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German Pages 309 Year 2018
E THIK UND R ECHT Band 5
Christliche Werte im Bürgerlichen Recht Exemplarisch illustriert anhand ausgewählter Einzelnormen
Von
Clara zu Löwenstein
Duncker & Humblot · Berlin
CLARA ZU LÖWENSTEIN
Christliche Werte im Bürgerlichen Recht
Ethik und Recht Herausgegeben von Wilfried Hinsch und Silja Vöneky
Band 5
Christliche Werte im Bürgerlichen Recht Exemplarisch illustriert anhand ausgewählter Einzelnormen
Von
Clara zu Löwenstein
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.
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In Dankbarkeit meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis November 2016 berücksichtigt werden. Großer Dank gilt meinem sehr geschätzten und geehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Marc-Philippe Weller. Ihm bin ich in tiefer Dankbarkeit verbunden für die ansteckende Begeisterung und sachkundige Beratung, vor allem jedoch für seinen Einsatz für den akademischen wie menschlichen Werdegang seiner Mitarbeiter. Sein wohlwollender Zuspruch während des Studiums und auch in der nachfolgenden Zeit hat nicht nur wesentlich zur Fertigstellung dieser Dissertation beigetragen. Ihm habe ich die Begeisterung für wissenschaftliches Arbeiten zu verdanken. Herrn Professor Dr. Markus Stoffels danke ich herzlich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Weiterhin gilt mein Dank Frau Professor Dr. Silja Vöneky und Herrn Professor Dr. Wilfried Hinsch für die Aufnahme meiner Arbeit in die von ihnen herausgegebene Schriftenreihe ‚Ethik und Recht‘. Danken möchte ich zudem der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung für die großzügige finanzielle Unterstützung meines Vorhabens durch die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Besonderer Dank gebührt den Menschen, die in zahlreichen Diskussionen und Gesprächen zu dem Gelingen dieser Dissertation beigetragen haben. Allen voran ist mein geschätzter Vater Michael zu Löwenstein zu nennen, der mich stets aufs Neue zur kritischen Hinterfragung meiner Thesen bewegt und zum Weiterschreiben motiviert hat. In Dankbarkeit bin ich zudem Dr. Clara von Spee und Nadja Harraschein für ihren Rat und ihre wertvollen Anmerkungen verbunden. Ebenso gilt mein Dank den Teilnehmern des Jour Fixe am Institut, insbesondere Dr. Bettina Rentsch, Dr. Chris Thomale und Dr. Leonhard H übner, ebenso wie Prof. Dr. Peter Schallenberg an der Theologischen Fakultät Paderborn und Isabelle Lütz für kluge wie kritische Gedanken zu der Arbeit. Schließlich und zuletzt danke ich von Herzen meinen beiden Eltern, Andrea und Michael. Ohne Eure bedingungslose Unterstützung wären weder das Studium noch diese Promotion möglich gewesen. Euer Verdienst kann kaum hinreichend gewürdigt werden. Euch ist diese Arbeit gewidmet. Berlin, im November 2017
Clara zu Löwenstein
Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Klärung von Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Themenbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 22 23 26 36 40
B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhältnis von Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehungsgeschichte des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 42 52 60
C. Christliche Werte in den Normen des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Nächstenliebe am Beispiel des Schikaneverbotes, §§ 226, 826 BGB . 61 II. Barmherzigkeit am Beispiel des Wucher- und Zinseszinsverbots . . . . . 85 III. Liebestätigkeit und Sozialverpflichtung des Eigentumsam Beispiel von § 2072 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB . . . . . . 154 VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB . . . . . . . . . . . . . . 188 VII. Weitere christliche Werte und Beispiele im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 VIII. Ergebnis: Christliche Werte in breiter Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 D. Synthese: Behalten die Motive Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vehikel des christlichen Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art und Weise des Imports christlicher Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bedeutungswandel christlich geprägter Normen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anerkennung und Akzeptanz der untersuchten christlichen Werte . . . . . V. Ergebnis: Freundschaftliches Kooperationsverhältnis auch im BGB . . .
234 234 235 241 245 248
E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB? . . . . . . . I. Gesellschaftliche Entwicklung: Pluralisierung und Rückbesinnungswunsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dispositives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Privatautonome Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis: Zukunft religiöser Werte in freiheitlichem Ansatz . . . . . . . . .
250 250 252 254 269
F. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
10 Inhaltsübersicht Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275 275 279 280 282
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der historische Kontext der Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . 2. Christliche Werte in den Normen des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB? . . . 5. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einfallstore für christliche Werte im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit einer induktiven Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundannahmen einer rechtshistorischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . 4. Untersuchungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemsituation bei Normerlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fortwirken in der Normanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Klärung von Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Themenbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 22 23 23 24 25 25 26 26 26 29 31 33 33 36 36 40
B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhältnis von Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rückblick: Von der Staatsreligion zu Staat und Religion . . . . . . . . . a) Aufschwung des Christentums zur Staatsreligion . . . . . . . . . . . . . b) Staat und Religion im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Trennung von Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergebnis: Ein freundschaftliches Kooperationsverhältnis . . . . . . . . . II. Entstehungsgeschichte des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzgebungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsquellen der Entwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vehikel für den Einfluss christlicher Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einordnung des Bekenntnisses und Bedeutung der Motive . . . . . . . . III. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 42 43 43 45 48 51 52 52 54 57 58 60
C. Christliche Werte in den Normen des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Nächstenliebe am Beispiel des Schikaneverbotes, §§ 226, 826 BGB . 61 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Das Schikaneverbot, § 226 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
12 Inhaltsverzeichnis
II.
2. Regelungsproblem des § 226 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Bekannte Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 a) Einschränkung des Eigentumsgebrauchs bei Schikane . . . . . . . . . 68 aa) Lösung des ALR I 8 § 27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Ursprung in Neidbaukonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 cc) Eingang der Nächstenliebe in die Argumentation . . . . . . . . . 69 b) Freier Gebrauch des Eigentums: „qui iuro suo utitur neminem laedit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 c) Subjektive Rechtsausübungsbeschränkung des Eigentums . . . . . . 72 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. Lösung des Gesetzgebers: § 226 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Erster Entwurf des BGB: Freier Gebrauch des Eigentums . . . . . 74 b) Kritik an erstem Entwurf durch v. Gierke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 c) Einführung des Schikaneverbotes in der Reichstagskommission . 76 d) Wertung hinter der Lösung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 77 5. Lösung des § 826 BGB und Zusammenhang mit § 226 BGB . . . . . . 78 6. Fortwirken der Wertung in der Normanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Normanwendung um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 aa) Normanwendung des § 226 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 bb) Normanwendung des § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Normanwendung heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Normanwendung des § 226 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Normanwendung des § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Barmherzigkeit am Beispiel des Wucher- und Zinseszinsverbots . . . . . 85 1. Problemsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Bekannte Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Zinshöchstgrenzen und Zinseszinsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Die Anfechtung wegen laesio enormis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 c) Historisches Zins- und Zinseszinsverbot in der Kanonistik . . . . . 92 d) Flexibles Wucherverbot im Wuchergesetz von 1880 . . . . . . . . . . 95 aa) Kirchenpolitische Wende der Zinspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Einsatz des Zentrums für die Einführung des Wucher gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 cc) Zwischenergebnis: Ökonomische und ethische Erwägungen 99 e) Kündigungsmöglichkeit und Verbot der Vorausabrede von Zinseszinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. Lösung des Gesetzgebers durch §§ 138 Abs. 2, 248, 289 BGB . . . . 101 a) Das Wucherverbot gemäß § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Lösung der Vorkommission des Reichsjustizamtes . . . . . . . . 102 bb) Import der Wertungen des Wuchergesetzes . . . . . . . . . . . . . . 103 cc) Import der Wertungen v. Gierkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Inhaltsverzeichnis13 dd) Wertungen der Befürworter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Das Zinseszinsverbot der §§ 248, 289 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Lösung der Redaktoren, §§ 248, 289 BGB . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Wertungen hinter den Zinseszinsverboten . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Beschränkung des § 248 BGB auf Vorausabrede von Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4. Fortwirken des Schutzgedankens in der Normanwendung . . . . . . . . 110 a) Normanwendung um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Normanwendung des Wucherverbotes, § 138 Abs. 2 BGB . 111 bb) Anwendung des Zinseszinsverbotes, § 248 BGB . . . . . . . . . 112 b) Normanwendung heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Zweck des § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Praktischer Anwendungsbereich des § 138 Abs. 2 BGB . . . . 113 cc) Zinseszinsverbot des § 248 BGB als reine Transparenz vorschrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 dd) Bedeutungswandel des § 248 BGB am Beispiel des Disagios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 ee) Zweck des § 289 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Liebestätigkeit und Sozialverpflichtung des Eigentums am Beispiel von § 2072 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Problemsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Vorbildregelung im Codex Justinanus und deren Wertungen . . . . . . 123 a) Auslegungsregeln im Codex Justinianus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Augustinische Lehre von der portio Christi . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Übernahme der augustinischen Lehre in den Codex . . . . . . . 126 cc) Übernahme in das Corpus Juris Canonici . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Wertungen der Lehre: Liebestätigkeit und Sozialverpflichtung des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 aa) Liebestätigkeit (caritas) und Sozialverpflichtung des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 bb) Sorge um das Seelenheil (cura animarum) . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Übernahme in den germanischen Kult der „Seelgeräte“ . . . . . . . 130 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Lösung des Gesetzgebers: § 2072 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Auslegungsregel des § 2072 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Import der christlichen Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
14 Inhaltsverzeichnis 5. Fortwirken der christlichen Wertungen in der Normanwendung . . . . 133 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Die christliche Sonntagsheiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Ursprung in der jüdischen Sabbatheiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) Weitere Entwicklung zur christlichen Sonntagsheiligung . . . . . . . 137 c) Begründung des christlichen Arbeitsethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Problemsituation und bekannte Lösungsansätze bei Normerlass . . . . 141 a) Regelungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Bekannte Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Keine Rechtshandlungen an Sonntagen möglich . . . . . . . . . . 142 bb) Dispositive Auslegungsregel für nächstfolgenden Tag . . . . . 143 3. Lösung des Gesetzgebers: § 193 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Keine Regelung im ersten Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Kritik an erstem Entwurf durch v. Gierke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 c) Antrag zur Erweiterung der Norm durch das Zentrum . . . . . . . . . 145 d) Import des Wertes der Sonntagsheiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Die christliche Sonntagsheiligung in v. Gierkes Kritik . . . . . 145 bb) Die christliche Sonntagsheiligung in der Reichstagsdebatte . 146 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4. Die Sonntagsheiligung in der Anwendung der Norm . . . . . . . . . . . . 148 a) Normanwendung um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Normanwendung heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Reiner „Freizeitparagraph“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Zweck der Sonntagsheiligung in verfassungskonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 cc) Anwendungsbereich der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 dd) Zunehmende Bedeutung des Schutzes durch § 193 BGB . . . 153 5. Ergebnis: Sonntagsheiligung im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB . . . . . . 154 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Heiligkeit der Ehe im Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Naturalobligation des § 656 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Problemsituation bei Normerlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Strafrechtliches Verbot der „Kuppelei“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Ehe als Sakrament und der Handel mit geistlichen Gütern (Simonie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Suggestionsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Bekannte Lösungsansätze bei Normerlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Wirksames Lohnversprechen im Anschluss an gemeinrechtliche Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Inhaltsverzeichnis15 b) Nichtigkeit des Lohnversprechens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unklagbarkeit des Lohnversprechens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lösung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sittlichkeit als Begründungskategorie der Reichstags kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wertungen des Zentrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Import der Wertungen Kohlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einordnung in die Problemgeschichte der Ehevermittlung . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Suggestionsgefahr bei Ehemakelei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz der Privatheit vor Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abwägung der Gründe für die Einführung der Norm . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fortwirken des Sittlichkeitsarguments in der Normanwendung . . . . . a) Normanwendung 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweck der Norm heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zweck: Schutz der Privatheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wegfall der Sittlichkeitsargumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendungsbereich heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausblick: Mit Hinblick auf Historie reformbedürftig? . . . . . . . . . aa) Reformversuche in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematische Diskriminierung des Ehemaklervertrags auch heute? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB . . . . . . . . . . . . . . 1. Versprechenstreue und Versprechensbindung im BGB . . . . . . . . . . . a) Der christliche Wert der Versprechenstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Versprechensbindung im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Problemsituation der Versprechensbindung im BGB . . . . . . . . . . . . . a) Die kanonische Lehre von der Versprechensbindung . . . . . . . . . . aa) Formalismus des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Klagbarkeit von pacta nuda und Versprechenslehre im kanonischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Moraltheologisches Fundament der kanonischen Lehre . . . . dd) Verbreitung der kirchlichen Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fortentwicklung zum Konsensprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundentscheidung für pacta sunt servanda im BGB . . . . . . . . . . aa) Einführung der Formfreiheit im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertragsbindung in den Normen des BGB . . . . . . . . . . . . . . 3. Versprechenstreue am Beispiel des § 657 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . .
165 166 166 168 168 169 172 172 173 174 175 177 177 178 178 179 180 181 182 184 184 185 186 187 188 188 188 189 190 191 191 192 193 194 195 197 197 198 200
16 Inhaltsverzeichnis a) Regelungsproblem des § 657 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Bekannte Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Kein klagbarer Anspruch nach römischem Recht . . . . . . . . . 201 bb) Finderlohnversprechen als Vertrag (Vertragstheorie) . . . . . . . 203 cc) Versprechen als Verpflichtungsgrund (Versprechenstheorie) . 203 dd) Wertung hinter der Versprechenstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 204 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Lösung und Wertung des § 657 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Pragmatismus des Gesetzgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Import der Wertung der Versprechenstheorie . . . . . . . . . . . . . 208 d) Versprechensbindung in der Normanwendung . . . . . . . . . . . . . . . 209 4. Versprechenstreue am Beispiel des § 145 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Regelungsproblem des § 145 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 b) Bekannte Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 aa) Widerruf des Angebotes vor Annahme möglich . . . . . . . . . . 212 bb) Widerruf des Angebotes nicht möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 c) Lösung und Wertung des § 145 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Wertungen der Redaktoren: Vertrauensschutz und ethische Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Import der kanonischen und naturrechtlichen Lehre von der Versprechensbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 d) Versprechensbindung in der Normanwendung . . . . . . . . . . . . . . . 217 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 5. Rechtsvergleichende Untersuchung einseitiger Versprechen im Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Einseitige Versprechen im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Einseitige Versprechen im Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) „Promissio est servanda“ ohne ethische Komponente? . . . . . . . . 222 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6. Ausblick: Tendenz zur Endethisierung der Versprechensbindung? . 223 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 VII. Weitere christliche Werte und Beispiele im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 VIII. Ergebnis: Christliche Werte in breiter Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 D. Synthese: Behalten die Motive Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 I. Vehikel des christlichen Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. Art und Weise des Imports christlicher Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Verbot unchristlichen Verhaltens und ius cogens . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Gebot christlichen Verhaltens und dispositives Recht . . . . . . . . . . . . 237 3. Streubreite der beeinflussten Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4. Import christlicher Werte wird nicht offen gelegt . . . . . . . . . . . . . . . 239 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 III. Bedeutungswandel christlich geprägter Normen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Veränderungen mit Rücksicht auf Zweck und Anwendungsbereich . 241
Inhaltsverzeichnis17 a) Bedeutungswandel durch Zweckänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutungswandel durch schwindenden Anwendungsbereich . . . 2. „Rechtsleben“ der Normen im Vergleich zu ihrer Rechtsnatur . . . . . 3. Zwischenergebnis: Bedeutungswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anerkennung und Akzeptanz der untersuchten christlichen Werte . . . . . 1. Bedeutungsschwund einiger Werte in Gesamtanschauung . . . . . . . . . 2. Bedeutungszuwachs des Schutzes des Schwächeren . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis: Freundschaftliches Kooperationsverhältnis auch im BGB . . .
242 242 243 245 245 246 247 248 248
E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB? . . . . . . . 250 I. Gesellschaftliche Entwicklung: Pluralisierung und Rückbesinnungswunsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 II. Dispositives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Privatautonome Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Christliche Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Vereinigungen als Ausdruck der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . 255 3. Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Vereinbarung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . . 257 b) Narrative Vereinbarungen (Freiwillige Selbstverpflichtung) . . . . 257 c) Unterscheidung der Gestaltungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 4. Rechtliche Gestaltungsformen am Beispiel christlicher Initiativen . 259 a) Vereinbarung von AGB am Beispiel der CKB . . . . . . . . . . . . . . . 260 aa) Verpflichtung durch „freiwillige Selbstverpflichtung“? . . . . . 261 bb) Rechtliche Bedeutung der AGB in Verträgen zwischen Mitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 cc) Rechtsfolgen der Einbeziehung der AGB . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Narrative Vereinbarungen am Beispiel des BKR . . . . . . . . . . . . . 264 aa) Verpflichtung durch Ethik-Kodex? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 bb) Ethik-Kodex vergleichbar mit Codes of Conduct . . . . . . . . . 265 cc) Ethik-Kodex als „zahnloser Tiger“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 5. Vorzüge und Nachteile der jeweiligen Bindungsformen? . . . . . . . . . 267 IV. Ergebnis: Zukunft religiöser Werte in freiheitlichem Ansatz . . . . . . . . . 269 F. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275 275 279 280 282
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Auffassung ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis ADHGB Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch a. F. alte Fassung AG Amtsgericht AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ALR Preußisches Landesrecht Anm. Anmerkung ArchBR Archiv für Bürgerliches Recht Art. Artikel A.T. Altes Testament AT Allgemeiner Teil des BGB Aufl. Auflage BB Betriebsberater Bd. Band BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BKR Bund Katholischer Rechtsanwälte BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht bzw. beziehungsweise C. Codex (Justinianus) CKB Christliche Kooperationsbörse CoC Codes of Conduct D. Digesten (Ulpian) ders. derselbe d. h. das heißt Einl. Einleitung
Abkürzungsverzeichnis19 f. folgend FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung ff. folgende Fn. Fußnote FS Festschrift gem. gemäß GG Grundgesetz GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GWR Gesellschafts- und Wirtschafsrecht HGB Handelsgesetzbuch HKK Historisch-kritischer Kommentar Hrsg. Herausgeber / Herausgeberin HS Halbsatz HWP Handwörterbuch der Philosophie insbes. insbesondere i. V. m. in Verbindung mit JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift JZ Juristenzeitung KG Kammergericht Komm Kommentar Komm. Kommentar lat. lateinisch LG Landgericht Materialien Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich MMR Multimedia-Recht Motive Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer N.T. Neues Testament OLG Oberlandesgericht PucheltZ Zeitschrift für französisches Civilrecht, Mannheim und Straßburg RG Reichsgericht RGZ Reichsgericht in Zivilsachen (Entscheidungssammlung) Rn. Randnummer
20 Abkürzungsverzeichnis S. Seite s. siehe s. o. siehe oben sog. sogenannte s. u. siehe unten Tz. Textziffer (juris) u. a. unter anderem Übers. der Verf. Übersetzung der Verfasserin Urt. v. Urteil vom vgl. vergleiche WM Wertpapier-Mitteilungen WRV Weimarer Reichsverfassung z. B. zum Beispiel ZfRV Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechts vergleichung zit. in zitiert in
A. Einführung Das Thema Religion ist in den öffentlichen Diskurs zurückgekehrt.1 Dazu hat die Migrationsdebatte in Deutschland wesentlich beigetragen. Dabei gewinnt das Thema nicht nur im politischen Kontext an Bedeutung.2 Auch in der Rechtswissenschaft wird die jahrhundertealte Frage nach dem Verhältnis des Rechts zur Religion neu aufgeworfen. Die Scharia ist als Paradebeispiel einer von der Religion bestimmten Rechtsordnung vermehrt Gegenstand von Forschungen3 insbesondere für Sachverhalte mit entsprechender Auslands berührung über das Internationale Privatrecht4 geworden. Aber auch der religiöse Einfluss auf das deutsche Recht rückt in den Fokus der Wissenschaft.5 Zwar kennt das deutsche Recht ein verbindliches religiöses Recht wie das der Scharia nicht. Es unterliegt jedoch christlichen Einflüssen, die bis heute fortwirken.6 So stellt Augsberg in einem jüngst erschienen Beitrag zu dem Thema „Religiöses Recht und religiöse Gerichte“ fest, das Christentum trete bis heute „als primäre Referenzgröße der staatlichen Rechtsordnung“ auf.7 Dieses Ergebnis verwundert vor dem Hintergrund einer über 1 Als wenige von vielen Beispielen in den gedruckten Medien zum Thema Rückbesinnung auf religiöse und sonstige Werte: Was ist heute christlich?, Titelthema der ZEIT, Artikel v. 27.10.2016, Nr. 40, S. 51 ff.; Hermann, Es braucht mehr Religion um Extremismus zu bekämpfen, FAZ Artikel v. 22.7.2016. Dazu auch Schielicke, Rückkehr der Religion in den öffentlichen Raum?, 2012, S. 11 ff. 2 Heine, Was die AFD wirklich unter Kultur versteht, Welt, Artikel v. 9.6.2016; Lohse/Wehner, Auf der Suche nach dem Abendland, FAZ, Artikel v. 30.5.2016. 3 Kischel, Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, Vorwort. 4 Vgl. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 21 ff.; Scholz, Grundfälle zum IPR: Ordre publicVorbehalt und islamisch geprägtes Recht, ZJS 2010, S. 185 ff. 5 So fand 2016 eine Tagung in Bayreuth zum Thema „Religiöses Recht und religiöse Gerichte als Herausforderung des Staates: Rechtspluralismus in vergleichender Perspektive“ statt. In dem Generalbericht spricht Korioth von einer „Rückkehr des Religiösen“, Generalbericht, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 136. 6 So insbesondere v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002. 7 Neben anderen Beispielen wie der Ehe nennt er den Sonntagsschutz als Beispiel eines solchen Einflusses: „Dass gleichwohl nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich das Christentum als primäre Referenzgröße der staatlichen Rechtsordnung erscheint, wird an dem ebenfalls bereits erwähnten Sonntagsschutz besonders deutlich.“, Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 16.
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A. Einführung
Jahrhunderte währenden Verzahnung von Staat und Kirche8 nicht. Das Christentum hat seine Spuren nicht nur im öffentlichen Recht hinterlassen, etwa in den über Art. 140 GG übernommenen Kirchenartikeln der Weimarer Verfassung.9 Vielmehr ist auch das BGB von christlichen Werten geprägt. Das deuten nicht zuletzt die Gesetzesmaterialien des BGB an. In den Motiven zum Allgemeinen Teil des BGB heißt es: „Der Hervorhebung bedarf dabei kaum (…), dass die Aufstellung (…) keineswegs die Bedeutung verkennt, welche den Wahrheiten des Christentums und der christlichen Gesamtanschauung des deutschen Volkes bei dem Ausbau seiner Rechtsordnung zukommen muss.“10
Die von dem Hilfsautor der Redaktoren Börner11 stammende Aussage ist ein Bekenntnis zum Christentum und dessen Werteordnung. Der Autor geht davon aus, dass die Gesetzgebungskommission den „Wahrheiten des Christentums“ und der „christlichen Gesamtanschauung“ eine besondere Bedeutung für das Bürgerliche Recht beimessen. Kurz gesagt, Börner bekennt sich in den Motiven, der von den Redaktoren genehmigten Zusammenfassung der Intentionen des Gesetzgebers, zu christlichen Werten. Mit der Einleitung des Bekenntnisses mit den Worten „Der Hervorhebung bedarf dabei kaum …“12 wird deutlich: Der Autor hält die Bedeutung christlicher Werte für selbstverständlich.
I. Problemstellung und Ziel der Untersuchung Was Börner als selbstverständlich darstellt, ist heute nach Säkularisierung und Pluralisierung der Gesellschaft nicht mehr so selbstverständlich, dass es „keiner Hervorhebung bedürfte“. Die Gesellschaft steht nicht mehr alternativlos auf dem Fundament einer christlichen Werteordnung. Ob das BGB auch in seiner heutigen Form noch christliche Einflüsse aufweist, soll deswegen Gegenstand der Untersuchung dieser Arbeit sein. Dafür wird der Import christlicher Werte in der Entstehung des BGB am Beispiel einer Auswahl 8 Ein
Rückblick auf das Verhältnis von Staat und Kirche wird unter B.I. erfolgen. wird unter B.I.2. näher erläutert. 10 Das Zitat reiht sich an folgenden Satz an: „An die Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses knüpft sich für den Bereich des Entwurfes eine Rechtsverschiedenheit nicht.“, Motive I, 1888, S. 26. 11 Zuständiger Redaktor für den Allgemeinen Teil des BGB war zwar Gebhard, Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 73. Die Motive des Allgemeinen Teils sind aber von einem wissenschaftlichen Mitarbeiter namens Börner verfasst worden. Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 50. 12 Motive I, 1888, S. 26. 9 Dies
II. Gang der Untersuchung23
von Normen untersucht. Nachfolgend wird die These begründet, dass christliche Werte Bedeutung für die Entstehung des BGB hatten und in der Anwendung christlich geprägter Normen bis heute fortwirken. Dies erfolgt anhand der folgenden Fragestellungen: Hatten christliche Werte eine grundlegende Bedeutung für die Entstehung des BGB im 19. Jahrhundert?13 Lässt sich der Einfluss christlicher Werte an der Entstehungsgeschichte einzelner Normen nachweisen? Haben christliche Werte auch heute noch eine Bedeutung für das BGB? Wie äußert sich eine solche Prägung durch christliche Werte in den Normen des BGB heute?14
II. Gang der Untersuchung Ziel dieser Arbeit ist es, anhand einer induktiven Analyse ausgewählter Normen zu überprüfen, ob und wie das BGB in seiner Entstehung im 19. Jahrhundert durch christliche Werte geprägt worden ist und ob es auch heute noch davon zeugt. Christliche Werte wären dann von Bedeutung für den Ausbau des BGB gewesen, wenn sie in den Gesetzgebungsarbeiten Einfluss auf den Normerlass genommen hätten. Sie hätten dann auch heute Bedeutung für das BGB, wenn sie in der Normanwendung fortwirkten. Um dies zu prüfen, soll die folgende Untersuchung angestellt werden. Die Untersuchung ist in fünf Abschnitte gegliedert: 1. Der historische Kontext der Entstehung des BGB Zunächst sollen die Gesetzgebungsarbeiten in ihren historischen Kontext, insbesondere das Verhältnis zwischen Staat und Kirche, eingeordnet werden. Dabei werden die Jahrhunderte alte Verzahnung zwischen Staat und Kirche ebenso wie die Umbruchsstimmung des 19. Jahrhunderts in Bezug auf Recht und Religion skizziert. (B.) Dies wird die These insoweit festigen, als das BGB aus diesem Zeitgeist heraus entstanden ist. Allein vor diesem historischen Hintergrund lässt sich erklären, weshalb an unterschiedlichen Normen ein christlicher Einfluss festgestellt werden kann (C.). In diesem Zusammenhang wird auch der Gesetzgebungsprozess der Entstehung des BGB erläutert, wobei der Fokus darauf liegt, Vehikel15 zu identifizieren, über die christliche Werte in die Normen des BGB importiert werden konnten. Als solche wer13 s. zu der Analyse der grundlegenden Bedeutung christlicher Werte für das BGB unten D.). 14 s. zu dieser Überprüfungsmethode unten A.III.4.b). 15 Unter Vehikel wird in dieser Arbeit ein „Transportmittel“ verstanden, über das ein christlicher Wert in das BGB importiert werden konnte. Es ist gewissermaßen das geistige Gefäß, das den jeweiligen Wert beinhaltet.
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den neben dem Einfluss des kanonischen Rechts auch der Einfluss der katholischen Zentrumspartei identifiziert werden. 2. Christliche Werte in den Normen des BGB Es folgt das Herzstück der Arbeit. Hierin wird eine Auswahl von sechs Normkomplexen vorgestellt, die bei ihrem Erlass im 19. Jahrhundert durch einen oder mehrere christliche Werte beeinflusst worden sind, um die Normen dann ihrer heutigen Anwendung durch Judikative und Literatur gegenüber zu stellen (C.). Diese Auswahl an Normen umfasst das Schikaneverbot des § 226 BGB unter Einschluss des deliktischen Anspruchs von § 826 BGB, das Wucher- und Zinseszinsverbot der §§ 138, 248, 289 BGB, die Auslegungsregel des § 2072 BGB, die Fristenregelung des § 193 BGB, die Naturalobligation des Ehemaklervertrags § 656 BGB und die einseitig bindenden Versprechen der Auslobung und des Angebotes §§ 657, 145 BGB. Durch eine induktive Analyse dieser Normen wird das jeweils der Norm zugrunde liegende Regelungsproblem aufgedeckt, bevor die dem Gesetzgeber Ende des 19. Jahrhunderts hierzu bekannten Lösungsansätze vorgestellt und die Lösung des Gesetzgebers einschließlich seiner Wertung erläutert werden. Durch die so durchgeführte Analyse soll nachgewiesen werden, dass alle sechs Normenkomplexe in der Entstehungsgeschichte durch verschiedene christliche Werte beeinflusst wurden. Hierunter fallen die Nächstenliebe bei § 226 BGB, die Barmherzigkeit und Liebestätigkeit als Ausprägungen der Nächstenliebe bei den §§ 138 Abs. 2, 248, 289 BGB und § 2072 BGB, die Sonntagsheiligung in der Form von § 193 BGB, die Heiligkeit der Ehe bei § 656 BGB und die Versprechenstreue im Rahmen der §§ 657, 145 BGB. Dies führt zu der Erkenntnis, dass bei der Entstehung der ausgewählten Normen christliche Werte in das BGB importiert wurden. Durch eine Untersuchung der Anwendung der Norm kurz nach Entstehung des BGB im Vergleich zu ihrer heutigen Anwendung wird sodann ermittelt, ob der jeweilige historische Wert zum Zeitpunkt ihrer Schaffung in den Normen bis heute fortwirkt. Das geschieht jeweils, indem der heute mit der Norm verfolgte Zweck und Anwendungsbereich mit dem Zweck und Anwendungsbereich bei Normerlass verglichen wird. Hierdurch wird die in der These aufgestellte Annahme überprüft, dass christliche Werte durch die Anwendung der Norm auch heute noch eine Bedeutung für das BGB haben. Zuletzt wird anhand von Hinweisen auf weitere Beispiele für den christlichen Einfluss auf die Entstehung einzelner Normen gezeigt, dass es sich bei den untersuchten Normen nicht um Einzelfallerscheinungen handelt.
II. Gang der Untersuchung25
3. Synthese Die im Abschnitt C. ermittelten Erkenntnisse über die ausgewählten Normen werden anschließend systematisiert und analysiert (D.). Hierdurch wird die These erläutert, dass von einer grundlegenden Bedeutung christlicher Werte für das BGB ausgegangen werden kann. Hierzu werden die bereits unter B.II.3. ermittelten möglichen Vehikel für christliche Werte als tatsächliche Wertimportvehikel herangezogen. Dabei wird festgestellt, dass christliche Werte sich sowohl in Form von Verboten unchristlichen Verhaltens (§§ 138 Abs. 2, 226, 248, 289 BGB) und als Normen, die sich im Ergebnis wie ein Verbot auswirken (§§ 656, 826 BGB) als auch in Form von Geboten christlichen Verhaltens (§§ 193, 657, 2072 BGB) auf Normen des BGB ausgewirkt haben. Die Normen weisen zudem eine erhebliche Streubreite auf. Das liegt nicht zuletzt an dem weiten Anwendungsbereich der Normen des Allgemeinen Teils (§§ 138 Abs. 2, 145, 193, 226 BGB). Zudem wird erarbeitet, dass der Import von christlichen Wertungen bei nahezu keinem der untersuchten Fälle offengelegt wurde. Stattdessen arbeiteten die Kommissionsmitglieder mit abstrakten Begriffen der Sittlichkeit und Ethik, ohne sich explizit auf die christlichen Werte selbst zu beziehen. Zuletzt wird untersucht, ob die ausgewählten Normen seit ihrem Erlass einen Bedeutungswandel hinsichtlich ihrer christlichen Wertung vollzogen haben. Dies wird anhand einer Darstellung des jeweiligen Anwendungsbereichs und des mit der Norm verfolgten Zwecks überprüft. Dies führt im Ergebnis zu der Erkenntnis, dass die untersuchten christlichen Werte bei Entstehung des BGB eine höhere Bedeutung für die Normen hatten, als dies heute der Fall ist. 4. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB? Abschließend soll ein Ausblick auf die zukünftige Einbindung religiöser (und anderer außerrechtlicher, das heißt moralischer und ethischer ebenso wie politischer und religiöser16) Werte im Bürgerlichen Recht gegeben werden (E.). Gegenwärtige Tendenzen geben zu erkennen, dass der Rechtsanwender ergänzend zu gesetzlichen Regelungen zunehmend die eigene Vertragsgestaltung zur Einbindung der von ihm vertretenen Werte wählt. Als Beleg für und zur Erläuterung dieser Entwicklung werden christliche Initiativen beispielhaft vorgestellt. Anhand dieser Beispiele werden privatautonome Vereinbarungen ebenso wie die Unterzeichnung von „narrativen Vereinbarungen“ besprochen. 16 Pfordten, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2002, S. 72. Siehe auch zu dem Begriff „außerrechtlicher Wertungen“ Widera, Außerrechtliche Argumente bei der Grundrechtsinterpretation, 2007, S. 63 ff.
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Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass die Zukunft der Einbindung außerrechtlicher Werte in dem privatautonomen Ansatz liegt. 5. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der zentralen Untersuchungsergebnisse in Thesen (F.)
III. Methodik Das Bürgerliche Recht bietet mehrere Einfallstore für christliche Werte, die im Folgenden dargestellt werden sollen [s. dazu 1.)]. Davon wird die Arbeit jedoch nur eines mittels einer induktiven Analyse der Gesetzgebungsgeschichte und eines anschließenden Vergleichs mit dem status quo untersuchen. Darauf folgt eine Erläuterung der Hintergründe für diese Entscheidung [s. dazu 2.) und 3.)]. Nachdem die Untersuchungsmethode vorgestellt wurde, werden unter 4.) für die Untersuchung maßgebliche Begrifflichkeiten geklärt. 1. Einfallstore für christliche Werte im BGB Für den Einfluss religiöser Wertungen sind namentlich folgende Einfallstore denkbar: (1) Die Norm selbst, (2) die Anwendung der Norm in der Judikativen durch Auslegung wertungsoffener Generalklauseln, (3) die Einbeziehung von Grundrechten über die Generalklauseln des BGB und (4) die Einbeziehung in privatautonome Absprachen. Nicht berücksichtigt werden kann in dieser Arbeit die Analyse von juristischen Begriffen, die christlichen Zusammenhängen entliehen wurden.17 (1) Der christliche Wert kann einer Norm selbst zugrunde liegen, indem die Norm ein Verbot unchristlichen Verhaltens oder ein Gebot christlichen Verhaltens ausspricht oder ohne einen christlichen Wert nicht entstanden wäre.18 Dieses Einfallstor ist der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. 17 So wird beispielsweise „guter Glauben“ ebenso wie „Treu und Glauben“ in der Literatur in den Zusammenhang mit christlichen Werten gebracht. vgl. hierzu v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 109; Behrends, Treu und Glauben, 1984, S. 277 ff.; vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, S. 77. 18 s. dazu unter D.II.
III. Methodik27
(2) Des Weiteren kann die Anwendung der Norm in der Judikativen zu einer Aufnahme christlicher Wertungen in das Zivilrecht führen, indem die Judikative offene Tatbestandsmerkmale mit entsprechenden Wertungen füllt.19 Konkret seien die Generalklauseln der §§ 138 Abs. 1, 242 BGB genannt. Diese Normen sind so weit gefasst, dass sie der Judikative ermöglichen, Wertungen zur Auslegung der Norm im Einzelfall einzubeziehen. Ein Vergleich der Auslegung entsprechender Normen um 1900 mit ihrer Auslegung heute könnte unter Berücksichtigung der Frage, ob christliche Werte zur näheren Bestimmung offener Tatbestandsmerkmale herangezogen wurden und werden, als Gegenstand für die Untersuchung des Imports christlicher Werte über die Judikative dienen. Was unter „Treu und Glauben“ oder der „guten Sitte“ verstanden wird, ändert sich je nach den Einflüssen der Zeit und kann auch an religiösen Maßstäben gemessen werden. Das gilt vor allem für die Zeit nach Entstehung des BGB. Bei diesem Einfallstor ist daher eine hohe Korrelation der jeweiligen Auslegung der Norm mit der gesellschaftlichen Anschauung zu erwarten, da die richterliche Auslegung die Flexibilität bei der Anpassung an das historische Umfeld ermöglicht.20 Nach gefestigter Rechtsprechung werden die Generalklauseln allerdings heute anhand von Fallgruppen ausgelegt, bei denen hauptsächlich das Wertesystem des Grundgesetzes zugrunde gelegt wird.21 (3) Auch ist der Einfluss christlicher Werte auf das Zivilrecht durch die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten auf das Privatrecht über die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB denkbar.22 Dabei unterscheidet sich dieses Einfallstor nur insoweit von (2), als die Grundrechte, die möglicherweise 19 Eine Argumentation mit christlichen Wertvorstellungen kann in der Rechtsprechung des Reichsgerichts insbesondere im Zusammenhang mit der Frage von Sittenwidrigkeit bei § 138 BGB und Sittlichkeit Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang des nächsten Jahrhunderts festgestellt werden. So insbesondere die Nächstenliebe: „Im Sprachgebrauche des gewöhnlichen Lebens pflegt man unter der „Erfüllung einer sittlichen Pflicht“ im Sinne des Gesetzes auch die Fälle zu begreifen, in denen es sich lediglich um Betätigung der allgemeinen Nächstenliebe handelt (…)“, RGZ 70, 19; auch: „Dass das Erbschaftssteuergesetz nicht schon jede Betätigung der allgemeinen Nächstenliebe als die Erfüllung einer sittlichen Pflicht im Sinne dieses Gesetzes verstanden wissen will (…)“, RGZ 78, 414; so auch RGZ 73, 49; 75, 136. Die caritas in RGZ 70, 15; 73, 46; 75, 132, 78, 412; 70, 383 oder die Keuschheit in zu § 1300 BGB a. F. RGZ 52, 46; 63, 346; s. auch 63, 367; 68, 97; 71, 129; 71, 432; 78, 282; 78, 282; 86, 191. 20 So können entsprechende Verweise in der aktuellen Rechtsprechung zur Begründung der guten Sitten nicht mehr gefunden werden. Die Rechtsprechung orientiert sich primär auf Werte, die den Grundrechten entnommen werden können. S. auch Hübner, AT, 1985, S. 67; v. Tuhr, AT Band 1, 1918, S. 34. 21 s. Hübner, AT, 1985, S. 67. 22 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 91 ff.; Hübner, AT, 1985, S. 65 ff.
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christlichen Einflüssen unterliegen, im Fokus der Untersuchung liegen würden.23 Ein Beispiel für einen derartigen Einfluss wäre die Drittwirkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes nach Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV über Art. 140 GG auf die Loyalitätspflichten in Arbeitsverhältnissen mit der Kirche als Arbeitgeber.24 (4) Zuletzt bietet die Rechtsordnung dem Rechtsanwender durch das Prinzip der Privatautonomie über die §§ 311 Abs. 1, 241 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, rechtswirksame Absprachen, auch zum Teil in Abweichung zu gesetzlichen Normen, zu treffen.25 Auf diese Weise können Rechtsanwender ergänzend zu gesetzlichen Regelungen christliche Werte in den Geschäftsverkehr einbeziehen und ihnen so rechtliche Geltung verleihen. Dies kann der Einzelne über den Abschluss von Verträgen, insbesondere durch Vereinbarung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, gleichermaßen tun wie durch Abbedingung dispositiven (christlichen Werten entgegenstehenden) Rechts durch eigene Bestimmungen. Dieses Einfallstor wird unter E. als Alternative für die zukünftige Einbindung christlicher Werte in das Bürgerliche Recht vorgestellt. Das Verfolgen sämtlicher Anknüpfungspunkte würde den Rahmen einer Dissertation sprengen. Daher befasst sich diese Arbeit primär mit dem Einfallstor zu (1), der Norm selbst. Hierzu wird eine Gruppe von Beispielsnormen daraufhin untersucht, ob christliches Gedankengut bei ihrer Entstehung eine maßgebliche Rolle gespielt hat. Für die Untersuchung der Normen wird folgende Prämisse aufgestellt: Die untersuchten Beispielsnormen haben, einzeln betrachtet, nicht zwingend exemplarische Bedeutung für eine christliche Prägung des gesamten BGB, wie Börner sie in den Motiven andeutet. So lässt sich allein aufgrund der Erkenntnis, dass die christliche caritas Einfluss auf die Norm des § 2072 BGB genommen hat (s. hierzu C.III.), keine Aussage über die Bedeutung christlicher Werte für das BGB insgesamt treffen. 23 Dies wird auch als zweiter Weg zur Erkenntnis der Wertordnung der Rechtsordnung bezeichnet. Vgl. Honsell, in: Staudinger-BGB, Einl. zum BGB, 2013, Rn. 185. Hierbei könnte man an den christlichen Wurzeln des Begriffs der Menschenwürde ansetzen und dessen Ausstrahlungskraft auf Rechtsverhältnisse im Bürgerlichen Recht. Siehe zu den christlichen Wurzeln der Menschenwürde im Personalismus jüngst Moyn, Christian Human Rights, 2015, S. 6 ff., 98 ff., 169 ff.; außerdem Widera, Außerrechtliche Argumente bei der Grundrechtsinterpretation, 2007, S. 198 f. 24 s. hierzu BVerfGE 70, 138, oder über die Gewährleistung des Rechts auf Religionsausübung. Auch in der Literatur ist dies häufig vorzufinden, vgl. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 23; Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 104 oder der verfassungsrechtliche Schutz der Sonntagsheiligung über Art. 140 GG i. V. m. 139 WRV; vgl. hierzu Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 59. Möglicherweise existieren auch andere Grundrechte, die durch christliche Werte geprägt worden sind. Siehe dazu v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 105 ff. 25 Näher zu dem Prinzip der Privatautonomie unter E.III.
III. Methodik29
Viele Einzelnormen in verschiedenen Teilen des BGB können aber in ihrer Streubreite ein Argument für die inhaltliche Durchdringung des Bürgerlichen Rechts mit christlichen Wertvorstellungen darstellen. 2. Notwendigkeit einer induktiven Vorgehensweise Vorab soll jedoch die Methode erläutert werden, nach der die Beispielsnormen ausgewählt und auf ihre christliche Prägung untersucht werden. Es wird eine induktive Arbeitsweise gewählt. Es wird also davon abgesehen, zunächst einen christlichen Wert in seiner Abstraktheit zu definieren und dann aus seinem Inhalt und seinen Vorgaben eine Verhaltensanweisung abzuleiten, die dann im BGB gesucht wird (Deduktion). Vielmehr soll eine rechtshistorische Analyse einzelner Normen de lege lata den christlichen Hintergrund aufdecken, welcher der Norm zugrunde liegt, damit sodann in einem zweiten Schritt das christliche Gebot oder Verbot als solches ermittelt und definiert werden kann (Induktion).26 Die Notwendigkeit einer induktiven Vorgehensweise ergibt sich aus der Weite des bereits für sich bedeutenden Wertebegriffs ebenso wie aus dem unbegrenzten Spielraum des Gesetzgebers, den Normen des BGB christliche Werte zugrunde zu legen.27 Eine deduktive Untersuchung liefe insbesondere Gefahr, sich in den Weiten des Wertebegriffs zu verlieren. So weist Heidegger begründeterweise darauf hin, dass „die Häufigkeit des Redens von Werten (…) der Unbestimmtheit des Begriffes“ entspräche.28 Das liegt unter anderem daran, dass der Wertebegriff erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in der philosophischen Ethik an die Stelle ethischer Leitbegriffe wie Norm, Sitte und Sittlichkeit, Tugend, Gut und Gebot trat.29 Seither ist der Wert zwar „zum Schlüsselbegriff politisch-sozialer Sprache der Gegenwart geworden“, eine arbeitstaugliche Definition gibt es dennoch nicht.30 26 Im Übrigen die Vorgehensweise die auch Canaris in seiner Untersuchung „Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht“ wählt. Seine Überlegungen greifen auch für die Untersuchungsmaterie dieser Arbeit. Aufgrund der Weite des Vertrauensprinzips und der Vielfalt der Möglichkeiten seiner normativen Umsetzung analysiert er einen Besonderen Teil der Tatbestände, in denen sich das Vertrauensprinzip konkretisiert, dem Allgemeinen Teil voranstellt. Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 4. 27 Vgl. die Überlegungen bei Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 4 f. 28 Heidegger, Holzwege, 1950, S. 210; zit. in Werner, Vom Wert der Werte, 2002, S. 13. 29 Honecker, Einführung in die theologische Ethik, 1990, S. 211; Werner, Vom Wert der Werte, 2002, S. 16. 30 Sprenger, Recht und Werte, 2010, S. 11.
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Es gibt darüber hinaus eine philosophisch begründbare Notwendigkeit, zur Ermittlung des christlichen Hintergrunds in Normen des BGB eine induktive Arbeitsweise zu wählen. Hierzu wird die Schelersche Wertphilosophie zugrunde gelegt.31 Scheler setzt wie Hartmann32 und anders als Kant33 eine materiale Wertethik voraus, die aus einem abstrakt Seienden und Gleichbleibenden besteht.34 Der Mensch schöpft aus dieser apriorisch vorhandenen Wertewelt und bildet Urteile über Handeln, welches dem Wert widerspricht und welches ihm entspricht (Werturteile).35 Diese Werturteile finden sich in Normen, die Menschen zur Regelung ihres Miteinanders nach den moralischen Maßstäben der Werte formulieren.36 Davon ausgehend ist im Umkehrschluss anzunehmen, dass durch eine Analyse der Norm der dahinter stehende Wert ermittelt werden kann.37 Ein weiterer Grund für die Entscheidung gegen eine deduktive Arbeitsweise ist die Schwierigkeit einer Ableitung des jeweilig abstrakt hergeleiteten Wertes auf eine Norm des BGB. Mit der Frage nach christlichen Werten im BGB geht stets die Frage einher, weshalb die jeweilige Wertung nun gerade eine spezifisch christliche, ein proprium christianum, sein soll. In diesem Sinne wird oftmals eine Abgrenzung gefordert, die eine spezifisch christliche Wertung beweist. Bei einer induktiven Vorgehensweise muss diese Abgrenzung nicht vorgenommen werden. Durch eine induktive Aufarbeitung einzelner Tatbestände lassen sich die Schwierigkeiten einer Zuordnung des Wertes zu einer bestimmten Strömung vermeiden. Stattdessen können fruchtbare Aussagen über die vielfältige Art und Weise, auf die christliche Werte zivil31 Scheler, Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 1966, S. 30 ff., 35. Vgl. Sprenger, Recht und Werte, 2010, S. 132; Werner, Vom Wert der Werte, 2002, S. 78. Diese wird im Übrigen auch vom Bundesverfassungsgericht für die „Werteordnung“ zugrunde gelegt, wie Weischedel aufdeckte. Weischedel, Recht und Ethik, 1956; vgl. Sprenger, Recht und Werte, 2010, S. 133. 32 s. auch Hartmann, Ethik, 1962. 33 Kant legt einen formalistischen Wertebegriff zugrunde. Vorkritische Schriften, in: Weischedel (Hrsg.), Werke, Band II, 1960, S. 201; vgl. Sprenger, Recht und Werte, 2010, S. 130. 34 Vgl. Scheler, Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 1966, S. 30 ff., 35. Er führt aus: „Das Reich dieser Wertschätzungen bekommt vielmehr den Sinnzusammenhang eines grandiosen Gemäldes (…), auf dem man die Menschheit, so bunt gegliedert sie ist, (…) sich eines Reiches objektiver, von ihr und ihren Gestaltungen unabhängiger Werte und deren objektiver Rangordnung liebend, fühlend und handelnd sich bemächtigen und sie in ihr Dasein hereinziehen sieht (…)“, S. 300 f. 35 Scheler, Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 1966, S. 41. 36 Scheler nennt das daraus entstehende Normengeflecht den „Wertperspektivismus der Zeit- und Volkseinheiten“, Formalismus der Ethik und die materiale Werteethik, 1966, S. 307 ff. 37 Vgl. Eid, Der Wert, in: Stoeckle, Wörterbuch christlicher Ethik, 1975, S. 271.
III. Methodik31
rechtlichen Normen zugrunde liegen können, getroffen werden. Denn durch die gewählte Methode wird die Prägung einer Norm durch einen christlichen Wert historisch und nicht philosophisch hergeleitet. Die weitere Ausdifferenzierung gegenüber anderen Einflüssen ist trotz der historischen Herleitung aber dann vorzunehmen, wenn der Import einer Wertung durch einen Akteur der Gesetzgebung auch aus einer anderen Strömung als der christlichen vorgenommen worden sein kann. Einer Ausdifferenzierung bedarf es des weiteren, wenn das Fortwirken des christlichen Gedankens auch nach Normerlass zu begründen ist – wie beispielsweise bei der Versprechenstreue. 3. Grundannahmen einer rechtshistorischen Analyse Nach der induktiven Methode ist eine Norm dann durch einen christlichen Wert beeinflusst worden, wenn in ihrer Gesetzgebungsgeschichte (1871– 1900) christliches Gedankengut als Faktor für den Normerlass nachgewiesen werden kann. Aufgrund der induktiven Vorgehensweise hat die Untersuchung mithin eine rechtshistorische Prämisse. Die Ergebnisse einer rechtshistorischen Untersuchung sind keineswegs alternativlos. Rechtsgeschichtliche Untersuchungen haben stets auch narrativen Charakter. Das Heranziehen des historisch hergeleiteten gesetzgeberischen „Willens“ kann daher nur dann für das bessere Verständnis einer Norm fruchtbar gemacht werden, wenn es als eine Perspektive auf die Norm und nicht als absoluter Erklärungsversuch verstanden wird.38 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es einen Gesetzgeber in Form einer natürlichen Person, die eine Norm mit einem bestimmten Ziel bedacht hat, weder bei der Entstehung des BGB gab noch in heutigen Gesetzgebungsverfahren gibt.39 Das BGB ist vielmehr in einem vielschichtigen Prozess durch Zusammenarbeit einer Vielzahl an Personen mit verschiedenen Interessen unter Rückgriff auf bereits bestehendes Recht entstanden.40 Wenn in dieser rechtshistorischen Untersuchung daher der gesetzgeberische Willen anhand von Gesetzesmaterialien erforscht wird, geschieht dies im Bewusstsein um dieses „Defizit“41 des fehlenden Gesetzgebers.42 Hierzu Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 12 ff. Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 7. 40 s. dazu unter B.II. 41 Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 14. 42 Höpfner/Rüthers sprechen daher von der Metapher des „Gesetzgebers“, die für den historischen Komplex der Gesetzesentstehung steht. Grundlagen der europäischen Methodenlehre, AcP 2009 (209), S. 13. 38 Vgl.
39 Baldus,
32
A. Einführung
ist die „Situation“ des Normerlasses zu erforschen.43 Das bedeutet im Einzelnen, herauszuarbeiten, was ein Akteur mit mehr oder weniger Einfluss in der jeweiligen Situation mit mehr oder weniger Reflexion warum zu der Lösung eines bestimmten Regelungsproblems erklärt hat.44 Dieses Datum der Situation des Gesetzgebers wird im Folgenden mit Baldus die historische „Problemsituation“ genannt, in welcher eine Norm erlassen wurde.45 Anhand der historischen Problemsituation und der in ihr gewählten Lösung lässt sich ermitteln, ob ein christlicher Wert für den Normerlass eine Rolle gespielt hat. Zur Auswertung der Problemsituation des Gesetzgebers bei dem jeweiligem Normerlass werden die Gesetzesmaterialien ebenso wie Kommentare der Wissenschaft, Schriften von Kritikern und Zeitungsartikel des 19. Jahrhunderts ausgewertet. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Gesetzesmaterialien unter dem Einfluss vieler Faktoren wie Zeitdruck, politische Beschwichtigungsversuche, religiöser Färbungen und anderen, nicht erkennbaren Einflüssen entstanden sind und daher teils mehr, teils weniger Aufschluss über die Bedeutung eines christlichen Wertes für den Normerlass geben können.46 Das BGB ist letztlich das Ergebnis der Arbeit von Juristen, Politikern und Praktikern, die das zuvor Vorhandene wie ein Uhrenwerk zusammengeschraubt und nicht etwa neu erfunden haben.47 Durch Untersuchung dieses Prozesses können wertvolle Erkenntnisse über den bis heute fortwirkenden Zweck einer Norm gewonnen werden.48 Schließlich ist das BGB lediglich 117 Jahre alt, während das Recht, aus dem der Gesetzgeber geschöpft hat, sich über Jahrhunderte entwickelt hat und einen Großteil der heutigen Regelungen prägt. Diese Vorgeschichte lädt die Normen des BGB, so auch die in dieser Arbeit untersuchten, mit einem kollektiven Gedächtnis auf, das 43 v. Savigny: „Das historische Element hat zum Gegenstand den zur Zeit des gegebenen Gesetzes für das vorliegende Rechtsverhältniß durch Rechtsregeln bestimmten Zustand. In diesen Zustand sollte das Gesetz auf bestimmte Weise eingreifen, und die Art des Eingreifens, das was dem Recht durch dieses Gesetz neu eingefügt worden ist, soll jenes Element zur Anschauung bringen.“, System des heutigen Römischen Rechts, Band I, Buch 1, 1840, S. 214. 44 Vgl. Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 7; Höpfner/Rüthers, Grundlagen der europäischen Methodenlehre, AcP 2009 (209), S. 13. 45 Vgl. Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 14, 17. 46 Vgl. Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 13. „Dass etwas geäußert oder nicht geäußert wird, hängt mit sehr vielen Zufälligkeiten zusammen und der Katarrh eines Redners, der schlechte Magen eines Oppositionsmannes (…) können hier nicht mehr wirken, als jeder übereinstimmende Wille (…)“, Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Band I, 1906, S. 130 f. 47 Dieses Bild hat Baldus in einem Gespräch mit der Verfasserin gezeichnet. An dieser Stelle sei daher Baldus für das Gespräch gedankt. 48 Soweit die einschränkenden Kriterien zur Auslegung der Gesetzgebungsgeschichte beachtet werden. Vgl. auch Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 26.
III. Methodik33
dem individuellen Gedächtnis des Normanwenders heute überlegen ist.49 Die Untersuchung des Einflusses christlicher Werte innerhalb des kollektiven Gedächtnisses verspricht daher einen Beitrag zum besseren Normverständnis auch heute zu leisten. Auf diesen Überlegungen baut der rechtshistorische Teil der Untersuchung auf. 4. Untersuchungsmethode In der Arbeit wird zunächst der problemgeschichtliche Hintergrund des Normerlasses im 19. Jahrhundert untersucht, um sodann die Anwendung der Norm in einem Vergleich von 1900 zur aktuellen Anwendungslage auf ein Fortwirken des christlichen Elementes zu untersuchen. Die historische Problemsituation ist von der Anwendung der Norm durch Judikatur und Literatur zu trennen.50 Denn die Intentionen des Gesetzgebers bei Erlass der Norm sind letztlich irrelevant, wenn sie sich nicht in der Anwendung der Norm niederschlagen. Dazu müssten die Erwägungen der Entstehungsgeschichte in der Anwendung der Norm fortwirken. Dies kann entweder durch die historische Auslegung der Norm geschehen, indem die Judikative oder die Literatur die historischen Intentionen des Gesetzgebers in die Auslegung einbezieht. Da die historische Auslegung aber nur eine von mehreren Methoden der Auslegung ist51 und aufgrund eines Wandels der Anschauungen auch nicht mehr zeitgemäß sein kann, hat die Judikative auch die Möglichkeit, die Norm anders auszulegen. Das Fortwirken in der Anwendung der Norm kann aber auch durch die Auslegung der Norm im Sinne der Intention des Gesetzgebers geschehen. Hierzu ist der Nachweis einer historischen Auslegung durch die Judikative nicht notwendig. Ausreichend ist, dass die Norm tatsächlich entsprechend der mit ihr ursprünglich verfolgten (christlich geprägten) Intention angewendet wird. Das bedeutet, dass der in die Entstehung eingeflossene christliche Wert in der Anwendung der Norm fortwirkt, wenn sie im Sinne seines historisch nachgewiesen christlich beeinflussten Schutzgedankens angewendet wird. a) Problemsituation bei Normerlass Zunächst wird die Problemsituation der jeweiligen Norm auf den Einfluss durch christliche Werte untersucht. Hierzu wird zunächst das der Norm zugrunde liegende Regelungsproblem erläutert, um anschließend die den Ak49 Vgl. Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 25; i. E. auch Thiessen, Die Wertlosigkeit der Gesetzesmaterialien in der Rechtsfindung, 2013, S. 61. 50 Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 12. 51 Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 312 ff., 320 ff.
34
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teuren bekannten Problemlösungen vorzustellen52; eine Methode, die der historisch-kritische Kommentar ebenfalls zur Untersuchung einzelner Normen wählt.53 Mit „den Akteuren bekannten Lösungen“ ist gemeint, dass der „Gesetzgeber“ in den Gesetzesmaterialien zur Begründung der Norm auf bereits bekannte Lösungen ausdrücklich verweist. Denn nur wenn sicher gestellt ist, dass der Gesetzgeber den jeweiligen Ansatz kannte, war der jeweilige Ansatz von Belang für den Normerlass. Die Problemlösungen entstammen zumeist dem wissenschaftlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts zu dieser spezifischen Frage,54 teilweise aus Behandlungen der Frage durch das ius commune55 und aus zur Zeit der Entstehung des BGB bestehenden Partikularrechtsordnungen56. Sodann wird der Lösungsversuch des Gesetzgebers durch den konkreten Normerlass im BGB dargestellt. Hierbei gilt es festzustellen, welcher Akteur im Einzelnen bei dem Normerlass mitgewirkt hat und in welcher zeitlichen Schicht des Gesetzgebungsprozesses im 19. Jahrhundert die christliche Wertung eingeflossen ist.57 Ein für die Untersuchung christlicher Einflüsse im Gesetzgebungsverfahren besonders bedeutsamer Akteur war die katholische Deutsche Zentrumspartei.58 Das Zentrum hat sich als Partei zum Ziel gesetzt, die Wertevorstellungen der zu dieser Vorgehensweise Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 15. Kommentar (HKK), 2003, Band 1–3. Dieser kommentiert die Vorschriften des BGB vor ihrem historisch-traditionellen Hintergrund und ist daher eine wertvolle Arbeitsgrundlage für diese Untersuchung. s. Rückert, BGB und seine Prinzipien, in: HKK-BGB, 2003, Vor § 1, Rn. 1 ff. 54 So beispielsweise bei §§ 226, 656 BGB, siehe dazu C.I. und C.V. 55 Kanonisches Recht bei §§ 138 Abs. 2, 2072, 657 BGB. Siehe dazu den Abschnitt C.II. und C.VI. 56 So das Handelsrecht bei § 193 BGB. Außerdem das Sächsische BGB bei § 656 BGB. Siehe dazu C.IV. und C.V. 57 So kann es sowohl einer der Redaktoren der ersten Entwürfe (ab 1874–1887) gewesen sein als auch ein Kommissionsmitglied der zweiten Kommission (1890– 1895) oder ein Parlamentsabgeordneter in der Kommission des Reichstages (1895– 1896). Während der inhaltliche Hauptanteil bereits in den ersten Entwürfen stand, wurden in den späteren Beratungen vor allem Einzelfragen geändert. Die Schlussabstimmungen verzeichnen zumeist am wenigsten inhaltliche Änderungen. Über die Wichtigkeit der Berücksichtigung und Kenntnis der jeweils agierenden Person im Gesetzgebungsverfahren s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 25, S. 472. Näheres zu dem Verfahren s. unter B.II. 58 Gegründet im Jahr 1870. Unter den Gründungsmitgliedern und den Mitgliedern des Vorstands der ersten Zentrumsfraktion im Reichstag Fürst Karl zu LöwensteinWertheim-Rosenberg, der die „festere Organisation der katholischen Partei Deutschlands“ als dringende Notwendigkeit in Zeiten des Kulturkampfes gesehen hatte und die Mobilisierung katholischer Vereine initiierte und förderte, von der Reichenspergers Aufruf zur Wahl katholischer Abgeordnete dann profitierte. s. hierzu Siebertz, Karl Fürst zu Löwenstein, 1924, S. 166 f. 52 Vgl.
53 Historisch-kritischer
III. Methodik35
Kirche auf politischer Ebene durchzusetzen.59 Die Partei war in der Reichstagskommission für die Beratungen über das BGB vertreten. Der Einfluss der Partei auf den Normerlass kann über die Anträge des Zentrums in der Beratung der Reichstagskommission nachvollzogen werden.60 Sodann stellt sich im Einzelnen die Frage, ob die in die Norm eingeflossene Wertung auf das Wertempfinden des jeweiligen Akteurs zurückzuführen war61 oder eine fremde Wertung62 importiert wurde. Der Import willenstheoretischer Überlegungen durch den jeweiligen Akteur war unvermeidbar, denn der Gesetzgeber schöpfte notwendiger Weise aus bereits vorhandenen, möglicherweise sogar unreflektiert übernommenen Rechtsstrukturen.63 Als solche „Importgedanken“ sind für die Untersuchung christlicher Werte besonders theonom fundierte Regeln des kanonischen Rechts64 wie auch Wertungen von Kritikern der Entwürfe oder Gedanken wissenschaftlicher Aufsätze der Zeit relevant. Gerade Wertungsgedanken des kanonischen Rechts haben auf verschiedene Art und Weise Eingang in das BGB gefunden. Bei der Untersuchung des Imports von christlichen Werten werden sich Zurechnungs probleme ergeben.65 Denn es lässt sich auch nach einer historischen Untersuchung keine absolute Aussage darüber treffen, ob der jeweilige Akteur gerade auf eine bestimmte christliche Wertung rekurriert.66 Ein solcher Import wird selten explizit benannt oder offen gelegt. Das gilt besonders für den Untersuchungsgegenstand der christlichen Werte, denn die Akteure der Gesetzesmaterialien entstammen einer Zeit, in der man sich um religiöse Neutralität und Absetzung von der Kirche bemühte.67 Explizite Bezüge auf christliche Werte finden sich in den Materialien außerhalb des Eherechts daher nicht.68 Viel59 s.
zu den Einflussmöglichkeiten der Partei und ihren Zielen auch B.II.3. bei den §§ 138 Abs. 2, 193, 226, 656, 826 BGB. 61 Dies würde sich in einem besonderen Maß an Überlegungen, die in der jeweiligen Beratung oder in diese kommentierenden Reden und Veröffentlichungen dokumentiert sind, äußern. Vgl. Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 11. 62 Hierunter könnte beispielsweise eine Wertung fallen, die einem der bekannten Lösungsversuche zugrunde lag. 63 Vgl. Baldus, Verwerfungsargument und Willenstheorie, 2013, S. 78; Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 11. s. auch B.II.2. 64 So bei den §§ 138 Abs. 2, 248 insbesondere aber den §§ 145, 657 BGB. Zu der besonderen Bedeutung des Einflusses des kanonischen Rechts für die Thematik vgl. v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 107. 65 Wann übernimmt der Gesetzgeber eine Wertung, auf die er rekurriert? Macht er sie sich stillschweigend zu Eigen? Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 11. 66 „Es ist noch nicht einmal historisch stets klar, welche philosophischen Strömungen die maßgeblichen Methodenlehrer des 19. Jahrhunderts beeinflussten.“, Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 21. 67 Siehe dazu auch den historischen Kontext des BGB unter B.I. 68 Siehe dazu die Untersuchung unten unter C.VII. 60 So
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mehr wird stattdessen häufig auf allgemein ethische Vorstellungen und Anschauungen in der Bevölkerung verwiesen. Aus diesem Grunde können in dieser Arbeit lediglich Indizien gesammelt werden, die für einen entsprechenden Import sprechen; ein Beweis wird dagegen nicht gelingen. Christliche Werte waren ohnehin nicht monokausal für den Normerlass, sondern vielmehr Teil eines Bündels an Faktoren. Es ist daher weder Ergebnis noch Ziel dieser Arbeit, einen christlichen Wert zur monokausalen Ursache der jeweiligen Norm zu erklären.69 b) Fortwirken in der Normanwendung Die nach a) ermittelten Beweggründe für den Normerlass können nur dann als Indiz für einen durch die Norm in das Bürgerliche Recht importierten christlichen Wert herangezogen werden, wenn sie in der Anwendung der Norm auch fortwirken.70 Daher wird in einem zweiten Schritt zunächst die Anwendung der Norm unmittelbar nach ihrer Einführung dargestellt werden, um sodann das Fortwirken des christlichen Aspektes in der heutigen Anwendung zu überprüfen. Hierzu werden der Zweck der Norm und ihr praktischer Anwendungsbereich darauf untersucht, ob sie sich von der ursprünglichen Zwecksetzung der Art entfernt, dass sie dem christlichen Zweck der Norm nicht mehr entspricht. Auf diese Weise kann in der Ergebnisanalyse unter D. ermittelt werden, welche Bedeutung dem christlichen Wert, der den Normerlass beeinflusst hat, in seiner heutigen Anwendung im Vergleich zu seiner ursprünglichen Anwendung zukommt.
IV. Klärung von Begrifflichkeiten Wenn in dieser Untersuchung von christlichen Werten gesprochen wird, so ist damit ein aus den christlichen Glaubenswahrheiten und der christlichen Gesamtanschauung abgeleiteter Idealzustand zur Ausrichtung des eigenen Handelns gemeint. „Christlich“ umfasst die drei großen christlichen Konfessionen des deutschen Reiches seit dem Westfälischen Frieden: Lutheraner, Calvinisten und Katholiken.71 Die Verfasserin unterscheidet bei den einzelnen Einflüssen christlicher Werte auf die Normen nicht zwischen den Konfessionen, da in dieser juristischen Dissertation eine solche Zuordnung im 69 Vgl. auch „Historische Auslegung hilft zu erkennen, was ein Wort sagen kann, was es in einem Zusammenhang sagen kann und welches Ergebnis wünschenswert ist.“, Baldus, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 24. 70 s. dazu die Einleitung zu A.III.4. 71 Zu den drei für Europa kulturbildenden Konfessionen Schielicke, Rückkehr der Religion in den öffentlichen Raum?, 2012, S. 109.
IV. Klärung von Begrifflichkeiten37
Einzelfall nicht möglich sein dürfte. Die Hinweise in den Gesetzesmaterialien treffen eine entsprechende Unterteilung jedenfalls nicht. Daher wird sich die Differenzierung in dieser Arbeit auf Hinweise beschränken, sofern sich die christlichen Wertvorstellungen im Einzelfall unterscheiden sollten. Insoweit es um den kanonischen Einfluss geht, handelt es sich zwar um katholisches Kirchenrecht. Dies schließt im Einzelnen aber nicht aus, dass die zugrundeliegende Wertung auch eine der anderen Konfessionen ist. Die Einflüsse der Zentrumspartei lassen ebenfalls auf einen katholischen Einfluss zurückschließen. Die Mitglieder der Kommission entstammten dagegen größtenteils dem protestantischen Bildungsbürgertum.72 Weiterhin ist vorab zu klären, was unter den Begrifflichkeiten der „Sittlichkeit“ und „Moral“ verstanden wird. Die Moral wird als Lehre vom Sittlich-Guten und Sittlich-Bösen definiert, sodass die Sittlichkeit in ihrer Sprachform als Adjektiv das sittlich Gute, durch eigenes Handeln Erstrebenswerte bezeichnet.73 Was nun aber sittlich gut oder böse ist, richtet sich nach der Erkenntnisquelle, die der jeweilige Akteur zu Rate zieht. Als Beispiel kann die Begründung der Einführung des Ehemaklervertrags mit § 656 BGB herangezogen werden.74 Dort heißt es: „Die große Mehrheit der Bevölkerung betrachtet unzweifelhaft das Nehmen und Geben eines Lohns für Heiratsvermittlung als unsittlich, mindestens unanständig und werde es für eine schwere Beleidigung halten, wenn ihr ein derartiges Verhalten nachgesagt werde.“75
Weshalb die Ehevermittlung „unsittlich“ sein sollte, wurde indes nicht bestimmt. Das Wort sittlich sagt nur etwas darüber aus, dass ein Verhalten als „gut“ oder „schlecht“ erachtet wird, nicht aber, nach welchen moralischen Maßstäben gemessen wird; also ob gesellschaftliche Vorstellungen, christliche Wertvorstellungen oder philosophische Ideale maßgeblich waren. Mithin wird es im Einzelnen die Aufgabe der Untersuchung sein, nachzuweisen, dass eine dieser Maßstäbe im jeweiligen Kontext christliche Werte gewesen sind.76 Zudem sollen die Begriffe der Neutralität, insbesondere der positiven und der negativen Neutralität, und des Laizismus geklärt werden. Diese sind von großer Bedeutung für das heutige Verständnis von Staat und Kirche.77 Relietwa Windscheid, s. Wolf, Große Rechtsdenker, 1963, S. 598. an Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 58. 74 Siehe dazu die ausführliche Untersuchung unter C.V. 75 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1293; siehe dazu auch noch unten C.V.3. 76 Im Übrigen ist dies nicht unwahrscheinlich, denn aus dem Christentum bezog die Mehrheit der Bevölkerung, insbesondere der juristischen Bildungsbürgerschicht, ihre Wertvorstellungen. Vgl. Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 13. 77 s. dazu B. 72 So
73 Orientiert
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giöse „Neutralität“ des Staates bedingt und setzt voraus, dass Staat und Religionsgemeinschaft institutionell und funktionell getrennt sind.78 Neutralität im religionsverfassungsrechtlichen Sinne bedeutet in erster Linie Nichtidentifikation des Staates mit den Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen.79 Der Staat verhält sich daher dann „neutral“, wenn er in der geistigen Auseinandersetzung zwischen religiös-weltanschaulichen Positionen keine Stellung nimmt, sich nicht mit einer von ihnen identifiziert und sich keine für sein Handeln zu eigen macht.80 Der Staat soll so „Heimstatt aller Bürger“ sein.81 Im deutschen Verfassungsrecht wird der Neutralitätsbegriff erst durch ein Zusammenspiel von Verfassungsbestimmungen bestimmt.82 Die religiöse Neutralität äußert sich verfassungsrechtlich in dem Verbot des Staatskirchentums (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 WRV), dem Recht der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), in dem Verbot einer religiös motivierten Bevorzugung oder Benachteiligung (Art. 3 Abs. 3 GG) und der Verbürgung eines religionsneutralen Zugangs zu öffentlichen Ämtern (Art. 33 Abs. 3 GG).83 In der Ausgestaltung des Neutralitätsgebotes kann sich Neutralität entweder als negative Neutralität im Sinne des Laizismus oder als positive Neutralität äußern. Laizismus bezeichnet eine weltanschauliche Forderung, nämlich die „Lösung öffentlichen Lebens (Staat, Gesellschaft, Recht, Wirtschaft, Kultur, Erziehung) von Religion“ in einem religionsfeindlichen Sinne.84 Es ist eine negativ verstandene Neutralität des Staates, die das Gebot staatlicher Gleichgültigkeit gegenüber Religiösem beinhaltet.85 Der vom Laizismus abgespaltene Grundsatz der Laizität (Laicité) bezeichnet die „völlige Abstinenz 78 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 130; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rn. 138. 79 Wick, Die Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 11. 80 Das BVerfG formuliert es so: Die „gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung zu betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung zu identifizieren und dadurch den religiösen Frieden einer Gesellschaft von sich aus zu gefährden (ist verwehrt) Auch verwehrt es der Grundsatz religiös-anschaulicher Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten.“, BVerfGE 108, 282 (300); s. auch Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 130; Ladeur/Augsberg, Mythos vom neutralen Staat, JZ 2007, S. 15. 81 BVerfGE 19, 206 (216); Heinig, Verschärfung oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1137. 82 Wick, Die Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 11. 83 Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rn. 90, 138. 84 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 346; Wick, Die Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 39. 85 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 346; Jeand’Heur/ Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 130.
IV. Klärung von Begrifflichkeiten39
des Staates in Weltanschauungsfragen“86 oder wie di Fabio es formuliert „die völlige Verbannung der Religion aus öffentlichen Begegnungsräumen“.87 Der Begriff Laizität ist rein französisch und wurde von Ferdinand Buisson geprägt, der sich für einen religionsfreien Schulunterricht einsetzte.88 Ein praktisches Beispiel für ein laizistisches System im Sinne der Laizität ist das Trennungsmodell Frankreichs.89 Konkret bedeutet das, dass eine finanzielle Unterstützung von Religionsgemeinschaften durch den Staat ebenso nicht in Betracht kommt90 wie Religionsunterricht an öffentlichen Schulen;91 die Sphären von Staat und Kirche sind vollständig getrennt. Dem steht eine positiv verstandene Neutralität gegenüber. Die positive Neutralität ermöglicht die Förderung religiöser Aktivitäten durch den Staat.92 Eine so verstandene Neutralität ist nicht als negative Neutralität („Freiheit von“ Religion) zu verstehen, sondern als positive Neutralität („Freiheit für“ Religion). Sie äußert sich durch Offenheit des Staates gegenüber Religiösem, dem gegenüber der Staat sich nicht passiv verhalten muss.93 Das Konzept der „positiven Neutralität“ bringen Heckel94, Hesse95 und Hollerbach96 in den 1960er Jahren in die Literatur ein.97 Aus Sicht des BVerfG ist das Grundgesetz in diesem Sinne geprägt von „Offenheit gegenüber dem Pluralismus weltanschaulich-religiöser Anschauungen angesichts eines Menschenbildes, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist. In dieser Offenheit bewährt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse 86 v. Campenhausen/de
Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 346. Fabio, Begegnung mit dem Absoluten, FAZ Artikel vom 22.12.2016, S. 6. 88 Vgl. Wick, Die Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 39. 89 Eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik, wie es in der Verfassung vom 4. Oktober 1958 steht. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 345 f.; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 2010, S. 168. 90 So in etwa auch das Trennungsmodell in den USA nach der „Wall-of-Separation-doctrine“: Die Etablierung einer Staatskirche und Staatsreligion ist danach ausgeschlossen (No-establishment-Clause) und die staatliche Unterstützung einer Religion ebenfalls (No-Aid-to-religion-Clause); Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 2010, S. 166 Rn. 2. 91 Das gilt mit Ausnahme von den drei Ost-Départements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle in dem ehemaligen Elsass-Lothringen aufgrund des Ortsrechts. Gross, Frankreich ein kraft Verfassung laizistischer Staat, JZ 2013, S. 881. 92 Heinig, Verschärfung oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1137. 93 Wick, Die Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 12. 94 Heckel, Gleichheit oder Privilegien?, 1993, S. 69 ff. (87 ff.). 95 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts in der BRD, 1967, S. 147 f. 96 Hollerbach, in: Sauer (Hrsg.), Zum Verhältnis von Staat und Kirche, 1976, S. 9 (15 ff.). 97 Heinig, Verschärfung oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1137. 87 Di
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und weltanschauliche Neutralität“.98 Positive Neutralität ist als „Nichtidentifikation des Staates mit einer Glaubensrichtung“99 zu verstehen, die aber nicht mit Indifferenz und laizistischer Duldsamkeit gleichgesetzt werden darf.100 Der Staat darf sich nicht mit einer Religion identifizieren und hält seine eigene Ordnung von religiös-weltanschaulichen Elementen frei, ihren gesellschaftlichen Bereich aber fördern.101 Konkret äußert sich die positive Neutralität des Staates in Deutschland u. a. in dem Optionsrecht von Religionsgemeinschaften, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erhalten und damit Steuern zu erheben (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5, 6 WRV), der Einrichtung theologischer Fakultäten an öffentlichen Universitäten, öffentlichen Feiertagsregelungen für religiöse Feiertage (Art. 139 WRV), Anstalts- und Militärseelsorge (Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV) und Religionsunterricht an der Schule gemäß Art. 7 Abs. 3 GG.102
V. Themenbegrenzung Die Weite des Wertebegriffes, ebenso wie die Vielfalt der Einflussmöglichkeiten auf Normen, gebieten eine Themenbegrenzung. Der rechtshistorische Teil der Arbeit wird sich auf die Gesetzgebungsgeschichte des BGB Ende des 19. Jahrhunderts beschränken. Thematisch sind daher Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit Normen des BGB, die 1900 eingeführt und bis heute beibehalten wurden.103 Die Arbeit erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige und abschließende Auflistung sämtlicher Normen zu geben, die durch christliche Werte beeinflusst worden sind. Es wird lediglich eine Auswahl von Beispielsnormen untersucht. Eine detaillierte Untersuchung aller Rechtsinstitute, die durch christliche Werte beeinflusst worden sind, würde den Umfang der Arbeit übersteigen. Dies gilt auch für angrenzende Rechtsgebiete wie das Zivilprozessrecht. Auf die nicht untersuchten Einschläge christlicher Werte im Prozessrecht sei daher nur hingewiesen.104 Im Rahmen des Bürgerlichen Rechts 98 BVerfGE 41,
29 (50). hierzu auch Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 130 Rn. 166. 100 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 130 Rn. 167; Wick, Die Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 11. 101 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 55. 102 Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, Rn. 145. 103 Damit wird eine Norm wie § 1300 BGB a. F. trotz seiner augenscheinlich mit christlichen Wertvorstellungen von Ehe und Keuschheit zusammenhängenden Wertung außer Acht gelassen. 104 Siehe bspw. die Historie des § 811 ZPO. Die Kreditsicherung durch Pfandrechte ist keineswegs ein modernes Phänomen. Schon das Alte Testament setzt sich 99 Vgl.
V. Themenbegrenzung41
wird sich die Arbeit nicht mit dem Menschenbild des BGB beschäftigen, das in Teilen dem Menschenbild des Christentums und der Philosophie Kants nachempfunden wurde.105 Das Ehe- und Familienrecht wird abgesehen von den Kurzhinweisen unter C.VII. ausgeklammert. Der Einfluss des christlichen Bildes von der Ehe auf das gesetzliche Leitbild des Familienrechts ist weitestgehend bekannt106 und Gegenstand mehrerer eigenständiger Untersuchungen gewesen.107 Darunter fällt beispielsweise der Einfluss der christlichen Ehe auf die Norm des § 1357 BGB.108 Auch abseits des Familienrechts wird eine Auswahl getroffen. Die Auswahl betrifft insbesondere Normen, deren christliche Beeinflussung in dieser Tiefe weniger bekannt sein dürfte als der Ursprung der Ehebestimmungen: So die §§ 226, 826 BGB, die §§ 138 Abs. 2, 248, 289 BGB, die Fristenregel des § 193 BGB, die Ehemaklerbestimmung des § 656 BGB und nicht zuletzt die §§ 657, 145 BGB. Ebenso wie bei den ausgewählten Normen könnte einer Vielzahl anderer Normen des BGB ein christlicher Hintergrund nachgewiesen werden, so beispielsweise den §§ 80 ff. BGB, § 249 BGB und § 618 Abs. 2 BGB. Bestimmungen, bei denen dies möglich wäre, sollen zu einer besseren Übersicht über die Dimension christlicher Werte im BGB in Abschnitt C.VII. erwähnt werden. Die zahlreichen Anknüpfungspunkte, die das Thema bietet, indizieren jedenfalls eine breitläufige Beeinflussung des Bürgerlichen Rechts durch christliche Werte. Diesbezüglich besteht weiterhin Forschungsbedarf.
mit dem Schutz des Sicherungsgebers beim Faustpfandrecht auseinander: „Nimmst du von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand, dann sollst du ihn bis zum Sonnenuntergang zurückgeben; denn es ist seine einzige Decke, der Mantel, mit dem er seinen bloßen Leib bedeckt. Worin soll er sonst schlafen?“, Ex 22, 25–26. „Man darf nicht die Handmühle oder den oberen Mühlstein als Pfand nehmen; denn dann nimmt man das Leben selbst als Pfand.“, Dt 24, 6. 105 Larenz/Wolf, AT, 2004, § 2, Rn. 2 nennen das den „ethischen Personalismus“ des BGB. 106 Roth, in: MünchKomm-BGB, 12. Aufl. 2013, § 1353, Rn. 2; so auch v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 110; Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, 1967, S. 248. 107 Kaufmann, Das sittliche Wesen der Ehe, 1976, S. 653 oder auch Kahl: „Dabei ist die grundsätzlich geforderte Verschiedenheit von Staat und Kirche gewahrt und gleichwohl dem Christentum die Stellung gegeben, welche ihm als der ersten Macht im öffentlichen Leben gebührt.“, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, 1894, S. 202. 108 Siehe dazu Motive IV, 1888, S. 104; vgl. Becker, Spuren des kanonischen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1999, S. 167; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rechtsdogmatik im Staat der Glaubensfreiheit, 1999, Rn. 882.
B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB Zunächst gilt es, den historischen Kontext der Entstehung des BGB mit besonderer Rücksicht auf das Verhältnis von Recht und Religion nachzuzeichnen. Hierzu soll zum einen das Verhältnis von Staat und Kirche zur Zeit der Entstehung des BGB dargestellt werden (I.). Zum anderen soll der in diese Zeit eingegliederte Gesetzgebungsprozess und die hierin erkennbaren Vehikel für den Einfluss christlicher Werte in den Gesetzgebungsarbeiten skizziert werden (II.).
I. Das Verhältnis von Staat und Kirche Im Folgenden ist die historische Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche von einer christlichen Staatsreligion hin zu der Trennung von Staat und Kirche im status quo nachzuzeichnen. In dem komplexen Verhältnis beider Institutionen, das über Jahrhunderte gewachsen ist, trägt allein der historische Hintergrund des Verhältnisses von Staat und Kirche zum Verständnis der Ausgangssituation des Gesetzgebers bei.1 Der Rückblick setzt bei dem Aufschwung des Christentums zur Staatsreligion an und endet mit der endgültigen Trennung von Staat und Kirche durch die Weimarer Reichsverfassung.2 Aus Gründen der sachdienlichen Beschränktheit des Umfanges wird sich die nachfolgende Erläuterung auf die paradigmatische Darstellung v. Campenhausens beschränken, ohne hierdurch die katholischen Positionen verneinen zu wollen.3
v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, § 1 Einleitung, 2006, S. 1. überschreitet der Zeitraum zwar den Abschluss der Gesetzgebungsarbeiten. Jedoch ist die Trennung von Staat und Kirche faktisch bereits im 19. Jahrhundert eingeleitet worden, sodass die Weimarer Reichsverfassung lediglich den Abschluss einer Entwicklung markiert, wie im Folgenden darzulegen sein wird. Da die Ausgangslage der Weimarer Reichsverfassung über Art. 140 GG bis heute fortwirkt, ist es notwendig, diese in den Rückblick miteinzubeziehen. vgl. Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 48 Rn. 41. 3 U. a. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, § 1 Einleitung, 2006; v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010; v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002. 1 Vgl.
2 Damit
I. Das Verhältnis von Staat und Kirche43
1. Rückblick: Von der Staatsreligion zu Staat und Religion Zur Ideengeschichte des Abendlandes gehört seit jeher das Verhältnis von Recht zu Religion.4 Das Nebeneinander von Recht und Religion, verkörpert durch Staat und Kirche, erscheint dem Europäer der Moderne selbstverständlich. Dabei ist dies erst eine Errungenschaft der Neuzeit. Ein Rückblick erweckt den Eindruck, dass das Auftreten von weltlicher Herrschaft und Religion untrennbar miteinander verbunden sind.5 a) Aufschwung des Christentums zur Staatsreligion In der „vorchristlichen Kulturwelt“ der Antike wurden weltliche Herrschaft und Religion als untrennbare Einheit begriffen.6 Das Christentum stellte an sich diese Einheit in Frage, indem es dem Staat einen Gott gegenüber stellte.7 Dies führte zwangsläufig zu einer Entglorifizierung des römischen Staates.8 Aufgrund dessen verweigerten Christen die Teilnahme am Staatskult, am Wehrdienst und die Wahrnehmung einiger öffentlicher Ämter.9 In dem Versuch, die „staatsfeindlichen“ Ströme des Christentums zu unterdrücken, wurden Christen zu Massen verfolgt.10 Das Toleranzedikt des Galerius, das 313 durch das Mailänder Abkommen reichsweit durchgesetzt wurde, stellte den 4 Vgl. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 2004, S. 33. Heinig bezeichnet es als eine „Ewigkeitsfrage“, Verschärfung oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1136; Jeand`Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 25 Rn. 5; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 30 Rn. 14; Wick, Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 3. 5 Vgl. v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 13; v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 98; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006. 6 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 97; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 2 S. 3; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 30 Rn. 15. 7 „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“, Apg 5, 29; „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“, Joh 18, 36. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 2 S. 4; v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 96; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 30 Rn. 15; vgl. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 17. 8 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 96; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 30 Rn. 15. 9 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 96; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 30 Rn. 15. 10 „Höhepunkt“ unter Kaiser Diocletian 303/304 n. Chr. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 2 S. 4; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 30 Rn. 15.
44
B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB
entscheidenden Wendepunkt dar: Es sorgte unter anderem für die staatlich garantierte Akzeptanz des Christentums.11 Nach der Vorbereitung durch Kaiser Konstantin erklärte Kaiser Theodosius mit dem Edikt vom 28. Februar 380 das Christentum zur Staatsreligion.12 Damit wurde es allerdings im Ergebnis sehr ähnlich behandelt wie die vorherige Staatsreligion auch. Das ius sacrum wurde in das ius publicum aufgenommen.13 Staat und Kirche waren zwar noch voneinander zu unterscheidende Größen, aber rechtlich verbundene Institutionen.14 Diese Kirchenpolitik wird oftmals als das Konstantinische Zeitalter des Bündnisses von Thron und Altar bezeichnet.15 So wird der Grundstein für die Bedeutung des Christentums in der europäischen Rechtsgeschichte gelegt, ebenso wie das Spannungsfeld von Kirche und Staat angelegt. Die neu eingeführte Staatskirche war äußerlich abhängig von weltlicher Gewalt.16 Die Geschichte des Mittelalters bestimmten daher Bestrebungen der Kirche, sich dieser Abhängigkeit von weltlicher Herrschaft zu entledigen.17 Das Machtverhältnis von Staat und Kirche wurde in einem 1500jährigen Konflikt zwischen Kaiser und Papst austariert.18 In dem ungelösten Konflikt beiderseitiger Universalansprüche existierte bis zur Reformation nur eine Religion „verkörpert in und durch die Kirche“.19 Die enge Verbindung des deutschen Staates mit der christlichen Religion ist demzufolge aus einer jahrhundertelangen institutionellen Verzahnung von Kirche und Staat entwachsen.20 11 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 100; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 2 S. 4 f.; Jeand`Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 25 Rn. 6; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 30 Rn. 16. 12 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 100; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 2 S. 5; Jeand`Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 25 Rn. 6; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 30 Rn. 16. 13 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 2 S. 5; Jeand`Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 25 Rn. 6; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 31 Rn. 16. 14 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 102. 15 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 101; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 2 S. 5. 16 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 2 S. 6. 17 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 101; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 2 S. 6. 18 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 2 S. 6; Jeand`Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 25 f. Rn. 6; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 31 Rn. 17 ff. 19 Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 32 Rn. 19; vgl. v. Campenhausen/ de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 3 S. 9. 20 Vgl. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 16.
I. Das Verhältnis von Staat und Kirche45
b) Staat und Religion im 19. Jahrhundert Das 19. Jahrhundert ist die entscheidende Schwelle zur Entflechtung von Staat und Kirche, sowohl auf evangelischer wie auch katholischer Seite ungeachtet der jeweils unterschiedlichen Verständnisse von Staat und Kirche. Dies wurde durch den Reichsdeputationshauptschluss eingeleitet und fand seinen Höhepunkt in der Paulskirchenverfassung.21 Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ordnete das Reichsgebiet territorial, mithin staatsrechtlich, neu.22 Damit ging die Beseitigung der geistlichen Territorialhoheit katholischer Bischöfe einher.23 Die geistlichen Reichskirchengüter wurden „säkularisiert“.24 Der daraus resultierende Verlust der konfessionellen Geschlossenheit der Territorien erforderte eine Neuausrichtung des Religionsverfassungsrechts und damit des Verhältnisses von Staat und Kirche.25 Ein Treiber dieser Entflechtung war die gestärkte Autonomie der Kirche.26 Der Wegfall der katholischen Reichsfürstentümer hatte zu einer Rückbesinnung auf die Universalkirche unter dem Papst in Rom geführt; dies trug dazu bei, dass die katholische Kirche einen Bedeutungszuwachs verzeichnete.27 Zudem hatte die Epoche der Romantik durch die Wiederbelebung des religiösen Sehnens ihren Teil zu einer Rückbesinnung auf die katholische Kirche beigetragen.28 Der Abschluss einer Vielzahl von Konkordaten bezeugte das neue Interesse der weltlichen Herrschaft an einem Einvernehmen mit der ka21 Wenn diese auch nie in Kraft getreten ist, so diente sie doch als Vorbild für die Weimarer Reichsverfassung. S. zu diesen Entwicklungen v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 8 S. 23; Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 37 Rn. 23; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 37 Rn. 33. 22 Napoleon erzwang im Friedensvertrag von Lunéville 1801 die Abtretung linksrheinischer Gebiete, sodass die Reichsdeputation in Regensburg einen Entschä digungs- und Neugliederungsplan entwerfen musste. Infolgedessen wurden zur Entschädigung der betroffenen Reichsfürsten mittels Mediatisierung kleinere Herrschaftsbereiche größeren Gebieten zugeschlagen. v. Campenhausen/de Wall, Staatskir chenrecht, 2006, § 8 S. 23; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 36 Rn. 32. 23 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 37 Rn. 23. 24 Es wird als die größte Säkularisationsaktion der deutschen Verfassungsgeschichte bezeichnet. Dabei wurden insgesamt rund 10.000 km2 geistliches Staatsgebiet aufgehoben, v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 8 S. 23. 25 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 8 S. 26; Jeand’Heur/ Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 38 Rn. 23; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 37 Rn. 33. 26 Vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 37 Rn. 34. 27 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 9 S. 27; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 37 Rn. 34. 28 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 9 S. 27; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 37 Rn. 34.
46
B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB
tholischen Kirche.29 Bismarck empfand jedoch die so gestärkte Kirche als Bedrohung und leitete den Kulturkampf ein.30 Dieser Kampf wurde unter anderem durch Erlass von säkularisierenden Gesetzen31 geführt, wovon unter anderem das Kirchenaustrittsgesetz32, die Einführung der obligatorischen Zivilehe über das Personenstandgesetz von 187533 und die Zurückdrängung der geistlichen (Hoch-)Schulaufsicht34 über den Kulturkampf hinaus bedeutsam blieben.35 Außerdem führte der staatliche Erlass von Kirchenverfassungen sowie die Einrichtung von Synoden zu einer „konstitutionellen Machtbeschränkung“ auch in der evangelischen Kirche.36 Damit war die institutionelle Trennung von Staat und Kirche durch die kirchenfeindlichen Gesetze auf katholischer Seite und die organisatorische Verselbstständigung auf evangelischer Seite bereits mit Beendigung des 19. Jahrhunderts erreicht worden.37 Die Entwicklung hin zu einer Trennung von Staat und Kirche zeichnete sich auch auf verfassungsrechtlicher Ebene ab.38 Manifeste dieser Entwick29 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 38 Rn. 25; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 37 Rn. 34. 30 1870–1878; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 9 S. 27 f.; Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 38 Rn. 25; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 38 Rn. 35. 31 Deklariertes Ziel dieser Gesetze war die „Trennung von Staat und Kirche, von Kirche und Schule überhaupt“ und „Kampf gegen die ultramontane Partei“, wie es Bismarcks Kultusminister v. Mühler 1871 formulierte. Derschka, in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 2, 2002, S. 656. 32 Das Gesetz von 1873 ordnete u. a. an, dass Kirchenaustritte bei staatlichen Gerichten angezeigt werden mussten (§ 1 Kirchenaustrittsgesetz). Abgedr. in Hinschius (Hrsg.), Preußische Kirchengesetze, 1873, S. 169 ff.; vgl. hierzu Derschka, in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 2, 2002, S. 656. 33 Erst in Preußen (1874), dann im gesamten Kaiserreich (1875) wurde die Zivilehe als allein gültige Form der Ehe eingeführt. Zuvor hatte eine kirchliche Eheschließung ausgereicht. Näher hierzu Hübner, in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 3, 2002, S. 907; Kaufmann, Das sittliche Wesen der Ehe, 1976, S. 659 ff. 34 Alle Schulen wurden durch das preußische „Schulaufsichtsgesetz“ unter staatliche Kontrolle gestellt: „Unter Aufhebung aller in einzelnen Landestheilen entgegenstehenden Bestimmungen steht die Aufsicht über alle öffentlichen und Privat-Unterrichts- und Erziehungs-Anstalten dem Staate zu. (…)“, Gesetz betreffend die Beaufsichtigung des Unterrichts- und Erziehungswesens vom 11. März 1872, § 1, Preußische Gesetz-Sammlung, 1872, S. 183. Allen Kirchen in Preußen wurde damit die geistliche Aufsicht über die Schulen entzogen. S. hierzu Derschka, in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 2, 2002, S. 656. 35 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 9 S. 28; Jeand’Heur/ Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 38 f. Rn. 25; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 38 Rn. 35. 36 Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 38 Rn. 36. 37 Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 38 Rn. 36. 38 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 5.
I. Das Verhältnis von Staat und Kirche47
lung sind im Wesentlichen die Beseitigung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, die Erweiterung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und die Einführung einer uneingeschränkten, individuellen Religionsfreiheit über §§ 144– 151 der Reichsverfassung der Paulskirche39 und Art. 12, 15 der Verfassungsurkunde40 für den preußischen Staat.41 In der Paulskirchenversammlung wurden die Garantie der „Glaubens- und Gewissensfreiheit“, der unbeschränkt freien Religionsausübung und des „Genußes bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte“ unabhängig vom religiösen Bekenntnis beschlossen.42 Hinzu trat das Verbot der Staatskirche.43 Um diese Grundsätze zu untermauern, wurden Schulaufsicht und Ehe in den staatlichen Zuständigkeitsbereich verwiesen.44 Obwohl Friedrich Wilhelm IV. die Verfassung der Paulskirche verworfen hatte, erlangte sie als Vorbild für die nachfolgenden Landesverfassungen, die Weimarer Reichsverfassung und damit für die heute geltende Verfassung Bedeutung.45 Unter anderen war sie Vorbild für eine der wichtigsten Landesverfassungen der Folgezeit, die Verfassung von Preußen.46 Der berühmte Art. 14 setzte der preußischen Verfassung einen christlichen Rahmen: Danach sollte „denjenigen Einrichtungen des Staats, welche mit der Religionsausübung in Zusammenhang stehen“, unbeschadet der Religionsfreiheit, die christliche Religion zugrunde gelegt werden.47 Praktisch hatte dies die christliche Prägung von Schulen und Ehe, von staatlichen Feiertagen, theologischen Fakultäten und des Eides zur Folge.48 Die Idee
39 Glaubens- und Gewissensfreiheit, Religionsausübungsfreiheit und religiöse Vereinigungsfreiheit, 1848/1849. Die Paulskirchenverfassung erlangte zwar keine Geltung, setzte aber normative Impulse für die spätere rechtliche Trennung von Staat und Kirche, Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 41 Rn. 29; näher dazu Kühne, Reichsverfassung der Paulskirche, 1985, S. 479 ff. 40 Freiheit der Kirchen in Selbstverwaltungsangelegenheiten unter Aufrechterhalten des Bündnisses von Thron und Altar, 1850. 41 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 9 S. 26; Jeand’Heur/ Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 40 f. Rn. 27 ff.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 37 Rn. 33; Heinig, Verschärfung oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1136. 42 §§ 144 ff. Paulskirchenverfassung; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 135. 43 § 147 Abs. 2 Paulskirchenverfassung: „Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche.“ 44 §§ 150, 153 Paulskirchenverfassung; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 135. 45 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 135. 46 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 136. 47 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 136. 48 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 136 (Fn. 12).
48
B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB
eines „christlichen Staates“ prägte mithin die Vorbilder der Weimarer Reichsverfassung49 und den zeitgeschichtlichen Kontext der Redaktoren des BGB. Die vollständige Trennung vollzog sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts.50 Die Motive entstanden folglich in einer Zeit des Umbruchs. Die Selbstverständlichkeit, mit welcher der christliche Rahmen derjenigen Einrichtungen, die mit der Religionsausübung im Zusammenhang stehen, trotz Trennung von Staat und Kirche festgestellt wurde, erklärt die Selbstverständlichkeit des Bekenntnisses zu der Bedeutung des Christentums in den Motiven („Der Hervorhebung bedarf dabei kaum (…)“.)51 Das Bekenntnis zum Christentum war in Zeiten des Kulturkampfs und eines hierdurch ausgelösten grundsätzlichen Misstrauens der christlichen, insbesondere katholischen Bevölkerung gegenüber dem Staat von besonderer Bedeutung.52 c) Trennung von Staat und Kirche Die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts kumulierten nach Inkrafttreten des BGB in der Weimarer Reichsverfassung im Jahr 1919.53 Art. 137 WRV54 49 Link,
Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 137. auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 25, S. 479. 51 Motive I, 1888, S. 26. 52 Vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 38 Rn. 35. 53 „Weimar bedeutet für das deutsche Staatskirchenrecht die entscheidende Epochenwende.“, Heckel, Kontinuität und Wandlung des deutschen Staatskirchenrechts, ZevKR 1999 (44), S. 347; zit. in Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 38 Rn. 37; Wick, Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 6; vgl. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 10 S. 30; Heinig, Verschärfung oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1136. 54 „(1) Es besteht keine Staatskirche. (2) 1Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. 2Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen. (3) 1Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. 2Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. (4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes. (5) 1Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. 2Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. 3Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. (6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben. (…)“ Über Art. 140 GG ist Art. 137 WRV weiterhin geltender Bestandteil der heutigen Verfassung. 50 Vgl.
I. Das Verhältnis von Staat und Kirche49
setzte den Meilenstein für ein modernes Staatskirchentum.55 Das jahrhundertelange „Bündnis von Thron und Altar“56 wurde abgeschafft.57 Damit verwirklichte insbesondere Art. 137 Abs. 1 WRV in modifizierter Form die Trennung, welche die Paulskirchenverfassung bereits vorgesehen hatte.58 Art. 137 WRV schaffte das „landesherrliche Kirchenregiment als solches“ ab und untersagte die Wiedereinführung des Staatskirchentums.59 Insoweit entspricht die Verfassung ihrem Vorbild aus Frankfurt. Die Modifikation gegenüber ihrer Vorgängerin liegt in dem kulturpolitischen Kompromiss, der geschlossen wurde.60 Anstatt eine vollständige Trennung von Staat und Kirche im Sinne des Laizismus vorzunehmen, entschied man sich für eine abgeschwächte Form.61 Der Kompromiss äußert sich in der Sonderstellung der Kirche, die einen öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus behielt (Art. 137 Abs. 5 WRV), statt auf einen privatrechtlichen Verein heruntergestuft zu werden.62 Eine solche Abstufung auf die Ebene des Vereinsrechts hätte einen großen Bedeutungsverlust der Kirche zur Folge gehabt.63 Denn der öffentlich-rechtliche Status betont die Bedeutung der Kirche als Faktor des öffentlichen Lebens.64 Diese Bedeutung äußert sich auch in dem in Art. 137 Abs. 6 WRV gewährten Recht zur Steuer-
55 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, § 10 Staat und Kirche im 20. Jahrhundert, 2006, S. 32; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 39 Rn. 38; Wick, Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 3. 56 Das mit der Konstantinischen Wende eingeführt wurde, vgl. dazu B.I.1.a). 57 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 10 S. 32; Heckel, Kontinuität und Wandlung des deutschen Staatskirchenrechts, ZevKR 1999 (44), S. 347. 58 Vgl. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 10 S. 31 f.; Kühne, Reichsverfassung der Paulskirche, 1985, S. 495; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 174. 59 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 10 S. 32; Jeand’Heur/ Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 41 Rn. 29; Mayer, Trennung von Kirche und Staat, 1919, S. 5 f.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 39 Rn. 38; Wick, Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 3. 60 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 10 S. 31; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 174. 61 Anders als in Frankreich, wo im 20. Jahrhundert der radikale Laizismus eingeführt wurde. Dies äußert sich in einer negativen Neutralität des Staates gegenüber Religion. vgl. Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 42 Rn. 30; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 163; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 38 Rn. 37 f.; Wick, Trennung von Staat und Kirche, 2008, S. 6. S. zu der Definition von Laizismus und negativer Neutralität A.IV. 62 Art. 137 Abs. 5 WRV; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 10 S. 32; Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 42 Rn. 30; Mayer, Trennung von Kirche und Staat, 1919, S. 4 f.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 38 Rn. 37 f.; Wick, Trennung von Staat und Kirche, 2008, S. 6. 63 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 176. 64 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 176.
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B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB
erhebung.65 Zudem wurde mit Art. 137 Abs. 3 WRV das Selbstbestimmungsrecht der Kirche garantiert, wodurch Sondergesetze, die die Freiheit einzelner Religionsgemeinschaft einschränken, verfassungswidrig wurden.66 Die Reichsverfassung beseitigte zwar die Schulaufsicht, garantierte aber in Art. 149 WRV den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an Schulen.67 Zudem ließ die Verfassung die Militär- und Anstaltsseelsorge im Heer, in Krankenhäusern und (Straf-)Anstalten zu, Art. 141 WRV.68 Die Trennung betraf beide großen Kirchen. Weshalb entschied man sich gegen eine strikte Trennung? Kann dies mit dem deutschen Rechtshistoriker Stutz als „hinkende Trennung“,69 als gescheiterter Versuch einer Trennung bewertet werden? Der These von Stutz widersprach Mayer, indem er die abgeschwächte Trennung als beabsichtigt beschrieb: „Das (Trennungsmodell der WRV) hat zur Voraussetzung die Erkenntnis des Staates von dem besonderen Werte, den die Kirche und ihre Tätigkeit haben mag für seine Macht und die Kultur seines Volkes. Er (der Staat) sucht eine Art Bündnis herzustellen, nach welchem sie sich in die ihr zugedachte Rolle fügt, er aber ihr eine besondere Fürsorge widmet (…)“70
Auch Link erachtet die Trennung unter Verleihung des öffentlich rechtlichen Status als Anerkennung des gewachsenen Wertes der Kirche für die Gesellschaft.71 Der Staat wolle mit diesem Kompromiss die Religion weiterhin zur „öffentlichen Angelegenheit“ erklären.72 Entsprechend nehmen auch andere Stimmen der Literatur an, dass eine vollständige Trennung im Sinne des Laizismus nicht beabsichtigt war.73 Die Trennung war nicht Ausdruck des 65 Link,
Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 176. Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 175. 67 „(1) Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen der Schulgesetzgebung geregelt. Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt.“ S. dazu Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 179. 68 „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“ 69 Stutz, Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII. nach den Denkwürdigkeiten des Kardinals Domenico Ferrata, 1926, S. 54. 70 Mayer, Trennung von Kirche und Staat, 1919, S. 4. 71 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 176. 72 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 174. 73 Vgl. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 10 S. 32; Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 42 Rn. 31; Wick, Trennung von Staat und Kirche, 2008, S. 6. 66 Link,
I. Das Verhältnis von Staat und Kirche51
Wunsches, die Kirche aus dem öffentlichen Leben zu verbannen,74 um einen religionsfreien Raum zu schaffen.75 Die Trennung sollte die Kirche darüber hinaus schützen und ihr freie religiöse Gestaltung und Entfaltung ermöglichen.76 In diesem Sinne wird seither von einer positiv verstandenen weltanschaulichen Neutralität des Staates gesprochen, die bis heute fortwirkt.77 2. Ergebnis: Ein freundschaftliches Kooperationsverhältnis Vor diesem Hintergrund ist es insofern missverständlich, von einer „hinkenden Trennung“ zu sprechen, als dies davon ausgeht, dass eine vollständige Trennung gewollt war. Treffender ist es, das Verhältnis von Staat und Kirche als „freundschaftliches Korporationsverhältnis“78 zu bezeichnen. Die Regelungen der Weimarer Reichsverfassung bestimmen das Religionsverfassungsrecht bis heute.79 Sie statuieren eine positiv verstandene, religionsanschauliche Neutralität80 des Rechts.81 Das Konzept beruht daher auch heute noch auf der Partnerschaft von Staat und Kirche im Sinne einer Kooperation.82 Das Kooperationsverhältnis basiert auf zwei Pfeilern: Auf der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten Religionsfreiheit sowie auf den über Art. 140 GG übernommenen Kirchenartikeln der WRV.83 Die europäische Rechtskultur prägt eine institutionelle Verzahnung von Staat und Kirche. Das 19. Jahrhundert beförderte den Prozess einer Trennung von Staat und Kirche. Mit der Weimarer Reichsverfassung wurde diese Entwicklung zum Abschluss gebracht. Ergebnis dessen ist das neue „freundschaftliche“ Kooperationsverhältnis, nicht eine hinkende Trennung. Zusam74 So etwa 1905 in Frankreich nach den politischen Entwicklungen der Revolution; Mayer, Trennung von Kirche und Staat, 1919, S. 7. 75 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 176. 76 Mayer, Trennung von Kirche und Staat, 1919, S. 8. 77 Im Gegensatz zu der in Fn. 61 erwähnten „negativen Neutralität“ in Frankreich, Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 167; Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 42 Rn. 30; Wick, Trennung von Staat und Kirche, 2008, S. 11 f.; Heinig, Verschärfung oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1136 f. 78 Vgl. Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 42 Rn. 30; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 39 Rn. 38. Näher zu einer solchen Kooperation über die Koordinationslehre: Mayer, Staat und Kirche, 1967, S. 72 ff. 79 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 10 S. 31, 34. 80 Heinig, Verschärfung oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1137. 81 Vgl. Heinig, Verschärfung oder Abschied von der Neutralität?, JZ 2009, S. 1136. 82 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 52 Rn. 46 f. 83 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 125 Rn. 157; Wick, Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 8.
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B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB
menfassend kann also gesagt werden, dass ein „freundschaftliches Kooperationsverhältnis“ von Staat und Kirche gleichermaßen Distanz und Zusammenarbeit beider auch heute noch erforderlich machen.84 Der status quo entspricht heute aufgrund der Übernahme der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung noch in etwa der Situation Anfang des 20. Jahrhunderts.85 Er lässt vermuten, dass auch heute noch Spuren des christlichen Gedankenguts im geltenden Recht zu finden sind.
II. Entstehungsgeschichte des BGB In Zeiten des Umbruchs des Verhältnisses von Staat und Kirche begannen 1873 die Arbeiten zum Entwurf eines reichsweiten Bürgerlichen Gesetzbuches.86 Die neu gewonnene Reichseinheit förderte das Bedürfnis nach einer einheitlichen Zivilrechtsordnung für das Deutsche Reich.87 Das BGB sollte erstmals aus einem zersplitterten Rechtsbestand im deutschen Reich ein einheitliches Zivilrecht schöpfen.88 Dies geschah in einem fast dreißig jährigen Gesetzgebungsprozess durch die Arbeit mehrerer Kommissionen (1.), die aus den vorhandenen Rechtsquellen rechtsvergleichend und systematisierend die Rechtslage ermittelten (2.). In der Entstehungsgeschichte gab es mehrere mögliche Vehikel für den Einfluss christlicher Werte auf das BGB (3.). 1. Gesetzgebungsprozess Das BGB ist das Ergebnis eines vielschichtigen Prozesses.89 Die Arbeiten begannen am 20. Dezember 1873, als die Gesetzgebungskompetenz des Reiches per Gesetz auf das bürgerliche Recht erweitert wurde und so das Projekt eines reichsweiten Bürgerlichen Gesetzbuches erst ermöglichte.90 Fast ein 84 Vgl. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 13 S. 93 f.; Wick, Trennung von Staat und Kirche, 2007, S. 16. 85 Vgl. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 13. 86 Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 33. 87 Vgl. Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 19; Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 27; Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des BGB, NJW 1996, S. 1709. 88 Vgl. Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, S. 40; Larenz/Wolf, AT, 2004, § 3, Rn. 60 ff.; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 4. 89 Vgl. Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, S. 40; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 4. 90 Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 1; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 4; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 25, S. 468.
II. Entstehungsgeschichte des BGB53
Jahr später beauftragte das Reichsjustizamt nach einer Vorkommission die erste Kommission zur Durchführung des Projekts.91 Sie war zusammengesetzt ausschließlich aus Juristen, namentlich Richtern, Professoren und Ministerialräten, unter diesen Gebhard, Johow, Planck, Schmitt, v. Kübel und Windscheid.92 Sie erarbeiteten in 13 Jahren einen ersten Entwurf für das BGB.93 Zu diesem Entwurf, veröffentlicht im Jahre 1888, gibt es eine Gesetzesbegründung, die Motive,94 die Aufschluss über das mit der jeweiligen Norm verfolgte Ziel geben.95 Der Entwurf wurde in der Folge durch namenhafte Rechtswissenschaftler wie v. Gierke, Politiker und durch die Bevölkerung kritisiert.96 Man fand ihn zu formalistisch, sprachlich sperrig, „undeutsch“ – denn der erste Entwurf orientierte sich stark am römischen Recht –, vor allem aber zu unsozial.97 Es fehle „der Tropfen sozialistischen Öles“.98 Das Reichsjustizamt setzte daher eine zweite Kommission ein, die neben Juristen aus Vertretern anderer Berufsstände bestand.99 Der zweiten 91 Am 17.9.1874. Vgl. Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 100; Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 40; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 5. 92 Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 37 ff. s. auch Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 77; Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, S. 40; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 5. 93 Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, S. 40; Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 49; Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des BGB, NJW 1996, S. 1705; Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 24. 94 Die Motive fassen die Beweggründe und Diskussionspunkte zusammen. Sie enthalten Ausführungen von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Auszüge aus den Begründungen der Redaktoren, ohne dass dies jeweils gekennzeichnet worden wäre. Vgl. Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 49; Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 24 (Fn. 40); Thiessen, Die Wertlosigkeit der Gesetzesmaterialien in der Rechtsfindung, 2013, S. 61, 63. 95 Vgl. Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 79; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 5. 96 Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 80; Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 50; Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des BGB, NJW 1996, S. 1706 f.; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 5. 97 Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 80; Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 50; Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des BGB, NJW 1996, S. 1707; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 4; Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 25. 98 v. Gierke, Über die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, S. 13. 99 Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, S. 40; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 5; Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 26.
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B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB
Kommission legte das Reichsjustizamt abgeänderte Entwürfe zur Überarbeitung vor.100 Die zweite Kommission bemühte sich, die inzwischen geübte Kritik bei der Bearbeitung des zweiten Entwurfes zu berücksichtigten.101 Die überarbeiteten Entwürfe wurden dem Reichstag zur Abstimmung vorgelegt, der hierfür eine Sonderkommission einrichtete.102 Das katholische Zentrum war mit sechs der 21 Abgeordneten in der Reichstagskommission am stärksten vertreten,103 gefolgt von den Deutschkonservativen, Nationalliberalen und den Sozialisten.104 Die Beratungen der Kommission wurden von Berichterstattern protokolliert.105 Nach einer Abstimmung im Reichstag wurde das BGB am 24. August 1896 als „Bürgerliches Gesetzbuch“ im Reichsblatt veröffentlicht.106 Fast vier Jahre später ist es am 1. Januar 1900 in Kraft getreten.107 Gesetzesmaterialien dokumentieren den vorab geschilderten Prozess der Entstehung und die Gedanken der Verfasser des BGB.108 2. Rechtsquellen der Entwürfe Als Rechtsquelle für die Arbeit der Kommissionen diente neben den bereits bestehenden Partikularrechten, die ihrerseits auf römischem und germani100 Deswegen wird dem Reichsjustizamt auch eine tragende Rolle für die Entstehung des BGB zugesprochen. Über die Beratungen der zweiten Kommission geben die Protokolle Aufschluss. Vgl. Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 54; Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des BGB, NJW 1996, S. 1707; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 5. 101 Die Beratungen der zweiten Kommission sind protokolliert. Vgl. Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 50 ff.; Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des BGB, NJW 1996, S. 1707 f.; Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 27. 102 Vgl. Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 85 f.; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 5. 103 Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 65; Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des BGB, NJW 1996, S. 1706. Vgl. auch zur wachsenden Rolle des Zentrums Ende der 90er Jahre Nipperdey, Deutsche Geschichte II, 1992, S. 545 ff. 104 Vgl. Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 5, 10; Nipperdey, Deutsche Geschichte II, 1992, S. 514 ff. 105 Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 65. 106 Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 88; Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, S. 40. 107 Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 1. 108 Die wichtigsten Hilfsmittel sind die Motive der ersten Kommission sowie die Protokolle der zweiten Kommission, daneben noch die Denkschrift des Reichsjustizamtes und die Protokolle der Reichstagskommission. Eine Übersicht der Materialien bei Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 97 ff; vgl. Larenz/Wolf, AT, 2004, § 4, Rn. 42 (Fn. 41).
II. Entstehungsgeschichte des BGB55
schem ebenso wie französischem Recht beruhten,109 das ius commune (das „gemeine Recht“).110 Das gemeine Recht bestand in erster Linie aus römischem und kanonischem Recht, vielfach wird auch das germanische Recht dazu gezählt.111 Während in einigen Ländern Partikularrecht galt, vor allem das ALR in Preußen112 und das Sächsische Gesetzbuch im Königreich von Sachsen113, galt das gemeine Recht noch für ein Drittel der Bevölkerung unmittelbar.114 In einigen Teilgebieten kam es auch subsidiär zur Geltung.115 Das kanonische Recht stand im gemeinen Recht ebenbürtig neben dem römischen Recht.116 Auch die Partikularrechte beruhten neben römischen und deutschrechtlichen Regelungen auf kanonischem Recht.117 Zwischen kanonischem und römischem Recht hatte im Mittelalter eine ständige Wechselwirkung bestanden, die bis in das 19. Jahrhundert hineingewirkt hat.118 Es gibt mehrere Gründe dafür, weshalb ein nicht staatliches Recht wie das kanonische die vorab geschilderte Bedeutung für das Privatrecht erlangen konnte: Dazu zählten insbesondere die örtliche und die sachliche Zuständigkeit der Kirchengerichte, ebenso wie die territorienübergreifende Einheit des kanonischen Rechts. Die teilweise in Organisation und Verfahren überlegenen 109 Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 36; Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 14. 110 Vgl. Cosack, System des deutschen Privatrechts, 1895, S. 1. 111 Corpus Iuris Canonici (umfangreiche kirchliche Rechtssammlung aus einzelnen Rechtssammlungen der Zeit zwischen 1140–1325) sowie Corpus Iuris Civilis aus dem alten römischen Kaiserreich, gemeinsam als ius commune bezeichnet bei Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 41 Rn. 13; Schulze, Vom Ius commune bis zum Gemeinschaftsrecht, 1991, S. 9 f.; Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts, 1962, S. 25. Auch das germanische Recht miteinbeziehend Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 17. 112 Dies galt im größten Teil Deutschlands für 21 Mio. Deutsche. Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 15. 113 Das Sächsische BGB beruhte größtenteils auf Pandekten. Es galt für rund 3 Mio. Deutsche. Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 16. 114 Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, S. 41; Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 16. 115 Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 17. 116 Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 33; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 41; Landau, Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, 1991, S. 40; Schulze, Vom Ius commune bis zum Gemeinschaftsrecht, 1991, S. 9. 117 Vgl. Cosack, System des deutschen Privatrechts, 1895, S. 7; Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 15 (Fn. 8). 118 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 79.
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B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB
kirchlichen Gerichte119 konnten territorienübergreifend durchsetzbare Urteile fällen, während die weltlichen Gerichtsherren wegen der zersplitterten Territorien oft nur einen begrenzten Machtradius hatten.120 So war die Kirche übergreifend gegenwärtig. Zudem verfügte sie über gebildete, rechtskundige Richter.121 Hinzu trat, dass die weite Auslegung des Begriffes der „geistlichen Angelegenheiten“ der Kirche eine erweiterte gerichtliche Zuständigkeit in Angelegenheiten mit religiösem Bezug verschaffte, wie beispielsweise beim Stiftungs- und kirchlichen Korporations-, Liegenschafts- sowie Mobiliarrecht-, beim Wucher-, Ehe-, Testamentsrecht sowie in Benefizialsachen.122 Prozesse, in denen Kaufleute involviert waren, kamen des kanonischen Zinsverbotes wegen genauso vor geistliche Gerichte wie Angelegenheiten von bedürftigen Personen (personae miserabilis).123 Auch dies führte zu einer fortbestehenden, geradezu florierenden Parallelexistenz des kanonischen Rechts neben dem weltlichen römischen Recht.124 Das kirchliche Recht bot außerdem eine zu dieser Zeit ansonsten noch nicht vorhandene, obwohl von Thibaut geforderte125, Rechtsvereinheitlichung in einigen Gebieten des Privatrechts, weil es nicht an Territorien gebunden war. Den mit der Gesetzgebung beauftragten Kommissionen waren daher auch zahlreiche kanonische Regelungen bekannt, die eine wichtige Rechtsgrundlage für die Kodifikationen des 19. Jahrhunderts boten.126
119 v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 40; Dreier, Kanonistik und Konfessionalisierung, JZ 2002, S. 3; Schulze, Vom Ius commune bis zum Gemeinschaftsrecht, 1991, S. 912. 120 Vgl. auch Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 238. 121 v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 40; Dreier, Kanonistik und Konfessionalisierung, JZ 2002, S. 3; Landau, Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, 1991, S. 48. 122 v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 41; Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 33; Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 238; Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts, 1962, S. 36; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 72. 123 v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 41; vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 77. 124 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 72. 125 Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, 1814; s. auch Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 19. 126 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 42 Rn. 13, 14; Becker, Spuren des kanonischen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1999, S. 162; v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 34; vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, S. 77, 228.
II. Entstehungsgeschichte des BGB57
3. Vehikel für den Einfluss christlicher Werte Für die Überprüfung der in der Einführung aufgestellten These stellt sich die Frage, welche Vehikel der Gesetzgebungsprozess für den Import christlicher Werte bietet. Der Untersuchung dieser Vehikel wird in der Synthese unter D.I. besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. a) Das ist zum einen das kanonische Recht, welches über das ius commune Einfluss auf viele Regelungen des BGB genommen hat127 – so beispielsweise die §§ 138 Abs. 2, 248, 289, 657, 2072 BGB.128 Als über Jahrhunderte gewachsenes Recht der Kirche eignet es sich besonders als Träger für christliche Werte. Durch seinen Einfluss auf das BGB konnte es als Vehikel für den Import christlicher Werte in die Normen des BGB dienen. Um den spezifisch kanonischen Einfluss im Einzelfall sicherzustellen, wird der kanonische Einfluss vom römischen, teilweise auch vom germanischen Recht abzugrenzen sein. Auf diese Weise wird versucht, auszuschließen, dass die Norm auch ohne den über das kirchliche Recht transportierten christlichen Einfluss entstanden wäre. Hierzu ist jedoch anzumerken, dass eine Trennung des römischen vom kanonischen Recht nicht in jedem Fall zu dieser Ausschlussthese führt. Denn einige römische Kaiser, auf die Quellen des römischen Rechtes zurückgehen, waren in ihrer Gesetzgebung stark durch das Christentum beeinflusst.129 Daher ist nicht auszuschließen, dass auch Normen des römischen Rechts Vehikel für den Import christlicher Werte gewesen sein können, wie dies bei der Auslegungsregel des § 2072 BGB der Fall ist.130 b) Als zweites Vehikel ist die Integration christlicher Werte über die Politik des Zentrums in der Reichstagskommission denkbar. Das Zentrum war die größte Fraktion im Reichstag131 und hat in der Kommission die Gesetzgebungsarbeiten des BGB mit seinen Anträgen stark beeinflusst.132 Die Anträge des Zentrums konnten als Vehikel christlicher Werte dienen, weil das 127 Wieacker nennt darüber hinaus den Besitzschutz, die Ersitzung, Juristische Personen und Stiftungen, Vertragsmoral und innere Tatbestände des Rechtsgeschäftes. Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 12, S. 228. S. zu einem Teil davon C.VII. 128 Siehe dazu die Untersuchungen des Hauptteils unter C. 129 So beispielsweise Kaiser Justinian und Kaiser Theodosius. 130 Siehe hierzu die Untersuchung unter C.III. 131 Auch Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 115 ff. 132 Laut Wolters „trägt und trug (das BGB) die Handschrift der Zentrumspartei.“, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 444. S. Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 8; Nipperdey, Deutsche Geschichte II, 1992, S. 548.
58
B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB
Zentrum als deklariert katholisch-christliche Partei zum Ziel hatte, kirchliche Standpunkte auf politischem Parkett auch im Staat durchzusetzen und „mitzuwirken an der Wiederherstellung der Herrschaft der christlichen Grundsätze in allen Verhältnissen des öffentlichen Lebens“.133 Der Einsatz der Zentrumsabgeordneten in der Reichstagskommission während der Beratungen im Reichstag ist daher bei entsprechender Begründung ein wichtiger Anknüpfungspunkt für den Import christlicher Werte in einzelne Normen. Ebenso könnten christliche Werte über andere christliche Politiker in die Beratungen eingeflossen sein, sodass auch andere Anträge im Einzelnen auf deren Begründungen zu überprüfen wären.134 c) Neben diesen beiden Hauptvehikeln werden auch Einflüsse der Redaktoren und Kommissionsmitglieder, die zu einem Großteil einer der beiden Konfessionen zugehörig waren,135 sowie der Einfluss von Kritikern Anknüpfungspunkte für die Untersuchung des Imports christlicher Werte bieten. 4. Einordnung des Bekenntnisses und Bedeutung der Motive In diesen historischen Kontext ist auch das Bekenntnis Börners in den Motiven einzuordnen. Die Motive beinhalten eine Zusammenfassung der Intentionen der Redaktoren der Vorentwürfe für das BGB und nicht etwa ein Protokoll von deren Arbeiten.136 Das bedeutet, dass sie die Diskussionen der Kommissionsmitglieder nicht wortlautgemäß wiedergeben, sondern vielmehr 133 So auch der Mitgründer und das Mitglied der Reichtagsfraktion Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, der sich als Vorsitzender der freien Vereinigung katholischer Sozialpolitiker für umfassende soziale Reformen zur Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft und Durchsetzung christlicher Belange einsetzte. s. Haunfelder, Reichstagsabgeordnete der Deutschen Zentrumspartei, 1871–1933, 1999, S. 209; Siebertz, Karl Fürst zu Löwenstein, 1924, S. 174. 134 Denn auch ein Großteil der Abgeordneten außerhalb des Zentrums in der Reichstagskommission war christlich. So beispielsweise: v. Bennigsen (evangelisch, Nationalliberale), Böhme (evangelisch, Nationalliberale), Buchka (evangelisch, Deutsch-Konservative), Dziembowski-Pomian (katholisch, Fraktion der Polen), Ennec cerus (lutherisch, Nationalliberale), Haußmann (evangelisch, Deutsche Volkspartei), Himburg (evangelisch, Deutsch-Konservative), Kauffmann (evangelisch, Freisinnige) (…) s. Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 115. 135 Von insgesamt 85 an dem Gesetzgebungsverfahren Beteiligten waren lediglich 12 Beteiligte nicht christlicher Konfession. Zu den christlichen Kommissionsmitgliedern der ersten Kommission siehe die Einleitung. Außerdem in der 2. Kommission (u. a.): Bosse (evangelisch), Conrad (lutherisch), Cuny (evangelisch), Danckelmann (katholisch), Dittmar (evangelisch), Freiherr von Gagern (katholisch), Hanauer (katholisch), Jacubezky (katholisch), Sohm (lutherisch), Spahn (katholisch, außerdem Abgeordneter des Zentrums), (…) Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 91 ff. 136 Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 49 f.
II. Entstehungsgeschichte des BGB59
auch Interpretationsspielräume boten.137 Dennoch sind die Motive nicht unbeachtlich für ein besseres Verständnis des BGB in seiner Form von 1900.138 Denn die Redaktoren legten mit den Vorentwürfen trotz mehrerer Abwandlungen im Laufe eines Gesetzgebungsprozesses von mehr als dreißig Jahren den Grundstein für das spätere BGB.139 Die Motive wurden von den Redaktoren offiziell genehmigt und können diesen daher zugeordnet werden.140 Es ist davon auszugehen, dass die Redaktoren das Bekenntnis Börners141 ebenso genehmigt haben. Wie Börner entstammte die Mehrheit der Redaktoren dem protestantischen Bildungsbürgertum.142 Sie waren Teil eines Kulturprotestantismus, der die Notwendigkeit der Unabhängigkeit des Rechts von Religion sah, das Wertesystem des Christentums aber dennoch zugrundelegte.143 Das Bekenntnis zu den christlichen Werten ist keine programmatische Bedienungsanleitung für das BGB. Vor dem Hintergrund der engen Verbindung der Redaktoren zur christlichen Religion indiziert es aber den Einfluss christlicher Werte auf die Entstehung des BGB.
137 Schubert,
Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 49 f. Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 50; Sprau, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, Einl., Rn. 45. 139 Allein dem Allgemeinen Teil wird nachgesagt, dass er den Entwürfen der Vorkommission des Reichsjustizamtes mehr ähnelt als den ersten Entwürfen. S. Sturm, Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland, in: Staudinger, 100 Jahre BGB, 1998, S. 27. 140 Vgl. hierzu ausführlich Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 41, 49 ff. 141 Börner selbst war eine im evangelisch-lutherisch christlichen Glauben verwurzelte Persönlichkeit. Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 92 f. 142 So u. a. aus der ersten Kommission: Gebhard (evangelisch), Johow (evangelisch), v. Kübel (evangelisch), Windscheid (katholisch, seit 1890 protestantisch); Börner (evangelisch lutherisch). Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978, S. 73 ff. Zu dem Gesetzgebungsverfahren siehe unten B.II. 143 Dies bezeichnet eine zwar distanzierte Haltung zum Glauben, aber eine besondere Nähe zu der sittlichen Ordnung des Christentums. So in etwa Windscheid: „Windscheids Christentum verflüchtigte sich im Lauf des Lebens mehr und mehr zu einem, zwar sittlich strengen, aber glaubensarmen Kulturprotestantismus.“, Wolf, Große Rechtsdenker, 1963, S. 598. Denn seine Liebe zur Kultur des Christentums meine die „Tradition der antik-christlichen, abendländischen Kultur (…)“, Wolf, Große Rechtsdenker, 1963, S. 605. Auch Rückert schreibt über ihn: „Windscheid nahm die religiöse Seite ernst, aber ohne die Kirche.“, Methodik des Zivilrechts, 2012, Rn. 290. 138 Vgl.
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B. Der historische Kontext der Entstehung des BGB
III. Ergebnisse (1.) Nachdem Theodosius das Christentum 380 zur Staatsreligion erklärt hat, standen die Institutionen von Staat und Kirche und damit von Recht und Religion über Jahrhunderte hinweg unter gegenseitigem Einfluss. (2.) Im 19. Jahrhundert begann der Prozess der Auflösung dieser institutionellen Verzahnung. Kirchengüter wurden säkularisiert und die Gesetze Bismarcks setzten im Zuge des Kulturkampfes die Gewährleistung der Religionsfreiheit, die Einführung der obligatorischen Zivilehe und die Zurückdrängung der geistlichen Hochschulaufsicht durch. (3.) Das BGB entstand mithin in Zeiten des Umbruchs von einer Staatskirche zu Trennung von Staat und Kirche. Das Bemühen um religiöse Neutralität prägte diese Zeit daher ebenso wie eine historisch gewachsene besondere Verbindung zum Christentum und zu dessen Werteordnung, die sich in dem Bekenntnis zur Bedeutung des Christentums in den Motiven des BGB äußert. (4.) Das BGB wurde in einem dreißigjährigen Gesetzgebungsprozess geschaffen, an dem mehrheitlich Protagonisten des christlichen Glaubens mitgewirkt haben, die auf Rechtsquellen zurückgriffen, zu denen auch das kanonische Recht als Teil des ius commune gehörte. Als denkbare Vehikel für den Import christlicher Werte in das BGB kommen in dem Prozess das kanonische Recht ebenso wie die Anträge des Zentrums in der Reichstagskommission in Frage. (5.) Die Trennung von Staat und beiden Kirchen wurde zuletzt mit Art. 137 WRV besiegelt. Man entschied sich jedoch nicht für einen laizistischen Staat, sondern ein „freundschaftliches Kooperationsverhältnis“ mit der Kirche, das bis heute fortwirkt. Die besondere Verbindung zum Christentum besteht daher bis heute fort.
C. Christliche Werte in den Normen des BGB Inwiefern die Motive aufgrund dieser historischen Ausgangslage Recht behalten,1 soll mittels einer induktiven Analyse einer Auswahl von Normen nachfolgend überprüft werden. Dazu wird anhand der identifizierten Vehikel für christliche Werte im Gesetzgebungsprozess untersucht werden, ob christliche Werte sich in der in den Motiven angedeuteten Breite hinter den Normen des historischen BGB finden lassen. Hierzu werden im Anschluss sechs Normenkomplexe vorgestellt, deren historische Untersuchung die Beeinflussung durch einen christlichen Wert erwiesen hat. (I.–VI.) Sie sind nach den christlichen Werten geordnet, die ihre Entstehung beeinflusst haben. Nach einer rechtshistorischen Untersuchung der Norm wird zu überprüfen sein, ob die Norm durch ihre Anwendung auch heute noch von dem ursprünglich christlichen Gedankengut im BGB zeugt. Zum Schluss werden weitere Beispielsnormen angeführt, bei denen Indizien dafür bestehen, dass ebenfalls ein Import christlicher Werte stattgefunden hat, der in dieser Arbeit nicht detailliert untersucht werden konnte (VII.).
I. Nächstenliebe am Beispiel des Schikaneverbotes, §§ 226, 826 BGB Die Nächstenliebe hat in ihren Ausprägungen der Barmherzigkeit und Liebestätigkeit in mehreren Normen des BGB ihren Ausdruck gefunden, die in diesem und den nächsten Abschnitten vorgestellt werden. Um zu untersuchen, inwiefern die Nächstenliebe in das Schikaneverbot des § 226 BGB und den Anspruch des § 826 BGB importiert worden ist, sollen nach einer kurzen Einführung in den christlichen Wert der Nächstenliebe und das Schikaneverbot des BGB (1.) die Problemsituation des Gesetzgebers bei Normerlass (2.) und die ihm bekannten Lösungsansätze (3.) vorgestellt werden. Dabei wird ein besonderer Fokus darauf liegen, ob zur Begründung der Lösungsansätze auf die Nächstenliebe rekurriert wurde. Anschließend wird die Lösung des Gesetzgebers auf ihre Beeinflussung durch den Wert der Nächstenliebe untersucht (4.). Anschließend wird der Zusammenhang der Entstehung des § 226 BGB mit § 826 BGB in seiner heutigen Form erläutert (5.). Zuletzt soll überprüft werden, ob die christliche Zwecksetzung des § 226 BGB und des § 826 BGB auch heute in deren Anwendung fortwirkt (6.). 1 Siehe
dazu die Einleitung A.I.
62
C. Christliche Werte in den Normen des BGB
1. Einführung Zunächst soll eine kurze Einleitung Aufschluss darüber geben, was in der christlichen Theologie unter dem Wert der Nächstenliebe verstanden wird (a)) und welche Regelung § 226 BGB zu deren Umsetzung vorsieht (b)). a) „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“ Die Nächstenliebe2 beschreibt die Grundregel des Christentums: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“3
Sie wird definiert als „von Gottes Liebe zu den Menschen getragene Befähigung, Berufung und Verwirklichung vorbehaltloser personaler Hinwendung des Menschen zu seinen Mitmenschen, wann und wo immer jemand einem anderen konkret zum Nächsten wird“.4 Diese Botschaft des Christentums durchzieht sämtliche anderen christliche Werte.5 Schon das Alte Testament fordert „Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst“6, wobei als Nächster der Mit-Israelit als Angehöriger des auserwählten Volkes Gottes und unter „Liebe“ eine Form der Gott nachahmenden Hingabe zu seinem Nächsten verstanden wurde.7 Diese Liebe erfordert nach dem Alten Testament, seinem Nächsten zu vergeben, keine Rache zu nehmen und am Aufbau einer friedlichen Beziehung zu arbeiten.8 Die geforderte Versöhnungsbereitschaft bewährte sich vor allem in Konflikten und war für die Bewältigung der Herausforderungen des Exils zeitgeschichtlich notwendig.9 Durch Betätigung von Nächstenliebe ahmt der Mensch die göttliche Gerechtigkeit und Liebe 2 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Nächstenliebe selbstverständlich kein ausschließlich christlicher Wert ist (man beachte die jüdische Ethik, Lao-Tse, Sokrates etc.). Nachfolgend soll jedoch das christliche Verständnis der Nächstenliebe dargestellt werden. Vgl. hierzu auch Schneider, Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 168 ff.; Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 7 ff. 3 Mt 19, 19; 22, 39. Außerdem: „Er antwortete und sprach: ‚Du sollst deinen Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.‘“ Lk 10, 27; Mk 12, 33. 4 Ernst, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 7, 1998, S. 614. 5 „Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“, Gal 5, 14. Sowie: „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.“, Mt 22, 40; vgl. Gründel, Kirche und moderne Wertsysteme, 1973, S. 65; Hörmann, Lexikon der christlichen Moral, 1976, S. 1110; Rauscher, Handbuch der katholischen Soziallehre, 2008, S. 513. 6 Lev 19, 18. 7 Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 79; Söding, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 7, 1998, S. 614. 8 Lev 19, 18; Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 79.
I. Nächstenliebe am Beispiel des Schikaneverbotes, §§ 226, 826 BGB63
nach (imitatio dei).10 Die Botschaft der Nächstenliebe steht trotz ihrer Dringlichkeit im Alten Testament noch im Hintergrund.11 Im Neuen Testament wird die Nächstenliebe zum obersten Gebot erhoben.12 Dabei wird sie in dreierlei Hinsicht erweitert: (1) Wer als „Nächster“ zu verstehen ist, (2) was die Nächstenliebe in imitatio dei fordert und wie (3) der Dienst am Nächsten mit der Liebe zu Gott verknüpft ist. (1) Anhand des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter erläutert Christus, wer als „Nächster“ zu verstehen ist, nämlich jeder Mitmensch, besonders jene, die sich in Not befinden.13 (2) Zudem erweitert Christus die aus der Nächstenliebe folgenden Gebote und fordert eine Feindesliebe, die über bloße Versöhnung hinausgeht.14 Im Neuen Testament geht es folglich um ein „positives Liebesgebot“, nach dem es nicht ausreicht, nicht zu rächen und seinem Nächsten nichts nachzutragen; es geht um eine darüber hinausgehende, „Vorleistungen erbringende“ Zuwendung zum Nächsten.15 Die Regel fordert nicht nur das Unterlassen menschlichen Fehlverhaltens, sondern sie ruft positiv zum Handeln auf, anderen Menschen gegenüber auf das Gute bedacht zu sein und Taten der Liebe 9 Mathys, Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst, 1986, S. 157; Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 79; Söding, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 7, 1998, S. 614. 10 Schneider, Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 155 ff., 169; Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 79, 163. 11 Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 80 f.; differenzierend Mathys, Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst, 1986, S. 172 ff., wonach die Nächstenliebe als Doppelgebot mit der Gerechtigkeit trotz der wenigen Belege bereits im A.T. einen großen Stellenwert eingenommen hat. 12 So wird es an der großen Anzahl von Belegen im N.T. sowie der jeweiligen Auszeichnung als Zentralforderung deutlich; m. w. N. Mathys, Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst, 1986, S. 159 f.; Schneider, Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 168; Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 128. 13 „Wer ist mein Nächster? (…)“, Lk 10, 29. Hierzu Schneider, Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 178; Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 35; Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 117, 141. 14 „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: „Aug um Aug, Zahn um Zahn (Ex 23, 24)“. Ich aber sage euch: Widersteht dem Bösen nicht. Sondern wer dich auf die rechte Backe schlägt, dem halte auch die andere hin. Und wer dich vor Gericht zieht, um dir dein Hemd zu nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wer dich zwingt, eine Meile mitzugehen, mit dem geh zwei. Dem, der dich bittet, gib; und dem, der von dir leihen will, weise nicht ab. Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben (Lev 19, 18) und deinen Fein hassen. Ich aber sage Euch: Liebt eure Feinde und betet für eure Verfolger (…)“, Mt 5, 38–44. s. auch Ernst, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 7, 1998, S. 615; Mathys, Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst, 1986, S. 160. 15 Hierzu Tafferner, Gottes- und Nächstenliebe, 1992, S. 283 ff. Die „Vorleistungen erbringende Zuwendung“ äußert sich als Unterform der Nächstenliebe in der caritas, die unter C.III.1. näher erläutert wird.
64
C. Christliche Werte in den Normen des BGB
(Liebestätigkeit) zu erweisen.16 Auch insoweit ahmt der Mensch Gottes Liebe zu jedem Menschen, auch jenen, die sündigen, nach.17 Christus lebt die göttliche Nächstenliebe vor durch seine Liebe zu den Armen18, zu den Sündern19 und das Erweisen von Barmherzigkeit20. Schließlich gab er selbst aus Liebe zu den Menschen sein Leben am Kreuz hin.21 (3) Die Nächstenliebe wird im Neuen Testament mit der Gottesliebe verknüpft.22 In Mt 25,40 heißt es: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“23
Wer seinen Nächsten liebt, liebt stets zugleich Gott.24 Daher wird für den Christen in der Liebe zum Nächsten stets gleichzeitig die Liebe zu Gott verwirklicht.25 Es gilt daher das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe.26 Das Ja zum Nächsten ist ein Ja zur Liebe Gottes, eine Verweigerung von Nächstenliebe dagegen auch eine Verweigerung gegen Gott, die beim Endgericht verurteilt werden wird.27 16 Schneider,
Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 181. Nächstenliebe, 2015, S. 163. 18 Diese äußert sich in seiner freiwilligen Besitz- und Heimatlosigkeit (Mt 8, 20), seinem Dienst am Menschen (Mk 10, 45), der Seligpreisung der Armen und Kranken (Lk 6, 20) und darin, dass er Arme wie den armen Lazarus (Lk 16, 19) zu einem moralischen Vorbild erklärt. Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 119. 19 So äußert es sich u. a. in den Gleichnissen vom verlorenen Schaf (Lk 15, 1–7), vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11–32), in seinem Aufruf zur Nachfolge an Zöllner (Mk 2, 13–17) und in den Gastmählern, die Christus mit Sündern feiert (Mk 2, 15); Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 120. 20 s. dazu C.II. 21 Ernst, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 7, 1998, S. 615; Uhlhorn, Christliche Liebestätigkeit, 1895, S. 36. 22 Hörmann, Lexikon der christlichen Moral, 1976, S. 1111; Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 124, 348; Uhlhorn, Christliche Liebestätigkeit, 1895, S. 33; vgl. Tafferner, Gottes- und Nächstenliebe, 1992, S. 274. 23 Mt 25, 40; Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 123. 24 Hörmann, Lexikon der christlichen Moral, 1976, S. 1111; Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 124, 348; Uhlhorn, Christliche Liebestätigkeit, 1895, S. 33; vgl. Tafferner, Gottes- und Nächstenliebe, 1992, S. 274. 25 „Ein neues Gebot gebe ich Euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“, Joh 13, 34; zit. in: Hörmann, Lexikon der christlichen Moral, 1976, S. 1110; Uhlhorn, Christliche Liebestätigkeit, 1895, S. 33. 26 Tafferner, Gottes- und Nächstenliebe, 1992, S. 274. 27 „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.“, Mt 25, 45–46; vgl. Ernst, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 7, 1998, S. 615. 17 Söding,
I. Nächstenliebe am Beispiel des Schikaneverbotes, §§ 226, 826 BGB65
Zusammenfassend wird das Spezifische der christlichen Nächstenliebe in der Kombination aus der Erhebung zum Obersten Gebot, der Universalität der Geltung des Gebots, der Erweiterung auf die Feindesliebe durch aktives Wohlwollen als imitatio dei und der Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe gesehen.28 Aus der so verstandenen Nächstenliebe lassen sich verschiedene Ausprägungen ableiten:29 Die Barmherzigkeit30 und die Liebestätigkeit, die anhand zweier anderer Normen in den nächsten Abschnitten der Untersuchung vorgestellt werden. b) Das Schikaneverbot, § 226 BGB Demgegenüber findet die Nächstenliebe in ihrer grundsätzlichen Form in dem Schikaneverbot des BGB Ausdruck als Verbot, welches ein Verhalten untersagt, das der Nächstenliebe widerspricht. Die Nächstenliebe als Forderung, über das Mindestmaß des Notwendigen hinaus seinem Nächsten nur Gutes zu wollen, verbietet, seinen Nächsten zu schädigen – und sei es in Ausübung einer formalen Rechtsposition.31 Auch das bürgerliche Recht missbilligt die Ausübung von Recht, wenn es allein dazu wahrgenommen wird, andere zu schädigen. Das äußert sich in mehreren Normen des BGB, darunter den §§ 138, 226, 242, 826.32 In § 226 BGB, dem Schikaneverbot, wird dies explizit festgelegt: „Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.“
Wird ein Recht in diesem Sinne schikanös ausgeübt, ist die vorgenommene Handlung rechtswidrig.33 Derselbe Gedanke, der das Schikaneverbot beeinSchneider, Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 168 ff. dazu auch Tafferner, Gottes- und Nächstenliebe, 1992, S. 286 ff. 30 Vgl. Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im kanonischen Recht, 1963, S. 173, 178 f.; Landau, Bedeutung des kanonischen Rechts für die Entwicklung von Rechtsprinzipien, 1996, S. 24. 31 Siehe dazu unter C.I.3.a)cc). 32 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 2; Kohler, Technik der Gesetzgebung, AcP 1905 (96), S. 374; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 12. 33 Mit der Folge, dass gemäß § 227 BGB Notwehr gegen die Handlung möglich ist. Wenn durch die Handlung ein dauerhafter Zustand geschaffen wird, folgt aus § 226 BGB unmittelbar ein Beseitigungsanspruch. Außerdem kann aus § 226 BGB auf künftige Unterlassung geklagt werden. Das Schikaneverbot ist auch ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, sodass ein Schadensersatzanspruch gegeben ist. Es steht einer schikanösen gerichtlichen Geltendmachung von Rechten als rechtshindernde Einwendung entgegen. Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 14; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 34 ff. 28 M. w. N. 29 s.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
flusst hat, brachte auch die heutige Version von § 826 BGB hervor.34 Mit beiden Normen hat der Gesetzgeber Ende des 19. Jahrhunderts eine Grundregel eingeführt, die dem römischen Grundsatz „qui iuro suo utitur neminem laedit“35 widerspricht36 und eine Sozialbindung individueller Rechtspositionen37 anordnet. Weil die Regel ein Verhalten sanktioniert, das grundsätzlich durch die Rechtsordnung ermöglicht wird, ist das Verbot Ausdruck einer vom Gesetzgeber anerkannten Sozialethik.38 Die praktische Bedeutung des § 226 BGB ist allerdings wegen der Schwierigkeiten des Nachweises einer reinen Schädigungsabsicht39 und überschneidenden Anwendungen mit den §§ 242, 826 BGB40 gering.41 Die Norm trifft vielmehr eine moralische Grundaussage.42 Das Schikaneverbot ist deswegen von Huber als ein „moralischer Dekorationsschild“43 bezeichnet worden. Inwiefern es ein Schild der christlichen Nächstenliebe ist, gilt es in diesem Abschnitt zu erforschen. 2. Regelungsproblem des § 226 BGB Das Problem, mit dem sich der Gesetzgeber Ende des 19. Jahrhunderts zu beschäftigen hatte, betraf den rechtlichen Umgang mit der Ausübung formal bestehender Rechte allein zum Schaden des anderen, der sogenannten Schikane. Allgemein anerkannt war, dass ein solches Verhalten gegen das Gebot 34 § 826 BGB: „Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.“ Siehe zu dem Zusammenhang mit der Nächstenliebe unten C.I.5. 35 Übers. der Verf.: Wer von seinem Recht Gebrauch macht, verletzt niemanden. Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 13; Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 7; s. auch Merz, Vom Schikaneverbot zum Rechtsmissbrauch, ZfRV 1977, S. 162; Ramdohr, Rechtsmissbrauch, Gruchots Beiträge 1902 (46), S. 578. 36 Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 17. 37 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 2. 38 „Durch diese Gesetzbestimmung ist ein Gebot der sozialen Ethik in beschränktem Umfange als Rechtsgrundsatz aufgestellt (…)“, RGZ 72, 251, 254. vgl. Enneccerus/Nipperdey, AT, 1960, § 239 IV 3 a; Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 1; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 2; Hedemann, Werden und Wachsen im bürgerlichen Recht, 1913, S. 42; Larenz/Wolf, AT, 2004, § 2, Rn. 22. 39 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 2. 40 Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 2; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 12. 41 v. Feldmann, in: MünchKomm-BGB, 1. Aufl. 1978, § 226, Rn. 1; zit. in Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 20. 42 So auch Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 74. 43 Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 29.
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der Nächstenliebe verstößt44 und daher moralisch verwerflich ist.45 Uneinig war man sich darüber, ob dieser moralischen Missbilligung auch rechtlicher Ausdruck verliehen werden sollte.46 Dagegen sprach zum einen, dass eine rechtliche Sanktionierung des moralisch verwerflichen Verhaltens die Bereiche von Recht und Moral verwischen würde. Zum anderen wäre die Beurteilung, wann diese moralische Verwerflichkeit rechtlich sanktioniert wird, dem Ermessen des Richters überlassen.47 Man fürchtete den Missbrauch und die sittliche Willkür aufgrund der richterlichen Freiheit, die mit einem abstrakten Schikaneverbot einhergehen könnte.48 3. Bekannte Lösungsansätze Im Folgenden werden die im 19. Jahrhundert bekannten Lösungsansätze einschließlich der ihnen zugrunde liegenden Wertungen vorgestellt. Aufgrund der angedeuteten politisch-moralischen Dimension eines solchen Verbotes49 entbrannte im Vorfeld der Gesetzgebungsarbeiten eine wissenschaftliche Diskussion über die Notwendigkeit einer ethischen Einschränkung von Rechtsausübung, die schon damals in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen Bedeutung der Regelung stand.50 Die Regelungsansätze beschränkten sich im 19. Jahrhundert allesamt auf die Ausübung des Eigentumsrechts und nicht, wie es § 226 BGB heute vorsieht, auf die Ausübung sämtlicher Rechte. Während das ALR eine allgemeine Einschränkung für die Ausübung des Eigentumrechts bei Schikane vorsah und Schöneiche eine solche unter Berufung auf die Nächstenliebe forderte (a)), verteidigten andere in Anlehnung an das römische Recht die freie Ausübung des Eigentumsrechts (b)). Eine vordringende Mittelfraktion sah die Einschränkung des Eigentumsrechts nur unter streng subjektiven Voraussetzungen vor (c)).
44 Huber,
Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 62 (Fn. 1). Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 8 ff.; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 58. 46 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 8; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 58. 47 Vgl. Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 117. 48 Wächter, Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Band II, 1842, S. 195 f.; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 10. 49 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 8 ff.; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 58. 50 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 8; Pernice, Labeo, Band II, 1878, S. 57 (Fn. 3). 45 Vgl.
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a) Einschränkung des Eigentumsgebrauchs bei Schikane Eine Möglichkeit, die bereits aus dem römischen Recht überliefert war,51 lag darin, lediglich dem Gebrauch des Eigentumsrechts eine Schranke in Form eines Verbots der Ausübung zur Kränkung und Beschädigung Dritter aufzuerlegen.52 aa) Lösung des ALR I 8 § 27 Eine solche Ausübungsschranke des Eigentums sah beispielsweise das ALR vor.53 Das Schikaneverbot wurde dort durch einen deliktischen Schadensersatzanspruch wegen schikanöser Schädigung ergänzt.54 Mangels einschränkender Voraussetzungen sollte die Vorschrift ALR I 8 § 2755 einen allgemeinen Grundsatz aufstellen, dass „man überhaupt keinen anderen kränken oder schädigen dürfe“.56 In dieser Norm schlug sich nieder, was Bornemann meinte, wenn er in dem ALR ein von dem „christlich-deutschen Geist“ durchdrungenes Recht sah, in welchem das Gebot der christlichen Nächstenliebe für das rechtliche Verhältnis zwischen Personen maßgebend war.57
51 Eine über Einzelregelungen zur Ausübung des Eigentumsrechts hinausgehende Regel des Rechtsmissbrauchs im Stile des Schikaneverbotes beinhaltete das römische Recht dagegen nicht. Vgl. Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 7 ff.; Kaser/ Knütel, Römisches Privatrecht, 2005, S. 112, 114 ff.; Merz, Vom Schikaneverbot zum Rechtsmissbrauch, ZfRV 1977, S. 162; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 2. 52 Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 5; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 17 f.; Ramdohr, Rechtsmissbrauch, Gruchots Beiträge 1902 (46), S. 580. 53 Bornemann, Über die wahrhaft geschichtliche Entstehung und Bedeutung des Preußischen, 1832, S. 229, 246; vgl. Gans, Beiträge zur Revision der preußischen Gesetzgebung, 1832, S. 436. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, 2001, S. 43. 54 Insbesondere I 6 § 37 ALR: „Es muß aber denselben (Schaden) vergüten, wenn aus den Umständen klar erhellet, daß er unter mehrern möglichen Arten der Ausübung seines Rechts diejenige, welche dem Andern nachtheilig wird, in der Absicht, denselben zu beschädigen, gewählt habe.“ 55 I 8 § 27 ALR: „Niemand darf sein Eigentum zur Kränkung und Beschädigung anderer gebrauchen.“ 56 Gans, Beiträge zur Revision der preußischen Gesetzgebung, 1832, S. 436, weiter heißt es dort: „(…)man könnte ebenso gut sagen: es dürfe niemand einen Vertrag zur Kränkung und Beschädigung des Anderen missbrauchen (…)“. 57 Bornemann, Über die wahrhaft geschichtliche Entstehung und Bedeutung des Preußischen, 1832, S. 229, 246.
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bb) Ursprung in Neidbaukonstellationen Mit der Einführung des Schikaneverbotes trug das ALR einer Entwicklung Rechnung, die in den römischen Einzelregelungen zum animus nocendi ihren Ursprung hatte.58 Basierend auf den römischen Konstruktionen entwickelte das deutsche Recht das Verbot des sogenannten „Neidbaus“, also eines Baus, der ausschließlich zur materiellen oder ideellen Schädigung des Nachbarn erstellt wurde.59 Es steht zu vermuten, dass diesen Verboten primär der Schutz des nachbarlichen Friedens und nicht des Grundsatzes der Nächstenliebe zugrunde lag, da das Verbot hauptsächlich in Nachbarstreitigkeiten60 zum Tragen kam. Der Neidbau wurde unter Verweis auf Schikane vor allem dann untersagt, wenn ein ökonomisches Interesse an dem Bau auf Seiten des Handelnden nicht festgestellt werden konnte.61 In diesem Sinne wurde es als schikanös angesehen, wenn ökonomisch nutzlose Bauten an der Nachbarsgrenze errichtet wurden.62 Das „Schikaneverbot“ für die Ausübung des Eigentumsrechtes erlangte aber in der gerichtlichen Praxis vom 17. bis zum 19. Jahrhundert keine Bedeutung.63 Es hatte zumeist lediglich eine Auffangfunktion für Fälle, in denen nachbarrechtliche Schutzvorschriften nicht ausreichten.64 cc) Eingang der Nächstenliebe in die Argumentation Für die Einführung eines das Eigentum generell einschränkenden Schikaneverbotes führte man im 18. Jahrhundert die christlich-moralische Missbilligung von Eigentumsgebrauch zum Schaden des anderen an. Kreittmayr sah neben anderen den Eigentumsgebrauch unter „Possen von Neid“, das heißt in 58 Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 40; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 3; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 7 ff.; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 2. 59 Vgl. Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 94 ff.; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 3; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 12 f.; Merz, Vom Schikaneverbot zum Rechtsmissbrauch, ZfRV 1977, S. 162; Steinbach, Moral als Schranke der Rechtsausübung, 1898, S. 23; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 2. 60 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 3 f. 61 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 3. 62 Beispielsweise, um den Nachbarn und dessen schöne Töchter betrachten zu können oder wenn direkt an einer Klostergrenze gebaut wurde. Haferkamp, in: HKKBGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 3. 63 Dies ergibt eine kursorische Prüfung von Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 7; vgl. auch Hesse, Rechtsverhältnisse zwischen Grundstücksnachbarn, 1859, S. 233; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 19. 64 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 7.
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der Absicht, den anderen zu schädigen, als Verstoß gegen die Nächstenliebe an.65 Verständlich wird diese Argumentation erst, wenn die Schriften von Schöneiche66 in seiner Dissertation bei Strykus und einiger anderer67 aus den vorvergangenen Jahrhunderten berücksichtigt werden.68 Die Verfasser hielten es für eine Forderung der christlichen Nächstenliebe, das schädigende Verhalten durch Eigentumsgebrauch rechtlich zu verbieten.69 Als imago dei sollte der Mensch die Liebe Gottes zu den Menschen nachahmen.70 Daraus wurde die Pflicht gefolgert, jeden Nächsten zu lieben wie sich selbst, da jeder Mensch gleichartig sei.71 Für die so verstandene Nächstenliebe dürfte es keinen Unterschied machen, ob ein schädigendes Verhalten auf der Ausübung eines formal bestehenden Rechtes beruhte oder unberechtigt vorgenommen wurde.72 Wer sein Eigentum dazu nutzte, andere zu schädigen, verstieße daher trotz seines Rechts gegen die moralische Pflicht, seinen Nächsten zu lieben.73 Wer besitzt, habe die Verantwortung, das Eigentum nicht dazu zu 65 „Also hingegen läuft contra amorem proximi et officia erga alios, wenn die Absicht nur auf anderer Leute Schaden dabei gerichtet ist.“, Kreittmayr, Anmerkungen Band II, 1844, S. 170. i. E. auch Thibaut, System des Pandektenrechts, 1803, § 49; s. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 9. 66 Generale aliquod cuiusvis juris fundamentum ex Principiis Moralibus substernamus; breviter hic addendum, quod ficuti in priori capite Amore Nostri pro fundamento agnoscebamus, ita in hoc capite idem dicendum de Amore Proximi, qui est propositum promovendi bona Proximi. (…) – Übers.: Im Allgemeinen entnehmen wir der Grundlage des Rechts einige moralische Prinzipien; lassen Sie mich hier kurz hinzufügen, dass wie wir in dem ersten Kapitel unsere Liebe als Grundlage anerkannt haben, so ist in diesem Kapitel das Gleiche über die Nächstenliebe zu sagen, die zum Zweck der Förderung der Nachbarschaft vorgeschlagen ist. Schoeneiche, De iure aemulationis, 1678, Kapitel III, S. 404. Dabei ging er erstmals von einem generellen Schikaneverbot, das sich von der Neidbaukasuistik entfernte, aus. s. Schoeneiche, De iure aemulationis, 1678, Kapitel I, S. 393 ff.; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 4; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 15. 67 Heineccius, Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, 1737, §§ 178, 308; Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaft und Völker, 1795, § 56 Anm. 1; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 9. 68 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 4. 69 Schoeneiche, De iure aemulationis, 1678, Kapitel III, S. 404; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 9; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 15. 70 Cum in specie ex amore Dei, quia natura sua producit amorem erga homines, quatenus aliquo modo participes sunt Imaginis Deis. Übers.: Wir nehmen als Geschöpf aus der Liebe Gottes, dessen eigene Natur die Liebe unter Menschen hervorruft, bisher daran als Ebenbilder Gottes teil. Schoeneiche, De iure aemulationis, 1678, Kapitel III, S. 404. 71 Heineccius, Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, 1737, § 172. 72 Vgl. Heineccius, Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, 1737, §§ 178, 308. 73 So z. B. die Vergiftung von Blumen im eigenen Garten, damit auf diese Weise die Bienen des Nachbarn umkommen. Heineccius, Grundlagen des Natur- und Völ-
I. Nächstenliebe am Beispiel des Schikaneverbotes, §§ 226, 826 BGB71
missbrauchen, andere zu schädigen.74 Als Indiz für eine solche Schädigungsabsicht reichte es aus, wenn der Handelnde keinen Nutzen und der Betroffene einen Schaden, oder der Handelnde geringen Nutzen und der Betroffene einen großen Schaden hatte.75 Schoeneiche ließ auch außerökonomische Interessen in der Abwägung gelten.76 Dieser Ausweitung des Schikaneverbotes schloss sich Kreittmayr an.77 Das Schikaneverbot sollte Ausdruck einer allgemeinen moralischen Pflichtenbindung des Eigentumsrechts werden.78 Die Argumente wurden in die Diskussion über die Notwendigkeit der Einschränkung des Eigentumsrechtes durch Gebote der Sozialethik im 19. Jahrhundert eingebunden.79 Es breitete sich in der Folge aber eine allgemeine Skepsis gegenüber dem Schikaneverbot aus, sodass die Kodifikationen des 19. Jahrhunderts, abgesehen vom ALR, ein entsprechendes Verbot nicht aufgenommen hatten.80 b) Freier Gebrauch des Eigentums: „qui iuro suo utitur neminem laedit“ Im gemeinen Recht war das so begründete Schikaneverbot mit den angeführten Argumenten höchst umstritten.81 Dort wurde als richtig erachtet, den Gebrauch des Eigentums unbeschränkt zu ermöglichen. Bei dem Gebrauch von Eigentum sei das Individuum gänzlich frei und bewege sich in einem von rechtlichen Bestimmungen freien Raum sittlichen Verhaltens.82 Unter Bezugnahme auf den römischen Grundsatz qui iuro suo utitur neminem laedit kerrechts, 1737, § 308; Schoeneiche, De iure aemulationis, 1678, Kapitel I, III; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 9. 74 Vgl. Heineccius, Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, 1737, §§ 178, 308; Kreittmayr, Anmerkungen, 1844, S. 169. 75 Schoeneiche, De iure aemulationis, 1678, Kapitel I, S. 13 und IV, S. 6. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 4. 76 Schoeneiche, De iure aemulationis, 1678, Kapitel IV, S. 13; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 4. 77 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 4. 78 So Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 9. 79 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 8 f. 80 So im österreichischen AGBGB. S. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226– 231, Rn. 5. 81 Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 5. 82 So Schweppe: „Das Recht darf selbst zum Nachtheil anderer ausgeübt werden, (…), denn Rechtsgründe zu Einschränkungen fehlen, und so liegt der Fall auf dem Gebiete der nicht zu erzwingenden Moral.“, Das Römische Privatrecht, Band I, 1828, § 146, S. 311. Wächter, Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Band II, 1842, S. 194 f.; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 10.
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forderten die Vertreter dieser Auffassung, dass die Ausübung des Eigentumsrechtes frei von gesetzgeberischem Einfluss bleiben sollte.83 Die Gegner des Verbotes von Schikane argumentierten mit den Folgen der Vermischung von Recht und Moral ebenso wie dem Missbrauchspotenzial im Prozess, bestritten aber nicht die moralische Grundlage der Missbilligung von schikanösem Verhalten.84 Andere Anhänger des freien Eigentumrechts lehnten das Schikaneverbot unter Verweis auf die strikte Trennung von Recht und Moral ab.85 Man wandte sich dagegen, „Freundlichkeit und Humanität (…) zur Rechtspflicht zu machen“.86 Unter dem Einfluss von Kant verschärfte sich diese Kritik an dem Institut des Schikaneverbotes.87 Neben den Einwand der Vermischung von Recht und Moral trat die rechtspolitische Befürchtung, das Schikaneverbot werde Rechtsverhältnisse von einem Moment (der Schädigungsabsicht) abhängig machen, das „sich mit juristischer Sicherheit gar nicht bestimmen läßt“ und so dem Missbrauch durch den Richter Tür und Tor öffnen werde.88 c) Subjektive Rechtsausübungsbeschränkung des Eigentums Die Forderung nach unbedingter Freiheit bei der Ausübung des Eigentumsrechts ging einer Mittelfraktion zu weit.89 Sie plädierte für eine streng 83 Schwab, Art. „Eigentum“, in: Brunner, Geschichtliche Grundbegriffe, Band II, 1975, S. 89; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 10. 84 Vgl. Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 117; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 58; Ramdohr, Rechtsmissbrauch, Gruchots Beiträge 1902 (46), S. 586. 85 „Nicht erst durch den Gott gefälligen Gebrauch der Freiheit wird er zum berechtigten Wesen, nicht erst dadurch, daß er sich zum Guten entschließt, zum Gehorsam gegen Gott. Hierin liegt der Unterschied zwischen Recht und Moral.“ Puchta, Cursus der Institutionen, Band I, 1893, § 4, S. 6 f. vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 10; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 20 ff.; v. Wolff, Institutiones iuris naturae et gentium, 1763, § 202; Wunder/Thomasius, Non ens actionis, 1703, § 30. 86 Wächter, Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Band II, 1842, S. 195. Auch Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 10; Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 20. 87 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 10. 88 Wächter, Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Band II, 1842, S. 195 f.; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 10. 89 „Dass ein Anderer dadurch einen Nachtheil erleidet, ist aber an sich kein Grund, die Rechtsausübung zu beschränken; denn: qui jure suo utitur nemini facit injuriam. Nur offenbare Chicane als Grund der Rechtsausübung soll nicht geduldet werden.“, Mühlenbruch, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band I, 1844, § 129, S. 254 f.; s. auch v. Wening-Ingenheim, Lehrbuch des gemeinen Civilrechts 1, 1831, § 26; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 11.
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subjektiv verstandene Rechtsausübungsbeschränkung im Nachbarrecht.90 Diese subjektive Begrenzung erforderte den Nachweis, der kaum zu erbringen war, dass mit der Rechtsausübung ausschließlich böswillige Zwecke verfolgt wurden. Gerade unter dem Aspekt der praktischen Unmöglichkeit des Nachweises dieser Bedingungen sahen die Vertreter der Mittelfraktion die Beschränkung des Eigentums als gerechtfertigt an, denn so wurde ein ethisches Minimum garantiert,91 der Missbrauch durch den Richter wegen des kleinen Anwendungsbereichs aber nahezu unmöglich gemacht.92 Danach sollte das Verbot eine vornehmlich symbolische Funktion erfüllen.93 Im Ergebnis wollte man den Eindruck vermeiden, es gebe ein Recht auf schikanöse Schädigung durch den Rechtsinhaber.94 Gerade wegen der geringen praktischen Bedeutung fand ein solches Schikaneverbot allgemeine Zustimmung.95 In dieser Ausgestaltung war das Verbot zu einer Existenz als „moralischer Dekorationsschild“96 schon vor seiner Einführung prädestiniert.
90 „Weder die Beschränkung auf die speziellen Fälle, welche manche annehmen (…), noch die von den meisten daraus abgeleitete allgemeine Regel, daß ein Recht nicht bloß zur Chicane Anderer und ohne irgend einen daraus für den Berechtigten entspringenden Vortheil ausgeübt werden dürfe, lassen sich rechtfertigen.“ und „Eine solche Ausübung des Rechtes aber, welche für den Berechtigten offenbar und voraussichtlich keinen Nutzen bringt (…), also nur den Schaden Anderer bezwecken kann, mithin Chicane ist, ist nicht zulässig; diese Voraussetzungen können aber nur bei der Ausübung des Rechtes (…) auf Grundstücke und Gebäude (…) zusammentreffen.“, Weiske, Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten, Band IX, 1855, S. 147 (Fn. 18). Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 11; Hesse, Rechtsverhältnisse zwischen Grundstücksnachbarn, 1859, S. 226 ff., 230; Windscheid, Pandektenrecht I, 1906, § 169, S. 863 f. (Fn. 6). 91 So wird es bei Windscheid deutlich: „(…) und dieser Beweis (Abwesenheit eines anderen Interesses als der Schädigung) ist sehr schwer zu führen. Deswegen ist die ganze Bestimmung nicht sehr praktisch; aber man geht auf der anderen Seite zu weit, wenn man auch mit dieser Maßgabe ihre Allgemeingültigkeit bestreitet.“, Pandektenrecht I, 1906, § 121, S. 602 f. (Fn. 3). s. auch Pernice, Labeo, Band II, 1878, S. 57; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 11. 92 Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 11; Ramdohr, Rechtsmissbrauch, Gruchots Beiträge 1902 (46), S. 590. 93 Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 11. 94 Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 11. 95 „Dennoch lässt sich dies (die freie Rechtsausübung) nicht in das äußerste Extrem hinein durchführen. Letztlich ist das Recht doch dazu bestimmt, den menschlichen Bedürfnissen zu dienen. Daher ist es unzulässig, sein Recht bloß dazu zu missbrauchen, um Andere zu schädigen.“, Dernburg, Pandekten I, 1896, § 41, S. 93; Regelsperger, Pandekten Band I, 1893, § 53, S. 230. s. auch Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 11. 96 Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 29; vgl. Haferkamp, in: HKKBGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 12.
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d) Zwischenergebnis Folglich nutzten die Befürworter des allgemeinen Schikaneverbotes erstmals im 18. Jahrhundert die Nächstenliebe als ein Argument hierfür. Der durch die Nächstenliebe hergeleiteten moralischen Missbilligung der schikanösen Ausübung formal bestehender Rechte stimmten grundsätzlich auch im 19. Jahrhundert sämtliche am Diskurs Beteiligte zu. Uneinig war man sich allein darüber, wie dieser jedoch rechtlich Ausdruck verliehen werden sollte. Während die Anhänger Schöneiches eine allgemeine Einschränkung des Eigentumsrechts bei Schikane forderten, lehnten andere eine solche Ein schränkung wegen unzulässiger Vermischung von Moral und Recht ab. In der Diskussion setzte sich ein subjektiv gebundenes Schikaneverbot durch, nach welchem für eine Einschränkung des Eigentumsgebrauchs nachgewiesen werden musste, dass ausschließlich schädliche Absichten verfolgt wurden. Im Ergebnis ließ sich daher trotz der „Schmalspurigkeit“ eines solchen Verbotes eine Entwicklung zu einer generellen sozialen Bindung der Rechtsausübung feststellen.97 4. Lösung des Gesetzgebers: § 226 BGB Der Gesetzgeber kannte die vorab geschilderten Lösungsansätze. In den Motiven wird auf diese verwiesen.98 So würden einige „Schriftsteller des gemeinen Rechtes“ die Widerrechtlichkeit schikanöser Rechtsausübung mit Hinweis auf „einige Quellenstellen“ festgestellt wissen wollen, während andere lediglich die besonderen Fälle dieser Quellen für widerrechtlich hielten.99 Zudem wird auf die Normen des ALR hingewiesen.100 Er entschied sich jedoch erst in der Reichstagskommission für die Einführung eines subjektiven, aber alle Rechtsverhältnisse erfassenden Schikaneverbotes. a) Erster Entwurf des BGB: Freier Gebrauch des Eigentums Die Redaktoren der Vorentwürfe ließen die Entwicklung hin zu der Annahme einer grundsätzlichen Ausübungsschranke [siehe dazu 3.a)cc)] zunächst unberücksichtigt,101 obwohl sie die schikanöse Ausübung von Rechten 97 Enneccerus/Nipperdey, AT, 1960, § 239 III 5 f.; „(…) die ‚Idee‘ des Eigentums kann nichts mit sich bringen, was mit der ‚Idee der Gesellschaft‘ im Widerspruch steht.“, v. Jhering, Zweck im Recht, Band I, 1904 S. 408. 98 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 504. 99 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 504. 100 I 6 § 37, I 8 §§ 27, 28 ALR. Mugdan, Materialien I, 1979, S. 504. 101 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 12; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 3.
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durchaus für verwerflich hielten.102 Deshalb enthielt der erste Entwurf kein Schikaneverbot. Gebhard wollte eine „Vorschrift von allgemeiner Tragweite“ verhindern, die dem Richter anhand unsicherer Kriterien die Beschränkung des Rechts überlassen würde.103 Ebenso wie die Gegner des Schikaneverbotes unter 3.b) fürchtete er den Missbrauch einer die Schikane verbietenden Norm im Prozess.104 Deswegen wurde in den Motiven festgestellt, dass der Rechtsinhaber ein „besonderes Recht“ haftfrei ausüben dürfte, „auch wenn er aus Chikane handelt“.105 b) Kritik an erstem Entwurf durch v. Gierke Die Begründung in den Motiven ließ den Entwurf so erscheinen, als gäbe er ein „Recht zu Schikane“.106 Nicht zuletzt deswegen wurde der Entwurf vielfach kritisiert,107 darunter von Bähr,108 Hartmann109 und an öffentlichkeitswirksamer Stelle von v. Gierke.110 Insbesondere letzterer verwies darauf, 102 „Man stimmte der Verwerfung zu, da der Grundsatz, wenn er auch der inneren Rechtfertigung nicht entbehre (…), doch nur geringen praktischen Werth habe (…)“, Jacobs/Schubert, Beratung des BGB, AT 2, 1985, S. 1245. Und zur Begründung, weshalb keine Bestimmung übernommen wurde, die schikanöse Rechtsausübung für zulässig erklärt: „letzteres nicht, weil in einer solchen Bestimmung leicht eine Billigung dieses offenbar unsittlichen Verhaltens gefunden werden könnte.“, Mugdan, Materialien I, 1979, S. 504; Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 118. s. Hartmann, Der Civilgesetzentwurf, AcP 1888 (73), S. 343; Jacobs/ Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 902. Vgl. Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 24; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 4. 103 Gebhard, Vorlagen der Redaktoren AT Band II, (1879), 1981, S. 411; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 12; Repgen, in: StaudingerKommBGB, 2014, § 226, Rn. 3. 104 Gebhard, Vorlagen der Redaktoren AT Band II, (1879), 1981, S. 412; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 12; Repgen, in: StaudingerKommBGB, 2014, § 226, Rn. 3. 105 „Die Anschauung beruht auf dem den modernen Rechtsanschauungen, denen auch jene Klage entstammt, entgegenkommenden Gedanken: wer ein besonderes Recht ausübt, muss zwar immer haftfrei sein, auch wenn er aus Chikane handelt; wer dagegen nur kraft seiner natürlichen Freiheit handelt, darf diese nicht zum Schaden anderer missbrauchen (…)“, Motive II, 1888, S. 727. 106 Vgl. zur Reaktion Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 13. 107 Vgl. Mugdan, Materialien I, 1979, S. 504 f.; s. auch Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 123 f. 108 Vgl. Bähr, Ist der Begriff der Anspruchsverjährung im Sinne des Entwurfs eines BGB beizubehalten?, 1889, S. 299 ff., 305. 109 Hartmann, Der Civilgesetzentwurf, AcP 1888 (73), S. 342 ff. 110 v. Giercke, Entwurf, 1889, S. 183; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226– 231, Rn. 13 f.
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es gebe eine dem Eigentum immanente sittliche Schranke.111 Er konnte im Folgenden damit zu Bundesrat und Reichstagskommission durchdringen.112 Er bezeichnete es als „echt germanische und echt christliche Grundsätze, daß es kein Recht ohne Pflicht gibt, daß jedes Recht seine Schranke in sich trägt, daß die Befugnisse zum Schutze vernünftiger Interessen dienen und durch diesen ihren Zweck begrenzt sind.“113 Damit griff v. Gierke einen bereits im 19. Jahrhundert entwickelten Gedanken auf: den einer sozialen Ausübungsschranke des Eigentums, der christlich begründet wird.114 c) Einführung des Schikaneverbotes in der Reichstagskommission Daraufhin beschloss die Reichstagskommission die Einführung von § 226 BGB.115 Den entscheidenden Antrag stellte der Zentrumsabgeordnete Gröber.116 Die beantragte Norm hatte abweichend von der vom Bundesrat vorgeschlagenen Fassung117 folgenden Inhalt: „Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.“118
Nach Gröber sollte die Beschränkung folglich nicht bloß für den Gebrauch des Eigentums, sondern für alle obligatorischen Rechte gelten.119 Er führte zur Begründung seines Antrages an, das Recht wäre dazu da, den Menschen 111 Jedes Recht sei „zugleich eine Pflicht“ und habe „eine ihm immanente sittliche Schranke“. v. Giercke, Entwurf, 1889, S. 183. Damit verfolgte v. Giercke die Innentheorie, nach der das subjektive Recht ex tunc auf die nicht schädigende Ausübung desselben beschränkt ist. Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 123. Eingehend hierzu Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, 2001, S. 142 ff. 112 Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 14; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 5, 11. 113 Zusammenstellung der gutachterlichen Äußerungen zu dem Entwurfe des BGB, Band IV, 1890, S. 207 ff.; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 14; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 5. 114 s. dazu C.I.3.a). 115 Vgl. Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 24. 116 Nr. 13 Ziffer 1, Nr. 32 Kommissionsdrucksachen. vgl. Haferkamp, in: HKKBGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 15; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 7. 117 „Eine Ausübung des Eigenthums, die nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen, ist unzulässig.“, Ramdohr, Rechtsmissbrauch, Gruchots Beiträge 1902 (46), S. 585; Steinbach, Moral als Schranke der Rechtsausübung, 1898, S. 31. 118 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 901 f.; zit. in Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 234. 119 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 901 f.; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 235.
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zu nützen, hominum causa, und nicht, um ihnen zu schaden, und dürfte deswegen nicht in schädigender Absicht genutzt werden.120 Gegen seinen Antrag wurde wiederum eingewandt, dass eine Missbrauchsgefahr durch den Richter im Prozess bestünde.121 Sein Antrag wurde nach „ungewöhnlich langer Diskussion“ trotz der Bedenken mit großer Mehrheit angenommen.122 d) Wertung hinter der Lösung des Gesetzgebers Der Gesetzgeber, konkret hier die Mehrheit der Abgeordneten des Reichstages, entschied sich also nicht nur für die Einschränkung des Eigentumsgebrauchs, wie es die Befürworter des Schikaneverbotes anstrebten, sondern für eine allgemeine Rechtsausübungsschranke. Damit entschied er sich dagegen, qui juro suo utitur neminem laedit als Grundsatz für das BGB aufzustellen. Gleichzeitig wird diese Ausweitung dadurch relativiert, dass eine subjektive Einschränkung vorgenommen wird: das „nur den Zweck haben kann“.123 Die Reichstagskommission wählt den eingeschränkten Lösungsansatz der „Mittelfraktion“, wonach subjektiv auszuschließen sein sollte, dass ein anderer als der Schädigungszweck verfolgt wurde.124 Angesichts der vorab geführten Debatte über die Missbrauchsgefahr einer zu weit gefassten Norm, erscheint die Wahl des subjektiven Lösungsansatzes als eine Einwilligung in die Einführung einer Norm, der zwangsläufig nur ein geringer Anwendungsbereich zukommen wird.125 Die Einführung der Norm wird auf Gröber126 und auf die Kritik v. Gierkes127 zurückgeführt.
120 Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 37; so auch Ramdohr, Rechtsmissbrauch, Gruchots Beiträge 1902 (46), S. 587. 121 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 902; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 15; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 7; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 235 f. 122 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 902; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 15; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 235. 123 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 901. Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 12. 124 Siehe hierzu unter C.I.3.c). 125 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB, AT 2, 1985, S. 1245. So wird es auch bei Windscheid an o. zitierter Stelle deutlich Pandektenrecht I, 1906, § 121, S. 602 f. (Fn. 3). Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 11. Siehe dazu auch oben C.I.3.c). 126 Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 6; Wolters, Zen trumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 236, 404. 127 So Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 8.
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Wird die Norm vor dem Hintergrund ihrer unter 2. und 3. geschilderten Problemsituation betrachtet, so ist das Gebot der christlichen Nächstenliebe nicht aus der Wertung des Schikaneverbotes wegzudenken. Das bestätigen v. Gierkes ausdrückliche Verweise („echt christliche Pflicht“) ebenso wie Gröbers Bemühen als Vertreter der katholischen Zentrumspartei. Im Lichte der christlichen Nächstenliebe ist auch die Ausübung eines zustehenden Rechts in Schädigungsabsicht untersagt. 5. Lösung des § 826 BGB und Zusammenhang mit § 226 BGB In diesem Rahmen soll auf den Zusammenhang der Entstehung des Schikaneverbotes mit dem Erlass von § 826 BGB in seiner heutigen Form hingewiesen werden. § 826 BGB ist die Frucht desselben Gedankens.128 Denn § 826 BGB erlegt auch demjenigen, der ein ihm formal zustehendes Recht sittenwidrig ausübt, eine Schadensersatzpflicht auf.129 Das ergibt sich daraus, dass bei der Beratung ein zunächst vorgelegter Zusatz verworfen wurde, wonach die Ausübung zu geschehen hätte „(…) durch eine Handlung, die er nicht in Ausübung eines ihm zustehenden Rechtes vornimmt“.130 Gröber stellte den hierfür verantwortlichen Antrag in derselben Beratung wie den Antrag zu § 226 BGB.131 In dem ersten Entwurf war vorgesehen, dass sich nur derjenige gemäß § 826 BGB schadensersatzpflichtig machte, der sittenwidrig schädigt, ohne ein ihm zustehendes Recht auszuüben.132 Die Ausübung eines Rechtes konnte dagegen keine Schadensersatzpflicht nach 128 Vgl. Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 199; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 14; Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 902; Oechsler, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 826, Rn. 4; Oertmann, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1900, S. 53; Steinbach, Moral als Schranke der Rechtsausübung, 1898, S. 32; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 234. 129 Ein Anspruch, den auch schon das ALR gewährt hat, I 6 § 37 ALR. Siehe dazu C.I.3.a)aa). 130 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 901 f. Zu dem Verwerfungsargument s. kritisch Baldus, Verwerfungsargument und Willenstheorie, 2013, S. 75 ff. 131 Vgl. den Bericht bei Vormbaum, Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 1997, S. 190; Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 901; Oechsler, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 826, Rn. 4; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 234, 407. 132 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 16; Steinbach, Moral als Schranke der Rechtsausübung, 1898, S. 32; Vormbaum, Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 1997, S. 190; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 407.
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§ 826 BGB begründen.133 Den hierfür verantwortlichen Zusatz ließ Gröber streichen.134 Sein Engagement für § 826 BGB war Teil seiner Kampagne gegen den Missbrauch formal bestehender Rechte.135 Es ist daher wahrscheinlich, dass auch diesem Antrag die Wertung des Schikanegedankens, namentlich die christliche Nächstenliebe, zugrunde lag. In dem Erlass beider Normen hat die Nächstenliebe mithin eine beachtenswerte Rolle gespielt, auf die mit ungewöhnlicher Offenheit136 rekurriert wird. Neben den eigenen Wertungen des Akteurs des Zentrums in der Reichstagsberatung fließen in beide Normen die Wertungen des Diskurses um die Einschränkung von Eigentumsrechten unter Anleitung von Schoeneiche und v. Giercke ein. 6. Fortwirken der Wertung in der Normanwendung Inwieweit sich die bei Normerlass eingeflossene Wertung auf die Norm ausgewirkt hat, lässt sich allerdings nur ermitteln, wenn der Schutzgedanke auch in der Anwendung der Norm fortwirkt. Das gilt insbesondere für § 826 BGB, bei dem die Wertung auf die Verwerfung des entsprechenden Zusatzes in der Gesetzgebung zurückgeführt wurde.137 a) Normanwendung um 1900 Während § 226 BGB schon nach seiner Einführung keinen praktischen Anwendungsbereich aufzuweisen hatte (aa)), erfüllt § 826 BGB eine wichtige Auffangfunktion bei einer rein schädigenden Rechtsausübung (bb)). aa) Normanwendung des § 226 BGB Mit dem generellen Schikaneverbot des § 226 BGB war ein Grundsatz normiert worden, der zunächst auch gesamteuropäisch als richtungsweisend 133 s. Zusatz bei § 826 BGB a. F.: „(…)durch eine Handlung, die er nicht in Ausübung eines ihm zustehenden Rechtes vornimmt.“, Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 889; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226– 231, Rn. 16. 134 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 901 f.; Vormbaum, Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 1997, S. 190. 135 Vgl. Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 199; Steinbach, Moral als Schranke der Rechtsausübung, 1898, S. 32 f.; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 407; s. auch RGZ 155, 58. 136 s. dazu die Synthese D.II.4. 137 Vgl. zu dieser Einschränkung der Verwertbarkeit des Verwerfungsarguments Baldus, Verwerfungsargument und Willenstheorie, 2013, S. 77.
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galt und „euphorisch bejubelt“ wurde,138 um schon einige Jahre später für seinen kleinen Anwendungsbereich verspottet139 zu werden.140 Die Rechtsprechung nahm einen Verstoß gegen § 226 BGB aufgrund des Wortlauts („nur den Zweck“) nur in sehr engen Grenzen an.141 Einer der wenigen Beispielsfälle, bei dem ein Verstoß gegen das Schikaneverbot angenommen wurde, war ein Fall aus dem Jahre 1909, bei dem ein Grundstückseigentümer unter Berufung auf § 903 S. 1 BGB seinem verfeindeten Sohn verbot, das Grab der Mutter zu besuchen, das sich im Park des Familienguts befand.142 Die Debatte über Anwendungsfälle des § 226 BGB verlagerte sich aber schon bald auf die wichtiger gewordenen §§ 138, 242 und 826 BGB.143 Eine Untersuchung der Einbeziehung christlicher Werte über die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB wird in dieser Arbeit allerdings nicht vorgenommen.144 Daher sei insbesondere § 242 BGB nur in seiner durch § 226 BGB konkretisierten Dimension angesprochen. Auch die ursprünglich im Zusammenhang mit dem Schikaneverbot aufgetretenen nachbarrechtlichen Konstellationen wurden oftmals über die §§ 906, 1004 BGB gelöst.145 Damit hatte § 226 BGB 138 So etwa durch Oertmann: „Ihre Krönung und Vollendung findet diese den Rechtsegoismus im sozialen Interesse korrigierende Tendenz des neuen Gesetzbuches in dem hochbedeutenden § 226.“, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Bürger lichen Gesetzbuchs, 1900, S. 53; s. auch Hedemann, Werden und Wachsen im bürgerlichen Recht, 1913, S. 9, 40 und Kohler, der die Norm als potenziellen „Keim bedeutsamer judizieller Entwicklungen“ anerkennt, Technik der Gesetzgebung, AcP 1905 (96), S. 374. 139 So sagte man, das „schmalbrüstige Schikaneverbot (sei) an Schwindsucht eingegangen“, während die „pausbäckige Unzulässigkeit der Rechtsausübung“ es abgelöst habe. Merz, Vom Schikaneverbot zum Rechtsmissbrauch, ZfRV 1977, S. 168; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 3; s. auch Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 29. 140 Vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 2, 19 ff.; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 9. 141 Man ließ bereits die objektive Möglichkeit, dass der Schädigende andere Zwecke als die Schädigung des anderen verfolgte, ausreichen, um § 226 BGB abzulehnen. RGZ 68, 424 ff.; vgl. Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 150; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 20; Hedemann, Werden und Wachsen im bürgerlichen Recht, 1913, S. 41; Repgen, in: StaudingerKommBGB, 2014, § 226, Rn. 9. 142 RGZ 72, 251, 251 ff.; s. hierzu Mansel, in: Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 226, Rn. 1; Hedemann, Werden und Wachsen im bürgerlichen Recht, 1913, S. 41; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 23. 143 Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 1; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 19; Merz, Vom Schikaneverbot zum Rechtsmissbrauch, ZfRV 1977, S. 167 f.; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 9. 144 Siehe zu dieser Themenbegrenzung oben A.III.1. 145 Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 20; vgl. auch Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 13.
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schon kurz nach seiner Einführung keinen praktischen Anwendungsbereich mehr.146 Diese Entwicklung war allerdings nicht nur in dem Normerlass angelegt, sondern gerade angestrebt worden. Daher wirkt die christliche Wertung der Norm zwar in § 226 BGB fort, sie hat allerdings nur eine sehr geringe praktische Bedeutung für den Rechtsverkehr. bb) Normanwendung des § 826 BGB § 826 BGB hat dagegen als Regulativ unzulässiger Rechtsausübung in der Folge große Bedeutung erlangt.147 Die Anforderungen an einen Sittenverstoß waren niedriger als die an das Vorliegen eines „nur“ schädigenden Zwecks im Rahmen des § 226 BGB, sodass eher § 826 BGB zu dem erwünschten Ergebnis führte.148 Das Reichsgericht sah sogar den Hauptzweck des § 826 BGB darin, „gegenüber formalen, von der Wirklichkeit absehenden Rechtsvorschriften einen Ausgleich zu bieten“.149 Gerade die Ausweitung der Vorschrift war der Zweck des Antrages von Gröber gewesen, somit diente auch sie dem durch die Nächstenliebe inspirierten Verbot der schikanösen Rechtsausübung.150 b) Normanwendung heute Heute weist die Anwendung beider Normen kaum eine Veränderung auf. § 226 BGB fehlt es immer noch an einem praktischen Anwendungsbereich (aa)) und § 826 BGB hat weiterhin eine hohe Bedeutung in seiner normkorrigierenden Funktion (bb)).
146 Vgl. Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 1; Merz, Vom Schikaneverbot zum Rechtsmissbrauch, ZfRV 1977, S. 167; Ramdohr, Rechtsmissbrauch, Gruchots Beiträge 1902 (46), S. 590; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 9; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 404. 147 Hedemann, Werden und Wachsen im bürgerlichen Recht, 1913, S. 10 f.; Oechsler, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 826, Rn. 16; Steinbach, Moral als Schranke der Rechtsausübung, 1898, S. 32; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 235, 407. 148 Oertmann, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1900, S. 53. 149 „Das ergibt sich ganz klar daraus, dass die Reichstagskommission sogar die im Entwurf noch enthaltene Beschränkung gestrichen hat, wonach der Täter nicht ersatzpflichtig sein soll, wenn er in Ausübung eines ihm zustehenden Rechtes gehandelt habe.“, RGZ 152, 400 und RGZ 155, 58. Vgl. Oechsler, in: StaudingerKommBGB, 2014, § 826, Rn. 16. 150 Vgl. hierzu Blümner, Lehre vom böswilligen Rechtsmissbrauch, 1900, S. 199 ff.
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aa) Normanwendung des § 226 BGB Bemerkenswerterweise hat sich an der Situation des § 226 BGB seit Anfang des 20. Jahrhunderts nichts geändert. Weder wurde § 226 BGB wegen mangelnder Relevanz abgeschafft, noch hat er nennenswerte Bedeutung im Rechtsverkehr erlangt. Der Rechtsgrundsatz des § 226 BGB gilt zwar auch im öffentlichen Recht.151 1978 kommentiert v. Feldmann im Münchener Kommentar, dass man Anwendungen des § 226 BGB „mit der Laterne suchen“ müsste.152 Für die Anwendung des Schikaneverbotes kommt hauptsächlich die Ausübung von Rechten an Sachen in Betracht.153 Bei schuldrechtlichen Rechtsverhältnissen ist der Nachweis, die Rechtsausübung würde „nur“ zum Schaden eines Dritten eingesetzt, fast nie zu erbringen.154 Jedenfalls muss zur Annahme eines Verstoßes gegen das Schikaneverbot feststehen, dass die Verhaltensweise objektiv keine andere Wirkung als die Schadensstiftung haben kann.155 Das wird nur dann angenommen, wenn die Handlung für den Handelnden ohne jedes Interesse ist,156 sodass allein die Möglichkeit eines bestehenden Interesses ausreicht, einen Verstoß gegen § 226 BGB abzulehnen.157 Neue Anwendungsfälle158 für das Schikaneverbot sind die Fälle des sogenannten „Domaingrabbing“.159 Die Zahl der Fälle, in 151 FG Nürnberg, Urt. v. 25. September 2008, IV 267/2006, EFG 2009, 840 ff.; vgl. Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 2; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 14. 152 v. Feldmann, in: MünchKomm-BGB, 1. Aufl. 1978, § 226, Rn. 1; zit. in Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, §§ 226–231, Rn. 20. 153 Wobei gerade bei den sachenrechtlichen Vorschriften zumeist speziellere Regelungen wie die §§ 905 S. 2, 906, 910 Abs. 2 BGB zu beachten sind. Vgl. Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 13; s. auch Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 2. 154 Vgl. Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 1; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 13. 155 Vgl. BGH, Urt. v. 15.03.2012, IX ZR 34/11, ZInsO 2012, 828, 830; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 15. 156 Die wirtschaftliche Unzweckmäßigkeit eines Handelns reicht allein nicht aus, um ein fehlendes Interesse zu begründen. Vgl. Zöllner, Die Bürgschaft des Nichtunternehmers, WM 2000 (1), S. 7; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 15, 18; s. auch Enneccerus/Nipperdey, AT, 1960, § 239 IV 3 b. 157 Vgl. Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 18. 158 Für weitere jüngere Anwendungsbeispiele s. u. a. OLG Rostock, Beschluss v. 16.07.2003, 3 W 56/03, OLGR Rostock 2004, 327 ff.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.09.2000, 9 U 119/00, NJW-RR 2001, 162 ff.; AG München, Urt. v. 15.07.2010, 281 C 17376/09, juris; AG Augsburg, Urt. v. 09.10.2000, 222 C 6200/99, WM 2001, 335 ff.; s. für weitere v. Feldmann, in: MünchKomm-BGB, 1. Aufl. 1978, § 226, Rn. 4; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 24 ff. 159 Bei diesen registriert jemand ohne erkennbares Eigeninteresse einen Domainnamen, der gleichzeitig den Namen eines anderen Unternehmens darstellt, um eine
I. Nächstenliebe am Beispiel des Schikaneverbotes, §§ 226, 826 BGB83
denen Schikane abgelehnt wird, übersteigt aber bei weitem jene, bei denen sie angenommen wird.160 Dafür wird das Schikaneverbot jedoch zumeist als Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben aufgefasst und neben § 242 BGB mitzitiert, weil kaum ein Fall denkbar ist, in dem eine schikanöse Rechtsausübung nicht auch gegen Treu und Glauben verstößt.161 Immerhin weist dies darauf hin, dass die mit § 226 BGB eingebrachte Wertung das in dieser Arbeit nicht näher untersuchte Verständnis des Begriffs „Treu und Glauben“162 im BGB mitgestaltet hat. bb) Normanwendung des § 826 BGB Dagegen macht sich bis heute gemäß § 826 BGB schadensersatzpflichtig, wer ein ihm zustehendes Recht in sittenwidriger Weise ausübt und hierdurch einem anderen einen Schaden zufügt.163 Teilweise sieht die Wissenschaft164 auch heute noch eine besondere Bedeutung in der „normkorrigierenden Funktion“ des § 826 BGB.165 So wurde beispielsweise 2009 bei einer rechtsmissbräuchlichen Erhebung einer aktienrechtlichen Anfechtungsklage durch einen Aktionär, nur um die Gesellschaft zu einer Leistung zu veranlassen, auf die ohnehin kein Anspruch besteht, ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB für den hierdurch entstandenen Schaden angenommen.166 Hätte assoziative Identifikation bei der Suche im Internet zu ermöglichen. s. Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 8; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 26. 160 Z. B. BGH, Urt. v. 15.03.2012, IX ZR 35/11, NJW 2012, 665 ff.; LG Hamburg, Urt. v. 16.12.2015, 318 S 33/15, ZMR 2016, S. 238 ff.; s. eine Übersicht der Einzelfälle bei Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 27 ff.; s. auch Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 1. 161 Sodass häufig dahinstehen kann, ob auch ein Verstoß gegen das Schikaneverbot vorliegt. So BGH, Urt. v. 5.02.2013, II ZR 134/11, BGHZ 196, 131 ff.; BGH, Beschluss v. 14.07.2008, II ZR 204/07, NJW 2008, 3438; OLG Celle, Urt. v. 15.07.2004, 4 U 55/04, OLGR Celle 2004, 496 ff.; OLG Hamburg, Beschluss v. 05.12.2000, 1 W 74/00, OLGR Hamburg 2001, 85 ff.; LG Köln, Urt. v. 16.10.2013, 9 S 123/13, NJW-RR 2014, 796 ff.; s. Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 1; Mansel, in: Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 226, Rn. 4. 162 s. o. A.III.1. 163 Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 1; Mansel, in: Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 226, Rn. 4; Oechsler, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 826, Rn. 16. 164 Vgl. Engel, Rückgriff des Scheinvaters wegen Unterhaltsleistungen, 1974, S. 63; s. auch Larenz/Canaris, Schuldrecht II Teil 2, 1994, S. 461 ff. 165 Vgl. Oechsler, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 826, Rn. 16. 166 „Bei einer rechtsmissbräuchlich erhobenen aktienrechtlichen Anfechtungsklage kann der Kläger gem. § 826 BGB schadensersatzpflichtig sein. (…) Missbräuchlichkeit und damit Sittenwidrigkeit einer aktienrechtlichen Anfechtungs- bzw. Nichtig-
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Gröber den betroffenen Zusatz nicht streichen lassen, so würde hierdurch kein Schadensersatzanspruch begründet, da der Aktionär ein ihm zustehendes Recht zur Erhebung der Anfechtungsklage ausübte.167 Zunehmend wird in der Literatur aber auch für Fälle des Rechtmissbrauches eine restriktive Anwendung des § 826 BGB plädiert.168 Die normkorrigierende Funktion des § 826 BGB bleibt damit ein Grund für den kleinen Anwendungsbereich des Schikaneverbotes.169 Für die Fälle des Missbrauchs formal bestehender Rechte trägt § 826 BGB dafür bis heute den Rechtsgedanken von § 226 BGB fort. 7. Ergebnis In der Tat wirft das Schikaneverbot in seiner heutigen Form die Frage auf, welchen Zweck die praktisch bedeutungslose Norm verfolgt. Die Entstehungsgeschichte hat aber gezeigt, dass die Norm bereits bei ihrer Einführung zur Schmalspurigkeit prädestiniert war. Repgen und Grothe sprechen der Norm trotz ihrer forensischen Irrelevanz aber einen Wert zu, weil sie für die Dogmatik subjektiver Rechte klarstellt, dass diese moralisch hergeleiteten Schranken unterliegen.170 § 226 BGB formuliert mithin eine Wertung, die der Gesetzgeber ausdrücklich anerkannte und über § 242 BGB bis heute fortlebt. Ein maßgeblicher Faktor für die zugrunde liegende Wertung, dass die schädigende Ausübung formal bestehender Rechte moralisch verwerflich ist, war in der Gesetzgebungsgeschichte das christliche Gebot der Nächstenliebe: Das lässt sich aus der Problemsituation des Normerlasses ebenso ableiten wie aus der Argumentation von v. Giercke und Gröber. Deswegen dürfte die Beschreibung als „Dekoration“171 zu kurz greifen.172 Das Schikaneverbot keitsklage ist anzunehmen, wenn der Aktionär die Klage allein mit dem Ziel führt, aufgrund der Sperrwirkung der Klage auf die Gesellschaft Druck auszuüben, um sie in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann.“, OLG Frankfurt, Urt. v. 13.01.2009, 5 U 183/07, WM 2009, 310 f. 167 s. ausführlich zu der Rechtslage OLG Frankfurt, Urt. v. 13.01.2009, 5 U 183/07, WM 2009, 309 ff. 168 Vgl. Oechsler, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 826, Rn. 16 ff. 169 Vgl. Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 1; Mansel, in: Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 226, Rn. 4. 170 Diese Schranken seien Normen immanent im Sinne der Innentheorie. So auch Grothe, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 226, Rn. 1; Repgen, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 226, Rn. 12. A. A. Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 29. 171 Huber, Über den Rechtsmissbrauch, 1910, S. 29. 172 C.I.3.c).
II. Barmherzigkeit am Beispiel des Wucher- und Zinseszinsverbots 85
mag zwar nicht unmittelbar durch § 226 BGB, aber jedenfalls über die §§ 242, 826 BGB effektiv durchgesetzt werden. Damit formuliert § 226 BGB unmissverständlich einen Grundgedanken des BGB, der zwar in der Praxis nicht unmittelbar mit dieser Norm angewandt wird, aber dennoch mehr als Dekoration darstellt. Denn der Grundgedanke prägt das Verständnis von zentralen Vorschriften wie den §§ 242, 826 BGB. § 226 BGB ist damit – und das ist untypisch im BGB – mehr eine Feststellung über bestehende Beschränkungen des BGB als eine Beschränkung selbst. Die Nächstenliebe hat folglich dazu beigetragen, eine wertende Feststellung in das BGB aufzunehmen, die in den §§ 226, 242, 826 BGB bis heute fortwirkt. So findet sich hier bereits ein Beleg für den Import christlicher Werte in die Normen des BGB.
II. Barmherzigkeit am Beispiel des Wucher- und Zinseszinsverbots Die Barmherzigkeit (misericordia) ist eine weitere Ausprägung der Nächstenliebe173 und bezeichnet eine Form der Liebe, „die sich spontan und unbedingt einem anderen zuwendet, der ohne bzw. durch eigene oder fremde Schuld in Not geraten ist und sich selbst nicht daraus befreien kann“.174 Sie wird mit der Nachahmung der Barmherzigkeit Gottes (imitatio dei), die sich an Christi Vorbild gezeigt hat, begründet.175 Sie ist auch Ausfluss des Doppelgebotes der Gottes- und Nächstenliebe.176 Sie erfordert die innere Anteilnahme am Leid des anderen und gebietet zugleich, Trost und Schutz zu spenden, Hilfe zu leisten.177 Konkretisiert werden die gebotenen Schutzhandlungen u. a. in Mt 25, 31–46 (Werke der Barmherzigkeit): 173 s. dazu oben C.I.1.a); vgl. außerdem Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im kanonischen Recht, 1963, S. 173, 178 f.; Landau, Bedeutung des kanonischen Rechts für die Entwicklung von Rechtsprinzipien, 1996, S. 24; Tafferner, Gottes- und Nächstenliebe, 1992, S. 288. 174 Elsässer, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 2, 1994, S. 15; vgl. Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 35; Tafferner, Gottes- und Nächstenliebe, 1992, S. 287 f. 175 Lk 6, 35: „Vielmehr: Liebt Eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas (zurück) zu erhoffen! Und es wird Euer Lohn groß sein, und ihr werdet Sohne des Höchsten werden; denn er ist gütig gegenüber den Undankbaren und Bösen. Werdet barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist!“; hierzu Schneider, Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 161; vgl. auch Elsässer, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 2, 1994, S. 16; Schneider, Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 155; Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 163; Uhlhorn, Christliche Liebestätigkeit, 1895, S. 43. 176 Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 35; s. dazu oben 1. 177 Söding, Nächstenliebe, 2015, S. 162.
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„Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. (…)“178
Christi Vorbild lässt im Namen der Barmherzigkeit eine besondere Zuwendung zu den Armen und Kranken erkennen: „Selig ihr Armen, denn euch gehört das Himmelreich.“179 Im Gegensatz zur Antike, die den schönen und gesunden Menschen zum Ideal seiner selbst erhob, stellte das Christentum den leidenden, armen Menschen in den Mittelpunkt seines Interesses.180 Christus schärfte das Bewusstsein und betonte die Verantwortung der Gemeinschaft für sozial schwache, personae miserabilis, indem er sich vornehmlich gesellschaftlich „unansehnlichen“ Menschen zuwandte.181 Die so vorgelebte Barmherzigkeit verbietet das Ausnutzen einer vorteilhaften Stellung und fordert den Schutz des Schwächeren.182 Sie gebietet daher, Almosen zu geben und verbietet, aus Almosen soziales Kapital zu schlagen.183 Damit wurde nicht zuletzt auch das biblische Verbot begründet, dem Armen gegen Geld (d. h. gegen Zahlung von Zinsen) zu leihen.184 Die Diskussion um das Zinsverbot war hauptsächlich ein Diskurs um die Pflicht der Reichen zur praktischen Nächstenliebe zum Schutze des Schwächeren.185 178 Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 37 f. Als geistliche Werke der Barmherzigkeit werden angesehen: Unwissende lehren, Zweifelnden raten, Trauernde trösten, Irrende zurechtweisen, Unrecht ertragen, Beleidigungen verzeihen, für Lebende und Tote beten. s. auch Elsässer, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 2, 1994, S. 16. 179 Lk 6, 20; hierzu Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 31; vgl. Damaschke, Geschichte der Nationalökonomie, 1929, Band 1, S. 65. 180 Vgl. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 26; v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 110; v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 28, 35; Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band I, 1963, S. 20. 181 Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 32, 38; vgl. v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 106; Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 31. 182 Vgl. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 26; v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 110; v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 28, 35; Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band I, 1963, S. 20. Der Schutz des Schwächeren ist wiederum kein Werturteil, das allein dem Christlichen zuzuordnen wäre. Vielmehr führen verschiedene Begründungsstränge zu diesem Werturteil. Nachfolgend wird der christliche Begründungsstrang aufgezeigt. 183 Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 39. 184 Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 53; s. hierzu unten C.II.2.c). 185 Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 55.
II. Barmherzigkeit am Beispiel des Wucher- und Zinseszinsverbots 87
Der nachfolgende Abschnitt wird sich mit Normen beschäftigen, in deren Entstehung der Wert der Barmherzigkeit importiert worden ist. Dabei handelt es sich um drei Verbote zur Bekämpfung unbarmherzigen Verhaltens:186 Zu diesen gehören das Wucherverbot des § 138 Abs. 2 BGB,187 das rechtsgeschäftliche Verbot von im Voraus vereinbarten Zinseszinsen in § 248 BGB188 und das gesetzliche Zinseszinsverbot von § 289 BGB189, auch Verbot des Anatozismus190 genannt. Der Gesetzgeber wählte die Kombination aus diesen Regelungen, um der Ausbeutung des wirtschaftlich Schwächeren durch den Stärkeren entgegen zu wirken. Der Einfluss der christlichen Lehre bei Normerlass der Verbote wirkt in abgeschwächter Form in ihrer Anwendung bis heute fort. Im Folgenden soll dargestellt werden, inwieweit die christliche Forderung nach Barmherzigkeit Einfluss auf den Normerlass und die Anwendung der Normen zur Bekämpfung des Wuchers genommen hat. Hierzu wird zunächst die Problemsituation bei Normerlass (1.) unter Vorstellung der dem Gesetzgeber bekannten Lösungsansätze zur Bekämpfung des Wuchers und deren Wertungen geschildert. (2.) Sodann wird erläutert, welche Lösung der Gesetzgeber für das BGB wählte und welche Wertung der Lösung zugrunde lag (3.). Schließlich soll überprüft werden, ob die Wertung in der Normanwendung bis heute fortwirkt (4.). 1. Problemsituation Dem 19. Jahrhundert waren Jahre der Zinsfreiheit unter liberaler Wirtschaftspolitik vorausgegangen.191 Die vom Liberalismus gehegte Erwartung, der Markt werde die Zinsen von selbst regulieren, wurde enttäuscht, als die Zinsen in horrende Höhen schossen und die Volkswirtschaft belaste186 Vgl. zu dem kanonischen Einfluss auf die Verbote Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 490, Rn. 13 ff. u. S. 513, Rn. 41; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 77. 187 „Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.“ 188 Insbesondere Abs. 1: „Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, dass fällige Zinsen wieder Zinsen tragen sollen, ist nichtig.“ 189 Satz 1: „Von Zinsen sind Verzugszinsen nicht zu entrichten.“ 190 Vgl. Reifner, Zinseszinsverbot im Verbraucherkredit, NJW 1992, S. 337; Schmidt, in: Staudinger, 1997, § 248, Rn. 1. Zu den Möglichkeiten der Zinsbeschränkungen vgl. Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 486., Rn. 2. 191 Gareis, in: Komm-BGB, 1900, Band I, § 138, S. 170; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 496, Rn. 19; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, § 138, S. 724, Rn. 12; StaudingerKomm-BGB, 1903, Band I, § 138, S. 349.
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ten.192 Zinseszinsen führten zu unberechenbaren Endschuldsummen, da sie exponentiell und damit schwer vorhersehbar mit dem Zinswachstum anstiegen.193 Das Konzept der Zinsfreiheit galt als gescheitert.194 Man bemühte sich um ein neues Lösungskonzept für die Bekämpfung des Wuchers durch hohe oder exponentiell steigende Zinsen, das unter Einbeziehung ethischmoralischer Aspekte den wirtschaftlich Schwächeren schützen sollte.195 In Folge dessen wurde am 24. Mai 1880 ein Wuchergesetz verabschiedet, das ein strafrechtliches und später auch zivilrechtlich bewährtes Wucherverbot beinhaltete.196 Das Verbot galt hauptsächlich für Darlehensverträge.197 Die Redaktoren verweisen auf diese Problemsituation und vorangegangene Lösungsansätze: „Das Recht, Zinsen zu nehmen, unterlag bekanntlich bis in die neuere Zeit verschiedenen Verboten und Beschränkungen. Die Entwicklung, welche die Gesetzgebung diesfalls in Deutschland und in den übrigen europäischen Staaten genommen hat, zeigt neben vielfachen Schwankungen ein Fortschreiten des Rechtes, Zinsen zu nehmen.“198
Für die Redaktoren warf das neue Wuchergesetz die Frage auf, ob das BGB eine eigene Regelung aufnehmen und ob diese Regelung auf sämtliche Rechtsverhältnisse erweitert werden sollte. 2. Bekannte Lösungsansätze Zu der Lösung des Regelungsproblems waren den Redaktoren und den Kommissionsmitgliedern aus der Geschichte des Wuchers verschiedene Lö192 Dernburg, Schuldverhältnisse Bd. II 1, 1905, S. 58; Dilcher, Zins-Wucher-Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, 2002, S. 260; Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 182; Ratzinger, Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen, 1895, S. 251 ff.; und auch: Gareis, in: Komm-BGB, 1900, Band I, § 138, S. 170; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 499, Rn. 22; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, § 138, S. 724, Rn. 12. 193 Darin liegt bis heute die besondere Gefahr des Zinseszinses für den Schuldner. Vgl. Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1618. 194 Vgl. auch Dernburg, Allgemeine Lehren des Bürgerlichen Rechts 1, 1906, S. 426; Dilcher, Zins-Wucher-Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, 2002, S. 260; Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 182. 195 Dilcher, Zins-Wucher-Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, 2002, S. 267; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 24. 196 Gareis, in: KommBGB, 1900, Band I, § 138, S. 170; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 499, Rn. 22; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, § 138, S. 724, Rn. 12. 197 Vgl. Motive II, 1888, § 358, S. 195. Unter C.II.2.d) wird der Inhalt des Gesetzes näher erläutert. 198 Motive II, 1888, § 358, S. 195.
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sungskonzepte bekannt, die sie bei Normerlass berücksichtigten.199 Die den Redaktoren bekannten Lösungsansätze betrafen mit Ausnahme der Anfechtung wegen laesio enormis Darlehensverhältnisse200 und nicht etwa sämtliche Rechtsverhältnisse, wie sie das Wucherverbot heute erfasst. Die Lösungsansätze variierten von römischrechtlichen Zinshöchstgrenzen und Zinseszinsverboten (dazu a)) und der Rechtsfigur der laesio enormis (dazu b)), über das strikte Zinsverbot in der Kanonistik (dazu c)) bis hin zu dem flexiblen Wucherverbot des Wuchergesetzes von 1880 (dazu näheres unter d)).201 Auch auf die Möglichkeit der Einführung einer Kündigungsmöglichkeit des überwucherten Darlehensnehmers, bekannt aus dem Reichsgesetz202, und auf landesgesetzliche Zinseszinsverbote für im Voraus vereinbarte Zinsen verwiesen die Redaktoren (dazu e)).203 Weil die drei untersuchten Verbote (Wucherverbot und beide Zinseszinsverbote) problemgeschichtlich stets im Zusammenhang mit den verschiedenen Formen des Zinsverbotes standen, werden die Lösungsansätze für diese und die ihnen zugrunde liegenden Wertungen gemeinsam dargestellt. a) Zinshöchstgrenzen und Zinseszinsverbot Der Schutz des Schwächeren vor gefährlichen Zinshöhen wurde zweitweise durch Zinshöchstgrenzen und Verbote von Zinseszinsen sicher gestellt.204 So sind aus dem römischen Recht zwar kein grundsätzliches Zinsverbot, aber doch Zinshöchstsätze überliefert.205 Gegen Ende der Republik durfte monatlich ein Zinsfuß von 1 Prozent, das heißt ein jährlicher Maximalzins von 12 Prozent verlangt werden.206 Aus Schuldnerschutzgründen wurde außerdem unter Ulpian ein Zinseszinsverbot erlassen.207 Justinian sah Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1011. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, § 138, S. 725, Rn. 12 (Fn. 99); Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 303. 201 s. auch Dernburg, Allgemeine Lehren des Bürgerlichen Rechts 1, 1906, S. 427; Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 173. 202 § 2 Reichsgesetz vom 14. November 1867. 203 Motive II, 1888, § 358, S. 196. 204 Vgl. Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 54. 205 Vgl. Becker, Zinsverbot im lateinischen Mittelalter, 2014, S. 18; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 488, Rn. 10; Riezler, in: StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 405. 206 Dernburg, Schuldverhältnisse Bd. II 1, 1905, S. 57; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 488, Rn. 11; Riezler, in: StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 405; Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 54; vgl. auch Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 27. 207 Ulpian D. 12, 6, 26: Supra duplum autem usurae et usurarum usurae nec in stipulatum deduci nec exigi possunt et solutae repetuntur, quemadmodum futurarum 199 Vgl.
200 Vgl.
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in diesen Vorgängerregelungen rein formalistische Verbote zum Schuldner schutz,208 denn sie hatten starre Voraussetzungen, unter denen eine Zinsabrede verboten war und konnten problemlos umgangen werden. Dies geschah beispielsweise dadurch, dass die Zinsen als Teilbetrag der Gesamtschuld aufgefasst wurden und auf diese Weise mit dieser mitverzinst werden konnten.209 Erst Justinian hat das Zinseszinsverbot zu einem effektiven Verbotsinstrumentarium fortentwickelt.210 Er halbierte den jährlichen Zinsfuß, dimidae centesimae, auf 6 Prozent und verbot Umgehungen der Zinsregelungen.211 Justinians Bestrebungen zum Kampf gegen den Wucher waren wohl durch die „christlich“-kirchliche Zinslehre geprägt.212 Die Haltungen, die dieser Lehre – somit auch den Zinsregelungen Justinians – „zugrunde lagen, werden“ daher unter c) erläutert.
usurarum usurae. – Übers. d. Verf.: Zinsen, die den doppelten Betrag (des Kapitals) überschreiten, sowie Zinseszinsen können jedoch weder zum Gegenstand einer Stipulation gemacht noch eingeklagt werden, und wenn sie geleistet worden sind, können sie zurückverlangt werden wie Zinsen auf zukünftige Zinsen. 208 Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 490, Rn. 12. 209 Justinian, C. 4,32,28: Ut nullo modo usurae usurarum a debitoribus exigantur, et veteribus quidem legibus constitutum fuerat, sed non perfectissime cautum. Si enim usuras in sortem redigere fuerat concessum et totius summae usuras stipulari, quae differentia erat debitoribus, qui re vera usurarum usuras exigebantur? – Übers.: Dass auf keine Weise Zinsen von Zinsen von den Schuldnern gefordert werden dürfen, ist zwar schon durch alte Gesetze verfügt, aber nicht vollständig bestimmt, denn wenn gestattet war, die Zinsen zum Geldbetrag zu schlagen und vom Gesamtbetrag Zinsen zu vereinbaren, was machte dieses für die Schuldner für einen Unterschied, da in der Tat Zinsen von Zinsen von ihnen erhoben wurden?. 210 Vgl. Becker, Zinsverbot im lateinischen Mittelalter, 2014, S. 18. 211 C. 4, 32, 26, 2: Ideoque iubemus illustribus quidem personis sive eas praecedentibus minime licere ultra tertiam partem centesimae usurarum in quocumque contractu vili vel maximo stipulari. (…) – Übers.: Daher befehlen Wir, dass den Beamten höchsten Ranges, illustres, und denen, die denselben vorgehen, auf keine Weise erlaubt sein soll, (monatlich) mehr als den dritten Teil von einem Prozent, bei irgendeinem Vertrag, er sei von niedrigem oder hohem Umfang, als Zinsen zu vereinbaren. Dernburg, Schuldverhältnisse Bd. II 1, 1905, S. 57. Außerdem Becker, Zinsverbot im lateinischen Mittelalter, 2014, S. 18; Riezler, in: StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 405; Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 234. 212 Becker, Zinsverbot im lateinischen Mittelalter, 2014, S. 18; Dorn, in: HKKBGB, 2003, §§ 246–248, S. 490, Rn. 11; Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 234; Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 54. s. auch Bornemann, Über die wahrhaft geschichtliche Entstehung und Bedeutung des Preußischen, 1832, S. 229.
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b) Die Anfechtung wegen laesio enormis Der Codex Justinians beinhaltete darüber hinaus eine weitere Regelung zur Bekämpfung des Wuchers in Kaufverträgen, die bereits die Grundgedanken des Wucherverbotes in sich barg213 und daher den Redaktoren des BGB ebenfalls zur Wahl stand. Zur Bekämpfung des Wuchers in Kaufverträgen wurde in der justinianischen Kompilation eine Möglichkeit der Anfechtung von Kaufverträgen wegen laesio enormis erneut214 eingeführt.215 Die laesio enormis erlaubte die Aufhebung eines Vertrags durch gerichtliche Anfechtung, wenn der Kaufpreis weniger als die Hälfte des Wertes des Kaufobjektes zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses betragen hat.216 Nach der Anfechtung konnte der Vertrag nach Wahl des Käufers rückabgewickelt werden oder der Käufer zahlte die zum Wert der Sache fehlende Differenz.217 Die Grundsätze der laesio enormis wirkten zur Zeit der Entstehung des BGB in Preußen, Bayern, Württemberg und Hessen fort.218 213 Vgl. Dilcher, Zins-Wucher-Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, 2002, S. 314; Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 173; Riezler, in: StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 405. 214 Nach heute herrschender Auffassung geht die laesio enormis auf zwei Konstitutionen des Kaisers Diokletian aus dem dritten Jahrhundert zurück, die in C. 4, 44, 2 (AD 285) überliefert sind: Rem maioris pretii si tu vel pater tuus minoris pretii distraxit, humanum est, ut vel pretium te restituente emptoribus fundum venditum recipias intercedente iudicis, vel, si emptor elegerit, quod deest iusto pretio recipies. minus autem pretium esse videtur, si nec dimidia pars veri pretii soluta sit. – Übers. der Verf.: Wenn du oder dein Vater eine Kaufsache von größerem Wert um einen zu geringen Preis verkauft hast, entspricht es der humanitas, wenn du entweder gegen Rückgabe des Kaufpreises an die Käufer das verkaufte Grundstück unter auctoritas des Richters zurückerhältst, oder, wenn dies dem Käufer lieber ist, dass du bekommst, was am angemessenen Preis fehlt. Zu gering erscheint der Preis aber, wenn nicht einmal die Hälfte des wahren Wertes bezahlt worden ist. Hackl, Zu den Wurzeln der Anfechtung wegen laesio enormis, 1981, S. 147 (Fn. 1); zu der historischen Authentizität der Quelle Becker, Lehre von der laesio enormis, 1993, S. 10 ff. Die Vorschrift wurde von den nachfolgenden Kaisern zwei Jahrhunderte lang nicht übernommen. Erst im Codex Iustinianus wird sie aufgenommen. 215 Hackl, Zu den Wurzeln der Anfechtung wegen laesio enormis, 1981, S. 147; Mayer-Maly, Rennaissance der laesio enormis?, FS Karl Larenz 1983, S. 395; Riezler, in: StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 405. 216 Hackl, Zu den Wurzeln der Anfechtung wegen laesio enormis, 1981, S. 147; Mayer-Maly, Rennaissance der laesio enormis?, FS Karl Larenz 1983, S. 395. 217 Hackl, Zu den Wurzeln der Anfechtung wegen laesio enormis, 1981, S. 147. 218 „Ist jedoch dieses Mißverhältniß so groß, daß der Kaufpreis den doppelten Betrag des Werths der Sache übersteigt, so begründet dieses Mißverhältniß, zum Besten des Käufers, die rechtliche Vermuthung eines den Vertrag entkräftenden Irr thums.“, I, 11 § 59 ALR; s. auch IV, 3 §§ 19 ff. Bayr. L.R., II Tit. 14 württemb. L.R., Art. 28–34 hess. Entwurf; Motive II, 1888, § 460, S. 321; Dernburg, Allgemeine Lehren des Bürgerlichen Rechts 1, 1906, S. 426.
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Aufgrund der Prägung Justinians und seines Codex durch die christliche Lehre wird vermutet, dass die Kommission des Codex Justinianus die laesio enormis aufgrund der christlichen Ethik der Nächstenliebe übernommen hat.219 Dies ändert freilich nichts daran, dass die laesio enormis unter Diokletian bereits existierte und keine christlichen Bezüge aufwies, sondern sich vielmehr auf die allgemeine Menschlichkeit („humanitas“) bezog.220 c) Historisches Zins- und Zinseszinsverbot in der Kanonistik Eine weitere Möglichkeit war es, die Zinsnahme ganz zu verbieten, um Wucher zu verhindern.221 So hatte die Kirche aufgrund moraltheologischer Bedenken gegen die Zinsnahme über Jahrhunderte hinweg ein allgemeines Zinsverbot verordnet.222 Zwar galt das kanonische Zinsverbot anfangs nur unter Klerikern,223 es breitete sich aber unter Karl dem Großen Ende des 8. Jahrhunderts auch auf das weltliche Recht aus224 und erlebte im Mittelalter 219 Vgl. Becker, Lehre von der laesio enormis, 1993, S. 12; Hackl, Zu den Wurzeln der Anfechtung wegen laesio enormis, 1981, S. 161; Mayer-Maly, Privatautonomie und Vertragsethik im Digestenrecht, IURA 1955 (6), S. 132, 137. 220 Becker, Lehre von der laesio enormis, 1993, S. 10 f. 221 s. auch Dernburg, Schuldverhältnisse Bd. II 1, 1905, S. 57; Riezler, in: StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 405. 222 Damaschke, Geschichte der Nationalökonomie, Band 1, 1929, S. 138; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 493, Rn. 13 ff.; Funk, Zins und Wucher, 1868, S. 12 f.; Neumann, Geschichte des Wuchers in Deutschland, 1865, S. 12 ff.; Ratzinger, Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen, 1895, S. 302. 223 So der Beschluss des 1. Konzils von Nicäa von 325, c. 17, aufgenommen in D. 47, c. 2 und C. 14. q. 4 c. 7: Quoniam multi sub regula constituti avaritiam et turpia lucra sectantur, oblitique divinae scripturae, dicentis qui pecuniam suam non dedit ad usuram, cum mutuum dederint, centesimas exigunt: iuste constituit sancta et magna synodus, ut, si quis inventus fuerit post hanc definitionem usuras accipiens aut per adinventionem aliquam vel quolibet modo negotium transigens aut himolia, id est sescupla, exigens vel aliquid tale prorsus excogitans turpis lucri gratia: deiciatur a clero et alienus exsistat a regula. – Übers.: Viele, die zum Klerus gehören, sind von Habsucht und Gewinngier (turpia lucra) geleitet und vergessen die göttliche Schrift, die sagt: „Sein Geld lieh er nicht auf Zins aus.“ So verlangen sie für verliehenes Geld monatlich ein Prozent Zins. (…) Sollte sich nach dieser Entscheidung nochmal jemand finden, der Zinsen (usuras) nimmt, (…) oder überhaupt sonst etwas schändlichen Gewinns wegen (turpis lucri gratia) ersinnt, so wird er aus dem Klerus entfernt und von der Liste gestrichen. Im 5. Jahrhundert wird das Zinsverbot unter Papst Leo I. auf Laien erweitert. Vgl. Schneider, Christliche Armenfürsorge, 2017, S. 53; Becker, Zinsverbot im lateinischen Mittelalter, 2014, S. 16 f.; Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 234. 224 In der admonitio generalis von 789 wird das erste allgemeine Zinsverbot festgelegt: Omnibus. Item in eodem concilio seu in decretis papae Leonis necnon et in canonibus quae dicuntur apostolorum, sicut et in lege ipse Dominus praecepit omnino
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seine Hochblüte.225 Das kanonische Verbot wirkte formell bis zur endgültigen Einführung der Zinsfreiheit auf Reichsebene vom 14. November 1867 über das gemeine Recht fort.226 In Preußen, Sachsen, Hessen, Bremen und Bayern galt das gemeinrechtliche Zinseszinsverbot auch noch nach der Einführung des Reichsgesetzes.227 Die Kirche leitete das Verbot ursprünglich im Anschluss an das jüdische Zinsverbot aus dem Alten Testament ab.228 Zahlreiche Stellen belegen dort das Verbot, Zinsen von Angehörigen des jüdischen Volkes zu nehmen: „Wenn dein Bruder verarmt und sich neben dir nicht halten kann, sollst du ihn, auch einen Fremden oder Halbbürger, unterstützen, dass er neben dir leben kann. Nimm von ihm keinen Zins und Wucher! Fürchte deinen Gott, und dein Bruder soll neben dir leben können.“229
Das jüdische Zinsverbot verbot allerdings Juden nur, von anderen Juden Zinsen zu nehmen; von Nichtjuden durften dagegen Zinsen verlangt werden, was daher auch getan wurde.230 Das Neue Testament stellte die Barmherzigomnibus interdictum est ad usuram aliquid dare. – Übers.: Allen. Ebenso ist in demselben Konzil (Nicäa 325), in den Dekreten Papst Leos und in den sogenannten Canones Apostolorum, wie es ja auch der Herr selbst im Gesetz vorschrieb, allen ganz und gar untersagt, etwas gegen Zins zu leihen. Mordek/Zechiel-Eckes/Glatthaar, Die Admonitio generalis Karls des Großen, 2012, 186 f.; vgl. Becker, Zinsverbot im lateinischen Mittelalter, 2014, S. 19; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 491, Rn. 13; Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 234 f.; Köbler, Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010, S. 121. 225 Vgl. Becker, Zinsverbot im lateinischen Mittelalter, 2014, S. 15 ff.; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 493, Rn. 14; Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 238 ff.; Riezler, in: StaudingerKomm-BGB, 1903, Band I, § 138, S. 349. 226 Motive II, 1888, § 358, S. 195 f. 227 I, 11 §§ 818, 819 ALR, §§ 680, 681 Sächs. BGB, Art. 146, 147 hess. Entwurf, Art. 631 bayr. Entwurf, § 30 brem. Einf. Gesetz zum HGB v. 6. Juni 1864; Motive II, 1888, § 358, S. 196. 228 Vgl. Becker, Zinsverbot im lateinischen Mittelalter, 2014, S. 17; Gleitmann, Bibel, Kirchen und Zinswirtschaft, 1989, S. 18; Grotius, De Jure Belli ac Pacis, Buch II, 1950, Kap. 12, S. 254. 229 Lev 25, 35 f.; s. auch: „Leihst du einem aus meinem Volk, einem Armen, der neben dir wohnt, Geld, dann sollst du dich gegen ihn nicht wie ein Wucherer benehmen. Ihr sollt von ihm kein Wucherzins fordern.“, Ex 22, 24. „Du darfst von deinem Bruder keine Zinsen nehmen: weder Zinsen für Geld noch Zinsen für Getreide noch Zinsen für sonst etwas, wofür man Zinsen nimmt. Von einem Ausländer darfst du Zinsen nehmen, von deinem Bruder darfst du keine Zinsen nehmen (…).“, Dtn 23, 20 f.; vgl. Honecker, Grundriss der Sozialethik, 1995, S. 492. 230 Vgl. Gleitmann, Bibel, Kirchen und Zinswirtschaft, 1989, S. 18; Grotius, De Jure Belli ac Pacis, Buch II, 1950, Kap. 12, S. 254; Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 26.
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keit ebenfalls in den Kontext der Gottesliebe231, erweiterte das Prinzip aber auf jeden Nächsten mit dem Gebot, unentgeltlich zu „leihen“.232 So heißt es in Lk 6,35: „(…) leihen, auch wenn ihr nichts dafür erhoffen könnt.“ Wer leiht, soll dies aus Nächstenliebe tun und nicht um einen Vorteil daraus zu erlangen:233 „Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern in der Hoffnung alles zurückzubekommen. Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen (…)“234
Da Almosen zu geben eine Pflicht der Barmherzigkeit war, galt die Leihgabe gegen Zinsen als Sünde.235 Die Kirche begründete das Zinsverbot aber auch mit dem christlichen Arbeitsethos.236 So urteilte Gregor von Nyssa: „Unnütz und unersättlich ist das Leben des auf Zinsen Ausleihenden. Er kennt nicht die Arbeit des Feldes und hat auch keine wirkliche Einsicht in das Wesen des Handels. (…) Als Pflug hat er den Schreibstift, als Ackerland sein Papier, als Samen die Tinte, als Regen die Zeit, die ihm auf geheimnisvolle Weise seine Einkünfte beschert.“237
Kapital sollte nicht für sich arbeiten, während aus der Notlage des Nächsten Gewinn gezogen wird. Die Arbeit galt wie die Leihgabe als Pflicht des Christen, das Zinsnehmen dagegen als unehrenhafter Müßiggang.238 Während der Wert der Barmherzigkeit natürlich von beiden christlichen Konfessionen geteilt wurde, wurde das Zinsverbot später zwar auch von Luther befürwortet,239 von Calvin jedoch abgelehnt.240 Wenn also das kanonische 231 Mt 25, 40: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 41; vgl. Gleitmann, Bibel, Kirchen und Zinswirtschaft, Zeitschrift für Sozialökonomie, 1989, S. 18; Grotius, De Jure Belli ac Pacis, Buch II, 1950, Kap. 12, S. 254. 232 s. auch Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 233. 233 Vgl. auch Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 233. 234 Lk 6, 33–35; dazu auch Becker, Zinsverbot im lateinischen Mittelalter, 2014, S. 16. 235 Vgl. Ratzinger, Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen, 1895, S. 254. 236 Damaschke, Geschichte der Nationalökonomie, Band 1, 1929, S. 141; Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 235. 237 Migne, Patr. Gr. Lat. XLIV, zit. in: Damaschke, Geschichte der Nationalökonomie, Band 1, 1929, S. 139. 238 Damaschke, Geschichte der Nationalökonomie, Band 1, 1929, S. 141. 239 Sodass sich in einigen evangelischen Kirchenordnungen aus dem 16. Jahrhundert auch Zins- und Wucherverbote finden. Luther setzte sich sogar für eine Verschärfung des Zinsverbotes ein und richtete sich damit gegen Umgehungsgestaltungen, die von der katholischen Kirche gebilligt wurden. „Darum ist ein Wucherer und Geizhals wahrlich kein rechter Mensch; er sündigt auch nicht eigentlich menschlich! Er muss ein Werwolf sein, schlimmer noch als alle Tyrannen, Mörder und Räuber, schier so böse wie der Teufel selbst!“; Luther, An die Pfarrherrn wider den Wucher zu predi-
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Zinsverbot bei der Entstehung des BGB eine Rolle spielte, ist dies vor allem auf katholischen Einfluß zurückzuführen, die zugrundeliegende Barmherzigkeit ist aber beiden Konfessionen gemeinsam. Durch die kanonische Zinspolitik nahm mithin die christliche Barmherzigkeit zum Schutze des Schwächeren Einfluss auf den Codex Justinianus ebenso wie auf spätere Zinsverbote im weltlichen Recht. d) Flexibles Wucherverbot im Wuchergesetz von 1880 Neben den gemeinrechtlichen Konzepten stand das flexible Wucherverbot des 1880 erlassenen Wuchergesetzes für die Lösung des Regelungsproblems zur Auswahl: Es war zum Zeitpunkt der Entstehung des BGB bereits geltendes Recht.241 Dieses Wucherverbot stellte vor dem Hintergrund der gemeinrechtlichen Tradition eine Neuheit dar.242 Das Wuchergesetz erklärte den Wucher mit folgender Regelung für strafbar: „Wer unter der Ausbeutung der Nothlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit des Anderen für ein Darlehen (…) sich oder einem Dritten Vermögensvortheile versprechen läßt, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß (…) die Vermögensvortheile in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung stehen, wird, wegen Wuchers mit Gefängnis (…) bestraft.“243
Wucher war folglich nicht mehr die Zinsnahme an sich oder das Übersteigen einer bestimmten Zinshöhe, sondern die Ausbeutung der Schwäche des Vertragspartners zu eigenem Vermögensvorteil bei Vorliegen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Unter Strafe stand neben dem Darlehenswucher danach auch der Sachwucher, allerdings nur sofern er gewohnheits- oder gewerbsmäßig betrieben wurde.244 Dem Verbot wurde nach der Beratung des Bundesrates auch zivilrechtliche Wirkung beigemessen.245 Der flexible Wucherbegriff des Wuchergesetzes war gen, 1540. s. auch Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 241 ff. 240 Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 514, Rn. 15; Endemann, Studien in der romanistisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre, Band I, 1874, S. 62 f.; Neumann, Geschichte des Wuchers in Deutschland, 1865, S. 492 ff. 241 Wuchergesetz vom 24. Mai 1880. 242 Vgl. v. Schwarze, Reichsgesetz betreffend den Wucher, 1881, S. 16 f. 243 § 302 a des Wuchergesetzes vom 24. Mai 1880. 244 Die Erweiterung fand 1893 statt. Dernburg, Allgemeine Lehren des Bürgerlichen Rechts 1, 1906, S. 427; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 498, Rn. 22; Riezler, in StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 405. 245 Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 188; v. Schwarze, Reichsgesetz betreffend den Wucher, 1881, S. 6; vgl. Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, § 138, S. 725, Rn. 12 (Fn. 99); Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 303.
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ein Kind des wissenschaftlichen Diskurses im 19. Jahrhundert.246 Fraglich ist, welche Wertung dem neuen Wucherbegriff zugrunde lag, denn das flexible Wucherverbot wurde zum Vorbild des § 138 Abs. 2 BGB. aa) Kirchenpolitische Wende der Zinspolitik Die christliche Naturrechtslehre des kanonischen Zinsverbotes im Mittelalter erlebte in dieser Zeit eine Renaissance.247 Der Kampf gegen Wucher und für das Wucherverbot wurde von Katholiken geführt. Für viel Beachtung sorgte die wissenschaftliche Veröffentlichung von Funk248, der aus der Bibel nicht mehr ein grundsätzliches Zinsverbot ableitete, sondern Wucher nach neuer Exegese nur noch in einem Zusammenspiel von „Umstand und Zweckbeziehung“ gegeben sah.249 Er vertrat einen flexiblen Wucherbegriff, der an den Einzelfall anknüpfte.250 Der „Umstand“ erforderte, dass der durch „Noth Bedrängte“ ein Darlehen gegen Zins vergeben bekam und der Ausbeutende gerade diese Bedrängnis zu dem Zweck der eigenen Bereicherung ausnutzte.251 Belegt wurde dies mit der Heiligen Schrift, die das Zinsnehmen dem Zwecke nach nur verboten habe, wenn sich das Darlehen „als Ausbeutung der Noth des Nächsten zu eigenem Gewinne“ darstellte.252 Dort sei in der Regel die Rede von „Darlehen an Arme und durch Noth Bedrängte“.253 Funk sprach sich deswegen gegen starre Zinsmaximen aus. Allein die Überschreitung eines Höchstsatzes erfülle nicht den Wucher als „Mißbrauch der Noth des Menschen zur Quelle schmutzigen Gewinns“.254 Das Wucherverbot sei zudem „auf all diese verschiedenen Rechtsverhältnisse“ zu erstrecken.255 Er berief sich damit auf die kirchliche Auffassung 246 Vgl. Dilcher, Zins-Wucher-Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, 2002, S. 318 ff.; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 498, Rn. 22. 247 Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 279; Ratzinger, Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen, 1895, S. 255. 248 Franz Xaver Funk (1840–1907), katholischer Priester und Professor der Kirchengeschichte an der Universität Tübingen. 249 Funk, Zins und Wucher, 1868, S. 23. 250 Vgl. Funk, Zins und Wucher, 1868, S. 230 f., 248, 269. 251 Funk, Zins und Wucher, 1868, S. 205; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 279. 252 Funk, Zins und Wucher, 1868, S. 197; s. auch 23, 98, 205, 209; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 279; Ratzinger, Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen, 1895, S. 255. 253 Funk, Zins und Wucher, 1868, S. 205, 217. Genannt seien Ex 22, 25; Lev 25, 35 f.; „Dem Hungrigen gibt er von seinem Brot, und den Nackten bekleidet er. Er leiht nicht gegen Zins und treibt keinen Wucher.“, Ex 18, 7 f. 254 Funk, Zins und Wucher, 1868, S. 230 f., 248, 269; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 282; Ratzinger, Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen, 1895, S. 255. 255 Funk, Zins und Wucher, 1868, S. 201; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 283.
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vom Wucher, die sich seit dem Mittelalter der wirtschaftlichen Entwicklung angepasst habe.256 Darauf wiesen auch Jocham257 und Pruner258 hin, die im Anschluss daran in der Ausnutzung der Not des Nächsten die eigentliche Sünde sahen.259 Sie unterschieden darauf basierend zwischen sittlich neutralem „Zins“ und sittlich verwerflichem „Wucher“.260 Die Verwerflichkeit fehle beispielsweise bei Krediten zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken, deren Vergabe erlaubt gewesen sei.261 Auf diese Weise trat die in der Einleitung beschriebene christliche Haltung der Barmherzigkeit wieder in den Diskurs ein, von der in Bezug auf die Zinsvergabe allerdings eine andere, neue Folgerung abgeleitet wurde. bb) Einsatz des Zentrums für die Einführung des Wuchergesetzes Die Zentrumspartei wollte der Forderung der Kirche nach Reglementierung der Zinsen auf politischer Ebene Geltung verleihen262 und stellte den Antrag zur Einführung eines Gesetzes zur Bekämpfung des Wuchers.263 Ihr sozial politisches Ziel war es, der Massenverschuldung des „kleinen Mannes“ hierdurch entgegen zu wirken und damit auch die Gefährdung des „dem Zentrum so wichtigen Familienlebens“ durch Zinshöchstgrenzen zu verhindern.264 Der Zentrumsabgeordnete und die Leitfigur des politischen Katholizismus 256 So auch Hattenhauer, „… mehr dann von der Obrigkeit erlaubt.“, 2015, S. 236; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 280. 257 Magnus Jocham (1808–1893), Professor der Moraltheologie, in: Moraltheologie oder die Lehre vom christlichen Leben nach den Grundsätzen der katholischen Kirche, Bd. 3, 1854, S. 495. 258 Johann Evangelist von Pruner (1827–1907), Lehrer der Moraltheologie in: Lehrbuch der katholischen Moraltheologie, 1875, S. 607. 259 Vgl. Funk, Zins und Wucher, 1868, S. 199; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 279. 260 Funk, Zins und Wucher, 1868, S. 26, 195; Gleitmann, Bibel, Kirchen und Zinswirtschaft, Zeitschrift für Sozialökonomie, 1989, S. 22. 261 Funk nennt solche „Productiv-Darlehen“, Zins und Wucher, 1868, S. 29 ff.; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 279. 262 Vgl. Dilcher, Zins-Wucher-Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, 2002, S. 271; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 301 f.; vgl. Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 7; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 67. 263 Mit drei anderen Abgeordneten brachte Reichensperger den entsprechenden Antrag 1879 in den Reichstag ein. v. Schwarze, Reichsgesetz betreffend den Wucher, 1881, S. 4; s. auch Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 302. 264 Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 34, 74 ff.; s. auch Dilcher, Zins-Wucher-Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, 2002, S. 274; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 68.
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eichensperger begründete seinen Antrag entsprechend mit dem Schutz des R Schwächeren.265 Er berief sich auf die Problemgeschichte des Zinsverbotes.266 Der Schutz des Schwächeren habe nach dem Ende des römischen Reiches aufgrund der Durchdringung der Völker und Staaten mit dem Geist des Christentums Wertschätzung erfahren.267 Die Kirche habe „zwar das Übermaß an Materialismus nach Kräften bekämpft, die Leidenschaften gezügelt, den Geist der christlichen Liebe und Barmherzigkeit überall angefacht, darum aber doch niemals das Bedürfnis der wachsenden Generationen verkannt.“268 Mit Verweis auf die Rechtsdarlegung von Papst Benedikt XIV. in der Enzyklika „Vix pervenit“269 betonte Reichensperger, dass die Kirche nur bestimmte Formen von wucherischen Zinsen verdammt habe, nicht aber grundsätzlich das Zinsnehmen.270 Zur Bekräftigung dieser neuen Rechtsauffassung der Kirche verwies er auf die oben erwähnte Schrift Funks.271 Es sei christliche Liebespflicht, den Wucher zu bekämpfen.272 Gegen die Argumente liberaler Gegner des Wuchergesetzes wendete er ein, dass die Nationalökonomie „bisheran nur erst eine Seite ihrer Aufgabe ins Auge gefasst hat, nämlich die materiellökonomische, während sie die anderen, mindestens genau so berechtigte Seite, die ethisch-politische vernachlässigt“.273 Reichenspergers Vorschlag, Zinshöchstgrenzen einzuführen,274 wurde nicht übernommen.275 Wohl aber trug sein Einsatz dazu bei, dass das Wuchergesetz verabschiedet wurde.276 265 Vgl. hierzu Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879; s. Dilcher, ZinsWucher-Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, 2002, S. 271. 266 Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 26 ff., 40. 267 Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 28. 268 Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 28. 269 „Damit wird nun aber keineswegs verneint, daß mit dem Darlehensvertrag dann und wann andere sogenannte Titel, die der Natur des Darlehens selber nicht im geringsten angeboren oder innerlich zugehörig sind, etwa zusammentreffen können, aus denen dann ein durchaus legitimer und rechtmäßiger Grund entsteht, über die aus dem Darlehensvertrag geschuldete Summe hinaus mit Recht etwas mehr zu fordern.“, Benedikt XIV., Enzyklika „Vix Pervenit“ vom 1.11.1745 über das Zinsnehmen oder den Wucher und andere ungerechte Gewinne, § 3 III.; hierzu Becker, Zinsverbot im lateinischen Mittelalter, 2014, S. 43. 270 Vgl. Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 29. 271 Funk, Geschichte des kirchlichen Zinsverbotes. S. Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 29. 272 Vgl. Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 30. 273 Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 25. 274 Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 74 ff. 275 Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 187; Riezler, in: StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 405; v. Schwarze, Reichsgesetz betreffend den Wucher, 1881, S. 16. 276 Vgl. Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 498, Rn. 22 (Fn. 89).
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Zur Begründung der Wahl eines flexiblen Wucherbegriffes führte v. Schwarze, Mitbeteiligter am Gesetzgebungsverfahren, in seiner Erläuterung des Reichsgesetzes an, die Verwerflichkeit des Wuchers ergebe sich erst aus der Ausbeutung und die Moralanschauung im Volk habe sich diesbezüglich gewandelt.277 Das Wuchergesetz diene nicht (allein) dem Schutz des Schuldners, sondern insbesondere der Bestrafung der „Gewissenlosigkeit des Gläubigers, welcher den Leichtsinn des Schuldners ausbeutet“.278 Die gänzliche Zinsfreiheit habe der Volkswirtschaft geschadet, und die Gewissenlosigkeit der Schädiger sei zu bestrafen, nicht der Darlehensnehmer vor Leichtgläubigkeit zu schützen.279 v. Schwarzes Ausführungen zeigen, dass er der liberalen Fraktion angehörte und das Wuchergesetz nur sehr eingeschränkt befürwortete.280 Seine Stellungnahme war primär eine Rechtfertigung für den „Schutz vor Leichtgläubigkeit“, den die Gegner des Wucherverbotes kritisierten. Reichensperger konnte gegen den Widerstand der „ZinsfreiheitLobby“ mit Hilfe ethischer Erwägungen die Einführung des Wuchergesetzes durchsetzen. Das spricht dafür, dass die Einführung des Wuchergesetzes durch den Schutzgedanken der Barmherzigkeit mitgeprägt worden ist. Mithin fiel die Wertung des christlichen Arbeitsethos zur Begründung des kanonischen Zinsverbotes weg, der Grundgedanke der Barmherzigkeit wurde übernommen.281 cc) Zwischenergebnis: Ökonomische und ethische Erwägungen Der Verabschiedung des Wuchergesetzes in seiner endgültigen Form lagen letztlich aber mehrere Wertungen zugrunde. Zum einen sollte die Volkswirtschaft geschützt werden, der die Entpönalisierung des Wuchers schadete.282 277 v. Schwarze,
Reichsgesetz betreffend den Wucher, 1881, S. 17 f. Reichsgesetz betreffend den Wucher, 1881, S. 19. 279 v. Schwarze, Reichsgesetz betreffend den Wucher, 1881, S. 20. Vgl. Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 498, Rn. 21 f. 280 v. Schwarze, Reichsgesetz betreffend den Wucher, 1881, S. 9 ff., 16 ff. Tatsächlich hatte v. Schwarze mit anderen Liberalen das Gesetz zur Einführung der Zinsfreiheit durchgefochten. s. Dilcher, Zins-Wucher-Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, 2002, S. 275; Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 185. 281 Die hier angesprochenen Einflüsse waren größtenteils katholischer Herkunft (Reichensperger, Funk, v. Gierke ebenso wie der Einfluss des kanonischen Rechts). Zwar ist der christliche Wert der Barmherzigkeit beiden Konfessionen gemeinsam. Die konkreten Ausformungen, insbesondere die Zinsbeschränkungen, haben aber eine katholische Färbung, die nur zeitweise in das Protestantentum übernommen worden ist. Siehe Fn. 239. 282 Das zeigen auch die Aussagen, auf die Reichensperger in seinen Erwägungen verweist: „Es ist anerkannt, dass der übermäßige Zinssatz das Eigentum in seinen 278 v. Schwarze,
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Deswegen sollten die Schädiger bestraft werden. Dies war sicherlich der Grund, warum sich die Gegner der Zinsbeschränkungen auf eine Reglementierung einließen. Neben die volkswirtschaftlichen Erwägungen traten aber durch den kirchenrechtlichen Diskurs von Funk und anderen ebenso wie den Einfluss von Reichensperger auch ethische Überlegungen. Das Wuchergesetz von 1880 sollte im Dienst des Schwächeren, der in einer bestimmten Situation ausgebeutet wird, stehen. Reichensperger leitete diesen Schutzgedanken aus der christlichen Barmherzigkeit ab.283 Vor diesem Hintergrund ließ sich die Wucherdoktrin mit verschiedenen Ansätzen begründen, die Barmherzigkeit in ihrer Ausprägung als Schutz des Schwächeren war auch Teil der Beweggründe für das Wuchergesetz. e) Kündigungsmöglichkeit und Verbot der Vorausabrede von Zinseszinsen Ergänzend zu den gemeinrechtlichen Regelungen bestand die Möglichkeit, ein Kündigungsrecht des Schuldners bei überhöhten Zinsen zu gewähren, um diesen vor Überschuldung zu schützen. Ein solches Kündigungsrecht hatte das Reichsgesetz vom 14. November 1867 in § 2 eingeräumt.284 Danach konnte der Schuldner das Darlehensverhältnis halbjährlich kündigen, wenn der Gläubiger jährlich mehr als 6 Prozent Zinsen für die Schuld verlangte.285 Das Reichsgesetz ließ allerdings landesgesetzliche Bestimmungen, die ein solches Recht nicht gewährten, unberührt, weshalb einige Landesgesetze ein Kündigungsrecht vorsahen und andere keines.286 Einige landesgesetzlichen Regelungen schränkten das gemeinrechtliche Zinseszinsverbot dahingehend ein, dass lediglich im Voraus getroffene Abreden, nach denen künftig anfallende Zinsen Zinsen tragen sollten, nichtig Grundfesten erschüttert; dass er die Landwirtschaft untergräbt; dass er die Eigenthümer verhindert, Verbesserungen vorzunehmen und damit auch die Industrie zerstört; dass er durch die verderbliche Leichtigkeit, sich beträchtliche Gewinne zu verschaffen, die Bürger von nützlichen und bescheidenen Gewerben abhält, und dass er endlich dahin führt, ganze Familien zu zerrütten und in Verzweiflung zu stürzen.“, Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 34. s. auch Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 185 f.; v. Schwarze, Reichsgesetz betreffend den Wucher, 1881, S. 20. Vgl. Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 498, Rn. 21 f. 283 s. o. Fn. 268. 284 „Derjenige, welcher für eine Schuld dem Gläubiger einen höheren Zinssatz als jährlich sechs vom Hundert gewährt oder zusagt, ist zu einer halbjährigen Kündigung des Vertrages befugt. (…)“. 285 Vgl. Motive II, 1888, § 358, S. 196. 286 So beispielsweise das bayerische Gesetz vom 5. Dezember 1867, das kein Kündigungsrecht des Darlehensnehmers bei Wucher vorsieht. Motive II, 1888, § 358, S. 196.
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seien.287 Da es sich um das gemeine Recht ergänzende oder einschränkende Regelungen handelte, sei auf die unter a) und c) bereits erläuterten Wertungen verwiesen, die dem Grund für die Beschränkung der Zinsnahme zugrunde lagen. 3. Lösung des Gesetzgebers durch §§ 138 Abs. 2, 248, 289 BGB Im Folgenden sollen die Lösungen vorgestellt werden, die der Gesetzgeber aus den vorgestellten Ansätzen gewählt hat, wobei der Fokus auf der Argumentation der Befürworter und den hierbei vertretenen christlichen Grundwerten liegen wird. Da in den Motiven ebenso wie den Protokollen auf die Vorgängerlösungen verwiesen wird, kann davon ausgegangen werden, dass die Akteure der Gesetzgebung sich auf die christliche Haltung ihrer Vorgänger stützten. Nachfolgend sollen das Wucherverbot des § 138 Abs. 2 BGB und die Zinseszinsverbote der §§ 248, 289 BGB separat dargestellt werden. a) Das Wucherverbot gemäß § 138 Abs. 2 BGB Die laesio enormis lehnt v. Kübel in dem ersten Entwurf aufgrund ihrer starren Quotenregelung nach zahlreichen damit einhergehenden Kontroversen ebenso ausdrücklich ab wie andere Vorlagen.288 Statt einer Einschränkung durch das Wucherverbot wurde der Vertragsfreiheit Vorzug gewährt.289 Er äußerte sich auch gegen ein gemeinrechtliches Zinsverbot oder Zinshöchstsätze.290 Bedacht wurde die Einführung eines Kündigungsrechts des Darlehensnehmers bei Übervorteilung, während die Einführung eines allgemeinen Wucherverbotes abgelehnt wurde.291 Es sollte im Grundsatz das Prinzip der Zinsfreiheit gelten.292 Eine explizite Regelung des Wucherverbotes 287 §§ 818, 819 des ALR I, II und den §§ 679, 680 des sächsischen BGB. s. Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 498, Rn. 24; Motive II, 1888, § 358, S. 197. 288 Es bestünde kein Bedürfnis „für dieses in den heutigen Verkehrsanschauungen nicht mehr begründete, für die Rechts- und Verkehrssicherheit gefährliche Rechtsmittel“. Motive II, 1888, S. 321. Vgl. auch Mugdan, Materialien II, 1979, S. 178. Österreich hat sie hingegen in das ABGB § 34 aufgenommen. In Deutschland wirkt der Grundgedanke über die Fallgruppen des krassen Missverhältnisses durch § 138 Abs. 1 BGB allerdings fort. Hackl, Zu den Wurzeln der Anfechtung wegen laesio enormis, 1981, S. 161. 289 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S. 38; Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 197. 290 Motive II, 1888, S. 195 f. 291 Vgl. Motive II, 1888, S. 195 f. 292 „Der Entwurf stellt, abgesehen von dem im zweiten Absatze bezeichneten Falle, das Prinzip der Zinsenfreiheit für das gesamte Reichsgebiet auf, unter Vorbehalt der reichsgesetzlichen Bestimmungen über den Wucher.“, Motive II, 1888, S. 195.
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im BGB sei nicht notwendig, erklärte der Redaktor, da das Wuchergesetz bereits zu einer zivilrechtlichen Nichtigkeit geführt habe.293 Auch entschied v. Kübel sich gegen die Einführung eines Kündigungsrechts des Darlehensnehmers bei überhöhten Zinsen, weil die „wohlthätigen Wirkungen“ einer solchen Bestimmung nicht nachweisbar seien.294 Hierfür wurde der Entwurf vielfach kritisiert, unter anderen von v. Gierke.295 Er forderte, eine auf alle vertraglichen Bestimmungen anwendbare Wucherbeschränkung in das BGB einzuführen.296 aa) Lösung der Vorkommission des Reichsjustizamtes Daraufhin297 fügte die Vorkommission des Reichsjustizamtes eine Bestimmung in das BGB ein, die dem Lösungsansatz des Wuchergesetzes von 1880 entsprach, darüber hinaus aber sämtliche wucherischen Schuldverhältnisse für nichtig erklärte:298 „Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das Jemand unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvortheile versprechen oder gewähren lässt, welche den Werth der Leistung dergestalt übersteigen, daß den Umständen nach die Vermögensvortheile in auffälligem Missverhältnisse zu der Leistung stehen.“299
Die Vorschrift stellte eine Verschärfung der Rechtslage dar, weil sie auch nicht gewerbs- oder gewohnheitsmäßig betriebenen Sachwucher für nichtig 293 „Dass dem Wucher nicht durch Änderung des Prinzipes entgegengetreten werden kann oder muss, hat auch die Reichsgesetzgebung mit dem durch den Entwurf nicht berührten Wuchergesetz vom 24. Mai 1884 anerkannt, indem dieses bei Feststellung des Wucherbegriffes den wucherlichen Missbrauch der Zinsenfreiheit unter Strafandrohung stellt und daneben für den civilrechtlichen Schutz des Bewucherten durch besondere Bestimmungen sorgt.“, Motive II, 1888, S. 196. 294 „Wohlthätige Wirkungen der Bestimmung sind nicht bekannt; dieselbe hat vielmehr ihren Zweck im Wesentlichen verfehlt.“, Motive II, 1888, S. 196. Vgl. auch Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 311. 295 v. Giercke, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, 1889, S. 201 f.; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 314 ff.; Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 199. 296 „Allein umso dringender bedürfen wir eines allgemeinen Rechtssatzes, welcher das Wucherverbot auf wucherliche Ausbeutung des Schuldners in jederlei Gestalt erstreckt.“, v. Giercke, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, 1889, S. 201. 297 Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 317. 298 Dernburg, Allgemeine Lehren des Bürgerlichen Rechts 1, 1906, S. 427 ff. 299 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 970; Gareis, in: Komm-BGB, 1900, Band I, § 138, S. 170; Hölder, in: Komm-BGB, 1900, Band I, § 138, S. S. 304; Schmidt, in: StaudingerKomm-BGB, 1903, Band I, § 138, S. 346.
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erklärte.300 Es folgte eine Debatte im Reichstag.301 Die Mehrheit der Abgeordneten schloss sich dem Antrag auf Verbleiben des ausgeweiteten Verbots des Zentrumsabgeordneten Gröbers an mit der Folge, dass das allgemeine Wucherverbot im Kodifikationsentwurf verblieb und am 1. Januar 1900 mit dem Rest des BGB in Kraft getreten ist.302 Fraglich ist, welche Wertungen auf diese Weise der Norm beigemessen und ob diese durch den christlichen Wert der Barmherzigkeit beeinflusst wurden. Hierbei ist zwischen den jeweiligen Akteuren, die in ihrem Zusammenwirken für den Normerlass gesorgt haben, zu differenzieren. bb) Import der Wertungen des Wuchergesetzes Der Akteur, der die Norm in das Verfahren einbrachte, war die Vorkommission des Reichsjustizamtes, über die nur wenig bekannt ist. Die Vorkommission begründete ihre Entscheidung damit, dass „eine so wichtige, in das Civilrecht tief eingreifende Vorschrift im BGB nicht unerwähnt“ bleiben dürfte,303 wenngleich es selbstverständlich sei, dass Handlungen, welche für strafbar erklärt würden, als unsittliche Handlungen behandelt werden müssten.304 Entgegen der Meinung der Redaktoren der ersten Entwürfe sei es wichtig, „die Nichtigkeit wucherischer Verträge ausdrücklich auszuspre chen“.305 Hohe Bedeutung käme einem Verbot bereits für „die Fälle des Sachwuchers, in denen das StGB nur bei gewohnsheitsmäßiger Ausübung Strafe androhe“ zu.306 Abgesehen von der Bedeutung der ausdrücklichen Benennung wurde keine Wertung genannt, welche der Norm zugrunde liegen sollte. Möglich erscheint, dass durch Übernahme des Wucherkonzepts des Wuchergesetzes dessen Wertung importiert wurde. Hierfür spricht die Problemgeschichte des Wucherverbotes. Denn zuvor sollte die Regelung gerade wegen des Verbotes im Wuchergesetzes unterbleiben, welches mithin als das BGB ergänzend und konkretisierend verstanden wurde.307
300 Nach dem Wuchergesetz und StGB war gewohnheits- oder gewerbsmäßiges Handeln erforderlich. Vgl. Dernburg, Allgemeine Lehren des Bürgerlichen Rechts 1, 1906, S. 428; Dernburg, Schuldverhältnisse Bd. II 1, 1905, S. 58. 301 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1010 ff.; vgl. Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 200. 302 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1005, 1019, 1023; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 323; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 229. 303 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 970. 304 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 970. 305 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 970. 306 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 970. 307 Vgl. Motive II, 1888, S. 196.
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cc) Import der Wertungen v. Gierkes Die Vorkommission rekurrierte also auf fremde Wertungen, die für die Einführung des Wucherverbotes sprachen. Solche Wertungen könnten der Stellungnahme v. Gierkes zu entnehmen sein, dessen Kritik wohl der Grund für den Sinneswandel des Gesetzgebers gewesen ist.308 Er bemängelte, die Auslagerung des Wucherverbotes aus dem BGB durch Verweis auf das Wuchergesetz stünde in einer Riege mit den anderen Zinsbestimmungen zum Zinseszins und Verzugszins und wirke nicht ausreichend der „Bedrückung des Schuldners“ entgegen.309 v. Gierke meinte, dem Entwurf fehle aufgrund der limitierten Wucherregelung die soziale Komponente.310 v. Gierke wies auf die Unsicherheit hin, die entstehe, wenn man einerseits die Zinsfreiheit propagiere und andererseits lediglich auf die Anwendung des Wuchergesetzes durch den Richter im Einzelfall vertraue.311 Dem von der christlichen Sozialethik geprägten v. Gierke312 ging es um den Schutz des Schuldners vor erdrückender Schuldlast,313 zugleich um eine zweifelsfreie Lösung des Problems innerhalb des BGB. Dieses Ziel der expliziten Aufnahme einer „wichtigen Vorschrift“ lässt sich auch der Begründung der Vorkommission entnehmen. dd) Wertungen der Befürworter Der Akteur, der für das Verbleiben der Norm im Entwurf und letztlich deren Verabschiedung gesorgt hat, war der Zentrumsabgeordnete Gröber, der entgegen dem Antrag von Haußmann, den Absatz 2 zu streichen, die Mehrheit der Abgeordnetenstimmen hinter sich vereinte. Die Debatte des Reichstages gibt Auskunft über die Überlegungen der Befürworter des Wucherverbotes und deren Werthaltungen. Haußmann (Deutsche Demokratische Volkspartei) hatte beantragt, das allgemeine Verbot des Wuchers als Fall der Sittenwidrigkeit zu streichen.314 Unter anderen315 hielt auch der Abgeordnete Lenzmann (Freisin308 v. Giercke, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, 1889, S. 201; vgl. Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 314 ff. 309 v. Giercke, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, 1889, S. 201. 310 s. hierzu ausführlich v. Giercke, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, 1889, S. 23 ff.; Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, 2001, S. 146. v. Gierke war in seinem Rechtsdenken besonders von der christlich-sozialen Bewegung geformt. Wolf, Große Rechtsdenker, 1963, S. 675. 311 v. Giercke, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, 1889, S. 201 f. 312 Vgl. Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 2006, S. 519. 313 Vgl. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, 2001, S. 146. 314 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1010. 315 Die Herren Abgeordneten v. Buchka und Haußmann, s. Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1014 f.; vgl. Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 200.
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nige Volkspartei) den vorgeschlagenen weiten Schutz durch das Wucherverbot für unangebracht und plädierte für das Prinzip der Privatautonomie: „Sie müssen den Schwachen, dessen Schwachheit oft nur in Denkträgheit besteht, nicht überall mit dem Richter schützen wollen; der Einzelne muß im wirthschaftlichen Leben sich selbst schützen und sich vor Leichtsinn hüten (…)“316
Jedenfalls aber wäre ein wucherisches Geschäft bereits nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und deswegen ohnehin nichtig, sodass sich eine eigene Regelung erübrigte.317 Gröber,318 den Haußmann als „Vater des Antrags“ bezeichnete,319 begründete seinen Antrag für die Beibehaltung der Vorschrift mit dem Schutz des Kleinen und Schwachen, den auch und gerade das BGB statuieren müsse: „Die Frage, wie dem Wucher privatrechtlich entgegenzutreten ist, hat eine so große prinzipielle Bedeutung, daß ein BGB um diese Frage doch eigentlich nicht herumgehen kann; es soll sie positiv entscheiden (…) Eine Bestimmung, die nicht bloss dem Arbeiterstande, sondern den Kleinen und Schwachen überhaupt zu Gute kommt. Ich glaube also, wir thun ein gutes soziales Werk (…), wenn wir den Abs. 2 bestehen lassen.“320
Gröber behauptete in Bezug auf seine Anträge: „Es steckt in dem Bürgerlichen Gesetzbuch ein Stück guter christlicher Anschauung gerade in dem sozialen Teil, der besser gelungen ist als die übrigen Teile.“321
Wegen seines Antrages wurde Gröber und seinem Beistand Stadthagen vorgeworfen, er wolle sich mit der „Bekämpfung des Wuchers“ durch eine zu allgemein gefasste Norm, deren Zweck bereits durch § 138 Abs. 1 BGB erfüllt werde, populär machen.322 Dies wehrte Stadthagen damit ab, dass es nicht um Popularität gehe, sondern um ein „kleines Stückchen Sozialpoli tik“.323 In der Tat ist die Argumentation beider Seiten vor dem Hintergrund des Wahlkampfes und des Bestrebens des Zentrums, die Arbeiterschaft zu seiner Wählerschaft hinzu zu gewinnen, zu sehen. Der Vorwurf des Popula316 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1016; vgl. Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 200 f. 317 Vgl. Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1018. 318 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1020 f., vgl. auch S. 970; Liebner, Wucher und Staat, 2010, S. 320. 319 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1018. 320 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1020 f.; oder auch: „Ich verkenne ja nicht den humanitären Grundgedanken, welcher zum Absatz 2 geführt hat, Bewucherte dadurch schützen zu wollen, dass die Rechtsgeschäfte civilrechtlich für nichtig erklärt werden.“, Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1010. 321 Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 38. 322 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1019. 323 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1019. Darauf auch hinweisend Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 201.
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rismus war daher wahrscheinlich nicht unbegründet, denn das Zentrum bezog seine Hauptwählerschaft neben den christlichen Bürgern aus der einfachen Arbeiterklasse. Dies spricht dafür, dass weniger die Wertung der Barmherzigkeit als strategische politische Entscheidungen zu dem Normerlass beitrugen. Gleichzeitig passte der Antrag aber zur Gesamtpolitik des Zentrums, das sich für Belange der wirtschaftlich Schwächeren im Rahmen einer christlich geprägten Sozialpolitik einsetzte.324 Somit kann davon ausgegangen werden, dass es dem Zentrum neben der Parteistrategie um die Durchsetzung christ licher Sozialpolitik ging. ee) Zwischenergebnis Letztlich wird an der Argumentation beider Akteure325 erkennbar, dass die Befürworter eines allgemeinen Verbotes auf Wertungen rekurrierten, die schon den zuvor bekannten Lösungsansätzen zugrunde lagen. Weder durch die Vorkommission noch durch die Abgeordneten wurden gänzlich neue Wertungen eingebracht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ein Import willenstheoretischer Überlegungen der Initiatoren des Wuchergesetzes und der langen Problemgeschichte des Wuchers stattgefunden hat. So entschied man sich gegen eine festgelegte Zinshöchstgrenze ebenso wie gegen ein allgemeines Zinsverbot. Denn man hatte sich entschlossen, grundsätzlich die Zinsfreiheit zu gewähren. Stattdessen wählte die Vorkommission den flexiblen Wucherbegriff des Wuchergesetzes, den das 19. Jahrhundert unter neuer Begründung hervorgebracht hatte. Die Regelung sollte ebenso wie das Wucherverbot des Wuchergesetzes dem Schutz des Schwächeren vor der gezielten und damit verwerflichen Ausnutzung durch den Stärkeren dienen, die der Volkswirtschaft und dem Familienzusammenhalt schadete.326 Die Aufnahme einer materialen Einschränkung der Vertragsfreiheit zeigte, dass einer „materialen Ethik sozialer Verantwortung“ Geltung verliehen werden sollte.327 Die Befürworter des Wucherverbotes sahen entgegen der Ausführungen der Gegner eines allgemeinen Wucherverbotes328 die Vertragsfreiheit nicht mehr als das höchste aller Güter an.329 Über die Aufnahme des Wucherverbots fand so 324 So
auch Dilcher, Zins-Wucher-Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, 2002, S. 318. Vorkommission des Reichsjustizamtes ebenso wie der Zentrumsabgeordne-
325 Der
ten.
326 Vgl. die Ausführungen des Initiators Reichensperger, Zins- und Wucherfrage, 1879, S. 34. 327 Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974 S. 24. s. auch Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 172. 328 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 1010 ff., 1014. 329 Gröber sieht die „göttliche Gerechtigkeit“ als das höchste Gut an: „Das formelle Recht muss dem materiellen Recht weichen; die Sätze des menschlichen Geset-
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der Gedanke des Schutzes der schwächeren Vertragspartei trotz des „eisigen Windes der Privatautonomie“330 Eingang in das Bürgerliche Recht.331 Würde man die jahrhundertealte Geschichte des Kampfes gegen den Wucher, insbesondere die kanonische Zinspolitik, ausblenden, so wäre der Zusammenhang mit der Barmherzigkeit allein aufgrund der Gesetzesmaterialien mangels expliziter Verweise nicht erkennbar. Der Normerlass des Wucherverbotes muss aber, wie unter 1. und 2. dargestellt wurde, im Kontext einer Jahrhunderte alten Problemsituation gesehen werden, die zum besseren Verständnis der Norm nicht weggedacht werden kann und darf. Der Schutzgedanke der Barmherzigkeit hatte in dieser Geschichte über das kanonische Recht ebenso wie die justinianischen Zinsregelungen und nicht zuletzt über Reichensperger eine erhebliche Rolle gespielt und ist hierdurch Teil der Wertung des § 138 Abs. 2 BGB geworden. b) Das Zinseszinsverbot der §§ 248, 289 BGB Ähnlich verhielt es sich bei den Zinseszinsverboten. aa) Lösung der Redaktoren, §§ 248, 289 BGB Bereits die Redaktoren entschieden sich gegen ein uneingeschränktes Zinseszinsverbot. Stattdessen wurde die rechtsgeschäftliche Vorausabrede von Zinseszinsen332 untersagt (§ 248 Abs. 2 BGB) und festgelegt, dass wegen des Rückstandes zur Zahlung von Verzugszinsen von Gesetzes wegen kein Zinsanspruch entstand (§ 289 BGB).333. Die beiden Vorschriften sollten einander ergänzen.334 Die Redaktoren entnahmen dies dem gemeinrechtlichen Zinseszes müssen der göttlichen Gerechtigkeit dienen.“, Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 37; vgl. auch Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 438. 330 Honsell, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 19.01.1989, IX ZR 124/88, JZ 1989, 495, BGHZ 106, 269 ff. 331 Vgl. Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 8; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, § 138, S. 716, Rn. 6. 332 Das nachträgliche Vereinbaren von Zinseszinsen war dagegen erlaubt. s. Motive II, 1888, S. 196 f. 333 „Es erscheint jedoch genügend, am Grundsatze, daß Zinsen aus Zinsen nicht genommen werden dürfen, insoweit festzuhalten, als Verzugszinsen aus gesetzlichen Zinsen in Frage stehen (…)“, Mugdan, Materialien II, 1979, S. 35. 334 Vgl. Ernst, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2016, § 289, Rn. 1; Löwisch/Feldmann, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 289, Rn. 1; Kuhlenbeck, in: StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 248, S. 21; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 830; Unberath, in: BeckOK-BGB, 39. Edition, § 289, Rn. 1.
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zinsverbot.335 Gleiches gilt für das Zinseszinsverbot des § 289 BGB, wozu angemerkt wurde: „Das gemeinrechtliche Verbot des Anatocismus (s. zu § 358) begreift auch das Nehmen von Verzugszinsen aus Zinsen.“336
Das Zinseszinsverbot in beiden Ausprägungen wird daher heute auch als „Überbleibsel“ der gemeinrechtlichen Zinspolitik im BGB bezeichnet.337 bb) Wertungen hinter den Zinseszinsverboten Die Beibehaltung des Zinseszinsverbotes befürworteten die Redaktoren aus „volkswirtschaftlichen Gründen“.338 Die gänzliche Abschaffung des Zinseszinsverbotes berge die „Gefahr einer für das allgemeine Wohl schädlichen Bedrückung“ des Schuldners.339 Mithin traten neben die volkswirtschaftlichen Gründe auch soziale Erwägungen. Der Schuldner sollte nicht mit einer überhohen Zinsschuld belastet werden, derer er sich bei Eingang der Verpflichtung nicht bewusst gewesen ist.340 Denn die „Schuld der Zinseszinsen“ könnte „in verhältnismäßig kurzer Zeit derart anschwillen, dass der Schuldner zugrunde geht“, kommentierte Dernburg.341 Durch Verweis auf die gemeinrechtlichen Regelungen wurde letztlich das gemeinrechtliche Verbot und dessen „kollektives Gedächtnis“, das unter anderem vom Schutzgedanken der Barmherzigkeit geprägt worden ist, mit übernommen.
335 Kuhlenbeck,
in StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 248, S. 21. Materialien II, 1979, S. 34. 337 So auch Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 487, Rn. 5; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 830 f. 338 Vgl. zu § 249 BGB a. F. (§ 289 BGB n. F.): „(…) wurde das Verbot des Anatocismus, augenscheinlich aus volkswirtschaftlichen Gründen, nicht berührt. Im Hinblicke auf diesen Rechtszustand und die in neuester Zeit gemachten Erfahrungen erachtete man es als bedenklich, das Verbot allgemein (…) aufzuheben. Es erscheint jedoch genügend, am Grundsatze, daß Zinsen aus Zinsen nicht genommen werden dürfen, insoweit festzuhalten, als Verzugszinsen auf gesetzliche Zinsen in Frage stehen; (…). Die Modifikation steht auch in einem gewissen Einklange mit § 358 (entspricht § 248 BGB n. F.).“, Mugdan, Materialien II, 1979, S. 34 f. 339 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 35; vgl. Reifner, Zinseszinsverbot im Verbraucherkredit, NJW 1992, S. 337. 340 Dernburg, Schuldverhältnisse Bd. II 1, 1905, S. 59; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 830. 341 Dernburg, Schuldverhältnisse Bd. II 1, 1905, S. 59. 336 Mugdan,
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cc) Beschränkung des § 248 BGB auf Vorausabrede von Zinsen Das gemeinrechtliche Zinseszinsverbot wurde aber erheblich dadurch eingeschränkt, dass bis heute nur die Vorausabrede nichtig ist.342 Fraglich ist, ob dies nicht dafür spricht, dass das Zinseszinsverbot anderen Zwecken als dem Schutz des Schwächeren dient, der auch für nachträglich verabredete Zinsen greifen dürfte. Die Redaktoren begründeten die Einschränkung auf die Vorausabrede mit der „heutigen Anschauung vom Zinsennehmen“: „Die Festhaltung bzw. Einführung des gemeinrechtlichen Verbotes in seinem gesamten Umfang konnte nicht in Frage kommen. Dasselbe ist weder in der rechtlichen Natur der Zinsen, noch in der heutigen Anschauung von Zinsennehmen begründet, auch für den Schuldner von sehr zweifelhaftem Werthe.“343
Nachträglich rückständige Zinsen sollten dagegen verzinst werden kön nen,344 obwohl dies gerade die Ausbeutungssituation darstellt, die das kanonische Recht verhindern sollte.345 Schon in dieser Entscheidung war es mithin angelegt, dass der Schuldner eher vor den Risiken einer unkalkulierbaren Zinsschuld als vor der Höhe der Zinseszinslast selbst geschützt werden sollte.346 dd) Zwischenergebnis Im Ergebnis flossen in den Normerlass sowohl die Wertungen des gemeinen Rechts zum Schutz des Schwächeren als auch die Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit durch Zinsklarheit bei Abgabe des Darlehensversprechens ein. Bezzenberger beschreibt den Zusammenhang beider Regelungsziele so: „Die formale Klarheit aber greift untrennbar mit dem materiellen Schutz des Schuldners vor übermäßig hohen Zinslasten ineinander.“347
Dass die Redaktoren also nicht allein eine Transparenzvorschrift zur Zinsklarheit treffen wollten, ist insofern überzeugend, als auch das Verbot von im Voraus getroffenen Vereinbarungen dem Schutz des Schuldners vor Überschuldung dient. Denn viele Schuldner neigen damals wie heute dazu, ihre 342 Vgl. Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1617; Dernburg, Schuldverhältnisse Bd. II 1, 1905, S. 59; Kuhlenbeck, in StaudingerKommBGB, 2. Aufl., 1904, § 248, S. 21; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 830. 343 Motive II, 1888, S. 197. 344 Dernburg, Schuldverhältnisse Bd. II 1, 1905, S. 57; Kuhlenbeck, in StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 248, S. 21. 345 Vgl. Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 831. 346 Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 831. 347 Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1622.
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künftige Leistungsfähigkeit ebenso wie die auf sie einstürzende Zinseszinslast bei Abgabe des Zinsversprechens zu unterschätzen.348 Die Nichtigkeit von Versprechen, die höchstwahrscheinlich auf einer solchen Fehleinschätzung basierten, normierte § 248 BGB. Deswegen weist Bezzenberger auch darauf hin, dass der Gesetzgeber durch die Beschränkung auf Vorausabreden lediglich einen Zeitpunkt festlegen wollte und nicht eine Transparenzvorschrift.349 Folglich lag trotz der Beschränkung auf Vorausabreden und Verzugszinseszinsen ein Import der gemeinrechtlichen Wertungen zum Schutz des Schwächeren vor.350 c) Zwischenergebnis Angesichts der bekannten Lösungsansätze und der Dominanz des gemeinrechtlichen Zinsverbotes ebenso wie der kirchlichen Debatte um die Wucherlehre im 19. Jahrhundert erscheint es sehr wahrscheinlich, dass über das Wucher- wie das Zinseszinsverbot ein Import der Wertung der Barmherzigkeit aus dem Wuchergesetz ebenso wie aus dem gemeinen Recht erfolgt ist.351 Dieser Import wurde bei beiden Regelungen nicht explizit benannt. Dagegen wird auf die Regelungen, denen die Wertung zugrunde lag, ausdrücklich verwiesen. Dass der Begriff des Wuchers, der zuvor nicht mehr als „Ertrag, Frucht“ bedeutete,352 im heutigen deutsch-juristischen Wortschatz eine negative Bewertung beinhaltet, ist ein sprachliches wie auch wertungsmäßiges Erbe des kanonischen Zinsverbotes.353 4. Fortwirken des Schutzgedankens in der Normanwendung Unter 3. konnte festgestellt werden, dass die Wucherlehre des BGB in ihrer Entstehung Ende des 19. Jahrhunderts auch den christlichen Schutzgedanken der Barmherzigkeit in sich barg. Das historische factum dieses Einflusses trägt allerdings nur dann zu einer christlichen Prägung der Normen bei, wenn der Schutzgedanke auch in der Anwendung der Norm fortwirkt. Hierzu soll Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1619. Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1621. 350 Vgl. Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1620. 351 Vgl. Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 499, Rn. 22; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, § 138, S. 725, Rn. 12; Riezler, in: Staudinger, 1903, Band I, § 138, S. 349. 352 Lat.: fructus, usura bzw. fenus. Köbler, Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010, S. 120. 353 Köbler, Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010, S. 120. 348 Vgl. 349 Vgl.
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zunächst die Anwendung der Norm um 1900 dargestellt werden, um sodann die heutige Anwendung der Normen zu untersuchen. a) Normanwendung um 1900 Während das Wucherverbot seinen christlich geprägten Schutzzweck durch weite Auslegung der Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB auch in der Anwendung erfüllte (aa)), war die Anwendung des Zinseszinsverbotes (bb)) schon nach der Entstehung ambivalent. aa) Normanwendung des Wucherverbotes, § 138 Abs. 2 BGB Das Wucherverbot fand schon kurz nach Inkrafttreten des BGB in zahlreichen Fällen Anwendung und wurde zumeist zugunsten des Bewucherten ausgelegt.354 Das Reichsgericht benutzte Vermutungsregelungen zum Nachweis des Vorliegens der Ausbeutungsabsicht und schränkte dadurch die subjektiven Merkmale des § 138 Abs. 2 BGB zum Schutz des Bewucherten ein.355 So senkte es die Anforderungen an den Verstoß gegen das Wucherverbot.356 Es neigte sogar dazu, die subjektiven Voraussetzungen des Abs. 2 in Sonderfällen über Abs. 1 zu umgehen, um eine Erleichterung der Voraussetzungen zu erreichen.357 Damit war schon bei Einführung der Norm der Grundstein für die Figur des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts gelegt worden. 354 Vgl. Riezler, in StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 405 ff. s. auch Dernburg, Allgemeine Lehren des Bürgerlichen Rechts 1, 1906, S. 430 f. 355 „Wenn die Voraussetzungen des Sachwuchers nach § 138 Abs. 2 objektiv gegeben sind, bedarf es nicht des besonderen Nachweises der Arglist oder eines Verstoßes gegen die guten Sitten.“, RG, Urteil v. 18.04.1905, II 253/04, in: Schubert/Glöckner, Nachschlagewerk des Reichsgerichts Bd. II, 1994, § 138 Nr. 39; „Zur Ausbeutung im Sinne des § 138 Abs. 2 genügt die bewusste Ausnutzung der Unerfahrenheit eines anderen zur Erlangung eines übermäßigen Vermögensvorteils, eine besonders hierauf gerichtete Absicht ist nicht erforderlich.“, RG, Urteil v. 7.01.1905, II 344/04, in: Schubert/Glöckner, Nachschlagewerk des Reichsgerichts Bd. II, 1994, § 138 Nr. 35; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, § 138, Rn. 13. 356 „Auch wenn nicht alle Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 gegeben sind, kann doch unter Umständen ein gegen die guten Sitten verstoßendes Rechtsgeschäft anzunehmen sein (…)“, RG, Urteil v. 26.05.1900, I 103/00, in: Schubert/Glöckner, Nachschlagewerk des Reichsgerichts Bd. II, 1994, § 138 Nr. 2; Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, § 138, Rn. 13. 357 RG, Urteil v. 26.05.1900, I 103/00, in: Schubert/Glöckner, Nachschlagewerk des Reichsgerichts Bd. II, 1994, § 138 Nr. 2. Weitere Urteile bei Haferkamp, in: HKK-BGB, 2003, § 138, Rn. 13; Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 203; Riezler, in: StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 407.
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bb) Anwendung des Zinseszinsverbotes, § 248 BGB Der Zweck des Zinseszinsverbotes wurde auch in der Praxis im Schutz des Schuldners vor einer Zinskumulation und in einem Zusammenhang mit § 138 Abs. 2 BGB gesehen; die Zinsklarheit fand damals keine Erwähnung.358 Der Schwächere sollte davor geschützt werden, dass ihm der Schuldenberg „über den Kopf wächst“.359 Dennoch wurde die Norm unterschiedlich gehandhabt: Mal wurde eine Umgehungsgestaltung als zulässig, in anderen Fällen als verboten angesehen. Das zeigte sich beispielhaft an der Behandlung der Verzinsung von sogenannten Disagios.360 Läge der Zweck der Norm ausschließlich im Schutz des Schuldners vor Zinseszinsen, so wäre die Vorausabrede der Verzinsung des Disagios als klarer Verstoß gegen die Norm zu sehen. So bemängelte schon Justinian, dass ein Zinseszinsverbot, das nicht gilt, wenn die Zinsen als Teil des Kapitals aufgefasst werden und so mitverzinst werden, zu formalistisch wäre: „Dies hieße gewiss ein Gesetz nicht für die Sache machen, sondern nur ihr die Worte geben.“361, eine Entwicklung, der Justinian und die Kirche entgegen wirken wollten. Es ist unklar, ob der Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts einen Verstoß gegen das Zinseszinsverbot darin sah, „die Zinsen durch Abzug vom Kapitale im Voraus zu erheben“.362 Jedenfalls sah er derartige Vereinbarungen betreffende Verbote als durch das BGB beseitigt an.363 Dem ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob der Entwurf derartige Vereinbarungen verbot oder zuließ.364 Entsprechend 358 Vgl. Siber, in: Planck, BGB, 1914, § 248, S. 65 f. s. auch Kuhlenbeck, in StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 248, S. 21 u. § 289, S. 110; Riezler, in StaudingerKomm-BGB, 2. Aufl., 1904, § 138, S. 405 ff. 359 So wird auch bei Siber mit dem Gesetzeszweck argumentiert. s. in: Planck, BGB, 1914, § 248, S. 66. 360 Laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzins, der im Voraus auf das Kapital angerechnet wird, bei Auszahlung von diesem abgezogen wird, sodann aber als Gesamtsumme mitverzinst wird. vgl. BGH, Urt. v. 9.11.1999, XI ZR 311/98, NJW 2000, 352. Näher dazu vgl. Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1623 f. 361 Justinian, C. 4,32,28; siehe dazu auch oben Fn. 209. 362 Möglicherweise ein Hinweis auf die rechtliche Einordnung des Disagios, Motive II, 1888, S. 197. 363 „Die landesgesetzlichen Verbote, die Zinsen durch Abzug vom Kapitale im Voraus zu erheben oder sich bei Eingehung des Geschäftes vorausbezahlen zu lassen, sind, wenn und soweit solche nicht schon durch das R. Gesetz vom 14. November 1867 hinfällig geworden sein sollten, durch den Entwurf § 358 beseitigt.“, Motive II, 1888, S. 197. 364 Es spricht aber einiges dafür. Denn die Motive verweisen darauf, dass derartige Verbote bereits durch das Reichsgesetz, welches die Zinsfreiheit eingeführt hat, hinfällig geworden sind. Wenn die landesgesetzlichen Verbote aus demselben Grund auch jetzt beseitigt sein sollen, spricht es dafür, dass derartige Vereinbarungen durch
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war die Verzinsung von Disagios bereits vor der Einführung des BGB umstritten.365 Auch nach Einführung des BGB musste dies dementsprechend unterschiedlich beurteilt werden.366 Damit bestätigte sich jedenfalls die historisch zugrunde gelegte Wertung auch nach Einführung in der Anwendung der Norm. b) Normanwendung heute Fraglich ist, ob der Schutz des Schwächeren in den Normen bis heute fortwirkt. Dies wäre dann der Fall, wenn beide Bestimmungen auch heute noch dem Schutz des Schwächeren dienen sollen. Außerdem gilt es zu überprüfen, welcher praktische Anwendungsbereich den Normen heute zukommt. aa) Zweck des § 138 Abs. 2 BGB An dem Zweck des Wucherverbots hat sich nichts geändert, es dient auch heute noch dem Schutz des Schwächeren vor Ausbeutung durch seinen Vertragspartner.367 Vielmehr wurden durch eine Novellierung der Norm durch das Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität im Jahre 1976368 die Anforderungen an die Erfüllung des Wuchertatbestandes sogar gesenkt: Statt einer „Notlage“ reicht seitdem das Vorliegen einer „Zwangslage“ aus, statt „Leichtsinn“ genügt ein Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche.369 Diese Änderungen verstärkten den Schutz des Schwächeren. bb) Praktischer Anwendungsbereich des § 138 Abs. 2 BGB Allerdings ist der praktische Anwendungsbereich von § 138 Abs. 2 BGB sehr eingeschränkt. Da Wucher nach § 291 StGB auch strafbar ist, erfüllt das Wuchergeschäft zugleich die Voraussetzungen des gesetzlichen Verbotes aus das BGB zugelassen sind. So auch Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1624. 365 Neumann, Geschichte des Wuchers in Deutschland, 1865, S. 441 f.; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 829. 366 Vgl. Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 829. 367 Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 514, Rn. 41; Hefermehl, in: Soergel-BGB, 13. Aufl. 1999, § 138, Rn. 70; Wendtland, in: BeckOK-BGB, Stand 1.8.2015, § 138, Rn. 40. 368 Vgl. BT-Drucks 7/3441, S. 40 ff. 369 Hefermehl, in: Soergel-BGB, 13. Aufl. 1999, § 138, Rn. 70; Sack/Fischinger, in: Staudinger-BGB, Neub. 2011, § 138, Rn. 201.
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§ 134 BGB.370 Nach einer Auffassung geht die Verbotsnorm des § 134 BGB dem § 138 Abs. 2 BGB in der Anwendung vor.371 Weil sich das Wucherverbot inhaltlich mit dem strafrechtlichen Verbot decke, habe das Wucherverbot nach Mansel noch nicht einmal einen theoretischen Anwendungsbereich, sei daher gegenstandslos.372 Nach wohl herrschender Auffassung bleiben beide Vorschriften jedoch nebeneinander anwendbar.373 Sack / Fischinger vertritt darüber hinaus sogar die Auffassung, die zivilrechtliche Spezialregelung des § 138 Abs. 2 BGB verdränge das Gesetzeswidrigkeitsblankett des § 134 BGB.374 Armbrüster sieht jedoch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zu wucherähnlichen Geschäften die praktische Bedeutung der Norm dennoch als erheblich eingeschränkt an.375 In der Tat geht zwar § 138 Abs. 2 BGB der allgemeinen Sittenwidrigkeit vor, jedoch kann bei Fehlen eines für den Wuchertatbestand erforderlichen Merkmals unter Hinzutreten weiterer Umstände die Nichtigkeit zumeist wegen eines „wucherähnlichen Rechtsgeschäfts“ angenommen werden.376 Deswegen wird die Norm zwar tatsächlich häufig geprüft, aber angesichts der hohen Anforderungen an das Vorliegen eines „besonders groben“ oder auch nur „auffälligen“ Missverhältnisses kaum als verletzt angesehen.377 Der Grundgedanke des Wucherverbotes hat trotz des schwindenden Anwendungsbereichs von § 138 Abs. 2 BGB nicht an Relevanz verloren.378 370 Mansel, in: Jauernig-BGB, 15. Aufl. 2014, § 138, Rn. 19; Sack/Fischinger, in: Staudinger-BGB, Neub. 2011, § 138, Rn. 202. 371 Mansel, in: Jauernig-BGB, 15. Aufl. 2014, § 138, Rn. 19. 372 Mansel, in: Jauernig-BGB, 15. Aufl. 2014, § 138, Rn. 19; vgl. Hefermehl, in: Soergel-BGB, 13. Aufl. 1999, § 138, Rn. 70. 373 Armbrüster, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 138, Rn. 140; Ellenberger, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 138, Rn. 65; Palm/Arnold, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 138, Rn. 10; Sack/Fischinger, in: Staudinger-BGB, Neub. 2011, § 138, Rn. 202. 374 Sack/Fischinger, in: Staudinger-BGB, Neub. 2011, § 138, Rn. 202. 375 Armbrüster, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 138, Rn. 142; vgl. Ellenberger, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 138, Rn. 65. 376 Hefermehl, in: Soergel-BGB, 13. Aufl. 1999, § 138, Rn. 73; Palm/Arnold, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 138, Rn. 11; Sack/Fischinger, in: Staudinger-BGB, Neub. 2011, § 138, Rn. 200, 267. 377 Vgl. Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, Festgabe Coing, 1982, S. 204; Sack/Fischinger, in: Staudinger-BGB, Neub. 2011, § 138, Rn. 267. Zu den hohen Anforderungen bspw. OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.02.2015, VI-U (Kart) 14/14, U (Kart) 14/14 –, juris Tz. 14 ff.; OLG München, Urt. v. 08.10.2014, 20 U 154/14, juris Tz. 61 ff.; OLG Oldenburg (Oldenburg), Urt. v. 02.10.2014, 1 U 61/14, RNotZ 2015, 159 f.; OLG München, Urt. v. 19.03.2014, 20 U 5031/13, NotBZ 2015, 275 f. 378 s. auch die zahlreichen Anwendungsfälle in Sack/Fischinger, in: StaudingerBGB, Neub. 2011, § 138, Rn. 208 ff. und Hefermehl, in: Soergel-BGB, 13. Aufl. 1999, § 138, Rn. 76 ff.
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Denn nach allen Auffassungen wird bei Vorliegen eines groben Missverhältnisses Nichtigkeit wegen Wuchers angenommen; ob gemäß § 134 BGB, wegen Sittenwidrigkeit als wucherähnliches Geschäft § 138 Abs. 1 BGB oder tatsächlich gemäß § 138 Abs. 2 BGB.379 Insbesondere wird über § 138 Abs. 1 BGB der Grundgedanke der laesio enormis, der Schutz gegen Übervorteilung, bis heute fortgeführt, auch wenn die Figur selbst abgelehnt wird.380 Der christliche Grundgedanke haftet hierdurch der Figur des wucherähnlichen Geschäfts ebenso an wie den seltenen Anwendungsfällen des § 138 Abs. 2 BGB. Mit Blick auf mögliche neue Fallgruppen des Wucherverbotes gewinnt der Grundgedanke des Schutzes des Schwächeren vor Ausbeutung darüber hinaus an Bedeutung.381 cc) Zinseszinsverbot des § 248 BGB als reine Transparenzvorschrift? In der Frage, welchen Zweck § 248 BGB heute erfüllt, herrscht dagegen Uneinigkeit.382 Einer vordringenden Auffassung nach durchläuft das Zinseszinsverbot im 21. Jahrhundert einen Bedeutungswandel.383 Die Aufgabe des Schutzes des Schwächeren vor Ausbeutung sei danach § 138 Abs. 2 BGB zuzuweisen, während § 248 BGB heute ausschließlich der Zinsklarheit diene.384 Damit stehe anders als 1900 nicht mehr der Schutz vor einem gewissen Vertragsinhalt – nämlich einer gefährlichen Zinshöhe –, sondern vor fehlen379 Vgl. Armbrüster, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 138, Rn. 140; Mansel, in: Jauernig-BGB, 15. Aufl. 2014, § 138, Rn. 19. 380 So sieht der BGH ein Kreditgeschäft dann als sittenwidrig an, wenn doppelt so hohe Zinsen wie üblich verlangt werden. Das Vorliegen des subjektiven Momentes wird dann vermutet. S. BGH, Beschluss v. 13.07.1989, III ZR 201/88, NJW-RR 1989, 1068; s. auch BGH, Urt. v. 12.03.1981, III ZR 92/79, NJW 1981, 1206 ff.; vgl. Hackl, Zu den Wurzeln der Anfechtung wegen laesio enormis, 1981, S. 161; Mayer-Maly, Rennaissance der laesio enormis?, FS Karl Larenz 1983, S. 401. 381 So insbesondere bei Geschäften mit Flüchtlingen, die typischerweise wegen ihrer „Unerfahrenheit“ als Fremde in einem neuen Land in eine Fallgruppe des Wucherverbotes fallen. Zur Ausbeutung von Flüchtlingen durch überhohe Maklergebühren, zu Löwenstein, Lukrative Willkommenskultur, Artikel v. 1.12.2015, FAZ Nr. 279, S. 9. 382 Vgl. Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 513, Rn. 41; Grüneberg, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 248, Rn. 1; Schmidt, in: Staudinger-BGB, 1997, § 248, Rn. 2. 383 Zusammenfassende Darstellung bei Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 514, Rn. 41; vgl. Schmidt, in: Staudinger-BGB, 1997, § 248, Rn. 2. 384 Grothe, in: BeckOK-BGB, Stand v. 1.2.2014, § 248, Rn. 1; Grundmann, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 248, Rn. 1; Schaub, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 248, Rn. 1; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 830 und Schmidt, in: Staudinger-BGB, 1997, § 248, Rn. 2; anders Berger, der die Transparenzfunktion neben dem Schutz vor anschwellender Zinslast anerkennt, in: JauernigBGB, 15. Aufl. 2014, Rn. 1; Schulze, in: Schulze-BGB, 8. Aufl. 2014, § 248, Rn. 1.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
der Vorhersehbarkeit im Vordergrund.385 Dies würde bedeuten, dass der christliche Ursprungsgedanke des Schutzes des Schwächeren der Norm nicht mehr anhaftete. Unter Bezugnahme auf den gemeinrechtlichen Hintergrund des Zinseszinsverbotes erläutert Schmidt, das Zinseszinsverbot habe nie einen deklarierten Zweck verfolgt und sei deswegen vielfach umgangen worden.386 Zwar sei in den Motiven der Schuldnerschutz angesprochen, aber nicht weiter konkretisiert worden.387 Dabei sieht er allerdings den historischen Zusammenhang mit dem Wucherverbot als unbestritten an.388 Der Schuldnerschutz habe heute seinen rechten Platz allein bei der Inhaltskontrolle von Verträgen und nicht mehr beim Verbot des Anatozismus.389 § 248 ΒGB diene dem Gebot der Rechtsklarheit.390 Nur zu diesem Zweck sei es sinnvoll, die Vorausabrede von Zinseszinsen mit Nichtigkeit zu sanktionieren.391 Die Transparenzfunktion sei „ein vom Normzweck diktiertes Ergebnis“.392 Unter Verweis auf die Auslegung als reine Zinsklarheit-Vorschrift wird das Zinseszinsverbot in der Tat vielfach umgangen.393 Andere gehen davon aus, dass der Zweck des Zinseszinsverbotes bis in die jüngere Zeit hinein der Schutz vor Ausbeutung gewesen ist, indem der Schuldner vor einer zu hohen, „lawinenartig anschwellenden“ Zinsbelastung bewahrt wird.394 So sieht Reifner, wie Schmidt unter Verweis auf die 385 Grundmann, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 248, Rn. 1; Schaub, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 248, Rn. 1; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 830; i. E. auch Grüneberg, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 248, Rn. 1; unter Berufung auf Schmidt auch OLG Köln, Urt. v. 12.02.1992, 11 U 196/91, VersR 1992, 881. 386 Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 830; unter Berufung auf Schmidt auch OLG Köln, Urt. v. 12.02.1992, 11 U 196/91, VersR 1992, 881. 387 Vgl. Schmidt, in: Staudinger-BGB, 1997, § 248, Rn. 2; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 830. 388 „Der enge historische Zusammenhang mit dem Wucherverbot enthält Elemente des Ausbeutungsgedankens, die bis in die gegenwärtige Praxis hineinwirken, aber überwunden werden müssen.“; Schmidt, in: Staudinger-BGB, 1997, § 248, Rn. 2. 389 Schmidt, in: Staudinger-BGB, 1997, § 248, Rn. 2. 390 Vgl. Schaub, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 248, Rn. 1, der den Überschuldungsschutz nur als zusätzlich verwirklichten Zweck der Norm sieht; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 831. 391 So Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 831; Schmidt, in: StaudingerBGB, 1997, § 248, Rn. 24. 392 Vgl. Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 831; zustimmend Grundmann, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 248, Rn. 1. 393 Reifner nennt dies einen „Erosionsprozess“, vgl. Zinseszinsverbot im Verbraucherkredit, NJW 1992, S. 338 f.; s. auch Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1617 ff. 394 Arnold, in: Soergel-BGB, 13. Aufl. 1999, § 248, Rn. 1; Berger, in: JauernigBGB, 15. Aufl. 2014, Rn. 1; vgl. Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1618 f.; Grüneberg, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 248, Rn. 1; Reifner, Zinses-
II. Barmherzigkeit am Beispiel des Wucher- und Zinseszinsverbots 117
Gesetzesbegründung, den Zweck der Regelung im Überschuldungsschutz vor Zinskumulation.395 Reifner kommt zu dem Ergebnis, das Zinseszinsverbot habe noch wichtigere Funktionen bei der Verhinderung von Überschuldung als Aufklärung, Insolvenzrecht und Wucherrechtsprechung.396 So weist auch Dorn darauf hin, dass das Verständnis einer reinen Transparenzfunktion des § 248 BGB sich noch nicht durchgesetzt habe.397 dd) Bedeutungswandel des § 248 BGB am Beispiel des Disagios Die Uneinigkeit in der Frage des Schutzzwecks der Norm lässt sich beispielhaft an der Zwiespältigkeit der Anwendung des Zinseszinsverbotes in der Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Verzinsung von Disagios darstellen.398 Wer in der Norm des § 248 BGB ein Verbot von Zinseszinsen zum Schutz des Schuldners sieht, erkennt in der Verzinsung des Disagios einen Verstoß gegen das Zinseszinsverbot.399 Denn wenn es der Zweck der Norm ist, derartige Vereinbarungen zu verbieten, ist das Disagio lediglich eine Umgehung der Norm. Wer in § 248 BGB dagegen eine Vorschrift zur Zinsklarheit sieht, verneint den Verstoß gegen das Verbot. Denn gerade bei einem Disagio kann der Schuldner genau berechnen, welche Zinseszinsen auf ihn zukommen werden. Der Zinsklarheit wäre dann genüge getan.400 Entsprechend wurden in der näheren Vergangenheit auch in der Rechtsprechung unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten.401 Unter Verweis auf Schmidt und dessen rechtshistorischen Ansatz sah das OLG Köln 1992 und zinsverbot im Verbraucherkredit, NJW 1992, S: 337 ff.; Schulze, in: Schulze-BGB, 8. Aufl. 2014, § 248, Rn. 1; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 513, Rn. 41. 395 Reifner, Zinseszinsverbot im Verbraucherkredit, NJW 1992, S. 339; so auch Berger, in: Jauernig-BGB, 15. Aufl. 2014, Rn. 1 und Schulze, in: Schulze-BGB, 8. Aufl. 2014, § 248, Rn. 1; anders Schmidt, der unter Verweis auf die Übernahme aus dem gemeinen Recht zu dem Ergebnis kommt, dass das Zinseszinsverbot keinen tieferen Zweck verfolgte; „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 829. 396 Reifner, Zinseszinsverbot im Verbraucherkredit, NJW 1992, S. 343; i. E. auch Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 834. 397 Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 514, Rn. 41; s. auch Arnold, in: Soergel-BGB, 13. Aufl. 1999, § 248, Rn. 1; Vgl. Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1617 ff. 398 Vgl. Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1623 f. 399 So Bezzenberger für den Fall, dass es sich um ein Darlehen handelt, das nicht in Teilzahlungen zurück gezahlt werden soll. Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1623. 400 Vgl. Schaub, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 248, Rn. 1, der den Überschuldungsschutz nur als mit verwirklichten Zweck der Norm erachtet; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 831. 401 OLG Köln, Urt. v. 23.09.1966, 4 U 254/65, NJW 1966, 1114 f. und Urt. v. 12.02.1992, 11 U 196/91, WM 1992, 603 ff.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
1999 der BGH in der Vereinbarung eines Disagios, das als Teil der Darlehenssumme mit dieser verrechnet und daher auch mit dieser verzinst wurde, keinen Verstoß gegen § 248 BGB.402 Denn bei der Vereinbarung des Disagios durch die Bank wäre dem Gebot der Rechtsklarheit ausreichend Rechnung getragen worden.403 Unter Verweis auf dieselben Ausführungen der Motive hat das OLG Köln 1966 ebenso wie der BGH404 noch im Jahr 1989 in einem gleich gelagerten Fall entschieden, die Verzinsung eines Disagios verstoße gegen das Zinseszinsverbot.405 Damals entnahm das OLG Köln den Motiven noch die Funktion des Schuldnerschutzes für das Zinseszinsverbot, die durch die Verzinsung des Disagios verletzt werde.406 Das Transparenzgebot fand zur Begründung keine Erwähnung.407 Trotz der noch divergierenden Auffassungen zu dem Zweck des Zinseszinsverbotes, weist die Verengung des Anwendungsbereichs von § 248 BGB auf eine Tendenz zur graduellen Abschaffung der Norm hin.408 Während das Verbot restriktiv angewendet wird, werden Ausnahmen409 möglichst weit ausgelegt.410 Letztlich wird eine gegen § 248 BGB verstoßende Zinsverein402 Vgl. OLG Köln, Urt. v. 12.02.1992, 11 U 196/91, VersR 1992, 881; so auch BGH, Urt. v. 09.11.1999, XI ZR 311/98, NJW 2000, 352; vgl. Arnold, in: SoergelBGB, 13. Aufl. 1999, § 248, Rn. 8; Grüneberg, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 248, Rn. 1; Schaub, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 248, Rn. 1. 403 „Diese Einstufung führt hier aber nicht zur Annahme eines Zinseszinsverbots. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ein Disagio (…) nicht verboten. Davon ist selbst dann auszugehen, wenn das Disagio rechnerisch auf die Inanspruchnahme von Zinseszinsen hinausläuft. Denn die für unerlaubte Zinseszinsvereinbarung charakteristische Ungewißheit über die Höhe des Zinses tritt bei vertragsmäßig feststehender Dauer nicht ein.“, OLG Köln, Urt. v. 12.02.1992, 11 U 196/91, VersR 1992, 881. 404 BGH, Urt. v. 01.06.1989, III ZR 219/87, WM 1989, 1011 ff. 405 Vgl. OLG Köln, Urt. v. 23.09.1966, 4 U 254/65, NJW 1966, 2217 f.; so auch Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1623. 406 „Schließlich dienen die gesetzlichen Verbote in den §§ 248 und 289 BGB dem Schuldnerschutz, es sind zwingende Vorschriften, welche nicht durch mißbräuchliche Gestaltung umgangen werden können.“, OLG Köln, Urt. v. 23.09.1966, 4 U 254/65, NJW 1966, 2217 f.; so auch Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1623. 407 OLG Köln, Urt. v. 23.09.1966, 4 U 254/65, NJW 1966, 2217 f. 408 Vgl. Berger, in: Jauernig-BGB, 15. Aufl. 2014, Rn. 3; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 514, Rn. 41; Grundmann, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 248, Rn. 10 ff.; Schaub, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 248, Rn. 1; Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 833 ff. 409 § 248 Abs. 2 BGB sowie § 355 HGB; vgl. Grundmann, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 248, Rn. 10 ff.; Schulze, in: Schulze-BGB, 8. Aufl. 2014, § 248, Rn. 4. 410 Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 514, Rn. 41; Grundmann, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 248, Rn. 10 ff.; Schaub, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 248, Rn. 1.
II. Barmherzigkeit am Beispiel des Wucher- und Zinseszinsverbots 119
barung heute nur noch dann angenommen, wenn bei einer im Voraus getroffenen Abrede der zu verzinsende Zins nicht summenmäßig bekannt ist.411 Andernfalls soll die Absprache wirksam sein, denn der Darlehensnehmer wisse, welche Summen auf ihn zukommen.412 In diesem Sinne schlägt Grundmann eine teleologische Reduktion im Sinne des Rechtsklarheitsgebotes vor, solange Informationsgebote Vorhersehbarkeit bieten.413 Damit ähnelt das Zinseszinsverbot im Ergebnis den Transparenzvorschriften des Verbraucherrechts.414 Entbehrlich soll es wegen seiner strengen Sanktion ebenso wie des großen Schutzkreises der Norm aber dennoch nicht sein.415 ee) Zweck des § 289 BGB Das Zinseszinsverbot des § 289 BGB verfolgt im Gegensatz dazu noch seinen ursprünglichen Zweck: Den Schutz des Schuldners vor einer nicht überschaubaren Zinskumulation.416 Ebenso wie das Zinseszinsverbot des § 248 BGB ist es aber zum Schutz des Schuldners vor Zinseszinsen in der Bankpraxis von geringer Bedeutung.417 Denn § 288 S. 2 BGB gibt einen Anspruch auf Schadensersatz für die Verzögerung der Zahlung von Verzugszinsen, dessen Schadenshöhe bankenfreundlich abstrakt und nicht konkret berechnet wird.418 Schuldnerschützend ist daher nur noch das Erfordernis der Mahnung und des Verschuldens der Verzögerung.419
411 Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 514, Rn. 41; vgl. Grüneberg, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 248, Rn. 2. 412 Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 514, Rn. 41. 413 Grundmann, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 248, Rn. 1; a. A. Bezzenberger, Verbot des Zinseszinses, WM 2002 (32), S. 1621. 414 § 492 BGB, § 6 PreisangabenVO; Dorn, in: HKK-BGB, 2003, §§ 246–248, S. 514, Rn. 41. 415 So Schmidt, „Zinseszinsverbot“, JZ 1982, S. 834 f. 416 Unberath, in: BeckOK-BGB, 39. Edition, § 289, Rn. 1. 417 Löwisch/Feldmann, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 289, Rn. 1; Stadler, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 289, Rn. 1; Unberath, in: BeckOK-BGB, 39. Edition, § 289, Rn. 1. 418 „Der Gläubiger kann als Schadensersatz nach §§ 286 Abs. 1, 289 S. 2 BGB Zinsen von Verzugszinsen verlangen, wenn er den Schuldner wegen rückständiger Verzugszinsbeträge wirksam in Verzug gesetzt hat.“, BGH, Urt. v. 09.02.1993, XI ZR 88/92, NJW 1993, 1260 ff.; vgl. Ernst, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2016, § 289, Rn. 1; Löwisch/Feldmann, in: StaudingerKomm-BGB, 2014, § 289, Rn. 1; Unberath, in: BeckOK-BGB, 39. Edition, § 289, Rn. 1. 419 Vgl. Stadler, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 289, Rn. 1; Unberath, in: BeckOK-BGB, 39. Edition, § 289, Rn. 1.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
5. Ergebnis Mit den Wucherregelungen des BGB in Gestalt des Wucherverbotes ebenso wie der des wucherähnlichen Geschäftes und des Zinseszinsverbotes finden sich (noch) drei Beispiele des Wertungsimports der christlichen misericordia in das BGB,420 das sich grundsätzlich zur Vertragsfreiheit bekennt. Die christliche Nächstenliebe zog sich in diesem Zusammenhang durch die justinianischen Zinsbeschränkungen, ebenso wie das kanonische Zinsverbot bis hin zum Einsatz des von Funk beeinflussten Zentrums für das Wuchergesetz durch die Geschichte der Wucherbekämpfung. Dieser Import wurde nicht explizit benannt, liegt aber angesichts der vorherrschenden Problemsituation des Gesetzgebers nahe. Dabei kann festgestellt werden, dass das Wucherverbot der christlichen Wertung auch heute noch Rechnung trägt. Das Zinseszinsverbot durchläuft dagegen eine Entwicklung zu einer „Schalennorm“, die noch nicht abgeschlossen ist. Während die Schale nach wie vor die Wertungen der gemeinrechtlich-christlichen Tradition des Zinseszinsverbotes trägt, ist der inhaltliche Kern nahezu ausgehöhlt und einer reinen Formvorschrift bzw. einem umgehbaren Hindernis gewichen. Der Schutzgedanke der Barmherzigkeit hat an dieser Stelle an Bedeutung eingebüßt. Der Wertungsimport, der sich dennoch aus der Historie der untersuchten Verbote ergibt, demonstriert, dass die institutionelle Verzahnung von Staat und Kirche auch im Zivilrecht ihre materiellen Spuren hinterlassen hat und sich auch an diesen Normen der Einfluss durch christliche Werte feststellen lässt.
III. Liebestätigkeit und Sozialverpflichtung des Eigentumsam Beispiel von § 2072 BGB Wenn unter I. erwähnt wurde, dass die Nächstenliebe sich in mehreren Normen des BGB niedergeschlagen hat, so ist damit auch ihre zweite Ausprägung, die Liebestätigkeit, gemeint. Um den Einfluss der Liebestätigkeit auf die Auslegungsregel des § 2072 BGB zu untersuchen, soll nach einer kurzen Einleitung in den Wert der Liebestätigkeit und in die hierdurch beeinflusste Auslegungsregel des § 2072 BGB (1.) die Problemsituation vorgestellt werden, vor welcher der Gesetzgeber bei Normerlass stand (2.). Sodann wird die Vorbildregelung des § 2072 BGB einschließlich der ihr zugrunde liegenden Wertung der Liebestätigkeit und ihres Zusammenhang mit dem germanischen Kult der Seelgeräte dargestellt (3.). Anschließend soll mittels einer Analyse der Lösung des Gesetzgebers nachgewiesen werden, dass durch den Normerlass die Wertung, die hinter den Auslegungsregeln des Codex Justinianus steht, importiert worden ist (4.). Zuletzt wird zu über420 Vgl.
auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 77.
III. Liebestätigkeit und Sozialverpflichtung des Eigentums 121
prüfen sein, ob der auf diese Weise erfolgte Import der Liebestätigkeit bis heute in der Norm fortwirkt (5.). 1. Einleitung Die Nächstenliebe fordert die Christen wie unter I.1.a) dargestellt auf, gute Werke zu tun.421 Die Liebestätigkeit (caritas) ist das Werk für die Liebe durch aktive Tätigkeit.422 Sie wird auch als amor benevolentiae, selbstlose Liebe, bezeichnet und meint ein „Verhalten, das anderen wohlwollend, zuvorkommend und auf diese Weise ihnen Vorleistungen entgegenbringend“ zuwendet.423 Grund auch für diese Form der Nächstenliebe ist es, dass die Liebe und die Tat am Nächsten stets Ausdruck der Gottesliebe ist.424 In Ausübung der caritas wird bis heute in christlichen Gottesdiensten die Kollekte für wohltätige Zwecke eingesammelt, zudem wurden zahlreiche Stiftungen ins Leben gerufen425 und Krankenhäuser sowie Hospize426 gegründet. Mit der Liebestätigkeit hängt auch ein weiterer christlicher Wert eng zusammen: die Sozialverpflichtung des Eigentums. Die Aufforderung zum Liebesdienst und die Verpflichtung, Eigentum zu teilen, waren die conditio sine qua non für die Entstehung der Auslegungsregel des § 2072 BGB im Erbrecht.427 421 „Wenn jemand Vermögen hat und sein Herz vor dem Bruder verschließt, den er in Not sieht, wie kann die Gottesliebe in ihm bleiben?“, 1. Joh 3, 17 f.; v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 35; Hörmann, Lexikon der christlichen Moral, 1976, S. 1113; Schneider, Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 169. 422 v. Campenhausen, Geschichte des Stiftungswesens, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, 1998, S. 27. 423 Tafferner, Gottes- und Nächstenliebe, 1992, S. 287. 424 „Wenn einer sagt: Ich liebe Gott, aber seinen Bruder hasst, so ist er ein Lügner. Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?“, Joh 4, 20, sowie 4, 12; 4, 16; 17, 26; Warnach, Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe im Aufbau der Gemeinschaft nach dem Neuen Testament, 1967, S. 301. S. dazu oben C.I.1.a). 425 „Die große Wendung in der Geschichte des Stiftungsrechts brachte der Sieg des Christentums. Erst auf dem Boden der christlichen Kirche sind über die Ansätze hinaus, (…) wirkliche Stiftungen (…) entstanden.“, Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band 1, Geschichte des Stiftungsrechts, 1963, S. 24; zit. in v. Campenhausen, Geschichte des Stiftungswesens, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, 1998, S. 27. 426 v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 35. 427 Becker, Spuren des kanonischen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1999, S. 163; v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 52; v. Campenhausen, in: Seifart/ders., Stiftungsrechts-Handbuch, 2009, § 5, Rn. 5 ff.; Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band I, 1963, S. 23 ff.; Schulze, Gegenwart des Vergangenen – Zu Stand und Aufgaben der Stiftungsrechtsgeschichte, 2001, S. 58.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
§ 2072 BGB ordnet für Verfügungen von Todes wegen, in denen ohne nähere Bestimmung „die Armen“ bedacht werden, an, dass im Zweifel die öffentliche Armenkasse am letzten Wohnsitz des Erblassers bedacht sein soll. Dies wird unter der Auflage angeordnet, das Erbe an die Armen zu verteilen.428 Eine solche Regel ist notwendig, weil bei einer Verfügung an „die Armen“ der bedachte Personenkreis nicht nach objektiven Kriterien bestimmbar ist. Der Erblasser darf die Bestimmung des Zuwendungsempfängers aber nicht der Willkür eines Dritten überlassen, § 2065 Abs. 2 BGB. Indem § 2072 BGB eine Anordnung für den Zweifelsfall trifft, wird daher Verfügungen von Todes wegen zur Wirksamkeit verholfen, die andernfalls wegen ihrer Unbestimmtheit gemäß § 2065 BGB nichtig wären.429 2. Problemsituation Zu Zeiten der Entstehung des BGB wurde häufig von Todes wegen zugunsten „der Armen“ verfügt.430 In diesem Fall standen Hinterbliebene ebenso wie Richter vor dem praktischen Problem, dass sie nicht wussten, an wen das Vermögen konkret zu verteilen war. Sind die Armen als eine Korporation bedacht und damit als juristische Person erbfähig?431 Oder ist es eine Auflage, die der executor universalis, die Kirche, oder eine öffentliche Institution und wenn ja, welche, umzusetzen hat?432 Die Redaktoren sahen daher die Notwendigkeit, eine Auslegungsregel für derartige Verfügungen in das BGB aufzunehmen.433 Die Regelung sollte bestimmen, wer in Zweifelsfällen als „bedacht“ gilt, wenn der Erblasser sein Vermögen den „Armen“ überträgt.
428 Wortlaut der Norm: „Hat der Erblasser die Armen ohne nähere Bestimmung bedacht, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die öffentliche Armenkasse der Gemeinde, in deren Bezirk er seinen letzten Wohnsitz gehabt hat, unter der Auflage bedacht ist, das Zugewendete unter Arme zu verteilen.“ (§ 2072 BGB). 429 Leipold, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 2065, Rn. 37; vgl. LenzBrendel, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 2072, Rn. 1; Litzenburger, in: BeckOK-BGB, Stand 1.8.2015, § 2072, Rn. 1; Loritz, in: Soergel-BGB, 13, Aufl. 2003, § 2072, Rn. 1; Schmidt, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 2072, Rn. 2; Weidlich, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 2072, Rn. 1. 430 „Die Verfügung des Erblassers zu Gunsten der Armen kann nicht wohl in dem Sinne verstanden werden, dass sämtliche Arme als Einzelne bedacht werden sollen, ganz abgesehen von der schwierigen Feststellung, welche Person ‚Arme‘ sind.“, Motive V, 1888, S. 39. 431 Vgl. Pleimes, Irrwege der Dogmatik im Stiftungsrecht, 1954, S. 18. 432 Vgl. Pleimes, Irrwege der Dogmatik im Stiftungsrecht, 1954, S. 19. 433 „Solche Verfügungen kommen aber häufig vor. Eine Regelung erscheint daher angemessen und den praktischen Bedürfnissen entsprechend.“, Motive V, 1888, S. 39.
III. Liebestätigkeit und Sozialverpflichtung des Eigentums 123
3. Vorbildregelung im Codex Justinanus und deren Wertungen Solche Regelungen sah bereits der Codex Justinianus vor (a)), auf den in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich Bezug genommen wird.434 Andere landesgesetzliche Regelungen beinhalteten dem Codex ähnelnde Auslegungsregeln über die Zuwendung an die Armen, die Kirche oder zu einem anderweitigen wohltätigen Zweck.435 Der Ursprung der letztgenannten Regelungen liegt jedoch auch im Codex Justinianus und der ihm zugrunde liegenden christlichen Tradition.436 Daher sollen im Anschluss die Regeln des Codex Justinianus und die ihnen zugrunde liegenden Wertungen, ihr theologischer Hintergrund, vorgestellt werden. a) Auslegungsregeln im Codex Justinianus Im gemeinen Recht ebenso wie den Vorschriften des Sächsischen BGB standen nach dem Vorbild des Codex Justinianus Verfügungen zu frommen Zwecken, ad pias causas, unter besonderem Schutz. Im Zweifelsfall war stets zugunsten der piae causae zu entscheiden.437 Auslegungsregeln bestimmten, wer als bedacht galt und wie die Auflagen umzusetzen waren.438 434 So heißt es zu der Möglichkeit ergänzender Regelungen zur Armenregel: „Im geltenden Recht findet sich etwas ähnliches nicht, wenn man absieht von einer Vorschrift Justinians zugunsten der Armen und Gefangenen, auf welche verwiesen werden könnte.“, Motive V, 1888, S. 40; s. auch die Verweise in Mugdan, Materialien V, 1979, S. 533. Beide zeigen, dass den Redaktoren der Codex und dessen Bestimmungen bekannt waren. 435 U. a. § 2164 des Sächsischen Gesetzbuches: „Wenn den Armen, ohne nähere Bezeichnung derselben, in einem letzten Willen etwas zugewendet wird, so sind darunter die Armen des Ortes zu verstehen, an welchem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz gehabt hat. Was den Armen durch den letzten Willen zugewendet wird, ist im Zweifel zur Verfügung der zuständigen Armenverfolgungsbehörde zu stellen.“ Und § 2165 des Sächsischen Gesetzbuches: „Hat ein Erblasser zugunsten der Kirche, ohne nähere Bestimmung derselben, letztwillig verfügt, so ist darunter die Kirche des Ortes zu verstehen, an dem der Erblasser zuletzt seinen Wohnsitz gehabt hat. (…)“. s. den Verweis bei Motive V, 1888, S. 39. 436 Das wird nicht zuletzt an § 2165 des Sächsischen Gesetzbuches deutlich. Dieser übernimmt ganz in justinianischer Tradition die Auslegungsbestimmungen für Verfügungen zugunsten der Kirche. s. zu diesen Regelungen den nachfolgenden Abschnitt a). 437 Berman, Law and Revolution, 1985, S. 232; Coing, Europäisches Privatrecht I, 1985, S. 595; Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation, 2001, S. 48; Schulze, Gegenwart des Vergangenen – Zu Stand und Aufgaben der Stiftungsrechtsgeschichte, 2001, S. 58; vgl. v. Gierke, Genossenschaftsrecht IV, 1954, S. 69. 438 So heißt es beispielsweise in C 1, 3, 41, 13: „Es ist nämlich unbezweifelt, dass jeder, der dem Vorsteher eines Spitals, Krankenhauses, Lazarettes oder Waisenhauses, entweder schriftlich oder mündlich etwas hinterlässt oder schenkt, dies bloß
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Das Vermögen sollte dabei zumeist einer kirchlichen oder sonst karitativen Stelle am Ort des letzten Aufenthalts des Erblassers zufallen, die es nach eigenem Ermessen verteilen sollte. Der Codex Justinianus wies folgende Bestimmungen auf: „Ein Testament, oder eine Erklärung letzten Willens, das zugunsten der Armen errichtet worden ist, soll nicht etwa, als ob es unbestimmte Personen beträfe, als ungültig betrachtet werden, sondern in jeder Hinsicht wirksam und in Kraft bleiben.“439
Und: „Wenn aber die Armen auf unbestimmte Art zu Erben eingesetzt sind, so soll das Hospital an dem betreffenden Orte die Erbschaft in Beschlag nehmen und durch seinen Vorsteher das Vermögen unter die Kranken verteilen lassen.“440
Folglich suchte schon das spätrömische Recht eine Lösung dafür, wie ein Vermächtnis auszulegen ist, das unbestimmt „die Armen“ bedenkt.441 Wie kam es aber dazu, dass in einer Verfügung von Todes wegen pauschal „die Armen“ bedacht wurden und nicht Angehörige des Erblassers? Der Grund für derartige Verfügungen liegt in der kirchlichen Lehre vom Seelteil, der portio Christi. Justinian nimmt mit seinen Regelungen auf eine von Augustinus442 angeregte Testamentspraxis Bezug. Da die Lehre Ursprung und Grund für Verfügungen zu Zeiten Justinians wie auch zu Zeiten der Entstehung des BGB waren,443 sollen die Lehre und die ihr zugrunde liegenden Wertungen im Folgenden dargestellt werden. deshalb gegeben hat, damit es derselbe zu frommen Zwecken verwende, weil Die, welche solchen Anstalten vorstehen, die meiste Gelegenheit und auch die Vermutung der Wohltätigkeit für sich haben.“; oder: C 1, 3, 45: „Wir befehlen, dass, wenn Jemand auf den Todesfall entweder durch Erbeinsetzung, oder durch Vermächtnis mit oder ohne Auflage, Schenkung auf den Todesfall oder auf andere gesetzliche Weise, einer frommen Stiftung etwas hinterlassen und dem derzeitigen Bischof die Vollstreckung dieses letzten Willens übertragen oder auch hiervon nichts gesagt, oder sogar das Gegenteil festgesetzt hat, die Erben dennoch verbunden sind, das, was verordnet worden, in alle Wege zu erfüllen und auszuführen.“ Und C 1, 3, 45, 3a: „Wenn aber die Verstorbenen für die Verwaltung Niemanden ausdrücklich bezeichnet, sondern alles der Willkür der Erben überlassen, diese aber sich nachlässig gezeigt haben, so sollen die gottgeliebten Bischöfe sogleich die Verwaltung übernehmen und die oben erwähnten Personen als Vorsteher der Armen- und Krankenhäuser usw., welche ebenfalls die Ehre Gottes im Sinne tragen, anstellen, damit durch Geschick und Gewandtheit alles das zum Ziele gebracht werde was vorgeschrieben.“ 439 C 1, 3, 24 und C 1, 3, 48 (1). 440 C 1, 3, 48 (3), (5). 441 Coing, Europäisches Privatrecht I,1985, S. 595; Pleimes, Irrwege der Dogmatik im Stiftungsrecht, 1954, S. 18. 442 Schultze, Augustin und der Seelteil, 1928, S. 201. 443 Vgl. v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 51; v. Campenhausen, in: Seifart/ders., Stiftungsrechts-Handbuch, 2009, § 5, Rn. 8; Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 178.
III. Liebestätigkeit und Sozialverpflichtung des Eigentums 125
aa) Augustinische Lehre von der portio Christi Die von Augustinus begründete Lehre forderte vom vermögenden Christen, einen Teil seines Vermögens Christus in seiner Gestalt auf Erden zukommen zu lassen: Der Kirche und den Armen.444 Schon die kappadokischen Kirchenväter445 forderten Christen dazu auf, der „Seele“ einen Anteil nach dem Tode zu geben, indem Christus ein Teil des Vermögens abgegeben wird.446 Während der Seelenteil zuvor dem freien Willen des Einzelnen überlassen wurde, institutionalisierten Hieronymus und Augustinus die Verfügungen an Arme, indem sie forderten, dass jedes Testament die Armen zu bedenken habe.447 Um das Leid der Armen zu lindern, befahl Augustinus: „Verschaffe bei der Ordnung deiner Erbschaft Christo einen Platz neben deinen Söhnen. Wenn du zwei hast, betrachte ihn als deinen dritten Sohn; wenn du drei hast, als deinen vierten etc.; ich will nicht mehr sagen: wahre deinem Herrn den Sohneskopfteil.“448
Mit dieser einfach zu befolgenden Regel begründete Augustinus die Lehre vom Sohnesteil, der sogenannten portio Christi.449 Anders als Chrysostomos sah er keine starre Quote, sondern eine Bruchteilquote je nach Anzahl der Nachkommen des Erblassers vor.450 Seine Quote gab eine Direktive, was aus der Aufforderung zur Liebestätigkeit im Konkreten für den Christen im An444 Basierend auf Mt 25, 35 ff.: „Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen (…).“, vgl. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 29; Schulze, Gegenwart des Vergangenen – Zu Stand und Aufgaben der Stiftungsrechtsgeschichte, 2001, S. 58; Wollasch, Toten- und Armensorge, 1985, S. 9. 445 Basilius der Große, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomus. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 1. 446 Chrysostomus predigt: „Teile mit Christus das Vermögen, Du willst ihm nicht das ganze gewähren? Gib ihm wenigstens die Hälfte, gib ihm wenigstens den dritten Teil. Er ist dein Bruder und Miterbe. Mache ihn auch hier zu seinem Miterben. Was Du jenem gibst, wirst Du auch Dir geben.“, Hom. 45 ad Mt2, in: Migne, P.G., 58, Sp. 799; zit. in: Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 24. 447 Vgl. Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 30; Schultze, Augustin und der Seelteil, 1928, S. 186; Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 178; vgl. Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band I, 1963, S. 81. 448 Sermo 86, cap. X-XII, Nr. 11–14; zit. in Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 87; Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 31; Schultze, Augustin und der Seelteil, 1928, S. 187. 449 Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 31; Schultze, Augustin und der Seelteil, 1928, S. 190; Wollasch, Toten- und Armensorge, 1985, S. 13; i. E. auch Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. VII, 102. 450 Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 76.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
gesicht des Todes folgte.451 Zwar verlangte die vita perfecta grundsätzlich, alles zu verschenken.452 Wer es nicht vermochte, alles wegzugeben, konnte nach der Sohnesteilregelung eine Quote seines Vermögens an die Armen und damit an Christus vererben.453 bb) Übernahme der augustinischen Lehre in den Codex Die augustinischen Worte brachten deswegen nicht nur religiöse Blüten hervor, sie wirkten unmittelbar rechtsbildend.454 Von der christlichen Lehre überzeugt, übernahm zunächst Justinian die bereits angeführten Auslegungsbestimmungen in seinen Codex:455 „Da wir in vielen Testamenten solche Erbeinsetzungen gefunden haben, in welchen jemand unseren Herrn Jesus Christus zum alleinigen Erben ernannt hat, ohne irgendeine Kapelle oder Kirche zu bezeichnen (…), so wollen wir auch dies verbessern und befehlen, dass, wenn jemand unseren Herrn Jesus Christus zum Erben eingesetzt hat, (…) die heilige Kirche der Stadt, des Ortes oder des Bezirkes, in welchem der Verstorbene sich befunden, als eingesetzte Erben zu betrachten sei.“456
cc) Übernahme in das Corpus Juris Canonici Die Kanonistik übernahm das justinianische Recht und entwickelte es weiter.457 Der erste Teil des Corpus Juris Canonici enthielt in can. 8 C. XIII, qu. 2 einen Auszug aus Augustins Sermo 355, in welchem die Sohnesteilquote Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 1. auf Mt 19, 21: „Jesus antwortete ihm: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach.“ Vgl. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 8 f.; Coing, Europäisches Privatrecht I, 1985, S. 593 f. 453 Vgl. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 8 f.; Coing, Europäisches Privatrecht I, 1985, S. 593 f. 454 Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 32; Schultze, Augustin und der Seelteil, 1928, S. 190 ff. 455 Vgl. v. Campenhausen, in: Seifart/ders., Stiftungsrechts-Handbuch, 2009, § 5, Rn. 9; Coing, Europäisches Privatrecht I, 1985, S. 594; Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band I, 1963, S. 23; Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation, 2001, S. 47; Schnorr v. Carolsfeld, Geschichte der juristischen Person, Band I, 1933, S. 45; Schultze, Augustin und der Seelteil, 1928, S. 201. 456 Novelle 131, c. p; zit. in Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 121. 457 Vgl. v. Campenhausen, in: Seifart/ders., Stiftungsrechts-Handbuch, 2009, § 5, Rn. 15; Coing, Europäisches Privatrecht I, 1985, S. 594; Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation, 2001, S. 47. 451 Vgl.
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empfohlen wird.458 Rechtlich wurde die Sohnesteilregelung dann aber so ausgestaltet, dass die Nachkommen nicht für den vollen Umfang des Nachlasses als Erben eingesetzt waren, sondern ein Pflichtteil der Kirche oder den Armen zukommen sollte.459 Die Kirche „machte Augustins Mahnung zur zwingenden Norm“.460 Ein System von diversen Sanktionen stellte die Durchsetzung des kanonischen Rechts sicher.461 So durfte derjenige, der keine letztwillige Verfügung zu frommen Zwecken traf, weder beichten, noch wurde ihm die Absolution erteilt.462 Diese Sanktion zeigte ihre Wirkung, denn als „intestatus“ oder „inconfessus“ sterben zu müssen, gefährdete das Seelenheil des Verfügenden.463 Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass die Verfügungen zugunsten der Armen und vor allem jene zugunsten der Kirche – das war letztlich in den meisten Fällen dasselbe – nicht nachließen. Das hohe Mittelalter war deswegen die Hochblüte institutionalisierter Liebesgaben nach dem Tod.464 Entsprechend sind in den Urkundenbüchern des frühen und hohen Mittelalters unzählige letztwillige Verfügungen verzeichnet, in denen die Armen mit häufig hohen Vermögenswerten bedacht werden.465 Die rechtliche Privilegierung solcher piae causae und die Anzahl tatsächlicher Verfügungen zu frommen Zwecken wegen des kirchlichen Zwangs prägte das Nachlasswesen des Abendlandes für die nachfolgenden 1000 Jahre.466 Zusammenfassend kann mit Schultze gesagt werden: 458 Bruck,
Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 249. Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 257 ff.; Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 178. 460 Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 47. 461 Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 179; Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 47. 462 Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 179; Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 47. 463 Vgl. Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 179; Schulze, Gegenwart des Vergangenen – Zu Stand und Aufgaben der Stiftungsrechtsgeschichte, 2001, S. 58. 464 Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band I, 1963, S. 78; vgl. Schulze, Gegenwart des Vergangenen – Zu Stand und Aufgaben der Stiftungsrechtsgeschichte, 2001, S. 59. 465 Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 178 f. 466 „Unsere Erbrechtsordnung aber verdankt diesem Stück Mittelalter eine unbestreitbare, nachhaltige Bereicherung.“, Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 61; vgl. auch Becker, Spuren des kanonischen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1999, S. 168; v. Campenhausen, in: Sei fart/ders., Stiftungsrechts-Handbuch, 2009, § 5, Rn. 5; Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band I, 1963, S. 81; Reuter, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, 459 Bruck,
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„Der Freiteil (Seelenteil) war der Bahnbrecher für die Gabe zu frommen Zwecken, und diese wiederum mit ihrem hinter dem Tode liegenden Ziele wurde zum Schrittmacher für die ganze Entwicklung der Verfügungen von Todes wegen.“467
b) Wertungen der Lehre: Liebestätigkeit und Sozialverpflichtung des Eigentums Letztlich haben mehrere Wertungen die Auslegungsregeln des Codex Justinianus hervorgebracht: (1) Die Liebestätigkeit (caritas), (2) die damit verknüpfte Sozialverpflichtung des Eigentums und (3) die Sorge um das Seelenheil (cura animarum). aa) Liebestätigkeit (caritas) und Sozialverpflichtung des Eigentums Gedanklicher Ursprung des Liebesgabenwesens nach dem Tod ist der christliche Wert der caritas.468 Wohltätige Gaben werden seit jeher als Teil der caritas begriffen.469 Entsprechend ist es gleichzeitig Aufgabe und Ausdruck der caritas, über Lebzeiten hinaus nach dem eigenen Tod für das Wohl der Bedürftigen zu sorgen.470 Für die Abgabe eines Teils des Vermögens an Arme war neben der caritas auch die christliche Auffassung von Eigentum prägend.471 Danach wird bis heute ein absolutes Eigentumsverständnis abgelehnt.472 Das Eigentum verpflichte vielmehr dazu, mit der Gemeinschaft zu teilen.473 Daher gebührte den Armen ex ante ein fester Anteil an den Gütern dieser Welt.474 Vorb. §§ 80 ff., Rn. 1; Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 54 f. 467 Schultze, Augustin und der Seelteil, 1928, S. 215. 468 Vgl. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 36; Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 178 f.; Schulze, Gegenwart des Vergangenen – Zu Stand und Aufgaben der Stiftungsrechtsgeschichte, 2001, S. 58. 469 Vgl. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 37. 470 Vgl. Schultze, Augustin und der Seelteil, 1928, S. 219. 471 Vgl. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. VI, 40. 472 Vgl. Elsener zu dem der portio Christi zugrunde liegenden Gedanken, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 179. So im Übrigen auch heute: „Denn ‚dem Herrn gehört die Erde‘ (Ps 24, 1), ihm gehört letztlich die ‚Erde und alles, was auf ihr lebt‘ (Dtn 10, 14). Darum lehnt Gott jeden Anspruch auf absolutes Eigentum ab (…)“; Papst Franziskus, Enzyklika Laudato Si, 24.5.2015, Punkt 67, S. 62 und „Die christliche Tradition hat das Recht auf Privatbesitz niemals als absolut und unveräußerlich anerkannt und die soziale Funktion jeder Art von Privatbesitz betont.“, Punkt 93 S. 85. 473 Vgl. Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 179; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, 2013, S. 45. 474 Vgl. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. VI, 40.
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bb) Sorge um das Seelenheil (cura animarum) Die Umsetzung der caritas und Sozialverpflichtung des Eigentums wurde durch die Sorge um das Seelenheil, die cura animarum, gefördert. Nach damaliger Auffassung verschaffte die gute Tat einen Anspruch auf himmlische Belohnung: „Die gute Tat macht Christus zum Debitor.“475
Man begann daher schon früh, die Verheißung eines himmlischen Lohnes als Anreiz für Liebesgaben zu nutzen.476 Neben dem tatsächlichen Lohn in Form eines himmlischen Gewinns sprach man dem frommen Werk der Liebestätigkeit sündentilgende Wirkung zu.477 Das ermunterte vor allem jene zu Gaben, die den Augenblick des himmlischen Gerichts nahen sahen: die Sterbenden.478 Im Angesicht des Todes galt es, die „sündige Seele“ durch eine großzügige Spende, donatio pro anima, vor der „ewigen Verdammnis“ zu retten.479 Wer Almosen gab, linderte daher nicht nur das Geschick der Armen, sondern auch sein eigenes.480 Indem der gläubige Christ seiner Verantwortung aus der caritas und dem Eigentum pro salute animae gerecht wurde, sicherte er sich zugleich sein persönliches Seelenheil und das seiner Angehörigen.481 Auf diese Weise wurden Anreize für das Almosenwesen geschaffen.482 Der Seelenteil war so zugleich fremd- wie eigennützig.483 475 Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 31. 476 Vgl. Uhlhorn, Christliche Liebestätigkeit, 1895, S. 165. 477 „Die Barmherzigkeit ist die Königin unter den Tugenden, welche den Menschen schnell in die Himmelslüfte erhebt und die beste Fürsprecherin ist. (…) Hast du viele Sünden, aber Almosen zur Fürsprache, so fürchte Dich nicht, denn keine der höheren Mächte widersetzt sich den Almosen.“, Chrysostomos, zit. in Uhlhorn, Christliche Liebestätigkeit, 1895, S. 165. 478 Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 179 (Fn. 36). 479 Vgl. Coing, Europäisches Privatrecht I, S. 594; Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 179 (Fn. 36); Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 32. 480 Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 39; Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 179 (Fn. 36); Schultze, Augustin und der Seelteil, 1928, S. 184. 481 Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. VI; Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation, 2001, S. 47; vgl. Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 32; Schulze, Gegenwart des Vergangenen – Zu Stand und Aufgaben der Stiftungsrechtsgeschichte, 2001, S. 58. 482 Vgl. v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 51; v. Campenhausen, in: Seifart/ders., Stiftungsrechts-Handbuch, 2009, § 5, Rn. 8; Schulze, Gegenwart des Vergangenen – Zu Stand und Aufgaben der Stiftungsrechtsgeschichte, 2001, S. 58; Uhlhorn, Christliche Liebestätigkeit, 1895, S. 166 ff.
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c) Übernahme in den germanischen Kult der „Seelgeräte“ Die christliche Lehre beeinflusste auch den von Tacitus beschriebenen Totenkult der Germanen.484 Eine Erbfolge im heutigen Sinne gab es im germanischen Brauchtum nicht.485 Dem Toten wurden die Gegenstände des persönlichen Bedürfnisses mit in das Grab gegeben, da man nach heidnischem Brauch vor der christlichen Beeinflussung davon ausging, dass sie zum Fortleben im Walhall gebraucht würden.486 Dieser Brauch wurde durch die christliche Lehre vom Seelenheil nicht abgeschafft, sondern christianisiert; so fielen die Gegenstände zum seelischen Heil des Verstorbenen nach seinem Tod an die Kirche statt zu seinem leiblichen Wohl in seine Grabesstätte gelegt zu werden und die persönlichen Besitztümer wurden „Seelgeräte“ genannt.487 Die Abgabe von Wertgegenständen an Kirche und Arme als „Seelgeräte“ wurde sogar im profanen Recht zu einem anerkannten Rechtsanspruch.488 Auf diese Weise übernahm das germanische Recht die Sohnesteilregelungen.489 d) Zwischenergebnis Wenn also in den Motiven von Verfügungen zugunsten der Armen gesprochen wird, so ist dies das Ergebnis der vorab skizzierten christlichen Tradition, die bis auf Augustinus zurückgeht. Der Gesetzgeber hatte die Möglichkeit, die gemeinrechtlichen Auslegungsregeln, die dem Codex Justinanus entsprungen sind, oder die landesgesetzlichen Vorschriften zum Vorbild zu nehmen und eine entsprechende Auslegungsregel für Verfügungen zugunsten der Armen aufzunehmen. Zudem kam aufgrund des engen Zusammenhangs beider Verfügungen in der Problemgeschichte eine Regelung für Verfügungen 483 Vgl. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956, S. 36 f.; Schulze, Gegenwart des Vergangenen – Zu Stand und Aufgaben der Stiftungsrechtsgeschichte, 2001, S. 58. 484 Vgl. v. Campenhausen, in: Seifart/ders., Stiftungsrechts-Handbuch, 2009, § 5, Rn. 15. 485 Vgl. Berman, Law and Revolution, 1985, S. 230; Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 33. 486 Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 34. 487 Berman, Law and Revolution, 1985, S. 231; Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 35; Schulze, Gegenwart des Vergangenen – Zu Stand und Aufgaben der Stiftungsrechtsgeschichte, 2001, S. 58; vgl. auch v. Campenhausen, in: Seifart/ders., Stiftungsrechts-Handbuch, 2009, § 5, Rn. 15. 488 Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 35. 489 Schultze, Einfluß der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, 1914, S. 44.
III. Liebestätigkeit und Sozialverpflichtung des Eigentums 131
zugunsten der Kirche in Betracht. Sämtliche Regelungen wären aber ohne die christliche Direktive der caritas und der kirchlichen Förderung durch Anmahnung der cura animarum mangels derartiger Verfügungen nicht entstanden. Weil aber die caritas als ausschlaggebender und die anderen Werte der Sozialverpflichtung des Eigentums und der cura animarum als beeinflussender Wert aufgetreten ist, wird die caritas als Hauptwert hinter der Auslegungsregeln des Codex Justinianus verstanden. 4. Lösung des Gesetzgebers: § 2072 BGB Schon die ersten Entwürfe enthielten eine Auslegungsregel für die „Bedenkung der Armen“, während eine Regel für Verfügungen zugunsten der Kirche nicht für notwendig erachtet wurde.490 a) Auslegungsregel des § 2072 BGB Die Vorschrift beinhaltete allerdings, anders als die landesgesetzlichen Vorgängerregelungen, noch keine Vermutung für den Ort der bedachten Armenkasse.491 Die Kommission wollte den Ort der zuständigen Armenkasse bestimmt wissen.492 Die Mehrheit entschied sich daraufhin für folgende Bestimmung: „Hat der Erblasser die Armen ohne nähere Bestimmung bedacht, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die öffentliche Armenkasse der Gemeinde, in deren Bezirk er seinen letzten Wohnsitz gehabt hat, unter der Auflage bedacht sein soll, das Zugewendete unter Armen zu verteilen.“493
In dieser Form besteht § 2072 BGB bis heute im Erbrecht.494 Man entschied sich also für eine Auslegungsregel, die dem Konzept der Auslegungsbestimmungen des justinianischen Kodex entsprach: Es wurde eine öffentliche Institution bedacht, welche die Erbmasse nach ihrem Ermessen zweckgemäß verteilen sollte. Die Bestimmung des BGB knüpfte aber anders als die justinianischen Bestimmungen nicht an den Errichtungsort des Testaments, sondern vielmehr an den letzten Wohnsitz des Erblassers an.495 490 Motive V,
1888, S. 39 f. 1888, S. 39, davon rieten die Redaktoren allerdings auch ab. Mugdan, Materialien V, 1979, S. 533. 492 Vgl. Mugdan, Materialien V, 1979, S. 533. 493 Mugdan, Materialien V, 1979, S. 533. 494 Becker, Spuren des kanonischen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1999, S. 168; vgl. v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 111; Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 178 f. 495 Vgl. Mugdan, Materialien V, 1979, S. 533. 491 Motive V,
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
b) Import der christlichen Wertungen Fraglich ist, welche Wertungen in den Normerlass miteinflossen. Für den Import hauptsächlich der Liebestätigkeit, aber auch der Sozialverpflichtung des Eigentums und der Sorge um das Seelenheil, lassen sich drei Anknüpfungspunkte identifizieren: (1) Der Anlass zur Verabschiedung der Norm, (2) die Wahl des letzten Wohnsitzes in der Ausgestaltung der Norm und (3) die Anlehnung an den Codex Justinianus. (1) Zum einen fing die Norm ein religiöses Verhalten der Bevölkerung auf und verlieh ihm rechtliche Wirkung. Auch dies ist eine Form der Wertschätzung des christlichen Wertes, der hinter dem Verhalten steht. An dem direkten Bezug auf die christlich institutionalisierten Verfügungen zugunsten der Armen zeigt sich, dass die Kommission der „christlichen Gesamtanschauung des deutschen Volkes“ Bedeutung für den Normerlass zukommen ließ. (2) Dies zeigt sich aber auch in der Wahl des letzten Wohnsitzes als Anknüpfungspunkt für die zuständige Armenkasse. Die Protokolle geben Aufschluss über die Motive der Mitglieder bei der Abstimmung. So sprach für die Wahl des letzten Wohnsitzes des Erblassers, dass „der Erblasser mit den meist doch kleinen Summen, (…) sich ein Andenken an dem Orte sichern wolle, wo er zuletzt gewohnt habe, dass ferner in katholischen Gegenden noch die Rücksicht auf das Gebet für die Seelenruhe hinzutrete, das am Orte des letzten Wohnsitzes stattzufinden pflege.“496 Man entschied sich also für den Ort des letzten Wohnsitzes, um dem Erblasser ein Andenken an einem Ort zu sichern, an dem er längere Zeit gewohnt hat. Dort gebe es auch die Möglichkeit, Messen für den Verstorbenen lesen zu lassen. So wird nicht nur dem Bedürfnis des Erblassers Rechnung getragen, den Armen caritativ zu helfen. Vielmehr wird auf die Lehre von der portio Christi Bezug genommen, wonach die Erblasser aufgrund der cura animarum ein besonderes Interesse daran hatten, dass für sie im Gegenzug die Messe gelesen wurde. Auch hier zeigt sich eine besondere Wertschätzung der christlichen Riten durch die Kommission. (3) Zuletzt importiert die Kommission auch die dem Codex Justinianus zugrundeliegenden Wertungen. Der Codex selbst zielte darauf ab, Verfügungen, die aufgrund der Liebestätigkeit erlassen wurden, zu privilegieren, damit sie nicht wegen Unbestimmtheit unwirksam werden. Diese Wertschätzung der Verfügungen ad pias causas wird mit der Übernahme der Auslegungsregeln in das BGB importiert. Entsprechend kommentiert Frommhold zeitgenössisch:
496 Protokolle
II, Band 5, 1899, S. 37.
III. Liebestätigkeit und Sozialverpflichtung des Eigentums 133 „Mit der Auslegungsvorschrift des § 2072 ist eine Rechtsentwicklung zum Abschluss gelangt, deren Anfänge bereits im Justinianischen Kodex in den Verfügungen ad pias causas vorhanden sind.“497
c) Zwischenergebnis So gäbe es die Norm des § 2072 im BGB nicht ohne die christlichen Werte der caritas und des verpflichtenden Eigentums. Die Regel fing eine christliche Tradition der Bevölkerung auf, ohne die eine solche Auslegungsregel nicht notwendig gewesen wäre. Die Auslegungsregel begünstigt die Liebestätigkeit der Erblasser durch wohlwollende Auslegung und Konkretisierung, wie dies bereits im Codex Justinianus vorgesehen war. Und nicht zuletzt erfolgt die Wahl des letzten Wohnsitzes unter anderen auch aus Respekt vor dem religiösen Andenken des Erblassers. In der Tat findet sich hierin ein Fall, in dem die christliche Gesamtanschauung des Volkes für den Ausbau der Rechtsordnung berücksichtigt wurde, wie es in den Motiven angedeutet wurde.498 5. Fortwirken der christlichen Wertungen in der Normanwendung Die hinter der Vorschrift des § 2072 BGB liegende Wertung wirkte in der Anwendung um 1900 fort, da sie aufgrund der Häufigkeit der Fälle von unbestimmten karitativen Verfügungen wie gedacht zur Anwendung kam. Fraglich ist, ob dies auch heute noch der Fall ist. Die Norm ist jedenfalls im BGB verblieben. Wie es auch ursprünglich Zweck der Auslegungsregel war, soll die Vorschrift Verfügungen, mit denen der Erblasser soziale und karitative Zwecke verfolgt, soweit möglich zu rechtlicher und tatsächlicher Wirkung verhelfen.499 Der Gesetzgeber fördert damit auch heute noch den Willen des Erblassers, „Gutes zu tun“, indem er ihm Geltung verleiht.500 Zudem wird die Norm zweckentsprechend auch in Fällen, in denen der Erblasser eine Gruppe „sozialschwacher Personen“ bedenkt, analog angewandt.501 So ist es bei Testamenten geschehen, in denen der Erblasser Vermächtnisse zugunsten 497 Frommhold,
Erbrecht des BGB, 1900, § 2072, S. 116. dazu die Einleitung A.I. 499 Lenz-Brendel, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 2072, Rn. 1; Otte, in: Staudinger-BGB, 2014, § 2072, Rn. 6. 500 Roth, Wie „die Armen“ erbrechtlich bedacht werden, NJW-Spezial 2013, S. 39. 501 Vgl. KG Berlin, 09.08.2013, 6 W 138/12, juris Tz. 16; Otte, in: StaudingerBGB, 2014, § 2072, Rn. 6; Schmidt, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 2072, Rn. 2; Weidlich, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 2072, Rn. 2. 498 Siehe
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
einer nicht mehr bestehenden „Stiftung für Waisenkinder“ oder eine Verfügung zugunsten der „Bedürftigen“, der „Behinderten“502 sowie der „Kriegsge schädigten“503 erlässt.504 Bedacht ist bis dato die Armenkasse505 am letzten Wohnsitz des Erblassers. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Erblasser mit den dortigen Begebenheiten bekannt ist und sich ein „ehrendes Andenken“506 sichern will.507 Weidlich vermutet den Grund der Wohnsitzwahl darin, dass der Erblasser bei der Verfassung seines Testaments an die in seiner Gemeinde bestehenden hilfsbedürftigen Fälle gedacht haben wird.508 Wenig überraschend ist es angesichts der religiösen Pluralisierung der Gesellschaft, dass keine Begründungsverweise auf die Seelenheilmesse am letzten Wohnsitz des Erblassers zu finden sind.509 Somit ist eine Neutralisierungstendenz zu erkennen. Der Grundgedanke ist aber erhalten geblieben, wenn von „ehrendem Andenken“ gesprochen wird. Mangels zuverlässiger Statistiken kann lediglich vermutet werden, dass die Praxis, in seinem Testament jedenfalls pauschal „die Armen“ zu bedenken, nicht mehr so ausgeprägt ist, wie sie es bei Normerlass war. Nur wenige ältere Urteile behandeln Fälle, in denen die Norm analog angewandt wurde.510 In jedem Fall wird in den einschlägigen Kommentaren keine „rege“ Praxis von Verfügungen zugunsten der Armen erwähnt.
502 Vgl. BayObLG, Beschluss v. 19.04.2000, 1Z BR 130/99, NJW-RR 2000, 1174 f. 503 Vgl. KG Berlin, Beschluss v. 11.08.1992, 1 W 6715/89, NJW-RR 1993, 76 ff.; OLG Hamm, Urt. v. 03.05.1984, 15 W 219/83, MDR 1984, 940; Otte, in: StaudingerBGB, 2014, § 2072, Rn. 6. 504 Lenz-Brendel, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 2072, Rn. 8; Otte, in: Staudinger-BGB, 2014, § 2072, Rn. 6; Weidlich, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 2072, Rn. 2. 505 Heute ist es der örtliche Träger der Sozialhilfe, namentlich sind es kreisfreie Städte, Landkreise oder kreisangehörige Gemeinden, § 3 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Vgl. Loritz, in: Soergel-BGB, 13, Aufl. 2003, § 2072, Rn. 4; Otte, in: Staudinger-BGB, 2014, § 2072, Rn. 3. 506 Roth, Wie „die Armen“ erbrechtlich bedacht werden, NJW-Spezial 2013, S. 39. 507 Vgl. Leipold, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 2072 BGB, Rn. 4; Roth, Wie „die Armen“ erbrechtlich bedacht werden, NJW-Spezial 2013, S. 39; Weidlich, in: Palandt-BGB, 2012, § 2072, Rn. 1. 508 Weidlich, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 2072, Rn. 2. 509 Vgl. Leipold, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 2072 BGB, Rn. 4; Otte, in: Staudinger-BGB, 2014, § 2072, Rn. 1 ff.; Roth, Wie „die Armen“ erbrechtlich bedacht werden, NJW-Spezial 2013, S. 39; Schmidt, in: Erman-BGB, 13. Aufl. 2011, § 2072, Rn. 1 f.; Weidlich, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 2072, Rn. 2. 510 Lenz-Brendel, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 2072, Rn. 8; Otte, in: Staudinger-BGB, 2014, § 2072, Rn. 6; Weidlich, in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 2072, Rn. 2.
IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB135
6. Ergebnis Im Ergebnis stellt die Auslegungsregel des § 2072 BGB daher eine Reliquie der christlichen Tradition der portio Christi dar, welche eine Praxis zahlreicher Verfügungen zugunsten Bedürftiger bis in das 19. Jahrhundert hinein hervorgebracht hatte. Die Tradition beruhte auf der caritas und der Sozialverpflichtung von Eigentum in ihrer Verknüpfung mit der Sorge um das persönliche Seelenheil. Die Norm erfüllt auch heute noch den ursprünglich von ihr vorgesehenen Zweck der Privilegierung von Verfügungen ad pias causas. Damit wirkt der christlich beeinflusste Grundgedanke in der Normanwendung fort. Es kann davon ausgegangen werden, dass § 2072 BGB in seiner heutigen Form ohne die christliche Tradition der caritas nicht existieren würde. Damit findet sich auch hier ein Beispiel für die Bedeutung christlicher Werte für die Normentstehung im BGB.
IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB Der christliche Wert der Sonntagsheiligung hat seine Spuren nicht nur in den Feiertagsregelungen des öffentlichen Rechts hinterlassen,511 sondern auch im BGB: § 193 BGB. Die Regelung des § 193 BGB schützt die Sonntagsheiligung.512 Die Auslegungsregel513 ordnet die Berücksichtigung von Sonnabenden, Sonn- und Feiertagen bei der Bestimmung eines Termins oder Fristendes an. Danach kann eine Willenserklärung noch am folgenden Werktag fristwahrend abgegeben werden, im Falle einer Leistung braucht der Leistungserfolg erst am folgenden Werktag einzutreten.514 Die Privilegierung von Sonn- und kirchlichen Feiertagen indiziert einen christlichen Ursprung. Diesbezüglich merkt Repgen an: 511 So etwa in dem verfassungsrechtlichen Sonn- und Feiertagsschutz gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, den Feiertagsgesetzen der Länder wie das Hessische Feiertagsgesetz (insbes. § 4 HFeiertagsG, der ein Recht auf Besuch des Gottesdienstes auch an nicht gesetzlichen Feiertagen gewährt), das Feiertagsgesetz in Baden Württemberg (dort auch § 4 FTG), das Feiertagsgesetz von Brandenburg, Bayern, Schleswig-Holstein etc.; Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 16. 512 Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 49. 513 Wortlaut der Norm: „Ist an einem bestimmten Tage oder innerhalb einer Frist eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken und fällt der bestimmte Tag oder der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag, einen am Erklärungsoder Leistungsort staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so tritt an die Stelle eines solchen Tages der nächste Werktag.“ (§ 193 BGB). 514 Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 9, 11; Ziegeltrum, Grundfälle zur Berechnung von Fristen, JuS 1986 (10), S. 785.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
„Die Entstehungsgeschichte erhellt zugleich den Zweck der Vorschrift. In erster Linie ging es um einen Schutz der jüdisch-christlichen Tradition der Heiligung von Sonn- und Feiertagen, wie er dem 3. der zehn Gebote entspricht.“515
Um den Import der christlichen Sonntagsheiligung in die Fristenregel des BGB zu untersuchen, soll nach einer Einleitung in die Geschichte der Sonntagsheiligung (1.), die Problemsituation bei Normerlass vorgestellt werden (2.). Dabei werden die verschiedenen im 19. Jahrhundert bekannten Lösungsansätze zur Berücksichtigung des Sonntags im Geschäftsverkehr aufgezeigt. Im Anschluss daran soll analysiert werden, welcher Lösungsansatz gewählt wurde und ob der Gesetzgeber die Sonntagsheiligung § 193 BGB als Wertung zugrunde legt (3.). Zuletzt wird überprüft, inwieweit die christliche Sonntagsheiligung in der Anwendung der Norm auch heute noch fortwirkt (4.). 1. Die christliche Sonntagsheiligung Die Sonntagsheiligung war eine Fortführung der Sabbatheiligung des Judentums (a)) und dient bis heute der Zelebration und Vergegenwärtigung der Auferstehung Christi, weshalb Christen an diesem Tag, wenn sie ihren Glauben praktizieren, in den Gottesdienst gehen (b)).516 a) Ursprung in der jüdischen Sabbatheiligung Die theologische Begründung der Sonntagsheiligung hat seit ihrem Ursprung im Judentum eine Entwicklung erfahren, die zu Beginn die Freiheit der Juden, den Sabbat zu heiligen, sicherte und in das christliche Arbeitsethos mündete. Ihre Wurzel hat die Sonntagsheiligung in der Feiertagsheiligung des Alten Testaments.517 Deswegen spricht Repgen von einer jüdisch-christlichen Tradition der Norm.518 Im Dekalog steht das Gebot:. „Achte auf den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat.“519
Was Gott geboten hat, überliefert ausführlicher das Buch Exodus: „Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun (…). Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, 515 Repgen,
in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 3. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 28. 517 Vgl. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 7. 518 Vgl. Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 12. 519 Dt 5, 12. 516 Vgl.
IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB137 Erde und Meer gemacht und alles, was dazu gehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbat gesegnet und für heilig erklärt.“520
Hintergrund des dritten Gebotes war die Befreiung Israels aus dem „Sklavenhaus“ Ägyptens521 Die Sabbatheiligung erinnert an die Befreiung des Sklavenvolks aus Ägypten im Alten Testament.522 In ihrem Ursprung hatte die Sabbatheiligung demnach eine freiheitsichernde Funktion.523 b) Weitere Entwicklung zur christlichen Sonntagsheiligung Die Sonntagsheiligung in ihrer heutigen Ausprägung ist eine Fortentwicklung und Abwandlung der Bestimmung der Sabbatheiligung durch das Christentum. Der Sonntag, als erster Tag der Woche nach dem Sabbat, hatte für Christen eine neue Bedeutung.524 Christus ist der Überlieferung zufolge an einem Sonntag auferstanden.525 Außerdem soll er den Jüngern an einem Sonntag erschienen sein,526 mit ihnen das messianische Mahl abgehalten527 und sie mit der messianischen Vollmacht ausgestattet528 haben.529 Für den 520 Ex
20, 8. der Gefangenschaft in Ägypten wäre die Einhaltung einer entsprechenden Ruheregelung undenkbar gewesen. Dort wurden die Sklaven davon abgehalten, ihren religiösen und familiären Bedürfnissen nachzugehen. „Ich bin Jahwe, dein Gott, der ich dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“, Ex 20, 2; vgl. Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 3; Schnarrer, Freiraum für Gott, 1998, S. 23; Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 12, 14. 522 Vgl. Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 42; Schnarrer, Freiraum für Gott, 1998, S. 24; Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 16. 523 Vgl. Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 3. 524 Vgl. Kranemann, „Der Tag des Herrn“ – Geschichte des Sonntags bis zur frühen Neuzeit, 2002, S. 16; Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 153; Schnarrer, Freiraum für Gott, 1998, S. 25. 525 „Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging.“, Mk 16, 2. Vgl. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 28. 526 „Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück, und sie fanden die Elf und die anderen Jünger versammelt.“, Lk 24, 33. „Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!“, Joh 20, 19. 527 „Und als er bei ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen.“, Lk 24, 30. 528 „(…) bis zu dem Tag, an dem er (in den Himmel) aufgenommen wurde. Vorher hat er den Aposteln, die er sich erwählt hatte, Anweisungen gegeben.“; Apg 1, 2; „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“, Mt 28, 19. 521 In
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Christen hatte mit der Auferstehung Christi eine neue Zeit begonnen.530 Einige Schriftstellen weisen darauf hin, dass die ersten Christen zur Vergegenwärtigung der Auferstehung am Sonntag abendliche Mahlfeiern abhielten.531 Bereits im 2. Jahrhundert ist der Sonntag als „Herrentag“ zum christlichen Urfeiertag geworden, wie frühchristliche Quellentexte belegen.532 Mehrheitlich wird angenommen, dass der Sonntag den Sabbat ersetzen sollte und nicht einen christlich überformten Sabbat darstellt.533 Darauf deutet die Tatsache hin, dass die Abhaltung der Sonntagsfeier im Neuen Testament nicht auf das dritte Gebot des Dekalogs gestützt wurde.534 Zudem ließen die ersten Christen an Sonntagen ihre Arbeit nicht, wie am Sabbat gefordert, ruhen.535 Das war ihnen auch nicht möglich, da der Sonntag ein normaler Arbeitstag war.536 Nach neuem Forschungsstand war die „Sonntagsheiligung“ daher eine christlich geschaffene Institution, die der jüdischen Sabbatheiligung entwachsen ist.537 So entkleidete sich der Sonntag seines Sabbatgewandes 529 Vgl. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 28; Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 44; Kranemann, „Der Tag des Herrn“ – Geschichte des Sonntags bis zur frühen Neuzeit, 2002, S. 16. 530 Vgl. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 28. 531 So heißt es: „Als wir am ersten Wochentag versammelt waren, um das Brot zu brechen, redete Paulus zu ihnen (…)“, Apg 20, 7; s. auch: „Am ersten Tag der Woche gingen die Frauen mit den wohlriechenden Salben, die sie zubereitet hatten, in aller Frühe zum Grab.“, Lk 24, 1. „Am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus (…) Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn (…), Lk 24, 13 ff.; „Während sie noch darüber redeten, trat er selbst in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! (…) Da sagte er zu ihnen: Habt ihr etwas zu essen hier? Sie gaben ihm ein Stück gebratenen Fisch und er aß es vor ihren Augen.“, Lk 24, 36–43; Joh 20, 19–29. Vgl. Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 41; Kranemann, „Der Tag des Herrn“ – Geschichte des Sonntags bis zur frühen Neuzeit, 2002, S. 16 ff.; Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 153; Schnarrer, Freiraum für Gott, 1998, S. 26. 532 Z. B. Doctrina apostolorum (Didache, ca. 90–100) 14, 1; vgl. Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 154. 533 So Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 44; Kranemann, „Der Tag des Herrn“ – Geschichte des Sonntags bis zur frühen Neuzeit, 2002, S. 18; Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 173, 186. 534 Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 44; Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 187. 535 Vgl. Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 186. 536 Vgl. Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 186. 537 So Kranemann, „Der Tag des Herrn“ – Geschichte des Sonntags bis zur frühen Neuzeit, 2002, S. 18.
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und wurde zu einem Tag der Christenheit, der zunächst der Feier des Gottesdienstes gewidmet war. c) Begründung des christlichen Arbeitsethos Erst später wurde die Sonntagsheiligung Teil des christlichen Arbeitsethos.538 Tatsächlich war es die Entscheidung eines christlichen, aber weltlichen Herrschers, den Sonntag als arbeitsfreien Ruhetag zu etablieren. Kaiser Konstantin erließ im Jahr 321 ein entsprechendes Gesetz.539 Die kaiserlich angeordnete Arbeitsruhe am Tag des christlichen Gottesdienstes wurde durch die Erhebung des Christentums zur Staatsreligion im Jahr 380 öffentliche Angelegenheit.540 Erst danach suchte die Kirche nach einer theologischen Begründung für die Arbeitsruhe an Sonntagen.541 Das Arbeitsverbot sollte nicht den formalistischen Charakter des Sabbatverbotes annehmen und sich nicht in einer Einzelfallkasuistik erschöpfen.542 Daher entwickelten sich verschiedene Begründungsstrukturen, die den Sinngehalt der kirchlichen Regelung plausibel machen sollten.543 Der Anspruch auf Erholung von der Arbeit und auf geistige Erhebung entsprang der Überzeugung von der Würde des Menschen als Ebenbild Gottes.544 Die Würde des Arbeitenden sei „heilig zu halten“.545 Hierzu sei ein gesunder Wechsel von Arbeit und Erholung zu gewähren.546 Die „Freizeit“ von Arbeit sollte dem Menschen Freiheit schenken, 538 Vgl. Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 187; Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 12. 539 Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 46; Pribyl, Verbot der Sonntagsarbeit aus rechtshistorischer Perspektive, 1998, S. 187; v. Simon, Zum Einfluss des Christentums auf die Gesetzgebung Kaiser Konstantins des Großen, 2011, S. 77; Schnarrer, Freiraum für Gott, 1998, S. 26 f.; Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 12. 540 So Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 176 (Fn. 116). 541 Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 189. 542 Vgl. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 10; Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 195. 543 Vgl. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 10; Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 191. 544 Vgl. Knorn, Arbeit und Menschenwürde, 1996, S. 23, 212. 545 Leo XIII., Rerum Novarum, Acta Leonis XIII., Texte zur katholischen Soziallehre I, 1977, S. 41. s. auch „Anerkennung des Adels der persönlichen Arbeit“; Leo XIII., Rerum Novarum, Acta Leonis XIII., Texte zur katholischen Soziallehre I, 1977, S. 41; vgl. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 27; Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 10; Knorn, Arbeit und Menschenwürde, 1996, S. 23. 546 Egger, Chancen im Wertechaos, 2010, S. 235; Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 27; Leo XIII., Rerum Novarum, Acta Leonis XIII., Texte zur katholischen
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
es ihm ermöglichen, Distanz zu den Zwängen des Alltäglichen zu gewinnen.547 Denn das Leben des Menschen sei für Gott mehr als die „Summe seiner Arbeitsleistungen“.548 Hierin liege der Anspruch des Menschen auf Erholung und Humanisierung seiner Arbeit, insbesondere durch Freihalten des Sonntages, begründet.549 Die Sonntagsheiligung sollte dem Menschen die nötige Ruhe gewähren, um sich Gott zuwenden zu können.550 Denn für die Hinwendung zum Transzendenten war ein Freiraum von Beschäftigung notwendig.551 Ein Tag der Arbeitsruhe war deswegen für das Gebet und den Gottesdienst unerlässlich geworden.552 Hinzu trat eine weitere Dimension: der Schutz der Integrität der Familie. Der Mensch sollte jedenfalls die Gelegenheit erhalten, einen Tag in der Woche ohne Arbeitsverpflichtung im Kreis der Familie zu verbringen.553 Die Sonntagsheiligung sollte garantieren, dass sämtliche Familienmitglieder am selben Tag frei haben, um in den Gottesdienst zu gehen und die Gemeinschaft der Gläubigen leben zu können.554 Der Codex Iuris Canonici hält daher bis heute in Can. 1247 fest: „(…) die Gläubigen (…) haben sich (…) jener Werke und Tätigkeiten zu enthalten, die den Gottesdienst, die dem Sonntag eigene Freude oder die Geist und Körper geschuldete Erholung hindern.“555
Soziallehre I, 1977, S. 42; Knorn, Arbeit und Menschenwürde, 1996, S. 23, 213; Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 15. 547 Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 27. 548 Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 28. 549 Ausdrücklich Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 28. 550 Dautzenberg, Arbeit und Eigentum, 1993, S. 346; Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, 1979, S. 27; Honecker, Grundriss der Sozialethik, 1995, S. 457; Johannes XXIII., Mater et Magistra, Texte zur katholischen Soziallehre I, 1977, S. 266; Knorn, Arbeit und Menschenwürde, 1996, S. 212 f.; Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 10; Mausbach, Katholische Moraltheologie, Band II, 1959, S. 236 ff. 551 Schnarrer, Freiraum für Gott, 1998, S. 21. 552 Schnarrer, Freiraum für Gott, 1998, S. 21. 553 Vgl. auch Altermatt/Metzger, Erosion der kirchlichen Sonntagskultur, 2002, S. 45; Bausinger, Sonntagsstaat und Sonntagsbilder, 2002, S. 24; Johannes XXIII., Mater et Magistra, Texte zur katholischen Soziallehre I, 1977, S. 266; Knorn, Arbeit und Menschenwürde, 1996, S. 213; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 62. 554 Vgl. auch II. Vatikanisches Konzil, Gaudium et Spes, Texte zur katholischen Soziallehre, I, 1977, S. 389; Achten, „… denn was uns fehlt, ist Zeit.“, 1988, S. 264. 555 s. auch Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 10.
IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB141
Daher setzte sich die Kirche zur Zeit der Entstehung des BGB für eine Ausdehnung des Schutzes der Sonntagsruhe auf das Bürgerliche Recht ein.556 Papst Leo XIII. forderte in einem Schreiben vom 1. Mai 1889, dass „endlich die durch das bürgerliche Recht zu garantierende Ruhe der Festtage, deren Heilighaltung durch Gott selbst vorgeschrieben ist“, durchgesetzt werde.557 § 193 BGB erhielt vor diesem Hintergrund – und nur so lässt sich das unter 3. darzustellende Ausmaß an Diskussion über diese Norm erklären – paradigmatische Aussagekraft und Bedeutung für den Schutz der geistigen wie geistlichen Erholung.558 2. Problemsituation und bekannte Lösungsansätze bei Normerlass Im Folgenden soll überprüft werden, inwieweit § 193 BGB den von Papst Leo XIII. geforderten Schutz der Sonntagsheiligung im bürgerlichen Recht normiert. Würde sich auch an § 193 BGB ein Import christlicher Werte, nämlich der Sonntagsheiligung feststellen lassen, so würde auch die Untersuchung dieser Norm die unter A.I. aufgestellte These stützen. a) Regelungsproblem Das Problem, das die Auslegungsregel lösen sollte, war die Gefährdung der christlichen Sonn- und Feiertagsruhe durch den von der Einhaltung von Leistungspflichten und Abgabe von Willenserklärungen ausgehenden Druck, wenn die Frist an einem dieser Tage ablief oder ein Termin auf diesen Tag fiel. Diese Tage sollten aufgrund christlicher und arbeitsschutzrechtlicher Überlegungen möglichst von Pflichten jeder Art freigehalten werden. Das Problem gewann Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund der Industrialisierung und der mit Massenproduktion und neuer Technik einhergehenden Arbeitsbelastung besondere Bedeutung.
556 Vgl. auch Pribyl, Verbot der Sonntagsarbeit aus rechtshistorischer Perspektive, 1998, S. 196. 557 Abdruck in Christlich-sociale Blätter 22, 1889, S. 258 ff.; zit. in: v. Galen, Rede v. 26. August 1889 auf der 36. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands, Grundfragen der Sozialpolitik, Mainz, 2002, S. 415; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 72. 558 Vgl. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 90.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
b) Bekannte Lösungsansätze Bereits existierende handelsrechtliche Vorschriften559 und nicht zuletzt auch diverse prozessrechtliche Vorschriften560 warfen die Frage auf, ob auch das Bürgerliche Recht eine Regelung zum Schutz des Sonntages aufnehmen sollte. Als Vorbild für eine mögliche Vorschrift des Bürgerlichen Rechts kamen die nachfolgenden gesetzlichen Vorschriften in Frage. Dabei gab es die Möglichkeit, Rechtshandlungen an Sonntagen grundsätzlich für unwirksam zu erklären (aa)) oder eine dispositive Regel aufzunehmen, nach der für die Vornahme der Rechtshandlung im Zweifel der nächstfolgende Tag an die Stelle des Sonntages tritt (bb)). aa) Keine Rechtshandlungen an Sonntagen möglich Eine Möglichkeit war es, in Handelsgeschäften keine Anspruchstellung und fälligkeitsbegründenden Rechtshandlungen an Sonn- und Feiertagen zuzulassen. Eine entsprechende Regelung beinhalteten Art. 92 Allgemeine Deutsche Wechsel-Ordnung561 und Art. 329 ADHGB562, der sich an der Wechsel-Ordnung orientiert hatte.563 Zweck dieser Vorschriften war es, den am Handels- und Wechselverkehr Beteiligten Sonn- und Feiertage frei von 559 Schubert, Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, 1986, S. 127; vgl. auch Auerbach, Das Neue Handelsgesetz, 1863, S. 348; Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 988 f. Rn. 14 (Fn. 65). 560 § 222 Abs. 1 RZPO (in der Fassung vom 20.5.1898), § 43 Abs. 2 sowie § 216 RStPO; vgl. Protokolle II, Band 1, 1897, S. 191. s. Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 458 f. 561 „Verfällt der Wechsel an einem Sonntage oder allgemeinen Feiertag, so ist der nächste Werktag der Zahlungstag. Auch die Herausgabe des Wechsel-Duplicats, die Erklärung über die Annahme, so wie jede Erklärung, können nur an einem Werktage gefordert werden. Fällt der Zeitpunkt, in welchem die Vornahme einer der vorstehenden Handlungen spätestens gefordert werden musste, auf einen Sonntag oder allgemeinen Feiertag, so muss diese Handlung am nächsten Werktag gefordert werden.“, § 92 ADWO. Christoph, Allgemeine Deutsche Wechselordnung aus den Motiven, 1849, S. 85. Die Einführung der Norm wird nicht weiter begründet. 562 „Fällt der Zeitpunkt der Erfüllung auf einen Sonntag oder allgemeinen Feiertag, so gilt der nächste Werktag als der Tag der Erfüllung.“, Art. 329 ADHGB. Schubert, Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, 1986, S. 127 und Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten: nebst Motiven, 1857, Bd. 1, S. 47; vgl. auch Auerbach, Das Neue Handelsgesetz, 1863, S. 348; Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 988 f. Rn. 14 (Fn. 65). 563 „Auch hier steht der Entwurf in Übereinstimmung mit der Allg. Deutschen Wechsel-Ordnung (Art. 92).“, heißt es ohne weitere Begründung in den Motiven. Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten: nebst Motiven, 1857, Bd. 2, S. 127.
IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB143
rechtlichen Verpflichtungen zu ermöglichen. Eine abweichende Vereinbarung ließen die Vorschriften nicht zu.564 Während die Wechselordnung die Aufforderung zu Erklärungen über die Annahme eines Wechsels in den Anwendungsbereich einbezog, erstreckte sich der Anwendungsbereich der Vorschrift des ADHGB nur auf Leistungspflichten. bb) Dispositive Auslegungsregel für nächstfolgenden Tag Alternativ kannte man eine dispositive, also abbedingbare Auslegungsregel zur Berücksichtigung von religiösen Feiertagen aus dem ALR: „Trifft die Erfüllung einer Pflicht auf einen Tag, an welchem nach allgemeinen Polizeyverordnungen oder nach den Religionsgrundsätzen des Verpflichteten dergleichen Handlungen nicht vorgenommen werden dürfen, so ist der Verpflichtete in der Regel an dem nächstfolgenden Tage zur Leistung verbunden.“
Diese Regel beschränkte sich allerdings ebenfalls auf Leistungspflichten. 3. Lösung des Gesetzgebers: § 193 BGB In der ersten Kommission war zunächst eine Regelung nach dem Vorbild des ADHGB im Gespräch, das Anspruchstellung und fälligkeitsbegründende Rechtshandlungen an Sonn- und Feiertagen nicht zuließ.565 a) Keine Regelung im ersten Entwurf Der zuständige Redaktor Gebhard lehnte eine derartige Einschränkung der Privatautonomie ab, weshalb er in den ersten Entwurf keine Art. 329 ADHGB entsprechende, aber auch keine andere Regelung aufnahm.566 Zum Schutz freier Tage der Arbeitsbevölkerung seien die bereits existierenden reichsgesetzlichen Vorschriften des Handelsverkehrs ausreichend, es bedürfe keiner 564 „Bildet ein Sonntag den Verfalltag, so muss am Montag, wenn dieser ein Werktag ist, wo nicht, wenn dieser ein Oster- oder Pfingstmontag ist, am Dienstag erfüllt werden.“, Auerbach, Das Neue Handelsgesetz, 1863, S. 348. 565 „Insbesondere verneinte man das Bedürfnis: (…) 2. eine allgemeine Vorschrift über die Einwirkung von Sonn- und Feiertagen (…), unbeschadet der Frage, inwieweit eine solche nach dem ähnlichen Vorgange des Handelsgesetzbuches (Art. 329, 330) für die Erfüllung der Verträge in dem einschlägigen Abschnitt des Obligationenrechts aufzustellen sein werde.“, Jacobs/Schubert, Beratung des BGB, AT Teil 2, 1985, S. 981; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 1. 566 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB, AT Teil 2, 1985, S. 981; vgl. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 90; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 1.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Regelung für das Bürgerliche Recht.567 Auch der zweite Entwurf entbehrte einer Regelung zur Berücksichtigung der Sonntagsruhe für Fristabläufe.568 b) Kritik an erstem Entwurf durch v. Gierke Zahlreiche Handelskammern und v. Gierke kritisierten die Entscheidung gegen eine Feiertagsregelung im BGB.569 Daraufhin brachte die Vorkommission des Reichsjustizamtes eine Vorschrift ein, die sich im Anschluss an das Handelsrecht auf die Erfüllung von Leistungspflichten beschränken sollte.570 Die Wahrung der Sonntagsruhe solle nicht nur im Handelsverkehr, sondern auch durch das bürgerliche Recht geschützt werden.571 Die zweite Kommission folgte diesem Vorschlag unter Berufung auf die Vorschrift des ALR, des Handelsrechts und der Prozessordnungen.572 Dass sie hierbei maßgeblich durch die Kritik v. Gierkes und der Handelskammern beeinflusst worden ist, indizieren Hinweise in den Protokollen.573 So heißt es dort, „es empfehle sich, der in diesen Wünschen zum Ausdruck gekommenen berechtigten Zeitströmung, welche auf größere Heilighaltung der Sonn- und Festtage sowie auf Gewährung der Sonntagsruhe für arbeitende Klassen gerichtet sei, Folge zu geben“.574 Die Vorschrift, für die sich die Kommission entschieden hatte, war eine Auslegungsregel.575 567 §§ 329, 339 Abs. 2 ADHG, Art. 92 WO, § 200 ZPO, § 43 Abs. 2 StPO; Protokolle II, Band 1, 1897, S. 191; Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 90; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 1. 568 Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 988 Rn. 13 (Fn. 68). 569 „Hingewiesen wurde namentlich darauf, daß seitens der Kritik und insbesondere seitens der Mehrzahl der Handelskammern Wünsche in dieser Richtung vielfach ausgesprochen worden seien.“, Protokolle II, Band 1, 1897, S. 191; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 2. 570 Diese sollte lauten: „Hat eine Leistung innerhalb einer Frist zu erfolgen, und fällt der letzte Tag auf einen Sonntag oder einen am Leistungsorte anerkannten allgemeinen Feiertag, so kann die Leistung noch an dem nächstfolgenden Werktage bewirkt werden.“ (§ 153 b a. F. BGB), Jacobs/Schubert, Beratung des BGB, AT Teil 2, 1983, S. 986; Protokolle II, Band 1, 1897, S. 192; vgl. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 91; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 2. 571 Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 2; „Sonntagsheiligung“; Enneccerus, Bericht der Reichstagskommission über den Entwurf, 1896, S. 46. 572 Protokolle II, Band 1, 1897, S. 191. 573 Auf die Kritik von v. Gierke wird in der Folge ausdrücklich Bezug genommen: „(…) und die Befürchtung, daß die Sonn- und Feiertage (…) zu geräuschvollen Geschäftstagen werden würden (vergl. Gierke, (…))“, Protokolle II, Band 1, 1897, S. 191. 574 Protokolle II, Band 1, 1897, S. 191; vgl. auch Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 91. 575 Protokolle II, Band 1, 1897, S. 192 ff.
IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB145
c) Antrag zur Erweiterung der Norm durch das Zentrum In der Reichstagskommission beantragte der Zentrumsabgeordnete Gröber eine Erweiterung der Vorschrift dahingehend,576 dass die Auslegungsregel neben Leistungen auch Willenserklärungen erfassen sollte: „Ist an einem bestimmten Tage oder innerhalb einer Frist eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken und fällt der bestimmte Tag oder der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag oder (…) Feiertag, so tritt an die Stelle des Sonntags oder des Feiertages der nächstfolgende Werktag.“577
Die Vorschrift wurde mit großer Mehrheit angenommen.578 Als Hauptakteure des Normerlasses von § 193 BGB in seiner damaligen Form579 traten mithin v. Gierke und Gröber auf, ersterer durch seine Kritik und letzterer durch seinen Antrag in der Reichstagkommission. d) Import des Wertes der Sonntagsheiligung Um zu überprüfen, inwieweit der Auslegungsregel der Wert der Sonntagsheiligung zugrunde lag, ist zu ermitteln, welche Wertungen in den Normererlass eingeflossen sind. Der Sinneswandel des Reichsjustizamtes und nicht zuletzt die Abstimmung des Reichstages zeigen, dass die Wertungen v. Gierkes und Gröbers im Gesetzgebungsprozess aufgegriffen worden sind. Beide Akteure befürworteten die Einführung der Auslegungsregel des § 193 BGB mit Hinweis auf die christliche Sonn- und Feiertagsheiligung. Sie argumentierten außerdem mit dem Schutz der Arbeiterschaft und der Integrität der Familie. aa) Die christliche Sonntagsheiligung in v. Gierkes Kritik Für v. Gierke waren die Folgen eines Außerachtlassens von Sonn- und Feiertagen untragbar.580 Neben seinen praktischen Bedenken581 warnte er 576 „Auf Gröber zurück geht ebenfalls die allgemeine Vorschrift, nach der Fristen nicht an Sonn- und Feiertagen enden.“, vgl. Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 404 (142). 577 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB, AT Teil 2, 1985, S. 992 f.; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 2. 578 Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 142. 579 Der Sonnabend ist erst 1965 hinzugefügt worden. Siehe dazu unten C.IV.4.b). 580 v. Gierke, Entwurf, 1889, S. 173. 581 „Der Mieter, der die Vorauszahlung der Miete am ersten Tage des Vierteljahres versprochen hat, muss die Miete am Neujahrestage und wenn (…) sie auf einen Sonntag fällt, an dem betreffenden Sonntage entrichten, während ihm, falls er Beamter ist,
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
davor, dass „der Neujahrstag, der Ostersonntag (…), jeder Sonntag (…) sich in geräuschvolle Geschäftstage“ verwandeln würden.582 Er sah keinen Grund dafür, weshalb lediglich das Handelsrecht eine Norm zum Schutze der Feiertage beinhalten sollte: „Warum in aller Welt soll denn das Gebot der Sonntagsruhe hier (im BGB) weniger heiliggehalten werden? (…) Die christliche Festtagsordnung ist aber eben zugleich unsere bürgerliche Festtagsordnung!“583
Die Festtagsruhe könnte auch „nicht-christlichen Mitbürgern“ auferlegt werden, sie sollte „unter keinen Umständen“ einem „von der „Regel“ abweichenden Parteiwillen“ unterworfen werden.584 Er trat mithin sogar für den strengeren Lösungsansatz einer zwingenden Sonntagsregel ein. bb) Die christliche Sonntagsheiligung in der Reichstagsdebatte Aufgrund der für den Abschnitt über Fristen und Termine ungewöhnlich hohen Diskussionsbereitschaft der Kommissionsparteien hinsichtlich der Regelung des § 193 BGB585 sind die Überlegungen der verantwortlichen Abgeordneten protokolliert. Diesen Überlegungen lassen sich die Wertungen der Befürworter der Norm entnehmen. In der Diskussion wog man die Privatautonomie mit dem Schutz der hierdurch beeinträchtigten Arbeitsbevölkerung ab.586 Befürworter des Schutzes der Arbeitsbevölkerung durch eine umfassende Fristenregel war unter anderen der Zentrumsabgeordnete Gröber.587 Anders als für die Gegner der Norm, Gebhard und Enneccerus,588 die das ökonomische Wohl der Arbeiterschaft vor einer eingeschränkten Tätigkeit an Sonntagen schützen wollten,589 stand für die Befürworter das geistige und geistliche Interesse der Arbeiter im Vordergrund. Als Repräsentant der Zentrumspartei in der Reichstagskommission wollte Gröber die Interessen der christlichen Bevölkerung auch im BGB schützen.590 keine öffentliche Kasse an diesem Tage das Gehalt auszahlt, von dem er den Betrag zu entnehmen gedachte.“, v. Gierke, Entwurf, 1889, S. 173. 582 v. Gierke, Entwurf, 1889, S. 173. 583 v. Gierke, Entwurf, 1889, S. 173. 584 v. Gierke, Entwurf, 1889, S. 173. 585 Vgl. dazu Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 1. 586 Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 1. 587 Vgl. Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 2. 588 Enneccerus, Bericht der Reichstagskommission über den Entwurf, 1896, S. 46. 589 Enneccerus, Bericht der Reichstagskommission über den Entwurf, 1896, S. 46; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 2. 590 So Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 404.
IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB147
Wolters merkt an, dass Gröber dessen christliche Prägung zur Verteidigung einer § 193 BGB entsprechenden Norm bewegt hatte: „Daß für den frommen Katholiken Gröber der Schutz des Sonntags und des Feiertages eine besondere Rolle spielte, liegt auf der Hand.“591
In der Rede des Zentrumsabgeordneten v. Galen auf der 36. Generalversammlung der Deutschen Katholiken Ende des 19. Jahrhunderts werden die Beweggründe für die Anträge des Zentrums zum Schutz der Sonntagsruhe genannt.592 Ziel sei der „Schutz des sittlich-religiösen Lebens in der ganzen Arbeitsbevölkerung“ gewesen, „und zwar wirksamer Schutz, mit besonderer Betonung der Sonntagsruhe und desjenigen, was ja mit Notwendigkeit daraus hervorgeht: Schutz für das Heiligtum der Familie“.593 Die Möglichkeit zur Besinnung sollte nicht durch rechtsgeschäftliche Verpflichtungen an Ruhetagen unterlaufen werden.594 Die Regierung habe sicherzustellen, dass nicht „im ganzen Reich gegen ein Gebot Gottes gesündigt wird“.595 Das BGB solle die Gewohnheiten der christlichen Bevölkerung nicht nur anerkennen, sondern auch schützen.596 Die Ruhe diene Gott und der Natur des Menschen.597 v. Galen spricht des Weiteren davon, dass die Familie als „Wiege der christlich-sozialen Gesellschaft“598 bei einer Missachtung der Sonntagsruhe gefährdet würde.599 v. Galens Rede ließ zwei Beweggründe für das Engagement zu einer Fristenregelung erkennen: Den Schutz der Arbeiter zugunsten eines Freiraums religiöser Betätigung und die Integrität der Familie.600
591 Wolters,
Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 404. v. Galen, Rede v. 26. August 1889 auf der 36. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands, 2003, S. 408 ff. 593 Unter Bezugnahme auf den ersten sozialpolitischen Antrag der Zentrumsfraktion, den Gröber am 19. März 1877 in den Reichstag eingebracht hat. v. Galen, Rede v. 26. August 1889 auf der 36. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands, 2003, S. 408. 594 Vgl. Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 141. 595 v. Galen, Rede v. 26. August 1889 auf der 36. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands, 2003, S. 409. 596 So Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 404. 597 v. Galen, Rede v. 26. August 1889 auf der 36. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands, 2003, S. 409. 598 v. Galen, Rede v. 26. August 1889 auf der 36. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands, 2003, S. 409. 599 Vgl. v. Galen, Rede v. 26. August 1889 auf der 36. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands, 2003, S. 408, 410. 600 Vgl. auch Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 62. 592 Vgl.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
e) Zwischenergebnis Die Argumentation der Befürworter besteht aus Verweisen auf eine christlich verstandene Arbeitsmoral, die den Freiraum für religiöse wie familiäre Betätigung achtet. Das Engagement der Befürworter resultierte in der Einführung des § 193 BGB in seiner heutigen Form. Der Auslegungsregel lag bei Normerlass eine kirchlich gewachsene Sonntagsheiligung als Ausdruck des christlichen Arbeitsethos zugrunde. Sie diente dem Schutz des geistlichen wie geistigen Lebens der arbeitenden Bevölkerung sowie der Integrität der Familie. Sie sollte zu einer Relativierung der Arbeit unter Achtung der Würde des Menschen beitragen. Die Sonntagsheiligung, deren Schutz das historische BGB übernommen hat, ist vor diesem Hintergrund ein weiteres Beispiel dafür, dass christliche Werte eine Rolle für das BGB gespielt haben.601 4. Die Sonntagsheiligung in der Anwendung der Norm Es bleibt zu prüfen, ob dieser Zweck der Sonntagsregel nach Normerlass in der Anwendung der Normen fortwirkt und so Geltung bis heute erlangt. a) Normanwendung um 1900 In zeitgenössischen Kommentaren wurde betont, dass es sich bei § 193 BGB nicht um zwingendes Recht handelt, also die Handlung vorgenommen und die Willenserklärung abgegeben werden konnte, auch wenn sie auf einen Sonnoder Feiertag fiel.602 Gareis sah den Zweck der Norm weniger in der größeren Heilighaltung des Sonntages als in dem Wunsch, Zweifeln im Einzelfall vorzubeugen.603 Anders sah Riezler den Zweck der Vorschrift mit Hinblick auf die Gesetzgebungsgeschichte im Schutz der Sonntagsruhe.604 Dafür, dass der Normzweck weithin in der Sonn- und Feiertagsheiligung gesehen wurde, spricht die Tatsache, dass die Norm seit Erlass trotz des engen Wortlauts (Abgabe einer Willenserklärung, Bewirken einer Leistung) zweckentsprechend auch auf Ausschlussfristen, die Ausübung von Gestaltungsrechten wie Kündigungserklärungen und analog sogar auf Verjährungsfristen angewandt wur601 Zu den weiteren Regelungen, auf die der Wert der Sonntagsheiligung und des Arbeitstehos Einfluss genommen hat, s. auch unten C.VII. 602 Gareis, in: Komm-BGB, 1900, § 193 S. 225; Hölder, Kommentar zum BGB, 1900, § 193, S. 397 f.; Riezler, in: Staudinger-BGB, 1903, § 193 S. 454. 603 Gareis, in: Komm-BGB, 1900, § 193 S. 225. 604 Riezler, in: Staudinger-BGB, 1903, § 193 S. 454; so wohl auch Hölder, Kommentar zum BGB, 1900, § 193, S. 397; Rudorff, Ist § 193 auf Verjährungsfristen anwendbar?, AcP 1907 (102), S. 407.
IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB149
de.605 Die Anwendung nach Normerlass stand jedenfalls der unter 3. ermittelten Zweckbestimmung des Gesetzgebers nicht entgegen. Der Schutzgedanke wirkte daher nach Erlass in der Anwendung der Norm fort. b) Normanwendung heute Des Weiteren gilt es zu klären, wie sich die Norm heute im Hinblick auf ihren christlichen Ursprung verhält und welche Bedeutung ihr zukommt. Explizite Begründungsverweise auf die christliche Arbeitsmoral in Form der Sonntagsheiligung finden sich im größten Teil der Kommentarliteratur nicht.606 Die meisten Autoren nennen den Schutz der Ruhetage der Arbeiterschaft sowie die Durchsetzung der 5-Tage-Woche als Zweck der Norm.607 Im Münchener Kommentar wird der Zweck der Norm in der „Heiligung der Sonn- und Feiertage“ gesehen, ohne einen religiösen Bezug herzustellen.608 Allein Repgen verweist ausdrücklich auf den christlichen Ursprung des Sonn- und Feiertagsparagraphen.609 Der Entstehungsgeschichte entsprechend diene die Norm dem Schutz der Sonntagsruhe des Leistungs- bzw. Erklärungsverpflichteten.610 Materiell soll die Norm also weiterhin einen weitläufigen Schutz der arbeitenden Bevölkerung durch eine Art „Heilighaltung“ der Sonnabende, Sonn- und Feiertage bezwecken, ohne dass dies religiös begründet wird. aa) Reiner „Freizeitparagraph“? In der Diskussion steht aber ein Bedeutungswandel des § 193 BGB.611 So sieht Ziegeltrum die Zweckbestimmung der Norm nunmehr in einem „Freizeitparagraphen“: 605 Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 988 Rn. 13; Rudorff, Ist § 193 auf Verjährungsfristen anwendbar?, AcP 1907 (102), S. 405 ff. 606 Ellenberger, in: Palandt-BGB, 2014, § 193, Rn. 1; Grothe, in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2012, § 193, Rn. 1; Heinrich, in: BeckOK-BGB, Edition 35, Stand 2015, Rn. 1; Niedenführ, in: Soergel, 13. Aufl. 1998, § 193, Rn. 2. 607 Ellenberger, in: Palandt-BGB, 2014, § 193, Rn. 1; Grothe, in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2012, § 193, Rn. 1; Heinrich, in: BeckOK-BGB, Edition 35, Stand 2015, Rn. 1; Niedenführ, in: Soergel, 13. Aufl. 1998, § 193, Rn. 2; Reimer, in: ErmanBGB, 14. Aufl. 2014, § 193, Rn. 1. 608 Grothe, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 193, Rn. 1; so auch Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 988 Rn. 13 (Fn. 65), S. 990 Rn. 15 mit einem Halbsatz; Ziegeltrum, Grundfälle zur Berechnung von Fristen, JuS 1986 (10), S. 784. 609 Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 3 sowie 1 ff. 610 Protokolle II Band 1, 1897, S. 193; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 3. 611 Ziegeltrum, Grundfälle zur Berechnung von Fristen, JuS 1986 (10), S. 784; vgl. Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 990 Rn. 15 (Fn. 80).
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
„Nach Einbeziehung der Samstage in die Regelung muss man den Zweck der Norm wohl allgemein in der Wahrung der Freizeit sehen.“612
Die vermeintliche Umwidmung des § 193 BGB zum Freizeitparagraphen macht er an der Einbeziehung des Sonnabends fest.613 Der Anwendungsbereich des § 193 BGB wurde 1965 im Zuge der Einführung der 5-Tage-Woche614 zu deren Schutz auf den Sonnabend erweitert.615 Die Erweiterung sollte eine tatsächliche Verkürzung von Terminen oder Fristenden, die auf einen Sonnabend fielen, verhindern.616 Unberücksichtigt bleibt in seiner Argumentation, dass die Einführung der 5-Tage-Woche auch der Entlastung des Sonntags dienen soll.617 Die 5-Tage-Woche ermöglicht, dass der Samstag zur Weiterbildung, sportlichen Betätigung und kulturellen Bereicherung genutzt werden kann, damit der Sonntag seinen Charakter als Ruhetag beibehält.618 Die so geschaffene Samstagskultur unterscheidet sich sogar wegen ihres Werktagcharakters grundlegend von der Sonntagsheiligung.619 Damit kann § 193 BGB allein wegen der Einbeziehung des Sonnabends seine Bedeutung für die Freihaltung des Sonntages nicht verloren haben. Hermann spricht von einer „Verschränkung“ der vorkonstitutionellen Intention der Sonntagsheiligung und des soziologischen Kampfes um Freiheit.620 bb) Zweck der Sonntagsheiligung in verfassungskonformer Auslegung Dass § 193 BGB auch heute noch als Schutzgarant der Sonntagsheiligung verstanden werden kann, unterstützt eine verfassungskonforme Auslegung 612 Ziegeltrum, Grundfälle zur Berechnung von Fristen, JuS 1986 (10), S. 784; vgl. Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 990 Rn. 15 (Fn. 80). 613 Ziegeltrum, Grundfälle zur Berechnung von Fristen, JuS 1986 (10), S. 784. 614 Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 989 f. Rn. 15; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 4; Spiegel, Gesetz über den Fristablauf am Sonnabend, BB 1965, S. 1002 ff. 615 Gesetz über den Fristablauf am Sonnabend v. 1. Oktober 1965 (BGBl. I 753); Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 989 Rn. 15; Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 91; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 4; Ziegeltrum, Grundfälle zur Berechnung von Fristen, JuS 1986 (10), S. 784. 616 BT-Drucks IV/3394, S. 3; Reimer, in: Erman-BGB, 14. Aufl. 2014, § 193, Rn. 1; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 4. 617 Vgl. Schulz, „Samstags gehört Vati mir“ – Der arbeitsfreie Samstag, 2002, S. 59. 618 Vgl. Schulz, „Samstags gehört Vati mir“ – Der arbeitsfreie Samstag, 2002, S. 59. 619 Vgl. Schulz, „Samstags gehört Vati mir“ – Der arbeitsfreie Samstag, 2002, S. 59. 620 Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 990 Rn. 15.
IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB151
des § 193 BGB. Denn der verfassungsrechtliche Schutz des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV621 für die Sonn- und Feiertage strahlt noch heute auf das Zivilrecht aus622 und erhellt so die Bedeutung der Norm.623 Einen entsprechenden Schutz gibt es für den Samstag nicht.624 Ziel der verfassungsrechtlich garantierten Feiertage ist die Sonntagsheiligung: „Der Schutz der Sonntage und der staatlich anerkannten Feiertage soll diese Tage als Tage der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung schützen, das heißt gewährleisten, daß die unmittelbar durch die Verfassung festgelegte besondere Zweckbestimmung dieser Tage durch gesetzliche Vorschriften hinreichend gesichert wird.“625
Darauf verweisen auch Gerichte bis heute: „Gemäß Art. 140 des Grundgesetzes i. V. m. Art. 139 der Weimarer Reichs verfassung bleiben der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt (…). Sie stellt nicht nur eine Institutsgarantie dar, sondern enthält einen Schutzauftrag an den Gesetzgeber im Sinne der Konkretisierung des aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG folgenden Grundrechts der Religionsfreiheit, dem er durch Gewährleistung eines Mindestschutzniveaus Gehalt gibt (…). Inhaltlich ist der Regelung ein religiöser, in der christlichen Tradition wurzelnder Gehalt eigen, welcher aber mit einer dezidiert sozialen und weltlich-neutral ausgerichteten Zwecksetzung einhergeht (…). Sie ist zudem als Konnexgarantie zu verschiedenen Grundrechten zu begreifen (…). So fördert und schützt die Gewährleistung von Tagen der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung nicht nur die Ausübung der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), sondern dient darüber hinaus der physischen und psychischen Regeneration und damit der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Die Statuierung gemeinsamer Ruhetage dient dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und der effektiven Wahrnehmung der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG). Schließlich ist der Sonn- und Feiertagsgarantie ein besonderer Bezug zur Menschenwürde beizumessen, weil sie dem ökonomischen Nutzendenken eine Grenze zieht und dem Menschen um seiner selbst willen dient (…).“626 621 Art. 139 WRV: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ vgl. hierzu Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 59. 622 Vgl. Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 434 ff. 623 „Aufgrund der Rechtsquellenhierarchie setzt der verfassungsrechtliche Schutz der Sonn- und Feiertage Maßstäbe für das einfache Recht.“, Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 73. 624 Vgl. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 91. 625 BVerwG, Urt. v. 07.09.1981, 1 C 43/78, NJW 1982, 899; so auch Schiepek: „Unausgesprochen steht hinter der obigen Begründung die christliche Heiligung des Sonntags und der (kirchlichen) Feiertage, obgleich die Verfassung weltanschaulichreligiöse Neutralität zusichert.“, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 436. 626 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.11.2011, 6 A 10584/11, GewArch 2012, 214; vgl. BVerwG, Urt. v. 07.09.1981, I C 43/78, GewArch 1982, 21.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Zu diesem Ziel der Sonntagsheiligung soll auch § 193 BGB verhelfen.627 Dies lässt erkennen, dass die Norm auch heute ihren christlichen Bezug nicht verloren hat. Im Gegenteil, die Erweiterung auf den Sonnabend entspricht dem ursprünglichen Zweck der Regelung, Ruhetage zu schützen,628 die der seelischen Erbauung des Arbeitenden dienen sollen. So merkt auch Weiler an: „Arbeitsruhe und Arbeitsschutz in der christlichen Sonntagskultur haben ihren besonderen Bezugspunkt auch in der Gesellschaft des religiösen Pluralismus behalten; über die rechtliche Normierung hinaus als Sinnbezug und als Menschenrecht auf Freizeit (…)“629
Die Sonntagsruhe gehört als „Zentralwert zu unserer Kultur“ und ist über § 193 BGB auch Teil des Bürgerlichen Rechts.630 cc) Anwendungsbereich der Norm Neben Sonnabenden und Sonntagen bezieht § 193 BGB auch heute noch gesetzlich anerkannte Feiertage in die Fristen des BGB ein.631 Von neun bundesweit anerkannten gesetzlichen Feiertagen sind sechs immer noch kirchlich begründet.632 Die Norm wird über ihren Wortlaut hinaus entsprechend auch auf Ausschluss- und Verjährungsfristen angewandt.633 Es bleibt den Parteien allerdings unbenommen, privatautonom Abweichendes zu vereinbaren.634 In der Praxis wird § 193 BGB in der Tat in der Branche der Verkehrsunternehmungen, Gastronomie und Touristik häufig abbedungen.635 627 „Die gesetzliche Regelung in § 193 BGB (…) diente ursprünglich allein der Wahrung der Sonntagsheiligung und Sonntagsruhe.“, BVerwG, Urt. v. 30.08.1973, II C 21/71, BVerwGE 44, 45; so auch Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 457. 628 Vgl. Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 61; Reimer, in: Erman-BGB, 14. Aufl. 2014, § 193, Rn. 1. 629 Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 17. 630 Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 81; vgl. auch Pribyl, Sonntag als Tag der wöchentlichen Arbeitsruhe, 1998, S. 134. 631 Als gesetzliche Feiertage bundesweit anerkannt sind: Weihnachten (zwei Feiertage), Karfreitag, Ostermontag, Christi Himmelfahrt und Pfingstmontag. Kirchliche Feiertage, die nur in einzelnen Bundesländern anerkannt sind, sind dann maßgeblich, wenn sie am Erklärungs- oder Leistungsort anerkannt sind. Ellenberger, in: PalandtBGB, 2012, § 193, Rn. 6; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 34, 36. 632 Vgl. Ellenberger, in: Palandt-BGB, 2014, § 193, Rn. 6; Reimer, in: Erman-BGB, 14. Aufl. 2014, § 193, Rn. 11; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 34, 36. 633 Grothe, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 193 Rn. 8; Hermann, in: HKK-BGB, 2003, S. 988 Rn. 13, Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 13; s. auch Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 75. 634 Ellenberger, in: Palandt-BGB, 2014, § 193, Rn. 4; Reimer, in: Erman-BGB, 14. Aufl. 2014, § 193, Rn. 8; Repgen, in: Staudinger-BGB, 2014, § 193, Rn. 48.
IV. Sonntagsheiligung am Beispiel des § 193 BGB153
dd) Zunehmende Bedeutung des Schutzes durch § 193 BGB Gerade vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Norm in dem durch Technik geschäftigen Alltag des stets erreichbaren Arbeitnehmers wieder an Bedeutung gewinnen wird. Denn die faktisch ständige Erreichbarkeit des Arbeitsnehmers hat einen schleichenden Prozess der Arbeitsoptimierung von fünf auf sieben Tage in der Woche ausgelöst.636 Die durch Technologien ermöglichte Flexibilität der Arbeitseinteilung führt dazu, dass die Arbeit auch an Sonntagen außerhalb der Geschäftsräume erledigt werden kann.637 Die Abgabe von Willenserklärungen über neue Technologien, wie Emails und SMS beispielsweise im Telekommunikationsvertragswesen, wirft die Frage nach Grenzen der Erreichbarkeit neu auf.638 Die ständige Erreichbarkeit widerspricht nicht nur dem Konzept der Feiertagsheiligung, sondern auch dem der 5-Tage-Woche.639 Nicht zuletzt deswegen rufen auch nicht christliche Kreise zu einer „Allianz für den Sonntag“ auf.640 Der sträflich vernachlässigte Sonntag soll der Familie und Gesellschaft wieder als „Tag innerer und gemeinsamer Besinnung und Erneuerung“ dienen.641 Auf diese Weise hat „christliche Sonntagskultur Tradition und Zukunft, wenn ihre historischen jüdisch-christlichen Wurzeln in der postindustriellen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik erhalten und wirksam bleiben.“642 Hierfür hat § 193 BGB besondere Bedeutung, da die Norm – im Gegensatz zu speziellen Rechtsgebieten – nach wie vor allgemein gültigen Charakter im BGB hat.643 Da der Staat verfassungsrechtlich dazu aufgefordert ist, die Feiertage durch 635 Vgl. Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 73; Ziegeltrum, Grundfälle zur Berechnung von Fristen, JuS 1986 (10), S. 786. 636 Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 11; vgl. auch Pribyl, Sonntag als Tag der wöchentlichen Arbeitsruhe, 1998, S. 119. 637 Altermatt/Metzger, Erosion der kirchlichen Sonntagskultur, 2002, S. 48; Pribyl, Sonntag als Tag der wöchentlichen Arbeitsruhe, 1998, S. 120. 638 Vgl. Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 69. 639 Vgl. Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 69. 640 Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 17; vgl. auch Achten, „… denn was uns fehlt, ist Zeit.“, 1988. 641 Schnarrer, Freiraum für Gott, 1998, S. 37; vgl. Holly, Sonntagsheiligung: Tag des Herrn, Gebot der Kirche, 1998, S. 72; Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 17. 642 Weiler, Sonntagskultur in der modernen Gesellschaft, 1998, S. 18; entscheidend für den Schutz der Sonntagsruhe unter Rückbesinnung auf ihren religiösen Kontext Schnarrer, Freiraum für Gott, 1998, S. 37. 643 So Mattner: „Eine zentrale Bedeutung kommt § 193 BGB zunächst deshalb zu, wie mit dieser Vorschrift – im Gegensatz zu Bestimmungen in speziellen Rechtsgebieten – die erste Normierung mit allgemein gültigem Charakter Einzug in das BGB erhielt.“, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 90.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
entsprechende rechtliche Bestimmungen zu schützen,644 ist es heute seine Aufgabe, dem Zweck des § 193 BGB gegen die Eigendynamik des Marktes wieder neue Geltungskraft zu verleihen. 5. Ergebnis: Sonntagsheiligung im BGB § 193 BGB kann daher bis heute als Schutz der spezifisch christlichen Sonn- und Feiertagsheiligung im BGB gelten. Die Sonntagsheiligung war Gegenstand der Debatte im Gesetzgebungsprozess. So wie es die Intention Gröbers war, Sonn- und Feiertage zum Schutze der Arbeiterschaft und Familienintegrität frei zu halten, bezweckt die Vorschrift auch heute noch die „Heiligung“ von Ruhetagen durch Schutzbestimmungen. In ihrem dispositiven Charakter ist die Norm beispielhaft für das „freundschaftliche Kooperationsverhältnis“645 zwischen Kirche und Staat im Bereich des Bürgerlichen Rechts. Zwar ist nicht jeder Bürger gezwungen, den Sonntag auf diese Weise heilig zu halten, jedoch ermöglicht und fördert der Staat dies darüber hinaus durch Schutzvorschriften wie § 193 BGB.646 Dass die Norm zunehmend als Freizeitparagraph verstanden wird, spricht allerdings für einen Wertanschauungswandel in einer Bevölkerung, die den Sonntag nicht mehr für die Ausübung der Religion nutzt. Das Fortbestehen der Norm bleibt dennoch eine Rezeption der christlichen Regeln für den Sonntag, die bis in das 21. Jahrhundert hineinwirkt und mit Blick auf die Zukunft, gerade wegen der zunehmenden Kommerzialisierung des Sonntages, neu an Bedeutung gewinnen sollte. Folglich zeigt sich, dass nicht nur der Wert der Nächstenliebe einen Stellenwert für einige Normen hatte, sondern auch der Wert der Sonntagsheiligung Einfluss auf das BGB genommen hat und bis heute fortwirkt.
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB Das christliche Verständnis von einer heiligen, unauflöslichen Ehe hat im BGB nicht nur das Eherecht stark geprägt.647 Um deren Einfluss auf den Normerlass des Ehemaklervertrags gemäß § 656 BGB zu untersuchen, soll auf eine kurze Einleitung in das christliche Verständnis von Ehe und in die Natural Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, 1991, S. 75. hierzu B.I.2. 646 Hiervon zeugen diverse andere Regelungen zum Schutz von Sonn- und Feiertagen wie §§ 188 Abs. 1, 216, 222, 791 ZPO. s. dazu eingehend Schiepek, Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage, 2003, S. 471 f. 647 s. dazu unten einige Beispiele unter C.VII. 644 Vgl.
645 Siehe
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 155
obligation des § 656 BGB (1.) eine Darstellung der Problemsituation des Gesetzgebers folgen (2.). Nachdem auf diese Weise ermittelt wird, weshalb die Ehemaklerbranche schon seit dem Mittelalter geächtet wurde, sollen die dem Gesetzgeber bei Normerlass bekannten Lösungen zur Regulierung des Ehemaklervertrags unter (3.) untersucht werden. Anschließend wird anhand der Lösung des Gesetzgebers, § 656 BGB in seiner heutigen Form, nachgewiesen, dass damalige kirchliche Idealvorstellungen von der Ehe neben dem Schutz der Privatheit in Prozessen wesentlich zu dem Normerlass beigetragen haben (4.). Zum Abschluss wird überprüft, inwiefern diese Sittlichkeitsvorstellungen auch heute noch in der Anwendung von § 656 BGB fortwirken (5.). 1. Einleitung a) Heiligkeit der Ehe im Christentum Die Heilighaltung und Achtung der Ehe als unauflöslicher Bund zwischen Mann und Frau ist beiden Konfessionen gemein.648 Damit dient die Ehe als „institutioneller Rahmen“ für die Verlässlichkeit, welche der gegenseitigen personalen Annahme immanent ist.649 Der Bruch der Ehe wurde schon im Alten Testament als schwere Sünde angesehen.650 Sie wird unter Rückgriff auf den Schöpferwillen im Schöpfungsbericht begründet.651 Durch das bedingungslose „Ja“ zu dem Ehepartner ahmt der Mensch die göttliche Liebe nach.652 So heißt es in 1 Joh 4, 16: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.“653 Auf der Grundlage dieses Verständnisses gilt die Ehe in der katholischen Kirche als Sakrament.654 Das Tridentinische Konzil hat die Ehe für die katholische Kirche als Sakrament definiert.655 Die Ehe ist nach katholischem Verständnis aufgrund ihrer sakramentalen Natur unauflöslich: 648 Böckle, in: Hertz/Korff (Hrsg.), Handbuch der christlichen Ethik Band 2, 1993, S. 119; Honecker, Grundriss der Sozialethik, 1995, S. 158; Höffner, Christliche Gesellschaftslehre, 1983, S. 103. 649 Rabl, Ehe als Sakrament, 2013, S. 51. 650 Ermecke, Spezielle Moral, Katholische Moraltheologie, Band III Teil 2, 1961, S. 383; s. auch das sechste Gebot des Dekalogs: „Du sollst deine Ehe nicht brechen.“ (Daraus wird auch das Verbot des außerehelichen Geschlechtsverkehrs abgeleitet.) und das neunte Gebot: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau.“; vgl. Egger, Chancen im Wertechaos, 2010, S. 277 ff.; Wolf, Rechtsgedanke und biblische Weisung, 1948, S. 50. 651 Schneider, Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 209. 652 Rabl, Ehe als Sakrament, 2013, S. 52. 653 Dazu Rabl, Ehe als Sakrament, 2013, S. 53. 654 Rabl, Ehe als Sakrament, 2013, S. 53. 655 Schon vorher hat Augustinus die Ehe als von Christus eingesetztes Zeichen für den Bund Christi mit der Kirche als seiner Braut gesehen. Es wurde aber nicht als
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
„Von Anfang der Schöpfung aber da schuf er sie als Mann und Weib. Darum soll der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei sollen zu einem Fleisch werden. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“.656
Auch die Reformatoren gehen basierend auf Mt 19,6 bzw. Mk 10,6 von der Unauflöslichkeit der Ehe aus: „Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“657 Nach reformatorischem Vertändnis hat die Ehe aber keine sakramentale Qualität.658 Die Unauflöslichkeit wird als normative Aussage über die Ehe aufgefasst, sodass Ausnahmen von dem Grundsatz der Unauflöslichkeit möglich sind und verschiedentlich angenommen wurden.659 b) Naturalobligation des § 656 BGB Die durch christliche Vorstellungen bewirkte Idealisierung der Ehe ist zu einem wesentlichen Faktor für den Normerlass von § 656 BGB geworden.660 Unter anderem weil die Abgeordneten der Reichstagskommission, die für den Erlass der Norm in ihrer heutigen Form gestimmt haben, die Vermittlung des heiligen Guts der Ehe für unsittlich hielten, verliehen sie dem Ehemaklervertrag lediglich die Wirkung einer unvollkommenen Verbindlichkeit, einer Naturalobligation.661 Die Regelung des Ehemaklervertrags wird deswegen auch als Manifest der Sittlichkeit im Recht bezeichnet.662 Seit 1900 gilt für Ehemakler: Quelle der Gnade gesehen, wodurch das tatsächlich bewirkt wird, wofür das weltliche Zeichen der Ehe steht. Vgl. Rabl, Ehe als Sakrament, S. 31; außerdem Böckle, in: Hertz/Korff (Hrsg.), Handbuch der christlichen Ethik Band 2, 1993, S. 119; Honecker, Grundriss der Sozialethik, 1995, S. 158; Höffner, Christliche Gesellschaftslehre, 1983, S. 103. 656 Mt 19, 6; „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“, Gen 1, 27; Böckle, in: Hertz/Korff (Hrsg.), Handbuch der christlichen Ethik Band 2, 1993, S. 130; Rauscher, Handbuch der katholischen Soziallehre, 2008, S. 281; Schneider, Jesusüberlieferung und Christologie, 1992, S. 187 ff.; Wojtyla, Liebe und Verantwortung, 2010, S. 308. 657 Pirson, Gesammelte Beiträge zum Kirchenrecht, Band 2, 2008, S. 649. 658 Pirson, Gesammelte Beiträge zum Kirchenrecht, Band 2, 2008, S. 649. 659 Pirson, Gesammelte Beiträge zum Kirchenrecht, Band 2, 2008, S. 649. 660 Vgl. hierzu auch ausführlich C.V.4.a). 661 Vgl. Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 378, 381; Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 187; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1508, Rn. 4. 662 So Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 377; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 277; Köbl, Persönlichkeitsschutz und Vermögensschutz im Recht der (finanzierten) Ehevermittlung, NJW 1972, S. 1442; Kotzian-Marggraf, in: BeckOK-BGB, 38. Edition, § 656, Rn. 1; Rachow,
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 157 „Durch das Versprechen eines Lohnes für den Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe oder für die Vermittlung des Zustandekommens einer Ehe wird eine Verbindlichkeit nicht begründet.“
§ 656 BGB ordnet also an, dass durch das Ehemaklerversprechen keine rechtliche Verpflichtung663 und infolge dessen keine einklagbare Forderung entsteht.664 Zahlt der Vermittlungsempfänger den Ehemaklerlohn, kann er ihn gemäß § 656 Abs. 1 S. 2 BGB trotzdem nicht zurückfordern.665 Der Gesetzgeber bringt so zum Ausdruck, dass durch das Versprechen zwar eine Pflicht im Sinne von Konvention und Anstand, nicht aber im Sinne der Rechtsordnung entstanden ist.666 § 656 BGB ist eine von zwei Naturalobligationen des BGB, bei denen keine Rechtsverbindlichkeit angeordnet wird.667 Die anderen Naturalobligationen des BGB versagen einer Forderung die Klagbarkeit, während die Rechtsverbindlichkeit aber grundsätzlich anerkannt wird.668 Naturalobligationen wählte der Gesetzgeber ausnahmsweise, wenn der rechtspolitische Wunsch bestand, den rechtlichen Erfolg eines Rechtsgeschäfts aus Wertungsgründen verhindern zu wollen669 oder wenn ein Prozess vermieden werden soll.670 In diesem Abschnitt wird daher die These aufgeDie rechtliche Behandlung von Online-Partnervermittlungen, MMR 2015, S. 152; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1008. 663 Vgl. BGH, Urt. v. 04.12.1963, VIII ZR 250/62, NJW 1964, 546; Hartl, Der Maklervertrag des BGB, 2001, S. 187; Larenz, Schuldrecht I, 1987, S. 20; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1508, Rn. 4. 664 Gleichzeitig besteht aber eine Einziehungsbefugnis, d. h. ein unabhängig von der Klagebefugnis bestehendes subjektives Recht, den Schuldner für eine Leistung oder ein Verhalten in Anspruch zu nehmen. s. hierzu Weller, Vertragstreue, 2009, S. 229. 665 Das Ehemaklerversprechen ist ein Erwerbsgrund im Sinne des Bereicherungsrechts. 666 Deswegen nennt Larenz die hierdurch entstandene Verbindlichkeit auch „Konventionalschuld“, Schuldrecht I, 1987, S. 22; Larenz/Canaris, Schuldrecht II Teil 1, 1986, § 54, S. 403. s. Näheres dazu unter V. 4. d). 667 „Durch (…) wird eine Verbindlichkeit nicht begründet.“, §§ 656, 762 BGB. s. Flume, Das Rechtsgeschäft, 1979, S. 95; Habersack, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 672, Rn. 3; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 82; Mansel, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 241, Rn. 21; Sutschet, in: BeckOK-BGB, 38. Edition, § 241, Rn. 24; aA: BGH, Urt. v. 8.07.1957, II ZR 57/56, BGHZ 25, 124; Schur, in: Soergel-BGB, 13. Aufl., 2012, § 656, Rn. 2. 668 So § 1297 BGB. Budzikiewicz, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 1297, Rn. 1; Roth, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 1297, Rn. 4, 6. Auch verjährte Forderungen nach Erheben der Einrede. Nach umstrittener Auffassung auch § 1001 BGB. Baldus, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 1001, Rn. 1 ff.; Berger, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 1001, Rn. 1. 669 § 762 BGB, bei dem deswegen keine Rechtsverbindlichkeit zustande kommt. 670 § 1297 BGB.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
stellt, dass eine rechtspolitische Wertung, die maßgeblich durch damalige christliche Wertevorstellungen von der Ehe geprägt wurde, der Grund für die Ungleichbehandlung des Ehemaklervertrages gegenüber anderen Verträgen war und deswegen noch ist. 2. Problemsituation bei Normerlass Um die These zu überprüfen, wird zunächst die Problemgeschichte der Ehevermittlung bei Normerlass untersucht. Wenn in den Gesetzesmaterialien behauptet wurde, die Vermittlung widerspreche dem „sittlichen Charakter der Ehe“,671 gilt es anhand der Problemgeschichte zu ermitteln, auf welche Wertnorm die Reichstagsabgeordneten sich bezogen, wenn sie die Ehevermittlung für unsittlich erklärten. Dies soll im Folgenden geschehen. Um die Argumente zur Begründung der sittlichen Missbilligung zu erfassen, ist ein Exkurs in die Problemgeschichte der Bewertung der Ehevermittlung notwendig, da die dabei verwendeten Argumente bei Begründung des Normerlasses reaktiviert wurden. Letztlich lassen sich drei verschiedene historische Einflüsse isolieren, die zu der sittlichen Verurteilung des Gewerbes durch die Reichstagskommission geführt haben: (a) Die Praxis, die der Gesetzgeber regulieren wollte, war ein über Jahrhunderte gewachsenes Geschäft, bei dem Makler gegen Entgelt Ehen vermittelten. In diesem Gewerbe gab es Auswüchse, denen nachgesagt wurde, dass sie unter Anwendung unseriöser Geschäftspraktiken Hilfestellung zu „unehelichem Geschlechtsverkehr“ leisteten und wuchernde Preise dafür verlangten.672 Hierdurch geriet das gesamte Gewerbe in Verruf. (b) Die Kirche, welche die Ehevorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts prägte und ihr Monopol auf dem Gebiet der Eheschließung bis zur Einführung der Zivilehe verteidigte, hatte im Mittelalter gegen die Ehevermittlung gekämpft. Die Ehevermittlung widerspreche der Heiligkeit der Ehe, weil es der Natur der Ehe nicht würdig gewesen sei, sie zum Gegenstand eines Geschäftes zu machen.673 (c) Hinzu trat eine aufklärerische Strömung aus Frankreich, welche die Ehe idealisierte und sie frei von jeglichen Suggestionen wissen wollte, durch die eine freie Entscheidung für den Ehepartner gefährdet werden könnte.674 671 Zum
Begriff der „Sittlichkeit“ s. oben A.IV. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 113; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 6. 673 Im Folgenden meint „christlich“ ausschließlich katholisch. Denn die protestantische Kirche erkennt die Ehe nicht als Sakrament an und stimmte nur teilweise mit den katholischen, für § 656 BGB maßgeblichen Keuschheitsvorstellungen überein. 674 Vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 166 f. 672 Vgl.
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 159
Solche Suggestionen könnte der Ehemakler wegen seines finanziellen Interesses an dem Zustandekommen der Ehe ausüben. Dies führte zu einer sittlichen Missbilligung des Ehemaklergewerbes in breiten Schichten der Gesellschaft. Die einzelnen Aspekte sollen unter Darstellung ihrer rechtlichen Folgen nachfolgend erläutert werden. a) Strafrechtliches Verbot der „Kuppelei“ Obwohl bereits das römische Recht unter Theodosius II. und Justinian die Ehevermittlung zu missbilligen schien,675 wurzelt die Grundablehnung der Ehevermittlung im Mittelalter. Die Einordnung der Ehevermittlung in den Kontext sündigen Verhaltens wurde durch die Tätigkeit von sogenannten „Kupplern“ befördert.676 Wie vorab geschildert, brachte ein Auswuchs des Heiratsvermittlergewerbes im Mittelalter, der durch Vermittlung zum Ehebruch und anderen außerehelichen Sexualakten verhalf, das Metier in Verruf. Für „Kuppelei“, wie diese Tätigkeit bezeichnet worden ist, wurden im Mittelalter im weltlichen Recht strikte Strafen677 angedroht.678 Beispielsweise untersagte Art. 123 in der Constitutio Criminalis Carolina unter dem Titel „Verkuppelung und hellffen zum ehebruch“ die Kuppelei.679 Der Wortlaut 675 So im Codex Theodosianus (C. Th. 3, 7, 1) und im Codex Justinianus: Consitutio nuptiarum proxenetam potissimum nihil accipere vult. (…) si vero convenerit, nun supra vicesimam partem dotis vel ante nuptias donationis exigere (…). Übers.: Die Konstitution bestimmt, dass ein Ehemakler überhaupt nichts bekommen soll. (…) ist aber eine Belohnung vereinbart worden, so soll er nicht mehr als den zwanzigsten Teil der Mitgift und des vor der Hochzeit gemachten Geschenks fordern dürfen (…), C 5, 1, 6. zit. in Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 38, 40. s. auch Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 187; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1510, Rn. 7. 676 Vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 109. 677 In den Stadtrechten: In Braunschweig Begräbnis bei lebendigem Leibe, in Dortmund und Hamburg auch Todesstrafe. Vgl. His, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, 1928, S. 152.; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 111. 678 Unter Kuppelei fiel auch die Anstiftung und Beihilfe zur Unzucht und unerlaubten Eheschließung. His, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, 1928, S. 152; vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 111. 679 „Nachdem zum dickernmall die unverstendigen weibsbillde, unnd zuvor die unschulldigen Meydlin, die sunt unverleumbt eerliche persoen seindt, durch etliche bose menschen, Mann unnd weiber, boser betruglicher weiss, damit jne jr junckfrawlich oder fraulich eere entnommen, zu sündtlichen fleischlichen werckenn gezogenn werden. Diesselbigen bosshafftigen kupler vnd kupplerin, (…), sollenn nach gelegennheit der verhandlung unnd Rat der Rechtsverstenndigen, es sey mit Verweisunge des Landts, stellung jnn Branger, Abschneydung der oren oder ausshawunge mit Ruten oder anderm, gestrafft werden.“, zit. in Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 111; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1511 f., Rn. 10.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
der Norm weist auf die religiöse Dimension der Ablehnung der Kuppelei hin: Es sei die Verführung „zu sündtlichen fleischlichem“. Den außerehelichen Geschlechtsverkehr erachtete die Kirche deswegen als „sündtlich“, weil der Geschlechtsakt nur im Rahmen der Ehe vollzogen werden dürfe.680 Der Geschlechtstrieb sollte danach unter den Primat des Geistes eingeordnet werden, die Geschlechtskraft auf das Ziel der Fortpflanzung hin geordnet und aufgrund dessen ausschließlich in der Ehe befriedigt werden.681 Aufgrund der sakramentalen Natur der Ehe war und ist deren Bruch, adulterium, eine schwere Sünde.682 Da Kuppelei zu außerehelichem Geschlechtsverkehr und Ehebruch verleitete, wurde sie deswegen auch nach kanonischem Recht als „Beihilfe“ zur schweren Sünde erachtet, als welche sie bis zum Ende des Mittelalters hart bestraft wurde.683 Der Begriff des „Kupplers“ wurde in der Folge in der Literatur synonym für den Ehemakler verwandt.684 Auf diese Geschäftspraktiken, der Beförderung außerehelichen Geschlechtsverkehrs sowie die Verleitung zum Ehebruch, ist der bereits zu dieser Zeit schlechte Ruf der Ehevermittlung zurückzuführen.685
Egger, Chancen im Wertechaos, 2010, S. 162. Egger, Chancen im Wertechaos, 2010, S. 162 ff.; Honecker, Grundriss der Sozialethik, 1995, S. 207; zur Tugend der Keuschheit auch im 21. Jahrhundert Wojtyla, Liebe und Verantwortung, 2010, S. 208 ff. 682 „Täuschet Euch nicht; weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder (…) werden das Reich Gottes erben.“, 1. Kor 6, 9; „Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben (…)“, Gal 5, 19; Ermecke, Spezielle Moral, Katholische Moraltheologie III Teil 2, 1961, S. 380 ff.; s. auch His, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, 1928, S. 140; s. auch das sechste Gebot des Dekalogs: „Du sollst deine Ehe nicht brechen.“ (Daraus wird auch das Verbot des außerehelichen Geschlechtsverkehrs abgeleitet.) und neunte Gebot: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau.“; vgl. Egger, Chancen im Wertechaos, 2010, S. 277 ff.; Wolf, Rechtsgedanke und biblische Weisung, 1948, S. 50. 683 Vgl. His, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, 1928, S. 140, 152. 684 Vgl. His, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, 1928, S. 152. 685 Die Kuppelei als Beförderung außerehelichen Geschlechtsverkehrs („Unzucht“) wurde im Übrigen bis zur Strafrechtsreform im Jahr 1973 gemäß §§ 180, 181 Abs. 1 StGB a. F. als Beihilfe zur Unzucht strafrechtlich belangt. Vgl. Renzikowski, in: MünchKomm-BGB, 2. Aufl. 2012, § 180, Rn. 13. Das Vermischen rechtlicher und sittlicher Bewertung dauerte mithin noch bis in die 80er Jahre an. s. auch das Urteil des BGH: „Innerhalb des Gesamttatbestandes der Kuppelei liegt daher ein sehr viel schwereres sittliches und rechtliches Unwerturteil auf dem Verhalten des Kupplers als auf dem Verhalten derer, die er fördert.“, Beschluss v. 17.2.54, GSSt 3/53, BGHSt 6, 46. 680 Vgl. 681 Vgl.
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 161
b) Ehe als Sakrament und der Handel mit geistlichen Gütern (Simonie) Ein weiterer Aspekt der kirchlichen (und darauf basierend gesellschaftlichen) Ablehnung des Ehevermittlungsgewerbes war die Heilighaltung der Ehe. Die Erhebung der Ehe zu einem Sakrament hatte die Einordnung der Ehevermittlung unter den Tatbestand der Simonie zur Folge. Unter Simonie verstand man den Handel mit geistlichen Sachen, unter anderem mit Sakramenten und Sakramentalien.686 Weil die Ehe vor dem 16. Jahrhundert als „uneigentliches Sakrament“687 gegolten hatte, konnte an ihr begrifflich noch keine Simonie begangen werden.688 Erst das Tridentinische Konzil erklärte die Ehe Mitte des 16. Jahrhunderts zu einem Sakrament.689 Das hatte zur Folge, dass die entgeltliche Vermittlung von Ehen fortan unter Einordnung als Simonie verboten wurde.690 Das kanonische Recht drohte für die Ehevermittlung mit dieser Begründung hohe Strafen an.691 Nachweise dafür, ob die Ehevermittlung auch in der weltlichen Gerichtsbarkeit nach kanonischem Recht sanktioniert wurde, existieren nicht.692 Aufgrund der mittelalterlichen Zuständigkeit der Kirche in Ehesachen693 ist es aber naheliegend, dass das kanonische Recht betreffend die Simonie Einfluss auf die gesellschaftliche Bewertung der Ehevermittlung genommen hat. Die negative Bewertung des 686 Vgl. „Simonie“, Lexikon für Theologie und Kirche, Band 9, 2000, S. 607; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 60. 687 Als Sakrament wird ein (äußeres) sichtbares, von Gott gesetztes Zeichen verstanden, das eine innere Heiligung durch Gottes Gnade andeutet, „Sakrament“, Lexikon für Theologie und Kirche, Band 9, 1937, S. 80, 86. Diese innere Wirkung wurde der Ehe zunächst nicht zugesprochen. Vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 67. 688 Vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 66 ff.; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1511, Rn. 9. 689 D. h. der Ehe wird kraft des Aktes der Trauung eine religiöse Wirkung beigemessen, die in ihrer Unauflöslichkeit vor Gott besteht. Concil Trid., sessio XXIV, canones super reformatione circa matrikmonium, Caput 1. s. Originaltext bei Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1511, Rn. 9 (Fn. 27). Vgl. Friedberg, Lehrbuch des Kirchenrechts, 1909, S. 386 f.; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 68. 690 Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 68; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1511, Rn. 9; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 10. Anders im Übrigen die evangelische Kirche, welche die Ehe nicht als Sakrament erachtet und daher die Ehemakelei auch nicht als Simonie bezeichnete. Die evangelischen Kirchenrechtler setzten sich in der Folge auch nicht mit der Frage der Zulässigkeit von Ehemakelei auseinander. Dies obliege nach Luther den weltlichen Gerichten. Friedberg, Lehrbuch des Kirchenrechts, 1903, S. 388 f. 691 Vgl. „Simonie“, Lexikon für Theologie und Kirche, Band 9, 1937, S. 583; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 9. 692 Vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 58. 693 Eheangelegenheiten fielen als res spirituales der Gesetzgebungs- und Rechtsprechungskompetenz der Kirche zu. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 58.
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„Handels“ von Ehemaklern mit dem heiligen Gut der Ehe dürfte ihren Ursprung jedenfalls in den Simonie-Regelungen der Kirche haben.694 Neben Keuschheitserwägungen ist die kritische Haltung der Kirche zu der Ehevermittlung sicherlich auch darauf zurück zu führen, dass der Handel mit der Ehe das Monopol der Kirche im Bereich der Eheschließung in Frage stellte. Ehemakler kommerzialisierten einen Bereich, den die Kirche in Gänze beherrschte – eine staatliche bzw. zivilrechtliche Eheschließung gab es noch nicht.695 Der Kampf um die Wahrung des Monopols im Bereich der Eheschließung würde jedenfalls die ungewöhnlich hohen Strafen für die Ehevermittlung, d. h. für einen Akt, der in sich nicht zwingend unsittlich ist, erklären. c) Suggestionsgefahr Aber auch jenseits der religiösen Missbilligung der Ehevermittlung entwickelte sich eine Abneigung gegen die Ehevermittlung. Die Naturrechtslehre von v. Pufendorf696 und v. Wolff697 legte hierfür den Grundstein. Sie wollten den Abschluss des Ehevertrages frei von äußeren Faktoren wissen, welche die Unabhängigkeit des Willens der Ehegatten in ihrer freien Entscheidung füreinander beeinflussen könnten.698 Die Ehe wurde zum Ideal der freiheitlichen Selbstbestimmung. Diese naturrechtlichen Vorstellungen nahmen Einfluss auf die französische Rechtsprechung und den nach französischem Recht urteilenden Teil der deutschen Judikatur.699 Die französische Rechtsprechung700 Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 7. Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 38. 696 Für v. Pufendorf war die Ehe ein Vertrag mit ehelichen Pflichten. Die Willensfreiheit, diesen Vertrag abzuschließen, müsse dabei unbedingt zu wahren sein. Es dürften keine Fehlvorstellungen über den Partner hervorgerufen werden. v. Pufendorf, De iure, libri 6, 1744, Caput 1, § XXVI. Vgl hierzu Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 154 ff., 158. 697 Für v. Wolff war ein auf Furcht oder Gewalt beruhendes Versprechen ungültig: „Promissio vi vel motu extorta lege naturae prohibita est, consequenter invalida.“ – Übers. der Verf.: Ein Versprechen, das durch Gewalt und Furcht abgenötigt ist, ist nach dem Gesetz der Natur verboten, folglich unwirksam. v. Wolff, Institutiones iuris naturae et gentium, 1763, § 406. Für ihn stand die Unabhängigkeit des Willens im Vordergrund. v. Wolff, Institutiones iuris naturae et gentium, 1763, § 77; vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 162 ff. 698 Vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 166 f. 699 Vgl. Kohler, Die Ideale im Recht, ArchbR 1891 (5), S. 170. Zur französischen Rechtslage des Ehemakelvertrags Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 206 ff., 245; vgl. Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1513, Rn. 11. 700 Zuerst im Urteil d. Cassationshofes v. 1.5.1855: „attendu que la mariage étant, dans le systeme de notre legislation, un engagement irrévocable qui touche aux inté694 Vgl. 695 Vgl.
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rückte die unbedingte Willensfreiheit zum Entschluss der Ehe in den Vordergrund der Debatte um die Sittlichkeit von Ehemaklerverträgen.701 Ziel dieser Bemühungen war es, den Ehevertrag von sämtlichen Suggestionen freizuhalten, die der Ehemakler durch sein Interesse am Erfolg seiner Maklertätigkeit auf die Eheschließung ausüben könnte.702 d) Zwischenergebnis Erst vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit wird verständlich, weshalb die Einführung einer die Ehevermittlung regulierenden Bestimmung diskutiert wurde. Die gesellschaftliche Bewertung der Ehevermittlung wurde vorerst durch die Simonie-Regelungen sowie die strafbewehrten Praktiken der „Kuppelei“, welche fälschlicherweise auf die Ehevermittlung projiziert wurden, geprägt. Später traten Erwägungen zur Freiheitlichkeit des Eheentschlusses dazu, die zuerst von der französischen Rechtsprechung aufgegriffen worden sind. Mit Schöpf lässt sich feststellen: „Im großen und ganzen gründen sich alle Einwände, die im Laufe der Zeit gegen die entgeltliche Heiratsvermittlung vorgebracht wurden, entweder auf Bedenken gegen Praktiken der Ehemäkler, soweit diese einem ordentlichen Geschäftsgebaren widersprachen, oder aber die Ablehnung hatte ihre Wurzeln tiefer, im sittlichen Bereich.“703
3. Bekannte Lösungsansätze bei Normerlass Für die mit der Gesetzgebung Beauftragten stellte sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob Ehemaklerverträge rechtlich anders behandelt werden sollten als andere Maklerverträge. Hierzu waren verschiedene Lösungs rets les plus élevés de la famille et de la société, dont il est la base essentielle, le consentement des époux qui s’unissent ou des parents qui ont autorité sur eux doit etre libre, éclairé, et par conséquent affranchi de toute inluence étrangère et intéressée à altérer la moralité et la liberté du consentement est par cela meme contraire au voeu de la loi, à l’ordre public et aux bonnes moeurs (…)“, Sirey, Recueil general 55, I S. 348, abgedr. bei Kohler, Die Ideale im Recht, ArchbR 1891 (5), S. 170. So wird es auch später durch den Appellhof Paris am 3.2.1859 festgestellt: „que les bonnes moeurs et la moralité publique sont intéressées a ce que le consentement des parties, lors des marriages, soit complétement libre et dégagé de toutes influences étrangères que l’on pourrait acheter à prix d`argent.“, Sirey, Recueil general 59, II S. 295 abgedr. bei Kohler, Die Ideale im Recht, ArchbR 1891 (5), S. 171. 701 Vgl. Kuhlenbeck, Rechtsprechung des Reichsgerichts in Beziehung auf die wichtigsten Begriffe, JW 1896, S. 224; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 16 ff. 702 Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 195 ff. 703 Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 7.
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ansätze bekannt.704 Die Mehrheit sah die Forderung nach dem Lohn für die Vermittlung einer Ehe als „unehrenhaft“ an.705 Aus dieser Unehrenhaftigkeit wurden allerdings verschiedene Schlüsse gezogen. Einige sahen die Unehrenhaftigkeit jenseits des Rechtlichen verwurzelt und erkannten das Lohnversprechen deswegen grundsätzlich als wirksam an. (s. a)) Diskutiert wurde dabei allein, ob der Ehemaklervertrag gegen die guten Sitten verstieß. Andere wiederum folgerten aus der Unsittlichkeit auch die Nichtigkeit des Lohnversprechens (s. b)). Heinsheimer706 befürwortete die Unklagbarkeit des Lohnversprechens, aber nicht aus Gründen der Unsittlichkeit (s. c)). a) Wirksames Lohnversprechen im Anschluss an gemeinrechtliche Tradition Einige behandelten den Ehemaklervertrag ebenso wie andere Maklerverträge und plädierten dafür, im Einzelfall darüber zu entscheiden, ob ein Ehevermittlungsversprechen gegen die guten Sitten verstößt.707 Entsprechend sah man den Ehemaklerlohn nur im Einzelfall als verwirkt an.708 In dem bloßen Stiften der Ehe sahen die Gerichte wegen der Sittlichkeit der Ehe nichts Anstößiges.709 Die Ehe sei „selbst ein sittlich-religiöses Institut, die Beihülfe eines Dritten zur Auffindung und Erlangung einer passenden Ehefrau somit die Beförderung eines sittlichen Zweckes“.710 Moralische Bedenken könnten 704 Vgl. auch den Hinweis auf die unterschiedlichen Regelungen in Motive II, 1888, S. 511. 705 Vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 126; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1511, Rn. 10. Den Ehemaklerlohn wegen Unsittlichkeit ablehnend Kuhlenbeck, Rechtsprechung des Reichsgerichts in Beziehung auf die wichtigsten Begriffe, JW 1896, S. 224. 706 Heinsheimer, Heiratsvermittlung, PucheltZ 1873 (3), S. 27 ff. 707 So hatte es das gemeine Recht vorgesehen. Außerdem Art. 676 des dresdnerischen Entwurfs unter Vorbehalt der Landesgesetze u. § 35 Abs. 3 GewO in der Redaktion vom 1. Juli 1883. Vgl. Oberappellationsgericht Dresden vom 3.2.1859, Annalen des Königlich Sächsischen Oberappellationsgerichts zu Dresden, Band 1, S. 40; Motive II, 1888, S. 511. Scherer, Ist die Ehemakelgebühr klagbar?, 1890, Badische Annalen, Band 56, S. 16 ff.; s. für weitere Nachweise Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 261 f. 708 Motive II, 1888, S. 511. Außerdem Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 378; Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 187; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 234; Kuhn, Zur Lehre vom Maklergeschäfte, Archiv für Praktische Rechtswissenschaft, N.F. Band 6, 1869, S. 225 ff. 709 Obertribunal Stuttgart, Urt. v. 29.5.1858, Zeitschrift für Rechtspflege in Württemberg Band 1, 1859, S. 21 ff.; vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 219. 710 Obertribunal Stuttgart, Urt. v. 29.5.1858, Zeitschrift für Rechtspflege in Württemberg Band 1, 1859, S. 21. Die Ausführungen verstehen sich vor dem Hintergrund,
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 165
allein von einem „höheren sittlichen Standpunkt aus“ erhoben werden.711 Für den Rechtsverkehr kämen solche „feineren Ansichten“ aber nicht in Betracht.712 Dies gelte insoweit, als sich Makler keiner Mittel bedienten, welche zu einer Beeinträchtigung der Eheentschlussfreiheit führen könnten.713 In diesem Kontext tritt das bereits erwähnte Argument der Suggestionsgefahr auf.714 Man befürchtete, dass das finanzielle Interesse des Maklers dazu führen könnte, dass er den Auftraggeber in seiner Entscheidung, die Ehe einzugehen, beeinflusste. b) Nichtigkeit des Lohnversprechens Eine weitere Möglichkeit war es, das Eheversprechen grundsätzlich für nichtig zu erklären.715 So erklärte das Sächsische BGB aus dem Jahre 1865 das Lohnversprechen in § 1259 für nichtig.716 Noch der erste Entwurf von 1852 hatte keine entsprechende Regelung enthalten.717 Erst die Revisionskommission fügte das den § 1259 umfassende Kapitel zu den Maklerverträgen hinzu.718 Den Sitzungsprotokollen der Revisionskommission lassen sich die Motive für die Regelung entnehmen.719 Die Mehrheit der Kommission dass die Zivilehe als rechtlich nicht von seiner religiösen Dimension zu trennendes Institut verstanden wurde. 711 Obertribunal Stuttgart, Urt. v. 29.5.1858, Zeitschrift für Rechtspflege in Württemberg Band 1, 1859, S. 22. 712 Obertribunal Stuttgart, Urt. v. 29.5.1858, Zeitschrift für Rechtspflege in Württemberg Band 1, 1859, S. 22; s. auch Kuhn, Zur Lehre vom Maklergeschäfte, Archiv für Praktische Rechtswissenschaft, N.F. Band 6, 1869, S. 246 f. Dem widersprechend Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 96. 713 Wie beispielsweise eine Täuschung über die Eigenschaften des vermittelten Partners, Obertribunal Stuttgart, Urt. v. 29.5.1858, Zeitschrift für Rechtspflege in Württemberg Band 1, 1859, S. 24 f.; so auch Kuhlenbeck, Rechtsprechung des Reichsgerichts in Beziehung auf die wichtigsten Begriffe, JW 1896, S. 224; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 220. 714 Siehe dazu die Problemgeschichte der Vermittlung unter C.V.2.c). 715 § 1259 Sächsisches BGB und Kurhessische Verordnung v. 27. März u. 29. Mai 1804; s. Motive II, 1888, S. 511. 716 „Das Versprechen einer Maklergebühr für die Nachweisung einer heirathsfähigen Person oder die Vermittlung einer Ehe ist nichtig.“, zit. in Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 188 (Fn. 4); Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 261; zustimmend zu der Rechtsauffassung Kuhlenbeck, Rechtsprechung des Reichsgerichts in Beziehung auf die wichtigsten Begriffe, JW 1896, S. 224. 717 Buschmann, in: Erler (Hrsg.), HRG, Band IV, 1990, unter: Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch, Sp. 1243 f.; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 262. 718 Buschmann, in: Erler (Hrsg.), HRG, Band IV, 1990, unter: Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch, Sp. 1244 f.; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 262. 719 Buschmann, in: Erler (Hrsg.), HRG, Band IV, 1990, unter: Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch, Sp. 1245; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 262 f.
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befand es danach für unvereinbar mit der sittlichen Natur der Ehe, die Eingehung derselben zum Gegenstand einer geschäftlichen Vermittlung zu machen und wollte deshalb „jede Aussicht auf die rechtliche Möglichkeit, einen Erwerb aus der Ehemakelei zu ziehen“ abschneiden.720 c) Unklagbarkeit des Lohnversprechens Heinsheimer befürwortete die Ehevermittlung als solche, wandte sich aber 1872 gegen die Einklagbarkeit des Maklerlohnanspruchs.721 Man müsse Prozesse bedenken, in denen es um unerfüllte Zusicherungen des Maklers zur vermittelten Person ginge.722 Hierdurch könne das Fundament der Ehe erschüttert und ihre Unauflöslichkeit gefährdet werden.723 Ausgeschlossen werden sollten deshalb gleichermaßen die Zahlungsklage wie auch die Rückforderung eines bereits gezahlten Ehemaklerlohns.724 Gerade letzterer Fall ließ die Offenlegung von unangenehmen Details zu den nicht erfüllten Eigenschaften des vermittelten Partners befürchten. 4. Lösung des Gesetzgebers Der erste Entwurf des BGB enthielt im Anschluss an das gemeine Recht [3.a)] noch keine besondere Regelung für den Ehemaklervertrag.725 Erst in der Reichstagskommission hatten die Zentrumsabgeordneten Letocha, Gröber, Lieber und Rembold folgenden Antrag nach dem Vorbild des Sächsischen BGB [3.b)] gestellt: „Das Versprechen eines Vermögensvortheils für die Nachweisung einer heiratsfähigen Person oder für die Vermittlung einer Ehe ist nichtig.“726 720 Oberappellationsgericht Dresden vom 7.12.1875, Annalen des Königlich Sächsischen Oberappellationsgerichts zu Dresden, 2. Folge, Band 4, S. 513 ff., 520, 378 ff. zit. in Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 262 f. 721 Heinsheimer, Heiratsvermittlung, PucheltZ 1873 (3), S. 36; vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 235 ff. 722 Heinsheimer, Heiratsvermittlung, PucheltZ 1873 (3), S. 38 f.; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 236. 723 Heinsheimer, Heiratsvermittlung, PucheltZ 1873 (3), S. 38; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 236. 724 Heinsheimer, Heiratsvermittlung, PucheltZ 1873 (3), S. 38; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 236 f. 725 Hinweis auf die unterschiedlichen Regelungen in Motive II, 1888, S. 511 f.; vgl. Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 188; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 271 ff.; Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 9; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1513 f., Rn. 12. 726 Nummer 52 Kommissionsdrucksachen. Inhaltlich entspricht die beantragte Norm § 1259 des Sächsischen BGB. Vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 274,
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 167
Der Antrag wurde abgelehnt.727 Ein Ehevermittlungsvertrag könne nicht schlechthin für nichtig erklärt werden, es hänge von den Umständen des Einzelfalles ab, ob ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegen würde.728 Daraufhin verfassten die Abgeordneten die Vorschrift neu und Letocha brachte sie in die Beratung ein: „Durch das Versprechen eines Vermögensvorteils für die Nachweisung einer heiratsfähigen Person oder Vermittlung einer Ehe wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. Das auf Grund eines Versprechens Geleistete, kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestand.“729
Der Antrag fand überraschend fraktionsübergreifend Zustimmung in der Reichstagskommission und wurde mit großer Mehrheit angenommen.730 Die Reichstagskommission entschied sich also für einen der bereits von Heinsheimer bekannten Lösungsansätze [3.c)]. Initiator der Einführung des § 656 BGB war auch bei dieser Norm731 mithin das Zentrum. Wie im Folgenden darzustellen sein wird, rekurrierte das Zentrum seinerseits auf fremde Wertungen. Denn die Initiative wird auf einen von Kohler verfassten Aufsatz zurückgeführt, in dem er für die Nichtigkeit des Ehemaklerlohnversprechens wegen dessen Unsittlichkeit eintritt.732 So heißt es auch in den Materialien, es widerspreche der sittlichen Natur der Ehe, deren Eingehung zum Gegenstand einer geschäftlichen Vermittlung zu machen.733 [s. hierzu a) und b)] Zuletzt bringen die Abgeordneten des Reichstages durch Befürwortung der Gestalt einer Naturalobligation – statt der Nichtigkeit des Ehemaklerversprechens – eine weitere Wertung in den Normerlass ein: Den Schutz der Privatheit vor ärgerlichen Prozessen.734 Dies 277; Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 10; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 219. 727 Motive II, 1888, S. 511; Mugdan, Materialien IV, 1979, S. 1286. 728 „Ob ein Vertrag der fraglichen Art im gegebenen Fall in Gemäßheit des § 106 als nichtig anzusehen ist, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab.“, Hinweis auf die unterschiedlichen Regelungen in Motive II, 1888, S. 511; Mugdan, Materialien IV, 1979, S. 1286; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1513 f., Rn. 12. 729 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1292; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 275; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 221. 730 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 11; vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 276; Vormbaum, Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 1997, S. 184. 731 Wie bereits bei § 138 Abs. 2 (s. C.II.3.a)) und § 193 BGB (s. C.IV.3.c)). 732 Siehe unten dazu C.V.4.a)bb). Außerdem Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 10. 733 Vgl. Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1293; vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 262. 734 So auch Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 21; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1008 f.
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ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen: Prozesse wegen Heiratsvermittlung gäben „zu allergrößten Ärgernissen Anlaß“.735 [siehe dazu c)] Die vom Gesetzgeber genannten Gründe für die Einführung des Ehemaklervertrags werden unter d) gegeneinander abgewogen, um zu untersuchen, inwieweit das christliche Ideal der Ehe zu der Einführung der Norm beigetragen hat. Im Folgenden sollen diese beiden Begründungskategorien vor dem Hintergrund der Problemgeschichte erläutert werden. a) Sittlichkeit als Begründungskategorie der Reichstagskommission Wörtlich heißt es in dem Bericht der Reichstagskommission: „Die große Mehrheit der Bevölkerung betrachte unzweifelhaft das Nehmen und Geben eines Lohns für Heiratsvermittlung als unsittlich, mindestens unanständig und werde es für eine schwere Beleidigung halten, wenn ihr ein derartiges Verhalten nachgesagt werde.“736
Weiter steht dort: „Sei diese allein mit dem sittlichen Charakter der Ehe vereinbare Auffassung noch nicht in allen Kreisen durchgedrungen, so sei dies Grund mehr, ihr durch die erziehliche Wirkung des BGB zum Durchbruch zu verhelfen.“737
Mithin wird behauptet, dass die Sittlichkeitskategorie von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Welche sittliche Bewertung die Abgeordneten zugrunde legen, wird nicht genannt. Es sprechen mehrere Indizien dafür, dass die Wertnormen, auf die sich der Sittlichkeitseinwand bezieht,738 der christliche Wert der Ehe und der Keuschheit ist. aa) Wertungen des Zentrums Das Zentrum förderte die Einführung der Norm.739 Die Protokolle geben einige der Reflexionen der Abgeordneten wieder.740 Dort heißt es, der Antrag 735 Mugdan,
Materialien II, 1979, S. 1293. Bericht der Reichstags-Kommission, 1896, S. 53; Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1293; zit. in Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 91. s. auch Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 189; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 276. 737 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1293; vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 276. 738 Denn der Sittlichkeitsbegriff steht stets in Bezug zu einer Wertgröße. Siehe dazu die Einleitung A.IV.). 739 Vgl. Vorwärts – Berliner Volksblatt, 20.3.1896, in: Vormbaum, Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 1997, S. 182. 740 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1292. 736 Enneccerus,
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sei gestellt worden, um „den unsittlichen entgeltlichen Heirathsvermittlungen entgegenzutreten“.741 Die beteiligten Abgeordneten, Letocha, Stadthagen und Bachem führten zur Begründung an, dass es der Heiligkeit der Ehe von Mann und Frau widerspreche, wenn diese wie Waren ausgeboten und verschachert würden.742 Die Heiligkeit der Ehe, mithin die damit begründete Bewertung der Ehevermittlung, leitete das Zentrum aus christlichen Idealen ab, wie sich in der Diskussion derselben Abgeordneten um die Einführung der Zivilehe offenbarte.743 Daher kann davon ausgegangen werden, dass der Antrag zur Einführung des § 656 BGB zum Schutze einer christlich verstandenen Natur der Ehe gestellt und befürwortet wurde.744 bb) Import der Wertungen Kohlers Zu den eigenen Wertungen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten tritt der bereits angedeutete Einfluss durch die Wertungen Kohlers in seinem zwischenzeitlich veröffentlichten Aufsatz unter dem Thema „Ideale im Recht“.745 Unter anderem stand nach Auffassung von Gilles,746 Jung747 und Schöpf748 die Reichstagskommission erkennbar unter dem Einfluss seiner Anschauung. Das behauptete auch Kohler selbst: „Ich darf wohl annehmen, daß dieser Artikel des Reichsrechts zu den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches gehört, die mit auf meine Anregung zurückzuführen sind (…).“749 741 „Um den unsittlichen entgeltlichen Heirathsvermittelungen entgegenzutreten, wurde die Annahme des § 643 c beantragt.“, Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1292. 742 Vorwärts – Berliner Volksblatt, 20.3.1896, in: Vormbaum, Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 1997, S. 182. 743 „Das christliche Volk sieht in der Ehe etwas ganz anderes als einen bürgerlichrechtlichen Akt zwischen zwei Menschen, die zusammenkommen und nachher wieder auseinander gehen können im Wege der Scheidung. Nein, dieses religiös-sittliche Element der Ehe hält auch den Staat zusammen, die bürgerliche Gesellschaft in ihrer Grundlage (sehr gut! Aus der Mitte) (…)“, Mugdan, Materialien I, 1979, S. 860 ff. 744 Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, dass die Protagonisten der Diskussion Letocha und Bachem waren. Eben diese verwiesen an anderer Stelle auf die sakramentale Natur der Ehe und vertraten damit die Auffassung des Zentrums. s. auch Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 221. 745 Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 90. Vgl. Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 188 (Fn. 7); dies vermutet auch Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 10; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1514, Rn. 12. 746 Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 379. 747 Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 279. 748 Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 40. 749 Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 90.
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Kohler trat in diesem Aufsatz für die Nichtigkeit von Ehemaklerlohnversprechen wegen ihrer Unsittlichkeit ein.750 Obwohl die Reichstagskommission sich gegen die Nichtigkeit des Ehemaklerversprechens entschieden hat, schienen seine Ausführungen und Wertungen die Abgeordneten davon überzeugt zu haben, den Ehemaklervertrag zu regulieren. Welchen Sittlichkeitsmaßstab er zur Bewertung der Ehevermittlung anwandte, lässt sich anhand einer Synopse seiner Veröffentlichungen ermitteln. Er begründete die Unsittlichkeit der Ehevermittlung damit, dass es dem Wesen und der „Würde der Ehe“ widerspräche, sie zum Gegenstand eines entgeltlichen Geschäfts zu machen.751 Diese Würde zeichnete die Ehe als „Idealinstitut höchsten Ranges“ aus, welches „zur geistigen Erhebung des Menschen“ führe.752 Wer die Vermittlung von Ehepartnern gegen Entgelt zuließe, würde diese „seelischen Faktoren“ zugunsten der „Vermögensseite“ zurückdrängen.753 Kohler leitete die „Würde der Ehe“754 aus ihrer religiöschristlichen Natur ab.755 Das legt folgende Aussage nahe: „Die Ehe, dieses Institut, das unsere Rechtsordnung mit aller Scheu umgibt, das sie als lebenslänglich der Kündigung und Lösung entzieht, dieses Institut, das unsere Lebensübung mit religiöser Sanktion verbindet, das man auf himmlische Einflüsse zurückführt, sollte nicht Gegenstand eines solchen psychologischen Handels, eines Schacherns und Feilschens sein dürfen“.756 (Hervorhebung durch die Unterzeichnerin)
Er umschreibt letztlich die sakramentale Natur der Ehe.757 Der Handel mit einem solchen sakramentalen Gut sei sittlich verwerflich. Dabei wirken seine 750 So auch Kuhlenbeck, Rechtsprechung des Reichsgerichts in Beziehung auf die wichtigsten Begriffe, JW 1896, S. 221; vgl. Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 37. 751 Kohler, Die Ideale im Recht, ArchBR 1891 (5), S. 163 f.; Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 89, 91; vgl. Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 379; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 244. 752 Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 89, 91. Vgl. hierzu Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 10. 753 Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 91; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1514, Rn. 12. 754 Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 91. 755 An anderer Stelle wird seine Einstellung zur Berücksichtigung religiöser Vorstellungen im Recht deutlich: „Das Recht hat sich nicht bloß nach den realen Bedürfnissen der Menschen zu richten, sondern auch nach den Sittlichkeits-, Schönheitsund Religionsbestrebungen (…); dass die religiösen Ideen weit und tief in die Rechtsbildung eingegriffen haben und zeitweise Institute (…) Ebenso haftet aber auch unser Recht noch tief in religiösen und sittlichen Vorstellungen (…)“, Kohler, Die Ideale im Recht, ArchBR 1891 (5), S. 162. 756 Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 94 f.; s. auch Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 244.
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Ausführungen so, als seien sie von dem unter 2.b) vorgestellten kirchlichen Simoniegedanken beeinflusst.758 Der Wert der Ehe, seine Heilighaltung, verbot also Kohlers Auffassung nach den Handel mit der Ehe. Er behauptete, dass die Kommission diesem „Ideengang“ gefolgt sei.759 Wahrscheinlich durch Kohlers Ideale inspiriert, importierten die Abgeordneten in der Tat seine Wertungen, wenn sie die Regulierung des Ehemaklervertrags als „diese allein mit dem sittlichen Charakter der Ehe vereinbarte Auffassung (…)“ bezeichneten.760 Sie griffen dabei alte, unter 2.) erläuterte Argumentationsmuster auf. Sein gedanklicher Einfluss äußert sich auch an anderer Stelle.761 So übernahm die Kommission seine Idee von einer erzieherischen Funktion des Rechtes.762 Eingebracht wurde Kohlers Idee durch Enneccerus, wenn er darauf hinwies, dass es die Aufgabe des Gesetzgebers sei, „auf die Veredelung der sittlichen Anschauungen des Volkes hinzuwirken.“763 Auch in dem Kommissionsbericht wird auf den erzieherischen Auftrag des Gesetzgebers in sittlicher Hinsicht hingewiesen.764 Der Gesetzgeber müsse der landläufigen Praxis der Beanspruchung von Ehemaklerdiensten durch § 656 BGB entgegen wirken.765 Die Beurteilung des Ehevermittlungsvertrages könne nicht dem Regime des § 138 BGB überlassen werden.766 Folglich sollte die Norm 757 Vgl.
zur sakramentalen Natur der Ehe C.V.1.a) und C.V.2.b). zur Simonie C.V.2.b). 759 „Ich führe den Bericht nicht als Interpretationsmittel, sondern zum Beweis, daß in der Reichstagskommission der Ideengang herrschte, wie ich ihn z. B. durch meine Schrift in weiteren Kreisen in Anregung zu bringen suchte.“, Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 91. 760 Siehe oben Fn. 737. So auch Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 12. 761 Vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 276; auch Reinkenhof, in: HKKBGB, 2013, § 656, S. 1515, Rn. 12. 762 Siehe hierzu Kohler, Die Ideale im Recht, ArchBR 1891 (5), S. 169 f.; s. auch Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 12. 763 Jacobs/Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983, S. 11; zit. in Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1515, Rn. 12 sowie in Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 222. 764 „Sei diese allein mit dem sittlichen Charakter der Ehe vereinbare Auffassung noch nicht in allen Kreisen durchgedrungen, so sei dies Grund mehr, ihr durch die erziehliche Wirkung des BGB zum Durchbruch zu verhelfen.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin), Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1293. 765 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1293; so Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 222; vgl. Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1515, Rn. 12. 766 Vgl. Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1292; Reuter, in: StaudingerKommBGB, 2010, § 656, Rn. 1; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 41. 758 Siehe
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nicht nur ein unsittliches Verhalten sanktionieren, sondern darüber hinaus das Volk mit den zugrunde gelegten Sittlichkeitsvorstellungen ganz im Sinne von Kohlers Idealen erziehen. Mithin kann von einem Import von Kohlers Wertungen in das Resultat des Gesetzgebungsprozesses ausgegangen werden.767 Über diesen Import wird die Vorstellung von der Heiligkeit der Ehe Teil der Wertung des § 656 BGB. cc) Einordnung in die Problemgeschichte der Ehevermittlung Für den Import christlich-kirchlicher Vorstellungen von der Heiligkeit der Ehe spricht auch die Einordnung des Normerlasses in die Problemgeschichte der Ehevermittlung. Wenn in den Gesetzesmaterialien darauf hingewiesen wird, dass „die große Mehrheit der Bevölkerung unzweifelhaft das Nehmen und Geben eines Lohns für Heiratsvermittlung als unsittlich, mindestens unanständig“ betrachte, so ist davon auszugehen, dass diese sittliche Missbilligung auf den Einfluss der Kirche auf die gesellschaftlichen Vorstellungen seit dem Mittelalter zurückzuführen ist. Wie weit die christlich-kirchliche Wertung in die Wertvorstellungen der Bevölkerung eingetreten ist, zeigte die Berichterstattung im sozialistischen Blatt „Vorwärts“.768 Denn dort wurde die Beratung damit kommentiert, dass die Ehevermittlung zur Beförderung des „außerehelichen Geschlechtsverkehrs“ dienen würde und deswegen nicht von „anständigen Zeitungen“ durch Bereitstellen von Heiratsannoncen gefördert werde.769 Hier ist der gedankliche Einfluss der Strafrechtsbestimmungen zur Kuppelei erkennbar.770 Die kirchliche Missbilligung des Gewerbes hatte die diesbezügliche Anschauung der Bevölkerung seit Jahrhunderten geprägt. Auf diese Wertungen nahm der Gesetzgeber Bezug, wenn er behauptete, das Volk finde Ehevermittlung unsittlich und unanständig. dd) Zwischenergebnis Blendete man die Historie der sittlichen Bewertung der Ehevermittlung und den religiösen Einfluss, welcher über Kohler und das Zentrum auf die Entste767 So auch Jung: „Die Begründung des Reichstags trägt so deutlich Kohlers Handschrift, daß es befugt erscheint zu sagen, dass ohne Kohler (…) § 656 Abs. 1 BGB nicht zustande gekommen wäre.“, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 279. 768 Vorwärts – Berliner Volksblatt, 20.3.1896, in: Vormbaum, Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 1997, S. 182 ff. 769 So lautet die Nacherzählung im Vorwärts – Berliner Volksblatt, 20.3.1896, in: Vormbaum, Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 1997, S. 183; s. auch Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1514, Rn. 12 und Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 221. 770 Siehe hierzu C.V.2.a).
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hung des § 656 BGB ausgeübt wurde, aus, so könnte die Begründung der Einführung des § 656 BGB wie eine übersteigerte Romantisierung der Ehe durch den Gesetzgeber wirken. Eine Ehe, die allein durch die liebende Übereinkunft zweier Menschen zustande kam, wäre ihrer Natur nach als Liebesehe nicht der Vermittlung zugängig. Damit würden jedoch die Indizien übersehen, die auf eine Übernahme der kirchlichen Wertungen über eine sakramentale Ehe hinwiesen. Diese hatte die Anschauung der Bevölkerung derart beeinflusst, dass man es Ende des 19. Jahrhunderts für mit der Natur der Ehe als Sakrament oder eben schlicht heiliges Institut – eine nichtkirchliche Eheschließung war damals für die Mehrheit der Bevölkerung undenkbar – unvereinbar hielt, ein Geschäft über ihre Vermittlung zu treffen. Zu dieser Bewertung, basierend auf christlichen Keuschheitsvorstellungen in der Art, wie sie durch strafrechtliche Bestimmungen weltlichen und kirchlichen Rechts dargestellt wurden, gelangten auch die Mitglieder der Reichstagskommission. Die sittliche Bewertung der Ehe basierte damit jedenfalls zu großen Teilen auf christlich-kirchlichen Vorstellungen jener Zeit. b) Suggestionsgefahr bei Ehemakelei Es ist aber durchaus wahrscheinlich, dass die sittliche Missbilligung der Ehevermittlung nicht allein auf den beschriebenen religiösen Vorstellungen basierte. So wurde darauf hingewiesen, dass die Kommission Ehevermittlungsverträge auch deswegen für unsittlich hielt, weil sie die Gefahr von Suggestionen böten.771 Auch Kohler band dieses Argument ein, wenn er darauf hinwies, dass eine durch Suggestionen beeinflusste Ehe wegen ihrer Unlöslichkeit folgeträchtige Konsequenzen hätte.772 Bereits die abstrakte Gefahr einer Beeinflussung der Entschlussfreiheit begründe die Unsittlichkeit und die rechtliche Sanktion der Nichtigkeit für den Ehemaklervertrag.773 Das Streben, dem Individuum die Selbstbestimmung zu sichern, dessen Entschlussfreiheit in höchstpersönlichen Geschäften wie der Ehe absolut zu schützen sei, hatte seine Wurzel im Ideal „einer von Geldgeschäften unberührten“ Ehe, das durch die aufklärerische Strömung befördert wurde (siehe dazu 2.c)).774 771 So Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 100 f.; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1009. 772 „Was endlich noch hauptsächlich in Betracht kommt, ist der Umstand, dass bei uns die Ehe unlöslich oder sehr schwer löslich ist; je fester aber das Eheband ist, umso mehr muss alles beseitigt werden, was die unbefangene Beurteilung der durch die Ehe herbeigeführten ethischen Situation stört.“, Kohler, Die Ideale im Recht, ArchBR 1891 (5), S. 167. 773 Kohler, Die Ideale im Recht, ArchBR 1891 (5), S. 175; so auch Kuhlenbeck, Rechtsprechung des Reichsgerichts in Beziehung auf die wichtigsten Begriffe, JW 1896, S. 224. 774 Außerdem Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 208.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
c) Schutz der Privatheit vor Prozessen Neben die unter a) und b) geschilderten Wertungen trat der Schutz der Privatheit vor Prozessen.775 Die Kommission wollte Prozesse im Zusammenhang mit Ehemaklerverträgen verhindern.776 Hierfür nannte sie zwei Gründe.777 Zum einen würden Prozesse in Ehevermittlungsangelegenheiten zu Unannehmlichkeiten führen: „Die Prozesse wegen Heirathsvermittelung geben zu den allergrößten Aergernissen Anlaß, es empfehle sich daher nicht nur, die Klage auf Zahlung der vereinbarten Leistungen, sondern ebenso die Rückforderung des etwa aus diesem Grunde Geleisteten auszuschließen.“778
Man solle sich vorstellen, dass es in einem Prozess um die Frage gehen könnte, ob und inwieweit der Lohn des Maklers verdient wäre, sodass Details der jeweilig vermittelten Beziehung offen gelegt werden müssten.779 Deswegen müsste es auch unzulässig sein, bereits Geleistetes zurück zu fordern, wie es Satz 2 vorsehen müsste.780 Damit wurde ebenfalls ein zuvor angeführter Gedanke formuliert [siehe 3.c)].781 Dies war wohl der Grund dafür, dass die Wahl auf eine Naturalobligation statt eine Nichtigerklärung zur Regulierung des Ehemaklervertrags gefallen ist. Aber auch in den Bereich der prozessualen Erwägungen trat unter dem Einfluss Kohlers eine sittliche Bewertung hinzu.782 Dieser zog aus der religiös verstandenen Unsittlichkeit des Ehevermittlungsvertrages die Schlussfolgerung, das Lohnversprechen dürfte deshalb „nicht zum Gegenstand gerichtlicher Klage werden“.783 Dem Richter komme eine pädagogische Wächterrolle zu, er habe die „geläuterte Moral des in unserem jetzigen Leben im Kampf des wirtschaftlichen Daseins nach Bedeutung ringenden Menschen“784 zugrunde zu legen. Entsprechend warb Enneccerus dafür, dass „der Richter nicht für die Realisierung einer so erworbenen Forderung in Anspruch geSchwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1009. Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 12; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 50. 777 Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 50. 778 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1293. 779 Vgl. Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 51. 780 Vgl. Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 12. 781 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 1293; vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 297. 782 Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 51. 783 Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 104; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 51, 127. 784 Kohler, Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Teil 1, 1900, S. 97; vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 246, 249. 775 Vgl.
776 Peters,
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 175
nommen werden“ sollte.785 Zu dieser Ansicht bewog Enneccerus möglichweise auch Kohler.786 Mithin hatte auch der Einwand zum Schutze der Beteiligten im Prozess eine sittliche Färbung. d) Abwägung der Gründe für die Einführung der Norm Die Einführung der Norm wurde folglich mit drei unterschiedlichen Argumenten begründet: (1) der Unsittlichkeit der Ehevermittlung wegen ihrer Unvereinbarkeit mit der sakralen Natur der Ehe, (2) der Unsittlichkeit der Ehevermittlung wegen der Gefahr von Suggestionen in einem höchstpersönlichen Rechtsgeschäft und (3) dem Schutz der Privatheit vor Prozessen, in denen Intimitäten offengelegt werden müssten. Dieses Bündel der Faktoren gilt es zu analysieren mit besonderem Fokus darauf, welche Rolle der christlichen Vorstellung von der Heiligkeit der Ehe gegenüber den anderen Faktoren zukam. Der Schutz der Entscheidungsfreiheit vermag als conditio sine qua non für die Einführung der Norm nicht zu überzeugen. Wäre es dem Reichstag um den Schutz der Eheentschließungsfreiheit gegangen, hätte er den Ehemaklervertrag als Dienstvertrag ausgestalten können. Denn vor allem die für Maklerverträge typische Anknüpfung an den Erfolg des Eheschlusses für den Lohnanspruch barg die Gefahr der Beeinflussung der Eheschließungsfreiheit.787 Auch findet die Erwägung der Suggestionsgefahr keine Stütze in den Gesetzesmaterialien. Daher tritt dieser Faktor hinter die vorgenannten religiös und kirchenpolitisch geprägten Erwägungen zurück. Wichtiger erscheint das Argument der Privatheit. So entschied sich die Reichstagskommission zuerst gegen die beantragte Nichtigerklärung des Maklerversprechens, um dann der abgeschwächten Form einer Naturalobligation in zweiter Runde zuzustimmen. Der Aspekt des ärgerlichen Prozesses fand allerdings in der Diskussion bis zur Reichstagskommission keine Berücksichtigung.788 Auch bei der Ablehnung des ersten Antrages der Abgeordneten auf Nichtigerklärung789 fand die Notwendigkeit einer Vermeidung von 785 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 1958, Band II, § 158, S. 675; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 51. 786 So auch Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 51. 787 Ähnliche Argumentation schon bei Scherer, Ist die Ehemakelgebühr klagbar?, 1890, Badische Annalen, Band 56, S. 47; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 238. 788 Vgl. Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 235 ff. 789 „Das Versprechen eines Vermögensvortheils für die Nachweisung einer heiratsfähigen Person oder für die Vermittlung einer Ehe ist nichtig.“, Antrag der Abgeordneten des Zentrums an o. a.S.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Prozessen keine Erwähnung. Erst zur Begründung der Mehrheit des abgeänderten Antrages wurden die Prozessärgernisse angeführt. In der Begründung standen die Prozessärgernisse zunächst im Hintergrund. Eine systematische Betrachtung bestätigt diesen Eindruck. Dies ergibt ein Vergleich mit anderen Normen, in denen der Gesetzgeber eine „unvollkommene Verbindlichkeit“ angeordnet hat.790 Unvollkommene Verbindlichkeiten zeichnen sich hauptsächlich dadurch aus, dass sie nicht einklagbare Verbindlichkeiten begründen, die dennoch einen Erwerbsgrund darstellen.791 So wird im Fall von §§ 656, 672 BGB keine Verbindlichkeit im Rechtssinne, sondern lediglich ein Erwerbsgrund begründet.792 Larenz nennt diese Verbindlichkeit eine „Konventionalschuld“, weil sie kein rechtliches Schuldverhältnis anordnet, sondern eine auf Konventionen beruhende Verbindlichkeit.793 Beide Normen haben über die Unklagbarkeit hinausgehende Folgen: Sie geben keinen Anspruch auf Leistung, es kann keine Sicherheit für die Leistung bestellt werden, selbst ein Schuldanerkenntnis für diese Art von „Schuld“ ist rechtlich nicht wirksam.794 Die Norm gewährt lediglich, bereits Geleistetes zu behalten.795 Es gibt aber auch unvollkommene Verbindlichkeiten, bei denen eine Rechtspflicht und damit auch ein Schuldverhältnis im Sinne des § 241 Abs. 1 BGB statuiert wird, so bei den §§ 1297, 1001 BGB und verjährten Forderungen, nachdem die Einrede erhoben wurde.796 Bei dem Ehemaklervertrag hat man sich dafür entschieden, keine Rechtsverbindlichkeit zu normieren.797 Bei § 762 BGB, „Spiel, Wette“,798 sollte 790 Hierunter fallen §§ 762, 764 a. F., 1001, 1297 BGB sowie verjährte Forderungen. Mansel, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 241, Rn. 21; Sutschet, in: BeckOKBGB, 38. Edition, § 241, Rn. 24. 791 Larenz, Schuldrecht I, 1987, S. 20; Mansel, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 241, Rn. 21; Sutschet, in: BeckOK-BGB, 38. Edition, § 241, Rn. 24. 792 Flume, Das Rechtsgeschäft, 1979, S. 95; Habersack, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 672, Rn. 3; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 82; Mansel, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 241, Rn. 21; Sutschet, in: BeckOK-BGB, 38. Edition, § 241, Rn. 24; aA: BGH, Urt. v. 8.07.1957, II ZR 57/56, BGHZ 25, 124; Schur, in: Soergel-BGB, 13. Aufl., 2012, § 656, Rn. 2. 793 Larenz, Schuldrecht I, 1987, S. 21. 794 Larenz, Schuldrecht I, 1987, S. 20. 795 §§ 656 Abs. 1 S. 2, 762 Abs. 1 S. 2 BGB. 796 Baldus, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 1001, Rn. 1 ff.; Berger, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 1001, Rn. 1; Budzikiewicz, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 1297, Rn. 1; Roth, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 1297, Rn. 4, 6. 797 Flume, Das Rechtsgeschäft, 1979, S. 95; Larenz, Schuldrecht I, 1987, S. 20. 798 Wortlaut § 672 Abs. 1 BGB: „Durch Spiel oder durch Wette wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. Das auf Grund des Spieles oder der Wette Geleistete kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat.“
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 177
die Aberkennung der Rechtspflicht die Beteiligten vor den Rechtsfolgen eines für sie schädlichen Geschäftes, eines Spiels oder einer Wette bewahren.799 Ähnliches musste für § 656 BGB gelten. Wäre nun der Schutz der Privatheit ausschlaggebend gewesen, hätte es ausgereicht, den Ehemaklervertrag als nicht klagbare Rechtsverbindlichkeit wie § 1297 BGB zu gestalten.800 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass die Beteiligten wie bei § 762 BGB primär vor einer schädlichen (weil unsittlichen) Verbindlichkeit geschützt werden sollten. e) Zwischenergebnis Im Ergebnis wurde der Normerlass folglich durch mehrere Faktoren beeinflusst. Unter diesen überwog aber die sittliche Missbilligung der Ehevermittlung. Die Unklagbarkeit der Forderung konnten auch die Gegner einer Regulierung der Ehevermittlung deswegen gut vertreten, weil hierdurch Prozessärgernisse verhindert wurden. Es spricht vieles dafür, dass der Schutz der Privatheit ebenso wie der Schutz der Entschließungsfreiheit der höchstpersönlichen Ehe eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Nicht zuletzt deswegen hieß es im Bericht des „Vorwärts“, die Ausgestaltung der Norm würde dazu dienen, „solchen Schmutzfinken auf die Finger zu klopfen.“801 5. Fortwirken des Sittlichkeitsarguments in der Normanwendung Die in den Gesetzesmaterialien und aufgrund der Problemgeschichte überlieferten Sittlichkeitserwägungen, die durch die damalige Vorstellung von der Heiligkeit der Ehe geprägt wurden, ließen aber nur dann auf die der Norm zugrundeliegende Wirkung zurückschließen, wenn § 656 BGB in der Folge auch wie beabsichtigt angewendet wurde.
799 Vgl. Habersack, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 672, Rn. 1, 10; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 502 ff.; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 82. 800 Denn auch dort dient die Unklagbarkeit dem Schutz vor einer außerhalb der Verpflichtung des Rechtsgeschäftes, sich erst in einem Prozess verwirklichenden Gefahr. Das Verlöbnis begründet nach § 1297 BGB die Rechtspflicht zur Ehe, darf aber wegen des Schutzes der negativen Eheschließungsfreiheit nicht eingeklagt werden. Budzikiewicz, in: Jauernig-BGB, 16. Aufl. 2015, § 1297, Rn. 1; Roth, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2013, § 1297, Rn. 4, 6. 801 Vorwärts – Berliner Volksblatt, 20.3.1896, in: Vormbaum, Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 1997, S. 183.
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a) Normanwendung 1900 Die „erziehliche Wirkung“, die Kohler sich von einer Vorschrift zur Regulierung des Ehemaklervertrags erhofft hatte, war zwar nicht eingetreten.802 Denn das Ehevermittlungsgewerbe wurde durch die Gesetzeslage nicht abgeschreckt.803 Makler versuchten schon unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB, die Ehemaklervorschrift durch die Vereinbarung von Unkostenpauschalen oder eines Aufwendungsersatzes zu umgehen.804 Rechtsprechung und Schrifttum sahen darin allerdings eine Umgehung des § 656 BGB, wie es die Väter der Norm vorgesehen hatten.805 Damit wirkte die rechtliche Diskriminierung aus Sittlichkeitsgründen in der Normanwendung nach Erlass fort. Es stellt sich die Frage, ob dies auch für die Beibehaltung der Norm heute gilt. Dazu soll zunächst die gesellschaftliche Entwicklung der gewerblichen Ehevermittlung aufgezeigt werden. Denn diese hatte einen erheblichen Einfluss auf die rechtliche Bewertung der Ehevermittlung. b) Gesellschaftliche Entwicklung Das stetige Wachsen der Branche lässt sich im 21. Jahrhundert daran nachvollziehen, wie erfolgreich Online-Portale geworden sind. Für den Bedeutungszuwachs der Ehevermittlung gibt es mehrere Gründe: die neue Gesellschaftsstruktur in Städten, der Wandel der Anschauung bezüglich der Ehe und die sich aus allem ergebende Notwendigkeit von Partnervermittlung. Familien- und Dorfstrukturen boten Anfang des 20. Jahrhunderts einen Heiratsmarkt, den es in diesem Ausmaß nicht mehr gibt.806 Die Auswahl potenzieller Partner wird in Großstädten zwar größer, die Kontaktaufnahme aufgrund wachsender Anonymität ist zugleich schwieriger geworden. Hinzu tritt der Wandel der gesellschaftlichen Einstellung zur Ehe.807 Der Ehe als heiliger, 802 Vgl. Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 13; Staudinger, in: StaudingerKomm-BGB, 1901, § 656, S. 479. 803 Vgl. Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 14. 804 Peters, Vergütungsanspruch des Partnervermittlers, NJW 1986, S. 2676; Staudinger, in: StaudingerKomm-BGB, 1901, § 656, S. 479. 805 Denn § 656 BGB solle ja den „unsittlichen entgeltlichen Heirathsbestimmungen entgegentreten“, die Vorschrift behandle Ehemakelverträge als „anstößig“. s. Staudinger, in: StaudingerKomm-BGB, 1901, § 656, S. 478 f.; s. auch Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 17. 806 Vgl. Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 377; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 126. 807 Vgl. auch Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 378 ff.; Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 25 f.; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 127.
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unauflöslicher Lebensgemeinschaft sind häufigere Scheidungen und neue Modelle nichtehelicher Lebensgemeinschaften gegenübergetreten.808 Dieser Wandel hat zwar auch einen Großteil der christlichen Bevölkerung erfasst, er ist aber vor allem eine Folge der Pluralisierung der Gesellschaft. Aus diesen Gründen wird in der Vermittlung von Kontakten heute eine soziale Funktion gesehen, die gesellschaftsförderlich ist.809 Die Kirche selbst hat noch im 20. Jahrhundert einen Sinneswandel vollzogen, der zwar nicht die Natur der Ehe, aber die sittliche Bewertung der Ehevermittlung betraf.810 Die Kirche gründete selbst kirchliche Eheanbahnungsstellen wie die Eheanbahnungsstelle des Deutschen Caritasverbandes in Frankfurt am Main.811 Aufgrund dieser Entwicklungen mehrten sich die Stimmen, nach denen die „moralisch-sittlichen Vorbehalte der Reichstagskommission“ überholt seien.812 c) Zweck der Norm heute Trotz der wachsenden Kritik an einer Regulierung des Ehemaklervertrags gegenüber anderen Verträgen, sehen Rechtsprechung und Teile der Literatur § 656 BGB noch als berechtigt an. Allerdings wird dies nicht mehr mit der Unsittlichkeit des Maklervertrags, sondern mit dem Zweck des Schutzes der Privatheit vor Prozessen begründet.813
808 Vgl. Gilles, Parterschaftsservice statt Ehemakelei, NJW 1983, S. 361; Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 377 f.; Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 190; Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 25; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1507, Rn. 2; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 119. 809 Vgl. Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 378; Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 190; Köbl, Persönlichkeitsschutz und Vermögensschutz im Recht der (finanzierten) Ehevermittlung, NJW 1972, S. 1442; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 114 und Gesetzesentwürfe der Bundesregierung vom 27.9.1979, BT-Druck 8/3212, S. 14 und 16.2.1984, BT-Druck 10/1014, S. 12 f. 810 Vgl. Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 379; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 115. 811 Vgl. Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 379; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 115 f. 812 Vgl. BGH, Urt. v. 08.07.1957, II ZR 57/56, BGHZ 25, 124 ff.; Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 190; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1516, Rn. 14. 813 So BVerfGE 20, 31; vgl. Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 30; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1507, Rn. 2.
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aa) Zweck: Schutz der Privatheit In den Vordergrund getreten ist mithin das Argument der „Prozessärgernisse“. Als Zweck der Norm wird heute der Schutz der Privatheit und des Ehe- bzw. Familienfriedens angesehen;814 nicht hingegen die Vorstellung Kohlers, dass der Richter nicht mit derlei unsittlichen Forderungen beschäftigt werden sollte.815 Die Norm solle der Vermeidung von Prozessen dienen, welche „die geschlossenen Ehen und die Intimsphäre der Ehegatten“ beeinträchtigen könnten.816 Unter Berufung auf den Schutz der Intimsphäre des Auftraggebers erklärte das Bundesverfassungsgericht die Norm für verfassungskonform.817 Die Norm diene der Verhinderung von „Prozessärgernissen“.818 Eine Gefährdung der Intimsphäre stünde zu befürchten, wenn in einem Prozess die Beweggründe für die Inanspruchnahme der Vermittlung preiszugeben wären.819 Aus denselben Gründen bestätigte der BGH das fortbestehende Bedürfnis nach dem Schutz durch § 656 BGB.820 Es könnte zu „Peinlichkeiten und Unzumutbarkeiten einer bei Klagbarkeit häufig unumgänglichen Beweisaufnahme“ führen, wenn der Lohn einklagbar wäre.821 Ein solches Prozedere gefährdete sowohl die Intimsphäre als auch den Beziehungsfrieden.822 814 BGH, Urt. v. 11.07.1990, IV ZR 160/89, NJW 1990, 2551, BGHZ 112, 122 ff.; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urt. v. 11.10.1973, 7 U 32/73, NJW 1974, 649; AG Hamburg-Altona, Urt. v. 23.12.2014, 318b C 106/14, juris; Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 191; Meier, Vergütungspflicht und Widerruf bei der Online-Partnerschaftsvermittlung, NJW 2011, S. 2396; Schwerdtner/ Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1010. 815 Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 127; Siehe hierzu C.V.4.a)bb). 816 BVerfGE 20, 33; BGH, Urt. v. 11.07.1990, IV ZR 160/89, NJW 1990, 2551, BGHZ 112, 122 ff.; Köbl, Persönlichkeitsschutz und Vermögensschutz im Recht der (finanzierten) Ehevermittlung, NJW 1972, S. 1443; Kotzian-Marggraf, in: BeckOKBGB, 38. Edition, § 656, Rn. 1; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 127; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1010. 817 BVerfGE 20, 31. 818 BVerfGE 20, 33; vgl. Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 191; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1010. 819 Vgl. BVerfGE 20, 34; Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 196; Köbl, Persönlichkeitsschutz und Vermögensschutz im Recht der (finanzierten) Ehevermittlung, NJW 1972, S. 1443. 820 BGH, Urt. v. 11.07.1990, IV ZR 160/89, NJW 1990, 2551, BGHZ 112, 122 ff.; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1010. 821 BGH, Urt. v. 11.07.1990, IV ZR 160/89, NJW 1990, 2551, BGHZ 112, 122 ff; so z. B. auch OLG Koblenz, Urt. v. 18.12.2006, 12 U 1230/03, NJW-RR 2007, 769 ff.; Köbl, Persönlichkeitsschutz und Vermögensschutz im Recht der (finanzierten) Ehevermittlung, NJW 1972, S. 1443 f.; Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 197. 822 Vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urt. v. 11.10.1973, 7 U 32/73, NJW 1974, 649; Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 197.
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 181
bb) Wegfall der Sittlichkeitsargumentation Werden daneben trotz des unter b) aufgezeigten Wandels der gesellschaftlichen Anschauung sittliche Argumente zur Begründung des § 656 BGB herangezogen? Das ist nicht der Fall.823 Die Norm lasse sich angesichts der „anerkannten sozialen Funktion der Heiratsvermittlung“824 nicht mehr mit dem Vorwurf der Unsittlichkeit begründen, heißt es unter anderen in einem Urteil des BGH.825 In einer pluralistischen Gesellschaft werde die Ehe ohnehin nicht mehr als „rein schicksalshafte, gottgefügte, von Umweltbedingungen gänzlich unabhängige (…) Verbindung“ begriffen, welche die Einordnung einer entgeltlichen Vermittlung in die Sphäre des Unsittlichen zuließe.826 Es könne diesbezüglich von einem Wandel gesprochen werden.827 Die Ehevermittlung gelte nicht mehr als unvereinbar mit der Natur der Ehe.828 Auch das Argument der Suggestionsgefahr vermöge die Unsittlichkeit der Ehevermittlungen nicht zu begründen.829 Denn die Ehevermittlung ebenso wie Eheanbahnungs- und Partnerschaftsdienste bestehen zumeist aus Dienstleistungen, bei denen routinemäßig Partnervorschläge unterbreitet werden. Auf den Erfolg einer Partnerschaft komme es heute nicht mehr an.830 Daher existierte auch nicht der Anreiz des Ehemaklers, die Eheschließung bzw. Partnerschaftssuche beeinflussen zu wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar keine „nachträgliche, verfassungskonforme Zweckbestimmung“831 vorgenommen, wenn es den Zweck des 823 Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 379; Kotzian-Marggraf, in: BeckOK-BGB, 38. Edition, § 656, Rn. 1; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 127; Schur, in: SoergelBGB, 13. Aufl., 2012, § 656, Rn. 1; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1012. 824 Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urt. v. 11.10.1973, 7 U 32/73, NJW 1974, 649; Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 127. 825 Vgl. BGH, Urt. v. 04.12.1963, VIII ZR 250/62, NJW 1964, 546; SchleswigHolsteinisches Oberlandesgericht, Urt. v. 11.10.1973, 7 U 32/73, NJW 1974, 649; Larenz/Canaris, Schuldrecht II Teil 1, 1986, § 54, S. 404; Schur, in: Soergel-BGB, 13. Aufl., 2012, § 656, Rn. 1. 826 Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 379. 827 So auch Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1520, Rn. 20 (Fn. 92); zweifelnd LG Dresden, Urt. v. 27.05.2003, 13 S 122/03, NJW-RR 2004, 346. 828 Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1520, Rn. 20. Siehe dazu auch oben C.V.4.a). 829 Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 379. 830 So Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 379. 831 Reuter, in: StaudingerKomm-BGB, 2010, § 656, Rn. 1; Köbl, Persönlichkeitsschutz und Vermögensschutz im Recht der (finanzierten) Ehevermittlung, NJW 1972,
182
C. Christliche Werte in den Normen des BGB
§ 656 BGB in dem Schutz der Privatsphäre sieht. Denn der Schutz der Privatsphäre, insbesondere des Ehe- und Familienfriedens, war bereits vor 1900 Teil der Begründung des Normerlasses.832 Aber die Literatur behält insoweit Recht, als das Hauptfundament der Norm, die sittliche Missbilligung der kommerziellen Ehevermittlung, weggefallen ist. In der Annahme, dass der Rest des Fundamentes nicht mehr tragfähig ist, nennt Reinkenhof das Verbleiben der Norm trotz Hinfälligkeit einen „vorläufigen Sieg nach Punkten zugunsten der Verfechter von Sittlichkeit und Anstand“.833 Ähnlich sieht Reinkenhof die Norm als eine Art Denkmal der Sittlichkeitsvorstellungen des Gesetzgebers.834 Folglich wirkt der christlich geprägte Grundgedanke der Unsittlichkeit in dem Verbleiben der Norm fort, auch wenn ihr Zweck inzwischen anders bestimmt wird. d) Anwendungsbereich heute Weil der Zweck der Norm nunmehr ausschließlich im Schutz der Privatheit gesehen wird, wendet die Rechtsprechung § 656 BGB analog auf Eheanbahnungsverträge835 und Partnervermittlungen836 an.837 Der Zweck rechtfertige die Übertragung auch auf Dienstleistungsverträge und andere PartS. 1443; i. Ü. auch Gilles: „die dem § 656 BGB vom BVerfG untergeschobene ratio“, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 381. 832 So auch Schöpf, Recht und Praxis der modernen Heiratsvermittlung, 1962, S. 127. 833 Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1520, Rn. 20; vgl. auch Köbl, Persönlichkeitsschutz und Vermögensschutz im Recht der (finanzierten) Ehevermittlung, NJW 1972, S. 1442. 834 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 82; Rachow, Die rechtliche Behandlung von Online-Partnervermittlungen, MMR 2015, S. 152. 835 Verträge, die Dienstleistungen zur Herbeiführung einer Eheschließung ohne Rücksicht auf Erfolg (Zustandekommen der Ehe) zum Gegenstand haben. BGH, Urt. v. 25.05.1983, IV a ZR 182/8, BGHZ 87, 309; vgl. Rachow, Die rechtliche Behandlung von Online-Partnervermittlungen, MMR 2015, S. 152; Reuter, in: Stau dingerKomm-BGB, 2010, § 656, Rn. 4; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1016 f. 836 Verträge, die entweder den Abschluss einer Partnerschaft (Partnerschaftsmaklervertrag) oder die Anbahnung einer Partnerschaft (Partnerschaftsdienstvertrag) zum Gegenstand haben. Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1019 f.; s. BGH, Urt. v. 11.07.1990, IV ZR 160/89, NJW 1990, 2551, BGHZ 112, 122; AG Hamburg-Altona, Urt. v. 23.12.2014, 318b C 106/14, juris; Meier, Vergütungspflicht und Widerruf bei der Online-Partnerschaftsvermittlung, NJW 2011, S. 2396; Rachow, Die rechtliche Behandlung von Online-Partnervermittlungen, MMR 2015, S. 152. 837 Vgl. Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 197; Meier, Vergütungspflicht und Widerruf bei der Online-Partnerschaftsvermittlung, NJW 2011, S. 2396 ff.
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 183
nerschaftsvermittlungskonstruktionen.838 So führt der BGH an, dass der Gesetzgeber von 1900 die Vorschriften wegen des gesteigerten Diskretionsbedürfnisses erst recht auf die Vermittlung außerehelicher Partnerschaften erstreckt hätte, wenn er die Entwicklung hin zu Partnerschaften vorhergesehen hätte.839 Man müsse die Norm abschaffen, wenn eine Übertragung der Grundsätze auf aktuelle Fälle von Partnerschaftsvermittlungen nicht gewollt sei.840 Dies sei Aufgabe des Gesetzgebers.841 Aufgrund der Einbeziehung von Eheanbahnungs- und Partnerschaftsvermittlungsverträgen in den Anwendungsbereich des § 656 BGB wird dem Leistungsempfänger in beiden Fällen auch ein Kündigungsrecht gemäß § 627 BGB zugesprochen.842 Praktisch hat die Norm aber trotz des weiten Anwendungsbereichs wenig Einfluss. Da sie – entgegen der Vorstellung von deren erzieherischer Wirkung – bis heute nicht dazu geführt hat, dass weniger Ehevermittlungsgewerbe betrieben wird, hat sie Strategien zur Sicherung des Lohnes für den Makler zur Folge.843 Eheanbahnungsdienstleister vermeiden die Folgen des § 656 BGB damit, dass sie eine Vorauszahlung verlangen, bevor sie Dienste leisten.844 Eine entsprechende Vereinbarung hält der BGH für zulässig, weil Eheanbahnungsinstituten andernfalls die wirtschaftliche und rechtliche Basis
838 BGH, Urt. v. 04.03.2004, III ZR 124/03, NJW-RR 2004, 778 ff.; BGH, Urt. v. 25.05.1983, IV a ZR 182/81, BGHZ 87, 309 ff.; AG Hamburg-Altona, Urt. v. 23.12.2014, 318b C 106/14, juris; vgl. Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 212; Peters, Partnerschaftsvermittlungsvertrag, 1986, S. 27; Reinkenhof, in: HKKBGB, 2013, § 656, S. 1507, Rn. 16; Reuter, in: StaudingerKomm-BGB, 2010, § 656, Rn. 5 ff.; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1017; a. A. Larenz/Canaris, Schuldrecht II Teil 1, 1986, § 54, S. 404. 839 BGH, Urt. v. 11.07.1990, IV ZR 160/89, NJW 1990, 2551, BGHZ 112, 122, Tz. 26; vgl. Meier, Vergütungspflicht und Widerruf bei der Online-Partnerschaftsvermittlung, NJW 2011, S. 2396; Rachow, Die rechtliche Behandlung von Online-Partnervermittlungen, MMR 2015, S. 152. 840 So das Ergebnis von Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 212; Reuter, in: StaudingerKomm-BGB, 2010, § 656, Rn. 4. 841 BGH, Urt. v. 04.03.2004, III ZR 124/03, NJW-RR 2004, 779; LG Dresden, Urt. v. 27.05.2003, 13 S 122/03, NJW-RR 2004, 347; so auch Rachow, Die rechtliche Behandlung von Online-Partnervermittlungen, MMR 2015, S. 153. 842 Rachow, Die rechtliche Behandlung von Online-Partnervermittlungen, MMR 2015, S. 153; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1036. 843 Vgl. auch Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 380; Jung, Der Ehemaklerlohn, 1991, S. 4. 844 Vgl. Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 380; Larenz/Canaris, Schuldrecht II Teil 1, 1986, § 54, S. 404; Roth, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 656, Rn. 16; Schur, in: Soergel-BGB, 13. Aufl., 2012, § 656, Rn. 1; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1041.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
entzogen würde.845 Deswegen verbleibt der Norm praktisch lediglich die Wirkung eines Übereilungsschutzes:846 Derjenige, der zur Vorkasse gebeten wird, überlegt sich gründlich, ob er die Dienste eines Eheanbahnungsinstituts wirklich in Anspruch nehmen möchte. Weitere Strategien sind die Vereinbarung eines „finanzierten Ehemaklervertrages“847 wie auch einer Abtretung von Lohn- und Gehaltsansprüchen an Zahlung statt.848 Die Billigung dieser Umgehungsstrategien mag fragwürdig erscheinen. Wenn der Zweck des § 656 BGB aber nicht in der sittlichen Missbilligung des Ehevermittlungsgewerbes gesehen wird, sondern in einem Schutz vor Prozessen, so ist die Billigung konsequent. Denn der Zweck des Schutzes vor Prozessen wird durch die Umgehungskonstruktionen nicht gefährdet. e) Ausblick: Mit Hinblick auf Historie reformbedürftig? Wie die Reformversuche der Vergangenheit zeigen, steht die Norm derart in Kritik, dass ihr Verbleiben im Gesetz fragwürdig ist. aa) Reformversuche in der Vergangenheit Genannt seien der Entwurf eines Gesetzes über finanzierte Rechtsgeschäfte und über Maklerverträge im Jahr 1979849 sowie der Entwurf eines Gesetzes 845 Vgl. Roth, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 656, Rn. 16; Schwerdtner/ Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1041. Das gilt allerdings in Grenzen. So sah das OLG Dresden eine Vereinbarung als unwirksam an, nach der die Mitgliedsgebühr für eine Vertragslaufzeit von mindestens einem Jahr verlangt wurde. Dies verstoße gegen Grundgedanken des Dienstvertragsrechts und schränke die Kündigungsmöglichkeit in Vertrauensverhältnissen gemäß § 627 BGB unzulässig ein. OLG Dresden, Urt. v. 19.08.2014, 14 U 603/14, MMR 2015, 35 f. 846 Vgl. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 82; Roth, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 656, Rn. 16; Schur, in: Soergel-BGB, 13. Aufl., 2012, § 656, Rn. 1. 847 Bei dem finanzierten Ehemaklervertrag zahlt die Bank die Darlehensvaluta direkt an den Vermittler aus und der Kunde zahlt der Bank das Darlehen in Raten zurück. Die Darlehensforderung ist nicht analog § 656 BGB als unvollkommene Verbindlichkeit einzuordnen. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urt. v. 11.10.1973, 7 U 32/73, NJW 1974, 648 ff.; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1054. 848 Vgl. zu beiden Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1517, Rn. 15 f.; Reuter, in: StaudingerKomm-BGB, 2010, § 656, Rn. 17. 849 Der Entwurf differenzierte zwischen Ehevermittlung und Eheanbahnungsverträgen, die als eigenständiger Vertragstyp mit Dienstleistungscharakter klassifiziert wurden. Gesetzesentwurf vom 27.9.1979, BT-Drucks. 8/3212; vgl. hierzu Reuter, in: StaudingerKomm-BGB, 2010, § 656, Rn. 2.
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 185
über Mäklerverträge aus dem Jahr 1984.850 In der Begründung des letzten Entwurfes heißt es: „Der Entwurf entspricht damit einer seit langem erhobenen Forderung. Die dem geltenden Recht zugrundeliegende Wertung, dass eine entgeltliche Ehevermittlung unsittlich und mit dem Wesen der Ehe unvereinbar sei, war schon zur Entstehungszeit des BGB umstritten. Nach heutiger Anschauung besteht für die Diskriminierung der gewerblichen Ehevermittlung und –anbahnung, die einem allgemein anerkannten gesellschaftlichen Bedürfnis Rechnung trägt, jedenfalls kein einleuchtender Grund mehr.“851
Die Reform scheiterte letztlich an dem Ablauf der Legislaturperiode.852 Die Begründung zeigte aber, dass die Norm als „Diskriminierung der gewerblichen Ehevermittlung und –anbahnung“ empfunden wurde.853 In der Folge wurde angeführt, dass die Norm trotz ihres neuen Schutzgedankens obsolet sei.854 „Peinlichkeiten“ im Prozess – soweit diese überhaupt noch als peinlich empfunden würden – könnte auch durch Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 GVG Rechnung getragen werden.855 bb) Systematische Diskriminierung des Ehemaklervertrags auch heute? Die Frage ist, ob das Verbleiben der Norm, so wie ihre Einführung, tatsächlich auf einer sittlichen Missbilligung des Ehemaklergewerbes beruht, wie es die Begründung des Entwurfes suggeriert – oder, wie es die Rechtsprechung annimmt, als Schutz vor „Prozessärgernissen“ verstanden werden kann.856 Dies ist für die zugrunde liegende Frage insofern relevant, als die Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1518 f., Rn. 17. Entwurf wurde deswegen vorgelegt: „Wer für die Vermittlung einer Ehe oder den Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe eine Vergütung verspricht, ist zur Entrichtung der Vergütung nur verpflichtet, wenn die Ehe infolge der Vermittlung oder des Nachweises zustande kommt. Der Vertrag bedarf der schriftlichen Form.“, BT-Drucks. 10/2014, S. 6. 852 Rachow, Die rechtliche Behandlung von Online-Partnervermittlungen, MMR 2015, S. 153; Reinkenhof, in: HKK-BGB, 2013, § 656, S. 1519, Rn. 17. 853 So nennt auch Gilles die Norm eine „privatrechtliche Diskriminierung“ eines legalen Gewerbes. Partnerschaftsservice statt Ehemakelei, NJW 1983, S. 363; Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 383. 854 Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 377 ff.; Rachow, Die rechtliche Behandlung von Online-Partnervermittlungen, MMR 2015, S. 153. 855 Vgl. Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 380; Rachow, Die rechtliche Behandlung von Online-Partnervermittlungen, MMR 2015, S. 153. 856 So etwa die Rechtsprechung; BVerfGE 20, 31; BGH, Urt. v. 11.07.1990, IV ZR 160/89, NJW 1990, 2551 f., BGHZ 112, 122 ff. 850 Vgl.
851 Folgender
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Norm in ersterem Fall noch als Manifest einer (überholten) Sittlichkeitsvorstellung zu erachten wäre, die durch christliche Wertvorstellungen und Kirchenpolitik geprägt wurde. Neben der historischen Auslegung spricht auch eine systematische Auslegung dafür, dass die Norm auch heute noch die sittliche Missbilligung der Ehevermittlung gesetzlich normiert.857 Denn die Aberkennung einer Rechtspflicht durch § 656 BGB müsste einen Grund wie § 762 BGB aufweisen, um eine Regulierung des Ehemaklervertrags zu begründen. Der Grund kann aber nicht in dem Schutz der Privatheit vor „Prozessärgernissen“ liegen. Denn die Intimsphäre wird nicht durch die Rechtspflicht als solche (wie bei § 762 BGB), sondern – wenn überhaupt – durch den Beweisantritt im Prozess gefährdet. Soweit die Rechtsprechung den Zweck des § 656 BGB allein in dem Schutz der Privatheit vor Prozessen begründet sieht, könnte die Norm daher auch als unvollkommene Verbindlichkeit858 ausgestaltet sein, bei der ein Rechtsverhältnis entsteht. Die Ausgestaltung als „Konventionalschuld“ kann in systematischer Auslegung nur als rechtliche Missbilligung des Gewerbes verstanden werden, die auf eine sittliche Missbilligung zurückschließen lässt.859 Damit spricht eine systematische Betrachtung dafür, die Norm als „Konventionalschuld“ abzuschaffen und – sofern der Gesetzgeber an dem Schutzgedanken der Intimsphäre festhält – in eine unvollkommene Verbindlichkeit mit Rechtspflichten umzuwandeln. Dann wäre die Norm in ihrer Ausgestaltung noch durch ihren Zweck gedeckt. Bis dahin kann die Norm als rechtliche Missbilligung, mangels sachlichen Grundes für eine Unterscheidung als Diskriminierung des Ehemaklergewerbes betrachtet werden. Sie bleibt trotz ihrer Zweckänderung ein Manifest von Sittlichkeitsvorstellungen, die unter anderem durch das christliche Ideal der Ehe geprägt wurden, aber weitgehend als überholt gelten.860 f) Zwischenergebnis Im Ergebnis wurde die Norm zwar bereits kurz nach ihrer Einführung vielfach umgangen. Die Rechtsprechung billigte dies mit Hinweis auf den gesetzgeberischen Willen allerdings nicht. Anders als damals werden die vielfältigen Vertragsgestaltungen heute von Rechtsprechung und Literatur ausdrücklich als rechtmäßig anerkannt. Dies ist wohl auf den gesellschaftlichen Wandel zurückzuführen, nach dem Partnervermittlungen an Bedeutung 857 s.
zu dem systematischen Argument auch oben V.4.d). hierzu Flume, Das Rechtsgeschäft, 1979, S. 95. 859 So auch Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 82. 860 BGH, Urt. v. 04.12.1963, VIII ZR 250/62, NJW 1964, 546; Gilles, Zur aktuellen Zivilrechtsproblematik gewerbsmäßiger Ehevermittlung, JZ 1972, S. 377; Hartl, Der Mäklervertrag des BGB, 2001, S. 198. 858 s.
V. Heiligkeit der Ehe und Keuschheit am Beispiel des § 656 BGB 187
gewonnen und die Ehe als Lebensmodell an Bedeutung verloren hat. Zudem wird der Zweck des § 656 BGB heute allein im Schutz der Privatheit vor den Peinlichkeiten eines Prozesses begründet. Obwohl die Unsittlichkeit der Ehevermittlung daher keine Begründungskategorie mehr ist, stellt das Verbleiben der Norm im BGB bei systematischer Betrachtung bis heute eine Diskriminierung des Ehemaklervertrags gegenüber anderen Vertragsarten dar. Dem Schutz der Privatheit könnte auch anders Rechnung getragen werden. 6. Ergebnis Die Ursache für den Normerlass im Sinne einer conditio sine qua non war die sittliche Missbilligung der Ehevermittlung. Diese Missbilligung ist vor dem Hintergrund der Problemgeschichte des Ehemaklervertrags primär auf die Haltung der Kirche zur Ehevermittlung im Mittelalter und die sakramentale Anschauung der Ehe durch die katholische Kirche zurückzuführen. Ein Aspekt der sittlichen Beurteilung war auch der Schutz der Entscheidungsfreiheit vor äußeren Einflüssen. Hinzu traten Erwägungen zur Privatheit des Auftragsgebers vor „Prozessärgernissen“, die zu der Ausgestaltung als Naturalobligation beigetragen haben. Diese waren allerdings bei Normerlass sekundär. Heute verfolgt die Norm dagegen primär den Zweck des Schutzes der Privatheit. Der Zweck weist damit nicht mehr seinen ursprünglichen Bezug zu christlich-kirchlichen Wertvorstellungen auf.861 Entgegen der Auffassung der Rechtsprechung zeugt die Norm aber dennoch von einer rechtlichen Missbilligung des Ehemaklergewerbes und kraft analoger Anwendung auch der Partnervermittlungsbranche. Wie eine systematische Betrachtung zeigt, wird dem Ehemaklervertrag trotz des Funktionswandels862 der Norm noch „Minderwertigkeit“ gegenüber anderen Verbindlichkeiten attestiert. Daher wirkt die Wertung des Normerlasses in jeder Anwendung fort. Diese Minderwertigkeit ist, wie die historische Untersuchung gezeigt hat, nicht zuletzt stark durch rechtspolitische Erwägungen geleitet worden. Auf diese haben heute überholte, von Christen vertretene Moralvorstellungen Einfluss genommen. Vor diesem Hintergrund kann die Vorschrift als ein Denkmal überholter sittlich-religiöser Vorstellungen von Ehe und Keuschheit verstanden werden. Als solche bietet die Norm ein Beispiel für christliche Werte im BGB, aber in diesem Fall für eine Wertung, die bei der Entstehung maßgeblich war, inzwischen darin aber nicht mehr fortwirkt.863 861 Siehe
dazu C.V.4.e). BGH, Urt. v. 04.03.2004, III ZR 124/03, NJW-RR 2004, 779. 863 Zudem wird die Ehe- und Partnervermittlung auch von der Kirche nicht mehr als missbilligenswert angesehen. Die Missbilligung der Ehevermittlung kann daher auch nicht mehr als christliche Wertung begriffen werden. 862 Vgl.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB Über die bereits untersuchten christlichen Werte hinaus soll abschließend ein Wert vorgestellt werden, der das Fundament des deutschen Vertragsrechts geprägt hat:864 das zu haltende Versprechen, im Folgenden als Versprechenstreue bezeichnet. Dass ein Versprechen gehalten werden muss, ist ein zentraler Wert in der Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart865 Das Christentum hat den Wert der Versprechenstreue weiter ausgestaltet, was sich im kanonischen Recht niederschlug, das nicht nur mit dem Grundsatz pacta sunt servanda Einfluß auf das BGB genommen hat.866 Der Wert hat sich auch durch die Bindung an das einseitige Versprechen im BGB ausgewirkt, namentlich der Auslobung gemäß § 657 BGB und der Bindung an das Angebot gemäß § 145 BGB. Der folgende Abschnitt wird sich daher mit dem weniger bekannten Einfluss des Wertes der Versprechenstreue auf die einseitigen Versprechen des BGB beschäftigen. Um den Import des Wertes der Versprechenstreue in diese Normen zu untersuchen, soll nach einer kurzen Vorstellung der Versprechenstreue und der Versprechensbindung im BGB (1.) die Problemgeschichte der rechtlichen Bindung an Versprechen skizziert werden (2.). Anschließend wird der Import des Wertes der Versprechenstreue anhand der Bindung an das einseitige Versprechen im BGB für die § 657 BGB und § 145 BGB separat untersucht (3. und 4.). Sodann wird anhand einer rechtsvergleichenden Betrachtung der Bindung an einseitige Versprechen im Common Law mit dem BGB untersucht, ob die einseitige Versprechensbindung auch ohne den christlich-ethischen Kontext begründbar ist (5.). Zuletzt soll mittels eines Ausblickes darauf hingewiesen werden, dass sich eine Endethisierung der Versprechensbindung im BGB andeutet (6.). 1. Versprechenstreue und Versprechensbindung im BGB Vorab wird eine kurze Einleitung in den christlichen Wert der Versprechenstreue und die Versprechensbindung an zweiseitige im Grundsatz und einseitige Versprechen als Ausnahme im BGB gegeben. Dies wird in den nachfolgenden Abschnitten zu vertiefen sein. a) Der christliche Wert der Versprechenstreue Wenn unter VI. von Versprechenstreue gesprochen wird, so handelt es sich dabei um den christlichen Wert der Versprechenstreue. Dieser leitet sich aus 864 Siehe
dazu näheres C.VI.2.a) und C.VI.2.c). in: HWP, Art. Versprechen, Band 11, 2001, S. 903. 866 Siehe dazu näheres unter C.VI.2.c). 865 Gloyna,
VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB189
den beiden christlichen Werten der Wahrhaftigkeit und der Treue ab.867 Unter Wahrhaftigkeit wird die „Übereinstimmung der Rede mit der Überzeugung“ verstanden.868 Unter Treue wird im christlichen Glauben die Fähigkeit des Menschen verstanden, ein Versprechen zu geben, an das der Mensch sich nachhaltig gebunden fühlt.869 Die Theologie schöpft aus der Kombination beider Werte den Wert der Versprechenstreue, der den Gläubigen dazu verpflichtet, in Nachahmung seines Schöpfers sein eigenes Wort zu halten – oder, um der Wahrhaftigkeit gerecht zu werden, sein Wort nicht erst zu geben.870 Unter 2.a)cc) wird das moraltheologische Fundament der christlichen Versprechenstreue näher erläutert. b) Versprechensbindung im BGB Von dem christlichen Wert der Versprechenstreue begrifflich zu unterscheiden, ist die rechtliche Bindung an Versprechen (Versprechensbindung), die das BGB vorsieht und über das kanonische Recht stark durch den christlichen Wert beeinflusst worden ist.871 Die Versprechensbindung des BGB lässt sich in zwei Kategorien einteilen: Die Bindung an zweiseitige Versprechen, die Vertragsbindung als Element der Vertragstreue,872 und die Bindung an das einseitige Versprechen. Die Vertragsbindung ist der Regelfall des BGB und meint die nicht ohne weiteres einseitig lösbare „Unterwerfung einer Partei unter alle einem Vertrag entspringenden Rechtsgebote“ gegenüber einer anderen Vertragspartei, die sich durch den Vertrag ebenfalls verpflichtet.873 Die Vertragsbindung ergibt sich nach Weller aus den § 311 Abs. 1 BGB 867 Dazu Landau, Pacta sunt servanda, FS Knut Hörr, 2003, S. 764 ff.; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 440; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 73; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 77. 868 Hartmann, Ethik, 1962, S. 461, 464; s. auch Thomas von Aquin, Summa Theologica, Buch II, Teil II, Frage 110, Artikel 3, Objection 5. 869 Hartmann, Ethik, 1962, S. 461, 464; vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Buch II, Teil II, Frage 110, Artikel 3, ad 5; vgl. Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, 1959, S. 10 f., 11; Gordeley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 374. 870 Gloyna, in: HWP, Art. Versprechen, Band 11, 2001, S. 906; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 26. Diese Herleitung wird unter C.VI.2.a)cc) vertieft. 871 „Es ist das kanonische Recht, das die Maxime ‚Pacta sunt servanda‘ eingeführt hat.“, Coing, Kanonisches Recht und Ius Commune, 1985, S. 510. 872 Die Vertragstreue wirkt in drei Elementen: In der Vertragsbindung, der Leistungstreue und dem Naturalerfüllungsgrundsatz. Weller, Vertragstreue, 2009, S. 274 ff. 873 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 27; Weller, Vertragstreue, 2009, S. 274.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
i. V. m. § 241 BGB874 sowie mittelbar aus den Tatbeständen der Vertragsbeendigung875 des BGB.876 Wer ein Versprechen abgibt, das der andere annimmt, begründet zweiseitige Leistungs- und Rücksichtspflichten.877 Der dem zugrunde liegende Grundsatz wird pacta sunt servanda genannt und ist die sozialethische Voraussetzung zahlreicher Regelungen des BGB.878 Ausnahmsweise pflichtet das BGB auch dem einseitigen Versprechen Bindungswirkung bei, so bei der Auslobung gemäß § 657 BGB879 und der Bindung an das Angebot nach 145 BGB880. Gegenwärtig erfährt die Diskussion um eine Bindungswirkung von einseitigen Versprechen sogar eine Renaissance.881 Denn im Rahmen der Europäisierung des Privatrechts wird die Bindungswirkung neu diskutiert, weil Art. 2:107 PECL anordnet, dass ein Versprechen auch ohne Annahme verbindlich sein soll.882 2. Problemsituation der Versprechensbindung im BGB Die Versprechensbindung des BGB war das Ergebnis eines Prozesses, der durch das kanonische Recht maßgeblich mitgeprägt worden ist. So versuchten bereits vor dem BGB das römische und das kanonische Recht, ebenso wie Naturrechtler Antworten auf folgende Fragen zu finden: Ist das Versprechen bindend und wenn ja, warum? Ist eine bestimmte Form einzuhalten, um die Bindungswirkung zu begründen? Ist bereits das einseitige Versprechen bindend, oder bedarf es nach dem Konsensprinzip einer Annahme des Ver874 A. A. Löwisch/Feldmann, die den Grundsatz in § 311 Abs. 1 BGB verankert sehen, in: Staudinger-BGB, 2013, § 311, Rn. 4. 875 Diese sind von besonderen Voraussetzungen abhängig, so die Rücktrittsgründe der §§ 323, 324 BGB und die Vertragsbeendigungsvorschriften der §§ 313, 314, 490, 530, 543 BGB. Näher dazu Weller, Vertragstreue, 2009, S. 276 f. 876 Weller, Vertragstreue, 2009, S. 276. Der BGH macht die Vertragsbindung nicht an § 311 Abs. 1 BGB, sondern an der Vorschrift des § 241 Abs. 1 BGB fest. Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 22.06.1956, I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 106. 877 Denn als Schuldverhältnis (§ 311 BGB) partizipiert der Vertrag an der Verpflichtungswirkung des § 241 Abs. 1 BGB. Weller, Vertragstreue, 2009, S. 276. 878 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S. 109; Honsell, in: Staudinger-BGB, Einl. zum BGB, 2013, Rn. 184; Weller, Vertragstreue, 2009, S. 26. 879 § 657 BGB: „Wer durch öffentliche Bekanntmachung eine Belohnung für die Vornahme einer Handlung, insbesondere für die Herbeiführung eines Erfolges, aussetzt, ist verpflichtet, die Belohnung demjenigen zu entrichten, welcher die Handlung vorgenommen hat, auch wenn dieser nicht mit Rücksicht auf die Auslobung gehandelt hat.“ 880 § 145 BGB: „Wer einem anderen die Schließung eines Vertrags anträgt, ist an den Antrag gebunden, es sei denn, dass er die Gebundenheit ausgeschlossen hat.“ 881 Hartkamp, Towards a European Civil Code, 2004, S. 353 ff.; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 48. 882 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 48.
VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB191
sprechens durch einen anderen? Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Antworten das kanonische Recht und Grotius auf das Regelungsproblem gefunden haben. Hierzu soll zunächst die kanonische Versprechenslehre vorgestellt werden (a)), die durch Grotius zu einem allgemeinen Vertragsprinzip erweitert worden ist (b)). Anschließend wird unter (c)) gezeigt, inwiefern die so fortentwickelte Lehre mit Einführung des Grundsatzes pacta sunt servanda in das BGB importiert wurde.883 Denn der Grundsatz importiert dann einen christlichen Wert, wenn die kanonische Versprechenslehre als Vehikel der Versprechenstreue Einfluss auf ihn genommen hat. Nach der Analyse des Nährbodens der Versprechensbindung im BGB, wird die Untersuchung sich mit dem Import christlicher Werte speziell in der Bindung an einseitige Versprechen befassen. a) Die kanonische Lehre von der Versprechensbindung Erst die kanonische promissio-Lehre vermochte zu begründen, warum jedes Versprechen unabhängig von seiner Form bindend sein sollte.884 aa) Formalismus des römischen Rechts Zwar wurde bestimmten Versprechen schon in der Antike eine Bindungswirkung zugesprochen.885 Das römische Recht886 knüpfte diese Wirkung aber an die Form der Versprechen.887 Formlose Versprechen entfalteten dagegen keine Bindungswirkung.888 Pacta nuda, formlose Vereinbarungen, konnten daher auch nicht eingeklagt werden: „Ex nudo pacto actio non nascitur.“ 889 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 26. auch Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 26. 885 Coing, Kanonisches Recht und Ius Commune, 1985, S. 512; Thier, in: HKKBGB, 2007, § 311 I Rn. 7; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 30; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 70 f. 886 Coing, Kanonisches Recht und Ius Commune, 1985, S. 512; Thier, in: HKKBGB, 2007, § 311 I Rn. 7; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 30; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 70 f. 887 „Die Form ist ‚Wirkform‘ “. Flume, Das Rechtsgeschäft, 1979, S. 244 f.; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 30; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 71. 888 s. bspw. Ulpian, D. 2, 14, 7, 4: „Nuda pactio obligationem non parit.“ – Übers.: Die bloße Übereinkunft begründet keine Verbindlichkeit. Bergmann, in: StaudingerBGB, 2016, § 657, Rn. 9; vgl. Dreiocker, Zur Dogmengeschichte der Auslobung, 1969, S. 147; Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 1. 889 Aus einem bloßen pactum folgt kein Klagerecht. Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 10; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 72; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 133. 883 Vgl. 884 Vgl.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Entsprechend genoss lediglich ein numerus clausus an Vertragstypen Rechtsschutz.890 Darüber hinaus bedurfte der Vertrag mit Ausnahme der pollicitatio891 der Annahme durch den Vertragspartner.892 Einseitige Versprechen waren grundsätzlich unverbindlich.893 bb) Klagbarkeit von pacta nuda und Versprechenslehre im kanonischen Recht Das kanonische Recht überwand den römischen Formalismus und Typenzwang, indem es formlose Versprechen für bindend erklärte und hierdurch zu deren Klagbarkeit gelangte.894 Darüber hinaus knüpfte das kanonische Recht die Vertragsbindung auch nicht an den Konsens der Vertragsparteien, sondern an das jeweils wechselseitig abgegebene, einseitige Versprechen.895 Das hatte zur Folge, dass auch unilaterale Versprechen unabhängig von ihrer Form einklagbar wurden.896 890 Bedeutend, dass die actio lediglich auf Grundlage dieser Vertragstypen möglich war. Entsprechend herrschte keine Gestaltungsfreiheit, welche als Ausprägung der Vertragsfreiheit unser heutiges Vertragsrecht beherrscht. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 71; außerdem Coing, Kanonisches Recht und Ius Commune, 1985, S. 512; Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Privatrecht, 1949, S. 187 ff.; Landau, Pacta sunt servanda, FS Knut Hörr, 2003, S. 761. 891 Die Regelung diente allein dem öffentlichen Interesse, welches die Ausnahme legitimierte. Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 136. Mehr dazu unter C.VI.3.b)aa). 892 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 8; Thier, in: HKKBGB, 2007, § 311 I Rn. 6; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 472. Näher dazu unter C.VI.3.b)aa). 893 Bergmann, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 9; Kleinschmidt, in: HKKBGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 7 f.; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 472; i. E. auch Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 129, 164. 894 Becker, Spuren des kanonischen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1999, S. 165; Coing, Kanonisches Recht und Ius Commune, 1985, S. 513; Göbler, Beitrag des kanonischen Rechts zur europäischen Rechtskultur, 1990, S. 28; Helmholz, Contracts and the Canon Law, 1990, S. 50; Landau, Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, 1991, S. 55; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 42 Rn. 14; Mayer-Maly, Bedeutung des Konsenses, 1976, S. 100; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 439; Zimmermann, Europäischer Charakter des englischen Rechts, ZEuP 1993, S. 22. 895 Helmholz, Contracts and the Canon Law, 1990, S. 50; Mayer-Maly, Konsens als Grundlage des Vertrages, FS Erwin Seidl, 1975, S. 124; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 439; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 14; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 73; a. A. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 28. 896 Helmholz, Contracts and the Canon Law, 1990, S. 50. A. A. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 28.
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cc) Moraltheologisches Fundament der kanonischen Lehre Die Gründe für die kanonische Bindung an das Versprechen waren moraltheologischer Natur.897 Zugrunde lag das christliche Schwurverbot,898 nach dem aufgrund der christlichen Werte der Wahrhaftigkeit und der Treue899 das bloße Wort bindend und der Schwur deswegen verboten war.900 Ein gegebenes Versprechen nicht zu halten, galt als Lüge.901 Im 13. Jahrhundert stellte Thomas von Aquin902 in seiner Summa Theologica fest: „Mendacium est, si quis non impleat, quod promisit.“ 903 Dabei erläuterte er den Zusammenhang zwischen Versprechensbruch und Lüge auf der einen und Treue und Wahrhaftigkeit auf der anderen Seite.904 Thomas von Aquin zufolge verstieß gegen die Wahrhaftigkeit, wer etwas mit der Intention verspricht, es nicht zu halten.905 Gegen die Treue verstößt, wer etwas bricht, was er ver-
897 Vgl. Landau, Pacta sunt servanda, FS Knut Hörr, 2003, S. 772; Mayer-Maly, Konsens als Grundlage des Vertrages, FS Erwin Seidl, 1975, S. 124; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 440; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 14; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 73. 898 Vgl. Helmholz, Contracts and the Canon Law, 1990, S. 49; Landau, Pacta sunt servanda, FS Knut Hörr, 2003, S. 764 f.; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 439. 899 Landau, Pacta sunt servanda, FS Knut Hörr, 2003, S. 764 ff.; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 440; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 73; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 77. 900 Vgl. Grotius, De Jure Belli ac Pacis, Buch II, 1950, Kap. 13, S. 267 f. 901 Vgl. Landau, Pacta sunt servanda, FS Knut Hörr, 2003, S. 767; Mayer-Maly, Bedeutung des Konsenses, 1976, S. 101. 902 Thomas von Aquin, Summa Theologica, Buch II, Teil II, Frage 110, Artikel 3, Objection 5; s. auch Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 73. 903 Übers.: Es ist eine Lüge, wenn einer nicht erfüllt, was er versprochen hat. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Buch II, Teil II, Frage 110, Artikel 3, Objection 5. zit. in Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 73, s. auch Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 468. 904 So heißt es: Si vero non faciat quod promisit, tunc videtur infideliter agere per hoc quod animum mutat. – Übers.: Wer etwas verspricht mit dem Willen, es zu halten, begeht keine Lüge; denn er redet nicht gegen das, was er denkt. Erfüllt er das Versprochene nicht, dann scheint er treulos, weil er seine Gesinnung ändert. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Buch II, Teil II, Frage 110, Artikel 3, ad 5. Vgl. Gloyna, in: HWP, Art. Versprechen, Band 11, 2001, S. 906; Gordeley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 374; Helmholz, Contracts and the Canon Law, 1990, S. 51; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 26; Zimmermann, Europäischer Charakter des englischen Rechts, ZEuP 1993, S. 22. 905 Thomas von Aquin, Summa Theologica, Buch II, Teil II, Frage 110, Artikel 3, ad 5; vgl. Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, 1959, S. 10 f., 11; Gordeley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 374.
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sprochen hat.906 Für das Treueverhalten dient Gott selbst als Vorbild, denn „obgleich er durch kein positives Gesetz verpflichtet werden kann, (würde er) doch gegen seine Natur handeln, wenn er das Verheißene nicht gewährt“.907 In der Treue zu seinem Wort, seiner Wahrhaftigkeit, ahmt der Mensch die göttliche Treue nach.908 Dieses nachahmende Verhalten des imago dei wird in der Moraltheologie als imitatio bezeichnet.909 Auch das einseitige Versprechen galt im kanonischen Recht als bindend, weil Gott als extrapersonaler Bezugspunkt diente, dem gegenüber das Versprechen trotz fehlenden Vertragspartners zu halten war.910 Daher erlangte die Bindungswirkung der römischen pollicitatio in der Kanonistik als solius offerentis promissio im Unterschied zum Vertrag eine neue Bedeutung.911 Auf der so begründeten Versprechenstreue aufbauend, führte das kanonische Recht den Erfüllungszwang von pacta nuda wegen der Sündhaftigkeit des Bruchs eines Versprechens ein.912 Hierdurch verknüpfte die Kanonistik eine „Rechtspflicht mit sittlichen Grundsätzen“.913 dd) Verbreitung der kirchlichen Doktrin Der Einfluss der kirchlichen Doktrin auf das weltliche Vertragsrecht lässt sich vor allem dadurch erklären, dass eidlich bekräftigte Vertragsversprechen ebenso wie pacta nuda in der Folge dem Zuständigkeitsbereich der Kirche zugeordnet wurden.914 So fielen bald sämtliche formlosen Verträge vor 906 Thomas von Aquin, Summa Theologica, Buch II, Teil II, Frage 110, Artikel 3, ad 5; vgl. Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, 1959, S. 10 f.;11; Gordeley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 374. 907 Grotius, De Jure Belli ac Pacis, Buch II, 1950, Kap. 11, S. 237. 908 Vgl. Behrends, Treu und Glauben, 1984, S. 262; Gloyna, in: HWP, Art. Versprechen, Band 11, 2001, S. 906; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 26. 909 Gloyna, in: HWP, Art. Versprechen, Band 11, 2001, S. 906; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 26. S. dazu auch die Begründung der Nächstenliebe unter C.I.1.a). 910 Vgl. Weller, Vertragstreue, 2009, S. 63; zu der Notwendigkeit eines fremdpersonalen Bezugspunktes s. Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, 1959, S. 115 ff. 911 Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 14; a. A. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 28. 912 Vgl. Landau, Pacta sunt servanda, FS Knut Hörr, 2003, S. 768; Mayer-Maly, Konsens als Grundlage des Vertrages, FS Erwin Seidl, 1975, S. 124. 913 Vgl. Landau, Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, 1991, S. 55; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 30; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 77. 914 Vgl. Zimmermann, Europäischer Charakter des englischen Rechts, ZEuP 1993, S. 23; s. auch Behrends, Treu und Glauben, 1984, S. 275; Helmholz, Contracts and
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geistliche Gerichte915 und die kirchliche Lehre nahm auf diese Weise Einfluss auf das forum externum. b) Fortentwicklung zum Konsensprinzip Die thomistische Versprechensdoktrin, nach der Versprechen erst nach deren Annahme bindend waren, fand über Grotius Eingang in die Naturrechtslehre des 16. Jahrhunderts.916 Zuvor hatten Spätscholastiker wie Molina noch vertreten, dass Versprechen auch ohne Annahme bindend sein sollten.917 Denn die Verpflichtung, zu handeln, werde aus dem Versprechen und nicht aus der Annahme gefolgert.918 Nach dem Naturrecht sei jedes Versprechen bindend, jedoch sei im Recht aus pragmatischen Gründen nur ausnahmsweise ein Versprechen ohne Annahme verpflichtend.919 Grotius (1583–1645) wandte dagegen die Verpflichtungslehre von Thomas von Aquin auf das römische Obligationenrecht an.920 Wie andere Spätscholastiker sah er den Grund für die Versprechensbindung, ungeachtet der Form, in den hierzu verpflichtenden Werten der Wahrhaftigkeit und Treue.921 Er belegt die Versprechenstreue in seinem Werk mit Verweisen auf das Alte wie das Neue the Canon Law, 1990, S. 49 ff.; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 440. 915 Vgl. Zimmermann, Europäischer Charakter des englischen Rechts, ZEuP 1993, S. 23; s. auch Helmholz, Contracts and the Canon Law, 1990, S. 49 ff. 916 Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, 1959, S. 34 ff., 44; Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 368 ff.; Landau, Pacta sunt servanda, FS Knut Hörr, 2003, S. 779; Mayer-Maly, Bedeutung des Konsenses, 1976, S. 101; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 441; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 19. 917 Covarruvias, Soto und Molina. Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 380. 918 Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 380. 919 Promissio ante acceptationem revocari ne libere possit, utrum ex sua natura id habeat, an ex positive iure. – Übers.: Das Versprechen könne vor der Annahme nicht frei widerrufen werden, ob dies aus seiner Natur folgt oder aus dem positiven Recht. S. Molina, De justicia et jure, 1659, Tom. II, disp. 263. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dies aus der Natur folgen müsse. Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 380. 920 Seiner Anwendung lagen gleichermaßen aristotelische Lehren zugrunde. Vgl. Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, 1959, S. 111 ff.; Gordeley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 372, 376 ff.; Oestmann, in: HKKBGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 28; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 468. 921 Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, 1959, S. 44; Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 374; vgl. Auch Thier, in: HKKBGB, 2007, § 311 I Rn. 19.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Testament.922 Auch er argumentierte mithin moraltheologisch.923 Grotius erweiterte die thomistische Lehre von der Vertragsbindung aber durch das Erfordernis der Annahme des Versprechens.924 Durch seinen Einfluss auf das weltliche Recht925 wurde die christlich-thomistische Doktrin in die Vertragslehre des 19. Jahrhunderts integriert.926 In Folge dessen wurde die Bindung an den Vertrag mit dem religiös-sittlichen Institut der „Ehrlichkeit“ in Verbindung gebracht.927 Coing geht aus diesem Grunde nicht unberechtigt davon aus, dass der Grundsatz pacta sunt servanda928 seinen Ursprung im kanoni-
922 Grotius, De Jure Belli ac Pacis, Buch II, 1950, Kap. 11, S. 236 f.; außerdem Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, 1959, S. 50; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 28. 923 Vgl. Grotius, De Jure Belli ac Pacis, Buch II, 1950, Kap. 11, S. 236; Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, 1959, S. 34, 46 f.; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 28; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 16, S. 299; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 133. 924 Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, 1959, S. 111; Grotius, De Jure Belli ac Pacis, Buch II, 1950, Kap. 11, S. 242; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 441; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 19. 925 Vgl. Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 378. 926 Grotius, De Jure Belli ac Pacis, Buch II, 1950, Kap. 11, S. 237 ff.; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 30; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 16, S. 300 f. 927 „Dahin [wo das Recht die Sittlichkeit und Religion zu seiner Hülfe herbeizieht] gehört auch, wenn Verträge auf das Vertrauen in die gegenseitige Ehrlichkeit und Moralität gestellt sind.“, Puchta, Vorlesungen, Band I, 1873, S. 48. Teilweise wird darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der Worttreue dem germanischen Brauchtum – und nicht dem kanonischen Recht – entsprungen sei, Mayer-Maly, Bedeutung des Konsenses, 1976, S. 101; Mayer-Maly, Konsens als Grundlage des Vertrages, FS Erwin Seidl, 1975, S. 121; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 18; vgl. hierzu Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 25. In der Tat bezogen sich manche Gerichte zur Begründung der Vertragstreue unter Verweis auf Tacitus auf das hohe Ansehen der Treue bei den alten Germanen. Es wird aber darauf hingewiesen, dass keine Quellenbelege für die Übernahme einer altdeutschen Praxis in die Vertragslehre existieren. Weitgehend wird der kanonische Einfluss daher als wahrscheinlicher angesehen, Coing, Kanonisches Recht und Ius Commune, 1985, S. 514; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 7; vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 25; Mayer-Maly, Bedeutung des Konsenses, 1976, S. 101. 928 Es steht zu vermuten, dass der Grundsatz eine Abwandlung folgender Formulierung der Dekretalen Gregorii ist, IX, X, 1.35.1, in idem: Universi dixerunt, pax servetur pacta custodiantur. zit. bei Helmholz, Contracts and the Canon Law, 1990, S. 50 (Fn. 4). Das Kapitel im Liber Extra wurde daher in der späteren Kanonistik auch unter die Rubrik „pacta quantumcumque nuda servanda sunt“ gefasst. Landau, Pacta sunt servanda, FS Knut Hörr, 2003, S. 762; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 439.
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schen Recht929 hat. Der Grundsatz importiert damit den Wert der Versprechenstreue, so wie das Christentum ihn versteht, als bindend auch bei Einseitigkeit. c) Grundentscheidung für pacta sunt servanda im BGB Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie sich dieser Import des Wertes nach christlicher Prägung in den Grundentscheidungen des Gesetzgebers bei der Entstehung des BGB manifestiert hat. Vor dem Hintergrund der kanonischen Erweiterung des römischen Rechts auf die Klagbarkeit von pacta nuda und der Lehre des Grotius930 traf die erste Kommission im 19. Jahrhundert zunächst eine Grundsatzentscheidung: Auch ein formlos geschlossenes Rechtsgeschäft sollte vertraglich binden.931 aa) Einführung der Formfreiheit im BGB Das ergibt sich bis heute mittelbar aus § 125 BGB.932 In den Motiven wurde darauf hingewiesen, dass die Formbedürftigkeit von Verträgen Gegenstand von Erörterungen gewesen sei und insoweit Vorzüge und Nachteile „ernst zu prüfen“ gewesen seien.933 Man bemängelte, dass der Formzwang den Rechtsverkehr erschweren werde, weil das Verlangen einer Urkunde zur Bekräftigung des geäußerten Willens als Misstrauensäußerung aufgefasst würde.934 Die Entscheidung für die Formfreiheit war eine Zusage an die Bindungskraft des Wortes, dessen Belohnung und Schutz.935 Der Gesetzgeber traf die Entscheidung zugunsten der Formfreiheit also bewusst. 929 Dreier, Kanonistik und Konfessionalisierung, JZ 2002, S. 3; Helmholz, Contracts and the Canon Law, 1990, S. 50; Landau, Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, 1991, S. 250; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2010, S. 42 Rn. 14; Mayer-Maly, Rennaissance der laesio enormis?, FS Karl Larenz 1983, S. 408; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 439; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 16; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 72. 930 In den Motiven wird hierzu auf das gemeine Recht verwiesen. Motive I, 1888, S. 179. 931 Vgl. Hübner, AT, 1985, S. 367; Seelig, Prozessuale Behandlung materiellrechtlicher Einreden, 1980, S. 59. 932 Vgl. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 105. 933 Motive I, 1888, S. 179. 934 „Mitunter liegt auch in Sitte und dem Anstande ein Hindernis, die als eine Misstrauensäußerung aufgefasste Errichtung einer Urkunde zu verlangen.“, Motive I, 1888, S. 180. 935 So erklärt auch Honsell die Pflichttreue zum christlich-bürgerliche Ideal des BGB, in: Staudinger-BGB, Einl. zum BGB, 2013, Rn. 14.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
In den Motiven wurde kein expliziter Bezug zu der christlichen Anschauung hergestellt.936 Die Redaktoren verwiesen auf das gemeine Recht, diverse landesgesetzliche Regelungen und das Handelsrecht, in denen ebenfalls die Formfreiheit als Grundsatz anerkannt wurde.937 Die unter 2.) ausgearbeitete Problemgeschichte der Verknüpfung von Versprechensbindung und Form erhellte jedoch die Bedeutung dieser Entscheidung. In diesem Kontext wird folgende Aussage in den Gesetzesmaterialien auch verständlich: „Außerdem hat der Entwurf dem Satze, daß Jeder zu seinem Worte stehen muß, durch Annahme des Prinzipes der Formfreiheit für die Rechtsgeschäfte gebührende Rechnung getragen, und wenn für einzelne Rechtsgeschäfte dennoch eine besondere Form sich vorgeschrieben findet, so liegt darin zur Genüge, daß die Gründe für die Nothwendigkeit der Beobachtung der Form schwerer wiegen, als die Rücksicht auf die ethische Pflicht zum Worthalten.“938
Der Gesetzgeber erkannte die „Pflicht zum Worthalten“ mithin als scheinbar apriorisch vorausgesetzte „ethische“ Pflicht an, die so selbstverständlich war, dass sie keiner weiteren Begründung bedurfte.939 In Anbetracht der Entstehungsgeschichte des Grundsatzes pacta sunt servanda spricht der Einfluss der kanonischen Lehre ebenso wie der Hinweis auf eine ethische Pflicht dafür, dass hiermit die christliche Pflicht zum Worthalten gemeint ist, denn das römische Recht kannte einen solchen ethischen Grundsatz nicht. bb) Vertragsbindung in den Normen des BGB Das BGB hat den kanonisch geprägten Grundsatz pacta sunt servanda aber nicht nur durch Einführung der Formfreiheit von Verträgen umgesetzt.940 So zeigt er bis heute seine Wirkung im Umkehrschluss aus den gesetzlichen Anforderungen an das Rücktrittsrecht §§ 323, 324 BGB, aber auch den ordentlichen Vertragsbeendigungsgründen §§ 313, 314, 490, 530, 543 BGB, sowie dem abgestuften Anforderungssystem der Mängelrechte in § 437 BGB941 – 936 Motive I,
1888, S. 178. Grundsatz der Formfreiheit (Abs. 1) findet sich für die Rechtsgeschäfte anerkannt im gemeinen Rechte, in dem Sächsischen BGB §§ 100. 821, bayr. Entw. Th. I Art. 14 (…) Der Grundsatz gilt ferner reichsweit für den Bereich des Handelsrechts (HGB Art. 317 (…))“, Motive I, 1888, S. 178. 938 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 453. 939 Denn die o.z. Stelle erschöpft sich in einem Hinweis auf die ethische Pflicht zum Worthalten, ohne dass diese begründet wird. 940 Siehe dazu auch Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 412 f.; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 74, 89. 941 Wegen des Vorranges der Nacherfüllung kommen alle weiteren Möglichkeiten erst in Betracht, wenn eine Nacherfüllung nicht möglich oder unzumutbar ist. Ist der Weg zur Anwendung der § 437 Nr. 2 und 3 BGB eröffnet, werden unterschiedlich hohe Anforderungen an die Verhaltensalternativen gestellt. Während der Gesetzgeber 937 „Der
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um nur einige Normen zu nennen.942 In dieser elementaren Grundbedeutung wirkte sich der kanonisch geprägte Grundsatz pacta sunt servanda auf viele Einzelregelungen des BGB aus.943 Das kanonische Recht war zwar nicht monokausal für die Vertragstreue des BGB,944 es legte aber elementare Grundsätze fest: „At most, it was one strand. However, it was a potentially important strand. Concentration on the principle of enforcing promises, freedom from formal classification of obligations, and the working out of a theory of underlying causa were not minor accomplishments. They were ‚elementary ideas‘ in one sense.“945
Die kanonische Lehre hatte sich aber nicht nur auf die Bindung zweiseitiger Versprechen im BGB ausgewirkt. Vielmehr hat sich der urkanonische Gedanke der Versprechenstreue auch in der Bindung an einseitige Versprechen der §§ 657, 145 BGB niedergeschlagen. Dabei ist der Grundsatz der Versprechensbindung, der § 657 ebenso wie § 145 BGB zugrunde lag, zwar eng mit der Vertragstreue verwandt, allerdings nicht mit dieser zu verwechseln.946 Die Versprechensbindung der §§ 657, 145 BGB ist vielmehr ein der Vertragstreue vorgelagerter Vertrauensschutz.947 Auf das Angebot findet die Vertragstreue keine Anwendung, bevor es nicht durch Annahme zu einem Vertrag gereift ist. Bei § 657 BGB handelt es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft,948 bei dem sich allein der Versprechende verpflichtet, die ausgelobte Leistung vorzunehmen und dem Auszulobenden ein Anspruch auf diese Leistung zugesprochen wird. Ein Vertrag kommt dabei nicht zustande.949 Vielmehr entsteht vor der Vornahme der ausgelobten Tätigkeit eine schuldrechtliche Sonderverbindung im Sinne des § 311 Abs. 2 BGB.950 Folglich liegt der Norm ebenso wie § 145 BGB nicht der vorab geschilderte Grundsatz pacta sunt servanda zugrunde.951 Man könnte vielmehr zur Minderung das Vorliegen der Rücktrittslage ausreichen lässt, fordert er für den Rücktritt eine Fristsetzung, §§ 437 Nr. 2, 323 BGB. 942 Für weitere s. Weller, Vertragstreue, 2009, S. 276 f. 943 Weller, Vertragstreue, 2009, S. 276. 944 Schließlich legt das Vertragsrecht des BGB anders als das kanonische Recht das Vertragsprinzip zugrunde, wonach allein zwei übereinstimmende Willenserklärungen vermögen, eine selbstbestimmte Bindung an den Vertrag zu begründen. Insoweit steht die Einseitigkeit der kanonischen Obligationenbegründung in der Tat in einem „Kontrast zum Vertragsdogma des BGB“. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 74. 945 Helmholz, Contracts and the Canon Law, 1990, S. 52 f. 946 Vgl. auch Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 27. 947 Vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 27. 948 BGH, Urt. v. 23.09.2010, III ZR 246/09, BGHZ 187, 86, juris, Tz. 12. 949 BGH, Urt. v. 23.09.2010, III ZR 246/09, BGHZ 187, 86, juris, Tz. 13. 950 BGH, Urt. v. 23.09.2010, III ZR 246/09, BGHZ 187, 86, juris, Tz. 12. 951 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 27.
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von dem naturrechtlichen, urkanonischen Grundsatz „promissio est servanda“ sprechen.952 3. Versprechenstreue am Beispiel des § 657 BGB Der christliche Einfluss auf den Normerlass dieser beiden Regelungen, zunächst der des § 657 BGB, wird im Folgenden aufzuzeigen sein. Hierzu soll zunächst das Regelungsproblem der Auslobung erläutert werden, bevor die dem Gesetzgeber bekannten Lösungsansätze vorstellt werden. a) Regelungsproblem des § 657 BGB Im 19. Jahrhundert hatte sich der Gesetzgeber, wie unter 2.c) dargestellt, für das Vertragsprinzip entschieden.953 Grundsätzlich sollte das einseitige Versprechen nicht binden.954 Es gab jedoch Einzelsituationen, in denen die Bindung an das Versprechen zwar gewünscht war, aber nicht mit dem Vertragsprinzip begründet werden konnte. Hierzu gehörte die Auslobung für eine bestimmte Tätigkeit.955 Dabei versprach jemand durch öffentliche Bekanntmachung an einen unbestimmten Personenkreis eine Belohnung für die Vornahme einer Handlung, beispielsweise einen Finderlohn für den Fund einer verlorenen Sache.956 Der Versprechende wollte dabei keinen Anspruch auf Erbringung der ausgelobten Handlung begründen, sich gleichzeitig aber an das Versprechen binden.957 Die Klagbarkeit öffentlicher Belohnungsversprechen war Ende des 19. Jahrhunderts gewohnheitsrechtlich anerkannt, ohne dass dabei ein Vertrag zustande kam.958 Der Kommission stellten sich dennoch zwei Fragen:959 Durfte der Auslobende sein Versprechen jederzeit zurücknehmen, solange keiner die gewünschte Handlung vorgenommen hatte? Entstand ein Anspruch aus dem Auslobungsversprechen auch dann, wenn jemand in Unkenntnis des Auslobungsversprechens die gewünschte Handlung vornahm? Letztlich liefen die beiden Fragen auf dieselbe Grund952 In seiner Urform, bevor er von Grotius fortentwickelt worden ist. Siehe dazu oben C.VI.2.a). 953 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 4. 954 Vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 4. 955 Vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 1. 956 Vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 1, 12. 957 Vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 1. 958 s. die gesetzliche Anerkennung der Auslobung in ALR I 11 § 988: „Auf nützliche Geistesarbeiten, oder gemeinnützige körperliche Fähigkeiten oder Unternehmungen, öffentliche Belohnungen auszusetzen, ist einem Jeden erlaubt.“ Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 15. 959 Vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 1.
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frage hinaus, nämlich ob schon das einseitige Versprechen Bindungswirkung entfalten sollte oder ob es einer irgendwie gearteten Annahme bedurfte.960 b) Bekannte Lösungsansätze Vor dem 19. Jahrhundert blieben die Fälle der Auslobung ein außerjuristisches Phänomen, das allenfalls in kleineren isolierten Fallgruppen diskutiert wurde.961 Erstmals 1870962 begann man trotz grundsätzlicher Zusage an das Vertragsprinzip963 im weltlichen Recht die Möglichkeit einseitig begründeter rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse zu diskutieren.964 Zu der Lösung dieser Grundfrage waren drei Lösungsansätze bekannt, die im Folgenden vorgestellt werden. Während noch im gemeinen Recht der Anspruch aus dem Auslobungsversprechen nicht klagbar war (aa), standen sich die Befürworter der Klagbarkeit in zwei Fraktionen gegenüber: Die Vertreter der Vertragstheorie, die eine Annahme des Belohnungsversprechens durch den Bewerber verlangten (bb),965 und diejenigen der Pollizitationstheorie, nach denen bereits das einseitige Versprechen bindend sein sollte (cc).966 aa) Kein klagbarer Anspruch nach römischem Recht Die römischen Quellen weisen kein der Auslobung vergleichbares Rechtsinstitut auf, das die Vielzahl der Auslobungsfälle erfassen würde.967 In nicht juristischen Texten werden Situationen geschildert, in denen öffentlich eine Prämie für die Ergreifung eines entflohenen Sklaven ausgesetzt wurde.968 Da aus den Quellen nicht abgeleitet werden kann, ob ein klagbarer Anspruch auf 960 Es ist damit ein Streit um die Rechtsnatur gewesen: Vertrag oder Versprechen. Siehe dazu Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 4. 961 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 3. 962 Vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 15. 963 Später in § 305 BGB. s. auch Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 136. 964 Vgl. Bergmann, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 3 f.; Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 1; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 22. 965 Vgl. Mugdan, Materialien II, 1979, S. 290; s. Bergmann, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 8; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 473. 966 Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 1 ff.; siehe dazu Bergmann, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 9; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 22; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 472. 967 Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 130; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 7; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 136. 968 Ulpian D. 19, 5, 15; ders. D. 12, 5, 4, 4; ders. D. 47, 2, 43, 8 f.; s. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 7.
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den Lohn gegeben war, wurde angenommen, dass es kein klagbares Versprechen im römischen Recht gab.969 Ein solches Rechtsinstitut würde auch dem römischen Grundsatz der Unzulässigkeit eines Vertrags ad incertam personam970 oder dem Prinzip der Unverbindlichkeit einseitiger Versprechen971 widersprechen und wäre daher ausdrücklich normiert worden.972 Nur scheinbar bestand zwischen dem Institut der Auslobung und dem römischen Institut der pollicitatio bzw. des votum973 eine Verwandtschaft.974 Bei beiden Instituten wurde in Ausnahme vom Konsensprinzip eine klagbare Forderung gegeben.975 Damit sah das römische Recht für einen der Auslobung ähnlichen Fall die Klagbarkeit der Forderung vor. Sowohl die pollicitatio als auch das votum richteten sich aber im Gegensatz zu den Fällen der Auslobung an einen von vornerein bestimmten Adressatenkreis.976 Die pollicitatio war das Versprechen einer Geld- oder Sachleistung an die Gemeinde.977 Dabei diente die pollicitatio nicht dem Privatinteresse des Auslobenden, sondern dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer bestimmten Leistung.978 Eine ethische Begründung der Bindung an die pollicitatio, außer dem Interesse der öffentlichen Hand, ist nicht erkennbar.979 Damit lag in den römischen Regelungen kein Vorbild für die vom Gesetzgeber gewählte Lösung des 969 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 1; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 133, 136 f. 970 Zur Möglichkeit eines Vertrages ad incertam personam v. Savigny, Obligationenrecht II, 1853, S. 88 ff.; außerdem Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 146; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657– 661a, Rn. 7. 971 Vgl. Coing, Europäisches Privatrecht I, 1985, S. 181 ff.; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 7 ff. 972 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 7. 973 Das votum richtete sich an eine Gottheit bzw. deren Tempelkasse. Es handelte sich dabei im Prinzip um ein zweiseitiges Versprechen, das nicht einklagbar war. 974 Vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 8; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 26; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 136. 975 Vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 8; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 26; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 136. 976 An die Munizipalität. s. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 8; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 136. 977 Einschlägiger Digestentitel ist D. 50, 12. Dabei versprach ein Kandidat für ein Amt seiner Gemeinde die Erbringung einer Werkleistung oder eine Geldleistung im Fall seiner Wahl. S. auch Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 8; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 28; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 6. 978 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 8; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 136. 979 Vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 8 (Fn. 15).
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§ 657 BGB, der das einseitige Versprechen schon allein auf Grund desselben für wirksam und klagbar erklärte. bb) Finderlohnversprechen als Vertrag (Vertragstheorie) Einige Befürworter der Klagbarkeit des Auslobungsversprechens sahen das Finderlohnversprechen als Vertrag zwischen Auslobendem und Auszulobendem an.980 Denn sie erkannten ein Versprechen ohne Annahme unter dem Einfluss von Grotius und v. Wolff981 nicht als bindend an.982 Sie sahen in dem Auslobungsversprechen eine Offerte ad incertas personas.983 Sie konstruierten den Auslobungsvertrag, indem sie in der Vornahme der auszulobenden Tätigkeit mit Kenntnis von der Auslobung eine konkludente Annahme sahen.984 Problematisch war an dieser Konstruktion, dass die Vornahme der Handlung oft nicht auf das Auslobungsversprechen bezogen war.985 Alternativ sollte daher auch nach Vornahme der Handlung die Annahme durch den Auszulobenden möglich sein.986 Bis zur Annahme durch den Auszulobenden konnte der Auslobende sein Versprechen frei widerrufen.987 cc) Versprechen als Verpflichtungsgrund (Versprechenstheorie) Die Versprechenstheorie erkannte dagegen das Versprechen an sich bereits als Verpflichtungsgrund an und lehnte das Erfordernis einer Annahme zur Begründung der Bindungswirkung ab.988 Die Versprechenstheorie ist nur 980 So beispielsweise Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 148 ff.; für weitere Vertreter der Vertragstheorie s. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 12. 981 v. Wolff stellte die Konsensualtheorie im Anschluss an v. Pufendorf mittels zweier übereinstimmender Willenserklärungen auf. s. hierzu Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 134. Zu der philosophischen Strömung im Zusammenhang mit Theorien zum Ehevertrag C.V.2.c). 982 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 12. 983 Vgl. Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 148 ff. 984 Vgl. Mugdan, Materialien II, 1979, S. 290; s. auch Bergmann, in: StaudingerBGB, 2016, § 657, Rn. 8; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 473. 985 Vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 17. 986 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 17. 987 Nach gemeinem Recht war das Angebot bis zu dessen Annahme frei widerruflich [siehe dazu C.VI.4.b)aa.)]. Wobei hierzu sechs Ansichten vertreten wurden, ob die Annahmemöglichkeit im Interesse des Versprechensempfängers vorverlagert werden könnte. Siehe dazu Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 19. 988 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1179; vgl. auch Bergmann, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 4; Elster,
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eine Anlehnung an die römische pollicitatio, weswegen sie auch Pollizitationstheorie genannt wurde, hatte inhaltlich aber nichts mit ihr gemein.989 Siegel folgerte aus der Versprechenstheorie, das Versprechen könnte auch nicht widerruflich sein.990 Andere wollten die Widerruflichkeit nur dann ausschließen, wenn ein Gläubiger die Vornahme der Handlung zum Zweck der Erfüllung des Versprechens begonnen hatte.991 dd) Wertung hinter der Versprechenstheorie Um zu untersuchen, ob die Versprechenstheorie durch den christlichen Wert der Versprechenstreue beeinflusst worden ist, soll im Folgenden analysiert werden, welche Wertung der Versprechenstheorie zugrunde lag. Dabei spricht die historische Herleitung der Theorie ebenso wie die Problemgeschichte der Versprechensbindung dafür, dass sie ein Erbe der kanonischen Lehre war, wie nachfolgend angeführte Belege indizieren. Ein Teil leitete die Theorie historisch her.992 So bezog sich Siegel, ein wesentlicher Vertreter der Theorie, auf das kanonische Recht, ebenso wie Grotius und Molina, welche bereits vor Jahrhunderten die „Möglichkeit“ der Bindung an einseitige Versprechen vorgesehen hätten.993 Er sah deswegen das Versprechen selbst als Verpflichtungsgrund an.994 Die Leistung der Belohnung aufgrund des Versprechens entspräche einer allgemeinen „Anstands Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 127 ff.; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 15. 989 Die Auslobung war dem römischen Recht unbekannt und das einseitige Versprechen nach römischem Recht grundsätzlich unverbindlich. Bergmann, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 9; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 7 f.; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 472; i. E. auch Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 129, 140, 164. 990 Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 97 ff.; vgl. auch Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 20. 991 Weil zuvor noch kein Versprechensempfänger existiere: „Die obligatio entsteht natürlich erst, wenn auch ein Gläubiger existiert, dies geschieht durch die Leistung, aber auch ihre vorherige Vollendung vorausgesetzt, schon durch die Vorbereitung derselben mit Rücksicht auf die erfolgte Auslobung.“, Puchta, Pandekten, 1877, § 259, S. 397 f. s. auch Arndts, Pandekten, 1859, § 241, S. 388; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 20. 992 Siehe dazu Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 45; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 22. 993 Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 45 (Fn. 45). 994 Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 45. Über den Einfluss der Theorie Siegels auf die Pollicitationstheorie s. Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR (18) 1900, S. 150, 155; Weller, Vertragstreue, 2009, S. 61.
VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB205
pflicht“.995 Es wurde deswegen angenommen, dass mit der Versprechenstheorie „in der Sache“ die kanonische Tradition der promissio996 wieder aufgenommen wurde.997 Schließlich hat auch die Idee der pollicitatio, von der die Theorie ihren Zweitnamen geerbt hat, durch die Kanonistik eine neue ethische Grundlage erlangt.998 Kleinschmidt999 und Bergmann1000 meinen, dass die Bindung an ein einseitiges Versprechen „den Juristen jener Zeit fremd“ gewesen sein muss.1001 Dreiocker erwähnt die kanonische promissio zwar, spricht der Lehre aber keinen Einfluss auf das Versprechen der Auslobung zu, weil die kanonische Lehre nicht auf ein adressatenloses Versprechen angewendet worden sei.1002 Die kanonische Lehre wurde tatsächlich nicht auf die Offerte ad incertas personas erweitert. Daher hat die kanonische Lehre möglicherweise im Mittelalter keine Wirkung auf die Vorgängerregelungen der Auslobung ausgeübt. Allerdings lässt Dreiocker den Wertungsgedanken außer Acht, den das kanonische Recht in die Vertragslehre integriert hat.1003 Schließlich vermochte erstmals die Kanonistik zu begründen, weshalb „verschiedene Versprechenstatbestände unter dem gemeinsamen Kennzeichen der Bindung an das einseitige Versprechen“1004 zusammengefasst werden konnten – eine abstrakte Begründung zur Bindung an das einseitige Versprechen, welche die Ansätze zuvor entbehrten.1005
Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 16. dazu oben C.VI.2.a)bb). 997 Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 45; Weller, Vertragstreue, 2009, S. 276; s. auch Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 22, wobei er gleich im Anschluss darauf hinweist, dass zur Begründung allein das normative Potenzial des Individualwillens herangezogen worden sei. 998 Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 14; näher dazu oben unter C.VI.3.b) aa). 999 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 12. 1000 Bergmann weist darauf hin, dass dies kontrovers beurteilt worden sei, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 4. 1001 So auch Dreiocker, Zur Dogmengeschichte der Auslobung, 1969, S. 147; Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 1. 1002 Vgl. Dreiocker, Zur Dogmengeschichte der Auslobung, 1969, S. 147. 1003 Vgl. Mayer-Maly, Konsens als Grundlage des Vertrages, FS Erwin Seidl, 1975, S. 124; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 25. 1004 Dreiocker, Zur Dogmengeschichte der Auslobung, 1969, S. 92. 1005 Diese Erneuerung der Versprechenslehre durch ein ethisches Fundament wird durch Siegels historische Aufarbeitung der kanonischen Versprechensbindungslehre für die Versprechenstheorie aufgegriffen, Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 45 (Fn. 45). Vgl. Mayer-Maly, Konsens als Grundlage des Vertrages, FS Erwin Seidl, 1975, S. 124; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 26. 995 Vgl.
996 Siehe
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ee) Zwischenergebnis Im Ergebnis strebten sowohl die Anhänger der Vertragstheorie als auch die der Versprechenstheorie die Einklagbarkeit des Auslobungsversprechens an. Während dies durch die Anhänger des Vertragsprinzips mit dem Zustandekommen eines Vertrages begründet wurde, sahen andere die Auslobung als eine Ausnahme vom Vertragsprinzip an und sprachen dem Auslobenden die Fähigkeit zu, sich durch bloße Abgabe eines einseitigen Versprechens selbst zu binden. c) Lösung und Wertung des § 657 BGB Die Vorschrift über das einseitige Versprechen der Auslobung wurde bereits in die ersten Entwürfe eingefügt.1006 Von der Kontroverse der Gleichrangigkeit von einseitigem Versprechen und Vertrag1007 blieb die Auslobung unbehelligt, da das Auslobungsversprechen von beiden Kommissionen als Ausnahme vom Vertragsprinzip akzeptiert wurde.1008 So schlossen sich beide Kommissionen der Vorlage des Redaktors v. Kübel an: „Verspricht jemand durch öff. Bekanntmachung demjenigen eine Belohnung, der eine bestimmte Handlung vornimmt, insbes. einen bestimmten Erfolg herbeiführt (Auslobung), so wird er zur Erfüllung des Versprechens demjenigen verpflichtet, welcher die Handlung vorgenommen hat. Die Verpflichtung tritt unabhängig davon ein, ob dieser die Auslobung gekannt und mit Rücksicht auf die Auslobung gehandelt hat.“1009
v. Kübel entschied sich mit seiner Vorlage für den Lösungsansatz der Versprechenstheorie.1010 Dass die Versprechenstheorie ihren „sinnfälligen Einschlag“ im BGB gefunden hat, wurde daraus abgeleitet, dass das Versprechen auch einklagbar ist, wenn der Anspruchsberechtigte keine Kenntnis davon hatte.1011 Anders als einige Anhänger der Versprechenstheorie sah v. Kübel das Auslobungsversprechen allerdings bis zur Vornahme der Tätigkeit als frei 1006 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 940; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 21. 1007 Motive II, 1888, S. 175; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 21; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 24. 1008 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 21. 1009 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 940; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 22. 1010 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1151, 1180; Mugdan, Materialien II, 1979, S. 290 f. Vgl. Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 165; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 22. 1011 So auch Bergmann, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 10; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 22.
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widerruflich an, denn der Versprechende wäre ja nur weil und wie er will gebunden.1012 Letztlich wurde die Norm in dieser Form verabschiedet.1013 Aus dem einseitigen Versprechen des Auslobenden wurde daher ein klagbarer Anspruch auf Auszahlung der Belohnung abgeleitet, der mit Vornahme der geforderten Handlung entstand. Der Anspruchsberechtigte muss nicht einmal von der Auslobung gewusst haben.1014 Die Auslobung stellte damit eine Ausnahme vom Vertragsprinzip des BGB dar.1015 Fraglich ist, welche Wertung der Redaktor dieser Ausnahme zugrunde legte und ob sie der kanonischen Lehre von der Bindung des bloßen Versprechens1016 entlehnt wurde. Hierzu gilt es die Argumente v. Kübels zu analysieren. aa) Pragmatismus des Gesetzgebers? Zunächst deuten die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien an, dass sich v. Kübel ebenso wie die anderen Kommissionsmitglieder aus pragmatischen Gründen für die Versprechenstheorie entschieden hat.1017 Der Redaktor wollte in sämtlichen Auslobungsfällen die Verbindlichkeit des Versprechens erreichen und die Versprechenstheorie bot eine alltagstaugliche Grundlage dafür. So wies v. Kübel darauf hin, dass die Versprechenstheorie die „Notwendigkeit der doch immerhin gezwungenen Konstruktion“ einer Annahmeerklärung, welche die Vertragstheorie barg, beseitigte.1018 Auch deswegen sehen Weller ebenso wie Zimmermann die Einführung als Folge des Pragmatismus des Gesetzgebers an.1019 1012 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1185 f.; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 22. 1013 Vgl. Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 132. 1014 Mugdan, Materialien II, 1979, S. 291; Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S. 112; Weller, Vertragstreue, 2009, S. 62. 1015 „(…) soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.“, Mugdan, Materialien II, 1979, S. 290; s. auch Löwisch/Feldmann, in: Staudinger-BGB, 2013, § 311, Rn. 18; Thier, in: HKK-BGB, 2007, § 311 I Rn. 2; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 61, 188. 1016 Siehe dazu C.VI.2.a)bb). 1017 So heißt es in den Vorlagen: „(…) gestattet, in einfacher Weise den Bedürfnissen des Lebens gerecht zu werden (…)“, v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1180. 1018 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1180; vgl. Dreiocker, Zur Dogmengeschichte der Auslobung, 1969, S. 149; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 22; Seiler, in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 3. 1019 Weller, Vertragstreue, 2009, S. 61; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 472; vgl. auch Bergmann, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 9.
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bb) Import der Wertung der Versprechenstheorie Möglich erscheint aber, dass der Redaktor ebenso wie die Kommissionen sich darüber hinaus die fremden Wertungen der Vertreter der Versprechenstheorie, insbesondere Siegels, zu eigen gemacht haben, indem sie sich für deren Auffassung entschieden.1020 So verwies v. Kübel zur Begründung seiner Vorlage auf Siegels Ausführungen: „Es ist aber der Antragende, in Abweichung von dem gemeinen Rechte, im Interesse der Rechtsordnung schon vor der Annahme des Antrags an denselben gebunden und zur Haltung seines Wortes, und zwar lediglich auf Grund desselben (…) verpflichtet zu erkennen (…) (Vergl. Siegel, das Versprechend als Verpflichtungsgrund, S. 22 ff. (…))“1021
Der Zusage an die Versprechenstheorie folgte unweigerlich eine Wertung: Das Versprechen ist zu halten. Sie zeigte, dass „das Vertragsprinzip eben kein Vertragsdogma“ ist.1022 Soweit diese Wertung importiert wurde, rekurrierten v. Kübel ebenso wie die Kommissionen möglicherweise ohne weitere Reflexionen, die dokumentiert sind, auf die Grundgedanken der Wahrhaftigkeit und Worttreue, welche der Versprechenstheorie aufgrund ihres Ursprungs in der kanonischen Lehre anhafteten.1023 Auch Bydlinski und Larenz gehen davon aus, dass die Bindung an das Auslobungsversprechen auch ohne Kenntnis des Auszulobenden allein mit der ethischen Pflicht zum Worthalten zu erklären ist.1024 Auf diese Weise nahm die kanonische Lehre von der Versprechensbindung Einfluss auf das Institut der Auslobung im BGB.1025 Neben die pragmatischen Erwägungen trat damit der unreflektierte Import der kanonischen Wertungen zur ethischen Versprechenstreue. Dem Zusammenhang der Versprechenstheorie mit dem kanonischen Recht wird in der einschlägigen Literatur keine Aufmerksamkeit geschenkt.1026
1020 So auch Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 154. 1021 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1151. 1022 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 46. 1023 Siehe dazu oben C.VI.2.a)cc). 1024 Denn Vertrauensschutzerwägungen könnten in diesem Fall nicht angeführt werden. So Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S. 111 f.; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 37. 1025 s. auch Weller, Vertragstreue, 2009, S. 61. 1026 Bergmann, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 4 ff.; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 15 f.; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 472.
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d) Versprechensbindung in der Normanwendung Dabei bestimmt die Versprechenstheorie und ihre Wertung bis heute das Verständnis von § 657 BGB in der Normanwendung.1027 Denn die Lösung des Gesetzgebers überzeugte die Praxis schon nach ihrer Einführung um 1900.1028 Dabei zeigte sich die Praxis insbesondere damit einverstanden, dass die Handlung nicht mit Hinblick auf das Auslobungsversprechen vorgenommen werden musste – eine Folge der Wertungen der Versprechenstheorie.1029 Auch die Widerrufsmöglichkeit bis zur Vornahme der Handlung war nur vereinzelt Kritik ausgesetzt.1030 Dabei war man sich der Fremdartigkeit des einseitigen Versprechens im Schuldrecht durchaus bewusst.1031 Einige nahmen an, dass der Gesetzgeber mit den §§ 657–661 BGB einen numerus clausus der einseitigen Versprechen normieren wollte.1032 Diese Ansicht von einem Typenzwang setzte sich allerdings in der Folge nicht durch, denn es wurden verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten von Auslobungsversprechen zugelassen.1033 Auf diese Weise wird dem einseitigen Versprechen vor seiner Annahme eine Bindungswirkung zugesprochen, so wie es die Versprechenstheorie vorgesehen hatte.1034 Auch heute zeigt die Auslobung ihre Wirkung als Bindung an das einseitige Versprechen. So nahm die Rechtsprechung kürzlich denjenigen beim Wort, der ein Preisgeld von 100.000,00 Euro für den Fall auslobte, dass jemand die Existenz des Masern-Virus nachweisen kann – obwohl der Aus 1027 Vgl. BGH, Urt. v. 23.09.2010, III ZR 246/09, BGHZ 187, 86, juris, Tz. 12; Bergmann, in: Staudinger-BGB, 2016, § 657, Rn. 1; Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 127 ff.; Mansel, in: Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 657, Rn. 1; Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 4. 1028 Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts, Band I, 1913, S. 625; Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 170 ff.; Oegg, in: Planck, Kommentar II 2, 4. Aufl. 1028, Vorbem. § 657, S. 1157; s. auch Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 23. 1029 Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts, Band I, 1913, S. 625; Oegg, in: Planck, Kommentar II 2, 4. Aufl. 1028, Vorbem. § 657, S. 1157; Oertmann, BGB, Recht der Schuldverhältnisse, 1910, § 657, Anm. 4; s. auch Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 23. 1030 Zustimmend Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts, Band I, 1913, S. 625. Für weitere Stimmen s. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657– 661a, Rn. 23. 1031 Oegg, in: Planck, Kommentar II 2, 4. Aufl. 1928, Vorbem. § 657, S. 1157 f.; vgl. Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 24. 1032 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 24. 1033 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 24. 1034 s. insbesondere Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 156 ff.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
lobende selbst davon ausging, dass dies unmöglich ist.1035 Die Versprechenstheorie wird zur Begründung der Fassung des § 657 BGB bis heute anerkannt und selten in Frage gestellt.1036 Der Auszulobende braucht bis heute keine Kenntnis von der Auslobung gehabt zu haben, um nach Vornahme der ausgelobten Handlung einen Anspruch auf Auszahlung der ausgelobten Summe zu erlangen. Der nicht um den ausgestellten Finderlohn wissende Finder hat daher über § 657 BGB auch heute einen Anspruch auf Finderlohn, wenn er die verlorene Sache ihrem Eigentümer zurück gibt.1037 Dass die herrschende Meinung bis heute der Versprechenstheorie folgt, mag nicht zuletzt an ihrem Vorteil gegenüber der komplizierten Konstruktion der Vertragstheorie und neu vorgeschlagener Modelle liegen.1038 Der Grund für die Bindung an das einseitige Versprechen wird dabei entweder nicht erwähnt,1039 oder unter Verweis auf die Versprechenstheorie1040 dieser entnommen. Der Anwendungsbereich der Norm ist nicht unwesentlich, obwohl sich nur wenige Grundentscheidungen mit § 657 BGB befassen.1041 In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass dies nicht auf die fehlende praktische Relevanz der Norm zurückzuführen sei, sondern vielmehr an der verbreiteten Praxis, den Rechtsweg auszuschließen oder an solchen Fällen, in denen der „Finderlohn“ der Höhe nach nicht die Berufungssumme erreicht, läge.1042 Durch das Beibehalten des Zwecks und den praktischen Anwendungsbereich der Auslobung wirkt der Import der Wertungen der Versprechenstheorie ebenso unreflektiert in der Normanwendung fort, wie er in den Normerlass eingeflossen ist. Die Auslobung bleibt als Ausnahme vom Vertragsprinzip damit auch in der Anwendung ein Erbe der kanonischen Lehre von der Bin1035 „Der Rechtsbindungswille kann selbst für den Fall, dass der Auslobende den Erfolg, für dessen Herbeiführung er die Belohnung verspricht, nicht ernstlich wünscht, er sogar seine Herbeiführung für unmöglich hält (sog. negative Auslobung), nicht verneint werden, da er einen Anreiz schaffen muss, gerade zu zeigen, dass die zu belohnende Handlung nicht möglich ist und deshalb die Auslobung eine ernstlich gemeinte Verpflichtung darstellt.“, OLG Stuttgart, Urt. v. 16.02.2016, 12 U 63/15, juris, Tz. 23. 1036 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 46; Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 3b; Kritik durch Bergmann, in: StaudingerBGB, 2016, § 657, Rn. 13 f. 1037 Vgl. Mansel, in: Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 657, Rn. 5; Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 18. 1038 Vgl. Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 3b. 1039 Mansel, in: Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 657, Rn. 1. 1040 Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 3 f. 1041 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 6. 1042 Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 6 und Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 2a, 18.
VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB211
dung des einseitigen Versprechens. Nach ihr gilt im Falle der Auslobung: Promissio est servanda.1043 4. Versprechenstreue am Beispiel des § 145 BGB Auf denselben christlichen Einfluss ist die Angebotsbindung des § 145 BGB zurückzuführen, dessen Entstehungsgeschichte nachfolgend untersucht wird. Wie die Auslobung legt § 145 BGB die Bindung an das einseitige Versprechen fest1044 und stand auf diese Weise ebenfalls in engem Zusammenhang mit der kanonischen Lehre.1045 Hierzu sollen, nachdem vorab das Regelungsproblem der Bindung an das Angebot vorgestellt wird [a)], sodann zwei bei Normerlass bekannte Lösungsansätze unter b) vorgestellt werden: Die Abgabe eines Angebotes mit Widerrufsmöglichkeit [b)aa)] und die unter anderen von Siegel vetretene Abgabe ohne Widerrufsmöglichkeit [b)bb)]. Im Anschluss daran wird aufgezeigt, dass v. Kübel sich mit Verweis auf die Ausführungen Siegels für ein bindendes Angebot ohne Widerrufsmöglichkeit entschieden hat und darüber den Wert der Versprechenstreue auch in § 145 BGB importiert hat [c)]. Zuletzt wird unter d) festgestellt, dass der Import der Versprechenstreue in der Anwendung der Norm nur eingeschränkt fortwirkt. Die Ergebnisse zu der Untersuchung von § 657 BGB und § 145 BGB werden abschließend unter e) zusammengefasst. a) Regelungsproblem des § 145 BGB Das Regelungsproblem, mit dem sich der Gesetzgeber seinerzeit auseinander zu setzen hatte, war die Frage, ob ein einmal abgegebenes Angebot jederzeit widerrufen werden konnte oder ob es bis zum Ablauf seiner Gültigkeit Bindungswirkung entfalten sollte.1046 Dieses Problem wurde insbesondere für Verträge unter Abwesenden relevant.1047 In diesen Situationen wollte der Antragsempfänger das Angebot mit Sorgfalt prüfen, der Antragende stand dagegen im Ungewissen, bis sein Angebot angenommen wurde.1048 Die War1043 Vgl. zu derartigen Ausdruckweisen Siegel: „De promissis, quae sunt servanda (…)“ oder „promissa, quae homo voluntarie facit, adimplere debet.“, das Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 23. 1044 Allerdings ist das Angebot des § 145 BGB an einen bestimmten Adressaten gerichtet, während die Auslobung ad incertas personas gerichtet ist. Vgl. Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 139. 1045 Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 139, 151; Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 45 ff. 1046 Vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 1. 1047 Motive I, 1888, S. 164. 1048 Vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 2.
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tezeit konnte für den Antragenden mit Kosten verbunden sein, weshalb ein Interesse daran bestand, sein Angebot widerrufen zu können.1049 b) Bekannte Lösungsansätze Hierzu waren dem Gesetzgeber verschiedene Lösungskonzepte bekannt: Nach dem gemeinen Recht entfaltete der Antrag keine Bindungswirkung, sodass er jederzeit widerrufen werden konnte. Andere, unter anderen wiederum Siegel, befürworteten die Bindungwirkung des Antrags ohne Widerrufsmöglichkeit. aa) Widerruf des Angebotes vor Annahme möglich Das gemeine Recht, welches in dieser Hinsicht auf dem römischen Recht beruhte, kannte eine Bindung an den Antrag vor seiner Annahme durch den Vertragspartner nicht.1050 Die Bindungswirkung entstand danach erst mit der Annahme.1051 Das gemeine Recht ließ damit auch den Widerruf des Antrages vor dessen Annahme zu.1052 Dafür sollte demjenigen, der bereits Aufwendungen für die ausgelobte Tätigkeit getätigt hatte, ein Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo zustehen.1053 Noch Windscheid vertrat diese Auffassung Anfang des 19. Jahrhunderts.1054 Ergänzend sahen einige Rechtsordnungen die Unverbindlichkeit und Widerruflichkeit des Antrags vor, solange Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 2. ist aber der Antragende, in Abweichung von dem gemeinen Rechte, im Interesse der Rechtsordnungen schon vor der Annahme des Antrags an denselben gebunden (…)“, v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1151 f.; Motive I, 1888, S. 164 f. So auch Hessischer Entwurf I Art. 81. S. in den Motiven: „Damit endlich kein Zweifel sei, von welchem Zeitpunkte an der Vertrag bindende Kraft habe, sagt der Schlusssatz ausdrücklich, daß diese mit dem Augenblicke der erfolgten landesherrlichen Bestätigung beginne(…) Vor erfolgter landesherrlicher Bestätigung ist daher der Vertrag für beide Seiten frei widerruflich.“, Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Großherzogtum Hessen nebst Motiven, 1842, S. 231. s. auch Sächsisches BGB § 770: „Das einseitige Versprechen einer Leistung unter Lebenden ist unverbindlich.“, Das BGB für das Königreich Sachsen, Band I, 1878, S. 311. 1051 Vgl. v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1152; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 8. 1052 Vgl. Motive I, 1888, S. 164 f.; Mugdan, Materialien I, 1979, S. 443; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 475. 1053 Vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 31. 1054 „Der Vertragsantrag kann widerrufen werden bis die Annahme desselben von der Gegenseite erklärt worden ist.“, Windscheid, Pandektenrecht II, 1900, § 307, S. 182 ff.; vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 31. 1049 Vgl. 1050 „Es
VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB213
der Antragende keine Frist für die Annahme gesetzt hatte.1055 Wenn der Antragende allerdings eine Frist für die Annahme gesetzt hatte, gewährten auch diese kein Widerrufsrecht vor Ablauf dieser Frist.1056 Daraus schloß v. Kübel, dass die Entwürfe die Bindekraft des einseitigen Wortes anerkannten.1057 bb) Widerruf des Angebotes nicht möglich Dagegen befürworteten diverse Autoren die Bindungswirkung des Antrages ohne Widerrufsmöglichkeit, darunter auch Siegel.1058 Sie begründeten die Bindung an den bloßen Antrag zum einen mit der Rücksicht auf den Verkehr, zum anderen mit der sittlichen Rücksicht auf die Vertrauenswürdigkeit des eigenen Versprechens, und zwar explizit unter Verweis auf das kanonische Recht und Grotius.1059 Siegel wies darauf hin, dass eine Versprechensbindung auch dann entstehen könnte, wenn keine Pflicht zur Erfüllung bestünde oder überhaupt je entstünde wie im Falle der Auslobung und des Antrages.1060 Hier wäre der Antragende an sein Wort gebunden, weil der Antragsempfänger sich darauf verlassen müsste.1061 So sahen Art. 318 des ADHGB1062 ebenso wie das preu1055 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1153; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 8, 29. 1056 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1153. 1057 „(…) die verbindende Kraft des einseitigen Wortes wird daher auch hier wieder anerkannt.“ v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren, SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1153. 1058 U. a. Siegel: „Ein Wort halten sollen oder, wie wir auch sagen dürfen, die Gebundenheit ans Wort bedeutete demnach, dass letzteres nicht zurückgenommen werden konnte und zwar in dem Sinne, dass eine Zurücknahme wirkungslos war.“, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 42. Hierbei verweist er auf die vorab genannten Landesordnungen. „Durch die bisherigen Untersuchungen ist, wie wir glauben, hinreichend der Boden geebnet für die Aufstellung des Satzes, dass im deutschen Rechtsleben der Gegenwart ausser dem Vertrag auch ein blosses Versprechen der Verpflichtungsgrund sein könne.“ Dabei verweist er auf die Vertreter des kanonischen Rechts, die eine Bindungswirkung des Versprechens befürworteten, S. 45. Außerdem S. 22 ff., 41 ff., 53 ff. s. auch Hartmann, Obligation VIII, 1875, S. 163. s. v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1151. s. zum Auslobungsversprechen unter C.VI.3.b)cc). 1059 Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 45. 1060 Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 44 (Fn. 5), 57. 1061 Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 57. 1062 „Ueber einen Antrag unter Gegenwärtigen zur Abschließung eines Handelsgeschäfts muß die Erklärung sogleich abgegeben werden, widrigenfalls der Antragende an seinen Antrag nicht länger gebunden ist.“ S. auch Hahn, Commentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, Band II, 1867, Art. 319, § 1, S. 144 f.; vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 29.
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ßische ALR in I 5 §§ 90 ff 1063 und das österreichische BGB1064 den Antrag als einen Verpflichtungsgrund.1065 Einige Landesgesetze gestatteten, dass diese Bindungswirkung durch Freizeichnungsklauseln aufgelöst werden konnte.1066 c) Lösung und Wertung des § 145 BGB Der Redaktor v. Kübel entschied sich für eine Norm, nach der ein noch nicht angenommener, aber zugegangener Antrag im Regelfall Bindungswirkung entfaltet.1067 Damit schloss er die Widerrufsmöglichkeit1068 und damit den Schadensersatzanspruch im Falle des Widerrufes aus, denn „der Kaufmann, der einen Antrag erhalte, (hoffe) bei rechtzeitiger Annahme auf die Erfüllung des in dem Antrag enthaltenen Versprechens (…), was durch bloßen Schadensersatz nicht ausgeglichen werden“ könne.1069 Hierzu verwies er unter anderen auf die Schriften der Befürworter der Bindungswirkung1070 ebenso wie auf die bezeichneten landesgesetzliche Ordnungen.1071 Die Möglichkeit des Widerrufes des Angebotes nach Zugang der Willenserklärung lehnte v. Kübel für das Angebot ab.1072 Es könnte daher nur vor Zugang der Willens1063 Der Antragende ist solange verpflichtet, sein in dem Antrag gegebenes Wort zu halten, wie dem Empfänger des Antrags Zeit zur Erklärung der Annahme gegeben ist. § 90: „Die Annahme eines Versprechens muß, wenn sie gegen den Versprechenden verbindliche Kraft haben soll, zur gehörigen Zeit geschehen.“ § 91: „Hat der Antragende einen gewissen Zeitraum zur Erklärung über den Antrag bestimmt, so ist der Andre bis zum völligen Ablauf dieses Zeitraums zur Annahme berechtigt.“ s. auch Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 55. 1064 § 862 S. 1: „Das Versprechen (Antrag) muß innerhalb der vom Antragsteller bestimmten Frist angenommen werden.“ Vgl. dazu auch Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 29. 1065 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1152 f. 1066 Zürich § 907, Bayern II Art. 8. v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1154. 1067 Mugdan, Materialien I, 1979, S. 443; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 475. 1068 „Hat jemand einen Vertragsantrag einem Anderen gemacht, so ist er nach dem Entwurfe an denselben gebunden; er kann nicht mehr von dem Antrag zurück; jede hierauf gerichtete Erklärung ist wirkungslos.“, Motive I, 1888, S. 164. 1069 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1152. 1070 Allen voran Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, S. 22 ff., 41 ff., 53 ff.; s. v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1151. 1071 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1152 f. 1072 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1153.
VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB215
erklärung nach § 130 Abs. 1 BGB widerrufen werden.1073 Eine Frist könnte in jedes Angebot hineingelesen werden und es entbehre eines „inneren Grundes“, die Widerruflichkeit und damit die Bindungswirkung des Antrags hiervon abhängig zu machen.1074 Er wies darauf hin, dass die Gebundenheit dann wegfiele, wenn der Antragende dies ausdrücklich festlegt.1075 Dies war als Ausnahme von der Regel gedacht.1076 Das Konzept der Bindungswirkung des Antrages des § 145 BGB basierte auf demselben Prinzip, das der Bindungswirkung des einseitigen Versprechens der Auslobung zugrunde lag.1077 Es unterschied sich von dem einseitigen Versprechen der Auslobung jedoch dadurch, dass der Antrag keine Erfüllungspflicht begründet, sondern lediglich dazu verpflichtete, das Versprechen nicht zurückzunehmen.1078 Weshalb sollte der Antragende gebunden sein, bevor sich der Antragsempfänger bindet?1079 Dem Normerlass lagen einerseits die eigenen Wertungen der Redaktoren zugrunde, andererseits die Wertungen einer ethischen Pflicht zur Versprechensbindung, die vor dem Hintergrund der Problemgeschichte ihren Ursprung im kanonischen Recht hatte. aa) Wertungen der Redaktoren: Vertrauensschutz und ethische Pflicht v. Kübel verfolgte mit seiner Vorlage mehrere Ziele: Die Gewährleistung der Verkehrssicherheit und das Vermeiden von Prozessen des Antragsempfängers wegen Schadensersatzansprüchen bei Rücknahme des Antrags, 1073 Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 166; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 11. 1074 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1153. 1075 „Selbstverständlich ist keiner besonderen Bestimmung im Gesetzes bedürftig, daß die Gebundenheit dann wegfällt, wenn der Antragende sich ausdrücklich, wie z. B. im Handelsverkehr durch die Ausdrücke ‚ohne obligo‘, ‚freibleibend‘, dagegen verwahrt (Zürich § 907, Bayern II Art. 8).“, v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1154. 1076 Die Verfasser der Motive widmen der Gebundenheit an Anträge drei Seiten. Über die Ablehnung der Gebundenheit wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht einmal diskutiert. Motive I, 1888, S. 164 ff.; so auch Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 39. 1077 Vgl. Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 166 ff., 168; v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1175; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 475. 1078 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1175; Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 153 ff.; Weller, Vertragstreue, 2009, S. 61; mit Verweis auf ders. Bork, in: Staudinger-BGB, 2015, § 145, Rn. 20. 1079 Vgl. Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 477.
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ebenso wie eine Form der „sittlichen Rücksicht.1080 So hieß es in den Mo tiven: „Die Gebundenheit des Antrages ist ein Bedürfnis des Verkehrs. Wird Jemandem ein Vertragsantrag gemacht, so muss dieser darauf vertrauen können, daß mit der von seiner Seite rechtzeitig erklärten Annahme der Vertrag zu Stande kommt.“.1081
Könnte sich der Antragsempfänger nicht auf den Antrag verlassen, würde seine Geneigtheit, sich auf Verträge einzulassen, gemindert.1082 Ein Schadensersatzanspruch bei Widerruf des Angebots würde als Ausgleich nicht ausreichen, denn dies wäre zum einen nicht das Interesse des Antragsempfängers und zum anderen werde es den Geschäftsverkehr lähmen, wenn derlei Forderungen geltend gemacht würden.1083 Daneben traten sittliche Gründe.1084 v. Kübel führte an, dass die „sittliche Rücksicht“ es verbiete, durch das Versprechen Vertrauen zu erwecken und es sodann zu enttäuschen.1085 „Das bürgerliche Recht sollte die Menschen zum Worthalten verpflichten, wenn sie vorher etwas versprochen hatten.“1086
Die Bindung an den Antrag wäre deswegen „gerecht“.1087 Hierin äußerte sich das Versprechensprinzip: Ein gegebenes Wort ist zu halten.1088 Der Antragende war „zur Haltung seines Wortes, und zwar lediglich auf Grund desselben“ verpflichtet.1089 Deswegen überschrieb v. Kübel seine Vorlage mit: „Das einseitige Versprechen als Grund der Verpflichtung zum Worthalten (Vertragsantrag)“.1090 Im Ergebnis diente die Bindung an den Antrag 1080 „Sowohl die Rücksicht auf das Bedürfnis des Verkehrs (…), als auch die sittliche Rücksicht, das durch den Antrag bei dem anderen hervorgerufene Vertrauen auf das Wort des Antragenden nicht zum Nachteil von jenem täuschen zu lassen (…)“, v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1151 f.; Mugdan, Materialien I, 1979, S. 443; s. auch Bork, in: Staudinger-BGB, 2015, § 145, Rn. 20; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 9, 11; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 476. 1081 Motive I, 1888, S. 165. 1082 Motive I, 1888, S. 165. 1083 Motive I, 1888, S. 165 f. 1084 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 9, 11; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 476. 1085 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1151; Vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 9, 11. 1086 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 8. 1087 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 9. 1088 Vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 8. 1089 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1151; vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 8 f. 1090 v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980, S. 1145 ff.; zit. in Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 8; Zimmermann, Vertrag und Versprechen, 2005, S. 476.
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demnach nicht nur der Stärkung der Verkehrssicherheit, sondern sollte darüber hinaus eine ethische, sittliche Grundentscheidung des Gesetzgebers manifestieren.1091 bb) Import der kanonischen und naturrechtlichen Lehre von der Versprechensbindung Neben die eigenen Wertungen der ersten Kommission tritt der Import der Wertungen einer langen Problemgeschichte der Versprechensbindung, die unter 2. skizziert worden ist. Erst vor dem Hintergrund der kanonischen Lehre und deren naturrechtlichen Erweiterungen wird verständlich, wie die ethische Bindung an ein noch nicht angenommenes Versprechen begründet werden kann.1092 Der Ursprung der Bindung an einseitige Versprechen lag ebenso wie der an zweiseitige Versprechen in der christlichen Lehre.1093 Wenn v. Kübel zur Begründung der Unwiderruflichkeit des Angebotes auf Siegels bereits vorgestellte Ausführungen verwies, ist es naheliegend, dass er sich dessen Wertungen zu eigen macht.1094 Siegel selbst leitete den Grund für die Bindung an das einseitige Versprechen kanonisch und naturrechtlich her.1095 Durch den Einfluss von Siegels Ausführungen ebenso wie den der Problemgeschichte, in welche der Normerlass eingebettet ist, wurde die Lehre der Versprechenstreue in der christlichen Auslegung importiert. Dass die Redaktoren die Versprechensbindung im Rahmen des § 145 BGB vor diesem Hintergrund begründet sahen, zeigen letztlich auch die Verweise auf die ethische Pflicht zum Worthalten. d) Versprechensbindung in der Normanwendung Allerdings wirkte diese ethische, christlich geprägte Begründung der Worthaltungspflicht nur bedingt in der Anwendung der Norm fort. Zwar galt die Bindung an den Antrag nach Inkrafttreten noch als das kodifizierte Grundmodell.1096 Doch schon wenige Jahre nach Normerlass wurden Angebote mit 1091 Oestmann,
in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 9, 52. dazu oben C.VI.2.a) und b). 1093 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 26, wobei er davon ausgeht, dass das kanonische Recht eine Bindung an das einseitige Versprechen nicht kannte. Dennoch sieht er in der religiösen Kraft des Christentums ein Vorbild für die Bindung an das Versprechen. 1094 So auch Elster, der die Begründung der Bindung an einseitige Versprechen Siegel zuweist. Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 154. 1095 Siehe dazu schon oben C.VI.3.b)cc). 1096 Vgl. Crome, System des deutschen Bürgerlichen Rechts Band I, 1900, S. 395 ff.; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 39. 1092 Siehe
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Freizeichnungsklauseln versehen.1097 Um 1920 erkannten Gerichte dies auch in großem Umfang an.1098 Nur teilweise wurde der Angebotscharakter solcher freigezeichneten Anträge unter Verweis darauf abgelehnt, dass es sich in diesem Fall um eine unverbindliche invitatio ad offerendum – und eben kein Angebot mehr handelte.1099 Die Rechtsprechung fand überwiegend Zustimmung in der Literatur.1100 Auf diese Weise wurde die Bedeutung des § 145 BGB bereits seinerzeit unterhöhlt.1101 Während zu Zeiten der Entstehung der Norm die Angebotsbindung trotzdem noch mit einem sittlichen Bedürfnis begründet wurde, wird in der heutigen Kommentarliteratur als Zweck der Norm allein das Verkehrsschutzbedürfnis angeführt.1102 Die ethische Bindung an das eigene Wort findet nur noch im HKK Erwähnung.1103 Entsprechend dieser Tendenz zu einer Endethisierung der Norm wird die Widerruflichkeit des Angebotes großzügig gewährt.1104 Nicht selten wird die Bindungswirkung des Antragenden durch Freizeichnungsklauseln beschränkt.1105 Hierdurch entfernt sich die Norm in ihrer Anwendung von der Grundentscheidung des Gesetzgebers, das bloße Angebot für bindend zu erklären.1106 Grundsätzlich kommt der Norm dennoch bis heute insbesondere für Verträge zwischen Abwesenden eine große praktische Bedeutung zu.1107 Letztlich wird jeder Vertrag durch Angebot und Annahme geschlossen, wobei die Bindungswirkung des Angebotes sich bei jedem geschlossenen Vertrag nach § 145 BGB richtet.1108 Besonders vor dem freibleibend“; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 39. RGZ 104, 306; m. w. N. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 40. 1099 RGZ 105, 8 ff.; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 40. Bei einer invitatio ad offerendum fehlt der Rechtsbindungswille, während bei dem Ausschluss der Bindungswirkung an das Angebot dennoch eine Willenserklärung mit Rechtsbindungswillen vorliegt. Vgl. auch Bork, in: StaudingerKomm-BGB, 2015, § 145, Rn. 26. 1100 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 40. 1101 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 40. 1102 Backmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 145, Rn. 73; Bork, in: Staudinger-BGB, 2015, § 145, Rn. 20; Busche, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 145, Rn. 2. 1103 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 9, 11. 1104 Indem dahingehende Erklärungen als Widerrufsvorbehalt ausgelegt werden. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 52; vgl. auch Busche, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 145, Rn. 7, 19. 1105 Eckert, in: BeckOK-BGB, 40. Edition, § 145, Rn. 38. 1106 Vgl. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 52. 1107 So auch Backmann, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 145 BGB, Rn. 77. 1108 Vgl. Busche, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 145, Rn. 1 ff.; Eckert, in: BeckOK-BGB, 40. Edition, § 145, Rn. 1 ff.; Mansel, in: Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 145, Rn. 1 ff. 1097 „Preise
1098 RGZ 103, 414 ff.;
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Hintergrund des wachsenden Fernabsatzgeschäftes gewinnt die Norm darüber hinaus an Anwendungsfällen für die Frage, wie lang das Angebot unter Abwesenden in dieser Form bindend ist.1109 e) Zwischenergebnis Im Ergebnis unterlag der Normerlass des § 145 BGB denselben Einflüssen wie § 657 BGB.1110 Anhand beider Vorschriften hat v. Kübel seiner Rechtsauffassung, dass ausnahmsweise auch das Versprechen selbst verpflichtend sein kann, Ausdruck verliehen. Dies geschah in beiden Fällen unter anderem durch Verweis auf Siegels Ausführungen,1111 der den Ursprung der Bindung an einseitige Versprechen in der Kanonistik und in den naturrechtlichen Ausführungen Grotius und Molina wähnte. Auf diese Weise treten zu den eigenen Wertungen v. Kübels die Wertungen Siegels hinzu. Während diese ethische Grundlage bei § 657 BGB in der Normanwendung noch fortwirkte, büßte § 145 BGB schon Jahre nach seiner Einführung seine Versprechensbindung durch die weitläufige Akzeptanz von Freizeichnungsklauseln ein. Das relativiert die ethische Grundvoraussetzung christlicher Prägung, dass promissio est servanda gilt, in ihrer Bedeutung für die Rechtswirklichkeit. 5. Rechtsvergleichende Untersuchung einseitiger Versprechen im Common Law Dass Versprechen rechtlich bindend sein sollten, lässt sich auch ohne religiösen Bezug erklären. Die Versprechensbindung im Recht wird neben Gründen des Vertrauensschutzes1112 und der Rechtssicherheit1113 auch ökonomisch zu den Einzelfällen Mansel, in: Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 145, Rn. 6 ff. Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 165. 1111 Elster, Lehre von der Auslobung nach gemeinem Recht, ArchBR 1900 (18), S. 152. 1112 „Das Versprechen ist die Entbindung des Vertrages von den Fesseln der Gegenwart.“, v. Jhering, Zweck im Recht, Band I, 1904, S. 205. Die Genialität einer verpflichtenden Obligation besteht darin, dass sie die Loslösung von einem Zug-umZug Güteraustausch ermöglicht, sodass über einen zukünftigen Vermögenstransfer schon in der Gegenwart entschieden werden kann. Vgl. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 278; s. auch Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 28 f. 1113 Hierunter fällt insbesondere der Vertrauensschutz, der durch die Vertragsbindung gewährleistet wird. Dieses ist vor allem bei Vorleistungs- oder Leistungsvorbereitungsgeschäften essentiell. Vgl. v. Ihering, Zweck im Recht, Band I, 1904, S. 207; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 280. Außerdem wird Freiheitsverwirklichung ermöglicht, denn die Bindung ermöglicht eine Zukunftsplanung. BVerfG, Urt. v. 20.4.1982, 2 BvL 26/81, NJW 1982, 2425; Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 280 f. 1109 s.
1110 Vgl.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
legitimiert.1114 Die Kreditwürdigkeit des Handelspartners steigt aufgrund des gesteigerten Vertrauens, hierdurch sinken die Kosten für gegenseitig erbrachte Leistungen, da kein höheres Risiko bepreist werden muss und lang andauernde Vertragsbeziehungen gefördert werden – Strukturen, welche die Gesamtwirtschaft einer Gesellschaft positiv beeinflussen.1115 Um zu ermitteln, ob die Bindung an einseitige Versprechen im BGB daher auch ohne ethisches, von der christlichen Lehre geprägtes Fundament denkbar ist, wird die Bindung an einseitige Versprechen im deutschen Recht [a)] mit der Bindung an einseitige Versprechen im Common Law [b)] verglichen. Dieses eignet sich zu einer rechtsvergleichenden Betrachtung insofern, als es ebenfalls eine Vertragsbindung vorsieht, die Bindung an den Vertrag laut Gordley aber ohne das ethische Postulat der Vertragstreue1116 erklären will.1117 a) Einseitige Versprechen im BGB Im BGB ist die Bindung an das einseitige Versprechen eine Ausnahme von dem grundsätzlich eingeführten Vertragsprinzip. Unter diese Ausnahme fallen das einseitige Rechtsgeschäft der Auslobung gemäß § 657 BGB und die Bindung an das Angebot noch vor dessen Annahme nach § 145 BGB. Für den Fall, dass jemand durch öffentliche Bekanntmachung eine Leistung für die Vornahme einer Handlung verspricht (Auslobung), ist derjenige an sein Versprechen gebunden. Das bedeutet, dass derjenige, der die Tätigkeit wie ausgelobt vornimmt, einen Anspruch auf Vornahme der versprochenen Leistung hat, selbst wenn er bei Vornahme der ausgelobten Handlung keine Kenntnis von der Auslobung hatte, § 657 BGB.1118 Der Auszulobende ist allein aufgrund seines einseitigen Versprechens gebunden. Zuletzt dient die Vertragsbindung den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs nach Klarheit, Planungs- und Tauschsicherheit. Denn gesteigertes Misstrauen würde die Funktionsfähigkeit des Verkehrs gefährden. s. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 281. 1114 Kirstein, Imperfekte Gerichte und Vertragstreue, 1999, S. 2 f., 35; a. A. Schäfer/Ott, die davon ausgehen, dass eine strikte pacta sunt servanda Regel zu ineffizientem Ressourceneinsatz führen kann. Ökonomische Analyse des Zivilrechts, 2012, S. 501, 507. Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S. 66 f., 122; Unberath, Vertragsverletzung, 2007, S. 6 ff. 1115 Vgl. Kirstein, Imperfekte Gerichte und Vertragstreue, 1999, S. 3. 1116 Die im deutschen BGB neben Aristoteles durch die Lehre von Thomas von Aquin und damit durch die christlichen Werte geprägt wurde: „(…), promises were binding because of the virtue of truth and faith.“, Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 422. 1117 Vgl. Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 423. 1118 Siehe dazu ausführlich oben C.VI.3.c).
VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB221
Ähnlich sieht § 145 BGB vor, dass derjenige, der ein vertragliches Angebot unterbreitet, ab Zugang des Angebotes bis zu dessen Annahme oder dem Ablauf einer gesetzten Frist daran gebunden ist. Das Angebot ist für die Zeit der Bindungswirkung nicht widerruflich.1119 Folglich sieht das BGB in zwei Fällen die Bindung an einseitige Versprechen vor, die der Gesetzgeber bei Normerlass für ethisch notwendig hielt. b) Einseitige Versprechen im Common Law Im Common Law haben einseitige Versprechen keine Bindungswirkung.1120 Die Auslobung ist nach englischem Recht ein einseitiger Vertrag (unilateral contract), der durch die Vornahme der ausgelobten Tätigkeit entsteht.1121 Dies hat zwei Folgen. Zum einen wird das per se noch nicht bindende Auslobungsversprechen1122 – anders als in Deutschland – nur zu einem unilateral contract, wenn der Auszulobende in Kenntnis des Versprechens handelte.1123 Zum anderen kann das Auslobungsversprechen vor der Vornahme der Handlung wie jedes weitere Angebot jederzeit zurückgezogen werden.1124 Auch das Angebot ist im Common Law anders als im deutschen Recht grundsätzlich frei widerruflich, selbst dann, wenn der Anbietende sich innerhalb einer Frist für gebunden erklärt hat.1125 Es gilt wie für jedes Angebot: 1119 Busche,
in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 145, Rn. 1. Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 425 ff.; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 137. 1121 Ein solcher unilateral contract wird abgeschlossen, wenn ein Vertragspartner die Zahlung eines Lohns dafür verspricht, dass der andere eine bestimmte Handlung vornimmt und dieser sie vornimmt. Bei dieser Form des Vertrags macht der Versprechensempfänger anders als bei bilateral contracts kein Gegenversprechen unter entsprechender Verpflichtung. Der unilateral contract kann aber zu einem bilateral contract werden, wenn der Versprechensempfänger sich durch die Vornahme der Handlung zu einem bestimmten Erfolg verpflichtet. Treitel, Law of Contract, 2003, S. 35 f.; s. auch Kreße, Einseitig verpflichtende Verträge, RIW 2014 (3), S. 100; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 135. 1122 Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 135. 1123 Lomfeld, Die Gründe des Vertrages, 2015, S. 18; McKendrick, Contract Law, 2005, S. 128 ff.; Treitel, Law of Contract, 2003, S. 36; Kleinschmidt, in: HKK-BGB, 2013, §§ 657–661a, Rn. 47; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 135. 1124 Treitel, Law of Contract, 2003, S. 36. 1125 Farnsworth, Comparative Contract Law, 2008, S. 916; Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 425; McKendrick, Contract Law, 2005, S. 128. 1120 Vgl.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
„An offer is an expression of willingness to contract on specified terms, made with the intention that it is to become binding as soon as it is accepted by the person to whom it is adressed.“1126
Sowohl das Angebot als auch das Auslobungsversprechen entfalten vor der Vornahme der ausgelobten Tätigkeit keine Bindungswirkung, weil das Common Law das Versprechen einer Gegenleistung (consideration)1127 fordert. Diese wird im Fall des Angebots noch nicht versprochen und im Fall der Auslobung gar nicht versprochen, sondern später schlichtweg erbracht.1128 c) „Promissio est servanda“ ohne ethische Komponente? Folglich unterscheiden sich das deutsche Recht und das Common Law hinsichtlich der Bindung an einseitige Versprechen. Grund dafür könnte sein, dass das Common Law1129 im 19. Jahrhundert die Vertragslehre des Civil Law ohne ihr ethisches Fundament1130 übernommen hatte, indem es die Bindung an das Rechtsgeschäft allein mit dem Parteiwillen erklärte.1131 Das zeige die Entstehung des Common Law of Contract.1132 Laut Gordley resultiert das Weglassen der ethischen Direktive in Begründungsschwierigkeiten bei der Beantwortung von Einzelfragen der Versprechensbindung:1133 „They could no longer explain why promises were binding or whether offers require acceptance in terms of virtue.“1134 1126 Treitel,
Law of Contract, 2003, S. 8. of value in the eye of the law must be given for the promise in order to make it enforceable as contract.“ Treitel, Law of Contract, 2003, S. 67; s. auch McKendrick, Contract Law, 2005, S. 158 ff.; Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 134. 1128 Farnsworth, Comparative Contract Law, 2008, S. 908, 916; Kreße, Einseitig verpflichtende Verträge, RIW 2014 (3), S. 99. 1129 Das 1790 begann, ein systematisiertes Vertragsrecht rechtlich zu fixieren. Dabei orientierte man sich hauptsächlich an Naturrechtlern wie Grotius und v. Pufendorf. s. ausführlich Gordley, Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, 1991, S. 134 ff. Es ist also nicht zu verwechseln mit dem ius commune, auch wenn eine begriffliche Ähnlichkeit dies anzudeuten scheint. 1130 Vgl. Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 422. 1131 „With the concept of virtue stripped away, nothing remained except the bare concept of voluntary action, of the will of the parties.“, Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 423; vgl. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 136. 1132 Vgl. hierzu auch Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 135 ff. 1133 Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 423; vgl. auch Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S. 67. 1134 Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 423, 461. 1127 „Something
VI. Versprechenstreue am Beispiel der §§ 657, 145 BGB223
Eine auf diese Weise endethisierte Doktrin biete keine Lösungen für Fälle, in denen unklar ist, ob und wie ein Versprechen bindend sein sollte.1135 So stellen Zimmermann / Hellwege fest: „Damit mussten nunmehr einseitige Akte, insbesondere Belohnungsversprechen, gravierende dogmatische Probleme aufwerfen.“1136
Vor diesem Hintergrund wird der vorab ermittelte Unterschied bei der Bindung von einseitigen Versprechen zwischen dem BGB und dem Common Law verständlich. d) Zwischenergebnis Der Vergleich beider Regelungssysteme zeigt, dass das Civil Law im Gegensatz zum Common Law trotz des gemeinsamen Kulturkreises von einer spezifisch ethisch verstandenen Versprechenstreue zeugt, die sich in Einzelregelungen auswirkt und zu begründen vermag, weshalb auch das nicht angenommene Versprechen schon Bindungswirkung entfalten kann.1137 Eine nicht ethisch verstandene Versprechenstreue kann zu Begründungsschwierigkeiten in Einzelfragen führen. 6. Ausblick: Tendenz zur Endethisierung der Versprechensbindung? Die Vertragstreue garantiert auch heute den ethischen Minimalgehalt der Rechtssätze des BGB.1138 Die ethische Pflicht zum Worthalten bleibt „eine 1135 Vgl. Gordley, Natural Law Origins of the Common Law of Contract, 1990, S. 427, 460. Das zeigen die Ausführungen in dem Fall Carlill v. Carbolic Smoke Ball Company (1893) 1 Q.B. 256, 262 (Lindley L.J.). Das Gericht versuchte die Bindung an ein einseitiges Belohnungsversprechen zu begründen, indem es den Annahmebegriff extensiv auslegte und die tatsächliche Handlung der Klägerin, den Erwerb und die Nutzung des Smoke Ball, als Annahme auslegte. In Fällen, in denen der Auszulobende nichts von der Auslobung weiß, führt diese Lösung freilich nicht zu einer Bindung. s. zu dem Fall Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 138. Zu den Problemen der fehlenden Begründung der Vertragsbindung s. auch Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S. 67 ff. 1136 Zimmermann/Hellwege, Pollicitatio, promise oder offer?, ZfRV 1998 (39), S. 135. 1137 Vgl. Kohler: „eine Verpflichtung zum Thun enthält (regelmäßig) eine spezifische Handlungspflicht und zwar eine solche, (…) die gerichtlich eingeklagt werden kann: ein Resultat, das den Postulaten unserer Culturordnung entspricht.“, Ungehorsam und Vollstreckung im Civilproceß, AcP 1893 (80), S. 241. 1138 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S. 111; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 28 f., 37.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
jener Grundkräfte der Ordnung der Verpflichtungsgeschäfte“.1139 Gleichzeitig wird der Grundsatz der Versprechensbindung aber zunehmend eingeschränkt.1140 Dies gilt für einseitige wie zweiseitige Versprechen. So werden die §§ 657, 145 BGB nicht mehr auf die ethische Pflicht zum Worthalten zurückgeführt. Auch in der Anwendung des Grundsatzes pacta sunt servanda sind Tendenzen einer Endethisierung der Versprechensbindung zugunsten anderer Schutzziele feststellbar. Ausnahmen werden großzügig angenommen: Zahlreiche Vorschriften ordnen die Unwirksamkeit geschlossener Verträge zum Schutz des Schwächeren an.1141 Hierunter fallen vor allem die Verbrauchervorschriften zum Widerrufsrecht in den §§ 355 ff. BGB.1142 Darin sehen einige eine Absage an den Grundsatz pacta sunt servanda.1143 Oestmann versteht das Widerrufsrecht nach Zugang einer Willenserklärung darüber hinaus als Aufgabe des Grundsatzes der Gebundenheit an Vertragsanträge gemäß § 145 BGB.1144 Denn unabhängig davon, ob der Verbraucher Angebot oder Annahme erklärt habe, könne er seine Erklärung entweder vorab widerrufen oder bestehende Verträge durch Widerruf in Rückabwicklungsverhältnisse umwandeln.1145 Weller sieht dagegen in den Verbraucherschutzvorschriften wegen ihrer rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Legitimation keine Aushöhlung des Grundsatzes pacta sunt servanda; vielmehr dienten sie in ihrem Ziel, die Vertragsgerechtigkeit wiederherzustellen, der Vertragstreue.1146 Man kann in jedem Fall von einer Überlagerung des Begründungshorizontes der Versprechensbindung sprechen: Die Versprechensbindung wird weiterhin anerkannt, aber nicht mehr als ethische Maxime verteidigt. Der Bindung an das Wort wird nicht mehr dieselbe Bedeutung zugemessen wie bei Entstehung des BGB. 1139 Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S. 110; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 28 f., 37. 1140 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 4 ff.; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 449. 1141 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 42; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 449 f.; Zimmermann, The new German Law of Obligations, 2005, S. 160 ff. 1142 Vgl. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 4; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft und Grenzen, AcP 2014 (214), S. 450; siehe dazu Weller, Vertragstreue, 2009, S. 291 ff. 1143 So Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 4; Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 42; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2006, Rn. 325; Roth, EG-Richtlinien und Bürgerliches Recht, JZ 1999, S. 533. 1144 Diese Abweichung sei aber gerechtfertigt, da der Unternehmer als Erklärungsempfänger nicht schutzwürdig sei. Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 42. 1145 Oestmann, in: HKK-BGB, 2003, §§ 145–156, Rn. 42. 1146 Weller, Vertragstreue, 2009, S. 294.
VII. Weitere christliche Werte und Beispiele im BGB225
7. Ergebnis Die Maxime pacta sunt servanda ist im Ergebnis ebenso wie der den §§ 657, 145 BGB zugrunde liegende Grundsatz promissio est servanda eine Blüte des kanonischen Rechts. Die christlichen Werte der Wahrhaftigkeit und Treue haben auf diese Weise Einfluss auf das Bürgerliche Recht genommen. Die Versprechensbindung lässt sich zwar auch rational legitimieren. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Wegfall des christlich-kanonischen, spezifisch ethischen Einflusses Änderungen in der Ausprägung der Bindungswirkung von Versprechen zur Folge hätte – wie ein Vergleich mit dem Common Law gezeigt hat. Denn die Versprechensbindung spiegelt sich als auch christlich verstandenes ethisches Postulat in den unter 2.c)bb.) genannten Einzelregelungen des BGB, insbesondere aber in der Bindung an das bloß einseitige Versprechen wieder. Damit ist der Wert der Versprechenstreue in seiner christlichen Prägung von besonderer Bedeutung für das Bürgerliche Recht geworden, sodass das Bekenntnis der Motive zu christlichem Gedankengut auch hierin ein die Aussagen stützendes Beispiel findet. Eine Überlagerung des Begründungshorizonts im BGB zeichnet sich allerdings auch bei den §§ 145, 657 BGB ab. Die Anwendung der Normen deutet an, dass der christliche Wert der Versprechenstreue seit Entstehung des BGB an Bedeutung verloren hat.
VII. Weitere christliche Werte und Beispiele im BGB Börners Aussage über die Bedeutung der christlichen Werte für das BGB1147 hatte in der Tat einen wahren Kern, wie die vorab durchgeführte Untersuchung von sechs Beispielsnormen gezeigt hat. Durch eine induktive Analyse dieser Normen ließen sich christliche Werte als wesentliche Faktoren für die Normentstehung ausmachen. Hierdurch konnte trotz des Verzichtes auf eine allgemeine Definition des christlichen Wertes eine Aufzählung von Wertvorstellungen gegeben werden, die der Gesetzgeber als christlich und als ein tragfähiges Fundament gelebter Wertüberzeugungen in der Gesellschaft erachtet hat. Hierunter fallen die Nächstenliebe in ihren Ausprägungen von Liebestätigkeit und Barmherzigkeit, die Sonntagsheiligung, die Heiligkeit der Ehe und die Versprechenstreue in ihrer christlichen Prägung. All diesen Werten ist ein weiterer christlicher Wert gemein, der bisher noch nicht explizit benannt wurde: Die Reinheit des Geistes.1148 Neben der äußeren Legalität moralischen Handelns beansprucht diese Form der Rein1147 Siehe
dazu die Einleitung unter A. s. Römelt, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 8, 1999,
1148 Hierzu
S. 1014.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
heit eine innere Haltung der Reinheit.1149 Das „rechte Handeln“ äußert sich folglich nicht allein in Wort und Tat, sondern schon in der Reinheit des Geistes.1150 Sie meint die „ungeteilte Hingabe an Gott und den absichtslosen Umgang mit den Mitmenschen“.1151 Christus mahnt, dass es neben dem rechten Handeln vor allem auf die innere Gesinnung ankommt: „Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir (…) Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“1152
Die innere Gesinnung des Menschen bleibt dem christlichen, allwissenden Gott nicht verborgen, er sieht den Menschen in die Herzen.1153 Dieses Gottesverständnis hatte eine prinzipielle Verinnerlichung der Moral zur Folge, die sich in der Folge zu einer ausgeprägten Beichtpraxis zur Berurteilung der guten und schlechten Gedanken des Menschen fortentwickelte.1154 Das Anknüpfen an einen inneren Tatbestand in der kirchlichen Beichtpraxis übertrug sich auf das weltliche Zivilrecht, wie im Folgenden indiziert wird [siehe dazu (7.) und (8.)]. Die folgende Übersicht soll weitere Beispiele für Berührungspunkte von christlichen Werten und Normen des BGB in einem Überblick geben. Dabei werden die jeweiligen Anknüpfungspunkte für den christlichen Einfluss benannt, die ebenfalls anhand der unter A.III.4.) geschilderten Methode ermittelt wurden. Auf diese wird lediglich hingewiesen, um darauf aufmerksam zu machen, dass es sich bei den unter C.I.) –VI.) untersuchten Normen nicht um Einzelfallerscheinungen für den Einfluss christlicher Werte auf das BGB handelt. Da diese Hinweise jedoch keine tiefgehende Analyse ersetzen, besteht für diese Normen weiterer Forschungsbedarf hinsichtlich ihrer christlichen Bezüge. Die nachfolgenden Verweise stehen unter diesem Vorbehalt. (1.) Barmherzigkeit im Mietschutz und Arbeitnehmerrecht: Das BGB rezipiert die Barmherzigkeit auch in anderen Normen zum Schutz des Schwächeren. Hierunter fallen einige Bestimmungen des Mieterschutzes,1155 aber
1149 Römelt,
in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 8, 1999, S. 1014. Warnach, Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe, 1967, S. 308. 1151 Römelt, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 8, 1999, S. 1015. 1152 Mk 7, 6 u. 15. 1153 v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 43. 1154 v. Campenhausen, § 136 Grundrechte als europäische Leitidee, 2010, Rn. 43. 1155 Der erste Entwurf hatte noch das Prinzip „Kauf bricht Miete“ vorgesehen. Dies wurde vor allem von Gierke kritisiert und zugunsten des sozialen Prinzips „Kauf bricht nicht Miete“ umgeändert. Vgl. zu Gierke: Wolf, Große Rechtsdenker, 1963, S. 704. 1150 Vgl.
VII. Weitere christliche Werte und Beispiele im BGB227
auch des Dienstrechtes zum Schutz des Arbeitnehmers.1156 Ansatzpunkt für den christlichen Einfluss beispielsweise auf die Pflicht des Arbeitgebers, sechs Wochen lang Krankenfürsorge für seinen Arbeitnehmer zu leisten, war wiederum der Einsatz des Zentrums und die Wertungen, die diesem zugrunde lagen.1157 Der christlich intendierte Einsatz des Zentrums hat zu sozialen Veränderungen des Dienstvertragsrechts geführt.1158 (2.) Liebestätigkeit im Erb- und Stiftungsrecht: Die Liebestätigkeit hat über das Vehikel des kanonischen Rechts auch die Grundlagen des Erbrechtes und das Stiftungsrecht des BGB maßgeblich geprägt.1159 Um Verfügungen von Todes wegen zu karitativen Zwecken zu ermöglichen, hat das kanonische Recht beispielsweise die Grundlage für die Freiheit des Testierwillens gelegt.1160 Auch der Ursprung des Stiftungsrechts im BGB (§§ 80 ff. BGB) wird im Christentum vermutet.1161 Erst der Gedanke der piae causae des Christentums verhalf der rechtlichen Stiftung zu ihrer Eigenständigkeit.1162 Auftrieb erlangte das Stiftungswesen durch den Gedanken der portio Christi.1163 Ansatzpunkt zu weiterer Forschung wäre hierbei der kanonische Einfluss und Ursprung. (3.) Sonntagsheiligung und Arbeitsethos im Arbeitnehmerrecht: Das christliche Arbeitsethos äußert sich auch in arbeitsrechtlichen Vorschriften wie § 618 Abs. 2 BGB, durch den die Religionsausübung auch im Arbeitsverhältnis gesichert werden soll.1164 Ansatzpunkt für den christlichen Kontext der Norm ist wiederum das Bemühen des Zentrums um die Einführung.1165 1156 §§ 617, 618 Abs. 2, 624, 629 BGB. Vgl. Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 406. 1157 Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 14; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 405 f. 1158 Vgl. Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 9 ff.; Hedemann, Über die Kunst gute Gesetze zu machen, FS Otto Gierke 1911, S. 310; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 406. 1159 Vgl. v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 111. 1160 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 111; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 12, S. 233. 1161 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 111. 1162 Schnorr v. Carolsfeld, Geschichte der juristischen Person, Band I, 1933, S. 45; Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band I, 1963, S. 23. 1163 s. zu dieser Lehre unter C.III.3.a)aa); Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band I, 1963, S. 42. 1164 Gröber, Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 14 f.; Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 406. 1165 „Hier gelang es Gröber, die Pflicht des Berechtigten, für die Gesundheit, Sittlichkeit und Religion des Dienstverpflichteten zu sorgen, im Gesetz zu verankern und so den Schutz des Arbeitnehmers zu stärken.“, Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 406.
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C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Dem Arbeitgeber wurde durch die Norm eine Pflicht zur Fürsorge für die Sittlichkeit und Religion des Arbeitnehmers auferlegt, „als sie z. B. darauf halten müssen, (…) daß sie endlich den Dienstboten auch die nötige Zeit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten, also namentlich auch zum Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes geben müssen.“1166 Frucht der Sonntagsheiligung sind daneben auch heute noch die Normen zum Schutz des Arbeitnehmers in dem aus dem BGB ausgelagerten Arbeitsrecht.1167 (4.) Heiligkeit der Ehe im Eherecht: Die bürgerliche Ehe nach den Vorschriften des BGB orientiert sich über die Grundregel der Unauflöslichkeit1168 an dem christlichen Vorbild:1169 Die auf einem Konsens beruhende Einehe von lebenslanger Dauer, für welche die Scheidung eine Ausnahme darstellt.1170 Auch das Scheidungsrecht unterlag religiösem Einfluss,1171 hat sich allerdings seit seiner Entstehung mit der Folge stark geändert, dass die Scheidung bedeutend erleichtert wurde.1172 Auch die Grundvorstellung, dass die Ehe eine Verbindung zwischen Mann und Frau darstellt, hat sich kürzlich mit dem Beschluss vom 30. Juni 2017 über die Einführung der „Ehe für alle“ geändert. Ansatzpunkt für die ursprünglich christlichen Einflüsse bietet dennoch das kanonische Recht.1173 Bis heute prägen christliche Anschauungen aber auch die Auslegung von Pflichten, die Ehegatten nach § 1353 BGB einander zu erfüllen haben.1174 Stellt man Gesetzestext und Begründung zusammen, leuch1166 Gröber,
Bedeutung des BGB für den Arbeiterstand, 1897, S. 15. § 9 des seit 1994 geltenden Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) ist eine Erwerbstätigkeit an Sonntagen grundsätzlich verboten. Zweck des Gesetzes ist gemäß § 1 Nr. 2 ArbZG: „(…), den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer zu schützen.“ Heute wird der ursprüngliche Gedanke des religiösen Feiertages allerdings in dem Gesetz nicht erwähnt, sondern nur die Arbeitsruhe und „die seelische Erhebung des Arbeitnehmers“. Wank, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Aufl. 2016, ArbZG, § 1 Rn. 8. s. außerdem das Gesetz über den Ladenschluss. 1168 § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB. 1169 Siehe dazu auch Coing, Europäisches Privatrecht II, 1989, S. 71. 1170 So v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 110; Coing, Europäisches Privatrecht II, 1989, S. 303 ff.; Landau, Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, 1991, S. 250; vgl. auch Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 17. 1171 Oertmann, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1900, S. 78. 1172 Vgl. Larenz/Wolf, AT, 2004, § 3, Rn. 78. 1173 So merkte Windscheid an: „Die Begründung und Beendigung der Ehe steht heutzutage gemeinrechtlich nicht unter den Grundsitzen des römischen Rechts, sondern unter den Grundsätzen des Reichsgesetzes vom 6. Februar 1875 und des canonischen Rechts.“, Pandektenrecht II, 1900, S. 893; zit. in Landau, Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, 1991, S. 250. 1174 So Ramdohr, Rechtsmissbrauch, Gruchots Beiträge 1902 (46), S. 596. 1167 Nach
VII. Weitere christliche Werte und Beispiele im BGB229
tet § 1353 BGB im Licht eines christlichen Wertungsprogramms.1175 Zu dessen näherer Erforschung kann an die Überlegungen der ersten Kommission, die in den Motiven dokumentiert sind, angeknüpft werden.1176 (5.) Wahrhaftigkeit anhand der Verjährungseinrede: Auch in anderer Form kennt die Rechtsordnung ethische Verhaltenspflichten, die aus der Versprechenstreue und der Wahrhaftigkeit abgeleitet werden. So gewährt das BGB die Verjährung lediglich als Einrede statt als Erlöschensgrund, sodass dem Einzelnen ermöglicht wird, sich bei begründeten vertraglichen Ansprüchen trotz Verjährung für eine Bindung an das gegebene Wort zu entscheiden. Indiz dafür, dass die christliche Versprechensethik an dieser Stelle Einfluss nahm, ist die Begründung des für die Einführung Verantwortlichen Windscheid für die Wahl der Einrede.1177 Es müsse „dem Beklagten freigestellt sein, ob er seine Freisprechung dem moralisch nicht immer unbedenklichen Mittel der Verjährung verdanken will“.1178 Es ist wohl auf diese Wertung zurückzuführen, dass das Erheben der Einrede bei Fortbestehen eines an sich begründeten Anspruchs bei Entstehung des BGB noch als unehrenhaft, unanständig, als moralisch anstößig empfunden wurde.1179 (6.) Sündentilgung und ausgleichende Gerechtigkeit im Restitutionsgrundsatz: Ein weiteres Beispiel für den Einfluss christlicher Werte ist der 1175 Vgl. auch v. Gierke, der die Benennung rechtlicher, über rein sittliche Vorstellungen hinausgehender Pflichten im BGB befürwortet: „Vielleicht wäre es sogar angemessen, noch einen Schritt weiter zu gehen und die gegenseitige Beistandspflicht mit in das Gesetzbuch aufzunehmen.“, Entwurf, 1889, S. 402. 1176 „Den sittlichen Grundgedanken des durch die Ehe unter den Ehegatten begründeten persönlichen Verhältnisses durch einen leitenden Grundsatz im Gesetze auszusprechen, empfiehlt sich aber namentlich auch um deswillen, weil dadurch die über die rechtlichen Wirkungen der Ehe im Einzelnen gegebenen Vorschriften ihre richtige Beleuchtung gewinnen und zum rechtlichen Ausdrucke gebracht wird, dass (…) im Eherechte das sittliche Wesen die Grundlage bildet, von welcher bei der Auslegung des Gesetzes (…) auszugehen ist.“, Motive IV, 1888, S. 104. 1177 Der Grund, weshalb der Schutz dem Schuldner nicht aufgedrängt werden sollte, sei nach Windscheid darin gelegen, dass es im Fall der Verjährung nicht „selbstverständlich“ sei, dass der Schuldner sein Recht berücksichtigt wünscht. Denn in Fällen, in denen die Geltendmachung eines Rechts als „nicht anständig“ gilt, müsse der Schuldner ein „ethisches Opfer“ erbringen. Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 1997, § 47, S. 206; s. auch Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 27; Seelig, Prozessuale Behandlung materiellrechtlicher Einreden, 1980, S. 59; v. Tuhr, AT I Teil 1, 1918, § 17 Abs. 2, S. 291. 1178 v. Tuhr, AT Band 1, 1918, § 17 Abs. 2, S. 291. 1179 Vgl. Medicus, Schuldrecht I, 2010, Rn. 96; Seelig, Prozessuale Behandlung materiellrechtlicher Einreden, 1980, S. 59; v. Tuhr, AT Band 1, 1918, § 17 Abs. 2, S. 291; vgl. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 51. Oder aber jedenfalls als nicht selbstverständlich, Jahr, Einrede des bürgerlichen Rechts, JuS 1964, S. 295; Hübner, AT, 1985, S. 220.
230
C. Christliche Werte in den Normen des BGB
Restitutionsgrundsatz des BGB, dem ein biblischer Ursprung zugeordnet wird.1180 Vorbild sei danach die Beicht- und Bußpraxis vor Beichtgerichten1181 und entsprechende Sündentilgungs-Ansätze1182 gewesen. Die Kirche entwickelte eine umfassende Schadenslehre, in der sie sich damit auseinander setzte, wie die Buße zu vollziehen sei,1183 denn gläubige Händler und Kaufmänner forderten in der Sorge um ihr Seelenheil konkrete Handelsanweisungen.1184 Die Restitution wurde Ende des 16. Jahrhunderts für die Sündenvergebung und den Gewinn des Ewigen Lebens vorausgesetzt; nur so konnte die mit dem Schaden begangene Sünde vergeben werden.1185 Dabei hat nicht zuletzt Thomas von Aquin nach der Vorstellung der ausgleichenden Gerechtigkeit, die durch die Restiution hergestellt werden sollte, eine umfassende Lehre entwickelt.1186 Die Lehre der Spätscholastiker wurde über diverse Wege im weltlichen Recht rezipiert.1187 Es existieren bereits Arbeiten, die sich mit den Zusammenhängen der Theologie mit der Resitutionslehre befasst haben.1188 (7.) Reinheit des Geistes im Ersitzungstatbestand: Die Verinnerlichung der Moral durch das Christentum hat über das Vehikel des kanonischen Rechts das Sachenrecht des BGB stark beeinflusst.1189 Die ausgeprägte Beichtpraxis in der Kirche führte zu einer Typisierung moralischer Tatbestände anhand einer individuellen und subjektiven Bewertung des Einzelfalls.1190 Auf der Basis dieser Verinnerlichung der Moral wurden zahlreiche 1180 „Dass die Wurzeln in der theologisch-kanonistischen Tradition einerseits und dem naturrechtlichen Gedankengut andererseits liegen, darauf soll dieser Beitrag in aller Bescheidenheit aufmerksam machen.“, Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution in § 249 BGB, 1985, S. 80 ff. S. auch: „(…) dabei war die aus dem Mittelalter tradierte restitutio doch zuallererst ein Institut katholischer Theologie.“, Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, 2013, S. 2. 1181 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, 2013, S. 5; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution in § 249 BGB, 1985, S. 53. 1182 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, 2013, S. 48; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution in § 249 BGB, 1985, S. 57. 1183 Vgl. Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution in § 249 BGB, 1985, S. 22. 1184 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, 2013, S. 5. 1185 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, 2013, S. 6, 48. 1186 Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution in § 249 BGB, 1985, S. 26 ff. 1187 Unter anderem über Grotius Nachturrechtslehre. Siehe dazu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, 2013, S. 175 ff. 1188 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, 2013, S. 2 ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution in § 249 BGB, 1985. 1189 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 77, § 12 S. 228; vgl. auch Göbler, Beitrag des kanonischen Rechts zur europäischen Rechtskultur, 1990, S. 33. 1190 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 78, § 12 S. 228.
VII. Weitere christliche Werte und Beispiele im BGB231
Modifikationen von Gutglaubens-1191 und Besitzschutzvorschriften erlassen.1192 So wurde der Grundsatz mala fides superveniens1193 in den Ersitzungstatbestand des BGB übernommen.1194 Der kanonische Grundsatz des fortdauernden guten Glaubens wirkt bis heute in den §§ 937 ff. BGB fort.1195 Hierbei dient das kanonische Recht folglich als Anknüpfungspunkt. (8.) Reinheit des Geistes im Verbot des Umgehungsgeschäfts: Die mittelalterliche Kanonistik auch war es, die den Grundstein für eine allgemeine Regel des Verbotes des Umgehungsgeschäfts legte: „Cum quid una via prohibetur alicui, ad id alia non debet admitti.“1196
Dem liegt die Wertung zugrunde, dass es nicht auf die formale Rechtmäßigkeit eines Geschäfts ankommt, sondern vielmehr auf den damit verfolgten Zweck, der keine Rechtmäßigkeit beanspruchen kann.1197 Auch hierbei wird eine rechtliche Sanktion an die innere Zielrichtung des Handelnden geknüpft. (9.) Wahrhaftigkeit und Treue in Treu und Glauben: Zuletzt wird dem kanonischen Recht eine erhebliche Bedeutung für den hohen Standard der Vertragsethik, wie sie in den §§ 242, 138 und 826 BGB zum Ausdruck kommt, nachgesagt.1198 Diese wurzeln in der Gerechtigkeitsidee des kanonischen Rechts.1199 Grundlegender Bestandteil dessen ist das Instrument der aequitas (Billigkeit).1200 Diese stellte einen Korrekturmechanismus für das römische 1191 v. Campenhausen, Christentum und Recht, 2002, S. 109; Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts, 1962, S. 27 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 4, S. 77; Wolter, Ius canonicum in iure civili, 1975, S. 13. 1192 Sog. Actio spolii; Liber Extra 2, 13, 18 (Canon Saepe Contingit); vgl. Becker, Spuren des kanonischen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1999, S. 167; Landau, Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, 1991, S. 55. 1193 s. auch v. Gierke, Entwurf, 1889, S. 342. 1194 v. Gierke, Entwurf, 1889, S. 342, wobei Gierke noch weiter geht, wenn er auch dem redlichen Besitzer eine Nachforschungspflicht auferlegt. Vgl. zu den theologischen Zusammenhängen auch Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution in § 249 BGB, 1985, S. 33 f. 1195 Vgl. Göbler, Beitrag des kanonischen Rechts zur europäischen Rechtskultur, 1990, S. 29. 1196 Übers. der Verf.: Wenn jemandem etwas auf dem einen Weg verboten wird, dann sollte es nicht auf einem anderen zugelassen werden. Bonifaz, VIII., Liber VI, 5.12, Regula 84; Landau, Bedeutung des kanonischen Rechts für die Entwicklung einheitlicher Rechtsprinzipien, 1996, S. 41. 1197 Vgl. dazu C.I. und C.II. 1198 Becker, in: Zimmermann, Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, S. 165. 1199 Wohlhaupter, Aequitas canonica, Eine Studie aus dem kanonischen Recht, 1931; vgl. Becker, Spuren des kanonischen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1999, S. 165. 1200 Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus, 1968, S. 54 ff.
232
C. Christliche Werte in den Normen des BGB
ius strictum dar.1201 Kraft der Treue und Wahrhaftigkeit schulde „der Mensch dem anderen vor allem Abwesenheit von Arglist“.1202 Die in dieser Arbeit nicht untersuchte Generalklausel des § 242 BGB, die bis heute erhebliche und andauernde praktische Bedeutung für das Rechtsleben hat, wurde folglich ebenfalls nicht unwesentlich durch christliche Werte beeinflusst.1203 Das BGB rezipiert folglich einen ganzen Strauß christlicher Werte.1204 Dabei sind die meisten Werte1205 solche, die von beiden Konfessionen akzeptiert und praktiziert werden, obwohl auch in den vorab genannten weiteren Beispielen vor allem das kanonische Recht und die katholische Zentrumspartei einen starken Einfluss auf den Import christlicher Werte im BGB ausgeübt haben.
VIII. Ergebnis: Christliche Werte in breiter Streuung Die unter B.I. dargestellte institutionelle Verzahnung von Staat und Kirche hat auch ihre Spuren im BGB hinterlassen. Die Untersuchung von sechs Beispielsnormkomplexen des BGB unter C.I. bis VI. hat ergeben, dass Börners Bekenntnis zur Bedeutung christlicher Werte für das historische BGB1206 einen wahren Kern hatte. So ließ sich in sechs Normkomplexen nachweisen, dass ein christlicher Wert Einfluss auf deren jeweilige Entstehungsgeschichte im 19. Jahrhundert genommen hat: (1.) Nächstenliebe bei den §§ 226, 826 BGB: Über den Einfluss durch v. Gierkes Kritik und den Antrag des Zentrumsabgeordneten Gröber wird mit den §§ 226, 826 BGB der Grundsatz in das BGB aufgenommen, dass eine Rechtsposition nicht zum Schaden eines anderen ausgeübt werden darf. Dass dies nicht nur sittlich, sondern auch rechtlich missbilligenswert ist, wurde in der Problemgeschichte des Schikaneverbotes aus dem christlichen Wert der Nächstenliebe abgeleitet. Der durch den Wert der Nächstenliebe mitgeprägte § 226 BGB formuliert einen Grundgedanken des BGB, der bis heute hauptsächlich über § 242 BGB Geltung beansprucht. Als solcher ist der Rechtsmissbrauchsgedanke nicht aus dem BGB wegzudenken. (siehe dazu I.) (2.) Barmherzigkeit bei den §§ 138 Abs. 2, 248, 289 BGB: Auf den Einfluss des kanonischen Zinsverbotes und der kirchlichen Wucherdoktrin im 1201 Elsener,
Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, 1963, S. 169. an Grotius Behrends, Treu und Glauben, 1984, S. 261. 1203 Behrends, Treu und Glauben, 1984, S. 277 ff.; Esser, Billigkeit und Billigkeitsrechtsprechung, 1963, S. 28. 1204 Hinweise bei Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, § 12, S. 228. 1205 Lediglich die Heiligkeit der Ehe in der Art und Weise, wie sie § 656 BGB beeinflusst hat, dürfte ein primär katholisches Phänomen sein. 1206 Siehe dazu die Einleitung unter A. 1202 Anknüpfend
VIII. Ergebnis: Christliche Werte in breiter Streuung233
19. Jahrhundert ebenso wie den Einsatz des Zentrums sind Wucher- und Zinseszinsverbot in ihrer heutigen Form zurückzuführen. Ihnen lag der bis heute fortwirkende christlich geprägte Schutz des Schwächeren zugrunde, wenn auch das Zinseszinsverbot des § 248 BGB sich im Wandel befindet. (siehe dazu II.) (3.) Liebestätigkeit für § 2072 BGB: Vorbild für die erbrechtliche Auslegungsregel des § 2072 BGB wurden Bestimmungen des Codex Justinianus, durch die einer christlichen Tradition ein rechtlich vorteilhafter Rahmen gegeben werden sollte. Die christliche Tradition der portio Christi als Ausdruck der Liebestätigkeit wäre nicht wegzudenken, ohne dass die Norm des § 2072 BGB entfiele. (siehe dazu III.) (4.) Sonntagsheiligung bei § 193 BGB: Die Fristenregel des § 193 BGB wurde zur Sonntagsheiligung eingeführt und findet bis heute Anwendung. Initiatoren dieser Berücksichtigung der Sonntagsheiligung waren wiederum das Zentrum und v. Gierke. (siehe dazu IV.) (5.) Heiligkeit der Ehe bei § 656 BGB: Dem Ehemaklervertrag wurde unter anderem aufgrund christlich geprägter Sittlichkeitsideale über die Heiligkeit der Ehe lediglich der Status einer Naturalobligation verliehen. Auch die Einführung des § 656 BGB ist auf das Zentrum zurückzuführen, das letztlich Wertungen Kohlers und solche der Problemgeschichte durch die kirchliche Bewertung der Ehevermittlung importierte. Systematisch betrachtet, zeugt die Norm bis heute von mittlerweile überholten Sittlichkeitsidealen. (siehe dazu V.) (6.) Versprechenstreue bei den §§ 657, 145 BGB: Die christliche Prägung der Versprechenstreue, die aus den Werten der Wahrhaftigkeit und Treue abgeleitet wird, liegt nicht nur der Vertragsbindung des BGB zugrunde. Insbesondere durch die Bindung an einseitige Versprechen in Abweichung vom Vertragsprinzip wurde über das Vehikel des kanonischen Rechts die christliche Versprechenstreue importiert. Bis heute liegt der Versprechensbindung des BGB eine christlich geprägte, ethische Dimension zugrunde. (siehe dazu VI.) Dafür, dass christliche Werte über diese Einzelnormen hinaus eine grundsätzliche Bedeutung für den Ausbau der Rechtsordnung hatten, spricht die enorme Streubreite der untersuchten Normen: Von Fristenregelungen über eine testamentarische Auslegungsregel, Nichtigkeitstatbeständen des Allgemeinen Teils zu Normen des besonderen Schuldrechts und einem deliktischen Schadensersatzanspruch.1207 Das bestätigen zudem die unter VII. genannten weiteren Anknüpfungspunkte für christlich beeinflusste Normen. Zuletzt sind die untersuchten Normen nicht allesamt Ausdruck einer einzigen, sondern verschiedener christlicher Wertevorstellungen. 1207 Dazu
weitergehend in der Synthese unter D.
D. Synthese: Behalten die Motive Recht? Bevor im letzten Kapitel ein Ausblick in die Zukunft christlicher Werte im BGB gegeben wird, sollen die unter C. ermittelten Ergebnisse in einer Synthese zusammengefasst und analysiert werden. Dabei sollen die in der Einleitung aufgeworfenen Fragen beantwortet werden, über wen und wie christliche Werte Bedeutung für die Entstehung des BGB erlangt haben und ob diese Bedeutung bis heute fortwirkt. Hierfür ist eine Untersuchung folgender Punkte entscheidend: (I.) Die Vehikel des christlichen Einflusses, (II.) die Art und Weise, wie christliche Werte den Normen des BGB zugrunde liegen können, und zuletzt (III.) die Bedeutung der christlichen Werte für das heutige BGB.
I. Vehikel des christlichen Einflusses Die Untersuchung hat zwei wesentliche Vehikel1 für den Einfluss christlicher Werte auf das BGB offenbart: Das kanonische Recht und der politische Einfluss des Zentrums in der Reichstagskommission. Vornehmlich wurden christliche Werte über das Vehikel des kanonischen Rechts importiert.2 Das kanonische Recht hatte über das ius commune und die Prägung gesellschaftlicher Anschauungen einen starken Einfluss auf die Entstehung einiger Normen des BGB. Ein Großteil der anderen untersuchten Normen ist das Ergebnis der Bemühungen des politischen Katholizismus in Gestalt des Zentrums über die Reichstagskommission.3 Während die erste Kommission sich primär an das für seine Liberalität bekannte römische Recht hielt, wurden in der Reichtagskommission politische Belange berücksichtigt.4 Dabei hatte das Zentrum aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Reichstag Ende des 19. Jahrhundert eine starke Position, um seine Interessen durchzusetzen.5 Teil seines Parteiprogramms war die Durchsetzung christlicher Wertevorstellungen auf der Ebene der Politik, auch unter Einsatz für die sozialen Belange der Arbei1 Zur
Definition von „Vehikel“ s. oben Fn. 11. bei § 138 Abs. 2, 145, 248, 657 und 2072 BGB. 3 So die §§ 193, 226, 656, 826 BGB. 4 Vgl. Hedemann, Über die Kunst gute Gesetze zu machen, FS Otto Gierke 1911, S. 310 f. 5 Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 435. 2 So
II. Art und Weise des Imports christlicher Werte235
terklasse.6 Durch den Einfluss des Zentrums konnte noch in der letzten Beratung des BGB einigen kirchlichen und christlichen Interessen zur Durchsetzung verholfen werden.7 Neben diesen beiden Hauptvehikeln ist außerdem der Einfluss v. Gierkes auf die Einführung einiger der untersuchten Normen zu nennen.8 Zur Begründung seiner Kritik an den ersten Entwürfen des BGB führte v. Gierke teilweise explizit moralische Gebote des christlichen Glaubens an. Das ist vor dem Hintergrund nicht verwunderlich, dass v. Gierkes ethische Vorstellungen und sein Rechtsdenken durch die christlich-soziale Bewegung geformt waren.9 Seine Kritik an dem Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches hat die Mitglieder der zweiten Kommission in Teilen stark beeinflusst, denn sie war durchaus öffentlichkeitswirksam.10 Durch Aufgreifen seiner Kritik hat an diesen Stellen ein Import seiner Wertungen stattgefunden.11 Weniger stark haben die moralischreligiösen Überzeugungen der Redaktoren und Kommissionsmitglieder die Normen beeinflusst.12 Letztlich wurden die meisten christliche Werte dennoch über zwei Vehikel in das BGB integriert: Vornehmlich das kanonische Recht, aber auch das Wirken der Zentrumspartei.
II. Art und Weise des Imports christlicher Werte Anhand der Normanalyse unter C. können verschiedene Weisen identifiziert werden, wie christliche Werte in zivilrechtliche Normen importiert werden konnten: Als Verbot (1.) oder als Gebot (2.). Während die Verbote hauptsächlich als ius cogens ausgestaltet sind, handelt es sich bei den Geboten und Schutzvorschriften in der Regel um ius dispositivus.13 Anschließend soll die Verteilung der untersuchten Normen auf die verschiedenen Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 435. Wolters, Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 436. 8 So bei §§ 193, 226 BGB. 9 Wolf, Große Rechtsdenker, 1963, S. 675. 10 Vgl. Hedemann, Über die Kunst gute Gesetze zu machen, FS Otto Gierke 1911, S. 309. 11 s. dazu beispielsweise die Untersuchungen der §§ 138 Abs. 2, 193, 226 BGB. 12 s. beispielsweise die Versprechenstreue unter C.VI. Hierbei stimmten die Kommissionsmitglieder zwar mit der Wertung überein, sie übernahmen aber hauptsächlich kanonische und naturrechtliche Wertungen. 13 Ob eine zwingende Vorschrift vorliegt, richtet sich nach ihrem Geltungsanspruch. Es gibt zwingende und nachgiebige, abdingbare (dispositive) Normen. Das zwingende Recht ist die Grenze der grundsätzlich im BGB gewährten Privatautonomie. Es entzieht eine Rechtsposition der Parteidisposition. Ob zwingendes oder dispositives Recht vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Larenz/Wolf, AT, 2004, § 3, Rn. 102; Ulrici, Verbotsgesetz und zwingendes Gesetz, JuS 2005, S. 1074. 6 Vgl. 7 Vgl.
236
D. Synthese: Behalten die Motive Recht?
Teile des BGB untersucht werden, um herauszufinden, ob ein bestimmter Teil des BGB besonders oder ausschließlich durch das BGB geprägt worden ist, oder ob christliche Werte sich an verschiedenen Stellen ohne weiteren Zusammenhang zeigen (3.). Gerade letzteres würde mit Hinblick auf die These für eine grundsätzliche Bedeutung christlicher Werte für das BGB sprechen. Aber auch die Art, wie der jeweilige am Gesetzgebungsverfahren Beteiligte christliche Werte importiert wurde, gibt Aufschluss über das Verhältnis des BGB zu christlichen Werten und soll daher unter 4.) dargestellt werden. 1. Verbot unchristlichen Verhaltens und ius cogens So können Normen ein Verhalten untersagen, das gegen einen christlichen Wert verstößt14, es mit einer „Maßnahme gleicher Wirkung“ unterbinden15 oder das Verhalten rechtlich erschweren.16 Eine „Maßnahme gleicher Wirkung“ sanktioniert ein Verhalten verbotsgleich mit einer Schadensersatzpflicht (z. B. § 826 BGB) oder einem Rechtsverlust (z. B. § 937 Abs. 2 BGB). Einen ebenso sanktionierenden Charakter hat es, wenn einer Forderung eine wesentliche Voraussetzung, die Klagbarkeit,17 durch eine Vorschrift abgesprochen wird.18 Der Rechtsnatur nach sind die untersuchten „Verbots“Normen19 (§§ 138 Abs. 2, 226, 248, 656, 826 BGB) als ius cogens20 ausgestaltet.21 Die Form zwingenden Rechts wurde dann gewählt, wenn „grobe Ungerechtigkeiten verhütet“ werden sollten oder „sozialen Anforderungen“ genügt werden sollte.22 Die Verbotsvorschrift steht in einem natürlichen Zusammenhang mit zwingendem Recht. Als dispositive Norm wäre 14 So
§§ 138 Abs. 2, 226, 248 BGB. Siehe dazu C.II. eine rechtliche Sanktion wie eine Schadensersatzpflicht oder ein Rechtsverlust, § 826 BGB. Siehe aber auch als weitere Beispielsnormen des Abschnittes C.VII. § 937 S. 2 BGB. 16 So bei § 656 BGB. 17 s. hierzu Weller, Vertragstreue, 2009, S. 229. 18 Wie bei § 656 BGB. 19 Meinend Vorschriften, welche ein unchristliches Verhalten verbieten und nicht etwa Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB. 20 s. hierzu Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 303; Ulrici, Verbotsgesetz und zwingendes Gesetz, JuS 2005, S. 1074. 21 Das lässt ihr Wortlaut erkennen, der eine Disposition nicht zulässt, indem von „ist nichtig“ (§§ 138 Abs. 2, 248 BGB), „ist unzulässig“ (§ 226 BGB), „begründet keine Verpflichtung“ (§ 656 BGB) und „ist zum Schadensersatz verpflichtet“ (§ 826 BGB) gesprochen wird. Zur Auslegung Ulrici, Verbotsgesetz und zwingendes Gesetz, JuS 2005, S. 1074 ff. 22 Vgl. Larenz/Wolf, AT, 2004, § 2, Rn. 56, § 3, Rn. 102; Ulrici, Verbotsgesetz und zwingendes Gesetz, JuS 2005, S. 1074. 15 Durch
II. Art und Weise des Imports christlicher Werte237
das mit ihr verfolgte Ziel nicht zu erreichen. Der Rechtsanwender verliert aufgrund des Verbotes ein Recht, ohne dass er dies privatautonom beeinflussen kann. Die Verbotsvorschriften sollten oftmals eine erzieherische Funktion erfüllen.23 Damit ist die Form der zwingenden Verbotsvorschrift grundsätzlich die stärkste Form der Durchsetzung eines christlichen Wertes, denn sie schränkt die Privatautonomie des Rechtsanwenders durch Nichtigkeit und Rechtswidrigkeit ein.24 Hierunter fällt ein Großteil der untersuchten Regelungen: §§ 138 Abs. 2, 226, 248, 289 und 826 BGB. 2. Gebot christlichen Verhaltens und dispositives Recht Normen können statt eines Verbotes aber auch eine Pflicht auferlegen, über die ein christlicher Wert durchgesetzt wird.25 Für derartige Gebote wählte der Gesetzgeber Schutzvorschriften (§ 145 BGB) oder Auslegungsregeln (§§ 193, 2072 BGB) in Form dispositiven Rechts.26 Sie setzen eine Regel, von der im Einzelfall durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung abgewichen werden kann. Bei den Auslegungsregeln der §§ 193, 2072 BGB äußert sich das durch die Worte „im Zweifel“. Es handelt sich bei diesen Regeln um Normen, die aufgrund eines christlichen Wertes notwendig geworden sind und kraft ihrer Aufnahme in das BGB von der Anerkennung dieses Wertes zeugen.27 Sie versuchen ein religiös geprägtes Verhalten des Volkes (etwa eine Liebestätigkeit über Testamentsverfügungen oder die Sonntagsheiligung durch Familienzeit und Messbesuch) aufzufangen, um ihm eine rechtliche Ausdrucksform zu verleihen. § 145 BGB bietet hierfür ein schönes Beispiel, indem der Zusatz des zweiten Halbsatzes („es sei denn, dass er die Gebundenheit ausgeschlossen hat“) die erwünschte Wirkung erkenntlich macht.28 23 So §§ 226, 656, 826 BGB; s. auch zur Erziehungsfunktion des Gesetzgebers Hedemann, Über die Kunst gute Gesetze zu machen, FS Otto Gierke 1911, S. 315. 24 Vgl. Ulrici, Verbotsgesetz und zwingendes Gesetz, JuS 2005, S. 1074. 25 So § 193 BGB und die Vertragstreue in Form der Versprechensbindung am Beispiel der §§ 311, 241 Abs. 1 BGB sowie der §§ 145, 657 BGB. Dabei ist die Vertragsbindung gleichermaßen Verbot und Gebot. Sie verbietet das einseitige Loslösen von einem Versprechen und gebietet die „Unterwerfung einer Partei unter alle einem Vertrag entspringenden Rechtsgebote“. Weller, Vertragstreue, 2009, S. 274. Wegen der mit der Bindung einhergehenden vielfältigen Pflichten wird sie hier aber unter den Geboten eingeordnet. 26 §§ 145, 193, 2072 BGB. 27 So §§ 193, 2072 BGB. 28 In der Praxis wird dies häufig über Zusätze wie „freibleibend“, „unverbindlich“ oder „ohne obligo“ gekennzeichnet. Dies ist besonders im Handelsverkehr nicht unüblich. Busche, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 145, Rn. 8; Ecker; in: BeckOK-BGB, 38. Edition, § 145, Rn. 38.
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D. Synthese: Behalten die Motive Recht?
Entsprechend milder ist diese Form der Wertdurchsetzung gegenüber zwingendem Recht. Sie ermöglicht dem Rechtsanwender, aufgrund seiner eigenen Wertüberzeugung Gebrauch von seiner Privatautonomie zu machen.29 Die Bedeutung dispositiver Vorschriften ist trotz ihrer Abdingbarkeit nicht zwingend gering.30 Denn Parteien unterlassen oftmals, eigene Regelungen zu treffen und in all diesen Fällen findet das dispositive Recht Anwendung.31 Eine Ausnahme von der Regel einer Gebotsvorschrift dispositiven Rechts ist § 657 BGB, der zwingendes Recht statuiert.32 Die Wirkung des Auslobungsversprechens darf nicht abbedungen werden.33 Es handelt sich mithin um ein Gebot, das zwingenden Rechts ist, und damit fast so stark in die Privatautonomie des Rechtsanwenders eingreift wie die Verbotsvorschriften unter 1. 3. Streubreite der beeinflussten Normen Die Auswertung der untersuchten Funde belegt eine besonders starke christliche Prägung des Allgemeinen Teils des BGB. Ein Großteil der untersuchten Normen befindet sich im Allgemeinen Teil des BGB,34 ein kleinerer Teil im Schuldrecht35, im Erbrecht36 und eine Norm im Deliktsrecht37. Bezöge man nun die den Andeutungen der Literatur entnommenen Regelungen mit christlichem Bezug (C.VII.) ein, so verbliebe zwar eine Dichte im Allgemeinen Teil und im Schuldrecht.38 Diese würde aber ergänzt um die in dieser Arbeit nicht untersuchten zahlreichen Regelungen im Eherecht,39 im Erb-40 und 29 Vgl. Larenz/Wolf, AT, 2004, § 3, Rn. 95 ff.; Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, 2012, Rn. 49. 30 So Larenz/Wolf, AT, 2004, § 3, Rn. 101. 31 Vgl. Larenz/Wolf, AT, 2004, § 3, Rn. 101. 32 „Ist verpflichtet, die Belohnung zu entrichten“, § 657 BGB. Zwingendes Recht beschränkt sich nicht auf Verbotsvorschriften. Ulrici, Verbotsgesetz und zwingendes Gesetz, JuS 2005, S. 1076. 33 Aus diesem Grund ist der Zusatz „unter Ausschluss des Rechtswegs“, um der aufgrund des Versprechens entstandenen Verbindlichkeit die Klagbarkeit abzubedingen, für Auslobungen nach § 657 BGB nicht wirksam. Dies steht nicht zur Disposition des Auslobenden. Vgl. Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 23. 34 §§ 138 Abs. 2, 145, 193, 226, 248 BGB. 35 §§ 656, 657 BGB. 36 § 2072 BGB. 37 § 826 BGB. 38 Arbeitnehmerschutz, insbesondere § 618 Abs. 2 BGB. 39 Sämtliche Eheaufhebungsgründe, sowie § 1353 BGB. 40 Grundsatz der Testierfreiheit.
II. Art und Weise des Imports christlicher Werte239
Sachenrecht41. Die Einbeziehung nicht untersuchter Funde indiziert eine weitere Schwerpunktsetzung im Eherecht. Im Ergebnis konzentrieren sich die Normen nicht etwa auf ein bestimmtes Rechtsgebiet, wie oft mit Hinweis auf die wertungsanfälligen Gebiete des Familien- und Erbrechts vermutet wird. Vielmehr weisen sie eine verhältnismäßig hohe Streubreite in den verschiedenen Teilen des BGB auf. Hinzu tritt der starke Einfluss auf einige Normen des Allgemeinen Teils, die aufgrund ihres generellen Charakters Einwirkungen auf sämtliche Rechtsverhältnisse des Bürgerlichen Rechts haben.42 Die Streubreite der untersuchten Normen sowie derer, die einen christlichen Einfluss indizieren, spricht für eine hohe Bedeutung der untersuchten Werte, wegen der Vorschriften des Allgemeinen Teils insbesondere derjenige der Nächstenliebe und Versprechenstreue. Dass die Normen derart breit gestreut sind, spricht außerdem für die darunterliegende christliche Gesamtanschauung, die in den Motiven behauptet wurde. Dieser Behauptung hätte eine Konzentration christlicher Einflüsse auf ein bestimmtes Rechtsgebiet des BGB widersprochen. 4. Import christlicher Werte wird nicht offen gelegt Bei den untersuchten Fällen des Imports christlicher Werte ist allerdings eine Zurückhaltung der Kommissionsmitglieder erkennbar, die einbezogene außerrechtliche Wertung als solche offen zu legen.43 Hinweise auf außerrechtliche Wertungen erschöpfen sich zumeist in einem Verweis auf „ethisch“ gebotenes oder „sittlich“ verbotenes Verhalten; der Maßstab für die Bewertung als „ethisch“ oder „sittlich“ wird dagegen nicht bestimmt.44 Erst eine intensive Hintergrundrecherche der Initiatoren und der Problemsituation der jeweiligen Norm konnte aufdecken, dass man sich bei den untersuchten Normen auf die Werte der christlichen Ethik bezog.45 In den Gesetzesmaterialien wird nur im Zusammenhang mit der Ehe explizit auf christliche Anschauungen 41 § 937
S. 2 BGB. regeln grundlegende Fragen, die für jedes Rechtsverhältnis gelten. Larenz/ Wolf, AT, 2004, § 1, Rn. 69. 43 So die Begründungen zu den §§ 138 Abs. 2, 145, 249, 656, 657, 826, 2072 BGB. Ausnahme bei § 193 BGB, bei dem von der „Heilighaltung des Sonntages“ gesprochen wird. 44 So bei § 145 BGB („die sittliche Rücksicht“ gebiete es, das Wort zu halten) oder § 656 BGB („sei diese allein mit dem sittlichen Charakter der Ehe vereinbar (…)“). Siehe dazu oben C.VI.4.c) und C.V.4. Auch in der Literatur ist dies häufig vorzufinden, vgl. Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 74. Dies bemerkt auch Rückert, BGB und seine Prinzipien, in: HKK-BGB, 2003, Vor § 1, Rn. 35. 45 So etwa bei §§ 145, 656, 657, 2072 BGB, aber auch bei § 193 BGB, bei dem nur von der Heilighaltung des Sonntages gesprochen wird. 42 Sie
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D. Synthese: Behalten die Motive Recht?
verwiesen.46 Das hat sich im Übrigen auch in der Rechtsprechung des Reichsgerichts in den Jahren 1889 bis 1919, im näheren zeitlichen Umfeld der Entstehung und des Inkrafttretens des BGB, gezeigt.47 Für diese Zurückhaltung kommen zwei Gründe in Betracht. Entweder hielt der Gesetzgeber die Bezugsgröße, christliche Werte, für so selbstverständlich, dass er sie deswegen nicht ausdrücklich benannt hat. Dafür würde der teils unreflektierte, das heißt nicht protokollierte oder diskutierte Import von Wertungen sprechen. Außerdem spricht dafür der zeitgeschichtliche Hintergrund des 19. Jahrhunderts, in dem das Christentum Teil der Gesellschaft ist und für das Wertesystem nicht wegzudenken war. Oder der Gesetzgeber hielt den Verweis auf christliche Werte angesichts eines modernen, religionsneutralen Bürgerlichen Rechtes für unangebracht und blieb deswegen bewusst bei den allgemeinen Begriffen der Sittlichkeit und Ethik.48 Hierfür sprechen die Tendenzen des 19. Jahrhunderts, Staat und Kirche ebenso wie Recht und weitestgehend Moral zu trennen.49 So kommentiert auch Hedemann die gesetzgeberische Aufgabe des 19. Jahrhunderts mit: „Was aber unmoralisch ist, das sagt der Gesetzgeber nicht, das lässt er offen; er hat sein Erzieheramt in diesem Punkte an den Richter abgegeben.“50 46 s. beispielsweise in der Begründung zu § 1353 BGB; vgl. Motive IV, 1888, S. 104. 47 So wird beispielsweise die Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften über Bordelle mit Hinweis auf Keuschheitsvorstellungen festgestellt. Dagegen wird die Quelle dieser Wertung nicht offen gelegt (s. RGZ 63, 346; 63, 367; 68, 97; 71, 129; 71, 432; 78, 282; 86, 191). Gleiches gilt für Urteile zu § 1300 BGB a. F. RGZ 52, 46. Ausdrücklich wird an anderer Stelle die Nächstenliebe als Maßstab für die Bewertung angelegt, ohne dass ein expliziter Verweis auf das Christentum vorgenommen wird (insbesondere RGZ 70, 385). Dies geschah in den Fällen: Unterstützung von Waisen und Witwen seiner Angestellten in RGZ 70, 15; 73, 46; Bereitstellung billiger Wohnungen für die Arbeiter in RGZ 75, 132; Schenkungen an bei der AG beschäftigte Arbeiter und Hinterbliebene in 78, 412; Sittliche Pflicht der Erben eines großen Nachlasses zur Schenkung an Wohltätigkeitsveranstaltungen in 70, 383. Die Diskussionen finden zumeist bei der Frage statt, ob eine Befreiung von der Schenkungssteuer nach § 56 Abs. 2 Reichserbschaftssteuergesetz auch für die Schenkung unter Lebenden gilt. An dieser Stelle sind nur wenige von vielen Beispielen genannt. s. auch RGZ 17, 246; 21, 279; 27, 100; 53, 171; 52, 46; 53, 315; 61, 267; 62, 273; 67, 393; 67, 393; 68, 229; 98, 13; 113, 38; 114, 338; 125, 380; 128, 292; 130, 1; 135, 385. 48 Dies stellt auch Rückert fest, BGB und seine Prinzipien, in: HKK-BGB, 2003, Vor § 1, Rn. 35. 49 Auch Gordley merkt an: „The Anglo-American, French, and German jurists, then, did not ground their legal doctrines on any definitive philosophical or political principles, liberal or otherwise. They wished to escape philosophical or political commitment. (…) The [German] jurists, however, found a sort of secular agnosticism.“, Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, 1991, S. 227. 50 Hedemann, Über die Kunst gute Gesetze zu machen, FS Otto Gierke 1911, S. 315.
III. Bedeutungswandel christlich geprägter Normen?241
5. Zwischenergebnis Christliche Werte haben also hauptsächlich über die Vehikel des kanonischen Rechts und des politischen Einflusses der Zentrumspartei als Verbote unchristlichen und Gebote christlichen Verhaltens Eingang in das BGB gefunden – wie Börner es voraussagte.51 Die zurückhaltende Benennung der Einflüsse bei gleichzeitiger Streubreite der Normen zur Umsetzung christlicher Werte zeigt aber auch, dass das Bekenntnis Börners auch in anderer Hinsicht paradigmatische Aussagekraft über die Bedeutung christlicher Werte in der Entstehung des BGB hatte. Das Recht wurde selbstverständlich als neutral von einer bestimmten religiösen Prägung verstanden,52 während die Aufstellung sich aber genauso selbstverständlich implizit zu den christlichen Werten bekannt hat. In dieser Art und Weise der Rezeption christlicher Werte zeigt sich, dass auch das BGB ein aus dem öffentlichen Recht bekanntes (siehe dazu B.I.2.) „freundschaftliches Kooperationsverhältnis“ mit den Werten des Christentums kannte.
III. Bedeutungswandel christlich geprägter Normen? Die Frage ist nun, ob eine Synthese der heutigen Entwicklungen christlich geprägter Normen zu einem anderen Ergebnis kommt. Ein Wandel in der Bedeutung christlicher Werte für das BGB, wie sie der Entstehungsgeschichte entnommen werden konnte, lässt sich anhand von zwei Kriterien überprüfen: 1. An der Veränderung des mit der Norm verfolgten Zweckes und des praktischen Anwendungsbereich der Normen sowie 2. an der Behandlung der Rechtsnatur der Norm in der Anwendung durch die Rechtswirklichkeit. 1. Veränderungen mit Rücksicht auf Zweck und Anwendungsbereich Die unter C. festgestellte historische Bedeutung christlicher Werte für das BGB aufgrund der Streubreite der untersuchten Normen (siehe dazu II.3.), der Rechtsnatur einiger der Normen (zwingendes Recht, siehe dazu 2.) und der Verschiedenheit der Werte, auf die rekurriert wurde, wird durch die praktische Bedeutung der betroffenen Normen relativiert. Gründe für die sinkende Bedeutung christlicher Wertungen für die Normen des BGB sind oftmals Zweckänderungen der Normen sowie das Schrumpfen des praktischen 51 s.
dazu die Einleitung A. daher auch den Kontext des Zitates in den Motiven: Die Gleichbehandlung der zivilrechtlichen Person unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis. Siehe dazu oben die Einleitung A. 52 s.
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D. Synthese: Behalten die Motive Recht?
Anwendungsbereichs der Norm. Daher wird ein Bedeutungswandel in der Arbeit dann angenommen, wenn eine Änderung der ursprünglich (christlich geprägten) Zwecksetzung der Norm sowie der schwindende Anwendungsbereich „christlicher Normen“ zusammenwirken. a) Bedeutungswandel durch Zweckänderungen So ist eine Bedeutungsänderung der Normen seit ihrer Entstehung anhand einer Änderung des mit ihnen verfolgten Zweckes durch Rechtsprechung und Literatur erkennbar. Die §§ 145, 193, 248, 656 BGB verfolgen heute nach vorherrschender Auffassung einen anderen Zweck, als ihnen ursprünglich zugedacht war.53 Die im Rahmen von § 145 BGB früher primär als Zweck genannte Angebotsbindung wird zwar teilweise auch heute noch erwähnt; die Rechtssicherheit erscheint aber als ablösendes Hauptargument für die Bindung an den Antrag ohne Annahme des Empfängers. Die Fristenregel des § 193 BGB soll inzwischen primär der Freizeitfreihaltung dienen und nicht länger der Sonntagsheiligung zur Ausübung religiöser Praktiken und Stärkung der Familie. Das Zinseszinsverbot des § 248 BGB erfüllt heute primär die Funktion einer Transparenzvorschrift und nur nach einer Mindermeinung den früher als vorrangig angesehenen Schutz des Schuldners vor Überschuldung. Der Ehemaklervertrag gemäß § 656 BGB wird nicht mehr mit der Unsittlichkeit als Naturalobligation begründet, sondern mit dem Schutz der Privatheit. Die §§ 138 Abs. 2, 226, 2072 BGB haben ihren Zweck dagegen beibehalten.54 Im Ergebnis lässt sich bei vielen der untersuchten Normen eine Überlagerung des Begründungshorizonts durch neue Ansätze feststellen. b) Bedeutungswandel durch schwindenden Anwendungsbereich Der bereits unter Beachtung der Zweckänderungen entstandene Eindruck eines Bedeutungswandels verstärkt sich, wenn der jeweilige tatsächliche Anwendungsbereich in die Betrachtung der Normen einbezogen wird. Die Änderung des Anwendungsbereiches geht entweder typischerweise mit der Zweckänderung einher oder sie wird durch Auslegung bewirkt. Während die §§ 138 Abs. 2, 193, 656, 657, 2072 BGB Anfang des 20. Jahrhunderts noch in einer breiten Vielfalt von Fällen Anwendung fanden und Umgehungskon53 Als heutige Zwecke werden die betroffenen Normen gesehen: die Verkehrssicherheit bei § 145 [s. dazu C.VI.4.d)], Freizeitschutz bei § 193 [siehe dazu C.IV.4.b)], Zinsklarheit bei § 248 [s. dazu C.II.4.b)cc) und Schutz der Privatheit bei § 656 BGB (C.V.5.c)]. 54 s. dazu C.I.6.b), C.II.4.b)aa) und C.III.5.
III. Bedeutungswandel christlich geprägter Normen?243
stellationen von Rechtsprechung und Literatur abgelehnt wurden, kommt den meisten von ihnen heute nur eingeschränkte Bedeutung zu. Anders steht es um die §§ 145, 226 und 248 BGB, die bereits nach Normerlass entweder keinen Anwendungsbereich hatten oder unter dem billigenden Auge der Rechtsprechung umgangen wurden.55 Während § 226 BGB schon bei seiner Entstehung einen verschwindend geringen Anwendungsbereich hatte, ist dies bei § 2072 BGB eine Veränderung. Denn dieser wurde seinerzeit eingeführt, weil ein praktisches Bedürfnis für eine Auslegungsregel bestand angesichts der zahlreichen testamentarischen Verfügungen zugunsten der Armen. Augenscheinlich ist dies heute nicht mehr der Fall. Aber auch bei den §§ 138 Abs. 2 und 248 BGB fehlt es an Anwendungsfällen, weil die Normen in der Rechtsprechung so restriktiv ausgelegt werden, dass nur in seltenen Fällen ein Verstoß angenommen wird.56 Dies gilt auch für die Anwendung des § 826 BGB auf Rechtsmissbrauchsfälle. In der Literatur wird dafür plädiert, die Annahme einer Schadensersatzpflicht für Rechtsmissbrauch nach § 826 BGB auf Extremfälle zu begrenzen.57 Freilich hat der Rechtsmissbrauchsgedanke dafür über § 242 BGB weiterhin eine andauernde und erhebliche Grundbedeutung im BGB.58 In der Anwendung des § 145 BGB gewährt die Rechtsprechung großzügig Widerrufsmöglichkeiten für den Antragenden, sodass die Bindungswirkung insbesondere im Handelsverkehr häufig ins Leere läuft.59 Lediglich den §§ 193, 657 BGB verbleibt ein nennenswerter Anwendungsbereich. Setzt man diese Entwicklungen zu den Zweckänderungen unter a) in Relation, so fällt ins Auge, dass den Normen, die ihren christlich geprägten Zweck beibehalten haben, heute eine praktische Bedeutungslosigkeit attestiert wird.60 Dagegen hat mit § 193 BGB just die Norm noch einen Anwendungsbereich, die nach vorherrschender Auffassung eine Zweckänderung erfahren hat und gewissermaßen entchristianisiert worden ist. 2. „Rechtsleben“ der Normen im Vergleich zu ihrer Rechtsnatur Nachdem die Art und Weise, auf die das Recht christliche Werte im BGB rezipiert, bereits aufgezeigt wurde – namentlich als Verbot, Gebot oder Ausle55 s.
dazu oben die Untersuchung unter C.II.4.b)cc) und C.VI.4.d). ist im Übrigen auch eine Veränderung für § 248 BGB, bei dem für den Fall von Umgehungsgeschäften immerhin größtenteils ein Verstoß angenommen wurde. Siehe dazu C.II.4.a)bb). 57 s. dazu oben C.I.6.b)bb). 58 Zu dem christlichen Einfluss auf § 242 BGB s. oben C.I.6.b)aa) und C.VII. 59 s. dazu oben C.VI.4.d). 60 §§ 138 Abs. 2, 226, 2072 BGB, gewissermaßen auch §§ 193, 248 BGB. 56 Dies
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D. Synthese: Behalten die Motive Recht?
gungsregel – soll im Folgenden analysiert worden, inwiefern die Rechtsnatur der jeweiligen Normen (ius cogens und dispositives Recht) im Rechtsverkehr beachtet wird („Rechtsleben“). Dies ist insofern relevant für die Frage, welche Bedeutung christliche Werte für das BGB haben, als die zwingende Norm eine deutlich stärkere Wertdurchsetzung im Bürgerlichen Recht darstellt als die dispositive Norm. Letztere ermöglicht dem jeweiligen Rechtsanwender, nach seiner Überzeugung von dem vorgegebenen Regelfall der Rechtsprechung abzuweichen. Die Untersuchungen dieser Arbeit haben ergeben, dass einige der Normen, welche nach ihrer Rechtsnatur zwingendes Recht darstellen, im Rechtsleben unter billigender Aufsicht der Rechtsprechung durch Umgehungsregelungen wie dispositive Normen behandelt werden.61 So verstößt beispielsweise eine Zinseszinsvereinbarung wegen der Transparenzfunktion der Vorschrift nicht gegen § 248 BGB, wenn sie summenmäßig bestimmt ist, bevor das Darlehen ausgezahlt wird.62 Wer also Zinseszinsen erheben will, kann dies durch Vertragsgestaltung tun. Diese Umgehung macht die Zweckänderung der Norm von einer Schutzvorschrift zu einer Transparenzvorschrift möglich, sie wird von der Rechtsprechung gebilligt.63 Im Rechtsleben wird die Norm trotz ihres zwingenden Charakters daher in den meisten Fällen faktisch abbedungen. Ein weiteres Beispiel für das Auseinanderdriften von Rechtsnatur und Rechtsleben ist § 656 BGB. Danach begründet die Vereinbarung eines Lohns für den Ehemakler keine Rechtspflicht. Die Vorschrift kann zwar nicht privatautonom abbedungen werden, da es sich um zwingendes Recht handelt.64 Sie wird in der Praxis aber auf eine Art und Weise umgangen, dass sie praktisch in der Tat abbedungen wird und nicht mehr zur Anwendung gelangt, was die Rechtsprechung ebenfalls billigt.65 Wie eine strikte Befolgung des zwingenden Charakters der Norm aussehen müsste, zeigt die Anwendung des § 657 BGB. Dort wird angenommen, dass der Zusatz „unter Ausschluss des Rechtsweges“ bei einer allgemeinen Auslobung nicht dazu führt, dass der sodann entstehende Anspruch auf Auszahlung der Auslobung unklagbar wird.66 Denn dies würde letztlich die Verbindlich61 §§ 248,
656 BGB. in: BeckOK-BGB, 38. Edition, § 248, Rn. 4. 63 s. dazu die unter C.II.4.b)dd) dargestellte Vereinbarung eines Disagios, die vom BGH gebilligt wird. 64 Vgl. Roth, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 656, Rn. 15. 65 Durch vertragliche Vereinbarung einer Zahlung im Voraus, die Vereinbarung eines „finanzierten Ehemaklervertrages“ und die Vereinbarung der Abtretung von Gehaltsansprüchen an Zahlung statt. Vgl. Roth, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 656, Rn. 16; Schwerdtner/Hamm, Maklerrecht, 2008, Rn. 1041. 66 Seiler, in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2012, § 657, Rn. 23. 62 Groten,
IV. Anerkennung und Akzeptanz der untersuchten christlichen Werte 245
keit des Auslobungsversprechens über die Hintertür des Ausschlusses der Klagbarkeit entwerten. Hier wird die Grenze der Privatautonomie an dem zwingenden Inhalt der Norm gezogen: Das Auslobungsversprechen bleibt verbindlich. Damit verbleiben vier Normen, die im Rechtsleben grundsätzlich wie zwingendes Recht behandelt werden: §§ 138 Abs. 2, 226, 657, 826 BGB. Wie unter 1.b) aufgezeigt, weisen diese Normen, mit Ausnahme von § 657 BGB, wegen restriktiver Auslegung der Rechtsprechung allerdings einen schwindend geringen Anwendungsbereich aus. Dies kann zwar nicht als Rechtsumgehung bezeichnet werden, spricht jedoch dafür, dass die Normen trotz ihrer Natur als zwingendes Recht nicht stark in das Gewicht fallen für die Frage der Bedeutung christlicher Werte für das heutige BGB. 3. Zwischenergebnis: Bedeutungswandel Auch der Vergleich der Rechtsnatur mit dem jeweiligen Rechtsleben in heutiger Zeit unterstützt mithin den Eindruck eines Bedeutungswandels christlich geprägter Normen seit ihrer Entstehung. (1.) Einige der Normen haben eine Zweckänderung durchlaufen, die gleichzeitig zu ihrer „Entchristianisierung“ geführt hat. Die Normen, die ihren Zweck beibehalten haben, weisen dafür einen verschwindend geringen Anwendungsbereich auf. (2.) So ist sind die untersuchten Normen teils zwingendes, teils dispositives Recht. In ihrer Anwendung tendieren die Normen aber entweder zu einer faktischen Dispositivität67 oder zu einer derart restriktiven Anwendung, dass sich ein Verstoß gegen das jeweilige Verbot ebenfalls vermeiden lässt.68 Im Ergebnis manifestiert sich dieser Bedeutungswandel daher anhand beider Kriterien.
IV. Anerkennung und Akzeptanz der untersuchten christlichen Werte Anhand der unter III. dargestellten Entwicklung lassen sich folgende Beobachtungen festhalten: Umgehungsgestaltungen und Vermeidungsstrategien werden dann gewählt, wenn die Normwertung in der Praxis einen Akzeptanzverlust erleidet. Judikatur wie Literatur billigen die Umgehungsgestaltungen und bestimmen Zweck wie Anwendungsbereich der Norm neu. Damit 67 §§ 248, 68 So
656 BGB. die §§ 138 Abs. 2, 226, 826 BGB.
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D. Synthese: Behalten die Motive Recht?
reagieren sie auf Veränderungen in der gesellschaftlichen Akzeptanz.69 Anhand der jeweiligen Veränderungen lässt sich daher nachvollziehen, welche der christlichen Werte auch heute noch geschätzt werden. Diese Zusammenhänge vorausgesetzt, ist eine Abnahme der gesellschaftlichen Akzeptanz einiger christlicher Werte feststellbar. Andere Werte scheinen dagegen Anerkennung gewonnen zu haben. Diesen Rückschluss lässt ein Vergleich der Anwendung der Normen zu ihrer Entstehung im Vergleich zu ihrer heutigen Anwendung zu. 1. Bedeutungsschwund einiger Werte in Gesamtanschauung Auf diese Weise lässt sich unter den untersuchten Werten ein Bedeutungsverlust der Werte der Heiligkeit der Ehe und der Sonntagsheiligung feststellen. Auch die Versprechenstreue ist im Rechtsverkehr als Wert in den Hintergrund getreten, soweit man das mit Blick auf die Anwendung der einseiten Versprechen und die Einführung von Verbraucherschutzvorschriften sagen kann. Während der Ehemaklervertrag seinerzeit noch wegen seiner „Unsittlichkeit“ zu einer Naturalobligation „degradiert“ wurde, wird der Klageweg für Maklerlohnforderungen für die Ehevermittlung heute allein deswegen verwehrt, weil die Privatheit des Auftraggebers vor einem Prozess geschützt werden soll. Zudem wird die Regelung durch Privatabreden umgangen, sodass sie in ihrem Rechtsleben nahezu zur Disposition steht, weil die Rechtsprechung dies ausdrücklich duldet. Dies zeigt, dass die Ehevermittlung schlichtweg nicht mehr für unsittlich gehalten wird. Es gilt ungeachtet dessen, dass die Ehe außerdem nicht mehr als ihrer Natur nach so „heilig“ erachtet wird, wie dies bei Normerlass gesellschaftlich der Fall war. Ein weiteres Beispiel ist § 193 BGB. Die Heiligung des Sonntages als Zweck der Norm hat zugunsten derjenigen der gemeinsamen Freizeit für Familien und Gemeinschaften an Bedeutung verloren. Demgegenüber zeigt die Einbeziehung des Samstages, dass der Wert der Freizeit an Bedeutung für den Rechtsverkehr sogar zugenommen hat. Für einen Anerkennungsverlust des Wertes der Versprechenstreue im gesetzlichen Bereich spricht die Tatsache, dass in der Rechtswissenschaft der ethische Aspekt der Vertrags- und Versprechenstreue, so beispielsweise bei § 145 BGB und § 657 BGB, weniger Anerkennung findet, als dies bei Ent69 Diese Zusammenhänge sieht auch Baldus: „Erscheint die Norm aber nicht interessengerecht, dann wird man von der Vertragsgestaltung bis zum Vortrag im Prozess alles tun, um ihr zu entgehen. Darauf wiederum reagiert die Praxis. Indem die Judikatur so auslegt, dass die Norm Vermeidungen und Umgehungen möglichst entzogen wird, fungiert sie als Indikator für die Akzeptanz seitens des Normadressaten.“, Gut meinen, gut verstehen?, 2013, S. 16.
IV. Anerkennung und Akzeptanz der untersuchten christlichen Werte 247
stehung des BGB der Fall war.70 Gegen einen Anerkennungsverlust spricht zwar, dass der Grundsatz pacta sunt servanda und die Formfreiheit des bindenden Vertrags bis heute zu den Maximen des BGB zählen.71 Diese Anerkennung wird aber dadurch relativiert, dass die wachsende Anzahl von verbraucherschützenden Regelungen den Grundsatz der Wortbindung zunehmend einschränkt.72 2. Bedeutungszuwachs des Schutzes des Schwächeren Anders sieht es nach der Untersuchung dieser Arbeit für den Wert der Nächstenliebe in ihren zwei Ausprägungen aus. Insbesondere der Schutz des Schwächeren verzeichnet einen Bedeutungszuwachs. Das Schikaneverbot weist zwar heute denselben eingeschränkten Anwendungsbereich auf wie bei seiner Einführung. Der dem Schikaneverbot zugrundeliegende Gedanke, dass ein schädigendes Verhalten auch dann missbilligt sein kann, wenn es auf Basis eines bestehenden Rechtes erfolgt, bleibt aber weitläufig geachtet. Er wird bis heute über die §§ 138, 242, 826 BGB anerkannt. Der so verstandene zugrundeliegende Gedanke der Nächstenliebe bleibt mithin Teil des BGB. Auch den Werken der Liebestätigkeit wird bis heute durch das Bürgerliche Recht zu ihrem Erfolg verholfen. Zwar dürfte ein Fall des § 2072 BGB selten geworden sein. Dafür wird § 2072 BGB heute analog auf vergleichbare Fälle karitativer Verfügungen angewandt und erhält so einen größeren Anwendungsbereich. Das deutet darauf hin, dass die Werke der Liebestätigkeit als Ausprägung der Nächstenliebe gesellschaftlich anerkannt und gewollt bleiben. Der Schutz des Schwächeren fällt darüber hinaus besonders ins Gewicht. So wurde der Anwendungsbereich des Wucherverbotes durch das Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität erweitert. Außerdem wird dem Schutzgedanken des Wucherverbotes über § 138 Abs. 1 BGB auch in wucherähnlichen Verhältnissen Rechnung getragen. Zwar verzeichnet das Zinseszinsverbot einen gegenläufigen Trend, insoweit es nicht mehr vor Überschuldung schützen soll. Es sprechen aber weitere Trends für eine wachsende Bedeutung des Schutzes des Schwächeren. Das wären zum einen die ausgeprägten Regelungen zum Schutz vor Diskriminierung, die sich in dem Allge70 s.
dazu oben C.VI.3. und 4. dazu oben C.VI.2.c). 72 Im Gegensatz zu den Werten Heiligkeit der Ehe und Heiligung des Sonntags läßt sich aus dieser Entwicklung freilich noch nicht ablesen, ob die Menschen in Deutschland heute weniger bereit sind als früher, sich an einmal gegebene Versprechen zu halten – was in dieser allgemeinen Fragestellung auch nicht Gegenstand dieser Arbeit ist. 71 s.
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D. Synthese: Behalten die Motive Recht?
meinen Gleichbehandlungsgesetz73 befinden und der Vertragsfreiheit Grenzen setzen. Weitere Einschränkungen zum Schutz des Schwächeren mit einschneidender Bedeutung im Rechtsleben bringt das gesamte Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und das Widerrufsrecht mit sich. In beiden Fällen wird die besondere Bedeutung des Schutzes des Schwächeren gegenüber der abnehmenden Bedeutung der Versprechensbindung deutlich. Mithin ist faktisch ein Bedeutungszuwachs des Wertes der Barmherzigkeit als Teil der Nächstenliebe festzustellen. 3. Zwischenergebnis Folglich haben die Werte der Ehe, der Sonntagsheiligung und der Versprechenstreue einen Bedeutungsverlust für das Rechtsgeschäftsleben zu verzeichnen. Dagegen scheint die Nächstenliebe in ihren beiden Ausprägungen, besonders aber die Barmherzigkeit in Form des Schutzes des Schwächeren an Bedeutung gewonnen zu haben. Die Entwicklungen zeigen, dass die gesellschaftliche Anerkennung der Mehrheit der christlichen Werte nicht mehr in derselben Weise gegeben ist wie dies zu Zeiten der Entstehung des BGB der Fall war.
V. Ergebnis: Freundschaftliches Kooperationsverhältnis auch im BGB Die Untersuchung verschiedener Normen des BGB hat ergeben, dass der Gesetzgeber in der Tat seinem Bekenntnis in den Motiven Taten hat folgen lässt. Das freundschaftliche Kooperationsverhältnis von Staat und Kirche spiegelt sich auch in den Normen des BGB wieder.74 So wie es schon in den Motiven anklang, lag einigen Normen des BGB eine Selbstverständlich73 Das AGG ist Teil des deutschen Antidiskriminierungsgesetzes. Normativer Kern des AGG ist das Verbot der Benachteiligung wegen bestimmter, personenbezogener Merkmale. Zu diesen Merkmalen zählen Rasse und ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung, (Lebens-)Alter und sexuelle Identität beziehungsweise Ausrichtung, siehe § 2 AGG. Gemäß § 7 Abs. 2 AGG sind Bestimmungen, die eine Person aufgrund eines unter § 2 genannten Grundes benachteiligen, unwirksam. Vereinbarungen, die gegen § 1 AGG verstoßen, sind gemäß § 134 BGB nichtig. Zwischen Arbeitgeber und -nehmer ebenso wie unter Beschäftigen gilt eine derartige Benachteiligung zudem als Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrags mit dem Arbeitgeber. (Abs. 3). Siehe dazu Schlachter, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Aufl. 2016, Nr. 40 AGG, § 7, Rn. 6, 9. 74 Auch Nipperdey stellt fest: „In diesem Werk spiegeln sich der Geist wie die Spannungen der Rechtskultur der Zeit.“ Nipperdey, Deutsche Geschichte II, 1992, S. 193; vgl. Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des BGB, NJW 1996, S. 1705.
V. Ergebnis: Freundschaftliches Kooperationsverhältnis auch im BGB 249
keit zugrunde. Zwar arbeitet der Gesetzgeber nicht mit ausdrücklichen Verweisen auf das Christentum. Es wurde aber als selbstverständlich erachtet, dass christlichen Glaubenswahrheiten eine besondere Bedeutung für den Ausbau der Rechtsordnung des Bürgerlichen Rechts zukam. Vor diesem Hintergrund sind die zentralen Thesen dieser Arbeit: (1.) Christliche Werte haben als wesentliche Faktoren zu der Normentstehung einer nicht unerheblichen Anzahl von Gesetzesnormen beigetragen. Dies geschah zumeist über die beiden Hauptvehikel des kanonischen Rechts und des politischen Einsatzes der Zentrumspartei. (I.) (2.) Christliche Werte haben als Verbote unchristlichen und Gebote christlichen Verhaltens Einfluss auf Normen genommen. Die Streubreite der Normen auf verschiedene Rechtsgebiete des BGB, insbesondere aber Normen des Allgemeinen Teils, spricht für eine starke christliche Prägung des historischen BGB. Die Normen zwingenden Rechts stellten dabei die stärkste Form der Wertdurchsetzung dar. (II.1., 2. und 3.) (3.) Der Wertungsimport wurde dabei nicht offen gelegt. Vielmehr zogen die Kommissionsmitglieder „neutrale“ Verweise auf die Sittlichkeit und Ethik vor, um Entscheidungen zu begründen. Auch dies spiegelte Börners Bekenntnis wieder. (II.4.) (4.) Die christlich geprägten Normen büßen in ihrer heutigen Anwendung an Bedeutung ein. Dies lässt sich anhand der Faktoren der Zweckbestimmung der Normen und deren praktischer Anwendung feststellen. (III.)
E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB? Nachdem erforscht wurde, dass einige Normen bis heute auf christliche Werte zurückzuführen sind, ist fraglich, welche Wege sich zukünftig dafür anbieten, außerrechtliche Wertungen wie christliche Werte in das Bürgerliche Recht einzubinden. Der Gesetzgeber wandelt heute hierbei auf dem schmalen Grat, außerrechtlichen Wertungen einerseits ausreichend Raum zu geben und andererseits so neutral zu bleiben, wie es in Zeiten einer pluralisierten und religionsentkleideten Gesellschaft erforderlich ist (s. hierzu I.). Die sich bereits jetzt abzeichnenden Möglichkeiten zur Einbeziehung sollen mit Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand am Beispiel der Einbeziehung christlicher Werte vorgestellt und analysiert werden. Die hierzu gewählten Methoden eignen sich selbstverständlich auch für die Einbeziehung anderer außerrechtlicher Wertungen. Hierzu soll nach einer Skizze der gesellschaftlichen Entwicklung (I.) zunächst die Einbeziehung christlicher Werte über dispositives Recht dargestellt werden (II.). Anschließend wird die Alternative der Privatautonomie vorgestellt (III.). Hierzu wird auf einige christliche Vereinigungen hingewiesen (1.), die für die Einbindung christlicher Werte von ihrer Privatautonomie Gebrauch machen (2.–5.). Die Untersuchungen werden unter IV.) zu dem Ergebnis kommen, dass die Zukunft christlicher Werte rechtlicher Hinsicht in privatautonomen Vereinbarungen liegen wird.
I. Gesellschaftliche Entwicklung: Pluralisierung und Rückbesinnungswunsch Wie bereits angedeutet hat sich die Gesellschaft seit Anfang des 20. Jahrhunderts erheblich verändert.1 Der im Abschnitt D.III. festgestellte rechtliche Bedeutungswandel korreliert folglich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen. An die Stelle einer wertbezogenen weitestgehend homogenen Gesellschaft christlicher Prägung noch in der ersten Hälfte des 20. Jahr 1 Augsberg fasst die Veränderungen in den Begriffen „Pluralisierung und Säkularisierung“ zusammen, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 3.
I. Gesellschaftliche Entwicklung: Pluralisierung und Rückbesinnungswunsch 251
hunderts2 ist im Zuge der Pluralisierung eine heterogene Gesellschaft ver schiedener Grundüberzeugungen getreten.3 Inzwischen liegt der Anteil der Menschen, die keiner der christlichen Kirchen angehören, bei einem Drittel der Bevölkerung.4 Unruh spricht von einer „Säkularisierung und Individualisierung der Gesellschaft, die ihr Wertesystem nicht mehr primär auf ein religiöses Fundament stellt“.5 Seit den 1960er Jahren sei ein „konstanter Rückgang des aktiven religiösen Lebens in Deutschland“ feststellbar.6 Jeand’ Heur / Korioth stellen eine „religiöse Indifferenz und Kirchenferne“ fest.7 Es sei kein werttheoretischer Grundkonsens der Gesellschaft mehr feststellbar.8 Gleichzeitig dokumentieren Veröffentlichungen in den Medien ein steigendes Bedürfnis nach einer Rückbesinnung auf religiöse Wertesysteme wie das christliche auf der einen und neue Wertordnungen, wie ökologische Lebensentwürfe, auf der anderen Seite.9 Dies korreliert mit einer Pluralisierung der Gesellschaft.10 Aufgrund der Migrationsbewegung seit den 1960er Jahren hat sich mit dem Islam eine weitere Glaubensgemeinschaft in Deutschland etabliert.11 Mit der Flüchtlingsbewegung unter anderem aus Syrien und dem Irak
2 Honsell, in: Staudinger, Einl. zum BGB, Berlin, 2013, Rn. 13; Wolf, in: Soergel, Einl. zum BGB, Rn. 22. 3 Vgl. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 5; Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 52 ff. Rn. 47, 52; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 43 Rn. 48. 4 Jeweils 30 Prozent gehören einer der beiden großen Kirchen an, ein Drittel der Bevölkerung ist konfessionslos. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 4. 5 Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2015, S. 43 Rn. 48; vgl. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 3; Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 52 ff. Rn. 47, 52. 6 Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 4. 7 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 55 Rn. 52. 8 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 54 Rn. 49. 9 Die bereits oben genannten Beispiele: Was ist heute christlich?, Titelthema der ZEIT, Artikel v. 27.10.2016, Nr. 40, S. 51 ff.; Heine, Was die AFD wirklich unter Kultur versteht, Welt, Artikel v. 9.6.2016; Hermann, Es braucht mehr Religion um Extremismus zu bekämpfen, FAZ Artikel v. 22.7.2016; Lohse/Wehner, Auf der Suche nach dem Abendland, FAZ, Artikel v. 30.5.2016. Korioth spricht von einer „Rückkehr des Religiösen“, Generalbericht, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 136. 10 Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 5. 11 Dabei ist diese Zuordnung noch zu pauschal, da sie die vielfältigen verschiedenen Richtungen des Islam umfasst. Man geht von ca. 5 Prozent der deutschen Be-
252
E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB?
erhöhte sich die Zahl der Muslime in Deutschland noch einmal erheblich.12 Im Gegensatz zu den christlichen Bevölkerungsgruppen scheint sich die religiöse Identität der moslemischen Einwohner in den letzten Jahren außerdem vertieft zu haben.13 Hiervon zeugen in der Praxis die Anwendung eigenen religiösen Rechts wie der Scharia und eigener Gerichte wie der Scharia-Gerichte, mit deren Anerkennung und Einbindung sich der Staat auseinander zu setzen hat und haben wird.14 Mit einer Entkirchlichung der Gesellschaft einerseits und der Verstärkung andere religiöser Glaubensgemeinschaften15 geht die Pluralisierung von Wertevorstellungen einher, die für das rechtliche Miteinander relevant sind. Diesen Entwicklungen wird das Bürgerliche Recht auf zwei Weisen (II. und III.) gerecht, welche im Folgenden näher beschrieben werden sollen.
II. Dispositives Recht So hat eine Untersuchung der Rechtsnatur der Normen des BGB unter D.III.2. eine Divergenz zwischen ihrer Rechtsnatur und ihrem Rechtsleben in der Anwendung offen gelegt. Diese Divergenz äußert sich darin, dass die Mehrheit der christlich geprägten Normen wie dispositive Normen behandelt werden. Zwingende Normen werden entweder durch Billigung von Umgehungsgestaltungen faktisch zur Disposition gestellt16 oder derart restriktiv ausgelegt,17 dass der Rechtsanwender sein Verhalten so ausrichten kann, dass es nicht in den Anwendungsbereich der Norm fällt.18 Die faktische Dispositivität dieser Normen scheint der Kompromiss zwischen dem gesetzgeberischen Interesse an der Aufrechterhaltung des jeweils hinter der Norm völkerung aus. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 6. 12 Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 6. 13 Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 6. 14 Kischel, Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, Vorwort. 15 Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 7 f. 16 §§ 248, 656 BGB. 17 §§ 138 Abs. 2, 226, 826 BGB. 18 Einschränkend ist zu den §§ 138 Abs. 2, 226, 826 BGB anzumerken, dass deren Rechtsgedanke über andere Normen weiterhin eine große Bedeutung für das BGB hat. (Der Schutz vor Wucher über §§ 138 Abs. 1 und 134 BGB. Der Rechtsmissbrauchsgedanke über § 242 BGB.) Die erhaltene Bedeutung gerade dieser Rechtsgedanken über andere Normen entspricht jedoch auch dem Bedeutungszuwachs, den die Ausprägungen der Nächstenliebe – insbesondere der Schutz des Schwächeren – gewonnen haben.
II. Dispositives Recht253
liegenden Wertes und der gleichzeitig fehlenden Akzeptanz besagter Wertungen in der Bevölkerung zu sein.19 Folglich bietet sich die dispositive Norm, also eine Norm, die Ausnahmen zulässt, als Alternative zu zwingendem Recht an.20 Obwohl die dispositive Norm privatautonom abbedungen werden kann, ist dispositives Recht immer „objektives, für alle geltendes Recht“.21 Dispositive Normen sind daher nicht mit privatautonom gesetztem Recht gleichzusetzen, sie erfüllen eine „Ordnungsfunktion“.22 Sie kommen in Zweifels-23 und Unwirksamkeitsfällen24 zur Anwendung und stellen für den Fall, dass keine abweichende Regelung getroffen wurde, Regeln auf.25 Ein typisches Beispiel für dispositive Normen sind Auslegungsregeln wie § 193 BGB und 2072 BGB.26 Die dispositive Norm gibt dem Gesetzgeber mithin die Möglichkeit, seine Vorstellung von einer sachgerechten Lösung für das Rechtsverhältnis mitzuteilen und gleichzeitig die Privatautonomie des einzelnen nicht zu stark einzuschränken.27 Da dispositive Normen in einer Vielzahl von Fällen zur Anwendung kommen, sind sie nicht unbedeutend für das Rechtsleben.28 Angesichts der unter I. skizzierten gesellschaftlichen Entwicklung liegt folglich die Zukunft von Normen zur Durchsetzung außerrechtlicher religiöser Wertungen in dispositiven Normen – und nicht mehr im zwingenden Recht. Auf diese Weise wird auch das Bürgerliche Recht der Pluralisierung der Gesellschaft im Sinne einer positiven Neutralität gerecht.
19 Siehe
zu dieser Entwicklung auch D.IV. deutet auch Augsberg im Kontext öffentlichen Rechts hin, wenn er auf Ausnahmemöglichkeiten in Gesetzen hinweist als Lücken für religiöses Recht, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 3. 21 Larenz/Wolf, AT, 2004, § 3, Rn. 101. 22 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 301; s. auch Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, 2012, Rn. 50. 23 Über Auslegungsregeln Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 300. Zudem geht die dispositive Norm der ergänzenden Vertragsauslegung über § 157 BGB vor. s. Busche, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 157, Rn. 45; Wendtland, in: BeckOK-BGB, 39. Edition, § 157, Rn. 38. 24 Beispielsweise über § 306 Abs. 2 BGB. 25 Deswegen spricht Larenz/Wolf von einer nicht geringen Bedeutung dispositiver Normen, AT, 2004, § 3, Rn. 109. s. auch Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 301; Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, 2012, Rn. 50. 26 Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 300. 27 Vgl. Larenz/Wolf, AT, 2004, § 3, Rn. 101; Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, 2012, Rn. 49. 28 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 301; s. auch Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, 2012, Rn. 50. 20 Darauf
254
E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB?
III. Privatautonome Vereinbarungen Ergänzend zu den gesetzlichen Regelungen verzeichnet die Praxis aber auch zunehmend private Initiativen zur Einbindung von – nicht zuletzt oftmals religiös geprägten – Werteordnungen.29 Diese privatautonomen Absprachen existieren in den Grenzen der Verfassung parallel oder ergänzend zu gesetzlichen Vorschriften.30 Die Möglichkeiten zur Einbindung religiöser wie auch anderer außerrechtlicher Werte über privatautonome Vereinbarungen sollen im Folgenden am Beispiel der Initiativen zur Einbindung von christlichen Werten vorgestellt werden. Es wird keine Darstellung autonomer Regelordnungen wie des kanonische Rechts oder der Scharia erfolgen. Die Darstellung wird sich auf die Möglichkeiten der Einbindung außerrechtlicher Werte beschränken, die zur Einbindung christlicher Werte in den Geschäftsverkehr verwendet werden. Dies findet, soweit ersichtlich, hauptsächlich durch Anschluss an Vereinigungen statt. Auch außerhalb von Vereinigungen gibt es selbstverständlich die hier nicht untersuchte Möglichkeit, Verträge unter Bezug auf religiöses Recht und dessen Werte zu vereinbaren.31 Die bereits angesprochenen christlichen Vereinigungen werden im Folgenden zunächst vorgestellt (1.). Die Mitglieder binden sich in diesen Vereinigungen kraft ihrer Privatautonomie an christliche Werte (2.). Sie wählen dabei verschiedene Arten der Bindung (3.): Narrative Vereinbarungen oder die Vereinbarung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Welche Bindungsform im Einzelnen vorliegt, ist durch eine Auslegung der Vereinigungsgrundsätze zu ermitteln. Um die Ausgestaltung beider Bindungsformen in der Praxis zu veranschaulichen, werden unter 4. jede der Bindungsformen anhand eines Beispiels aus der Praxis erläutert. Zuletzt sollen die Vorzüge und Nachteile beider Bindungsformen diskutiert werden (5.). 29 Das gilt auch für den Islam. Dort werden Bankgeschäfte durch bestimmte Vertragsgestaltungen Scharia konform betrieben, indem Bankinstitute unter „Islamic Banking“ privatautonom entsprechende Verträge für ihre Kunden vereinbaren. Siehe dazu ausführlich Simader, Westliche Finanzkrise, 2013, S. 112 ff.; Vogel/Hayes, Islamic Law and Finance, 1998, S. 138 ff. Im Alltag werden Verträge außerdem unter den „Scharia-Vorbehalt“ gestellt, sodass sie keine Wirksamkeit entfalten, wenn sie gegen das islamische Recht mit dessen Wertevorstellungen verstoßen. Simader, Westliche Finanzkrise, 2013, S. 94. Regeln der Scharia erlangen aber hauptsächlich Bedeutung über Sachverhalte mit Auslandsbezug zu Ländern, in denen die Scharia Anwendung findet, sodass sie über das Internationale Privatrecht in Deutschland relevant werden. s. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 21 ff. 30 Ein Beispiel für eine solche Parallelexistenz neben den nachfolgend genannten Beispielen sind religiöse Eheschließungen. Vgl. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 21 f. 31 Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 22.
III. Privatautonome Vereinbarungen255
1. Christliche Vereinigungen Die christlichen Initiativen zielen darauf ab, Wertevorstellungen im unternehmerischen Bereich ergänzend zu gesetzlichen Regelungen Ausdruck und Bindungswirkung zu verleihen.32 Hierzu schließen sich Unternehmer Vereinigungen an, die Leitlinien nach christlichen Maßstäben festlegen. Als Beispiele für solche Vereinigungen seien die Christliche Kooperationsbörse (CKB),33 der Bund Katholischer Rechtsanwälte (BKR)34 und der Bund Katholischer Juristen (BKJ), Christen in der Wirtschaft (CiW)35, der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer (AEU)36 und der Bund katholischer Unternehmer (BKU)37 genannt.38 In sämtlichen dieser Vereinigungen setzen sich Unternehmer und Juristen das Ziel, Geschäftsbeziehungen auf Basis christlicher Werte zu initiieren und die Umsetzung christlicher Werte im Beruf zu fördern. 2. Vereinigungen als Ausdruck der Privatautonomie Die als Beispiel für diese Untersuchung gewählten Initiativen zur Einbindung christlicher Werte in das Bürgerliche Recht sind Ausdruck der Privatautonomie. Das Bürgerliche Recht ermöglicht Vereinbarungen durch das Prinzip der Privatautonomie.39 Die Akteure der Initiativen können selbstbestimmt Rechtsverhältnisse nach eigenem Willen gestalten.40 Aufgrund der 32 Ein Überblick über diese Initiativen bei http://www.christliche-wirtschaftskon ferenz.de/netzwerke.htm. 33 „Hier können Sie Geschäftsbeziehungen auf Basis von christlichen Werten mit anderen wertorientierten Geschäftspartnern eingehen.“, https://www.christlichekooperationsboerse.de/index.php. 34 „Die Mitglieder des BKR wollen indes mehr sein als gut ausgebildete Juristen. Sie wollen ihrer Verantwortung gegenüber den Mandanten dadurch gerecht werden, indem sie ihren Glauben auch im Berufsalltag zum Maßstab ihres Handelns machen. (…) Die Mitglieder haben sich einem verbindlichen Ethik-Kodex unterworfen.“, http://www.bkr-netzwerk.de/. 35 http://www.ciw.de/ciw/. 36 http://www.aeu-online.de/selbstverstaendnis/ziele-aufgaben-und-positionen.html. 37 http://bku.de/index.php?ka=6&ska=130. 38 Initiativen mit gleichen Wertvorstellungen ohne christlichen Bezug sind bei dem Verband Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI/ https://www.vbki.de/leit saetze) und der Versammlung des Ehrbaren Kaufmanns in Hamburg (VEEK/ www. veek-hamburg.de/) erkennbar. 39 Vgl. Augsberg, Landesbericht Deutschland, in: Kischel (Hrsg.), Religiöses Recht und religiöse Gerichte, 2016, S. 22; Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 87 f. 40 Vgl. Weller, Vertragstreue, 2009, S. 154.
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E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB?
Privatautonomie kann der Einzelne „Selbstgesetzgebung im weiteren, soziologischen Sinne“ betreiben.41 Die Mitglieder der Vereinigungen schließen eine Vereinbarung mit der Vereinigung ab, über welche die Einhaltung bestimmter ethischer Vorgaben durch Selbstgesetzgebung erklärt wird.42 Das Mitglied unterwirft sich rechtlichen Bindungen,43 indem es den Bedingungen seiner Mitgliedschaft zustimmt.44 Innerhalb der Grenzen des geltenden Rechts kann der Inhalt von Rechtsgeschäften wie die Vereinbarung über die Mitgliedschaft in den Vereinigungen frei bestimmt werden.45 Das staatliche Rechtsanerkennungsmonopol wird hierdurch erst dann in Frage gestellt, wenn es sich bei den anerkannten Regelungen nicht mehr um autonome,46 sondern um heteronome Rechtsetzung handelt, das heißt Rechtsetzung mit Wirkung für Dritte.47 Bei den hier vorgestellten Initiativen handelt es sich dagegen um autonome Rechtsetzung: Sie beruht auf der Freiwilligkeit der privatautonom abgeschlossenen Mitgliedschaft48 oder auf den mit den Mitgliedern abgeschlossenen Rechtsgeschäften unter Einbeziehung der geltenden Regeln nach vorheriger Anerkennung.49 Diese Geschäfte gelten nur inter partes, haben mithin keine unmittelbare Auswirkung auf Drittverträge – jedenfalls keine, die über die persönliche Verpflichtung des jeweiligen Mitgliedes hinausgehen.50 Die Privatautonomie ermöglicht Vereinigungen mithin das Recht, ihre Mitglieder über Kodizes rechtsgeschäftlich zu verpflichten und auf diese Weise außerrechtlichen Werten auch rechtliche Bedeutung zu verleihen.
41 Weller, Vertragstreue, 2009, S. 154; s. auch v. Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 136. 42 Vgl. zu dieser Gestaltung Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 279. 43 Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 88; Vgl. Enneccerus/ Nipperdey, AT, Band I, 1959, S. 299. 44 Zu dem Begriff der Zustimmung und seiner Einordnung als Rechtsgeschäft ausführlich Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 172 ff., 229. 45 Vgl. Weller, Vertragstreue, 2009, S. 155. 46 D. h. von dem Willen der Unterzeichnenden getragenes und ausschließlich für diese Bindungswirkung entfaltendes Recht. 47 Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 33; Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 88. 48 Anders als beispielsweise berufliche Verbände wie die Ärztekammer, bei der die Regelunterwerfung vom Staat festgelegt wird. Vgl. Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 184. 49 Vgl. Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 89. 50 Vgl. zu diesem Erfordernis Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 33.
III. Privatautonome Vereinbarungen257
3. Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten Hierzu wählen die unter 1. genannten Vereinigungen entweder Allgemeine Geschäftsbedingungen [a)] oder narrative Vereinbarungen [b)]. a) Vereinbarung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Eine Möglichkeit der verpflichtenden Einbindung christlicher Werte in alltägliche Rechtsgeschäfte, die über die bloße, rechtlich nicht bindende, in narrativen Normen enthaltene Selbstverpflichtung (b) hinausgeht, ist die Vereinbarung von rechtlich verbindlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zwischen Vereinigung und Mitgliedern der Vereinigung.51 Die zwischen Vereinigung und Mitgliedern vereinbarten AGB könnten sich mittelbar auch auf Rechtsgeschäfte der Mitglieder untereinander auswirken. Hierdurch werden die Werte zwar nicht Vertragsinhalt, sie entfalten aber mittelbare Wirkung. Insoweit unterscheiden sich rechtlich verbindliche Vereinbarungen in Form von AGB von narrativen Vereinbarungen. Die Wahl von AGB ist in der Praxis indes selten vertreten. b) Narrative Vereinbarungen (Freiwillige Selbstverpflichtung) Soweit ersichtlich nutzt die Mehrheit der Vereinigungen zur Einbindung christlicher Werte eine freiwillige Selbstverpflichtung.52 Ein Beispiel für das Instrument der freiwilligen Selbstverpflichtung in Form von narrativen Vereinbarungen sind die narrativen Vereinbarungen des Bundes katholischer Rechtsanwälte [näher dazu 4.b)]. Die freiwillige Selbstverpflichtung wird meist in einer rechtlich unverbindlichen Erklärung über die Selbstbindung in Form eines „Kodex“ vereinbart. In diesem Fall schaffen die Unterzeichnenden der Sache nach soft law,53 welches zwar nicht rechtlich binden, aber durch sachliche und moralische Überzeugungskraft wirken soll.54 Der Begriff des soft law ist allerdings für ethische Selbstverpflichtungen im Bereich des Bürgerlichen Rechts Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 119 ff. die CKB über AGB, BKR über einen Ethik-Kodex, CiW über eine Satzung, AEU und BKU über eine Absichtserklärung bei Eintritt. 53 Staatlich gesetzte Regeln, die keine Rechtsverbindlichkeit haben. Es ist eine „Rechtsquelle eigener Art“. Sie formulieren Verhaltenserwartungen und Orientierungspunkte. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I Teil 1, 1989, S. 60; Schwarze, Soft Law in der Europäischen Union, 2012, S. 128, 130. 54 Vgl. Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, S. 278; Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 34. 51 Vgl. 52 So
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E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB?
irreführend, da es sich genau genommen bei privatrechtlichen Vereinbarungen gerade nicht um „law“ handelt.55 In der Literatur wird begrifflich unterschiedlich differenziert. Kodizes werden hauptsächlich als „freiwillige Selbstverpflichtung“ oder „unverbindliche Steuerungsform“ bezeichnet.56 Jayme nennt vergleichbare Konstruktionen in zwischenstaatlichen Verträgen des Internationalen Privatrechts „narrative Normen“, die „auf den ersten Blick keine konkrete Bedeutung entfalten, aber in vielfältigen Zusammenhängen als Orientierungshilfe dienen, (…) sei es, dass sie als Wertträger Entscheidungshilfen geben.“57 Nach Jayme geben narrative Normen folglich eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe, indem sie Werte festlegen, die rechtlich keine Wirkung entfalten.58 Narrative Normen eigneten sich dazu, weil sie Werte abstrakt „erzählen“59 können.60 Jayme beschreibt so treffend auf internationalstaatlicher Ebene ein Phänomen, das sich auch auf privatrechtlicher Ebene im Inland feststellen lässt. In Anlehnung an Jaymes Begriff werden daher im Folgenden unverbindliche Selbstverpflichtungen zu ethischen Leitlinien als narrative Vereinbarungen bezeichnet.61 Auch wenn die Ausübung der Privatautonomie typischerweise über Rechtsgeschäft und damit einhergehenden Rechtsbindungswillen erfolgt,62 ermöglicht sie in 55 Sie sind gerade kein Gesetz im klassischen Sinne, da sie nicht durch den Bundestag verabschiedet worden sind, noch sonstigem staatlichem Handeln entsprechen. Auch werden weder der Adressat noch Dritte rechtlich gebunden. Vgl. hierzu Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 19. Daher ist der Begriff des soft law im Übrigen auch im Bereich staatlich gesetzter Regeln irreführend. s. Schwarze, Soft Law in der Europäischen Union, 2012, S. 128. 56 Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 33 ff.; Schwarze, Soft Law in der Europäischen Union, 2012, S. 130; Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 87. 57 Jayme, Narrative Normen im IPR, 1993, S. 16 f. 58 So nicht nur Präambeln und Überschriften. Nach Jayme auch Empfehlungen, Absichtserklärungen und ähnliche Äußerungen programmatischer Natur im internationalen Privatverkehr. Jayme, Narrative Normen im IPR, 1993, S. 17. 59 Lat. narrare = erzählen. s. auch zur Bedeutung Jayme, Narrative Normen im IPR, 1993, S. 16; ders., Narrative Norms in Private International Law, Recueil Vol. 275, 2014, p. 23. 60 Im IPR stellt Jayme fest, dass der narrative Teil der Verträge über deren Ziele und Schlichtungsmechanismen oft größer ist, als der verpflichtende Teil, Narrative Normen im IPR, 1993, S. 37. 61 Zwar beschreibt der Begriff „Normen“, wie Jayme ihn wählt, nicht zwingend staatlich gesetztes, mit hoheitlichen Zwangsmitteln durchsetzbares Recht, sondern jede Verhaltensregel mit der Aufforderung zum Einhalten der Regel. Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, S. 29 ff. Der Begriff „Normen“ wurde jedoch zur Abgrenzung der privatautonomen Selbstverpflichtungen von staatlichen Verträgen des Internationalen Privatrechts durch den der Vereinbarung ersetzt. 62 Vgl. hierzu Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 259 ff.
III. Privatautonome Vereinbarungen259
ihrem eigentlichen Sinne auch die Selbstverpflichtung über narrative Vereinbarungen.63 Diese relativ neue Ausprägung der Privatautonomie wird in der Literatur noch nicht eindeutig zugeordnet.64 Die Einbeziehung christlicher Werte über narrative Normen wird in diesem Abschnitt diskutiert und vorgestellt, weil sie sich als zukünftige Methode der Werteinbeziehung abzeichnen und die Einbeziehung im Einzelfall auch rechtserheblich sein kann.65 c) Unterscheidung der Gestaltungsform Zur Ermittlung, welche dieser beiden Gestaltungsmöglichkeiten im Einzelfall gewählt wurden, sind die Vereinbarungen über ihren Wortlaut hinaus auszulegen.66 Denn auch hier gilt falsa demonstratio non nocet. Als Kriterien für die Beantwortung der Frage der Rechtsverbindlichkeit der Vereinbarungen dienen der Wille des Verfassers der Vereinbarungen, ihr Inhalt und die eingeräumten Rechtsschutzmöglichkeiten.67 4. Rechtliche Gestaltungsformen am Beispiel christlicher Initiativen Im Folgenden sollen zwei der unter 1. aufgezählten Anwendungsbeispiele in der Praxis anhand dieser Kriterien untersucht und als Alternative zur Einbeziehung christlicher Werte in das gesetzte – und sei es dispositive – Recht vorgestellt werden. Als Beispiel für eine rechtsverbindliche Vereinbarung dienen die AGB der CKB [a)], während der Ethik-Kodex des BKR zur Darstellung einer narrativen Vereinbarung christlicher Werte in der Praxis verwendet wird [b)].68
63 Vgl. Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 184, 278 ff.; Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 87 f. 64 Vgl. Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 259 ff.; Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 78 ff., freilich ohne dass diese den Jayme angelehnten Begriff der narrativen Vereinbarung verwenden. 65 Vgl. Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 34. 66 Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 34. 67 So Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 81 ff. 68 Zu der Untersuchung wurde mit den Vertretern beider Initiativen das Gespräch gesucht. Die AGB der CKB und der Schriftverkehr mit dem Geschäftsführer der CKB, Frank Brandenberg, werden als Anlage 1 und 2 der Dissertation angehängt. Der Ethik-Kodex des BKR und das Interview mit dem Vorsitzenden des BKR, Roger Zörb, werden ebenfalls als Anlage 3 und 4 beigefügt.
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E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB?
a) Vereinbarung von AGB am Beispiel der CKB Die Christliche Kooperationsbörse (CKB) nutzt Allgemeine Geschäftsbedingungen zur Sicherung der Einhaltung christlicher Werte in den Rechtsverhältnissen ihrer Mitglieder.69 Jeder Antragssteller akzeptiert die AGB der CKB (AGB-CKB, Anlage 1), um registriertes Mitglied zu werden.70 Diese legen fest, dass die Mitglieder während der Dauer ihrer Mitgliedschaft die Nutzungsbestimmungen einzuhalten haben.71 Die Nutzungsbestimmungen beinhalten die freiwillige Selbstverpflichtung unter Ziff. 4 AGB-CKB, welche unter Bezug auf die bestehende Rechtsordnung ergänzend christliche Prinzipien als Wertemaßstab definiert.72 Eine besondere Rolle spielen dabei Wahrhaftigkeit und Treue in sämtlichen Ausführungen wie Ehrlichkeit und Offenheit durch ausgeprägte Informationspflichten über Risiken und anderes73 ebenso wie das Unterlassen von irreführenden Angaben74, Glaubwürdigkeit durch Einhalten von Versprechen,75 Zuverlässigkeit, insbesondere durch technisch einwandfreie Leistungserbringung auf hohem Niveau76 und Vertraulichkeit mit erlangten Informationen.77 Im Sinne der Nächstenliebe wird gefordert, die Gewinnoptimierung nicht bis zu einer Grenze der Wertschöpfungsmöglichkeit zu betreiben78 und mit Mängelbehebung korrekt umzugehen.79 Verträge dürfen weder gegen gute Sitten noch gegen die christliche Moral verstoßen.80
69 Anlage 1
(Quelle: www.christliche-kooperationsboerse.de).
70 https://www.christliche-kooperationsboerse.de/index.php?ACTION=edit.new-
born.register. 71 Ziff. 1 AGB-CKB, Anlage 1. 72 http://www.christliche-kooperationsboerse.de/index.php?ACTION=get.view. content&ID=agb. 73 s. hierzu Ziff. 4 (1) AGB-CKB, Anlage 1. 74 „Auch über die gesetzlichen Vorschriften hinaus keine falschen oder unwahren Angaben über eigene Produkte oder Leistungen zu machen, selbst, wenn diese nicht justiziabel wären. (…)“, Ziff. 4 (9) AGB-CKB, Anlage 1. 75 s. hierzu Ziff. 4 (1) AGB-CKB, Anlage 1. 76 Ziff. 4 (4) AGB-CKB, Anlage 1. 77 Ziff. 4 (5) AGB-CKB, Anlage 1. 78 Ziff. 4 (6) AGB-CKB, Anlage 1. 79 Ziff. 4 (7), (8) AGB-CKB, Anlage 1. 80 „Gute Sitten und Moral werden sie dabei nicht nur nach den gesetzlichen Maßstäben, sondern darüber hinaus gehend auch nach der christlichen Werteordnung bestimmen.“, Ziff. 4 (10) AGB-CKB, Anlage 1.
III. Privatautonome Vereinbarungen261
aa) Verpflichtung durch „freiwillige Selbstverpflichtung“? Es gilt, zu untersuchen, ob die „freiwillige Selbstverpflichtung“ der CKB rechtsverbindliche Pflichten begründen soll. Zwar deutet die Überschrift des Abschnitts: „Freiwillige Selbstverpflichtung“,81 die typischerweise für narrative Vereinbarungen genutzt wird,82 darauf hin, dass die CKB ein rechtlich unverbindliches Regelwerk aufstellen will. Mehrere Indizien sprechen jedoch dafür, dass den anschließend aufgezählten Verhaltensregeln rechtlich verpflichtende Wirkung zukommen soll.83 Dass die CKB die Mitgliedschaft von einer gerade über bloße Richtlinien hinausgehende Selbstverpflichtung abhängig macht, zeigt die Tatsache, dass die Selbstverpflichtung als Ziff. 4 AGB-CKB unter die rechtsverbindlichen AGB und nicht als ein hiervon isoliertes Element gefasst worden ist. Auch der Inhalt der Selbstverpflichtung spricht für rechtliche Verbindlichkeit. Ziff. 4 nennt nicht nur allgemeine Leitlinien und Werte des Christentums, sondern gibt konkrete Regelbeispiele durch Zusätze wie „insbesondere …“ und „wie …“. Zudem werden die gesetzlichen Pflichten ergänzende84 Beispiele in den Absätzen 2 bis 10 gegeben. Für diese heißt es: „Die registrierten Teilnehmer der CKB verpflichten sich gegenüber der CKB …“ und nicht „Die Teilnehmer sollen …“. Zuletzt spricht auch die Rechtsschutzmöglichkeit, die durch die CKB gewährt wird, für eine rechtliche Verbindlichkeit. Schwerwiegende Verstöße gegen die Selbstverpflichtung werden namentlich nicht nur mit Ausschluss aus der CKB sanktioniert.85 Zur Klärung weniger schwer wiegender Verstöße wird statt der Anrufung der ordentlichen Gerichtsbarkeit86 die Einrichtung eines Schiedsgerichts vereinbart.87 In dieser Entscheidung orientiert sich die CKB an dem Vorbild der jüdischen Tradition: „Im Alten Testament finden sich klare Verfahrensleitlinien, wie in Streitfällen vorzugehen ist.
Diesem Vorbild versuchen wir zu folgen. Überdies hat sie natür81 Ziff. 4
AGB-CKB, Anlage 1. dazu unten E.III.4.b). 83 Der Geschäftsführer der CKB merkt hierzu an, dass die CKB sich durch die Bezeichnung als „freiwillige Selbstverpflichtung“ lediglich selbst haftungsfrei zeichnen möchte. Die Bestimmungen sollten dagegen verbindlich sein. s. hierzu Anlage 2. 84 So heißt es in Ziff. 4 (10) AGB-CKB, Anlage 1: „Gute Sitten und Moral werden sie dabei nicht nur nach den gesetzlichen Maßstäben, sondern darüber hinaus gehend auch nach der christlichen Werteordnung bestimmen.“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 85 Ziff. 4 (11) AGB-CKB, Anlage 1. Hiervon wurde auch Gebrauch gemacht in der Vergangenheit, s. hierzu Anlage 2. 86 In Einzelfällen können Streitigkeiten aber auch vor Gericht getragen werden, in welchem Fall ein Gericht über den (christlich geprägten) Vertragsinhalt zu entscheiden hätte. Vgl. Brandenberg, Anlage 2. 87 Ziff. 5 AGB-CKB, Anlage 1. 82 s.
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E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB?
lich die Funktion, Streitigkeiten bereits nach Möglichkeit außergerichtlich beilegen zu können.“88
Zuletzt entspricht dies auch dem Willen der Organisation.89 Sie hätten sich bewusst gegen eine narrative Vereinbarung entschieden, denn ein „Code of Conduct“ habe aus ihrer Sicht eine zu unverbindliche Wirkung.90 bb) Rechtliche Bedeutung der AGB in Verträgen zwischen Mitgliedern Angenommen, Ziff. 4 AGB-CKB legt rechtsverbindliche Pflichten der registrierten Teilnehmer gegenüber der CKB fest, ist weiterführend zu untersuchen, inwieweit die AGB rechtliche Bedeutung für die Rechtsgeschäfte der Mitglieder untereinander erlangen können. Hierzu sollen die zu Nutzungsbeziehungen in der Handelsplattform Ebay entwickelten Grundsätze herangezogen werden.91 Denn auch bei Ebay werden die AGB zwischen dem Anbieter Ebay und den Nutzern der Plattform vereinbart und nicht zwischen den Nutzern im Marktverhältnis. Aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse haben die AGB daher nicht automatisch Rechtswirkung in Vertragsverhältnissen zwischen den Nutzern von Ebay.92 Daher stellte sich auch dort die Frage nach der Bedeutung von Vereinbarungen zwischen Ebay und Nutzern für Rechtsverhältnisse der Nutzer im Marktverhältnis untereinander. Es wird davon ausgegangen, dass die AGB nicht zwischen den Nutzern einbezogen sind, da kein Nutzer als Verwender der AGB auftritt.93 Jedoch geht jeder Nutzer davon aus, dass der Vertragspartner im Wissen der AGB der Plattform handelt und legt Willenserklärungen des Vertragspartners daher in diesem Sinne aus.94 Die AGB mit Ebay entfalten auf diese Weise unter den Nutzern mittelbare Wirkung.95 Entsprechend hat der BGH angenommen, dass die AGB zwischen Ebay und Nutzern nach der Auslegungslösung bei der Auslegung der Verträge zwischen den Mitgliedern über die §§ 133, 157 BGB zu berücksichtigen sind.96 Brandenberg, Anlage 2. hierzu Brandenberg, Anlage 2. 90 Anlage 2. 91 Vgl. hierzu Neubauer/Steinmetz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, MultimediaRecht, 2015, Teil 14 Rn. 23 ff. 92 Wagner/Zenger Vertragsschluss bei Ebay, MMR 2013, S. 347. 93 Neubauer/Steinmetz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 2015, Teil 14 Rn. 23; Wagner/Zenger, Vertragsschluss bei Ebay, MMR 2013, S. 347. 94 Rüfner, Virtuelle Marktordnungen und das AGB-Gesetz, MMR 2000, S. 598. 95 Neubauer/Steinmetz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 2015, Teil 14 Rn. 23 ff. 96 BGH, Urt. v. 08.06.2011, VIII ZR 305/10, NJW 2011, 2644; vgl. Neubauer/ Steinmetz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 2015, Teil 14 Rn. 24; Wagner/Zenger, Vertragsschluss bei Ebay, MMR 2013, S. 346. 88 So 89 s.
III. Privatautonome Vereinbarungen263
Die Auslegungslösung des BGH lässt sich auf die Rechtsverhältnisse zwischen Mitgliedern der CKB übertragen. Auch bei Verträgen zwischen den Mitgliedern der CKB tritt in der Regel keiner als Verwender der AGB auf. Die Mitglieder vereinbaren ihren eigenen Vertragsinhalt. Folglich haben die AGB wie in dem Fall des BGH keine unmittelbare rechtliche Wirkung zwischen den Mitgliedern. Entsprechend der Auslegungslösung wären die Pflichten der Vertragspartner bei der CKB nach den §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung von Ziff. 4 AGB-CKB im Lichte der christlichen Werte auszulegen. Die Lösung des BGH würde in den meisten Fällen der CKB dazu führen, dass die in den AGB konkretisierten Wertvorstellungen im Rahmen einer Auslegung des Vertragsinhaltes zwischen den Mitgliedern verpflichtende Wirkung entfalten. cc) Rechtsfolgen der Einbeziehung der AGB Auf diese Weise ist der Einfluss christlicher Werte auf die Anwendung des BGB in vielfältiger Form denkbar. Beispielsweise könnten die Anforderungen an das Vorliegen einer Täuschung im Sinne des § 123 BGB aufgrund der Wahrheits- und Informationspflichten der Ziff. 4 (1) und (9) AGB-CKB für Unternehmer der CKB gesenkt werden. Während der Verkäufer nach gesetzlicher Lage nicht zur Aufklärung über bestimmte Umstände verpflichtet wäre,97 könnte ihn Ziff. 4 (1) AGB-CKB im Einzelfall dazu verpflichten. Ziff. 4 (4) AGB-CKB könnte bei einem Kaufvertrag als Beschaffenheitsvereinbarung zur Auslegung von § 433 Abs. 1 S. 2 BGB herangezogen werden, mit der Folge, dass bereits in einer mittelmäßigen Leistung ein Mangel läge, der nach Gesetzeslage keine Mängelrechte gewährleisten würde. Das Weitergeben vertraulicher Informationen wie der finanziellen Lage eines der Mitglieder der CKB, die die Mitglieder durch ihre Vertragsverhältnisse mit dem Mitglied erlangt haben, könnte einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB begründen, wenn Ziff. 4 (5) AGB-CKB durch Auslegung als Schutzpflicht des Schuldverhältnisses zwischen den Vertragsparteien verstanden würde. Die CKB hat daher ein Modell gewählt, das dem Einzelnen die Einbeziehung christlicher Werte in seine Rechtsgeschäfte ergänzend zur gesetzlichen Rechtslage ermöglicht.
97 Den Verkäufer trifft beispielsweise keine Rechtspflicht, ungefragt umfassend über alle Umstände des Vertrags aufzuklären, die von Bedeutung sein könnten. Aufgeklärt werden muss nur über wesentliche Umstände, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden könnten. s. zu den hohen Anforderungen an eine Aufklärungspflicht in verschiedenen Vertragstypen ausführlich Armbrüster, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 123, Rn. 36 ff.
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E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB?
b) Narrative Vereinbarungen am Beispiel des BKR Der Bund Katholischer Rechtsanwälte (BKR) ist ein Verein, in dem sich katholische Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zusammengeschlossen haben.98 Anders als die CKB initiiert der BKR ebenso wie der CiW oder der AEU selbst keine rechtsgeschäftlichen Beziehungen seiner Mitglieder, sondern setzt sich zum Ziel, Juristen eine Vereinigung zu bieten, bei der sie sich freiwillig zur Umsetzung christlicher Werte im Berufsleben verpflichten.99 Der Verband wählt hierzu nicht das Instrumentarium der AGB. Der BKR setzt seine Ziele in einem „EthikKodex“100 fest, welchem sich die Mitglieder zur Aufnahme in den Bund unterworfen haben, indem sie ihm durch ihren Beitritt zustimmen.101 aa) Verpflichtung durch Ethik-Kodex? Auch hierbei stellt sich die Frage, ob der Kodex nach dem Willen des BKR, nach seinem Inhalt und den gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten rechtlich verpflichtend ist. Der Wille des BKR unterscheidet sich in dieser Beziehung von dem der CKB.102 So wird als Ziel des BKR in der Vorbemerkung festgelegt, „die Berufsausübung in christlicher Verantwortung zu unterstützen und die Öffentlichkeit über das Wirken seiner Mitglieder zu informieren.“103 In dem Kodex sollen Verhaltensregeln formuliert werden, die „jedes Mitglied als verbindlich betrachtet“.104 Der Kodex hat also vornehmlich eine „erzählende“ Funktion über das Wertgefühl der Mitglieder, das der einzelne als „verbindlich“ erachtet, diesen aber nicht rechtlich verpflichtet.105 Entsprechend heißt es sodann: „Bei dem Kodex handelt es sich um ethische Verpflichtungen, die der BKR und seine Mitglieder freiwillig aus eigener Überzeugung und unabhängig von Rechtspflichten eingehen. Rechtliche Verpflichtungen sollen von diesem Kodex unberührt sein und weder eingeschränkt noch erweitert werden.“106 98 http://www.bkr-netzwerk.de/.
99 Vgl. Vorbem. Ethik-Kodex des BKR (http://www.bkr-netzwerk.de/Dokumente/ Ethik-Kodex.pdf), Anlage 3. 100 Zu dem Begriff Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 24. 101 Anlage 3. s. außerdem Zörb, Anlage 4. 102 So auch Zörb, Anlage 4. 103 Vorbem. (2) Ethik-Kodex des BKR, Anlage 3. 104 Vorbem. (6) Ethik-Kodex des BKR, Anlage 3. 105 So auch Zörb, Anlage 4. Der Vorsitzende hält diesen freiheitlichen Ansatz für effektiver als ein konkretisiertes Regelwerk. Ein solches böte die Schwierigkeit, dass es kaum erschöpfend eine christliche Verhaltensweise für den Einzelfall festlegen könnte. 106 Vorbem. (8) Ethik-Kodex des BKR, Anlage 3.
III. Privatautonome Vereinbarungen265
Inhaltlich sind die Verhaltensregeln, die in dem Kodex aus den Werten hergeleitet werden, zwar konkreter als allgemeine Orientierungshilfen, aber zu abstrakt, um daraus Pflichten der Juristen in rechtsgeschäftlichen Verhältnissen mit ihren Mandanten ableiten zu können. Auch wird für Verstöße kein Rechtsschutz geboten, vielmehr wird unter Ziff. 2 Ethik-Kodex festgelegt, dass Verstöße durch Eigenkontrolle geahndet werden.107 Aus all dem lässt sich schließen, dass der Ethik-Kodex als narrative Vereinbarung christliche Werte einbindet. bb) Ethik-Kodex vergleichbar mit Codes of Conduct Der Ethik-Kodex ist damit im Trend der Zeit. Er reiht sich in eine Vielzahl ethischer Kodizes108 ein, die sich in zahlreichen Unternehmen über Corporate Social Responsibility-Initiativen109 seit den 1990ern entwickelt haben.110 Die Codes of Conduct (CoC)111 oder Codes of Ethics112 sind narrativen Vereinbarungen sehr ähnlich, aber nicht identisch. Es handelt sich bei diesen um unverbindliche Steuerungsformen für Unternehmen oder Organisationen, über die ethische Zielsetzungen auf freiwilliger Basis durchgesetzt werden sollen.113 Sie beinhalten ethische Leitlinien für die Geschäftspraktiken des Unternehmens und seiner Mitarbeiter.114 Die Codes sind, ebenso wie der Disziplinarverfahren seien jedoch höchst selten. So Zörb, Anlage 3. dazu Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 20 ff. 109 Ruggie, Just Business, 2013, S. 68 ff. 110 Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 28. So haben 2010 21 deutsche Unternehmen eine freiwillige Selbstverpflichtung zum „Leitbild für verantwortliches Handeln in der Wirtschaft“ unterzeichnet, abrufbar auf http://www.verantwortlich-handeln.com/. Über den internationalen Trend Ruggie, Just Business, 2013, p. 68. 111 Diese skizzieren und definieren zentrale Pflichten und Werte auf der Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Sie enthalten konkrete Verhaltensanweisungen für ethische Konfliktsituationen. Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 21 ff.; vgl. Grützner/Jakob, Compliance A-Z, 2. Aufl. 2015, „Code of Conduct“. Unternehmen verpflichten sich zur Einhaltung bestimmter ethischer Standards, in der Textilherstellungsbranche beispielsweise zu bestimmten Produktionsbedingungen. Vgl. Söbbing, Außerordentliche Kündigung wegen Verletzung eines Code of Conduct?, GWR 2014, S. 79. 112 Diese skizzieren ebenfalls allgemeine Prinzipien und ethische Normen, sind allerdings weiter gefasst und geben lediglich Leitlinien für ethisches Verhalten vor. s. Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 23. 113 Die Begriffe werden größtenteils synonym verwendet. Vgl. Grützner/Jakob, Compliance A-Z, 2. Aufl. 2015, „Code of Ethics“; Ruggie, Just Business, 2013, s. 68 ff.; Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 27. 114 s. beispielswiese der CoC von Barclays (www.barclays.co.uk); vgl. Strenger, in: Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance von Banken, 2011, S. 402. 107 Solche
108 Ausführlich
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E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB?
Ethik-Kodex des BKR, abstrakt gefasst und geben Orientierungshilfen.115 Sie haben keine rechtliche Bindungswirkung, können aber mittelbar Sanktionen auslösen.116 cc) Ethik-Kodex als „zahnloser Tiger“? Obwohl sie keinen rechtlichen Zwang begründen, wird durch CoC ein faktischer Druck erzeugt.117 So sehen einige der Codes Berichterstattungspflichten über die Einhaltung des Codes und Aufsichtsmaßnahmen über den Prozess vor.118 CoC steigern die Attraktivität und Vertrauenswürdigkeit von Unternehmen für deren Kunden und Konsumenten.119 Der Verstoß gegen die CoC kann daher aufgrund eines Vertrauensverlusts von Kunden mit finanziellen Einbußen des Unternehmers einhergehen.120 Es wären auch Konstellationen denkbar, in denen ein Verstoß gegen derartige Codes mittelbar rechtliche Folgen nach sich ziehen kann. So könnte beispielsweise bei einem Verstoß gegen die narrative Vereinbarung ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses im Sinne des § 314 Abs. 1 2 BGB vorliegen.121 Die CoC unterscheiden sich von dem Ethik-Kodex des BKR jedoch dadurch, dass sie von den Unternehmensmitgliedern zumeist nicht unterzeichnet werden und daher nicht auf einer Vereinbarung beruhen – wie der Ethik-Kodex.122 Es zeichnet sich im Ergebnis im unternehmerischen Bereich über die CoC ein Trend zur nicht verpflichtenden Verbindlichkeit, zu narrativen Vereinbarungen des ethischen Bereichs ab. Auch deswegen ist anzunehmen, dass die 115 Grützner/Jakob, Compliance A-Z, 2. Aufl. 2015, „Code of Conduct“; Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 24. 116 Vgl. Ruggie, Just Business, 2013, S. 71; Söbbing, Außerordentliche Kündigung wegen Verletzung eines Code of Conduct?, GWR 2014, 78; Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 22. 117 Vgl. Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, S. 278; Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 24. 118 Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 30 f. 119 Vgl. Söbbing, Außerordentliche Kündigung wegen Verletzung eines Code of Conduct?, GWR 2014, 78 f.; Strenger, in: Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance von Banken, 2011, S. 403. 120 Söbbing, Außerordentliche Kündigung wegen Verletzung eines Code of Conduct?, GWR 2014, 78. 121 Wenn sie als Gründe für eine außerordentliche Kündigung in den CoC aufgenommen werden. Vgl. hierzu Söbbing, Außerordentliche Kündigung wegen Verletzung eines Code of Conduct?, GWR 2014, S. 81. 122 Dieser wird mit der Beitrittserklärung konkludent mitakzeptiert. Eine separate Unterzeichnung erfolgt dagegen nicht. So Zörb, Anlage 4.
III. Privatautonome Vereinbarungen267
zukünftige Einbindung religiöser und außerrechtlicher Werte außerhalb des verpflichtenden Bereiches liegen wird. 5. Vorzüge und Nachteile der jeweiligen Bindungsformen? Im Folgenden sollen Vorzüge und Nachteile der beiden Formen für die zukünftige Einbindung religiöser und sonstiger außerrechtlicher Wertungen in das BGB diskutiert werden. Beide privatautonomen Formen profitieren von der erhöhten Akzeptanz der sich verpflichtenden Vertragsparteien, die durch die freiwillige Selbstbindung über AGB oder narrative Vereinbarungen gezeugt wird.123 Privatautonomen Vereinbarungen stehen inhaltlich nicht die rechtlichen und ordnungspolitischen Hindernisse entgegen, die einer Verrechtlichung religiöser, in diesem Fall christlicher Werte aufgrund des Neutralitätsgebotes widersprechen.124 Über AGB im Stile der CKB können Werte an mehreren Stellen des Gesetzes Bedeutung erlangen, an denen sie de lege lata keine Bedeutung erlangt haben. Nach diesem Vorbild bliebe nicht nur Unternehmern in Vereinigungen, sondern auch dem Einzelrechtsanwender die Möglichkeit, Verträgen mit Dritten über AGB Werte zugrunde zu legen, die zum Maßstab des Geschäfts werden. Sie würden über eine Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB oder als Rahmenvertrag zugunsten Dritter berücksichtigt. Gegenüber dem Instrument der narrativen Vereinbarung hätte dies den Vorteil, dass eine rechtliche Sicherheit über die Einhaltung des Wertsystems durch den Vertragspartner bestünde.125 Der Nachteil dieser Gestaltung liegt in der inhaltlichen Ausgestaltung derartiger Regelwerke. Die rechtliche Verbindlichkeit religiös geprägter Verhaltensanforderungen setzt voraus, dass derartige Werte nicht nur als Leitlinie aufgezählt, sondern konkrete Regelbeispiele zu deren Einhaltung genannt werden müssen, um Rechtsunsicherheit zu vermeiden.126 Denn Rechtsunsicherheit entsteht mit abstrakt gehaltenen Vorgaben, wie sie Ethik-Kodizes verwenden. 123 Vgl. Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, S. 54; Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 20. So bestätigt auch Zörb, Anlage 4, dass die Mitglieder mit den christlichen Leitregeln bereits bei Aufnahme der Mitgliedschaft einverstanden seien und diese erhöhte Akzeptanz auch die freiwillige Befolgung der Regeln zur Folge habe. Eine Überwachung der Einhaltung sei daher kaum nötig. 124 Vgl. Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 20. 125 Vgl. zu diesen Bedenken Ruggie, Just Business, 2013, S. 71. 126 Dies sei schlechterdings kaum möglich, man würde in jedem Regelwerk eine „Lücke“ finden, wenn jemand die Regeln nicht einhalten wolle. So Zörb, Anlage 4. Anders bei der Scharia, deren Vorgaben für den Einzelfall von dem „Scharia Board“ regelmäßig erarbeitet werden, siehe dazu Simader, Westliche Finanzkrise, 2013, S. 108.
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E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB?
Dies ist ein Grund dafür, weshalb Ethik-Kodizes in der Regel narrativ und nicht verbindlich gestaltet werden.127 Narrative Vereinbarungen ermöglichen es, durch abstrakte Leitlinien komplexe Situationen abzudecken und hierdurch zu überzeugenden Ergebnissen zu führen.128 Sie sind flexibler als verbindliche Vereinbarungen und können sich jederzeit an den neuen Bedürfnissen ausrichten.129 Sie dienen so als Orientierungs- und Entscheidungshilfe, eben als „Wertträger“130 Hierin liegt ein Vorzug gegenüber verpflichtendem Recht. Doch wie effektiv wirken narrative Vereinbarungen? Im allgemeinen beruhen sie auf der faktischen Macht öffentlich bekundeter Selbstverpflichtungen.131 Durch Bekundung der Selbstverpflichtung wird eine Markterwartung aufgebaut, die durch das Unternehmen nicht ohne tatsächliche Folgen132 enttäuscht werden kann.133 Narrative Vereinbarungen haben vor diesem Hintergrund ein verhaltenssteuerndes Element.134 Die Rufschädigung durch Nichtbefolgung ebenso wie die Gefahr des Ausschlusses aus der Vereinigung dürften tatsächliche Druckmittel zur Umsetzung des Angekündigten sein.135 Narrative Vereinbarungen können deswegen eine stärkere Wirkkraft entfalten als rechtlich verbindliche Regelwerke.136 Unter mehreren Aspekten sind narrative Vereinbarungen aufgrund ihrer faktischen Wirkkraft daher nicht zwingend „zahnlose Tiger“.137
127 Diese Rechtsunsicherheit sieht Jayme auch im internationalen Kontext: „These norms speak, but they are flexible and not very precise.“, Zum Beispiel von Internationalen Kunstfällen, Narrative Norms in Private International Law, Recueil Vol. 275, 2014, S. 41. 128 So auch Jayme: „Art law is characterized by being open to cultural and more values and, therefore, is a field where such narrative norms help to find convincing solutions.“, Am Beispiel von Kunstrecht, Narrative Norms in Private International Law, Recueil Vol. 275, 2014, S. 50. 129 So Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, S. 292. 130 Jayme, Narrative Normen im IPR, 1993, S. 16 f. 131 Vgl. hierzu auch Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 20. 132 Vertrauensentzug und Abbruch dauerhafter Geschäftsbeziehungen, Klientenwegfall etc. 133 Vgl. Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, S. 44. 134 Vgl. Wilms, Unverbindlichkeit der Verantwortung, 2015, S. 27. 135 Kunden reagieren sensibel auf Informationen ethischen Fehlverhaltens. So hat Shell 50 % seiner Umsätze eingebüßt, als der Konzern beabsichtigte, die schwimmenden Öltanks im Atlantik zu versenken. s. Söbbing, Außerordentliche Kündigung wegen Verletzung eines Code of Conduct?, GWR 2014, S. 79. 136 Vgl. Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, S. 44. 137 So auch Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, S. 44, 278; Söbbing, Außerordentliche Kündigung wegen Verletzung eines Code of Conduct?, GWR 2014, 79. Dies merkt auch Zörb, Anlage 4, an; die Vorgaben würden die Mitglieder zu überobligatorischen Maßnahmen motivieren.
IV. Ergebnis: Zukunft religiöser Werte in freiheitlichem Ansatz 269
In christlichen Vereinigungen wie den vorgestellten Initiativen ebenso wie anderen religiösen Initiativen tritt die Glaubenskomponente hinzu. Diejenigen, die sich der Vereinigung zur Umsetzung religiöser Werte im Geschäftsverkehr anschließen, benötigen keine rechtsverbindlichen Pflichten, um sich an ihr Versprechen gebunden zu fühlen.138 So weist der Geschäftsführer der CKB darauf hin, dass nach seiner Erfahrung „eine ernsthafte und nachhaltige Anwendung christlicher Werte in der Wirtschaft eine stetige Rückkopplung und Hinwendung und somit Beziehung zum Schöpfer dieser Werte – Jesus Christus“ erfordere. Für das Beispiel christlicher Initiativen heißt das: „Im stillsten Moment der Versuchung, wie z. B. Korruption / Betrug mit der Gefahr unethischen Handelns, bewahrt das Wissen um die Prüfungssituation samt Beobachtung durch Christus mehr als jeder Wertekodex vor einem etwaigen Fehltritt.“139
Auch der Vorsitzende des BKR weist darauf hin, dass die Mitglieder des Bundes im Einzelfall in Freiheit entscheiden, ob eine Gewissensprüfung ein bestimmtes Verhalten gebietet.140 Hierdurch wird zwar auch das Instrument der freiwilligen Selbstverpflichtung in seiner Effektivität relativiert. Es zeigt aber auch die Stärke einer freiwilligen Selbstbindung, die zu ihrer Bindungswirkung keiner Verrechtlichung bedarf. Rechtssicherheit141 darüber, dass der Vertragspartner sich an die festgelegten Wertvorstellungen hält, bietet freilich nur die Vereinbarung von wertkonformen Verträgen oder entsprechenden AGB.
IV. Ergebnis: Zukunft religiöser Werte in freiheitlichem Ansatz In einer Gesellschaft, deren Vielfalt sich aus den verschiedensten Glaubensvorstellungen zusammensetzt, wird das bürgerliche Recht durch eine Kombination aus dispositiven Normen und der Möglichkeit privatautonomer Regelungen auch in Zukunft Einfallstore für christliche und andere religiöse Werte bieten können. Die Anwendung des Bürgerlichen Rechts spiegelt die widersprüchlichen gesellschaftlichen Entwicklungen wider. Während die Normen des BGB einen Trend zum dispositiven Recht als Wertträger christlicher Ethik andeuten, welcher der Säkularisierung und Pluralisierung der Gesellschaft entgegen kommt, nehmen privatautonome Initiativen zur Einauch Zörb, Anlage 4. hierzu Brandenberg, Anlage 2. 140 Zörb, Anlage 4. Es gehe vielmehr um die Förderung des Bemühens um eine christliche Verhaltensweise als um die Sanktion der Nichtbefolgung. 141 Im Sinne von Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Erkennbarkeit. Denn allein Rechtssicherheit ermöglicht Planbarkeit eigenen Verhaltens. s. v. Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 104 ff. 138 So 139 s.
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E. Ausblick: Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte im BGB?
bindung außerrechtlicher Werte in den Rechtsverkehr zu. Die Initiativen sind Teil eines generellen Bemühens um Rückbesinnung auf ethische Maßstäbe, die über das Recht hinausgehen – wie die Vereinbarung zahlreicher Codes of Conduct in Unternehmen demonstrieren. Unternehmen wie Unternehmer, auch der einzelne Vertragspartner, haben folglich zukünftig aufgrund der ihnen durch das BGB gewährten Privatautonomie drei Möglichkeiten, religiöse und andere außerrechtliche Wertungen in das Bürgerliche Recht einzubinden. Sie können dies durch Gebrauch oder Nichtgebrauch der Möglichkeit zur Abbedingung christlich geprägter Normen, durch Vereinbarung von AGB – ähnlich denen der CKB –, oder aber durch narrative Vereinbarungen tun. Unter diesen drei Einbindungsvarianten verzeichnet die narrative Vereinbarung steigende Beliebtheit. Die Beliebtheit der „unverbindlichen Verantwortung“ korreliert mit dem unter D.IV.1.) festgestellten Bedeutungsverlust des Wertes der Versprechenstreue, also einer damit einhergehenden Bindungsfreudigkeit und –willigkeit. So lässt sich auch über die Einbindung religiöser Werte in das Bürgerliche Recht feststellen, was Jayme in einem Vortrag aus dem Jahr 1993 über internationale privatrechtliche Vereinbarungen vorausgesagt hat: „Narrative Normen entsprechen dem Geist der Stunde.“142
142 Jayme,
Narrative Normen im IPR, 1993, S. 38.
F. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen 1. Die europäische Rechtskultur ist ursprünglich von einer institutionellen Verzahnung von Staat und Kirche geprägt, sowohl auf evangelischer als auch auf katholischer Seite ungeachtet des jeweils unterschiedlichen Verständnisse von Staat und Kirche. Das 19. Jahrhundert befördert jedoch den Prozess der Trennung beider Institutionen. Mit der Weimarer Reichsverfassung wird diese Entwicklung zum Abschluss gebracht. Ergebnis dessen ist ein „freundschaftliches“ Kooperationsverhältnis von Staat und Kirche, das bis heute über die Verfassung fortwirkt. Das BGB entsteht in Zeiten des Umbruchs von einem christlichen Staat zu einem, der sich um Neutralität trotz historischer Nähe zum Christentum bemüht. (siehe dazu B.) 2. Die induktive Analyse einer Auswahl von Normen des BGB (§§ 138 Abs. 2, 145, 193, 226, 248, 656, 657, 826 und 2072 BGB) hat ergeben, dass jeweils ein christlicher Wert zu deren Entstehung mit beigetragen hat. In vielen dieser Normen wirkt die zugrunde liegende christliche Wertung bis heute fort. (§§ 138 Abs. 2, 145, 193, 226, 657 und 2072 BGB) (siehe dazu C.) 3. Der Wert der Nächstenliebe hat in seinen Ausprägungen als Faktor für die Normentstehung von Normen bei der Entstehung des BGB mitgewirkt. In ihrer allgemeinen Form, seinem Nächsten nicht zu schaden, hat sich die Nächstenliebe in dem Verbot schikanösen Verhaltens über die §§ 226, 826 BGB niedergeschlagen. (siehe dazu C.I.) 3.1. Die Nächstenliebe hat Eingang in die juristische Diskussion um die Notwendigkeit des Schikaneverbotes genommen. Man sah es als Verstoß gegen die Nächstenliebe an, ein formal bestehendes Recht zum Schaden eines anderen einzusetzen. Das Schikaneverbot verlieh dieser moralischen Missbilligung rechtlichen Ausdruck. Das zeigen v. Gierkes Verweise („echt christliche Pflicht“) ebenso wie Gröbers Bemühen um den Normerlass als Vertreter der katholischen Zentrumspartei. Auch wenn die Norm kaum einen praktischen Anwendungsbereich aufweist, wirkt ihr Grundgedanke in der Anwendung der §§ 138, 242 und 826 BGB bis heute fort. (siehe dazu C.I.4.)) 3.2. Derselbe Grundgedanke hat auch § 826 BGB in seiner heutigen Form geprägt. Als Teil der Kampagne des Zentrums gegen den Missbrauch formal bestehender Rechte beantragte Gröber, den Zusatz des § 826 BGB („durch eine Handlung, die er nicht in Ausübung eines ihm zustehenden Rechtes vornimmt.“) zu streichen. So sanktioniert auch § 826 BGB das gegen die
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F. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
Nächstenliebe verstoßende Verhalten der Schikane. Als Regulativ unzulässiger Rechtsausübung hat die Norm bis heute Bedeutung. (s. C.I.5.) 4. Der Schutz des Schwächeren als Ausprägung auch der christlichen Barmherzigkeit, wirkt durch die Bestimmungen des Wucher- und Zinseszinsverbotes (§ 138 Abs. 2 und §§ 248, 289 BGB) bis heute fort. Das auf biblischen Belegen aufbauende kanonische Zinsverbot war der Ursprung der Wucher- und Zinseszinsregelungen. (siehe dazu C.II.) 4.1. Der Schutzgedanke der christlichen Barmherzigkeit, der schon dem kanonischen Recht und dem Wucherverbot der Vorgängerregelung im Wuchergesetz zugrunde lag, hat nicht zuletzt über den Zentrumsabgeordneten Reichensperger eine erhebliche Rolle für den Normerlass des § 138 Abs. 2 BGB gespielt und ist hierdurch Teil der Wertung des Wucherverbotes geworden. [siehe dazu C.II.3.a)] 4.2. In den Normerlass der §§ 248, 289 BGB flossen diese Wertungen zum Schutz des Schwächeren ebenfalls ein. Trotz der Beschränkung auf Vorausabreden bei § 248 BGB und auf Verzugszinseszinsen bei § 289 BGB lag bei beiden Normen ein Import der gemeinrechtlichen Wertungen zum Schutz des Schwächeren vor. Dieser Import wirkt in § 248 BGB allerdings heute noch kaum fort, da der Zweck der Norm heute primär in einer Transparenzvorschrift gesehen wird. [siehe dazu C.II.3.b)] 5. § 2072 BGB wäre ohne den christlichen Wert der Liebestätigkeit nicht entstanden. Die Taten der Liebestätigkeit werden durch die dem Codex Justinianus nachgebildete Auslegungsregel des § 2072 BGB rechtlich gewürdigt und gefördert. So erfolgte auch die Wahl des letzten Wohnsitzes als Anknüpfungspunkt der Norm aus Respekt vor dem religiösen Andenken des Erblassers. (siehe dazu C.III.4.) 6. Die christliche Heiligung des Sonntages als Tag der geistigen Erhebung, des Messganges und der Familienzeit hat über die Fristenregelung des § 193 BGB Eingang in das BGB gefunden. Die Norm wurde nach der Kritik durch v. Gierke auf Antrag des Zentrums aufgenommen. Sie gilt bis heute fort. Ihre Bedeutung wird durch den verfassungsrechtlichen Schutz der Sonntagsheiligung (Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV) unterstrichen. (siehe dazu C.IV.) 7. Die sakramentale Bedeutung der Ehe und die sittliche Missbilligung der Ehevermittlung durch die Kirche seit dem Mittelalter waren maßgebliche Faktoren für die Normentstehung des § 656 BGB. Aufgrund der Idealisierung der Ehe, ihres sakramentalen Charakters in der katholischen Kirche und der Simoniebestimmungen sah man den „Handel mit der Ehe“, die Ehevermittlung, als der Natur der Ehe widersprechend an. Während der Schutz der Privatheit zur Begründung der Naturalobligation bei Normerlass sekundär war, wird er heute als Ziel und Zweck der Norm angeführt. (siehe dazu C.V.)
F. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen273
8. Über das kanonische Recht hat der christliche Wert der Versprechenstreue die Versprechensbindung des BGB stark beeinflusst. Das gilt sowohl für den Grundsatz pacta sunt servanda als auch für die Bindung an das einseitige Versprechen in den §§ 657, 145 BGB. Diesen liegt das Fundament einer ethisch verstanden Versprechenstreue zugrunde. Insoweit unterscheidet sich die Versprechensbindung des BGB auch von der nicht ethisch verstandenen Versprechensbindung des Common Law. (siehe dazu C.VI.) 8.1. So manifestiert sich der christliche Wert der Versprechenstreue über den Einfluss des kanonischen Rechts in der Auslobung gemäß § 657 BGB. Sie wurde der Versprechenstheorie entlehnt, nach der bereits das bloße Versprechen bindend sein sollte. Der zuständige Redaktor v. Kübel verwies hierzu auf Siegel, der den Ursprung der Bindung an einseitige Versprechen in der Kanonistik und in den naturrechtlichen Ausführungen Grotius und Molina sah. Damit basierte die Auslobung ebenso wie der kanonistische Grundsatz und die Ausführungen des Grotius auf dem Wert der Versprechenstreue. (siehe dazu C.VI.3.) 8.2. Der Normerlass des § 145 BGB unterlag denselben Einflüssen wie § 657 BGB. Anhand beider Vorschriften hat v. Kübel seiner Rechtsauffassung, wonach ausnahmsweise auch das Versprechen selbst verpflichtend sein kann, Ausdruck verliehen. Dies geschah auch bei § 145 BGB durch Verweis auf Siegels Ausführungen. § 145 BGB büßte allerdings schon Jahre nach seiner Einführung seine Versprechensbindung durch die weitläufige Akzeptanz von Freizeichnungsklauseln ein. Das relativiert die ethische Grundvoraussetzung christlicher Prägung, dass promissio est servanda gilt, in ihrer Bedeutung für die Rechtswirklichkeit. (siehe dazu C.VI.4.) 9. Über die untersuchten Normen hinaus deuten Anhaltspunkte darauf hin, dass weitere Normen in derselben Weise durch christliche Werte beeinflusst worden sind, so etwa die §§ 80 ff. (Liebestätigkeit im Stiftungsrecht), 214 Abs. 1 (Vesprechenstreue in der Verjährenswirkung), 242 (Einzelfallgerechtigkeit in Treu und Glauben), 618 Abs. 2 (Sonntagsheiligung im Dienstleistungsrecht), 1353 (Eheheiligung im Eherecht) BGB. Dies indiziert, dass es sich bei den untersuchten Normen nicht um Einzelfallerscheinungen handelt. (siehe dazu C.VII.) 10. Der Großteil der christlichen Werte ist historisch über die Vehikel des kanonischen Rechts (§§ 138 Abs. 2, 145, 248, 657 und 2072 BGB) oder des politischen Einflusses des katholischen Zentrums (§§ 193, 226, 656 und 826 BGB) in das BGB importiert worden. (siehe dazu D.I.) 11. Vor diesem Hintergrund hat Börners Aussage in den Motiven, derzufolge christliche Werte eine Bedeutung für die Entstehung des BGB gehabt haben, paradigmatische Aussagekraft. Denn die Streubreite der Normen (Allgemeiner Teil, Schuldrecht, Erbrecht, Deliktsrecht) und die Vielfalt der da-
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hinterstehenden Werte spricht tatsächlich dafür, dass die mit der Gesetzgebung Betrauten nicht die Bedeutung verkannt haben, die christlichen Werten für den Ausbau der Rechtsordnung zukommen sollte. Insbesondere über die Normen des Allgemeinen Teils erlangten christliche Werte Bedeutung für sämtliche Rechtsverhältnisse. (siehe dazu D.II.) 12. Die historische Bedeutung christlicher Werte relativiert sich allerdings durch eine Analyse deren Anwendung in der Gegenwart, sodass von einem Bedeutungswandel gesprochen werden kann. So weist ein Teil der Normen entweder einen schrumpfenden Anwendungsbereich oder eine Zweckänderung auf, die das ursprünglich christlich geprägte Schutzziel verdrängt. (siehe dazu D.III.) 13. Ein Bedeutungswandel zeigt sich auch in der Divergenz zwischen Rechtsnatur und Rechtsleben der Norm. So wird ein Großteil der untersuchten Normen umgangen oder durch die Rechtsprechung so restriktiv angewendet, dass kaum ein Anwendungsbereich verbleibt. Dies lässt auf einen Bedeutungsschwund der jeweils hinter den Normen stehenden Werten in der gesellschaftlichen Anerkennung schließen. Dem steht ein Bedeutungszuwachs des Wertes der Barmherzigkeit (Schutz des Schwächeren) gegenüber. (siehe dazu D.III.2. und D.IV.) 14. Aufgrund der Pluralisierung der Gesellschaft kommen für die Zukunft alternative Methoden zur Einbeziehung religiöser und sonstiger Werte in das Bürgerliche Recht in Betracht. Dies ist auf gesetzlicher Basis dispositives Recht, das der Rechtsanwender je nach eigener Überzeugung durch privatautonome Vereinbarungen abbedingen kann. (siehe dazu E.) 15. Im Unternehmertum ist ein Trend zu privatautonomen Vereinbarungen für die Einbeziehung religiöser und anderer Werte feststellbar. Dabei erlangen Werte über die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder narrativen Vereinbarungen Bedeutung für den Rechtsverkehr. Die Einbeziehung von religiösen Werten verlagert sich damit in die private Sphäre. (siehe dazu E.III.) Im Ergebnis wurden christliche Werte in den Wertungen diverser Normen des BGB importiert, in denen sie de lege lata bis heute fortwirken. Die historische Bedeutung christlicher Werte für das BGB hat jedoch insofern eine Änderung erfahren, als die untersuchten Beispielsnormen an Bedeutung verloren haben. Die Zukunft der Einbeziehung religiöser Werte wird nicht zuletzt deswegen in der freiwilligen Selbstverpflichtung durch privatautonome Vereinbarungen liegen.
Anhang Anlage 1 Allgemeine Geschäftsbedingungen der CKB 1. Die Ziele und Aufnahmevoraussetzungen der Christlichen Kooperationsbörse GmbH (CKB) Mitglieder verschiedener Geschäftsleutevereinigungen und der Kirchen haben die Christliche Kooperationsbörse GmbH (CKB) gegründet. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, Geschäftsbeziehungen auf Basis christlicher Werte zu initiieren und zu fördern. Zu diesem Zweck entsteht eine Kommunikationsplattform im Internet. Den registrierten Teilnehmern der CKB werden innerhalb dieses Systems umfangreiche Recherche-, Publikations- und Kommunikationsdienste zugänglich gemacht. Sie können die Kommunikationsplattform auch nutzen, um Kontakte zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit für ihre Produkte und Dienstleistungen herzustellen. Nicht registrierten Teilnehmern wird ein eingeschränkter Funktionsinhalt zur Verfügung gestellt. Sie können unter anderem angenommene Rankings und Daten registrierter Teilnehmer, sofern freigegeben einsehen. Sämtliche Benutzer dieser Internetseite – auch Nichtregistrierte – verpflichten sich, die abgerufenen Daten nur für persönliche Zwecke oder zur Herstellung konkreter Geschäftskontakte zu nutzen. Alle Teilnehmer erkennen an, die abrufbaren Daten weder zu sonstigen geschäftlichen Zwecken zu nutzen, noch sonst unberechtigt weiterzugeben. Eine Nutzung für nicht nachgefragte Leistungen, Spam-Mails, zum Aufbau von Datenbanken, insbesondere Adreßdatenbanken, ist –soweit gesetzlich zulässig- untersagt. Soweit der Aufbau solcher Datenbanken zulässig ist, jedoch die Zustimmung des jeweiligen Berechtigten voraussetzt, muß diese vor einer anderweitigen Nutzung vom Berechtigten selbst eingeholt werden. Als Nutzer beachten Sie bitte ergänzend die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Nutzung des Suchservices der CKB (siehe unten). Registrierter Teilnehmer der CKB kann jeder Geschäftsmann werden, der die Aufnahmevoraussetzungen (Freiwillige Selbstverpflichtung und Einhaltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen registrierter Teilnehmer) erfüllt und sich bereit erklärt, für die Dauer seiner Mitgliedschaft die Nutzungsbestimmungen registrierter Teilnehmer (siehe unten) einzuhalten. Nutzungsbestimmungen registrierter Teilnehmer umfassen die Freiwillige Selbstverpflichtung, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen registrierter Teilnehmer und die Anerkennung der Schiedsgerichtsordnung.
276 Anhang
2.–3. (ausgelassen) 4. Freiwillige Selbstverpflichtung Registrierte Teilnehmer der Christlichen Kooperationsbörse (CKB) sind Christen, die sich den christlichen Werten verpflichtet fühlen. Im Einzelnen bedeutet das: Ehrlichkeit, wie im Umgang miteinander bei Leistungsgrenzen und Auftragsrisiken, Glaubwürdigkeit, wie Verbindlichkeit bei Absprachen und Auskünften, Gerechtigkeit, wie Handeln nach den gesetzlichen Ordnungen unseres Staates und in der Verantwortung vor Gott zum Wohle aller Beteiligten, Offenheit, wie Nennen von Risiken für den Partner, wenn für ihn diese nicht sofort erkennbar sind, Zuverlässigkeit, wie Einhalten von Vereinbarungen, Kommunikation über relevante Änderungen, Beharrlichkeit bei der Lösung von Problemstellungen, Qualität, wie gewissenhafte und saubere Arbeit nach dem Stand der Technik, Vertrauen, wie konstruktive und zielgerichtete Haltung gegenüber gemachten Fehlern oder Fehlverhalten. Vollständige und wahre Information des Geschäftspartners Die registrierten Teilnehmer der CKB verpflichten sich gegenüber der CKB über die von ihnen vertriebenen Waren und / oder Dienstleistungen keine irreführenden, unvollständigen oder unwahren Angaben zu machen. Korrekte und faire Abwicklung der Geschäftsbeziehung Die registrierten Teilnehmer verpflichten sich gegenüber der CKB untereinander und gegenüber sonstigen Geschäftspartnern, ihre Geschäftsbeziehungen korrekt und fair abzuwickeln. Das heißt insbesondere: Einen verantwortungsbewußten Service zu bieten, nur technisch einwandfreie Produkte anzubieten bzw. Dienstleistungen auf hohem Niveau zu erbringen. Die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten. Auf die Anforderungen der Qualität, Pünktlichkeit und Sicherheit des Produktes zu achten. Informationen, die der registrierte Teilnehmer über oder durch den Kunden oder andere registrierte Teilnehmer erhalten hat, nicht zu mißbrauchen, dem Geschäftspartner und anderen registrierten Teilnehmern, zu deren eigener Information, klare und unmißverständliche Anleitungen oder Informationen zur Verfügung zu stellen. Darauf zu achten, daß in den unterhaltenen oder entstehenden Geschäftsbeziehungen zum gegenseitigen Nutzen beider Parteien und einer kontinuierlichen künftigen Zusammenarbeit, allen Beteiligten eine Wertschöpfungsmöglichkeit gegeben wird und Gewinnoptimierung nicht bis zur Grenze der Wertschöpfungsmöglichkeit von Produkt oder Dienstleistungen zu Lasten des Geschäftspartners betrieben wird. Korrekter und fairer Umgang mit Mängeln und Gewährleistungsansprüchen Die registrierten Teilnehmer der CKB verpflichten sich untereinander sowie im Umgang mit ihren Geschäftspartnern berechtigte Mängel des Produkts oder Gewährleistungsansprüche zur Zufriedenheit des Geschäftspartners zu beheben. Das heißt insbesondere: Für schnellstmögliche Behebung eventueller Störungen, Mängel oder Schäden zu sorgen. Bei der Zusammenarbeit mit einem anderen Teilnehmer der CKB, eine
Anlage 1277 faire Chance zur Nacherfüllung oder Gewährleistung zu geben und selbst alles Erforderliche zu unternehmen, den anderen Teilnehmer der CKB in seinen Bemühungen, auch eigenen Kunden gegenüber, die selbst nicht registrierte Teilnehmer der CKB sind, zu unterstützen. Im Garantiefall bei gescheiterter Nachbesserung oder, wenn sonst nach dem Gesetz erforderlich, eine prompte Ersatzteillieferung, sofern erforderlich, vorzunehmen. Wahrung eines fairen Wettbewerbs, der guten Sitten und der Moral Die registrierten Teilnehmer verpflichten sich keine Werbung zu betreiben oder Geschäftspraktiken anzuwenden, die gegen die Prinzipien des lauteren Wettbewerbs verstoßen. Das heißt insbesondere: Wahrung der gesetzlichen Vorschriften. Auch über die gesetzlichen Vorschriften hinaus keine falschen oder unwahren Angaben über eigene Produkte oder Leistungen zu machen, selbst, wenn diese nicht justiziabel wären. Auch über die gesetzlichen Vorschriften hinaus über die Tätigkeit eines anderen Mitgliedes keine Erklärung abzugeben, die irreführend, unrichtig oder unwahr ist, oder nur dem eigenen Vorteil dient, selbst, wenn sie nicht justiziabel ist. Die registrierten Teilnehmer der CKB verpflichten sich, keine Geschäfte oder Angebote zu unterbreiten, die den Guten Sitten und der Moral zu wider laufen. Gute Sitten und Moral werden sie dabei nicht nur nach den gesetzlichen Maßstäben, sondern darüber hinaus gehend auch nach der christlichen Werteordnung bestimmen. Ausschluß bei schwerwiegenden Verstößen Die registrierten Teilnehmer erkennen an, daß die CKB berechtigt ist, bei schwerwiegenden Verstößen gegen die vorgenannten Grundsätze, gegen die Geschäftsbedingungen oder geltendes Recht die Registrierung dauerhaft abzuerkennen. Bei der vorstehenden Selbstverpflichtung der registrierten Teilnehmer handelt es sich um freiwillige Selbstverpflichtungen, für die die CKB Dritten, also insbesondere gegenüber den Kunden und Geschäftspartnern der registrierten Teilnehmer, keine Gewähr übernimmt. Auch bei Verletzung der freiwilligen Selbstverpflichtungen ist jeglicher Anspruch gegen die CKB ausgeschlossen. Die CKB behält sich jedoch das jederzeitige Recht des Ausschlusses eines Mitgliedes vor, sofern es auf Grund von Reklamationen eines Mitgliedes oder eines Kunden eines Mitgliedes zu nachvollziehbaren Beschwerden über das Geschäftgebaren des Mitgliedes kommt. Die registrierten Teilnehmer der CKB werden alle Möglichkeiten zur Verhinderung eines Rechtsstreits mit anderen registrierten Teilnehmern oder Geschäftspartnern wahrnehmen. Sie werden sich in solchen Streitfällen zunächst an die von der Geschäftsführung einzuberufende CKB Schlichtungsstelle (Mediation) wenden. Die CKB Schlichtungsstelle ist eine freiwillige Institution. Die Schlichtungsstelle hat die Aufgabe bei Meinungsverschiedenheiten, gleich welcher Art, zwischen den registrierten Teilnehmer, der CKB sowie bei Meinungsverschiedenheiten mit Geschäftspartnern zu vermitteln. Die CKB kann als Schlichtungsperson auch eine anerkannte Gütestelle vorschlagen. Schlägt sie eine anerkannte Gütestelle vor, ist deren Entscheidung für die registrierten Teilnehmer bindend.
278 Anhang
5. Schiedsgerichtsordnung Vorbemerkung: Die Christliche Kooperationsbörse GmbH (CKB) hat mit ihrem registrierten Teilnehmer die Einrichtung eines Schiedsgerichts vereinbart, das in allen Auseinandersetzungen zwischen den Geschäftspartnern, für die sonst die ordentlichen Gerichte zuständig wären, angerufen werden soll und unter Ausschluß des Rechtsweges zu den ordentlichen Gerichten entscheidet. In Ergänzung und Abweichung zu den §§ 1025 ff. ZPO gilt die nachstehende Verfahrensordnung hiermit zwischen den Parteien als vereinbart: Schiedsgerichtsordnung §§ 1–16 (ausgelassen)
Anlage 2279
Anlage 2 Schriftverkehr mit Geschäftsführer der CKB Zu 1.) Die Einbindung der Christlichen Wertmaßstäbe in die AGB soll einerseits der verpflichtende bindende Wirkung ausdrücken. Andererseits muss sie aus haftungstechnischen Gründen in Form einer freiwilligen Selbstverpflichtung ausgedrückt werden, da die CKB keinesfalls für die Einhaltung dieser Werte haftbar gemacht werden darf. Dies erkennen Sie aus folgenden Abschnitten der Ziffer 4:b Bei der vorstehenden Selbstverpflichtung der registrierten Teilnehmer handelt es sich um freiwillige Selbstverpflichtungen, für die die CKB Dritten, also insbesondere gegenüber den Kunden und Geschäftspartnern der registrierten Teilnehmer, keine Gewähr übernimmt.
Auch bei Verletzung der freiwilligen Selbstverpflichtungen ist jeglicher Anspruch gegen die CKB ausgeschlossen. Die CKB behält sich jedoch das jederzeitige Recht des Ausschlusses eines Mitgliedes vor, sofern es auf Grund von Reklamationen eines Mitgliedes oder eines Kunden eines Mitgliedes zu nachvollziehbaren Beschwerden über das Geschäftgebaren des Mitgliedes kommt. Ein Code of Conduct entgegen hat aus unserer Sicht eine zu unverbindliche Wirkung. Zu 2.) Verstöße haben schon eine rechtlich bindende Wirkung, nämlich darin, dass es uns erlaubt ist dauerhaft Teilnehmer aus der CKB auszuschließen, was wir auch bereits angewandt haben. Ausschluß bei schwerwiegenden Verstößen
Die registrierten Teilnehmer erkennen an, daß die CKB berechtigt ist, bei schwerwiegenden Verstößen gegen die vorgenannten Grundsätze, gegen die Geschäftsbedingungen oder geltendes Recht die Registrierung dauerhaft abzuerkennen. 3.) Die Einrichtung des Schiedsgerichts erfolgte nach dem Vorbild der jüdischen Tradition. Im Alten Testament finden sich klare Verfahrensleitlinien, wie in Streitfällen vorzugehen ist. Diesem Vorbild versuchen wir zu folgen. Überdies hat sie natürlich die Funktion Streitigkeiten bereits nach Möglichkeit außergerichtlich beilegen zu können. In einem Fall hatten wir einmal zwei Teilnehmer der CKB die vor Gericht landeten, was natürlich sowohl auf Christliche Geschäftsleute, die CKB und die beiden Streitparteien ein schlechtes Licht warf. Aber beide waren leider nicht davon zu überzeugen ein solches Schiedsgericht anzurufen. Frank Brandenberg Geschäftsführer
Christliche Kooperationsbörse GmbH
www.christliche-koopera tionsboerse.de
Tel. 02225 7043787
Fax. 02225 7043797
Geschäftsräume: Etzelstr. 11, D-53501 Grafschaft
Firmensitz: Dohlenstraße 26, D-46145 Oberhausen
Geschäftsführer: Frank Brandenberg
Amtsgericht Duisburg HRB 13919 Amtsgericht Duisburg HRB 13919
280 Anhang
Anlage 3
Anlage 3281
282 Anhang
Anlage 4 Interview mit Herrn RA Roger Zörb in der Funktion des Vorsitzenden des Bundes Katholischer Rechtsanwälte (BKR) vom 23.6.2016 (Genehmigte Zusammenfassung) Für Ihre Vereinigung präsentieren Sie auf Ihrer Internetseite einen Ethik Kodex, in welchem christliche Werte definiert werden, denen sich die Juristen Ihrer Vereinigung verpflichten. Soll dieser Kodex rechtlich verbindlich sein? Nein, das ist nicht der Fall. Das wäre auch gar nicht möglich, denn derartige Pflichten könnten mit standesrechtlichen Regeln der Rechtsanwälte in Konflikt geraten. Der Ethik Kodex wird auch nicht selbst unterzeichnet, durch Beitritt erklären unsere Mitglieder, dass sie dessen Inhalt anerkennen. Wie sanktionieren Sie Verstöße gegen den Kodex? Üblicherweise durch ein Gespräch mit den Betroffenen. Wir vermitteln dann zwischen den Parteien. Ein Ausschluss aus der Vereinigung aufgrund eines Verstoßes gegen den Kodex ist mir nicht bekannt. In meiner Amtszeit als Vorsitzender (zwei Jahre) gab es lediglich zwei problematische Fälle, die aber keinen nennenswerten Verstoß gegen den Ethik Kodex betrafen. Also setzen Sie auf ein freiheitliches Modell, jeder so wie er kann? Wir legen Wert darauf, dass der einzelne in Freiheit entscheiden kann, wie er im Sinne der im Ethik Kodex formulierten Werte handeln will. Das ist dem Gewissen des Einzelnen überlassen. Das kann bedeuten, ein Mandat abzulehnen oder es in einer bestimmten Art und Weise auszuführen. Ich beispielsweise vertrete nicht in Scheidungsfällen, wenn die Ehe katholisch geschlossen wurde. Es geht darum, das Dasein als Anwalt über das rechtlich erlaubte hinaus so zu gestalten, dass es mit den christlichen Wertevorstellungen übereinstimmt. Auch wenn das Recht zulässt, dass ich für einen Mandanten eine zweifelhafte Forderung durchsetze, kann die Mitgliedschaft bei uns im Einzelfall bedeuten, dass das Mandat nicht angenommen wird oder anders bearbeitet wird. Würden Sie den Ethik-Kodex als „zahnlosen Tiger“ bezeichnen, wenn er ohnehin nicht sanktioniert wird? Nein, ganz und gar nicht. Die Regeln, die wir darin festlegen, werden durchaus befolgt. So beispielsweise der Punkt „Engagement“. Wir verlangen von bedürftigen Mandanten nur ein Honorar, das diese bezahlen können oder arbeiten umsonst. Das gilt natürlich nur, wenn der jeweilige Anwalt sich das in seiner Stellung auch leisten kann. Ist das eine Folge des Ethik Kodex oder würden Ihre Anwälte das ohnehin tun, deklarieren dies aber nur über den Beitritt in den BKR? Der BKR lebt von der Akzeptanz christlicher Werte durch seine Mitglieder, schon bevor diese beitreten. Insofern hat der Kodex mehr eine deklarierende Funktion über unser Wirken. Er bietet aber als Richtschnur im Einzelfall immer wieder Orientierung.
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304 Literaturverzeichnis ZEIT: Was ist heute christlich?, Titelthema in der ZEIT unter Einbeziehung diverser Gastautoren, Artikel v. 27.10.2016, Ausgabe Nr. 45, S. 51 ff. (zit.: Was ist heute christlich?, Titelthema in der ZEIT, Artikel v. 27.10.2016, Nr. 45) zu Löwenstein, Clara: Lukrative Willkommenskultur, Artikel vom 1.12.2015, Frankfurter Allgemeine Zeitung Print Nr. 279, S. 9 (zit.: zu Löwenstein, Lukrative Willkommenskultur, Artikel v. 1.12.2015, FAZ Nr. 279) II. Vatikanisches Konzil: Gaudium et spes, Constitutio pastoralis de Ecclesia in mundo huius temporis, AAS 58 (1966), S. 1025 ff., in: Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands – KAB (Hrsg.), Texte zur katholischen Soziallehre Band I, Kevelaer 1986, S. 321 ff. (zit.: II. Vatikanisches Konzil, Gaudium et Spes, Texte zur katholischen Soziallehre I, 1977)
Gesetzesmaterialien Enneccerus, Ludwig: Bericht der Reichstagskommission über den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs nebst einer Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse, Berlin 1896 (zit.: Enneccerus, Bericht der Reichstagskommission über den Entwurf, 1896) Gebhard, Albert: Allgemeiner Teil II, 1876–1879, in: Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, 1981 (zit.: Gebhard, Vorlagen der Redaktoren AT Band II, (1879), 1981) Gebhard, Albert/Spahn, Peter: Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band 1 Allgemeiner Teil, 1897, Nachdruck von Schubert 1983 (zit.: Protokolle II, Band 1, 1897) – Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band 5 Erbrecht, 1899, Nachdruck von Schubert 1983 (zit.: Protokolle II, Band 5, 1899) Hessisches BGB: Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Großherzogtum Hessen nebst Motiven, Darmstadt, 1842 (zit.: Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Großherzogtum Hessen nebst Motiven, 1842) Jacobs, Horst Heinrich/Schubert, Werner: Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, AT Teil 1 und 2, Berlin, 1985 (zit.: Jacobs/Schubert, Beratung des BGB, AT Teil, 1985) – Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, Band III, Schuldrecht, Berlin 1983 (zit.: Jacobs/ Schubert, Beratung des BGB III, Schuldrecht, 1983) Kübel, Franz Philipp v.: Recht der Schuldverhältnisse, Band II, Teil 3, in: Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, 1981 (zit.: v. Kübel, in: Schubert, Vorlagen der Redaktoren SchuldR II Teil 3, (1897) 1980)
Literaturverzeichnis305 Motive: Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin, 1888, Band 1: Allgemeiner Teil (zit.: Motive I, 1888) – Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin, 1888, Band 2: Recht der Schuldverhältnisse (zit.: Motive II, 1888) – Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin, 1888, Band 4: Familienrecht (zit.: Motive IV, 1888) – Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin, 1888, Band 5: Erbrecht (zit.: Motive V, 1888) Mugdan, Benno: Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band 1, Einführungsgesetz und Allgemeiner Teil, Aalen 1979 (zit.: Mugdan, Materialien I, 1979) – Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band 2, Recht der Schuldverhältnisse, Aalen 1979 (zit.: Mugdan, Materialien II, 1979) – Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band 4, Familienrecht, Aalen 1979 (zit.: Mugdan, Materialien IV, 1979) Sächsisches BGB: Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen nach den hierzu ergangenen Entscheidungen der Spruchbehörden Band 1, Leipzig 1878 (zit.: Das BGB für das Königreich Sachsen, Band I, 1878) Schubert, Werner: Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, – Einführung, Biographien, Materialien –, Berlin/New York 1978 (zit.: Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1978) – Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten. Nebst Motiven (1857), Frankfurt am Main 1986 (zit.: Schubert, Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, 1986)
Bibel Deissler, Alfons/Vögtle, Anton/Nützel, Johannes: Neue Jerusalemer Bibel, Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, Stuttgart 1980 (Bibelstellen werden aus dieser Übersetzung der Bibel zitiert)
Stichwortverzeichnis 5-Tage-Woche 149, 150, 153 Allgemeine Geschäftsbedingungen 257 ALR 55, 67–69, 71, 74, 143, 144, 214 Angebotsbindung 211, 218, 242 –– Widerruflichkeit 212 Arbeitnehmerschutz 227 Arbeitsethos –– christlicher 148 Arbeitsruhe 139 Armenkasse 122, 131, 132, 134 Auslegung –– historische Auslegung 33 Auslegungslösung 262 Auslobung 24, 188, 190, 200, 201, 203, 205–211, 213, 215, 220–222, 244, 273 Barmherzigkeit 24, 61, 64, 65, 85–87, 94, 97–100, 103, 106–108, 110, 120, 225, 226, 232, 248, 272, 274 –– Werke der Barmherzigkeit 85 Bedeutungsverlust –– christlicher Werte 246 Bedeutungswandel 242 christlich 36 Codex Justinianus 92, 95, 120, 123, 128, 131–133, 159, 233, 272 Codes of Conduct 265 consideration 222 Corporate Social Responsibility 265 cura animarum 129 die Armen 122–127, 131, 133, 134 Disagio 112, 117 Ehe 154 –– Heilighaltung der Ehe 161
Ehebruch 160 Ehevermittlung 37, 158, 159, 161–163, 166, 169, 170, 172, 173, 175, 177, 178, 181, 182, 185–187, 233, 246, 272 Eigentum –– Sozialverpflichtung des 128 Einfallstore für christliche Werte 26 Ersitzung 231 Ethik-Kodex 259, 264–266, 282 Familie –– Schutz der 147 Feindesliebe 63 Formfreiheit 197, 198, 247 freiwillige Selbstverpflichtung 257, 260, 261 Freizeichnungsklauseln 218 Freizeitschutz 149 freundschaftliches Kooperations verhältnis 52, 60, 241, 248 Generalklausel 27 Gesetzgeber 31 Gottesliebe 64, 94, 121 Heiligkeit der Ehe 228 hinkende Trennung 50 imago dei 70 imitatio dei 63, 65, 85, 194 Import 35 Induktion –– induktive Arbeitsweise 29 ius cogens 236 ius commune 34, 55, 57, 60, 234 ius dispositivus 235, 238, 252
Stichwortverzeichnis307 kanonisches Recht 55 Konventionalschuld 176, 186 Kulturkampf 46 Kuppelei 159, 160, 163, 172 laesio enormis 89, 91, 92, 101, 115 Laizismus 37, 38, 49, 50 Liebestätigkeit 24, 61, 64, 65, 120, 121, 125, 128, 129, 132, 133, 225, 227, 233, 237, 247, 272, 273 Mieterschutz 226 mittelbare Drittwirkung 27 Moral 37 Motive 53, 58 Nächstenliebe 24, 27, 61–70, 74, 78, 79, 81, 84–86, 92, 94, 120, 121, 154, 225, 232, 239, 247, 248, 260, 271, 272 narrative Normen 258 narrative Vereinbarungen 258 Naturalobligation 24, 155, 156, 167, 174, 175, 187, 233, 242, 246, 272 Neidbau 69 Neutralität –– positive und negative Neutralität 37 Normanwendung 36 pacta nuda 194, 197 pacta sunt servanda 188, 190, 191, 196, 198, 199, 224, 225, 247, 273 Partnervermittlung 178 piae causae 123, 127 Pluralisierung 22, 134, 179, 251, 253, 269, 274 pollicitatio 192, 194, 202, 204, 205 portio Christi 124, 125, 132, 135, 227, 233 Privatautonomie 28, 105, 107, 143, 146, 237, 238, 245, 250, 253–256, 258, 270 Privatheit –– Schutz der 155, 167, 174, 175, 177, 180, 182, 186, 187, 242, 272
Problemsituation 32 promissio 191, 194, 200, 205, 219, 225, 273 proprium christianum 30 Prozessärgernisse 176, 177, 180 Rechtsausübungsschranke 77 Reichsdeputationshauptschluss 45 Reichsverfassung der Paulskirche 47 Reinheit des Geistes 225, 230, 231 Restitutionsgrundsatz 230 Sabbatheiligung 137 Sakrament 155, 161, 173 Samstagskultur 150 Schädigungsabsicht 66, 71, 72, 78 Scharia 21, 252, 254, 267 Scheler –– Schelersche Wertphilosophie 30 Schikane 66 Schikaneverbot 24, 61, 65, 67–69, 71, 73–75, 79, 82–84, 247, 271 Schutz des Schwächeren 86, 89, 98, 100, 106, 109, 110, 113, 224, 226, 233, 247, 272, 274 Schwurverbot –– christliches 193 Seelgeräte 130 Simonie 161 sittenwidrig –– sittenwidrige Schädigung 78 Sittlichkeit 25, 27, 29, 37, 156, 163, 164, 182, 228, 240, 249 Sonntagsheiligung 24, 28, 135–137, 139–141, 145, 148–150, 152, 154, 225, 227, 233, 237, 242, 246, 248, 272, 273 –– verfassungsrechtliche 151 Sonn- und Feiertage 142, 149, 151, 154 Sozialverpflichtung des Eigentums 128, 129 Staatskirche 39, 44, 47, 48, 60 Staatsreligion 44
308 Stichwortverzeichnis Stiftung 121, 134, 227 Stiftungsrecht 227 Suggestionsgefahr 165, 175, 181 Trennung von Staat und Kirche 38–40, 42, 43, 46–51, 60 Treu und Glauben 27, 231 Umgehungsgeschäft –– Verbot des 231 unilateral contract 221 Vehikel –– des christlichen Einflusses 234 Vereinigungen –– christliche 255 Verhältnis von Staat und Kirche 39, 42, 51 Verjährungseinrede 229 Verkehrssicherheit 101, 215, 217 Versprechen –– einseitige 189, 192 Versprechenstheorie 203–210, 273 Versprechenstreue 24, 31, 188, 189, 191, 194, 195, 199, 204, 208, 211, 217, 223, 225, 229, 233, 239, 246, 248, 270, 273 Vertragsethik 231
Vertragsprinzip 191, 199–201, 206–208, 210, 220, 233 Vertragstreue 189, 196, 199, 220, 223, 224 Wahrhaftigkeit 189, 193, 195, 208, 225, 229, 231, 233, 260 Wertungen –– außerrechtliche 239, 250, 270 Werturteil 30 Wucher 24, 56, 90, 92, 93, 95–98, 105, 107, 110, 113, 233, 272 Wuchergesetz 88, 95, 98–100, 102–104, 110, 120, 272 Wucherverbot 87–89, 95, 96, 101, 103, 105, 106, 111, 114, 116, 120, 272 Zentrumspartei 24, 34, 35, 37, 54, 57, 58, 60, 78, 79, 97, 105, 106, 120, 146, 147, 171, 227, 232–235, 241, 249, 271–273 Zinseszinsverbot –– Verbot des Anatozismus 24, 87, 89, 90, 93, 100, 107–110, 112, 115–120, 233, 242, 247 Zinsfreiheit 87 Zinshöchstgrenzen 89, 97, 98 Zinsverbot 86, 89, 92–94, 96, 101, 106, 120, 272