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German Pages 373 [380] Year 1795
C.
M.
WIELANDS
SÄMMTLICHEWERKE
S I E B E N T E R
D E R
G O L D N E
B A N D
S P I E G E L
ZWEYTKÄ t H E I L. LEIPZIG bey Georg Joachim Göschen. 1794.
DER
GOL1DNE
SPIEGEL
O D E R
DIE KÖNIGE VON SCHESCHIAN E I N E
.i u s
dem
W A H R E
G E S C H I C H T E
S c I i e s c h i n >i i s c h e 11
Tnspicere In
speculum
jubeo
ZWEITER
übersetzt.
tanquam —
T HEI L
L E I P Z I G FEY GKORC JOACHIM Göschen, I n 9 4-
D I E
KÖNIGE
VON
SCHESCHIAN
ZWEYTER
THEIL.
i. H err Danischmend, ein paar W o r t e , ehe wir weiter gelien, sagte der Sultan, t Wenn es, ohne der historischen Wahrheit Gewalt anzuthun, geschehen könnte, dafs du uns auf diesen Azor, der (unter u n s ! ) die Erlaubnifs schwach zu seyn ein wenig zu sehr mifsbraucht, diesen Abend einen g u t e n K ö n i g gäbest, so würdest du mir keinen kleinen Gefallen erweisen. Ich weifs wohl, die Geschichte soll den Fürsten nicht schmeicheln; und diefs aus einem gedoppelten Grunde: erstens, weil es genug i s t , dafs uns in unserm Leben geschmeichelt wird; und dann, weil die Wahrheit, die man nach unserm Tode von
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uns sagt, uns nicht melir schaden, der W e l t hingegen nützen kann. Aber ich möchte doch auch n i c h t s dafs es so heraus k ä m e , als ob ich mir alle Abende in meinem Schlafzimmer eine S a t i r e auf die Sultanen von Schescliian machen liefse. Ich erinnere mich irgendwo gelesen zu haben, ein Mensch sollte nichts, w a s einen Menschen angeht, für fremd ansehen , und ich sehe nicht a b , warum w i r Sultanen uns nicht in dem nehrnlichen Falle befinden sollten. M i t Einem W o r t e , ich interessiere mich für die Sache, und diefs i s t , denke i c h , genug. Ihre Hoheit befehlen also dafs ich den Sultan I s f a n c l i a r überhüpfe? fragte Danisch» mend — Eine weise Frage! antwortete Schach-Gebal. Ich mufs doch wohl zuvor wissen, wer Sultan Isfandiar w a r , eh' ich sie beantworten kann ? „ E r w a r Azors unmittelbarer Nachfolger, sein einziger Sohn von der schönen Al^banda, und einer von den Scheschianischen Sultanen, deren Regierung einer förmlichen Satire auf böse Fürsten ähnlich sieht." Er w a r also noch schlimmer als Azor?
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Um Vergebung, Sire! Azor war in der Tliat kein böser Fürst; er war nur schwach. Isfandiar hingegen — — G u t , g u t , fiel ihm der Sultan ins W o r t : wir wollen immerhin Bekanntschaft mit ihm machen, wenn es auch nur w ä r e , weil er ein Sohn der schönen Alabanda w a r , die ich, beyallem Bösen was du uns von ihr sagtest, dennoch sehr liebenswürdig finde. Und aus eben diesem Grunde ersuch' ich d i c h d e n armen Isfandiar so leicht davon kommen zu lassen als du immer kannst. Wofern (sagte Danisclimend) unter dem Worte S a t i r e eine Rede oder Schrift verstanden wird, worin man zur Absicht hat jemanden lächerlich oder verhaLt zu machen: so verhüte der Himmel, dafs mir jemahls der Gedanke einfalle, eine Satire auf F ü r s t e n zu machen, und wenn es auch nur über den König T o n o s K o n k o l e r o s , oder einen der alten Faraonen in Ägypten wäre. Aber unglücklicher Weise hat es unter den Grofsen zu allen Zeiten einige gegeben, d e r e n L e b e n e i n e S a t i r e a u f s i e s e l b s t w a r ; ich will sagen, die sich durch ihre Tlioiliciten verächtlich und durch den Mifsbrauch ihrer Gewalt verhafst gemacht haben, ohne dafs der Biograf, der den Auftrag erhielt ihre Geschichte
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GOLDirE
SPIEGEL.
7.u erzählen, die mindeste Schuld an der Sache 'hatte. Ich besorge, der Sultan Isfandiar w a r in diesem Falle, und daher — — Immerhin! rief der Sultan, das Böse, das du von ihm sagen w i r s t , bleibt unter uns. Erinnere dich n u r , dafs ich unnölhige Vorreden hasse. Sire, ( f i n g Danischmend a n ) I s f a n d i a r w a r , w i e gesagt, Azors und Alabandens einziger Sohn , und der jüngste von verschiedenen, welche seine Sultaninnen ihm geboren hatten. Er w u r d e , ungeachtet der Entfernung seiner Mutter von dein Herzen des Koniges, bey Hof erzogen — w i e die Scheschianisclien Prinzen damahls erzogen zu werden pflegten. Diefs ist gerade, was w i r wissen wollen, sagte Schach-Gebal. Er hatte die geschicktesten Lehrmeister in allen den Wissenschaften und Künsten, welche sich ("wie man zu sagen p f l e g t ) für einen Prinzen schichen. Er lernte von der M a t h e m a t i k so v i e l , dafs er ein Dreyeck kunstmäfsig von einem Yiereqk unterscheiden konnte. E r w u f s t e , zum Beweise seiner g e o g r a f i s c h e n Kenntnisse, die Nahmen aller Flusse, S e e n , B e r g e , Provinzen und Städte von Scheschian herzusagenj u n d , u m eine Probe sei*-
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ner Stärke in der F i l o s o f i e zu geben, vertheidigte er in seinem dreyzehnten Jalire öffentlich einen sehr tiefsinnigen B e w e i s , dafs ein Ding —- ein Ding ist , und so lang' und so fern als es ist was es i s t , nicht zugleich etwas andres seyn kann als es ist. S j i n L e h rer in der S t a a t 9 w i s s e n s c h a f t hatte nichts angelegner« als ihm die ausgebreitetste Kenntnifs von dem U m f a n g und den R e c h t e n der h ö c h s t e n G e w a l t , und von den unzählbaren Mitteln und W e g e n , w i e man sich mit guter Art des Eigenthums seiner Unterthanen bemächtigen k a n n , beyzubringen. Hingegen nahm sich sein Lehrer in der M o r a l sehr in Acht, die Zärtlichkeit seines Ohres nicht durch Erwähnung des unangenehmen Wortes P f l i c h t e n zu beleidigen. Er bildete sich ein, es vortrefflich gemacht zu haben, wenn er dem Prinzen, in zierlich gedrehten Perioden oder durch'rührend ausgemahlteEeyspiele, G e r e c h t i g k e i t und W o h l t l i ä t i g k e i t als die höchsten Tugenden eines Fürsten vorschilderte. Aber der T o n t worin er von diesen Tugenden schwatzte, das unbesonnene und übertriebene L o b , womit er einige Fürsten wegen ziemlich zweydeutiger Handlungen dieser Art unter die Götter versetzte, mufste natürlicher Weise eine verkehrte Wirkung bey seinem Untergebenen tliun. Der junge Tsfandiar machte sich von Gerechtigkeit und Wohltliätigkeit einen Begriff,
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c o l c s c
S p i e g e l ,
der fiir das Glück seiner künftigen Untertlianea gänzlich verloren ging- Er glaubte, die Ausübung dieser Tugenden hange blof« v o n s e i n e r W i l l k ü h r a b ; und er muthmafste auch nicht von ferne, dafs sie allein durch ihre u nz e r t r e n n l i c h e V e r b i n d u n g zu Tugenden werden, und dafs die unermüdete Bestrebung, beide i n d e m g a n z e n U m f a n g d e s R e g e n t e n a m t e s auszuüben, eine so wesentliche Fürstenpflicht s e y , dals derjenige,, welcher sie fünfzig Jahre lang in der höchsten Vollkommenheit ausgeübt hätte, beym Schlüsse seines Lebens kein andres Lob verdient hätte, als das Zeugnifs s e i n e S c h u l d i g k e i t gethan zu haben Kurz, der h ö f i s c h e M e n t o r hatte keinen Begriff davon, dafs man einem jungen Fürsten die Ausübung aller Tugenden, von welchen das Wohl seiner Untergebenen und die möglichste Vollkommenheit seines Staates abhängt, unter der Gestalt von V e r b i n d l i c h k e i t e n vorstellen müsse, deren Forderungen eben so dringend als unverletzlich sind; es sey n u n , dafs man sie von den Gesetzen des höchsten W e s e n s , als des Königs über die Könige, oder von einem gesellschaftlichen Vertrag ableite, vermöge dessen derjenige, der die meisten Rechte zu haben scheint, gerade der i s t , der die meisten Fflichten hat. Ohne Unterbrechung, Herr Doctor, sagte der Sultan: ich sollte doch denken, der Sitten-
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THEII,
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lelirer des jungen Prinzen Isfandiar habe nicht so ganz Unrecht gehabt, ihm das, w a s ihr die P f l i c h t e n d e r F ü r s t e n nennt, unter einer g e f ä l l i g e n G e s t a l t zu zeigen. Das W o r t F l i e h t ist ein hartes W o r t : es hat fiir die Unterthanen selbst einen widrigen T o n ; w i e sollten w i r andere unsre Ohren daran gewöhnen können? W i r werden die Tugend immer liebenswürdiger finden, wenn unsere Neigung zu ihr freywillig i s t , als wenn sie uns mit Cewalt aufgeburdet wird. Um Vergebung, gnädigster Herr, erwiederte der freymüthige und unhöfische Danischmend. Es giebt ein weniger gefährliches Mittel uns unsere Pflichten angenehm zu machen. Anstatt uns zur Tugend durch Lobeserhebungen anzuspornen, welche die Ausübung unserer Schuldigkeit zu einem Gegenstande der Ruhmsucht und Eitelkeit machen, würde besser gethan seyn, uns zu überzeugen, dafs die Vollziehung unsrer Pflichten mit den unmittelbarsten und wichtigsten Vortheilen und mit dem reinsten Vergnügen verbunden ist. Immerhin mag auch des Ruhmes, als des natürlichen Begleiters guter Thaten , erwähnt werden. Aber zu bedauern ist der Fürst, dessen Herz nicht empfindsam genug i s t , das Vertrauen und die Liebe seines Volkes allen Lobgedichten, Elirendenkmählern, Bildsäulen, Scliaumünzcn und Inschrif-
LÄ
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S T I E G E r.,
ten vorzuziehen, womit Dankbarkeit oder Schmeiclieley seine Tliaten verewigen können. W i e wenig wahre Befriedigung können ihm diese- gebein! denn wie oft sind sie nicht an Tyrannen und nahmenlose Könige verschwendet worden! Danisclimend hat nicht gana Unrecht, sagte der Sultan, der diesen Abend in der Laune w a r , seinen Filosofen schwatzen zu hören: der Moralist des Prinzen Isfandiar w a r , wie es scheint, ein zu guter Höfling, um ein guter Sittenlehrer zu seyn. Gleichwohl (fuhr Danischmetid fort) war sein Lehrer in der G e s c h i c h t e noch schlimmer, wiewohl unstreitig der gelehrteste Mann in seiner Art, den man im ganzen Reiche hatte finden können. Die Geschichte war das Lieblingsstudium des Prinzen, und wirklich erwarb er sich eine Fertigkeit darin, womit er bey tausend Gelegenheiten sich und seinem Lehrer Ehre machte. Dieser erhielt zur Belohnung die Stelle eines königlichen Geschichtschreibers mit einer grofsen Pension. Konnte der gute Sultan Azor sich einfallen lassen, dafs der Mann, derr er so edel belohnte, die Oberstelle auf einer Ruderbank verdient habe ? Und doch war nichts gewisser. Das Amt eines L e h r e i s d e r G e s c h i c h t e bey einem jungen Fürsten erfodert einen Mann, der mit der wärmsten Rechtschaffenheit einen
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tief sehenden Und viel umfassenden B l i c k , und das reinste sittliche Gefühl mit der scharfsinnigsten Unterscheidungskraft vereiniget. Keine geringem Eigenschaften setzt die vollkommen© Gerechtigkeit voraus, welche er in Zeichnung der Karakter und in Beurtlieilung der Handlungen , sowohl aus dem sittlichen als politischen Gesichtspunkt, auszuüben hat. Er mufs (wenn es mir erlaubt ist, mich durch ein Peyspiel verständlicher zu machen) in A l e x a n d e r n einen dieser ausserordentlichen Sterblichen erkennen, welche die Natur zu Ausführung ungewöhnlich grofser Dinge gebildet hat; welche, w i e die Götter Homers, eine Mittelklasse z w i schen Menschen und höhern Wesen ausmachen, und daher in ihren Lastern w i e in ihren Tugenden mehr als gewöhnliche Menschen sind. Er mufs jedem seiner Vorzüge, jeder seiner Tugenden ihr Recht widerfahren lassen, ohne seiner Laster um jener willen zu sciionen, oder die Schönheit von jenen um dieser willen zu mifskennen. Er mufs fähig seyn, in dem grofsen Entwürfe dieses wohlthätigen Eroberers einen ganz andern Geist zu entdecken, als derjenige w a r , der die A t t i l a ' » antrieb den Erdboden zu verheeren. Er mufs einem M a n n e , der zum Beherrscher der W e l t geboren war, 1 ) aus So w i e der Vernünftige natürlicher W e i s e des Thoren Meister i s t , so hat der vollkommenste Mann
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SPLU&E'I,,
* der erhabenen Leidenschaft, g r o f s e T h a t e n z u t h u n , kein Verbrechen machen; einer Leidenschaft , welche an einem kleineren Geist E h r g e i t z gewesen w ä r e , aber bey jenem der angeborne Enthusiasmus einer I l e l d e n s e e l e w a r . Aber w e h ilnn, wenn er nicht empfindet, dafs der Sieg bey Arbela nicht mehr war, als was zwanzig andre Griechische Feldherren eben so gut hatten bewerkstelligen können als Alexander; und dafs hingegen eine fast übermenschliche Gröfse der Seele dazu erfordert w u r d e , den Arzneybeclier aus der l l a n d seines Leibarztes zu nehmen und mit ruhig heiterm Lächeln auszutrinken, während er demselben mit der andern Hand den Brief hinreichte, worin ihm entdeckt w u r d e , dafs dieser Arzt durch Versprechungen, welche einen Heiligen verführen könnten, bestochen s e y , ihm Gift zu geben! W r eli i h m , wenn er nicht empfindet, dafs Alexander, da er lieber brennenden Durst l'eiden, als etliche seiner Soldaten des W a s s e r s , welches sie ihren schmachtenden Kindern in ihren Helmen zutrugen, berauben w o l l t e , ein g r ö f s e r e r Mann w a r , als da er, von Feldherren und Königen unigeben, zum ersten Mahl vom Thronhimmel der Persischen
ein angebornes R e c h t ü b e r die übrigen zu h e l l s e h e n : es ist ein Gesetz der N a t u r ; sa^te A r i s t o t e l e s , der L e h r e r des g r ü f s t e n u n t e r den .Königen.
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Siiltanen auf das besiegte Asien herab sali; oder wenn er nicht empfindet, dafs der überwundene D a r i u s , in dem Augenblicke, da e r , gerührt von dem edlen Betragen seines Siegers gegen seine Gemahlin und Kinder, niemand als Alexandern für würdig erklärte den Thron des C y r u s zu besteigen, — g r ö f s e r a l s A l e x a n d e r w a r ; — Alexander hingegen in dem Augenblicke , da e r , berauscht von der wollüstigen Pracht der Persischen Könige, beym Eintritt in das innere Gezelt des I^arius ausrief: D i e f s n e n n ' i c h K o n i g s e y n ! von der Hoheit eines Halbgottes zum gemeinen Erdensohn herunter sank. W e i t entfernt von dieser Feinheit und W ä r m e des sittlichen Gefühls, urtheilte der gelehrte M a n n , der den jungen Isfandiar durch die Geschichte zu einem Konige bilden sollte, von den Grofsen und ihren Handlungen nach keiner hessern R e g e l , als nach dem S c h e i n den sie von sich w a r f e n , und ( i n allen»Fall e n , w o er keine besondere Ursache hatte zu loben, w a s er nach seinen Grundsätzen hätte tadeln müssen) nach den V o r u r t h e i l e n der übel zusammen hängenden, schwärmerischen, in einigen Stücken überspannten , in andern allzu schlaffen Sittenlehre, an welche er i n d e n S c h u l e n d e r B o n z e n auf eine mechanische W e i s e angewöhnt worden war. Jeder Eroberer
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DER
GOLDHE
SPIEGEL.
hiefs ihm ein Held, jeder freygebige Fürst grofsmüthig, jeder schwache Fürst gut. Vornehmlich machte er sich zur Pflicht, dem Prinzen von den Fürsten seines Stammes immer die vort e i l h a f t e s t e n Begriffe zu geben, wiewohl es gröfsten Theils auf Unkosten der Wahrheit geschehen mufste. JEr mahlte alles ins Schöne; er vergröfserte ihre guten oder ertraglichen Eigenschaften, stellte ihre Laster in den tiefsten Schatten, und entschuldigte durch sofistische Spitzfündigkeiten was sich nicht verbergen liefs. Kurz , er behandelte ihre Geschichte nicht anders, als ob die Begriffe vom Guten •und Bösen, so bald sie auf einen Grofsen angewendet werden , willkülirlich w ü r d e n , oder als ob der königliche Mantel durch eine talismanische Kraft jedes L a s t e r , das er bedeckt, in eine schöne Eigenschaft verwandeln könnte. —„ M a n mufs gestehen, (pflegte er von einem offenbaren T y r a n n e n , oder von einein in Üppigkeit versunkenen Wollüstling zu sagen) dafs diesfer grofse Sultan in einigen Handlungen seines Lebens die Strenge, welche durch die Umstände seiner Zeiten nothwendig gemacht w u r de , etwas weiter getrieben hat als zu wünschen w a r " — oder: „Es ist nicht zu läugnen, dafs seine Neigung zu den Ergetzungen nicht immer in den Schranken der weisesten Mäfsigung blieb; aber diese Schwachheiten (setzte er h i n z u ) wurden durch so viele grofs» Eigenschaften
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vergütet, df'fs es eben so unbillig als u n e h r e r b i e t i g w.ive, sich dabey aufzuhalten." Der junge Prinz hätte nicht so schlau seyn müssen als er w a r , wenn er sich nicht einige kleine Grundsatze hieraus gezogen hatte, welche das wenige Gute, das der Unterricht seines Sittenlehrers in seinem Gemuthe übrig gelassen hatte, vollends vernichteten; zum Beyspiel: „dals die Laster eines Fürsten ein Gegenstand .soyen, von welchcm man mit E h r e r b i e t u n g reden müsse; dafs ein Fürst um so weniger vonnöthen habe seinen schlimmen Neigungen Gewalt anzuthun, weil es immer in seiner Macht stehe, das ßiise, das er thut, wieder zu v e r g ü t e n ; dals man es einem Sultan desto hoher anrechnen müsse, wenn es ihm gefallt einige gute Figenschaften zu haben, weil es blofs au ihm l a g , u n g e s t r a f t -so schlimm zu seyn als er nur gewollt hätte, u. dgl. m. Der junge Isfandiar ermangelte nicht, aus diesen und ahnlichen Sätzen, welche aus der verkehrten W e i s e , w i e ihm die Geschichte beygebraclit w u r d e , . z u folgen schienen, sich eine g e h e i m e S i t t e n l e h r e zu seinem eigenen Gebrauch zu bilden, welchc desto gefahrlicher w a r , da sein von Natur wenig empfindsames Herz keine Neigungen hatte, welche seinen Launen und Leidenschaften das Gegengewicht hatten halten könrieu. AVu u i n s sjn.mil. \\ VII. B.
B
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GOLJJNJi
ä i l ü G E I .
I c h liabe m i c h , n i c h t o h n e G e f a h r dem Sultan meinem H e r r n lange W e i l e z u machen, b e y der E r z i e h u n g des Prinzen I s f a n d i a r verw e i l t , w e i l ich ü b e r z e u g t b i n , dafs sie grolsen Tlieils an d e n T h o r h e i t e n u n d L a s t e r n Schuld i s t , w e l c h e die R e g i e r u n g dieses unglücklichen F ü r s t e n auszeichnen. A b e r , w e n n diefs w ä r e , sagte S t h a c l i - G e - * b a l , w i e viele Königssöhne in der W e l t jnüfst e n eben so schlimm seyn als dein I s f a n d i a r ! D e n n ich b i n g e w i f s , dafs u n t e r zehen k a u m E i n e r i s t , der sich einer bessern E r z i e h u n g r ü h men kann. S i r e , ( a n t w o r t e t e Dauischmend) dieses letzte als eine E r f a h r u n g s s a c h e v o r a u s g e s e t z t , liefse sich schlielsen, die meisten F ü r s t e n w ü r d e n , d u r c h eine b e s o n d e r e V o r s e h u n g w e l c h e f ü r das Beste der M e n s c h h e i t w a c h t , mit einer so vortrefflichen A n l a g e in die W e l t geschickt, dais s i e , alles dessen was die E r z i e h u n g an ihnen v e r d e r b t u n g e a c h t e t , immer n o c h g u t genug b l i e b e n , u m u n s zu zeigen w i e v o r t r e f f lich sie h ä t t e n w e r d e n k ö n n e n , w e n n der Keim der Vollkommenheit in ihnen entwickelt u n d ¿ u r R e i f e gebracht w o r d e n w ä r e . "Wofern diefs ni&ht e t w a n n Ironie i s t , sagte Schach - G e b a l l ä c h e l n d , so b e d a n k e ich mich
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E
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b e y dir im Nahmen aller, die b e y dieser sehr verbindlichen
Hypothese
etwas
zu
gewinnen
haben. I c h empfinde meine P f l i c h t zu s t a r k , (erwiederte Danischmend) um von einer so ernsthaften Sache reden.
anders als in vollem Ernste z u
Und ich d e n k e , nichts kann dem hohen
B e gOr i f f ,' den w i r uns von der Güte des unsichtbaren Ilegierers der W e l t zu machen schuldig s i n d , gemiifser s e y n , als der G e d a n k e , dafs er ( ordentlicher W e i s e w e n i g s t e n s ) nur die schönsten Seelen z u seinen U n t e r k ö n i g e n in den verschiedenen Theilen des Erdkreises ernenne. W e n n mir erlaubt ist meine M e i n u n g über eine
Sache
sprach
von dieser W i c h t i g k e i t z u sagen,
die schöne N u r m a h a l ,
so denke
ich,
Danischmend habe niemahls etwas wahrscheinlicheres gesagt. tet,
so dünkte
W ä r e es nicht so w i e er behaupmich unerklärbar,
woher
es
komme, dafs unter z w a n z i g grofsen Herren kaum E i n e r so schlimm i s t , als sie alle z w a n z i g seyn sollten,
w e n n man b e d e n k t , w a s die L e b e n s -
a r t , worin sie a u f w a c h s e n , die verkehrten Begriffe , w e l c h e sie unvermerkt einsaugen, M ü h e , die man sich g i e b t ,
die
durch Schmeiche-
l e y , niederträchtige Gefälligkeit und schlaue Verführungskünste
ihren K o p f
und
ihr Herz z u
verderben, b e y g e w ö h n l i c h e n Menschen für eine W i r k u n g tliun nuifsten.
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GOLDNE
SPIEGEL,
Ich zweifle nicht, meine guten Freunde, sagte der Sultan, dafs alles diefs eine abgeredete Schmeicheley i s t , die ihr mir sagen wollt. Indessen ist doch wenigstens die Wendung, die ihr dazu genommen habt, zu loben. Aber ich sehe nicht, Danischmend, was der Taugenichts Isfandiar dabey gewinnen kann. In der T h ä t , versetzte Danischmend, es mangelte i h m , w i e ich bereits erwähnte, an dem Kostbarsten, was die Natur einem Sterblichen , sie mag ihn zum I'flug oder zu einer Krone bestimmt haben, geben kann, an einer e m p f i n d s a m e n S e e l e . Diesen Mangel kann auch die vollkommenste Erziehung nicht ganz ersetzen; aber, da sie doch wenigstens e t w a s tliun k a n n , (denn warum sollte sich die ¡\atur nicht eben sowohl verbessern als verschlimmern l a s s e n ? ) so sind in einem solchen Falle, die L e u t e , deren Amt diefs i s t , desto grofsere Verbrecher , wenn sie darin saumselig sind. \ ermuthlich fehlten sie mehr aus Ungeschicklichkeit als aus Bosheit, sagte die Sultanin. Ich wurde selbst nicht .strenger von ihnen geurtheilt haben, erwiederte Danischmend, wenn es weniger gewifs w ä r e , dafs diese Herren ( wiewohl sie ihre wahre Absicht unter der ge-
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E l l .
wohnlichen F r a s e l o g i e von Menschenliebe, Patriotismus und Uneigennützigkeit verbargen) insgesammt kein höheres Augenmerk hatten, als i h r G l i i c k z u m a c h e n ; ein Zweck, den sie am gewissesten zu erhalten glaubten, wenn sie keine Gelegenheit versäumten, sich durch eine wenig bedenkliche Gefälligkeit in das Her/, des künftigen Thronerben einzustehlen So fehlerhaft indessen die Erziehung dieses Prinzen w a r , so würde doch der Schade, den sie ihm zufügte, nicht unheilbar gewesen seyn, wenn er nicht das Unglück gehabt hätte, einem gewissen K a m f a l u in die Hände zu fallen, der e i n B ö s e w i c h t a u s G r u n d s ä t z e n , aber d e r a n g e n e h m s t e B ö s e w i c h t war, den man jemalils gesehen hatte. Ich werde, um dem Karakter dieses Menschen sein gehöriges Licht zu geben, genöthiget s e y n , eine kleine Digression in die Gelehrtengeschichte der damahligen Zeit zu machen. Es lebte damahls ein Schriftsteller, Nalimens K a d o r , der sich von dem grofsen Haufen der moralischen Schreibor seiner Zeit durch eine Art von A n t i p a t h i e gegen alles A u fg e d u n s e n e und G e z i e r t e in Empfindungen, Begriffen und Sitten, und überhaupt durch eine merkliche Entfernung von der Kunstsprache sowohl als von den Maximen jenes grofsen.
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Haufens unterschieden hatte. Es ist natürlich, dafs die besagten Schreiber mit diesem Unterschied um so weniger zufrieden w a r e n , w e i l das Publikum zwischen ihren Schriften und den seinigen noch einen andern Unterschied machte, der ihrer Eitelkeit nicht gleichgültig seyn J;onnte. Man las nehmlich seines W e r k e mit einem Vergnügen, welches immer die Begierde zurück liels sie wieder zu lesen; da hingegen die ihrigen ordentlicher W e i s e nur zum Einpacken der seinigen gehraucht wurden. Sie hätten mehr oder weniger als gewöhnliche Menschen seyn müssen, wenn sie dieses nichtsehr übel hätten finden sollen. Sie suchten den Grund davon nicht in der schlechten Beschaffenheit der übel zubereiteten und unverdaulichen Nahrung, welche sie dem Geist ihrer Zeitgenossen vorsetzten, sondern ( w i e natürlich w a r ) in der Verdorbenheit des menschlichen Heizens, welchem K a d o r , ihrem Vorgeben nach, auf die unerlaubteste W e i s e schmeichelte. Denn der scherzende T o n , worin er zuweilen sehr ernsthafte Wahrheiten sagte, und die launige Freyjnüthigkeit, womit er der Heucheley die Maske abnahm und der Verblendung die Augen öffnete, waren in den ihrigen untrügliche Zeichen seines bösen Willens gegen die Tugend. In der That dachte K a d o r von den Tugenden der Sterblichen nicht ganz so günstig, als diejenigen, welche selbst für Muster
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Angesehen werden w o l l e n , zu wünschen Ursache haben. E r leitete die meisten praktischen Urtheile und Handlungen der Mcnschcn aus den mechanischen Wirkungen fysisclier Ursachen , oder aus den geheimen Täuschungen der Einbildung und des Herzens h e r ; und je erhabener die Beweggründe w a r e n , aus welchen jemand zu handeln vorgab, desto gröfser war das M i f s t r a u e n , welches er entweder in die R e d l i c h k e i t dieses Jemands oder in die G e s u n d h e i t s e i n e s G e h i r n e s setzte. W i e w o h l er überhaupt eine sehr gute Meinung von der m e n s c h l i c h e n N a t u r hegte, so behauptete er doch, dafs sie, binnen etlichen tausend Jahren, durch die unaufhörliche Bemühung an ihr zu k ü n s t e l n , zu bessern und zu p u t z e n , so übel zugerichtet worden s e y , dafs es leichter w ä r e an einem verstümmelten Gotterbilde die Majestät des Gottes, den es vorgestellt, als in den m e n s c h l i c h e n K a r r i k a t u r e n , die sich vor unsern Augen herum b e w e g e n , die ursprünglich schöne Form der Menschheit zu erkennen. Indessen gab es doch, seiner Meinung n a c h , immer eine Anzahl s c h ö n e r S e e l e n , welche, ( d u r c h glückliche Zufälle, oder, wie er geneigter w a r zu glauben, durch die geheimen Veranstaltungen einer wolilthätigen Gottheit) w o nicht ganz unverstümmelt, doch wenigstens nur mit leichten Beschädigungen, noch ganz leidlich davon gekommen wären. E r erklärte
DER.
GOI,BSE
SPIEGEL.
sich für den wärmsten Liebhaber dieser schönen Seelen: von ihnen allein dacht' er g u t ; ihnen allein traute er jede edle Gesinnung, und die Fähigkeit, der Tugend grofse Opfer zu bring e n , zu. Die übrigen mochten noch so künstlich angestrichen, noch so Gothiscli heraus geputzt, in noch so weite und lang schleppende Mantel eingehüllt s e y n , k u r z , sich noch so viele M u h e geben, durch entlohnte Zierathen und äufserliche Formen von Weisheit und Tugend Hochachtung zu erwecken: an ihm verloren sie ihre Mühe. E s s i n d P a g o d e n , pflegte er lächelnd zu sagen, welche sehr wohl tliun, sich, w i e die Sinesisclien, in weite Mäntel zu liüllen; durchsichtiges Gewand würde ihre Ungestalt zu sichtbar machen. K a d o r mochte wohl so unrecht nicht haben, als die Pagoden, seine Gegner, die W e l t gern uberredet hätten. Gewifs ist, dafs der bessere Theil der W e l t sich nicht überreden lassen wollte , und dafs er gerade so viele gesunde Köpfe und schöne Seelen, als man ihrer damalils in Scheschian zählte, auf seiner Seite hatte. Selbst diejenigen, welche nicht in allen Stücken seiner Meinung w a r e n , billigten sowohl seine A b s i c h t e n als die M i t t e l wodurch er sie ausführte, und erkannten in ihm den aufrichtigen Liebhaber des W a h r e n , und den wohl meinenden Freund der Menschheit. Aber zufälliger W e i s e hatte er das Mifsvergnügen, dafs einige
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EIL.
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seiner Grundsätze von einer Art von Leuten gemifsbraucht wurden , denen es gleich stark an feinerem Gefühle des Herzens und an Richtigkeit der Beurtheilung mangelte. Das W a h r e grenzt immer so nahe an den Irrthum, dafs man keinen grofsen Sprung vonnöthen hat, aus dem sanft sich empor windenden Pfade des einen in die reitzenden Irrgärten des andern sich zu verirren. Diese Leute gaben sich das Ansehen, dem besagten Schriftsteller in allem beyzustimm e n , einen einzigen Punkt ausgenommen. „ E r hat R e c h t , sagten sie, so lang' er in seinem wahren Karakter bleibt, so lang' er das Eitle der menschlichen Begriffe und Leidenschaften schildert, und das Lächerliche ihrer Forderungen an Weisheit und Tugend aufdeckt. Aber er s c h w ä r m t selbst, sobald er von schönen Seelen, von der Zauberey der Empfindung, von Sympathie mit der Natur, und von der Göttlichkeit der Tugend fabelt. E s giebt keine schöne Seelen, und nur ein Thor glaubt an die Tugend. W a s die Menschen Tugend nenn e n , besteht, wie die Münze in gewissen L ä n dern , in einer Anzahl • abgeredeter Zeichen, welche man tinter einem gewissen Stempel fiir einen gewissen Preis in Handel und Wandel gelten zu lassen übereingekommen ist. Der innere Werth kommt dabey gar nicht in Betrachtung. Dem K o r n nach ist eben so wenig Unterschied zwischen dem Schelm, der gelian-
£6
Der
coldne
Spiegel.
gen wird, dem Nachrichter, der ihn hängt, und dem Richter, der ihn hängen läfst, als zwischen dem geschmeidigen E u r o p ä e r , dem aufgeblasenen P e r s e r , dem andächtigen A r m e n i e r , dem höflichen S i n e s e n , und dem rohen K a m t s c h a d a l e n . Das G e p r ä g e macht den ganzen Unterschied." Die L e u t e , welche so dachten, fanden hald Anhänger genug, um eine zahlreiche Sekte auszumachen. Sie nannten sich d i e F i l o s o f e n , und wer nicht von ihrer Brüderschaft w a r , hatte die Freyheit von den Titeln Bet r ü g e r oder S c h w ä r m e r welchen er wollte auszuwählen. Denn nach ihren Grundsätzen mufste er nothwendig eines von beiden seyn. Der ehrliche K a d o r erfuhr die Kränkung, von der kurzsichtigen Menge mit diesen anmafsliclien Filosofen in Eine Linie gestellt zu werden, weil sie auweilen seihe Sprache redeten, und in gewissen Stücken eben das i u thun schienen, was E r gethan hatte. Man konnte oder wollte nicht gewahr werden, dflfs nichts verschiedener seyn konnte, als der G e i s t , welcher i h n , und d e r welcher d i e s e F i l o s o f e n beseelte, und als der E n d z w e c k , deri E r und S i e sich vorgesetzt hatten. Wenn E r des Schwärmeis spottete, und den Afterweisen, den Betrüger, oder den Selbstbetrogenen ihrer Ansprüche an Weisheit und Tugend entsetzte:
"Z W E T T E
IV
T
B
I
U
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so geschah es auf eine W e i s e , welche in Personen von gesundem Urtheile keinen Zweifel veranlassen k o n n t e , dafs er es nicht redlich mit Wahrheit und Tugend meine. W e n n S i e hingegen eben diefs zu thun schienen, fiel es in die Auge«, dafs ihre Absicht s e y , die T u gend selbst lächerlich zu machen, und den ewigen Unterschied zwischen W a h r und Falsch, Recht und Unrecht aufzuheben. Der Schmerz, sich mit einer Klasse von M e n s c h e n , die er \ r erachtete, vermengt zu sehen, und die Gef a h r , durch den Muthwillen der einen u n d den Unverstand der andern wider seinen W i l len Böses zu t h u n , brachte i h n , ohne dafs er sich einen Augenblick bedachte, zu der einzigen Entschliefsung, welche in solchen Umständen eines- ehrlichen Mannes würdig w a r . E r erklärte sich öffentlich, und mit Verachtung des Tadels und der V o r w ü r f e , welche er von beiden Gattungen zu erwarten h a t t e , f ü r die Sache der Tugend. Aber da e r , seiner Uberzeugung t r e u , f o r t f u h r , keine Tugend gelten zu lassen., welche n i c h t , zum untrüglichen Zeichen ihres innern W e r t h e s , mit dem S t e m p e l d e r s c h ö n e n N a t u r bezeichnet w a r : so erfolgte was er vorher gesehen hatte. * ,,Die besagten Filosofen und der Pöbel der Moralisten waren in gleichem Grade unzufrieden mit ihm." Beide fanden in seinen Schriften so viel Vorwand als sie nur wünschen' konnten,
28
D E R GOLD NE
Spiegel.
seine Grundsätze und seine Abstellten in ein falsches Licht zu stellen; und ain Ende zeigte sich, dafs er mit allen seinen Bemühungen nichts gewonnen hatte, als die kleine Zahl der Vernünftigen in der Uberzeugung zu stärken: „ D a f s B l ö d i g k e i t des G e i s t e s u n d Verk e h r t h e i t des H e i z e n s g l e i c h unheilb a r e Ü b e l s i n d ; dafs es zwar nicht unmöglich i s t , durch mechanische Mittel den grofsen Haufen der'Menschen zu einer ganz leidlichen Art von — T h i e r e n zu jnachen; a b e r , d a f s W e i s h e i t und Güte e w i g ein f r e y w i l liges Geschenk bleiben werden, welches der Himmel nur den schönen Seelen macht." W a s du uns hier erzahltest, Danischmend, möchte sich an einem andern Orte ganz gut liaben hören lassen, sagte der Sultan: aber du scheinst darüber vergessen zu haben, dafs die Rede nicht von deinem Freunde Kador, sondern von dem Prinzen I s f a n d i a r , und von einem gewissen schelmischen K a m f a l i i war, den du uns als Werkzeug der Glückseligkeit seines Vaterlandes zu werden, sich hintergehen liefs. Diese Hoffnung lief« die ganze ^ a c h t durch keinen Schlaf in seine Augen kommen; aber sie entschädigte ihn dafür durch die angenehmsten T r ä u m e , die jemahls die Seele eines Menschenfreundes gewieget haben. M i t der unumschränkten Gewalt des Sultans bekleidet, zweifelte er keinen Augenblick an dem Erfolge seiner Bemühungen. Denn es w a r eine von den M a x i m e n , die er immer im M u n d e zu führen pflegte: D i e G r o f s e n könnten alles, was sie ernstlich w o l l t e n . W e l c h e , W o n n e ! rief er a u s : in kurzem soll der M a n n , der im ganzen Indos-
Z W E T T E R
T H E ( I..
57
tan am wenigsten glücklich ist, der Sultan seiber seyn! So bald die ersten Sonnenstrahlen den Horizont rötheten, stand Danischmend im Vorzimmer, so munter als ob niemand benser geschlafen hätte als er. Aber es vergingen drey oder vier Stunden, bis Schach- Gebal, wiewohl ec in der Tbat nichts wichtigers zu thun hatte, y,eit finden konnte, sich seiner zu erinnern. Ist Danischmend da? fragte er endlich, nachdem er woliVdreymahl war berichtet worden, d a f s D a n i s c h m e n d d a s e y . L>afst ihn berein kommen! — Der arme Filosof, der inzwischen Zeit genug gehabt hatte, aus seinen schönen Träumen zu erwachen, (denn zu den Träumen iiues Menschenfreundes kann wohl kein unbequemerer Ort seyn, als ein Vorgeuiach) schlich mit gesenkten Ohren herbey. H a , mein guter Danischmend, rief ihm der Sultan mit einet jovialuchen Stimme zu, ich hatte dich ganz vergessen. Was bringst du uns Neues, Danischmend? Diese Anrede hätte einem feinem Höfling, als unser Filosof w a r , die undankbare Mühe erspart, Seine Hoheit an einen unangenehmen Gegenstand zu erinnern, dessen Andenken Sie, wie es Achien, glücklich verschlafen hatten. Aber Danischmend hätte so lange an dem Hofe zu Dehli leben können als Nestor, ohne jemahls ein Hofmann zu Warden.
53
DER
GOIDSE
SPIEGEL.
Er erinnerte also den Sultan an feeinen gestrigen Schwur. Schach-Gebal hörte a l l e s , was ihm der gute Mann zu sagen hatte, init vieler Gntälligkeit an. Aber bedenkst du auch, sagte Gebal, daf» du in drey Jahren nicht fertig werden könntest, wenn du alle meine Frovinzen durchreisen, und von Haus zu Haus dich er* kundigen wolltest, w i e sich die L e u t e befinden ? Ich kann mich unmöglich entschliefsen, dich so lange zu entbehren. W e i f s t du was, Danischinend ? Das erste M a h l , wenn ich auf die Jagd reite, sollst du mich begleiten. W i r werden da leicht Gelegenheit finden, uns von meinen übrigen L e u t e n zu entfernen.,' und dann •wollen w i r , ohne uns zu erkennen zu geben, die Nacht in irgend einem abgelegnen Dorfe zubringen. Finden w i r dort eine lebendige Seele, w e l c h e Böses von mir spricht, so soll mir der E m i r , in dessen Bezirk der Ort gehört, dafür Rechenschaft geben. Ich will ihn zu einem Beyspiel für die übrigen machen, und verlafs dich darauf, dafs es nicht ohne W i r k u n g seyn soll. Indessen können w i r mit Mufse an die Ausführung deiner Entwürfe denken. Aber sage mir, Danischmend, hast du ausfündig gemacht, w e r d i e d r e y K a l e n d e r waren, w i c h e gestern, jenseits des Flusses, den Gärten meines Serails gegen über, unter der grofsen Cypresse safsen?
Z W E I T E R
T H E X L .
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Danischmend hustete noch zu rechter Zeit einen Seufzer w e g , der ihm entgehen wollte, und von diesem Augenblick an w a r die Rede — von den drey Kalendern.
3I n der folgenden N a c h t w u r d e , bis der Sultan einschlief, von — d e n d r e y K a l e n d e r n gesprochen. Nurmahal und der junge Mirza hatten sehr viel von ihnen zu sagen. D i e N a c h r i c h t e n , welche man über diesen wichtigen Gegenstand eiuuog, w a r e n so mannigfaltig , hingen so wenig z u s a m m e n , u n d schienen so viel geheimnifsvolles zu verratlien, dafs man etliche Nächte hinter einander von nichts anderin reden k o n n t e , als von den drey Kalendern. Inzwischen lief doch am Ende alles darauf h i n a u s , dafs man nichts sonderliches von ihnen w ü f s t e , und dafs es sich in der T h a t der M ü h e nicht verlohnte, mehr von ihnen wissen zu wollen. Endlich w u r d e Schach-Gebal dieses Zwi* schenspiels überdrüssig. I h r seyd mir feind
Z W E I T E R
T H E X L .
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Danischmend hustete noch zu rechter Zeit einen Seufzer w e g , der ihm entgehen wollte, und von diesem Augenblick an w a r die Rede — von den drey Kalendern.
3I n der folgenden N a c h t w u r d e , bis der Sultan einschlief, von — d e n d r e y K a l e n d e r n gesprochen. Nurmahal und der junge Mirza hatten sehr viel von ihnen zu sagen. D i e N a c h r i c h t e n , welche man über diesen wichtigen Gegenstand eiuuog, w a r e n so mannigfaltig , hingen so wenig z u s a m m e n , u n d schienen so viel geheimnifsvolles zu verratlien, dafs man etliche Nächte hinter einander von nichts anderin reden k o n n t e , als von den drey Kalendern. Inzwischen lief doch am Ende alles darauf h i n a u s , dafs man nichts sonderliches von ihnen w ü f s t e , und dafs es sich in der T h a t der M ü h e nicht verlohnte, mehr von ihnen wissen zu wollen. Endlich w u r d e Schach-Gebal dieses Zwi* schenspiels überdrüssig. I h r seyd mir feind
D E R
GOL D N S
SPIEGEL.
L e u t e , sagte Schach-Gebal. Ich w i l l die Geschichte des Könfgs von Scheschian wissen, und man spricht mir seit sieben Tagen von nict ts als von Kalendern. Ein ich etwa ein Schach-Riar? Es versteht sich von selbst, dafs es nur auf Seine Hoheit angekommen w a r , diese sieben Tage durch mit andern Gegenständen unterhalten z u ' w e r d e n . Aber, w i e jedermann \yeifs, würd* es sehr unhöflich gewesen seyn, den S u l t a n etwas von dieser Reflexion merken zu lassen. Danischmend setzte demnach seine Erzählung von I s f a n d i a r und seinem Günstlinge folgender M a f i e n fort. Den Grundsätzen des sinnreichen E b l i s zu Folge w a r nichts u n w e i s e r , als ein so gefährliches T h i e r , w i e er d a s V o l k abmahlte, reich werden zu lassen. Aber zum Unglück f ü r die Scbeschianer blieb die Bedeutung des W o r t e s r e i c h so unbestimmt, dafs Eblis die armen L e u t e , so lange sie noch etwas hatten, w a s sich, wenn das Wort Bediirfnifs im engsten Sinne genommen w i r d , entbehren läfst, immer noch zu reich fand. Der A d e l von Scheschian w a r von Alter» her ein Mittelstand zwischen dem Fürsten und
Z W E Y T B K - T H B I X . .
61
dem Volke gewesen. D i e Könige hatten die Edeln als ihre gebornen Räthe und Gehülfen in der V e r w a l t u n g der besondern Theile de» königlichen Amtes betrachtet; und w i e w o h l das Ansehen des Adels, unter dem Tatarischen Stamme, von Stufe ,au Stufe nach eben dem Verhältnisse, wie das königliche stieg, gesunken w a r , so besafs er dogh wsnigstens noch sehr schöne Überbleibsel seiner ehuiahligen Vorzüge. I n allen Staaten, w o sich ein solcher Mittelstand zwischen dem Fürsten und dem Volke befindet, bat man zu allen Zeiten wahrgenomm e n , dafs sich der Adel auf Unkosten des Volk e s , und das Volk sich auf Unkosten des Adel« zu vergföfsern sucht. Jener, da er wenig, Hoffn u n g h a t , seine Hechte auf der Seite des Thrones zu e r w e i t e r n , sucht sich f ü r seine Ergebenheit gegen denselben durch Aninafsungen übet die R e c h t e des Volkes zu entschädigen. D i e s e s , da es sich von allen Seiten gedrängt s i e h t , und leicht begreift, dafs es dem Übergewicht des Thrones am wenigsten widerstehen k a n n , wendet alles a n , sich wenigsten., die kleinen T y r a n n e n vom Halse zu schaffen, deren Joch desto verbalster i s t , je weniger sie i h r e Bedrückungen durch den Vorwand des allgemeinen Besten erträglicher machen können. M a n giebt dem Fürsten w ü l i g e r , weil manweifs,-
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D s a
GOLDVS
S P I E G E L .
dafs die Sorgen für den ganzen Staat auf seinen Schultern liegen, und weil wenigsten» die V e r m u t h u n g vorwaltet, dafs ein Theil der öffentlichen Abgaben zu Bestreitung der öffentlichen Bedürfnisse angewandt werde. Aber alles, was man denjenigen geben muf», welche, dem Könige gegen über, eben so demulhsvolle Unterthanen als die übrigen, in dem Bezirke hingegen, wo iie zu befehlen haben, kleine Monarchen vorstellen, sieht man als unbillig« Erpressungen a n , welche inan seinrn eigenen Bedürfnissen abbrechen mufs, um den Stolz und die Üppigkeit einer Menschenklasse zu nähren; die man für sehr entbehrlich hält, weil der Vortheil, den sie dem Ganzen verschaffen, nicht sogleich in die Sinne fällt. D i e Könige bab^n von jeher sich dieser gegenseitigen Gesinnung des Adels und des Volkes zur Ausdehnung ihrer eigenen Gewalt gar meisterlich zu bedienen gewufst. Sie haben das Volk gebraucht, den Adel niederzudrücken ; und so bald dieser Zweck erreicht w a r , dem A d e l , dessen Bqystand sie gegen den besorglichen Übermuth des Volkes vonnöthen zu haben glaubten, die Werkzeuge seiner Unterdrückung Preis gegeben. D a es zu spät w a r , w u r d e Volk und Adel gewahr, dafs sie sich zu einer sehr albernen
Z W B Y T E R
Tll S i t .
6$
Holle hatten gebrauchen l a s s e n ; „dafs in einem S t a a t e , w o da» Volk im Besitze grofser Vorrechte i s t , die Vorzüge des Adel* dem Volk eben so heilig seyn sollen , als seine eigenen ; und daf» j ^ s r von diesen beiden Ständen nicht nur seine eigene, sondern die allgemeine Sicherheit und den öffentlichen Wohlstand-untergräbt, wenn er die Rechte des andern «tt schwächen oder seinen besondern Nutzen auf Kosten des andern zu vergröisern sucht." Die Scbeschianer waren in diesem Stücke nicht vorsichtiger gewesen, als viele andre Völker. Oer H o f hatte sich ihre Tborheit zu Nutze gemacht, w e i l das Interesse der H ö f l i n g e ist, die Autorität eines Herrn, der durch ihre Einflüsse regiert wird, und in des•en Gewalt sie sich theil&n, so unumschränkt zumachen, als sie können. Sie überredeten dio Könige, — und nichts kostet weniger Mühe, als diese Überredung — dafs ein Fürst an Ansehen und Macht g e w i n n e , w a s sein Adel und sein Volk an Freyheit und Reichthum verliere; und die guten Könige dachten gewiis an nichts w e n i g e r , als an die unfehlbare Folge der politischen (Operazion, w o z u sie sich so leicht bereden liefsen. Die E r f a h r u n g mufste s i « belehren, „dafs ein D e s p o t , dessen A d e l aus H ö f l i n g e n und dessen V o l k aus B e 1 1 » l e r n besteht» — ein Despot, dessen S t ä d t e
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Dee ooldme Spiegel.
o h n e E i n w o h n e r s i n d , und dessen L ä ndereyen brach liegen und verwild e r n ; ein Despot, der anstatt über zwanzig Millionen glücklicher M e n 8 c h e n , über halb so viel tiiige, mifsverguügte und muthlose S k l a v e n zu gebieten h a t , — dafs dieser Despot ein viel kleinerer Herr s e y , als ein eingeschränkter Fürst, der nicht spitzfündig genug i s t , einen Unterschied zwischen seinem Nut* Ben und dem Nutzen s e i n e r U n t e r t h a n e n »u machen, sondern einfältiglich der Stimme •eines Menschenverstände} glaubt, die ihn versichert, dafs es besser s e y , der geliebte Vater von den Bewohnern eines kleinen Landes, als der gefürchtete Tyrann einer ungeheuern Einöde zu s e y n , in welcher hier und da noch hervorragende Trümmer das Zeugnifs ablegen, dafs einst Menschen da gewohnt haben, w e l che bessere Zeiten sahen, a l s die seinigen. 1 ' D i e Eifa Ii ru Dg mufste die Könige von Seheschian von dieser grofsen Wahrheit, dem Grundpfeiler aller wahren Staatskunst, unterrichten; aber, w i e Isfandiar vielleicht anfing,sie gewahr zu werden — w a r es zu spät; Unter der Regierung des schwachen Azors w a r der gröfste Theil des Adels durch den übermäfsigen Aufwand, w o z u er von dem Beyspiele des Hofes verleitet und gewisser M a f i e n
Z W' B I
T E H
T a i n ,
genöthiget w u r d e , in selir kurzer Zeit d a b i n gebracht w o r d e n , in den niedrigsten H o f k ü n sten d i e M i t t e l zu s u c h e n , diesen A u f w a n d auf andrer L e u t e Unkosten fortzusetzen. U n t e r Isfandiarn w u r d e da» W e r k der ,vorher gehend e n R e g i e r u n g e n , und der eigenen J'liorheit der Edeln vollendet. Ubermäfsige ' Unglricbbeit ist die verderbliche Pest eines Staats, sagte Eblis. U n d so mufste eint» sehr w i c h t i g e , aber in den H ä n d e n eines verächtlichen W e r k z e u g e » der T y r a n n e y sehr ubel versorgte W a h r h e i t t u m V o r w a n d e dienen , den A d e l zum V o l k u n d b e i d e zu S k l a v e n h e r a b z u w ü r d i g e n . Vor dem blendenden Glänze des Throne« verschwand aller Unterschied. Isfandiar s a h den edelsten E m i r des Reichs und de» niedrigsten Tagelöhner gleich weit u n t e r s i c h , und es w a r ein Spiel f ü r i h n , aus eiuein Reitknechte, w e n n es ihm einfiel, einen Fürsten zu machen. D i e f s w a r das u n f e h l b a r e M i t t e l , jeden Uberrest von T u g e n d u n d E h r e , der noch in d e n ausgearteten Söhnen besserer Väter glimmte, zu ersticken. D i e Edeln s a n k e n , so w i e sie sich an eine solche Behandlung g e w ö h n e n lernten , zu wirklichem Pobel h e r a b ; u n d w e n a sie sich noch durch e t w a s von ihm unterschied e n , so war es durch einen höhern Grad von. Unwissenheit und Ungezogenheit, durch schlech» tere S i t t e n , u n d einen vollständigem Verlust alles moralischen G e f ü h l s , aller Scheu vor sich WiEtABDS sämnnl. W . VII. B. E
66
D e r GOiDKE
Stiioit,
selbst, vor dem Urtheil ihrer Zeitgenosten, u n d vor dem furchtbaren und unbestechlichen Gerichte der Nachwelt. Unfähig sich zu Wem grofsen Gedanken ihrer wahren Bestimmung zu e r h e b e n , unfähig sich in dem schönen L i c h t e ^ g e b o r n e r F ü r s p r e c h e r des Volkes und M i t t l e r z w i s c h e n ihm u n d d e m Thron anzusehen, setzten sie ihre E h r e in eine unbedingte Unterwürfigkeit unter die gesetzlose Willkühr des Sultans; sie wetteiferten um deir Vorzug die Werkzeuge seiner schändlichsten Leidenschaften, seiner ungerechtesten Befehle zu seyn. W e r am niederträchtigsten schmeicheln, am wurmähnlichsten kriechen , am geschicktesten betrügen konnte, wer den " M u t h hatte einer Schandthat mit der unerschrockensten Miene unter die Augen zu geh e n , kurz w e r sich aller dieser Schwachheiten der menschlichen N a t u r , die man Scham, Mitleiden und Gewissen n e n n t , am vollkommensten entlediget, und in der Fertigkeit des Lasters, in der K u n s t , es mit dem edelsten .Anstände, mit der leichtesten Grazie auszuüben, den höchsten Gipfel erreicht hatte, — » w a r der beneidete M a n n , den die geringem Bösewichter mit Ehrfurcht ansahen; der M a n n , det gewils war sein Glück zu machen, und nach welchem jedermann sich zu bilden beflissen w a r . " Zu einem so gräfslichen Zustande von Verderbuifs hatte das Gift der Grundsätze des
Z w e i t e r sinnreichen
Eblis
T H E I L.
67
di» Scheschianer gebrarlit;
und so gewifs ist e s , dafs die M e n s c h e n , eben so leicht als ein weisrr und guter
Fürst sie z u
guten Geschöpfen bilden k a n n , sieb von eiue-in Isfandiar zu Ungeheuern umgestalten lassen. D i e s e r bassenswürdige T y r a n n begnügte sich n i c h t , durch alle Arten von Räuberey und Unr terdrückung
«eine
Unterthaneu
so
elend
zu
m a c h e n , als e s , ' o h n e sie gänzlich und auf einniahl aufzureiben, möglich w a r : er wollte sie auch dahin bringen, dafs sie u n f ä h i g die
Tiefe
Wenn
ihres
Elendes
wären
einzusehen.
er dabey die '.Absicht gehabt h ä t t e ,
nen das G e f ü h l desselben z u b e n e h m e n , er machte dafs sie es f ü r ihren
ih-
indem
natürlichen
Zustand
hielten, so hätte man es ihm noch
für
Uberrest von Menschlichkeit
einen
lassen können.
gelten
Aber Isfandiar w ü r d e sehr be-
schämt g e w e s e n seyn , z u dem V e r d a c h t e , dafs et einer solchen S c h w a c h h e i t fähig w ä r e , Anlais zu
geben.
dabey,
als es ihnen u n m ö g l i c h
E r hatte keine andre Absicht
auch
nur
„dafs
Menschen
könnten,
den
blofsen nicht
sich v o n
Gedanken dazu
einem
6ehr mifshandeln zu lassen." wurde fernen,
Sorge
zu machen, zu
fassen,
erschaffen Menschen
seyn so
Z u diesem E n d e
getragen alles von ihnen z u ent-
w a s ihnen einen gesunden Begriff von
der B e s t i m m u n g
und
den
Hechten
der
» Schäferstabes einen Zepter t u führen ; und das fürstliche Blut, das in seinen Adern flofs, sagte ihm so wenig von irgend einem angebornea Vorzüge vor den Leuten mit denen er lebte, dafs er vielmehr einen jeden mit einem Gefühl •on Ehrerbietung ansah, welcher besser arbeiten konnte,und also n ü t z l i c h e r w a r a l s e r . Oft w e n n Dschengis den jungen Prinzen, in seinem Kittel von grober L e i n w a n d , mit beschwitzter Stirne von der Feldarbeit zurück kommen sah, lachte er bey sich selbst über die Unverschämtheit jener Schmeichler, welche die Grofsen der W e l t bereden w o l l e n , als ob s o g a r i n i h r e m B l u t e ich weif» nicht w a s für eine geheimnifsvolle Zauberkraft walle, die ihrer ganzen Person und allen ihren Trieben und Handlungen eine gewisse Hoheit mit-
Z W J S Y T K R
T H E I 1.
Xlt
¿ h e i l e , welche sie von gemeinen Menschen unterscheide und diese ¡«(¿tern zu «iner u n f r e i willigen ILlirfurclit zwinge. W e r dächte, daf» dieser junge Baur.r einKonigssolin w ä r e ? sagte er zu sich selbst. Er ist wohl gebildet; seine Augen sind voller F e u e r ; »eine Züge bezeichnen eine gefühlvolle und wirksame beele: aber bey dem allem erkennt, auiser mir selbst, niemand der ihn sieht etwas anders in i h m , als einen zum Karst und Pfluge gebornen Bauernsohn, und er selbst ist vollkommen überzeugt, dal's H y s u m , unser Nachbar, ein ungleich besserer Mann ist als er. Diese Betrachtung schmeichelt den Furstensöhnen nicht, sagte Schach - Gebal, und ich gestehe, dafs ich sie nie gemacht h a b e ; aber n u n , da sie gemacht i s t , däucht m i r , sie hat Recht. Die Poeten und Romanschreiber, die uns solche Dinge weifs machen w o l l e n , verdienten etliche Dutzend Streiche auf die Fufs» sohlen d a f ü r ; denn ich w e t t e , sie glauben selbst kein Wort davon. Der junge T i f a n veilor bey der Lebensart, worin ihn sein Pflegevater erzog, die f e i n s Lilienfarbe und das schwächliche Ansehen, w e l ches , wenn er am Hofe zu Scheschian erzogen worden w ä r e , ihn vermuthlich von gemeinen Erdensöhnen unterschieden hätte. Aber es
DER
»12
g o l d j i
SPIEGEL.
g ' w a o n d a f ü r einen starken und d a u e r h a f t e n K ö r p e r , e i n e männliche S o u n e n f a r b e , f r i s c h e » B l u t , •und L i p p e n , zu beifaen,
in w e l c h e er nickt n ö t h i g um
sie r ö t h e r als r e i f e
hatte
Kirschen
z u machen. Indessen w a r der w e i s e D s c h e n g i s w e i t davon
entfernt,
die a n g e b o r n e B e s t i m m u n g
s e s I ' f l e g e s o h n s aus
den
A u g e n zu
sei-
verlieren.
T i f a n hatte i h m fcu v i e l g e k o s t e t , als d a f «
er
• i c h h ä t t e b e g n ü g e n s o l l e n , ihn b l o f s zu e i n e m guten L a n d m u i n e « u
bilden;
denn alles w a s
d e r b e t h ö r t e I s f a n d i e r t h a t , um d i e N a s i o n so schnell
als
möglich
zu
Grunde
zu
richten,
m a c h t e es m e h r als w a h r s c h e i n l i c h , dais T i f a n , vitlleicht
eher als er dazu t ü c h t i g w ä r e ,
aufgefordert Krone
finden
sich
k ö n n t e , sein R e c h t an d i e
g e l t e n d z u machen.
Dschengis
sich also nichts g e r i n g e r e s v o r
—
setzte
und
der
b l o f s e V o r s a t z k l i n g t schon w i d e r s i n n i g , so sehr h a t er das a l l g e m e i n e V o r u r t h e i l w i d e r sich a l s , den j u n g e n T i f a n
(ohne
—
i h m , bin es Z e i t
w ä r e , das g e r i n g s t e v o n s e i n e m V o r h a b e n merk e n zu l a s s e n ) mitten unter lauter H i r t e n u n d Ackerleuten bilden. ohne
zu
eifern
Weisheit
Fürsten
eben so w e n i g
als W i s s e n s c h a f t heit
guten
U b e r z e u g t , dafs G ü t e d e s
ist,
zu
Herzens Tugend,
ohne T u g e n d
Weis-
b e m ü h t e er s i c h , z u e b e n der Z e i t ,
da e r s e i a G e f ü h l
für
das S c h ö n e und
Gute
Z w i r n «
T h k i l .
und jede sympathetische
115
und menschenfreund-
liche Neigung zu nähren und in Frcrtigkeit * u verwandeln
suchte,
seinen
fingeschräakten Bi'gt'itt'en,
Verstand die
von den
sich
von
den
Gegenständen, die ihn u m g a b e n , in seiner Seele abdrückten, stufenweise zu den erhabnen Ideen der
bürgerlichen
Gesellschaft,
menschlichen Geschlechts,
de»
der N a t u r ,
des G a n z e n , und »eines g e h e i m o i f s v o l l e n aber a n b e t e n s w i i r d i g e n heben.
Alle s i t t l i c h e
U r h e b e r s zu er-
Vollkommenheit
eines M e n s c h e n , zu welchem besondern Eeru£ er immer geboren seyn m a g ,
hängt davon ab,
dal* diese Ideen in seinem Verstände, und die Gesinnungen, w e l c h e sich aus ihnen b i l d e n , i n seinem Herzen die Herrschaft führen. keinen Menschen für d e n j e n i g e n , che
Ordnung
Tbeile
der
ist
Aber für
diefs unentbehrlicher alc
der dazu berufen i s t , in
irgend
allgemeinen
schaft zu unterhalten.
einem
sittli-
besondern
menschlichen
Gesell-
W e h e seinen Unterge»
benen und ihm selbst, w e n n seine Seele von dem B i l d e
einer
allgemeinen
Harmonie
und
Glückseligkeit nicht in Entzücken gesetzt w i r d ! wenn
ihm
die R e c h t e
der Menschheit
nicht
heiliger und unverletzlicher sind als seine eigene!
wenn die Gesetze der N a t u r ,
unauslöschlichen Zügen in
mit tiefen
Seine Seele
gegra-
ben , ihn nicht in allen seinen Handlungen leiten ! M i t E i n e m W o r t e , wehe dem Volke, dessen WIELABDS
lämmtl.
W .
VII. B .
H
N 4
D i r ,
G O L D N I
SPIEGEL.
Beherrscher r i e h t lieber d e r B e s t e unter d e n M e n s c h e n als der M ä c h t i g s t e u n t e r d e n K ö n i g e n seyn m ö c h t e ! — Diese Begriffe sind keine Grillen einsiedlerischer Weltbeschauer. Unglücklich genug für das menschliche Geschlecht, w e n n sie von den Grofsen und Mächtigen dafür gehalten w e r d e n ! Aber die Natur der D i n g e hängt n i c h t , w i e das Glück oder Unglück der M e n s c h h e i t , von den BegrilFen der Grofsen ab. Sie können nicht verhindern, dafs d i e S t r a » f e n d e r N a t u r nicht unfehlbar auf die Verachtung eines jeden Gesetzes der Natur f o l g e n ; 2 ) Die vollkommensten Gesetze, sagt S o k r a t e s , sind diejenigen, welche man nicht ungestraft übertreten kann, weil sie uns durch die natürlichen und unvermeidlichen Folgen ihrer Übertretung bestrafen; und er beweiset dem Solisten Antifon, dafs d i e G e s e t z e d e r N a t u r , oder, welches eben soviel sey, d i e a l l g e m e i n e n G e s e t z e G o t t e s , diese unterscheidende Eigenschaft haben. Siehe X e n o f o n s K a r a k t e i u n d m e r k w ü r d i g e R e d e n d e s Sok r a t e s B. IV. Die Gesetzte der Natur und des gesellschaftlichen Lebens sind die Regel der Könige, von welcher sie niemahls ungestraft abweichen können. Die ganze allgemeine Staatsgeschichte ist eilt Komnientarius über diese grofse W a h r h e i t ; und ohne w e i t in die alten Zeiten 'zurück zu gehen, w i r d uns z. E.das Leben eines Philipps II. und Ludwigs XIV. der tragische Tod Karls I. von England, und der Fall seines Sohnes Jakobs II. Beyspiele genug darstellen , sie zu erläutern und zu bestärken.
Z
W
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T-
H E
I
t.
115
und w e n « die bisherige Gestalt des Erdbodens noch Jahrtausende dauern sollte, so wird die Geschichte aller künftigen Alter ¿ich mit der Geschichte aller vergangenen vereinigen, die K ö n i g e zu belehren: dafs jeder Zeitpunkt, worin jene grolsen Grundbegriffe mit D u n k e l bedeckt g e w e s e n , jene wohlthätigen Grundgesetze nicht f ü r da» w a s sie s i n d , f ü r das u n v e r l e t z l i c h e G e s e t z d e s K ö n i g s d e r K ö n i g e , anerkannt worden s i n d , ein Zeitpunkt des öffentlichen E l e u d s , der sittlichen Verderbnils, der Unterdrückung und der allgemeinen Verwirrung, eine u n g l ü c k l i c h e Z e i t für die V ö l k e r -und eins g e f ä h r l i c h e f ü r die K ö 11 i g e gewesen ist. Danischmend w a r , w i e w i r s e h e n , in einet vortrefflichen S t i m m u n g , den Königen M o r a l z u p r e d i g e n ; aber zum Unglück ermangelten seine Fredigten nieinahls, den Sultan seinen Herrn einzuschläfern. D e r gute Doktor w o l l t e eben einen neuen Anlauf nehmen, als er gew a h r w u r d e , dafs seine Z u h ö r e r , jeder in einer eigenen S t e l l u n g r in tiefem Schlummer lagen. D a f s doch meine Moral immer und allezeit eine so narkotische K r a f t hat! sprach er zu sich selbst: ich begreife nichts davon. Einer von den Zauberern, meinen F e i n d e n , mufs die Hand im Spiele haben: es ist nicht anders möglich.
n6
Di«
GeLDSE
SIIIOII.
6. D i e Begriffe, ( s o fuhr Danischmend in der Er-s Zahlung von T i f a n s Erziehung fort) welche dieser junge Prine von dem weisen D s e h e n « g i s erhielt, konnten nicht anders als aufsei« nen Verstand und auf sein Herz mit ihrer vollen Kraft wirken, und j e n e m alles das L i c h t , 60 wie d i e s e m alle die R e c b t s c h a f f e n h e i t mittheilen, welche s i e , vermöge der Natur der Sache einer unverdorbenen'Seele mittheilen müssen. D i e Grundsätze — I.
Alle Menschen sind B r ü d e r , und haben von Natur gleiche Bedürfnisse, gleiche R e c h t e , und gleiche Pflichten;
IT. D i e w e s e n t l i c h e n R e c h t e der M e n s c h h e i t können weder durch Zuf a l l , noch G e w a l t , noch V e r t r a g , noch V e r z i c h t , noch V e r j ä h r u n g , sie können nur mit der menschlichen Natur verloren werden; und eben so gewifs läfst sich keine nothwendige noch zufällige Ursache denken, welche einen Menschen, unter was für Umständen er sich auch
Z w e i t e s
T i i i ^
117
befinde, von seinen wesentlichen P f l i c h t e n los zählen könnte; III. Ein jeder ist dem andern schuldig, was er in gleichen Umständen von ihm erwarten würde; I V . Kein Mensch hat ein R e c h t , den andern zu seinem Sklaven zu machen; V . Gewalt und Stärke giebt kein R e c h t , die Schwachen zu unterwerfen, sondern legt ihren Besitzern blofs die natürliche Pflicht a u f , sie zu beschützen ; V I . Ein jeder Mensch b a t , unf einen ge» rechten Anspruch an W o h l w o l l e n , Mitleiden und Hülfe von Sriten eines jeden Menschen zu haben, keinen andern Titel vonnöthen, als dafs er ein Mensch i s t ; VII. D e r Mensch, welcher von andern verlangen wollte, dafs sie ihn köstlich nähren und kleiden, — mit einer prächtigen^ Wohnung und allen ersinnlichen Bequem* lichkeiten versehen, — ihm, auf Unkosten ihrer Ruhe Bequemlichkeit und Nothdurft, alles nur möliclie Vergnügen gewähren, —1 Unaufhörlich arbeiten um ihn aller Bemühung zu überheben, sich blols mit dem
I-IG
DER
COLDKE
SFISGBE«
.
Unentbehrlichen b e h e l f e n , damit er «eine üppigsten Begierden bis zur Ausschweifung befriedigen k ö n n e , — k u r z , dafs sie nur f ü r ihn l e b e n , , u n d , um ihm alle diese Vortheile zu e r h a l t e n , jeden Augenblick bereit eeyn sollten, 6ich allen Arten de» Ungemachs und E l e n d s , dem l j u n g e r und dem Durst, dem Frost und der H i t z e , der Verstümmelung ihrer Gliedmaßen und den schrecklichsten Gestalten de» Todes.für ihn auszusetzen — der e i n z e l n e M e n s c h , der an z w a n z i g M i l l i o n e n M e n s c h e n eine solche Forderung machen w o l l t e , ohne sieb schuldig zu halten, ihnen sehr grofse und mit solchen Diensten in gehörigem Ebenmafse stehende G e g e n d i e n s t e daf ü r zu leisten, — w ä r e ein Wahnsinnig e r , und müfste seine Forderung an L e u t e m a c h e n , die es .noch mehr als er selbst w ä r e n , w e n n er Gehör finden sollte. Diese und tausend andre Sätze , welche sich aus ihnen ableiten lassen, fand der junge T i f a n gleichsam mit der eigenep Hand der Natur in seine Seele geschrieben. Es waren eben so viele G e f ü h l e , w e l c h e ihn der w e i s e D s c h e n g i s in Grundsätze verwandeln l e h r t e , dt-ren überzeugender Kraft seine Vernunft eben so w e n i g widerstehen konnte, als es in seiner W i i l k u h r s t a n d , den.Tag für M a c h t , oder w a r m
Z W B V T E I l
TlIElr..
Xip
f ü r kalt zu halten. E r f a n d keine Vorurtlieile i n seinein G e i n ü t h e , w e l c h e der vollen W i r k u n g dieser W a h r h e i t e n entgegen gearbeitet h ä t t e n . Alles was ihn u m g a b , w e i t entfernt sie zu bestreiten u n d auszulöschen, erläuterte u n d bestätigte s i e : u n d da sich Dschengis h p sor»o fältig h ü t e t e , ihm die unselige u n d liassensw ü r d i g e Nachricht zu g e b e n , „dafs der gröfste T h e i l der M e n s c h e n , durch eine beynahe unbegreifliche Verderbnifs des Verstandes u n d W i l l e n s , von jeher so gehandelt u n d sich so h a b e behandeln lassen, als ob das Gegentheil aller dieser W a h r h e i t e n w a h r w ä r e ; " so gew ö h n t e sich seine Seele dergestalt an diese Art zu d e n k e n , dafs ihm d i e j e n i g e , w e l c h e damahls an dem H o f e zu Scheschian h e r r s c h t e , e b e n s o "widersinnig u n d ungeheuer vorgekommen wäre, als w e n n ihm jemand hätte zuinuthen wollen, den Schnee f ü r schwarz a n z u s e h e n , oder sich von der Mittagssonne in einem glühenden O f e n abzukühlen. E r w a r schon achtzehn J a h r e a l t , eli' er noch einen BrgrilF davon h a t t e , dafs man anders denken k ö n n e , als die N a t u r u n d Dschengis i h n denken l e h r t e ; eh' er wufste, w a s Mangel und U n t e r d r ü c k u n g s e y , oder sich d i e mindeste Vorstellunget von einer erkünstelt e n u n d auf anderer E l e n d gehauten Glücksel i g k e i t machen konnte. Dschengis hatte sein
IS4
D E R
G O L D NE
Sit*
G»T,.
Gedärlitnifs mit einer M e n g e von Erzählungen, und mit Liedern und Sprüchen aus den besten Dichtern in Scheschian a n g e f ü l l t : aber diese Erzählungen schilderten lauter unschuldige Sitt e n ; diese Lieder waren lauter Ergiefsungen eines unverdorbenen H e r z e n s , diese Sprüche lauter Gesetze der Natur und der unverfälschten V e r n u n f t ; alles w a r des goldnen Alters würdig. l")er junge P r i n z hatte nun die J a h r e err e i c h t , w o die Natur durch die E n t w i c k l u n g des siifsesten und mächtigsten aller unsrer Triebe ¿.leichsam d i e l e t z t e H a n d a n ihr W e r k , an den M e n s c h e n l e g t , u n d , indem sie ihn durch das nehmliche Mittel zum Urheber seiner eigenen Glückseligkeit und der Erhaltung seiner Gattung m a c h t , ihn auf die überzeugendste W e i s e belehrt, sie habe sein besonderes Glück mit dem allgemeinen Besten dergestalt v e i w e b t , daLs es unmöglich s e y , eines von dem andern abzulösen ohne beide zu zerstören. D i e L i e b e , — dieser bewundernsw ü r d i g e I n s t i n k t , den die Natur zur stärksten Tnebi'edrr der besondern und allgemeinen Gluckseligkfit der Menschen bestimmt hat, — gesellt sich itzt auf einmahl gleich einem himmlischen Genius zu i h m , um ihn auf den AVeg seiner irdischen Bestimmung zu leiten, u n d diesen W e g mit R o s e n a u bestreuen. Durch
Z W E I T E R
T
H E I L.
I2L
•ie erhält er die ehrwürdigen Nahmen eines' Ehegemahls und Vaters. Sie koncentrirt alle seine sympathetischen Neigungen iu der Liebe zu einem W e i b e , welches die Hälft- seines Selbsts w i r d , und zu Kindern, in denen er diefs Selbst verjüngt und vervielfältiget sieht. Sie w i r d auf diese W e i s e die Stifterin der F a m i l i e n g e s e l l s c h a f t e n , welche d i e E l e * w e n t e d e r b ü r g e r 1 i c h e n ' s i n d , und von deren Beschaffenheit das W o h l eines Staates dergestalt abhängt , dafs die Verblendung der Gesetzgeber, welche für d i e s e s g r o f s e I n s t i t u t d e r N a t u r w e d e r so viel Ehrfurcht, als sie ihm schuldig w a r e n , getragen, noch alle die Vortheile, die davon zu ziehen sind, daraus gezogen haben, unbegreiflich ist. Der tugendhafte und w e i s e D s c h e n g i s kannte und ehrte die Natur. M i t Vergnügen sah er dem stufenweisen Fortgange der Neig u n g z u , welche die Schönheit und Unschuld einer jungen Schäferin, deren Altern seine Nachbarn w a r e n , dem jungen Prinzen eingeflöfst hatte. Er besorgte n i c h t , dafs sie seinein Pflegesohne im W a c h s t h u m in jrder T u gend und Vollkommenheit seines künftigen Berufs hinderlich seyn w ü r d e ; und der Gedanke, ihr defswegen Einhalt zu t h u n , w e i l T i f a n ein Prinz und T i l i die Tochter eines gemeinen Landmannes w a r , konnte ihm um so weniger
»22
D E R
GOLDNE
SPIEGEL.
e i n f a l l e n , w e i l die Könige von Scbeschian sich allezeit mit Töchtern ihrer Unterthanen vermählt hatten. T i l i w a r w i r k l i c h so liebensw ü r d i g als es eine T o c h t e r d e r N a t u r seyn kann. Eine besondere S y m p a t h i e , w e l c h e von ihrer Kindheit an sich zwischen ihnen geäuUert h a t t e , schien der B e w e i s , dafs sie bestimmt Seyen eines durch das andere glücklich zu seyn. Dscbcngis untcrliels nicht sich diese Stimmung seines Pflegesohns zu Nutze zu machen, um die Früchte der eben so ein* fachen als erhabenen Filosofie, womit er seine Seele bisher genähret h a t t e , zur l l e i f e zu bring e n . E r entwickelte in freundschaftlichen Unterredungen die neuen Empfindungen des jungen T i f a n s ; er zeigte ihm in denselben die Stimme der N a t u r , die ihn zur Erfüllung eines wichtigen Theils seiner Bestimmung r u f e , und unterrichtete ihn in den ehrwürdigen und Sülsen Pflichten derselben. T i f a n w u r d e Gem a h l , ohne w e n i g e r Liebhaber zu s e y n ; ec w u r d e V a t e r , und in dem Augenblicke, da er die ersten Früchte einer keuschen Liebe an seine Brust drückte, fühlte e r , dafs e r , selbst in den Armen der schönen T i l i , die süfseste R e g u n g der Natur «och nicht gekannt hatte. M a n bat längst bemerkt: der begeisterte S t a n d , in welchen eine Bchöne Seele durch die erste L i e b e gesetzt w i r d , erhöhe sie in jeder
Z W E Y T B R
T II E I L .
123
Betrachtung w e i t über d a s , w a s ein Mensch gewöhnlicher W e i s e ist; und es scheint, dafs einige W e i s e des Alterthums eben dadurch bewogen w o r d e n , in der L i e b e eine Art von Gen i u s zu sehen, durch welchen gleichsam neue Sinne für da» Schöne und Gute in der Seele eröffnet, und eine Art von unmittelbarer Geineinschaft zwischen ihr und ailem w a s göttlich i s t , hergestellt werde. Diefs wenigstens scheint' g e w i l s zu s e y n , dafs w i r in dieser Art von Bezauberung eine grölsere Empfindlichkeit f ü r alles Schöne, eine grölsere Leichtigkeit jede T u g e n d auszuüben, einen höhern Grad von allgemeiner S y m p a t h i e , einen mehr als gewöhnlichen Hang zu erhabnen, w e i t grenzenden und wunderbaren Ideen in uns erfahren; und daher scheint auch icein bequemerer Zeitpunkt zu s e y n , um begeisternde Vorstellungen von dem höchsten Wesen in einer jungen Seele hervor zu bringen, als eben dieser. D e r w e i s e Dschengis mufste diese Betrachtung gemacht haben; denn er w ä h l t e mit Vorsatz diese Zeit, um seinem Pflegesohn die geläuterten und erhabnen Empfindungen der R e l i g i o n einzuflöfsen, w e l c h e er für nöthig hielt, um der Seele einen u n b e w e g l i c h e n R u h e p u n k t , den Leidenschaften ein mächtiges G e g e n g e w i c h t , und der Tugend die kräftigste A u f m u n t e r u n g zu verschaffen. D i e rieh-
124
D E R GOLD NB S P I E GBL.
tigsten Begriffe, welche w i r aus der Quelle der Natur schöpfen können, sind ohne die Ideen eines unendlich vollkommnen Urhebers und Vorstehers der Natur äufserst mangelhaft. Welch ein Unterschied zwischen dein engen K r e i s , in welchen die t h i e j r i s c h e S i n n l i c h k e i t . e i n geschlossen ist, und dem grenzenlosen All, in welches der erstaunte G e i s t hinaus sieht, so bald er einen Schöpfer der Welt erkennt, des» •en wohltliätige M a c h t eben so unbegrenzt ist •ls sein Verstand! Dschengis hegte von dem höchsten Wesen eben diese reinen Begriffe, welche die Weisen der ältesten Zeiten einer langen Betrachtung der Natur tind vielleicht' einem unmittelbaren Umgänge mit höhern W e sen zu danken hatten; Begriffe, die sich unter den Filosofen des östlichen Theils der Erde eine lange Zeit erhalten haben, und selbst durch alle Ungereimtheiten des Aberglaubens und des Götzendienstes nicht gänzlich ausgelöscht wer-» den konnten. Das höchste Wesen , sagte Dschengis zu dem jungen T i f a n , ist zwar den äufseru körperlichen Sinnen, aber nicht dem G e i s t u n sichtbar, der, so bald er reif genug worden ist, Ordnung und Zusatnmenstiminung, allgemeine Gesetze, wohlthätige Endzwecke und weislich gewählte Mittel in dem grolsen Schauplatze der N a t u r , der uns umgiebt, wahrzunehmen,
Z W i
r t
a n dem D a s e y n Güte,
welche
Seele de»
i
»
einer
T
h E i r,.
höcbstea
gleichsam
Ganzen
Weisheit
dife
ist,
eben so
w e n i g als
seiner, eignen Seele,
nicht
ist
Die
Welt
ist
in
als
jene,
allen
und
allgemeine
a n dem D a s e y n sichtbarer
125
die i h m
zweifeln
ihren
uns
kann.
bekannten
T h e i l e n z u u n v o l l k o m m e n , u m s e l b s t das h ö c h ste W e s e n z u s e y n , tet,
zu
grofs
u n d , im G a n z e n
und
vortrefflich, um
betrach-
nicht
W e r k eines höchsten W e s e n s zu seyn. d i e s e s , s o ist unser D a s e y n ,
das
Ist sie
so sind die F ä -
h i g k e i t e n z u empfinden, z u d e n k e n , zu hand e l n , u n d d u r c h den rechten G e b r a u c h
dersel-
b e n i n einem h o h e n G r a d e g l ü c k l i c h z u so sind die B e z i e h u n g e n auf
die
Erhaltung,
das
N u t z e n des M e n s c h e n , bare W o h l t h a t e n , heber
der W e l t
CO w e i s e t meinen
uns
Vergnügen
Natur
und
den
eben so v i e l e u n s c h ä t z -
welche
wir
zudanken
das
seyn,
der g a n z e n
Verhältnifs
Wohlthäters
dem
Ur-
haben;
und
eines
den ersten
p u n k t a n , aus w e i c h e i n w i r
allgeGesichts-
das höchste W e s e n
z u betrachten h a b e n .
D i e E r w ä g u n g der w u n d e r b a r e n in welcher
dieses
aus
einer
so
Ordnung, unendlichen
ÜVlenge v e r s c h i e d e n e r T h e i l e z u s a m m e n
gesetzte
a l l g e m e i n e G a n z e e r h a l t e n w i r d , leitet u n s a u f den
Begriff
eines b e s o n d e r n
f ü r j e d e besondere G a t t u n g ,
Endzwecks
u n d eines
aljge-
IEÖ
13EN
GOLDNE
S r i
ECEL.
m e i n e n Z w e c k s für das g a n z e S y s t e m der Schöpfung. D i e s e Verbindung zu gemeinschaftlichen Zwecken führet uns auf die manltigfaitigen Verhältiiisse der Wesen gegen eina n d e r , und aus beider» entwickelt sich der Begriff besonderer und allgemeiner Gesetze der INatur. D e r M e n s c h , der auf dem besondern Schauplatz, auf den er sich gesetzt befindet, keine vollkommnere Gattung erblickt als seine ..eigene, sieht sich doch bey allen seinen Fähigkeiten und Vorzügen in einer unvermeidlichen Anhänglichkeit von allem was ihn umgiebt. D i e ganze Natur mufs ihre Kräfte vereinigen, um ihn von Augenblick zu Augenblick im Da»eyn zu erhalten; das elendeste Iiisekt, das kleinste Sandkorn ist vermögend ihn im Gtmuis seiner Glückseligkeit zu stören, ilm zu quälen, jd seinem Lieben ein Ende zu machen. li,s ist w a h r , die ganze Natur ist ihm d i e n s t b a r : aber er muis sie gleichsam n ö t h i g e n , e s z u s e y n ; und ohne seine H ä n d e , ohne seinen "Witz, ohne seinen unverdrossenen Fleifs, wurde dieser P l a n e t , der ihm zur Anbauung angewiesen i s t , bald zu einer unwirthbaren VVildnifs werden. Aber w i e sollte d e r einzeln« M e n s c h einem solchen Geschäfte gewachsen 6 e y n ? Ks ist augenscheinlich, dals d i e g a n z e G a t t u n g sich vereinigen m u f s , um ihre natürliche Herrschaft über den Erdboden zu behaupt e n , und dafs ein jeder seine besondere bicher-
Z W E Y T B R
TII
E I L .
127
h e l t , «ein besonderes W o h l s e y n , nur 111 dem vollkommensten und glücklichsten. Zustande der ganzen Gattung findet. Daher diese a l l g e ni e i n e n G e s e t z e d e r m e n s c h l i c h e n N a t u r , welche durch die Absonderung der M e n schen in besondere Gesellschaften z w a r verdunkelt und auf mannigfaltige W e l s e verfälscht worden sind, aber, so J a n g e der Mensch kein M i t t e l findet sich eine andere Natur zu geben, nothwendig a l l g e m e i n v e r b i n d l i c h e G e s e t z e f ü r d i e g a n z e G a t t u n g bleiben. E i » sehr fühlbarer B e w e i s , dals sie es sind, liegt d a r i n , w e i l die Menschen für jede Übertretung dieser Gesetze durch die nothwendigeo F o l g e n dieser Übertretung gestraft, w « i l sie in eben dem G r a d e , w i e sie den Pflichten der N a t u r untreu s i n d , unglücklich und elend werden. D i e s e Betrachtung zeigt d a s h ö c h s t e W e s e n aus einem neuen Gesichtspunkte. Dec Urheber der Natur ist auch d e r G e s e t z g e b e r d e r N a t u r ; und eben dadurch, w e i l die Beobachtung oder Übertretung seiner Verordnungen die unumgängliche Bedingung dec Glückseligkeit oder des Elendes unsrer Gattung i s t , „erkennen w i r in seiner Gesetzgebung zugleich den Urheber der N a t u r , den VVohlthäter des Menschen und den vollkommensten Verstand." Aber auch hier steht die Vernunft noch nicht still. Der Mensch e r f ä h r t , mitten ¡in
128
DER G s t D n i
StuciL.
Genuf» derjenigen Glückseligkeit, weiche ihin der weiseste Genuls der D i n g e aufaer ihm geb e n k a n n , dals sie unfähig simi ihm die v o l l ' k o m m n e G l ü c k s e l i g k e i t zu g e b e n , die et w ü n s c h e t ; u n d seine so oft betrogene Hoffn u n g erhebt ihre Auge.n endlich nacb einem unvergänglichen Gute, nach demjenig e n , welches das Urbild u n d die Quelle alles S c h ö n e n u n d G u t e n ist. In ihm glaubt sie das letzte Ziel aller i h r e r W ü n s c h e , und in der unmittelbaren V e r e i n i g u n g mit ihm den höchsten E n d z w e c k des D a s e y n s aller empfindenden W e s e n zu sehen. D i e Seele fühlt bey diesem grofsen Gedanken den Kreis ihrer T h ä tigkeit sich e r w e i t e r n , u n d jenseits der Grenzen d i e s e s L e b e n s ( w o v o n immer nur der g e g e n w ä r t i g e Augenblick w i r k l i c h , der zuk ü n f t i g e u n g e w i f s , u n d alles Vergangene T r a u m i s t ) entdeckt sich ihrem verlangenden A u g e eine b e s s e r e Z u k u n f t . U n d so zeigt sich ihr das W e s e n der W e s e n au6 einem dritt e n G e s i c h t s p u n k t e , als d a s h ö c h s t e G u t und letzte Ziel aller erschaffenen Geister. Jedes dieser Verhältnisse der G o t t h e i t gegen d i e M e n s c h e n beweiset bis zum Augenschein, dafs die Idee des unendlichen Geistes in dem i n n e r n System unsrer Seele eben das ist u n d seyn s o l l , w a s die S o n n e in dem grofsen
Z w E y T * R
T H K i L.
129
Kreise der S c h ö p f u n g , der uns umgiebt; — dafs sie es seyn soll, die der Seele L i c h t und W ä r m e giebr, 11m jede T u g e n d , jede Vollkommenheit bervor zu treiben und zur Reife a u bringen. Jpner sülse Zug der Sympathie, der uns geneigt m a c h t , uns mit andern Geschöpfen zu erfreuen oder zu b e t r ü b e n , w i r d n u n etwas ganz anderes als ein blof»er animalischer Trieb. Allgemeine G u t e , zärtliche Theilnehraung an den Schicksalen der W e s e n unsrer G a t t u n g , sorgfaltige Vermeidung alles Zusammenstofses, wodurch w i r ihre R u h e , ihren W o h l s t a n d verletzen w ü r d e n , . lebhafte Bestrebung ihr Bestes zu befördern und mit dem unsrigen zu vereinigen; alles diefs, in dem Lichte betrachtet, welches d i e I d e e d e r G o t t h e i t über uns verbreitet, sind G e s e t z e des allmächtigen und wohlthätigen Beherrschers aller W e l t e n ; G e s e t z e , von deren Verbindlichkeit uns nichts los zählen kann ; Get e t z e , von deren Befolgung die E r f ü l l u n g des ganzen Endzwecks unsers Daseyns abhängt. So w a r e n die Begriffe von R e l i g i o n beschaffen, welche der weise Dschengis in der Seele des jungen T i f a n entwickelte, und solchen Begriffen entsprach der Unterricht, den er ihm von dem D i e n s t e des höchsten W e sens gab. D a n k b a r e r Genuin seiner W o h l t b a t e n , und aufrichtiger Gehorsam gegen seine Wi»LAHD5 sämmtl. w . VH. ß. I
»30
D E R
GOLDMB
S t u c i t ,
Gesetze, sagte Dschrngis, sind der einzige w a h r « D i e n s t , den w i r einem Wenen le.isten'können, das ünser blofs in so fern b e d a r f , in so f e r n es u n s zu W e r k z e u g e n seiner grofsen wohlthätigen Absichten erscbaiFen hat. B e w u n d e r n Sie nicht auch die tnannigfaltigen Gaben unsres F r e u n d e s Danischniend ? sagte Schach -Gebal zu der schönen Nurmahal. Ich sehe dafs er im N o t b f a l l einen so guten Iman abgeben k ö n n t e , als vielleicht jeunahls einer am H o f e eines Sultans gewesen ist. Aber f ü r h e u t e lafs es immer genug s e y n , Danisch« i n e n d ; und das nächste M a h l , w e n n von deinem Tifan wieder die R e d e seyn w i r d , erinnre dich, dafs du mir einen Gefallen erweisen w ü r d e s t , so bald als möglich auf die Hauptsache z u kommen.
Z W E Y T E K
T n S f l »
l^l
7S o viel ich mich von allem, was du uns mit deiner gewöhnlichen Weitläufigkeit von der Erziehung de» jungen T i f a n s erzählt hast, erinnern Kann, (sagte S c h a c h - G e b a l , als Danischmend sich zu gewöhnlicher Zeit anschickte seine Erzählung fortzusetzen) so mag unter den Händen des ehrlichen Dschengis eine ganz gute Art von Jungen aus ihm geworden s e y n ; aber noch sehe i c h , mit deiner Erlaubnifs, n i c h t , wie er dadurch der grofse K ö n i g werden konpte, den du uns erwarten gemacht hast. S i r e , versetzte Danischmend, alles warum ich Ihre Hoheit bitte, ist noch ein wenig Geduld zu h a b e n , und ich bin überzeugt, es wird Ihnen in wenig Tagen kein Zweifel über diesen Funkt übrig bleiben. D i e Gröfse und Erhabenheit, wozu Dschengis die Begriffe seines Ijehrlinges empor z a treiben sich bemüht h a t t e , machten es nothwendig, dafs er ihin zu gleicher Zeit eine vollständige Kenntnifs von dem g e s e l l s c h a f t l i c h e n L e b e n » von dem was man einen
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DER
G O L D NE
SciEGBIi.
S t a a t nennt, und von der E i n r i c h t u n g , F o l i z e y und V e r w a l t u n g desselbengeben muhte. Er tbat es: und nachdem er dein jungen Tifan gezeigt hatte, w i e dieser Erdball, vermöge der richtigen Begriffe von der Natur und Bestimmung des Menschen, aussehen und regiert seyn s o l l t e ; so machte er ihm nach und nach begreiflich,, wie es zugehen könnte, dafs alles g a n z a n d e r s w ä r e a l s e s s e y n s o l l t e . Von dem anschauenden Begriffe det Illeinen Kolonie, in welcher er aufgewachsen w a r , brachte er ihn stufenweise bis zu d e n verwickelten Begriff einer grofsen Monarchie, von dem ländlichen Hausvater bis zu dem grofsen Hausvater von Scheschian. Der Prina folgte ihm in allen diesen Erörterungen ohne sonderliche Mühe. Aber desto gröfsere Schwierigkeit hatte es, ihm hegreiflich zu machen, w i e aus dem allgemeinen Vater einer Nazion ein willkührlich gebietender Herr, und aus diesem Herren, mit einer kleinen Veränderung, ein Tyrann habe werden können. Der junge Prinz erschrak nicht w e n i g , w i e er vernahm, dafs die schönen Ideen von unschuldigen Menschen und goldnen Zeiten, die mit ihm aufgewachsen w a r e n , nur g o l d n e T r ä u m e seyen, aus denen ihn eine kleine H e i s e d u r c h d i e W e l t auf eine sehr unangenehme Art erwecken wurde.
Z W Z Y T B R
T H I 1 Di
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Sein Verlangen eine R e i s e , welche ihn so viel neues lehren w ü r d e , zu machen, nahm mit d e r heftigsten Begierde, allen Drangsalen seiner M i t g e s c h ö p f e a b z u h e l f e n , täglich z u ; u n d Dschengis trug um so weniger B e d e n k e n , sein e m Verlangen nachzugeben, je nothwendiger es w a r , ihm eine ausführliche und anschauende K e n n t n i i s von allen den M i f s b r ä u c h e n , Unordnungen uncl daher erwachsenden Übeln z u verschaffen, welchen (wenigstens in einem beträchtlichen Theile des E r d b o d e n s ) ein E n d e z u machen, seine grofse Bestimmung w a r . Uberdiefs hatten die gesunden Grundsätze seiner Erziehung zu tiefe W u r z e l n in seiner Seele g e f a f s t , als dafs von der Ansteckung der W e l t etwas f ü r ihn hätte zu besorgen seyn sollen. I m Gegentheil erwartete e r , dafs der Anblick alles des mannigfaltigen E l e n d s , welches sich die Menschen durch E n t f e r n u n g von den Ge-» setzen der N a t u r zugezogen h a b e n , den jungen T i f a n von der unumgänglichen N o t w e n d i g k e i t ihrer Befolgung n u r desto lebhafter überzeugen werde. So viel M ü h e T i f a n h a t t e , sich von seiner Geliebten und von seinem kleinen Sohne l o s j - u reifsen, so überwältigte doch die Ungeduld seiner N e u g i e r , die W e l t besser k e n n e n zu l e r n e n , die zärtlichen Regungen ¿er N a t u r . E r entfernte sich also zum ersten M a h l von den
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D E R
GOLDNE
SPIEGEL.
friedsamen Hütten, worin e r , der W e l t unbek a n n t , die glückliche Einfalt geiner Jugend verlebt h a t t e , und durchwanderte in der Gesellschaft de» getreuen Dscbengis drey Jahre lang einen grofaen Theil von Asien. Er lernt« d i e N a t u r unter tausend neuen Gestalten Itennen, und erstaunte über die mannigfaltigen W u n d e r , wodurch d i e K u n s t sie nachzuahmen , ja selbst zu übertreffen und zu verbessern sucht. Aber er erstaunte noch mehr, w i e er s a h , dafs der elende Zustand der Völker durchgehens desto gröfser w a r , je mehr Natur und Kunst sich zu vereinigen schienen sie glücklich zu machen. Die schönsten und fruchtbarsten Piovinzen w a r e n immer diejenigen, in welchen das Volk auf die unbarmherzigste W e i s e unterdrückt wurde. Tifan sah mit Entsetzen K ö n i g e , welche das Vermögen ihrer Unterthanen w i e einen dem Feind abgejagten Raub in den ungeheuersten Ausschweifungen der Üppigkeit verprafsten; Könige, welche das kostbare Blut der Menschen in muthwilligen Kriegen verschwendeten, und sechs blühende Provinzen zu Einöden verwüsteten, um die siebente zu erobern, deren Behauptung es ihnen unmöglich machte, ihren Völkern die Vortheile des Friedens jemahls auf zehn Jahre zu versichern. Et sah Könige, w e l c h e , aus tiefer Untüchtigkeit zu allen ihren Pflichten, die Verwaltung des Staats Kebsweibern und Günstlingen überlassen
Z
W 1 T T I
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T
B E I Z,.
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m u f s t e n , u n d , w ä h r e n d dafs sie ihr unrühmliche« L e b e n i n M ü f s i g g a n g und sinnlichen W o l lüsten v e r t r ä u m t e n , sich nicht s c h ä m t e n , von hungrigen oder raubgierigen Schmeichlern m i t den besten unter den F ü r s t e n , ja mit der Gotth e i t selbst sich vergleichen zu lassen. Kleine
Raja's,
die ihre
E r sah
Unterthanen und
sich selbst zu Bettlern m a c h t e n , um sich eino Z e i t lang, unter dem allgemeine«. Naserümpfen der W e l t ,
das lächerliche Ansehen zu geben,
mit den gröfsten
Monarchen
Asiens
W e t t e geschimmert zu haben.
in
die
E r sah einen
s e h r g u t e n , sehr l i e b e n s w ü r d i g e n F ü r s t e n daa U n g l ü c k seiner Staaten blofs dadurch vollkommen m a c h e n , w e i l ihm sein böser Genius ein allgemeines
Mifstiauen
gegen
umgab , eingeflößt hatte.
alle»
was ihn
K u r z , er l e r n t : die
Sultanen, Visire, Omra't, Mandarinen,
Mol-
l a s , D e r w i s c h e n und B o n z e n seiner Z e i t kenn e n , und verwunderte warum
er den
sich nun
gröfsten
Theil
nicht mehr, von Asien in
einem Verfall s a h , w e l c h e r einen baldigen allgemeinen Umsturz ankündigte. machte
B e y allem dem
er tausend nützliche B e o b a c h t u n g e n ,
und hier und d a , oft unter einem unscheinbaren D a c h e , die B e k a n n t s c h a f t eines weisen und rechtschaffenen M a n n e s , oder eines unbekannten und unbenutzten T a l e n t s .
Dschengis lief»
k e i n e G e l e g e n h e i t v o r b e y , w o er ihn die Anwendung seiner Grundsatze zu machen lehren
136
DER
GOLDKK
S P U C B I .
konnte. F.r führte ihn allenthalben von dea äufserlicben Zufällen auf die Quelle de« Übels, und zeigte ihru , w i e vergeben» man jenen abzuhelfen s u c h t , so lange diene nicht verstopft i s t , oder — welches der Fall vieler Staatea i»t — nicht verstopft werden kann. Er zeigte ihm durch Bey spiele, welbhe desto lehrreicher seyn mufsten w e i l sie unmittelbar unter ihren Augen l a g e n , $afs nichts einfacher s r y als die Kunst weislich zu regieren, und dafs es weniger M ü h e koste, ein Volk geradezu glücklich zu machen, als es, durch tausend krumme W e g e , mit einigem Schein von Recht und Billigkeit zu Grunde zu richten. Er zeigte i h m , dafs überall, wo das Volk unterdrückt und der Staat übel verwaltet w u r d e , der Fürst selbst, von rastloser Gemüthsunrube herum getrieben, von tausend Besorgnissen geängstiget, von allen Seiten mit Schwierigkeiten umringt, zu einet schimpflichen Anhänglichkeit von der eigennützigen Treue und den schelmischen Ränken der nichtswürdigsten seiner Sklaven verurtheilt, belastet piit dem Hasse seiner Unterthanen und mit der Verachtung der W e l t , — unter allen Unglücklichen, die er machte, selbst der Unglücklichste war. Kurz, diese Reise wurde für den jungen Tifnn eine S c h u l e , worin er sich, ohne es selbst zu w i s s e n , zum künftigen Regenten ausbildete; und ( w a s hierbey nicht das unbeträchtlichste i s t ) eine R e i s e » welche für
Z W E T T E R
T
H B x x..
137
ihn so lehrreich u n d f ü r Scheschian so nützlich w a r , kostete in drey ganzen Jahren kaum so viel, als alle die Kebsweiber, Mohren, Gaukler nnd L i e f a n t e n , welche den König von Siam von einem seiner L a n d h ä u s e r zum andern begleiten , in acht Tagen aufzuzehren pflegen. Hier unterbricht sich der SinesUche Autor, dem w i r folgen, selbst, um uns zu sagen, dafs die Reisen des Prinzen Tifan eine Unterredung zwischen dem Sultan Gebal, der schönen Nurma^ h a l u n d dem Filosofen Danischmend ü b e r d i e R e i s e n j u n g e r F ü r s t e n veranlafst habe, w e l c h e e r , da die Sinesischen P r i n z e n , einem uralten Herkommen zu F o l g e , niemahls aufser L a n d e s zu reisen pflegten, zu übersetzen f ü r uberflüssig erachtet habe. Alles was er uns davon meldet, ist — d a f s , nachdem S c h a c h - G e bal sich, aus vielen G r ü n d e n , sehr ernstlich gegen dergleichen f ü r s t l i c h e W a n d e r u n g e n erklärt, und bey dieser Gelegenheit seiner Galle durch ziemlich bittre Spöttereyen über gewisse Könige seiner Zeit L u f t g e m a c h t , welche ihre Blödigkeit u n d ihre schlechte Erciehung "mit ungeheuern Kosten in den vornehmsten Reichen Asiens Schau getragen — DaniscLmend, als ob er plötzlich aus einem T r a u m e r w a c h e , an den Sultan seinen Herrn sich g e w e n d e t , und gesagt h a b e : - I b e r w a s würden Ihre H o h e i t von einem groisen Fürsten sagen, dei den M u t b
»35
Der göldke Spiegel.
hätte, den Ergetzungen seines Hofes, den Reitzungen der Jugend und der Allgewalt, und dem wollüstigen Miifsiggange, worin junge Fürsten die schönste Zeit des Lebens zu verlieren pflegen, sich zu entreifsen, u n d , in Gestalt eines Privatmannes, weitläufige und beschwerdenvolle Reisen zu unternehmen — um w e i s e r und b e s s e r zu werden, um die Menschen, die ein Fürst gewöhnlicher Weise nie anders als in M a s k e n sieht, in ihrer natürlichen Gestalt kennen zu lernen, — und um selbst d e s V e r g n ü g e n s , e i n M e n s c h z u s e y n , und seiner persönlichen Eigenschaften wegen geliebt zu werden, ungestörter undvollkommner geniefsen zu können? Was würden Sie sagen, wenn dieser Fürst, in Begleitung weniger Freunde, ohne Pracht, ohne Aufwand, ohne den zwanzigsten Theil des Geschleppes, welches die Grofsen gewöhnlich nach sich zu ziehen pflegen in allen seinen Staaten herum reisete, überall selbst sich erkundigte, w i e die Gesetze beobachtet, w i e dag Recht gehandhab e t , w i e die Staatswirthschaft bestellt w ü r d e ; die Beschwerden eines jeden, der sich an ihn w e n d e t e , selbst anhörte, und durch seine Leutseligkeit jedermann zu gleichem Vertrauen einlüde; bey den prächtigen Schlössern seiner Omra's, wo jedes Vergnügen ihn erwartete, vorbey eilte, um rauhe Gebiirge-«u besteigen, oder durch unwegsame schneebedeckte Walder
Z W E Y T E R
T H E I L .
x3p
in die armseligen Hiitfen der Dürftigkeit hinein zu ^ r i e c h e n , u n 3 beym "Anblick de» elenden Brote», dessen nur genüg zu haben ein T h e i l seiner nützlichsten Unterthanen sich glücklich achten w ü r d e , Thränen der [Menschlichkeit zu w e i n e n ? Und was würden Ihre Hoheit sagen, wenn dieser Liebenswürdigste unter den F ü r s t e n , gleich einer zu den Menschen herab gestiegenen Gottheit, jeden, seiner Tritte mit W o h l t h a t e n bezeichnete, und bey jedem seiner Blicke irgend ein MiLsbrauch abgestellt, irgend ein Gebrechen verbessert, eine Übelthat bestraft, ein Verdienst aufgemuntert würde ? — Danischmend Danischmend ! (rief der Sultan) •was ich sagen w ü r d e ? — Ich w ü r d e — Hier hielt Seine Hoheit eine ziemliche W e i l e ein, und der schönen Nurmahal pochte das Herz vor Furcht f ü r den ehrlichen, wohl meinenden, a b e r , in der T h a t , gar zu unbedachtsamen Danischmend — Ich würde sagen, f u h r der Sultan endlich f o r t , dafs du mir den grofsen Fürsten auf der Stelle n e n n e n sollst, der diefs alles gethan hat. S i r e , antwortete Danischmend ganz demüt h i g , ich gestehe f r e y m ü t h i g , dafs i c h , w o f e r n I h r « Hoheit Sich nicht entschliefsen es selbst zu s e y n , w e d e r unter Ihren Vorgängern noch unter I h r e n Zeitgenossen einen kenne, der diefs
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DER
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SP 1 1 G 1 I.
alles gethan hätte. Aber mein H e r z sagt mir, dafs die I d e e eines .solchen F ü r s t e n , die ich i n diesem Augenblick, w i e durch eine Art von E i n g e b u n g , auf einmahl in meiner Seele fand, Icein Hirngespenst ist. E r w i r d k o m m e n , u n d sollt' es auch erst in vielen J a h r h u n d e r t e n s e y n ; ganz gewifs wird er k o m m e n , um zu gleichet Z e i t die E h r e der V o r s e h u n g , der Menschheit u n d des Fiirstenstandes zu r e t t e n , und der T r o s t eines unglücklichen Zeitalters, das Vor* bild der K ö n i g e , u n d die L i e b e und W o n n e aller Menschen zu seyn. Gute N a c h t , D a n i s c h m e n d , sagte der Sultan lächelnd : ich sehe du rappelst. Unser Prof e t befiehlt u n s , L e u t e in deinen Umstünden mit Ehrerbietung a n z u s e h e n ; aber gleichwohl könnte', däucht m i c h , eine l'rise Nisewurz nichts s c h a d e n , F r e u n d D a n i s c h m e n d !
Z W B Y T B H
T B Z I I.
t4l
8U n g e a c h t e t der launischen A r t , wie SchachGebal seinen so genannten Freund Danischmend a u Bette geschickt h a t t e , fand er doch so viel Belieben an der U n t e r h a l t u n g , die ihm die Scheschianiscbe Geschichte g a b , dafs er die Z e i t , die dazu ausgesetzt w a r , diefsmahl gegen seine G e w o h n h e i t beschleunigte, weil er neugierig w a r zu h ö r e n , w i e Danischmend es anfangen würde, um aus dem jungen T i f a n einen so grofscn König zu machen als er versprochen hatte. Danischmend f u h r also in seiner E r z ä h lung f o r t , w i e folgt. D e r junge T i f a n hatte auf seiner z w e y j ä h rigen Reise viel gelernt; denn er kannte n u n die Menschen w i e s i e s i n d ; und die,Festigk e i t , zu w e l c h e r , 85
soll £uch ü b e r z e u g e n , d a f s e u e r K ö n i g d e r e r s t e B ü r g e r von S c h e s c h i a n i s t . Euer V e r t r a u e n zu meiner T u g e n d hat mir eine eben so u n u m s c h r ä n k t e IVI a c h t a n v e r t r a u t , als die K ö n i g e , meine V o r f a h r e n , besessen h a b e n : aber ich k e n n e d i e M e n s c h h e i t zu g u t , um von dieser gefährlichen M a c h t einen andern Gebrauch zu m a c h e n , als m i r s e l b s t u n d m e i n e n ]N a c h f o l g e r n d i e S c h r a n k e n z u set* z e n , die zu untrer beiderseitigen S i c h e r h e i t Vonnöthen sind. D e r beste König k a n n s e i n e r P f l i c h t vergessen; ein ganzes Volk k a n n sein e i g n e s Bestes milskennen. I c h w ü r d e das A m t , f ü r das e u r i g e zu s o r g e n , schlecht v e r w a l t e n , w e n n ich euern Königen die M a c h t b e n e h m e n w o l l t e , die einem Vater über s e i n e Kinder zu» steht. Aber ich w ü r d e auch in dein ersten A u g e n b l i c k e , da ich euer König b i n , m e i n e r M e n s c h h e i t vergessen, w e n n ich nicht auf ÜVIittel bedacht w ä r e , mir selbst u n d m e i n e n N a c h f o l g e r n , so viel a l s m ö g l i c h , d i e F r e y h e i t B ö s e s z u t h u n zu entziehen. Eine v o r s i c h t i g e Bestimmung der S t a a t s v e r f a s s u n g . , und eine G e s e t z g e b u n g , w e l c h e die B e f e s t i g u n g der R u h e , der Ordnung u n d des allgemeinen W o h l s t a n d e s in diesem R e i che zur Absicht haben w i r d , soll die e i n z i g e Ausübung der Vollmacht seyn , die ihr mir uberlassen h a b t , und auch hierin sollen die W e i sesten u n d Besten uiir i h r e H ä n d e bieten. J a .
lßÖ
DKM
G « L D K I
SfiiciLi
ich « K I W , von den Gesinnüngen, die in mei» iit-in Herzen herrschen, ermuntert, ich wag* es zu hoffen, redlicher Dschengis, daf» deine Sorgfalt mich zur Tugend zu bilden, daf» da» Opfer , womit du mein Leben erkauft hast, nicht verloren «eyn wird. Möcht' es in dem nehm» Ii. ln-u Augenblick aufhören, dieses dem Vater« lande grweilite Leben, w o ich unglücklich genug wäre, dem geringsten meines Volkes einen unverschuldeten Seufzer auszupressen!" Dunischmend , rief Schach-Gebal, ich habe f ü r diese Nacht genug! Deine Leute sprechen nicht übel; aber bey dem allen däucht mir, ich wollte lieber hören, was Tifan g e t h a n als was er g e s p r o c h e n hat. Sire, erwiederte Danischmend, wer so spricht wie Tifan, macht sich anheischig sehr viel su thun. Das wollen w i r sehen, sagte der Sultan.
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10. N a c h a l l e m , w a s ich von dem Könige T i f a n •chon gemeldet h a b e , fuhr Danischmend fort, kann man sich berechtiget halten, grofse T h a ten von ihm zu erwarten. Gleichwohl mulit ich gestehen, ( u n d es ist w o h l am besten ich tbue es gleich A n f a n g s ) dafs, w e n n T i f a n ein grofser Fürst w a r , er es in einem gane andern Sinn und auf eine ganz andre W e i s e w a r , alc die S e t o s t r i a , die A l e x a n d e r , die C a s a r , d i e O m a r , die M a h m u d G a a n i , die D » c h i n« g i s - K a n , und andre Helden und Eroberer, unter deren Grofse die W e l t gleichsam eingesunken ist. T 1 f a n s Gröfse w a r stille G r o f s e , und seine Thaten den Thaten der Gottheit ä h n l i c h , w e l c h e , g e r ä u s c h l o s und u n s i c h t b a r , uns mit den Wirkungen überrascht, ohne daf» w i r die K r a f t , w e l c h e sie hervorbringt, g e w a h r werden. T i f a n s Thaten hatten noch eine andre Eigenschaft mit den Verrichtungen der Natur gemein. Sie entwickelten sich so l a n g s a m , sie durchliefen so viele kleine S t u f e n , und erreich» ten den Punkt ihrer R e i f e durch eine so unmerkliche Verbindung unzähliger auf E i n e n
ȧ8
DBR GOIBJE
S r n s i t .
H a u p t z w e c k zusammenarbeitender M i t t e l , daf* man ein schärferes Auge als gewöhnlich haben m u f s t e , um den G e i s t , der alles diels anordnete und lenkte, und die H a n d , welche allem die erste B e w e g u n g g a b , nicht zu m i h k e n n e m E i n e kurzsichtige Aufmerksamkeit hätte ge» glaubt, dafs sich alles von selbst m a c h e , oder w ü r d e wenigstens nicht wahr* genommen h a b e n , w i e viel M ü h e es kostete, den B e w e g u n g e n eines grofsen Staats so viel» L e i c h t i g k e i t und eine so schöne H a c m o « n i e t u geben. DÜS erste, w o z u siph T i f a n anheischig gemacht hatte, w a r e i n e g e n a u e r e B e s t i m mung der S t a a t s v e r f a s s u n g . G u t , rief Schach - Gebai, diefs ist gerade w o ich ihn erwarte. Ich erinnere mich dessen noch ganz w o h l , w a s du ihn gestern davon sagen Hefsest. Er w i l l sich der M a c h t xiic'it b e r a u b e n , die einem Vater über seine Kinder zusteht — aber er w i l l so w e n i g als möglich ist Freyheit haben Böses zu thun. Noch verstehe ich nicht r e c h t , w a s er w i l l oder n i c h t w i l l . Ich begreife n i c h t , w i e ein Fürst unabhängig seyn , und Freyheit haben kann alles Gute zu thun w a s er w i l l , ohne auch die traurige Freyheit Böses zu thun zu behalten.
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T H m I L.
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Vielleicht wird das, was ich in der Folge melden w e r d e , die Zweifel Ihrer Hoheit auflasen, erwiederte Danisclimend. Tifan folgte iij. dieser ganzen Sache dem Rathe des weisen Dschenins. Ohne diesen würde er,' aus einem O zu weit getriebenen Mifstiauen Regen sich selbst und seine Nachfolger, den gröfsten Fehler begangen h a b e n , den ein Monarch begehen k a n n : denn er war in Begriff d e i n A d e l u n d d e m V o l k e von Scheschian d i e g e s e t z g e b e n d e M a c h t a u f ewig a b z u treten. D e r Himmel v e r h ü t e , (sagte DschengU, da sie sich mit einander über die Sache besprac h e n ) dafs Tifan aus der Verfassung seines Vaterlandes ein unförmliches M i t t e l d i n g von M o n a r c h i e und D e m o k r a t i e mache, welches , eben darum weil es beides seyn will, weder das eine noch das andere ist. Die Nasion von Scheschian mufs den König al» ihren V a t e r , und sich selbst, in Beziehung auf den K ö n i g , als u n m ü n d i g betrachten. Will sie m e h r seyn, will sie das Recht haben den König einzuschränken, ihm und dein Staat Gesetae vorzuschreiben, und ihre wichtigsten Angelegenheiten selbst zu besorgen, so mufs sie sich, gar keinen König geben. W e r sich selbst regieren k a n n , hat keiuen Vormund, keinen Hofmeister vonnöthen. Erkennt sie absr den König
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D E R c o L t s i S 1 1 1 e 11»
f ü r ihren Vater, und »ich selbst "als Nazion f ü r unmündig, welche Ungereimtheit wäi' es, gerade den wichtigsten Theil der Staatsverwaltung; ihrer Willkuhr überlassen zu wollen! W e l c h e Ungereimtheit, es auf die Weisheit oder das gute Glück des Unmündigen ankommen zu lassen, wa» f ü r Gesetzen, unter w r l . chen Bedingungen, und wie lang' er gehorchen wollte! Es geziemt also allein dem K ö n i g e , z u g l e i c h d e r G e s e t z g e b e r und der " V o l l z i e h e r der Gesetze zu seyn. Die Regierung eines Einzigen nähert sich durch ihre Jsatur derjenigen T h e o k r a t i e , welche da» ganze unermeßliche A l l zusammenhält. W e n n wir uns ganz richtig ausdrücken wollen, so müssen w i r sagen: G o t t i s t d e r e i n z i g « G e s e t z g e b e r d e r W e s e n ; — der bloise G e d a n k e , Gesetze geben *u wollen, welch« n i c h t aus den seinigen entspringen, oder m i t d e n s e i n i g e n n i c h t z u u m m e n s t i m m e n , ist der Löcliste Grad des Unsinns und der Gottlosigkeit. D i e Natur und unser eignes Herz sind gleichsam die T a f e l n , in welche Gott seine unwandelbaren Gesetze mit unDer auslöschlichen Zügen eingegraben bat. R e g e n t , als Gesetzgeber betrachtet, h a t , wofern er diesen ehrwürdigen Nahmen mit Recht führen w i l l , nichts andres zu t h u n , als d « D Willen des obersten Gesetzgebers auszuspähen, und daraus .alle die V e r b a l -
Z W B Y T E K
T H B I i.
ipi
t u n g s - R e g e l n abzuleiten, wodurch die gött» liehe Absicht, O r d n u n g u n d V o l l k o m m e n h e i t mit ihren Früchten, der H a r m o n i e und der G l iic k s e 1 i g k e i t , unter »einem Volke am gewissesten und schicklichsten e r l a n g t werden können. Hat er mit diesen erhabenen Nachforschungen das besondere Studium seines eigenen Volkes, des Temperaments, der L a g e , der Bedürfnisse, kurz, des ganzen fysischen und sittlichen Zustande* desselben verbunden, so w i r d es ihna nicht zu schwer s e y n , auch die A n s t a l t e n ausfündig zu machen, wodurch jene grofse Absiebt — in welcher das Glück de« e i n z e l n e n M e n s c h e n , das W o h l jeder Naz i o n , das Beste der menschlichen G a t t u n g , und das allgemeine Beste des G a n z e n wie in Einein Funkte zusammen fliefsen, — auf di« möglichste Weise befördert werden könne. D i e Geschicklichkeit, alles dieses zu bewerkstellig e n , ist leichter bey einein E i n z i g e n , ala bey einem g a n t e n V o l k e od«r bey einem z a h l r e i c h e n A u s s c h u s s e desselben, zu Enden; und auch aus diesem Grund ist es der Sache gemäfser, die gesetzgebende .Macht dem Fürsten allein zu überlassen. Aber, wie w e n n unter Tifans Nachfolgern ein neuer Azor oder Isfandiar aufstände? sagte Schach -Gebal.
DER
GOTBUT
SIUGEI.
U n s t r e i t i g , erwiederte Danischmend, ist die gesetzgebende Macht in den Hunden eine» Kindt-» oder eines Unsinnigen ein fürchterliche* Übel. Aber diesem Unheil ( g l a u b t e D s c h e n g i t ) i o n n e durch ein gedoppelte» Mittel hinlang, lieh vorgebogen w e r d e n ; n e h m l i c h , durch die Unverbrüchlichkeit der einmahl von allen ange» nommenen Gesetzgebung, und durch eine ge» wisse Anordnung über die Erziehung der Prinzen de» königlichen H a u s e « , welche ein Hauptstuck im Gesetzbuche Tifans ausmachen sollte. Diesen Grundsätzen zu Folge w u r d e bald, nachdem T i f a n die R e g i e r u n g angetreten hatte, eine königliche Erklärung dieses Inhalts kund gemacht: 1. D a eine mit den unveränderlichen und wohlthätigen Absichten des Urhebers der .Natur ubereinstimmende Gesetzgebung sowohl dem Fürsten als seinen Untergebenen zur unverbrüchlichen Richtschnur dienen m u f s : so w i r d der König vor allen Dingen sein Hauptgeschäft t e y n lassen, mit B e y h ü l f e d e r j e n i g e n , w e l c h e d i e INazion selbst für ihre weisesten und besten M ä n n e r e r k e n n t , ein G e s e t z b u c h zu ver« f a s s e n , in w e l c h e m d i e P f l i c h t e n u n d R e c h t e d e s K ö n i g s , d e r N a z i o n , und j e d e s b e s o n d e r n S t a n d e s , aufs genaueste bestimmt, und alle dia Anordnungen,
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T H E I Z . .
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welche, nach der gegenwärtigen Beschaffenheit de» R e i c h » , zu dessen Wiederherstellung und "Wohlstand ain zuträglichsten erachtet werden, s u jedermanns Wissenschaft gebracht werden •ollen. 2. Dieses allgemeine Gesetzbuch soll i n d e r S c h e s c h i a n i s c h e n S p r a c h e mit einer solchen D e u t l i c h k e i t abgefafst w e r d e n , dafs der gewöhnlichste Grad des Menschenverstan» des und der Erfahrenheit zureichend seyn möge, es zu verstehen. Nichts desto weniger soll veranstaltet w e r d e n , dafs dieses Gesetzbuch h i n f ü r nicht nur einen Hauptgegenstand der öffentlichen Erziehung ausmache, sondern auch von den P r i e s t e r n jedes Ortes, an g e w i s s e n dazu bestimmten T a g e n , dem V o l k e öffentlich erklärt und eingeschärfet werde. 3. Nicht nur alle E d l e , Priester und übrige E i n w o h n e r von Scheschian, sondern auch der König und seine N a c h f o l g e r , sollen schwören, dafs sie dieses Gesetzbuch nach allen seinen Artikeln unverletzlich in Ausübung bringen, und weder selbst demselben entgegen handeln, noch, so viel an ihnen i s t , zugeben wollen, dafs von jemand dagegen gehandelt werde. D i e s e U n v e r ä n d e r l i c h k e i t soll ein allge* meiner und unauslöschlicher Karakter aller in dem B u c h e d e r P f l i c h t e n und R e c h t e W i e n a n d s sämmtl.W* Y H . B .
N
IP4
D u
G O I D S I
SPIEGEL.
enthaltenenGesetze s e y n ; diejenigenPolizey-und Staatswirthschafts-Gesetze allein ausgenommen, die wegen ihrer Beziehung auf zufällige und der Veränderung unterworfene Umstände , dem Gutbefinden des Königs und des Staatsrathe» unterworfen bleiben müssen; jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalte, dafs die Veränder u n g e n , welche der Hof jemahls in besagten Gesetzen zu machen f ü r nöthig erachten w i r d , den Grundgesetzen d e s B u c h e s d e r P f l i e h » t e n u n d R e c h t e niemahls auf einige W e i s e zuwider laufen dürfen. 4. W e i l aber geschehen könpte, dafs die obrigkeitlichen Personen, welchen der König einen Theil seiner grofsen P f l i c h t , die Gesetze zu handhaben und zu vollziehen, anvertrauen m u f s , in Verwaltung ihres Amtes saumselig w e r d e n , oder gar wissentlich und muthwillig denselben entgegen handeln möchten; nicht w e n i g e r , w e i l besondere Umstände die Auf» 'merksamkeit des Gesetzgebers auf diese oder jene einzelne Stadt, Gegend oder Provinz nothwendig machen k ö n n e n : so soll in jeder Provinz von Scheschian alle f ü n f Jahre ein A u s s c h u f s des Adels, der Priesterschaft, der Städte und des L a n d v o l k s , aus einer bestimmten Anzahl von f r e y w i l l i g erwählten und vom H o f unabhängigen Vertretern dieser vier Stände bestehend, in def Hauptstadt der Provinz zusam-
Z W E Y T B R
T u
£ 1 1 . .
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men kommen, um die Beschwerden der Nazion überhaupt oder eine« jeden Standes insonderheit in E r w ä g u n g zu ziehen, und im Nahmen der Provinz schriftlich an den König gelangen zu lassen. Und sollte sich , wider Verhoffen, zutragen, dafs der König auf einen solchen Vortrag der öffentlichen Beschwerden nicht achtete, oderzu Abstellung derselben nicht die schleunigste H ü l f e leistete: so soll derselbe von dein Ausschuis der Staude seiner k ö n i g l i c h e n P f l i c h t nachdrücklichst erinnert werden. Falls aber der Hof forttuhie, die Beschwerden d'-rStände lmtGleichgültigkeit anzusehen : so soll es ihnen gestattetseyn, aut diejenige W e i s e , die für solche Fälle im G e s e t z l u c h e bestimmt werden s o l l , sich selbst zu helfen, 5. Jede Verordnung der königlichen Statthalter und des Königs selbst s o l l , ehe sie die K r a f t eines Gesetzes haben kann, von den VorStehern der Stände in der Provinz, die es angeh e t , vorher uniersucht und mit d e m B u c h e d e r P f l i c h t e n u n d R e c h t e genau veiglichen werden. Würde befunden werden,, dafs die neue Verordnung mit dem Gesetze nicht bestehen könute: so haben die V o r s t e h e r der S t ä n d e , bey Strafe des H o c h v e r r a t h s w i d e r d e n S t a a t , solches dem Statthalter oder dem Könige selbst mit den Gründen ihre« Widerspruchs anzuzeigen. Und falls der Hof
»96
D E R
GOLDNE
SPIEGEL.
nichts desto weniger auf der Rechtmäfsigkeit seiner Verordnung bestände: so sollen die Vorsteher schuldig s e y n , die S t ä n d e selbst zueammen zu b e r u f e n ; diese a b e r , wofern sie durch d r e y V i e r t e l d e r S t i m m e n den Widerspruch der Vorsteher für gegründet und geeetzmäfsig erkannt haben w ü r d e n , sollen hierüber eine förmlich« Erklärung an den Hof gelanget! lassen, und berechtigt s e y n , die Kundmachung einer solchen widergesetzlichen Verordnung, im Nothfall sogar mit Gewalt, zu verhindern. Denn in Scheschian soll n i c h t d e r K ö n i g d u r c h d a s G e s e t z , sondern d a s G e s e t z d u r c h ' d e n K ö n i g regieren. Ihre Hoheit stellen Sich leicht v o r , fuhr Danischmend fort, w i e zufrieden die Nazion mit dieser Erklärung ihres neuen Königs gewesen seyn mufs, aus welcher so stark in die Augen fiel, dafs er nichts angelegner» habe, als unveri züglich sich selbst und seine Nachfolger in dio Unmöglichkeit zu setzen, B ö s e s z u t h u n oder n a c h b l o f s e r V V i l l k ü h r z u r e gieren. Ohne Z w e i f e l , sagte S c h a c h - G e b a l : ich Stelle mirs eben so leicht vor, als ich mir vorstelle, dafs ich lieber ein Straufs oder ein Truthahn, tvie der König der grünen Länd e r und s e i n N e f f e , als ein Sultan s e y n
Z w
E Y T E
n
T n u ,
197
w o l l t e , w e n n ich mich alle Augenblicke mit meinen Unterthanen darüber zanken mülste, w e r Recht h ä t t e , ich oder 6ie. Allerdings w ü r d e diefs ein gleich unglücklicher Zustand f ü r einen König und f ü r sein Volk s e y n , versetzte Danischmend. Aber w e nigstens befand Tifan sich nie in diesem Falle. Da» kam vermutlilich d a h e r , weil er u n t e r einem besonders glücklichen Zeichen geboren w a r , sagte der Sultan. D e n n gewöhnlicher W e i s e pflegt ein V o l k , so bald es das Recht bat seinem Herrn zu widersprechen, sich der Erlaubnifs. mit solchem Ubermuth und so lange zu bedienen, bis das Verhältnifs u m g e k e h r t ist — der Herr der Unmündige, und seine getreuen Unterthanen der Hofmeister. Ich dächte doch, sagte Danischmend, die Geschichte zeigte uns viel weniger Beyspiele, w o das Volk sein R e c h t , t u widergesetzlichen Verordnungen N e i n zu sagen, so gröblich gemifsbr\aucht h ä t t e , — als solche, w o Könige, denen niemand widersprechen d u r f t e , Verordnungen machten, welchen nur Straufse und T r u t hähne zu gehorchen würdig seyn können. H e r r Danischmend! — sagte der Sultan, nnd hielt inne.
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D i «
» C I B B I
S T I E G
et.
W i e dem aber auch s e y n m a g , fuhr der F i l o s o f ganz gelassen f o r t , unter T i f a n s R e gierung ( u n d diefs w a r nicht weniger als in einein L a u f e von fünfzig J a h r e n ) ereignete »ich» k a u m z w e y • oder dreymahl, dafs die Stände f ü r nötliig erachtet hätten, dein K ö n i g e eine solche Vorstellung t u thun. Und jedesm*hl betraf es hlofs V e r b e s s e r u n g e n , welche , unter den besondern Umständen der P r o v i n z , worin sie vorgenommen w e r d e n s o l l t e n , nicht t u rathen w a r e n . S o b a l d T i f a n verständiger w u r d e , d a f s die abgezielte Verbesserung wider seine Absicht Schaden thun w ü r d e : so nahm er seine Verordn u n g z u r ü c k , und die Vorsteher erhielten ein eigenhändiges Danksagungsschreiben. D u w ü r d e s t mir einen Gefallen t h u n , sagte Schach - G e b a l , wenn du mir eine A b s c h r i f t von einein solchen D a n k s a g u n g s s c h r e i b e n verschaffen könntest. Danischmend versprach, sich alle M ü h e defsw e g e n zu g e b e n , und fuhr f o r t : D i e s e glücklichen a r m o n i e z w i s c b e n T i f a n u n d sein e m V o l k e war eben so sehr die Frucht der VO!trefflichen R e g i e r u n g s a r t dieses Fürsten , -als der w e i s e n G e s e t z e , auf die er sie gegründet hatte. D i e Scheschianer w a r e n w e der lenksamer noch besser als irgend ein andres V o l k in der Welt. .Noch vor kurzem hatten
« Z w k y j - E B
TU
EIL.
199
s i e sich in einem so tiefen Grade von Verderbn i f s b e f u n d e n , d a f s ein W u n d e r w e r k v o n n ö t h e n s c h i e n , um sie w i e d e r zu geselligen M e n schen u n d g u t e n B ü r g e r n zu m a c h e n ; u n d es aufwerten s i c h , u n g e a c h t e t d e r bessern S e e l e w e l c h e T i f a n i h n e n bereits e i n g e h a u c h t h a t t e , a l l e n t h a l b e n noch die W i r k u n g e n des s i t t l i c h e n G i f t e s , w o v o n die g a n z e M a s s e des Staats s o lange durchdrungen gewesen war. Tifans N a c h f o l g e r h a t t e in diesem S t ü c k e einen g r o f s e n V o r t h e i l . I h m k o s t e t e es w e n i g M ü h e , e i n w o h l gesittetes, an die O r d n u n g g e w ö h n t e s , u n d ein halbes J a h r h u n d e r t l a n g v o n dem G e i s t eines w e i s e n u n d guten F ü r s t e n beseeltes V o l k , n a c h G e s e t z e n , die dem g r ö f s t e n T h e i l d u r c h die E r z i e h u n g z u r a n d e r n N a t u r g e w o r d e n w a r e n , zu regieren. Aber T i f a n , dem n i e m a n d v o r g e a r b e i t e t h a t t e ; d e r das Reich in einem Z u s t a n d e von Z e r r ü t t u n g u n d V e r w i l d e r u n g ü b e r n a h m ; der so vielfältigen u n d grofsen Übeln a b z u h e l f e n h a t t e ; der n i c h t e t w a n n blofs ein w i l d e s Volk z a h m oder ein barbarisches gesittet m a c h e n , s o n d e r n einen d u r c h a u s v e r d o r b e n e n Staat mit f r i s c h e m B l u t u n d n e u e n L e b e n s k r ä f t e n v e r s e h e n m u f s t e : T i f a n k o n n t e ein so grofses W e r k nicht anders als d u r c h einen Grad von T u g e n d , der selten das L o o s eines Sterblichen i s t , z u S t a n d e bringen. Jede S c h w a c h h e i t , jedes L a s t e r , w o m i t er b e h a f t e t
soo
D I R
OOLPTJB
S I I I C E L .
gewesen w ä r e , w ü r d e «einen ganzen Plan vereitelt Laben. Aber N a t u r , Erziehung und standhafter V o r s a t z , alle «eine Pflichten in der möglichsten Vollkommenheit zu e r f ü l l e n , vereinigten sich bey i h m , ihn von den gewöhnlichen Schwach« heiten und Ausschweifungen der meisten P e r sonen seines Ranges f r e y zu erhalten. Der N a t u r hatte er ein Herz zu d a n k e n , das int W o h l t h u n und in der F r e u n d s c h a f t sein höchstes Vergnügen f a n d , und seiner E r z i e h u n g den unschätzbaren V o r t h e i l , w e n i g B e d ü r f n i s s e zu haben. Nüchternheit, M ä f s i g k e i t , und Gewohnheit sich immer nützlich zu b e s c h ä f t i g e n , machten ihm Arbeiten» vor welchen andre Fürsten gezittert hätten, beynahe zum Spiele. Seine Ergetzlicbkeiten w a r e n blofs Erhoblungen von der Arbeit. Er suchte sie bey d e n s c h ö n e n K ü n s t e n , oder inv Schoofse d e r N a t u r und in dem Vergnügen eines z w a n g f r e y e n , f r e u n d s c h a f t l i c h e n U m g a n gs. W e n i g um die M e i n u n g b e k ü m m e r t , .die 4er unverständige H a u f e v o n ihm haben k ö n n t e , und zu grofs um d u r c h äufserlichen Pomp und Schimmer diesen Pöbel verblenden zu wollen, aber äufserst empfindlich f ü r das Vergnügen g e l i e b t z u w e r d e n , k a n n t e er keinen andern E h r ^ f i t z , als d e a Wunsch, d e r geliebte Vater eine«
Z w f c Y T E » glücklichen
T
Volkes
n E i L.
za
seyn.
«oi Keine
Anstrengung, keine M u h e , kein« Nachtwache w a r ihm b e s c h w e r l i c h ,
um
diesen
u n t e r allen f ü r s t l i c h e n T i t e l n Z u allem welchen
schönsten
verdienen.
diesem kam ein U m s t a n d ,
der b e s t e W i l l e den
*) ohne
tugendhaftesten
F ü r s t e n vor dem U n g l ü c k übel zu r e g i e r e n n i c h t verwahren
kann.
Tifan hatte beynahe lauter
r e c h t s c h a f f e n e L e u t e , Männer v o n
eben
so a u f g e k l ä r t e m Geist
Her-
all e d l e m
t e n , z u D i e n e r n ; und w e n n sich a u c h h i e r o d e r da
ein
Heuchler
mit
einzuschleichen
w u f s t e , so m u f s t e ein s o l c h e r d o c h sein S p i e l so b e h u t s a m s p i e l e n , dafs der S c h a d e , den e r thun k o n n t e , sehr unbeträchtlich war. A u c h diefs i s t s e h r g l ü c k l i c h , sagte S c h a c h * Gebal.
Dein Tifan
h a t t e gut a l l e s z u s e y n
w a s du w i l l s t ; die g a n z e N a t u r
scheint
sich
1) Sollt 1 es möglich seyn, dafs unter allen k ü n f t i g e n Regenten, denen diese Geschichte in einem Alter, da ihr Kopf noch nicht zu sehr verschroben und ihr lierz noch nicht ganz versteinert i s t , in die Hände käme, auch nur Einer wäre, der, nachdem er diesen T i f a n kennen gelernt, den Gedanken ertragen könnte, einen solchen Karakter ein blofses Ideal bleiben zu lassen? jinm, eines
Ungenannten.
£02
DER COLD»B
Spiegel.
zum Vortheile seine» Ruhms zusammen verschworen zu haben. Vielleicht liefse sich wohl behaupten, erwiederte der ehrliche Datmchmend, dafs manche Fürsten in diesem Stucke mehr g l ü c k l i c h als w e i s e gewesen sind. Zu gutem Glück für sie und für ihre Unterthanen traf sichs ger a d e , dafs sie meistens ehrliche Leute aus dem G l ü c k s t o p f e zugen; denn so w i e sie es anfingen, hätte das Gegentheil eben so leicht bfgegnen können. Aber von Tifan kann man s a g e n , dafs er außerordentlich unglücklich gew e s e n seyn müfste, wenn er und der Staat nicht wohl bedient gewesen wären. Er w a r so sorgfältig in der Wahl seiner L e u t e , und verstand sich so gut auf den W e r t h der Menschen, um leicht betrogen zu werden. Er w a r zu sehr Meister von sich selbst, um sich durch den Schein einnehmen zu lassen; und wufste zu g u t , was für ein Karakter, w a s für Geschicklichkeiten und Tugeuden zu jedem Amt erforderlich w a r e n , um in den Fehler so vieler Fürsten zu fallen, welche mit den besten Dienern blofs defswegen nichts ausrichten, „ w e i l s i e k e i n e n an s e i n e n r e c h t e n P l a t z zu s t e l l e n w i s s e n . " Schwache und sorglose Regenten v e r d i e n e n ihr gewöhnliches Schicksal, von dem
Z W B Y T E R
T
II E I L .
£0$
Abschaum des menschlichen Geschlechtes um* geben zu seyn. Das bescheidne V e r d i e n s t s t e h t von f e r n e ; es scheuet sich vor dem ungestümen Gedränge oder den geheimen R ä n k e n derj e n i g e n , w e l c h e den Hof der Fürsten nur suchen um ihr eignes Glück zu m a c h e n : es w i l l e i n g e l a d e n seyn. Aber w i e sollte ein s c h w a c h e r R e g e n t es entdecken k ö n n e n ? Unter einem s c h l i m m e n geht es noch ärger. Jener ü b e r s i e h t die T u g e n d n a r j vor diesem mufs sie sich v e r b e r g e n : bey jenem ist sie k e i n V e r d i e n s t , w e i l er sie n i c h t k e n n n t ; b e y diesem ist sie e i n V e r b r e c h e n , w e i l er sie z u g u t k e n n t . T i f a n s K a r a k t e r , seine Grundsätze, seine T u g e n d e n , sein einnehmendes B e t r a g e n , zogen, w i e durch eine magnetische K r a f t , nach u n d nach alle verständige u n d redliche L e u t e von S c h e s c h i a n , das i s t , alle die ihm ähnlich w a r e n , an sich. Kein Verdienst, k « i n T a l e n t blieb ihm v e i b o r g e n ; er w a r zu a u f m e r k s a m um sie n i c h t z u e n t d e c k e n ; und die Beg i e r d e , einem so vortrefflichen Fürsten bekannt zu w e r d e n , erleichterte ihm die M ü h e sie z u s u c h e n . Uberdiefs vermied er in Absicht auf d i e j e n i g e n , die zunächst um ihn w a r e n , e i n e n gedoppelten F e h l e r , welchen, viele Grofse z u begeben pflegen. Um zu z e i g e n , dafs sie keinen Günstling h a b e n , um k e i n e E i f e r s u c h t unter
£4
DER
G O L D NE
S J U G I L ,
ihren Dienern zu veranlassen, um ihre vollkominne Unparteylichkeit zu beweisen, begegnen sie einem ungefähr w i e d e i n a n d e r n , und das gröfste T a l e n t , das wichtigste Verdienst, sieht sich mit einer M e n g e mittelmäisiger und verdienstloser L e u t e in Einen Klumpen zusammen g e w o r f e n . Oft geschieht es, dafs ein R e gent blofs durch ü b e r t r i e b e n e Z u r ü c k b a 11 u n g , oder durch das Vorurtheil, „dafs ein D i e n e r , w e n n er auch alles gethan h a b e , doch nur seine Schuldigkeit gethan h a b e , " seinen Tedlichsten und besten Dienern den M u t h ben i m m t , ihren E i f e r niederschlägt, und eben defswegen nicht die Hälfte des Nutzens erhält, den er und der Staat von ihnen ziehen könnten. Noch andre berauben sich der guten D i e n s t e w ü r d i g e r M ä n n e r durch die unglückliche Gemüthsart, „ w e g e n kleiner Fehler den W e r t h der wichtigsten Vorzüge zu verkennen ; " durch immer währendes M i f s t r a u e n und Gen e i g t h e i t , b e y . a l l e m w a s Menschen t h u n , immer d i e u n e d e l s t e n Bewegursachen vorauszusetzen; durch die G e w o h n h e i t , ihr« D i e n e r um der unerheblichsten Dinge vvillea zu s c h i k a n i e r e n , ihnen kein Verdienst anders als gezwungener W e i s e , und nur w e n n e$ unmöglich ist noch eine E i n w e n d u n g dagegen a u f z u b r i n g e n , einzugestehen, u. s. f. In allen diesen Betrachtungen verdiente T i f a n von den R e g e n t e n zum Vorbilde genommen zu werden.
Z W B Y T B R
THAI!..
S05
Seine unermüdete Aufmerksamkeit; sein a u f munternder Beyfall; »eine Geneigtheit e h e r einen F e h l e r als ein Verdienst zu ü b e r s e h e n ; seine Klugheit jeden in sein gehöriges Licht zu stellen, jeden zu demjenigen zu gebrauchen, w o z u er die meiste Tüchtigkeit h a t t e ; die Gerechtigkeit, womit er sein Vertrauen jedem nach dem Grade des persönlichen W e r t h e s und der wirklichen Verdienste zumafs ; sein Bemühen das Unangenehme in einem Auftrage durch die Leutseligkeit seines T o n s oder durch eine verbindliche W e n d u n g zu versüfsen ; die A c h t u n g , womit er seinen Dienern über» h a u p t zu begegnen pflegte, und womit er sie desto stärker a u f m u n t e r t e , selbige zu verdien e n , weil er gegen alle F e h l e r , die aus einem s c h l i m m e n H e r z e n oder aus M a n g e l a a Empfindung für E h r e und Rechts c h a f f e n h e i t entsprangen, s e h r s t r e n g w a r : — alle diese Eigenschaften brachten bey seinen Unterthanen eine beynahe wundertliätige W i r k u n g hervor. Niemahls ist ein F ü r s t von bessern L e u t e n , und muntrer, sorgfältiger, redlicher bedient worden als T i f a n . Wer wollte nicht einem so liebenswürdigen F ü r s t e n d i e n e n ? sagte m a n : er besitzt das Geheimuifs, die beschwerlichsten Pflichten zum Vergnügen zu machen, ui}d ein einziger Blick von ihm belohnt besser als die reichsten Belohnungen
20(5
D e r
G OL D » B
SPI
J c I
I.
eine» andern. Kein W u n d e r also, d a f s T i f a n a Regierung ein Muster einer weisen und glücklichen Staatsverwaltung w a r ; dafs er so grofse D i n g e s u Stande brachte; dafs Scheschian unter ihm von der untersten Stufe des Elends bis zum Gipfel der Nazioualglückseligkeit empor stieg. Kein W u n d e r , da er die Besten seiner Zeitgenossen zu Gehülfen h a t t e ; da er ¿ein Taleut u n b e n u t z t , kein Verdienst unbelohnt, aber auch mit eben so violer Aufmerksamkeit keine Saumseligkeit ungeahndet und keine Bosheit unbestraft liefs ; da jede wiebtigere Stelle mit dem 'tüchtigsten und redlichsten M a n n e , den er finden k o n n t e , besetzt w a r ; k u r c , da alle Kräfte des Staats in der schönsten Cber* einstimmung einander unterstützten und ford e r t e n , um den gemeinschaftlichen Zweck deröffentlichen W o h l f a h r t zu bearbeiten. D a n i s c h m e n d , sagte der Sultan, ich bin noch nie besser mit dir zufrieden gewesen als b e u t e . Ich f ü h l e w o h l , dals es in gewissem, Sinn eine sehr nachtheilige Sache ist Sultan zu seyn. Aber ich bin doch nicht so sehr Sult a n , dafs ich mich schätzen sollte, noch immer etwas zu lernen. W e n n du mir einen Dienst t h u n w i l l s t , so lafs mir die vornehmsten Maxim e n deines T i f a n s über die W a h l seiner D i e n e r , und «ein Betragen gegen s i e , mit gold-
Z w e y t b r
TU
Sit.
207
nen Buchstaben in ein schönes Buch zus< c h e n , die von der dümmsten Art von Vi T T ( i
anzupflanzen übrig ne» Reich« sind
T n m t JL.
finden*
237
D i e Provinzen dei-
w i e die Glieder Eines gesun-
den und voll blühenden Körpersj Ein gemeinschaftlicher Lebenssaft strömet durch sie h i n ; jede dient der a n d e r n ,
jede unterstützt die an-
d r e ; jede trägt das ihrige b e y , das Ganze vollkominner zu machen, Lebenswärme
und erhält vom Ganzen
und Nahrung«
stand dessen sie
benöthigt
Klasse des Staates
und jeden
seyn
Bei-
kann.
Jeda
ist w a s sie seyn soll,
und
E i n durch sie alle ausgegossener Geist der Ein» tracht
und Vaterlandsliebe
allgemeinen Besten. Klasse
wird
erzogen.
zu
ihrer
schaften ist in findungen, ^Jenne die
künftigen
einer
tum jeden
Bestimmung
A l l e eitle Gelehrsamkeit ist aus Sehe-
schien v e r b a n n t ;
Tugend
verbindet sie
D i e Jugend
der
Wissen-
eine Werkstatt nützlicher E r -
in eine Schule der W e i s h e i t ,
und mir
die Akademie
des
Geschmacks
der
verwandelt.
eine Geschicklichkeit und Kunst,
z u m Wohlstand
eines
Volkes
anwendbar
i s t , und in Scheschian nicht Aufmunterung und Belohnung stehe,
finde.
Und nun,
dafs dein V a t e r e i n
mein S o h n , guter
ge-
Wirth-
s c h a f t e r w a r , und folge seinem Beyspiele. D i e W a h r h e i t v o n der Sache w a r , dafs T i . fans N a c h f o l g e r an dem T a g e da er den T h r o n bestieg, — lich
zwar
keine S c h u l d e n , aber w i r k -
kaum so viel Geld in der Schatzkammer
ß38
D m
GOLDIII
Sruott.'
f a n d , als der reichst« Kaufmann eu Scliftcliiaa in seiner Kaste liegen hatte. Welch eine Wiitbscbaft! Bey den meisten andern Fürsten ist nicht« willkommner, al« ein Projekt aus h u n d e r t Taels, die in die Schatskammer fliehen, z w e y h u n d e r t t u machen. Bey Tifan würde mit allen P r o j e k t e n , wobey es darauf ankam d i e U n t e r t h a n e n ä r m e r IU m a c h e n , nicht* • 1» e i n F i a t s i m Z u c h t h a u t e zu verdienen gewesen seyn. Bringt mir Vorschläge, pflegte er t u sagen, die Schescliianer klüger, besser, arbeitsamer, geschickter und glücklicher au machen! J e mehr sie alles diefs »¡od, desto reicher werden sie s i y n : und bin ich nicht reich genug» w e n n es meine Scheschianer •ind ? Noch eine Seltsamkeit! I n allen andern Staaten, oder doch b e y n a h e in allen, pflegen die A u f l a g e n auf das Volk unvermerkt ( o f t auch sehr merklich) z u t u n e h m e n . Di« Bedürfnisse des Staats, sagt m a n , werden immer gröfser: und da in den meisten das V e r m ö g e n des Volkes in eben der Mafse a b n i m m t w i e d i e S t a a t s b e d ü r f n i s s e « un e h m e n ; so kommt zuletzt der Augenblick, w o das V o l k , gerade wann der Staat am'meisten b e d a r f , nicht« mehr zu geben bat. In
Z w E Y t B n
T u s i L.
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Scheschian w a r cliefs ganc ander« eingerichtet« T i f a n verstand die Kunst gvofse Dinge mit w e n i g e n Kosten zu t l u u i ; welches ungefähr eben so viel i s t , als die Kunst der alten Held e n , mit kleinen Heeren grofse S i e g e zu erfechten. Gleichwohl w a r es nicht anders mögl i c h , als dsfs die Scheschianer Anfangs alle ihre Kräfte aufbieten mufsten, um die grofsen Summen zu e r s c h w i n g e n , die zur Ausführung seiner Anstalten zum gemeinen Besten vonnöthen waren. Aber schon im zehnten J a h r e seiner Regierung sah er sich i m S t a n d e , die L a s t des Volke« merklich zu vermindern; und i n den letzten Jahren bezahlten die Scheschianer dem Staate kaum den dritten Theil dessen, w a s ihnen unter Sultan Azorn .abgenommen w o r d e n w a r ; und gleichwohl w a r der öffentliche Schatz nicht um eine Unze leichter als in den ersten Jahren T i f a n s , und wenigsten« um neunzehn Theile von z w a n z i g reicher als unter Azorn. W i e ging diefs zu ? fragte Gebal. Durch die einfachste Operazion von der W e l t , antwortete Danischmend. Im zehnten J a h r e T i f a n s waren ungefähr d r e y f s i g M i l lionen Menschen in Scheschian, welch« zusammen z w e y hundert Millionen Unzen Silber* i n d i e S c h a t z k a m m e r bezahlten. Im f ü n f z i g -
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6ten Jahr eben dieses Königs zählte man übet s e c h z i g Millionen E i n w o h n e r , welche, um die nelitnliche Summe zusammen zu biini^en, n u r halb so viel bezahlten als ihre Vorgängwr, aber noch immer i n d i e S c h a t z k a m m e r . Hingegen befanden sich in den letzten Jahren - A z o r s vierzig Millionen Einwohner in Scheachian, welche d r e y - u n d zuletzt vierniahl so viel bezahlen iuui»ten; a b e r u n g l ü c k l i c h e r W e i s e d a s m e i s t e w e d e r an d i e Schatz» k a m in e r n o c h a n d e n K ö n i g , sondern an die ungeheure Anzahl der Pachter und Einnehm e r , an die Mätressen des Königs, an die Günstlinge und Höflinge, an die königlich« K ü c h e , an die königliche Garderobe, an die kön¡glichen P f e r d e , H u n d e , Katzen, Elefanten, H i e s e n , Z w e r g e , Affen und Papagayen, und jan eine unendliche MeDge anderer entbehrlicher Geschöpfe, die zum Hofstaat Seiner Majestät gehörten, und insgesammt s e h r g r o f s e B e d ü r f n i s s e hatten. Alle diese T h e i l n e h m e r an den Staatseinkünften nahmen so viel davon t u m voraus w e g , dafs ein mäfsig starker Esel wenig M ü h e hatte, den Rest in die königliche Schatzkammer su tragen; und dieser einzige Umstand löset, däucht m i c h , das ganze Geheimnifs auf» E s gefiel dem Sultan Gebal, bey dieser Stelle in ein so starkes Gelächter auszubrechen,
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dafs Dänischmend iiine halten mufste. Der arme Azor, rief «r einmahl über da* andere a u » , der arme M a n n ! Kann man auch ein ärmerer Schelm seyn a l s A z o r ! In dar T h a t , t a g t e D a n i s c h m e u d , der gute A i o r w a r beynahe noch ärmer a l s s e i n e >:• nie» Unterthanen. D u hast R e c h t , Danischmend, versetzte S c h a c h - G e b a l : die guten L e u t e sind w i r k l i c h zu b e d a u e r n ! — Aber w o blieben w i r ? D i e W a h r h e i t zu s a g e n , ich sehe noch nicht sehr h e l l in der Haushaltung deines T i f a n . In kurzem,»hoffe i c h , soll Ihrer Hoheit al« l e s sehr deutlich w e r d e n , e r w i e d e r t e der Filosof. Sultan T i f a n macht in seinem Gesetzbuch eine m e r k w ü r d i g e Diatinkzion z w i s c h e n den Bedürfnissen d e s K ö n i g s und den Bedürfnissen d e s S t a a t s ' , und folglich auch z w i s c h e n d e m B e u t e l des einen und d e s a n d e r n . Zu j e n e n , bestimmte er eine beträchtliche Anzahl von Krongütern , w e l c h e seit den Zeiten Ogul - Kans die Domänen des Königs ausgemacht hatten. Er vermehrte sie, m i t • B e w i 11 i g u n g d e r N a z i o n , durch einen Theil der verödeten Gegenden, w e l c h e , von den bürgerlichen Unruhen her,-« aus M a n g e l an B e w o h nern unangebaut l a g e n , und als dem Staat anW I B L A H D S Sämnul. W. Vir. B. Q
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heim gefallen betrachtet, von Tifan aber mit fremden Kolonisten besetzt und in wenig JahTen in einen aebr ergiebigen Stand gesetzt - wurden, Aufserdem waren die Einkünfte von den Bergwerken und Salzgruben von jeher als königliche Güter angesehen worden, und Tifan litis es um so mehr dabey bewenden, w«-il er •ich und seinen Nachfolgern das Vermögen auch w i l l k ü h r l i c h Gutes EU thun nicht entziehen wollte; eine Idee, welche sich mit der menschlichen Schwachheit viellaicht e n t s c h u l d i g e n läfst, wiewohl sie durch ihre Folgen in spätem Zeiten dem Scheschiaaischen Reichs verderblich geworden ist. Alle dies« Einkünfte betrugen durch die gute Wirthschaft des Königs Tifan in seinen letzten Jahren ungefähr neun bis zehn Millionen Unsen Silbers, welche der König verwalten konnte wie er wollte, ohne jemand defswegen Rechenschaft >u geben. Hingegen mufste er davon seine ganze Hofhaltung, alle seine Privatausgaben, u n d , nach Tifans ausdrücklicher Verordnung, selbst alle diejenigen bestreiten, welche die Majestät des Thrones erfordert. Da nun diese Summe, so beträchtlich sie w a r , gar leicht für die Begierden eines •chwachen oder ausschweifenden Fürsten unaulänglich hätte seyn können: so verordnet« Tifan in »iiiem beiondsrn Abschnitte seine«
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Gesetzbuch«», w i e der Hofstaat de» König», seine T a f e l , und alles w a s -zu seiner Haushalt u n g g e h ö r t e , eingerichtet seyn sollte. Eine e d 1 e E i n f a 11 und eine s e h r g r o f s e M ä f s i g u n g w a r der Geist dieser Verordnungen. W e n n der L u x u s , sagte T i f a n , einem w o h l eingerichteten Staat verderblich, nnd nur in einem sehr verdorbenen eine Zeit lang eia nothwendiges Übel i s t ; wenn der gröfste Reich« thum desselben in der Menge arbeitsamer Einw o h n e r b e s t e h t , und die Bevölkerung, o h n a IVIäfsigung der Begierden und des A u f w a n d s , unmöglich so w e i t gehen kann als sie sonst natürlicher Weise gehen w ü r d e : so fällt in die A u g e n , w i e nothwendig es i s t , dafs der Hof dem ganzen Staat ein fortdauerndes Beyspiel einer Tugend gebe, welche die stärkste Schutzw e h r e der guten Sitten ist. Nach dem H ö f a bilden sich die Grofsen und der Adel: u n d vereinigen sich d i e s e , dem Volke mit dem Beyspiel einer e i n f ö r m i g e n , in die Schranken der' Anständigkeit und einer guten W i r t schaft eingeschlossenen Lebensart vorzuleucht e n , so wird das Volk desto weniger der Gef a h r ausgesetzt s e y n , den Geist seines Stande! u n d den Geschmack an der Einfalt seiner eigenen Lebensart »u vetlieren. Diese Einförmigkeit ist nur solchen L e u t e n z u w i d e r , in welchen der M ü f s i g g a n g a u s s c h w e i f e n d e Begierden und einen grillenhaften Geschmack
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ausbrütet: in Scheschian kann es keine solche L e u t e geben; denn das Gesetz duldet limine IVIüf»iggänger. Vom König an bis zum Tagelöhner ist jedermann mit den Pflichten seine« Standes oder mit der Ausübung seiner Talente beschäftigt; und beschäftigte L e u t e , für welche d i e b l o f s e R u h e schon eine Art von Vergnügen i s t , haben nur einfache und ungekünstelte Ergetaungen vonnöthen, w e i l die ErgetBungen für sie keine Beschäftigung, sondern nur Erhohlungsmittel nach der Arbeit sind. Eine nach diesen Begriffen eingerichtete Hofhaltung konnte, w i e w o h l d a s A n s t ä n d i g e , und bey gewisser Gelegenheit selbst d a s G l ä n z e n d e , nirgends verinifst w u r d e , nicht so viel kosten, dafs der König 'nicht noch grofse Summen in Händen behalten h ä t t e , wovon er einen edrln, wohlthätigen , und gemeinnützigen Gebrauch machen konnte. Tifan, zum B e y s p i e l , der ein grofser Liebhaber der IN a t u r f o r s c h u n g w a r , wendete einen beträchtlichen Theil seiner eigenen Einkünfte auf fysische Versuche, auf mathematische Werk* z e u g e , und auf Belohnung derjenigen, w e l c h e in diesem Fache «ich vorzüglich verdient machten. Er stiftete aus »einer eigenen Kasse eine A k a d e m i e d e r s c h ö n e n K ü n s t e , deren immer zunehmendes Wachsthum eine seiner angenehmsten Ergetzungen ausmachte.
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Überdiefs setzte er f ü r a l l e A r t e n n ü t z l i c h e r B e m ü h u n g e n jährlich eine beträchtlic h e Anzahl v o n P r e i t e n au«. Alle U n t e r n e h m u n g e n , von w e l c h e n dein Staat F.hre o d e r i r g e n d ein a n d r e r N u t z e n z u g e h e n k o n n t e , f a n d e n in ihm einen g r o f s m u t h i g e n aber zugleich einsichtsvollen B e f ö r d e r e r , w e l c h e r S c h e i n u n d W a h r h e i t »ehr g e n a u zu u n t e r scheiden w u t s t e . H a u p t s ä c h l i c h aber s t a n d e n alie j u n g e n L e u t e , w e l c h e sich d u t c h P r o b e n aufserordentlicher Fähigkeiten hervorthaten, unt e r seinem u n m i t t e l b a r e n Schutze. E r hielt ein Verzeichnifs über alle die z u dieser Klause g e h ö r t e n j er verschaiFte i h n e n G e l e g e n h e i t s i c h v o l l k o m m e n zu m a c h e n ; u n d da er sie g e n a u g e n u g k e r n e n l e r n t e , um i h r e m a n n i g f a l t i g e n T a l e n t e aufs beste b e n ü t z e n zu k ö n n e n , so mag es w o h l diesem U m s t ä n d e v o r n e h m l i c h z u z u s c h r e i b e n s e y n , dal» er im S t a n d e w a r , d i e vortreffliche S t a a t s w i r t h s c h a f t z u f ü h r e n , d e r e n er sich gegen seinen N a c h f o l g e r r ü h m t e . B e y e i n e m solchen G e b r a u c h , als T i f a n v o n s e i n e n e i g e n e n E i n k ü n f t e n m a c h t e , läfst sich leicht b e g r e i f e n , w a r u m er seinem S o h n e kein e n g r o f s e n V o r r a t h an b a r e m G r l d e h i n t e r l i e f s ; w i e w o h l u n t e r allen R u b r i k e n s e i n e r A u s g a b e n k e i n e einzige w a r , über die er z u e r r ö t h e n Ursache g e h a b t h a t t e . Aber dafs es a u c h mit d e m ö f f e n t l i c h e n S c h a t z e
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die nehmliche Bewandtnifs batte, würde gegea •eine gute Wirthschaft einigen Verdacht erwekl e n können, wennTifan sich nicht zum Grundsatz gemacht hätte, die Einnahme und Ausgäbe de« Staat» so genau gegen einander abzuwägen, dafs be,ym Schlüsse jedes Jahres, nach Abzug der letzten von der ersten, wenig oder nichts übrig blieb. Dieser öffentliche Schatz bestand aus den Abgaben, welche theils von den Eigenthümern aller liegenden Grundstücke, theils von dem beweglichen Vermögen und Er» werb aller übrigen Einwohner des Reichs erhoben wurden. E r betrug unter Tifans Regierung ordentlicher Weise niemahls über zwey hundert Millionen Unzen Silbers., und durfte i ) Man würde die Absiebt des Herausgebers dieser Geschichte sehr verfehlen« wenn man dasjenige, Was hier und an andern Stellen von den Einrichtunen oder Maximen des Königs Tifan gesagt wird, ür einen i n d i r e k t e n T a d e l weiser und mit den iefsten Einsichten in die Regiernngskunst begabter Fürsten ansehen wollte. Tn einem i d e a l e n S t a a t e kann man alles einrichten wie man w i l l ; in einem wirklichen ist der gröfste Monarch nicht allezeit och in allen Stücken Herr aber d i e U m s t & n d e . vVas in Sclieschian schicklich w a r , oder es durch Tifans Gesetzgebung w u r d e , j a , was an sich selbst ind im Allgemeinen als vortheilhaft für alle Staaten gelten kann, kann in einem gewissen Staate, besonderer Umstände und Verhältnisse wegen, nachtheilig, unschicklich oder gar unmöglich seyn.
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auf nichts andres als die unumgänglichen Ausgaben des Staats, oder auf solche, welche augenscheinlich zum Besten desselben gereicht e n , und im Gesetzbuch ausdrücklich benannt w a r e n , verwendet werden. Der König, sagt T i t a n , bat nicht die mindeste willkiihrliche Gewalt über das Vermögen seiner Unterthanen: er ist schuldig sie dabey t a schützen; aber er ist so wenig als irgend ein andrer Mensch bef u g t , ihnen nur den Werth einer Stecknadel w i d e r i h r e n W i l 1 e n wegzunehmen. Hingegen sind die sämmtlichen Bürger des Staats verbunden, zu den B e d ü r f n i s s e n desselben und zu g e m e i n n ü t z i g e n Anstalten nach Verhältnifs ihres Vermögens oder Einkommens beyzutragen; und da keiner ohne Unsinn diese Schuldigkeit mifskennen, noch ohne ein Verbrechen gegen den Staat sich derselben entziehen k a n n , so kommt alles blofs darauf a n : dafs der Nazion dieser Beytrag auf alle mögliche Art erleichtert, und dafs ihr die vollständigste Sicherheit wegen gesetzmäfsiger Vervrendung desselben ge» geben werde. Die Verordnungen Tifans zur Erreichung dieser zweyfacben Absicht sind so einfach, als
) und da sie unter Schach • Gebais Regierung einen desto gröfsern Einilufs hatten, je abgeneigter ihnen der Sultan w a r ; so War es noch immer viel Glück für den guten Danischmend, dafs e r , durch Vermittelung der schönen Nurmalial, mit dem Verlust seiner Ehrenstelle und einer kleinen Entschädigung davon k a m , di« ihn in den Stand setzte, in seinen alten Tagen , fern vom Hofe und vom Geräusche des geschäftigen Lebens, seinen Betrachtungen über eine W e l t , die ihn vergessen hatte, nachzui ) Es giebt noch mehr Klassen, bey denen dief« eine eben so ausgemachte Sache ist. Jeder greife m seinen eigenen Buten und riclue sich selbst!
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.Längen, und ofi bey sich selbst, so herzlich als D e m o k r i t u s , zu lachen, wenn er sich an alles f was er gesehen hatte, erinnerte; besonders wenn ihm wieder einfiel, dafs er Iloffilosof bey Schach - Gebal, Aufseher über die Bonzen und über das königliche Theater, Biograf der Konige von Scheschian, u n d , was das Lustigste unter allen w a r , etliche Monate lang sogar Itimadulet von Indostan gewesen V>var. W i r h o f f e n , Freund Danisclimend werde sich durch seine B e t r a c h t u n g e n , durch die E p i s o d e von d e m E m i r und d e n K i n d e r n d e r N a t u r , und durch d e n g u t e u W i l l e n , der aus seiner Erzählung von deu Königen in Scheschian allenthalben hervor sticht, dem geneigten I >eser schon so wohl empfohlen haben, dafs diese kleine Abschweifung, wozu er uns veranlafst h a t , keiner Abbitte vonnötlien haben werde. Und so lenken w ir obne weiteres wieder in den W e g unsrer Geschichte ein. Diö Beförderung des weisen Danisclimend zum ersten Minister machte keine Veränderung in seinem Amte, den Schlaf des Sultans seines Herrn zur Erzählung der Denkwürdigkeiten von Scheschian zu befördern. Die Geschichte der von Tifan ausgeführten Staatsverbesserung Wlelakds siimmtL W. VII. B. S
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DER
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wurde also bey der ersten Gelegenheit wieder vorgenommen; und da Schach - Gebal nochinahls sein Verlangen äufserte, zu hören w i e es den b l a u e n und f e u e r f a r b n e n B o n z e n dabey ergangen s e y , so befriedigte Danischmend seinen Willen durch folgenden Bericht. Die Grundsätze und die gereinigten Empfindungen , welche der weise Dschengis seinem Pflegesohn über den erhabensten Gegenstand, der die menschliche Seele beschäftigen kann, über d i e R e l i g i o n , beygebracht hatte, lassen nicht weniger erwarten, als dafs Tifan, so bald er den öffentlichen Ruhestand im Reiche hergestellt und die dringendsten Angelegenheiten desselben besorgt hatte, sich mit allem Eifer einer aufgeklärten Frömmigkeit dazu verwendet haben w e r d e , den Völkern von Scheschian, statt des elenden Aberglaubens worin sie seit so vielen Jahrhunderten von ihren I'riestern unterhalten worden waren, eine vernünftige und dem wahren Besten^ der Menschheit angemessene Religion zu geben; und man mufs g e l b e n , dafs er hierin alles gethan hat, was man billiger Weise von einem Gesetzgeber fordern kann , dessen Schuld es nicht w a r , etliche tausend Jahre vor der Geburt unsers grofsen Pro-i feten in die W e l t gekommen zu seyn. Um zu seinem Zwecke zu gelangen, mufste er z w e y g r o f s e D i n g e zu Stande brin-
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gen, — d e n A b e r g l a u b e n v e r n i c h t e n , der noch iminer dein gröfsem Theile seines Volkes in dem feueifavbuen oder in dem blauen Alfen den geheiligten Gegenstand einer verjährten Anbetung zeigte; — lind s c h i c k l i c h e M i t t e l f i n d e n , die Scheschianer an w ü r d i g e B e g r i f f e von dem höchsten W e s e n vnd an einen v e r n ü n f t i g e n G o t t e s d i e n s t zu gewöhnen. Beides wurde manchem andern Regenten unendlich schwer u n d vielleicht ganz unmöglich gefallen seyn. Aber T i f a n , der in dieser wichtigen Sache ohne Nebenabsichten, nach Grundsätzen die aus der tiefsten Kenntnifs des Menschen geschöpft; war e n , u n d nach einein durchdachten Plane, l a n g s a m , aber a n h a l t e n d und s t a n d h a f t v e r f u h r , Tifan erreichte seinen Z w e c k , und — was in einem Geschäfte dieser Art das Aufserordentlicliste i s t , aber die natürliche Folge seines klugen Verfahrens w a r — erreichte ihn, ohne dafs eine so grofse Veränderung die geringste Erschütterung im Staate verursacht, oder irgpnd einem Scheschianer einen Tropfen Blut gekostet hätte. D e r erste Schritt, den er zu diesem E n d e t h a t , war eine Verordnung, in welcher beide Theile, B l a u e und F e u e r f a r b n e , zum Frieden u n d zu gegenseitiger D u l d u n g angewiesen wurden. Tifan schilderte darin mit
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SRTEBII,.
eher W e i s e in den* engern Zirkel des häuslichen Lebens eingeschränkt i s t , absonderlich von ihren Müttern oder nächsten Verwandten erzogen werden sollten. Unter jenen waren nur d i e S ö h n e d e s K ö n i g s , und unter diesen allein diejenigen, welche in besonderem Verstände d i e P f l e g e t ö c h t e r d e r K ö n i g i n genannt w u r d e n , von der a l l g e m e i n e n - R e g e l ausgenommen. Denn diese letztern wurden, eben so w i e die Knaben, in besonders dazu eingerichteten I reitungszeit aus. Gleich sorgfaltig wurden.-auch die S c h u l l e h r e r in besondern f ü r i sie angeordneten Pflanzschulen zu ihrer künftigen Bestimmung zubereitet. Diejenigen, welche zu diesem Stande ausgewählt wurden», mufsteu Beweise der gröfsten Fälligkeiten, eines r scharfen Beob-« achtungsgeistes, einer grofsen Geschmeidigkeit der Seelze, • u n d eines edeln Herzens gegeben haben. Tifan glaubte, dafs man mir den vortrefflichsten Männern der Nazion die Sorge f ü r den kostbarsten • Schatz derselben anvertrauen könne. Aber eben darum « a c h t e n sie auch
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SPIEGEL.
eine der angesehensten Klassen a u s , w u r d e n nächst den Akademismen und Priestern als die vornehmsten S t a a t s b e d i e n t e n betrachtet, w a r e n fiir ihre Arbeit reichlich belohnt, u n d g e n o s s s e n , w e n n sie dem Staate f ü n f u n d z w a n z i g J a h r e lang gedient h a t t e n , f ü r i h r Übriges Leben einer zwar nicht ganz unbeschäft i g t e n , aber doch ruhigen und mit grofsöm Ansehen verknüpften Unabhängigkeit. Diejenigen , welche, man einem so wichtigen Stande w i d m e t e , w u r d e n , von ihrem sechzehnten Jahr a n , z e h n J a h r e lang in allen Wissenschaften, die zu einer vollständigen Kenntnifs des M e n schen gehören , u n d in allen n u r möglichen F e r t i g k e i t e n , wodurch sie zu ihrem Amte geschickter gemacht w e r d e n k o n n t e n , geübt. Sie w a r e n überhaupt in z w e y Ordnungen abgetheilt, in die L e h r e r der n i e d e m und in die L e h r e r der h ö h e r n S c h u l e n ; und f ü r jede Ordnung w a r e n in jeder Provinz besondere Vorbereitungsanstalten. D a Tifan sich ,eine so grofse Angelegenheit daraus m a c h t e , jeder wichtigern lilasse v o n B ü r g e r n , u n d besonders denjenigen, welche zur Verwaltung ihres Amtes- einen gelehrten Unterricht in den Wissenschaften oder in d e n Gesetzen von Scheschian vonnüthen hatten, i h r e e i g e n e E r z i e h u n g zu g e b e n i so stellt man sich leicht v o r , dafs er f ü r die Erziehung
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des jungen A d e l s nicht weniger Sorge getragen haben werde. Die Adelichen in Scheschian besafsen nicht nur den gröfsten' Theil der Ländereyen eigenthümlifch, wiewohl o h n e G e r i c h t s b a r k e i t : sondern ihre ehmahls sehr übertriebenen, unter Azorn und Isfandinrn aber nach und nach unendlich verminderten. Vorzüge waren durch Tifans Gesetzgebung wieder zu einem solchen Glänze hergestellt worden, dafs sie nun, sowohl durch ihren Reichthum als durch ihre, Vorrechte, die ansehnlichste H a s t e im Staate ausmachten. Aufser dem wesentlichen Antheil, der ihnen an d e r G a r a n t i e de-r G e s e t z e u n d Nat i o n a l r e c h t e zukam;, hatte der hohe Adel in Scheschian, der aus den ältesten und begütertsten Familien bestand, e i n a n g e b o r n e s R e c h t an a l l e o b e r s t e n S t a a t s - u n d K r i e g s b e d i e n u n g e n , Der König erwählte zwar daau wen er wollte; aber das Gesetz verband ihn, aus dem A d e l zu wählen. So vor« zügliche R e c h t e konnten, nach den Begriffen unsers Gesetzgebers, nicht anders' als mit eben so grofsen P f l i c h t e n verbunden seyn. Weil die Ed ein in Scheschian die r e i c h s t e Klasse ausmachten, so t r u g e n ^ s i e auch zu den Bedürfnissen des Staats am m e i s t e n b e y ; und - weil sie die vornehmsten Gehülfen des Königes in der Regierung waren, so mufsten sie auch die Geschicklichkeiten und die Tugen-
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den besitzen, die eine so edle Bestimmung vorraussetzt. T i f a n fand dafs es etwas mit dem Besten des Staats ganz unverträgliches •wäre, dem f r e y e n B e l i e b e n der Edelleute zu überlassen, ob sie m ü f s i g g e h e n , oder sich n ü t z l i c h b e s c h ä f t i g e n ; — ob sie rolie V e r ä c h t e r d e r W i s s e n s c h a f t e n , deren Werth sie nicht verstehen, und anmafsliche D e s p o t e n d e r s c h ö n e n K u n s t ei deren erste Grundbegriffe ihnen fremde sind, —> oder a u f g e k l ä r t e F r e u n d e und K e n n e r der einen und der andern; ob sie ungeschliffen und ausgelassen in ihren Sitten, verdorben in ihren Grundsätzen, anstöfsig und übelthätig in ihren Handlungen, — oder ob sie tugendhafte, nach grofsen Grundsätzen handelnde Patrioten und Menschenfreunde seyn; — mit Einem W o r t , ob " s i e , ihrem' i n n e r n W e r t h e nach, die v e r ä c h t l i c h s t e , oder, ihrer Bes t i m m u n g gemäfs, die s c h ä t z b a r s f f e Klasse des Reichs vorstellen wollten. Er glaubte, v e r z e h r e n was andre arbeiten, sey kein genügsames Verdienst um den Staat; und es sey w i d e r s i n n i g , mit einer niedrigen Seele an den Ruhm und die Rechte edler Vorältern Anspruch machen, und u n e r t r ä g l i c h , wenn ein verdienstloser Menscfi, blofs um eines von ungefähr ihm zugefallnen adelichen Nahmens willen, auf die nützlichen und an i n n e r l i c h e m W e r t h edlen Glieder des Staats ver-
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ächtlich herab zu sehen sich berechtigt hält. Um den Adel von Scheschian vor einer so schimpflichen A u s a r t u n g zu verwahr»«, um ihn wirklich zu dem was er seyn sollte zu. b i l d e n , ordnete T i f a n f ü r die adelicbe Jugend seines Reichs eine öffentliche Erziehung an, bey welcher die . M i t t e l , die zu ihrer Vervollkommnung angewandt w u r d e n , den ganzen Umfang seines grolsen Zweckes umfafsten. Nicht S k l a v e n , aber zuverlässige S t ü t z e n des T h r o n s , weise Vorsteher der Nazion, muthige Vertlieidiger ihrer R u h e und standhafte Vertreter ihrer R e c h t e , voll edlen Gefühls ihrer Unabhängigkeit gegen alle Anmafsungen einer willkührlichen G e w a l t , a b e r , gehorsam gegen die Gesetze, unfähig eine Unwahrheit zu sagen oder eine Niederträchtigkeit zu thun, grofsmuthig u n d bescheiden in Verwendung ihres Vermögens ^ aber Verächter des Reichthums der ein Sold der Knechtschaft u n d des »
geschmeidigen Lasters i s t , und stolz auf eine. A r m u t h , welche durch defi Schatten, den sie, auf die Tugend w i r f t , den Glanz derselben mehr erhebt als verdunkelt; Beförderer aller nützlichen K ü n s t e a b e r vorzüglich g e b o r n e B e s c h ü t z e r d e s A c k e r b a u e s , dem sie ihre eigene Unabhängigkeit zu danken hab e n ; mit Einem W o r t e V o r b i l d e r d e r ü b r i g e n S t ä n d e in jeder T u g e n d des geselligen u n d bürgerlichen Lebens, und geschickt,
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die Vorzüge ihres Standes, w o f e r n sie ihnen nicht angedrbt gewesen w ä r e n , durch persönliche Verdienste zu e r w e r b e n : — d i e f s s o l l t e n d i e C d e l n v o n S c h e s c h i a n s e y n , und diefs w u r d e n s i e durch Tifans weise Veranstaltung. D i e Schulen, in welchen sie erzogen w u r d e n , standen unter der unmittelbaren Aufsicht des K ö n i g s u n d der R e i c h s s t ä n d e . D i e geschicktesten Akademisten w u r d e n zu ihr e n L e h r e r n u n d Aufsehern bestellt. Nichts w a s d e n K ö r p e r , den Geist u n d das Herz vervollkommnen k a n n , w u r d e in ihrer Erziehung verabsäumt. Sie fing sich mit dem f ü n f t e n J a h r e des Alters a n , u n d endigte sich erst mit dem ein u n d zwanzigsten. Kein .Sohn eines Schescliianischen Edeln w a r einiger Beförder u n g fällig, der diese öffentliche Erziehung nicht genossen hatte. In den fünf letzten Jahren derselben mufsten dem Könige von Zeit zu Z e i t die Beobachtungen der Aufseher über die Fähigkeiten und Sitten ihrer Untergebenen,, und Proben ihres -Fleifses eingeschickt werden. Alle J a h r e w u r d e n diejenigen, deren Zubereitungszeit verflossen w a r , dem Könige vorge« stellt. F r behielt die vorzüglichsten au' seinem H o f e , u n d die-übrigen w u r d e n , jeder in seiner P r o v i n z , stufenweise zu den Geschäften u n d Lhrenjtellen , die ihrem Stande zukamen, befördert.
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Itimadulet, sagte Schach-Gebal, was mir an den Erziehungsanstalten deines T i f a n am besten gefällt, ist die Anordnung dieser mit w i r k l i c h e n P r o b e n belegten Berichte über die Talente und Sitten der jungen Leute von den höhevn Klassen. Auf diese Weise blieb ihm kein guter Kopf, kein vorzüglicher Karakter in seinem ganzen Reiche unbekannt. Er war nicht in dem Falle, worin wir andern uns zu befinden pflegen, seine Leute aus einem G l ü c k s t o p f e ziehen zu müssen, wie du neulich sagtest. Sein Staat glich einer künstlichen Maschine, von deren Wirkung der Meister gewifs ist, weil er weifs, dai's er seine Federn, Hebel, Räder, Schrauben und wie diu Dinge heifsen, jedes an seinen Platz gesteilt hat. Ich denke, Freund Danisclimend, diese Kunst sollte sich ihm ablernen lassen — denn wir wollen uns nicht zu weise dünken, v o n einem s o l c h e n M e i s t e r zu lernen. Unstreitig, erwiederte der neue Itimadulet, sind unter seinen Verordnungen und Anstalten manche, wovon sich auch in den Staaten des Sultan Vneines Herren guter Gebrauch machen liefsej zum Jieyspiel (setzte er mit einer halb ironischen Miene hinzu) die vortreffliche Art, wie er Sclieschian von dem schädlichen Ungeziefer , den Y a - f o u - t
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Aber bey allem dem, fiel Gfbal plötzlich ein, muls diese treffliche Kunstmaschine, deren Lob ich so eben aus vollem Herzen anstimmte, irgend einen verborgenen Käpitalfehler gehabt haben, dafs sie, wie du schon mehr als Einmahl etwas voreilig zu verstehen gegeben hast,' in so kurzer Zeit ins Stocken gerieth, und endlich gar so gänzlich zu Grunde ging, dafs weder Tifan noch sein Reich unsem Universalhistorikern auch nur dem Nahmen nach bekannt ist, In der That-, versetzte Danischmend, war es, wie Ihre Hoheit sagen, etwas voreilig von mir —— „Hat nichts au bedeuten, llerr Danischmend ! Im Gegentheil, du hast mir einen Gefallen gethan, mich auf diesen Punkt aufmerksam zu machen. Ich glaube nun deinen Tifan und seine Gesetzgebung mit seiner ganzen Art zu regieren so gut zu keimen als — meine eignen Angelegenheiten. ( Das mag wohl seyn! dachte Danischmend, mit einem Seufzer, den er noch zu rechter Zeit in einen kleinen Husten verwandelte.) Seine Staatseinrichtung, w i e gesagt, ist ein Meisterwerk, fuhr der Sultan fort: aber, ohne mir selbst ein Kompliment zu machen, ich hatte eine Art von Ahndung, dafs sie von keiner langen Dauer seyn konnte. Indessen mufs es doch die TVlühe verlohnen, von dir zu hören wie es damit zuging, und diefs
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i s t , unter uns gesagt, das Einzige was mich an deiner Geschichte von Scheschian noch interessiren kann. Richte dich also darauf ein, Itimadulet, wenn ich dich wieder rufen lasse, meine IN eugier hierüber zu befriedigen.
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E s ist ein trauriges L o o s aller guten Dinge in der W e l t , fing Daniscbmend a n , als er nach einigen Tagen wieder an das Bette Seiner Hoheit gerufen w u r d e , dafs sie unter den Händen der Menschen nicht lange unbeschädigt und unverdorben bleiben können. Leider gilt diefs von Gesetzgebungen, Staatsverfassungen und Regierungen ganz vorzüglich. W i e vollkommen auch die gesetzmäfsige V e r f a s s u n g eines Staats s e y n m a g , bey der V o l l z i e h u n g kommt alles auf die Beschaffenheit der Menschen a n , in deren Händen die Gewalt ist, welche der Staat dein Fürsten, und der Fürst wieder theilweise denen, die ihin regieren helfen sollen, anzuvertrauen genöthigt ist. W i e angelegen liefs sich's nicht tler gute T i f a n s e y n , seiner Gesetzgebung, eben dadurch die Krone der Vollkommenheit aufzusetzen, dafs
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i s t , unter uns gesagt, das Einzige was mich an deiner Geschichte von Scheschian noch interessiren kann. Richte dich also darauf ein, Itimadulet, wenn ich dich wieder rufen lasse, meine IN eugier hierüber zu befriedigen.
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E s ist ein trauriges L o o s aller guten Dinge in der W e l t , fing Daniscbmend a n , als er nach einigen Tagen wieder an das Bette Seiner Hoheit gerufen w u r d e , dafs sie unter den Händen der Menschen nicht lange unbeschädigt und unverdorben bleiben können. Leider gilt diefs von Gesetzgebungen, Staatsverfassungen und Regierungen ganz vorzüglich. W i e vollkommen auch die gesetzmäfsige V e r f a s s u n g eines Staats s e y n m a g , bey der V o l l z i e h u n g kommt alles auf die Beschaffenheit der Menschen a n , in deren Händen die Gewalt ist, welche der Staat dein Fürsten, und der Fürst wieder theilweise denen, die ihin regieren helfen sollen, anzuvertrauen genöthigt ist. W i e angelegen liefs sich's nicht tler gute T i f a n s e y n , seiner Gesetzgebung, eben dadurch die Krone der Vollkommenheit aufzusetzen, dafs
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er ihr die möglichste Dauerhaftigkeit 'tu gehen suchte ! Eben darum, weil er einsah, wie sehr alles auf die s i t t l i c h e Beschaffenheit der Re* g i e r t e n sowohl als der R e g i e r e n d e n an« kommt, machte er die moralische Bildung der Scheschianer zum Hauptzweck seiner Erziehungsanstalten, und die Erhaltung der Sitten in der möglichsten Lauterkeit zum Augenmerk aller seiner Verordnungen. Abet eben darum, weil es unmöglich ist unter eineiÄ grofen Volke die Sitten lange unverdorben zu erhalten, könnt' er mit aller seiner Vorsicht mehr nicht bewirken, als dafs es mit der sittlichen Verderbnifs seines Volkes l a n g s a m e r zuging, und also der Zeitpunkt d e s p o l i t i s c h e n T o d e s , welchem sich jeder Staat mit immer zunehmender Geschwindigkeit nähert, von dem seinigen etwas weiter entfernt wurde, als es ohne seine Vorkehrungen geschehen wäre. Ohne Zweifel liegt diese Tendenz zum s c h l e c h t e r w e r d e n so tief in der menschlichen Natur, dafs ihre Wirkung durch keine menschliche Veranstaltung gänzlich aufgehoben werden kann. Auf diesen Punkt scheint der pute Tifan zu wenig Rücksicht genommen, und überhaupt den Menschen,, -die er (ohne sich dessen vielleicht * bewufst zu s e y n ) zu viel nach seinem eigenen Herzen beurtlieilte, hey aller seiner Vorsicht, noch immer mehr Gutes
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zugetraut zu haben, als er mit Recht erwarten konnte: und dieser Umstand ist vielleicht allein der Grund, Warum einige seiner Gesetze den Keim ihrer Verderbnifs bereits in sich trugen, und die Entwickelung desselben unvermerkt beförderten. So hatte e r , z. B. in der besten ^Absicht von der W e l t die Scheschianische P r i e s t e r s c h a f t , um ßie zu veredeln und dem Staate nützlich zu machen, zu öffentlichen Lehrern des Gesetzbuches bestellt, und zu diesem Endzweck alle nur ersinnliche Sorge getragen, sie zu vortrefflichen Menschen und guten Bürgern zu bilden. Aber, was er nicht vorher gesehen hatte, w a r , dafs er gerade d a d u r c h diesem Stand ein Ansehen und einen Einflufs verschaffte, dessen sich in der Folge — wenn die Sitten nach und nach schlaffer geworden seyn, und die Gesetze also einen Theil der Kraft, die sie von jenen erhalten, verloren haben würden — ehrgeitzige und heuchlerische Menschen bedienen w ü r d e n , selbstsüchtige Plane zum Nachtheil des Staats durchzusetzen. Aus einer ähnlichen Ursache hatte er, wiewohl Anfangs eine gänzliche Umschaffung der Scheschianisehen Landesverfassung zu seiner grofsen Absicht nöthig schien, den e r b l i c h e n A d e l als eine besondere Klasse von Staatsbürgern beybehalten, und ihn nicht nur im Besitz eines Theils seiner ehemaligen Vor" W I E L A H D S säramtl. W.- VII. B, X
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züge gelassen, sondern ihn noch durch das ausschließliche Recht an die obersten Staatsund Kriegsbedienungen so hoch über alle übrige Klassen erhoben, dafs es kaum begreiflich ist, w i e Tifan die künftigen Folgen einer so auffallenden Ungleichheit sich selbst habe verbergen können. Was auch immer über diesen Punkt zu seiner Rechtfertigung oder Entschuldigung gesagt werden könnte, gewifs ist, dafs diefs einer der gröfsten Fehler seiner Gesetzgebung w a r , und vielleicht mehr als alle übrige zum Untergang derselben beytrug. Denn w i e konnte er erwarten, dafs ein Volk, das durch eben'diese Staatseinrichtung zu der höchsten Stufe von Kultur, deren die Menschheit fähig scheint, gelangen mufste, ein so unbilliges Vorrecht einer verhältnil'smäfsig kleinen Anzahl in die Länge dulden, oder dafs diejenigen, die im Besitz desselben waren, sich dessen gutwillig begeben würden? Endlich ist nicht zu läugnen, dafs Tifan, wiewohl es sein ernstlicher Wille w a r , sich selbst und seinen Nachfolgern die Freyheit Böses zu thun so viel möglich zu entziehen, dennoch durch Betrachtungen, an 'welchen sein Herz mehr Antheil hatte als seine Vorsicht, sich verleiten liefs, den Königen von Scheschian eine, gröfsere Macht einzuräumen, als mit der Sicherheit seiner Gesetzgebung, von welcher
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doch die Sicherheit seines Volkes abhkig, in die Länge bestehen konnte. W i e meinst du das, Freund Danisclimend? fragte Schach - Gebal mit einem bedenklichen Zucken der Augenbraunen. „Ich will damit so viel sagen: Als Tifan sich und seinen Thronfolgern das Vermögen auch w i l l k ü h r l i c h viel Gutes zu thun nicht entziehen wollte, und diesem zu Folge der Krone ein unabhängiges jährliches Einkommen von zehen Millionen Unzen Silbers zueignete, worüber der König nach seinem Belieben schalten konnte; so geschah es unstreitig aus dem löblichsten Bewegungsgrund, und konnte, so lange s e i n G e i s t auf seine Nachfolger forterbte, dem Staate nicht anders als erspriefslich seyn. JN'ur scheint er vergessen zu haben, dafs eine grofse willkührliche Macht G u t e s z u t h u n ihrem Besitzer nothwendiger Weise auch eine eben so grofse Macht B ö s e s z u t h u n eitheilt; und dafs also alle Könige nach ihm lauter Tifane gewesen seyn müfsten, wenn dieser Theil seiner Anordnungen nicht zu verderblichen Mifsbräuchen Anlafs und Mittel hätte geben sollen." W a s du da sagst, Itimadulet, gilt wohl von der ganzen Gesetzgebung und Staatsverwaltung deines Tifan. Augenscheinlich war alles, auf seine persönliche D e n k - u n d Sinnesart berech-
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net. Die Scheschianer, um das zu bleiben was er aus ihnen machte, hätten immer einen Tifan an ihrer Spitze haben müssen. W i e konnte er so übermäfsig bescheiden seyn, so etwas als möglich vorauszusetzen ? In der That, versetzte Danischmend, glaubte •er durch die äufserst sorgfältige Erziehung, welcher die künftigen Thronfolger nach dem Gesetz unterworfen seyn sollten, sein möglichstes gethan zu haben, um seinem Reich eine lange Folge eben so guter Könige, als er selbst w a r , zu versichern. Aber auch diefs hing doch gänzlich von der Beschaffenheit derjenigen ab, denen die Vollziehung dieses wichtigsten Theils seiner Getetzgebung anvertraut werden mufste. Es läfst sich kaum denken, dafs er alles diefs, und was daraus folgt, nicht vorher gesehen haben sollte. Aber vermuthlich war seine Meinung auch nur, selbst das möglichste Gute zu schaffen, und, nachdem er alle Vorsicht, deren ein weder unfehlbares noch allvermögendes Wesen fähig war, für die Zukunft angewandt hatte, es nun dem Schicksal zu überlassen, wie lange sein W e r k , und die Bewegung die er ihm einmahl gegeben hatte, dauern würde. Zum Unglück für Scheschian blieb der eben so weise als gute, und eben so thätige als weise Tifan, der (wie ihre Hoheit so richtig urtheilten) gleich dem Fönix der Fabel in jeden seiner Nachfolger wieder hätte aufleben müssen —
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Icli bedanke mich in Parenthesi für die Verschönerung meiner Anmerkung, sagte der Sultan mit einem etwas zweydeutigen L ä cheln. — unter z w e y und zwanzig Königen, au» welchen die Tifanische Dynastie bestand, der einzige in seiner Art; seinen Sohn T e m o r ausgenommen, der unter der langen Regierung seines Vaters Zeit genug gehabt hatte sich zu überzeugen, dafs e r , wenn die Reihe dereinst an ihn käme, gegen die Gewohnheit der Thronfolger , nichts besseres thun könne, als sich so zu betragen, dafs die Scheschianer noch immer von Tifan regiert zii werden glauben möchten. Dieser Temor w ü r d e , seiner vortrefflichen Erziehung ungeachtet, in einer Epoke w i e jene, worin sein Vater einen so grofsen Karakter entfaltet hatte, nur eine mittelmäfsige Rolle gespielt haben: in den glücklichen Umständen hingegen, worin er den Thron bestieg, w a r er gerade defswegen j w e i l er fünfzig Jahre lang Tifans bester Unterthan geyvesen w a r , der würdigste Nachfolger dieses grofsen Königs. Allein mit ihm endigte sich auch das wirkliche goldene Alter der Scheschianer. Nach einer dreyfsigjährigen Regierung hinterliefs Sultan Temor den Thron seinem Sohne T ü r k a n , der das Feuer des Geistes, den Muth und die Tbätigkeit seines Grofsvaters geerbt zu haben schien,
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aber, da ihm sowohl die Anlage zu den sanftem Tugenden, als der Vortheil von einem Dschengis in der Dunkelheit des Privatstandes erzogen zu seyn, mangelte, eben darum weil et nur zur Hälfte Tifan w a r , der glücklichen Verfassung seines Vaterlandes die erste Wunde schlug. Nach den Versuchen zu urtheilen, die er in den ersten Jahren seiner Regierung machte, die Reichsstände zu verschiedenen Änderungen in den Gesetzen Tifans zu bewegen, — Änderungen , welche unter dem Anschein des gemeinen Besten die Macht der Krone beträchtlich vermehrt haben würden, — hätte sein unruhiger Geist sich schwerlich an dem bescheidenen Ruhme seines Vaters begnügt, wenn ihm ein langwieriger Krieg mit dem Könige von Katay nicht einen andern Tummelplatz eröffnet hätte. Er hörte sich zwar gern den zweyten Tifan nennen; aber er wollte es auf seine eigene Art seyn — W a s du ihm doch nicht übel nehmen wirst ? fiel Schach - Gebal ein — , . I c b nicht; aber die Scheschianer hatten gegen diese eigene Art manches einzuwenden." Danischmend mein Freund, von einem Ttimadulet sollte man billig erwarten, dafs er das Volk besser kennen müfste, uin aus diesem
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Umstand etwas zum Nachtheil Turkans zu folgern. Deine Scheschianer machten e s , denke ich, w i e alle ihres gleichen wenn es ihnen zu wohl ergeht: sie .wurden übermüthig. S i r e , erwiederte Danisghmend, wofern diefs der Fall w a r , so liefs es Türk an nicht an sich fehlen, den E x c e f s ihres Wohlbefindens nach Möglichkeit zu mäfslgen. Denn er führte Krieg beynahe seine ganze Regierungszeit durch, und Scheschian hatte den ganzen Wohlstand vonnöthen, der die Frucht einer achtzigjährigen R u h e unter der besten Staatsverwaltung w a r , um von den Folgen seiner glänzenden Unternehmungen nicht zu Boden gedrückt zu werden. K a t a y w a r damahls nach Scheschian das mächtigste Reich im Osten, es besafs, w i e jenes, einen grofsen Uberflufs an den kostbarsten N a turgütern; aber seiner innern Verfassung nach stand es weit hinter jenem z u r ü c k , und der grofse Handelsverkehr, der zwischen beiden Völkern vorwaltete, war gänzlich zum Vortheil der Scheschianer. Übrigens konnte man diesen Krieg in so fern gerecht auf Seiten der Scheschianer nennen, als die erste Veranlassung nicht von ihnen herrührte: aber wahrscheinlich würde T i f a n an dem Platze seines E n kels Mittel gefunden haben, auf eine oder andere W e i s e den Ausbruch desselben zu verhüten.
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Herr Danischmend, fiel der Sultan ein, wenn der Hof von Katay die Gelegenheit gegeben hatte, so erforderte doch wohl die Ehre der Scheschianischen Krone eine Beleidigung nicht ungestraft hingehen au lassen? Aber worin bestand denn die Beleidigung ? „Eine von den Tartarischen Horden, die unter dem Schutze des Königs von Katay standen, hatte eine Schescbianische'Karawane geplündert. Turkan forderte im Nahmen seiner Unterthanen Genugthuung; der Hof von Katay zögerte; Turkan erneuerte seine Forderungen mit Hitze und Stolz, und da er immer kältere Antworten erhielt, so eilte er (in der That viel rascher als er gethan haben würde wenn es ihm um Beybehalping des Friedens zu thun gewesen w ä r e ) seinen nicht weniger stolzen Nachbar die Überlegenheit seiner Macht auf die nachdrücklichste Art fühlen zu lassen. Nach der Grundverfassung des Reichs konnte der König keinen Krieg ohne Einstimmung der Nazion linternehmen. Aber diefsmahl fand Turkan eine grofse Mehrheit derselben willig, seinen Antrag aus allen Kräften zu unterstützen: das Volk, weil es die erlittene Beleidigung um so hoher empfand, je lebhafter es seine Vorzüge über die Katayer fühlte; und der Adel, weil ein grofscr Theil desselben sich Ruhm, Ehrenstellen, und andere ansehnliche Vortheile
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von dieser Gelegenheit versprach. Der Krieg wurde also beschlossen, und die in Feuer gesetzten Scheschianer beeiferten sich, ihren jungen König, der an der Spitze seines Heers die Miene hatte einem gewissen Sieg entgegen zu gehen, durch Verdoppelung der gewöhnlichen Kriegsmacht und freudige Bewilligung ausserordentlicher Beyträge so lange zu unterstützet, bis er den gedemüthigten Feind zu einem rühmlichen Frieden gezwungen haben würde. Dieser würde auch vennuthlich in wenigen Feldzügen erhalten worden s e y n , w e n n Turkan und sein Volk sich der Vortheile, die ihnen das Glück anfangs zuwandte, mit etwas mehr Mäfsigung hätten bedienen wollen. Aber kaum hatte ihnen der erste Sieg einen Theil der feindlichen Grenzen unterworfen, so mischte sich schon die Eroberungssucht ins Spiel; und eine der schönsten Provinzen des Kataysclien R e i c h s , welche Turkan dem seinigen einzuverleiben beschlossen hatte, und die er wechselsweise bald einnahm bald wieder verlor, blieb nicht nur das Ziel eines Krieges, der mit abwechselndem Glücke beynahe seine ganze Regierung durch w ä h r t e , sondern auch, nachdem sie ihm abgetreten worden w a r , auf lange Zeit die Quelle eines unversöhnlichen Hasses u n d oft erneuerter Fehden zwischen den Königen von Katay und Scheschian.
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T u r k a n genofs die R u h e nicht lange, dieer seinem erschöpften Volk endlich wieder verschafft hatte. Von seinen vier Söhnen waren drey auf dem Bette der E h r e gestorben; u n d so folgte ihm A k h a r , der jüngste, in einem. A l t e r , worin es, selbst hey einer Erziehung w i e die Scheschianischen Königssöhne erhielten, schwer i s t , ein grofses Volk — u n d noch schwerer s i c h s e l b s t zu regieren. Keine Satiren m e h r , Herr Danischmend! unterbrach der Sultan den Erzähler abermahls: vergifs nicht, dafs mich nach dem E n d e deiner Erzählung verlangt — W e n n diefs i s t , sagte Danischmend, dem die sonderbare L a u n e seines Herren aufzufallen anfing, so verdient Sultan Akbar D a n k ; denn seine Regierung w a r ein starker Schritt, Wo nicht zum E n d e der Geschichte von Schescliian, wenigstens zu einer Abänderung seiner Verfassung, die dasselbe nicht wenig beschleunigte. Akbar liebste die K ü n s t e , die nur im Frieden gedeihen, nicht weniger leidenschaftlich als sein Vater die kriegerischen geliebt hatte: aber er begnügte sich nicht, die Spuren der Verwüstungen eines langwierigen Krieges in seir nem Reich auszulöschen und dessen ehemaliligen Wohlstand wieder herzustellen. E r wollte
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nocli mehr thun als Tifan und T e m o r , und wurde nicht gewahr,- dais e r , während er sich überredete den höchsten Flor des Reichs zum einzigen Augenmerk zu haben, blofs für seine Lieblingsleidenschaften arbeitete. Von lauter Künstlern und Virtuosen, Kennern und Dilettanten umgeben , deren Interesse war seine Leidenschaft vielmehr anzufeuern als-zu m.jfsigen, hörte er in seinem ganzen Lebe'n nichts w a s ihn aus dieser süfsen Täuschung hätte wecken können. A z o r , L i l i , und Alabanda selbst blieben in allem, was sie für die schönen Künste thaten, weit hinter ihm zurück: denn man mufste ihn* die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dafs er sie nicht, nach Gewohnheit der meisten Fürsten, zu blofsen Sklaven seines Vergnügens herab würdigte, sondern sie um ihrer selbst willen liebte und nur an der Vollkommenheit ihrer W e r k e Vergnügen fand. Auch darüber hatte sich keine zu beklagen, dafs er sie etwa aus Vorliebe zu einer andern vernachlässige ; jede schien vielmehr berechtigt sidi für die- vorzüglich begünstigte zu halten. In'dessen' w a r doch g e w i f s , dafs die Baukunst, weil sie mit seiner Liebe zum Schönen zugleich seine Prachtliebe und Eitelkeit am- meisten befriedigte, den ersten Rang in seiner Z u neigung behauptete, wenigstens konnte man nicht anders urtheilen, wenn man die M e n g e und Herrlichkeit aller Arten von öffentlichen
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Gebäuden sah, womit er die Residenz Scheschian und alle Hauptstädte seiner Provinzen angefüllt hatte. Natürlich reichten die Einkünfte der königlichen Domänen, so grois sie auch waren, bey weitem nicht zu, eine so kostbare und unersättliche Leidenschaft zu befriedigen: und kaum fühlte man die Unzulänglichkeit, so entstand eben so natürlich das Verlangen ihr abzuhelfen. Das kürzeste Mittel w a r , einen kleinen Bruch in das Gesetzbuch Tifans zu machen, und Seiner Hoheit nicht nur .die willkührliche Verwaltung des öffentlichen Schatzes, sondern auch die Macht, nach Gutdünken neue Zuflüsse in denselben zu leiten, auf eine gute Art in die Hände zu spielen. Die Sache lag dem guten Akbar zu sehr ain Herzen, als dafs sich unter den Kunstliebhabern, von welchen sein Hof wimmelte, nicht gar bald einer gefunden hätte, der sein Haupt nicht eher zur Ruhe legte, bis er ein wohl berechnetes Plänchen, wie das alles am sichersten zu bewerkstelligen w ä r e , ausgearbeitet hatte. Alles kam darauf an, den Adel und die Priesterschaft dahin zu bringen, dafs sie sich, gegen eine billige Entschädigung, eine so ungeheure Ausdehnung der königlichen Gewalt gefallen liefsen. Denn diese beiden mufsten schlechterdings gewonnen werden; det A d e l , wegen des. entscheidenden Einflusses, den ihm die Staatsverfassung gab; die P r i e s t e r s c h a f t , weil sie
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unmittelbar auf das V o l k wirkte und durch ihr Ansehen alles über dasselbe vermochte. Beides hatte grofse Schwierigkeiten, wofern Akbar versucht worden wäre seine Absichten durch gewaltsame Mittel erreichen zu wollen: aber beide Stände konnte man zu gewinnen hoffen, w e n n man ihre Mitwirkung unter keiner andern Bedingung verlangte, als in so fern sie ihnen selbst vortheilhafter wäre als die Anhänglichkeit an die Tifanische Konstituzion. In dieser Rücksicht glaubte man von den zehen Millionen Unzen Silbers, die der König aus seinen unabhängigen Domänen zog, keinen nützlichem Gebrauch machen zu können, als dafs man sie zu Hebung der Skrupel verwendete, welche sich natürlicher W e i s e beym Antrag einer so wesentlichen Verschlimmerung der beschwornen Staatsverfassung in 'dem zarten Gewissen derjenigen erheben mufsten, deren erste Pflicht die Erhaltung dieser Verfassung war. In der That hätten beide Stände eines höhern Grades von Uneigennützigkeit, als man von gewöhnlichen Menschen «rwarten darf, vonnöthen gehabt, wenn sie eine so günstige Gelegenheit hätten versäumen sollen, — dia einen ihre durch den letzten Krieg und durch die Nachahmung der Kunst - und Prachtliebe des jungen Königs erschöpften Finanzen wieder herzustellen, die andern, welche sich seit Tifans Zeiten mit sehr spärlich zugemefsneai
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Einkünften behelfen mufsten, die ihrigen zu verbessern und ihren Wünschen so viel 1x102lieh gleich zu machen.- Man trat also in aller Stille mit den vohrnehmsten Gliedern des Ausschusses der Reichsstande in geheime Unterhandlungen ; die Herren machten ihre Bedingungen ; man wurde des Handels eins. Aber, w a s der Hof als den ersten Präliminarpunkt zugestehen mufste, w a r : Dafs e s , um die Nazion nicht zu sehr zu erschrecken, schlechterdings nothig s e y , die alte Form der Verfassung beyzubehalten, und sich vor der Hand an der unbegrenzten Bereitwilligkeit der Stände, dem Konig alles w a s er verlangen würde zu b e w i l l i g e n , um so mehr zu begnügen, da die zugleich stillschweigend ertheilte Freyheit, den Staat mit so viel Schulden zu belasten, als die väterliche Sorge Seiner Hoheit für den möglichsten Flor desselben bey Gelegenheit etwa für nöthig erachten möchte, die zu Dero gnädigstem Befehl stehenden Summen nach Gutbefinden duplieren und triplieren konnte. Die edeln und ehrwürdigen Patrioten, mit welchen dieser geheime Traktat geschlossen w u r d e , nahmen es auf sich, ihre übrigen Kollegen , unter den zugestandenen Bedingungen, auf ihre Seite zu bringen, und fanden weniger Widerstand als sie sich selbst vorgestellt hatt e n : so viel hatten bereits seit Tifans Zeiten
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die Sitten an ihrer Einfalt unil die Gesetze an ihrer Energie verloren. Akbar berief nun die Stände, u m , wie er sagte, über die gegenwärtige L a g e und Bedürfnisse des Vaterlandes sich mit ihnen zu bera* then. Der Friede, hiefs es in dor königlichen Rede vom Throne, habe z w a r , zu grofser Freude Seines väterlichen Herzens, alle Quellen des gemeinen Wohlstandes wieder reichlicher als jemahls fliefsen gemacht: aber die gänzliche Ausheilung aller W u n d e n , die ein beynahe zwanzigjähriger Krieg dem Staate geschlagen h a b e , und sowohl die Sicherstellung desselben gegen seine natürlichen Feinde, die nur durch eine entschiedene Überlegenheit von neuen Unternehmungen abgeschreckt werden könnten, als die Erhaltung der so theuer errungenen Früchte des Sieges, machten mehr als gewöhnliche, wiewohl die Kräfte der Nazion nicht übersteigende Anstrengungen vonnöthen; zu welchen Seine Hoheit ihre getreuen Stände um so bereitwilliger zu finden hofften, da Sie es ihrer Weisheit gänzlich überliefsen, für die nöthige Vermehrung der Staatseinkünfte durch solche Mittel und W e g e zu sorgen, die den Unterthanen, besonders der ehrwürdigen Klasse der Landleute, die wenigste Beschwerde verursachen würden.
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D i e Stände blieben Seiner Hoheit in ihrer Antwort nichts schuldig: denn w i e w o h l der Geist der Zeiten Tifans von Schescliian gewichen w a r , so hatte man doch die Sprache derselben beybehalten; und der Kanzleystyl jener Zeit blieb immer eben derselbe, auch nachdem es so weit gekommen w a r , dpfs man durch die wechselseitigen Komplimente, die der König dem V o l k e , und die Repräsentanten des Volkes dem Könige machten, des öffentlichen Elendes nur zu spotten schien. Seine getreuen Stande fühlten sich unvermögend, sagten sie, einem so huldreichen lind so unermüdet für das Glück Seiner Völker arbeitenden Monarchen den ganzen Umfang des Vertrauens ünd der Anhänglichkeit, wovon sie durchdrungen waren, zu beweisen. W a s konnten sie, um nicht gar zu weit hinter ihrer Pflicht zurück zu bleiben, weniger thun, als den Beschlufs fassen, Sein Vermögen Gutes zu thun Seiner grenzenlosen Thätigkeit gleich zu machen? — D i e s e m zu Folge übertrugen sie ihm volle Machtgewalt, über die Verwendung des öffentlichen Schatzes eben so unbeschränkt zu gebieten als über seine eigene Kasse; und um den grofsmiitliigsten der Fürsten in den Stand zu setzen, seinen wohlthätigen Wünschen einen desto freyern Spielraum zu geben, ordneten sie verschiedene neue Abgaben an, wovon man zwar seit mehr als hundert Jahren in Sehe-
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schian nichts gewufst hatte, die sich aber um so leichter rechtfertigen liefsen, da das Reich durch die natürlichen Folgen der Tifanischen Einrichtungen sich augenscheinlich auf einer Stufe von allgemeinem Wohlstand befand, der eine nahmhafte Vermehrung der Staatseinkünfte ohne merkliche Bedrückung des Volkes möglich und zulassig zu machen schien. Dagegen bewies aber auch Sultan Akbar seine Dankbarkeit für das in ihm gesetzte Vertrauen durch die schönsten — Versprechungen: und als eine thätige Probe seines guten Willens gab er sogleich z w e y Gesetze, wovon das eine den Adel, zu einiger Entschädigung für die grofsen Opfer , die er dem Staat in dem Katayschen Kriege gebracht hatte, auf eine unbesiminte Zeit von allen Abgaben befreyte; das andere den Verdiensten des Priesterthums, durch verhältnifsmnfsige Erhöhung des Einkommens der verschiedenen Priesterklassen und Stiftung einer Anzahl neuer reich begabter Tempel und Ordenshauser, gebührende Gerechtigkeit widerfahren liefs. Vortrefflich! rief Schach-Gebal: das könnt' ich mir voraus vorstellen, dafs die Herren die Baulust meines guten Bruders Akbar nicht unbenutzt lassen würden. Aber das V o l k , auf dessen Unkosten dieser ganze schöne Handel abgeschlossen w u r d e , was sagte das dazu? WIENANDS
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Sire, erwiederte Danisclimend, das Volk ist, vyie Ihre Hoheit wissen, ein gar launiges, grillenhaftes T h i e r : zur einen Zeit duldet es die auffallendsten Eingriffe in seine Rechte mit der kaltblütigsten Gleichgültigkeit, zur andern geräth es über die unbedeutendste Kleinigkeit in F e u e r : heute kann i man alles von ihm erhal-
t e n , morgen vielleicht gar nichts. Die Scheschianer hatten sich in einigen ruhigen Jahren völlig wieder hergestellt; Akbars Prachtliebe, und die grofsen W e r k e , wodurch er alle Arten von Künstlern und Arbeitern in Beschäftigung und. ungeheure Summen in den schnellsten Umlauf setzte, machten seinen Nahmen und seine Regierung der Nazion beliebt; der allgemeine W o h l s t a n d , der für den Augenblick dadurch befördert w u r d e , erhöhte ihren M u t h , und machte sie geneigt, dem Fürsten, und den seinem Beyspiele nacheifernden Grofsen einen Theil dessen, w a s sie von ihnen gewannen, ohne eine allzu genaue Berechnung wieder zu geben. Überdiefs hielt man es für billig, dafs der A d e l , der im Kriege sich um die Nazion verdient gemacht und zum Theil wirklich viel dabey eingebüfst hatte, belohnt und entschädiget w ü r d e ; und die Priesterschaft stand, ihrer Weisheit und reinen Sitten w e g e n , in einem so hohen Ansehen bey dem Volke, dafs es von freyen Stücken noch mehr für sie zu thun geneigt w a r als Akbar vorschlug. B e y allem dem
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fehlte es doch hier und da nicht an Widerspruch und Mifsvergnügen, und viele Alte, die von ihren Vätern das Gluck der Zeiten Tifans rühmen gehört hatten, weissagten der Nachkommenschaft wenig Gutes von der kühnen Anmalsung, eine Konstituzion, welche mehr das W e r k einer wolilthätigen Gottheit als eines Sterblichen schien, so leichtsinnig verbessern zu wollen. Aber sie wurden überstimmt, und manche Generazion ging vorbey, ehe die Folgen der Übel, zu welchen jetzt der Grund gelegt w u r d e , den Scheschianern zu spät die Augen öffnete. Es bedarf vielleicht vieler Jahrhunderte, bis so ein Gebäude, w i e Tifan errichtet hatte, vor Alter und Baufalligkeit zusammen sinkt. Gleichwohl hätte dieser «Augenblick endlich kommen müssen; denn dafs eine unzerstörbare Staatsverfassung unter die unmöglichen Dinge gehöre, ist noch von niemand geläugnet worden. So hätte ich grofse Lust der erste zu seyn, sagte Gebal lachend Warum war' es denn so unmöglich , ein Staatsgebäude aufzufuhren , das wenigstens eben so dauerhaft wäre als die P y ^ ramiden in Ägypten, die schon einigs tausend Jahre stehen, und wahrscheinlich so lange stehen werden, als der Elefant, der die Eide
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t r a g t , auf der grofsen Schildkröte, und die Schildkröte auf der zusammen geringelten Schlange ? O gewifs, sagte Danischmend: man brauchte zur Auffuhrung eines solchen Staats nur die Pyramiden zum Muster zu nehmen. Auch ist diefs , diinkt mich, bey unsern östlichen Staatsverfassungen bereits geschehen; und es erklärt sich daraus, w a r u m , zum Beyspiele, das Sinesische R e i c h , wiewohl es schon so oft durch Eroberung unter fremde Oberherren gekommen i s t , dennoch seine innere Verfassung bey jeder Revoluzion unverändert erhalten hat. Ich hätte mich also genauer ausdrücken, und sagen soll e n , dafs meine Behauptung nur von Staaten gelte, deren Burger ( w i e die Scliescliianer unter T i f a n ) f r e y e M e n s c h e n sind. Ich zweifle sehr, ob für solche jemahls eine bessere Konstituzion als die Tifanisclie diesseits des Mondes gesehen worden i s t ; und doch ist leicht zu zeigen, dafs gerade indem was ihre Vortrefflichkeit ausmachte, die Ursache ihres Untergangs lag. W i e käme das ? fragte der Sultan mit einer ironischen Miene von ungläubiger Verwunderung. Die Tifanische Konstituzion, antwortete Danischmend, gründete sich einer Seits auf
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die Einschränkung der Monarchie durch eine solche V e r t h e i l u n g d e r h ö c h s t e n G e w a l t zwischen dem König, dem Adel und den Stellvertretern des Volks, wodurch keines dieser politischen Gewichte, von deren richtigem Zusammenwirken der Wohlstand des Staats abhing, ein merkliches Übergewicht über die andern sollte erhalten können; andrer Seits auf die G ü t e d e r S i t t e n , und auf eine K u l t u r , wodurch Tifan die Dauer seiner Gesetze zu einer n a t ü r l i c h e n F o l g e der freyen Ü b e r z e u g u n g d e s V o l k e s von ihrer einleuchtenden Vernunftmäfsigkeit zu machen hoffte. Auf diesen zwey llauptpfeilern ruhte Bein, ganzes Gebäude; aber jeder dieser Pfeiler selbst stand auf einem sandigen Grunde, der unter einem so schweren Gewicht unvermerkt weichen mufste. Niemalils wird in irgend einem Staate derjenige, der mit irgend einein Antlieil an Macht und Ansehen bekleidet ist, 1 sich lange in der Einschränkung halten, die ihm das Gesetz vorgeschrieben bat. Giebt das Gesetz die höchste Gewalt in die Hand eines Einzigen, so wird dieser Einzige nicht ruhen, bis er sich ü b e r d a s G e s e t z erhoben und es dahin gebracht h a t , dafs s e i n W i 11 e , nicht d e r a l l g e m e i n e , das höchste Gesetz ist. Vertheilt es dieselbe unter mehrere durch einander eingeschränkte Mächte, so wird jede yon ihnen, so. gut wie jener Einzige, sich so
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lang« auszudehnen streben, bis sie den Damm, der sie einzwängen soll, durchbrochen h a t : und ist das Gesetz einer jeden, für sich allein, zu mächtig: so werden sie sich gegen dasselbe vereinigen, oder in geheime Unterhandlungen mit einander treten, und — unter der Bedingung sich in die Vortheile, die sich keine allein zuzueignen vermag, brüderlich zu theilen —» die schicklichsten Mittel das Gesetz unkräftig zu machen mit einander abreden. Dieser Umstand ist für sich allein schon mehr als hinlänglich, den immer zunehmenden Verfall und endlich die ganze Auflösung jeder politischen Gesellschaft zu bewirken: aber auch ohne ihn würde blofs die K u l t u r (ich meine eine solc h e , w i e diejenige, wozu Tifan durch seine Gesetze den Grund l e g t e ) mit der Zeit die nehmliche W i r k u n g hervorbringen. Danischmend ist heute zu paradoxen Behauptungen aufgelegt, sagte der Sultan: aber ich seh' ihn kommen — Ihre Hoheit halten mir zu Gnaden, fuhr dieser f o r t , w e n n ich Ihnen etwas sehr einfältiges zu sagen scheinen w e r d e , das aber darum nicht weniger w a h r ist. Damit ein Volk sich gutwillig einer Regierung unterwerfe, welche, vermöge der Natur der Sache und des Menschen , ewig nach ungebundener Willkülirlich-
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keit strebt, mufs besagtes Volk sich in einem Zustande von Dumpfheit, Einfalt und Unmündigkeit befinden, der genau so lange und keinen Augenblick länger dauern k a n n , als es in Unwissenheit und Vorurtheile, gleich einem W i c k e l k i n d e , um und um eingewickelt bleibt: und wofern ein gewisser Grad von Kultur sich mit diesem Zustande vertragen soll; so mufs die vereinigte Gewalt der Gesetze, der Erzieh u n g , der Sitten und der Gebräuche, im Notlifall durch die Schrecken eines eisernen Despotismus verstärkt, zusammen w i r k e n , jeden F o r t s c h r i t t z u h ö h e r n S t u f e n unmöglich zu machen. Ist aber dieser Fortschritt f r e y g e l a s s e n , wird er durch die Verfassung sogar b e f ö r d e r t : so ist nichts natürlicher, als dafs endlich die Zeit kommen mufs, w o das besagte Volk mit seinen Befugnissen und Rechten, und überhaupt mit seinem wahren Interesse so bekannt w i r d , dafs es sich nicht länger zum l e i d e n d e n G e h o r s a m bequemen w i l l , geschweige dafs die Blendwerke, Gaukeleyen und Zauberformeln länger bey ihm anschlagen sollten, womit es sich ehmahls in seiner Dumpfheit bemaulkorben und nach der Pfeife seines Führers tanzen machen liefs. Es w i r d also •>— Erspare dir die Mühe uns zu sagen was es thun w i r d , Itimadulet, fiel ihm der Sultan ins
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Wort — wir kennen das! Aber meinst du nicht auch, dafs sich aus dem, was du uns eben da zu sagen beliebt hast, eine vortrefflic h e s Argument gegen deine fortschreitende Kultur ziehen liefse? O gewifs ein vortreffliches, sagte Danischmend mit einer lächelnden Grimasse, die nicht ganz so ehrerbietig war als einem ersten Minister, der seinem Gebieter antwortet, geziemen will. Nicht dafs ich etwas gegen die Kultur hätte, fuhr der Sultan ganz kaltblütig fort: im Gegentheil! — Nur mit deiner f o r t s c h r e i t e n d e n Kultur, Herr Danischmend, die so lange fortschreitet bis* sich die Leute gar nicht mehr regieren lassen wollen, mit d e r würde ich mich schwerlich recht vertragen können. Ich liebe Ordnung und Ruhe in meinem Lande; das E y soll nicht klüger seyn wollen als die Ilenne; und wer zum Dreschflegel, zum Hammer, zur Nadel und zur Ahle geboren ist, soll sich den Kopf nicht damit zerbrechen, was er thun wollte, wenn er Oberrichter, Statthalter, Itimadulet, oder Herr des weifsen Elefanten wäre. Das ist m e i n e Meinung von der Sache; und nun weiter im Text, Freund Danischmend ! ,
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„Die gar zu schöne, gar zu gi^te, gar zu vernünftige, und eben darum ( w i c i h r e Hoheit weislich bemerkt haben ) für so alberne Thiere als die Menschen sind gar nicht passende Verfassung , welche T i f a n d e r E i n z i g e den Sclieschianern g a b , würde also, wenn man sie auch ihre natürliche Zeit hätte ausleben lassen, endlich doch ein Ende genommen haben, sagte ich: aber die Mafsregeln, die der Pracht - und Kunst liebende Akbar mit seinen getreuen Ständen nahm, liefsen es dazu nicht kommen, sondern beschleunigten den fatalen Zeitpunkt um einige Jahrhunderte. Der erste und gefährlichste Schritt w a r nun glücklich gemacht. Der Hof hatte das Vergnügen zu sehen, dafs ein so gewaltiger Bruch in die Tifanische Grundverfassung nicht nur ohne die geringste Erschütterung, sondern sogar mit fast allgemeinem B e y f a l l , gemacht worden w a r : sp eifrig hatten sichs die dankbaren und in aller Stille nach hohem Dingen strebenden Priester angelegen seyn lassen, das Glück der Regierung A k b a r s , und die unendlichen Vortheile, die dem Reich aus den neuen Einrichtungen zuwachsen w ü r d e n , dem gläubigen Volke von ihren Lehrstühlen sowohl als bey allen andern Gelegenheiten anzupreisen. Von nun an wufste der H o f , der Adel und die Klerisey w i e sie mit einander ständen; j e n e r wufste dafs- er durch d i e s e , d i e s e dafs sie durch
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Schmetterlingen. D e r schlaue Bonze bediente sich dieser unschuldigen Schwachheit?, Seiner Hoheit beyzubringen, dal's es keine königlichere Leidenschaft gebe als die Liebe zur Naturgeschichte i dafür gestand er aber auch sehr gern, dafs die Schmetterlingsgeschichte der interessanteste Z w e i g dieser weitläufigen Wissenschaft s e y , und dafs eine vollständige Sammlung aller Schmetterlingsarten in der W e l t ein beneidenswürdiger Schatz w ä r e , wodurch sich ein König von Scheschian über alle Völkerhirten gegen Morgen und Abend erheben wurde. 'Die Naturgeschichte war um diese Zeit gerade das Lieblingsstudium der Gelehrten und ungelehrten in Scheschian. Der Oberbonze Kolaf hatte also wenig M ü h e mit Hülfe aller jungen Bonz e n , denen an seiner Gunst gelegen w a r , das Schmetterlingskabinet seiner Hoheit in kurzer Zeit ansehnlich zu erweitern. Tifan der Z w e y t e beschäftigte sich in eigener Person sowohl mit allen zur Aufbehaltung seiner Sommervögel nöthigen Arbeiten, als mit ihrer Anordnung und zierlichen Aufstellung. Nach und nach dehnte sich seine Liebhaberey über alle übrigen Insekten, und als er auch damit fertig w a r , erst über die zweyfüfsigen V ö g e l , ja zuletzt ( w i e es mit solchen Leidenschaften zu gehen pflegt) über alle lebendige Vr'iEi.ANDs sämmtl. W . VII. B.
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und leblose Naturprodukte a u f , ü b e r und u n t e r fcer Erde aus; und das alles machte dem guten Könige 4 so unendlich viel zu tbun, dafs er täglich dem Himmel dafür dankte, die Sorge für sein Reich einer so klugen Frau, w i e seine Gemahlin in seinen Augen war, mit ruhigem Herzen überlassen zu können. Kolaf bediente sich inzwischen seiner Gew a l t über den Geist der Königin, sie auf das ungeheure Übergewicht des Adels und die Abnahme des königlichen Ansehens aufmerksam zu machen, und sie zu überzeugen, w i e nothwendig es s e y , den Übermuth dieser stolzen Unterthanen zu dämpfen, und der Krone die verlorne Obermacht wieder zu verschaffen. Er schlug dazu z w e y sehr zweckmäfsige Mittel vor. Das e i n e w a r , einen Krieg anzufangen, der den zahlreichen Adel vermindern und ihm Gelegenheit geben w ü r d e , sich durch seine auch im Felde nicht eingeschränkte Üppigkeit und Prachtliebe zu Grunde zu richten; das a n d e r e , den Priesterstand, dessen Ansehen beym Volke seine Anhänglichkeit an die Krone um so verdienstlicher mache, mehr als bisher zu begünstigen, und die ansehnlichem Civil» bedienungen, die bisher gröfsten Tlxeils in den Händen unwissender, schlecht erzogener und lasterhafter Menschen übel genug verwaltet
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worden, mit würdigen Männern aus dem gelehrten Stande zu besetzen. Zum erstem fand sich gar bald eine Veranlassung; denn nichts ist leichter als Händel zu .haben wenn man sie sucht: und zum- letztern wufste Kolaf ebenfalls zu rechter Zeit Rath zu schaffen. In der That hatte er dem gröfsten Theile des Scheschianischen Adels durch die Beschuldigung der Unwissenheit und schlechten Erziehung kein Unrecht gethan. Schon lange waren die Gesetze Tifans, die sich auf die. Erziehung des Adels bezogen, aufser Übung gekommen. Diese selbst von jenem weisen, Fürsten, mehr als dem Staat und ihr selbst zuträglich w a r , begünstigte K a s t e , hatte seit der Regierung der Könige Turkan und Akbar ihre erhabene Bestimmung, den einzigen Grund ihrer Vorrechte, gänzlich aus den Augen verloren. Zu hoch über ihre Mitbürger hinauf gesetzt um nicht hoffärtig, und zu reich um nicht übermüthig zu seyn, überliefsen sich die Scheschianischen N a i r e n in den Jahren, worin sie zur Erfüllung ihrer künftigen grofsen Pflichten gebildet werden sollten, dem üppigsten Müfsiggang und allen Ausschweifungen einer unbändigen Jugend. Sie blieben unwissend , und gewöhnten sich, Gelehrsamkeit und altes was Fleifs und Anstrengung des Geiste»
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•gewesen; der Sultan hatte so wenig verbergen können oder verbergen wollen, dafs er etwas gegen ihn auf dem Herzen habe; auch hatte er in Nurmahals Gesicht etwas so zurück gehaltenes,, und an dem übermäfsig freundlichen Braminen von Zeit zu Zeit eine so tückische Schadenfreude aus den halb geschlossenen Augen hervorblicken sehen. Das alles waren keine Zeichen von guter Vorbedeutung. Je mehr er allen Umstanden nachdachte, desto mehr Licht ging ihm auf, und desto weniger blieb es ihm zweifelhaft, dafs man über einem geheimen Anschlag gegen ihn brüte, und dafs seine Itimaduletschaft, allem Ansehen nach, ihrem Ende nahe sey. Danischmend hatte diese, ihm von Schach-Gebal in einem seltsamen Anstofs von sultanischer Laune aufgedrungene hohe Ehrenstelle zwar noch nicht lange genug bekleidet, um etwas g e t b a n zu haben, was ihm die Ungnade seines Herren oder der schönen JNurmalial und ihres Braminen hätte zuziehen können: aber er hatte desto mehr g e d a c h t und g e s p r o c h e n ; und wenn die Derwischen, Bonzen und Fakirn nicht viel Gutes von ihm erwarteten > so