folgte ein Wilde-Männer- und Zwergk-Ballet. Aufführungsbelege für dieses Drama finden sich lediglich in Dresden. Es wurde scheinbar das erste Mal 1660 und das zweite Mal 1668 anlässlich des so genannten Friedensfestes gespielt und zählte somit vermutlich ebenfalls nicht zum eigentlich Repertoire des Berufstheaters.863 Vielleicht war es tatsächlich der wilde Mann, der die Haupt-Attraktion dieses Dramas ausmachte und einen thematischen Bezug zu den Jagddivertissements herstellen sollte. Die Comœdia von Jupiter und Amphitryo864 wurde direkt nach dem Herculis Büchsen-Schiessen und vor der Austeilung der Gewinne und dem darauffolgenden Herculis Feuerwerck gespielt. Schließlich die beiden Stücke Tragœdia von des Fortunati Wüntsch-Huthe und Säckel/ mit dem Intermedio von dem alten Proculo und Comœdia, welche von den Uhralten Possen-Spielen zusammen gesetzt/ und der lustige Pickelhering genant veranlassten Tzschimmer zu Reflexionen in Zusammenhang mit den Lehren dieser Stücke. Bei Fortunatus befasst sich Tzschimmer mit der Ungewissheit und der Unbeständigkeit des Glücks865, bei dem anderen mit der Kunst der Verstellung. Tzschimmers Auseinandersetzung mit der Kunst der Verstellung zeugt von der ambivalenten Haltung, die ihr entgegengebracht wurde: Einerseits hebt er ihre Bedeutsamkeit hervor, indem er sie als wichtiges Instrument der Klugheit (bzw. Klugheitslehre) nennt und verweist auf das Theaterspiel als geeignete Möglichkeit diese Fertigkeit einzuüben. Andererseits warnt er aber auch vor dem Missbrauch der Verstellungskunst. Dabei konstatiert er, dass sich alle zu verstellen versuchen. Bei dieser Feststellung scheint es sich in gleichem Maße um eine Verteidigung der Verstellungskunst sowie auch um einen warnenden Hinweis zu handeln – da die Verstellung ein dem Menschen Gegebenes ist, gilt es sich diesen Faktor in der Interaktion mit der Umwelt immer im Bewusstsein zu halten.866 Indirekt werden hier die Berufsschauspieler*innen als Träger*innen eines Wissens und Know-hows positioniert, das trotz seiner teils moralischen Bedenklichkeit für die politische Praxis als unabdingbar betrachtet wurde, womit dem Berufstheater ein weiterer Nutzen, jener der Unterweisung in die Kunst der Verstellung, zugesprochen wurde (vgl. IV. 3. 3.).

862 863 864 865 866

Vgl.: Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 213–215. Vgl.: Fürstenau (1861), S. 205; 227. Vgl.: Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 303–304. Vgl.: Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 272f. Vgl.: Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 288f.

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IV.2.2. Unterhaltung Die Aufführungen des Berufstheaters bei Hof dienten vor allem aber auch der Unterhaltung und damit der Erholung sowie Belustigung der Fürstenfamilie und ihrer Gäste. Die Abgrenzung zwischen einer repräsentativen und unterhaltenden Ausrichtung ist nicht einfach. Als Indikatoren dafür, auf welchen Aspekt das Primat gelegt wurde, könnten Publikumsgröße und -zusammensetzung sowie die Wahl der Räumlichkeiten herangezogen werden. In Bevern etwa schien sich das Publikum auf die Fürstenfamilie und einige Mitglieder des kleinen Hofstaates zu beschränken.867 Zu den Aufführungen am Hof Karl Ludwigs von der Pfalz waren 1667 neben dem Hofstaat und einigen Gästen »der Hof-, Kanzlei-, Militär- und Universitätsstab sowie der Stadtrat mit Weibern und Kindern«868 zugelassen, was auf ein Zusammenfallen von Repräsentation und Unterhaltung, sowie vielleicht auch Belehrung der Untergebenen, hindeuten könnte. In Dresden gingen Aufführungen mit dezidiert repräsentativer Ausrichtung vor allem im Comœdienhaus oder im Riesensaal vonstatten. Neben diesen beiden Lokalitäten fanden Aufführungen für ein stärker limitiertes Publikum vermutlich im Taubischen Garten (1684)869 oder im Schloss Hartenfels (1690)870 statt. Vereinzelt gab es auch Aufführungen im kleinen Eckgemach (1676)871 und im Italienischen Garten (1674)872. Der Spielzyklus von Hoffmann & Schwarz am Hof Karl Ludwigs von der Pfalz 1667 beinhaltete schlesische Kunstdramen sowie Dramen, die auf italienische, holländische und englische Vorlagen zurückgingen, darunter zwei Stücke des Kodex, Der Kohlenbrenner und Oronthea (vgl. IV. 4. 1. 1. und IV. 4. 1. 5.).873 Einige der Stücke dieses Spielzyklus wurden von Velten auch 1679 gespielt, als Karl Ludwig seine neue Vorliebe für französische Comœdien nicht verhehlte.874 Darunter war Don Gaston de Moncada, ein Drama das wie Die glückselige Ey¨fersucht (vgl. IV. 4. 1. 2.), die dort ebenfalls 1679 aufgeführt wurde, und Oronthea auf Giacinto Andrea Cicognini zurückgeht.875 Don Gaston handelt von dem gleichnamigen Herzog, in dessen Frau Donna Violanta sich der lüsterne Tyrann Don Pedro verliebt. Sie weist ihn zurück, woraufhin Don Gaston und seine Familie gezwungen werden, an Don Pedros Hof zu leben. Don Gastons 867 868 869 870 871 872 873 874 875

Vgl.: Zimmermann (1904). Speyer (1922), S. 81; – Rudin (2018), 469f. Vgl.: Fürstenau (1861), S. 271. Vgl.: Fürstenau (1861), S. 307f. Vgl.: Fürstenau (1861), S. 248f.; 109f.; 227. Vgl.: Fürstenau (1861), S. 243. Vgl.: Speyer (1922), S. 81f.; – Rudin (2018), S. 469f.; – Rudin (2008a), S. 9–14. Vgl.: Speyer (1926), S. 73–77. Cicognini, Giacinto Andrea: Il Don Gastone di Moncada, Opera Scenica, e Morale. Venedig: Nicolk Pezzana, 1658.

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Freund Don Meriches erhält ein Amt bei Hof und wird vom König zu Handlungen gedrängt, die sich gegen seinen Freund richten und darauf zielen, Donna Violantas Widerstand zu brechen. Durch eine Intrige, an der sich auch Don Pedros Frau beteiligt, wird Don Pedro schließlich geläutert.876 Laut dem Tagebucheintrag Ferdinand Albrechts I. zu Braunschweig-Lüneburg, wo Velten es 1680 ebenfalls spielte, sei Karl Ludwig angeblich schockiert gewesen, weil er das Stück auf sich und seine morganatische Ehe bezogen hätte.877 Karl Ludwig kannte das Drama aber bereits. Vielleicht hatte er den Inhalt vergessen, vielleicht war es die Inszenierung, die in ihm diesen Reflex auslöste oder vielleicht hatte Velten diese Begebenheit auch erfunden, weil sich Karl Ludwig mit dessen Spielzyklus unzufrieden zeigte878. Ebenso lassen die Gastspiele Elensons und Veltens in Bevern auf eine Vorliebe für die Dramen MoliHres schließen, jedoch schien Ferdinand Albrecht I. im Gegensatz zu Karl Ludwig mit allen Aufführungen zufrieden gewesen zu sein.879 Es war ein ausgewogenes Programm aus tragischen, blutigen, komischen und tragikomischen Stücken (vgl. III. 2. 2. 2.) Gespielt wurde auch das im Kodex enthaltene Drama Titus und Aran (vgl. IV. 4. 1. 4.), das ihm nicht zuletzt aufgrund der realistischen Umsetzung herausfordernder Szenen zusagte.880 Am kursächsischen Hof wurden im Rahmen der zum Karneval stattfindenden Spielzyklen mehrere Dramen des Kodex, mitunter sogar mehrmals, gespielt: Aurora und Stella (1676, 1679, 1680 und 1690), Die Ehrenstatue (1684, 1689 und 1690), Aspasia (1674 und 1690), Die glückselige Ey¨fersucht (1679 und 1690) und Oronthea (1679) (vgl. I. 1.) Auch Die Ehrenstatue, die dort zumindest drei Mal gespielt wurde, geht auf Cicognini zurück: Spielleiterin ist hier die als Gärtner verkleidete Prinzessin Dionisa, die versucht, ihren ihr untreu gewordenen Gatten, den Prinzen Heinrich, der sie für die Prinzessin Adamira verlassen hatte, über (letztendlich erfolgreiche) trickreiche Interventionen zurückzugewinnen. Adamira wiederum interessiert sich aber nicht für Heinrich, sondern ist in eine Statue verliebt. Diese Statue wird von Dionisa zum Leben erweckt, indem Perideo, der Ziehsohn einer armen närrischen Alten, in die Rolle der Statue schlüpft. Perideo entpuppt sich letztendlich als der verloren geglaubte Prinz Corindo, was indirekt über die Liebe der Alten zu der als Mann verkleideten Dionisia herauskommt, womit seiner Vermählung mit Adamira nichts im Weg steht. Die auf Cicognini zurückgehenden Stücke orientieren sich weitgehend am

876 Die Badische Landesbibliothek besitzt eine Spielhandschrift: Anon.: Comedia genandt Spiegell Wahrer Freundschafft (1670). Badische Landesbibliothek Karlsruhe, Durlach 94. 877 Vgl.: Zimmermann (1904), S. 146. 878 Vgl.: Bolte (1930), S. 584f. 879 Vgl.: Zimmermann (1904). 880 Vgl.: Zimmermann (1904), 149f.

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dramaturgischen Modell der spanischen comedia881 und zeichnen sich durch die komplexe Verflechtung von Handlungssträngen, die Verquickung tragischer und komischer Elemente sowie den Einsatz von Verkleidungen aus. Zumeist liegt ein moralisches Problem vor, wie etwa eine unangemessene Affektausprägung, deren Auflösung am Ende eine humorvolle Leerstelle aufweist, da das Problem mehr äußerlich oder vorläufig, nicht aber grundsätzlich gelöst scheint. Eine Leerstelle, die die Fortsetzung des Problems andeutet, aber zugleich den Moment einer versöhnlichen Annäherung enthält – vielleicht bleibt Prinz Heinrich ein Schürzenjäger und vermutlich wird ihn Dionisia dennoch lieben, ohne sich aber alles gefallen zu lassen. Auch bei Aurora und Stella handelt es sich um eine Liebeskomödie, hier vor dem Hintergrund des Thronstreits zwischen den titelgebenden Schwestern, der durch Krieg entschieden werden soll. Aurora und Roger verlieben sich ineinander, behalten ihre Gefühle aber für sich. Um Aurora buhlt auch Lotharius. Es kommt mehrfach zu Situationen, in denen Gunstbeweise Rogers fälschlicherweise Lotharius zugeschrieben werden, der teils gezielt gegen Roger intrigiert, teils zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist und dabei verschweigt, dass die Gunstbeweise nicht von ihm stammen. Roger bemüht sich immer wieder um Richtigstellung, jedoch wird ihm nicht geglaubt. Aurora entscheidet den Krieg für sich, aber einigt sich schließlich mit ihrer Schwester auf die Teilung des Reiches. Letztendlich wird die Wahrheit um Rogers Tugendhaftigkeit aufgedeckt und die Vermählung von Roger und Aurora sowie jene von Stella und Lotharius angekündigt. Ausschlaggebend für die Beliebtheit dieses Dramas war vermutlich das Fortuna-Motiv sowie die Thematik der Verstellung. Vielleicht spielte im Kontext des kursächsischen Hofes aber auch die Thematik des Thronstreits eine Rolle, da die Teilung des Reiches erst erfolgt, nachdem Stella den Thronanspruch ihrer älteren Schwester Aurora anerkennt, womit eine gewisse Parallele zu den Erbstreitigkeiten innerhalb des Hauses Sachsen gegeben scheint. Der im Kodex enthaltene Spieltext Aspasia gehört sowohl in Hinblick auf die Adaptionspraxis des Berufstheaters sowie in Bezug auf das Grotesk-Leibliche der comœdiantischen Figuren zu den aufschlussreicheren Texten. Das ursprünglich hofkritische Schäferdrama des Calvinisten Jakob Cats wurde zu einem bühnenwirksamen Unterhaltungsstück umgearbeitet, wenn nicht sogar zu einer Parodie der damals relativ bekannten Vorlage. Aspasia handelt von einer Schäferin, die aufgrund eines wiederkehrenden Traumes davon überzeugt ist, dass sie zur Königin gekrönt wird. Tatsächlich wird sie von Soldaten des Königs entführt und an den Hof gebracht. Sie weigert sich aber, sich dem König hinzugeben, sofern er sie nicht heirate. Als er versucht, sie mit Gewalt zu nehmen, fällt sie in Ohnmacht, woraufhin er nun doch verspricht, sie zu heiraten. Zwischen der Vorlage 881 Vgl.: Palma (2004), S. 48f.

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und der Bearbeitung des Berufstheaters gibt es, wie Caemmerer aufzeigt, erhebliche Unterschiede: Der eigentliche Konflikt – die von der Königsmutter und den Hofdamen geschmiedete Intrige gegen Aspasia, die durch eine Gegenintrige einer anderen Hofdame schließlich aufgedeckt wird – wurde einfach gestrichen und stattdessen eine comœdiantische Figur und mit ihr eine Reihe neuer Szenen eingefügt. Während in der Vorlage die Entführung Aspasias aufgrund reiner Willkür erfolgt, lässt sie der König in der Berufstheaterfassung gezielt entführen. Zudem wurde der Protest des Vaters gegen die Entführung seiner Tochter gestrichen. Stattdessen wird er als einfältiger Mann geschildert, der sich über das Wiedersehen mit Aspasia freut und sich, unwissend was ein König ist, danach erkundigt, ob dieser überhaupt für seine Tochter sorgen könne. Auch Aspasias Verehrer Damon verliert in der Adaption sein Standesbewusstsein und bleibt am Ende bei Hof, anstatt ins Dorf zurückzukehren, das in der Vorlage als der bessere Ort gezeichnet wird. Verändert wurde außerdem eine Szene mit einer Hexe, die in der Vorlage ganz deutlich als Betrügerin dargestellt und in der Berufstheaterfassung zur Zauberin wird.882 Die Szenen mit der eingefügten comœdiantischen Figur Stryx sind stark von karnevalesken Motiven geprägt: Als Gehilfe des in Aspasia unglücklich verliebten Schäfers Damon imitiert er dessen Liebesverzweiflung, indem er sich ebenfalls Rat bei der Zauberin holt. Dabei beschleicht der Verdacht, dass es sich bei seinem Liebesobjekt, das er immer wieder mit doppeldeutigen Aussagen bedenkt, um ein Schaf handeln könnte. Am Hof trifft Stryx auf den Hofnarren Phryx. Nachdem sie miteinander gestritten haben, veranstalten sie ein Trinkgelage und schlafen ein. Als Stryx »außhoselieret« im restalkoholisierten und schlaftrunkenen Zustand einige Lazzi macht und aufwacht, hält er den neben sich schlafenden Phryx für die Göttin Venus. Er weckt Phryx, macht ihm Komplimente und möchte ihn verführen. Phryx erklärt ihm immer wieder, warum er nicht Venus sein kann – er sei ein Mann, er sei angezogen wie ein Mann, er trage einen Bart etc. – aber für Stryx sind das keine stichhaltigen Argumente, sodass es auch Phryx allmählich für möglich hält, die Göttin Venus zu sein und sich von Stryx bewundern lässt: Phryx Wann du mich von forne hast genueg gesehen, so besiehe mich auch von hindten. Stryx Seint das nicht schöne Augen? [127r] Phryx Schöner alß die schönste Spekh-Sau hat, die auf den Mist lieget undt liebauglet. Stryx Ist das nicht ein schönes Nassgen, vergönnet mier mein Schaz, daß ich Eü‹c›h mit meinen Schnupftuech die Nassen schney¨zen möge. Phryx Wiewoll schöne Leithe sonsten gehrne rozig sein, doch waß die Nasse anbelangt, so ist eß nicht nötig[,] selbige zu buzen, wilstu mich aber sunsten schruppen, 882 Vgl. Caemmerer (1998), S. 394–400.

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wenn ich eß begehre, so thuest du mier einen grossen Gefahlen, dan ich habe nicht allemall Papier bey¨ mier. Stryx Das ist ein Maulgen, das ist so roth, alß gebachene Bierne-Suppe; ach du siesse Prattwurst, lasse dir (-Prattwurst-) doch einmahl ein Maulgen geben. Phryx Nun weill du mi‹c›h alß die Göttin Ve n u s so lieb hast, so gib mier erst ein Maulgen auf meinen P o s t e r i o n . Stryx Nichtß liebereß alß disses. Küsset ihm auf den Hindersten. Phryx Hast du dich nicht balt satt geküsset? Stryx O hönigsiesser Geschmach? Wie habe ich mich erquikhet! Phryx Ja die Göttin Ve n u s lasset lauther siessen unndt wollrie‹c›hendten Geschma‹c›h auß dissen Lo‹c›h.883

Die Nase, der Mund, die Wurst, die Körperausscheidungen und -dämpfe, die Verbindung dieser beiden sich vermutlich kontrastierenden Körper, all diese Elemente des Grotesk-Leiblichen884 finden sich hier in einer Ausprägung wie in keinem anderen Spieltext des Kodex. Ginge es nach Julius Bernhard von Rohrs Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft (1733), sollte bei höfischen Veranstaltungen auf szenische Vorgänge wie diese sowohl sprachlich als auch performativ verzichtet werden.885 Rohr verfasste sein Werk aber zu einem Zeitpunkt als sich der neue Kanon des Leibes, jener des individuellen und abgeschlossenen Leibes, wie ihn Bachtin fasst, stärker durchgesetzt hatte als noch im 17. Jahrhundert. Die auffällige Reduktion der Hofkritik sowie deren Ersetzung durch karnevaleske Elemente könnte darauf hindeuten, dass die Umarbeitung der Aspasia im Kontext höfischer Karnevalsfeierlichkeiten erfolgte. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Toleranzbereich gegenüber dem Grotesk-Leiblichen in der höfischen Sphäre des 17. Jahrhunderts je nach Hof und Aufführungskontext variierte: Maria Magdalena von Österreich hob in ihrem Brief an ihren Bruder Ferdinand, in dem sie über das Gastspiel Greens am Grazer Hof 1608 berichtete, u. a. die Züchtigkeit und die Abwesenheit von »pullerey« (Buhlerei, Unzucht) positiv hervor.886 Ein Dedikationsexemplar des Spieltextes Ein verliebter Verdruss oder die duellirende Liebe wiederum, das Andreas Elensons Pickelhering-Darsteller Johann Philipp Riedel 1688 Maria Anna von Lobkowitz widmete und mit jenem des Kodex weitgehend übereinstimmt, weist einige Glättungen auf: Die comœdiantischen Figuren bedienen 883 Kodex Ia 38.589, fol. 126v–127r. 884 Vgl.: Bachtin, Michail: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Frankfurt am Main; Berlin; Wien: Ulstein, 1985. S. 15–23. 885 Vgl.: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft der Großen Herren (1733). Herausgegeben und kommentiert von Monika Schlechte. Leipzig: Edition Leipzig, 1990. S. 809. 886 Vgl.: Meissner, Johannes: Die Englischen Comoedianten zur Zeit Shakespeares in Oesterreich. Wien: Verlag v. Carl Konegen, 1884a (= Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur und des geistigen Lebens in Oesterreich; Bd. 4). S. 78f.

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sich hier immer noch den üblichen Registern comœdiantisch-rhetorischer Strategien, darunter die Verwendung beleidigender Bezeichnungen als Kompliment (»Hure« oder »Rabenaß«) und sexueller Anspielungen (»daß sie die rechten Sontagshoßen seye, Eüres verliebten Unterleibes«887). Eliminiert wurde aber beispielsweise das Missverständnis in Bezug auf die »befleckte Ehre« der Lucile, nämlich »Hat er ihr dann den Flecken neben das Loch gesezet«888, sowie die Andeutung vom »Ding daß Eüch so geküzelt hat«889. Eine systematische Untersuchung von Spieltexten, die in einem eindeutigen höfischen Bezug stehen, könnte einige Anhaltspunkte für Toleranzbereiche und -grenzen in Hinblick auf das Grotesk-Leibliche liefern, jedoch kann diese Thematik im Rahmen dieser Arbeit nicht weiterverfolgt werden.

IV.2.3. Politisches Instrument Wenn die Berufsschauspieler*innen Spielprivilegien für den Herrschaftsbereich ihrer Unterstützer*innen erhielten, ist dahinter auch ihre Indienstnahme als politisches Instrument zu vermuten. Die Frage ist aber, inwieweit etwa mit der Vergabe von Spielprivilegien die gezielte und bewusste Durchsetzung von bestimmten politischen Agenden verknüpft war oder ob diese mehr als Instrument fungierten, die Einhaltung bestimmter politischer und moralischer Parameter zu gewährleisten. Vieles scheint für Letzteres zu sprechen, jedoch gibt es auch Anhaltspunkte für Ersteres, sodass die Vermutung naheliegt, dass dem Berufstheater in Hinblick auf seine Spielplangestaltung unter der Einhaltung bestimmter Einschränkungen freie Hand gelassen, es aber auch punktuell zur Durchsetzung von politischen Agenden herangezogen wurde. Grundsätzlich musste die Erteilung von Spielprivilegien mit dem Bewusstsein einhergehen, dass der gesellschaftliche Nutzen von Theater etwaige potentielle Gefahren übersteigt, zumal Theater immer noch polarisierte und gerechtfertigt werden musste. Die Erteilung von Spielprivilegien setzte eine Haltung voraus, die das Bedürfnis der Bevölkerung nach Vergnügungen anerkannte und ihr diese zugestand. Theater schien zumindest harmloser als andere Vergnügungen, wie etwa Glücksspiel oder Alkoholkonsum890, und wurde nicht zuletzt aufgrund seiner ablenkenden Wirkung als Prävention gegen Unruhen empfohlen891. 887 Riedel, Johann Philipp: Comoedia. Der Verliebte Verdruß oder Die duellirende Liebe (Reichstadt, 1688). Generallandesarchiv Karlsruhe, Hfk-Hs Nr. 6 (Rastatt), fol. 3. 888 Kodex Ia 38.589, fol. 303r. 889 Kodex Ia 38.589, fol. 305r. 890 Vgl.: Martens (1981), S. 23. 891 Vgl.: Oestreich, Gerhard: Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547–1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung. Hg. v. Nicolette Mout. Göttingen: Vanden-

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Zudem konnte es zur Durchsetzung von Verhaltensidealen beitragen, etwa indem es moralische Abweichungen, die häufig auch die Grundlage für den dramatischen Konflikt bildeten, auf der Bühne stattfinden ließ und diese als solche diskursivierte. Die Vergabe von Spielprivilegien ging mit der Kenntnis der Spielpraxis einer Truppe einher und somit auch mit einem Vertrauen darauf, dass die Einhaltung bestimmter Parameter durch diese eher gewährleistet würde als durch eine andere Truppe. Spielprivilegien erhielten häufig den Zusatz, nichts Ungebührliches zu spielen, aber darüber hinaus keine weiteren das Spiel selbst betreffende Vorgaben. Auch die Verträge, etwa jene, die Karl Ludwig von der Pfalz mit Hoffmann & Schwarz oder Velten schloss und die einen Passus zum Spiel in der Stadt erhielten, lassen keinerlei Anzeichen einer Einflussnahme auf den dortigen Spielplan erkennen.892 Andererseits gibt es Anzeichen dafür, dass es punktuell durchaus Einflussnahmen gab: Haekel kommt zu dem Schluss, dass die englischen Comœdianten von Herzog Heinrich Julius zu Braunschweig-Wolfenbüttel gezielt als politisches Instrument zur Meinungsbildung und Verhaltensdisziplinierung der Bevölkerung eingesetzt wurden893. Die Dramen, die er verfasste894 und die er von seiner Truppe spielen ließ, weisen nicht nur einen eindeutigen sozial-didaktischen Impetus895, sondern auch tagespolitische Bezüge auf, wie etwa das Stück Der Fleischawer, in dem einige Passagen fast wortwörtlich mit von ihm verfassten Dekreten zum Innungswesen übereinstimmen896. Ein weiteres Anzeichen für die politische Instrumentalisierung des Berufstheaters findet sich im Zusammenhang mit dem 1724 angefertigten Manuskript Der unglückseelige Todes-Fall des wey¨land Allerdurchlauchtigsten, Großmächtigsten Herrn Herrn Caroli XII, in dem die beiden comœdiantischen Figuren Arlequin und Plapperließgen aufgrund der versuchten Desertion und der Beihilfe dazu am Ende hingerichtet werden.897 Dass sich die comœdiantische Figur dem unmittelbaren Kriegsgeschehen aus Furcht entzieht, ist ein gängiges Motiv, das nicht unbedingt als Verdikt der Feigheit zu interpretieren ist. Es hat auch die Konnotation einer berechtigten Furcht vor dem Krieg – eines Krieges, dessen Ursachen und Motive aus der Perspektive der comœdiantischen Figur gewissermaßen fremdartig und nicht nachvollziehbar erscheinen, auch weil es nicht ihr Krieg, sondern der der Mächtigen ist. Ihr Entzug vom unmittelbaren

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hoeck und Ruprecht, 1989 (= Schriftenreihe der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 38). 132f. Vgl.: Speyer (1922), S. 80f.; – Speyer (1926), S. 70–73; – Anon., (1858), S. 284. Vgl.: Haekel (2004), S. 37. Holland, Wilhelm Ludwig (Hg.): Die Schauspiele des Herzog Heinrich Julius von Braunschweig nach alten Drucken und Handschriften. Stuttgart: 1855. Vgl.: Haekel (2004), S. 37. Vgl.: Haekel (2004), S. 145. Vgl.: Heine (1888), S. 53.

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Kriegsgeschehen wird ihr für gewöhnlich trotz ihres großmäuligen Auftretens nicht übelgenommen oder vorgeworfen und sie wird erst recht nicht bestraft898, weshalb die harte Sanktionierung ihres Desertionsversuchs in diesem Drama sonderbar erscheint. Es ist, als ob dieser szenische Vorgang aussagen wollte, dass die Desertion und die Beihilfe dazu derart schwere Vergehen sind, dass nicht einmal die comœdiantischen Figuren auf Begnadigung hoffen können, womit als Ursache für diese seltsame Abweichung die Durchsetzung einer politischen Agenda, die die Abschreckung vor Desertionsversuchen forciert, naheliegt.

IV.2.4. Herrschaftsregulativ Der zumindest punktuellen politischen Instrumentalisierung des Berufstheaters durch die Regierenden steht eine weitere politische Funktion gegenüber, die auf die Verhaltensdisziplinierung der Regierenden selbst zielt; eine Funktion, die von der Prinzipalin Catharina Elisabeth Velten formuliert wurde. In ihrer Verteidigungsschrift behandelt sie auch das Schauspiel bei Hof und hebt dabei zugleich die herrschaftsregulierenden Funktionen von Theater hervor: Sie nennt die Informierung des Fürsten über reichsinterne Vorgänge, die direkte an den Fürsten gerichtete Kritik über die Rede des Narren sowie über trickreiche Interventionen und schließlich die Ermahnung an die Herrschaftstugenden und -pflichten. Zur Untermauerung dieser Funktionen bedient sie sich keiner zeitgenössischen Beispiele, sondern entnimmt diese verschiedenen gelehrten Quellen, die auf Ereignisse älteren Datums rekurrieren.899 Dass die Berufsschauspieler*innen bei ihren Gastspielen bei Hof ihre Beobachtungen zu reichsinternen Vorgängen mitteilten, ist anzunehmen. Jedoch gibt es keine nachweisbaren Belege einer direkten und intendierten Kritik an Regierenden durch das deutschsprachige Berufstheater und seiner Schauspiele. Es sind aber zumindest zwei Aufführungen überliefert, die angeblich heftige Irritationen auslösten: Rohr berichtet von einem Vorfall, der sich im Umfeld der Krönungsfeierlichkeiten Karls IV. in Prag 1723 zugetragen haben soll. Eine deutsche Truppe hätte »die Tragœdie des zu Stockholm enthaupteten Baron Görzens, nebst beyderseits königlichen Majestäten von Schweden auf eine ungeziemende Weise vorgestellt« und sei nach Beschwerde des schwedischen Hofes mit Arrest be-

898 Im Kodex ist dieses Motiv in zwei Spieltexten, Die flüchtige Königin und Dulcander und Dorella, anzutreffen. 899 Vgl.: Velten (1701), Blatt B2.

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straft worden.900 Es wäre denkbar, dass die Truppe nicht wusste, dass ein schwedischer Gesandter zugegen war, der dem schwedischen Hof später darüber Bericht erstatten würde, da sich auch Anzeichen dafür erkennen lassen, dass das Berufstheater darum bemüht war, selbst fälschliche Bezugnahmen zu verhindern: So wurde beispielsweise anlässlich einer Aufführung von Die Ehrenstatue in Dänemark, »Schweden«, »Norwegen« und »Dänemark« zu »Sizilien«, »Castilien« und »Aragonien« geändert901 oder in Die glückselige Ey¨fersucht, die für den Innsbrucker Hof adaptiert wurde, »Tirol« zu »Villa Real«.902 Zum anderen sei an dieser Stelle nochmals der Zwischenfall anlässlich Veltens Gastspiel bei Karl Ludwig von der Pfalz in Erinnerung gerufen. Karl Ludwig soll das Drama Don Gaston de Moncada auf sich bezogen haben. Karl Ludwig kannte den Inhalt des Dramas bereits und ließ während der Aufführung überprüfen, ob sich die Schauspieler*innen tatsächlich an den Text hielten, was diese auch taten.903 Möglicherweise war es die Darstellung des Tyrannen, die er auf sich bezog. Vielleicht ließ der Schauspieler, der die Rolle des Tyrannen spielte, gestische oder mimische Merkmale Karl Ludwigs bewusst oder unbewusst in sein Rollenspiel einfließen. Karl Ludwig machte sich sowohl mit seiner Pedanterie, die die Truppe Veltens zu spüren bekam, als auch mit seiner angeblich ausgeprägten Sinnlichkeit einen Namen.904 Vielleicht wollten ihm die Schauspieler*innen durch das die Wollust thematisierende Drama einen Spiegel vorhalten. Oder sie ärgerten sich über seine Pedanterie und nutzten die günstige Gelegenheit, die dieses Stück bot, um eine Spitze gegen ihn zu treiben, gegen die er 900 Rohr (1990), S. 805. Georg Heinrich von Görtz (1668–1719) war Minister des schwedischen Königs Karl XII. und wurde 1719 wegen Landesverrats hingerichtet. Es existiert ein ursprünglich 1719 verfasstes Lesedrama, das als Bearbeitungsgrundlage, nicht aber als Spieltext fungiert haben könnte: [Fassmann, David]: Die Wanckelmuth des Glücks, Eine Tragoedie, Worinnen des ehemaligen Gen. Lieutenants von Patkul, Und des Staats-Ministers Baron von Görtz, Besondere Unglücksfälle und Hinrichtungen, Samt deren Ursachen und andern Umständen Gesprächs-weise zu finden. Leipzig: O. V., 1749. Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Pon Zd 1994, QK. 901 Vgl.: Fürlinger (1948), S. 44. 902 Kodex Ia 38.589, fol. 201v. 903 Vgl.: Zimmermann (1904), S. 146; – Speyer (1926), S. 74. 904 Vgl.: Wichert, Adalbert: Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jahrhundert. Daniel Casper von Lohenstein und sein Werk. Eine exemplarische Studie. Tübingen: Niemeyer Verlag, 1991 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 32). S. 110–111; – [Weber, Immanuel]: Lebens-Geschichte/ Der Weyland Durchleutigst. Churfürsten in der Pfaltz/ Friederich des V. Carl Ludwig/ und Carl: Worinnen Die Böhmische Unruhe/ der Dreyssig-jährige Krieg/ die Vicariat- und Wildfangs-Sache/ des Chur-Fürsten Carl Ludwig Liebes-Händel mit der Baronessin von Degenfeld/ und die Langhänsische Sache Durch einen gantz kurtzen Begriff annehmlich beschrieben werden. Köln: 1693; – Anon.: La vie et les amours de Charles Louis electeur Palatin. Köln: Jeremie Plantie, 1692; – Neukirch, Benjamin (Hg.): Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckter Gedichte sechster Teil, nebst einer Vorrede wider die Schmeichler und Tadler der Poesie. Leipzig: Thomas Fritsch, 1709. S. 3–15.

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aber schwer argumentieren konnte, da der gesprochene Text mit dem schriftlich fixierten übereinstimmte. Möglicherweise war es aber auch nur ein Malheur. Der Vorfall zeigt zumindest, dass die Dramen, die das Berufstheater spielte, einen Nerv treffen und eine nicht zu unterschätzende Publikumswirkung hervorrufen konnten. Selbst wenn Velten diese Episode erfunden haben sollte, verweist sie immer noch auf einen Erfahrungshorizont, in dem Vorfälle wie diese möglich waren. Inwiefern das Berufstheater nun, wie Catharina Elisabeth Velten nahelegt, tatsächlich direkte Kritik an Regierenden übte, sei dahingestellt. Dass seine Aufführungen aber auch auf deren Disziplinierung zielten, lässt sich anhand mehrerer Dramen nachvollziehen, die die Konsequenzen einer fehlerhaften Herrschaftspraxis durch die an- sowie durchgespielten Szenarien erfahrbar machen. Nach Koschorke et al. waren eine Reihe von Artefakten (»von Staatstraktaten, Memoranden, ständischen Zeremoniellen, Predigten, Opern bis hin zur Literatur«) Regulative fürstlicher Gewalt, die durch die Implementierung theologisch-moralischer Imperative das Kippen absoluter Herrschaft in Tyrannei zu verhindern suchten.905 Gerade die Spielpraxis des Berufstheaters davon ausschließen zu wollen, etwa über den Verweis auf seine unterhaltende Funktion, lässt sich angesichts der Spieltexte nicht argumentieren, da in ihnen die Maxime einer gerechten Herrschaftspraxis, auch ex negativo, immer wieder beschworen wurde. Die mit seiner Spielpraxis verknüpften Funktion einer Verhaltensdisziplinierung bezieht sich nicht nur auf ein städtisches, sondern auch auf ein höfisches Publikum. Die Spielpläne des Berufstheaters scheinen bei Hof und in der Stadt nicht wesentlich voneinander abzuweichen, treffen im Kontext dieser beiden Sphären aber auf differente Erfahrungsräume und Rezeptionsrahmen. Etwa der immer wieder beschworene Konflikt von Affekt und Herrschaft, auf den im übernächsten Kapitel eingegangen wird (IV. 4.), fungiert im Kontext beider Sphären als Ermahnung zur Affektbeherrschung. Bei Hof aber trifft er auf einen Rezeptionsrahmen, in dem die Affektbeherrschung nicht nur ein wesentliches Element des Herrscherideals ausmacht, sondern in dem der Konflikt von Affekt und Herrschaft sowie dessen weitreichenden Implikationen auch ein genuin vertrauter ist. Im Zentrum des nächsten Kapitels steht die Partizipation des Berufstheaters am Diskurs der Herrschaftslehre, insbesondere seine Positionen in Bezug auf die Bodin’sche Souveränitätskonzeption, der virulenten Frage nach der Zulässigkeit eines Widerstandsrechts gegen Tyrannei und die Differenzierung von gerechter Herrschaft und Tyrannei.

905 Vgl.: Koschorke; Lüdemann; Frank; Matala de Mazza (2007), S. 116.

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IV.3. Das Gespenst der Souveränität Souveränitätsdebatte Die Berufsschauspieler*innen partizipierten mit den von ihnen ausgewählten, bearbeiteten und aufgeführten Dramen am Diskurs der Herrschaftslehre, der von Fürstenspiegeln, Festschriften, philosophischen, rechtlichen sowie staatstheoretischen Abhandlungen und nicht zuletzt der europäischen Dramenproduktion widergespiegelt und getragen wurde. Von weitreichender Bedeutung war die Prägung eines neuen Herrschaftsverständnisses mittels der Neukonzeption des Souveränitätsbegriffs durch Jean Bodin, der in seinem Werk Les Six Livres de la R8publique (1576) die Theorie einer unumschränkten bzw. lediglich durch Gott beschränkten personalen und dauerhaften Herrschaft entwirft.906 Bodin setzt den souveränen Herrscher in die Position des Gesetzgebers, der über dem positiven Recht steht und der Zustimmung anderer nicht bedarf, womit die Stände vom Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen werden, wobei er dem Souverän die Mitwirkung der Stände nahelegt.907 Die von Bodin vorgegebenen Sicherheitsmechanismen zur Unterbindung einer tyrannischen Herrschaft sind limitiert: Sie betreffen die Unveräußerlichkeit des Krongutes sowie die Unantastbarkeit der Thronfolgeregelung, zudem die Verpflichtung, selbst geschlossene Verträge einzuhalten, da der Souverän die Vertragssicherheit garantiert und schließlich die Beschränkungen, die ihm durch das göttliche Recht und das Naturrecht auferlegt sind.908 Jedoch gibt es (außer im Falle eines Usurpators) keine Handhabe gegen einen tyrannischen Herrscher, da Bodin kein aktives Widerstandsrecht gegen den Souverän duldet. Die Untertanen dürfen ihm lediglich auf eigene Gefahr den Gehorsam verweigern oder flüchten, diesen jedoch auf keinen Fall absetzen oder töten.909 Die theoretische Übertragung von Bodins Souveränitätslehre auf das Heilige Römische Reich bereitete aufgrund anderer Voraussetzungen erhebliche Schwierigkeiten910 sowie die staatstheoretische Erfassung des Heiligen Römischen Reiches überhaupt.911 Auf Reichsebene war die Regierungsgewalt des Kaisers stark eingeschränkt, da er ohne Mitwirkung der Reichsstände keine Beschlüsse erlassen konnte. Die Landesfürst*innen hatten wiederum den Kaiser 906 Vgl.: Bodin, Jean: Über den Staat. Auswahl, Übersetzung und Nachwort von Gottfried Niedhart. Stuttgart: Reclam, 2011; – Quaritsch, Helmut: Souveränität. Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jh. bis 1806. Berlin: Duncker und Humblot, 1986 (= Schriften zur Verfassungsgeschichte; Bd. 38). S. 46–65. 907 Vgl.: Bodin (2011), S. 39–46; 68; – Quaritsch (1986), S. 46–48. 908 Vgl.: Bodin (2011), S. 28f.; 34–38; 45; – Quaritsch (1986), S. 51–54. 909 Vgl.: Bodin (2011), S. 56–59; – Quaritsch (1986), S. 54. 910 Vgl.: Quaritsch (1986), S. 46. 911 Vgl.: Beyme, Klaus v.: Geschichte der politischen Theorien in Deutschland, 1300–2000. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2009. S. 99.

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und das Reichskammergericht über sich, das den Untertanen u. a. die Beschwerde gegenüber den Landesfürst*innen ermöglichte.912 Die Rezeption Bodins kreiste im deutschsprachigen Raum vor allem um die Fragen, welche Instanz die Souveränität innehat bzw. haben sollte, welchen Beschränkungen der Souverän unterliegt und inwieweit ein Widerstandsrecht zulässig ist. Diese Souveränitätskonzeption wurde auch von vielen Seiten bekämpft. Darunter war der calvinistische Staatstheoretiker Althusius (1603), der Bodins Souveränitätskonzeption selbst im Falle des legitimen Souveräns (jener, der sich an die Vorgaben des göttlichen Rechts und Naturrechts hält) aufgrund der mangelnden Beschränkungen mit Tyrannei identifizierte. Althusius setzte Bodin eine erweiterte Souveränitätskonzeption entgegen, in der die Souveränität beim Volk bleibt, das – vertreten durch die sogenannten Ephoren – einen oder mehrere lediglich als Verwalter der Souveränität per Herrschaftsvertrag einsetzen und gegebenenfalls absetzen kann.913 Eine andere theoretische Position, die sich um die Erfassung der Besonderheit des politischen Gebildes des Reichs bemühte, mündete ausgehend von einem Brückenschlag zu Althusius in die Konzeption einer dualen Souveränität, die sich aus der maiestas personalis und maiestas realis zusammensetzt. Erstere obliegt dem Kaiser, Letztere aber der – vertreten durch die Reichsstände – respublica, womit der Kern von Bodins Souveränitätsgedanken im Grunde verwässert wurde.914 Eine dritte Position bemühte sich um die Verortung des Kaisers als Souverän, indem sie die Hoheit der Landesfürst*innen vom Kaiser abzuleiten versuchte.915 Eine andere Position übertrug den Souveränitätsgedanken auf die Landesfürst*innen, die in ihren Herrschaftsbereichen nach einem Machtmonopol strebten und die verschiedenen Lebensbereiche ihrer Untertanen zu reglementieren und zu kontrollieren suchten.916 Leibniz etwa »verengte Stellung und Befugnisse des Kaisers auf honor, dignitas und auctoritas, Qualitäten und Ansprüche, die von der Souveränität begrifflich nicht erfaßt waren, die deshalb nicht die Souveränität der Fürsten, im Reich und außerhalb des Reiches berühren könnten.«917

Die Lehre vom aktiven Widerstandsrecht konnte sich im deutschsprachigen Raum kaum durchsetzen. Zu ihren wenigen Anhängern gehörte Althusius, wobei seiner Ansicht nach nur im äußersten Fall davon Gebrauch gemacht und dieses nicht vom einzelnen, sondern nur von den Ephoren ausgeübt werden 912 913 914 915 916 917

Vgl.: Oestreich (1974). S. 40–43. Vgl.: Koschorke; Lüdemann; Frank; Matala de Mazza (2007), S. 100–102. Vgl.: Quaritsch (1986), S. 73; – Beyme (2009), S. 103. Vgl.: Beyme (2009), S. 102. Vgl.: Oestreich (1974), S. 71–81. Quaritsch (1986), S. 78.

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dürfte. Ansonsten wurde mehrheitlich ein passives Widerstandsrecht, wie es Bodin skizzierte, vertreten.918 Mit dem Reichskammergericht gab es auch einen rechtlichen Weg, gegen Beschlüsse und Handlungen der Landesfürst*innen vorzugehen, jedoch waren die Prozesse mühsam.919 Fürstenspiegel und Drama Wenn das Berufstheater in seinen Dramen von Königen und Königinnen handelt, sind in Hinblick auf die Disziplinierung der Herrschenden auch die Landesfürst*innen, vor denen es spielte, adressiert. Gabriel Tzschimmer fügte seiner Beschreibung des sächsischen Festzyklus Die durchlauchtigste Zusammenkunfft, an der das Berufstheater aktiv partizipierte (vgl.: IV. 2. 1.), einen erläuternden Teil hinzu, der u. a. einen Exkurs zur gerechten Herrschaft (Der mit Recht und Gerechtigkeit auf dem Throne sitzende König/ und dessen darbey sich ereignenden Königlichen Tugenden/ löblichsten Verrichtungen/ und herrlichsten Thaten) beinhaltet.920 Dieser Exkurs, der nicht zuletzt als Interpretationshilfe für die Aufführungen des Berufstheaters fungieren konnte, handelt zwar von Königen, bezieht sich aber auch implizit auf den sächsischen Kurfürsten sowie auf die Sekundogenitur-Fürsten von Sachsen-Weißenfels, Sachsen-Merseburg und Sachsen-Zeitz, da der Anlass für Die durchlauchtigste Zusammenkunfft das Zusammentreffen jener Fürsten war. Tzschimmers Ausführungen weisen inhaltliche Übereinstimmungen mit Fürstenspiegeln auf, die ihm als Grundlage dienten. Die Gattung der Fürstenspiegel überliefert zeitgenössische Vorstellungen zum idealen Verhalten von Fürst*innen und widmet sich vor allem den für das Herrscheramt notwendig erachteten charakterlichen Dispositionen. Bruno Singer definiert sie als Schriften, »worin das Musterbild eines Fürsten aufgestellt wird, in der Grundsätze, Normen und Regeln für das Verhalten eines Herrschers gegeben, besprochen und mit geschichtlichen Beispielen belegt werden.«921 Während Fürstenspiegel bis zum ausgehenden Mittelalter auch als Medium zur Vermittlung staatsphilosophischer und -theoretischer Gedanken und Lehren herangezogen wurden, verlagerte sich mit der Frühen Neuzeit der Schwerpunkt auf moralische und pädagogische Grundsätze.922 Auch jene Dramen des Kodex, die sich näher mit den Herrschenden befassen, beschränken sich weitgehend auf 918 Vgl.: Beyme (2009), S. 88; 97f.; 103; 122f. 919 Vgl.: Oestreich (1974), S. 62f.; – Vogler, Günter : Absolutistische Herrschaft und ständische Gesellschaft. Reich und Territorien von 1648 bis 1790. Stuttgart: Ulmer, 1996. S. 99. 920 Tzschimmer (1680), Bd. 2., S. 287–353. 921 Bruno Singer, zitiert nach: Müller, Rainer A.: Die Deutschen Fürstenspiegel des 17. Jahrhunderts. Regierungslehren und politische Pädagogik. In: Historische Zeitschrift 240 (1985), S. 571–597. Hier: S. 578. 922 Vgl.: Müller (1985), S. 574.

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moralische Gesichtspunkte und diskursivieren Themen und Motive, die konstitutiv für die Fürstenspiegel sind. Tatsächlich wurden deren Inhalte nicht selten von Dichter*innen und Dramatiker*innen aufgenommen.923 Fürstenspiegel sind in erster Linie an die (zukünftigen) Fürst*innen adressiert924 und erheben den Anspruch, auf deren Verhalten einzuwirken. Dabei bedienen sie sich zur Untermauerung der aufgestellten Grundsätze historischer Vorbilder sowie abschreckender Beispiele und empfehlen mitunter bestimmte Remedien zur Verhaltensänderung. Eine ähnliche Funktion kommt den betreffenden Dramen zu, sofern diese vor Fürst*innen gespielt wurden und den in den Fürstenspiegeln zusammengetragenen Grundsätzen im Modus des Spiels Plastizität verliehen. Während Fürstenspiegel aber den reichhaltigen Vorrat an Beispielen zumeist ausschöpfen und diese jeweils in einigen Zeilen wiedergeben, konzentrieren sich die betreffenden Dramen auf ein Exempel, wobei weder kontrastive Darstellungen noch der rhetorische Gebrauch von Beispielen zur Verdeutlichung eines Sachverhalts ausgeschlossen sind. Im Hinblick auf den erweiterten Adressatenkreis der Fürstenspiegel lassen sich zwei Positionen beobachten: Die eine konzentriert sich vor allem auf die Fürst*innen (bzw. auch den Hof und die Regierungsbeamten) mit dem Argument, dass deren Handlungen in faktischer und moralischer Hinsicht entscheidende Auswirkungen auf das gesamte Reich haben, da die Fürst*innen sowohl mit der Durchsetzung bestimmter Maßnahmen als auch durch ihr positives Beispiel für das Wohl und das moralische Verhalten der Untertanen verantwortlich sind und dieses beeinflussen. Diese Position vertritt u. a. der Niederländer Justus Lipsius in seiner Schrift Politicorum sive civilis doctrinae libri sex (1589), die an Fürsten adressiert ist, den Adressatenkreis aber auf die Träger der staatlichen Ordnung erweitert und darauf hinweist, dass seine Schrift De constantia (1584) an die Bürger gerichtet war, um diese zum Gehorsam zu erziehen.925 Während Gehorsam und Duldsamkeit die Pflicht der Untertanen ist, trägt der Fürst die Verantwortung für das Wohl der Untertanen. Die zweite Position erweitert mit unterschiedlichen Intentionen den Adressatenkreis auf ein breiteres Publikum: Zum einen, um der Bevölkerung politische Zielsetzungen verständlich zu machen und diese dafür zu gewinnen. Zum anderen, um die Bevölkerung politisch zu bilden – auch dahingehend, dass diese ein Wissen um ihre Rechten und Pflichten sowie um jene der Fürst*innen er-

923 Vgl.: Mühleisen, Hans-Otto; Stammen, Theo; Philipp, Michael (Hgg.): Fürstenspiegel der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main; Leipzig: Insel Verlag, 1997 (= Bibliothek des deutschen Staatsdenkens, Bd. 6). S. 13f. 924 Vgl.: Müller (1985), S. 572. 925 Vgl.: Oestreich (1989), S. 108–113.

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langt. Zuletzt stießen Fürstenspiegel aber auch aufgrund der Neugier für die Schwächen der Herrschenden auf das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit.926 In Analogie zu den Adressatenkreisen der Fürstenspiegel lassen sich je nach Aufführungskontext dieser Dramen bestimmte Funktionen ableiten: In der höfischen Sphäre fungieren sie als Supplement zur Fürstenerziehung und können als Bestandteil jenes Kompendiums von Maßnahmen verstanden werden, das den (zukünftigen) Fürst*innen die Lehre von den Tugenden und Lastern, wie Erasmus von Rotterdam fordert, »einprägen, einhämmern, ja geradezu aufdrängen« soll, d. h. sie in jeder Weise immer erneut in Erinnerung bringen, bald durch ein Sprichwort, bald durch eine Erzählung, ein Gleichnis, ein Verhaltensmuster, eine Sentenz oder einen Sinnspruch. Man muß diese Lehren in Ringe eingravieren, in Wandbildern darstellen, auf Spruchbändern und überhaupt bei allen Gelegenheiten anbringen, die diesem Alter Freude machen. Sie müssen überall ins Auge fallen, selbst wenn ganz andere Aufgaben gestellt sind.927

In der städtischen Sphäre aber kommt ihnen neben der Sozialdisziplinierung die Vermittlung eines Wissens um die Rechte und Pflichten von Fürst*innen – vor allem in Hinblick auf die Grenzen der fürstlichen Prärogative – sowie eine unterhaltende Funktion zu, indem sie der Neugierde für die Schwächen der Großen Genüge tun. Souveränität und Widerstandsrecht Es sind zehn von vierzehn Dramen des Kodex, in denen Staatsthematiken einen prononcierteren Stellenwert einnehmen (Die flüchtige Königin, Der Schwehst, Der Kohlenbrenner, Amor der Ty¨rann, Dulcander und Dorella, Titus und Aran, Oronthea, Die glückselige Ey¨fersucht, Aspasia, Aurora und Stella). Mit Ausnahme von drei Dramen liegt ihnen ein dezidiert souveränes Herrschaftsverständnis zu Grunde. Die fiktiven Könige und Königinnen haben hier die alleinige Gesetzesund Befehlsgewalt inne und es gibt keine andere rechtlich-legitimierte Instanz, die sie beschränkt. Bei den Dramen Oronthea, Der Schwehst und Der Kohlenbrenner hingegen finden sich Elemente, die der Bodin’schen Souveränitätskonzeption entgegenzustehen scheinen. In Oronthea (vgl. auch IV. 4. 1. 1.) scheint eine rechtlich-legitimierte Instanz vorhanden, die die Gewalt der Königin beschränkt: Der Rat droht hier der Königin, dem Senat und dem Volk seine »Gedancken wegen dieser Eürer Leichtsinnigkeit und Thorheit zu verstehen geben.«928 Es geht weder hervor, welche Funktion der Senat erfüllt noch welche Konsequenzen dieses Vorgehen 926 Vgl.: Mühleisen; Stammen; Phillipp (1997), S. 15f.; – Rotterdam (1968), S. 16; 18; 26. 927 Rotterdam (1968), S. 51f. 928 Kodex Ia 38.589, fol. 591v.

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nach sich ziehen würde, aber die Drohung erscheint ausreichend, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Der Schwehst wählt als Ausgangssituation das Szenario eines abwesenden Königs, der während seiner Abwesenheit zwei Herzöge als Gouverneure einsetzt, wovon einer das Machtvakuum zur Erlangung der absoluten Herrschaft ausnutzen möchte. Es ist das einzige Drama, in dem die Wendung »absoluter König«929 fällt. Mit dem absoluten Königtum verbindet der machthungrige Herzog von Anjou die alleinige Befehls- und Gesetzgebungskompetenz: »Mein Wortt soll ein Reichsabschiedt [sein], indem ich überall S t a t u t e n nach meinen Gefahlen aufrichten will […].«930 In Kontrast dazu wird die gemeinschaftliche Obsorge über die Krone, der die Stände und der König zugleich angehören, betont. Auf der bildlichen Ebene erfolgt diese Betonung mit der ersten Szene: Der König wird von seinen Räten begleitet, wovon einer die Krone, ein anderer den »Pilgramshabit« mit sich führt. Der König übergibt den beiden Herzögen die Krone zur gemeinsamen Verwahrung, bevor er seine Pilgerreise antritt.931 Die Krone befindet sich inmitten der Räte, des Königs und der beiden Herzöge. Niemand trägt sie am Haupt, auch nicht der König, der sich in einem Schwellenzustand zwischen dem Status des Königs und des Pilgers befindet, und damit schon in diesem Moment abwesend scheint. Das Bild ist ambivalent, da es zum einen die gemeinsame Obsorge der Krone und die Mitbestimmungskompetenz der Stände anzudeuten scheint, zum anderen aber die Berührung der Krone durch Glieder statt durch ein Haupt auf die kommende Krisensituation hindeutet, die durch das Fehlen des Hauptes ihren Anfang nimmt. Die Krone selbst wird in diesem Kontext schwer zu fassendes Symbol: Sie verbleibt an dem Ort, den sie repräsentiert, d. h. in dem Territorium mit seinen in ihrem Geiste verpflichteten Untertanen, während der Repräsentant diesen verlässt. Sie erscheint in diesem Sinne als ein Gegenstand, den es zu verwahren, um den es Sorge zu tragen gilt. Diejenigen, die sie verwahren, bzw. derjenige, der sie am Haupt trägt, wird mit der Obsorgepflicht und einer Handlungs- bzw. Befehlskompetenz ausgestattet. Im Laufe des Dramas wird während der Abwesenheit des Königs stets die Notwendigkeit der gemeinsamen Entscheidung betont bzw. auch darauf ver-

929 Kodex Ia 38.589, fol. 409v. Der Begriff »Souverän« oder seine Ableitungen findet sich in keinem einzigen Stück des Kodex, was auf seine späte Eindeutschung zurückzuführen ist und zu Beginn vor allem die äußere Souveränität meinte. Die Rezeption Bodins vollzog sich vor allem im Kontext der lateinischen Übersetzung in welcher Souveränität mit »majestas« übersetzt wurde. Vgl.: Quaritsch (1986), S. 81–95. 930 Kodex Ia 38.589, fol. 409v. 931 Vgl.: Kodex Ia 38.589, fol. 403v.

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wiesen, dass auf die Rückkehr des Königs zu warten ist.932 Unklar bleibt, ob die Mitbestimmungskompetenz der Stände nur für den Zeitraum der Abwesenheit des Königs gilt und dieser mit seiner Rückkehr die alleinige Befehlsgewalt zurückerhält. Dies würde zumindest die folgende Aussage nahelegen, die die Verurteilung des machthungrigen Herzogs betrifft: Epernone Me d i n a [,] ich khan es nicht thuen vor mein Persohn allein, dieweil er ein Mitglidt deß Reichs ist, er mueß von allen Fürsten und Stendten sein Urth[ei]l empfangen‹.› Aber sobaldt mein gnedigister Herr der König widerumb anhero gelanget, welches in Kurzen geschehen wirdt, mag er mit ihm thuen nach seinen gnedigsten Gefallen. Underdessen khan ich nicht mehr, alß ihn wohl in Verwahrung halten zu lassen.933

Die Ablehnung oder Befürwortung von Bodins Souveränitätskonzeption lässt sich nicht eindeutig ableiten, da die Frage nach der Mitwirkung der Stände während der Anwesenheit des Königs bis auf die erste Szene nicht beleuchtet wird. Jedoch gibt es Anzeichen für eine Ablehnung der unbeschränkten Herrschaftsgewalt des Königs, da zum einen der Wille nach dem absoluten Königtum von einer negativ konnotierten Figur artikuliert und zum anderen die Gemeinschaftlichkeit der Stände sowohl bildlich als auch sprachlich betont wird. In Der Kohlenbrenner (vgl. auch IV. 4. 1. 5.) wiederum gibt es sowohl Anzeichen für die Befürwortung eines aktiven Widerstandsrechts sowie die Andeutung einer an Althusius angelehnten erweiterten Souveränitätskonzeption. An einer Stelle wird von dem sich um das Reich sorgenden Kämmerer Alpherino zumindest theoretisch der Einsatz von Gewalt gegen den tyrannischen König erwogen: […] Eüere alzugroße Gedult wirdt hier nits vermögen, man muß sich hier eines hohen Verstandts oder endlich der Gewalt gebrauchen, ein König wirdt verehrt von den Volckh, weil er der Gerechtigkeit und aller Tugent Schüzer ist, und wo ers nit thut, so ist er eben darüm kein König, sondern ein stolzer aufgeblaßener P h a [ t o n , welcher den Fall zu fürchten hat.934

An anderer Stelle wird unter Zuhilfenahme der Tiermetaphorik – der König wird nicht als Löwe, sondern als Leopard oder Tiger und nicht als Adler, sondern als Habicht bezeichnet – die Möglichkeit seines Sturzes angedeutet: Elysa Ein wilder Le op a r d t , so er sich einmahl von der Ketten loßgerießen, kan schwerlich ohne vieler Menschen Lebenßgefahr gefangen werden: Der König hat sich von Gesazen und der zähmen Menschheit loßgemacht, seine wilde Freiheit will mit Menschen- ja königlichem Blut getrencket sein! O armseelieges Königreich, in 932 Vgl.: Kodex Ia 38.589, fol. 406r ; 433v ; 453v. 933 Kodex Ia 38.589, fol. 433v. 934 Kodex Ia 38.589, fol. 142r.

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was vor schwere Dienstbarkeit bistu gerathen, indem du einen Tyrannen zinßbar, und einen graußamen Ty¨ger unterthänig worden. Alpherino Gnedigste P r i n c e s s i n , die Hofnung der Beßerung verursachet dieße Gedult, soll er aber fortfahren, so wirdt er sehen, daß das Reich König, er aber ein übermütieger Tyrann sey¨. Elysa Wer wirdt sich aber unterstehen einen Wilden einzulegen, vor welchen Grausamkeit die Menschen alß die Täublein vor den Habicht erschrecken. Alpherino Ein Habicht[,] so er sich allzu offt an den Täublein vergreifft, wirdt endlich selbst von der Vögelschaar gestoßen, und so kan es auch dem König ergehen.935

Alpherinos Wendung, »daß das Reich König, er aber ein übermütieger Tyrann sey¨«, ließe sich dahingehend interpretieren, dass die Souveränität bei dem Reich, also bei den Ständen bzw. dem Volk liegt, die dem König zur Verwaltung übertragen wurde. Aus diesen Passagen eine konkrete dem Drama zugrundeliegende Herrschaftskonzeption abzuleiten ist nicht möglich. Auffällig ist, dass das Königtum hier nicht bedingungslos gedacht wird, dass sich die Legitimation des Königs daran bemisst, ob er den an das Königsamt gebundenen Verpflichtungen nachkommt. Zugleich gibt es keine Hinweise auf die Mitbestimmungskompetenz der Stände, weshalb die Konzeption einer an Bedingungen geknüpften übertragenen Souveränität naheliegt. Die Erwägung Gewalt gegen den König einzusetzen und ihn zu stürzen findet nur auf einer gedanklichen Ebene statt, Alpherino leitet aber keine dahingehenden Schritte ein. Es sind nicht seine Gedanken, die zum Tod des Königs führen. Sie scheinen mehr distanzierte Warnung in Hinblick auf die möglichen Konsequenzen königlichen Fehlverhaltens sowie als Vorbereitung des Publikums auf den späteren gewaltsamen Tod des Königs zu sein. Die Ermordung des Königs erfolgt unbeabsichtigt und aus Notwehr – der König ist als Bote verkleidet und in Begriff, den als Kohlenbrenner verkleideten Prinz Melanor töten zu lassen. Beide wissen also nicht um die wahre Identität des anderen. Nachdem Melanor den König getötet hat, soll er dem Gesetz nach für den von ihm begangenen Königsmord hingerichtet werden. Durch die Enthüllung seiner wahren Identität verliert das Gesetz, das nur den Königsmord durch Untertanen sanktioniert, nicht aber durch Personen königlichen Geblüts, seine Gültigkeit. Zumindest hier findet sich eine gewisse Überschneidung mit Bodin, dem der Tyrannenmord durch einen anderen Fürsten im Gegensatz zur Ermordung durch Untertanen legitim erscheint, wobei er immer noch den Prozess der Ermordung vorzieht.936 Auch in Dulcander und Dorella stirbt der König durch die Hand eines scheinbaren Untertanen (Dulcander), der das Leben der Fürstin Daphnide 935 Kodex Ia 38.589, fol. 147r. 936 Vgl.: Bodin (2011), S. 57.

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verteidigt, just in einem Moment, in dem er nicht als König erkennbar ist. Hier hätte zwar die Tötung des Königs, die sich im Kriegsgeschehen ereignet, keine Konsequenz für den Königsmörder, jedoch nimmt auch Dulcander ein tragisches Ende. Anders verhält es sich bei Titus und Aran (vgl. auch IV. 4. 1. 4.), wo Saturninus als Kaiser erkennbar ist, seine Ermordung sich im Affekt der Rache ereignet und keine Konsequenz für denjenigen, der ihn tötet, nach sich zieht. In Die flüchtige Königin handelt es sich bei dem Tyrannen um einen Usurpator, der nach seiner Entmachtung sein Leben gewaltsam verliert – für Usurpatoren gelten aber andere Bestimmungen. Das aktive Widerstandsrecht wird im Kontext dieser Dramen weder direkt abgelehnt noch bedingungslos befürwortet, es verbleibt ambivalent: Es gibt in ihnen kein Recht auf aktiven Widerstand durch Untergebene, die Tyrannenmorde ereignen sich aus Versehen, Notwehr bzw. Verteidigung und im Affekt. Sie werden weder geplant noch führt die Erwägung von Gewalt dazu. Dennoch geht mit ihrer Ermordung eine allgemeine Erleichterung einher. Ihre Ermordung erscheint nachvollziehbar, nicht aber direkt legal, sie hat in einem Graubereich stattgefunden. Diese Dramen werfen die Frage nach der Zulässigkeit eines aktiven Widerstandsrechts auf, ohne selbst eine klare Stellung zu beziehen. Zugleich verdeutlichen sie, dass ein Tyrann immer einen gewaltsamen Tod finden kann, ob dessen Ermordung nun zulässig ist oder nicht, womit sie die extremen Konsequenzen einer tyrannischen Herrschaftspraxis vor Augen führen. Es gibt ein Drama im Kodex, Riemers Amor der Ty¨rann (vgl. auch IV. 4. 1. 3.), in dem als einzig zulässiges Mittel gegen die wahngeleitete Tyrannis des Königs nur die Gehorsamsverweigerung gilt, womit das Drama Bodins Ausführungen zur tyrannischen souveränen Herrschaft und der begrenzten Möglichkeiten ihrer Handhabe aufnimmt.937 Die von der Königin geplante Ermordung wird verhindert und gilt trotz der Lasterhaftigkeit des Königs und seines späteren Wahnsinns als nicht zulässig. Lediglich das besonnene Verhalten des Feldhauptmannes, der die Befehle des Tyrannen nicht umsetzt, führen zu einer Läuterung des Königs und zu einem glücklichen Ausgang. Dabei stellt der Feldhauptmann die Autorität des Königs nie in Frage und bemüht sich um die Wahrung dessen Ansehens. Dieses Drama ist weder Plädoyer für die personale 937 »Noch heiliger und unverletzlicher als der Vater ist der Fürst, da er von Gott eingesetzt und gesandt ist. Darum sage ich, daß der Untertan niemals etwas gegen seinen souveränen Fürsten unternehmen darf, so böse und grausam er als Tyrann auch sein mag. Jedoch ist es erlaubt, den Gehorsam in einer gegen das Gesetz Gottes oder der Natur gerichteten Sache zu verweigern, indem man sich flüchtet, verbirgt oder gar den Tod nicht scheut. Ausgeschlossen ist aber eine gegen Leben oder Ansehen des Königs gerichtete Maßnahme.« Bodin (2011), S. 58f.

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Souveränität nach Bodin noch lehnt es diese ab. Es nimmt sie als gegebenen Ausgangspunkt und versucht Taktiken der Handhabung aufzuzeigen, dennoch führt es unweigerlich die Möglichkeit einer alptraumhaften Konsequenz dieser Herrschaftskonzeption vor Augen. König und Tyrann Worin besteht nun nach Bodin der Unterschied zwischen einem König bzw. einem legitimen Souverän und einem Tyrannen, und welche dieser Merkmale finden sich in den Dramen des Kodex? Die erste Differenz betrifft die für Bodin notwendige Einhaltung des göttlichen Rechts und Naturrechts (bei Bodin »Naturgesetz«). In Amor der Ty¨rann äußert sich die Nichtanerkennung dieser Rechtsinstanzen samt dem Willen zur Zerstörung der gesamten Schöpfung am extremsten: Der Tyrann verfasst in seinem Wahnsinn Todesurteile für die gesamte Menschheit. Selbst die Toten möchte er nochmals töten und befiehlt seinem Feldherrn das Meer auszusaufen, den Wind mit einem Beutel einzufangen sowie ein Mahl aus Menschenfleisch zuzubereiten. Die nächste Differenz, die Bodin aufmacht, bezieht sich auf das Streben nach Frömmigkeit, Gerechtigkeit und Glauben, das dem Tyrannen fehle.938 Frömmigkeit und Glaube sind als Herrschertugenden in den Dramen des Kodex schwer zu fassen bzw. ambivalent, was auch damit zusammenhängt, dass mehrere Dramen nicht im christlichen, sondern im arabischen Raum oder im antiken Rom spielen. Jedoch ist gerade in diesen Dramen die Instanz der Religion durch heidnische Priester explizit präsent. In Titus und Aran fordert der Glaube, dass Gott Mars ein Menschenopfer dargebracht wird. Der Kaiser verstößt aufgrund seiner unkeuschen Begierde zur gotischen Königin gegen diese Verpflichtung und begeht damit einen kardinalen Fehler, aus dem der gewaltsame Tod von nahezu allen handelnden Personen inklusive seiner selbst resultieren wird. Durch die Notwendigkeit des Menschenopfers gerät das christliche Publikum dieses Dramas in eine zwiespältige Lage, da Menschenopfer mit dem Christentum unvereinbar sind, zugleich die Nichtausführung dieses Ritus als klarer und an Konsequenzen reicher Verstoß gegen die (heidnische) göttliche Ordnung erkannt wird. Ansonsten kommt der christlichen Frömmigkeit als Herrschertugend mit Ausnahme von Der Schwehst – wobei die Pilgerreise des Königs die Ereignisse erst ermöglicht – keine explizite Bedeutung zu. Die Gerechtigkeit nimmt hingegen eine vielfach bedeutsamere Rolle ein und äußert sich in ungerechten oder falschen Urteilen sowie dem Missbrauch des Rechts aus egoistischen Motiven, etwa wenn sich Handelnde auf die Gerechtigkeit zur Rechtfertigung ungerechter Handlungen berufen. 938 Vgl.: Bodin (2011), S. 54.

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Ein weiteres Unterscheidungskriterium Bodins zielt auf das Gesamtwohl des Staates, das durch eigennütziges Verhalten untergraben wird: »Der eine tut alles für das Wohl seiner Untertanen, der andere arbeitet nur für seinen eigenen Vorteil, seine Rache oder sein Vergnügen.«939 Die Mehrheit der fiktiven Potentat*innen des Kodex wird mit dem Konflikt zwischen Staatswohl und Eigeninteresse konfrontiert. Zumeist ist es Liebeswahn oder Begierde, worüber die Könige und Königinnen das Staatswohl vergessen und es gefährden. Weitere Unterscheidungsmerkmale, die Bodin anführt und die im Kodex eine Rolle spielen, betreffen die Fähigkeit bzw. Unfähigkeit Kritik anzunehmen940 sowie die Gründung des Staates auf Liebe bzw. Furcht, was nicht nur bedeutet, dass der Souverän seine Untertanen liebt bzw. von ihnen gefürchtet wird, sondern auch, dass sie ihn lieben bzw. er die Untertanen selbst fürchtet.941 In Der Kohlenbrenner etwa ist die Furcht des Königs vor seinen Untertanen aufgrund eines immer wiederkehrenden Traumes das zentrale Motiv. Andere Merkmale, die Bodin angibt, spielen im Kontext des Kodex entweder keine Rolle oder leiten sich direkt aus den bereits erwähnten Kriterien ab. Bodin weist aber darauf hin, dass die Unterscheidung von gerechten und tyrannischen Handlungen nicht immer einfach sei, da Potentaten in bestimmten Fällen unliebsame, jedoch notwendige Maßnahmen treffen müssen.942 Die Erinnerung an die Herrschertugenden und -pflichten vollziehen sich im Kontext des Kodex mehrheitlich ex negativo. So gibt es im gesamten Kodex nur einen Potentaten, der über die Einhaltung der Tugenden eine positive Vorbildfunktion erfüllt, nämlich Herzog Ludwig von Burgund in Der Schwehst. Die anderen fiktiven Potentat*innen stehen entweder nicht im Fokus, sind ohnehin Tyrannen oder weisen bestimmte Schwächen auf, die sie mit Tyrannen gemein haben. Diese Schwächen lassen sich immer auf eine mangelnde Affektkontrolle zurückführen, die in Tyrannei oder zumindest in tyrannische Tendenzen mündet. Beim Tyrannen ist die Fähigkeit zur Affektkontrolle außer Kraft gesetzt und macht im Kontext der diskutierten Dramen die entscheidende Differenz zwischen König und Tyrann aus. In diesem Sinne fokussieren die Dramen des Kodex immer die Kardinaltugend temperantia (Mäßigung), ohne die weder sapientia (Weisheit) noch iustitia (Gerechtigkeit) möglich sind, da die mangelnde Affektbeherrschung die Gedanken vernebelt und ungerechte Urteile zur Folge hat. Die Ermahnung zur Affektbeherrschung nimmt in der herrschaftsdiskursivierenden Literatur eine wichtige Position ein, wenn ihr auch häufig andere Eigenschaften vorgeordnet werden. Dazu zählt die Gottesfurcht, von der 939 940 941 942

Bodin (2011), S. 54. Vgl.: Bodin (2011), S. 54. Bodin (2011), S. 54–55. Vgl.: Bodin (2011), S. 55.

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gerechtes und ethisch richtiges Handeln ausgeht, da Gott die einzige über dem Souverän stehende Instanz ist, vor der sich dieser zu verantworten hat. Körper und Körpermetapher Gabriel Tzschimmer leitet seinen Exkurs zur gerechten Herrschaft mit der Feststellung ein, dass es jenem »Könige/ welcher seinen Leib mit Vernunft zu regieren weiß« nicht an »Macht und Gewalt« mangeln wird.943 Tzschimmer rekurriert damit auf die Körpermetapher des Staates, lässt aber auch die Möglichkeit zu, diese Aussage auf den biologischen Körper des Königs zu beziehen und schafft damit ein spiegelbildliches Verhältnis zwischen dem metaphorischen Staatskörper und dem biologischen Körper des Königs. Wenn in den Dramen des Berufstheaters der an affektivem Ungleichgewicht erkrankte Körper des Königs oder der Königin in den Vordergrund gerückt wird, impliziert das auch immer die vom Haupt ausgehende Erkrankung des gesamten Staatskörpers. Im englischen Rechtsdenken der Frühen Neuzeit existierte die Auffassung von den zwei Körpern des Königs, die Kantorowicz u. a. in den Shakespear’schen Dramen nachgewiesen hat.944 Der König hat dieser Rechtsauffassung nach zwei Körper bzw. Kapazitäten in sich: einen sterblichen biologischen bzw. natürlichen und einen unsterblichen politischen bzw. symbolischen Körper, der den Staatskörper inkorporiert. Diese beiden Körper enthalten einander – der natürliche Körper des Königs ist Teil des Staatskörpers, der wiederum in dem natürlichen Körper des Königs inkorporiert ist.945 Die Ausdeutung dieser Auffassung führte zu teils inkonsequenten Deduktionen in Hinblick auf das Zusammenwirken und die Eigenschaften dieser beiden Körper, die einen Körper bilden. Der politische Körper des Königs ist frei von Schwächen und Sterblichkeit und suspendiert damit die Unvollkommenheit (die Anfälligkeit für Krankheit und Leidenschaften sowie die Sterblichkeit) des natürlichen Körpers.946 Mit dem Tod des natürlichen Körpers stirbt der politische Körper aber nicht, sondern die Kapazitäten trennen sich voneinander und der politische Körper geht auf einen anderen natürlichen Körper über (demise).947 Andererseits aber war es dem Parlament möglich, Karl Stuart bzw. seinen natürlichen Körper, im Namen des Königs, d. h. des politischen Körpers, wegen Hochverrats zu Tode zu verurteilen948 – »We fight the king to defend the King«949. 943 Tzschimmer (1680), Bd. 2., S. 287. 944 Vgl.: Kantorowicz, Ernst H.: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters. München: DTV, 1994. S. 47–63. 945 Vgl.: Kantorowicz (1994), S. 31–33. 946 Vgl.: Kantorowicz (1994), S. 33–35. 947 Vgl.: Kantorowicz (1994), S. 37. 948 Vgl.: Kantorowicz (1994), S. 44–46. 949 Zitiert nach Kantorowicz (1994), S. 42.

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Nach Kantorowicz zeichnet Shakespeares Drama König Richard II. minutiös das Auseinanderfallen der Einheit dieser beiden Kapazitäten nach und nimmt damit das spätere Schicksal Karl Stuarts vorweg. Das Hervortreten des natürlichen Körpers, die Narrheit des Königs, das Ringen um den symbolischen Körper, das Ablegen der königlichen Insignien950 sind allesamt Motive, die sich auch immer wieder in den Dramen des Kodex finden und auf eine Dialektik zwischen dem symbolischen und dem natürlichen Körper verweisen, auf ein Drama, das sich im Körper des Königs oder der Königin abspielt. Die Verwendung der Metapher des symbolischen Körpers eignet sich, um den König und seinen Körper betreffende Vorgänge, beispielsweise die Fähigkeit bzw. Unfähigkeit das Königtum zu verkörpern, zu erfassen. Es soll hier, um Missverständnissen vorzubeugen, keinesfalls die Behauptung aufgestellt werden, die Berufsschauspieler*innen hätten bewusst diese Auffassung der zwei Körper des Königs aufgegriffen, vielmehr finden sich in diesen Dramen in Bezug auf den Körper des Königs bzw. der Königin Motive, die implizit auf einen symbolischen Körper verweisen oder sich zumindest mit Rekurs auf einen solchen beschreiben lassen. Mangelnde Affektbeherrschung, die in diesen Dramen mit dem Hervortreten des natürlichen Körpers einhergeht, lässt den symbolischen Körper bis hin zur Ablösung in den Hintergrund treten, wodurch der König bzw. die Königin Gefahr läuft, nicht mehr als solcher/ solche anerkannt bzw. tatsächlich nicht erkannt zu werden (Der Kohlenbrenner und Dulcander und Dorella). Die Notwendigkeit zur Affektkontrolle der Regierenden liegt ergo nicht nur im Interesse des Reiches, sondern muss im Sinne des Selbstschutzes auch in jenem der Regierenden selbst liegen. Denn wenn die Regierenden der Dramen des Kodex auch nicht immer ermordet werden, erscheinen manche von ihnen aufgrund ihrer Affektverfallenheit zumindest zeitweise als lächerlich, was einem Autoritätsverlust gleichkommt. Im nächsten Unterkapitel werden jene Dramen des Kodex, die den Konflikt zwischen Herrscherpflicht und Affekt zum Gegenstand haben, in Bezug auf ihre Dramaturgie analysiert und mit dem frühneuzeitlichen Affektwissen, das von den Disziplinen Ethik, Rhetorik und Medizin getragen wurde, kontextualisiert.

950 Vgl.: Kantorowicz (1994), S. 47–63.

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IV.4. Affekte Affect wird im Frühneuhochdeutschen Wörterbuch als »innere Erregung, starke Gemütsbewegung, Zustand seelischer Angespanntheit, wie sie durch Leid und Freude verursacht sein können«951 beschrieben. Über »das Wesen der Affekte, ihre Anzahl, ihre Bestimmungsgründe, ihre moralische Bewertung, […]« aber herrschte Uneinigkeit.952 Das Affektwissen, das von verschiedenen Disziplinen hervorgebracht und genutzt wurde, verschränkt sich in der Spielpraxis des Berufstheaters. Die Spielpraxis des Berufstheaters nimmt Anteil am ethischen Affektwissen, indem sie auf Umstände, die bestimmte Affekte erzeugen, auf mögliche Folgen von unangemessenen Affektausprägungen sowie auf die Frage nach der Steuerung, Kontrolle und Bewältigung von Affekten Bezug nimmt. Sie nimmt Anteil am rhetorischen Affektwissen, indem sie mit rhetorischen Mitteln selbst Affekte erregt sowie auch simuliert und darüber hinaus ein Wissen darüber vermittelt, wie Affekte erregt, aber auch simuliert und dissimuliert werden können. Sie nimmt schließlich auch Anteil am medizinischen Affektwissen, indem sie eine heilsame Wirkung auf den Affekthaushalt des Publikums intendiert sowie ein Kompendium an Remedien offeriert und andererseits bestimmte Affektausprägungen als Krankheit diskursiviert. Dabei simuliert sie psychische und physische Anzeichen affektiver Erregungszustände, auch in ihren bedenklichen und krankhaften Ausprägungen.953 Das von der Medizin, Ethik und Rhetorik hervorgebrachte Affektwissen wurde von weiteren Disziplinen genutzt, deren Diskurse die Spielpraxis des Berufstheaters zum Teil aufnahm, das betrifft u. a. die Poetik, Staats-, Herrschafts- und Morallehre sowie die moralisch-pädagogische Unterweisungsliteratur.954

951 Zitiert nach: Lobenstein-Reichmann, Anja: Affekt, Passion und Leidenschaft im Frühneuhochdeutschen – Anmerkungen zu einem ganz besonderen Fall von Sprachwandel. In: Steiger, Johann A. (Hg.): Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit. Bd. 1. Wiesbaden: Harrassowitz, 2005 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 43). S. 251–269. Hier: 255. 952 Meyer-Kalkus, Reinhart: Wollust und Grausamkeit. Affektenlehre und Affektdarstellung in Lohensteins Dramatik am Beispiel von ›Agrippina‹. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1986 (= Palaestra; Bd. 279). S. 34. 953 Zur Dreierformel des Affektwissens, vgl.: Campe, Rüdiger : Affekt und Ausdruck. Zur Umwandlung der literarischen Rede im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1990 (= Studien zur deutschen Literatur; Bd. 107). S. 129. 954 Vgl.: Meyer-Kalkus (1986), S. 35.

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IV.4.1. Dramaturgie der Affekte In fast allen Dramen des Kodex kommt den Affekten eine dramaturgisch bedeutsame und handlungstreibende Rolle zu: Einige Dramen konzentrieren sich gezielt auf einen bestimmten Affekt, der als Ausgangspunkt der Handlung gesetzt wird, den gesamten Handlungsverlauf bestimmt und mitunter ansteckend auf andere Personen des Dramas wirkt. In anderen Dramen wiederum wird die Bühne zum Schauplatz widerstreitender Affekte oder rasanter Affektumschläge. Manche Affektausprägungen erfahren per se eine eindeutig negative Bewertung, andere eine heitere Perspektivierung, wobei in beiden Fällen Kippbewegungen ins Lächerliche nicht ausgeschlossen sind. Auffällig ist, dass sich die problematisierende Perspektivierung weitgehend auf das affektive Ungleichgewicht des Herrschers oder der Herrscherin konzentriert, das auf einen Konflikt mit den mit dem Königsamt verbundenen Rechten und Pflichten hinausläuft. In Oronthea wird der Liebeswahn ausagiert, in Die glückselige Ey¨fersucht, wie der Titel erahnen lässt, die pathologische Eifersucht, in Der Kohlenbrenner ein von Furcht geprägtes und melancholisches Gemüt. Der Protagonist in Amor der Ty¨rann wird vor allem von Wollust und Rachgier beherrscht und verfällt schließlich dem äußersten Wahnsinn. Wollust aber vor allem Rachgier sind auch jene Affekte, die in der Rachetragödie Titus und Aran bestimmend wirken. IV.4.1.1. Oronthea Indem der Stücktext die Liebe in ihren vielfältigen Erscheinungs- und Wirkungsweisen verhandelt, ließe sich das Drama Die durhleüchtige Oronthea Königin von Aegy¨pten als theatrum amoris bezeichnen: Hier wird die Liebe als ambivalente, nicht antizipierbare und nur schwer zu kontrollierenden Gewalt dargestellt, die zu Vergnügen, Glück und Harmonie führen aber auch Leid, Eifersucht, Zorn oder gar Hass verursachen kann. In ihrem temperamentvollen Eröffnungsmonolog gibt sich die Figur der Oronthea als überzeugte Gegnerin der Liebe und Ehe (die zu schließen sie ihr Berater Creonte aus Gründen der Staatsräson drängt) zu erkennen. Sich darauf einzulassen käme aber dem Verlust ihrer Unabhängigkeit gleich. Orontheas Haltung zur Liebe zu Beginn der Handlung beruht nicht auf eigenen Erfahrungen, sondern vielmehr auf der Annahme, dass die Liebe mit dem Verlust der Autonomie einherginge. Zu lieben kommt ihr wie eine pragmatische Entscheidung und nicht als urplötzlich auftretende Gefühlsgewalt vor. Dennoch verliebt sie sich in der übernächsten Szene unsterblich in den Maler Alidoro. Zunächst gelingt es ihr, ihre Gefühle zu unterdrücken, bis sie sich – schier überwältigt – von unbeherrschten Handlungen und Gefühlsausbrüchen leiten lässt. Schließlich setzt sie Alidoro, während er schläft, die Krone aufs Haupt und legt ihm das

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Zepter bei. Aufgrund ihrer heftigen Liebesgefühle ist sie bereit ihm ihre Autonomie zu opfern. Zudem deutet dieser szenische Vorgang den Kauf von Liebe an. Ihr Berater Creonte missbilligt – nicht zuletzt aufgrund des Standesunterschiedes – Orontheas Hingabe zu Alidoro: Verbannt sie ihn nicht aus dem Staat, würde er sie an den Senat verraten. Eingeschüchtert von dieser Drohung, bleibt Oronthea nichts anderes übrig, als Alidoro aufzugeben. Für Creonte ist die Liebe ein Mittel zum Zweck. Mit ihr lässt sich das Staatswohl aufrechterhalten, sie ist Instrument der Bündnispolitik und bietet Schutz vor Feinden. Trotzdem ist Creonte der Liebe gegenüber nicht kaltsinnig. Er kennt ihre Wirkmächtigkeit und wünscht, Oronthea würde sich verlieben, um die Liebe am eigenen Leib zu erfahren. Bedauerlicherweise verliebt sie sich jedoch nicht nur unter ihrem Stand, sondern lässt sich von ihren Gefühlen derart überwältigen, dass sie in einen Konflikt zu ihren Herrschaftspflichten gerät und Gefahr läuft, ihrem öffentlichen Ansehen erheblichen Schaden zuzufügen. Alidoro ist eine ambivalente Figur : Noch vor seinem ersten Auftritt, erfährt das Publikum von seiner Schönheit. Dass Alidoro geliebt wird, weil er schön ist, wird später einer unter vielen Kritikpunkten Creontes an Orontheas Liebe zu Alidoro sein. Alidoro erweckt in fast allen, die ihm begegnen, mit Ausnahme Creontes, Hanswursts und des Prinzen Corindo, Gefühle heftiger Zuneigung. In den ersten beiden Akten verhält sich Alidoro mehr oder weniger als passives Objekt des Begehrens, nicht nur Orontheas, sondern auch der nicht auftretenden Prinzessin von Phönizien, deren drängender Liebe er seinerzeit entflohen war. Die als Mann verkleidete Hiacintha soll Alidoro im Auftrag der Prinzessin von Phönizien töten, jedoch verliebt auch sie sich in Alidoro. Auch die Hofdame Silandra verliebt sich in ihn und verlässt für ihn ihren davor noch geliebten Prinzen Corindo. Alidoros eigenes Begehren hingegen bleibt uneindeutig. Als Silandra ihm ihre Liebe gesteht, liebt er sie auch. Nachdem Oronthea in einem Ausbruch von Eifersucht und Zorn Silandra und Alidoro den weiteren Kontakt verbietet, weiß er zuerst nicht, wie er ohne Silandra leben soll. Als ihn Oronthea aber, während er schläft, krönt und er danach erwacht, vergisst er Silandra und wendet sich Oronthea zu, wobei unklar bleibt, ob er sie wirklich begehrt oder nicht vielmehr die Krone. Im dritten Akt erweist er sich aber als Opportunist. Als er auf Silandra trifft, behandelt er sie herablassend. Aber nachdem Oronthea mit ihm gebrochen hat, sucht er erneut Silandras Zuneigung, die ihn aber zurückweist und ihre Beziehung zu Corindo wiederaufnimmt. Anhand des Paares Corindo und Silandra demonstriert das Drama einerseits die Wirkung von erwiderter Liebe, andererseits macht Silandras plötzliches Entflammen für Alidoro auch auf die Unbeständigkeit der Liebesneigungen aufmerksam, was die vorangegangene Harmonie zwischen den beiden konterkariert. Als Silandra Corindo wegen ihres Bruches schriftlich um Verzeihung bittet, zeigt er sich vor dem Lesen des Briefes noch abweisend und voll verletzten

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Stolzes, während des Lesens vollzieht sich jedoch eine Wandlung: Er verzeiht ihr, will sich aber an Alidoro rächen. Hiacintha musste (wie Alidoro auch) aufgrund einer einengenden und von ihr nicht erwiderten Liebe flüchten. Sie fällt zudem auch fast Oronthea zum Opfer, die, als sie von Hiacinthas versuchtem Attentat an Alidoro erfährt, Hiacintha, trotz langjähriger Freundschaft, im Affekt umbringen möchte. Lediglich Creontes Eingreifen verhindert Schlimmeres. Als Oronthea von Creonte zur Rede gestellt wird, behauptet Oronthea im Interesse der Justitia gehandelt zu haben und missbraucht damit die Instanz der Gerechtigkeit, deren Garant sie eigentlich sein müsste. Hiacintha trägt auch indirekt zur Aufdeckung von Alidoros wahrer und ihm selbst nicht bewussten königlichen Herkunft bei. Alidoros Ziehmutter, die dem Typus der närrischen Alten entspricht und sich, im Glauben Hiacintha wäre ein Jüngling, in Hiacintha verliebt, erbittet im Austausch gegen ein Geschenk einen Kuss von Hiacintha. Das Geschenk entpuppt sich als Hinweis auf Alidoros Herkunft, der eigentlich dem Hause Phöniziens entstammt. Mit der närrischen Liebe der Alten wird aufgezeigt, dass einen selbst das Alter nicht vor der Liebe zu schützen vermag. Hanswurst schließlich bleibt, wie Orontheas Berater Creonte, von der um sich greifenden Liebe verschont – die Liebe zum Alkohol genügt ihm völlig. Damit wird auch der Suchtaspekt der Liebe bzw. auch die Sucht als Liebe angedeutet. Darüber hinaus macht sich Hanswurst über die anderen Figuren lustig. Zudem versinnbildlicht er die Öffentlichkeit, vor der Oronthea ihr Ansehen zu verlieren droht. Mit der Entdeckung von Alidoros Herkunft steht einer Ehe zwischen Oronthea und Alidoro zwar nichts mehr Weg, jedoch lässt das Stück trotz Happy Ends als komische Leerstelle offen, ob er sein Verhalten ändern wird. Dramaturgisch operiert Oronthea, die Liebe in ihren verschiedenen Facetten auffächernd, häufig mit den Mitteln des Kontrastes – Oronthea will sich nie verlieben, um unabhängig zu bleiben, verliebt sich dann doch und opfert ihre Unabhängigkeit nur zu gern; Creonte will, dass sich Oronthea verliebt, dann ist es ihm aber nicht recht. Ein weiteres Mittel ist die Spiegelung – Oronthea sowie Tiberino empfinden Zorn wegen des Attentats auf Alidoro; Oronthea und die närrische Alte versuchen beide Liebe bzw. Liebesbezeugungen über Geschenke zu erlangen; Hiacintha und Alidoro mussten beide vor einer von ihnen unerwiderten Liebe fliehen; Silandra und Alidoro wechseln beide schnell das Objekt ihres Begehrens. Der dramaturgische Einsatz von Kontrasten dient hier der Erheiterung des Publikums. Bei der Spiegelung hingegen handelt es sich in nur einem Fall um eine komische Spiegelung, weshalb der Einsatz dieses dramaturgischen Mittels u. a. vielleicht mit einer Intention der Andeutung einer überindividuellen aber nicht universalen Verbreitung bestimmter Reaktionen und Erfahrungswerte verbunden sein könnte. Andererseits könnte in den zor-

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nigen Reaktionen von Tiberino und Oronthea auf Hiacinthas Attentat auf Alidoro die Differenz zwischen einer wohlwollenden und begehrenden Liebe angesprochen sein. Bei der begehrenden Liebe handelt es sich um eine Liebe, in der sich der Liebende von der Erlangung des als Gut eingestuften Gegenstandes einen Nutzen verspricht, wohingegen es sich bei der wohlwollenden Liebe um eine uneigennützige Liebe handelt, die die Voraussetzung für die Nächsten- und Gottesliebe ist.955 Während Orontheas Zorn der begehrenden Liebe zu entspringen scheint, die in Verlustängsten resultiert, entspringt Tiberinos Trauer und Zorn der wohlwollenden Liebe, da er sich keinen Vorteil oder Nutzen aus der Liebe zu Alidoro verspricht, sondern das Übel, dem Alidoro ausgesetzt war, miterleidet.

IV.4.1.2. Die glückselige Ey¨fersucht Im Gegensatz zur Liebe erscheint die Eifersucht als verbreiteter, nicht aber universeller Affekt. In der ebenfalls nach einer Vorlage Cicogninis gearbeiteten Tragikomödie Die glückselige Ey¨fersucht ist zwar mehr oder weniger nur eine Person von der Eifersucht betroffen, jedoch beeinflusst diese fast alle anderen Figuren des Dramas erheblich. Die Dramaturgie ist äußerst komplex und zeichnet sich durch mehrere auf die Haupthandlung wirkende Nebenstränge sowie die Unvorhersehbarkeit des Handlungsverlaufes aus. Das Drama operiert mit einer Aneinanderreihung von Verwechslungen, nicht zuletzt unter Einsatz von Verkleidungen. Die Verwechslungen zielen zuerst auf die Eifersucht des Protagonisten und zuletzt auf einen Bruch in der Dramaturgie. Komik wird hier vor allem durch den Informationsvorsprung des Publikums in Hinblick auf Verstellung und auf Situationen, die zwar nicht unmöglich sind, aber gerade noch knapp im Bereich der Wahrscheinlichkeit liegen, generiert.956 Im Kern handelt das Drama von der Liebe zwischen dem eifersüchtigen König Roderich und der Prinzessin Delmira, die verspricht ihn zu heiraten, sofern es ihm gelingt, einen Tag lang seine Eifersucht in Zaum zu halten. Im Verlauf dieses Tages scheitert er mehrmals an dieser Herausforderung, jedoch tut dies Delmiras Liebe zu ihm keinen Abbruch. Nachdem sie die Nacht miteinander verbracht haben, erfährt Delmira aus scheinbar sicherer Quelle, dass sie Geschwister seien und sich demzufolge des Inzests schuldig gemacht hätten. Dieser dramaturgische Bruch lenkt gewissermaßen von der Thematik der Eifersucht ab. Das glückliche Ende wird durch die Berichtigung herbeigeführt, dass sie doch 955 Vgl.: Aquin, Thomas v.: Summa Theologica. Die deutsche Thomas-Ausgabe. Bd. 10.: Die menschlichen Leidenschaften. Kommentiert von Bernhard Ziermann. Graz; u.a.: Gemeinschaftsverlag; u.a., 1955. S. 70–73; 535–537. 956 Teile dieses Kapitels sind in Hanser (2018) eingeflossen.

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keine Geschwister sind. Offengelassen wird aber, ob Roderich seine Eifersucht überhaupt bewältigt hat, jedoch sagt Delmira gegen Ende, dass sie ihn auch mit seiner Eifersucht liebt. Die Bearbeitung des Berufstheaters erschwert durch die Weglassung des Prologs und der Erweiterung des Endes das Verständnis von Cicogninis Intention. Die Unvorhersehbarkeit des Handlungsverlaufs und der Bruch mit der Erwartungshaltung ist zwar eine wesentliche dramaturgische Strategie Cicogninis, jedoch lässt er als Prolog einen Streit zwischen der Liebe und der Eifersucht der eigentlichen Handlung vorangehen und das Stück mit dem bereits erwähnten Bekenntnis Delmiras zu Roderich enden, womit Eifersucht und Liebe ausgesöhnt werden. In der Adaption des deutschsprachigen Berufstheaters aber wurde u. a. ein Epilog angefügt, in dem die Überwindung der Eifersucht suggeriert wird, womit auch Delmiras Aussage gewissermaßen untergeht und das Publikum sich seinen eigenen Interpretationsrahmen schaffen muss, etwa dass der Schock, wonach sie aufgrund ihrer vermeintlichen engen Verwandtschaft gar nicht zusammen sein dürften, ihn geläutert hätte. Das bewusste Operieren mit Leerstellen, d. h. das nicht Auflösen aufgeworfener Probleme, kann als Qualitätsmerkmal Cicogninis aufgefasst werden. Diese Leerstellen tragen zu einer gewissermaßen ironischen Heiterkeit bei und laden dazu ein, über das Gezeigte weiter nachzudenken und gegebenenfalls zu diskutieren. Eine dieser Leerstellen, in diesem Fall handelt es sich aber um eine ernste Leerstelle, kommt schon zu Beginn des Dramas auf, wenn der Frieden zwischen den Reichen Valencia und Aragonien ausgerufen wird. Der Auslöser für den Krieg war die Entführung Delmiras durch Roderich, da ihr Bruder (Don Pietro) einer Vermählung nicht zustimmte. Dass Roderich für Delmira einen Krieg vom Zaun gebrochen hat, der, wie er selbst sagt »A r r a g on i e n und Va l e n z a gänzlich verheeret undt schier vertilget«957 hat, wird von keiner Figur des Dramas direkt problematisiert. Auch der Berater Roderichs, der Philosoph Theobaldus, bezieht sich eher indirekt darauf, womit die Bewertung dieses Akts dem Publikum überantwortet wird, das diesen Faktor in die Interpretation der Figur Roderichs sowie des Dramas einbeziehen kann. Beharrlich problematisiert wird hingegen Roderichs Eifersucht, der selbst erst in der fünften Szene des ersten Aktes die Bühne betritt. Bis dahin erfährt das Publikum, dass er mit seiner Eifersucht nicht nur Delmiras Liebe und Leben belastet, sondern dass auch der gesamte Hof von seinen eifersüchtigen Episoden in Mitleidenschaft gezogen wird. Ruchbar wird vor seinem ersten Auftritt auch, dass er einen Spitzel auf Delmira angesetzt hat, den Höfling Cortadiglio, der von Delmiras Treue zwar persönlich überzeugt ist, aber weiß, dass er eine bessere Entlohnung zu erwarten 957 Kodex Ia 38.589, fol. 211r.

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hat, wenn er Roderich Indizien für Delmiras vermeintliche Untreue bringt. Cortadiglio spielt also aktiv mit Roderichs Eifersucht, der damit auch als leicht manipulierbar exponiert wird. Als Roderich aber selbst die Bühne betritt und mit seinem Berater, dem Philosophen Theobaldus, der auch im Interesse des Reichs auf eine Verhaltensänderung Roderichs insistiert, über seine Eifersucht spricht, kontrastiert er durch seine fröhliche und verständige Art das bisher über ihn Gesagte. Roderich verspricht daraufhin nicht nur Theobaldus, sondern in der darauffolgenden Szene auch Delmira, nicht mehr eifersüchtig zu sein. Die Versuchung, dem alten Verhaltensmuster nachzugeben, erscheint unmittelbar in der Gestalt Cortadiglios, der ihm zwei Indizien, eine Handkrause und die Hälfte eines Briefes, für Delmiras vermeintliche Untreue mitgebracht hat, von deren tatsächlicher Beschaffenheit das Publikum aber schon weiß. Zuerst zeigt sich Roderich wegen seines Vorsatzes nicht interessiert, aber als Cortadiglio fragt, was er mit der Handkrause aus Delmiras Gemächern und der Briefhälfte machen soll, wird Roderich hellhörig, beginnt zu kombinieren, liest schließlich den Brief und wird darüber wütend, womit er das zu Beginn über ihn Gesagte bestätigt und sich zugleich vollkommen konträr zu seinem verständigen Verhalten in der vorherigen Szene benimmt. Die Aufbereitung dieser Szene ist gut durchdacht und bringt das Publikum in einen Konflikt: Es weiß bereits, dass Cortadiglio eine Hälfte eines im Namen der Hofdame Delia an ihren Geliebten Florantes diktierten, jedoch von Prinzessin Delmira niedergeschriebenen Briefes, den Delia aufgrund einer Verletzung am Arm nicht selbst schreiben konnte, Florantes aus der Hand gerissen hat. Und das Publikum weiß, dass hinter den drei ersten Buchstaben der Unterschrift »Del« Delia steht, und nicht Delmira. Es versteht aber zugleich, wie es für Roderich aussehen muss, der in Anbetracht der Indizien nachvollziehbar an Delmiras Treue zweifelt. Als Roderich auf Delmira trifft, versucht er sich zuerst zu verstellen, um sie zu prüfen, schließlich bricht seine Eifersucht durch und es kommt zu einem heftigen Schlagabtausch. Mit der anderen Hälfte des Briefes, die Florantes bringt, bezeugt Delmira ihre Unschuld und macht ihm weitere Vorwürfe, verzeiht ihm aber noch einmal. Noch weitere zwei Male kommt es zu ähnlichen Situationen und schließlich scheint es, als ob Delmira mit Roderich brechen würde. Roderich ist dem Wahnsinn nahe, möchte sich vor Kummer umbringen, aber Delmira hält ihn zurück, verzeiht ihm erneut und verbringt die Nacht mit ihm. Als Delmira erfährt, dass sie und Roderich angeblich Geschwister seien und Roderich einen Brief abfängt, in dem steht, dass Delmira mit ihrem Bruder geschlafen habe, verdächtigt er Delmira des Inzests mit ihrem Bruder Don Pietro, ohne zu wissen, dass er selbst damit gemeint ist, was eine unheilvolle Kettenreaktion in Kraft zu setzen droht. Schließlich erfährt Roderich, dass er Delmiras Bruder sei. Roderich und Delmira sind zutiefst betrübt, planen den Hof zu verlassen und sich ge-

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meinsam das Leben zu nehmen, sofern auch die Hofdame Theodora diese Bewandtnis bestätigt. Theodora stellt sich letztendlich aber als Mutter Roderichs heraus, womit Delmira und Roderich unmöglich Geschwister sein können und die Hochzeit des Paares (sowie eines weiteren) angekündigt wird. Der wiederholte Bruch mit der Erwartungshaltung verlagert jeweils das Spannungsmoment: Anstatt eines Monsters erscheint eine liebenswürdige Figur, was Spannung darauf erzeugt, ob bzw. wann und unter welchen Umständen Roderich sein Versprechen brechen wird. Nachdem dies unmittelbar geschieht, verlagert sich die Spannung darauf, ob Delmira die Verlobung tatsächlich lösen wird, was sie nicht tut, weshalb sich die Erwartung auftut, dass es ihr nach dem dritten Mal genug sein wird. Aber auch diese Erwartung wird wieder enttäuscht und von neuen Unwägbarkeiten abgelöst: Sind sie nun wirklich Geschwister? Wird Don Pietro, fälschlicherweise des Inzests beschuldigt, Roderich tatsächlich töten etc.? Die Frage nach der Berechtigung der Eifersucht wird durch die Unwahrscheinlichkeit der Situationen in einen ambivalenten Rahmen eingebettet. Diese Ambivalenz bringt das Publikum aufgrund seines Informationsvorsprungs stets in einen, auch durchaus von Komik getragenen, Konflikt, da das Stück zugleich die moralische Lehre vom Vertrauen zu postulieren scheint. Zum Wesen der Eifersucht, ihren Ursachen sowie ihren unheilvollen Konsequenzen werden im Laufe des Stückes viele und auch unterschiedliche Aussagen getätigt, jedoch im Grunde keine durchschlagenden Bewältigungsstrategien offeriert, sondern eher ein Kompendium an Ansätzen – etwa sich vorzustellen, nicht zusammen sein zu dürfen; sich im Vertrauen zu üben, sowie zu versuchen sich nicht auf von Eifersucht getragene Gedanken und Handlungen einzulassen – darüber hinaus aber ermöglichte es von Eifersucht betroffenen Zuschauern und Zuschauerinnen eine humorvolle sowie eine Spiegel vorhaltende Auseinandersetzung mit ihrem Leid. IV.4.1.3. Amor der Ty¨rann Auch im Spieltext Amor der Ty¨rann oder Die bereüete Rache nimmt die Eifersucht eine wichtige, aber nicht zentrale Position ein. Die Bühne gerät hier zum Schauplatz widerstreitender und sich intensivierender Affekte. Bei der Spielhandschrift handelt es sich um eine Abschrift von Johannes Riemers Drama Asphalides, das dieser gemeinsam mit einem weiteren Drama, Eginhard und Imma, unter dem Titel Amor Der Tyranne Mit seiner lächerlichen Reutery/ Spielweise/ doch in Ernst zur Warnung wider die vermaledeyte Eiffersucht/ In

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zweyen/ theils Historischen Begebenheiten Curieusen Gemüthern Vorgestellet (1685)958 veröffentlichte. Nicht nur auf dem Titelblatt der Riemer’schen Ausgabe, sondern auch in der dem Drama vorangestellten Inhaltsangabe wird der Eifersucht der entscheidende Anteil an der sich entwickelnden und düsteren Ereigniskette zugesprochen. Diese Erläuterung irritiert. Nicht nur, weil die Eifersucht der Königin Achilusche eine Reaktion auf das von Lüsternheit und Hochmut geprägte Verhalten des Königs Asphalides ist, sondern auch, weil vor allem der durch Racheakte der Königin motivierte Wahnsinn Asphalides’ bemerkenswert ist. Der Titel der im Kodex enthaltenen Spielhandschrift – Amor der Ty¨rann oder Die bereüete Rache – bezieht sich zwar auf Riemers Intention, verschiebt aber den Fokus von der Eifersucht zur Rache. Ein Prager Theaterzettel von 1717 hingegen lenkt die Aufmerksamkeit einzig auf das Verhalten des Königs Asphalides: Amor der Tyrann Oder : Der in Staats und Liebs Affairen verwickelte und verwirte König von Arabien Asphalides.959 Aus Riemers Inhaltsangabe ergibt sich durch die Verharmlosung von Asphalides’ Verhalten eine weitere Irritation. In Riemers Inhaltsangabe heißt es nämlich: Asphalides König von Arabien/ lässet sich in seinem männlichen Alter die Liebe überwältigen/ daß er nechst seiner Gemahlin Achilusche, sein Hertze neiget auff die Schönheit einer von armen adelichen Eltern/ entsprungenen Hof-Dame/ Adigege genannt/ ob nun schon der König mit dieser adelichen Jungfrau noch zur Zeit keine Ungebührligkeit getrieben/ so vermehrt sich doch die Eiffersucht/ wie bey Weibern meist zu geschehen pfleget/ dermassen/ daß die Zwietracht zwischen König und Königin/ auch von dem armen unschuldigen Reiche gefühlet wurde/ der gantze Hoff gerieth in einander.960

Was Riemer an dieser Stelle verschweigt, ist erstens, dass die Liebe hier von Wollust durchwachsen ist, was szenisch durch die körperliche Nähe Asphalides’ und Adigeges angedeutet wird: In der zweiten Szene umarmt Asphalides Adigege, in der fünften sitzt Adigege auf seinem Schoß und er küsst sie mehrmals, in der darauffolgenden Szene küsst Adigege ihn, in der achten liegt Asphalides’ Kopf in ihrem Schoß. Zweitens wird hier verschwiegen, dass Asphalides behauptet, Adigege mehr als Achilusche zu lieben, und andeutet, Achilusche nicht nur zu verstoßen, sondern auch zu töten, um Adigege auf den Thron zu erheben. Dass Asphalides lediglich durch die Vermählung mit Achilusche auf den Thron gekommen ist, verstärkt in diesem Zusammenhang den Eindruck von seiner 958 Riemer (1984), S. 534–585. 959 Geissler, Anton J.: Amor der Tyrann Oder : Der in Staats und Liebs Affairen verwickelte und verwirte König von Arabien ASPHALIDES. […] Prag, 1717. Nationalmuseum Prag, Theaterabteilung, Sig. P-VI-A-265, Inv. Nr. 11653. Abgedruckt in: Scherl; Rudin (2013), S. 211; sowie in Scherl (1999), S. 54. 960 Riemer (1984), S. 537.

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moralischen Korrumpiertheit. Riemer verschweigt zudem, dass Asphalides Achilusche mehrmals belügt, weder Skrupel noch Schuldbewusstsein zu kennen scheint und Achilusche einzureden versucht, dass sie sich alles nur aufgrund ihrer Eifersucht einbildet und deshalb die falschen Schlüsse zieht. Auch verschweigt Riemer, dass Asphalides seine Regierungsgeschäfte vernachlässigt. Über Riemers Vorgehensweise in Hinblick auf die Inhaltsangabe und den Untertitel der Ausgabe kann nur spekuliert werden. Denkbar wäre etwa, dass Riemer auf diese Weise versuchte, Achilusche Mitverantwortung an den Geschehnissen zuzuschreiben und so die Eifersucht, ob berechtigt oder nicht, als Handlungsantrieb hinterfragt. Das Drama besteht aus drei Akten. Im ersten Akt wird die Grundlage für die Intrige im zweiten Akt gelegt, wo sich die Ereignisse überschlagen und Asphalides dem Wahnsinn verfällt. Im Mittelpunkt des dritten Aktes steht Asphalides’ Wahnsinn, von dem er am Ende geheilt wird. Das Publikum wird im ersten Akt Zeuge von Asphalides’ hochmütigem, lüsternem und untreuem Verhalten, seiner Lügen, aber auch von Achilusches von Zorn getragenen Reaktionen, die am Ende des Aktes Asphalides und Adigege im Affekt eigenhändig töten will. Zudem werden auch die beiden Höflinge Mesango und Aramech eingeführt, die sich um den Vortritt beim König streiten. Asphalides, der weniger an Staatsgeschäften als an Vergnügungen mit Adigege interessiert scheint, gibt Mesango den Vorzug, weshalb Aramech enttäuscht beschließt, der Königin Asphalides’ Ehebruch zu offenbaren. Aramech öffnet Achilusche die Tür zu Asphalides’ Gemach, in dem Asphalides und Adigege gerade schlafen – Asphalides’ Kopf in Adigeges Schoß. Über dieser Entdeckung will Achilusche beide sofort umbringen, die sich aber gerade noch in Sicherheit bringen können. Zu Beginn des zweiten Aktes sinnt Achilusche auf Rache und erwägt Asphalides zu stürzen, jedoch rät ihr Aramech aufgrund von Asphalides’ Rückhalt im Reich davon ab, weshalb Achilusche Asphalides’ Ermordung in Betracht zieht. Achilusche befiehlt dem Höfling Mesango zehn Tonnen Gold in ihre Kammer schaffen zu lassen und beauftragt Aramech Adigege zu enthaupten. Asphalides liegt derweil geschwächt und liebeskrank im Bett. Der Priester Arabel und der Arzt Elahor kommen zu Asphalides und wollen ihn mit geistlichem Beistand und medizinischen Mitteln kurieren. Mesango tritt hinzu und berichtet Asphalides von Achilusches Anweisung, das Gold in ihre Gemächer schaffen zu lassen. Asphalides erkennt, dass Achilusche versucht, ihn zu entmachten, und befiehlt zornig Aramechs Ermordung, der laut Mesango Drahtzieher der Intrige ist. Als Nächstes tritt der Kriegshauptmann Elgezill ein, um Asphalides in Kenntnis zu setzen, dass Achilusche die Armee um sich geschart hat.

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Als Achilusche den Arzt überredet, Asphalides zu vergiften, hört Mesango mit und wird von Achilusche entdeckt, die ihn überredet sich mit ihr zu verbünden. Zwischenzeitlich macht sich Aramech daran Adigege zu ermorden, bringt es aber nicht übers Herz und lässt sie gegen ein Eheversprechen am Leben. In der nächsten Szene tritt der Kriegshauptmann Elgezill zum Arzt, erkundigt sich nach dem Zustand des Königs und gibt an, dass er mit Asphalides sprechen muss. Mesango kommt hinzu und verrät sich mit der Frage, ob der König nicht etwa vergiftet worden sei, was den Kriegshauptmann Elgezill alarmiert. Mesango und der Arzt flüchten zu Achilusche und berichten ihr, dass ihre Intrige aufgedeckt wurde und dass Mesango dafür die Verantwortung trage. Achilusche wird zornig und droht Mesango mit dem Tod, woraufhin sich Mesango wieder auf die Seite des Königs schlägt. In der darauffolgenden Szene berichtet Aramech Achilusche, dass er Adigege hingerichtet, sich unter den Untertanen jedoch eine Unruhe ausgebreitet habe und Achilusche des Königsmordes beschuldigt werde. Als Nächstes offenbart der Kriegshauptmann Elgezill Asphalides den Mordversuch. Anschließend kommen Mesango und der Arzt zu Asphalides, wobei Mesango dem Arzt in den Rücken fällt und versucht, ihm die alleinige Verantwortung zuzuschieben. Der Kriegshauptmann bringt auch Aramech hinzu, woraufhin Asphalides den Arzt, Mesango und Aramech verhaften lässt und sich erkundigt, ob es rechtens sei, die Königin hinrichten zu lassen. Da aus der Sicht des Priesters nichts dagegenspricht, plant Asphalides Adigege nach Achilusches Hinrichtung zu heiraten. Der Kriegshauptmann Elgezill fragt Asphalides, wie er mit den Gefangenen verfahren soll, woraufhin Asphalides deren Hinrichtung befiehlt. Elgezill fordert Asphalides aber mehrmals zum nochmaligen Überdenken dieses Befehls auf. Als Asphalides von der vermeintlichen Hinrichtung Adigeges erfährt, macht er sich für ihren Tod verantwortlich, wird von einem Moment auf den anderen wahnsinnig und geht rasend von der Bühne ab. Als er das nächste Mal zu sehen ist, sitzt er schreibend am Tisch und verhält sich – dem Nebentext entsprechend – »etwas unsinnig«961. Größenwahnsinnig geworden ruft er Elgezill zu sich, dem er erklärt, über Menschen und Sterne zu herrschen, indem er dem Himmel die Gesetze vorschreibe. Außerdem wäre er gerade dabei, Todesurteile zu verfassen, weshalb er sich bei Elgezill nach der Anzahl der verfügbaren Henker auf dieser Welt erkundigt. Elgezill beschließt sich ebenfalls wahnsinnig zu stellen und bietet ihm »tausend« Henker an, was Asphalides aber nicht genügt – es müssten zehntausend sein –, um sein ganzes Königreich hinrichten zu lassen. Als Elgezill nach den vier Gefangenen fragt, befiehlt ihm Asphalides, drei Schüsseln bringen zu lassen: »Siehe hier in der Viertelstunde soll in dieser Schüßel der Königin Haubt hier auf mein‹em› Tische steh‹en›; in dieser Ara961 Kodex Ia 38.589, fol. 566v.

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mechs rechte Hand, und die Zunge aus dem Halse; in dieser Elahors Herz an diesen Balcken aber soll Mesango hencken.«962 Dann beschimpft er den Geistlichen als Christen, der ihn dreimal ohne Antwort zu erhalten angesprochen hatte und befiehlt ihm, alles für ein Blutopfer vorzubereiten. Nachdem ihn der Priester aber darauf hinweist, dass Menschenopfer in Arabien nicht üblich seien, befiehlt er ihm stattdessen, die Burg in Brand zu setzen. Anschließend sagt er : »Ich wil kein‹en› Menschen mehr leben laßen, wenn ich die gantze Welt getödtet hab, so will ich dem Himmel Krieg ankündigen[!] Wie werden sich die E l e m e nt e vor mir fürchten.«963 Auch in der Begegnung mit dem komischen Advokaten Fidele drückt sich Asphalides’ Wahnsinn aus. Zuerst möchte Asphalides den Advokaten fressen: Asphalides Hund kom her, ich wil dich freßen. Fidele Ich sage Danck vor das kostbahre Begräbnis. Asphalides Ich wil dich freßen. Fidele Ich bin ja kein Kapaun, zudehm so währe eine solche Mahlzeit Eüer Majestät viel zu gefährlich. Es könte Ihr eine Gräte von dem lincken Flügel im Halse stecken bleiben. Asphalides Kom her mein Sohn. Fidele Das klingt etwas beßer. Asphalides Kom her ich wil dich hencken laßen.964

Nachdem Fidele die Flucht ergriffen hat, fragt Asphalides nach den zehntausend Henkern. Er zieht sein Schwert und kündigt an, Rad und Galgen mit diesem zimmern zu wollen. Als er wieder auf den Priester trifft, fragt er, ob ihm Tote begegnet seien, woraufhin ihm der Priester antwortet, dass diese ruhen. Asphalides will aber nicht, dass diese ruhen, »damit ihr Geist leide, und ihre Leiber auch nach dem Tode Schmertzen empfinden.«965 Als Adigege vor Asphalides steht, hält er sie für ein Trugbild. Er gibt ihr eine Ohrfeige und jubiliert größenwahnsinnig über seine vermeintliche Klugheit. Elgezill stellt sich wieder wahnsinnig, als er mit dem König spricht, der von ihm wissen will, warum er noch lebe. Elgezills Antwort, damit er ihn, den Tyrannen, hängen könne, lobt Asphalides, da er gerne grausame Leute um sich wisse. Nachdem sich Elgezill als der General-Welt-Henker vorstellt, der alles und jeden und am liebsten die Unschuldigen tötet, befiehlt ihm Asphalides zuerst den Feldhauptmann (also Elgezill) zu töten und in tausend Stücke zu schneiden, wovon fünfhundert Stücke ihm zur Tafel gereicht und fünfhundert weitere den Hunden zu fressen

962 963 964 965

Kodex Ia 38.589, fol. 567v. Kodex Ia 38.589, fol. 568r. Kodex Ia 38.589, fol. 568r. Kodex Ia 38.589, fol. 570r.

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gegeben werden sollen. Schließlich fragt Asphalides Elgezill, ob er auch Menschen frisst: Elgezill Ja Her nur ich will Eüch ein Stück aus dem Gesicht beißen. Asphalides Halt! O Wehe! Hier friß mir den Schwartzen mitsambt der Kappen und Mütze.966

Es öffnet sich eine Tür zu dem Zimmer : Mesango, hängt von der Decke herunter ; in jeweils drei Schüsseln sind Achilusches Haupt, Aramechs Hand und Zunge und Elahors Herz angerichtet; am Boden liegen die Leichen Aramechs und Elahors. Asphalides frohlockt und fragt, ob er nicht noch mehr ermorden könne, aber Elgezill sagt, es lebe niemand mehr, er hätte schon die ganze Welt getötet. Asphalides zerteilt das Herz, reicht Elgezill die Hälfte und verlangt nach noch mehr Blut. Elgezill solle einen Menschen töten und ihm das Blut bringen. Dieser gibt vor, den Priester zu töten. Am Verbleib der Seele der Toten interessiert, zieht Asphalides an den Füßen des aufgehängten Mesango, in der Hoffnung die Seele ausfahren zu sehen. Elgezill bringt das gewünschte Getränk. Trinkend bemerkt der König, dass keine Bediensteten mehr da wären, weshalb der deren Auferstehung beschwört. Asphalides befiehlt Elgezill das Meer auszutrinken und die Winde einzufangen. Als sich die Erde auftut, und die vier Geister der Toten herauskommen, gibt er Elgezill weitere irrationalen Befehle. Plötzlich fällt ein Strahl vom Himmel und Asphalides wird ohnmächtig. Die scheinbar Toten erstehen auf. Sie bereuen ihre Taten und bitten Gott um Vergebung. Schließlich singen sie gemeinsam, und die Sonne geht auf. Erwachend bittet Asphalides reuevoll um Gnade. Er erfährt, dass alle leben und ist glücklich. Adigege wird Elgezill zur Frau gegeben (Aramech ist einverstanden) und nochmals singen alle von ihren Vergehen, die sie bereuen. Zwar gerät die Bühne hier zum Schauplatz widerstreitender Affekte, jedoch wurzelt der Konflikt, wie auch der Titel Amor der Ty¨rann suggeriert, in Amors Pfeilen, im Affekt der Liebe. Es ist aber nicht der Affekt der Liebe selbst, der Zwietracht zu Folge hat, sondern vielmehr die Veranlagung der Eheleute, die ihre Verhaltensweisen in Bezug auf die durch den Liebesaffekt hervorgerufene Herausforderung zu determinieren scheint. Asphalides weist eine Tendenz zu Maßlosigkeit, Selbstsucht, Wollust und Hochmut auf. Er ist nicht in der Lage, den auftretenden Affekt zu regulieren, vielmehr nehmen ihn Affekte aufgrund seiner Konstitution absolut in Besitz. Das vollbringt zunächst die Liebe, dann die Rachgier. Achilusche hat wiederum eine Tendenz zu Zorn und Eifersucht. Mit ihrem Versuch Rache zu nehmen, setzt sie eine sich immer weiter aufschaukelnde und zuspitzende Dynamik von Aktion und Reaktion in Kraft, die Ereignisse folgen Schlag auf Schlag. Zwischen den 966 Kodex Ia 38.589, fol. 570v.

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beiden Parteien stehen die Höflinge, die angesichts der beiden Kräfte in Hinblick auf das eigene Wohl zu taktieren versuchen. Adigege ist aufgrund ihrer Herkunft aus einem verarmten Adelshaus auf die Gunst, die ihr der König entgegenbringt, angewiesen. Sie fühlt sich geschmeichelt, lässt aber auch immer wieder ihre Unsicherheit in Hinblick auf die Situation durchblicken. Aramech schlägt sich aus Kränkung auf die Seite der Königin und setzt die entscheidende Handlung, die die Ereignisse ins Rollen bringt. Mesango ist ein Opportunist und wählt immer die Seite, die bessere Aussichten zu haben scheint. Dem Arzt wiederum ist das unverantwortliche Handeln des Königs bewusst, er muss sich aber von der Königin zur Vergiftung überreden lassen. Der Geistliche bleibt hingegen bei der Partei des Königs. Einzig der Kriegshauptmann Elgezill entzieht sich dieser Situation, indem er im Interesse des Gemeinwohls handelt. Er deckt zwar die Intrige der Königin auf, führt aber zugleich Asphalides’ mörderische Befehle nur scheinbar aus, womit er nicht nur viele Leben rettet, sondern auch an der Heilung des Königs teilhat. Die grotesken Wahnsinnsszenen des Königs sind von einer gellenden Leere geprägt. Asphalides’ lautstarkes Gebaren, seine groteskabsurden Befehle lassen sich nicht ausführen, weil schon alles (scheinbar) leer geworden ist und er sucht in seinem Wahnsinn nach weiteren Möglichkeiten zu vernichten und zu töten. Die Leere als die Konsequenz des Tötungs-, des Vernichtungsakts erscheint als unwillkommene Begrenzung seines Triebs, weshalb er versucht die Leere wieder mit etwas zu füllen, um weiter zu vernichten – etwa indem er die Überreste der Toten erneut vernichten sprich verschlingen möchte. Unklar bleibt, ob es das Wirken einer höheren Macht ist, die zu Asphalides’ Heilung beiträgt, oder ob Elgezill letztendlich auch die Präsenz einer höheren Macht, durch den Einsatz von Lichteffekten, vortäuscht. Zumindest wird in diesem Drama dem Einsatz theatraler Mittel als Taktik im Umgang mit dem Wahnsinn des Königs ein erheblicher Stellenwert zugewiesen. IV.4.1.4. Titus und Aran Die Rachgier stellt in Amor der Ty¨rann zwar einen wichtigen Affekt dar, jedoch verschiebt sich die Gegenrache zu Wahnsinn und gerät zu einer Flut leerer Zeichen. Bei dem Drama Titus und Aran hingegen handelt es sich um eine Rachetragödie schlechthin, die im Tod von zwölf Personen gipfelt. Auch hier finden wir ähnliche Motive – der wollüstige Herrscher ; Wahnsinn als Reaktion auf Trauer und Zorn; die Simulation von Wahnsinn –, jedoch in einer anderen Ausprägung und Gewichtung. Im Gegensatz zu Amor der Ty¨rann ist der Herrscher, hier Kaiser Saturninus, nicht die Hauptfigur. Er fungiert vielmehr als über Gesetz und Recht innehabende Instanz – versagt dabei aber absolut. Saturninus ist auch das letztendliche Ziel der Intrige, als deren Werkzeug er zugleich dient. Hauptfiguren sind die beiden titelgebenden und opponierenden Kriegsgeneräle

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Titus und Aran. Titus ist der römische Kriegsgeneral und Aran der Kriegsgeneral des von den Römern besiegten Gotenreichs. Aran kommt die Funktion des eigentlichen Spielleiters zu. Er weist ähnliche Eigenschaften wie Saladin im Andronicus auf (vgl. III. 2. 2. 1.): hochintelligent, ungläubig, berechnend, weiß die Affekte seiner Mitspieler zu erregen und zu steuern, und pervertiert ethische Normen. Mit dem Sieg der Römer über das Gotenreich, der gotischen Königsfamilie und dem General Aran als Kriegsgefangene und dem triumphalen Einzug von Titus in Rom beginnt die Handlung des Dramas. Die Huldigung von Titus durch Saturninus steht im Kontrast zum späteren Verlust der kaiserlichen Gunst. Bereits mit der zweiten Szene treten erste Dissonanzen zwischen Titus und Saturninus auf. Saturninus, der sich auf den ersten Blick in die Gotenkönigin Thamera verliebt, versucht ihre Zuneigung zuerst mit Liebesworten zu gewinnen. Sie verweigert sich ihm aber, weshalb er ihr schließlich droht, sie mit Gewalt zu nehmen. Als Aran tobend und fluchend von den Priestern zur Opferung hereingebracht wird, versucht Thamera Arans Leben zu erhalten. Saturninus erpresst Thamera daraufhin, indem er ihr vorschlägt, Aran nicht zu opfern, sofern Thamera Saturninus ihre Liebe schenkt, worauf sie einwilligt. Saturninus’ Entscheidung weckt aber den Widerstand von Titus und den Priestern, die auf Arans Opferung für Mars insistieren, woraufhin es zum ersten verbalen Schlagabtausch zwischen Aran und Titus kommt. Saturninus zeigt sich sowohl von den Einwänden als auch dem Streit zwischen Aran und Titus unberührt, und bleibt einzig daran interessiert, seine Triebe zu befriedigen. Unmittelbar nachdem die Nachricht überbracht wird, ein großes Schwein würde Verwüstungen anrichten sowie die Bevölkerung in Unruhe versetzen, und Saturninus zur Jagd auf das Schwein aufruft, beginnt Aran die Intrige zu spinnen. Er begibt sich zu Thameras Söhnen, Quiro und Demetrius, die sich gerade um Titus’ Tochter Lavinia streiten. Aran möchte Quiro und Demetrius in der Rache gegen Rom und gegen Titus einigen und versucht sie zur Schändung Lavinias zu überreden. Quiro und Demetrius wollen sich aber nicht darauf einlassen, und so versucht Aran ein letztes Mittel der Persuasion, indem er vorgibt, der Geist ihres ermordeten Vaters würde ihm erscheinen (vgl. auch IV. 4. 3.). In diesem Moment kommen Lavinia und Bassianus (der Bruder des Kaisers) in ihre Nähe und die Brüder erfahren, dass Lavinia Bassianus zugetan scheint, was in ihnen Eifersucht erregt und sie für Arans Manipulation empfänglich macht. Quiro und Demetrio wollen mehr über den Geist ihres Vaters von Aran wissen, der ihnen erzählt, Titus wäre für die Ermordung ihres Vaters verantwortlich und dass der Geist Rache an Titus und seinem ganzen Geschlecht fordere. Sie planen die Ermordung von Bassianus, die Schändung Lavinias sowie ihre Hände und Zunge abzuschneiden, damit sie ihre Peiniger nicht verraten kann.

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Als Aran auf Thamera trifft, wirft er ihr Untreue vor. Sie verteidigt sich, indem sie ihn daran erinnert, dass sie ihren Mann auf sein Geheiß hin und aufgrund ihrer Liebe zu ihm ermordet habe. Nicht Titus war also für den Tod des Gotenkönigs verantwortlich, sondern Aran und Thamera. Thamera ruft Aran zudem ins Gedächtnis, dass sie ihn vor der Opferung bewahrt hat, und äußert schließlich den Wunsch Saturninus zu töten. Aran und Thamera planen ein Komplott, der die Auslöschung Titus’ und seines Geschlechts vorangehen soll: Lavinia soll geschändet, Bassianus ermordet werden, zwei Söhne Titus’ will er von einem Felsen stürzen, seine anderen beiden Söhne für den vermeintlichen Mord an ihren Brüdern verantwortlich machen. Bassianus und Lavinia kommen in ihre Nähe und beobachten, wie sich Aran und Thamera zum Abschied küssen. Sie treten hinzu, machen Thamera Vorwürfe. Unter immer heftiger werdenden Beleidigungen, ruft Thamera nach ihren Söhnen, um sie zu rächen. Diese töten Bassianus und zerren Lavinia in einen Busch. Zwei Söhne von Titus kommen vorbei und fragen Thamera nach dem Schwein. Sie weist ihnen die falsche Richtung und Aran stößt sie in den Abgrund hinab. Die Jagdgesellschaft vernimmt ihre Schreie. Sie finden Bassianus erhängt und erstochen, die Leichen von Titus’ Söhnen, Gold und einen Brief, in dem steht, dass die anderen beiden Söhne von Titus nach dem Untergang von Saturninus trachten. Thamera kommt zerzaust hinzu und berichtet, dass zwei junge Männer versucht hätten sie zu töten, aber Aran diese in die Flucht geschlagen habe. Aran erzählt, dass es die Söhne von Titus waren, woraufhin Saturninus die Gefangennahme und baldige Hinrichtung von Titus’ Söhnen befiehlt. Titus bittet Saturninus, diese Anweisung zu überdenken und erinnert ihn daran, was er alles für das Wohl Roms getan habe – an seine Kriegstriumphe und sein Einschreiten im grausamen Bürgerkrieg, wo er durch seine Rede die Rebellen besänftigt hatte. Saturninus aber lässt sich nicht besänftigen und insistiert weiter auf seine Rache. Der dritte Akt setzt mit dem Auftritt Lavinias ein, die ihrem Onkel, Titus’ Bruder Marcus, begegnet. Saturninus, Thamera und die gefangenen Söhne von Titus gehen von der Bühne ab, Titus wirft sich in Tränen zu Boden und versucht ein letztes Mal, Saturninus zu Gnade zu bewegen, der aber nicht reagiert. Marcus tritt mit Lavinia zu Titus, der zuerst nicht erkennt, was Lavinia widerfahren ist. Erst als er fragt, warum sie nicht spricht, werden Lavinias Verstümmelungen für ihn sichtbar. Marcus fordert Rache, Titus ist entsetzt und voll Trauer um Lavinia. Lucius (Titus’ fünfter und letzter verbliebener Sohn) kommt zu ihnen, um zu berichten, dass er verbannt wird, weil er für einen Komplizen seiner Brüder gehalten wird. Aran tritt hinzu, erzählt, dass die Söhne von Titus durch das Schwert gerichtet werden sollen, dass aber, wenn Titus seine rechte Hand abhacke und ihm überbringe, er dessen Söhne verschonen würde. Titus hackt augenblicklich seine Hand ab und übergibt sie Aran.

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In der nächsten Szene kommt ein Offizier und bringt Titus die Köpfe seiner Söhne sowie seine Hand. Titus ist zuerst stumm vor Trauer und Zorn, bevor er in Wehklagen, Racheschreie und Trauerbekundungen ausbricht. Dann fängt er plötzlich zu lachen an, gibt wahnsinnige Reden von sich und will sich erstechen. Marcus und Lucius halten ihn davon ab. Titus verfasst einen Racheeid, auf den alle drei schwören. Die Geister der Verstorbenen erscheinen und fordern Rache. Schließlich gibt Titus die Anweisung, dass Lucius die Feldhauptleute seines Bruders zu einer Garde versammeln soll. Lucius lauert mit der Garde Aran auf und hört, wie Aran die Söhne zur Schändung Lavinias befragt. Lucius ruft zum Angriff und lässt Aran gefangen nehmen, während Thameras Söhne fliehen. Aran berichtet in einer hitzigen Rede von allen grausamen Taten, die er begangen hat. Schließlich wird er zum Haus von Titus gebracht. Zwischenzeitlich erfährt Titus von der Schändung Lavinias. Lavinia wurde nämlich zornig, als Titus’ Enkelsohn die Erzählung von Philomela aus dem Ovid vorlas. Deshalb schütten sie Sand auf den Boden und lassen Lavinia mit einem Stab, den sie mit ihrem Mund und ihren Armstümpfen führt, die Namen ihrer Vergewaltiger aufschreiben. Sie nehmen an, dass diese auf Geheiß Thameras gehandelt hätten. Thamera und ihre Söhne treten als Rachegötter verkleidet vor Titus’ Tür. Titus erkennt sie, aber gibt vor, wahnsinnig zu sein und spielt mit. Thamera sagt ihm, dass Titus’ letzter Sohn für alles verantwortlich sei und sich Saturninus erweichen lasse, wenn Titus ihn töte. Titus geht zum Schein darauf ein und bittet sie, die beiden Furien, d. h. ihre Söhne, bei sich zu lassen. Als sie fort ist, ruft er nach Marcus und dessen Gefolgschaft, damit sie Thameras Söhne umbringen und aus ihren Leibern ein Mahl zubereitet wird. Ein Bote kommt hinzu und berichtet von der Gefangennahme Arans. Der letzte Akt steht im Zeichen von Titus’ Rache. Titus hat Thamera und Saturninus zu einem Mahl geladen. Lucius tritt verkleidet ein und präsentiert eine Attrappe von Lucius’ Haupt. Saturninus ist vergnügt und fragt nach Thameras Söhnen, woraufhin Titus antwortet, dass sie sich bald in Thameras »Unfang« befinden werden, und lässt ein Ballett zur Unterhaltung967 seiner Gäste aufführen. Saturninus unterhält sich gut und Titus reicht Thamera einen Becher Wein. Plötzlich erscheinen die Geister ihrer Söhne, Thamera wird schlecht und sie beginnt zu zittern. Lavinia tritt ein, Saturninus fragt nach dem Verbleib von Thameras Söhnen. Als Lavinia nicht antwortet, fragt Saturninus, warum Lavinia nicht spricht und ihre Hände verbunden sind. Titus erzählt, was Lavinia widerfahren ist, aber nicht wer es war und erwürgt Lavinia vor aller Augen. Saturninus fragt, wer sie geschändet habe, ob es Lucius gewesen sei, und Titus 967 Der Spieltext enthält keine einzige nähere Angabe zu diesem Ballett. An dieser Stelle heißt es lediglich: »Ein Ballet.« Kodex Ia 38.589, fol. 496r.

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entgegnet, dass es Thameras Söhne waren. Saturninus fordert, dass sie hergebracht werden, wobei letztendlich herauskommt, dass Thamera sie soeben verschlungen hat. Aran wird hereingebracht und vor aller Augen verbrannt. Saturninus frohlockt. Titus tötet daraufhin Thamera. Saturninus tötet Titus und Lucius tötet Saturninus, woraufhin Lucius von Marcus zum neuen Kaiser ausgerufen wird. Titus und Aran zeichnet sich vor allem durch die vielen Grausamkeits- und Gewaltdarstellungen sowie durch heftige Affekte aus. Diese Affekte sind u.a die Wollust des Kaisers; die Liebe Thameras zu Aran; die Eifersucht von Thameras Söhnen und in weiterer Folge deren Rachgier ; die Trauer, der Zorn, der Wahnsinn und die Rachgier von Titus; sowie der immer wieder durch eindringliche Berichte vermittelte rohe Zorn der Meute. Rätselhaft bleibt Arans Inneres, da sich nicht entscheiden lässt, ob ihn überhaupt Affekte wie Hass, Rachgier oder Liebe antreiben oder ob er diese lediglich simuliert. Die Thematik der Affektsteuerung begegnet hier beständig und in verschiedenen Formen wieder : Als missglückt, wenn beispielsweise Titus Saturninus um Gnade für seine Söhne anfleht. Als geglückt, wenn Aran Thamera dazu bringt, ihren Gemahl zu töten oder ihre Söhne dazu anstiftet, Bassianus zu töten und Lavinia zu schänden, aber auch wenn Titus davon erzählt, wie es ihm gelang, im Bürgerkrieg die Rebellen zu besänftigen. Auch als Idee, wenn vorgebracht wird, dass man die Leichen der Öffentlichkeit präsentieren soll, damit die Bürger in Rache entbrennen. Zudem finden häufig affekterregende rhetorische Figuren Verwendung. Eine weitere Auffälligkeit bilden die Massenszenen, die nur durch Bericht vermittelt werden und in der der Mob zum Objekt der Affektsteuerung gerät. Hier wird auf das Destruktionspotential der Meute und die Fragilität der sozialen Ordnung verwiesen. IV.4.1.5. Der durchlauchtige Kohlenbrenner In dem Drama Der durchlauchtige Kohlenbrenner, dessen Vorlage unbekannt ist, werden drei Handlungsstränge miteinander verwoben. Auf der einen Seite stehen die beiden Prinzen Melanor und Sidonius, die nach Kastilien aufgebrochen waren, um die Prinzessin Elysa zu freien. Durch einen Seesturm wird Melanor aber vom Schiff gerissen, damit von Sidonius und seinem Vertrauten getrennt, und an Land gespült, wo er von einem Kohlenbrenner aufgenommen wird und sich als dessen Knecht verkleidet. Sidonius wiederum gibt sich als Kaufmann aus, da sein Vater einst Elysas Bruder gefangengenommen und eine hohe Lösegeldforderung gestellt hatte. Auf der anderen Seite steht der Hof von Kastilien mit König Peronius an der Spitze, der mit Elysas Schwester Aminda vermählt ist. Aufgrund eines immer wiederkehrenden Traumes, in dem Aminda Peronius mit einem Kohlenbrenner betrügt, und den Peronius für ein Zeichen hält, straft er

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Aminda mit Zurückweisung und betrügt sie. Als der Hof eine Jagd veranstaltet, erhält der Kohlenbrenner die Aufgabe, eine Laubhütte für die Prinzessin Elysa in seinem Garten aufzustellen. Elysa kann dann aber aufgrund einer Unpässlichkeit nicht an der Jagd teilnehmen. Da Melanor aber nichts von Elysas Zustand weiß, hält er Aminda, die ihm bei der Laubhütte begegnet, für Elysa. Melanor wird beauftragt, für den König Wasser zu holen. Aminda gibt ihm einen Becher, in den sie ein Liebespulver hineingemischt hat, um so die Liebe des Königs wieder zu erlangen. Als der König aber Melanor in seiner Kohlenbrennerverkleidung mit dem Becher sieht, denkt er, der Becher wäre vergiftet. Peronius zwingt Melanor, daraus zu trinken, woraufhin Melanor umfällt. Auf Peronius’ Befehl lässt der Hof Melanors vermeintliche Leiche im Wald liegen und Aminda aufgrund ihres vermeintlichen Mordanschlags verhaften. Der Liebeszauber beginnt aber bei Melanor seine Wirkung zu tun, was durch das Auftreten von Amor und Fortuna dargestellt wird. Als Melanor erwacht, ist er für Aminda entbrannt. Auch Aminda hat sich in ihn verliebt und beschließt mit ihm durchzubrennen. Sie schreibt einen Brief und schläft ein, wobei sie im Schlaf an Melanor gerichtete Liebesbekundungen von sich gibt. Peronius kommt hinzu, hört ihre Worte, liest den Brief und nimmt ihn an sich. Nach einer Nacht, die Peronius im Wahnsinn verbracht hat, verkleidet er sich am nächsten Tag als Bote und begibt sich mit Soldaten zur Kohlenbrennerhütte, wo er Melanor den Brief übergibt. Unmittelbar bevor Peronius in Begriff ist, den Soldaten den Befehl zu Melanors Tötung zu geben, ahnt Melanor Unheil und tötet den vermeintlichen Boten. Als Melanor aber erkennt, dass es der König ist, bereut er seine Tat, doch spricht ihm Peronius in seinen letzten Atemzügen gut zu. Melanor bittet die Soldaten ihn abzuführen und davor die Leiche des Königs in die Kohlenbrennerhütte zu bringen. Zwischenzeitlich hatte Sidonius verkleidet eine Audienz bei Elysa erbeten und im Namen von Sidonius um ihre Hand angehalten, jedoch wies Elysa ihn aufgrund der vergangenen Ereignisse ab. Nach der Gefangennahme ihrer Schwester lässt sie nach Sidonius rufen und plant mit ihm die Befreiung Amindas und ihre gemeinsame Flucht. Auch sie hat sich in Sidonius verliebt, den sie aber für einen Kaufmann hält, und verspricht ihm ihre Hand. Die Kunde von Peronius’ Tod macht die Flucht aber hinfällig. Als Melanor vor den Hof gebracht wird, soll er aufgrund seines Vergehens mit dem Tode bestraft werden, weil die Gesetze dies fordern. Da aber herauskommt, dass er selbst königlichen Geblüts ist, gilt das Gesetz nicht, woraufhin Aminda und er sich vermählen können. Elysa bittet ihre Schwester, Sidonius heiraten zu dürfen, was sie ihr aber aufgrund seines scheinbar geringen Standes nicht gestattet. Erst als auch seine wahre Herkunft entdeckt wird, gibt sie ihre Erlaubnis. Peronius, Carbonius und Melanor stehen in einer Dreieckskonstellation: Peronius und Carbonius repräsentieren die beiden Enden der sozialen Ständeordnung, an deren Spitze der König und an deren unterem Ende der Kohlen-

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brenner, der einem verfemten Stand angehört, stehen. Noch bevor konkrete Informationen zu Peronius vergeben werden, thematisiert Carbonius die Differenz zwischen seinem Stand und dem des Fürsten: Die Fürsten hätten zwar mehr Ehre und Besitz, dafür aber auch mehr Sorgen. Umgelegt auf die Symbolsprache dieses Dramas bedeutet dies: Während Carbonius äußerlich schwarz ist, sind die Fürsten innerlich schwarz, sie sind Melancholiker, wie mit der Einführung Peronius’ deutlich gemacht wird, der eine Reihe von Phänomenen als düstere Vorzeichen interpretiert und schließlich durch sein Verhalten wesentlich zur Erfüllung seiner Vorahnungen beiträgt (vgl. auch IV. 4. 4.). Melanor, dessen Name die Schwärze enthält, steht zwischen dem König und dem Kohlenbrenner. Sein Name verweist auf die Melancholie des Königs sowie das geschwärzte Angesicht des Kohlenbrenners, das er annehmen wird. Melanor wird, ohne es zu beabsichtigen, zum Schreckensbild von Peronius und am Ende an seine Stelle treten. Jedes dieser fünf Dramen wählt eine differente dramaturgische Herangehensweise in Bezug auf die Affekte, die den Ausgangspunkt, Fortgang und die Dynamik der Handlung bestimmen. Bei drei Dramen steht ein zentraler Affekt im Vordergrund: In Oronthea ist es die Liebe, die grassiert und in ihrer Mannigfaltigkeit aufgefächert wird. In Die glückselige Ey¨fersucht ist es die Eifersucht, die aber von nur einer Person erlitten wird und mit der die Umwelt konfrontiert wird. In Titus und Aran wiederum steht die Rachgier im Mittelpunkt, die eine verhängnisvolle Dynamik von Aktion und Reaktion in Gang setzt. Die beiden anderen Dramen, Amor der Ty¨rann und Der durchlauchtige Kohlenbrenner, stellen anhand der Figur des Königs einen Zusammenhang zwischen Affekt und Krankheit her : Asphalides’ Unmäßigkeit provoziert nicht nur Gegenaffekte in seiner Umwelt, sondern hat auch seine Erkrankung zur Folge. Im Kohlenbrenner kreuzen sich die lose miteinander verbundenen Handlungsstränge in der krankhaften Melancholie des Königs. Lediglich in einem dieser fünf Dramen, in Amor der Ty¨rann, mündet die Lösung des Konflikts in der Bewältigung der unangemessenen Affektausprägung. In Titus und Aran sowie in Der Kohlenbrenner wird der Konflikt mit dem Tod der Affektbefallenen gelöst. Die beiden Cicognini-Dramen Oronthea und Die glückselige Ey¨fersucht entziehen sich hingegen bewusst diesen beiden vom Publikum antizipierten Lösungsoptionen. Hier wird eine äußerliche Lösung herbeigeführt, die das zu Grunde liegende Motiv, die unangemessene Affektausprägung, mehr oder weniger unberührt lässt, wodurch eine versöhnliche und humorvolle Perspektive auf die Rolle der Affekte im Leben der Menschen offeriert wird. Im nächsten Unterkapitel werden diese Dramen in einem ersten Schritt mit dem Affektwissen der Ethik kontextualisiert: Auf welche Weise wurden Affekte bewertet? Welche Kriterien wurden zur Bewertung von Affekten und ihren

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Ausprägungen herangezogen? Welche Möglichkeiten zur Kontrolle und Bewältigung der Affekte wurden empfohlen? In einem zweiten Schritt wird, ausgehend von zwei möglichen Lesarten – Metapher und Exempel –, die Verknüpfung von Herrschaft und Affekt im Drama erörtert.

IV.4.2. Affekt, Ethik und Herrschaftspraxis Der frühneuzeitliche Affekt-Diskurs wurde von zwei opponierenden Traditionen dominiert: Zum einen von der auf Aristoteles zurückgehenden und von Thomas von Aquin modifizierten peripatetischen Affektenlehre, zum anderen von der stoischen bzw. neostoischen Affektenlehre, die in der Frühen Neuzeit einen erneuten Aufschwung erhielt. Aufgrund divergierender Seelenkonzeptionen sowie Auffassungen vom Wesen der Affekte fällt auch die Bewertung der Affekte unterschiedlich aus.968 Während die peripatetische Tradition eine Mäßigung der Affekte vorsah, zielte die stoische Tradition auf die Tilgung der Affekte ab, da die Affekte als Hindernisse für die gute Lebensführung angesehen wurden.969 Blicken wir vor dem Hintergrund dieser beiden Traditionen auf die Dramen des Kodex, spricht einiges für die Ablehnung einer stoischen Affektbewertung. Es lässt sich ein Affekt-Verständnis erkennen, das die Affekte als dem Menschen zugehörig denkt. Demnach zielt die Spielpraxis des Berufstheaters auf die Mäßigung, nicht aber auf die Tilgung der Affekte. Die peripatetische Tradition unterscheidet arationale und rationale Seelenbereiche, denen verschiedene Seelenvermögen (Ernährungsvermögen, sinnliches Wahrnehmungsvermögen, Strebevermögen, Bewegungsvermögen und Verstandesvermögen) angehören. Die Affekte entspringen dem sinnlichen Strebevermögen, das zwar dem arationalen Seelenbereich angehört, auf das der rationale Seelenbereich aber Zugriff hat. Das sinnliche Strebevermögen hat die sinnliche Wahrnehmung als Voraussetzung. Nicht jeder Wahrnehmungsakt wirkt auf das sinnliche Strebevermögen, sondern nur jene wahrgenommenen Gegenstände, die vom Strebevermögen als gut oder schlecht befunden werden, woraufhin eine körperliche Veränderung in Kraft tritt. Da Affekte erlitten werden, auch gegen den Willen, und einem Vermögen entspringen, das Tiere und Menschen gemeinsam haben, sind die Affekte selbst moralisch neutral. Das 968 Vgl.: Meyer-Kalkus (1986), S. 34f.; 38–43. 969 Vgl.: Buddensiek, Friedemann: Stoa und Epikur: Affekte als Defekte oder als Weltbezug. In: Landweer, Hilge; Renz, Ursula (Hgg.): Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein. Berlin; New York: Walter de Gruyter, 2008. S. 69–93; – Guckes, Barbara: Stoische Ethik – eine Einführung. In: Guckes, Barbara (Hg.): Zur Ethik der älteren Stoa. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004. S. 7–29.

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Verstandesvermögen hat aber bestimmte Zugriffsmöglichkeiten auf die Affekte und kann auch selbst Affekte hervorrufen.970 Aus peripatetischer Sicht gibt das Kriterium der Angemessenheit den Ausschlag für die Bewertung des jeweiligen Affekts. Angemessenheit bedeutet, dass der Affekt in Hinblick auf die Situation und damit auf die Intensität sowie auf das Objekt des Affekts abgestimmt ist. Das wahre Gut soll tatsächlich als Gut angesehen und als solches begehrt werden, so wie das wahre Übel auch als solches erkannt und gemieden werden soll.971 Die Einübung der Tugenden, vor allem der Kardinaltugenden (Mäßigung, Gerechtigkeit, Klugheit und Tapferkeit), woran die anderen sittlichen Tugenden gebunden sind, unterstützt wesentlich die Einbindung der Affekte unter die Ordnung der Vernunft, ohne aber ihre Angemessenheit in jeder Situation garantieren zu können.972 Andererseits kann Affektbefallenheit auf einen untugendhaften Charakter hindeuten. Angemessene Affekte sind in vielerlei Hinsicht nützlich. So sind sie etwa für die Selbsterhaltung des Menschen wesentlich und können lebenserhaltende Impulse in Gang setzen: Die Selbstverteidigung Melanors in Der Kohlenbrenner, die im Drama als adäquate Reaktion bewertet wird, entspringt dem Zorn. Bei Zorn handelt es sich um eine Reaktion auf ein gegenwärtiges Übel. Diese Reaktion geht mit einer körperlichen Veränderung einher, die unmittelbar Kräfte aktiviert, die Melanor das Leben erhalten. Anders hingegen die Furcht des Königs Peronius, die als pervertierte erscheint, weil die Intensität seiner Furcht in Anbetracht des Objekts seiner Furcht und der Situation nicht angemessen erscheint. Affekte können auch dazu dienen die Tugenden und den Charakter auszubilden, was sich wiederum auf das weitere Erleben der Affekte auswirkt973. Im Drama Amor der Ty¨rann wird Asphalides vor allem durch das Laster der Maßlosigkeit charakterisiert. Diese Maßlosigkeit wirkt sich auch auf sein Affekterleben sowie auf seinen Umgang mit den Affekten aus und hat schließlich einen Exzess der Affekte im Sinne einer Erkrankung zur Folge. Die Überwindung 970 Vgl.: Pickav8, Martin: Thomas von Aquin: Emotionen als Leidenschaften der Seele. In: Landweer, Hilge; Renz, Ursula (Hgg.): Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein. Berlin; New York: Walter de Gruyter, 2008. S. 185–204; – Aquin (1955), S. 3–14; 473–495. 971 Vgl.: Rapp, Christoph: Aristoteles: Bausteine für eine Theorie der Emotionen. In: Landweer, Hilge; Renz, Ursula (Hgg.): Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein. Berlin; New York: Walter de Gruyter, 2008. S. 47–68. Hier: S. 63–67; – Pickav8 (2008), S. 199. 972 Aquin, Thomas von: Summe der Theologie. Bd. 2.: Die sittliche Weltordnung. Herausgegeben von Joseph Bernhart. Stuttgart: Kröner, 1985. S. 351–354; 356–358. 973 Vgl.: Rottermund, Erwin: Der Affekt als literarischer Gegenstand: Zur Theorie und Darstellung der Passiones im 17. Jahrhundert. In: Jauß, H. R. (Hg.): Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen. München: Wilhelm Fink Verlag, 1968. S. 239– 269. Hier: S. 242.

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dieses extremen Zustandes fällt mit der Ausbildung der Tugend der Mäßigkeit zusammen, die ihn zukünftige Affekte hypothetisch anders erleben lassen wird. Oder um ein Gegenbeispiel mit Titus und Aran anzuführen: Es liegt der Verdacht nahe, dass Aran (bestimmte) Affekte nicht erleidet. So scheint er beispielsweise nichts zu fürchten, weshalb er nie zur Ausbildung bestimmter Tugenden gezwungen war. Es ist seine Furchtlosigkeit, die ihn für Andere gefährlich macht. Ein weiterer positiver Aspekt der Affekte, ein Aspekt, der sich auch aus dem Umgang des Berufstheaters mit den Affekten ablesen lässt, ist, dass Affekte dem Leben Farbe verleihen.974 Ohne Affekte gäbe es auch keine Liebe und Freude. Zudem können Affekte zwar entzweien, aber sind zugleich maßgeblich daran beteiligt, dass sich einzelne verbinden und dass Gemeinschaften entstehen, sich erhalten und Schwierigkeiten überwinden können. Die im 17. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum immer noch verbreitetste Affekt-Taxonomie war jene Thomas von Aquins, die von vielen Gelehrten in weiten Teilen übernommen wurde.975 Thomas von Aquin teilte die einzelnen Affekte zwei Gruppen zu. Er unterscheidet Affekte des begehrenden Strebevermögens (appetitus concupiscibilis) und Affekte des zornmütigen Strebevermögens (appetitus irascibilis). Zu den Affekten des begehrenden Strebevermögens gehören Liebe und Hass, Verlangen und Aversion, Freude und Trauer. Liebe und Hass gehen den anderen Affekten voran, da Liebe als das Gefallen an dem, was als Gut, und Hass als das Missfallen an dem, was als Übel für einen selbst gilt, verstanden wird. Verlangen und Aversion sind als der Beginn einer Bewegung zu werten, die entweder nach einem bestimmten Gut strebt oder ein Übel flieht. Demgegenüber markieren Freude und Trauer das Ende einer Bewegung, d. h. wurde das erstrebte Gut erreicht, entsteht Freude, konnte ein Übel nicht abgewendet werden, entsteht Trauer. Zu den Affekten des zornmütigen Strebevermögens, d. h. Affekte, die auf ein Hindernis Bezug nehmen, gehören Hoffnung und Verzweiflung, Mut und Furcht, sowie schließlich Zorn. Während sich Hoffnung und Verzweiflung auf die Erreichung oder Nichterreichung eines Guts beziehen, handelt es sich bei Mut, Furcht und Zorn um Bewegungen, die auf die Abwendung eines Übels abzielen. Hoffnung und Verzweiflung richten sich auf ein zukünftiges Gut, Furcht und Mut auf ein zukünftiges Übel und Zorn auf ein gegenwärtiges Übel.976 Diese elf Grundaffekte können je nach Ausprägung, Situation, Objekt und Intensität verschiedene nützliche oder schädliche bzw.

974 Vgl.: Meyer-Kalkus (1986), S. 54. 975 Vgl.: Ort, Claus-Michael: Affektenlehre. In: Meier, Albert (Hg.): Die Literatur des 17. Jahrhunderts. München; Wien: Hanser, 1999 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart; Bd. 2). S. 124–139. Hier : S. 131. 976 Vgl.: Pickav8 (2008), S. 195–199; – Aquin (1955), S. 45–61; 495–510.

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sittlich wertvollere und weniger wertvollere Ausformungen annehmen und zur Tugend bzw. Sünde ausschlagen.977 Affekte sind zwar selbst nicht vernünftig, jedoch haben die Vernunft und der Wille bestimmte Zugriffsmöglichkeiten auf diese. Einen Affekt zu erleiden, bedeutet nicht, dass ihm stattgegeben werden muss. Es gibt die Möglichkeit sich gegen den Affekt als Handlungsimpuls zu entscheiden. Um zwei diesbezügliche Beispiele aus dem Kodex zu nennen: König Asphalides in Amor der Ty¨rann wird der Rat gegeben, erst zu entscheiden, wenn der Affekt des Zornes zurückgegangen ist. Dieser Rat beruht auf der Erfahrung, dass der Zorn ein heftiger, aber kurz andauernder Affekt ist und dass die aus Zorn gefällten Urteile anders ausfallen, als wenn der Zorn vorbeigezogen ist. Zweitens, Königin Oronthea kann sich dazu durchringen mit Alidoro zu brechen, obwohl sie ihn immer noch abgöttisch liebt, d. h., sie ist dem Affekt in Hinblick auf ihre Handlungen nicht zwangsläufig ausgeliefert. Es gibt zudem die Möglichkeit bei immer wieder auftretenden unangemessenen Affekten den Entschluss zu fassen, sich dieses Problems anzunehmen, jedoch setzt dies Einsicht voraus. Die Therapie ist kein einfaches Unterfangen. Sie bedarf eines fortwährenden Wechselspiels von Einsicht und Willen sowie der Einübung von Tugenden. Interessant ist hier das Beispiel König Roderichs in dem Drama Die glückselige Ey¨fersucht: Roderich weiß, dass seine Eifersucht unangemessen ist, und er äußert den Entschluss nicht mehr eifersüchtig zu sein, aber es gelingt ihm nicht. Es findet sich zum einen die Andeutung, dass seine Eifersucht auf die Wirkung von Gestirnen zurückgeht. Zum anderen sind es erschwerende Umstände, u. a. in der Gestalt des Höflings Cortadiglio, die ihm die Unterlassung verunmöglichen, da Cortadiglio immerzu bemüht ist, Roderichs Eifersucht Nahrung zu geben. Aber selbst wenn es nicht Cortadiglio ist, der diese befeuert, tut sich in Roderich nach einer Weile der Argwohn auf. Roderich müsste verschiedene Maßnahmen treffen, um indirekt auf den Affekt zu wirken: Für den Anfang schiene es sinnvoll, er würde Cortadiglio aus seinem nahen Umfeld entfernen, um zumindest einen Faktor, der die Eifersucht auslöst, auszuschalten. Als Nächstes könnte er versuchen, die aus den affektiven Regungen folgenden Handlungen zu unterbinden. Ein weiterer Schritt wäre die Arbeit an und mit seinen Vorstellungen978, das kann beispielsweise heißen, dass er sich beim Auftreten argwöhnischer Gedanken, Delmiras Treue, die sich stets bestätigt, vor Augen führt (vgl. zur Affekttherapie IV. 4. 4.) Andererseits bestimmt die Teilhabe der Affekte an Handlungen ihre sittliche Bewertung. So gilt eine wohltätige Handlung als moralisch wertvoller, wenn sie 977 Vgl.: Aquin (1955), S. 37. 978 Vgl.: Aquin (1955), S. 512; – Butzer, Günter : Soliloquium. Theorie und Geschichte des Selbstgespräches in der europäischen Literatur. München: Fink, 2008. S. 91.

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nicht bloß aufgrund rationaler Erwägungen erfolgt, sondern von Mitleid und Liebe begleitet ist. Im Gegensatz dazu fällt die Beurteilung schlechter Handlungen, die aufgrund einer affektiven Erregung erfolgen, milder aus, da die Vernunft vom Affekt überwältigt wurde.979 König Asphalides im Drama Amor der Ty¨rann kann für sein Handeln während seines Wahnsinns, d. h. seiner Erkrankung, nicht zur Verantwortung gezogen werden, aber er hätte früher Maßnahmen treffen können, die den Exzess hätten verhindern können. Es wird angedeutet, dass die Heilung von Asphalides mit dem Wirken einer überirdischen Macht koinzidiert, was als Wirkung der göttlichen Gnade interpretiert werden könnte. Mit Ausnahme von Andronicus ist dies das einzige Drama des Kodex, in dem ein Eingreifen Gottes angedeutet wird. Moraltheologische Zusammenhänge lassen sich aus dem frühneuzeitlichen Affektverständnis nicht ausklammern, auch wenn sie wie hier im Kodex nicht immer an prononcierter Stelle aufscheinen mögen. Mit Augustinus, der die antiken Affektlehren mit der christlichen Glaubenslehre synchronisierte, werden die gegen die Vernunft gerichteten Affekte als Folge des Sündenfalls interpretiert. Die Therapie der Affekte bedarf deshalb als Voraussetzung die Gerichtetheit des menschlichen Willens auf Gott als höchstes Gut.980 Obwohl dieser Aspekt in den Dramen des Kodex, mit Ausnahme der beiden erwähnten Stücke vielleicht, an keiner Stelle direkt angesprochen wird, muss davon ausgegangen werden, dass das Publikum diesen Interpretationsrahmen einbezog und angemessene bzw. unangemessene Affekte mit Tugenden bzw. Sünden in einen Zusammenhang stellte.981 Andererseits aber wird das Aufblühen der Affektenlehren im 17. Jahrhundert von der Forschung gerade in einer Korrelation zum »Funktionsverlust von Religion« gesehen, den die Affektenlehren zu kompensieren versuchten.982 Es gibt mindestens zwei sich überschneidende Möglichkeiten, die Verknüpfung von Herrschaft und Affekt in den Dramen des Berufstheaters zu interpretieren: erstens als Durchspielen von Regierungs- bzw. Staatsmetaphern im Affektdiskurs und zweitens als Exempel, das die Fürst*innen an die Notwendigkeit der Affektbeherrschung zum Wohle des Staatswesens sowie seines Ansehens gemahnen soll. Die prominenteste Metapher im Affekt-Diskurs, die sich des Rückgriffes auf Regierungsformen bedient, ist jene auf Aristoteles zurückgehende Metapher von 979 Vgl.: Aquin (1955), S. 37–41. 980 Vgl.: Aquin (1955), S. 514f.; – Brachtendorf, Johannes: Augustinus: Die Ambivalenz der Affekte zwischen Natürlichkeit und Tyrannei. In: Landweer, Hilge; Renz, Ursula (Hgg.): Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein. Berlin; New York: Walter de Gruyter, 2008. S. 141–162. 981 Vgl.: Haekel (2004), S. 202–204. 982 Ort (1999), S. 125.

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der Tyrannei der Affekte über den Menschen mit ihrem Gegenstück, die als gerechte Herrschaft der Vernunft über die Affekte paraphrasiert wurde. Letztere ist deshalb gerecht, weil sie an Gesetzte, d. h. die Ordnung der Vernunft gebunden ist, wohingegen Erstere willkürlich ist, weil sie kein Gesetz kennt.983 Die Vernunft gewährt dem Menschen zu einem gewissen Grad Freiheit von den Affekten, da die Angebote der Affekte soweit sie von der Vernunft als nützlich erachtet werden, angenommen, sofern sie aber als schädlich erachtet werden, zurückgewiesen werden können. In bestimmten Situationen kann das Zuvorkommen der Affekte vor der Vernunft wichtig bis lebensrettend sein, weshalb ihnen ein bestimmter Spielraum zugestanden werden muss. Das Verstandesvermögen und der damit einhergehende Freiheitsgrad über die Affekte unterscheidet den Menschen vom Tier, das kein Verstandesvermögen besitzt und somit dem sinnlichen Strebevermögen, auf welches es angewiesen ist, ausgesetzt bleibt. Auf diesen Tier-Vergleich rekurrieren auch die Dramen, wenn Tyrannen mit wilden und gefährlichen Tieren verglichen werden, da sie nicht bloß ihren Affekten freien Lauf lassen, sondern von diesen absolut beherrscht werden und dabei die Vernunft pervertieren.984 Besonders hervorgehoben wird dieser Aspekt in Amor der Ty¨rann, wenn Asphalides in den Wahnsinnsszenen animalische Verhaltensweisen an den Tag legt und den Advokaten fressen will. Wie MeyerKalkus ausführt, verkörpert die Figur des Tyrannen im Drama die Tyrannei der Affekte. Über »den unausbleiblichen Aufruhr der dissonanten Gemütskräfte hinaus entstehen Unordnung im Staat, virtuell Aufruhr der Untertanen und Untergang des Staatswesens.«985 Jene Herrscher der Dramen im Kodex, die der Tyrannei der Affekte unterliegen, werden selbst zu Tyrannen, übertreten die Gesetze und bringen damit den gesamten Staatskörper in Unordnung, der sich letztendlich gegen sie zu richten droht. In Analogie dazu birgt die Affektbefallenheit, die das leiblich-seelische Gefüge in Unordnung bringt, die Gefahr des Zusammenbruchs in Form einer leiblich-seelischen Erkrankung. Die Aufführung dieser Dramen bei Hof, die eine thematische Nähe zu den Inhalten der Gattung der Fürstenspiegel aufweisen, kann zugleich als Supplement zur Fürstenerziehung interpretiert werden. Fürstenspiegel offerieren selbst keine Affektenlehre, nehmen aber im Zusammenhang mit Tugenden und Lastern des Fürsten sowie der Reaktionen der Untertanen auf Maßnahmen und das Verhalten des Fürstens Bezug auf die Affekte. Diese beiden in einem reaktiven Verhältnis stehenden Orte des Affekts werden auch in diesen Dramen verknüpft: In Oronthea heißt es, vermittelt durch den Bericht von Hanswurst und Tiberino, dass die Stadt wegen Orontheas 983 Vgl.: Campe (1990), S. 309f. 984 Vgl. zum Tiervergleich: Meyer-Kalkus (1986), S. 61f. 985 Meyer-Kalkus (1986), S. 64.

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Verhalten verwirrt ist. Oronthea wird dabei zum Gegenstand von Hanswursts und Tiberinos Trinkgelage, die sich über sie lustig machen und womit der Verlust von Orontheas Ansehen im Reich angedeutet wird. In Amor der Ty¨rann spricht sich dem Bericht Aramechs entsprechend im Reich herum, dass die Königin den König zu entmachten und zu töten versuchte, weshalb die Untertanen in großer Unruhe sind und die Königin den Rückhalt bei ihnen verloren hat. In Titus und Aran wird den Affekten der Untertanen, ebenfalls durch Bericht vermittelt, ein breiter Raum zuteil, deren Affekte durch gezielte Affektsteuerung gezähmt oder erregt werden können. Schließlich wird in Der Kohlenbrenner die Möglichkeit des Sturzes des Königs durch das Reich angedeutet. Es sind weniger konkrete Affekte der Untertanen, die in den Dramen vermittelt werden, als der Hinweis auf ein affektives Ungleichgewicht, das im Entstehen ist und dessen Auswirkungen für die Herrschenden (sowie auch für das Gemeinwohl) gefährlich werden könnten. In Erasmus von Rotterdams Institutio Principis Christiani (1516) und Justus Lipsius Politicorum sive civilis doctrinae libri sex (1589), beides einflussreiche Fürstenspiegel, sind jene Affekte der Untertanen, die im Zentrum der Betrachtung stehen, Liebe bzw. Gewogenheit, Furcht, Hass und Verachtung. Lipsius betont die Notwendigkeit, Kenntnisse von den Affekten der Untertanen zu erlangen, um in der Lage zu sein, diese zu steuern und entwirft dabei das Bild einer leicht zu erregenden, aufsässigen und wenig vernünftigen Meute.986 Erasmus teilt diese Perspektive auf die Untertanen grundsätzlich nicht, da er das Verhalten der Untertanen auf das Verhalten des Herrschers zurückzuführt.987 Er verwehrt sich zudem dagegen, die Menge als Ungeheuer und den Fürsten als Tierbändiger anzusehen.988 Erasmus und Lipsius wenden sich zuallererst der Erlangung der Liebe bzw. der Gewogenheit der Untertanen zu: Grundsätzlich einig sind sich beide in der notwendigen Tugendhaftigkeit des Herrschers, was die Grundvoraussetzung für die Liebe der Menge zu ihm ist. Erasmus schärft dem Fürsten ein, sich immer wieder auf die Liebe zu den Untertanen zu besinnen, empfiehlt dem Fürsten als vermittelnde Instanz zwischen den Untertanen und ihm auf Personen zurückzugreifen, die bei den Untertanen in hohem Ansehen stehen und zuletzt nicht zu häufig oder zu lange in der Ferne zu verweilen. Von Zauberei, allzu großer Nachgiebigkeit und Geschenken aber rät er als Mittel, die Liebe zu gewinnen, ab.989 Lipsius empfiehlt dem Regenten Sanftmut, Freigiebigkeit und Nachsicht. Sanftmut bedeutet Güte gegenüber den Untertanen, die aber nur wirksam ist, 986 987 988 989

Vgl.: Oestreich (1989), S. 130. Vgl.: Rotterdam (1968), S. 71. Vgl.: Rotterdam (1968), S. 155. Vgl.: Rotterdam (1968), S. 143–149.

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sofern sie ein gewisses Maß nicht überschreitet, denn andernfalls wandelt sich die Gewogenheit der Untertanen in Verachtung. Vor allem zu Beginn der Regierung sollte sich der Fürst freigiebig zeigen, um die Liebe der Untertanen zu erhalten, dabei aber die Beschränktheit seiner Mittel nicht vergessen. Erasmus’ Bedenken in dieser Frage bezieht sich auf die Gefahr, dass sich die Untertanen daran gewöhnen und bei Ausbleiben der Geschenke aufrührerisch werden könnten.990 Nachsicht bezieht sich bei Lipsius auf Lebensmittelpreise, also die Vermeidung von Teuerung, und das Gewähren von Vergnügungen und Spielen, die, sofern die Inhalte nicht die Sitten verderben, nicht zuletzt aufgrund von deren ablenkender Wirkung vor Unruhen bewahren können.991 Nach Erasmus wird Hass durch »Zügellosigkeit, Gewalttätigkeit, Schmähungen, Launigkeit, Kleinlichkeit und Raubsucht«992 und Verachtung durch »Vergnügungssucht, Genußsucht, Trinkerei, Ausschweifungen, Spielleidenschaft, Narreteien, Possenreißereien, vor allem eben durch törichte Gedankenlosigkeit«993 erregt. Als Mittel gegen den Hass empfiehlt Erasmus Wohlwollen, das der Fürst durch »Milde, Freundlichkeit, Gerechtigkeit, Umgänglichkeit und Güte« erhält.994 Gegen die Verachtung empfiehlt er Autorität, die dieser durch »Klugheit, Untadligkeit, maßvolle Gesinnung, Besonnenheit und Wachsamkeit«995 erwirbt, nicht aber durch ein besonders prunkvolles Auftreten. Lipsius geht zuerst auf den Erwerb der Autorität ein, bevor er zu den Affekten Hass und Verachtung Stellung nimmt: Autorität beschreibt er als eine Mischung aus Furcht vor und Bewunderung für den Fürsten. Zum Erwerb der Autorität gehört erstens, dass er auf Beständigkeit achtet, d. h. keine großen Änderungen vornimmt bzw. falls sie notwendig sind, diese schrittweise durchführt und selbst die Regierungsgeschäfte übernimmt und überwacht. Zweitens, dass er sich fähig zeigt, sein Reich zu bewahren und die ihm zur Verfügung stehenden Mittel, also Geld, Waffen, Überlegungen, Bündnisse und Glück, richtig einsetzt. Zum Erwerb der Autorität zählt drittens sein Verhalten, d. h. Tugendhaftigkeit sowie ein würdiges Auftreten und eine repräsentative Hofhaltung.996 Der Hass der Untertanen, den er als eine Mischung aus Furcht und Rachgier definiert, muss um jeden Preis verhindert werden, da sich dieser, sobald er ausgebrochen ist, nicht mehr bändigen lässt. Er unterscheidet zwei Grundformen, die Hass entstehen lassen: zum einen tatsächliche Grausamkeit, Habgier und Unerbittlichkeit des Fürsten, zum anderen notwendige Maßnahmen, die 990 991 992 993 994 995 996

Vgl.: Rotterdam (1968), S. 145. Vgl.: Oestreich (1989), S. 132f. Rotterdam (1968), S. 149. Rotterdam (1968), S. 149. Rotterdam (1968), S. 149. Rotterdam (1968), S. 151. Vgl.: Oestreich (1989), S. 133–136.

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aber den Anschein der oben genannten Laster erwecken können: Der Fürst muss notwendigerweise richten, darf dies aber auf keinen Fall zu schnell tun, nicht aus Zorn, darf keine Schadenfreude zeigen und sollte bei der Hinrichtung selbst nicht anwesend sein. Muss er mehrere und hochgestellte Personen strafen, sollte er alle zum selben Zeitpunkt bestrafen und anschließend den Untertanen bestimmte Wohltaten zu Teil werden lassen. Er muss auch für das Wohl des Reiches notwendige Steuern einheben und, um nicht den Ruf der Habgierigkeit zu erwerben, auf Steuergerechtigkeit, Mäßigkeit der Steuern, Sparsamkeit sowie die sinnvolle Investition der Steuern achten, zudem die Steuerbeamten kontrollieren und schließlich die Untertanen von der Notwendigkeit der Steuern zu überzeugen versuchen. Zuletzt fordert er die Einführung einer Sittenpolizei bzw. Zensur, um auf Laster (»Hurerei, Ehebruch, Trunkenheit, Streit, Fluch und Schwören«997 sowie Verschwendung) der Untertanen einzuwirken.998 Verachtung fasst er weniger als Affekt, denn als eine geringe Meinung über den Fürsten, die schneller als Hass zum Aufruhr führen kann, da der Hass immer noch die Furcht vor dem Fürsten beinhaltet und die Untertanen deshalb vor Umstürzen noch zurückschrecken. Bei der Verachtung aber sei die Hemmschwelle geringer. Gegen die Gefahr der Verachtung verweist er auf das Kapitel zum Autoritätserwerb und wiederholt nochmals einige Punkte (die Beständigkeit des Regierens, die Kontrolle über die Regierungsgeschäfte, Glück sowie persönliches Verhalten) und fügt hinzu, dass schließlich auch Alter und Gebrechlichkeit zu einem Autoritätsverlust führen können.999 Nicht alle diese in den beiden Fürstenspiegeln erörterten Laster, Gefahren und Problematiken finden sich in den fünf hier besprochenen Dramen. Beispielsweise werden Habgier oder Steuerpolitik in ihnen nicht behandelt. Dafür nehmen etwa Grausamkeit, Gewalttätigkeit, Unerbittlichkeit, Zügellosigkeit, Pflichtvergessenheit und Genusssucht einen vielfach größeren Raum ein. Anhand der Darstellung dieser Verfehlungen im Kontext der Aufführung dieser Dramen, können sich Fürst*innen als Zuschauer*innen am eigenen Leib von der Wirkung, die diese Verfehlungen im Außen evozieren (Verachtung, Hass, Geringschätzung), überzeugen, womit zugleich die Notwendigkeit von der Einhaltung des Tugendideals eingeschärft werden soll.

997 Oestreich (1989), S. 140. 998 Vgl.: Oestreich (1989), S. 137–141. 999 Vgl.: Oestreich (1989), S. 141f.

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IV.4.3. Rhetorik und Affekt Das frühe Berufstheater simulierte und erregte Affekte1000 und machte nicht zuletzt anhand der vielen Verstellungsszenen sichtbar, wie Affekte simuliert, dissimuliert und erregt werden können. Zu den Verstellungsszenen gehörte auch das Spiel mit verräterischen Zeichen, die in manchen Fällen hervorgekehrt und in anderen Fällen verborgen wurden. In Die flüchtige Königin etwa verrät sich der Tyrann Don Rodrigo, der im Aufeinandertreffen mit Hans Wurst Schmähreden über sich ergehen lassen muss, mit dem Stampfen seines Fußes oder einem kurzzeitigen Aus-der-Rolle-fallen.1001 Auch Roderich in Die glückselige Ey¨fersucht ist nicht in der Lage, seine Eifersucht zu verbergen, was beim Publikum Lachen erregen soll. Andererseits begegnen im Kodex auch Figuren, die die Kunst der Verstellung meisterhaft beherrschen, wie Saladin (Andronicus) und insbesondere Aran (Titus und Aran), der so gut wie nie in sein Inneres blicken lässt und bei dem immer der Verdacht der Täuschung im Raum steht. Während sich Saladin vergleichsweise recht einfacher Mittel bedient, um Andronicus vom Christentum abzubringen, greift Aran zuweilen tief in die rhetorische Trickkiste, um etwa Demetrio und Quiro zur Schändung Lavinias zu verführen oder Titus dazu zu bringen, seine rechte Hand abzuschlagen. Nachdem sich Demetrio und Quiro für Arans Persuasionsversuche unempfänglich zeigen und sich angeekelt von ihm abwenden wollen, besinnt sich Aran eines letzten Mittels und gibt vor, den Geist von Demetrios und Quiros Vater zu sehen: Aran jj Hier ist ein kurtzer Bedrug vonnöthen, ich muß meine Sinne zusammen faßen. jj Quiro Ich muß dem Key¨ser auffwardten. Demetrius Und ich der schönen L a v i n i a . Aran Stehe Q u i r o ‹!› Stehe D e m e t r i u s ‹!› Gehe nicht weiter[,] dort gibt das Erdtreich den Gey¨st eures ermordeten Vaters hervor, aber nicht in solchen Schein, wie er auff den gothischen Thron geseßen, o‹der› wie er im Krige die Soltaten auffmunderte zum Fechten. Quiro Wie erscheind er dan anitzo. [465v] Aran Mit abgefleischten Schenckeln, seine Augen stehen steiff in 2 holen Winckeln und leichten wie Flammen, der Barth driefft von Bluthe, das Gehirn hänget auswendig an den Haren, eine grausame Wunde hatt er i‹n› der Brust, das Angesichte ist 1000 Zu Rhetorik und professionellem Schauspiel in der Frühen Neuzeit, siehe u. a.: Baumbach (2018), insb. ab S. 197; – Haekel (2004), S. 31; 183–193; – Roach, Joseph R.: The Player’s Passion. Studies in the Science of Acting. Ann Arbor : The University of Michigan Press, 1993. S. 23–57; – Plett, Heinrich F.: Theatrum Rhetoricum. Schauspiel – Dichtung – Politik. In: Ders. (Hg.): Renaissance-Rhetorik. Berlin; New York: De Gruyter, 1993. S. 328– 368; insb. S. 338–346. 1001 Vgl.: Kodex Ia 38.589, fol. 56v–58r.

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gantz zerkratzt, stehe Q u r i o. Qurio Was wird es werden? Aran Sehet ihr die Fackeln nicht, mit welchen er als ein Wind bei euch vorbei flöhe. Quiro Ich glaube A r ‹ a › n fält wachet in einem Traum. Aran Es war ein warhafftiges Gespenste. Demetrius Und habt Ihr es ohne Schertz rechtschaffen mit Augen gesehen. Aran Da kombt er wieder gegen uns, ich muß mich hinter diesen Pusch verstecken.1002

Arans Gaukelei wird von Bassianus und Lavinia unterbrochen, die die Bühne betreten und von Quiro, Demetrio und Aran belauscht werden. Demetrio und Quiro reagieren mit Eifersucht und zeigen sich, nach dem Abtritt von Bassianus und Lavinia, für die Erscheinung des Geistes empfänglich: Demetrius Was will der Geist unsers Vaters. Aran Daß ihr nach Rache trachten sollet. Quiro Hatt dieses der Vater gesaget. Aran Erstlich wolte seine Stimme nicht außbrächen[.] Er murmelte zwar etwan, nicht kein Klang kam zu meinen Ohren‹.› Entlich schin er über sich selbst zornig zu werden und trückete mit allen Krafften so ein laudes Gethon hervor als die Se‹e›, wen sie durch den wütenden Nord gedrieben wieder die Schiffe und d‹ie› Uffer brauset‹.› Ich zitterte vor Angst, die Hare stunden mir zu Berge und Schrecken ging mir durch Marckt und Bein‹.› Wo ihr denjenigen laßet, sagte er, welcher den Gothenkönig nach den benebelten Hölen zugeschicket hatt, so machet[,] d‹aß› Ti t u s Hauß von Anfang ausgerottet wirde. Schändet die L av i n i a und erträncket ihre Briter in einer See von Bluthe. Sehet, wie meine [467r] Wunden trieffen, die ‹dur›ch Ti t u s Angeben im gothischen Krige durch eine darzu erkohrne und teuer erkauffte Klinge empfangen habe‹.› Mit diesen Worden verschwande er.1003

Was Aran zu Beginn mit dem Zusammenfassen seiner Sinne meint, ist zuerst einmal der Rückgriff auf die phantasia1004, das Einbildungsvermögen, mittels dem er sich den Geist von Quiros und Demtrios Vater imaginiert und vergegenwärtigt. Es bedeutet weiter, dass er sich an der Vergegenwärtigung dieser Erscheinung mit dem Affekt der Furcht affiziert1005, die ihn zittern und ihm die 1002 Kodex Ia 38.589, fol. 465r–465v. 1003 Kodex Ia 38.589, fol. 466v–467r. 1004 »Phantasie erscheint als Seelenvermögen, als dichterisches Verfahren der Vergegenwärtigung oder als dessen Produkt, als erkenntnisfördernde oder -gefährdende Instanz; sie tritt auf als Element einer Bildlehre, die sie mit memoria oder als das einer Schöpfungsund Genielehre, die sie mit ingenium zusammenschließt – zugespitzt im sematischen Feld von Enthusiasmus, Manie und furor poeticus.« Lachmann, Renate: Phantasia, imaginatio und rhetorische Tradition. In: Kopperschmidt, Josef (Hg.): Rhetorische Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus. München: Fink, 2000. S. 245 – 270. Hier: S. 245. 1005 Zu Autoaffektion, vgl.: Quintilianus, Marcus Fabius: Ausbildung des Redners. Herausgegeben und übersetzt von Helmut Rahn. Erster Teil. Buch I–VI. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1988 (= Texte zur Forschung; Bd. 2). S. 709f.; – Campe, Rüdiger : Affizieren und Selbstaffizieren. Rhetorisch-anthropologische Näherung ausge-

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Haare zu Berge stehen lässt, wie er dann schildern wird. Zuletzt bezieht sich das Zusammenfassen der Sinne auf den Akt der Vermittlung, der Quiro und Demetrio die Gegenwart des Geistes evident1006 machen soll. Aran bedient sich suggestiver Ausrufe wie »Stehe […]!«, »Gehet nicht weiter […]« und »Sehet ihr […] nicht« und verwendet das Präsens. Er zeigt und beschreibt, wo sich der Geist befindet und wohin er sich bewegt: Zuerst steigt er aus dem Erdreich empor, dann fliegt er an Quiro und Demetrio vorbei, schließlich bewegt er sich bedrohlich auf Aran zu, der hinter einem Busch Zuflucht suchen muss. Er beschreibt die Gestalt des Geistes, wobei er Demetrio und Quiro zunächst das Bild des früher noch lebenden Vaters in Erinnerung ruft und dann das kontrastierende Bild des vom Tod entstellten und gespenstischen Vaters evoziert: abgefleischte Schenkel, flammende und starre Augen in hohlen Augenhöhlen, der Bart voll Blut, der Schädel geöffnet, Teile des Gehirns kleben an den Haaren etc. Nachdem sich Quiro und Demetrio nach dem Geist erkundigen, beschreibt Aran, wie der Geist nach Worten gerungen, seine Stimme versagt hat und dann plötzlich aus Zorn in ohrenbetäubender Lautstärke zu schreien begonnen hat; er beschreibt die Wirkung, die diese Erscheinung auf ihn selbst hatte; schließlich gibt er die Worte des Geistes in direkter Rede wieder, lässt den Geist »Sehet« sagen und auf seine Wunden deuten. Aran wird sich ein zweites Mal des Evidenz-Verfahrens bedienen. Nachdem die Söhne von Titus aufgrund ihrer vermeintlichen Taten vom Kaiser zu Tode verurteilt und von der Bühne abgeführt wurden, begibt sich Aran zu Titus und berichtet Titus von den Ereignissen, die sich an der Hinrichtungsstätte zugetragen haben. Hier wird das Publikum im Gegensatz zu vorher in Unsicherheit darüber gelassen, ob Aran die Wahrheit spricht oder lügt, womit der vorherige Sicherheitsmechanismus – das Wissen um Arans Betrug, das die affektive Wirkung, die von Arans Rede ausgeht, eindämmen könnte – außer Kraft gesetzt wird. Aran beschreibt zuerst die Stadt, deren Straßen menschenleer sind, weil alle zum Schauplatz strömten, an dem Titus’ Söhne hingerichtet werden sollen. Er schildert die Dächer, die unter dem Andrang und der Last des schaulustigen und hend von Quintilian ›Institutio oratoria‹ VI 1–2. In: Kopperschmidt, Josef (Hg.): Rhetorische Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus. München: Fink, 2000. S. 135–152; – Roach (1993), S. 23–57; – Geitner, Ursula: Die Sprache der Verstellung. Studien zum rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer, 1992. S. 80–94. 1006 Zu evidentia, vgl.: Quintilianus (1988), S. 711f.; – Butzer (2008), S. 86f; – Müller, JanDirk: Evidentia und Medialität. Zur Ausdifferenzierung von Evidenz in der Frühen Neuzeit. In: Wimböck, Gabriele; Leonhard, Karin; Friedrich, Markus (Hgg.): Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit. Berlin: Lit Verlag, 2007 (= Pluralisierung und Autorität; Bd. 9). S. 59–81. Hier: S. 61–68.

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erregten Pöbels zusammenzubrechen drohen. Wieder bedient sich Aran der Prosopopöie, indem er den Pöbel Rache fordern und einen Mann Fürsprache für Titus und seine Söhne leisten lässt. Er beschreibt, wie dieser Mann von dem Pöbel getreten und zerrissen wird und sich der Pöbel dann an seinem Körper zu schaffen macht. Aran beschreibt den Tumult auf dem Platz, der von Blut durchtränkt ist, und wie inmitten dieses Grauens eine junge Frau den Schauplatz betritt. Aran lässt auch die junge Frau sprechen: Sie bittet den Kaiser um Begnadigung für Titus’ jüngsten Sohn, worauf sie eine vergangene Krisenzeit vor Augen stellt, in der die Frauen durch ihr kampfbereites Opfer Rom vor dem Untergang bewahrt hatten. Aran lässt den Kaiser antworten, dass er keine Ausnahme machen, Titus’ Söhne also nicht begnadigen kann. Aran beschreibt, wie die junge Frau daraufhin dem Wahnsinn verfällt und sich mit Händen und Zähnen selbst verstümmelt, worauf der Kaiser einlenkt und die Begnadigung von Titus’ Söhnen an die Bedingung knüpft, dass Titus ihm seine rechte Hand opfert. Titus glaubt Arans Erzählung und opfert daraufhin seine rechte Hand. Und auch das Publikum soll Arans Erzählung glauben, soll sehen, was er beschreibt, soll in immer heftigere affektive Erregung geraten, die durch die Unsicherheit über Wahrheit und Betrug eine Steigerung erfährt. Letztendlich hat Aran gelogen. Es wird jedoch offengelassen, ob Aran lediglich in Bezug auf Titus’ Hand oder generell in allem gelogen hat. Es mag kein Zufall sein, dass die Truppe von Hoffmann & Schwarz 1656 gerade Titus und Aran – verstanden als Auseinandersetzung mit der Rhetorik – mit einer Schultheatergruppe in Schwäbisch Hall einstudiert und so die »allhiesige schuljugend im agiren informirt« hatte.1007 Naheliegend wäre, dass sie die Schüler vor allem im rhetorischen Stil1008, bei dem der Affektausdruck im Mittelpunkt stand und den sie neben dem comœdiantischen Stil praktizierten, unterwiesen hatten. Der szenische Vorgang, in dem Aran den Geist von Quiros und Demtrios Vater zu vergegenwärtigen versucht, könnte sich als geeigneter Moment erwiesen haben, den Schülern die Technik der Autoaffektion näherzubringen, die in rhetorischen Schriften, aber auch in Franz Langs Abhandlung über die Schauspielkunst als Vorbedingung genannt wird, um affektgebundene Zeichen hervorzubringen und um die Affekte des Publikums zu erregen.1009 Zum

1007 Zitiert nach: Rudin (2010), S. 79f. 1008 Zum rhetorischen Stil, siehe: Baumbach (2012), S. 258–265. 1009 »Das zweite Erfordernis der Deklamation ist, daß sie mit den Worten übereinstimme und deren Bedeutung den Zuhörern nachdrücklich einpräge. Damit das erreicht und die Deklamation den Affekten entsprechend gestaltet wird, sind diese selbst zuerst in der Seele des Schauspielers hervorzurufen, um auch in den Zuhörern mächtig entfacht zu werden. Wer selbst innerlich friert, wie soll der andere erwärmen?« Lang (1975), S. 206.

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anderen werden sie sich auch mit der actio-Lehre1010 und deren Regeln zur Aussprache, zum Gebrauch der Stimme und des Körpers in Hinblick auf Stand, Alter, Redesituation, Redeteile sowie intendierte affektive Wirkung1011 befasst haben. Nicht zuletzt bot das Einstudieren dieses Stückes Gelegenheit, über die der Klugheitslehre zugehörigen Kunst der Verstellung1012 zu diskutieren, auf die Titus und Aran eine ambivalente Perspektive wirft. Arans Gebrauch dieser Kunstfertigkeit wird zwar eindeutig dem Missbrauch zugeordnet, allerdings sehen sich andere Figuren, insbesondere Titus, dadurch, dass sich Aran der Verstellungskunst bedient, dazu gezwungen, diese selbst anzuwenden. Da das Verstellen im politischen Leben und bei Hof, so der Subtext, geläufige Praxis ist, ist es nicht nur wichtig zu lernen, auf verborgene Intentionen von anderen zu schließen, sondern auch, seine eigenen Intentionen und Motive zu verbergen. Zur Einübung dieser Fähigkeit wird nicht zuletzt auch von Tzschimmer auf die Praktik des Theaterspielens verwiesen: »Je mehr Einer auf dem Theatro seine Person verstellter Weise verändert/ desto besser spielet er dieselbe.«1013 Das Affekt-Wissen der Rhetorik war aber nicht nur elementarer Bestandteil der politischen Klugheitslehre, sondern auch der Affekttherapie: Zum einen mussten die Erkrankten von der Notwendigkeit einer Kur sowie von affekttherapeutischen Maßnahmen überzeugt werden, zum anderen fußten bestimmte affekttherapeutische Maßnahmen im weitesten Sinne selbst auf rhetorischen Techniken.1014 Das nächste und abschließende Unterkapitel kontextualisiert die Spielpraxis des Berufstheaters mit dem medizinischen Affektwissen.

IV.4.4. Affekt und Heilung Affekte korrespondieren im frühneuzeitlichen Verständnis mit somatischen Veränderungen und können demnach Erkrankungen mit auch tödlichem Ausgang zur Folge haben. Umgekehrt können bestimmte körperliche Dispositionen und Verfasstheiten Auswirkungen auf die Affektlage zeitigen. Die frühneuzeitliche Affekttherapie ist aufgrund dieser Wechselwirkung umfassend und beinhaltet sowohl Maßnahmen, die auf die Steigerung des körperlichen, als auch 1010 Zur actio-Lehre, siehe u. a.: Lang (1975); – Meyfart, Johann Matthäus: Teutsche Rhetorica Oder Rede-Kunst […]. Frankfurt am Main: Johann Kempffern, 1653. Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, Phil 88 01368/05; – Geitner (1992), S. 80–94. 1011 Vgl.: Göttert, Karl-Heinz: Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe – Geschichte – Rezeption. München: Fink, 1994. S. 72–74. 1012 Zur Kunst der Verstellung, siehe: Geitner (1992). 1013 Tzschimmer (1680), S. 288. 1014 Vgl.: Campe (1990), S. 323–331.

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solche, die auf die Steigerung des seelischen Wohlbefindens zielen.1015 Theater wurde immer wieder in einen Funktionszusammenhang zu Heilung gestellt.1016 Auch dem deutschsprachigen Berufstheater wurde, wie ein Zitat Karl Ludwigs verrät, eine gesundheitsfördernde Wirkung zugesprochen – »[…] zum andern, so macht die Komödie Freude, Freude gibt Gesundheit, Gesundheit Stärke, Stärke macht besser arbeiten, also sollten sie es mehr gebieten als verbieten.«1017 Wenn sich auch, wie Michael Stolberg in der Auseinandersetzung mit Affekt und Krankheit feststellt, keine Nachweise für eine »umfassende, gar allgemein anerkannte medizinische Theorie der Affekte«1018 finden lassen, waren bestimmte Modelle des Zusammenwirkens von Seele, Affekt und Körper prägend. Dazu gehörte vor allem die Vorstellung, dass die Seele den Körper mittels der Aussendung von Lebensgeistern steuert: In der Interpretation des Affektgeschehens der Furcht beispielsweise ziehen sich die Lebensgeister und die Wärme im Inneren zusammen (während sie sich bei der Freude ausweiten). Die Lebensgeister und die Wärme fliehen dabei aber vom Herz weg nach unten (im Gegensatz zum Zorn, wo sie sich zwar auch zusammenziehen, aber nach oben bewegen) und sammeln sich im Unterleib, wodurch die Wärme steigt. Die aus dieser Bewegung der Lebensgeister im Modus der Furcht resultierenden möglichen Effekte sind: Zittern und Erbleichen, weil sich die Lebensgeister ins Innere zurückziehen; Fluchtergreifung und Versagen der Stimme, weil die Lebensgeister vom Herz weg fliehen und schließlich Durst sowie die Ausscheidung von Harn, Stuhl und Samen, weil der Unterleib erhitzt.1019 Affekte können zu Krankheiten ausarten, dabei den gesamten Organismus in Mitleidenschaft ziehen und im schlimmsten Fall zum Tod führen. Trauer soll beispielsweise Koliken, Cholera, Gelbsucht, Hypochondrie, Melancholie, Scirrhen (verhärtete Tumoren), gestörte Monatsblutungen und Wochenflüsse, Wassersucht, geschwollene

1015 Vgl.: Stolberg, Michael: ›Zorn, Wein und Weiber verderben unsere Leiber‹. Affekt und Krankheit in der Frühen Neuzeit. In: Steiger, Johann A. (Hg.): Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit. Bd. 2. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2005 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 43). S. 1051–1077; – Campe (1990), S. 323– 331; – Schmitz, Heinz-Günter : Physiologie des Scherzes. Bedeutung und Rechtfertigung der Ars Iocandi im 16. Jahrhundert. Hildesheim; New York: Georg Olms Verlag, 1972 (= Deutsche Volksbücher in Faksimiledrucken; Reihe B; Untersuchungen zu den deutschen Volksbüchern; Bd. 2). S. 91–157. 1016 Vgl.: Baumbach, Gerda (Hg.): Theaterkunst und Heilkunst. Studien zu Theater und Anthropologie. Köln; Weimar ; Wien: Böhlau, 2002. 1017 Zitiert nach: Frolowitz (2002), S. 111. 1018 Stolberg (2005), S. 1060. 1019 Vgl.: Aquin (1955), S. 357–368.

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Füße, allgemeine Schwäche, zuweilen verstopfter, zuweilen auch gelockerter Stuhlgang, Zehr- und Leberfieber sowie überhaupt chronische Krankheiten1020

hervorrufen können. Auch wenn jene Affekte, die ein Übel zum Gegenstand haben (Trauer, Furcht, Zorn, etc.) weit häufiger im Zentrum der medizinischen Aufmerksamkeit standen, wurden auch auf ein Gut bezogene Affekte (Liebe, Freude etc.), sofern sie ein bestimmtes Maß an Intensität überschritten, als gesundheitsgefährdend wahrgenommen.1021 Einige Dramen des Kodex thematisieren bestimmte Affektausprägungen dezidiert als Krankheit. In Amor der Ty¨rann wird diese Dimension u. a. mit der Figur des Arztes und der des Geistlichen explizit angesprochen, die aber beide bei der Heilung des Königs versagen. Ausschlaggebend für seine Heilung scheint, neben der göttlichen Gnade, das vom Feldhauptmann inszenierte Schauspiel zu sein. Bei Der Kohlenbrenner hingegen wird die Krankheit des Königs, die Melancholie, nie explizit angesprochen aber durch die Symptomatik, die sein Verhalten und seine Äußerungen an den Tag legen, offenbar : Die erste Andeutung, die auch in die Thematik einleitet, stammt vom Kohlenbrenner Carbonius, der über seinen Stand und den eines Fürsten nachdenkt und im Zuge dessen die Feststellung macht, dass ein Fürst ständig, bei Tag und Nacht, von Sorgen geplagt ist, dadurch keine Freude, dafür aber »das Kraut der Bitterkeit«1022 empfindet. Der erste konkret auf König Peronius bezogene Bericht, der Hinweise auf seine Symptomatik enthält, wird vom Kämmerer des Königs getätigt, der sich über die Ereignisse bei Hof bestürzt zeigt: Der König hätte kurz nach der Eheschließung seine Gemahlin zu hassen begonnen und aufgehört, das Bett mit ihr zu teilen. Peronius sei erzürnt, wütend und rasend und erschrecke damit sein gesamtes Reich. Die Ursache, so sagt man, sei ein immer wiederkehrender Traum, in dem seine Gemahlin ihn für einen Kohlenbrenner verstößt, weshalb er im festen Glauben sei, sie wäre ihm untreu. Er selbst aber betrüge sie mit einer anderen Frau »und befleckt seine Ehre mit gey¨ler Unkeüschheit«1023. Als Peronius die Bühne betritt, beklagt er, dass er von schweren Gedanken gequält wird und dass ihn das betrügerische Herz seiner Gemahlin »in den Abgrundt der Trübsall« stürzt.1024 Er ist davon überzeugt, dass sie ihn betrügt, weil es ihm sein ängstliches Herz und seine Träume verraten. Der Eifer und der Argwohn haben sich in ihm eingenistet oder wie er sagt, »der Eifer hat unßer beleidigtes Herze schier abgefreßen, und der Argwohn hat ihm einen

1020 1021 1022 1023 1024

Vgl.: Stolberg (2005), S. 1058. Vgl.: Stolberg (2005), S. 1061. Kodex Ia 38.589, fol. 136r. Kodex Ia 38.589, fol. 139r. Kodex Ia 38.589, fol. 141r.

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immerwehrenten Siz in unsrer Seelen gemacht«1025. Er schläft zwar, aber die Sorgen lassen ihn nie los. Schließlich kreisen seine Gedanken um die Untreue der Frauen, die von den Historien bestätigt würde, und dass man dieser Situation am besten begegnet, indem man diese aus dem Herzen und Bett verbannt und sich auf gleiche Weise, mit einer angenehmeren Liebe, rächt. Als Alpherino zu ihm kommt und auf sein Verhalten einwirken möchte, zeigt sich Peronius abweisend und hindert ihn mit der Androhung seines Zorns am Weitersprechen. Alpherino trifft als Nächstes auf Aminda, Peronius’ Gattin, die aufgrund der falschen Anschuldigungen ihr gegenüber zutiefst gekränkt und verletzt ist. Alpherino berichtet ihr vom Zustand des Königs, von dessen Zorn und Eifer, dass »sein Herz kochet«, »daß seine haaßbrennente Gall außbrechen«1026 könnte, und kommt zu dem Schluss, dass Geduld keine Verhaltensänderung beim König bewirken wird und man sich anderer Mittel, vielleicht sogar Gewalt, bedienen müsste. In der nächsten Szene zeigt sich Peronius manisch und größenwahnsinnig. Auf diese Weise versucht er seiner Furcht vor dem drohenden Unheil zu begegnen. Diese Furcht entspringt seinem schlechten Gewissen, da er bei der Jagd seinem sexuellen Begehren nachzugehen gedenkt und nun Dianas Rache, »wegen Entheiligung ihres Reichß«1027 fürchtet. In der übernächsten Szene, inzwischen wurde Melanor damit beauftragt, Wasser für Peronius zu holen, das Aminda heimlich mit einem Liebespulver versetzt, ist Peronius plötzlich ängstlich und betrübt. Die Furcht vor drohendem Unheil, als dessen Vorboten er seine Träume und seine schweren Gedanken deutet, hat in der Zwischenzeit überhandgenommen. Alpherino versucht ihn zu beruhigen, indem er das Argument vorbringt, dass es die schweren Gedanken sind, die das Unglück erst hervorbringen. Ein Echo, das die letzte Silbe von Peronius’ Worten (»schwach«, »Ursach«, »allgemach«) »ach« widerhallen lässt, deutet Peronius als weiteres Zeichen für das ihm drohende Unheil. Als der als Kohlenbrenner verkleidete Melanor mit dem Wasser kommt, erinnert sich Peronius an seine Träume, die er als Warnung vor dem kommenden Unglück interpretiert. Er denkt, dass das Wasser vergiftet sei, und zwingt Melanor selbst davon zu trinken. Tatsächlich fällt Melanor scheinbar sterbend zu Boden, woraufhin Peronius in einen Tobsuchtsanfall gerät. Als Peronius das nächste Mal die Bühne betritt, ist es Nacht. Von Argwohn geplagt und ein nächstes Unheil befürchtend nähert er sich Amindas Schlafgemach – »Meine schwere Gedancken laßen mich nit rasten, mein Herz ist unruhig worden, und der Zorn kochet je lenger und mehr in meine‹m› Busen; mein Argwohn sagte mir[,] das ein Unglück verhanden sei

1025 Kodex Ia 38.589, fol. 141r. 1026 Kodex Ia 38.589, fol. 142r. 1027 Kodex Ia 38.589, fol. 143r.

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[…].«1028 Er hört Aminda im Schlaf von ihrer Liebe zu Melanor und der Angst vor dem Melanor und sie im Traum verfolgenden König sprechen. Peronius entdeckt bei Aminda einen an Melanor gerichteten Brief, in dem sie ihre Fluchtpläne mit Melanor darlegt. Peronius entbrennt in Rache und zeigt sich entschlossen, Aminda und Melanor zu töten. In der darauffolgenden Szene, die am nächsten Morgen spielt, geht aus einem Gespräch zwischen Amindas Schwester und einem Hofbediensteten hervor, dass Peronius in der Nacht dem Wahnsinn verfallen sei: […] der König ist alß ein Wütenter die ganze Nacht herumbgelauffen, wolt sich offt selbst ermorden, doch sprach er‹: Nein!› Wer wolte sonsten die Raache vollbringen‹?› Balt eilete er mit bloßen Degen den Dienern nach, fluchte und sprach: Ihr Schelme, ihr spielet mit der Königin unter den Huttlein, niemandt ist uns mehr getreü‹.› Balt gegen Tag gab er sich zu Ruh, und wurdte alles still.1029

Was folgt, ist Peronius’ Sterbeszene. Als Bote verkleidet und von Soldaten begleitet, die Melanor auf seinen Befehl hin töten sollen, sucht er die Hütte des Kohlenbrenners im Wald auf. Auch Melanor hat eine düstere Vorahnung. Als Peronius ihm den Brief übergibt und kurz davor ist, die Soldaten zu rufen, entdeckt Melanor, dass es sich um einen Hinterhalt handelt und tötet den als Boten verkleideten Peronius, nicht ahnend, dass es der König ist. Im Sterben liegend spricht Peronius davon, dass er seinem Schicksal nicht entkommen konnte und dadurch, dass er es zu verhindern versucht hatte, sich schuldig gemacht hätte. Schließlich wünscht er Melanor Glück und stirbt. Die Melancholie, die auch krankhafte Ausformungen annehmen kann wie hier, ist das am schwersten zu fassende, umstrittenste und widersprüchlichste der vier Temperamente. Symptome der Melancholie sind nicht nur Schwermut, Traurigkeit, Furcht oder Niedergeschlagenheit, sondern auch Manie, Zorn sowie ein gesteigerter Sexualtrieb.1030 Je nach Ausdeutung wurde die Melancholie entweder als zu großen Fähigkeiten prädestinierendes Temperament oder als das negativste der vier gezeichnet. Es gab verschiedene Versuche Erklärungen für diese Widersprüche zu finden. Ein Erklärungsmodell unterscheidet zwischen einer natürlichen und einer unnatürlichen, krankhaften Melancholie, die so genannte melancholia adusta, die aus der Verbrennung von einzelnen Säften hervorgehen soll. Je nach verbranntem Saft herrsche eine andere Symptomlage vor.1031 König Peronius’ Symptomatik würde dieser Konzeption nach eine 1028 Kodex Ia 38.589, fol. 149r. 1029 Kodex Ia 38.589, fol. 150r. 1030 Vgl.: Klibansky, Raymond; Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992. S. 55–92. 1031 Vgl.: Klibansky ; Panofsky ; Saxl (1992), S. 151–155.

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

krankhafte Melancholie auf Basis der gelben Galle nahelegen, die von Raserei, Manie, Wahnsinn, Unruhe, Besessenheit und Gewalttätigkeit begleitet wird.1032 Die Melancholie geht in jedem Fall mit bestimmten physiognomischen Zeichen einher, wobei als Grundkonstante immer die Gelbfärbung bzw. Graufärbung der Haut genannt wird, hinzukommt Magerkeit sowie ein kränkliches Erscheinungsbild1033 – Zeichen, die in die Darstellung von Peronius eingeflossen sein könnten. Inwieweit könnte nun die Aufführung dieses oder eines anderen Dramas als affekttherapeutische bzw. -prophylaktische Maßnahme fungieren? Tzschimmer, der (letztendlich auch) das Schauspiel (des deutschsprachigen Berufstheaters am Dresdner Hof) zu rechtfertigen versuchte, tat es mit dem Argument der Sinnlichkeit: Was die Augen sehen/ das glaubet das Hertze/ und alles das jenige was einen Nutzen schaffet/ das soll man nicht unterlassen? Unter allen Exercitiis belustiget auch das Gemüthe eine kluge Invention, nebenst einer anmuthigen Music nicht wenig. Denn das Hertz wird dadurch erquicket/ der Verstand lebhaffter/ das Auge schärffer/ und das Ohr mit Anhörung und Vorstellung der seltzamsten Geschichte aufmerksamer : Und was noch mehr ist; So wird dadurch die Zuneigung zur Tugend angestrenget/ der Appetit zum Lastern abgeschreckt/ das Gedächtnus geschärffet/ die Zunge behender/ und die Sitten und Gebehrden höflicher. Mit einem Worte/ die Erschrockenen werden dißfalls behertzt/ und die Furchtsamen aufgefrischet/ daß sie endlich jederman ihre Noth/ und Anliegen unter die Augen tragen dürffen/ die jenigen aber/ so zuhören/ zu allerhand Erkäntnüß gebracht/ von Schand und Lastern abgemahnet/ und zur Tugend geleitet/ so gar/ daß ihre Gemüther deswegen beweget/ und das jenige so sie sehen und hören/ viel länger und beständiger in dem Gedächtnüße behalten/ als wenn man es Ihnen sonst mit Worten viel hundertmahl eingepräget und wiederhohlet.1034

Das Schauspiel stimuliere die Sinne und wirke auf diese Weise eindringlich auf die intellektuellen und affektiven Kapazitäten des Publikums, wodurch moralische Verhaltensideale sowie auch soziale Umgangsformen (in Bezug auf Sprache, Gestik und Mimik) eine stärkere Einprägung erführen. In Hinblick auf das Affektive hebt er die vom Schauspiel ausgehende direkte Wirkung der sinnlichen Wahrnehmung auf die Affekte (= das Herz) hervor. Das, was gesehen wird, wird auch affektiv geglaubt und kann, unter der Voraussetzung, dass das Gezeigte den angestrebten moralischen Parametern entspricht, moralische Grundsätze zu verinnerlichen und zu verfestigen helfen. Die Hinwendung zu den Tugenden sowie die Abwendung von den Lastern soll nicht bloß äußerlicher Akt sein oder lediglich auf rationalen Erkenntnissen beruhen, sondern eine 1032 Vgl.: Klibansky ; Panofsky ; Saxl (1992), S. 154f. 1033 Vgl.: Schmitz (1972), S. 117. 1034 Tzschimmer (1680), Bd. 1., S. 136.

Affekte

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affektive Grundlage haben, d. h. das Tugendhafte soll geliebt, als Gut erkannt und das Lasterhafte gehasst, als Übel erkannt werden. In der Affekttherapie bzw. -prophylaxe wurde unter anderem die Vergegenwärtigung historischer Beispiele von Affektbefallenheit bzw. die Lektüre von Schriften, die sich mit dieser Thematik befassen, empfohlen.1035 Diese Beispiele sollen Furcht vor den Konsequenzen unangemessener Affektausprägungen, vor allem in Hinblick auf das Ansehen und persönliche Einbußen, evozieren.1036 Eine solche Funktion kommt auch König Peronius in Der Kohlenbrenner zu: Zwar handelt es sich um eine fiktive Figur, jedoch werden die Erscheinungen und Konsequenzen, die die unbehandelte und krankhafte Melancholie mit sich bringen kann, detailliert sichtbar gemacht. Es steht immer sein physischer Körper in seiner Ausgesetztheit und Krankheit im Vordergrund. Sein Sprechen, das Sprechen über ihn sowie die Kommunikation mit ihm beschränken sich weitgehend auf seine Symptomatik, die für seine Umwelt immer unerträglicher wird. Der Nebeneffekt dieser Hervorhebung seines physischen Körpers liegt in der Verdrängung der Repräsentation des Königtums, die gewissermaßen der Verschleierung der physischen Bedürftigkeit bedarf, um funktionieren zu können. Dass er König ist, gerät immer mehr zu einer Behauptung, die immer weniger anerkannt und zuletzt tatsächlich auch nicht mehr erkannt wird. Der Verlust der Souveränität über die Affekte, der Mangel an Selbst- und Affektbeherrschung, zerstört die Fiktion des symbolischen Körpers, die sein natürlicher Körper zu erzeugen und aufrechtzuerhalten hat, und damit auch seine politische Souveränität. Die daraus resultierende »Nacktheit« geht mit dem Verlust seiner Immunität einher und kostet ihm letztendlich sein Leben. Das ist das eigentliche Drama, das hier durchgespielt wird, jenes des radikalen Souveränitätsverlusts, vor dessen Hintergrund die Berufsschauspieler*innen die Herrschenden, vor denen sie spielten, an die Notwendigkeit der Affektkontrolle gemahnten. Ein weiteres Argument, dessen sich Tzschimmer bedient, ist die von den Schauspielen ausgehende Belustigung des Gemüts, die den Bedeutungsrahmen von Erfrischung, Erheiterung sowie wohltuender und aktivierender Stimulation zu umfassen scheint. Da sich das Schauspiel positiv auf die affektive Stimmung (= die Erquickung des Herzens) auswirke, ginge damit eine positive Wirkung auf den gesamten Organismus, insbesondere auf den Verstand und die Sinne, einher. Auf diese Weise ist auch das eingangs erwähnte Zitat Karl Ludwigs von der Pfalz über die Comœdie zu deuten. Das Schauspiel der Berufsschauspieler*innen hatte immer auch eine unterhaltende Funktion. Es ist Spiel und dessen Besuch eine wohltuende Zäsur des Alltags. Ein wesentliches Prinzip der Affekttherapie bestand in der Behandlung 1035 Vgl.: Campe (1990), S. 328. 1036 Vgl.: Butzer (2008), S. 57.

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

eines Affekts durch die Induktion eines Gegenaffekts. Die oben ausgeführte Strategie der Evokation von Furcht basiert auf demselben Prinzip. Warme Bäder, Schlaf oder Spiel, all jenes, was als wohltuend erfahren wird, damit den Affekt der Freude (bzw. Lust) erregt und somit mit einer Ausbreitung der Lebensgeister einhergeht, kann Gegenmittel gegen Affekte, die ein Übel zum Gegenstand haben, sein.1037 Im Kontext der Spielpraxis des Berufstheaters lässt sich beobachten, dass darauf geachtet wurde, immer auch den Affekt der Freude zu erregen. Sei es durch eine gemischte Dramaturgie, wie in Der Kohlenbrenner – hier sind es vor allem die Liebeshändel und die comœdiantische Figur Mendo, die darauf ausgerichtet scheinen –, oder indem auf die Hauptaktion ein erheiterndes Nachspiel oder eine gleichwertige Intervention folgte. Vor allem die Praxis des Nachspiels scheint die Intention nahezulegen, dass das Publikum den Aufführungsort im Affekt der Freude verlassen sollte. Dass das Schauspiel aber die Erschrockenen beherzter mache, wie Tzschimmer schreibt, lässt zumindest zwei Interpretationen zu. Zum einen kann damit die eben umrissene wohltuende Wirkung des Schauspiels angesprochen sein. Zum anderen könnte er aber auch auf das Opitz’sche Diktum anspielen, dass das Schauspiel eine Schule der constantia sei, indem es durch das Zeigen von Unglücksfällen helfe, Übel besser erdulden zu lernen: Solche Beständigkeit aber wird uns durch Beschauung der Mißligkeit des Menschlichen Lebens in den Tragödien zu förderst eingepflantzet: dann in dem wir grosser Leute/ gantzer Stätte und Länder eussersten Untergang zum öfftern schauen und betrachten/ tragen wir zwar/ wie es sich gebüret/ erbarmen mit ihnen/ können auch nochmals auß Wehmuth die Thränen kaum zurück halten; wir lernen aber darneben auch durch stetige Besichtigung so vielen Creutzes und Ubels/ das andern begegnet ist/ das unserige/ welches uns begegnen möchte/ weniger fürchten und besser erdulden.1038

Die auf der Bühne gezeigten Wechselschläge des Schicksals sollen zu einem Gewöhnungseffekt an diese sowie zu einer Bedeutungsrelativierung (d. h. das eigene Leid geringer erscheinen lassen) führen.1039 Zudem offenbart Tzschimmers Zusatz »Mit einem Worte/ die Erschrockenen werden dißfalls behertzt/ und die Furchtsamen aufgefrischet/ daß sie endlich jederman ihre Noth/ und Anliegen unter die Augen tragen dürffen […]«, dass der Besuch eines Schauspiels auch als Ereignis aufgefasst wurde, dass Selbstreflexion und Kommunikation in Gang zu setzen im Stande war, was nicht 1037 Vgl.: Aquin (1955), S. 284–286. 1038 Opitz, Martin: Vorrede zur Übersetzung von Senecas »Trojanerinnen« (1625), zitiert nach: Wiegmann, Hermann (Hg.): Die ästhetische Leidenschaft. Texte zur Affektenlehre im 17. und 18. Jahrhundert. Hildesheim; Zürich; New York: Georg Olms Verlag, 1987 (= Germanistische Texte und Studien; Bd. 27). S. 26f. 1039 Zum Verfahren der Amplifikation im Kontext frühneuzeitlicher Meditationspraktiken, vgl.: Butzer (2008), S. 85f.

Zusammenfassung und Ergebnis

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zuletzt die Voraussetzung dafür bot, dass sich Betroffene Hilfe, Rat oder Beistand suchten.

IV.5. Zusammenfassung und Ergebnis Der Hof war für das frühe deutschsprachige Berufstheater ein entscheidender gewerbestrategischer Faktor. Ein längerfristiges Engagement bei Hof wurde zwar angestrebt, kam aber nur in seltenen Fällen, wie etwa in Dresden oder ˇ esky´ Krumlov, zu Stande. Neben der Möglichkeit eines längerfristigen EngaC gements versprach die Nähe zum Hof die Erweiterung von Spielgelegenheiten: Die Privilegienvergabe sicherte Spielgelegenheiten innerhalb eines Territoriums, die Prädikatsvergabe wertete den Namen der Truppen auf, was bei der Aushandlung von Spielbewilligungen oder Gastspielen förderlich war. Zudem trugen Gastspiele zur Erweiterung des Adressatenkreises bei, indem eine Truppe an andere Höfe weiterempfohlen oder bei anwesenden Gästen Interesse geweckt hatte. Letztlich kamen die höfischen Kontakte den Schauspieler*innen aber auch beim Wechsel der beruflichen Laufbahn zu Gute. Das Engagement einer Truppe steigerte die Reputation derjenigen, die diese förderten. Zugleich wurden die Berufsschauspieler*innen bei repräsentativen Anlässen eingesetzt, zeigten sich mit absolutistischen Inszenierungsweisen vertraut und unterstützten höfische Dilettantenaufführungen mit ihrem Knowhow. Darüber hinaus vermittelten die Berufsschauspieler*innen ihr rhetorisches Wissen. Das Berufstheater diente wesentlich der Unterhaltung und Erholung der Fürstenfamilie und der Hofgesellschaft, dabei waren es vor allem auf Cicognini und MoliHre zurückgehenden Dramen, die sich hier besonderer Beliebtheit erfreuten. Außerhalb des Hofes konnte das Berufstheater als Instrument der Meinungsbildung und Verhaltensdisziplinierung der Untertanen herangezogen werden, zumindest aber wurde es als Mittel zur Ablenkung von schädlichen Vergnügungen und aufrührerischen Umtrieben gebilligt. Andererseits eignete sich das Berufstheater aufgrund seiner ausgedehnten Reisetätigkeiten als Zuträger von Meinungsbildern, Informationen und Gerüchten. Nicht zuletzt wurde das Berufstheater auch mit Transporttätigkeiten betraut. Das Berufstheater hatte zugleich eine herrschaftsregulierende Funktion, die sich in seiner Partizipation am höfisch legitimierten Diskurs um Herrscherprärogative, -pflichten, -tugenden und -verfehlungen abzeichnet. Eine Reihe von Dramen führt die Konsequenzen einer fehlerhaften Herrschaftspraxis vor Augen. Die Verfehlungen korrelieren hier immer mit unangemessenen Affektausprägungen und werden damit auf die Unfähigkeit zurückgeführt, Affekte zu beherrschen.

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

Die von den Dramen aufgezeigten Konsequenzen sind zwar vielfältig, aber sie alle betonen den Ansehensverlust der gezeigten Potentat*innen, sowohl in Bezug auf die innere als auch auf die äußere Kommunikationsebene. Symptome und Folgen des Ansehensverlustes können sich auf beiden Kommunikationsebenen im Verlachen, in der Verachtung dieser Potentat*innen und/oder sogar im Hass auf diese äußeren. In einigen Dramen können die Herrschaftsverfehlungen die Ermordung des Potentaten zur Folge haben. Diese Dramen stellen unweigerlich die Frage nach der Zulässigkeit eines aktiven Widerstandsrechts in den Raum, beziehen aber selbst keine eindeutige Stellung dazu. Ein aktives Widerstandsrecht wird zwar nicht proklamiert, dennoch wird aufgezeigt, dass schwere Verfehlungen nicht nur den Wunsch eines Sturzes, sondern eben auch der Ermordung (im Affekt) provozieren können. So wie die Konsequenzen mangelnder Affektbeherrschung variieren, divergieren auch ihre Ursachen je nach Drama. In den beiden Cicognini-Dramen Oronthea und Die glückselige Ey¨fersucht sind es einzelne Affekte, die sich ihrer Beherrschung entziehen. Bei Oronthea hat die Unkenntnis des Affekts der Liebe die Folge, dass Oronthea von eben diesem Affekt überwältigt wird. Bei Die glückselige Ey¨fersucht sind die Ursachen vielfältig. Zum einen findet sich die Andeutung, dass die Eifersucht Roderichs ihre Ursache in den Gestirnen hat, zum anderen ist es eine Reihe von erschwerenden Umständen, die diesen Affekt in ihm immer wieder evoziert. Abseits von diesen Schwächen erweisen sich Oronthea und Roderich aber als einsichtig und zeigen sich der mit dem Herrscheramt einhergehenden Verantwortung weitgehend bewusst. Anders verhält es sich bei den anderen drei besprochenen Dramen: Hier werden die Potentaten dezidiert als Tyrannen gezeichnet. Die Tugenden sind bei ihnen nur schwach ausgebildet, weshalb sie sich von ihren Affekten beherrschen lassen. In Der Kohlenbrenner liegt der mangelnden Affektbeherrschung des Königs zwar eine Erkrankung zu Grunde, dennoch hätte er dieser Erkrankung, sofern seine Tugendhaftigkeit ausgeprägter gewesen wäre, entgegenwirken können. Im Gegensatz zu Der Kohlenbrenner, wo die Erkrankung des Königs bereits mit Beginn der Handlung ausgebrochen ist, zeigt Amor der Ty¨rann das Entstehen der Erkrankung des Königs Asphalides, die im Laster der Unmäßigkeit gründet. In Amor der Ty¨rann fingiert der Feldhauptmann Elgezill ein Szenario, das einen heilsamen Kurzschluss von Asphalides zu Folge hat (das Stück ist hier nicht eindeutig, lässt diese Interpretation aber durchaus zu). Elgezill, der sich selbst immer wieder wahnsinnig stellt, führt Asphalides’ blutrünstige Befehle nur scheinbar aus, die Toten sind also nur scheinbar tot. Auch bei den aus dem Erdreich emporsteigenden Geistern und dem höhere Mächte andeutenden Lichtstrahl, der auf Asphalides fällt, könnte es sich um eine Intervention von Elgezill handeln. Das Schauspiel und seine Mittel hätten dieser Interpretation folgend einen erheblichen Beitrag an Asphalides’ Heilung, womit auf die ge-

Zusammenfassung und Ergebnis

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sundheitsfördernde und affekttherapeutische Wirkung, die dem Schauspiel zugesprochen wurde, Bezug genommen würde. Der Spielpraxis des frühen Berufstheaters lag ein Affektverständnis zu Grunde, dass die Affekte selbst als moralisch neutral bewertete und demnach ihre Mäßigung, nicht aber ihre Tilgung vorsah. In diesem Sinne sind es nicht die Affekte selbst, die als problematisch angesehen wurden, sondern unangemessene Affektausprägungen sowie der Umgang mit diesen. Ein auf diesem Affektverständnis fußender affekttherapeutischer Ansatz sieht die Induktion eines Gegenaffektes vor. Insbesondere der Induktion von Furcht vor den auf eine unangemessene Affektausprägung folgenden Konsequenzen (Ansehensverlust, persönliche Einbußen, Krankheit oder Tod) wurde eine Wirksamkeit zugesprochen. Aus diesem Grund wurde die Vergegenwärtigung von solchen Beispielen (etwa über die Lektüre) empfohlen. Einigkeit bestand darin, dass der Mensch über die Augen am tiefsten zu affizieren wäre, weshalb das Schauspiel noch geeigneter als die Lektüre schien, einen solchen Gegenaffekt zu induzieren. Vor diesem Hintergrund lässt sich das wiederholte thematische Aufgreifen des Konflikts von Affekt und Herrschaft durch das Berufstheater als affekttherapeutische Maßnahme interpretieren, wenngleich auch nicht darauf beschränken. Eine weitere affekttherapeutische Maßnahme bestand in der Induktion des Affekts der Freude etwa durch ein Schauspiel, da hierdurch der gesamte Organismus eine Revitalisierung erfahren würde. Zwar handelt es sich hierbei nur um einen kurzfristigen Effekt, dennoch ginge dieser auch mit einer Steigerung der Verstandestätigkeit einher, womit die durch die Aufführung vermittelten moralischen Lehren besser aufgenommen werden könnten. Außerdem konnte die Aufführung dieser Dramen ein Problembewusstsein für bestimmte unangemessene Affektausprägungen vermitteln, sowie kommunikative Prozesse und die Selbstreflexion anstoßen. Zudem vermitteln die Dramen selbst immer wieder Ansätze zur Bewältigung oder Kontrolle von unangemessenen Affekten: im Falle von Zorn innezuhalten, da es sich bei Zorn um einen heftigen, aber kurzen Affekt handelt; sich im Falle von Eifersucht vorzustellen, dass man gar nicht zusammen sein dürfte; oder sich bei wiederkehrender unangemessener Furcht vor Augen zu halten, dass ihr unpassende Gedanken zu Grunde liegen. Schließlich bewiesen die Berufsschauspieler*innen über ihr Spiel, dass die Affektkontrolle tatsächlich auch möglich ist. Wichtiger als die dem Schauspiel zugesprochene affekttherapeutische Wirkung, war jene der Prophylaxe, da die Dramen wiederholt unangemessene Affektausprägungen und Verfehlungen diskursivieren und so zur Verfestigung des Tugendideals beitragen, was sich wiederum günstig – und eben auch vorbeu-

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Inszenierte Staatsaktionen – Berufstheater und Staat

gend – auf den Affekthaushalt sowie die Bewältigung und Kontrolle der Affekte auswirken sollte. Dass einige Potentaten, vor denen die Berufsschauspieler*innen spielten, tatsächlich von unangemessenen Affektausprägungen betroffen waren, belegt nicht nur das Beispiel Karl Ludwigs von der Pfalz, dem Wollust nachgesagt wurde, sondern etwa auch Ferdinand Albrecht I. zu Braunschweig-Lüneburg, der von einer schweren Melancholie heimgesucht wurde, die sich in heftigen Zornesausbrüchen, Verfolgungswahn und Todessehnsucht ausgedrückt haben soll.1040 Die Aufführung dieser Dramen lässt sich nicht auf die Verhaltensdisziplinierung und Affekttherapie von Potentaten reduzieren. Zum einen wurden diese Stücke sowohl bei Hof als auch in der Stadt gespielt, zum anderen dienten sie auch der Unterhaltung. Ebenso wie bei Hof konnte die Aufführung dieser Stücke auch in der Stadt zur Einprägung eines Verhaltensideals beitragen und affekttherapeutische, -lindernde oder prophylaktische Wirkungen entfalten. So wie es vorkommen konnte, dass Fürst*innen in den gezeigten Potentat*innen andere Fürst*innen wiedererkannten und sich daran amüsierten1041, konnte auch die städtische Bevölkerung diese Darstellungen auf konkrete Fürst*innen beziehen, sich daran belustigen oder sich Luft machen. Ein weiterer Anreiz, der mit der Aufführung dieser Stücke einherging, ist darin zu sehen, dass sie der Neugier an den Sorgen und Nöten der Großen entgegenkamen. Zudem werfen diese Stücke Fragen auf, die wiederum die intellektuellen Kapazitäten ansprechen konnten, etwa in Bezug auf die Zulässigkeit eines aktiven Widerstandrechts, wie Roderich von der Eifersucht geheilt werden könnte etc.

1040 Vgl.: Bepler, Jochen: Zur Erinnerung unserer Hinfälligkeit. Zur Typologie des Sammlers Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Lüneburg. In: Bepler, Jill (Hg.): Barocke Sammellust. Die Bibliothek und Kunstkammer des Herzogs Ferdinand Albrecht zu Braunschweig-Lüneburg (1636–1687) (= Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Bd. 57). Weinheim: VCH, 1988. S. 13–24. Hier: S. 19f. 1041 Dass derartiges vorkam, bezeugt ein Tagebucheintrag Ferdinand Albrecht I. zu Braunschweig-Lüneburg. Die Darstellung des Pickelherings, der sich für einen Prinzen hält, ließ Ferdinand Albrecht an seinen Bruder denken – »der Ridel gesticuliret artig, als wann er b.[ruder] R.[udolf] A.[ugust] alberkeiten representirete«, zitiert nach: Zimmermann (1904), S. 138.

V.

Schluss

Was konnten wir nun über die notwendigen Kompetenzen, Wissensbestände, Taktiken und Erfahrungswerte, deren die Truppen des frühen Berufstheaters bedurften, um sich durchsetzen und finanziell überleben zu können, in Erfahrung bringen und welche Fragen sind andererseits noch offen? Gerade über die wichtigste Kompetenz, die Schauspielkunst, lassen sich am wenigsten gesicherte Aussagen treffen. Unbestreitbar ist, dass die Affekt-Thematik einen Schwerpunkt im Rahmen der Spielpraxis des frühen Berufstheaters bildete. Diese Schwerpunktbildung ist nicht zuletzt auf das allgemeine Interesse zurückzuführen, das den Affekten einschließlich der Frage nach ihrer Kontrolle, Bewältigung, Steuerung, Simulation sowie Dissimulation entgegengebracht wurde. In verschiedenen Theaterformen mussten die Schauspieler*innen qua Stimme und Körper Affekte ausdrücken, von den Berufsschauspieler*innen aber wurde, sofern sie den rhetorischen Stil praktizierten, erwartet, dass die Affekt-Ausdrücke auch überzeugten – ein Scheitern der Aktion konnte in ihrem Fall existenzgefährdend sein. Die Weise, wie Affekte auszudrücken seien, vermittelte die rhetorische ActioLehre. Empfohlen wurde die Selbstaffizierung im Zusammenspiel mit einem Kompendium von Regeln zum Gebrauch von Stimme und Körper, die die Angemessenheit des Affektausdrucks garantieren sollte. Im Gegensatz zu anderen Theaterformen schöpften die Berufsschauspieler*innen das Artikulationsspektrum ihres Körpers aus, was aber nicht bedeutet, dass sie die Affekte in jedem Fall auf übertriebene Weise ausdrückten. Bestimmte szenische Vorgänge verlangten dezidiert nach Übertreibungen, andere wiederum nach Zurückhaltung. Sollte einer Figur etwas Lächerliches anhaften, konnte dies durch gezielte Übertreibungen erfolgen. Handelte es sich um eine Figur, die sich durch Autorität und Integrität auszeichnet, war wiederum Zurückhaltung gefragt. Anhand der Spieltexte zeigt sich, dass die Schauspieler*innen nicht nur einfach Affekte ausdrücken, sondern ebenso das Spiel mit verräterischen Zeichen, den Affektwechsel, das Affektgeschehen in seiner zeitlichen Abfolge sowie das einer Figur zugrunde liegende Temperament miteinbeziehen und vermitteln mussten.

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Schluss

Hinzukommt, teils in Zusammenhang mit den Affekten, teils in Zusammenhang mit anderen Faktoren (Stand, Alter etc.), das Spiel mit Kontrasten, von dem sowohl der Körpergebrauch der Schauspieler*innen als auch ihr Zusammenspiel nicht unberührt blieb. Die Gegenüberstellung von kontrastierenden Elementen bedurfte performativer Hervorhebungen, der Kontrast musste sichtbar sein. Da viele Figuren nicht monolithisch starr, sondern ambivalent sind und mit anderen Figuren interagieren, konnte dieses Spiel mit Kontrasten sehr komplexe Formen annehmen. In Hinblick auf den Körpergebrauch besteht der größte Kontrast zwischen dem grazilen Körper und dem grotesken Leib der comœdiantischen Figur. Der grazile Körper zeichnet sich kurzgefasst durch eine gerade und entspannte Haltung sowie anmutige Gebärden, der groteske Leib durch die Inversion dieses Körperideals aus.1042 Im Kontext der Spielpraxis des frühen Berufstheaters begegnen nun nicht nur diese beiden in Reinform, sondern auch Abstufungen. Der grazile Körper kann durch unangemessene Affekte bis hin zu seiner Inversion deformieren und sich auf diese Weise selbst kontrastieren. Diesem deformierten Körper kann sowohl ein graziler Körper gegenübergestellt werden, mit dem Effekt, dass die Wandlung des einst grazilen Körpers offenbar wird, als auch ein grotesker Leib, um sichtbar zu machen, dass den deformierten Körper von der Narrheit nicht mehr viel trennt. Im Zusammentreffen von deformierten Körper und groteskem Leib ist es sogar denkbar, dass der groteske Leib in Bezug auf seinen Gebrauch Elemente, die diesen als grotesk ausweisen, für kurze Momente stark reduziert, während sich der deformierte Körper nahezu zur Groteske verzerrt. Eine Analyse dieses Spiels mit Kontrasten (Alter und Jugend, hoher Stand und niederer Stand, Freude und Ernst, Komik und Tragik, Ethos und Pathos, Affektbefallenheit und Gleichmut, Gut und Böse, Ruhe und Bewegung etc.) unter Berücksichtigung der vielfältigen Affektvorgänge (Affektgeschehen, Affektwechsel, erfolgreiche oder scheiternde Simulation und Dissimulation von Affekten) könnte zu einem besseren Verständnis der performativen Praxis der frühen Berufsschauspieler*innen führen. In Bezug auf jene Schauspieler*innen, die als comœdiantische Figuren fungierten, wäre zu klären, auf welche Weise sie ihre Praxis ausbildeten. Denkbar wäre, dass sie zum einen von erfahrenen Bühnenkräften unterwiesen wurden und zum anderen Erfahrungen im Kontext der Jahrmarktskünste erworben hatten oder sich zumindest von Vertretern und Vertreterinnen dieses Gewerbes in Bezug auf Sprachwitz und Körpergebrauch inspirieren ließen. Hinzuzufügen ist schließlich, dass die Berufsschauspieler*innen im Gesang, im Tanz sowie in der Fechtkunst bewandert sein, akrobatisches Geschick be1042 Vgl.: Mourey (2008), v. a. S. 138–141.

Schluss

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weisen und zum Improvisieren in der Lage sein mussten. In welchem Maße die Berufsschauspieler*innen improvisierten, lässt sich schwer abschätzen, jedoch erforderten eine Reihe von Umständen diese Kompetenz. Zeitdruck sowie ein dichtes Programm stellten Herausforderungen dar, die ohne Rückgriff auf Improvisation nicht zu bewältigen waren. Auch die Interaktion mit dem Publikum, insbesondere in Hinblick auf schwierige Publikumsreaktionen, etwaiges Versagen der Bühnentechnik, der plötzliche Ausfall einer Bühnenkraft oder Zwischenfälle anderer Art machten die Fähigkeit zur Improvisation zwingend notwendig. Diese Kompetenz setzte zum einen Begabung, Geistesgegenwart und Intelligenz voraus und bedurfte zum anderen regelmäßiger Praxis, der Aneignung eines Fundus von performativen Versatzstücken sowie der Unterweisung durch erfahrene Bühnenkräfte. Bedeutsam für den Erfolg einer Truppe war zudem ihre Zusammenstellung und Organisation. Viele Truppen hatten zumindest eine Person bei sich, die auf eine jahrzehntelange Bühnenkarriere zurückblicken konnte. Diese Person konnte der Prinzipal oder die Prinzipalin, jedoch auch eine andere Person sein. Bei den Eggenbergischen Comœdianten nahmen Johann Christoph Pernecker und Maria Ursula Blümel (verwitwete Hoffmann) diese Rolle ein, beim Dresdner Hofensemble unter dem Kurfürsten Johann Georg II. die beiden Engländer Gideon Gellius und John Waite sowie Johann Georg Encke. Als Velten die Truppe von Paulsen übernahm, hatte vermutlich Catharina Elisabeth Velten, die in den Theaterbetrieb hineingeboren war, diese Position inne, wobei Paulsen Velten gezielt auf seine Rolle als Prinzipal vorbereitet und sich erst nach und nach zurückgezogen zu haben scheint. Bei der Truppe unter der Leitung von Hoffmann und Schwarz schien gerade die Position einer älteren Bühnenkraft vakant, allerdings hatte die Kerntruppe ihr Handwerk bei dem Engländer Joris Joliphus gelernt. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung waren sie bereits aufeinander eingespielt und hatten ausreichend Erfahrungen gesammelt. Es hat den Anschein, dass diesen älteren Bühnenkräften vor allem in der Gründungsphase von Truppen die entscheidende Rolle zukam, den Spielbetrieb aufzubauen bzw. dem Truppenverband ihr Know-How und ihre Erfahrungswerte weiterzugeben. Zur Besetzung von Alten waren solche älteren Bühnenkräfte allerdings nicht notwendig, ebenso wenig wie weibliche Rollen von Frauen gespielt werden mussten. Dem Dresdner Ensemble unter Johann Georg II. gehörten beispielsweise überhaupt keine Schauspielerinnen an. Aber auch Truppen, die auf Schauspielerinnen zurückgreifen konnten, besetzten diese teils aus Notwendigkeit, teils aus anderen Gründen mit Schauspielern. Wenn die Innsbrucker Comœdianten, denen zwei Schauspielerinnen angehörten, Die glückselige Ey¨fersucht spielten, also ein Stück, das sechs Frauenrollen beinhaltet, mussten vier dieser Rollen von Schauspielern besetzt werden. Die Option der Mehrfachbesetzung ist hier mit Ausnahme einer unbedeutenden Rolle (die Hofdame Portia),

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Schluss

die ebenso gestrichen werden konnte, ausgeschlossen; bei den drei größeren Rollen (Delmira, Delia und Belisa) stellt sich die Frage, welche mit Schauspielern zu besetzen waren. Zumindest konnte es die Komik steigern, wenn die Rolle der Belisa von einem Schauspieler gespielt wurde, da es sich bei ihr um eine Herzogin handelt, die sich als Ritter verkleidet und von ihrer Pagin darin unterwiesen wird, wie man sich als Mann zu gebärden hat, um nicht als Frau erkannt zu werden. In Hinblick auf die Frage nach der Besetzungslogik erweist sich das Tagebuch von Ferdinand Albrecht I. zu Braunschweig-Lüneburg anlässlich des Gastspiels der Velten’schen Truppe als besonders ergiebig (eine grundsätzliche Problematik bildet der Umstand, dass Ferdinand Albrecht lediglich die Besetzung der Hauptaktionen dokumentierte, nicht aber die der Nachspiele). Die Truppe bestand insgesamt und inklusive der Kinder, die laut Angabe des Herzogs mitspielten, aus 21 Personen. Von den Erwachsenen spielte eine Person (die Frau des Pickelhering-Darstellers Christian Janetzky) dezidiert nicht mit. Zudem scheinen drei weitere Personen (Johannes Tobias Wittig, Johann Gottfried Kohl und Christian Holl) in keiner einzigen Besetzungsliste auf, was den Schluss nahelegt, dass diese vor allem hinter der Bühne aktiv, also für Bühnentechnik und Requisiten zuständig waren. Mit vier Schauspielerinnen – Catharina Elisabeth Velten, die »Brombachin«, »Schubartin« und »Schillerin« – sowie den beiden Mädchen Anna Elisabeth Velten und Anna Lisa Janetzky hätte die Truppe an sich die Kapazität gehabt, alle weiblichen Rollen mit Schauspielerinnen zu besetzen, jedoch tat sie es nicht. Georg Friedrich Schubart und sein Stiefsohn Christoph Kahland übernahmen wiederholt kleinere weibliche Rollen. Bei Christoph Kahland muss es sich um einen Jugendlichen gehandelt haben, dessen Stimmbruch noch nicht eingesetzt hatte, oder vielleicht sogar um einen Kastraten, da er einmal als Nymphe und zwei weitere Male als Engel sang. Zudem trat er zwei Mal in der Rolle eines Kammermädchens auf und spielte in der Adaption von Shakespeares Comedy of Errors die Nebenrolle der Kurtisane.1043 Georg Friedrich Schubart wiederum war ein aus Schlesien stammender Barbier.1044 Dass er Barbier war, lässt zum einen den Schluss zu, dass er neben seiner Schauspieltätigkeit für die medizinische Versorgung der Truppe zuständig war. Zum anderen wäre es denkbar, dass er vor seinem Engagement bei der Velten’schen Truppe etwa als Bruch- oder Steinschneider auf Jahrmärkten und Messen tätig gewesen war. Schubart trat nur in einem Fall in einer Hauptrolle auf, ansonsten immer in größeren und kleineren Nebenrollen. Er spielte Fürsten, junge Männer aber auch comœdiantische Figuren (vor allem die zweite comœdiantische Figur) und übernahm zudem drei Mal Frauenrollen. In einem Fall handelte es sich um 1043 Vgl.: Zimmermann (1904), S. 145; 146; 147; 148; 150. 1044 Vgl.: Zimmermann (1904), 141.

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die Rolle einer jungen Liebenden, um die Prinzessin in Le Cid, die unglücklich in Don Rodrigo verliebt ist, der jedoch ChimHne liebt. In Der Bürger als Edelmann übernahm er die Rolle von Luciles Magd Nicole und in dem Stück Das dreifach verliebte Paar spielte er die Braut eines Müllerknechts, der wiederum vom Pickelhering-Darsteller Janetzky gespielt wurde.1045 Dass er in Le Cid die Rolle der Prinzessin übernahm, könnte darauf hindeuten, dass diese mit lächerlich-komischen Zügen versehen wurde. Von den vier Schauspielerinnen trat Catharina Elisabeth Velten in jeder Aufführung und mit Ausnahme eines Stücks immer in der weiblichen Hauptrolle auf. Die anderen weiblichen Rollen wurden hauptsächlich von der »Brombachin« und »Schubartin« übernommen, die sich an der Mehrzahl der Aufführungen beteiligten. Hingegen war die »Schillerin« nur in drei Aufführungen sowie einem Ballett involviert, was darauf verweisen könnte, dass sie noch wenig geübt war. Dass sie krank oder hochschwanger war, geht zumindest aus den Notizen Ferdinand Albrechts nicht hervor, der nicht zuletzt auch die Kirchgänge sowie Audienzen der Schauspielerinnen bei seiner Frau dokumentierte. Denkbar wäre auch, dass sie vor allem in den Nachspielen auftrat oder andere Haupttätigkeiten zu erfüllen hatte. Neben Näharbeiten sowie der Aufsicht und Erziehung der Kinder des Truppenverbands könnte sie ihren Mann Adam Christoph Schüler in seiner Hauptfunktion unterstützt haben. Adam Christoph Schüler war in erster Linie als Schreiber und Dramaturg tätig, übernahm jedoch kleinere Nebenrollen und hatte zuvor bereits für die Prinzipale Jakob Kuhlmann und Elenson gearbeitet.1046 Als Schreiber hatte er die Korrespondenz der Truppe zu erledigen, vor allem in Bezug auf das Ansuchen von Spielbewilligungen sowie die Ausverhandlung von Gastspielen, und Kopistentätigkeiten auszuführen, also Rollenauszüge, Kopien der Manuskripte für den internen Gebrauch oder zur Einreichung sowie Dedikationsexemplare anzufertigen. Allein zwei Spieltexte des Kodex (Der Kohlenbrenner und Ein verliebter Verdruss) stammen aus seiner Feder. In seiner Tätigkeit als Dramaturg war er für die Spieltextbeschaffung, die Adaption von Dramen sowie die Anpassung bzw. Überarbeitung von Spieltexten verantwortlich. Zudem musste er Gelegenheitsgedichte zur Huldigung von Fürst*innen, Städten, Stadträten und anlässlich feierlicher Ereignisse auch Prologe verfassen. Neben Catharina Elisabeth und Johannes Velten, die zumeist die Hauptrollen übernahmen, und der »Schubartin« sowie »Brombachin«, zählten folgende Mitglieder zu den wichtigsten Bühnenkräfte der Truppe: Der aus Danzig stammende Gottfried Salzsieder war auf Rollen von Intriganten und Tyrannen spezialisiert. Zudem übernahm er auch andere wichtige Rollen. Friedrich Cor1045 Vgl.: Zimmermann (1904), S. 143; 148; 151. 1046 Vgl.: Rudin (1976), S. 9.

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nelius Beck war laut Angabe von Ferdinand Albrecht ein herausragender Darsteller von Königen. Er trat entweder in dieser Rolle oder so wie Salzsieder auch in anderen tragenden Rollen auf. Schließlich ist noch der Pickelhering-Darsteller Christian Janetzky zu nennen. Er spielte nicht nur comœdiantische Figuren im engeren Sinne, sondern auch Rollen, die eines besonderen Talents zu Komik bedurften, wie u. a. Jourdin, die Titelfigur in Der Bürger als Edelmann, aber auch eine Hexe.1047 Die Personalfluktuation innerhalb der Truppen war relativ hoch. Schauspieler*innen kamen und gingen, manche kehrten wieder. Neben Todesfällen und Erkrankungen konnten Streitigkeiten, ausstehende Zahlungen, Eheschließungen, aber auch das Bedürfnis nach einer stabilen Lebenssituation oder der Gründung einer eigenen Truppe das Ausscheiden von Bühnenkräften aus einem Truppenverband zur Folge haben. Trotz der Personalfluktuation schienen alle erfolgreichen Truppen zumindest in Bezug auf das Kernteam über längere Zeiträume konstant. Wie sich zeigt, waren die einzelnen Schauspieler*innen zwar auf bestimmte Rollenfächer spezialisiert, jedoch nicht auf diese beschränkt. Teils aus Notwendigkeit, teils aus Lust, teils weil bestimmte Schauspieler*innen besser zusammenspielten oder um einer Figur eine bestimmte Färbung zu verleihen, übernahmen Schauspieler*innen Rollen über ihr Rollenfach hinaus. In jeder Truppe schienen den einzelnen Mitgliedern zudem bestimmte Zuständigkeitsbereiche zu obliegen. Neben der Position des Dramaturgen und Schreibers ist noch die Ausstattung, die Logistik, die Ausbildung sowie Unterweisung von Bühnenkräften und die medizinische Versorgung zu nennen. Dabei erledigten die jeweils Zuständigen die Arbeiten in diesen Bereichen erstens nicht allein, sprachen sich zweitens untereinander ab und drittens mussten alle in verschiedenen Bereichen einsetzbar sein, da die Aufrechterhaltung des Spielbetriebs gewährleistet sein musste. Neben der Schauspielkunst und der Organisation war das Repertoire von entscheidender Bedeutung für den Erfolg einer Truppe. Die Truppe musste ihr Repertoire einerseits beständig erweitern und andererseits in der Lage sein, zu erkennen, wann bestimmte Stücke endgültig abgespielt waren. Dass ein Stück schon seit einem langen Zeitraum im Gebrauch einer Truppe war, musste jedoch nicht zwangsläufig bedeuten, dass es sich verbraucht hatte. Manche Dramen, wie Aurora und Stella oder Die glückselige Ey¨fersucht, hielten sich fast ein Jahrhundert im Repertoire. Das Repertoire einer Truppe setzte sich aus verschiedenen Segmenten zusammen. Ein Segment musste dem Bedürfnis nach Neuem gerecht werden. Dabei gilt es zu beachten, dass nicht jede Ankündigung eines noch nie gespielten Stückes einer deutschen Uraufführung entsprach. Es konnte auch eben bloß nur 1047 Vgl.: Zimmermann (1904), S. 143 u. 146.

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an diesem Ort von dieser Truppe bislang noch nicht gespielt worden sein, so es sich nicht einfach um eine rein werbestrategische Behauptung handelte. Vor allem aufgrund des Wechsels von Bühnenkräften zu anderen Truppen, die sich mit Kopien von Spieltexten in andere Truppen einkauften, vollzog sich der Stücktransfer im deutschsprachigen Raum relativ zügig. Was als neu galt oder unter diesem Etikett durchging war von Ort zu Ort verschieden. Zudem standen ˇ esky´ ortsgebundene Truppen, wie die Eggenbergischen Comœdianten in C Krumlov, unter einem vielfach größeren Druck ihr Repertoire beständig zu erweitern. Wichtige Impulse zur Erweiterung des Repertoires gingen von den Höfen aus. Viele Dramen und Libretti Cicogninis wurden über die habsburgischen Höfe, in erster Linie Innsbruck, vermittelt. Zugleich ist davon auszugehen, dass sich die Truppen in Städten, in denen das Verlagswesen und der Buchhandel florierten, gezielt nach Dramen umsahen, die sich zur Adaption eigneten. Wenn sie nicht schon bereits wussten, wonach sie suchten, etwa nach Drucken von Stücken, die auf der Amsterdamer Schouwburg aufgeführt worden waren1048, oder nach Stücken von bestimmten Autoren, deren Bühnentauglichkeit sich bereits bewährt hatte, konnten entscheidende Hinweise von Buchhändlern und -händlerinnen, aber auch von Zuschauern und Zuschauerinnen ausgehen, die das Gespräch mit den professionellen Bühnenkräften suchten. Erweitert wurde das Repertoire zudem über Eigenkreationen. Neben den vor allem im 18. Jahrhundert biographischen sowie historischen Dramen, ist dies für das auf Hans Martin zurückgehende Drama Die Liebes Verzweiffelung belegt1049. Auch bei jenen Stücken des Kodex, für die sich bislang keine Vorlage auffinden ließ – Der Kohlenbrenner, Dulcander und Dorella und Die flüchtige Königin – könnte es sich um Eigenkreationen des Berufstheaters handeln. Abgesehen von der Erweiterung des Repertoires galt es, Innovationen zu erkennen und aufkommende Moden zu berücksichtigen. In den 1660ern war es das dramaturgische Modell der comedia nueva, das teils über italienische, teils über holländische Dramatiker rezipiert wurde; mit den 1670ern kamen die Dramen MoliHres sowie anderer französischer Autoren in Mode, spätestens mit den 1720ern die italienischen Typenkomödien. Im Zusammenhang mit den Modeerscheinungen stellt sich die Frage, ob die Integration von comœdiantischen Figuren in Stücke, die ursprünglich keine beinhalteten, bzw. die explizite Transformation einer Figur in eine comœdiantische zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Ausprägungen erfolgte, oder ob von dieser Taktik erst ab einem bestimmten Zeitpunkt, etwa um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, vermehrt Gebrauch gemacht wurde. Zumindest scheint die Mehrheit der Dokumente, die diese Vorgehensweise bele1048 Vgl.: Rudin (2008a), S. 9–14. 1049 Vgl.: Gstach (2017).

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gen, aus dem 18. Jahrhundert zu stammen, was zugleich aber mit einer besseren Quellenlage korrelieren könnte. Andererseits zeigt das Tagebuch von Ferdinand Albrecht, zumindest auf den ersten Blick, dass comœdiantische Figuren nicht hinzugefügt und Figuren nicht explizit zu comœdiantischen Figuren transformiert wurden, wenngleich manche Figuren eine comœdiantische Färbung erhielten. Vielleicht aber versuchte sich die Truppe Veltens auf diese Weise von anderen Truppen abzuheben. Bei Aufführungen des um 1740 aktiven Prinzipals Wallerotti wiederum durften comœdiantische Figuren auf keinen Fall fehlen. Der Frage nach spezifischen und möglicherweise im fokussierten Zeitraum wandelnden Strategien bei der Integration von comœdiantischen Figuren in die Aufführungen wäre in Zukunft noch nachzugehen. Ein weiteres Segment bildeten jene Dramen, die zwar nicht unbedingt breitenwirksam waren, aber bestimmten Interessen oder Anlässen entgegenkamen. Das betrifft insbesondere geistliche Stoffe sowie Dramen deutschsprachiger Autoren (v. a. Dramen von Andreas Gryphius, Daniel Casper von Lohenstein, Kaspar Stieler). Mittels geistlicher Dramen versuchten die Truppen nicht nur ihre guten und erbaulichen Absichten erkennbar zu machen, sondern konnten zudem die mit der heiligen Zeit korrespondierenden Spielverbote umgehen. Ähnliche Motive sprachen auch für die Trauerspiele von Gryphius und Lohenstein, wobei das Berufstheater auch hier im Vorfeld Eingriffe vornahm. Zudem konnten Auftraggeber*innen gezielt nach erbaulichen Stücken verlangen. Schließlich sind noch jene Stücke zu nennen, die sich bewährt und noch nicht verbraucht hatten. Vor allem in Bezug auf die Hauptaktionen war Abwechslung gefragt. Das Repertoire musste u. a. Bühnenschocker, Intrigenstücke, Tyrannendramen, Liebeskomödien, Tragikomödien, Märtyrerdramen und biographische sowie historische Dramen enthalten. Während Tragödien und Tragikomödien auf die Hauptaktion beschränkt blieben, konnten Komödien sowohl als Hauptaktion sowie auch als Nachspiel gespielt werden. Als Nachspiele fungierten neben Komödien, comœdiantische Aktionen und Ballette mitunter auch Schattenspiele und akrobatische Aktionen. In Hinblick auf die Nachspiele stellt sich die Frage, inwieweit hier auch Praktiken, die den Jahrmarktskünsten zugerechnet wurden – etwa das Spiel mit Puppen oder Taschenspielertricks –, integriert wurden. Da die Adaption von Dramen einigen Aufwand bedurfte, mussten die Dramen der Heterogenität des Publikums Genüge tun und sich zudem gegebenenfalls an jeweilige Erfordernisse anpassen lassen. Mit der Heterogenität des Publikums ist nicht nur der Faktor der Konfession angesprochen, sondern auch die Differenz zwischen höfischer und städtischer Sphäre, Standesunterschiede sowie verschiedene intellektuelle Voraussetzungen, Vorlieben und Erwartungshaltungen. In Hinblick auf geistliche Stoffe war das erste Kriterium, dass diese mittels geringfügiger Anpassungen sowohl in katholischen als auch evangelischen Ge-

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bieten spielbar sein mussten. Dramen, die beispielsweise die Marienverehrung zum Gegenstand hatten, also Dramen, in denen konfessionelle Spezifika im Mittelpunkt standen, kamen zur Adaption nicht in Frage. Zur Disposition standen hingegen solche, in denen die aktuelle Konfessionsfrage nicht explizit verhandelt wurde und die es erlaubten, ihnen mit einfachen Mitteln eine evangelische bzw. katholische Färbung zu verleihen bzw. konfessionelle Merkmale zu neutralisieren. Dieses Kriterium war nun aber allein nicht ausreichend dafür, dass ein geistliches Drama vom Berufstheater adaptiert wurde. Es musste zudem die affektiven und intellektuellen Kapazitäten ansprechen und stimulieren, der Schaulust des Publikums entgegenkommen und einen gewissen Unterhaltungswert aufweisen bzw. Angebote enthalten, die es ermöglichten, ihm im Kontext der Aufführung derartige Eigenschaften zukommen zu lassen. Das heterogene Publikum durfte sich auf keinen Fall langweilen, für jede Zuschauerin und jeden Zuschauer musste etwas dabei sein, die Stücke mussten im wahrsten Sinne des Wortes breitenwirksam sein. Der wesentlichste Unterschied zwischen der Sphäre des Hofes und der Sphäre der Stadt bestand für die Berufsschauspieler*innen darin, dass Aufführungen bei Hof im Vorfeld relativ klare Absprachen in Bezug auf die zu spielenden Stücke, deren Umsetzung und etwaige Rücksichtsnahmen erlaubten. In der Stadt hingegen mussten sich die Berufsschauspieler*innen vor allem auf ihr Einschätzungsvermögen verlassen. Das Prinzip der Breitenwirksamkeit war zwar im Zusammenhang beider Sphären relevant, wurde aber insbesondere in der Sphäre der Stadt schlagend, da das Publikum hier um vieles heterogener war. Aufgrund der differenten intellektuellen Voraussetzungen des Publikums mussten die Stücke sowohl für gebildete als auch weniger gebildete Zuseher*innen gleichermaßen einen Anreiz bieten. Wenn sich die comœdiantische Figur beispielsweise des Küchenlateins bedient, werden jene Zuschauer*innen, die des Lateinischen nicht kundig sind, vermutlich nicht den gesamten Witz verstanden haben, aber genug, um zu begreifen, dass die comœdiantische Figur hier Späße mit dem Lateinischen treibt, was im Zusammenspiel mit ihren Gebärden und ihrem Auftreten nach wie vor Lachen erregen konnte. Für lateinkundige Zuschauer*innen wiederum konnten derartige szenische Vorgänge ein besonderes Vergnügen darstellen. Titus und Aran konnte aufgrund der vielen Toten sowie der Umsetzung von herausfordernden szenischen Vorgängen Erstaunen erregen. Zugleich mochten manche Zuschauer*innen etwa an der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Evokation von Affekten durch rhetorische Mittel Gefallen gefunden haben. Bei Amor der Ty¨rann sind es einerseits die grotesken Wahnsinnszenen, die Erstaunen, wenn nicht sogar Gelächter erregten, andererseits evozierte dieses Drama unter anderem die Frage nach zulässigen Maßnahmen gegen einen wahnsinnig gewordenen Tyrannen. Ähnlich verhält es sich mit Dramen, in denen Staats- und Liebeshandlung

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miteinander verknüpft werden. Beispielsweise Der Kohlenbrenner konnte als Tyrannendrama, als Liebeskomödie oder als Auseinandersetzung mit der krankhaften Melancholie rezipiert werden, womit das Stück insgesamt verschiedenen Vorlieben und Interessen entgegenkam. Zudem mochte das Publikum insbesondere an der Verknüpfung dieser Thematiken und Handlungsstränge Gefallen gefunden haben. Eine Auffälligkeit bildet der Umstand, dass sich viele Spieltexte einer eindeutigen Interpretation entziehen, sie sind mehrdeutig bzw. weisen Mehrdeutigkeiten auf. Waren in Amor der Ty¨rann nun höhere Mächte an der Heilung von König Asphalides beteiligt oder wurde die Präsenz dieser Mächte vom Feldhauptmann lediglich fingiert? Und was hat nun genau überhaupt zu seiner Heilung beigetragen? Hat in Die glückselige Ey¨fersucht König Roderich die Eifersucht letztendlich bewältigt oder doch nicht? Liebt in Oronthea der Jüngling Alidoro tatsächlich Oronthea oder vielmehr ihre Krone? Wird in Der Schwehst das Modell der absoluten Herrschaft zugunsten des Zusammenwirkens der Stände gänzlich zurückgewiesen oder gilt dies nur für den Zeitraum, in dem der König abwesend ist? Diese Mehrdeutigkeiten und Ambivalenzen stellen einerseits selbst eine Attraktion dar, indem sie, wie im Falle der Cicognini-Dramen, eine weitere humorvolle Ebene aufmachen oder zur Diskussion anregen. Andererseits scheint es durchaus denkbar, dass die Berufsschauspieler*innen im Kontext der Aufführung Mehrdeutigkeiten reduzierten. Durch Prolog und Epilog, die performative Ausgestaltung von Figuren, die Aktion der comœdiantischen Figur und durch minimale Texteingriffe lassen sich je nach Aufführungskontext Bedeutungen verengen oder gegebenenfalls auch erweitern. Amor der Ty¨rann beispielsweise erlaubt es, den Fokus auf die Lasterhaftigkeit des Königs, seine Erkrankung, den Hof als Ort der Lasterhaftigkeit und der Intrige, aber auch auf den Feldhauptmann zu lenken, der durch seine bedachtsamen Handlungen einen positiven Ausgang herbeiführt. Dramen, die den Konflikt von Affekt und Herrschaft zum Inhalt haben, konnten bei Hof im Sinne der Verhaltensdisziplinierung der Herrschenden explizit mit Verweis auf die Herrschaftstugenden und in der Stadt im Sinne der Sozialdisziplinierung mit Verweis auf die Notwendigkeit der Affektbeherrschung und der Einhaltung des Tugendideals anmoderiert werden. Aber auch Anmoderationen anderer Art sind denkbar. Im Falle von Oronthea konnte darauf verwiesen worden sein, dass niemand vor der Liebe und ihren Wirkungen gefeit ist, bei Der Kohlenbrenner hätte auf die Melancholie und auf das Schauspiel als Remedium Bezug genommen werden können. Befand sich eine Stadt in Konflikt mit der Landesherrschaft, ist es nicht undenkbar, dass mit vorsichtigen Andeutungen eine Verbindung zwischen gezeigtem Herrscher oder gezeigter Herrscherin und Territorialfürst*in hergestellt wurde.

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Dass die Berufsschauspieler*innen ihre Aufführungen an die Aufführungskontexte anpassten, wirft die Frage nach dem Verhältnis von Spieltext und Aufführung auf. Anhand des erhaltenen Materials (Manuskripte, Theaterprogramme und -zettel) lassen sich zumeist minimale Abweichungen erkennen. Es kann sich hierbei um Namen oder Figurenattribuierungen handeln, die geändert, um Figuren die gestrichen oder hinzugefügt, aber auch um einzelne Wörter, Zeilen, Passagen, Dialoge und Szenen, die umformuliert, gekürzt, gestrichen oder ergänzt wurden. Diese Beobachtung verweist auf einen flexiblen Umgang der Berufsschauspieler*innen mit den Spieltexten, wobei die einmal ausgearbeiteten Spieltexte, die immer wieder auch (geringfügig) überarbeitet wurden, den Status eines Richtwertes innezuhaben scheinen, von dem aus im Kontext der Aufführung immer wieder geplante oder spontane sowie kleinere oder auch größere Änderungen vorgenommen wurden. Dennoch gilt es auch in dieser Frage, weitere Untersuchungen vorzunehmen. Für ein derartiges Unterfangen schiene beispielsweise das Repertoirestück Aurora und Stella, von dem drei Manuskripte sowie einige Theaterzettel erhalten sind, geeignet. Anhand des Umgangs der Berufsschauspieler*innen mit den Spieltexten zeigt sich, dass Flexibilität zu den wichtigsten Eigenschaften zählte, die die Truppen aufweisen mussten, um überleben zu können – sowohl in Bezug auf die Spielpraxis als auch darüber hinaus. Die Berufsschauspieler*innen waren nicht nur mit einem heterogenen Publikum und unterschiedlichen Spielanlässen, sondern auch mit divergierenden Bühnenbedingungen sowie Ereignissen verschiedenster Art konfrontiert. Ungeklärt ist, ob sie Kulissen in jedem Fall mittransportierten, oder vielmehr mit der vor Ort vorhandenen Bühnenausstattung operierten und selbst lediglich Requisiten, kleinere Bühnenmaschinen und Kostüme mit sich führten. An sich waren Kulissen nicht notwendig, um zu vermitteln, dass die Szene in einem Wald oder einem Thronsaal spielt. Es reichten einige Bäume bzw. ein Thron im Zusammenspiel mit der Wortkulisse und dem Körpergebrauch, um diese Orte vor Augen zu stellen. Zudem scheint es naheliegend, dass die Truppen darauf bedacht waren, ihre Bewegungsfreiheit so wenig wie möglich durch sperriges Transportgut einzuschränken. Todesfälle und Landestrauer, Kriegs- und Kriegsgefahr sowie Seuchen- und Seuchengefahr zählten zu jenen Ereignissen, die Spielmöglichkeiten einschränkten, mit deren Eintreten aber zu jedem Zeitpunkt zu rechnen war. Die Truppen mussten aus diesem Grund eine Übersicht über diverse Spielmöglichkeiten im deutschsprachigen Raum haben und versuchen, Kontakte zu verschiedenen Höfen zu knüpfen. Höfische Feierlichkeiten, anlässlich derer sie engagiert wurden, erwiesen sich als besonders günstige Gelegenheit zur Erweiterung der Klientel und zur Anbahnung von Gastspielen. Dazu mussten sie sowohl mit der höfischen Etikette vertraut als auch in der Lage sein, Konver-

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sationen mit Angehörigen des (Hoch-)Adels zu führen. In Bezug auf die Übersicht von diversen Spielmöglichkeiten erstaunt, welche Wissensbestände die Truppen aufweisen mussten. Neben ausgezeichneten geographischen Kenntnissen mussten sie wissen, welcher Konfession ein Ort angehörte, welcher Kalender an welchem Ort gebräuchlich war und zu welchen Terminen Jahrmärkte und Messen angesetzt waren. Wenn uns das frühe Berufstheater heute chamäleontisch erscheint, liegt es daran, dass seine Vertreter*innen die Kunst der Anpassung meisterhaft beherrschten. Es lässt sich im Grunde nicht aussagen, ob die einzelnen Truppen gezielt bestimmte gesellschaftspolitische Agenden und Wirkungsabsichten verfolgten oder vielmehr Diskurse aufnahmen und sich mit ihrer Spielpraxis in diese einfügten, weil an ihnen ein allgemeines Interesse bestand. Zudem musste Theaterspiel immer mit einem Nutzen gerechtfertigt werden, ob dieser nun in der Verhaltensdisziplinierung von Herrschenden und Untertanen, der Affekttherapie oder der rhetorischen Übung lag. Diese Funktionen waren in der auf Breitenwirksamkeit ausgelegten Spielpraxis des frühen Berufstheaters miteinbegriffen, die in der heutigen Rezeption weniger ein Denken von Ausschließlichkeiten als von Gleichzeitigkeiten erforderlich macht. Es wäre in diesem Sinne falsch, das frühe Berufstheater in eine Struktur des Entweder–Oders pressen zu wollen, stattdessen bedarf es einer Struktur des Unds: Das frühe Berufstheater spielte bei Hof, in der Stadt und hatte geistliche Förderer ; es war Unterhalter, Komplize und Kritiker der Ordnungsmächte; es konnte unterhaltende, repräsentative, affekttherapeutische, pädagogische, erbauliche, sozialdisziplinierende und herrschaftsregulierende Funktionen erfüllen; es versuchte ein gebildetes und ein weniger gebildetes Publikum anzusprechen; die Aufführungen stimulierten die intellektuellen sowie affektiven Kapazitäten und die Schaulust; teils improvisierten die Berufsschauspieler*innen und teils hielten sie sich an den Text; sie spielten vor einem katholischen, evangelischen und reformierten Publikum; sie schmeichelten Herrschenden und spielten Szenen, die deren Tun fragwürdig erschienen ließen etc. Es ist der Aufführungskontext, der die Richtung vorgab und auf den die Berufsschauspieler*innen ihr Spiel teils mit Erfolg, teils mit Misserfolg auszurichten versuchten.

VI.

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Theaterprogramme, Theaterzettel und Periochen Anon.: B. Ivvenis Ægyptivs Anonymvs Martyr. […] Creutzlieb Deß H. Egyptischen Jünglings/ dessen Namen vnbekandt/ zu einem beyspil/ wie alle Sünder sollen zu dem Creutz kriechen/ fürgestellt/ Von der Jugendt deß Churfürstl: Gymnasij der Societet JESV zu Landtshuet. München: Henricus, 1642. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–34. [Perioche] Anon.: Andronicvs. Das ist: Tragoedia Von einem Adelichen Ægyptischen Jüngling/ vnd Martirer/ Welcher Von Amiramo der Saracener König/ nach vieler Marter/ vnd Pein umb Christi willen/ enthauptet worden. Gehalten Von der Jugendt deß Löblichen Gymnasii der Societet Jesv bey S. Paul/ in Regensburg/ den 4. vnd 6. Septembris/ 1646. Regensburg: 1646. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–52. [Perioche] Anon.: B. Ivvenis Ægyptivs Anonymvs Ex Apostata S. Crvcis defensor et Martyr. Das ist Leben und Wandel Eines unbenannten Egyptischen Jünglings/ so auß einem Abtrinnigen vom Glauben hernach ein herrlicher Verfechter deß H. Creütz vnd Christi Blutzeüg worden. Fürgestellt von der studierenden Jugent deß Gymnasij der Societ Jesv zu Sollothurn/ den Herbstmonat 1651. […] Freiburg: Darbellay, 1651. Bayerische Staatsbibliothek, Res/4 P.o.lat. 747,20. [Perioche] Anon.: Andronicvs Ivvenis Aegyptivs Ex Apostata Christi Martyr. Daß ist Leben und Wandel Andronici eines Egyptischen Jünglings so auß einem Abtrünnigen vom Glauben/ hernach ein herrlicher Christi BlutZeug worden. Von der studierenden Jugendt zu Rottenburg am Necker zu einem Schawspil fürgestelt im Jahr Christi M. DC. LV. Den 5. Herbstmonats. […]. Konstanz: Geng, 1655. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–34. [Perioche] Anon.: Die vnbedachtsame Schaaf-Jugend/ nimbt leichtlich den Balg deß innwendig reissenden Wolffs an sich. Dises beweißt Andonicus/ ein Egyptischer Jüngling/ damalen ein vnschuldiges Lämblein/ verführt durch Saladin einem verstellten vnter Schaaf-Balg/ doch innwendig reissenden Wolff. Den Eltern/ wem sie ihre Kinder vertrawen sollen/ zu einem Beyspil; den Kindern aber/ der Eltern Gebott so leichtlich vergessend/ ihre Seeligkeit leichtfertiger weiß nit in den Wind zu schlagen/ zu einer Warnung. Spilweiß fürgestellt auff dem Freyherrlich-Firmianischen Saal zu Schwatz.

Theaterprogramme, Theaterzettel und Periochen

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Den 25. 29. vnd 30 Septembris, Anno 1667. […]. Innsbruck: Michael Wagner, 1667. Bayerische Staatsbibliothek, Res/ P.o.germ. 1205. [Perioche] Anon.: Juvenis Ægyptivs Anonymvs Ex Apostata Gloriosus Martyr. […] Anonimus Ein Egyptischer Jüngling/ Verräther vnd Blutzeug Christi In dem Academischen vnd Bischöfflichen Gymnasio der Societet JESU zu Dillingen. Vorgestellt den 4. vnd 6. Septemb. Im Jahr 1673. Dillingen: Johann Federle, 1673. Württembergische Landesbibliothek, MC R 17 Sam 1-[15]. [Perioche] Anon.: Staurophilus Ex Apostata Martyr. Staurophilus Nach dem Abfall von dem Glauben ein Blut-Zeig Christi. Auf offentlicher Schau-Bühne vorgestelt Von der Studierenden Jungen deß Bischöfflichen Academischen Gymnasij der Societät Jesu zu Dillingen. Den 2. und 5. Herbstmonath. Dillingen: Bencardische Truckerey, 1701. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–18. [Perioche] Anon.: Eutelinus Niliacus Adolescens Ex casu fortior Das ist: Eutelinus Ein Egyptischer Jüngling/ Nach schändlichen Abfall von dem Christlichen Glauben/ ein glorreicher Bluetzeig. […] Von dem Churfürstl. Gymnasio der Societät JESU, zu Neuburg an der Thonau. Den 5. und 6. Herbst-Monat Anno M. DCCVII. Ingolstadt: Gratz, 1707. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–11. [Perioche] Anon.: Ex Casu Fortior. Glücklicher Umfall. Auf Der Schau-Bühne vorgestellt Von der studierenden Jugend deß Gymnasij der Societet JESU zu Landsperg. Den 4. und 6. Herbstmonat/ im Jahr 1713. Augsburg: Johann Michael Labhart, 1713. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–43. [Perioche] Elenson, Andreas: Eine aus dem Spanischen In das Hoch-Deutsche übersetzte HauptOpera, Betitult: Die glückseelige Eifersucht Zwischen Don Roderich Und Delmira. Glückstadt [1700]. Königliche Bibliothek Kopenhagen, 36,–15 48. Abgedruckt in: Rudin (2015b), S. 16–26. [Theaterprogramm] Geissler, Anton J.: Amor der Tyrann Oder : Der in Staats und Liebs Affairen verwickelte und verwirte König von Arabien ASPHALIDES. […] Prag, 1717. Nationalmuseum Prag, Theaterabteilung, Sig. P-VI-A-265, Inv.Nr. 11653. Abgedruckt in: Scherl (2013), S. 211; sowie in: Scherl (1999), S. 54. [Theaterzettel] Haacke, Johann Caspar : Amor Der Tyrann. Oder : Arlequin der lustige Advocat. Prag, 1718. Nationalmuseum Prag, Theaterabteilung, Sig. P-VI-A-265, Inv.Nr. 11653. Abgedruckt in: Scherl (1999), S. 60. [Theaterzettel] Hoffmann, Johann Ernst; Schwarz, Peter ; Hart, Andreas: Rach und Gegenrach: oder : Titus unde Aran. Augsburg, 1658. Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, 4 Aug 694 A3. [Theaterprogramm] [Schirmbeck, Adam:] Abfall vnd Widerkehr Zu dem Creutz Christi Eines Egyptischen heiligen Jünglings/ dessen Namen unbekandt […] Im Hornung. ANNO M. DC. LI. [München]: 1651. Bayerische Staatsbibliothek, Film R 710–7. [Perioche] Spiegelberg, Johann Christian; Haacke, Johann Caspar : Die glückseelige Eyffersucht zwischen Roderich und Delmiren. Prag: 1713. Sammlung Nationalmuseum Prag, Theaterabteilung, Sign. H6p-1/84. [Theaterprogramm] Velten, Catharina E.: Der künstliche verliebte Lügner Oder Die beyden umb der Cron streitenden Schwestern AURORA und STELLA. […] Danzig, [1695]. Abgedruckt in: Bolte (1895), S. 143. [Theaterzettel]

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Personen-, Orts- und Sachregister

Absolutismus / Souveränität 22, 26f., 29, 155, 184, 186, 198, 212–226, 265, 267, 280 Affekt 18, 25f., 29, 80–82, 86, 100, 113, 119f., 126, 137f., 161, 165, 176, 184f., 197, 205, 212, 221, 223–272, 279f., 282 Alighieri, Dante 143 Altdorf 193 Altenburg 34 Althusius, Johannes 214f., 219 Amsterdam 85, 277 Anna Sophie von Sachsen 193 Antonius von Padua 169 Apenrade 172 Aquin, Thomas von 230, 246–250, 260, 266 Aristoteles 66, 246f., 250f. Arlequin / Harlekin (siehe auch comœdiantische Figur) 18f., 25, 78f., 83–87, 89f., 110, 139, 209 Artistik / Artist*innen 30, 62, 69–76, 83, 132f., 152, 179, 272, 278 Augsburg 34, 36, 45, 48, 50–52, 104f., 107 August I. von Sachsen 201 August von Sachsen-Weißenfels 200, 215 Augustinus von Hippo 169, 250 Ausstattung 18, 22f., 26, 33, 36, 49, 56, 71, 81, 91, 99, 101, 104, 123, 132–134, 137f., 152, 186f., 195, 198, 273f., 276, 281 Baden bei Wien

36

Ballett / Tanz 13, 30, 53, 58, 76, 109, 119, 132f., 137, 152f., 179, 192, 198f., 201f., 242, 272, 275, 278 Barbier, siehe Operatoren Basel 45, 48, 50f. Baumgartner, Balthasar 133 Bayreuth 45f., 48, 51 Beck, Friedrich Cornelius 152, 275f. Beck, Johann Ferdinand 74 Benecke, Heinrich Wilhelm 76, 97 Benecke, Victoria Clara 33f., 38, 97 Berlin 45f., 51f., 77, 194 Bevern 13, 36, 151–154, 186, 198, 203f. Bidermann, Jakob 110, 121 Birken, Sigmund von 54, 57–62, 83, 93f. Blümel, Christoph (siehe auch Innsbrucker Comœdianten) 18, 34, 108, 169–171, 176, 187–190 Bockhäuser, Christian 76 Bode, Heinrich von 68 Bodin, Jean 26f., 212–224 Bolkjw 108, 169f. Borromäus, Karl 169 Braunschweig 33, 47 Braunschweigisch-Lüneburgische Comœdianten 33 Breitinger, Johann Jakob 106 Bremen 45, 48, 182 Breslau 45, 47f., 51f., 103, 105f. Brombach, Balthasar 76 Brown, Edward 52 Browne, Robert (siehe auch englische Comœdianten) 104, 190–192

314 Brunius, Johann Heinrich Brünn 47 Buchner, August 66 Burghausen 117

Personen-, Orts- und Sachregister

77

Cadnes, Elisabeth 73 Calderjn de la Barca, Pedro 12, 17 Calovius, Abraham 66f. Cats, Jakob 20, 33, 205 ˇ esky´ Krumlov 34, 36, 96, 194–196, 267, C 277 Charlotte von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Wiesenburg 103 Christian von Sachsen-Merseburg 200, 215 Christian Albrecht von Schleswig-Holstein-Gottorf 45 Christian Ludwig zu Braunschweig-Lüneburg 45 Chrysostomos, Johannes 99f. Cicognini, Giacinto Andrea 16f., 19, 23, 31–35, 37, 203–205, 230f., 245, 267f., 277, 280 Claudia Felicitas von Österreich 34 Commedia dell’arte 76–78, 110, 152 comœdiantische Figur (siehe auch Arlequin, Despino, Fichetto, Frantello, Hanswurst, Hannß von der Nadl, Jean Potage, Jodolet, Mascarilias, Mendo, Narr, Piccariglio, Pickelhering, Plapperließgen, Phryx, Skaramuz, Stryx, Trufaldino) 13, 15, 19–25, 29f., 57–59, 72, 75, 81–86, 89, 91, 109f., 138–149, 177, 205–210, 266, 272, 274, 276–280 Comœdienhaus (Dresden) 199, 203 Corneille, Pierre 12, 79f. Cromwell, Oliver 182f. Cucuphas (Märtyrer) 120–122 Danzig 36, 48, 52, 92, 152, 275 Denner, Leonhard Andreas 76, 78 Despino (siehe auch comœdiantische Figur) 23f., 33 Dillingen 116f. Dorsch, Johann Christoph (siehe auch Sächsische Comœdianten) 193

Douai 172 Dreißigjähriger Krieg, siehe Krieg Dresden 33f., 36f., 40, 84, 96, 107, 192– 194, 196, 198–203, 264, 267, 273 Eck, Johann Adolph 35, 97 Eckenberg, Johann Carl von 73 Eggenbergische Comœdianten (siehe auch Johann Georg Gettner, Anna Claudia Hoffmann, Maria Ursula Hoffmann, Sybille Juliane Hoffmann, Johann Franz Manduk, Maria Anna Pernecker, Johann Christoph Pernecker, Johann Valentin Petzold, Johann Carl Samenhammer, Johann Friedrich Schwarz, Johann Wohlgehaben) 34, 36, 75, 96f., 194–196, 273, 277 Eichstätt 116 Eintrittsgeld 22f., 93 Eisenbarth, Johann Andreas 72 Ekhof, Conrad 49 Elenson, Andreas 18, 34–36, 75, 103f., 139, 152, 186, 195, 204, 207, 275 Elenson, Ferdinand 76 Elenson, Julius Franz 104 Elenson, Maria Margaretha 39, 139f., 195 Elenson (Haacke, Hoffmann), Sophie Julie 75, 104 Elisabeth I., Königin von England 171f., 181 Encke, Johann Georg (siehe auch Sächsische Comœdianten) 193, 273 englische Comœdianten (siehe auch Robert Browne, John Green, Gideon Gellius, Joris Joliphus, Philip Kingsman, Ralph Reeve, Robert Reynolds, William Roe, Thomas Sacheville, John Waite) 26, 51, 68, 100–103, 110, 132f., 178–181, 184, 190–192, 201, 209 Erdmann, Gottfried 69f. Eschen, Johann van 166f. Eudald (Märtyrer) 163 Eva Christina von Württemberg 201 Fairfax, Thomas 182 Falkenberger, Christoph

189f.

Personen-, Orts- und Sachregister

Fasshauer, Johann 193 Fechten 70, 75, 272 Fechthaus (Nürnberg) 54f., 92 Feldkirch 107, 117 Ferdinand II., dt. Kaiser 169, 207 Ferdinand III., dt. Kaiser 53 Ferdinand Albrecht I. zu BraunschweigLüneburg 13, 68, 151–154, 198, 204, 270, 274–276, 278 Ferdinand Karl von Tirol 96, 107 Ferdinand Maximilian von Baden-Baden 107 Feuerwerk 58, 198, 202 Fichetto (siehe auch comœdiantische Figur) 23f. Fleischhaus (Leipzig) 75f. Fleming, Paul 66 Fontenelle, Bernard Le Bouyer de 89 Franckenstein, Christian Friedrich 66 Frankfurt am Main 34–36, 45, 48, 51, 62f., 107, 184, 191, 194 Frankfurt an der Oder 108 Frantello (siehe auch comœdiantische Figur) 24 Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg 103 Franz von Assisi 169 Franz Xaver (Jesuit) 169 Franziska Sibylla Augusta von SachsenLauenburg 103 Franziskaner 116, 118–120, 124–130, 156, 159f. Freistadt (Österreich) 195 Friedrich III., König von Dänemark und Norwegen 45 Friedrich August I. von Sachsen, König von Polen 89 Friedrich Casimir zu Hanau-Lichtenberg 107f. Friedrich Moritz zu Bentheim-Tecklenburg 108 Fürstenspiegel 29, 213, 215–217, 251–254 Fux, Hans 189 Gegenreformation 95, 103, 111, 165, 168– 171 Geissler, Anton Joseph 37, 76f., 97, 234

315 Gellius, Gideon (siehe auch englische Comœdianten, Sächsische Comœdianten) 192, 273 Gera 33 Gerber, Hans 189 Gerl, Theodor Ritter von 16 Geste / Gebärde 99, 142, 147–149, 154f., 272, 279 Gettner, Johann Georg (siehe auch Eggenbergische Comœdianten) 195 Gewandhaus (Dresden) 75 Gherardi, Evariste 78, 85 Glückstadt 34 Görlitz 103 Görtz, Georg Heinrich 210f. Gotha 37, 172 Gottorf 45f. Gottsched, Johann Christoph 14f., 54, 63, 78–94 Graef, Hendrick de 17, 36 Graz 22f., 33, 103–105, 108, 186, 207 Green, John (siehe auch englische Comœdianten) 104, 186, 192, 207 Greifswald 68 Gryphius, Andreas 88, 183, 278 Haacke, Johann Caspar (siehe auch Sächsische Comœdianten) 33f., 37, 89, 104 Hagius, Gregorius 101–103 Hall in Tirol 172 Halle an der Saale 65f., 68, 79, 83, 85 Hamann, Johann Georg 79 Hamburg 37, 45f., 48–52, 194 Hamburgische Comœdianten (siehe auch Carl Andreas Paulsen, Catharina Elisabeth Velten, Johannes Velten) 193 Hannover 48 Hanswurst (siehe auch comœdiantische Figur) 21–24., 33, 74, 83, 86, 139, 228f., 251f., 255 Hannß von der Nadl (siehe auch comœdiantische Figur) 24 Hart, Andreas 20 Hartmann, Andreas 201 Haupt- und Staatsaktion 11, 14–26, 79, 87 Heidelberg 34, 36f., 108, 186–188

316 Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel 191, 209 Helmstedt 45, 47, 49 Hendler, Martin 189 Hentschel, Samuel 66 Hildesheim 172 Hilverding, Johann Baptist 33 Hof 11–13, 19f., 22f., 26f., 29f., 38f., 43, 46f., 60–62, 75f., 82, 86, 93f., 96, 100f., 104, 107, 111, 114, 125f., 128, 130, 139f., 152, 155, 157–159, 161f., 170f., 178, 182, 184–212, 216f., 231f., 234, 243f., 251, 259, 261, 264, 267, 270, 273, 277–282 Hoffmann, Anna Claudia Felicitas (siehe auch Eggenbergische Comœdianten) 195 Hoffmann, Johann Ernst (siehe auch Innsbrucker Comœdianten) 4, 20, 22, 34, 36f., 107, 182, 186–190, 203, 209, 258f., 273 Hoffmann, Karl Ludwig (siehe auch Sächsische Comœdianten) 18, 28, 34, 39f., 74, 79, 88f. Hoffmann (Blümel), Maria Ursula (siehe auch Innsbrucker Comœdianten, Eggenbergische Comœdianten) 107, 188–190, 195, 273 Hoffmann, Sybille Juliane (siehe auch Eggenbergische Comœdianten) 195 Holl, Christian 274 Horn, Christoph Benjamin 76, 97 Hüttenberg, Peter Hüttler von 53f. Improvisation 12–14, 109, 177, 273, 282 Ingolstadt 34, 172 Innsbruck 34, 38, 43, 96, 107, 112, 115, 118, 120, 124f., 130, 139f., 159, 161, 170, 188–190, 211, 277 Innsbrucker Comœdianten (siehe auch Christoph Blümel, Johann Ernst Hoffmann, Maria Ursula Hoffmann, Hans Martin, Johann Christoph Pernecker, Peter Schwarz, Rebecca Schwarz, Johann Wohlgehaben) 22, 74f., 96, 97, 104–108, 139, 161, 169, 178, 195, 273 Irrländer, David 187

Personen-, Orts- und Sachregister

Ittig, Johannes

66

Janetzky, Anna Lisa 274 Janetzky, Christian (siehe auch Sächsische Comœdianten) 274–276 Janicke, Johann 64f., 187 Jason 18–20, 24, 31, 35, 97 Jean Potage (siehe auch comœdiantische Figur) 179–181 Jena 45, 47, 49, 67, 85 Jesuiten / Jesuitentheater 17, 21, 29, 35, 52f., 58, 95f., 98, 103–132, 135–138, 143, 146, 150f., 153, 157, 161, 168f., 172, 174–177, 187 Jodolet (siehe auch comœdiantische Figur) 24, 59 Johann Adolph von Sachsen-Weißenfels 200 Johann Christian I. von Eggenberg 96, 194 Johannes der Täufer 169 Johannes von Nepomuk 169 Johann Georg von Brandenburg 201 Johann Georg I. von Sachsen 200 Johann Georg II. von Sachsen 192f., 196, 198–202, 215, 273 Johann Georg III. von Sachsen 190, 194 Johann Georg IV. von Sachsen 198 Joliphus, Joris (siehe auch englische Comœdianten) 178, 182, 184, 193, 273 Joseph von Nazaret 169 Julius Franz von Sachsen-Lauenburg 103 Jupiter 19, 198f., 202 Kahland, Christoph 152, 274 Kalender 49f., 92, 282 Karl I., König von England 29, 171–174, 178–184, 224f. Karl II., König von England 184 Karl IV., dt. Kaiser 169, 210 Karl I. Ludwig von der Pfalz 13, 107f., 186–188, 203f., 209, 211f., 260, 265, 270 Karlsruhe 35 Karneval (Fasching, Fastnacht) 39, 50, 79, 112, 142, 185, 200, 204, 207 Kärntnertortheater (Wien) 54, 77

Personen-, Orts- und Sachregister

Kassel 190f. Kiel 68 Kingsman, Philip (siehe auch englische Comœdianten) 190f. Klagenfurt 114, 116f. Klerus 26–28, 48, 50f., 55, 66, 69, 93f., 99, 101–103, 106, 111, 144, 156, 167, 169, 173–175, 237, 239, 261, 282 Klinger, Gottfried 67 Kohl, Johann Gottfried 274 Köln 45, 48, 50–52 Komik 17, 25, 86f., 89, 110, 121, 129, 138– 140, 142, 144, 148–151, 204f., 229, 230, 233, 237, 272, 274–276 Komödie 30, 60f., 83, 86, 120, 140 Konfession 21, 27–29, 49f., 94, 97–108, 131, 136f., 145f. 162, 171, 174f., 177f., 278f., 282 König, Johann Ulrich von 79, 84 König, Michael 66 Königsberg 68, 78 Kopenhagen 33f., 36, 45f., 193 Kopp, Carl 36 Körper / Leib 12, 30, 73, 77f., 98f., 113, 130–133, 136–138, 147f., 151, 157, 160, 162–165, 174, 205, 207, 224f., 234, 246f., 251, 258–260, 265, 271f., 281 Krems 116, 172 Krieg 11, 28, 47, 50–53, 55, 58, 60, 81, 92, 110, 118, 141, 163, 169f., 172f., 176, 187, 192, 198, 205, 209f., 221, 231, 239–241, 243, 281 Krnov 201 Kuhlmann, Jakob 34, 36, 38, 57, 62, 75, 108, 275 Künigl, Veit von 34 Landsberg 117f. Landshut 115 Lang, Franz 113, 120, 122–124, 126, 128f., 258 Leibniz, Gottfried Wilhelm 67, 214 Leinhaas, Johann Ernst 77f. Leipzig 29, 45, 47–49, 54, 63–92, 94, 193f. Leopold I., dt. Kaiser 106, 168f. Leopold III. von Babenberg 169

317 Leslie, David 182f. Linz 36 Lipsius, Justus 216, 252–254 Lisle, George 183 Loburg 66 Lohenstein, Daniel Casper 278 Loyola, Ignatius von 126, 169 Lübeck 45, 48, 52 Ludwig XIII., König von Frankreich 192 Ludwig Wilhelm von Baden-Baden 103 Lüneburg 34, 36, 48, 51 Luther, Martin 155, 166f. Magdalena Sibylle von Sachsen 194 Magdeburg 52, 99 Mainz 52 Manduk, Johann Franz (siehe auch Eggenbergische Comœdianten) 195 Maria I., Königin von Schottland 78, 171–173, 181 Maria Anna von Lobkowitz 35, 207 Maria Ernestine von Eggenberg 194 Maria Magdalena von Österreich 207 Martin, Hans / Laurentius von Schnüffis (siehe auch Innsbrucker Comœdianten) 107, 109, 188–190, 277 Mascarilias (siehe auch comœdiantische Figur) 24 Matthias, dt. Kaiser 46 May, Johann Friedrich 79, 80 Mecheln 163 Medea 18–20, 35 Meistersinger 12, 54, 104f., 106, 133 Melancholie 138, 227, 245, 260–265, 270, 280 Mencke, Johann Burkhard 78 Mendo (siehe auch comœdiantische Figur) 24, 266 Merkur 198, 201 Messe / Markt 48f., 62–64, 70–78, 80, 83, 91f., 185, 191, 194, 274, 282 Mindelheim 117 MoliHre (Jean-Baptiste Poquelin) 12, 17, 35, 188, 204, 267, 277 Möller, Gabriel 35, 76, 96f., 176 Moritz von Hessen-Kassel 190f.

318 Moritz von Sachsen-Zeitz 200, 215 Moryson, Fynes 132f. Mühlstreich, David 76 Müller, Joseph Ferdinand 77, 89f. München 34–36, 52, 97, 114–116, 162, 170f., 176, 201 Musik / Musiker*innen 53, 65, 72, 119, 132f., 137, 152, 187f., 190f. Nachspiel 14, 35, 57–59, 110, 183, 187f., 266, 274f., 278 Nachtcomödienhaus (Nürnberg) 54f. Nannini, Giovanni 76 Narr (siehe auch comœdiantische Figur) 61, 72, 83, 93f., 128, 133, 140, 152, 179, 206, 210 Neuber, Friederike Caroline (siehe auch Sächsische Comœdianten) 75, 88–93 Neuburg an der Donau 116 Nitner, Andreas 66 Nürnberg 29, 33, 35f., 52, 54–63, 92, 97, 105, 107, 133, 176 Okulist, siehe Operatoren Olearius, Gottfried 66, 68 Oper 15, 23, 27, 81, 86f., 109, 157, 198, 201, 212 Operatoren (Schaumedizin, Ciarlatani) 69f., 72, 74f., 274 Opitz, Martin 266 Ottonium (Kassel) 190 Ovid 242 Paulsen, Carl Andreas (siehe auch Hamburgische Comœdianten, Sächsische Comœdianten) 29, 33, 36, 45–52, 54– 58, 65, 68f., 75, 103, 182, 193f., 273 Paulsen, Ferdinand Egidius 75f. Paulus von Tarsus 169 Pernecker, Johann Christoph (siehe auch Innsbrucker Comœdianten, Eggenbergische Comœdianten) 108, 188–190, 195, 273 Pernecker (Duson), Maria Anna (siehe auch Eggenbergische Comœdianten) 108, 195

Personen-, Orts- und Sachregister

Pest, siehe Seuche Petersen, Johann Wilhelm 51 Petzold, Johann Valentin (siehe auch Eggenbergische Comœdianten) 75, 140, 195f. Piccariglio (siehe auch comœdiantische Figur) 24 Pickelhering (siehe auch comœdiantische Figur) 24, 35, 69, 103, 179–183, 199, 202, 207, 270, 274–276 Philipp Julius von Pommern-Wolgast 101 Phryx (siehe auch comœdiantische Figur) 24, 57, 206f. Plapperließgen (siehe auch comœdiantische Figur) 209f. Polykarp (Märtyrer) 165 Portous, Matthias 189 Prag 31, 33f., 37, 45f., 48, 50–52, 172, 195f., 201, 210, 234 Prince Charle’s Company 184 Prolog 20, 58f., 117, 120–122, 136, 177, 231, 275, 280 Pufendorf, Samuel 66f. Puppenspiel / Puppenspieler*innen 70, 74, 76, 83, 278 Quinault, Philippe Quintilian 256f.

17, 36

Rademin, Heinrich 16, 36f., 64f., 68 Rader, Matthäus 114, 122, 131, 168 Rappolt, Friedrich 65f. Reeve, Ralph (siehe auch englische Comœdianten) 201 Reformation 166–168 Regensburg 107, 115, 124 Reitzenstein, Johann Phillip 74 Repertoire 16, 18, 20, 33–37, 39, 57f., 78, 92f., 97, 102, 184, 187, 190, 193, 196, 201f., 276–279 Reynolds, Robert (siehe auch englische Comœdianten) 192 Rhetorik 29, 59, 65, 83, 87, 91, 93, 112f., 135–137, 142, 177, 208, 225f., 243, 255– 259, 267, 271, 279, 282

Personen-, Orts- und Sachregister

Richter, Hermann Reinhard 76, 97 Riedel, Johann Philipp 35, 152, 207, 270 Riemer, Johannes 17, 31, 37, 172, 221, 233–235 Rieß, Johann Wolfgang (siehe auch Sächsische Comœdianten) 193f. Riga 33f. Roe, William (siehe auch englische Comœdianten) 192 Rohr, Julius Bernhard von 207, 210f. Rollenbesetzung 13, 136, 152, 273–276 Rom 80, 163, 222, 240, 258 Rostock 45, 47–49 Rothäupts Hof (Leipzig) 75 Rottenburg am Neckar 115 Rotterdam, Erasmus von 180, 217, 252– 254 Rudolf August zu Braunschweig-Wolfenbüttel 152, 270 Sacheville, Thomas (siehe auch englische Comœdianten) 191f. Sachs, Hans 145 Sächsische Comœdianten (verschiedene Truppen; siehe auch Johann Christoph Dorsch, Johann Georg Encke, Gideon Gellius, Johann Caspar Haacke, Karl Ludwig Hoffmann, Christian Janetzky, Friederike Caroline Neuber, Carl Andreas Paulsen, Johann Wolfgang Rieß, Gottfried Salzsieder, Christian Starke, Catharina Elisabeth Velten, Johannes Velten) 75, 79f., 83, 88, 97 Sachsen-Merseburgische Comœdianten 57 Saladin, Sultan von Ägypten und Syrien 143f. Salzsieder, Gottfried (siehe auch Sächsische Comœdianten) 13, 152, 275f. Samenhammer, Johann Carl (siehe auch Eggenbergische Comœdianten) 106f., 195 Schauspielkunst / Schauspielstil (siehe auch Gesten, Improvisation, Körper, Rhetorik, Verstellung) 13f., 30, 77f.,

319 83, 85, 90f., 93f., 110, 119, 132–134, 136f., 148, 152, 255–259, 271–273, 276 Schaustellergewerbe 70f., 74, 83, 92, 272 Schertzer, Johann Adam 66f. Scheurer, Georg 62f. Schirmer, David 192 Schleswig 46 Schönemann, Johann Friedrich 91 Schouwburg (Amsterdam) 277 Schreiber*in 21, 34–37, 96, 120, 176, 190, 275f. Schröder, Wilhelm von 197 Schubart, Georg Friedrich 75, 274f. Schüler, Adam Christoph 33, 35, 64f., 275 Schultheater 12, 48, 58–63, 95–98, 101, 106, 109–131, 133, 135–138, 174–178, 258f. Schulze, Christian 34, 77 Schwäbisch Hall 182, 258f. Schwarz, Johann Friedrich (siehe auch Eggenbergische Comœdianten) 195 Schwarz, Peter (siehe auch Innsbrucker Comœdianten) 20, 22, 34, 36f., 107f., 182, 186–190, 203, 209, 258f., 273 Schwarz, Rebecca (siehe auch Innsbrucker Comœdianten) 107, 188–190 Schwaz 116, 118 Schweinfurt 182 Scio, Sebastian di 76f. Seiltanz / Seiltänzer*innen, siehe Artistik Seuche 11, 47, 52f., 92, 169f., 191, 195, 281 Shakespeare, William 12, 20 Simon Petrus 169 Skaramuz (siehe auch comœdiantische Figur) 84, 110 Sluter, Gottfried 66 Solothurn 115, 118, 122 Spiegelberg, Johann Christian 34 Spielgenehmigung 12, 22, 26f., 29, 45–48, 50, 55f., 62f., 69, 92f., 101f., 104–106, 175, 182, 184f., 267, 275 Spielprivileg 26, 46–48, 63, 72, 75, 89, 93, 185f., 193f., 208f., 267

320

Personen-, Orts- und Sachregister

Stadtrat 22, 26, 34, 36, 45–47, 49, 51, 54– 58, 62f., 72, 92f., 134, 169f., 175, 185, 203, 275 Starke, Christian (siehe auch Sächsische Comœdianten) 64f., 193f. Stätin, Peter 189f. Stein- und Bruchschneider, siehe Operatoren Stieler, Kaspar 278 Stranitzky, Joseph Anton 23f., 54, 74, 77 Straßburg 45, 48f., 51f., 107, 152 Straubing 117 Strauch, Aegidius 66 Stryx (siehe auch comœdiantische Figur) 24, 57, 206f. Stuttgart 36f. Süleyman I., Sultan des Osmanischen Reichs 155 Taschenspieler*innen, siehe Artistik Terenz 67, 121 Tertullian 165 Theaterfeindlichkeit 27, 29, 39, 50, 60, 62, 69, 87, 90f., 94, 98–108 Theaterreform 54, 63, 78–92, 94, 152 Theresia von Avila 169 Thomasius, Christian 68f. Thorn 182 Tilemann, Ernst 69, 76 Tilly, Paul Joseph 33 Torgau 33f., 36 Tragödie 30, 60f., 86–88, 120, 140 Treu, Michael Daniel 34–36, 56–58, 68, 97, 104, 170f., 176 Trufaldino (siehe auch comœdiantische Figur) 24 Tugend 26, 29, 57, 60, 82, 87f., 90, 94f., 100f., 114, 119f., 122f., 125, 131, 185, 205, 210, 215, 217, 222f., 247–254, 264f., 267–269, 280 Tzschimmer, Gabriel 198–202, 215, 224, 259, 264–267 Uhlich, Johann August Ulm 52

64f., 76, 172

Universität 12, 49f., 63–70, 72, 108, 134, 172, 193 Velten, Anna Elisabeth 274 Velten, Catherina Elisabeth (siehe auch Sächsische Comœdianten, Hamburgische Comœdianten) 28, 33, 36, 68f., 75, 97, 99–101, 197, 210, 212, 273–275 Velten, Johannes (siehe auch Sächsische Comœdianten, Hamburgische Comœdianten) 13, 33f., 36f., 64–68, 75–77, 97, 152, 186, 188, 190, 193f., 198f., 203f., 209, 211f., 273–275, 278 Velten, Valentin 67 Verkleidung 18, 80, 82, 85, 101, 118, 127, 138, 143, 152, 159, 204f., 220, 228, 230, 242–244, 262f., 274 Verstellung 25, 122, 124, 143, 149, 151, 199, 202, 205, 226, 230, 232, 239, 243, 255–259, 271f. Voes, Heinrich 166f. Vondel, Joost van den 172 Vorspiel 89–91, 198 Vos, Jan 19, 20, 35f. Wahnsinn 25, 82, 86, 221f., 227, 232, 234–239, 242–244, 250f., 258, 263f., 268, 279 Wahrscheinlichkeit 25, 80–86, 94, 230, 233 Waite, John (siehe auch englische Comœdianten, Sächsische Comœdianten) 192, 273 Waldtmann, Johann Friedrich Marcus 77 Wallenstein 181 Wallerotti, Franz Gerwald 34, 36, 139, 278 Wanderarzt, siehe Operatoren Wanderbühne 11–14, 109f. Washuber, Gregor 187 Weise, Christian 66 Weißenfels 33 Wien 21f., 24, 34, 39, 47, 52–54, 76–78, 97, 103, 105, 108, 172, 176, 194 Winckler, Johann Josef 99, 101 Windsheim 182 Wittenberg 45, 49, 65, 66, 69, 85, 193

Personen-, Orts- und Sachregister

Wittig, Johannes Tobias 274 Wohlgehaben, Johann (siehe auch Innsbrucker Comœdianten, Eggenbergische Comœdianten) 108, 188–190, 195 Wolfenbüttel 191f. Württembergische Comœdianten 78 Würzburg 35, 97 Zahnarzt, siehe Operatoren Zensur 56, 254

321 Zeremoniell 19, 27, 154f., 161, 177, 207, 212 Zesen, Philipp von 66 Zotens Hof (Leipzig) 75 Zürich 106 Zwei-Ebenen-Prinzip 15, 22f., 25, 140 Zwischenspiel / Intermedium / Choreinlage 19f., 57–60, 81, 89, 109f., 117, 122–129, 131, 136f., 177, 187, 202

Stückeregister

Alari vnd Somiro 153f. Amadis 199–201 Amor der Ty¨rann oder Die bereüete Rache / Asphalides (Johannes Riemer) 17, 25, 31, 37, 82, 86, 134, 217, 221f., 227, 233– 239, 245, 247–252, 261, 268, 279f. Androfilo Oder die WunderLiebe (Sigmund von Birken) / Androphilus (Jacob Masen) 58f. Aurora und Stella / Les coups de l’amour et de la fortune (Philippe Quinault) / Aurora, en Stella, of Zusterlijcke Kroonzucht (Hendrick de Graef) / Lances de amor y fortuna (Pedro Calderjn de la Barca) 17, 25, 31, 36, 57, 138f., 204f., 217, 276, 281

Der vom Christenthum abgefallene und dazu wiederbekehrte Andronicus / Andronicus Aegyptus (Jesuitendrama) 20f., 25, 29, 31, 35, 57, 81f., 86, 95–98, 110f., 114–136, 138, 140–151, 154–162, 168–171, 174–178, 240, 250, 255

Boetius (Jesuitendrama) 110 Der bestrafte Brudermord oder : Prinz Hamlet aus Dännemark / The Tragedy of Hamlet, Prince of Denmark (William Shakespeare) 49 Der Bürgerliche Edelmann / Le Bourgeois gentilhomme (MoliHre) 153, 275f.

Das verliebte und geliebte Ehrenbild. Oder Die Ehrenstatue / L’Adamira overro La Statua dell’onore (Giacinto Andrea Cicognini) 17, 23f., 31, 33, 82, 204, 211 Endymion (Bernard Le Bouyer de Fontenelle) 89 Die Enthauptung deß Konigs Caroli 178, 182f. Wunderliche Verwirrung / Comedy of Errors (William Shakespeare) 274 Ertzvater Joseph 62, 199f. Die glu¨ ckselige Ey¨fersucht zweschen Rodrich undt Delomira von Valenza / Le gelosie fortunate del prencipe Rodrigo (Giacinto Andrea Cicognini) 17f., 25, 31, 34, 82, 139f., 203f., 211, 217, 227,

Carolus Stuardus (Andreas Gryphius) 183 Der sterbende Cato (Johann Christoph Gottsched) 91 Christabella 199, 201

David vnd Batseba 153 Don Gaston de Moncada / Il Don Gastone di Moncada (Giacinto Andrea Cicognini) 153, 203f., 211f. Der Dreßdenische Schlendrian (Johann Ulrich von König) 84f. Dulcander und Dorella 21f., 24, 31, 34, 82, 134, 210, 217, 220f., 225, 277

324

Stückeregister

230–233, 245, 249, 255, 268, 273f., 276, 280 Flavia (Jesuitendrama) 110 Der Fleischawer (Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel) 209 Fortunatus 199, 202 Der getreue falsche und scheinbare Freund und die beständige Ehren-Liebe / Hertzog von Ferrara (?) 62 Das verhönete Fürsten paar 153 Die standhaffte Genoveva / De heylige Genoveva, of herkende onnooselheyt (Antonio Francisco Wouther) 58, 152f. Das Gespräche im Reich der Todten / Les Intrigues d’ Arlequin aux Champs Elis8es (Abb8 Laurent Bordelon) 84–86 Ibrahim Bassa / Ibrahim Bassa (Daniel Caspar von Lohenstein) 57f. Jupiter und Amphitryo

199, 202

The Famous Tragedie of King Charles I. Basely Butchered 183 Der durchlauchtige Kohlenbrenner 21, 24, 31, 34, 86, 203, 217, 219f., 223, 225, 227, 243–245, 247, 252, 261–266, 268, 275, 277, 280 Teutscher Kriegs Ab- und FriedensEinzug (Sigmund von Birken) 58 Die dreifache Krönung von Epiro / The Coronation (James Shirley) 153 Das Leben des heil. Eustachii 103 Die unglu¨ ckliche Liebe des tapffern Jasons (Friedrich Christian Bressand) 35 Der verirrte Liebes-Soldat oder des Glu¨ ckes Probierstein 96 Die Liebes Verzweiffelung (Hans Martin) 277 Der wilde Mann in Creta

199, 202

Maria Stuart, Königin von Schottland / Von hohen Vermählungen (Johannes Riemer) 172 Der dolle Marschalk aus Spanien 153 Die rasende Medea mit Arlequin einem verzagten Soldaten / Medea (Jan Vos) 18f., 35 Der Schein-heilige Mennonist / Tartuffe ou L’Imposteur (MoliHre) 153 Niemand und Jemand / Nobody and Somebody 103 Die durhleu¨ chtige Oronthea Königin von Aegy¨pten / L’Orontea (Giacinto Andrea Cicognini) 17, 23, 31, 37, 82, 134, 203f., 217f., 227–230, 245, 249, 251f., 268, 280 Das dreifach verliebte Paar 275 Der lustige Pickelhering 199, 202 Polyectus oder der Christliche Ritter 153f. Richard II. (William Shakespeare) 225 Romio vnd Juliette / Romeo and Juliet (William Shakespeare) 153 Die gekröndte Schäfferin Aspasia / Koningklyke Herderin Aspasia (Jacob Cats) 17, 20f., 24f., 31, 33, 57, 82, 204–207, 217 Der Allerkostbarste Schatz (Friederike Caroline Neuber) 91 Der durchläuchtige Schiffadmiral Jason. Oder. Das bezauberte gu¨ ldene Flu¨ ß / Il Giasone (Commedia, Giacinto Andrea Cicognini) 17, 19f., 24, 31, 35, 97 Der Schwehst ligt unden / The Weakest goeth to the Wall 17, 24, 36, 57, 81f., 86, 217–219, 222f., 280 Sidonia vnd Theagene 153 Silvia Oder Die Wunderthätige Schönheit (Sigmund von Birken) 58–60 St. Margareta und St. Georg 58, 103f.

Stückeregister

Der Streit zwischen Liebe und Ehre oder Roderich und ChimHne / Le Cid (Pierre Corneille) 79f., 153, 275 Der zu Stockholm enthauptete Baron Görzens 210f. Titus Andronicus (William Shakespeare) 20 Titus und Aran / Aran en Titus, of Wraak en Weerwraak (Jan Vos) 17, 20f., 25, 31, 33, 36, 57, 61, 82, 152f., 157, 204, 217, 221f., 227, 239–243, 245, 248, 252, 255– 259, 279 Der unglückseelige Todes-Fall […] Caroli XII. 209 Die vorsichtige Tollheit 153

325 Der durch den Tryumph einer flu¨ chtigen Königin unterdrukte Tyrann 21–24, 31, 33, 210, 217, 221, 255, 277 Ein verliebter Verdruss / Le D8pit amoureux (MoliHre) 17, 24, 31, 35, 59, 82, 86, 207f., 275 Ein Deutsches Vorspiel (Friederike Caroline Neuber) 89f. Die von der Weisheit wider die Unwissenheit beschützte Schauspielkunst (Friederike Caroline Neuber) 90f., 93 Die verkehrte Welt (Johann Ulrich von König) / Le Monde renvers8 84