Clausewitz-Kolloquium: Theorie des Krieges als Sozialwissenschaft [1 ed.] 9783428477630, 9783428077632

In den Aufsätzen dieses Sammelbandes werden Clausewitz' Ideen als Beiträge zum Wissen und zu den Methoden aus der S

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German Pages 164 Year 1993

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Clausewitz-Kolloquium: Theorie des Krieges als Sozialwissenschaft [1 ed.]
 9783428477630, 9783428077632

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GERHARD VOWINCKEL (Hrsg.)

Clausewitz-Kolloquium Theorie des Krieges als Sozialwissenschaft

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 65

Clausewitz-Kolloquium Theorie des Krieges als Sozialwissenschaft

Herausgegeben von Gerhard Vowinckel

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Theorie des Krieges als Sozialwissenschaft / ClausewitzKolloquium. Hrsg. von Gerhard Vowinckel. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft ; Bd. 65) ISBN 3-428-07763-6 NE: Vowinckel, Gerhard [Hrsg.]; Clausewitz-Kolloquium (1991, Hamburg); GT

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-07763-6

Inhaltsverzeichnis

Gerhard Vowinckel Einleitung. . .

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Karlheinz Messelken Denkweisen und Denkfiguren des 18ten, 19ten und 20sten Jahrhunderts in Clausewitz' Gesellschaftstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans Wilhelm Hetzler "Bewegung im erschwerenden Mittel" - Handlungstheoretische Elemente bei Carl von Clausewitz. . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . .

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Ernst Vollrath Carl von Clausewitz: Eine mit dem Handeln befreundete Theorie .

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Eckart Pankoke, Peter Marx Das militärische Denken des Carl von Clausewitz in gesellschaftstheoretischer Perspektive .

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Petra Ahrweiler Clausewitz als Repräsentant des wissenschaftlichen Weltverhältnisses der beginnenden Moderne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rainer Dieterich Carl von Clausewitz als Psychologe - Die "moralischen Größen" im Lichte der Persönlichkeitspsychologie .

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Michael Hereth Politik, die sich im Kriege fortsetzt? Zu Clausewitz' Verständnis des Politischen. Unbewältigte preußische Erfahrungen im Denken von Clausewitz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Integriertes Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . • .

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Einleitung Von Gerhard Vowinckel

A. Krieg - ein anstößiges Thema Gewalt und Krieg gehören gewöhnlich nicht zu den Themen, denen Sozialwissenschaftier viel Aufmerksamkeit zuwenden. Zumindest Soziologen, besonders deutsche, gehen dem Thema aus dem Weg. Von den wenigen Fachvertretern, die sich hierzulande - nicht mit dem Krieg, aber doch mit der bewaffneten Macht - befassen, stehen die meisten im Dienst des Verteidigungsministeriums. Sie treiben Soziologie "nur für den Dienstgebrauch" (LippertlWachtler 1982), im wesentlichen Organisationssoziologie. Als zu Beginn der achtziger Jahre eine Grundsatzdebatte über die Legitimität der Streitkräfte und der bewaffneten Verteidigung entbrannte, als das Verhältnis von Militär und Gesellschaft prekär wurde, da suchten Militärsoziologen vergeblich Rat bei der zeitgenössischen soziologischen Theorie. Ein 1983 erschienener Sammelband zum Themenkreis Militär, Krieg, Gesellschaft etwa enthält neben den Texten sozialwissenschaftlicher Klassiker nur einen einzigen zeitgenössischen Beitrag. Der Herausgeber Günther Wachtler überschrieb ihn: Die Reduktion von Militärsoziologie aufOrganisationstheorie. Das Mißverhältnis vieler Soziologen zum Thema "bewaffnete Macht" hat mindestens zwei Gründe. Einer von ihnen liegt darin, daß das Fach Sinnbedürftige anzieht, Gesinnungsmoralisten auf der Suche nach der idealen Welt. In dieser idealen Welt haben Krieg und Gewalt selbstverständlich keinen Platz. Sie verkörpern das böse, das teuflische Prinzip. Ihre bloße Erwähnung zwingt den Gesinnungsmoralisten, seine untadelige Friedfertigkeit zum Ausdruck zu bringen - durch Bekundungen des Abscheus oder womöglich eine Anwandlung

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von Übelsein. Dasselbe erwartet er von allen anständigen Menschen. Wer Krieg und Gewalt sachlich-wissenschaftlich, unter einstweiligem Verzicht auf moralische Stellungnahme, erörtert, ist in seinen Augen ein unverantwortlicher Zyniker, moralisch unzuverlässig oder einfach böse. I Vermutlich zählen nicht einmal viele Fachsoziologen selbst zu diesen religiös bedürftigen Sinnsuchern. Schließlich schult das Fach die Fähigkeit zu distanzierter Betrachtung. In den sechziger und siebziger Jahren genossen jedoch bestimmte soziologische Lehren mit einem offenkundig attraktiven Sinnangebot quasireligiöse Autorität bei einem größeren akademischen Laienpublikum - gewissermaßen als innerweltliche Erlösungsreligion. Seitdem stand Soziologie in dem Ruf, eine politisch-moralische Leitwissenschaft zu sein. Dieser Ruf zog idealistisch gesinnte Studenten an, die eine dem Zeitgeist entsprechende Gesinnung auch von ihren akademischen Lehrern erwarteten. Das daraus resultierende universitäre Meinungsklima war der Befassung mit Themen von Krieg und Gewalt nicht günstig. Soziologen an Universitäten konnten solche Themen, die sie womöglich als "reaktionär" oder "faschistoid" in Verruf gebracht hätten, unschwer meiden. 2 Sozialwissenschaftler im Dienste der Streitkräfte hatten es schwerer, dem moralischen Druck zu entgehen. Manches, das im Zusammenhang mit der Nachrüstungsdebatte Anfang der achtziger Jahre aus diesem Kreis heraus veröffentlicht wurde, zeugt möglicherweise mehr von dem Bedürfnis, friedfertige und fortschrittliche Gesinnungen unter Beweis zu stellen, als von analytischem Scharfsinn.

1 Unterdessen scheint sich allerdings, wenn ich die Zeichen richtig deute, ein Stimmungswandel zu vollziehen, der auch die Intellektuellen erfaßt. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts faIlt der Gedanke an Krieg nicht mehr notwendig mit der Vorstellung einer wechselseitig garantierten nuklearen Vernichtung zusammen. Es sind wieder Kriege denkbar, zu deren Opfern man selbst nicht gehört. Das scheint für die moralische Bewertung kriegerischen HandeIns nicht ohne Folgen zu bleiben. Schon für die Führung des Golfkrieges (1991) sprachen sich einige aus, von denen man es nie gedacht hätte. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Vorworts (August 1992) scheint gar - angesichts der Ausrottungs- und Vertreibungspolitik der Serben in Kroatien und Bosnien-Herzegowina - Stimmung zugunsten einer militärischen Intervention aufzukonunen, und das, obwohl hochrangige Militärs vor der militärischen Aussichtslosigkeit eines solchen Unternehmens warnen. 2 Karl-Otto Hondrich, der nach dem Golfkrieg ein Buch mit dem Titel Lehrmeister Krieg? (Reinbek b. Hamb., Rowohlt 1992) veröffentlichte, berichtet von dem Befremden und der Frostigkeit, die der bloße Titel des Buches - trotz des Fragezeichens - unter soziologischen Fachkollegen auslöste.

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B. Eine Herausforderung der Theorie Es gibt einen weiteren, wissenschaftlichen Grund für das soziologische Desinteresse an Streitkräften und Krieg. Es fehlte lange Zeit an geeigneten theoretischen Instrumenten. Die Theorien kurzer bis mittlerer Reichweite, deren sich, wenn überhaupt, die empirische Sozialforschung bediente, eigneten sich wenig, internationale Konflikte oder den geschichtlichen Wandel in den Beziehungen von Militär und Gesellschaft zu beschreiben. Die Vertreter systemorientierter funktionalistischer Erklärungsansätze waren im wesentlichen an den Binnenstrukturen ordentlicher Staatsgesellschaften interessiert. In ihrer perspektivischen Voreingenommenheit für soziale Ordnung und deren Gleichgewichtsbedingungen betrachteten sie Unordnung und Konflikte im innerstaatlichen Bereich zumeist als Dysfunktionen oder Abweichungen, im zwischenstaatlichen überhaupt nicht. Unter den dominierenden Theorieansätzen der jüngeren Vergangenheit hatte der marxistische vermutlich die größte Nähe zu den Themen Krieg und Gewalt. Seine klassentheoretische Monomanie engte allerdings den empirischen Gesichtskreis und die analytische Flexibilität stark ein. Auch beeinträchtigte seine Funktion als politisch-moralisches Kampfmittel, nämlich in Konflikten die Guten und die Bösen, die Gerechten und die Ungerechten zu identifizieren, die soziologische Brauchbarkeit. Erst seit Mitte der siebziger Jahre gewinnt in der deutschen Soziologie ein theoretischer Ansatz langsam an Boden, der mit den Themen Gewalt, Krieg und bewaffnete Macht wissenschaftlich etwas mehr anzufangen erlaubt. Er ist verbunden mit dem Namen Norbert Elias. Elias (z. B. 1969; 1970) benutzt den Begriff der Figuration, um menschliche Gesellschaft gedanklich in eine Vielzahl von Interessen- und Machtzentren aufzulösen. Er entwirft das Bild von Menschen, Gruppen von Menschen, Organisationen, Staaten usw., die alle mehr oder weniger partikulare Interessen verfolgen und dabei die ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel einsetzen. Sie bilden miteinander Figurationen, die sich in einem dauernden Prozeß mal schnelleren, mal langsameren Wandels befinden. Der Prozeß wird angetrieben durch die Bestrebungen der Beteiligten. Dynamische Ungleichgewichte innerhalb der Figurationen und sich wandelnde äußere Bedingungen bestimmen die Richtung, die er nimmt. Elias löst die Gesellschaft begrifflich wieder auf in Gesellschaft. Er öffnet dadurch den Blick für Zusammenhänge zwischen den Figurationen auf unterschiedlichen Ebenen der Macht- und Interessenaggregation. Im Buch Über den

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Prozess der Zivilisation arbeitet er vor allem die Zusammenhänge heraus, die in der europäischen Geschichte zwischen der inneren Pazifizierung entstehender Staatsgesellschaften und der Konkurrenz von Territorialstaaten untereinander bestanden. 3 Die zivilisationstheoretische Perspektive macht auch deutlich, daß sich moderne Gesellschaften von vormodernen nicht dadurch unterscheiden, daß etwa Gewalt aus ihnen verschwunden wäre. Die Zivilisation und die friedlichen Mittel sozialer Beeinflussung und Konfliktlösung ruhen auf einem Fundament von Gewalt - freilich von staatlich verfaßter Gewalt. Nur wegen ihrer massiven, unzweifelhaften Überlegenheit bleiben diese Gewalt und ihre Funktionen zumeist latent. Sie treten zeitweise so sehr in den Hintergrund, daß sie dem Bewußtsein der Bürger, aber auch der Sozialwissenschaftler, entgleiten.

Elias' Schriften tragen sicherlich dazu bei, daß sich in der Soziologie ein neuer Realismus ausbreitet, gleich weit entfernt von affirmativen wie utopischen Blickverzerrungen. Sie schulen das Nachdenken über Phänomene des sozialen Wandels, des Umbruchs und des Krieges, bei denen die Gewalt zutage tritt, die in ordentlichen Staatsgesellschaften ein gewissermaßen unterirdisches Dasein fristet. Neue Denkmittel erleichtern es intellektuell, den Krieg zu denken. Das anscheinend verminderte Risiko eines nuklearen Weltkriegs nach Auflösung der Ost-West-Konfrontation erleichtert es emotional. Gründe gibt es genügend, sich einem Thema zuzuwenden, das die Sozialwissenschaften allzu lange sträflich vernachlässigt haben. 4 Und wie stets, wenn man sich einem Gegenstand zuwendet, vergewissert man sich, was kluge Menschen früher darüber gesagt haben. Der schon erwähnte Sammelband von Günther Wachtler (1983) enthält Texte sozialwissenschaftlicher Klassiker zum Thema Krieg. Einige von ihnen

3 Unter den gängigen soziologischen Denkrnitteln sind die E1iasschen vermutlich diejenigen, mit denen man den Umbruch in der früheren DDR arn ehesten hätte vorhersagen können; wenn man nämlich die Dynamik der innerstaatlichen Figurationen in der Sowjetunion gedanklich verknüpft hätte mit den zwischenstaatlichen Figurationen der Staaten des ehemaligen Ostblocks. mit der Dynamik des Ost-West-Konflikts sowie mit der besonderen Figuration DDR-Bundesrepublik und wenn man schließlich in den Zusammenhang dieser zwischenstaatlichen Figurationen wiederum die innerstaatlichen Figurationen in der DDR eingefügt hätte. 4 Die "Friedensforschung" hat auf die allgemeine soziologische Forschung und Theoriebildung wenig Einfluß gehabt.

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behandeln den Krieg geschichtlich, andere geschichts- bzw. sozialphilosophisch. Mehrfach wird die These von der Unvereinbarkeit des Krieges mit modemen Sozialstrukturen vertreten, so von Auguste Comte, Herbert Spencer und Joseph Schumpeter. So sympathisch die These ist, wenn man sie normativ versteht, empirisch ist sie vielfach gründlich widerlegt. Es scheint, daß die Mehrzahl der soziologischen Klassiker den Krieg zu eng verbunden sah mit bestimmten historischen Gesellschaftsstrukturen und Entwicklungsstufen. Mit anderen Worten, ihre Theorien des Krieges waren nicht abstrakt genug. Bei diesem Stand der Dinge mag sich ein Blick lohnen auf einen Klassiker, den die Sozialwissenschaftler gewöhnlich nicht zu den ihrigen rechnen, einen, der das für jene stets mehr oder weniger periphere Thema Krieg zum Zentrum seines Denkens machte: Carl von Clausewitz.

C. Clausewitz' Lebensgang Carl von Clausewitz wurde 1780 in Burg bei Magdeburg geboren. Sein Großvater war an der Universität Halle Professor für Theologie, sein Vater trat als Offizier in preußische Dienste, wurde im Siebenjährigen Krieg verwundet und nach Ende des Krieges entlassen. Mit der Stelle eines königlichen Steuereinnehmers versorgt, heiratete er 1768 und hatte mit seiner Frau sechs Kinder, zwei Mädchen und vier Jungen. Die finanziellen Verhältnisse der Familie waren beengt. Unter anderem deshalb trat der jüngste Sohn Carl, wie zuvor schon zwei seiner Brüder, mit zwölf Jahren in die preußische Armee ein. Bereits im folgenden Jahr, 1793, nahm er an den Rheinfeldzügen gegen die Franzosen teil. Nachdem sein Regiment 1795 nach Neuruppin in Garnison gegangen war, holte Car1 in den folgenden Jahren im Selbststudium nach, was ihm an Schulbildung fehlte. Er bestand schließlich die Aufnahmeprüfung an der Berliner Kriegsschule für Offiziere, die er von 1801 bis 1804 besuchte. Die geistigen Entfaltungsmöglichkeiten, die sich ihm dort boten, nutzte er intensiv. Er schloß sich dem Leiter der Kriegsschule, dem fünfundzwanzig Jahre älteren Gerhard von Schamhorst an und blieb bis zu dessen Tod freundschaftlich eng mit ihm verbunden. In der "Militärischen Gesellschaft" nahm er Fühlung auf mit dem Kreis der späteren preußischen Reformer. Nach Abschluß der Kriegsschule

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wurde er als jahrgangsbester Absolvent auf Empfehlung Scharnhorsts zum Adjutanten beim Prinzen August von Preußen bestellt. Während des katastrophalen Feldzugs von 1806 geriet Clausewitz zusammen mit dem Prinzen in französische Gefangenschaft und folgte ihm für fast ein Jahr nach Frankreich in die Zwangsinternierung. Er litt tief unter der schmachvollen Niederlage und der unwürdigen Situation des gedemütigten Preußen und sann auf eine Erhebung gegen die napoleonische Zwangsherrschaft. Mit Scharnhorst hielt er brieflich enge Verbindung. Nach Autbebung der Internierung ging Clausewitz mit dem Prinzen August nach Königsberg, betrieb aber gleichzeitig seine Versetzung ans Allgemeine Kriegsdepartement nach Berlin. 1809 stieß er als "Kanzleivorstand" Scharnhorsts, des nunmehrigen Chefs der preußischen Heeres-Reorganisationskommission, zum engeren Kreis der preußischen Reformer. Als hervorragenden Stilisten betraute man ihn mit der publizistischen Außendarstellung der Reformbestrebungen. 1810 konnte Clausewitz endlich seine langjährige Verlobte, Marie Gräfin von Brühl, heiraten, wurde zum Major befördert und zum Dozenten an der Allgemeinen Kriegsschule bestellt. Das von Napoleon diktierte preußisch-französische Bündnis gegen Rußland veranlaßte ihn jedoch 1812, seinen Abschied aus preußischen Diensten zu nehmen. In der erst später bekannt gewordenen sogenannten Bekenntnisdenkschrift legte er in bewegenden Worten die Gründe dar, die ihn und andere zu diesem Schritt veranlaßten. Um am Kampf gegen Napoleon teilzunehmen zu können, trat Clausewitz in russische Dienste. Als Unterhändler der Russen verhandelte er Ende 1812 mit dem preußischen General Yorck von Wartenburg und hatte wesentlichen Anteil daran, daß dieser in der Konvention von Tauroggen die ihm unterstellten Truppen für neutral erklärte. Damit hatte die Erhebung gegen Napoleon begonnen, Preußen schied aus der Koalition mit Frankreich aus. Clausewitz bemühte sich alsbald, in preußische Dienste zurückzukehren, mußte jedoch erfahren, daß man seinen Übertritt in russische Dienste bei Hofe als Verrat betrachtete. Auf Betreiben Scharnhorsts machten ihn nun die Russen zu ihrem Verbindungsmann im preußischen Hauptquartier. In russischer Uniform kehrte Clausewitz in den Kreis der reformerischen Offiziere zurück. Im Stabe Blüchers nahm er am Frühjahrsfeldzug 1813 teil. Im Juni starb sein bester Freund, Gerhard von

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Scharnhorst, an den Folgen einer Verwundung, die er sich bei diesem Feldzug zugezogen hatte. Nach wie vor beharrte der König von Preußen darauf, daß Clausewitz seine Würdigkeit, wieder in preußische Dienste zu treten, noch zu beweisen habe. So machte Clausewitz den Herbstfeldzug des Jahres 1813 in der russisch-deutschen Legion des Korps Wallmoden mit, weitab von den entscheidenden Schlachten der Befreiungskriege. Erst im April 1814 übernahm der nach dem Sieg über Napoleon gnädig gestimmte König, zusammen mit der gesamten russisch-deutschen Legion, auch den Oberst von Clausewitz wieder in die preußische Armee. Am Feldzug gegen den aus Elba zurückgekehrten Napoleon nahm er als Generalstabschef des dritten Korps teil. Nach Scharnhorsts Tod war Neithardt von Gneisenau zu Clausewitz' wichtigstem Freund und Fürsprecher geworden. Der Feldmarschall holte den Oberst als Chef seines Stabes nach Koblenz. Im Freundeskreis um Gneisenau hatte Clausewitz eine gute Zeit. 1818 wurde er Verwaltungsdirektor der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin. Es stellte sich mit der Zeit heraus, daß er auf diesem Posten mehr oder weniger kaltgestellt war, ebenso wie nach 1819 sämtliche Träger des reformerischen Geistes. Vergeblich versuchte er, in den diplomatischen Dienst zu wechseln. Er wurde zum Generalmajor befördert, erhielt das Verdienstkreuz, der zweifelhafte Adel seiner Familie wurde vom König bestätigt, und doch war er zu praktischer Wirkungslosigkeit verurteilt. Er wandte sich in diesen Jahren verstärkt kriegs- und militärtheoretischen Untersuchungen zu. Es entstanden die Ausarbeitungen zu seinem Buch Vom Kriege, dem Werk, auf das sich sein Nachruhm gründet. Nach Ausbruch der Pariser Julirevolution von 1830 wurde Clausewitz zum Inspekteur der zweiten Artillerieinspektion in Breslau ernannt, wenig später zum Generalstabschef einer Observationsarmee unter dem Kommando seines alten Freundes Gneisenau. Aufgabe dieser Armee war, ein Übergreifen der im russischen Teil Polens ausgebrochenen Unruhen auf preußisches Gebiet zu verhindern. Es kam nicht zu Kampfhandlungen. Die Unruhen griffen nicht auf preußisches Gebiet über, dafür aber eine jenseits der Grenze ausgebrochene Choleraepidemie. Ihr fiel im August des Jahres 1831 Neithardt von Gneisenau zum Opfer. Carl von Clausewitz überlebte seinen besten Freund nur um wenige Monate. Zurück in Breslau, starb er am 16. November 1831, gleichfalls an der Cholera.

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Das Buch Vom Kriege, das Clausewitz berühmt machte, war unvollendet geblieben. Es wurde in den Jahren nach seinem Tod von seiner Frau Marie von Clausewitz, geborene Gräfin Brühl, herausgegeben. Beide hatten eine denkwürdige Ehe geführt, und Marie war ihrem verschlossenen, eher ungeselligen Mann nicht nur emotional der wichtigste Halt gewesen, sondern auch intellektuell ein interessierter Gesprächspartner. Bis die zweite Auflage des Werkes Vom Kriege erschien, vergingen fast zwanzig Jahre. Der Wunsch des Autors, ein Buch zu schreiben, das "nicht nach zwei oder drei Jahren vergessen wäre", erfüllte sich langsam, aber stetig. (Die biographische Skizze beruht auf Hahlweg 1969; 1973; v. Schramm 1976; Buschmann 1980.)

D. Ein nicht-kanonisierter sozialwissenschaftlicher Klassiker Die Aufsätze des vorliegenden Bandes zeugen von der Haltbarkeit des Clausewitzschen Werks. Sie sind hervorgegangen aus Vorträgen, die im Frühjahrstrimester 1991 bei Sitzungen des ständigen Soziologischen Forschungskolloquiums an der Universität der Bundeswehr Hamburg gehalten wurden. Sie würdigen Carl von Clausewitz als Sozialwissenschaftler. Die Verfasser, Sozialwissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, finden bei Clausewitz spätere theoretische Errungenschaften von Soziologie und Psychologie vorweggenommen, kritisieren zeitgenössische sozial wissenschaftliche und philosphische Theorien unter Berufung auf Clausewitz oder kritisieren Clausewitz als schlechtes Vorbild für modeme theoretische Fehlentwicklungen. Die Autoren dieses Bandes sind durchaus nicht die ersten, die den Kriegstheoretiker als SozialwissenschaftIer entdecken. Auf Raymond Arons monumentales Werk Penser la guerre - Clausewitz (1976) wurde schon angespielt, und viele andere wären zu nennen. Auffällig ist, daß die Mehrzahl der Autoren dieses Bandes ebenso wie frühere Autoren Clausewitz gewissermaßen als "Entdeckung" präsentieren, daß sie sich überrascht zeigen von der Aktualität, gedanklichen Klarheit und wissenschaftlichen Brauchbarkeit seines Denkens. Es hat den Anschein, als müsse jeder Clausewitz für sich aufs neue entdecken, als hätten wiederholte Entdeckungen nicht ausgereicht, die Welt seiner Ideen zur terra cognita zu machen. Der Grund mag sein, daß diese Ideen nach wie vor nicht im sozialwissenschaftlichen mainstream liegen. Das verhindert ihre

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Kanonisierung, die den Unvorbereiteten bei der Lektüre vor Überraschungen schützt. Auffällig ist auch, daß diejenigen, die den Kriegstheoretiker für sich entdecken, oftmals die Notwendigkeit verspüren, ihn zu verteidigen und gegen Mißdeutungen in Schutz zu nehmen. Clausewitz steht da in einer Reihe mit Niccolb Machiavelli und Thomas Hobbes. Die drei verbindet, daß sie mit Interesse betrachten, wovon ein frommes Gemüt nichts wissen darf. Sie erforschen das Gesetz des Handelns dort, wo die bürgerliche Moral außer Kraft ist. Ihr Realismus kommt bei den Frommen als Zynismus an, ihre fehlende Entrüstung als Immoralität. Wer seine Wertschätzung dieser Denker bekennt, fühlt sich leicht genötigt, mit deren moralischer Integrität die eigene zu verteidigen. Clausewitz' Rang als Denker von überzeitlicher und überparteilicher Bedeutung wird zudem gern dadurch unterstrichen, daß man die wissenschaftlichen und weltgeschichtlichen Größen zitiert, die sich auf ihn berufen haben.

E. Die Beiträge dieses Bandes Karlheinz Messelken ordnet in seinem Beitrag verschiedene Elemente des Clausewitzschen Denkens als Erbe oder Vorgriff den drei vergangenen Jahrhunderten zu. Zum Erbe der idealistischen Philosophie des achtzehnten und beginnenden neunzehnten Jahrhunderts rechnet er vor allem die Ideen der Freiheit und der sittlichen Selbstbestimmung des Menschen. In ihnen erkennt er die theoretische Rechtfertigung für Clausewitz' Zurückweisung des "Methodismus" der älteren Militärliteratur. Diese hatte versucht, für kriegerisches Handeln einen Kanon fester Regeln zu finden, ohne zu beachten, daß die Unberechenbarkeit, die aus Freiheit erwächst, zu den wichtigsten Voraussetzungen militärischen Erfolges gehört. Der positivistische Geist des neunzehnten Jahrhunderts kommt Messelken zufolge in Clausewitz' spezialistischer Beschränkung auf das Thema Krieg zum Ausdruck, in der Abstinenz von Geschichts- und Sozialphilosophie. Auf das zwanzigste Jahrhundert weist der Clausewitzsche Begriff des "absoluten" Kriegs voraus. Er bringt Steigerungsmöglichkeiten der Mobilisierung materieller und menschlicher Ressourcen auf den Begriff, die erst lange nach Clausewitz durch die ideologisierte Massenkriegführung des zwanzigsten Jahrhunderts realisiert wurden.

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Hans Wilhelm Hetzler untersucht in seinem Beitrag die handlungstheoretischen Elemente in Clausewitz' Denken. In dessen Methode, in seiner Betonung der Gegenseitigkeit im kriegerischen Handeln und in seinem Wissensehaftsverständnis stellt er Übereinstimmungen mit der verstehenden Soziologie Max Webers fest. In der Begriffsbildung nimmt Clausewitz die Webersehe Methode der Konstruktion rationaler Idealtypen vorweg. Wichtigstes Beispiel ist der Begriff des "absoluten" Krieges. Er beschreibt, wie kriegerische Auseinandersetzungen verlaufen würden, wenn die Gegner zum alleinigen Zweck ihres Handeins den militärischen Sieg machten und nicht durch "Friktionen" behindert würden. Vor dem Hintergrund dieser idealisierenden Konstruktion werden dann "Modifikationen in die Wirklichkeit" vorgenommen. Hetzler hebt die politischen Zwecke der Kriegführung, die doppelte Kontingenz der Handlungssituation und die nicht kalkulierbaren Störungen planvollen Handeins hervor. Ein Abschnitt über persönlichkeitsbedingte Einflüsse greift vor auf das Thema des Beitrages von Rainer Dieterich. Im letzten Abschnitt geht es um die paradigmatische Eigenart der Clausewitzschen Kriegstheorie. Hetzler kennzeichnet sie als eine Theorie des Handeins unter Bedingungen begrenzter Unsicherheit. Sie liefert keine Handlungsrezepte, sondern schult den "Takt des Urteils". Ernst Vollrath versteht Clausewitz' Beschreibung kriegerischen Handeins als Paradigma des Handeins überhaupt. In einer impliziten Polemik gegen Habermas' Theorie kommunikativen Handelns 5 betont er, daß alles Handeln auch Gegenhandeln, das heißt, apriori konflikthaft sei, daß nicht allein Streit, sondern auch Verständigung stets nur aus Situationen des Gegenhandelns entständen. Politik ist Handeln unter der bewußten Voraussetzung des Gegenhandeins. Die Entstehungsbedingungen von Theorie unter idealisierten Bedingungen der Kommunikation können nicht zum Maß des Handeins gemacht werden, ohne es gründlich zu verfehlen. Kein Handeln kann Gegenhandeln ausschalten, es bestünde denn darin, alle anderen Handelnden umzubringen. Wenn mit dem Gegenhandeln das Handeln selbst zuende wäre, dann wären konfliktloses Einverständnis und herrschaftsfreie Kommunikation hergestellt - im Selbstgespräch. Gegenhandeln und Friktionen machen Vollrath zufolge praktisches Handeln unaufhebbar kontingent und geben ihm damit nach alteuropäischer 5 Herr Vollrath haftet, wie ich vorsichtshalber betonen möchte, nicht für meine Deutung seines Beitrags.

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Überlieferung einen ontologisch minderwertigen, der Vervollkommnung bedürftigen Charakter. Versuche, den kontingenten Charakter des Handeins zu heilen, haben jedoch - so lese ich Vollrath - unweigerlich totalitäre Konsequenzen. Clausewitz' Begriff des Handeins und sein Verständnis von Politik sind hingegen mit dem Handeln befreundet und anerkennen dessen kontingenten Charakter. Peter Marx und Eckart Pankoke deuten die gesellschaftlichen und militärischen Entwicklungen im zeitlichen Umfeld der preußischen Reformen und das Clausewitzsche Denken vor dem Hintergrund einer system theoretischen Modernisierungstheorie. In den Kriegen Napoleons standen Heere friderizianischen und nationalen Typs gegeneinander, die einen zusammengehalten durch Zwang und äußere Disziplin, die anderen durch Enthusiasmus und innere Beteiligung; die einen unbeweglich, befehlstaktisch allein von der Spitze her gesteuert, die anderen fähig, in verselbständigten Teileinheiten differenziert und flexibel auf die jeweilige Lage einzugehen. Die Niederlage zwang Preußen zur strukturellen Modemisierung seiner Streitkräfte; aber die Heeresreform war nicht zu haben ohne die Gesellschaftsreform. Das Prinzip der preußischen "Revolution von oben" bringen Marx und Pankoke auf die Fichtesche Formel der "Wechselwirkung durch Freiheit", das heißt: Koordination trat an die Stelle von Subordination. Der strukturellen Differenzierung lag zugrunde ein gestiegenes Bewußtsein von der Kontingenz gesellschaftlichen einschließlich kriegerischen Handeins und seiner bewußten Gestaltbarkeit unter Kontingenzbedingungen. Clausewitz' Formulierung dieses Bewußtseins für den Krieg steht Marx und Pankoke zufolge beispielhaft für einen evolution ären Schritt im Prozeß der gesellschaftlichen Differenzierung. Ganz ähnlich deutet Petra Ahrweiler das Clausewitzsche Denken als Beginn oder Vorwegnahme des wissenschaftlichen Weltverhältnisses der Moderne. Unter dem Stichwort "Abschied vom mechanistischen Weltbild" deutet sie Clausewitz' Kritik der älteren militärischen Kunstlehren und seine begrifflichen und theoretischen Neuerungen als Vorgriff auf spätere Errungenschaften der Soziologie. An die Stelle eines naturwissenschaftlich-mechanischen Verständnisses des Krieges und der Kriegführung tritt ein kulturwissenschaftlich-psychologisches. In diesem Zusammenhang hebt Ahrweiler besonders die wissenschaftstheoretische Reflektiertheit des Clausewitzschen Denkens hervor. Sie demonstriert sie an der idealtypischen Konstruktion und Funktion des 2 Clausewitz-Kolloquium

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Kriegsbegriffs. Ganz im Sinne Max Webers benutzt Clausewitz die Fiktion des absoluten Krieges, um die Friktionen des realen gedanklich faßbar zu machen. Die bisher besprochenen Beiträge und der noch zu besprechende von Michael Hereth haben verwandte Themen und gehören erkennbar einer gemeinsamen sozial wissenschaftlich-philosophischen Wissenschaftskultur an. Rainer Dieterich hingegen steht in der Tradition einer stärker am naturwissenschaftlichen Vorbild orientierten Psychologie. Operationalisierung, experimentelle Prüfung und logisch-mathematische Formalisierung stehen dort als Ausweise der Wissenschaftlichkeit von Aussagen höher im Kurs als in den Kulturwissenschaften. Dieterich unternimmt es, die psychologischen Annahmen in Clausewitz' Kriegstheorie zu systematisieren, logisch zu formalisieren und mit den Aussagen der modernen Psychologie zu vergleichen. Dabei ergeben sich bemerkenswerte Übereinstimmungen auf den Gebieten der Allgemeinen Psychologie, speziell einer anthropologisch argumentierenden Motivationstheorie sowie einer die anthropologischen Annahmen differenzierenden Persönlichkeitspsychologie. Zum Gebiet der letzteren gehört beispielsweise, was Clausewitz zum "kriegerischen Genius" des Feldherrn, zum "Volksgeist" und zur "kriegerischen Tugend" des Heeres schreibt. Dieterich bringt schließlich den Gesamtzusammenhang der nach Clausewitz wichtigsten psychologischen Komponenten der Kriegführung auf die Formel: K = f [A G (V + Tg)] Darin stehen "K" für die Kampfkraft, "A" für die materiellen Mittel der Kriegführung, "G" für den kriegerischen Genius des Feldherrn, "V" für den Volksgeist und "Tg" für die kriegerische Tugend des Heeres. Auch Michael Hereths Beitrag unterscheidet sich in einem Punkt von allen anderen Beiträgen: Er bezieht sich auf Clausewitz nicht zustimmend, sondern ablehnend. In seiner Kritik von Clausewitz' Politikbegriff liest er die berühmte Definition des Krieges als "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" gegen den Strich der üblichen Auslegung. Er untersucht nicht, was die Definition für das Verständnis des Krieges bedeutet, sondern was sie für das Verständnis der Politik bedeutet. Hereth legt seinerseits den Politikbegriff von Hannah Arendt zugrunde. Danach endet Politik dort, wo die Gewalt anfängt. Krieg wäre demzufolge nicht die Fortsetzung, sondern der Offenbarungseid der Politik.

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Während die meisten Interpreten in der berühmten Definition den gedanklichen Ausgangspunkt für eine Zähmung des Krieges sehen, sieht Hereth darin die Gefahr einer Verwilderung der Politik. Während die meisten Interpreten dem Begriff des "absoluten" Krieges eine deskriptive Funktion zuschreiben, vermutet Hereth eine präskriptive. Er stellt Clausewitz in die unheilvolle Tradition des deutschen politischen Denkens, in dessen Zentrum die Macht in ihrer Erscheinungsfonn als Gewaltfähigkeit des Staates steht. In einer Verbindung von Machtstaatsdenken und Einengung des politischen Interesses auf die äußere Politik findet Hereth bei Clausewitz totalitäre Tendenzen angelegt, die mit einem liberalen und demokratischen Staatsverständnis unvereinbar sind. Es ist nicht zu übersehen, daß die Clausewitz-Deutungen von Ernst Vollrath und Michael Hereth zu äußerst gegensätzlichen Schlußfolgerungen führen. Wo der erste die gedanklichen Elemente für ein "offenes Politikverständnis" findet, sieht der letztere die intellektuellen Weichen in Richtung auf ein militaristisch reduziertes Politikverständnis gestellt. Freilich hört die Vergleichbarkeit beider Deutungen bei den Schlußfolgerungen auch schon auf. Die Prämissen, von denen sie ausgehen, sind ganz unterschiedliche. Interpretationsdifferenzen wie diese machen deutlich, daß die Beiträge dieses Sammelbandes keineswegs letzte Worte zu Clausewitz als Sozialwissenschaftler sind. Sie sind der Versuch, Fühlung aufzunehmen zu einem Denker, der menschliche Gesellschaft aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet als heutige Sozialwissenschaftler, nämlich vom Kriege her. Aus dieser Perspektive sieht man anderes - und manches anders -, als wir es gewohnt sind.

Danksagung Autoren und Herausgeber danken dem Verlag, der die Veröffentlichung dieses Sammelbandes ohne den üblichen Druckkostenzuschuß unternimmt. Sie danken insbesondere auch Frau Heidi Windeit, die die anspruchsvollen Standards des Verlages für die Druckvorlage realisiert hat.

Denkweisen und Denkfiguren des achtzehnten, neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts in Clausewitz' Gesellschaftstheorie Von Karlheinz Messelken

A. Clausewitz der Theoretiker Carl von Clausewitz gehörte jener produktiven Epoche der deutschen Geistesgeschichte an, die wir unsere klassische nennen und die mit Namen wie Beethoven und Schubert, Schiller und Goethe, Fichte und Hegel bis in unsere Tage und bis in jeden Winkel der Welt strahlt. Sein großes, von seiner Frau Marie, der geborenen Gräfin Brühl, posthum herausgegebenes Werk Vom Kriege ist heute so lebendig und frisch, wie es bei seinem ersten Erscheinen im Jahre 1832 war. (Übrigens hat Marie Brühl dazu eine ergreifende, t:benso dienend-einfühlsame wie souverän-persönliche Einleitung verfaßt. Schwer verständlich, daß die Feministen, die gegenwärtig allenthalben den Anteil der bescheiden hinter den großen Männern zurückstehenden stillen Frauen herausstellen, Marie Brühl nicht zu kennen scheinen - ein Mangel, den sie mit dem Staat teilen, der den Kopf dieses bemerkenswerten und erinnerungswürdigen Menschen weder auf den neuen Geldscheinen noch auf den jüngsten Briefmarkenserien mit weiblichen Portraits zeigt.) Clausewitz' Name ist heute jedenfalls überall auf der Welt ein Begriff, sein Werk wird studiert, seine Lehren werden diskutiert: in den USA wie in der Sowjet-Union, in Frankreich wie in England, in China wie in Lateinamerika, und nicht zuletzt in Israel. Die Liste derer, die sich respektvoll geäußert haben, ist eindrucksvoll und umfaßt Engels und Marx, Moltke und Ludwig Beck, Lenin und Mao-tse-tung, Giap und Che Guevara, Benedetto Croce und Raymond Aron, Carl Schmitt und Otto Hintze, Peter Paret und Anatol Rapoport. Die letzte Bezugnahme, die ich gesehen habe, stammt aus der Feder Michael Howards, eines englischen Historikers, der an

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der Yale University lehrt, lautet im Untertitel "Die Clausewitz-Theorien gelten auch für den Golfkontlikt" und stand in der ZEIT vom 1. März dieses Jahres (1991). Mitte des vorigen Jahrhunderts setzte die Wirkungsgeschichte ein, erfaßte zuerst die Militärs und ging von da aus auf die Gesellschaftstheorie im breitesten Sinne des Wortes, die politische Philosophie und die Politik selbst über. Ihre Kontinuität war eigentlich nur in Westdeutschland für kurze Zeit unterbrochen. Hier gab es nach 1945 verständlicherweise über einige Jahre hin Verlegenheiten im Umgang mit Clausewitz. Wie hätte einem im Krieg so völlig erschöpften Volk wie dem deutschen etwas anderes in den Sinn kommen sollen als ablehnendes Unverständnis gegenüber einer Lehre, die im blutigen Gewalttausch der Völker ungerührt ein Mittel der Staatspolitik sah! Und wenn einzelne Deutsche zu einer anderen Beurteilung dennoch geneigt gewesen wären, so hätten sie als Angehörige eines im Ergebnis des Krieges völlig entrechteten Volkes doch gut daran getan, dem Sieger nach dem Munde zu reden. Der Sieger aber hatte die Deutschen als ein militaristisches Ungeheuer unter den friedliebenden Nationen Europas ausgemacht, dem Clausewitz' Lehre vom Krieg auf den Leib geschrieben sei, eine Apotheose - so der britische Militärtheoretiker LiddelI Hart - der Vernichtungsschlacht, zu der die Deutschen ein morbides Verhältnis hätten. Was bleibt dem Unterworfenen, über den das vae gesprochen ist, anderes übrig, als auf die Schuldvorwürfe des Siegers mit demonstrativer Zerknirschung zu reagieren! Man könnte geradezu sagen, daß sich darin die gesunden Reflexe der verbliebenen Vitalkräfte äußern. Auch im Falle Clausewitzens war ein eilfertiges Abschwören geboten, dem sich eine Zeit des Nicht-erinnert-werden-Wollens anschloß. Mit der Aufstellung der Bundeswehr wurden die Westdeutschen von der normalen Wirklichkeit wieder eingeholt. In ihr bestimmen politisch handlungsfähige Kollektive ihre Interessen - über das reine Am-Leben-bleibenWollen hinaus - und geben die Grenzen an, jenseits derer sie organisierte Gewalt einzusetzen drohen, um sich zu behaupten. Längeres Totschweigen eines wichtigen Theoretikers dieser Gewalt - woher ihre Kräfte gesellschaftlich stammen, wie sie professionell zu führen sind, wie ihr Verhältnis zum Staat als der politischen Leitung der Gesellschaft aussieht - ließ sich nun nicht mehr verantworten. Inzwischen war im Ausland längst klar geworden, daß die Kritik LiddelI Harts an Clausewitz wohl einer Seelenlage entsprungen war, in der man

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nach einem existentiellen Ringen in dem überwundenen Feind nur noch die Verkörperung des Bösen sehen kann und für ein Werk der Gerechtigkeit hält, seine gesamte Kultur zu exterminieren. Eigentlich - so konnte man jetzt wieder erkennen - war Clausewitz' zentrale Botschaft höchst ziviler Natur und enthielt die strenge Mahnung an das Militär, niemals seinen instrumentellen Charakter zu vergessen und sich in jeder Lage der Politik unterzuordnen, eine Mahnung, von der sich - wenn wir nur auf die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts blicken - Douglas MacArthur in Korea ebenso hätte angesprochen fühlen müssen wie Norman Schwarzkopf nach dem irakischen Desert-storm. Mittlerweile zweifelt wohl kaum noch jemand daran, daß Clausewitz auf seinem Feld, dem Feld der Kriegstheorie, ein Klassiker geworden ist. In den Grundzügen gehört sein Werk zu dem kulturellen Wissensbestand, der generelle Orientierung liefert, auf die hin man einordnend das bezieht, was man Neues erfährt. Bleibt die Frage, wie sich die ungebrochene Lebendigkeit des Clausewitzschen Werkes erklärt. Weshalb - so läßt sich die Frage nach scholastischer Manier gewissermaßen ontologisch formulieren - wirkt das Clausewitzsche Werk - und weshalb wirkt es nicht nicht? Wie stets geht dann auch hier die ontologische Vermutung darauf aus, daß der Bestandsgrund des Seienden in seiner vernünftigen Substantialität oder substantiellen Vernünftigkeit liegt: Es wirkt das, was vernünftig ist; solange es vernünftig ist; weil es vernünftig ist. In der wissenschaftlichen Tätigkeit - vor allem, wenn man sie als Lebensprozeß versteht - wird die Wahrheit dieses Satzes jedesmal dann erfahren, wenn etwas, das zunächst unverstanden war, darum irritierte und nicht selten mit eifriger, besserwisserischer und höhnischer Kritik bedacht wurde, in dem Maße, wie man sich an ihm abarbeitet und es erkennend durchdringt, zu irritieren aufhört, sich in seiner Notwendigkeit erschließt und der Kritik, deren man sich jetzt leise schämt, den Boden entzieht. Auch die andauernde Wirkung des Clausewitzschen Werkes läßt sich aus seiner substantiellen Vernünftigkeit erklären - und wohl nur aus ihr. Denn bloß zeitgebundene Effekte können als Erklärungsgrund nicht in Frage kommen, nachdem sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Krieges seit der Niederschrift mehrmals gründlich verändert haben, ebenso die Waffentechnik in einem Maße revolutioniert wurde, wie wohl so tief in nur anderthalb Jahrhunderten nie zuvor, und der bislang erd- oder seegetragene Krieg mit der Luftwaffe in die dritte Dimension eindrang und damit früher völlig unbekannte

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Faktoren der Strategie setzte. Ebensowenig können Modeeffekte die Wirkung des Clausewitzschen Werkes begründen. Da sie in alle Richtungen ununterbrochen fortschreitend war, fehlt ihr ganz das wechselhafte Auf-und-ab des Modischen. Was man dagegen als substantielle Vernünftigkeit empfindet, teilt sich bei der Lektüre des Buches Vom Kriege geradezu unwiderstehlich schon in der Form mit, in der es verfaßt ist. Clausewitz' Stil atmet distanzierte, kühle, nüchterne Rationalität; seine Sprache liest sich auch heute noch als klarste Wissenschaftsprosa, mit jedem Wort sachdienlich, auf der einen Seite frei von affektierten Gekünsteltheiten des Ausdrucks, auf der anderen Seite genau so frei von gewollten Simplizitäten ohne Sensus dafür, daß Rationalität auch ein rhetorisches Moment hat. Was sich hierin formal darstellt, stimmt überein mit Methode und Methodologie der Entwicklung des Gegenstandes: Der Krieg, Weise der forciertesten kollektiven Interaktion, zu der Menschen fähig sind, zugleich hochorganisiert-abstrakt, in der das Individuum als solches ausgelöscht wirkt wie kaum in einem anderen Fall, und zugleich mythisch-elementar, von schärfsten individuellen Sentiments und Passionen (Haß, Tapferkeit, Mut, Begeisterung, Grausamkeit oder Furcht, Feigheit, Verzweiflung, Müdigkeit) durchdrungen, zieht alle Daseinsbereiche in sich hinein, bricht alle Sicherheiten des bürgerlichen Lebens auf, wirbelt alle Existenzplanungen durcheinander, mobilisiert die letzten Kräfte, erzeugt die stumpfesten Apathien und erhebt den Tod, der uns sonst meist als Erfüllung eines alt gewordenen Lebens entgegentritt und in erbaulichen Reden beschworen wird, zum täglich zu gewärtigenden Risiko jedermanns, von dem einzeln kaum noch Aufhebens gemacht wird. Eine solche Weise der Interaktion kann - so scheint es - nur bereits Abgelebte kalt lassen, alle anderen wird sie in tiefster Seele aufwühlen und zu emotionaler Anteilnahme bewegen: einige zu heroischer Begeisterung, viele zu angstvoller Sorge, einige andere zu moralischer Empörung. Ich kenne deshalb keinen Gegenstand, der die theoretisch-analytische Gewissenhaftigkeit mehr herausforderte als der Krieg. Daß Clausewitz diese Herausforderung annahm und bestand, ist meines Erachtens der entscheidende Grund für die fortwährende Faszination seines Werkes. Aus gutem Grund studiert nun einmal gute Wissenschaft ihre Gegenstände nicht in erster Linie moralisch und praktisch, sondern in erster Linie theoretisch und wertfrei - auch und gerade, wenn sie von existentieller Bedeutung sind. Je wichtiger sie für die

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Lebenswirklichkeit werden, desto wichtiger wird es auch, sie sine ira et studio in ihrer internen Komplexität, ihrer externen Funktionalität und ihrer Bestandsfestigkeit gegenüber der Zeit und wechselnden Umwelten zu erfassen. Das Metier der Wissenschaft bleibe darum Erkenntnis - oder sie fördert selbst nur den Geist und die Geistlosigkeit aller Arten von aggressiver Militanz. Eine Politik jedenfalls, die mit größter Anstrengung Kriege verhindern will, stützt sich besser auf eine Wissenschaft, die mit größtem Ernst zu verstehen sucht, wie sie an sich sind. Das Clausewitzsche Werk bietet eine Probe dieser Wissenschaft. Dabei besticht es um so mehr, als man aus der Biographie des Autors weiß, daß er alles andere als ein politisch desinteressierter, trockener Buchhalter der Epoche war, sondern sich auch zu gewagtester Aktion verstand und zu gefühlstrunkener Deklamation seiner Motive fähig zeigte - die Bekenntnisdenkschrift, mit der er sich von Preußen lossagte, bevor er in russische Dienste übertrat, weil ihm die preußische Unterwerfungspolitik unter Napoleon würdelos erschien, stellt eine Folge von regelrechten Dithyramben der politischen Leidenschaft dar. Was der Sprache des Buches "vom Kriege" ihre Glut gibt, ist - so empfinde ich -, daß man ihr anmerkt, wie in ihr Feuer gebändigt ist, ohne erstickt zu sein.

B. Drei geistesgeschichtliehe Jahrhundertstempel Seine Fähigkeit, die Betroffenheit von der Sache Krieg durch Distanzierung zu Erkenntniskraft zu läutern, verdankt Clausewitz wohl zuallererst dem geistigen Erbe des achtzehnten Jahrhunderts. Er gehörte der Bildungsgeneration an, die die frischen Früchte der deutschen idealistischen Philosophie erntete. In ihr war die Theorie eines personalen Subjekts entstanden, das einerseits seine Bestimmtheit durch die gegebene Objektivität erkennt und - da diese selber Moment eines die Welt durchwaltenden Geistes sei - anerkennt, andererseits aber auch die eigene Bestimmungskraft dem Objektiven gegenüber für sich in Anspruch nimmt - und darum die Fähigkeit zur Selbstbestimmung durch eine sittliche Praxis, d.h. durch Setzung und Befolgung moralischer Imperative, die als solche in den Gesetzmäßigkeiten der Natur nicht vorkommen, aber als Lebensgesetz vernünftiger Wesen so unbedingt gelten wie die Naturgesetze. Den von dieser Lehre ausgehenden Einfluß habe ich vor Augen, wenn ich von der Präsenz des 18. Jahrhunderts im Clausewitzschen Werk spreche. Es war der Einfluß des deutschen Idealismus. Nimmt man Hegels Todesjahr als seinen

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Schlußpunkt an, so währte es bis 1831. Ich bitte mir diese Rechnung als kleine Datierungsfreiheit durchgehen zu lassen. Übrigens starb Hegel an derselben Choleraepidemie, der zwei Tage nach ihm auch Clausewitz erlag und die einige Monate früher bereits von Stein, Gneisenau und den russischen General von Diebitsch weggerafft hatte, den Bundesgenossen von Tauroggen, als dessen Dolmetscher und Interpret Clausewitz gegenüber York aufgetreten war. Den Geist des neunzehnten Jahrhunderts und seinen Widerschein bei Clausewitz will ich in einer ersten Annäherung als Geist einer positivistischhumanitaristischen Wirklichkeitsbemächtigung bezeichnen, deutlich abgesetzt von dem überwiegend idealistisch-humanistischen Praxisverständnis des Jahrhunderts zuvor. Die positivistische Weltzuwendung faßte die Gegenstände ihres Interesses nicht mehr primär als Stelle im System des Kosmos auf, sondern erfaßte sie vornehmlich in ihrer dinglichen Abgeschiedenheit. So, als empirisch einzelne betrachtet, ließen sie sich gleichsam unter die Lupe nehmen, wo sich ihre innere Verfassung zu erkennen gab, durch deren gezielte Manipulation sie nach den Bedürfnissen des Menschen sollten umgestaltet werden können. Hier offenbart sich im positivistischen Geist ein tiefsitzender Machbarkeitsoptimismus. Er glaubt, daß auf dem Wege der wissenschaftlichen Erkenntnis auch der humanitäre Fortschritt liege. Wäre die Natur der Dinge erst in ihrer Objektivität besser erfaßt, müßte sie auch technisch zu überspielen und in ihren dem Menschen zweckdienlichen Effekten zu steigern, hingegen in ihren ihm unnützen oder gar schädlichen zu mindern sein. Es gibt wohl keine einzige Zeile bei Clausewitz, die der Utopie des ewigen Friedens zuneigt, aber es gibt - neben ganz anderen Tönen, mit denen er eher dem zwanzigsten Jahrhundert angehört - doch die verhaltene Hoffnung, daß im Krieg unter den zivilisierten Völkern die "rohen Äußerungen des Instinkts" (Clausewitz 1973, 194) zurückgedrängt werden, und sei es nur, weil "sich die Intelligenz in ihre Kriegsführung mischt und ihnen wirksamere Mittel zur Anwendung der Gewalt gelehrt hat" (193 f.), so daß sie wenigstens "den Gefangenen nicht den Tod geben" und "Stadt und Land nicht zerstören" (193) - Hoffnung, die das Jahrhundert nach der Schlacht von Solferino 1862 in einigen Genfer und Haager Konventionen tatsächlich zu erfüllen schien. Auch von dem Geist des zwanzigsten Jahrhunderts ist das Clausewitzsche Werk getränkt. Hier steht er natürlich nicht unter dem Einfluß anderer, sondern nimmt genial vorweg, was sich noch zu entwickeln hatte, sowohl hinsichtlich

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einzelner Ideen und wissenschaftlicher Konzepte, die wir sonst ganz für Erfindungen unserer Ära halten, als auch hinsichtlich einiger gesellschaftlicher Tiefenströmungen, wie sie tatsächlich erst in unserer Zeit aufbrachen. Um auch diesen Geist schlagwortartig zu charakterisieren, sei ihm die Bezeichnung ideologisch-experimentalistisch verliehen. Zu Subjekten des politischen Handeins werden in dieser Ära immer stärker die nach Millionen zählenden Massen in den Ballungszentren der industrialisierten Welt. Sie orientieren sich an umfassenden und dogmatisch durchformulierten weltanschaulichen Glaubenssystemen, motivieren sich an daraus abgeleiteten politischen Parteiprogrammen und informieren sich mittels Presse und elektronischer Massenmedien. Der auffälligen Handlungssteuerung durch Ideologie steht ein weitgehend glaubensloser, spielerischer Experimentalismus entgegen, der auch die Wissenschaftslehre des Jahrhunderts bestimmt. Zu beiden Elementen gibt es verblüffende Antizipationen im Clausewitzschen Werk.

C. Ungestempelt: Clausewitz' implizites Gewaltverständnis Wenn es trotzdem scheinen könnte, daß Clausewitz nicht in unsere Zeit paßt, aber auch aus den beiden anderen Jahrhunderten herausfällt, so liegt es genau an seinem geistigen Verhältnis zu dem einzigen Gegenstand seiner Untersuchung, dem Krieg. Weder kennzeichnet ihn das Vertrauen auf die versittlichende Kraft der Vernunft im Gang der menschlichen Emanzipationsgeschichte, das Credo des achtzehnten Jahrhunderts, noch ist er recht von einem humanitären Fortschrittsprozeß mittels der technisch-zivilisatorischen Nutzung positiver Wissenschaft überzeugt, und erst recht steht er den massendemokratisch-fundamentalistischen Ideologien mit ihren totalitären Heilshoffnungen und Feindbildern fern (die "abendländische Zivilisation" und die "gelbe Gefahr", die "arische Reinrassigkeit" und das "jüdische Blut", die "klassenlose Gesellschaft" und die "bourgeoise Ausbeuterklasse", die "intakte Umwelt" und die "ökologische Zeitbombe"). Was heute bei der Lektüre seines Werkes am meisten auffällt, ist, daß Clausewitz keinerlei moralisches Verhältnis oder, besser gesagt, keinerlei therapeutisches Verhältnis zum Krieg l oder I Raymond Aron faßt diesen Eindruck so: "Apres tout, plus encore que philosophe de la guerre, Clausewitz pourrait etre appele theologien de la guerre. II ne s'interroge pas plus sur I'existence de la guerre que le theologien sur I'existence de Dieu. II met en forme rigoureuse les idees qu'implique la nature de la chose ou de I'idee (plus ou moins confondues)". (Aron 1976, 37)

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umfassender - zur Gewalt besitzt. Ohne es zu explizieren, geht Clausewitz einfach davon aus, daß Gewalt ein Element des Lebens bildet, ohne das es gar nicht zu denken wäre. Überall, so scheint er es zu sehen, greifen differente physische und psychische Einsatzstärken in die Regelung und Verteilung von Rechten und Pflichten, von Lasten und Lastenbefreiungen, von Kosten und Nutzen ein - übrigens keineswegs derart, daß der, dessen Überlegenheit festgestellt ist, nur Vorteile genösse und der andere nur Nachteile erlitte. Die regelnde Kraft in der Stärkedifferenz beruht letztlich auf der Gewalt, die der Stärkere erfolgreich auszuüben vermöchte und daher glaubhaft androhen kann. In der Tat ließe sich leicht zeigen, daß noch in der Liebesbeziehung, dem reinen Gegenbild zu einer antagonistischen Feindbeziehung, bei der Bestimmung und Abgrenzung der Rollenaufgaben latente Gewalt durchaus nicht fehlt. Auch das elementarste Schutz- und Verantwortungsverhältnis aller Gesellschaft, das Eltern-Kind-Verhältnis, ist nicht unwesentlich ein Gewaltverhältnis, das von neuerdings verstärkten staatlichen Bemühungen um die Reduzierung grausamer Willkür keineswegs aufgehoben, sondern genau genommen rechtlich sanktioniert wird. Vor allem aber das politische Verhältnis einer Gesellschaft in ihrem Inneren, das die Hervorbringung und Durchsetzung verbindlicher Entscheidungen leistet, so daß das gesellschaftliche Personal insgesamt mit einem Willen zu handeln fähig wird, d. h. sich als Kollektiv überhaupt zur Geltung zu bringen vermag, könnte ohne Vorrat an pünktlich zu mobilisierender und darum glaubwürdig anzudrohender Gewalt gar nicht existieren. In all diesen Verhältnissen ist die Differenz physischer und psychischer Stärke einfach ursprünglich gegeben, wird sie sozial organisatorisch gesichert, ausgebaut und als Gewaltdrohung auf Vorrat gehalten. Fehlte ein solches Potential auf Dauer - wozu aber wohl die Natur aufhören müßte, Natur zu sein wäre nirgends eine funktionale Alternative sichtbar, um seinen ordnungstiftenden Beitrag zum sozialen Verkehr zu ersetzen. Wenn aber schon in jenen Sozialbeziehungen, die aus einem primären Antrieb zur Kooperation entstehen, weil die Beteiligten lebensnotwendige Leistungen der jeweiligen Partner eintauschen wollen und müssen, die Verfügung über Gewaltmittel und der gelegentliche Rückgriff auf sie unvermeidlich sind, wie sollten sie fehlen, wo miteinander nicht vergesellschaftete, einander in diesem Sinne unverantwortliche, fremde Subjekte zusammentreffen und unvereinbare Forderungen erheben, z. B. auf Nutzung eines von beiden beanspruchten Territoriums? Hier sieht Clausewitz die Sache wohl so an: Wer in den internationalen Beziehun-

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gen keinerlei - wenigstens konservativ-defensive - Gewalt-Option zur Behauptung der eigenen Interessen besitzt, scheidet im allgemeinen als politisch selbstbestimmtes Volk bald aus. Dies im voraus wissend, versuchen alle Völker an der Konkurrenz um die Bildung von äußeren Gewaltpotentialen nach Kräften teilzunehmen. Wer dabei nicht mehr mithalten kann oder nicht mehr mithalten will, wird über kurz oder lang entsubjektiviert. Abhängig einerseits davon, welche Stärke ein Interessengegensatz im Urteil der Rivalen hat, andererseits davon, wie different sie die verfüglichen Gewaltpotentiale einschätzen, geht die vorbeugende Warnung, wie sie auch unausgesprochen in der bloßen Vorhandenheit eines Vorrats an Gewaltmitteln steckt, in eine ausgesprochene und terminierte über und, wenn sie nicht begütigend angenommen wird, fast unvermeidlich in den wirklichen Krieg. Bei stärksten Interessengegensätzen steht eine solche Entwicklung selbst dann zu erwarten, wenn die Kontrahenten ihre Kräfte als annähernd gleich einschätzen; sie urteilen dann nämlich leicht, daß noch die 1: 1-Chance von Sieg und Niederlage ausreiche, den Waffengang zu unternehmen, weil anders eine würdige Existenz nicht mehr zu führen sei. Dagegen genügt bei einer großen Potentialitätsdifferenz schon der kleinste Anlaß, um den Überlegenen zum Losschlagen zu reizen, etwa der Verdacht einer Supermacht, daß der Staatspräsident eines Zwergstaates sich an Rauschgiftgeschäften beteilige. In bei den Fällen, die sich unter allen Bedingungen, unter denen sich Menschen auf der Erde eingerichtet haben, immer und immer wieder ereigneten, bricht Krieg aus. Für die Erwartung, daß sich dies in Zukunft ändere, sieht Clausewitz offenbar keine Gründe und kennt er kein realistisches, der Erörterung wertes Argument. Wie gesagt, hat Clausewitz diese GrundeinsteIlung zu seinem Gegenstand selber konzeptionell nicht ausgeführt. Gerade deshalb schien es mir wichtig, sie einfühlend nachzuzeichnen. Denn sie versteht sich im nuklearen Zeitalter, das zugleich 'Tage planetaire" ist, wie Aron den zweiten Band seines formidablen Spätwerks "Penser la guerre, Clausewitz" genannt hat, gewiß nicht mehr von selbst. Doch sie ist alles andere als vom Gang der Entwicklung einfach überholt. Vielmehr sieht es so aus, als ob ihr Realismus alle kühnen Projektionen einer krieglos ihre Verhältnisse regelnden Menschheit immer wieder einhole.

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D. Achtzehntes Jahrhundert: Theorie - Praxis - Freiheit Doch nun zu einigen Leitideen der Clausewitzschen Theorie und ihrer Verankerung in drei Jahrhunderten deutscher Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte! Das achtzehnte Jahrhundert hatte die Emanzipation der Einzelwissenschaften von der Philosophie noch nicht vollzogen. Die gültige Wissenschaftslehre war noch Teil der Philosophie. Halten wir uns an die Darstellung der Wissenschaftslehre in Fichtes gleichnamiger Schrift, so ging es der Wissenschaft nicht zuletzt um die Erkenntnis, wie sich Theorie und Praxis zueinander verhielten und miteinander zu verbinden wären. Im Mittelpunkt der Überlegung stand dabei das vernünftige Ich, analytisch zu unterscheiden in einerseits intellektuelle Anschauung, seinen Modus als denkender Geist, und andererseits in wollendes Handeln, seinen Modus als schöpferische Energie. Wiederum besonders Fichte, der den französischen Imperialismus in Deutschland ebenso unerträglich fand wie Clausewitz und in den "Reden an die deutsche Nation" ebenso wortgewaltig wie jener zur Erhebung drängte, lenkte den Blick auf die Tathandlung als das, wodurch sich die Freiheit subjektiv konstituiere, sich autonom setze und mit der Selbstbefreiung auch in die Welt hinein befreiend wirke. (Die Tathandlung war Fichtes pathetischere und voluntaristischere Formel für die Kantsche "Kausalität durch Freiheit"; beide Formeln aber meinen die selber unbedingte Wirkkraft jener transzendentalen Synthesis, die das Ich ist, auf die materielle Welt.) Ohne im einzelnen die Philosophie seiner Zeit zu zitieren, sondern einfach aus dem Vollen schöpfend und selbstbewußt a!lwendend, hat Clausewitz diese Gedanken auf sein Thema übertragen. Theorien, so machte er sich dabei in einem ersten Schritt klar, sind Vorstellungen über Regelmäßigkeiten in einzelnen Ereignisbereichen und deren kausalistische Herleitung aus relativ festen, unverändert sich wiederholenden Gegebenheiten. Im günstigsten Fall, nämlich wenn der Ereignisbereich der toten Materie angehört, können die Theorien Handlungsprogramme begründen, deren exakte Befolgung gute Resultate verheißt. In diesem günstigen Fall ist die freie Urteilskraft mit ihrem eigenartigen Taktgefühl - dem Takt des Urteils, wie Clausewitz sagt - weitgehend entbehrlich und kaum mehr gefordert, als wenn im Syllogismus aus den Prämissen die Folgerung gezogen wird. Doch je lebendiger die Objektbereiche der Theorie werden, um so schwerer tut sie sich schon bei der Feststellung von Regelmäßigkeiten, und um so offener erscheint dann deren Begründung. Um

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einen erstrebten Erfolg zuverlässig zu erreichen, genügt es nicht mehr, irgendwelche Gesetze penibel auszuführen. Lebendigkeit heißt nämlich, daß geistige Größen miteinander ringen, und wie diese sich verhalten, ist nur sehr ungefähr zu ermessen. Ihr Verhalten hängt von ihren Einschätzungen ab, Einschätzungen der äußeren Lage und Einschätzung ihrer selbst: ihrer Kräfte, ihrer Interessen, ihrer Absichten. In sie spielen Determinanten in unübersehbarer Fülle und unentwirrbarer Verquickung hinein. Sie sämtlich zu erfassen und in ihren Wirkungen und Brechungen zu veranschlagen, stellt an sich schon ein unlösbares Problem dar - um so unlösbarer natürlich, je schneller die eigene Verhaltens antwort in der Auseinandersetzung mit einem anderen Träger von Wille und Geist nötig wird. Daher erscheint das Handeln, zu dem der geistbegabte Wille schließlich greift, eigentlich nicht vorhersehbar, erscheint frei, übrigens nicht nur dem, der es von außen beobachtet, sondern auch demjenigen selbst, der es gerade aus sich hervorbringt. Soweit einzelne Determinanzfaktoren dennoch isoliert werden konnten, widersprechen sie zwar dem schließlich sichtbaren Handlungserfolg nicht und suggerieren im voraus Vermutungen über ihn, aber die ermittelten Einzelfaktoren würden auch einen anderen Handlungserfolg zulassen, wenn sie sich untereinander nur ein wenig anders arrangierten, was angesichts ihrer insgesamt unzureichenden Erkenntnis niemals auszuschließen ist. Die eigene Anschlußhandlung an die fremde Handlung, also das Tun im Bereich der Wechselwirkung von lebendigen Kräften, wird deshalb von theoretischem Wissen nur unzureichend gestützt. Im Kampf aber, jener Interaktion, deren Elemente entweder Hiebe sind, die ein als Gegner definiertes Subjekt ausschalten sollen, oder dem Parieren solcher gegnerischen Hiebe dienen, führt der Mangel an sicherem Wissen dahin, daß wir die sonst gewohnte Herrschaft über die Natur verlieren und jede Sekunde mit unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben bedroht sind. Wo eine Theorie, die zuverlässig Bescheid gäbe, am nötigsten wäre, entbehrt man sie natürlich am meisten, wenn sie ausbleibt. In der Tat vermag sie hinsichtlich des Kampfes und seiner kollektiven Steigerung, des Krieges, kaum mehr als zu erklären, weshalb weder sie noch sonst eine Erkenntnisweise sichere Auskunft geben können. Darum hat die Theorie unter Praktikern im allgemeinen und Soldaten im besonderen einen schweren Stand und muß auf Spott gefaßt sein.

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Dennoch bleibt Clausewitz überzeugt, daß die geistige Natur des Menschen nach Theorie nicht nur über den Krieg verlangt, sondern überlegene Theorie auch im Krieg Vorteil bringt. Er verhehlt sich dabei nicht im mindesten, sondern arbeitet selbst scharf heraus, daß im Krieg der kühl rechnende Verstand weniger als sonst irgendwo das Entscheidungsmonopol besitzt. Nahezu unvorhersehbare Gemütsbewegungen wie Opferbereitschaft bis zur Selbstaufgabe und Panik bis zur Auslöschung des gesunden Menschenverstandes, unerschütterlicher Mut und Furcht bis ins Mark, kameradschaftliche Treue und feindseliger Haß gelangen im eigentlichen Element des Krieges, der Gefahr, zur größten Bedeutung. Aber auch Emotionen, die nicht unmittelbar aus dem Kampfgeschehen hervorzugehen brauchen, wie Edelsinn und Neid, Hochmut und Bescheidenheit, Zorn und Rührung, fließen in die Gemütslage mit ein und gewinnen Anteil am Siegeswillen oder an der Widerstandskraft. Durch die lebendige Reaktion in der Wechselwirkung wird die aus alledem resultierende Unberechenbarkeit abermals gesteigert: "... Eigentümlichkeit im kriegerischen Handeln ist die lebendige Reaktion und die Wechselwirkung, welche daraus entspringt .... Die Wirkung, welche irgendeine Maßregel auf den Gegner hervorbringt, ist das Individuellste, was es unter allen Datis gibt; jede Theorie aber muß sich an Klassen von Erscheinungen halten, und niemals kann sie den eigentlich individuellen Fall in sich aufnehmen; dieser bleibt überall dem Urteil und Talent anheimgegeben. Es ist also natürlich, daß ein Handeln wie das kriegerische, was so häufig in seinem auf allgemeine Umstände gebauten Plan durch unerwartete individuelle Erscheinungen gestört ist, überhaupt mehr dem Talent überlassen bleiben muß und von einer theoretischen Anweisung weniger Gebrauch machen kann wie jedes andere." (1973, 288 f.)

In dieser Lage muß die Theorie zwar darauf verzichten, eine positive Lehre aufzustellen. Sie zu fordern, hieße sie überfordern. Aber es gibt einen anderen Weg, auf dem sie vorteilhaften Einfluß auf die Praxis auszuüben vermag: "Der ... Ausweg für die Möglichkeit einer Theorie ist der Gesichtspunkt, daß sie nicht notwendig eine positive Lehre, d.i. Anweisung zum Handeln, zu sein braucht. Überall, wo eine Tätigkeit es größtenteils immer wieder mit denselben Dingen zu tun hat, mit denselben Zwecken und Mitteln, wenn auch mit kleinen Veränderungen und wenn auch in einer noch so großen Mannigfaltigkeit der Kombination, müssen diese Dinge ein Gegenstand vernünftiger Betrachtung werden können. Eine solche Betrachtung

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aber ist eben der wesentlichste Teil jeder Theorie und hat auf diesen Namen ganz eigentlich Anspruch. Sie ist eine analytische Untersuchung des Gegenstandes, fUhrt zu einer genauen Bekanntschaft, und wenn sie auf die Erfahrung, also in unserem Fall auf die Kriegsgeschichte angewendet wird, zur Vertrautheit mit demselben. Je mehr sie diesen letzten Zweck erreicht, um so mehr geht sie aus der objektiven Gestalt eines Wissens in die subjektive eines Könnens über, und um so mehr wird sie sich also auch da wirksam zeigen, wo die Natur der Sache keine andere Entscheidung als die des Talents zuläßt; sie wird in ihm selbst wirksam werden." (290 f.)

Die Theorie, als Bildung verinnerlicht, bleibt also kein logischer Schematismus mehr, der, ganz der Sphäre des Intellekts angehörend, hier kalt in seinen kombinatorischen Möglichkeiten durchgespielt wird, sondern geht eine chemische Verbindung mit den anderen Seelenkräften des Menschen ein und fördert dadurch dessen Handlungsmacht, ohne daß die Anteile noch zurechenbar wären. Insbesondere steigert sie in dieser Verbindung die Urteilskraft des Praktikers, und dazu ist sie - außer zu dem intellektuellen Genuß, den sie bereiten kann - eigentlich da. Freilich darf man dabei nicht glauben, daß eine Vennehrung der theoretischen Unterweisung notwendigerweise eine entsprechende Steigerung der Urteilssicherheit mit sich führt. Eher ist das Gegenteil zu erwarten. Der professionelle Theoretiker, der Gelehrte, ist charakteristischerweise kein Praktiker. Die gelehrte Attitüde ist die des Immer-noch-erst-prüfenWollens, bevor die irreversible Handlungsentscheidung erfolgt.Der Praktiker steht aber unter Zeitzwang. Ihm ein Übennaß an Theorie aufzubürden, ohne ihm Gelegenheit zur Einübung des spontanen Tuns und zur Ausbildung von Wagemut zu bieten, hieße deshalb auch, trained incapacity (Merton) bei ihm zu erzeugen. Andererseits steht die Verachtung der Theorie in der Gefahr, daß das operative Handeln entweder zu erstarrter Methode entartet oder sich von beliebigen, nicht selten abergläubischen Augenblickseingebungen abhängig macht. Deshalb mokiert sich Clausewitz über Soldaten, die sich mit ihrer Theorieunkenntnis auch noch brüsten. Ihnen schreibt er ins Stammbuch, daß gerade im Kriege eine theoretische Anleitung des Methodismus unentbehrlich sei, der sich so "nicht auf bestimmte einzelne Fälle, sondern auf die Durchschnittswahrscheinlichkeit der sich einander übertragenden Fälle (ge)gründet" und darauf hinausläuft, "eine Durchschnittswahrheit aufzustellen, deren beständige gleichfönnige Anwendung" dann "bald etwas von der Natur einer mechanischen Fertigkeit 3 Oausewitz.Kolloquiwn

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bekommt, die zuletzt das Rechte fast ohne Bewußtsein tut" (1973, 306). Die Persönlichkeitsstärke, die der Handelnde an den Tag legen soll, beruht also nicht vorzugsweise und schon gar nicht ausschließlich auf jeweils bewußt gehaltener, d. h. auch in ihrer Problematik scharf mitreflektierter Anwendung von Wissens stücken, sondern an ihr haben Habitualisierung und Routine gewichtigen Anteil. Wie die theoretische Betrachtung erst das Zustandekommen und den allgemeinen Wert des habituellen und routinierten Methodismus versteht, so gibt umgekehrt ein sicherer Methodismus erst die Muße zur theoretischen Betrachtung. Der Praktiker - so rät Clausewitz - kenne darum die relevanten Theorien, wisse sich ihrer zu bedienen, aber wenn die Gunst oder die Not des Augenblicks Entschlossenheit verlangt, höre er auf zu grübeln und setze sich über seine Zweifel hinweg! Die Zweifel aber rühren her aus den Lücken und Unvollständigkeiten der Theorie. Diese sind nicht ihre Fehler, sondern gehören zu ihrem Wesen.

In diesem souveränen Umgang mit der zeitgenössischen Philosophie offenbart sich auf dem Grunde des Clausewitzschen Menschenbildes eine Freiheitsidee, die von einer zunächst erkenntnistheoretischen Argumentation her zu einem ontologischen Schluß führt. Freiheit läßt sich dieser Idee zufolge sinnvoll nur über endliche geistige Einheiten im Verkehr mit der Welt aussagen, die erkennen können und handeln müssen, um sich aufrechtzuerhalten. Sicheren Aufschluß über irgendeinen Vorgang der Welt - wie geringfügig er immer sei - könnten sie nur erzielen, wenn sie die Totalität erfaßten. Die ist aber ihrem Begriffe nach für sie unermeßlich. Doch weil auch jede Einzelheit letztlich von allem abhängt, sich die Totalität also in jedem einzelnen Vorgang der Weit sammelt, erlangt das endliche Bewußtsein ebenso wenig wie vom Ganzen restlose Erkenntnis eines Einzelvorgangs. Er bewahrt gegen alle Versuche, ihn zu durchschauen, ein Stück Unberechenbarkeit. Soweit er sich aber nicht berechnen läßt, ist er für das forschende Subjekt so gut wie indeterminiert, d. h. wird er von ihm als frei erlebt. Erst recht stellt sich dieses Erlebnis der Freiheit des anderen ein, wenn das andere seinerseits ein um Erkenntnis bemühtes Subjekt ist. Beiderseits wird dann am anderen ein den eigenen Erwartungen und Vermutungen sich entziehendes, insofern enttäuschendes, jedenfalls überraschendes Verhaltenspotential wahrgenommen, auf dessen Aktualisierungen weder der eine noch der andere vorbereitet ist und die er daher durch Vorkehrungen auch nicht brechen kann. Deine Freiheit - so bin ich einzuräumen gezwungen - besteht, aber - so könnte ich hier noch einschränken - sie besteht

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gar nicht in deiner realen Indetenniniertheit, sondern in meiner einstweiligen Unfähigkeit, dich auszurechnen, sie besteht nicht an sich, sondern für mich. Bis dahin wäre Freiheit nur erkenntnistheoretisch gefaßt und erschiene als Illusion einer unzureichenden Erkenntniskraft. Doch nun wendet sich das Argument dadurch ontologisch, daß Clausewitz - anders als es ihm die Ontologie des zeitgenössischen Idealismus nahelegt - ein geistiges Wesen, das nicht empirischer, endlicher und damit individueller Natur wäre, nicht vorsieht. In dieser Abstention äußert sich nicht philosophische Inkonsequenz, sondern sie hält sich genau an die Logik des Geistesbegriffs, wenn in ihn über die Selbstanschauung hinaus das Aktive, das selbst von außen Bewegte und Äußeres Bewegende gelegt wird, das dem quietistisch in sich ruhenden Absoluten, für das es kein Außerhalb gibt, eigentlich nicht zukommen kann. Dann bildet Endlichkeit die notwendige Fonn des Geistes, weil er eine Grenze braucht, um für seinen Tatendrang ein Aktionsfeld zu gewinnen. Ein individuelles geistiges Wesen wird seine an die eigene Endlichkeit gebundene Erkenntnisgrenze durch keine Kumulation von Erfahrung, durch keine Summierung von Lernprozessen jemals überschreiten können, und wenn es es doch täte, würde es sich gleichennaßen als Individuum wie als Geist aufheben. So gesehen besteht meine Freiheit wie auch die des anderen unaufhebbar, besteht notwendig. Die Unschärferelation zwischen ihm und mir kann durch Linsenverfeinerung niemals beseitigt werden. Man könnte eine solche Ontologie, die den Seinsgrund des einzelnen Seienden nicht in Gott als ewig-unendlichem Geist findet, sondern Geist nur als Auskristallisation von Differenz aus dem Subjektlos-Indifferenten und daher nur individual-partikulär zu fassen bereit ist, in Abkehrung von der traditionellen Ontologie negative Ontologie nennen. Wozu taugt dann aber Wissenschaft? Wissenschaft kann danach als der systematische Versuch gelten, Freiheit kleinzuarbeiten, indem Stück für Stück die Detenninationen eines Vorgangs, auch natürlich eines Handlungsvorgangs, aus ihrer unendlichen Verflechtung herauspräpariert werden. Gerade daß sie sich dabei der Unzulänglichkeit ihrer Verfahren und Ergebnisse bewußt bleibt und sie problematisierend in jede Aussage einbaut, steigert ihre Rationalität. Auf dieser Grundlage können und sollen Prognosen gelingen, die sich häufiger bestätigen als so nicht gestützte Vennutungen über die Wirklichkeitsentwicklung. Insofern ist die wissenschaftlich basierte Handlungsrationalität im Lebenskampf erfolgreicher als andere Handlungsprogramme. Letztlich scheitert je-

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doch der Versuch, die Welt berechnend festzulegen. Das Geisteswesen behauptet sich als freies, indem es lebt und seine Freiheit in Anspruch nimmt. Solche Überlegungen stecken in der Clausewitzschen Theorie der Theorie, des HandeIns und der Persönlichkeit. Sie greifen unbefangen auf unsere klassische Philosophie zurück und bringen durchaus neue Gesichtspunkte hinzu, die uns eher an die Wissenschaftstheorie unserer Zeit mit ihren Wahrscheinlichkeitsrechnungen gemahnen als an den Idealismus, dem derlei Gedanken zu wenig metaphysisch erschienen wären. Clausewitz schöpft sie aus der genauen Beobachtung der Eigengesetzlichkeit des Gegenstandes, den er arbeitsteilig zum Thema gewählt hat. Der Krieg - so dünkt es ihn - ist eine äußerste, zugleich kollektive und existentiell gewagte Inanspruchnahme von Freiheit des einen gegen den anderen und umgekehrt. Wenn sich darin die Feinde in ihren materiellen Möglichkeiten nicht groß unterscheiden, also anders als soeben zwischen den USA und dem Irak, ist sein Ausgang nicht prognostizierbar. Die "moralischen Größen" entziehen sich der vorausberechnenden Klugheit. Aber selbst bei materiell sehr differenten Ausgangslagen kann das Ende überraschen, wie die Legende von David und Goliath erzählt.

E. Neunzehntes Jahrhundert: Disziplin und Rationalität der Arbeitsteilung Mit den letzten Erwägungen haben wir das 18. Jahrhundert bereits verlassen und sind bei moderneren Vorstellungen angelangt. Der Geist des neunzehnten Jahrhunderts zeigt sich am Clausewitzschen Werk vor allem in der thematischen Selbstbeschränkung. Clausewitz will nicht den Kosmos ausmessen, in diesem Sinne ist er kein Systemdenker wie Aristoteles oder Hegel oder Luhmann. Er bleibt ausschließlich bei seinem speziellen Gegenstand und macht dessen Durchdringung zu seiner Lebensaufgabe. Wo bis dahin gäbe es eine dem Krieg geltende Monographie ähnlichen Umfangs, ähnlich fundamental ansetzend, von einer umfassenden Handlungslehre bis zu den technischen Details der kriegerischen Strategie und Taktik fortschreitend, ohne sich in Kleinkram zu verlieren, ohne aber auch je einen allgemeinen Gedanken außerhalb sehr direkter Bezüge zu der arbeitsteiligen Kriegsproblematik zu erörtern!

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Dennoch ist das Thema in Manchem eingeengt, was durchaus als zugehörig gelten muß und auf dessen Darlegung ein umfassenderes Interesse nicht verzichten würde. Daß das implizite Gewaltverständnis des Clausewitzschen Werkes erst expliziert werden mußte, wie ich es am Anfang versucht habe, kann bei dem Thema Krieg schon verwundern. Im Unterschied etwa zu den Überlegungen, die Hegel in den "Grundlinien zur Philosophie des Rechts" vorträgt, fehlt bei Clausewitz auch die systematische Erörterung der binnengesellschaftlichen Funktionen und innenpolitischen Verwendungen des Krieges völlig. Erst recht enthält er sich jeder Stellungnahme zum Krieg in einer geschichtsphilosophischen Dimension, etwa in dem Hegeischen Sinne, in dem der Krieg als Element der Weltgeschichte zugleich ein Instrument des Weltgerichts über die Völker bilde und beitrage, dem Kulturfortschritt den Weg zu ebnen, indem erschöpfte Völker an den Rand gedrängt würden und junge, frische Kräfte ihre Besonderheiten in die Entwicklung des menschheitlichen Geistes einzutragen Gelegenheit erhielten. Nichts spricht dafür, daß Clausewitz solche Themen kalt gelassen hätten! Als gebildeter und reger Zeitgenosse hatte er dazu gewiß seine eigenen Ansichten. Aber in seiner beruflichen Arbeit unterwarf er sich einer Disziplin, die die umgreifenderen philosophischen Reflexionen als nicht zur Sache gehörig wegließ. Genau wegen dieser im neunzehnten Jahrhundert in der gelehrten Welt sich ausbreitenden Haltung, die die philosophischen Betrachtungen weniger als Ausfluß einer in sich stringenten allgemeinen Vernunft denn als Privatansichten empfand, die einen subjektiv beliebigen Charakter hätten, der bloßen Wertsphäre der einzelnen Person angehörten, für andere nicht verpflichtend seien, deren öffentliches Bekenntnis darum etwas Indezentes, Genantes an sich trage, genau wegen dieser sich auf das positiv Gegebene beschränkenden Forscherhaltung verlor die Philosophie im neunzehnten Jahrhundert allmählich ihre Integrationskraft und Führungsstellung gegenüber den sich vermehrenden und vergrößernden einzelnen Fachgebieten der Wissenschaft. Wenn Clausewitz so einerseits mit der idealistischen deutschen Philosophie aufs beste vertraut war und souverän auf sie zurückgriff, so befleißigte er sich doch andererseits einer kultivierten Abstinenz von ihr und ist damit ein typischer Vertreter des neunzehnten Jahrhunderts. Er beschränkte sich in seiner Betrachtung ganz auf die im Krieg selbst ablaufenden Prozesse. War der Krieg einmal definiert als Austausch organisierter kollektiver blutiger Gewalt zwischen Gegnern, die im allgemeinen politisch verfaßte Gesellschaften sind, war

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damit auch der Rahmen der einzelnen Untersuchungen gezogen. Um die Konzentration auf die innere Dynamik des Gewalthandelns leisten zu können, bedurfte es der positivistischen Isolierung des Gegenstandes. Und um mit der eigenen Arbeit einen technisch verwendbaren Beitrag zu liefern, war die höchste Aufmerksamkeit auf die Klärung zu richten, daß und wie erstens der Krieg selbst einen instrumentellen Charakter habe, von wem darum zweitens dieses Instrument legitimerweise allein zu führen sei, d. h. wer den Krieg legitimerweise auslösen, forcieren, zurücknehmen und beenden könne, welche Qualitäten drittens diejenigen brauchen, die ein derart kostspieliges und gefährliches Instrument in seinem Ablauf befehligen, damit es effektiv genutzt werde und daß viertens die Anwendung des Instruments existentielle Risiken für die Subjekte birgt, die zu ihm greifen, und es deshalb von den Staats führern und Völkern als letztes Mittel begriffen werden solle ähnlich wie Gewerkschaftsführer und Mitglieder den Streik als letztes Mittel begreifen. Durchdrungen ist diese Optik, in der das Irrationale durch disziplinierte Analyse dennoch rational zugänglich werden soll, von der kaum ausgesprochenen Zuversicht, daß die Selbstkontrolle gegenüber der Neigung zu weltanschaulichen Ausschweifungen und zu Demonstration von Wertgesinnung einer Kultur der Mäßigung entgegenkomme, in der der Blutrausch, der Rachedurst und einfach die Fühllosigkeit als Motiv des Krieges und im Krieg zurückgedämmt sind.

F. Zwanzigstes Jahrhundert Wie freilich schon Clausewitz' Verhältnis zum 18. Jahrhundert ambivalent und nicht in ihm befangen blieb, so ist er auch den Ausrichtungen des neunzehnten Jahrhunderts keineswegs völlig gefolgt. Gerade dessen positivistischen

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humanitären Optimismus hat er allenfalls halb geteilt. Mit der anderen Hälfte aber sah er ebenso pessimistisch wie realistisch gesellschaftliche Entwicklungen kommen, die sich in unserem Jahrhundert auf brutale Weise erfüllen sollten. Die Fähigkeit zu dieser Vorausschau erwuchs ihm aus seinem klaren Verständnis für das, was sich erst in der französischen Revolution, dann in dem aus ihr herrührenden Napoleonischen Imperialismus und schließlich in der Selbstbefreiung Europas von ihm vollzog, und zwar sowohl hinsichtlich seiner militärisch-krieghaften Elemente als auch hinsichtlich der tiefer liegenden gesellschaftlichen Dynamik. Nicht nur hierbei, aber vor allem hierbei klingen Begriffe an und werden Theoreme eingeführt, die wir im allgemeinen für originäre Produkte der letzten 90 Jahre der Geschichte der Sozialwissenschaften halten. Meine erste Lektüre des Clausewitzschen Werkes war von nichts so tief beeindruckt wie dem Erlebnis, daß scheinbar allermodernste Erkenntnisse in ihm bereits ausgearbeitet vorliegen und nur wiederentdeckt worden sind, wo Erstentdeckung behauptet und geglaubt wurde. So verwendet es spieltheoretische Konzepte, als habe der Autor bei Morgenstern und Neumann studiert; kennt sich in der soziologischen Konflikttheorie aus, als wäre er von Simmel und Coser inspiriert worden; verfügt über einen analytischen Systembegriff, als habe Parsons zu seiner stetigen Lektüre gehört, schöpft aus einer Theorie der Guerilla und des Partisanen, als sei er Koautor von Carl Schmitt gewesen und führt die geopolitische Sonde, als habe er mit Kjellen und den Haushofers korrespondiert. Insbesondere jedoch - und dazu im weiteren mehr - geht Clausewitz zielsicher und geübt mit dem Instrument des Idealtypus um. Von Anfang an erfaBte Clausewitz voll, daB die Kriege im Gefolge der französischen Revolution mit den Kabinettskriegen in der absolutistischen Staatenwelt nur noch wenig gemein hatten. Die Kriege des neuen Typs waren um ein Vielfaches extensiver und expansiver, aber auch intensiver und emotioneller als die älteren. Als Grund für den Wandel im Krieg erkennt Clausewitz die Fundamentaldemokratisierung, die in der französischen Revolution ein Stück weit vorankam. Der Staat war danach nicht mehr der Überbau der Gesellschaft, zu dem das Volk keinen Zutritt hatte und der seinen Betrieb kalt nach Mechanismen abwickeln konnte, die sich um Volkes Wünsche und Erwartungen, Forderungen und Passionen wenig scherten, vielmehr war er jetzt in die Gesellschaft hineingenommen und wurde von ihr durchdrungen. Darin erkannte Clausewitz eine evolutionäre Erfindung, die, einmal vorhanden, nicht wieder aus der Welt zu schaffen war und ihr Gesetz auch den an-

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deren vorschrieb. Wer sich ihm verschließt, wird untergehen. Direkt kommt die Unausweichlichkeit des Untergangs für den, der abseits bleiben zu können hofft, in seiner geringeren Kapazität zur Kriegführung zum Vorschein. Die demokratischen Reformen schaffen dadurch, daß sie die Völker mit den Staatsinteressen identifizieren, ein zusätzliches Kampfpotential für den Kriegsfall, dem nur widerstehen kann, wer die eigene Gesellschaft entsprechend reformiert hat. Die levee en masse und die allgemeine Wehrpflicht beschränken sich nicht darauf, überzählige Bauernburschen auszuheben und die zum Streunen aufgelegte Stadtjugend anzulocken, sondern erfassen jeden und alle und fordern ihre Hingabe ans Vaterland, die nun vorausgesetzt werden kann und im Erlebnis des soldatischen Dienstes zugleich befestigt wird. So zusammengesetzte Armeen sind nicht nur zahlreicher, auffüllbarer und gebildeter als ihre Vorgänger, sondern auch motivierter und darum in nahezu allen Belangen überlegen. Das gegenüber der alten Gesellschaft egalitärere und in seiner Machtbasis populistische Empire Napoleons lieferte dafür ein Beweisstück nach dem anderen. Und darum - also nicht primär aus Sympathie fürs Demokratische, sondern wegen der militärischen Notwendigkeit - sah sich Clausewitz genötigt, die Öffnung für die demokratische Transformation der Gesellschaft auch von der zögerndwiderstrebenden Obrigkeit seines Landes zu fordern. Wie gewaltig diese Forderung war, ermißt sich wohl am besten daran, daß dazu die Obrigkeit aufhören mußte, sich preußisch zu verstehen, und anfangen mußte, sich national, sich deutsch zu begreifen - eine wahrhaft revolutionäre Zumutung an sie. Bei aller eigenen Identifikation mit dem Nationalprinzip, die ihm ebenso nahelag wie den anderen Militär- und Gesellschaftsreformern der Zeit, die sich in der Philosophie bei Fichte ausdrückte, in der Literatur vielfache Stimme fand, die Studenten begeisterte und nahezu das ganze Bürgertum ergriff, sah Clausewitz mit dieser Entwicklung jedoch eine Gefahr heraufziehen, die ihn sehr bedenklich stimmte. Hinter seiner Idee vom rein instrumentellen Charakter des Militärs stand eine idealisierte Staatsvernunft, die selbst nüchtern und leidenschaftslos Interessen abwog und ebenso vorsichtig kalkulierte wie handelte. Von zwei Seiten her bedrohte die neue Entwicklung das von ihm entworfene Verhältnis von Instrument und Instrumentalist. Mußte nicht der demokratische Staat selbst, Adressat ungeduldiger Forderungen der Volksrnassen, ein Spielball widersprüchlicher Interessen werden, was sich in unkontrollierten Staatshandlungen niederschlagen würde? Und richtete sich das Nationalbewußtsein, das Einheitsbewußtsein der demokratischen Gesellschaft nicht

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ebenso, wie es nach innen über die partikularen Interessen hinweg solidarisierend wirkte, ausgrenzend-aggressiv zu den Nachbarn hin? Entsprang der Nationalhaß, den Clausewitz an den Kriegen seiner Zeit wahrnahm, nicht einer aggressiven Leidenschaft, die inmitten der Massengesellschaft heranwuchs und auf Entladung in Gewalt drängte? An einigen Stellen fällt einem Freud ein: daß nämlich gerade die Pazifizierung im Inneren der modemen Gesellschaft einen Aggressionsstau bewirkt, der nach blutiger Enthemmung drängt und dazu fremde Objekte braucht und sucht. Hier ist nun die geeignetste Stelle, eine scheinbar der Wissenschaft unseres Jahrhunderts verdankte Begrifflichkeit einzuführen, die in Wirklichkeit Clausewitz bereits in scharfer Logik und nuancierter Terminologie vorgegeben hat. Um die Clausewitzsche Parallele einzuführen, muß ich die Ausführung über die modeme Gesellschafts- und Kriegsentwicklung, wie Clausewitz sie vorausgeahnt hat, kurz unterbrechen. Gleich am Anfang des Buches vom Kriege finden wir uns einer höchst modernen sozialwissenschaftlichen Methodik ausgesetzt, der Methodik der Idealtypisierung tragender Begriffe unserer Wirklichkeitstheorien, um mit ihnen saubere - sauber, weil nur gedachte - Koordinaten zur Vermessung der Realität zu gewinnen. Wir assoziieren das idealtypische Konzept heute ohne längere Überlegung mit Max Weber, der ihm in der Tat seinen Namen verlieh, seine einzelnen Schritte darstellte, bestechende Beispiele seiner Anwendung gab und es wissenschaftstheoretisch ausholend begründete. Aber nahezu 100 Jahre früher ist Clausewitz idealtypisch verfahren, als ob er die Regeln dazu bei Weber vorher studiert hätte. Man könnte auch umgekehrt vermuten - natürlich nicht als Plagiatsverdacht gemeint -, daß Weber Clausewitz gelesen hätte und dabei den NamenseinfallIdealtypus hatte und ihm die Generalisierungsidee kam. Im 1. Kapitel des 1. Buches Vom Kriege entwickelt Clausewitz den Begriff des Krieges. Er steigert dazu - und er sagt, daß er dazu steigert - die logischen Elemente seines Gegenstandes zu höchster Reinheit. Alle historisch-empirischen Elemente werden aus demselben Grund weggelassen - und es geschieht wiederum nicht nur, sondern wird auch gesagt. Damit gewinnt er, wie er sich ausdrückt, einen abstrakten Begriff des Krieges oder den absoluten Begriff des Krieges oder den Begriff des absoluten Krieges. Dieser Begriff lebt von drei Tendenzen zum Äußersten, tendiert in drei Punkten zur Eskalation des Gewalttauschs: der totalen Mobilisierung der Reserven, der völligen Scho-

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nungslosigkeit ihrer Verwendung und der höchsten zeitlichen und räumlichen Konzentration ihres Einsatzes. In der Wirklichkeit wird nun dieses reine Modell so niemals erfüllt. Ein großer Teil der Clausewitzschen Untersuchung widmet sich deshalb der Frage nach den empirischen Gegebenheiten, die den abstrakten oder absoluten Krieg verhindern, Reserven ungenutzt lassen, Schonungen ermöglichen und Stillstände zulassen. Aber - und hier greifen wir den mit der Einführung des Idealtypus unterbrochenen Gedanken wieder auf - unter bestimmten Voraussetzungen kann die Kriegsrealität der Modellidealität doch recht nahekommen. In unserem Jahrhundert hat mindestens ein annähernd absoluter Krieg stattgefunden. Um sich den Endsieg zu sichern, haben die Beteiligten alle drei Eskalationen in Gang gesetzt: haben erstens sämtliche Hilfsmittel, die nicht für die Fortsetzung des gesellschaftlichen Betriebs ganz unerläßlich waren, dem Kriegsgeschehen zugeführt; haben zweitens längst etablierte und völkerrechtlich sanktionierte Regeln der Schonung, z. B. der Schonung der Zivilbevölkerung, nicht nur einfach gelegentlich außer Acht gelassen, sondern - z. B. in Terrorangriffen aus der Luft - mit bewußtem Vorsatz systematisch gebrochen; und haben drittens in einer Kette von räumlich und zeitlich äußerst konzentrierten Operationen die Entscheidung gesucht. Diese Realisierung des absoluten Krieges nennen wir mit Ludendorff den totalen Krieg, der gleich anfangs in der Form der Blitzkriege auf endgültige Entscheidung angelegt war. Aus der Geschichte und seiner Gegenwart hat Clausewitz einen solchen Modellkrieg nicht gekannt. Dennoch hat er ihn beschrieben und seine Voraussetzungen untersucht: "Je mehr die Politik von großartigem, das Ganze und sein Dasein umfassenden Interesse ausgeht, je mehr die Frage gegenseitig auf Sein und Nichtsein gestellt ist, um so mehr fällt Politik und Feindschaft zusammen, um so mehr geht jene in dieser auf, um so einfacher wird der Krieg, um so mehr geht er aus dem bloßen Begriff der Gewalt und Vernichtung hervor, um so mehr entspricht er allen Forderungen, die man aus diesen Begriffen logisch entwickeln kann, um so mehr Zusammenhang einer Notwendigkeit haben alle seine Teile. Ein solcher Krieg sieht ganz unpolitisch aus .... Aber offenbar fehlt das politische Prinzip hier ebensowenig als bei anderen Kriegen, nur fällt es mit dem Begriff der Gewalt und Vernichtung ganz zusammen und verschwindet unserem Auge." (1185.)

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Je weniger die politische Führung eine von den Leidenschaften der Bevölkerung abgekoppelte Einrichtung darstellt, sondern umgekehrt an Autorität gewinnt, wenn sie diese hochputscht, desto schwerer fällt es ihr natürlich, nüchternes Interessenkalkül zur Richtschnur ihres Handeins zu erheben. Es wächst dann die Gefahr, daß Politik nicht länger trickreiche, aber doch konstruktive Diplomatie der Komprornißfindung bleibt, die sich in ausweglosen, extremen Situationen im Krieg mit anderen Mitteln fortsetzen mag, sondern daß sich das Verhältnis umkehrt und Politik zur Fortsetzung des Krieges mit anderen Waffen wird. Bald verwickelt Renommiersucht solche den Volksstimmungen ausgelieferte Politik in riskante Abenteuer, bald hindert innere Zerrissenheit oder hysterischer Friedensenthusiasmus sie an rechtzeitiger und nachdrücklicher Interessenbehauptung, die weiterer Nachahmung erster Interessenverletzung vorbeugt. Besonders aber eine unsere niederen Instinkte befriedigende Gehässigkeit gegen das Fremde, eine gnadenlose Rachsucht im Umgang mit dem endlich schwach werdenden Feind und ein volles Auskosten des Triumphs beim Sieg drohen der stimmungsabhängigen Politik das Handeln vorzugeben. Diese abstoßenden Erscheinungen des modernen Kriegs müssen wohl als Ausgleich für die existentiellen Ängste und tiefen Erschöpfungen verstanden werden, mit denen er die beteiligten Völker schlägt, nicht ausgenommen die Siegervölker. Deshalb wächst mit der Barbarei der Kriegführung heute weniger die Heroisierung des Erlittenen als die Sehnsucht nach dem Frieden 2, dem dabei eine Idealisierung widerfährt, in der er - etwa unter der Bezeichnung des positiven Friedens - so abstrakt-absolut gedacht wird wie bei Clausewitz der Krieg, nur daß der Frieden in dieser Gestalt auch für wirklich erreichbar genommen wird, wenn man nur ernsthaft wolle. Friedfertigkeit nimmt jedenfalls in den kulturellen Werten der modernen Massengesellschaften, die die Destruktivität des Krieges am eigenen Leibe erfahren, einen höchsten Rang ein, als wären die anderen Triebkräfte unseres Daseins bloße Verbiegungen unserer Natur und ließen sich bei gutem Willen beliebig zügeln. Der sichtbare Effekt dieser Friedensverabsolutierung läuft allerdings auf eine weitere Steigerung der Brutalisierungsdialektik in den zwischengesellschaftlichen Beziehungen un-

2 Barocklyrik im Dreißigjährigen Krieg, gewiß einem vormodernen, in dem jedoch die gegnerischen Parteien auch weltanschaulich stimuliert wurden, gibt eine bewegende Probe der alles andere übertönenden Friedenssehnsucht, die ein von Schlachten, Besatzungen, Verwüstungen, Hungersnöten und Pestilenzen über ein Menschenalter lang geschundenes Volk zu empfinden lernt.

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serer Gegenwart hinaus: dem besiegten Feind möglichst alle Schuld am Ausbruch des Krieges aufzubürden. Sie muß er dann in ritueller Wiederholung laut bekennen und für sie muß man ihn gnadenlos büßen lassen, um sich glauben zu machen, seinerseits ganz unschuldig am Zustandekommen des Desasters gewesen zu sein, und sich zu beweisen, in seinem Verlauf selber stets gesittet bei den Völkerrechts- und sonstigen Anstandsnormen geblieben zu sein. Da der alle Ethik verhöhnende Furor des Krieges nicht sein darf, kann er eben nur durch die menschheitswidrige Aggression des anderen verursacht sein. Wer dieser andere sei, das bestimmt der Sieger und verwendet große Mühe darauf, es als Überzeugung ebenso wie der Völkergemeinschaft generell auch speziell als Überzeugung der Besiegten durchzusetzen. Wo solche Geisteshaltung vorherrscht, da wird natürlich nicht nur die Formel vom Krieg als ultima ratio der Politik unaussprechbar, sondern im Gegenzug verwandelt sich da auch die Politik in endlosen Krieg mit dem Ziel des moralischen Genozids. 3 Gerade aber da, wo der Krieg ebenso total zu werden neigt wie seine moralische Disqualifikation vorbehaltlos - nicht zuletzt daran zu erkennen, daß die politischen und militärischen Führer, die ihn verloren haben, als Kriegsverbrecher abgeurteilt werden - sorgt die idealtypische Methode für den Abstand, aus dem heraus man wieder gelassen urteilen und einigermaßen objektiv messen kann. Mit einer Wissenschaftlichkeit, die diese analytische Verfahrensweise und andere derartige besitzen, von denen Clausewitz weitere kennt und benutzt, setzt die moderne Zeit den ideologischen Komplexen, die sie umtreiben, ein Stück realistischer Besinnung entgegen. So gelingen ihr immer wieder Ernüchterungen von ihren rauschhaften Potenzphantasien und Erholungen aus ihren depressiven Jammerzuständen. An dieser Wissenschaftlichkeit findet ihren Meister auch die utopische Phantasie von einem absoluten Frieden mittels der demonstrativen Ent-Rüstung, aus der - mit Hegel zu reden - "das Gesetz des Herzens und der Wahnsinn des Eigendünkels" (1952, 266) sprechen - eine Phantasie, die sich wegen ihres Irrealismus für hohe Kontraproduktivität besonders anfällig erweist.

3 Arnold Gehlen erinnert in "Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik" daran, daß die internationale Konvention über den Völkermord vom 9.12.1948 auch den geistigen Völkermord kenne, zitiert daraus die Definition "attente grave a I'integrite physique ou mentale de membres de groupe" und setzt erläuternd hinzu: "Dieser Begriff umfaßt natürlich die Traditionen und Überlieferungen eines Verbandes ebenso wie seine Ehre, und ein Volk gewaltsam von seiner Geschichte abzutrennen oder zu entehren, bedeutet dasselbe, wie es zu töten." (1973, 185)

"Bewegung im erschwerenden Mittel"! Handlungstheoretische Elemente bei Carl von Clausewitz * Von Hans Wilhe1m Hetzler

A. Entstehungszusammenhang Nach dem bekannten Wort von Heraklit ist der Krieg der Vater aller Dinge. Während der Krieg hier noch als kulturelles Universale erscheint, wird es angesichts der nuklearen Bedrohung vielfach als unpassend empfunden, den Krieg auch nur zu denken. Als Disziplin ist die Friedensforschung längst an die Stelle der Militärwissenschaft getreten, wenn es eine solche je gegeben hat. Lohnt es sich unter diesen Umständen überhaupt noch, sich mit einem Autor zu befassen, der als Philosoph des Krieges den Rang eines Klassikers einnimmt? Was aber, so wäre zu fragen, zeichnet einen solchen aus: seine Bekanntheit, die überzeitliche Bedeutung seines Werkes, seine Originalität oder die Brillanz seiner Darstellung. Was seine Bekanntheit anbelangt, teilt Clausewitz das Schicksal vieler, wenn nicht der meisten Klassiker: Sie steht im umgekehrten Verhältnis zu dem Verständnis oder auch nur der Kenntnis seines Werkes. Diese beschränkt sich zumeist auf das nicht einmal korrekt wiedergegebene Zitat, daß der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. 2 Aber auch bei seinen AnI "Das Handeln im Kriege ist eine Bewegung im erschwerenden Mittel" (Clausewitz 1973,263 et passim).

* Zuerst erschienen in: Institution und technische Zivilisation. Symposion zum 65. Geburtstag von Johannes Chr. Papalekas, Hg.: Eckart Pankoke, Soziologische Schriften Bd. 52, Berlin, Ducker & Humblot 1990. Für Anregungen und Kritik danke ich Petra Ahrweiler-Voss, Rainer Dieterich und Karlheinz Messelken, alle Hamburg. 2 Dieser Gedanke findet sich bei Clausewitz in unterschiedlicher Formulierung wie: "Der Krieg

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hängern und Kritikern ist Clausewitz häufig mißverstanden worden, sei es durch einseitige aus dem Zusammenhang gerissene Übernahme seiner Argumente, sei es durch ihre mißbräuchliche Verwendung. Der Kreis derjenigen, die sich auf ihn und sein Werk berufen, umfaßt keineswegs nur das preußische Offizierskorps, aus dem er hervorgegangen ist. Friedrich Engels empfahl ihn Marx als "Stern erster Größe", der ihm seinerseits einen "common sense" bescheinigte, der an Witz grenzt. Damit war seine Verträglichkeit mit dem dialektischen Materialismus gewissermaßen von höchster Stelle abgesegnet. Andererseits wirkt es erstaunlich, daß Clausewitz bei den Streitkräften nur marginale Beachtung erfährt, und die Beschäftigung mit ihm dem persönlichen Interesse einiger Spezialisten überlassen bleibt. Stärkere Aufmerksamkeit hat er dagegen neuerdings auf französischer Seite gefunden. Raymond Aron, dessen Interesse auch schon früher auf die deutsche Soziologie gerichtet war, hat dem preußischen Militärtheoretiker eine umfangreiche Monographie gewidmet, in der er der Frage nachgeht, wieweit dessen Lehren im Atomzeitalter noch gültig sind. Seine Bewunderung für diesen Autor wird bereits in der Einleitung deutlich, wenn festgestellt wird, daß "derselbe Text von Deutschen und Franzosen, die so lange Feinde waren und heute versöhnt sind, gelesen werden muß" (Aron 1980, 11). Was nun die beiden weiteren Kriterien - überzeitliche Bedeutung und Originalität der Betrachtungsweise - anbelangt, werden diese in zweifacher Weise erkennbar: zum einen in der Bestimmung des Verhältnisses von Krieg und Politik, zum anderen in der Art und Weise, in der kriegerische Auseinandersetzungen als wissenschaftliche Tatsache behandelt werden. "Nicht was wir gedacht haben", schreibt Clausewitz, "halten wir für einen Verdienst um die Theorie, sondern die Art, wie wir es gedacht haben" (1862, 361). Sieht man von der politischen Implikation dieser Theorie ab, ist ihre sozialwissenschaftliche Relevanz wiederholt bemerkt worden. Der Krieg gehört für Clausewitz in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens (1973, 303). Karl Korsch meint hier eine Ähnlichkeit mit dem wissenschaftlichen Sozialismus erkennen zu können, der ebenfalls den "Konflikt großer Interessen" als zen... ist eine Fortsetzung des politisches Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln" (210), oder "Der Krieg ist nichts als fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln" (170).

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trales Problem ansieht (1980, 558). Während diese Interpretation etwas bemüht wirkt, ist die handlungstheoretische Implikation bei Clausewitz so offenkundig, daß sie kaum zu übersehen ist. So stellt Walter Malmsten Schering fest: "Nicht nur einen Philosophen des Krieges, wie die Soldaten Clausewitz seit langem genannt haben, einen Philosophen des HandeIns haben wir in ihm zu sehen" (1942, XI). Diese These wird allerdings nicht weiter expliziert; der Autor begnügt sich hier mit einer allgemeinen Feststellung zum Verhältnis von Theorie und Praxis: "Die Philosophie ist überhaupt nicht dazu da, das Handeln zu regieren, sondern das Denken zu revolutionieren, damit es sich erneuere und gesunde. Aber daß dieses Denken Hand in Hand mit dem rechten Handeln gehe, daß der Denker nicht passiv die Welt beschaue, sondern sein eigenes Denken als ein Handeln begreife, daß er sich auf den Standpunkt des Handelnden stelle und von dort sich und die Welt begreife, das ist, was die Philosophie des Handeins ausmacht und was Clausewitz uns lehrt"

(XXXIV).

Bei diesen Ausführungen bleibt nicht nur offen, wie wir uns die konzeptionelle Seite dieses Programms vorzustellen haben; sie ist auch ein Beispiel für eine Rezeptionsweise, die allein durch ihre Diktion Fehleinschätzungen begünstigt. Clausewitz selbst bedient sich einer Sprache, die seinen theoretischen Schriften, insbesondere seinem Hauptwerk Vom Kriege, durch ihre Geschliffenheit und analytische Prägnanz literarischen Rang verleiht. Obwohl Schering, wie gesagt, auf eine detaillierte Ausarbeitung seiner These verzichtet, läßt sich seinen Ausführungen zumindest die Andeutung entnehmen, daß Clausewitz Elemente der verstehenden Soziologie vorweggenommen hat. Deren Aufgabe besteht nach Max Weber bekanntlich darin, "soziales Handeln deutend zu verstehen und ... in seinem Ablauf ursächlich zu erklären" (1956 1. Hbd., 3). Was den sogenannten exakten Wissenschaften verschlossen bleibt, ist ihr Hauptanliegen, "eben das 'Verstehen' des Verhaltens der beteiligten Einzelnen". Wie noch zu zeigen ist, gilt diese Erkenntnisabsicht auch für Clausewitz. Bevor wir uns diesen Fragen zuwenden, erscheint es angebracht, einige Anmerkungen zur Biographie dieses Autors zu machen. Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz wurde 1780 in Burg bei Magdeburg geboren. Seiner Herkunft nach

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war er eigentlich kein Mann "von Stand". Sein Vater wurde nach einer Kriegsverletzung mit einer subalternen Beamtenposition abgefunden. Clausewitz bekennt, daß er eine wenig freudvolle Jugend gehabt habe. Mit zwölf Jahren trat er in die Armee ein und machte bereits ein Jahr später bei der Belagerung von Mainz seine ersten Fronterfahrungen. Mehr noch als die beengten Verhältnisse in seinem Elternhaus machte ihm die Tatsache zu schaffen, daß das Adelsprädikat, das bereits der Vater verwendete, wohl einer genaueren Überprüfung nicht standgehalten hätte. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß der König von Preußen diesen Adel als Anerkennung militärischer Erfolge semes Bruders, dessen Ruhm inzwischen weitgehend verblaßt ist, bestätigt hat. Clausewitz selbst hatte nur wenig Gelegenheit, sich militärisch auszuzeichnen. Nach der Niederlage Preußens trat er vorübergehend in russische Dienste. In dieser Eigenschaft war er maßgeblich an der Konvention von Tauroggen beteiligt, mit der Napoleons Stern endgültig zu sinken begann. Eine offizielle Anerkennung dafür blieb ihm ebenso versagt, wie für seine Mitwirkung an der preußischen Heeresreform. Obwohl er es immerhin bis zum Generalmajor brachte, war seine Laufbahn nach dem Urteil eines seiner Biographen kaum mehr als eine "Dutzendkarriere" (von Schramm 1982, 23). Im Alter von 51 Jahren starb er 1831 einen frühen Tod. Was ihm an militärischen Ehrungen versagt blieb, wurde durch glückliche Umstände in seinem persönlichen Bereich aufgewogen. In Scharnhorst fand er einen Vorgesetzten, der seine Begabung früh erkannte und förderte. Trotz eines erheblichen Altersunterschiedes bestand zwischen diesen beiden Männern eine lebenslange Freundschaft. Auch die Wahl seiner Frau sollte sich als glücklich erweisen. Ihr ist es zu verdanken, daß sein opus magnum, dessen Fertigstellung ihm nicht mehr vergönnt war, posthum erscheinen konnte. 3 Die Tatsache, daß Clausewitz seine Laufbahn gewissermaßen als Außenseiter begann und diese Rolle zeitlebens nie ganz abgelegt hat, könnte eine der Ursachen seiner Kreativität gewesen sein. Sie hat ihn nicht nur veranlaßt, vieles nachzuholen, was er an formaler Bildung und Erziehung versäumt hatte, sondern sie hat sicherlich auch dazu beigetragen, daß er die Zeichen der Zeit unbe3 Das Werk wurde anfangs nur zögernd aufgenommen, wurde dann aber in rascher Folge neu aufgelegt. Es ist 1980 zum 200. Geburtstag des Autors in 19. Auflage erschienen.

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fangener zu beobachten und zu beurteilen vennochte. Er sah - um eine Formulierung des ungarischen Nobelpreisträgers Albert von Szent-Györgyi zu übernehmen - was jeder sehen konnte, und dachte, was vor ihm noch niemand gedacht hatte. Die gesellschaftlichen Umwälzungen, die durch die französische Revolution ausgelöst worden waren, hatten auch für das Militärwesen und die Art, Kriege zu führen, weitreichende Folgen. "Sie hatten", wie Clausewitz feststellt, "das furchtbare Element des Krieges aus seinen alten diplomatischen und finanziellen Banden losgelassen: Er schritt nun mit seiner rohen Gewalt einher, wälzte eine ungeheure Masse von Kräften mit sich fort, und man sah nichts als Trümmer der alten Kriegskunst auf der einen Seite und unerhörte Erfolge auf der anderen, ohne daß man dabei ein neues System der Kriegführung, d. h. neue Wege der Klugheit, neue positive Formen im Gebrauch der Kräfte, deutlich unterschieden hätte" (1977, 228).

B. Elemente der Handlungstheorie Angesichts dieser Krisensituation entwickelt Clausewitz ein Paradigma, das ein neues Verständnis militärischer Konflikte eröffnet hat. Darin werden die Irrationalität des Geschehens und die daraus resultierenden Anforderungen an das Verhalten unter Risiko und Ungewißheit mit der Rationalität des Krieges als Mittel für einen politischen Zweck zu einer theoretischen Synthese vereinigt. Handlungstheoretisch sind vor allem die beiden ersten dieser drei Variablen von Interesse. Die erste bezieht sich auf die spezifischen Kontextbedingungen des Handeins im Kriege als einer "Bewegung im erschwerenden Mittel" (1973, 202; 414) die zweite auf die persönlichen Qualitäten, die erforderlich sind, um diesen Anforderungen gerecht werden zu können. Damit geht die Handlungstheorie in eine Eigenschaftstheorie des Handelnden über. Diese wurde vielfach als das eigentlich Originelle bei Clausewitz angesehen. Dem Historiker Hans Rothfels erscheint sie trotz ihrer romantischen Anklänge als richtig im Hinblick auf "die Bewertung des Immateriellen und Unwägbaren" (1980, 285 f.). Der englische Militärexperte B. H. Liddell Hart, im übrigen ein scharfer Kritiker des Autors, sieht dessen originären Beitrag zur Kriegstheorie ausschließlich in der Berücksichtigung der psychologischen Faktoren (1980, 542). Dieses Urteil ist jedoch einseitig, da es einen integralen 4 Clausewitz·Kolloquium

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Teil des Werkes aus dem Zusammenhang reißt. Es läßt außer acht, daß sich beide - Clausewitz' Handlungstheorie und seine Theorie des Handelnden - gegenseitig begründen und daher eine Einheit bilden. Insofern besteht auch ein Unterschied zur verstehenden Soziologie. Dennoch lassen sich einige bemerkenswerte Übereinstimmungen zwischen beiden Ansätzen nicht übersehen. Sie betreffen erstens die Methode, zweitens das Moment der Gegenseitigkeit und drittens das der Theorie zugrundeliegende Wissenschaftsverständnis.

I. Bedingungen der Handlungssituation

Diese Kriterien finden sich natürlich so nicht bei Clausewitz. Sie sind der Soziologie Max Webers entnommen. Das wiederum bedeutet nicht, daß diese durch den preußischen Generalmajor beeinflußt war. Dafür gibt es im Gesamtwerk Max Webers keinen ausdrücklichen Hinweis. Wieweit Weber die Schriften Carls von Clausewitz gekannt hat, wäre einer genaueren Überprüfung wert. Die folgende Passage aus seiner Wissenschaftslehre weist jedoch derart auffällige Übereinstimmung in Denkstil und Diktion auf, daß sie von Clausewitz selbst stammen könnte: "Um z. B. die Führung eines Krieges zu 'verstehen', muß unvermeidlich - wenn auch nicht notwendig ausdrücklich oder in ausgeführter Form - beiderseits ein idealer Feldherr vorgestellt werden, dem die Gesamtsituation und Dislokation der beiderseitigen militärischen Machtmittel und die sämtlichen daraus sich ergebenden Möglichkeiten, das in concreto eindeutige Ziel: Zertrümmerung der gegnerischen Militärrnacht zu erreichen, bekannt und stets gegenwärtig gewesen wären, und der aufgrund dieser Kenntnis irrtumslos und auch logisch 'fehlerfrei' gehandelt hätte. Denn nur dann kann eindeutig festgestellt werden, welchen kausalen Einfluß der Umstand, daß die wirklichen Feldherren weder jene Kenntnis noch diese lrrtumslosigkeit besaßen und daß sie überhaupt keine bloß rationalen Denkmaschinen waren, auf den Gang der Dinge gehabt hat" (1968, 534).

Doch selbst wenn ein direkter Wirkungszusammenhang nicht bestehen sollte, ist die Feststellung erlaubt, daß der Soziologe sehr wohl zur Entschlüsselung der Schriften des Kriegstheoretikers beizutragen vermag. Von seinem Standpunkt aus läßt sich insbesondere zeigen, daß Clausewitz die Bedingungen

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einer allgemeinen Theorie des Handeins erfüllt, auch wenn er den bewaffneten Konflikt in den Mittelpunkt seines Erkenntnisinteresses gerückt hat. Eine erste Übereinstimmung kann unter dem Gesichtspunkt des methodischen Vorgehens festgestellt werden. Sie tritt vor allem in dem ersten Buch des Hauptwerkes Vom Kriege in Erscheinung. Es ist wohl das einzige, das auch in den Augen des Autors als abgeschlossen gelten kann. Es beginnt mit einer Begriffsbestimmung. Clausewitz definiert den Krieg als einen erweiterten Zweikampf, in dem jeder der beiden Kontrahenten versucht, den anderen durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen, ihn niederzuwerfen und zu weiterem Widerstand unfähig zu machen. Die Gegenseitigkeit dieser Konfliktbeziehung erzeugt verschiedene Wechselwirkungen, aus denen eine Tendenz zum Äußersten entsteht. Diese Begriffsbildung hat Veranlassung zu zahlreichen Fehlinterpretationen gegeben. Den militärischen Falken dient sie als Bestätigung ihrer Ansichten, während sie den Kritikern als Plädoyer für den totalen Krieg und als "Rechtfertigung nutzloser, blutiger Frontangriffe" erscheint (Liddell-Hart 1980,547). Beide Auffassungen sind unzutreffend, denn sie übersehen das der Analyse zugrundeliegende Prinzip. Mit seiner Definition bewegt sich Clausewitz auf dem, wie er selbst sagt, "abstrakten Gebiet des bloßen Begriffs" (1973, 195), indem er die Konfliktbeziehung ganz im Sinne Max Webers als "Idealtypus, d. h. als gedankliche Steigerung bestimmter Elemente der Wirklichkeit" konstruiert (Weber 1968, 190). Um den reinen Begriff der Realität anzunähern, sind Modifikationen erforderlich: "Wenn man fest an das Absolute haltend alle Schwierigkeiten mit einern Federstrich umgehen und mit logischer Strenge darin beharren wollte, daß man sich jederzeit auf das Äußerste gefaßt machen und jedesmal die äußerste Anstrengung daransetzen müsse, so würde ein solcher Federstrich ein bloßes Büchergesetz sein und keines für die wirkliche Welt" (Clausewitz 1973, 195).

Eine erste Einschränkung ergibt sich aus der Tatsache, daß der Krieg in einen übergreifenden Geschehensablauf eingebettet ist. Er hat eine Vorgeschichte und ist deshalb kein isolierter Akt. Außerdem beansprucht die Kriegführung Zeit und kann deshalb nicht auf eine einzige oder eine Reihe gleichzeitiger Entscheidungen reduziert werden (196). Eine dritte Einschränkung er-

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gibt sich daraus, daß mit dem Abschluß der Feindseligkeiten die Geschichte noch nicht zu Ende ist. Der Krieg hat wie jede Handlung Folgen und kann deshalb nicht als eine in sich geschlossene Entscheidung behandelt werden. Das politische und gesellschaftliche Leben nimmt nach Beendigung der Feindseligkeit seinen Fortgang. Auch das bedeutet, daß sich die Kontrahenten in der Wahl ihrer Mittel Schonung auferlegen. In der Industriesoziologie bezeichnet man eine derartige Konfliktbeziehung in Anlehnung an den amerikanischen Soziologen W. G. Sumner als "antagonistische Kooperation" (Sumner 1906, 18). Damit ist gemeint, daß auch dem Streit ein verbindendes Moment innewohnt. So kann zum Beispiel bei Arbeitskämpfen beobachtet werden, daß die Tarifparteien nicht die gegenseitige Vernichtung anstreben. Es besteht vielmehr, wie Oswald von Nell-Breuning anmerkt, Einmütigkeit darüber, "daß, wenn schon im Krieg, so erst recht im Arbeitskampf nicht uneingeschränkt der Gebrauch aller nur denkbaren Waffen zulässig sein kann, vielmehr auch die im Arbeitskampf anzuwendenden Waffen zu prüfen sind und ihre Anwendung der Rechtfertigung bedarf' (1980, 5). Eine ganz wesentliche Modifikation ergibt sich aus dem unmittelbaren Handlungsgeschehen. Zweck kriegerischer Auseinandersetzungen ist es, den Gegner wehrlos zu machen. Das dafür verwendete Mittel ist die physische Gewalt. Nach der Theorie ist ihr die Tendenz zum Äußersten inhärent. In der Realität sind jedoch Zweck und Mittel unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit gegenseitig abzuwägen, wobei nicht nur der Zweck den Mitteleinsatz bestimmt, sondern auch die verfügbaren Mittel den Zweck. Wenn nämlich "der Kraftaufwand so groß wird, daß der Wert des ... Zwecks ihm nicht mehr das Gleichgewicht halten kann, so muß dieser aufgegeben werden und der Friede die Folge davon sein" (Clausewitz 1973,217)4. Diese Urteilsfähigkeit wird übrigens auch und vor allem von der politischen Führung erwartet. Für den Staatsmann und Feldherrn stellt sich als erste und umfassendste aller strategischen Fragen, "daß er den Krieg, welchen er unternimmt, ... richtig erkenne, ihn nicht für etwas nehme oder zu etwas machen wolle, was er nach der Natur der Verhältnisse nicht sein kann" (212). Wie Raymond Aron bemerkt, entstammt die Art und Weise, menschliches Handeln anhand der Kategorien von Zweck und Mitteln zu verstehen, dem ge4 Ähnlich auch (505): " ... je schwächer die Kraft, desto kleiner müssen die Zwecke sein".

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sunden Menschenverstand (1980, 147 ff.). Clausewitz hat sie vermutlich der Ästhetik Kants entnommen. Unter dem Begriff der Zweckrationalität verwendet sie Max Weber als eine idealtypische Ausprägung sozialen Handeins, anhand deren festgestellt werden kann, "wie das Handeln bei Kenntnis aller Umstände und aller Absichten der Mitbeteiligten und bei streng zweckrationaler ... Wahl der Mittel verlaufen wäre" (Weber 1956 1. Hbd., 5). Diese Bedingungen sind im Kriege so wenig erfüllt wie bei jedem anderen Idealtyp. Sie dienen ausschließlich dem heuristischen Zweck, die Ablenkungen, die ein beobachtbarer Handlungsverlauf gegenüber dem "reinen Fall" aufweist, anhand des theoretischen Modells bestimmen und erklären zu können. Clausewitz verfährt ganz in diesem Sinne, indem er eine Reihe von "Modifikationen in die Wirklichkeit" vornimmt. Dazu gehört insbesondere die doppelte Kontingenz, die sich aus der Polarität der Konfliktbeziehung ergibt. Die handlungstheoretische Implikation der Analyse wird hier deutlich erkennbar. Ernst Vollrath hat diesen Gesichtspunkt neuerdings zum Anlaß einer grundlegenden Untersuchung der Theorie des Handeins bei Clausewitz genommen. Sie dient zugleich dem Nachweis, daß diese auch im Atomzeitalter noch Gültigkeit besitzt, da alles Handeln nicht nur miteinander, sondern wegen der "pluralen Besonderheit" des Handelnden zugleich auch gegeneinander erfolgt (0.J., 7). Wegen der "situativen und kontingenten Partikularität, die zum Wesen allen wirklichen Handeins gehört, entzieht er sich einer objektiven Theorie" (10). Dieser Folgerung kann ebenso zugestimmt werden wie ihren Prämissen. Einwände sind lediglich dagegen zu erheben, daß die Kontingenz einer Handlungssituation auf das Gegenhandeln beschränkt wird und dadurch weitere situative Einflußgrößen ausgeblendet werden. Bei Clausewitz werden beide Aspekte gleichermaßen berücksichtigt und in seine Eigenschaftstheorie einbezogen. Hinsichtlich der Handlungstheorie im engeren Sinne wird mit der Bezogenheit auf andere ein zentrales Merkmal vorweggenommen, das den Begriff des sozialen Handeins auszeichnet. Dieses ist nach Max Webers Definition orientiert am vergangenen, gegenwärtigen oder für künftig erwarteten Verhalten anderer (1956, 1. Hbd., 16). Es ist übrigens interessant, daß Weber seine Definition mit dem Beispiel des militärischen Konflikts illustriert: "Rache für frü-

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here Angriffe, Abwehr gegenwärtiger Angriffe, Verteidigungsmaßregeln gegen künftige Angriffe. " Das entsprechende Zitat bei Clausewitz lautet: "Jeder der beiden Teile wird auf das Handeln des anderen schließen und danach das seinige bestimmen" (1973,212). Im theoretischen Grenzfall entsprechen diese Erwartungen denen eines Nullsummenspiels. Das Interesse des einen Feldherren wird immer als entgegengesetzte Größe bei dem anderen gedacht, wobei das Prinzip der Polarität nur dann seine Gültigkeit behält, "wenn diese an ein und demselben Gegenstand gedacht wird, wo die positive Größe und ihr Gegensatz, die negative, sich genau vernichten" (204). Bei dieser Analyse wird im übrigen eine Differenzierung vorgenommen, die der in der Systemtheorie verwendeten Unterscheidung zwischen Elementen und den zwischen diesen bestehenden Beziehungen nahekommt. "Wenn aber", wird in diesem Z~sammenhang ausgeführt, "von zwei verschiedenen Dingen die Rede ist, die eine gemeinschaftliche Beziehung außer sich haben,. so haben nicht diese Dinge, sondern ihre Beziehung die Polarität" (204). Bei seiner theoretischen Analyse militärischer Auseinandersetzungen geht Clausewitz, wie erwähnt, von dem Fall aus, in dem jede Konfliktpartei äußerste Anstrengungen unternimmt, die Gegenseite kampfunfähig zu machen. Dieses Modell ist ähnlich konstruiert wie etwa das aus der Nationalökonomie bekannte rationale Schema. Es ist auch wie dieses gleichermaßen realitätsfern. Im Laufe weiterer Theoriebildung haben sich die Ökonomen bemüht, durch Einführung zusätzlicher Kontextvariablen den Vorwurf des Modellplatonismus zu entkräften. In ähnlicher Richtung hat auch Clausewitz gedacht. Was den tatsächlichen Krieg von dem auf dem Papier unterscheidet, faßt er in dem Begriff der Friktion zusammen. Er stammt offensichtlich aus der Mechanik und stellt hier eine Relativierung der Fiktion eines technischen Artefakts dar, das gänzlich ohne Reibungsverluste funktioniert. Ähnlich verhält es sich auch im Krieg. Was am grünen Tisch ganz einfach erscheint, stellt sich im Verlauf der Kampfhandlungen als mehr oder weniger kompliziert dar. Die Vielzahl der potentiellen Störgrößen läßt sich auf die folgenden vier Bestandteile reduzieren, "aus denen die Atmosphäre zusammengesetzt ist, in welcher sich der Krieg bewegt" (Clausewitz 1973, 237): auf die Gefahr, die körperliche Anstrengung, die Ungewißheit und den Zufall. Wäh-

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rend ein idealtypisches Modell wie etwa das der vollkommenen atomistischen Konkurrenz auch einen idealtypischen Aktor in Gestalt des homo oeconomicus voraussetzt, fragt der Militärtheoretiker nach individuellen Eigenschaften, die notwendig sind, um angesichts der Friktion bestehen zu können. An anderer Stelle führt er dazu aus: "Die Theorie des Krieges beschäftigt sich zwar vorzüglich damit, wie man auf den entscheidenden Punkten ein Übergewicht von physischen Kräften und Vorteilen erhalten könnte; allein wenn dieses nicht möglich ist, so lehrt die Theorie auch auf die moralischen Größen kalkulieren" (Clausewitz 1973a, 1047). Ihre Besonderheit ergibt sich aus der einfachen Überlegung, daß der Erfolg um so mehr von den immateriellen Faktoren abhängt, je stärker sich die Kräfteverhältnisse, was Ausrüstung und Ausbildung anbelangt, einander annähern (1973, 504).

11. Persönlichkeitsbedingte Einflüsse

Clausewitz hat den moralischen Größen im zweiten Buch, das sich mit Fragen der Strategie befaßt, mehrere Kapitel gewidmet, in denen er die Talente des Feldherren, die kriegerische Tugend des Heeres und den Volks geist behandelt (1973,356 ff.). "Weil sie sich weder in Zahlen noch in Klassen bringen lassen", gehören sie nach Meinung des Autors "zu den wichtigsten Gegenständen des Krieges". Diese Ausführungen werden vervollständigt durch das mit "Der kriegerische Genius" überschriebene 3. Kapitel des ersten Buches (231 ff.). Dieses bezieht sich auf die Person des Feldherren, der gemäß zeitgenössischer Anschauung die alleinige Entscheidungsgewalt besaß. Insofern ist Clausewitz' Theorie eine "Theorie des großen Mannes". Sie läßt sich jedoch unschwer auf Situationen übertragen, in denen Entscheidungen dezentral getroffen und verantwortet werden müssen. Mit der Einbeziehung des Aktors in die theoretische Betrachtung wird ihr Bezugsrahmen gegenüber der Handlungstheorie Max Webers erweitert. Das geschieht nicht, wie es dem Zeitgeist entsprochen hätte und auch durch die Kapitelüberschrift nahegelegt wird, durch die Bemühung des Geniebegriffs. Verzichtet wird auch auf den Verweis von Charaktermerkmalen, wie sie seit der Antike verwendet werden, um außergewöhnliche Persönlichkeiten zu kennzeichnen. Mit seinem Ansatz nähert sich Clausewitz vielmehr dem, was in un-

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serer Zeit als "eigenschafts zentrierte Persönlichkeitstheorie" bezeichnet wird. Diese geht davon aus, daß das Verhalten durch eine Reihe von situationsabhängigen Merkmalen gesteuert wird. Zur Beantwortung der Frage: "Welche Eigenschaften unterscheiden den Führer von den Geführten" (Irle 1970, 521), hat die Eigenschaftstheorie in die Führungslehre Eingang gefunden. Sie wird offensichtlich durch die Erfahrung bestätigt und bildet die Grundlage jeder Personalbeurteilung. Wenn sie dennoch auf Widerspruch stößt, sind die Argumente vor allem methodischer Art. Zum einen wird eingewendet, daß zwischen Eigenschaften und beobachtetem Verhalten bislang kein statistisch signifikanter Zusammenhang festgestellt werden konnte. Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, daß sich eine einheitliche Merkmalskombination schwerlich auf alle denkbaren Führungsfunktionen anwenden läßt (Neuberger 1978,276 ff.). Da diese Einwände im wesentlichen methodisch begründet sind, reichen sie nicht aus, die Theorie zu falsifizieren. Mit seinem Ansatz nimmt Clausewitz die moderne Eigenschaftstheorie der Führung in einer Reihe von Punkten vorweg. Er ist erstens gekennzeichnet durch die Auswahl und inhaltliche Bestimmung der verwendeten Merkmale. Diese beziehen sich auf die spezifischen Anforderungen des Krieges und nicht auf einen generalisierten Begriff der Führung. Sie werden demnach nicht deduktiv gebildet, sondern unter Berücksichtigung der Kontextbedingungen, der mit ihnen korrespondierenden Handlungssituation. Zweitens können sie in unterschiedlicher Intensität auftreten. Dabei ist es drittens wichtig, daß sie sich harmonisch ergänzen, "wobei eine oder die andere vorherrschen, aber keine widerstreben darf' (1973, 232). Die einzelnen Eigenschaften werden sodann im Hinblick auf ihre Bedeutung, ihre Ausprägungen und ihre Wechselbeziehungen diskutiert. Der von Clausewitz verwendete Katalog enthält sechs Hauptrnerkmale. Mit Blick auf die besondere Gefahrenlage im Kriege steht an erster Stelle der Mut. Diese Eigenschaft äußert sich in ihrer passiven Form als Unerschrockenheit, in ihrer aktiven Form als Entschlußfreudigkeit und Verantwortungsbereitschaft. Zu ihrer vollen Wirksamkeit gelangt sie nicht durch einseitige Steigerung, sondern durch die abgestimmte Kombination beider Ausprägungen. Zu den Gefahren im Kriege kommen zweitens die physischen und psychischen Beanspruchungen, die "eine gewisse Kraft des Körpers und der Seele" verlangen.

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In Verbindung mit dem gesunden Menschenverstand entspricht das Profil dieser beiden ersten Merkmale dem tüchtigen, nicht aber dem hervorragenden militärischen Führer. Er wird sich in ungewissen Entscheidungssituationen nicht auf das Glück oder den Zufall verlassen, sondern auf seine "vorherrschenden Verstandeskräfte" (233). Bei diesem Merkmal handelt es sich zweifellos um eine Schlüsselvariable. Sie wird einmal gebildet durch einen analytischen Verstand, der auch in einer "gesteigerten Dunkelheit nicht ohne einige Spuren des inneren Lichtes ist, die ihn zur Wahrheit führen", zum anderen die Entschlossenheit, "diesem schwachen Licht zu folgen" (234). Ergänzt wird dieses Merkmal durch eine weitere Eigenschaft, die mit Geistesgegenwart oder Schnelligkeit des Denkens umschrieben werden kann. An diese intellektuellen Fähigkeiten schließt sich ein Bündel ähnlicher Faktoren an, die sich alle auf die charakterliche Verfassung des Handelnden beziehen. Dazu gehören Energie, Standhaftigkeit, Temperament, aber auch Selbstbeherrschung und Stärke. des Charakters. Am Schluß des Merkmalskatalogs wird der Ortssinn aufgeführt. Soweit es darum geht, "sich von jeder Gegend schnell eine richtige geometrische Vorstellung zu machen und als Folge davon sich in ihr jedesmal leicht zurechtzufinden" (247), entspricht diese Kategorie einer Intelligenzdimension. Sie fällt andererseits in den Bereich der Phantasie, wenn sich der Handelnde, was nicht nur bei Orientierungsproblemen der Fall ist, vor die Notwendigkeit gestellt sieht, aus unzusammenhängenden und bruchstückhaften Eindrücken eine hinreichend genaue Vorstellung zu entwickeln, die erst eine begründete Entscheidung ermöglicht. Es handelt sich demnach um eine Dimension, die dem Bereich der Gestaltpsychologie zugeordnet werden kann.

III. Der Takt des Urteils

Nachdem er die Grundzüge seiner Theorie dargestellt hat, stellt sich Clausewitz die Frage nach ihrer Einordnung und ihrer Aussagekraft. Ähnlich verfährt auch Max Weber, wenn er versucht, die Soziologie gegenüber anderen Wissenschaften abzugrenzen. Was die Validität ihrer Erkenntnisse anbelangt, ist sie zwar gegenüber der auf kontrollierter Beobachtung beruhenden Erklärung im Nachteil, andererseits ist sie aber den exakten Wissenschaften dadurch überlegen, daß sie in der Lage ist, "über die bloße Feststellung von funk-

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tionellen Zusammenhängen und Regeln ('Gesetzen') hinaus etwas aller 'Naturwissenschaft' ... ewig unzugängliches zu leisten: eben das 'Verstehen' des Verhaltens der beteiligten Einzelnen" (nach Käsler 1979, 154). Clausewitz holt bei der Einordnung seiner Theorie noch etwas weiter aus. Zunächst prüft er, ob - wie es durch den Sprachgebrauch nahegelegt wird - der Krieg eine Art von Handwerk darstellt. Er verwirft diese Gleichsetzung mit dem Argument, daß im Handwerk die Probleme und die Mittel zu ihrer Lösung prinzipiell bekannt sind. Dieses Problemverständnis liegt der traditionellen Militärtheorie zugrunde. Sie hält für unterschiedliche Zwecke jeweils geeignete Mittel und Handlungsanweisungen bereit. Clausewitz setzt sich mit dieser von ihm als "Methodismus" bezeichneten Denkweise kritisch auseinander und gelangt zu einem ablehnenden Urteil. Als nächstes fragt er sich - wiederum in Anlehnung an die Umgangssprache -, ob es sich bei der Kriegführung um eine Kunst handele. Er negiert auch diese Ansicht mit der Begründung, daß in der Kunst das Können der Zweck ist. Analog verhält es sich in der Wissenschaft, "wo bloßes Wissen der Zweck ist" (1973, 301). Wenngleich auf das Wissen ebensowenig verzichtet werden kann wie auf das Können, reicht die schlüssige Erkenntnis allein nicht aus, wenn für das praktische Handeln die Urteilsfähigkeit gefordert ist. Das aber bedeutet: "Wo das Urteil anfängt, da fängt die Kunst an" (302). Insofern kann die Frage, ob militärische Führung eine Kunst oder eine Wissenschaft sei, so nicht entschieden werden. Clausewitz nimmt sodann einen Gedanken auf, der bereits zuvor an verschiedenen Stellen auftaucht, indem er den Krieg mit dem Handel vergleicht. Diese Feststellung bildet die Brücke zu dem bereits erwähnten Ergebnis seines Systematisierungsversuchs, daß der Krieg "nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens" (303) gehöre. Gestützt wird diese These durch drei Argumente. Erstens treffen in einem bewaffneten Konflikt lebendige Wesen aufeinander, die sowohl agieren als auch reagieren. Das Verhältnis stellt sich zweitens als eine Konfliktbeziehung dar, innerhalb deren entgegengesetzte Absichten verfolgt werden: Der Angreifer ist auf Eroberung, der Verteidiger auf Erhaltung aus. Hinzu kommt drittens, daß zwischen den Konfliktparteien ungeachtet ihrer divergierenden Interessen eine sich aus der Gegenseitigkeit ihrer Einschätzungen und Erwartungen ergebende soziale Beziehung besteht.

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Bis zu diesem Punkt besteht zwischen den handlungstheoretischen Entwürfen von Clausewitz und Max Weber eine auffallende Übereinstimmung. Unterschiede zwischen diesen beiden Autoren ergeben sich jedoch aus dem jeweiligen Erkenntniszweck. Dieser besteht für den Soziologen bekanntlich darin, soziales Handeln auf Grund seines Sinngehaltes zu verstehen und nach Möglichkeit zu erklären. Der Wissenschaftler befindet sich hierbei in der Rolle des außenstehenden Beobachters, der einen Geschehenszusammenhang registriert, ohne ihn dadurch willentlich zu beeinflussen. Das Verstehen einer Handlung ist nicht gleichbedeutend mit der Handlung selbst. Auch Clausewitz entwickelt keine normative Theorie. Sein Ansatz ist jedoch in dem Sinne praktisch orientiert, daß er kritische, unterschiedlich definierte Handlungssituationen beschreibt und nach den personellen Bedingungen ihrer Bewältigung fragt. Sein Vorgehen entspricht neueren Konzeptionen, in denen Arten von Entscheidungen mit unterschiedlichen Situationsdefinitionen in Zusammenhang gebracht werden (vgl. u. a. Kirch 1977, Bd. 2, 144). Eine Situation gilt demnach als wohldefiniert, wenn ihr ein Ausführungsprogramm unmittelbar zugeordnet oder mit Hilfe eines zulässigen Algorithmus gefunden werden kann. In diesem Fall kann nach den Regeln der Kunst und entsprechend hoher Aussicht auf Erfolg gehandelt werden. Er nähert sich damit dem Zustand völliger Gewißheit, wenn die erforderlichen Erkenntnismittel zur Verfügung stehen und regelgerecht angewendet werden. Das andere Extrem ist dadurch gekennzeichnet, daß über einen Problemzusammenhang völlige Unklarheit herrscht. Unter diesen Umständen vermag auch die Entscheidungstheorie nichts auszurichten. Sie ist in dem Bereich zwischen völliger Gewißheit und Ungewißheit angesiedelt, den man im Hinblick auf die partielle Bedingtheit von Entscheidungen als "bounded uncertainty" bezeichnet (Shackle 1961,271). Wenn Clausewitz das Handeln unter den erschwerenden Bedingungen des Krieges untersucht, bezieht er sich genau auf diesen Zwischenbereich, der vom völligen Stillstand bis zur äußersten Anspannung der Kräfte reichen kann. Sein Interesse konzentriert sich dabei auf die Möglichkeiten, in kritischen, d. h. schlecht definierten Lagen adäquate Entscheidungen treffen zu können. Diese hat man sich als das Ergebnis eines mehrstufigen Prozesses vorzustellen. Zuerst kommt es darauf an, diejenigen Elemente zu isolieren, die eine gegebene Handlungssituation kennzeichnen. Im Alltagshandeln besteht gewöhnlich ein

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Infonnationsüberschuß, der zu einer selektiven Wahrnehmung zwingt. Unter Risiko und Ungewißheit besteht dagegen das umgekehrte Problem, überhaupt Anhaltspunkte für eine Zustands beschreibung zu finden. In einem zweiten Schritt werden die einzelnen Kontextvariablen in einer Situationsdefinition zusammengefaßt. Diese Synthese verlangt neben der Wahrnehmung eine Beurteilung der entscheidungsrelevanten Elemente im Hinblick auf ihre Vollständigkeit und Bedeutung. Mit diesem Vorgang verbinden sich auf den verschiedenen Stufen der Hierarchie unterschiedliche Anforderungen an das Wissen und die Urteilsfähigkeit. Um sachgerecht entscheiden zu können, kommt es nicht allein auf den Umfang des Wissens, sondern vor allem darauf an, "von den zahllosen Verknüpfungen der Begebenheiten die wesentlichen zu unterscheiden" (Clausewitz 1973, 321) und - wie hinzugefügt werden darf - daraus die geeigneten Schlüsse zu ziehen. Die daraufhin getroffene Entscheidung entspricht einer Situationsdefinition in der aktiven Bedeutung dieses Begriffs, wie sie durch das bekannte Theorem von Thomas und Znaniecki zum Ausdruck gebracht wird: "If men define situations as real, they are real in their consequences" (Thomas 1965, 114). Anders als das Wissen, das an der Realität überprüft werden kann, kennt die Entscheidung kein anderes Wahrheits kriterium als ihr Ergebnis. Der Entscheidungsprozeß selbst wird in dem von Clausewitz gewählten Bezugsrahmen maßgeblich durch den "Takt des Urteils" (401 et passim) bestimmt, in dem Ernst Vollrath "das einzig angemessene Organ der Vernünftigkeit von Praxis" zu erkennen glaubt (0.1., 17). Nur mit seiner Hilfe ist es nach Meinung dieses Autors möglich, die Kluft zwischen der Inkompetenz einer objektiven Theorie und der Impotenz theorieloser Erfahrung zu überbrücken (23). Die alte Fonn der Klugheit ist dadurch charakterisiert, daß sie sich von dem Gesichtspunkt der instrumentellen Zweckmäßigkeit leiten läßt, die mit der subsumierenden Urteilskraft auskommt. Der Takt des Urteils stellt dagegen nach Vollrath eine Fonn der reflektierenden Urteilskraft dar. Ihre intersubjektive Geltung wird dadurch gesichert, daß sie durch die reziproke Berücksichtigung der gegenseitigen Erwartungen in einer Handlungssituation gebildet wird. Diese Annäherung an die Kantische Lehre findet ihre Grenze darin, daß die reflektierende Urteilskraft Bewußtseinszustände verändert, nicht jedoch den beurteilten Gegenstand selbst. Im Gegensatz dazu ist die Theorie von Clausewitz darauf gerichtet, nicht das Bewußtsein, sondern den Gegenstand, d. h. eine Handlungssituation zu verändern.

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Auslösendes Moment dieser Veränderung ist der Takt des Urteils. Diese Kategorie setzt sich aus drei Elementen zusammen: zum einen aus dem Wissen und Können, das jedem Urteil zugrunde liegt und durch Ausbildung und Erfahrung erworben werden kann. Sodann aus der in dem Begriff angedeuteten Selbstverständlichkeit, mit der die notwendigen Entscheidungen getroffen werden. Dem dritten Komplex schließlich sind diejenigen Eigenschaften zuzurechnen, die in der Persönlichkeit des Handelnden angelegt und daher unverfügbar sind: "Was das Genie tut, muß gerade die schönste Regel sein, und die Theorie kann nichts besseres tun, als zu zeigen, wie und warum es so ist." (Clausewitz

1973,284).5

5 Der wiederholt bemerkte Einfluß Kants auf Clausewitz wird hier bis in die Wortwah1 deutlich. In seiner Kritik der Urteilskraft definiert Kant Genie als das naturgegebene Talent, "welches der Kunst die Regel gibt" (Kant 1902-41, V, 307) und das sich - ganz im Sinne der klassischen Eigenschaftstheorie - dadurch auszeichnet, daß es "nicht gelehrt oder gelernt werden kann" (Kant 190241, VII, 318).

Carl von Clausewitz: Eine mit dem Handeln befreundete Theorie Von Ernst Vollrath

Der für den Titel gewählte Ausdruck 'Eine mit dem Handeln befreundete Theorie' stammt von Clausewitz selbst. An einer Stelle seines Werkes Vom Kriege schreibt er, es komme darauf an, "die Theorie so mit dem Handeln zu befreunden, daß der widersinnige Unterschied zwischen Theorie und Praxis ganz verschwinde, den oft eine unvernünftige Theorie hervorgerufen hat" (1980a, 292). Der Widersinn des Unterschieds geht von der Theorie aus, einer unvernünftigen. Angesichts des Phänomencharakters seines Gegenstandsfeldes bestimmt Clausewitz die Unvernunft von Theorie so: Sie vermeint, im Felde des Handeins eine "positive Lehre, d. i. Anweisung zum Handeln" abgeben zu können (290), also eine Theorie vom objektivistisch-technizistischen Typ. Im Unterschied zu diesem positivistisch-szientistischen Reduktionismus kommt alles darauf an, den Wissens typ ausfindig zu machen, der sich am Handlungsphänomen nicht versieht. Clausewitz identifiziert diesen Wissenstyp schließlich mit dem, was er oftmals den 'Takt des Urteils' nennt, eine Art des Wissens, die sich in Analogie zu der von Kant in einem ganz anderen Zusammenhang - dem Phänomen des Ästhetischen - entdeckten reflektierenden Urteilskraft bestimmen läßt (Vollrath 1984,54 ff.). Was wäre dann eine vernünftige, eine mit dem Handeln befreundete Theorie? Clausewitz beansprucht, eine solche Theorie, wenigstens im Ansatz, vortragen zu können. So verstanden müßte man Clausewitz als einen Theoretiker des Handelns selbst lesen können und seine Theorie als eine universale Handlungstheorie.

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Nun hat es seine Theorie augenscheinlich nicht mit dem Handeln im allgemeinen, falls es so etwas überhaupt gibt, sondern mit einer spezifischen Art des HandeIns, dem Kriege, dem kriegerischen Akt, zu tun. Nicht nur ist das eine spezifische Art des HandeIns, sondern es ist eine extreme. Das kommt unter anderem darin zum Vorschein, daß hier die Stellung der Theorie zu dieser Praxis noch bedenklicher ist, als sie es gewöhnlich, also beim 'einfachen' Handeln, schon ist. Clausewitz war sich darüber vollkommen im klaren: "Das Handeln im Kriege ist eine Bewegung im erschwerenden Mittel. Sowenig man imstande ist, im Wasser die natürlichste und einfachste Bewegung, das bloße Gehen, mit Leichtigkeit und Präzision zu tun, sowenig kann man im Kriege mit gewöhnlichen Kräften auch nur die Linie des MittelmäBigen halten. Daher kommt es, daß der richtige Theoretiker wie ein Schwimmeister erscheint, der Bewegungen, die fürs Wasser nötig sind, auf dem Trockenen üben läBt, die denen grotesk und übertrieben vorkommen, die nicht an das Wasser denken; daher kommt es aber auch, daß Theoretiker, die selbst nie untergetaucht haben oder von ihren Erfahrungen nichts Allgemeines zu abstrahieren wissen, unpraktisch und selbst abgeschmackt sind, weil sie nur das lehren, was ein jeder kann - gehen". (l980a, 263)

Am kriegerischen Akt kommt ein Grundzug alles HandeIns zu Vorschein, den das normale Handeln ebenfalls aufweist, aber so, daß er normalerweise, weil selbstverständlich, übersehen wird. Als dieser Grundzug alles HandeIns läßt sich das Phänomen des Gegenhandelns bestimmen, und zwar so, daß eben alles Handeln stets auch Gegenhandeln ist. Die Eliminierung dieses Grundzuges aus dem Handlungsphänomen würde alles Handeln unmöglich machen, d. h. verhindern, daß es ein Können, also wirkliches Handeln ist. Gegenhandeln: das besagt, daß nicht ohne weiteres und von vornherein - was wiederum heißt: ohne Handeln - das Handeln ein solidarisches Handeln sein könnte. Das hängt mit der untilgbaren pluralen Partikularität der Handelnden zusammen, die man zwar theoretisch, niemals aber praktisch zum Verschwinden bringen kann. Zum gemeinsamen Handeln muß sich eine Vielzahl von Menschen immer erst handelnd zusammenschließen, und in dieser Gemeinsamkeit geht ihre plurale Partikularität niemals vollkommen und endgültig unter, auch dann nicht, wenn es Institutionen gibt - oder sie aufgebracht werden - , in denen die Gemeinsamkeit gleichsam von vornherein bereitsteht. Denn auch diese Institutionen entstehen erst durch solches plurales Handeln und sie bestehen auch nur solange, wie es plurales Handeln gibt, das sie zu tragen imstande ist.

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Keine Theorie bringt es von sich aus dazu, daß Solidarität und überhaupt Gemeinschaft unter den Menschen entsteht und besteht. Handeln als Gegenhandeln geht zurück auf die Besonderheit eines jeden Menschen im Verhältnis zu jedem anderen Menschen und zu allen Menschen. "Handeln ist prinzipiell Miteinander-Handeln. Nun hat dieses Miteinander jedoch in der Regel keineswegs die Form einer Solidarität in den Zielen, wenn wir von der auf Fürsorge beruhenden Solidarität zwischen kleinen Kindern und Erziehern einmal absehen. Vielmehr ist Handeln zunächst ein Modus, in dem sich Menschen aktiv von einander, nämlich gegen einander, unterscheiden. Handelnd treten die einzelnen in ihrer Besonderheit in die Welt der Menschen ein, und deren Gemeinsamkeit stellt sich beständig dadurch her, daß der eine lernen muß, die Besonderheit des anderen gegenüber seiner eigenen Besonderheit zu respektieren. Handeln ist primär nicht Verständigung, sondern Streit" (Buck 1981, 101, mit Verweis auf Arendt 1980, 165).

Clausewitz hat diesen Charakter des Gegenhandeins, der allem Handeln zu eigen ist und nur am kriegerischen Akt besonders deutlich, weil schlechterdings nicht zu übersehen, zum Vorschein kommt, zur Grundlage seiner Theorie gemacht. Der kriegerische Akt ist "eine beständige Wechselwirkung der gegenseitigen (Tätigkeiten)" (1980a, 283): also Gegenhandeln. Was bei einem gewöhnlichen Handeln schlicht übersehen werden darf, weil es so selbstverständlich zu sein scheint, läßt sich ebenso selbstverständlich aus dem kriegerischen Akt nicht eliminieren, weil das zu einer Theorie führen würde, die nicht mit dem Handeln befreundet sein kann. Das besagt aber auch, daß keine Theorie es je fertig bringen wird, das Moment des Gegenhandelns aus dem Handlungsphänomen zu eliminieren. Auch eine Theorie des Verständigungshandelns wäre unvernünftig und gerade nicht mit dem Handeln befreundet, die das versuchen würde. "Handeln ist primär nicht Verständigung, sondern Streit, d. h. aber: Notwendigkeit, sich zu verständigen" (Buck 1981, 101). Die Notwendigkeit der Verständigung geht nicht von der Theorie aus, sondern vom Handlungsphänomen selbst, und dabei spielt das Moment des Gegenhandelns eine wichtige, vielleicht die entscheidende Rolle. Denn wenn es so ist, daß alles Handeln das Moment des Gegenhandelns an sich hat, dann kann kein Handeln es ausschließlich durch Streit endgültig dazu bringen, daß ihm kein anderes Handeln gegenhandelnd entgegentritt. Das am extremen Fall des kriegerischen Aktes nicht eliminierbare Moment des Gegenhandeins, welches nicht nur faktisch allem Handeln, auch dem Verständigungs- und Gemeinschaftshandeln zu

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eigen ist, sondern in dessen Vernunftstruktur eingelagert werden muß, weil sonst diese Vernunftstruktur mit der Wirklichkeit des HandeIns verloren gehen würde, rechtfertigt es, Clausewitz' Theorie handlungstheoretisch auszulegen. Gegen diese handlungstheoretische Perspektive auf das Denken von Clausewitz erheben sich schwere Bedenken. Clausewitz betont immer wieder, daß der Krieg ein Akt der Gewalt ist - schließlich ist nichts offenkundiger. Wird damit nicht das Handeln, alles Handeln, abgesehen davon, daß diese Deutung an einem extremen Fall orientiert ist, an die Gewalt so angenähert, daß auch noch das gewöhnliche Handeln reziprokerweise mit einem Charakter von Gewalt versehen wird? Und besagt die darin beruhende Universalisierung des gewalttätigen Moments beim Handeln etwa nicht, daß dann eine gefährliche Legitimierung der Gewalt, und noch dazu eine universelle, unvermeidlich ist? Dieser Einwand kann sich einer Argumentation bedienen, die Hannah Arendt vorgetragen hat. In analytischer Schärfe unterscheidet sie zunächst klar zwischen Macht - sozusagen dem politischen Urphänomen - und Gewalt. "Der Extremfall der Macht ist gegeben in der Konstellation: Alle gegen Einen; der Extremfall der Gewalt in der Konstellation: Einer gegen Alle. Und das letztere ist ohne Werkzeuge, d. h. ohne Gewaltmittel niemals möglich" (1970, 43; s. den Beitrag von Michael Hereth in diesem Band). Diese Unterscheidung ist bei Hannah Arendt zurückgegründet auf ihre gleichfalls mit analytischer Schärfe vorgenommene Differenzierung zweier Tätigkeitssorten, des HandeIns und des Herstellens, zu denen sie als dritte noch das Arbeiten gestellt hat (1980, 14 ff.). Aber Hannah Arendt sagt selbst: "Im Sinne von Initiative - ein initium setzen steckt ein Element von Handeln in allen menschlichen Tätigkeiten", d. h. auch im Herstellen und im Arbeiten (15 ff.). Nimmt man diese Aussage ernst, dann besagt sie, daß alle Tätigkeiten letztlich von der Art des HandeIns sind und daß die analytische Unterscheidung von Tätigkeitssorten sie stets als Momente einer Handlungssynthesis betrachten muß, innerhalb deren nur analytisch unterschiedliche Weisen angenommen werden können. Daß dies auch der Sinn der zuerst von Aristoteles aufgebrachten Differenzierung von Praxis und Poiesis ist, auf welche die Arendtsche zurückweist, läßt sich mit Hinweis darauf belegen, daß gerade bei ihm alle Tätigkeitsweisen, die den Charakter von Poiesis haben, auf die Synthesis derjenigen Praxis bezogen und durch diesen Bezug strukturiert sind, die der Vollzug des menschlichen Daseins in seiner Ganzheit darstellt (Vollrath 1989, 1 ff.).

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Für Clausewitz steht fest, daß alle bisherigen Theorieversuche "nur in ihrem analytischen Teil als Fortschritte im dem Gebiete der Wahrheit zu betrachten, in dem synthetischen Teil aber, in ihren Vorschriften und Regeln, ganz unbrauchbar" sind (Clausewitz 1980a, 283).1 Man kann seine Einsicht so formulieren: Alles Handeln ist Handeln als Handlungssynthesis, und die Synthesis, die das volle Handlungsphänomen ist, kommt gerade dadurch zustande, daß es beim Handeln stets das Gegenhandeln gibt, sofern Gegenhandeln ein wesentliches Moment alles Handeins ist. Die Einheit dieser Handlungssynthesis heißt bei Clausewitz 'die Politik', und das stellt sozusagen seinen Begriff des Politischen dar. Clausewitz' Begriff des Politischen ist nicht voll entwickelt und er enthält traditionelle Momente, sofern er stillschweigend an der Kategorie des Staates festhält (davon weiteres später!). Aber in Bezug auf das Kriegsphänomen und damit in Bezug auf das Element der Gewalt und deren Verhältnis zur Politik ist er ganz eindeutig. Die vielzitierte, in mehreren Varianten überlieferte Bestimmung, "daß der Krieg nur ein Teil des politischen Verkehrs sei, also durchaus nichts Selbständiges" (1980a, 990 [im Original gesperrt])2, will zunächst einmal sagen, daß "eine Theorie des Krieges nicht aus dem Begriff des Krieges heraus entwickelt werden kann" (Münkler 1988,240), und schon gar nicht aus dem logischen Begriff der Gewalt. Allerdings ist Clausewitz erst verhältnismäßig spät zur Vollkommenheit dieser Einsicht gekommen. Sie findet sich zum erstenmal in aller Klarheit in einem Brief vom 22. 12. 1827 an den Major i. G. von Roeder ausgesprochen, und Clausewitz hatte die Absicht, von ihr her das gesamte Werk umzuarbeiten. Entwickelt besagt diese Einsicht, daß der Krieg keineswegs, obwohl selbstverständlich sein gewalttätiger Charakter überhaupt nicht geleugnet werden kann, ausschließlich, ja noch nicht einmal in seiner entscheidenden Bestimmung von der Gewalt her verstanden werden kann. Clausewitz schreibt daher:

1 Das bezieht sich natürlich auf die Theorie des Krieges. 2 Die Fortsetzung lautet: "und wenn das (die Absetzung des Krieges vom politischen Verkehr, E.V.) geschieht, werden gewissermaßen alle Fäden des Verhältnisses zerrissen, und es entsteht ein sinn- und zweckloses Ding" (991). Die übliche Formulierung vom Krieg als "eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" findet sich in Buch I I (210).

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Ernst Vollrath "Wir dürfen uns also nicht verleiten lassen, den Krieg wie einen bloßen Akt der Gewalt und der Vernichtung zu betrachten und aus diesem einfachen Begriff mit logischer Konsequenz eine Reihe von Folgerungen zu ziehen, die mit den Erscheinungen der wirklichen Welt gar nicht mehr zusammentreffen, sondern wir müssen darauf zurückkommen, daß der Krieg ein politischer Akt ist, der sein Gesetz nicht ganz in sich selbst trägt, ein wahres politisches Instrument, was nicht selbst wirkt, sondern von einer Hand geführt wird. Diese Hand ist die Politik" (in 1980a, 1184).

Entlang der hier angezeigten Linie trifft Clausewitz jene Unterscheidung, die für sein reifes Denken in Bezug auf das kriegerische Phänomen konstitutiv ist: die Unterscheidung von absolutem Krieg und dem wirklichen Krieg. Diese Unterscheidung wird nur von dem hier Gesagten her verständlich. Clausewitz entwickelt sie im 1. Kapitel des I. Buches von Vom Kriege, von dem er ausdrücklich sagt, daß er es als das einzig vollendete Kapitel betrachten möchte. "Es wird wenigstens dem Ganzen den Dienst erweisen, die Richtung anzugeben, die ich überall halten wollte" (181). Von hierher beabsichtigte er, das ganze Werk umzuarbeiten, eine Absicht, die er wegen seines Todes am 16. 11. 1831 nicht zu verwirklichen vermochte. Clausewitz bestimmt hier den Krieg zunächst ausschließlich von der Gewalt her: "Der Krieg ist ... ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung meines Willens zu zwingen", "und es gibt in der Anwendung derselben - der Gewalt, E. V. - keine Grenzen" (194). Die aus dem Gegenhandeln als der beständigen Wechselwirkung der gegenseitigen Tätigkeiten aufbrechende Feindschaft steigert den Gewaltcharakter des Krieges bis ins Äußerste des absoluten Krieges. Aber ein solcher Krieg ist für Clausewitz ein bloßes irreales Gedankengebilde. "So findet in dem abstrakten Gebiet des bloßen Begriffs der überlegende Verstand nirgends Ruhe, bis er an dem Äußersten angelangt ist, weil er es mit einem Äußersten zu tun hat, mit einem Konflikt von Kräften, die sich selbst überlassen sind, und die keinen anderen Gesetzen folgen als ihren inneren; wollten wir also aus dem bloßen Begriffe des Krieges einen absoluten Punkt für das Ziel, welches wir aussetzen, und für die Mittel, welche wir anwenden sollen, ableiten, so würden wir bei den beständigen Wechselwirkungen zu Extremen geraten, die nichts als ein Spiel der Vorstellungen wären, hervorgebracht durch einen kaum sichtbaren Faden logischer Spitzfindigkeiten. Wenn man, fest an das Absolute haltend, alle Schwierigkeiten mit einem Federstrich umgehen und mit logischer Strenge darin beharren wollte, daß man sich jederzeit auf das Äußerste gefaßt machen und jedesmal die äußerste Anstrengung

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daran setzen müsse, so würde ein solcher Federstrich ein bloßes Büchergesetz sein und keins für die wirkliche Welt" (195 ff.).

Das ist nicht eigentlich deshalb der Fall, weil die kulturelle Entwicklung, auf die Clausewitz gleichfalls mehrfach hinweist, zu einer Mäßigung der Extremität der Gewalt geführt hätte. Der absolute Krieg müßte geführt werden bis zur vollständigen physischen Vernichtung des Feindes, d. h. bis zu seiner Ausrottung. Das war für Clausewitz noch nicht einmal denkbar, und zwar nicht deshalb, weil die Mittel zu einer solchen Ausrottung gar nicht zur Verfügung gestanden hätten oder kulturelle Hemmungen sich eingestellt hätten - wir sollten heute darüber wirklich belehrt sein! In dem schon einmal zitierten Brief an Roeder heißt es: "Je mehr die Politik von großartigem, das Ganze und sein Dasein umfassendem Interesse ausgeht, je mehr die Frage gegenseitig auf Sein und Nichtsein gestellt ist, um so mehr fällt Politik und Feindschaft zusammen, um so mehr geht jene in dieser auf, um so einfacher wird der Krieg, um so mehr geht er aus dem bloßen Begriff der Gewalt und der Vernichtung hervor, um so mehr entspricht er allen Forderungen, die man aus diesen Begriffen logisch entwickeln kann, um so mehr Zusammenhang einer Notwendigkeit haben alle seine Teile" (Clausewitz 1980a, 1185). Das scheint zu bedeuten, daß in diesem Fall der Krieg vollkommen mit der Gewalt und Vernichtung zusammenfällt. Clausewitz flihrt an der angegebenen Stelle auch fort: "Ein solcher Krieg sieht ganz unpolitisch aus und darum hat man ihn für den Normalkrieg gehalten. Aber offenbar fehlt das politische Prinzip hier ebensowenig als bei anderen Kriegen, nur fällt es mit dem Begriff der Gewalt und Vernichtung ganz zusammen und verschwindet unserem Auge".

Aber trotz dieser starken Formulierung muß beachtet werden, daß sich 'Vernichtung', 'Feindschaft' und 'Gewalt' auf die staatliche Existenz des Gegners, nicht auf seine physische beziehen. Auch dann handelt es sich noch um etwas Politisches. Nur der Ausrottungskrieg wäre etwas gänzlich Unpolitisches. Clausewitz ist kein Denker der totalen Feindschaft, und selbst das in seiner 'Bekenntnisdenkschrift' von 1812 anklingende existentielle Verständnis des Krieges (s. Münkler 1988) bleibt staatlich gebunden, und niemals, auch nicht in der Situation von 1812, wäre Clausewitz auf den Gedanken gekommen, wie Ludendorff die Politik als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln zu begreifen (Ludendorff 1935; Wehler 1969) oder wie Frantz Fanon der Gewalt schöpferische Kraft zuzutrauen (1969). Er hätte darauf geantwortet,

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was er der Idee des absoluten Krieges - dieser 'logischen Träumerei' - entgegen gehalten hat: "Wird dies jemals in der Wirklichkeit auch so sein?" (1980a, 196). Sein Denken bleibt auch dann am Staat orientiert, wenn er in existentieller Emphase redet. Bei Clausewitz findet sich eine Stelle, an der er die Unabgeschlossenheit selbst des kriegerischen Aktes und seines Resultates, der Niederwerfung des feindlichen Willens, d. h. die Wiedereröffnung des Gegenhandeins, ausdrücklich formuliert. "Endlich ist selbst die Totalentscheidung eines ganzen Krieges nicht immer für eine absolute anzusehen, sondern der erliegende Staat sieht darin oft nur ein vorübergehendes Übel, für welches in den politischen Verhältnissen späterer Zeiten noch Abhilfe gewonnen werden kann" (199).3 Und er bekundet die Rückwirkung auf die gegenwärtige Aktion: "Wie sehr auch dies die Gewaltsamkeit der Spannung und die Heftigkeit der Kraftanstrengung mäßigen muß, versteht sich von selbst" (199). Nur die vollständige physische Vernichtung, d. h. die Ausrottung des Feindes, könnte letztlich verhindern, daß sein Gegenhandeln sich wieder aufrichtet. Aber könnte sie auch verhindern, daß sich überhaupt anderes Gegenhandeln wieder erhebt? Das ist nur denkbar, wenn überhaupt alles Gegenhandeln durch Vernichtung abgeschafft werden könnte. Die vollständige Ausschaltung des anderen Gegenhandelns wäre nur möglich als vollständige physische Vernichtung alles Gegenhandeins. Aber das würde bedeuten, daß das Handeln selbst nicht weiter mehr möglich, weil nicht mehr erforderlich, wäre. Der Sinn der Formel vom Primat der Politik - oder des Politischen - ist nicht nur der einer Bändigung des Krieges und der Gewalt durch ihre Instrumentalisierung, das ist er auch, sondern hinzukommend und sogar begründend die Erhaltung des gegenhandelnden Pluralitätscharakters des Handeins als der Bedingung der Wirklichkeit des Handeins überhaupt. Die absorptive Identifikation des Krieges mit der Gewalt würde auf eine Selbstzerstörung der Gewalt und die Abschaffung des Handelns hinauslaufen. So sagt ja auch Aristoteles, daß, wer das polemein, das Kriegführen, also eine Tätigkeit von der Art der Praxis im von Poiesis unterschiedenen Sinn, um willen des

3 Möglicherweise ist das im Rückblick auf die existentielle Situation von 1812 gesagt.

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Kriegführens betreibt, ganz und gar blutrünstig (pantelos miaiphonos, die stehende Kennzeichnung des Ares in der 'Ilias') sei (NE X 7, 1177b 10).4 Man wird sagen können, daß die von Hannah Arendt vorgenommene schroffe Differenzierung von Macht und Gewalt (1970) einen Begriff des Politischen intendiert, der nicht - wie der traditionell im deutschen Kulturkreis vorherrschende - vom 'Monopol auf legitime physische Gewalt' (Max Weber) her bestimmt ist (und ebenso nicht herrschaftskategorial verfaßt ist), wobei sie nicht zwischen 'Politik' und 'dem Politischen' unterscheidet. Mit einem solchen Verständnis des Politischen läßt sich das von Clausewitz durchaus zusammenbringen. Auch sein Politikverständnis ist so verfaßt, daß gerade der Krieg nicht in den Begriff des Politischen aufgenommen ist, sondern die Politik den Krieg und die Gewalt bestimmt, um zu verhindern, daß die Gewalt und der Krieg in den Begriff des Politischen eindringen. Die Konsequenz aus seinem Verständnis des Verhältnisses von Politik und Krieg/Gewalt ist, daß Clausewitz zu sagen vermag: "Läßt man diesen Einfluß des politischen Zweckes auf den Krieg einmal zu, wie man ihn denn zulassen muß, so gibt es keine Grenze mehr, und man muß sich gefallen lassen, bis zu solchen Kriegen herunterzusteigen, die in bloßer Bedrohung des Gegners und in einem Subsidium des Unterhandelns bestehen" (1980a, 989). Der Krieg oder die Bedrohung mit der bewaffneten Gewalt, nämlich um zu verhindern, daß ein feindlicher Wille den unseren zur Unterwerfung unter sich zwingt, ist nur der extreme Fall einer allgemeinen Struktur des Handeins, die hier als das Gegenhandeln identifizert worden ist. Auch die Abschaffung des Krieges würde diesen Charakter des Handeins nicht aus der Welt schaffen, weil er in die Vernunftstruktur des Handeins selbst gehört. Wenn das so ist, dann kann auch nur unter Wahrung dieser Bedingung, also durch Politik, die von dieser Bedrohung weiß, die Anstrengung gelingen, den wirklichen Krieg auszuschalten - nicht aber durch eine noch so gut gemeinte Theorie. Die fundamentale Struktur des Gegenhandelns gehört zu allem Handeln hinzu, sofern sie in die vernunfthafte Bedingungsstruktur des Handeins gehört. Am kriegerischen Akt kommt sie nur deutlicher und entschiedener zum Vor4 Es genügt nicht, die Aristotelische Differenzierung zweier Tätigkeitssorten, der Praxis und der Poiesis, im 1. Buch der 'Nikomachischen Ethik' sich vorzunehmen!

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schein, weil hier ihre Vernachlässigung augenblicklich katastrophale Folgen haben würde. Aber ihre Eliminierung aus dem Handlungsgeschehen würde das Handlungsphänomen selbst zum Verschwinden bringen. Keine Theorie kann den Anspruch erheben, mit dem Handeln befreundet zu sein, die diesen fundamentalen Grundcharakter allen Handeins außer acht läßt. Theorie, die sich ausschließlich auf die universalen, apriorischen, apodiktischen und auto-reflexiven Konstitutionsprinzipien von Theorie, also ihrer selbst, einläßt, prägt diese Charaktere dem Handlungsphänomen auf - und verfehlt es aus diesem Grunde! Das wird noch deutlicher an einem anderen phänomenalen Grundcharakter des Handeins, der mit dem pluralen Gegenhandeln aufs engste zusammengehört. Clausewitz nennt ihn 'Friktion'. "Friktion ist der einzige Begriff, welcher dem ziemlich allgemein entspricht, was den wirklichen Krieg von dem auf dem Papier unterscheidet" (1980a, 262). Wiederum kann der kriegerische Akt als der exemplarische Fall genommen werden, an dem ein Charakter sichtbar wird, der allem wirklichen Handeln zu eigen ist, bei ihm in seiner Normalität allerdings vernachlässigbar erscheint. Der Ausdruck 'Friktion' stammt ursprünglich aus der Medizin, wo er das Einreiben eines Körpers mit Öl oder einem sonstigen Mittel bedeutet. Von hier wird er in die Physik übertragen: die Reibung einer gleitenden Bewegung an ihrer Hemmung. Clausewitz verwendet ihn anscheinend zum ersten Mal gar nicht in spezifisch militärischer Bedeutung, sondern um die politischen Schwierigkeiten zu bezeichnen, denen Scham horst 1806 im Preußischen Hauptquartier während des Preußisch-Russischen Krieges gegen Napoleon ausgesetzt war, der in der vernichtenden Niederlage Preußens in den Schlachten von Jena und Auerstedt kulminierte. 5 'Friktion' ist ein Kontingenzbegriff. Die traditionelle Lehre vom Handeln war seit Aristoteles stets vom kontingent-partikularen Charakter des Handlungsphänomens ausgegangen, und diese Charaktere haben die alteuropäische Theorie - bei Aristoteles selbst ist das praktische Wissen bekanntlich wegen dieser Charaktere kein theoretisches Wissen - bis in die Neuzeit bestimmt. Zugehörig waren zwei weitere Lehrstücke. Es handelt sich einmal um die Lehre von den Circumstantien, den Umständen (Bien 1970, 1019 ff.; Gründel 1963). 5 Brief vom 29. September 1806 an die Braut Maria Gräfin Brühl (Schwartz 1878, Bd. I, 225).

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Keine konkrete Handlung findet außerhalb ihrer mannigfachen, sie bedingenden Umstände statt. Solche Situativität ist ein phänomenaler Charakter alles wirklichen Handeins. Eine Theorie, die den situativen Charakter des Handeins außer acht läßt, kann nicht mit dem Handeln befreundet sein. Der extreme Fall einer solchen Theorie wäre gegeben, sofern Theorie gemäß ihren eigenen Konstitutionsprinzipien der Universalität, Apriorität, Apodiktizität und Auto-Reflexivität eine Situation aller Situationen zu konzipieren unternimmt, die auf die Fiktion einer situationslosen aphänomenalen Praxis hinausläuft. Das zweite Lehrstück, welches in der Tradition des Nachdenkens über das Phänomen des Handeins weit weniger klar ausgearbeitet worden ist, ist das vom 'Glück', von der Tyche und der Fortuna, als einem Element allen menschlichen Handeins. Wenn es überhaupt, über seine Erörterung bei gewissen Autoren wie Polybios und Machiavelli hinaus, in den Blick genommen wird, dann unter solchen Kategorien wie 'Wahrscheinlichkeit' und 'Zufall', und auch das läßt sich auf Aristoteles zurückführen. Dieser ganze Komplex bricht zu Beginn der Neuzeit unter dem Horizont des objektivistischen Theoriekonzepts zwar nicht vollständig, aber doch weitgehend zusammen. Beiläufig: die Orte, an denen er weiter präsent ist, sind die Disziplinen von Jurisprudenz und Rhetorik, beide ja in einem Konkurrenzverhältnis zu 'Philosophie' stehend, was die Auslegung des menschlichen Handelns anbelangt. Bei Clausewitz finden sich alle diese Konzepte von 'Umstand', 'Zufall', 'Wahrscheinlichkeit', 'Glück' etc. wieder. Sie werden immer wieder mit dem Handlungsphänomen in seiner Konkretheit zusammengebracht, und folgerichtig ist sein Theorieverständnis gänzlich von der Akzeptierung dieser phänomenalen Charaktere des Handeins bestimmt. Alle diese Konzepte versammeln sich im Konzept der 'Friktion'. In diesem Ausdruck faßt Clausewitz die situative und kontingente Partikularität alles Handeins, d. h. des Handeins selbst in seiner konkreten Phänomenalität. Gegen die abstrakten Objektivitätstheorien von Praxis, gleich welcher Art sie sein mögen, die ihm vor allem in den diversen Militärdoktrinen seiner Zeit begegneten, stellt Clausewitz die konkrete Phänomenalität des Handeins wieder her, und dazu dient ihm das Konzept der 'Friktion'.

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'Friktionen' treten zunächst aus der Äußerlichkeit der Situationen auf. "Ein solcher Zufall ist z. B. das Wetter. Hier verhindert der Nebel, daß der Feind zu gehöriger Zeit entdeckt wird, daß ein Geschütz zur rechten Zeit schießt, daß eine Meldung den kommandierenden Offizier findet; dort der Regen, daß ein Bataillon ankommt, daß ein anderes zur rechten Zeit kommt, daß es statt drei vielleicht acht Stunden marschieren muß, daß die Kavallerie wirksam einhauen kann, weil sie im tiefen Boden stecken bleibt usw." (1980a, 262). Durch keinen Aufwand an Technik kann das Friktionsphänomen vollständig beseitigt oder auch nur kontrolliert werden. Aber die situative Friktionalität der äußeren Umstände ist von wirklichem Belang nur deshalb, weil sie auf ein Gegenhandeln bezogen ist, weshalb sie eben an der kriegerischen Aktion deutlicher in Erscheinung tritt als beim 'normalen' Handeln. Sie trifft aber selbstverständlich auch für dieses zu, auch dann, wenn sie keine folgenreiche Bedeutung für das 'normale' Handeln hat und daher, aber auch nur daher, übersehen werden kann. Es ist offensichtlich, daß nicht nur bei der kriegerischen Aktion, wenn auch bei dieser in gesteigertem Maße, der Sog des Friktionsphänomens in das Handlungsgeschehen einbrechen kann. Gänzlich folgenlose Handlungen sind Spielhandlungen - und noch nicht einmal die sind es! Das Friktionsphänomen und das Phänomen des Gegenhandelns sind auf das engste miteinander verknüpft: sie bilden phänomenal eine Einheit. Kein Handeln verfügt über die situative Friktionalität und damit über das andere Gegenhandeln so, daß es auf Grund eigener Kausalität darüber Herr, und schon gar nicht der absolute Herr zu werden vermöchte: so weit geht sein 'Können' gerade nicht und niemals. Damit ist verbunden, daß es stets Gegenhandeln als ein Handeln geben kann, solange es überhaupt Handeln gibt. Die situative Friktionalität ermöglicht immer wieder Handeln als Gegenhandeln, und kein Handeln - und schon gar nicht Theorie - ist, um den Preis der eigenen Vernichtung, imstande, Gegenhandeln, also Handeln, vollständig auszuschalten. Von dem mit dem Friktionsphänomen so zusammengehenden Phänomen des Gegenhandelns her eröffnet sich, was Handeln überhaupt ist, und die Haupteinsicht muß lauten: Handeln ist immer nur Handeln, nicht mehr und nicht weniger, oder: kein Handeln ist weniger Handeln als anderes Handeln.

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Wenn Friktionsgeschehen und Gegenhandeln in ihrer gegenseitigen Verflochtenheit in das Bedingungsgeflecht konkreten Handeins so hineingehören, daß sie dessen Wirklichkeit zu begründen vermögen, dann muß in Bezug auf das Handlungsphänomen eine Uminterpretation vorgenommen werden. Traditionellerweise - nämlich seit Aristoteles - gilt die dem Bereich der Praxis zugeordnete Kontingenz als ontologisch inferior gegenüber dem Bereich substantieller Beständigkeiten (und folglich ist im alteuropäischen Entwurf das praktische Wissen keine Theorie!). Wollte man den Versuch machen, um Willen der Leugnung oder Abstreifung des Kontingenzcharakters wirklichen Handelns die Universalität, Apriorität und Apodiktizität von Theorie durch deren Auto-Reflexivität auf das Handlungsphänomen zu übertragen - das ist der Weg, den die Theorie der Praxis in der Neuzeit eingeschlagen hat - , dann versieht man sich sowohl an der Phänomenalität als auch an der Konkretheit des wirklichen Handeins. Die Akzeptierung des friktionalen Gegenhandelns als der Bedingung wirklichen Handeins läßt nicht zu, daß solche Kontingenz nur als ein geringerer, und das heißt letztlich zu beseitigender Charakter des Handeins angesehen werden darf. Er macht gerade die phänomenale Eigenständigkeit des Handeins in seiner Konkretheit gegenüber aller Theorie und ihrem Übertrag ihrer eigenen Charaktere auf die Praxis aus. Für eine Theorie der Praxis besagt das, daß sie ihren Wirklichkeitsstatus auf eben die Akzeptierung der eigenständigen Phänomenalität des Handeins gründen muß, und das vermag wiederum nur eine Theorie, die ihre Prinzipien von der reflektierenden Urteilskraft her genommen hat, weil die reflektierende Urteilskraft selbst Momente eines Handelns - des Ur-teilens - an sich hat und daher mit dem Handeln befreundet ist. Läßt man alle diese Einsichten in die phänomenale Struktur des Handeins beiseite, dann fällt das von Clausewitz identifizierte Handlungsphänomen unter die Sorte des strategischen Handeins aus bloßer Zweckrationalität. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß wegen des synthetischen Charakters des ganzen Handlungsphänomens eine Sortierung von Handlungstypen, wenn überhaupt, dann nur analytisch einen Sinn macht. Eine Diskriminierung gegenüber einer wertvolleren oder sonstwie ausgezeichneten anderen Handlungssorte läßt sich phänomenal jedenfalls damit nicht erreichen.

In der Tat geht Clausewitz von seinen ersten militärtheoretischen Schriften an - der sogenannten 'Strategie von 1804' und dem 'Anti-Bülow' von 1805 vom Zweck-Begriff und dem Verhältnis von Zweck und Mittel aus (Schössler

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1991, 79 ff.). Er venneidet aber gerade den technizistisch-objektivistischen Reduktionismus, der zumeist mit diesen Kategorien verbunden ist; und das ist angesichts seines Handlungsverständnisses auch nicht verwunderlich. In der reifsten Gestalt finden sich seine Gedanken in Vom Kriege, und zwar vor allem in dem 2. Kapitel des 1. Buches 'Zweck und Mittel', das aber im Zusammenhang mit dem 1. Kapitel des 1. Buches gelesen werden muß, dem nach der Selbstaussage von Clausewitz einzig vollendeten, auf das das 2. Kapitel ausdrücklich hinweist. Es steht also zu vennuten, daß auch dieses 2. Kapitel weitgehend schon als vollendet betrachtet werden kann. Die Zuordnungsverhältnisse von Zweck, Ziel und Mittel im Handlungsphänomen werden von dem her bestimmt, was Clausewitz 'Politik' nennt. Ausgang ist der reine logische Begriff des Krieges als eines Aktes der Gewalt. Von hier her betrachtet sind der Krieg und die Gewalt für Clausewitz Mittel, und "niemals kann das Mittel ohne den Zweck gedacht werden" (1980a, 210). Der nähere Zweck des Einsatzes dieser Mittel - das Ziel, wie sich Clausewitz ausdrückt - ist das Wehrlosmachen des Gegners; seine Streitkräfte sollen "in einen solchen Zustand versetzt werden, daß sie den Kampf nicht mehr fortsetzen können" (215), er also seinen Willen nicht mehr gegen den meinen durchzusetzen vennag. Diesem Ziel sind alle kriegerischen Mittel, die sich schließlich im Begriff des Gefechts zusammen fassen lassen, zugeordnet. Auch dieses Ziel des näheren Zwecks ist noch ein Mittel, ein Mittel zu jenem Zweck, den Clausewitz den politischen Zweck nennt. Aber der politische Zweck ist nicht einfach so zu bestimmen, daß der Krieg und aller MitteIgebrauch durch bloße Subsumtion zugeordnet werden könnten. Es handelt sich nicht einfach um eine Anwendungsproblematik! Die Fonnel vom Krieg als der Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln - und die ähnlich lautenden Formeln - besagen nicht, daß nun ein rein technizistisch-instrumentelles Verhältnis zwischen der Politik und dem Kriege vorwaltet, obwohl der Krieg nichts anderes ist als ein Mittel. Vielmehr schlägt der politische Zweck auf den Krieg als ein Mittel zurück, und die einzige Warnung, die Clausewitz bezüglich des Einflusses der Politik auf die Kriegführung ausspricht, ist die, "daß die Richtungen und Absichten der Politik mit diesem Mittel- d. h. mit dem des Krieges, E. V. nicht in Widerspruch treten" (210). Folglich kommt es darauf an zu bestimmen, was Clausewitz unter 'Politik' versteht. Das Politikverständnis von Clausewitz ist an der Kategorie des Staates orientiert: wie könnte es auch anders sein!6 Die

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politische Wahrnehmung im deutschen Kulturkreis ist traditionellerweise sowohl in der affirmativen Variante als auch in der negativ-kritischen Variante auf den Begriff des Staates zentriert. Das fällt überhaupt erst dann in den Blick, wenn man den Typus der politischen Wahrnehmung in Deutschland mit dem im anglo-amerikanischen Kulturkreis vergleicht. Dort ist jedenfalls 'Staat' nicht die Leitkategorie. Clausewitz teilt auch die vorherrschende realpolitische Perspektive auf den real existierenden Staat. Man darf dies jedoch nicht so auslegen, als hätte sich Clausewitz der vulgären Auslegung dieser realpolitischen Perspektive angeschlossen. Einer der besten Kenner der politischen Ansichten von Clausewitz, Peter Paret, kann das so kennzeichnen: "Clausewitz held differing views of the state at different times in bis life, but usually it was the power of the central agencies and the effectiveness of the state's institutions that mattered most to hirn" (Paret 1976,6). Sein Denken in Bezug auf die Kategorie des Staates unterscheidet sich jedoch in einem entscheidenden Punkt von dem vieler anderer. Es gibt eine starke Tendenz im politischen Denken im deutschen Kulturkreis, den Staat als eine abstrakte Persönlichkeit aufzufassen, die oberhalb ihrer Gesellschaft und ihr gegenüber sich aufstellen kann: der Staat an sich. Clausewitz war durch die Ereignisse der Französischen Revolution und deren Konsequenzen darüber belehrt worden, in der Absetzung des Staates von seiner Gesellschaft, darin, "daß sich die Regierung vom Volk trennte und sich als den Staat ansah" (1980a, 967), eine der Ursachen für die Katastrophe Preußens zu erkennen. In den 'Nachrichten über Preußen in seiner Katastrophenzeit' von 1824/25 schreibt er: "Aber wenn eine große Gesellschaft nicht bloß in sich ruhig fortleben, sondern als Staatsindividuum handeln soll, so sind zwei Dinge als Hauptursachen anzusehen ... Das eine ist die Wirksamkeit der Regierungsmaschine, wodurch die Menge zur Einheit wird, und das andere der Geist des Volkes, welcher diesem Ganzen Leben und Nervenkraft gibt. Die Regierungsmaschine war ... ein zusammengetrocknetes, verfallenes, den Bedürfnissen der Zeit und des Augenblicks gar nicht entsprechendes Ding;

6 Zum Politikverständnis von Clausewitz: Rothfels 1920; Wei11955; Schmitt 1967; Aron 1976; Aron 1980; Paret 1976; Paret 1983; Vollrath 1986.

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Ernst Vollrath der Geist des Volkes aber konnte nicht anders als großen Ereignissen entfremdet und großen Anstrengungen entwöhnt sein" (Clausewitz 1922, 215 ff.).

Von diesen Einsichten her entwickelt Clausewitz ein umfassenderes und offeneres Politikverständnis. Es spricht sich so aus: "Daß die Politik alle Interessen der inneren Verwaltung, auch die der Menschlichkeit, und was sonst der philosophische Verstand zur Sprache bringen könnte, in sich vereinigt und ausgleicht, wird vorausgesetzt; denn die Politik ist ja nichts an sich, sondern ein bloßer Sachwalter aller dieser Interessen gegen andere Staaten ... (W)ir können hier die Politik nur als Repräsentanten aller Interessen der ganzen Gesellschaft betrachten" (1980a, 993). Von diesem offenen Politikbegriff her wollte er die Abstraktion der 'Regierung' vom Volk verringern und beide in ein organischeres Verhältnis setzen. Wie allen Refonnern ist ihm der endgültige Erfolg versagt geblieben, zumal er unter den Refonnern der mit dem geringsten Einfluß und Mitglied eines Standes und ,einer Kaste war, deren Schwächen er sehr wohl erkannt hatte. Dieser Politikbegriff diente Clausewitz auch dazu, im Verhältnis von Mittel, Ziel und Zweck einen Ordnungszusammenhang zu entwerfen, der nicht durch technizistische Subsumtion auszufüllen ist, sondern der Urteilkraft bedarf, die sich dieses Politikbegriffs bedient, in welchem letztlich ein Verfassungskonzept enthalten ist. Bei aller Ambivalenz und gewiß auch politischen Unerfahrenheit wird in diesem Politikverständnis ein Horizont entworfen, der dem verfassungs- und sozialpolitischen Urteilen und dann dem Handeln im ganzen, und so überhaupt allem Handeln, auch dem im Kriege, eine Richtung zu geben vennochte. In einem Brief vom 12. Oktober 1816 an den Gesinnungsgenossen Gneisenau spricht er von der "Constitutionsnoth, in der wir uns befinden" (Delbrück 1880, 152). Dieses offene Politikverständnis weist auf einen Verfassungsbegriff des Staates hin, der das Handeln nicht einfach wie eine technische Anweisung anleitet, sondern in dem so entworfenen politischen Horizont eine Urteilsregel im Sinne des 'Taktes des Urteils' und der (reflektierenden) Urteilskraft hergibt, an die sich das Handeln halten kann. Eine Handlungstheorie, die sich an den in dieser Regel enthaltenen und entworfenen Horizont hält, bleibt mit dem Handeln befreundet.

Das militärische Denken des Carl von Clausewitz in gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive Von Peter Marx und Eckart Pankoke

Clausewitz im Wüstenstunn - unter dieser Schlagzeile kommentierte Anfang des Jahres 1991 die Alternativzeitung TAZ den Aufmarsch der Amerikaner zur Operation 'Desert Storm'. Andere Zeitungen reagierten ähnlich: immer wenn militärische Spannung die Welt in Atem hält, vergewissern wir uns bei diesem Vordenker des preußischen Generalstabs. Mit gutem Grund und praktischem Gewinn, denn Clausewitz, der aus dem revolutionären Umbruch der europäischen Machtbalance die Konsequenz zog, daß Krieg nur das letzte Mittel von Politik sein könne, hat in die politische und militärische Strategie eine neue Modernität des systembildenden und systemsteuernden Denkens eingeführt. Doch gerade die bleibende Aktualität seiner Sicht von 'Krieg und Frieden' im praktischen Interesse moderner Kriegführung, aber auch moderner Friedenspolitik verstellt den Blick darauf, daß die Turbulenz und Komplexität kriegerischer Felder für Clausewitz zur produktiven Herausforderung wurden, das Beobachten von Wirklichkeit und Gestalten von Welt auf neue theoretische Grundlagen zu stellen. So entdecken wir seine Schriften heute neu als Schwellentexte für eine neue Verbindung von Handlungstheorie und Systemdenken.

A. Krieg und Revolution Der Erfahrungshintergrund für Clausewitz war die Betroffenheit durch den Zusammenbruch des alten Machtapparats des friderizianischen Rationalismus durch die neue Dynamik einer revolutionären Mobilisierung von Volksmassen und ihrer Einbindung in die napoleonische Kriegführung. Der unbedingte An-

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spruch eines messianischen Sendungsbewußtseins, die ganze Welt zu 'befrieden', d.h. zu republikanisieren, löste den Krieg aus der Bindung an die alteuropäische Völkerrechtsordnung. Die Revolution gebar den internationalen Bürgerkrieg, die Verbindung von Revolution und Krieg, von »war abroad and war of c1asses« (Karl Marx). Die Idee des 'ewigen Friedens' verkehrte sich zur missionarischen Kreuzzugsideologie, zur affirmativen Legitimationstheorie des republikanischen Frankreich. Der Antrieb der Menschheitsbeglückung aus einem übersteigerten Nationalgefühl heraus mußte den Krieg zum Glaubenskrieg radikalisieren. In einem 'ideologisierten' und 'demokratisierten' Krieg kann es nur um Sein oder Nichtsein gehen: Alle politischen und wirtschaftlichen Ressourcen müssen in die Waagschale geworfen werden; der Krieg wird total. Das der Bürgerkriegsmentalität entsprechende Heer konnte nur ein Nationalheer sein. Es mußte allerdings dem revolutionären Frankreich fast aufgezwungen werden. Die per Dekret vom 23. August 1793 eingeführte allgemeine Wehrpflicht oktroyierte eine neue Art von Kriegführung, die von immer größeren Massen an Kombattanten, aber auch von immer größeren Rüstungsanstrengungen bestimmt war, so daß schließlich die gesamte Bevölkerung aktiv am Krieg beteiligt war (s. Howard 1981, 108 f.). Die Defensivmotivation, sich die revolutionären Errungenschaften von den reaktionären Kräften der Koalition nicht nehmen zu lassen, verwandelte sich rasch in ein unverkennbar nationales Überlegenheitsgefühl. Wie im Ketzerrecht, in dem der Falschgläubige als Feind der universalen Ordnung verurteilt wurde, wird im Weltbürgerkrieg der Feind nicht mehr als justus hostis anerkannt, sondern als Verbrecher diskriminiert (Schmitt 1988, 234 ff., 298 ff.). Der Krieg soll nicht mehr den vor Kriegsausbruch herrschenden Frieden wiederherstellen, sondern einen völlig neuen 'ewigen Frieden' schaffen: Wer sich diesem Ziel widersetzt, gilt als Feind des genre humain und muß vernichtet werden - im Namen der Humanität, der Revolution, wahrer Zivilisation und echten Fortschritts: »Das Problem des gehegten Krieges soll gelöst werden, indem der totale Krieg begonnen wird. Das Problem des Freund-Feind-Verhältnisses wird durch die reine Freund-Theorie gelöst, die sich verwirklicht, indem man den Feind abschafft« (Schnur 1983, 31; s. auch Ritter 1954, 60 ff.). Es ist die Erfahrung jener extremen, 'absoluten' Gestalt des Krieges, welche die zeitgenössische Kriegstheorie vor neue Herausforderungen stellt: »Ohne

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diese warnenden Beispiele von der zerstörerischen Kraft des losgelassenen Elements würde sie sich vergeblich heiser schreien, niemand würde für möglich halten, was jetzt von allen erlebt ist«, merkt Clausewitz (1973, 995) im Achten Buch Vom Kriege an. Das Moment »absoluter Feindschaft« expliziert er in dem berühmt gewordenen Brief an den Major von Roeder vom 22. Dezember 1827: »Je mehr die Politik von großartigem, das Ganze und sein Dasein umfassendem Interesse ausgeht, je mehr die Frage gegenseitig auf Sein und Nichtsein gestellt ist, um so mehr fallt Politik und Feindschaft zusammen, um so mehr geht jene in dieser auf, um so einfacher wird der Krieg, um so mehr geht er aus dem bloßen Begriff der Gewalt und Vernichtung hervor, um so mehr entspricht er allen Forderungen, die man aus diesen Begriffen logisch entwickeln kann, um so mehr Zusammenhang einer Notwendigkeit haben alle seine Teile. Ein solcher Krieg sieht ganz unpolitisch aus und darum hat man ihn für den Norma1krieg gehalten. Aber offenbar fehlt das politische Prinzip hier ebensowenig als bei anderen Kriegen, nur flillt es mit dem Begriff der Gewalt und Vernichtung ganz zusammen und verschwindet unserem Auge.« (Clausewitz 1979, 498 f.)1 »Ich (... ) habe alle die hergebrachten militärischen Meinungen und Formen, unter denen ich groß geworden bin, nun in dem schnellen Strom der Ereignisse zusammenbrechen sehen«, resümiert der junge Offizier seine Erfahrungen schon 1809 in einem anonym publizierten Schreiben an Fichte: Ein ungenannter Militär an Fichte, als Verfasser des Aufsatzes über Machiavell im ersten Bande der Vesta. (Datierung 'Königsberg, d. 11. J. 1809').

Clausewitz (1979, 160) nimmt die Auseinandersetzung mit Fichtes Machiavelli-Aufsatz zum Anlaß, den 'kriegerischen Geist' des Zeitalters revolutionärer und nationaler Bewegung von älteren Mustern einer teils handwerklichen, teils mechanistischen Kriegskunst abzusetzen: »Unsere (die deutsche) Kriegskunst ist im Verfall, das ist keinem Zweifel unterworfen; sie muß von einem andern Geist beseelt werden, wenn sie uns dienen und die Mühe, die Anstrengung, die Aufopferungen belohnen soll, die ein jeder Krieg fordert.«

Als Mitarbeiter am Reformwerk Scharnhorsts stand dem Absolventen der Berliner Akademie für junge Offiziere die Rückständigkeit der preußischen Armee, die nach dem Wort der Königin Luise auf den Lorbeeren Friedrichs des 1 Clausewitz (1979, 498 f.) bestimmt den Begriff des Krieges vom Extrem des "absoluten Krieges" als eines Grenzfalls; "absoluter Krieg" definiert die 'obere Grenze' des Umfangs, den der Begriff des Krieges annehmen kann; bei Clausewitz ist er "Richtpunkt" und "Maß" für alle "wirklichen Kriege"; dagegen: Aron 1976, 300, für den der "absolute Krieg" ein Abstraktum bleibt. 6 a._witz-Kolloquium

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Großen eingeschlafen war, deutlich vor Augen: Ihre Funktionstüchtigkeit war allein durch rigorose Disziplin und scharfen Drill aufrechtzuerhalten. Die soldatische Motivation der Mannschaften beruhte nicht auf Loyalität oder Ehre oder gar auf Patriotismus; lediglich die Furcht vor drakonischen Strafen disziplinierte das Verhalten vor allem der Ausländer, die wenig zu verlieren hatten und bei jeder günstigen Gelegenheit zu desertieren drohten (s. Jany 1967, 50 ff.): »Man lernte marschieren und in strenger Formation und unter der wachsamsten Aufsicht der Offiziere kämpfen. Man konnte keine Fouragierzüge oder kleinere Kampfeinheiten vorausschicken, da die Gefahr der Fahnenflucht offenkundig größer war als die Bedrohung durch den Feind« (Rothfels 1980, 266). Die Ausländer stellten in Friedenszeiten, abgesehen von den zwei Manövermonaten im Frühjahr, in denen die Truppe komplett war, etwa 80% der Mannschaft, während die Inländer beurlaubt wurden, um an ihren Heimatorten ihrem Beruf nachzugehen. Gegen die als Altlast kritisierte »Ausartung der Kriegskunst in kleinliches Handwerkswesen« fordert Clausewitz (1979, 162) eine neue Kunst der Führung, die es versteht, den »Geist des Krieges« in 'Begeisterung' umzusetzen: »Man soll also nicht mit der Form, sondern mit dem Geiste anfangen und sicher erwarten, daß dieser die alten Formen selbst zerstören und in angemessenem wirken werde. Dieser wahre Geist des Kriegs scheint mir darin zu bestehen, daß man die Kräfte jedes Einzelnen im Heere so viel wie möglich in Anspruch nimmt und ihm eine kriegerische Gesinnung einflößt, damit so das Kriegsfeuer alle Elemente des Heeres durchglühe C.. ). Weit entfernt also, daß die Kriegskunst der Neuern die Tendenz haben sollte, die Menschen als bloße Maschinen zu gebrauchen, muß sie, so gut als jede andere, so weit es ihr die Natur ihrer Waffen erlaubt, die individuellen Kräfte beleben ( ... ) und nicht, wie dies zumal im 18ten Jahrhundert die Tendenz gewesen ist, das Ganze zu einer künstlichen Maschine bilden wollen, worin die moralischen Kräfte den mechanischen untergeordnet werden (... ). Daß man durch Belebung der individuellen Kräfte unendlich mehr gewinnt als durch künstliche Formen, zeigt die Geschichte fast aller bürgerlichen Kriege und vorzüglich der französische Revolutionskrieg. «

In seiner Erläuterung verweist Clausewitz (1979, 163) darauf, daß die neuen Führungsprinzipien aus den Möglichkeiten einer moderneren Waffentechnik die organisatorischen Konsequenzen zögen: Während die Phalanx der Alten die massenbildende Unterwerfung unter die Disziplin erforderte, würde die Erfindung leichter Handfeuerwaffen es möglich machen, daß die kämpfenden Einheiten »bis zum Vereinzeln klein werden.« Diese Auflösung der Massen und Apparate in leichte Truppen und kleine, eigendynamische Einheiten gilt »na-

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mentlich in dem schönsten aller Kriege, den ein Volk auf seinen eigenen Fluren um Freiheit und Unabhängigkeit führt.« Doch gerade für dieses »enthusiastische Vordringen« bis hin zum Einzelund Nahkampf wird der technische Vorteil moderner Feuerwaffen nur wirksam, wenn die Kämpfenden in ihrem Engagement auch institutionell ernst genommen werden: Im Rückblick auf die römische Wehrverfassung, die den Legionären das römische Bürgerrecht gab, verweist Clausewitz (1979, 164 f.) auf den Zusammenhang von strategischer und moralischer Führung: »Der bürgerliche Zustand ist Sache der Erziehung und Verfassung, (... ) der zweckmäßige Gebrauch des Kriegsstoffes ist Sache der Kriegskunst. Wenn also in dieser das obige Prinzip befolgt wird und man seinem Heer die höchste Einfachheit in der Zusammenstellung giebt C.. ); wenn also die Kräfte des ganzen Heeres mehr entwickelt werden, so wird bald C.. ) der kriegerische Sinn, welcher aus andem, z.B. politischen Ursachen schon im einzelnen vorhanden war, nicht im Heere durch das Zusammentreffen in eine große Maschine erstickt werden, wie meistens bisher geschah. Dann werden Vorurteile in Rücksicht auf Waffen und allgemein auf Fonnen von selbst zu Grunde gehen; denn in jeder Kunst ist ja der natürliche Feind aller Manier der Geist. Ich bekenne, daß ich eine sehr hohe Vorstellung einer solchen Kriegsart habe, in welcher kriegerische Tugend das ganze Heer in seinen kleinsten Teilen belebt, und in der das Hauptbestreben der Kunst in der vollkommensten Benutzung dieser kriegerischen Tugend besteht, und daß ich glaube, sie werde jede andere Kriegskunst, ein wie vollkommenes Produkt des Verstandes sie auch wäre, überwältigen, nicht zu gedenken, daß sie ihrer Natur nach sich der vollkommensten Form am meisten nähern würde.«

Ansätze zur Einführung des modernen Tirailleursystems, also einer aufgelockerten, auf den einzelnen Soldaten abgestellten Gefechtsweise, der die französischen Revolutionsheere und dann vor allem Napoleons den durchschlagenden Erfolg verdankten, waren während der Rheinfeldzüge der Jahre 1793 bis 1795 erkennbar. Die Prinzipien einer im geschlossenen Verband operierenden, in Reih und Glied kämpfenden Armee hatten sich in der ungewohnten Geländesituation des Pfälzer Waldes nicht anwenden lassen (Jany 1967, 305 ff.). Der neuen Fechtweise suchte das absolutistische Heeressystem durch Veränderungen seiner Organisation, Taktik und Ausbildung zu begegnen, soweit die preußische Staats- und Heeresverfassung es erlaubte (Kessel 1933). Indessen ließ sich eine derartige Kriegführung basierend auf einer Allzweckinfanterie neuen Typs mit dem altpreußischen Kantonssystem, das auf der Zuweisung eines bestimmten Werbebezirks für jedes Regiment beruhte, nicht verwirklichen, sondern nur durch Einführung der allgemeinen Wehr6·

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pflicht. Hierzu mußten die entehrenden Strafen für die Mannschaften abgeschafft und das Adelsprivileg der Offiziersstellen zumindest grundsätzlich aufgegeben werden. Zu einem derart radikalen Schritt war die preußische Monarchie vor der militärischen Katastrophe von 1806 nicht bereit.

B. »Revolution von oben« Es ist also das Ancien regime in seiner Widersprüchlichkeit und Rückwärtsgewandtheit, von dem Clausewitz die notwendige Anpassung an die Verhältnisse im nachrevolutionären Europa fordert. Alle Reformansätze auf den Gebieten des Rechtswesens, der Verwaltung, der Wohlfahrtspflege und der Armee waren rasch an die Grenzen des absolutistischen Ständestaats gestoßen. 2 Die Proklamation des Stadtgouverneurs von Berlin General Graf v. d. SchulenburgKehnert vom 17. 10. 1806, daß Ruhe jetzt die erste Bürgerpflicht sei, enthüllt deutlich den Zusammenhang von Staats- und Heeresverfassung des altpreußischen Ständestaates. Die von Clausewitz angemahnte innere Logik von kämpferischer Begeisterung, nationaler Erziehung und bürgerlicher Verfassung spricht die Sprache der Preußischen Reform nach 1806, als des preußischen Wegs einer 'Revolution von oben', deren 'revolutionäres Potential' darin wirksam werden sollte, daß 'oben' nicht definiert wurde als zentralistisch-dirigistische Repression, sondern als Repräsentation eines verallgemeinerungsfähigen Nationalgeistes, der, von den Bürgern verinnerlicht, der Transformation zu einer modernen Gesellschaft die 'innere Form' geben sollte. Den leitenden Gesichtspunkt der Reorganisation drückte Scharnhorst in einem Brief an Clausewitz vom 27. November 1807 so aus: » Wäre es möglich, aus den Ruinen sich wieder zu erheben, wer würde nicht gern alles daransetzen. Aber nur auf einem Wege, mein lieber Clausewitz, ist das möglich. Man muß der Nation das Gefühl der Selbständigkeit einflößen, man muß ihr Gelegenheit geben, daß sie mit sich selbst bekannt wird, daß sie sich ihrer annimmt; nur erst dann wird sie sich selbst achten und von anderen Achtung zu erzwingen wissen. Darauf hinzuarbeiten, dies ist alles, was wir können. Die Bande des Vorurteils lösen, die Wiedergeburt leiten, pflegen und sie in ihrem freien Wachstum nicht hemmen, weiter reicht unser hoher Wirkungskreis nicht« (Dilthey 1964, 116).

2 Dabei ist nicht zu verkennen, daß von den Kommissionen für die Reform des Militär- und Finanzwesens und durch die Reorganisation der Provinzialbehörden wichtige Vorarbeiten geleistet wurden; hierzu immer noch grundlegend Hintze 1967.

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Das preußische Reformdenken suchte die revolutionär sich zuspitzende Spannung gesellschaftlicher Bewegung zu entschärfen durch Vermittlung zwischen sozialen Lagen und institutionellen Kräften. Diese Dialektik 'zwischen Reform und Revolution' hat Reinhart Koselleck (1967, 13) gerade an der preußischen Geschichte herausarbeiten können: »Die Stein-Hardenbergschen Reformen haben - als Antwort auf die französische Revolution - in vieler Hinsicht revolutionärer gewirkt als die Revolution von 1848. Beide Begriffe ( ... ) wurden damals zu gegenseitig sich herausfordernden Bewegungsbegriffen, die beide auf eine Zukunft zielten, die erst zu schaffen sei. Unter dem Zwang zur Industrialisierung, d. h. im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte, gehören Reformen zum Minimum an Beweglichkeit, um einer Revolution zuvorzukommen. «

Die politisch engagierte Intelligenz wollte die entfesselten Kräfte der Gesellschaft nicht sich selbst überlassen, sondern sie einbinden in die Selbstregulierung durch kulturelle Bildung und in eine vernunftgeleitete Systemsteuerung durch einen »Staat, dem es glückt, den wahren Geist der Zeit zu fassen und sich in jenen Weltplan durch die Weisheit seiner Regierung ruhig hineinzuarbeiten, ohne daß es gewaltsamer Zuckungen bedürfe«. (So Hardenbergs auf die demütigende Kapitulation des Tilsiter Friedens antwortende Rigaer Denkschrift vom 12. September 1807, zit. nach Winter 1931,305 f.) Konkret und praktisch wurde die Frage nach den Antrieben geschichtlicher Bewegung in der nationalen Erhebung gegen die französische Okkupation. Der bisher unmündige Untertan, auf dessen Widerstandsgeist die Befreiung von der Okkupation gründen mußte, sollte schon im staatlichen Interesse »mehr als Maschine« (Kant) werden, der Erhalt staatlicher Macht geriet in Abhängigkeit von der Bereitschaft zu ihrer »freiwilligen Annahme« (Hardenberg), wofür Fichte (1971, 388) den Begriff des »freien Gehorsams« prägte. In der verzweifelten Lage Preußens hielt Fichte es für unabweislich, »daß ohne eine völlige Umschaffung unseres ganzen Sinnes, d. h. durch eine durchgreifende Erziehung aus keinem günstigen oder ungünstigen Erfolge Heil für uns zu erwarten ist« (Brief an Beyme vom Februar 1808). Folgerichtig empfahl er eine umfassende Volkserziehung. Insbesondere die Einbildungskraft war als Erziehungsmethode zu kultivieren: »Jenes Vermögen, Bilder, die keineswegs bloße Nachbilder der Wirklichkeit seien, sondern die da fähig sind, Vorbilder derselben zu

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werden, selbtthätig zu entwerfen, wäre das erste, wovon die Bildung des Geschlechts durch die neue Erziehung ausgehen müßte« (Fichte 1971,31 f.). Auf die mobilisierende und motivierende Kraft einer neuen Volkserziehung gründeten auch die militärisch-administrativen Staatsreformer ihre Erfolgsaussichten. So heißt es in einem Rundschreiben an die Mitglieder des General-Departments vom 14. 11. 1808, dem 'Politischen Testament' des Freiherrn vom Stein (1960, 992): »Wird durch eine auf die innre Natur des Menschen gegründete Methode jede Geisteskraft von innen heraus entwickelt und jedes edle Lebensprinzip angereizt und genährt, alle einseitige Bildung vennieden, und werden die bisher oft mit seichter Gleichgültigkeit vernachlässigten Triebe, auf denen die Kraft und Würde des Menschen beruhen, Liebe zu Gott, König und Vaterland sorgfältig gepflegt, so können wir hoffen, eine bessere Zukunft sich eröffnen zu sehen.«

Diese 'innere Natur', wie sie Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation zu formieren suchte, sollte unter Stein und Hardenberg, Scharnhorst und Clausewitz zum Potential militärischer Reorganisation und gesellschaftlicher Reform werden. In diesem Sinne suchten die preußischen Reformer aus dem totalen Zusammenbruch des alten Preußen - das wie »Phönix aus der Asche« auferstehen sollte - den Aufbruch in eine neue Zeit. Schlüsselerlebnis war der institutionelle Zerfall des Ancien Regime, das dem Druck des in jeder Hinsicht 'moderneren' napoleonischen Systems nicht mehr gewachsen war. Ein Schlüsselerlebnis war aber auch, daß die große Armee Napoleons nicht unverletzlich war. Die Guerilleros in Spanien und der Freiheitskampf der Tiroler bezeugten eindrucksvoll die Sprengkraft eines irregulären Widerstandes, der von Freiheitswillen und nationaler Selbstbehauptung bewegt war. Die preußischen Patrioten suchten die Grundlagen des bewaffneten Widerstands auf ihre Situation zu übertragen. In einem Immediatbericht des Freiherrn vom Stein hieß es hierzu: »Was Volksbewaffnung in Verbindung mit stehenden Truppen vermag, wenn beide, Nation und Soldat, von einern gemeinschaftlichen Geist beseelt sind, sieht man in Spanien und sah man in der Vendee, in Tirol (. .. ). Wie dieser Geist zu erhalten und zu verstärken sei, wie seine Äußerungen zu leiten, hierüber werden E. M. in wenigen Tagen Pläne zur Genehmigung vorgelegt werden.«

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Die Spanier, die Tiroler und die Schweizer (woran Schillers Wilhelm Tell erinnerte) waren Gebirgsvölker, die in ihren festen, abgeschlossenen Lebenseinheiten für den 'kleinen Krieg' des Partisanen eine natürliche Ausgangsbasis bildeten. In Preußen hingegen war flaches Land zentralistisch und rationalistisch unter Kontrolle, so daß sich weder bürgerliches Selbstbewußtsein noch patriotischer Gemeingeist entwickeln konnten. 3 Vor diesem Hintergrund stellten sich die Preußischen Reformer den Auftrag, die Erneuerung Preußens nicht nur auf strukturelle Modernisierung (insbesondere des Wirtschafts- und Verwaltungssystems) zu gründen, sondern zugleich die politische und soziale Kultur in innere Bewegung zu versetzen. Es ging nicht nur darum, schlagkräftige und leistungsfähige Apparate zu bauen, sondern sie mit Leben, mit 'Gemeingeist' zu füllen. Der naturale Vorteil der Gebirgsvölker, die Eigenständigkeit und Freiheit der kleinen Lebensgemeinschaften, waren für das flache Land des preußischen Staates nur institutionell herzustellen, indem die Verwaltungsreform des Freiherrn vom Stein über das Prinzip der Selbstverwaltung den Gemeinden Autonomie einräumte, um so dem 'Gemeingeist' bürgerlicher Selbstverantwortung Freiraum zu gewähren. Auch die preußische Heeresreform gewann in diesem reformpolitischen Zusammenhang einer Erneuerung von Staat und Gesellschaft ihren Rahmen und Auftrag als »gänzliche Reorganisation der Armee, wo alle Verhältnisse geändert werden mußten, alles eine andere Form bekam, alles aufgelöst und von neuem organisiert werden mußte« (Scharnhorst zit. nach Pertz 1864, 533). 'Gemeinsinn' sollte sich so verbinden mit dem modernen Prinzip bürgerlicher Freiheit. Die von den preußischen Reformern im Sinne des modernen Prinzips der Volksbewaffnung und der Freiwilligkeit betriebene Heeresreform ist so auch nicht zu isolieren von den anderen Reformpolitiken: der Gewerbereform, der neuen Städteordnung und der versprochenen konstitutionellen Staatsverfassung. Die in diesem neuen 'Geist des Krieges' zu Berlin gegründete Kriegsschule für das Offizierskorps, an die Clausewitz als Lehrer für Strategie berufen wurde, öffnete am 15. Oktober 1810 ihre Tore, am gleichen Tag und auch im gleichen Geist wie die von Wilhelm von Humboldt neugegründete Berliner Universität mit Johann Gottlob Fichte als erstem Rektor. Clausewitz gehörte »zu der kleinen, intensiven Machtelite, die in den Jahren 1807/12 den total besiegten Militärstaat Preußen so erfolgreich regeneriert hat, daß er den Wettlauf 3 Der tragisch scheiternde Aufstand der Schill'schen Offiziere machte deutlich, daß ein von Berufssoldaten geplanter Befreiungsschlag ein bislang in Unselbständigkeit und Unmündigkeit gehaltenes Volk kaum mitreißen kann. (V gl. auch Blasius 1985).

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mit der rapiden industriellen Entwicklung des 19. Jahrhunderts wagen durfte« (Schmitt 1967, SOl). Was war der Geist, was der Stil, der von hier aus der preußischen Heeresrefonn zugrundegelegt wurde? Eine Quelle war gewiß die Philosophie Fichtes 4: als der 'Philosoph der Revolution' brachte Fichte das Projekt der Moderne als deutsche Antwort auf die revolutionären Entwicklungen in Frankreich in seinen Jenaer Vorlesungen 1794 auf die Fonnel, die moderne Gesellschaft als» Wechselwirkung durch Freiheit« zu konstruieren: Damit richtet sich der» Trieb zur Gesellschaft« auf » Wechselwirkung, gegenseitige Einwirkung, gegenseitiges Geben und Nehmen, gegenseitiges Leiden und Tun: nicht auf bloße Kausalität.( ... ) Der Trieb geht darauf aus,Jreie vernünftige Wesen außer uns zu finden und mit ihnen in Gemeinschaft zu treten; er geht nicht auf Subordination, wie in der Körperwelt, sondern er geht auf Koordination aus« (Fichte 1966, 38).

Dieses neue Organisationsprinzip der freien »Koordination« wendet sich gegen die überkommenen Muster von Arbeit und Herrschaft: »Wir wollten ein Glied der Gesellschaft, und wir machen ein Werkzeug derselben; wir wollten einen freien Mitarbeiter an unserm großen Plan, und wir machen ein gezwungenes, leidendes Instrument desselben; wir töten durch unsre Einrichtung den Menschen in ihm ( ... ) und vergehen uns an ihm und an der Gesellschaft« (Fichte 1966: 65 f.).

Eine andere Quelle war die Romantik. 5 Am naturrechtlich begründeten Anstaltsstaat bemängelten die Romantiker das Fehlen bildhaft-konkret zu vermit-

4 So auch die These Carl Schmitts (1967, 492): "Fichte hat den Geist der deutschen Freiheitskriege gegen Napoleon geprägt." (Hierzu vgl. auch WiIIrns 1967, 136). 5 Clausewitz - gleichaltrig mit Adam Müller - findet hier einen wichtigen Kontakt in der Verbannung, die ihn gemeinsam mit dem Prinzen August von Preußen, den Clausewitz als Adjutant begleitet, ins Exil nach Genf führt, wo er im Schloß Coppet der einfluß- und beziehungsreichen Madame de Stael mit dem Romantiker August Wilhelm Schlegel und dem Pädagogen Johann Heinrich PestaIozzi zusammentrifft. Bekannt ist folgende Episode: "Offenbar haben sich Madame de Stael und Clausewitz 'auf Anhieb' verstanden. Der Adjutant des Prinzen August ist noch erfüllt von dem Thema des Vergleichs zwischen den Deutschen und den Franzosen, der deutschen und der französischen Sprache, die ihn in besonderem Maß interessiert und beschäftigt. 'Ich sprach mit ihr über die herrliche Eigentümlichkeit unserer Sprache, daß sie in ihrem Reichtum und ihrer Freiheit auch den mittelmäßigen Menschen erlaubt, originell zu sein, während man in der französischen Sprache lauter gemachte Gedanken findet und sich also mehr oder weniger immer der Form anderer bedienen muß.' Darauf zitierte die Angesprochene den Gedanken von Friedrich Schlegel, den dann Clausewitz in seiner Studie festhieIt: 'Es ist unglaublich, sagt Schlegel, wie splendid die Natur in Frankreich ist, sie hat von einem einzigen Originalmenschen 30 Millionen Exemplare aufgelegt. tu (Guss 1990,24).

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teInder Ideen, die motivbildend auf das bürgerliche Bewußtsein einzuwirken vermochten: »Das hatte man bei der französischen Revolution doch nicht ganz vergessen, daß Ideen einer sinnbildlichen Darstellung bedürfen«, urteilt August Wilhelm Schlegel (1963, 58) aus zeitgeschichtlicher Distanz: »Allein man wollte der prosaischen Vernunft vergeblich eine neue Mythologie abzwingen; es gerieth eben so schlecht, als da man ächten Patriotismus aus dem Eigennutz hervorzulocken gedachte, wobei man sich so sehr verrechnete, (da man doch auf politische Rechenkunst sein ganzes Heil wagte), daß unter der Maske von jenem, dieser nur um so ungehinderter sein Spiel treiben konnte. «

Angesichts der Bestandskrise des zentralistisch dirigierten, absolutistischen Institutionenstaats sieht man sich verpflichtet, öffentliches Engagement aus dem verantwortungsfreien Binnenraum privater Moralität herauszusprengen, bislang unentdeckte affektive Bindungen und moralische Verpflichtungen in die staatstheoretische Reflexion einzuholen: »Der Staat wird zu wenig bey uns verkündigt«, beklagt Friedrich von Hardenberg, alias Novalis, im Herbst 1798, und er schlägt vor: »Es sollte Staatsverkünder - Prediger des Patriotism - geben«, denn: »Jetzt sind die Staatsgenossen auf einem sehr gemeinen - dem feindlichen sehr nahe kommenden Fuße mit ihm« (Novalis 1960 11, 576). In Glaube und Liebe, 1798 anläßlich der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms III. veröffentlicht in den Jahrbüchern der Preußischen Monarchie, weist Hardenberg dem intellektuellen Bündnis des Königs mit den 'freischwebenden Intellektuellen' (A. Weber) eine maßgebliche Rolle bei der Entwicklung der 'öffentlichen Gesinnung' zu: »Von der öffentlichen Gesinnung hängt das Betragen des Staats ab. Veredelung dieser Gesinnung ist die einzige Basis der ächten Staatsreform. Der König und die Königin müssen als solche das Prinzip der öffentlichen Gesinnung sein. Dort giebt es keine Monarchie mehr wo der König und die Intelligenz des Staats nicht mehr identisch sind«, denn: »am Ende ist doch die öffentliche Meinung das kräftigste Restaurations- und Bildungsmittel der Sitten« (Novalis 196011,492). In der zeitgenössischen Verfassungsdebatte zwischen Kant und Friedrich Schlegel ergreift Hardenberg Partei für den 'Republikanismus', freilich im Kantischen Sinne verstanden als 'forma regiminis': »Die vollkommene Art des Staates, von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch zu machen, ist die allgemeine Theilnahme am ganzen Staate, innige Berührung und Harmonie aller Staatsglieder« (Novalis 1960 11, 496). Ausschließlich unter dem Gesichtspunkt staatlicher Repräsentation neigt Hardenberg der Monarchie zu. Sichtbar werden soll das Abwesende, nämlich

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der praktisch zu verwirklichende 'Geist' einer Gesellschaft. 6 Die aufgeklärt-absolutistische Selbstdefinition des Souveräns als hierarchische Spitze des Staatsapparats kann darum kaum befriedigen: »Fast immer hat man den Anführer, den ersten Beamten des Staats, mit dem Repräsentanten des Genius der Menschheit vermengt, der zur Einheit der Gesellschaft oder des Volks gehört. Im Staat ist alles Schauhandlung, das Leben des Volks ist Schauspiel; mithin muß auch der Geist des Volks sichtbar seyn« (Novalis 1960 III, 445).

Hardenbergs Staats schrift stieß bei Hofe auf Ablehnung und rief die preußische Zensur auf den Plan, welche den geplanten Abdruck der 'Politischen Aphorismen' unterdrückte. Die zunächst nur aphoristisch entwickelten Ideen sollten politische Wirksamkeit erst nach der militärischen Niederlage Preußens erhalten. Die Herausbildung des von Hardenberg beschworenen 'Volksgeistes' galt nun als Garant für die Bereitschaft zum aktiven Widerstand gegen die französische Besatzungsmacht. Adam Müller, zu dessen Gedankenwelt Clausewitz im Kontakt zu Rühle von Lilienstern Zugang erhalten sollte (Köhler 1980, 135 ff.), klagte in öffentlicher Rede den Protest, die fehlende Integrationskraft des preußischen Staates an: » Der Staat ist mehr als Bequemlichkeitsanstalt, als Polster der Trägheit, wie ihn No-

valis in edlem Unmut nannte, mehr als die neutrale, armierte Handels-, Gewerbe- und Sicherheitskompagnie, die der gemeine Bürger oder vielmehr Aktionär im Auge hat, wenn er seine bürgerlichen und moralischen Abgaben, Zölle und Prästationen überschlägt. Die inneren Güter, die Gedanken und Gefühle des Einzelnen müssen dem Volke vindiziert werden: die Pachtzeit ist zu Ende, wir werden wieder Eigentum des Staats« (Müller 1980).

Der Staat galt Müller (1922, 169) als »soziales Wesen«, dessen Abgeschlossenheit zu »Hypochondrie«, zu »Neutralitätssystemen« oder zur »Staatenscheu« führen mußte, »dem anderen unglücklichen Extreme«. Aufgabe der Wissenschaft sollte es sein, den »Staat im Fluge, in seiner Bewegung aufzufassen« (Müller 1922, 9), und nicht »als ein für allemal abgefaßte Form«. Der Krieg verleiht dem Staat Identität, denn »aus dem Standpunkt der Staaten sind Kriege die Bewegungen insbesonderheit, unter denen das politische Leben sich selbst erkennen und fühlen lernt, unter denen der Staat sich seiner abgesonderten Natur bewußt wird, das Ganze seiner Kräfte vornehmlich erprüft,

6 Mederer (1987,161 f.) hat darin den juristischen Sinn der Repräsentation ausfindig gemacht.

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weil er sich selbst einem andern solchen Ganzen gegenüber sieht« (Müller 1922,80).

c. »Grammatik des Krieges« Die theoretische Leistung von Clausewitz, die mit seiner berühmt gewordenen Formel vom »Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« immer wieder zitiert wird, gründet auf seiner Fähigkeit, die immanente und isolierte Betrachtung des Kriegshandwerks aufzuheben in einer Kriegskunst als einer Beobachtungslehre, welche die kriegerischen Handlungen auf ein gesellschaftliches Ganzes, die Komplexität des 'politischen Verkehrs' bezieht. In moderner Theoriesprache können wir heute formulieren, daß der Krieg als 'System' rekonstruiert wird, dessen Entwicklung und Wirkung auf externe wie innere 'Umwelten' zu reflektieren ist. Schon früh bekämpfte Clausewitz die geometrische Kriegstheorie seiner Zeit und deren Anspruch, durch Reduktion des Kriegsgeschehens auf berechenbare Größen allgemeingültige Verhaltensregeln normativ zu begründen. Denn die Abstraktion von den 'subjektiven Faktoren' entfremdete die Kriegstheorie zunehmend von der Wirklichkeit der revolutionären Kriegführung: »Das Bedürfnis der Franzosen in dem aufgelösten Zustande ihrer Kriegsmacht machte, daß der Geist ihres Krieges in einer sehr originellen Form einhergeschritten ist - der sonderbare Zustand der Nationen hat aufgehört,· mit ihm jener Geist der Kriegskunst -«; die zeitgenössischen Kriegstheorien, so beklagt Clausewitz, sezierten nur noch den Leichnam; das jedoch könne »zu nichts führen als zum Manirierten. Immer sind die Kriegsbücher zu spät gekommen, und zu allen Zeiten haben sie tote Manier dargestellt« (Clausewitz 1979,47).

Zentraler Bezugsrahmen für Clausewitz' eigenen Entwurf ist der politische, letztlich friedenspolitische Kontext. In dem bereits zitierten Brief an den Major von Roeder erläutert Clausewitz (1979, 495 f.) jene innere Verbindung von Krieg und Politik: »Der Krieg ist kein selbständiges Ding, sondern die Fortsetzung der Politik mit veränderten Mitteln, daher sind die Hauptlineamente aller großen strategischen Entwürfe größtenteils politischer Natur, und immer um so mehr, je mehr sie das Ganze des Krieges und des Staates umfassen. (... ) Nach dieser Ansicht kann von einer rein mili-

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Peter Marx und Eckart Pankoke tärischen Beuneilung eines großen strategischen Ganzen sowie von einem rein militärischen Entwurf desselben nicht mehr die Rede sein. «

Der Krieg, heißt es im sechsten Kapitel des Achten Buchs Vom Kriege, »hat freilich seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik. Hiernach kann der Krieg niemals von dem politischen Verkehr getrennt werden, und wenn dies in der Betrachtung irgendwo geschieht, werden gewissermaßen alle Fäden des Verhältnisses zerrissen, und es entsteht ein sinn- und zweckloses Ding« (Clausewitz 1973, 991). Die Logik des Krieges ist eine politische, weil der Krieg selbst dann, wenn er »ganz Krieg, ganz das ungebundene Element der Feindschaft wäre«, von den politischen Verhältnissen (»eigene Macht, Macht des Gegners, beiderseitige Bündnisgenossen, gegenseitiger Volks- und Regierungscharakter usw.«) bestimmt wäre. Clausewitz (1973, 997 f.) entwickelt an dieser Stelle eine ausführliche Soziologie des Krieges, indem er die verschiedenen Formen des Krieges von verschiedenen Formen politisch verfaßter Gesellschaften ableitet, so auch die napoleonischen Kriege: »Die ungeheuren Wirkungen der französischen Revolution sind aber offenbar viel weniger in neuen Mitteln und Ansichten der Kriegsführung als in der ganz veränderten Staats- und Verwaltungskunst, in dem Charakter der Regierung, in dem Zustande des Volkes usw. zu suchen. Daß die anderen Regierungen alle diese Dinge unrichtig ansahen, daß sie mit gewöhnlichen Mitteln Kräften die Waage halten wollten, die neu und überwältigend waren: das alles sind Fehler der Politik. (. .. ) Es ist wahr, auch der Krieg selbst hat in seinem Wesen und in seinen Formen bedeutende Veränderungen erlitten, die ihn seiner absoluten Gestalt nähergebracht haben; aber diese Veränderungen sind nicht dadurch entstanden, daß die französische Regierung gewissermaßen emanzipiert, vom Gängelbande der Politik losgelassen hätte, sondern sie sind aus der veränderten Politik entstanden (. .. ). Diese Politik hatte andere Mittel, andere Kräfte aufgeboten und dadurch eine Energie der Kriegsführung möglich gemacht, an welche außerdem nicht zu denken gewesen wäre. Also auch die wirklichen Veränderungen der Kriegskunst sind eine Folge der veränderten Politik, und weit entfernt, die mögliche Trennung beider zu beweisen, sind sie vielmehr ein starker Beweis ihrer innigen Vereinigung.«

Seiner Gefechtslehre legt Clausewitz (1973, 422) die Annahme zugrunde, in den »einfachen Verhältnissen wilder Völker« sei der Krieg »ein einziges großes Gefecht« gewesen, während er in der modernen Gesellschaft »aus einer Unzahl von großen und kleinen, gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Gefechten« besteht, »und dieses Zerfallen der Tätigkeit in so viele einzelne Handlungen hat seinen Grund in der großen Mannigfaltigkeit der Verhältnisse, aus denen der Krieg bei uns hervorgeht (... ). (So) ist die Handlung an eine sol-

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che Menge von Bedingungen und Rücksichten gebunden, daß der Zweck nicht mehr durch einen einzelnen großen Akt, sondern nur durch eine Menge größerer oder kleinerer, die zu einem Ganzen verbunden sind, erreicht werden kann.« Die Strategie als Koordination der Einzelgefechte ist somit das evolutionäre Ergebnis der Komplexität des »gesellschaftlichen Verbandes« und dessen politischer Zwecke, zugleich Komplexitätsreduktion kriegerischer Ereignisse und der Vielzahl ihrer Einzelaspekte: Auf dem Schlachtfeld »muß die Zahl möglicher Beziehungen und folglich der Kombination sehr vermehrt, die Mannigfaltigkeit der Anordnungen vergrößert und durch die sich unterordnende Abstufung der Zwecke das erste Mittel von dem letzten Zwecke weiter entfernt werden« (Clausewitz 1973,224). Die von Clausewitz geforderte Rückbindung strategischen Handeins an eine theoriegeleitete Beobachtung und Steuerung fand im akademisch etablierten Kanon seiner Zeit wohl kaum den Bezugsrahmen. Als Desiderat markiert er das Fehlen einer handlungs- und system theoretischen Betrachtung des »gesellschaftlichen Lebens«: »Wir sagen also, der Krieg gehört nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften,

sondern in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig löst, und nur darin ist er von anderen verschieden. Besser als mit irgendeiner Kunst lieBe er sich sogar mit dem Handel vergleichen, der auch ein Konflikt menschlicher Interessen und Tätigkeiten ist, und viel näher steht ihm die Politik, die ihrerseits wieder als eine Art Handel in größerem Maßstab angesehen werden kann« (Clausewitz 1973, 303).

Die Modernität der Kriegslehre des Carl von Clausewitz ist also darin zu sehen, daß er aus dem modernen Bewußtsein der Komplexität, also der Unübersichtlichkeiten und der Unabsehbarkeiten der Felder gesellschaftlichen Lebens, wozu ihm die kriegerischen Felder das Extrem boten, die Konsequenz zog, daß die Bahnen des Handeins nicht mehr durch Gott vorgezeichnet oder aus der Natur ablesbar seien, sondern in bewußter Konstruktivität und Perspektivik produktiv zu setzen waren. Welt war so nicht mehr Objekt eines naiven Empirismus, sondern das Projekt bewußten Gestaltens und Bewertens. Folgerichtig bestand Clausewitz (1973, 289) darauf, »daß es eine reine Unmöglichkeit wäre, die Kriegskunst durch ein positives Lehrgebäude wie mit einem Gerüst versehen zu wollen, welches dem Handelnden überall einen äußeren Anhalt gewähren könnte«. Die »Eigentümlichkeit« und die »individuellsten Züge« des je

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konkreten Falls verböten es, »ihn mit positiven Lehren und Gesetzen auszurüsten« (Clausewitz 1973,331). Für Clausewitz (1973, 314 f.) ist es »eine träumerische Hoffnung, an die Möglichkeit einer Theorie zu glauben, die für jede abstrakte Wahrheit sorgte und es der Kritik nur überließe, den Fall unter das passende Gesetz zu stellen; es wäre eine lächerliche Pedanterie, der Kritik vorzuschreiben, daß sie an den Grenzen der heiligen Theorie jedesmal umdrehe.«

D. »Moralische Größen« und »innere Führung« i

Der Anspruch projektiver Steuerung bezog sich nicht nur auf die äußere Umwelt des vom Feldherrn zu beherrschenden kriegerischen Feldes, sondern auch auf die 'innere Umwelt' der die eigene Truppe bewegenden »moralischen Größen«, vor allem »Talente des Feldherrn, kriegerische Tugend des Heeres, Volksgeist desselben«, die von Clausewitz (1973, 359 s. auch Nohn 1958) sogenannten »moralischen Hauptpotenzen»: »( ... ) (G)erade das Subjektive des Feldherrn (der Mut, den er (in) sich selbst fühlt, die Kraft, die er sich zutraut, usw.) und die Wirkung moralischer Größen treten hier unaufhörlich in der Reihe der wichtigsten Entscheidungsgriinde auf« (Clausewitz 1979,

58). »Das Talent und alle moralischen Größen, welche man im Kriege geltend machen kann, sind äußerst schwer zu schätzen« - und infolge der vielfältigen Wechselwirkungen der durch sie bedingten Handlungen - »ist das Reich möglicher Ereignisse, die Reihe von Folgen, welche eine Handlung erzeugt, unendlich und das endliche Resultat dieses ganzen Calculs also auch nie für den menschlichen Verstand zu erreichen« (Clausewitz 1966, 78).

Gesteigerte Unübersichtlichkeit gilt gerade auch im Binnenverhältnis zur 'inneren Umwelt' der nun beweglicher zu führenden eigenen Truppe. Dabei sind personaler Eigensinn und soziale Dynamik nicht Störfaktoren, sondern entscheidende Ressourcen der Mobilisierung und Aktivierung von Elan und Engagement, Sensibilität und Temperament. Im Kontext moderner Bewegungstaktik geht es dem 'Feldherrn', anders als beim alten Militärapparat des stehenden Heeres, nicht um blindes Funktionieren einer 'Trivialmaschine' (Heinz von Foerster), sondern darum, daß autonome Verbände innerlich bewegter und zugleich zielgerichtet zu bewegender Individuen - mit all ihren unberechenbaren Einfällen und Zufällen - geführt sein wollen. Dies fordert vom

Clausewitz in gesellschafts geschichtlicher Perspektive

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'strategischen Genie' gerade auch in der 'inneren Führung' den belebenden und begeisternden Umgang mit moralischen und intellektuellen Energien. Im Hintergrund wirksam war auch hier der Geist der preußischen Erneuerung, die auf Reorganisation des Heeres setzte, um so die 'Selbsttätigkeit' des Bürgers zu aktivieren. 7 Denn auch die 'inneren Reformen' des Bildungswesens und der öffentlichen Verwaltung und 'Selbstverwaltung', wie die Liberalisierung der Gewerbeverfassung, gründeten auf dem modernen Prinzip einer »Wechselwirkung durch Freiheit«.B Was sich allen Berechnungen entzieht und das kriegerische Handeln zum gesellschaftlichen Feld macht, faßt die Kategorie der 'Wechselwirkung', die der Romantik zur Schlüsselfigur werden sollte und die ein Jahrhundert später über Dilthey, Simmel und Weber zu einer der Grundkategorien moderner Soziologie wurde: »( ... ) Eigentümlichkeit im kriegerischen Handeln ist die lebendige Reaktion und die Wechselwirkung, welche daraus entspringt. Wir sprechen hier nicht von der Schwierigkeit, eine solche Reaktion zu berechnen, denn diese liegt schon in der erwähnten Schwierigkeit, die geistigen Kräfte als Größen zu behandeln, sondern weil die Wechselwirkung ihrer Natur nach allen Planungen entgegenstrebt. Die Wirkung, welche irgendeine Maßregel auf den Gegner hervorbringt, ist das Individuellste, was es unter allen Datis des HandeIns gibt; jede Theorie aber muß sich an Klassen von Erscheinungen halten, und niemals kann sie den eigentlichen individuellen Fall in sich aufnehmen« (Clausewitz 1973, 288 f.).

Der Blickwechsel, den Clausewitz in seiner Kriegslehre vollzieht, bringt als Kontext kriegerischen HandeIns nicht eine wissenschaftlich objektivierbare 'Welt' hervor, sondern ein durch autonomes Handeln und Erleben konstruiertes und konstituiertes 'Feld', das sich von den kognitiven Schemata der Wissenschaft wie der Kunst gleichermaßen ablöst: » Wie wenig auf eine solche Tätigkeit der Gedankenschematismus der Künste und

Wissenschaften paßt, springt in die Augen, und man begreift zugleich, wie das be-

7 Ein neues, emphatisches Verständnis von "Selbst-Organisation" im Sinne eines Appells an die 'inneren Kräfte' von Engagement und Initiative findet sich - allerdings stark abgeschwächt - im preußischen Landstunnedikt vom 21.4.1813 (dazu Schmitt 1963,45 ff.; vgl. auch Pankoke 1992). 8 Vgl. zum sozial- und verfassungsgeschichtlichen Hintergrund Koselleck 1967; zur ideologischen Umbruchsituation von der Aufklärung zur Romantik MarxlPankoke 1992.

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Peter Marx und Eckart Pankoke ständige Suchen und Streben nach Gesetzen, denen ähnlich, welche aus der toten KörperweIt entwickelt werden können, zu beständigen Irrtümern hat führen müssen« (Clausewitz 1973, 303).

Die in der Turbulenz des Krieges vervielfältigten Kombinationsmöglichkeiten von Zweck und Mittel, Erscheinung und Beobachtung bedeuteten, daß die Kunst strategischer Führung die rationalistischen Kausalitätsschemata außer Kraft setzen mußte. »Der Begriff des Gesetzes in Beziehung auf das Erkennen kann für die Kriegsführung füglich entbehrt werden, weil die zusammengesetzten Erscheinungen des Krieges nicht so regelmäßig, und die regelmäßigen nicht so zusammengesetzt sind, um mit diesem Begriff viel weiter zu reichen als mit der einfachen Wahrheit. ( ... ) Den Begriff des Gesetzes in Beziehung auf das Handeln aber kann die Theorie der Kriegsführung nicht gebrauchen, weil es in ihr bei dem Wechsel und der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen keine Bestimmung gibt, die allgemein genug wäre, um den Namen eines Gesetzes zu verdienen« (Clausewitz 1973, 306 0.

Der Stratege Clausewitz steht wie sein Nachfolger Helmuth von Moltke dafür ein, daß der praktische und strategische Umgang mit Komplexität auch in anderen Formen des Schöpferischen 'stil'-prägend wirkt. Diesen Zusammenhang von Schwert und Feder, den schon der historisch-praktische Sinn eines Carl von Clausewitz einlöst, würdigt der junge Soziologe Georg Simmel (1989, 105 f.) als innere Stimmigkeit von schöpferischer Beobachtungsgabe und strategischem Sinn für Komplexität: »Wie seine Größe als Feldherr darauf beruht, daß er in völliger Freiheit von jeder hergebrachten Form (. .. ) seine Entschlüsse in wunderbarer Biegsamkeit der stets wechselnden, nie voraus zu berechnenden Lage anpaßt, so weiß seine Schreibart, frei von jeder Schablone, von deren Bann sonst kaum einer ganz unabhängig ist, den Ausdruck zur genauesten Deckung mit jeder Forderung der Sache, jeder Abschattung des Gedankens zu bringen; wenn er den Grundsatz 'getrennt marschieren, vereint schlagen' zu seiner höchsten Entwicklung gebracht hat, so bietet seine schriftstellerische Darstellungsweise gleichermaßen ein Abbild davon, indem sie von verschiedenen, von einander unabhängigen Seiten sich dem Gegenstand nähert, bis er dann auf einmal alle diese Strahlen sich einheitlich zusammenschließend, uns das Bild vor Augen stellt; und wie die Strategie eigentlich eine Wissenschaft ist, die Erfolge bestimmter Maßnahmen zu berechnen sucht, schließlich aber sich doch als Kunst darstellt, weil allein das persönliche Genie die richtige Anwendung der strategischen Normen bewirken und verbürgen kann. (... )«

Clausewitz als Repräsentant des wissenschaftlichen Weltverhältnisses der beginnenden Moderne Von Petra Ahrweiler

Soziologie, die sich heute mit den kriegstheoretischen Äußerungen eines preußischen Offiziers aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert befaßt, hat wahrscheinlich nicht nur Seltenheitswert, sondern verdient auch eine gute Begründung. In welcher Hinsicht könnte das Clausewitzsche Werk für heutige Soziologie interessant sein? Dirk Käsler benutzt in seiner Sozialgeschichte der frühen deutschen Soziologie (Käsler 1984) eine Unterscheidung von Denkperspektiven, die helfen kann, verschiedene Möglichkeiten, über Clausewitz nachzudenken, idealtypisch zu skizzieren. Es kann nach Käsler zwischen der "Sozialgestalt" eines zu untersuchenden Zusammenhangs und seiner "Ideengestalt" unterschieden werden. Als dritte Dimension wird das "Milieu" der beteiligten Akteure eingeführt. Unterlegt man als Objektzusammenhang das Clausewitzsche Thema, den Krieg, zeigt sich, daß eine Aktualisierung des Clausewitzschen Denkens im Hinblick auf die Sozialgestalt seines Themas anachronistisch wäre: Das preußische Heer mit dem charismatischen Feldherrn an der Spitze, die Schlachten des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts haben mit dem äußeren Bild moderner Kriegführung wenig zu tun. Auch die Milieukategorie steckt eher die Grenzen einer aktuellen Beschäftigung mit Clausewitz ab. Trotz historischen Interesses fragt sich gewiß mancher mit Befremden, was uns dieser preußische Offizier mit seiner Sprache vor dem Hintergrund seines gesellschaftlichen Umfeldes Wissenswertes mitteilen kann. Die folgenden Passagen beschäftigen sich mit der "Ideengestalt" des Clausewitzschen Hauptwerkes Vom Kriege: "Nicht was wir gedacht haben, halten 7 aausewitz·Kolloquium

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wir für einen Verdienst um die Theorie", schreibt Clausewitz, "sondern die Art, wie wir es gedacht haben" (Clausewitz 1862,311). Es geht also um Ideen: wie denkt Clausewitz den Krieg, wie denkt er die Politik, wie denkt er das Verhältnis zwischen den beiden? Über diese Fragen ist bereits nachhaltig diskutiert worden. Aber wie denkt Clausewitz über sein eigenes wissenschaftliches Schaffen? Wie denkt Clausewitz die Wissenschaft? Das wird das Thema dieses Beitrages sein. Karlheinz Messelken weist in diesem Band auf Denkfiguren aus drei Jahrhunderten hin, die den Zusammenhang des Clausewitzschen Denkens herstellen. Aber welche Denkfiguren werden aufgenommen, welche werden verworfen und warum? In welcher Form gehen philosophische Denkfiguren in die Clausewitzsche Theorie ein, und wie werden sie vom Autor reflektiert? Es kann nicht angenommen werden, daß Clausewitz mit seinem Werk Philosophie betreiben wollte oder daß er philosophische Theorien systematisch in seinen Überlegungen berücksichtigt hätte. Dennoch lassen sich sowohl in der Wissenschaft als auch in der Literatur einer Epoche mehr oder weniger einheitliche Vorstellungen über Weltbild und Menschenbild, über Denkstile und Denkmethoden, über Begriffsverwendungen und Zentren der Aufmerksamkeit auffinden. Wo findet sich solches bei Clausewitz? Gegen welche Art von Nachdenken über die Welt wendet sich Clausewitz, und welche Art von Denken wird von ihm propagiert? Kann die propagierte Art des Denkens unser Interesse am Clausewitzschen Werk erklären? Der Titel des Beitrags antizipiert bereits eine zustimmende Antwort auf diese letzte Frage, da er auf Clausewitz als einen der ersten Repräsentanten eines spezifisch modernen Weltverhältnisses hinweist. Der Untersuchung dieser Fragen werden eInIge terminologische Erläuterungen vorangestellt. Die Verortung der "Moderne" ist ein ständiges Problem gesellschaftstheoretischer Überlegungen. Hier soll die wissenssoziologische Analyse von Niklas Luhmann zugrundegelegt werden, der den Beginn der Moderne in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts legt (Luhmann 1980, 27). Luhmann spricht für diese Zeit von einem Sprung in der Ideenevolution, von einer Gesamttransformation des semantischen Apparates der Kultur: Das tradierte Gedankengut sei mit kognitiven Inkonsistenzen und unlösbaren Problemen belastet und werde über immer fraglicher werdende Dogmati-

Clausewitz und das wissenschaftliche We1tverhältnis der Modeme

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sierungen stabilisiert. Diese Dogmatisierungen werden mit der Umstellung von stratifikatorischer auf funktionale Differenzierung und der damit einhergehenden Autonomisierung der Subsysteme obsolet. Die relevanten Innovationen können jetzt vorwiegend an subsystemspezifischen Kriterien orientiert werden. Die hier folgende Analyse der Ablösung des Denkstils bei Clausewitz könnte unter dem Gesichtspunkt der Entdogmatisierung von tradiertem Gedankengut als Prüfung der Modernitätslozierung von Luhmann verstanden werden. Auf jedem Fall soll im folgenden der Beginn der Moderne in der Entstehungszeit des Clausewitzschen Werkes verortet werden. Der im Titel verwendete Terminus "Weltverhältnis" meint das Verhältnis des erkennenden Subjekts zur Objektewelt; es geht also nur mittelbar um "Weltanschauliches", in der Hauptsache aber um "Erkenntnistheorie". Das Verhältnis von erkennendem Subjekt und Objektewelt in der Moderne ist ein von allen anderen Epochen verschiedenes. In diesem Weltverhältnis wird das erkennende Subjekt als erkennendes und interpretierendes reflektiert. Damit wird eine erkennbare und interpretierbare Welt impliziert, die sich als kognitiv "wissbar" und mit Hilfe von Erfahrungsregeln als technisch "verfügbar" darstellen läßt. Die methodische Objektivierung von Natur und Gesellschaft in diesem "wissenschaftlichen" Weltverhältnis geht einher mit dem Bewußtsein der Bedingungen von Erfahrung, Erkenntnis und Theorieproduktion, mit dem Bewußtsein der Existenz und der Grenzen "technischer Verfügungsgewalt" über die äußere Welt, aber auch mit der Vorstellung des "Gemachtseins" aller Kulturerscheinungen und damit der Möglichkeit des Schöpferischen und Verändernden, dem Rationalismus der Weltbeherrschung (Wolfgang Schluchter). Das moderne Weltverhältnis hat damit sowohl szientistische als auch voluntaristische Komponenten. Institutionell schlägt sich dies in der methodologischen Verschiedenheit von Natur- und Kulturwissenschaften nieder, eine Unterscheidung, welche, solange das voluntaristische Element als schlechthin kontingent zu gelten hat, also keine ideologische, sondern eine pragmatische zu sein scheint. Ist Carl von Clausewitz, wie der Titel des Beitrags suggeriert, tatsächlich Repräsentant eines derartig konzipierten Weltverhältnisses? Die Suggestion des Titels antizipiert Zustimmung. Es soll jetzt versucht werden, diese Behauptung anhand der Untersuchung der Frage "Wie denkt Clausewitz wissenschaftliches Denken?" zu begründen.

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Die erste These lautet: Im Werk von Clausewitz spiegelt sich der Zusammenbruch des mechanistischen Weltbildes. Das mechanistische Weltbild soll kurz anhand des mechanistischen Gesetzesbegriffs erläutert werden, damit deutlich wird, wogegen Clausewitz sich wendet. Der Inhalt mechanistischer Gesetze bezieht sich auf die Eigenschaften, die in den Techniken der Neuzeit zugänglich sind, auf Nahwirkungskräfte, die sich auf Druck und Stoß zurückführen lassen. Die Vorstellung dahinter besagt, daß diese Eigenschaften und ihre Relationen schrittweise aufgefunden werden können, da der gesetzmäßige Aufbau der Welt insgesamt und in allen ihren Teilen die Gültigkeit einzelner Erkenntnisse und auch deren Ineinandergreifen verbürgt. Kopemikus zum Beispiel spricht von der "Maschine der Welt, die vom besten und regelmäßigsten Handwerker geschaffen ist" (Zilsel 1976, 80). Der Begriff des Naturgesetzes entspringt im siebzehnten Jahrhundert also theologischen Vorstellungen und dazu noch einer rechtlichen Metapher: Im mechanistischen Weltbild wird die Natur als "idealer" (absolutistischer) Staat mit Gott als Gesetzgeber gedacht, der eben die Gültigkeit seiner Gesetze verbürgt. Die Welt kann als Maschine gedacht werden, in der natürliche wie gesellschaftliche Phänomene mit gleichen geometrischen Begriffen zu fassen sind. Auch bei Clausewitz finden sich noch viele mechanistische Formulierungen, wie zum Beispiel die Übertragung mechanistischer Schwerpunkttheorien in die Kriegstheorie: "So wie sich der Schwerpunkt immer da findet, wo die meiste Masse beisammen ist, und wie jeder Stoß gegen den Schwerpunkt der Last am wirksamsten ist, wie ferner der stärkste Stoß mit dem Schwerpunkt der Kraft erhalten wird, so ist es auch im Kriege. Die Streitkräfte jedes Kriegführenden, sei es ein einzelner Staat oder ein Bündnis von Staaten, haben eine gewisse Einheit und durch diese Zusammenhang: wo aber Zusammenhang ist, da treten die Analogien des Schwerpunktes ein. Es gibt also in diesen Streitkräften gewisse Schwerpunkte, deren Bewegung und Richtung über die anderen Punkte entscheidet, und diese Schwerpunkte finden sich da, wo die meisten Streitkräfte beisammen sind. So wie aber in der toten Körperwelt die Wirkung gegen den Schwerpunkt in dem Zusammenhang der Teile ihr Maß und ihre Grenzen hat, so ist es auch im Kriege, und es kann hier wie dort ein Stoß leicht größer werden, als der Widerstand verträgt, und damit ein Luftstoß, eine Kraftverschwendung entstehen (...). Diese Centra gravitatis in der feindlichen Kriegsmacht zu unterscheiden, ihre Wir-

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kungsweise zu erkennen, ist also ein Hauptakt des strategischen Urteils" (Clausewitz 1952,708).

Ein anderes Beispiel für mechanistische Argumentationen bei Clausewitz findet sich in seinen Überlegungen zu Organisation und Befehlsstruktur des Heeres: "Indem wir unter Gliedern eines Ganzen nur die verstehen, welche die erste Teilung gibt, also die unmittelbaren, sagen wir: 1. Hat ein Ganzes zu wenig Glieder, so wird es ungelenk. 2. Sind die Glieder eines Ganzen zu groß, so schwächt dies die Macht des obersten Willens. 3. Mit jeder neuen Stufenfolge des Befehls wird die Kraft desselben auf zwei Wegen geschwächt, einmal durch den Verlust, den sie beim neuen Übergang macht, zweitens durch die längere Zeit, die der Befehl braucht" (Clausewitz 1952, 421).

Immer wieder schiebt Clausewitz zur Erläuterung kleine mechanistische Analogien ein, die den Sachverhalt verdeutlichen sollen: "Jede physische Kraftäußerung von unten nach oben ist schwieriger als umgekehrt, folglich muß es auch wohl das Gefecht sein" (Clausewitz 1952, 505). Die Maschinenmetapher der Mechanisten ist auch für Clausewitz eine geläufige Formulierung zur Charakterisierung seines Objektbereichs: er spricht von der "militärischen Maschine" (Clausewitz 1952, 160; 207), von der Kriegskunst der Feldherrn als von einem "Regieren und Bewegen der aus hunderttausend Gliedern zusammengesetzten schwerfälligen Maschine" (Clausewitz 1952, 848), ja er schreibt: "Das ganze Kriegführen gleicht der Wirkung einer zusammengesetzen Maschine mit ungeheurer Friktion" (Clausewitz 1952, 978). Der Clausewitzsche Begriff der "Friktion" ist ohnehin eine aus der Mechanik entnommene Formulierung mit dem Hintergrund eben dieser Theorien: bei einem gut auf den Heereschef abgestimmten Heer "dreht sich", wie Clausewitz bemerkt, "der Balken um einen eisernen Zapfen mit wenig Friktion" (Clausewitz 1952, 160). Doch obgleich noch viele Beispiele mechanistischer Analogien und Begriffs verwendungen aus dem Clausewitzschen Werk herangezogen werden könnten, verdeutlicht die Diskussion dieser Analogien und Begriffe, die Clausewitz selbst durchführt, daß hier diese Art von Nachdenken über die Welt ver-

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abschiedet werden soll. Die Verabschiedung dieser Art des Weltverhältnisses, die Clausewitz, wie gleich näher auszuführen sein wird, diskursiv vollzieht, kann für das frühe neunzehnte Jahrhundert in gleicher Weise überall da beobachtet werden, wo systematisch unter Voraussetzung wissenschaftlicher Plausibilitätskriterien über Welt nachgedacht wird. Drei Stationen zeichnen den Weg der Verabschiedung mechanistischer Denkweisen nach: Erstens reflektiert die von Luhmann diagnostizierte "Gesamttransformation des semantischen Apparates einer Kultur" (s.o.) die immer konsequentere Säkularisierung des Naturbegriffs: Der göttliche Urheber der Naturgesetze wird nicht mehr legitimierend mitgedacht. Die Theorie beschreibt damit nicht mehr die göttliche Weisheit und Allmacht, womit sie ihren sakrosankten Dogmatismus verliert und kritisierbar wird. Clausewitz bewegt sich bereits ganz außerhalb eines solchen Bezugsrahmens, für den er nichts als Spott hat: "Es wäre eine lächerliche Pedanterie, der Kritik vorzuschreiben, daß sie an den Grenzen der heiligen Theorie jedesmal umdrehe" (Clausewitz 1952,213). Zweitens finden in dieser Zeit besondere Beachtung die auf Erfahrung, Experiment und Beobachtung basierenden Ergebnisse der sich emanzipierenden Einzelwissenschaften, zum Beispiel der wissenschaftlichen Psychologie, die sich den voluntaristischen Elementen gesellschaftlicher Praxis zuwenden. Auch diese Entwicklung befördert die schrittweise Demontage des mechanistischen Weltbildes. Bei Clausewitz findet man immer wieder TextsteIlen, die deutlich auf die relativierenden neuen Theorien und deren destruierende Konsequenzen für mechanistische Analogien verweisen; so zum Beispiel seine Überlegungen zur Wechselwirkung von Zeit und Kampfkraft: "Der kriegerische Akt braucht seine Zeit wie jedes Ding auf Erden; man kann nicht in acht Tagen zu Fuß von Wilna nach Moskau gehen, das versteht sich; aber von einer Wechselwirkung zwischen Zeit und Kraft, wie sie in der Dynamik stattfindet, ist hier keine Spur. Die Zeit ist beiden Kriegführenden nötig, und es fragt sich nur, welcher von beiden wird seiner Stellung nach am ersten besondere Vorteile von ihr zu erwarten haben; dies aber ist, die Eigentümlichkeit des einen Falles gegen den anderen aufgewogen, offenbar der Unterliegende: freilich nicht nach dynamischen, aber nach psychologischen Gesetzen" (Clausewitz 1952, 877).

Drittens werden die mechanistischen Interpretationen gesellschaftlicher Phänomene auch im Hinblick auf zeitgenössische erkenntnistheoretische Dis-

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kussionen obsolet. Diese reflektieren die durch den Säkularisierungsprozeß freigesetzten wertphilosophischen Spekulationen. Die Bestimmungsgründe sowohl für Erkennen als auch für Handeln werden in das erkennende und handelnde Subjekt verlagert, welches sich "damit selbst seine Gesetze gibt" und ihnen nicht mehr einfach als göttlichem Datum unterliegt. Clausewitz hat diesen erkenntnistheoretischen Anthropozentrismus bereits kantianisch verinnerlicht, wenn er den Maßstab des Erkennens und Handeins als "Urteil" konzipiert: Ein menschliches Wesen ließe sich mit bloßem Erkenntnisvermögen ohne Urteil ebensowenig als umgekehrt denken, schreibt Clausewitz, denn "selbst das Erkennen des Geistes ist ja schon wieder Urteil" (Clausewitz 1952, 200). "Urteil" ist hier eine erkenntnistheoretische aber auch eine anthropologische Kategorie; das Urteil selegiert aus der Mannigfaltigkeit der Objektewelt überhaupt das, was als Objekt wahrgenommen werden soll, es hilft wie Clausewitz formuliert, "der Mannigfaltigkeit Herr zu werden" (Clausewitz 1952, 859). Jede Aussage über irgendeinen Ausschnitt der Wirklichkeit ist immer schon gebunden an die anschaulichen und begrifflichen Mittel, mit denen sie gebildet wird. Dies meint Clausewitz, wenn er Erkenntnis und Urteil interdependent konzipiert. Das Urteil ist nach Clausewitz die Voraussetzung jeglichen Erkennens und Handeins. Es scheidet das Bedeutsame vom Unbedeutsamen. Auf die sozialwissenschaftliehe Praxis angewendet finden wir den gleichen Gedanken beim neukantianisch beeinflußten Max Weber. Bei Weber wird die Mannigfaltigkeit der Welt durch die Zuweisung von "Kulturbedeutung", durch die "Wertbeziehung" zum erkennbaren und interpretierbaren Objekt und damit zum Ort des Handeins. Diese erkenntnistheoretischen Reflexionen führen zu folgender Überlegung: Kulturerscheinungen sind mit Maschinenmetaphern und anderen mechanistischen Analogien nicht adäquat zu beschreiben. Maschinen "handeln" nicht. Maschinelle Abläufe sind nicht an "Urteilen" im oben beschriebenen Sinne orientiert. Clausewitz schreibt dazu, daß "der Krieg keine Tätigkeit des Willens ist, die sich gegen einen toten Stoff äußert ( ... ), sondern gegen einen lebendigen, reagierenden. ( ... ) man begreift zugleich, wie das beständige Suchen und Streben nach Gesetzen, denen ähnlich, welche aus der toten Körperwelt entwickelt werden können, zu beständigen Irrtümern hat führen müssen. Und doch sind es gerade die mechanischen Künste, denen man die Kriegskunst hat nachbilden

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wollen" (Clausewitz 1952, 201). Clausewitz spricht an derselben Stelle von "dürftiger Weisheit" (Clausewitz 1952, 181) einer solchen Theorie; er nennt sie ein "Bettelturn aus Regeln". Die zweite These lautet nun: Im Clausewitzschen Werk werden die Bedingungen von Erfahrung, Erkenntnis und Theorieproduktion zum Ausgangspunkt für die Unterteilung des Objektbereichs nach Art der wissenschaftlichen Herangehensweise. Die wissenschaftliche Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene, Kulturerscheinungen, wie Max Weber sagt, unterscheidet sich grundsätzlich von der Betrachtung der "toten Körperwelt" . Gesellschaftliche Phänomene unterliegen anderen Bedingungen der Reflexion als Naturphänomene. Die Wissenschaft, die sich mit Kulturerscheinungen wie dem Krieg befaßt, sieht sich einem Objektbereich gegenüber, der nicht der toten Körperwelt entstammt, sondern der durch handelnde, und das meint erkennende und urteilende, Menschen konstituiert wird. Clausewitz weist auf diesen besonderen Status des gesellschaftlichen Objektbereichs hin und zieht die Konsequenzen für die Theorie: "Eine positive Lehre ist unmöglich. Bei dieser Natur des Gegenstandes müssen wir uns sagen, daß es eine reine Unmöglichkeit wäre, die Kriegskunst durch ein positives Lehrgebäude wie mit einem Gerüste versehen zu wollen" (Clausewitz 1952, 187). Es wird allerdings deutlich, daß Clausewitz die problematische Ungeschiedenheit von urteilend/erkennendem Subjekt (dem wissenschaftlichen Beobachter und Theorieproduzenten) und urteilendlhandelndem Subjekt-Objekt (den Individuen, die zum Gegenstand der Untersuchung werden) nicht reflektiert. Dieses Problem wird erst viel später Wilhelm Dilthey aufgreifen. Der von Clausewitz am Beispiel des Krieges herausgestellte Sonderstatus des kulturwissenschaftlichen Objektbereichs und dessen wissenschaftlicher Betrachtung ist ein geläufiger zeitgenössischer Topos. Gerade auch vor dem Hintergrund der sich verändernden politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse und der daran anschließenden Veränderungen der Kriegführung (Phänomen der Volkskriege im Anschluß an die Entwicklungen in Frankreich) versagte die, wie Clausewitz formuliert, "mathematische Gesetzgebung" der alten Theorie (Clausewitz 1952, 179). "Als in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts jene merkwürdige Umwälzung der europäischen Kriegskunst eintrat, wodurch die besten Heere einen Teil ihrer Kunst

Clausewitz und das wissenschaftl;.:he Weltverhältnis der Moderne

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unwirksam werden sahen, und kriegerische Erfolge stattfanden, von deren Größe man bisher keinen Begriff gehabt hatte, schien es freilich, daß aller falsche Kalkül der Kriegskunst zur Last falle. Es war offenbar, daß sie, durch die Gewohnheit in engere Kreise der Begriffe eingeschränkt, überfallen worden war durch Möglichkeiten, die außerhalb dieser Kreise, aher freilich nicht außerhalb der Natur der Dinge lagen" (Clausewitz 1952, 894).

Die Erfahrung bestatigte die Obsoletheit mechanistischer Kriegstheorien, welche "nach bestimmten Größen (streben), während im Kriege alles unbestimmt ist und der Kalkül mit lauter veränderlichen Größen gemacht werden muß" (Clausewitz 1952, 181). Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Kriegstheoretiker der Zeit der scheinbar prinzipiellen "Unbestimmtheit" im Kriege nur mit Skepsis und Relativismus begegnen konnten. Was sollte, wenn man diese Unbestimmtheit ernst nahm, beschreibend oder gar handlungsanleitend über den Krieg gesagt werden? Wie sollte eine Theorie aussehen, die mit dieser Schwierigkeit nach dem Zusammenbruch mechanistischer Modelle umgehen konnte? Die grundSätzliche Skepsis gegen die Möglichkeit einer Kriegswissenschaft schlechthin äußerte sich besonders klar in dem Werk, gegen das Clausewitz bei dessen Erscheinen sofort heftig Stellung bezog, in den "Betrachtungen über die Kriegskunst, über ihre Fortschritte, ihre Widersprüche und ihre Zuverlässigkeif' von Georg Heinrich von Berenhorst (1798). Für Berenhorst bedeutete der von Clausewitz angesprochene Tatbestand der "Unbestimmtheit" nicht nur die Desavouierung mechanistischer Modelle, sondern das Ende jeder Kriegstheorie überhaupt. Für Clausewitz, den Kriegstheoretiker, mußte es so (gegen Berenhorst) um die Möglichkeit einer Begründung von Kriegstheorie schlechthin gehen. Die Begründung einer adäquaten Kriegstheorie würde jedoch nur über die Erarbeitung einer angemessenen Methodologie Sinn machen, soviel lehrt bereits der abermalige Blick auf die erkenntnistheoretischen Prämissen bei Clausewitz. Die bereits vorgestellte Grundthese dieser Prämissen war ja, daß die Wirklichkeit als an sich seiende nicht Gegenstand einer Reflexion sein kann, daß sie "als solche" nicht zu erkennen ist: Das Erkennen des Geistes sei ohne Urteil nicht denkbar, schreibt Clausewitz. Jede Aussage über die "Wirklichkeit" ist an die selegierenden und ordnenden Funktionen der "Urteile"

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gebunden. Demgemäß sind die benutzten Begriffe keine Abbilder der "Wirklichkeit", sondern heuristische Hilfsmittel, um überhaupt über "Wirklichkeit" sprechen zu können. So kann auch die kritische Prüfung der "Wissenschaftlichkeit" von Sätzen über die "Wirklichkeit" nur geleistet werden unter Rekurs auf die Methoden, nach denen sie gebildet wurden, nicht unter Rekurs auf die "Wirklichkeit" selbst. Kritik ist in diesem Sinne nur als Methodenreflexion, nicht aber als Gegenstandsreflexion möglich. Die Clausewitzsche Neubegründung der Kriegstheorie muß also in erster Linie "Methodenlehre" sein. Noch einmal sei an das Eingangszitat erinnert: "Nicht was wir gedacht haben, halten wir für einen Verdienst um die Theorie", betont Clausewitz, "sondern die Art, wie wir es gedacht haben" (Clausewitz 1862, 311). Demnach scheint Clausewitz den kulturwissenschaftlichen Analysegegenstand für beliebig und dem Erkenntnisinteresse des Forschers anheimgestellt zu halten, während er der Methode prinzipielleren Charakter einräumt. Die Aufgabe läßt sich also wie folgt charakterisieren: Die von Clausewitz zu entwickelnde Methodologie muß wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, aber den angesprochenen Tatbestand der "Unbestimmtheit" des Objektbereichs ohne Mühe integrieren. "Wem dies alles nichts ist ", schreibt Clausewitz, "der muß entweder gar keine theoretische Betrachtung gestatten, oder seinem Verstande müssen die verworrenen und verwirrenden, auf keinen festen Standpunkt gestützten, zu keinem befriedigenden Resultat gelangenden, bald platten, bald phantastischen, bald in leeren Allgemeinheiten schwimmenden Vorstellungen noch nicht wehe getan haben, die wir über die eigentliche Kriegsführung deswegen so oft hören und lesen müssen, weil noch selten ein Geist wissenschaftlicher Untersuchung auf diesem Gegenstande geruht hat" (Clausewitz 1952, 176).

Die theoretische Betrachtung ist, in Anbetracht der "Unbestimmtheit" des Objektbereichs, zwar nicht als Suche nach Gesetzen, aber als "vernünftige, d. h. methodische Betrachtung" durchaus möglich, wie Clausewitz versichert. "Überall, wo eine Tätigkeit es größtenteils immer wieder mit denselben Dingen zu tun hat, mit denselben Zwecken und Mitteln, wenn auch mit kleinen Veränderungen und einer noch so großen Mannigfaltigkeit der Kombinationen, müssen diese Dinge ein Gegenstand vernünftiger Betrachtung werden können. Eine solche Betrachtung aber

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ist eben der wesentlichste Teil jeder Theorie und hat auf diesen Namen ganz eigentlich Anspruch" (Clausewitz 1952, 188). Nur der "Begriff des Gesetzes in Beziehung auf das Erkennen kann für die Kriegsfüluung füglieh entbehrt werden" (Clausewitz 1952, 204), denn "die Mannigfaltigkeit der wirklichen Welt (läßt) sich nicht unter die definitive Form eines Gesetzes fassen" (Clausewitz 1952, 203).

Wie sieht nun Clausewitz' methodologische Absicherung der Kriegstheorie aus, die ohne den Gesetzesbegriff und ohne Generalisierungen, also ohne die Legitimationsinstanzen der Naturwissenschaften, auskommen will? Welcher Art können die Begriffe sein, die weder als Abbilder der Wirklichkeit fungieren, noch eindeutige, gesetzesmäßige Relationen aufzeigen wollen? Die dritte und letzte These lautet: Clausewitz konzipiert seine Begriffe als Idealtypen im Sinne Max Webers. Diese Begriffskonzeption reflektiert die Bedingungen von Erfahrung, Erkenntnis und Theorieproduktion im Hinblick auf kulturwissenschaftliche Phänomene. Mit der idealtypischen Begriffsbildung wird das Dreiecksverhältnis zwischen "Subjekt", "Objektewelt" und "Begriff' adäquat beschreibbar. Die idealtypische Begriffsbildung formuliert unter wissenschaftlichen Plausibilitätskriterien eine Programmatik sowohl zum Verhältnis "Begriff und Objektewelt", als auch zum Verhältnis "Subjekt und Objektewelt", als auch zum Verhältnis "Subjekt und Begriff'. Das erste Verhältnis, dasjenige zwischen "Begriff' und "Objektewelt", wird durch diese Art der Begriffsbildung mit Hilfe des Gedankens geklärt, daß Idealtypen kein Abbild der Wirklichkeit sind, sondern heuristische Mittel zu deren Beschreibung. Das zweite Verhältnis zwischen "Subjekt" und "Objektewelt" wird geklärt durch den Umstand, daß nach Max Weber der Idealtypus "gewisse, in ihrer Eigenart bedeutungsvolle Züge unserer Kultur der Wirklichkeit entnommen und in ein einheitliches Idealbild gebracht hat" (Weber 1968, 192). Die Zuweisung von Bedeutung geschieht aber durch die Wertbeziehung der erkennenden Subjekte, die in Bezug auf die Mannigfaltigkeit der Objektewelt ordnende, selegierende und damit konstituierende Funktionen hat. Der Idealtypus bringt das Produkt dieser Konstitutionsleistung "auf den Begriff'. Damit ist auch das dritte Verhältnis, das zwischen "Subjekt" und "Begriff', bereits angesprochen. Webers berühmte Formulierung verdeutlicht diesen Zu-

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sammenhang besonders klar: "Transzendentale Voraussetzung jeder Kulturwissenschaft ist nicht etwa, daß wir eine bestimmte oder überhaupt irgendeine "Kultur" wertvoll finden, sondern daß wir Kulturmenschen sind, begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen" (Weber 1968, 180). Die Artikulierung dieser Stellungnahme kann wissenschaftlich-methodisch nur mit Hilfe der idealtypischen Begriffsbildung erfolgen. Diese dreifache Beziehung ist also im Konzept der Idealtypen verarbeitet; die Klärung der oben angesprochenen Verhältnisse war auch für Clausewitz, wie bereits angesprochen, ein zentrales Problem. Es muß nun belegt werden, daß Clausewitz mit der Bildung von Idealtypen denselben Problemlösungsmechanismus anwendet, wie Jahre später Max Weber. Raymond Aron schreibt: "Indem Clausewitz die Genauigkeit und die Kraft der Vorstellung der Realität entgegensetzt, die ihr nur mehr oder weniger nahekommt, legt er einen Vergleich mit den Idealtypen Max Webers nahe" (Aron 1980,80). Gleich im ersten Kapitel des ersten Buches von Vom Kriege führt CI ausewitz den Idealtypus "Krieg" ein. Der Krieg wird konzipiert als "Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen" (Clausewitz 1952, 89 0. Hierzu gehört, wie Clausewitz weiter ausführt, die äußerste Anwendung von Gewalt als Gebot absoluter Schonungslosigkeit, die Reduzierung auf einen einzigen Schlag der Feindseligkeit und das Verbot der Selbstschonung. Soweit die idealtypische Skizzierung. Clausewitz stellt allerdings klar, daß man sich hier auf "dem abstrakten Gebiet des bloßen Begriffs" (Clausewitz 1952,93) befindet: "Es würde so sein, wenn: 1. der Krieg ein ganz isolierter Akt wäre (... ), 2. wenn er aus einer einzigen oder aus einer Reihe gleichzeitiger Entscheidungen bestünde, 3. wenn er eine in sich vollendete Entscheidung enthielte und nicht der politische Zustand, welcher ihm folgen wird, durch den Kalkül schon auf ihn zurückwirkte" (Clausewitz 1987, 94). Aber, wie Clausewitz weiter ausführt, "der Krieg ist nie ein isolierter Akt (... ), er besteht nicht aus einem einzigen Schlag ohne Dauer (... )", und er ist "mit seinem Resultat nie etwas Absolutes" (Clausewitz 1952, 94 ff.).

Der so gefaßte Kriegsbegriff ist ein heuristisches Hilfsmittel, welches dazu geeignet ist, die vom reinen Begriff mehr oder weniger abweichenden Modifikationen zu erfassen und so reale Kriege adäquat zu beschreiben. Nach Weber

Clausewitz und das wissenschaftliche Weltverhältnis der Modeme

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sind Idealtypen ja "begriffliche Mittel zur Vergleichung und Messung der Wirklichkeit an ihnen" (Weber 1968, 199). Es ist "in jedem einzelnen Falle festzustellen, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Idealbilde steht" (Weber 1968, 191). Die Zurückweisung der Identifikation des Begriffs mit der Wirklichkeit heißt dabei nicht, daß nicht ein Fall vorstellbar wäre, bei dem ein realer Krieg tatsächlich alle Gesichtspunkte des Idealtypus erfüllt. Das wäre widersinnig, denn die Gesichtspunkte des Idealtypus unterliegen einer doppelten Realitätsreferenz: Die Gesichtspunkte sind erstens aus der Erfahrung entnommen und müssen zweitens wieder an der Erfahrung überprüft und in Bezug auf die Realität angewendet werden. So ist gedanklich der Fall des realen Krieges vorstellbar, der alle Gesichtspunkte des Idealtypus aufweist. Was nicht vorstellbar ist, ist die Identifikation des Idealtypus mit der Wirklichkeit: die Idee, daß der Begriff Abbild der Wirklichkeit sein kann. Gedanklich veranschaulicht hieße dies, daß der reale Krieg keine anderen Merkmale als die, welche der Idealtypus angibt, haben dürfte. Dies ist, da der Idealtypus aus der Mannigfaltigkeit der Objektewelt ja nur einige mit Bedeutung belegte Elemente und deren Relationen aufnehmen kann, schlichtweg nicht möglich. Der Idealtyp ist als Begriff nur heuristisches Hilfsmittel zur denkenden Erfassung der Wirklichkeit; eine Art der Erfassung, welche die inhaltlichen Konsequenzen des Begriffs relativiert. "Die Wahrscheinlichkeiten des wirklichen Lebens treten an die Stelle des Äußersten und Absoluten der Begriffe", schreibt Clausewitz (Clausewitz 1952,97). Die modifizierenden Kräfte, die Clausewitz neben den schon genannten für erheblich hält, sind die "Friktionen" im Kriege: das Wetter, der Zufall, die Abhängigkeit von der Technik, die in unterschiedlicher Ausprägung vorhandenen "moralischen Größen", die Nachrichtenlage, die Ortsbeschaffenheit und vieles andere mehr. Nicht nur für die Konstruktion des Kriegsbegriffs wählt Clausewitz die idealtypische Methode: Jeder Topos der Untersuchung wird mit Hilfe des gleichen methodischen Konzepts angegangen. So konstruiert Clausewitz Idealtypen des Gefechts, der Strategie, der Taktik, des Feldherrn, des Angriffs, der Verteidigung usw., um dann die Wirklichkeit des Krieges mit diesen auf höchste Zweckrationalität gesteigerten Begriffen zu konfrontieren (Hetzler 1990). Mit der idealtypischen Begriffsbildung verarbeitet Clausewitz also seine Reflexio-

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nen zu Bedingungen der Erfahrung, Erkenntnis und Theoriebildung im kulturwissenschaftlichen Objektbereich auf eine Weise, die Jahre später von Max Weber zur Begründung der Sozialwissenschaften verwandt wird. Clausewitz griff mit seiner Unterscheidung von natur- und kulturwissenschaftlichem Objektbereich und seiner Art der Begründung dieser Unterscheidung einer Diskussion vor, die im wissenschaftstheoretischen Bereich den Beginn unseres Jahrhunderts bestimmte und die bis heute kontrovers geführt wird. Die verstehende Soziologie begreift sich als Produkt dieser vor allem mit dem Namen Max Webers verbundenen Auseinandersetzung. So fremd es manchen Ohren klingen mag: Carl von Clausewitz gehört unbedingt zu den Klassikern der methodologischen Begründung einer Soziologie, die als verstehende Kulturwissenschaft konzipiert wird. In diesem Sinne ist die "Ideengestalt" des Clausewitzschen Werkes "modern" und für heutige Soziologie als Basis methodologischer Selbstvergewisserung interessant. Das "wissenschaftliche Weltverhältnis", das Clausewitz seiner Arbeit als Denktypus unterlegt, reflektiert bereits die erkenntnistheoretischen Prämissen heutiger Soziologie.

Carl von Clausewitz als Psychologe Die "moralischen Größen" im Lichte der Persönlichkeitspsychologie Von Rainer Dieterich .

A. Vorbemerkungen Zu wissen, daß Clausewitz als Entdecker der Psychologie für die Militärwissenschaft gilt, zählt beinahe zum allgemeinen Bildungsgut. Weniger verbreitet ist die Kenntnis über die Inhalte dieser Psychologie, und noch gar nicht unternommen wurde ein Versuch, diese Inhalte nach Maßgabe von Kriterien einer wissenschaftlichen Psychologie zu evaluieren, wie sie erst lange nach Clausewitz entwickelt wurden. Dies wäre auch zweifellos illegitim, würde damit der Anspruch erhoben, Clausewitz aus historischer Perspektive gerecht zu werden oder ihn als Angehörigen der psychologischen Zunft zu vereinnahmen. Zu Recht aber darf sich die Psychologie aus diesem Unternehmen spannende Einblicke in ihre vorwissenschaftliche Vergangenheit erhoffen. Einem bekannten Wort des Psychologiehistorikers Boring zufolge hat die Psychologie eine kurze Geschichte, aber eine lange Vergangenheit, was heißen soll, daß fast alle modernen Ansätze schon vorgedacht wurden. Da man den Beginn der Geschichte mit der Gründung des ersten psychologischen Instituts 1879 anzusetzen pflegt, gehören die Clausewitzschen Gedanken auf jeden Fall zur Prähistorie. Daß sie trotzdem erstaunlich modern sind, zeigt sich aber bald. In der traditionellen, d. h. friderizianisch-rationalistischen Militär- oder Kriegskunst spielten Persönlichkeit und psychische Verfassung des Soldaten keine Rolle. Die Berufsarmeen in Europa galten als vom Ausbildungsstand und

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Rainer Dieterich

den kämpferischen Mitteln, d. h. vom militärischen Sozialprodukt pro Kopf her als vergleichbar. Somit waren Soldaten ein Faktor im militärischen Kalkül, wie Bewaffnung, Verpflegung, Nachschub. Ihre Bedeutung bemaß sich schlicht nach der Anzahl. Als militärischer Faktor war der Soldat nicht mehr als eine Exerzier- und Schießmaschine. Nach Clausewitz' Entdeckung psychologischer Größen rückte er als Mensch und Individuum in den Mittelpunkt des militärischen Ausbildungsgeschehens. Somit gehört Clausewitz' Psychologie von der Systematik her in den Bereich der Persönlichkeitstheorie. Es zeigt sich aber sehr rasch, daß sie nicht in der Persönlichkeitspsychologie aufgeht, sondern das System der Psychologie als Ganzes tangiert. Deshalb ist es sinnvoll, Clausewitz' Persönlichkeitspsychologie in ihre Bezüge zur Allgemeinen Psychologie zu stellen und eine Verortung im Gesamtsystem der Psychologie vorzunehmen.

B. Clausewitz in wissenschaftsgeschichtIicher und systematischer Perspektive Die Wissenschafts geschichte der Psychologie beginnt mit ihrer durch Wilhelm Wundt unternommenen Herauslösung aus der Philosophie und ihrer Selbstdefinition als empirische Wissenschaft. Diese Psychologie mußte sich aus verschiedenen Gründen zunächst als "Allgemeine Psychologie" entwickeln, d. h. als Wissenschaft nomothetischer Art, die die für alle Menschen gültigen Gesetze menschlichen Verhaltens erforscht. Persönlichkeitspsychologie als Disziplin, die individuelle Verhaltensweisen untersucht, paßte überhaupt nicht in das Wundtsche Programm; und ihr geistiger Vater, James McKeen Cattell, vermochte nicht, Wundt von der Notwendigkeit einer differentialpsychologischen Disziplin zu überzeugen. Hingegen fügt sich Clausewitz' Thematik Vom Kriege hervorragend in Wundts Programm der Allgemeinen Psychologie, weshalb es auch erstaunlich und wert ist, nachvollzogen zu werden, wie diese Gedanken persönlichkeitspsychologisch in ein Programm hinein weiterentfaltet werden, das erst nach der Auseinandersetzung mit der Allgemeinen Psychologie entstanden ist. Die Paßgenauigkeit zur Allgemeinen Psychologie betrifft die konstitutiven Elemente einer jeden empirischen Wissenschaft: einen Gegenstand, dem die Bemühungen gelten, Erkenntnisinteresse an dessen Erforschung und eine zugeordnete Methodologie.

Clausewitz als Psychologe

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Erkenntnisabsicht: Von der Erkenntnisabsicht her fügt sich die Thematik in die Allgemeine Psychologie insofern, als hinter den spezifischen Vorgängen in den verschiedensten Kriegen deren allgemeines Wesen herausanalysiert wird,

d. h. die situations- und zeitunabhängigen idealtypischen Gesetzmäßigkeiten, Ablaufprinzipien und die wesensmäßigen Kemelemente des Krieges. In eben jenem Sinne war Wundts Allgemeine Psychologie "Elementen-Psychologie", so die Bezeichnung für das Forschungsprogramm, welches die allgemeinen Bausteine des menschlichen Verhaltens zu identifizieren versuchte. Vorbild für diese Psychologie waren die Naturwissenschaften, etwa die Chemie, die in jener Weise Erkenntnisse über komplexe Substanzen erlangt, indem sie diese in ihre Elemente zerlegt und die Art ihrer Zusammensetzung studiert. Auch bei Clausewitz herrscht dieses Prinzip der Elementarisierung vor, d. h. der analytischen Betrachtung komplexer, verwobener "Wechselwirkungen". Teilweise gibt es explizite Bezüge zu Elemententheorien, wie etwa in dem Ratschlag, der Soldat solle in seiner Ausbildung alle Elemente des realen Kriegsgeschehens kennenlernen, damit sie ihm im Gefecht nicht zum ersten Male begegnen. Die entsprechende Theorie in der Psychologie des Lemtransfers trägt die Bezeichnung "Theorie der identischen Elemente". Gegenstand: Vom Objekt her gesehen ist der Krieg ein Phänomen, in dem der Mensch im Plural agiert und Individualität sich automatisch nivelliert oder, nach heutiger Terminologie, "randomisiert". Dieses Randomisierungsprinzip verdient einen Exkurs: Randomisierung bedeutet das Zusammenwirken verschiedener Effekte bei Menschen in einer Gruppe, sofern deren Anzahl genügend groß ist, derart, daß diese Effekte sich zu einem Wert 0 oder zu einer konstanten Größe aufaddieren, so daß sie nicht mehr zur Erklärung unterschiedlicher Verhaltensweisen der Gruppe im Vergleich zu anderen Gruppen herangezogen werden können. Clausewitz verwendet dieses Prinzip in einer modemen psychologischen Weise argumentativ korrekt, im Unterschied zu den Annahmen der traditionellen friderizianischen Interpretation. Diese unterstellt zwar nicht, daß bei Soldaten seelische Regungen keine Rolle spielen, wie etwa Angst oder Tapferkeit, wohl aber, daß diese Größen eben jener Randomisierung unterliegen, d. h. von Individuum zu Individuum schwanken, bald in die eine, bald in die andere Richtung und sich bei genügend großen Kampfgruppen angleichen. Clausewitz erkennt sozusagen die Falschheit dieser Annahme. 8 aausewiu-Kolloquium

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Methode: Zum Zwecke der Ausnützung und Kontrolle eben solcher Randomisierungseffekte benutzt die Psychologie ihre experimentalpsychologische Methodologie und die statistischen Verfahren der Datenverarbeitung. Hier trennen sich zwar die Wege Clausewitz' und der Psychologie, denn er betritt den Weg einer idealtypischen Methodologie; aber auch so erkennt er die Unwirksamkeit des Randomisierungsprinzips bei systematischen Effekten, d. h. solchen Effekten, die gleichartig auf alle Mitglieder einer Gruppe wirken, im Gegensatz zu unsystematischen Effekten, die die Zufalls streuung von Variablen bedingen. Die von Clausewitz identifizierten psychologischen Variablen sind von eben jener systematischen Art:

Die Talente oder der kriegerische Genius des Feldherrn, dessen Einfluß sich auf die ganze Armee erstreckt, d. h. auf jedes einzelne Mitglied. Der Volksgeist, d. h. Charakteristika, die von vornherein die Gesamtheit der betroffenen Gruppe charakterisieren, von denen das Heer einen Teil darstellt. Notabene: Auch für Wundt war der "Volks geist" ein komplementäres Forschungsgebiet zur Elementenpsychologie. "Völkerpsychologie" stellt das Studienobjekt dar, in dem die Randomisierungsprinzipien nicht galten, und in dem die empirisch experimentellen Methoden nicht griffen. Sie war ein präventives Programm gegen eventuelle Einseitigkeiten eines rein experimentellen Empirieverständnisses. Kriegerische Tugenden des Heeres, wie Tapferkeit, Gewandtheit, Abhärtung, Enthusiasmus. Hierzu ein kurzer Exkurs: Clausewitz' Persönlichkeitslehre ist von eigenschaftstheoretischer Natur: So auch diese genannten Eigenschaften. Dies wären zwar zufalls verteilte , sogar normalverteilte Variablen, die sich in Großgruppen tatsächlich randomisieren. Trotzdem unterliegt Clausewitz keinem Denkfehler, denn es handelt sich um eine besondere Gruppe von Eigenschaften, die sogenannten "motivspendenden Eigenschaften" im Sinne Guilfords. Das heißt, man könnte diese Begriffe mühelos in andere Persönlichkeitstheorien überführen, etwa in Motivationstheorie oder Einstellungstheorie. Demzufolge unterliegen sie systematisierenden, d. h. Randomisierung aufhebenden Einflüssen von Motivierung, Training oder Propaganda. Es wäre absolut im Sinne des Clausewitzschen Denkens, wenn man hier den Angriffspunkt für den kriegerischen Genius des Heerführers erkennen würde, bzw. die Naht

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stelle, an der die psychischen Systeme des Feldherren und der geführten Soldaten ineinander greifen. Solche Eigenschaften wären offen für die Interaktion oder Wechselwirkung zwischen Heerführer und Heer. Methodologisch ausgedrückt: Der Heerführer stellt eine unabhängige Variable dar, mit Wirkung auf die moralischen Größen des Heeres als abhängige Variable. Bemerkenswert an der Auflistung jener vier Tugenden ist, daß sie durch Prozesse von Motivation, Training oder Propaganda von unsystematisch randornisierenden Variablen in systematische moralische Größen überführt werden können, von denen Clausewitz annimmt, daß sie größeren Einfluß auf das militärische Geschehen haben, als man bis dahin erkannte, oder sogar "zu den wichtigsten Gegenständen des Krieges gehören ... die Geister welche das ganze Element des Krieges durchdringen" (1973, 356). Zusammenfassend könnte man konstatieren, Clausewitz erkennt die nichtrandomisierende Natur der kriegerischen Tugenden. Diese Erkenntnis ist faszinierend genug, um nachvollziehen zu können, daß sie sicherlich mit konstitutiv für den heutigen Motivations-, Ausbildungs-, und Erziehungsboom in den Streitkräften wurde, zum anderen, daß es auch zu einer Überschätzung des Umfangs jener randomisierungaufhebenden Wirkungen der moralischen Größen kam, so wie es sich etwa in einem Buchtitel andeutet "Der Feldherr Psychologos" von Kurt Hesse (1922). Nun weiß die Psychologie aber, daß Randomisierung quantitativ begrenzt ist - ebenso wie systematische Effekte es sind. In psychologischen Experimenten hängt sie schlicht von der Zahl der Probanden in den zu vergleichenden Versuchs- und Kontrollgruppen ab, im Kriege von der Größe der Kampfgruppen. Mit Hilfe der Inferenzstatistik kann das Ausmaß der Randomisierung berechnet werden. Bemerkenswerterweise weiß auch Clausewitz um diese quantitativen Grenzen. Im dritten Band befaßt er sich mit der Frage, ab welcher Zahl quantitativer Überlegenheit eine der sich messenden Parteien die systematischen Effekte der moralischen Größen überlagert. Im Vergleich einiger konkreter Schlachten kommt er zu dem Schluß, daß ein Verhältnis von eins zu zwei nicht mehr durch Überlegenheit in den moralischen Größen auszugleichen sei.

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C. Theorie - Praxis - Realität Die methodologischen Wege Clausewitz' und der Psychologie sind nicht von Anfang an getrennt. Vielmehr nimmt das Clausewitzsche Denken eine Startposition ein, die elementar psychologisch ist und letztlich in die Dominanz der empirischen Methodologie mündet: die alleinige Unterwerfung unter die Erfahrung bei gleichzeitiger Geringschätzung der systematischen Konzeption einer spezifischen Kriegslehre oder Kriegstheorie als Ausgangspunkt und Leitlinie des Erkennens. Damit weist er geradezu den Weg für eine empirische Behandlung seines Gegenstandes. Tatsächlich geht Clausewitz den psychologischen Weg dann aber doch nicht bis zum Ende, weil er erkennt, daß dieser seinem Gegenstand nicht angemessen ist bzw. zu seiner Zeit nicht war. Der Grund ist, daß man im Kriege nicht experimentieren kann. Eine Theorie vom Kriege kann ihre Erkenntnisse nicht aus dem systematischen Probieren schöpfen. So trennt sich also psychologisches und Clausewitzsches Denken nicht an der Empirie schlechthin, sondern erst an der Frage einer experimentellen versus einer aus dem persönlichen Urteil schöpfenden Erfahrungsauswertung. Daraus ergibt sich aber ein unterschiedliches Theorie-Praxis-Verhältnis in psychologischen und Clausewitzschen Denkansätzen: Bei Clausewitz steht die Praxis, die sich ständig verändert, entwickelt, bereichert, vervollkommnet, im Mittelpunkt. Von ihr nimmt die Theorie ihren Ausgang, die Praxis erscheint als "Quelle, Grundlage, bewegende Kraft" der Theorie. Praxis ist ein objektives Kriterium der Theorie, wobei die Theorie die von der Praxis gestellte Frage klärt und weiterführt. Sie ist somit Dienerin der Praxis. In der modernen Psychologie gibt es nicht diese Gegenüberstellung von Theorie und Praxis, sondern eine Art Dreiecksverhältnis zwischen Realität, Forschungspraxis (Empirie) und Theorie. Psychologische Forschung kann von beiden Endpunkten ihren Ausgang nehmen, von der Praxis oder der Theorie. Immer muß sie aber über die Empirie führen, sonst kommt es zu Fehlentwicklungen. Beides hat sich die Psychologie zuschulden kommen lassen: Von einer Theorie her unmittelbar Praxis abzuleiten, die dann oft mangelhaft begründet ist, z. B. in der Psychotherapie, oder aber von erlebten Realitäten her waghalsige Theorien zu konstruieren, die dem empirischen Erkenntnisstand nicht gerecht werden.

Clausewitz als Psychologe

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Es gibt zwei Varianten im Empirieverständnis: Die erste geht von einer Theorie aus, übersetzt sie in experimentell-empirische Praxis und mißt diese dann an der Realität: Wenn Intelligenz erforscht werden soll und einerseits eine Theorie existiert, die besagt, sie sei bei Männern und Frauen gleich, andererseits ein praktischer Test, der immer wieder zeigt, daß dem nicht so ist, gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: nämlich die Theorie zu ändern, oder den Test. Diese Möglichkeit sieht Clausewitz nicht. Der Krieg ist das harte Maß aller Dinge und es gibt für ihn keine Möglichkeit, Theorie und Methodologie so einander anzupassen, bis schließlich Napoleon die Schlacht bei Leipzig gewonnen hätte. In der Psychologie ist die Forschungspraxis eine "sukzessive Approximation" von Theorie und Wirklichkeit. Der Krieg aber läßt sich nicht durch Forschungsakte auf irgendeine Theorie zubewegen, und deshalb scheiden sich die Wege Clausewitz' und der Psychologie. Im Krieg wird nicht geforscht, probiert usw. Soldatisches Handeln ist in dieser Hinsicht nicht wissenschaftlich. Erst in der Nachfolge des Clausewitzschen Denkens wurden dann doch Wege gefunden, diese UnveITÜckbarkeit der harten Praxis aufzuheben und experimentelle Approximationen an die Theorie vorzunehmen: Simulations- und Planspieltechniken imitieren eine Realität ohne Ernstfallcharakter, die zum Studienobjekt für Annäherungen von Theorie und Praxis werden kann. Tatsächlich wird ihr Aufkommen und die weite Verbreitung in den deutschen Streitkräften mit dem Clausewitzschen Denken in Verbindung gebracht. Die zweite Empirievariante der Psychologie steht dem Clausewitzschen Ansatz unmittelbar näher. Sie kann von einer erfahrenen Wirklichkeit herkommen und versuchen, diese zu erklären. Wenn Wirklichkeit allerdings unmittelbar gedeutet wird ohne Zwischenschaltung von Empirie, ergeben sich waghalsige, schlechtbegründete Theorien, eine Theorie zum Beispiel, nach der die Erde noch immer eine Scheibe wäre. Deshalb ist die Zwischenschaltung von Empirie unabdingbar. In jedem Falle stehen in der Psychologie zwei Empiriestrategien gleichberechtigt nebeneinander, nämlich ein "konstruktpsychologischer Ansatz", der von einer Theorie ausgeht und zur Approximation mit Wirklichkeit und Praxis führt, und ein "lebensweltorientierter Ansatz", bei dem relevante Fragen des praktischen Lebens zu einer Approximation an Theorie und Empirie führen. Nun bleibt zu konstatieren, daß es auch bei Clausewitz keinen linearen Kurzschluß zwischen Praxis und Theorie gibt, sondern eine zwischengeschal-

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tete Instanz, die so etwas sein könnte wie der "Takt des Urteils". Es gibt keinen Anlaß, diese Eigenschaft nur dem Feldherrn zuzuschreiben. Clausewitz bedient sich ihrer selbst in hohem Maße auch bei der wissenschaftlichen Befassung mit dem Kriege: Die Theorie ergibt sich nicht von selbst aus Praxis, sondern durch systematisches Abwägen, Ausleuchten und Anwenden der Verstandeskräfte und der Urteilskraft. So könnte man hier zusammenfassen, die psychologische Rolle der Empirie wird durch den wissenschaftlichen "Takt des Urteils" bei der Anwendung idealtypischer Methoden ausgefüllt. Genau dies scheinen einige Kritiker nicht zu erkennen. Es kommt deshalb zu zwei Grundtypen der Kritik an Clausewitz: Aus Clausewitz' Mißtrauen gegen Systematiken und Lehrkonzepte als Leitlinien der Erkenntnis und seinem alleinigen Rekurs auf die Erfahrung der Wirklichkeit wird geschlossen, das gesamte Werk sei theorie- und konzeptlos. So z. B. der General von Scherff, der von einer "nicht unbedenklichen Lossagung von aller Theorie" spricht und deren Ersatz durch "persönliche Empirie des Einzelnen". Oder noch deutlicher ein Oberstleutnant Wagner: "Daß Clausewitz nicht nur ( ... ) ohne Plan zu schreiben anfing, sondern im Laufe der längjährigen Arbeit nie zu einem Gesamtplan kam, lag eben in seiner Natur, welche wohl vermochte, Gedanken über das Einzelne in behaglicher Breite zu entwickeln, dagegen derjenigen Kraft der Conzentrierung des Geistes entbehrte, die erforderlich ist, um das ganze zu einem einheitlichen wissenschaftlichen System zusammenzufassen" (Zitate nach Hahlweg 1973,59 f.). Andere Kritiker sehen gerade nur die Bemühungen um den Takt des Urteils, erkennen nicht dessen Funktion als Bindemittel zwischen Praxis und Theorie und halten sie im Grunde für überflüssig. So etwa Graf Schlieffen, der von einer "philosophisierenden Betrachtungsweise" spricht, "die den heutigen Leser nicht immer anmutet". Carl Linnebach berichtet, diese Überlegungen hätten "sogar zu dem Rat an den Leser geführt, die philosophisierenden Betrachtungsweisen einfach zu überschlagen" (Hahlweg 1973, 57). Hinsichtlich der Art der Theorienbildung läßt Clausewitz eine bewährte Angewohnheit der wissenschaftlichen Psychologie unbeachtet, nämlich die An-

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lage als deskriptives, explikatives oder präskriptives Modell von vornherein. Psychologische Theorien sind in aller Regel um so präziser, je eindeutiger sie sich auf eine Art von Modellen beschränken oder Übergangsregeln von einer zur anderen Modellhandhabung angeben. Clausewitz hingegen läßt den Leser in dieser Hinsicht allein, was zu herrlichen Streitmöglichkeiten und Kontroversen führt. Dies trifft in besonderer Weise für den Kernsatz zu, "Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln". Nach Maßgabe eines normativen Standpunktes von Politikwissenschaft kann man zu einem Urteil gelangen, dessen syllogistische Struktur etwa folgende Gestalt hätte:

1.

Krieg zu legitimieren ist unmoralisch.

2.

Clausewitz' Position bedeutet eine Legitimierung des Krieges.

3.

Also ist Clausewitz' Position unmoralisch.

Von einem deskriptiven Standpunkt aus betrachtet, wären Beschreibungen von Sachverhalten niemals moralisch oder unmoralisch. Höchstens das Beschriebene selbst fiele unter diese Kategorien. Kritikkriterien richten sich dann allenfalls auf die Qualität der Beschreibung. Das Urteil liegt nicht auf einer Dimension von gut und böse, sondern derjenigen von gut und schlecht, allenfalls noch richtig und falsch, und gibt damit Auskunft über die einzig interessante Frage, ob in dieser Aussage die Wirklichkeit gut oder schlecht getroffen ist. Es könnte auch sein, daß außer dem deskriptiven Anliegen mit der Clausewitzschen Kernaussage noch ein explikatives Anliegen verfolgt wird: Das Argument wird in Erklärungszusammenhänge eingebaut, die den Unterschied zwischen der idealtypischen Gestalt des Krieges und seiner realen Erscheinungsform erklären. Da aber die reale Erscheinungsform maßvoller ist als die idealtypische, ließe sich auch eine Übergangsbeziehung zur präskriptiven Modellbildung logisch ableiten:

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1.

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Explikativ: 1. 2. 3.

2.

Es gibt Realitätsaspekte, die die auf Totalität gerichteten feindseligen Wechselwirkungen mäßigen. Politik stellt einen mäßigenden Einfluß dar. Politikgesteuerte Kriege sind von maßvoller Natur.

Präskriptiv: 1. 2. 3.

Kriegerische Auseinandersetzungen sollen von maßvoller Natur sein. Politikgesteuerte Kriege sind von maßvoller Natur. Deshalb soll der Krieg durch politische Vorgaben gesteuert werden, d. h.: Der Krieg soll immer nur politisches Mittel sein.

Die Konklusion des explikativen Syllogismus wird so zur Propositio Minor des präskriptiven Syllogismus bzw. der Normbegründung.

D. Clausewitz im Lichte der Motivationstheorie In der Verfolgung der Frage, auf welche Weise politischer Einfluß jene mäßigende Wirkung bewerkstelligt, entwickelt Clausewitz Gedankengänge, die den psychologischen Motivationstheorien zuzuordnen wären. Motivationstheorien stellen in der Psychologie einen Übergangsbereich zwischen Allgemeiner Psychologie und Persönlichkeitstheorie dar. Sie gehören der Allgemeinen Psychologie an, wo sie anthropologisch argumentieren, d. h. Strukturen menschlicher HandlungsbeweggTÜnde identifizieren und die allgemeinen Wechselwirkungen zwischen Antriebskräften analysieren. Sie gehören der differentiellen Psychologie oder auch der Persönlichkeitstheorie an, wo sie Unterschiede zwischen HandlungsbeweggTÜnden bei verschiedenen Menschen oder Gruppen zu ihrem Gegenstand haben. Bei Clausewitz findet man beide Betrachtungsweisen. Eine der Grundannahmen allgemeinpsychologischer Art weist eine Parallele zu dem modernen Ansatz der Erwartungs-Nutzen-Theorien auf, die in der Nachfolge von Atkinson und McClelland entwickelt wurden und in der kognitiven Theorie der Leistungsmotivation bzw. Anstrengungskalkulation von

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Heckhausen eine vorläufige Endgestalt angenommen haben. Die Anwendung dieser Modelle erlaubt sogar eine Formalisierung von Clausewitz' Theorie. Es gibt darin eine multiplikative Verknüpfung zweier Komponenten, die in ihrer Gesamtheit so etwas wie die Kampfkraft ausmachen. "Wollen wir den Gegner niederwerfen, so müssen wir unsere Anstrengung nach seiner Widerstandskraft abmessen; diese drückt sich durch ein Produkt aus, dessen Faktoren sich nicht trennen lassen, nämlich die Größe der vorhandenen Mittel und die Stärke der Willenskraft" (1973, 195). Da Clausewitz, wie gesagt, annimmt, daß die vorhandenen Mittel bei den europäischen Armeen prinzipiell vergleichbar sind, folgt daraus, daß die Kampfkraft maßgeblich von der Motivation bzw. den "moralischen Größen" abhängt.

In den psychologischen Erwartungs-Nutzen-Theorien gibt es ebenfalls eine multiplikative Verknüpfung, nämlich bei der Anstrengungskalkulation (M) (dort Leistungsmotivation genannt). Diese ist ein Produkt aus dem Zielanreiz (R) und dem Erreichbarkeitsgrad (E) des Zieles: M = R E Legende:

K: Kampfkraft; M: Motivation; A: Ausrüstung (vorhandene Mittel); E: Er-

folgserwartung; W: Widerstandskraft; R: Zielanreiz; E: Erreichbarkeitsgrad. Mit den Indizes (1 und 2) werden die heiden streitenden Parteien unterschieden.

Clausewitz: (1)

AIM I

>

=K I = K2 =A2M2
===:S;ji;j;h,;;;;;;;;t:;::=+1~~ Charakter _ _ Gemllts-, Charakterstlrtc :: Selbotbeherrschung· 11 • Eiaen.inn Ehrgeiz, Ruhmsuc~t



11

/ ' Ideenfanatismus C- Vaterlandsliebe E· -11 lns~ uns ~ Rache



mißbrluchliche Varianten

Begeisterung Perzeptuelle / ' geograp~sc~er Sinn . Orts-, OrientierunSSlIDD 1genz ....... Phantasie, Vorstelluna

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Abb. 4: Eigenschaftsgefüge des kriegerischen Genius

Charakteristika des Heeres: Zusammenfassend ist zu konstatieren, daß Clausewitz in mancherlei Hinsicht die wissenschaftsgeschichtliche Abfolge der psychologischen Argumentation vorwegnimmt: Allgemeinpsychologische, formale Zusammenhänge erlauben individuell-inhaltliche Konkretisierungen, deren Analyse in eine differentialpsychologische Eigenschaftstheorie der Motivation mündet. Diese hat Ähnlichkeiten mit den "Schichttheorien" der älteren Charakterologie, aber ebenso mit moderneren Termini der Faktorentheorien. Insgesamt wurden diese Theorien in letzter Zeit verschiedenen Angriffen ausgesetzt. W. Mischel wollte die Eigenschaftstheorien durch situative Modelle ersetzen, was ein umfangreiches Krisenmanagement zur Verteidigung der Eigenschaftstheorien auslöste. Die rettenden Argumente laufen darauf hinaus, Eigenschaften nicht mehr isoliert zu betrachten, sondern in der Gesamtwirkung

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133

ihrer spezifischen Konstellation untereinander auf ein zu prognostizierendes Kriterium, sowie in der Interaktion oder Wechselwirkung mit situativen Charakteristika. Dies aber ist bei Clausewitz von Anfang an der Fall. Die Bedeutung einer Eigenschaft ergibt sich immer aus ihrer Einbettung in das Gesamtgefüge der Persönlichkeit und ihrer Funktion in der spezifischen militärischen Situation. Insofern kann die Psychologie Clausewitz' zwanglos in die aktuellen interaktionistischen Persönlichkeitstheorien eingeordnet werden. Ein wesentlicher Bereich derartiger Interaktionen sind die Charakteristika des Heeres: Der Volksgeist (V):

Der Volks geist ist das Ausmaß, mit dem sich bestimmte, zeitgeistabhängige Stimmungen und Lebensgefühle einer Gesellschaft in einem Heere wider-· spiegeln und dessen Kampfbereitschaft und Kampfgeist prägen. Dazu zählen die Eigenschaften Enthusiasmus (E), fanatischer Eifer (F), Glaube (G), Meinung (M). (33)

V =f(E, F, G, M)

Clausewitz selbst scheint diese aber nicht notwendigerweise als zeitgeistabhängige Eigenschaften anzusehen. Er spricht von natürlichen Eigenschaften eines zum Kriege gerüsteten Volkes, die sich von der antrainierten, anerzogenen oder durch Erfahrung erworbenen "kriegerischen Tugend" unterscheiden. Es scheint daher, als vertrete Clausewitz eine Art rudimentäre Vererbungstheorie; rudimentär deshalb, weil aus diesen Volksgeistcharakteristiken weitere Verhaltensattribute eines Heers hervorgehen, die auch ohne kriegerischen Volksgeist, rein aus der erzieherischen Tugend erwachsen können, nämlich Tapferkeit (T), Gewandtheit (G), Abhärtung (A). (34)

T = f(V)

(35)

G=f(V)

(36)

A = f(V)

In einer zusammenfassenden Formalisierung sähe das Systemgefüge folgendermaßen aus: (37)

T, G, A=f(V) = f(E, F, G, M)

134

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Neuerlich drückt sich eine Mehrschichtigkeit im charakterologischen Denken aus. Das System der Eigenschaften stellt sich graphisch folgendermaßen dar (Abb. 5):

Volksgeist

· Tapferkeit ~ Ffuili~:? anaUsmus ~ ~OeWandtheit ~

~ Glaube

Abhärtung

Meinung

Abb. 5: Eigenschaftsgefüge des Volksgeistes

Die kriegerische Tugend: Kriegerische Tugend kann auf den Eigenschaften des Volksgeistes aufbauen, ohne diese notwendigerweise vorauszusetzen. Sie kann diese ersetzen, oder falls sie vorhanden sind, verfeinern, und zwar durch das Hinzutreten soldatischer Ordnungsfaktoren und von Verstandesbildung. So entstehen etwa aus der natürlichen Anlage der Tapferkeit als "ungezügelte Kraftäußerung" durch das Hinzutreten von "Ordnung", "Regel", "Methode", und "Gehorsam" als Ordnungsfaktoren, sowie von "Übung", "Sicherheit", "Leichtigkeit des Handelns" als Bildungsresultaten so etwas wie kriegerische Kultur oder eben die kriegerische Tugend. Diese äußerst sich zusammenfassend als esprit de corps. Formalisiert erhält das Eigenschaftsgefüge folgende Gestalt: (38) Tg= f

[(T,G, A) +

(0, R, M, Gh) +

(Ü, S, L»)

Volksgeist

Ordnung

Bildung

kriegerische Tugend Tg: Tugend; T: Tapferkeit; G: Gewandtheit; A: Abhärtung; 0: Ordnung; R: Regel; M: Methode; Gh: Gehorsam; Ü: Übung; S: Sicherheit; L: Leichtigkeit

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Abb. 6 verdeutlicht die Art der Zusammenhänge: ____ EnthUsiasm?

Volksgeist

~ Fanatismus

~ Glaube ___ M .

--"'"-"