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German Pages 322 [324] Year 1998
BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG UND KURT BALDINGER HERAUSGEGEBEN VON MAX PFISTER
Band 254
MARTIN HUMMEL
Cadre, employé und Angestellter Ein sprachwissenschaftlicher Beitrag zur vergleichenden Kulturforschung im deutsch-französischen Sprachraum der Gegenwart
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1993
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Für meine Eltern
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme
Hummel, Martin: Cadre, employé und Angestellter : Ein sprachwissenschaftlicher Beitrag zur vergleichenden Kulturforschung im deutsch-französischen Sprachraum der Gegenwart / Martin Hummel. — Tübingen : Niemeyer, 1993 (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie ; Bd. 254) NE: Zeitschrift für romanische Philologie / Beihefte I S B N 3-484-52254-2
ISSN 0084-5396
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. K G , Tübingen 1993 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
i
1. Der sprachwissenschaftliche Zugriff
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2. Die verwandtschaftliche Dimension
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2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.7. 2.8. 2.9.
Die Grundbedeutung von cadre Die Polysemie von cadre Cadre als Bezeichnung für Menschen Celui qui encadre Das definitorische Paradoxon Die Pionierfunktion von encadrer Zur sprachhistorischen Entwicklung Zum Einfluß von cadre auf andere Sprachen der Romania Employé und Angestellter
13 19 29 42 48 55 63 74 76
3. Die paradigmatische Dimension 3.1. Der maximale Sememumfang 3.2. Fakultative Semem Verengung 3.3. Wie stabil sind paradigmatische Oppositionen? 3.4. Das Gewicht der paradigmatischen Dimension 3.5. Für ein semasiologisches Verständnis paradigmatischer Oppositionen 3.6. Bedeutung und Bezeichnung
82 82 95 104 107
4. Die referentielle Dimension 4 . 1 . Sprachliche und außersprachliche Bezeichnungsmöglichkeit 4.2. Semem und Objektklasse 4.3. Zur sprachlichen Relevanz der Objektvorstellung
120 122 123 138
5. Der 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 5.6.
kulturgeschichtliche Hintergrund Langfristige Entwicklungstendenzen La montée des cadres Le malaise des cadres . . . und was den Employés blieb Wohin mit den „petits chefs"? Zum Verhältnis von Sprache und Kultur
113 117
.
164 164 193 209 214 224 231 V
6. Synchronie und Diachronie 6 . 1 . Erscheinungsformen und Mechanismen sprachlichen Wandels 6.2. Synchronische und diachronische Perspektive
237 239 245
7. Zur Aktualisierung der Wörter im Text und ihrer Übersetzung
248
. .
Schlußbetrachtung
278
Abkürzungsverzeichnis
285
Literaturverzeichnis
287
Register
310
VI
Einleitung
Das Wort cadre hat schon manchen Sprachwissenschaftler, Journalisten oder Soziologen zu einem Kommentar veranlaßt. In nahezu jeder Studie über die beruflich-soziale Gruppe der Cadres äußert sich der Verfasser nicht nur zur bezeichneten Sache, sondern auch zum Wort. Autoren ländervergleichender Studien halten cadre als Bezeichnung für gehobene Angestellte/Führangskräfte für unübersetzbar 1 . Der Leiter des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg Picht nennt nicht zufällig gerade das Wort cadre als aktuelles Beispiel für die Schwierigkeiten interkultureller Verständigung: die Grundlage der miteinander verknüpften nationalen Statistiken sind Begriffe, die zum Beispiel sozioprofessionelle Gruppen bezeichnen. In den verschiedenen nationalen Systemen haben sie unterschiedliche Bedeutungen mit all ihren Konnotationen (wie der französische Begriff cadres und der deutsche Angestellte). Solche Begriffs-, und damit Sinn- und Bewertungsvermischungen durch nur teilweise zutreffende Analogien behindern auch die Verhandlungen über die Äquivalenz von Diplomen und damit den internationalen Hochschulaustausch. Mit jedem Übersetzungsvorgang steigt die Begriffsverwirrung; wir brauchen also Mittler, die in der Lage sind, derartige nationale Begriffsbildungen nicht nur zu übersetzen, sondern in ihrem funktionalen Zusammenhang zu interpretieren und mit denen anderer Länder und Sprachen zu vergleichen. Aufgaben dieser Art gehören sicherlich primär in den Bereich vergleichender Sozialwissenschaften. Konnotationen und Bewertungen sind aber untrennbar mit der Geschichte der miteinander verglichenen Gesellschaften und dadurch mit Phänomenen verbunden, die weit über bloße Sozialstatistik hinausführen. Ihre politische Bedeutung erhalten sie aus selbst in Europa ganz unterschiedlichen Traditionen hierarchischer Abstufung, der Bewertung theoretischer und praktischer Ausbildung und Tätigkeit, also höchst komplexen Konstellationen, die Soziologie untrennbar mit Geistesgeschichte verbinden2. Picht beklagt „gigantische Fehlinvestitionen aufgrund unzureichender K o m munikation" 3 in einer Welt raschen und massenhaften internationalen Warenaustauschs. In der Tat spielen die einst entscheidenden natürlichen Barrieren interkulturellen Austauschs wie Ozeane oder Gebirgsketten eine immer geringere Rolle. Die heutigen Transport- und Kommunikationsmittel (Flugzeug, Telefon, in 1
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„les notions françaises de cadres et de professions libérales sont quasiment intraduisibles" (Lévy, Nommer pour compter: 29). Ebenso Doublet/Passelecq, Les cadres: 30. Picht, Internationale Beziehungen: 144. Ebda.: 143. I
Echtzeit verbundene Datenbanken usw.) reduzieren das räumliche Problem manchmal auf die Stufe der Bedeutungslosigkeit. Die verbleibende Behinderung der Mitteilbarkeit individueller Erkenntnisse durch die verschiedenen Einzelsprachen muß in einem solchen Kontext immer stärker ins Bewußtsein der Menschen dringen. Die Sprache wird zur entscheidenden Barriere. Wenn Hispanoamerika und Spanien oder England und die USA immer problemloser kommunizieren können, dann muß es als besonders schmerzhaft, ja anachronistisch empfunden werden, wenn in dem so eng verflochtenen deutsch-französischen Raum die Sprachen weiterhin eine für viele unüberwindliche Barriere bilden. Im Binnenmarkt Europas wird die Überwindung sprachlicher Hindernisse für eine ständig wachsende Zahl von Menschen zur Notwendigkeit. Picht beklagt zu Recht gerade jetzt, „daß der heute mit einer nie in der Geschichte erlebten Intensität geführte internationale Austausch sich weitgehend unter Ausschluß der Philologien vollzieht" 4 . Es gilt, sich einzumischen. Eine Fallstudie, die sich mit der Bedeutung der Wörter employé, cadre und Angestellter beschäftigt und deren Kulturbezug in vergleichender Perspektive untersucht, kann dazu einen aktuellen Beitrag leisten. Nimmt man den weltweiten Rahmen zum Maßstab, dann ist die Realität französischer und bundesdeutscher Betriebe sicherlich sehr ähnlich. Was hier in einem Betrieb getan wird, muß grosso modo auch dort getan werden. Der Industriesoziologe müßte Betriebe daher relativ problemlos einer vergleichenden Betrachtung unterziehen können. Die Schwierigkeiten sind aber offenbar so groß, daß auch aufwendige und gründliche Arbeiten5 ihrer kaum Herr werden6: Die Diskussion über soziale Strukturen bietet zahlreiche Anlässe für deutsch-französische Mißverständnisse. Nach wie vor wird die gesellschaftliche Realität des Nachbarlandes in aller Regel selektiv und durch Zerrspiegel verbogen wahrgenommen. [ . . . ] Die Schwierigkeiten liegen darin, daß beide Gesellschaften gleichzeitig ähnlich und verschieden sind, daß viele Entwicklungen und Probleme in die gleiche Richtung laufen, andererseits aber auch historisch gewachsene, unterschiedliche Strukturen und Verhaltensweisen so etwas wie eine nationale Eigenlogik geschaffen haben, die weit davon entfernt ist, im Sog der wirtschaftlichen Intemationalisierung zu verschwinden. [ . . . ] Dies zeigt sich besonders augenfällig am Beispiel der Cadres.
Bereits der Vergleich großer beruflicher Gruppen ist schwierig. Der deutsche Soziologe findet in Frankreich kein Pendant zu „seinem" Angestellten. Angestellter scheint zwar auf den ersten Blick leicht mit frz. employé übersetzt werden zu können. In guten Wörterbüchern erfahrt der Soziologe aber, daß employé nur Arbeitnehmer bezeichnet, die weder Cadre noch Ouvrier sind.
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Ebda.: 1 4 1 - 2 . Als Beispiele für auftretende Schwierigkeiten s. Lutz (Bildungssystem und Beschäftigungsstruktur in Deutschland und Frankreich: 98—9) und meine Hinweise zu Maurice u.a. (Politique d'éducation et organisation industrielle en France et en Allemagne) im 7. Kapitel. Uterwedde, Sozialstrukturen: 233—6. 2
Employé bezeichnet also nicht einfach wie im Deutschen alle Arbeitnehmer, die keine Arbeiter (ouvriers) sind, sondern es wird zusätzlich eine hierarchisch übergeordnete Gruppe ausgeschlossen, eben die Cadres. Eine paradoxe Situation entsteht. W o alle Wahrscheinlichkeit für einen problemlosen Vergleich der beruflichen Wirklichkeit spricht, steht der Soziologe vor unerwarteten Schwierigkeiten. Der soeben grob skizzierte Fall ist ein Beispiel dafür, daß in der kulturvergleichenden Forschung weniger die objektive Sache als solche ausschlaggebend ist, also etwa das objektive betriebliche Funktionieren, als vielmehr die kulturhistorisch gewachsene und sich ständig verändernde erkenntnismäßige Bewältigung der Welt durch den Menschen, die sich in einer sprachlichen Wortung niederschlagen kann. Das Wort als institutionalisierter Baustein einer Sprache ist Ausdruck kulturspezifischer Erkenntnis. Daher sein Interesse für kulturvergleichende Fragestellungen: Language is becoming increasingly valuable as a guide to the scientific study of a given culture. In a sense, the network of cultural patterns of a civilization is indexed in the language which expresses that civilization. It is an illusion to think that we can understand the significant outlines of a culture through sheer observation and without the guide of the linguistic symbolism which makes these outlines significant and intelligible to society7. Die Sprachwissenschaft ist sicher nicht für das gesamte Feld des interkulturellen Austausches und Verständnisses zuständig. Sie hat aber eine Teilkompetenz. Der Sprachwissenschaftler wird immer primär danach trachten, die inneren Mechanismen und Bedingungen sprachlichen Funktionierens zu erforschen. Er darf sich aber nicht für immer in eine immanente Sprachbetrachtung zurückziehen. Er muß irgendwann aus seinem Verständnis des inneren sprachlichen Funktionierens auch ein Verständnis des Bezugs der Sprache zur außersprachlichen Wirklichkeit entwickeln. Und es wird nicht zuletzt der Sprachwissenschaft selber nützen, wenn sie ihr Instrumentarium in den Dienst übergeordneter Fragen stellt. Sie wird dann weniger dazu neigen, sich mit selbst erzeugten Problemen zu befassen, eine Tendenz, die gerade in der Semantik auffällt. Genau wie die Sprache nicht etwas außerhalb ihrer Kultur Stehendes ist, so darf auch die Sprachwissenschaft nicht außerhalb der anderen Kulturwissenschaften stehen8. Ihr Forschungsgegenstand erlaubt dies nicht. Ein vorübergehender Rückzug auf sprachimmanente Aspekte ist oft von Vorteil, ein genereller nicht. Dieser Ansicht war sogar Hjelmslev: Conformément à sa nature, la linguistique n'est pas seulement étudiée par des linguistes de profession, mais aussi par des philologues, pour qui l'étude du langage n'est pas une fin en soi, mais un moyen d'investigation de la civilisation humaine. C'est à la fois heureux et nécessaire. La science du langage ne peut et ne doit pas 7 8
Sapir, Selected Writings: 1 6 1 - 2 . Andere Kulturwissenschaftler verlangen mit Recht ein solches Selbstverständnis: „Romanistik sollte von vornherein als Beitrag zu einer umfassenderen Wissenschaft verstanden werden" (Grosser, Was sollen Romanisten: 26). 3
être développée sans contact avec l'étude des autres domaines de la vie intellectuelle, de la même façon que la vie intellectuelle de l'homme et l'histoire de la civilisation ne peuvent être étudiées avec profit sans la connaissance de la linguistique. Une linguistique sans philologie est aussi impensable qu'une philologie sans linguistique 9 .
Die „Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft" 10 muß natürlich einen spezifisch sprachwissenschaftlichen Zugriff entwickeln, der sich etwa im Falle der Cadres von dem des Soziologen unterscheidet. Denn ein interdisziplinärer Dialog mit anderen kulturwissenschaftlichen Zugriffen ist nur auf der Grundlage möglichst klarer Forschungsperspektiven jeder Disziplin fruchtbar. Der Sprachwissenschaftler wendet sich daher zuerst den innersprachlichen Voraussetzungen der kulturspezifischen Wortung zu und erforscht die Bezeichnungsleistung des Wortes als Ding der Sprache. Er betätigt sich also als „linguiste de profession" im Sinne Hjelmslevs, ohne darüber jedoch zu vergessen, daß die Sprache nicht um ihrer selbst willen existiert. Vorliegende Arbeit wird versuchen, von sprachwissenschaftlichen Fragestellungen im engeren Sinne ausgehend, zu übergeordneten Fragen vorzudringen. Mit der Untersuchung eines konkreten Falls soll versucht werden, die oft allzu theoretischen Arbeiten der Semantik zu ergänzen, die dringend einer empirischen Überprüfung bedürfen 11 . Der Theorie als Träger des wissenschaftlichen Erklärungsanspruchs soll dabei nicht etwa ausgewichen werden. Notwendig ist vielmehr ein kontroverser Dialog von Empirie und Theorie. Die Tatsache, daß die hier untersuchten Wörter aus verschiedenen Sprachen stammen, erlaubt es, dabei die methodischen Vorteile sprachvergleichender Betrachtungsweise zu nutzen. Die Aktualität des gewählten Falls macht ihn auch für andere Wissenschaften interessant, so daß gute Chancen für eine interdisziplinäre Auseinandersetzung im Anschluß an diese Arbeit bestehen. In Kapitel i wird ein spezifisch sprachwissenschaftlicher Zugriff auf den Fall formuliert. Die folgenden Kapitel klären die innersprachlichen Einflüsse auf die lexikalische Bedeutung der Wörter, bevor im 4.Kapitel deren Bezug zur Welt behandelt wird. Kapitel 5 befaßt sich dann mit der Frage, wie die Wörter employé, cadre und Angestellter, die als Berufsgruppenbezeichnungen
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Hjelmslev, Essais: 18. Coseriu, System, Norm und Rede: 15. Vgl. dazu ders., Synchronie, Diachronie und Geschichte: 52. Wenn dieses Selbstverständnis konsequent umgesetzt wird, werden Sprachdidaktiker, die Fremdsprachenlernen als Beitrag zur internationalen Verständigung (Hrsg. Baumgratz/Stephan) begreifen, den größten Nutzen aus sprachwissenschaftlicher Forschung ziehen können. Galisson hat in einem programmatischen Aufsatz gezeigt, daß Wörter vielfach eine „charge culturelle partagée (CCP)" mit sich führen, die Wörterbücher normalerweise übergehen (Galisson, Accéder à la culture partagée par l'entremise des mots à CCP). Solche Wörterbücher eignen sich daher nur bedingt als Instrument interkultureller Verständigung. Eine solche Überprüfung fordern auch etwa Wotjak (Untersuchungen: I42;I6I) und Geckeier (Progrès: 65). Zu oft wurde auf die empirische Bewährung der Überlegungen verzichtet ( z . B . bei Greimas, Sémantique: 32).
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sehr eng mit dem gesellschaftlichen Wandel verbunden sind, sich in der kulturhistorischen Entwicklung verhalten haben. Dabei wird keine umfassende sprachhistorische Betrachtung angestrebt, sondern eine sprachwissenschaftliche Erklärung des heutigen Sprachzustandes, die ohne Einbeziehung einiger wichtiger Aspekte der kulturgeschichtlichen Entwicklung undenkbar wäre. Das 6. Kapitel betrachtet das Spannungsfeld von Synchronie und Diachronie, in dem sich die Wörter befinden, unter systematischen Gesichtspunkten. Kapitel 7 prüft schließlich, ob die Ergebnisse dieser Arbeit auch einen Beitrag zum besseren Verständnis der Übersetzung der Wörter leisten. Zuvor will ich die Gelegenheit ergreifen und mich bei all den Personen und Freunden herzlich bedanken, die mir durch Hinweise, Anregungen, Kritik oder einfach durch ihr Interesse bei der für mich sehr spannenden Realisierung dieser Arbeit geholfen haben. Prof. Kurt Baldinger und der DEAF-Forschungsstelle in Heidelberg verdanke ich wertvolle Hinweise zur Etymologie von cadre im Altfranzösischen. Prof. Otto Jänicke und dem Herausgeber dieser Reihe, Prof. Max Pfister, bin ich für ihre gründliche und kritische Lektüre des Manuskripts verbunden. Ich hoffe, daß sich dieser fruchtbare Gedankenaustausch mit dem Kreis der Leser fortsetzen wird. Mein ganz besonderer Dank gilt jedoch Prof. Dieter Woll, seiner Aufgeschlossenheit, seiner Kritik und seiner unermüdlichen Hilfsbereitschaft. Dem Max Niemeyer Verlag danke ich für die verlegerische Betreuung.
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i.
Der sprachwissenschaftliche Zugriff
Zwischen den Resultaten der Bedeutungsforschung und dem gewählten Bedeutungsbegriff besteht ein enger Zusammenhang1. Mehr noch, der Bedeutungsbegriff ist so umstritten, daß es im Grunde gar nicht möglich ist, einen der vorgeschlagenen Begriffe im Vorfeld einer Fallstudie einfach zu übernehmen. Es empfiehlt sich daher, zunächst einen offenen Begriff zu verwenden, der der Untersuchung einen Gestaltungsspielraum läßt. Er enthält nur, was das sprachliche Vorwissen rational begründen kann. Wörter stehen im Dienst individueller Ausdrucksabsichten. Sprachliche Kommunikation kann aber nur gelingen, wenn Sprecher und Hörer sich darauf verlassen dürfen, daß der Wortkörper bei beiden mit einer Bedeutung verknüpft wird, die wenigstens so präzise in der Sprache als Institution festgelegt ist, daß sie unter Zuhilfenahme der von Text und Sprechsituation gelieferten Information das vom Sprechenden Gemeinte eindeutig bezeichnet2. Ein Wort kann dabei über mehrere syntaktische Verknüpfungsmöglichkeiten verfügen. So kann cadre bei im übrigen gleicher lexikalischer Bedeutung substantivisch oder adjektivisch verwendet werden3: Monsieur Fougeray est cadre chez Renault. L'entreprise Bidon n'emploie qu'une seule femme cadre. Außer der für das Französische typischen Distribution4, die cadre im zweiten Beispielsatz dem Sprachbewußtsein als adjektivisch determinierendes Wort nahelegt, zeigt der eindeutig allein auf femme bezogene unbestimmte Artikel une, daß das substantivisch immer maskulines cadre hier adjektivisch ge1 2
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Wotjak, Untersuchungen: 13; 228—9, Anm. 26. Zur typographischen Kennzeichnung: Der Wortkörper C A D R E ist mit der Wortbedeutung — bei Polysemie mit mehreren Einzelbedeutungen — zum vollständigen Wort cadre verknüpft, mit dem Objekte «cadres» bezeichnet werden. Adjektivische Verwendungen der Berufsgruppenbezeichnungen sind vor allem in Texten der Sozialstatistik, bei Insidem der Arbeitswelt und spezialisierten Journalisten üblich: „Un homme cadre supérieur sur deux est cadre administratif alors qu'une femme cadre supérieur sur deux est professeur" (Thévenot, Les catégories: 27). Das gilt auch für die Berufsgruppenbezeichnungen employé und ouvrier: „les personnels ouvriers et employés" (Bachy, Les Cadres: 35) oder: „les possibilités d'accès des femmes employées aux positions de cadres moyens" (Thévenot, Les catégories: 21). Truffaut, Problèmes: 8. Das kanadische „Office de la Langue Française" empfiehlt aber bereits (oder: noch)
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braucht wird. Die Semantik wird die Bedeutung von cadre, cadrer und encadrer nicht richtig beschreiben können, wenn sie sich allein dem Studium der lexikalischen Bedeutung verschreibt6. Die lexikalische Bedeutung eines Wortes darf nicht mit dem bezeichneten außersprachlichen Objekt gleichgesetzt werden. So bezeichnet dt. Stuhl nicht völlig gleich gestaltete Objekte, deren gesamte Merkmalsfülle sprachlich relevant wäre, sondern Gegenstände, die sich aufgrund einiger typischer Merkmale und Gebrauchseigenschaften trotz aller Unterschiede im Detail zu einer Klasse von Objekten zusammenfassen lassen. Die Bedeutung setzt also Abstraktions- und Analysevermögen voraus. Sie ermöglicht nicht nur eine, sondern viele Referenzen und übersteigt daher das sprechaktspezifisch Gemeinte7. Im Sprachvergleich zeigt sich, daß die Einzelsprachen vergleichbare oder identische Bereiche der außersprachlichen Realität ganz verschieden worten. Solche Wortungsunterschiede habe ich einleitend für den Bereich der Arbeitswelt bereits skizziert. Das Wort, die Wortbedeutung und die bezeichneten Objekte können nicht nur als Ganze, sondern auch im Hinblick auf ihre Konstituenten untersucht werden. Viele lexikalische Einheiten wie frz. employé de commerce oder encadrer können sowohl als Wortganzes als auch als Wort aus „Teilwörtern" betrachtet werden. Das Wortganze steht in einem dialektischen Spannungsverhältnis zu diesen bedeutungstragenden Bestandteilen, den Monemens. Die Sprecher können dt. entdecken wenn erforderlich in seine Bestandteile zerlegen, sie werden es normalerweise aber als lexikalisieites Wortganzes verwenden. Die Wortbedeutung kann ihrerseits in semantische Konstituenten, in Seme, zerlegt werden, wobei auch bei ihnen ein dialektisches Verhältnis zum Bedeutungsganzen in Rechnung zu stellen ist9. Eine bloße Semliste kann die
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une cadre (Dictionnaire du français „plus"). In einer neueren Nummer von Cadres CFDT liest man: „Un chef de bureau [ . . . ] vint en confidence voir une très jeune cadre dont le salaire était inférieur au sien mais qui avait le privilège d'être seule dans son bureau [ . . . ] " (mars 1991: 3). Todorov beklagt zu Recht „l'indépendance malheureuse dans laquelle restent aussi bien les études de la syntaxe que celles de la sémantique" (Recherches: 23; s.a. 42). Ebenso Brekle, Semantik: 113—5. S. a. die Definition der Semantik bei Pottier (Vers une sémantique: 109), die an Bloomfields Definition (Language: 138) erinnert. Coseriu nennt die Wortbedeutung richtig „eine einzelsprachlich abgegrenzte Möglichkeit bestimmter Bezeichnungen, nicht die jeweilige Bezeichnung selbst" (Kontrastive Linguistik: 185). S. a. ders., Falsche undrichtige Fragestellungen: 298— Zum Verhältnis von Wortganzem und Wortbestandteilen s. La Linguistique: 55—9 und Gauger, Durchsichtige Wörter: 18:23—4; früher schon bei Rozwadowski, Wortbildung: 10— 11. Zur Notwendigkeit der Aufteilung in Moneme s. Hjelmslev, Prolégomènes: 40. Zum Begriff Monem s. Martinet, Eléments: 15—6. „nous ne pouvons pas vraiment isoler les éléments, mais seulement les distinguer. Si nous sommes amenés à les traiter séparément au cours du processus de l'analyse linguistique, nous devons toujours nous souvenir du caractère artificiel d'une telle
7
Definition der Wortbedeutung, w e l c h e die B e z ü g e zwischen den Semen erfaßt, nicht ersetzen 1 0 . Schließlich ist auch eine A n a l y s e des bezeichneten O b jekts in Objektmerkmale denkbar, die v o n den Semen zu unterscheiden sind. Ist ein O b j e k t einmal bezeichnet, dann wird über das ganze Objekt gesprochen. A l l e seine M e r k m a l e können kommunikativ relevant w e r d e n 1 1 , ohne d a ß das gesamte Objektswissen in die lexikalische Bedeutung Eingang finden muß. D i e s e m u ß j a nur die Identifikation des bezeichneten Objekts leisten. D a z u genügen normalerweise w e n i g e , als S e m e in der lexikalischen B e d e u tung fixierte M e r k m a l e 1 2 . Bedeutung und Bezeichnung dürfen, genau w i e Langue und Parole, nicht als Dichotomie der Objektsprache begriffen werden 1 3 . Beide stehen vielmehr in enger Wechselbeziehung zueinander. U m zur Wortbedeutung als Teil der L a n g u e vorzudringen, setzt der Forscher bei der für ihn direkt greifbaren sprachlichen Realität an, der Sprechaktebene
(Parole),
um aus einer möglichst
großen Sammlung der V o r k o m m e n eines Wortes (Eparole)'*
durch Abstrakti-
on aus den j e w e i l s realisierten Bezeichnungen zu überindividuellen Konstanten vorzudringen, die der Wortbedeutung zuzuordnen sind (Langue) 1 5 . D a s Verfahren abstrahiert v o m sprechaktspezifischen Beitrag von Kontext und Situation zur Bezeichnung. Es hat den Vorteil, den W e g nachzuvollziehen, auf
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séparation" (Jakobson, Essais, vol. i : 26). Das gilt nicht nur für die Konstituentenbetrachtung der Wörter, sondern auch für die wortsemantische Perspektive insgesamt, die nicht übersehen darf, daß Wörter nur im Text funktionieren und bezeichnen. S. etwa die Semmatrix bei Wotjak (Untersuchungen: Falttabelle im Anhang). Er geht so weit, Semlisten deshalb für geeignet zu halten, weil sie es erlauben, „einer Entscheidung über die internen Strukturbeziehungen der Seme auszuweichen" (ebda.: 123 und ebenso 165). Zur Problematik vgl. ebda.: 39—40:180. Vgl. Hilty, Lexikologie: 8. Für die gesamte Sprachtätigkeit einer Sprachgemeinschaft gilt deshalb, daß das gesamte „knowledge of everything in the speakers' world" (Bloomfield, Language: 139) kommunikativ relevant sein kann. Für Rozwadowski „[pflegt] jede Benennung von Gegenständen [ . . . ] nach einem einzelnen Merkmal zu geschehen" (Wortbildung: 3). Er überzeichnet sicherlich, meint aber eine vorhandene Tendenz der Sprache, mit wenig Aufwand eindeutig zu bezeichnen. Jede Sprache muß aus ökonomischen Gründen zu solchen Mitteln greifen, wenn sie die ungeheuere Komplexität der menschlichen Welt bewältigen soll. Am besten formuliert dies Schmidt, Lexikalische und aktuelle Bedeutung: 6—10. Eparole bezeichnet bei mir die Summe aller Sprechakt vorkommen. Die übliche Verwendung des Summenzeichens legt dies nahe. Heger (Monem, Wort: 24—30) und Wotjak (Und nochmals: 39) verstehen darunter hingegen eine bereits durch Abstraktion aus der Summe aller Sprechaktvorkommen gewonnene Größe. Nach Saussure (Cours: 37—8) hat v.a. Coseriu dieses Abstraktionsverfahren ausführlich beschrieben und verbessert (System, Norm und Rede: 82—93). S. a. Heger, Monem, Wort: 15—30. Hier gibt es tatsächlich methodologische Parallelen zwischen Phonologie und Semantik: „De la même manière, au niveau sémantique, on trouve des significations contextuelles et des significations situationnelles. [ . . . ] Au niveau du sens comme au niveau du son, le problème des invariants est un problème crucial pour l'analyse d'un état donné d'une langue donnée" (Jakobson, Essais, vol.i: 39). 8
dem der spracherwerbende Mensch zur Langue vordringt. Man kann zwar sagen, beim fluent speaker gehe die Bedeutung der Bezeichnung voran, empirisch steht die Bezeichnung aber vor der Bedeutung. Das Kind lernt die Möglichkeiten einer Sprache kennen, indem es immer wieder konkrete Anwendungen hört, nach ihnen fragt und sie imitiert. Der W e g von der Bezeichnung zur Bedeutung ist also nicht nur irgendein sprachwissenschaftlicher Zugriff auf die Langue, er ist der empirische W e g zur individuellen Sprachkompetenz schlechthin. A l s besondere Schwierigkeit bei der Anwendung des Abstraktionsverfahrens erweist sich, daß die Wortbedeutung eine intuitive' 6 Bewußtseinstatsache ist und daher auch „introspektiv" 17 ermittelt werden muß. Es kommt daher nicht darauf an, Introspektion methodisch auszuschließen, sondern sie kontrollierbar zu machen und Korrektive in den Forschungsprozeß einzubauen, die der Projektion von Wunschdenken in die gesuchte Wortbedeutung entgegenwirken. Die wichtigste Kontrolle erfolgt dadurch, daß nicht isolierte Wörter untersucht werden, sondern Wörter in einem möglichst nicht experimentell beeinflußten Kontext' 8 . Angaben von Sprechern sind oft unsicher, wenn sie vom Kontext isolierte Wörter betreffen. In einem Text mit der dazugehörigen Sprechsituation kann dagegen sehr genau angegeben werden, was etwa cadre dort bezeichnet. Denn der Hörer kann die Bezeichnung eines Wortes im Text mit der jeweils erforderlichen Genauigkeit nachvollziehen. Er kennt bei erfolgreicher Kommunikation die Bezeichnung und kann sie bei Befragung angeben. Die Wortsemantik hat keinen genauer feststellbaren Sachverhalt zur Verfügung als eben die Bezeichnung im Text. Selbst der Nicht-Muttersprachler kann bei genügender Sprachbeherrschung normalerweise genau angeben, was in einem Text mit einem Wort gemeint ist. Ein Ausschluß der Bezeichnung im Sinne einer immanenten Betrachtung kommt daher einem Verzicht auf die einzigen sicher greifbaren Elemente der Bedeutung gleich, die in der aktuellen Sprache die Bezeichnung gewährleisten. Es mußte hier daher zunächst darum gehen, eine hinreichend große Zahl „natürlicher" Vorkommen von employé, cadre und Angestellter in Texten der Gegenwart zu registrieren. Der Schwerpunkt lag bei der Auswertung gemein16
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Der Zusatz „intuitiv" soll daraufhinweisen, daß die Wortbedeutung nicht unbedingt in einer abfragbaren, dem Sprachwissenschaftler durch Sprecherbefragung unmittelbar zugänglichen Form bewußt sein muß. Der Sprecher erfährt die Wortbedeutung als Mittel zum Ausdruck einer Mitteilungsabsicht, der allein das — wenn man so will „abfragbare" — Sprecherbewußtsein gilt. Auf die Unvermeidbarkeit von Introspektion weist Wotjak hin (Und nochmals: 35). S. auch den besonnenen Artikel von Reichling (Meaning and Introspection). Martinet verweist mit Recht darauf, daß nur zur Bedeutung gehören kann, was mehreren Sprechern gemeinsam ist (Eléments: 35). Er lehnt dann Introspektion des Forschers bei sich selbst ab, ohne in Erwägung zu ziehen, daß der Forscher dem Tatbestand des „fait social" dann gerecht wird, wenn er eine Vielzahl introspektiver Angaben von Informanten auf Gemeinsamkeiten untersucht. S. etwa Lyons, Einführung: 420 u. Ullmann, Semantics: 67.
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sprachlicher Texte. Le Monde, die Frankfurter Allgemeine und die Frankfurter Rundschau wurden seit 1986 fast täglich auszugsweise ausgewertet. Dieses Zeitungsspektrum wurde gelegentlich für begrenzte Zeiträume erweitert. Daneben gingen viele Vorkommen aus aktuellen Büchern oder Büchern der jüngsten Vergangenheit, die zum unmittelbaren Erfahrungshorizont vieler Sprecher und damit zur Gegenwart gehört, in die Eparole ein. Die vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim zur Verfügung gestellte Belegsammlung für die Zeichenketten ANGESTELLT (1735 Belege) und KADER (268 Belege) aus dem Bonner Zeitungskorpus und dem Handbuchkorpus erlaubte eine quantitative Auswertung bei den Wörtern Angestellter und Kader. Beim Bonner Zeitungskorpus handelt es sich um eine repräsentative Auswahl aus den Jahrgängen 1949, 1954, 1959, 1964, 1969 und 1974 der Zeitungen Neues Deutschland und Die Welt mit rund 3 Millionen Wortformen. Das Handbuchkorpus besteht i.w. aus Artikeln der Tageszeitung Mannheimer Morgen, der Wochenzeitung Die Zeit und der Zeitschrift Stern aus den Jahren 1985 bis 1988 mit insgesamt ungefähr 10 Millionen Wortformen 19 . Einen triftigen Grund, mehr oder weniger zufällig entdeckte Vorkommen nicht zu beachten oder generell einen genauen Proporz der Textsorten zu wahren, gab es jedoch nicht, da nicht repräsentative statistische Angaben, sondern funktionelle Aspekte im Vordergrund stehen sollten. Eine Reduktion der empirischen Eparole auf „funktionelle Sprachen"20 wäre im Vorfeld der Untersuchung nicht sinnvoll gewesen. Sie hätte immer den Beigeschmack eines manipulierenden Eingriffs gehabt. Die ausgewerteten Texte sollten vielmehr so heterogen wie die sprachliche Wirklichkeit selber sein21. Die Zuordnung der beobachteten Vorkommen zu Sprachregistern, Dialekten usw. muß ja nicht konstruktartig ex ante erfolgen, sondern kann ex post ohne Gefahr von Manipulation vorgenommen werden. Auch Vorkommen in älteren Texten wurden in diesem Sinne einbezogen und ausgewertet. Eine frühe Trennung birgt im übrigen die Gefahr, daß gemeinsprachlich verbindende Elemente von Sprachvarietäten nicht genügend berücksichtigt werden. Die Materialsammlung wurde durch andere Quellen ergänzt. Wörterbuchartikel waren nicht nur deshalb von Interesse, weil sie weitere Vorkommen do19 20
Genauere Angaben über Struktur und Anwendung der IDS-Korpora sowie weiterführende Literatur bei Haß, Textkorpus und Belege. Im Gefolge eines Beitrags von Hjelmslev zum 8.Linguistenkongreß 1957 in Oslo (unter dem Titel Pour une sémantique structurale in Essais: 105 - 21 ) fordert Coseriu zur Durchführung empirischer Untersuchungen im Rahmen einer strukturellen Semantik die gesonderte Betrachtung „funktioneller Sprachen", um auf diesem Wege auch in der Lexik zu geschlossenen Klassen (vgl. Hjelmslev, Prolégomènes: 92) zu gelangen, wie sie Phonemsysteme und Paradigmen der Grammatik auszeichnen (Coseriu, Structure lexicale: 198—203). Unter „funktioneller Sprache" versteht Coseriu beispielsweise „eine bestimmte Mundart auf einem bestimmten Sprachniveau und in der Form eines bestimmten Sprachstils" (Die funktionelle Betrachtung:
15).
" Vgl. Houdebine, Pour une linguistique: 23. 10
kumentieren, sondern auch, weil wenigstens die Wörterbücher des Französischen auf recht unterschiedliche Weise versuchen, die Wortbedeutungen zu definieren. Berücksichtigt wurden auch die einleitend erwähnten unzähligen Definitionsversuche von Nicht-Linguisten in der Literatur über die Cadres. Sie mögen viele Schwächen haben, sie haben aber auch den Vorteil, sich nicht an lexikographischen Kriterien zu orientieren. Die Wahl von Berufsgruppenbezeichnungen erlaubte es ferner, fachsprachliche Definitionsversuche des Rechts und der offiziellen Sozialstatistik auszuwerten. Diese Quellen waren deshalb von Interesse, weil es dort über rein definitorische Aspekte hinaus um Fragen der Zuordnung von Personen (bezeichneten Objekten) zu den definierten Begriffen geht (Kategorisierung). Es handelt sich in beiden Fällen nicht um Versuche, der sozialen Wirklichkeit fachsprachliche Begriffe aufzuzwingen, so daß die Auswertung dieser Quellen auch für die gemeinsprachliche Betrachtung wertvoll war. Ein vorgefaßter Begriff des Angestellten und des Arbeiters würde soziale Spannungen provozieren. Die Gerichte müssen versuchen, die in der Gesellschaft üblichen Zuordnungen zu den Gruppen so genau wie möglich nachzuvollziehen, wenn sie ihrer obersten Aufgabe, den sozialen Frieden zu erhalten, nachkommen wollen. Die Sozialstatistik will von ihrem Anspruch her ohnehin nur beobachten und nicht eingreifen. Nur selten kann der Sprachwissenschaftler bei der Frage der Zuordnung von Objekten zu Wörtern auf vergleichbar intensive, über Jahrzehnte hinweg betriebene Bemühungen um eine vollständige Lösung der Kategorisierung zurückgreifen. Nach der Auswertung des Materials und einer ersten Redaktion der Arbeit wurde eine Sprecherbefragung vorgenommen, um einen weiteren Zugriff auf die sprachliche Wirklichkeit zur Verfügung zu haben und um offen gebliebene Fragen zu klären. Die gegenwartsbezogene Forschung sollte ihr Privileg, Sprecher befragen zu können, nicht ungenutzt lassen. Dadurch wird die gegenwartsbezogene Wertung des gesamten Materials erleichtert. Dies ist u. a. deshalb erforderlich, weil die Artikel großer Wörterbücher oft nicht erkennen lassen, was für den heutigen Gebrauch zentral und wichtig ist. Das induktive Abstraktionsverfahren liefert die Grundlage für die Erklärung des sprachlichen Funktionierens, indem es deskriptiv vorgeht und den Weg zu Invarianten im Vorkommen eines Wortes beschreitet. Es erlaubt als solches aber noch keine genaue Bestimmung des Stellenwerts seiner Ergebnisse in der sprachwissenschaftlichen Erklärung des Funktionierens der Sprache. So kann das Abstraktionsverfahren bei zwei homonymen Wörtern durchaus ein gemeinsames Merkmal isolieren, ohne daß deshalb Polysemie vorliegt. Polysemie liegt erst dann vor, wenn dieses invariante Merkmal eine funktionelle Verknüpfung der Einzelbedeutungen begründet, die je nach Fragestellung synchronischer oder diachronischer Natur ist. Das induktiv Festgestellte muß also erst noch in eine beschreibende Erklärung der sprachlichen Wirklichkeit eingebaut werden. Eine solche Erklärung wird primär nach der sprachlichen Funktion des Beobachteten fragen müssen. Sprachen haben einen Zweck. Ihm verdanken sie ihre Existenz. Er regiert innerhalb eines von der Ii
Natur vorgegebenen Rahmens (Eigenschaften des Lautmediums, Hörfähigkeit des Menschen usw.) das sprachliche Funktionieren. Alle Bestandteile einer Sprache zeichnen sich deshalb wesentlich durch ihre auf den Zweck oder die Zwecke der Sprache gerichtete(n) Funktion(en) aus. Es muß sprachwissenschaftlich darum gehen, die Finalität, das Wofür der sprachlichen Elemente in Langue und Parole zu ergründen22. Eine Wortbedeutung hat die Funktion, eine Bezeichnung direkt zu ermöglichen oder dazu beizutragen. Es muß also gefragt werden, wie die Bezeichnungsleistung eines Wortes funktioniert. Die Ergebnisse des Abstraktionsverfahrens müssen aus funktioneller Sicht gewertet werden.
22
S. dazu Coseriu, Synchronie, Diachronie und Geschichte: 152—79. 12
2.
Die verwandtschaftliche Dimension
Employé und Angestellter bezeichnen immer nur Menschen, und zwar nur Arbeitnehmer. Cadre hingegen bezeichnet eine Vielfalt von Objekten wie z . B . «Bilderrahmen», «Führungskräfte», «Umgebung» usw. Es ist auch als Bezeichnung für Menschen nicht auf den Kreis der Arbeitnehmer beschränkt. Die vergleichende Perspektive dieser Arbeit legt es nahe, nur die direkt vergleichbare Funktion von employé, cadre und Angestellter als Berufsgruppenbezeichnung zu betrachten. Man könnte sich dabei auf den übereinzelsprachlichen Oberbegriff stützen und dessen einzelsprachliche Wortungen kontrastiv untersuchen. Dabei würde aber der Bezug zu den übrigen Sememen der Polysemie vernachlässigt1. Man muß sich deshalb zuvor die Frage stellen, wieweit etwa bei cadre das Semem zur Bezeichnung von Berufsgruppen mit den übrigen Sememen des Wortes polysem verbunden ist und ob sein semantisches Funktionieren davon beeinflußt wird.
2 . 1 . Die Grundbedeutung von cadre Betrachten wir zunächst die Bezeichnung für «Bilderrahmen», die sich in der Sprecherbefragung synchron als Grundbedeutung des Wortes ergab. Man stelle sich folgendes Gebilde als Holzkonstruktion vor (siehe Seite 14): Als solches würde man dieses Gebilde kaum als Rahmen/cadre bezeichnen. Als Einfassung eines Gemäldes in einem Museum würde man es aber so nennen müssen. Das Vorliegen eines Objektbezuges «Rahmen — eingerahmtes Bild» ist zur Bezeichnung mit cadre erforderlich und ausreichend. Ein als Bilderrahmen künstlerisch gestalteter rechteckiger Holzrahmen würde auch ' Die onomasiologische Wortfeldforschung und die strukturelle Semantik vernachlässigen normalerweise die Polysemie. Wotjak schließt sie von seinen im übrigen sehr facettenreichen Betrachtungen aus (Untersuchungen: 245, Anm. 181). Auf die Privilegierung wortfeldartiger Bezüge bei Coseriu und Geckeier werde ich noch eingehen. Für Weisgerber ist Polysemie nur sprachhistorisch relevant (Grundzüge: 8I;2O8—11). Dem ist entgegenzuhalten, daß sich die Wirksamkeit der Polysemie zwar diachronisch abschwächen mag, es aber undenkbar ist, daß eine einmal vorhandene Wirksamkeit von heute auf morgen verschwindet. Vgl. die kritischen Anmerkungen zur Vernachlässigung der Polysemie von Klein (Semantische Varianten: 1 - 3 ) .
13
ohne Bild als cadre bezeichnet werden. Der Grund ist, daß der Sprecher bei diesem Prototyp eines Bilderrahmens über die Funktionsbestimmung Bescheid weiß. Das eingerahmte Bild wirkt als virtuelle Bewußtseinstatsache. Auch wenn es außersprachlich nicht vorhanden ist, bleibt es im Sprachbewußtsein aktuell. Die lexikalische Bedeutung von cadre bzw. Rahmen setzt also bei jeder Bezeichnung das außersprachliche Vorhandensein eines eingerahmten Objekts wenigstens in Form einer dem Sprecher bewußten Möglichkeit voraus. Porzig hat versucht, Implikationen wie die des Bildes durch die Bezeichnung cadre für «Rahmen» unter dem Oberbegriff wesenhafte Bedeutungsbeziehungen zu subsumieren. Er wollte auf diesem Weg die Gültigkeit des Saussureschen Systemgedankens für den Wortschatz beweisen2. Der entscheidende Einwand gegen Porzigs Überlegungen, die er anhand der Implikation von «Hund» bei bellen illustriert, ist der, daß es sich gar nicht um Bedeutungsbeziehungen zweier Wörter handelt, sondern um Beziehungen, die über die außersprachliche Wirklichkeit vermittelt werden3. Von sprachlicher Seite ist nur ein Wort notwendig daran beteiligt, eben das bezeichnende, im vorgegebenen Fall bellen. Es braucht keine einzelsprachliche Bezeichnung für das andere Objekt zu geben. Jeder wird bellen mit «Hund» verbinden, auch wenn es kein Wort Hund gibt. Die Implikation des Hundes erfolgt aufgrund außersprachlicher Verhältnisse. Hund und bellen mögen deshalb zwar verbunden sein. Diese Verbindung ist aber kein immanent sprachlicher Tatbestand, sondern der Spiegel außersprachlicher Zustände. Im Fall von cadre gilt analog das gleiche. Es kann nur dann ein Objekt bezeichnen, wenn dieses nach Maßgabe des Sprecherbewußtseins gegenüber einem zweiten Objekt die typische Funktion eines Rahmens hat oder haben 2
3
Porzig, Wesenhafte Bedeutungsbeziehungen: 71. Wotjak fühlt diese „Bedeutungsbeziehungen" unter Punkt 9 seiner Liste von „Systembeziehungen" auf (Zu den Systembeziehungen: 125). Vgl. Leisi, Der Wortinhalt: 80—1. Zur Kritik s. Coseriu, Lexikalische Solidaritäten: 239—40:244—5. Vgl. Zöfgen, Strukturelle Sprachwissenschaft: 316—8. Dauses, Grundbegriffe der Lexematik: 19—20. 14
könnte. Diese Implikation erfolgt nicht aufgrund einer Implikation von tableau durch cadre, sondern aufgrund einer außersprachlichen Objektbeziehung, die den «cadre» kennzeichnet. Der Tatbestand gilt völlig unabhängig davon, ob es für «Bild» einen sprachlichen Ausdruck gibt. Der eigentlich sprachliche Tatbestand besteht darin, daß cadre das außersprachliche Vorliegen der Objektbeziehung in seine lexikalische Bedeutung als Gebrauchsbedingung4 aufgenommen hat5. Nur dann kann ein Objekt wie das oben abgebildete als cadre bezeichnet werden. Besonderheiten von frz. cadre werden deutlich, wenn man sie vor einer sprachlichen Kontrastfolie sichtbar macht. Läßt man den Blick über einige Sprachen der Romania schweifen, dann stellt man fest, daß die mit cadre etymologisch verwandten Wörter nicht wie frz. cadre und dt. Rahmen den «Rahmen» allein bezeichnen, sondern auch und primär das «eingerahmte Bild». Zwar verweisen die Wörterbücher auf Verwendungen von ital./port. quadro und span. cuadro als Bezeichnung für «Rahmen»6. Von mir befragte Italiener, Spanier und Portugiesen wiesen dies jedoch mit großer Entschiedenheit zurück. Im Unterschied zum Französischen gibt es für den Rahmen allein in diesen Sprachen andere, klar vorherrschende Bezeichnungen: ital. cornice, span. marco, port. moldura. Dies schließt natürlich nicht aus, daß die etymologischen Entsprechungen von cadre in regionalen Varianten oder Sondersprachen auch heute noch zur Bezeichnung des Rahmens verwendet werden7. Solche
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6
7
Man kann die Suche nach invarianten Semen auch mit Leisi als Frage nach der Gebrauchsbedingung der Wörter formulieren (Der Wortinhalt: 21—2:71). Vgl. auch Brekle, Semantik: 3 0 - 7 . Porzig hebt nicht auf Bezüge zwischen Substantiven wie cadre und tableau ab, auf die ich eingehe, sondern auf Implikationen von Substantiven (korrekt: des mit ihnen bezeichneten Objekts) durch Verben (bellen und Hund) oder Adjektive (blond und Haar). Ich habe seine Argmentation aber nicht verfälscht. Er nennt vielmehr nicht alles, was unter seinen Oberbegriff der „wesenhaften Bedeutungsbeziehungen" fallen müßte. Wie das Bellen (normalerweise) zum Hund, so gehört der Stamm zum Baum, das Bild zum Rahmen usw. „anche la delimitazione, la comice" (Devoto/Oli, Vocabolario illustrato della lingua italiana: 68od Nr. 2; ebenso Battaglia, Grande Dizionario: 29c Nr. 12: „la sola cornice"). Der Sansoni (S. 1042a Nr. 22) kennzeichnet diese Verwendung als nicht gebräuchlich. Für das Spanische registriert Moliner (Diccionario de uso del español: 813a Nr. 3): „Marco de cuadro, puerta, ventana, etc." und im Vox (Nr. 4): „marco (cerco)". Der Diccionario de la lengua española der spanischen Akademie stellt wie oben schon Moliner klar, daß auch andere Rahmen als nur der Bilderrahmen mit cuadro bezeichnet werden: „marco, cerco que guarnece algunas cosas" (S. 402c Nr. 5). Frz.loi-cadre hat im Gegenwartsspanischen als Modell für ley marco und nicht etwa 'ley cuadro gedient (Santoyo, Traduction: 248. Im Portugiesischen ist jedoch — vielleicht aufgrund eines engeren Kontakts zum Französischen — lei-quadro (oder: lei quadro) üblich). Der große Aurélio gibt für port .quadro an: „moldura, ou cercadura gráfica [ . . . ] , que limita externamente pinturas, mapas, gráficos, etc." (S. 1424a Nr. 2). Ein Spanier, den ich fragte, ob cuadro nicht auch den Rahmen als solchen bezeichnen könnte, verneinte die Frage spontan, fügte dem aber nach kurzem Überlegen
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Verwendungen sind aber gemeinsprachlich unüblich. Es verhält sich sogar so, daß mit diesen Wörtern, ausgehend von der zentralen Vorstellung «eingerahmtes Bild», im Zweifelsfall eher das Bild ohne Rahmen als der Rahmen ohne Bild gemeint ist. Die Sprecherbefragung bestätigt dies, und auch die übertragenen Verwendungen zeigen, worauf sich der Sprecher primär bezieht: Que lindo quadro ist im Portugiesischen ein gängiger Ausdruck zur Bezeichnung einer Landschaft oder einer Szene, die es wert wäre, gemalt zu werden, während frz. un joli cadre in ähnlicher Verwendung nur einen landschaftlichen Rahmen oder den gelungenen Rahmen einer Veranstaltung bezeichnen würde. Folgende Karikatur situiert den Versailler Kongreß der Cadres-Gewerkschaft C G C in seinen äußeren Rahmen8:
. / ^ c i o u i NOUS m i r i c i T V f l v J \ C ' E * T iE'CADRE
Frz. cadre bezeichnet also im Gegensatz zu seinen etymologischen Entsprechungen in anderen Sprachen der Romania den Rahmen allein. Auf dem Hinweistäfelchen eines im Musée d'Orsay ausgestellten Objekts, bei dem es auf die künstlerische Gestaltung des Rahmens ankommt, steht folgerichtig zu lesen: „cadre contenant une photographie". Obwohl cadre dadurch dem Gebrauch von dt. Rahmen näher steht als seine italienischen, spanischen und portugiesischen Verwandten, wird die außersprachliche Solidarität von Rahmen und Bild von den Sprechern deutlicher als im Deutschen empfunden. Im Unterschied zum Deutschen, das eine metonymische Verwendung von Rahmen zur Bezeichnung von «Bild» ausschließt, registrieren die großen Wörterbücher des Französischen solche Verwendungen von cadre zur Bezeichnung des Bildes selbst. Der Robert von 1985 stuft die metonymische Verwendung von cadre als regionalsprachliche Variante (franko-provenzalisch) ein, während der Grand Larousse de la langue française sie ohne regionale Beschränkung aufführt. Üblich ist sie heute außerdem im belgi-
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hinzu: „ . . .pero si, hay encuadrar". Encuadrar fördert im Gegenwartsspanischen weiterhin die Affinität von cuadro zum Bilderrahmen, die ja auch in der Grundbedeutung gewahrt bleibt. Copyright Georges Libault — Le Figaro ( 1 6 . - 1 7 . 6 . 7 3 ) : 6. Die Karikatur belegt eine konnotative Verknüpfung von cadre als Berufsgruppenbezeichnung mit seiner abstrakten Verwendung, für die der identische Wortkörper verantwortlich ist.
16
sehen Französisch 9 und im Französischen von Q u é b e c 1 0 . D i e Sprecherbefragung hat zusätzlich ergeben, daß auch innerhalb der politischen Grenzen Frankreichs die metonymische V e r w e n d u n g stärker präsent ist, als die Wörterbücher dies aufzeigen. Für einige Sprecher w a r cadre eine übliche B e z e i c h nung für kleinere eingerahmte Bilder, w i e man sie als gängige Geschenkartikel kaufen und häufig an Bürowänden oder auf Schreibtischen antreffen k a n n 1 1 . Andere Sprecher lehnen diese V e r w e n d u n g ab und geben an, sie nie gehört zu haben. Wiederum andere akzeptieren sie nicht, geben aber z u , sie gehört zu haben. M a n c h e sind völlig unentschieden. Irgendwelche spezifischen regionalen Charakteristika bei den Antwortgruppen konnte ich nicht feststellen. Ich habe diese Frage aber auch nicht genauer untersucht. In meiner Sammlung schriftlicher B e l e g e ist ein Beispiel für metonymischen Gebrauch nur im B e reich übertragener V e r w e n d u n g e n zu finden: Au cinéma, à la télévision aussi, le cadre existe: il est toujours le même, c'est l'écran 12 . Cadre bezeichnet hier die gesamte, abgegrenzte Fläche des Bildschirms. D a s Zitat stammt aus einem B u c h mit didaktischer Zielsetzung und hat die Lektüre der Korrektoren unbeschadet überstanden. Interessant ist auch folgender B e l e g im Trésor: „ [ L e musée renferme] un grand nombre de tableaux remarquables, entre autres deux petits cadres de B é g a qui sont deux perles inestimables". D a s Zitat stammt aus Théophile Gautiers Reisebericht Voyage en Espagne.
Man
„Cadre ne désigne pas un tableau, une gravure (emploi assez courant en Wallonie), mais son encadrement" (Nouveau dictionnaire des difficultés du français moderne von Hanse). 10 1m Dictionnaire Beauchemin canadien und im Dictionnaire nord-américain de la langue française von Bélisle wird nur die Bezeichnung für «Rahmen» erwähnt. Der Dictionnaire de la langue québécoise von Bergeron, der nicht auf das sprachliche Prestige Frankreichs Rücksicht nimmt, erwähnt hingegen nur, was den anderen entgeht: „Tableau, dessin, gravure encadrés. Ex.: J'ai acheté un cadre de Clark Gable". Von mir befragte frankophone Kanadier nannten beide Verwendungen von cadre. Es liegt offenbar eine echte Konkurrenz beider Bedeutungen vor. Die vom Französischen Frankreichs abweichende Verwendung im Sinne von wird von Robinson/Smith der Sprache des einfachen Volkes oder dem familiären Sprachgebrauch zugeordnet (Dictionary of Canadian French\ 180). Gebildete Sprecher ziehen offenbar den „korrekten" Gebrauch vor. Für den Dictionnaire des difficultés de la langue française au Canada von Dagenais bereitet offenbar nur cadre als Bezeichnung für Menschen Schwierigkeiten, nicht jedoch die hier besprochene Ambiguität (Artikel cadres). " Lanly belegt diese Verwendung für das Französische Nordafrikas (Le français: 189): „Quel cadre (i.e.: tableau) vous voulez mettre ici? (Secrétaire d'administration)". Dort offenbar auch für große Bilder: „Je me suis couru dans tout Alger pour le trouver ce cadre (il s'agit d'un grand portrait du maréchal Pétain)". 12 Lapointe (Le cadrage: [6]) illustriert den Satz mit einer Abbildung. Auf meinen Kontoauszügen ist immer ein schwarzer Rahmen abgedruckt, der bis auf folgenden Zusatz leer ist: „cadre résen'é au destinataire". Nur der weiße Inhalt des Rahmens oder aber Rahmen und eingeschlossene Fläche zusammen können gemeint sein. Im Deutschen würde man Raum flir den Empfänger, nicht aber Rahmen verwenden. 9
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könnte bei dieser Verwendung von cadre an eine sprachliche Interferenz des reisenden Gautier mit span. cuadro denken. Aber der aus dem südfranzösischen Ort Tarbes stammende Autor, der 1840 Spanien bereiste, verwendet cadre in diesem Sinne bereits in seinem 1838 erstmals erschienenen Friihwerk Fortunio: „Le comte George y tenait extrêmement [à quatre tableaux de Titien; M.H.], et il aurait donné vingt salles à manger comme celle que nous venons de décrire plutôt qu'un seul de ses cadres [.. ,]"' 3 . Man kann aus diesen methodisch vielschichtig ermittelten Beobachtungen (Wörterbuchanalyse, Befragung, Kontextanalysen schriftlicher Texte) schließen, daß die metonymische Verwendung von cadre zwar gemeinsprachlich nicht dominiert, aber dennoch als präsente, im Hinblick auf ein Vordringen in die Gemeinsprache latente Variante des Gegenwartsfranzösischen eingestuft werden muß. Der Vergleich mit dt. Rahmen, das niemand metonymisch verwenden würde, zeigt, daß die objektive außersprachliche Solidarität der Objekte «Rahmen» und «Bild» keine übereinzelsprachlich gleiche Neigung zu metonymischer Verwendung begründet. Sie ist ihre außersprachliche Voraussetzung, die die Sprecher sprachlich umsetzen können, aber nicht müssen. Im Bewußtsein der französischen Sprecher ist diese Metonymie latent präsent und spezifisch mit cadre verbunden, während sie dem deutschen Sprecher bei Rahmen fremd bleibt. Warum wird diese Verwendungsvariante von cadre in den Wörterbüchern eher marginalisiert? Man kann den großen Wörterbüchern nicht vorwerfen, ihre Beispielsammlung künstlich zu bereinigen, um lupenreine Definitionen anbieten zu können. Auszuschließen ist ferner die Hypothese einer erst in jüngster Zeit entstandenen Variante, die noch nicht registriert worden wäre. Das Zitat von Gautier, der offenbar an der Verständlichkeit seiner Bezeichnung nicht zweifelte, und ihre feste Einbürgerung im belgischen Französisch und im Québec widersprechen dem. Der entscheidende Grund für die Marginalisierung der metonymischen Bezeichnung liegt wohl in der ausschließlichen Auswertung schriftlicher Texte. Die Schreibsprache wird vom normalen Sprecher als Salon der sprachlichen Realität behandelt. Nicht jede Variante der gesprochenen Sprache ist salonfähig. Auch Sprecher, die die metonymische Verwendung von cadre spontan nennen, betrachten sie als Normabweichung. Dies zeigen die Antworten auf Rückfragen des Interviewers, den sie gerne als „grammairien", als Hüter der Sprache betrachten: „Oui, on le dit, mais on [ne] devrait pas" oder „Ah, les Français parlent mal leur langue!" Selbst Sprecher, denen die metonymische Verwendung von cadre in der gesprochenen Sprache geläufig ist, werden vermutlich zögern, sie im geschriebenen Text zu gebrauchen. Die großen Wörterbücher können sie deshalb kaum jemals registrieren. Die kleinen Wörterbücher ziehen von sich aus die „bessere" Verwendung vor, weil sie in erster Linie Rat und Hilfe anbieten wollen. Die Ergebnisse dieses Abschnitts erlauben bereits erste Bemerkungen zum 13
Gautier, Nouvelles: 11. 18
sprachwissenschaftlichen Zugriff, i) Auch bei einzelsprachlicher Betrachtung ist der kontrastive Vergleich mit anderen Sprachen eine gute Methode, um die Situation in der untersuchten Sprache genau zu beschreiben. 2) Wörterbuchartikel müssen ausgewertet werden. Sie bedürfen bei gegenwartsbezogener Betrachtung aber der Aktualisierung und Ergänzung durch Sprecherbefragung und/oder Auswertung schriftlicher und mündlicher Vorkommen im Text. Die großen Wörterbücher des Italienischen, Spanischen und Portugiesischen nennen zwar die Einzelbedeutung , sie machen aber nicht deutlich, daß es sich um die heute als zentral empfundene Grundbedeutung des Wortes handelt14. Die großen Wörterbücher des Französischen tradieren die Schwächen einer Auswertung schriftlicher Texte, die nur ein unzureichendes Urteil über die sprachliche Wirklichkeit erlauben. 3) Die historische Sprachforschung muß in der Regel schriftliche Quellen auswerten. Da gerade dort wichtige Varianten oft nicht nachweisbar sind, werden ihr gelegentlich wichtige Bindeglieder bei der Erklärung sprachlichen Wandels fehlen. Sie hat daher ein besonderes Interesse daran, daß die gegenwartsbezogene Sprachbetrachtung, die Zugang zur gesprochenen Sprache hat, hier Grundlagenarbeit leistet.
2 . 2 . Die Polysemie von
cadre
Beim Vergleich aller Verwendungen von cadre, die in den großen Wörterbüchern registriert wurden, fällt zunächst auf, daß die bezeichneten Objekte sehr verschiedenartig sind: «Bilderrahmen», «Fensterrahmen», «Türrahmen», «Umgebung», «Rahmen(gesetz)» usw., um nur einige zu erwähnen. Bei näherer Betrachtung stellt man jedoch fest, daß ein Objekt nur dann ein «cadre» ist, wenn es ein «objet encadré» gibt oder geben könnte. Die Bezeichnungen cadre d'un tableau, cadre d'une fenêtre, cadre d'une porte15, le cadre naturel d'un endroit, loi-cadre, cadre de vie, cadre de travail usw. haben diese bezeichnungsübergreifende Gemeinsamkeit. Auch wenn cadre, wie bei der Bezeichnung für einen Typ von Seemannsbett, die gesamte Konstruktion bezeichnet, bleibt die typische Objektbeziehung bewußt: „Châssis rectangulaire en bois ou en tubes métalliques, suspendu à ses extrémités, recouvert de forte toile, ser14
15
Im Vocabolario illustrato della lingua italiana von Devoto/Oli steht die heutige Grundbedeutung an zweiter Stelle, und der Grande Dizionario della lingua italiana von Battaglia führt sie unter Nr. 11 auf. Moliner (Diccionario de uso del español) führt sie an fünfter Stelle nach den Bedeutungen Nr. 3 «(Bilder-) Rahmen> und Nr. 4 an, Vox und der Diccionario de la lengua española der spanischen Akademie erwähnen sie an dritter bzw. vierter Stelle (jedoch vor der Bedeutung ). Der große Aurélio stellt für das Portugiesische die Bedeutung vor die heutige Grundbedeutung. Dies muß nicht falsch sein, wenn man die Reihenfolge etwa nach sprachhistorischen Kriterien bestimmt. Aber die gegenwartsbezogene Forschung findet für sie wichtige Informationen nicht. „dans un corridor sans la moindre fioriture, ä part les cadres de quelques portes démunies de poignées" (Sternberg, L'employé: 126). 19
vant de couchette"(7r£sw). Cadre de bicyclette16 als Bezeichnung für «Fahrradrahmen» zeigt, daß die Referenz nicht daran gebunden ist, daß der «cadre» das «objet encadré» wie der Rahmen das Bild von außen umgibt. Ein Objektmerkmal «von außen umgebend» muß nicht vorliegen, ist also kein gemeinsames Sem der Polysemie. Es gibt äußere und innere Rahmen. Der Fahrradrahmen verbindet die an ihm befestigten empfindlichen Teile, die die eigentlichen Funktionsträger sind, zu einer Einheit und ermöglicht so deren funktionelles Zusammenspiel17. Die zum Rahmen zusammengeschweißten Rohre bilden die „ossature" (Trésor) oder „charpente" (Robert von 1985) des Fahrrades, die sich durch besondere Robustheit auszeichnet und als Träger der gesamten Konstruktion dient, genau wie das Knochengerüst, mit dem der Trésor den Fahrradrahmen vergleicht, den menschlichen Körper trägt. Die Trägerfunktion des Objekts «cadre» wird noch deutlicher, wenn cadre zur Bezeichnung von Gevierten dient, die Stollen im Untertagebau abstützen: cadres d'une galerie de mineli. Diese Gevierte haben die Form eines geschlossenen Rahmens oder eine U-Form19. Die gewaltige Konstruktion der „Grande Arche de La Défense" bei Paris wird von „quatre cadres en béton précontraint"20 getragen, die ihrerseits auf 12 unterirdischen Pfeilern ruhen. Die primäre Funktion dieser «cadres» wird in einer Anzeige der Herstellerfirma in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung deutlich, wo cadre mit Träger übersetzt wird21. Von der Grundbedeutung aus betrachtet, ist die Trägerfunktion, die viele der mit cadre bezeichneten Objekte wahrnehmen, nicht das primär wichtige Merkmal. Das semasiologisch vom Wort cadre erfaßte Merkmal ist bei der Grundbedeutung die Form des Rahmens, der das Bild umgibt und optisch begrenzt. Das gleiche gilt analog für abstrakte Verwendungen wie cadre de vie", cadre de travail23, cadre naturel d'un en„II s'approcha de son vélo. Le cadre était jaune. Le nickel luisait" (Jean Genet, zitiert im Artikel vélo des Petit Robert von 1989). 17 „Le cadre joue, pour une bicyclette, le même rôle que le châssis pour une automobile: il porte tous les organes qui composent la machine et il participe à la tenue de route par sa rigidité" (Granddictionnaire encyclopédique Larousse, vol.2: 1639b). 18 Die Träger- und Schutzfunktion wird v.a. bei Bezeichnungen im technischen Bereich deutlich. S. etwa Noël, Lexique: 101—2: „Cadre à étiquettes: dispositif de protection, contre les intempéries en particulier, des "étiquettes,, (provenance, destination. . . des marchandises transportées) apposées sur les parois du wagon". Eine aktuelle Übersicht über die zahllosen Bezeichnungen von cadre in der Technik gibt Ernst, Wörterbuch der industriellen Technik. Daß auch dieses Fachwörterbuch nur eine Auswahl präsentiert, erkennt man daran, daß das Kraftfahrzeugtechnische Wörterbuch von Wyhlidal allein für den Bereich der Kfz-Technik 82 Einträge mit cadre registriert. 19 S. Abbildungen im Grand dictionnaire encyclopédique Larousse, vol.2: 1639a. 20 Paris, la ville: 211. 21 Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.1.1990: T5). " S. Karikatur zu Anm. 2/76. 23 „Ce petit hôtel [ . . . ] était une assez belle réussite architecturale qui a sans doute procuré au Cassandre de ces années-là un cadre de travail et de vie propice à l'exercice de son métier" (Mouron, A. M. Cassandre: 35). 16
20
droit1*, loi-cadre25 usw. Bei vielen der mit cadre bezeichneten Objekte geht diese semasiologisch erfaßte äußere Form einher mit einer tragenden, stützenden oder zusammenhaltenden Funktion des Objekts. In Fällen wie dem Fahrradrahmen oder dem u-förmigen Geviert eines Bergwerkstollens, wo das bezeichnete Objekt die äußere Form des Rahmens der Grundbedeutung ganz bzw. teilweise aufgibt, kann die tragende, stützende oder zusammenhaltende Funktion des Objekts im Bewußtsein der Sprecher in den Vordergrund treten und diachronisch eine Abschwächung oder gar Auflösung des polysemen Zusammenhalts bewirken. Der «cadre» wird so etwa zum «Träger». Im Fall von cadre de marche, das eine Gehhilfe für Behinderte bezeichnet26, enthält das Objekt zwar rahmenartige Elemente, die für die Bezeichnung mit cadre ursprünglich verantwortlich gewesen sein könnten, der Sprecher wird aber vom Objekt her die Stützfunktion als primär empfinden. Die lexikalische Bedeutung von cadre bleibt wenigstens auf der Ebene der Einzelbedeutungen davon nicht unberührt. Denn sie gelangen über die Vielzahl der mit cadre realisierten Bezeichnungen in den individuellen Sprachbesitz. Der Sprecher kann über die Vielfalt der mit cadre realisierten Bezeichnungen ein abstrakteres Verständnis seiner Bezeichnungsmöglichkeiten entwickeln, als es die direkte Analogie zur vorstellbaren Grundbedeutung nahelegt. Und auch bei der Bezeichnung für «Bilderrahmen» wird vom Sprecher Abstraktionsvermögen verlangt. Es gibt neben dem typischen rechteckigen auch ovale oder runde Bilderrahmen. Darüberhinaus bezeichnet man auch Glasrahmen für Photographien als cadres. Ein eigentlicher Rahmen ist in diesem Fall oft nicht mehr sichtbar, so daß die Schutzfunktion des Rahmens stärker ins Bewußtsein treten kann: „Cette photo est très jolie, tu devrais la mettre dans un cadre: elle s'abîmerait moins" (Larousse de base). Cadre als Bezeichnung für Menschen kann auf zweifache Weise in diese Polysemie integriert werden. Etymologisch primär ist die Verwendung im Singular zur Bezeichnung eines Kollektivs von Menschen: es handelte sich um die einzelnen Abteilungen der Armee, die aus einem Stammpersonal von Offizieren und Unteroffizieren bestanden. Sie bildeten eine Art Rahmen, in den die einfache Truppe aufgenommen wurde. Die Analogie zur Grundbedeutung ist 24
25
26
„tout doit être pensé en termes d'environnement et d'insertion dans le cadre naturel" {Le Monde (28.7.89): 7). „le cadre paradisiaque de l'île Saint-Martin" (aus einem Kommentar von Radio Europe / zum Treffen von François Mitterrand und George Bush vom 16.-17.12.1989). „Même les fameux voyages à l'étranger, proposant quelques missions dans des cadres exotiques, ne font plus recette" (Le Monde (11.7.89): 8). „l'environnement est le cadre de l'épanouissement de l'homme" (aus einem Beitrag von Radio RTL vom 14.3.1989). „Loi-cadre, car elle pose, de manière d'ailleurs très détaillée, un certain nombre de principes généraux, et que le gouvernement doit en réaliser l'application par décrets [ . . . ] " (Chapsal, La vie.. .de 1940 à 1958: 455). Vgl.: „Un espoir tout de même: que les lois fondamentales [ . . . ] balisent enfin le terrain, tracent le cadre qui permettra aux réformes de démarrer sur des bases plus saines" (Le Monde (29.11.89): 1). Abgebildet in Corbeil/Archambault, Dictionnaire: 630. 21
unverkennbar. Auf einige wichtige Aspekte der etymologischen Entwicklung werde ich in 2.7. eingehen. Heutzutage spielt die Verwendung von cadre im Singular zur Bezeichnung eines menschlichen Kollektivs eine untergeordnete Rolle. Sie ist nur in erstarrten Restformen im Bereich des Militärs erhalten geblieben: cadre de réserve, hors cadre. Cadre noir (s. dazu genauer 2.7.). Von diesen archaischen Formen abgesehen, bezeichnet cadre heute im Singular immer einen einzelnen Menschen. Le cadre d'entreprise als Bezeichnung für ein Kollektiv von Menschen gibt es nicht. Im Plural bezeichnet cadres immer eine Vielzahl von Menschen und nicht etwa eine Vielzahl von Kollektiven 27 . Interessanterweise werden die Cadres von Gegenwartssprechern zwar nicht als Rahmen, aber oft als Träger einer Organisation begriffen. Dies gilt zumindest für die Gesamtheit der Cadres, die für einen Betrieb oder andere Organisationen tätig sind. Sie werden als „ossature" oder „structure" eines Unternehmens charakterisiert: Ainsi la «maison», comme on dit, serait sûre du dévouement absolu de ceux qui en sont l'ossature28. Les cadres sont donc les échelons de la structure de l'entreprise et la concrétisation d'un certain type d'organisation29. ces cadres sur lesquels reposent, en fait, les entreprises30. Wenn man die im vorigen Absatz betrachteten Verwendungen von cadre betrachtet, dann kann man sagen, daß cadre als Bezeichnung für Menschen, obwohl es seine etymologische Motivation verloren hat, auch heute noch auf einem bestimmten Niveau der Abstraktion (Träger- oder Stützfunktion) in die Polysemie integriert werden kann. Halten wir fest, daß die Gemeinsamkeit aller Verwendungen von cadre weder auf ein Sem noch auf ein Sem zurückgeführt werden kann. Im Fall von cadres d'une galerie de mine und cadre de bicyclette dominiert die Trägerfunktion, während bei cadre d'un endroit nur noch die Umgebung gemeint ist. Man kann das semantische Funktionieren der Polysemie also nicht auf eine abstrakte Bezeichnungsregel reduzieren, die auf 27
28
29
30
„Dans le cas des cadres, on reconnaîtra d'emblée par le pluriel que cette dénomination recouvre une pluralité d'individus trouvant dans leur position les moyens d'une affirmation personnalisée" (Sainsaulieu, L'identité: 236). Beitrag von Jacques de Bourbon Busset zu Le phénomène: 51. Mit „maison" ist das Unternehmen gemeint (in erster Linie das traditionsreiche Familienunternehmen, während das familiäre boîte generell für entreprise stehen kann). Maison steht für das Betriebsganze, den „organisme", in dem die Cadres eine Trägelfunktion haben. Benain/Cairon, Les cadres: 49. Statt les cadres verwendet man oft einfach la hiérarchie (s. Kapitel S), „grimper dans la hiérarchie" (ebda.: 41), ist das Ziel jedes Cadre. Figaro ( 2 1 . 6 . 1 9 7 3 ) : 1. Die Cadres bilden die „fraction sur laquelle reposent: le bon fonctionnement de l'entreprise; l'orientation future de l'entreprise" (Benain/Carron, Les cadres: I 7 ; s . a . 4 2 ) . „Ces hommes, sur lesquels le patron se reposait, étaient sans aucun doute des cadres" (ebda.: 37). 22
verschiedene Bereiche der außersprachlichen Welt bezogen würde. Der Grund für die ambivalente Wertung des «cadre» als Stütze und Träger oder als Umgebung ist der, daß das Objekt «Rahmen» der Grundbedeutung verschiedene Aspekte hat, die in übertragene Verwendungen Eingang finden können. Diese verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten, welche die Grundbedeutung anbietet, schlagen sich als verschiedenartige und doch verbundene Bedeutungen in der Polysemie nieder 3 '. Die Polysemie bewegt sich in einem Spielraum, der wie folgt umschrieben werden kann: Jede Verwendung von cadre setzt das Vorhandensein einer außersprachlichen Objektbeziehung vom Typ «einrahmendes Objekt - eingerahmtes Objekt» voraus, wobei cadre nur das einrahmende Objekt direkt bezeichnet. Der «cadre» fungiert in dieser Objektbeziehung als Umgebung, Träger oder Stütze. Da es sich bei diesem invarianten Spielraum zunächst nur um einen empirischen Befund handelt, sei er ohne Anlehnung an hierfür evtl. bereits eingeführte Termini der Sprachtheorie zentrale Bedeutungskomponente (ZBK) genannt. Die Z B K darf nicht ohne weiteres als sprachpsychologisch wirksame Realität eingestuft werden. Sie formuliert, was sich bei Anwendung des Abstraktionsverfahrens auf die Verwendungen von cadre als generische Aussage ergibt. Nichts beweist, daß die Sprecher diesen abstrakten Sachverhalt als solchen in ihr Sprachbewußtsein aufgenommen haben. Es ist nur bewiesen, daß die Sprecher sich so verhalten, daß ein invarianter Bedeutungskern gewahrt bleibt, nicht aber, welche Mechanismen dazu führen. Die ZBK ist wie eine Regel der Grammatik, die einen objektiven Befund formuliert, ohne sich zu fragen, welches sprachpsychologische Funktionieren sie ausdrückt. Auch eine solche Regel hat erklärende Qualität. Sie ist eine Erklärung der „linguistique pure"32, die den sprachpsychologischen Hintergrund in legitimer Weise ausklammert. Man kann sie aber auch als Ausgangspunkt zur Erforschung des eigentlichen sprachlichen Funktionierens betrachten, das sie sichtbar macht. Die Z B K genügt selbst im Rahmen einer „linguistique pure" den Erfordernissen einer erklärenden Beschreibung noch nicht. Die ZBK ist eine generische Aussage über die in den Wörterbüchern und der empirischen Eparole dieser Arbeit registrierten Verwendungen. Sie betrifft also nur, was irgendwann einmal realisiert worden ist. Cadre ist heute aber ein sehr beliebtes Wort, bei dem immer mit neuen Verwendungen zu rechnen ist33. Man kann sicher sein, nicht alle existierenden oder möglichen Bezeichnungen erfaßt zu haben. Eine Erklärung der sprachlichen Realität kann sich mit der bloßen Beschreibung des 31
32 33
Auf die Tatsache, daß die Einzelbedeutungen einer Polysemie oft eher durch eine spezifische referentielle Interpretation entstehen als durch das bloße Hinzufügen eines spezifizierenden Sems, weist auch Nida hin (Componential Analysis-. 127). Dies gilt insbesondere für Metonymie und Metapher. Martinet, Eléments: 210. Guilbeit {La créativité: 244) stuft cadre als produktives Wortbildungselement ein.
23
Beobachteten aber nicht zufriedengeben. Erklären heißt angeben, wie etwas möglich ist. Hjelmslev fordert zu Recht, daß die sprachwissenschaftliche Erklärung, die er „description exhaustive" nennt, nicht nur alle realisierten Texte, sondern alle möglichen Texte erfassen muß34. In der Terminologie vorliegender Arbeit formuliert heißt dies, daß nicht nur die tatsächlich ausgewertete Eparole oder, was bereits unmöglich ist, die gesamte im Untersuchungszeitraum realisierte Eparole, sondern die überhaupt denkbare Eparole erfaßt werden sollte. Zur Wirklichkeit einer Sprache gehört nicht nur, was sie leistet, sondern auch, was sie leisten könnte. Der gesellschaftliche Wandel wird von ihr immer wieder die Mobilisierung schlummernder Reserven verlangen. Daß die Z B K von cadre nicht nur beschreibt, was eingetreten ist, sondern ungefähr umreißt, was heute eintreten könnte, zeigt sich am deutlichsten bei diachronischer Betrachtung. Die Verwendungen von cadre, die heute seine Polysemie bilden, sind zu verschiedenen Zeitpunkten entstanden35. Der Forscher kann heute nur deshalb eine Z B K feststellen, weil bei jeder diachronischen Ableitung einer neuen Verwendung ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt respektiert wurde. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß auch heute neu entstehende Verwendungen einen solchen Anknüpfungspunkt bewahren. Insofern kann die Z B K auch als ungefährer Spielraum dessen betrachtet werden, was im gegenwärtigen Sprachzustand eintreten kann. Was sprachpsychologisch hinter der abstrakten Z B K steckt, zeigt sich, wenn man Sprecher mit dem isolierten Wort cadre konfrontiert und nach dessen Bedeutung fragt. Während die Sprecher bei anderen Fragen sehr verschiedene Antworten ergeben, stimmen die Antworten zur Frage nach dem „sens propre du mot cadre" ausnahmslos überein36. Es handelt sich um eine spontan, schnell und übereinstimmend semasiologisch abrufbare Bewußtseinstatsache, die alle Anforderungen erfüllt, die man an ein Wort im rasch gesprochenen Sprechakt stellen muß37. In Übereinstimmung mit der erstgenannten Einzelbedeutung im Petit Larousse wird ein gegenständlicher, rechteckiger Rahmen genannt, der nicht immer ein als solcher genau spezifizierter Bilderrahmen sein muß. Der Bilderrahmen ist nur der kulturhistorisch auffälligste Rahmentyp, an dem in 2. i . besonders gut die Interpretationsmöglichkeiten geschildert werden konnten. In der Formulierung der Frage an die Sprecher habe ich jeden Hinweis darauf vermieden, daß eine konkrete Grundbedeutung, d. h. die refe34 35 36
37
Er spricht von einem „calcul général qui prévoit tous les cas concevables" (Prolégo-
mènes: 28; vgl. 27; 56).
S. die kurze Übersicht im Trésor. Während Martinet nach wie vor Introspektion ablehnt, ohne genau zwischen den verschiedenen Introspektionstypen zu unterscheiden (s. Anm. 1/17), legitimiert mit Mahmoudian ein anderer Vertreter dieser linguistischen Schule introspektiv ermittelte Ergebnisse dann, wenn sie zentrale Bereiche semantischer Strukturen betreffen, bei denen die intuitiven Angaben in hohem Maße übereinstimmen und nicht wie in Randbereichen stark variieren (Etude: 36—7). Vgl. Martinet, Eléments: 35.
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rentielle Bezugnahme auf ein Objekt gesucht war. Statt désignation propre oder cadre par excellence habe ich sens propre vorgezogen. Dennoch haben die Sprecher sofort eine gegenständliche Bezeichnung genannt oder gar auf einen entsprechenden Gegenstand gezeigt. Der „sens propre" ist für den Sprecher eine „désignation propre". Die Tatsache, daß eine Zeigedefinition häufig möglich war, belegt außerdem, daß der «cadre» der Grundbedeutung in der Erfahrungswelt der Sprecher allgegenwärtig ist. Deshalb eignet er sich besonders gut als konkreter Ausgangspunkt für übertragene Bezeichnungen. Cadre hat sicher auch deshalb eine so umfangreiche Polysemie ausgebildet, weil der Cadre-type seiner Grundbedeutung in der Vorstellung jedes Sprechers verfügbar ist. Die sprachliche Relevanz der Grundbedeutung zeigt sich nicht zuletzt auch in der abstrakten Z B K selbst, die ja nicht als strenge Regel oder mechanische Transformation formuliert werden konnte, sondern vom Vorhandensein eines Interpretationsspielraums zeugt, welcher die Interpretationsmöglichkeiten der konkret vorstellbaren Grundbedeutung widerspiegelt: die Schmuck-, Begrenzungs-, Schutz- oder Trägerfunktion des «cadre». Auch historisch wird das Mitwirken von Grundbedeutungen deutlich. Die historisch nacheinander entstandenen Bezeichnungen der Polysemie sind nicht Spielarten einer abstrakten Z B K , sondern Bedeutungen, die an andere Bedeutungen anknüpften. Sie setzen in irgendeiner Form diachronische Grundbedeutungen voraus. Ist die Z B K deshalb nun als methodisches Artefakt eines falschen Zugriffs und Irrweg der sprachwissenschaftlichen Erklärung zu verurteilen? Mehrere Gründe sprechen dagegen, i) Das Abstraktionsverfahren hat das methodische Verdienst, einen objektiven Tatbestand sichtbar gemacht zu haben, der die Gewißheit gab, daß hier ein wichtiges Element des sprachlichen Funktionierens zu suchen war. Erst der Vergleich vieler Verwendungen machte deutlich, daß cadre als Bezeichnung für Menschen auf einem bestimmten Niveau der Abstraktion durchaus als Teil der Polysemie interpretiert werden,kann. 2) Die Grundbedeutung als solche liefert nicht alle Elemente der sprachwissenschaftlichen Erklärung. Wie cadre de bicyclette, cadre d'entreprise usw. zeigen, ist nicht die Grundbedeutung als solche durch starre Analogie in anderen Bereichen der außersprachlichen Wirklichkeit wiederentdeckt worden. Die typischen Merkmale der Grundbedeutung, «rechteckig», «von außen begrenzend» und «gegenständlich», fallen bei der Übertragung weg. Übertragene Verwendungen abstrahieren in unterschiedlichem Grade von den Merkmalen der Grundbedeutung. Diese Tatsache erfaßt das sprachwissenschaftliche Abstraktionsverfahren am besten. Die Z B K ist in ihrer Abstraktheit Ausdruck einer geistigen Leistung, die man geschichtlich als kulturelle Gemeinschaftsleistung werten muß, die aber auch vom Kind bei seiner Entwicklung zum fluent speaker teilweise erbracht werden muß. 3) Porzigs pauschale Zurückweisung des Abstraktionsverfahren ist also falsch 38 . Man muß nur beachten, daß dabei alle 38
Porzig, Wesenhafte Bedeutungsbeziehungen: 84—5. 25
Einzelbedeutungen einer Polysemie in einen Topf geworfen werden, obwohl das nur selten dem tatsächlichen Gewicht jeder Bedeutung gerecht werden dürfte. „II est [ . . . ] clair que nous ressentons certains sens comme essentiels, premiers, et d'autres comme secondaires, dérivés, métaphoriques"39. Cadre de tableau auf eine Stufe mit cadre d'une valise40 oder cadres d'entreprise neben cadres de la société zu stellen, impliziert ein Artefakt, das nur dann legitim ist, wenn es bei der sprachwissenschaftlichen Erklärung später berücksichtigt wird. Um diese Erklärung nicht unnötig zu komplizieren, habe ich in 2 . 1 . sofort die Grundbedeutung beschrieben, obwohl dies nicht der Realität des Abstraktionsverfahrens entsprach. Im Forschungsverlauf führte das Verfahren zunächst zu einer Unterschätzung der Grundbedeutung. Erst als die anderen Dimensionen der lexikalischen Bedeutung erschlossen wurden, ergaben sich Widersprüche, deren Klärung zu einer Revision führte. Die konkret vorstellbare Grundbedeutung und die abstrahierende Dynamik, die sich sprachhistorisch bemerkbar macht, prägen gleichermaßen und wenigstens teilweise interdependent das sprachliche Funktionieren von cadre. Die Verwendungen von cadre weisen neben der in der Z B K ausgedrückten essentiellen Gemeinsamkeit auch noch sekundäre Gemeinsamkeiten in der Form auf, daß jeweils ein Teil von ihnen zu Bedeutungsgruppen (BG) zusammengefaßt werden kann, die intern einen hohen Grad an Homogenität aufweisen. Der Robert von 1985 unterscheidet Gruppen nach drei Kriterien: I. „concret", II. „figuré", III. „personnes". Das Merkmal «concret» unterscheidet zwar Gruppe I von II, nicht aber I von III. Ein Mensch ist nicht weniger konkret als ein Bilderrahmen. In der dritten Gruppe führt der Robert nicht nur Bezeichnungen für Personen auf, sondern auch eine Bezeichnung für «tableau des emplois et du personnel qui les remplit». Diese Gruppierung ist für die gegenwartsbezogene und funktionelle Betrachtungsweise nicht geeignet. Es wäre aber falsch, den Wörterbuchartikel deswegen zu kritisieren. Die Einteilungen werden dort nach anderen, lexikographisch-praktischen Gesichtspunkten vorgenommen. Das Merkmal «personnes» erlaubt ein schnelles Auffinden der gesuchten Bezeichnung. Die zum bedeutungsgeschichtlichen Verständnis möglicherweise wichtige Zusatzinformation, das Wort habe ursprünglich eine Tafel bezeichnet, auf der das Personal eingetragen wurde, ist ebenfalls sinnvoll eingeordnet. Aus funktioneller und gegenwartsbezogener Sicht kann jedoch nur als B G gelten, was der Sprecher heute als Einheit empfindet oder empfinden kann 41 . Eine erste B G bilden unter diesem Gesichtspunkt gegenständliche Bezeichnungen wie cadre d'un tableau, d'une porte, d'une fenêtre, zu denen man peripher auch cadre de vélo und cadre d'une valise zählen kann. Von dieser BG 39 40 41
Todorov, Recherches: 36. S. Abbildung in Corbeil/Archambault, Dictionnaire: 347. Vgl. Guiraud, der die 64 Verwendungen von frz. tirer im Littré aus sychronischer Perspektive auf vier Gruppen reduziert (Structures étymologiques: 224—6). 26
kann eine Gruppe abstrakter Verwendungen unterschieden werden: cadre d'une discussion, cadre de vie, cadre naturel d'une action ou d'un endroit, das formelhafte dans le cadre de usw. Schließlich steht auch cadres d'entreprise nicht allein. Es unterscheidet sich deutlich von cadre d'un tableau, steht aber in perfekter Analogie zu cadres de l'armée, cadres de la nation, cadres d'un parti politique usw. Wer cadres d'entreprise kennt, versteht auch cadres de la nation. Da alle drei B G über die Z B K verbunden bleiben, ist folgende Darstellung möglich 42 : BGI:
Gegenstand cadre de tableau cadre de bicyclette etc.
BGII:
Abstrakt
loi-cadre cadre naturel d'un endroit etc. BGIII: Personen
cadre d'entreprise cadre d'un parti etc. Diese Gruppierung der Verwendungen ist nicht frei von Willkür. B G I und II lassen sich nicht streng trennen. Der paradiesische Rahmen einer Insel ist nicht weniger konkret als ein Fensterrahmen. Aber nicht nur eine stärkere Verflechtung von B G I und II erscheint sinnvoll, auch eine Unterscheidung noch kleinerer Gruppen wäre denkbar. So bilden loi-cadre, accord-cadre, contrat-cadre, réforme-cadre und programme-cadre zweifelsohne eine relativ eigenständige Serie innerhalb von BG II43. Jede Gruppierung ist in gewisser
42
43
Für Nida (Componential Analysis: 134) ist eine Polysemie erklärbar durch: I. eine „central meaning" [Grundbedeutung], 2. eine „«dummy» central meaning" [mit meiner Z B K vergleichbar], 3. die relative Eigenständigkeit aller Einzelbedeutungen bei gewisser Verbundenheit [wie im folgenden Schema]. Zur Kritik an Lösungen wie der unter Punkt 2 genannten s. Schmidt (Lexikalische und aktuelle Bedeutung: 3 5 - 6 4 3 ) und Norvig/Lakoff (Taking: 1 9 6 - 7 ) . „L'accord-cadre est signé par deux syndicats médicaux" (Le Monde (7.7.1989): 30). „ C ' e s t à l'automne que les Douze doivent adopter le nouveau programme-cadre de recherches pour les années à venir" (Le Monde (27.7.89): 3). Der Grand
dictionnaire encyclopédique Larousse (S. 1638c) erwähnt réforme-cadre und plancadre. Im Vocabulaire juridique ist contrat-cadre registriert. Die folgenden Zitate zeigen, daß diese produktive Serie eng an die Verwendung anderer Glieder der Wortfamilie von cadre anknüpfen kann: „Toutefois, nombre d'accords d'entreprises restent encadrés par des accords de branche" (Le Monde ( 1 5 . 1 1 . 8 9 ) : 26). „ L e président mexicain, M . Satinas, s'est félicité de cet accord, qui s'inscrit
27
Hinsicht willkürlich, d. h. rein lexikographisch pragmatisch gelöst. Die Entscheidung für die Trennung von B G I und II ist aber bei meiner Form der Darstellung nicht weiter schlimm, weil die BG über die Z B K verbunden bleiben. Falsch wäre es nur, wenn man sie entweder ganz zusammenfallen ließe oder völlig trennte. Beides ist nicht möglich. Dieses lexikologisch relevante Dilemma ist oben schematisch dargestellt. In der Polysemie von cadre bestehen Einheitlichkeit und Verschiedenheit nebeneinander44. Es gibt sowohl Tendenzen, die die Bezeichnungen zusammenhalten, als auch Tendenzen, die zu einer Verselbständigung einzelner Bezeichnungen oder ganzer BG beitragen (Lexikalisierung). Wörterbücher sind nicht um ihre Aufgabe zu beneiden, klar zwischen Polysemie und Homonymie zu unterscheiden45. Wie in der Physik Licht je nach Untersuchungsmethode als Korpuskel oder als Welle erscheint, so erweisen sich die Bezeichnungen von cadre je nach Perspektive als Ausdruck einer Wortbedeutung oder als autonom oder als teilautonome BG. Vom einen oder vom anderen Aspekt abzusehen, wäre gleichermaßen falsch. Man darf die polyseme Struktur von cadre nicht als starr betrachten. Die Polysemie von cadre hat eine gewisse Stabilität allenfalls im folgenden Sinn: „Die Stabilität einer Struktur oder Erscheinung ist stets ein labiles Gleichgewicht aus sich widerstrebenden Kräften — Kräfte, die zugleich die Dynamik einer Struktur ausmachen*"46. Coserius Definition von Polysemie ist in diesem Punkt unzureichend. Er wehrt sich mit Recht gegen eine zu weit gefaßte Definition: „ce qu'on appelle polysémie n'est souvent que la série des variantes déterminées par les contextes" 47 , fallt dann aber von einem Extrem ins andere und definiert Polysemie so, daß nur Homonymie als Polysemie gelten dürfte: „Bei der sprachlichen Polysemie handelt es sich um verschiedene funktionelle Einheiten, um verschiedene Sprachinhalte, die nur zufällig im materiellen Ausdruck zusammenfallen [.. .]"48. Polysemie läßt sich aber weder generell auf ein reines Kontextphänomen49 noch auf sprachlich völlig zufallig verbundene, funktionell autonome
44
45 46 47 48 49
dans le cadre du plan Brady [ . . ]"(Le Monde (25.7.1989): 1). In einem aus dem Deutschen übersetzten Text taucht „convention collective-cadre" (wohl für dt. Rahmentarifvertrag) auf (Kißler, Bilan: 59). Zur Polysemie schreibt Nida ( A system: 9): „intemally diverse, tho related". Vgl. Houdebine (Pour une linguistique: 19) zum Stichwort synchronie dynamique: „le double mouvement d'homogénéisation et de diversification". S. Z ö f g e n , Homonymie und Polysemie im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch. Raible, Regel: 222. Coseriu, Structure lexicale: 204. S. a. ders., Die funktionelle Betrachtung: 10—1. Coseriu, Bedeutung und Bezeichnung: 105. Norvig/Lakoff nehmen in die — bezeichnenderweise nur ausschnitthaft behandelte — polyseme Struktur von engl, to take nicht nur eingebürgerte Varietäten, sondern auch kontextuelle Varianten auf, die nur syntagmatisch als eingebürgerte Besonderheit gelten können (Taking: 196). Und die Polysemie von engl, open drückt sich für Lakoff u . a . in folgenden Verwendungen aus: „ w e open doors and open presents" (Women: 416). Diese Auffassung von Polysemie wirkt sich natürlich auf die Forschungsergebnisse aus. Sie ist insofern berechtigt, als sich kontextuelle Variante 28
Einheiten reduzieren. Coserius Sicht der Dinge ist von der Privilegierung der Bezüge zwischen Sememen verschiedener Wörter im onomasiologischen Wortfeld bestimmt („primäre paradigmatische Bezüge"), deren sprachliche Relevanz im folgenden Kapitel untersucht wird. Diese Privilegierung wäre auf der von ihm untersuchten Ebene der Langue dann uneingeschränkt statthaft, wenn Polysemie ein reines Kontextphänomen wäre (Fait de Parole) oder ihre Einzelbedeutungen sprachlich-funktionell nicht verbunden wären. Die Wortfeldforschung und die strukturelle Semantik hätten dies zwar gerne so, weil dann die Bedeutung ohne Schaden aus dem Feld resultieren könnte, doch schließen sich hier funktionelle, d. h. gerade nicht zufällige Gemeinsamkeit und Verschiedenheit verbunden mit bedingter Eigenständigkeit nicht aus. Verwendungen, die historisch bloße Varianten einer Polysemie waren, können einen Prozeß der Lexikalisierung erfahren, durch den Informationen, die vom Standpunkt der reinen Variante zur Kodetermination der Bezeichnung im Kontext jeweils expliziert werden müßten, in die Einzelbedeutung aufgenommen werden. Diese Lexikalisierung ist aber nicht immer gleichbedeutend mit völliger Entmotivierung. Die polyseme Verbindung kann transparent bleiben. Ihre Kenntnis allein genügt aber zum Verständnis der Bezeichnung nicht mehr. Die Einzelbedeutung enthält zusätzlich lexikalisierte Elemente, die der Sprecher erlernen muß. Manche solcher lexikalisierten Bezeichnungen können historisch aus dem Verbund der Polysemie ausscheren. Im Unterschied zu den Naturwissenschaften stellen solche „Ausnahmen von der Regel" die funktionelle Relevanz der Polysemie nicht in Frage. Auch wenn eine Bedeutung von cadre die Polysemie verläßt, etwa weil ein beim bezeichneten Objekt erfolgter technischer Wandel dem Gegenwartssprecher die ursprüngliche Motivation verbirgt, dann wird dadurch die Relevanz der transparenten Verknüpfung anderer Bedeutungen wie etwa cadre d'un tableau und cadre naturel d'un endroit nicht einfach aufgehoben.
2.3. Cadre als Bezeichnung für Menschen BG III zeichnet sich aus gegenwärtiger Sicht durch eine große Eigenständigkeit innerhalb der Polysemie aus. Manche Wörterbücher behandeln BG III als eigenes Lemma. Cadre d'entreprise ist, obwohl auch unter dem Aspekt polysem verbundener Bezeichnungen beschreibbar, nicht einfach eine kontextuelle Variante der ZBK oder der Grundbedeutung. Wer cadre de tableau kennt, verund eingebürgerte Varietät objektsprachlich in einem Kontinuum entwickeln und befinden. Der Aspekt der genetischen Kontinuität muß daher untersucht werden. Der Begriff Polysemie eignet sich jedoch nicht dazu, weil es dann kaum noch monoseme Wörter gäbe. Durch deren Einbeziehung würde der sprachwissenschaftliche Nutzen des Begriffs in Frage gestellt. Man sollte begrifflich klar zwischen Bedeutungsvielfalt (Polysemie) und bloßer Bezeichnungsvielfalt (Monosemie und Polysemie) unterscheiden.
29
steht nicht automatisch auch cadre d'entreprise.
Intern bildet B G III hingegen
eine produktive Serie nachvollziehbarer Bezeichnungen. Gerade diese interne funktionelle Homogenität
sichert ihre relative Autonomie
innerhalb
der
Polysemie. B G III besteht nicht nur aus cadres d'entreprise.
A u c h cadres du parti ist
beliebt: Les différents courants du parti [PS; M.H.] vont réunir leurs cadres publiquement ou à huis clos fin août ou début septembre50. Ce document demande en particulier aux cadres du RPR de procéder à une introspection [.. .] 5 '. cette spécificité volontairement entretenue dans le choix et la formation de ses cadres a pesé sur l'histoire du PCF 52 . O b w o h l cadre besser auf straff organisierte Parteien w i e P S , R P R und P C F paßt, wird es restriktionslos zur B e z e i c h n u n g anderer Parteien verwendet: Le premier conseil politique du C D S réuni depuis l'élection présidentielle, a permis aux deux cent cinquante cadres centristes d'approuver, le jeudi 19 mai, les choix politiques faits par leurs dirigeants53. Les cadres du Front national considèrent M. Giscard d'Estaing comme un homme fréquentable [ . . ,] M . Cadres
de la société
men. Cadres
und cadres de la nation sind ebenfalls beliebte Syntag-
du pays ist z w a r seltener, es kann aber bei Bedarf gebildet wer-
den: En zone nord, se sont constitués d'autres organismes comme [ . . . ] l ' O C M , Organisation civile et militaire, qui groupait notamment un certain nombre de ceux que l'on appellerait maintenant des technocrates ou des cadres de la nation [ . . ,] 5 \ Sinon, de Sciences-Po Day en Garden Horti, nous irons à la décadence et à la servitude. Oui, nous en sommes là, puisque l'Ecole qui se pique de préparer les cadres du pays, ses administrateurs, veut-elle célébrer sa fête annuelle, ce sera par un anglicisme [.. ,] 56 . C'est au peuple lui-même, et non seulement à ses cadres, que je veux être lié par les yeux et par les oreilles 57 . 50 51 52
53
54 55 56 57
Le Monde (25.8.89): 6. Le Monde (9.7.88): 9. Le Monde (17. —18.12.89): 7. Auch im Singular zur Bezeichnung einer Person: „portrait-type du cadre communiste" (ebda.). Die Cadres bilden den Parteiapparat: „Je songe à Souvarine et Rappoport déjà, qui se risquèrent à former les premiers cadres de l'appareil [ . . . ] " (Lévy, L'idéologie: 178). S. auch Lazitch, La formation des cadres dirigeants communistes. Le Monde (21.5.1988): 6. Man findet auch „un cadre centriste" im Singular (Le Monde (24.6.89): 10) zur Bezeichnung einer Person. Le Monde (8.5.90): 7. Chapsal, La vie.. .de 1940 à 1958: 91. Etiemble, Le Franglais: 53. De Gaulle, zitiert nach Berstein, La France: 93. Vgl.: „Le Général cherche un ap-
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Die Cadres sind die entscheidenden organisatorischen Träger dieser Organisationen (Unternehmen, Partei, Nation u s w . ) , die der Franzose mit Vorliebe organismesnennt58. Ohne die Cadres kann der General mit der Truppe nichts anfangen: Qu'eussions-nous fait de la foule des appelés, quand nous n'avions à lui donner ni armes, ni cadres [.. .]59. Ein „organisme" kann ohne sie nicht funktionieren: Leur rôle technique [celui des cadres, M.H.] ou, plus largement, leur fonction propre, dont l'importance est capitale et sans laquelle ni les organismes, ni la société ne pourraient fonctionner [ . . . ] . Cadre kann in diesem Sinn auf die verschiedensten Organisationen übertragen werden: La police politique de Ceausescu a été officiellement dissoute. Mais ses cadres se sont largement reconvertis dans l'armée ou la police 61 . Dans le double dessein que de Gaulle se traçait à lui-même, se retrouvaient les traits essentiels de l'idéologie, à la fois libérale et socialiste, qui prévalait chez la plupart des dirigeants et des cadres des mouvements de Résistance62. la radio d'Etat songerait-elle enfin à former ces cadres de la production artistique qui semblent lui faire défaut63? L'église s'est également dotée de cadres... cardinaux, archevêques, évêques. Les chefs de gouvernements, eux aussi, se sont toujours entourés de personnes auxquel-
58
59
60 61 62 63
pui plus direct de l'opinion publique. Ce ne sont pas les cadres traditionnels du pays qui le lui fourniront spontanément; il témoigne dans ses Mémoires de sa désillusion devant leurs réactions [ . . . ] " (Chapsal, La vie... de 1940 à 1958: 106). Aus kulturvergleichender Perspektive ist es wichtig, sich die unterschiedliche Verwendung von frz. organisme und dt. Organismus zu vergegenwärtigen. Sie sind möglicherweise sprachlicher Ausdruck einer unterschiedlichen kulturhistorischen Verarbeitung gesellschaftlicher Realität, etwa eines größeren historischen Einflusses organizistischen Denkens in Frankreich. Im Französischen wird organisme üblicherweise zur Bezeichnung von Organisationen (Betriebe, Behörden usw.) verwendet (organisme public/privé; adressez-vous à tel organisme!). Im Deutschen ist Organismus in solcher Verwendung ungewöhnlich. Bei deutschsprachigen Franzosen fallt dt. Organismus häufig als „faux ami" auf. Ich werde daher zur Beschreibung der Verwendung von cadre auch im deutschen Text frz. organisme beibehalten, weil cadre mit diesem Wort und seinem vom Deutschen abweichenden Gebrauch verbunden ist. De Gaulle, Le salut: 40. Umgekehrt gilt: „Nous avons eu ainsi une armée de cadres, un instrument qui fonctionnait comme une horloge; ensuite, nous avons pu augmenter ses proportions, sans qu'elle perde sa discipline et son caractère. Si nous avions eu une armée de circonscription, nous aurions été noyés dans un magma" (Peyrefitte, Le Mal: 472; er gibt hier ohne Quellenangabe eine Äußerung von General Speidel wieder). Beitrag von Michèle Aumont zu Le phénomène: 9. Libération (15.5.90): 35. de la Gorce, Naissance, vol.i: 39. Eck, A la recherche: 271.
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les ils ont confié des responsabilités. Les ministres sont les cadres supérieurs d'une nation64. L'agriculture française serait plus modernisée si les cadres de l'agronomie étaient plus nombreux65. Als Paradebeispiel einer Organisation, die von Cadres zusammengehalten wird, gilt die Armee: Le problème des cadres n'est pas nouveau: il est lié à l'existence de toute société organisée, et toutes les sociétés sont organisées, à quelque degré que ce soit. Le modèle de la société pleinement organisée depuis longtemps déjà est l'armée. C'est la raison pour laquelle on lui a emprunté le terme de cadres qui dans l'acception militaire s'oppose à la troupe. Il y a dans l'armée des cadres subalternes sous-officiers, des cadres officiers, des cadres officiers supérieurs, des cadres officiers généraux, c'est-à-dire une hiérarchie. Ces cadres peuvent exercer des commandements dans la troupe ou bien travailler en groupe comme auxiliaires d'un chef, c'est alors l'état-major . Aus der Verwendung von cadre in diesen Zitaten ergibt sich, daß innerhalb von B G III eine offene Serie von Bezeichnungen realisiert wird. Dabei fallt auf, daß aus dem Text immer hervorgeht, für welchen „organisme" die Cadres tätig sind: cadres de l'armée, de l'administration, d'entreprise, de l'économie, de la société, de la nation, d'un parti politique usw. 67 Bei jeder Erweiterung dieser produktiven Serie wird dies beachtet. Man sagt le cadre d'entreprise, nicht aber 'le cadre de Monsieur X, wie man etwa chef verwenden würde. Die Gebrauchsregel lautet: cadre + „organisme". Man muß sie bei jeder Erweiterung der produktiven Serie beachten, wobei Adjektive den determinierenden Zusatz ersetzen können: cadres économiques/militaires/politiques/sociaux usw. 68 Auch sie legen den außersprachlichen Sektor fest, auf den cadre zu beziehen ist. Wenn man will, kann man cadre so auf die verschiedensten Bereiche übertragen: cadre d'une Eglise oder cadres ecclésiastiques, cadre de presse usw. 69 Cadre ist, wer in einem solchen „organisme" als tragende Kraft tätig ist. Je wichtiger seine Aufgabe, desto näher steht er dem Kern der Gruppe. Man kann also für B G III ein Sem zur Bezeichnung voraussetzt. Es gibt aber auch Bereiche, in die cadre vordringt und die encadrer versperrt sind. Encadrer kann nicht die Funktion des «cadre» in cadre de bicyclette oder cadres d'une galerie de mine bezeichnen. Man könnte nicht sagen 'les cadres d'une galerie de mine encadrent la mine oder 'le cadre d'une bicyclette encadre la bicyclette. Diese Bezeichnungsmöglichkeit ist encadrer schon vom System her genommen. Encadrer ist ein Wort, das aus mehreren Monemen besteht. Dazu gehört das Präfix en-, das wegen seiner lexikalischen Bedeutung die Bezeichnungsmöglichkeiten von encadrer spezifisch einschränkt. Es paßt aufgrund seines Präfixes nicht auf die o.g. Rahmentypen. Es greift nicht jedwede denkbare Funktion eines «cadre» auf, sondern schränkt die Verwendung des Verbs auf Fälle ein, bei denen etwas umschlossen wird. Dabei bleiben allerdings noch genügend Bezeichnungen übrig, die es ihm erlauben, gegenüber cadre als Pionier aufzutreten. 160
Rey-Debove, Ordre et désordre: 452-3. 61
W i e schränkt en- den referentiellen Aktionsradius von encadrer ein? W e r daran geht, die lexikalische Bedeutung eines Präfixes durch Abstraktion aus seinem gesamten Vorkommen in einer Sprache zu ermitteln, gelangt leicht zu dem Schluß, daß sie kaum faßbar ist. W i e ist dann aber ein so spezifischer Einfluß wie der von mir behauptete möglich? W e r alle Vorkommen eines Präfixes in der gesamten Sprache abstrahierend auf gemeinsame Bedeutungskomponenten untersucht, stößt u. a. deshalb auf Schwierigkeiten, weil dabei zwangsläufig v o m spezifischen Einfluß des Wortstamms abstrahiert wird. Dies ist aber eigentlich nicht zulässig. Denn es handelt sich um gebundene Moneme. Sie mögen auch selbständig vorkommen und dann einen stärkeren Einfluß auf den Wortstamm geltend machen können als Moneme, die immer nur Präfixe sind. Sie sind aber als Präfixe gebundene Moneme in dem Sinn, daß ihre Funktion aus einem Beitrag zu einer v o m Wortstamm vorgegebenen Bedeutung besteht. Ein Präfix kann einen spezifischen Effekt auf einen Stamm sicher nur dann ausüben, wenn es in einer Vielzahl analoger Verwendungen vorkommt. Es ist daher wichtig, die Eparole jedes Präfixes empirisch auszuwerten. Bei der beschreibenden Erklärung dessen aber, was im Wortbildungsprodukt und in einem Sprechakt an einer bestimmten Stelle vorgeht, muß dem Stamm die Prioriät gegenüber den A f f i x e n gegeben werden 1 6 '. Nur dann wird, wie Saussure schreibt, das S u f f i x -ment in enseignement mit -ment in armement assoziiert, nicht aber mit justement162. Das Sprecherbewußtsein sucht zuerst die Bedeutung des Wortstamms und wählt von ihr ausgehend eine sinnvolle Interpretationsmöglichkeit für das A f f i x , sofern eine Analyse in Moneme überhaupt erforderlich ist und keine eingebürgerte Bezeichnung diese Analyse kommunikativ entbehrlich gemacht hat. Diese Einbindung der A f f i x e ist so stark, daß vom Stamm kaum abstrahiert werden kann. Liegt ein Wort wie employer vor, bei dem der Wortstamm dem Gegenwartssprecher nichts sagt, dann kann er auch em- nicht interpretieren. Das „Präfix" wird ihm allenfalls einen transitiven Gebrauch nahelegen, den es normalerweise mit sich führt und der auch in encadrer wirksam ist, weil der Sprecher eine Interpretation des Themas vermutet, die auf einen Gegenstand oder eine Person gerichtet ist: encadrer quelqu'un. Ist ein Wortstamm aber bekannt und wie bei Grundbedeutung,, von cadre mit einer klaren Objektvorstellung verbunden, auf die eine der typischen Gebrauchsmöglichkeiten von en- paßt, dann wird das Präfix zu einem Bedeutungsträger, der die Themenverwertung im V e r b mitbestimmt und begrenzt. Wer ruban kennt, versteht enrubanner, und wer régiment kennt, versteht enrégimenter in einem gegebenen Text, auch wenn er die Formen noch nie gehört hat. Das Präfix enthält das Sem /, das bei übertragener Verwendung auch abstrakter ein Einschließen, Einwirken, Einengen oder Begrenzen betreffen kann (enfermer, enfoncer, enterrer). Eine Bezeich-
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Dies gilt in höherem Maße noch für Suffixe: „un suffixe présuppose nécessairement un thème et non l'inverse" (Hjelmslev, Prolégomènes: 40). Saussure, Cours: 173—5. 62
nung der Funktion eines Fahrradrahmens mit encadrer men undenkbar. Encadrer
ist w i e bei dt.
einrah-
kann nicht die Funktion aller mit cadre bezeichne-
ten Objekte bezeichnen, weil bei den vielfaltigen Themenverwertungen in der Polysemie des Substantivs gelegentlich auch v o n dem für Grundbedeutung,, typischen und sprachpsychologisch oft relevanten Merkmal «von außen umschließend» abstrahiert wird.
2 . 7 . Z u r sprachhistorischen E n t w i c k l u n g Cadre
ist in der Schreibweise quadre erstmals 1549 in einem Italienbericht
von Rabelais nachgewiesen 1 6 3 . Die Hypothese einer Entwicklung aus frz. cadre, das Tobler-Lommatzsch als B e z e i c h n u n g für „eine Holzart" schon im 13. Jahrhundert nachweisen, erweist sich als falsche Fährte 1 6 4 . E s handelt sich vielmehr um ein Lehnwort aus dem Italienischen, das zusammen mit vielen anderen Italianismen im 16. Jahrhundert ins Französische gelangt ist 1 6 5 . Hope 163
164
165
„De telle parure estoient semblablement vestuz et couvers tous les hommes d'armes susdits, et leurs chevaux pareillement. Et n'est à obmettre qu'entre les susdits croissans d'argent à haut relief, par certains quadres estoient en riche broderie posées quatre gerbes recamées à couleur verde, autour desquelles estoit escrit ce mot,flavescent [ . . . ] " (Rabelais, La Sciomachie: 587). Tobler-Lommatsch, Altfranzösisches Wörterbuch, Bd. 2: 7. Tobler-Lommatsch beziehen sich in der von Depping besorgten Ausgabe des Livre des métiers von Etienne Boileau (um 1268) auf folgende Stelle, bei der es um die Herstellungsweise von Schreibtischen geht: „Nus tabletier ne puet faire tables de quoi Ii un fuelles soit de buis, et Ii autre de fanne, ne mètre avec buis nule autre manière de fust qui ne soit plus chier que buis; c'est à savoir, cadre benus, brésil et ciprès*." (S. 173). Der Tischler soll also nur Edelhölzer verwenden, neben Ebenholz, Brasilholz und Zypresse auch „cadre". Es wäre denkbar, daß die spätere Bezeichnung von cadre für, im Normalfall hölzerne, «Bilderrahmen» etwas mit der Bezeichnung für eine Edelholzart zu tun hatte. Diese Überlegung kann aber nach Heranziehung derselben Stelle in der Ausgabe des Livre des métiers von Lespinasse/Bonnardot nicht mehr aufrechterhalten werden: „c'est a savoir çadre, benus, bresil et ciprès" (S. 141). In dieser Ausgabe wird çadre durch ein Komma von den übrigen Holzartbezeichnungen getrennt und insofern deutlicher als bei Depping als Holzart ausgewiesen. Cadre wird aber mit Cedille geschrieben, die Herausgeber hatten also nicht die Aussprache [k], sondern [s] im Sinn. So ausgesprochen erinnert çadre an cèdre, d. h. an die Bezeichnung für Zedernholz. Da es sich um eine hochwertige Holzart handelt, paßt diese Deutung gut in die Aufzählung. Ein Blick in Flore populaire von Eugène Rolland bestätigt dies. Dort wird cadre („cadre, benus (ébène), bresil et ciprès", S. 236) unter cedrus aufgeführt und auf 1260 datiert. Tobler-Lommatsch (Bd. 2, cedre) ist diese Variante der Bezeichnung für «Zeder» ebenso entgangen wie von Wartburg ( F E W , Bd. 2, 1.Halbband, S. 564 (cedrus)), der cadre in dieser Bedeutung auch nicht als Form unbekannter oder unsicherer Herkunft registriert hat (FEW Bd. 2iff.). Wind, Les mots italiens: 40,153,202. „Les Français revenus d'Italie en rapportèrent des notions de confort et de luxe auxquelles les anciennes demeures de France répondaient mal. Aux choses nouvelles on a laissé leurs dénominations nouvelles [ . . . ] " (ebda.: 202). 63
gibt die Bedeutung von quadre bei Rabelais an mit: „square-shaped design embroidered on a uniform or coat of arms" 1 6 6 . Für 1 5 4 9 ist also nur die Redebedeutung schmückendes, quadratförmiges Muster> belegt. Der Beleg läßt offen, ob quadre von sich aus nur die Bedeutung quadratische Fläche> oder präziser in den Satz einbringt 167 . Für die sprachhistorische Entwicklung war die bei Rabelais belegte Verwendung nicht ausschlaggebend. Richelet (1680), Furetière (1690) und die Akademie ( 1 6 9 4 ) nennen später übereinstimmend die Bedeutung oder wenigstens bis heute erhalten. Die Gesamtheit aller Segmente der Gesellschaft, d. h. „les cadres de la société", bildeten wie schon „les cadres de l'armée" die gesamte organisatorische Struktur der Gesellschaft. Cadre im Plural löst sich dabei von der Vorstellung eines Rahmens und dient abstrakter zur Bezeichnung der inneren Organisationsstruktur eines „organisme". Auf dieser Kontinuitätslinie liegt auch die Verwendung von cadre bei Benveniste: „Nous ne saisissons la pensée que déjà appropriée aux cadres de la langue"' 8 '. Gemeint sind hier die festen institutionellen Strukturen der Sprache. Der Inhalt von cadre nähert sich dem von structure: „II est plus fructueux de concevoir l'esprit comme virtualité que comme cadre, comme dynamisme que comme structure'"82. In einem Artikel aus dem Jahr 1956 über Anfange einer gewerkschaftlichen Organisation der Cadres im belgischen Französisch von Brüssel' 83 verwendet der Autor neben cadrelu im Singular und Plural zur Bezeichnung von Menschen auch das Syntagma le personnel de cadre, in dem cadre selbst zweifelsohne keine Bezeichnung für Menschen ist. Der Autor selbst nimmt zur sprachlichen Entwicklung Stellung:
l8c
181
182
183
Ebda.: X X V I . Vgl. auch Jules Ferry (Lettres de Jules Ferry), der sich um seine Mehrheit sorgt: „Le gros des égarés, encadré et entraîné depuis deux ans, a abdiqué dans les mains de quelques drôles qui les ont achetés à beaux deniers comptants" (Lettre du 22.9.1889: 510). „150 voix qu'il faut encadrer, car elles nous tirent d'un vilain gâchis [ . . . ] " (Lettre du 15.9.1879: 281). Benveniste, Problèmes, vol.i: 64. Vgl. „cadres selon lesquels s'ordonne le langage" (Mirambel, Essai: 405). Benveniste, Problèmes, vol.i: 73. Beide Belege von Benveniste stammen aus dem Jahr 1958. Humblet, Les cadres et le syndicalisme. Der Autor lehrte Jura in Paris.
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Les transformations même du vocabulaire expriment la rapide évolution du problème. Il y a quelques années, il était question surtout de personnel de direction, d'ingénieurs et chefs de service, de contremaîtres, etc. On a été amené ensuite à parler d'une manière plus générale du personnel de cadre (supérieur, subalterne, etc.). Enfin plus récemment, cette périphrase étant devenue d'un emploi très fréquent on l'a supprimée et pour désigner les individus même on a parlé d'un cadre ou des cadres, donnant un sens concret à des termes abstraits1®4. Der metonymische Wechsel wird hier aus der Sicht eines Zeitgenossen verdeutlicht, auch wenn seine Aussagen strenggenommen nur für das belgische Französisch gelten mögen. Der Autor weist aber selbst mehrfach auf die parallele Entwicklung in Frankreich hin. Die in Texten der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts häufig zu beobachtende Verwendung von cadre zur Bezeichnung der Glieder einer Organisation, ist heute seltener geworden. Sie kollidierte offenbar mit cadrem als Bezeichnung für Menschen, das in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wachsende Verbreitung fand (s. Kapitel 5). Beide Sememe treten in Syntagmen des Typs cadres de l'administration / de la société usw. auf. Im einen Fall ist die organisatorische Gliederung, bei cadrem sind hingegen Menschen gemeint. In folgendem Zitat sind die Verwaltungskorps gemeint: Le coup était habile et maladroit à la fois. { . . . ] Il jetait le trouble dans les cadres de l'ancienne administration [.. .] l8s . In einem Text aus dem Jahr 1950 lassen sich beide Verwendungen von cadre nachweisen: Ne constituent-elles [les classes moyennes; M.H.] pas, en fait, l'armature du pays? N'assurent-elles pas des cadres à la nation'86? Le mot cadres indique les travailleurs salariés qui encadrent les employés et les ouvriers, et qui collaborent, d'une façon immédiate, avec la direction ou le patronat'87. Es wäre sicher möglich gewesen, beide Bedeutungen von les cadres d'un organisme wie im Fall homonymer Wörter als Möglichkeiten der Langue beizubehalten. Die vorstehenden Zitate zeigen, daß die Sprecher genug sprachliche Möglichkeiten zur Disambiguierung haben. Im Unterschied zu homonymen Wörtern ist aber bei Syntagmen wie cadres de l'administration der Verwendungsbereich so genau spezifiziert, daß beide Einzelbedeutungen sich immer 184 185
186 187
ebda.: 1686. Monnet, Mémoires, vol.i: 288. Vgl.: „II existe désormais, à partir de 1933, une «politique du surréalisme» qui se trouvera de plus en plus à l'étroit à l'intérieur des cadres communistes pour finalement les briser et s'en dégager" (Nadeau, Histoire: 155; der Text wurde 1944 erstmals veröffentlicht). Lecordier, Les classes moyennes: 43. Ebda.: 183. Er präzisiert: „L'expression cadres avait donc été utilisée à ce momentlà [um 1936; M.H.], mais bien peu et d'une manière assez vague. C'est sous le régime de Vichy qu'elle devait s'imposer" (ebda.: 180—1). „Le mot lui-même de cadres est nouveau, mais il est reçu maintenant et partout" (ebda.: 175).
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wieder begegnen mußten. Eine störende Kollision stand etwa bei les cadres A,B,C,D zur Bezeichnung der Besoldungsgruppen zu erwarten. Wenigstens cadre C und cadre D erfaßten jenen Kreis der Staatsbediensteten, der gerade nicht zu den Cadres im Sinne von cadrem gezählt werden konnte. Es ist deshalb vermutlich kein Zufall, wenn cadre A usw. im Zeitraum der massiven Verbreitung von cadrem aus dem offiziellen Vokabular gestrichen wurde: [Cadre]. Désignait jusqu'en 1959 les différentes catégories de fonctionnaires; terme abandonné au profit de corps .
Man sah die Bezeichnung für die organisatorischen Glieder, die cadre damals noch wahrnahm, bei corps offenbar besser aufgehoben 189 . Als Reaktion auf die zunehmende Verbreitung von cadrem war nicht nur der Fall der Eliminierung einzelner Verwendungen von cadre wie im Fall von cadre A,B,C,D denkbar. Diese Eliminierung war geboten, weil bei cadre B und C Inkompatibilität mit cadrem bestand. In der größeren Zahl der Fälle war jedoch die Uminterpretation von cadres de la société als Bezeichnung für die innere Organisation (Gliederung) zu cadres de la société im Sinne von cadrem als Bezeichnung für Menschen wahrscheinlicher. Auch hierfür gibt es Beispiele: Je crains des réactions assez vives dans la fonction publique et le secteur public, notamment chez les cadres B, pouvant donner lieu à une certaine généralisation190.
Wo früher cadre B nur im Singular üblich war, wird heute metonymisch cadres B als Bezeichnung für Menschen gebildet. Als Mitglieder der „catégorie B" können sie als Cadres lato sensu gelten. 'Cadres D hingegen würde heute wahrscheinlich nicht gebildet werden, weil es das „personnel d'exécution" erfassen würde. Auch im militärischen Bereich, also dort wo cadre de réserve, Cadre noir usw. zuhause sind, bezeichnet cadre heute normalerweise die Offiziere und im weiten Sinne auch die Unteroffiziere 19 ': Avec la reprise de la vie économique, le temps n'est plus où les cadres hésitaient à sauter le pas en se débarrassant de leur uniforme. De ce point de vue, entre les cadres militaires, d'une part, les responsables politiques et la hiérarchie des armées, de l'autre, ce serait la soupe à la grimace. 188 189
Vocabulaire juridique. In einer Hintergrundinformation von Le Monde zu der jüngst in Frankreich erfolgten Auseinandersetzung um die sog. grille unique, die einheitliche Besoldungstabelle für alle Beamten, stand zu lesen: „Dans le système actuel, un fonctionnaire appartient à un corps qui se trouve classé stricto sensu dans une catégorie (A,B,C,D). A l'intérieur d'un même corps, on trouve une autre hiérachie, celle des grades " (Le Monde (14.2.89): 11). Dazu genauer Dupuy/Thoenig, Sociologie:
31-4-
190 191
Le Monde (22.8.89): 1. Dieses und das folgende Zitat aus Le Monde (15.7.89): 17.
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Sie sind ausgestattet mit „missions d'encadrement" 192 . Dieser Usus hat sich ebenfalls im Sinne einer partiellen Uminterpretation alter Formen ausgewirkt. Während früher nur les officiers du cadre de réserve üblich war, findet man heute daneben auch les cadres de réserve zur Bezeichnung der Offiziere selbst193: Le ministre de la défense, M. Jean-Pierre Chevènement, a adressé une lettre à chacun des officiers généraux du cadre de réserve [ . . . ] . Mais, en même temps, avec cette mise en garde, le ministre de la défense prévient tous les cadres d'activé et de réserve des armées contre toute velléité d'en faire autant [ . . .1.
Die weitere sprachliche Entwicklung wird erweisen, ob les officiers du cadre de réserve (du cadre d'activé) fortbestehen wird oder nicht. Im gegenwärtigen Sprachzustand ist eine konkurrierende partielle Uminterpretation nachweisbar. Dies zeigt auch der Vergleich der 9. Auflage des Dictionnaire de l'Académie française (2. Lieferung von 1987) mit der 8. Auflage von 1932, die sich beide dem Kriterium des „bon usage" verpflichtet fühlen. In dieser findet man u. a. noch die Beispiele un officier hors cadre, un officier du cadre colonial, cadre de réserve, in jener hingegen la force d'une armée dépend de ses cadres, les cadres d'activé, les cadres de réserve, le Cadre noir, hors cadre. Die Singularformen fehlen in der 9. Auflage bis auf Cadre noir und hors cadre völlig. Der Fortbestand von Cadre noir dürfte in seiner Eigenschaft als Eigenname begründet liegen. Hors cadre ist so abstrakt, daß selbst der Sprecher, der die Singularformen cadre de réserve in der Bedeutung von heute nicht mehr kennt, aufgrund von cadre als Bezeichnung für Rahmen versteht, daß ein „officier hors cadre" jemand ist, der außerhalb der normalen Verbände steht. Cadre colonial ist aus rein außersprachlichen Gründen mit der politischen Selbständigkeit der Kolonien inzwischen verschwunden. Man kann also festhalten, daß die Verwendung von cadre zur Bezeichnung einzelner Abteilungen, Glieder, Segmente usw. einer Organisation im Verschwinden begriffen ist oder in uminterpretierten Hybridformen fortbesteht, so daß man Cadre noir und hors cadre bereits als lexikalische Archaismen einstufen muß 194 . Das oben zu Anm. 2/185 zitierte Beispiel für cadre im Sinne von stammt von dem weit über 80jährigen Jean Monnet. Die Verdrängung dieser Einzelbedeutung von cadre hängt ursächlich mit der zunehmenden Verbreitung von cadrem zusammen, die zu störenden Kollisionen führte. Nicht jede Homonymie muß zu solchen Kollisionen führen; diese können aber eintreten, wenn Homonyme eine eng verbundene außersprachliche Realität betreffen. 192 193 194
Le Monde (9.7.88): 28. Dieses und das folgende Zitat aus Le Monde (9.7.88): 28. Cadre A im traditionellen Sinn taucht noch im Zitat zu Anm. 4/78 auf. Ebenso bei Gollac/Seys (Les professions: 9 2 - 4 ) und Seys (Les groupes socioprofessionnels: 49). Diese Texte haben eine sozialstatistische Thematik (INSEE).
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Dieses Phänomen wird im gegenwärtigen Sprachzustand zusätzlich dadurch gefördert, daß die diachronische Grundbedeutung von cadrem, also cadres de l'armée, heute nachweisbar einer anderen synchronischen Grundbedeutung, cadre(s) d'entreprise, gewichen ist. Der Sprecher stützt sich bei produktiver Verwendung von cadrem im Zweifelsfall auf cadre d'entreprise. Im privatwirtschaftlichen Bereich gibt es im Unterschied zur Armee und zur staatlichen Verwaltung keine Verwendungen vom Typ cadre de réserve, obwohl sie vorstellbar wären: 'un employé du cadre de production, 'un employé du cadre administratif, 'un employé du cadre de direction usw' 95 . Die Erläuterung von cadrem mit „cadre humain d'une entreprise" (s. Anm. 2/86) ist ein etymologisierender Hinweis eines Sprachwissenschaftlers. Als natürliches Vorkommen läßt sich diese Verwendung von cadre nicht belegen. Die befragten Sprecher rekurrierten zur Definition von cadre d'entreprise nicht auf Grundbedeutung,,, sondern nur auf encadrer quelqu'un. Der Sprecher findet also bei derjenigen Verwendung von cadrem, die ihm am geläufigsten und am besten bekannt ist, kein Muster vom Typ cadre de réserve vor, und er assoziiert Grundbedeutungo nicht mehr in einem motivierenden Sinne mit cadreul. Die Verwendung vom Typ cadre de réserve ist heute nicht mehr produktiv. Die Form un officier du cadre de réserve mag sich daher im Sprachgebrauch der betroffenen Kreise erhalten, in der Gemeinsprache wird jedoch die Neigung bestehen, zu les cadres de réserve im Sinne von les officiers de réserve überzugehen. Diese Nachzeichnung der sprachhistorischen Entwicklung ist notgedrungen eine Skizze geblieben. Meine empirische Forschung war auf Texte der Gegenwart ausgerichtet. Ältere Belege, die nicht aus Wörterbüchern stammen, habe ich eher zufallig entdeckt. Ein gründliches Studium historischer Quellentexte wäre zu einer genauen Rekonstruktion der diachronischen Entwicklung und ihrer Datierung erforderlich. Die von mir auf spärlicher Materialgrundlage formulierte Hypothese zur sprachhistorischen Entwicklung von cadrem mag immerhin gezeigt haben, daß dieser Fall für die diachronische Forschung interessant ist196. 195
196
Die von Potonnier registrierte Form employé du cadre in der Bedeutung „hochbesoldeter Angestellter, Angestellter in leitender Stellung" ist mir nie begegnet (Wörterbuch für Wirtschaft, Recht und Handel). Der Artikel cadre ist so archaisch aufgebaut (die Bedeutung „Stammbelegschaft" steht an erster Stelle in diesem 1990 aktualisierten Wirtschaftswörterbuch; être rayé des cadres wird ohne Spezifikation des militärischen Anwendungsbereichs mit „entlassen" wiedergegeben), daß wenigstens dessen Aktualität bezweifelt werden muß. Hinsichtlich einer diachronischen Überprüfung dieser Hypothese scheint mir neben der Zusammenstellung einer geeigneten Eparole die Auswertung zweisprachiger Wörterbücher von besonderem Interesse zu sein. Wenigstens die älteren französisch-deutschen Wörterbücher zeichnen sich durch Übersetzungsvorschläge aus, die denjenigen, der den heutigen französischen Sprachgebrauch kennt, eigenartig anmuten. Im Grand dictionnaire français-allemand von Grappin findet man bis heute Rahmenpersonal und Stammpersonal, die auf alte Verwendungen von cadre zurückgehen. 72
Aber nicht nur dies zeigt die Hypothese. Sie zeigt auch, daß die antithetische Einbeziehung der diachronischen Perspektive für die gegenwartsbezogen-synchronische fruchtbar ist. Der Vergleich mit früheren Sprachzuständen erlaubt bereits rein methodisch eine genauere Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes. Darüberhinaus wird vieles im gegenwärtigen Zustand erst durch die historische Perspektive vollständig erklärt. Der archaische Charakter von cadre zur Bezeichnung eines Organisationssegments im Gegenwartsfranzösischen und sein Bezug zu cadrem wurde erst durch die Betrachtung der historischen Bedeutungsentwicklung deutlich. Die synchronische Forschung begegnet der archaischen Verwendung wie einem Fremdkörper, der nicht so recht in das heutige Funktionieren von cadre eingeordnet werden kann. Umgekehrt hat sich aber auch die Betrachtung des gegenwärtigen sprachlichen Funktionierens als fruchtbar für die diachronische Rekonstruktion erwiesen. Dem zeitlichen Zusammentreffen von cadre mit encadrer und encadrement im Bereich der Armee wurde nur deshalb sofort eine besondere Bedeutung beigemessen, weil die funktionelle Relevanz dieser Verknüpfung für den heutigen Sprachzustand nachgewiesen worden war. Bei ausschließlich diachronischer Betrachtung wäre das Zusammentreffen vielleicht nicht gerade übersehen, aber möglicherweise als sekundäre Erscheinung eingestuft worden. Daß encadrer und encadrement mehr als bisher angedeutet an der Herausbildung der metonymischen Entwicklung von cadres im Sinne von aus der Bedeutung gewesen sein könnten, will folgende abschließende Überlegung verdeutlichen: In seiner historisch ältesten (1752 Trésor) und bis heute wichtigsten oder wenigstens primären Verwendung bezeichnet encadrer die Tätigkeit eines Menschen, der ein Bild einrahmt'97. Für diese erste Bezeichnung gilt das Wortbildungsschema: celui qui encadre le tableau, c'est l'encadreur. Wenn man die gesamte Polysemie von cadre und seine Wortfamilie aus diachronischer Perspektive beleuchtet, dann fällt auf, daß mit encadrer erstmals der Wortstamm -cadre- zur Bezeichnung der Tätigkeit eines Menschen herangezogen wurde. Erst historisch später wird cadre selbst als cadrem Menschen bezeichnen. Diese Menschen zeichnen sich wesentlich durch ihre Funktion aus, die usuell mit encadrer bezeichnet wird. Encadrer konnte bei der metonymischen Erweiterung von cadre als Bezeichnung für Armeekorps zur Bezeichnung für die Offiziere und Unteroffiziere („ceux qui encadrent") eine Schmiermittelfunktion gehabt haben, weil encadrer im Unterschied zu cadre bereits zur Bezeichnung einer menschlichen Tätigkeit verwendet wurde. Eine Formulierung wie les officiers encadrent la troupe lag vielleicht — genau wie später il encadre ses hommes gegenüber der schockierenden Formulierung il est cadre — näher als eine unmittelbar metonymische Verwendung von cadre selbst, die durch eine solche Verwendung von encadrer aber gefördert werden konnte. Die ältere Datierung von encadrer und encadrement gegenüber cadres de l'armée, die oben mit ge197
Trésor, Artikel encadrer.
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botener Vorsicht als Zeichen synchronen Auftretens gewertet wurde, könnte sich dann doch als diachronisch-funktionelle Vorzeitigkeit erweisen.
2.8. Z u m Einfluß von cadre auf andere Sprachen der Romanía Man kann das Kapitel der verwandtschaftlichen Bezüge nicht beschließen, ohne einen Blick auf die Verwandtschaft zu werfen, die die Sprachen der Romanía zu einer Familie macht. Die historisch-genetische Verwandtschaft der heutigen Sprachen ist für die funktionelle Betrachtung des Gegenwartsfranzösischen sicher normalerweise irrelevant. Frz. force beeinflußt nicht die heutige Verwendung von span. fuerza, port, força oder ital. forza. Der kontrastive Vergleich von cadre mit span. cuadro usw. in 2. i . war rein methodisch motiviert, um cadre besser charakterisieren zu können. Cadre ist aber ein Beispiel dafür, daß es wechselseitige Einflüsse auch heute noch geben kann' 98 . Es ist vermutlich auf die Vorbildfunktion der französischen Presse zurückzuführen, daß port, quadro als Bezeichnung für Menschen heute verwendet wird wie cadreIU. Ich konnte in portugiesischen Zeitungen ungefähr alle Verwendungen finden, die ich für frz. cadrem registriert hatte. Man kann im Vorkommen von quadro sogar Bezeichnungen finden, die als nicht entdeckte oder jedenfalls von mir nicht registrierte Bezeichnungsmöglichkeiten von cadre im Französischen einzustufen sind: orquestra do Teatro nâo tem quadros suficientes Verwendungen von it. quadri, die in den Verwendungsbereich von cadrem fallen, sind in Italien wenig bekannt. Sie sind offenbar gemeinsprachlich unüblich, was nicht heißt, daß sie nicht doch im spezialisierteren Sprachgebrauch vorkommen könnten. In der Literatur über die Gruppe der Cadres in Frankreich habe ich einen Hinweis auf Organisationen italienischer Führungskräfte mit dem Namenselement -quadri gefunden200. In Bevölkerungskreisen mit internationalem Horizont können Fremdwörter schnell aus anderen Sprachen entlehnt oder nachgebildet werden. Die sprachliche Innovation scheint sich im Bereich der Arbeitswelt sogar weiter zu verbreiten: D'abord, et c'est essentiel, la réglementation italienne n'a pas accepté pendant
1,8
199
100
Ein besonders wichtiger Schauplatz solcher Einflüsse ist die Übersetzertätigkeit in den Institutionen der Europäischen Gemeinschaft, wobei gerade das Französische häufig eine Vorbildfunktion hat. S. G o f f i n , L'Europe en neuf langues: champ d'affrontements et ferment d'intégration linguistiques. Expresso (22.4.89), Beiheft A Revista: 49-R. Gemeint ist das Orchester der Oper S. Carlos in Lissabon. Delamotte nennt „le Syndicat national des cadres de l'industrie (Sinquadrï) affilié à la Confederquadri" und die Unionquadri (Les cadres: 5). Mit dem Gesetz Nr. 190 vom 1 3 . 5 . 1 9 8 5 wurden die quadri intermedi als eigene Gruppe anerkannt (Birk, Der leitendende Angestellte: 214). Die Gruppe der dirigenti gibt es hingegen schon lange (François, La distinction: 27).
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longtemps la catégorie des cadres intermédiaires, se limitant à trois grandes classifications, les dirigeants, les ouvriers et les employés. Même si cela a changé, en 1982, avec l'introduction des quadri, aux contours encore imprécis, la constitution d'une masse indistincte d'employés a autorisé le nivellement entre les types de diplômes [...]. Chez Olivetti, le personnel se répartit entre 2 % de dirigeants, 27 % d'ouvriers et 71 % d'employés. Chez CARIPLO, on compte 0,8% de dirigeants, 15,2 % de fondés de pouvoir, 72 % d'employés et 12 % d'auxiliaires, dont les huissiers. La COMIT aboutit sensiblement aux mêmes résultats mais précise qu'elle dispose de 8 % de quadri. Une situation comparable à celle de la FIAT où on compte, 1,8% de dirigeants ou cadres supérieurs, 71,8% d'ouvriers, 26,4% d'employés (soit 60000), dont 20000 sont des quadri10'. Das Zitat läßt gut einen Umbruch erkennen. Manche Unternehmen verwenden bereits die Bezeichnung quadri, andere noch nicht. Die berufliche Kategorie der „quadri" — von einer sozioprofessionellen Gruppe kann sicher noch nicht die Rede sein — hat begonnen, sich von der Gruppe der Angestellten zu lösen, die ursprünglich wie in Deutschland auch gehobene berufliche Positionen (jedoch ohne die oberste Führungsebene der dirigenti) umfaßte. Da diese dirigent in Frankreich zu den Cadres zählen — es wird im Text mit cadres supérieurs übersetzt —, bildet der Journalist die Bezeichnung cadres intermédiaires als Äquivalent für quadri102. Im Spanischen ist cuadro als Bezeichnung für die Führungskräfte privater Betriebe unüblich. Man zieht ejecutivos (vgl. engl, executives) vor 203 . Üblich ist es hingegen im Bereich des Militärs und bei politischen Parteien: „Ochocientos cuadros del partido participarán en las reuniones"204. Bei der Berichterstattung über die Parlamentswahlen 1989 konnte man im Radio öfters los cuadros regionales de los partidos hören. Das folgende Zitat stammt aus einem Bericht über Rumänien: „Los trabajadores son la fuerza de choque. Funcionarios, cuadros intermedios y demás parásitos del padre Estado captan enseguida el rumbo que toma la historia [.. .]" 205 . Hier sind offenbar mittlere Führungskräfte des öffentlichen Dienstes oder Parteikader gemeint. Man sieht, daß cadreUI im Spanischen und Italienischen keine so perfekte Entsprechung hat wie im Portugiesischen. Dennoch sind in sprachlichen Nischen Ansätze vorhanden, die eine analoge Weiterentwicklung nicht ausschließen. Dies kann insbesondere dann eintreten, wenn im Zuge der europäischen Integration immer mehr über die betriebliche und soziale Organisation in jedem Land gesprochen werden muß und Sozialstatistiken kompatibler wer201 202
203 204 205
Le Monde (2.10.90): 29. Im soeben erschienenen 15. Band des Grande Dizionario della lingua italiana von Battaglia werden diese neueren Verwendungen von quadro bereits registriert und belegt (Nr. 30). Dabei fällt besonders auf, daß quadri, unabhängig von einem möglicherweise später hinzugekommenen Einfluß von frz. cadre d'entreprise, v.a. im marxistischen Wortschatz bereits anzutreffen war. Im spanischen Resümee von Belle (Cadres au féminin: 114) wird femmes cadres mit mujeres ejecutivas übersetzt. Cambio 16 (14.10.91): 32. Gemeint ist der Partido populär. Cambio 16 (7.10.91): 136. 75
den sollen. Das Französische hat insbesondere in den Institutionen der Europäischen Gemeinschaft nach wie vor eine wichtige Vorbildfunktion. Das Italienische und Spanische könnten so in den Sog des Französischen und Portugiesischen geraten. So war der portugiesische Sprachgebrauch für die folgende, einem Bericht über Portugal entnommene Verwendung von span. cuadro vermutlich mitverantwortlich: Hay quien habla de un milagro portugués, aunque los especialistas siguen siendo escépticos, y no sin razón. Más del 55 por ciento de la población activa sólo tiene cuatro años de estudios, hay escasez de cuadros y de mano de obra cualificada Dieser Beleg aus dem Jahr 1992 zeigt, daß das Spanische heute für eine Lehnübertragung der Bedeutung von frz. cadres d'entreprise oder port. quadros de empresa aufnahmefähig (geworden) ist. Als ich 1987 Spanier befragte, ob cuadro in diesem Sinne verwendet werden könnte, wurde dies durchweg verneint. Die zwischenzeitlich eingetretene Begeisterung der Spanier für die europäische Integration mag gerade im Fall cuadro zu einer größeren sprachlichen Durchlässigkeit geführt haben.
2.9. Employé und Angestellter Employé und Angestellter realisieren Bezeichnungen im beruflich-sozialen Bereich, die zwei Einzelbedeutungen zugeordnet werden können. Ihre Polysemie ist leichter zu überblicken als die Vielfalt der Verwendungen von cadre. Von der bezeichneten Sache her sind sie cadre d'entreprise benachbart. Mit einer Einzelbedeutung bezeichnen beide Wörter in genauer Entsprechung alle Arbeitnehmer, die ein Arbeitgeber beschäftigt {employé, bzw. Angestellter,): L'armée est entrée avec ses hommes et ses chars dans les installations de la Petrobras, la compagnie pétrolière de l'Etat, pour en déloger les employés qui les occupaient [.. ,]207. Sur la liste [de l'indice Dow Jones; M.H.] depuis 1959, Owens, rachetée par ses employés, ne sera bientôt plus cotée208. Quelques chiffres — 77 milliards de francs de chiffre d'affaires en 1988,73000 employés, 250 usines et une implantation commerciale dans 60 pays — témoignent du rayonnement international de Pechiney et de son esprit de conquête209. Die Iran Air erklärte, ihre Angestellten seien stellvertretend für alle Moslems «bis auf weiteres» in einen Proteststreik getreten210. 206 207 208 209 2,0
Cambio 16 (10.2.92): 41. Le Monde ( 17.3.87): 1. Le Monde (15-6.3.87): 14. Le Monde (18.4.89): 1 1 . Frankfurter Rundschau (17.2.87): 1. 76
Pfennige für arme Länder. Stadtangestellte verzichten auf Restbetrag ihrer Gehälter. [ . . . ] Monat für Monat spenden rund 2000 Dortmunder städtische Bedienstete Pfennigbeträge für die Dritte Welt [.. .] 2 ". In jedem Beispiel sind alle beteiligten Arbeitnehmer und nicht nur einzelne Gruppen gemeint. Das letzte Zitat zeigt, daß dies auch für den öffentlichen Dienst gilt. Die Beamten der Stadt haben auch gespendet. Die andere Einzelbedeutung, employén b z w . Angestellter^, dient zur Bezeichnung beruflicher Gruppen. Im folgenden Beispiel wird employéu als Berufsgruppenbezeichnung verwendet und dann von employél archilexemisch erfaßt: A contrario, «au niveau intermédiaire (employés qualifiés, petits cadres, personnel d'agence), on assiste surtout à une diversification des qualifications [...]». Ces employés doivent donc être beaucoup plus polyvalents [.. ,]212. Diese Archilexemfunktion kann employé1 auch gegenüber cadre haben: En arrivant à la grille principale, mon attention fut attirée par les groupes de cadres et d'assimilés cadres qui, plus nombreux qu'à l'ordinaire, faisaient les cent pas dans les allées du cimetière. J'y entrai à mon tour et distribuai çà et là quelques signes de tête à ceux qui me saluaient. Les employés de Rosserys & Mitchell-France semblaient très échauffés par les problèmes de pétrole et d'essence213. Für Angestelltern gilt Entsprechendes. Man darf aus dieser Tatsache aber nicht sofort folgern, daß employé1 und Angestelltert uneingeschränkt als Archilexeme von employén b z w . Angestellteru fungieren können. Während die erstgenannten Einzelbedeutungen immer einen Bezug zum anstellenden Arbeitgeber verlangen, handelt es sich bei den letztgenannten um Bezeichnungen nicht nur für eine berufliche, sondern auch für eine soziale Wirklichkeit. Man ist Arbeiter oder Angestellter nicht nur im Betrieb, sondern auch draußen und bleibt es auch als Arbeitsloser 2 1 4 . Die Franzosen verwenden zu Recht die Bezeichnung catégories socioprofessionnelles. Ein entlassener Arbeitnehmer ist jedoch kein employé bzw. Angestellter im Sinne der ersten Einzelbedeutung mehr. Er ist faktisch nicht mehr angestellt. Angestellterv und employé: eignen sich also nur als Archilexeme, wenn die Berufsgruppen im Betrieb betrachtet werden. Man kann bei der Polysemie von employé und Angestellter den gleichen W e g wie bei cadre gehen und eine funktionell wirksame gemeinsame Bedeutungskomponente suchen. Dabei entdeckt man das Sem sind aus der subjektiven Sicht des Sprechers, in deren Dienst die Sprache als Institution aktualisiert wird, außersprachlich erfüllt. Die Bezeichnung ist vom System her möglich. Derjenige, der dies versucht, tut aber gut daran, sich gegen eine mögliche Ablehnung seitens der Hörer durch Verwendung von Anführungszeichen oder explizite Hinweise im Text abzusichern. Er macht seine unübliche, aber mögliche Perspektive beim sprachlichen Zugriff kenntlich. Eine wichtige legitimatorische Funktion hatte auch encadrer. Polysemie und Wortfamilie sind kommunizierende Mikrosysteme. Der Möchte-gern-Cadre argumentiert: j'encadre, moi-aussi! Er legitimiert dadurch sowohl seine individuelle Berechtigung auf eine Bezeichnung mit cadre als auch indirekt die Verwendbarkeit von cadrem im Singular.
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Die innere Dynamik des Wortschatzes Mit der zunehmenden Beachtung der Cadres seit den 30er Jahren, die meist als „ceux qui encadrent" begriffen wurden, war auch der Gedanke an diejenigen verbunden, „qui sont encadrés". Cadre impliziert diesen Gedanken. Das Personnel encadré geriet automatisch mit ins Blickfeld, so daß auch dafür Bezeichnungen gefunden werden mußten. Solche Bezeichnungen können zunächst periphrastisch sein (etwa: ceux qui sont encadrés, ceux qui exécutent) oder vorhandene Wörter nutzen, wobei sich historisch eine dieser Bezeichnungen durchsetzen kann. Heute werden personnel d'exécution oder exécutants häufig verwendet, ohne alle übrigen Konkurrenten verdrängt zu haben. Die von einer kulturhistorischen Dominanz der „Ideologie des Cadre" getragene Verbreitung von cadre hat also neue Wortungen mit sich gebracht. Ein zunächst rein begrifflich impliziertes Konzept