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German Pages 555 [556] Year 1999
Frühe Neuzeit Band 51 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Jörg Jochen Berns, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt
Lothar Noack
Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679) Leben und Werk
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1999
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Noack, Lothar: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau : (1616 - 1679); Leben und Werk / Lothar Noack. -Tübingen: Niemeyer, 1999 (Frühe Neuzeit; Bd. 51) ISBN 3-484-36551 -X
ISSN 0934-5531
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Satz und Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung Einleitung: Schlesien um 1600 L
II.
l
Hoffmannswaldaus Geburt und Kindheit in Breslau (Wroclaw) (1616-1624)
11
Hoffmannswaldaus Geburt und Genealogie der Familie Königliche Kammer in Ober- und Niederschlesien . . . . Nobilitas literaria silesiae Reformierte Gemeinde in Breslau Zweite Eheschließung des Vaters
11 15 18 23 27
Schulzeit am Elisabethgymnasium und Jugendjahre in Breslau (1624-1636)
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Elisabethgymnasium in Breslau Unterricht am Elisabethgymnasium Martin Opitz Dritte Eheschließung des Vaters und Hauserwerb . . . . Kriegsleiden und Schwächung des ständischen Einflusses in Schlesien Schwedens Eintritt in das Kriegsgeschehen im Reich . . . Hoffmannswaldau im ordo primus Professores und Praeceptores Hoffmannswaldaus Jugendstammbuch Hoffmannswaldaus III.
XI
31 34 36 39 43 47 49 51 58
Weitere Ausbildung am akademischen Gymnasium in Danzig (Gdansk) (1636-1638)
62
Danzig als Ostseemetropole Gymnasium Academicum sive Illustre Lehrstoff und Lehrkräfte Bei Opitz in Danzig
62 66 67 77
VI
IV.
Leidener Universitätsstudien und Aufenthalt in den Niederlanden (1638-1639) Reise nach Leiden Universität Leiden Hoffmannswaldaus Lehrer in Leiden Amsterdam Dichtungen in den Niederlanden und Begegnung mit Andreas Gryphius
83 83 85 89 93 95
V.
Peregrinatio academica als Kavalierstour (1639-1641) . . 100 Peregrinatio academica und Kavalierstour 100 Fürst Fremonville - Tremoille? 103 England 106 Frankreich 109 Italien 114 Rückreise nach Breslau 119
VI.
Rückkehr nach Breslau und Heirat, Beginn einer umfangreichen literarischen Tätigkeit (1641-1647) . . . . Breslauer Bibliotheken Hochzeit und Gründung einer Familie Grabschrift für Franz Scholtz »Poetische Grab-Schriften« 1643 Apelles-Kreis in Breslau »Geistliche Oden« Poetische Geschichtrede »Die Erleuchte Maria Magdalena« Hoffmannswaldaus weltliche Lieder und poetische Episteln Gedichtpaar »Die Wollust« und »Die Tugend« Erste Übersetzungen (Hall, Biondi, de Viau) Grabrede für Heinrich von Reichel 1646 Poetische Geschichtrede »Die thränen der Tochter Jephthah« Poetische Geschichtrede »Thränen Johannis unter dem Creutz des Heylandes« Poetische Geschichtrede »Klage Hiobs aus dem 3. Capitel« Poetische Geschichtrede »Cato«
124 124 128 136 138 145 152 158 163 173 178 183 186 189 192 194
VII. Als Schöffe im Rat der Stadt Breslau, weitere Ausprägung der Dichtkunst (1647-1657) 197 Rat als Verwaltungs- und Gerichtsbehörde der Stadt Breslau . 197
VII
Erste Hochzeitscarmina 201 »Verdeckte beschreibung Des gläsernen Degens« 208 Abrisse 209 Briefwechsel mit Harsdörffer 214 Kriegsausgang in Schlesien und Westfälischer Frieden . . 218 Sonettdichtung Hoffmannswaldaus 221 Verwaltung ratsherrlicher Ämter 228 Actus scholastic! 231 Jesuitische Mission und protestantisches Schuldrama . . . 236 Tod des Vaters 1652 243 Guarini-Übersetzung »Der Getreue Schäfer« 245 Lediglich handschriftliche Verbreitung der Gedichte . . . 254 Gesandtschaft an den Reichstag nach Regensburg 1653 256 Trauercarmen auf Ernst Moritz von Pförtner 261 Begräbnisgedichte auf Anna Magdalena von Eben geborene Martin von Debitz, Eva Kretschmar und Parallelen in den »Vermischten Gedichten« 264 Tod Henel von Hennenfelds 271 Gutachten zur Breslauer Schulordnung 276 VIII. Als Senator im Dienste der Stadt, die »Helden-Briefe« Höhepunkt des lyrischen Schaffens (1657-1670) 279 Wachsende Ratsverpflichtungen Gesandtschaft an den kaiserlichen Hof 1657 Finanzielle Zuwendungen und soziale Lage Hoffmannswaldaus Gelegenheitsdichtung Epicedium für Anna Assig geborene Jordan Studienanleitung für Johann Burghard Gesandtschaft an den kaiserlichen Hof 1660 Hoffmannswaldau und Andreas Gryphius Mühlpfort Raubdrucke der »Poetischen Grab-Schriften« Briefwechsel mit Imhoff Europäischer Kontext der »Helden-Briefe« Längere poetische Episteln als Vorstufe zu den »Helden-Briefen« 1. Heldenbrief: Balduin - Judith 2. Heldenbrief: Ludwig - Adelheid 3. Heldenbrief: Heinrich - Eva 4. Heldenbrief: Ludwig - Mahometanin 5. Heldenbrief: Przetislaus - Jutta 6. Heldenbrief: Aleran - Adelheid
279 282 285 287 294 297 306 308 314 317 320 325 327 331 334 337 340 343 345
VIII
7. Heldenbrief: Albrecht - Agnes 8. Heldenbrief: Friedrich - Eleonora 9. Heldenbrief: Ferdinand - Philippine 10. Heldenbrief: Eginhard - Emma 11. Heldenbrief: Reinier - Algaretha 12. Heldenbrief: Rudolph - Emmegarde Intentionen der »Helden-Briefe« Heldenbriefe Sigerich - Rosimunde und Abelard Heloise Epicedia auf Georg Friedrich von Artzat und Anna Magdalena von Eben 1665 Gedicht auf seinen 50. Geburtstag Schulamt Hoffmannswaldau und Lohenstein Hochzeitsgedicht »Poetische Gedancken bey Rosellen und Olorins Hochzeit-Fest« Privates Porträts Hoffmannswaldaus Johann Daniel Major und seine Huldigungsepistel an Hoffmannswaldau 1668 Gelegenheitsgedichte auf den Tod Adam Wenzel von Reicheis und auf den seiner Frau Gesandtschaft an den kaiserlichen Hof 1669/70 IX.
Schöffenpraeses und Ratsältester, Rückgang der literarischen Tätigkeit (1670-1677) Wahl zum Ratsältesten Martin Hankes »Anmerkungen von dem Latein-Reden« (1706) Hochzeit des Sohnes Johann Christian 1671 Antikatholische Stimmung und Bücherzensur in Breslau Weitere Zeugnisse des Mäzenats Hoffmannswaldaus . . . Spannungen zwischen dem Haus Habsburg und Frankreich Lohenstein und seine Gesandtschaft an den kaiserlichen Hof 1675 Tod des letzten Piastenherzogs Georg Wilhelm Trauercarmen für Andreas Assig 1676 Hallmann und das Ende des protestantischen Schultheaters in Breslau Johannes Scheffler
347 350 352 354 357 359 361 364 367 370 372 374 376 379 380 382 385 392
397 397 400 402 404 409 413 416 419 425
430 436
IX
X.
Ratspraeses, Vorbereitung der autorisierten Werkausgabe für den Druck, Tod und Trauerfeier (1677-1679) 438 Praeses des Breslauer Rates Hans von Assig Hochzeit des Sohnes Georg Moritz Weitere Raubdrucke Plan für eine autorisierte Werkausgabe Gesamtvorrede zur autorisierten Werkausgabe Umarbeitung seiner Werke für die autorisierte Gesamtausgabe 1679/1680 Umarbeitung der »Poetischen Grab-Schriften« Umarbeitung der »Helden-Briefe« Weitere Umarbeitungen und die Frage nach einem Korrektor für die autorisierte Ausgabe Tod und Trauerfeier Fellgibel und die autorisierte Werkausgabe Hoffmannswaldaus Mauersberger und sein Enkomion auf Hoffmannswaldau
Literaturverzeichnis 1. Handschriftliche Quellen 2. Casualia 3. Sonstige Quellen 4. Forschungsliteratur Personenregister
438 441 444 445 450 452 464 465 467 470 473 479 483 487 487 490 495 506 531
Vorbemerkung Ein mehrjähriger Gastaufenthalt am Institut für Germanische Philologie der Universität Wroclaw (Breslau) bot die Möglichkeit der intensiven Beschäftigung mit dem reichhaltigen Altdruckbestand der Universitätsbibliothek sowie mit den umfangreichen Handschriftensammlungen der Universitätsbibliothek und des Staatsarchivs Wroclaw und schuf somit die Voraussetzung für eine literatur-, kultur- und sozialgeschichtlich ausgerichtete Biographie über Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679). Nach einer Einleitung »Schlesien um 1600« wird in zehn chronologisch aufeinanderfolgenden Kapiteln erstmals in der Forschung ein umfassendes und zugleich detailliertes Entwicklungsbild des schlesischen Dichters und Breslauer Ratsherrn gezeichnet. Zäsuren setzen zunächst die einzelnen Abschnitte seines Bildungsweges, später die Etappen seines Aufstiegs in der Breslauer Ratshierarchie bis hin zum Praeses der Stadtregierung. Gestützt auf bisher weitgehend unbekanntes Quellenmaterial werden Leben und Werk Hoffmannswaldaus in der vorliegenden Studie nach ihrer Wechselwirkung untersucht und Hoffmannswaldau als Ratsherr und Poet im Spannungsfeld von Politik und Literatur gezeigt. Der Dichter hat seine Übersetzungen und Gedichte - abgesehen von seinen, in geringer Auflage erschienenen Epicedia und Epithalamia - nur handschriftlich im Kreise seiner Breslauer Freunde kursieren lassen. Erst als dieser Kreis gesprengt wurde und nach außen gelangte Abschriften die Vorlage für Raubdrucke bildeten, bereitete der Dichter an seinem Lebensabend eine autorisierte Ausgabe seiner Werke vor, wobei er jedoch die erotischen Oden und Sonette aussparte und seine »Poetischen Grab-Schriften« sowie die »HeldenBriefe« einer nicht unbeträchtlichen Umarbeitung unterzog. Eine Studie über Leben und Werk Hoffmannswaldaus muß sich deshalb auf die Texte der handschriftlichen Überlieferung stützen. In der Biographie wird der Versuch unternommen, das dichterische Werk Hoffmannswaldaus in die Traditionslinien der europäischen Renaissance- und Barocklyrik einzuordnen und dabei das Besondere der Dichtung des Breslauer Ratsherrn, der von seinen Zeitgenossen als »schlesischer Marin« (in Anlehnung an Hoffmanns-
XII
waldaus wichtigstes Vorbild Gian Battista Marino) gefeiert wurde, herauszuarbeiten. Besondere Aufmerksamkeit erfahren vor allem die Dichter und Gelehrten seines geographischen Umfeldes Schlesien, angefangen von den Professoren am Breslauer Elisabethgymnasium, Elias Major und Christoph Köler, über Martin Opitz und Andreas Gryphius bis hin zu Daniel Casper von Lohenstein, Heinrich Mühlpfort und Christian Gryphius, um nur die wichtigsten zu nennen. Von besonderem Wert für den wissenschaftlichen Ertrag der Biographie war die Auswertung Breslauer Ratsakten im Staatsarchiv Wroclaw, die neue Erkenntnisse über die politische Tätigkeit des Dichters und seine soziale Lage an den Tag brachte. Unbestritten ist, daß Hoffmannswaldaus Dichtung zu einem großen Teil schon vor der Wahl des Dichters in den Breslauer Rat 1647 verfaßt wurde und daß weitere Werke nur in den Mußestunden neben der zeitaufwendigen Verwaltungstätigkeit entstehen konnten. Gleichfalls unbestritten ist, daß mit der Zunahme der Amtsverpflichtungen die dichterische Produktion mehr und mehr zurückging - nach den 1663/64 fertiggestellten »Helden-Briefen« reichte es fast nur noch für einige Gelegenheitsgedichte an nahe Ratsfreunde und deren Familienangehörige. Erstmals werden die Beziehungen der Familie Hoffmannswaldau zu anderen Breslauer Ratsgeschlechtern auf der Grundlage von Gelegenheitsschriften, Briefen, Tagebüchern und anderen Quellen ausführlich dokumentiert. Dabei zeigt sich unter anderem, daß die herausragende gesellschaftliche Position des Dichters als Mitglied der patrizischen Oberschicht seinen Gelegenheitscarmina im städtischen Kommunikationsraum eine Sonderstellung einbrachte, die nicht ohne Folgen auf Inhalt und Struktur seiner Epicedia bleiben konnte. Durch die Einbeziehung der politischen, wirtschaftlichen und geistesgeschichtlichen Verhältnisse in Schlesien im allgemeinen und in Breslau im besonderen ist die vorliegende Biographie über Hoffmannswaldau zugleich eine kulturgeschichtliche Darstellung Breslaus im weitesten Sinne und trägt damit dem merklich zugenommenen Interesse der internationalen Barockforschung an einer Kulturgeschichte der Stadt Rechnung. Ausführlich werden zum Beispiel die kirchlichen Verhältnisse und das Schulwesen Breslaus dargelegt, leitete doch der Dichter mehr als dreißig Jahre als einer der Praesides scholarum die unter ratsherrlicher Jurisdiktion stehenden Breslauer Schulen und als Praeses des Rates schließlich auch das evangelische Kirchenregiment - vor allem diese Funktionen haben einen gewichtigen Anteil daran, daß die autorisierte Werkausgabe Hoffmannswaldaus gegenüber den Handschriften »bereinigt« wurde. In den zehn Kapiteln der Biographie wurde bewußt auf Unterkapitel verzichtet. Um aber dem Leser eine Orientierung zu geben, sind in
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den Kapiteln bestimmte Themenkomplexe beziehungsweise einzelne Werke des Dichters durch Überschriften hervorgehoben und im Inhaltsverzeichnis mit den entsprechenden Seitenzahlen gekennzeichnet (wobei sich die Hervorhebung jedoch nicht auf den gesamten folgenden Text bis zur nächsten Markierung bezieht). Weitergehende Hilfe gewährt das Personenregister am Ende des Buches. Die Wiedergabe der einzelnen Titel erfolgt im allgemeinen verkürzt und ohne Zeilenfall; die originale Orthographie der Drucke und Autographen wurde beibehalten, so der Wechsel von Majuskeln und Minuskeln, die oft recht willkürliche Groß- und Kleinschreibung und die eigenwilligen Abbreviaturen. Zeichengetreu wurden übernommen ss und ß, i und j, u und v, aufgelöst dagegen ä, o und ü zu ä, ö und ü. Nicht unterschieden wurden s und J. Die Wiedergabe der meist auszugsweise mitgeteilten Quellentexte hält sich eng an die Schreibweise der Originale. Die Schreibweise des Dichternamens folgt der zur Zeit üblichen, also »Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau«. Dabei ist jedoch anzumerken, daß die in den Quellen so unterschiedlich gehandhabte Namenschreibung es dem Forscher nicht erlaubt, eine »autorisierte« und damit einzig richtige Schreibweise für sich in Anspruch zu nehmen. Entscheidenden Anteil an dieser Biographie, die im Wintersemester 1995/96 am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Osnabrück als Habilitationsschrift verteidigt und für den Druck in einigen Passagen umgearbeitet wurde, hat mein hochverehrter Lehrer Prof. Dr. Marian Szyrocki (Wroclaw), dem es durch seinen frühen Tod nicht vergönnt war, das Resultat seiner vielseitigen Anregungen in Augenschein zu nehmen. Nächst ihm gilt mein besonderer Dank Herrn Prof. Dr. Klaus Garber (Osnabrück), der diese Arbeit durch seinen ermutigenden Rat maßgeblich förderte. Für ihre wertvollen Hinweise und Ratschläge habe ich auch den Herren Prof. Dr. Jörg Jochen Berns (Marburg) und Prof. Dr. Werner Lenk (Potsdam) zu danken. Dankbar erinnere ich mich der Unterstützung, die mir in verschiedenen Bibliotheken und Archiven zuteil wurde; vor allem die Mitarbeiter der Universitätsbibliothek Wroclaw haben es verstanden, den Aufenthalt nicht nur nützlich, sondern auch angenehm zu machen. Abschließend danke ich den Herausgebern der Reihe »Frühe Neuzeit« und dem Max Niemeyer Verlag Tübingen für die Aufnahme und den Druck des Buches sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Bewilligung einer Druckbeihilfe. Berlin, im Februar 1999
Für Mären und Maria
Die Menschen, denen wir eine Stütze sind, geben uns den Halt im Leben. [Marie von Ebner-Eschenbach]
Einleitung: Schlesien um 1600 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Ratsherr und Poet, stammte aus Schlesien, dem östlichen Zipfel des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, der sich im Zuge der feudalen deutschen Ostexpansion von Polen gelöst hatte. Im 13. und 14. Jahrhundert geriet das Land unter böhmische Lehnshoheit und fiel 1526 mit dem Kronland durch Erbvertrag ans Kaiserhaus Habsburg; es war als böhmisches Nebenland jedoch nur mittelbares Reichslehen ohne Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat.1 Um 1600 wies Schlesien, das bei seiner politischen Herausbildung im frühen Mittelalter kirchlich und politisch noch ungeteilt war, in der Folgezeit jedoch von der einheimischen Piastendynastie in mehrere Fürstentümer und Standesherrschaften parzelliert wurde (am gravierendsten hierbei die Teilung von 1202, die in der Folge zu einer bis ins 20. Jahrhundert anhaltenden Scheidung des Landes in Ober- und Niederschlesien führte),2 in sei1
2
Die Literaturhinweise in den Anmerkungen sind bei ihrer erstmaligen Erwähnung vollständig, im weiteren durch Kurztitel angegeben. Aus Gründen der Raumersparnis werden die ausufernden Altdrucktitel gekürzt verzeichnet; die nach dem Erscheinungsjahr in Klammer gesetzte Zahl verweist - wenn nicht anders vermerkt - auf einen Standort in der Universitätsbibliothek Wroclaw. Für die Auflösung entsprechender Zeitschriftensiglen und anderer Abkürzungen ist das Siglenverzeichnis in der Bibliographie ausschlaggebend. Zur Geschichte Schlesiens vgl. aus der älteren Literatur vor allem Colmar Grünhagen: Geschichte Schlesiens. 2 Bde. Gotha 1884/86. Nachdruck Osnabrück 1979; aus neuerer Zeit s. Geschichte Schlesiens. Bd. 2: Die Habsburger Zeit 1526-1740. Hg. v. Ludwig Petry und Josef Joachim Menzel. 2. Aufl. Sigmaringen 1988; jetzt besonders: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Schlesien. Hg von Norbert Conrads. Berlin 1994 [hier vor allem die von Peter Moraw beziehungsweise Norbert Conrads verfaßten Abschnitte »Das Mittelalter (bis 1469)«, S. 37-176, und »Schlesiens frühe Neuzeit (1469-1740)«, S. 177-344]; außerdem Gernot von Grawert-May: Das staatsrechtliche Verhältnis Schlesiens zu Polen, Böhmen und dem Reich während des Mittelalters. Aalen 1971; Matthias Weber: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich in der frühen Neuzeit. Köln/Weimar/ Wien 1992; Werner Bein: Schlesien in der habsburgischen Politik. Ein Beitrag zur Entstehung des Dualismus im Alten Reich. Sigmaringen 1994. Die schlesischen Piasten waren durch Abspaltung aus dem polnischen Piastengeschlecht hervorgegangen. Als 1138 der polnische Herzog Boleslaw III. Schiefmund starb, wurde sein Land unter seine Söhne aufgeteilt. Dabei erhielt der älteste Sohn Wladyslaw Schlesien im Umfang der Diözese Breslau zugewiesen und galt seitdem als erster schlesischer Herzog zugleich als Begründer des schlesischen Piastenzweigs. Über dieses Fürstengeschlecht s. aus neuerer Zeit
ner staatlichen Struktur einige Besonderheiten auf. Da gab es zunächst die von den schlesischen Piastenherzögen regierten Mediatfürstentümer Liegnitz, Brieg und Wohlau.3 Hier hatten die Plasten über Jahrhunderte hinweg die meisten ihrer Privilegien gegenüber den böhmischen Landesherren verteidigen und damit ein beträchtliches Maß an staatlicher Souveränität bewahren können. Anders dagegen verhielt es sich bei den der böhmischen Krone direkt unterstehenden Immediat- oder Erbfürstentümern wie dem Fürstentum Breslau, an deren Spitze (nach dem Aussterben der alten Fürstengeschlechter) sogenannte Hauptmannschaften standen. Schließlich gab es eine Reihe Minderherrschaften (status minores), die jedoch meist keine Landstandschaft besaßen.4 Wie in fast allen Territorien des Reiches war auch das geistig-religiöse Leben in Schlesien zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine Folge der von Humanismus und Reformation ausgelösten Veränderungen, die hier besonders intensiv nachwirkten. Der Humanismus als in erster Linie bürgerliche Bewegung fand vornehmlich in den Städten starken Widerhall, vor allem in Breslau (Wroclaw), der Geburtsstadt des Dichters Hoffmannswaldau, die in vorreformatorischer Zeit mit jenem Kreis gelehrter Kleriker und Laien um den Breslauer Bischof Johannes V. Thurzo eines ihrer herausragenden geistigen Zentren hatte. Seit 1492 dem Breslauer Domkapitel angehörend, förderte Thurzo nach seiner Wahl zum Bischof im Jahre 1506, mit der er zum schlesischen Landesfürsten aufstieg, als Mäzen unter anderem den aus Brieg stammenden Magister Barthel Stein, der die erste geschichtliche Topographie Schlesiens verfaßte,5 und den späteren Reformator Johannes Heß. Der Rektor der Breslauer Elisabethschule, Laurentius Corvinus (Lorenz Rabe), erbat sich vom berühmten Humanisten Conrad Celtis aus Wien die »Germania« des Tacitus und nutzte sie für seine eigenen Dichtungen zum Lobe Schlesiens; bereits 1500 ließ er auf dem Breslauer Rathaus durch seine Schüler den »Eu-
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Georg Jaeckel: Die schlesischen Piasten (1138-1675). Ein Fürstenhaus zwischen West und Ost. In: JbSKG 65 (1986), S. 54-83. Vgl. Georg Thebesius: Geschichte der Liegnitz-Brieger Piasten. Hg. 1733 von Gottfried Balthasar Scharff. Bearb. und erg. von Georg Jaeckel. Bde. 1.2. Lorch/Württ. 1980-82. Über die staatliche Struktur Schlesiens im 16. und 17. Jh. vgl. außer den schon Genannten auch Franz Machilek: Schlesien. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfessionen 1500-1650. Bd. 2: Der Nordosten. Hg. von Anton Schindling und Walter Ziegler. Münster 1990, S. 102-138, bes. S. 102-106. Descripcio tocius Silesie et civitatis regie Vratislaviensis per M. Bartholomeum Stenum. Barthel Steins Beschreibung von Schlesien und seiner Hauptstadt Breslau [um 1512]. Hg. von Hermann Markgraf. Breslau 1902.
nuchus« spielen (die erste nachweisbare Aufführung eines TerenzStückes im deutschsprachigen Raum), 1502 folgte die »Aulularia« des Plautus.6 Höhepunkt des Breslauer Humanismus waren zweifellos die Bemühungen um die Einrichtung einer Universität, der ersten in Schlesien: Den Stiftungsbrief von 1505 hatte König Wladyslaw II. von Ungarn und Böhmen als schlesischer Landesherr bereits unterschrieben, doch Papst Julius II. versagte auf Drängen des polnischen Königs und der Universität Krakow, die um ihren Einfluß fürchtete, der Hohen Schule sein Privileg - noch zweihundert Jahre blieb Schlesien ohne eigene Universität. Durch den Humanismus wurden auch in Schlesien die Voraussetzungen für die Reformation geschaffen, wobei Repräsentanten der alten Kirche, wie der Humanist und Bischof Thurzo, die geistigen Reformansätze mittrugen, freilich ohne sich über deren kirchenpolitische Konsequenzen im Klaren zu sein. Begonnen hatte die kirchliche Umgestaltung des Landes als »Ratsreformation« in Breslau, neben die fast gleichzeitig eine »Fürstenreformation« in den schlesischen Territorien trat, die ihre Fortsetzung in einer »landständischen Reformation« fand, bei welcher der Adel die Schlüsselstellung für den personellen Vollzug der Reformation einnahm.7 1623 trug der Breslauer Rat trotz der von kirchlicher Seite erhobenen Einwände dem bisherigen Kanonikus Johannes Heß zunächst das Predigtamt, bald darauf auch das verweste Pfarramt an der Stadtkirche von St. Maria Magdalena an. Eine von Heß privat veranstaltete dreitägige Disputation über strittige theologische Fragen, deren Ergebnis der Gemeinde und damit der Öffentlichkeit zur Entscheidung vorgelegt wurde, lieferte dem Rat die Legitimation für seine weiteren Entscheidungen zur Übernahme des Patronats über die Kirchen und Schulen in seinem Jurisdiktionsbereich.8 Ebenfalls 1523 nahm Herzog Friedrich II. von Liegnitz als erster schlesischer Fürst öffentlich die evangelische Religion an, ihm folgten andere schlesische Fürsten, so daß unter dem maßgeblichen Einfluß Breslaus und der plastischen Fürsten Schlesien zu einem überwiegend protestantischen Land wurde, das jedoch in der Folgezeit unter der Regierung der Habsburger den repressiven 6
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H
Ausführlich Gustav Bauch: Laurentius Corvinus, der Breslauer Stadtschreiber und Humanist. Sein Leben und seine Schriften. In: ZVGS 17 (1883), S. 230302, bes. S. 250; derselbe: Beiträge zur Literaturgeschichte des schlesischen Humanismus. T. VIII. In: ZVGS 40 (1906), S. 140-184, bes. S. 183f. S. Deutsche Geschichte im Osten Europas. Schlesien, S. 207-212. Nach Norbert Conrads sei die »vorsichtige Breslauer Reformation von allergrößtem Einfluß auf die weitere Entwicklung in ganz Schlesien gewesen« (S. 207). Die gesamte Angelegenheit veranschaulichend: Die Reformation in Breslau. Ausgewählte Texte von Georg Kretschmar. Ulm 1960.
Maßnahmen einer katholisch bestimmten Religionspolitik unterworfen war.9 Nachdem bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zahlreiche schlesische Gelehrte dem reformierten Bekenntnis beigetreten waren, als prominenteste der Breslauer Theologe und spätere Mitverfasser des Heidelberger Katechismus, Zacharias Ursinus, sowie der Breslauer Arzt und kaiserliche Leibmedikus, Johann Crato von Kraftheim, und der Kalvinismus auch von angesehenen Vertretern des Landadels wie dem um das schlesische Bildungswesen sich verdient machenden Freiherrn Georg von Schönaich-Carolath angenommen wurde, gingen zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch mehrere schlesische Fürsten zum reformierten Bekenntnis über, zuerst Markgraf Johann Georg (der vom Kaiser nicht anerkannte Herzog von Jägerndorf), dann auch die Piastenfürsten Johann Christian von Brieg und Georg Rudolf von Liegnitz-Wohlau.10 Der Kalvinismus, im Augsburger Religionsfrieden als häretische Abweichung ausgeschieden, gewann seine Anziehungskraft insbesondere durch die Prädestinationslehre von der göttlichen Vorherbestimmung, die es dem einzelnen Gläubigen ermöglichte, seinen Erfolg im irdischen Leben als Zeichen seiner Auserwähltheit durch Gott zu begreifen, wodurch Kräfte in allen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen und geistigen Lebens freigesetzt wurden. Allerdings konnte sich in Schlesien das reformierte Bekenntnis, das von Katholiken und Lutherischen gleichermaßen bekämpft wurde, nicht massenhaft ausbreiten, fehlte es dem Kalvinismus vor allem an einer solchen politischen Förderung, der sich die anderen Konfessionen erfreuen durften. Auch die genannten schlesischen Fürsten, die durch vielfache und weitverzweigte Verwandtschaftsbeziehungen mit den Dynastien Brandenburg, Kurpfalz und Anhalt, die damals im Reich das reformierte Bekenntnis repräsentierten, verbunden waren, handelten eher zögerlich und beließen in ihren Territorien die lutherische Bevölkerungsmehrheit bei ihrem Glauben. Für die reformierten Theologen, die im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts wegen ihrer Glaubensauffassungen Schlesien 9
10
Dazu ausführlich Ulrich Hutter-Wolandt: Das Zeitalter nach der Reformation. In: Quellenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirche in Schlesien. Hg. von Gustav Adolf Benrath u.a. München 1992, S. 101-155. Vgl. Ulrich Hutter-Wolandt: Die Reformierten in Schlesien. In: Kirchen und Bekenntnisgruppen im Osten des Deutschen Reiches. Hg. von B. Jähnig und S. Spieler. Bonn 1991, S. 131-147; zum Kontext die Sammelbände: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland - Das Problem der »Zweiten Reformation«. Hg. von Heinz Schilling. Gütersloh 1986; Territorialstaat und Calvinismus. Hg. von Meinrad Schaab. Stuttgart 1993; s. auch Matthias Weber: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich in der frühen Neuzeit, S. 122-145.
verlassen mußten, wurde die Kurpfalz das bevorzugte Einwanderungsland.11 Das politische Leben in Schlesien wurde um 1600 vor allem von drei Kräften bestimmt: Da waren zuerst die Habsburger, die durch den Oberlandeshauptmann für ganz Schlesien die oberste Regierungsgewalt ausübten. Dieses Amt war seinerzeit von König Sigismund geschaffen worden, um die schlesischen Kräfte in den Wirren der Hussitenkriege zusammenzufassen; 1422 wurde es dem Bischof von Breslau übertragen. Seit 1504 mußte der Oberlandeshauptmann immer ein schlesischer Fürst sein. Die zweite politische Kraft waren die schlesischen Piastenherzöge, und als dritter machtpolitischer Faktor kam Breslau hinzu, Schlesiens politischer, wirtschaftlicher und geistig-religiöser Mittelpunkt, eine zwar landesherrliche Stadt, die sich aber wegen ihrer starken, auf ausgedehnter Handelstätigkeit und entwickeltem Gewerbe beruhenden Geld- und Wirtschaftskraft eine politische Sonderstellung erworben hatte. So besaß sie die schon 1364 von Kaiser Karl IV. der Stadt übertragene Landeshauptmannschaft über das ehemalige Fürstentum Breslau und war somit Trägerin der Regierungsgewalt über den benachbarten Landadel. Der Adel des Fürstentums war damit wenig zufrieden und beschwerte sich wiederholt, daß er bei den Bürgern von Breslau sein Recht holen mußte. Da aber die reichen Breslauer Geschlechter einen großen Teil der Landgüter selbst besaßen, blieben seine Bemühungen erfolglos. Außerdem durfte die Stadt eine eigene Schutzwehr unterhalten; das sogenannte ius praesidii bedeutete Freiheit von kaiserlicher Garnison und vorübergehender Einquartierung.12 11
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Vgl. Gustav Hecht: Schlesisch-kurpfälzische Beziehungen im 16. und 17. Jh. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. N. F. 42 (1929), S. 176-222; Werner Bellardi: Schlesien und die Kurpfalz. Ein Beitrag vertriebener schlesischer Theologen zur »reformierten« Theologie und Bekenntnisbildung. In: JbSKG N. F. 51 (1972), S. 48-66. Zu Breslau vgl. die sehr detaillierten Darstellungen von Friedrich Albert Zimmermann: Beschreibung der Stadt Breslau im Hertzogthum Schlesien. Brieg 1794; Carl August Menzel: Topographische Chronik von Breslau. Breslau 1805/ 08; R. Bürkner und J. Stein: Geschichte der Stadt Breslau von ihrer Gründung bis auf die neueste Zeit. 3 Bde. Breslau 1851; Chronik der Stadt Breslau von der ältesten bis zur neuesten Zeit. Hg. von F. G. Adolf Weiß. Breslau 1888; für den Überblick Hermann Markgraf: Geschichte Breslaus. 2. Aufl. Hg. von Otfried Schwarzer. Breslau 1913; Fritz Marx: Chronik von Breslau. Ulm-Donau 1956; aus neuerer Zeit Heinrich Trierenberg: Heimat Breslau. Bild einer deutschen Stadt im Spiegel der Geschichte. Mannheim 1980; Ludwig Petry: Breslau in der frühen Neuzeit - Metropole des Südostens. In: Europäische Städte im Zeitalter des Barock. Hg. von Kersten Krüger. Köln/Wien 1988, S. 121-140. Für den Überblick auch Gerhard Scheuermann. Das Breslau-Lexikon. 2 Bde. Dülmen 1994.
1533 hatte Breslau das 47 km östlich der Stadt gelegene Burglehn Namslau (Namyslow) von König Ferdinand I. als Pfand erhalten.13 Der jeweilige Ratspraeses, das heißt der Vorsitzende des Breslauer Stadtrates, war Direktor dieses Burglehns und als Landeshauptmann über das ehemalige Fürstentum Breslau den plastischen Fürsten Schlesiens gleichgestellt. Den weitaus größten Teil ihres umfangreichen Landbesitzes hatte die Stadt schon im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts erworben; 1614 kaufte sie noch das Burglehn Neumarkt (Sroda Slaska) mit seinen Gütern hinzu, so daß nun über 40 Dörfer mit ca. 5-6000 Bewohnern der Jurisdiktion des Breslauer Rates unterstanden und die Einnahmen aus dem Landbesitz fast ein Fünftel der gesamten Stadteinnahmen betrugen.14 Auch so zählte Breslau zu den großen deutschen Städten: Als nämlich Ferdinand I. im Jahre 1561 die Stadt hatte abmessen lassen, stellte sich heraus, daß Breslau in den Ringmauern fast 470 Ellen größer war als die Kaiserstadt Wien.15 Die in den Ratsakten sorgfältig aufbewahrten Meßergebnisse waren durchaus geeignet, in Verbindung mit dem umfangreichen Landbesitz, der kommerziellen und wirtschaftlichen und damit finanziellen Leistungskraft sowie den bestehenden Privilegien, besonders der Landeshauptmannschaft über das Fürstentum Breslau, die Bemühungen der Stadt um den Status einer freien Reichsstadt zu stützen - allein der Verlauf des Dreißigjährigen Krieges machte den hochfliegenden Plänen des Rates ein baldiges Ende. Im Jahre 1616, dem Geburtsjahr des Dichters Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, waren im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation die Weichen für einen Krieg gestellt, den man später als den Dreißigjährigen oder den Großen Krieg des 17. Jahrhunderts bezeichnete. Die das Reich regierenden österreichischen Habsburger befanden sich bereits seit Beginn des Jahrhunderts in arger Bedrängnis.16 Langanhaltende Streitigkeiten an der Grenze zum Osmanischen 13
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S. auch W. Liebich: Chronik der Stadt Namslau von Begründung derselben bis auf die neueste Zeit. Nach einer im Namslauer Stadt-Archiv befindlichen Chronik bearbeitet. Namslau 1862. Heinrich Wendt: Die Verwaltung der Breslauer Kämmereigüter vor und nach der preußischen Besitzergreifung. In: Silesiaca. Festschrift für Colmar Grünhagen. Breslau 1898, S. 321-342, hier S. 322. Der Breslauer Obersyndikus Andreas Assig hat in seinen Sammlungen auch die folgenden Daten dem Vergessen entrissen und für die politische Argumentation des Rates bereitgestellt. Demnach maß Breslau in den Ringmauern 6510, die Stadt Wien dagegen nur 604 Wiener Ellen. AMW E 2-2: Singularia Wratislaviensia D. Andreae Assigii. Vol. II, S. 111. Faktenreich für die Zeit vor und während des Dreißigjährigen Krieges noch immer Karl Adolf Menzel: Geschichte des dreißigjährigen Krieges in Deutschland. Bde. 1-3. Breslau 1835-1839; Moritz Ritter: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges. Bde. 2-3
Reich mündeten 1593 in den Türkenkrieg, der dreizehn Jahre später infolge finanzieller Defizite auf beiden Seiten sein Ende fand. Rudolf II., der »König von Wien«, wurde nun auch vom türkischen Sultan als Kaiser anerkannt. Im selben Jahr einigten sich die Brüder des erkrankten Kaisers über die Erbfolge in den habsburgischen Besitzungen; bereits 1608 zwang Erzherzog Matthias, im Bündnis mit der antikaiserlichen protestantischen Adelsbewegung in Ungarn, Österreich und den böhmischen Ländern, den Monarchen zum Verzicht auf Titel und Herrschaft in diesen Ländern. Zwar gewann er damit auch die Anwartschaft auf die Thronfolge in Böhmen, doch der böhmische Adel nutzte die Gunst der Stunde und ließ sich - indem er beide Brüder gegeneinander ausspielte - von Rudolf II. im »Majestätsbrief« vom 9. Juli 1609 Gewissens- und Religionsfreiheit bestätigen und das Recht einräumen, Kirchen zu bauen und Schulen zu errichten. Der nach dem Tode Rudolfs 1612 von den Kurfürsten gewählte Kaiser Matthias vermochte es jedoch nicht, die Zentralgewalt zu stabilisieren. Dazu kamen Erbrechtsstreitigkeiten mit der spanischen Linie der Habsburger,17 da die Ehe des neuen Herrschers kinderlos blieb, desgleichen auch die seiner beiden jüngeren Brüder. Nun meldete König Philipp III. von Spanien als Enkel Kaiser Maximilians II. seinen Anspruch auf Kaiserkrone und österreichische Erbschaft an. Doch die sich damit vollentfaltende innerdynastische Krise des Hauses Habsburg konnte noch auf dem Wege von Verhandlungen überwunden werden: Im Jahre 1617 einigten sich die potentiellen Kandidaten auf die Nachfolge Erzherzog Ferdinands aus der steiermärkischen Linie, eines Neffen des Kaisers. In dem zwischen ihm und Philipp III. geschlossenen Prager Geheimvertrag vom 20. März trat der zukünftige Kaiser Herrschaftsrechte im Elsaß und in der Ortenau an die spanische Krone ab und sagte seinem Gegenspieler vakante Reichslehen in Oberitalien zu. Auf diese Weise gelang es schließlich,
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(1. Aufl. 1895 und 1908). Darmstadt 1974; Quellen zur Vorgeschichte und zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Hg. von Gottfried Lorenz. Darmstadt 1991; weiterhin der Sammelband: Krieg und Politik 1618 bis 1648. Europäische Probleme und Perspektiven. Hg. v. Konrad Repgen unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner. München 1988; Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt a. M. 1992. Bei der Abdankung Kaiser Karls V. 1556 waren die habsburgischen Gesamtbesitzungen zwischen der österreichischen Linie unter Ferdinand I. und der spanischen Linie unter Philipp II. aufgeteilt worden. Zur Dynastie der Habsburger vgl. Robert J. W. Evans: Das Werden der Habsburger Monarchie 1550-1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. Wien/Köln/Graz 1986; s. auch den Sammelband: Die Kaiser der Neuzeit. Hg. von Anton Schindling und Walter Ziegler. München 1990.
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die Wahl Ferdinands zum böhmischen König zu realisieren, wobei der böhmische Adel sich seine Privilegien ausdrücklich bestätigen ließ. Im Juni 1617 wurde Ferdinand in Prag gekrönt und gewann mit seinen militanten Anhängern am Kaiserhof zunehmend an Einfluß; gleichzeitig gerieten die auf Beilegung der brennenden Konflikte im Reich durch Verhandlungen orientierten Kräfte um Kaiser Matthias mehr und mehr in die Defensive. Denn ebenfalls seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert breiteten sich mit unheimlicher Schnelligkeit tiefe Gegensätze zwischen einzelnen Fürstengruppierungen im Reich aus, in die auch das Kaiserhaus untrennbar eingebunden war. Der 1608 gebildeten Union protestantischer Fürsten, in der die Reformierten mit Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz die Oberhand hatten, folgte ein Jahr darauf die Allianz katholischer Fürsten unter der Führung Bayerns. Beide Fürstenbündnisse, denen sich auch einzelne Reichsstädte anschlössen, unternahmen umfangreiche Truppenwerbungen. Ein Krieg europäischen Ausmaßes bahnte sich immer mehr an, da längst auswärtige Mächte in die Reichspolitik einwirkten. Den Machtbestrebungen der österreichischen und spanischen Habsburger, die von der katholischen Liga sowie vom Papst, von Polen und einigen italienischen Fürsten unterstützt wurden, standen die von der habsburgisch-katholischen Koalition bedrohten europäischen Mächte Niederlande, Frankreich, Dänemark und Schweden sowie die Fürsten und Reichsstädte der protestantischen Union gegenüber. Der Zerfall des Reiches in feindliche Sonderbünde und die Handlungsunfähigkeit der Reichsbehörden - durch den Abzug des protestantischen Lagers vom Reichstag zu Regensburg 1608 wurde faktisch die Reichsverfassung außer Kraft gesetzt - bewirkten schließlich, daß die sich immer mehr zuspitzenden Gegensätze zwischen den rivalisierenden Kräften unvermeidlich in einen Krieg europäischen Ausmaßes münden mußten. In die bevorstehenden Auseinandersetzungen wurde auch Schlesien hineingezogen, dessen Fürsten und Stände im Juli 1609 ein Schutzbündnis mit den Böhmen aufgerichtet und einen Monat später, am 20. August, ihren »Majestätsbrief« von Rudolf II. erhalten hatten.18 Vorausgegangen war nach dem Tode des Breslauer Bischofs Johannes von Sitsch im Jahre 1608 die Wahl des österreichischen Erzherzogs Karl zum neuen Bischof durch das Domkapitel. Die schlesischen Stände versagten ihm, da er weder Priester- noch Bischofsweihe empfing, die mit diesem Amt verbundene Oberlandeshauptmann18
Ausführlich darüber Georg Jaeckel: Die staatsrechtlichen Grundlagen des Kampfes der evangelischen Schlesier um ihre Religionsfreiheit. T. 1. In: JbSKG 37 (1958), S. 102-136.
schaft in Schlesien, verweigerten die Steuererhebung und gingen zur Sicherung ihrer Interessen ein Verteidigungsbündnis mit dem böhmischen Adel ein. Ihr »Majestätsbrief« war wie jener für Böhmen durch den Notverkauf bisheriger Herrschaftsrechte und Prinzipien an die Stände, von denen das politische Überleben des Kaisers abhing, Ausdruck der Ohnmacht Rudolfs II. in den innerhabsburgischen Auseinandersetzungen.19 Statt die Konfessionsstreitigkeiten zwischen dem katholischen Kaiserhaus und den protestantischen Ständen zu beheben, barg er in sich bereits den Keim für neue Konflikte. Der »Majestätsbrief« vom 20. August 1609 ging als erstes offizielles Dokument der Einbeziehung Schlesiens in den Augsburger Religionsfrieden durch die gleichberechtigte Anerkennung der katholischen und lutherischen Konfession für jedermann in allen schlesischen Territorien über die Bestimmungen von 1555 hinaus. Außerdem durfte von 1609 an die Oberlandeshauptmannschaft, die dem Breslauer Bischof entzogen wurde, nur noch von einem weltlichen schlesischen Fürsten ausgeübt werden. 1611 mußte Erzherzog Matthias als neuer König von Böhmen gegen seinen Willen »Majestätsbrief« und schlesische Landesprivilegien bestätigen und der Einrichtung einer von der böhmischen Kanzlei unabhängigen sogenannten deutschen Kanzlei für die schlesischen und lausitzischen Angelegenheiten als oberster Regierungsbehörde zustimmen. Doch schon 1616 hatten die Böhmen, die diese Vorgänge mit Argwohn beobachteten, die Wiedervereinigung der schlesischen Kanzlei mit der böhmischen (und damit zugleich deren Unterordnung unter die ihrige) durchgesetzt und den Bundesgenossen in seinen Selbständigkeitsbestrebungen empfindlich gestört. Auch die von dem böhmischen Adel ohne Hinzuziehung der Schlesier am 29. Juli 1617 allein vorgenommene Wahl Erzherzog Ferdinands zum König von Böhmen trug nicht dazu bei, das gegenseitige Verhältnis in ein günstigeres Licht zu bringen. Am 24. September huldigten dann die schlesischen Fürsten und Stände sowie der Breslauer Rat dem neuen Landesherrn, der »Majestätsbrief« und Landesprivilegien ebenfalls anerkennen mußte. So blieb Schlesien vor dem Hintergrund der von Habsburg neu konzipierten katholischen Religionspolitik mit den böhmischen Angelegenheiten aufs engste verkettet: Es war einem Monarchen Untertan, der in seinen österreichischen Erblanden vehement die Restauration des Katholizismus vorangetragen hatte und bei der Lösung der im Reich schwelenden Konflikte auf Gewalt setzte. Und es war in einem Schutz- und Trutzbündnis dem protestantischen 19
Vgl. Deutsche Geschichte im Osten Europas. Schlesien, S. 269f.
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böhmischen Adel verpflichtet, der sich anschickte, Böhmen von der habsburgischen Herrschaft loszureißen, wobei er gegen eben diesen Monarchen Unterstützung bei der Union der protestantischen Fürsten im Reich suchte.
I. Hoffmannswaldaus Geburt und Kindheit in Breslau (Wroclaw) (1616-1624) Hoffmannswaldaus Geburt und Genealogie der Familie In dieser für das Heilige Römische Reich deutscher Nation so bedeutsamen Zeit wurde am 25. Dezember 1616 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau in Breslau geboren.1 Die Genealogie der Familie, die wichtige Aufschlüsse über die soziale Herkunft des später bekannten Politikers und berühmten Dichters gibt, führt in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zurück, nach Neisse (Nysa), von wo die Familie über die Grafschaft Glatz nach Breslau einwanderte. Im Jahr 1540 ist ein »Hofman zur Neisse« belegt, der zwei Söhne hatte; der ältere von beiden, Georg, ist der Großvater des kleinen Christian.2 Sein Geburtsjahr ist unbekannt. 1558 immatrikulierte er sich an der Universität Wittenberg,3 später übernahm er das Pfarramt in Wünschel1
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Franz Heiduk: Das Geburtsdatum Hoffmannswaldaus. In: Schlesische Studien. FS für Karl Schodrok. Hg. v. Alfons Hayduk. München 1970, S. 119-122. Anhand zahlreicher Quellenbelege, u. a. der Matrikel der Universität Leiden und des Grabsteins in der Elisabethkirche zu Breslau, wies Heiduk nach, daß der Dichter wie Andreas Gryphius 1616 geboren wurde. In der ehemaligen Breslauer Stadtbibliothek wurden in den sog. Ezechiel'schen bzw. Reichel'schen Sammlungen zwei nur unbedeutend voneinander abweichende Stammtafeln Hoffmannswaldaus aufbewahrt. Eine, wohl jene aus der Reichel'schen Sammlung, hatte schon Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte des 17. Jhs. Halle 1891, S. 113, mitgeteilt. Einen durch zusätzliches Quellenmaterial richtiggestellten und um weitere Daten bereicherten Stammbaum gab Franz Heiduk: Das Geschlecht der Hoffmann von Hoffmannswaldau. In: Schlesien 13 (1968), S. 3639. Zur Stammfolge der Familie Hoffmann von Hoffmannswaldau s. jetzt vor allem Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter in der Zeit von 1241 bis 1741. Bd. 2. Dortmund 1987, S. 270-275. Pusch stützte sich in seinem fünfbändigen Werk über die Breslauer Ratsfamilien (Dortmund 1986-1991) vor allem auf die als »Manuscriptum genealogicum Reichelianum« bekannte Reichel'sche Sammlung, die der Breslauer Stadtkommandant, Albrecht von Reichel, ein weitläufiger Verwandter Hoffmannswaldaus, im 17. Jh. angelegt hatte und die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Besitz der Universitätsbibliothek Münster gelangt war. Die Stammfolge Hoffmannswaldau im Manuscriptum genealogicum Reichelianum, S. 261. Album Academiae Vitebergensis. Ältere Reihe in 3 Bde. Bd. 1: 1502-1560. Hg. von Karl Eduard Förstemann. Neudruck der Ausgabe Leipzig 1841. Aalen 1976, S. 349b: »(2.10.1558) Georgius Hoffman Nissenus.«
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burg (Radkow) und wurde Assessor und Senior des Kirchenkonsistoriums in der Grafschaft Glatz, wo er 1583 verstarb. Auch sein jüngerer Bruder Paul hatte studiert, ab 1568 zunächst in Leipzig, ab 1574 dann in Wittenberg; später promovierte er zum Doctor philosophiae et theologiae, wurde 1588 in Wittenberg zum Professor für Ethik und Dialektik berufen und übernahm 1590 die unterste theologische Professur, von welcher er jedoch im Winter 1591/92 als Kryptokalvinist amtsenthoben wurde.4 Georg Hoffmann war mit Anna Römer aus Löwenberg (Lwowek Sla§ki) verheiratet, die ihm zwei Söhne geboren hat: Georg (den Jüngeren) und Johann, den Vater Christian Hoffmanns, der am 22. Juni 1575 in Wünschelburg zur Welt kam.5 Über seine Ausbildung fehlen uns die Belege; ob er an den Universitäten Wittenberg und Frankfurt/Oder studiert hat, ist nicht bewiesen.6 Gesichert ist hingegen, daß Johann Hoffmann vom schlesischen Adligen Nikolaus II. von Burghaus und Stoltz als Erzieher für dessen Sohn bestellt wurde. Das von den Burghausischen Grafen in Bayern abstammende und in Schlesien im hohen Ansehen stehende Adelsgeschlecht hatte seit dem 14. Jahrhundert umfangreichen Landbesitz vor allem in den Fürstentümern Schweidnitz und Jauer erworben, so 1512 auch die an Bergwerken reichen Kupferbergischen Güter. Nikolaus II. von Burghaus und Stoltz, 1601 zum Prager Hofkammerrat berufen, reiste ein Jahr später als königlicher Kommissar und Kammerdirektor nach 4
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Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559-1809. Hg. von Georg Erler. 3 Bde. Bd. 1: Die Immatrikulationen vom Wintersemester 1559 bis zum Sommersemester 1634. Leipzig 1909, S. 195: »Paulus Auleander Nyssen.«; Album Academiae Vitebergensis. Bd. 2: 1560-1602. Hg. von Otto Hartwig. Neudruck der Ausgabe Halle/Sa. 1894. Aalen 1976, S. 251b: »(5.2.1574) Paulus Aulaeander Nissenus Silesius«. Über Paulus Auleander (=Hoffmann) s. Walter Friedensburg: Geschichte der Universität Wittenberg. Halle a.S. 1917, S. 326, 329 u. 347. Rudolf Stein: Der Rat und die Ratsgeschlechter des alten Breslau. Würzburg 1963, S. 255, erwähnt noch einen dritten Sohn mit Namen Balthasar Hoffmann. In der Universitätsmatrikel Wittenberg findet sich unter dem 24. Juli 1598 der Eintrag: »lohannes Hoffman Vratislaviensis«. S. Album Academiae Vitebergensis. Bd. 2, S. 450b. Gleichfalls für 1598 (Sommersemester) weist die Universitätsmatrikel Frankfurt/Oder den folgenden Eintrag nach: »Johannes Hofman Vratislaviensis«. Vgl. Aeltere Universitäts-Matrikeln. I. Universität Frankfurt a.O. Hg. von Ernst Friedländer. 1. Bd. (1506-1648). Neudruck der Ausgabe 1887. Osnabrück 1965, S. 424b. Nach Gottfried Kliesch: Der Einfluß der Universität Frankfurt (Oder) auf die schlesische Bildungsgeschichte, dargestellt an den Breslauer Immatrikulierten von 1506-1648. Würzburg 1961, S. 140, soll es sich in beiden Fällen um Christian Hoffmanns Vater handeln. Allerdings läßt sich (wie wir noch sehen werden) diese These nicht mit dem Matrikeleintrag von 1608 in Orleans in Einklang bringen, wo sich Johann Hoffmann als »Wünschelburger« inskribierte.
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Oberungarn, 1604 nach Siebenbürgen.7 Daß er Johann Hoffmann zum Erzieher seines 1591 geborenen Sohnes Nikolaus bestellte, erfahren wir aus einem Glückwunschgedicht, das Christian Starcken 1637 dem Vater des Dichters widmete. Dort heißt es: Halt nicht der alte Herr von Burghauß anvertrawet Dir seinen edlen Sohn? Er hat gar wol geschawet Jn dir Geschickligkeit/ der alte weise Herr [...].8
Den Jahren, die Johann Hoffmann als Erzieher im Hause derer von Burghaus und Stoltz verbrachte und denen er die weitere Förderung durch diese einflußreiche Familie verdankte, kommt eine große Bedeutung zu. Durch Nikolaus II. kam er in engen Kontakt zu prominenten Vertretern des schlesischen Späthumanismus wie Tobias Scultetus, Daniel Bucretius, Caspar Cunrad und Nikolaus Henel - wir werden an anderer Stelle entsprechende Belege beibringen. Zunächst jedoch durfte er den Sohn des schlesischen Adligen auf einer Reise durch mehrere europäische Länder begleiten. Die einzige Quelle, die über diese Reise einigen Aufschluß gibt, ist ein deutschsprachiges Lobgedicht, das Martin Opitz 1632 auf die Inauguration des jüngeren Nikolaus von Burghaus und Stoltz zum Landeshauptmann des Münsterbergischen Fürstentums und Frankensteinischen Weichbildes verfaßte. Darin erinnert Opitz an den vormaligen Erzieher des neuen Landeshauptmanns, den er »mein vnd der Musen Freund Herr Hoff7
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Zu diesem Adelsgeschlecht vgl. Schlesischer Curiositäten Erste Vorstellung [...] Ausgefertiget von JOHANNE SINAPIO [...] Leipzig 1720 (542301), S. 9. Sinapius verwertete hier ein Manuskript des Rektors am Breslauer Elisabethgymnasium, Martin Hanke, u.d.T. »Martini Hankii de Imperii Romani Comitibus Burghausiis Opus Historicum«. 1632 verfaßte Nikolaus Henel eine umfangreiche Laudatio posthuma auf Nikolaus II. von Burghaus und Stoltz, die er dem Sohn Nikolaus III. widmete, vgl. BURGHAUSIO-MNEMA, HOC EST, LAUDATIO POSTHUMA [...] Auctore NICOLAO HENELIO U. J. D. [...] Brieg 1632 (557951). GEBVRTS GETICHTE An den WolEdlen/ Gestrengen Herrn Johann Hoffmann Von Hoffmanswaldaw [...] Gestellt von CHRISTIAN STARCKEN. Oels 1637 (546319); hier die V. 113-115. Und an anderer Stelle heißt es: [...] So hat bey dir gespürt Der Hohe Mann verstand!/ stellt dich zu seinem Sohne Da solstu Weiser sein zu des Parnassus Crone/ Die Gaben der Natur vnd Sinnen füllen an Mit guttem Vnterricht/ giebt jhn dir auff die Bahn/ Macht zum Achates dich/ du sollst mit ihm Verreisen/ Vnd jhm der Völcker art vnd gutte Sitten weisen/ Was recht/ was nützlich sey/ was zum gemeinen Stand Vnd zur Regierung dient/ das machstu jhm bekandt. Er folgte trewlich dir; es ist jhm auch gelungen/ Daß Er das weite Meer der Wissenschafft durchdrungen. (V. 128-138) Der Hinweis auf Achates, den durch seine Treue sprichwörtlich gewordenen Gefährten des Aeneas, läßt eine engere Beziehung vermuten.
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man« nennt. Bezogen auf Odysseus, heißt es über Nikolaus III., Baron von Burghaus und Stoltz, und dessen »Achates« Johann Hoffmann dann weiter: Dem hast du nachgesetzt/ hast deiner Sinnen gute/ Die Gaben der Natur/ das edele Gemüte Durch ändern witz geschärfft/ hast den gemeinen standt/ Der Länder främbden lauff/ gesetz vnd art erkandt/ Gelehrtes Volck geliebt/ dich jhnen beygesellet Jhr vrtheil angehört das sie von dem gefellet Was wissens würdig ist; von welcher Leute schar Mein vnd der Musen Freund Herr Hoffman allzeit war Als dein Achates selbst: Du hast gern angesehen/ Den ort wo diß vnd das vor alters sey geschehen/ Wo Keyser Claudius hat in der Aar genetzt Die Redner zu Lyon die vnberedt geschwätzt; Wo Julius gesiegt; wo Attila erlegen; Wo Phaeton gestürtzt auß Titans hohen wegen; Wo Rom Rom hieß vnd war; wo Catilina fiel/ Vnd was sich in den Reim noch sonst nicht reimen will. (V.131-146)9
Zeitlich fiel die Reise etwa in die Jahre 1608 bis 1610: Während ihres Aufenthaltes in Frankreich trugen sich Nikolaus III. von Burghaus und Stoltz und Johann Hoff mann 1608 in Orleans in die Matrikel ein;10 Ende 1610 kamen sie auf ihrer peregrinatio academica durch Italien auch nach Siena, wo sie sich ebenfalls an der Universität inskribierten.11 Mehrere Mitglieder des Adelsgeschlechts derer von Burghaus und Stoltz hatten Siena besucht und sich in die Matrikel der deutschen Nation eingetragen, so 1587 der Vater Nikolaus II. und 1600 die Brüder Sigismund und Franz, die der spätere schlesische Kammerfiskal Tobias Scultetus auf ihrer Reise begleitete. In der Matrikel der deut9
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INAUGURATIO PERILLVSTRIS DN. DN. NICOLAI BARONIS A BURGHAUS et Stoltz [...] Ad Ducatus Monsterbergici et Territorii Francosteinensis PRAEFECTURAM, Auctore MARTINO OPITIO. Breslau 1632 (507764). Das 158 Verse umfassende deutschsprachige Lobgedicht folgt hier einer lateinischen Inscriptio in 16 Versen und beginnt mit den Worten: Wir können freylich nicht/ fürbey/ mein Vaterlandt. Vgl. Winfried Dotzauer: Deutsche in westeuropäischen Hochschul- und Handelsstädten, vornehmlich in Frankreich, bis zum Ende des alten Reiches. Nation, Bruderschaft, Landsmannschaft. In: Geschichtliche Landeskunde. Bd. 5 (FS Ludwig Petri, Teil 2). Hg. von Johannes Bärmann u.a. Wiesbaden 1969, S. 89-159, hier S. 131: »1608: [...] Nicolaus de Burckhaus et Stoltz, Johannes Hofman Wunschelburgensis.« Die Matrikel der deutschen Nation in Siena (1573-1738). Hg. von Fritz Weigle. Bd. 1. Tübingen 1962, S. 195: »(1610) Nicolaus a Burckhaus et Stoltz in Schiltberg Silesius 14. Dez. l sc [...] Joannes Hofman Silesius 16. Dez. 4 jul.«. Bei den Immatrikulationsgebühren galt als Rechnungs- und Münzeinheit der Silberscudo, dem 10 Giulii entsprachen.
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sehen Nation in Siena finden wir auch zahlreiche Scholaren aus dem späteren Freundes- und Verwandtenkreis der Familie Hoffmann, so 1611 Nikolaus Henel, 1620 Heinrich von Reichel, 1627 Maximilian Oelhafen, schließlich mehrere Mitglieder der Familien Sebisch und Artzat - alles Männer mit später einflußreichen Positionen im Breslauer Stadtregiment. Durch seine Ausbildung und seine Bildungsreise gehörte auch Johann Hoffmann zur nobilitas literaria; seine engen Beziehungen zum Hause derer von Burghaus und Stoltz boten dem Pfarrerssohn darüber hinaus die Sicherheit einer steilen Beamtenkarriere. Wohl 1611, als Nikolaus II. von Burghaus und Stoltz von Kaiser Matthias zum Präsidenten der Kammer für Ober- und Niederschlesien verordnet wurde, siedelte Johann Hoffmann nach Breslau über und stieg - von seinem Gönner gefördert - bald zum Sekretär der schlesischen Kammer auf.
Königliche Kammer in Ober- und Niederschlesien Die schlesische Kammer war im Zuge der habsburgischen Hausmachtpolitik schon 1558 durch König Ferdinand gebildet worden, um die politischen und ökonomischen, insbesondere finanziellen Interessen des Monarchen gegenüber den schlesischen Fürsten und Ständen durchzusetzen.12 Ihre Gründung, zusätzlich zu der bereits seit 1422 bestehenden Oberlandeshauptmannschaft für Schlesien, ist Bestandteil eines Prozesses, der im 16. Jahrhundert einsetzte, neue politischstaatliche Organisationsformen herausbildete und allgemein als »Geburt« des modernen beziehungsweise frühmodernen Staates bezeichnet wurde. Die zunehmende Konzentration von Regierungsaufgaben in den Händen des Landesherren stärkte dessen Macht, während die Rechte der Stände, des Adels und der Städte beschnitten wurden. Die schlesische Kammer bestand aus dem Kammerpräsidenten, dem noch zwei Kammersekretäre beigegeben wurden (später standen über diesen noch zwei Kammerräte) sowie einer Kanzlei mit einem Sekretär an der Spitze. Ihr Aufgabenkreis war recht groß gefaßt: So sollte die Kammer nicht nur die Erträge aller fiskalischen Besitztümer, vor 12
Die »Fundation der Königlichen Cammer in Ober- und Mieder-Schlesien« abgedruckt bei Friedrich Lucae: Schlesiens curiose Denckwürdigkeiten/ oder vollkommene CHRONICA Von Ober- und Mieder-Schlesien [...] Frankfurt a.M. 1689 (361727/28), S. 2087-2089; s. auch Franz Kürschner: Die Errichtung der königlichen Kammer in Schlesien. In: ZVGS 11 (1871), S. 1-17; Elisabeth Zimmermann: Die schlesische Kammer und die Reformationsgeschichte in Schlesien. In: ASKG 14 (1956), S. 141-152.
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allem die Zölle und Biersteuern sowie die Einkünfte aus den Strafverfahren, einziehen, sondern unter anderem auch die schlesischen Bergwerke und die Münzherstellung überwachen Darüber hinaus wurde ihr auch die Aufsicht über die Gerichte gegeben, so daß die schlesische Kammer nach außen hin zwar als fiskalische Behörde fungierte, in Wirklichkeit jedoch eine Staatsbehörde mit außerordentlich weitreichenden Vollmachten war. Da die Kammer ihren Sitz in der kaiserlichen Burg in Breslau hatte, übte sie als landesherrliche Verwaltungsinstitution auch die Aufsicht über die fiskalischen und juristischen Angelegenheiten der Stadt aus. Das mußte dem Rat wenig angenehm sein, der mit dem ebenfalls in Breslau residierenden Oberlandeshauptmann schon eine landesherrliche Behörde in den Mauern seiner Stadt besaß. Die mit der Neuorganisation der Landesverwaltung verbundene Zunahme der Staatsaufgaben führte zu einem steigenden Bedarf an akademisch ausgebildeten Beamten vor allem bürgerlicher Herkunft. Als Stütze des Staates konnte sich der humanistische Gelehrte einen privilegierten Platz in der Ständehierarchie erobern - der Landesherr seinerseits förderte die Beamtenschaft durch deren Erhebung in den Amtsadel. Am l I.September 1612 verlieh Kaiser Matthias in Prag auch Johann Hoffmann und seinem Bruder Georg (dem Jüngeren) das böhmische Adelsdiplom mit dem Zusatz »von Hoffmannswaldau«.13 Das Wappen der Familie ist noch heute im ehemaligen Fürstensaal des Rathauses von Wroclaw zu sehen. Es zeigt in Rot einen silbernen Anker, beiderseits begleitet von je drei silbernen Rosen. Die Helmzier weist über einer heraldischen Krone drei Straußenfedern in Weiß, Rot, Weiß auf, belegt mit je einer Rose verwechselter Farbe. Die Helmdecken sind in Rot und Silber.14 13
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Vgl. Franz Heiduk: Das Geschlecht der Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 31. Die Bestätigung des erblichen Reichsadels erfolgte am 13. Juli 1629 in Wien; das Konzept der Adelsbestätigung ebenda, zwischen S. 31 und 32. Nach Rudolf Stein: Der Rat und die Ratsgeschlechter des alten Breslau, S. 255, war Georg (der Jüngere) Kaiserlicher Rat und zeitweise Gesandter in Ungarn; er starb 1623. Der hier erwähnte, ebenfalls in den Adelsstand erhobene Balthasar Hoffmann von Hoffmannswaldau wirkte von 1612 bis 1620 als Agent der schlesischen Stände in Prag. Das Wappen ist abgebildet und beschrieben bei Rudolf Stein: Der Rat und die Ratsgeschlechter des alten Breslau. Würzburg 1963, S. 255; Wappen Tafel XXIII. Das Wappen entspricht den Abbildungen in den Stichen, die der Werkausgabe Hoffmannswaldaus und den zeitgenössischen Porträts beigegeben sind. Pusch gibt folgende Wappenbeschreibung: »In von Silber und Rot gespaltenem Schilde ein eiserner Anker mit goldenem Querholz, begleitet vorn in Silber von drei roten, hinten in Rot von drei silbernen pfahlweise gestellten Rosen. Auf dem gekrönten Helme mit rot-silbernen Decken drei silbern-rot-silberne
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Zwei Jahre nach seiner Erhebung in den Adelsstand ehelichte Johann Hoffmann am 3. November 1614 Anna, die Tochter des Breslauer Patriziers Wolfgang Nagel, die am 28. Oktober 1591 in der Kirche zu St. Maria Magdalena in Breslau getauft worden war.15 Ihre Mutter Margarethe geborene Holtzbecher war eine Tochter des vormaligen Breslauer Syndikus und Prokanzlers des Fürstentums Breslau, Paul Holtzbecher, Herr auf Grunau im Fürstentum Schweidnitz, die in erster Ehe Daniel von Pfintzing auf Groß-Graben im Fürstentum Oels geheiratet hatte. Durch seine Eheschließung mit der Enkeltochter des 1593 verstorbenen angesehenen Breslauer Syndikus gewann Johann Hoffmann über seine Schwiegermutter weitläufige verwandtschaftliche Beziehungen zum Breslauer Rat: Ihr erster Mann war ein Sohn des ehemaligen Breslauer Ratsherrn Ludwig von Pfintzing auf Höfchen und Benkwitz; 1616 gelangte auch ihr Bruder Paul Holtzbecher (der Jüngere) in den Stadtrat.16 Wie damals üblich, wurden für Hochzeitsfestlichkeiten in vornehmen Familien Inscriptiones und Gedichte, zumeist noch in Latein, verfaßt, in einem kleinen Sammelband zusammengestellt und gedruckt; jedes Mitglied der Hochzeitsgesellschaft erhielt einen solchen Gelegenheitsdruck. Oft wurden die Gedichte auch bei der Feier selbst vorgetragen und an abwesende Freunde, Verwandte und Bekannte verschickt. Die Glückwunschschreiben zur Hochzeit Johann Hoffmanns mit Anna Nagel 1614 stammten von den Kaiserlichen Räten Tobias Scultetus und Valentin Francus sowie von den bekannten Medizinern Daniel Bucretius und Caspar Cunrad.17 Sie sind Beleg für den Umgang, den der Kammersekretär mit diesen herausragenden späthumanistischen schlesischen Gelehrten pflegte.
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Straußenfedern, jede belegt mit einer Rose verwechselter Farbe.« s. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 2, S. 274, nach: Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der adeligen Häuser. Briefadelige Häuser 1910, S. 320, 1930. Manuscriptum genealogicum Reichelianum, S. 194 u. 272; Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 2, S. 271. Das weder bei Ettlinger noch bei Heiduk genannte Geburtsjahr der Mutter Christian Hoffmanns findet sich auch bei Alfred Schellenberg: Der Breslauer Ratsherrenteppich von 1674. In: Archiv für Sippenforschung 14 (1937), S. 68-71, 105-109, 144-149; auf S. 107 ist als Taufdatum der 28. Oktober 1591 nach dem Kirchenbuch der Breslauer Stadtkirche St. Maria Magdalena angegeben. Zum Zeitpunkt der Eheschließung seiner Tochter war Wolfgang Nagel jedoch schon tot; er starb 1608. Über die Ratsfamilie Holtzbecher, der auch Johann Hoffmann von Hoffmannswaldaus zweite Frau entstammte, s. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 2, S. 282-285. EPITHALAMIA Auspicatis Nuptiis Nobilis, et Spectatissimi Dn: JOANNIS HOFMANNI [...] ET nobilis atque Lectißimae Virginis ANNAE, Nobilis item et praestantißimi Dn: VVOLFGANGI NAGELII [...] relictae filiae unicae [...] Breslau 1614 (422174).
18 Nobilitas literaria Silesiae Der Kammerfiskal Tobias Scultetus von Schwanensee und Bregoschiitz war Doctor juris utriusque und Comes Palatinus Caesareus; als ungewöhnlich gebildeter Mann stand er in hohem Ansehen.18 Seine 1594 in Heidelberg erschienenen lateinischen Gedichte fanden zum Beispiel durch Paul Schede-Melissus ungeteilte Zustimmung.19 1616 bestellte Scultetus Opitz zum Erzieher seines Sohnes; in der reichhaltigen Bibliothek des Kammerfiskals lernte der »Vater der deutschen Dichtung« die großen Werke der französischen, italienischen und niederländischen Literatur kennen. Der Arzt und neulateinische Dichter Daniel Bucretius (das ist Daniel Rindfleisch) entstammte einer angesehenen Breslauer Kaufmannsfamilie. Er hatte in Rostock Theologie und in Helmstedt Medizin studiert, bevor er 1590 seine Studien in Italien fortsetzte und 1593 in Bologna zum Doctor medicinae promovierte. 1605 zum Breslauer Stadtphysicus berufen, wurde er später auch noch Leibarzt Erzherzog Karls, des Breslauer Fürstbischofs.20 Als der junge Martin Opitz 1614 nach Breslau kam, um seine Ausbildung am Magdalenaeum fortzusetzen, vermittelte ihm der Schulleiter Johann von Hoeckelshoven eine Stelle als Hauslehrer bei Bucretius, der den begabten Schüler mit der Erziehung seiner beiden Söhne betraute. Zu den angesehensten Breslauer Gelehrten gehörte auch Caspar Cunrad, der 1571 hier geboren wurde, ab 1591 in Frankfurt/Oder, 18
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Über Scultetus schrieb der schlesische Historiograph Nikolaus Henel: [.. .Jexquisita in omni disciplinarum genere eruditio, multiplex lingvarum scientia, judicii perspicia, consiliorum felicitas, rerum gerendarum dexteritas, loci et personae dignitas, quae sola magnos facere solent singulos, unum unversa fecerunt admirabilem, atque in memoriae templo monumentum ei consiliarunt aeviternum. Nicolai Henelii [...] Silesiographia Renovata necessariis scholiis observationibus et indice aucta. 2 Bde. Breslau/Leipzig 1704, S. 1203f. Henels »Silesiographia Renovata« war eine vom schlesischen Gelehrten noch selbst erweiterte Fassung seiner 1613 erschienenen »Silesiographia«, die jedoch erst 1704, um viele Zusätze sowie eine Vorrede von Christian Stieff ergänzt, vom Prälaten Michael Joseph Fibiger in zwei Bänden herausgegeben wurde. Zu Scultetus s. auch: PARNASSI SILESIACI SIVE RECENSIONIS POETARVM SILESIACORVM CENTVRIA I. AVCTORE M. JOH. SIGISMVNDO JOHNIO, JAVOR. SIL. WRATISLAVIAE [...] ANNO MDCCXXIIX.; CENTVRIA II. MDCCXXIX. Breslau 1728/29; hier II, S. 154-157. Tobiae Sculteti Ossitien Hermun. D. Decas Epigrammatum Ad Gvolfgangum Zundelium, V. Excellentiss. Consiliar. Palatin. Heidelberg 1594. Vgl. auch Marian Szyrocki: Martin Opitz. 2. Aufl. München 1974, S. 18. S. über Bucretius auch: PARNASSI SILESIACI, I, S. 32-35; Christian Wilhelm Kestner: Medicinisches Gelehrten-Lexicon. Nebst einer Vorrede von Gottlieb Stolle. Reprographischer Nachdruck der Ausgabe Jena 1740. Hildesheim/New York 1971, S. 155.
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danach in Wittenberg, schließlich in Leipzig studiert hatte, wo er 1595 die Magisterwürde erhielt. 1604 promovierte er in Basel zum Doktor der Medizin und ließ sich in seiner Heimatstadt als Arzt nieder, wo er Daniel Bucretius im Amt des Stadtphysicus folgte.21 Zum Poeta laureatus Caesareus gekrönt, galt Cunrad den Zeitgenossen als einer der besten neulateinischen Dichter, der auch junge Poeten der OpitzGeneration förderte. 1603 gab er eine Gedichtsammlung vergessener Poeten heraus, veröffentlichte ab 1607 eine Psalmenparaphrase, Horazparodien und lateinische Epigramme und gehörte 1611 zu den Poeten, die Kaiser Matthias bei seinem Einzug in Breslau beglückwünschten.22 1608 krönte er im Auftrag des kaiserlichen Pfalzgrafen Jacob Chimarrhaeus den Liederdichter Johann Heermann im Gymnasium zu Brieg mit dem Dichterlorbeer.23 Cunrads in drei Bänden erschienenes Hauptwerk »PROSOPOGRAPHIAE MELICAE«, das seinen Verfasser zum Begründer der schlesischen Gelehrtengeschichte werden ließ, enthielt zu 3000 berühmten Männern seiner Zeit Angaben des Berufes, Geburts- und Todesdatum sowie zu jedem ein charakterisierendes Distichon.24 Zu seinem Wahlspruch »Domini est sa21
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Über Caspar Cunrad s. auch Des Schlesischen Adels Anderer Theil, Oder Fortsetzung Schlesischer Curiositäten [...] Ausgefertiget von JOHANNE SINAPIO [...] Leipzig 1728, S. 566; PARNASSI SILESIACI, CENT. I, S. 51-54; Christian Wilhelm Kestner: Medicinisches Gelehrten-Lexicon, S. 237f.; Max Hippe: Caspar Cunrad, ein vergessener schlesischer Dichter. In: Silesiaca. Festschrift für Colmar Grünhagen. Breslau 1898, S. 253-288; Klaus Garber: Caspar Cunrad. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. von Walther Killy. Bd. 2. Gütersloh/München 1989, S. 486f. Vgl. hierzu: Das gelehrte Schlesien. Oder: Anzeigen alter und neuer schlesischer Schrifftsteller und ihrer so wohl gedruckten, als noch nicht gedruckten Schrifften. Worzu noch, in so ferne, Auswärtige, gerechnet werden, als sie was von Schlesien geschrieben oder auch in Schlesien gelebt haben. Breslau/Leipzig 1764. Erster Zusatz Zum Gelehrten Schlesien [...] Aufgesetzt von Johann David Wolf, aus Neudorf bey Liegnitz. Brieg 1764; hier S. 9-12. Bes. zu erwähnen ist hierbei die 1611 erschienene »Gnomologia Latino-Germanica super lectiones evangelicas«, eine von Cunrad initiierte Sammlung lateinischer Epigramme mehrerer Autoren, in der er die Gedichte als Vierzeiler in die deutsche Sprache übertrug. Vgl. Pfotenhauer: Schlesier als kaiserliche Pfalzgrafen und schlesische Beziehungen zu auswärtigen Pfalzgrafen. In: ZVGS 26 (1892), S. 319-363, hier S. 327. Daß Cunrad von Kaiser Ferdinand II. auch geadelt worden sei, wie hier angemerkt, läßt sich allerdings nicht nachweisen. CASPARIS CVNRADI SIL. Phil, et Med. D. PROSOPOGRAPHIAE MELICAE, MILLENARIVS I. und II. Frankfurt a. M. 1615; MILLENARIVS III. Hanau 1621. Sein Sohn Johann Heinrich Cunrad (1612-1685) stellte in Zusammenarbeit mit anderen weitere 7000 Distichen über Gelehrte seiner Zeit zusammen, doch fand sich für das umfangreiche Werk kein Verleger. Erst 20 Jahre nach Cunrads Tod erschien die Sammlung, für die jedoch alle Nicht-Schlesier gestrichen wurden, so daß letztlich 1581 Gelehrte übrigblieben; vgl. JO. HENRICI, CASP. FIL. CUNRADI SILESIA TOGATA, Sive Silesiorum doctrina & virtutibus clarissimo-
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lus« sammelte der Breslauer Stadtphysicus 1000 Gedichte, die er in seinem »Theatrum Symbolicum« zwischen 1608 und 1615 beziehungsweise zwischen 1622 und 1632 veröffentlichte. 1615 schrieb ihm Opitz 75 Verse in lateinischen Hexametern, denen Cunrad höchste Anerkennung zollte.25 Diese späthumanistischen Gelehrten gehörten allesamt zur nobilitas literaria; ihr Schrifttum war lateinisch, war international und belegt durch zahlreiche Lob- und Glückwunschgedichte - zugleich Ausdruck eines in diesen Kreisen existierenden literarischen Freundschaftskults.26 Ihre Bücher in den überfüllten Regalen, ihre Stammbücher mit den Autographen berühmter Gelehrter, eingetragen meist in jungen Jahren während ihrer Bildungsreisen durch halb Europa, die ein- und ausgehenden Briefe, in denen die einmal geknüpften Beziehungen weiter gepflegt wurden - dies alles dokumentiert die enge Verflechtung dieser Patrizier mit den späthumanistischen Zentren innerhalb und außerhalb Deutschlands. Nach Lipsius verfügte Schlesien um 1600 über eine immense Dichte an Gelehrten.27 Ihre einflußreichen Verbindungen hatten sie auf ihren ausgedehnten Reisen geknüpft; die Erinnerung an berühmte Männer, etwa an den Heidelberger Dichter Paul Schede-Melissus, war in diesen Häusern überall gegenwärtig. »Wer die altsprachlichen und erkenntnistheoretischen Werkzeuge der späthumanistischen Wissenschaft beherrschte, gehörte zur >respublica literaria< oder >nobilitas scientiaeAristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae< und >Buch von der Deutschen PoetereyDantiscanus< (1610-1653). Eine Fallstudie zum Danziger Literaturbarock. Amsterdam 1988. Aus der polnischen Forschung zum Zusammenhang von Handelstätigkeit und Kultursektor vgl. Maria Bogucka: Le bourgeois et les investissements culturels. L'exemple de Gdansk aux XVIE et XVIIE siecles. In: Revue Historique 259 (1978), S. 429-440. 9 Die Gesandtschaft dauerte von Juli 1634 bis August 1636. Der erste Teil der Aufzeichnungen (vor allem die Reise durch Dänemark, Schweden und Polen) erschien 1656 in Paris; die Danzig betreffenden Passagen wurden übersetzt mitgeteilt von Gotthilf Löschin: Ogiers Bericht über seinen Aufenthalt in Danzig im Jahre 1635. In: derselbe: Beiträge zur Geschichte Danzigs und seiner Umgebung. H. 2. Danzig 1837, S. 17-61. Der zunächst nicht publizierte zweite Teil des Tagebuchs (der mit Februar 1636 als Fortsetzung des Danziger Aufenthaltes einsetzt und mit dem Wiedereintreffen in Paris endet) wurde nach dem Manuskript Ogiers umfassend mitgeteilt von Kurt Schottmüller: Reiseeindrücke aus Danzig, Lübeck, Hamburg und Holland 1636. Nach dem neuentdeckten II. Teil von Charles Ogiers Gesandtschaftstagebuch. In: ZWPG 52 (1910), S. 199-273. Im lateinischen Original mit polnischer Übersetzung wurden die Tagebücher dann in zwei Bänden herausgegeben, vgl. Karl Ogier: Dziennik podrozy do Polski 1635-1636. Cz. 1.2. Gdansk 1950/53. 10 Daß Ogier natürlich in den patrizischen Oberschichten Danzigs verkehrte und seine Notizen demzufolge vor allem deren Auffassung vom Glanz und Reichtum ihrer Stadt widerspiegelten, mußte die neue sozialgeschichtlich orientierte Forschung in kritische Distanz bringen: »Charles Ogier... und kein Ende! Wann immer es das geistige und künstlerische Leben der >Kunstmetropole< zu beschwören gilt, klingt unentwegt der beschwingte Ton aus dem Reisetagebuch jenes Pariser Gesandtschaftssekretärs nach, den die diplomatischen Geschäfte seines Herrn in den Jahren 1635-36 ins >Weichsel-Athen< führten, wo er sich staunend umsah und sich von den steinreichen Kaufleuten und deren franzö-
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gelehrten Kreisen weit verbreiteten Sprachkenntnisse bei, die sich auf die europäischen Kultur- und Handelssprachen Italienisch, Französisch, Polnisch, auch Englisch, Schwedisch und Niederländisch (Niederdeutsch) erstreckten, während in der Jurisprudenz und in der offiziellen Urkundensprache Deutsch zunehmend an Bedeutung gewann. Natürlich blieb das städtische Schulwesen unter der absoluten Dominanz des klassischen Lateins. Gymnasium Academicum sive Illustre Gelehrter Mittelpunkt der Stadt war das Gymnasium Academicum, 1558 zunächst als partikularistische Schule im ehemaligen Franziskanerkloster der Stadt gegründet.11 Schon seinem Namen nach galt das »Particular« ausdrücklich als Vorbereitungsanstalt für das Studium generale an den Universitäten; es besaß um die Jahrhundertwende fünf Ordnungen mit mehr als 200 Schülern, vorwiegend aus den baltischen Ländern, aus Schlesien, Polen und Rußland. Bereits zu dieser Zeit wurden Theologie und Philosophie als akademische Disziplinen betrieben, und das hohe Ansehen des Akademischen Gymnasiums nahm weiter zu, als nach dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts in den beiden oberen ordines mehr und mehr die vier Fakultätswissenschaften gepflegt wurden. Schon 1568 war am Gymnasium Anatomie gelehrt worden, 1613 führte Joachim Oelhaf die für Mitteleuropa erste Leichenöffnung durch; ein Jahr später entstand mit dem Collegium Medicum die wohl erste europäische Ärztekammer, die 1636 vom polnischen König Wladyslaw IV. Wasa besondere Privilegien verliehen bekam.
sisch parlierenden Töchtern verhätscheln ließ.« Dick van Stekelenburg: Michael Albinus, S. 25. 1 ' Vgl. zum folgenden bes. Theodor Hirsch: Geschichte des academischen Gymnasiums in Danzig, in ihren Hauptzuegen dargestellt. Danzig 1837; Ulrich Wendland: Aus der Geschichte des Akademischen Gymnasiums in Danzig. In: FS des städtischen Gymnasiums und Realgymnasiums in Danzig zu seinem 375jährigen Bestehen. Danzig 1933, S. 5-13. Aus neuerer Zeit Bernhard Schulz: 425 Jahre Städtisches Gymnasium Danzig. Gernsbach 1983. Bereits 1525 hatte der protestantische Stadtrat im aussterbenden Franziskanerkloster eine Schule für die Anhänger des »reinen Evangelii« errichtet. Erster Rektor wurde der aus Wittenberg berufene Magister Arnold Warwick. Doch schon im Frühjahr 1526 wurde mit der gewaltsamen Niederschlagung des protestantischen Regimes auch die junge Schule geschlossen. Erst nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 - der auch für Danzig die Anerkennung des Protestantismus brachte - führten die Bemühungen um die Neugründung einer evangelischen Gelehrtenschule zum Erfolg.
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Diese Leistungen auf dem Gebiet der Medizin, aber auch in anderen Naturwissenschaften und nicht zuletzt in der Jurisprudenz waren es, die die Attraktivität des Akademischen Gymnasiums ausmachten und die Zahl der Studierenden schnell anwachsen ließen. Schon in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts erhöhte sich diese auf mehr als 300, etwa zehn Prozent aller Neuimmatrikulierten kamen aus Schlesien. Im Jahre 1636, als auch Christian Hoffmann in Danzig eintraf, waren unter den 61 neuaufgenommenen Schülern zehn Schlesien12 Lehrstoff und Lehrkräfte Am Gymnasium hielten drei Professoren, die Doktoren waren, Vorlesungen über Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Der Vorrang der Theologie zeigte sich auch hier darin, daß der Rektor allemal ein Theologe sein mußte, der außerdem auch das Pastorat* an der Kirche zu St. Trinitatis bekleidete. Vier weitere Professoren lasen als Magister der freien Künste vor allem über Philosophie, Philologie, Eloquenz und Mathematik; daneben gab es noch mindestens fünf weitere Lehrer. Ordo primus und ordo secundus nahmen eine eigentümliche Mittelstellung zwischen einer lateinischen Gelehrtenschule und einer Universität ein, beide bildeten das seit 1630 auch offiziell so benannte »Gymnasium Academicum sive Illustre«. Das anspruchsvolle Unterrichtsprogramm am Akademischen Gymnasium hielt dem Vergleich mit den Artistenfakultäten an den hohen Schulen durchaus stand;13 es galt als abgeschlossenes, sogenanntes kleines Studium, das für viele Gymnasiasten den Besuch einer Universität überflüssig machte, da das hier Erlernte für den Kirchen- und Stadtdienst ausreichte. Im ordo primus, wo der Lehrstoff wie im ordo secundus auf zwei Jahre verteilt war, herrschte völlig akademische Lehrart. Die Gymnasiasten konnten aus den angebotenen Lektionen das ihnen Zusagende selbständig auswählen, doch mußten die theologischen Lektionen natürlich von allen besucht werden, was vor dem Hintergrund der scharfen konfessionellen Auseinandersetzungen Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts in Danzig seine besondere Bedeutung hatte. Im Jahre 1580 war das Rektorat am Akademischen Gymnasium Jacob 12
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Vgl. Catalogus Discipulorum Gymnasii Gedanensis 1580-1814. Ksiega Wpisow Uczniow Gimnazjum Gdanskiego 1580-1814. Ed. Z. Nowak/P. Szafran. Warszawa/Poznan 1974, S. 130f.; hier auch für den Monat August der folgende Eintrag: »Christianus Hoffmannus, Vratislavia-Sil.«. Vgl. auch Kazimierz Kubik/Lech Mokrzecki: Trzy wieki nauki gdanskiej. Szkice z dziejow öd XVI do XVIII wieku. Wyd. 2. Wroclaw 1976.
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Schmidt genannt Fabricius übertragen worden, der zuvor sechs Jahre in Wittenberg studiert und sich dem eifrigen Kryptokalvinisten Christoph Petzel angeschlossen hatte. Später war er während seines Aufenthaltes an mehreren reformierten Universitäten ganz zur reformierten Konfession übergetreten und wurde wegen seiner Verdienste um die Lehre Calvins 1576 in Basel zum Doctor Theologiae ernannt. Unter seiner Leitung entwickelte sich das Gymnasium in der Folgezeit zu einer »Pflanzschule des Kalvinismus«, was jedoch von der überwiegend lutherisch gesinnten Bürgerschaft mit zunehmendem Mißfallen aufgenommen wurde. Während sich seit 1612 aufgrund des königlichen Mandats die Zahl der Anhänger des reformierten Bekenntnisses in Danzig stark verringerte, blieb das Akademische Gymnasium zunächst überwiegend kalvinistisch. Entscheidenden Anteil daran besaß neben dem Rektor Fabricius vor allem Georg Pauli, seit 1613 Professor für Ethik und Politik. Pauli, der 1608 in Heidelberg den höchsten Grad der philosophischen Fakultät erlangt und dort zeitweilig die damals vakante Professur für Mathematik belegt hatte, promovierte 1612 ebenfalls in Basel zum Doktor der Theologie. Am Danziger Gymnasium verwaltete er seit Fabricius' Erkrankung 1613 neben seiner Professur das Rektorat und hielt auch - nicht wenig angefeindet - theologische Vorlesungen.14 Erst nach dem Tode des Rektors Fabricius 1629 erreichte die Bürgerschaft, daß der Rat den lutherisch-orthodoxen Theologen Johann Botsack zum neuen Rektor bestellte. Die gleichzeitige Berufung von drei weiteren Lutheranern ins Professorenkollegium entschied nun auch am Akademischen Gymnasium den Kampf um die konfessionelle Vormachtstellung in Danzig zu Gunsten des Luthertums. Botsack, der 1600 in Herfort geboren wurde, in Leipzig, Wittenberg, Königsberg und Rostock studiert hatte, danach Lizentiat an der theologischen Fakultät der Universität Wittenberg gewesen war, bekämpfte gleich nach seiner Ankunft in Danzig im August 1631 jede von der lutherischen abweichende Lehre nicht nur im Gymnasium, sondern im ganzen Stadtgebiet. Seine Disputationen, zu denen sich immer zahlreiche Opponenten der verschiedensten religiösen Richtungen einfanden, dauerten oft von morgens bis in die späten Nachtstunden.15 Wohl auf sein Drängen hin wurde 1632 einer seiner ärgsten 14 15
Vgl. hierzu auch Theodor Hirsch: Geschichte des academischen Gymnasiums, S. 19ff. Auch Botsacks theologische Schriften bewegten sich meist auf dem Feld der Polemik gegen Katholiken, Reformierte und Sektenanhänger, so z.B. »Reformatus pseudo-Augustanus« und »Anabaptismus reprobatus«. Und wohl nicht zuletzt wegen seiner und seines Nachfolgers im Rektorat, Abraham Calovius,
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Gegner, nämlich der des Sozinianismus verdächtigte Prediger an der St. Petrikirche, Joachim Stegmann, vom Rat seines Amtes enthoben, weil er an einer sozinianischen Übertragung des Neuen Testaments mitgewirkt haben soll.16 Johann Botsack bekleidete das Rektoramt bis 164317 - unter seinem Rektorat besuchte auch Christian Hoffmann das Akademische Gymnasium. Da er bereits in Breslau die gelehrte Schule absolviert hatte und die Dauer des Danziger Aufenthaltes zudem nur zwei Jahre betrug, durchlief er nur den ordo primus und hörte wie alle anderen Gymnasiasten die theologischen Lektionen beim Rektor. Dieser hielt neben dem Hauptkolleg zu dogmatischen Stücken der Glaubenslehre (wobei Botsack auch neue ketzerische Auffassungen vortrug und widerlegte) ein Disputatorium. Im letzteren wurden Thesen aus einzelnen Stücken der Glaubenslehre herausgezogen, für deren jede der Rektor einen Respondenten und drei Opponenten erwählte, die unter seiner Leitung in lateinischer Sprache disputierten. An konfessioneller Polemik war Christian Hoffmann, der schon durch seinen Vater religiöse Toleranz erlebt hatte, wohl weniger interessiert; denn in Danzig »[...] lernte er die Weltweißheit und StaatsWissenschafft«.18 Das meint theoretische Philosophie und zunächst ganz allgemein [...] denjenigen Theil der practischen Philosophie, welcher zeiget, wie man sich in allen Ständen klüglich aufführen, und seinen Nutzen auf eine rechtmäßige Art befördern soll.19
Im Lehrgefüge der Artistenfakultäten an den spätmittelalterlichen Universitäten gehörte die Staatswissenschaft beziehungsweise Staatslehre oder Politica publica, in den größeren Kreis der praktischen
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lutherisch-orthodoxen Haltung scheiterte das 1645 vom polnischen König einberufene Thorner Religionsgespräch. Gotthilf Löschin: Geschichte Danzigs, S. 307f.; gemeint ist Joachim Stegmann d. Ä. (1595-1633), bekannt vor allem durch seine Schrift »De judice et norma controversiarum fidei«, die Anfang der dreißiger Jahre geschrieben, jedoch erst 1644 in Amsterdam publiziert wurde. 1643 wurde Botsack zum Pastor der Kirche zu St. Marien, der ersten geistlichen Würde der Stadt, berufen und starb 1672, nachdem er schon zwei Jahre zuvor von seinem Danziger Kirchenamt zurückgetreten war. D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 13 nach eig. Fol. Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon. Bd. 39. Leipzig/Halle 1743, Sp. 707. Im Anschluß daran heißt es weiter: Weil sie (gemeint die Staatswissenschaft - L. N.) ein Theil der practischen Philosophie, so handelt sie von der Menschen Thun und Lassen; Jndem sie aber nur einen Theil ausmachet, so handelt sie auch nur in gewisser Absicht davon, nehmlich so ferne es nach den Regeln der Klugheit einzurichten, welche die Mittel zeigen, wie ein Mensch seine vernünfftigen Absichten erreichen, und seinen Nutzen befördern soll.
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Philosophie (Moralphilosophie) und wurde meist im Anschluß an Ethik, gelegentlich auch in Verbindung mit Ökonomie vorgetragen.20 Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts weitete sich der politische Unterricht allmählich aus, vereinzelt wurden auch schon feste Lehrstühle eingerichtet. Freilich fehlte es in Deutschland zunächst noch an solch herausragenden Staatslehrern, wie sie das Ausland mit Machiavelli, Bodin oder Grotius zu bieten hatte. Gleichwohl war, hervorgerufen durch eine wahre Flut »politischer« Traktate, die Diskussion um Staat und Regierung, um Machtverhältnisse und Organisation des gesellschaftlichen Lebens entbrannt.21 Denn der Begriff »Staatswissenschaft« hat auch eine enger gefaßte Komponente, er beinhaltete in jener Zeit [...] denjenigen Theil der Klugheits-Lehre oder Politik, welcher insonderheit lehret, wie ein Staat oder Republick klüglich zu regieren. Es kommen dabey verschiedene Absichten für, und dazu sind auch verschiedene Mittel nöthig, daraus die besondern Stücke dieser Klugheit entspringen. Denn da handelt man von der Klugheit in Gesetzen und Gerichten, in Straffen und Belohnungen, die Aemter wohl zu besetzen, den Schatz zu vermehren, einen Staat aufzuhelffen, das Religions-Wesen zum Nutzen des Staats einzurichten, Krieg zu führen, Alliantzen und Bündnisse zuschliessen, Gesandten zu schicken [...].22
Am Danziger Akademischen Gymnasium, das ja im Niveau seiner Ausbildung den Artistenfakultäten der Hohen Schulen durchaus ebenbürtig war, wurde das Fach Politik, hier noch in enger Verbindung mit Ethik, von dem bereits erwähnten Professor Georg Pauli gelehrt. Daß der Kaiserliche Rat Hoffmannswaldau seinen Sohn zunächst zur Beschäftigung mit »Weltweißheit und Staats-Wissenschafft« verpflichtete, dürfte ein erster Beleg für seinen Wunsch sein, Christian Hoffmann möge einmal im Breslauer Rat die Geschicke der Stadt leiten und lenken. Eine gewisse Garantie für die Realisierung der hochgesteckten Pläne des Vaters boten ja seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu drei angesehenen Breslauer Ratsgeschlechtern. Wir können aber auch davon ausgehen, daß der junge Studiosus, der sich später in Leiden an der juristischen Fakultät inskribieren wird, schon in Danzig Vorlesungen über Jurisprudenz besuchte. Die 20
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Vgl. dazu ausführlich Hans Maier: Die Lehre der Politik an den älteren deutschen Universitäten. In: derselbe: Politische Wissenschaft in Deutschland. Aufsätze zur Lehrtradition und Bildungspraxis. München 1969, S. 15-52. Vgl. Werner Lenk: Absolutismus, staatspolitisches Denken, politisches Drama. Die Trauerspiele des Andreas Gryphius. In: Studien zur deutschen Literatur im 17. Jh. Hg. von Werner Lenk u.a. Berlin/Weimar 1984, S. 252-351, bes. S. 261297; s. zum Thema vor allem Michael Stolleis: Staat und Staatsraison in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts. Frankfurt a. M. 1990. Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon. Bd. 39, Sp. 708.
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Laufbahn eines Breslauer Ratsherren begann mit der Tätigkeit als Schöffe am Stadtgericht, die ein bestimmtes Maß an juristischen Kenntnissen voraussetzte, ohne daß der Betroffene sich jedoch zum Doktor beider Rechte promoviert haben mußte (letzteres blieb den Syndici vorbehalten). Die Jurisprudenz erfreute sich am Gymnasium ebenfalls eines hohen Stellenwertes. Der Professor luris las über Justinians »Institutiones«; die Primaner mußten die angegebenen Schriftstücke zu Hause studieren und im Disputieren »die Wahrheit zu gewinnen suchen«. Auch in Geschichte wurde fast nur disputiert. Die Professur luris et Historiarum, die mit der Aufsicht und Jurisdiktion über die im Gymnasium Wohnenden verbunden war,23 besaß von 1619 bis 1638 Christoph Riccius. 1590 in Stettin (Szczecin) geboren, hatte er Jurisprudenz in Rostock, Wittenberg, Jena, Straßburg und Löwen studiert und war erst 1635 von einer größeren Reise zurückgekehrt, die ihn von Amts wegen durch Frankreich, England und Holland führte.24 Als 1638 Riccius zum Syndikus des Danziger Stadtrates berufen wurde, übernahm der bisherige Syndikus Peter Oelhaf die Professur für Jurisprudenz und Geschichte. Der gebürtige Danziger war in Rostock Magister der Philosophie geworden, hatte an der Königsberger Universität Medizin, Jurisprudenz, Politik und Geschichte studiert und war 1633 nach seiner Rückkehr zum Syndikus berufen worden. Die ihm für seine Professur am Akademischen Gymnasium noch fehlende Qualifikation holte Oelhaf 1640 nach, als er in Königsberg zum Doktor beider Rechte promovierte.25 Es ist gut möglich, daß Christian Hoffmann den später berühmt gewordenen Juristen bei seiner Amtsübernahme im Jahre 1638 noch gehört hat. Vielleicht besuchte er auch die Vorlesungen bei Heinrich Nicolai, einem ebenfalls gebürtigen Danziger, der nach seinem Magisterexamen an der philosophischen Fakultät in Marburg und seiner Bildungs23
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1604 war ein Teil des ehemaligen Franziskanerklosters zu einer Alumnen-Anstalt eingerichtet worden. Hier erhielten einige Studierende unentgeltlich Wohnung, Heizung und Speise. Bald konnten durch einzelne Stiftungen 25 solcher Freistellen bereitgestellt werden. Darüber hinaus gab es für die armen Studierenden sogenannte »mensae ambulatoria«, Freitische also. Verantwortlich für die Organisation der Verpflegung war ein »Oeconomus«; zur Zeit Christian Hoffmanns bekleidete Kantor Georg Neufeld dieses Amt. Da der Kantor nicht nur für den Singe- und Calendechor des Gymnasiums zuständig war, sondern auch Musik theoretisch lehrte, nannte sich Neufeld auch »Musices Director«. Über Riccius wie auch über die anderen Professoren vgl. Theodor Hirsch: Geschichte des academischen Gymnasiums. Beilage IV: Die Lehrer des academischen Gymnasiums, hier S. 62ff.; s. außerdem Herrn Ephraim Prätorii [...] Danziger Lehrer Gedächtniß [...] Berlin/Stettin/Leipzig 1760, S. 75f. Zu Peter Oelhaf vgl. auch die polnische Studie von Lech Mokrzecki: Kultura historyczna Gdanska w okresie baroku. Piotr Oelhaf (1599-1654) - pedagog i uczony. Gdansk 1972.
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reise durch Westeuropa 1631 die Professur für Logik und Metaphysik übernommen hatte, aber auch Vorlesungen zur Politik hielt, die er auf juristische Sachen bezog. Den Studierenden stand es nämlich frei, sich einzelne Vorlesungen auszusuchen, doch jene, die sich den Wissenschaften gegenüber aufgeschlossen zeigten, wollten natürlich mit den berühmten Professoren in Kontakt kommen, etwa mit dem Mathematiker und Stadtastronom Peter Krüger (Crugerus), der mit Johann Kepler im Briefwechsel stand und dessen Vorlesungen Hevelius, später einer der berühmtesten Astronomen des 17. Jahrhunderts, begeisterten. Krüger las auch über Kartographie (der Rat hatte ihn zugleich als geschworenen Landmesser der Stadt angestellt), über Fortifikation und Nautik und sogar über Poesie; denn zu seiner Zeit war diese noch mit der Professur für Mathematik verbunden. Von 1634 bis 1636 hatte Andreas Gryphius das Akademische Gymnasium besucht, und der seit Jahren auch mit Opitz befreundete Krüger faszinierte den jungen Dichter so, daß dieser ihn als einzigen der Danziger Professoren in seinen Gedichten feierte.26 In der Zeit, als Christian Hoffmann in Danzig weilte, wirkte am Gymnasium außerdem Peter Lossius als Professor für Griechisch und orientalische Sprachen; er las ab 1630 philologische Collegia. Praeceptor für polnische Sprache war Johannes Sniatowski, genannt Gulinski. Das Lektorat für polnische Sprache gab es bereits seit 1598; zunächst bekleidete es Nikolaus Volkmar, Prediger an der St. Annenkirche, der wahrscheinlich schon 1596 ein polnisch-lateinisch-deutsches Wörterbuch veröffentlicht hatte.27 Ob Christian Hoffmann über polnische Sprachkenntnisse verfügte, wissen wir nicht, da keine Quelle in dieser Frage Aufschluß gibt. Man kann es vermuten, wenn man um die Handelsbeziehungen der Stadt Breslau mit Polen weiß oder (um etwas vorzugreifen) an den Breslauer Kaufmann und Ratsherrn Caspar Kretschmar denkt, der zum Zwecke der Verbesserung seiner Handelstätigkeit Polnisch gelernt hatte und in enger Beziehung zur Familie Hoffmannswaldau stand. In Danzig wiederum wurde das kulturelle Leben ohnehin durch die staatlich-politische Bindung seiner Einwohner an die polnische Krone mitbestimmt, zumal ein recht beachtlicher Bevölkerungsanteil polnischer Abstammung war. Von
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Über die Beziehungen Krügers zu Gryphius vgl. Marian Szyrocki: Der junge Gryphius. Berlin 1959, S. 77f. Paul Simson: Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 2, S. 550. Das Wörterbuch erschien bis 1623 in vier Auflagen, bei der letzten wurde auch noch das Griechische aufgenommen. 1612 kam ein von Volkmar verfaßtes Lehr- und Übungsbuch der polnischen Sprache in Gesprächsform heraus, das bis 1758 in immer neuen Auflagen erschien.
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Lohenstein wissen wir, daß Christian Hoffmann in Danzig gleichwohl fremde Sprachen erlernte: Er begrief die Welsche/ Französische und Nieder-Deutsche Sprache gleichsam spielende; machte sich also hierdurch bey Mochinger/ wie Dion beym Plato beliebt [...]28
Seit 1630 wirkte Johann Mochinger, später einer der bekanntesten Pädagogen seiner Zeit, als Professor für Beredsamkeit am Akademischen Gymnasium. 1603 in Danzig geboren, wurde er nach dem frühen Tod seiner Eltern von seinem Oheim Joachim von Ariern aufgenommen und an die Gymnasien nach Thorn (Torun) und Danzig geschickt; vier Jahre später studierte er zunächst in Wittenberg. Nach einem kurzen Danziger Aufenthalt 1624 widmete sich Mochinger im holländischen Leiden den orientalischen Sprachen und vervollkommnete seine Hebräisch- und Griechischkenntnisse. Seine peregrinatio academica führte ihn von den Niederlanden zunächst nach England, wo er sich vorwiegend in London und Oxfort aufhielt und auch die englische Sprache erlernte, außerdem Französisch, Spanisch und Italienisch. Von England reiste er nach Frankreich und von dort wieder nach Deutschland, blieb zwei Jahre in Straßburg, bevor er Ende 1628 nach Danzig zurückkehrte. Ein Jahr später wurde er zunächst zum Diakon der Kirche zu St. Katharina berufen, an der er ab 1638 als Pastor wirkte.29 Die Berufung Mochingers ans Akademische Gymnasium erfolgte im Juli 1630, zu einer Zeit also, als nach dem Tode des alten Rektors Fabricius die lutherische Bürgerschaft vom Rat energisch verlangte, die Propagierung reformierter Glaubensauffassungen, die ja an dieser »letzten Bastion des Kalvinismus« in Danzig noch immer domierte, abzuschaffen. Vom Eloquenzprofessor erwartete man, die humanistischrhetorische Welt mit den Dogmen der lutherischen Glaubenslehre zu verbinden und kirchlicher Polemik den sprachlichen Schliff zu verleihen. So las Mochinger vor allem über geistliche Beredsamkeit, übte aber seine Schüler ebenfalls in Deklamationen und Disputationen: Jn seinen Lectionibus sähe er allein auf der Jugend beste/ und führete sie zur rechten Praxi der Eloquentiae, dessen ihm viel Danck wissen/ auch durch seine Information so weit gebracht/ daß sie dem Vaterland mit Nutzen dienen können. (S. 48) 28 29
D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 13 nach eig. Fol. Alle diese Informationen aus der Leichabdankung für Mochinger: EPITOME TOTIUS EVANGELII JESU CHRISTI [...] Bey Volkreicher und ansehnlicher Leichbestattung/ Des Weyland Ehrwürdigen/ Groß Achtbaren und Hochgelährten Herrn/ JOHANNIS MOCHINGER [...] Gehalten durch WALTHERUM MAGIRUM, Predigern an gemeldter S. Catharinen Kirchen in Dantzig. Danzig 1652 (421136), S. 41-52: »PERSONALIA«. Danach wird im Folgenden zitiert.
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Als Höhepunkt ihrer Studien am Akademischen Gymnasium mußten die Primaner ihre Tüchtigkeit in feierlichen Disputationen und Redeactus unter Beweis stellen. Diese Redeübungen waren öffentlich und fanden monatlich vor einem Kreis geladener Gäste statt. An den viermal im Jahr durchgeführten festlichen Redeübungen nahmen auch zahlreiche Danziger Bürger als Publikum teil. Der Professor, dessen Wissenschaft die Disputationen betrafen, feilte selbige vorher durch, übte sie mit den Gymnasiasten ein und verfaßte auch das Einladungsprogramm, dem gewöhnlich eine wissenschaftliche Abhandlung voranging. Zuweilen wurden die Reden der Primaner auch gedruckt; und jeder besser Gestellte unter diesen versuchte, trotz der damit verbundenen Kosten, in einer solchen Veranstaltung wenigstens unmittelbar vor seinem Abgang seine Fortschritte unter Beweis zu stellen. Denn die Disputationen erfreuten sich weit über Danzigs Grenzen hinaus besonderer Berühmheit. Geschult an Cicero und Quintilian war Mochinger der offizielle Redner und damit wichtigster Repräsentant der Danziger Gelehrtenakademie, der zu staatspolitischen und historischen Anlässen die Festrede verfaßte und diese im Auditorium maximum den Ratsmitgliedern, Bürgerschaftsvertretern, Lehrkörper und Studierenden vortrug.30 Seine Reden belegen sein profundes historisches und philologisches Wissen; die von ihm verehrten Vorbilder gebrauchte Mochinger auch rege im Unterricht, indem er Cicero-Kommentare für die exercitii seiner Schüler schrieb. Von Amts wegen gehörte es ebenfalls zu seinen Aufgaben, ausländische Standespersonen und Gelehrte als Gäste zu empfangen und zu begrüßen. Wohl in dieser Eigenschaft traf er mit Charles Ogier zusammen, der während seines Danziger Aufenthaltes sogar eine Unterrichtslektion bei Mochinger inspiziert hatte und von der hervorstechenden Gelehrsamkeit und den pädagogischen Fähigkeiten des Eloquenzprofessors sehr angetan war. Was Mochinger, in dem das Renaissance-Ideal des frei und harmonisch gebildeten wissenschaftlichen Geistes lebendig geblieben war, wohl vor einigen ändern Professoren auszeichnete, war sein selbstloses Bemühen, all sein Wissen und seine Erfahrung den Studierenden weiterzugeben.31 30
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Fünfzehn seiner Reden ließ Mochinger später im Druck ausgehen: Orationes XV de variis argumentis in Athenaeo urbis Gedanensis dictae. Danzig 1637. Dazu auch aus der polnischen Forschung Bronislaw Nadolski: Mochinger i Titius - Profesorowie retorycki w Gdansku. In: derselbe: Ze Studiow Nad Zyciem Literackim i Kultura Umystowa Na Pomorzu w XVI i XVII Wieku. Wrodaw/Warszawa/Krakow 1969, S. 146-161. Darauf spielt ein Passus in der Leichabdankung an: Vnser löbliches Gymnasium hat verloren Excelentissimum et Communicativum Professorem, einen fürtrefflichen Professorn, der nicht mißgünstig war/ sondern
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Der von seinen Schülern liebevoll verehrte »Plato Borussiacus« schloß den jungen Christian Hoffmann in sein Herz und wurde sein wichtigster Lehrer, mit dem er bis zu dessen Tode im Jahre 1652 eng verbunden blieb und auch brieflich verkehrte.32 Christoph Köler hat in seinem Hochzeitsgedicht auf Hoffmannswaldau diese enge Beziehung besonders hervorgehoben: Mochinger hat dich gepfleget Durch die rechte Hand vnd Arm; Der die Jugend weiß zu leiten/ Jn die Alt' vnd Newe Zeiten. (V. 21-24)
Als Christian Hoffmann im August 1636 nach Danzig kam, bezog er im Hause seines nur dreizehn Jahre älteren Lehrers Quartier.33 Es war Sitte, daß die von außerhalb kommenden Gymnasiasten statt im Alumnat auch bei ihren Lehrern wohnen konnten; so zum Beispiel wurde Andreas Gryphius zunächst vom Rektor Botsack aufgenommen. Zwischen dem schlesischen Kammersekretär Hoffmannswaldau und Mochinger bestanden schon vor Christian Hoffmanns Eintreffen Kontakte (vielleicht vermittelt durch Opitz, mit dem der Danziger Professor ja schon seit 1629 Briefe wechselte), so daß der Vater nun guten Gewissens seinen Sohn nach Danzig in Pension schicken konnte.34
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ein mittheilendes Hertz hatte. Er machte es nicht wie etliche Professores zu thun pflegen/ die zwar in einem und dem ändern Stück die Jugend unterrichten/ aber doch das beste für sich behalten [...] Vnser seliger Herr Professor war ein rechter Communicativus, der sein geistlich Pfund in Kirchen und Schulen nicht vergraben/ sondern nach dem Willen des HERRN JESU fleissig damit gewuchert. (S. 12) Die im Zweiten Weltkrieg verlorengegangene Handschrift R 257 der ehemaligen Stadtbibliothek Breslau enthielt 41 Briefe Mochingers an Hoffmannswaldau aus den Jahren 1639 bis zu Mochingers Tod 1652. Insgesamt wurden in dieser Handschrift 155 Briefe an und 5 Briefe von Hoffmannswaldau aufbewahrt, aus denen die positivistische Forschung des 19. Jhs. (bes. Karl Friebe) einige wenige Notizen mitteilte. In der ÜB Wroclaw befinden sich unter der Sign. Akc. 1967 KN 9 jedoch zwei Bände, in denen diese Briefe - neben anderen Briefen von und an Hoffmannswaldau - nach Datum, Absende- und Empfangsort, Absender (in alphabetischer Reihenfolge) und Empfänger sowie nach der verwendeten Sprache (Deutsch, Latein, Französisch, Italienisch) registriert sind und damit einen zumindest kleinen Einblick in den Briefwechsel Hoffmannswaldaus gestatten. Das geht aus den Briefen hervor, die Mochinger an den Breslauer Pfarrer Kurzmann geschrieben hatte. Die entsprechenden lateinischen Briefauszüge wurden mitgeteilt von Karl Friebe: Chronologische Untersuchungen zu Hofmanswaldaus Dichtungen. In: Programm Greifswald 1896, S. 3-23, hier S. 4. Wie die meisten Professoren konnte auch Mochinger mit der Aufnahme auswärtiger Gymnasiasten sein nicht eben reichlich bemessenes Gehalt aufbessern. Vgl. Karl Friebe: Über C. Hofman von Hofmanswaldau, S. 5.
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Nach Lohenstein lernte Christian Hoffmann schon in Danzig Italienisch, Französisch und Niederländisch und gewann vor allem durch seine ausgezeichneten Sprachkenntnisse Mochingers Zuneigung. Das Italienische mochte dabei eine besondere Rolle gespielt haben, da Mochingers Frau Angelica Neri italienischer Herkunft war.35 Hervorragende Sprachkenntnisse waren auch unerläßlich, um die äußerst reichhaltige Bibliothek des Akademischen Gymnasiums zu nutzen, die der Danziger Rat 1596 eingerichtet hatte. Ihren Grundstock bildete die Büchersammlung des aus Neapel stammenden Johannes Bernardius Bonifazius Marchese von Oria, eines protestantischen Gelehrten, der während einer Reise durch Europa in Danzig starb und seine aus dem Schiffbruch vor der Weichselmündung geretteten Bücher der Stadt vermachte.36 In der Folgezeit vergrößerte die Ratsund Gymnasialbibliothek durch Ankäufe und umfangreiche Schenkungen ständig ihren Bestand. Ein sogenannter Proto-Bibliothecarius war als Mitglied des »Collegium Scholarchale« (der obersten Schulbehörde der Stadt) mit der besonderen Fürsorge für die Bibliothek betraut worden und hatte in erster Linie auf deren Vermehrung zu achten. Die eigentliche Aufsicht über die Bibliothek übertrug der Rat jedoch einem Professor des Gymnasiums, in der Regel dem Philosophieprofessor. Dank der vorzüglichen Ausstattung und Förderung durch den Rat wurde die Rats- und Gymnasialbibliothek sehr schnell zur herausragenden wissenschaftlichen Einrichtung, deren Büchersammlung in ihrem Umfang selbst die großen Privatbibliotheken in der Stadt übertraf. Und wir haben keinen Zweifel daran, daß auch Christian Hoffmann während seines Danziger Aufenthaltes von dem in den Regalen angehäuften Wissen regen Gebrauch machte.
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Mochinger hatte am 11. März 1631 Angelica Neri geheiratet, die vier Kinder zur Welt brachte, von denen bis auf einen Sohn alle früh verstarben. Angelica Neri war die älteste Tochter des aus Lucca stammenden Kaufmanns Pietro Neri, der in Danzig die Geschäfte des Großherzogs Ferdinand IV. von Toskana wahrnahm, später die des Nachfolgers Cosimo II. Nach Paul Simson: Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 2, S. 490, soll Neri eine evangelische Danzigerin aus angesehener Familie geheiratet haben, jedoch katholisch geblieben sein und 1613 trotzdem das Bürgerrecht erlangt haben. Vgl. auch Otto Günter: Die Danziger Stadtbibliothek, ihre Entwicklung und ihr Neubau. Danzig 1905. Trotz Auslagerung und partieller Zerstörung während der letzten Kriegsmonate des Jahres 1945 sind die reichen Barockbestände der ehemaligen Danziger Stadtbibliothek leidlich intakt geblieben und gehören heute der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften in Gdansk (Bibliotheka Gdanska PAN).
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Bei Opitz in Danzig Für das spätere poetische Wirken Hoffmannswaldaus dürfte es nicht ohne Bedeutung geblieben sein, daß er hier in Danzig erneut mit Martin Opitz zusammentraf. Dieser verlegte Ende des Monats August 1636 seinen ständigen Wohnsitz in die Ostseemetropole, nachdem er als Sekretär und Hofhistoriograph in den diplomatischen Dienst des polnischen Königs Wladyslaw IV. Wasa getreten war; ein Jahr später erhielt er auch offiziell den Titel eines »Königlichen Hofhistoriographen«.37 Zur bevorstehenden Vermählung seines neuen Dienstherrn mit der österreichischen Prinzessin Cecilia Renata, der Tochter Kaiser Ferdinands II., verfaßte Opitz im Sommer 1637 eine Gratulationsschrift in eleganter lateinischer Prosa, die Christoph Köler ins Deutsche übersetzte.38 Auf dasselbe Ereignis soll auch Christian Hoffmann sein Epithalamium »Die Weichsel-Nymfen an eine Königliche Braut« verfaßt und sich so an dem in Danzig ausgeprägten Gelegenheitsschrifttum auf herausragende Begebenheiten im Leben der polnischen Herrscher beteiligt haben.39 In einer der Handschriften mit Werken Hoffmannswaldaus trägt das Hochzeitsgedicht jedoch das Lemma »Lied der Weichsel Nympffen an die Durchlauchtigste Eleonore, Königl. Polnische Braut«;40 es wurde also auf die Eheschließung des polnischen Königs Michat mit Maria Eleonora, der Schwester Kaiser Leopolds L, im Jahre 1670 geschrieben - wir werden an späterer Stelle darauf zurückkommen. Wenn man auf die Danziger Gelegenheitsdichter zu sprechen kommt, muß als einer der ersten Johannes Flaue (Plavius) genannt werden, der aus dem Thüringischen stammte und 1624 in die Stadt gekommmen war.41 Er wirkte vor allem als Epithalamiendichter 37 38
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Über die Zeit, die Opitz im Dienst des polnischen Königs stand, grundsätzlich Marian Szyrocki: Martin Opitz, S. 103-120. FELICITATI AUGUSTAE HONORIQVE NVPTIAR. SERENISSIMOR, PRINCIPVM VLADISLAIIV. Pol. SVEC.QVE REGIS ET CAECILIAE RENATAE ARCHIDVCIS AVSTRIAE. D. D. MÄRT. OPITIVS MAIEST. EOR. DEVOTIS. Danzig 1637 (416332); MARTINI OPITII [...] Glückwünschung Auff der Königl: Majestät zu Polen vnd Sweden VLADISLAI IV. Beylager Auß dem Latein übersetzt Durch CHRISTOPH COLERUM. Danzig 1637 (335143). Das feierliche Hochzeitszeremoniell fand am 12. September 1637 in Warschau statt. Zum polnischen König vgl. auch Wladyslaw Czaplinski: Wtadyslaw IV i jego czasy. 2. Wyd. Warszawa 1976. Miroslaw Grudzien: Die Briefe Christian Hofmanns von Hofmannswaldau an Johann Hieronymus Imhoff. In: GWrMF 5 (1987), S. 467-569, hier S. 479f. Das Gedicht steht unter den Epithalamia der autorisierten Werkausgabe Hoffmannswaldaus an erster Stelle; vgl. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Hochzeit Gedichte, S. 3-5. M 216, S. 148. Über Plaue schon Victor Manheimer: Die Lyrik des Andreas Gryphius. Berlin 1904, S. 128-134; Danziger Barockdichtung. Hg. von Heinz Kindermann. Leip-
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von den knapp 70 Gelegenheitsgedichten in seinen 1630 veröffentlichten »Trauer- und Treu-Gedichten« wurden 44 in den Jahren 1624 bis 1630 zu Hochzeiten von überwiegend Danziger Bürgern verfaßt. Vorbilder dürften hier wohl die Niederländer gewesen sein, etwa Daniel Heinsius mit seinen »Nederduytschen Poemata« (1616) oder die Dichter von »De Bloem-Hof van de Nederlantsche leught beplant met ujtgelesene Elegien, Sonnetten, Epithalamien [...]« (1608 und 1610).42 In dem Jahr, in dem Flaue seine Gedichtsammlung herausgab, verloren sich auch seine Spuren - das gilt es zu bedenken, wenn man an seiner Person einen sogenannten Danziger Dichterkreis festmachen will, der noch Jahre später in die Ostseemetropole kommende junge Poeten, etwa Andreas Gryphius und Christian Hoffmann, beeinflußt habe.43 Tatsächlich lassen sich Beziehungen nachweisen zu den Danziger Professoren Krüger und Mochinger, die beide mit Opitz im Briefwechsel standen (Mochinger erwähnt Plaue in einem seiner Briefe sogar44), und zu Michael Albinus, der in den Jahren 1628 und 1629 von Plaue unterrichtet, dabei auch in die deutschsprachige Kunstdichtung eingeführt wurde, aber schon bald eine völlig andere Schreibdiktion entwickelte.45 Gegen einen soge-
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zig 1939, S. 24ff.; jetzt bes. Dick van Stekelenburg: Michael Albinus, S. 50-58. Zur Danziger Gelegenheitsdichtung außerdem Joseph Leighton: Gelegenheitssonette aus Breslau und Danzig in der Zeit zwischen 1624 und 1675. In: StadtSchule-Universität-Buchwesen, S. 536-548. Ulrich Bornemann: Anlehnung und Abgrenzung. Untersuchungen zur Rezeption der niederländischen Literatur in der deutschen Dichtungsreform des 17. Jhs. Assen/Amsterdam 1976, S. 188-196, nennt auch noch Starter und Cats, aus deren Werken Plaue Anleihen entnommen habe; dagegen sei der Einfluß von Opitz gering gewesen. »Hofmannswaldaus berauschende Wort- und Sinnenvirtuosität, Albinus' religiöse Innerlichkeit [...] sind ohne Plauens Danziger Wirksamkeit nicht denkbar.« Danziger Barockdichtung, S. 35. Und Ulrich Bornemann: Anlehnung und Abgrenzung, S. 196, sogar: »Im Danziger Kreis war er (Plaue - L. N.) der führende Dichter. Zu seinen Schülern gehörten Andreas Gryphius und Hofmannswaldau, mit denen man am ehesten die Vorstellung vom Barock in der Lyrik verbindet.« Die besondere Ausstrahlungskraft Plaues betont auch Helmut Motekat: Ostpreußische Literaturgeschichte mit Danzig und Westpreußen (12301945). München 1977, S. 83-88. [...] quem hie habees in hac Urbe eruditionis Tuae aestimatorem et imitatorem, Plavium quendam, de quo velim audis narrantem D. Rittershusium. Zit. nach Dick van Stekelenburg: Michael Albinus, S. 53. »Jedoch ist bei aller augenscheinlichen Nähe eine gewisse Reserve angebracht. Denn unverkennbar entwickelt der Jüngere, der seinem Mentor (sicher anfangs) an sprachlicher Disziplin und an Formvermögen entschieden nachsteht, nach ersten poetischen Versuchen eine völlig andere Schreibattitüde, eine theologisch-kirchliche Ernsthaftigkeit und Folgsamkeit, die ihn schließlich weit von Plavius wegführt. Die Dogmenfrömmigkeit und moralistische Schwerfälligkeit seiner Textverfassung, von einer grundsätzlich pessimistischen Welthaltung gespeist, lassen jene spielerische Virtuosität und Experimentierfreudigkeit eines
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nannten Danziger Dichterkreis spricht jedoch, »[...] daß die einzige literarisierende Organisation [...] im okkasionellen Zusammenschluß der meist lateinisch dichtenden orthodoxen Stadtgeistlichen im Rahmen ihrer körperschaftlichen Verpflichtungen und - wenn es der Anlaß gebot - unter Anbindung der Kollegen der pfarrkirchlichen Lateinschulen (existierte)«.46 Auch konnte sich bei den in der Stadt vorhandenen verschiedenen, polyglott bestimmten Kulturen wohl nur ein schmales Wirkungsfeld deutschsprachiger Literaturproduktion entfalten, traten die Träger deutschsprachiger Kunstdichtung nur unscharf und vermutlich mariginal in Erscheinung.47 Der Eloquenzprofessor Mochinger etwa blieb natürlich der eloquentia Latina verbunden, auch wenn er den Sprachreformbestrebungen Johann Amos Comenius' (Komensky) aufgeschlossen gegenüberstand und dessen lateinisches Sprachlehrbuch »Janua linguarum reserata« ins Deutsche übersetzt hatte. Nach Mochingers Tod 1653 erhielt Johann Peter Titz (Titius) die Professur für Beredsamkeit und drei Jahre später auch die der Poesie; schon 1651 hatte er - nach seinen Studien in Rostock und Leiden am Akademischen Gymnasium die Professur für alte Sprachen übernommen. Obwohl er ebenfalls 1636 nach Danzig kam, läßt sich mehr über seine Beziehungen zu Christian Hoffmann nicht ausmachen, als daß beide Dichter mit Martin Opitz in Verbindung standen. Bei Christian Hoffmann muß diese sehr eng gewesen sein, erinnerte sich doch der junge Studiosus später mit Hochachtung daran, daß er »in Danzig täglich bey jhm auß und eingegangen«.48 Opitz wohnte nach seiner Übersiedelung nach Danzig bis zu seinem Tode 1639 beim reformier-
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Plavius eigentlich nicht aufkommen, auch wo Albinus sich weltlichen Anlässen und Themen zuwendet.« Ebenda, S. 57. Dick van Stekelenburg: Michael Albinus, S. 172. Und weiter heißt es: »Versuche, daneben literarische Freundeskreise oder >Gesellschaften< zu eruieren oder gruppenweise bzw. grüppchenweise produzierende Literaten als solche zu bestimmen, muten alle etwas forciert an.« Dies zielt vor allem gegen Walter Raschke: Der Danziger Dichterkreis des 17. Jhs. (Auszüge aus der Rostocker Inaugural-Dissertation). Rostock 1921. Hoffmannswaldau - dessen Ankunftszeit in Danzig Raschke fälschlich mit 1635 angibt - wird hier auf einer Seite abgehandelt (S. 18f.), mit Verweis auf seine Beziehungen zu Opitz und Mochinger und auf - nicht belegte - Beziehungen zu Albinus, Titz, Zetzkius, Andreas Gryphius sowie zu dem Danziger Ratsherren Schwarzwald, durch den der Dichter zu seiner späteren Übersetzung des »Pastor Fido« (nach 15! Jahren) angeregt worden sein soll. Dick van Stekelenburg: Michael Albinus, S. 16-19; die Studie insgesamt ist ein überaus wichtiger, weil sozial- und funktionsgeschichtlich orientierter Beitrag zur Neubewertung deutschsprachiger Dichtung und ihrer Träger in Danzig. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. An den geneigten Leser, S. 24 nach eig. Fol.
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ten Prediger der Peterskirche, Bartholomäus Nigrinus, der aus Brieg stammte, den berühmten Dichter schon länger kannte und auch mit Comenius befreundet war. Neben seinem geistlichen Amt fungierte Nigrinus in Danzig als Agent des polnischen Königs. Ein Prediger selbigen Namens gehörte 1620 zur kleinen reformierten Gemeinde in Breslau, mithin zu den engen Vertrauten Henels und Cunrads, die verschiedene Gelegenheitsgedichte für Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau verfaßt hatten. Damit liegt der Schluß nahe, daß der Sohn durch die vielen Besuche bei Opitz mit einem weiteren Bekannten seines Vaters in Danzig regen Umgang pflegte.49 Führt man diesen Gedanken nun weiter, so stellt sich unweigerlich die Frage, ob Christian Hoffmann nicht auch an so manchen Gesprächen der beiden, im Dienst der polnischen Krone (und im Falle Opitzens auch der schwedischen) stehenden Männer zu aktuellen politischen Geschehnissen teilgenommen haben könnte. Großes Interesse für den in Europa tobenden Kampf um politische und konfessionelle Vormachtstellung, der ja auch immer Wohl und Gedeihen der Stadt Breslau beeinflußte, dürfte zweifellos vorausgesetzt werden. Und es sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß Christian Hoffmann während seiner europäischen Bildungsreise 1640 in Paris (ebenso wie Opitz Jahre vorher durch Hugo Grotius vermittelt) Zugang zum Cabinet Dupuy haben wird, in dem bekanntlich viele Fäden der französischen Außenpolitik zusammenliefen. Gleichwohl müssen wir uns jedoch auf die vorhandenen realen Zeugnisse für den Danziger Aufenthalt Christian Hoffmanns stützen, die in erster Linie auf seine wachsende Beschäftigung mit der Poesie zielten. Dem nachmaligen Rektor des Breslauer Elisabethgymnasium, Johann Caspar Arletius, verdanken wir die Mitteilung, daß der Dichter nicht nur am Akademischen Gymnasium bei Mochinger, sondern auch privat bei Opitz vorzügliche Fortschritte gemacht habe.50 Und daß dieser seinem Schüler recht wohlwollend begegnete, hob
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Nigrinus, der sich immer mehr irenischen Gedanken zuneigte, wurde später Katholik und veranlaßte den polnischen König zum »Thorner Religionsgespräch«. Er überließ seine beträchtlichen Bücherschätze der dadurch sehr vergrößerten Rats- und Gymnasialbibliothek und erhielt dafür eine jährliche Rente von 100 Thalern. Gotthilf Löschin: Geschichte Danzigs, S. 397.
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CHRISTIANVS nempe HOFFMANNVS AB HOFFMANNSVALDAV, qui adolescens Gedanum concesserat, et partim publice sub Athenaei vel Gymnasii Academici Rhetore et Theologe IOH. MOCHINGERO, partim privatim sub MARTINO OPITIO A BOBERFELDA egregie profecerat. ORATIO BISSAECVLARIS DE SAECVLO GYMNASII VRATISLAVIENSIVM ELISABETANI SECVNDO [...] DICTA A IOHANNE CASPARO ARLETIO [...] Breslau 1762 (441132), S. 57.
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Hoffmannswaldaus Dichterkollege Lohenstein in seiner Trauerrede auf den Freund eigens hervor: Opitz/ der berühmte Schlesier/ welcher die Deutsche Poesie auf den Fuß gebracht/ schätzte seine Gemein- und Freundschafft schon dazumal hoch; gleich/ als sehe er vorher: daß unser gelehrter Pan nicht einen schlechten Fichtensondern drey Lorber-Kräntze zu tragen würdig seyn würde.51
Am 9. November 1636 trug sich Opitz mit acht lateinischen Versen in das Jugendstammbuch Christian Hoffmanns ein; das elegische Distichon muß für den jungen Studiosus eine hohe Ehre gewesen sein.52 Durch seinen täglichen Umgang mit Opitz wußte er auch um dessen Bemühungen zur Fertigstellung der »Dacia antiqua«, jenes wissenschaftlichen Werkes, an dem Opitz mit Unterbrechungen fast 20 Jahre arbeitete und von dem er sich mehr bleibenden Nachruhm als von seinen poetischen Schriften erhoffte. Christian Hoffmann schien regen Anteil an diesem Werk genommen zu haben, immerhin hatte er es ja selbst »vielmahl in Händen«.53 Allerdings machte Opitzens Tod am 20. August 1639 der Vollendung der Schrift über die dacischen Altertümer ein jähes Ende; das Manuskript wurde nie gedruckt. Es gelangte beim Verkauf der Opitzschen Bibliothek nach dem Tode des Dichters in den Besitz des Danziger Patriziers Georg Preutten, der zusammen mit Martin Ruarus, dem Führer der Sozinianer-Gemeinde, und Bartholomäus Nigrinus die Bücher und Handschriften erworben hatte. Seit dieser Zeit gilt das Werk als verschollen. Nachdem sich am 14. Mai 1638 der bekannte Maler Bartholomäus Strobel, der ebenfalls bei Opitz verkehrte, in Christian Hoffmanns Stammbuch eingetragen hatte (wobei er seinen Autographen mit einer Federzeichnung schmückte), schrieb sich am 25. August 1638 51
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D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 13f. nach eig. Fol. Opitzens Wertschätzung für Christian Hoffmann beweist auch ein langes, allerdings undatiertes lateinisches Gelegenheitsgedicht: Jambi Paraenetici AD CHRISTIANUM HOFMANUM Nobilis, et Amplissimi viri, Joannis Hofmani, ab HoffmanßWaldaw/ Sacae Caesae Mttis. Consiliarii, et Camerae utriusque Silae Secretarii, F. Autore Martino Opitio ä Boberfelda. (355152). Nun auch abgedruckt bei Edward Bialek/Wojciech Mrozowicz: Das Stammbuch des Dichters Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 452. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. An den geneigten Leser, S. 24 nach eig. Fol. Zur »Dacia antiqua« vgl. Walter Gose: Dacia Antiqua. Ein verschollenes Hauptwerk von Martin Opitz. In: Südostdeutsches Archiv 2 (1959), S. 127-144; aus der neueren Forschung bes. wichtig Jörg-Ulrich Fechner: Unbekannte Opitiana - Edition und Kommentar. In: Daphnis l (1972), S. 23-41, hier S. 24-31. Bereits Marian Szyrocki: Martin Opitz, S. 53f., hatte darauf verwiesen, daß es sich bei dem Werk wohl nicht nur um eine Sammlung von römischen Grabschriften aus Dacien und deren eventuelle archäologische Interpretation handelte, sondern daß Opitz vielmehr die Geschichte Daciens bearbeiten und bis in die Gegenwart weiterführen wollte.
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offensichtlich dem Tag der Verabschiedung vom Akademischen Gymnasium - sein von ihm hochverehrter Lehrer Johann Mochinger in das nun zum Reisedokument beförderte liber amicorum ein: Er mahnte den aus seinem Haus Scheidenden, seine Ausbildung das ganze Leben zu bewahren, und übergab ihn damit den Gelehrten Hollands, Englands, Frankreichs, Italiens und Deutschlands.54
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Vgl. Edward Bialek/Wojciech Mrozowicz: Das Stammbuch des Dichters Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 455f.
IV. Leidener Universitätsstudien und Aufenthalt in den Niederlanden (1638-1639) Reise nach Leiden Zu Beginn des Herbstes 1638 begab sich Christian Hoffmann von Danzig aus zum Universitätsstudium in das holländische Leiden. Die Reise nach Holland erfolgte zweckmäßigerweise auf dem Wasserweg; die berühmte holländische Handelsflotte gewährleistete regelmäßige Verkehrsverbindungen, da Danzig der Ostseehafen war, in dem die meisten niederländischen Schiffe anlegten, oft mehr als die Hälfte aller die Ostsee befahrenden niederländischen Schiffe. Noch vor der schwedischen Seeblockade gegen Danzig in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts kehrten an nicht wenigen Tagen zwei und mehr Schiffe in ihre holländischen Heimathäfen zurück.1 Die nach der Vertreibung der schwedischen Kriegsschiffe 1627 wieder einsetzende Schiffahrt wurde zehn Jahre später erneut unterbrochen, als im Oktober 1637 nun polnische Kriegsschiffe den Danziger Hafen versperrten und Seezölle erhoben, die König Wladyslaw IV. Wasa zur Reorganisation seiner Flotte und seiner Seestützpunkte brauchte. Im Bündnis mit der dänischen Flotte konnte Danzig auch die neuerliche Blockade brechen. Zwar wurden durch diese Ereignisse die Beziehungen zwischen Danzig und der polnischen Krone über Jahre hinaus belastet, doch schon bald florierte auch die Handelsschiffahrt wieder.2 Für eine Reise nach Holland war die Schiffahrt in froher und obendrein kostensparender Gesellschaft der Kaufleute vorteilhafter als die mühevolle Kutschfahrt auf der Landstraße, zumal auf dem Reichsgebiet noch immer die kriegerischen Auseinandersetzungen tobten und marodierende Söldner eine ständige Gefahr für Besitz und Leben der auf dem Landweg Reisenden darstellten. Die Seereise von Danzig nach Holland führte über die Häfen Lübeck und Hamburg, wo im allgemeinen ein bis zwei Tage Rast gemacht wurde. Wie
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Paul Simson: Geschichte der Stadt Danzig. Bd. 2, S. 496f. K. Lepszy: Dzieje floty polskiej. Gdansk/Bydgoszcz/Szczecin 1947, S. 279f.
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andere Reisende nutzte auch Christian Hoffmann die Unterbrechung, um sich die beiden alten Hansestädte anzusehen.3 Zwei Jahre vor ihm hatte der französische Diplomat Ogier diese Strecke bereist (dabei für die Fahrt von Danzig nach Travemünde, dem Meerhafen Lübecks, allein zehn Tage benötigt); er schrieb über Lübeck: Es ist eine berühmte Stadt, das Haupt des Hansabundes, hat Bastionen und Gräben, ist aber m. E. nicht so stark befestigt wie Danzig. Die Straßen sind ziemlich groß und breit, alle Häuser sehen auf den ersten Anblick wie Gasthöfe aus, in den Dielen und Vorhallen stehen viel Becken, Schüsseln und alles notwendige Küchengerät. Von der Decke der Diele hängen eingepökelte Schweine und getrocknete Fische herab, es stehen dort Wagen, große und kleine.4
Sehenswert waren natürlich auch die Kirchen, in Lübeck besonders der Dom und die Kirche zu St. Marien, in Hamburg vor allem die Katharinenkirche mit ihrer einmaligen Kanzel aus Marmor. Und vielleicht nahm Christian Hoffmann den Laden der altehrwürdigen Buchdruckerei von Proben in Augenschein, den Ogier sogar mehrmals besucht hatte. Für die deutschen Studenten aus dem Adel und den angesehenen Patrizierhäusern war die Verbindung mit dem Ausland und den auswärtigen Hohen Schulen üblich. Die schlesischen Studenten konnten ihre Ausbildung sowieso nur im Ausland (und das schloß die übrigen Reichsterritorien ein) fortsetzen, da in Schlesien eine Landesuniversität fehlte. Ansätze für deren Gründung hatte es in der Vergangenheit zwar mehrfach gegeben, doch waren alle diese Bemühungen ohne Erfolg geblieben, wie etwa die bald nach 1500 in Aussicht genommene Gründung einer Hohen Schule in Breslau, der trotz eines vom ungarisch-böhmischen Landesherrn bereits ausgestellten Stiftungsbriefes von 1505 die notwendige kuriale Genehmigung versagt blieb, weil der polnische König eine Verminderung des Einflusses der Krakauer Universität fürchtete und deshalb beim Papst sein Veto einlegte. Die nach der Reformation einsetzenden Versuche einzelner schlesischer Fürsten, eine protestantische Hochschule auf schlesischem Boden zu errichten, mußten am Widerstand des habsburgischkatholischen Landesherren scheitern;5 durch innerprotestantische Zerwürfnisse um die »reine evangelische Lehre« blieb notwendige 3
Daß Christian Hoffmann sich in Lübeck und Hamburg aufgehalten hatte, erwähnte D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 16 nach eig. Fol. 4 Kurt Schottmüller: Reiseeindrücke aus Danzig, Lübeck, Hamburg und Holland 1636, S. 243. 5 Vgl. Heinz Schöffler: Deutsches Geistesleben zwischen Reformation und Aufklärung. Von Martin Opitz zu Christian Wolff. 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1974, S. 30-39.
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Unterstützung aus Kursachsen aus - wie früher mußten also die jungen Schlesier zur Wissensaneignung in die Welt hinausziehen. Neben den Universitäten Frankreichs und Italiens erfreuten sich die der Niederlande wachsender Beliebtheit. Wenngleich der Kalvinismus in den Vereinigten Niederlanden nie Staatskonfession war,6 so galt die Republik doch als ein von seinem Geist durchdrungenes Land, deren Universitäten über viele Jahre hinweg ideale Zufluchtsstätten geistiger Freiheit darstellten. 1618/19 hatte die Dordrechter Synode zunächst die orthodoxe kalvinistische Linie gewaltsam durchgesetzt (eines ihrer prominentesten Opfer war der Arminianer Hugo Grotius, dem jedoch nach seiner Gefangennahme die Flucht nach Frankreich glückte, wo ihn später auch Christian Hoffmann traf), doch die vom Erbstatthalter Friedrich Heinrich von Oranien verfolgte Neutralitäts- und Toleranzpolitik konnte die Folgen dieser verhängnisvollen Synode mildern.7 Universität Leiden Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entfaltung und kulturellen Blüte der jungen Republik der Vereinigten Niederlande hatten sich ihre Universitäten - Leiden (gegründet 1575), Franeker (1585), Groningen (1614), Utrecht (1636) und Harderwijk (1638) - im 17. Jahrhundert zu den besten Bildungsstätten Europas entwickelt. Der Vorrang gebührte dabei unzweifelhaft der Hohen Schule in Leiden, die als älteste Universität des Landes im Ergebnis der niederländischen bürgerlichen Revolution ein Jahr nach dem Abzug der spanischen Belagerer gegründet worden war. Den revolutionären Idealen verpflichtet, wurde die »Academia Lugduno Batavae« in erstaunlich kurzer Zeit zur modernsten Hochschule des 17. Jahrhunderts und zog als berühmtester Ort die Studenten in erster Linie an.8 6
Vgl. hierzu recht aufschlußreich Nicolette Mout: Staat und Calvinismus in der Republik der Vereinigten Niederlande. In: Territorialstaat und Calvinismus. Hg. von Meinrad Schaab. Stuttgart 1993, S. 87-96. 7 Zur Geschichte der Vereinten Niederlande s. Pieter Geyl: The Nederlands in the Seventeenth Century. Part One: 1609-1648. Sec. Ed. London/New York 1966; Heinz Schilling: Der Aufstand der Niederlande. Bürgerliche Revolution oder Elitekonflikt. In: Zweihundert Jahre amerikanische Revolution und moderne Revolutionsforschung. Hg. von Hans-Ulrich Wehler. Göttingen 1976, S. 177-213; derselbe: Der libertär-radikale Republikanismus der holländischen Regenten. Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Radikalismus in der frühen Neuzeit. In: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), S. 498-533. 8 Über die Gründung der Universität Leiden und ihre Gelehrten vgl. Europäischer HELICON [...] Jn sieben haupt Theilen vorgestelt Durch FRIDERICUM LUCAE [...] Frankfurt a. M. 1711 (902103), S. 846-858; zur Stellung der Universität im europäischen Geistesleben s. Heinz Schneppen: Niederländische Uni-
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Auch für die protestantischen Schlesier wurde Leiden die bevorzugte Bildungsstätte, an der sie sich besonders an der juristischen und an der medizinischen Fakultät immatrikulieren ließen. 1597 trug sich der erste Schlesier in die Matrikel ein, von da an verzeichnet die Matrikel bis 1742 etwa 770 Schlesier, davon weit über 100 Studenten aus Breslau; allein in den Jahren 1618 bis 1648 studierten in Leiden an die 300 schlesische Studenten, die ihrer sozialen Schichtung nach vor allem aus dem Adel und dem städtischen Patriziat stammten fast alle wichtigen schlesischen Familien, insbesondere auch die Breslauer Ratsgeschlechter, entsandten wenigsten einen ihrer Vertreter zum Studium nach Leiden.9 Vergleichen wir den Anteil schlesischer Studenten mit dem an anderen (natürlich später gegründeten) niederländischen Hochschulen, und zwar bezogen auf die Zeit von der Gründung bis 1700, dann ist der Vorzug für die »Academia Lugduno Batavae« überwältigend: 570 Studenten in Leiden stehen 87 in Franeker (der erste 1623) und nur 17 in Utrecht (und hier der erste gar erst 1650) gegenüber.10 Anfang Oktober 1638 traf Christian Hoffmann endlich in Leiden ein. Bald nach seiner Ankunft (die Vorschriften räumten jedem Neuankömmling eine Frist von acht Tagen bis zur Immatrikulation ein) wurde er am 9. Oktober unter dem Rektorat von Constantin U Empereur als Student der Rechte in die Matrikel eingetragen: Christianus Hofmannus Silesius, a. 22. juris Studiosus, apud Justum Livium.11
Nur wenige Wochen zuvor, am 26. Juli, hatte sich Andreas Gryphius, zusammen mit den Söhnen Georg Schönborners, die er auf die Universitäten und deutsches Geistesleben. Von der Gründung der Universität Leiden bis ins späte 18. Jh. Münster 1960; Leiden University in the Seventeenth Century. An exchange of Learning. Ed. Theodoor Herman Lunsingh Scheurleer and Guillaume Henri Marie Posthumus Meyjes. Leiden 1975; mit Blick auf die niederländische Literatur Ulrich Bornemann: Anlehnung und Abgrenzung. Assen/Amsterdam 1976. 9 S. August Müller: Schlesier auf der Hochschule in Leiden, S. 164ff.; Heinz Schneppen: Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben, S. 32. 10 Vgl. W. A. Fasel Kämpen: Die Schlesier an der Universität Leiden, der in einem Anhang S. 348-350 die Schlesier für Franeker, Groningen und Utrecht mitteilt. " So der Eintrag in der handgeschriebenen Universitätsmatrikel: Volumen Inscriptionum Sive Catalogue Studiosorum Academiae Leydensis, 1631-1645, [3], S. 206 (ÜB Leiden, Kat.-Nr. ASF 9); der Eintrag auch - allerdings ohne Hinweis auf Hoffmannswaldaus »Quartier« in Leiden - in: ALBUM STUDIOSORUM ACADEMIAE LUGDUNO BATAVAE MDLXX - MDCCCLXXV. ACCEDUNT NOMINA CURATORUM ET PROFESSORUM PER EADEM SECULA. Den Haag 1875, Sp. 299. Vgl. auch W. A. Fasel Kämpen: Die Schlesier an der Universität Leiden im 17. Jh. In: JbSFWU 6 (1961), S. 331-350, hier S. 339, und August Müller: Schlesier auf der Hochschule in Leiden von 1597-1742. In: ASKG 17 (1959), S. 164-205, hier S. 182, allerdings ohne das wichtige Datum des 9. Oktober.
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versität begleitete, mit derselben Altersangabe von 22 Jahren eintragen lassen. Da er jedoch erst am 2. Oktober sein 22. Lebensjahr vollendete, ist die Eintragung als »im 22. Lebensjahr stehend« zu lesen. Ebenso verhielt es sich bei Christian Hoffmann, womit wir einen wichtigen Beleg dafür gewonnen haben, daß unser Studiosus wie Andreas Gryphius im Jahre 1616 geboren wurde.12 1638, in dem Jahr also, in dem sich Andreas Gryphius und Christian Hoffmann in Leiden inskribieren ließen, nahm die Hochschule allein 22 Schlesier auf, unter ihnen Bartholomäus Stosch, den späteren Hofprediger des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, sowie zwei Grafen von Dohna.13 Am selben Tag wie Christian Hoffmann, am 9. Oktober, ließ sich Friedrich Heinrichsson aus Danzig einschreiben; Jahre später verfaßte Hoffmannswaldau auf die Hochzeit seines ein Jahr älteren ehemaligen Leidener Studienkollegen mit der Tochter des Danziger Ratsherrn Heinrich Freder ein Epithalamium. Heinrichsson und Hoffmannswaldau hatten in Leiden gemeinsam Quartier bezogen, beide wohnten - so der Eintrag in der Matrikel bei Justus Livius, der sich holländisch Joost Lievens nannte und der älteste Sohn des erst wenige Jahre zuvor in Konkurs geratenen Steuerpächters Lieven Hendricxz. und seiner Ehefrau, einer Tochter des Kaisers der Leidener Rhetorikkammer im Jahre 1599, Jan Dircksz. van Noortsant, war.14 Der Steuerpächter, Besitzer mehrerer Häuser, ließ seine Söhne hervorragend ausbilden - bis auf einen, den berühmten Maler Jan Lievens (von den Zeitgenossen oft mit Rembrandt verglichen) - studierten sie an der Universität Leiden. Joost Lievens, zehn Jahre älter als Christian Hoffmann, hatte sich schon 1622 in die Matrikel eingetragen. 1632 heiratete er Maria Jansdr. Steen und bezog ein Jahr später das (heute noch nachweisbare) Haus am Rapenburg, Ecke Kloksteeg, das sich genau gegenüber der Uni12 13
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Darauf hat zuerst hingewiesen Franz Heiduk: Das Geburtsdatum Hoffmannswaldaus, S. 119f. Zu widersprechen ist hier Franz Heiduk: Das Geschlecht der Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 32, nach dem auch Christian Hoffmanns späterer Schwager Balthasar Webersky, Sohn des Kanzlers des schweidnitzischen Fürstentums Daniel Webersky, sich im selben Jahr in die Matrikel eingetragen habe. Schon August Müller: Schlesier auf der Hochschule in Leiden, S. 204, hatte richtig darauf verwiesen, daß sich Balthasar Webersky erst 1651 im Alter von 39 Jahren in Leiden für Politikwissenschaft einschreiben ließ. Wie weiter hinten noch zu zeigen sein wird, handelte es sich bei diesem, 1660 als »von Webertzig« geadelten Balthasar Webersky auch nicht um Hoffmannswaldaus Schwager, da seine spätere Frau Maria Webersky keine Geschwister hatte. Vgl. hierzu den Aufsatz von Stefan Kiedron: Das Treffen in Leiden. Andreas Gryphius und Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau als Studenten in Holland. In: Brückenschläge. Eine barocke Festgabe für Ferdinand van Ingen. Hg. von Martin Bircher und Guillaume van Gemert. Amsterdam 1995, S. 55-88.
versität befand. Im Umkreis gab es zahlreiche Buchläden und Verlage, auch Joost Lievens war im Buchgewerbe tätig, zunächst als Buchbinder, bald darauf als Verleger - in seinem Verlag erschienen Bücher von Petrus Cunaeus und Marcus Zuerius Boxhornius. Ihre große Ausstrahlungskraft auf das europäische Geistesleben verdankte die Hohe Schule in Leiden vor allem den großen Gelehrten, die dort wirkten und die Universität zu einem Zentrum späthumanistischer Bildung machten. Da war zuerst der berühmte Justus Lipsius, der in den Jahren 1579 bis 1591 den europäischen Ruhm der Akademie begründete. Seine Berufung machte die Absicht der Generalstaaten deutlich, mit zugkräftigen Namen ihrer ersten Universität einen herausragenden Ruf zu verschaffen. Besonders unter Lipsius' Rektorat entwickelte sich die Universität: Während in den ersten Jahren im Durchschnitt 100 Studenten immatrikuliert waren, erhöhte sich ihre Zahl bald auf das Vier- bis Fünffache. Justus Lipsius entwickelte Leiden zu einem Zentrum humanistisch-philologischer Studien. Seine aus den konfessionell-politischen Kämpfen jener Zeit, besonders in Frankreich und den Niederlanden erwachsene Neubegründung des Stoizismus strahlte auf ganz Europa aus und hinterließ sichtbare Zeichen bei vielen nachfolgenden Gelehrten und Poeten, Hoffmannswaldau eingeschlossen, wie wir besonders an seinen »Vermischten Gedichten« sehen. Als Lipsius 1591 nach Löwen zurückkehrte, gelang es drei Jahre später, Joseph Justus Scaliger zur Übersiedlung nach Leiden zu bewegen. Dieser große französische Philologe, der wegen der Bartholomäusnacht nach Genf fliehen mußte, galt seinerzeit als »König« im Reich der Wissenschaften. In Leiden residierte er ohne Verpflichtungen zu öffentlichen Vorlesungen und Lehrveranstaltungen und scharte einen elitären, privaten Kreis von Gelehrten um sich, der maßgebend für das gelehrt-literarische Leben an den europäischen Universitäten wurde - seit Lipsius und Scaliger gehörte Leiden das Prinzipal in den klassischen Studien. Ihre Nachfolger festigten den Ruf der Leidener Universität und bestimmten das geistige Fluidum zur Zeit Christian Hoffmanns. Die Reise nach Holland und vor allem das Studium in Leiden waren für die spätere berufliche Entwicklung von großem Vorteil, spielten sie doch eine wichtige Rolle, wenn der in seine Heimat Zurückgekehrte sich um Amt und Würden bewarb. In den Gelegenheitsgedichten jener Zeit galt es als eine der vornehmsten Auszeichnungen, wenn man dem Empfänger nachsagen konnte, er habe die Gelehrten in Leiden kennengelernt und ihre Freundschaft erworben.
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Hoffmannswaldaus Lehrer in Leiden Christoph Köler hat in seinem Gedicht auf die Hochzeit seines früheren Schülers und späteren Freundes Christian Hoffmann dessen Aufenthalt in Leiden poetisch in Worte gefaßt und damit zugleich die Lehrer für die Nachwelt überliefert: Biß dich das Berühmte Leiden Aller Künste Höfe-Stadt/ Dein gemüth vnd Sinn zu weiden Jn die Schoß genommen hat; Da du wie im Delfiß Tempel Vor dir hattest Haupt-Exempel. Wo der Phoenix aller Zeiten Scaliger/ der Wunder-Mann/ Vnd der jhm stund an der Seiten Lipsius/ hat viel gethan/ Vnd auch derer Creaturen/ Mehr alß Menschliche Naturen. Da dir offte hat gegeben Der Salmasius Gehör/ Vnd der Heinsius/ dein Leben/ Dir gethan dergleichen Ehr; Boxhorn lehrt dich die Geschichten/ Nestertz die Gesetze schlichten. Manchen Gang hast du genommen Zu dem Vooß in Amsterdam/ Bist auch zum Barleen kommen/ Scriver in den Arm dich nam/ Vnd was mehr von grossen Sinnen/ Dich so musten lieb gewinnen.15
Entsprechend ihrer herausragenden Bedeutung nimmt Christian Hoffmanns Leidener Studienzeit in Kölers Epithalamium breiten Raum ein, wird in 24 Versen ein Bild der niederländischen Gelehrtenwelt gezeichnet, die Hoffmannswaldau wohlwollend aufnahm.16 Da15
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SCHEDIASMATA GAMICA [...] ä CHRISTOPHORO COLERO. Hochzeit-Lied, V. 25-48. »Nestertz« ist ein Druckfehler, gemeint ist Jacob Maestertius. Lohenstein hat in seiner »Lob-Rede« anläßlich der Beerdigung Hoffmannswaldaus ebenfalls auf dessen Leidener Lehrer verwiesen: Diesen lag er dreyzehn Monathe in Leyden unter der Wegweisung des Salmasius/ Voßius/ Boxhorns/ Barleens und Mesterzens/ welche Wunder der gelehrten Welt damals in einer Stadt versammlet waren/ mit nicht geringern Nutzen/ als Fleiß ob. D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 16 nach eig. Pag. Wie jedoch Köler richtig geschrieben hatte, wirkten Vossius und Barlaeus bereits in Amsterdam, wo sie auch Christian Hoffmann getroffen hatte. Ob sich allerdings die Leidener Gelehrten gerade deshalb applaudierend von den Plätzen erhoben hätten, als Christian Hoffmann die Akademie zum ersten Mal betrat, wie es Paulus Pater in seiner lateinischen Inscriptio auf Hoffmannswaldaus Tod überlieferte, scheint recht fraglich:
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niel Heinsius, Caspar Barlaeus (Caspar von Barle) und Gerhard Johannes Vossius gehörten zum Umkreis der großen niederländischen Späthumanisten, die mit ihren Vorlesungen und Büchern zur Geschichte, Poesie, Logik und vor allem Rhetorik den eigentlichen Mittelpunkt des gelehrten Lebens bildeten und die philosophische Fakultät in einem Glanz erstrahlen ließ, um den sie (in den Augen der schlesischen Studenten) die anderen Fakultäten durchaus beneiden durften. Der von Scaliger besonders geförderte Heinsius hatte an der Leidener Universität nacheinander die Professuren für Poesie, Griechisch, Politik und Geschichte erlangt, war schon 1607 zum Bibliothekar bestellt und drei Jahre später zum Sekretär des Akademischen Senats ernannt worden.17 Als glänzender Redner und Ausleger klassischer Texte zog besonders er die Studenten wie ein Magnet an; als Schüler Scaligers edierte er ab 1600 griechische und lateinische, später zunehmend religiöse Texte. Selbstverständlich dominierte im poetischen Schaffen des Späthumanisten Heinsius das Neulateinische, doch schrieb er auch niederländische Gedichte. Als 1616 seine »Nederduytsche Poemata« erschienen, wurden diese als Sammlung und Musterbuch literarischer Formen und Vorbilder gleichsam Programm für die nationalsprachliche Dichtung in den Niederlanden und in Deutschland im 17. Jahrhundert.18 Denn es war vor allem Heinsius, der Lehrer von Martin Opitz (dieser hatte sich im Herbst 1620 in Leiden, Amsterdam und Den Haag aufgehalten), der für den Einfluß der niederländischen Dichtung und Poetik auf den Beginn der neueren deutschen Dichtung steht und der für die frühbarocken deutschen Poeten bis hin zu Paul Fleming das große und gefeierte Vorbild blieb. Auch Hoffmannswaldau zollte in der Gesamtvorrede zur Ausgabe seiner Werke, die er an seinem Lebensabend veranstaltete, der Vorreiterrolle des Leidener Gelehrten hohe Anerkennung: So wol in Nieder- als in Deutschland ist Jederzeit deß Singens und Tichtens sehr viel gewesen; aber mit schlechter Glückseligkeit/ biß Daniel Heinsius der
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Exacto ibidem biennio Applausit LUGDUNENSIS BATAVORUM Academia, quöd in Matricula legeret vix Octodecennem. Außerdem ist die Jahresangabe »18« falsch und resultiert wohl aus der Verwechselung von »XXII« mit »XIIX«; vgl. dazu schon Franz Heiduk: Das Geburtsdatum Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus, S. 121. Die Inscriptio Paulus Paters trägt den Titel: DEBITAE PIETATIS OFFICIUM AETERNATURAE GLORIAE VIRIILLUSTRIS ET MAGNIFICI DN. CHRISTIANI ab Hoffmansvvaldau in Arnolds-Mühle [...] deferre voluit PAULUS PATER. Brieg 1679 (559512); die hier zitierte Stelle S. 3 nach eig. Fol. Ausführlich Barbara Becker-Cantarino: Daniel Heinsius. Boston 1978. Vgl. dieselbe: Das Literaturprogramm des Daniel Heinsius in der jungen Republik der Vereinigten Niederlande. In: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Hg. von Klaus Garber. Tübingen 1989, S. 595-626, hier bes. S. 616-626.
91 gelehrte und anmutige Kopff/ sich herfür gethan/ und die zierliche reine Arth der Getichte in das Licht gestellet [...].19
Neben Heinsius trug Gerhard Johannes Vossius entscheidend dazu bei, daß Leiden auch nach Scaligers Tod Mittelpunkt des Späthumanismus blieb. Er hatte 1622 an der Hochschule die Professur der Eloquenz und Geschichte, später den Lehrstuhl für Griechisch übernommen und galt als Polyhistor im wahrsten Sinne des Wortes.20 Seine »Rhetorica contracta« gehörte zu den Standardlehrbüchern der Gymnasien (und zum Teil der Universitäten); sie wurde auch von Mochinger im Unterricht am Akademischen Gymnasium in Danzig erläutert und war somit dem Schüler Christian Hoffmann bestens vertraut, der Vossius in Amsterdam kennenlernte, wo dieser ab 1631 lehrte. Zudem diente die Rhetorik ja zur Legitimierung der Poesie als Wissenschaft: Denn Dichtung galt als oratio ligata, als gebundene und gereimte Rede; sie sollte unterrichten, überreden und ergötzen und unterschied sich von der eigentlichen Rede also nur durch ihre metrische Form. Zu den ganz großen Leidener Gelehrten, mit denen Christian Hoffmann zusammentraf, gehörten der Franzose Claudius Salmasius (Claude de Saumaise), seit Vossius Weggang 1631 neben Heinsius der bedeutendste Lehrer an der philosophischen Fakultät, sowie Petrus Scriverius, der seit 1599 als Privatgelehrter in dieser Stadt lebte, dem Kreis um Scaliger angehörte und sich besonders der Geschichtsschreibung sowie der klassischen und der niederländischen Literatur widmete; 1616 gab er die »Nederduytschen Poemata« des Heinsius heraus.21 Dagegen stand der Professor für Eloquenz und Geschichte, Marcus Zuerius Boxhornius, deutlich im Schatten der berühmten Philologen, desgleichen Jacob Maestertius, der einzige bei Köler und Lohenstein genannte Vertreter der Jurisprudenz. Die juristische Fakultät an der Hohen Schule in Leiden besaß gleich nach ihrer Gründung in Hugo Donellus einen der bedeutendsten Vertreter ihres Faches. Unter seinen Nachfolgern, vor allem Petrus Cunaeus und später dann Johannes Voet, die gediegenes philologisches Können mit solider Kenntnis der Rechte verbanden, wurde Leiden zu einer Hochburg römisch-rechtlicher Studien.22 Maestertius, 1610 geboren und damit 19 20
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C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. An den geneigten Leser, S. 13 nach eig. Fol. S. ausführlicher Cornelius Simon Maria Rademaker: Gerardus Joannes Vossius (1577-1649). Zwolle 1967; vgl. auch derselbe: Gerardi Joannis Vossü de vita sua ad annum MDCXVII delineatio. In: Lias l (1974), S. 243-265. Über ihn vgl. Pierre Tuynman: Petrus Scriverius. 12 January 1576-30 April 1660. In: Quaerendo 7 (1977), S. 5-45. S. auch Robert Feenstra/C. J. D. Waal: Seventeenth Century Leiden law professores and their influence on the development of the civil law. A study of Bron-
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nur sechs Jahre älter als Christian Hoffmann, hatte in Löwen, Orleans und Leiden studiert, wurde hier Doktor beider Rechte und nach dem Tode von Petrus Cunaeus (der am 2. Dezember 1638 verstarb) Ordinarius für römisches Recht, stand damit also noch am Anfang seiner Leidener Wirksamkeit. Gelehrte der kalvinistischen theologischen Fakultät hat Christoph Köler in seinem Hochzeitscarmen für Hoffmannswaldau nicht erwähnt. Die schlesischen Studenten in Leiden, fast ausnahmslos lutherischen Glaubens, wurden von der lutherischen Gemeinde betreut, die allen Neuankömmlingen gegen eine finanzielle Spende die Eintragung ihres Namens sowie einen ständigen Platz in ihrer Kirche reservierte. Auch Christian Hoffmann hat sich eintragen lassen - während seines Aufenthaltes in der Universitätsstadt zahlte er 1638 und 1639 je einen Dukaten, die gleiche Summe übrigens, die auch sein Zimmernachbar Friedrich Heinrichsson entrichtete.23 Für sein Studium der Jurisprudenz hatte Christian Hoffmann eine damals nicht unübliche Hilfestellung erhalten, nämlich eine Studienanleitung, die Nikolaus Henel, ebenfalls beider Rechte Doktor, unter dem Datum des 31. Oktober 1638 seinem Freund Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau für dessen Sohn übersandte.24 Es handelte sich dabei um ein kleines Vademecum, worin dem Studiosus in gedrängter Kürze das Pensum seiner Studien und die beste Art und Weise ihrer Bewältigung faßlich und systematisch dargelegt wurden. Außerdem enthielt diese Studienanleitung in der Form eines Briefes an den Vater reichliche Angaben über die einschlägige Literatur. Wie wertvoll und wichtig solche Anleitungen damals waren, wird auch dadurch deutlich, daß Hoffmannswaldau im Jahre 1659 dem Sohn eines befreundeten Breslauer Ratsherrn selbst eine Anleitung zum Studium übersandte. Im Unterschied zu den heutigen Studiengepflogenheiten war es für den damaligen Studenten angebracht - zumal wenn er in Leiden
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chorst, Vinnius and Voet. Amsterdam/Oxfort 1975; Robert Feenstra: Die Leydener Juristische Fakultät im 17. und 18. Jh. Einige neuere Forschungsergebnisse. In: Leipziger Beiträge zur Universitätsgeschichte. H. 1. Leipzig 1987, S. 43-51. Gazophylacium Heroum Illustrium bonarumquementium Filiis Augustanae Confessioni In variatae In Batavorum Academiam addictis Ab eiusdem Confessionis Ecclesiae Presbyteris Dicatum Consecratum 1634, S. 30 u. 32 (Hs ÜB Leiden, Kat.-Nr. BPL 2014); vgl. Stefan Kiedron: Das Treffen in Leiden, S. 73f. NICOLAI HENELI JC.ti DE STUDIO JURIS EPISTOLA AD NOBILISS: ET AMPLISS. VIRUM DN. JOHANNEM HOFMANNUM ab Hofmanswaldaw [...] Breslau 1638 (328861). In der Einleitung wird ein Brief Joseph Justus Scaligers zitiert, demzufolge das Studium der Jurisprudenz zur Zeit der einzige Weg sei, die höchsten Ehrenämter zu erlangen und dem Vaterlande zu nützen.
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studieren wollte -, sich sogenannte literas commendatias von deutschen Gelehrten zu beschaffen, mit denen man sich bei den niederländischen Professoren einführen konnte.25 Derartige Empfehlungsbriefe, die die Häuser öffneten, wurden durch das internationale Zusammengehörigkeitsgefühl der Gelehrten in den verschiedenen Ländern möglich. Dabei reichten die Publikation einiger wissenschaftlicher Werke und ein angesehenes Amt, um seinen holländischen Kollegen einen Studenten zu empfehlen. Ob Christian Hoffmann über solche Empfehlungsbriefe verfügte, ist nicht bekannt. In gewisser Weise konnte jedoch der Autograph Mochingers in seinem Jugendstammbuch diese Funktion übernehmen; schließlich war der Danziger Eloquenzprofessor vor etwa 15 Jahren selbst in Leiden gewesen, um sich in den philologischen Disziplinen ausbilden zu lassen. Christian Hoffmann hatte sich zwar an der juristischen Fakultät immatrikuliert, aber in Leiden bevorzugt den Umgang mit den berühmten späthumanistischen Philologen gesucht, damit wichtige Verbindungen für das weitere Leben geknüpft. Sein Beispiel steht für viele Studenten, die auch an anderen Fakultäten beziehungsweise Lehrstühlen Vorlesungen hörten. Wohl jeder Studiosus hatte wenigstens einmal im großen Saal der Anatomie gesessen, um die vielen Tierskelette, aber auch die ägyptischen Mumien und Graburnen zu bewundern. Im hohen Turm der Leidener Universität waren die wertvollen Instrumente zur Himmelsbeobachtung aufbewahrt; durch das Fernrohr konnte man weit in die Provinz, aber auch in einzelne Häuser der Stadt sehen. Und natürlich erlaubte der Besuch der Hohen Schule auch die Benutzung der berühmten Universitätsbibliothek; die seit 1607 Heinsius unterstehende »Bibliotheca publica« öffnete mittwochs und samstags für jeweils zwei Stunden am Nachmittag. Die großen Folianten waren an den Lesepulten angekettet, die kleineren Bände standen in verschlossenen Schränken, an den Wänden hingen die Porträts berühmter Gelehrter wie zum Beispiel jene von Erasmus und Joseph Justus Scaliger.
Amsterdam 1631 mußte der Arminianer Gerhard Johannes Vossius unter dem Druck der orthodoxen Kalvinisten Leiden verlassen. Er kam nach Amsterdam, das nach der Eroberung Antwerpens durch die Spanier 1585 in wenigen Jahren das neue Tor zu Europa geworden war. Der schnelle Aufstieg der Stadt infolge eines ungebremsten wirtschaftli25
Vgl. Ulrich Bornemann: Anlehnung und Abgrenzung, S. 15f.
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eben Aufschwunges und einer äußerst regen Handelstätigkeit faszinierte die Zeitgenossen im hohen Maße; Religionsfreiheit und freie Meinungsäußerung bereiteten hier unbedrängt von einer staatlich gelenkten Zensur den Boden für ein blühendes intellektuelles Klima, das Gelehrte verschiedener Herkunft und unterschiedlichen Glaubens anzog.26 1632 wurde das »Athenaeum Illustre«, das Akademische Gymnasium in Amsterdam, gestiftet, zunächst und vor allem als Gegengewicht zur Universität in Leiden, sollte es doch den Kindern der einheimischen Kaufmannschaft den Besuch einer auswärtigen Universität ersparen.27 Vossius übernahm an der neugegründeten wissenschaftlichen Einrichtung die Professur für Geschichte. Nicht wenige Studenten, selbst aus dem berühmten Leiden, kamen jetzt nach Amsterdam, um die Vorlesungen bei ihm zu besuchen. Auch Christian Hoffmann hat den bekannten Späthumanisten hier gehört, desgleichen den neulateinischen Dichter, Logiker und Historiker Caspar Barlaeus, der am »Athenaeum Illustre« die Professur für Philosophie bekleidete und wichtige Impulse für Hoffmannswaldaus spätere Dichtungen gab. Vossius, Barlaeus und der Mathematikprofessor Martin Hortensius galten als die gelehrtesten Männer in der ganzen Stadt. Sie vor allem waren der Grund, daß zahlreiche Studenten dem Amsterdamer Akademischen Gymnasium sogar den Vorzug vor den Hohen Schulen gaben, wie etwa Johann Balthasar Schupp, der spätere berühmte Kanzelredner, der wenige Jahre vor Christian Hoffmann die Niederlande besuchte und über diese Zeit schrieb: (Ich) bände mich nicht an die Universitäten, sondern hielte mich in Amsterdam auf, und hörte den alten Vossius, den hochgelahrten Barlaeum.28
Vossius war neben seinem Lehramt zugleich Bibliothekar am »Athenaeum Illustre«. Amsterdam hatte Antwerpen auch als Buchzentrum Europas abgelöst, das geistig-tolerante Klima in der Stadt beförderte Buchdruck und Verlag, hier konnten Arbeiten von Autoren erscheinen, die in ihren Herkunftsländern verboten waren - in Amsterdam erfuhr man meist zuerst von neuen philosophischen, religiösen und wissenschaftlichen Ideen. Zur geistig-kulturellen Blüte trug in jener Zeit, als Christian Hoffmann die Stadt besuchte, auch die erst Anfang 1638 eingeweihte prächtige »Amsterdamse Schouwburg« bei, das er26
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Vgl. hierzug den Sammelband: Amsterdam 1585-1672. Morgenröte des bürgerlichen Kapitalismus. Hg. von Bernd Wilcek unter Mitarbeit von Jos van Waterschoot. Bühl-Moos 1993. Zum »Athenaeum Illustre« s. Cornelius Simon Maria Rademaker: Gerardus Joannes Vossius, S. 197ff. Johann Balthasar Schupp: Der Freund in der Not (1657). Neudruck hg. von Wilhelm Braune. Halle 1878, S. 61.
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ste niederländische Theater, das die Ende des 16. Jahrhunderts ins Leben gerufenen »Rederijkerskamers« ablöste und fast 150 Jahre den kulturellen Mittelpunkt der Stadt bildete. Einen Besuch war Amsterdam, der damalige Welthafen mit seiner Warenkonzentration und seinem pulsierenden Wirtschaftsleben, allemal wert. Täglich ab 10 Uhr versammelten sich die Kaufleute, aber auch zahlreiche andere Personen in der Börse, um ihr Geld mit Gewinn anzulegen. Auf seiner Reise durch die Niederlande hatte Charles Ogier natürlich das geschäftige Treiben in der Amsterdamer Börse beobachtet: Man sieht auch dort sogar die Bürgermeister mitten unter den Kaufleuten, Händlern, Schiffern, Schankwirten umhergehen und um Vorteil und Waren mitfeilschen, denn in Amsterdam kann man alles kaufen; außer den Säulengängen, unter denen die Kaufleute sich aufhalten, sind noch vier andere da, in denen man alles das kaufen kann, was es auch zu Paris in der Porticus palatina gibt.29
Ob Christian Hoffmann während seines Hollandaufenthaltes auch nach Utrecht kam und der »Patronin« der Universität, Anna Maria von Schurman, seine Aufwartung machte,30 muß dahingestellt bleiben; weder Lohenstein noch Köler erwähnen eine Begegnung mit der von vielen Zeitgenossen in ihren Gedichten gelobten Poetin, die zur Eröffnung der Utrechter Universität im Jahre 1636 einige lateinische und französische Verse geschrieben hatte. Dichtungen in den Niederlanden und Begegnung mit Andreas Gryphius Für Christian Hoffmanns Aufenthalt in den Niederlanden stellt sich nun abschließend die Frage nach eigenem dichterischen Ertrag. Wir 2q
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Kurt Schottmüller: Reiseeindrücke aus Danzig, Lübeck, Hamburg und Holland 1636, S. 261; über Amsterdam im 17. Jh. vgl. Abraham Bredius: Amsterdam in de XVII eeuw. 3 Bde. Haag 1897-1904, mit vielen Abbildungen nach zeitgenössischen Radierungen. »Dann kamen Besucher, die bei ihrer Reise durch die Niederlande in Utrecht Station machten und sich durch einen Universitätslehrer, meist Voetius, bei der Schurman vorstellen ließen, darunter Balzac und Huet, Gassendi, Descartes, Schottel (der 1633 in Leiden studiert hat), Hofmannswaldau (der 1638 bis 1641 eine Bildungsreise durch West- und Südeuropa unternommen hat), Lohenstein (der als Hofmeister 1655 durch die Niederlande reiste) und Morhof (der 1660 bis 1665 England und die Niederlande bereist hat).« Barbara Becker-Cantarino: Die »gelehrte Frau« und die Institutionen und Organisationsformen der Gelehrsamkeit am Beispiel der Anna Maria von Schurman (1607-1678). In: Res Publica Litteraria. Hg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Teil II. Wiesbaden 1987, S. 559-576, hier S. 567.
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gehen wohl nicht fehl in der Annahme, daß er bereits hier einige seiner bekannten poetischen Grabschriften verfaßt hat, für die das geistige Leben an der Universität Leiden und das religiös-politische Klima der kalvinistischen Niederlande überhaupt einen guten Nährboden abgaben.31 Diese Grabschriften weisen eine ausgesprochen antihabsburgische und antikatholische Tendenz auf. Als Beispiel wäre hier die Grabschrift auf Herzog Alba zu nennen. Der Herzog, in den Jahren 1567 bis 1573 Statthalter der spanischen Niederlande, dessen grausamer Terror die Unabhängigkeitsrevolution der Niederländer auslöste, war im Bewußtsein der Zeitgenossen noch völlig gegenwärtig. Für die Stadt Leiden, deren Universität unmittelbar nach dem Abzug der spanischen Belagerer gegründet worden war, traf das im ganz besonderen Maße zu. Die Grabschrift auf Herzog Alba zählt zu den satirischen Grabschriften Hoffmannswaldaus, hier zum besonderen Typ der Personen-Satire: Hier liegt der Wütterich so nichts von ruh gehört, Biß ihn der bleiche todt ein neues wortt gelehrt, Er brach ihm seinen halß, und sprach: Du must verbleichen, Sonst würd' ich dir noch selbst im Würgen müßen weichen.32
Zwar verfaßte Christian Hoffmann diese Grabschrift auf eine historische Person, doch die Zielrichtung ging primär gegen Spanien und das Haus Habsburg - ein entscheidender Grund dafür, daß die Grabschrift zusammen mit acht weiteren nicht in seine Ausgabe letzter Hand aufgenommen wurde. Zu verweisen wäre an dieser Stelle auf Andreas Gryphius, der wenige Wochen vor Hoffmannswaldau nach Leiden gekommen war und den größten Teil seiner Epigramme während seines Hollandaufenthaltes dichtete. In den Beziehungen beider Dichter sollte Leiden eine besondere Stellung einnehmen, begann doch hier eine Verbindung, die Gryphius später als freundschaftlich bezeichnete. 1663 veröffent31 32
Diese Vermutung schon bei Erwin Rotermund: Christian Hofmann von Hofmannswaldau. Stuttgart 1963, S. 6. Universitätsbibliothek Wroclaw, Handschrift Hs IV, F. 88, S. 155. Diese Grabschrift wurde erstmals 1643 in der sogenannten Fürstensteiner Handschrift niedergeschrieben, die jedoch als verschollen gilt. Vgl. zur handschriftlichen Überlieferung Franz Heiduk: Hoffmannswaldau und die Überlieferung seiner Werke. Eine kritische Untersuchung mit dem Abdruck zweier bisher unbekannter Gedichte sowie einem Gesamtverzeichnis der Handschriften und ersten Drucke. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1975. Tübingen 1975, S. 1-72, bes. S. 41-48. Die Handschrift Hs IV, F. 88, nach der hier zitiert wird, ist von mir veröffentlicht worden, vgl. Lothar Noack: Die Handschrift Hs IV, F. 88 - eine handschriftliche Überlieferung der Werke Christian Hoffmanns von Hoffmannswaldau in der Universitätsbibliothek Wroclaw. In: GWrMF 4 (1987), S. 160-358 (Kommentar S. 160-179).
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lichte er seine Übersetzung der 1636 erschienenen »Meditations and Disquisitions upon the Lords Prayer« des Engländers Sir Richard Baker. In der Widmung seiner »Betrachtungen über Das Gebett des Herren« dankte Gryphius der Ehefrau Hoffmannswaldaus für die Unterstützung, die er bei der Übersetzung des Werkes durch diesen erfahren hatte und die an anderer Stelle der Untersuchung noch eine ausführlichere Behandlung erfahren wird, und verwies dabei auf das Studium in Leiden als Beginn ihrer freundschaftlichen Beziehung.33 Auch wenn außer den bereits genannten Belegen wie etwa der Universitätsmatrikel oder dem Kirchenbuch der lutherischen Gemeinde keine weiteren Dokumente aufgefunden werden konnten, in denen die Namen beider Dichter gemeinsam aufgeführt sind, so können wir doch mit ziemlicher Sicherheit bestimmte Begegnungen annehmen, die Gryphius später veranlaßten, Leiden als Beginn einer »stets mehr und mehr blühende(n) Freundschafft« zu bezeichnen. Selbstverständlich besuchten beide die Vorlesungen derselben großen Gelehrten, wegen der die schlesischen Studenten überhaupt nach Leiden kamen. Vielleicht hat Hoffmannswaldau auch an den von Gryphius ab 1639 durchgeführten Collegia privata teilgenommen. Ganz sicher aber mußte er mit den Söhnen Schönborners Kontakt pflegen, deren Vater sich seinerzeit in sein Jugendstammbuch eingetragen und als Fiskal von Niederschlesien schon beruflich mit seinem Vater zu tun hatte; erst im Dezember 1637 war Georg Schönborner von Schönborn gestorben. Noch kurz vor seinem Tode hatte er als Kaiserlicher Hofpfalzgraf Andreas Gryphius zum Poeta laureatus Caesareus gekrönt und ihm die Magisterwürde sowie den Adelstitel (von dem dieser jedoch keinen Gebrauch machte) verliehen. Nun war Gryphius als Begleiter der Söhne Schönborners in Leiden, so daß gelegentliche Zusammentreffen beider auf der Hand liegen. Nicht nur nebenbei ging es da um die neue deutsche Kunstdichtung. 1637 hatte Gryphius seinen ersten deutschen Sonettband zum Druck gebracht, beide waren mit dem Literaturprogramm von Martin Opitz vertraut, Christian Hoffmann traf schon als Schüler des Elisabethgymnasiums in Breslau mit Opitz zusammen und pflegte später in Danzig mit ihm einen regen Umgang, war sogar »täglich bey jhm auß und eingegangen«. Gleichwohl mag die Feststellung zutreffen, daß Hoffmannswaldau in Leiden »nicht zu den engsten Freunden von Gryphius gehörte«,34 da 33
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RICHARD BAKERS Engelländischen Ritters Prag-Stück und Betrachtungen über Das Gebett des HERREN. Verdolmetschet durch ANDREAM GRYPHIUM. Leipzig/Breslau 1663 (307718), S. 15 nach eig. Pol.: »Die stets mehr und mehr blühende Freundschafft/ mit welcher vor vilen Jahren/ noch ausser Landes Ihrem hochwehrtesten Eheherren mich zu verpflichten belibet [...].« So Stefan Kiedron: Das Treffen in Leiden, S. 79.
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dieser seine 1639 in Leiden erschienenen »Son- und Feyrtags Sonette« zwei anderen Schlesiern, nämlich Johann Friedrich von Sack und Jacob Ressius, gewidmet hat. Konkrete Beweise für die enge Verbindung Christian Hoffmanns zu Gryphius und für die fruchtbare Zusammenarbeit beider datieren (und das bestätigt auch Gryphius mit seiner Wendung von der »stets mehr und mehr blühende [n] Freundschafft«) vor allem aus den fünfziger und frühen sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts - sie werden an entsprechender Stelle noch beigebracht. Der Kontakt mit Martin Opitz blieb auch in Leiden bestehen. Christian Hoff mann sandte dem Dichter an der Jahreswende 1638/39 einen Neujahrsglückwunsch, den dieser am 21. Januar 1639 mit einem langen Brief beantwortete.35 Darin erklärte Opitz, daß Christian Hoffmanns große Begabung - die ihm ja hinlänglich bekannt war und sein ernstes Streben zu hohen Erwartungen berechtigten. Zugleich teilte er dem jungen Freund mit, daß er sich gegenwärtig mit der älteren deutschen Literatur beschäftige; er erwähnte unter anderem das »Annolied«, einen Lobgesang auf den 1183 heiliggesprochenen Kölner Erzbischof Anno II. (um 1010-1075), den er nach einer alten Handschrift tatsächlich noch 1639 veröffentlichte. Er wollte auch Willirams Paraphrase des Hohen Liedes (um 1060) neu herausgeben, da die 1598 von Paullus Merula in Leiden edierte Ausgabe seiner Meinung nach korrekturbedürftig war. Leider konnte Opitz sein Vorhaben nicht mehr ausführen: Am 20. August 1639 fiel er der in Danzig wütenden Pest zum Opfer. Es gibt keine Zeugnisse Christian Hoffmanns als Ausdruck der Betroffenheit über den Tod des von ihm hoch verehrten Dichters; die später verfaßte poetische Grabschrift auf Opitz kann nicht als ein solches gewertet werden. Reaktionen anderer Dichter und Gelehrter sind dagegen zahlreich vorhanden. Zu erwähnen ist hier besonders der Schulactus, den Christoph Köler am 11. November 1639 am Breslauer Elisabethgymnasium veranstaltete, bei welchem die Schüler des Gymnasiums, unter ihnen Andreas Scultetus und Johannes Scheffler, mit (meist von Köler verfaßten) Gedichten den Toten würdigten. Köler 35
Der heute nicht mehr erhaltene, in Latein abgefaßte Brief von Opitz an Hoffmannswaldau ist abgedruckt bei Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S. 114f. Insgesamt erhielt Hoffmannswaldau in Leiden fünf Briefe, außer dem Opitzschen bereits am 25. November 1638 einen Brief von einem gewissen D. Wayz aus Franeker (vielleicht ein vormaliger Danziger Studienkommilitone?), am 1. Juli 1639 ein Schreiben von Adam Sebisch aus Breslau sowie zwei Briefe von Mochinger aus Danzig (3. Februar bzw. 28. September 1639). Diese Briefe waren die ersten von insgesamt 160 Briefen der im Zweiten Weltkrieg verlorengegangenen Handschrift R 257 der ehemaligen Stadtbibliothek Breslau.
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selbst hielt eine vielbeachtete Laudatio auf den berühmten Dichter, die als wichtigste Quelle zur Biographie Opitzens und kulturpolitisches Manifest ersten Ranges gilt, jedoch erst 1665, sieben Jahre nach Kölers Tod, von Melchior Weise, einem nachmaligen Praeceptor am Elisabethgymnasium, mit verschiedenen Beilagen und einer Widmung an die Breslauer Ratsherren Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Johann Burghard von Löwenburg, Heinrich Marcus von Pein, Ferdinand von Mudrach und Adam Caspar von Artzat herausgegeben wurde.36
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Laudatio Honori et Memoriae V. Cl. MARTINI OPITII paulö post obitum ejus A. MDC.XXXIX. in Actu apud Uratislavienses publico solenniter dicta ä CRISTOPHORO COLERO [...] Publici juris fecit Melchior Weise GreiffenbergensisSiles. Leipzig 1665 (385361). Kölers Rede wurde, zugleich auf Deutsch bearbeitet und mit Zusätzen versehen, erneut gedruckt von Kaspar Gottlieb Lindner: Umständliche Nachricht von des berühmten Schlesiers Martin Opitz von Boberfeld Leben, Tode und Schriften. Hirschberg 1740-1741; die lateinische Vorlage T. l, S. 35-112, die deutsche Bearbeitung S. 113-238. Vgl. zur Rede und zu weiteren Zeugnissen der Würdigung Opitzens auch Klaus Garber: Martin Opitz - »der Vater der deutschen Dichtung«, S. 39-43; s. zum Kontext außerdem Martin Bircher: »Kein vnrhümliches Gliedt dieser meiner löblichen Heimat.« Martin Opitz-Ehrungen auf dem Breslauer Schultheater. In: Opitz und seine Welt, S. 71-92.
V. Peregrinatio academica als Kavalierstour (1639-1641) Peregrinatio academica und Kavalierstour Nach 13 Monaten brach Christian Hoff mann seine Leidener Universitätsstudien ab und nutzte die sich bietende Möglichkeit, einen adligen Reisenden durch mehrere europäische Länder zu begleiten. Offensichtlich wartete er schon seit geraumer Zeit auf eine günstige Gelegenheit, denn in seinem Brief vom 28. September 1639 hatte Mochinger bereits seine Zweifel gehabt, ob sein Schreiben den jungen Freund noch in Leiden erreichen werde.1 Er wußte also um den Plan des Studiosus, Leiden zu verlassen. Die Gelegenheit dazu sollte sich bald bieten: Im November 1639 verließ Christian Hoffmann die Universität, um im Gefolge eines Fürsten nach den Niederlanden noch weitere europäische Staaten zu bereisen. Dadurch fiel seine peregrinatio academica, die ja eines der erstrebenswertesten Ziele junger Intellektueller war und zum festen Bestandteil des akademischen Studienganges gehörte,2 mit einer adligen Kavalierstour zusammen, bei der es vor allem um den Erwerb von höfischem Gebaren und Herrschaftswissen, um Fragen der höfisch-ständischen Etikette, um das Kennenlernen höfischer Zentren überhaupt ging.3 1
Vgl. Karl Friebe: Über C. Hofman von Hofmanswaldau, S. 6. Ziel war die »notitia sextuplex: linguae, regionis, regiminis, rerum gestarum, morum et clarorum virorum«; so Thomas Erpenius: De Peregrinatione Gallica. Leiden 1631, S. 2. Dazu Erich Trunz: Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur (1931). In: Deutsche Barockforschung. Dokumente einer Epoche. Hg. von Richard Alewyn. Köln/Berlin 1965, S. 147-181, hier S. 162: »Das Reisen galt als unentbehrliches Bildungsmittel, und es war daher üblich, an mehreren Hochschulen zu studieren und nach Möglichkeit längere Reisen daran anzuschließen. Die >Peregrinatio academica< war ein fester Begriff und wurde auch allgemein durchgeführt.« 3 Vgl. dazu vor allem Jörg Jochen Berns: Peregrinatio academica und Kavalierstour. Bildungsreisen junger Deutscher in der Frühen Neuzeit. In: Rom-ParisLondon. Erfahrung und Selbsterfahrung deutscher Schriftsteller und Künstler in den fremden Metropolen. Ein Symposium. Hg. von Conrad Wiedemann. Stuttgart 1988, S. 155-181 (Diskussionsbericht S. 194f.), hier S. 155f., wo es u.a. heißt: »Empirisch sind Peregrinatio academica und Kavalierstour nicht strikt auseinanderzuhalten. Denn in der Frühen Neuzeit ist es durchaus nicht unüblich, daß deutsche Adlige Universitäten besuchen, während Akademiker zu2
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Lohenstein verwies in seiner »Lob-Rede« auf Hoffmannswaldau besonders darauf, daß das Reisen auch einen erzieherischen Effekt besaß, daß nützlich Reisen die beste Schule des Lebens were/ als da man täglich in dem grossen Buche der Welt etwas neues zu lernen aufkriegte [...].4
Zweifellos lag hier die Betonung auf dem Adjektiv »nützlich«. Daß eine solche Reise auch mancherlei Versuchungen in sich barg, hat der Breslauer Schulmann Christian Gryphius - dem es freilich aus gesundheitlichen Gründen nicht vergönnt gewesen war, nach seinem Straßburger Studienaufenthalt 1673 seine schon vorbereitete peregrinatio academica anzutreten - in seinem Gedicht »Auf das unvernünfftige Reisen« angeprangert: Reis't immer, wie ihr wollt, nach Holl- und Engelland, Macht euch so wohl zu Rom, als zu Paris bekannt. Sucht, o verwöhntes Volck! sucht die Galanterien, Jhr werdet euch umsonst und ohne Nutz bemühen. Diß kahle Reisen trägt gar wenig Vortheil ein. Der Leib wird abgekränckt, der Beutel ledig seyn. Jhr werdet, könnt ihr nicht die tolle Lust bezwingen, Nichts als ein Laster-Schacht mit euch nach Hause bringen.5
Reisen im Lohensteinschen Sinne dagegen bedeutete, daß man seine Kenntnisse über die besuchten Länder erweiterte, auch seine Sprachkenntnisse vervollkommnete, der fremden Völker Sitten und Staatseinrichtungen kennenlernte und ihre Kunstwerke besichtigte. Hinzu kam der Besuch der viri illustres; ihnen mußte man überall und sofort nach der Ankunft aufwarten, ihre berühmten Bibliotheken mußten besucht werden.6 So knüpfte man sowohl zu Gelehrten als auch zu
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nehmend in Hofämter vordringen. Viele junge Deutsche, gleich ob adeliger oder bürgerlicher Herkunft, besuchen auf ihren Bildungsreisen sowohl Universitäten wie Höfe. Just in dem Maße, in dem Bürgerliche und Adelige bei Hofe miteinander konkurrieren, suchen sie sich wechselseitig in ihren Qualifikationen einander anzugleichen.« Zu ergänzen wäre hier die nicht nur im Falle Hoffmannswaldaus, sondern bei vielen deutschen Dichtern und Gelehrten zutage tretende Verbindung von peregrinatio academica und adliger Kavalierstour durch den Anschluß weniger bemittelter Söhne aus patrizischen und kleinadligen Schichten an reiche Reisende, die meist dem Hochadel entstammten. S. auch Norbert Conrads: Politische und staatsrechtliche Probleme der Kavalierstour. In: Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte. Aufgaben und Möglichkeiten der historischen Reiseforschung. Hg. von Antoni Maczak und Hans Jürgen Teuteberg. Wolfenbüttel 1982, S. 45-64. D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 16 nach eig. Fol. Christiani Gryphii Poetischer Wälder Anderer Theil/ Nebst einem doppelten ungebundenen Anhange. Breslau/Leipzig 1718 (318672), S. 429. Vgl. Ulrich Bornemann: Anlehnung und Abgrenzung, S. 16f.; Justin Stagl: Ars apodemica. Bildungsreise und Reisemethodik von 1560-1600. In: Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Hg. von Xenja von Ertzdorff und Dieter Neukirch. Amsterdam 1992, S. 141-189, hier S. 142-144.
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einflußreichen Personen am Hofe und in den städtischen Führungsschichten Kontakte und schuf Verbindungen, die man dann möglichst durch einen ausgedehnten Briefwechsel weiter intensivierte. Im 17. Jahrhundert führte die Reiseroute meist durch die Niederlanden, Frankreich und Italien. Dabei vertraten die Niederlanden das pragmatische Element der neuen Ausbildung und zugleich mit Italien das humanistisch-rhetorische, während Frankreich vor allem in gesellschaftspolitischer Hinsicht ausstrahlte. Nicht der humanistisch gebildete Gelehrte schlechthin stellte das Ideal der neuen Erziehung dar, sondern der in allen gelehrten Disziplinen wohlbeschlagene Weltmann, der auch über die Kenntnis mehrerer moderner Sprachen verfügte.7 Da solch eine Reise oftmals die Voraussetzung für eine künftige standesgemäße Anstellung im gesellschaftlichen Leben war, betrachtete man sie als eine sinnvolle und unumgängliche Investition. Während einerseits der Besuch möglichst vieler Universitäten den beruflichen Aufstieg der künftigen Theologen, Ärzte und Juristen beförderte, konnte umgekehrt das Fehlen der peregrinatio academica diese in ihrer Laufbahn hemmen.8 Doch nur vermögende Angehörige vor allem des hohen Adels und reiche Patriziersöhne waren in der Lage, die Kosten einer solchen Reise, die sich oft über mehrere Jahre hinzog, zu bestreiten. Für die meisten Bürgersöhne bot sich die Chance einer solchen Reise, wenn man von einem reichen Adligen zum Reisebegleiter auf dessen Kavalierstour auserkoren wurde eine Chance, die auch Christian Hoffmann sofort nutzte. Seine Aufnahme in die Reisegesellschaft eines hochgestellten Adligen, der Reiseroute, Aufenthaltsdauer und Programm an den einzelnen Reisestationen bestimmte, bedeutete jedoch, daß Hoffmannswaldaus peregrinatio academica im Grunde genommen einer Kavalierstour gleichkam, was bei unserer Untersuchung immer mitgedacht werden muß. Leitbild einer adligen Reisegesellschaft war der höfische Kavalier, wie er 1528 im »Libro del Cortegiano« von Baldassare Castiglione als Idealbild eines perfekten Hofmannes, der vollkommene humanistische Bildung mit allen ritterlichen Tugenden vereinigte, beschrieben wurde. Das schnell in ganz Europa verbreitete Werk erschien 1565 in deutscher Übersetzung unter dem Titel »Der Hofmann«. Und es dürfte wohl kaum ein Zufall gewesen sein, daß gerade in der Zeit, als Christian Hoffmann seine europäische Bildungsreise absolvierte, sein alter Lehrer Mochinger den Traktat »Orator atque rhetorista«, einen 7
Gunter E. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Frühhumanismus bis zur Frühaufklärung. Tübingen 1983, S. 251. 8 So findet sich etwa 1696 in der Jenaer Visitation die Frage, »ob sie peregrinirt«. August Tholuck: Das akademische Leben im 17. Jh. Bd. 1. Halle 1853, S. 306.
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vom ihm bearbeiteten Auszug aus dem »Cortegiano«, dem schlesischen Kammersekretär Johann Hoffmann, seinem »Patrono, Fautori, et Amico honoratißimo«, widmete.9 Auf jeden Fall konnte Hoffmannswaldau während dieser Reise seine später oft gerühmte weltmännische Eleganz ausbilden und damit eine wesentliche Grundlage für die diplomatischen Erfolge bei seinen Gesandtschaften an den kaiserlichen Hof schaffen.
Fürst Fremonville - Tremoille? Lohenstein, dessen »Lob-Rede« noch heute fast die einzige Quelle für die Reise Hoffmannswaldaus durch mehrere europäische Länder ist, verdanken wir den Hinweis, daß sich der Dichter der Reisegesellschaft eines »Fürsten Fremonville« anschloß.10 Die Hoffmannswaldau-Forschung wußte mit diesem Namen bisher nichts anzufangen, bezeichnete den Fürsten wohl auch fälschlich als flämischen Edelmann.11 Eine Durchsicht entsprechender belgischer Adelslexika blieb erfolglos; dagegen führte - wie schon der Name vermuten läßt - die Suche in französischen Adelsrepertoria zu einem brauchbaren Resultat, allerdings erst dann, wenn der offensichtliche Druckfehler in Lohensteins »Lob-Rede« korrigiert wird: 1719, also 40 Jahre nach Hoffmannswaldaus Tod, nannte Johann Caspar Wetzel in seiner »Historischen Lebensbeschreibung der berühmten Liederdichter« den
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ORATOR ATQUE RHETORISTA PENICILLO IOHANNIS MOCHINGERI DEPICT! PRODIERE GEDANI EX OFFICINA Andreae Hünefeldii. Danzig 1641 (302984). Die umfangreiche Widmung trägt das Datum des 16. Oktober 1640. S. auch: Baldassare Castiglione: Das Buch vom Hofmann. Übersetzt und erläutert von F. Baumgart. Mit einem Nachwort von R. Willemsen. München 1986. Über Castigliones 1528 erschienenes, aber schon 1518 handschriftlich verbreitetes Werk und seine Rezeption in Dt. s. auch Klaus Ley: Castiglione und die Höflichkeit. Zur Rezeption des »Cortegiano« im dt. Sprachraum vom 16. bis zum 18. Jh. (im Anhang: H. Turler: De perfecto aulico B. Castilionii, deque eius in »latinam linguam versione narratio (1561)«. In: Beiträge zur Aufnahme der italienischen und spanischen Literatur in Dt. im 16. und 17. Jh. Hg. von Alberto Martino. Amsterdam/Atlanta 1990, S. 3-108; vgl. zum Thema außerdem Emilio Bonfatti: Vir Aulicus, Vir Eruditus. In: Res Publica Litteraria. Bd. I, S. 175191; Peter Brockmeier: Anmut, Würde und Gemeinheit: Variationen des »cortegiano«. In: Italienisch-europäische Kulturbeziehungen im Zeitalter des Barock. Hg. von Brigitte Winklehner. Tübingen 1991, S. 83-96; zum Kontext generell Manfred Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes. Studien zu italienischen Hofmannstraktaten des 16. und 17. Jhs. Stuttgart 1992. D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 16 nach eig. Fol. So Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S. 13.
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wohl richtigen Namen des Fürsten, nämlich »Tremonuile«.12 (Eine ebenfalls auf Korrektur eines vermuteten Druckfehlers beruhende Suche führte zu dem angesehenen französischen Adelsgeschlecht »De la Poix de Freminville«, das in der Bourgogne und später auch in der Bretagne ansässig war. Ihm gehörten unter anderem die Herren von Fresnes und Chätillon an; in späterer Zeit erwarben zahlreiche Mitglieder dieser Familie als Kapitäne der französischen Flotte bleibende Verdienste. Doch in diesem Falle hätte Lohenstein in seiner »LobRede« den wichtigeren Namen »De la Poix« sicher nicht verschwiegen.) Die fürstliche Familie de la Tremoille (auch: Tremouille, Trimouille) nannte sich nach dem in der Provinz Poitou an der Grenze zur Provinz La Marche nahe bei Montmorillon und Belabre gelegenen Besitz Tremoille. Mitglieder des berühmten Geschlechts, das seit dem 11. Jahrhundert nachweisbar ist, waren unter anderem Herzöge von Thouars und Prinzen von Tarento und Talmond; der in Frankreich hochangesehenen Familie entstammten die Marquisen von Rohan und die Herzöge von Noirmoustier. Sie besaßen im 16. und 17. Jahrhundert ausgezeichnete Kontakte zu Adelshäusern und einzelnen Persönlichkeiten in England und in den Niederlanden und schlössen eheliche Verbindungen mit bedeutenden ausländischen Dynastien wie Nassau-Oranien und Hessen-Kassel sowie Sachsen-Weimar.13 Ludwig (Louis) III. de la Tremoille (1521-1577) war seit 1563 der erste Herzog von Thouars; seine Tochter Charlotte-Catharine vermählte sich 1586 mit Heinrich L, den Prinzen von Conde, und wurde, als dieser zwei Jahre später starb, beschuldigt, ihn vergiftet zu haben. Ludwigs Sohn Claudius (Claude) de la Tremoille (1566-1604), Herzog von Thouars und Prinz von Talmont, zeichnete sich an der Seite der Bourbonen in den Hugenottenkriegen aus und wurde wegen seiner Verdienste zum Pair von Frankreich ernannt. 1598 heiratete er Charlotte, eine Tochter Wilhelms II. von Nassau-Oranien, welche ihm 12
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Johann Caspar Wetzel: Historische Lebensbeschreibung der berühmten Liederdichter, Bd. l, 1719 (Deutscher Biographischer Index, Mikrofiche 557, S. 108); der gleiche Name auch bei (Johann Franz Buddeus:) Neu=vermehrtes Historische und Geographisches Allgemeines LEXICON, [...] Zweyte Auflage/ Mit Vorreden von Jacob Christoff Iselin. Theil 2, Basel 1729, S. 805: »[...] wendete sich alsdenn in begleitung des Fürsten von Tremouille nach Engelland [...]«, mit Verweis auf Lohensteins »Lob-Rede«. Zur Familie s. (Johann Franz Buddeus/Jacob Christoff Iselin:) Allgemeines Historisches LEXIKON [...] Dritte um vieles vermehrte und verbesserte Auflage. Theil 4. Leipzig 1730, S. 807-810; Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden worden [...] Bd. 45. Halle/Leipzig 1745, Sp. 370-385.
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zwei Söhne gebar, von denen der jüngere, Friedrich (Frederic) de la Tremoille, Graf von Benaon und Laval, im Februar 1642 in Venedig an einer Wunde starb, die er sich in einem Duell zugezogen hatte. Da er sich etwa zur selben Zeit wie Christian Hoffmann in Italien aufhielt, käme er am ehesten als jener Fürst in Betracht, in dessen Reisegesellschaft Hoffmannswaldau aufgenommen wurde. Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt. Da sein Vater jedoch bereits 1604 starb und der ältere Bruder Heinrich (Henri) de la Tremoille erst 1599 geboren wurde,14 läßt sich seine Geburt auf die Jahre 1600 bis 1605 eingrenzen. Daß Friedrich de la Tremoille der besagte Fürst gewesen sein dürfte, mit dem Christian Hoffmann durch England, Frankreich und Italien reiste, wird auch dadurch erhärtet, daß er bei seinem Tode (außer einer Tochter einer Venezianerin) auch einen Sohn hinterließ, den ihm eine englische Adlige geboren hat und der 1647 für illegitim erklärt wurde.15 Vielleicht blieb der Dichter bis zur Reisestation Venedig, also bis zum Frühsommer 1641, »in begleitung« dieses Fürsten und kehrte dann - der väterlichen Order folgend - in seine schlesische Heimat zurück.
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Sein älterer Bruder Heinrich (Henri) de la Tremoille (1599-1674), Herzog von Thouars, Pair von Frankreich, Prinz von Tarento und Talmond sowie Graf von Laval, konvertierte 1628 während der Belagerung von La Rochelle, der letzten Festung der Hugenotten, in Gegenwart des Kardinals Richelieu zum katholischen Glauben und wurde Obrist der königlichen Reiterei. 1643 verwaltete er beim Leichbegängnis König Ludwigs XIII. die Stelle eines Groß-Meisters und ließ - allerdings erfolglos - bei den Westfälischen Friedensverhandlungen seinen Anspruch auf das Königreich Neapel vortragen. Sein Sohn Heinrich Carl (Henri Charles) de la Tremoille (1620-1672) spielte eine herausragende Rolle in den Kriegen der Fronde; seine nach seinem Tode veröffentlichten »Memoires« sind ein bemerkenswertes Dokument der antiabsolutistischen Opposition in Frankreich. In seiner Ehe mit Aemilia, einer Tochter des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel, wurden fünf Kinder geboren, von denen die Tochter Marie Charlotte de la Tremoille 1662 in Paris Herzog Bernhard zu SachsenJena ehelichte. Histoire genealogique et chronologique de la Maison Roy ale de France ... Par le P. Anselme, Augustin Dechausse; continuee par M. Du Fourny. 3. Aufl., Bd. 4. Paris 1728, S. 171: »FREDERIC de la Tremoille, comte de Benaon & de Laval, mort ä Venise au mois de fevrier 1642. d' une blessure qu' il rec.ut dans un combat singulier contre le seigneur du Coudray-Montpensier. II laissa un fils d' Anne d' Orpe, damoiselle Angloise, nomme Henry-Edouard, lequel fut declare illegitime par arrest (sic!) du 23. mars 1647. et une fille qu' il eut de N. de Moussy, Venitienne.«
106 England Nachdem Christian Hoffmann zunächst die Niederlanden bereist hatte, wandte er sich mit der Reisegesellschaft des Fürsten de la Tremoille zunächst nach England, [...] begrief alldar die Englische Sprache; besähe zu Sandwich/ Rochester/ Londen/ Salisburg/ Bristol/ Oxfurth die merckwürdigsten Seltzamkeiten [...].16
England als Reisestation nach den Niederlanden hatte auch Mochinger mit seinem Eintrag ins Jugendstammbuch Christian Hoffmanns empfohlen; der Danziger Eloquenzprofessor war selbst dort gewesen, hatte London und Oxford besucht. Gleichwohl gehörte England nicht zu den bevorzugten europäischen Reiseländern deutscher Gelehrter. Während noch im 15. Jahrhundert die Kenntnisse, die man in Deutschland über England hatte, ganz im Unterschied zu jenen über Italien und Frankreich recht gering waren, entwickelte sich erst seit der Reformation eine vor allem von Humanisten und Theologen getragene rege Reisetätigkeit nach der Insel vor dem europäischen Festland, wurde im 17. Jahrhundert das Land hauptsächlich wegen seiner modernen naturwissenschaftlichen Forschung für deutsche Gelehrte anziehend.17 Wenn auch der Dreißigjährige Krieg die weitere Entfaltung der englisch-deutschen Beziehungen zunächst drosselte, so gab es doch eine beträchtliche Anzahl deutscher Intellektueller, die England aus eigener Anschauung kannten, wie die Dichter Georg Philipp Harsdörffer, den seine 1627 angetretene fünfjährige peregrinatio academica auch nach England führte, und Georg Rudolf Weckherlin, der von 1619 bis zu seinem Tode 1653 in diesem Land lebte. Christian Hoffmanns Weg nach London führte zunächst in die alte Hafenstadt Sandwich, nördlich von Dover, wo die Reisegesellschaft nach ihrer Überfahrt an Land ging. Nächste Station war die Handelsstadt Rochester, und eine Tagesreise später konnte man schon in London, der Hauptstadt Englands, sein. Seit 1625 saß Karl I. aus dem Hause der Stuarts auf dem Thron von England und Schottland. Er gab sich als Kunstliebhaber und Dichtermäzen, im königlichen Schloß Whitehall wurden rauschende Feste gefeiert. Ein höfisches Zeremoniell, das sich kaum ein England-Reisender höheren Standes entgehen 16 17
D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 17 nach eig. Fol. Vgl. Hans Jürgen Teuteberg: Der Beitrag der Reiseliteratur zur Entstehung des deutschen Englandbildes zwischen Reformation und Aufklärung. In: Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte, S. 73-113, hier bes. S. 7580. S. auch Peter J. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Tübingen 1990, bes. S. 80-148: III. Die Reiseliteratur der Frühen Neuzeit und des Barock.
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ließ, war die Verleihung des Hosenbandordens. Berühmt waren die glänzenden Theateraufführungen, noch berühmter aber die Jagden des Königshofes - die Jagdleidenschaft der Engländer wurde zum Stereotyp von Reiseberichten und Apodemiken.18 Daß Christian Hoffmann während seiner ersten Reiseetappe auch schnell die englische Sprache erlernte, sollte ihm später in mancherlei Hinsicht zugute kommen, so bei seiner Übersetzung der »Characters of Virtues and Vices« (1608) des Satirikers Joseph Hall, die er 1646 anfertigte. Auch die Kenntnis der »England's Heroicall Epistles« (1597/99) von Michael Drayton, die beträchtlichen Einfluß auf Hoffmannswaldaus »Helden-Briefe« ausübten, war nur durch die englische Sprache möglich. Damit wird deutlich, daß das Reisen auch eine wichtige Rolle im Rahmen der literarischen Vermittlung spielte, indem die in anderen Ländern erworbenen Kenntnisse über die jeweiligen Nationalliteraturen nach Deutschland weitergetragen wurden. In der Gesamtvorrede zur offiziellen Werkausgabe nannte Hoffmannswaldau neben Drayton vor allem Edmund Spenser, Richard Johnson, Francis Quarles und John Donne als beispielhaft für die englische Poesie.19 Mit einiger Sicherheit kann man annehmen, daß Christian Hoffmann in London auch mit dem Komödienschreiber James Shirley zusammentraf. Dieser hatte in Oxford und Cambrigde studiert, war danach zunächst Prediger an der Kirche zu St. Albans, gab aber später sein Amt auf und konvertierte zum Katholizismus. Er sowie der berühmte Naturforscher Robert Boyle und der Mediziner Marcellus Malpighius äußerten sich später in ihren Briefen lobend über Hoffmannswaldau.20 18
19
20
Ein Beispiel für viele: »England ist wegen der Jagt zu ersehen, ihre gute Art der Jagt, so sie gebrauchen und alle Nationes der Welt übertreffen.« Zit. nach Harry Kühnel: Die adelige Kavalierstour im 17. Jh. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich N. F. 36 (1964), S. 364-384, hier S. 366; s. auch William Douglas Robson-Scott: German Travellers in England 1400-1800. Oxford 1953. Vgl. hierzu auch Peter Wende: Kontinuität oder Revolution? In: Europäische Barock-Rezeption. Hg. von Klaus Garber. Wiesbaden 1991, S. 973-979; Wolfgang Weiss: Das 17. Jh. in England: Zeitalter der Revolutionen oder des literarischen Barock? In: ebenda, S. 957-972. So überlieferte es Paulus Pater in seiner lateinischen Inscriptio auf Hoffmanswaldaus Tod 1679: Testantur idipsum ad VIRUM Epistolae Illustris BOYLE, SCHIRLAEI, MALPIGHII aliorumque. DEBITAE PIETATIS OFFICIUM AETERNATURAE GLORIAE VIRI ILLUSTRIS ET MAGNIFICI DN. CHRISTIANI ab Hoffmansvvaldau in Arnolds-Mühle [...] deferre voluit PAULUS PATER, S. 3 nach eig. Fol. Nur hier findet sich der Hinweis auf mögliche Beziehungen Hoffmannswaldaus zu den genannten Personen. Allerdings können die Beziehungen zu Boyle (1627-1691) und Malpighius
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Trotz des Glanzes, den London als höfische Residenz anstrahlte, konnte dem aufmerksamen Beobachter jedoch nicht entgangen sein, daß sich der englische Absolutismus, der unter Königin Elisabeth I. seinen Höhepunkt erreicht hatte, in einer tiefen Krise befand. Hemmungslose Verschleuderung von Staatsfinanzen und parasitäre Günstlingswirtschaft verschärften die Widersprüche zwischen Königshaus und Parlament, der breitangelegte Verkauf von Handels- und Produktionsmonopolen sowie die willkürliche Erhebung immer neuer Verbrauchersteuern hemmten das wirtschaftlich erstarkte Bürgertum.21 Als Christian Hoff mann Ende 1639 in London eintraf, war es noch nicht so lange her, daß die antiabsolutistische Opposition London aus Anlaß des Sieges der Schotten über den englischen König illuminiert hatte. Vorausgegangen war zwei Jahre zuvor der Versuch Karls L, den anglikanischen Gottesdienst auch in Schottland, das sich seit 1603 in Personalunion mit dem englischen Königshaus befand, einzuführen. Der schottische Adel und große Teile des Bürgertums, die um ihre politische Unabhängigkeit fürchteten, antworteten mit einem allgemeinen Aufstand gegen die drohende Einführung der absoluten Herrschaft, als dessen Stütze die anglikanische Kirche ja angesehen wurde. Die vom König befohlene S traf expedition gegen die Schotten endete jedoch mit einem Fiasko - die immer komplizierter werdende innen- und außenpolitische Lage mündete Ende 1640 schließlich in die englische bürgerliche Revolution. Es liegt auf der Hand, daß vor dem Hintergrund der militärischen Auseinandersetzungen zwischen England und Schottland und des bevorstehenden Bürgerkrieges zwischen den Anhängern der Feudalaristokratie und der bürgerlichen Opposition die Reisegesellschaft des Fürsten de la Tremoille ihren Englandaufenthalt wohl nicht sonderlich lange ausdehnte; dem entspricht auch die sehr kurze Darstellung dieser Reiseetappe Christian Hoffmanns bei Lohenstein. Zu den »merkwürdigsten Seltzamkeiten«, die der Dichter auf den weiteren Reisestationen noch besichtigte, dürften zweifellos die nördlich von Salisbury gelegenen Großsandsteinblöcke der Stonehenge gehört haben, jenes megalithische Bauwerk, das als Wunder von England galt. Oxford wiederum zählte zu den schönsten Städten Englands und wurde wegen der 1163 gegründeten Universität besucht. Das besondere Interesse der Reisenden galt dabei der 1602 eingerichteten und nach ihrem Stifter Thomas Bodley auch Bodleiana genannten be-
21
(1628-1694) erst Jahre später entstanden sein, da diese Gelehrten während Hoffmannswaldaus Englandaufenthalt noch Kinder waren. Hans-Christoph Schröder: Die Revolutionen Englands im 17. Jh. Frankfurt a. M. 1986; Robert Ashton: The English Civil War. Conservatism and Revolution 1603-1649. Second Edition. London 1989.
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rühmten Universitätsbibliothek, die neben vorangegangenen wertvollen Zuwendungen erst 1636 eine umfangreiche Schenkung durch William Laud, den Erzbischof von Canterbury und Kanzler der Universität, erhalten hatte.
Frankreich Von England führte die Reise über Calais nach Frankreich, nach Paris. Der Aufenthalt Christian Hoffmanns in der Weltmetropole dauerte ein halbes Jahr und kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Denn während [...] ihrer viel auf ihren Reisen sich nur nach prächtigen Pallästen/ wollüstigen Gärten/ seltzamen Springbrunnen umbsehen/ und außer dem Bereiter/ Fechtund Tantz-Meister selten einen ehrlichen Mann in einer drey Millionen Seelen beherbergenden Stadt kennen lernen,22
machte der Dichter hier die Bekanntschaft bedeutender Gelehrter, allen voran Hugo Grotius, der damals schwedischer Gesandter am Pariser Hof war und mit Christian Hoffmann sogar mehrmals zusammentraf: Wie du wieder außgelendet Gegen Calis an den Port; Vnd zu Lande dich gewendet Gen Parieß/ der Crone hört/ Wo du offters sprachest Grooten/ Einer Crone grossen Boten.23
Grotius hatte bereits von 1621 bis 1632 in Paris gelebt, wo ihm nach seiner Flucht aus Holland König Ludwig XIII. von Frankreich Asyl gewährte. Der berühmte Dichter und Historiker, der auch als Übersetzer und Theologe von Rang galt, veröffentlichte 1625 seine Schrift »De Jure Belli ac Pacis«, die ihn nun auch als Juristen in ganz Europa bekanntmachte.24 Nach vergeblichen Versuchen, in seiner holländischen Heimat eine Anstellung zu finden, trat Grotius 1634 in schwedische Dienste und kehrte als Gesandter für elf Jahre nach Paris zurück. Wenn ihm auch die neue diplomatische Tätigkeit bei weitem nicht den Erfolg seiner wissenschaftlichen Werke bescherte (was wohl vor 22 23
24
D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 17f. nach eig. Fol. SCHEDIASMATA GAMICA [...] ä CHRISTOPHORO COLERO. Hochzeit-Lied, V. 61-66.
Zu Grotius als Begründer eines säkularen, profanen Naturrechts und Wegbereiter europäischen Rechtsdenkens s. Christoph Link: Hugo Grotius als Staatsdenker. Tübingen 1983. Zur Grotius-Forschung s. auch den Sammelband: Hugo Grotius and international relations. Ed. by Hedley Bull, Benedict Kingsbury and Adam Roberts. Oxford 1992.
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allem daran lag, daß Richelieu und später Mazarin ihn nicht besonders mochten und deshalb wichtige Fäden im französisch-schwedischen Bündnis an ihm vorbeiliefen 25), so war sein Haus in Paris nach wie vor eine wichtige Adresse für ausländische Gesandte und sonstige Paris-Reisende. Opitz, der 1630 im Auftrag des schlesischen Kammerpräsidenten Karl Hannibal von Dohna nach Paris gereist war, hatte den berühmten Gelehrten besucht und war von diesem in die Häuser weiterer wichtiger Persönlichkeiten des politischen und geistigen Lebens der französischen Hauptstadt eingeführt worden.26 Lohenstein erwähnte in seiner »Lob-Rede« außer Grotius noch andere Gelehrte, die Christian Hoffmann neben weiteren »fürnehmen Leuten« in Paris kennenlernte, nämlich Fra^ois Auguste de Thou (den ältesten Sohn des berühmten Späthumanisten und ehemaligen Pariser Parlamentspräsidenten Jacques Auguste de Thou), die Brüder Pierre und Jacques Dupuy, den Historiker Theodore Godefroy und den Jesuiten Dionysus Petavius. De Thou, schon mit 19 Jahren Advokat im Pariser Parlament, hatte nach steiler Karriere die Oberaufsicht über die Königliche Bibliothek erhalten, doch seine Verstrickung in eine Verschwörung des Königlichen Oberstallmeisters Marquis de Cinqmars mit dem Herzog von Orleans und den Spaniern gegen Kardinal Richelieu kostete ihm 1642 den Kopf. Eine umfangreiche Verteidigungsschrift für den in Lyon Hingerichteten verfaßte sein Freund Pierre Dupuy. Die Brüder Dupuy zählten zu den wichtigsten Persönlichkeiten, die die französische Hauptstadt für den gelehrten Paris-Reisenden aufweisen konnte. Im Hotel de Thou verwalteten sie die weithin berühmte Bibliothek des 1617 verstorbenen großen Universalhistorikers Jacques Auguste de Thou mit ihren mehr als 12000 Bänden und Handschriften sowie ihre eigene, bereits vom Vater Claude Dupuy angelegte umfangreiche Bücher- und Handschriftensammlung. Pierre und Jacques Dupuy standen im lebhaften Verkehr mit der nobilitas literaria Europas. In ihrem Cabinet, einem bevorzugten Treffpunkt der europäischen Gelehrtenwelt, wurde die von de Thou verfaßte Darstellung der neuzeitlichen Geschichte (von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis 1607, posthum 1620 in 138 Bänden erschienen) weitergeführt.27 25 26
27
Vgl. Hasso Hofmann: Hugo Grotius. In: Staatsdenker im 17. und 18. Jh. Hg. von Michael Stolleis. Frankfurt a. M. 1977, S. 51-77, hier S. 57f. Über Opitzens Reise nach Paris im Auftrage Dohnas ausführlich Christoph Köler in: Laudatio Honori et Memoriae V. Cl. MARTINI OPITII [...] dicta a CRISTOPHORO COLERO [...] Leipzig 1665. Vgl. auch Kaspar Gottlieb Lindner: Umständliche Nachricht von des berühmten Schlesiers Martin Opitz von Boberfeld, 1,5.201-215. S. hierzu grundlegend Klaus Garber: Paris, die Hauptstadt des europäischen
Ill
Neben ihrer Bücher- und Handschriftensammlung verfügten die Gebrüder mit der sogenannten Collection Dupuy, einer reichen Materialsammlung zur europäischen Zeitgeschichte, über ein Pendant zu de Thous Geschichtswerk. Besonders in den dreißiger Jahren hatten sie durch ein umfangreiches Korrespondenten- und Informantensystem ihre Dokumentation ausgeweitet und die Collection zu der großen europäischen Informationsagentur gemacht, die es ihren Benutzern erlaubte, »[...] sich auf der Basis eines breitgestreuten Quellenmaterials ein von der Krone unabhängiges Urteil des politischen Kräftespiels zu verschaffen, an dem die gesamte nobilitas literaria partizipierte«.28 Diese privaten Aktivitäten der Dupuys schlössen natürlich eine breite Öffentlichkeit aus; zu den streng vertraulichen Zusammenkünften hoher Diplomaten hatte Christian Hoffmann ohnehin keinen Zutritt, auch wenn ihm als Reisebegleiter des französischen Fürsten de la Tremoille vielleicht so manche Begegnung mit den im Cabinet Versammelten ermöglicht wurde. Welchen Gewinn konnten die Treffen im Hotel de Thou, an denen oft auch der Historiker Theodore Godefroy, ein enger Vertrauter der Gebrüder Dupuy, teilnahm, Hoffmannswaldau nun bringen? Neben kräftigen Impulsen zur Ausbildung der eigenen Gelehrsamkeit und gelegentlichen tieferen Einblicken in die aktuellen Entwicklungen auf dem europäischen Kriegsschauplatz wohl vor allem die Ausprägung religiös-toleranter Auffassungen, mit denen Christian Hoff mann ja schon im Vaterhaus in Berührung kam. Bei den Zusammenkünften im Cabinet Dupuy ging es äußerst freimütig zu; es waren Begegnungen, bei denen man [...] von dem ganzen Europäischen Staate frey gedachte, frey urtheilte, und frey seine Gegenmeynungen fürtrug.29
Hier herrschte der Geist Jacques Auguste de Thous, der berühmte Gelehrte hatte in der Heinrich IV. zugeeigneten Widmung seines umfangreichen Geschichtswerkes dem Staat als konfessionsübergreifender Institution das Wort geredet. In dieser Richtung dürfte auch der Einfluß von Grotius, mit dem Christian Hoff mann in Paris ja oft zu-
28
29
Späthumanismus. Jacques Auguste de Thou und das Cabinet Dupuy. In: Res Publica Litteraria. T. I, S. 71-92. Ebenda, S. 81. Zu den Perspektiven politischer Handlungswirksamkeit heißt es dann weiter: »Mit dem Fundus des Archivs im Hintergrund nahm die nobilitas literaria die Chance wahr, die ihr im frühabsolutistischen Staat zugewachsen war: Ihre Kompetenz, ihren Sachverstand, ihren Einblick ins europäische Geschehen nach Kräften zu erweitern und nach Maßgabe des Möglichen Einfluß zu nehmen auf den Gang der Dinge.« Ebenda, S. 83. So überlieferte es Köler in seinem Lebenslauf Opitzens, hier zitiert nach Kaspar Gottlieb Lindner: Umständliche Nachricht, Bd. I, S. 201f.
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sammentraf, gesehen werden. Während seiner holländischen Gefängnishaft hatte Grotius seine Apologie eines toleranten Christentums »De veritate religionis Christianae« verfaßt, die 1627 in Leiden erschienen war. (Daß sich einzelne Thesen des von ihm begründeten Naturrechts später in Hoffmannswaldaus »Helden-Briefen« widerspiegeln, sei hier nur beiläufig erwähnt.) Ein weiterer Beleg der Aufgeschlossenheit des Schlesiers für die vielfältigen Impulse, die das gelehrte Paris ausstrahlte, ist seine Begegnung mit dem berühmten Jesuiten Dionysus Petavius. Die Societas Jesu hatte erst 1618 die Erlaubnis erhalten, in Paris öffentlich zu unterrichten. Am Clermonter Collegium wirkte Petavius zunächst von 1618 bis 1625 als Rhetorikprofessor, ab 1621 als Theologieprofessor, wo er sich besonders der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Quellen, Werken der Kirchenväter und Materialien von Konzilien widmete. Von seinen Schülern verlangte er vielseitige Bildung, Vertrautheit mit den Klassikern und mit der Geschichte. Sein 1627 erschienenes und gegen Scaliger gerichtetes »Opus de doctrina temporum« erregte weithin Aufsehen und gab jahrelang den Stoff zu wissenschaftlichen Abhandlungen. Zu den Bewunderern von Petavius gehörte auch Grotius, der sich im Streit der Konfessionen unter dem Einfluß des Jesuiten zunehmend dem Katholizismus annäherte. Zugang zum Cabinet Dupuy hatten nicht nur berühmte Philologen, Juristen und Historiker, sondern auch bekannte Schriftsteller wie Jean-Louis Guez de Balzac und Jean Chapelain. Darüber hinaus pflegten die Dupuys ihre Beziehungen zu den Salondichtern, die zur aristokratischen Gesellschaft des Marquis de Rambouillet und seiner Frau Catherine de Vivon gehörten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß Christian Hoffmann, der sich etwa sechs Monate in Paris aufhielt, auch zu den im Hotel de Rambouillet versammelten Dichtern Kontakt aufnahm. Immerhin zeigt sich in seinem späteren poetischen Schaffen ein Einfluß der preziös-galanten französischen Dichtung, etwa in den poetischen Episteln; das Schreiben poetischer Briefe war in diesen Kreisen zu einer Modeerscheinung geworden, die vor allem von Vincent Voiture gepflegt wurde.30 Und es sollte nicht vergessen werden, daß bei diesen Dichtern die Erinnerung an den Italiener Gian Battista Marino, der von 1615 bis 1623 in Paris gelebt und hier sein »Adone«-Epos fertiggestellt hatte, noch recht lebendig war und der Einfluß Marinos auf Hoffmannswaldau wohl schon jetzt einsetzte.
30
Über die preziös-galante Dichtung vgl. Arnold Rothe: Französische Lyrik im Zeitalter des Barock. Berlin 1974, S. 90-108.
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Vielleicht sind im Umkreis der preziös-galanten Dichter auch die folgenden Alexandrinerverse Christian Hoffmanns »Auff das Parisische frauenzimmer« entstanden, des einzigen Gedichts Hoffmannswaldaus übrigens, das mit einer der Reisestationen direkt in Verbindung gebracht werden könnte: Paris verweigert mir fast einen küß zu schencken. Kein äuge wil sich hier auff meine seite lencken, Das liebliche geschlecht, so reich an flammen ist, Hat mich zu einem zweck des hasses auserkist. Es denckt die schöne Stadt, daß färbe, haut und haare Bey mir zu wenig sind zu handeln schöne waare, Und zwingt, daß meine faust wirfft diese worte hin: Paris verachtet mich, weil ich nicht Paris bin.31
Die hier geschilderte Situation verdankt ihr Dasein ausschließlich der Pointe, die sich im Wortspiel um den Sohn des trojanischen Königs Priamos realisiert. Auf sie ist die Lesererwartung orientiert; sie bestimmt die fiktive Situation und damit auch den Rollencharakter des vielleicht 1640 in Paris verfaßten Gedichts. Die Teilnahme an der Reisegesellschaft des französischen Fürsten de la Tremoille konnte Christian Hoffmann auch die Gelegenheit geben, den Pariser Hof, seine Repräsentation und sein Zeremoniell kennenzulernen, galt doch der französische Hof als Muster adliger Kultur und höfischer Etikette.32 Neben dem Louvre, der seit Beginn des 16. Jahrhunderts Residenzschloß war, und den 1566 mit ihm vereinigten Tuilerien bestimmte der von Richelieu errichtete und erst 1636 fertiggestellte Palais Cardinal (später Palais Royal genannt) das höfische Leben in Paris. Zudem besaß der Kardinal, der seit 1624 die französische Innen- und Außenpolitik leitete und den Absolutismus in Frankreich endgültig durchsetzte, eine umfangreiche Sammlung auserlesener Kunstwerke, eine große Bibliothek und ein eigenes Theater. Einen bedeutsamen Beitrag zur geistigen Kultur Frankreichs im 17. Jahrhundert leistete Richelieu auch durch die von ihm initiierte Gründung der französischen Akademie. Der halbjährige Pariser Aufenthalt nahm zweifellos die meiste Zeit der Reise Christian Hoffmanns durch Frankreich in Anspruch. Nach Lohenstein hat der Dichter jedoch mehr vom Land gesehen als die eher beiläufig noch erwähnte Reisestation Lyon: 31
32
Das Gedicht wurde nicht in die autorisierte Werkausgabe aufgenommen, sondern erst Jahre nach dem Tod Hoffmannswaldaus von Benjamin Neukirch veröffentlicht, vgl. Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte anderer Theil [...] Leipzig 1697, S. 9. S. zum Kontext, bezogen jedoch vor allem auf den Typus der adligen Kavalierstour, Thomas Grosser: Reiseziele Frankreich. Deutsche Reiseliteratur vom Barock bis zur Französischen Revolution. Opladen 1989.
114 Hieran aber/ und daß er das graste Theil Franckreichs (Hervorhebung - L. N.) besehen und ihm zu nütze gemacht hatte/ war es noch nicht genung; sondern weil er wüste: daß [...] die Gemeinschafft mit fremden Völckern/ die Untersuchung anderer Sitten und Weißheit einen Menschen gleichsam zu einem Halb-Gotte machte/ reisete er über Lyon in Welschland/ in dem die bey ändern Volckern nur herbergende Klugheit zu Hause seyn sol.33
Nach Paris zählte Lyon zu den vornehmsten Orten in Frankreich. Die Stadt war Anfang des 16. Jahrhunderts der wohl wichtigste wirtschaftliche Mittelpunkt des südwestlichen Europas, was sie vor allem der aus Italien eingeführten Seidenproduktion verdankte. Im geistig-kulturellen Leben spielte der kalvinistisch bestimmte Buchdruck eine herausragende Rolle; bekannt waren vor allem die in Lyoner Buchdruckereien hergestellten kleinformatigen Klassikerausgaben in den mit Ornamenten und grotesken Figuren durchsetzten sogenannten Lyoner Einbänden. Italien Lohenstein verwies darauf, daß Christian Hoffmann über Lyon nach Italien reiste, damit also den Landweg übers Gebirge nahm.34 Der von den Franzosen meist benutzte Alpenübergang war der Mont Cenis; über ihn reiste man durch Piemont nach Italien ein, wo durch die Poststraßen der Weg innerhalb des Landes festgelegt war.35 Die erste größere Reisestation des Schlesiers auf italienischem Boden war Genua mit seinen Hochrenaissance-Palästen für die aristokratische Kaufmannschaft; vor allem die Strada Nuova mit ihren von Galeazzo Alessi Mitte des 16. Jahrhunderts errichteten Prachtbauten erschien als eine der glanzvollsten architektonischen Anlagen des ganzen Landes. Für den erneuten Aufschwung der Baukunst in den dreißiger und vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts zeichnete vor al33 34
35
D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 18 nach eig. Fol. Das bestätigte Köler in seinem »Hochzeit-Lied« für Hoffmannswaldau, wenn es dort heißt: Biß dich hat dein Sinn getragen Vber Berg ins Welsche Land/ Da du dich hast stracks geschlagen An den Hadriatschen Strand/ [...] SCHEDIASMATA GAMICA [...] ä CHRISTOPHORO COLERO. Hochzeit-Lied, V. 67-70.
Vgl. die äußerst materialreiche Studie von Ludwig Schudt: Italienreisen im 17. und 18. Jh. Wien/München 1959, S. 145-155. Aus den von Schudt ausgewerteten zahllosen Reiseberichten, die den folgenden Ausführungen zugrunde liegen, lassen sich Rückschlüsse auf die Reiseroute Christian Hoffmanns ziehen, die das Bild, das Lohenstein durch die Erwähnung einzelner Reisestationen vermittelte, beträchtlich ergänzen.
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lern Bartholomeo Bianco verantwortlich, der in verschiedenen Städten auch als Festungsbaumeister tätig war und unter anderem die Neubefestigung des Hafens in Genua leitete. Seit Leonardo da Vincis Zeiten blühte in Italien die Fortifikationskunst, ihr Studium wurde oft in den Plan einer Bildungsreise eingefügt. Von Genua aus erfolgte die Weiterreise per Schiff nach Pisa (der Landweg mit seinen zahlreichen Steigungen durch das gebirgige Land war recht unbeliebt), wo man den berühmten Domkomplex und den botanischen Garten, einen der ältesten in Europa, besuchte. Anschließend reiste Christian Hoffmann nach Siena; hier trug er sich am 1. Dezember 1640 in die Universitätsmatrikel ein.36 Seit ihrer Gründung im 14. Jahrhundert war es die Universität Siena, die neben den Hohen Schulen von Bologna und Padua die deutschen Studenten besonders anzog. Ihre landsmannschaftliche Sozietät, die Deutsche Nation, hatte sich 1572 neu organisiert, um ihrer Kult- und Begräbnisstätte in der St. Barbara-Kapelle der Dominikanerkirche auch durch die Bereitstellung finanzieller Mittel besser Sorge tragen zu können - seit dieser Zeit mußte jeder nach Siena kommende deutsche Scholar zum Unterhalt der Kapelle einen seinem Stand und Vermögen entsprechenden freiwilligen finanziellen Beitrag leisten, der ab 1609 als fester Satz bei der Einschreibung erhoben wurde.37 Durch seinen Immatrikulationsbeitrag konnte der Student die 1621 wieder bestätigten Privilegien der deutschen Nation für sich in Anspruch nehmen, so die eigene Gerichtsbarkeit, das Waffentragen und - was besonders wichtig war - die Steuer- und Zollfreiheit. Seit der Neuorganisation der Nation nahm der Zustrom deutscher Scholaren unaufhaltsam zu. Unter den in der Matrikel ständisch geschiedenen Inskribenten finden wir auch viele Schlesier. - Welche Gefühle mochten Christian Hoffmann bewegt haben, als er sich in die Matrikel von Siena eintrug, in die sich dreißig Jahre zuvor bereits sein Vater eingeschrieben hatte, als dieser seinerzeit Nikolaus III. von Burghaus und Stoltz auf dessen Reisen durch Europa begleitete. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts verringerte sich die Zahl der eigentlichen Studenten mehr und mehr; statt dessen trugen sich zunehmend im Gefolge adliger Kavaliere reisende junge Gelehrte ein, so daß sich die Matrikel schließlich zu einer Art »Goldenes Buch« umbildete, in das sich alle durchreisenden Deutschen von einigem Rang 36
37
Die Matrikel der deutschen Nation in Siena, Bd. 1. Tübingen 1962, S. 276: »(1640) Christian Hofman Silesius I.Dez. 6 jul.« Am selben Tag wie Christian Hoffmann immatrikulierte sich auch der Mecklenburger Philipp Barstorff. Ebenda, S. 6; über die »nationes«-Bildungen an den westeuropäischen Universitäten s. Winfried Dotzauer: Deutsche in westeuropäischen Hochschul- und Handelsstädten, S. 89-159, bes. S. 95-109.
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einzuschreiben pflegten. Wohl unter diesem Gesichtspunkt dürfte auch die Immatrikulation Christian Hoffmanns zu sehen sein, fehlen uns doch Beleg über getätigte Studien in Siena.38 Die bevorzugte Reisestrecke von Siena nach Rom führte über Radicofani als letzter toskanischen und Aquapendente, der ersten päpstlichen Stadt. Danach besuchte man in Montefiascone das berühmte Fuggergrab und langte nach weiteren Stationen endlich in Rom, dem eigentlichen Hauptziel der Italienreisenden, an. Ein längerer Aufenthalt in der »Ewigen Stadt«, die wie kein anderer Ort von so vielen Reisenden besucht und beschrieben wurde, war unumgänglich, verbanden sich doch hier Altertum und Gegenwart zu einer lebendigen Einheit, die auch Christian Hoffmann begeisterte: Er sähe daselbst zwar zu seiner Ergötzligkeit die prächtigen Aeßer der Zeit/ und die Fußstapfen der Barbarn/ aus derer zerschmetterten Marmeln/ und zerschmeltzten Ertzte des Alterthums die Grossen neue Palläste bauten/ und durch Verjüngung dieses Grausses gleichsam dem Verhängnüsse obzusiegen bemüht waren [.. .].39
Auf Hoffmannswaldau, der schon als Schüler des Elisabethgymnasiums für die antike Welt geschwärmt hatte, machten die Ruinen des alten Roms einen unauslöschlichen Eindruck; nicht minder aber begeisterten ihn die neu errichteten prächtigen Gebäude, sowohl die repräsentativen Palastbauten wie der erst 1632 fertiggestellte Palazzo Barberini, als auch die Sakralbauten, die die Macht des Papsttums verklärten. In den Palästen der Borghese oder Barberini konnten reichhaltige Kunstsammlungen besichtigt werden; unermeßliche Kunstschätze bestaunte man in den Kirchen der Stadt. Rom, die Hauptstadt des päpstlichen Kirchenstaates, zog als Mittelpunkt der weltumspannenden katholischen Kirche ungeheure Besucherscharen magisch an. Hier trafen Abgesandte aller Herren Länder zusammen; Verwaltung und Zeremoniell des päpstlichen Hofes stießen bei RomReisenden auf das gleiche starke Interesse wie die Sehenswürdigkeiten der Stadt.40 Gerade dem aus ganz Europa zusammenströmenden 38
39 40
Lohenstein bemerkte dazu lediglich: Genua/ Pisa und Siena hielten ihn eine geraume Zeit auf/ ehe er Rom das Wunder der alten und neuen Welt besuchte. D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 18f. nach eig. Fol. Ebenda, S. 19 nach eig. Fol. S. auch Volker Reinhardt: Der päpstliche Hof um 1600. In: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jh. Hg. von August Bück, Georg Kauffmann, Blake Lee Spahr und Conrad Wiedemann. 3 Bde. Hamburg 1981, Bd. III, S. 709-716; über den päpstlichen Hof zur Zeit Urbans VIII. (1623-1644) aus sozialgeschichtlicher Sicht ausführlich Georg Lutz: Rom und Europa während des Pontifikats Urbans VIII. Politik und Diplomatie - Wirtschaft und Finanzen - Kultur und Religion. In: Rom in der Neuzeit. Politische, kirchliche und kulturelle Aspekte.
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Verkehr hatte es Rom zu verdanken, daß sich hier weltmännisches Leben und Denken entwickelten und die Besucher sich wahrhaft in den Mittelpunkt der Welt versetzt sahen. Wie schon bei den vorherigen Reisestationen suchte Christian Hoffmann auch in Rom den Umgang mit großen Gelehrten. Leider hat uns Lohenstein nur zwei Namen überliefert, und zwar Holstenius und Naudaeus. Lucas Holstenius war nach seinem Leidener Medizinstudium und anschließender Bildungsreise durch Italien, Frankreich und England nach Paris gekommen, wo er zum Katholizismus übertrat. Bald darauf trat er in den Dienst des päpstlichen Legaten Kardinal Franciscus Barberini, der ihn nach seiner Rückkehr nach Rom zu seinem Sekretär und Bibliothekar ernannte. In dieser Eigenschaft traf ihn auch Christian Hoffmann; die Barberinische Bibliothek war nach der Bibliotheca Vaticana die umfangreichste in Rom. 1640 hielt sich Holstenius zeitweilig in Florenz auf, wo er einen »Catalogue Codicum rarissimorum Bibliothecae Medicae« der Florentinischen Bibliothek erstellte. Es kann als sicher angenommen werden, daß Christian Hoffmann bei seiner Rückreise, als er in Florenz Station machte, auf Empfehlung von Holstenius auch diese berühmte Bibliothek besuchte. Eng mit Holstenius befreundet war der in Padua zum Doktor der Medizin promovierte Gabriel Naudaeus. In Rom bahnte ihm Holstenius den Weg in die Gunst des Kardinals Anton Barberini; der Kardinal, der unter anderem auch die Stelle eines »Bibliothecarius« des Papstes verwaltete, übertrug Naudaeus die Aufsicht der Bibliothek und machte ihn zu seinem Leibarzt. Leider haben wir keine Hinweise auf die »ändern hochgelehrten Leute«, mit denen Christian Hoffmann außerdem in Rom zusammengetroffen sein könnte, etwa mit Athanasius Kircher, dem Jesuitenpater und Mathematikprofessor am Collegium Romanum, der seit 1635 in Rom wirkte und von den deutschen Reisenden oft aufgesucht wurde.41 Doch daß Lohenstein gerade Holstenius und Naudaeus erwähnte, angesehene Bibliothekare also, macht deutlich, daß die Bibliotheken als wichtigste Arbeitsstätten der Gelehrten auch Treffpunkte für wissenschaftlich interessierte Reisende waren. Die Bedeutung der großen europäischen Bibliotheken, fürstlichen wie öffentli-
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Hg. von Reinhard Elze, Heinrich Schmidinger und Hendrik Schulte Nordholt. Wien/Rom 1976, S. 72-167. Bedauerlicherweise sind aus dem Jugendstammbuch Christian Hoffmanns ca. 100 Seiten herausgeschnitten worden, die vermutlich Autographen seiner Leidener Professoren und anderer Gelehrter, mit denen er auf seiner peregrinatio academica zusammentraf, enthielten und die deshalb für die Darstellung der Beziehungen des Dichters zu berühmten Persönlichkeiten besonders wichtig wären.
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eben, für die deutschen Reisenden kann man nur dann ermessen, wenn man die unter dem Dreißigjährigen Krieg kümmerlich dahinvegetierenden Rats-, Stadt- und Schulbibliotheken Deutschlands dagegenhält.42 In Rom erreichte Christian Hoffmann auch die Order seines Vaters nach baldiger Rückkehr in die schlesische Heimat. Es ist nicht klar, ob er bereits hier den Fürsten de la Tremoille verlassen mußte (falls dieser nach Neapel weiterreiste - für die Italienbesucher war der Abstecher von Rom nach der wie die Zeitgenossen meinten schönsten Stadt Italiens geradezu obligatorisch43 - und erst später nach Venedig kam, wo er 1642 starb) oder ob Hoffmannswaldau mit der Reisegesellschaft nach Norden reiste. Auf jeden Fall drehte er [...] dem väterlichen Befehle zufolge seine Deichsel dem Vaterlande zu; machte ihm aber im Rückwege alles/ was Florenz schönes/ Bologna gelehrtes/ Ferrara denckwürdiges/ Venedig kluges; der Keyserliche Hof zu Wien grosses in sich hatte/ bekant und nütze.44
Die Reise von Rom nach Florenz dauerte etwa fünfeinhalb Tage. Hier angekommen, konnte man die berühmte Kunstkammer des Großherzogs sowie die Grabkapelle der mediceischen Herzöge besichtigen (daß Christian Hoffmann wohl auch der Florentinischen Bibliothek einen Besuch abstattete, wurde schon erwähnt). Der Stolz Bolognas war seine 1088 gegründete Universität, die erste in Europa, an der sich zeitweilig 4000 bis 5000 Studenten immatrikulierten und deren Lehrkörper etwa 100 Professoren umfaßte. Doch im 17. Jahrhundert hatten die italienischen Universitäten ihren Zenit bereits überschritten - das wissenschaftliche Leben vollzog sich häufig in den Häusern der Professoren selbst. Auch gewannen die seit 1470 sich überall in Italien ausbreitenden Akademien für Wissenschaft und Kunst mehr und mehr an Bedeutung.45 42
43 44 45
Grundlegend Paul Raabe: Bibliotheken und gelehrtes Buchwesen. Bemerkungen über die Büchersammlungen der Gelehrten im 17. Jh. In: Res Publica Litteraria, Teil II, S. 643-661, bes. S. 648f.; s. auch derselbe: Bibliothekskataloge als buchgeschichtliche Quellen. In: Bücherkataloge als buchgeschichtliche Quellen der frühen Neuzeit. Hg. von Reinhard Wittmann. Wiesbaden 1984, S. 275-297. Zum Stand der Forschung auch Wolfgang Adam: Privatbibliotheken im 17. und 18. Jh. (Fortschrittsbericht 1975-1988). In: IASL 15 (1990), S. 123-173. Vgl. Ludwig Schudt: Italienreisen im 17. und 18. Jh., S. 149f. D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 19f. nach eig. Fol. Vgl. Jörg Jochen Berns: Peregrinatio academica und Kavalierstour, S. 167, der mit Blick auf das frühneuzeitliche Europa formulierte: »Ja, vielleicht darf man sagen, daß das, was die Universitäten im 16. und 17. Jahrhundert allenthalben an Internationalität verloren, durch die forcierte internationale Kommunikation der Akademien und akademieähnlichen Wissenschafts- und Künstlersozietäten wettgemacht wurde.«
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Von Bologna reiste Christian Hoffmann über Ferrara (wo der literarisch Interessierte das Grab Ariosts besichtigen konnte) nach Venedig, das im 17. Jahrhundert noch auf der Höhe seiner Macht stand und als Umschlagplatz von Weltgeltung mit seinem Völkergemisch für den Besucher von unerhörter Faszination war. Vielleicht kam hier in Venedig am deutlichsten zum Ausdruck, daß Italien noch immer ein äußerst wichtiges Transitland für Kunst und Wissenschaft aus dem Orient nach Europa war, daß gerade hier der Reisende umfangreichste Kenntnisse über Asien und Amerika gewinnen konnte. Neben Rom und Neapel war Venedig die Stadt, wegen der die Italienreisen überhaupt unternommen wurden. Wichtig war, zu Christi Himmelfahrt in der Lagunenstadt zu sein, konnte man doch dann dem berühmtesten aller offiziellen Feste Italiens beiwohnen, der Ausfahrt des Dogen auf seinem Prunkschiff (Bucentoro) und der symbolischen Vermählung des Dogen mit dem Meer - ein Zeremoniell, das durch die dem Bucentoro folgenden 3000 bis 4000 in glänzender Ausstattung miteinander wetteifernden Galeeren und Gondeln noch einzigartiger und eindrucksvoller wurde.46 Rückreise nach Breslau Nachdem Christian Hoffmann Italien verlassen hatte, kam er über Villach nach Wien - wir können uns hier ausführlichere Bemerkungen zum Aufenthalt in der Kaiserstadt sparen; zum einen, weil aufgrund des väterlichen Befehls zur Rückkehr die Tage sicherlich gezählt waren, zum anderen, weil Hoffmannswaldau später wiederholt als Gesandter seiner Heimatstadt Breslau in Wien weilte. Genannt werden müssen jedoch zwei Dinge: In Wien traf Christian Hoffmann mit dem italienischen Dichter Giovanni Francesco Loredano zusammen, noch Jahre später zeugte ein anregender Briefwechsel von dieser Begegnung.47 Auch haben Loredanos Epitafii giocosi (1635 unter 46 47
Zusammenfassende Beschreibung anhand der ausgewerteten Reiseberichte bei Ludwig Schudt: Italienreisen im 17. und 18. Jh., S. 222-225. Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S. 118. Monika Estermann: Verzeichnis der gedruckten Briefe deutscher Autoren des 17. Jahrhunderts. Drucke zwischen 1600 und 1750. 4 Bde. Wiesbaden 1992/1993, hier Bd. 2, S. 675, weist einen undatierten Brief Loredanos aus Venedig an Hoffmannswaldau nach, abgedruckt in: Giovanni Francesco Loredano: Dell opere Loredano. Vol. VI: Lettere del Sig. Gio: Francesco Loredano. [...] Divise in cinquantadue capi, e raccolte. da Henrico Giblet Cavalier. Venetia, 1653. Appresso li Guerigli. (S. 352). Bemerkenswert ist auch, daß Lohenstein in seiner »Lob-Rede«, S. 34 nach eig. Pol., von den »berühmten Ausländern«, die Hoffmannswaldau mit ihren Briefen »verehrten«, einzig Loredano mit Namen nennt.
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dem Titel »II cimiterio« veröffentlicht) Hoffmannswaldaus »Poetische Grab-Schriften« beeinflußt. Und in Wien war es auch, daß der Sohn den Versuch wagte, sich der väterlichen Order zu entziehen, um den kaiserlichen Gesandten Alexander von Greiffenklau an den türkischen Hof zu begleiten. Lohenstein gibt einen nur durch eigene Anschauung zu befriedigenden unstillbaren Wissensdurst als Hauptmotiv an: Denn ob ihn zwar/ wie den Keyser Hadrian seine unersättliche Begierde reitzte alles/ was er von der Welt gelesen/ selbst in Augenschein zu nehmen/ und er mit dem Keyserlichen Gesandten dem Herren von Greiffenklau an den Türckischen Hof zu reisen vor hatte [.. .].48
Doch der Vater verlangte nunmehr entschieden die Heimkehr seines einzigen Sohnes.49 Immerhin hatte der schlesische Kammersekretär bereits das 65. Lebensjahr erreicht, was zweifellos der Hauptgrund war, dem Sohn die nicht ungefährliche Reise ins Osmanische Reich zu verweigern. Die Hoffmannswaldau-Forschung hat darüber hinaus die Gefahren, die der Dreißigjährige Krieg für den Protestantismus in Schlesien und für die Souveränität Breslaus brachte, für diese Entscheidung des Vaters geltend gemacht.50 Angesichts der militärischen Niederlagen der Schweden im Reich hatte sich der sächsische Kurfürst wieder dem Kaiser angenähert, was für Breslau, das ja 1633 in einer gegen den Kaiser gerichteten Konjunktion eingebunden war, schlimme Folgen bringen sollte. Der am 30. Mai 1635 zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten Johann Georg abgeschlossene Separatfrieden zu Prag bedeutete für die Stadt zuerst den Verlust den Landeshauptmannschaft über das ehemalige Fürstentum Breslau einschließlich der damit gestrichenen Rückerstattung der Pfandsumme und stellte sie in weiteren Maßregelungen der Gnade des Kaisers anheim. Das Recht einer eigenen Schutzwehr konnte Breslau allerdings behaupten, und nach dem Verzicht auf eine 30000 Thaler hohe frühere Schuldforderung und einer nochmaligen Zahlung in derselben Höhe erlangte die Stadt auch die vollständige Exemtion von der Gewalt des neuen Landeshauptmanns in politi48 49
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D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 20 nach eig. Fol. Lohenstein umschrieb dies recht hintersinnig: [...] hielten doch sein Herr Vater und vornehme Freunde ihm die nachdenckliche Lehre des Apollonius ein: Einem weisen Manne were Grichenland/ und dem Herren von Hofmannswaldau/ Breßlau die gantze Welt. Ebenda, S. 20f. nach eig. Fol. Am 22. Juni 1644 wird Greiffenklau aus Pera, dem für Europäer bestimmten Stadtteil von Konstantinopel, an Christian Hoffmann in Breslau schreiben; leider ist der Brief wie die anderen Briefe der Handschrift R 257 verlorengegangen. So Franz Heiduk: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 477f.
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sehen, militärischen und juristischen Sachen.51 Der alte Freund und Verwandte der Familie Hoffmannswaldau, der Breslauer Ratsherr Adam von Sebisch, mußte als nunmehr kaiserlicher Landeshauptmann seinen Platz an der Spitze des Breslauer Rates verlassen. Er war der letzte der Ratspraesides, der als »Senior et Capitaneus« nicht nur die Stadt, sondern als Landeshauptmann auch das ehemalige Fürstentum Breslau regiert hatte. Nach dem Prager Separatfrieden von 1635 war für das einst stolze Breslau nur noch Platz und Stimme als besonderer Stand hinter den schlesischen Erbfürstentümern im Fürstentag zu erreichen. Die über Jahrhunderte hindurch behauptete Selbständigkeit der alten Handelsstadt ist vom habsburgischen Absolutismus weiter beschnitten worden, dem Traum von einer freien Reichsstadt war ein trauriges Erwachen gefolgt.52 Just um jene Zeit hatte Christian Hoffmann seine Heimatstadt verlassen. Als er im Sommer 1641 zurückkehrte, verfügte er durch seine Studien und durch seine peregrinatio academica sowohl über gründliche Gelehrsamkeit als auch reiche Welterfahrung und besaß obendrein vorzügliche Kontakte und Verbindungen zum europäischen Hofleben sowie zu patrizischen Führungsschichten mehrerer Städte und konnte somit eine gute Versorgung von seiner Vaterstadt erhoffen. Den Ratsgewaltigen wiederum erschien er durchaus geeignet, in absehbarer Zeit wichtige Aufgaben im gesellschaftspolitischen Leben Breslaus übernehmen zu können. Der Vater hatte schon seit geraumer Zeit auf eine damals übliche Art für den Einstieg seines Sohnes ins Stadtregiment Vorsorge getroffen: Von 1639 bis Anfang 1641 beteiligte sich Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau mit lateinischen Versen an der Gelegenheitsdichtung zu herausragenden Anlässen im Leben einzelner Breslauer Ratsfamilien. So verfaßte er unter anderem kurze Epicedien auf den vormaligen Breslauer Obersyndikus Reinhard Rosa von Rosenigh (1639) und auf Johann Heinrich (1640), den Sohn des neuen Breslauer Obersyndikus Johann von Pein und Wechmar.53 Rosa war 1614 als Syndikus berufen worden und stieg 1620 zum Obersyndikus auf. Berühmt für seine Redegewandheit konnte er sich auf zahlreichen diplomati51
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Die Urkunde vom 18. Januar 1639 ist abgedruckt in: Breslauer Stadtbuch. Enthaltend die Rathslinie von 1287 ab und Urkunden zur Verfassungsgeschichte der Stadt. Hg. von Hermann Markgraf und Otto Frenzel. Breslau 1882, S. 219. Vgl. Chronik der Stadt Breslau, S. 964; der Herausgeber hat bezeichnenderweise das folgenden sechste Buch der Chronik, die Jahre 1636 bis 1741 umfassend, mit »Der Niedergang der Stadt bis zur Besitznahme durch König Friedrich den Großen« überschrieben, ebenda, S. 965. Epicedia-Sammlungen auf Reinhard Rosa von Rosenigh und Johann Heinrich von Pein und Wechmar befinden sich in der Universitätsbibliothek Wroclaw unter den Signaturen 355230 und 386485.
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sehen Missionen, unter anderem während der Verhandlungen zum Dresdner Akkord 1621, auszeichnen. Nach dem Prager Frieden 1635 trat er als Obersyndikus zurück, wurde Kaiserlicher Pronotar des Fürstentums Breslau, außerdem Kaiserlicher Rat und Rat des Herzogs von Liegnitz und Brieg, schließlich auch Comes Palatinus Caesareus.54 Sein Nachfolger Johann von Pein und Wechmar, der zuvor in kursächsischen Diensten stand, ließ sich 1621 in Breslau nieder und gelangte ein Jahr später als Syndikus in den Rat. Er galt als gewandter, erfahrener und vorsichtiger Politiker. Vor allem während der Amtszeit Rosas und Peins gewannen die Breslauer Syndici an Macht und Ansehen und wurden die eigentlichen Leiter der Stadtregierung. Nach dem Ausscheiden Rosas stieg Pein zum Obersyndikus auf, schied 1644 jedoch aus städtischen Diensten und wurde als Kaiserlicher Rat Kanzler des Fürstentums Breslau.55 Nach dem Tode seiner ersten Frau ehelichte er 1641 Catharina von Sebisch, eine Tochter des Landeshauptmanns Adam von Sebisch und dessen Frau Magdalena von Artzat, so daß Johann Hoffmann von Hoffmannswaldaus Epicedium auf Peins Sohn Johann Heinrich auch einem entfernten Verwandten galt. Weitere Trauergedichte verfaßte der schlesische Kammersekretär auf den Ratsherren und Kriegskommissar Christian Schmidt von Schmiedefeld (1640), der ebenfalls mit einer Tochter aus dem Ratsgeschlecht der Sebisch verheiratet war, auf Barbara von Jessinsky, die 1640 verstorbene Frau des Ratspraeses Stanislaus Aichhäuser sowie auf Anna Partisch (1641), die Frau Nikolaus Henels (der später seine zweite Ehe ebenfalls mit einer Tochter der Familie Jessinsky schloß).56 Auf diese Weise konnte der schlesische Kammersekretär seine an sich schon sehr guten Beziehungen zum Breslauer Rat weiter ausbauen; da er selbst zu den angesehensten Bürgern in der Stadt zählte, standen seine Verse in den einzelnen Gelegenheitsdrucken ausnahmslos an erster Stelle.57 Als Christian Hoffmann im Sommer 1641 nach Breslau zurückkehrte, mußten ihn die im langen Krieg zerstörten Städte und Dörfer seiner schlesischen Heimat sehr bedrückt haben, hatte er doch während seiner ausgedehnten Reise durch mehrere europäische Länder um die von der Kriegsfurie zerstörten Gebiete des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation einen Bogen gemacht. Später wird 54 55 56
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Vgl. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 3, S. 411 f. Vgl. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 3, S. 199f. Die Universitätsbibliothek Wroclaw besitzt auch die hier erwähnten Altdrucke mit Epicedia Johann Hoffmann von Hoffmannswaldaus, und zwar unter den Signaturen 355231, 386482 und 386491. Alle diese Inscriptiones und Carmina sind unterzeichnet mit »Joan: Hofman ab Hofmanswaldaw«.
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Hoffmannswaldau seinen Gedanken in jenen Tagen in dem Trauergedicht auf Andreas Assig, seinen 1676 verstorbenen Freund, beredten Ausdruck verleihen: Wir kamen; du von Nord, und Jch von Ost zurücke, Daß scharffe krieges-schwerdt verschrenckt uns unsrer Lauff, Die allgemeine Noth hüb unsre Reisen auf, Wir schauten nichts vor uns, als Jammer-reiche Blicke, Wir funden manche Stadt in Ziegel-grauß verkehrt, Daß Feld unangebaut, die dörffer gantz verheert, Dem pflüge war verwehrt den Acker zubestreichen, Und solcher Anblick bließ uns diese Wörter ein: Der Menschen Leben ist den Büchern zuvergleichen, Da schwartzer Noten viel und weißer wenig seyn.58
Die Freude über die wohlbehaltene Heimkehr Christian Hoffmanns war groß, nicht nur bei seinem Vater und seiner Stiefmutter, sondern auch bei den Freunden der Familie Hoffmannswaldau. Am 18. Juli 1641 gratulierte Mochinger von Danzig aus dem Vater zur glücklichen Rückkehr des Sohnes; die Sorge um das Wohl des jungen Freundes dringt dabei noch allenthalben mit durch.59
5S 59
Vgl. Trauer Gedancken bey der Leiche Tittul. Herren Andreas von Aßig. M 216, S. 320-330, hier V. 71-80. Vgl. Karl Friebe: Über C. Hofman von Hofmanswaldau, S. l Of. In dem Brief bedankte sich Mochinger auch bei Christian Hoffmann für die ihm aus Italien übersandten, in Italienisch geschriebenen Briefe, die jedoch nicht erhalten geblieben sind.
VI. Rückkehr nach Breslau und Heirat, Beginn einer umfangreichen literarischen Tätigkeit (1641-1647) Als Christian Hoffmann im Juli 1641 wieder in Breslau eintraf, hatte die allgemeine Kriegsunsicherheit keineswegs nachgelassen, sondern sich eher noch vergrößert. Doch mit dem Prager Separatfrieden zwischen dem Kaiser und dem sächsischen Kurfürsten war die protestantische Stadt dem kaiserlichen Lager nähergerückt, was sich auch in einem veränderten Verhältnis zum vormaligen schwedischen Bundesgenossen zeigen sollte: Die Schweden hatten seit ihrem erneuten Eindringen in Böhmen 1639 auch weite Gebiete Niederschlesiens unter ihre Kontrolle gebracht, unter anderem das zu Breslau gehörende Burglehn Neumarkt, dessen Garnison zur Kapitulation gezwungen wurde. Der Breslauer Rat, von den Schweden aufgefordert, das alte Bündnis von 1633 zu erneuern, lehnte dies unter Hinweis auf seinen dem Kaiser geleisteten Eid ab. Mehr noch: Am 6. Juli 1640 wurde der Kommandant von Neumarkt, Otto Heinrich von Rehdiger, vor dem Breslauer Rathaus enthauptet, weil er das Burglehn dem Feind vorzeitig übergeben habe.1 In den folgenden Jahren verstärkte die Stadt ihre Festungswerke, um sich vor den umherschweifenden schwedischen Söldnerscharen zu verteidigen. Zugleich aber versperrte sie unter Berufung auf ihr 1639 wieder bestätigtes ius praesidii (das sie nach wie vor hütete und für dessen Erhalt sie keine geringen Kosten scheute) den kaiserlichen Truppen den Zugang in die Stadt. So bot Breslau auch noch nach fast 25 Kriegsjahren seinen Bürgern Sicherheit und manchen von ihnen ein nicht unbeträchtliches Maß an Wohlstand. Breslauer Bibliotheken Davon konnte die Familie Hoffmannswaldau profitieren, zumal ein kaiserliches Edikt vom 17. März 1642 dem Kammersekretär Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau weitere Exemtionen von bestimmChronik der Stadt Breslau, S. 968.
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ten bürgerlichen Leistungen brachte.2 Die gesicherte soziale Lage und vor allem angesehene Stellung des Vaters gestatteten Christian Hoffmann, sich frei von materiellen Sorgen seinen literarisch bestimmten Neigungen hinzugeben. Für ihn wie für das kulturelle Leben in Breslau in jenen Jahren überhaupt war es zweifellos bedeutend, daß am 24. November 1644 die neueingerichtete Kirchenbibliothek zu St. Maria Magdalena der Bevölkerung übergeben wurde. Sie war die älteste Bibliothek im protestantischen Breslau, die mit ihren Anfängen auf die Büchersammlung des ersten lutherischen Predigers der Stadt, Johann Heß, zurückging.3 1601 wurde sie erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und erhielt in der Folgezeit zahlreiche Zuwendungen in Form von Büchersammlungen und Geldgeschenken, die ihren Umfang beträchtlich erweiterten. Wohl vor allem die kostbare Büchersammlung des 1636 verstorbenen ehemaligen Landeshauptmanns von Mähren, Karl von Zierotin, die sein Enkel 1641 der Stadt Breslau übergeben hatte, mochte den Rat veranlaßt haben, die Bibliothek zu St. Maria Magdalena mit hohen Kosten zu restaurieren, großzügig auszustatten und damit in einem neuen, den bedeutenden Bücherschätzen angemessenen Gewände der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Festrede am Eröffnungstag hielt in lateinischer Sprache Christian Hoffmanns ehemaliger Lehrer Christoph Köler, der 1639 neben seinem Lehramt am Elisabethgymnasium zum Bibliothekar zu St. Maria Magdalena berufen worden war. Der Breslauer Rat würdigte das Ereignis durch eine extra geschlagene Gedenkmünze. Valentin Kleinwächter, seit 1637 Praeceptor an der 1643 zum Gymnasium erhobenen Magdalenenschule und ab 1651 nach Heinrich Klose Rektor der Anstalt, ließ seine Schüler im Vorsaal der Bibliothek einen Actus aufführen.4 2
3 4
In dem Edikt Ferdinands III. »Exemtio derer Kayserl: Cammer Personen vnd bedinten von den personal Bürden vnd Bürgerlichen Beschwerden« hieß es, [...] daß nemblich gedachte Cammerbediente, wann sie in den Städten mit bürgerlichen Häusern angeseßen sein, nicht allein von der würcklichen Einquartierung, sondern auch von allen anderen personal bürden, alß da sindt des Rathsstuhls vnd Ämbter, Vormundtschafften, Wachten vnd dergleichen allerdinges befreiet bleiben sollen. AMW, Liber Magnus E l -4, S. 65. Vgl. ausführlich Max Hippe: Christoph Köler, S. 40ff. Vgl. Friedrich Lucae: Schlesiens curiose Denckwürdigkeiten, S. 639: Anno 1645. stellte der damalige Rector deß Gymnasii, M. Valentinus Kleinwächter/ durch die studirende Jugend einen schönen Actum Dramaticum auff dem Vorsaal der Bibliothec vor/ nachdem sie war restauriret und vollkommen in erwünschte Ordnung vorher besagter massen gesetzet/ und mit den Bildnüssen der sieben Griechischen Weisen gezieret worden: hierbey praesentirte er dieselben mit schönen Gesprächwechseln/ gebundenen und ungebundenen Reden/ in allen Haupt-Sprachen/ auff dem Schauplatz/ rühmete die Fundatores der Bibliothec, ermahnete die Curatores, damit sie derselben Vermehrung con-
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Wie in anderen Gebieten des Reiches waren auch in Schlesien die Bibliotheken durch den langen Krieg in Mitleidenschaft gezogen; erst 1632 hatten zum Beispiel die Schweden die reichhaltige Dombibliothek auf der Dominsel vor den Toren Breslaus geplündert. Die stark befestigte Stadt selbst stellte freilich die Ausnahme dar. In ihren schützenden Mauern konnten sich Kunst und Kultur weiterhin entfalten, waren die kostbaren Büchersammlungen in den öffentlichen Bibliotheken, aber auch private Sammlungen dem zerstörerischen Zugriff entzogen. Wie andere Kunst- und Literaturfreunde der Stadt mußte es auch Christian Hoffmann mit großer Zufriedenheit erfüllen, daß es dem alten Freund der Familie Hoffmannswaldau, Nikolaus Henel, als Ratssyndikus schließlich 1645 gelungen war, die berühmte Büchersammlung Thomas von Rehdigers in den Besitz der Stadt zu bringen. Die Rehdigers gehörten an der Schwelle zur Frühen Neuzeit zu den angesehensten, reichsten und mächtigsten Breslauer Ratsfamilien, die von den acht Tischherrenplätzen und den ersten vier Schöffenstellen zeitweise allein zehn durch Mitglieder ihrer und der mit ihnen verschwägerten Familien besetzten.5 Thomas von Rehdiger, 1540 geboren, hatte in Wittenberg studiert und sich in den folgenden Jahren in Paris, Orleans, Löwen und Bourges aufgehalten, wo er das Leben eines reichen Kavaliers führte. Durch seinen älteren Bruder Johann angeregt, begann er kostbare Handschriften, alte Druckwerke, Gemälde und Münzen zu sammeln, die er durch Agenten aufkaufen ließ. 1576 in Köln verstorben, hatte er in seinem Testament seine Brüder zu Erben seiner Sammlung eingesetzt, jedoch unter der Bedingung, daß sie diese nach Breslau bringen und dort in einem geeigneten Gebäude zur öffentlichen Nutzung für alle Gelehrten aufstellen sollten.6 Als 1581 die Umlagerung der Sammlung nach Breslau erfolgte (unter anderem etwa 300 Handschriften und 6000 Druckwerke), wurde ihr Wert auf etwa 17000 Golddukaten geschätzt. Zunächst brachte man die Sammlung ins Auditorium über der Sakristei der Elisabethkirche, wo sie jedoch nur in einem sehr begrenzten Maße genutzt werden konnte. Nun handelte Henel, seinerzeit ja Erzieher in Hause Niko-
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tinuiren möchten. Über dieses ließ der Magistrat eine besondere Müntze prägen/ und/ beydes zum Andencken der in schönere Ordnung gesetzten Bibliothec, als zur Auffmunterung der Jugend im studiren/ austheilen/ mit folgender Intimation und Auffschrifft (... es folgen Aufschrift und Verzeichnis der am Actus teilnehmenden Gymnasiasten - L. N.). Zum Ratsgeschlecht der Rehdigers ausführlich Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 3, S. 298-319. S. Albrecht W. J. Wachler: Thomas Rehdiger und seine Büchersammlung in Breslau. Ein biographisch-literarischer Versuch. Mit einem Vorwort von Ludwig Wachler. Breslau 1828.
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laus III. von Rehdiger, einen Vertrag aus, in dem die Familie Rehdiger, die die Bedingung nach einem öffentlichen Aufstellungsort nicht erfüllen konnte, die Sammlung kostenlos an die Stadt abgab. Der Rat verpflichtete sich im Gegenzug, die Bibliothek unter dem Namen »Rehdigerana« an einem geeigneten Ort aufzustellen, eine Ehrentafel für Thomas von Rehdiger anzubringen und einen Bibliothekar mit der Betreuung der Bücher zu beauftragen. Die Umsetzung des Vertrages zog sich jedoch noch bis 1659 hin, erst dann wurde die Rehdigersche Sammlung per Dekret des Breslauer Rates eröffnet und die Aufsicht über die Bibliothek dem Professor am Elisabethgymnasium Johann Gebhard übertragen, der für diese Aufgabe jährlich 30 Thaler erhielt.7 Natürlich sollten die Besucher und Betrachter der bedeutenden Bibliotheken zu eigenen Sammlungen angeregt werden, zumal eine gewisse Büchersammlung Ausdruck der Gelehrsamkeit ihres Eigentümers war. Einige der recht umfangreichen privaten Bibliotheken in Breslau gingen nach dem Tode ihres Besitzers in die öffentlichen Einrichtungen über. Zu den Büchersammlungen, die in der Folgezeit in die »Rehdigerana« einflossen, gehörte auch diejenige der Familie Hoffmannswaldau; leider ist außer der Tatsache der Schenkung keine weitere Nachricht überliefert.8 Mit großer Wahrscheinlichkeit war es wohl Christian Hoffmanns Sohn Georg Moritz, der - zugleich ein eifriger Münzsammler - seine Bibliothek der Stadt vermacht haben soll.9 Unter dem Eindruck der auf seiner Reise aufgenommenen Anregungen widmete sich Christian Hoffmann nach seiner Rückkehr nach Breslau vor allem der italienischen und französischen Literatur, deren Formen er studierte, um sie für die deutsche Dichtkunst fruchtbar zu 7
Der Vertrag vom 17. März 1645 zwischen Henel und dem Ratsherrn Veit Rötel als Bevollmächtigte des Rates und Wilhelm von Rehdiger und seinen Anverwandten in: AMW, Liber Magnus E 1-4, S. 264V-266V, auch in Albrecht W. J. Wachler: Thomas Rehdiger und seine Büchersammlung, S. 71-74; das Dekret des Rates zur Eröffnung vom 20. Dezember 1659 in: AMW, Liber Magnus E 1-5, S.62V. 8 Die Tatsache der Schenkung wird erwähnt von F. R. Fischer: Geschichte und Beschreibung von Breslau. Breslau 1846, S. 179 (mit Hinweis auf weitere Vermächtnisse, u.a. von Matthias Machner, Martin Hanke und Caspar Arletius) und Carl August Menzel: Topographische Chronik von Breslau, Bd. 2, S. 575. Menzel gibt außerdem an, daß die Schenkung durch einen Moritz von Hoffmannswaldau erfolgt sei. 9 Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 2, S. 273. Nach Franz Heiduk: Das Geschlecht der Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 37, käme auch ein weiterer Nachkomme, nämlich Christian Moritz von Hoffmannswaldau, in Betracht, der um 1708 geboren wurde, sich 1728 in Frankfurt/O. immatrikulierte, von 1766 bis 1779 als Herr auf Gr. Wilkawe im Kreis Trebnitz belegt ist und vor 1791 starb.
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machen. Daß er sich dabei zunehmend von dem erst 1639 verstorbenen Opitz entfernte, sollte nicht verwundern. Im Jahre 1649 galt seine Hochschätzung dem Nürnberger Georg Philipp Harsdörffer, dessen »Frauenzimmer Gesprächspiele« (zwischen 1641 und 1649 in acht Bänden erschienen) ihn begeisterten, [...] so mir im Deutschen für diesem niemahls für äugen kommen, indem ein großes teihl desjenigen, was bey den ausländern in wißenschaft und künsten, sinnreich, anmuttig und möglich zu finden, nunmehr in einem kurzen begrife unserem vaterlande so reichlich und treulich mittgeteilt worden.10
Christian Hoffmanns Studien der ausländischen Dichtung förderte auch sein ehemaliger Danziger Lehrer Mochinger, der in seinen Briefen auf wichtige literarische Neuerscheinungen hinwies und den jungen Freund zu eigenen poetischen Werken ermutigte.11
Hochzeit und Gründung einer Familie Doch bevor Hoffmannswaldau mit seiner ersten gedruckten Dichtung an die Breslauer Öffentlichkeit trat, vollzog er die vom Vater seit der Rückkehr des Sohnes betriebene Eheschließung. Leicht ist ihm dieser Schritt wohl nicht gefallen; noch 1679 wird Lohenstein in seiner Grabrede auf den Freund den väterlichen Druck andeuten: Hier ihn nun unbeweglich zu machen; fanden sie (gemeint: der Vater und »vornehme Freunde« - L. N.) kein sicher Band/ als die Verknipfung mit der HochWolEdelgebohrnen/ HochEhr- und Tugendreichen Frauen Marien Gebohrner Weberßkyn [...].12
1641 hatte Christian Hoff mann erst auf väterliche Order hin seine Kavaliers- und Bildungsreise abgebrochen. Aus dem Briefwechsel mit seinem ehemaligen Studienkameraden Friedrich Heinrichsson wissen wir, daß er erneut reisen wollte.13 Dieser Drang und die intensive Beschäftigung mit Kunst und Literatur trugen sicher auch dazu bei, daß sich Christian Hoffmann zu den heiratsfähigen Breslauer Bürger10
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Josef Ettlinger: Briefwechsel zwischen Hofmanswaldau und Harsdörffer. In: ZfVL 4 (1891), S. 100-103, hier S. lOOf.; über Harsdörffer vgl. auch Italo Michele Battafarano: Zwischen Bargagli und Loredano. Harsdörffers Vorstellung der academie letterarie italiane. In: Res Publica Litteraria. Bd. I, S. 35-43. Vgl. Karl Friebe: Über C. Hofman von Hofmanswaldau, S. 15. D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 21 nach eig. Fol. Das geht aus Christian Hoffmanns Briefwechsel mit seinem ehemaligen Studienkameraden Heinrichsson hervor, wo letzterer im Oktober 1641 seinem zurückgekehrten Freund auf einen Brief antwortet: »Scribis non iniucundam tibi fore itineris exacti cum socio aliquo repetitionem.« s. Karl Friebe: Über C. Hofman von Hofmanswaldau, S. 11.
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töchtern wohl wenig hingezogen fühlte.14 Vor allem aber schien es ihm wegen der damit entstehenden Verpflichtungen noch nicht geraten, in den bürgerlichen Ehestand zu treten.15 Die Bedenken vor einer solch wichtigen Entscheidung beschäftigten ihn sogar noch, als die Vorbereitungen für die Hochzeit bereits im vollen Gange waren. Mochinger in Danzig versuchte deshalb in seinem Schreiben vom 30. Januar 1643, ihm die Unentschlossenheit zu nehmen und Mut für diesen bevorstehenden bedeutungsvollen Schritt zuzusprechen.16 So fand am 16. Februar 1643 endlich die Hochzeit statt. Erst im April 1640 hatte der Breslauer Rat neben weiteren Feierlichkeiten auch den Ablauf von Hochzeitsfesten neu geregelt. Ursache für die »revidirung« einer sechs Jahre zuvor veröffentlichten Ordnung waren nicht nur zahlreiche Verstöße gegen dieselbe, sondern vor allem, daß [...] die beharrliche Kriegß: vnd andere betrübte vnnd bedrängte Läuffte nicht auffgehöret; Also auch ohne diß/ die gutte nützliche Policey/ vnd erhaltung deß gemeinen Nutzens vnnd Wohl-Standes erfodern/ hierinnen vnnd sonsten mit gutter Ordnung vnd Verfassung weiter zuverfahren [.. .].17
Im frühneuzeitlichen Verständnis verlangte ein gut geordnetes städtisches Gemeinwesen nach Sozialdisziplinierung seiner Bewohner.18 Durch seine »policeylichen«19 Verfügungen bestimmte der Breslauer 14 15
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So jedenfalls behauptete es Christian Hoffmann in demselben Schreiben an Heinrichsson, vgl. ebenda. Völlig verfehlt ist es, wenn Friebe aus der Antwort Heinrichssons folgert, daß Hoffmann »[...] das dauernde Zusammenleben, das die Ehe bedingt, lästiger erschienen sein (wird) als der ungebundene und dadurch reizvolle Verkehr, den er, so lange er ledig blieb, mit den Schönen seiner Vaterstadt unterhalten konnte, auf den uns seine bei Neukirch abgedruckten Liebesgedichte schließen lassen«. Ebenda, S. 12. Ebenda, S. 11. Der Kayserlichen vnd Königlichen Stadt Breßlaw New Verbesserte Ordnung/ wie es bey Hochzeiten/ Kindtauffen vnd Begräbnüssen hinfüro gehalten werden solle [...] Breslau 1640 (ÜB Leipzig, Hist. Bor. 47/6); nach dieser auch die weiteren Zitate. Vgl. zum Begriff »Sozialdisziplinierung« grundlegend Gerhard Oestreich: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus. In: derselbe: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Berlin 1969, S. 179-197. hier bes. S. 191-193; s. auch Winfried Schulze: Gerhard Oestreichs Begriff »Sozialdisziplinierung« in der frühen Neuzeit. In: Zeitschrift für historische Forschung 14 (1987), S. 265-302. Unter dem Begriff »Policey« verstand man in der deutschen Verwaltungssprache der Frühen Neuzeit vor allem eine »gute« öffentliche Ordnung in Stadt und Land: Mit dem Wort Policey bedeuten die Welt-Klugen die Art und Weise/ nach welcher ein Staat/ oder Republiq/ solle angeordnet und verwaltet werden/ daher nennet man das jenige/ was zur Conservation und Wesen eines auffgerichteten Staats gehöret/ Policey-Ordnungen. Friedrich Lucae: Schlesiens curiose Denckwürdigkeiten, S. 1929; zum »Policey«Begriff Franz-Ludwig Knemeyer: Polizei. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Hi-
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Rat über die Einwohner der Stadt praktisch von deren Geburt bis zum Tode. Die von ihm erlassenen sozialregulierenden Bestimmungen sollten Zucht und Ordnung aufrechterhalten und beinhalteten selbstverständlich auch Vorschriften über den Ablauf von Hochzeitsfeierlichkeiten. Entsprechend der hohen Stellung seines Vaters als Kaiserlicher Rat durfte Christian Hoffmann eine »fürnehme« Hochzeit feiern, für die die Ordnung von 1640 vorschrieb, daß [...] die election vnd Wahl vorstattet vnnd nachgelassen sein solle/ Ob bey denenselben Zwo Taffein/ oder Vier angeregte Bletter oder Tische/ mit Zurichtung vnd Aufftragung hierzugehöriger nothdürfftiger Speisen/ an Zwo Trachten vnd besonderer Nach: vnd Auffsetzung der Schalen gebracht werden wollen/ Jedoch daß die Anzahl der niedergesetzten Gäste sich vber Acht vnd Viertzig obangeregten Personen/ nicht erstrecke.20
Auch die weiteren ratsherrlichen Festlegungen mußte Christian Hoffmann beachten: So durfte er seine Hochzeitsfeier nicht länger als drei Tage ausdehnen und hatte am eigentlichen Hochzeitstag, der mit der kirchlichen Trauung begann, zur festgesetzten Zeit in der Elisabethkirche zu sein. Der Hochzeitskranz seiner jungen Braut mußte aus natürlichen Blumen und Gewächsen des Gartens angefertigt, konnte jedoch mit seidenen oder goldenen Fäden zusammengebunden sein. Spielten die Musikanten in den Abendstunden über die vorgeschriebene Zeit, drohten ihnen bis zu zwei Tagen Gefängnis. Die neue Ordnung legte auch den Lohn für die reisigen Diener des Rates, die Hochzeitsbitter, die Glockenläuter, für den Koch und seine Gehilfen, für den Wein- und Bierausschenker und auch für den vor der Tür aufwartenden Schwertdiener fest. Dafür durfte von diesen »weder Speiß noch Tranck verschleppet/ oder hinweg getragen werden«; auch
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storisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Kosellek. Bd. 4. Stuttgart 1978, S. 575597; vgl. auch Peter Nitschke: Von der Politeia zur Polizei. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Polizei-Begriffs und seiner herrschaftspolitischen Dimensionen von der Antike bis ins 19. Jh. In: Zeitschrift für historische Forschung 19 (1992), S. 1-27, bes. S. 11-17. Nicht eingerechnet waren jedoch Vormünder, Eltern, Kinder, Brüder und Schwestern, Ehrengäste von außerhalb und Hochzeitsbitter. An den sog. geringen oder gemeinen Hochzeiten durften nur 24 Personen teilnehmen, die an zwei gewöhnlichen Tischen saßen. Auf den Tischen durften drei große Schüsseln oder Gerichte dargeboten werden, darüber hinaus jedoch keine Nebenoder kleinere Speisen. Bei den mittleren Hochzeiten wurden für 36 Personen an drei Tischen zwei große Trachten und vier kleine Bei- oder Nebenschüsseln erlaubt. »Dann nach demselben dem Zugemüß vnd Gebackenen oder einem Marcepan besetzet/ vnd gar keine Schalen oder Confect.« Für die vornehmen Hochzeiten gab es neben zwei großen Trachten keine Begrenzung für die darüber hinaus gereichten Schüsseln und Speisen, jedoch sollte darauf geachtet werden, daß »[...] insonderheit allzugrosser Vberfluß der vbermäßigen vnd zumaln kostbarsten Speisen abgestellet sey«.
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Trinkgelder, die »bißher zur Vngebühr abgefedert vnd gegeben worden«, wurden abgeschafft. Wer selbige trotzdem forderte, wurde bestraft, und allzu große Verstöße gegen die einzelnen Punkte der publizierten Ordnung ahndete der Rat ausdrücklich [...] mit besonderer willkührlicher schärffer Straffe/ [...] daß sich andere vnnd folgende daran spiegeln vnnd kehren/ vnd man erfahren möge/ daß dergleichen excess vnd Vnfug nicht also wie bißhero geschehen/ vngestrafft hinpassiret werde.
Schließlich mußte der Hochzeitsausrichter an dem der Feier folgenden Donnerstag vor zwei vom Rat verordneten Personen Rechenschaft ablegen, wieviel Gäste bewirtet worden sind, welche Speisen gereicht wurden, was an Geld und Geldeswert gezahlt wurde, kurz, [...] wie vnd welcher gestalt sonsten dieser vorgesetzten Ordnung in allen vnnd jeden Puncten vnd Artickuln vnaußgesetzt nachgelebet worden sey/ oder nicht.
Zu Christian Hoffmanns Hochzeitsfeier verfaßten der alte Familienfreund Nikolaus Henel, der Leiter der Magdalenenschule Heinrich Klose und der Praeceptor Wolfgang Stirius lateinische Carmina.21 Stirius stammte aus Schweidnitz (Swidnica) und war nach dem Studium der Jurisprudenz zunächst in Hirschberg tätig. 1643 wurde er ans Magdalenengymnasium berufen, wo er 26 Jahre lang bis zu seinem Tode als Professor für Eloquenz, Geschichte und Moralphilosophie lehrte. Ein deutschsprachiges Epithalamium stammte von Christoph Köler, der seinen ehemaligen Schülern oftmals ein väterlicher Vertrauter war, ihre weitere Ausbildung förderte und dem immer wieder Dankschreiben der dadurch Geehrten zuteil wurden, wie das bekannte Beispiel Johannes Scheffler zeigt. Die wohl recht enge Verbindung, die Hoffmannswaldau zu seinem ehemaligen Lehrer besaß, belegt auch ein Brief aus dem Jahre 1637, den Köler seinem jungen Freund nach Danzig schrieb, als dieser noch das Akademische Gymnasium in der Ostseemetropole besuchte. Darin berichtete Köler, daß ihm der schlesische Oberlandeshauptmann Herzog Heinrich Wenzel von Bernstadt-Oels angeboten habe, das Rektorat am Gymnasium in Oels (Olesnica) zu übernehmen. In Oels residierte seit dem Tode Herzog Karls II. von Münsterberg-Oels und der Teilung des Fürstentums in Münsterberg-Oels und Bernstadt-Oels im Jahre 1617 Herzog Karl Friedrich, der jüngere Bruder Heinrich Wenzels; beide galten als gelehrte Fürsten und hatten sich als Mäzene verdient gemacht.
21
NUPTIIS HOFMANNO-WEBERSKIANIS ad D. XVI. Februar. Vratislaviae, cum bono Deo, faustiter celebrandis. Breslau 1643 (440055).
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Trotzdem lehnte Köler das Angebot ab.22 Man muß bei dieser Entscheidung jedoch mehreres bedenken: Zum einen schien sich Köler in seiner Stellung als Professor am Breslauer Elisabethgymnasium recht wohl zu fühlen, schloß diese doch den Umgang mit zahlreichen angesehenen Breslauer Patriziern und Gelehrten ein. Schon damals, als er nach Beendigung seines Straßburger Aufenthaltes ab 1628 noch in Brieg lebte, wollte er in eine größere Stadt ziehen, die mit ihren Bibliotheken seine gelehrten Studien gewährleisten konnte. Als ihn der Breslauer Advokat Andreas Senftleben, der zum Freundeskreis um Nikolaus Henel und Martin Opitz gehörte, im Sommer 1634 auf die seit den Pesttagen des Vorjahres vakante Professur für Philologie und Poesie am Breslauer Elisabethgymnasium aufmerksam machte, bewarb er sich umgehend für diese, seinen Neigungen besonders förderliche Stelle, auf die er Ende Juli 1634 auch offiziell berufen wurde.23 Zum anderen dürfte Köler das herzogliche Angebot auch deshalb abgelehnt haben, weil in den verheerenden Kriegsjahren das stark befestigte Breslau mehr Schutz bot als die Oelser Residenz. Erst 1634 war dort die schwedische Besatzung von kaiserlichen Truppen vertrieben worden, die dann ihrerseits die Bevölkerung drangsalierten und die Stadt in Brand steckten. Doch noch im selben Jahr eroberten die Schweden die Stadt zurück, 1642 wiederholten sich die wechselseitigen Angriffe, und immer hatte die Bevölkerung die Lasten zu tragen. Die im 14. Jahrhundert eingerichtete Stadtpfarrschule war zwar 1594 zum Gymnasium illustre erhoben worden und erfreute sich der besonderen Gunst der Oelser Herrscher, doch Krieg, Pest und andere widrige Umstände schädigten das Gymnasium so sehr, daß es 1647 nur noch 47 Schüler in drei Klassen hatte.24 Schließlich sollte nicht unerwähnt bleiben, daß die Offerte zur Übernahme des Rektorats die Möglichkeit bot, am Oelser Hof in ein hervorragendes Amt aufzusteigen, doch gerade Köler sah einen verdeckten Antagonismus zwischen Hofdienst und gelehrter Tätigkeit, auf die er keinesfalls ver22
23 24
Vgl. Max Hippe: Christoph Köler, S. 39f.; S. 223t ist die folgende Briefpassage mitgeteilt: Ante aliquot menses Illustriss. Dux Monsterbergensis Henricus Wenzeslaus Scholae suae Imperium mihi committere voluit et tantam spem fecit altioris fortunae; sed deliberata re non satis consultum videbatur, nidulo hac tempestate non ingrato eripi, quo erepto postea omnis receptus praeclusus fuisset. Der Brief sowie ein undatiertes Schreiben an die herzoglichen Beamten Franz Langer und Zacharias Hermann, in dem Köler die Gründe für und wider die Annahme des Antrages behandelt hatte, befanden sich in der Handschrift R 992 der ehemaligen Breslauer Stadtbibliothek; die Handschrift ist seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen. Vgl. Max Hippe: Christoph Köler, S. 37. Vgl. Gottlieb Leehr: Beiträge zu einer Geschichte der Schulanstalten im Fürstentum Oels. 2. Stück. Oels 1797, S. 4-13.
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ziehten wollte - in seiner bereits erwähnten Laudatio auf Opitz 1639 finden sich bemerkenswerte Äußerungen dazu.25 Das von Köler nun für Christian Hoffmanns Eheschließung geschriebene deutschsprachige »Hochzeit-Lied« enthält keine der später immer üblicher werdenden mythologischen Spielereien um Venus und Cupido (diese sind jedoch im nachfolgenden Sonett »An den H. Bräutigam« präsent); wie bereits mehrfach erwähnt, arbeitete der Konrektor des Elisabethgymnasiums geschickt biographisches Material, hier aus der peregrinatio academica seines jungen Freundes, in die lobpreisenden Verse ein: Dich ja konten nicht gewinnen/ Die Gespielin von Florentz/ Noch die Edlen Römerinnen/ Nicht die Damen von Placentz/ Noch die frischen Genuesen/ Oder glatte Piemontesen. Dich hat heller angesönnet Eingeborner Liebe Brunst/ Die zu Hause dir gegönnet Gottes vnd deß Himmels Gunst: Eine Weberßkin von Namen/ Die ein Bildnüß Edler Damen.26
Christian Hoffmanns Frau Maria, eine Tochter des Breslauer Bürgers Simon Webersky und seiner Frau Anna, wurde am 3. Juli 1626 getauft,27 war also zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung noch recht jung. 25
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Mit Bezug auf Opitzens Tätigkeit beim Burggrafen von Dohna formulierte Köler u.a.: Wie schickte sich denn itzt das Hofleben und das Privatleben zusammen, welches letztere er (gemeint Opitz - L. N.) doch bißher so hochgeschätzt hatte? Wie reimen sich denn Staatsgeschäfte und in der Stille studieren mit einander? Wie kan ein Mensch nach auswärtigen Ehren streben, der mit sich selbst vergnügt ist? Das erstere hat doch unser Opitz stets verachtet und verlachet, das letztere aber jederzeit gewünscht und begehret. Allein man muß hier mit Unterscheide antworten. Es ist nicht jeder Hof ein Feind aller Ruhe. Am wenigsten aber war es der Dohnaische. Zitiert nach Kaspar Gottlieb Lindner: Umständliche Nachricht von des berühmten Schlesiers Martin Opitz von Boberfeld, S. 190; vgl. zur Argumentation auch Klaus Garber: Martin Opitz - »der Vater der deutschen Dichtung«, S. 40-42. SCHEDIASMATA GAMICA [...] ä CHRISTOPHORO COLERO. Hochzeit-Lied, V. 103-114.
Vgl. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 2, S. 273; Bd. 5, S. 37; sie starb am 19. Oktober 1692. Nach Arthur Hübscher: Die Dichter der Neukirchschen Sammlung, S. 279, fand die Taufe jedoch bereits ein Jahr früher statt, wie ein von ihm mitgeteilter Eintrag aus dem Jahre 1625 in dem heute verschollenen Taufbuch von St. Elisabeth belegen soll: »Simon Weberskj Civis. Anna Mr. Anna Fil.«. Die Verschreibung »Anna« statt »Maria« führte Hübscher auf den gleichlautenden Vornamen der Mutter zurück, doch kann es sich hierbei auch um eine früher geborene Schwester namens Anna handeln.
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Die Familie Webersky ist seit Mitte des 15. Jahrhunderts in Breslau nachweisbar, trat aber seit dieser Zeit kaum hervor und stellte auch kein Mitglied für den Rat. Gleichwohl gehörte Christian Hoffmanns Schwiegervater zu den Begüterten dieser Stadt. 1616 hatte er ein großes Haus über der Ohlau, der späteren Karlsstraße, gekauft; es befand sich neben dem Haus der schlesischen Ständevertretung. Das sogenannte Weberskysche Haus verfügte über einen geräumigen Hof, in dem 1620 beim Einzug König Friedrichs von Böhmen in Breslau der königliche Marstall untergebracht worden war.28 Simon Webersky hatte wohl 1624 Anna von Artzat geheiratet, eine Tochter des Breslauer Ratsherrn Georg VI. von Artzat, deren erster Mann, Matthias Krichel, am 28. Februar 1623 verstorben war. Durch seine Eheschließung wurde Christian Hoffmann dem Ratsgeschlecht derer von Artzat noch enger verwandt, entstammte doch neben seiner Stiefmutter Maria von Artzat nun auch seine Schwiegermutter Anna von Artzat dieser angesehenen Breslauer Ratsfamilie, was der späteren Wahl Hoffmannswaldaus in den Breslauer Rat nur förderlich sein konnte. Ein Bruder seines Schwiegervaters, Daniel Webersky, hatte sich 1595 in Leipzig immatrikuliert und wurde Amtskanzler des Fürstentums Schweidnitz-Jauer; später resignierte er, wurde Advokat und Vorsteher des Hospitals zum Heiligen Grabe in Breslau. Sein Sohn Balthasar Webersky bezog 1651 die Universität Leiden und erhielt 1660 das Adelsdiplom mit dem Zusatz »von Webersickh«.29 Nach dem Tode ihrer Eltern erbte Maria Webersky das Haus über der Ohlau samt dem Gasthof »Goldener Hirsch« - beides wird sie 1650 auf den Namen ihres Mannes überschreiben lassen.30 Hoffmannswaldaus Frau brachte vier Kinder zur Welt: Am 14. Januar 1644 wurde der erste Sohn und Erbe Johann Christian geboren. Die soziale Stellung der Familie gestattete eine vom Breslauer Rat genehmigte »fürnehme Tauffe«, die am 17. Februar 1644 vollzogen wurde.31 Über 28 29
30 31
Vgl. Karl Bruchmann: Die Huldigungsfahrt König Friedrichs I. von Böhmen, S. 35; Nachweis des Hauskaufs in: AMW, Liber ingrossatoris G 8-5, S. 78. Vgl. über die Familie Webersky Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 5, S. 36-38. Franz Heiduk: Das Geschlecht der Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 32, gibt irrtümlich Daniel von Webersky als Vater der Frau Hoffmannswaldaus an und auch wohl fälschlich 1625 als Geburtsjahr, ebenda, S. 37. AMW, Liber ingrossatoris, G 8-7, S. 2V; der Übertragungsakt ist mit dem 15. März 1650 datiert. Franz Heiduk: Das Geschlecht der Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 37, kennt nur das Taufdatum. Den Geburtstag des Sohnes erfahren wir aus der »Lob- und Trauer-REDE«, die Daniel von Riemer und Riemberg auf den Tod Johann Christian von Hoffmannswaldaus 1724 halten wird, sowie aus dem angehängten »Monumentum« des Rektors Gottlob Krantz. Vgl. Lob- und TrauerREDE/ Welche bey Des Weyland Hoch-Edel-Wohlgebohrnen Ritter und Herrn/
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die oft sehr aufwendigen Tauffeierlichkeiten hat ein schlesischer Chronist Bemerkenswertes überliefert: [...] der Kindel-Vater hat nebst denen Gevatterinnen manchmal 20. 30. Frauen zum Kindtauffen bitten lassen, welche, nachdem sie versammlet gewesen, die Hebamme mit dem Kinde zur Tauffe in die Kirche, und wider zu Hause begleitet, worauf sie mit Semmel oder Kindl-Brodt, welches dazu absonderlich gebakken worden, mit Zucker und Ziemet bestreuet, nebst einen Trunck Bier oder Wein, nach Vermögen des Kindelvaters, sind vergnüget worden, es ist aber diese Gewohnheit in diesem jetzigen Seculo (gemeint ist das 18. Jahrhundert L. N.) abkommen, und fahren nur die Gevattern mit der Hebamme und dem Täuflinge zu Wagen in die Kirche, zur Tauffe werden auch nicht mehr als 3. Gevattern erlaubet zu bitten.32
Im März 1647 wurde Christian Hoffmann in den Breslauer Rat gewählt; nur wenige Wochen später, am 27. Mai, erblickte seine Tochter Anna Maria das Licht der Welt.33 Am 14. Februar 1650 wurde dem Ratsherrn der zweite Sohn Georg Moritz geboren.34 Ein dritter Sohn, der auf den Namen Johann Ferdinand getauft wurde, starb bereits 1655 im Alter von zwei Jahren.35
32 33 34
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HERRN Hanns Christian von Hoffmannswaldau und Arnolds Mühle [...] gehalten Daniel von Riemer und Riemberg. Breslau 1724 (419785); vgl. auch das »Monumentum« des Rektors Gottlob Krantz (555137). Krantz war nach dem Studium der Jurisprudenz in Leipzig 1682 zunächst als Hofmeister des Freiherrn von Trachenberg tätig, bis er zwei Jahre später als Praeceptor an die Ritterschule nach Oels berufen wurde. 1686 kam er als Praeceptor ans Elisabethgymnasium, stieg 1688 zum Professor auf und übernahm die Bibliothek. 1709 erlangte er das Rektorat und wurde damit auch Inspektor der Breslauer Schulen, in welchem Amt er nach fünfzigjährigem Schuldienst 1733 verstarb. Breslauisches Evangelisches Zion [...] Alles mit aufrichtiger und unpartheyischer Feder beschrieben von Daniel Gomolcken. Breslau 1736 (301597), S. 143f. Franz Heiduk: Das Geschlecht der Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 37. Vgl. Karl Friebe: Über C. Hofman von Hofmanswaldau, S. 14; davon abweichend Franz Heiduk: Das Geschlecht der Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 37, der den 16. Januar als Taufdatum nennt. Die in der Forschung bisher nicht eindeutig geklärten Lebensdaten des jüngsten Sohnes Hoffmannswaldaus können nun endlich mitgeteilt werden: Rektor Major hat in seinem Schreibkalender auf das Jahr 1655 unter dem Datum des 15. August die Beisetzung Johann Ferdinands festgehalten und das Alter des Kindes mit zwei Jahren benannt, vgl. R 2354, unter dem angegebenen Datum. Von den zu Tagebuchnotizen genutzten ursprünglich 30 Schreibkalendern des Rektors Major in der ehemaligen Stadtbibliothek Breslau für die Jahre 16401669 sind noch 22 erhalten geblieben, mehrere davon sehr stark beschädigt. Sie befinden sich heute in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Wroclaw, Sign. R 2339-2368. Bereits 1901 machte Hippe aus diesen Aufzeichnungen zahlreiche Mitteilungen, vorwiegend zum schulischen Leben sowie den dramatischen Aufführungen und Redeübungen der Schüler an den Breslauer Gymnasien, vgl. Max Hippe: Aus dem Tagebuch eines Breslauer Schulmannes, S. 159-192.
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Grabschrift für Franz Scholtz Im Jahr seiner Eheschließung 1643 trat Christian Hoffmann mit seinem ersten Gedicht an die Öffentlichkeit: Für den am 4. März verstorbenen Hauptmann der Breslauer Stadtsoldaten Franz Scholtz verfaßte er eine achtzeilige deutschsprachige Grabschrift. Scholtz hatte Frankreich, Spanien, Italien, Holland und England bereist, dabei nicht nur die Sprachen erlernt, sondern sich auch mit dem Kriegshandwerk vertraut gemacht. Bei der Erstürmung Magdeburgs durch Tilly am 20. Mai 1631 und bei der Breitenfelder Schlacht am 7. September 1631 hatte er sich ausgezeichnet und war vom kaiserlichen Feldmarschall Gottfried Heinrich Graf von Pappenheim besonders gelobt worden. Seine wohl Ende der dreißiger Jahre erfolgte Inauguration zum Befehlshaber der Breslauer Stadtsoldaten, auf die der Dichter Andreas Tscherning ein umfangreiches Carmen verfaßte,36 wirft ein bezeichnendes Licht auf die Politik des Rates zur Erhaltung seines ius praesidii, also seiner Freiheit von kaiserlicher Einquartierung. Für die Bewachung und Verteidigung der Stadttore, Türme und Mauern war die Bürgerschaft selbst verantwortlich. Jedes der vier Stadtviertel hatte drei Abteilungen, sogenannte Fähnlein, zu stellen. Um jedoch den darüber hinaus gehenden militärischen Anforderungen zu genügen (so zum Beispiel war der Breslauer Rat als Träger der Landeshauptmannschaft im ehemaligen Fürstentum Breslau auch für Fragen der Sicherheit zuständig), gab es angeworbene Stadtsoldaten, deren Zahl nach den jeweiligen Bedürfnissen schwankte. Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges waren es etwa 300 Söldner, nach der Farbe ihrer Bekleidung auch Gelbröcke genannt. Bereits 1623 ließ der Rat ein zweites Fähnlein anwerben, 1626 kamen noch zwei Fähnlein hinzu, 1635 betrug die Zahl der Stadtsoldaten dann etwa 1000 Mann. Als nach dem Prager Separatfrieden die kaiserliche Friedenskommission in Breslau auch die Vereidigung der Stadtsoldaten auf den Kaiser forderte (der Rat hatte dies in den letzten Jahren tunlichst vermieden), meuterten die Soldaten, weil sie fürchteten, nun in die kaiserliche Armee gesteckt zu werden. Den Aufstand,37 der sich über mehrere Wochen hinzog und schließlich in Plünderungen und gewalttätigen Exzessen kulminierte, ließ der Rat durch seine etwa 5000 Mann starke bewaffnete Bürgerwehr niederschlagen und 36
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INAUGURATIO Nobiliss. Strenui, Fortissimique DN. FRANCISCI SCHOLTETI, ad Flavae Cohortis Vratisl. PRAEFECTURAM, Auctore Andrea Tscherningio. Breslau, o.J. (440064); hier auch die betreffenden Informationen über Scholtz. Über den Aufstand der Breslauer Stadtsoldaten zu Beginn des Jahres 1636 vgl. Chronik der Stadt Breslau, S. 960-964.
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dabei 13 Rädelsführer hinrichten. Erst danach konnten die Stadtsoldaten neu formiert und auf den Kaiser vereidigt werden. Das war zugleich die notwendige Voraussetzung, um die der Stadt drohende Gefahr einer kaiserlichen Einquartierung abzuwenden. Die bald darauf folgende Berufung von Franz Scholtz, der sich in kaiserlichen Diensten ausgezeichnet hatte, zum neuen Befehlshaber der Stadtsoldaten diente dem Rat zur Befestigung des ius praesidii und muß als erneutes Zeichen für Breslaus Loyalität gegenüber dem Kaiser in den letzten Kriegsjahren gewertet werden.38 Schon bald nach seiner Rückkehr war Christian Hoffmann mit Scholtz zusammengetroffen, den er am 11. August 1641, gemeinsam mit seinem Vater, in dessen Haus besuchte.39 Der schlesische Kammersekretär Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau besaß einen engen Kontakt zu Scholtz (wie wir an anderer Stelle einem weiteren Gelegenheitsgedicht Tschernings entnehmen können),40 so daß sich von daher die folgende Grabschrift seines Sohnes auf den Befehlshaber der Breslauer Stadtsoldaten ergibt - in bündiger, konzentrierter Kürze soll etwas Gültiges und Wesentliches über den Verstorbenen gesagt werden: 38
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Für die Zeitgenossen verband sich Loyalität der Stadt Breslau gegenüber dem Kaiser mit Befestigung der eigenen Sicherheit; so heißt es in Tschernings »INAUGURATE Nobiliss. Strenui, Fortissimique DR FRANCISCISCHOLTETI« weiter: [...] Wem missest du die Rhu/ O Breßlaw/ anders sunst alß deinem Käyser zu/ Der nechst des Himmels Gunst dir Wall vnd Thor geschützet Daß noch kein frembder Gast in deinen Häusern sitzet? Doch hastu vor dich selbst nicht schlechten Ruhm dabey/ Du brauchest Witz vnd Rath/ siehst wem zu trauren sey Der Waffen Wichtigkeit/ pflegst Köpffe zuerwehlen Die Mannhafft sein in Noth/ verständig im befehlen/ Jn beyden ohne falsch [...]. Die Begegnung hat der anwesende Rektor Major in seinem Schreibkalender für das Jahr 1641 festgehalten: »Apud Dn. Capitaneum Franciscum Schultz, praesentibus Dn. Johann Hoffmanne, Dn. Gulielmo Nüslero, et Dn. Christiano Johannis F. Hofmanne, coenebam.« (R 2340, unter dem angegebenen Datum). Zu Bernhardt Wilhelm Nüßler, einem Freund von Opitz, s. Martin Opitz: Gesammelte Werke, Bd. I (1968), S. 30-32. Wohl um 1640 veröffentlichte Tscherning seine »PROPEMPTICA« (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin, Sign. Yi 1461 R), ein Huldigungsschreiben für die Söhne des Grafen Krzinezky von Ronow und die Söhne des Ratsherren Schmidt zu deren bevorstehender gemeinsamer Reise. Der Gelegenheitsdruck enthält auch ein deutschsprachiges Reiselied »An Hn. Christoph Cervin deroselben Hofemeister«. Christoph Cervin war nach Tscherning Hauslehrer bei Schmidt geworden und begleitete nun die adligen Söhne auf deren Reise. In seinem Reise-Lied verwies Tscherning auch auf Personen, zu denen Cervin Beziehungen pflegte, unter anderem auf Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau und auf Franz Scholtz, die wiederum untereinander Geselligkeit pflegten.
138 Was halff mir Schwerd/ vnd Helm/ was halff mir mein Verstand/ Weil mich der bleiche Todt legt zu den dürren Füssen? Was nützte mir der Kopff/ was nützte mir die Hand/ Weil ich die faule bahn deß Todes gehen müssen? Doch liegt nicht alles hier/ nichts deckt der schwere Stein/ Als eine handvoll Staub/ Mein Ruhm bleibt vnverschwiegen/ Er wiel das Land durchziehn/ vnd vnverscharret sein/ Der Cörper muß allein'/ in diesem Grabe liegen.41
Der Verstorbene als Sprecher seiner eigenen Grabschrift ist für die Trauergesellschaft eine akzeptable Fiktion, die ihren Intentionen entgegenkommt: Der Tote teilt den Versammelten etwas Abschließendes mit, sozusagen sein Vermächtnis.42 Die fiktive Situation ermöglicht es dem Dichter, seinem Carmen einen pointierten und sinnreichen Abschluß und damit jene Allgemeinverbindlichkeit und Dauerhaftigkeit zu geben, die die poetischen Grabschriften für sich in Anspruch nehmen. Indem nämlich der Tote seine Abschiedsworte epigrammatisch zugespitzt formuliert, wird neben dem historischen Publikum gleichfalls ein anonymes gattungsspezifisches angesprochen. Der Fiktionscharakter muß umso mehr zunehmen, je mehr sich der Autor vom ursprünglichen Anwendungsgebiet der Grabschrift entfernt, die poetische Grabschrift also vom Kontext und vom Anlaß befreit. Damit werden Grabschriften auf historische und biblische Figuren möglich; sogar Tiere, Berufe, Eigenschaften und Gegenstände können poetische Grabschriften erhalten. »Poetische Grab-Schriften« 1643 Etwa zur selben Zeit, als Christian Hoffmann die Grabschrift auf Franz Scholtz dichtete, faßte er den Plan für seine bekannten »Poetischen Grab-Schriften« in der ursprünglichen Zahl von 100 Stücken. 41
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EPICEDIA CARMINA Honori et Perenni Memoriae Nobilissimi, Strenui, Fortissimi, Arte et Märte Clarissimi Viri DN. FRANCISCI SCHOLTZI, Flavae in praesidio Vratislaviensi Cohortis CAPITANEI praeclare meriti [...] Breslau 1643 (440047). Die Grabschrift Hoffmannswaldaus ist mit den Initialen C. H. unterzeichnet, die der Dichter noch öfter verwendet. Auch abgedruckt in: Schlesien 15 (1970), S. 48. Die Epicedien im Gelegenheitsdruck sind sehr zahlreich und zumeist in Latein abgefaßt; eine längere deutschsprachige Grabschrift setzte Theodor Paricius, ein ebenfalls deutschsprachiges Carmen Paul Thaumasius, beide Lehrer am Elisabethgymnasium. Zum redenden Toten in den Casualcarmina vgl. auch Ferdinand van Ingen: Vanitas und Memento mori in der deutschen Barocklyrik. Groningen 1966, S. 276-285; zum Kontext grundsätzlich: Wulf Segebrecht: Steh, Leser, still! Prolegomena zu einer situationsbezogenen Poetik der Lyrik, entwickelt am Beispiel von poetischen Grabschriften und Grabschriftenvorschlägen in Leichencarmina des 17. und 18. Jhs. In: DVLG 52 (1978), S. 430-468.
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(Erst an seinem Lebensabend wird er für die autorisierte Ausgabe einige weglassen, andere hinzufügen, so daß die offizielle Werkausgabe 103 poetische Grabschriften aufweist.) Einige hatte er schon früher verfaßt, doch die meisten entstanden erst jetzt. Wie die später folgenden Dichtungen wurden auch die »Poetischen Grab-Schriften« zuerst handschriftlich aufgezeichnet und kursierten in mehreren Abschriften im Kreise seiner Breslauer Freunde. Christian Hoffmann versah sein Werk mit einer Vorrede; in einer der Handschriften ist diese Vorrede mit dem 22. Juli 1643, dem Zeitpunkt der Fertigstellung des Werkes, datiert.43 Diese Abfassungszeit wird auch durch die Grabschrift auf König Ludwig XIII. von Frankreich bekräftigt, der am 14. Mai 1643 starb, somit wie die anderen vom Dichter mit einer Grabschrift bedachten historischen Personen zum Zeitpunkt der Zusammenstellung des Werkes schon tot war. Die poetische Grabschrift zählt zur Gattung Epigramm. Nach der Renaissancepoetik Scaligers müsse sich das Epigramm durch Kürze und Spitzfindigkeit auszeichnen.44 In seinem »Buch von der Deutschen Poeterey« bezeichnete Martin Opitz das Epigramm als »eine kurtze Satyra« und erwähnte unter den Arten des Epigramms auch »vberschrifften der begräbniße vnd gebäwe«.45 In der poetischen Grabschrift als eigentlicher Urform des Epigramms (das im Griechischen »Aufschrift« oder »Inschrift« heißt) ist der ursprüngliche Epigrammcharakter am reinsten erhalten geblieben. 1623 gab Fran£ois Schweerts von ihm gesammelte poetische Grabschriften heraus, mit denen er die Blüte dieser lyrischen Kleinform im europäischen Kulturraum dokumentieren wollte. Seine »Epitaphia ioco-seria« enthielten scherzhafte poetische Grabschriften in lateinischer, französischer, italienischer, spanischer, portugiesischer und flämischer Sprache.46 43
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Es handelt sich hierbei um die sog. Fürstensteiner Handschrift aus der ehemaligen Fürstlich Pless'schen Majoratsbibliothek, die als Kriegsverlust angesehen werden muß. Die Handschrift mit der Überschrift »Hundert mehrerntheils fantastischer Grabschrifften Bresslau 1643« wurde Ende des 19. Jhs. von Friebe für einen Vergleich mit dem autorisierten Druck der »Poetischen Grab-Schriften« herangezogen; vgl. Karl Friebe: Christian Hofman von Hofmanswaldaus Grabschriften. In: Programm Greifswald 1893, S. III-XXXV. »Epigrammatis duae virtutes peculiares: brevitas et argutia.« Julius Caesar Scaliger: Poetices Libri septem. Lyon 1561. Lib. Ill, cap. 126. Faksimile-Neudruck mit einer Einleitung von August Bück. Stuttgart/Bad Cannstadt 1964, S. 170; zur Gattungsgeschichte vgl. Jutta Weisz: Das deutsche Epigramm des 17. Jhs.; ferner Peter Hess: Epigramm. Stuttgart 1989; Theodor Verweyen/Gunther Witting: Das Epigramm. Beschreibungsprobleme einer Gattung und ihrer Geschichte. In: Simpliciana 11 (1989), S. 161-180. MARTINI OPITII Buch von der Deutschen Poeterey. In: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Bd. II. 1. Teil (1978), S. 331-416, hier S. 366. Vgl. Italo Michele Battafarano: Glanz des Barock. Forschungen zur deutschen als europäische Literatur. Bern u.a. 1994, S. 461.
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Deutschsprachige Grabepigramme waren nicht dabei - ein Beleg dafür, daß sich die deutschen Dichter erst in der Folgezeit stärker der (fiktiven) poetischen Grabschrift zuwandten. Sucht man Antwort auf die Frage, welche Vorbilder Christian Hoffmanns 20 Jahre später niedergeschriebene »Poetische GrabSchriften« beeinflußt haben könnten, ist vor allem auf den Italiener Giovanni Francesco Loredano zu verweisen, der 1635 hundert »Epitafii Giocosi« unter dem Titel »IL CIMITERIO« veröffentlicht hatte, denen sich in den folgenden Jahren noch drei weitere Centurien vierzeiliger Grabschriften anschlössen.47 Auf seiner Reise durch Europa lernte Hoffmannswaldau Loredano 1641 in Wien persönlich kennen. Bekannt war auch Gian Battista Marines »Galleria«, eine 1619 erstmals erschienene Sammlung von Gedichten auf Gemälde und Bildhauerwerke, die es allein bis 1636 auf zehn Neuausgaben brachte.48 Genannt werden muß in diesem Zusammenhang aber auch Martin Opitz, der 1639 in Danzig eine Sammlung mit Epigrammen veröffentlichte, unter denen sich auch zahlreiche scherzhafte poetische Grabschriften befanden, die zu den ersten in deutscher Sprache veröffentlichten zu zählen sind.49 Christian Hoffmann selbst bekannte in seiner Vorrede: Hier ist nichts geborgetes!, 47
Loredano hatte seine »Epitafii Giocosi« gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Pietro Michiele herausgegeben, der jedoch nicht Mit-Autor war. Auf die Abhängigkeit Hoffmannswaldaus von Loredano (und Michiele) hat schon Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S. 53ff., hingewiesen, da fast ein Drittel der Epigramme Aufschriften führen, die auch bei den Italienern vorkommen. Über Loredano vgl. Italo Michele Battafarano: Glanz des Barock, S. 459-474. 48 S. über mögliche Einflüsse Karl Friebe: Christian Hofman von Hofmanswaldaus Grabschriften, S. XXVII, der zudem die von Ettlinger betonte starke Abhängigkeit Hoffmannswaldaus von Loredano (und Michiele) bestritt und statt dessen die Eigenständigkeit des Schlesiers betonte: »Bei Gleichheit des Themas hat unser Dichter sich bemüht, eine neue Pointe anzubringen oder die übernommene zu steigern, ausserdem hat er seinen Epigrammen den Schmuck der Antithesen und sinnreichen Vergleiche zu geben getrachtet, der den Italienern fremd ist.« S. zu Marino auch Marianne Albrecht-Bott: Die bildende Kunst in der italienischen Lyrik der Renaissance und des Barock. Studie zur Beschreibung von Portraits und anderen Bildwerken unter besonderer Berücksichtigung von G. B. Marines »Galleria«. Wiesbaden 1976; weiter Margot Kruse: >La Galeria del Cavalier Marino< und >Le Cabinet de M< de Scvdery'. Zur Bildgedichtsammlung im Zeitalter des Barock in Italien und Frankreich. In: Italienischeuropäische Kulturbeziehungen im Zeitalter des Barock, S. 237-252. 49 FLORILEGII VARIORVM EPIGRAMMATVM LIBER VNVS [...] Danzig 1639. Eine weitere Ausgabe erschien 1644 in Frankfurt. S. auch Italo Michele Battafarano: (Scherz-) Grabschriften bei Opitz. In: Opitz und seine Welt. FS für Georg Schulz-Behrend zum 12. Februar 1988. Hg. von Barbara Becker-Cantarino und Jörg-Ulrich Fechner. Amsterdam 1990, S. 21-36.
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und formulierte weiter, daß [...] in diesen Grabschrifften keine grosse Kunst vergraben lieget/ [...] daß sie nicht nach Schweiß stincken/ und solche Kinder sind/ die ohne Kreissen von der Mutter kommen. Gefallen sie dir/ so sol es mir nicht mißfallen: findestu aber einen mercklichen Mangel darinnen/ so kanst du dieselben ungehindert weg werffen.50
Es sind vierzeilige Alexandrinergedichte,51 von denen sich die ersten sechs auf biblische Gestalten beziehen, wie zum Beispiel die Grabschrift auf Lot: Ich eylt auß Sodoma den Flammen zu entgehen, Und konte nicht der Brunst der Töchter wiederstehen, Wer macht den armen Loth der schweren Sünden loß, Ich bawte Sodoma auf meiner Töchter Schoß.
Die von der Poetik verlangte Forderung nach Kürze und Scharfsinnigkeit, durch welche sich ein Epigramm auszeichnen müsse, hat Christian Hoffmann vorbildlich erfüllt. Seine Grabschrift auf Lot wurde 1687 von Christoph Forsch nach der inzwischen erschienenen offiziellen Werkausgabe des Dichters erneut veröffentlicht, wobei Forsch andere poetische Grabschriften auf diese biblische Gestalt beifügte, darunter auch eine eigene Bearbeitung: Des Loths. Als eine Schwefel=Gluth das Sodoma zerstörte/ War ich der Flamm' entfernt; allein als mich bethörte Berückte Trunckenheit/ durch Thorheit meiner Kinder/ War ich ein Sodoms=Kind/ und Zoars grosser Sünder/ Denn unvermerckte Gluth hat Blutschand angezündet/ Und in dem eignen Schooß ein Sodoma gegründet. Nun lieber Wanderer/ geh hin und sag' es allen: Durch Wein und Weiber=List kan wol der Frommste fallen.52
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C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Poetische Grab-Schriften (Vorrede), S. 2 nach eig. Fol. Die Vorrede in der nun verschollenen Fürstensteiner Handschrift verstärkte den letzten Gedanken recht drastisch: [...] so kanstu dieselben ungehindert in diesen Ort schicken, dahin wir die übrige Feuchtigkeit unsers Leibes zu begraben pflegen. Zit. nach Karl Friebe: Christian Hofman von Hofmanswaldaus Grabschriften, S. XVII. Die »Poetischen Grab-Schriften« sind in sechs handschriftlich verfaßten Sammelbänden aufgezeichnet worden, in einigen allerdings unvollständig; vgl. Franz Heiduk: Hoffmannswaldau und die Überlieferung seiner Werke, S. 41ff. Die ÜB Wroclaw verfügt mit der Handschrift Hs IV, F.88 jedoch über die ursprünglichen 100 poetischen Grabschriften (S. 153-169); nach ihr wird im Folgenden zitiert. Christoph Forschen/ Predigers zur Zeyer/ Kayserlichen Edlen Poetens/ Geistlicher Kirch=Hof/ Vorstellende Sechshundert Lust= und Lehr=reiche Biblische Grab=Schrifften [...] Danzig 1687, S. 29.
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Der Unterschied tritt deutlich zutage: Hier ist die biblische Begebenheit ausgebaut und um eine didaktische Pointe erweitert, mit der Folge, daß das Gebot der Kürze nicht eingehalten wird und auch die Scharfsinnigkeit gezügelt ist, da eine sich in den Vordergrund drängende »argutia« dem Lehrzweck widersprechen könnte.53 Den sich anschließenden Grabschriften auf herausragende Herrscher (unter anderem Alexander den Großen, König Gustav Adolf von Schweden, Kardinal Richelieu) ließ Christian Hoffmann solche auf berühmte Gelehrte folgen. In derartigen Grabschriften feierten sich die Gelehrten (zu denen ja die Poeten zählten) selbst.54 Mit der Grabschrift auf Martin Opitz, der unter den Dichtern des 17. Jahrhunderts am häufigsten gepriesen wurde, trug auch Hoffmannswaldau zur Festigung des Standesbewußtseins der Autoren bei: Mich hat ein kleiner Orth der deutschen Weltt gegeben, Der wegen meiner wird mit Rom die Wette leben, Ich suche nicht zuviel, ich bin genung gepriesen, Daß ich die Venus selbst im Deutschen unterwiesen.
Maßstab für die Hochschätzung von Epigrammen war die strikte Realisierung des Kategorienpaares »brevitas« und »argutia«, die Opitz vor allem im satirischen Epigramm verwirklicht sah, dessen witzige Überraschungspointen die Laster spottend verzerren und als »seele« der Satire ein konstituierendes Element dieses Typs darstellen: »Zue einer Satyra gehören zwey dinge: die lehre von gueten sitten vnd ehrbaren wandel vnd höffliche reden vnd schertzworte. Ihr vornehmstes aber vnd gleichsam als die seele ist, die harte Verweisung der laster vnd anmahnung zue der tugend: welches zue vollbringen sie mit allerley stachligen vnd spitzfindigen reden, wie mit scharffen pfeilen, vmb sich scheußt.«55 Wenn sich nach Martial die Satire nicht gegen konkret benannte Menschen richten durfte, so verhielt sich auch hier die Praxis viel großzügiger, tauchte die Personen-Satire besonders in der poetischen Grabschrift auf, deren Gegenstand ja oft konkrete Persönlichkeiten waren. Einen der frühesten derartigen Belege hat ja Christian Hoff mann mit seiner wohl schon in Leiden ver53
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Vor allem wegen ihrer didaktischen Aussage haben die meisten Grabschriften bei Forsch sechs bzw. acht Verse. Forsch rechtfertigt dies in der Vorrede zu seiner Ausgabe biblischer Grabschriften folgendermaßen: »Die wenigsten bestehen nach der heutigen Art in vier Zeilen/ weil ich nicht so wol meine eigene Erfindungen/ als vielmehr die merckwürdigsten Begebenheiten derer Verstorbenen vorstellen wollen/ welche sich so enge nicht einschrencken lassen.« Jutta Weisz: Das deutsche Epigramm des 17. Jhs., S. 23, unterscheidet innerhalb der Gattung Epigramm die vier Stilhaltungstypen gnomisch, satirisch, spielerisch-concettistisch und panegyrisch-hymnisch, die zudem in zahlreichen Mischformen vorkommen. MARTINI OPITII Buch von der Deutschen Poeterey, S. 366.
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faßten Grabschrift auf Herzog Alba gegeben. Satirischen Charakter weist auch die Grabschrift auf den kaiserlichen Feldherrn Wallenstein auf, die der Dichter jedoch - wie jene auf Herzog Alba - bei der Drucklegung seiner Werke ausschließt: Hier liegt das große Haupt, so iezt wird ausgelacht, Viel wißen dis von mir, so ich mir nicht gedacht; Das wüst ich, daß ein Stein nicht leicht ein Stern kan werden, Ein Stein, wie hoch er steigt, fällt endlich zu der Erden.
Innerhalb der »Poetischen Grab-Schriften« Hoffmannswaldaus dominieren die satirischen Epigramme, meist mit spielerisch-concettistischem Einschlag. Damit wird deutlich, daß der Dichter seine Verse als geistreich-witziges Spiel für ein eingestimmtes, exklusives Publikum konzipiert hat, das sich vor allem am scharfsinnigen Sprechen erfreut haben dürfte.56 Das galt natürlich auch für die sogenannte StandesSatire, in der stereotype Motive der Zeitkritik zum Ausdruck kamen - besonders der käufliche Jurist und der unfähige Arzt wurden in der Epigrammdichtung in unzähligen Beispielen variiert. Ein hervorragendes exemplum arguter Meisterschaft lieferte Christian Hoffmann mit der Grabschrift auf den »ungleichen Richter«: Wer hier begraben liegt, darff keiner recht bekennen, Ein ieder hüttet sich vor stäupen und vor brennen; Ein Wortt geht noch wohl hin, doch drück' Ein Auge zu, So sag ich dieser Mann wahr eben so wie du.
Da niemand den Toten als ungerechten Richter benennen dürfe dieser würde dann aus dem Grabe steigen und den Frevler bestrafen -, bleibt nur eine Möglichkeit, den Toten ungestraft zu bezeichnen: Wanderer, drücke ein Auge zu, wie es der Tote oft in seinem Amte getan hat, dann kann ich ohne Angst sagen, er sei ebenso gewesen wie du jetzt, ohne ihn beim Namen zu nennen. Vor dem scharfen Spott der satirischen Grabschriften ist niemand sicher, weder der unwissende Arzt noch der ungerechte Richter. Ihnen reißen sie die Maske ab, um das wahre Gesicht zu zeigen, nämlich das der Sterblichkeit, die »[...] für alle Lebewesen ein wesentlicheres Bestimmungsmerkmal als ihre jeweilige geschichtliche Bedeutung oder gar ihr individuelles Schicksal (ist)«.57 Loredano hatte die Vanitas-Idee zum tragenden Element seiner Scherz-Grabschriften gemacht; sein »CIMITERIO«, ein Friedhof als Variante des Theatrum mundi, entlarvte an Gestalten der Universalgeschichte das Leben als 56
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Vgl. Volker Meid: Das 17. Jahrhundert. In: Geschichte der deutschen Lyrik vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. von Walter Hinderer. Stuttgart 1983, S. 74-138, hier S. 120. Poetische Grabschriften. Hg. von Wulf Segebrecht. Frankfurt/M. 1987, S. 133.
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Betrug und Banalität. Die Untaten und »Un«-Tugenden berühmter Männer demaskieren das Ideal-Bild eines tugendsamen Menschen; der Friedhof wird zum Mahnmal menschlicher Illusionen.58 Doch zum Memento mori, der Konfrontation mit dem Tod, gehörte im 17. Jahrhundert auch das Carpe diem, die Aufforderung zum augenblicklichen Lebensgenuß, die im scharfsinnigen Witz gerade der satirischen Grabschrift deren Unterhaltungswert repräsentierte. Das gilt auch für Hoffmannswaldaus Grabschrift auf eine Nonne mit ihrer erotisch ausufernden doppeldeutigen Pointe; wegen ihrer antikatholischen Zielrichtung erscheint auch dieses Epigramm nicht in der offiziellen Werkausgabe: Man nahm mir meinen Schmuck, und ließ mir Fleisch und Bluth, Man schnitt die Haare weg, und ließ mir meine Gluth; Im Beten hat mir stets der Glaube sehr behaget, Weil er vom Aufferstehn des Fleisches etwaß saget.
Ein Merkmal der Hoffmannswaldauschen Grabschriften ist, daß oft erotische Motive scharfsinnig umspielt und metaphorisiert werden. In diesem Zusammenhang ist die Grabschrift auf den antiken Gelehrten Martial, neben dem Engländer Owen das Vorbild der Epigrammdichter des 17. Jahrhunderts, bemerkenswert, die mit ihrer Ablehnung des römischen Epigrammatikers in der Epigrammdichtung gerade dieses Jahrhunderts eine Ausnahme gewesen sein dürfte. Zu beachten ist allerdings, daß diese Grabschrift nicht in der handschriftlichen Überlieferung enthalten ist und damit auch noch nicht 1643 niedergeschrieben wurde, sondern erst in der offiziellen Werkausgabe nach dem Tode des Dichters auftaucht: Der den Parnassus hat in Sodoma verkehret/ Der mit der Musenschaar zu bulen hat begehret/ Vor dem Apollo selbst nicht allzusicher saß/ Küst unter diesem Stein ein halb verfaultes Aaß.59
Diese Ablehnung läßt sich auch nicht mit dem von Quintilian geforderten Obszönitätsverbot erklären, der die »urbanitas«-Kategorie (die Feinheit des Witzes) als allgemeines Wertkriterium arguten Sprechens aufgefaßt hatte. Zwar sah man das aus der antiken Rhetorik adaptierte Obszönitätsverbot in der Theorie als verbindlich an, doch die theoretischen Normen wurden unterlaufen, wie auch das Beispiel Hoffmannswaldau zeigt, unter dessen poetischen Grabschriften sich einige obszöne befinden. Zu diesen gehört auch die Grabschrift auf einen Hund, die mit anderen Grabepigrammen auf Tiere, unter ande58 59
Vgl. Italo Michele Battafarano: (Scherz-) Grabschriften bei Opitz, S. 31. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Poetische Grab-Schriften, S. 9 nach eig. Fol.
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rem auf eine Gans und auf einen Floh, am Ende der »Poetischen Grab-Schriften« steht; sie zeichnet neben ihrer Scharfsinnigkeit eine drastische Erotik aus: Das Bette macht ich mir auf meiner Frawen Brust, Mein Zünglein wahr ihr Schwamm, ihr Bächlein meine Lust; Mein Leser, wilstu nicht der schlechten Leiche lachen, So will ich dir allein die Lagerstadt vermachen.
Die Anrede zielt auf den Homo viator, den Wanderer oder Pilger, der an der Grabstätte verweilt, die Grabschrift liest und zum Nachdenken aufgefordert wird.60 Doch der hohe Grad an Poetisierung, Fiktionalisierung und Abstrahierung der poetischen Grabschrift hebt diese von der tatsächlichen Grabschrift ab und führt dazu, daß der Leser vor allem Spaß und Freude an der arguten Pointe empfinden soll. Gerade hierin können Hoffmannswaldaus »Poetische Grab-Schriften«, die zahlreiche Nachfolger fanden, als meisterhaft gelten. Apelles-Kreis in Breslau Der Dichter hatte diese Epigramme bewußt nur für enge Freunde verfaßt, dachte also an keine Verbreitung durch den Druck. So blieben diese Gedichte, die in mehreren Abschriften kursierten, zunächst im Kreise geschlossener, vorwiegend aus Breslauer Ratsfamilien und angesehenen Gelehrten bestehenden kulturell interessierten Gruppen. Ein solcher Kreis hatte sich in Breslau um Apelles von Löwenstern gesammelt. 1594 als Sohn eines Sattlermeisters im oberschlesischen Neustadt geboren, erlebte Matthäus Apelles nach vorübergehendem Schulund Kirchendienst in Leobschütz (Ghibczyce) als Beamter im Fürstentum Oels seit 1625 einen raschen Aufstieg. Herzog Heinrich von Münsterberg-Oels hatte den begabten Dichter und Musiker an seine Residenz Bernstadt (Bierutow) gerufen und ihm nach und nach wichtige Verwaltungsämter übertragen.61 Der von Ferdinand II. schließlich zum Kaiserlichen Rat ernannte und in den Ritterstand erhobene Apelles von Löwenstern komponierte in Bernstadt geistliche Musik und bemühte sich erfolgreich vor allem um die Entwicklung des Kirchenliedes. Seine sich rasch über Schlesien ausbreitenden Dichtungen 60 61
Wulf Segebrecht: Steh, Leser, still!, S. 435f. Vgl. dazu Peter Epstein: Apelles von Löwenstern. Mit einer Neuausgabe der Chöre zu Martin Opitz »Judith«. Breslau 1929; s. auch derselbe: Matthäus Apelles von Löwenstern, ein schlesischer Dichter, Musiker und Gelehrter (15941648). In: ZVGS 62 (1928), S. 1-30.
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mit eigenen Weisen fanden zahlreiche Nachahmer, etwa David Behme, seit 1638 Hofprediger in Bernstadt, oder Daniel Czepko. Nach dem Tode seiner ersten Frau heiratete Apelles die reiche Witwe Barbara von Tarnau und Kühschmaltz und erwarb damit das seinem Rang und Titel entsprechende Vermögen. Als er 1640 seinen Hauptwohnsitz nach Breslau verlegte, entwickelte sich der Dichter, Komponist und Gelehrte, der sich wegen einer ausbrechenden Gicht bald von seinen zahlreichen Ämtern zurückziehen mußte, im Umgang mit gleichgesinnten Freunden zu einem großzügigen Kunstmäzen. Noch 1640 ließ er in der Bernhardinerkirche einen Chor errichten, ein Jahr später stiftete er aus seinem Privatbesitz eine achtzehnstimmige Orgel. Sein geselliger Kreis, in dem weltfrohe Horazsche Lebensfreude dominierte, war ein Hort humanistischer Neigungen, die sich wie ehemals im Rehdiger-Kreis entfalten konnten. Zahlreiche angesehene Breslauer Bürger und Gelehrte kamen im Hause von Apelles zusammen, unter ihnen der Dichter Andreas Tscherning, den der Hausherr großzügig förderte, so daß Tscherning sein ehemals abgebrochenes Studium in Rostock beenden konnte. Zu Beginn des Jahres 1644 schickte der Dichter seinem Gönner aus Rostock ein »New Jahrs-Postilion«,62 das zahlreiche Teilnehmer des Löwenstern-Kreises nennt; unter diesen den Apelles-Schwager und späteren Ratsherrn Daniel von Tarnau, den Breslauer Stadtvogt Paul Neander, den Ratsnotar Matthias Machner und den Mystiker Abraham von Franckenberg. Auch Elias Major und Christoph Köler, die ehemaligen Lehrer Christian Hoffmanns, nahmen an den geselligen Zusammenkünften teil, in denen nach Tschernings Zeugnis oft ein guter Tropfen zum Dichten anregte.63 Zu jenen, die Tscherning nach seinem Weggang in den Briefen an seine Breslauer Freunde grüßen ließ, gehörte auch Christian Hoffmann; der Gruß findet sich in einem Schreiben an Machner vom 11. Dezember 1642.64 Wie eng die Beziehungen der beiden Dichter zueinander waren, läßt sich nicht sagen; sie kannten sich wohl schon aus der gemeinsamen Schulzeit am Breslauer Elisabethgymnasium, 62
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New Jahrs-Postilion An Den WolEdlen/ Gestrengen vnd Hochbenambten Herren Mattheus Apelles Von Löwenstern [...] Vbersendet von Andreas Tscherningen [...] Rostock 1644 (321999); auch abgedruckt bei Hans Heinrich Borcherdt: Andreas Tscherning, S. 67. Worauß ich offtermals mir einen Rausch gesogen; Seit mir der edle Tranck nicht ist in Kopff gezogen/ Da schreib ich nicht so gut/ wie ich vorhin gethan. Deß Ungers edle Kost die steckt Poeten an/ Daß sie voll Geistes sind [...]. Andreas Tscherning: New Jahrs-Postilion, ebenda. Vgl. Hans Heinrich Borcherdt: Andreas Tscherning, S. 67.
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das Tscherning seit 1631 in der Prima besuchte. Christian Hoffmann lernte zu jener Zeit noch im ordo secundus. Als Tscherning aus finanziellen Gründen seine Studien in Rostock abbrechen mußte und 1637 nach Breslau zurückkam, erhielt er auf Empfehlung des Breslauer Advokaten Senftleben und Rektor Majors eine Stelle als Hauslehrer beim Ratsherren Christian Schmidt von Schmiedefeld, zwei Jahre später eine solche Stelle bei der einflußreichen Kaufmanns- und Ratsfamilie Mudrach, und konnte dadurch seine Kontakte zu angesehenen Breslauer Persönlichkeiten ausbauen. Es gibt einen Beleg dafür, daß Tscherning auch den Vater Christian Hoffmanns kannte und schätzte: Wohl um 1640 veröffentlichte er seine »PROPEMPTICA«, ein Huldigungsschreiben für die Söhne des Grafen Krzinezky von Ronow und die Söhne des Ratsherren Schmidt zu deren bevorstehender gemeinsamer Reise.65 Der Gelegenheitsdruck enthält auch ein deutschsprachiges Carmen für Christoph Cervin, der nach Tscherning Hauslehrer bei Schmidt geworden war und nun die adligen Söhne als Hofmeister begleitete. In seinem »Reise-Lied« zählt Tscherning die beabsichtigten Reisestationen auf, nennt Personen, mit denen die Reisenden zusammentreffen werden, etwa die großen Leidener Gelehrten, verweist aber auch auf jene, zu denen Cervin bis dahin Beziehungen pflegte, unter anderem auf Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau und auf Franz Scholtz.66 Zu den im Apelles-Kreis versammelten Gelehrten gehörte - wie schon erwähnt - auch Matthias Machner; das besonders vertraute Verhältnis des Breslauer Ratsnotars zu dem knapp 20 Jahre jüngeren Christian Hoffmann läßt sich aus zahlreichen Briefen herauslesen. 1598 zu Poschwitz im Fürstentum Jauer geboren, bezog Machner 1618 zunächst die Universität Wittenberg, bevor er in Straßburg weiterstu65
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Andreas Tscherning: PROPEMPTICA. (um 1640) (SB Berlin, Sign. Yi 1461 R). Johann Albrecht Krzinezky, Graf zu Ronow, war nach dem böhmischen Aufstand in Ungnade gefallen und starb 1637. Von seinen beiden Söhnen Johann Adam und Johann Albrecht wurde letzterer nach vollbrachten Studien und Reisen Kammerherr am sächsischen Hof und nahm an mehreren Gesandtschaften teil. 1680 kam er an den Brandenburg-Kulmbachischen Hof und wurde oberster Staatsminister bei Christian Ernst. Vgl. zu diesem Grafengeschlecht Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Bd. XXXII, Sp. 772-774. In dem Reise-Lied »An Hn. Christoph Cervin deroselben Hofemeister« heißt es in Strophe 12: Hoffmann liebet dein studiren/ Scholtz hat seine Lust an dir/ Scholtz den Kunst vnd Waffen ziehren/ Zeucht dich vielen ändern für. Wo Jhr beyde reden see t/ Jst ein' Vniversität.
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dierte und dort mit Venator und Moscherosch Freundschaft schloß. Nach längeren Aufenthalten in Tübingen, Jena und Leipzig kehrte er nach Schlesien zurück und wirkte von 1624 bis 1630 als Sekretär in der herzoglichen Regierung zu Schweidnitz und Jauer. Danach wurde er zum Syndikus des Rates von Bunzlau bestellt, 1637 schließlich trat er in Breslauer Dienste. Wie Apelles von Löwenstern war auch Machner kunst- und literaturinteressiert und pflegte einen ausgedehnten Briefwechsel mit Gelehrten innerhalb und außerhalb Deutschlands.67 Die vertrauten Beziehungen, die Machner zu Christian Hoffmann besaß, belegt unter anderem ein Brief vom 11. Februar 1645, der darüber hinaus vor allem deshalb bemerkenswert ist, weil sich hier Christian Hoffmann auch über den tschechischen Gelehrten Johann Amos Comenius äußert. 1631 war dessen lateinisches Sprachlehrbuch »Janua linguarum reserata« erschienen, das im Gegensatz zu der verbreiteten, sich lediglich auf die reine Sprachübung beschränkenden Unterrichtspraxis durch das Nebeneinander von Sach- und Sprachunterricht den enzyklopädischen Bestrebungen jener Zeit entgegenkam. Zwei Jahre später folgte das Sprachlehrwerk »Vestibulum Januae«; beide Lehrbücher wurden mit der Breslauer Schulordnung von 1643 an den städtischen Gymnasien eingeführt.68 1637 hatte Comenius auf Wunsch des Breslauer Rates ein Gutachten über das Studium der lateinischen Sprache geschrieben und darin erstmals seine Anschau67
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S. auch M. Machneri Vitae Epitome conscripta ä Johanne Gebhardo. Breslau 1662; zusammengefaßt mitgeteilt von Georg Wittkowski: Briefe von Opitz und Moscherosch. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 21 (1889), S. 16-38, 163188, hier S. 16f. In der Breslauer Schulordnung von 1643 heißt es dazu: Jn diesen (gemeint ordo secundus - L. N.) vnnd die nachfolgende Ordines, daß numehr weit vnd breit bekante Büchlein J. A. Comenii/ welches Janua Lingvarum reserata aurea, sive seminarium lingvarum et scientiarum genennet wird/ vmb daß in demselben die Namen der dinge/ in einem anmutigen Context zusammen gefasset/ vnd sehr gutte Anleitung förderst die Lateinische Sprache/ zugleich mit dem Grunde der Wissenschafften vnd Künsten zu lernen/ begriffen ist/ introduciret/ vnd allen ändern Vocabulariis vorgezogen/ also zwar/ daß die Janua selbst/ wie die zu Leiptzig Anno 1640. in octavo gedruckt/ in secundo et tertio, das Vestibulum Januae/ wie das in ebenmessigem Jahr zu Dantzig/ vnd in diesem 1643. Jahr zu Leiptzig nachgedruckt/ außgegangen/ in quarto et quinto Ordine (vnd zwar in denen Stunden/ wie die hernach gesetzte tabulae/ darinnen die studia et exercitia Scholastica omnium ordinum, Wöchentlich in gewisse Stunden eingetheilet/ mit mehrerm weisen/) gebraucht werde. Der Kayserlichen vnd Khöniglichen Stadt Breßlaw verbesserte Schul-Ordnung, S. 13f. nach eig. Fol. Beide Lehrbücher des Comenius liegen auch im Neudruck vor, vgl. Johannis Amos Comenii Opera Omnia. 15/ III. Prag 1992. Aus der umfangreichen Comenius-Literatur sei hier nur verwiesen auf den Sammelband: Johann Amos Comenius und die Genese des modernen Europa. Internationales Comenius-Kolloquium Bayreuth 1991. Hg. von Norbert Kotowski und Jan B. Läsek. Fürth 1992.
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ungen über den Sprachuntericht theoretisch begründet.69 Seine berühmte »Didactica magna«, ursprünglich in Tschechisch abgefaßt, bald jedoch in Latein umgearbeitet und vielfach handschriftlich verbreitet, wurde zwar erst 1657 veröffentlicht, war jedoch in ihren Grundzügen schon ab 1633 bekannt. Eine lateinische Abschrift schickte Comenius 1639 auf Anraten von Opitz dem Danziger Eloquenzprofessor Johann Mochinger, der sich intensiv für die Veröffentlichung des Werkes einsetzte.70 Bereits in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts hatte sich Comenius vor dem Hintergrund der Gegenreformation in den böhmischen Ländern pansophischen Ideen zugewandt, die er in der Trias von Wissenschafts-, Bildungs- und Gesellschaftsreform verwirklichen wollte.71 Einen Entwurf des gewaltigen Vorhabens sandte er seinem in England lebenden Freund Samuel Hartlieb, und dieser veröffentlichte 1637 ohne Zustimmung des Verfassers die nur zur privaten Beurteilung gedachte Schrift. Das Echo war zwiespältig; Zustimmung und Zusage zur Mitarbeit erhielt Comenius unter anderem von Hugo Grotius, Johann Mochinger und Johann Kurtzmann in Breslau. 1641 reiste Comenius nach England; das Londoner Parlament wollte ihm ein Colleg mit reichen Einkünften zuweisen, damit er hier mit Gelehrten aus allen Völkern seine pansophische Arbeit fördern könne. Leider wurde das Vorhaben durch die Wirren der englischen Revolution zunichte gemacht. Die einzige von Comenius in England verfaßte Schrift »Via lucis« erschien erst 1668 im Druck. Das ist der Hintergrund für die Äußerungen Christian Hoffmanns über Comenius in seinem Brief an Matthias Machner vom 11. Februar 1645.72 Darin bedauert er aufrichtig, daß der berühmte Gelehrte sein 69 70
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De sermonis Latini studio quadripartite dissertatio didactica ad Vratislavienses. Breslau 1637. Vgl. darüber Leonard Forster: Comenius und Opitz. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 15 (1988), S. 73-77, mit weiteren bibliographischen Hinweisen. Zur Entwicklung der »Pansophia Christiana« des Comenius s. Jan Amos Comenius: Allweisheit. Schriften zur Reform der Wissenschaften, der Bildung und des gesellschaftlichen Lebens. Hg. von Franz Hofmann. Neuwied 1992. Der Brief gilt heute als verschollen; er wird im Folgenden mitgeteilt nach Karl Friebe: Chronologische Untersuchungen, S. 19: S. et O. Characteres, Tui, in me, affectus, Vir Clariss'me, absque mora in sinum, unde egressi, cum gratiarum actione repono. Insigni me, quicquid in hujus libri ambitu reperi, affecit voluptate, et sane sensu careat oportet, ad cujus palatum non sint tarn conditae dapes. Imprimis acceptae mini fuere, de emolumento literarum solliciti Comenii literae, et singulari maerore suffusus ingemisco, tarn docta agitata, supervenientibus in Anglia turbis discussa fuisse, Steganographiae, cujus mentionem facit in suis Celebris didacticus, descriptionem me impetraturum confido. Proxima enim Lunae die, ad amicum Gedanensem, et olim
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Vorhaben in England nicht durchführen konnte, und gibt Auskunft über seine Bemühungen, über Comenius weiterhin unterrichtet zu werden. Vor allem möchte er dessen in England verfaßte und durch die Revolutionswirren zurückgehaltene Schriften kennenlernen. Der hier als Vermittler genannte Danziger Freund und einstige Reisegefährte dürfte vielleicht Friedrich Heinrichsson sein, mit dem Christian Hoff mann 1638 in Leiden zusammen studierte und wohnte. Der Brief ist somit auch ein weiterer Beleg für die tolerante Atmosphäre im Breslauer Apelles-Kreis, in dem aktuelle politische, philosophische und religiöse Entwicklungen wie zum Beispiel die pansophischen Ideen von Comenius offen und ohne dogmatische Beschwernisse diskutiert werden konnten.73 Von diesem Kreis gingen Impulse geistiger Vermittlung zwischen schlesischen Gelehrten und Dichtern und Autoren außerhalb Schlesiens aus, wofür der umfangreiche Briefwechsel Apelles von Löwensterns zahlreiche Belege bietet.74 Johann Peter Titz, der Verbindungen mit den Königsberger Dichtern unterhielt, schickte aus Danzig Werke Christoph Kaldenbachs, der 1639 als Konrektor der Königsberger Altstädtischen Lateinschule berufen worden war und in den folgenden Jahren eine umfangreiche kasualpoetische Produktion entfaltete. Titz selbst veröffentlichte 1642 eine an Opitz orientierte Poetik und gab 1643/45 zwei Bücher mit Übersetzungen von Epigrammen John Owens heraus.75 Der Nürnberger Harsdörffer suchte 1643 über
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itineris socium, hujus rei causa scribam, qui desiderio nostro, ut spero, non deerit. Etsi forte Gedani venalis non reperiatur, aut Anglia ipsa, prohibento bello, artis delineationem nobis suppeditare non poterit, facile exemplum (sie!), quod in Insula ipsa me praesente, amicus coemit, nobis mittet, ut hie describi, aut in vernaculam linguam verti possit. Vale, et Hofmanni nomen amicorum catalogo inseras, obnixe rogo. Tuus Dataed 11. Febr. A° 1645. ad nutum Christianus Hofman. Christian Hoffmann spricht in diesem Zusammenhang von »Steganographia« (Geheimschrift). Immerhin war »Pansophia« in der zeitgenössischen Geisteswelt ein verbreiteter Begriff, der oft mit Rosenkreuzertum, Alchimie, Kabbala oder geheimen Künsten in Verbindung gebracht wurde, so daß Äußerungen pansophischer Gedanken lebensgefährliche Folgen haben konnten. Zahlreiche Pansophen verstanden sich nicht nur als Wegbereiter eines neuen Denkens, sondern wollten ein neues, von den Übeln des Alten befreites Zeitalter errichten. Vielfach in Sozietäten und geheimen Gesellschaften zusammengeschlossen, pflegten sie einen regen Gedankenaustausch, verschleierten ihre inkonformen Vorstellungen jedoch oft durch Mystifikationen und Chiffren, vgl. dazu Franz Hofmann in: Jan Amos Comenius: Allweisheit, S. 17f. Vgl. zum folgenden Peter Epstein: Apelles von Löwenstern, S. 23ff. Johann Peter Titzens Zwey Bücher Von der Kunst Hochdeutsche Verse und Lieder zu machen [...] Danzig 1642; FLORILEGII OVVENIANI CENTURIA, col-
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Apelles den Kontakt zu Tscherning und ließ diesem über den Mäzen den vierten Teil seiner »Frauenzimmer Gesprächspiele« zukommen. Apelles war es auch, der Harsdörffers Ideen an Czepko vermittelte. An den Gesprächen und dem geselligen Treiben im Apelles-Kreis nahm auch Christian Hoffmann teil, wie die Tagebuchnotizen Rektor Majors belegen, so etwa jene vom 2. Januar 1648, wo in fröhlicher Runde lateinische und deutsche Poesie gepflegt wurde.76 Hier konnte Christian Hoffmann seine Dichtungen vortragen und lebhaftes Interesse dafür erwarten. In ihren Briefen informierten sich die Gelehrten gegenseitig über literarische Neuerscheinungen, sparten auch nicht mit Kritik, die sich unter anderem gegen Rist und Zesen richtete.77 Bereits 1634 hatte Rist seine Jugendgedichte in der »Musa Teutonica« gesammelt und herausgegeben; 1637 und 1640 waren sie erneut erschienen. Seit 1641 veröffentlichte er seine »Himlischen Lieder«, geistliche Lyrik, der von Apelles als bekanntem Kirchenlieddichter besonderes, aber nicht zustimmendes Interesse entgegengebracht wurde. Das hing vor allem von der Antwort auf die Frage ab, ob auch die geistliche Dichtung wie die weltliche einer Reform bedürfe; eine Frage, die im Zusammenhang mit den »Geistlichen Oden« Hoffmannswaldaus in unserer Untersuchung eine Rolle spielt.
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ligente Versibus Germanicis exprimente JOH. PETRO TITIO. Danzig 1643; FLORILEGII OVVENIANI CENTURIA ALTERA, colligente, Versibusque Germanicis exprimente JOH. PETRO TITIO. Danzig 1645. (1648, ZJanuar) Apud Dn. Apellem, praesentibus, Dn. N. Kromeiero, Dn. Henrico Brusky, Dn. Christiane Hofmanno, Dn. Daniele a Tarnaw Senatoribus: item Dn. M. Georgio Seidelio, ipsiusque uxore, ut et uxore Dn. Dan. Isleri, Dn. Samuele Kinnero, et Dn. Johanne Burckardo coenabam. Inter alia fercula etiam cancri appositi, quibus ea parte, qua cauda committitur, testa capitis, insertum distichon cancrium, hoc quod sequitur, quod materiam ridendi praebuit: Cancer. Martis acinacibus nunc est oppressa Camena, Ducit ad insolitas nostrum Epigramma vias. Harpyiis oppugnatis revocetur Apollo, Quae venam impediit noxia turba abeat. R 2347; das Distichon ist aus einem Druck herausgeschnitten und hier eingeklebt worden. Durch die Tagebuchnotizen Rektor Majors ist Christian Hoffmanns Teilnahme an den Zusammenkünften bei Apelles von Löwenstern seit dem 7. Oktober 1647 belegt. Als Apelles eine Schrift Rists an den ehemaligen Hauslehrer beim Breslauer Patrizier David von Haunold und Pfarrer in Lossen, Christoph Freytag, seit 1648 Stadtpfarrer zu Oels, sandte, antwortete ihm dieser: »Remitto Tibi Vir Magnifice [...] Ristii nugas Pasquino adscriptas, sed illis Domini verbis damnatas: Beati mites, quoniam possidebunt terram.« Peter Epstein: Apelles von Löwenstern, S. 28.
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»Geistliche Oden« 1624 hatte Opitz in der an Herzog Georg Rudolf zu Liegnitz und Wohlau gerichteten Widmung seiner »Sonntagsepisteln« geschrieben, daß die Pracht der Rede (»der Zungen schöner Klang«) nicht in eine Dichtung gehöre, die es mit geistlichen Gegenständen zu tun habe. Diese Auffassung bestätigte er dann in seiner Psalterparaphrase von 1637 in gewisser Weise, wenn er die Verwendung metaphorischer Ausdrücke und schmückender Beiwörter nur da in den geistlichen Dichtungen erlaubte, wo nicht die eigentliche geistliche Substanz berührt werde. Für ihn und besonders für Johann Herrmann, der sich in seinen geistlichen Liedern um die Reinheit der Sprache bemühte und schmückende Beiwörter sowie kühne Metaphern vermied, war Andacht nur bei Verzicht auf Wortschmuck möglich.78 Rist dagegen trat nicht mehr mit der gleichen Entschiedenheit für die Sonderstellung der geistlichen Dichtung ein. Seine für die private Hausandacht geschriebenen »Himlischen Lieder« sind mit ihrer schmückenden Rede Beleg dafür, daß sich die geistliche Lyrik mehr und mehr der gleichen Sprachformen bediente wie die weltliche barocke Kunstdichtung. Als 1636 Andreas Gryphius seine »Thränen über das Leiden JESU Christi« (19 auf bekannte Melodien gedichtete Lieder, die erst 1652 herausgegeben wurden) in einer schlichten, von der Melodie bestimmten Sprache verfaßte, entschuldigte er sich beim Leser, der nun auch in geistlichen Gedichten »poetische Erfindungen oder Farben« erwarte, und distanzierte sich von der Meinung, [...] die alle Blumen der Wolredenheit vnd Schmuck der Dichtkunst auß Gottes Kirche bannet/ angesehen die Psalmen selbst nichts anders als Gedichte derer etliche Übermassen hoch vnd mit den schönesten Arten zu reden/ die himmlischen Geheimnüß ausdrucken.79
Schon ein Jahr später dichtete er seine 1639 erschienenen »Son- undt Feyrtags Sonnete«, die als geistliche Lyrik der Andacht und Erbauung des Einzelnen dienen sollten, mit der sich rhetorischer Schmuck sehr wohl vertrage. 1644 veröffentlichte Apelles von Löwenstern, der sich besonders in seiner Bernstädter Zeit um die Entwicklung des geistlichen Liedes verdient gemacht hatte,80 seine geistlichen Oden unter dem Titel 78
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S. dazu bereits Carl-Alfred Zell: Untersuchungen zum Problem der geistlichen Barocklyrik mit besonderer Berücksichtigung der Dichtung Johann Herrmanns (1585-1647). Heidelberg 1971, S. 79ff. Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. von Marian Szyrocki und Hugh Powell. Bd. 2: Oden und Epigramme. Hg. von Marian Szyrocki. Tübingen 1964, S. 98. Vgl. zu seinem Musikschaffen bes. Hugo Steinitz: Über das Leben und die
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»Früelings Mayen«. Als einer der ersten deutschen Dichter jener Zeit beschäftigte er sich mit der sapphischen und alkäischen Strophe im Deutschen, um auch antike Versmaße für das geistliche Lied zu erschließen.81 Dabei zeichnete sich die Sprache seiner Lieder durch einfache Gestaltung aus. Im Nachwort zur Ausgabe seiner geistlichen Oden sagte Apelles selbst: Wer einen hohen Geist/ vnnd prächtige Art der Rede suchet/ der wird solches hier nicht finden [...];
seiner Meinung nach müßten geistliche Dinge so geschrieben werden, daß Gelehrte und Ungelehrte sie verstehen.82 Aus heutiger Sicht ist das Kirchenlied als liturgisches, tatsächlich im Gottesdienst gesungenes Lied (meist anonymer Herkunft) mit verkündigendem und belehrendem Charakter von jenen geistlichen Liedern zu unterscheiden, die vor allem der privaten Erbauung dienen.83 Allerdings läßt sich das Kirchenlied vom geistlichen Lied gattungsmäßig nicht reinlich trennen und eine zu wenig differenzierte Erfassung ihrer Erscheinungsformen wird der liedhaften geistlichen Dichtung des 17. Jahrhunderts nicht gerecht. Denn die Frage nach einer einheitlichen Gattung des Kirchenliedes ist tatsächlich eine Frage nach der Rezeption des geistlichen Liedes als einer Textgruppe, aus der ein Teil als Kirchenlied rezipiert und später auch wieder ausgeschieden wird.84 Die meisten der im 17. Jahrhundert entstandenen religiösen
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Kompositionen des Matthäus Apelles von Löwenstern. Rostock 1892; s. auch Lothar Hoffmann-Erbrecht: Musikgeschichte Schlesiens. Dülmen 1986, S. 74. Vgl. dazu schon das Urteil von Karl Victor: Geschichte der deutschen Ode. München 1923, S. 68: »Nur zwei Dichter (Johann Heermann und Apelles) suchten damals klassizistische Formen wie den deutschen Sapphicus in das Kirchenlied hinüberzuretten.« Peter Epstein: Apelles von Löwenstern, S. 12. Vgl. Irmgart Scheitler: Das Geistliche Lied im deutschen Barock. Berlin 1982; dieselbe: Geistliches Lied. In: Literaturlexikon. Bd. 13: Begriffe, Realien, Methoden. Hg. von Volker Meid. Gütersloh/München 1992, S. 348-351; dieselbe: Kirchenlied, Gesangbuch. In: ebenda, S. 477-483. Vgl. dazu grundsätzlich Hans-Henrik Krummacher: Probleme des geistlichen Liedes und seiner Poetik im 17. Jh. Zur Kritik des Buches von Irmgard Scheitler. In: IASL 12 (1987), S. 273-295, hier S. 281. Vgl. derselbe: Der junge Gryphius und die Tradition. Studien zu den Perikopensonetten und Passionsliedern. München 1976, S. 393-434. In der neueren Forschung wurde das geistliche Lied terminologisch geschieden in ein »kirchenorientiertes« geistliches Lied, das auf tatsächliche religiöse Ausübung, auch im Rahmen bereits liturgisch strukturierter Hausandachten oder individueller Betstunden, ziele und dem ein auf das »movere« bedachter »einfacher Stil« theologischer Erbauung eigen sei, und in ein »poesiebestimmtes« geistliches Lied als inhaltlich und stilistisch anspruchsvolle »Leselyrik« und »Kunstpoesie«, in welche die gelehrthumanistische Dichtungstradition einfließe. S. Hans-Georg Kemper: Das lutherische Kirchenlied in der Krisen-Zeit des frühen 17. Jhs. In: Das protestantische Kirchenlied im 16. und 17. Jh. Hg. von Alfred Dürr und Walter Killy. Wiesba-
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Lieder waren für die private Frömmigkeitsübung gedacht. Liedhaft geistliche Dichtung war vor allem Andachtsdichtung in Form von Hausliedern, Privatliedern und Andachtsliedern, die für die private religiöse Ausübung des Einzelnen, seiner Hausgemeinschaft sowie seines Freundeskreises verfaßt und bei Verrichtung tageszeitlicher Andachten und Betstunden, bei Bußübungen, Beichte und Notsituationen aller Art verwendet wurden. Von diesen wiederum eigneten sich einige ebenso zur Benutzung in der Gemeinde wie zur häuslichen Andacht, so daß sie in zeitgenössische Kirchengesangbücher Aufnahme fanden. Vor diesem Hintergrund sind auch Christian Hoffmanns »Geistliche Oden« zu sehen, deren handschriftliche Überlieferung jedoch keinen Hinweis auf ihre konkrete Abfassungszeit gibt, ausgenommen die 1675 verfaßte Ode »Auf Hertzog George Wilhelms, letzten LignitzBrigischen Fürstens Ableben«.85 Die ältere Hoffmannswaldau-Forschung hat in ihrem Bemühen, aus dem engen Kontakt, den Christian Hoffmann mit Martin Opitz in Danzig pflegte, Einflüsse des großen Dichters auf den damaligen Danziger Schüler auszumachen, diese am ehesten in mehreren geistlichen Oden gesehen, und zwar durch den von Opitz »vorgebildeten einfachen Liedton«, und demzufolge die Abfassungszeit einiger Oden noch vor das Jahr 1640 datiert.86 Zu diesen gehöre auch die mit »Morgen-Lied« überschriebene Ode »Das Licht so sich verborgen«, die Christian Hoffmann auf die im 15. Jahrhundert entstandene Weise »O Welt, ich muß dich lassen« (nach »Innsbruck, ich muß dich lassen«) dichtete: Das Licht so sich verborgen Macht itzt den neuen Morgen Es sinckt die trübe Nacht. Die blaßen Sterne weichen, Der Monde will verbleichen, Undt ich bin auffgewacht. [...] Herr, laß mit reinem Hertzen Mich schauen diese Kertzen Die Erd' undt Himmel ziert. Den Nebel meiner Sünden Laß für den Strahl verschwinden, Den du hast auffgeführt.
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den 1986, S. 87-108, bes. S. 91f. Eine solche Einteilung birgt jedoch die Gefahr einer allzu schematisch gehandhabten Stilzuweisung in sich. Die meisten geistlichen Oden enthält die Handschrift M 216, nach der im Folgenden zitiert wird. Arthur Hübscher: Die Dichter der Neukirchschen Sammlung, S. 283; derselbe: Neue Untersuchungen, S. 196.
155 Verschleuß des Geistes Schrancken, Vor nichtigen Gedancken, Für Dornen böser Lust, Für Distelin vieler Plagen, Die gute Krauter jagen Auß der verwahrten Brust. 87
Immerhin wurden ja mehrere Kirchenliedtexte auf diese bekannte Melodie verfaßt, unter anderem Paul Flemings berühmtes Lied »In allen meinen Taten«. Während jedoch Flemings Lied durch seine einfache sprachliche Gestaltung in die evangelischen Kirchengesangbücher eingeflossen ist und dort seit Jahrhunderten überdauert hat, wird Christian Hoffmanns »Morgen-Lied«, das nach Erscheinen der offiziellen Werkausgabe des Dichters ebenfalls Aufnahme in zeitgenössische Gesangbücher gefunden hat, durch einen dominanten Wortschmuck charakterisiert, der auch für andere geistliche Oden Hoffmannswaldaus typisch ist. Dies führte jedoch dazu, daß diese geistlichen Lieder als Kirchenlied keinen Bestand hatten und aus den Gesangbüchern wieder herausgenommen wurden. Es ist also keineswegs zutreffend, hier von einem von Opitz »vorgebildeten einfachen Liedton« zu sprechen, der als Kriterium für die Datierung einiger geistlicher Oden Christian Hoffmanns schon während seines Danziger Aufenthaltes geeignet wäre. Auch wenn heutige Kirchengesangbücher keine geistlichen Lieder Christian Hoffmanns aufweisen, so zählte Hoffmannswaldau vierzig Jahre nach seinem Tod zu den »berühmten Liederdichtern«, der mit zehn seiner geistlichen Oden und Lieder »im Breßlauischen/ Naumburgischen und ändern Gesangbüchern« enthalten war.88 In späteren Auflagen der offiziellen Werkausgabe des Dichters, zuerst in der Ausgabe von 1704, wurden nicht nur den »Geistlichen Oden«, sondern auch einigen »Vermischten Gedichten« Noten beigegeben, nach denen sie gesungen werden konnten. Eines dieser Gedichte, nämlich das in der Werkausgabe mit dem Lemma »Ermahnung zur Vergnügung« aufgeschriebene geistliche Lied »Ach was wolt ihr trüben Sinnen Doch beginnen!« hat Johann Anastasius Freylinghausen als »Lied von der Geduld in 7 Str.« in sein Gesangbuch von 1714 aufgenommen.89 S7 x8
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Zitiert nach Handschrift M 216, S. 284-286. Von den insgesamt neun Strophen sind hier die 1., 4. und 6. Strophe wiedergegeben. Johann Caspar Wetzel: Historische Lebensbeschreibung der berühmten Liederdichter, Bd. l, 1719 (Deutscher Biographischer Index, Mikrofiche 557, S. 109); so auch Gottfried Lebrecht Richter: Allgemeines Biographisches Lexikon alter und neuer geistlicher Liederdichter. Leipzig 1804, S. 142, mit Verweis auf eine Ausgabe der »Geistlichen Oden« von 1689. A. F. W. Fischer: Kirchenlieder-Lexikon. Bd. 1. Gotha 1878 (Nachdruck Hildesheim 1967), S. 27, mit Verweis auf Johann Anastasius Freylinghausen: Neues Geistreiches Gesang=Buch, auserlesene, so Alte als Neue, geistliche und lieb-
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Dies ist zugleich ein Beleg dafür, daß unter dem Einfluß des Pietismus die überkommenen liturgischen Formen mehr und mehr aufgelöst wurden. Der weitaus größte Teil des religiösen Liedschaffens im 17. Jahrhundert war ja für den Hausgebrauch bestimmt und auf ihn beschränkt, auch weil »[...] das Korpus der Kirchenlieder, d.h. der tatsächlich im Gottesdienst gesungenen Lieder, relativ konstant blieb, ja von den Zeitgenossen fast als sakrosankt betrachtet wurde«.90 Daß erst in neuerer Zeit auch bekannte Kirchenlieddichter eine differenziertere Bewertung erfahren, mag beiläufig ein Blick auf Paul Gerhardt, einen der bedeutendsten protestantischen Liederdichter nach Luther, belegen. Lange galten seine Verse als einfache Dichtung von anspruchsloser Schlichtheit, was vor allem jenen geistlichen Liedern wie dem Morgenlied »Wach auf mein Herz und singe«, dem Abendlied »Nun ruhen alle Wälder« oder dem Osterlied »Auf, auf, mein Herz mit Freuden« zu verdanken war, die sich - neben anderen - bis heute im gottesdienstlichen Gebrauch gehalten haben. Doch Gerhardt hat insgesamt 134 deutsche Lieder und PsalmenNachdichtungen verfaßt. Erst jetzt wurden das tradierte Bild korrigiert, der rhetorische Charakter und die formale Kunstfertigkeit seiner Gedichte aufgezeigt.91 Christian Hoffmann hat seine geistlichen Oden als Andachtslieder zur Erbauung des Einzelnen geschrieben, um mit den ihm eigenen rhetorischen und poetischen Mitteln im Stil seiner Zeit dem Leser die Heilsgewißheit nahezubringen. Ihr vordergründiger Wortschmuck, wie zum Beispiel metaphorische Verknüpfungen und emblematisches Bilddenken, zeigt sich deutlich in der geistlichen Ode »Der schwartze Flügel trüber Nacht«: Der schwartze Flügel trüber Nacht Will alles überdecken, Doch dieß, was Gottes Finger macht, Bringt mir geringen Schrecken.
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liehe Lieder [...] Halle 1714; in der Werkausgabe Hoffmannswaldaus hat das Gedicht neun Strophen. Nach Fischer war es auch im Halberstädter Gesangbuch von 1699 und im Berliner Gesangbuch von 1704 enthalten. Irmgart Scheitler: Das Geistliche Lied im deutschen Barock, S. 86f. Jörg-Ulrich Fechner: Paul Gerhardt. In: Gestalten der Kirchengeschichte. Hg. von Martin Greschat. Bd. 7: Orthodoxie und Pietismus. Stuttgart 1982, S. 177190; vor allem Rainer Hillenbrand: Paul Gerhardts deutsche Gedichte. Rhetorische und poetische Gestaltungsmittel zwischen traditioneller Gattungsbindung und barocker Modernität. Frankfurt a.M. 1992, der S. 119-135 schlüssig nachgewiesen hat, daß Gerhardts geistliche Lieder hinsichtlich der Gattungsanforderungen des protestantischen Kirchenliedes in starkem Maße von August Buchner beeinflußt wurden.
157 Es ist der auffboth zu der Ruh, Der Abtritt vieler Sorgen, Und gar in einen kurtzen Nu Erscheint ein neuer Morgen. Mein JESU bleib mein klares Licht, Entzündt' in meinen Hertzen, Wenn mir der Sonnen glantz gebricht Der Andacht reine Kertzen. 92
Durch ihre rhetorischen Ziermittel des Sprachstils, den »Schmuck der Rede«, gehören Christian Hoffmanns »Geistliche Oden« in eine Reihe mit der »Hohelied«-Paraphrase von Martin Opitz, den Psalmendichtungen Georg Rudolf Weckherlins oder den »Oden«-Büchern von Andreas Gryphius. Sie sind ganz Ausdruck der barocken Verskunst und unterscheiden sich insofern auch nicht vom Dichtungsstil Hoffmannswaldaus in seinen weltlichen Gedichten.93 Das hängt vor allem damit zusammen, daß die religiöse Lyrik in einem langen Umformungsprozeß gegenüber profanen Themen ihre Dominanz verlor und in der barocken Lyrik gleichsam zu einem Sonderbereich neben anderen wird. Geistesschärfe des Dichters, die Freiheit seiner Phantasie werden aufgewertet und können sowohl an sakralen als auch an profanen Gegenständen produktiv werden.94 Die Zeitgenossen hatten allerdings Erklärungsbedarf bei einer zu »verweltlichten« Darstellung geistlicher Dichtung. So mußte sich Opitz in der Vorrede zu seiner Hohelied-Paraphrase, die er ganz im Sinne der Tradition allegorisch verstanden wissen wollte, dafür entschuldigen, daß in dieser geistlichen Dichtung vieles »zu buhlerhafftig vnd weltlich« schien: Wil jemand vermeinen/ eine vnd andere rede sey etwas zu buhlerhafftig vnd weltlich/ der erwege daß hiesige Lieder nichts sind als eine Historic der alierkeuschesten Liebe/ die Salomon/ nach ablegung der verführerischen üppigen Begierden (wie gelehrte Theologen darfür halten) zu bezeugung seiner Busse auß Göttlicher regung dermassen herauß streichet/ daß seine zierliche Worte so weit vber andere gehen/ so weit zeitliche Wollust von der Himmlischen vbertroffen wird. Er erwege/ daß die Poeterey so wenig ohn färben/ als wenig der Frühling ohn Blumen sein soll. Wie er dann/ als der von einem ändern Geiste weder die Heidnischen Poeten angeblasen wirdt/ an diesem Orte alle ziehr/ art vnd eigenschafft der Eclogen oder hirtengetichte begrieffen hat.95 92 93 94
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M 216, S. 620f.; die Ode, in der offiziellen Werkausgabe mit dem Lemma »Abend=Lied« versehen, umfaßt insgesamt 11 Strophen. S. Carl-Alfred Zell: Untersuchungen zum Problem der geistlichen Barocklyrik, S. 243, mit einem Vergleich zahlreicher Strophenanfänge. Vgl. Ulrich Schulz-Buschhaus: Barocke »Rime sacre« und konzeptistische Gattungsnivellierung. In: Die religiöse Literatur des 17. Jhs. in der Romania. Hg. von Karl-Hermann Körner und Hans Mattauch. München 1981, S. 179-190, hier S. 186f. Martin Opitz: Salomons Des Hebreischen Königes Hohes Liedt; Vom Martin Opitz in deutsche Gesänge gebracht. Breslau 1627. In: derselbe: Gesammelte
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Opitz bekennt sich hier eindeutig zur kunstvollen geistlichen Dichtung, zur Notwendigkeit der »poetischen Farben«; für ihn steht der geistliche Charakter des Hohenliedes außer Frage: Aber es ist so gar kein zweiffei/ es müsse hierdurch viel eine heiligere vnd höhere Liebe verstanden werden/ [...] Es sind freylich Flammen hier; aber von solchem Fewer mit dem die Seraphim brennen/ vom Fewer durch welches die frommen Seelen wie Elias zu Himmel geführet werden/ daß die Zungen der Botten Gottes am heiligen Pfingsttage erfüllet/ vnd zu allen Zeiten der gläubigen Gemüter erwärmet hat. Die Braut ist ein Hertze das GOtt liebet [.. .].96
Poetische Geschichtrede »Die Erleuchte Maria Magdalena« Ein sehr gutes Beispiel dafür, daß im lyrischen Werk Christian Hoffmanns das eigentlich Religiöse des Themas auf weiten Strecken verlorengeht, ist die erste seiner insgesamt fünf poetischen Geschichtreden, nämlich »Die Erleuchte Maria Magdalena«. Daß der Dichter sie wohl 1643 verfaßte, ergibt sich aus dem folgenden Passus in der Zuschrift: Geehrter Herr Bruder: Die erlauchte Maria Magdalena, so mir in meiner bekandten einsamkeit nicht vnannehmliche gesellschafft geleistet, ist nunmehro, wie ich hoffen wil, also beschaffen, daß sie sich sehen laßen darff, und ohne ärgerniß in der weit leben kan [...].97
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Werke. Bd. IV, 1. Teil. Stuttgart 1989, S. 8-39, hier S. 15f. An der HoheliedParaphrase arbeitete Opitz im Jahre 1626; in der Ausgabe der »Geistlichen Poemata« von 1638 heißt es im Titel »in Reime gebracht«. Ebenda, S. 13-15; vgl. zu Opitz' Hohelied-Paraphrase auch Irmgard Scheitler: Das Geistliche Lied im deutschen Barock. Berlin 1982, S. 180-191. Die Zuschrift ist enthalten in der Handschrift Ms. germ. fol. 768, hier zitiert S. 190. Die in der Staatsbibliothek Berlin aufbewahrte Handschrift ist die Abschrift eines anderen Schreibers; das hier in der Vorrede angegebene Datum (3. Juni 1672) ist mit Sicherheit nicht jenes, an dem Hoffmannswaldau diese poetische Geschichtrede abgeschlossen hatte. Schon in der Zuschrift zu seinen »Poetischen Grab-Schriften« hatte der Dichter eine Zeit der Einsamkeit erwähnt: Die Einsamkeit/ welche ich mir vergangenen Frühling/ mehr als wohl billich belieben lassen/ und nicht unfüglich ein Begräbnüs der Lebendigen mag genennet werden/ hat meinem Gemüthe ich weis nicht was vor eine Regung eingeblasen/ etwas in allerhand/ doch mehrentheils fantastischen Grabschrifften zu versuchen. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Poetische Grab-Schriften (Vorrede), S. 2 nach eig. Fol. Der erneute Bezug dürfte die ungefähr gleichzeitige Abfassung der Grabschriftenepigramme und dieser poetischen Geschichtrede nahelegen. Überliefert ist »Maria Magdalena« auch in den Handschriften R 831 (ÜB Wroclaw), R 2890 (ÜB Wroclaw) und M 216; da letztere den verläßlichsten Text bietet, wird nach ihr zitiert. Die poetische Geschichtrede ist in M 216 auf S. 247-265 aufgezeichnet.
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Bereits seit dem Mittelalter hatte Maria Magdalena zunehmend dichterischen Ausdruck gefunden. Das mag mit den verschiedenen biblischen Rollen zusammenhängen, die diese Gestalt in sich vereinte. Während in der Frühzeit der mittelalterlichen Lyrik Maria Magdalena hauptsächlich als Zeugin (testis) für den auferstandenen Christus und später vor allem als Künderin (nuntia) fungierte, galt sie seit dem 13. Jahrhundert zunehmend als Beispiel (exemplum) für die compassio und Heilserwartung des sündigen Menschen.98 Die meisten der spätmittelalterlichen Magdalenengedichte handeln von der großen Sünderin, die bereut und von Christus erlöst wird - Sündhaftigkeit und Bekehrung sind ihre entscheidenden Attribute. Lobend werden Reue, Bekehrung und Errettung der Maria Magdalena dargestellt, wie etwa in dem aus dem 16. Jahrhundert stammenden Hymnus »Mundi secuta lubrica« von Georg Fabricius, den Ambrosius Lobwasser unter dem Titel »Magdalena, die Sünderin« ins Deutsche übertrug." In diese Traditionslinie reihte sich auch Christian Hoffmann ein, der in der Vorrede zu seinem lyrischen Monolog schrieb: Der Herr bruder wende eine halbe vierthelstunde an sie zu betrachten, und richte sonder schwer, ob sie jtzunder nicht so auffrichtig gebüßet, als vor diesem geküßet, und sich izt so ayffrig betrübet, alß sie verwichne zeit geliebet hatte.
Außerdem kann auf Gian Battista Marino verwiesen werden. 1602 erschienen seine »Rime« in zwei Bänden, 1614 folgte ein dritter Teil unter dem Titel »La lira« (den neuen Namen trug bereits die Neuauflage der »Rime« von 1608). Die drei Teile der Sammlung vereinigten mehr als 1000 Sonette, Madrigale, Kanzonen, Kanzonetten und andere, vorwiegend kurzstrophige Formen.100 Unter diesen befindet sich eine Serie von elf Madrigalen über das Motiv der »Maddalena ai piedi di Christo«. In einem Madrigal zum Beispiel, das veranschaulichen soll, wie sich Haar und Tränen der reuigen Sünderin über die Füße Christi ergießen, ist der Ausgangspunkt zwar religiöser Natur; doch Marino verwandelt Haare und Tränen in die concettistische Metapher vom Gold- und Silberregen, wobei in der Durchführung des Madrigals das Religiöse des Themas fast vollständig verloren geht.101 98 99
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Vgl. dazu Wiltrud aus der Fünten: Maria Magdalena in der Lyrik des Mittelalters. Düsseldorf 1966, bes. S. 166ff. Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zum Anfang des 17. Jhs. 5 Bde. Hg. von Philipp Wackernagel. Leipzig 1864/77; hier Bd. I, Nr. 518; Bd. IV, Nr. 1277. Vgl. über Marinos lyrische Sammlung Reinhard Klesczewski: >Les Blasons du corps feminin< und die Liebeslyrik Giovan Battista Marinos. In: Italienischeuropäische Kulturbeziehungen im Zeitalter des Barock, S. 253-266, mit weiteren Literaturangaben. Giam Battista Marino: Poesie Varie. A cura di Benedetto Croce. Bari 1913,
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Christian Hoffmanns poetische Geschichtrede »Die Erleuchte Maria Magdalena« besteht aus 51 Alexandrinerstrophen zu je sechs Versen im Reimschema aab ccb. Der lyrische Monolog, der zu der im 17. Jahrhundert weit verbreiteten Bußdichtung zählt, setzt ein mit einer Klage Maria Magdalenas, die die Angst um das Seelenheil der Sünderin verdeutlichen soll.102 In der dritten und vierten Strophe erhält dann vor dem Hintergrund des Vanitas-Gedankens das individuelle Schicksal durch den unmittelbaren Bezug auf die irdische Eitelkeit allgemeine Bedeutung: So weicht der falsche Grund der irrdischen Gedancken, Wie leichtlich schauet man der Menschen Circul wancken? Wie leichtlich wird der Zorn der Freundschafft beygesetzt? Offt hat das Morgen Licht dis, was die Nacht begehret, Offt hat ein Augenblick den gantzen Satz verkehret, Und was mich ietzt betrübt, hat gestern mich ergötzt. Dis macht die Eitelkeit, der allgemeine Götze, Wer lebt nicht unterthan dem knechtischen Gesetze? Wie ehrt die weite Welt was diese Zunge spricht? Hier liegt der schnöde Leib, der manchen Mensch betrogen, Der kräfftige Magnet der Fleisch und Blut gesogen, Der Hencker der den Witz in schertzen hingericht. (V. 13-24)
Deutlich wird zunächst: Maria Magdalena soll auch für den Menschen des 17. Jahrhunderts als bereuende und dadurch errettete Sünderin fungieren, die ihm als tröstliches exemplum in einer sündhaften Welt dienen kann. In Erkenntnis ihrer Sünden bekennt sie ihre Verfehlungen, sagt sich von den Versuchungen der irdischen Welt los und erlangt so die erhoffte Vergebung. Bezeichnend für Hoffmannswaldau ist es nun, daß er das metaphernreiche Spiel mit den Wörtern und Sätzen (die »kunstreichen Erfindungen«) von den Italienern übernimmt und für seine Zwecke anwendet, so daß - ähnlich wie bei Marino - der religiöse Grundgehalt des Gedichts auf weiten Strecken verlorengeht.103
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S. 371. Vgl. auch Hedwig Geibel: Der Einfluß Marinos auf Christian Hofmann von Hofmannswaldau. Gießen 1938, S. 47; hier wird das Madrigal als eines der zahlreichen Beispiele für Marinos Vorbildwirkung auf Hoffmannswaldau zitiert. Über Marinos Gedichtsammlung s. außerdem Joachim Schulze: Formale Themen in Gian Battista Marinos >Lira7
Hoffmannswaldaus weltliche Lieder und poetische Episteln Hoffmannswaldau verfaßte die meisten seiner Gedichte in den vierziger und fünziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Diese zeitliche Zuordnung gilt auch für seine zahlreichen erotischen Gedichte, vor allem für die weltlichen Lieder und poetischen Episteln, die der Dichter jedoch wie auch die anderen von ihm verfaßten »Lust-Getichte« vom beabsichtigten Druck seiner Werke ausschloß, um »[...] zu ungleichem Urtheil nicht anlaß zugeben«.108 Diese der breiten Öffentlichkeit vorerst entzogenen Verse wurden 1695 beziehungsweise 1697 durch Benjamin Neukirch weitläufig bekanntgemacht und haben in der Folge zahlreiche, diese Liebesgedichte jedoch meist stark vergröbernde Nachahmer hervorgebracht. Wie fast alle Gedichte Hoffmannswaldaus gelangten auch seine weltlichen Lieder und poetischen Episteln zunächst handschriftlich in Umlauf, indem seine Freunde die meist beifällig aufgenommenen »poetischen Kleinigkeiten« abschrieben und kursieren ließen. Die handschriftlichen Zirkulare trugen somit neben den öffentlichen Druckerzeugnissen zum geselligen Leben innerhalb der relativ geschlossenen und vorwiegend aus städtischen Patrizier- und Gelehrtenschichten bestehenden Gruppen bei, und zwar nicht unbeträchtlich, wie es uns die reichen Handschriftenbestände mancher Bibliotheken heute recht anschaulich beweisen.109 Unter Hoffmannswaldaus weltlichen Liedern, die in der Neukirchschen Sammlung zumeist in der Rubrik »Verliebte Arien« zu finden 107
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ANDREAE GRYPHII Trauer-Spiele auch Oden und Sonnette [...] Leipzig 1666; darin: ANDREAE GRYPHII Sonnette. Das Virdte Buch. Vber die Fest-Tage, S. 768. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. An den geneigten Leser, S. 33 nach eig. Fol. Die erhalten gebliebene Handschrift M 216 bietet für unsere Untersuchung etwa die Hälfte der unter Hoffmannswaldaus Signum in den ersten beiden Bänden der Neukirchschen Sammlung erschienenen erotischen Gedichte, wobei dort die Initialen jedoch nicht immer zutreffend waren; vgl. zur Handschrift auch Wilhelm Schuster: Metrische Untersuchungen zu Christian Hofman von Hofmanswaldau. Kiel 1913, bes. Anhang S. 155ff.; zur Aufdeckung der Initialen in der Neukirchschen Sammlung Franz Heiduk: Die Dichter der galanten Lyrik. Studien zur Neukirchschen Sammlung. Bern/München 1971, bes. S. 138-146.
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sind, befinden sich auch einige Oden. Die Gattung Ode erfreute sich schon bei Scaliger hoher Wertschätzung. So schrieb Daniel Georg Morhof in seinem »Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie« (1682) über die Ode: Sonsten ist eine Ode/ insonderheit wenn sie nicht gesungen wird/ der höhesten Redesart fähig. J. C. Scaliger saget/ proxime ad Heroici Carminis majestatem accedit. Ja sie übersteiget selbst die Heldenart/ dann es sind audaciores Metaphorae und andere Redensarten zu gelassen/ die man in Heroico genere nicht gebrauchen kan.110
Und an anderer Stelle nannte Morhof auch Hoffmannswaldaus Oden beispielhaft: Die Italiäner haben/ wie Tasson davor hält/ die allerbesten Odas geschrieben/ so gar/ daß sie es auch/ wie er meinet/ den Alten hierinnen/ zuvor thun [...] Wir haben auch in der Teutschen Sprache/ einige von Flemming/ Hoffmannswaldau und ändern geschrieben/ die wir den Italiänern wohl entgegen setzen können.111
Der Hinweis auf Paul Fleming und Hoffmannswaldau läßt einen kurzen Vergleich angeraten erscheinen. Eng an Fleming angelehnt ist zum Beispiel Christian Hoffmanns Ode »Du kennst mein treues Hertze«; schon die erste Strophe bringt das Treubekenntnis in der Liebe gleich zweimal: Du kenn'st mein treues Hertze, Es lieget ja in deiner Handt, Alß meiner Liebe treues Pfandt, So dich bedient mit Ernst und Schertze. Kein Garten blüht mir ohne dich, Du schöne Blume meiner Sinnen, Wie solle doch mein Auge sich Von dir entfernt ergötzen können? (V. 1-8)112
Auch die in Flemings »Treue«-Liedern auftretende Furcht, die Geliebte an einen anderen zu verlieren, finden wir in dieser Ode Hoffmannswaldaus. Daneben sind jedoch petrarkistische Motive stärker als in Flemings Liedern ausgeprägt (der Reimausgang im Vers 17 weist hier einen Schreibfehler auf): 110
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Daniel Georg Morhofens Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie. Hg. von Henning Boetius. Bad Homburg 1969, S. 644. Damit wird zugleich die Tatsache erhellt, daß die deutsche Barockpoetik auf der rhetorischen Tradition basiert. Ebenda, S. 640. M 216, S. 427. Bezeichnend für das »Treue«-Motiv bei Fleming auch dessen Ode »Ein getreues Herze wissen«, in: Paul Fleming. Gedichte. Hg. von Hermann Oesterley. Deutsche National-Literatur. Bd. 28. Berlin/Stuttgart 1885, S. 75f.; vgl. weiter Hans Pyritz: Paul Flemings Liebeslyrik. Zur Geschichte des Petrarkismus. 2. Aufl. Göttingen 1963, bes. S. 279ff.
165 Ich küße noch die Stunden, Da ich den ersten Liebes=Kuß Auß keuscher Freundtschafft Überfluß Genoß auß deinem Zucker-Munde. Daß reine Siegel, so von dir Auff meine Lippen war gedrücket, Halt auch die Seele selbst auß mir In süße Bande hingerücket. (V. 17-24)
In dieser dritten Strophe der sechsstrophigen Ode klingt die von Catull begründete Tradition der Kußdichtung, einer Spielart erotischer Lyrik, an. Wenn - wie hier - beim Küssen die Seele entweicht, muß zunächst an den (fälschlich) auf ein Epigramm Platons zurückgehenden Seelenkuß gedacht werden. Das Kußmotiv erhielt jedoch im 16. Jahrhundert gerade von platonistischer Seite eine Rechtfertigung dadurch, daß Baldassare Castiglione in seinem »Libro del Cortegiano« (einen von Johann Mochinger bearbeiteten Auszug aus dem Werk hatte der Danziger Professor an Christian Hoffmanns Vater gesandt, als dessen Sohn seine europäische Bildungsreise absolvierte) den Kuß unter die am Hofe erlaubten Liebesbezeugungen einreihte: Dem fortgeschrittenen platonischen Liebhaber darf die Dame den Kuß gewähren, so daß die Seelen sich auf den Lippen vereinigen.113 Doch Christian Hoffmanns Lied ist kein Kußgedicht etwa im Sinne des Flemingschen »Wie Er wolle geküsset seyn«, bei dem eine »detaillierte Tabulatur von Verhaltensregeln« beim Küssen entwickelt wird.114 In seinem weiteren Verlauf gibt sich die Ode wieder ganz petrarkistisch, liefert sich der Liebhaber in einem virtuos-scharfsinnigen Spiel der Willkür der Geliebten aus: Mich stell ich dir gehorsam ein, Was du begehrst auß mir zu machen, Doch kanstu auff den Rosen seyn, So muß ich auff den Dornen lachen. (V. 45-48)
Petrarkismen bestimmen auch andere erotische Lieder Hoffmannswaldaus: die verwundende Wirkung des Blickes der Geliebten (»Ich 113
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Vgl. Thomas Borgstedt: Kuß, Schoß und Altar. Zur Dialogizität und Geschichtlichkeit erotischer Dichtung (Giovanni Pontano, Joannes Secundus, Giambattista Marino und Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau). In: GermanischRomanische Monatsschrift. N. F. 44 (1994), S. 288-323, hier S. 298f. Vgl. Wilhelm Kühlmann: Ausgeklammerte Askese. Zur Tradition heiterer erotischer Dichtung in Paul Flemings Kußgedicht. In: Gedichte und Interpretationen. Bd. 1. Hg. von Volker Meid. Stuttgart 1982, S. 177-186. Gleichwohl kann eine solche »Bevormundung spontaner Zärtlichkeit« - durch die »detaillierte Tabulatur von Verhaltensregeln« ironisch gefärbt - nur scherzhaft gemeint sein (ebenda, S. 177).
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bin verletzt durch deinen Augen-strahl«), der summierende Schönheitspreis und die Engel-Sklaven-Metaphorik (»Flora deine Rosenwangen«), die Grausamkeit der Geliebten und das freundvolle In-den-Tod-gehen des abgewiesenen Liebhabers (»An Melinden«). Dabei steht Christian Hoffmann ganz in der Tradition der europäischen Liebeslyrik von Catull, Properz und Ovid über Petrarca bis hin zu den Petrarkisten und weiter zu Tasso und Marino. Die von diesen übernommenen Motive und Themen wandelt er jedoch oft um. Seine besten Lieder weisen eine von der petrarkistischen Tradition abweichende scharfsinnige epigrammatische Pointe auf. Als Beispiel kann hier das Lied »Was wilstu Chloris machen?« genommen werden, das auf die 1620 entstandene und 1624 in den »Teutschen Poemata« erstmals gedruckte Ode »Ach Liebste/ laß vns eilen« von Martin Opitz zurückgeht. Wie das Opitzsche Vorbild hat auch Christian Hoffmanns Lied den Charakter einer Rede, muß die Geliebte erst zur Liebe überredet werden, und zwar durch die ihr vorgestellte Vergänglichkeit der Schönheit: Was wilstu Chloris machen? Brich deinen stoltzen Geist, Diß, waß du Schönheit heißt, Sindt Blumen gleiche Sachen, Die unbeständtig syndt Und fliehen, wie der Windt. Es wird auf deinen Wangen Nicht steter Frühling seyn; Es weicht der Sterne schein Als wie der Blumen Prangen. Die Zeit, so alles bricht, Schont auch deß Leibes nicht. Was ist der Schönheit Gläntzen? Nur ein geschwinder Blitz, Sein zubereiter Sitz Besteht in engen Gräntzen. Sein fluß verrauscht so bald Alß Schönheit und Gestalt.
(V. 1-18)115
Wie Opitz in seiner Ode kontrastiert auch Christian Hoffmann in seinem Gedicht die Gegenwart der schönen Blütezeit mit der sicheren Zukunft ihres Verfalls - gleich zweimal wird dazu das Motiv der verblühenden Blumen herangezogen, ergänzt durch weitere Metaphern. In dieser Argumentationsfolge wird die Geliebte dann dazu gebracht, an den Untergang, an den Tod zu denken - das Liebeslied wird zur Todesmahnung: 115
M 216, S. 690.
167 Waß heute Purpur traget Und alabaster führt, Was sich mit Roßen ziert Ist morgen hingeleget, Und ruhet ungeacht Inmittelst Tod und Nacht.
(V. 19-24)116
Der Gedanke an das Ende soll die Angesprochene zu jetziger Liebeslust bewegen, zur »rechten Zeit«, da die Schönheit noch in voller Blüte steht. Und in einer von der petrarkistischen Tradition abweichenden arguten Schlußwendung wird der Werbende nicht durch die Abweisung der Geliebten betrübt, sondern durch deren prophezeiten Untergang »ohne Lust«: Nun Chloris, lerne kennen, Waß falscher Hochmuth sey, Bleib nicht alleine frey, Laß deine Jugend brennen, Und laß der Liebe Gluth Durchwandern Hertz und Muth. [...] So du dich selbst kanst lieben, So nimb die Warnung an, Die ich dir itzt gethan. Ich werde mich betrüben, So diese Rose stirbt Und ohne Lust verdirbt. (V. 25-30, 37-42)
Auch in Hoffmannswaldaus poetischen Episteln, Werbebriefen an fiktive Geliebte, in denen der ebenfalls fiktive Absender über seinen augenblicklichen Gemütszustand reflektiert, ist der Einflußbereich des Petrarkismus erkennbar, etwa in dem sich freiwillig in die Knechtschaft seiner Angebeteten begebenden und ob der unerfüllten Wünsche kranken Liebhaber, besonders aber in der tristitia des Briefschreibers. Es ist ein Rollenspiel mit der immer wiederkehrenden Situation: die Klage über die spröde Geliebte, der Preis ihrer Schönheit, die eigene Verzweiflung. Hier ist es die beklagenswerte Situation eines Verliebten, der von seiner Angebeteten abgewiesen wird: Kennt Flavia den Arm, der ewig Ketten traget, Der niemahls frey will seyn, der ewig dienstbar bleibt, So nimb den schlechten Brieff hier furchtsam beygeleget, Und schaue, waß dein Knecht mit Kranken fingern schreibt. Es will die Traurigkeit mir itzt die Feder führen, 116
S. zur Opitzschen Ode auch Wulf Segebrecht: Rede über die rechte Zeit zu lieben. Zu Opitz' Gedicht »Ach Liebste/ laß vns eilen«. In: Gedichte und Interpretationen. Bd. 1. Hg. von Volker Meid. Stuttgart 1982, S. 137-147, der das Opitzsche Gedicht eine »säkularisierte Bußpredigt« nannte (ebenda, S. 145).
168 Es trägt die Ungeduld! Pappier und Dinte zu Und wirstu keine Lust in diesen Reimen spühren, So dencke: Dämon liebt so laulicht nicht, wie du.
(V. 1-8)117
Nicht zuletzt die auch in der Bukolik immer wieder verwendeten antiken Namen Flavia und Dämon, in welche die Liebenden wie in eine Rolle schlüpfen, verweisen auf den Spielcharakter dieser poetischen Epistel. Die fiktive Liebesbeziehung wird dann mit einem antithetischen Vers auf den Punkt gebracht: Ich liebe, waß mich haßt, du haßest, waß dich liebet. (V. 9)
Unentbehrliches Ingrediens eines gelungenen Gedichts war die Pointe, auf die der Leser seine Erwartungen konzentrierte: Nachdem variantenreich die Unnahbarkeit der Geliebten beklagt wird und der Absender als »armes opffer« seinem bevorstehenden Tod entgegensieht, bricht in der letzten Strophe die Klage ab - die Erwartungshaltung des Lesers wird vom B rief Schreiber auf den Brief selbst gelenkt, der statt dessen in der Pointe der hartherzigen Geliebten zum Opfer fällt: Genung, die Feder fällt auß meinen schwachen Händen, Mich deucht, die Flavia speit itzt auf meinen Brieff, Sie wirdt doch keinen Blick auf dieses Schreiben wenden, Der auf ein süßes Wort in sein Verderben lieff.
(V.25-28)118
Neben diesen kürzeren poetischen Episteln verfaßte Christian Hoffmann weitere poetische Briefe, die beträchtlich umfangreicher waren und sich besonders im Stil von den kürzeren unterschieden. Sie ähneln den »Helden-Briefen«, die der Dichter Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts verfaßte, und stellen wohl Vorstufen zu diesen dar, so daß wir bei anderer Gelegenheit auf sie zurückkommen werden. Unter den »Verliebten Arien« Christian Hoffmanns gibt es jedoch auch zahlreiche erotisch-laszive Lieder, in denen sexuelle Vorgänge 117 11K
Das Gedicht wird zitiert nach der Handschrift M 216, S. 716-717; hier steht es unter der Überschrift »Auff Flaviam«. In der Neukirchschen Sammlung gibt es einen Schreibfehler, der zu einer falschen Lesart und damit zur Zerstörung der eigentlichen Pointe führte: Genung/ die feder fällt aus meinen schwachen händen/ Mich düncket/ Flavia zerreist itzt meinen brieff/ Und wird wohl keinen blick auff dessen Schreiber wenden/ Der auff ihr süsses wort in sein verderben lieff. Herrn-von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte/ nebenst einer Vorrede von der deutschen Poesie [...] Leipzig 1695, S. 41.
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offen dargestellt und durch metaphorische Umschreibungen nur scheinbar verschleiert werden. In dem folgenden Gedicht weisen nur die ersten Verse traditionellen petrarkistischen Formelbestand auf, während im weiteren Verlauf des Geschehens die überdeutliche Beschreibung des Liebesgenusses (samt seiner Folgen!) in handgreifliche Obszönität abgleitet, welche die frivol-concettistische Pointe nur wenig abzuschwächen vermag: Laurette bleibstu ewig stein? Soll forthin unverknüpffet seyn Dein englisch=seyn, und dein erbarmen? Komm/ komm/ und öffne deinen schoss Und laß uns beyde nackt und bloß Umgeben seyn mit geist und armen. [...] Und solte durch die heisse brunst/ Und deine hohe gegen=gunst Mir auch die seele gleich entfliessen. So ist dein zarter leib die bahr/ Die seele wird drey viertel jähr Dein himmels=rundter bauch umschliessen. Und wer alsdann nach meiner zeit Zu lieben dich wird seyn bereit/ Und hören wird/ wie ich gestorben/ Wird sagen: Wer also verdirbt/ Und in dem zarten schooße stirbt/ Hat einen sanfften tod erworben.
(V. 1-6)119
Dichtung im Zeitalter des Barock ist natürlich keine »erlebte« Dichtung, so daß es sich verbietet, das »Ich« in Christian Hoffmanns Gedichten mit seiner Person gleichzusetzen, wie es die ältere Hoffmannswaldau-Forschung sehr lange getan hat.120 Schon Martin Opitz 119
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Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte, S. 327. In der Handschrift M 216, S. 420-422, eröffnet dieses fünfstrophige Gedicht die Rubrik mit der allerdings nicht von Hoffmannswaldau selbst stammenden Bezeichnung »Brunst Gedichte. C. H. V. H.«, die nach Erdmann Neumeister durch Leidenschaft und Feinheit gekennzeichnet seien; vgl. Erdmann Neumeister: SPECIMEN DISSERTATIONS HistoricoCriticae DE POETIS GERMANICIS [...] 1695, S. 55. Die ältere Hoffmannswaldau-Forschung hat die an die jeweiligen fiktiven Geliebten gerichteten Lieder und Briefe als in Zyklen zusammengehörig betrachtet und daraus den Schluß gezogen, »[...] daß Gedichte, die einen gleichen Decknamen für die Geliebte führen, auf das gleiche wirkliche Liebeserlebnis bezogen (werden können)«. S. Arthur Hübscher: Neue Untersuchungen, S. 191. Doch das Einbeziehen der »Erlebnis«-Kategorie entstellt die Dichtung des 17. Jahrhunderts: »Das Ich der Gedichte Hofmannswaldaus ist (wie das seiner Zeitgenossen in Deutschland, England, Frankreich, Italien, Spanien, Holland) ein grammatisches Ich, das zunächst nichts anderes anzeigt, als daß von dem (nach außen gerichteten) Bezugspunkt der Welterfahrung auf das außerhalb Befindliche hin geredet wird. Nichts Besonderes an jeweils eigenen, personal-
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bezeichnete in seinem »Buch von der Deutschen Poeterey« das erotische Thema als »Wetzstein«, an dem die Poeten »jhren subtilen Verstand scherffen«. In der Vorrede zu seinem Zyklus lateinischer Gedichte der »Suavia« (1631) begriff Paul Fleming erotische Dichtung als ein Spiel (»lusus«), als scherzhafte, auf intellektuelles Vergnügen zielende Fiktion.121 Wie alle Autoren erotischer Gedichte im 17. Jahrhundert schlüpfte auch Christian Hoffmann in die Rolle eines Liebhabers, der sich einen fiktiven Namen zugelegt hat und seine Verse an eine gleichfalls fiktive Geliebte richtet - seine Liebesgedichte weisen mehr als zwanzig verschiedene Namen auf. Die Forschung hat darüber hinaus die erotischen Lieder überwiegend als »emanzipatorischen Impuls« des Dichters verstanden, als »Postulat der erotischen Freiheit, im Protest gegen die Diffamierung der Sinnenlust«,122 und damit vor allem nicht-eheliche und auch nichtvoreheliche Liebesbeziehungen gemeint. Erst in neuester Zeit sind einige dieser erotisch-lasziven Gedichte Hoffmannswaldaus mit deutlichem Bezug auf sexuelle Erfüllung innerhalb einer ehelichen Gemeinschaft gesehen worden.123 In der erotischen Dichtung findet sich das Ehemotiv zum Beispiel schon bei Giovanni Gioviano Pontano in
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subjektiven Erlebnissen färbt oder bestimmt diese Rede. Die Verzweigungen emotionaler Differenzierung spielen nicht in die Sprache hinein.« Christian Hofmann von Hofmannswaldau: Gedichte. Hg. von Helmut Heißenbüttel. Frankfurt a. M. 1968,8.26. Nach Heinz Schlaffer: Musa iocosa. Gattungspoetik und Gattungsgeschichte der erotischen Dichtung in Deutschland. Stuttgart 1971, S. 7, ist für die erotische Dichtung generell der scherzhafte Umgang mit dem sexuellen Begehren und seiner Erfüllung kennzeichnend. So Wolfdietrich Rasch: Lust und Tugend, S. 456, der außerdem die Obszönität in vielen dieser Gedichte hervorhob; die Betonung des emanzipatorischen Charakters - mit Blick auf die Erotik in Hoffmannswaldaus »Helden-Briefen« auch bei Veronique Helmridge-Marsillian: The Heroism of Love in Hoffmannswaldau's »Heldenbriefe«. Tübingen 1991. S. Thomas Borgstedt: Kuß, Schoß und Altar. Zur Dialogizität und Geschichtlichkeit erotischer Dichtung (Giovanni Pontano, Joannes Secundus, Giambattista Marino und Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau). In: GermanischRomanische Monatsschrift. N. F. 44 (1994), S. 288-323; derselbe: Herz, Altar und Schoß. Nachtrag zu Hoffmannswaldaus Kußgedicht (Pierre de Ronsard, Philippe Desportes, Edmund Spenser). In: Germanisch-Romanische Monatsschrift. N. F. 45 (1995), S. 104-109. In Anlehnung an Bachtins Konzeption der »Dialogizität« poetischer Werke (vgl. M. Bachtin: Das Wort im Roman. In: derselbe: Die Ästhetik des Wortes. Hg. von R. Grübel. Frankfurt a. M. 1979, S. 154-300) entwickelte Borgstedt seine These in Auseinandersetzung mit Heinz Schlaffer (vgl. Heinz Schlaffer: Musa iocosa. Gattungspoetik und Gattungsgeschichte der erotischen Dichtung in Deutschland. Stuttgart 1971), der durch die weltanschauliche Anbindung der erotischen Dichtung an die Antike dieser »eine durchgängige Fremdheit und einen geradezu überhistorischen, gesellschaftlichen Widerspruchscharakter« zusprechen würde und dadurch hinsichtlich der frühneuzeitlichen erotische Poesie darauf verzichte, »die dem Ero-
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Form des Taubenkusses, bei dem sich im Schnäbeln der Tauben (die seit Aristoteles Sinnbild monogamer Gattenliebe sind) Motive des erotisch-sexuellen Kusses mit denen der ehelichen Liebe verbinden. An die Kußdichtung Pontanos (und Johannes Secundus) erinnert auch die erste Zeile des Liedes »So soll der purpur deiner lippen«, das in der Neukirchschen Sammlung unter die »Verliebten Arien« aufgenommen wurde. In diesem von der Forschung bereits mehrfach untersuchten Gedicht124 wird die Tradition der Kußdichtung mit dem Motiv der Liebesschiffahrt verknüpft und sexuell zugespitzt: So soll der purpur deiner lippen Jtzt meiner freyheit bahre seyn? Soll an den corallinen klippen Mein mast nur darum lauffen ein/ Daß er an statt dem süssen lande/ Auff deinem schönen munde strande? Ja/ leider! es ist gar kein wunder/ Wenn deiner äugen sternend licht/ Das von dem himmel seinen zunder/ Und sonnen von der sonnen bricht/ Sich will bey meinem morrschen nachen Zu einen schönen irrlicht machen. Jedoch der schiffbruch wird versüsset/ Weil deines leibes marmor=meer Der müde mast entzücket grüsset/ Und fährt auff diesen hin und her/ Biß endlich in dem zucker=schlunde Die geister selbsten gehn zu gründe. Nun wohl! diß urthel mag geschehen/ Daß Venus meiner freyheit schätz Jn diesen Strudel möge drehen/ Wenn nur auff einen kleinen platz/ Jn deinem schooß durch vieles schwimmen/ Jch kan mit meinem rüder klimmen. Da will/ so bald ich angelandet/ Dir einen altar bauen auff/ Mein hertze soll dir seyn verpfändet/ Und fettes opffer führen drauff; Jch selbst will einig mich befleissen/ Dich gött= und priesterin zu heissen.125 tischen inhärierende Distanz zu den autoritativen Diskursen der Zeit als historisch variable zu denken«. Thomas Borgstedt: Kuß, Schoß und Altar, S. 289f. 124 Ygj zum Beispiel Peter Rusterholz: Der Liebe und des Staates Schiff. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus »Verliebte Arie«: »So soll der purpur deiner lippen...«. In: Deutsche Barocklyrik, S. 265-289, und Uwe-K. Ketelsen: »Die Liebe bindet Gold an Stahl und Garn zu weisser Seyde«. Zu Hoffmannswaldaus erotischem Lied »So soll der purpur deiner lippen«. In: Gedichte und Interpretationen. Bd. l, S. 345-355. 125 Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte, S. 364f.
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Das Motiv der Liebesschiffahrt findet sich etwa in Gedichten von Quevedo und Gongora, vor allem aber in Gian Battista Marinos Sonett »Onde dorate, e l'ondre eran capelli«, das wegen seiner zahlreichen Bezüge durchaus als Vorlage für dieses Lied dienen konnte.126 Die erotisch-laszive Lesart der Verse Christian Hoffmanns hier bedarf keiner weiteren Erklärung, die sexuelle Konnotation »mast« aus dem Bildbereich der Schiffahrt überlagert die traditionelle Metaphorik eines Kußgedichts und richtet die Erwartungshaltung des Lesers von der ersten Strophe an auf den Koitus, der in der dritten Strophe dann allegorisch auch vollzogen wird, indem der »mast« auf des »leibes marmor=meer« sich »hin und her« bewegt, »biß endlich in dem zucker=schlunde die geister selbsten gehn zu gründe«. Gleichwohl gibt es bei der Umsetzung vom Kuß zum Koitus Brüche im Bildbereich, sorgt vor allem die frühzeitig verspielte und eigentlich nicht zum Zuge kommende Pointe für Verwirrung.127 Indem Christian Hoffmann nun im weiteren Verlauf des Liedes das Geschehen mythologisch in den Venusgottesdienst einkleidet, kommt er in der letzten Strophe auf den locus amoenus und das Liebesopfer für Aphrodite zurück. Mit dem Vers »Mein hertze soll dir seyn verpfändet« treten schließlich Kategorien der Aufrichtigkeit und Treue ins Bild, die weder antik-hedonistisch noch argut-satirisch zu begründen sind, sondern unverkennbar die eheliche Liebe meinen und in concettistischer Verbindung mit dem im Schoß errichteten »Altar« dem Gedicht zur wirklich überraschenden Auflösung verhelfen.128 Da auch in anderen erotischen Gedichten Christian Hoffmanns die sexuelle Metaphorik mit dem eine Dauerhaftigkeit der Beziehung signalisierenden Treue-Topos concettistisch verknüpft ist, kommt stärker als in der Forschung bisher beachtet in der Blick, daß der Dichter sexuelle Erfüllung in der ehelichen Gemeinschaft an zentraler Stelle seiner Liebesdichtung thematisierte. Zugrunde liegt dem ein mit dem Naturrechtsdenken begründeter und die protestantische Neubewertung der Ehe einschließender Legitimationsrahmen (wie er besonders in den noch zu untersuchenden »Helden-Briefen«, dem Hauptwerk Hoff126 Ygj Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik. Frankfurt a. M. 1964, S. 715f. 127 Ygj hierzu die Interpretation von Thomas Borgstedt: Kuß, Schoß und Altar, S. 307-309; die semantische Mehrschichtigkeit der Metaphorik in diesem Gedicht auch angedeutet bei Robert Bruce Weber: Love in the Secular Lyrics of Christian Hofmann von Hofmannswaldau. New York 1970, S. 72, und Uwe-K. Ketelsen: »Die Liebe bindet Gold an Stahl und Garn zu weisser Seyde«, S. 351f. 128 Thomas Borgstedt: Kuß, Schoß und Altar, S. 309ff., mit dem Hinweis auf die in der Forschung zur erotischen Dichtung fast ausschließliche Auffassung, daß in diesen Gedichten die eheliche Liebe niemals erscheine und ihre biologische Funktion der Sinnenliebe völlig ausgeschlossen wäre.
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mannswaldaus, zum Tragen kommt), von welchem aus der Dichter sexuelle Erfüllung poetisch einfordert.129 Das Gedichtpaar »Die Wollust« und »Die Tugend« In der autorisierten Werkausgabe Christian Hoffmanns steht in der Abteilung »Vermischte Gedichte«, einer Zusammenstellung von Bußgedichten, Scherzgedichten, Vanitasgedichten und Abrissen, das Gedichtpaar »Die Wollust« und »Die Tugend«, das durch die unmittelbare Aufeinanderfolge antithetischer Aussagen wiederholt Irritationen ausgelöst hat.130 Die Abfassungszeit der beiden in Umfang, Prosodik und Sprache vollkommen übereinstimmenden Gedichte ist nicht bekannt.131 Sehen wir zunächst auf das erste Gedicht: Die Wollust. 1. Die Wollust bleibet doch der Zucker dieser Zeit/ Was kan uns mehr/ denn sie/ den Lebenslauf versüssen? Sie lasset trinckbar Gold in unsre Kehle fliessen/ Und öffnet uns den Schatz beperlter Liebligkeit; Jn Tuberosen kan sie Schnee und Eiß verkehren/ Und durch das gantze Jahr/ die Frühlingszeit gewehren. 2. Es schaut uns die Natur als rechte Kinder an/ Sie schenckt uns ungespart den Reichthum ihrer Brüste/ Sie öffnet einen Saal voll zimmetreicher Lüste/ Wo aus des Menschen Wunsch Erfüllung quellen kan. Sie legt als Mutter uns/ die Wollust in die Armen/ Und läßt durch Lieb und Wein den kalten Geist erwarmen. 129
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Vgl. zu dem signifikanten protestantischen Akzent der Liebesdichtung Hoffmannswaldaus als Ergebnis der Umdeutung erotischer und petrarkistischer Dichtungsmodelle auch den bereits erwähnten Artikel von Thomas Borgstedt: Herz, Altar und Schoß, in welchem auf entsprechende Gedichte von Pierre de Ronsard, Philippe Desportes und namentlich von Edmund Spenser (den Christian Hoffmann in der Gesamtvorrede seiner offiziellen Werkausgabe als beispielgebend für die englische Dichtung nannte) als weitere mögliche Vorlagen für Christian Hoffmanns hier behandelte »Verliebte Arie« verwiesen wird. So heißt es in der neuesten Forschung: »Bei Hofmannswaldau und anderen koexistieren Texte asketisch-christlichen Weltverzichts mit solchen, die aus der Kürze der Zeit und der Nähe des Todes das >Carpe diem< folgern, das die Theologie ausschließt. Vereinbar ist beides vermutlich nur als Ausdruck einer Ambivalenz und einer Spaltung: Neben der theoretischen Verbindlichkeit der alten Werte und Normen manifestiert sich ein Spiel mit deren Durchbrechung, das zweifellos Indikator einer, noch nicht bewußten, mentalitätsgeschichtlichen Verschiebung ist.« Michael Titzmann: Konstanz und intraepochaler Wandel im deutschen Barock. In: Europäische Barock-Rezeption, S. 63-83, hier S. 83. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Vermischte Gedichte, S. 27-30.
174 3. Nur das Gesetze wil allzu Tyrannisch seyn/ Es zeiget Jederzeit ein widriges Gesichte/ Es macht des Menschen Lust und Freyheit gantz zunichte/ Und flößt vor süssen Most uns Wermuthtropffen ein; Es untersteht sich uns die Augen zuverbinden/ Und alle Liebligkeit aus unser Hand zuwinden. 4. Die Ros' entblösset nicht vergebens ihre Pracht/ Jeßmin wil nicht umsonst uns in die Augen lachen/ Sie wollen unser Lust sich dienst- und zinsbar machen/ Der ist sein eigen Feind/ der sich zu Plagen tracht; Wer vor die Schwanenbrust ihm Dornen wil erwehlen/ Dem muß es an Verstand und reinen Sinnen fehlen. 5. Was nutzet endlich uns doch Jugend/ Krafft und Muth/ Wenn man den Kern der Welt nicht reichlich wil genüssen/ Und dessen Zuckerstrom last unbeschifft verschlissen/ Die Wollust bleibet doch der Menschen höchstes Guth/ Wer hier zu Seegel geht/ dem wehet das Gelücke/ Und ist verschwenderisch mit seinem Liebesblicke. 6. Wer Epicuren nicht vor seinen Lehrer hält/ Der hat den Weltgeschmack/ und allen Witz verlohren/ Es hat ihr die Natur als Stiefsohn ihn erkohren/ Er mus ein Unmensch seyn/ und Scheusaal dieser Welt; Der meisten Lehrer Wahn erregte Zwang und Schmertzen/ Was Epicur gelehrt/ das kitzelt noch die Hertzen.
Mit seinem Eingangsvers: »Die Wollust bleibet doch der Zucker dieser Zeit/« und einer auf das Diesseits ausgerichteten Metaphernfolge in der ersten Strophe zeigt sich das Gedicht einem hedonistischen Lebensprinzip verpflichtet. Sexueller Genuß ist nicht extra benannt (und in der metaphorischen Wendung »Schatz beperlter Liebligkeit« höchstens erahnbar), jedoch in den Konnotationen des Titelwortes »Wollust« eingeschlossen. Daß der Mensch die Fähigkeit »den Lebenslauf versüssen« zu können, auch nutzt, liegt in der Natur begründet: »Es schaut uns die Natur als rechte Kinder an/ Sie schenckt uns ungespart den Reichthum ihrer Brüste.« Strophe 2 begründet die Wollust als Naturphänomen; eine ähnliche Argumentation mit der Liebe als Naturphänomen findet sich mehrfach in Hoffmannswaldaus Gedichten, vor allem in den später verfaßten »Helden-Briefen«, dem Hauptwerk des Dichters. Die Wollust als ganz »natürliche« Eigenschaft könne sich jedoch nicht entfalten; sie werde durch das vom Menschen geschaffene »tyrannische« Gesetz, das ihm »Lust und Freyheit« verbietet, ihm den »süssen Most« und »alle Liebligkeit« verweigert, daran gehindert. Die Verse in Strophe 3 attakieren also nicht das Gesetz als Regulativ menschlichen Lebens schlechthin, sondern das gesetzliche Verbot der Sinneslust.
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Verwerflicher als der Gesetzeszwang sei jedoch - so Strophe 4 - der freiwillige Verzicht auf Lustgewinn. Denn die menschliche Natur sei zum Genuß bestimmt; der »Kern der Welt« wolle reichlich genossen sein, der »Zuckerstrom« dürfe nicht »unbeschifft verschlissen« - diese hedonistischen Forderungen in Strophe 5 münden in der zugespitzten Sentenz: »Die Wollust bleibet doch der Menschen höchstes Guth.« Dieses Diktum in Vers 28, zugleich der Höhepunkt des Gedichts, duldet in seiner Schärfe keinen Widerspruch und wird in der letzten Strophe durch die Lehre Epikurs gerechtfertigt: »Wer Epicuren nicht vor seinen Lehrer hält/ Der hat den Weltgeschmack/ und allen Witz verlohren.« Dem Gedicht »Die Wollust« folgt unmittelbar sein Pendant »Die Tugend«. Doch dieses ist kein Widerruf des ersten (wie zu sehen sein wird): Beide Gedichte relativieren sich gegenseitig, sie besitzen den gleichen Geltungsanspruch und sind lediglich zwei gegensätzliche Aspekte der Weltdeutung.132 Die Tugend. 1. Die Tugend pflastert uns die rechte Freudenbahn/ Sie kan den Nesselstrauch zu Lilgenblättern machen/ Sie lehrt uns auf dem Eis und in dem Feuer lachen/ Sie zeiget wie man auch in Banden herrschen kan/ Sie heisset unsern Geist im Sturme ruhig stehen/ Und wenn die Erde weicht/ uns im Gewichte gehen. 2. Es giebt uns die Natur Gesundheit/ Krafft und Muth/ Doch wo die Tugend nicht wil unser Ruder führen/ Da wird man Klippen/ Sand und endlich Schifbruch spüren/ Die Tugend bleibet doch der Menschen höchstes Gutt/ Wer ohne Tugend sich zu leben hat vermessen/ Jst einem Schiffer gleich/ so den Compaß vergessen.
3. Gesetze müssen ja der Menschen Richtschnur seyn/ Wer diesen Pharus ihm nicht zeitlich wil erwehlen/ Der wird/ wie klug er ist/ des Hafens leicht verfehlen; Und läuffet in den Schlund von vielen Jammer ein/ Wem Lust und Üppigkeit ist Führerin gewesen/ Der hat vor Leitstern ihm ein Irrlicht auserlesen. 4. Diß/ was man Wollust heist/ verführt und liebt uns nicht/ Die Küsse so sie giebt/ die triffen von Verderben/ Sie last uns durch den Strang der zartsten Seide sterben/ Man fühlet wie Zibeth das matte Hertze bricht/ Vergifter Hypocras wil uns die Lippen rühren/ Und ein ambrirte Lust zu Schimpf und Grabe führen. 132
Dies ist deutlich herausgearbeitet bei Wolfdietrich Rasch: Lust und Tugend. Zur erotischen Lyrik Hofmannswaldaus. In: Rezeption und Produktion zwischen 1570 und 1730, S. 447-471, hier S. 465-469.
176 5. Die Tugend drückt uns doch als Mutter an die Brust/ Jhr Gold und Edler Schmuck hält Färb und auch Gewichte/ Es leitet ihre Hand uns zu dem grossen Lichte; Wo sich die Ewigkeit vermählet mit der Lust. Sie reicht uns eine Kost/ so nach dem Himmel schmecket/ Und giebt uns einen Rock/ den nicht die Welt beflecket.
6. Die Wollust aber ist/ als wie ein Unschlichtlicht/ So helle Flammen giebt/ doch mit Gestanck vergehet/ Wer bey dem Epicur/ und seinem Hauffen stehet/ Der lernt wie diese Waar/ als dünnes Glas zerbricht; Es kan die Drachenmilch uns nicht Artzney gewehren/ Noch gelbes Schlangengift in Labsal sich verkehren.
Die erste Strophe des Gedichts widerlegt nicht die hedonistische Lebenshaltung, argumentiert auch nicht gegen das Postulat der Wollust, sondern akzentuiert Lebensfreude völlig anders: »Die Tugend pflastert uns die rechte Freudenbahn.« Mit der Begründung dieser Behauptung durch Argumente, die auf die innere Gelassenheit des Menschen ausgerichtet sind, sich damit an stoische Verhaltensmuster anlehnen, kommt eine ganz andere Wertorientierung in den Blick. Wie im vorangegangenen Gedicht tritt auch hier in der zweiten Strophe das Argument von der Allmacht Natur in der Vordergrund, die »Gesundheit/ Krafft und Muth« verleihe. Doch nur die Tugend könne als »Compaß« dienen: »Die Tugend bleibet doch der Menschen höchstes Gutt.« Das ist zwar die direkte Gegenbehauptung zum Diktum des »Wollust«-Gedichts, aber es ist nicht seine Widerlegung, sondern die Maxime eines anderen Wertesystems, etwa im Sinne der Zügelung »wollüstiger« Ausschweifungen. Ähnlich verhält es sich in der dritten Strophe mit dem Argument des Gesetzes, das »der Menschen Richtschnur seyn« müsse. Es geht dabei nicht darum, der Sinneslust die Fesseln des Gesetzes anzulegen, doch dürfe das »Irrlicht« Wollust nicht Leitstern des Menschen sein. Allein die Tugend vermag den Menschen durch die Sturmwellen des Lebens in den sicheren Hafen zu geleiten - so lautet die von nautischen Topoi durchsetzte Botschaft. Im Bild von der Wollust als ein »Irrlicht« ist bereits angedeutet, was in der vierten Strophe dann metaphorisch umschrieben wird, daß nämlich die Wollust keine Führerin, sondern vielmehr eine Verführerin des Menschen sei, die ihn täusche und zu »Schimpf und Grabe« treibe; wie alles Irdische sei auch sie vergänglich und nichtig. Dagegen - so die Strophe 5 - führe die Tugend den Menschen »zu dem grossen Lichte; Wo sich die Ewigkeit vermählet mit der Lust«. Damit hebt das »Tugend«-Gedicht im Unterschied zur weltlich-diesseitigen Argumentation seines Pendants auf ein christlich bestimmtes lenseits
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ab. Die irdische Sinnenlust wird als vergänglich entlarvt,133 während die Tugend die Ewigkeit der Lust ermöglicht und der epikuräischen Lehre von weltlich-diesseitiger Sinnlichkeit eine Absage erteilt: »Wer bey dem Epicur/ und seinem Hauffen stehet/ Der lernt wie diese Waar/ als dünnes Glas zerbricht.«134 Die beiden Gedichte »Die Wollust« und »Die Tugend« bezeichnen in ihrer unlösbaren Verquickung135 durch die fehlende Option auf ein bestimmtes Gedicht (ihre Abfolge in der autorisierten Werkausgabe des Dichters läßt sich nur schwerlich als solche bestimmen) zwei sich antithetisch gegenüberstehende Lebenshaltungen. Die Maxime weltlicher Liebeslust im ersten Gedicht tradiert die antike Liebeslyrik, doch im Unterschied zu zahlreichen erotischen Gedichten Hoffmannswaldaus geht es hier um keine persuasio einer (fiktiven) Geliebten. Vielmehr zielt der Dichter auf diesseitigen Lustgewinn. Das zweite Gedicht hingegen reflektiert in Übereinstimung mit herrschenden Moralbegriffen christlich-stoizistisch gefärbte Auffassungen. Für beide werden die entsprechenden Argumente beigebracht, ohne das eins durch das andere widerlegt wird - das ist es, was dieses Gedichtpaar ausmacht.136
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Mit Blick auf die gegensätzlichen, sich jedoch ergänzenden Positionen spricht Heiduk von der Doppelnatur des Menschen: »Die Position der Wollust vertritt die unreife Jugend, die in ihrem Überschwang den Anspruch auf reichlichen Genuß erhebt. Es scheint, als billige der Dichter ihr das Recht zu, solch übertriebene Forderungen zu erheben. Der einsichtige, der reife Mensch muß das ganze Leben bedenken, über die Schwelle des Todes hinaus. Er weiß um die Begrenztheit des menschlichen Lebens, erkennt allen Daseins gegensätzliche Struktur.« Franz Heiduk: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 491. Nach Wolfdietrich Rasch: Lust und Tugend, S. 469, sei jedoch auch in dieser Jenseitsvorstellung ein »epikuräischer, hedonistischer Zug« erkennbar. Daß beide Gedichte unlösbar zusammengehören, ist in einigen Anthologien nicht beachtet worden, so daß der Abdruck nur eines Gedichts die Intention des Dichters zerstören mußte; vgl. z.B. Deutsche Barock-Lyrik. Hg. von Herbert Cysarz. 2. Aufl. Stuttgart 1960, S. 68: Die Wollust. Thomas Borgstedt spricht in seiner Rezension zu Veronique Helmridge-Marsillian: The Heroism of Love in Hoffmannswaldau's »Heldenbriefe«. Tübingen 1991, von einer »relativen Unabhängigkeit« Hoffmannswaldaus »vom orthodox-konfessionellen Geist der Epoche«, von seiner »scheinbar so säkulare(n) Haltung mit markanten Zügen eines skeptischen Hedonismus, von dem man sich heute auch unmittelbar und ohne wesentliche moralische Vorbehalte angesprochen fühlen kann«. Thomas Borgstedt: Rez. zu Veronique Helmridge-Marsillian: The Heroism of Love in Hoffmannswaldau's »Heldenbriefe«. Tübingen 1991, und Adalbert Wiehert: Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jh. Daniel Casper von Lohenstein und sein Werk. Eine exemplarische Studie. Tübingen 1991. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift. N. F. 43 (1993), S. 232-237, hier S. 233.
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Erste Übersetzungen (Hall, Biondi, de Viau) Am Beginn des literarischen Schaffens Christian Hoffmanns stehen drei Übersetzungen, die der Dichter in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts anfertigte. Im System der imitatio galt das Übersetzen als poetische Übung und eigene poetische Leistung zugleich. Opitz hatte den Wert der Übersetzung hoch angesetzt und gefordert, daß sich der Dichter beim Übersetzen des kritischen Rates seiner Zeitgenossen bedienen solle.137 Für Harsdörffer war ein zu übersetzender Text ein zu imitierendes exemplum, und die Übernahme »frembder Poeten Erfindungen« galt ihm als »rühmlicher Diebstal«.138 In seiner berühmten Parabel von der Silberbergwerksbesitzerin und ihren drei Töchtern hat der Nürnberger die einzelnen Lernschritte der imitatio-Theorie (praecepta-exempla-imitatio) dargelegt und die aemulatio, die das Vorbild übertreffende Nachahmung, deutlich gegenüber der minderwertigen (interpretatio) und der gleichwertigen (imitatio) Nachahmung abgehoben, da hier der Schüler die vom Meister vorgegebene Werkstruktur verläßt und sich seine eigene schafft.139 Wie ordnen sich nun Hoffmannswaldaus Übersetzungen in die literarische Tradition ein? 137
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Eine guete art der vbung aber ist/ das wir vns zueweilen auß den Griechischen vnd Lateinischen Poetes etwas zue vbersetzen vornemen: dadurch denn die eigenschafft vnd glantz der Wörter/ die menge der figuren/ vnd das vermögen auch dergleichen zue erfinden zue wege gebracht wird [...] Wir sollen vns auch an vnserem eigenen fleiße nicht genügen laßen; sondern/ weil viel äugen mehr sehen als eines/ vber die Sachen welche wir an das liecht zue bringen vermeinen/ berühmbter manner vrtheil ergehen laßen. MARTINI OPITII Buch von der Deutschen Poeterey, S. 409f. Georg Philipp Harsdörffer: Poetischer Trichter. Erster Theil (1647). Repr. Nachdruck Hildesheim 1971, S. 102f: Etliche bedienen sich frembder Poeten Erfindungen/ und ist solches ein rühmlicher Diebstal bey den Schülern/ wann sie die Sache recht anzubringen wissen/ wie Virgilius deß Theocriti, und Homeri, Horatius deß Pindari Gedichte benutzet hat: ja deßwegen liset man anderer Sprachen Bücher/ aus ihnen etwas zu lernen/ und nach Gelegenheit abzuborgen/ hiervon sagte jener/ daß die Schüler aus ihrer Lehrmeister Mäntel Kleider machen/ und so statlich mit Silber und Gold Überbremen/ daß sie nicht erkäntlich sind. Es muß aber solches nicht dergestalt mißbrauchet werden/ daß man ein gantzes Gedicht/ fast von Wort zu Wort/ übersetzet/ und für das Seine dargiebet/ welches bey denen/ so es in einer ändern Sprache auch gelesen/ nicht verantwortlich ist: Man kan aber wol darzuschreiben: aus dem Lateinischen/ fast aus dem Frantzösischen oder Spanischen etc. Dergleichen hat das Lob einer guten Übersetzung/ wann es so wol klingt/ daß man nicht einmal abmerken kan/ daß es in einer ändern Sprache ursprünglich geschrieben worden. Zur Übersetzungstheorie des Nürnbergers vgl. Peter Hess: Poetik ohne Trichter. Harsdörffers »Deutsche Dicht- und Reimkunst«. Stuttgart 1986, S. 97-106. S. hierzu ausführlicher Peter Hess: Imitatio-Begriff und Übersetzungstheorie bei Georg Philipp Harsdörffer. In: Daphnis 21 (1992), S. 9-26.
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Von seiner ersten »Verdolmetschung« wissen wir nur durch einen Brief Mochingers vom 1. September 1646. In diesem machte der Danziger Eloquenzprofessor seinen ehemaligen Schüler auf die Moralstudie »The Characters of Virtues and Vices« (Kennzeichen der Tugenden und Laster), die der englische Satiriker und Bischof von Exter, Joseph Hall, 1608 veröffentlicht hatte, aufmerksam und empfiehlt deren Übertragung ins Deutsche.140 Die von den Charakteranalysen des Griechen Theophrast sich herleitenden Charakterskizzen hatten sich im England des 17. Jahrhunderts zu einem selbständigen und beliebten Genre entwickelt. Die Beschreibung von Charakterzügen zur Belehrung und Unterhaltung war Teil der Rhetorik; als exemplum und Satire wurden Charakterskizzen zu einem festen Bestandteil der literarischen Tradition. Halls »Characters«, die später auch Harsdörffer übersetzte, stellten den Tugenden der Menschen ihre Laster entgegen, um so dem Leser die ethische Norm nahezubringen. Gerade diese Charakterskizzen mochten durch ihre antithetische Prägnanz und häufig satirische Tendenz, vor allem aber durch ihre Scharfsinnigkeit und epigrammatische Kürze den Intentionen Christian Hoffmanns besonders entgegengekommen sein. Allerdings hat seine Übersetzung der Forschung nie vorgelegen; daß der Dichter diese englischsprachige Charakterskizze jedoch wirklich übersetzt hat, belegt neben einem Brief Kölers an Mochinger 141 ihre erneute Erwähnung in einem Schreiben Mochingers vom 5. Januar 1647.142 Hoffmannswaldaus nächste Übersetzung ist für die Jahre 1646/47 anzusetzen. Es handelt sich um die Verdeutschung von »L' Eromena« (Venezia 1624) des erst 1645 verstorbenen Italieners Giovanni Francesco Biondi.143 Welche Gründe Christian Hoffmann für die Überset140
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Ex literis librisque perge animi colligere praesidia, fulcimenta et fomenta. Eo, ni fallor, utiles quoque erunt characterismi virtutum Halliani. Sed audi, nonne actum egisti? En Tibi enim istorum versionem Germanicam, quam, cum, in tabernis librariis, et apud amicos, exemplar quaererem Anglicanum, praeter exspectationem, accepi. Quod ego possideo, in operibus exstat, quae opera volumen satis grande faciunt. igitur versione hac, quam mitto, perlustrata, ecquid animi Tibi sit futurum de Tuae editionis versione, quaeso, mihi significa, rogaque, quaecunque volueris. Zit. nach Karl Friebe: Chronologische Untersuchungen, S. 6. Darin schreibt Köler: Halli characteres [quorum exemplum V. A. HOFMANNVS meo rogatu Cl. BVCHNERO una cum sua versione dono misit ad diiudicandum quantum interpretes in vicem distarent.] Ebenda. Non peribit etiam utilitas facti et operae impensae in versionem characterum ab Hallo Anglice editorum: etiamsi lateat. Ebenda. Eine bibliographische Zusammenstellung italienischer Übersetzungen bei Frank-Rutger Hausmann: Bibliographie der deutschen Übersetzungen aus dem
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zung dieses heroisch-galanten Romans hatte, muß heute unklar bleiben. Das trifft auch auf die Frage zu, inwieweit sich Hoffmannswaldau als Übersetzer an seine Vorlage hielt, da er diese Übertragung nicht in seine offizielle Ausgabe von 1679/80 aufnahm. Das Werk existierte nur handschriftlich und gilt seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen.144 Der Biondi-Übersetzung wird in einem Brief gedacht, den Sebastian Cefali an Hoffmannswaldau sandte. Cefali lernte als Sekretär eines polnischen Großmarschalls auf einer seiner diplomatischen Reisen den Dichter kennen und korrespondierte längere Zeit mit ihm. Daß der datumslose Brief offensichtlich aus den Jahren 1652 bis 1655 stammt, ergibt sich aus der gleichzeitigen Erwähnung eines Werkes von Fulvio Testi, das sich Hoffmannswaldau wohl auf Loredanos Empfehlung hatte schicken lassen.145 Auch Christian Hoffmanns zweite Übersetzung wurde nur wenige Jahre später erneut ins Deutsche übertragen: Johann Wilhelm von Stubenberg, in der Fruchtbringenden Gesellschaft der »Unglückselige« genannt, veröffentlichte seine »Eromena« 1650/51;146 eine von Vital d'Audigier bereits 1633 angefertigte Übertragung ins Französische belegt neben mehreren italienischen Nachauflagen die recht beträchtliche Resonanz dieses Romans. Ebenfalls in den Jahren 1646/47 übersetzte Christian Hoffmann den »Mort de Socrate« von Theophile de Viau. Aufschluß hierüber
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Italienischen von den Anfängen bis 1730. Bde. 1.2. Tübingen 1992; s. dazu jedoch Alberto Martino: Die italienische Literatur im deutschen Sprachraum. Ergänzungen und Berichtigungen zu Frank-Rutger Hausmanns Bibliographie. Amsterdam 1994. Von Hoffmannswaldau selbst aufgezeichnet, folgte es in der sog. Fürstensteiner Handschrift den 100 poetischen Grabschriften. Vgl. auch Alberto Martino: Die italienische Literatur im deutschen Sprachraum, S. 65f. In der Handschriftenabteilung der ÜB Wroclaw sind unter der Sign. Akc. 1967 KN 9 insgesamt sechs Briefe in italienischer Sprache aus den Jahren 1652 bis 1655 registriert, die Cefali an Hoffmannswaldau sandte und die in der heute verschollenen Handschrift R 257 aufbewahrt wurden. Der hier angezogene Brief ist abgedruckt bei Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S. 119. In der Gesamtvorrede zur Ausgabe seiner Werke 1679/80 zählt Hoffmannswaldau »Fulvio Testi in seinen artigen Gesängen« zu jenen Poeten, die [...] durch etliche annehmlichere Sätze/ geschärfte und löbliche Beyworte und andere entlehnte Arthen ihrer Arbeit einen schönen Anstrich gemacht haben. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. An den geneigten Leser, S. 9 nach eig. Fol. Die Übersetzung erschien auch im Neudruck, vgl. Giovanni Francesco Biondi/ Johann Wilhelm von Stubenberg: Eromena. Das ist/ Liebs- und Heldengedicht [...] in Welscher Sprache beschrieben/ anjetzo aber in die Hochteutsche übersetzet. T. 1-3. Nachdr. der Erstausgabe von 1650-1651. 3 Bde. Hg. von Martin Bircher. Bern u.a. 1989; s. auch Desiree Bleimfeldner: Johann Wilhelm von Stubenberg und seine deutsche Übersetzung der >EromenaCato< [...] zugleich als politischer Protest im Kampf um die Selbstbehauptung auf [...] Der lyrische Diskurs entstand keineswegs zufällig zu Beginn des Jahres 1647, unmittelbar vor der Wahl Hoffmannswaldaus in den Rat der Stadt. Nur Lutheraner waren zugelassen. Diese Poetische Geschichtrede hat den Charakter einer politischen Grundsatzerklärung.« Franz Heiduk: Christian Hoff mann von Hoffmannswaldau, S. 486.
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litik bis zum Untergang zuzumuten - analog dem Tode des historischen Catos. Sie hatte, spätestens seit den Prager Verhandlungen von 1635 mit ihren, für Breslaus bisherige Selbständigkeit verhängnisvollen Folgen, ihren Frieden mit dem Kaiser gemacht - erinnert sei hier nur an die Berufung Franz Scholtzes zum Hauptmann der Breslauer Stadtsoldaten. Breslaus nach außen verkündete Neutralität zwischen den kriegführenden schwedischen und kaiserlichen Truppen kam jedoch den letzteren zugute, die zeitweise freien Durchzug durch die Stadt hatten und sich von dieser mit Proviant versorgen ließen, während der Rat ein von den Schweden offeriertes ähnliches Angebot ablehnte. Die Folge war, daß die Schweden nun vor den Toren Breslaus Zölle errichteten und von den einheimischen Kaufleuten zehn Prozent des Warenwertes abverlangten. Als der Rat im Frühjahr 1647 zugunsten der Kaiserlichen sogar militärisch in die Auseinandersetzungen eingriff und die auf dem Elbing vor der Stadt einquartierten kaiserlichen Truppen so vor der sicheren Vernichtung durch die Schweden bewahrte, erließ General Wrangel am 8. Juni 1647 ein förmliches Blockadepatent gegen Breslau, das jegliche Warenzufuhr in die Stadt absperrte.181 Zu dieser Zeit wirkte Christian Hoff mann bereits im Breslauer Rat, in den er am 6. März 1647 als achter »scabinus« (Schöffe) gewählt worden war.182
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Vgl. Chronik der Stadt Breslau, S. 972f. AMW, H l, S. 230; gedruckt in: Breslauer Stadtbuch, S. 68. Deshalb kann bei der poetischen Geschichtrede »Cato« wohl kaum davon gesprochen werden, daß sie »den Charakter einer politischen Grundsatzerklärung (hat)«. Die genaue Abfassungszeit dieses Werkes läßt sich gleichfalls nicht belegen; das es unmittelbar vor dem Eintritt Christian Hoffmanns in die Ratshierarchie gedichtet wurde, ist eine nicht zu beweisende Hypothese.
VII. Als Schöffe im Rat der Stadt Breslau, weitere Ausprägung der Dichtkunst (1647-1657) Rat als Verwaltungs- und Gerichtsbehörde der Stadt Breslau Als Verwaltungs- und Gerichtsbehörde der Stadt Breslau gliederte sich der Rat in das eigentliche Ratskollegium und in das Schöffenkollegium. Dem Ratskollegium gehörten acht Consules beziehungsweise Tischherren an, wobei die Zünfte ihre Vertreter nur in die untersten beiden Stellen entsenden durften. Elf Scabini bildeten das Schöffenkollegium, in dem die Zunftvertreter ebenfalls nur die beiden letzten Plätze belegten. Während die Tischherren an allen Wochentagen außer am Donnerstag im Rat saßen, trafen die Schöffen montags, mittwochs und sonnabends zusammen. Die Ratskarriere begann im allgemeinen mit der neunten Schöffenstelle über den beiden zünftischen Scabini. Entsprechend dem natürlichen Ausscheiden einzelner Ratsmitglieder durch Tod oder schwere Krankheit rückte man langsam auf, wobei lediglich in einer mehr oder weniger festen Reihenfolge ein Wechsel von der Schöffenbank an den Ratstisch und umgekehrt erfolgte, den auch die zünftischen Mitglieder vollzogen, wenngleich sie immer in den ihnen zugewiesenen untersten Stellen verblieben. Somit wurden die seit der Einführung der Reformation 1523 ausschließlich von Protestanten besetzten Ratsstellen lebenslang beibehalten. Zur Bewältigung der anfallenden Aufgaben hatte der Rat besoldete Beamte eingestellt, nämlich zwei Sekretäre für die Einhaltung des Geschäftsganges und über diesen zwei gewiegte Juristen als Syndici. Die Syndici besaßen, obgleich sie natürlich keine gewählten Ratsmitglieder waren, in den Ratssitzungen das volle Stimmrecht und galten in der Öffentlichkeit als die eigentlichen Leiter des Stadtregiments. 1639 war der Freund der Familie Hoffmannswaldau, Nikolaus Henel, den der Kaiser drei Jahre später in den erblichen Adelsstand mit dem Zusatz »von Hennenfeld« erhob (1653 kam noch die Würde eines Kaiserlichen Pfalzgrafen hinzu), neben dem Obersyndikus Johann von Pein zum Zweiten Syndikus berufen worden. Wohl auf seine Fürsprache hin konnte Christian Hoff mann schon 1647 in den Rat kooptiert werden, obgleich er das dafür gesetzlich vorgeschrie-
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bene Alter von 33 Jahren noch nicht erreicht hatte. Im zurückliegenden Jahr waren durch den Tod dreier Ratsherren die entsprechenden Stellen frei geworden; unter den neu gewählten Ratsmitgliedern befand sich auch Christian Hoffmann. Damit ist eine neue Zäsur im Leben des Dichters gesetzt, wurde er doch hinfort für mehr als drei Jahrzehnte in politische Entscheidungsprozesse jener Zeit direkt einbezogen. Seine politische Wirksamkeit entfaltete Christian Hoffmann zunächst als Mitglied des Schöffenkollegiums, das dreimal pro Woche tagte und im vierzehntägigen Abstand jeweils freitags in der Schöffenstube unter dem Vorsitz des Schöffenpraeses das Stadtrecht hielt.1 Der Breslauer Schöffenstuhl besaß in Schlesien hohes Ansehen: Ebenmässig ist das Rathhauß mit einem berühmten Schoppen-Stuhl über die Criminal-Sachen/ und gelehrten und erfahrnen Richtern und Beysitzern wol versehen/ bey welchen auch die ändern Fürstenthümer Schlesiens gemeiniglich in dergleichen Fällen Rath holen. Über dieses richtet auch der Breßlauische Schoppen-Stuhl in Civil- und Bürgerlichen Sachen/ als der Stadt Judicium ordinarum, und hat dißfals mit dem Rath concurrirende Jurisdiction, so daß von dessen Urtheilen immediate an den König von Böhmen/ oder dessen Appellation-Cammer/ sich zuziehen ist.2
Daß die Stadt die ihr innerhalb der Stadtmauern zukommende unbeschränkte Gerichtsbarkeit auch zu verteidigen wußte, bewies zum Beispiel schon wenige Wochen nach Christian Hoffmanns Wahl zum Schöffen die auch seine Familie entfernt betreffende sogenannte »Packbusch-Sache«. Ende August 1647 hatte der kaiserliche Rittmeister Joachim Bernhard von Packbusch seinen Schwager Adam von Sebisch, den Sohn des gleichnamigen ehemaligen Breslauer Ratspraeses, überfallen und so schwer verletzt, daß dieser eine Woche später starb. Der Rittmeister wurde zum Tode verurteilt, doch Ferdinand III. untersagte die Vollstreckung des Urteils, da der zum Katholizismus konvertierte Packbusch in kaiserlichen Diensten stand.3 Daraufhin erklärte der Breslauer Rat die Angelegenheit zur causa principalis und konnte auf einer Anfang 1648 nach Prag abgesandten Legation unter der Leitung des Kanzlers des Fürstentums Breslau, Johann von Pein und Wechmar, seinen Urteilsspruch durchsetzen - die am 6. Juni 1648 vor dem Rathaus erfolgte Enthauptung Packbuschs bewies der 1
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Vgl. grundlegend dazu: Breslauer Stadtbuch, bes. S. XLVIIff.; nach alten Abbildungen saßen die Consules am Ratstisch (deshalb auch Tischherren genannt), während die Scabini auf den beiden Schöffenbänken Platz nahmen. Friedrich Lucae: Schlesiens curiose Denckwürdigkeiten, S. 857. Das Kaiserliche Mandat in der Packbusch-Sache erging am 26. November 1647; die Angelegenheit ist ausführlich dargestellt bei Carl Adolf Schimmelpfennig: Die Jesuiten in Breslau, S. 84f.
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Breslauer Öffentlichkeit recht anschaulich die Machtbefugnis ihrer Gerichtsbehörde. Betrachten wir nun den illusteren Personenkreis, der die künftige Wirkungsstätte des jetzt politisch in den Vordergrund tretenden Dichters bestimmte.4 Seit 1644 war Dietrich von Gartz neuer Praeses des Breslauer Rates. Er entstammte einem Kaufmannsgeschlecht, das im 16. Jahrhundert in Salzwedel tätig war und auch in den dortigen Rat gelangte. Gartz hatte in Heidelberg studiert und war zwei Jahre später in den Reichsadelsstand erhoben worden; nach Breslau übergesiedelt, wurde er dort ein bedeutender Kaufmann und Grundbesitzer und 1621 in den Rat gewählt.5 Die meisten Ratsherren des Jahres 1647 gehörten Kaufmannsfamilien an, mehrere von ihnen waren - wie ja auch die Familie Hoffmannswaldau - in der Vergangenheit nach Breslau eingewandert: Herbsts kamen aus dem Fränkischen, Oelhafens aus Nördlingen; aus Liegnitz stammten die Haunolds, aus Neisse die Kretschmars und aus Schweidnitz die Pförtners. Sie verfügten über recht umfangreichen Grundbesitz, hatten im allgemeinen Breslauer Ratstöchter geheiratet und waren damit ratsfähig geworden, denn bei Kooptierungen in den Rat gaben oft verwandtschaftliche Beziehungen den Ausschlag. Diese Gepflogenheit hatte schon Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau genutzt, um seinem Sohn Christian den Einstieg in die Ratshierarchie zu bahnen: Seit 1628 bestanden durch die Heirat des schlesischen Kammersekretärs mit Maria von Artzat verwandtschaftliche Bindungen zu drei der bedeutendsten Breslauer Ratsgeschlechtern, den Artzats, Sebischs und Reicheis, Bindungen, die der Sohn 1643 durch seine Eheschließung mit Maria Webersky, deren Mutter ja ebenfalls der angesehenen Ratsfamilie von Artzat entstammte, noch ausbaute. Von den Breslauer Ratsherren des Jahres 1647 hatten sich Samuel Sebisch und Maximilian Oelhafen bereits in den dreißiger Jahren in das Jugendstammbuch Christian Hoffmanns eingetragen; mit dem Dichter verkehrten im Apelles-Kreis August Heinrich Kromayer und Daniel Kinner, der Älteste der Kretschmerzunft, dazu Heinrich Brusski und Daniel Tarnau, die beide wie Hoffmannswaldau erst 1647 neu gewählt wurden. 4
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Der Eintrag im Breslauer Stadtbuch, S. 68, weist für 1647 folgende Ratsherren aus: Senat. 1. Dietricus Garz Senior et Praes. 2. Johan Haunold. 3. Nicolaus Herbst. 4. Samuel Säbisch. 5. Caspar Kretschmer camer. 6. Georg Frider. Arzat. 7. Daniel Kinner. 8. Georg Ritter. Scab. I. Ernestus Pförtner. 2. Vitus Rötel. 3. Maximil. Olhaff. 4. Augustin Henr. Kromayer. 5. David Eben. 6. Johan Göz. 7. Henricus Brussky. 8. Christian Hofman. 9. Daniel Tarnaw. 10. Samuel Schaff. 11. Daniel Krewitz. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 2, S. 8.
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Wie wir später noch sehen werden, oblag den Ratsherren auch die Verwaltung zahlreicher ratsherrlicher Ämter, doch mußten die Consules und Scabini dazu 33 Jahre alt sein. Allerdings gab es auch Ausnahmen: Als am 9. April 1647 Veit Rötel von Reichenau zum Unterkämmerer ernannt wurde und dadurch seine Funktion im Schulamt aufgab, kooptierte der Rat sein neues Mitglied Christian Hoffmann in das Schulpräsidium.6 Dem Schulamt gehörten der Ratspraeses und drei weitere Ratsherren an. 1647 waren das Dietrich von Gartz, Johann von Haunold, Georg Friedrich von Artzat und nun auch Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, der bis zu seinem Tode, also mehr als 30 Jahre, das unter der Jurisdiktion des Rates stehende Schulwesen in Breslau (ausgenommen die katholische Schule auf der Dominsel und die 1641 gegründete und bald zum Collegium aufsteigende Jesuitenschule) beaufsichtigen und sich wiederholt für die Verbesserung der Lehrinhalte einsetzen wird. Gemeinsam mit den anderen »Praesides scholarum«, deren Tätigkeit im Schulamt durch die ihnen beigeordneten Syndici sowie zwei Inspektoren (dem Pastor von St. Elisabeth und dem Rektor des Elisabethgymnasiums) unterstützt wurde, legte er Schulordnungen und Lehrpläne fest, inspizierte den Zustand von Schule und Unterricht und griff in disziplinarischen Fällen ein. Die Schulamtsherren repräsentierten den Rat bei den jährlichen Preisverleihungen für die besten Gymnasiasten und bei den feierlichen Schulactus. Den Schulamtsherren oblag die Verwaltung der Legate und Verteilung der Stipendien. Christian Hoff mann mußte nicht nur die abgehenden Gymnasiasten prüfen, sondern auch die von auswärtigen Universitäten zurückgekehrten und eine Anstellung in Breslau erhoffenden Studenten und Magister. Von nun an hatte er entscheidenden Einfluß auf die Berufung von Rektoren und Lehrern durch den Rat; an seine Fürsprache wird in zahlreichen Quellen dankbar erinnert. Wir können schon jetzt sagen, daß die meisten Belege, die Hoffmannswaldau als Patron und Mäzen des geistig-kulturellen Lebens in Breslau würdigen, in erster Linie auf die langjährige erfolgreiche Tätigkeit des Dichters im Schulamt zurückzuführen sind, waren doch - was die gesamte Stadtkultur betraf - gerade hier die Einflußmöglichkeiten und nicht zuletzt die Entscheidungsbefugnisse am größten.
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Vgl. Elias Major in seinem Schreibkalender für das Jahr 1647 (R 2346), der am 19. April (einem Karfreitag) unter den Besuchern eines von Wolfgang Stirius am Magdalenengymnasium inszenierten Passionsactus auch Christian Hoffmann erwähnt, und zwar erstmals mit dem für Schulamtsmitglieder üblichen Titel »Scholarch«.
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Erste Hochzeitscarmina Im Spätsommer 1647 verfaßte Christian Hoff mann zur Hochzeit seines ehemaligen Leidener Studiengefährten Friedrich Heinrichsson das Carmen »Die versöhnte Venus«. Bemerkenswert ist hier, daß der Anstoß für dieses Gelegenheitsgedicht von außen erfolgt war: In einem Brief vom 25. August schrieb Mochinger aus Danzig über die bevorstehende Eheschließung Heinrichssons und forderte Christian Hoffmann nachdrücklich zur Abfassung eines Carmen nuptiale auf;7 immerhin heiratete der Studiengenosse die Tochter des Danziger Praeconsuls Heinrich Freder. Die Familie war schon um 1530 nach Danzig gekommen, wo es Gergen Freder zum Stadtsekretär brachte. Sein Sohn Heinrich stieg zum Syndikus auf, mußte aber dieses Amt bei seiner Wahl zum Ratsherrn abgeben.8 Das Epithalamium »Die versöhnte Venus« ist das mit Abstand längste Hochzeitsgedicht Hoffmannswaldaus. In dem heute nicht mehr erhaltenen Gelegenheitsdruck umfaßte es 316 Alexandriner, die paarweise reimen und in denen jeweils zwei weibliche mit zwei männlichen Reimen streng alternieren.9 Bereits der Titel deutet auf den mythologischen Hintergrund des Hochzeitsgedichts: Cupido, der die Menschen in Liebe zueinander führen soll, hat seine Pflicht allzu lange vernachlässigt und wird deshalb von seiner Mutter eindringlich zur Besserung ermahnt, schließlich sogar bestraft. Weil er seine Aufgabe, den Menschen die Liebe zu bringen, vergessen hat, regiert auf der Erde statt Venus der Kriegsgott Mars. Das gibt Hoffmannswaldau Gelegenheit, in den Eingangsmonolog der Venus seine Vorstellung vom Theatrum mundi als Reflex der realen Zeitverhältnisse - es ist das letzte Jahr des großen Krieges - einzubringen: 7
Vgl. Karl Friebe: Chronologische Untersuchungen, S. 13. Gotthilf Löschin: Die Bürgermeister, Ratsherren und Schoppen des Danziger Freistaates und die Patrizierfamilien, denen sie angehörten [...] Chronologisch und genealogisch zusammengestellt. Neudruck Hamburg 1974, S. 36. Heinrich Freder starb 1654 als Bürgermeister. Sein Sohn Constantin wurde ebenfalls Ratsherr und starb 1707. 1735 schied mit dessen Sohn Heinrich Freder der letzte dieses Geschlechts aus dem Danziger Rat aus. Über die Beziehungen Hoffmannswaldaus zum Danziger Rat ließ sich nichts ermitteln; der Brief, den Bürgermeister und Rat zu Danzig am 6. Oktober 1651 an Christian Hoffmann nach Breslau sandten, ist mit der Handschrift R 257 verlorengegangen. 9 Das Carmen wurde in die offizielle Werkausgabe an vierter Stelle unter die Hochzeitsgedichte aufgenommen; vgl. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Hochzeit Gedichte, S. 24-36. Jedoch fehlt hier Vers 32. Außerdem liegt ein Formbruch vor, wenn nach den Versen 35 und 36 mit männlicher Kadenz völlig falsch für dieses Gedicht zwei Verse mit ebenfalls männlicher Kadenz folgen; demnach fehlen dazwischen offensichtlich zwei Verse mit weiblicher Kadenz (nämlich die Verse 37 und 38). Nach dem Abdruck in der Werkausgabe wird im Folgenden zitiert. 8
202 Du allzukaltes Kind betracht ich diese Welt/ Was zwischen Gibraltar und Javan ist gestellt/ Den grossen Wunder Kreiß/ den Zirckel dieser Erden/ Wo sich die Sonne wäscht und wo sie mit den Pferden/ Den alten Weg besucht; wo ihre Hitze brennt/ Und wo der Phöbus fast nicht seine Strahlen kennt/ So merck' ich wenig mehr/ als Wüten/ Mord und Kriegen/ Ich finde hin und her die todten Leichen liegen/ Die Männer stehn verwund/ die Weiber stehn verblast/ Mein Mars wird angeruft und Venus wird verhasst/ Mars der mich selber nicht gescheuet hat zuküssen/ Man schaut das rothe Bluth vor Liebes-Thränen flüssen/ Kein Seuffzer kommet fast von meiner Regung hier/ Betracht ich Berg und Thal/ beschau ich See und Meer/ Setz' ich die gantze Welt in meinem Sinn zusammen/ So find ich keinen Dampf von diesen Wunderflammen/ Da eine gantze Stadt durch eine Gluth gebrannt/ Da einer Feindin Schoß den Feind zum Buhler fand. Da zweyer Hertzen Blut verliebt zusammenflössen/ Da das erzörnte Meer die Brunst nicht ausgegossen/ Da Armuth/ Kälte/ Schwerd/ Flucht/ Marter/ Brand und Todt Oft ein verliebter Sinn hielt vor geringe Noth. (V. 39-60)
Im weiteren Verlauf folgt dann das Hochzeitsgedicht den für diese Gelegenheitsdichtung typischen mythologischen Topoi: Venus beauftragt ihren, wegen seines Müßigganges gezüchtigten Sohn, ihr ein verliebtes Paar zuzuführen. Cupido kommt der Aufforderung schnellstens nach, Und schwang sich ungesäumt auch wieder in die Stadt/ So von den Dähnen noch den alten Nahmen hat. (V. 183-184)
Hier wird auf Danzig, den Ort des Hochzeitsfestes angespielt; die Stadt war - wie Breslau - von den Kriegswirren weitgehend verschont geblieben. Doch Cupido hat keineswegs leichtes Spiel. Zwar findet er den jungen Mann - es ist natürlich Friedrich Heinrichsson -, der aber nur für die Wissenschaften lebt; der Venus-Sohn vermag auch nicht durch »verliebte« Schriften sein Ziel zu erreichen: Er stellt ihm offtermahls durch ein verliebtes Blat/ Wie jener Lesbien/ und der Corinnen bat/ Wie der Petrarcha schwur die Lauren stets zulieben/ Und was des Grafenhag vom Küssen hat geschrieben/ Marinens Wunderbuch/ Gvarinens treues Pfand/ Was Drayten/ Teophil/ und Samtamann erfand/ Die schaut/ er oftermals auf seiner Stelle schertzen/ Die Kunst gefiel ihm wol/ das Gift drang nicht zum Hertzen/ Und der erzörnte Gott war numehr gantz bereit Zu meiden diesen Orth zu lassen diesen Streit [...] (V. 199-208)
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Christian Hoffmann nennt hier einige Autoren, die ihm selbst Vorbild waren und seiner Dichtkunst wichtige Impulse vermittelten, außer Francesco Petrarca und dem 1511 in s'Gravenhage geborenen Johannes Secundus vor allem Gian Battista Marino (dessen »Adone«, das hier erwähnte »Wunderbuch«, in einem späteren Epithalamium auch thematisch die Abhängigkeit Hoffmannswaldaus von dem Italiener belegt) und Giovan Battista Guarini, dessen pastorale Tragikomödie »II pastor fido« (1589) Christian Hoffmann Anfang der fünfziger Jahre übersetzte und unter dem Titel »Der Getreue Schäfer« in seine Werkausgabe aufnahm. Auch die zuletzt genannten Autoren können mit dem Schlesier in Verbindung gebracht werden: Michael Draytons »England's Heroicall Epistles« stehen im Hintergrund der 1663/64 vollendeten »Helden-Briefe«, ein Werk Theophile de Viaus hatte der Dichter ja ins Deutsche übertragen, und in der Gesamtvorrede seiner autorisierten Ausgabe hob Hoffmannswaldau den Franzosen MarcAntoine de Saint-Amant mit seinen »schönen Gedancken von der Einsamkeit« besonders hervor.10 Im Hochzeitsgedicht wird der junge Mann schließlich durch einen Freund von den Büchern weggeholt und an einen blumengeschmückten Ort außerhalb der betriebsamen Stadt geführt, wo er auf ein Mädchen (die Tochter des Danziger Praeconsuls) trifft: Vor ändern zeigte sich ein Kleinod aller Tugend/ Ein Spiegel aller Lust/ ein WunderBild der Jugend/ Auf derer Stirne selbst des Vätern Nahmen saß/ Aus derer Augen man der Mutter Keuschheit laß/ Da Höfligkeit und Zucht einander Schwestern hießen Da Sinnen/ Geist und Bluth sich fromm zu seyn befliessen/ Der eher nichts gefällt als wenn der Vater wiel/ Und spricht/ der Eltern Wuntsch ist mein gewüntschtes Ziel Und meines Wissens Zweck/ der ernste Feind des Buhlen/ So nie ersuchet hat der Venus süsse Schulen [...] (V. 225-234)
Nun endlich gelingt es Cupido, seinen Pfeil abzuschießen. Am Ende des Hochzeitsgelages stellt sich auch die Göttin Venus (als Abendstern Hesperos) ein, um die Liebenden zu belehren und zum Liebesgenuß zu ermuntern: Es kam nun unvermerckt der Hesperus gegangen/ Der Reisenden Verdruß/ der Liebenden Verlangen/ Er sprach durch seinen Schein geht zu der neuen Ruh/ 10
C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. An den geneigten Leser, S. 12 nach eig. Pol., bezogen auf Saint-Amants Ode »La Solitude« (1617), die Abschatz ins Deutsche übertrug. Vgl. auch Erika A. Metzger: »La Solitude« oder »Die angenehme Wüsteney«: Marc-Antoine de Saint-Amant und Hans Aßmann von Abschatz. In: Europäische Tradition und deutscher Literaturbarock. Hg. von Gerhart Hoffmeister. Bern/München 1973, S. 135-152.
204 Und schlüsset nicht die Lust mit euer Kammer zu. Bezwinget euch der Schlaff/ so macht das bey erwachen Der Braut die Röthe kommt/ den Bräutigam das Lachen/ Nicht traure zarte Braut/ es sagt die gantze Welt/ Man samlet keine Frucht/ wann nicht die Blüthe fällt. (V. 309-316)
Auch andere Hochzeitsgedichte Christian Hoffmanns weisen solche mythologisierende Venus-Cupido-Szenen auf, unter diesen das Carmen »Der reisende Cupido«11 sowie das Epithalamium »Der aus dem Himmel verbante Cupido«, das der Dichter einige Jahre später auf die »Fürst-Flandrische-Eheschließung« verfassen wird. 1651 gelangt Sigismund von Fürst und Kupferberg in den Breslauer Rat; am 30. Januar 1652 fand seine Hochzeit mit Ursula Dorothea geborene Flandrin statt.12 Das von Christian Hoffmann seinem Ratskollegen dargebrachte Carmen in 31 Strophen zu je sechs Alexandrinern enthält am Schluß des Gedichtes eine Anspielung auf die wirklichen Namen des Brautpaares: Jch weiß der Hymen wird Euch alles dieses lehren/ Was die verübte Lust geschickt ist zuvermehren/ Ein süsses ach/ vnd ach/ reist keine Wollust ein: Eh noch das andre Jahr die Rose wird verblühen/ Und das Geflügel wird das andre Nest bezihen/ So wird ein junger Fürst auß Flandern kommen seyn. (V. 181 -186) 1
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' Auch hier konnte die Forschung den entsprechenden Gelegenheitsdruck noch nicht nachweisen. Das Carmen ist in die autorisierte Ausgabe aufgenommen worden, vgl. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Hochzeit Gedichte, S. 41-52. Ein wesentlich kürzeres, nur 40 Verse umfassendes Hochzeitsgedicht mit dem ähnlich lautenden Titel »Reisender Cupido« wurde 1969 als mit Graphiken versehener Neudruck herausgegeben, vgl. C. H. V. H.: Reisender Cupido. Hg. von Wilhelm Busam. München 1969. Die Quelle des Neudrucks ist nicht angegeben, doch dürfte die Ausgabe zurückgehen auf den folgenden Druck: Christian Hoffmanns von Hoffmanns Waldau/ Reisender Cupido [...] vorgestellt/ Joh. Andr. Thelott. Augsburg 1703. 12 Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. l, S. 445f. Sigismund von Fürst und Kupferberg wirkte von 1671 bis 1673 als Schöffenpraeses und starb am 29. September 1674 als Vicepraeses des Breslauer Rates. Seine Ehefrau Ursula Dorothea war eine Tochter des herzoglich-Iiegnitzischen Rates Georg von Flandrin und der Dorothea von Eben und Brunnen, die ebenfalls einem Breslauer Ratsgeschlecht entstammte. 13 Hochzeit-Getichte Dem WolEdlen vnd Gestrengen Herrn Sigismund von Fürst/ vnd Kupfferberg/ auff Albrechtsdorff/ deß Raths allhier/ als Herrn Bräutigam. Vnd dann der WolEdlen/ VielEhr- vnd Tugendreichen Jungfr. Vrsulen-Dorotheen gebornen Flandrinin/ als Jungfraw Braut. Zu schuldiger Bedinung Jhres Ehren-Tages/ durch einen bekanten Freund wolmeinende auffgesetzt. Breslau 1652 (534904). Das im Gelegenheitsdruck noch ohne besonderen Titel versehene Epithalamium auf die Fürst-Flandrinsche Hochzeit erhält erst in der Werkausgabe das Lemma »Der aus dem Himmel verbante Cupido«; vgl. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Hochzeit Gedichte, S. 16-
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In der Pointe ist zugleich der Wunsch nach der zu erwartenden Nachkommenschaft ausgesprochen, mit dem die allermeisten Hochzeitsgedichte jener Zeit endeten. Es erhöhte natürlich den Unterhaltungswert der Gedichte, wenn dieser Wunsch an eine von den betreffenden Personen abgeleitete Invention des Dichters angebunden wird, etwa an eine aus dem Beruf oder - wie im vorliegenden Fall - aus dem Namen gewonnene Erfindung.14 Für alle diese mythologisch-spielerischen Hochzeitsgedichte Hoffmannswaldaus ist der starke Einfluß Marines kennzeichnend; im besonderen Maße gilt dies jedoch für das Epithalamium »Die schlaffende Venus«, das der Dichter zu dem »Freytag-Rötelischen Hochzeit-Feste« verfaßte. Die Freitags, die aus Kupferberg bei Schönau stammten und sich nach ihrem Herkunftsort »Freitag von Kupferberg« nannten,15 waren zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach Breslau übergesiedelt. Friedrich Freitag, 1613 geboren, heiratete nach dem Tode seiner ersten Frau Justine geborene Landshutter, die mütterlicherseits der Breslauer Ratsfamilie von Dobschütz entstammte, nun Euphrosyne Rötel, die Tochter des Breslauer Ratsherrn Veit Rötel von Reichenau und seiner Frau Eva aus dem angesehenen Ratsgeschlecht derer von Haunold; 1657 gelangte er dann auch selbst in den Rat.16 Der genaue Termin der Eheschließung ist nicht bekannt, doch da nach Hoffmannswaldaus Carmen die Braut noch jung war (Euphrosyne Rötel wurde 1626 geboren), dürfte das Epithalamium, mit dem Christian Hoffmann auch seinem Ratskollegen Veit Rötel sowie der Familie von Haunold zur Hochzeit der Tochter gratulierte,17 wohl noch in den vierziger Jahren verfaßt worden sein.
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24. Eine »GRATATIUNCULA, oder Kurtze Glückswünschung« verfaßte Michael Fels, Pfarrer zu Protsch (545175). Dazu treffend Wulf Segebrecht: Das Gelegenheitsgedicht. Ein Beitrag zur Geschichte und Poetik der deutschen Lyrik. Stuttgart 1977, S. 155: »Als Schlußpunkt des Gedichtes obliegt es dem Wunsch vielmehr, die notwendige Allgemeinheit seiner Aussage sowohl mit einer persönlichen Hinwendung zum Adressaten wie auch mit einer abschließenden Pointe von besonderem Unterhaltungswert für das Publikum zu einem letzten Höhepunkt des Gedichtes zu kombinieren [...] Auf diese Weise wird der Wunsch personenbezogen und unterhaltsam zugleich, da es die besondere Art der Chiffrierung des Wunsches zu enträtseln beziehungsweise zu bewundern gilt.« Über dieses Ratsgeschlecht vgl. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. l, S. 435-438. Falsch dagegen Rudolf Stein: Der Rat und die Ratsgeschlechter des alten Breslau, S. 259f., wonach es sich bei der Familie um Schweidnitzer Kaufleute gehandelt haben soll, die 1570 als »Freitag von Kupferberg« den böhmischen Adelsstand erlangt hätten. Friedrich Freitag wurde später Landesältester des Fürstentums Breslau, starb jedoch bereits 1662, nachdem er erst im Jahr zuvor tatsächlich als »von Freitag und Saproschine« in den erbländisch-böhmischen Ritterstand erhoben worden war. Veit Rötel, 1638 als »Rötel von Reichenau« in den Reichsadelsstand erhoben
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Das Hochzeitsgedicht erinnert an Marines »Venere pronuba«; die detaillierte Schilderung der schlafenden Venus und ihrer Reize hatte der Italiener von Claudianus übernommen. Bei Christian Hoffmann fasziniert die im Schlaf hingestreckte Göttin vor allem durch ihr im Wind spielendes Haar: Ich weiß nicht wie die krafft/ die aus den blumen drang/ Der göttin heißen geist so meisterlich beschwang/ Daß sie aus schläffrigkeit die äugen muste schliessen: Man schaute wie das haar/ der dienstbarkeit entrissen/ Und durch des windes spiel nun wieder frey gemacht/ Mit goldnen füssen lieff um ihrer schuldern pracht/ Ja wenn es sich zusehr nach ihren brüsten neigte/ Jn höchster lieblichkeit rubinen-ringe zeigte/ Von der natur erdacht. Des Phöbus heller schein/ Der wolt' aus vorwitz selbst der erden näher seyn/ Und weil er sie nicht darff durch seinen mund berühren/ So wolt' er ihren leib mit tausend strahlen ziehren/ Als zeugen seiner brunst. Sie lag in stoltzer ruh/ So kam ihr kleiner söhn von weiten auch herzu/ Und bracht' ein kleines paar/ durch seinen pfeil gerühret/ Der mutter/ so da schlieff/ mit freuden zugeführet.
(V.21-36)1*
Die descriptio der schlafenden Göttin ist hier jedoch sehr verkürzt zugunsten der sich anschließenden Darstellung der Gefühle des jungen Paares, das Cupido vor seine langsam aus dem Schlaf erwachende Mutter führt. Zudem besitzt das Gedicht in formaler Hinsicht eine auffallende Besonderheit: Eingebaut nach Vers 108 ist ein von Venus gesungenes Hochzeitslied, das sich - nach Strophen gegliedert auch im Versmaß abhebt:
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und im selben Jahr zum Breslauer Ratsherren gewählt, wurde Subcamerarius, auch Kriegskommissar der Stadt, bis er 1650 das Amt des Oberkämmerers erlangte, in dem er ein Jahr später verstarb. Seine älteste Tochter Barbara Elisabeth heiratete 1651 Ferdinand Mudrach; ein mögliches Epithalamium Hoffmannswaldaus auch zu dieser Eheschließung ließ sich jedoch nicht auffinden. Der ursprüngliche Gelegenheitsdruck ist verlorengegangen. Das Epithalamium wurde nicht unter die Hochzeitsgedichte der autorisierten Werkausgabe aufgenommen, sondern findet sich - mit den Initialen C. H. v. H. versehen - erst im vierten Band der Neukirchschen Sammlung, vgl. Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte vierdter Theil [...] Leipzig 1708, S. 177-182. Danach wird hier und im Folgenden zitiert. Über die Abhängigkeit von Marino s. schon Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S. 43. Daß die lateinische Vorlage sich einer gewissen Beliebtheit erfreut haben dürfte, belegt eine anonyme Übersetzung unter dem Titel »Die schlaffende Venus« mit dem ausdrücklichen Hinweis »Nach des Claudiani lateinischen«; vgl. Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte anderer Theil, S. 138-140.
207 Liebstes paar! last eure glut Und die wunder-reichen flammen/ Euch beherrschen geist und muth. Jagt die funcken recht zusammen: Schau' unsre flügel an/ derselben bunter schein Soll des feuers fache seyn.19
Im Hochzeitscarmen »Der Pallast der Liebe« wird die Abhängigkeit Christian Hoffmanns von Marino sogar thematisch: Jch weiß nicht was mir nechst vor eine Regung kam/ Daß ich das Wunder-Buch Marinens vor mich nahm/ Jn welchem Venus selbst mit ihrer Faust geschrieben/ Da fast ein ieder Wort nach diesem Balsam schmeckt/ Der alles Leid ersäuft/ der alle Lust erweckt/ Und unsern Augen streut den Zunder zu dem Lieben.
(V. 1-6)20
Wie der Dichter zu verstehen gibt, habe ihn die Lektüre von Marinos »Adone« im Innersten sehr erregt; in enger Anlehnung an das »Wunder-Buch« entwirft er eine traumhafte Vision vom Palast der Liebesgöttin.21 Berühmte Gestalten der Vergangenheit werden in ihm lebendig, der Spiegel der Venus zaubert bekannte europäische Städte hervor, natürlich auch Breslau, den Ort des Hochzeitsfestes. Wie im zuvor behandelten Epithalamium ist auch hier ein zweites Carmen eingebettet, das sich - obwohl ebenfalls in Alexandrinern verfaßt durch ein abweichendes Reimschema deutlich unterscheidet: Es trauret Cynthia wann Phöbus ihr gebricht/ Sie zeucht ihr Silber ein/ und last den Schmertzen blicken/ Der Phöbus schencket auch der Erden Kraft und Licht/ Und wil ihr Schoß und Brust/ mit Frucht und Bluhmen schmücken.22
Damit geht jedoch »Der Pallast der Liebe« über den eigentlichen Anlaß hinaus; das Gedicht endet auch nicht mit dem Wunsch an das 19 20
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Das Hochzeitslied der Venus umfaßt sieben Strophen - hier Strophe I zitiert und wird über einen Bindevers (»Und sang dis kurtze Lied«) angeschlossen. Das Gedicht ist enthalten in: C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Hochzeit Gedichte, S. 53-63. Auch hier ist der ursprüngliche Gelegenheitsdruck nicht überliefert. Neuere kommentierte Ausgaben des Werkes: Giambattista Marino: Adone. Hg. von Marzio Pieri; Giovan Battista Marino: L'Adone. Hg. von Giovanni Pozzi. Mailand 1976; s. außerdem Jürgen Grimm: Marinos >Adone< - La Fontaines >AdonisBlason poetiqueAbriss< oder >Abbildung< genannt, das aus nichts anderem besteht, als aus der unermüdlichen Erneuerung des selben Begriffs in immer anderer Gestalt, so lange bis er ganz und gar zu Tode gehetzt ist.«
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[...] In dem Blason liegt >ScharfsinnVerblüffungPastor Fido< ist selbstverständlich bekannt und steht bei der Gesellschaft in hoher Gunst.« Die Zäsur 1672 ist dabei nicht berücksichtigt worden. Dies bestätigt auch Christian Gryphius in seiner Vorrede zur Ausgabe der Werke von Abschatz mit seiner Formulierung »ohn vorhergehende Vernehmung«. Der Druck enthält auch die Vorrede, nach der hier zitiert wird, S. 4 nach eig. Fol.
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Schließlich können in diesem Zusammenhang auch die Verse herangezogen werden, die der Dichter zur Begründung seiner Übersetzungsmethode der Vorrede voranstellte: Was Wunder/ wenn Guarin hir unvollkommen schaut/ Worüber seine Faust hat sechzehn Jahr gebaut? Ziht man die Monat ab/ die nichts daran gethan/ So wird man nicht so vil der Wochen treffen an. Ein Nachriß gleichet sich dem Grund Gemähide nicht. Wir wissen/ wie so schwer der Welsch im Teutschen spricht/ Der seinen Reimen nicht/ wie wir/ so enge bindt/ Und hir nicht solche Kraft der Neigungs-Worte findt. Es will ein sonder Geist dazu von nöthen sein: Mir mangelt Fleiß und Zeit. Ich schreibe mir allein.129
Der »Getreue Schäffer« war Christian Hoffmanns letzte Verdeutschung einer fremdsprachigen Vorlage. In der Vorrede zu diesem Werk deutete er bereits an, daß der Leser von ihm »nichts mehr dergleichen«, das heißt keine weiteren Übersetzungen zu erwarten habe. Immerhin hatte der Dichter aus dem Englischen, Italienischen und Französischen übersetzt und sich zu dem von Harsdörffer formulierten kulturpolitischen Auftrag bekannt, dem deutschen Leser möglichst viele anderssprachige literarische Werke zugänglich zu machen: Damit die Teutsche Helden-Zunge/ als in welcher auch unsre/ wie andrer Völkker Ehre in ihrer Sprache bestehet/ zu ihrer Reinlichkeit/ Freiheit und majestetischen Hoheit gelangen möge.130
Erfüllt hat Hoffmannswaldau diese Aufgabe allerdings nur bedingt, da er seine Übersetzungen zu Lebzeiten nicht zum Druck beförderte; posthum erschienen lediglich »Der sterbende Socrates« und »Der Getreue Schäfer«. Für letztere setzte aber die lebhafte Zustimmung einzelner Freunde schon bald nach der Fertigstellung des Werkes und seiner handschriftlichen Verbreitung ein, wofür unter anderem ein Brief Peter Mucks, des späteren Breslauer Syndikus, vom 2. November 1654 aus Leipzig als Beleg genommen werden kann.131 Trotzdem blieb Christian Hoffmann bei seiner einmal getroffenen Aussage, fernerhin nichts mehr übersetzen zu wollen. In der Vorrede zu den »Helden-Briefen« von 1663 präzisierte er diesen Entschluß 129
130
131
Als Christian Gryphius 1704 Abschatz' »Poetische Übersetzungen und Gedichte« herausgab, ließ er dessen versifizierte Begründung für die Übersetzung des Werkes weg, schrieb außerdem eine eigene Widmung an den sächsischen Kämmerer Hans Christoph von Schweinitz und eine eigene Vorrede. So Harsdörffer abschließend in »Deß Spielenden Vorrede« zu Johann Wilhelm von Stubenberg: Eromena. Teil 1. Nürnberg 1650. Zu Harsdörffers Übersetzungstheorie vgl. zusammenfassend Peter Hess: Poetik ohne Trichter, S. 97-106. Der entsprechende lateinische Briefauszug ist abgedruckt bei Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S. 120.
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und warf damit ein höchst bemerkenswertes Licht auf seine Übersetzungstätigkeit: Warumb ich nicht wie vormahls unterschieden von mir geschehen etwan ein werck eines berühmten Außländers zu übersezen für mich genommen, geschiehet darumb, daß ich auß erheblichen Ursachen, nichts ferner zu verdeutschen mich entschloßen, in dem diese dienstbare Arbeith, mehr mühe alß rühm, mit sich bringet, und wenn Es mit rechten äugen angesehen, und nach rechter eingenschafft außgesprochen werden sol nichts alß eine Abschrift auß einer frembden in die Muttersprache zunennen ist.132
Ebenfalls 1663 argumentierte Andreas Gryphius in ganz ähnlicher Weise, und zwar in der Vorrede zu seinem satirischen Lustspiel »Der schwermende Schäffer«, einer ziemlich freien Übersetzung von Thomas Corneilles »Berger Extravagant«: Ich, der anderwerts zu derogleichen Übersetzungen wenig belieben trage (angesehen sie mir nicht minder zeit hinweg nehmen und mehr mühe bringen, als wann ich etwas aus eigener erfindung auffsetzte), habe dennoch schuldigster maßen gehorchen und dir hiemit überliefern wollen, was bey ändern überhäufften geschafften mir zu leisten nicht möglich gewesen.133
Beide Belege sind die logische Folge der vor allem von Schottel und Harsdörffer entwickelten Übersetzungstheorie: Zwar ist ein zu übertragender Text zunächst nur ein zu imitierendes exemplum, doch der Übersetzer muß sprachliche Form und Inhalt des Originals an den soziokulturellen Kontext des deutschen Lesers anpassen, also ein in jeder Beziehung deutsches Dichtwerk machen: Wir Teutsche sollen Teutsche Gedichte ausdichten/ und den Italiänern/ Spaniern/ Engelländern/ und Frantzosen ihre Historien lassen/ oder doch durch selber Erfindungen durch zimliche Veränderung uns eigen machen.134
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Zitiert nach der Handschrift R 2890 (ÜB Wroclaw), S. 16. Der Schwermende Schäffer. Satyrisches Lust-Spiell/ Deutsch Auffgesetzet Von ANDREA GRYPHIO. Breslau 1663 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin, Yi 2019 R), Vorrede: Hochgeehrter und Großgünstiger Leser. Georg Philipp Harsdörffer: Poetischer Trichter. Teil II, S. 72. Und bei Schottel heißt es dazu: [...] die verteutschung sol recht und gut seyn/ das ist/ daß der wahre Inhalt der frömden übergesetzten Sprache mit eigentlichen und der Teutschen Sprach zugehörigen Worten und Redarten nach Teutschem Verstande recht bekant werde. Justus Georg Schottel: Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache. Vol. 2. (1663). Reprint, hg. von Wolfgang Hecht. Tübingen 1967, S. 1225; vgl. zur Übersetzung und zur Theorie der Übersetzung in Dt. auch die einzelnen Artikel in: Translation and translation theory in seventeenth century Germany. Ed. by James Hardin. In: Daphnis 21 (1992), S. 1-156 (bes. Peter Hess: Imitatio-Begriff und Übersetzungs-Theorie bei Georg Philipp Harsdörffer, S. 7-26).
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Wenn aber schließlich jene [...] die beste Dolmetschung ist/ welche man für keine Dolmetschung hält 35
[-V
damit die Übersetzung zu einem von der Vorlage unabhängigen und selbständigen poetischen Werk postuliert wird, kann eine dem Original zu sehr verpflichtete Übertragung seinem Autor tatsächlich nur wenig Ruhm einbringen und ist allemal den Werken »eigener erfindung« nachgestellt. Die Guarini-Übertragung war zugleich Hoffmannswaldaus einziger Beitrag zur Ausbreitung der Schäferdichtung in Deutschland, die mit Opitzens Prosaekloge »Schäfferey Von der Nimfen Hercinie« (1630) ihren Anfang nahm und im Wirken der im »Pegnesischen Blumenorden« zusammengeschlossenen Nürnberger Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj und Sigmund von Birken ihren Höhepunkt erreichte. In den gemeinschaftlich verfaßten Nürnberger Schäferdichtungen (dem »Pegnesischen Schäfergedicht« von 1644 und der ein Jahr später erschienenen »Fortsetzung der Pegnitz-Schäfferey« folgten bald weitere Prosaeklogen) stellten die Autoren sich selbst, ihre Umgebung und besondere Zeitereignisse, wie den 1648 zu Münster und Osnabrück geschlossenen Frieden, dar.136 In ihrer poetisch gestalteten, mit Betrachtung des Weltgeschehens, Gesang und Liebe angefüllten fiktiven Bilderwelt Arkadien ist der Dichter dem Schäfer (seit Vergil der wahre König in der Bukolik) gleichgestellt, und der Dichter-Hirt erlangt durch den Rückgriff auf die »erste güldene Zeit«, das Alte Testament, als biblischer Sänger höchste Legitimation. Der reale ständische ordo ist poetisch verkehrt; mit dem pastoralen Naturraum »Feld« wird ein utopischer Ort präsentiert, an dem herrschaftsfreier Dialog abseits von Restriktionen der bestehenden Gesellschaft und die spielerische Erwägung von Alternativen möglich ist.137 135 136
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Georg Philipp Harsdörffer: Poetischer Trichter. Teil III, S. 39. Vgl. Irmgart Böttcher: Der Nürnberger Georg Philipp Harsdörffer, S. 317-321; Ingeborg Springer-Strand: »Der Kriegsmann wil ein Schäfer werden« oder: Krieg, Frieden und Poesie in Harsdörffers »Friedenshoffnung«. In: Gedichte und Interpretationen. Bd. l, S. 246-254. In der Vorrede zu seiner »Diana«Übersetzung (1646) hatte Harsdörffer die Schäferdichtung als Selbstdarstellung der Poeten apostrophiert: Durch die Hirten/ oder Schäfer werden verstanden die Poeten/ durch die Schafe/ die Bücher/ durch derselben Wolle/ ihre Gedichte [...]. Vgl. Klaus Garber: Martin Opitz' »Schäferei von der Nymphe Hercinie«. Ursprung der Prosaekloge und des Schäferromans in Deutschland. In: Daphnis 11 (1982), S. 547-603, hier S. 589. Zur vielschichtigen Deutung der Prosaekloge derselbe: Der locus amoenus und der locus terribilis. Bild und Funktion der Natur in der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jhs. Köln/Wien 1974; zum utopischen Charakter der Schäferdichtung derselbe: Arkadien und
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Die Forschung hat mehrfach die Rolle der Pegnitz-Hirten in der Stadt Nürnberg untersucht und im Hinblick auf den Stadtgerichtsassessor und späteren Bürgermeister Harsdörffer unter anderem die Frage aufgeworfen, ob dessen »[...] poetische Aktivität seiner patrizischen Reputation eher Abbruch getan [...]« habe.138 Die Vorrede zur Guarini-Übersetzung Hoffmannswaldaus ist geeignet darauf hinzuweisen, daß dieses Problem auch in einer Studie über Leben und Werk dieses Dichters von tragender Bedeutung ist.
Lediglich handschriftliche Verbreitung der Gedichte Dazu muß zunächst gesagt werden, daß die Vorrede nur handschriftlich überliefert ist, im autorisierten Druck des »Getreuen Schäfers« also ausgespart wurde. Zudem hat der Dichter seine Übersetzung lediglich mit den Initialen C. H. gekennzeichnet, um eine gewisse Anonymität zu wahren: Waß Ich für einen Nahmen führe, eigentlich zuerfahren, sey nicht bemühet. Vergnüge dich, daß ich ein freundt aller guten gemühter bin [...] Solte dir aber etwan, wer vnd waß ich sey, über verhoffen vertrawet werden, so behalte es, so viel müglich bey dir. Jch schäme mich zwar meiner Arbeit nicht; doch lebe ich auch gleichwohl, vieler Richtgierigen zungen wegen, nicht gäntzlich ohne furcht, in dem man mir leicht einwerffen dürfte, das ich anitzo mehr fruchte alß blumen außstrewen, vnd mehr nutze alß ergätzen solle. Hörestu nun etwas dergleichen, geneigter Leser, so geruhe mich dergestalt zuentschüldigen, daß mir gahr woll bekant, wie die führsichtige Nathur, die Jahrszeit der Blumen, die aller kürtzeste hat sein lassen; aber dabenebenst auch dieses wisse, das ein Rose vnd Lilie mehr kraft in sich habe, alß ein Säur Holtzäpffel, oder eine trockene winterbirne; vnd das viel grosse Beume, weder Blumen noch fruchte tragen.
Immer wieder muß daran erinnert werden, daß Hoffmannswaldau seine Übersetzungen und Gedichte nur handschriftlich kursieren ließ, zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift also an keine Verbreitung seiner Werke durch den Druck dachte. Diese Feststellung gilt bereits für die schon 1643 zusammengestellten »Poetischen Grab-Schriften« sowie für die in den nächsten zwei bis drei Jahren verfaßten Übersetzungen und Gedichte, gilt demnach für eine Schaffensperiode Christian Hoffmanns, die noch frei von der späteren Tätigkeit als Breslauer Ratsherr war. Die Gründe, daß der Dichter seine frühen Werke dennoch
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Gesellschaft. Skizze zur Sozialgeschichte der Schäferdichtung als utopischer Literaturform Europas. In: Utopie-Forschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Bd. 2. Hg. von Wilhelm Voßkamp. Stuttgart 1982, S. 37-81. Klaus Garber: Streitgespräch. Gibt es eine bürgerliche Literatur im Deutschland des 17. Jhs.? Eine Stellungnahme zu D. Breuers gleichnamigen Aufsatz. In: GRM 31 (1981), S. 462-470, hier S. 466.
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nicht der Druckerpresse und damit einer breiteren Öffentlichkeit anvertraute, dürften mehrschichtig gewesen sein. Auch Christian Hoffmann hatte zur Erlangung seiner poetischen Meisterschaft die von der Theorie vorgegebenen Stufen des Lernprozesses - praecepta, exempla, imitatio - zu durchlaufen; noch 1649 drückte sein Brief an Harsdörffer ein Unbehagen über seinen an ausländischen Poeten geschulten, ihm aber noch unvollkommen dünkenden Dichtungsstil aus: Was meine Wenigkeit betritt, so kan in solchem werck ich mehr wünschen als selbst ausrichten.139
Eine andere, wesentlich gewichtigere Ursache für das Zurückhalten der poetischen Erzeugnisse vom Druck (und für die Bewahrung einer gewissen Anonymität der handschriftlich umlaufenden Produkte poetischer Tätigkeit) war politischer Natur: Als der Dichter an seinem Lebensabend schließlich doch - genötigt durch unberechtigte Ausgaben einzelner seiner Werke - die Vorbereitung seiner Übersetzungen und Gedichte für die Drucklegung in Angriff nehmen mußte, unterzog er seine Manuskripte einer eingehenden Umarbeitung. So wurden zum Beispiel diejenigen poetischen Grabschriften vom Druck ausgeschlossen, die sich gegen das Haus Habsburg und die katholische Geistlichkeit richteten - der Breslauer Ratspraeses Hoffmannswaldau wußte, was er seinem Landesherrn in Wien schuldig war. Politische Rücksichtnahme dürfte auch in den ersten Jahren dichterischer Tätigkeit angebracht gewesen sein, sollte nicht der Vater, der als Sekretär einer landesherrlichen katholischen Behörde - der schlesischen Kammer - in exponierter Stellung wirkte, vorauszusehende Schwierigkeiten bekommen. Ab 1647 war der Breslauer Ratsherr Christian Hoffmann als politischer Entscheidungsträger öffentliches Beispiel für die Einhaltung gesellschaftspolitischer und ethisch-moralischer Normen - wie konnte sich freizügige erotische Dichtung mit dem Amt eines Praeses scholarum vertragen? Allein durch gezielte handschriftliche Verbreitung konnten unter Umgehung der Zensur die poetischen Erzeugnisse in einem abgestimmten, exklusiven Kreis von Gleichgesinnten gehalten werden. Daß dieser Kreis schließlich doch durchbrochen und durch Raubdrucke gesprengt wurde, steht auf einem anderen Blatt, mußte dem Dichter aber beträchtliche Mühe bereiten - die Bemerkung Hoffmannswaldaus in der Gesamtvorrede zur autorisierten Ausgabe, er sei zur Veröffentlichung seiner Übersetzungen und Gedichte förmlich gezwungen worden, will ernst genommen werden.
139
Josef Ettlinger: Briefwechsel zwischen Hofmanswaldau und Harsdörffer, S. 101.
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Der Breslauer Ratsherr und spätere Praeses erlangte öffentlich Ruhm und Ehre durch die erfolgreiche Ausübung seiner Amtspflichten. Beschäftigung mit Poesie diente ihm lediglich als Ausgleich für die mühevolle Ratstätigkeit und war nicht Symbol seines sozialen Status. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied etwa zu Sigmund von Birken, der in allen seinen Schriften die Stellung des Dichters, also seine eigene, zu erhöhen trachtete. Hoffmannswaldau - und damit kehren wir zur Ausgangsfrage zurück - mußte vielmehr darauf achten, daß ihm die Dichtung der Nebenstunden nicht in seiner gesellschaftlichen Position, in seinem Amt als Breslauer Ratsherr schadete. Zu seinen Lebzeiten erschienen im Druck (abgesehen von den unerlaubten Ausgaben, über die noch zu sprechen sein wird) lediglich seine Gelegenheitsgedichte für ihm nahestehende und meist sozial gleichgestellte Ratsfamilien. Diese Inscriptiones, Epicedia und Epithalamia waren zudem nur mit den Initialen des Dichters unterzeichnet; die Auflage der einzelnen Gelegenheitsdrucke erreichte nur eine geringe Höhe.
Gesandtschaft an den Reichstag nach Regensburg 1653 Der Breslauer Rat hatte bald die Fähigkeiten des aufstrebenden Scabinus bei der Ausübung der kommunalen Funktionen und Ämter erkannt und betraute ihn in der Folgezeit auch mit wichtigen politischen Missionen. Die erste Gesandtschaft Christian Hoffmanns fiel in das Jahr 1653 und führte den inzwischen auf den fünften Schöffensitz Aufgerückten an den kaiserlichen Hof nach Regensburg. Das Westfälische Friedensinstrument hatte bestimmt, daß alle noch nicht gelösten Streitfragen in Reichssachen auf einem binnen sechs Monate nach der Ratifizierung des Friedens einzuberufenen Reichstag erledigt werden sollten.140 Doch der Kaiser hatte damit keine Eile, erst zum 31. Oktober 1652 ließ Ferdinand III. einen Reichstag nach Regensburg berufen. Ihm ging es vor allem um die Wahl Erzherzog Ferdinands, seines ältesten Sohnes, zum römischdeutschen König. Am 2. Dezember 1652 zog der Kaiser samt seinem Hof in Regensburg ein; an den Kosten der Hofhaltung mußten sich auch die schlesischen Fürsten und Stände beteiligen, die 100000 Gulden beigaben.141 Diese Steuerforderungen waren denn auch Gegen140 141
Instrumentum Pacis Caesareo-Suecicum Osn. VIII, § 3 (S. 48); Instrumentum Pacis Caesareo-Gallicum Monasteriense. § 64 (S. 86). Zu den von den schlesischen Fürsten und Ständen bewilligten sogenannten Reichstagsspesen vgl. den Fürstentagsbeschluß vom 20. Oktober 1652; in: AMW, Archiwum Schaffgotsch. Acta Publica, Fach 103a, Nr. 34: 1651-1657, S. 159. Zum Reichstag selbst vgl. Johann Gottfried von Meiern: Acta comitialia
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stand der Verhandlungen des Rates mit der Bürgerschaft, den Zünften und Zechen der Stadt Breslau. Es gehörte zu den Rechten des Rates, daß er von Zeit zu Zeit (etwa drei- bis viermal pro Jahr) die Vertreter der Bürgerschaft auf das Rathaus bestellte, um mit ihnen wichtige Entscheidungen zu beraten. Die Breslauer Bürgerschaftsvertretung bestand im wesentlichen aus den Ältesten und einem starken Ausschuß der Kaufmannschaft, den Ältesten der Zünfte und Vertretern des Gelehrtenstandes. Dem Rat war an der Mitsprache der Delegierten gelegen, weil er damit den Willen »gemeiner Bürgerschaft« zur Bekräftigung seiner Entscheidungen gegenüber dem Haus Habsburg ausnutzen konnte. Bei diesen Zusammenkünften, die auf dem kleinen Saal des Rathauses stattfanden, hatten die Bürgerschaftsvertreter unter anderem auch das Recht, dem Rat gegenüber Wünsche zu äußern und Beschwerden vorzubringen. Trotzdem sah man in der Bürgerschaft dem Ruf auf das Rathaus mit wenig Freude entgegen, da es doch meist um neue Steuerforderungen ging, so daß trotz dringender Ermahnungen des Rates oft nicht wenige Delegierte fehlten. Seitens der Stadtbehörden nahmen an den Verhandlungen die Ratmannen und einer der beiden Syndici teil, der zunächst vortrug, warum Bürgerschaft, Zünfte und Zechen erfordert wären, wichtige Schreiben verlas und über Fürstentage, Verhandlungen mit dem Oberamt und Gesandtschaften Bericht erstattete.142 In der uns hier besonders interessierenden Zusammenkunft vom 2. April 1653 begründete der Obersyndikus Henel von Hennenfeld die anliegenden Steuerforderungen, ermahnte die Anwesenden, sich pflichtschuldig um die Aufbringung der Gelder zu bemühen, und bemerkte anschließend: Ist auch wegen gemeiner Stadt angelegenheit, und zu selbiger recommendation an Keyß. Hoff abzusenden der notdurft befunden worden, Herr Christian Hofman von Hofmanßwalda, so die Sach an gehörigen orten dergestalt verrichtet, daß insonderheit Ihr Excell. Herr Obr. Canzler, aller genade sich erboten, daß also die abfindung vor die Unkosten wol stehen wird, davon noch zu reden sein würde. Wird aber auf dißmal verschoben, und auf andere Zeit referriret.143
142 143
Ratisbonensia publica Oder Regenspurgische Reichstage-Handlungen und Geschichte von den Jahren 1653 und 1654. 2 Bde. Leipzig 1738-1740; aus neuester Zeit Andreas Müller: Der Regensburger Reichstag von 1653/54. Eine Studie zur Entwicklung des Alten Reiches nach dem Westfälischen Frieden. Frankfurt a.M. u.a. 1992; zu den schlesischen Angelegenheiten s. Matthias Weber: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich in der frühen Neuzeit, S. 262-267. Vgl. dazu auch Gustav Dierfeld: Rat und Gemeinde in Breslau vor der preußischen Besitzergreifung. Breslau 1909, S. 33ff. AMW, H 45-2: Protocolle über Verhandlungen des Rats mit der Bürgerschaft, den Zünften und Zechen auf dem kleinen Saal 1647-1669, S. 66f.
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Damit beantwortet dieser Eintrag die in der Forschung bisher offen gebliebene Frage, ob Christian Hoffmann 1653 nach Regensburg gesandt worden war, zunächst mit einem klaren Ja.144 Der in den Ausführungen des Obersyndikus dunkel gebliebene Zweck dieser ersten Gesandtschaft Christian Hoffmanns erfährt jedoch beträchtliche Aufhellung in einem Schreiben des Breslauer Rates vom 2. März 1655 an den Reichsgrafen Johann Hartwig von Nostitz, Oberstkanzler des Königreiches Böhmen, derselbe, der Hoffmannswaldau in Regensburg Audienz gewährt hatte. Darin erbittet der Rat Unterstützung in verschiedenen Angelegenheiten und kommt dann auf die zwei Jahre zuvor erfolgte Legation seines Gesandten zu sprechen: Neben diesem werden Ewer Excellenz und Reichsgräffl: Gn: sich verhoffentlich gnädig erinnern, waß dero selben Wir für zwey Jahren durch Unsere nach Regenspurg Abgeordnete Person, Herrn Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaw, in unterschiedlichen Puncten der Stadt kümmerlichen Zustand und benötigte sublerirung, und andere zur Policey gehörige Sachen betreffend, vnterdienstlich fürtragen laßen.145 144
145
Erwähnt wurde diese Gesandtschaft von Hermann Palm: Christian Hofmann von Hofmannswaldau. In: ADB 12 (1880), S. 639-642, hier S. 639, und Karl Friebe: Über C. Hof man von Hofmanswaldau, S. 16. Doch bereits Ettlinger lehnte sie ab: »[...] dass er außerdem 1653 als Gesandter seiner Vaterstadt auf dem Reichstag zu Regensburg gewesen, ist - wie ich aus städtischen Urkunden ermittelte - sicher falsch. Woher Palm (und nach ihm Friebe) zu einer ähnlichen Behauptung gelangen konnten, ist unerfindlich.« Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S. 115. Dieses Urteil wurde für die weitere Forschung bestimmend. In neueren Arbeiten über Hoffmannswaldau wird diese Frage umgangen und lediglich auf seine drei Gesandtschaften an den Wiener Hof hingewiesen; vgl. Franz Heiduk: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 479; Fritz G. Cohen: The Poetry of Christian Hofmann von Hofmannswaldau. A New Reading. Columbia, S. C. 1986, S. 39f. Dabei hatte schon Lohenstein die Zahl der Gesandtschaften Hoffmannswaldaus mit vier angegeben: Hier (gemeint Hoffmannswaldau in seinem Ratsamte - L. N.) verdiente er durch seine Klugheit in Rathschlägen/ durch seine Emsigkeit in derselben Ausübung/ durch seine Wachsamkeit gegen alle Gefahr und Eingrieffe/ durch seine Glückseeligkeit in seinen an Unsere Allergenädigste Keyser viermaligen Absendung/ und durch seine Gerechtigkeit in Urtheilen Unserer Stadt/ wie Aristides Grichenlands Glückseeligkeit genennt zu werden. D. C. von Lohenstein: Lob-Rede, S. 32 nach eig. Fol.; vgl. zur ersten Gesandtschaft Hoffmannswaldaus ausführlich Lothar Noack: Die Gesandtschaften des Ratsmitgliedes Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau an den Kaiserlichen Hof. In: GWrMF 6 (1988), S. 11-52, hier S. 23-32. AMW, Liber Magnus E 1-4, S. 566. Und weiter heißt es: Nachdem aber Ewer Excell: und Reichsgräffl: Gn: sich darauff gantz gnädig erkläret, da kommender Zeit etwas dergleichen angebracht werden solle, an dero gnädigen Ambsthülffe nichts ermangeln zulaßen; Besonders aber selbsten für hochnothwendig befunden, daß bey außbietung einziger Begnadigung, Wier, der Rath, allß deme die Beschaffenheit der Sachen am besten fündig, darumb befraget werden sollen.
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Durch die langen Kriegsjahre war der Handel zahlreichen Erschwernissen unterworfen gewesen, besonders durch das schwedische Blokadepatent von 1647, krankten die Gewerbe, waren viele Bürger weggezogen, weil sie die hohen Steuerlasten nicht mehr aufbringen konnten. 1628 war die sogenannte Indictio, die Generalsteuerschatzung für Schlesien, herabgesetzt worden; seit dieser Zeit blieb sie konstant, ungeachtet der durch den Krieg weiterhin entstandenen hohen Lasten für die Bevölkerung. Um diese Indictio ging es dem Breslauer Rat im besonderen Maße.146 Die Aufgabe für Christian Hoffmann, der in Regensburg Breslaus »kümmerlichen Zustand« (der im Vergleich mit anderen schlesischen Städten freilich bei weitem nicht so besorgniserregend war, wie es der Rat darzustellen für notwendig hielt) darlegen und eine Reduzierung der finanziellen Abgaben der Stadt erreichen sollte, war keine leichte; vom Gesandten verlangte man Redegewandtheit und Überzeugungskraft. Hier fällt ins Gewicht, daß der junge Breslauer Ratsherr (Hoffmannswaldau zählte noch nicht einmal vierzig Jahre) neben Bildung und Weltoffenheit wohl auch über vorzügliche rhetorische Fähigkeiten verfügte, die ihm den Umgang mit den Mächtigen im Reich erleichterten. Daß der Dichter in Regensburg schließlich auch Gelegenheit erhielt, an einer Audienz beim neugewählten König Ferdinand IV. teilzunehmen, hat uns Paulus Pater in seiner Inscriptio auf Hoffmannswaldau überliefert.147 146
147
[...] daß hiesige Stadt durch die überhöhete Steuer Ansage dermaßen gedruckt wird, daß dafern derselben durch eine Neue Moderation, oder durch erfindung eines ändern in rechter gleichheit und aequitet bestehenden modi nicht geholffen werden sollen Sie endlich sub onere crepiren vnnd in die höchste ruin einsincken würde [...] Wir haben damahls besagtem Vnserem Abgeordneten einen kurzen Bericht in hoc passu mitgegeben, so Ewer Excell: vnd Reichsgräffl: Gn: derselbe auch vnterdinstlich zu communiciren nicht vnterlaßen [...]. Ebenda. Über die Auseinandersetzungen um die Senkung des Steueraufkommens Breslaus in den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg s. vor allem Jürgen Rainer Wolf: Steuerpolitik im schlesischen Ständestaat. Untersuchungen zur Sozial- und Wirtschaftsstruktur Schlesiens im 17. und 18. Jh. Marburg 1978, S. 109-123; vgl. auch: Karl Gustav Kries: Historische Entwicklung der Steuerverfassung in Schlesien unter Theilnahme der allgemeinen Landtags-Versammlungen. Ein Beitrag zur Geschichte der schlesischen Stände. Breslau 1842. Über die wirtschaftlich-soziale Situation im Reich allgemein vgl. Volker Press: Soziale Folgen des Dreißigjährigen Krieges. In: Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität. Hg. von Winfried Schulze. München 1988, S. 239-268. Vgl. DEBITAE PIETATIS OFFICIUM AETERNATURAE GLORIAE VIRI ILLUSTRIS ET MAGNIFICI DN. CHRISTIANI ab Hoffmansvvaldau in Arnolds-Mühle [...] deferre voluit PAULUS PATER, S. 4 nach eig. Pol.: COMITIA RATISBONENSIA instabant: LEGATI turn ILLE BONI vices SENATUS NOMINE explevit. Ac PRIMUM ab OCTOVIRIS spectavit ELECTUM FERDINANDUM QUARTUM, Romanorum Regem.
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Doch gehen wir sicher nicht fehl, wenn wir die Mission des Gesandten Christian Hoffmann nicht allein auf die Aufgabe beschränken, beim böhmischen Oberstkanzler Reichsgraf von Nostitz finanzielle Entlastungen und vor allem eine neue Steuermoderation für Breslau zu erreichen. Seit Beginn des Jahres 1653 erregten nämlich wiederum konfessionelle Fragen höchste Aufmerksamkeit im Lande. Kaiserliche Reduktionskommissionen reisten in Schlesien umher, um protestantische Prediger und Lehrer ihres Amtes zu entheben und die Kirchen den Katholischen zu überweisen.148 In den Fürstentümern Jauer und Schweidnitz wurden 248 Kirchen, im Fürstentum Glogau 152 Kirchen eingezogen. Die drei ehemaligen Residenzstädte erhielten nur je eine einfache Holzkirche für die protestantischen Gläubigen zugebilligt (die sogenannten Friedenskirchen), die außerdem außerhalb der Stadtmauern zu errichten waren. Um den Aufbau der Friedenskirche zu Glogau machte sich Andreas Gryphius als Syndikus der Landstände sehr verdient; für jene in Schweidnitz und Jauer zeichnete der Breslauer Festungsbaumeister Albrecht von Sebisch, ein weitläufiger Verwandter Hoffmannswaldaus, verantwortlich.149 Im Fürstentum Breslau fielen 94 Kirchen unter das kaiserliche Verdikt. Entsprechend der im Westfälischen Frieden bestätigten Religionsfreiheit sollte Breslau von den Reduktionen ausgenommen sein. Zu dieser Zeit besaß die Stadt in ihren Mauern sieben Kirchen und außerhalb der Stadtmauern zwei, bei denen sie 26 Prediger und Diakone besoldete. Außerdem gehörten ihr die vier Landkirchen zu Domslau, Protsch, Riemberg und Schwoitsch sowie die Kirchen ihrer Pfandschaften, des Burglehns Namslau und der Deutsch-OrdensCommende.150 Doch der Kaiser hatte den Passus im Westfälischen Frieden aufs engste interpretiert, indem die Festlegungen zu Breslau nur innerhalb der Stadt Gültigkeit haben sollten. So waren neben den Kirchen der Pfandschaften auch die vier Landkirchen bedroht, dehnte sich der gegenreformatorische Zugriff sogar auf die beiden Vorstadtkirchen St. Salvator und Elftausend Jungfrauen aus, wogegen 148
Zu den schlesischen Kirchenreduktionen Eberhard Schwarz: Die Gegenreformation - dargestellt an der Sondersituation Schlesiens. In: JbSKG 66 (1987), S. 44-64; zu den Fürstentümern Schweidnitz und Jauer Julius Berg: Die Geschichte der gewaltsamen Wegnahme der evangelischen Kirchen und Kirchengüter in den Fürstentümern Schweidnitz und Jauer während des 17. Jhs. Breslau 1854; zur Kirchenreduktion im Fürstentum Breslau Johann Soffner: Die Kircheneinziehung im Fürstentum Breslau in den Jahren 1653/54. In: Schlesisches Pastoralblatt 11 (1890), S. 17ff. 149 S. zu den historischen Zusammenhängen und insbes. zur Friedenskirche in Schweidnitz aus neuester Zeit Ulrich Hutter-Wolandt: Tradition und Glaube, S. 200-211. 150 j Friedrich Lucae: Schlesiens curiose Denckwürdigkeiten, S. 430.
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der Breslauer Rat natürlich Einspruch erhob und sich vor allem der protestantischen Reichsstände zu versichern suchte. Diese hatten sich mit den anderen Reichsständen in Regensburg versammelt, um über die Verwirklichung der im Westfälischen Frieden beschlossenen Artikel zu wachen und in der Wahlkapitulation dem Haus Habsburg ihre Forderungen zu präsentieren. Wir dürfen mit einiger Sicherheit annehmen, daß Christian Hoffmann, der auf seinen späteren Gesandtschaften wiederholt städtisches Kirchengut vor den Ansprüchen der katholischen Geistlichkeit verteidigte, schon 1653 in Regensburg in dieser Angelegenheit tätig wurde, vielleicht auch bei den protestantischen Räten um Unterstützung nachsuchte; daß dafür in den offiziellen Ratsakten keine Belege aufzufinden waren, versteht sich wegen der politischen Brisanz solch geheimer Gespräche von selbst. Zwar mußte Breslau dann doch die Kirchen seiner Pfandschaften und die vier Landkirchen abgeben, aber eine Intervention der protestantischen Reichsstände Sachsen und Brandenburg sowie Schwedens rettete vorerst der Stadt die beiden Vorstadtkirchen.151 Trauercarmen auf Ernst Moritz von Pförtner In der Zeit der schlesischen Kirchenreduktionen ging nach dem Tode Dietrich von Gartz' das Breslauer Praesesamt Anfang 1653 an Ernst von Pförtner und der Höllen über. Das aus Schweidnitz stammende Bürgergeschlecht der Pförtners war bereits im 15. Jahrhundert in den Adelsstand erhoben worden. Die Kaufmannsfamilie siedelte sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Breslau an und wurde durch Heirat ratsfähig, so daß Georg von Pförtner und der Höllen noch vor der Jahrhundertwende als erster seines Geschlechts in den Rat gewählt 151
Vgl. Georg Jaeckel: Die staatsrechtlichen Grundlagen, T. 7. In: JbSKG 47 (1968), S. 9. Am 7. Mai 1654 erließ Ferdinand III. von Regensburg aus seine »Allergnädigste Resolution wegen der Evangelischen Kirchen inn vnnd vor der Stadt Breßlaw«, die der Stadt den weiteren Besitz der beiden Vorstadtkirchen garantierte: Wann dann bey Vnß Sie Breßlawer dießfalls und insonderheit, wegen der beyden Kirchen in Vorstätten [...] Wier nun Vns weiters gnädigst resolvirt, daß nicht allein die in der Stadt, sondern auch in denen Vorstädten, allßo inn: vnnd außer der Ringmauern vorhanden [...] nach disposition des Friedenschlußes bey Vnser gethanen Kayserl: vnd Königl: Begnadigung handzuhaben vnnd zu verstehen sein. Diesem nach so werdet Jhr Sie Breßlawer dießfalls allso beschieden, die Reformation benandter zweyer Kirchen in der Vorstadt einstellen, vnd dabey in Jhrem freyen Exercitio der Augspurgischen Confession vngeirret bleiben laßen, Jm übrigen auff dem Lande vorhin befohlenermassen, forthfahren. AMW, Liber Magnus, E 1-4, S. 523f.
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wurde.152 Sein Sohn Ernst, Besitzer zahlreicher Güter im Fürstentum Breslau, gelangte 1621 in den Rat und wurde schon 1638 zum Ratsältesten berufen. Er war es auch, der Christian Hoffmann zum Regensburger Reichstag beorderte. Als am 22. November 1653 des Ratspraeses ältester Sohn Ernst Moritz im Alter von 21 Jahren starb, hielt Friedrich Freitag bei der am 7. Dezember stattfindenden Beerdigung die »Lob- und Trauer-Rede«.153 Die Gegenrede auf die Leichabdankung, verfaßt vom Ratsadvokaten und Schulfreund Hoffmannswaldaus Andreas Assig, war mit zahlreichen Zitaten aus der Bibel und den Werken antiker Autoren durchsetzt. Bemerkenswert sind darüber hinaus zwei in die Leichenrede eingeflochtene Gedichte, und zwar eine Strophe von Simon Dach sowie ein von Assig selbst verfaßtes deutschsprachiges Carmen.154 1653 war Ernst Moritz in Regensburg gewesen, um sich den Reichstag mit dem festlichen Gepränge des kaiserlichen Hofes, der Fürsten und Stände des Reiches anzusehen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er hier mit Christian Hoffmann zusammentraf und wohl auch einige Zeit in seiner Gesellschaft verweilte; vielleicht reiste der Sohn des Ratspraeses sogar in Hoffmannswaldaus Begleitung. Außerdem war die Ehefrau des Ratspraeses und Mutter des Verstorbenen 152
Vgl. zur Familie Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 3, S. 224-235. 153 ÜB Wroclaw, Sign. 431563. 154 Die »Antwort Auff Beschehene Abdanckung« in ÜB Wroclaw, Sign. 548097; die Strophe von Dach lautet: Wie selig ist/ dem Gott verliehen Wen seiner Jahre Frühlings-Zeit/ Noch erstlich recht beginnt zu blühen Schon auß deß Leibes Dienstbarkeit Dort in die freye Sicherheit Der ewig schönen Lust zu ziehen. (S. 12 nach eig. Pag.) Assig setzte den Eltern folgendes Carmen: Jhr Eltern last das klagen Die Ungeduld/ den Unmut seyn! Den ihr zu Grabe lasset tragen Jn seiner Jugend erstem Schein Jst froh/ daß er hier aller Pein Schon gute Nacht hat mögen sagen. Was ihm am Alter und an Jahren Jn dieser Welt versaget ward/ Wird ihm erstattet bey den Schaaren Da keiner Zeiten Flucht noch Fahrt Da nie der Freuden wird gespart Und daselbst Christus hin gefahren. (S. 14 nach eig. Pag.) Eine dritte Leichenrede u.d.T. »Klag- und Trost-Gedanken« (431565) verfaßte der Schöffensekretär Chrysosthomus Scholtz.
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eine Tochter von Adam Hanwald von Eckersdorf, den Kaiser Rudolf II. seinerzeit zum schlesischen Kammerrat und damit zum Vorgesetzten von Christian Hoffmanns Vater ernannt hatte. Es gab also mehrere Gründe, daß sich Christian Hoffmann im besonderen verpflichtet fühlen konnte, dem Ratspraeses Ernst von Pförtner und der Höllen und dessen Ehefrau Sidonia Susanna Hanwald von Eckersdorf zum Tode des Sohnes das Trauergedicht »An die Wol-Adelichen und jetzund Hochbetrübten Aeltern« zu widmen.155 Das Gelegenheitsgedicht bildet den Auftakt für eine Reihe von Trauercarmina, die der Dichter in den fünfziger Jahren für nahestehende Ratsangehörige verfaßte. Im Unterschied zu den meisten Begräbnisgedichten Hoffmannswaldaus, die ausschließlich in Alexandrinern verfaßt sind, wird in diesem Epicedium das vom Dichter bevorzugte Versmaß durch jambische Dreiheber unterbrochen. Das Gedicht umfaßt 60 Verse. Unter Verzicht auf einleitende Bemerkungen richtet sich Hoffmannswaldau unmittelbar an die Eltern als Adressaten und legitimiert zunächst die elterliche Trauer über den Verlust ihres Sohnes: Ihr Aeltern, diese Zehren, So überhäuf ig flössen, Wird keiner, in der Welt, mit Rechte tadeln können. Das Trauren ist allhier ein löbliches Beginnen Der Schatz ist weggerissen, Den keines Menschen Hand Euch wieder kan gewehren. Wer ohne Thränen steht, Und zu der Kinder Grab, ohn' alle Seufzer geht, Den mag man einen Held, ja einen Halb-Gott nennen, Jch kan jhn, wolt' ich gleich, vor menschlich nicht erkennen. (V. 1-10)
Der wiederholten, variierenden Rechtfertigung elterlicher Klagetränen folgt dann eine Argumentation, in der mäßigende Zurückhaltung in der Klage zu christlicher Tugend erhoben wird: 155
Der Gelegenheitsdruck trägt den Titel: Trauer- und Trost-Schriften auf Weyland Deß Wol-Edlen und Vesten Herrn Ernst Moritz von Pförtners/ und der Höllen [...] tödlichen Hintritt. Breslau 1653 (431566). Weitere Carmina verfaßten u.a. Christoph Köler, Matthias Machner, Johann Gebhard, Ernst Ludwig von Mütschelnitz, Georg Wende (»von Breßlaw/ den Elisabetanischen Musen Zugethaner«) sowie ein Unbekannter, der seine Grabschrift auf den Sohn des Ratspraeses mit den Initialen V. G. V. unterzeichnete. Das mit C. H. gekennzeichnete und von Hoffmannswaldau auch für die autorisierte Werkausgabe vorgesehene Epicedium (nach dem im Folgenden zitiert wird) wurde dort wohl aus drucktechnischen Gründen weggelassen; vgl. Franz Heiduk: Hoffmannswaldau und die Überlieferung seiner Werke, S. 21 f., der den in der Forschung bis dahin unbekannten Gelegenheitsdruck mitteilt, ebenda, bedauerlicherweise aber die Verse 13 und 16 unkorrekt wiedergibt.
264 Doch sollen diese Thränen, Auch Ziel, und Gräntze kennen: Es heisset die Natur der Freunde Tod beklagen, Doch nicht durch klagen sich mit jhn zu Grabe tragen. Die so sich Christen nennen, Die müssen massig seyn im klagen und im Sehnen; Sie wissen das der Tod, Der Frommen Leiter ist zum Himmel und zu Gott, Das Christen, also bald sie durch den Tod verbleichen, Das rechte Lebens Feld, in jener Welt erreichen. (V. 21-30)
Daß der Verstorbene eine Welt voll Falschheit und »tausend böse Lüste« verlassen hat, ist tröstliche Zuversicht, auch in der auf den Namen anspielenden Pointe: Er wohnt jetzt bey den Sternen, Ja bey der rechten Sonne; Er weiß von keiner Noth, und kennet keine Sorgen, Er spüret nichts als Lentz, und schauet nichts als Morgen. Uns schimmert diese Wonne, Die wir hier unten stehn als durch ein Glaß, von fernen, Ihm scheint das reine Liecht, So durch die Todes Nacht mit hellen Stralen bricht. Wir wallen noch allhier in diesem wüsten Orte, Der Pförtner aber steht, jetzt bey der Himmels Pforte. (V. 51-60)
Begräbnisgedichte auf Anna Magdalena von Eben geborene Martin von Debitz, Eva Kretschmar und Parallelen in den »Vermischten Gedichten« Letztes literarisches Produkt des Jahres 1653 dürfte wohl das Begräbnisgedicht gewesen sein, das Christian Hoffmann auf den Tod von Anna Magdalena von Eben geborene Martin von Debitz geschrieben hat. Sie war die zweite Frau seines Ratskollegen David von Eben. Das Ratsgeschlecht der Eben stammte aus Memmingen und hatte 1569 den Wappenbrief, 1582 den rittermäßigen Reichsadel erhalten. Nach Breslau übergesiedelt, wurden die von Eben bedeutende Handelsherren und durch Heirat ratsverwandt.156 David von Eben, 1600 geboren und Besitzer mehrerer Güter im Fürstentum Breslau, wurde 1644 in den Rat gewählt, dem er 25 Jahre angehörte. Nach dem Tode seiner 1636 verstorbenen ersten Frau Martha von Mentzel heiratete er 1640 Anna Magdalena Martin von Debitz, eine Tochter des Gene156
Über dieses Breslauer Ratsgeschlecht s. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. l, S. 321-342; s. auch Rudolf Stein: Der Rat und die Ratsgeschlechter des alten Breslau, S. 245f.
265
ralsteuereinnehmers der Fürsten und Stände in Ober- und Niederschlesien, Gottfried Martin von Debitz. (Eine andere Tochter des schlesischen Generalsteuereinnehmers, und zwar Anna Justina Martin von Debitz, ehelichte 1652 Adam Wenzel von Reiche!;157 auf ihren Tod im Jahre 1667 verfaßte Christian Hoff mann ebenfalls ein Epicedium.) Als David von Ebens zweite Frau am 25. Dezember 1653 starb, war der Ratsherr bereits auf den sechsten Tischherrenplatz aufgerückt. 1663 wurde er Ratsältester und füllte diese Stelle bis zu seinem Tode 1669 aus. Die Trauerfeier für seine Frau Anna Magdalena von Eben fand am 4. Januar 1654 statt. Bei dem von Christian Hoffmann verfaßten Carmen fällt zunächst auf, daß der Dichter (wie in der Grabschrift auf Franz Scholtz von 1643) die Fiktion entwickelt, die Tote spräche zur versammelten Trauergemeinde: Hier ist nur Haut/ und Bein/ Ich werde bald deß Todes Wallstad werden; Mein Geist verfleugt/ es schwindet mein Gesichte/ Doch schau' ich noch die traurigen Geberden Derjenigen die umb mein Lager stehn; Ach liebster Schatz/ last keine Seufzer gehn/ Sie reissen nicht den Schluß deß Himmels ein/ Und keiner macht den hohen Spruch zu nichte. Deß Kreutzes Wermuth Wein/ Wird warlich nicht durch diß versüsset seyn: Der Strom so itzt auß Euren Augen bricht/ Verwehret doch des Todes Einfall nicht. (V. 1-12)158
Bemerkenswert ist auch die zweite Strophe des Begräbnisgedichts mit ihrer Ikonstruktur. Immer neue Vergleiche werden gefunden zur Beantwortung der Frage: 157
158
Über die Familie Martin von Debitz s. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 3, S. 57-59. Jodocus Martin von Debitz, ein Bruder des Generalsteuereinnehmers, war 1613 bis 1624 bischöflicher Rat und Sekretär, Syndikus und Kanzler des Domkapitels in Breslau. Trauer- und Trost-Gedancken/ über den seeligen Hintrit Der Wol-Edlen/ VielEhr und Tugendreichen Frauen Annen Magdalenen von Ebinn/ geborner von Martinin. Deß Wol-Edlen und Gestrengen Herren David von Ebenn/ und Brunnen [...] Höchlich geliebten/ und ietzt schmertzlich beklagten Ehe-Schatzes/ Von etzlichen wol-zugethanen und Dienst-fertigen Freunden Zu Bezeugung ihres Mitleidens/ treu-hertzig aufgesetzet. Breslau o. J. (444703). Das Epicedium Hoffmannswaldaus ist überschrieben mit »Kurtze Abschieds-Worte Der Seelig-Verstorbenen« und unterzeichnet mit den Initialen C. H. Da das Trauergedicht nicht in die autorisierte Ausgabe übernommen wurde, ist es wiedergegeben worden von Karl Friebe: Chronologische Untersuchungen, S. 9f. Eine »Trost-Schrift« als separaten Druck verfaßte Adam Etzler (ÜB Wroclaw, Sign. 544707).
266 Was ist der Frommen Todt? Ein freyer Paß der zu dem Himmel leitet/ Ein' alte Schuld/ ein Paradiß Gerichte/ Ein Ampts Befehl/ den keiner überschreitet/ Ein Wechsel-Brief in unser Vaterland/ Ein treuer Zug der grossen Wunder-Hand/ Ein Schlaf-GetränckV ein Abzug aller Noth/ Ein kurtzer Dampf vor jenem langen Lichte/ Ein Fodern/ und Gebot/ Auß dieser Welt/ da alles stirbt/ zu GOtt; Ein herber Stock/ der süsse Frucht verschenckt/ Den Leib zur Ruh/ den Geist zum Himmel lenckt. (V. 13-24)
Die positivistische Forschung des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat darauf verwiesen, daß diese Verse große Ähnlichkeit mit dem in die Werkausgabe unter die »Vermischten Gedichte« aufgenommenen Ikongedicht »Der Todt« besitzen, weil sich einige Vergleiche fast wörtlich decken würden, und daß sich die Übereinstimmungen daraus erklärten, daß diese Gedichte von vornherein nicht zur Veröffentlichung in einer Sammlung bestimmt waren, »[...] sonst hätte der Dichter die störenden Wiederholungen zu vermeiden gesucht«.159 Letzteres ist zweifellos richtig, wenngleich sich auch die Ähnlichkeit als bedeutend geringer erweist, wie im Folgenden zu sehen ist: Was ist der Tod der Frommen? Ein Schlüssel zu dem Leben/ Ein Gräntzstein böser Zeit/ Ein Schlafftrunck alter Reben/ Ein Fried auff Krieg und Streit. Ein Führer zu der Sonne/ Ein Steg ins Vaterland/ Ein Auffgang aller Wonne/ Ein Trieb von grosser Hand. Ein Zunder zu dem Lichte/ Ein Flug in jene Welt/ Ein Paradiesgerichte/ Ein Schlag/ der alles fällt. Ein Abtritt aller Plagen/ Ein Baum vor alle Noth/ Was soll ich ferner sagen? Diß alles ist der Tod.160 159
160
Karl Friebe: Chronologische Untersuchungen, S. 10, der aus den Übereinstimmungen den Schluß zog, das Ikongedicht in der Werkausgabe sei vermutlich nur eine Strophe aus einem weiteren Epicedium Hoffmannswaldaus, da es als selbständiges Gedicht »etwas zu kurz« erscheine. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Vermischte Gedichte, S. 38. Das Gedicht wurde - jedoch ohne Angabe des Verfassers - in einem 1683 gedruckten »Exercitia«-Anhang zu einer Ausgabe von Epigrammen John Owens (die allerdings 1680 als Druckjahr aufweist) aufgenommen, s. Epigram matum loannis Oweni, Cambro-Britanni Oxoniensis, Editio Postrema correctissima posthumis qvibusdam adaucta & instructa Gemio Indice, Addita sunt in
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Die das Begräbnisgedicht auf Anna Magdalena von Eben geborene Martin von Debitz bestimmenden Merkmale - Fiktion einer redenden Toten und Ikoncharakter einzelner Verse - lassen sich auch im Epicedium auf Eva Kretschmar geborene Althoff nachweisen, das Christian Hoffmann zum Tode der am 18. Dezember 1655 verstorbenen Frau seines Breslauer Ratsfreundes Caspar Kretschmar verfaßte. Dieser war 1602 in Neisse geboren, hatte die Magdalenenschule in Breslau besucht, in Thorn und Danzig eine kaufmännische Ausbildung absolviert sowie die polnische Sprache erlernt; die Kaufmannsfamilie pflegte besonders die Handelsbeziehungen zu Polen, Mähren und Böhmen. Nach seiner 1630 vollzogenen Eheschließung mit der Tochter des Breslauer Kaufmanns Daniel Althoff gelangte Caspar Kretschmar 1637 in den Breslauer Rat, in dem er 1645 als Kämmerer fungierte und zwei Jahre später zum Oberkämmerer berufen wurde. Zeitlebens galt sein wissenschaftliches Interesse der Arithmetik und Architektur; mit Christian Hoffmann verband ihn seine Liebe zur lateinischen Sprache und Dichtung, er selbst verfügte über eine recht stattliche Bibliothek. Außerdem stammten beide Familien ja aus Neisse, von wo sie nach Breslau eingewandert waren.161 Bis zu seiner Berufung zum Stadtkämmerer gehörte Kretschmar den Breslauer Praesides scholarum an, war also ein Vorgänger Hoffmannswaldaus in diesem ratsherrlichen Amt. Das vorher bei Christian Hoffmann bereits erwähnte Phänomen des geistig-kulurellen Lebens in Breslau, daß nämlich die Mitwirkung im Schulamt einen Ratsherrn zum Kunst und Literatur fördernden Mäzen geradezu prädestinierte, läßt sich auch an der Person Kretschmars festmachen. In der Leichenrede auf seinen Tod, die Chrysosthomus Scholtz am 21. Januar 1657 hielt, heißt es dazu: Was Er bey Vermehrung und Verbesserung der ansehlichen Bibliotheca/ so wol bey endlicher Verfertigung der Orgel zu St. Maria Magdalena gethan/ ist theils denen/ die damit umbgehen/ wol bekandt/ theils in offenbahrem Druck/ theils vor den Augen alles Volckes. Was Er bey beförderung der öffentlichen Übungen und Comoedien in Schulen/ an seinem Orte mit würcken helffen/ können vorgemeldte Herren Rectores, Professores, und Praeceptores am besten berichten. Als unlängst die zwey Trauer Reden/ so seiner seel. Frauen/ und plötzlich hinge-
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fine Exercitia Memoriae Poetica, In Usum adolescentiae alicunde collecta. Vratislaviae, Sumtibus Joh. Adam Kästneri, M.DC.L.XXX. Breslau 1680 (1683); vgl. Stefan Kiedron: Eine unbekannte Veröffentlichung der Gedichte Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 23 (1996), S. 13-19, hier S. 18f. Die biographischen Informationen nach der »Klage- Trost- und Ehren-Rede« (431568) für Caspar Kretschmar, gehalten von Chrysosthomus Scholtz am 21. Januar 1657; s. auch Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 2, S. 426f.; außerdem Rudolf Stein: Der Rat und die Ratsgeschlechter des alten Breslau, S. 253.
268 ruckten lieben Söhnlein/ vor diesem gehalten gewesen/ in Druck kommen/ und Er der Durchlauchtigen / Hochgebohrnen Fürstin/ und Frauen/ Frauen/ Loyse, Herzoginn in Schlesien zu Liegnitz/ Brieg/ und Olaw/ gebohrner Fürstin von Anhalt/ auff begehren/ etliche Exemplaria davon zugeschicket/ auch eben zu der Zeit der Actus Musicus, im Gymnasio zu St. Maria Magdalena/ mit sonderlichen Solenniteten rühmlich wiederholet worden/ dann Hochgedachte Ihre Fürstl. Gnaden solchem Auffzuge/ mit guter Vergnügung beygewohnet haben selbige dem seel. Herrn Krätschmar gar Gnädig danken/ Ihn Jhrer Fürstl. Gnaden versichern/ und bey nebenst verständigen lassen/ weil Ihre Fürstl. Gnaden auß Glaubwürdiger nachricht vernommen/ daß Er solcher Sachen wol kündig/ und selbige gern anzustellen pflegte/ Er wolte doch auch ferner Jhrer bey vorfallender derogleichen Gelegenheiten/ und Comoedien nicht vergessen. So Er dann nicht allein für eine besondere Fürstl. Gnade/ mit schuldiger Ehrerbietung/ auff genommen/ sondern auch gegen andere erfreulich gerühmet.162
Das Leichencarmen auf den Tod Eva Kretschmars, die am 27. Dezember 1655 in der Breslauer Magdalenenkirche beigesetzt wurde, hatte Christian Hoffmann seinem nunmehr verwitweten Freund gewidmet und mit einer zum Ikon hinführenden Frage eingeleitet: Was ist das grosse Nichts/ so Welt und Erde heisset/ Dem der gemeine Geist zu opfern sich befleisset/ Ihm fetten Weirauch bringt/ und jhm sich selber schlacht? 162
163
(V. 1-3)163
Klage- Trost- und Ehren-Rede, S. 22t. nach eig. Pag. Wichtig ist auch der Hinweis auf die Verbindungen zwischen Breslau und den Piastenfürsten zu Brieg, Liegnitz und Wohlau. Ob Hoffmannswaldau auch auf den Tod Caspar Kretschmars ein Epicedium verfaßte (was naheliegend ist), konnte die Forschung bislang nicht nachweisen. Kretschmars Tochter Barbara hatte 1653 den Ratsherrn Daniel von Tarnau geheiratet, der jedoch wenige Tage vor seinem Schwiegervater am 31. Dezember 1656 verstarb - auch hier hatte die Forschung noch kein Begräbnisgedicht Christian Hoffmanns auffinden können. Von den beiden anderen Töchtern Caspar Kretschmars blieb Rosina unverheiratet und starb 1672; Anna ehelichte 1660 Adam Etzler, den Pastor primarius zu St. Maria Magdalena. Die Epicediasammlung auf den Tod Eva Kretschmars trägt den Titel: J. N. J. Klag- und Trost-Gedancken/ Bey dem tödlichen Hintrit Der Edlen/ Viel-Ehrund Tugendreichen Frauen Eva Kretschmarin/ Gebornen Althofin/ Deß Edlen/ Gestrengen/ und Hochbenambten Herrn Caspar Kretschmars/ Deß Raths/ und Ober-Cämmerers der Käyserlichen Haupt-Stadt Breßlaw/ Hertzgeliebtesten Hauß-Frauen [...] Der Seligen Verstorbenen zu schuldigem Ehren-Angedenkken/ Dem hochbetrübten Herren Wittiber/ hinterlassenen Kindern/ Herren Eidam/ und gantzen Hochansehlichen Freundschafft/ zu sonderem Trost/ außgefertiget. Breslau 1655 (556179). Weitere Carmina verfaßten der Propst in der Neustadt und Pfarrer zu St. Bernhardin, Georg Seidel, Valentin Kleinwächter, Caspar Naeven, Christoph Brehme, die drei Söhne Friedrich, Daniel und Caspar Kretschmar, Joachim Georg Eisner, Emmanuel König (aus Bernstadt) und Carl Stanislaus Teutschmann (»denen hinterlassenen betrübten Söhnen zugeordneter domesticus Informator«). Hoffmannswaldaus mit den Initialen C. H. unterzeichnetes Carmen steht am Anfang der Epicediasammlung und wurde später u.d.T. »Verachtung der Welt« in die autorisisierte Werkausgabe aufgenommen; vgl. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Begräbnüß Gedichte, S. 50-53. Es ist außerdem enthalten in dem bereits erwähnten »Exer-
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Auf den rhetorisch fragenden Einsatz wird in 33 metaphorischen Vergleichen geantwortet, daß die lockende und vielversprechende Welt nur täuschender Schein sei: Ein grosser Wunderbai mit Eitelkeit erfüllet/ Ein Brunn auß welchem stets ein Strom der Sünden quillet/ Ein Mahler/ so den Schein zu einem Grunde macht [...]. (V. 4-6)
In der Verbindung von Bildelement und Begriff, im Nebeneinander von dinglichen und abstrakten Bildern entsteht so eine variierende Wortkette, die das Wesen der Welt als Eitelkeit, Sünde, Schein, Trauer, Verrat und so weiter bestimmt. Die Frage nach dem Wesen der Welt - unzählige Male wurde sie in der deutschen Barockdichtung gestellt, Christian Hoffmann selbst hat die »Welt« immer wieder zum Gegenstand metaphorischer Betrachtungen gemacht. Dabei scheint sein ingenium unerschöpflich zu sein im Hervorbringen von immer neuen Bildern und Vergleichen, die jedoch dem allgemeinen Tenor der Vanitas-Dichtung verpflichtet sind. Auch das folgende Gedicht macht darin keine Ausnahme, so daß es sich aus eben diesem Grunde nicht genau datieren läßt: Was ist die Welt und Ihr berühmtes gläntzen? Was ist die Welt und Jhre gantze Pracht? Ein schnöder Schein in kurtz gefasten gräntzen, Ein schneller Plitz bey schwartz gewölckter Nacht, Ein rundes Feldt, da kummer-disteln grünen, Ein schön Spittal, so voller Kranckheit steckt, Ein Sclaven-Hauß, da alle Menschen dienen, Ein faules Grab, so Alabaster deckt. Daß ist der Grundt, worauff wir Menschen bauen, Und was daß Fleisch vor seinen Abgott helt. Komm, Seele, komm', und lerne weiter schauen Als sich erstreckt der Circkel dieser Welt. Streich' ab von dir derselben kurtzes prangen, Halt Jhre Lust für eine schwere Last. So wirstu leicht in diesen Port gelangen, Da Ewigkeit und Schönheit sich umbfast.164
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citia«-Anhang der »Epigrammatum loannis Oweni«, hier ebenfalls ohne Hinweis auf den eigentlichen Verfasser und um die Hälfte der Verse gekürzt, vgl. Stefan Kiedron: Eine unbekannte Veröffentlichung der Gedichte Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus, S. 16f. Ein dem Witwer und Freund Caspar Kretschmar gewidmetes separates lateinisches Epicedium auf den Tod Eva Kretschmars stammte vom Breslauer Obersyndikus Henel von Hennenfeld: ALLOQUATIO CONSOLATORIA, Ad Nobilissimum, Strenuum, Amplissimumque Virum Dominum CASPAREM KRETSCHMARUM [...] ex praematuro, acerboque obitu nobilissimae Conjugis EVAE ALTHOFIAE gravissime lugentem. Breslau o.J. (558008). Zitiert nach M 216, S. 355f. Das Gedicht wurde später in die Werkausgabe aufgenommen, vgl. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Vermischte Gedichte, S. 31. Auch dieses Gedicht ist ohne Angabe des Verfassers
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Ungezählte barocke Vanitas-Gedichte setzen ein mit der Frage: »Was ist die Welt?«; und wie seine Dichterkollegen nennt auch Christian Hoffmann diese Welt falsch, ihren Glanz und ihre Pracht eitel und nichtig. »Es ist Alles ganz eitel«, sagte schon der Prediger Salomo im Alten Testament. Bei Hoffmannswaldau erfolgt die Abwertung der irdischen Welt ikonhaft in den Versen 3 bis 8 mit solch ausgesuchten Komposita wie »kummer-disteln«165 und »Sclaven-Hauß« und in zumeist antithetischen Vergleichen, die im Bild vom »faulen Grab, so Alabaster deckt« kulminieren: Die marmorähnliche, feinkörnige Gipsart namens Alabaster nimmt einen wichtigen Platz in der Edelsteinmetaphorik des dekorativen Bildschmucks ein und wird im Schönheitspreis der barocken Dichtung mit Vorliebe zur Bezeichnung der weißen, durchscheinenden Haut der Geliebten verwendet - »der Hals von Alabaster« ist ein fester Bestandteil des petrarkistischen Schönheitskatalogs. Auch hier zielt die Antithese auf die farbliche Wirkung dieses kostbaren Materials: die Welt als faules (und schwarzes) Grab ist mit einer alabasterweißen Platte abgedeckt und somit vor Enthüllung ihres wahren Wesens sicher. Damit ist die Mitte des Gedichts erreicht, so daß die beiden nächsten Verse das bisher Gesagte bilanzieren können: Die Welt, »der Grundt, worauff wir Menschen bauen«, ist falsch und nichtig; indem der Mensch ihren Glantz und ihr Prangen verehrt, huldigt er einem falschen Gott, einem Abgott. Als barockes Vanitas-Gedicht folgen die Verse den rhetorischen Gepflogenheiten, zieht die narratio (die Darstellung des Redegegenstandes »Welt« im ersten Teil des Gedichts) die persuasio (Überredung der »Seele« als Publikum) im zweiten Teil nach sich. Fast bittend folgt die Aufforderung an die Seele, sich von dieser falschen Welt freizumachen. Die Bitte ist zugleich ein Locken; denn die Menschen hängen nicht nur mit ihrem »Fleisch«, ihrem Körper also, sondern oft auch mit ihrer Seele an dem schönen schnöden Blendwerk, genannt Welt. Die Seele muß erst lernen, sich von den weltlichen Versuchungen freizumachen - dann kann sie das in den Versen 15 und 16 verheißene Jenseits erreichen, den Ort des wahren Gottes, »da Ewigkeit und Schönheit sich umfaßt«.166 Das Jen-
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in den »Exercitia«-Anhang der Epigramm-Ausgabe John Owens aufgenommen worden, vgl. Stefan Kiedron: Eine unbekannte Veröffentlichung der Gedichte Christian Hoff mann von Hoffmannswaldaus, S. 17f. Vgl. hierzu im Alten Testament, 1. Mose 3, 17f., bezüglich der Vertreibung aus dem Paradies: »Verflucht sei der Acker um deinet willen/ mit kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang/ Dornen und Disteln soll er dir tragen.« Vgl. auch die Interpretation dieses Gedichts im Vergleich mit anderen »Welt«Gedichten bei Urs Herzog: »Weiter schauen«. Zu Hoffmannswaldaus »Die Welt«. In: Gedichte und Interpretationen. Bd. l, S. 357-365.
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seits ist der Hafen, der Sicherheit gebende »Port«, in dem sich Ewigkeit und Schönheit in Harmonie vereinen und die Wechselfälle des irdischen Lebens überwunden sind. Dahinter steht der seit der Antike gebräuchliche Topos vom menschlichen Leben als einer gefährlichen Fahrt auf dem tobenden Meer voller Abgründe und Klippen, unwägbaren Bedrohungen für den Seemann, einer Fahrt, die nur allzu oft eine Irrfahrt ist. Den Schiffahrtstopos setzt auch Christian Hoffmann in seinem Begräbnisgedicht auf Eva Kretschmar zur consolatio für den Freund ein: Dem allem/ werther Freund/ ist Euer Lieb' entgangen: Sie hat durch jhren Tod zu leben angefangen. Man freut sich/ wann ein Freund den Hafen hat erreicht/ Dieweil er nun befreit von Klippen/ Wind und Wellen/ Schiff/ Wahren/ Geist und Leib zu friede weis zustellen. Wie daß ein traurig Ach durch Euer Hertze streicht? (V. 37-42)
In der letzten Strophe dann wird über einen Bindevers dem hinterbliebenen Witwer die tröstliche Heilsgewißheit durch die Verstorbene selbst verkündet: Was habt Jhr endlich doch vor Euren Schatz zu sorgen/ Der in deß Höchsten Hand so sicher ligt verborgen? Mich deucht Er ruffet Euch mit diesen Worten zu: Euch drückt noch Ketf und Band/ ich bin dem Joch' entnommen; Jhr wallet auf der See/ ich bin in Hafen kommen: Jhr schwebt in eitel Noth/ ich bin davon befreit/ Jhr lieget in der Nacht/ mir leuchten tausend Kertzen/ Jhr seufzet in der Angst/ ich denck an keine Schmertzen. Jhr tragt den Dornen-Krantz/ mich krönt die Ewigkeit. (V. 64-72)
Tod Henel von Hennenfelds Am 23. Juli 1656 starb der Breslauer Obersyndikus und langjährige Vertraute der Familie Hoffmannswaldau, Nikolaus Henel von Hennenfeld. Seine enge Verbundenheit mit dem Verstorbenen dokumentierte Christian Hoffmann bei dem eine Woche später stattfindenden Begräbnis mit einem Gelegenheitsdruck, der schon im Titel den freundschaftlichen Beziehungen beider Männer zueinander Rechnung trägt.167 167
CHARACTER DEVOTI ANIMI, Erga Clarissimum Defunctum, ä Cultore, immö Filio expressus. Par enim semper visum fuit, Eum Patris loco habere, quem Pater, dum in vivis eslet, Principem Amicorum omnium Secretorum Arbitrum esse voluerit. C. H. A. H. Breslau 1656 (558003). Auf Henels Tod erschien ein weiterer Gelegenheitsdruck (429326) mit lateinischen Carmina und Inscriptiones, u.a. von Johann Heinrich Cunrad, Johann Jacob Agricola (Syndikus),
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Einer längeren lateinischen Inscriptio schließt sich ohne Lemma das deutschsprachige Trauergedicht an: Was Erd' vnd irrdisch heist/ zustört der Rost der Zeit/ Die kleine Welt der Mensch/ der trägt sich selbst zu Grabe/ Sein Haus/ vnd seinen Schmuck frist Faulniß/ Staub'/ vnd Schabe/ Vnd wird durch Eitelkeit/ wie Blumen abgemeit: Er zehrt/ vnd wird verzehrt/ vertreibt vnd wird vertrieben/ Vnd seines Wesens ist/ die Asche Zeugniß blieben. Des Leibes Pracht vnd Schein/ das schöne Götzenbild/ So die verblente Welt mit tausend Opffern ehret/ Hat Kranckheit vnd Verdruß offt vor der Zeit versehret/ Vnd diesen Sonnen-Straal mit Wolcken fest' vmbhüllt: Es muß der Haare Gold/ der Jahre Silber weichen/ Die Funcken werden Schnee/ die Rosen die verbleichen. (V. 1-12)
Der im elften Vers angezogene Gegensatz von Jugend und Alter als Topos der Vergänglichkeitsdichtung wird weiter variiert. Und der Fall früherer Weltreiche gehört genauso zum argumentativen Schema wie der Verlust kulturgeschichtlich bedeutsamer Stätten: Wo Croesus Taffei hielt/ wo Alexander saß/ Wo Caesar sich ergetzt/ wo Flora Lust getrieben/ Wo Nero hat gespielt/ wo Seneca geschrieben/ Wo Plato hat gelehrt/ vnd der Plutarchus laß/ Daß kan zu vnsrer Zeit kein Auge mehr erkennen/ Es muß es nur die Welt nu mehr ein Vnding nennen. Was bleibet endlich dann/ wann nichts bestehen kan? Zwey Wörter sind noch hier/ die Tugend vnd die Seele/ Die dringen durch die Zeit/ entgehn des Grabes Hole/ Vnd sind der Sterbligkeit nicht worden unterthan; Denn ihre Würdigkeit zumalmt den Zahn der Zeiten/ Daß Faulniß ist zu faul/ mit diesen recht zustreiten. (V. 43-54)
Die Verflechtung von Tugend und Seele und die sich anschließende Rechtfertigung der Seele als Heilsgut war im Falle Henels von besonderer Brisanz, hatte doch der nunmehrige Kircheninspektor und Pastor zu St. Elisabeth Anasias Weber in seinem Ärger über den Vorsteher der vormaligen reformierten Gemeinde zu Breslau und langjährigen Kryptokalvinisten die von Henels Witwe ihm übersandte Georg Seidel, Johann Kretschmar, Chrysosthomus Scholtz, Valentin Kleinwächter (Rektor am Magdalenengymnasium), Matthias Machner, Johann Fechner, Johann Gebhard, Wolfgang Stirius, Elias Major, Caspar Hoffmann, Johann Ernst von Pein, Heinrich Mühlpfort, Melchior Weise und von dem Württembergisch-Oelsnischen Kanzler Johann Hubrigius. Ein »Ehren-Gedächtnüß« (429327) auf Henels Tod enthält deutschsprachige Carmina von Christoph Köler, Johann Gebhard, Christoph Brehme, Nikolaus Tilesius und Balthasar Kopisch (aus Reichenbach), vom letzteren auch eine »Grab-Schrift« mit den Initialen B. K. R. S.
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Abkündigung mehrfach geändert und vor allem den Passus »der Seelen nach hoffentlich seelig verschieden« eingesetzt.168 Wie bei manchen Gedichten Hoffmannswaldaus wird auch hier der metrische Fluß durchbrochen, diesmal in Form einer angehängten Grabschrift; Vers 92 spielt dabei auf Henels regionalgeschichtlich bedeutsame Werke »Silesiographia« und »Breslographia« an: Hier fault nur Haut vnd Fleisch/ was nicht die Zeit befleckt/ Geht Himmel an/ dringt durch gelehrte Schrifften/ Vnd machet sich der klugen Welt bekand. Es scheint der Himmel selbst/ lehnt seine reine Hand/ Vnd wil nu mehr ein recht Gedächtnüß stifften. Denn Tugend bleibt zu keiner Zeit verdeckt/ Vnd last Stadt immer grüne Cronen/ Sich durch sich selbst belohnen. Mein Leser/ wilstu noch vier kleine Reimen lesen/ So dencke/ daß der Mann/ Den ich vnd du alhie nicht ferner schauen kan/ Sey vnser Schatz/ ja vnser Mund gewesen. Daß Land beweinet ihn/ die Stadt spart keine Irenen/ Was er beschrieben hat/ denckt seiner stets mit sehnen/ Den Edlen Geist hat Gott des Himmels wehrt geschetzt/ Vnd sein Gedächtnüß ist bey Fürsten beygesetzt. (V. 79-94)169
Zu keiner anderen Breslauer Familie sind die Beziehungen der Hoffmannswaldaus so gut dokumentiert wie zu den Hennenfelds: Den ersten Beleg haben wir schon für das Jahr 1621, als Christian Hoffmanns Mutter starb und Henel dem verwitweten Sekretär der schlesischen Kammer mit einem längeren lateinischen Epicedium Trost zusprach. Seinem umfangreichen Autographen im Jugendstammbuch des Dichters ließ der neuberufene Breslauer Syndikus 1638 die Studienanleitung für den Leidener Jurastudenten folgen. 1643 schrieb Henel ein lateinisches Carmen auf Christian Hoffmanns Hochzeit, und vier Jahre später beförderte er dessen Einstieg in die Breslauer Ratshierarchie. Fortan trug die gemeinsame Tätigkeit in der Stadtverwaltung zur weiteren Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen bei. 168
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Die damals gewöhnlich angewandte Klausel »Liebhaber Gottes Werks und der Hochwürdigen Sacramente« ersetzte Weber durch den Wunsch: »Gott verleihe ihm eine sanfte Ruh und am jüngsten Tage eine fröhliche Auferstehung.« Vgl. J. G. Peucker: Kurze Nachrichten der vornehmsten schlesischen Gelehrten, S. 46f. Das Trauergedicht auf Henel von Hennenfeld wurde von Hoffmannswaldau später mit dem Lemma »Auf den Tod eines vornehmen Freundes« versehen und in die autorisierte Werkausgabe aufgenommen; dort steht es an erster Stelle der Begräbnisgedichte, entsprechend der hohen gesellschaftlichen Stellung des Breslauer Obersyndikus und der persönlichen Beziehungen des Dichters zu dem Verstorbenen. Vgl. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Begräbnüß Gedichte, S. 3-7.
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Hatte noch im Januar 1641 Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau anläßlich des Ablebens von Henels erster Frau Anna Partisch eine lateinische Inscriptio für den Freund verfaßt170 (sein Sohn befand sich zu dieser Zeit in Italien), schrieb Christian Hoff mann 1650 eine lateinische Inscriptio und ein Sonett auf den Tod der Tochter Henels. Als zwei Jahre später der schlesische Kammersekretär starb, ließ Henel eine Inscriptio honoria und elf Carmina im Druck ausgehen. Das von Hoffmannswaldau 1656 verfaßte Trauergedicht auf Henels Tod war zusammen mit der Inscriptio das letzte Zeugnis für die enge Verbindung der beiden Männer und ihrer Familien. Henel galt als großer Förderer junger Dichter und machte sich insbesondere auch um die deutsche Sprache verdient - die von ihm verfaßte Chronik des Herzogtums Münsterberg und des Weichbildes Frankenstein schrieb er auf Deutsch.171 Nach Henels Tod waren es vor allem die Breslauer Ratsherren Adam Wenzel von Reichel und Johann Burghard von Löwenburg, zu denen Hoffmannswaldau engere Kontakte pflegte, was an anderer Stelle neben einigen Gelegenheitsgedichten weitere Schriftstücke belegen. Von den in die Werkausgabe aufgenommenen zwölf Begräbnisgedichten scheint Hoffmannswaldau die »WechselRede Zwischen bekümmerten Aeltern/ der natürlichen Regung und der Christlichen Geduld« auf den Tod des eigenen Sohnes Johann Ferdinand, der am 15. August 1655 im Alter von zwei Jahren beigesetzt wurde, verfaßt zu haben.172 Zu diesem Anlaß schrieb Andreas Gryphius ein lateinisches Trauerepigramm an den Vater sowie ein deutschsprachiges Sonett an die Mutter.173 Dieser Gelegenheitsdruck belegt, daß der Dichter die Beziehungen zu Christian Hoffmann, die ja schon 1638 im holländi170
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Der Gelegenheitsdruck trägt den Titel: MEMORIAE NOBILISSIMAE MATRONAE, ANNA HENELIAE, familiä PARTISCHIAE, EPICEDIA, AD MAGNIFICUM ET NOBILISS. VIRUM DN. NICOLAUM HENELIUM [...] Breslau 1641 (440050).
Auszugsweise gedruckt in: Friedrich Wilhelm von Sommersberg: Scriptores rerum Silesiacarum. Bd. 1. Leipzig 1729. Diese Vermutung schon bei Karl Friebe: Über C. Hofman von Hofmanswaldau, S. 14, und Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S. 37. Das Epicedium ist abgedruckt in C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Begräbnüß Gedichte, S. 61-68. In Funere immaturo Puelli Genere, aetate, Indole, praeclarißimisque minis Florentissimi, JOHANNIS FERDINANDI, VIRI Nobiliß. Strenui, Amplißimique DN. CHRISTIANI HOFMANNI ab Hofmanßwaldau/ Senatoris in Republ. Vratislaviensi Dignissimi, Scholarum Praesidis spectatissimi, et Rei bellicae Commissarii vigilantissimi, Filioli desideratissimi: a. d. XVIII. Calend. Septemb. humati, ALLOQUIA, Utrique Defunctae sobolis Parentum consolando. Breslau o. J. (546263). Über dem sechszeiligen Epigramm stehen die Worte »Ad modestiß. Dn. Parentem«; darunter »devota manus A. GRYPHII«. Das Sonett trägt das Lemma »An die Hochbetrübte Frau Mutter«.
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sehen Leiden geknüpft worden waren, in jenen Jahren wieder aufgenommen hat. Seit 1650 war Gryphius Syndikus der Glogauer Landstände174 und weilte von Amts wegen oft in Breslau. Daneben dürfte vor allem das Theater entscheidendes Bindeglied für die nun allmählich fester werdende Verbindung zwischen beiden Dichtern gewesen sein: Es war sicher Hoffmannswaldau, der als Schulamtsmitglied Gryphius für die Breslauer Schulbühne interessierte. So ist bereits für 1652 die Aufführung von »Beständige Mutter/ Oder Die Heilige Felicitas« als Übersetzung einer Märtyrertragödie des Jesuiten Causinus (dessen »Tragoediae sacrae« 1621 erschienen waren) in Breslau belegt.175 Im selben Jahr spielten Schüler des Elisabethgymnasiums die »Rache Gabaon«, 1655 wurde »Catharina von Georgien« aufgeführt. 176 Der Gelegenheitsdruck von Gryphius ist aber auch in anderer Hinsicht recht aufschlußreich: Er gibt uns den frühesten Beleg für Hoffmannswaldaus neue Funktion als Kriegskommissar Breslaus. Aus den Reihen der Ratsherren wurden der Oberkriegs- und der Kriegskommisar der Stadt bestimmt; beide auf den militärischen Bereich ausgerichtete Funktionen zählten jedoch nicht zu den jährlich neuzuverteilenden Ämtern. Als 1646 Heinrich von Reichel ermordet wurde, rückte Heinrich Brusski (ein Ratskollege Hoffmannswaldaus aus dem Apelles-Kreis) dem bisherigen Oberkriegskommissar Johann von Haunold zur Seite. Wohl mit dem Tode Brusskis am 30. August 1654 dürfte Christian Hoffmann das Amt des Kriegskommissars übernommen haben. Die Kommissare waren vor allem für die zwölf Fähnlein der Bürgerwehr zuständig; so hatten sie die Viertelmeister zu kontrollieren und die Offiziere zu ernennen.177 In den Bereich der militärischen Sicherheit der Stadt fielen auch die Zeughäuser, Tore und Pulvertürme, für die Hoffmannswaldau ab 1655 in einem von ihm neu übernommenen ratsherrlichen Amt (gemeinsam mit einem weiteren Ratsherrn) verantwortlich zeichnete. Es war dasjenige Amt, das er nach dem Schulamt - am längsten bekleidete, nämlich über einen 174
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In diesem Amte sammelte und ordnete Andreas Gryphius u.a. die Landesprivilegien des Fürstentums Glogau, die er 1653 neu herausgab, vgl. Glogawischen Fürstenthumbs Landstände und Ritterschafft Privilegia, Statuten, Kayserl. Königl. und Fürstliche Indulten und Bekräftigungen. Lissa 1653. Eberhard Mannack: Andreas Gryphius. Stuttgart 1968, S. 53. Noch 1658 wurde von den Schülern des Elisabethgymnasiums die Tragödie allein siebenmal im September zum Schluß des Schuljahres aufgeführt. S. auch Gerhard Spellerberg: Szenare zu den Breslauer Aufführungen Gryphischer Trauerspiele. In: Daphnis 7 (1978), S. 235-265, S. 244. Vgl. Max Hippe: Aus dem Tagebuch eines Breslauer Schulmannes, S. 188. Vgl. auch Arwed Igert: Das Wehrrecht der Stadt Breslau unter besonderer Berücksichtigung der habsburgischen Zeit. Breslau 1939.
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Zeitraum von 22 Jahren. Als der Breslauer Rat 1674 eine neue Instruktion des Pulvermachers erließ, die vor allem Sicherheitsvorkehrungen bei der Pulverherstellung und -lagerung betraf, dürfte diese unter maßgeblicher Mitwirkung Hoffmannswaldaus erarbeitet worden sein.178 Schließlich verwaltete der Dichter zunächst 1655 und 1656 und dann noch einmal 1658 die Johanniter-Commende Corporis Christi mit ihren umfangreichen Landgütern. Von Breslau 1540 als Pfandbesitz erworben, standen die Commendegüter unter städtischer Jurisdiktion. Um den Verbleib der Commendekirche bei der Stadt hatte sich Christian Hoffmann in Regensburg vergeblich bemüht.
Gutachten zur Breslauer Schulordnung Daß der Dichter seinen zahlreichen ratsherrlichen Pflichten gewissenhaft nachkam - dafür bietet das Jahr 1655 ein anschauliches Beispiel mit dem Gutachten vom 7. April, in dem Hoffmannswaldau als Schulamtsmitglied die erst 1643 überarbeitete Schulordnung des Rates in zwölf Punkten einer kritischen Prüfung unterzog und ihre Realisierung beurteilte.179 Eingangs steht der Vorwurf, daß die Ausbildung der Sprechfertigkeit im Lateinischen zu nachlässig betrieben werde. Zuviel Zeit verbringe man mit Diktieren und bloßer Grammatikvermittlung; dadurch werde mehr das Gedächtnis als der Verstand geübt. Nach Christian Hoffmanns Auffassung müsse stärker das Übersetzen aus einem guten lateinischen Autor und das Zurückübersetzen ins Latein, besonders aber das Sprechen ex tempore geübt werden. Ferner beklagte der Dichter, daß namentlich in die erste Ordnung zu schnell versetzt werde, und empfahl statt der gebräuchlichen halbjährlichen Versetzungen die jährliche. So wüßten bei den öffentlichen Prüfungen auch die Primaner wenig zu antworten, sondern würden alles ablesen - das hatte Christian Hoffmann als Mitglied des Schulamtes, dem die Prüfung der Gymnasiasten oblag, ja selbst feststellen müssen. 178 179
Vgl. AMW, Liber Magnus E 1-5, S. 540ff. mit dem Abdruck der Instruktion des Pulvermachers aus dem Jahre 1674. Das ursprünglich im Archiv des ehemaligen Breslauer Elisabethgymnasiums aufbewahrte Gutachten ist verlorengegangen. Seine Kenntnis verdanken wir dem späteren Rektor Martin Hanke, der in seinen »Anmerkungen von dem Latein-Reden« darüber folgendes schrieb: Unter denselben (die hohen Vorsteher aller hiesigen Schulen gemeint) gab Einer, welcher zu seiner Lateinischen Beredsamkeit zwar den ersten Grund zu Breslau geleget, aber zu Danzig das grösste Theil darauf gebauet, Einem Gestr. Rath durch eine den 7. Aprilis des 1655sten Jahres überreichte, in 12 Punkten bestehende Schrift zu erwägen, ob in der A. 1643. gemachten Schulordnung und der hieraus eingeführten Institution ferner alles zu behalten, oder nicht vielmehr etliches zu verbessern, auch etliches gänzlich abzuschaffen sei. (S. 16)
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Durch die Breslauer Schulordnung von 1643 waren an den beiden Gymnasien die Lehrbücher »Vestibulum Januae« und »Janua Linguarum reserata« von Comenius eingeführt worden. In seinem Gutachten kritisierte Hoffmannswaldau nun, daß dafür zuwenig Stunden aufgewandt würden und daß namentlich die »Janua« für den Unterricht insgesamt nur wenig fruchtbar gemacht werde. Darüber hinaus seien auch den Fächern Politica, Historia, Physica und Arithmetica »bündige Lehrbücher« zugrundezulegen. Weitere Bemerkungen im Gutachten betrafen die Redeübungen der Schüler, für die nicht nur Schulthemen, sondern auch solche zu geben wären, die später im gemeinen Leben und für die einzelnen Stände nützlich sein könnten. Auch seien der öffentlichen Redeactus zu viele; es fehle an Disziplin und Fleiß der Schüler. So würden viele auf die Universität gehen, die nicht einmal sechs oder acht gute Autoren gelesen hätten, die meisten wüßten kaum die Namen und die Schriften von zehn oder zwölf zu nennen. Mit seinem Gutachten reagierte Christian Hoffmann auf die politisch-ökonomisch motivierte zunehmende Ablehnung der Exklusivität der lateinischen Sprache, die sich als Widerstand gegen die didaktische und curriculare Dogmatik der Gelehrtenschulen artikulierte.180 Dieses Problem wird an späterer Stelle unserer Untersuchung noch ausführlich behandelt, und zwar im Zusammenhang mit den Ende der sechziger Jahre stattfindenden intensiven Bemühungen des Schulamtes (und hier erneut Hoffmannswaldaus) zur Verbesserung des Lateinunterrichts an den städtischen Gymnasien. Jetzt ist lediglich festzuhalten, daß Christian Hoffmann mit seinen Vorschlägen einen Ausgleich zu finden bestrebt war, der sowohl der lateinischen Sprache wieder eine größere Rolle in der Gesellschaft zuweisen soll als auch der gestiegenen Bedeutung naturwissenschaftlicher und anderer Fächer Rechnung tragen will. Dem dient auch der besonders bemerkenswerte Gedanke am Ende seines Gutachtens: So sollten am Elisabethgymnasium wöchentlich in einer oder zwei Stunden die »Institutiones juris« und die »Regulae juris« kurz erklärt werden - ein Vorschlag, den schon der ehemalige Rektor Thomas Sagittarius in den zwanziger Jahren gemacht hatte. In seiner Gesamtheit lief das Gutachten Hoffmannswaldaus wohl auf die Gründung eines Akademischen Gymnasiums in Breslau hinaus, nicht zuletzt als Reaktion auf die fruchtbare Entwicklung der i « Vgl. Wilhelm Kühlmann: Nationalliteratur und Latinität. Zum Problem der Zweisprachigkeit in der frühneuzeitlichen Literaturbewegung Deutschlands. In: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit, S. 164-206, hier S. 177186.
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Jesuitenschule und die Bestrebungen der Padres zur Einrichtung eines Jesuitencollegiums. Der Breslauer Rat griff zwar den Vorschlag auf, [...] die A. 1643. publicirte Schul-Disposition in den vornehmsten Stücken nochmals zu ändern, und aus dem neu eingeführten Gymnasio Magdalenaeo wiederum eine vulgärem scholam zu machen, hingegen das Elisabetanum mit mehreren Professoribus zu versehen, und nach Art eines ändern zu Danzig oder Hamburg oder ändern grossen Stadt, wo nicht mehr als ein Gymnasium zu finden, einzurichten.181
Allein es blieb beim bloßen Gedanken, und als sich 1662 die religionspolitischen Auseinandersetzungen in Schlesien erneut verschärften, ließ der Rat das Vorhaben fallen, [...] aus Furcht, dass diese scholastica mutatio dem publico statui nostrae civitatis möchte periculosa sein.
1K1
Anmerkungen zu dem Latein-Reden, S. 16; hier auch das Folgende.
VIII. Als Senator im Dienste der Stadt, die »Helden-Briefe« - Höhepunkt des lyrischen Schaffens (1657-1670) Wachsende Ratsverpflichtungen Die alljährlich anstehende Wahl des Breslauer Rates (im allgemeinen am Aschermittwoch gehalten) fiel im Jahre 1657 auf den 14. Februar. Christian Hoffmann, ein Jahr zuvor bereits zum zweiten Schöffen gewählt, rückte jetzt als sechster Senator an den eigentlichen Ratstisch auf.1 Der Rat hatte sich in den letzten zehn Jahren personell erheblich verändert. Zahlreiche der 1647 noch tätigen Ratsherren waren durch Tod aus ihren Ämtern geschieden, unter ihnen der 1652 verstorbene Ratspraeses Dietrich von Gartz, aber auch die Hoffmannswaldau nahestehenden Senatoren Johann von Haunold, Caspar Kretschmar (erst wenige Wochen zuvor), Veit Rötel von Reichenau, Maximilian Oelhafen, Heinrich Brusski und der Apelles-Schwager Daniel von Tarnau. Der Aufstieg Christian Hoffmanns von der Schöffenbank an den Breslauer Ratstisch brachte natürlich eine Zunahme der gesellschaftlichen Verpflichtungen und kommunalen Entscheidungsbefugnisse mit sich. Bestimmte ratsherrliche Verwaltungsaufgaben waren nämlich an bestimmte Ratssitze gebunden, wie etwa die Funktion des Oberkämmerers, dessen Amt auf Lebenszeit ausgelegt war und der deshalb im allgemeinen auf dem fünften Ratssitz verblieb. Da der sechste Tischherr immer den Vorsitz im Waisenamt und auch den Vorsitz im Almosenamt inne hatte, übernahm Hoffmannswaldau allerdings nur für das Jahr 1657 - die Leitung dieser sozial ausgerichteten Ratsbereiche. Dem Almosenamt zum Beispiel oblag die regelmäßige Inspektion der städtischen Hospitäler, in denen Arme, Alte und Kranke versorgt wurden.2 1 2
Breslauer Stadtbuch, S. 70. Ausgenommen war jedoch das Hospital zur Heiligen Dreifaltigkeit (bei der Corporis Christi-Kirche), da hier - neben den tatsächlich Bedürftigen - sich auch bemittelte Personen einkaufen konnten, die ihr Leben in Ruhe und ohne Sorgen beschließen wollten und in Kost und Wohnung auch besser gehalten wurden. Vgl. Friedrich Albert Zimmermann: Beschreibung der Stadt Breslau, S. 268-270. Für die Verwaltung dieses Hospitals war deshalb ein eigener Rats-
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Im Schulamt wirkte der Dichter jetzt neben dem Ratspraeses Ernst von Pförtner und den Ratsherren Georg Friedrich von Artzat und Gregor Biber. Artzat, dem an einer zeitgemäßen politischen Bildung der Schüler gelegen war, ordnete für die Gymnasiasten der beiden oberen ordines das Vorlesen der wöchentlich in Breslau erscheinenden Zeitungen im Unterricht an.3 Ob die auf den Samstagnachmittag gelegte Unterrichtsstunde, in der ein Gymnasiast in Anwesenheit der Lehrer die »Relationes« verlas, lange Bestand hatte, ist ungewiß; gleichwohl dürften hier jedoch die Anfänge der noch im 18. Jahrhundert an den Akademischen Gymnasien abgehaltenen Zeitungscollegia zu sehen sein. Was die Besetzung der anderen ratsherrlichen Ämter betrifft, hat sich für Christian Hoffmann nur wenig geändert: Noch immer gehörte er zu den vier Exekutionsherren, denen die Aufsicht über das Breslauer Strafwesen übertragen worden war, und nach wie vor verwaltete er die Zeughäuser, Tore und Pulvertürme der Stadt. Zu diesen insgesamt fünf Ämtern kam 1657 als sechstes und neues die Aufsicht über die Landgüter Protsch und Peißkerwitz, die mit dem Zinsdorf Domslau in einem Amte zusammengefaßt waren.4 Hervorzuheben ist neben diesen Verwaltungsämtern aber das sogenannte Bürgermeisteramt, das nur die Consules ausüben durften. Neben den regelmäßig wiederkehrenden Geschäften, die in bestimmte Zuständigkeitsbereiche der Ratsherren fielen, gab es genügend andere Tätigkeiten, die einer sofortigen Erledigung bedurften und von einem die Aufsicht führenden Tischherren abgewickelt wurden. Beginnend mit dem Ratspraeses, verwalteten die acht Consules wechselweise das Bürgermeisteramt, so daß jeder von ihnen jährlich einmal für sechs bis sieben Wochen aufsichtsführender Ratsherr war, dessen Name auf einer Tafel aushing.5 Seit seinem Aufstieg an den eigentlichen Ratstisch 1657 war auch Christian Hoffmann für mehrere Wochen im Jahr Bürgermeister der Stadt Breslau, ausgenommen bereich zuständig. Ausgenommen war auch das Kinderhospital zum Heiligen Grabe, über das der Ratspraeses selbst die Inspektion führte. 3 Vgl. Max Hippe: Aus dem Tagebuch eines Breslauer Schulmannes, S. 166. 4 Breslau hatte eine Anzahl Dörfer erworben, in denen es als Herrschaft jedoch kaum über Landbesitz 'verfügte. Die Dienste der Untertanen, auf welche die Stadt Anspruch hatte, z. B. Spanndienste der Bauern, Handdienste der Gärtner und Hofdienste des Gesindes, wurden auf Gütern realisiert, denen die Zinsdörfer zugeschlagen waren. Die Untertanen mußten also ihre Dienste nach den Hauptgütern leisten, ihre Geld- und Getreidezinse wurden zusammen mit den Einnahmen der Güter verwaltet; gemeinsam mit diesen bildeten sie einen Gerichtsbezirk, in dem die Breslauer Ratsherren, unter ihnen auch Hoffmannswaldau, die Gerichtsbarkeit ausübten. 5 Vgl. ausführlicher Fritz Turk: Die Entstehung und Entwicklung des Bürgermeisteramtes in Breslau. Breslau 1937.
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die Jahre, in denen er im festgelegten Wechsel als Schöffenpraeses wirkte und demzufolge auch auf der Schöffenbank Platz nahm. Der allmähliche Aufstieg in der Ratshierarchie führte zu immer größerer Einflußnahme Hoffmannswaldaus auf Entscheidungen des Breslauer Rates. Bereits 1656 war der Dichter Mitglied der Geheimen Kammer geworden, die aus dem Ratspraeses, den diesem folgenden vier Consules (einschließlich des Oberkämmerers, der deshalb immer auf der fünften Ratsstelle verblieb), den ersten beiden Schöffen, dem Unterkämmerer und den beiden Syndici bestand. Hier wurden die meisten Entscheidungen beraten, bevor sie zur Abstimmung an den gesamten Rat gingen. Auf diese Weise konnten besonders wichtige Ratsentscheidungen unter weitestgehendem Ausschluß der zünftischen Mitglieder vorbereitet und vor allem das städtische Finanzwesen kontrolliert werden. Schließlich sei daran erinnert, daß Hoffmannswaldau ja seit Mitte der fünfziger Jahre das Amt eines Breslauer Kriegskommissars bekleidete, das wegen der 1663 erneut akut werdenden Türkengefahr geraume Anstrengungen erforderte. Neben diese aus ratsherrlichen Funktionen und Ämtern resultierenden Verpflichtungen, deren ordnungsgemäße Erfüllung beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen mußte, traten weitere Aufgaben, die sich aus Präsenzobliegenheiten der Stadt Breslau gegenüber den schlesischen Fürsten, und hier besonders den Piastenherzögen, ergaben. Diese hatten 1654 das vereinigte Herzogtum durch Losentscheid dergestalt geteilt, daß Georg III. Brieg, Ludwig IV. Liegnitz und Christian II. Wohlau erhielt. Als dann am 28. Juli 1657 dem Herzog Christian II. von seiner Frau Luise, Tochter Herzog Johann Kasimirs von Anhalt-Dessau, eine Tochter geboren wurde, erging zehn Tage später an den Breslauer Rat die Einladung zu der auf den 18. Oktober festgesetzten Taufe. Es war Christian Hoffmann, der als Gesandter des Rates an dem »Fürstlichen Tauff Panquet zue Ohlau« teilnahm und dort die enge Verbundenheit der Stadt mit dem schlesischen Piastenhaus bekräftigte.6 Wir werden noch sehen, daß der Rat den Dichter auch später zu ähnlichen Feierlichkeiten der plastischen Herzöge abordnete.
6
Im »Haupt Buch Der Stadt Breslaw« für das Jahr 1657 belegen die von der Kammer an C. H. (das ist natürlich Christian Hoffmann) rückerstatteten »Auslagen bei dem Fürstl. Tauff Panquet zue Ohlau, retundiret laut Specification 33 Thaler 31 Groschen 6 Heller« die Teilnahme des Dichters an den Tauffeierlichkeiten. AMW, K 35-32, S. 149. Da das Schloß in Wohlau während des Krieges abgebrannt war, residierte der Herzog in Ohlau (Olawa). S. auch Richard Juhnke: Wohlau. Geschichte des Fürstentums und des Kreises. Würzburg 1965.
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Gesandtschaft an den kaiserlichen Hof 1657 Ungleich wichtiger waren jedoch die Gesandtschaften an den kaiserlichen Hof: Am 12. Januar 1657 reiste Hoffmannswaldau mit dem Syndikus Peter Muck von Muckendorff »in negocio publico« nach Wien, wo beide am 12. Februar bei Ferdinand III. Audienz erhielten.7 Mukkendorff, 1629 geboren, war 1655 als Dritter Syndikus dem Obersyndikus Nikolaus Henel von Hennenfeld und dem Syndikus Johann Jacob Agricola adjungiert und ein Jahr später nach Henels Tod auf die zweite Stelle berufen worden; schon 1658 wurde er Obersyndikus, nachdem Agricola wegen Krankheit aus seinem Amt ausscheiden mußte.8 Die bisherige Forschung sah den Zweck der viermonatigen Mission Hoffmannswaldaus nach Wien einmal darin, »[...] die Stundung einer Contribution von beträchtlicher Höhe zu erwirken«,9 zum anderen in der »[...] Behauptung des städtischen Burglehns Namslau gegen kaiserliche Ansprüche«.10 Die Dauer der Gesandtschaft ist Indiz dafür, daß sich die Verhandlungen am Kaiserhof kompliziert gestalteten. Ohnehin dürften Hoffmannswaldau und Muckendorff aber wenig ausgerichtet haben, denn noch während ihres Aufenthaltes in Wien starb am 2. April Kaiser Ferdinand III. Nach dem frühen Tod des ältesten Kaisersohnes Ferdinand IV. im Jahre 1654 war das Erbfolgerecht in Österreich an den zweiten Sohn, den erst vierzehnjährigen Leopold, übergegangen. Der neue Erzherzog hatte 1655 die Huldigung der österreichischen Stände empfangen und war noch im selben Jahr zum König von Ungarn gekrönt worden. 1656 wurde er König von Böhmen, damit schlesischer Landesherr, und begann nach dem Tode seines Vaters zähe Verhandlungen um die Kaiserkrone. Erst am 1. August 1658 wurde er als Leopold I. endlich zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt. Auf den Achtzehnjährigen übten seine Räte entscheidenden Einfluß aus, besonders Fürst Weikhard von Auersperg sowie die Obersthofmeister 7
Ein Bericht der Gesandten über ihre Legation ist nicht erhalten geblieben. Aus dem Schreibkalender Rektor Majors für das Jahr 1657 erfahren wir aber wenigstens den Abreisetag der Gesandten und das Datum ihrer Rückkehr, den 19. Mai. Folglich wurde Christian Hoffmann in Abwesenheit zum Senator gewählt. Vgl. R 2356, unter den betreffenden Daten; hier auch der Hinweis auf die Audienz: (12. 2.) Dni Legati viri, Dn. Christianus Hofman Senator, et Dn. Petrus Muccius Syndicus, ä Caesareä Majestate, Ferdinande III. clementissime audientz. * Vgl. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 3, S. 104f. Agricola starb 1663; neuer Syndikus nach Muckendorff wurde 1658 Andreas Assig. 9 Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S, 14. 10 Karl Friebe: Über C. Hofman von Hofmanswaldau, S. 16.
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Graf von Portia und Graf von Schwartzenberg, die in jenen Jahren wesentlich die absolutistische Politik Habsburgs bestimmten. Nachdem am 12. Juli 1657 die schlesischen Fürsten und Stände den Kommissaren Leopolds gehuldigt hatten (die beiden Gesandten Hoffmannswaldau und Muckendorff weilten zu dieser Zeit bereits wieder in ihrer Stadt), mußte Breslau beim neuen Landesherrn um Bestätigung seiner Privilegien und Freiheiten nachsuchen. Der Rat sandte deshalb Muckendorff nach Prag; die Legation des Obersyndikus an den königlichen Hof dauerte vom 1. September bis zum 1. Dezember 1657.n Mit dem Datum des 24. Oktober 1657 bestätigte dann der Monarch in der »Confirmatio Privilegiorum« der Stadt Breslau ihre Privilegien und Gerechtigkeiten, unter anderem die Exemtion von der Landeshauptmannschaft des Fürstentums Breslau und die Sonderstimme nach den Erbfürstentümern auf dem schlesischen Fürstentag.12 Muckendorffs Gesandtschaft nach Prag gibt nun auch näheren Aufschluß über jene Mission, die Hoffmannswaldau und Muckendorff ein halbes Jahr zuvor nach Wien führte, hatte doch der Rat seinem Gesandten mehrere Nebeninstruktionen mitgegeben, die zumeist die auf der vorigen Legation offen gebliebenen Angelegenheiten der Stadt betrafen. Muckendorff sollte nämlich auch in Prag wie schon zuvor mit Hoffmannswaldau in Wien - darauf hinwirken, daß der Stadt die Hälfte des zu entrichtenden Kontributionsbeitrages erlassen werde, und zwar als Abzug von den bisher nicht gezahlten Zinsen eines Darlehns in Höhe von 100000 Thalern, das Breslau Anfang des 17. Jahrhunderts Kaiser Rudolf zur Verfügung gestellt hatte.13 Doch der stetig steigende Finanzbedarf des Hofes schloß Verständnis für die Breslauer Wünsche aus: Wegen der gegenwärtigen »Kriegsverfassung« (gemeint war der 1655 ausgebrochene schwedisch-polnische Krieg, in den auch der Kaiser eingegriffen hatte) sei ein Nachlassen des Kontributionsbeitrages unmöglich, der Rat müsse sich deshalb bis auf weiteres gedulden. 11
12 13
Vgl. »Relation von der an den Königl. Hoff nach Prag auf begehren E. Gestr. Rathes vbernommen und vom 1. Septembris bis 1. Decembris Anno 1657 mit Schuldigem fleiße verrichteten Absendungk. Von Peter Muckh von Muckhendorff.« Die ursprüngliche handschriftliche Relation ist im Zweiten Weltkrieg verlorengegangen, doch existiert eine Abschrift des Rektors Klose, die jedoch unvollständig ist, s. Staatsarchiv Wroclaw, Zbior Klosego 66. Vgl. AM W, Liber Magnus E 1-5, S. 37-39. Vgl. mit entsprechenden Nachweisen ausführlicher Lothar Noack: Die Gesandtschaften des Ratsmitgliedes Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 34-37. Die dort erst nach der Legation Muckendorffs nach Prag eingeordnete Gesandtschaft Christian Hoffmanns muß jedoch nach Rektor Majors Schreibkalender von 1657 vor jene gelegt werden.
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Gleichfalls zurückgewiesen wurden auch andere wichtige Anliegen, die schon bei Hoffmannswaldaus und Muckendorffs Wiener Reise eine Rolle gespielt hatten, wie etwa die Rückführung der eingezogenen Landkirchen in Breslauer Jurisdiktion oder die Exemtion des der Stadt verpfändeten Burglehns Namslau. Die Prager Räte verzögerten die Entscheidungen, weil die vorhandenen Unterlagen zur Prüfung der Forderungen angeblich nicht ausreichten und der Großteil der Akten außerdem in Wien hinterlegt wäre. Damit wird klar, daß die gegenwärtige politische Situation wegen des vakanten Kaiserstuhls den Erfolg der nunmehrigen Gesandtschaft Muckendorffs wenig befördert haben, ihm sogar eher abträglich gewesen sein dürfte.14 Diese Nebeninstruktionen, die schon Monaten zuvor Gegenstand von Verhandlungen am kaiserlichen Hofe gewesen waren, bestätigen, daß Christian Hoffmann auf seiner Wiener Mission Anfang 1657 für den Breslauer Rat wenig erreicht hatte. Dabei sind seine diplomatischen Fähigkeiten offenbar unbestritten gewesen, fand sein selbstsicheres Auftreten auf dem glatten höfischen Parkett höchste Anerkennung: Mit dem Datum des 1. September 1657 wurde der Dichter zum Kaiserlichen Rat ernannt, [...] umb seiner Ihrer Mjt. gerühmbten qualitatem, vernunfft und geschickligkeit, auch Ihrer Mjt. und dem hochlöbl. Erzhauß Österreich geleisteten getreuen Dienste willen.15
Christian Gryphius hat in seinem Leichencarmen auf Hoffmannswaldau dessen Ernennung zum Kaiserlichen Rat versifiziert und dabei besonders das »ingenium« des Dichters herausgestellt: Dein himmlischer Verstand gefiel den Majestäten/ Deß grossen Oesterreichs: Sie sahen deinen Witz Mehr als genädigst an/ und gönn'ten bey den Räthen Deß Hohen Kayser-Stuls dir einen Ehren-Sitz.16
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Als etwa Muckendorff versuchte, eine noch aus der Zeit Kaiser Rudolfs II. herrührende Schuldforderung der Stadt Erfurt gegen Breslau in Höhe von 35000 Thalern aufheben zu lassen, wurde ihm am 29. Oktober 1657 von der Prager Hofkammer der Bescheid erteilt, daß sich beim gegenwärtigen Stand des Kaiserreiches mit der Stadt Erfurt nicht würde handeln lassen; vgl. AMW, Liber Magnus E 1-5, zwischen Bl. 31 und 32 eingebunden. Zitiert nach Karl Friebe: Über C. Hofman von Hofmanswaldau, S. 16. Friebe bezieht sich hier auf eine heute nicht mehr vorhandene Urkunde aus dem ehemaligen Stadtarchiv Breslau, datiert mit dem 1. Dezember 1657, nach der Hoffmannswaldaus Ernennung zum Kaiserlichen Rat am 1. September 1657 erfolgt sei. Als Der Hoch-Edelgebohrne/ Gestrenge Herr Christian von Hoffmannswaldau [...] Mit Christ-Adelichen Ceremonien in Hochansehnlicher Versammlung beerdiget wurde/ Entwarff Das bethränte Breßlau Christian Gryphius. Breslau 1679 (302000), S. 8 nach eig. Pag.
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Leicht war ein Erfolg am kaiserlichen Hof freilich nicht zu haben. Bezeichnendes Licht auf Christian Hoffmanns eigene Empfindungen werfen da vielleicht (im Unterschied zum Rollencharakter seiner meisten Gedichte) zwei Stammbucheintragungen, die der Dichter im selben Jahr seiner ersten Wiener Mission getätigt hatte. Einem Balthasar Copisius schrieb er ins »über amicorum«: Sol nicht gewalt und list dein toter Hencker sein So schleuß, so gut du kannst, dich in dich selber ein.17
Eine weitere Maxime hoher Diplomatie, die durchaus auf Erfahrungen der Wiener Gesandtschaft gründen konnte, enthält der Stammbucheintrag für Georg Hertwig vom 23. November 1657.18 Finanzielle Zuwendungen und soziale Lage Für seine Gesandtschaft an den kaiserlichen Hof erhielt Christian Hoffmann ein »gewöhnliches Gratial« von 22 Thalern und 8 Groschen zuerkannt. Allerdings ist die Frage, wieviel Geld er für seine aufwendige Amtstätigkeit beanspruchen konnte, schwer zu beantworten, da einzelne Zuwendungen, darunter Naturalien wie Fleisch und Eier, oft direkt an die Ratsherren gingen. Die Rechnungen der Geheimen Kammer weisen aber wenigstens diejenigen Bezüge aus, die als »gewöhnliche Gratiale« oder besondere Ehrungen gezahlt wur17
18
Das Autograph ist im Besitz der Pennsylvania State University und wurde mitgeteilt von Barton W. Browning: Ein Hofmannswaldau-Epigramm von 1657. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 2 (1975), S. 96f. Das Epigramm trägt die Unterschrift: »Dieses schrieb zu gutem angedencken den 8 Herbstmonath im Jahr 1657 Christian Hofman von Hofmanswaldau des Raths in Breslau«. Auf derselben Seite Hoffmannswaldaus Wappen, auf der gegenüberliegenden Seite ein von unbekannter Hand angefertigtes Aquarell mit Krebs und festgeschlossener Muschel sowie der Inscriptio: »Je Verschlossener Je Sicherer.« Die überwiegende Zahl der mehr als 100 Einträger in Latein oder Griechisch, auch Hebräisch - nur 12 in Deutsch. Unter den Einträgern auch Elias Major und Johann Heinrich Cunrad, der Sohn des ehemaligen Breslauer Stadtmedicus Caspar Cunrad. Virtus defunctorum, Viventium cynosura sit. Du irrest wo du glaubst, was der und jener spricht: Trau keinem allzuviel, ja dir auch selber nicht. Hoc benevolentiae mon. L. M. Q. P. Christianus Hofman ab Hofmanswaldaw Senator Reipubl: Vratisl. Breslae 23: Nov: a. 1657. ÜB Wroclaw, Sign. 1949/179, S. 424; auch mitgeteilt bei Edward Bialek/Wojciech Mrozowicz: Das Stammbuch des Dichters Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 456. Jahre zuvor hatten sich bereits Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau (S. 422) und Henel von Hennenfeld (S. 423) eingetragen.
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den. So erhielten die Consules und Scabini zusammen jährlich 403 Thaler 28 Groschen (der Ratspraeses zusätzlich ein »gewöhnliches Deputat« von 324 Thalern), die acht Tischherren noch einmal 80 Thaler extra, die - obwohl nicht so ausgewiesen - sicher für die Ausübung des Bürgermeisteramtes gedacht waren.19 Hinzu kamen finanzielle Zuwendungen für ganz bestimmte Ratsämter: Als Exekutionsherr bekam Christian Hoffmann 40 Thaler, und er partizipierte an den 17 Thalern 32 Groschen, die den Herren im Schulpräsidium pro Quartal überreicht wurden. Außerdem entgalt ihm der Rat - wie eben erwähnt - seine Gesandtschaften an den kaiserlichen Hof mit jeweils 22 Thalern 8 Groschen und seine politische Korrespondenz mit Hofrat Imhoff in Nürnberg mit 25 Thalern jährlich - über letztere wird noch zu sprechen sein. Gemessen an dem Gehalt, das die besoldeten Beamten des Rates erhielten, etwa der Obersyndikus (1050 Thaler) oder der Syndikus (800 Thaler), war das nicht eben viel. So hatte die Ratstätigkeit noch immer etwas mit der Ehrenpflicht für die Stadt zu tun, trug sie vor allem zur bedeutenden Erhöhung des öffentlichen Ansehens der Ratsherren bei und gab diesen beträchtliche Entscheidungskraft nicht nur in kommunalen Angelegenheiten, sondern auch in Fragen, die ganz Schlesien betrafen (so war der Ratspraeses auch Vertreter der Stadt Breslau bei den Zusammenkünften der schlesischen Fürsten und Stände) und ganz besonders in Angelegenheiten, die zwischen der Stadt und dem Landesherren zu regeln waren. Daß die Ratsherren außerdem Geschoß- und Steuerfreiheit genießen konnten, sei hier nur noch am Rande in Erinnerung gebracht. Christian Hoffmanns soziale Lage war von Anfang an durch materielle Sicherheit gekennzeichnet, zuerst durch die des Vaters, dann durch die eigene. 1643 hatte er eine reiche Erbin geheiratet, deren Erbgut 1650 auf seinen Namen überschrieben wurde. Der Verkauf des Grundstückes, zu dem auch ein Gasthof gehörte, sowie eines im Familienbesitz befindlichen Gartens auf dem Schweidnitzer Anger acht Jahre später brachte dem Dichter den Erlös von 7500 Thalern und ermöglichte ihm 1658 mit zunächst 2000 Thalern den Einstieg ins ertragreiche Darlehnsgeschäft an der städtischen Kammer.20 Schon 19
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Vgl. die jährlichen Kammerrechnungen in AMW, K 35. Die Angabe von Hermann Markgraf: Die Bilder der Breslauer Ratsherren von 1667. In: derselbe: Kleine Schriften zur Geschichte Schlesiens und Breslaus. Hg. von Max Hippe und Heinrich Wendt. Breslau 1915, S. 96-114, hier S. 108f., seit 1658 erhielten der Praeses, die beiden Ratsältesten und beide Kämmerer je 300 Thaler, die anderen Ratsherren je 200, konnte durch die eingesehenen Ratsakten nicht bestätigt werden. Ausführlicher mit den entsprechenden Belegen aus den Akten des Staatsarchivs Wroclaw Lothar Noack: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau -
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1670 betrug das angelegte Kapital 10500 Thaler, die - mit fünf beziehungsweise sechs Prozent verzinst - jährlich knapp 600 Thaler »Interessengeld« abwarfen. Hinzu kamen Einkünfte aus dem Gut Arnoldsmühl im ehemaligen Fürstentum Breslau, das nach dem Tode des Vaters 1652 in seinen Besitz gegangen war.21 Die Hoffmannswaldaus waren eine für die damalige Zeit typische aufsteigende Beamtenfamilie. Während es der Vater in kaiserlich-königlichen Diensten bis zum Sekretär der schlesischen Kammer brachte, trat der Sohn 1647 der Breslauer Ratshierarchie bei, wurde 1670 Ratsältester, 1677 schließlich Praeses. Politische Einflußnahme, eigenes Haus, umfangreicher Landbesitz, Kapitalanhäufung - dies alles gestattet die Zuordnung des Dichters Hoffmannswaldau zu den reichen Bürgern der patrizischen Oberschicht Breslaus, freilich nicht zu den reichsten, die zum Beispiel als Kaufleute bedeutende Gewinne aus dem Handel zogen und sich auch durch öffentliche Stiftungen und Vermächtnisse in der Stadt präsentierten.
Hoffmannswaldaus Gelegenheitsdichtung Aus dem lyrischen Werk Hoffmannswaldaus läßt sich nur weniges exakt auf das Jahr 1657 datieren. Dazu zählt das Hochzeitsgedicht für Ephraim Heermann und Ursula Sabina Rothe; der 1627 geborene Sohn des bekannten Kirchenlieddichters Johann Heermann war Direktor der Schule zu Wohlau. Die Hochzeit fand am 18. September statt.22
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Anmerkungen zu seiner politischen Tätigkeit und sozialen Stellung. In: GWrMF 8 (1989), S. 117-139, hier S. 135-137. Daß Christian Hoffmann neben Arnoldsmühl noch die Güter Beikau (im Weichbild von Neumarkt) sowie Schlaupe und Kutscheborwitz (im Herrnstädtisch-Wolauischen) besaß, vgl. Rudolf Stein: Der Rat und die Ratsgeschlechter des alten Breslau, S. 255, beruht offensichtlich auf einer Verwechselung. Bei Johann Sinapius: Des Schlesischen Adels Anderer Theil/ Oder Fortsetzung Schlesischer Curiositäten [...] 1728, S. 690, wird für das Jahr 1671 ein Christian von Hoffmann auf Kutscheborwitz, Kadlewe und Schlaupe nachgewiesen. IN J. SACRA CONNUBIALIA Wolaviae ad d. XVIII. Septembr. M DC LVII. ab EPHRAIM HEERMANNO, Scholae ibidem Directore Celeberrimo, SPONSO, et URSULA-SABINA ROTHIA, Lectissimä Virgine SPONSA instituta [...] Breslau 1657 (545732). Das Hochzeitscarmen Hoffmannswaldaus ist ohne Lemma eingefügt und unterzeichnet mit: »Vnd diß verehrte Der niegelehrte C. H.« Nach dem Gelegenheitsdruck wird im Folgenden zitiert. Unter den zahlreichen Verfassern der zumeist lateinischen Inscriptiones und Epithalamia ist neben Christian Hoffmann Daniel Czepko der bekannteste, weiter dann der Rektor des Breslauer Magdalenengymnasiums Valentin Kleinwächter, der Diakon an der Magdalenenkirche Adam Etzler sowie die Professoren Johann Gebhard und Wolfgang Stirius. Andreas Gryphius verfaßte zu diesem freudigen Ereignis ein Sonett, das unter dem Titel »Auf Herrn Ephraim Herrmanns Hoch-Zeit« je-
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Schon 1647 hatte Christian Hoff mann in seinem Epithalamium »Die versöhnte Venus« tatsächliches Kriegsgeschehen reflektiert. Was dort jedoch in die mythologische Venus-Cupido-Szenerie transportiert wurde, nimmt im Hochzeitscarmen für Ephraim Heermann als reale Bedrohung der jungen ehelichen Verbindung konkrete Gestalt an: Was der Pohl vnd Norden-Held/ mit dem wilden Krieges-Brande/ Vor Gefahr vnd Jammer-Leid/ dreuten vnserm Vaterlande; Hett' euch/ Heerman/ sollen schrecken/ von der Heurath abzustehn. (V. 1-3)
Seit 1655 standen Schweden und Polen erneut im Krieg um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Zwar hatte Karl X. Gustav im Bündnis mit dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg das durch innere Kämpfe geschwächte Polen niederwerfen können, war aber - nachdem der Brandenburger aus taktischen Erwägungen zeitweise seine Unterstützung versagt hatte - Ende 1656 in zunehmende Bedrängnis geraten. Sein Pakt mit Fürst Räkoczy von Siebenbürgen rief den Kaiser auf den Plan, der seinerseits ein Schutz- und Trutzbündnis mit dem polnischen König abschloß und Kurfürst Friedrich Wilhelm zum Frontenwechsel aufforderte. Damit war das zum habsburgischen Böhmen gehörende Schlesien durch seine geographische Nähe zu den kriegführenden Seiten im besonderen Maße von einem Übergreifen der Kampfhandlungen bedroht - erst 1660 konnte im Frieden von Oliva der neuerliche europäische Konflikt beendet werden. Wenn Christian Hoffmann sich in seinem Hochzeitsgedicht für Ephraim Heermann nicht den Sympathiebekundungen der protestantischen Schlesier für den schwedischen König anschloß,23 dann hat dies neben der Sorge um seine schlesische Heimat sehr wohl auch etwas mit der öffentlichen Position des Breslauer Ratsherrn zu tun, der als solcher durch seine Initialen der Hochzeitsgesellschaft als Verfasser des Carmens bekannt war. Das Epithalamium für Ephraim Heermann stellt in der Gelegenheitsdichtung Hoffmannswaldaus eher die Ausnahme dar - der Dichter verfaßte seine Casualcarmina fast ausschließlich für Mitglieder befreundeter Ratsfamilien. Dies belegt die nun folgende Untersuchung von Adressatenkreis und Produktionsmotivationen auf recht anschauliche Weise.
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doch nicht im Sammeldruck der Hochzeitsgesellschaft überreicht, sondern aus dem Nachlaß des Dichters bekannt wurde; vgl. Andreas Gryphius: Sonette. Hg. von Marian Szyrocki. Tübingen 1963, S. 122. Vgl. auch Ulrich Seelbach: Ein Hochzeitsgedicht Christian Hoffmanns von Hoffmannswaldau. In: Daphnis 7 (1988), S. 353-357.
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Gelegenheitsdichtung als Dichtung auf besondere Ereignisse im Leben eines Menschen (vorzugsweise auf Hochzeit oder Tod) gilt als hervorragender Fundus regionaler literarischer Kommunikation und trägt im Falle Hoffmannswaldaus zur Aufhellung der Kulturgeschichte seiner Heimatstadt Breslau bei. Die Forschung hat elf Hochzeitsgedichte ermitteln können, von denen sieben in die offizielle Werkausgabe von 1679/80 eingingen. Allerdings konnten nur bei sechs der elf Epithalamia die Adressaten nachgewiesen werden.24 Günstiger verhält es sich dagegen bei den literarischen Äußerungen des Dichters auf einzelne Todesfälle. Zu diesem Bereich kasualen Schrifttums gehören 16 deutschsprachige und sechs lateinische Epicedia, außerdem die epigrammatische Grabschrift für Franz Scholtz (1643), die Trauerrede für den Breslauer Ratsherrn Heinrich von Reichel (1646) sowie das Begräbnisgedicht auf den letzten schlesischen Piastenherzog Georg Wilhelm (1675), das unter die geistlichen Oden in die Werkausgabe aufgenommen wurde. Diese 25 Belege verteilen sich auf die Jahre 1643 bis 1676. Daß Hoffmannswaldau also im eigentlichen Sinne kein Gelegenheitsdichter war, zeigt besonders deutlich der Vergleich mit einem anderen Breslauer Dichter, mit Heinrich Mühlpfort nämlich. Nach dem Tode des Ratsregistrators kamen 1686 und 1687 drei Bände deutschsprachige und lateinische Gedichte auf den Markt - insgesamt mehr als 1100 Seiten Glückwunsch-, Hochzeits- und Leichengedichte.25 Das ist umso bemerkenswerter, als Mühlpfort schon 1681 im Alter von erst 42 Jahren verstarb, die Gedichte also in etwas mehr als 20 Jahren verfaßt wurden. Wollen wir die 16 deutschsprachigen Epicedien Hoffmannswaldaus nach Adressatenkreis und Produktionsmotivationen untersuchen (wobei andere literarische Äußerungen und mögliche weitere Quellen die Beziehungen des Dichters zu den Empfängern weiter erhellen können), stoßen wir gleich am Anfang auf die Tatsache, daß nur noch 24
25
Zu den Epithalamia ohne eindeutigen Adressatennachweis gehört neben den schon erwähnten auch das in trochäischen Versen abgefaßte Hochzeitsgedicht »Sol der Degen an den Nagel?«; vgl. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Hochzeit Gedichte, S. 37-40. Aus den Versen ist lediglich herauszulesen, daß der Bräutigam Militärangehöriger war. Heinrich Mühlpforts Teutsche Gedichte. Verlegt von Johann Georg Steckh in Breslau. Frankfurt a. M. 1686; Heinrich Mühlpforts Poetische Gedichte Ander Theil. Verlegt von Johann Georg Steckh in Breslau. Frankfurt a. M. 1687; Henrici Mühlpforti Poemata. Frankfurt a. M. 1686. Mühlpforts Werke wurden in der Nachdruckreihe »Texte der Frühen Neuzeit« neu herausgegeben, vgl. Heinrici Mühlpforti Poemata. Neudruck der Ausgabe Breslau und Frankfurt a. M. 1686. Hg. von Lutz Clären und Joachim Huber. Frankfurt am Main 1991; Heinrich Mühlpfort: Teutsche Gedichte. Poetischer Gedichte Ander Theil. Neudruck der Ausgabe Breslau und Frankfurt a. M. 1686/87. Hg. von Heinz Entner. Frankfurt a. M. 1991.
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bei zehn Begräbnisgedichten die ursprünglichen Gelegenheitsdrucke zur Verfügung stehen. Wie damals üblich, wurden bei der Zusammenstellung von Werkausgaben alle betreffenden Angaben über die Adressaten weggelassen, weil die Autoren keinen Unterschied zwischen der Casualdichtung und der nicht unmittelbar anlaßgebundenen Dichtung, mithin keine Abstufung der ersteren gegenüber letzterer im literarischen Rang aufkommen lassen wollten. Die Forschung hat auf dieses Problem und seine Konsequenzen für die soziale Funktion der Gelegenheitsdichtung hingewiesen.26 Denn ohne außerliterarische Angaben, die meist auf dem Titelblatt der Casualcarmina erschienen, läßt sich oft nur schwerlich etwas über die Beziehungen des Autors zu den Adressaten sagen. Im Falle Hoffmannswaldaus geht zwar zum Beispiel aus dem in die Werkausgabe aufgenommenen Leichencarmen »Schau-Bühne des Todes« der 1668 verstorbene Ratsherr Adam Wenzel von Reichel als Adressat hervor, doch daß die »Wechsel Rede« tatsächlich auf den Tod des eigenen Sohnes Johann Ferdinand zielt und damit 1655 verfaßt wurde, ist noch nicht gesichert. Darüber hinaus aber bietet die handschriftliche Überlieferung für zwei weitere Epicedien die notwendigen Angaben, so daß lediglich bei nur noch zwei Begräbnisgedichten ihre Zuordnung völlig offen ist. Von der damit insgesamt verläßlichen Materialbasis aus läßt sich der Adressatenkreis der 16 deutschsprachigen Epicedien recht genau bestimmen: Zwölf wurden auf den Tod von Breslauer Ratsherren beziehungsweise Ratssyndici und deren Familienangehörigen gedichtet - und nur eines auf eine Person, die zwar kein Ratsherr war, zum Breslauer Rat aber enge Beziehungen pflegte, nämlich Matthäus Apelles von Löwenstern. Bei den in die Werkausgabe Hoffmannswaldaus aufgenommenen Begräbnisgedichten gehören die uns bekannten Empfänger allesamt diesem Kreis an. Das legt den Schluß nahe, daß die noch unbekannten Adressaten von Epicedien der offiziellen Werkausgabe ebenfalls in Breslauer Ratsfamilien zu suchen sind, der Dichter seine Begräbnisgedichte also fast ausschließlich für seiner Familie sozial gleichgestellte Angehörige Breslauer Ratsgeschlechter verfaßte. Dahinter dürfen zu Recht sehr enge Beziehungen zwischen Autor und Empfänger vermutet werden, die es im Folgenden zu belegen gilt. In der Forschung sind wesentliche Motivationen für die Produktion von Gelegenheitsgedichten genannt worden, so zuerst »aus 26
Vgl. Jan Drees: Die soziale Funktion der Gelegenheitsdichtung. Studien zur deutschsprachigen Gelegenheitsdichtung in Stockholm zwischen 1613 und 1719. Stockholm 1986.
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Pflicht und Schuldigkeit«, wobei Pflicht als übergreifender Leitbegriff verstanden wurde, auf den andere Motivationen zurückgeführt werden können: »Die >Pflicht< ist, recht verstanden, die gefühlsbestimmte innere Übereinstimmung mit dem, was sich gehört; sie ist kein >Zwangbei Gelegenheit^ Heidelberg 1988.
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Epicedium für Anna Assig geborene Jordan Im Februar 1658 übersandte der Dichter dem Breslauer Syndikus Andreas Assig ein Epicedium zum Tode seiner Frau. Der am 4. November 1618 geborene Sohn eines Breslauer Goldschmiedeältesten hatte etwa zeitgleich mit ihm seine Schuljahre am Elisabethgymnasium verbracht. Jenen Lebensabschnitt setzte Christian Hoffmann im schon erwähnten Leichencarmen auf seinen Freund 1676 in die folgenden Verse: Mein Freundt, wo ist die Zeit, da unsre grüne Jugend Die Anmuths-Blumen brach, und Freundtschafftsäpffel laß? Alß Ich nicht weit von dir, alß Schulgeselle, saß; Erquicket durch den Safft der Wißenschafft und Tugendt? Wir lebten dazumahl in einer süßen Ruh; Und schauten unberührt dem Welt-getümel zu; Es machte Krieg und pest uns gar geringen Schrecken, Die Einfalt hieng uns Schild, und Gifftbedämpffung an, Wir ließen Kriegesruff uns schlechte furcht erwecken, Und zeigten, wie Man auch bey Unruh ruhen kan.33
Bei seinen Lehrern im Ruf eines ungewöhnlich begabten Jünglings stehend, wollte Assig zunächst in Jena studieren, doch die Kriegswirren verschlugen ihn nach Rostock, wo er sich im Juli 1637 an der Universität immatrikulierte und bei Nikolaus Schütz, Heinrich Rahn und anderen Professoren Jurisprudenz und Philosophie studierte; ab 1639 bewilligte ihm der Breslauer Rat sogar ein Stipendium. Im Herbst 1641 reiste er nach Königsberg, wurde dort »praefectus moribus« eines jungen preußischen Edelmannes und hielt an der Universität Vorlesungen über Bürgerliches Recht und Staatsrecht. Als Assig 1642 nach Breslau zurückkehrte und hier auf eine, seinen Studien angemessene Anstellung wartete, empfahl er sich dem hiesigen Rat durch juristische Vorlesungen für interessierte Jünglinge. 1646 zum Advokaten bestellt (einem 1644 von Herzog Georg Rudolf von Liegnitz an ihn ergangenen Ruf als Landschreiber des Fürstentums Wohlau konnte er wegen der anhaltenden Kriegswirren in Schlesien nicht folgen), wurde er in mehreren Prozessen sowohl in Breslau als auch im Fürstentum Liegnitz tätig und 1653 zum Fürstlich-liegnitzischen Hofrat ernannt. Nach dem Tode Henel von Hennenfelds bot ihm der Breslauer Rat die Stelle eines Syndikus an, die er nach etlichem Zögern schließlich annahm und sich nach Jena begab, um den für dieses Amt notwendigen Titel eines Doktors beider Rechte zu erwerben. Im März 1657 promovierte Assig unter Ernst Friedrich Schröter zum 33
Vgl. Trauer Gedancken bey der Leiche Tittul. Herren Andreas von Aßig. M 216, S. 320-330, hier V. 1-10.
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Doctor utriusque iuris und widmete seine Dissertation »De fictionibus« dem Breslauer Rat; einen Monat später trat er sein Amt als Dritter Syndikus an und stieg 1658, nachdem Johann Jacob Agricola wegen Krankheit ausgeschieden war, zum Zweiten Syndikus nach Peter Muck von Muckendorff auf.34 Bereits 1645 hatte sich Assig mit Anna Jordan, der Tochter des Diakons bei St. Maria Magdalena, Johann Jordan, verehelicht, die ihm in den wenigen Ehejahren eine Tochter und einen Sohn gebar. Als Assigs Frau am 9. Februar 1658 starb, verfaßte Christian Hoffmann für die Trauerfeier am 17. Februar ein Epicedium, das er an den neuberufenen Syndikus richtete.35 Das Begräbnisgedicht bringt zunächst Reminiszenzen an gemeinsame Erlebnisse aus der Schulzeit, wenn es in der zweiten Strophe heißt: Du weist wie offte wir die Eitelkeit verlachet/ Wann uns die Zeit zusammen hat gesellt/ Wie offte wir auß dem nur einen Schertz gemachet/ Was die gemeine Welt Vor jhren Trost und jhren Abgott schätzet/ Wir kennen ja den Wunderbai/ Des grossen nichts der uns so sehr ergetzet. Es ist ein gläsern Schatz gebrechlich überall. (V. 9-16)
Die engen Beziehungen zwischen beiden, die nicht erst seit Assigs Berufung zum Breslauer Syndikus bestanden, überlagern an mehreren Stellen des Begräbnisgedichts die meist antithetisch dargelegte variatio über die Scheinheiligkeit und schließliche Endlichkeit irdischen Lebens. Und wenn das Trauercarmen in der autorisierten Werkausgabe Hoffmannswaldaus schließlich das Lemma »Trostschreiben an einen guten Freund« erhält,36 dann ist darunter mehr als nur eine der damals gebräuchlichen rhetorischen Floskeln zu verstehen.
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Vgl. Heinrich Wendt: Der Breslauer Syndikus Dr. Andreas Assig (1618-1676) und seine Quellensammlungen. In: ZVGS 36 (1901/02), S. 135-158, der S. 136138 die wichtigsten Lebensdaten bis 1657 nach der Einladungsschrift der Jenaer juristischen Fakultät zu Assigs Antrittsvorlesung mitteilte. S. auch Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. l, S. 50f. Christlich Mit-Leiden Dem/ Edlen/ Groß-Achtbaren/ Hochgelährten Herrn ANDREAE ASSIG U. J. D. und Syndico in Breßlau/ Bey seiner Eheliebsten/ Der Edlen/ Viel-Ehr- und Tugendreichen Frauen Anna gebohrnen Jordanin/ Am Tage dero Leichbestattung/ war der 17. deß Hornungs Monats bezeuget. Breslau 1658 (556197). Nach dem Gelegenheitsdruck wird im weiteren zitiert. C. H. V. H.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Begräbnüß Gedichte, S. 53-57.
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Auch hinsichtlich der laudatio der Verstorbenen bricht das Gedicht aus dem traditionellen Rahmen; diese fehlt als eigenständiger Abschnitt der Epicedien hier ganz und wird lediglich in der Schlußstrophe angedeutet: Jch mag Jhr enges Grab mit Worten nicht beschweren/ Der Tugend Hand rieht hier ein Grabmahl auff So nicht der Jahre Rost und Schimmel kan verzehren. Ein reiner Lebens-Lauff Jst Schrifft genug. Was helffen Mausoleen Und weitgesuchten Marmels-Pracht? Die Bilder Kunst die kan vns schlecht erhöhen/ Durch gutten Leimund wird das schönste Grab gemacht. (V. 81-88)
Hoffmannswaldaus deutschsprachige Epicedien an befreundete Ratsmitglieder, zum Trost über den Tod ihrer Familienangehörigen beziehungsweise auf den Tod der Ratsfreunde selbst verfaßt, sind ausgedehnte Reflexionen über die Vergänglichkeit alles Irdischen, doch mit einer auffallend kurzen laudatio auf den Toten, auch in dem »schuldigster massen« verfaßten Carmen auf den Breslauer Ratspraeses Ernst von Pförtner. Das legt den Schluß nahe, daß diese Begräbnisgedichte auch dem Selbstverständnis des Dichters zu Fragen von Leben und Tod dienten. (Eine solche Intention konnten wir ja schon bei der Leichenrede auf Heinrich von Reichel 1646 beobachten). Darüber hinaus berühren einige dieser Gedichte, besonders Hoffmannswaldaus Epicedium auf Andreas Assig 1676, den Leser recht eigentümlich wegen der darin formulierten Resignation, Mutlosigkeit und Verlorensein bis hin zu dem Wunsch, dem Freunde recht bald nachfolgen zu können: Also begleit ich nun des liebsten Freundes Bahre, Und mich begleitet nichts, alß Unmuth und Verdruß, Dadurch die Menschligkeit sich meistern laßen muß, Und immer schwerer wird beym Wachsthumb unsrer Jahre. Den Zucker dieser Welt hab ich genung geschmeckt, Ich weiß, daß vielmahl Gifft in süßen Mandeln steckt, Das Frucht und Bäume seyn umbzirckt mit gelben Schlangen, Der Grundstein unsrer Lust ist nichts, als Schminck und Schein, Ich laße dieser Welt ihr Reichthumb und ihr Prangen, Und wüntsche: Halb bey Gott und halb verscharrt zuseyn.37
Hier zeigt es sich ganz besonders, daß die Trauerbekundungen Christian Hoffmanns einem sehr engen Verhältnis zu den Adressaten seiner Epicedien entsprangen. Da sich in seinem Fall solch enge Beziehungen fast ausschließlich zu sozial gleichstehenden Ratsfamilien 37
Vgl. Trauer Gedancken bey der Leiche Tittul. Herren Andreas von Aßig. M 216, hier S. 329f., V. 191-200.
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entwickelten - wir haben an mehreren Stellen unserer Untersuchung darauf hingewiesen -, bleiben auch seine Casualcarmina im wesentlichen auf diesen Kreis begrenzt. Studienanleitung für Johann Burghard 1659 Ein bemerkenswertes Zeugnis für das freundschaftliche Verhältnis Hoffmannswaldau zu einzelnen Breslauer Ratsfamilien und zugleich ein hervorragendes Dokument für seine Stellung zu den Wissenschaften hat uns der Dichter mit seiner Studienanleitung für Johann Burghard (den Jüngeren) überliefert, die er unter dem Datum des 1. Oktober 1659 dem 1642 geborenen und sich der Jurisprudenz zuwendenden Sohn seines Breslauer Ratsfreundes Johann Burghard von Löwenburg sandte. Der Vater, geboren 1611, stammte aus einer Breslauer Kaufmannsfamilie, hatte in Altdorf, Leipzig, Straßburg und 1637, also kurz vor Hoffmannswaldau, auch in Leiden studiert und war 1654 in den Breslauer Rat gelangt, wo er bis zum Schöffenältesten aufstieg, bevor er 1677 verstarb.38 Hoffmannswaldau und Burghard waren zeitweilig Kriegskommissare der Stadt, beide stiegen auch zum Oberkriegskommissar auf. Feste Beziehungen zwischen beiden Familien entstanden spätestens Mitte der fünfziger Jahre: Schon für 1656 sind wechselseitige Treffen beider Familien belegt.39 1639 schloß Burghard die Ehe mit Dorothea Röber, durch die er die Güter Oldern und Benkwitz im Breslauischen erhielt. Seine vier Töchter heirateten Ratsverwandte; die bereits erwähnte älteste Tochter Maria Catharina, auf deren Tod 1673 Christian Hoffmann ja ein Epicedium verfaßte,40 ehelichte 1662 Hans Joachim von Haunold. Die Haunolds waren ebenfalls Kaufleute und saßen seit 1595 im Rat. Der Vater Johann von Haunold hatte - wie der Hoffmannswaldau nahestehende Ratsherr Caspar Kretschmar - zum Ausbau der Handelsbeziehungen seiner Familie die polnische Sprache erlernt und anschließend Polen, Litauen und Preußen bereist. Nach weiteren Reisen durch Österreich, Italien und die Niederlande wurde er 1625 in den Rat 38 39
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Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. l, S. 209f. In seinem Schreibkalender für 1656 überlieferte Rektor Major für den 5. März ein geselliges Beisammensein bei Christian Hoffmann, für den 7. März bei Johann Burghard; vgl. R 2355 unter den genannten Daten. Vgl. Todeß gedancken bey meineß Vertrauten Freundes (Titul) Herren Hanß Burgkhard von Leuenburg des Raths und Krieges Commissarii viel geliebten Frauen tochter, Frauen Marien Catharinen von Haunold gebohrnen von Burckhard und Leuenburg, Frauen auff grunau Seeligen hintritt, auffgesetzet. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin, Handschrift Ms. germ. fol. 768, S. 216.
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gewählt, war ab 1644 im Wechsel Vize- beziehungsweise Schöffenpraeses und mehrere Jahre mit Hoffmannswaldau gemeinsam im Schulpräsidium tätig, bis er 1655 starb. Sein Sohn Hans Sigismund, 1634 geboren, studierte in Altdorf, gelangte 1660 in den Rat und wurde 1691 Ratspraeses, welches Amt er bis zu seinem Tode 1711 bekleidete. Er galt als gelehrter Mäzen der Kunst und Kultur und war ein überaus eifriger Sammler auf vielen naturwissenschaftlichen Gebieten. Sein fünfzigjähriges Ratsjubiläum, ein in der langen Ratsgeschichte bis dahin nie eingetretenes Ereignis, wurde tagelang überschwenglich gefeiert. Sein Bruder Hans Joachim von Haunold, 1635 geboren, studierte wie der Vater in Altdorf; über ihn ist nicht mehr bekannt, als daß er 1662 Johann Burghards Tochter Maria Catharina ehelichte und 1708 auf seinem Gut Grunau verstarb.41 Von den drei Söhnen Burghards starben zwei bereits nach kurzer Zeit. Der älteste Sohn Johann Burghard hatte sich 1656 in Straßburg immatrikuliert, am 16. Dezember 1659 setzte er seine Studien in Heidelberg fort, 1662 studierte er in Leiden. Die von Christian Hoffmann unter dem Datum des 1. Oktober 1659 verfaßte Studienanleitung fällt also in jene Zeit, als der Breslauer Ratsherrensohn von Straßburg nach Heidelberg wechselte, um Jurisprudenz zu studieren.42 Mit ihr wollte Hoffmannswaldau dem Studiosus den Besuch der Hohen Schule in gleicher Weise befördern helfen, wie es seinerzeit Henel von Hennenfeld bei ihm getan hatte.43 41
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Über das Ratsgeschlecht der Haunolds s. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 2, S. 112-121. 1675 heiratete Anna Dorothea Burghard Heinrich von Reichel, drei Jahre später Susanne Rosine Burghard Albrecht von Reichel und Johanna Magdalena Herrmann Pucher von der Puche. Leider ließen sich keine Epithalamia Hoffmannswaldaus für diese Eheschließungen belegen, auch nicht für die Maria Catharina Burghards mit Hans Joachim von Haunold. Entgegen der in der Abschrift überlieferten Zeitangabe »Breslae Cal. Octob. 1659« datierte Heiduk als Herausgeber des Neudrucks die Studienanleitung auf den Beginn der Ausbildung Johann Burghards in Straßburg, mithin also auf den Spätsommer 1656; vgl. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Gesammelte Werke. Hg. von Franz Heiduk. Bd. II, S. 111 u. 619. In der ÜB Wroclaw befindet sich unter der Sign. Akc. 1649/426 eine im Katalog lediglich als »Textfragment Hoffmannswaldau« bezeichnete Abschrift der in Latein abgefaßten Studienanleitung. Sie umfaßt fünf Seiten; nach ihr wird im Folgenden zitiert. Als Adressaten dieser Schrift vermutete die Forschung zunächst einen der Reichelsöhne, vgl. Josef Ettlinger: Christian Hofman von Hofmanswaldau, S. 17; dann Adam Caspar von Artzat, vgl. Karl Friebe: Chronologische Untersuchungen, S. 23. Beide bezogen sich auf die erst 1700 vom Rektor des Görlitzer Gymnasiums, Samuel Grosser, anonym herausgegebene, um Einleitung, Ergänzungen und Kommentar erweiterte gedruckte Fassung unter dem Titel: VIRI AETERNAE memoriae DN. CHRISTIANI Hoffmann ab Hoffmannswaldau [...] De CURRICULO STUDIORUM VITAE CIVILI PROFUTURORUM ad Generosum Juvenem COMMENTATIO EPISTOLICA [...] Görlitz 1700
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Zu Beginn seiner Ausführungen ermahnt Hoffmannswaldau den jungen Burghard zur Frömmigkeit, fordert ihn zum täglichen Lesen in der Bibel auf und empfiehlt als Ergänzung dazu neben Konrad Dieterichs vielfach aufgelegten »Institutiones catecheticae« zunächst Schriften der als orthodox geltenden Theologen Johann Gerhard und Martin Chemnitz.44 Doch schon wenige Sätze später rät der Dichter dazu, sich auch in Fragen der Kirchenspaltung und Ketzereien kundig zu machen und verweist hierzu auf Werke von Hottinger, Calixt und Mornay.45 Die Empfehlung, anerkannte Ireniker zu lesen, ist gekoppelt mit der entschiedenen Ablehnung konfessioneller Kampf- und
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(384369). Die am Anfang der überlieferten Abschrift stehenden Initialen »J. B. S.P. D. C. H.« sowie die Namensnennung »Burkard« im Text verweisen jedoch mit Sicherheit auf Johann Burghard als Adressaten. Wesentliche Aussagen der Studienanleitung wurden der Forschung bereits mitgeteilt bei Franz Heiduk: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 473-476, und zwar bezugnehmend auf den Druck von 1700. Dieser liegt nun auch, mit Übersetzung und kleinen Erläuterungen, in zwei Neudrucken vor, vgl. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: De curriculo studiorum commentatio epistolica. Faks.Druck der einzigen Ausgabe von 1700. Hg., eingeleitet und übersetzt von Peter Schäffer. Bern/Frankfurt a. M./New York/Paris 1991, sowie Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Gesammelte Werke. Hg. von Franz Heiduk. Bd. II: Curriculum studiorum und andere gedruckte Werke. Hildesheim u.a. 1993, S. 3-114 (die deutsche Übersetzung der Studienanleitung von Ernst Moser). Huic subnectere non incongruum erit Dieterici Catechesin, si quisquam enim inter nostrates ea qua scitu Christiano necessaria sunt, dilucide exposuit, iste fecit. Hüne excipere poterit Lectio Gerhardi et Chemnitij; quorum hie errores Concilij Tridentini singulari industria in apricum produxit; ille verö partes nostras egregie defendit, et latus validis rationibus munivit. (Fol. 1) Der führende Jenaer Theologe Johann Gerhard (1582-1637) gab 1622/23 seine »Schola pietatis« heraus, 1633/37 erschienen vier Teile der »Confessio catholica [...] doctrina catholica et evangelica, quam ecclesiae augustanae confessioni addictae profitentur«. Gerhard stand u. a. unter dem Einfluß von Johann Arndt (1555-1621), dessen Werke Hoffmannswaldau ebenfalls empfiehlt. Martin Chemnitz (1522-1586) war Koautor der Konkordienformel gegen das tridentinische Konzil; sein »Examen Decretorum Concilii Tridentini, T. 1-4«, erschien 1566-l573 in Frankfurt. Quam cognitionem, ut quis assequatur, egregie juvabit Huttingerus in Historia Ecclesiastica, Calixtus in tractatu de Veritate religionis, Mornaeus in mysterio iniquitatis, et Simplicius Verinus in Epist. ad J. Pacium. (Fol. 1) Johann Heinrich Hottinger (1620-1667) veröffentlichte von 1651-1667 in Zürich seine »Historia ecclesiastica novi Testamenti«; Georg Calixt (1586-1656), 1633 erschien in Helmstedt sein Werk »De veritate religionis christianae«, 1656 in Hannover die deutsche Fassung »Discurs von der wahren christlichen Religion«. Philippe Mornay (1549-1623) publizierte 1612 in Saumur sein »Mysterium iniquitatis seu historia papatus«. Von Hoffmannswaldau empfohlen wurde auch der Brief von Simplicius Verinus an Justus Pacius. Hinter dem Pseudonym Simplicius Verinus verbarg sich Claudius Salmasius, den der Dichter auf seiner peregrinatio academica in Leiden gehört hatte; sein »Ad Justum Pacium epistola sive judicium de libro postumo Grotii« erschien 1646 in Amsterdam.
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Streitschriften als Stadt- und staatsgefährdend.46 Für einen angehenden Juristen, der nach Beendigung seiner Studien (und der sich üblicherweise anschließenden Bildungsreise) in den Dienst seiner Heimatstadt treten wollte - 1678 wurde Johann Burghard als Schöffe in den Breslauer Rat gewählt, in dem er bis zu seinem Tode 1691 wirkte -, war das ein wichtiger Hinweis, mußte er doch neben sehr guten Beziehungen zum lutherischen Rat auch auf ein positives Verhältnis zu den kaiserlichen katholischen Beamten und den in vielerlei Beziehungen zu Breslau stehenden reformierten Piastenherzögen bedacht sein. Daß Hoffmannswaldau selbst an einem Religionsfrieden als Grundbedingung für das Wohl der Stadt gelegen sein mußte, steht damit außer Frage. Es paßt zu seiner religiösen Haltung, daß er nicht nur konfessionelle Kampf- und Streitschriften ablehnt, sondern auch eine Orientierung in nichtchristlichen Religionen verlangt.47 Anschließend werden in der Studienanleitung nacheinander einzelne Wissenschaftsdisziplinen abgehandelt: Das Studium der Rechte (dem sich der junge Burghard ja zuwenden wollte) müsse gewissenhaft betrieben werden, denn nur dieses führe zu Ehren und Vermögen. Hoffmannswaldau erinnert in diesem Zusammenhang an Henels für ihn selbst verfaßte Abhandlung, legt aber auch Schultzes »Synopsis institutionem luris Civilis« (1633) sowie die erst unlängst erschienene »Paratitla juris« von Wesenbec nahe48 und rät zur Teilnahme an juristischen Disputationen. In den medizinischen Disziplinen genüge es jedoch einem Studenten iuris, deren Geschichte und einige Werke, etwa von Heurnius und Sennert, zu kennen.49 Wünschenswert wäre 46
Polemica et controversias sollicite penetrare haud tibi suasor existo, nullus enim jam contentionis modus, ubi alter candi libido absque termino esse gestit. (Fol. 1) 47 Wenn Schäffer allerdings aus Hoffmannswaldaus Empfehlung irenischer Schriften auf eine irenische Einstellung (Hervorhebung - L. N.) des Dichters schließt, vgl. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: De curriculo studiorum commentatio epistolica. Faks.-Druck, S. 55, so ist dies in Anbetracht der öffentlichen Position des Ratsherrn sicher zu weit gegriffen. 48 Scholzi nostratis Institutiones, ut tibi familiarissimas reddas, moneo. Cordatus enim vir, spretis obsoletis quae passim occurrunt, et potius ad antiquarios quam ad forum spectant, selegit utilia, et vitae profutura. His Paratitla Wesenbecij jüngere poteris [...]. (Fol. 1) Georg Schultze (1599-1634), die Formulierung »unseres Schultzes« meint, daß der Autor in Schlesien (Lemberg) geboren wurde; Matthaeus Wesenbec (15311586), seine »Paratitla juris sive commentarius in pandectas et codicem« wurde zuerst 1586 in Basel publiziert. 49 Welche der Schriften von Johann Heurnius (1543-1601) Hoffmannswaldau mit dem genannten Traktat »de Medicinae Origine« meint, ist nicht ganz klar; 1532 erschienen in Leiden »Institutiones Medicinae«, 1645 in Amsterdam »De studio medicine bene instituendo«. Der Medizinprofessor, zugleich Leibarzt des Prinzen von Oranien, lehrte als erster in Leiden die Zergliederungskunst; über ihn vgl. Christian Wilhelm Kestner: Medicinisches Gelehrten-Lexicon, S. 398f. Der
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es aber, Anatomie und Botanik anzuschließen und hier besonders durch eigene Anschauung sein Wissen zu erweitern. Vor dem Hintergrund der Reform des Lehrbetriebes an den beiden Breslauer Gymnasien sind Hoffmannswaldaus Ausführungen zur lateinischen Sprache aufschlußreich: Die Grammatik solle man nicht im zu engen Sinne verstehen, sondern großzügiger auslegen. Wichtig sei vor allem das Lateinsprechen im Freundeskreis, die tägliche Plauderei, ebenso das nicht immer nur ernste Gespräch in gelehrten Zirkeln; auch solle sich der Studiosus in wenigstens zwei klassischen Autoren soweit auskennen, daß er jederzeit auf einzelne Ausdrücke und ganze Redewendungen zurückgreifen könne - dies alles sind Hinweise auf Christian Hoffmanns eigenen praktischen Gebrauch der lateinischen Sprache. In der Poesie solle sich nur der üben, der hierzu auch Talent besitze - denn heutzutage, wo fast alle Dichter sein wollen, sei es besser, keine Verse zu schreiben als schlechte.50 Doch dürfe man die Beschäftigung mit den Autoren, und hier insbesondere mit jenen schon im Altertum verehrten Dichtern nicht so weit treiben, daß man ihrer überdrüssig werde. Notwendig sei es aber, wenigstens ihre Herkunft, ihren Lebenslauf und die Art ihrer Dichtung kennenzulernen - die »Poetik« Scaligers bilde dabei sozusagen den roten Faden. Weitere Empfehlungen Hoffmannswaldaus gelten den Disziplinen Logik und Rhetorik. Zwar sei erstere keineswegs geringzuschätzen, und Mängel gelte es aufzuarbeiten, doch auch hier sei Übermaß falsch am Platz, und besonders schädlich sei das unentwegte Formulieren von Definitionen und Syllogismen, das von wirklich wichtigen Angelegenheiten abhalte.51 Im Fach Rhetorik (als deren wichtigste Lehrer Vossius und Causinus genannt werden) dürfe man sich nicht ängstlich an alle Vorschriften klammern, sondern solle möglichst oft eine kleine Ansprache halten, auch ohne großen Zuhörerkreis, wobei es nicht immer große Themen sein müssen. Der Dichter unterteilt hier die Redekunst in vier Gattungen, und zwar Rhetorik für den akademi-
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aus Breslau stammende Wittenberger Medizinprofessor und kursächsische Leibarzt Daniel Sennert (1572-1637) hatte sich u.a. mit der Herstellung von Arzneimitteln durch chemische Verfahren beschäftigt, vgl. über ihn ebenda, S.779f.; seine »Institutiones medicae« wurden 1611 in Wittenberg veröffentlicht. [...] nihilque taediosum magis, quam versus legere invita Minerva concinnatos. Mallemque ut nullos potius scribas quam malos, imprimis hoc temporis articulo, ubi vides, unumquemque, qui paulö plus reliquis dementiae consecutus, Poetam dici valit, ita ut non hellebori satis sit in Germania, quam corrigendo huic malo. (Fol.2) Omnia in atomos velle redigere, inter vitia seculi repono. Accidit enim non rarö, ut cum omnia anxie dividere conemur, intra manus saepe nobiliora entia evanescant, et in nihilum redigantur. (Fol. 2)
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sehen Unterricht, für die Kirche, für die Unterhaltung und für den amtlichen Gebrauch, wobei die beiden letzteren Priorität besäßen. Hier vor allem müsse ständig geübt, auf Gestik und Aussprache geachtet und Themen auf deren Nützlichkeit ausgewählt werden. Besonderen Wert legt Hoffmannswaldau in seiner Studienanleitung für Johann Burghard auf die Naturwissenschaften, vor allem auf das Fach »Physica«, das den Geist des Jahrhunderts bestimme, und nennt ihrer besonderen Verdienste wegen die Naturphilosophen Campanella, Gassendi, Helmont,52 Descartes und Hobbes. Sie alle werden seiner Meinung nach jedoch noch von Sperling übertroffen, dessen systematische Darstellung ihm vor allen anderen zusage.53 In den mathematischen Disziplinen habe der angehende Student sein Interesse zuerst auf die Rechenkunst zu richten, daneben jedoch auch auf Geometrie, Architektur und Sternkunde, wobei selbstredend maßvolle Kenntnisse ausreichen, besonders bei letzterer, während der Studiosus in Geographie durchaus mehr wissen müsse und hierzu die Schriften von Cluver und Golnitz zu Rate ziehen solle.54 52
Der berühmte Naturforscher, Arzt und Philosoph Johann Baptist von Helmont (1577-1644) wirkte als Gelehrter in Vilvorden bei Brüssel. Er hatte als erster erkannt, daß es außer Luft verschiedene Arten gasförmiger Substanzen gebe und zu ihrer Bezeichnung das Wort »Gas« eingeführt. Mit ihm war Hoffmannswaldau auf seiner peregrinatio academica zusammengetroffen. Dieser weder bei Lohenstein noch bei Köler zu findende Hinweis entstammt der lateinischen Inscriptio von Paulus Pater auf den Tod des Dichters 1679: Nee HELMONTIUM, Insignem illum per Ignem Philosophum, insalutatum omisit. Vgl. DEBITAE PIETATIS OFFICIUM AETERNATURAE GLORIAE VIRI ILLU-
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STRIS ET MAGNIFICI DN. CHRISTIANI ab Hoffmansvvaldau in Arnolds-Mühle [...] deferre voluit PAULUS PATER, S. 3 nach eig. Fol. Über Helmont s. auch Berthold Heinecke: Wissenschaft und Mystik bei Jan Baptista van Helmont. Dresden, Phil. Diss. 1990. (masch.) Johann Sperling (1603-1658) hatte ab 1621 in Wittenberg studiert und war hier 1625 Magister geworden. Später studierte er Medizin, wurde ein Schüler Sennerts und beschäftigte sich zunehmend mit physikalischen Vorgängen. 1634 erhielt er in Wittenberg die Professio Physicae. Als erster in Deutschland fügte er atomistische Auffassungen in die Lehrbücher der Physik ein; seine »Institutiones physicae« und »Synopsis physica« erlebten mehrere Auflagen. Unter seinem Vorsitz fanden in den Jahren 1640 bis 1650 in Wittenberg Disputationen zur atomistischen Lehre statt. Über Sennert schreibt Hoffmannswaldau außerdem: [...] medius enim stat inter Aristotelicos et Schismaticos, certe nee prorsus antiquarius est, nee prorsus novator, sed amicam veritatem pro Cynosura habet. (Fol. 2V) Der aus Danzig stammende Philipp Cluver (1580-1623) studierte in Leiden zunächst Jurisprudenz, wurde aber von Joseph Justus Scaliger auf das Studium der Geographie gelenkt; seine »Introductio in Vniuersam Geographiam« erschien erst 1624 nach seinem Tode. Aus Danzig kam auch Abraham Golnitz (ca. 1600-1640); bekannt wurde er vor allem durch sein »Compendium geographicum« (Amsterdam 1643).
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Die Ethik müsse dagegen unter die verdienstvollsten Wissenschaften gerechnet und möglichst vollständig angeeignet werden. Christian Hoffmann rät zum gründlichen Studium des Ethik-Handbuches von Jonstone, vermißt bei diesem Autor jedoch eine systematische Abhandlung der Affektenlehre, was auf eine intensive Beschäftigung des Dichters mit dieser Lehre zu jener Zeit hinweist.55 Auch sollten Seneca und Plutarch gelesen werden, um die eigenen Fehler zu erkennen und auszutilgen. Doch bei den zahlreichen Schriften zur Politischen Wissenschaft, insbesondere bei den kurzgefaßten Kompendien mit dem Titel »Respublica«, sei Vorsicht angebracht; denn viele Autoren würden lediglich fremde Gedanken ohne Prüfung ihres Wahrheitsgehaltes weitergeben. Geschichte als Geschichte der Wissenschaften sei dagegen ausführlich von Bacon dargelegt worden; für Philosophiegeschichte wären Vossius und Jonsenius, für Kirchengeschichte Hottinger, für politische beziehungsweise Universalgeschichte Cluver, Boxhorn und Danaeus die vorzüglichsten Autoren.56 Schließlich sei es notwendig, fremde Sprachen zu erlernen; ohne wenigstens hinreichende Kenntnis der jeweiligen Sprache solle man kein anderes Land besuchen. Doch dürfe man das Studium der Sprachen nicht übertreiben, da die Sprachen nur Mittel zum Wissenserwerb und selbst kein Wissen seien. Nicht nur diese, sondern viele der hier dargebrachten Empfehlungen resultieren aus Christian Hoffmanns eigenen Erfahrungen, verband sich in ihnen doch akademische Gelehrsamkeit mit aus Erfahrung geborener Weisheit, besonders aus der Zeit seiner Bildungsreise und aus der Wahrnehmung der unterschiedlichen politischen Aufgaben im Breslauer Stadtregiment. Am Ende der Studienanleitung kommt noch einmal der Diplomat zu Wort, der vor Streitsucht und Verbissenheit warnt, zu Leutseligkeit und Sanftmut, zur Vermittlung zwischen den Menschen rät.57 55
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[...] verum si me svasorem audire vis, malim ut Enchiridion Eth. Jonstoni tibi probe familiärem reddas, nihil enim in hoc Auctore desidero, nisi id quod doctrinam de Affectibus non sollicite magis pertractaverit. (Fol. 2 V ) Johann Jonstone (1603-1676), der sich u.a. auch mit mystischen Ideen vertraut gemacht hatte, stand mit dem schlesischen Dichter Daniel Czepko im brieflichen Verkehr; sein »Enchiridion Ethicum« erschien 1634 in Leiden, 1658 auch in Brieg. Johann Jonsenius (1624-1659); in seinem Todesjahr erschien in Frankfurt seine Schrift »De scriptoribus historiae philosophiae«. Der französische Kalvinist Lambert Danaeus (1530-1596) veröffentlichte 1580 in Genf seine »Geographica poetica, i.e. universae terrae descriptio«. Den Leidener Professor für Eloquenz und Geschichte, Marcus Zuerius Boxhorn, hatte Christian Hoffmann auf seiner peregrinatio academica ebenfalls gehört. Coronidis loco hie subjungo Polytropiam, quam Latine commode artem conciliandi sibi hominum animos dixeris. Nihil sane jucundius quam animis imperare,
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Nicht zu Unrecht wurde deshalb die Studienanleitung für Johann Burghard als »einzigartiges Zeugnis für die Verschmelzung profunder Gelehrsamkeit mit politischer Praxis« bezeichnet,58 wenngleich gerade in konfessionellen Fragen sich auch der Ratsherr Hoffmannswaldau wohl bestimmten Sachzwängen beugen mußte. Deutlich zeigte sich das in den jahrzehntelangen Bemühungen des Breslauer Rates um die Vertreibung der Jesuiten aus der Stadt. Der Senat und mit ihm der größte Teil der protestantischen Bürgerschaft sahen in der Einführung der Jesuiten in die innere, also eigentliche Stadt einen Angriff auf die Breslau zugesicherte Religionsfreiheit, da von diesen eine beständige Störung des konfessionellen Friedens ausgehe. Doch trotz energischer Gegenmaßnahmen brachte gerade das Jahr 1659 den Padres der Societas Jesu die Erfüllung ihres lange angestrebten Zieles; denn am 26. September befahl Leopold I. dem kaiserlichen Oberamt, die Jesuiten interimistisch in die kaiserliche Burg einzuführen. Nachdem die bis dahin in der Burg ansässige kaiserliche Kammer für Ober- und Niederschlesien (als deren Sekretär Johann Hoffmann von Hoffmannswaldau jahrzehntelang tätig war) und das ebenfalls dort residierende Oberamt selbst verlegt worden waren, nahmen die Padres am 12. Oktober von der Burg Besitz; [...] sie disponirten alsbald die grossen Säle und Gemächer zu bequemen Lehrstuben/ baueten darinnen eine Kirche/ und kaufften von dem Herren von Wengersky die Herrschafft Nimptka im Breslauischen/ zu desto reichlicher Unterhaltung deß Collegii. In demselben ist die Frequenz der studirenden Jugend sehr starck/ und wird von denen Alumnis der Stiffter und Klöster mercklich vergrössert.59
Mit ihrem Eindringen in die innere Stadt konnten die Jesuiten ihre Position in Breslau wesentlich festigen, ihr Collegium nahm - ungeachtet der Reibereien zwischen den Jesuitenzöglingen und den Schülern beider städtischen Gymnasien, die oft in Tätlichkeiten ausarteten - an Einfluß zu. Insgesamt wurde die Tätigkeit der Padres in der Stadt immer ausgedehnter, so daß der Breslauer Rat diese Entwicklung argwöhnisch verfolgte und über jeden auch nur vermeindlichen
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verum ut successus sint prosperi, necesse est, depositä contentionis et morositatis chlamyde, affabilitatis et mansvetudinis togam induisse. Vinci interdum patiamur, ut nobis struamus ad victoriam viam, et obsequio paremus imperium. (Fol.3) Franz Heiduk: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 473. So biete die Studienanleitung Hoffmannswaldaus »[...] ein ungemein eindrucksvolles Bild von seiner eigenen Persönlichkeit und von seiner Lebensführung [...] gewissermaßen ein Selbstporträt, das überdies den Vorzug hat, aus der Hochzeit seines Lebens und vielfältigen Wirkens zu stammen«. Ebenda. Friedrich Lucae: Schlesiens curiose Denckwürdigkeiten, S. 583. Im Jahre 1670 wird den Jesuiten die Burg endgültig geschenkt.
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Übergriff Beschwerde führte. Ihre Erfolge in Breslau konnten die Jesuiten schließlich im Jahre 1702 mit der Gründung der Universität krönen. Wenn Christian Hoffmann in seiner Studienanleitung für Johann Burghard konfessionelle Streitpolemik ablehnt, so darf man annehmen, daß er in den religiösen Streitigkeiten, die zu Beginn der sechziger Jahre in Breslau erneut an Schärfe zunahmen, eher eine vermittelnde Rolle spielte. Noch immer verweigerte der Rat auf Druck der protestantischen Bürgerschaft die Verleihung des Bürgerrechts an Katholiken, wehrten sich die Zünfte gegen die Aufnahme katholischer Mitglieder, waren katholische Prozessionen in der Stadt verboten. Im April 1662 tauchten in Breslau Schmähkarten auf, in denen der alte lutherische Choral »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steure deiner Feinde Mord [...]« umformuliert worden war in »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steur des Bapstes und Türcken Mordt [...]«; auch hieß es in dem Lied »O Herre Gott, dein göttlich Wort« nun recht antikatholisch-aufrührerisch: »Ob wollen gleich Bapst, Kaiser, Reich, dich und dein Wortt vertreiben [...]«. Bereits am 22. April erfolgte das Rescript des Oberamtes an den Rat zur Abstellung dieser Lieder, die auch von den lutherischen Kanzeln gesungen wurden.60 Der Rat war dadurch aufs höchste aufgeschreckt; und als die katholische Minderheit nicht lange danach sich anschickte, zum ersten Mal seit Einführung der Reformation eine Fronleichnamsprozession mit wehenden Fahnen, brennenden Kerzen, Musik, Gesang und allem Pomp durch die Straßen Breslaus zu veranstalten, leitete der Rat strengste Sicherheitsmaßnahmen ein, um eventuelle gewalttätige Ausschreitungen seitens der aufgebrachten lutherischen Bürgerschaft zu verhindern. Freilich hatte er allen Grund dazu, waren doch an zahlreichen Stellen in der Stadt Zettel ausgestreut mit der provozierenden Feststellung: Dieses Jahr heißt es zusehn, Übers Jahr stillestehn, Über zwei Jahr mittegehn!61
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AMW, Liber Magnus E 1-5, S. 93vff. Chronik der Stadt Breslau, S. 979. Kaiser Leopold I. erließ am 21. Juli 1662 das »Kayserl. Rescript und Resolution Wegen Visitation der Buchladen, wie auch Abstellung derer beiden Lieder: O' Herre Gott dein göttlich Wortt; und Erhalt uns Herr bey deinem Wortt«, in dem er den Rat unmißverständlich aufforderte, die katholische Minderheit in der Stadt bei der Ausübung ihrer religiösen Pflichten nicht zu behindern bzw. jegliche Einschränkungen seitens der lutherischen Bürgerschaft zu unterbinden.; vgl. AMW, Liber Magnus E 1-5, S. 170ff.
306 Gesandtschaft an den kaiserlichen Hof 1660 1660 beauftragte der Breslauer Rat seinen nun schon bewährten Gesandten Christian Hoffmann erneut mit einer wichtigen Mission an den kaiserlichen Hof. An der Legation, die sich über einen Zeitraum von fünf Monaten erstreckte, nahm - wie schon 1657 - auch der Obersyndikus Muck von Muckendorff teil.62 Diesmal ging es den Gesandten vor allem um Abstellung eingerissener Mißbräuche im städtischen Gerichtswesen. Dort hatte sich nämlich besonders in Vormundschaftsprozessen die Tendenz verstärkt, daß nach erfolgtem Gerichtsbeschluß durch den Rat beziehungsweise seine Gerichte die unterlegene Partei nach Prag appellierte. Damit wurde die Ausführung gerichtlicher Entscheidungen verzögert, durch die Weiterführung des Prozesses entstanden beiden Parteien zusätzliche Kosten, und oft war die ursprüngliche Streitsumme nur geringfügig. Vor allem aber sah der Rat durch die nach seiner Ansicht mutwilligen Verzögerungen seine eigene Autorität in Frage gestellt. Deshalb sollten seine Gesandten den durch die Appellationen verzögerten und manchmal durch das Oberamt und die böhmische Kanzlei entschärften Ratsurteilen wieder volle Geltung verschaffen. In dieser Frage hatten Hoffmannswaldau und Muckendorff Erfolg: Am 16. April 1660 erließ Leopold I. ein »Kaiserliches Privilegium«, das die Eindämmung der Mißbräuche verfügte und es dem Rat freistellte, »zancksüchtige Procuratores« zu bestrafen oder ihnen das »Procuriren und Advociren« für eine bestimmte Zeit oder gar für immer zu verbieten.63 62
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Kurtze und nachrichtlich Relations-Verfassung von der an Ihre Kaiser und Königl. Mayt. undt Jhre Ertzherzogliche Durchlaucht auf begehren Eines Wohledlen Gestrengen Hochweisen Raths übernommen und vom 2. Aprilis biß 6. Septembris dieses 1660sten Jahres mit schuldigem Fleiß verrichteten Absendung nach Wien und Grätz auf erfolgte Wiederkunft abgeleget von Christian Hofmann von Hofmannswaldau und Petern von Mogkhendorff. Mit vielen Beilagen. Fol. 1-277. Katalog der Handschriften des Staatsarchivs Wroclaw, 1. Bd., S. 166 (unter Sign. E 40). Leider ist diese »Relations-Verfassung« nicht mehr erhalten, das im Folgenden nur kurz behandelte Hauptanliegen läßt sich jedoch an anderen Quellen nachvollziehen; vgl. dazu ausführlicher Lothar Noack: Die Gesandtschaften des Ratsmitgliedes Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, S. 39-42. Kaiserliches Privilegium, super Summa inappellabili, et quota decimae partis, in casum succumbentiae deponendae; vgl. AMW, Liber Magnus E 1-5, S. 7477. Darin verfügte Kaiser Leopold auch, daß die Appellanten zukünftig mit ihrem Einwand zehn Prozent der Streitsumme beim Rat oder seinen Gerichten zu hinterlegen hätten. Wird die Beschwerde dann abgelehnt und das Ratsurteil durch den Kaiser oder die Appellationskammer zu Prag bestätigt, verlieren die Appellanten ihre »Einlage«; auch solle der »Provocant« zur Erstattung der Unkosten verurteilt werden - die entsprechenden Summen möge der Rat zum
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Am 20. Oktober 1660 verlas der Syndikus in der Zusammenkunft des Rates mit der Bürgerschaft, den Zünften und Zechen auf dem kleinen Saal des Rathauses das »Kaiserliche Privilegium« (das sich auch auf bereits laufende Appellationen erstreckte) und bestätigte damit den Erfolg der Angelegenheit. Leider konnte einer der beiden bereits am 6. September zurückgekehrten Akteure dieser Mission, nämlich Christian Hoffmann, nicht an dieser Zusammenkunft teilnehmen. Der Rat hatte ihn auserwählt, die Glückwünsche der Stadt zur Hochzeit Herzog Georgs III. zu Brieg mit Elisabeth Maria Charlotte, geborener Pfalzgräfin beim Rhein, zu überbringen. Das Fest war für den 19. Oktober in der Residenz des Fürsten in Brieg anberaumt. Jedoch mußte der Rat bei dieser Aufgabe auf Hoffmannswaldau verzichten, [...] demnach aber derselbe, alß er sich bereits zu der abreise fertig gehalten, mit grosser mattigkeit und unpäßligkeit von Gott anheimb gesuchet worden.64
So sandte der Rat Heinrich Marcus von Pein und Wechmar und bat zugleich, da die Gesandten bereits am 17. Oktober in Brieg erwartet wurden, wegen der Verzögerung um Entschuldigung. (Wir werden später noch sehen, daß Hoffmannswaldaus Absage der Teilnahme an den Hochzeitsfeierlichkeiten in Brieg 1660 Einfluß auf die Widmung seiner »Helden-Briefe« haben wird.) Elisabeth Maria Charlotte, Enkelin des brandenburgischen Kurfürsten Joachim Friedrich und Tochter des Pfalzgrafen Ludwig Philipp von Simmern, wurde 1638 im Exil ihres Vaters in Sedan geboren. Seit ihrem 17. Lebensjahr in Krossen in Schlesien auf dem Witwensitz ihrer Mutter lebend, wurde sie 1660 die zweite Frau Herzog Georgs III. Die Hochzeitsfeierlichkeiten begannen im Herbst 1660 mit der Einholung der Braut; ihr Weg führte über Glogau, wo am 10. Oktober zu Ehren des Piastenherzogs und der Pfalzgräfin das Mischspiel »Verübtes Gespenste/ Gesang-Spil. Die geübte Dornrose/ Schertz-Spil« von Andreas Gryphius aufgeführt wurde.65
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Wohle der Stadt gebrauchen. Darüber hinaus habe der Rat das Recht, bei Urteilen bis zu einer Höhe von 150 Gulden Rheinisch eine Appellation nicht zuzulassen, sondern die Abschiede ohne Säumen zu vollstrecken. Creditiv dem Herrn Gesandten (18. Oktober 1660); vgl. AMW, Liber Magnus E l-5, S. 71. Vgl. über Entstehung und mögliche Vorbilder dieser Auftragsdichtung Andreas Gryphius: Verliebtes Gespenst. Gesangspiel. Die geliebte Dornrose. Scherzspiel. Hg. von Eberhard Mannack. Stuttgart 1985, bes. S. 107ff.
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Hoffmannswaldau und Andreas Gryphius Der Syndikus der Glogauer Landstände hatte schon Jahre vorher die 1638 im holländischen Leiden begonnene Bekanntschaft mit Christian Hoffmann erneuert und weiter vertieft und hierbei besonders das Breslauer Schultheater als Bindeglied genutzt. Sein »Papinianus« wurde allein 1660 siebenmal von den Schülern aufgeführt, 1661 folgte dann »Cardenio vnd Gelinde«.66 Den »Papinianus« widmete Gryphius 1659 dem Breslauer Rat. In seiner Dedikation verwies er auf das besondere Wohlwollen Christian Hoffmanns ihm gegenüber, auch habe Hoffmannswaldau ihn den Ratsherren Artzat und Burghard von Löwenburg empfohlen und mit diesen zusammen dem Dichter die Bekanntschaft weiterer Breslauer Ratsfamilien ermöglicht.67 Daß Hoffmannswaldau als Mitglied des Schulamtes auch aktiv an der Vorbereitung Gryphscher Dramenaufführungen (und nicht nur an diesen) auf der Breslauer Schulbühne teilnahm, belegt unter anderem die Tagebuchnotiz Rektor Majors vom 26. Januar 1660. Als diesem nämlich Zweifel über die Besetzung der Rolle des Kaisers Bassianus im »Papinianus« kamen, eilte er zu Hoffmannswaldau, um sich mit ihm eingehend zu beraten.68 Doch auch auf anderen Gebieten trug die enge Freundschaft beider Dichter Früchte: Durch die Vermittlung der Ratsherren Hoffmannswaldau und Burghard von Löwenburg erhielt Gryphius die Erlaubnis, an einer Mumiensektion teilzunehmen, die am 7. Dezember 1658 stattfand. Der Breslauer Apotheker Jacob Krause hatte eine zerstückelte und zwei erhaltene ägyptische Mumien in die Bibliothek zu 66
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Eine Zusammenstellung der Breslauer Schultheateraufführungen gibt Pierre Behar: Silesia Tragica. Epanouissement et fin de l'ecole dramatique silesienne dans l'ouvre tragique de Daniel Casper von Lohenstein (1635-1683). 2 Bde. Wiesbaden 1988, hier Bd. 2, S. 427-431; s. auch: Das Breslauer Schultheater im 17. und 18. Jh. Einladungsschriften zu den Schulactus und Szenare zu den Aufführungen »förmlicher Comödien« an den protestantischen Gymnasien. Hg. von Konrad Gajek. Tübingen 1994. Vgl. ANDREAE GRYPHII Großmüttiger Rechts-Gelehrter/ Oder Sterbender AEMILIUS PAULUS PAPINIANUS. Trauer-Spil. Breslau o. J. (1659). In der Widmung heißt es dazu: Nee dum retuli officia queis plures Vestri Ordinis me, quoties WRATISLAVIAM accedere licuit, nil tale merentem exornavere. Tenax inprimis Veteris Amici, rarum hujus aevi decus CHRISTI ANUS HOFFMANNUS, quo conciliante Tibi Nobiliss. ARZATI probabar, & cui Candidiorem nee dum Sol illuxit BURCARDUS. Ingentes animae! quid non benevolentiae, quid non honorum in me congessistis! per Vos mihi cogniti: quos, ignotos venerabar, ubi convenire datum, amoris Vestri testes nactus sum. Übersetzung der Widmung ins Deutsche in Andreas Gryphius: Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt a. M. 1991, S. 1021-1025. Vgl. R 2359 unter dem Datum des 26. Januar.
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St. Maria Magdalena zur Aufbewahrung gegeben. Gryphius, der sich schon im Leidener »Theatrum anatomicum« vom Nutzen zergliederter Mumien für die Medizin überzeugen konnte, beschrieb später diese Sektion ausführlich auf 120 Seiten in seiner 1662 gedruckten lateinischen Schrift »Mumiae Wratislavienses« und setzte sich dabei mit entsprechenden Angaben antiker Autoren über ägyptische Mumien auseinander, desgleichen mit dem 1652 bis 1654 veröffentlichten »OEdipus Aegyptiacus« von Athanasius Kircher.69 Das ihm entgegengebrachte Wohlwollen der Breslauer Ratsherren trug beträchtlich zum gesellschaftlichen Ansehen des Glogauer Syndikus bei und zog der erhöhten Reputation entsprechende Pflichten nach sich: Auf die Eheschließung von Maria Catharina geborene Burghard mit Hans Joachim von Haunold am 13. Juni 1662 zum Beispiel übersandte der Dichter ein Hochzeitsgedicht mit dem Titel »Beantwortung des Hochzeit-Briefes«. Gryphius war durch ein »Verhängnus« verhindert und konnte an der Feier selbst nicht teilnehmen. In seinem, die Geselligkeit der Breslauer Ratsherren untereinander deshalb auch nur vorstellenden Carmen wird Hoffmannswaldau in den Versen 25 und 26 wegen seiner »poetischen Erfindungen« gerühmt: Wann mein Verhängnus mich allhier nicht angebunden: Hält ich auf einen Tag euch all' ergetzt gefunden Jn eines Freundes Haus. Voran/ Herr Burckhard Jhn/ der dem/ der Jhn geliebet/ Und itzund ehrt/ sein Kind/ die werthe Jungfrau gibet. Gott schlägt mein Wünschen aus. Es hätte Zweiffels ohn Gelegenheit gegeben/ Den tapffern Bräutigam bey diesem neuen Leben Jn neuer Lust zu sehn. Vielleicht hätt ich die Braut/ die itzt ein hohes waget/ Und sich was untersteht (doch in geheim) gefraget: Wie ihr doch sey geschehn? Biß Hoffmanns weiser Mund die Sinnen mir entzücket/ Der nichts denn Wunder meldt. Biß Modrach mich berücket/ Durch unverdiente Gunst. Vielleicht dörfft auch wol Pein sich in dem Ort einfinden/ O Leitstern letzter Zeit! und mich auffs neu verbinden Durch Trefflikeit und Kunst. 69
Andr. Gryphii Mumiae Wratislavienses. Breslau 1662. Das Werk widmete Gryphius Johann Friedrich Freiherrn von Nimptsch und Johann Friedrich von Sack. Vgl. auch: Andreas Gryphius lateinische und deutsche Jugenddichtungen. Ergänzungsband mit einer Bibliographie der Gryphius-Drucke. Hg. von FriedrichWilhelm Wentzlaff-Eggebert. Leipzig 1638, S. 258. Über die Mumiensektion s. auch Christian Stieff: Schlesisches Historisches Labyrinth [...] Breslau/Leipzig 1737, S. 606-620: Von der Egyptischen Mumia auf der Maria Magdalenischen Bibliotheck in Breßlau. Vgl. außerdem J. B. Neveux: Andreas Gryphius et les momies. In: Etudes Germaniques 19 (1964), S. 451ff.
310 Jch weiß/ mein Sebisch selbst/ der Ausbund höchster Sachen/ Wird/ ob ers nicht gewohnt/ sich doch hier frölich machen/ Noch indenck jener Nacht/ Da wir in Burckhards Haus in lauter Lust versuncken/ Die Blum des besten Weins aus Gold und Einhorn truncken/ Und waß uns kränckt verlacht. (V. 13-36)7"
Das Epithalamium ist für unsere Untersuchung aber auch deshalb wichtig, weil es mit seinen Anspielungen auf einzelne Breslauer Ratsherren weitere Belege für Christian Hoffmanns Beziehungen zu ihm nahestehende Patrizier liefert: Die Verbindungen der Familie Hoffmannswaldau zu den Burghards und Haunolds wurden bereits dargestellt, desgleichen jene zur Familie Sebisch - der hier genannte Samuel von Sebisch saß seit 1637 im Breslauer Rat und hatte nach dem Tode Ernst von Pförtners das Praesesamt übernommen.71 Ferdinand von Mudrach entstammte einer Breslauer Kaufmannsfamilie, die seit 1530 in der Stadt ansässig war und 1560 den Wappenbrief bekommen hatte. Der Vater Bartholomaeus von Mudrach gelangte 1626 als erster seines Geschlechts in den Rat und starb 1639 als Schöffe und Unterkämmerer.72 Sein Sohn Ferdinand, 1628 geboren, besuchte das Magdalenaeum und studierte zunächst in Helmstedt, wo er drei Jahre Tisch- und Hausgenosse beim berühmten Rechtsgelehrten Hermann Conring war. 1646 immatrikulierte er sich in Leipzig, zwei Jahre später in Straßburg (hier schloß er sich dem Historiker Johann Heinrich Boeder an), 1650 schließlich in Leiden; die standesmäßig folgende peregrinatio academica führte den Kaufmannssohn und Herrn zahlreicher Güter durch Holland und Frankreich. In seine Heimat zurückgekehrt, ehelichte Ferdinand von Mudrach 1651 Barbara Elisabeth, eine Tochter des Breslauer Ratsherren Veit Rötel von Reichenau aus dessen erster Ehe mit Eva von Haunold. (Zur Hochzeit einer anderen Tochter Rötels, und zwar Euphrosyne, mit Friedrich Freitag hatte Christian Hoffmann in den vierziger Jahren ein Epithalamium verfaßt.) 1658 wurde Ferdinand von Mudrach in den Rat gewählt, 1670 stieg er zum Tischherrn auf, wurde 1677 Ratsältester und nahm nach dem Tode Hoffmannswaldaus dessen Platz als Praeses des Rates ein, 70
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Der Gelegenheitsdruck mit dem Titel »Sonnen-Kreiß« enthält zwei deutschsprachige Gedichte, neben der »Beantwortung des Hochzeit-Briefes« (66 Verse, danach wird hier zitiert) auch das Carmen »Sonnen-Kreiß« (76 Verse); vgl. Andreas Gryphius: Vermischte Gedichte. Hg. von Marian Szyrocki. Tübingen 1964, S. 141-145, nach der von Christian Gryphius aus dem Nachlaß des Vaters besorgten Ausgabe von 1698, mit Varianten des Einzeldrucks; S. 205 auch der vollständige Titel des Einzeldrucks. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 4, S. 188. Zur Familie s. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 3, S. 88-93.
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den er bis 1690 inne hatte. Seine Tochter Barbara Sophia heiratete 1678 Hoffmannswaldaus Sohn Georg Moritz. Heinrich Marcus von Pein, der 1619 geborene älteste Sohn des vormaligen Breslauer Obersyndikus Johann von Pein aus dessen erster Ehe, hatte nach seinem Studium und Reisen durch Holland und England an verschiedenen Feldzügen des Prinzen von Oranien teilgenommen und war 1656 in den Rat gewählt worden, dem er bis zu seinem Tode zu Beginn des Jahres 1668 angehörte.73 Wie Christian Hoffmann schloß auch er 1643 die Ehe; seine Frau Eva Susanna, eine Tochter des Juristen Stefan Jessinsky von Groß-Jessen und der Eva von Haunold, entstammte derselben Familie wie Nikolaus Henel von Hennenfelds zweite Frau Kunigunde Jessinsky von Groß-Jessen. (Seine Schwester Anna Johanna ehelichte 1651 Henels Sohn Christian Friedrich.) Auch die von Andreas Gryphius im weiteren noch erwähnten zwei Ratsherren, nämlich Sigismund von Fürst und Georg Friedrich von Artzat, sind uns in ihrem Verhältnis zu Christian Hoffmann nicht unbekannt: Auf die Hochzeit des ersteren hatte der Dichter 1652 ein Epithalamium verfaßt, zu letzterem bestanden ja verwandtschaftliche Beziehungen durch die dritte Eheschließung des Vaters und durch Christian Hoffmanns eigene Ehe. Vom Beginn des Jahres 1663 datiert ein weiteres wichtiges Zeugnis für die Beziehungen Andreas Gryphius' zu Hoffmannswaldau; wir finden es in der Widmung seiner Übersetzung von Bakers »Meditations and Disquisitions upon the Lords Prayer«. Sir Richard Baker (1568-1645), Enkel des Finanzministers von Heinrich VIII., war nach dem Besuch der Universität Oxford in steiler politischer Karriere zum High Sheriff of Oxfordshire aufgestiegen, verlor jedoch in den politischen Wirren der Zeit seine Stellung, schließlich auch sein Vermögen und verbrachte die letzten zehn Jahre seines Lebens im Fleet Prison in London, von wo aus er seine Andachtsschriften sowie zahlreiche andere Werke veröffentlichte. Seine »Meditations and Disquisitions upon the Lords Prayer« kamen 1636 heraus und brachten es allein bis 1640 auf vier Auflagen; bereits 1644 erschien in Amsterdam eine holländische Übersetzung.74 In der Vorrede seiner Übersetzung »Betrachtungen über Das Gebett des Herren«75 führte Andreas Gryphius, der ja schon in den Nie73
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Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 3, S. 200. Nach seinem Ableben kam sein 1624 geborener Bruder Sigismund Reinhard von Pein, der in Altdorf und Leiden studiert und England, Frankreich sowie Italien bereist hatte, in den Breslauer Rat, dem er bis zu seinem Tode 1692, zuletzt als Schöffenpraeses, angehörte. Vgl. die Einleitung zu Andreas Gryphius: Die Übersetzungen der Erbauungsschriften Sir Richard Bakers. Hg. von Hugh Powell. Tübingen 1983, S. XX. RICHARD BAKERS Engelländischen Ritters Prag-Stück und Betrachtungen
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derlanden vom schriftstellerischen Werk Bakers Kenntnis genommen hatte, über weite Strecken eine Polemik gegen die im Gefolge der englischen Revolution sich verstärkende religiöse Verflachung. Für unsere Untersuchung von größerer Wichtigkeit ist jedoch die auf den 14. Januar 1663 datierte Widmung. Gryphius hatte sein Werk nämlich drei Frauen zugeeignet: Hedwig Freiin von Dyhern, Gemahlin des Oberamtskanzlers der Herzogtümer Ober- und Niederschlesiens Georg Abraham Freiherr von Dyhern, deren Schwester Ursula und schließlich der Frau Hoffmannswaldaus.76 In dem Abschnitt der Widmung, der sich an Maria Hoffmann richtet, kann man das freundschaftliche Verhältnis beider Dichter zueinander nachlesen: Eben diser Vrsachen halber HochEdele/ HochTugend und HochEhrenreiche Frau bin ich bewogen Jhr dise Betrachtungen zu übersenden. Die stets mehr und mehr blühende Freundschafft/ mit welcher vor vilen Jahren/ noch ausser Landes Ihrem hochwehrtesten Eheherren mich zuverpflichten belibet/ die Anmutt/ mit welcher Er/ die Wonne/ Zier/ und Anmutt der Haubtstadt Schlesiens mich nach meiner Widerkunfft aus Welschland empfangen/ die Standhaftigkeit seiner Libe/ welche offt (nicht sonder Verschibung kaum verschiblicher Ambts und Standes Verrichtungen/) Er mich und meinethalber auch andere verspüren lassen. Jst nunmehr auch dehnen nicht verborgen/ welche nur Seinen und Meinen Namen zugleich nennen hören.77
Darüber hinaus sind besonders die Passagen von Interesse, die die Vorgeschichte der Übersetzung betreffen: Demnach hatte Christian Hoffmann das Bakersche Buch nicht ohne Mühe aus dem Ausland besorgt und seinem Freund zur Verdeutschung überlassen und hatte auch, als Gryphius bei der Übersetzung ins Stocken geriet, aufmunternd und fördernd in den Produktionsprozeß eingegriffen.78 Damit kann Hoffmannswaldau - wie ehemals Apelles von Löwenstern - als literarischer Vermittler gelten, der seinen Freunden neuerschienene
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über Das Gebett des HERREN. Verdolmetschet durch ANDREAM GRYPHIUM. Leipzig 1663 (ÜB Wroclaw, Sign. 307718). [...] So woll Der Woll-Edlen/ Hoch-Tugend- und Vil-Ehrenreichen Frauen Maria Hoffmannin/ Gebornen Wewerskin/ Des Woll-Edelen/ Gestrengen/ und Großachtbaren Herren/ H. Christian Hoffmans/ von Hoffmannswalda [...] Ehegelibten. Seiner insonders Hochgeehreten Frauen. Ebenda, S. 6 nach eig. Fol. Ebenda, S. 15f. nach eig. Fol. Gryphius spielt hier auf den gemeinsamen Leidener Studienaufenthalt als Beginn der freundschaftlichen Beziehungen an. Sintemal dise Gedancken nichts als die Verdolmetschung eines Buches/ welches Jhr hertzgelibtester Eheherr/ nicht sonder Mühewaltung und Kosten aus der Frembde erhalten und mir umb unserm Vaterland darmit zu dinen überlassen. Wie Er dann auch als wegen viler Bekümmernüß und Verrichtungen solche Vbersetzung fast bey mir ins Stecken gerahten wolle: solche durch seine Auffmunterung nicht wenig befördert/ und also von dem Gottsfürchtigen Leser so vil/ wo nicht mehr Danck als ich derowegen zu erwartten hatt. Ebenda, S. 17 nach eig. Fol.
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Werke verschaffte und an ihren literarischen Arbeiten Anteil nahm. Insgesamt gesehen sind uns jedoch nur wenige Zeugnisse für Christian Hoffmanns Anteil am literarischen Austausch zwischen Schlesien und anderen Reichsgebieten sowie dem Ausland überliefert. Die für diese Zwecke sicher recht aufschlußreiche Handschrift R 257 mit Briefen von und an Hoffmannswaldau ist seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen; durch die positivistische Forschung des ausgehenden 19. Jahrhunderts sind uns einige wenige, an anderer Stelle bereits mitgeteilte Informationen aus diesen Briefen erhalten geblieben. Für die Beziehungen Hoffmannswaldaus zu Andreas Gryphius bleiben noch folgende Hinweise nachzutragen: Als 1663 Gryphius seinen »Carolus Stuardus« in einer umgearbeiteten Fassung herausbrachte, enthielt diese ein dem Drama vorangestelltes, von Christian Hoff mann in Latein verfaßtes längeres »Epitaphium Cromwellii«.79 Gryphius' »Dissertationes des Spectris«, ein Traktat über Gespenster, befand sich als Manuskript in Hoffmannswaldaus Besitz, war aber [...] nachgehends in fremde Hände so unglücklich gekommen, daß der einige Herr Sohn (gemeint Christian Gryphius - L. N.) keinen Buchstaben mehr davon gesehen/ und solches jederzeit sehr bejammert.80
Schließlich wäre noch das Sonett zu erwähnen, das Gryphius auf den Tod von Maria von Artzat, der Stiefmutter Christian Hoffmanns, verfaßte; auf ihr Ableben am 1. Dezember 1662 schrieb auch Heinrich Mühlpfort ein Epicedium in 72 Alexandrinern.81 79
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Vgl. ANDREAE GRYPHII Ermordete Majestät. Oder CAROLUS STUARDUS König von Groß Britanien. Trauer-Spil. In: ANDREAE GRYPHII Freuden und Trauer-Spiele auch Oden und Sonnette. Leipzig 1663. Hoffmannswaldaus »EPITAPHIUM CROMWELLII«, föl. 336-338, ist unterzeichnet mit »C. H. A. H. S. Caes. Maj. Consiliar.«; eine deutsche Übersetzung in: Andreas Gryphius. Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt a. M. 1991, S. 1103-1105. Andreae Gryphii Lebens-Lauff. In: Schlesisches Historisches Labyrinth, S. 805-824, hier S. 819. In einem Brief von Christian Gryphius an Christian Stieff vom Februar 1698 heißt es dazu: Der seel. H. von Hofmannswaldau hat mich mehr als einmal versichert daß er den bewusten Tractat de Spectris in den Händen gehabt, und gelesen, wie es nun mit selbigem zugehen wird, weiß Gott. Mir zum wenigsten ist bey erster Revidierung der Väterlichen Bibliotheken nichts unter Händen kommen, da ich doch schon damals capabel genung gewest, wenn was dergleichen verbanden seyn sollen, achtung darauf zu geben. Es ist also gantz leicht zu vermuthen, der seel. Mann werde es bey seinem Leben weggelehnet, und nachmals nicht wiederbekommen haben. Zit. nach Dietrich Eggers: Die Bewertung deutscher Sprache und Literatur in den deutschen Schulactus von Christian Gryphius, S. 142. Beide Trauergedichte im Gelegenheitsdruck: Zwey Leich-Getichte/ Zu Rühmlichem Andencken Der Wol-Edlen/ Viel und Hoch Ehr- und Tugendreichen Frauen Marien Hofmannin/ geborner Artzatin/ von der Arnoldsmühle [...] Breslau 1662 (556206). Das Sonett von Gryphius ist überschrieben mit »Maria Hoffmannin geborne Arzatin/ An Jhre von hinnen seeligst abscheidende Seele/
314 Mühlpfort Mühlpfort entstammte einem alten Zwickauer Ratsgeschlecht, das in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach Breslau eingewandert war und hier in angesehene Ratsfamilien eingeheiratet hatte.82 Sein Vater, der Älteste der Weichkrämerinnung, hatte seinen am 10. Juli 1639 geborenen Sohn auf das renommierte Elisabethgymnasium geschickt. 1657 nahm Mühlpfort, ausgestattet mit einem Stipendium des Rates, an der Universität Leipzig ein Medizinstudium auf. Hier heiratete er eine junge Witwe, nämlich Maria Sophia Zabel, die Tochter des kurfürstlich-sächsischen Oberhofgerichtsassessors Johann Zabel. In Leipzig entstanden auch Mühlpforts erste Gedichte, neben Leichencarmina auf Kommilitonen einige Liebesgedichte, die dem volkstümlich gehaltenen Lied nahestehen. Nachdem Mühlpfort sich 1660 in Wittenberg dem Studium der Jurisprudenz zugewandt und dort zum Doktor der Rechte promoviert hatte, bestellte ihn der Breslauer Rat am 14. Oktober 1662 zum Registratur der Ratskanzlei, zunächst auf zehn Jahre mit einem jährlichen Gehalt von 200 Thalern.83 Seine Aufgabe bestand darin, die gewaltige Masse der Akten, Korrespondenzen und Bücher, die in allen Ratsräumen verstreut waren und dadurch ein kaum zu entwirrendes Chaos anrichteten, in eine archivgemäße Ordnung zu bringen. (Als erster Registrator war 1658 Thomas Lerche, ein Rostocker Studiengenosse Assigs, vereidigt worden, zu dem auch Andreas Gryphius enge Beziehungen unterhielt.) Zwischen Mühlpfort und Hoffmannswaldau, der schon 1657 über die Vergabe eines Stipendiums für ersteren entschieden hatte, entwikkelten sich nunmehr auch berufliche Beziehungen, die wohl das Trauercarmen auf den Tod Maria von Artzats bedingten. Dieses Epicedium ist dadurch bemerkenswert, daß Mühlpfort - wie Christian Hoff mann in seinem Trauergedicht auf Eva Kretschmar 1655 - zahlreiche metaphorische Vergleiche aneinander reiht und dabei wie sein Vorgänger Bilder aus unterschiedlichen Begriffssphären verwendet.
82 g3
So kurtz vor dem Tage der Zukunfft deß Herren sich in die Frölichst Ewigkeit begeben.« Unterzeichnet: »ANDREAS GRYPHIUS.« Neu veröffentlicht in Andreas Gryphius: Sonette. Hg. von Marian Szyrocki. Tübingen 1963, S. 115; hier trägt es den Titel »Auf das Absterben einer Adelichen Frauen«. Zur Familie s. Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter, Bd. 3, S. 128-131. Vgl. AMW, Liber Magnus E 1-5, S. 172. Hinzugefügt wurde noch, daß der Rat, falls er die Dienste des Kanzlisten nicht mehr benötigte, die Berufung ein halbes Jahr vorher zu kündigen hätte. Doch Mühlpforts Tätigkeit war notwendig; er erhielt sogar einen Gehilfen und im Juni 1673 eine weitere Instruktion über seine Ordnungs- und Registrierarbeiten; vgl. ebenda, S. 473-476.
315
Hier ist es die Seele der Verstorbenen, die über das eitle und nichtige irdische Leben des Menschen klagt: Sie jammerts/ daß der Mensch bey solcher Nichtigkeit Sich so vergnüget schätzt/ sie klagt das unser Leben Begierden unterthan/ und Wollust übergeben/ Ja daß wir selbsten sein ein Spiel und Traum der Zeit/ Das Leben ein Magnet/ der uns zur Bahre ziehet/ Ein blasser Wermuthstrauch/ der auf der Kirchhof blühet. Ein Ein Ein Ein Ein Ein
Alabaster-Grab mit Kohlen außgesetzt/ Gold-geflochtner Strick/ der Jahr' und Freyheit bindet/ Molch/ den man verdeckt in Ros' und Lügen findet. Spiegel/ dessen Schein uns auf den Tod verletzt/ Feur/ das unser Blut zu kalter Asche brennet/ Bild/ daß man bey Nacht und nicht bey Tage kennet.
Ein Ein Ein Ein Ein Ein
Mahler/ der nur sich und keinen sonsten trieft/ Aethna/ das mit Schnee von aussen überdecket/ brennender Vesuv/ der doch Krystallen hecket/ Thau/ der seine Perl' im Essig beitzt und schürft/ Pomerantzen Knopf/ in dem die Maden nisten/ Stall/ den nur der Tod/ sonst niemand auß kan misten.84
An den metapherngeschmückten Dichtungsstil Christian Hoffmanns schließen sich auch Mühlpforts erotische Gedichte an, die in der Gesamtausgabe unter der Rubrik »Verliebte Gedanken« erschienen. Da nimmt es nicht wunder, daß selbst die Zeitgenossen der Irritation unterlagen und manche der ebenfalls nur handschriftlich kursierenden Liebesoden und andere Gedichte Mühlpforts nach seinem Tode Hoffmannswaldau zusprachen, was die Forschung aber in einigen Fällen korrigieren konnte.85 Im Gesamtschaffen Mühlpforts sind die Liebesgedichte jedoch in der Minderzahl geblieben, ebenso seine poetischen Grabschriften und seine geistlichen Gedichte, die am alten Kirchenliedton festhielten und oft auch auf bekannte Weisen geschrieben wurden. Die weitaus meisten Gedichte waren Casualcarmina, so daß mit einigem Recht Mühlpfort deshalb als der Breslauer Gelegenheitsdichter bezeichnet werden kann.86 Außer dem schon er84 85 86
Das Gedicht zitiert nach dem eben erwähnten Gelegenheitsdruck mit den zwei Carmina von Gryphius und Mühlpfort, im Epicedium Mühlpforts hier V. 25-42. Vgl. Franz Heiduk: Die Dichter der galanten Lyrik, S. 92-95. Vgl. Heinrich Mühlpforts Teutsche Gedichte. Verlegt von Johann Georg Steckh in Breslau. Frankfurt a. M. 1686; Heinrich Mühlpforts Poetische Gedichte Ander Theil. Verlegt von Johann Georg Steckh in Breslau. Frankfurt a. M. 1687; Henrici Mühlpforti Poemata. Frankfurt a. M. 1686. Der erste Band seiner Werke enthält 55 Seiten Glückwunschgedichte, 158 S. Hochzeitsgedichte, 463 S. Leichengedichte; der zweite Band 47 S. Glückwunsch-, Hochzeits- und Leichengedichte. Dazu kommen noch in beiden Bänden zahlreiche vermischte Gedichte, die zu bestimmten Gelegenheiten geschrieben wurden. Seine lateinischen »Poemata« brachten auf 152 S. Carmina miscella gratulatoria, auf 127 S. Epithalamia und auf 104 S. Epicedia.
316
wähnten Epicedium für Maria von Artzat schrieb der Ratsregistrator, der sich mit seiner Gelegenheitsdichtung einen zusätzlichen Verdienst erwarb, noch vier lateinische Carmina für die Familie Hoffmannswaldau: 1677 eine Huldigung zur Einführung seines Gönners in das Praesesamt, ein Jahr später ein panegyrisches Gedicht für den Ratspraeses zum Jahrestag der Amtsübernahme sowie ein Glückwunschgedicht auf die Hochzeit von Georg Moritz, dem zweiten Sohn Hoffmannswaldaus, und 1679 schließlich das große Trauercarmen auf das Ableben des Ratspraeses. Nach Mühlpforts Tod am 1. Juli 1681 sammelten Freunde seine in mehreren Drucken verbreiteten Gelegenheitsgedichte sowie seine handschriftlich verfaßten Werke, von denen jedoch manche, unter anderem eine Nachdichtung des Hiob in gebundener Rede, verlorengegangen waren. In den Jahren 1686 und 1687 veröffentlichte Georg Kamper dann diese Gedichte, die Mühlpforts Ruhm über Breslau hinaus begründeten.87 Kamper, nur wenige Jahre vor Mühlpfort geboren, war selbst Dichter; die meisten seiner Gedichte erschienen im ersten Teil des »Schlesischen Helicons« (für den nicht publizierten dritten Teil waren weitere vorgesehen), einige wenige im vierten und fünften Band der Neukirchschen Sammlung.88 Etwaige Beziehungen zu Christian Hoffmann muß es schon dadurch gegeben haben, daß Kamper in der Breslauer Ratskanzlei als Notar angestellt war, doch dürfte die berufliche Verbindung durch eine persönliche ergänzt worden sein: Im Mai 1664 heiratete Kamper nämlich Anna Assig, die Tochter des Breslauer Ratssyndikus Andreas Assig, der zu den engsten Freunden Hoffmannswaldaus gehörte. Doch die Ehe währte nicht lange - schon im Oktober 1665 starb Anna Kamper nach entbundener toter Leibesfrucht. Von Christian Hoffmann sind keine Gelegenheitsgedichte auf diese beiden Ereignisse überliefert.89 Wahrscheinlich hat er auch tatsächlich keine verfaßt, denn Anna Assig war zwar die Tochter des 87
88
89
Noch immer fehlt es an einer Darstellung, die Mühlpforts Leben und Werk umfassend würdigt und damit die bisher einzige Monographie über diesen schlesischen Dichter ablöst, vgl. Karl Hofmann: Heinrich Mühlpfort. Heidelberg 1893. 1699 hatte Gottlieb Stolle »Des Schlesischen Helicons auserlesene Gedichte Oder Etlicher vortrefflicher Schlesier biß anhero ohn bekanndte Poetische Galanterien« herausgegeben und sich damit der mit den ersten beiden NeukirchBänden einsetzenden Begeisterung für Anthologien galanter Lyrik angeschlossen. Das Werk erfuhr aber nur eine Fortsetzung und verschwand fast klanglos vom Markt. Zu Kampers Gedichten in der Neukirchschen Sammlung vgl. die Übersicht bei Franz Heiduk: Die Dichter der galanten Lyrik, S. 80. Auf den Tod Anna Kampers, die am 4. Oktober 1665 verstarb und am 8. Oktober begraben wurde, verfaßten Gottfried Roth und Samuel Alberte zwei deutschsprachige Carmina, vgl.: Trost-Gedancken Über dem Seeligen Ableben
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Freundes, doch ihr Ehemann stand in der Breslauer Rangordnung weit unter Hoffmannswaldau - ein entscheidender Unterschied etwa zu Maria Catharina, der Tochter Johann Burghards, ebenfalls eines Freundes, deren Ehemann Hans Joachim von Haunold einer sozial ebenbürtigen Ratsfamilie angehörte, was das Epicedium Christian Hoffmanns vom herrschenden ordo-Denken her legitimierte und das Besondere der Gelegenheitsdichtung Hoffmannswaldaus im Kontext der literarischen Kommunikation in Breslau nur noch unterstreicht. Raubdrucke der »Poetischen Grab-Schriften« Wohl noch im Jahre 1662 erschienen die von Christian Hoffmann schon 1643 verfaßten »Poetischen Grab-Schriften« ohne Zustimmung des Verfassers im Druck. In Anspielung auf den Homo viator sprengte ein anonymer Herausgeber unter dem Namen »Fliegender Wandersmann« fast 20 Jahre später den Kreis, in dem die Gedichte Hoffmannswaldaus in verschiedenen Abschriften bisher kursierten, und machte die Epigramme als »Centuria Epitaphiorum« einem größeren Leserkreis publik.90 Doch gegenüber den umlaufenden Handschriften wies der Raubdruck zahlreiche grammatische, syntaktische, orthographische und selbst lexikalische Abweichungen auf; einige Grabschriften wirkten sinnentstellend, bei anderen war die ursprüngliche Pointe zerstört.91 Außerdem schloß der anonyme Herausgeber
90
91
Der Edlen Viel-Ehr- und Tugendreichen Fr. Annae Kamperin gebohrner Assigin [...] Breslau 1665 (564750). Centuria Epitaphiorum: Sive JOCO-SERIA Das ist: Hundert auserlesene und Sinnreiche Grabschrifften/ von Anfang der Welt/ biß auff nochlauffenden Seculum [...] Mit beygefügten anderen/ ernsthafften/ lustigen Gedenckschrifften/ Jedermännig zur Gemüths-Belustigung/ Vom Fliegenden Wandersmann/ Zeit seiner Wanderschafft colligiret und gesammlet. Gantz Neu heraus gegeben, o. O., o. J. (1662?) (319074); die den Grabschriften unmittelbar vorangestellte Überschrift lautet: Sinnreiche Grabschrifften/ von Adam an biß dato/ darinn tapfere und untapfere Helden und Heldinnen/ mit beygefügten possierlichen und Phantastischen zur Lustbegier denckwürdig fürgestellt/ etc. Die Ähnlichkeit des Kupferstiches auf dem Titelblatt mit jenem auf dem Titeldruck der 1659 in Wolfenbüttel herausgegebenen Übersetzung »Der fliegende Wandersmann nach dem Monde [...]« und der übereinstimmende Deckname machen es wahrscheinlich, daß Balthasar Venator oder sein gleichnamiger Sohn der anonyme Herausgeber gewesen könnten; vgl. schon Franz Heiduk: Die Dichter der galanten Lyrik, S. 177f. Der Raubdruck liegt nun auch im Neudruck vor, vgl. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Curriculum studiorum und andere gedruckte Werke, S. 457-489. Ausführlicher Lothar Noack: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus »Poetische Grab-Schriften« von 1643, ihre Raubdrucke und spätere Umarbeitung. In: GWrMF 7 (1989), S. 195-222, hier S. 212f.
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in einem Anhang weitere Grabschriften anderer (ebenfalls ungenannter) Autoren an. Vor allem gegen diesen Zusatz richteten sich zwei weitere Raubdrucke der »Poetischen Grab-Schriften« Hoffmannswaldaus aus dem Jahre 1663, als deren Herausgeber die Forschung den aus dem Fränkischen stammenden und am Altenburger Hof wirkenden Musiker Johann Polycarp Seubold ermitteln konnte.92 Zwar trug das Deckblatt des ersten Raubdruckes »Allerhand Kurtzweilige Grab-Schrifften« nur die Initialen C. H. v. B.,93 doch der unerlaubten Ausgabe war Hoffmannswaldaus Zuschrift von 1643 beigefügt, unterzeichnet mit »C. Hofmann/ von Breßlau«, die den Dichter jetzt als Verfasser dieser Epigramme einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte, als dies durch die umlaufenden Handschriften möglich gewesen wäre. Der Folgedruck brachte gleichfalls die in den Handschriften den Grabschriften vorangestellte Zuschrift, wies aber schon im Titel »Christian Hofmanns von Breßlau Spiel-ersinnliche Sterbens-Gedancken« auf den eigentlichen Verfasser hin.94 Seubold, der die fehlerhafte Ausführung der anonymen »Centuria Epitaphiorum« korrigierte, fügte seinen beiden Raubdrucken ebenfalls Zusätze mit weiteren poetischen Grabschriften an; letzterer enthielt unter anderem Epigramme von Opitz, Scriverius, Andreas Gryphius, Rist, Wende, Logau, Fleming und David Schirmer. 1668 gelangte schließlich ein vierter unberechtigter Druck auf den Markt (der ein Jahr später sogar in zweiter Auflage erschien und somit den insgesamt fünften Raubdruck der »Poetischen Grab-Schriften« Hoffmannswaldaus markierte), und zwar unter dem Titel »Politischer Schimpff und Ernst«.95 Doch von den ursprünglichen 100 Grab92 93
94
95
Vgl. Franz Heiduk: Hoffmannswaldau und die Überlieferung seiner Werke, S. 7. Allerhand Kurtzweilige Grab-Schrifften/ C. H. v. B. (ein Exemplar befindet sich in der ÜB Leipzig, Sign. B. S. T. 8° 318); der Druck enthält ein 2. Titelblatt: Der grauen Ewigkeit Siegs-Zeichen/ Auffgehängt unter 100. erhabenen LeichenSteinen/ Mit deroselben Grabe-Schrifften [...] Welche [...] nunmehro zum ändern mal fast reiner seynd ans Licht kommen/ und mit schicklichem Zusatz versehen worden/ Auff dem Parnasso des Jahrs 1663. o. O. 1663. Der Neudruck dieses Raubdrucks in: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Curriculum studiorum und andere gedruckte Werke, S. 491-553. Christian Hofmanns von Breßlau Spiel-ersinnliche Sterbens-Gedancken; Das ist: Hundert/ in kurtz langmäßigen Vierzeiligen Reimen bestehende deutsche Grabe-Schrifften: Mit veranlaßetem nicht unfüglichem Zusatz/ [...] o. O. 1663 (380951); Neudruck in: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Curriculum studiorum und andere gedruckte Werke, S. 555-618 Politischer Schimpff und Ernst/ Zu unterschiedlichen Discursen begriffen/ worinnen viel schöne und Politische Anmerckungen; Wie auch Historische Gemüths-Erfrischungen aus alten und neuen Historicis zufinden: Mit einem Anhang allerhand lustiger Grabschrifften, Freudenstadt 1668 (474682).
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schritten fehlten diesmal drei; dafür wurde eine zweite Grabschrift auf den Schwedenkönig Gustav Adolf eingefügt, die von Rist stammte und von Seubold schon als Eigentum des niederdeutschen Poeten ausgewiesen worden war. Auch gab es keinen Hinweis auf den eigentlichen Verfasser. Da sich diese Ausgabe außerdem gegen den Raubdruck vom »Fliegenden Wandersmann« richtete96 und die Seuboldschen Veröffentlichungen mit keinem Wort erwähnte, kann mit großer Wahrscheinlichkeit neben dem Anonymus der »Centuria Epitaphiorum« und dem Altenburger Musiker ein dritter Herausgeber für den Raubdruck von 1668 (und der zweiten Auflage 1669) vermutet werden.97 Natürlich konnte der Breslauer Ratsherr kein Interesse an der Verbreitung seiner »Poetischen Grab-Schriften« durch den Druck haben, umso mehr, als dieser Vorgang ohne seine Einwilligung geschah und in eine Zeit verstärkter konfessioneller Auseinandersetzungen in Schlesien fiel. Erst im Juli 1662 hatte Kaiser Leopold in einem neuerlichen Rescript die Visitation der Breslauer Buchläden und die Konfiskation antikatholischer und antihabsburgischer Schmähschriften angeordnet. Es dürfte den konfessionspolitischen Ausgleichsbemühungen des Breslauer Rates wenig förderlich gewesen sein, wenn just in dieser Zeit Epigramme unter dem Namen eines seiner Mitglieder im Druck erschienen, von denen einige sich gegen prominente Vertreter des Kaiserhauses und gegen Angehörige der katholischen Geistlichkeit richteten. Wir werden noch sehen, daß die Raubdrucke der »Poetischen Grab-Schriften« zu Beginn der sechziger Jahre auch das Pseudonymitätsverfahren in Hoffmannswaldaus Hauptwerk, den »Helden-Briefen«, mitbewirkten. Unmittelbare Reaktionen des Dichters auf die unerlaubten Drucke sind nicht überliefert. Keinesfalls jedoch trug sich Christian Hoffmann schon jetzt mit dem Gedanken, seine Übersetzungen und Gedichte in einer von ihm autorisierten Werkausgabe zu veröffentlichen, um weiteren gewissenlosen Geschäftemachern zuvorzukommen. Dazu wird er sich erst entschließen, als etwa 15 Jahre später 96
y7
In der Vorrede »An dem geneigt-geehrtem/ Leser« heißt es dazu auf S. 6f.: Als haben wir dieses kurtze Politische und Historische Wercklein demselben zu geneigtem Belieben zusammen getragen/ und die ehdessen zusammen gedruckte Grabschrifften (so unter einem wunderlichen Titul/ als ob sie von dem fliegendem Wandersmann Zeit seiner Wanderschafft gesamlet worden weren/ dardurch aber die sinnreichen Verfasser mehr geschimpffet als beehret worden) mit einer bessern Ordnung und zimlichen Anzahl/ so wir ehedessen auff hohen Schulen und in der Frembde bemercket/ in unterschiedlichen Sprachen mit angehenckt. Entgegen Franz Heiduk: Hoffmannswaldau und die Überlieferung seiner Werke, S. 7, der Seubold auch hier als möglichen Herausgeber sieht.
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wiederum unerlaubte Veröffentlichungen seinem Ansehen und der gesellschaftlichen Reputation als Breslauer Ratspraeses gefährlich wurden. Bis dahin hielt er seine »poetischen Kleinigkeiten« weiterhin in den relativ geschlossenen Kreisen kulturell interessierter Breslauer Patrizier. Bei ihren geselligen Treffen blieben die Ratsherren unter sich; Zugang zu den exklusiven Kreisen hatten ab und zu einige Gelehrte wie Rektor Major, dessen Tagebuchnotizen wir das Wissen um diese Begegnungen verdanken.98
Briefwechsel mit Imhoff Daß einzelne Gedichte Christian Hoffmanns den Kreis seiner Breslauer Freunde verließen, ist durch die Raubdrucke der »Poetischen Grab-Schriften« und weiterer unerlaubter Veröffentlichungen bewiesen. Sowieso war es üblich, in Briefen an auswärtige Freunde Gelegenheitscarmina mitzusenden. Die 160 Briefe der Handschrift R 257, die darüber vielleicht Aufschluß hätten geben können, sind verlorengegangen. Erhalten geblieben ist dagegen in reichlich 100 Briefen die Korrespondenz, die Christian Hoffmann mit Johann Hieronymus Imhoff in Nürnberg führte." Hier erfahren wir zum Beispiel, daß der Dichter seinem Brief vom 22. April 1665 zwei Trauercarmina beige9K
99
So trafen sich z. B. am 4. September 1657 im Hause Christian Hoffmanns die Ratsherren Georg Friedrich von Artzat, Johann Burghard und Adam Wenzel von Reichel sowie die Mediziner Kinner und Thilisch; am 14. März 1658 wiederum bei Christian Hoffmann der Ratspraeses Samuel von Sebisch, die Ratsherren Johann Burghard und Heinrich Marcus von Pein sowie der Arzt Samuel Kinner, der Ingenieur Albrecht von Sebisch, der Schöffensekretär Johann Kretschmer und Johann Heinrich von Pein; vgl. die Eintragungen in den Schreibkalendern Elias Majors (R 2356 und R 2357). Der Überlieferungsstand der Briefe Hoffmannswaldaus an Imhoff ist angegeben bei Franz Heiduk: Hoffmannswaldau und die Überlieferung seiner Werke, S. 48f. Zu ergänzen wäre ein Brief vom 10. März 1661, der sich in der ÜB Leipzig befindet. Die in der ÜB Wroclaw unter der Sign. B l aufbewahrten 99 lateinischen Briefe wurden, mit einem Kommentar versehen, mitgeteilt von Miroslaw Grudzien: Die Briefe Christian Hofmanns von Hofmannswaldau an Johann Hieronymus Imhoff. In: GWrMF 5 (1987), S. 467-569. Imhoff vermittelte auch den Kontakt zwischen Hoffmannswaldau und Johann Michael Dilherr, den der Dichter in seinen Briefen immer wieder grüßen läßt. Briefe zwischen Christian Hoffmann und dem Nürnberger Theologen und Leiter der Stadtbibliothek sind allerdings nicht bekannt; auch die im Zweiten Weltkrieg verlorengegangene Handschrift R 257 enthielt solche nicht. Zu Dilherr vgl. Gerhard Schröttel: Johann Michael Dilherr und die vorpietistische Kirchenreform in Nürnberg. Nürnberg 1962; Williard James Wietfeldt: The emblem literature of Johann Michael Dilherr (1604-1669), an important preacher, educator and poet in Nürnberg. Nürnberg 1975.
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legt hatte.100 Doch hinsichtlich des eben genannten literarischen Austausches bieten diese Briefe nur wenige Anhaltspunkte, so etwa, wenn Hoffmannswaldau darüber klagt, daß ihm in Deutschland und Frankreich neu erschienene Werke kaum zugänglich seien, und er Imhoff bittet, ihm interessante Bücher zu schicken, oder wenn der Dichter in seiner Eigenschaft als Schulamtsmitglied nachfragt, ob man in Nürnberg wertvolle Bücher, Handschriften, Münzen und Skulpturen kaufen kann.101 Denn diese Briefe sind Schreiben besonderer Art, nämlich in der Hauptsache Kommentare zu verschiedenen politischen Ereignissen; sowohl Imhoff als auch Hoffmannswaldau schreiben als politische Informanten ihrer auftraggebenden Räte.102 Während ersterer vor allem über die westeuropäische Szene berichtet, informiert Christian Hoffmann über die Geschehnisse in Schlesien und den angrenzenden östlichen Gebieten bis hin zur Türkei und nach Rußland. Im Blickpunkt des Interesses stand zum Beispiel Polen wegen der zunehmenden inneren Krise, die schließlich in militärische Auseinandersetzungen mündete. Die Rohstoff- und Nahrungsmittelzufuhr aus Polen spielte für Schlesien eine ganz besondere Rolle; der Handel mit dem Nachbarland war eine Quelle auch des Reichtums der Breslauer Patrizier. Aus den Briefen, die Christian Hoffmann als politischer Informant der Stadt Nürnberg in den Jahren 1663 und 1664 an Imhoff schickte, spricht immer wieder die Sorge über die innere Krise Polens, deutlich sichtbar im Adelsaufstand unter Jerzy Sebastian Lubomirski, sowie über den erneut aufgeflammten polnisch-russischen Krieg.103 Die gegenseitige politische Korrespondenz wurde von den jeweiligen Räten auch finanziell anerkannt: So zahlte der Breslauer Rat an Imhoff zunächst 60 Gulden jährlich, ab 1674 betrug die Summe 70 Gulden. Anzunehmen ist, daß auch Hoffmannswaldau als Informant vom Nürnberger Rat honoriert wurde; darüber hinaus erhielt er jährlich vom eigenen Rat 25 Thaler »wegen bisher continuirter Corre100 101
102
103
Mirostaw Grudzien: Die Briefe Christian Hofmanns von Hofmannswaldau, S. 530. Ebenda, S. 511: Si interdum aliquid rari apud vos venale extat, sive libri, manuscripti, sive numismata, sive statuae sint, fac quaeso ut sciam. Sum enim de ornanda Bibliotheca nostra, quantum id vires permittunt, sollicitus. (10. November 1661) Vgl. über die Informanten des Nürnberger Rates Lore Sporhan-Krempel: Nürnberg als Nachrichtenzentrum zwischen 1400 und 1700. Nürnberg 1968, bes. S. 25f.; die Korrespondenz Imhoff-Hoffmannswaldau ist hier jedoch nicht belegt. Vgl. zur polnischen Frage in den Briefen Hoffmannswaldaus an Imhoff ausführlich Miroslaw Grudzien: Die Briefe Christian Hofmanns von Hofmannswaldau, S. 479-491.
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spondenz«.104 Aus den beiden Briefen vom 1. Juli 1667 und 21. November 1669 geht hervor, daß Christian Hoffmann 1657 in Wien mit Imhoff Bekanntschaft geschlossen hatte.105 So ist wohl schon mit demselben Jahr seine Funktion als Informant anzusetzen, die er bis zu seiner Wahl zum Praeses des Breslauer Rates 1677 ausübte. Die meisten Briefe Hoffmannswaldaus sind wegen ihrer zahlreichen Bemerkungen über Politik, Kriegswesen, Diplomatie und Wirtschaft auch für die Geschichte Schlesiens und Osteuropas beachtenswert. Besonders beunruhigt zeigte sich zum Beispiel der Dichter über die 1663 erneut aufgebrochene Türkengefahr (bedrohliche Nachrichten darüber gelangten vor allem durch Kaufleute aus Ungarn und Siebenbürgen nach Breslau), klirrten doch nach einer Phase relativer Ruhe und Stabilität an den Grenzen seiner schlesischen Heimat die Waffen wieder bedrohlich laut.106 Das Osmanischen Reich hatte im Verlaufe des 17. Jahrhunderts durch eine krisenhafte innere Entwicklung - zu nennen wären hier besonders die durch schwache Herrscher verursachten starken Dezentralisierungstendenzen mit einem zunehmenden Einfluß des untereinander jedoch rivalisierenden Provinzadels und die weit um sich greifende Korruption - nach außen hin deutlich an Macht und Ansehen vor allem gegenüber den Habsburgern verloren. Anlaß für die neuen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Großmächten waren (wie oft in der Vergangenheit) die Selbständigkeitsbestrebungen der Fürsten in Ungarn und Siebenbürgen, die den Status quo in dieser Region gefährdeten. Als der Kaiser in das Siebenbürger Geschehen eingriff, erklärte am 18. April 1663 die Hohe Pforte den Krieg. Einzelne Reichsfürsten wie die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen sowie der Herzog von Bayern entsandten Hilfstruppen gegen die Türken, und auch in Schlesien wurden unterschiedliche Maßnahmen zur Abwehr der türkischen Bedrohung eingeleitet. Vor allem galt es, durch zusätzliche Steuern und Verbraucherabgaben die für den Krieg notwendigen finanziellen Mittel zu bekommen und umfangreiche Soldatenwerbungen in Gang zu setzen. 104
Vgl. dazu AMW, K 34: Verzeichnisse der jährlichen Einnahmen und Ausgaben der Geheimen Kammer, etwa Bd. 26 (1672), S. 71v, wo unter dem Datum des 23. April 1672100 Thaler für die Jahre 1668-1671 ausgewiesen sind. ms ygj Miroslaw Grudzien: Die Briefe Christian Hofmanns von Hofmannswaldau, S. 472. 106 Betreffs der Türkenkriege s. Ekkehard Eickhoff: Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa 1645-1700. Unter Mitarb. von Rudolf Eickhoff. Nach der Ausg. 1988. Stuttgart 1992; hinsichtlich Schlesiens Norbert Conrads: Schlesien und die Türkengefahr 1683. In: ASKG 42 (1984), S. 89-112, und Matthias Weber: >Unter dem Türken ist gut lebenscharfen Sitten-Regeln< zur Befreiung der sinnlichen Liebe. Es ist die Revolution einer brünstigen Phantasie gegenüber den Hemmungen des Klosters, des Standes, der Zwangsehe, gegen alle Hemmungen, die einem Ausleben sinnlicher Liebe im Wege stehen.« Rudolf Ibel: Hofman von Hofmanswaldau, S. 140f.
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nicht den im geistreich überformten Metaphernspiel, in argut-concettistisch gebrauchten Bildern und Ausdrücken hervortretenden Kunstcharakter der »Helden-Briefe«, sieht auch nicht die durch bestimmte Bilder erzeugte Ironie Hoffmannswaldauscher Aussagen, die auch in den kommentierenden Stellen der Prosaeinleitungen auftreten kann und so für Distanz sorgt. Daß die einzelnen Liebesgeschichten für Christian Hoffmann auch zahlreiche Möglichkeiten didaktischer Artikulierung eröffneten, zeigt sich besonders in Evas Antwortbrief, der auf der Konstellation von Leben und Tod beruht:: Jch muß gestorben seyn, doch darf ich nicht verwesen, Ich höre, wie mich hat der gantze Hoff beklagt, Jch kan itzt den Bericht von meinem Tode lesen, Undt hören, was mir hat die Grabschrifft nachgesagt. Dort leutet man mir aus, hier soll ich Briefe schreiben, Die Todtenmeße geht mich noch zur Zeit nicht an [...] (V. 5-10)
Nachdem der Dichter bei der Briefschreiberin zunächst einen Zustand der Angst, daß die Wahrheit ans Licht kommt, aufgebaut hat, kann er nun das ganze Vorhaben als Betrug aufdecken, der jedoch oft nur ein Selbstbetrug ist: Wir dencken manchesmahl den Nechsten zu berücken, Und er, ja wir durch ihn berücken uns zugleich; Granaten seynd voll Kern, und Menschen voller Tücken, An Wercken bettelarm, und an Gedancken reich. [...] Es spielt der Selbst-Betrug, uns stetig umb das Hertze, Er setzt uns Brillen auff, dadurch man nichts erkiest, Undt daß ich nicht zusehr auf Eiß undt Stacheln schertze, Der Himmel haßet diß, was unsre Wollust ist. (V. 25-28, 61-64)
Hoffmannswaldau steigert die Angst seiner Heldin, daß ihr Betrug vor den Menschen bekannt werde, schließlich in Angst vor dem allmächtigen Gott (»Himmel«), vor dem keine Tat verborgen bleibe und in dessen Macht es liege, die Sünder zu strafen. Zwar ist Eva von dem Gedanken durchdrungen, daß sie vor Gott gefehlt habe, doch die innere Einkehr zur Buße findet nicht statt. Indem Eva sich dem Herzog, ihrem »Schöpfer«, unterordnet, kann sie sich von ihren Ängsten freimachen und ihre Liebesbeziehung zu Heinrich weiterführen: Doch weiß, mein Hertzog, Jch dir nicht zu wiederstreben, Jch weiß, wie hoch ich dir, alß Magd, verbunden bin. Es heist mich deine Gunst in Goldt und Purpur leben, So nimm, was dir behagt, auch wieder von mir hin.
340 Denn deiner Hände Werck will ich mich einig nennen, Du hast mich aus dem Thal auf Zinnen hingestellt, Auf Wincken deiner Lust soll dir mein Herze brennen, So dir, so gut es kan, auch itzt zu Fuße fällt. (V. 73-80)
Christian Hoffmann war sich sicher, daß die von ihm herangezogenen Liebesgeschichten hochgeborener Persönlichkeiten auf großes Interesse stoßen mußten, besonders dann, wenn die in ihnen agierenden Helden und Heldinnen - wie Herzog Heinrich und Eva von Trott der jüngeren Vergangenheit angehörten. Diese zeitlich nicht weit vom Pfälzer Hofskandal 1658 liegenden Begebenheiten der »chronique scandaleuse«138 wurden auch deshalb vom Leser zur Unterhaltung angenommen, weil sich im Unterschied etwa zu Frankreich an den deutschen Fürstenhöfen wegen des vorherrschenden Einflusses der Hoftheologen die Mätressenwirtschaft kaum entfalten konnte - auch der Braunschweiger Herzog hatte sein Liebesverhältnis von der Residenz an ein abseitiges Jagdschloß verlegen müssen - und amouröse Skandale deshalb weithin für Aufsehen sorgten.
4. Heldenbrief: Ludwig - Mahometanin Dem vierten Briefpaar »Liebe. Zwischen Graff Ludwigen von Gleichen, und Einer Mahometanin.« (S. 199-217) liegt die bekannte Geschichte des bigamischen Grafen von Gleichen zugrunde, der 1228 als Kreuzzugsteilnehmer vom Sultan gefangengenommen wurde. Während seiner Gefangenschaft, in der er schwere Feldarbeiten verrichten mußte, wurde des Sultans Tochter auf ihn aufmerksam. Sie fand Gefallen an dem Grafen, erleichterte ihm sein hartes Los, entbrannte schließlich in Liebe zu ihm und versprach ihm die Freiheit, wenn er sie zu seiner Gemahlin nehmen und in seine Heimat führen würde. Obwohl bereits verheiratet, erfüllte Ludwig die Bedingungen und nahm seine Befreierin als zweite Gemahlin mit nach Hause. Der Papst erteilte dem Grafen nachträglich seine Absolution; noch heute
138 Ygj Heinrich Dörrie: Der heroische Brief, S. 187: »Lieferantin des Stoffes ist nicht (wie bei den Italienern) das klassische Epos, nicht (wie bei M. Drayton) die schon klassisch gewordene Geschichte - Lieferantin des Stoffes ist nun ganz betont die >chronique scandaleuse