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German Pages [430] Year 2021
Judith Dieter / Markus Wriedt (Hg.)
Buch der Reformation Quellen und Zeugnisse zum frühen Reformationsgeschehen im deutschen Sprachraum Auf der Basis des gleichnamigen Werkes von Karl H. Kaulfuß-Diesch
Judith Dieter / Markus Wriedt (Hg.)
Buch der Reformation Quellen und Zeugnisse zum frühen Reformationsgeschehen im deutschen Sprachraum Auf der Basis des gleichnamigen Werkes von Karl H. Kaulfuß-Diesch
Vandenhoeck & Ruprecht
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung : © Hans Schwyzer, Contrafetische Abbildung etlicher alten, berühmtesten, und hochgelehrten Herren, die vor, in, und nach der Reformation mit den ansehenlichesten Vorgesetzten Römischer Kirchen so wol Schrift- als Mündtlich vil und grosse Disputationen und Gespräche gehalten und endtlich durch Gottes Gnad das Liecht des heiligen Evangelii an tag gegeben haben, Druckgrafik [wahrscheinlich Zürich, 1650] / Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, DOI: https://doi.org/10.3931/e-rara-47918 Umschlagsgestaltung : SchwabScantechnik, Göttingen Satz : le-tex publishing services GmbH, Leipzig Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-56727-8
Inhalt
Vorwort ...................................................................................................... 13 Zur Geschichte und Vorgeschichte dieses Buches ......................................... 13 Idee und Konzeption ................................................................................ 14 Abkürzungen .............................................................................................. 19 1 Voraussetzungen .................................................................................... 1.1 Entdeckungen und Erfindungen .......................................................... Nr. 1 Jakob Wimpfeling: Von den Anfängen des Buchdrucks ............... Nr. 2 Georgios Sphrantzes: Der Fall von Konstantinopel ..................... Nr. 3 Christoph Columbus: Westwärts nach Indien – Kolonialismus unter dem Deckmantel christlicher Mission ......... Nr. 4 Georgius Agricola: Bergbau im Erzgebirge ................................ Nr. 5 Achilles Pirmin Gasser: Neuzeitliche Astronomie....................... Nr. 6 Johannes Cochläus: Das kulturelle Niveau Deutschlands ............. 1.2 Renaissance und Humanismus ............................................................ Nr. 7 Enea Silvio de Piccolomini: Überaus glänzende Städte ................ Nr. 8 Andreas Meinhardi: Über die Lage, die Schönheit und den Ruhm der hochberühmten herrlichen Stadt Albioris, gemeinhin Wittenberg genannt................................... Nr. 9 Johannes Kessler: Lobrede auf den Fürsten der Wissenschaft ....... Nr. 10 Erasmus von Rotterdam: Der Abt und die gelehrte Frau.............. Nr. 11 Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit............................ Nr. 12 Johannes Sleidanus: Der Reuchlinsche Handel ........................... Nr. 13 Crotus Rubeanus und Ulrich von Hutten: Zwei Briefe von den Dunkelmännern ........................................................ 1.3 Populäre Dichtung ............................................................................. Nr. 14 Sebastian Brant: Vom Abgang des Glaubens (Narrenschiff Kap. 99) ............................................................ Nr. 15 Thomas Murner: Der Teufel ist Abt (Schelmenzunft Kap. 44) ...... Nr. 16 Reinke de Vos: Es ist jetzt eine gefährliche Zeit .......................... Nr. 17 Hans Rosenplüt: Der Bauern Lob ............................................. 1.4 Reformbegehren und Kirchenkritik...................................................... Nr. 18 Kaiser Siegmunds Traumgesicht............................................... Nr. 19 Der Ewige Landfriede von 1495 ............................................... Nr. 20 Beschwerden der deutschen Nation gegen Rom, Gesandtenbericht vom 27. August 1518 ....................................
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Inhalt
Nr. 21 Nr. 22 Nr. 23 Nr. 24 Nr. 25 Nr. 26 Nr. 27 Nr. 28 Nr. 29
Christoph Scheurl: Patrizische Stadtherrschaft ........................... Jacob Fugger: Mahnbrief an Kaiser Karl V. ................................ Beatus Rhenanus: Die Fuggersche Hofhaltung in Augsburg ......... Flugschrift: Was ist Gült anderes als Wucher? ............................ Ulrich von Hutten: Beunruhigung der Ritter ............................. Sebastian Münster: Der Bauernstand ........................................ Pamphilus Gengenbach: Der Bundschuh .................................. Friedrich Myconius: Spätmittelalterliche Frömmigkeit ............... Bericht der erzbischöflichen Amtsleute: Das „tolle Jahr“ in Erfurt 1509/10 ................................................................... 1.5 Reformtheologie des ausgehenden Mittelalters....................................... Nr. 30 Meister Eckhart: Vom Nutzen der Gelassenheit.......................... Nr. 31 Johannes Tauler: Predigt über das Altarsakrament...................... Nr. 32 Theologia Deutsch: Von Christi Leben und dem wahren Lichte ... Nr. 33 Johann Pupper von Goch: Über die vier Irrtümer hinsichtlich des evangelischen Gesetzes .................................... Nr. 34 Johann Geiler von Kaysersberg: Über die Reformation der Kirche ............................................................................. Nr. 35 Johann von Paltz: Die vierte Predigt von der Heiligen Ölung ....... Nr. 36 Johann von Staupitz: Christus ähnlich werden ...........................
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2 Die Anfänge der Reformation ................................................................... 2.1 Der Auslöser: Die Ablasskampagnen .................................................... Nr. 37 Der Petersablass zum römischen Kirchenbau............................. Nr. 38 Ablassinstruktion durch Albrecht von Mainz (ca. 1517) .............. Nr. 39 Eine Ablasspredigt ................................................................. Nr. 40 Verzeichnis des Reliquienschatzes der Wittenberger Schlosskirche......................................................................... Nr. 41 Friedrich Myconius: Bericht über die Ablasskampagne Johann Tetzels ....................................................................... 2.2 Die Debatte über den Ablass in Wittenberg .......................................... Nr. 42 Karlstadt: 151 Thesen gegen die scholastische Theologie ............. Nr. 43 Martin Luther: 95 Thesen über die Kraft der Ablässe .................. Nr. 44 Martin Luther: Der Wittenberger Studententumult .................... Nr. 45 Konrad Wimpina: Gegenthesen aus Frankfurt an der Oder ......... Nr. 46 Johannes Mathesius: Die Aufnahme der Thesen ......................... Nr. 47 Prierias: Dogmatisches Gutachten über Luther als Ketzer ............ 2.3 Heidelberger Disputation .................................................................... Nr. 48 Thesen zur Heidelberger Disputation........................................ Nr. 49 Martin Bucer: Brief an Beatus Rhenanus ...................................
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Inhalt
2.4 Das Verhör durch Cajetan auf dem Reichstag zu Augsburg...................... Nr. 50 Philipp Melanchthon: Friedrich der Weise ................................ Nr. 51 Friedrich der Weise an einen römischen Kardinal ...................... Nr. 52 Martin Luther: Brief an Spalatin vom 14. Oktober 1518 in Augsburg .......................................................................... Nr. 53 Martin Luther: Brief an Kardinal Cajetan .................................. Nr. 54 Cajetan: Brief an Friedrich den Weisen ..................................... 2.5 Die Leipziger Disputation ................................................................... Nr. 55 Petrus Mosellanus: Die Kontrahenten der Leipziger Disputation .. Nr. 56 Johannes Eck: Sätze aus der Leipziger Disputation...................... Nr. 57 Martin Luther: Brief an Spalatin über die Leipziger Disputation vom 20. Juli 1519.................................................. Nr. 58 Sebastian Fröschel: Über den Beginn der Disputation in Leipzig .. Nr. 59 Melanchthon: Brief an Oekolampad vom 21. Juli 1519 ................ Nr. 60 Lazarus Spengler: Eine bürgerliche Schutzrede auf Luther ........... 2.6 Der römische Prozess ......................................................................... Nr. 61 Papst Leo X.: Die kirchliche Bannandrohungsbulle Exurge, Domine ..................................................................... Nr. 62 Karl von Miltitz’ Brief an Kurfürst Friedrich von Sachsen ............ Nr. 63 Bericht des Nuntius Aleander an Leo X. .................................... Nr. 64 Die Verbrennung der Bannandrohungsbulle, 10. Dezember 1520................................................................. Nr. 65 Johannes Aurifaber: Der deutsche Adel tritt für Luther ein .......... Nr. 66 Ulrich von Hutten: Hutten an Luther ........................................ Nr. 67 Silvester von Schaumberg: Ein ritterliches Schutzangebot für Luther ........................................................ Nr. 68 Hartmut von Kronberg: Sendbrief an Kaiser Karl V. ................... Nr. 69 Thomas Murner: Weckt Hans Karst nicht auf ............................ 2.7 Der Reichstag von Worms ................................................................... Nr. 70 Karl V.: Der Geleitbrief für Martin Luther ................................. Nr. 71 Aleander: Depesche an Papst Leo X. über Verhandlungen in Worms ....................................................... Nr. 72 Aleander: Luthers Verhör nach Aleanders Darstellung ................ Nr. 73 Veit Warbeck an Herzog Johann von Sachsen: Luthers Einzug in Worms am 16. April 1521 ......................................... Nr. 74 Erklärung Kaiser Karls V. ........................................................ Nr. 75 Bericht über Luthers Auftreten in Worms.................................. Nr. 76 Bericht über Verhandlungen zwischen Luther und dem Erzbischof von Trier ............................................................... Nr. 77 Lazarus Spengler: Schilderung des Wormser Reichstages ............ Nr. 78 Johannes Cochläus: Bericht vom Wormser Reichstag..................
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Inhalt
Nr. 79 Johannes Cochläus: Versuch, Luther umzustimmen ................... Nr. 80 Aleander: Die Nachricht von Luthers Gefangennahme, 15. Mai 1521.......................................................................... Nr. 81 Das Wormser Edikt ................................................................ Nr. 82 Georg Spalatin: Luther auf der Wartburg................................... Nr. 83 Aus Albrecht Dürers Reisejournal ............................................ Nr. 84 Schreiben des Rats zu Leipzig an Herzog Georg: Beschwerde der Buchdrucker .................................................. Nr. 85 Landgraf Philipp von Hessen: Brief an Herzog Georg von Sachsen, 19. Februar 1525 ................................................. Nr. 86 Ambrosius Blaurer: Bericht über seinen Klosteraustritt ............... 3 Die Wittenberger Bewegung .................................................................... 3.1 Wittenberger Unruhen ....................................................................... Nr. 87 Ordnung des gemeinen Beutels zu Wittenberg (1521)................. Nr. 88 Karlstadt: Bericht über die Klosterauflösung in Wittenberg ......... Nr. 89 Johannes Mathesius: Bericht über seine Anfänge in Wittenberg ... Nr. 90 Erster Bericht des Rates der Stadt Wittenberg ............................ Nr. 91 Der Beschluss des Augustinerkonvents von 1521 auf 1522 ........... Nr. 92 Allerheiligen-Stift Wittenberg: Eine Eingabe an den Kurfürsten ... Nr. 93 Sebastian Fröschel: Erzählung von den Wittenberger Neuerungen .......................................................................... Nr. 94 Brief an Kurfürst Friedrich von Sachsen.................................... Nr. 95 Predigt und Abendmahl in Eilenburg durch Gabriel Zwilling ...... Nr. 96 Philipp Melanchthon: Gutachten über Zwickauer Propheten ....... Nr. 97 Ambrosius Wilkens „Zeitung aus Wittenberg“ ........................... Nr. 98 Hieronymus Schurff: Die Beilegung der Wittenberger Unruhen, 15. März 1522 ......................................................... Nr. 99 Hans Sachs: Die Wittenbergisch Nachtigall ............................... Nr. 100 Die Spottfeier von Buchholz .................................................... Nr. 101 Herzog Georg von Sachsen...................................................... Nr. 102 Bericht über die Verbrennung der Brüsseler Märtyrer................. Nr. 103 Johann Eberlin von Günzburg: Warum die „christliche Lehre so kleinen Fürgang hat“ ................................................. Nr. 104 Hans Greiffenberger: Von der Besserung christlichen Lebens....... Nr. 105 Schreiben des Nürnberger Rats: Die Neugestaltung des Gottesdienstes.................................................................. 3.2 Andreas Bodenstein von Karlstadt ....................................................... Nr. 106 Sebastian Fröschel: Karlstadt und die Laien ............................... Nr. 107 Karlstadt: Verteidigung gegenüber dem Kurfürsten .................... Nr. 108 Luther und Karlstadt in Jena....................................................
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Inhalt
Nr. 109 Herzögliche Räte zu Weimar: Die Vertreibung Karlstadts aus Kursachsen ....................................................... Nr. 110 Karlstadt: Der gemeine Mann redet mit spitzer Zunge ................ 3.3 Thomas Müntzer und die gewaltbereite Reformation .............................. Nr. 111 Frühe Unruhen in Mühlhausen ............................................... Nr. 112 Thomas Müntzer: Brief an den Grafen Ernst von Mansfeld.......... Nr. 113 Thomas Müntzer: Brief an den Kurfürsten ................................ Nr. 114 Thomas Müntzer: Predigt vor den Fürsten ................................ Nr. 115 Martin Luther: Ein Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist ...................................................... Nr. 116 Thomas Müntzer: Die Ursachen des Aufruhrs ........................... Nr. 117 Thomas Müntzer: Das Manifest an die Allstedter ....................... Nr. 118 Philipp von Solms: Bericht über die Schlacht bei Frankenhausen .. Nr. 119 Flugschrift: Die Schlacht bei Frankenhausen.............................. Nr. 120 Johannes Rühels Brief an Luther: Müntzers Flucht ..................... Nr. 121 Ottilie von Gersen: Brief an Herzog Georg von Sachsen .............. 3.4 Spiritualismus und Täufertum ............................................................. Nr. 122 Sebastian Franck: Paradoxa (1534) ........................................... Nr. 123 Kaspar Schwenckfeldt: Rechtfertigung, Wiedertaufe und Heiligung (1529) ............................................................. Nr. 124 Melchior Hoffmann: Prophetische Gesichte und Offenbarungen (1530) ............................................................ Nr. 125 Balthasar Hubmaier: Summe eines ganzen christlichen Lebens (1525)........................................................................ Nr. 126 Ludwig Hätzer: Vom Bilderverbot (1523) .................................. Nr. 127 Hans Denck: Protestation und Bekenntnis (1527) ...................... Nr. 128 Hans Hut: Vom Geheimnis der Taufe (1527) ............................. 3.5 Abendmahlsstreit und Marburger Religionsgespräch .............................. Nr. 129 Huldrych Zwingli: Brief an Oswald Myconius............................ Nr. 130 Ulrich Zasius: Brief an Zwingli vom 16. Februar 1520 ................. Nr. 131 Huldrych Zwingli: Auslegung und Begründung der 67 Artikel vom 29. Januar 1523 ................................................ Nr. 132 Beschluss der Zürcher Disputation ........................................... Nr. 133 Bericht über das Abhängen der Bilder....................................... Nr. 134 Huldrych Zwingli: Auslegungen und Gründe der Schlussreden.... Nr. 135 Andreas Osiander: Bericht über das Marburger Gespräch ........... Nr. 136 Die Marburger Artikel ............................................................ Nr. 137 Johannes Calvin: Über Luther..................................................
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Inhalt
4 Die Entwicklung im Reich zwischen 1521 und 1530.................................. 4.1 Maßnahmen zur Sicherung der Reformation oder ihrer Eindämmung...... Nr. 138 Philipp Melanchthon: Über die Ausbildung der Jugend............... Nr. 139 Philipp Melanchthon: Brief an Johannes Reuchlin vom 18. März 1520 ........................................................................ Nr. 140 Philipp Melanchthon: Ein Urteil über Martin Luther (1524) ........ Nr. 141 Johannes Bugenhagen: Eine schöne Offenbarung des Endchristes (1524) ................................................................. Nr. 142 Die Visitationsstruktur in Weida 1527 ...................................... Nr. 143 Protokoll der Visitation in Kemberg 1528.................................. Nr. 144 Johannes Cochläus: Die Wirkung der Lutherbibel ...................... Nr. 145 Edikt Kurfürst Joachims I.: Verbot von Luthers Schriften ............ 4.2 Frauen und die Reformation................................................................ Nr. 146 Argula von Grumbach: Brief an die Universität Ingolstadt (1523).................................................................... Nr. 147 Ursula Weyda: Flugschrift (1524) ............................................. Nr. 148 Katharina Zell: Verteidigungsschrift ......................................... Nr. 149 Katharina Zell: Brief an die Frauen in Kenzingen ....................... Nr. 150 Ursula von Münsterberg: Rechtfertigung der Klosterflucht .......... Nr. 151 Florentina von Oberweimar: Flugschrift (Wittenberg 1524)......... Nr. 152 Charitas Pirckheimer: Klosterreformation in Nürnberg .............. Nr. 153 Charitas Pirckheimer: Bericht über erzwungene Austritte aus dem Klarissenkloster Nürnberg............................. Nr. 154 Johann Eberlin von Günzburg: Eine Vermahnung ...................... Nr. 155 Elisabeth Cruciger: „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“ .............. 4.3 Bauernkrieg und soziale Reformbewegungen ........................................ Nr. 156 Christoph Scheurl: Der Aufstand des Armen Konrad von 1514.... Nr. 157 Johannes Trithemius: Bundschuh ............................................. Nr. 158 Andreas Lettsch: Erhebung in Stühlingen.................................. Nr. 159 Amandus Scheffer: Der Baltringer Haufen................................. Nr. 160 Peter Haarer: Das Weinsberger Blutgericht ................................ Nr. 161 Christoph Schappeler und Sebastian Lotzer: Die 12 Hauptartikel der Bauernschaft ....................................... Nr. 162 Lorenz Fries: Das Ergebnis des Bauernkriegs ............................. Nr. 163 Hieronymus Emser: Nach dem Bauernkrieg .............................. 4.4 Reichstage in Nürnberg und Speyer ...................................................... Nr. 164 Reichstagsabschied von Nürnberg – Der Ruf nach einem nationalen Konzil ......................................................... Nr. 165 Reichstagsproposition ............................................................ Nr. 166 Reichstagsabschied: Vorkehrungen gegen neue Erhebungen ........ Nr. 167 Appell der Reichsstände an Karl V. ...........................................
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Inhalt
Nr. 168 Lazarus Spengler: Brief an Peter Butz vom 21. Mai 1526.............. Nr. 169 Otto von Pack: Bericht über den Verlauf des Reichstages vom 2. Juli 1526 .................................................... Nr. 170 Otto von Pack: Bericht über den Verlauf des Reichstages vom 11. August 1526 ............................................. Nr. 171 Reichstagsproposition ............................................................ Nr. 172 Das Bedenken der Stände auf die kaiserliche Proposition ............ Nr. 173 (Wiedertäufer-)Mandat des Reichstags zu Speyer ....................... Nr. 174 Erklärung von Statthalter, Orator und Kommissaren .................. Nr. 175 Der evangelische Protest während des Reichstags zu Speyer: Protestation von Speyer ............................................... Nr. 176 Das Appellationsinstrument vom 25. April 1529 ........................ 4.5 Reichsritter ....................................................................................... Nr. 177 Hartmut von Kronberg: Vermahnung an alle Stände und Gesandten ...................................................................... Nr. 178 Heinrich von Kettenbach: Vermahnung Junker Franz von Sickingens zu seinem Heer ................................................ 4.6 Der Reichstag von Augsburg 1530 ........................................................ Nr. 179 Ausschreiben des Kaisers zum Reichstag vom 21. Januar 1530 ..... Nr. 180 Proposition des Reichstages durch Karl V. vom 20. Juni 1530 ....... Nr. 181 Spalatin: Der Augsburger Reichstag.......................................... Nr. 182 Clemens Sender: Bericht über Verlesung der Confessio Augustana und die Beratungen der Fürsten ............................... Nr. 183 Valentin von Teutleben: Protokoll zur Widerlegung der Confessio Augustana .................. Nr. 184 Bitte der lutherischen Fürsten um Abschrift der Confutatio......... Nr. 185 Antwort Kaiser Karls V. auf das Begehren der evangelischen Fürsten............................................................. Nr. 186 Diskussion um Abschrift der Confutatio ................................... Nr. 187 Flucht des Landgrafen von Hessen aus Augsburg ....................... 5 Ausklang ................................................................................................ Nr. 188 Justus Jonas und Michael Coelius: Luthers Lebensende ............... Nr. 189 Philipp Melanchthon: Grabrede für Martin Luther ..................... Nr. 190 Katharina Luther an Christiana von Bora: Luthers Tod ............... Nr. 191 Der Reichstagsabschied von Augsburg – Ein ewig währender Religionsfriede? .....................................................
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Namensregister .......................................................................................... 415 Ortsregister ................................................................................................ 425
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Vorwort
Zur Geschichte und Vorgeschichte dieses Buches Ein jedes Buch entsteht unter den ihm eigenen, herausfordernden Bedingungen und Umständen seiner Zeit.1 „Das Buch der Reformation“ erschien erstmals 1917, herausgegeben von Karl Kaulfuß-Diesch und sollte als „Erinnerungsbuch“2 fungieren. Karl Kaulfuß-Diesch (1880–1957) war Beamter an der Göttinger Universitätsbibliothek und hatte, auch später in Berlin und Königsberg, leichten Zugang zu den Quellen. „Die Reformation, ihre Zeit und ihre Not, gehören längst der Geschichte an.“3 – so konstatierte er im Vorwort. Doch nicht nur die Reformation, auch die Ausgabe seines Buches über die Reformation ist mittlerweile schon längst selbst ein Stück Geschichte geworden. Besonders deutlich wird dies an seinen Äußerungen im Vorwort. So heißt es da: „Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zerstörte zunächst die Hoffnung auf baldiges Erscheinen des Buches. Jetzt, im 22. Kriegsmonat, tritt es aus dem Unterstand vor Verdun hinaus in die Welt.“4 Ebenfalls von nationalistischer Kriegsideologie geprägt sind die Abschlussworte „Möge das Buch im Jubiläumsjahr der Reformation ein deutsches Volk vorfinden, das im heißen Kampfe um seine Existenz das Trennende der Vergangenheit vergessen hat und in treuem Zusammenhalten das Dichterwort wahr zu machen strebt, daß am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen soll.“5 Trotz dieser für heutige Leserinnen und Leser befremdlichen und zurückzuweisenden Äußerung wurde die Sammlung von Kaulfuß-Diesch immer wieder zur Grundlage weiterer Anthologien gemacht. Der Reformationshistoriker und evangelische Theologe Helmar Junghans (1931–2010) überarbeitete 1967 die Zusammenstellung von Kaulfuß-Diesch in theologiegeschichtlicher Zielsetzung und ergänzte vor allem Quellen von Luther und anderen.6 Die in Leipzig entstandene Bearbeitung versuchte einen Weg zwischen den ideologischen Grenzen des sogenannten „Kalten Krieges“ hindurch und leitete zu einer allgemeinverständlichen Beschäftigung mit dem Reformationsgeschehen
1 Das lateinische Sprichwort „habent libelli sua fata“ (Bücher haben ihre Schicksale) geht auf ein Gedicht von Terentianus Maurus (gelebt gegen Ende des 2. Jahrhunderts) zurück. Es fand Eingang in zahlreiche Werke bis in die Gegenwart und diente als Wappenspruch des Deutschen Börsenvereins ab 1888. Der Satz hebt die je eigene Bedeutung eines Werkes in seiner Zeit sowie durch seine Leser hervor. 2 Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 3. 3 Ebd. S. 3. 4 Ebd. S. 4. 5 Ebd. S. 4. 6 Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 2 1967 mehrfach wieder aufgelegt: München 1977, 2 1980 und 3 1983.
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Vorwort
an. Ganz anders war der wirtschafts- und sozialgeschichtliche Zuschnitt der 1989 veröffentlichten Zusammenstellung von Detlef Plöse und Günter Vogler (*1933)7 . Sie folgten der methodischen Grundlegung des historischen Materialismus und legten den Fokus auf das Verständnis von „Reformation als Revolution“8 . Darüberhinaus liegen weitere Quellensammlungen vor: So enthält der Band III der von Heiko Augustinus Oberman begründeten Sammlung „Theologie- und Kirchengeschichte in Quellen“,9 bearbeitet und herausgegeben von Volker Leppin,10 ebenfalls viele Textzitate aus den grundlegenden Quellen zur Reformationsgeschichte. Weitere Textsammlungen sind außerdem erschienen, genannt sei exemplarisch „Die Reformation im zeitgenössischen Dialog.“11 Während aus den genannten Sammlungen Texte mit Genehmigung der Verlage übernommen wurden, haben wir die folgenden beiden Publikationen nur mehr zur Kenntnis genommen: „Die Reformation in Dokumenten“, herausgegeben von Hans Eberhardt und Horst Schlechte12 sowie „Quellen zur Reformation. 1517–1555“, herausgegeben von Ruth Kastner als Teilband der Freiherrvom-Stein-Gedächtnisausgabe.13 Trotz dieses relativ weiten Verbreitungsrahmens erschien es Verlag und den Herausgebenden sinnvoll, aus Anlass der 500. Wiederkehr zahlreicher Reformationsereignisse zwischen 2017 und 2055 noch einmal für ein breiteres Publikum wichtige und teilweise in den Debatten der Forschung vernachlässigte Texte zu präsentieren.
Idee und Konzeption Die folgende Ausgabe versammelt 191 Quellentexte. Die Anthologie wurde angeregt durch den Vizepräsidenten des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Herrn Oberkirchenrat Dr. Thies Gundlach. Er hat die Herausgabe dieses Bandes großzügig finanziert. Dafür schulden wir ihm sehr herzlichen Dank. Die inhaltliche Ausrichtung und Quellenauswahl wurde vor dem Hintergrund der bereits vorliegenden Sammlungen aktualisiert und durch inhaltliche Aspekte erweitert. So finden etwa der Fall von Konstantinopel (1493) und die spätmittelalterliche Reformtheologie im ersten Kapitel besondere Berücksichtigung. Die Texte zeigen einerseits
7 Buch der Reformation. Eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearbeitet und herausgegeben von Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuß-Diesch, Berlin 1989. 8 Ebd. S.16. 9 Neukirchen-Vluyn 1980 ff. (zahlreiche Auflagen und Neubearbeitungen). 10 Neukirchen-Vluyn 2005. 11 Die Reformation im zeitgenössischen Dialog. 12 Texte aus den Jahren 1520–1525, bearbeitet und eingeleitet von Werner Lenk, Berlin 1968. 12 Leipzig 1967. 13 Darmstadt 1994. Digitale Neuauflage wurde für 2020 angekündigt.
Idee und Konzeption
die enge Verbindung des reformatorischen Geschehens mit den spätmittelalterlichen Entwicklungen, andererseits aber auch den gravierenden Neuanfang und Umbruch seit 1517. Insgesamt wurde für die Auswahl eine Konzentration auf Wittenberg vorgenommen. Ausschließlich aus pragmatischen Gründen haben wir Bezüge zu anderen Städten, Territorien und dem Ausland weggelassen. Dies war im Rahmen des vorgegebenen Konzeptes nicht umzusetzen und führt zweifellos erkennbar zu Asymmetrien in der Darstellung, um die wir wissen und für die wir um Verständnis bitten. Dennoch bleiben etliche Quellenstücke zum Themenbereich „Reich und Reformation“ erhalten bzw. wurden ergänzt. Das gilt auch für die Unterkapitel „Spiritualismus und Täufertum“ sowie „Frauen und die Reformation“. Mit letzterem sollen erstmals mehrere Frauen jener Zeit eine Stimme bekommen.14 An anderen Stellen haben wir die Sammlung im Vergleich zu früheren Ausgaben gekürzt. So verzichten wir bis auf wenige Ausnahmen auf die Wiedergabe der in mannigfaltigen Ausgaben vorliegenden Luthertexte. Auch das vielfältig traktierte Thema des Bauernkrieges haben wir knapper dargestellt. Insgesamt liegt der Schwerpunkt der Auswahl auf der frühen Reformation und den Entwicklungen bis zum Augsburger Reichstag 1530. Die Anthologie endet mit dem Tod Luthers 1546 und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555. Über die Auswahl der Texte wie auch ihre Anordnung kann man füglich streiten. Wir sind uns dessen bewusst, dass sowohl zahlreiche Aspekte des Reformationsgeschehens in Wittenberg, biografische und lebensweltliche Fragen als auch die sich verändernde gesellschaftliche, politische und kulturelle Ordnung des Alten Reiches wie auch Europas nicht hinreichend zur Sprache kommen. Das Anliegen der vorliegenden Textzusammenstellung ist es, durch eine gebündelte Sammlung von Texten zur Beschäftigung mit den Ereignissen der Reformation anzuregen. Das geschieht auch unter dem Eindruck eines spürbar nachlassenden Engagements zu den sich in den nächsten Jahren häufenden Erinnerungsdaten mit der 500. Wiederkehr zahlreicher, nachhaltig wirksamer Ereignisse. Diese erhoffte Beschäftigung ist mit den teilweise sperrigen und schwer verständlichen Texten allerdings erst auf einen zweiten oder dritten Blick hin möglich. Etliche Quellenauszüge sind in frühneuhochdeutscher Sprache wiedergegeben. Die nicht unmittelbar gegebene Eingängigkeit mag dazu anregen, sich auch sprachlich und kulturell die große Distanz zum Ursprungsgeschehen vor Augen zu halten. Schwierige oder durch die Schriftform verdunkelte Passagen erschließen sich außerdem leichter, wenn man sie laut und gut hörbar vorträgt. Diese Lesepraxis wurde noch bis weit in das Mittelalter hinein ausgeübt und half überdies beim Memorieren einschlägiger Textausschnitte.
14 Sie fehlten in den vorherigen Sammlungen von Kaulfuß-Diesch, Junghans und Plöse/Vogler nahezu gänzlich. Eine Ausnahme stellt lediglich Charitas Pirckheimer dar.
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Vorwort
Die Auswahl hat sich um erreichbare Texte aus Bibliotheken und teilweise den digitalen Ressourcen des Internets bemüht. Ihre Wiedergabe stellt keine kritisch editierte Ausgabe dar. Vielmehr wurden in den meisten Fällen bewusst orthographische Änderungen oder Anpassungen des Lautstands, Interpunktion und der Syntax vorgenommen. Für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Texten wird empfohlen, unbedingt die angegebenen Originalquellen zu nutzen. Anmerkungen der früheren Verfasserinnen und Verfasser, Ergänzungen unsererseits oder Erklärungen im Text wurden stets mit eckigen Klammern gekennzeichnet. Sie werden ergänzt durch Erläuterungen und Hinweise, die das Verständnis der Quellentexte erleichtern und zur weiteren Beschäftigung mit einzelnen Aspekten anregen soll. Jede Quelle ist mit einer knappen Einleitung versehen, in welcher die wichtigsten Informationen zur Einordnung, Verfasserinnen und Verfasser und Entstehungshintergrund notiert sind. Die der Quelle nachfolgenden Literaturhinweise sollen die weitere Arbeit an den Texten erleichtern und Interesse wecken. Dabei spielt auch die „Fremdheitserfahrung“ mit den sperrigen und erst auf den zweiten oder dritten Blick verständlichen alten Ausdrucksweisen und Beschreibungen eine große Rolle. Wo die verwendete Begrifflichkeit unverständlich geblieben ist, haben wir durch Erläuterungen für Klarheit zu sorgen gesucht. Das vorliegende „Buch der Reformation“ ist in dem Bewusstsein erarbeitet worden, selbst historisches Erzeugnis zu sein. Es wird im Jahr der 500. Wiederkehr von Martin Luthers Auftritt in Worms vor Kaiser und Reich im Jahre 1521 der Öffentlichkeit übergeben. Die Zeiten haben sich seitdem erheblich geändert. Gegenwärtig ist weniger das Reformationsgedenken medial präsent als vielmehr die gesellschaftlichen und kulturellen Folgen der COVID-19-Pandemie, die nicht minder wichtige Diskurse über Geschlechterverhältnisse, Feminismus, Rassismus, Antisemitismus, Kolonialismus und Dekolonialismus, Migration in vielen Teilen der Welt, Globalisierung und nicht zuletzt Europas Zukunft, um nur einige Schlagworte gegenwärtiger Zeit zu nennen, zu verdrängen scheint. Wir erhoffen uns dennoch eine freundliche Aufnahme der Quellensammlung und ihre breite Verwendung über die unmittelbar mit der Reformationsgeschichte befassten Forschenden hinaus. Die Arbeit an dieser Quellensammlung hat weitaus mehr Zeit in Anspruch genommen, als bei der ersten Planung angenommen. Insbesondere die Verifikation zahlreicher Texte, verbunden mit der Korrektur von vorliegenden Textauszügen, erwies sich als äußerst zeitintensiv. Für die Zuarbeit, Recherche und Korrektur der Quellen sowie das Lektorat danken wir den wissenschaftlichen Hilfskräften Naemi Go und Ricarda Bosse, für die Anfertigung der Register Alexandra Hild und Friederike Gers. Dr. Daniel Bohnert sei für einen Übersetzungsbeitrag sowie das Endlektorat gedankt. Für letzteres gebührt ebenso Marie-Luise Zott großer Dank, die zudem mit zahlreichen Verbesserungen und konstruktiven Anmerkungen zum Gelingen dieses Bandes beitrug.
Idee und Konzeption
Dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht danken wir ebenfalls sehr herzlich für die Bereitschaft, dieses Unternehmen zu wagen. Besonders haben die Damen Jacqueline Eller, Miriam Espenhain, und die Herren Alexander Riha, Dr. Victor Wang, PD Dr. Izaak J. de Hulster vertrauensvoll mit uns zusammengearbeitet. Frankfurt am Main und Mainz am 10. Dezember 2020 Judith Dieter und Markus Wriedt
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Abkürzungen
ARG
BBKL
CR
RTA
RGG StA Walch
WA ZRGG ZBKG
Archiv für Reformationsgeschichte. Internationale Zeitschrift zur Erforschung der Reformation und ihrer Weltwirkungen, hg. v. Verein für Reformationsgeschichte und der Society for Reformation Research, Gütersloh 1906 ff. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, hg. v. Friedrich-Wilhelm Bautz †, fortgeführt von Traugott Bautz (derzeit 41 Bände), Hamm 1990, Herzberg 1992–2001, Nordhausen 2001–2020. Teilweise ist das Lexikon kostenfrei im Internet zugänglich: https:// www.bbkl.de (letzter Zugriff am 10.12.2020). Corpus Reformatorum (Sammlung der Reformatoren), Halle (Saale), 1834 (101 Bände), drei Serien zu Philipp Melanchthon, Johannes Calvin und Huldrych Zwingli. Die Bände sind teilweise im Internet verfügbar: https://catalog.hathitrust.org/Record/008635093 (letzter Zugriff am 10.12.2020). Deutsche Reichstagsakten, hg. im Auftrag der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1867 ff. Insgesamt vier Reihen: Ältere Reihe: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. (1440–1471), enthält auch die Edition der Reichstagsakten unter König Wenzel (1376–1400), König Ruprecht (1400–1410), Kaiser Sigismund (1410–1437) und König Albrecht II. (1438/1439). Mittlere Reihe: Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Jüngere Reihe: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Vierte Reihe: Reichsversammlungen 1556–1662. Religion in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 1 1909–1913, 2 1927–1932, 3 1957–1963, 4 1998–2007; die letzten beiden Auflagen sind kostenpflichtig im Internet einzusehen. Martin Luther: Studienausgabe hg. v. Hans-Ulrich Delius (6 Bände), Berlin 1979–1992, Leipzig 1999. Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften. Band I–XXIII in 25 Bänden, hg. v. Dr. Joh. Georg Walch. Jena 1740–1753. Nachdruck der 2. überarbeiteten Auflage, St. Louis, Missouri, USA, 1880–1910. GrossOesingen, 1986. Martin Luther: D. Martin Luthers Werke (120 Bände), Weimar 1883–2009. (Zum größten Teil in verschiedenen Formaten im Internet – teilweise eingeschränkt – abrufbar.) Zeitschrift für Religion und Geistesgeschichte, Leiden u. a. 1948 ff. Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte, Nürnberg u. a. 1926.
Alle anderen Abkürzungen werden, soweit sie nicht selbsterklärend sind, vorgenommen nach: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, zusammengestellt von Siegfried M. Schwertner, Berlin u. a. 2 1994.
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Voraussetzungen
Die Reformation, zunächst in Deutschland und dann auch in Europa und über dessen Grenzen hinweg, umfasst einen komplexen historischen Vorgang, der vor allem im Blick auf seine nachhaltige Wirkungsgeschichte zu den besonders akzentuierten Erinnerungsdaten zählt. Dabei stellt sich die Frage, in welcher Weise in dem theologischen Impetus Martin Luthers, seiner Veröffentlichung der 95 Thesen am 31. Oktober 1517, ein völlig neuer Ansatz gefunden wurde, der mit der Vergangenheit radikal brach. Insbesondere die Charakterisierung der Reformation als eine theologische Innovation mit zahlreichen Konsequenzen für Religion, Kultur, Politik und Gesellschaft im Umbruch zwischen Mittelalter und Neuzeit wurde von einer Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kritisch gesehen, die in den Entwicklungen der Reformation längerfristige Entwicklungen, Abgrenzungen, Reformvorschläge und Zuspitzungen von Meinungen in den Jahrhunderten des sogenannten „Spätmittelalters“ erkennen. So greifen mit Luther auch andere Reformatoren auf Reformforderungen der Generationen vor ihnen gleichermaßen in Kirche wie auch Staat zurück. Vor dem Hintergrund dieser Forschungen ist weniger von einem radikalen Bruch, als vielmehr von einem längerfristigen Wandlungsprozess auszugehen, innerhalb dessen die Reformation(en) zu bewerten sind. Nicht zuletzt sind technische Entwicklungen wie etwa der Buchdruck, Entdeckungen wie etwa die Länder Mittel- und Südamerikas sowie des südlichen Afrikas, globale Wirtschaftsentwicklungen durch die mit diesen Entdeckungen verbundenen neuen Handelswege und -ströme, gesellschaftliche Prozesse eines sich politisch und kulturell stärker artikulierenden städtischen Bürgertums, Emanzipationsbestrebungen der vorwiegend in der landwirtschaftlich geprägten Kultur lebenden Bevölkerungsschichten und damit verbunden eine Umstrukturierung und Transformation der mittelalterlichen Ständegesellschaft sowie der sie regulierenden Rechtsbestände und vieles andere mehr zu beachten. In dem sich mit Luther verbindenden Geschehen kulminieren etliche dieser spätmittelalterlichen Entwicklungen, insbesondere die der Reformen in der Kirche und den Orden; verhelfen ihm einerseits zu einem nachhaltig wirksamen Durchbruch, verändern sich allerdings auch selbst unter dem Eindruck ihrer Inanspruchnahme durch das Reformationsgeschehen. So wenig man die lutherische Reformation als Produkt des Mittelalters interpretieren kann, so wenig sollte man sie als radikale Innovation und völligen Systembruch charakterisieren. Im folgenden Kapitel werden Texte zu verschiedenen Entwicklungen vorgestellt, in deren Folge sich der reformatorische Veränderungsprozess nachhaltig entfalten konnte.
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Voraussetzungen
Literaturhinweis Handbook of European History 1400–1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, edited by Thomas A. Brady, Heiko A. Oberman, James D. Tracy (2 Bände), Leiden/New York/Köln 1995. Malte Prietzel: Das Heilige Römische Reich im Spätmittelalter, Darmstadt 2004. Diarmaid MacCulloch: Die Reformation, München 2008. Bernd Schneidmüller: Grenzerfahrung und monarchische Ordnung: Europa 1200–1500, München 2011. Volker Leppin: Die Reformation, Darmstadt 2013. Andrew Pettegree: Die Marke Luther: Wie ein unbekannter Mönch eine deutsche Kleinstadt zum Zentrum der Druckindustrie und sich selbst zum berühmtesten Mann Europas machte – und die protestantische Reformation lostrat, Berlin 2016. Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation, Berlin 2 2009. Ders: Erlöste und Verdammte, München 2 2017, S. 19–82. Mark Greengrass: Das verlorene Paradies, Darmstadt 2018. Nicole Grochowina: Die Reformation, Berlin 2019.
1.1
Entdeckungen und Erfindungen
„O Jahrhundert, o Wissenschaften! Es ist eine Lust, zu leben! Aber die Hände in den Schoß zu legen, das macht noch keine Freude, mein Wilibald. Die Studien regen sich und die Geister blühen auf. Du aber, Barbarei, nimm einen Strick und erwarte deine Verbannung!“15 – Diese Worte schrieb der Humanist und Reichsritter Ulrich von Hutten 1518 dem Nürnberger Patrizier Wilibald Pirckheimer. Sie können exemplarisch für den Epochenwechsel und vor allem für den Humanismus jener Zeit stehen, in der auch naturwissenschaftliche und geographische Entdeckungen zunahmen. Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, die Johannes Gutenberg (1400–1468) von Mainz aus nach Europa trug, stellt eine gewaltige Medienrevolution dar. Die vorher für viele Menschen unerschwinglichen Bücher wurden nun bezahlbarer. Informationen konnten sehr viel rascher und breiter kommuniziert werden. Auf großen Messen in Frankfurt, Leipzig und Nürnberg trafen sich Verleger und sogenannte „Buchführer“, Transporteure der gedruckten Produkte, und nicht zuletzt Autoren. Das führte zur Entstehung eines neuen Marktes mit ungeahnten Möglichkeiten.
15 Huttens Brief an Pirckheimer, in: Ulrich von Hutten: Schriften. 5 Bände, hg. v. Eduard Boecking, Leipzig 1859 (Nachdruck Aalen 1963), Bd. 1, S. 201–203.
Jakob Wimpfeling: Von den Anfängen des Buchdrucks
Literaturhinweis Thomas Kaufmann: Das „Zeitalter der Entdeckungen“ und Luthers „Welt“, in: Thomas Eser/Stephanie Armer (Hg.): Luther, Kolumbus und die Folgen. Welt im Wandel 1500–1600, Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg 2017, S. 8–13. Johannes Benzing: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet, Wiesbaden 1963, Neuauflage: Christoph Reske, Wiesbaden 2007. Elizabeth Eisenstein: Die Druckerpresse. Kulturrevolutionen im frühen modernen Europa, Wien 1997. Andrea Seidler/Istvan Monok (Hg.): Reformation und Bücher: Zentren der Ideen – Zentren der Buchproduktion, Wiesbaden 2020. Klaus-Rüdiger Mai: Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte, Berlin 2016.
Nr. 1
Jakob Wimpfeling: Von den Anfängen des Buchdrucks
Jakob Wimpfeling (1450–1528) war ein humanistisch gebildeter Priester. Er stammte aus Schlettstadt und wirkte nach dem Studium in Heidelberg, Speyer und Straßburg. Seine Epitome rerum Germanicarum (Abriss der deutschen Geschichte) enthält den Abriss einer Nationalgeschichte und erwähnt auch die Erfindung des Buchdrucks voller Hochachtung. Im Jahre 1440 unter der Herrschaft des Römischen Kaisers Friedrich III.16 ist der ganzen Welt eine große und beinahe göttliche Wohltat von Johannes Gutenberg durch die Erfindung einer neuen Art des Schreibens erwiesen worden. Dieser Mann hat nämlich als erster die Buchdruckerkunst in der Stadt Straßburg erfunden. Von dort ging er nach Mainz, wo er sie erfolgreich vollendete. Inzwischen griff Johannes Mentel17 dieses Handwerk auf, indem er zu Straßburg viele Bände sorgfältig und sauber druckte, und wurde in kurzer Zeit ein sehr reicher Mann. Ihm folgte Adolf Rusch,18 diesem bald darauf Martin Flach,19 die beide ebenfalls aus Straßburg stammten und auf heimischem Boden diese Kunst in löblicher und rühmlicher Weise ausübten. […] Aber nicht nur zu Straßburg haben sich unsere Landsleute in dieser Kunst hervorgetan, sondern auch wo sie diese andernorts betrieben, haben sie es zu Ansehen und Wohlstand gebracht. So hat Sixtus Rusinger20 aus Straßburg im Jahre 1471 zu Neapel 16 Aus dem Geschlecht der Habsburger war Friedrich (1415–1493) zunächst seit 1424 Herzog von Steiermark und Kärnten und wurde 1440 zum deutschen König gewählt. Die Kaiserwürde des Heiligen Römischen Reiches erhielt er 1452. 17 Johann Mentelin (1410–1478) stammte aus Schlettstadt, war Jurist in Straßburg. Er gründete dort eine Druckerei. 1460 lag seine erste vollständig gedruckte Bibel vor. 18 Adolph Rusch (†1489) war der Schwiegersohn von Johann Mentelin. Rusch stammte ursprünglich aus Ingweiler, wurde als erfolgreicher Buchdrucker, Verleger und Papierhändler bekannt und schließlich 1478 Mentelins Nachfolger. 19 Martin Flach (†1500) stammt gebürtig aus Küttolsheim bei Straßburg, druckte seit 1487 zahlreiche theologische und scholastische Werke und gilt als Nachfolger Adolph Ruschs in Straßburg. 20 Sixtus Rusinger brachte den Buchdruck nach Neapel und eröffnete dort die erste Offizin.
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Voraussetzungen
als erster gezeigt, wie man Bücher drucken kann. Dieser Tatsache wegen war er bei König Ferdinand21 und dem Adel zu Neapel sehr hoch geachtet, und ihm wurden vom selben König mehrfach Bischofswürden und höchste Ehrenstellen angeboten; doch er zog allen diesen seine Vaterstadt Straßburg vor und kehrte zu uns zurück, und noch heute ist er am Leben, ein wegen seiner priesterlichen Würde und seines hohen Alters verehrungswürdiger Mann. Weiterhin hat Ulrich mit dem Beinamen „Hahn“22 um etwa die gleiche Zeit Buchstabenformen nach Rom gebracht, eine unerhörte Neuerung, die die Römer noch niemals gesehen hatten. […] Viele hervorragende und berühmte Männer haben die Buchdruckerkunst gepriesen, wie Polydorus Urbinas23 und Dein Lehrer Beroaldus24 . Dieser sagt in einer seiner Reden, daß es keine genialere Erfindung gäbe als den Buchdruck oder, um mich lateinisch auszudrücken, als die Polygraphie, der nichts an Nutzen gleichkäme. Und an anderer Stelle sagt derselbe Beroaldus in einem elfsilbigen Vers: „Oh Deutschland, du Erfinder einer Kunst, der gegenüber das Altertum nichts Nützlicheres hervorgebracht hat, da du lehrst, durch Drucken Bücher zu kopieren.“25 Es erschien daher hier nicht unangebracht, diejenigen zu erwähnen, die die Polygraphie erfunden und verbreitet haben. Denn man darf die Begründer einer so wichtigen Kunst nicht ihres Ruhmes berauben, vor allem damit die Nachwelt weiß, wem sie für dieses unvergängliche Himmelsgeschenk Dank schuldet. Quellennachweis Winfried Trillitzsch (Hg.): Der deutsche Renaissance-Humanismus, Leipzig 1981, S. 407–409. (Übersetzungsgrundlage: Epitome Germanorum. Opera Jacobi Wimpfelingii Seletstadiensis, Basel 1532.) Literaturhinweis Dieter Mertens: Jakob Wimpfeling als zentrale Gestalt des oberrheinischen Humanismus, Freiburg 2015. Ders.: Jakob Wimpfeling (1450–1528): pädagogischer Humanismus, Freiburg 1993. Otto Herding: Pädagogik, Politik, Geschichte bei Jakob Wimpfeling, Freiburg 2008. Thomas Kaufmann: Der Buchdruck der Reformation und seine Weltwirkungen, in: ARG 108 (2017), S. 115–125. Ders.: Umbrüche im 15. und 16. Jahrhundert. Buchdruck und Reformation, in: Thomas Kaufmann/Joachim Reitner u. a. (Hg.): Umbrüche. Auslöser für Evolution und Fortschritt, Göttingen 2017, S. 25–39. Ders./Elmar Mittler (Hg.): Reformation und Buch: Akteure und Strategien frühreformatorischer Druckerzeugnisse, Wiesbaden 2017.
21 Ferdinand von Aragón (1423–1494), seit 1458/50 als Ferdinand I. König von Neapel. 22 Ulrich Han, latinisiert Gallus, von 1467–1478 tätig, entwickelte den Musiknotendruck und brachte den Buchdruck nach Rom. 23 Polydorus Vergilius Urbinas (1470–1555), Autor des Werkes De inventoribvs rerum libri VIII. et De prodigiis libri III. Cum indicibus locupletissimis, 1499 – mehrfache Neuauflagen. 24 Philippus Beroaldus (1453–1505), Bologneser Universitätslehrer und neulateinischer Dichter. 25 In der Literatur mehrfach zitiert, allerdings ohne den Nachweis auf Wimpfeling.
Georgios Sphrantzes: Der Fall von Konstantinopel
Nr. 2
Georgios Sphrantzes: Der Fall von Konstantinopel
1453 wurde Konstantinopel (das heutige Istanbul) unter Führung von Sultan Mehmed II. (1432–1481) von den Türken erobert. Mit dieser Eroberung war die beginnende Vorherrschaft des Osmanischen Reiches und zugleich das Ende des byzantinischen Reiches verbunden. Sie steht historiographisch für einen symbolischen Umbruch, der den Beginn der Neuzeit einläutet. Im letzten Kampf um die Verteidigung Konstantinopels, am 29. Mai 1453, fiel Kaiser Konstantin XI.26 (1404–1453). Der folgende Bericht stammt von Georgios Sphrantzes (1401–1477/79), welchem die Schrift Chronicon Maius zugeschrieben wird. Durch den Fall Konstantinopels in Gefangenschaft geraten, wird Sphrantzes später Mönch auf der Insel Santa Maura (Leucas). Ein Ausschnitt aus diesem Chronicon Maius bietet eine eindrückliche Beschreibung, die einen Einblick in die oft vernachlässigte byzantische Geschichte erlaubt. So waren am dritten Tage die Feinde im Besitze der ganzen Stadt; es war um 12 9 Uhr vormittags, am 29. Mai des Jahres 1453. Die Eindringenden plünderten und machten Gefangene, die Überrumpelten, die sich widersetzten, wurden erschlagen. An manchen Orten war die Erde nicht mehr zu sehen vor lauter Toten, die umherlagen. Es war ein schrecklicher Anblick, jammervoll anzusehen, wie sie unzählige Gefangene aller Art wegführten, vornehme Damen, Jungfrauen und gottgeweihte Nonnen, und wie sie sie an den Haaren aus den Kirchen herauszerrten, unter fürchterlichem Jammergeschrei, dazu das Weinen und Heulen der Kinder, die entweihten heiligen Orte – wer könnte all das Grauen beschreiben? Das heilige Blut und der heilige Leib Christi wurden auf den Boden geworfen und vergossen, die heiligen Gefäße, darin sie gewesen waren, rissen sie an sich, einige zerschlugen sie, andere steckten sie im Ganzen ein; auf den heiligen Ikonen, die mit Gold, Silber und Edelsteinen verziert waren, traten sie herum, nahmen den Schmuck davon ab und verwendeten sie als Sitzgelegenheiten und als Tische, auf denen sie aßen; mit den heiligen Gewändern, die aus golddurchwirkter Seide gefertigt waren, bekleideten sie ihre Pferde; die Perlen von den Reliquienkästen raubten sie, traten die Gebeine der Heiligen mit Füßen und taten noch viel anderes Beklagenswertes, als wahre Vorläufer des Antichristen. O wie unerforschlich und unbegreiflich ist Dein weises Gericht, König Christus! […] Als die Stadt eingenommen war, zog der Sultan in sie ein und befahl, nach dem Kaiser mit allem Eifer nachzuforschen. Er hatte keinen anderen Gedanken im Sinn, als zu erfahren, ob der Kaiser am Leben geblieben oder tot sei. Einige kamen und sagten, er sei entkommen, andere behaupteten, er sei irgendwo in der Stadt versteckt, wieder andere, er sei im Kampfe gefallen. Der Sultan wollte Genaues erfahren und sandte Leute dorthin, wo die Leichen der Gefallenen in großen Haufen lagen, Christen und Ungläubige durcheinander. Man wusch die Köpfe vieler Toter, um etwa die Gesichtszüge des Kaisers zu erkennen. Aber man erkannte das Gesicht des Kaisers nicht, sondern nur den Leib, und zwar an den kaiserlichen Schuhen, die mit goldenen Adlern bestickt waren, wie es auf kaiserlichen Gewändern üblich ist. […] Am dritten Tage nach der Einnahme der Stadt veranstaltete der Sultan ein Freuden- und Siegesfest, und er befahl, daß alle Leute, groß und klein, die noch in Verstecken verborgen 26 Konstantinos XI. Paleologos.
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waren, hervorkommen sollten; sie sollten frei bleiben und es solle ihnen keine Belästigung widerfahren. Und es sollten auch alle die, die aus Angst vor den Kämpfen aus der Stadt geflohen waren, wie wir schon erwähnt haben, wieder in ihre Häuser zurückkehren und nach ihren Sitten und in ihrer Religion leben wie bisher. Er befahl auch, sie sollten einen Patriarchen wählen, nach ihrem Recht und Herkommen. Denn der Patriarch war gestorben. […] Die heilige, allerheiligste Kirche der göttlichen Weisheit (Hagia Sophia), das hochberühmte Wunderwerk, den Himmel auf Erden, hatte der Übeltäter [der Sultan] zu seinem eigenen Tempel gemacht. […] Quellennachweis Die letzten Tage von Konstantinopel. Der auf den Fall Konstantinopels 1453 bezügliche Teil des dem Georgios Sphrantzes zugeschriebenen „Chronicon Maius“. Übersetzt, eingeleitet und erklärt von Endre von Ivánka. Byzantinische Geschichtsschreiber, hg. v. dems. Bd. 1, Graz (Reprint) 4 1973, S. 81–83; 85. Literaturhinweis Peter Schreiner: Konstantinopel. Geschichte und Archäologie, München 2007. Klaus Kreiser: Geschichte Istanbuls. Von der Antike bis zur Gegenwart, München 2010. Steven Runciman: Die Eroberung von Konstantinopel 1453 [Aus dem Englischen übertragen von Peter de Mendelssohn], München 7 2012. Georgije Ostrogorski: Byzantinische Geschichte: 324–1453, München 3 2019. Sultan Mehmet II.: Eroberer Konstantinopels – Patron der Künste, hg. v. Neslihan AsutayEffenberger und Ulrich Rehm, Köln u. a. 2009. Henk Boom: Der große Türke. Süleyman der Prächtige, sein Leben, sein Reich und sein Einfluss auf Europa. Aus dem Niederländischen von Birgit Ermann und Bärbel Jänicke, Berlin 2012. Matthias Pohlig (Hg.): Juden, Christen und Muslime im Zeitalter der Reformation, Heidelberg 2020.
Nr. 3
Christoph Columbus: Westwärts nach Indien – Kolonialismus unter dem Deckmantel christlicher Mission
Christoph Columbus (1451–1506) wurde in Genua geboren, war Seefahrer und gilt als der Entdecker des heutigen Amerikas. Im Auftrag des spanischen Königspaares (Ferdinand II. von Aragon-Sizilien und Isabella I. von Kastilien) sollte er den Atlantik überqueren, um eine westliche Route nach Indien zu erforschen. Nach 70 Tagen, am 12. Oktober 1492, erreichte Columbus die Bahamas. Die Motivation und Initiative zu dieser Expedition verdankte sich den Werken u. a. des Petrus D’Ailly und ging von der Kugelgestalt der Erde aus. Der folgende Ausschnitt entstammt der Vorrede seines Schiffstagebuchs. Aus heutiger Sicht zeigen sich massiv antisemitische und antimuslimische Tendenzen. Das Motiv der Missionierung kaschiert dabei die beginnende Kolonialisierung und Ausbeutung der entdeckten Territorien.
Christoph Columbus: Westwärts nach Indien – Kolonialismus unter dem Deckmantel christlicher Mission
Allerchristlichste, höchste, erlauchteste und großmächtige Fürsten, König und Königin der spanischen Lande und der Inseln des Meeres, unsere Herren! Nachdem Eure Hoheiten im laufenden Jahr 1492 den Krieg wider die Mauren, die in Europa herrschten, beendet und die Kampfhandlungen in der großen Stadt Granada zum Abschluß gebracht hatten27 , wo ich am 2. Januar dieses Jahres mit eigenen Augen sehen konnte, wie auf den Türmen der Alhambra, der Festung besagter Stadt, durch die Kraft der Waffen Eurer Hoheiten Königliche Banner gehißt wurden und wie der Maurenkönig28 durch das Tor der Stadt herauskam, um die königlichen Hände Eurer Hoheiten und meines Herrn Fürsten zu küssen, entsannen sich Eure Hoheiten im gleichen Monat des Berichts, den ich ihnen von den Ländern Indiens gegeben hatte und von einem Fürsten, den man den Großen Khan nennt, was in der spanischen Sprache König der Könige bedeutet, und davon, wie oft seine Vorgänger und er selbst nach Rom geschickt hatten, um in unserem heiligen Glauben unterrichtete Männer zu erbitten, auf daß sie auch darin unterwiesen würden, und daß der Heilige Vater niemals welche zu ihnen gesandt hatte, weshalb so viele Völker verlorengingen, weil sie dem Götzendienst huldigten und verderbten Sekten Eingang bei sich verschafften. Und Eure Hoheiten beschlossen als katholische Christen und Fürsten, die den heiligen christlichen Glauben lieben und ihn verbreiten und folglich der Sekte Mahomets29 und jedem Götzendienst und jeder Ketzerei feindlich gesonnen sind, mich, Christoph Columbus, nach den erwähnten Gebieten Indiens zu entsenden, um besagte Fürsten und Völkerschaften und Länder, ihre Beschaffenheit und alles übrige in Augenschein zu nehmen nebst der Art und Weise, wie man sie zu unserem heiligen christlichen Glauben bekehren könne. Und sie verfügten, daß ich nicht auf dem Landweg gen Osten reiste, der üblicherweise benutzt wird, sondern auf dem westlichen Wege, den, wie wir ganz sicher wissen, bis auf den heutigen Tag niemand eingeschlagen hat. Und so sandten mich Eure Hoheiten, nachdem sie alle Juden aus ihren Reichen und Herrschaftsgebieten vertrieben hatten,30 im gleichen Monat Januar mit hinlänglich großer Flotte aus31 , daß ich nach den erwähnten Gegenden Indiens segelte. Und sie erwiesen mir dafür große Gnade, sie erhoben mich in den Adelsstand, so daß ich von nun an den Titel Don vor meinen Namen setzte, und ich sollte Großadmiral des Ozeans und Vizekönig und ständiger Gouverneur des festen Landes sein und aller Inseln, die ich entdeckte und gewönne und die fürderhin im Ozean entdeckt und gewonnen würden, und mein ältester Sohn sollte mir in diesem Amte folgen, und so sollte es von Generation zu Generation auf ewig fortdauern. Und so fuhr ich am Samstag, dem zwölften Mai desselben Jahres 1492, von der Stadt Granada ab. Ich erreichte die kleine Stadt Palos, einen Seehafen, allwo ich drei für eine solche Aufgabe bestens geeignete Schiffe ausrüstete. Und am dritten August des gleichen Jahres, an einem Freitag, eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang, fuhr ich wohlversehen mit vielfältigen Vorräten
27 Die Rückeroberungen (port. „Reconquista“) der muslimisch besetzten Teile der Iberischen Halbinsel sorgten ab 722–1492 für die Ausdehnung des kastilischen Herrschaftsgebietes. 28 Gemeint ist Muhammad XII. (1459–1518/33/36), auch „Boabdil“ genannt. Er war von 1485–1492 Emir von Granada, kapitulierte und übergab am 2. Januar 1492 Granada an die Spanische Krone. 29 Gemeint sind Muslime. 30 Anspielung auf die letzte Phase der „Reconquista“, der systematischen Vertreibung und Verfolgung nichtchristlicher Teile der Bevölkerung in Spanien. Vgl. Henry Kamen: The Mediterranean and the Expulsion of Spanish Jews in 1492, in: Past and Present 119 (1988), S. 30–55; Klaus Herbers: Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2006. 31 Vertraglich wurden die seit Jahresbeginn geführten Verhandlungen am 17. April 1492 abgeschlossen.
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und zahlreichen Seeleuten von besagtem Hafen ab. Ich nahm Kurs auf die Kanarischen Inseln, die Euren Hoheiten unterstehen und die in dem erwähnten Ozean liegen, um von dort aus meine eigentliche Fahrtroute einzuschlagen und so lange zu segeln, bis ich Indien erreicht haben würde, um jenen Fürsten die Botschaft Eurer Hoheiten zu überbringen und so zu erfüllen, was sie mir anbefohlen hatten. Quellennachweis Columbus: Schiffstagebuch. Aus dem Spanischen übersetzt von Roland Erb, Leipzig 1983, S. 5–6. Literaturhinweis Consuelo Varela/Roberto Mazzara: Der Weg nach Amerika. Zeit und Leben des Christoph Kolumbus, Wiesbaden 2010. Dies.: La caída de Cristóbal Colón: el juicio de Bobadilla, ed. y transcripción de Isabel Aguirre, Madrid 2006. Christoph Kolumbus: Das Bordbuch. Leben und Fahrten des Entdeckers der Neuen Welt. 1492. Übersetzt von Anton Zahorsky. Mit einer Einf. von Rinaldo Caddeo, Wiesbaden 2013. Alfred Kohler: Columbus und seine Zeit, München 2006. Andreas Venzke: Der Entdecker Amerikas: Aufstieg und Fall des Christoph Kolumbus. Überarb. und aktualisierte Neuausgabe, Berlin 2006. Michael Zeuske: Schwarze Karibik: Sklaven, Sklavenkultur und Emanzipation, Zürich 2004. Ders.: Sklaven und Sklaverei in den Welten des Atlantiks 1400–1940: Umrisse, Anfänge, Akteure, Vergleichsfelder und Bibliographien, Münster 2006, S. 97–172.
Nr. 4
Georgius Agricola: Bergbau im Erzgebirge
Der folgende Auszug stammt aus dem in Dialogform abgefassten Werk über die Kunst der Metallerzgewinnung: Bermannus sive de re metallica (Bermannus oder über die metallischen Dinge, 1527) des humanistischen Gelehrten Georgius Agricola (latinisiert von Georg Bauer, 1494–1555). Seine Forschungen trugen maßgeblich zur Verbesserung von Techniken der Metallverarbeitung bei. Das Werk wurde 1530 in Basel bei dem Buchdruckerhaus Froben gedruckt. Naevius:32 Was sehe ich denn hier? Bermannus:33 Hier siehst du eine Haspel, die zwei kräftige junge Leute drehen. In Trögen fördern sie zu Tage, was auch immer in den einzelnen Strecken des Berges gebrochen wird. Naevius: Die Arbeit scheint nicht leicht zu sein.
32 Eigentlich Johann Naeve (1499–1574), humanistisch gebildeter Arzt und Freund Agricolas. 33 Eigentlich Lorenz Bermann oder Wermann (gestorben um 1533) aus Geyer im Erzgebirge, der Agricola in die Bergbaukunde einführte.
Georgius Agricola: Bergbau im Erzgebirge
Bermannus: Sie ist von allen die schwerste. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend müssen sie mit Schubkarren weiterfahren, was sie heraufgewunden haben. Wie Sisyphus34 zu seinem Felsen, so gehen auch sie immer wieder zu der gleichen Arbeit zurück. […] Naevius: Aber warum unterscheidet sich von allen anderen Grubenbauten denn diese hier? Bermannus: Das wirst du gleich sehen, laß uns nur hineingehen. Naevius: Mein Gott! Was für eine Riesenmaschine! Ist sie etwa gemacht, um Städte zu erobern, wie einst Sturmbock und Mauerbrecher? Bermannus: Gewissermaßen ja! Um den Erzgang zu erobern, der reiches Silber hat, ist sie schon gemacht, wie du siehst ist es wieder eine Fördermaschine. Naevius: Was sollen denn die Pferde hier? Bermannus: Sie halten jenen Göpel35 am Umlaufen. Naevius: Offenbar ziemlich mühelos. Jetzt wollte ich nur, das Buch des Straton von Lampsakos36 über Bergwerksmaschinen wäre erhalten! Bermannus: Das möchte ich noch viel lieber! So viel ich weiß, ist außer bei Vitruv37 kaum etwas über die Maschinen, die der Hebung von Lasten dienen, erhalten. Naevius: Bei Straton hätte man eine Beschreibung von Kunsterzeugnissen dieser oder ähnlicher Art wohl finden können. Bermannus: Gewiß hätte man sie finden können. Wenn ich aber es mir recht überlege, so haben doch unsere Mechaniker viele Maschinen erfunden, die durch ihre Kunstfertigkeit die Anlagen der Antike nicht wenig übertreffen und gewiß auch erheblich von den antiken Konstruktionen abweichen. Naevius: Ich möchte nicht mit dir streiten über Dinge, die ich nicht verstehe. Bermannus: Ja, versteh mich recht — ich glaube, daß alle von den Griechen erfundenen Maschinen auch von Vitruv beschrieben sind. Wenn du nun aber unsere Maschinen mit jenen vergleichst, so kannst du selbst urteilen, was sie unterscheidet. Unsere Kunstmeister sehen sich durch die Tiefe der Schächte gezwungen, so große und viele Fördermaschinen auszudenken. Es gibt sogar noch bei weitem größere und technisch vollendetere Maschinenanlagen. In Geyer, meiner Vaterstadt, wie auch neuerdings in Schneeberg, haben die Schächte 200 Lachter Teufe,38 aus denen große Reichtümer zu unseren Lebzeiten gefördert worden sind; deshalb müssen auch unsere Maschinen bei weitem größer und kunstvoller als die antiken sein, zumal jene, die ziemlich tief in den Schächten selbst aufgestellt werden. Naevius: Du nennst ja eine gewaltige Teufe für Schachtanlagen. Was bleibt denn da noch für die Unterwelt übrig? Bermannus: Mein Lieber! Zu Kuttenberg gibt es Schächte von mehr als 500 Lachter Teufe!39
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Griechische Sagengestalt, die immer wieder denselben Fels einen Berg aufwärts wälzen musste. Vorrichtung zur Kraftübertragung auf die Arbeitsmaschine. Griechischer Philosoph, genannt „der Physiker“ (um 320–270 v.Chr.). Vitruvius Pollio, römischer Baumeister und Kunsttheoretiker im 1. Jh. v. u. Z., dessen De architectura libri X (Zehn Bücher über die Architektur) entscheidend die Baukunst und das Ingenieurwesen der Renaissance beeinflussten. 38 Lachter: 1,92–1,96 m. Teufe ist die bergmännische Bezeichnung für Tiefe. 39 Hiermit ist wohl nicht die seigere, d. h. senkrechte Teufe, sondern die tonnlägig oder flach fallend gemessene Strecke gemeint.
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Voraussetzungen
Quellennachweis Georgius Agricola: Ausgewählte Werke, Bd. 2: Bermannus oder Über den Bergbau: Ein Dialog. Übersetzt und bearb. v. Helmut Wilsdorf in Verbindung mit Hans Prescher und Heinz Techel, Heidelberg/Berlin 1955, S. 83 und 86 f. Literaturhinweis Friedrich Naumann: Georgius Agricola: Berggelehrter, Naturforscher, Humanist, Erfurt 2007. Georgius Agricola und der Geist seiner Zeit: Zum 450. Todestag des großen Gelehrten, hg. v. Chemnitzer Geschichtsverein e. V. in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Chemnitz, Chemnitz 2005.
Nr. 5
Achilles Pirmin Gasser: Neuzeitliche Astronomie
Der folgende Text ist ein Widmungsbrief des humanistischen Mediziners und Historikers Achilles Pirmin Gasser (1505–1577) an seinen Freund, den Konstanzer Arzt und Mathematiker Georg Vögelin († 1542). Gasser war ein humanistisch gebildeter Naturwissenschaftler und Historiker. Er empfahl seinem Briefpartner das von ihm 1540 bei Robert Winter in Basel herausgegebene Werk von Georg Joachim Rheticus (1514–1574).40 Es enthielt eine Vorab-Version der von Kopernikus zurückgehaltenen Schrift De revolutionibus orbium coelestium, die erst 1543 gedruckt wurde. Mit seiner Theorie, dass die Erde um die Sonne und um sich selbst kreist, begann das heliozentrische Weltbild Verbreitung zu finden.
Dem hochgelehrten Herrn Dr. Georg Vögeli in Konstanz, dem Philosophen und Arzt, dem brüderlichen Freund, sagt Achilles Pirmin Gasser seinen Gruß. Vortrefflicher Herr, hier sende ich Dir, gleichsam wie dem Herkulesstein,41 dieses Büchlein. Es ist nicht nur neu und unseren Zeitgenossen unbekannt, sondern es wird, wenn ich mich nicht sehr täusche, auch Dir wunderbar und staunenswert widerspruchsvoll sein. Georg Joachim Rheticus, Magister der freien Künste und früher Professor der Mathematik in Wittenberg, mein Mitbürger und bester Freund, hat es mir vor einiger Zeit mit einem Brief, der ausführlich über diese Dinge berichtet, aus Danzig geschickt. Freilich, das Buch stimmt nicht mit der bisherigen Lehrmeinung überein und man möchte meinen, daß es nicht nur mit einem einzigen Satz den gebräuchlichen Schulmeinungen entgegengesetzt und, wie die Mönche sagen, ketzerisch ist. Gleichwohl enthält es offensichtlich die Wiederherstellung einer neuen und wahren Astronomie, ja sogar deren Wiedergeburt, namentlich weil es über solche Fragen klare Entscheidungssätze in die Debatte wirft, über die bekanntlich nicht nur die gelehrtesten Mathematiker, sondern auch die größten Philosophen überall auf der Erde lange und leidenschaftlich diskutiert haben, nämlich über die Zahl der Himmelssphären, die Entfernung der Gestirne, die Sonne als Mittelpunkt, die Lage und den Kreislauf der Planeten, die feststehende 40 Narratio Prima de libris revolutionum Copernici, Danzig 1540. Georg Joachim Iserin, nach seinem Aufenthalt in Tirol Rheticus genannt, war ein humanistisch gebildeter Naturwissenschaftler. 41 Säulen des Herkules als Markierungspunkte des „Erdkreises“.
Achilles Pirmin Gasser: Neuzeitliche Astronomie
Länge des Jahres, die bekannten Punkte der Nachtgleiche und Sonnenwende, schließlich über die Lage und Bewegung der Erde und ähnliche Probleme. Wenn nun dieser Mann versichert, alle diese Entscheidungen mit verschiedenen, aber von ihm erst jetzt gefundenen Beweisen zu untermauern, so sehe ich nicht, wie das von den zeitgenössischen Gelehrten verworfen, erschüttert und zurückgewiesen werden sollte. Denn selbst bei denen, die sich nur mittelmäßig in der Mathematik auskennen, und, wenn ich so sagen darf, ihren Tagelöhnern, steht fest, daß die Astronomie, die doch wegen der unfehlbaren Genauigkeit des Kreises und der Rechnung für die exakteste Wissenschaft gehalten wird, heute nicht nur in einem Teilbereich auf schwachen Füßen steht, was ebenso für die Zeitmessung wie für die Beobachtung der Bewegungen gilt, wo nicht immer stimmt, was die Geometrie verspricht. Darum, lieber Georg, weil wir spüren, daß wir von zahlreichen Schwierigkeiten in der Astronomie befreit und zudem die verwickeltsten Knoten gelöst werden, lies bitte dieses Buch, das ich Dir schicke, aufmerksam durch, beurteile das Gelesene mit einem strengen Maßstab und empfiehl das Beurteilte allen Liebhabern der Mathematik, besonders Deinen Freunden, und gib es ihnen zu lesen, damit auf diese Weise nicht nur der zweite Bericht früher erscheint, sondern dieses völlig einzigartige und göttliche Werk (dessen Inhalt diese Berichte andeuten) mehr bekannt und durch ständige Bitten vom Verfasser selbst, einem Manne von unzweifelhaft beispielloser Gelehrsamkeit und von herkulischer, ja von atlantischer Arbeitskraft, erlangt werden und das Ganze uns einmal übermittelt werden könnte durch die Initiative, die Mühe und das unermüdliche Betreiben meines Freundes, der unter den gegenwärtigen Schriftstellern zu höchsten Ehren gelangt ist. Was ich aber durch diese Zuschrift vor allem erreichen möchte, ist, daß Du als ein überaus erfahrener Naturwissenschaftler Deinen Kollegen dieser angesehensten Wissenschaften die Gelegenheit bietest, daß der Nachwuchs dankbar heranwachsen kann, die Erfahrenen, je freier, desto inhaltsreicher, die Wahrheit auch gegen die kritischen Augen der Allgemeinheit erforschen. Denn mit Gewißheit erkennst Du, was jene neue Lehre will und was für großartige Dinge dieser Bericht verspricht. Darum richte, wie Du es zu tun pflegst, Deinen Geist und den Deiner Freunde ganz auf dieses Buch, daß es gut aufgenommen und angenommen wird, damit wir nicht später schmerzlich empfinden und noch trauriger beklagen müssen, daß wir um dieses unangetastete und herrliche Festmahl, dessen köstlichen Vorgeschmack wir hier bekommen haben, völlig betrogen worden sind, als ob uns der leckerste Bissen vom hungrigen Munde weggenommen wäre. Lebe wohl, mein Freund, und lache mir zu Liebe über das Urteil der Allgemeinheit in dieser Sache, zumal es unzweifelhaft feststeht, daß diese neue Entdeckung eines Tages leidenschaftslos von allen Gelehrten angenommen und sich als nützlich erweisen wird. Feldkirch in Rätien, im Jahre 1540. Quellennachweis Karl Heinz Burmeister: Georg Joachim Rhetikus 1514–1574. Eine Bio-Bibliografie. 3. Briefwechsel, Wiesbaden 1968, S. 15–17, deutsche Übersetzung S. 17–18. Literaturhinweis Receptio Copernicana. Texte zur Aufnahme der Copernicanischen Theorie. Kommentare und Übersetzungen bearb. v. Stephan Kirschner, Andreas Kühne und Felix Schmeidler (†) (Nicolaus-Copernicus-Gesamtausgabe, hg. von Heribert M. Nobis et.al. Bd. VIII/2), Berlin 2015.
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Voraussetzungen
Nr. 6
Johannes Cochläus: Das kulturelle Niveau Deutschlands
Johannes Cochläus (griechisch für Johannes Dobeneck) (1479–1552) war ein deutscher humanistisch gebildeter römisch-katholischer Kontroverstheologe. Er stritt erbittert gegen Martin Luther und den Fortgang der Reformation. Seine 1512 veröffentlichte Kurze Beschreibung Deutschlands ist das erste Lehrbuch über Deutschland, seine Geografie, Geschichte und Kultur. Als Vorlage diente die Germania des römischen Historikers Tacitus. Cochläus wollte die Größe und kulturelle Bedeutung Deutschlands beschreiben und dem Land einen den lateinischen Völkern im Süden ebenbürtigen Stand zuweisen.
Das Schöpfertum der Künstler. Die Talente der Künstler bewundern nicht nur die Deutschen, sondern auch die Italiener und Franzosen und die entfernt wohnenden Spanier und fragen sehr oft nach ihnen. Davon zeugen ihre Werke, die sehr weit verschickt werden. Albrecht Dürer.42 Da gibt es die Bilder von der Passion des Herrn, die kürzlich Albrecht Dürer malte, in Kupfer stach und selber abzog,43 so überaus fein und mit richtiger Perspektive dargestellt, daß die Kaufleute sogar aus ganz Europa die Exemplare für ihre Maler kaufen. Johannes Neuschel.44 Ich kenne Johannes Neuschel, der ins Ausland reiste und vielen Königen diente. Er ist in der Musik sehr tüchtig, nicht nur Bläser der Trompete, sondern auch ihr hervorragender Hersteller und fügt bei uns häufig zum Chorgesang den Klang der Trompete. Seine Trompeten werden über 700 Meilen verschickt. Peter Vischer.45 Wer aber ist geschickter als Peter Vischer, Metall zu ziselieren und zu gießen? Ich habe ein ganzes Kapellchen gesehen, das er aus Erz gegossen und mit Figuren ziseliert hatte, in dem wirklich viele Sterbliche stehen und die Messe werden hören können.46 Seine Grabdenkmäler und Leuchter bewundern alle, die sie angeschaut haben; so groß ist die Feinheit und das harmonische Ebenmaß der in die Erzmasse gegossenen Bildwerke. Erhard Etzlaub.47 Wer sollte schließlich nicht das Talent des Erhard Etzlaub loben, dessen Uhren48 man sogar in Rom verlangt? Er ist zweifellos ein regsamer Meister, mit den Grundlagen der Geographie und Astronomie hervorragend vertraut, der eine sehr schöne Karte Deutschlands, und zwar in deutscher Sprache, anfertigte, 49 auf der man die Entfernung der
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Albrecht Dürer (1471–1528). Die Kupferstichpassion 1507–1513. Johannes Neuschel († 1533). Peter Vischer (der Ältere) (1460–1529) war ein Bildhauer und Schmied und entstammte einer Nürnberger Künstlerfamilie. Kaiser Maximilian ließ bei ihm Aufträge für sein Innsbrucker Grabdenkmal anfertigen. Gemeint ist das Grab für den St. Sebald in Nürnberg, welches Vischer mit seinen Söhnen Hermann (1486–1517) und Peter (1487–1528) zwischen 1507 und 1519 gestaltete. Erhard Etzlaub (1462–1522) war Kartograf, Astronom und Kompassbauer. Bekannt ist der Romweg, ein Holzschnitt, auf dem eine Karte des Weges nach Rom verzeichnet ist. Anlass war 1500 das Heilige Jahr. Kleine Sonnenuhren mit Magnetnadel, sogenannte Sonnenkompasse. 1501 in Nürnberg gedruckt.
Renaissance und Humanismus
Städte und die Flußläufe wahrlich noch genauer ablesen kann als selbst auf den Karten des Ptolemaeus.50 Peter Hele.51 Sie erfinden von Tag zu Tag feinere Gegenstände. Peter Hele z. B., jetzt noch ein junger Mann, stellt Geräte her, die selbst die gelehrtesten Mathematiker bewundern. Aus wenig Eisen nämlich fertigt er Uhren mit sehr vielen Rädchen an, die ohne ein Gewicht, wohin man sie auch dreht, 40 Stunden anzeigen und schlagen, auch wenn man sie an der Brust oder in einem Täschchen aufbewahrt. Quellennachweis Johannes Cochlaeus: Brevis Germanie descriptio (1512). Mit der Deutschlandkarte des E. Etzlaub von 1501, hg. und übersetzt von Karl Langosch, Darmstadt 1960, S. 89–91. Literaturhinweis Johannes Cochläus: Kurze Beschreibung Germaniens (Brevis Germanie descriptio) (1512). In der Übersetzung von Karl Langosch, mit einer Einführung von Volker Reinhardt, Darmstadt 2010. Monique Samuel-Scheyder: Johannes Cochlaeus aus Wendelstein. Ein Humanistenleben in der Herausforderung seiner Zeit, Heimbach/Eifel und Aachen 2009.
1.2
Renaissance und Humanismus
„Renaissance“ und „Humanismus“ sind historisch gewachsene Begriffe für zwei nur schwer trennbare frühneuzeitliche kulturelle Phänomene. Die Renaissance nahm ihren Beginn in Italien, wo auch der Begriff „rinascita“ („Wiedergeburt“) seinen Ursprung findet52 . Vertreter der Renaissance verstanden ihre Zeit (etwa seit dem 14. Jahrhundert) als die Wiedergeburt der antiken Philosophie und der durch sie geprägten Lebensformen. Während der Petersdom in Rom mitsamt den Werken Michelangelos das wohl berühmteste Beispiel für italienische Renaissancebauten bzw. -malereien darstellt, sind im deutschsprachigen Gebiet vor allem die Werke Albrecht Dürers und Lucas Cranach d.Ä. bekannt. In Ähnlichkeit dazu stellten Anhänger des Humanismus die Wissenschaften von und über den Menschen ins Zentrum (studia humaniora). Sie forderten aus dieser Perspektive die Wiederentdeckung antiker Quellen („ad fontes“ – „zurück zu den Quellen“). Nördlich der Alpen erhielt diese Strömung eine besondere Akzentuierung, indem sich zum einen antischolastische Bildungstendenzen mit einer antirömisch-
50 Claudius Ptolemaeus (um 90–160), griechischer Geograph und Astronom. 51 Eigentlich Peter Henlein (1480–1542), fertigte die ersten Taschenuhren an. 52 Vgl. Ulrich Muhlack: Renaissance und Humanismus. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 93.) Berlin/Boston 2017, S. 7 ff.
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Voraussetzungen
nationalen Richtung verbanden. Zum anderen entstand im Umfeld dieser humanistischen Kreise eine textkritische Wahrnehmung und Interpretation der Bibel. Einen Höhepunkt erreichte diese Bewegung in Erasmus von Rotterdams kritischer Vulgata-Rückübersetzung von 1516. Deren intensive Rezeption und die verstärkten Beschäftigungen mit dem biblischen Text führten insbesondere in Mitteldeutschland, wie etwa in Erfurt und etlichen benachbarten Städten, zur Entstehung des sog. „Bibelhumanismus“ (Helmar Junghans). Im benachbarten Gotha wirkte beispielsweise Mutianus Rufus und für Wittenberg wurde der humanistische Gelehrte Philipp Melanchthon 1518 auf Empfehlung von Johannes Reuchlin angeworben. Er sorgte mit seiner Antrittsrede über die humanistische Universitäts- und Schulreform überregional für Furore (vgl. Nr. 138). Die humanistischen Studien breiteten sich aus dem Süden kommend vor allem an Universitäten, Fürstenhöfen und freien Reichsstädten aus. Als Zentren sind zu nennen: Basel mit den Druckerfamilien Froben und Amerbach sowie dem „Fürsten der Humanisten“ Erasmus von Rotterdam, weiterhin Schlettstadt mit seiner überregional anerkannten Lateinschule, Straßburg und Wien (Enea Silvio Picolomini, Conrad Celtis), Krakau als Zentrum der beginnenden Naturwissenschaften, Heidelberg mit Rudolph Agricola und Tübingen mit Johannes Reuchlin sowie Nürnberg und Augsburg mit den Patrizierfamilien Pirckheimer, Welser, Tucher und Peutinger, die ebenfalls humanistisches Gedankengut vertraten. Der Humanismus beeinflusste auch die im Verfall begriffene Ritterkultur des Mittelalters, etwa im Werk von Ulrich von Hutten (vgl. Nr. 66–68 sowie Kap. 4.5). Seit den Dreißigerjahren des 16. Jahrhunderts setzte man sich vermehrt mit nichtchristlichen Religionen und ihren Zeugnissen auseinander. Johannes Reuchlin hatte als einer der ersten eine Grammatik des Hebräischen erarbeitet. Nach 1542/43 wurde eine lateinische und später auch deutsche Übersetzung des Koran verbreitet – der Baseler Stadtrat wollte den Druck verhindern, gab aber infolge der Intervention von Martin Luther und Philipp Melanchthon nach. Literaturhinweis Berndt Hamm/Thomas Kaufmann: Wie fromm waren die Humanisten? Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung, Wiesbaden 2016. Paul Oskar Kristeller: Humanismus und Renaissance, München 1974–1976. Ulrich Muhlack: Renaissance und Humanismus. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 93.) Berlin/ Boston 2017. Charles Trinkaus: In Our Image and Likeness. Humanity and Divinity in Italian Humanist Thought, (2 Bände), Chicago 1970. Helmar Junghans: Der junge Luther und die Humanisten, Göttingen 1985. Manfred Hinz u. a.: Humanismus, in: Der Neue Pauly. Bd. 14, Stuttgart 2000, Sp. 540–563. Gerrit Walther u. a. (Hg.): Diffusion des Humanismus, Göttingen 2002.
Enea Silvio de Piccolomini: Überaus glänzende Städte
Ders. u. a. (Hg.): Funktionen des Humanismus, Göttingen 2006. Franz Josef Worstbrock (Hg.): Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, 3 Bände, Berlin/New York 2008–2015.
Nr. 7
Enea Silvio de Piccolomini: Überaus glänzende Städte
Der humanistisch gebildete und später als Papst Pius II. (1405–1464) bekannt gewordene Enea Silvio de Piccolomini antwortet auf einen Brief des Mainzer Kanzlers Martin Meyr/Mayer. Sein Lob der deutschen Lande war wohl durch die Lektüre von Tacitus’ Germania beeinflusst. Der Brief stellt ein bemerkenswertes Beispiel für das humanistische Verständnis von Geografie und Geschichtsschreibung dar.
Wer weiß nicht, daß Deutschlands schmuckes Aussehen heute noch weitaus herrlicher ist als einst? Denn wir sehen überall bestellte Felder, neue Äcker, Weinberge, Gärten, Blumenrabatten, Obstplantagen auf dem Lande und vor der Stadt, Bauwerke voller Kostbarkeiten, wunderschöne Landhäuser, auf Bergen gelegene Burgen, von Mauern umschlossene Ortschaften, überaus glänzende Städte, an denen sehr oft große Ströme vorbeifließen oder die klare Flüsse bespülen, welche man auf steinernen oder hölzernen Brücken überschreiten kann. Wir wollen ein wenig die erwähnenswertesten Städte des deutschen Sprachgebiets durchgehen, und es wird sich recht deutlich zeigen, welch große Herrlichkeit, welche Pracht und welchen Glanz diese Nation aufweist. Was soll man von Köln sagen, das nach Agrippina,53 der Gemahlin des Claudius54 und Mutter Neros,55 benannt wurde und durch die Gebeine der drei Weisen (aus dem Morgenland) berühmt ist? Man wird in ganz Europa nichts Prächtigeres, nichts Großartigeres finden: prachtvoll an Kirchen und Gebäuden, bedeutend an Einwohnerzahl, reich an Schätzen, die Dächer mit Blei gedeckt, von Palästen geschmückt, von Türmen beschirmt und vom Rheinstrom und üppigen Auen ringsum herrlich umrahmt […] In der Nähe der Küste kann man ebenfalls nicht wenige erwähnenswerte Städte finden. Alle aber übertrifft Lübeck, das die hochragendsten Gebäude und kunstvollsten Kirchen aufweist. Diese Stadt besitzt einen solchen Einfluß und solchen Reichtum, daß auf ihren Wink hin drei mächtige Reiche — Dänemark, Schweden und Norwegen — ihre Könige ein- und abzusetzen pflegten. […] Auch Magdeburg gilt als groß und bedeutend; es ist der Sitz des Erzbischofs in Sachsen. Und Merseburg wird wohl auch keiner geringachten. […] In Hessen könnte man gleichfalls nicht wenige Ortschaften lobend hervorheben, mehr aber noch in Thüringen: von diesen ist die größte und berühmteste das volk- und schätzereiche Erfurt. Auch das Vogtland ermangelt nicht ruhmvoller Erwähnung. […]
53 Julia Agrippina (15–59 n. Chr.), seit 49 n. Chr. römische Kaiserin. Ihr Geburtsort, das römische Heerlager Ara Urbiorum, erhielt ihr zu Ehren den Namen Colonia Claudia Ara Agrippinensium, aus der die heutige Stadt Köln entstand. 54 Tiberius Caius Nero Germanicus (10 v. Chr.–54 n. Chr.), als Claudius seit 41 n. Chr. römischer Kaiser. 55 Lucius Domitius Ahenobarus (37–68 n. Chr.), als Nero seit 54 n. Chr. römischer Kaiser.
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Voraussetzungen
In Franken liegt am Main Frankfurt, der gemeinsame Handelsplatz von Nieder- und Oberdeutschen, eine zwar großenteils aus Holz gebaute Stadt, die aber von vielen steinernen Palästen geschmückt ist, in denen selbst Könige nicht unziemlich aufgenommen werden könnten. Es sind ferner höchst prächtige gottgeweihte Kirchen aus behauenem Stein zu sehen, und eine steinerne Brücke von erstaunlicher Länge verbindet den kleineren Stadtteil jenseits des Mains mit dem größeren anderen. Hier befindet sich auch ein berühmtes Rathaus, in dem sich oft die Kurfürsten versammeln, wenn sie über gemeinsame Angelegenheiten beraten wollen, und hier wählen sie, wenn der Thron vakant ist, den Kaiser. […] Die Stadt Nürnberg, die von der Pegnitz durchschnitten wird, können wir nicht übergehen; denn man rechnet sie heute zu Franken. Sag, bitte — Du hast Dir ja von dort eine ebenso züchtige wie schöne Gemahlin genommen —, welch ein Anblick bietet diese Stadt, welchen Glanz, welch reizvolle Lage, welche Schönheiten, welche Kultur, welch vorbildliche Stadtverwaltung! Was könnte man an ihr zu einer in jeder Hinsicht vollkommenen Bürgergemeinde noch vermissen? Was für ein Anblick, wenn man aus Unterfranken kommt und von ferne die Stadt sieht! Welche Großartigkeit, welche Schönheit bietet sich da dem Blick von außen! Und drinnen welche Sauberkeit der Straßen, welche Schmuckheit der Häuser! Was gibt es Großartigeres als die Kirche des heiligen Sebaldus, was Prachtvolleres als die Kirche des heiligen Laurentius, was Stolzeres und Festeres als die Königsburg, was Berühmteres als Graben und Stadtmauern! Wieviel Bürgerhäuser kann man dort finden, die für Könige passend wären! Die schottischen Könige würden wünschen, so hervorragend zu wohnen wie mäßig begüterte Nürnberger Bürger! […] Wenn einer die Wahrheit sprechen will, dann wird er gestehen, daß es in Europa kein Volk gibt, dessen Städte sauberer sind und einen erfreulicheren Anblick bieten als die in Deutschland. Man könnte ihnen vielleicht von den italienischen Städten einige vorziehen, wie Venedig, Genua, Florenz, Neapel, denen größte Pracht und Herrlichkeit eigen ist. Wenn man aber eine Nation mit der anderen vergleicht, dann hat man keinen Anlaß, die Städte Italiens den deutschen vorzuziehen. In gewisser Weise bietet Deutschland einen neuen Anblick, und die Städte selbst sehen aus, als wären sie erst kürzlich erbaut und errichtet. Quellennachweis Winfried Trillitzsch (Hg.): Der deutsche Renaissance-Humanismus, Leipzig 1981, S. 141–148. (Übersetzungsgrundlage: Aneas Silvius, Germania, hg. v. Adolf Schmidt, Köln/Graz 1962, S. 49–56 [II 7–16]). Die Anmerkungen wurden übernommen aus Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 42–44. Literaturhinweis Adolf Schmidt: Enea Silvio Piccolomini: Deutschland. Der Brieftraktat an Martin Meyer, Köln 1962. Volker Reinhardt: Pius II. Piccolomini. Der Papst, mit dem die Renaissance begann. Eine Biografie, München 2013.
Andreas Meinhardi: Über die Lage, die Schönheit und den Ruhm der hochberühmten herrlichen Stadt Albioris
Nr. 8
Andreas Meinhardi: Über die Lage, die Schönheit und den Ruhm der hochberühmten herrlichen Stadt Albioris, gemeinhin Wittenberg genannt
Der in den Siebzigerjahren des 15. Jahrhunderts in Pirna (Sachsen) geborene Andreas Meinhardi studierte ab 1493 in Leipzig. Unzufrieden mit dem dortigen Lehrangebot und dem Engagement der Universitätsangehörigen wechselte er 1504/05 nach Wittenberg. Er wurde dort in die philosophische Fakultät aufgenommen. Meinhardi starb 1525 in der Stadt an der Elbe, über die er 1507 ein Lobgedicht verfasst hatte.
Schon in vergangenen Tagen, hochberühmter Fürst und Herr, als ich zum ersten Male den Fuß in die bedeutende Universität von Wittenberg setzte, die Eure fürstliche Gnaden nicht ohne Aufwand und Kosten errichtet und mit dem größten Glanz geschmückt hatte, und als ich zum Kameraden ihrer sehr strebsamen Studentenschaft wurde, ermahnte mich der hervorragende und treue Diener Eurer Gnädigen und Edlen Hoheit, Martinus Mellerstedt,56 Doktor der Freien Künste, der Medizin und der Heiligen Schrift, auch deren genauster Ausleger, mein hochverehrter Herr und Meister, zum Lob und zum Wachstum dieser berühmten Akademie, indem gleichsam Ruhm auf Ruhm gehäuft würde, ein kleines Werk herauszugeben. […] Deswegen habe ich diesen Dialog geschrieben, so daß bei aller Schlichtheit Euer Ruhm der Nachwelt um so strahlender erscheinen mag. Meine Arbeit unterbreite ich Eurer gnädigen Hoheit zur Kritik und Verbesserung. Schließlich hoffe ich, daß dieses Buch zur Bewahrung Eures unsterblichen Ruhmes und dem Eurer Verwandten nützlich und für die Verbesserung der Lateinkenntnisse der neuen Studenten brauchbar ist. Ich werde das Buch mit nicht geringem Eifer veröffentlichen, und ich hoffe, daß Ihr es mit freundlichem Antlitz und heiterer Seele annehmt. […] Geschrieben in der sehr blühenden Universität zu Albioris am 29. September des 1507. Jahres der Geburt unseres Herren durch die Jungfrau. Erstes Kapitel über zwei Jünglinge, die sich auf einer Reise treffen M: Woher bist du gebürtig? R: Aus Freiberg. M: Wie ist dein Name? R: Nach meinem Vater Reinhard heiße ich auch Reinhard. M: Und ich heiße nach dem meinigen Meinhard und stamme aus Pirna. Wenn ich richtig verstanden habe, Reinhard, sind wir fast Landsleute. R: Wenn deine Worte den Tatsachen entsprechen, verhält sich die Sache gerade so, wie du sagst. M: Bist du vielleicht bei einer edlen Universität eingeschrieben? R: Das bin ich nicht. M: Wohin lenkst du deine Schritte? R: Nach Köln, der heiligen Agrippina Colonia. M: Gern wüßte ich, womit du dich dort beschäftigen willst.
56 Martin Pollich von Mellerstadt (1455–1513), humanistisch gebildeter Gelehrter und Gründungsrektor der Universität Wittenberg.
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Voraussetzungen
R: Man sagt, die edelsten Studien seien dort im Schwange, und daß eine Studienreform vorgenommen worden ist, man sich dort mit sehr wenig Geld erhalten kann, behauptet ein Gerücht. Die Sache will ich selbst in Augenschein nehmen. M: Redest du die Wahrheit? R: Bestimmt die Wahrheit, keine Erfindung. M: Ich bin Glied der berühmten Krakauer Universität, jetzt aber will ich in eine neue eintreten. […] M: Besonders hat mich die große Entfernung zur alten Universität beeinflußt, der Unterschied in der Weglänge ist nicht gering. An der neuen Universität gibt es die Vielzahl von Vorzügen, die du gerade erwähnt hast. Für wenig Geld kann man leben. Auch ist in allen Fakultäten die Promotion leichter und billiger zu erlangen. Man kann bevorzugt Vorlesungen hören, und schließlich ist es eine sehr angenehme Gegend. R: Ist diese Universitätsstadt auf einem Berge erbaut? M: Nicht auf einem Berge, sondern in einer Ebene, die von solcher Schönheit ist, daß ich sie nicht nur nicht beschreiben, sondern auch nicht genug bewundern kann. R: Wie heißt diese Stadt? M: Albioris oder Wittenberg. R: Warum wird sie Albioris genannt? M: Wegen des weißen Sandberges, der in der Nähe liegt. […] M: Es besitzt also die Stadt eine kunstvoll gebaute Burg und eine Kirche, die mit unendlich vielen sehenswerten Reliquien geschmückt ist, mit herrlichsten Schätzen der verschiedensten Art. Auch ist ein neues Kloster der Mönche vom Orden des Heiligen Augustinus vorhanden, das in der Nähe eines neuen Kollegiums an einem schönen Ort mit nicht geringer Kunst und Sorgfalt errichtet worden ist. Es gibt weiterhin einen frischen Strom, der Segelboote trägt. Sein Name ist Albis, die Elbe, wie du ohne Zweifel weißt. Unter den germanischen Flüssen, die Namen tragen, ist er der einzige, den die römischen Heere nicht überqueren konnten. Viele glauben, daß die Stadt ihren Namen von diesem Strom hat. Nachdem er aus der Tiefe des Waldes hervorgetreten ist, fließt er durch die Ebene in einer fast geraden Linie entlang der Stadt unter zwei hölzernen Brücken hindurch, deren Bau ein gutes Stück Geld gekostet hat. Von Wäldern voll Brombeergesträuch ist die Stadt ringsum umgeben, von Gärten und Hainen, die mit süßen Gerüchen und dem Gesang aller Arten von Vögeln angefüllt sind. Innen ist sie von zwei Bächen mit Hunderten von Fischarten geschmückt und außen nicht weniger durch die schon erwähnten Brücken. Ich weiß nicht, ob ich die Gegend lieber ein elysäisches Gefilde oder ein Paradies auf Erden nennen soll. R: Welche gelehrten Männer hat diese neue Universität? […] M: Sie sind in allen Arten der Gelehrsamkeit herausragend, so daß sie es wert sind – mit gebührendem Respekt vor den alten Zeiten – mit den Männern der Antike verglichen zu werden. Zuerst sind da also eifrige Erforscher der lateinischen Anfangsgründe und Quellen, auch geschickte und eloquente Lehrer der römischen Redekunst, ebenso seh verfeinerte, mit dem Lorbeer geschmückte Dichter. Weiterhin gibt es genaue Beobachter, die sich mit der Harmonie der himmlischen Sphären beschäftigen, unterschiedliche Mengen berechnen oder unbewegliche Massen messen. Leute, die die Sternenwissenschaft oder die der Geschichte darstellen, die Naturphänomene auf die akkurateste Weise erklären, kurz, es gibt spekulative Philosophen; sehr talentierte Söhne der Weisheit könnte man sie auch nennen. Weiterhin sind sorgfältige Erhalter des menschlichen Wohlbefindens da: äußerst exakte Doktoren der medizinischen Kunst. Ebenso Lehrer mit größter Praxis des kaiserlichen und des
Johannes Kessler: Lobrede auf den Fürsten der Wissenschaft
kirchlichen Rechtes wie auch beider Rechte, die unsere berühmte Akademie schmücken wie die Sterne den Himmel. Ebenso gibt es Erklärer der Heiligen Schrift gemäß den beiden Wegen, sehr genau und bedeutend auf dem Weg des heiligen Thomas von Aquino, äußerst scharfsinnig auf dem des Meisters Duns Scotus. Das sind Leute, die ohne Zweifel für unseren Glauben kämpfen würden ungeachtet grausamster Folter oder gar eines gräßlichen Todes. Um es zusammenzufassen: Es gibt eine große Menge Leute dort, die mit blühenden Kenntnissen in allen schönen Künsten geschmückt sind. Quellennachweis Andreas Meinhardi: Über die Lage, die Schönheit und den Ruhm der hochberühmten, herrlichen Stadt Albioris, gemeinhin Wittenberg genannt. Ein Dialog, herausgegeben für diejenigen, die ihre Lehrzeit in den edlen Wissenschaften beginnen. Aus dem Lateinischen übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Martin Treu, Leipzig 1986, S. 35–44. Literaturhinweis Johannes Klaus Kipf: Meinhardi (Meynar, -hart, Mynar), Andreas, in: Franz Josef Worstbrock (Hg.): Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, Bd. 2, Berlin/New York 2013, Sp. 209–213. Helmar Junghans: Wittenberg als Lutherstadt, Berlin 2 1982. Stefan Oehmig (Hg.): Buchdruck und Buchkultur im Wittenberg der Reformationszeit, Leipzig 2015.
Nr. 9
Johannes Kessler: Lobrede auf den Fürsten der Wissenschaft
Johannes Kessler (latinisiert Ahenarius um 1502–1574) war ein evangelischer Theologe und Handwerksmeister. Er studierte 1521 zunächst in Basel und anschließend in Wittenberg, wo er auch die Lehren Martin Luthers und des Erasmus von Rotterdam kennenlernte. Innerhalb seiner Zunft hielt er deren Mitgliedern Vorträge über biblische Themen. Er machte sich um die Einführung der Reformation in der Kirche St. Gallens verdient. Wie hochberuhmt der Name Erasmi bei allen, fürnehmlich aber bei den Gelehrten gehalten werd, ist menglichen [= jedem] und besunder, die der latinischen Sprach Wissen tragend, ohnverborgen. Dann er alle sine Bucher in dieser genannten Zungen beschrieben — sunst ist er an geborner Holander von Rotherodam — welche Gelehrten sich nit gnugsam verwunderen können der Kunst, Weisheit ordentlicher Schreibung, damit er sine usgangne Bucher geziert hat. Also daß zuglich sin Nam in ein Sprüchwort verwendt ist, solichermaßen: Was kunstrich, fürsichtig, gelehrt und weis geschrieben ist, spricht man, das ist Erasmisch, das ist ohnfehlbar und vollkommen!
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Voraussetzungen
Diesem Erasmo ist die latinisch Sprach viel Ehren schuldig, dann er sie, durch die Sophisten57 verwust, us dem Kat [= Kot] und Unflat gezogen, usgesuberet und poliert hat. Zudem hat er die studierende Jugend uf rechte Bahn zu lernen gefuhrt. Die Älteren aber hat er mit täglichem Usgeben nüwer nutzbaren Bucher, och mit Verbesserung viel der uralten Bucher erfröwt und belustiget. Also daß meniglich, jung und alt, zu fleißigem Studieren, beide heilger und weltlichen Geschriften, durch Erasmi Anleitung entzündt ist. Zudem das Nüw Testament nach kriecheschem Text wahrhaft in Latin verdolmetscht, darus viel Nutzes und besser Verstand erwachsen ist. Desglichen eh Martinus Lutherus mit Schreiben usbrochen [= begonnen], hat er nit wenig Irrtumb, Überfluß, Mißverständ im Papsttumb in sinem Schreiben angetastet, wie us dem Buchli Moria58 und us sinem Compendio Theologiae59 zu vernehmen ist. Aber allweg so still und bescheiden mit Worten, dass die nit wohl haben von den Papstler mögen verstanden werden. Und ob sie glich verstanden, diewil er nicht dester minder von dem Papst, Kardinälen und Bischofen Sold und Schenke [= Geschenke], als ihrer guter Fründ und Günner empfienge, haben sie es von ihm guter Mahnung verstanden und im besten ufgenommen. Und damit er ihren Gunst nit verschütte, tut er nit unglich den Muttern, so ihre Kinder schlachend [= schlagen]. So sie vermeinend, sie wellen zu viel Weinen und Schmerzen bewegt werden, fachen [= fangen] sie an, die Mutteren, wiederumb mit ihnen zartlen [zu zärteln]. Ei schweige, es gilt glich, du bist mir dannacht lieb! […] Also lebt er nach jetzund zu Basel; hat ihm Joann Frobenius60 zu Lieb nach sines Lands Brauch einen besunderen Saal erbuwen. Allda hab ich ihn gesechen von Person, nun ein taubgrauer, ehrsamer, alter und ein kleiner und zarter Mensch, in einem langen, blauen, zusammengurten Rock mit weiten Ärmlen bekleidt und ein Listen [= Borte] von Sammet umb den Hals, vornen zu beiden Seiten abgehenk [= herabhängend] nach des Rocks Länge. Quellennachweis Mit Veränderungen übernommen aus: Götzinger, Ernst (Hg.): Johannes Kesslers Sabbata: Chronik der Jahre 1523–1539, St. Gallen 1870, S. 164–166. Literaturhinweis Cornelis Augustijn: Erasmus von Rotterdam. Leben – Werk – Wirkung. Übersetzt von Marga E. Baumer, München 1986. Peter Bietenholz: Erasmus von Rotterdam, in: Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450–1600), hg. v. Stephan Füssel, Berlin 1993, S. 235–257. Christine Christ-von Wedel: Erasmus von Rotterdam: Ein Porträt, Basel 2016.
57 Vertreter der Sophistik, d. h. hier: Wortverdreher, Silbenstecher. 58 Encomion morias (Lob der Torheit). 59 Ratio sive compendium verae theologiae (Lehre oder Abriss der wahren Theologie), eine der von Erasmus verfassten Einleitungsschriften zum Neuen Testament. 60 Johann Froben (um 1460–1527), Buchdrucker und Verleger in Basel.
Erasmus von Rotterdam: Der Abt und die gelehrte Frau
Nr. 10
Erasmus von Rotterdam: Der Abt und die gelehrte Frau
Desiderius Erasmus von Rotterdam (1466/1467/1469–1536) ist einer der bekanntesten Gelehrten des Humanismus. Er wurde in den Habsburgischen Erblanden (Niederlande) geboren und wirkte in vielfältigen Disziplinen und Ämtern. Er verfasste zahlreiche Bücher. Seit 1490 hatte er kleinere Texte mit lateinischen Stilübungen für seine Schüler verfasst, aus denen die 1518 veröffentlichten Colloquia familiaria hervorgingen. Sie behandeln unterschiedliche Themen wie Reisen, Krieg, Beerdigung, Religion, den Schlaf, Bettel und Literatur. In dem satirischen Dialog zwischen dem Abt und der gelehrten Frau spricht er sich für die Bildung von Frauen aus. Die Satire äußert weiterhin Kritik am Mönchtum. Vertrauliche Gespräche zwischen dem Abt Antronius und der gelehrten Frau Magdalia Antronius: Was für eine Einrichtung sehe ich hier? Magdalia: Ist sie nicht schön? Antronius: Ich weiß nicht, ob sie schön ist. Fest steht nur, daß sie weder zu einer jungen noch zu einer betagten Frau recht paßt. Magdalia: Wieso? Antronius: Weil alles voll von Büchern ist. Magdalia: Ihr seid schon so alt, außerdem Abt und ein Mann von Welt, und habt niemals Bücher in den Häusern hochgestellter Frauen gesehen? Antronius: Ich habe wohl welche gesehen, aber französisch geschriebene. Hier sehe ich griechische und lateinische. Magdalia: Lehren denn nur französisch geschriebene Bücher die Weisheit? Antronius: Jedenfalls schickt es sich für hochgestellte Frauen, daß sie etwas haben, womit sie sich die Mußestunden vertreiben. Magdalia: Dürfen nur hochgestellte Frauen Verstand haben und ein angenehmes Leben führen? Antronius: Ihr stellt fälschlich Verstand haben und ein angenehmes Leben führen zusammen. Verstand haben ist nicht Sache der Frau. Sache hochgestellter Frauen ist es, ein angenehmes Leben zu führen. Magdalia: Sollen nicht alle ordentlich leben? Antronius: Wahrscheinlich schon. Magdalia: Wie aber kann einer angenehm leben, der nicht ordentlich lebt? Antronius: Im Gegenteil, wie kann einer angenehm leben, der ordentlich lebt? Magdalia: Ihr heißt also die gut, die böse, aber angenehm leben? Antronius: Ich glaube, daß jene richtig leben, die angenehm leben. Magdalia: Doch woher kommt diese Annehmlichkeit, von äußerlichen Dingen oder aus dem Herzen? Antronius: Von äußerlichen Dingen. Magdalia: Ihr seid zwar ein feiner Abt, aber ein grober Philosoph! Sagt mir, wonach Ihr die Annehmlichkeit bemeßt! Antronius: Nach dem Schlaf, dem Essen, der Freiheit zu tun, was man will, dem Geld, den Ehren. Magdalia: Würdet Ihr nicht in Wahrheit angenehm leben, wenn Gott zu alledem noch Weisheit gäbe?
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Antronius: Was nennt Ihr Weisheit? Magdalia: Wenn man erkennt, daß ein Mensch nur glücklich wird durch die Schätze des Herzens. Reichtum, Ehre, Abstammung machen einen weder glücklicher noch besser. Antronius: Diese Weisheit kann mir gestohlen werden. Magdalia: Wie, wenn mir die Lektüre eines guten Schriftstellers angenehmer wäre, als mit Euch zu jagen, zu trinken oder zu würfeln? Würdet Ihr dann nicht glauben, daß ich angenehm lebe? Antronius: Ich könnte so nicht leben. Magdalia: Ich frage nicht, was Euch am angenehmsten ist, sondern was Euch angenehm sein sollte. Antronius: Ich möchte nicht, daß meine Mönche ständig über den Büchern sitzen. Magdalia: Mein Mann billigt aber gerade das. Doch weshalb billigt Ihr es nicht bei Euren Mönchen? Antronius: Weil ich die Erfahrung gemacht habe, daß sie dann weniger gehorchen. Sie verantworten sich durch Dekrete und Dekretalen, mit Petrus und Paulus. Magdalia: Befehlt Ihr ihnen etwa Dinge, die Paulus und Petrus zuwiderlaufen? Antronius: Was jene lehren, weiß ich nicht. Gleichwohl liebe ich keinen Mönch, der Antworten gibt, und ich möchte nicht, daß einer von den Meinen mehr weiß als ich. Magdalia: Das ließe sich vermeiden, indem Ihr Euch bemüht, soviel als möglich zu wissen. Antronius: Dazu habe ich keine Zeit. Magdalia: Wieso? Antronius: Weil sie mir eben fehlt. Magdalia: Ihr habt keine Zeit, Euch zu bilden? Antronius: Nein. Magdalia: Welche Hindernisse gibt es denn da? Antronius: Die reichlich langen Gebete, die Sorge um den Haushalt, die Jagd, die Pferde, der Hofdienst. Magdalia: So sind diese Dinge für Euch wichtiger als die Weisheit? Antronius: Es ist jedenfalls bei uns so Brauch. Magdalia: Aber sagt doch einmal: Wenn ein Gott Euch die Macht verliehe, Eure Mönche und Euch selbst nach Wunsch in jedes beliebige Tier zu verwandeln, würdet Ihr dann jene in Schweine verwandeln und Euch selbst in ein Pferd? Antronius: Keineswegs. Magdalia: Und doch würdet Ihr auf diese Weise verhüten, daß jemand klüger ist als Ihr? Antronius: Es läge mir nicht viel daran, welche Art Lebewesen die Mönche sind, wenn ich nur selbst ein Mensch bin. Magdalia: Haltet Ihr den für einen Menschen, der weder Verstand hat, noch haben will? Antronius: Für mich habe ich Verstand genug. Magdalia: Auch die Schweine haben für sich Verstand genug. Antronius: Ihr scheint mir eine Sophistin zu sein, so spitzfindig redet Ihr. Magdalia: Ich will nicht sagen, was Ihr mir scheint. Doch wieso mißfällt Euch diese Einrichtung? Antronius: Weil der Rocken und die Spindel die weiblichen Waffen sind. Magdalia: Ist es nicht Aufgabe der Frau, den Haushalt zu führen und die Kinder zu unterweisen? Antronius: Freilich. Magdalia: Meint Ihr, daß etwas so Wichtiges ohne Weisheit geleitet werden kann? Antronius: Ich glaube nicht. Magdalia: Und diese Weisheit lehren mich die Bücher.
Erasmus von Rotterdam: Der Abt und die gelehrte Frau
Antronius: Ich habe daheim zweiundsechzig Mönche, und dennoch werdet Ihr kein Buch in meiner Zelle finden. Magdalia: So ist für die Mönche also gut gesorgt. Antronius: Ich würde Bücher noch gelten lassen, aber nicht lateinische. Magdalia: Weswegen? Antronius: Weil diese Sprache nicht für die Frauen paßt. Magdalia: Die Begründung würde mich interessieren. Antronius: Weil sie zur Bewahrung ihrer Keuschheit zu wenig geeignet ist. Magdalia: Eignen sich denn für die Keuschheit französische Bücher voll leichtfertiger Geschichten? Antronius: Die Sache verhält sich anders. Magdalia: Sprecht Euch aus. Antronius: Wenn sie kein Latein können, sind sie vor den Priestern sicherer. Magdalia: Dank Eurer Mühe ist die Gefahr von daher ja ziemlich gering, da Ihr ja fleißig daran arbeitet, kein Latein zu können. Antronius: Die Allgemeinheit empfindet es so, weil es selten und ungewöhnlich ist, daß eine Frau Latein versteht. Magdalia: Wieso beruft Ihr Euch vor mir auf die Allgemeinheit, die der schlechteste Ratgeber ist, wenn man etwas gut machen will? Wieso auf die Gewohnheit, die die Lehrmeisterin für alles Schlechte ist? Man muß sich an das Beste gewöhnen, auf diese Weise wird gebräuchlich, was ungebräuchlich, und angenehm, was unangenehm war; was ungeziemend war, wird geziemend. Antronius: Mag sein. Magdalia: Steht es nicht einer Frau, die in Deutschland geboren ist, gut an, Französisch zu lernen? Antronius: Sehr gut sogar. Magdalia: Weshalb? Antronius: Damit sie mit denen reden kann, die Französisch verstehen. Magdalia: Und mir, meint Ihr, steht es nicht an, daß ich Latein lerne, um mich täglich mit so viel Autoren zu unterhalten, die derart beredt, gelehrt, weise und derart zuverlässige Ratgeber sind? Antronius: Die Bücher entziehen den Frauen viel von dem Hirnschmalz, von dem sie an sich zu wenig haben. Magdalia: Wieviel ihr habt, weiß ich nicht. Ich will jedenfalls das wenige, das ich habe, lieber bei ordentlichen Studien aufbrauchen als in sinnlos gesprochenen Gebeten, in nächtelangen Gelagen und beim Leeren mächtiger Humpen. Antronius: Der Umgang mit Büchern macht blöde. Magdalia: Machen Euch die Gespräche mit Saufbrüdern, Possenreißern und Hanswursten nicht blöd? Antronius: Sie vertreiben viel eher den Verdruß. Magdalia: Wie sollte es dann möglich sein, daß mich so liebenswürdige Gesprächspartner blöde machen? Antronius: Man behauptet es. […] Magdalia: Ich meinerseits beglückwünsche mich, daß ich einen Mann bekommen habe, der Euch nicht ähnlich ist, denn die Gelehrsamkeit macht ihn mir und mich ihm teuer. Antronius: Da erwirbt man mit großer Mühe Gelehrsamkeit, und nachher muß man sterben. Magdalia: Sagt mir, Ihr vortrefflicher Mann, ob Ihr lieber als Dummkopf oder als Weiser sterben wollt, wenn Ihr morgen sterben müßtet?
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Antronius: Wenn die Weisheit mir ohne Mühe zuteil würde […]. Magdalia: Dem Menschen wird aber in diesem Leben nichts ohne Mühe zuteil, und dennoch muß man alles, was man zuwege gebracht hat, mit wieviel Mühe es auch erworben wurde, hier zurück lassen. Warum sollte es uns da verdrießen, einige Mühe aufgewandt zu haben für das Allerwertvollste, dessen Frucht uns auch in das andere Leben begleitet? Antronius: Ich habe allenthalben oft sagen gehört, daß eine weise Frau doppelt dumm sei. Magdalia: Das pflegt freilich gesagt zu werden, aber von Dummen. Eine Frau, die wahrhaft klug ist, dünkt sich nicht selber klug zu sein. Eine dagegen, die von nichts etwas versteht und sich selber für klug hält, ist in der Tat dumm. Antronius: Ich weiß nicht, wie es kommt, daß die Wissenschaften so wenig zur Frau passen wie der Sattel zum Ochsen. Magdalia: Ihr könnt aber nicht leugnen, daß sich der Sattel besser zum Ochsen schickt als die Mitra zu einem Esel oder einem Schwein. […] Magdalia: Ebenso war einst ein ungebildeter Abt ein seltener Vogel, und heutzutage ist nichts häufiger. Die Fürsten und Herrscher ragten einst nicht weniger durch ihre Gelehrsamkeit als durch ihre Macht hervor. Und trotzdem ist es auch heute gar nicht so selten, wie Ihr glaubt. In Spanien und Italien gibt es nicht wenige sehr vornehme Frauen, die es mit jedem Mann aufzunehmen vermögen. In England gibt es solche im Hause des Morus, in Deutschland in den Familien Pirckheimer und Blarer.61 Wenn Ihr nicht auf der Hut seid, wird es noch so weit kommen, daß wir in den theologischen Schulen den Vorsitz führen, in den Kirchen predigen und Eure Mitren in Beschlag nehmen. Antronius: Das möge Gott verhüten. Magdalia: Es wird an Euch liegen, das abzuwenden. Denn wenn Ihr so weitertut wie bisher, werden eher die Gänse predigen, als daß man Euch stumme Hirten länger erträgt. Ihr seht, daß die Bühne sich wandelt. Entweder muß man abtreten oder seine Rolle spielen. Quellennachweis Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften, lateinisch und deutsch, herausgegeben, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Werner Welzig. Bd. 6, Darmstadt 4 2016, S. 253–265. Literaturhinweis Elisabeth Gutmann: Die Colloquia Familiaria des Erasmus von Rotterdam (Baseler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 111), Basel/Stuttgart 1968.
61 Gemeint sind vermutlich die erste Frau des Thomas Morus, Joan Colt (1488–1511), sowie die Äbtissin des Nürnberger Clarissenklosters, Charitas Pirckheimer und die Nonne und spätere Frau des Reformators Ambrosius Blaurer, Katharina Ryff. Vgl. Nr. 86: Ambrosius Blaurer: Bericht über seinen Klosteraustritt.
Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit
Nr. 11
Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit
Erasmus verfasste das Lob der Torheit auf der Rückreise von seiner Italienfahrt (1506–1509) nach England. Er hatte in Rom und anderen Städten einen weltoffenen, hoch gebildeten Humanismus als Gesellschaftsform erfahren. Der Weise findet in Büchern nur „tote Wissenschaft“, während der Tor im Leben durch Erfahrung gelehrt wird. Diese dialektische Spannung durchzieht auch seinen Text, der 1511 in Paris gedruckt wurde. Die Betrachtung über die scholastische Theologie karikiert den spätmittelalterlichen akademischen Theologieunterricht.
Vielleicht wäre es geratener, die Theologen ganz mit Stillschweigen zu übergehen und diesen Camarinischen Sumpf,62 diesen Anagyrisstrauch,63 unberührt zu lassen; denn diese Menschenklasse ist verteufelt grimmig und reizbar und wird mich gewiß im Sturm mit ihren aber tausend Schlußfolgerungen angreifen, um mich zum Widerruf zu zwingen und mich sogleich der Ketzerei zu beschuldigen, wenn ich mich weigere. Dieses Wort ist ja der Blitz, mit dem sie den schrecken, der es mit ihnen verscherzt. Obwohl von allen Menschen auf dieser Welt die Theologen am meisten geneigt sind, meine Wohltaten zu verkennen, sind gerade sie mir in der Tat in mehr als einer Beziehung großen Dank schuldig. Im glücklichen Vollbesitze ihrer Philautia64 thronen sie gleichsam im dritten Himmel und blicken auf alle Sterblichen wie auf Erdenwürmer herab, ja bemitleiden sie fast. Umgeben von einer starken Schanze von Hauptund Grunddefinitionen, von Schlüssen und Folgerungen, von speziellen und allgemeinen Obersätzen, finden sie so viele Ausflüchte, daß selbst Vulkan nicht imstande wäre, sie in seinen Netzen festzuhalten.65 Sie entschlüpfen stets mit Hilfe ihrer Distinktionen,66 durch die sie jeden Knoten leichter trennen, als es das Beil von Tenedos67 vermag; ist ihre Waffe doch aus allen möglichen geklügelten und ungeheuerlichen Ausdrücken zusammengeschmiedet. Das erkennt ihr recht deutlich, wenn sie nach ihrem Gutdünken die tiefsten Geheimnisse erläutern. Handelt es sich um die Schöpfung und Anordnung der Welt, um die Fortpflanzung der Erbsünde, um die räumliche und zeitliche Bestimmung der Menschwerdung Christi oder um die Möglichkeit des von ihrer Substanz getrennten Bestehens der Akzidenzien68 im Abendmahl, so sind das völlig abgedroschene Themata für Anfänger. Jener großen und, wie sie sich nennen, erleuchteten Meister der Theologie sind nur Fragen würdig wie die folgenden, bei deren Erörterung sie stets gleichsam von neuem aufleben: „Kann man bei der göttlichen Zeugung einen meßbaren Augenblick unterscheiden?“ — „Stammt Christus aus mehreren 62 63 64 65
Übelriechender Sumpf auf Sizilien. Strauch mit übelriechendem Holz. Eigenliebe. Mit Netzen fing der römische Gott des Feuers und der Schmiedekunst seine ehebrecherische Gattin (vgl. Homer: Odyssee VIII. Gesang, 266 ff.). 66 Unterscheidungen. 67 Sprichwörtlich von der Strenge des Königs Tenes auf Tenedos, der bei Anklagen stets den Henker hinter den Kläger stellte, um diesen bei einer falschen Anklage sofort bestrafen zu lassen. Vgl. Cicero, Ad Quintum fratrem, II. Buch, 11. Kapitel, sowie die Artikel in: Der kleine Pauly. Lexikon der Antike, hg. von Konrat Ziegler u. a., Bd. 5, München 1979, Sp. 585–587. 68 Eigenschaften im Sinne von Äußerlichkeiten im Gegensatz zur Substanz, dem beständigen Wesen.
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Ehen?“ — „Ist jener Satz: ‚Gott, der Vater, haßt seinen Sohn‘, möglich?“ — „Ist es denkbar, daß Gott von seiner Person einem Weibe mitgeteilt hat oder dem Teufel oder einem Esel, einem Kürbis, einem Kieselstein?“ — „Wie würde ein solcher Kürbis das Evangelium predigen, wie würde er Wunder tun, wie ans Kreuz geschlagen werden?“ — „Worüber würde Petrus den Segen gesprochen haben, wenn er gesegnet hätte, als der Leib Christi noch am Kreuze hing?“ — „Konnte man zu ebenjener Zeit sagen, daß der Heiland noch ein Mensch sei?“ — „Wird es nach der Auferstehung gestattet sein, wie vorher zu essen und zu trinken?“ Diese Magenfrage möchten die Herren am liebsten schon jetzt entschieden wissen. […] Diese spitzfindigsten Spitzfindigkeiten spitzen die verschiedenen Methoden der Schulen noch feiner zu, so daß man sich eher in den Gängen eines Labyrinthes zurechtfinden als einen Ausweg entdecken könnte aus dem Gewirr der Realisten,69 Nominalisten,70 Thomisten,71 Albertisten,72 Occamisten,73 Scotisten74 — das sind noch lange nicht alle, aber doch wenigstens die bedeutendsten Sekten. In allen diesen Schulen gibt es ja so viel Lehrgegenstände, deren Studium überaus schwierig und mühsam ist, so daß die Apostel selbst, wenn sie mit den Theologen von heute über jene Gegenstände disputieren wollten, von einem ganz anderen Geiste beseelt sein müßten als damals. Paulus war fest in seinem Glauben; wenn er indessen sagt: „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht“,75 so ist diese Definition nach modernen Begriffen nicht schulgerecht. Derselbe Apostel war ein feuriger Verkünder der christlichen Liebe; doch hat er im 13. Kapitel seines ersten Briefes an die Korinther diese Tugend weder begrifflich festgestellt noch in ihre Teile zerlegt, was recht wenig dialektische Festigkeit verrät. […] Quellennachweis Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit. Aus dem Lateinischen übersetzt von Heinrich Hersch. Einleitung von Claus Träger, Leipzig 6 1985. S. 99–101, 106 f. Alternative Übersetzung von Alfred Hartmann, in: Erasmus von Rotterdam. Ausgewählte Schriften in acht Bänden. Lateinisch und Deutsch. Herausgegeben von Werner Welzig. Band 2: ΜΩΡΙΑΣ ΕΓΚΩΜΙΟΝ sive laus stultitiae, Darmstadt 1975, S. 131–135. Literaturhinweis Harald Schmid: Encomium Moriae – Lob der Torheit. Ein philosophischer Diskurs in Anlehnung an die Schrift des Erasmus von Rotterdam über die menschliche Dummheit, Essen 2012. Josef Lehmkuhl: Erasmus – Machiavelli: zweieinig gegen die Dummheit, Würzburg 2008.
69 Vertreter der älteren scholastischen Richtung, die den Allgemeinbegriffen (Universalien) eine reale Existenz zugestanden. 70 Vertreter der neueren scholastischen Richtung, die in den Allgemeinbegriffen abstrakte Termini und keine Realien sahen. 71 Die Anhänger des Dominikanertheologen Thomas von Aquins. 72 Die Anhänger des Dominikanertheologen Albertus Magnus (ca. 1200–1280). 73 Die Anhänger des Franziskanertheologen Wilhelm von Ockham (um 1285–1350). 74 Die Anhänger des Franziskanertheologen Johannes Duns Scotus (um 1265–1308). Während Thomas und Duns Scotus zur alten Schule (via antiqua) gerechnet wurden, begründete Ockham einen neuen Weg (via moderna). 75 Hebr 11,1.
Johannes Sleidanus: Der Reuchlinsche Handel
Nr. 12
Johannes Sleidanus: Der Reuchlinsche Handel
Johannes Pfefferkorn veröffentlichte 1505 mit Unterstützung der Kölner Dominikaner mehrere Schmähschriften gegen Juden. Er erlangte 1509 ein Mandat von Kaiser Maximilian zur Beschlagnahme aller jüdischen Schriften und beantragte das Verbot aller jüdischen Bücher. Die Universitäten Mainz, Köln, Erfurt und Heidelberg sowie die Gelehrten Reuchlin, Victor von Carben, ein Kölner Priester, und auch der Inquisitor der Kölner Dominikaner Jakob van Hoogstraten wurden im Jahr 1510 damit beauftragt, den Einfluss der jüdischen Bücher auf den christlichen Glauben zu beurteilen. Allein Reuchlin sprach sich in seinem Gutachten für einen Schutz der jüdischen Schriften aus. Johannes Sleidanus76 war ein Jurist aus dem damaligen Herzogtum Luxemburg. Er diente zunächst am Hofe Franz I., wechselte dann aber nach Straßburg und begann eine Geschichte der Reformation zu schreiben. Seit 1545 wirkte er als Diplomatischer Vertreter des Schmalkaldischen Bundes. Johannes Pfefferkorn,77 ein getaufter Jude, hatte oft und dick bei Kaiser Maximilian angehalten, dass alle jüdischen Bücher möchten vertilgt werden, denn sie wären voller Gotteslästerung und Aberglaubens, und hinderten die Juden, dass sie nicht zum christlichen Glauben bekehrt würden; darum sollte man ihnen keine Bücher lassen, ohne allein die Bibel. Endlich befahl Kaiser Maximilian dem Erzbischof Uriel zu Mainz,78 dass er etlichen Universitäten, dem Ketzermeister Jakob Hochstraten und Johannes Reuchlin befehle, zu erwägen und zu beratschlagen, was in diesem Falle zu tun sei, und ob es unserm Glauben fürträglich sei, dass man alle ihre andern Bücher, ohne allein die Bibel, verbrennen solle. Dies geschah im Jahr Tausend fünfhundert und zehn. Als nun Reuchlin, welcher zugleich ein Jurist und der hebräischen Sprache überaus wohl erfahren war, des Erzbischofs von Mainz Brief empfangen, schrieb er ihm, was sein Rat und Meinung wäre: Nämlich, dass der Juden Bücher seien dreierlei, historische, medizinische und talmudische, und diese selbigen seien auch nicht einerlei Gattung. Denn obschon viele närrische und abergläubische Dinge darin geschrieben seien, so wären sie doch in dem nützlich, und dienten trefflich wohl dazu, dass man ihren Irrtum und Torheit könnte widerlegen. Diese seine Meinung schickte er dem Erzbischof versiegelt zu. Nachdem aber Pfefferkorn solches erfahren hatte, machte er ein groß Wesen daraus, ließ ein Buch ausgehen, und zog den Reuchlin heftig an, als ob er ein Judenfreund und Beschirmer sei. Damit aber Reuchlin seinen Ehren genug täte, antwortete er ihm darauf mit einer Gegenschrift und hetzte also viele Universitäten gegen sich, sonderlich aber die zu Köln. Daselbst waren damals die Vornehmsten Jacob von Hochstraten und Arnold von Tungern, welcher ein sonderliches Schmähbuch wider ihn 76 Deutsch: Johannes Philippson von Schleiden (1506–1556). 77 Ursprünglich lautete sein jüdischer Vorname Joseph. Er wurde 1469 wahrscheinlich in Mähren in eine jüdische Familie geboren und verstarb 1521 in Köln. Pfefferkorn war 1505 zum Christentum konvertiert. Er nahm eine antijudaistische Haltung ein, und befürwortete etwa die Verbrennung des Talmud. Außerdem verfasste er antijüdische Schmähschriften. 78 Uriel wurde am 29. Juni 1468 in Michelfeld geboren und verstarb am 9. Februar 1514 in Mainz. Er entstammte dem süddeutschen Adelsgeschlecht derer von Gemmingen. Von 1508–1514 war er Erzbischof des Erzbistums Mainz. Zugleich zählte er zu den sieben Kurfürsten und vertrat als Erzkanzler für Deutschland kaiserliche Interessen.
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schrieb und sich unterstand, ebendasselbe zu verfechten wie Pfefferkorn, und schrieb solches Buch Kaiser Maximilian zu. Danach fingen sie eine Gerichtshandlung wider ihn an, und wurde die Sache lange Zeit vor dem Erzbischof von Mainz verhandelt, zu dessen geistlichem Gebiet der Reuchlin gehörte. Der Kläger war Jakob Hochstraten.79 Diesen verwarf Reuchlin als feindlich und argwöhnisch; anfangs durch einen Prokurator. Als sich aber etliche darein legten, kam Reuchlin selbst nach Mainz, begleitet von etlichen vornehmen Edlen und sonst gelehrten Leuten, welche ihm Herzog Ulrich von Württemberg80 hatte zugegeben. Nachdem aber etliche Artikel, zu Frieden und Einigkeit dienlich, vergeblich vorgeschlagen worden, appellierte Reuchlin an den Papst. Der Papst befahl die Sache dem Bischof von Speier, Pfalzgraf Georg,81 und gebot auch, das sonst niemand in dieser Sache sollte urteilen. Die aber zu Köln ließen sich nicht irren, sondern verdammten Reuchlins Buch, jedoch, wie sie sagten, ohne Nachteil desjenigen, der es gemacht hätte, und verbrannten es hernach im Hornung [Februar], als man zählt tausendfünfhundertvierzehn Jahr. Solches verdroß den Bischof von Speier sehr übel, und dieweil der Kläger nach gemeinem Brauch auf angesetzten Termin nicht erschienen, fällte er das Urteil dem Reuchlin zugute, erkannte sein Buch für rechtgeschaffen und alle Kosten, so in der Rechtfertigung aufgelaufen, wurden dem Hochstraten zu entrichten auferlegt. Damit aber Hochstraten solches Urteil zunichte machte, zog er gen Rom. Mittlerweile hielten seine guten Freunde und Gesellen bei der Universität zu Paris an, und befahlen die Sache durch Erhard von der Mark, Bischof zu Lüttich,82 der damals auf französischer Seite war, dem König Ludwig XII.83 Derhalben und nach langer Beratschlagung verwarfen die zu Paris das Buch gleicherweise, daß man’s verbrennen sollte, und der es geschrieben, sollte zum Widerruf gedrungen werden. Der Talmud wäre vorzeiten von den Päpsten billig verboten, und von ihren Vorfahren auch verbrannt worden. Dies geschah eben im jetztgemeldeten Jahr, am andern Tage des Augustmonats. Der Herzog von Württemberg handelte zwischen ihnen mit Briefen; es schrieb auch Reuchlin selbst freundlich an sie, dieweil er einst ihr Schüler gewesen, und schickte ihnen das Urteil zu, so zu Speier ergangen, aber es war alles umsonst. Als nun Hochstraten nach Rom kam, trieb er die Sache mit allem Fleiß. Aber es waren daselbst Kardinäle, die den Reuchlin, demnach er fürtrefflich gelehrt war, lieb und wert hatten. […] Letztlich erwählte Papst Leo84 etliche, denen er die Sache anheim gab, und als dieselbigen 79 Um 1460 in Hoogstraten in Brabant geboren, verstarb er 1527 in Köln. Nach Studien in Leuwen und Köln trat er dem Dominikanerorden bei. Zunächst diente er nach Abschluss seiner Studien als Professor für Theologie und Regens des Priesterseminars in Köln. 1508 wurde er päpstlicher Richter für die Erzdiözesen Köln, Mainz und Trier. 80 * 8. Februar 1487 in Reichenweier (Riquewihr), Elsass; † 6. November 1550 in Tübingen. Er war 1498–1519 und nach gewaltsamer Rückeinsetzung mit Hilfe Philipps von Hessen 1534–1550 der dritte regierende Herzog von Württemberg und der erste protestantische Fürst seines Territoriums. 81 * 10. Februar 1486 in Heidelberg; † 27. September 1529 Schloss Kislau bei Bad Mingolsheim. Er war Bischof von Speyer von 1513 –1529. Vgl. Hans Ammerich: Das Bistum Speyer und seine Geschichte. Bd. 3: Von der Reformationszeit bis zum Ende des alten Bistums, Kehl am Rhein 1999, S. 11. 82 Erhard (Eberhard) von der Mark lebte vom 31. Mai 1472 bis zum 18. März 1538. Er stammte aus einer Nebenlinie des rheinisch-bergischen Adelsgeschlechts der Grafen von Berg. Er war ab 1505 Fürstbischof von Lüttich und römisch-katholischer Kardinal. Von 1507–1525 erhielt er außerdem die Diözese von Chartres sowie ab 1520 das Pallium für die Erzdiözese von Valencia. 83 Ludwig XII. (* 27. Juni 1462 in Blois; † 1. Januar 1515 in Paris) war von 1498–1515 König von Frankreich. 84 Giovanni de’ Medici (*11. Dezember 1475 in Florenz; † 1. Dezember 1521 in Rom) war vom 11. März 1513 als Nachfolger Julius II. bis zu seinem Tode Papst. In seine Zeit fällt der Prozess gegen Luther und die Anfänge der Reformation.
Crotus Rubeanus und Ulrich von Hutten: Zwei Briefe von den Dunkelmännern
sich mehr auf Reuchlins Seite geneigt, zog Hochstraten, nachdem er länger denn drei Jahre zu Rom gewesen und doch nichts ausgerichtet, wieder heim. Es ist schier unglaublich, was die Theologie zu Köln mit dieser Sache sich für Haß und Unglimpf aufgeladen. Denn alle Gelehrte, die in Deutschland waren, ließen allerlei schimpfliche Bücher ausgehen, darin sie den Reuchlin verteidigten, und spotteten ihrer auf das lächerlichste als ungelehrter und unverständiger Leute, die allen Sprachen und freien Künsten feind wären. Quellennachweis Johannes Sleidanus: De statu religionis et rei publicae, Carolo Quinto, Caesare, commentarij (Argent. 1555.) – Deutsch: Ordentliche Beschreibung und Verzeichnisse allerley fürnemer Händel. Übersetzt von M. Beuther, Straßburg 1568, S. 32 f. Text mit leichten Veränderungen übernommen aus: Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 104–106. Literaturhinweis Marlis Zeus: Johannes Reuchlin: Humanist mit Durchblick, Karlsruhe 2011. Thomas Kaufmann: Einige Beobachtungen zum Judenbild deutscher Humanisten in den ersten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, in: Dorothea Wendebourg u. a. (Hg.): Protestantismus, Antijudaismus, Antisemitismus. Konvergenzen und Konfrontationen in ihren Kontexten, Tübingen 2017, S. 55–77. Walter Friedensburg: Johannes Sleidanus: Der Geschichtsschreiber und die Schicksalsmächte der Reformationszeit, Leipzig 1935. Heiko A. Oberman: Wurzeln des Antisemitismus. Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation, Berlin 2 1983. Hans Peterse: Jacobus Hoogstraeten gegen Johannes Reuchlin, Mainz 1995. Alexandra Kess: Johann Sleidan and the Protestant vision of history, Aldershot 2008. Hans Martin Kirn: Das Bild vom Judentum im Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts, dargestellt an den Schriften Johannes Pfefferkorns, Tübingen 1989.
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Crotus Rubeanus und Ulrich von Hutten: Zwei Briefe von den Dunkelmännern
Der Streit um die jüdischen Bücher zog sich über mehrere Jahre hin. Einen Höhepunkt erreichte der Disput in den anonym veröffentlichten Dunkelmännerbriefen, einer Sammlung von satirischen lateinischen Briefen. In ihnen wurden Gegner des Humanismus parodiert und lächerlich gemacht. Die Zusammenstellung wurde 1515, möglicherweise durch Peter Schöffer in Worms oder Mainz gedruckt. Sie fanden rasch Verbreitung. Zu ihren Verfassern zählten Ulrich von Hutten, Crotus Rubeanus, Mutianus Rufus, Helius Eobanus Hessus und andere. Johannes Reuchlin hatte 1514 einige Briefe von ihnen als Briefe berühmter Männer herausgegeben. Darauf spielt der Titel des literarischen Spotts an.
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Magister Johannes Pellifex85 entbeut seinen Gruß dem Magister Ortvinus Gratius. Freundschaftlichen Gruß und unbegrenzte Dienstbereitwilligkeit, ehrwürdiger Herr Magister! Weil es, wie Aristoteles in den Praedicamenta86 sagt, nicht ohne Nutzen ist, in einzelnen Fällen dem Zweifel Raum zu geben, so liegt denn auch mir ein Umstand schwer auf dem Gewissen. Unlängst war ich auf der Frankfurter Messe und ging mit einem Baccalaureus87 durch eine Straße auf den Markt, als uns zwei Männer begegneten, die ihrem Äußern nach recht anständig aussahen: sie hatten zwei schwarze Talare an und trugen große Kapuzen mit Zipfeln dran. Gott ist mein Zeuge, daß ich glaubte, es seien zwei magistri nostri88 , und ich bezeigte ihnen deshalb meine Ehrerbietung, indem ich mein Barett lüftete. Da stieß mich der Bakkalaureus und sagte: „Bei der Liebe Gottes, was tut Ihr da? Das sind ja Juden, und Ihr ziehet Euer Barett vor ihnen ab!“ Auf dies überkam mich ein solcher Schrecken, als ob ich einen Teufel gesehen hätte, und ich erwiderte: „Herr Baccalaureus, Gott sei mir gnädig; ich habe es ja aus Unwissenheit getan; doch was glaubt Ihr, ist das eine schwere Sünde?“ Und nun sagte er zuerst, nach seiner Ansicht sei das eine Todsünde, weil sie unter den Begriff der Götzendienerei falle, somit gegen das erste von den zehn Geboten verstoße, welches lautet: „Glaube an einen Gott.“ Denn wenn jemand einem Juden oder Heiden Ehre erweist, als wäre er ein Christ, dann handelt er wider das Christentum und erscheint selbst als ein Jude oder ein Heide; und dann sagen die Juden und Heiden: „Sieh da, wir sind auf dem besseren Weg, weil die Christen uns beehren; denn wären wir nicht auf dem besseren Weg, so würden sie uns auch nicht beehren.“ Und so werden sie in ihrem Glauben bestärkt und verachten den christlichen Glauben und lassen sich nicht taufen. Hierauf antwortete ich: „Das ist wohl wahr, wenn einer es wissentlich tut, ich aber habe es unwissentlich getan, und Unwissenheit entschuldigt die Sünde, denn hätte ich gewußt, daß es Juden sind, und ihnen dennoch meinen Respekt erwiesen, dann hätte ich den Scheiterhaufen verdient, weil das eine Ketzerei gewesen wäre. Aber ich habe weder dem Wort noch der Tat nach – wie Gott weiß – irgend etwas gewußt, weil ich glaubte, sie seien magistri nostri.“ Da entgegnete jener, es sei trotzdem noch eine Sünde, und sprach: „Auch ich ging einmal durch eine Kirche, wo ein Jude aus Holz mit einem Hammer in der Hand vor dem Heiland steht; ich aber glaubte, es sei der heilige Petrus, der den Schlüssel in der Hand habe, und beugte die Knie und zog das Barett ab. Erst danach sah ich, daß es ein Jude war, und bereute sofort. Doch bei der Beichte, welche ich im Dominikanerkloster ablegte, sagte mir mein Beichtvater, das sei eine Todsünde, weil wir immer auf der Hut sein müßten; und er sagte, er könne mir keine Absolution erteilen, wenn er nicht bischöfliche Vollmacht besäße, denn das sei ein Fall für den Bischof; und er fügte hinzu, wenn ich es absichtlich und nicht unwissentlich getan hätte, dann wäre es ein Fall, der vor den Papst müßte. So wurde ich denn absolviert, weil er bischöfliche Vollmacht besaß. Und bei Gott, ich glaube, daß, wenn Ihr Euer Gewissen bewahren wollt, Ihr dem Offizial des Konsistoriums beichten müßt. Unwissenheit kann Eure Sünde nicht entschuldigen, denn Ihr hättet auf der Hut sein sollen. Die Juden haben immer einen gelben Ring vorne am Mantel, den Ihr hättet sehen müssen, wie auch ich ihn gesehen habe. Es liegt also eine krasse Unwissenheit vor und genügt nicht zur Sündenvergebung.“ So redete dazumal jener Baccalaureus zu mir. Allein, weil
85 Pelzmacher. 86 Die Kategorien, lat. „de principiis“, griechisch: „peri archon“, ist ein erkenntnistheoretisches Werk des von 384–322 v. Chr. lebenden griechischen Philosophen. 87 Absolvent der ersten Graduierung einer der höheren Fakultäten. Sie impliziert das Recht zur Lehre in einführenden Lehrangeboten. 88 Meint: „unserer Magister“, d. h. Gelehrte der akademischen Fakultäten oder auch der Theologie.
Crotus Rubeanus und Ulrich von Hutten: Zwei Briefe von den Dunkelmännern
Ihr ein tiefgelehrter Theologe seid, so bitte ich Euch ganz ergebenst und demütig, Ihr möget geruhen, mir die oben aufgeworfene Frage zu lösen und mir zu schreiben, ob es sich hier um eine Todsünde oder eine läßliche Sünde, einen einfachen oder einen Fall für einen Bischof oder gar für den Papst handelt. Auch schreibet mir, ob nach Eurer Ansicht die Bürger von Frankfurt recht daran tun, daß sie herkömmlicherweise den Juden gestatten, in der Tracht der magistri nostri einherzugehen. Mir scheint, daß es nicht recht und ein großer Skandal ist, daß kein Unterschied zwischen den Juden und den magistri nostri besteht; auch ist es eine Verhöhnung der heiligen Gottesgelahrtheit, und der Allerdurchlauchtigste Kaiser und Herr sollte nicht dulden, daß ein Jude, der doch nur so etwas wie ein Hund und ein Feind Christi ist, wie ein Doktor der heiligen Gottesgelahrtheit einhergehen darf. Auch schicke ich Euch einen Aufsatz des M. Bernhardus Plumilegus, vulgo Federleser, den er mir aus Wittenberg zugesandt hat. Ihr kennt ihn ja, er war einst Euer Kamerad zu Deventer. Er sagte mir, Ihr hättet gute Kameradschaft mit ihm gehalten; er ist immer noch ein guter Geselle und weiß Euch nicht genug zu loben. So lebet denn wohl im Namen des Herrn! Gegeben zu Leipzig. Bruder Johannes von Werdea an Magister Ortvinus Gratius. Demütige und fromme Gebete, nebst zahlreichen Grüßen! Ehrwürdiger Mann, Ihr schreibet mir, daß Ihr gehört hättet, Eure Sache stehe schlecht und Johannes Reuchlin habe eine apostolische Inhibition erlangt; ferner schreibet Ihr mir, daß Ihr sehr in Besorgnis seiet, er möchte den Sieg über die Theologen und unsern hochheiligen Orden davontragen und es könne der Kirche Gottes Ärgernis erwachsen. Oh Kleingläubiger, wollt Ihr Euch so schrecken lassen, daß Ihr allbereits am Verzweifeln seid? Ihr seid doch in früherer Zeit, als ich mit Euch in Deventer zusammen war, nicht so furchtsam gewesen, sondern habt stets großen Mut gezeigt. Ich weiß ja noch wohl, wie Ihr einmal jene zwei Grünschnäbel, die mit langen Schwertern zu Euch kamen, durchprügeltet, während Ihr ohne Waffe und Wehr waret. Und doch prügelte Ihr sie mit Gottes Hilfe so tüchtig und wirksam durch, daß einer von ihnen aus Angst in die Hosen pinkelte. Das sahen viele Leute und sagten: „Bei Gott, dieser Ortvinus hat viel Courage.“ Ihr müßt wissen, daß es hier an der römischen Kurie nicht ist wie anderswo und wie Ihr meinet. Auf der einen Seite gewinnt hier einer, auf der andern verliert er. Es kann vorkommen, daß einer zwei oder drei Urteile für sich hat und den Prozeß dann doch noch verliert. Aber Ihr könnt sagen: „Der Papst hat erlaubt, daß der „Augenspiegel“ verkauft, gelesen und gedruckt werde.“ Was soll das nun heißen? Wenn er es erlaubt hat, kann er es deshalb nicht auch wieder verbieten? Das folgt daraus nicht. Der Heilige Vater hat die Macht, zu binden und zu lösen, und niemand darf ihn zurechtweisen; denn er hat die unbeschränkte Macht, hier und überall, wie Ihr aus dem Evangelio wißt, da Ihr ja in der Heiligen Schrift ganz wunderbar gut bewandert seid. Allein ich will das kanonische Recht anführen. Erstens: der Papst besitzt die Herrschaft über den ganzen Erdkreis, Quaest. 9, Cap. 4: „Cuncta per mundum etc.“ [Alles i. S. v. die Gesamtheit der Welt]89 Auch kann er den Kaiser allein absetzen, selbst ohne Konzil, wie die Glosse besagt in dem Kapitel „Ad Apostolicae, de sententia et re iudicata.“ [Zu den Apostolischen [Schriften], über Sätze und beurteilte Sachen]90 Dasselbe steht auch
89 Decretum Gratiani von ca. 1140, Causa 9 Quaestio 3 canon 17, also einen Kanon aus dem zweiten Teil, modern abgekürzt C.9 q.3 c.17. 90 Glossa Ordinaria zum Liber Sextus, ein 1298 promulgiertes päpstliches Gesetzbuch. Kommentiert wird dort Liber (Buch) 2, Titel 14, Kanon 2, der mit den Worten „Ad apostolicae dignitatis“ (Zur apostolischen Würde …) beginnt und eine Dekretale Papst Innozenz’ IV. enthält. Abgekürzt wird diese Textgrundlage der Glosse heute so: VI 2.14.2. Möglicherweise bezieht sich das Zitat nur auf die Glosse zu den Worten „Ad
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Voraussetzungen
in der Quaest. 2, Cap. 6: „De cetero.“ [Über Übriges] Auch steht der Papst nicht unter dem Gesetz, sondern er ist das lebende Gesetz auf Erden, wie es in der Glosse über Cap. 11: „De officio iudicis delegati“ [Zu dem übertragenen Amt des Richtens]91 heißt. Und wenn der Papst das Gesetz ist, so kann er tun, was er will, und braucht auf niemand Rücksicht zu nehmen. Und wenngleich er einmal „ja“ gesagt hat, so kann er doch nachher „nein“ sagen. Auch müßt Ihr gutes Vertrauen haben, denn ich habe kürzlich hier von einem Beisitzer der „Rota“92 gehört, der ein angesehener Mann ist und auch viel Erfahrung hat, es sei nicht möglich, daß der Papst ein Urteil gegen Euch fällen könne, weil Ihr die beste Sache vertretet, nämlich die Sache des Glaubens. Daher seid tapfer im Kampfe, denn, sei es auch, daß jene Schwärmer Euch von dieser Inhibition schwatzen, so dürft Ihr nichts darauf geben, weil es keine Wirkung hat. Allein ich hoffe, Euch allernächstens gute Neuigkeiten schreiben zu können, denn der Herr magister noster Jacob van Hochstraten93 ist äußerst tätig. Unlängst hat er eine Mahlzeit gegeben und viele alte und wohlerfahrene Personen vom Hofe und auch einen apostolischen Skriptor, der beim Heiligen Vater gern gesehen ist, sowie einige Beisitzer der „Rota“ eingeladen. Er ließ ihnen Rebhühner, Fasanen, Hasen, frische Fische, den besten korsischen und griechischen Wein auftischen, so daß alle sagten, er habe sie mit der größten Achtung traktiert, und auch sagten: „Bei Gott, das ist ein Theologe von Ansehen; auf seine Seiten wollen wir treten!“ Und so hat er denn gute Hoffnung. Doch ich muß schließen, denn der Bote will nicht länger warten. Lebet wohl und grüßet mir alle Magistri Nostri und auch den Johannes Pfefferkorn.94 Gegeben zu Rom. Quellennachweis Briefe der Dunkelmänner. Vollständige Ausgabe, übersetzt von Wilhelm Binder, revidiert, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Peter Amelung, München 1964, S. 11–13 und 131–133. Literaturhinweis Franz Josef Worstbrock: Art. Dunkelmännerbriefe, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg im Breisgau 3 1995, Sp. 402.
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Apostolicae“ (Zu den Aposteln), dann wäre es die Randglossierung mit dem Buchstaben h, möglicherweise aber auch auf den gesamten Glossentext. Gemeint ist wohl erneut der Liber Sextus, VI 1.14.11, der als Ausweis für päpstliche Machtfülle dienen kann. Er spielt auch auf den 1077 notierten Dictatus Papae Gregors VII. an. Vgl. dazu: Monumenta Germaniae Historica, Epistolae selectae 2, hg. von Erich Caspar, Hannover 1920/23 (Nachdruck 1967), Nr. II 55a, S. 201–208. Eine deutsche Übersetzung findet sich bei Jürgen Miethke/Arnold Bühler: Kaiser und Papst im Konflikt. Zum Verhältnis von Staat und Kirche im späten Mittelalter, Düsseldorf 1988, S. 62. Für die Hinweise auf diese Stellen danken wir Herrn Prof. Dr. David von Mayenburg, Rechtshistoriker in Frankfurt am Main. Der höchste päpstliche Appellationsgerichtshof in Rom. Der aus Hoogstraeten bei Antwerpen stammende Kölner Theologieprofessor, Dominikanerprior und Inquisitor der Kirchenprovinzen Köln, Mainz und Trier (1460–1527) prozessierte gegen Reuchlin. Oberhalb erwähnter jüdischer Konvertit und Gegner Reuchlins (um 1469–1523).
Sebastian Brant: Vom Abgang des Glaubens (Narrenschiff Kap. 99)
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Populäre Dichtung
Im Ausgang des Mittelalters verändert sich auch das literarische Schaffen. Zunächst ist auf den Wechsel aus dem Mittelhochdeutschen in das frühe Neuhochdeutsch zu verweisen. Damit verbinden sich die ersten Ansätze zur Bildung einer gemeinsamen Sprache in den Territorien des Reiches. Sie findet sich allerdings vermehrt in fachlichen Veröffentlichungen wie medizinischen, pharmazeutischen, mathematischen und physikalischen Traktaten, und noch nicht in den Werken der populären Kultur. Erstere nimmt den weitaus größeren Teil der Literaturproduktion im Vergleich mit der Dichtung ein. Weiterhin verloren sich literarische Gattungen des Mittelalters und wurden von neuen Formen ersetzt: Dazu zählt die Transformation des höfischritterlichen Minnesang zum Meistersang. Zugleich entstand die populäre Gattung des Volksliedes. Als eine geistliche Untergruppe etablieren sich Bußgesänge wie Geißlerlieder und Totentänze in Verbindung mit den großen Pestepidemien. An die Stelle des höfischen Epos trat verstärkt die Erzählprosa. Mit Der Ackermann aus Böhmen schuf Johannes von Tepl (1350–1415) eines der wichtigsten Werke dieser Gattung. Seit dem 13. Jahrhundert entstanden vermehrt deutschsprachige Schauspiele. Sie basierten auf geistlichen Spielen der religiösen Volkskultur, zu denen dann auch Fastnachtspiele gehörten. Die Grenze zwischen geistlicher und profaner Dichtung ist im Spätmittelalter schwer zu markieren. Eine bemerkenswert große Zahl der Schauspiele war geprägt vom geistlichen Drama, zu den christlichen Feiertagen an Weihnachten, Passionszeit, Ostern und zu den Marienfeiertagen. Diese Stücke wurden öffentlich aufgeführt und erreichten ein relativ großes, ständisch weit gefächertes Publikum. Literaturhinweis Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Texte und Zeugnisse, hg. v. Hedwig Heger (Die Deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse, hg. v. Walther Killy, Bd. 2) in zwei Teilbänden, München 1975. Jan Dirk Müller: Literaturgeschichte/Literaturgeschichtsschreibung, in: Erkenntnis der Literatur. Theorien, Konzepte, Methoden der Literaturwissenschaft, hg. v. Dietrich Harth und Peter Gebhardt, Stuttgart 2 1989, S. 195–227. Johannes Janota: Vom späten Mittelalter zum Beginn der Neuzeit (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit, Bd. 3/1), Tübingen 2004.
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Sebastian Brant: Vom Abgang des Glaubens (Narrenschiff Kap. 99)
Der Jurist Sebastian Brant (1457–1521) gehörte zum Kreis der Humanisten um Jakob Wimpfeling. Die erste Ausgabe seines satirischen Gedichts Das Narrenschiff (Daß Narrenschyff ad Narragoniam) wurde 1494 in Basel bei Johann Bergmann von Olpe gedruckt. Es handelt sich dabei um eine spätmittelalterliche Moralsatire
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Voraussetzungen
in 112 Kapiteln. Sie enthalten Charakterisierungen von über 100 Narren bei einer Schifffahrt mit Kurs auf das fiktive Land Narragonien. Brant entwirft seinen Text als eine unterhaltsame Schilderung von Lastern und Eigenheiten, die seinen Zeitgenossen kritisch den Spiegel vorhält. Das Werk wurde 1497 ins Lateinische übersetzt und durch weitere Übersetzungen in verschiedene Sprachen in Europa verbreitet. Bissig karikiert er darin die Gefahren, die von einem ungezügelten Druckereiwesen ausgehen. Im Hintergrund stehen gleichermaßen die Sorge um den Verfall des Althergebrachten wie ein hemmungsloses Gewinnstreben sowie letztlich auch die abnehmende, weil schwer zu überprüfende Qualität der Druckerzeugnisse.
Wann ich gedenk Sümnis [= Säumigkeit] und Schand, so man jetz spürt in allem Land von Fürsten, Herren, Landen, Städt, wär Wunder nit, ob ich schon hätt mein Ougen ganz der Zähern [= Tränen] voll, daß man so schmächlich sehen soll den Christenglouben nehmen ab. Verzich [= verzeih] man mir, ob ich schon hab die Fürsten ouch gesetzet har. Wir nehmen (leider) gröblich wahr des Christenglouben Not und Klag, der mindert sich von Tag zu Tag: Zum ersten hant die Ketzer hert, den halb zerissen und zerstört. Darnoch der schändlich Machamet [= Mahomet] ihn mehr und mehr verwüstet hält, und den mit seim Irrsal geschändt, der vor[her] was [= war] groß in Orient, und was gläubig alles Asia, der Möhren Land und Affrica. […] Der Wolf ist wohrlich in dem Stall und roubt der heiligen Kirchen Schof, die wile der Hirt liegt in dem Schlof. Die römsche Kirch vier Schwestern hat, do man hielt Patriarchenstadt: Constantinopel, Alexandria, Jherusalem, Antiochia – die sind jetz kummen ganz darvon. Es würd bald an das Houpt ouch gon.
Das ist als unser Sünden Schuld, keins mit dem andern hat Geduld oder Mitleiden seiner Schwär [= Beschwerden]. Jeder wollt, daß es größer wär; und gschicht [= geschieht] uns, als den Ochsen gschah, do einer dem andern züsach [= zusah], bis daß der Wolf sie all zerreiß, erst ging dem letzten us der Schweiß. […] Durch Gott, ihr Fürsten, sehen an, was Schad, zuletzt darus werd gan, wann joch [= doch] hinunterkäm das Rich [= Reich], ihr blieben ouch nit ewiglich. Ein jedes Ding mehr Stärkung hat, wann es beinander gsammlet stat, dann so es ist zerteilt von ein. Einhelligkeit in der Gemein ufwachsen die bald all Ding macht, aber durch Mißhell und Zwietracht werden ouch große Ding zerstört. Der Tütschen Lob was hochgeehrt und hat erworben durch solch Ruhm, daß man ihn gab das Kaisertum. Aber die Tütschen flissen [= befleißigen] sich, wie sie vernichten selbst ihr Rich. Domit die Stut [= Gestüt] Zerstörung hab, bissen die Pferd ihr Schwänz selb ab. Wohrlich jetz uf den Füßen ist der Cerastes95 und Basylist96 .
95 Schlange mit hörnerartigen Erhöhungen auf dem Kopfe. 96 Basilisk: schlangenhaftes Fabelwesen mit tödlich wirkendem Blick.
Thomas Murner: Der Teufel ist Abt (Schelmenzunft Kap. 44)
Mancher, der würd vergiften sich, der Gift darschmeicht [= schmeichelnd eingibt] dem Römsche Rich. Aber ihr Herren, Künig, Land, nit wellen gstatten solch Schand! Wellent dem Römschen Rich zu stan! So mag das Schiff noch ufrecht gan. Ihr haben zwor ein Künig mild, der üch wohl führt mit Ritters Schild. Der zwingen tüg [= tät] all Land gemein, wann ihr ihm helfen wendt [= wollt] allein. Der edel Fürst Maximilian wohl würdig ist der römschen Kron. Dem kummt ohn Zwifel in sin Hand, die heilig Erd und das globte Land. Und wurd sin Anfang tun all Tag,
wann er allein üch trüwen [= trauen] mag. Werfen von üch solch Schmoch und Spott, dann kleines Heeres, waltet Gott. […] Darumb ihr, die noch üwerm Stadt darzu Gott userwählet hat, daß ihr sönt [= seid] vornan an die Spitz, nit lont [= laßt nicht zu], daß es an uch ersitz [= euretwegen aufsitze, scheitere]. Tunt, was üch ziemt noch üwerm Grad, domit nit größer werd der Schad und ganz abnehm die Sunn und Mon, daß Houpt und Glieder untergon. Es loßt sich eben sörglich [= gefährlich] an. Leb ich, ich mahn noch manchen dran. Und wer nit an mein Wort gedenk, die Narrenkappen ich ihm schenk.
Quellennachweis Der Text folgt mit leichten Änderungen der Ausgabe: Sebastian Brants Narrenschiff, hg. v. Friedrich Zarnke. Fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1854, Hildesheim 1961, S. 93–96. Literaturhinweis Sebastian Brant: Das Narrenschiff: mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494, hg. v. Joachim Knape. Studienausgabe, Stuttgart 2005. Joachim Knape: Sebastian Brant, in: Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450–1600), hg. v. Stephan Füssel, Berlin 1993, S. 165–172. Thomas Wilhelmi (Hg.): Sebastian Brant: Forschungsbeiträge zu seinem Leben, zum „Narrenschiff “ und zum übrigen Werk, Basel 2002.
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Thomas Murner: Der Teufel ist Abt (Schelmenzunft Kap. 44)
Thomas Murner (geboren am 24. Dezember 1475 und vor dem 23. August 1537 verstorben) stammte aus dem Elsass. Er gehörte dem Franziskanerorden an und wirkte mit seiner humanistischen Bildung als bedeutender Kontroverstheologe der frühen Reformationszeit. Berühmt sind seine deutschsprachigen Satiren. In dieser in Gedichtform verfassten satirischen Polemik zählt der Dichter in der Gestalt eines Schreibers Laster seiner Zunftgenossen auf. Jedes Kapitel ist mit einer sprichwörtlichen Redensart überschrieben und mit einem Holzschnitt illustriert.
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Das ist freilich ein fremder Orden, In Klöstern tund das ouch die Äbt, darin der Tüfel Abt ist worden. ich weiß wohl, wie man drinnen lebt. Da hört nit hin das heilig Krüz, Die Klöster sind gestiftet worden, der Abt mießt [= müßt] weichen sonst zu halten ein geistlichen Orden; beiseits [= beiseite]. So wöllt ihr [euch] jetzund fürstlich boren [= Betbücher, Lugt [= Licht], verbergent all, gebärden]. daß unser Abt nit drüber fall! Wärt ihr duß [= draußen], ihr kratzt die OhWie dunkt das üch so fremde Märe, ren ob der Tüfel Abt schon wäre? und mießten schmale Pfennigwert [= PortiMan findt wohl semlich [=derartig] on] bös Prälaten, essen. die viel tüfelicher taten, Der Tüfel hat üch gar besessen, denn der Tüfel us der Höllen, daß ihr doch us geistlichen Gaben, Geistlich, Prälaten jagen wöllen, viel mehr Hund gezogen haben, blasen, heulen, hoch Gwild [= Hochwild] fäl- denn Brüder in dem Kloster sind len, oder sunst geistliche Kind. unsinniglichen rennen, beizen Und hant [= habt] das Kloster gar vergift, die Pfrienden [Pfründen] uf die Hand gestift. den armen Lüten durch den Weizen Wohlan, wohlan! Was wöllt ihr wetten, mit zweinzig, dreißig; vierzig Pferden. die Brüder werden üch ein Metten Sind das geistlich, prälatisch Gebärden, einmal singen von üwert wegen [= euretwewenn die Bischöf Jäger werden gen], und die Hund die Mettin singen, daß üch der Tüfel gibt den Segen, mit Heulen den Gottsdienst vollbringen? so er doch ohn das Abt ist worden in üwerm [= eurem] so schelligen [= närrischen] Orden Quellennachweis Mit geringfügigen Änderungen übernommen aus: Thomas Murners Deutsche Schriften mit den Holzschnitten der Erstdrucke, hg. v. Franz Schultz. Bd. 3: Die Schelmenzunft/Thomas Murner, hg. v. M. Spanier, Berlin/Leipzig 1925, S. 130. Literaturhinweis Hedwig Heger: Thomas Murner, in: Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450–1600), hg. v. Stephan Füssel, Berlin 1993, S. 296–310. Dirk Jarosch: Thomas Murners satirische Schreibart: Studien aus thematischer, formaler und stilistischer Perspektive, Hamburg 2006, S. 195–232.
Reinke de Vos: Es ist jetzt eine gefährliche Zeit
Nr. 16
Reinke de Vos: Es ist jetzt eine gefährliche Zeit
Die folgenden Verse stammen aus dem 7. Kapitel des 2. Buches des bedeutenden, niederdeutschen Tierepos in Versform. 1498 erschien eine erste Fassung bei Hans van Ghetelen in Lübeck. Die Geschichte vom schlauen Fuchs Reineke war bereits im 13. Jahrhundert entstanden und erzählt vom genialen Übeltäter Reineke, der sich als boshafter und niederträchtiger Lügner sein Futter sichert, immer wieder aus prekären Lagen zu retten vermag und am Ende gegen alle Widersacher als Sieger durchsetzt. Die Verserzählung wird durch Glossen in Prosa begleitet. Im 16. Jahrhundert fand die Geschichte weite Verbreitung. Später sorgten u. a. Übertragungen von Johann Christoph Gottsched („Reineke der Fuchs“) und Johann Wolfgang von Goethe („Reineke Fuchs“) für weitere Verbreitung des traditionsreichen Stoffes.
It is nu eine varlike Tit, wente de Prelaten, de nu sit, se gan uns vore, so men mach sen. Dit merke wi anderen, grot unde klen. We is, de des nicht enlovet, dat de Konnink ok nicht mede rovet? Ja isset, dat he it nicht ennimt sulven, he let it doch halen bi Baren unde Wulven. Doch menet he al, he dot mit Recht. Nen is, de eme de Warheit secht edder de dor spreken: It is ovel gedan! Nicht sin Bichtfader noch de Kappellan. Wor umtue? Wente se genetens al mede, al were it ok men to eineme Klede. Wil jemant komen unde wil klagen, ja he mach vuste najagen. He vorspildet men unnutte Tit. Wat men eme nimt, des is he quit. Sine Klage wert nicht vele gehort. He dor int leste nicht spreken ein Wort. Wente desses is he stedes andechtich, dat eme de Konnink is to mechtich. Wente de Lauwe is jo unse Here unde holt it al vor grote Ere, wat he to sik rapen kan. He sprikt, wi sin alle sine Man. Dat is noch neine grote Eddelicheit, dat he den Undersaten schaden deit. Set, Om, wan ik it seggen dorste: De Konnink is ein eddel Vorste, men he heft lef den, de eme vele bringet,
unde de so danzet, alse he voresinget. It enis noch nicht al so klare, dat nu de Wulf unde ok de Bare mit deme Konninge wedder gan to raden, dat wil noch mannigem sere schaden! He set uppe se groten Loven. Se konnen vele stelen unde roven, ein islik denne mede Stille swicht. It is al eins, wo men dat kricht. Sus heft de Lauwe nu, unse Here, desser mer bi sik dan vere. De stan nu ser in seineme Love unde sint de Grotsten in sineme Hove. Arm Man Reinke, nimt de men ein Hon, dar wilt se alle denne vele umme don. Den wilt se denne soken unde vangen, ja so ropen alle: Men schal ene hangen! De kleinen Deve henget men wech, de groten hebben nu stark Vorhech, de moeten vorstan Borge unde Lant. Set, Om, so ik dit hebbe bekant unde wan mi dit kumt to Sinne, so spele ik ok na mineme Gewinne. Ik denke vaken: It is so recht, wente men nu des vele plecht. Doch vrage ik mine Consciencien unde denke denne up Godes Sentencien, dat men unrecht Gut, wo klein it ok is, wedder geven mot, dat is wis. So kome ik denne to groter Ruwe, men nicht lange ik hir up buwe.
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Wan ik se der Prelaten Stat, de etliker Wegen nu is ser quat. Doch sint vele Prelaten in deme Talle, de doch Gerechticheit beleven alle. Dit were wol best, konde ik mi vorwinnen dat ik den volgede mit al minen Sinnen. Es ist jetzt wunderliche Zeit; davon zeugt selbst die Geistlichkeit, die durch ein musterhaftes Leben doch sollte gutes Beispiel geben. Und ist wohl jemand, der nicht glaubt, daß auch der König wohl mitraubt? Denn hat er selbst gleich nie gestohlen, so müssen’s Wölf und Bären holen, und dennoch meint er, er tut recht, weil jedermann Bedenken trägt, Beichtvater, Bischof und Kaplan, zu sagen: „Das ist schlecht getan.“ Warum? Sie haben Teil daran, wär’s auch nur Landtuch zum Kaftan. Will jemand über Unrecht klagen, so kann er Jahr und Tage jagen, und tötet doch nur Zeit damit. Was man ihm nahm, des ist er quitt. Man läßt ihn nicht zu Worten kommen, und seine Klag wird nie vernommen. Er lernt am Ende nur dabei, wie lang die Hand des Königs sei. Denn jetzt herrscht ja der Löw im Lande und rechnet sich’s zu keiner Schande, wenn er kann alles an sich raffen; als wär man nur für ihn erschaffen, und es wär adelig getan, zu drücken seinen Untertan. Darf ich es sagen, lieber Ohm? Der König ist zwar edel und fromm. Doch liebt er den, der vieles bringt
und der ihm tanzt, so wie er singt. Es taugt auch gar nicht, daß seither der gierge Wolf und Braun der Bär sich Tag vor Tag mit ihm beraten, und niemand wird’s zum Heil geraten. Den beiden gibt er allen Glauben und läßt sie weidlich stehlen, rauben. Wer dann ein Teil der Beute kriegt, schweigt stille gern und klaget nicht. So hat der König, unser Herr, drei bis vier Räte und noch mehr; die gelten bei ihm alles in allem und dürfen schalten nach Gefallen. Stiehlt Reinke aber nur ein Huhn, so sieht man sie das Maul auftun. Ihn will flugs jeder greifen und fangen und schreit: „Der Hühnerdieb muß hangen.“ Denn kleine Diebe hänget man, und Vorschub wird den großen getan, die setzt man über Stadt und Land Seht, Ohm, dies hab ich Euch bekannt. Fährt mir nun so was durch den Sinn, so hasch ich auch wohl nach Gewinn und halt es nicht für ungerecht, weil jeder so zu handeln pflegt. Zwar oftmals regt sich das Gewissen und sagt mir laut mit seinen Bissen: Unrechtes Gut, sei’s noch so klein, muß dereinst wieder erstattet sein. Darob wird mir denn freilich bange, allein die Reue währt nicht lange, weil wir sogar Prälaten sehn, die nicht in reinen Schuhen gehn. Doch trifft man manchen frommen Mann auch unter ihnen freilich an, und besser wär’s mit mir bestellt, hätt ich zum Muster den gewählt
Quellennachweis Niederdeutsche Version: Karl Schröder (Hg.): Reinke de vos. (Deutsche Dichtungen des Mittelalters. Mit Wort- und Sacherklärungen hg. v. Karl Bartsch. Bd. 2), Leipzig 1872, S. 153–156. Neuhochdeutsche Version: Reinke der Fuchs. Neuhochdeutsch von Dietrich Wilhelm Soltau. Mit einem Nachwort hg. v. Kurt Batt, Leipzig 1963, S. 131–133.
Hans Rosenplüt: Der Bauern Lob
Literaturhinweis Amand Berteloot (Hg.): Reynke de Vos – Lübeck 1498: zur Geschichte und Rezeption eines deutsch-niederländischen Bestsellers, Münster 1998. Bernhard Jahn/Otto Neudeck (Hg.): Tierepik und Tierallegorese: Studien zur Poetologie und historischen Anthropologie vormoderner Literatur, Frankfurt am Main u. a. 2004. Thomas Cramer: Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter, München 2000, S. 118–121.
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Hans Rosenplüt: Der Bauern Lob
Hans Rosenplüt wurde um 1400 in Nürnberg geboren und verstarb im Sommer 1460 ebendort. Er kannte sich in der Metallverarbeitung und Mechanik aus und verfasste Gedichte. Besonders verdient machte er sich um das Fastnachtspiel, das durch ihn zum literarischen Genre wurde. Gott hat beschaffen manchen schlecht, Herrn, Grafen, Ritter und Knecht Und Münch und Nunnen Und viel Wunders unter der Sunnen Von Laien und von Pfaffen. Unter den hat Gott keins geschaffen, Das da recht edel sei. Ihr schult97 gern hörn hiebei: Gott beschuf den edeln Ackermann, Bessers Freunds ich nie gewann; Der hat mir Vater und Mutter ernährt, Gott hat ihn der Werlt beschert. Ich will loben den edeln frummen Baur. Wann warumb? Es wird ihm oft saur, Wenn er mit seinem Pflug fährt, Damit er alle Werlt ernährt: Herrn, Burgern und Handwerkmann, Wär der Baur nit, so mußten oft traurig stan. Mancher ist den Baum gram, Der da nie bessers Freunds gewann, Ohn Gott nur allein, Den schuln [= sollen] wir mit dem ersten mein.
97 Sollt. 98 Sowohl. 99 Bede, Bitte; ursprünglich bittweise erhobene Steuer. 100 Domherren. 101 liegt.
Man sagt von der Herrn Leben; Es ist gut, weil die Baurn haben zu geben Beide98 Weiz und auch Korn, Damit stillet man der Herrn Zorn, Beide Zins und auch Pet99 . […] O du edler Baur, daß dich Gott tu ehrn! Werstu nicht, wie sollt ich mich ernährn! Manch Mann auf Erden ist, Der von den Baurn ein Herr ist: Beide Bischof und Popst, Beide Abt und Propst, Laien, Tumherrn100 und Pfaffen: Gott hat uns den Baurn beschaffen. Kumen arm Leut gegangen, Vom Baurn werden sie schön empfangen. Er teilt ihn mit seins Brotes, Fleisch und Korn und seins Gutes Und machet mich auch oft froh: Gott geb ihm den Himmel hoh! Man sagt uns von des Maien Zeit; All unser Trost an den Baum leit101 .
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Der Baum möchten wir wohl genießen, Wenn sie die Herrn mit Fried ließen. […] Gott geb den Baurn Heil Und werd auch uns unser Teil! Wenn sie zu dem Markt fahre, So künnens uns wohl bewahrn.
Die Frauen kummen mit ihn dar Und bringen mancherlei War. Dasselb wird ihn denn abgekauft Zu Speis nach der Werlt Lauf, Des man nit entbehrn mag. Gott geb den Baurn einen seling Tag Und auch uns allen miteinander!
Quellennachweis Mit Änderungen übernommen aus: Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstands im Mittelalter. Gesammelt und hg. v. Günther Franz, Berlin 1967, S. 549–552. Literaturhinweis Ingeborg Glier: Hans Rosenplüt, in: Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450–1600), hg. v. Stephan Füssel, Berlin 1993, S. 71–82. Jörn Reichel: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt: Literatur und Leben im spätmittelalterlichen Nürnberg, Stuttgart 1985. Thomas Cramer: Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter, München 3 2000, S. 260 ff.
1.4
Reformbegehren und Kirchenkritik
Mit dem Ausgang des 13. Jahrhunderts sah sich die Kirche einem stetig wachsenden Strom von Reformforderungen konfrontiert. Neben die Papstkritik traten Forderungen nach einer Rückbesinnung des öffentlichen Lebenswandels der Kleriker, des territorialen Finanzgebahrens der Bischöfe und der römischen Kurie, der Steuerund Abgabenpolitik der kirchlichen Einrichtungen und vieles andere mehr. Diese Kritik stammte nicht ausschließlich von akademisch gebildeten Vertretern, sondern fußte vermehrt auf dem Reformbegehren des städtischen Bürgertums und zunehmend auf der ländlichen Bevölkerung. Nicht selten machten sich auch Kleriker zum Sprachrohr dieser Anliegen. Im Zuge des Emanzipationsbedürfnisses des Bürgertums brach sich die Frustration über den kirchlichen Reformstau in massiven Übergriffen gegen Kleriker und Ordensleute Bahn. Aus vielen Städten wurden antiklerikale Kundgebungen und sogenannte „Pfaffenstürme“ berichtet. Der Antiklerikalismus verschiedenster Gruppen der Bevölkerung im Reich wird zu einem Dauermotiv der populären Literaturproduktion, seit der Erfindung des Buchdrucks vor allem in Pamphleten, Flugschriften oder Einblattdrucken mit zum Teil drastischer Bildgebung.
Kaiser Siegmunds Traumgesicht
Literaturhinweis Robert W. Scribner: Anticlericalism and the German Reformation, in: ders.: Popular Culture and Popular Movements in Reformation Germany, London/Ronceverte 1987, S. 243–256. Hans-Jürgen Goertz: Antiklerikalismus und Reformation. Sozialgeschichtliche Untersuchungen, Göttingen 1995. Peter A. Dykema/Heiko A. Oberman (Hg.): Anticlericalism in Late Medieval and Early Modern Europe, Leiden 1993. Geoffrey Dipple: „Woe unto you, Stomachpreachers, Cheesebeggars, and Hypocrites“: Antifraternalism and Reformation Anticlericalism, Aldershot 1996.
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Kaiser Siegmunds Traumgesicht
Sigismund von Luxemburg ist am 15. Februar 1368 in Nürnberg geboren und am 9. Dezember 1437 in Znaim (Mähren) verstorben. Er amtierte als Kurfürst von Brandenburg von 1378 bis 1388 und von 1411 bis 1415. Ab 1387 war er König von Ungarn und Kroatien. Er wurde 1411 zum römisch-deutschen König gewählt und übernahm dazu die Krone von Böhmen 1419. 1433 wurde er zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gekrönt und blieb in diesem Amt bis zu seinem Tode. Während seiner Regierungszeit fand das Konzil von Konstanz (1414–1418) und die sog. Hussitenkriege (1419–1436) statt. Auf dem Konzil von Basel 1439 wurde eine unter seinem Namen verfasste anonyme Reformschrift bekannt. Sie war in deutscher Sprache verfasst und avancierte rasch zur am weitesten verbreiteten Reformschrift ihrer Zeit. 1476 erstmals gedruckt und bis 1522 in sieben weiteren Auflagen verbreitet, steht sie am Anfang einer Entwicklung, die Reformanliegen in deutscher Sprache thematisierte. Der Text enthält Vorschläge zur Kirchen- und Reichsreform und spricht sich für Priesterehe und Säkularisation von Kirchengut aus. Weiterhin enthält sie eine fiktionale Vision Kaiser Sigismunds über das Auftreten eines Priesterkönigs Friedrich und Pläne für eine weltliche Reform von König- bzw. Kaisertum und Altem Reich. In dem Namen Gottes Jesu Christi. Amen. An der Auffahrt des Abends102 nach der Mettenzeit,103 da ich lag an meinem Gebet und die Worte, die David im Psalter gemacht hat, sprach, da gedachte ich in meinem Herzen an das klägliche Strafgericht, das da geschehen ist jenseits des Meeres zu Jerusalem, daß ich das Gebet nicht mochte vollbringen ihrer eines wegen, und sprach: „Herr mein Gott, sei nicht zornig ewiglich über das Volk, sondern erbarme dich seiner, denn Du hast es erlöst mit Deinem Blut; und gib die Ehre Deines Namens nicht dem ungläubigen Volk, das Deinen heiligen Namen unehret.“ Da ich nun fürbaß sehr weinte, da erschien mir ein ehrbarer Herr im Bischofsgewand, und hatte ein Kreuz in seiner Hand. Da ich ihn sah, erschrak ich gar sehr, 102 Am Vorabend von Christi Himmelfahrt. 103 Der nächtliche oder frühmorgendliche Gottesdienst in der christlichen Gottesdienstordnung; auch im Stundengebet.
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und es war mir gleichermaßen, als ob ich von Sinnen gekommen wäre, und vermochte nicht zu reden. Derselbige Mann sprach zu mir: „Fürchte dich nicht und weine fortan nicht mehr des Schlages wegen, der da geschehen ist von dem ungläubigen Volke; denn das ist geschehen um ihrer Sünde willen und nach dem gerechten Gericht Gottes. Sondern höre auf und merke viele böse Dinge und Trübsal, die da kommen werden in der Christenheit. Die Ungerechten und auch die Heiden, nach dem Gerichte Gottes, werden widerstreben und große Dinge tun wider die Christenheit. […] Weh euch darum, welsche Lande! Denn viel Trübsal und böse Dinge werdet ihr leiden müssen nach dem gerechten Gericht Gottes. Rom wird mit Krieg umgeben, und dasselbe wird zergehen durch etliche Kardinäle. Wehe dir, Rom, denn du wirst bald gedemütigt von deinen Feinden. Derweilen wird ein Frieden gemacht, der doch kein steter Frieden nicht ist, und das Reich des päpstlichen Stuhles wird viel Angst, große Not und auch gar viel Trübsal erfahren und ausstehen. Das Land Frankreich wird viel Ehre und Gewalt erlangen, Hispanien wird betrübt, Ungarn und Böhmen wird zerstört, und die Lande werden viel Trübsal bringen in der Welt, und etliche Teile deutscher Lande werden bestritten von den Ungläubigen. Und der kleinste König wird kommen mit etlichen Königen, die da nahe sitzen demselben Land; diese Könige werden durchziehen mit einem großen Heer, und werden über niemand kein Erbarmen haben. Aber zum letzten werden sie vertrieben von einem Fürsten mit Hilfe der Fürsten aus deutschen Landen und auch des Königs von Frankreich. Und der Gottesdienst wird zerstöret, und wird großes Gebrechen sein an der Priesterschaft, und viele Christenmenschen werden sich abkehren von der Gerechtigkeit der römischen Kirche. Viele geistliche Menschen werden zum Abfall gedrungen wegen der Bosheit ihrer Obersten, die also groß ist, daß sie die ganze Welt befallen hat, und selten wird einer folgen dem Gebot seines Bischofs. Und auch etliche Kardinäle werden gefangen, und etliche werden getötet, und also wird von ihnen genommen all ihre Hoffart und Ehre. Die aber ist so groß, daß sie nicht allein wollen Gott gleichen, sie wollen selber sein wie die Götter, und wollen auch, daß man ihnen untertänig sei wie Gott, und wollen den Menschen nicht gleich sein. Darum werden sie von Gott gestoßen in den Abgrund der Hölle. […] Denn von der Zeit eines Papstes, der Nikolaus genannt war, der dritte dieses Namens,104 ist kein Prälat105 gewesen ohne die Sünde, die da heißt Simonie.106 Und darum, daß sie nicht folgen den Werken der heiligen Zwölfboten,107 deren Statt sie vertreten, und daß sie sich nicht wollen demütigen und arm sein und die Ungläubigen zum Glauben bekehren, und daß sie auch ihr Leben nicht geben um die Liebe Gottes, wie doch ihre Vorgänger haben getan: darum wird ihnen genommen Silber und Gold und alle ihre Habe, also daß ihnen wird gegeben Eisen für Gold, und Glas für Edelgestein, und Stecken für Roß, und anderes viel desgleichen. Die Könige werden sich sammeln wider sie und werden sie berauben, und ihre Freude wird zerstört und zerbrochen, und ihr Gedächtnis wird vergessen miteinander. Und auch noch etliche Priester werden nicht sehen lassen ihre Platten,108 und auch in etlichen Landen wird das Volk sein wider die Fürsten, und werden auch etlichen erschlagen und also wird Trübsal sein in aller dieser Welt.“
104 Giovanni Gaetano Orsini (* zwischen 1210 und 1220 in Rom; † 22. August 1280 in Soriano nel Cimino) war unter seinem Namen Johannes III. vom 25. November 1277 bis zu seinem Tode Papst. 105 Höhere Geistliche der römischen Kirche. 106 Kauf oder Verkauf geistlicher Ämter. Der Begriff „Simonie“ geht zurück auf Simon Magus, der bestimmte apostolische Begabungen gegen Geld erwerben wollte (Apg 8,9–25). 107 Gemeint sind die zwölf Apostel. 108 Tonsuren.
Der Ewige Landfriede von 1495
Da sprach ich mit großem Fürchten: „Lieber Herr, es will vielleicht Gott den Glauben lassen untergehn und zerstören; denn wenn die Ungläubigen den Papst und die Priesterschaft also zerstört haben, so werden sie mächtig herrschen und die Gerechten werden unterdrückt.“ Darauf antwortete mir der Bischof: „Die Ungerechten werden etliche Zeit herrschen über den Papst. Aber am Ende werden sie zerstört von einem Fürsten mit Hilfe der deutschen Fürsten, und von den Franken und von ihrem Kaiser, und die Römische Kirche wird wiedergebracht, und all ihre Aufrichter werden schlecht und recht sein und werden nimmer nachfolgen dem Geld, und alle gerechten Prälaten werden wiederkommen zur Untertänigkeit. Und wir dann auch erneut die Einigung der Christenheit. Und das wird alles geschehen, wenn man zählt nach Christi Geburt fünfzehnhundert Jahr, und darnach in dem ersten Jahr, da wird es sich anheben.“ Und da er mir das alles gesagt hatte, da verschwand er vor mir. Quellennachweis Mit leichten Veränderungen übernommen aus: Vollständige Reformations-Acta und Documenta, ausgefertigt von Valentin E. Löscher. T.1. Cap. 6, Leipzig 1720, S. 128–131. Literaturhinweis Hartmut Boockmann/Heinrich Dormeier: Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 8: Konzilien, Kirchen- und Reichsreform 1410–1495, Stuttgart 10 2005. Michel Pauly/François Reinert (Hg.): Sigismund von Luxemburg. Ein Kaiser in Europa, Mainz 2006. Jörg K. Hoensch: Kaiser Sigismund: Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit 1368–1437, München 1996. Karel Hruza/Alexandra Kaar (Hg.): Kaiser Sigismund (1368–1437). Zur Herrschaftspraxis eines europäischen Monarchen, Wien u. a. 2012.
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Der Ewige Landfriede von 1495
Auf dem Reichstag zu Worms wurden 1495 die Grundlagen zu einer umfassenden Reichsreform gelegt. Sie bestimmten maßgeblich die weitere Entwicklung des Reiches, indem sie die Struktur und Verfassungsordnung des Heiligen Römischen Reiches veränderten. Zu den wichtigen Persönlichkeiten gehörte Berthold von Henneberg, der als Mainzer Erzbischof, Kurfürst, Reichserzkanzler und Wortführer der Reichsstände fungierte. Bei den Verhandlungen nahm er eine Vermittlerrolle zwischen den Ständen ein und war zugleich einer der stärksten Vertreter der Reichsreform. Seiner Initiative verdanken sich die Regelungen zur Abschaffung der Blutfehde und der Durchsetzung eines allgemeinen Landfriedens, sowie einer allgemeinen Kopfsteuer. Zur Regelung rechtlicher Streitigkeiten wurde das Kammergericht eingerichtet. Das war nach Zwischenstationen in Worms, Augsburg, Nürnberg, Regensburg, Speyer und Esslingen am Neckar ab 1527 in Speyer und von von 1689 bis 1806 in Wetzlar ansässig.
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Worms, 1495 August 7 Wir Maximilian von Gots Gnaden Romischer Kunig, zu allen Zeiten Merer des Reichs, zu Hungern, Dalmacien, Croacien etc. Kunig, Ertzherzog zu Osterreich, Herzog zu Burgund, zu Brabant, zu Lothering, zu Kerndten, zu Crain, zu Lijmburg, zu Lutzenburg und zu Geldern, Grave zu Flandern, zu Habspurg, zu Tyrol, zu Phirt, zu Kyburg, zu Arthois und zu Burgundi, Phallenzgrafe zu Henigaw, zu Holland, zu Seeland, zu Namür und zu Zutphen, Marggrave des Heiligen Romischen Reichs und zu Burgaw, Landgraf zu Elsas, Herre zu Frießland, auf der windischen Mark, zu Portenaw, zu Salins und zu Mecheln, embieten allen und yecklichen Unsern und des Hailigen Reichs Churfürsten, Fürsten, gaistlichen und weltlichen, Prelaten, Graven, Freyherrn, Rittern, Knechten, Hauptlüten, Vitzthumben,109 Vögten, Pflegern, Verwesern, Amtlüten, Schulthaissen, Burgermaistern, Richtern, Räten, Burgern und Gemainden und sunst allen andern Unsern und des Reichs Undertanen und Getrewen, in was Wirden, Stats oder Wesens die sind, den diser Unser Koniglicher Brief oder Abschrifft davon zu sehen oder zu lesen fürkompt oder gezaigt wirdt, Unser Gnad und alles Gut. Als Wir hievor zu der Höche und Last des Hailigen Römischen Reichs erwelt und nu zu Regierung desselben komen sind und vor Augen sehen stäte, onunderlässige Anfechtung gegen der Cristanhait, nu lang Zeyt geübt, dardurch viel Küngreich und Gewält cristanlicher Lande in der Unglaubigen Gehorsam pracht sein, also das sy ir Macht und Herrschung bis an die Grenitzen Teutscher Nacion und des Hailigen Reichs erstreckt, dartzu sich auch dis Zeit merklich Gewält erhebt haben Unserm hailigen Vater Babst und der Römischen Kirchen Stet,110 Landtschaft und Widem Güter,111 auch ander des Hailigen Reichs Landtschaft und Oberkait gewaltigklich überzogen haben, daraus nit allein dem Hailigen Reich, sonder auch der gantzen Cristanheit swere Minderung, Verwüstung und Verlust der Selen, Ern und Wirden erwachsen; wa nit mit stattlichem, zeytigem Rat dagegen getrachtet und zu Fürdrung desselben stathaftiger, verfencklicher112 Fride und Recht im Reich aufgericht und in bestentlichem Wesen erhalten und gehandthabt wurden: darumb mit ainmütigem zeytigem Rat der erwirdigen und hochgepronen Unser lieben Neven, Ohemen, Churfürsten, Fürsten, gaistlichen und weltlichen, auch Prelaten, Graven, Herren und Stende haben Wir durch das Hailig Reich und Teutsch Nacion ainen gemainen Friden fürgenomen, aufgericht, geordnet und gemacht, richten auf, ordnen und machen den auch in und mit Crafft dis Briefs: § 1. Also das von Zeit diser Verkündung niemand, von was Wirden, Stats oder Wesens der sey, den andern bevechden, bekriegen, berauben, vahen,113 überziehen, belegern, auch dartzu durch sich selbs oder yemand anders von seinen wegen nicht dienen, noch auch ainich Schloß, Stet, Märckt, Bevestigung, Dörffer, Höf oder Weyler absteigen oder on des andern Willen mit gewaltiger Tat frevenlich einnemen oder gevarlich mit Brand oder in ander Weg dermassen beschedigen sol, auch niemands solichen Tätern Rat, Hilf oder in kain ander Weis kain Beystand oder Fürschub tun, auch sy wissentlich oder gevarlich nit herbergen, behawsen, essen oder drencken, enthalten114 oder gedulden, sonder wer zu dem andern zu sprechen vermeint, der
109 Aus dem lateinischen vicedominus abgeleitet: Stellvertreter des Herren. 110 Städte. 111 Widum und Wittum bezeichnen ein „gewidmetes Gut“. In Tirol und Südtirol heute noch gebraucht als Bezeichnung für einen Pfarrhof. Im deutschen, mittelalterlichen Recht wurde damit auch die Witwenversorgung aus dem Nachlass genannt. 112 Nachhaltig, dauerhaft. 113 Ein Verbrechen begehen. 114 Vorenthalten, verweigern.
Beschwerden der deutschen Nation gegen Rom, Gesandtenbericht vom 27. August 1518
soll sölichs suchen und tun an den Enden115 und Gerichten, da die Sachen hievor oder yetzo in der Ordnung des Camergerichts zu Außtrag vertädingt116 sein oder künftigklich werden oder ordenlich hin gehörn. § 2. Und darauf haben Wir all offen Vechd und Verwarung durch das gantz Reich aufgehabt117 und abgethan, heben auch die hiemit auff und thun die ab von Römischer Koniglicher Macht Volkommenhait in und mit Crafft dis Briefs. Quellennachweis Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. 1495–1815, hg. v. Hanns Hubert Hofmann, Darmstadt 1976. S. 2 f. Literaturhinweis Heinz Angermeier: Die Reichsreform 1410–1555: die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984. Mattias G. Fischer: Reichsreform und „Ewiger Landfrieden“: über die Entwicklung des Fehderechts im 15. Jahrhundert bis zum absoluten Fehdeverbot von 1495, Aalen 2007. Wolfgang Reinhard (Hg.): Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 9: Frühe Neuzeit bis zum Ende des alten Reiches (1495–1806), Probleme deutscher Geschichte 1495–1806; Reichsreform und Reformation 1495–1555, Stuttgart 10 2001.
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Beschwerden der deutschen Nation gegen Rom, Gesandtenbericht vom 27. August 1518
Die „Gravamina nationis germanicae“ waren Beschwerden aus dem deutschsprachigen Raum gegen Papst und Kurie. 1448 wurde ein Konkordat zwischen Papst Nikolaus V. und dem späteren Kaiser Friedrich III. für die deutsche Nation abgeschlossen. Es regelte die päpstlichen Rechte etwa bei der Vergabe von Pfründen, bei der Besetzung kirchlicher Stellen oder die Zahlung von Geldern an die Kurie. Die Vereinbarung kam gegen den Willen der Reichsstände zustande. In der Folge kam es auf den Reichstagen zu etlichen Beschwerden. Es gab zahlreiche Vorformen der Beschwerden, die unter Kaiser Maximilian I. 1497 und 1500 auf den Reichstagen verhandelt wurden. Darzu so ließe sich der gemein Mann neben andern obberurten Beschwerungen gegen ihren Oberkeiten etwas beschwerlich hören, wie große Summ Gelds durch gelegte Kruziat [= Kreuzzugssteuer], Indulgenzien118 und anders aus teutschen Landen verschiedner Zeit gebracht wären und noch wurden. Dardurch und anders Teutschland an Geld ganz erschopft wären 115 116 117 118
Schlussinstanz. Unter die Autorität des Reichskammergerichts gehörend. Aufgehoben. Ablässe.
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und wurden. Und wiewohl sie guter andächtiger Meinung als fromm Christenleut in solchen Kruziaten und Indulgenz ihr Gaben und Vermögen mildiglich mitgeteilt, alles der Zuversicht, daß solchs zu einer Expedicion und Zug wider den Turcken, wie ihnen dann hochlich Zusag und Vertröstung geschehn, gebraucht worden sein sollt —, hätten sie doch nit vernommen, was damit gegen den Turcken ausgericht wär. Deshalb bei ihnen ein großer Mißtrau, wie die Legaten auch etlichermaßen beruhrten, ingefallen, sich in ichtis [= irgend etwas] weiters dergestalt zu begeben oder bereden zu lassen. Desgleichen wurde die Nacion durch die Annata119 der Erzbischof, Bischof und ander nit klein beschwert, wann sie als Untertanen der Geistlichen ihr Hilf und Steur darzu geben und tun mußten. Und wiewohl Annata erstlich nit meher wann [= als] ein klein Anzahl Jahr zu Widerstand der Durcken (Türken) gewilligt, wären die doch bisher etweviel [= etliche] und lang Jahr und Zeit gegeben und noch (darüber hinaus). Zudem, daß dieselben Annata je länger, je meher ergroßert auch nit allein auf Erzbischtumben und Bischtumben, sonder auch auf Abteien, Propsteien, Pastoreien, Personatpfarren und andere geistliche Lehen, die jährlich uber vier Mark ertragen, gesetzt wurden. Darzu so wurden die Confirmaciones120 der Erzbischof und Bischof auch je länger, je mehr durch neu Officia121 und anders ersteigert, darzu die Untertanen, wie zu den Annaten, ihr Hilf und Steuer tun mußten. So wurde auch durch die Regel der romischen Kanzlei Gratias expectativas,122 Reservaciones mentales123 und anders der Nacion merklich [zur] Beschwerung ufgeladen — und den Kompaktaten oder Concordatis124 der teutschen Nacion am romischen Hof nimmer oder selten nachgelebt. Sonder dawider und das gemein Recht, in ihre weltliche Ius patronatus125 gegriffen; auch geistliche Lehen, hoch- und niederteutscher Nacion, frembden Gezungen [= Fremdlingen] geliehen; auch den geistlichen Patronen in ihren ordentlichen Monaten ihrer Leihung126 Eintrag127 getan; darzu Confirmaciones der Wahl geistlicher Dignitäten128 oft infringiert [= unterbrochen] und verbrochen. Des und anders dann, so wohl weiter zu erzählen, aber umb Kurz willen vermieden wär, erwuchse bei den Untertanen nit allein ein Mißtraun, sonder auch großer Unwill, sich in weiter Geben oder Beschwerung bereden zu lassen. Darumb und anderer beweglicher Ursach [halber] die Ständ groß Fursorg trugen, daß der angezeigte gesonnen129 Furschlag der [Kriegs-]Hilf in solchermaßen bei den Untertanen nit erlangt oder erhebt werden mog. Solchs zeigen die Ständ den papstlichen Legaten guter und getreuer Meinung an, [um über] Gestalt und Gelegenheit der Sachen in teutschen Landen etlichermaßen mögen bericht [zu] sein.
119 Jahrgelder; die Abgabe, die der Empfänger einer dem Papst reservierten Pfründe meist in Höhe ihres Jahresertrages zu entrichten hatte. 120 Konfirmationsgebühren; die Abgabe, die höhere Geistliche dem Papst für ihre Ernennung zu entrichten hatten. 121 Kirchliche Ämter, Verwaltungsbehörden. 122 Gnadenbriefe auf Anwartschaften; die vom Papst meist gegen Gebühren verliehenen Anwartschaften auf noch unbesetzte geistliche Stellen. 123 Reservemonate; die dem Papst in gewissen Monaten vorbehaltene Pfründenbesetzung. 124 Verträgen. 125 Patronatsrecht; Aufsichtsrechte über die Kirche sowie Aufsichtspflicht. 126 Belehnung. 127 Beeinträchtigung. 128 Würdenträger, besonders in Domkapiteln. 129 Geplant.
Christoph Scheurl: Patrizische Stadtherrschaft
Quellennachweis Frankfurts Reichscorrespondenz nebst andern verwandten Aktenstücken von 1376–1519. Bd. 2,2, hg. v. Johannes Janssen, Freiburg i. Br. 1872, S. 979–980. Literaturhinweis Eike Wolgast: „Gravamina nationis germanicae“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 14, Berlin/New York 1985, S. 131–133. Annelies Grundmann/Rosemarie Aulinger (Bearb.): Die Beschwerden der deutschen Nation auf den Reichstagen der Reformationszeit (1521–1530). Deutsche Reichstagsakten/Jüngere Reihe. Bd. 21, Berlin u. a. 2015. Cecilia Nubola (Hg.): Bittschriften und Gravamina: Politik, Verwaltung und Justiz in Europa (14.–18. Jahrhundert), Berlin 2005.
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Christoph Scheurl: Patrizische Stadtherrschaft
Christoph (II.) Scheurl wurde am 11. November 1481 in Nürnberg geboren und verstarb in seiner Heimatstadt am 14. Juni 1542. Er war ein humanistisch gebildeter Jurist. Er wirkte häufig als Diplomat und betrieb durch seine Korrespondenzen ein umfangreiches humanistisches Netzwerk. Nach Studien in Heidelberg und Bologna wurde Scheurl im Frühjahr 1507 auf eine Professur an die Universität Wittenberg berufen. Bald darauf zum Rektor gewählt, entwarf er neue Statuten nach dem Vorbild der Universität Bologna und zog weitere humanistische Lehrkräfte an die kursächsische Landesuniversität. Im Dezember 1511 folgte er einem Ruf nach Nürnberg, wo er als Ratskonsulent vereidigt wurde. Als solcher war er immer wieder in diplomatischen Missionen im Auftrag des Nürnberger Rates tätig. Der folgende Auszug aus einem Brief an Johann von Staupitz, den Generalvikar der Augustinereremiten (siehe Nr. 36), stammt vom 15. Dezember 1516 und erlaubt einen Blick in die Verfassung der Reichsstadt Nürnberg. Alles Regiment unserer Stadt und gemeinen Nutzes stehet in Handen derer, so man Geschlechter nennet. Das sein nun solche Leut, dero Ahnen und Urahnen vor langer Zeit her auch im Regiment gewest und über uns geherrscht haben. Fremdling, so allda eingewurzelt, und das gemein Völklein hat keinen Gewalt. Es stehet ihnen auch nicht zu, dieweil aller Gewalt von Gott, und das Wohlregieren gar wenigen und allein denen, so vom Schöpfer aller Ding und der Natur mit sonderlicher Weisheit begabet sein, verliehen ist. Derhalben würd bei uns — acht ausgenommen — niemand in Rat gesetzt, dessen Eltern zuvor nicht auch in unser Stadt regiert haben; wiewohl solches itzt mit etlichen Herkommlingen, so sich neulich gen Nürnberg getan, auch mit etlichen der Unsern übertreten ist worden. Aber dieselben sein von ihrer eherlichen Geburt und Stammes wegen so weit kommen; doch also, daß sich ihr keiner einer hohem Wirdigkeit dann des jungen Bürgermeisteramts zu versehen hat. Die andern aber können an ihren Ehren von Tag zu Tag zunehmen, dann aus den jungen werden alte Bürgermeister, aus den alten Bürgermeistern entspringen die sieben
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Ältern Herrn130 , von welchen hernach Hauptmender131 und zuletzt die Losunger132 erwählt werden. Darum ists bei uns ein groß, ein Ratsherr zu sein, viel größer ists, zu sein ein alter Bürgermeister, aber am größten ists, so einer ein alter Herr oder Losunger werden kann. Dann obschon in unserer Stadt viel Geschlecht sein, daraus der Rat besetzt würd, findt man ihr doch viel, die nicht weiter dann in den alten Bürgermeisterstand steigen können, dann der Geschlecht, daraus man die sieben alten Herrn nimmt, sein gar wenig: viel weniger sein der, daraus die Hauptmänder genommen werden, der aber, daraus die Losunger gewählt, sein am allerwenigsten. Wiewohl von den Dingen allein kein ausdrücklichs Gesetz gemacht ist, würd es doch gemeiniglich, soviel mir bewußt, also gehalten. […] Quellennachweis Mit geringfügigen Anpassungen übernommen aus: Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert. Bd. 11, Göttingen 2 1961, S. 791 f. Literaturhinweis Christoph Scheurl’s Briefbuch, ein Beitrag zur Geschichte der Reformation und ihrer Zeit, hg. von Franz Fhr. von Soden und J. K. F. Knaake, Nachdruck Aalen 1962. Wilhelm Graf: Doktor Christoph Scheurl von Nürnberg. Nachdr. d. Ausg. Leipzig/Berlin 1930. Hildesheim 1972. Markus Wriedt: Art: Christoph Scheurl, in: BBKL, Bd. 9, hg. v. Traugott Bautz, Friedrich Wilhelm Bautz, Herzberg (Westf.) 1995, S. 178–185. Irene Dingel/Günther Wartenberg: Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502 bis 1602, Leipzig 2002. Rudolf Endres: Grundzüge der Verfassung der Reichsstadt Nürnberg, in: Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 111 (1994), S. 405–421. Helge Weingärtner: Die Selbstverwaltung der Reichsstadt Nürnberg, in: Michael Diefenbacher/Gerhard Rechter (Hg.): Vom Adler zum Löwen. Die Region Nürnberg wird bayerisch 1775–1835 (Ausstellungskataloge des Stadtarchivs Nürnberg 17), Nürnberg 2006, S. 29–42.
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Jacob Fugger: Mahnbrief an Kaiser Karl V.
Unter Jakob Fugger nahmen die Geschäftsbeziehungen zu dem ständig von Schulden geplagten Kaisertum zu. Seit der Frankfurter Messe von 1498 persönlich mit Maximilian I. bekannt, wurden die Fugger zu einem der wichtigsten Geldgeber Maximilians. Als dieser 1493 nach dem Tode seines Vaters Friedrich III. allein regierender römisch-deutscher König wurde, konnte er sich auf das Augsburger Bankhaus verlas-
130 In ihren Händen konzentrierte sich die gesamte Macht des Stadtregiments. 131 Drei oberste Hauptleute waren für Sicherheit und Verteidigung der Stadt verantwortlich. 132 Zwei Losunger waren für die Einnahme und Verwaltung der Steuergelder zuständig.
Jacob Fugger: Mahnbrief an Kaiser Karl V.
sen. Fugger wurde 1511 in den Adelsstand erhoben und 1514 zum Reichsgrafen. Die Bewerbung und Wahlkampfkosten des Enkels von Maximilian, Karl I. von Spanien, auf den deutschen Königsthron finanzierte Jakob Fugger.
Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster Römischer Kaiser, Allergnädigster Herr! Ewer Kaiserl. Majestät tragen ohne Zweifel gut Wissen, wie ich und meine Vettern bisher dem Haus Österreich zu desselben Wohlfahrt und Aufnehmen in aller Untertänigkeit zu dienen geneigt sind, weshalb wir uns auch mit weiland Kaiser Maximilian, hochlöblichster Gedächtnis, Ew. Kaiserl. Majestät Ahnherren, eingelassen und uns Seiner Majestät zu untertänigem Gefallen, zur Forderung und Erlangung der Römischen Krone für Ew. Kaiserl. Majestät gegen etliche Fürsten, die ihr Vertrauen und Glauben auf mich und vielleicht sonst auf niemand setzen wollten, verschrieben haben; wir auch nachmals auf Grund der Verhandlung mit Ew. Kaiserl. Majestät Kommissarien zur Vollziehung gedachter vorgenommener Sachen eine treffliche Summe Geldes vorgestreckt haben, die ich nicht allein bei mir und meinen Vettern, sondern auch bei andern guten Herren und Freunden mit großem Schaden aufgebracht habe, damit solch löbliches Vornehmen Ew. Kaiserl. Majestät zu hohen Ehren und Wohlfahrt Gestalt gewinne. Es ist auch wissentlich und liegt am Tag, daß Ew. Kaiserl. Majestät die römische Krone ohne mein Zutun nicht hätten erlangen können, was ich durch Handschreiben aller Kommissarien Ew. Kaiserl. Majestät beweisen kann. Ich habe hierin auch meinen eigenen Nutzen nicht angesehen; denn wenn ich von dem Hause Österreich abstehen und Frankreich hätte fördern wollen, so wollte ich groß Gut und Geld, wie mir denn angeboten worden ist, erlangt haben. Was aber Ew. Kaiserl. Majestät und dem Hause Österreich für Nachteil daraus entstanden wäre, das mögen Ew. Kaiserl. Majestät aus hohem Verstande wohl erwägen. Bisher ist mir nun Ew. Kaiserl. Majestät über die Summe Geldes, so Ew. Kaiserl. Majestät mir auf dem Reichstag zu Worms berechnet und mich auf die Grafschaft Tirol verwiesen haben, von deren Einkünften ich noch nicht völlig zufriedengestellt bin, 152,000 V- Ducaten schuldig geblieben, wie es mit Herrn Vorgaß, dem Tresorier, berechnet ist, bis zum Ausgang des Monats August 1515 und 1521 in zwei Kontrakten; zusamt den Interessen, so sich von der genannten Zeit an darauf zu rechnen gebührt. Denn ich habe wahrlich von dem aufgebrachten Gelde auch Interessen zahlen müssen. Um diese Summe haben sich auch die drei Tresoriers, insonderheit Herr Vorgaß, nach bester Form verschrieben, und bisher habe ich nichts von ihnen bekommen können. Denn sie behaupten, daß ihnen das Einkommen aus ihren Landen genommen sei, weshalb sie nicht wissen, wovon sie zahlen sollen. Nach alledem ist an Ew. Kaiserl. Majestät mein untertäniges Anrufen und Bitten, Sie wolle solch meine getreuen untertänigen Dienste, die Ew. Kaiserl. Majestät zu hoher Wohlfahrt erwachsen sind, gnädiglich bedenken, und mit Herrn Vorgaß oder auf andere Weise Rat schaffen und verordnen, daß mir solch meine ausgelegte Summe Geldes samt dem Interesse ohne längeren Verzug entrichtet und bezahlt werde. Das um Ew. Kaiserl. Majestät zu verdienen will ich in aller Untertänigkeit erfunden werden, und tue mich hiermit allezeit Ew. Kaiserl. Majestät untertänig befehlen. Ew. Kaiserlichen Majestät untertänigster Jacob Fugger.
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Quellennachweis Mit geringen Veränderungen übernommen aus: Copia ainer Supplication, so herr Jacob Fugger der alt der Röm. Kayser Mt. übergeben. 1523. adj. 24 April Vayalodlit (sic) empfangen, in: B. Greiff: Was Kayser Carolus dem Vten die Römisch Künglich Wal cost im 1520 Jar, in: 34. Jahres-Bericht des Historischen Kreisvereins im Regierungsbezirke von Schwaben und Neuburg für das Jahr 1868, Augsburg 1869, S. 49 f. Literaturhinweis Martin Kluger: Die Fugger um Augsburg, München und Ulm. Adel, Schlösser und Kirchen, Augsburg 2012.
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Beatus Rhenanus: Die Fuggersche Hofhaltung in Augsburg
Beatus Rhenanus wurde als Beat Bild am 22. August 1485 in Schlettstadt (Elsass) geboren. Er verstarb am 20. Juli 1547 in Straßburg. Der humanistische Gelehrte erwarb grundlegende philologische Kenntnisse in der Schlettstädter Schule vor 1503. Daran schloss sich sein Studium bis 1507 in Paris an. Zeitgleich absolvierte er eine Buchdruckerlehre. Seit 1511 stand er in engem Kontakt zu Erasmus von Rotterdam. Rhenanus edierte Werke der lateinischen Kirchenväter und etliche Klassiker der Antike. Sein Hauptwerk beschäftigte sich mit der Vor- und Frühgeschichte Deutschlands (Rerum Germanicarum libri tres) und erschien 1531. In dem nachfolgend zitierten Brief an Philipp Puchaimer vom 3. März 1531 beschreibt er die prunkvolle Einrichtung der Häuser Anton und Raimund Fuggers in Augsburg.
Niemals werde ich Deine Freundlichkeit vergessen, mit der Du mir in Augsburg behilflich warst, indem Du mich durch Christoph Wirsungs133 Vermittlung in das Haus der Fugger einführtest. Was gibt es Prächtiges, das in Anton Fuggers Hause nicht zu finden wäre? Fast überall ist es gewölbt und von Marmorsäulen gestützt, deren Kapitäle nach dem Muster des Altertums gemeißelt sind. Was soll ich sagen über die geräumigen und wohlgeschmückten Zimmer, über die Kamine, die Verbindungsgänge, über das Schlafgemach des Hausherrn selbst mit seiner goldverzierten, getäfelten Decke, seinem sonstigen Schmuck und der ganz ungewöhnlichen Pracht des Bettes? Neben diesem Zimmer befindet sich eine kleine Kapelle des heiligen Sebastian, mit Gestühl aus kostbarem Holz meisterlich geschnitzt. Alles ist innen und außen mit Malereien geschmückt; und obgleich alles höchst wertvoll ist, trägt es doch selten überflüssigen Aufwand zur Schau, wohl aber einen gefälligen Geschmack und maßvolle Prachtentfaltung.
133 Christoph Wirsung (* 1500 in Augsburg; † 1571 in Heidelberg) war ein den Humanismus repräsentierender deutscher Arzt, Apotheker, Ratsherr, Übersetzer. Cf. Wolfgang U. Eckart: Das „Artzney Buch“ (1568) des Christoph Wirsung, in: Kommentarband zur Faksimile-Ausgabe des „Artzney Buch“ von Christoph Wirsung. Bibliotheca Palatina Faksimile Verlag, o. O. 2007.
Beatus Rhenanus: Die Fuggersche Hofhaltung in Augsburg
Das Haus Raimund Fuggers, das von jenem etwas entfernt liegt, aber ganz ebenso fürstlich eingerichtet ist, gewährt einen sehr anmutigen Ausblick auf die Gärten, deren einer unmittelbar am Hause liegt, der andere durch die Straße, die aber nur eng ist, davon getrennt ist. Alles was Italien an Pflanzen hervorbringt, weist der Hausgarten auf. Da sieht man ferner Blumenbeete, Gartenhäuschen, Baumgruppen, Springbrunnen mit gegossenen Götterbildern. Auch ein Bad befindet sich dort am Hause. Die Gärten des Königs Ludwig von Frankreich,134 die wir einst in Tours und Blois sahen, haben mir nicht so gefallen. Als wir in das Haus eintraten, sahen wir umfangreiche Kamine, weitläufige Höfe und heizbare Gemächer, aufs prächtigste ausgeschmückt. Hier erblickten wir die ausgesuchtesten Gemälde aus Italien, auch viele Bilder von Lukas Cranach in höchster Vollendung. Noch mehr erregten unser Erstaunen, als wir in das obere Geschoß hinaufgeführt wurden, die vielen Denkmäler des Altertums, wie sie wohl selbst in Italien kaum irgendwo bei einem einzelnen Manne in größerer Anzahl zu finden sind. Zunächst betrachteten wir die ehernen und gegossenen Standbilder. Welcher von den alten Göttern ist uns hier nicht mehrmals begegnet? Jupiter mit dem Blitz, Neptun mit dem Dreizack, Merkur mit Tasche und Reisehut, Pallas mit Ägis.135 Es waren welche dabei, die man vor Alter kaum erkennen konnte. Hier war nur ein einziges Steinbild dazwischen, eine Circe darstellend, wie sie nackt daliegt, auf den rechten Arm gestützt, umgeben von verschiedenen wilden Tieren und mit dem Zauberstab gerade einen Menschen verwandelt; halb ist er noch Mensch, halb bereits Tier. In einem anderen Gemach, das nur Steinbilder enthielt, sahen wir Diana mit dem Mond und dem Köcher, Apollo, Minerva, Venus mit Cupido, den Stier, der ein nacktes Mädchen entführt, das mit ausgestreckten Armen um Hilfe fleht,136 und jenes unzüchtige Götterbild mit den schamlosen Gebärden. Es ist zu verwundern, daß alles das sich durch so viele Jahrhunderte hat unversehrt erhalten können. […] Es wurde uns erzählt, daß diese Denkmäler des Altertums fast aus der ganzen Welt zusammengetragen seien, meist jedoch aus Griechenland und Sizilien.137 Herrn Raimund reut bei der Vorliebe, die er als genauer Kenner der Wissenschaften für das Altertum hegt, keine Ausgabe, wenn er sich in den Besitz dieser Dinge setzen kann. Daran erkennt man den wahrhaft edlen und hochsinnigen Geist dieses Mannes. Quellennachweis Briefwechsel des Beatus Rhenanus. Gesammelt und herausgegeben von Adalbert Horawitz und Karl Hartfelder, Leipzig 1886, S. 393–394. Die deutsche Übersetzung folgt der Version in: Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 80 f.
134 Ludwig XII. (* 27. Juni 1462; † 1. Januar 1515) war Angehöriger des Hauses Valois-Orléans von 1498–1515. 135 Gottheiten des lateinischen Pantheons. Für detaillierte Informationen siehe Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (LIMC), 9 Bände, Zürich/München 1981–1999. 136 Angespielt wird auf die Legende der von Zeus entführten Europa. 137 Hinweis auf die zahlreichen Relikte in der Magna Graecia – den Gebieten Süditaliens und Siziliens. Siehe dazu Furio Durando (u. a.): Magna Graecia. Kunst und Kultur der Griechen in Italien, München 2004, sowie Norbert A. Przesang: Magna Graecia, Die Griechen in Unteritalien und Sizilien, Halle 2009.
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Literaturhinweis Hermann Kellenbenz: Anton Fugger. Persönlichkeit und Werk, Augsburg 2001. Johannes Burkhardt (Hg.): Anton Fugger (1493–1560). Vorträge und Dokumentation zum fünfhundertjährigen Jubiläum, Weissenhorn 1994. Günter Ogger: Kauf dir einen Kaiser: die Geschichte der Fugger, Hamburg 2013.
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Flugschrift: Was ist Gült anderes als Wucher?
Flugschriften bezeichnen einzeln verbreitete Druckschriften mit einem Umfang von mehreren Seiten. Davon ist das einseitig bedruckte Flugblatt zu unterscheiden. Der Begriff hebt hervor, dass die Blätter nicht gebunden sind, mithin „umherfliegen“. Mit der Erfindung des Buchdrucks wurden diese Literatur- und Druckgattung zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu einem einflussreichen Medium. Die Verfasser geben sich meist nicht zu erkennen. Freilich nutzen auch staatliche oder kirchliche Administrationen das Medium zur Propaganda und Agitation. Der folgende Dialog entstammt einer Flugschrift von 1522 und wurde bei Johann Eckhart in Speyer gedruckt. Die Schrift setzt sich mit der Praxis des Geldverleihs und den dafür geforderten Zinsen auseinander, die so manchen Bauern in finanzielle Not brachten. Bäuerlein: Gott grüß Euch, lieber Herr, Gott grüß Euch! Burger: Guts Jahr, Bäuerlein, guts Jahr! Wo ziehst du her, liebs Bäuerlein? Bäuerlein: Ich ziehe daher. Ich wollt einst lugen [= nachsehen], was Ihr täten. Burger: Ich weiß nicht zu tun, dann ich sitz hier und zähl mein Geld einst. Bäuerlein: Lieber Herr, soll ich ein Weil zu Euch niedersitzen? Ich wollt gern ein Weil mit Euch kosen [= plaudern]. Burger: Wohlan, liebs Bäuerlein, kos her! Was wiltu mit mir kosen? Bäuerlein: Lieber Herr, wer hat Euch also viel Gelds geben, dass Ihr so sitzend zu zählen? Burger: Liebs Bäuerlein, was fragst du, wer mir das Geld geb. Das will ich dir sagen. Da kommt ein Bauer und bitt mich, ich soll ihm 10 oder 20 Gulden leihen. So frage ich ihn bald, ob er nit hab ein gute Wies oder ein guten Acker. So sagt er bald: „Ja, Herr, ich hab eine gute Wies und guten Acker, die zwei Stuck seind hundert Gulden wert.“ So sag ich zu ihm: „Wohlan, willst du mir das Gut einsetzen zu Pfand und willst mir ein Gulden Gelds alle Jahr geben, so will ich dir 20 Gulden leihen.“ So ist der Bauer froh und spricht: „Ich will es Euch gern einsetzen.“ — „Ich will dir aber sagen: Wann du den Gulden Gelds jährlich nit entrichtest, so werd ich das Gut annehmen für mein Eigentum.“ So ist der Bauer wohl zufrieden und verschreibt mirs also. Ich leihe ihm das Geld, er reicht mir ein Jahr, zwei oder drei die Gült [= Leihzins]. Darnach so kann er die Gult nit mehr gereichen, so nehm ich das Gut an und stoß den Bauern darvon. So bekomm ich das Gut und das Geld. Also geschieht mir auch dergleichen mit Handwerksleuten: Hat einer ein gut Haus, ich leihe ihm auch daruf, bis ichs an mich bring. Damit überkomm ich groß Gut und Geld. Da vertreib ich mein Zeit darmit. Bäuerlein: Ich hab gewähnt, es wuchern nur die Juden. So hör ich wohl, Ihr versteht euch auch darauf.
Flugschrift: Was ist Gült anderes als Wucher?
Burger: Du sagst von Wucher. Ist doch niemand hier, der mit Wucher umgehet. Was mir die Bauern bringen, das ist Guldt [= Pachtzins, Leihzins]. Bäuerlein: Wenn Euch der Wucher nit zu Haus käm, wo blieb dann die Gült? Was ist Gült anderes dann Wucher? Denn Ihr habt Geld auf Pfand geliehen und nehmt alle Jahr euern Genuß [= Nutzen, Zins] davon, als wenn ein Jud auf Pfand leiht. Ihr wollt ihm aber einen solchen subtilen Namen geben haben, ja, es heißt Gült. Burger: Du sagst als von dem Wucher. Hat nit unser Herrgott gesagt, wir sollen einander zu Hilf kommen in Nöten und einander fürstrecken? Bäuerlein: Ja, hat aber unser Herrgott nit gesagt: „Du sollst nit Genuß nehmen von hingeliehenem Geld, wenn derselbig Genuß ist Wucher?“ Burger: Du bist ein gut Gesell. Sollt ich nichts von dem hingelauhen Geld nehmen, wer wollt mir dann mein Geldhaufen groß machen? Bäuerlein: Ich sehe und hör wohl, daß Ihr nur darauf ausgeht, dass Ihr den Geldhaufen groß machen und viel Geld und Gut gewinnet. Und geht daher, blasen mit den dicken Backen und großem Bauch, als wollt Ihr sprechen: „Weichet aus dem Weg, daher fahr ich!“ Es ist aber ein große, schwere Sünd, das sag ich Euch fürwahr. Burger: Daß dir Gott den Ritten geb als Bauren!138 Was sagst du mir von meinem blasenden dicken Bauch? Hat dich der Teufel hier reingetragen, dass du mich willst also beschimpfen in meinem Haus? Wär es also unrecht, die Pfaffen nähmen kein Gült von geliehenem Geld. Gehe hinaus in tausend Teufel Namen! Was hab ich mit dir zu schaffen? Bäuerlein: Ei nein, ei, ei, ei Herr, Ihr wollt zürnen? Ei wohl, hören die Herrn also ungern, wenn man ihnen die Wahrheit sagt, so schlagen sie hinten und vorn aus. Als da ein Esel einen Sack mit sich trägt und wollt ihn gern abwerfen, so ist ihm doch der Sack zu schwer. Er bleibt ihm doch auf dem Hals liegen. Also bleibt dem Wucherer sein Namen auch kleiben [= kleben]. Burger: Daß dich die Drus und Beul ankomm139 ! Hätt ichs erwartet, ich hätt dir nit viel gesagt, wie ich mein Gut oder Geld bekomm. Ich mein, dass mich der Teufel mit dir hab beschissen. Bäuerlein: Ei, ei, Herr, Ihr tut, als wolltet Ihr gern zürnen. Ich mach doch nichts [anderes] aus Euer Gult, dann was es vorher ist. Burger: Sollt ich aber nit zürnen, dass du mir mein Gult willst zu Wucher machen? Und dir vorher gesagt hab: wär es Wucher oder unrecht Gut, die Pfaffen nähmen es nit. Bäuerlein: Ja, ja, Ihr macht, daß ich beinahe gern lachte. Der Pfaff darf eben alsbald in Dreck fallen als ich oder Ihr. […] Quellennachweis Mit Änderungen übernommen aus: Die Reformation im zeitgenössischen Dialog. 12 Texte aus den Jahren 1520–1525, bearb. v. Werner Lenk, Berlin 1968, S. 141 f. Literaturhinweis Ulman Weiß (Hg.): Flugschriften der Reformationszeit. Colloquium im Erfurter Augustinerkloster 1999, Tübingen 2001. Daniel Bellingradt: Die vergessenen Quellen des Alten Reiches. Ein Forschungsüberblick zu frühneuzeitlicher Flugpublizistik im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, in: Astrid Blome,
138 Bekannte Fluchformel, meint: Das Fieber geben als Bauern. 139 Fluchformel im Sinne von „dass dich das Drüsenfieber und die Beulenpest hole“.
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Holger Böning (Hg.): Presse und Geschichte. Leistungen und Perspektiven der historischen Presseforschung (= Presse und Geschichte, Bd. 36), Bremen 2008, S. 77–95. Michael Giesecke: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, unveränderter Nachdruck der gebundenen Ausgabe von 1991, Frankfurt am Main 1994. Werner Faulstich: Medien zwischen Herrschaft und Revolte. Die Medienkultur der frühen Neuzeit (1400–1700), Göttingen 1998. Jutta Krauß (Hg.): Beyssig sein ist nutz und not: Flugschriften zur Lutherzeit. Ein kurzweiliger Begleiter durch den „Blätterwald“ der Sonderausstellung vom 6. August bis zum 31. Oktober 2010 auf der Wartburg, Regensburg 2010.
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Ulrich von Hutten: Beunruhigung der Ritter
Der Reichsritter Ulrich von Hutten wurde am 21. April 1488 auf Burg Steckelberg in Schlüchtern (Hessen) geboren und verstarb am 29. August 1523 auf der Insel Ufenau im Zürichsee. Er war Dichter und pflegte humanistische Gelehrsamkeit, nahm aber auch auf politische Entwicklungen Einfluss. Zunächst dem Benediktiner-Kloster Fulda als puer oblatus (dem Kloster übergebenes, gottgeweihtes Kind) übereignet, wandte er sich bald vom Klosterleben ab. Seine Studien führten ihn durch Europa. Kaiser Maximilian I. zeichnete ihn 1517 mit der Dichterkrone als zu lobenden Dichter (poeta laureatus) aus. Hutten trat 1518 in die Dienste des Mainzer Erzbischofs Albrecht von Mainz. Dort traf er auch zum ersten Mal Erasmus von Rotterdam. Bereits während seiner ersten Italienreise hatte Hutten scharfe Kritik am weltlichen Auftreten der Vertreter der Kirche, besonders des Papsttums, geübt. In den Folgejahren verschärfte sich diese Position. In seinen Schriften trat an die Stelle einer humanistisch-aufgeklärten Kirchenkritik der Wunsch nach einem radikalen Befreiungsschlag. Trotz inhaltlicher Unterschiede galt Hutten als Unterstützer Luthers. Er fand in Franz von Sickingen einen einflussreichen Gesinnungsgenossen. Aufgrund der Entwicklungen nach dem Wormser Reichstag 1521 begann eine intensive antiklerikale Fehde. Nach der Niederlage Sickingens im Krieg gegen das Kurfürstentum und den Erzbischof von Trier floh Hutten schwer erkrankt in die Schweiz. Dort nahm sich Zwingli des Sterbenden an. Nachfolgend wird ein Brief an den Nürnberger Patrizier Willibald Pirckheimer zitiert, in welchem Ulrich von Hutten Rechenschaft über sein Leben ablegt. Und sage mir, hast Du Dir überlegt, wovon Du mich zurückhältst und wohin Du mich stellen willst? Oder vergleichst Du meine Verhältnisse mit den Deinen? Ihr in den Städten — Euch fällt es leicht, nicht nur ein friedliches, sondern auch ein geruhsames Leben zu führen, wenn das Eurem Wunsche entspricht. Glaubst Du etwa, wenn ich es wollte, ich würde jemals unter meinen Rittern die Ruhe dazu finden? Hast Du denn vergessen, welchen Störungen und
Ulrich von Hutten: Beunruhigung der Ritter
welcher inneren Beunruhigung die Menschen unseres Standes ausgesetzt sind? Denke nicht so und beurteile mein Leben nicht nach dem Deinigen. Bei uns verhält es sich so: Mag ich auch ein noch so prächtiges Erbteil besitzen, so daß ich von meinem Vermögen leben kann — dennoch sind die Beunruhigungen derart, daß sie mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Man lebt auf dem freien Lande, in den Wäldern und auf diesen Burgbergen. Diejenigen, die uns ernähren, sind ganz arme Bauern, denen wir unsere Felder, Weinberge, Wiesen und Wälder zu Lehen geben. Was an Ertrag davon eingeht, ist im Verhältnis zu der Mühe, die darauf verwendet wird, gering und spärlich. Doch ist man mit großer Sorgfalt und großem Fleiß darauf bedacht, daß er möglichst reich und lohnend ist; denn wir müssen als Haushälter sehr sorgfältig sein. Sodann müssen wir uns dem Dienst irgendeines Fürsten verdingen, von dem wir uns Schirmherrschaft erhoffen; wenn ich das nicht tue, glaubt jeder, daß er sich mir gegenüber alles erlauben dürfe, und auch wenn ich es tue, ist diese Zuversicht mit Gefahr und täglicher Furcht verbunden. Denn wenn ich aus dem Haus gehe, muß ich befürchten, denen in die Hände zu fallen, mit denen mein Fürst, mag er sein, wer er will, Händel oder Fehde hat. An seiner Stelle überfallen sie mich und schleppen mich fort, und wenn einen das Mißgeschick trifft, zahlt man leicht die Hälfte seines Vermögens als Lösegeld; und so erwächst mir Feindschaft, wovon ich mir Schutz erhofft hatte. Daher halten wir uns zu diesem Zweck Pferde, schaffen uns Waffen an und umgeben uns mit zahlreichem Gefolge, alles unter großen und drückenden Kosten. Bisweilen reiten wir wohl sogar nicht zwei Morgen weit ohne Waffen aus. Kein Dorf kann man unbewaffnet besuchen. Auf die Jagd, zum Fischen darf man nur in Eisen gepanzert gehen. Außerdem kommen häufig gegenseitige Streitigkeiten zwischen fremden und unseren Hörigen vor, und es vergeht kein Tag, an dem man uns nicht irgendeinen Streitfall berichtet, den wir sehr vorsichtig schlichten müssen. Denn wenn ich zu ungestüm das Meinige in Schutz nehme oder etwa das Unrecht ahnde, entsteht eine Fehde; wenn ich aber zu geduldig Nachsicht übe oder gar von meinem Recht abgehe, dann bin ich sogleich dem Unrecht aller ausgesetzt, denn was man dem einen zugestanden hat, das wollen dann alle als Zugeständnis für eigenes Unrecht eingeräumt haben. Und unter welchen Leuten geschehen derartige Sachen? Nicht etwa unter Fremden, mein Freund, sondern unter einander Nahestehenden, unter Verwandten und Angehörigen einer Familie, ja sogar unter Brüdern kommen sie vor. Nun, das sind unsere Annehmlichkeiten auf dem Lande, das ist unsere Muße und Ruhe! Die Burg selbst, ob sie nun auf einem Berg oder in der Ebene liegt, ist nicht zur Behaglichkeit, sondern zur Sicherheit erbaut, mit Graben und Wall umgeben, im Inneren eng, durch Stallungen für Klein- und Großvieh im Platz begrenzt; daneben finstere Kammern, die mit Kanonen, Pech und Schwefel und dem übrigen Gerät an Waffen und Kriegsmaschinen angefüllt sind; überall der Geruch nach dem Pulver der Kanonen; dann die Hunde und der Hundedreck — auch das ist ein angenehmer Duft, denke ich! Reiter kommen und gehen, unter ihnen Räuber, Diebe und Mörder; denn meistens stehen unsere Häuser allen offen, da wir entweder nicht wissen, wer der Betreffende ist, oder auch nicht viel danach fragen. Es ist das Blöken der Schafe, das Brüllen der Rinder und Bellen der Hunde zu hören, das laute Schreien der Arbeiter auf dem Felde, das Quietschen und Rattern der Karren und Wagen, ja bei uns zu Hause sogar das Heulen der Wölfe, weil die Wälder ganz nahe sind. Den ganzen Tag gibt es Mühe und Sorge für den folgenden Tag, unablässige Geschäftigkeit und beständige Unruhe: Die Äcker müssen gepflügt und wieder bestellt werden. In den Weinbergen muß gearbeitet, Bäume müssen gepflanzt und Wiesen trockengelegt werden, man muß eggen, säen, düngen, ernten und dreschen; da rücken schon wieder die Ernte und die Weinlese heran. Wenn nun ein Jahr einmal schlechten Ertrag bringt, wie es bei dem unfruchtbaren Klima
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häufig der Fall ist, dann tritt entsetzliche Not und Armut ein, so daß immer etwas da ist, was einen aufregt, stört, beunruhigt, zermürbt und aufreibt, was einen herbeiruft, wegruft oder hinaustreibt. Quellennachweis Ulrich von Huttens Schriften, hg. v. Eduard Boecking, Bd. 1, Leipzig 1859, S. 195–217 (Nr. 90). Die Übersetzung folgt: Trillitzsch, Winfried (Hg.): Der deutsche Renaissance-Humanismus, Leipzig 1981, S. 458–460. Literaturhinweis Paul Kalkoff: Ulrich von Hutten und die Reformation: eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und der Entscheidungsjahre der Reformation (1517–1523), hg. und mit einem Vorw. versehen von Christiane Beetz (Nachdruck der Orig.-Ausg. Leipzig 1920), Hamburg 2010. Martin Clauss: Ritter und Raufbolde: vom Krieg im Mittelalter, Darmstadt 2009. Werner Hechberger: Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter, München 2 2010. Thomas Kaufmann: Sickingen, Hutten, der Ebernburg-Kreis und die reformatorische Bewegung, in: Ebernburg-Hefte 49 (2015), S. 35–90 (= Blätter für Pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 82 [2015], S. 235–290). Wolfgang Breul, Generaldirektion Kulturelles Erbe (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, Regensburg 2015.
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Sebastian Münster: Der Bauernstand
Der humanistische Gelehrte Sebastian Münster wurde am 20. Januar 1488 in Ingelheim geboren und verstarb am 26. Mai 1552 in Basel. Im Orden der Franziskaner ausgebildet, wurde Münster 1509 im Kloster Rouffach Schüler von Konrad Pelikan (1478–1556). 1511 wechselte er mit seinem Lehrer an die Universität Basel und später nach Pforzheim. Dort empfing er die Priesterweihe. Nach verschiedenen Stationen im Auftrag des Ordens berief der pfälzische Kurfürst Münster 1524 als Professor für Hebräisch an die Universität Heidelberg. 1529 trat er aus dem Franziskanerorden aus und nahm einen Ruf an die Universität Basel an. Sein Hauptwerk stellt die Cosmographia dar, die 1544 in der Offizin seines Schwiegervaters veröffentlicht wurde. Damit legte Münster die erste Beschreibung der Welt in deutscher Sprache vor. Immer wieder überarbeitet, umfassen die späteren Auflagen mehr als 1.200 Seiten und 62 Karten sowie 74 Stadtansichten. Der vierte Stand ist der Stand der Menschen, die auf dem Felde sitzen, in Dörfern, Höfen und Weilern, und werden Bauern genannt, darum daß sie das Feld bauen und es zur Frucht bereiten. Diese führen gar ein schlecht und niederträchtig Leben. Es ist ein jeder von dem andern abgeschieden und lebt für sich selbst mit seinem Gesinde und Vieh. Ihre Häuser sind
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schlechte Häuser, von Kot und Holz gemacht, auf das Erdreich gesetzt und mit Stroh gedeckt. Ihre Speise ist schwarzes Roggenbrot, Haferbrei oder gekochte Erbsen und Linsen. Wasser und Molken ist einzig ihr Trank. Eine Zwillichgippe140 , zween Bundschuh und ein Filzhut ist ihre Kleidung. Diese Leute haben nimmer Ruhe. Früh und spat hangen sie der Arbeit an. Sie tragen alles in die nächste Stadt, um zu verkaufen, was sie an Nutzung überkommen haben auf dem Feld und von dem Vieh, und kaufen dagegen, was sie bedürfen, denn sie haben keine oder gar wenig Handwerksleute bei ihnen sitzen. Ihren Herren müssen sie oft durch das Jahr dienen, das Feld bauen, säen, die Frucht abschneiden und in die Scheuer führen, Holz hauen und Gräben machen. Da ist nichts, was das arme Volk nicht tun muß und ohne Verlust nicht aufschieben darf. Was solch harte Dienstbarkeit in dem armen Volk gegen ihre Oberen bringe, ist man in kurzvergangenen Jahren wohl inne worden. Es ist kein stählerner Bogen so gut, wenn man ihn zu hoch spannen will, so bricht er. Also ist es mit der Ruhe der Obrigkeit gegen die Untertanen. Quellennachweis Mit geringfügigen Änderungen übernommen aus: Sebastian Münster, Cosmographia oder Beschreibung aller Länder. Nachdruck der Ausgabe Basel 1550, hg. v. Ruthardt Oehme, Houten 1987. Literaturhinweis Günther Wessel: Von einem, der daheim blieb, die Welt zu entdecken: die Cosmographia des Sebastian Münster oder wie man sich vor 500 Jahren die Welt vorstellte, Frankfurt am Main/New York 2004. Karl Heinz Burmeister: Sebastian Münster: Versuch eines biographischen Gesamtbildes, Basel/ Stuttgart 1963.
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Pamphilus Gengenbach: Der Bundschuh
Der um 1480 in Basel geborene Buchdrucker und Schriftsteller Pamphilus Gengenbach machte sich einen Namen mit etlichen von ihm verfassten Fastnachtspielen. Er stammte aus einer Druckerfamilie und erlernte das Buchdruckerhandwerk in Nürnberg. Danach ließ er sich als Buchdrucker und -händler in Basel nieder. In seinen Fastnachtspielen nahm er offen Partei für die reformatorische Bewegung. Außerdem schrieb er satirische Dialoge, Flugschriften und Meisterlieder. Kurz vor seinem Tode 1524/25 berichtete er in seinem Werk Der Bundschuch über die Bauernaufstände, die dem großen südwestdeutschen Bauernkrieg 1525 vorausgingen. Sie fanden zwischen 1493–1517 in Südwestdeutschland statt. Dabei handelte es sich um eine Anzahl von lokalen Verschwörungen und kleineren Aufständen in Schlettstadt, Untergrombach, Lehen im Breisgau und am Oberrhein. Alle wurden niedergeschlagen.
140 Joppe, d. h. Jacke.
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Do man zahlt nach der Geburt unsers Herren Jesu Christi 1513 Johr, hat sich begeben, daß in eim Dorf, genannt Lehen, in dem Prysgöw141 gelegen, ist gewesen ein Brotbäckknecht mit Namen Hieronymus, burtig [gebürtig] aus der Etsch,142 und ein ander, Jost Frytz, der Houptsächer und Anfänger des Handels: Dies zwen sind oft und dick zusammen gangen mit etlichen Personen mehr, geredt von dem Bundschuh, wie sie den zu Wegen brächten und ihn uf das allerglimpfigest furlegten, domit er ein Furgang hätt. Und ist das ihr Furgeben gewesen: Wann sie zu eim sind kummen, der sie darzu fuglich gedunkt, sind sie mit diesen Furworten an ihn kummen: „So ferr und er ein Häling [= Geheimnis] halten wollt und ihn behilflich wollt sein, wollten sie ihm ein Ding sagen, das do göttlich, ehrlich, ihm und den Seinen und dem ganzen Land nützlich wär.“ Darzu etlicher gesprochen: „So das göttlich und ehrlich wär, wollt er ihn denn darzu behilflich sein.“ Also haben sie innen [= ihm] den Handel entblößt. Und ist dies ihr Meinung gewesen, daß sie furderhin keinen Herren mehr wollten haben und gehorsam sein, dann [= außer] allein den Kaiser und den Papst. Zu dem 2., das Holz und Wasser, auch alles Gewild sollt frei sein. Zu dem 3., daß sie alle Zins und Gult, so ihr Houptgut haben ingenon [= eingenommen], abtun und furderhin nit mehr verzinsen. Zu den 4. wellen sie machen, daß ein jeder Priester nur ein Pfrund [= Pfründe] soll haben. Zu dem 5. wellen sie Zins und Gult der Klöster, so sie zu Uberfluß haben, zu ihren Handen nähmen, damit sie und ihre Kind dester baß [ besser] auskummen mögen. Zu dem 6. wellen sie, daß niemand den andern still Recht erfordern dann vor seinem Richter, do er gesessen ist. Zu dem 7. wellen sie, daß alle Ladbrief, Mahnbrief, Bannbrief furderhin nit mehr söllen angenommen werden. Zu dem 8., daß das Rotwylisch Gericht [= kaiserliches Hofgericht zu Rottweil] kein Kraft mehr soll haben. Zu dem 9: Alle, die mit ihnen dran sagen [= seien], wellen sie bei dem Ihren lassen. Zu dem 10: Welcher sich wider ihr Furnehmen setz, wellen sie zu Tod schlagen. Die Artikel und etlich mehr, hier uf das kurzest gesatzt, haben sie einander uf der Hartmatten furgehalten, ouch do ein Houptmann, Fähnrich und Weibel [= Feldwebel] gesatzt. Und ist obgemeldter Jost Frytz, der Houptsächer, Houptmann worden und Jacob Huser Fähnrich, wiewohl er sich dessen widert [= sträubte], angesehen seiner Armut und es auch nie gebraucht hätt. Auf das ihm Jost Frytz antwort, wann ihr Furnehmen ein Furgang hätt, wund er wohl bekleidt werden. Als er sich nun des ergab, leiten [= legten] sie an ein Stur [= Steuer] zu dem Fähnlein, ratschlagten auch weiter von dem Wortzeichen, so einer zu dem andern käm. Und was [= war] das das Wortzeichen: „Guter Gesell, was ist dein Wesen? Der arman [= arm Mann] mag numme [= nicht mehr] genesen.“ Quellennachweis Mit Anpassungen übernommen aus: Pamphilus Gengenbach, hg. v. Karl Goedeke. Photomechan. Nachdruck der Ausgabe Hannover 1856, Amsterdam 1966, S. 28 f.
141 Breisgau. 142 Stoffel von Freiburg (?).
Friedrich Myconius: Spätmittelalterliche Frömmigkeit
Literaturhinweis Kerstin Prietzel: Pamphilus Gengenbach, Drucker zu Basel (um 1480–1525), in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 52 (1999), S. 229–462. Peter Blickle/Thomas Adam (Hg.): Bundschuh. Untergrombach 1502, das unruhige Reich und die Revolutionierbarkeit Europas, Stuttgart 2004. Thomas Adam: Joß Fritz – das verborgene Feuer der Revolution. Bundschuhbewegung und Bauernkrieg am Oberrhein im frühen 16. Jahrhundert, Ubstadt-Weiher 3 2013.
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Friedrich Myconius: Spätmittelalterliche Frömmigkeit
Myconius, die humanistisch gräzisierte Form von Mecum, wurde am 26. Dezember 1490 in Lichtenfels geboren und verstarb am 7. April 1546 in Gotha. Er war ein führender lutherischer Theologe. 1510 trat er in das Franziskanerkloster von Lichtenfels ein und wurde 1516 zum Priester geweiht. In Weimar begegnete er 1518 Luther und zeigte sich von dessen reformatorischen Ideen tief beeindruckt. Den Disziplinierungsmaßnahmen seines Ordens wie auch des sächsischen Herzogs Georg entzog er sich durch Flucht in das Kurfürstentum Sachsen und erhielt eine Anstellung in Gotha. Nach größeren Unruhen, dem sog. Gothaer Pfaffensturm, bemühte er sich um eine Neuordnung der kirchlichen und schulischen Verhältnisse mit Unterstützung von Luther und Melanchthon. Myconius beriet den Kurfürsten und unterstützte die kursächsische Visitation tatkräftig.
So ist’s so ein greulichs, häßlichs, unflätigs Tier gewesen, daß es auch Paulus, Daniel und Johannes in Apocalypsi143 nicht genug haben beschreiben können. Da ward Christus Leiden, Erlösen, Sterben, Genugtuen und Bezahlen gar geschwiegen und nur für ein Historia, wie des Ulyssis144 Meerfahrt, gepredigt. Von dem Glauben, dadurch man seines Leidens, Unschuld, Gerechtigkeit, Heiligkeit, Erbteils und ewigs Lebens aus lauter Gnaden teilhaft und selig wird, höret man nichts. Sondern man macht nur einen greulichen grimmigen Richter aus Christo, der alle, die nicht viel Fürbitter und der päpstlichen Werkheiligkeit hätten, verdammen und richten wollt. Da hat man an Christus Statt gemacht zu Fürbittern und Seligmachern die Jungfrau Maria, wie die Heiden ihre Dianam, darnach andre verstorbene Heilige; der kanonisiert der Papst immer mehr und mehr. Aber dennoch lehret man, daß dieselben auch nicht eher für
143 Offb. 13. Das Motiv fand reichlich Gebrauch im kontroverstheologischen Schrifttum; vgl. Hartmann Grisar S.J./Franz Heege S.J.: Luthers Kampfbilder. Bd. II: Der Bilderkampf in der deutschen Bibel (1522 ff.), Freiburg im Breisgau 1922; Frits van der Meer: Apokalypse. Die Visionen des Johannes in der europäischen Kunst, Freiburg im Breisgau 1978; Christoph Uehlinger: Drachen und Drachenkämpfe im alten Vorderen Orient und in der Bibel, in: B. Schmelz/R. Vossen (Hg.): Auf Drachenspuren. Ein Buch zum Drachenprojekt des Hamburgischen Museums für Völkerkunde, Bonn 1995, S. 55–101; Peter Martin: Martin Luther und die Bilder zur Apokalypse. Die Ikonographie der Illustrationen zur Offenbarung des Johannes in der Lutherbibel 1522 bis 1546, Hamburg 1983 (Vestigia Bibliae Band 5). 144 Odysseus.
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Voraussetzungen
uns beten, man verdienet es denn um sie und ihre Orden, die sie gestift hätten. Da war nu die Lehre, durch welcherlei Werk man’s denn verdienet. Hie ward abermal der rechten guten Werk als der zehen Gebot und was ein jeglicher in seinem Stand zu tuen schuldig ist, geschwiegen, das wurden einfach weltliche Stände und geringe, schlechte Werk geachtet. Aber dagegen erfand man neue Werk, die viel Gelds den Pfaffen und Mönchen eintrugen, und sagt, wer derselben viel tät, oder löset oder kauft sie denen ab, so sie täten, die büßeten und verglichen ihre Sünd damit, verdienten das ewig Leben; wer es aber nicht bei seinem Leben tät, der führ in die Höll und ewig Verdammnis oder ins Fegefeuer, darin er so lang braten und brennen müßte, bis daß er entweder bezahlet, oder andre Leut, die noch hie lebten, für ihn genug täten. Da gingen diese Werk in Schwang, da mußten alle und ein jedes mehr gelten denn das ganze Leiden und Unschuld Christi, als: Fasten, viel Gebetlein sprechen, viel Vater Unser, viel Ave Maria beten, ganze Rosenkränz, Rautenkreuz,145 Mäntel Mariä [Schutzmantelbilder], Ursul Gebet,146 Brigitten Gebet,147 Psalter, horas canonicas.148 In summa: Man mußt Tag und Nacht singen, plärren, murmeln, und war kein Aufhören, wider den Spruch Christi: Cum oraveritis, nolite multum loqui, sicut ethnici faciunt.149 Darnach waren da die mancherlei Pfaffen, Mönche, Nonnenorden mit mancherlei Kleidern, Ceremonien und Manier, der ein jeder lehret: wer den Orden hielt, so und so lebet und fastet, der würde selig; wer aber nicht drein kommen wollt, sollt es doch mit Geld lösen. Da kamen mehr denn die Hälft der Welt Güter an die Orden und Geistlichen, und der Papst bestätigt sie alle, nahm sie in seinen Schutz und Schirm. Da war auch das Fasten von Fleisch, Eier, Butter, Käse; wer es nicht halten kunnt, tat Sünd und mußte es mit Geld ablösen.150 Item da kam das viel Feiern, Wallfahrt gehen gen Rom, zu St. Jakob, gen Jerusalem, zu St. Katherin aufn Berg Sinai, zu St. Michel, gen Aachen, gen Fulda, zu St. Wolfgang, und ward schier kein Berg, kein Pfuhl, kein Grund, kein Tal, kein Wald, endlich auch Eich, Weide, Buche, man macht ein Wallfahrt dahin, und wenn man Geld
145 Die Raute galt schon im Altertum als ein Gegenmittel gegen Gift und Schlangenbiss und als ein Schutzmittel gegen innere und äußere Krankheiten. Das Mittelalter schrieb ihr dazu auch noch übernatürliche Wirkungen gegen sichtbare und unsichtbare Feinde und gegen den Teufel zu. Dazu musste sie aber geweiht werden. Die geweihte Raute benutzte man dann also besonders bei Teufelsaustreibungen, als Amulette und zur Räucherung. 146 Ursula, der Legende nach aus dem 4. Jahrhundert und aus Britannien stammend, lässt sich historisch nicht verifizieren. Dennoch ist der Kult im Mittelalter vor allem in Köln massiv angewachsen. Vgl. RE3 20,354 ff.; Wilhelm Levison: Das Werden der Ursula Legende, In: Bonner Jahrbücher 132 (1928), S. 1–164. 147 Brigitta von Schweden († 1373) wird seit dem Mittelalter verehrt; Barbara Günther-Haug: Birgitta von Schweden: die große Seherin des 14. Jahrhunderts, Mühlacker 2002; Bernd-Ulrich Hergemöller: Magnus versus Birgitta: der Kampf der heiligen Birgitta von Schweden gegen König Magnus Eriksson, Hamburg 2003. Zu den ihr zugeschriebenen Gebeten vgl. z. B. WA 10, 2. Abt. (1907), S. 333); sowie Gebete zu unserem Herrn Jesus Christus in seinem Leiden: der heiligen Brigitta von Schweden in der Kirche Sankt Paulus zu Rom geoffenbart, Hauteville 1985. 148 Stundengebete aus der benediktinischen Tradition. 149 Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern, wie es die Heiden tun. (Mt 6,7) 150 In der Fastenzeit war nicht nur der Genuss von Fleisch, sondern auch der mittelbar von den Tieren kommenden Speisen wie Milch, Butter, Käse, Eier (Laktizinien) verboten. Doch wurde durch den sogenannten Butterbrief von Papst Innozenz VIII. (1484–1492) an den sächsischen Kurfürsten aus dem Jahr 1491 davon dispensiert. Vgl. dazu Ernst Schubert: Essen und Trinken im Mittelalter, Darmstadt 2010.
Friedrich Myconius: Spätmittelalterliche Frömmigkeit
gab, so bestätigt’s der Papst, gab Gnad und Ablaß darzu. Da trug man Geld, Gut, Hühner, Gäns, Enten, Eier, Hanf, Flachs, Käs, Butter zu; man sang, man klang, man räuchert, darnach opfert man; und waren auch Weinschenken, Bierschenken da; da trank man denn, und das ward mit der Meß bestätigt; so hatt das Spiel sein Recht. Auch blieben Schwester Hürlein und Bruder Büblein nicht außen, das war für geringe Sünd geachtet, der Ablaß und Gnad des Papstes nahm es alles hinweg. Da waren noch neue Sacrament erdacht als Firmelung [Firmung], Ölung, Chrisam.151 Item, die Bischöfe predigten nicht, weihten aber und segneten ein Nonnen, Pfaffen, Mönche, Glocken, Kirchen, Kapellen, Bilder, Fladen, Eier, Kirchhöf etc. Darzu hatten sie große Einkommen und trug alles viel Geldes. Darnach ward viel Wesens mit den Heiltumb, Totenbeinlein; die faßt man ein in gulden, silbern und köstliche Monstranzen, Hände, Arm, Kreuz etc., gab’s unter der Meß den Leuten zu küssen; die mußten Geld geben, und glaubten dann, dieser Heilig, deß dieses Gebein, Haar, Kleid gewesen wäre, fürbittet nun bei Gott. Da waren auch schier unzählig Bruderschaften gestift, darein sich ein Rott zusammentäten, sich einschreiben ließen, hatten eigen Pfaffen, Altäre, Kapellen, Kerzen, Rauchfässer, etliche eigen Feiertag, da sie die Bruderschaft mit Meßhalten begingen, den Pfaffen opferten. Darzu war auch ein eigen Einkommen, Zins und Rent gestiftet, es sollt auch selig machen. Es mocht Mönch, Nonn geistlich werden, wer da wollt, durft Vater und Mutter dem Kind nicht wehren, und das Kind durft dem Vater und [der] Mutter nicht gehorsam sein in diesem Fall. Und die Ehelichen liefen zuweilen auch von einander: das ein ward in einem Orden geistlich, so mußt das ander wie ein Witwe allein bleiben, sich behelfen, wie es kunnt, oder mocht wieder ehlich werden. Da waren die vornehmlichsten Stück der Geistlichen, daß sie gelobten ihr Lebenlang Gehorsam, Armut und Keuschheit, und wurden diese Gelöbnis für ein höher Ding geacht, denn das ganze Leiden Christi; und wie [sie] öffentlich predigten, so sollt es vor Gott besser sein denn die Tauf selb. Es kam drüber hinaus noch dahin, daß die Pfarrmesse und Empfahung [das Empfangen] des Sakramentes für ein gering Ding geacht wurden, als die wenig nutz wären. Aber man hielt alle Tag in allen Städten, Dörfern, Schlössern, Kirchen, Kapellen etlich viel Messen, darzu eigen Pfaffen gestift worden, die ihr eigen Haus, Hof, Einkommen darzu hätten, und wurden diese Messen das mehrer Teil für die Toten und für die, so vor 200 Jahren gestorben, gehalten. Die Lebendigen gingen zum Opfer, gaben Heller, Pfennig auf den Altar; die gehörten den Pfaffen; so wurden sie der Messen auch teilhaftig. Daß allein in dieser Stadt Gotha, wie in diesem Buch zum Teil zu sehen, vierzehn Kanonikpfaffen [Domherren], vierzig Meßpfaffen, dreißig Augustinermönche, zwei Terminarienmönche, bei dreißig Nonnen, die alle mit dem Messehalten umgingen, sind gehalten worden. Man hielt sie wie die lebendigen Heiligen, als die uns mit ihren guten Werken in [den] Himmel brächten, und war doch ihr Leben das häßlichste, unflätigste Leben, als auf Erden je bei Menschen hat sein mögen. Quellennachweis Friedrich Myconius: Geschichte der Reformation, hg. v. Otto Clemen. Fotomechanischer Neudruck der Original-Ausgabe Leipzig 1914. Mit einem Nachwort von Helmut Claus, Gotha 1990, S. 6–10. Literaturhinweis Arnold Angenendt: Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 4 2009.
151 Geweihtes Öl aus Olivenöl und Balsam, zur Salbung von Täuflingen und Weihekandidaten.
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Voraussetzungen
Nr. 29
Bericht der erzbischöflichen Amtsleute: Das „tolle Jahr“ in Erfurt 1509/10
Im Jahr 1509 erhoben sich die Bürger von Erfurt gegen den Magistrat. Durch den Waidhandel und das kaiserliche Messeprivileg im 15. Jahrhundert finanziell gut gestellt, hatte der Rat etliche Infrastrukturmaßnahmen unternommen. Dazu gehörte auch der Erwerb von Burgen und Befestigungen zur Sicherung der Handelswege. Zwar waren die Auseinandersetzungen im Gefolge des sächsischen Bruderkriegs 1483 abgeklungen, aber der Verlust der Messerechte, die durch Kaiser Maximilian I. 1497 an die konkurrierende Handelsstadt Leipzig vergeben wurden, drückten erheblich auf die wirtschaftliche Lage. Hinzu kamen hohe Strafgebühren an das Erzbistum Mainz. Der drohende Bankrott der Stadt Erfurt war 1509 nicht mehr zu verheimlichen und zahlreiche Bürger machten ihrem Unmut über weitere Steuern und Abgaben zur Abwendung der Insolvenz Luft. Noch bis 1514 hielten die Unruhen an. Durch die Ereignisse des „tollen Jahrs“ war die Reputation der Stadt ruiniert. Der zu erwartende Handelskrieg mit den sächsischen Herzögen führte zu weiteren wirtschaftlichen Problemen, die erst mit dem Naumburger Vertrag von 1516 beseitigt werden konnten. Dennoch war der wirtschaftliche Schaden ungeheuer. Dem Mainzer Domkapitel wurde davon berichtet. Daraus nachfolgend ein Ausschnitt. Der Rait [= Rat] zu Erffurt hait nach etlichen Burgern zu Erffurt ge[schickt], sie vor sich uff das Raithaus kommen laissen und Ine zu erke[nnen] geben, daß sie In also ein merklich groß Schuld und Abnehmen kommen, daß sie nit Wissen oder Wege bei sich finden, dadurch solich Schuld bezahlt und der Unrait [= die Gefahr] abgewendt werden mochte, und sie gebeten, zu r[aten] und zu helffen. Daruf sich die Burger vernehmen laissen, daß sie solichs nit gern horen, dwil [= dieweil] solichs nit allein sie, sunder auch alle andere Burgere zu Erfurt betreffe. Mogen der Rait abnehmen [= einsehen], daß ihne nit wohl gezieme, sich von denselben zu sundern [= trennen] und allein In also [= solch] einen großen Handel zu gehen, und gebeten, daß der Rait zulaissen wolle, daß sie furgebracht, in den Handwerken und Vierteiln zu Erffurt zu erkennen geben mogen; wollen sie sich daruf besprechen. Und so der Rait fordern laissen werde, Ine daruf Ire Meinung zu erkennen geben. Uff dies Furgeben hait sich der Rait lang bedacht und solichs gewilliget und zugelaissen. Item demnach sind alle große Handwerk zu Erfurt, auch die Burger in den Vierteln und Pfarren in der innern Stadtmauern daselbst zusammenkommen, des Raits Offenbarung und, daß sie In also großer Schuld stehen, fast [= sehr] erschrocken und bewegt worden, und haben us ihn [= sich, aus ihrer Mitte] erwählt etliche Burgere, die zu dem Rait gehen und Ine [= dem Rat] Ire Bedenken und Meinungen zu erkennen geben sullen. Welchs sich dieselben Erwählten beschwert vernehmen laissen und gesagt Sie wissen, wie der Rait die Burger In Ihren Reden vahe [= fange], und welcher etwas rede, das Ine [= den Ratsherren] nit gefalle, wie hart dieselben gestraft werden. Haben sie die Handwerk und Vierteil gebeten, In dem [= deshalb] kein Scheuen zu tragen und dem Rate Ire Meinung zu erkennen zu geben, und ihne zugesagt, auch mit ufgereckten Fingern geschworn, daß sie dieselben handhaben [= schützen], Leib und Gut bei sie [= ihnen] setzen wollen.
Bericht der erzbischöflichen Amtsleute: Das „tolle Jahr“ in Erfurt 1509/10
Als der Rait solichs gemerkt, hait er nach etlichen Vormunden der Handwerke und andern sunderlichen Personen geschickt, die ufs Raithus fordern laissen und denselben viel subtiler [= feine] Wege furgeschlagen, alles der Meinung, daß sie die Gemeine teilen wollten. Mochten aber nit schaffen, daß also das Tun in einer Verzog gesatzt. Als der Gemein solichs zu erkennen, ward ein groß Rumor und der Rait gewarnet, wo sie [= er] die Gemein nit fordern, worden sie ungefordert kommen. Darumb der Rait die Erwählten us den Handwerken und der Gemeinde zu Erfurt uf Fritag nach Corporis Christi152 zu sich ufs Raithus bitten laissen haben. Sind wohl hundert Person gewest, vor dem Rait erschienen und, geheißen zu reden, sie seien von den Handwerken und den Vierteilen zu Erfurt gechickt, die Meinung furzutragen. Sie haben des Raits Antragen vernommen und In demselben groß Bekommernisse und Verdrieß entpfangen [= empfangen] und hätten sich des zu ihne versehen [= von ihm erwartet], daß sie [= die Ratsherren] ihne solichen Unrait zeitlicher [= rechtzeitiger] und zu der Zeit, dar [= als] sie in besserm Rait gesessen und da man hätte mogen helfen und raten, zu erkennen geben haben. Item es seien die kleinen Handwerk, auch diejenen, die vor den innersten Toren inwendig der äußern Stadtmauern wohnen, zu diesem Tun nit gefordert, daß der Rait zulaissen wolle, daß sie dieselben auch zu sich fordern und ihre Meinung in diesem [Tun] horen mogen. Item den Handwerken und den Vierteiln sei furkommen, daß der Rait 800 Mann heimlich in die Staidt, auch etliche Buchsen und andere Wehre ufs Raithus bracht haben, sei ihre Begehr, daß sie von Stund die Tore, auch die Schloß umb die Stadt bestellen wollen, und wie es mit den 800 ein Gestalt habe [= bestellt sei], ihne zu erkennen zu geben. Item dieser Handel wolle sich nit uf ein oder zwo Versammenung der Gemein enden sei, darum ihre Begehr, daß ihne der Rait erleyb [= erlaub], so oft es ihne Noit [= Not] sin werden, Sampnung [= Versammlung] zu machen. Uf solich Furbringen hat der Rait allein der 800 Mann halben alsbalde geantwort, sich entschuldigt, daß sie [= die Ratsherren] nit Wissen tragen, sich auch nit versehen hätten, daß sie bei der Gemein in den Verdacht stehen sullen und die Geschickten [= Deputierten] gebeten, sie bei der Gemein in dem [= deshalb] zu entschuldigen. Und wo derselben [= der Gemeinde] ihrer Entschuldigung nit Glauben geben, daß sie [= die Ratsherren] ihne alle des Raits Schlussel behänden und gestatten wollen, ufzuschließen. Wo sich dann also erfinden wurde [= der Verdacht bestätigen würde], wollen sie darumb Straf leiden. Haben die Geschickten wie vor [= zuvor] begehrt, die Tore und Schloß zu bestellen, ist alsobalde geschehen. Daneben haft die Gemein Bestalt [= Bestallung], daß alle Nacht bei den Toren und uf den Tormen und Mauern der Staidt gewacht würdet. Quellennachweis Theodor Neubauer: Das tolle Jahr von Erfurt, hg. v. Martin Waehler, Weimar 1948, S. 80 f. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Ulman Weiß: Das tolle Jahr von Erfurt, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 71 (2010), S. 23–35.
152 8. Juni 1509.
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Voraussetzungen
1.5
Reformtheologie des ausgehenden Mittelalters
Der sich abzeichnende Reformstau des Mittelalters ruft zahlreiche theologische Stimmen hervor, die untereinander nicht völlig übereinstimmen, in ihrer Gesamtheit aber das Klima der kirchlichen und theologischen Reformdebatten prägten. Neben Versuchen der akademisch vorherrschenden Richtung der Scholastik machte sich seit dem 13. Jahrhundert auch eine vielgestaltige Besinnung auf das Erbe der mystischen Theologie, vermittelt durch den aus Irland stammenden Gelehrten Johannes Scotus Eriugena, bemerkbar. Dazu zählt auch die intensive Rezeption der Werke Bernhards von Clairvaux und der sogenannten Oberdeutschen bzw. rheinischen Mystik. Im 14. und 15. Jahrhundert werden etliche Entwürfe einer Theologie entwickelt, die spirituelle und frömmigkeitliche Themen für den einzelnen Christen in den Blick nehmen. Neben der weit verbreiteten Vorbereitung zum Sterben (ars moriendi) wurden auch Traktate und Predigten veröffentlicht, die mit den alltagspraktischen Sorgen und Nöten der Menschen umgingen und teilweise konkrete Handlungsorientierung gaben. Im Zusammenklang mit der humanistischen Wiederentdeckung des antiken Erbes entstand eine eigentümliche Melange von konservativer Rückbesinnung und innovativer Fortentwicklung — insbesondere im Blick auf die längst fällige Reformation der spätmittelalterlichen Gesellschaft und Kirche „an Haupt und Gliedern“. Literaturhinweis Hellmut Zschoch: Die Christenheit im Hoch- und Spätmittelalter. Von der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts zu den Reformbestrebungen des 15. Jahrhunderts, Göttingen 2004. Volker Leppin: Geschichte des mittelalterlichen Christentums, Tübingen 2012. Ders.: Die fremde Reformation: Luthers mystische Wurzeln, München 2 2017. Ders.: Die christliche Mystik, München 2007. Ders.: Transformationen: Studien zu den Wandlungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und Reformation, Tübingen 2018. Berndt Hamm/Volker Leppin (Hg.): Gottes Nähe unmittelbar erfahren. Mystik im Mittelalter und bei Martin Luther, Tübingen 2007.
Nr. 30
Meister Eckhart: Vom Nutzen der Gelassenheit
Eckhart von Hochheim wurde um 1260 in der Nähe von Gotha (Thüringen) geboren und verstarb vor dem 30. April 1328 im französischen Avignon. Er zählt zu den bekanntesten Vertretern der rheinischen Mystik. Der Eckhart, wegen seines 1302 erworbenen Magistergrads auch als „Meister Eckhart“ bezeichnet, trat bereits in
Meister Eckhart: Vom Nutzen der Gelassenheit
Jugendjahren in den Prediger-Orden der Dominikaner ein. Besonders durch seine Predigten erlangte er Bedeutung und hatte eine nachhaltige Wirkung auf die deutsche Philosophie. Er bemühte sich um eine durchgängig geistliche Lebensform, die sich vor allem im Alltag zu bewähren hatte. Seine in der volkssprachlichen Predigt und in zahlreichen lateinischen Traktaten entworfene Theologie ist schon für seine Zeitgenossen erläuterungsbedürftig. Darum wurde er zum Ende seines Lebens wegen Häresie in einem Inquisitionsverfahren angeklagt. Eckhart starb vor dem Abschluss der Untersuchungen. Mit seinen deutschen Werken wendet sich der Dominikaner ausdrücklich an die „ungelehrten Leute“ (Laien). Er überschreitet damit die für die mittelalterliche Kirche und Frömmigkeit bestimmende Unterscheidung von Klerus und Laien. Vom Nutzen des Lassens, das man innerlich und äußerlich vollziehen soll: Du musst wissen, dass sich noch nie ein Mensch in diesem Leben so weitgehend gelassen hat, dass er nicht fände, er müsse sich noch mehr lassen. Der Menschen gibt es wenige, die das recht beachten und darin beständig sind. Es ist ein gleichwertiger Tausch und ein gerechter Handel: Soweit du ausgehst aus allen Dingen, so weit – nicht weniger und nicht mehr – geht Gott ein mit all dem Seinen, sofern du dich in allen Dingen des Deinen völlig entäußerst. Damit heb an und lass dich dies alles kosten, was du aufzubringen vermagst, dann findest du wahren Frieden und nirgends sonst. Die Leute brauchten nicht so viel nachzudenken, was sie tun sollten, sie sollten vielmehr bedenken, was sie sind. Wären nun die Leute und ihre Weise gut, so könnten ihre Werke hell erstrahlen. Bist du gerecht, so sind auch deine Werke gerecht. Nicht gedanke man, Heiligkeit auf ein Tun zu gründen. Man soll Heiligkeit vielmehr gründen auf sein Sein. Denn nicht die Werke heiligen uns, sondern wir sollen die Werke heiligen. Wie heilig die Werke immer sein mögen, sie heiligen uns ganz und gar nicht, soweit sie Werke sind, sondern: soweit wir Sein und Wesen haben, soweit heiligen wir alle unsere Werke, es sei Essen, Schlafen, Wachen oder was es sei. Welches Werk auch immer diejenigen wirken, die nicht großen Seines sind, es wird nichts daraus. Erkenne hieraus, dass man allen Fleiss darauf anwenden soll, gut zu sein, nicht so sehr darauf, was man tue oder welcher Art die Werke seien, sondern wie der Grund der Werke sei. Von der wahren Buße und vom seligen Leben: Es dünkt viele Leute, sie müssten grosse Werke in äusseren Dingen tun wie Fasten, Barfussgehen und dergleichen mehr, was man Busswerke nennt. Die wahre und allerbeste Busse aber, mit der man kräftig und im höchsten Masse Besserung schafft, besteht darin, dass der Mensch sich gänzlich und vollkommen abkehre von allem, was nicht völlig Gott und göttlich an ihm und an allen Kreaturen ist, und sich gänzlich und vollkommen seinem lieben Gott zukehre in einer so unerschütterlichen Liebe, dass seine Andacht und sein Verlangen zu ihm groß seien. In welchem Werk du davon mehr hast, in dem bist duch auch gerechter. Je mehr das zutrifft, um ebensoviel ist die Busse und die Reue echter, und um so mehr Sünden, ja selbst alle alle Strafe tilgt sie. Ja, fürwahr, könntest du dich rasch in Kürze so kräftig mit solchem echten Widerwillen von allen Sünden abkehren und dich ebenso kräftig Gott zuwenden und hättest du alle Sünden getan, die von Adams Zeiten an jemals geschehen sind und hinfort je
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Voraussetzungen
geschehen werden, es würde dir ganz und gar vergeben mitsamt der Strafe, so dass du, wenn du jetzt stürbest, hinführest vor das Angesicht Gottes. Dies ist die wahre Busse. Sie gründet sich insbesondere am vokkemensten [vollkommendsten] auf das kostbare Leiden, auf das vollkommene Busswerk unseres Herren Jesu Christi. Je mehr sich der Mensch in es einbildet, um so mehr fallen alle Sünden und Sündenstrafen von ihm ab. Auch soll sich der Mensch gewöhnen, sich in allen seinen Werken allezeit in das Leben und Wirken unseres Herrn Jesu Christi hinein zu bilden. In allem seinem Tun und Lassen, Leiden und Leben, halte ihn hierbei allezeit vor Augen, so wie er uns vor Augen gehabt hat. Solche Busse ist ein von allen Dingen fort ganz in Gott erhobenes Gemüt. Und diejenigen Werke, in welchen du das am meisten haben kannst und durch die Werke hast, die tu ganz freimütig. Hindert dich aber ein äußeres Werk daran, es sei Fasten, Wachen, Lesen oder was es sei, so lass freiweg davon ab ohne Besorgnis, dass du damit irgendetwas an Busswerk versäumst. Denn Gott sieht nicht an, welcher Art die Werke seien, sondern einzig, welcher Art die Liebe und die Andacht und die Gesinnung in den Werken sei. Ihm ist ja nicht soviel an unseren Werken gelegen als vielmehr nur an unserer Gesinnung in allen unseren Werken und daran, dass wir ihn allein in allen Dingen lieben. Denn der Mensch ist allzu habsüchtig, dass er sich an Gott nicht genügen lässt. Alle Deine Werke sollen damit belohnt sein, dass dein Gott um sie weiss und dass du ihn damit meinst, das ist dir allezeit genug. Und je unbefangener und einfältiger du ihn im Blick hälst, um so eigentlicher büssen alle deine Werke alle Sünden ab. Auch magst du daran denken, dass Gott ein allgemeiner Erlöser der ganzen Welt war, und dafür bin ich ihm viel mehr Dank schuldig, als wenn er mich allein erlöst hätte. So sollst du ein allgemeiner Erlöser all dessen sein, was du durch Sünden an dir verdorben hast. Und mit alledem schmige dich ganz an ihn, denn du hast mit Sünden alles verdorben, was an dir ist: Herz, Sinne, Leib, Seele, Kräfte und was an dir ist, es ist alles ganz krank und verdorben. Darum flieh zu ihm, an dem kein Gebrechen ist, sondern lauter Gutes, auf dass er ein allgemeiner Erlöser für alle deine Verderbnis an dir sei, innen und außen. Quellennachweis Meister Eckhart: Die deutschen und lateinischen Werke. Bd. 5: Meister Eckharts Traktate, hg. v. Josef Quint, Stuttgart 1963 (Nachdruck 1987). Wir folgen dem Abdruck in: Wegbereiter der Reformation, hg. v. Gustav Adolf Benrath, Wuppertal 1988 (Fotomechanischer Nachdruck der 1967 in der Sammlung Dieterich, Bd. 266 erschienenen Ausgabe der Klassiker des Protestantismus, Bremen 1967), S. 83 f., 87–89. Literaturhinweis Norbert Winkler: Meister Eckhart zur Einführung, Hamburg 1997. Kurt Flasch: Meister Eckhart. Philosoph des Christentums, München 2010. Alois Maria Haas/Thomas Binotto: Meister Eckhart der Gottsucher. Aus der Ewigkeit ins Jetzt, Freiburg im Breisgau 2013.
Johannes Tauler: Predigt über das Altarsakrament
Nr. 31
Johannes Tauler: Predigt über das Altarsakrament
Johannes Tauler wurde um 1300 in Straßburg geboren und verstarb am 16. Juni 1361 in seiner Heimatstadt. Er lehrte in Straßburg, Basel und Köln. Ebenso wie Meister Eckhart ist Johannes Tauler davon überzeugt, dass Gott in der menschlichen Seele dauerhaft anwesend ist. Das begründet seine Aufforderung zum unablässigen Bemühen um Selbsterkenntnis. Sie ermöglicht es, der Trennung von Gott entgegenzuwirken und bewirkt die „Einkehr“, mit der man sich von der Welt ab- und seinem Inneren zuwendet. Freilich bedeutet das keine Vernachlässigung der im Alltagsleben zu erfüllenden Aufgaben. Vielmehr sollen tätiges (Martha) und beschauliches Leben (Maria) eine unauflösliche Einheit bilden. Tauler ist durch seine Aufwertung der Alltagsarbeit, insbesondere der gewöhnlichen Erwerbstätigkeit, besonders einflussreich. Diese Verbindung zeichnet seine Spiritualität aus. Der nachfolgende Abschnitt aus der zweiten Predigt über die Bedeutung des Abendmahls nimmt eine alltagstaugliche Abendmahlsfrömmigkeit in den Blick.
Die zweite Auslegung von dem (heiligen Altar)sakrament lehrt vier Dinge, ohne die man nicht zum Tisch des Herrn gehen soll, und zeigt uns, wie wir frei werden müssen (unseres eigenen Selbst) in dem gleichen Maß, in welchem wir uns selbst besessen haben. „WER MEIN FLEISCH ISST und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“ Das liebenswerte Sakrament, von dem wir dieser Tage viel gesprochen haben und dessen überragende Würde alle Herzen, alle Zungen, jegliche Erkenntniskraft nicht erfassen können, ist das Ziel all unseres Eifers, denn all unser Heil und unsere Seligkeit kommt von ihm und wird durch es vollendet. Nun müssen wir die Darlegung des heiligen Bernhard vornehmen, der von einem leiblichen Essen sprach, von einem Kauen, Schlingen, von einem Kochen und Auflösen, und diese Stufen auf die heilige Speise anwandte. Wem dies grob klingt, möge sich — ich meine die Feinfühligen — vor teuflischer Hoffart hüten, denn einem demütigen Geist sind schlichte Dinge angemessen. Darum sprach unser Herr: „Ich danke dir, himmlischer Vater, daß du diese Dinge den Großen und Weisen dieser Welt verborgen und sie den Kleinen geoffenbart hast.“ Wir sollen dieses Werk mit verständigem Blick, mit großer Liebe und (Gott) lobend betrachten, in dem unser Herr so unfaßbar demütig ist, daß er sich in einer grob äußerlichen Weise uns gegeben hat, unter den Gestalten des Brotes und des Weines, und daß wir ihn mit dem Mund einnehmen wie eine leibliche Speise. Das bedeutet, daß er sich gar eng und tief in uns senken und drängen will und sich mit uns vereinen, soweit man das mit den Sinnen (und dem Verstand) erfassen kann. Er hätte sich uns in einer erhabeneren, passenderen Weise geben können, in großem Glanz und großer Herrlichkeit. Aber Sankt Hildegard schreibt, daß das alle Tage unsichtbar geschieht. Und ein ähnliches Gesicht hatte eine unserer Schwestern im Oberland. Ein unbegreiflicher Glanz umgab den Priester und den Altar; und sie hatte eine wunderbare Erscheinung von Engeln und lieblicher Dinge, die sie mit ihren leiblichen Augen sah. Aber unser Herr ist nicht auf diese Weise verfahren. Meine Lieben! So wie keine Handlung besser und nutzbringender ist (als der Empfang des heiligen Sakramentes), so ist auch nichts schrecklicher und besorgniserregender, als unwürdig und unvorbereitet zum Tisch des Herrn zu gehen.
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Nun sprach der heilige Dionysius,153 daß der Mensch, der den hochwürdigen Leib unseres Herrn empfangen wolle, vier Bedingungen erfüllen müsse: Die erste besagt: der Mensch solle frei von jeglicher Sünde sein; die zweite: er solle mit den Tugenden unseres Herrn Jesus Christus bekleidet sein; die dritte: der Mensch müsse seines eigenen Selbst verlustig gegangen und in Gott versetzt sein; die vierte: daß er ein Tempel Gottes werde. Wir wollen jetzt genauer sagen, wie man ohne Sünde sein könne. Wenn ein Mensch seine Sünden in seinem Innern erkennt, sie beichtet, eine Buße empfängt und alles tut, was die heilige Kirche in dieser Hinsicht vorschreibt, wenn er dann aus gründlicher Erkenntnis seiner Sünden in der Tiefe seines Inneren sie beseufzt, so läutert ihn das mehr als Lesungen und Gebet. So wird er seiner Sünden ledig, zusammen mit dem festen Willen, Sünde und Ursachen derselben zu meiden. Die zweite Bedingung besteht darin, daß der Mensch die Tugenden unseres Herrn Jesus Christus an sich nehme: die Demut, Sanftmut, den Gehorsam, die Lauterkeit, Geduld, Barmherzigkeit, das Schweigen, die Nächstenliebe, und was dergleichen Tugenden mehr sind. Die dritte Bedingung ist folgende: wenn ein Mensch in vorgenannter Weise mit Tugenden bekleidet ist, wird er seines eigenen Selbst entäußert und wird damit in einen innerlichen göttlichen Frieden eingeführt. Da geht ihm die Bedeutung des Wortes auf, das unser Herr sprach: „Wer mich ißt, bleibt in mir und ich in ihm.“154 Ach, diesen Frieden soll der Mensch mit allem Fleiß hüten, auf daß weder Worte noch Werke ihn zerstreuen und er nicht verzage. Nicht von einem mit den Sinnen faßbaren, natürlichen Frieden ist hier die Rede, sondern von einem inneren Frieden des Geistes, einem göttlichen Frieden. Soviel man in Gott ist, so viel (dieses) Friedens besitzt man; soviel man außerhalb Gottes lebt, so viel des Unfriedens ist in einem (solchen) Menschen. Ist etwas des Seinigen in Gott, so hat es Frieden, wenn außer Gott, dann Unfrieden. Gelangt der Mensch zu diesem Frieden, so wird er im eigentlichen und wahren Sinn ein Tempel Gottes. „In pace, das heißt im Frieden, ist seine Wohnstatt“ (Ps. 75, 3). Er ist wirklich ein Tempel des Heiligen Geistes. Das ist die vierte Bedingung: Dann nämlich wirkt Gott alle des Menschen Handlungen in ihm und durch ihn, und der Mensch tut nichts aus sich selbst; sondern Gott wirkt, und der Mensch ist nur das Werkzeug, durch das Gott wirkt. Wir kehren zu Sankt Bernhards Worten zurück: „Wenn wir ihn essen, werden wir von ihm gegessen.“ Gott ißt uns durch die Züchtigung unseres Gewissens, die Gewissensbisse. Gott will uns aber nicht allein strafen, er will, daß wir von allen Geschöpfen gestraft werden. So wird der Mensch gejagt gleich einem wilden Tier, das man dem Kaiser zum Geschenk machen will; es wird gejagt, zerrissen und gebissen von den Hunden; und das ist dem Kaiser viel lieber, als wenn man es ohne Wunden gefangen hätte. Gott ist der Kaiser, der diese erjagte Speise verzehren will. Er besitzt auch seine Jagdhunde; der Feind jagt den Menschen mit mancherlei Anfechtungen; er schleicht von überallher in dich hinein, auf jegliche Art und jagt dich mit vielerlei Versuchungen: bald ist es Stolz, Geiz, Laster jeglicher Art, bald auch Entmutigung oder ungeordnete Traurigkeit. Halte du aus, es wird dir nichts schaden: du mußt gejagt werden.
153 Der Name kann hier dreifach aufgelöst werden: Zum einen ist es der Name eines von Paulus anlässlich seiner Rede auf dem Aeropag in Athen bekehrten Beisitzers. Er wurde später der erste Bischof von Athen. Zum anderen ein um das Jahr 500 wirkender anonymer Philosoph und Theologe, der den Namen und die Identität des Athener Areopagiten für sich in Anspruch nahm. Daher die moderne Bezeichnung PseudoDionysius Areopagita. Zum dritten wurde im Mittelalter im Anschluss an Hilduin von Saint-Denis, auch Dionysius von Paris, ein Märtyrer des 3. Jahrhunderts mit dem Athener Bischof gleichgesetzt. 154 Joh. 6,56.
Johannes Tauler: Predigt über das Altarsakrament
Dann kommen die ungestümen Leute mit harten Scheltworten, die dich verurteilen und dich jagen; und (schließlich) deine eigenen Gebrechen, deine natürlichen Neigungen. […] Meine Lieben! Versteht mich recht, und sagt nicht, ich habe euch das Sakrament und das Wort Gottes verboten! Wahrlich, nein! Im Gegenteil! Auf den beiden ersten Stufen ist nichts einem wahren und lebendigen Fortschritt nützlicher als das heilige Sakrament und das Wort Gottes. Aber auf der dritten Stufe ist jegliche Hilfe ein Hindernis. Und sucht der Mensch solcherart Hilfe, so tut er, als kehre er Gott den Rücken und den Nacken zu und spräche: „Ich will nichts mit dir zu tun haben, ich will mich anderswo umsehen.“ Für unseren Herrn ist das, als ob er aufs neue gekreuzigt würde, da er sein Werk in dir nicht vollenden kann. Oh, um welch großes, unermeßliches Gut hast du dich hier gebracht! Jetzt nehmen wir uns des heiligen Bernhard Wort wieder vor: Ach, wo nimmt dieses Leid ein Ende? Wohin gelangen die, welche unter dieser Entblößung und diesem Druck stehen? Ach, ihr Lieben! Welch köstliches Ende! Sie werden überformt und mit Gott vereinigt. Das versichert uns Sankt Paulus, der edle Kirchenfürst, der es in der Schule der Wahrheit gelernt hat, in der Schule des dritten Himmels, im Spiegel der göttlichen Wahrheit. Er sagt: „Wir werden von Herrlichkeit zu Herrlichkeit zu demselben Bilde (des Herrn) gestaltet. Das kommt vom Geist des Herrn.“155 Wie der Geist den Menschen anzieht und ihn in sich umwandelt – so wie er zu Sankt Augustinus sprach: „Du sollst in mich verwandelt werden“ –, wie diese Umwandlung vor sich geht, können nur die wissen, die das erlebt haben. Das kann nicht in der Ungelassenheit geschehen, sondern (nur) in lauterer Gelassenheit. Es gibt Menschen, die noch in den Übungen der Anfangenden stehen und in die diese Überformung hineinleuchtet, gleichsam in einem übernatürlichen Blick, etwa einmal vielleicht in der Woche oder auch mehrmals, so wie es Gott ihnen gibt, und in dem Maße, wie es von ihnen aufgenommen wird, zuweilen mit deutlicher Erkenntnis, zuweilen ohne diese in Dunkelheit. In solchem Zustand ihrer Seele empfangen diese Menschen die Berührung der verwundenden Liebe, andere werden hereingenommen und gebunden durch die gefangene Liebe. Was sich in dieser Gefangenschaft ereignet, das ist besser zu erfahren, als darüber zu sprechen; solche Menschen werden dann die besonnensten und die geordnetsten aller Menschen. Könnten wir (doch) alle dahin gelangen. Dazu helfe uns Gott. AMEN. Quellennachweis Johannes Tauler: Predigten. Bd. 1. Übertragen und herausgegeben von Georg Hofmann, TrierEinsiedeln: Johannes Verlag 3 1987, S. 215–224. Literaturhinweis Stefan Zekorn: Gelassenheit und Einkehr. Zu Grundlage und Gestalt geistlichen Lebens bei Johannes Tauler, Würzburg 1993. Bernard McGinn: Die Mystik im Abendland. Bd. 4: Die Mystik im mittelalterlichen Deutschland (1300–1500), Freiburg 2008, S. 412–502. Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Bd. 3: Die Mystik des deutschen Predigerordens und ihre Grundlegung durch die Hochscholastik, München 1996, S. 476–526. Volker Leppin: Externe Personkonstitution bei Johannes Tauler, in: Günther Mensching (Hg.): Selbstbewußtsein und Person im Mittelalter, Würzburg 2005, S. 55–64.
155 1. Kor. 3,18.
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Voraussetzungen
Nr. 32
Theologia Deutsch: Von Christi Leben und dem wahren Lichte
Bei der unter dem später von Luther genannten Titel Theologia Deutsch verbreiteten Schrift handelt es sich um einen deutschsprachigen Text des 14. Jahrhunderts. Er wurde von einem anonymen Verfasser, der möglicherweise als Deutschordenpriester der Kommende im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen identifiziert werden kann, verfasst. Der Text bietet eine spiritualisierte Frömmigkeit, wie sie zuvor in Werken von Meister Eckhart und Johann Tauler sowie anderen Vorgängern der mystischen Theologie ihren Ausdruck fand. Martin Luther gab diesen Text zweimal heraus (1516 und 1518) und kommentierte ihn. Das achtzehnte Capitel. Wie das Leben Christi sei das edelste und beste Leben, das je war und immer werden kann, und wie das sorglose, falsche, freie das allerböseste Leben sei. In ganzer Wahrheit soll man wissen und glauben, daß kein so edles und gutes und auch Gott so liebes Leben ist, als das Leben Christi, und ist doch aller Natur und Selbstheit das bitterste Leben. Aber das sorglose, freie Leben ist aller Natur, Selbstheit und Ichheit das süßeste und angenehmste Leben. Es ist aber nicht das beste. Es kann auch in etlichen das böseste Leben werden. Aber wiewohl das Leben Christi das bitterste ist, so ist es doch das allerliebste. Das soll man merken. Es ist eine Erkenntnis, dadurch wird erkannt das wahre, einfältige Gut. Und dasselbe Gut ist weder dies noch das, sondern es ist das, wovon Sankt Paulus sprach: Wenn das Vollkommene und das Ganze kommt, so wird alle Teilung und Unvollkommenheit zunichte. Damit meint er, daß das Ganze und Vollkommene alle Teilung übertrifft und daß alles Geteilte und Unvollkommene nichts sei gegen das Vollkommene. Also wird auch alle Erkenntnis der Teile zunichte, wenn das Ganze erkannt wird. Und wo das Gut erkannt wird, da muß es auch begehrt und geliebt werden, so daß alle andere Liebe, womit der Mensch sich selber und andere Dinge lieb gehabt hat, ganz zunichte wird. Und diese Erkenntnis erkennt auch das Beste und das Edelste in allen Dingen und hat es lieb in dem wahren Gut und um anders nicht als um das wahre Gut. Sieh, wo diese Erkenntnis ist, da wird wahrlich erkannt, daß Christi Leben das beste und das edelste Leben ist. Und darum ist auch das allerliebste und wird gern gehabt und getragen und (es) wird nicht gefragt oder gesorgt, ob es der Natur oder sonst jemand wohl oder wehe tue, lieb oder leid, sauer oder süß oder desgleichen. Und darum, in welchem Menschen dies vollkommene und wahre Gut erkannt wird, da muß auch das Leben Christi sein und bleiben bis in den leiblichen Tod. Und wer anders wähnet, der ist betrogen. Und wer anders sagt, der lügt. Und in welchem Menschen das Leben Christi nicht ist, da wird auch das wahre Gut und die ewige Wahrheit nimmermehr erkannt. Das neunzehnte Capitel. Wie man zu dem wahren Licht und zu Christi Leben nicht kommen kann mit vielen Fragen oder Lesen oder mit hoher natürlicher Kunst und Vernunft, sondern mit einem Verleugnen seiner selbst und aller Dinge. Niemand soll denken, daß man zu diesem wahren Licht und vollkommener Erkenntnis kommen könne oder zu Christi Leben mit vielen Fragen oder von Hörensagen oder mit Lesen und Studieren noch mit hoher Kunst und großer Meisterschaft oder mit natürlicher Vernunft. Ja, solange der Mensch von einem etwas hält oder etwas in seiner Liebe, Begierde oder Meinung
Johann Pupper von Goch: Über die vier Irrtümer hinsichtlich des evangelischen Gesetzes
oder Gesuch handelt oder zu Händen hat, das dies oder das ist, es sei der Mensch selber oder die Kreatur, es sei, was es sei, so kommt er hierzu nicht. Dies hat Christus selber gesprochen. Er spricht: „Willst du mir nachfolgen, so verleugne dich selbst und folge mir nach; und wer nicht sich selbst und alle Dinge verläßt und aufgibt, der ist mein nicht würdig und kann auch mein Jünger nicht sein.“ Damit meint er: Wer nicht alle Dinge verläßt und verliert, der kann mich, die ewige Wahrheit, nimmer erkennen noch zu meinem Leben kommen. Und wäre dies nicht durch Menschenmund gesprochen, so spricht es doch die Wahrheit in sich selber, denn es ist in der Wahrheit also. Aber solange der Mensch die Teile und die Stücke und allermeist sich selber lieb hat und damit umgeht und etwas davon hält, so (lange) ist er betrogen und wird so gar blind, daß er von keinem Gutem mehr weiß, außer was ihm für sich selber und zu dem Seinen, (dem) Allernützesten, Bequemsten und Allerangenehmsten ist. Das hält er für das Beste und ist das ihm Allerliebste. Also kommt er nimmer zu der Wahrheit. Quellennachweis Theologia Deutsch. Eine Grundschrift deutscher Mystik, hg. und eingeleitet von Gerhard Wehr, Freiburg im Breisgau 1980, S. 57–60. „Der Franckforter“: Theologia Deutsch. In neuhochdeutscher Übersetzung hg. und mit einer Einleitung versehen von Alois M. Haas. Johannes Verlag (Christliche Meister 7), Freiburg im Breisgau 2 1993. Literaturhinweis Lydia Wegener: Der ‚Frankfurter‘/‚Theologia deutsch‘. Spielräume und Grenzen des Sagbaren, Berlin/Boston 2016. Volker Leppin: Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln, München 2016, S. 35–43. Andreas Zecherle: Die Rezeption der „Theologia Deutsch“ bis 1523: Stationen der Wirkungsgeschichte im Spätmittelalter und in der frühen Reformationszeit, Tübingen 2019.
Nr. 33
Johann Pupper von Goch: Über die vier Irrtümer hinsichtlich des evangelischen Gesetzes
Johann Pupper von Goch (auch: Johann von Mecheln) wurde um 1410 in Goch am Niederrhein geboren und verstarb am 28. März 1475 in Thabor bei Mecheln. Er zählt zu den wirkmächtigen spätmittelalterlichen Theologen, die zahlreiche Ansätze zur überfälligen Kirchenreform öffentlich vortrugen. 1451 gründete er ein AugustinerCanonissen-Priorat unter dem Namen Thabor bei Mecheln. Seine Werke wurden ab 1520 von Cornelius Grapheus (1482–1558), einem niederländischen Vertreter des Späthumanismus, herausgegeben. Scharf kritisierte Johann Pupper darin die Vorstellung einer menschlichen Eigenleistung, die zum Heil beitragen könnte, und akzentuierte Gottes freie Annahme. Seine Theologie lässt sich mit dem Votum „Von Gott, durch Gott, zu Gott“ treffend zusammenfassen.
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Voraussetzungen
[…] Es sind also vier Arten von Irrtümern anzutreffen, die seit dem Beginn des christlichen Lebens die Liebe des evangelischen Gesetzes verdunkelt und den Frieden der Christen nicht wenig verwirrt haben. […] Der erste ist der Irrtum jener, die da behaupten, zusammen mit dem evangelischen Gesetz, das Christus seinen Nachfolgern mit maßvollen Geboten und einigen wenigen Sakramenten als ein freies Gesetz hinterlassen hat, sei auch die beschwerliche Knechtschaft des mosaischen Gesetzes notwendig zum Heil. Jene scheinen sich auf den Satz des Heilands stützen zu können: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen“ (Mt. 5, 17). Ihrer Meinung nach soll man das so verstehen, daß es für jedermann notwendig sei, die vollkommeneren Gebote des evangelischen Gesetzes zu halten, ohne doch die im vollkommeneren des mosaischen Gesetzes zu mißachten. Aber diesem Irrtum hält der Apostel Paulus in seinen überaus tiefsinnigen Briefen an die Römer und an die Galater unwiderlegbare Sätze entgegen und schließt den Zweifel aus. Der Apostel legt nämlich dar, daß die Beachtung des evangelischen Gesetzes nicht allein nur hinreichend sei, sondern auch, daß sie allein hinreichend sei zur ganzen Vollkommenheit des christlichen Lebens. Die Beachtung des mosaischen Gesetzes dagegen, welches zu seiner Zeit eine gewisse Kraft besaß, trage zur Vollkommenheit des christlichen Lebens nicht nur nichts bei, sondern sei ihr in vielem zuwider […]. Die zweite Art von Irrtümern findet sich bei denjenigen, welche die Vollkommenheit des christlichen Lebens allein in den Glauben verlegten und meinten, die Werke des Glaubens seien für sie nicht notwendig, so daß sie glaubten, denjenigen, die an Christus glauben und das Gut des Glaubens haben, sei alles übrige freigestellt. Jene scheinen sich auf den Satz des Heilands stützen zu können: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig“ (Mk. 16, 16). Diesen Irrtum widerlegt der Apostel vielfältig, wenn er zu den Galatern (5, 13) sagt: „Ihr seid zur Freiheit berufen. Allein, sehet zu, daß ihr durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebet, sondern durch die Liebe des Geistes diene einer dem andern.“ Und wenn er spricht: „Ihr seid zur Freiheit berufen“, so zeigt er das Gut des Glaubens, welches durch die Gnade Christi in den Geist der Gläubigen eingegossen wird. Denn so wie allein die Liebe, welche die Gläubigen zum Glauben an Christus bringt, den Affekt des Geistes von jeglicher Kreatur reinigt, so befreit sie auch den in Gott Freigemachten. […] Die dritte Art von Irrtümern ist bei denjenigen zu finden, die zwar glauben, daß zur Vollkommenheit des christlichen Lebens beides notwendig ist, sowohl der Akt des inneren Wollens als auch des äußeren Wirkens, aber sie scheuen sich nicht, ruchlos zu lehren, daß die natürlichen Kräfte des freien Willens oder auch die natürliche Fähigkeit der menschlichen Natur ohne die Hilfe der göttlichen Natur dazu genügen. Dies war die Häresie des Pelagius. Obwohl sie durch die Kirche verdammt und durch viele Schriftzeugnisse widerlegt ist, sind doch gewisse Überbleibsel in den Herzen mancher anzutreffen, welche die Betätigung der Tugenden nicht der göttlichen Gnade allein zuschreiben, sondern, mehr als billig, ihr Vertrauen auf das Vermögen der natürlichen Fähigkeiten setze. Gegen diese richtet sich aber das Wort des Apostels „Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen“ (1. Kor. 15, 10). […] Aus allen vorigen Darlegungen kann man klar erkennen, daß die natürliche Fähigkeit der Menschen zwar eine gewisse Kraft zu natürlichen Akten besitzt, dass sie aber für die übernatürlichen Akte, wodurch die Seele zum Leben der ewigen Seligkeit bereitet wird, nichts vermag ohne die Hilfe der Gnade. […] Die vierte Art von Irrtum ist bei jenen anzutreffen, die zwar glauben, daß zur Vollkommenheit des christlichen Lebens sowohl der Glaubensakten Wollens als auch des äußeren Wirkens notwendig ist, aber darin irren, daß sie behaupten, zu der vollkommeneren Werken des evangelischen Gesetzes genüge die Freiheit des Geistes nach der inneren Regung des Glaubens nicht,
Johann Geiler von Kaysersberg: Über die Reformation der Kirche
vielmehr scheuen sie sich nicht, ruchlos zu lehren, hierzu sei ein Gelübde notwendig, so daß sie die evangelische Freiheit zu einer zwingenden Knechtschaft machen und sich damit, wie man finden kann, nicht weit von dem Aberglauben der Pharisäer entfernen. Die ist der Irrtum unserer Zeit, ein Irrtum, der mit der Häresie des Pelagius offenkundig übereinstimmt. Denn sie hat sich in ihrem Wahnwitz dahin verstiegen, dass die Gnade zu den Werken der Tugenden der ewigen Seligkeit nicht notwendig sei, dass vielmehr allein das natürliche Vermögen des Willens dazu hinreiche. Wenn man diesen Irrtum genau betrachtet, so erkennt man, dass ihm zufolge die Gnade Gottes, obgleich er sie für solche Werke notwendig hält, an sich hierfür nicht hinreicht. Quellennachweis Wegbereiter der Reformation, hg. v. Gustav Adolf Benrath, Wuppertal 1988 (Fotomechanischer Nachdruck der 1967 in der Sammlung Dieterich, Bd. 266 erschienenen Ausgabe der Klassiker des Protestantismus, Bremen 1967), S. 429–432. Literaturhinweis Gustav Adolf Benrath (Hg.): Reformtheologen des 15. Jahrhunderts: Johann Pupper von Goch, Johann Ruchrath von Wesel, Wessel Gansfort, Gütersloh 1968.
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Johann Geiler von Kaysersberg: Über die Reformation der Kirche
Johann Geiler von Kaysersberg wurde am 16. März 1445 in Schaffhausen (Schweiz) geboren und starb am 10. März 1510 in Straßburg. Er zählt zu den herausragenden Predigern des Spätmittelalters. In seinem Werk verbinden sich Reformgedanken mit einer strukturkonservativen und der Kirche gegenüber loyalen Haltung. Johann Geiler studierte zwischen 1460 und 1471 an der Universität Freiburg im Breisgau. Nach Erlangung der Würde eines Magister Artium wurde er in den Rat der Artistenfakultät aufgenommen und leitete zeitweilig als Dekan die artistische Fakultät. 1470 zum Priester geweiht, studierte er von 1471–1475 Theologie an der Universität Basel. Dort wurde er 1475 zum Doktor der Theologie promoviert. Ein Jahr später wurde er Professor für Theologie ebendort und übernahm auch das Amt des Rektors der Universität. Von 1478 bis zu seinem Lebensende wirkte er, seine akademische Karriere gänzlich aufgebend, als sehr erfolgreicher Prediger in Straßburg. Geiler bereitete seine Predigten in lateinischer Sprache vor, hielt sie dann allerdings zum größten Teil auf Deutsch. Mehrere Hörer schrieben die Predigten nieder, sodass sich Geilers Autorschaft kaum zweifelsfrei nachweisen lässt. Dabei beschränkte sich Geiler nicht nur auf die Auslegung der Predigtperikopen, sondern thematisierte kirchliche Mißstände, nahm Bezug auf Sebastian Brants Narrenschiff, stützte Hexenverfolgungen, wandte sich gleichzeitig aber auch gegen Magie und Aberglauben. Nachhaltig wirkte Geiler außerdem als Mitherausgeber und Übersetzer der Schriften von Jean Gerson. Das Grab von Johann Geiler von Kaysersberg befindet sich direkt unter der für ihn errichteten Kanzel des Straßburger Münsters. Der folgende Ausschnitt stammt aus einer Synodal-Predigt vom 18. April 1482.
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Du begehrst in der Nachfolge des wahren Hirten eine Reformation. Denn du fängst auch an nach der Ordnung, wie unser Herr hat angefangen, das ist: bei den Geistlichen, Denn da unser Herr wollte das jüdische Volk, auch den ganzen Umkeis der Welt, reformieren, da ist er mittein in der Welt gestanden und ist zum allerersten in den Tempel gegangen, und entflammt und verzehrt von der Liebe und Inbrunst zu dem Hause des Herrn, hat er angefangen, hinauszutreiben die Käufer und Verkäufer im Tempel und sprach: „Mein Haus ist ein Haus des Gebetes, ihr habt aber eine Mörder- und Räuberhöhle oder -grube daraus gemacht.“156 Damit hat er angezeigt, dass eine Reformation bei den Geistlichen beginnen soll. […] Ich würde fürbaß stillschweigen und will etliche Dinge, die da nötig wären zu sagen, abschneiden, wie zum Beispiel von den elenden und erbärmlichen Versäumnissen und der Übertretung in diesem deinem Domstift, an deinem Gericht in der Stadt Straßburg, von dem Geschwätz während der Gottesdienste, was nicht geringer ist als das der Weiber auf dem Markte, zuweilen durch die Vikare, meine Mitbrüder im Chor, zuweilen durch die Herren, die Domherren oben auf dem Lettner, die da oben so oft und heftig auftreten, dass die Priester, welche die heilige Messe lesen, gestört und verhindert werden, was fürwahr ihrem hochund wohlgeborenen Adel nicht ziemt. Diese Stätte heischt und erfordert andere Sitten und Gebärden als Hadern und Streiten. Ich will schweigen von der Verachtung und Verwahrlosung der Bibliothek und der köstlichen Bücher. Ich schweige auch von dem elenden und unordentlichen Gesang, sofern man es überhaupt Gesang nennen kann, und dass allein die Kinder singen, während die anderen ganz stillschweigen oder schwatzen. O Gott, kein Prälat straft das, und warum nicht? Weil sie von derselben Strafe betroffen wären. Ich will auch jetzt nichts sagen von dem Mutwillen und von der Übertretung deines Gerichts oder Hofgerichts und von den Hofleuten, von der Verbannung um geringer und ganz belangloser Sachen willen, von dem Verkaufen der Satzung des geistlichen Rechts, dass, wenn man Geld gibt, man ohne echte Ursache zu verbotenen Zeiten die Ehe bestätigen und herrlich zur Kirche gehen und vieles anderes tun kann, was jetzt zu erzählen nicht statthaft ist. Denn ich will nichts sagen von der bösen Entehrung dieser Stätte und von den Statuten und der Ordnung der Laien wider die geistliche und der Kirchen Freiheit, auch wider die Ehre Gottes, zuweilen durch das Brechen der gebannten Tage mit Kaufen und Verkaufen und Dienst- und Knechtsarbeit, zuweilen duch heidnische Gebräuche innerhalb und außerhalb der Kirche, was ich in meinen Predigten vor dem Volk oft und streng gescholten und verworfen habe, Gewohnheiten, von denen etliche mit Gottes Gnade abgetan sind, noch aber sind etliche vorhanden. Auch von dem Statut und der Satzung, dass niemand Vollmacht hat, ein Testament und letzten Willen aufzurichten. Niemand, der in einen Orden eintreten will, darf dem Kloster etwas geben außer einer bestimmten Summe seiner Güter. Was würde ich – wenn ich es sagen wollte – davon sagen, dass die Männer in der Frauen Klöster und dass die Frauen in der Mönche Klöster gehen, daher schreckliche, abscheuliche, greuliche Ertötung und Erstickung der Leibesfrucht geschieht, die noch nicht an das Licht geboren ist. Ich hätte mir vorgenommen, von allem diesen und vielen anderen Sachen zu reden, aber siehe, es fehlt mir an Zeit, und wir warten deiner Rede. Darum so rede, und zeige uns deine Hände und deine Seite. Sag etwas zur Reformierung der Geistlichkeit. Zeig uns auch die Seite deines großen ernstes, den du hast zur Reformierung der Geistlichekeit, und breite aus die Hände der Vollstreckung und der Vollendung. Was würde es sonst Frucht bringen und nützlich sein, neue Statuten zu den alten aufzurichten, so weder die alten noch die neuen gehalten werden? Es tut not,
156 Math. 21,13.
Johann von Paltz: Die vierte Predigt von der Heiligen Ölung
dass die Hand zu dem Mund getan wird, das ist: dass die Werke zu den Worten, die Vollstreckung und der Nachdruck zu dem Gebot komme, so dass nicht die Stimme die Stimme Jakobs sei und die Hand Esaus Hand.157 Darum so sage, du allerfleißigster Bischof, du guter Hirt oder Herr, die Dinge, die du dir vorgenommen hast zu sagen, denn ich will nun fürbass schweigen, denn die Dinge, die ich in mir gehabt habe, die habe ich auf dein Geheiß ausgesprochen. Quellennachweis Ein heilsam trostliche Predigt Doctor Johans Geiler von Keisersperg … uß wolhziertem Latein durch Jacobum Wimpflingen … Strassburg 1513, S. V. und XI; wir folgen dem Abdruck in: Wegbereiter der Reformation, hg. v. Gustav Adolf Benrath, Wuppertal 1988 (Fotomechanischer Nachdruck der 1967 in der Sammlung Dieterich Bd. 226 erschienenen Ausgabe der Klassiker des Protestantismus, Bremen 1967), S. 239–241. Literaturhinweis Uwe Israel: Johannes Geiler von Kaysersberg (1445–1510). Der Straßburger Münsterprediger als Rechtsreformer, Berlin 1997. Rita Voltmer: Wie der Wächter auf dem Turm. Ein Prediger und seine Stadt. Johannes Geiler von Kaysersberg (1445–1510) und Straßburg, Trier 2005.
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Johann von Paltz: Die vierte Predigt von der Heiligen Ölung
Johannes von Paltz wurde um das Jahr 1445 in Pfalzel bei Trier geboren und verstarb am 13. März 1511 in Mühlheim bei Koblenz. Er wirkte als deutscher Theologe und Mitglied des Augustinereremitenordens. Er übernahm das Amt eines Magister regens am Studium Generale der Erfurter Augustiner und war als solcher von 1505–1506 auch einer der Lehrer Martin Luthers. Paltz geht davon aus, dass nur die wenigsten Christen ihr Heil durch eigene Frömmigkeitsleistungen sichern können. Er repräsentiert eine Strömung der spätmittelalterlichen Frömmigkeitstheologie, die vor allem die objektive Heilsteilhabe an der Kirche akzentuiert. Dazu verweist er auf die heilssichernde Funktion der Kirche und der von ihr verwalteten Heilsmittel, wie Sakramente, Ablässe, Marienverehrung und Pilgerwesen. Sein Hauptwerk, die Himmlische Fundgrube, nimmt im Titel ein Motiv der Bergwerkskunde auf. Im ersten Teil wird eine Meditation über das Leiden Christi geboten. Der zweite Teil enthält eine Abhandlung über mögliche Anfechtungen, und enthält im dritten Teil eine ausgeführte Sterbekunst. Der hier vorgestellte vierte Teil nennt Nutzen und Wirkung des Sakraments der heiligen Ölung.
157 Gen 25.
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vierd predig ist von der heiligen olung, die den kranken gros hilf tut an Leib und an sele Der heilig lerer sanctus Thomas158 in dem virden buch uber den Meister von den hoen sinnen,159 in der XXIII distinction, spricht, „das ein iglich sacrament ist gesatzt umb eins sonderlichen grossen nutz willen, welchen nutz, so ein mensch den begrifft, so kommen im vil ander nutz dorvon“.160 Der erste nutz und fruchtberkeit der heiligen olung ist gesuntmachung der sele von der krankheit, die bleiben ist von der sund. Auf das du magst das vernemen, so soltu merken: Wan ein mensch hat ein todtsund getan, so stirbt die sele. Wan er reu und leid hat umb sein sund und beicht die, so wurt sein sele von dem tod aufgewecket, aber sie beleibt noch krank, welche krankheit mag genennet werden ein hofstat der sunde und ist nit anders dan ein unschicklickeit der sele, davon sie schwer ist zu dem guten und leicht zu dem bosen. Wider die krankheit der sele hat Cristus ein eigen sacrament eingesatzt, der heilgen olunge, und hat das eingesetzt fur die kranken, die man furchtet zu sterben und nit fur die gesunden, wan die gesunden sollen sich uben in den werken der buß. Domit mugen sie auch die krankheit der sele gesunt machen als mit fasten, wachen, betten, meß horen und predig horen, mit der anrufung der muter gots und der lieben heiligen, mit betrachtung deß leidens Cristi, mit almusengeben oder des geleichen, in welchen werken die recht kranken sich nicht mugen uben, Darumb hat sie Christus, unser herr, mit disem sacrament begabt. Der ander nutz und fruchtbarkeit der heiligen olunge, die do folget aus dem ersten nutz, ist vergebung etlicher todsunde, die der krank nit genug gereuet hat oder nit erkennen kan, wan es mag zu zeiten kamen, das einer beicht, wan er anhebet krank zu werden und hat nicht als vil reu als im not were und tut auch nit als vil darzu als er woll mochte, dodurch got ein verdris hat und zu zeiten im in der beicht sein sund nicht vergibt umb seiner grossen tragkheit willen. Wo der selbe kranker wurd und wurde geolet, so vergibt im got erst sein sund durch die olung, die er im vor nicht vergeben het, wann die olung ist ein sacrament der kranken, von den got nit so groß bereitung fordert als von den gesunden. Aus dem folget noch der lere Petri de Palude,161 das zu zeiten einer ewig verdampt wurt, der also stirbet on die olung und wan er geolet were worden, so wer er selig worden. Wann das sacrament, als sant Thomas spricht, macht, das des menschen unvolkommen reu wurt geacht fur ware reu durch das leiden Cristi. Darumb wan einer nit mocht sprechen und hette unvolkommene reu und sturb on die olung, so wer er verlorn. Wo er aber geolet were, so wurde er selig. Auß dem folget ein lere: Wie wol die heilig olung nit ist ein sacrament der notdurft gegen der ganzen cristenheit, jedoch ist es ein sacrament der notdurft gegen etlichen menschen in etlicher sach, als berurt ist. Der drit nutz oder fruchtberkeit der heiligen olunge ist leichterung der pein des lebens oder des fegfeurs, wann sant Thornas spricht: „Ein gesunder mag ein swerere purden tragen dan ein kranker“. Aus dem folget, das ein mensch, der do geolet wurt, leichter mag tragen die krankheit dis lebens dann ein anderer, der do nicht geolet ist, wann sein sele ist gesunt gemacht
158 Thomas von Aquin (1225–1274) wird hier nicht nach seinem Hauptwerk, der Summa Theologiae, sondern seinem Sentenzenkommentar zitiert. 159 Petrus Lombardus (um 1100–1160) verfasste vier Bücher mit Hauptsätzen theologischen Wissens, die im akademischen Lehrbetrieb von jedem Studierenden der Theologie einmal kommentiert wurden. 160 Thomas von Aquin, In 4 sent dist 23 q 1 art 2 qcl 1 resp.; vgl. auch Summe Theologiae I q 30 art 1, resp. 161 Petrus de Palude (um 1280–1342) war ein spätmittelalterlicher Theologe aus dem Dominikanerorden. An der Universität Paris wurde er zum Schüler des Johannes von Paris (Jean Quidort). 1329 wurde er zum Titularpatriarchen von Jerusalem ernannt und um 1337 zum Bischof von Couserans geweiht. Er vertrat die Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt.
Johann von Paltz: Die vierte Predigt von der Heiligen Ölung
durch die heilig olunge von der schwacheit. Darumb mag er die schwacheit dis lebens leichter tragen. Des geleichen ein sele in dem fegfeure, der leichnam auf ertreich geolet ist, die mag bas getragen die pen dan ein ander sele, der leichnam nit geolet ist auf erden. Der virde nutz oder fruchtberkeit der heiligen olunge ist genod prengung oder merung, als lnnocencius162 spricht in capitulo unico „De sacra unctione“, darumb wen einer nit genugsam reu hat gehabt in der beicht, also das im villeicht sein sund nit weren vergeben. Wurdet er geolet, so versmehet got di selben unvolkumen reu nit, sonder geusset im gnade in sein sele, wo er nit ein rigel fursetzt. Wo einer aber recht reu het gehabt, das im vor die genod were eingegossen, so wurt im doch die genod gemeret durch die heilig olung. Der funft nutz oder fruchtberkeit der heiligen olung ist gesuntmachung des leibes, wo es der gesuntheit der sele nutz were. Das halten all lerer. Darin irret sere das gemein volk, das meinet, wan ein mensch geolet werde, so muß er sterben, das doch nit also ist in der warheit. Aus dem folget, das manch mensch stirbt in seiner krankheit, wan er nit geolet wurt. Wo er aber wer geolet worden, so were er nicht gestorben; wan gol hot gedacht, den menschen vil guts zu geben durch die sacrament, welches er doch nicht gibt on die sacrament nach gemeinem lauf. Wo aber got erkennet, das es der gesuntheit der sele nicht nutz sein, das der krank des Legers aufkome, wo wirt doch dem kranken sein krankheit leichter und treglicher gemacht dan einem andern, der nit geolet ist, ob er auch manig jar solt betris ligen. Aus dem folget aber, ob die heilig oelung nit ist ein sacrament der notdurft gegen der ganzen cristenheit, so ist si doch ein sacrament der notdurft gegen etlichen menschen in der cristenheit. Der sechste nutz oder fruchtbarkeit der heiligen olung ist sterkung wider die anfechtung des bosen geistes, wan geleich als man einen komffer mit olei bestreicht, das er tauglich werde zu dem kampf, also salbet mann auch den kranken, auf das er taugentlich werde zu dem kampf mit den feinden, die to do begeren, im am letzten ende allermeist zu schaden. Dise kraft wirt ausgesprochen in der segnung der heiligen olung von dem bischof. Der sibent nutz oder fruchtbarkeit der heiligen olung ist schicklich machung zu dem außgang der sele, wan die sele get ungern aus dem leichnam und verlasset ungeren dis vergenglich leben. Darumb wann ein mensch geolet ist, so wirt im gegeben etlich erkuckung oder leichtrunge nach der lere Innocencii, dodurch er geschickt wurt, gern zu sterben und von disem iomertal zu wandern. Der achte nutz oder fruchtberkeit der heiligen olung ist schicklich machung zu dem eingang der ewigen glorien und zu der ewigen gesuntheit. Wie wol der mensch vor ist gewont diß lebens, so wurt er doch schicklich gemacht zu einem andern leben durch die heiligen olung, ob er wol mus genug tun in dem fechfeure fur sein sund, wo er nit het genug getan in disem leben und het auch kein ablas geloset, der im an seinem letzten ende mochte zu hilf kommen. Quellennachweis Johannes von Paltz: Coelifodina (Werke Bd. 1), hg. v. Christoph Burger und Friedhelm Stasch, Berlin/New York 1983, S. 249–253. Literaturhinweis Berndt Hamm: Frömmigkeitstheologie am Anfang des 16. Jahrhunderts. Studien zu Johannes von Paltz und seinem Umkreis, Tübingen 1982.
162 Innozenz III (1161–1216), mit bürgerlichem Namen Lothar Conti de Segni, initiierte eine nachhaltige Reform der Kirche u. a. durch die Einberufung des VI. Laterankonzils.
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Nr. 36
Johann von Staupitz: Christus ähnlich werden
Johann von Staupitz wurde um 1465 in Motterwitz bei Grimma in eine hochadlige sächsische Familie mit besten Beziehungen zum Kurfürsten geboren und verstarb am 28.12.1524 in Braunau/Inn. Er ist als spätmittelalterlicher Reformtheologe, Universitätsprofessor und Ordensgeistlicher, vor allem aber durch seine Bedeutung für die Entwicklung Martin Luthers bekannt. 1502 berief ihn Friedrich der Weise nach Wittenberg an die kursächsische Landesuniversität. Staupitz vertrat dort die Professur für Bibelauslegung und wurde noch 1503 Dekan der theologischen Fakultät. Wegen der Doppelbelastung durch sein Amt als Generalvikar der Augustiner übergab Staupitz zum Winter 1512 seinen Lehrstuhl an Martin Luther. Am 28. August 1520 trat er auch von seinen Ämtern im Orden zurück. Auf Einladung des Bischofs Matthäus Lang ging er 1520 nach Salzburg und trat in das Benediktinerkloster St. Peter ein. Dort wurde er am 22. August 1522 zum Abt gewählt. Durch seine verstärkte Hinwendung zu einer an der Bibel geschulten Sprache wird er zum Wegbereiter einiger reformorientierter Ordensmitglieder, allen voran Martin Luthers. Seine an der Bibel geschulte, in seelsorgerlicher Anwendung entwickelte Theologie wird im Folgenden anhand der Sterbetrostschrift für die Gräfin Agnes von Mansfeld rekonstruiert. Im Zentrum seines Trostes steht die Betrachtung des Sterbens Christi im Lichte seiner Auferstehung. Das immer wiederkehrende Moment der spirituell-seelsorgerlichen Theologie von Staupitz ist die Nachfolge oder Verähnlichung mit Christus. „[…] stirb wie Christus starb, so stirbst du ohne allen Zweifel selig und wohl. […] Ich will es von Christus lernen und niemandem anderes. Er ist mir von Gott [als] ein Vorbild gegeben, nach dem soll ich wirken, leben und sterben. Er ist die Schlange am Holze, in welchem Anblick das Gift des Todes stirbt. (Num 21,9) Er ist allein der, dem alle Menschen folgen können, in dem alles gute Leben, Leiden und Sterben allen und jeglichem vorgebildet, also, dass niemand recht handeln, recht leiden, recht sterben kann, es geschehe denn gleichförmig dem Leben, dem Leiden, dem Sterben Jesu Christi, in welches Tod aller anderer Tod verschlungen ist.“ […] es ist unmöglich, dass einem sterbenden Menschen eine Anfechtung widerfährt, die nicht schon in Christi Sterben überwunden wäre, dessen Anfechtungen auf Erden die allergrößten waren, wie auch sein Leiden das größte gewesen ist. Damit wir den Sterbenden nicht verderben, wollen wir uns nach der Anfechtung erkundigen, die Christus am Kreuz erlitten hat. Matthäus spricht: die an dem Kreuz vorübergingen, die lästerten ihn, schüttelten ihre Häupter und sprachen: „Pfui über dich, der du den Tempel Gottes zerbrichst und baust in in drei Tagen wieder auf. Mach’ dich selber selig, bist du Gottes Sohn, steig nun vom Kreuz herab.“ Desgleichen sagten die Fürsten der Priester (Hohepriester) mit den Schriftgelehrten und mit den Edelsten und Obersten des Volkes: „Andere hat er selig gemacht, sich selber vermag er nicht zu helfen. Ist er der König Israels, so steige er vom Kreuze herab und wir glauben an ihn. Er hat in Gott vertraut. Er befreie ihn nun, wenn er will. Er sagt doch, er sei Gottes Sohn.“ (Mt 27,39–43) Der Evangelist Lukas setzt hinzu, dass ihn auch die Henkersknechte, die man Ritter nennt, verspottet haben, indem sie sprachen: „Bist
Johann von Staupitz: Christus ähnlich werden
du der Juden König, so mach dich selig.“ (Lk 23,36 f.) Aus diesem Text erkennen wir neun vorgenannte Anfechtungen eines sterbenden Menschen, wie sie in Christus vorgebildet sind. Die Erste ist, dass ihm der böse Geist vorwirft, er habe gesündigt und nicht Busse getan. Er müsse nun in Sünden sterben und vermag nicht mehr Gnade zu erwerben. In dieser Anfechtung kommen einem Menschen seine vergessenen, ungebeichteten und fremden Sünden in den Sinn. Sodann werden alle seine Reue, seine Beichten, seine Genugtuung (Bussstrafen) zunichte. Er sieht, dass er seine Seele verletzt, den Tempel, darinnen Gott seine Lust hat zu wohnen, mit Sünden zerbrochen und denselbigen nicht wiederum ganz (heil) gemacht hat mit dreierlei lichten klaren Werken: mit aufrichtiger Reue, mit unverhohlener Beichte, mit offensichtlicher Genugtuung. „Pfui“, spricht er, dir spottend, „der den Tempel Gottes, der du selbst sein solltest, zerbrochen hast, sieh’ wie fein du wieder gebauest hast in drei Tagen, in drei Werken des göttlichen Lichtes. Deine Tage hattest du keine genügende Reue, keine vollständige Beichte getan, tausende Sünden vollbracht und nicht eine genügend gebüßt. Schau, wie viele Hungrige von dir nicht gespeist wurden, wie viel Durstige von dir ungetränkt, Nackende ungekleidet, Kranke unbesucht, Gefangene unbefreit blieben. In das ewige höllische Feuer, das von dem Teufel und seinem Anhang bereitet wird, musst du, da hilft nichts dagegen.“ (Mt 25, 41–45) Die andere, der ersten entgegengesetzte (Anfechtung) ist, dass ihm der Teufel seine Sünde verbirgt und ihm seine Wohltaten vorlegt. Das geschah mit den Worten „mache dich selig“. Was ist anderes damit gesagt als „gehab dich nun wohl, du liebe Seele, tröste dich deines vielen Fastens, nun kommt dir dein Wachen, dein Kasteien, dein vieles Beten zum Besten“. Nun sprich fröhlich mit Paulus „ich habe einen guten Kampf gestritten, mein frommer Gott, meinen Lauf habe ich vollbracht und ich habe den Glauben behalten bis an mein Ende. Darum ist mir behalten die Krone der Gerechtigkeit, die mir um meiner Werke (willen) geben wird der rechte Richter dieser Tage.“ (2.Tim 4,7 f.) „Dann mache dich selig“ – diese Anfechtung ist um vieles schädlicher, weil sie sorgloser empfunden wird. Die dritte Anfechtung in des Todes Not ist, dass er die weniger Gesunden härter peinigen lässt. Da zeigt er dem Kranken welches Glück, Ehre, Reichtümer, Gesundheit, Gewalt (Macht), hohen Stand (Ansehen) und aller Dinge Lust (Reiz) die Sünder hier auf Erden haben. Dagegen wie die Gerechten allenthalben gehasst und verfolgt werden, wie er an ihm selbst beweisen kann, damit er ihm den Mund zur Gotteslästerung öffne, dass er in seinem Herzen spreche „es ist kein Gott, es ist keine Gerechtigkeit, den Schalken (Bösewichtern) nicht den Gerechten, nicht den Unschuldigen gebührt das Kreuz.“ Wer fromm ist, der trägt das Leiden unschuldig. Solche große Anfechtung zeigte uns unser Herr und Gott am Kreuz, da die Juden zu ihm sagten „bist du Gottes Sohn, so steig vom Kreuz, bist du unschuldig, so leidest du schuldlos“, wie es auch in der Disputation bei Hiob beschrieben vorgebildet worden war. Die vierte Anfechtung ist die fremde Sorge (um anderer Menschen Angelegenheiten) in des Todes Not, wenn der Teufel einen Sterbenden mit der Betrachtung des allgemeinen Ergehens, mit der Erhaltung des Glaubens, mit dem Gewinn der Seelen bekümmert, damit er wenig an sich selber denke; oder sich selbst etwas zu sein vormacht und den eigenen Tod schädlich zu besorgen (schlecht darauf vorbereitet zu sein). Denn etwas anderes vorgeben zu sein ist genauso, als gebe man vor, Gott zu sein. Den Glauben und das allgemeine Wohlergehen nicht auf ihn zu bauen, ist eine große Torheit und ein verborgener, ungemein schädlicher Hochmut. Denn wiewohl die Sorge, die ein Lebendiger für den Anderen trägt, auch unter Vernachlässigung seiner selbst hoch zu loben ist, so ist das in des Todes Nöten gar nicht gut. Besonders darum, dass ein jeglicher allein für sich selbst leidet und nicht für einen anderen dieses von Gott verliehen bekam und allein für sich und nicht für einen anderen vor Gott bestellt ist. Diese Anfechtung widerfuhr Christus, als die Juden sprachen „andere Leute hat er selig gemacht.“
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Voraussetzungen
Die fünfte Anfechtung reizt zur Verzweiflung in den Worten „sich selber kann er nicht selig machen“ und ist den Sterbenden schwer und besonders gemein (zu ertragen) als andere. Sie nimmt allen Trost dahin, der aus der Hoffnung erwachsen möchte. In dieser Anfechtung sieht der Sprachlose das Gut, das er zu Unrecht besitzt, und nicht mehr zurückerstatten kann oder einem anderen auftragen, es zu tun. Es erscheint ihm, als sei seine Ehre abgeschnitten und dass er nicht mehr selig werden könne, wenn er nicht zuvor einem jeglichen sein Gut und seine Ehre wiedergegeben habe. Da wird die Schwere der (üblen) Nachrede gegen andere und der Ehrabschneidung des Nächsten an den Tag kommen. Wenn die Zunge nicht mehr zu reden vermag und der Kranke kein Zeichen mehr geben kann – der sich zuvor vor Nichts zurückgehalten und die ganze Welt [mit seiner Rede] erfüllt hatte. Zum Schluss werden sich alle Sünden als groß erweisen und keine Möglichkeit sich zu bessern sichtbar werden. Die sechste Anfechtung des Sterbenden ist der teuflische Antrieb zum Unglauben. Sie geschah Christus in den Worten „wenn er der König Israels ist, so steige er vom Kreuz und wir wollen an ihn glauben.“ Oh, was für eine schreckliche (erschreckende) Anfechtung, die das Fundament alles Guten berührt, den Glauben Christi in einen neuen Zweifel, in neue Fragen lenkt. Führwahr – wir sterben übel, wo Christus nicht Christus, nicht Gottes Sohn ist. In dieser Anfechtung schärft der böse Geist sein Sinnen, verwirrt die Schrift, zeigt auf mancherlei [Un-]Glauben auf der Erde und gibt seinen Rat ins Herz, dass man Gott bitte, falls der christliche Glaube vielleicht doch nicht der rechte sei, dass er noch zur letzten Stunde den rechten lehren wolle, den wahren eingieße. Der Feind hat Wissen, dass keine Tugend fest ist, wo der Glaube schwach ist. Der schwache Glaube hat einen Zweifel, aus dem heraus das erste Weib sündigte, als sie auf der Schlange Frage sprach „wir könnten vielleicht sterben“. Oh verfluchtes Vielleicht, verdammter Zweifel, durch dich verlischt der Trost der Schrift, die Hoffnung der Geduld! Bei dir bleibt keine Andacht, kein Friede des Herzens; und weil dem Menschen nichts Gefährlicheres widerfahren kann, insbesondere in der Not des Sterbens nicht, ist diese Anfechtung schlimmer, als keine andere. Darum haben die gemeinen Juden gerufen, „bist du der Sohn Gottes, so steig vom Kreuz herab“. Ebenso die Hohepriester, „ist er der König Israels, so steige er vom Kreuze herab“. Die Heiden „bist du der König der Juden, so mache dich selig.“ Die siebente Anfechtung ist das unbescheidene Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit. Sie widerfuhr Christus, als die Juden sagten, „er hat in Gott vertraut“. In diese Anfechtung stürzt der böse Feind nachlässige (schlecht vorbereitete) Sterbende, verhindert die Erforschung des Gewissens, indem er spricht, „niemand wird aus seiner eigenen Gerechtigkeit selig oder um seiner Werke willen, sondern allein aus göttlicher Barmherzigkeit, aus Gnaden, nicht aus unseren Wohltaten werden wir selig.“ Also lehrt er den Trost im Leiden Christi zu suchen, ohne dass man ein Glied Christi wird, und das ist falsch. Die achte Anfechtung besteht in der vorwitzigen Frage nach der ewigen Vorsehung. Sie widerfuhr Christus in dem Wort, „will er“ – gemeint ist Gott – „so macht er ihn frei.“ Dann wird gewiss niemand selig, Gott habe ihn denn zuvor dazu erwählt. Dem Erwählten gereicht die Sünde auch nicht zum Schaden; dem Verworfenen hingegen gereicht auch das Wort der Wahrheit nicht zu jeglichem Frommen. In dieser Anfechtung straft der böse Geist alle Arbeit zur Seligkeit und Flucht vor der Verdammnis als unfruchtbar, vergeblich und umsonst, dieweil doch die Auserwählten nicht ausserhalb des Himmels bleiben ihrer Müssigkeit wegen, und die Verworfenen können nicht hineinkommen, ihrer Arbeit (Werke) wegen, als ob es möglich wäre, dass die Auserwählten müßig gingen und die Verworfenen für den Himmel arbeiteten; das ist falsch. Die neunte Anfechtung reizt zu außerordentlicher Furcht, die daraus entsteht, dass der Mensch nicht mehr weiß, ob er der Liebe oder des Hasses Gottes würdig sei. (Koh 9,1) Diese Furcht
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macht der böse Geist besonders grausam in der Not des Sterbens, damit dem Sterbenden der Tod nicht begehrlich werde und also nicht zur Seligkeit gereiche. Diese Anfechtung geschah Christus in den Worten „er hat gesagt, ich bin Gottes Sohn.“163 Quellennachweis Joachim K. F. Knaake (Hg.): Sämtliche Werke von Johann von Staupitz. Deutsche Schriften, Potsdam 1867, S. 62, 72–75 (übersetzt und modernisiert). Literaturhinweis Markus Wriedt: Gnade und Erwählung. Eine Untersuchung zu Johann von Staupitz und Martin Luther, Mainz 1991. Franz Posset: The Front-Runner of the Catholic Reformation. The Life and Works of Johann von Staupitz, Aldershot 2003. Lothar Graf zu Dohna/Richard Wetzel: Staupitz, theologischer Lehrer Luthers, Tübingen 2018. Volker Leppin: „Ich hab all mein ding von Doctor Staupitz“. Johannes von Staupitz als Geistlicher Begleiter in Luthers reformatorischer Entwicklung, in: Dorothea Greiner u. a. (Hg.): Wenn die Seele zu atmen beginnt …: Geistliche Begleitung in evangelischer Perspektive, Leipzig 2007, S. 60–80.
163 Lk 22,17; Mt 27,23.
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Die Anfänge der Reformation
So vielfältige Prägungen der Begriff der Reformation erfahren hat, so vielgestaltig sind die Anfänge und ersten Gestaltwerdungen des Geschehens, in dem sich kirchliche, spirituelle, gesellschaftliche und politische Lösungsansätze zu den aus dem Mittelalter überkommenen Fragen und Problemen vermischen. In der aktuellen Forschung konnten die Klärungen vorangetrieben werden. Allerdings ist ein Forschungskonsens zum Begriff Reformation ebenso wenig in Sicht wie zu deren Anfängen. Trotz vielfältiger Reformschriften und -maßnahmen vor 1517 dürfte gleichwohl mit der Veröffentlichung von Luthers 95 Thesen ein markanter Orientierungspunkt im vielfältigen Geschehen bezeichnet sein. Sie verteilen sich innerhalb kürzester Zeit mit bisher nie gekannter Auflagenhöhe vor allem in deutscher Sprache durch die Lande des Alten Reiches und bald auch darüber hinaus. Auch wenn der Auslöser die theologisch ungeklärte Praxis des Bußsakraments und des Ablasswesens darstellte, weiteten sich die mit Luthers Auftreten verbindenden Reformanliegen bald ins Grundsätzliche. Die eher an den Grenzen des Reiches gelegene Universität Wittenberg gerät unversehens ins Zentrum des Interesses. Freilich entzünden sich mit den theologischen Fragen zahlreiche Kritikäußerungen zur kirchlichen und gesellschaftlichen Praxis im Allgemeinen. Die Besonderheit der Ablasspraxis weitet sich zu einer generellen Infragestellung der kirchlichen Handlungsfelder und ihres Verhältnisses zum politischen Gemeinwesen. Es war der hellsichtige päpstliche Legat Thomas de Vio Cajetanus, der im Nachklang zum Verhör mit Luther im Herbst 1518 formulierte: „Das heißt eine neue Kirche bauen!“ Literaturhinweis Thomas Kaufmann: Erlöste und Verdammte. München 2017, S. 83–144. Ders.: Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung, Tübingen 2 2018. Ders.: Luther und die reformatorische Bewegung in Deutschland, in: Luther-Handbuch, hg. v. Albrecht Beutel, Tübingen 2017, S. 219–229. Volker Leppin: Transformationen. Studien zu den Wandlungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und Reformation, Tübingen 2015, S. 1–68. Markus Wriedt: Kontinuität und Konkurrenz, oder: Wie macht man eine Reformation, in: ders.: Scriptura Loquens. Beiträge zur Kirchen- und Theologiegeschichte des Spätmittelalters und der Reformationszeit, hg. v. Albrecht Beutel und Daniel Bohnert, Leipzig 2018, S. 415–466.
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Die Anfänge der Reformation
2.1
Der Auslöser: Die Ablasskampagnen
Unter Ablass versteht man die stellvertretende Ablösung von zeitlichen Kirchenstrafen. Das Verfahren geht auf die mittelalterlichen Tarifbußen zurück und wurde grundlegend auf dem Vierten Laterankonzil 1215 geregelt. Danach konnte ein Gläubiger, der wahre Reue empfindet und in der Beichte um Vergebung nachgesucht hatte, durch Ableistung verschiedener Ablasswerke die Tilgung oder Reduktion zeitlicher Sündenstrafen, also den begrenzten Verbleib im Fegefeuer, erwirken. Seit dem Spätmittelalter waren teilweise aber auch allumfassende (plenare) Ablässe möglich, sowohl für den Gläubigen selbst, in zunehmendem Maße allerdings auch für Familienangehörige. Ablässe wurden von verschiedenen Repräsentanten der Kirche gewährt und in Pfarrkirchen, Hospitälern, Klöstern, Stiften und dergleichen angeboten. Seit dem 13. Jahrhundert wurden die Bußwerke häufiger in Form von Geldstiftungen abgelöst. Vertreter der Kirchen nutzten die eingehenden Erlöse für unterschiedliche kirchliche Aufgaben. Unter Papst Leo X. wurde die Peterskirche in Rom prachtvoll ausgebaut und das Gebäudeensemble des Vatikans angelegt. Zur Finanzierung dieser Bauvorhaben bot die römische Kurie einen Plenarablass für alle Gläubigen an. Literaturhinweis Rolf Decot: Zwischen altkirchlicher Bindung und reformatorischer Bewegung. Die kirchliche Situation im Erzstift Mainz unter Albrecht von Brandenburg, in: Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490–1545). Ein Kirchen- und Reichsfürst der Frühen Neuzeit, hg. v. Friedhelm Jürgensmeier, Frankfurt am Main 1991, S. 84–101, besonders S. 88–91. Nikolaus Paulus: Johann Tetzel, der Ablaßprediger, Mainz 1899. Ders.: Geschichte des Ablasses im Mittelalter. Darmstadt 2 2000. Andreas Rehberg (Hg.): Ablasskampagnen des Spätmittelalters. Berlin 2017. Aloys Schulte: Die Fugger in Rom 1495–1523. Mit Studien zur Geschichte des kirchlichen Finanzwesens jener Zeit. Bd. 1, Leipzig 1904, S. 93–142.
Nr. 37
Der Petersablass zum römischen Kirchenbau
Die Ansammlung von kirchlichen Ämtern bei Albrecht von Mainz, der 1513 bereits als Erzbischof von Magdeburg, 1514 als Erzbischof von Mainz und außerdem als Verwalter des Bistums Halberstadt fungierte, verstieß gegen das kirchliche Recht. Dennoch wurde diese Praxis gegen die Zahlung hoher Dispensgebühren durch Rom gestattet. Albrecht nahm zu Zahlung der erforderlichen Summe einen Kredit beim Bankhaus Fugger auf. Zugleich erhielt er das Recht, den von Papst Leo X. ausgerufenen Plenarablass, in den Gebieten seiner Diözesen durch den Ablasskommissar Johann Tetzel, einem Dominikaner, zu vertreiben. Die eingenommenen Gelder wurden nach
Der Petersablass zum römischen Kirchenbau
einem vertraglich vereinbarten Verhältnis zwischen dem augsburgischen Bankhaus und der römischen Kurie geteilt. Weiterhin regte sich gegen das marktschreierische Verhalten des Ablasspredigers Tetzel immer wieder deutlicher Widerstand.
Wir, Albrecht, von Gottes und des Apostolischen Stuhles Gnaden, des Heiligen Stuhles zu Mainz und der Kirche zu Magdeburg Erzbischof, Primas und des heiligen Römischen Reiches in Deutschland Erzkanzler, Kurfürst und Administrator zu Halberstadt, Markgraf zu Brandenburg, zu Stettin und Pommern, der Kassuben und Wenden Herzog, Burggraf zu Nürnberg und Fürst zu Rügen; und der Vorsteher der Brüder des Minoriten-Ordens de observantia164 des Konvents zu Mainz, und die von Seiner Heiligkeit unserm Herrn, dem Papst Leo X., für die Erzbistümer Mainz und Magdeburg sowie für das weltliche Gebiet derselben und das Bistum Halberstadt, ebenso für die Landschaften und Städte, die mittelbar oder unmittelbar zur zeitlichen Herrschaft des Durchlauchtigsten Fürsten und der Durchlauchtigen Fürsten, der Herren Markgrafen von Brandenburg, gehören, nach der unten genannten Schrift besonders verordneten Nuntien und Kommissarien, wünschen allen und jeden Personen, die gegenwärtigen Brief sehen, ewiges Heil im Herrn. – Wir thun hiermit kund, daß Seine Heiligkeit unser Herr Leo, durch die göttliche Vorsehung der zehnte Papst, allen und jeden gläubigen Christen beiderlei Geschlechts, welche zum Bau der Basilika des Apostelfürsten, des heiligen Petrus von Rom, auf Grund unsres Erlasses ihre hilfreiche Hand bieten, außer vollkommenem Ablaß und andren Gnadenbeweisen und Freiheiten, welche gläubige Christen selbst erlangen können, gemäß des Inhaltes des obendrein ausgefertigten apostolischen Briefes, barmherzig im Herrn die Sünden vergiebt und gestattet, daß sie sich als geeigneten Beichtvater einen weltlichen oder einen ordentlichen Priester irgend eines Bettelordens wählen dürfen, welcher, nachdem er sorgfältig ihre Beichte gehört, sie für ihre Missetaten, Vergehen, Übertretungen und alle möglichen Sünden, mögen sie auch noch so schwer und böse sein, auch in den dem genannten Heiligen Stuhle reservierten Fällen, und von den kirchlichen Zensuren, auch wenn sie auf jemandes Ansuchen von einem Menschen angezeigt sind, mit Übereinstimmung der Parteien auch von den, aufgrund eines Interdiktes ausgeführten, Anschlägen, bezüglich deren die Absolution demselben Heiligen Stuhle besonders vorbehalten ist (ausgenommen für Ränke gegen die Person Seiner Heiligkeit des Papstes, für Mord, an Bischöfen und andern höheren Prälaten begangen, und für Vergewaltigung jener oder andrer Prälaten, für Fälschung eines apostolischen Briefes, für Anklage wegen Kampfes und andrer in bezug auf die Ungläubigen verbotener Dinge, und für die Strafen und Zensuren so in der apostolischen Bulle bezüglich der Ungläubigen angedroht sind, für Verläumdung bei den Gläubigen wider das apostolische Verbot, für Nachstellungen) einmal im Leben und in der Todesstunde, so oft sie bevorsteht, auch wenn der Tod dann nicht eintritt, und in allen nicht vorbehaltenen Fällen, so oft er dies verlangen sollte – vollkommen absolvieren und ihnen eine heilsame Buße auferlegen, auch einmal im Leben und in der bezeichneten Todesstunde vollkommenen Ablaß und Erlaß aller Sünden gewähren und das heilige Sakrament zu allen Jahreszeiten spenden darf (ausgenommen am Ostertage und in der Todesstunde). Auch soll er die von jenen bei einer Gelegenheit gethanen Gelübde, welcher Art sie auch sein mögen (ausgenommen allein die Wallfahrt zum Besuche des Heiligen Landes und des heiligen Jakobus in Compostella und die Gelübde der Gottesfurcht und der Keuschheit), in andre
164 Der Franziskaner der regelstrengen Richtung.
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Die Anfänge der Reformation
fromme Werke zu verwandeln, kraft apostolischer Vollmacht imstande sein. Es gestattet auch Seine Heiligkeit unser Herr, daß die vorgenannten Wohlthäter und ihre verstorbenen Eltern, welche in Liebe verschieden sind, der Fürbitten, frommen Werke, Almosen, Fasten, Gebete, Messen, Gebetsstunden und Übungen, Wallfahrten und aller übrigen geistigen Güter, welche in der ganzen allgemeinen und allerheiligsten streitbaren Kirche und von allen ihren Gliedern geschehen und geschehen können, jetzt und in Ewigkeit teilhaftig werden. Und weil nun die frommen Menschen, Michel Rodts Witwe, Peter und Adam Rodt, zum Bau und der Ausschmückung obengenannter Basilika des Apostelfürsten, gemäß der Absicht Seiner Heiligkeit unsres Herrn Papstes und gemäß unsres Erlasses durch Beisteuer von ihren Gütern sich dankbar bewiesen und losgekauft haben, und zum Zeichen hierfür gegenwärtigen Ablassbrief von uns empfangen haben – so verleihen und gewähren wir ihnen durch gegenwärtigen Brief kraft ebenderselben uns übertragenen apostolischen Vollmacht, die wir hierbei gebrauchen, daß sie die genannten Gnadenerweisungen und den Ablass benutzen und sich derselben freuen können und mögen. Gegeben zu Göttingen unter dem von uns hierfür bestimmten Siegel am ersten Tage des Monats Juli im Jahre des Herrn 1517. Quellennachweis Ernst Berner: Geschichte des Preußischen Staates, Paderborn 2012, Reprint des Originals von 1891. Faksimile und Übersetzung nach S. 92.
Nr. 38
Ablassinstruktion durch Albrecht von Mainz (ca. 1517)
In Deutschland wurde der Plenarablass durch Kardinal Raimund Peraudi vertrieben. Die konkrete Verteilung war dem Dominikanerorden überlassen, der durch seinen Prediger Johannes Tetzel im Alten Reich angeboten wurde. Erzbischof Kardinal Albrecht von Mainz war wegen seiner Ämterhäufung zu Dispensgebühren gegenüber der Römischen Kirche verpflichtet. Um diese abzugelten, gab das Bankhaus Fugger einen Kredit, der aus den Erlösen des Ablassverkaufs getilgt wurde. Nach einem komplizierten Verteilungsschlüssel standen dem Bankhaus, dem Erzbischof und der Römischen Kurie jeweils 1/3 der Einnahmen zu. Damit alles regelkonform ablaufen konnte, wurde die Geldtruhe (Tetzelkasten) für die Finanzen stets nicht nur von Vertretern der Kirche und des Dominikanerordens, sondern überdies von Söldnern im Auftrage der Augsburger Bank bewacht. Die so überdeutliche Inszenierung eines seelsorgerlichen Heilsmittels als ökonomisches Ereignis brachte mannigfaltig Kritiker, insbesondere aus humanistischen Kreisen, auf den Plan. Nachfolgend finden sich Auszüge aus seinen Anweisungen zum Vertrieb des Ablasses.
Die erste Gnade ist die vollkommene Vergebung aller Sünden [plenaria remissio omnium peccatorum]; und es kann gewiss nichts größer genannt werden als diese Gnade, weil der Mensch, der in Sünden lebt und der göttlichen Gnade beraubt ist (homo peccator et divina gratia privatus) durch sie vollkommene Vergebung und Gottes Gnade von neuem erlangt.
Ablassinstruktion durch Albrecht von Mainz (ca. 1517)
Durch diese Vergebung der Sünden werden ihm auch die Strafen (poenae), die er wegen Beleidigung der göttlichen Majestät im Fegefeuer (in purgatorio) büßen müsste, vollkommen erlassen, und die Strafen des genannten Fegefeuers gänzlich getilgt. Und obwohl nichts dafür gegeben werden könnte, was würdig genug wäre, eine solche Gnade zu verdienen, da Gottes Gabe und Gnade jede Berechnung übersteigt, setzen wir doch folgenderweise die Ordnung fest, damit die Christgläubigen umso leichter zu ihrer Erwerbung eingeladen werden: Erstens: Ein jeder, der im Herzen zerknirscht ist und mit dem Munde gebeichtet hat, oder die aufrichtige Intention hat, zu gehöriger Zeit zu beichten, soll wenigstens sieben Kirchen besuchen, die hierfür bestimmt sind, nämlich in denen die Wappen des Papstes aufgehängt sind; und in jeder Kirche soll er andächtig fünfmal das Vaterunser und fünfmal das Ave Maria beten zu Ehren der fünf Wunden unseres Herrn Jesus Christus, durch den unsere Erlösung geschehen ist, oder einmal das Miserere [Ps 51] –, dieser Psalm paßt [nämlich] sehr gut, Vergebung der Sünden zu erlangen. […] Vor allem müssen die Ablassverkäufer und Beichtväter, nachdem sie den Beichtenden die Größe dieser vollkommenen Nachlassung und ihrer Wirkungen erklärt haben, sie fragen, für wieviel Beitrag, Geld oder andere zeitliche Güter sie nach ihrem Gewissen die genannte vollkommene Nachlassung mit ihren Wirkungen nötig zu haben meinen – dies darum, damit sie darauf die Leute umso leichter zum Zahlen bewegen können. Und da die Zustände der Menschen allzu mannigfaltig und verschieden sind, dass wir sie nicht erwägen und so bestimmte Taxen auferlegen können, so schien uns, dass solche Taxen im allgemeinen [communi cursu] folgenderweise unterschieden werden können: Die Könige und Königinnen sowie ihre Kinder, die Erzbischöfe und Bischöfe sowie andere große Fürsten, die sich in die Orte begeben, in denen das Kreuz aufgestellt ist, oder sonst dort befinden, sollen mindestens 25 rheinische Goldgulden bezahlen. Die Äbte und großen Prälaten der Kathedralkirchen, Grafen, Barone und andere mächtige Edelleute und ihre Frauen sollen jeweils 10 dergleichen Goldgulden zahlen. Andere Prälaten und kleinere Edelleute, wie auch die Rektoren berühmter Orte, und alle anderen, die, sei es von beständigen Einkünften, sei es von Kaufhandel, durchschnittlich im Jahr 500 dergleichen Goldgulden Einkommen hoben, sollen 6 rhein. Goldgulden zahlen. Andere Bürger und Kaufleute, die durchschnittlich 200 Goldgulden einnehmen, sollen 3 rhein. Goldgulden zahlen. Andere Bürger, Kauf- und Handwerksleute, die eigene Einkünfte und Familie haben, sollen einen solchen Gulden […] Und diejenigen, die kein Vermögen haben, sollem mit Gebet und Fasten ihren Beitrag ergänzen; denn das Himmelreich darf den Reichen nicht mehr als den Armen offenstehen […] Die zweite besondere Gnade ist der Beichtbrief, voll von überaus großen und tröstlichen und bisher ungekannten Wirkungen, der, auch nachdem die acht Jahre unserer Bulle zu Ende gegangen sind, allezeit seine Kraft und Geltung behalten wird, […] Seinen Inhalt sollen die Prediger und Beichtväter mit allen Kräften erläutern und preisen. Es wird im Beichtbrief denen, die ihn kaufen, gewährt: Die Berechtigung, einen geeigneten Beichtvater zu wählen, auch aus den Bettelorden, der 1. sie vor allen Dingen von allen Kirchenstrafen, auch von den von Menschen auferlegten, mit dem Konsensus der Parteien absolvieren soll; 2. von allen schwersten Verbrechen, auch von denen, deren Lossprechung dem Apostolischen Stuhl vorbehalten sind, einmal im Leben und in der Todesstunde; 3. in den Fällen, die dem Apostolischen Stuhl nicht vorbehalten sind, sooft man ein Verbrechen begangen hat; der 4. einmal im Leben und in der Todesstunde, so oft sie zu nahen droht, auch wenn der Tod dann nicht eintritt, den vollkommenen Ablass aller Sünden geben kann; der 5. jegliche Gelübde (nur die Gelübde ausgenommen, mit denen einer feierlich gelobt hat, ins Heilige Land zu reisen, die Apostel in Rom zu besuchen oder zum heiligen Jakob nach Compostella zu wallen oder ein Mönch zu werden und in Keuschheit zu leben) in
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andere Werke der Frömmigkeit umwandelt; der ihnen 6. das Sakrament des Altars außer am Ostertag und in der Todesstunde zu jeder Jahreszeit spenden kann. Die dritte besondere Gnade ist die Teilhabe an allen Gütern der ganzen Kirche, welche darin besteht, daß die Ablasskäufer für den genannten Bau und ihre verstorbenen Eltern, welche in Liebe [ im Stand der Gnade] gestorben sind, von nun an und in Ewigkeit teilhaben werden an allen Bitten, Fürbitten, Almosen, Fasten, Gebeten, an allen und jeden Wallfahrten, auch an denen in das Heilige Land, an den Stationen in Rom, an den Messen, Stundengebeten, Bußübungen und allen übrigen geistlichen Gütern, welche in der allgemeinen, allerheiligsten, kämpfenden Kirche und von allen ihren Gliedern geschehen und geschehen können. Dieser Dinge werden die Gläubigen dann teilhaftig, wenn sie Beichtbriefe kaufen. Über diese Wirkung müssen die Prediger und Beichtväter mit größtem Fleiss ausführlich reden und den Gläubigen zureden, dass sie diese [Teilhabe] mit dem Beichtbrief zu kaufen nicht unterlassen mögen. Wir erklären auch, dass zur Erlangung dieser letzten zwei vornehmlichen Gnaden nicht nötig sei zu beichten oder die Kirchen und Altäre zu besuchen, sondern nur den Beichtbrief zu kaufen […]. Die vierte vornehmliche Gnade ist eine vollkommene Vergebung aller Sünden für die Seelen, die im Fegefeuer sind. Diese Vergebung schenkt und gewährt der Papst den Seelen, die sich im Fegefeuer befinden, fürbittweise, nämlich auf diese Art: dass für sie eine Einlage in den Kasten durch lebende Personen geschehe, die sie für sich zu geben oder aufzubringen hätten. Jedoch ist es unser Wille, dass bei einer solchen Einlage für Tote die Leitung durch unsere Subkommissare und durch diejenigen, die sie mit der Leitung besonders beauftragen, geschehe. Auch ist nicht nötig, dass die Personen, die für die Seelen in den Kasten legen, im Herzen zerknirscht sind und mit dem Munde gebeichtet haben, da diese Gnade sich nur auf die Liebe, worin der Verstorbene abgeschieden ist, und auf die Einlegung der Lebenden gründet, wie aus dem Text der Bulle deutlich ist.165 Auch sollen sich die Prediger aufs Fleißigste bemühen, diese Gnade kräftig zu verkündigen, weil durch sie den abgeschiedenen Seelen ganz gewiss zu Hilfe gekommen und dem Werk des Kirchenbaues des heiligen Petrus sehr ergiebig und überreichlich geholfen wird. Quellennachweis Dokumente zum Ablaßstreit von 1517, hg. v. Walter Köhler, Tübingen 1934, S. 110–116 (lateinisch). Die deutsche Übersetzung folgt mit geringen Änderungen und Erweiterungen: Volker Leppin (Hg.): Reformation. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Ein Arbeitsbuch. Bd. III, Neukirchen-Vluyn 5 2005, N° 12b, S. 36 f. Literaturhinweis Nikolaus Paulus: Johann Tetzel, der Ablaßprediger, Mainz 1899. Bernhard Poschmann: Der Ablass im Licht der Bußgeschichte, Bonn 1948.
165 Gemeint ist die Bulle Sacrosantis salvatoris et redemptoris von Papst Leo X. vom 31. März 1515.
Eine Ablasspredigt
Nr. 39
Eine Ablasspredigt
Die nachfolgende Predigt wird dem bekannten Ablassprediger Johannes Tetzel OP (geboren um 1460/1465 in Pirna, verstorben am 11. August 1519 in Leipzig) zugeschrieben. Tetzel hatte im Wintersemester 1482/83 das Studium der Theologie in Leipzig aufgenommen. Seit 1489 gehörte er dem Predigerorden an. Seit 1504 war er zunächst für den Deutschen Ritterorden als Ablassverkäufer unterwegs, von 1505–1510 sodann in Kur-Sachsen. 1516 wurde er durch die Vertreter des Bistums Meißen zum Subkommissar für den Plenarablass zum Bau der Peterskirche in Rom berufen. Dazu war er auch ab 1517 im Auftrag des Erzbischofs von Mainz in dessen Bistümern Halberstadt und Magdeburg unterwegs. Tetzel musste sich auf dem kursächsischen Territorium zurückhalten. Dort war der Ablasserwerb u. a. durch das Heiltum im Allerheiligenstift zu Wittenberg möglich. Ab 1518 zog er sich in das Paulinerkloster in Leipzig zurück und starb dort 1519 an der Pest. Tetzel predigte volkstümlich und verletzte mit seinen drastischen Aussagen vielfach die Grenzen des guten Geschmacks. Auf ihn gehen Formulierungen wie „Sobald der Gülden im Becken klingt im huy die Seel im Himmel springt“ zurück.
Du Priester, du Adliger, du Kaufmann, du Weib, du Jungfrau, du Verheiratete, du Jüngling, du Greis, gehe doch hinein in deine Kirche, die, wie gesagt, die Kirche des heiligen Petrus ist, und besuche das allerheiligste Kreuz, das für dich aufgerichtet ist, das ununterbrochen ruft und dich einlädt. […] Bedenke, dass du auf dem tobenden Meer dieser Welt in so viel Sturm und Gefahr bist und nicht weißt, ob du zum Hafen des Heils kommen kannst. […] Du sollst wissen: wer gebeichtet hat und zerknirscht ist und Almosen in den Kasten legt, wie ihm der Beichtvater rät, der wird vollkommene Vergebung aller seiner Sünden haben und auch nach der Beichte und nach dem Jubeljahr an jedem Tag, an dem er das Kreuz und die Altäre besucht, den Ablass erlangen, wie wenn er in der Kirche von St. Peter jene sieben Altäre besuchen würde, wo der vollkommene Ablass gewährt wird. Was steht ihr also müßig? Laufet alle um das Heil eurer Seele. Seid rasch und besorgt um das Seelenheil, wie um zeitliche Güter, wovon ihr weder Tag noch Nacht ablasst. „Suchet den Herrn, solange er nahe ist, und man ihn finden kann.“ [Jes 55,6]; wirkt, wie Johannes sagt, solange es Tag ist, denn „es kommt die Nacht, da niemand wirken kann“ [Joh 9,4]. – Hört ihr nicht die Stimme eurer toten Eltern und anderer Leute, die da schreien und sagen: „‚Erbarmt euch, erbarmt euch doch meiner, weil die Hand Gottes mich berührt hat.‘ [Hi 19,21]. Wir sind in schweren Strafen und Pein, wovon ihr uns mit wenig Almosen erretten könntet, und doch nicht wollt.“ Tut die Ohren auf, weil der Vater zu dem Sohn, die Mutter zur der Tochter schreit: „Warum verfolgt ihr mich wie ein Zahn, und sättigt euch mit meinem Fleisch“ [Hi 19,22], als wollten sie sagen: „Wir haben euch gezeugt, ernährt, erzogen und euch unser zeitliches Gut überlassen; und ihr seid so grausam und hart, dass ihr, wo ihr uns doch jetzt mit leichter Mühe erretten könntet, es nicht wollt und uns in Flammen wälzen lasst, dass wir so langsam zu verheißenen Herrlichkeit kommen.“ – Ihr könnt nun Beichtbriefe haben, durch deren Kraft ihr im Leben und in der Sterbestunde und in den unvorbehaltenen Fällen sooft wie nötig den vollkommenen Nachlass
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der für die Sünden schuldigen Strafen haben könnt. O ihr, die ihr Gelübde übernommen habt, ihr Wucherer, ihr Räuber, Mörder, Verbrecher! Nun ist es Zeit, Gottes Stimme zu hören, der nicht den Tod des Sünders will, sondern will, dass er sich bekehrt und lebt. [Hes 33,11] […] O, ihr Kritiker, ihr Verleumder und alle, die ihr dieses Werk hindert auf direkte oder indirekte Weise, wie übel steht es mit euch: ihr seid außerhalb der Kirchengemeinschaft! Keine Messen, keine Predigten, keine Gebete, keine Sakramente, keine Fürbitten helfen euch. Keine Äcker, keine Weinberge, keine Bäume und kein Vieh tragen ihre Frucht, Weine und Spirituosen werden trocken und verdörrt, wofür Beispiele angeführt werden können. Zaudert nicht! „Bekehrt euch zu mir von ganzem Herzen“ [Joel 2,12]. Quellennachweis Dokumente zum Ablaßstreit von 1517, hg. v. Walter Köhler. Tübingen 1934, S. 125 f. (lateinisch). Die deutsche Version folgt mit geringfügigen Änderungen: Volker Leppin (Hg.): Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Ein Arbeitsbuch. Bd. III, Neukirchen-Vluyn 5 2005, N° 9, S. 15 f.
Nr. 40
Verzeichnis des Reliquienschatzes der Wittenberger Schlosskirche
Kurfürst Friedrich III. von Sachsen (1486–1525) hatte sich sehr um den Erwerb von Reliquien bemüht und eine stattliche Sammlung für seine Residenzstadt Wittenberg zusammengetragen. Die Reliquien wurden in der Schlosskirche ausgestellt. Wer sie dort am zweiten Sonntag nach Ostern (Misericordias Domini) oder am Allerheiligentag (1. November) besuchte, konnte erheblichen Ablass erwerben. Unter anderem warb der Kurfürst mit einem durch Lukas Cranach zusammenstellten Katalog (Wittenberger Heiligtumsbuch) aus dem Jahre 1509 sehr intensiv für seine Sammlung. Zu dieser Einrichtung trat die Ablasskampagne Tetzels in Konkurrenz.
Verzeichnis des hochlobwürdigen Heiltums der Stiftskirche Allerheiligen zu Wittenberg Der siebte Gang [Teil] dieses Heiltums […] Zum fünften ein silbernes Bild der Jungfrau Maria: Von der Stelle, wo die Jungfrau Maria geboren ist, eine Partikel; von etlichen Fäden, die sie gesponnen hat, eine Partikel; vom Haus, darin sie gewohnt hat, als sie vierzehn Jahre alt war, eine Partikel; von der Stelle des Berges Zion, unter dem Maria gewohnt hat, zwei Partikel; von der Kammer, wo Maria von dem Engel gegrüßt wurde, zwei Partikel; von der Milch der Jungfrau Maria fünf Partikel; von dem Baum, wo Maria den Herrn gestillt hat, bei dem Balsamgarten, eine Partikel; von den Haaren Marias vier Partikel; von dem Hemd Marias drei Partikel; vom Rock Marias drei Partikel; von anderen Kleidern Marias acht Partikel; von dem Gürtel Marias vier Partikel; von den Schleiern Marias sieben Partikel; vom Schleier Marias, besprengt mit dem Blut Christi unter dem Kreuz, zwei Partikel; von der Stelle, wo Maria gestorben ist, eine Partikel; vom Wachs des Lichtes, das unserer Frauen in die Hand gegeben wurde, als sie gestorben war, eine Partikel; vom Wachs, das Maria einer frommen Frau gegeben hat, eine Partikel; vom Grabe Marias sechs Partikel; von der Erde aus dem Grabe Marias zwei Partikel; von der Stelle, wo die Jungfrau Maria gen Himmel genommen wurde, eine Partikel.
Friedrich Myconius: Bericht über die Ablasskampagne Johann Tetzels
Insgesamt 56 Partikel Zum sechsten ein silbernes Bild des Kindes Jesu: Von der Stelle, wo der Herr Jesus geboren ist, vier Partikel; von den Tüchlein, darin er gewickelt war, eine Partikel; von der Krippe Jesu dreizehn Partikel; von der Wiege eine Partikel; vom Heu zwei Partikel; vom Stroh, darauf der Herr, als er geboren war, gelegt wurde, eine Partikel; vom Gold eine Partikel; von der Myrrhe, die die heiligen drei Könige dem Herrn geopfert haben, eine Partikel; von der Stelle, wo der Herr Jesus beschnitten wurde, eine Partikel. Insgesamt 25 Partikel Zum siebten ein silbernes, vergoldetes Bild eines Bischofs; vom Berg, wo der Herr Jesus gefastet hat, vier Partikel; von der Stelle, wo der Herr Jesus gebetet hat, drei Partikel; von der Stelle, wo Christus das Vaterunser gepredigt hat, zwei Partikel; vom Stein, auf dem Christus gestanden hat zu Jerusalem und gesprochen hat: „Hier ist das Heilmittel der Welt“, eine Partikel; vom Stein, wo Christus stand und über Jerusalem weinte, eine Partikel; vom Stein, von welchem aus Christus auf den Esel gestiegen ist, eine Partikel; von der Erde, wo der Herr Jesus gefangen genommen wurde, zwei Partikel. Insgesamt 14 Partikel Summe aller Partikel: 5005. Für jede Partikel 100 Tage Ablass. Es sind acht Gänge. Jeder Gang hat noch einmal 100 Tage und einen vierzigtägigen Ablass. Selig sind, die daran teilhaben. Quellennachweis Wittenberger Heiligthumsbuch, illustriert von Lucas Cranach d. Ä., Wittenberg 1509; Nachdruck: Liebhaber-Bibliothek alter Illustratoren in Facsimile-Reproduction 6, 2 1884. Deutscher Text nach: Volker Leppin (Hg.): Reformation. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Ein Arbeitsbuch. Bd. III, Neukirchen-Vluyn 2005, N°12a, S. 35. Literaturhinweis Helmar Junghans: Wittenberg als Lutherstadt, Berlin 2 1982. Arnold Angenendt: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 2 1997. Klaus Kühnel: Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen. Eine Biographie, Wittenberg 2004.
Nr. 41
Friedrich Myconius: Bericht über die Ablasskampagne Johann Tetzels
Der nachfolgende Bericht nimmt Bezug auf die Begegnung Myconius’ mit Tetzel, in deren Verlauf er einen kostenfreien Ablass verlangt hatte, und stammt aus einem Brief aus dem Jahr 1546 an Paul Eber. Zu Myconius siehe Nr. 28.
Der bekannte Anpreiser des vom römischen Pabst ausgeschriebenen Ablasses, Johann Tetzel, Dominikanerordens, belog und bezauberte das Volk in der neuen Stadt Annaberg ganzer zweier Jahre lang, so daß endlich alle die feste Überzeugung hatten, es sei kein anderer Weg, Vergebung der Sünden und ewiges Leben zu erlangen, als die Genugthuung durch unsere Werke, von der er doch selbst lehrte, daß sie unmöglich sei. Es sei aber dieser einige Weg noch übrig, wenn wir dieselbe von dem römischen Pabste mit Geld erkauften, und uns so
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den päbstlichen Ablaß verschafften, von dem er erklärte, er sei die Vergebung der Sünden, und der Eingang in das ewige Leben. Ich könnte von dem, was ich diese zwei Jahre hindurch gehört habe (denn er predigte tagtäglich), ganz erstaunliche und fast unglaubliche Dinge erzählen. Ich hörte ihm so aufmerksam zu, daß ich hernach andern seine ganzen Predigten, sogar mit Nachahmung seiner Stimme und Geberden, und zwar nicht zum Scherz, sondern im Ernst wieder vortragen konnte. Ich war auch der Meinung, daß dieses alles gänzlich Gottes Aussprüche wären, und daß alles, was uns von dem Pabste zugeschickt wurde, von Christo selbst zu uns käme. Endlich drohte er in eben demselben Jahre, etwa um das Pfingstfest herum, er werde das Ablaßkreuz niederlegen, und die offenen Pforten des Himmels zuschließen, und es werde nicht geschehen, daß sie das ewige Leben und Vergebung der Sünden nach diesem um so geringen Preis erhalten könnten. So sei auch gar keine Hoffnung, daß jemals, so lange die Welt stände, eine so große Freigebigkeit des römischen Stuhls wiederum nach Deutschland kommen dürfte, und ermahnte, daß ein jeder sowohl auf seine eigene als auch seiner Verstorbenen Seelenheiligkeit bedacht sein möchte. Jetzt sei der Tag des Heils, und die angenehme Zeit. „Ach, versäume ja niemand seiner Seelen Seligkeit!“ Denn woferne du die päbstlichen Ablaßbriefe nicht besitzen wirst, so wirst du von vielen Sünden und den vorbehaltenen Fällen von keinem Menschen absolvirt werden können. Es wurden öffentlich an die Kirchthüren und Wände der Kirchen gedruckte Schriften angeschlagen, in denen kundgemacht wurde, daß zu Bezeigung einiger Dankbarkeit für die Andacht des deutschen Volkes, die Ablaßbriefe und diese völlige Gewalt, Sünde zu vergeben, nicht mehr mit so großen Geldsummen, wie im Anfang, sondern um geringern Preis verkauft werden sollten. Und am Ende etwas weiter unten war noch beigefügt: Den Armen mag der Ablaß auch umsonst, um Gottes Willen gegeben werden. Dieses war der Anlaß, daß ich mir den Ablaßcommissarien etwas zu thun bekam, was aber gewiß auf Anregung, Aufmunterung und Trieb des Heiligen Geistes geschah, wiewohl ich damals selbst nicht verstand, was ich that. Es hatte mich mein Vater, da ich noch ein Knabe, ja, ein kleines Kind war, die zehn Gebote, das Gebet des Herrn und das Glaubensbekenntnis gelehrt, und hielt mich dazu an, daß ich fleißig beten mußte. Denn er sagte mir immer vor, daß wir nur von Gott allein alles hätten, und derselbe würde uns regieren, wenn ich fleißig betete. Desgleichen, daß das Blut Christi das Lösegeld für die Sünden der Welt sei, und daß dieser Glaube einem jeden Christen vonnöthen sei; ja, wenn auch nur drei Menschen diese Hoffnung haben sollten, daß sie durch Christum würden selig werden, so sollte man doch ganz gewiß dafürhalten, man sei einer von diesen dreien, und es würde dem Blut Christi zur Schmach gereichen, wenn man daran zweifeln wollte. Die Ablässe des Pabstes wären Netze, mit denen das Geld der einfältigen Leute weggefischt würde. Sicherlich könne Vergebung der Sünden und das ewige Leben nicht mit Geld erkauft werden, aber es würde die Geistlichen ärgern, wenn man dieses sagen wollte. Weil ich aber in den Ablaßpredigten nichts als Lobeserhebungen des Ablasses, von der Gnade aber des Herrn Christi und von seiner Genugthuung für die Sünden der Welt nicht die mindeste Erwähnung hatte thun hören, so meinte ich, daß nur diejenigen des Todes Christi theilhaftig würden, die es entweder durch gute Werke verdient, oder um Geld erkauft hätten. Ich blieb also in der Finsterniß, und war im Zweifel, ob ich mehr den Geistlichen oder meinem Vater glauben sollte; doch glaubte ich den Pfaffen mehr. Aber dieses Einige wollte mir nicht recht in Kopf, daß die Vergebung der Sünden nicht erlangt werden könnte, oder aber es müßte Geld dafür bezahlt werden; sonderlich was arme Leute anbetraf. Daher gefiel mir die am Ende des päbstlichen Mandats angefügte Clausel über alle Maßen wohl: Den Armen soll Ablaß umsonst gegeben werden, um Gottes willen. Da nun nach drei Tagen das Ablaßkreuz feierlich niedergelegt, und diese Stufen und Leitern zum Himmel abgenommen werden sollten, so trieb mich der Geist gewaltig, daß ich zu dem
Friedrich Myconius: Bericht über die Ablasskampagne Johann Tetzels
Commissarius hingehen und um einen solchen Brief, darin die Vergebung der Sünden umsonst für die Armen enthalten wäre, bitten und dabei anführen sollte, daß ich ein Sünder und auch ein Armer wäre, und der Theilhaftigwerdung der Verdienste Christi, und der Vergebung der Sünden umsonst, bedürftig wäre. Des andern Tages um die Abendzeit, da Tetzel mit den Beichtvätern und einer großen Menge in Johann Pflugs Hause war, machte ich mich hin zu dieser Versammlung, und bat in einer lateinischen Rede, daß doch mir, als einem Armen, laut des in dem Brief enthaltenen Mandats, das Recht möchte zugestanden werden, mir die Absolution von allen Sünden umsonst und um Gottes willen zu erbitten, so daß kein Fall vorbehalten bliebe, und mir darüber ein päbstlicher Versicherungsbrief gegeben würde. Da verwunderten sich die Pfaffen über meine lateinische Rede, was damals bei Knaben etwas Seltenes war, und verfügten sich geschwinde aus der Stube in die Kammer zu dem Commissarius Tetzel, trugen ihm mein Gesuch vor, legten auch eine Fürbitte für mich ein, daß er mir umsonst einen Ablaßbrief ertheilen möchte. Endlich kommen sie nach einer langen Berathschlagung wieder, und bringen die Antwort: Mein Sohn, wir haben deine Bitte mit allem Fleiß dem Herrn Commissarius vorgetragen, der sich auch erklärt, daß er deinem Ansuchen herzlich gerne Statt geben wolle, aber er könne es nicht, wenn er es auch wollte; doch jenes Zugeständnis wäre null und nichtig. Denn er hat uns angezeigt, daß diese päbstlichen Briefe des ausdrücklichen deutlichen Inhalts wären, daß nur diejenigen wirklich dieses allermildesten Ablasses fähig und theilhaftig sein und werden würden, welche hülfreiche Hand leisteten, das ist, welche Geld gäben. Ich aber überführte sie dagegen aus den an den Kirchthüren angeschlagenen Briefen, daß eben dieser allerheiligste Pabst befohlen hätte, daß den Armen der Ablaß umsonst geschenkt werden sollte, um Gottes willen, und es stehe darunter geschrieben: Auf des Herrn Pabsts eigenen Befehl. […] Nach geendigter Berathschlagung kam man wieder zu mir, und da bot mir einer sechs Pfennige an, daß ich sie dem Commissarius geben sollte, und also doch einer mit von denen wäre, der die Peterskirche zu Rom mit bauen, und den Türken vertilgen hülfe, und Theil hätte an der Gnade Christi und dem Ablaß. Aber da gab ich, recht aus einem Antrieb des Geistes, freimüthig zur Antwort: Wenn ich für Geld erkauften Ablaß hätte haben wollen, hätte ich nur ein Buch verkaufen und ihn mir für Geld erhandeln können. Ich wollte aber umsonst Ablaß haben und um Gottes willen, oder so sollten Gott dafür einst Rechenschaft geben, daß sie das Heil einer Seele um sechs Pfennige willen verabsäumten, welche doch Gott und der Pabst der Vergebung theilhaftig werden lassen wollten, die uns Christus erworben hätte. Ich glaubte aber damals doch, daß dieselbe ganz und gar dem römischen Pabst auszutheilen übergeben wäre, nachdem sich ein jeglicher darum verdient machte, den Armen aber umsonst. Quellennachweis Walch, Th. 15, Nr. 98, S. 364–368. Hans-Ulrich Delius (Hg.): Der Briefwechsel des Friedrich Myconius, Tübingen 1960. Literaturhinweis Hans-Ulrich Delius: Friedrich Myconius. Das Leben und Werk eines thüringischen Reformators, Münster 1956.
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2.2
Die Debatte über den Ablass in Wittenberg
Im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts war die Universität Wittenberg entschiedenen Reformen, zunächst im Sinne der humanistischen Studien unterworfen. Zunehmend wirkten diese sich auch auf den Lehrbetrieb in der theologischen Fakultät aus. Einen Markstein stellt Luthers Vorlesung über den Römerbrief 1515/16 dar. Noch im Jahr 1516 wendet sich Karlstadt gegen Luthers Auffassungen, lässt sich aber überzeugen, sich fernerhin näher mit den Schriften der Kirchenväter zu beschäftigen. Eine starke Hinwendung zu Augustin ist im Jahre 1517 zu bemerken. Brieflich verweist Luther darauf, dass Karlstadt nunmehr bereit sei, „allen Sophisten und Juristen entgegen zu treten.“166 Die berühmten Ablassthesen Luthers stehen mithin in engem Kontext mit anderen Disputationen der akademischen Kollegen, wie etwa Andreas Bodenstein von Karlstadt oder Johannes Lang. Literaturhinweis Karl Bauer: Die Wittenberger Universitätstheologie und die Anfänge der Deutschen Reformation, Tübingen 1928. Jens-Martin Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522, Mainz 2002.
Nr. 42
Karlstadt: 151 Thesen gegen die scholastische Theologie
Andreas Rudolf Bodenstein (nach seinem Geburtsort Karlstadt benannt) wurde um 1480 im unterfränkischen Karlstadt geboren und verstarb am 24. Dezember 1541 in Basel. Karlstadt stellt einen wirkmächtigen Vertreter zunächst der Wittenberger Theologie, dann aber auch ihrer radikalen Zuspitzung dar. Als Vertreter der thomistischen Theologie ging er 1505 an die Wittenberger Universität Leucorea und promovierte zum Magister artium. Neben seiner Funktion als Dekan der Artes-Fakultät wurde er 1510 zum Priester geweiht und zum Doktor der Theologie promoviert. Er lehrte an der theologischen Fakultät ab 1511 und wurde mit dem Archidiakonat an der Stiftskirche Allerheiligen (Schlosskirche) betraut. Als Dekan saß er der feierlichen Promotion von Martin Luther im Jahre 1512 vor. In Wittenberg setzte er sich intensiv mit den Schriften Augustins auseinander und vollzog eine theologische Neupositionierung. Weiterhin zeigte er sich durch Johann von Staupitz und der Mystik Johannes Taulers beeindruckt. Allerdings entwickelte Karlstadt bald eine eigenständige reformatorische Konzeption. Insbesondere in seinen Vorstellungen von der Laienkompetenz ging Karlstadt weiter als viele andere Reformatoren.
166 WA Br 1, S. 18, 143, Nr. 4341, 8 f.
Karlstadt: 151 Thesen gegen die scholastische Theologie
Im Folgenden findet sich eine Auswahl aus den insgesamt 151 Thesen Karlstadts gegen die scholastische Theologie, sie stammen vom 26. April 1517 und sind somit noch vor denen Luthers zu datieren. 1. Die Aussagen der heiligen Väter sind nicht zurückzuweisen. 2. wenn sie nicht von ihnen selbst verbessert oder zurückgenommen worden sind. 3. Widersprechen sie sich, so darf man sie nicht nach reinem Gutdünken auswählen – das sage ich gegen viele – , 4. sondern muss diejenigen nehmen, auf deren Seite eher das Zeugnis der Heiligen Schrift oder die Vernunft steht. 5. Unter denjenigen, die durch Schriftzeugnisse gestützt werden, sind die vorzuziehen, die sich auf die eindeutigen Belegstellen stützen können. 6. Sind die Aussagen eines [Kirchen-]Lehrers unter sich verschieden und unvereinbar, ist die spätere zu verwenden. 7. Die Auffassung des seligen Augustin steht in Fragen der Moral keiner anderen nach. Das sage ich gegen die Kanonisten. […] 24. Der Gnade gehen keine Verdienste voraus. Das sage ich gegen eine verbreitete Anschauung. […] 60. Damit bricht die Auffassung in sich zusammen, dass Augustin gegen die Häretiker übertreibt. Das sage ich gegen die „Moderni“.167 […] 84. Das Gesetz ohne die Gnade ist tötender Buchstabe, in der Gnade dagegen ist lebendigmachender Geist. Quellennachweis Kritische Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Andreas Bodensteins von Karlstadt. Bd. 1: Schriften 1507–1518, Teilband 1, Gütersloh 2017, S. 499–505. Die deutsche Version folgt mit geringfügigen Änderungen: Heiko A. Oberman (Hg.): Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Ein Arbeitsbuch. Bd. III, Neukirchen-Vluyn 5 2004, S. 10. Literaturhinweis Ulrich Bubenheimer: Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation, Tübingen 1977. Ders. (Hg.): Querdenker der Reformation: Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung, Würzburg 2001. Wolfgang Breul u. a. (Hg.): Andreas Bodenstein von Karlstadt und die frühe Wittenberger Reformation, Speyer 2018. Martin Keßler: Das Karlstadt-Bild in der Forschung, Tübingen 2014. Volkmar Joestel: Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt – Schwärmer und Aufrührer?, Wittenberg 2000. 167 Vertreter des Nominalismus und der sog. „via moderna“.
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Nr. 43
Martin Luther: 95 Thesen über die Kraft der Ablässe
Mit Datum vom 31. Oktober 1517 übersandte Martin Luther seine Thesen in einem Brief168 an Albrecht von Mainz. Sie sollten als Diskussionsgrundlage für einen dringend erforderlichen Austausch über die kirchliche Praxis der sogenannten Ablassbriefe dienen. Nahezu zeitgleich leitete er seine Überlegungen auch an verschiedene Freunde weiter. In Nürnberg wurden die Thesen ins Deutsche übersetzt und gedruckt. Sie fanden reißenden Absatz. Die Frage, ob Luther die Thesen an der Tür der Schlosskirche öffentlich präsentiert hat, ist umstritten und konnte bislang nicht abschließend beantwortet werden. Aus Liebe zur Wahrheit und im Verlangen, sie zu erhellen, sollen die folgenden Thesen in Wittenberg disputiert werden unter dem Vorsitz des ehrwürdigen Pater Martin Luther, Magister der freien Künste und der heiligen Theologie, dort auch ordentlicher Professor der Theologie. Daher bittet er jene, die nicht anwesend sein können, um mit uns mündlich zu debattieren, dies in Abwesenheit schriftlich zu tun. Im Namen unseres Herrn Jesus Christus. Amen. 1. Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ [Mt 4,17], wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei. 2. Dieses Wort darf nicht auf die sakramentale Buße gedeutet werden, das heißt, auf jene Buße mit Beichte und Genugtuung, die unter Amt und Dienst der Priester vollzogen wird. 3. Gleichwohl zielt dieses Wort nicht nur auf eine innere Buße; ja, eine innere Buße ist keine, wenn sie nicht äußerlich vielfältige Marter des Fleisches schafft. 4. Daher bleibt Pein, solange Selbstverachtung (das ist wahre innere Buße) bleibt, nämlich bis zum Eintritt in das Himmelreich. 5. Der Papst will und kann nicht irgendwelche Strafen erlassen, außer denen, die er nach dem eigenen oder nach dem Urteil der kirchlichen Gesetze auferlegt hat. 6. Der Papst kann nicht irgendeine Schuld erlassen; er kann nur erklären und bestätigen, sie sei von Gott erlassen. Und gewiss kann er ihm selbst vorbehaltene Fälle erlassen; sollte man diese verachten, würde eine Schuld geradezu bestehen bleiben. […] 20. Deshalb meint der Papst mit „vollkommener Erlass aller Strafen“ nicht einfach „aller“, sondern nur derjenigen, die er selbst auferlegt hat. 21. Es irren daher diejenigen Ablassprediger, die da sagen, dass ein Mensch durch Ablässe des Papstes von jeder Strafe gelöst und errettet wird. 24. Unausweichlich wird deshalb der größte Teil des Volkes betrogen durch jene unterschiedslose und großspurige Zusage erlassener Strafe. […] 27. Lug und Trug predigen diejenigen, die sagen, die Seele erhebe sich aus dem Fegefeuer, sobald die Münze klingend in den Kasten fällt. 28. Das ist gewiss: Fällt die Münze klingend in den Kasten, können Gewinn und Habgier zunehmen. Die Fürbitte der Kirche aber liegt allein in Gottes Ermessen. […]
168 Siehe hierzu: WA Br 1, S. 108–115, Nr. 48.
Martin Luther: 95 Thesen über die Kraft der Ablässe
33. Ganz besonders in Acht nehmen muss man sich vor denen, die sagen, jene Ablässe des Papstes seien jenes unschätzbare Geschenk Gottes, durch das der Mensch mit Gott versöhnt werde. 34. Denn jene Ablassgnaden betreffen nur die Strafen der sakramentalen Satisfaktion, die von Menschen festgesetzt worden sind. 35. Unchristliches predigen diejenigen, die lehren, dass bei denen, die Seelen loskaufen oder Beichtbriefe erwerben wollen, keine Reue erforderlich sei. 36. Jeder wahrhaft reumütige Christ erlangt vollkommenen Erlass von Strafe und Schuld; der ihm auch ohne Ablassbriefe zukommt. 37. Jeder wahre Christ, lebend oder tot, hat, ihm von Gott geschenkt, teil an allen Gütern Christi und der Kirche, auch ohne Ablassbriefe. 38. Was aber der Papst erlässt und woran er Anteil gibt, ist keineswegs zu verachten, weil es – wie ich schon sagte – die Kundgabe der göttlichen Vergebung ist. 39. Selbst für die gelehrtesten Theologen ist es ausgesprochen schwierig, vor dem Volk den Reichtum der Ablässe und zugleich die Wahrhaftigkeit der Reue herauszustreichen. 40. Wahre Reue sucht und liebt die Strafen; der Reichtum der Ablässe aber befreit von ihnen und führt dazu, die Strafen – zumindest bei Gelegenheit – zu hassen. 41. Mit Vorsicht sind die (päpstlich-)apostolischen Ablässe zu predigen, damit das Volk nicht fälschlich meint, sie seien den übrigen guten Werken der Liebe vorzuziehen. 43. Man muss die Christen lehren: Wer einem Armen gibt oder einem Bedürftigen leiht, handelt besser, als wenn er Ablässe kaufte. 44. Denn durch ein Werk der Liebe wächst die Liebe, und der Mensch wird besser. Aber durch Ablässe wird er nicht besser, sondern nur freier von der Strafe. 45. Man muss die Christen lehren: Wer einen Bedürftigen sieht, sich nicht um ihn kümmert und für Ablässe etwas gibt, der erwirbt sich nicht Ablässe des Papstes, sondern Gottes Verachtung. 46. Man muss die Christen lehren: Wenn sie nicht im Überfluss schwimmen, sind sie verpflichtet, das für ihre Haushaltung Notwendige aufzubewahren und keinesfalls für Ablässe zu vergeuden. 47. Man muss die Christen lehren: Ablasskauf steht frei, ist nicht geboten. […] 49. Man muss die Christen lehren: Die Ablässe des Papstes sind nützlich, wenn die Christen nicht auf sie vertrauen, aber ganz und gar schädlich, wenn sie dadurch die Gottesfurcht verlieren. 50. Man muss die Christen lehren: Wenn der Papst das Geldeintreiben der Ablassprediger kennte, wäre es ihm lieber, dass die Basilika des Heiligen Petrus in Schutt und Asche sinkt, als dass sie erbaut wird aus Haut, Fleisch und Knochen seiner Schafe. […] 62. Der wahre Schatz der Kirche ist das heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes. 63. Er ist aber aus gutem Grund ganz verhasst, denn er macht aus Ersten Letzte. 64. Der Schatz der Ablässe ist hingegen aus gutem Grund hochwillkommen, denn er macht aus Letzten Erste. 71. Wer gegen die Wahrheit der apostolischen Ablässe redet, der soll gebannt und verflucht sein. 72. Wer aber seine Aufmerksamkeit auf die Willkür und Frechheit in den Worten eines Ablasspredigers richtet, der soll gesegnet sein. […] 81. Diese unverfrorene Ablassverkündigung führt dazu, dass es selbst für gelehrte Männer nicht leicht ist, die Achtung gegenüber dem Papst wiederherzustellen angesichts der Anschuldigungen oder der gewiss scharfsinnigen Fragen der Laien.
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82. Zum Beispiel: Warum räumt der Papst das Fegefeuer nicht aus um der heiligsten Liebe willen und wegen der höchsten Not der Seelen als dem berechtigtsten Grund von allen, wenn er doch unzählige Seelen loskauft wegen des unseligen Geldes zum Bau der Basilika als dem läppischsten Grund? […] 86. Wiederum: Warum baut der Papst, dessen Reichtümer heute weit gewaltiger sind als die der mächtigsten Reichen, nicht wenigstens die eine Basilika des Heiligen Petrus lieber von seinen eigenen Geldern als von denen der armen Gläubigen? […] 90. Diese scharfen, heiklen Argumente der Laien allein mit Gewalt zu unterdrücken und nicht durch Gegengründe zu entkräften, heißt, die Kirche und den Papst den Feinden zum Gespött auszusetzen und die Christen unglücklich zu machen. 91. Wenn also die Ablässe nach dem Geist und im Sinne des Papstes gepredigt würden, wären alle jene Einwände leicht aufzulösen, ja, es gäbe sie gar nicht. 92. Mögen daher all jene Propheten verschwinden, die zum Volk Christi sagen: Friede, Friede!, und ist doch nicht Friede. [Jer 6,14] 93. Möge es all den Propheten wohlergehen, die zum Volk Christi sagen: „Kreuz, Kreuz!“, und ist doch nicht Kreuz. 94. Man muss die Christen ermutigen, darauf bedacht zu sein, dass sie ihrem Haupt Christus durch Leiden, Tod und Hölle nachfolgen. 95. Und so dürfen sie darauf vertrauen, eher durch viele Trübsale hindurch in den Himmel einzugehen als durch die Sicherheit eines Friedens. Quellennachweis WA 1, S. 233–238. Die deutsche Übersetzung folgt: Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum/ Disputation zur Klärung der Kraft der Ablässe (1517), übersetzt von Johannes Schilling und Reinhard Schwarz, in: Martin Luther. Lateinisch-Deutsche Studienausgabe, hg. v. Wilfried Härle, Johannes Schilling, Günther Wartenberg und Michael Beyer, Leipzig 2006, S. 3–15. Literaturhinweis Luthers Thesenanschlag – Faktum oder Fiktion, hg. v. Joachim Ott und Martin Treu, Leipzig 2008. Uwe Wolff: Iserloh. Der Thesenanschlag fand nicht statt, hg. v. Barbara Hallensleben, Münster 2 2016. Benjamin Hasselhorn/Mirko Gutjahr: Tatsache! Die Wahrheit über Luthers Thesenanschlag, Leipzig 2018. Volker Leppin: Der Thesenanschlag bleibt fraglich: Bemerkungen zu einer neuen Diskussion und alten Problemen, in: Luther-Bulletin 17, 2008, S. 40–53. Thomas Kaufmann: Luthers 95 Thesen in ihrem historischen Zusammenhang, in: Rainer Rausch (Hg.): Gnade – Sonst nichts! Protestantische Positionen [Dokumentationen der LutherAkademie Sondershausen-Ratzeburg e. V. 8], Hannover 2014, S. 55–82. Volkmar Joestel: 1517, Luthers 95 Thesen: der Beginn der Reformation, Berlin 1995. Thomas Kaufmann: Reformation und Reform – Luthers 95 Thesen in ihrem historischen Zusam-
Martin Luther: Der Wittenberger Studententumult
menhang, in: Peter Klasvogt/Burkhard Neumann (Hg.): Reform oder Reformation? Kirchen in der Pflicht, Leipzig 2014, S. 23–41. Thomas Kaufmann: Die Mitte der Reformation, Tübingen 2019, S. 462–476. Volker Leppin: „omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit“. Zur Aufnahme mystischer Traditionen in Luthers erster Ablaßthese, in: ARG 93 (2002), S. 7–25.
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Martin Luther: Der Wittenberger Studententumult
Johann(es) Lang(e) wurde um 1487 in Erfurt geboren und verstarb dort am 2. April 1548. Er zählt zu den der Reformation aufgrund seiner humanistischen Studien zuneigenden Theologen. 1500 immatrikulierte sich Lang in der Universität zu Erfurt und studierte u. a. bei Nikolaus Marschalk. Darüber kam er in Berührung mit dem Humanistenkreis um Mutianus Rufus. Dennoch trat er 1506 in das Erfurter Augustinerkloster ein und traf dort auf Martin Luther. Er folgte ihm 1511 nach Wittenberg. Dort fanden sich neben Johann von Staupitz eine ganze Gruppe reformorientierter Männer wie Wenzeslaus Linck, Heinrich von Zütphen, Johann Westermann und Tilemann Schnabel. 1512 übernahm Lang die Lektur der Moralphilosophie. 1515 promovierte er zum Baccalaureus biblicus und übernahm 1516 das Priorat seines vormaligen Erfurter Klosters. Lang stand in engem Austausch mit Martin Luther und begleitete ihn zur Heidelberger Disputation. Im Jahre 1519 erhielt er den theologischen Doktorgrad. Aus dem Briefwechsel wird eine Nachricht Luthers vom 21. März 1518 vorgestellt, in der er über die Reformen an der Wittenberger Universität berichtet.
Die Ablaßschwätzer donnern außerordentlich wider mich von der Kanzel, so daß sie endlich nicht genug Märchen erfinden können, die sie mir andichten. Sie fügen Drohungen hinzu, in welchen sie dem Volk versprechen, daß ich einmal binnen vierzehn Tagen, dann wieder in Monatsfrist ganz gewiß verbrannt werden solle. Sie geben auch Gegenthesen heraus und ich fürchte, sie werden einmal vor großem und mächtigem Zorn platzen. Ja, es wird mir von allen geraten, nicht nach Heidelberg zu gehen,169 damit sie nicht etwa das, was sie mit Gewalt nicht zustande bringen, durch Tücke bei mir erreichen. Ich werde dennoch gehorchen und zu Fuß hingehen, auch (so Gott will) durch Erfurt kommen. Aber erwarte mich nicht, weil ich kaum am Dienstag nach Quasimodogeniti (13. April) aufbrechen kann. Unser Fürst, der diesen wohlgegründeten Studien der Theologie mit erstaunlichem Interesse zugetan ist, nimmt mich und Karlstadt, ohne darum gebeten zu sein, eifrig in Schutz. Er wird keinesfalls dulden, daß sie mich nach Rom schleppen, was sie sehr wohl wissen und sich zur Genüge darüber ärgern. Damit Du aber gewarnt seiest, wenn etwa das Gerücht von der Verbrennung der Tetzelschen Thesen zu Euch kommt, so ist dies der Tatbestand, damit nicht jemand etwas über das hinaus hinzufüge (wie es zu geschehen pflegt), was sich wirklich zugetragen hat: Als die Studenten –
169 Auf den Sonntag Jubilate (25. April) hatte Staupitz das Ordenskapitel der Augustiner zur Neuwahl des Generalvikars zusammengerufen. Luther als Distriktvikar hatte pflichtmäßig in Heidelberg zu erscheinen.
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des alten sophistischen Studiums170 außerordentlich überdrüssig, aber mit großem Verlangen nach der heiligen Bibel, vielleicht auch im Bestreben, mir eine Gunst zu erweisen – erfahren hatten, daß von Halle ein Mann angekommen sei, der von Tetzel, dem Verfasser der Thesen, geschickt war, strömen sie sofort zusammen, erschreckten den Menschen, daß er sich erdreiste, solche Dinge hierher zu bringen. Etliche haben einige Exemplare gekauft, andere aber haben sie ihm entrissen, und alle übrigen, etwa achthundert Exemplare (eine Ankündigung und Aufforderung zusammenzukommen war vorausgegangen: wenn jemand bei der Verbrennung und dem Leichenbegängnis der Tetzelschen Thesen zugegen sein wolle, solle er um zwei Uhr auf den Markt kommen) verbrannten sie, und zwar ohne Wissen des Fürsten, des Magistrats, des Rektors, kurz unser aller. Gewiß mißfällt mir und allen dies dem Menschen von den Unsrigen zugefügte schwere Unrecht. Ich bin ohne Schuld, aber ich fürchte, daß das Ganze mir zugerechnet werden wird. Es entsteht daraus überall ein großes Gerede, aber noch größer – und das nicht ganz zu Unrecht – ist deren Entrüstung. Was geschehen wird, weiß ich nicht, nur daß meine Gefährdung dadurch noch gefährlicher wird. Doktor Konrad Wimpina171 wird von allen als der Verfasser dieser Thesen genannt, und ich halte es für gewiß, daß es so ist. Deshalb schicke ich Dir ein Exemplar, welches dem Feuer entrissen ist, damit Du siehst, wie sie gegen mich toben. Mit unserer Universität steht es übrigens gut in der Hoffnung, daß wir nächstens Vorlesungen über zwei, ja über drei Sprachen,172 über Plinius, die Mathematik, Quintilian173 und etliche andere sehr gute haben werden; die albernen Lektionen über Petrus Hispanus,174 Tartaretus175 und Aristoteles lassen wir dann weg. Und das gefällt auch dem Fürsten, und es wird darüber schon beraten und verhandelt. Empfiehl mich den Vätern und Brüdern. Quellennachweis Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hg. v. Kurt Aland. Bd. 10, Stuttgart 1959. S. 38–40. Nach WA Br 1, S. 154 f. (Nr. 64) (lateinisch, unwesentlich gekürzt).
170 Damit wird die sich hauptsächlich auf Aristoteles und Thomas von Aquin berufende, scholastische Theologie charakterisiert. Luther wirft ihren Vertretern vor, mit Scheinargumenten und Spitzfindigkeiten zu operieren. 171 Thomistischer Theologe, damals Professor an der Universität Frankfurt a. O., zu deren Mitbegründern er gehörte. Seine Fehde mit Polich von Mellerstadt, dem ersten Rektor der Wittenberger Universität, trug zur Verschärfung des Gegensatzes bei. Tetzel hatte, um im Ablassstreit eine bessere Stellung zu gewinnen, in Frankfurt a. O. sich um den theologischen Doktorgrad beworben. Wimpina hatte als Dekan der theologischen Fakultät bei der Disputation Tetzels am 20. Januar 1518 präsidiert und diesem auch die Thesen dafür aufgesetzt. 172 Am 11. März hatte Luther nach Besprechung mit Karlstadt einen entsprechenden Antrag an Spalatin gesandt (WA Br 1, S. 135 f., Nr. 63). Anscheinend war das Echo auf die vorgeschlagene Studienreform (Abbau der scholastischen Vorlesungen und Ausbau im Sinne der Moderne) positiv ausgefallen. 173 Marcus Fabius Quintilianus (um 35–um 95 u. Z.), römischer Redner, Lehrer und Verfasser eines Lehrbuchs der Rhetorik Institutio oratoria in zwölf Bänden. 174 Eigentlich Pedro Juliao (um 1215–1277), spanischer Philosoph und Mediziner, als Johannes XXI. ab 1276 Papst; seine Schriften wurden seit dem 15. Jahrhundert vielfach gedruckt. 175 Petrus Tartaretus, französischer Scholastiker (Skotist) und Pariser Universitätslehrer in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Konrad Wimpina: Gegenthesen aus Frankfurt an der Oder
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Konrad Wimpina: Gegenthesen aus Frankfurt an der Oder
Konrad Koch wurde um 1460 in Buchen (Odenwald) geboren und verstarb am 17. Mai 1531 in Amorbach. Er zählt zu den humanistisch gebildeten Theologen. Sein lateinischer Name Wimpina ist auf das seiner Familie verliehene Bürgerrecht der Reichsstadt Wimpfen am Neckar zurückzuführen. Dort gehörte er als Lektor dem Konvent der Wimpfener Dominikaner an und wechselte 1479 an die Universität Leipzig: Nach Abschluss des Studiums der freien Künste und Erwerb des akademischen Grads eines Magisters (1485) studierte er Theologie und wurde 1491 zu theologischen Vorlesungen zugelassen. 1494 diente er als Rektor der Universität und danach als Dekan der Artistenfakultät. In Merseburg zum Priester geweiht, wurde er am 5. Januar 1503 in Leipzig zum Doktor der Theologie promoviert. Wimpina engagierte sich 1505 als Gründungsrektor der Brandenburgischen Universität Frankfurt an der Oder. Als Kontroverstheologe zählt er zu den Verfassern der katholischen Erwiderung auf das protestantische Augsburger Bekenntnis von 1530, der sog. „Confutatio“. Im Folgenden ist die Erste Disputation des Johann Tetzel abgedruckt, gehalten zu Frankfurt/Oder am 21. Januar 1518, die von Konrad Wimpina aufgesetzt worden war. Auf daß die Wahrheit offenbar und die Irrthümer unterdrückt, sowie die Einwürfe wider die katholische Wahrheit durch Beweise aufgelöst werden, wird Bruder Johannes Tetzel aus dem Predigerorden, der heiligen Theologie Baccalaureus und Inquisitor der Ketzerbosheit, die nachstehenden Thesen auf der blühenden Universität zu Frankfurt an der Oder aufrecht erhalten: zum Lobe Gottes, zur Vertheidigung des katholischen Glaubens und zu Ehren des heiligen apostolischen Stuhles. 1. Unser Herr Jesus Christus, der alle zu den Sacramenten des neuen Gesetzes nach seinem Leiden und Auferstehen wollte verpflichtet haben, 2. Wollte sie auch alle vor seinem Leiden durch seine passendste Predigt lehren. 3. Wer also sagt, daß Christus, indem er predigte: „Thut Buße!“ [Mt 4,17], eine solche innere Buße und Abtödtung des Fleisches gewollt habe, 4. Daß er nicht auch habe können lehren oder mitverstanden habe das Sacrament der Buße und seine Theile, die Beichte und Genugthuung, als verpflichtend, der irrt. Ja, es hilft nun nichts, wenn auch gleich die innere Pein die äußere Abtödtung wirkte, wo nicht mit der That oder Begehren die Beichte und Genugthuung vorhanden ist. 5. Diese Genugthuung (da Gott kein Vergehen ohne Strafe sein läßt) geschieht durch eine Strafe oder durch etwas, was derselben gleich gilt, wenn Gott jemanden aufnimmt. 6. Diese wird entweder von den Priestern nach Gutdünken oder nach dem Canon auferlegt, oder sie wird auch bisweilen von der göttlichen Gerechtigkeit gefordert, um hier oder in dem Fegefeuer bezahlt zu werden. […] 46. Daß die Ablaßprediger irren, wenn sie predigen, daß durch des Papstes Ablaß der Mensch könne von aller Strafe gelöst und selig werden, ist ein Irrtum. 47. Zu sagen, daß der Pabst den Seelen im Fegefeuer keine Strafe erlasse, die sie in diesem Leben nach den Canones hätten büßen müssen, ist ein Irrtum.
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57. Daß in den veröffentlichten Fürbitten Gewinn und Geiz gesucht werde, und nicht die Wirkung der Reinigung folge, ist ein Irrthum. 65. Daß ein jeglicher Christ, der wahrhaft zerschlagen ist, ohne Ablaß schnell und gänzlich eine völlige Vergebung von Schuld und Strafe habe, ist ein Irrthum. 66. Daß ein jeglicher Christ, er lebend oder todt, Theil habe an allen Gütern, insofern es die rechtmäßige Nachlassung der Strafen betrifft, ist ein Irrthum. 72. Die Werke der Liebe vermögen mehr darin, daß sie verdienen, aber der vollkommene Ablaß mehr, daß er schnell genugthut und gänzlich erläßt. Wer das nicht weiß oder nicht glaubt und dem Volk das eine lehrt und das andere verschweigt, der irrt. 75. Wer dem Armen gibt und dem Dürftigen leiht, thut besser in Bezug auf die Vermehrung des Verdienstes; wer aber Ablaß löst, thut besser in Bezug auf die schnellere Genugthuung. Wer das Volk anders lehrt, der verführt es, und wer meint, Ablaßlösen sei nicht auch ein Werk der Barmherzigkeit, der irrt. 96. [Das] Evangelium, [die] Gabe gesund zu machen, [die] Sacramente der Vergebung haben alle das Wort Gnade gemeinsam; das eine also erheben und das andere heruntersetzen, heißt vollständig irren. 106. […] Daß der Pabst die St. Peterskirche nicht aus seinen Mitteln erbaut, ist bei denen, die es recht deuten, Frömmigkeit, nicht Kargheit, damit er nämlich die, welche daran Theil nehmen, wegen dieses frommen Werkes mit dem Ablaß beschenken könne, sie von den Strafen erlösen und selig machen. Es ist auch billig, daß die allen Christen gemeinsame Kirche durch gemeinsame Kosten erbaut werde. […] Wenn also auf rechte Art Ablaß erlangt worden ist, so ist Friede, Friede von den vergangenen Genugthuungsstrafen, aber es bleibt noch das Kreuz, Kreuz übrig, um die künftigen zu verhüten. Wer dies leugnet, der hat keinen Verstand, sondern irrt und ist toll. Ende. Schließlich, gestützt auf die Wahrheit, unterwirft er [der Autor] alles Vorstehende dem heiligen apostolischen Stuhle, dem obersten Richter in Glaubenssachen, den Ordinarien jedes Ortes und den Inquisitoren des Ketzergerichts. Und damit diese Unterwerfung nicht verdächtig sei, so unterwirft er es auch dem Urtheile der vier vornehmsten hohen Schulen Italiens, Frankreichs und Deutschlands, ja, auch allen unverdächtigen hohen Schulen der deutschen Nation, bereit, das Urtheil derselben für jeden Fall zu leiden und auf sich zu nehmen. Quellennachweis Walch, Bd. 18, Abt. 2, S. 82–95. Literaturhinweis Wilbirgis Klaiber: Katholische Kontroverstheologen und Reformer des 16. Jahrhunderts. Ein Werkverzeichnis, Münster/Westf. 1978. Remigius Bäumer: Konrad Wimpina (1460–1531), in: Erwin Iserloh (Hg.): Katholische Theologen der Reformationszeit, Teil 4, Münster 1987, S. 7–17.
Johannes Mathesius: Die Aufnahme der Thesen
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Johannes Mathesius: Die Aufnahme der Thesen
Johannes Mathesius wurde am 24. Juni 1504 in Rochlitz geboren und verstarb am 7. Oktober 1565 in Joachimsthal in Böhmen. Er wuchs in einer angesehenen Familie als Bürger der Stadt auf und ging 1521 nach Nürnberg, wo er eine Lateinschule besuchte. Zwei Jahre später zog er weiter nach Ingolstadt und studierte Theologie. Angezogen von Luthers Schriften ging Matthesius im Mai 1530 nach Wittenberg und besuchte Vorlesungen der Reformatoren. 1532 übernahm er auf Empfehlung von Luther und Melanchthon eine Anstellung als Rektor der Lateinschule in Joachimsthal. Es gelang ihm, die Schule im humanistischen Geist zu einer beeindruckenden Blüte zu bringen. 1540 kehrte er jedoch nach Wittenberg zurück und wurde ein wichtiger Überlieferer der Tischreden des Reformators. 1542 von Luther ordiniert, begab er sich erneut nach Joachimsthal. Er prägte den Wandel der aufblühenden Silberbergbaustadt zu einer evangelischen Mustergemeinde in Böhmen. Heute ist Mathesius’ Name vor allem mit seiner Biografie Luthers verbunden.
Da nun Doktor Luthers erste Disputation in Druck ausging, kam sie in Monatsfrist gen Rom und in alle hohen Schulen und Klöster. Was fromme Mönche waren, die vermeinten in Klöstern selig zu werden und denen der Kostnitzer Handel noch stetig im Sinn lag und eben verdächtig war, nahmen diese kurze Schrift mit Freuden an. Wie man von dem frommen Mönch Dr. Fleck saget, der die Universität Wittenberg hat helden einweihen und daneben geweissaget, daß alle Welt von diesem weißen Berge (damit meinte er Wittenberg) Weisheit holen und bekommen würde. Dieser Mönch, der sein Lebtag keine Messe gehalten hat, findet zu Steinlaufig in seinem Rempter diese Propositiones angeschlagen, und wie er ein wenig darinnen liest, schreit er vor Freuden auf und sagt: „Ho, ho, der wird’s tun! Er kommt, auf den wir lange gewartet haben.“ Er hat auch einen sehr tröstlichen Brief deswegen an Dr. Luther geschrieben und ihn ermahnt, er solle getrost fortfahren, denn er sei auf dem rechten Wege, und Gott und das Gebet aller Gefangenen im römischen Babylon würden mit ihm sein. Viele andere, so sich in Klöstern mit Beten und Fasten schier zu Tode gemartert hatten, dankten dem lieben Gott, daß sie den Schwan, davon Mag. Johann Huß geweissaget hatte, singen hörten. Was aber um des Bauches, um guter Tage und um der Ehre und des Ansehens willen ins Kloster gelaufen und geistlich geworden war und den römischen Charakter und Malzeichen trug, fing an auf Dr. Luther zu schelten und wider ihn zu schreiben. Quellennachweis Johann Mathesius: Historien Von deß Ehrwürdigen in Gott seligen theuren Manns Gottes D. Martin Luthers Anfang Lehre Leben standhaffter Bekenntnuß seines Glaubens und Sterben, ordentlich der Jarzal nach, wie sich solches alles habe zugetragen, beschrieben. 2. Predigt, Nürnberg 1566, S. 12. Layoutgetreues Digitalisat der Ausg.: Nürnberg: Kauffmann, 1608, http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10986772_00005.html (zuletzt eingesehen am 10.12.2020).
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Literaturhinweis Armin Kohnle/Irene Dingel (Hg.): Johannes Mathesius (1504–1565). Rezeption und Verbreitung der Wittenberger Refomation durch Predigt und Exegese, Leipzig 2017.
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Prierias: Dogmatisches Gutachten über Luther als Ketzer
Silvester Mazzolini, nach seinem Geburtsort da Priero genannt, wurde 1456 in der Provinz Cuneo geboren und verstarb 1523 in Rom. Er gehörte seit 1471 dem Predigerorden an und wirkte als päpstlicher Kontroverstheologe. Er wurde in die Kommission berufen, die ab Frühjahr 1518 mit dem Fall Luther und der Einleitung eines kanonischen Prozesses beauftragt war. Eine seiner Schriften erschien im Frühjahr 1518 und war Luther bekannt. Prierias stellte darin vier unverrückbare Grundsätze heraus: (1) Die Kirche ist ihrem Wesen nach die Versammlung aller gläubigen Christen. (2) Die Kirche ist die römisch-katholische Kirche, das Haupt aller Kirchen und der Papst deren Oberhaupt. (3) Die Kirche kann nicht irren, wenn sie über Glauben und Sitten entscheidet, einschließlich ihres Oberhaupts, des Papstes. (4) Ein Häretiker ist, wer sich nicht an die Lehre des römischen Klerus und des Papstes hält. Wer betreffs der Ablässe sagt, die römische Kirche könne nicht tun, was sie faktisch tut, ist ein Häretiker. Da es mir nicht möglich war, die Gründe des (wie man sagt) von dir herausgegebenen Buches zu Gesicht zu bekommen, und du deinen Schlüssen, von denen viele sowohl einen wahren als auch besonders einen falschen Sinn haben, keine Beweise hinzugefügt hast, möchte ich vor allem so mit dir kämpfen, daß ich das Gegenteil deiner falschen Thesen aufrechterhalte und verteidige, damit du die Gründe genau angibst, auf die du dich stützt. Folglich eröffne ich nun den künftigen Streit, indem ich deine Sätze durchgehe und sie in einem Dialog abwäge, in dem wir selbst, die wir miteinander kämpfen werden, die Unterredung führen. Lebe wohl und besinne dich eines Besseren! […] Der dritte Grund: Wer sich nicht auf die Lehre der römischen Kirche und des römischen Papstes, als der unfehlbaren Glaubensregel, von der auch die Heilige Schrift ihre Kraft und ihr Ansehen bezieht, stützt, der ist ein Ketzer. Der vierte Grund: Die römische Kirche kann sowohl durch das Wort als auch durch die Tat bezüglich des Glaubens und der Sitte etwas beschließen. Und darinnen ist kein Unterschied, außer daß sich die Worte besser dazu eignen als die Taten. Aus diesem Grunde erlangt die Gewohnheit die Kraft des Gesetzes. Denn der Willen des Fürsten wird durch Taten ausgedrückt, die erlaubt oder ausgeführt werden. Und wie folglich der ein Ketzer ist, der nicht richtig über die Wahrheit der Schrift denkt, ebenso ist der ein Ketzer, der unrecht über die Lehre und die Tat der Kirche denkt, soweit sie sich auf den Glauben und die Sitten beziehen. Daraus folgt: Wer über den Ablaß sagt, die römische Kirche dürfe das nicht tun, was sie tatsächlich tut, der ist ein Ketzer. […] Luther [These 27]: Menschlich predigen diejenigen, die sagen, daß die Seele sogleich in den Himmel springe, wenn das in den Kasten geworfene Geld erklinge. Prierias: Der Prediger, der sagt, daß die Seele, die sich im Fegefeuer aufhalte, in dem Augenblick sich zum Himmel erhebe, in dem das erfüllt worden sei, wofür die Gnade des vollen Ablasses
Thesen zur Heidelberger Disputation
gewährt wird, zum Beispiel wenn das Geld in das Becken geworfen worden ist, predigt nicht menschlich, sondern die reine und katholische Wahrheit. Du aber, der du das Gegenteil lehrst, siehe nach dem Obengesagten zu – wenn du hartnäckig dabei bleibst –, was du dafür verdienst, daß du die Tat und die Lehre der heiligen römischen Kirche tadelst. […] Wenn das Beißen die Eigenart der Hunde ist, fürchte ich, daß du einen Hund zum Vater gehabt hast, denn du scheinst dazu geboren zu sein, daß du beißt. Obendrein fürchte ich, daß dir wegen der Witzeleien und der Erhebung deines Mundes gegen den Himmel ein Unglück widerfährt. Auch sehe ich nicht, auf welche Weise du dich infolge des vielfältigen Kapitels dem Bannfluch entziehen willst. Auch glaube ich nicht, daß du ein Mann von ordentlichem Verstand bist, der du solche Aussagen der Öffentlichkeit übergeben hast. Quellennachweis Erlanger Luther-Ausgabe. Opera Latina varii argumenti. Erlangen 1829–1886. I, S. 345 f., 347, 357, 370. Silvester Prierias: Dialogus de potestate Papae in Lutheri conclusiones, 1517. Übersetzung übernommen aus: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 53 f. Literaturhinweis Wilhelm Borth: Die Luthersache (Causa Lutheri) 1517–1524. Die Anfänge der Reformation als Frage von Politik und Recht, Lübeck/Hamburg, 1970. Peter Fabisch/Erwin Iserloh (Hg.): Dokumente zur Causa Lutheri. Teil 1., Das Gutachten des Prierias und weitere Schriften gegen Luthers Ablassthesen (1517–1518), München 1988.
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Heidelberger Disputation
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Thesen zur Heidelberger Disputation
Johann von Staupitz berief für das Generalkapitel der deutschen Reformkongregation der Augustiner-Eremiten einen Generalkonvent für den Zeitraum vom 25. bis zum 27. April 1518 nach Heidelberg. Er wurde dort als Generalvikar wiedergewählt. Zugleich war eine öffentliche Disputation vorgesehen, auf der Luther seine Theologie vorstellen und gegebenenfalls verteidigen konnte. Sie fand nicht im Augustinerkloster statt, sondern im Hörsaal der Artistenfakultät der Universität. Luther übernahm den Vorsitz des Streitgespräches, zu der er 28 theologische und 12 philosophische Thesen vorbereitet hatte. Aus Mitschriften ist ersichtlich, dass er den Disput auf die Rechtfertigungslehre konzentrierte und auf die Angriffe auf die scholastische Theologie und der aristotelischen Philosophie nicht weiter einging. Diese Heidelberger Disputation ist auch deshalb von Bedeutung, weil Luther hier insbesondere junge Studenten und Magister von seiner Theologie überzeugen konnte, einige wurden später selbst zu Reformatoren. Hierzu gehören Johannes Brenz, Martin Bucer und Erhard Schnepf.
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Aus der Theologie Uns selbst gänzlich misstrauend gemäß dem Rat des Geistes: „Verlass dich nicht auf deine Klugheit“, bieten wird demütig dem Urteil aller, die anwesend sein wollen, diese theologischen, widersprüchlich wirkenden Thesen, damit sich so zeige, ob sie gut oder schlecht herausgeholt sind aus dem göttlichen Paulus, diesem erwähltesten Gefäß und Werkzeug Christi, ferner auch aus St. Augustinus, seinem zuverlässigsten Ausleger. 1. Das Gesetz Gottes, die allerheilsamste Lehre des Lebens, kann den Menschen nicht zur Gerechtigkeit befördern, sondern hindert ihn eher. 2. Um wie viel weniger können die Werke der Menschen, die mit Hilfe der natürlichen Anweisung [der Vernunft] häufig wiederholt (wie man sagt) getan werden, [zur Gerechtigkeit] befördern. 3. Die Werke der Menschen, wie schön sie auch immer seien und wie gut sie erscheinen, so glaubhaft ist doch, dass sie Todsünden sind. 4. Die Werke Gottes, wie ungestalt sie auch immer seien und wie schlecht sie erscheinen, sind doch in Wahrheit unsterbliche Verdienste. 5. Nicht in dem Sinne sind die Werke der Menschen (wir sprechen von den gut erscheinenden) Todsünden, dass sie zugleich auch Verbrechen wären. 6. Nicht sind die Werke Gottes (wir sprechen von denen, die durch Menschen geschehen) in dem Sinne Verdienste, dass sie nicht zugleich Sünden sind. 7. Die Werke der Gerechten wären Todsünden, wenn sie nicht aus Gottesfurcht von ihnen selbst als Todsünden gefürchtet würden. 8. Um wie viel mehr sind die Werke der Menschen Todsünden, da sie sogar ohne Furcht und in böser Sicherheit geschehen. 9. Zu sagen, dass die Werke außerhalb von Christus zwar tot seien, aber keine Todsünden, zeigt sich als gefährliche Preisgabe der Gottesfurcht. 10. Ja, es ist sehr schwer einzusehen, auf welche Weise ein Werk tot sein soll und trotzdem keine schädliche, todbringende Sünde. 11. Vermessenheit kann nicht vermieden werden und wahre Hoffnung kann nicht vorhanden sein, wenn nicht in jedem Werk das Urteil der Verdammnis gefürchtet wird. 12. Dann sind Sünden bei Gott wirklich lässlich, wenn sie von den Menschen als Todsünden gefürchtet werden. 13. Das freie Willensvermögen nach dem Sündenfall ist ein bloßer Name, und indem es tut, was in seinen Kräften steht, sündigt es tödlich. 14. Das freie Willensvermögen nach dem Sündenfall vermag zum Guten etwas [nur] seiner angelegten Möglichkeit nach, zum Bösen jedoch stets seiner tatsächlichen Fähigkeit nach. 15. Auch konnte es nicht im Stand der Unschuld bleiben seiner tatsächlichen Fähigkeit nach, sondern [nur] seiner angelegten Möglichkeit nach, geschweige denn, dass es im Guten Fortschritte machen konnte. 16. Der Mensch, der glaubt, er wolle dadurch zur Gnade gelangen, dass er tut, was in seinen Kräften steht, fügt Sünde zur Sünde hinzu, so dass er doppelt schuldig wird. 17. So zu reden, heißt nicht, Anlass zur Verzweiflung zu geben. 18. Es ist gewiss, dass ein Mensch von Grund aus an sich verzweifeln muss, damit er geeignet wird, die Gnade Christi zu erlangen. 19. Nicht der wird ein Theologe genannt, der das unsichtbare [Wesen] Gottes durch das erblickt, was gemacht ist. 20. Sondern wer das sichtbare [Wesen] und die dem Menschen zugewandte Rückseite Gottes erkennt, die durch Leiden und Kreuz erblickt wird.
Martin Bucer: Brief an Beatus Rhenanus
21. Der Theologe der Herrlichkeit nennt das Übel ein Gutes und das Gute ein Übel. Der Theologe des Kreuzes sagt das, was die Sache ist. 22. Jene Weisheit, die das unsichtbare [Wesen] Gottes betrachtet, das aus den Werken erkannt wird, bläht gänzlich auf, verblendet und verhärtet. 23. Das Gesetz Gottes bewirkt Zorn, es tötet, verklagt und verdammt alles, was nicht in Christus ist. 24. Trotzdem ist nicht jene Weisheit schlecht, noch das Gesetz zu fliehen, sondern der Mensch ohne die Theologie des Kreuzes missbraucht das Beste aufs Schlimmste. 25. Nicht der ist gerecht, der viel wirkt, sondern der ohne Werk viel an Christus glaubt. 26. Das Gesetz sagt: „Tu das“, und es geschieht niemals. Die Gnade sagt: „Glaube an den“, und schon ist alles getan. 27. Richtig sollte man das Werk Christi wirkend nennen und unseres gewirkt, und das so, dass das gewirkte Werk Gott gefalle durch die Gnade des wirkenden Werkes. 28. Die Liebe Gottes findet das für sie Liebenswerte nicht vor, sondern erschafft es. Die Liebe des Menschen entsteht aus dem für sie Liebenswerten. Quellennachweis WA 1, S. 200. Die deutsche Übersetzung folgt: Disputatio Heidelbergae habita/Heidelberger Disputation (1518), übersetzt von Wilfried Härle, in: Martin Luther. Lateinisch-Deutsche Studienausgabe, hg. v. Wilfried Härle, Johannes Schilling und Günther Wartenberg unter Mitarbeit von Michael Beyer. Bd. 1: Der Mensch vor Gott, Leipzig 2006, S. 63–69. Literaturhinweis Karl-Heinz zur Mühlen: Die Heidelberger Disputation Martin Luthers vom 26. April 1518, in: Semper Apertus. 600 Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386–1986. Bd. 1, hg. v. W. Doerr u. a., Berlin u. a. 1985, S. 188–212. Heinz Scheible: Die Universität Heidelberg und Luthers Disputation, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 131 (1983), S. 309–329. Thomas Kaufmann: Der Anfang der Reformation: Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung, Tübingen 2 2018, S. 334–355.
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Martin Bucer: Brief an Beatus Rhenanus
Martin Bucer wurde am 11. November 1491 in Schlettstadt geboren, und verstarb am 1. März 1551 in Cambridge. Mit fünfzehn Jahren trat Bucer dem Dominikanerorden bei und immatrikulierte sich am 31. Januar 1517 an der Universität Heidelberg. Hier erlebte er am 26. April 1518 die Heidelberger Disputation. Bucer wandte sich der Reformation zu und verließ 1521 seinen Orden. Er brach das Studium ab und fand zunächst bei Franz von Sickingen Zuflucht. Aus seinem reichen Briefwechsel wird hier aus dem Bericht an den Humanisten Beatus Rhenanus zitiert.
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Ich komme zu jenem Martin Luther zurück. So gewiß unsere Vornehmsten ihn mit aller Gewalt aus dem Sattel heben wollten, konnten sie ihn mit ihren spitzfindigen Darlegungen dennoch nicht einen Finger breit von seinem Standpunkt abziehen. Wunderbar ist seine Anmut, wenn er antwortet, unvergleichlich seine Langmut, mit der er zuhört. Wenn er die Einwürfe widerlegte, hättest Du den Scharfsinn des Paulus – nicht den des Duns Scotus – wahrnehmen können. Durch seine sehr kurzen und dazu sachkundigen, aus dem Vorrat der Heiligen Schrift herausgeholten Antworten riß er die übrigen leicht dazu hin, ihn zu bewundern. Am folgenden Tag [26. April] hatte ich mit ihm ein vertrauliches und für mich günstiges Gespräch unter vier Augen. Ich teilte auch mit ihm ein zwar nicht üppiges, aber mit sehr erwünschten Belehrungen ausgiebig gewürztes Mahl. Was immer ich auch erfahren wollte, er setzte es mir ganz klar auseinander. Mit Erasmus stimmt er in allem überein, ja in diesem einen scheint er ihn noch zu übertreffen, daß er offen und frei lehrt, was jener nur andeutet. Oh, hätte ich Zeit, Dir darüber noch mehr zu schreiben. Er hat es erreicht, daß in Wittenberg alle jene gewöhnlichen Schriftsteller auf einmal abgelehnt worden sind und die griechische Sprache, Hieronymus, Augustin und Paulus öffentlich gelehrt werden. Quellennachweis WA 9, S. 162, 1–13. [Martin Butzers Bericht an Beatus Rhenanus über die Heidelberger Disputation 1518] (lateinisch). Die deutsche Übersetzung folgt: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 214 f. Literaturhinweis Martin Greschat: Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit, München 1990. Gottfried Hammann: Martin Bucer. Zwischen Volkskirche und Bekenntnisgemeinschaft, Stuttgart 1989. Thomas Kaufmann: Der Anfang der Reformation: Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung, Tübingen 2 2018, S. 334–355.
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Das Verhör durch Cajetan auf dem Reichstag zu Augsburg
Noch während eines polemischen Notenwechsels im Winter 1518 zwischen dem römischen Chefankläger Silvester Mazzolini von Prierio (Prierias) (1456–1523) und Martin Luther trieb der päpstliche Theologe den römischen Prozess voran und ließ den Wittenberger Augustiner mit Schreiben vom 7. August 1518 nach Rom vorladen. Dem diplomatischen Geschick des kursächsischen Fürsten Friedrich III. und seinen Räten ist es zu verdanken, dass Luther auf deutschem Boden anlässlich des nächsten Reichstages verhört werden sollte. Der Dominikaner Thomas de Vio von Gaeta (Cajetanus) (1469–1534) wurde mittels eines päpstlichen Breves vom 23. August 1518
Philipp Melanchthon: Friedrich der Weise
dazu aufgefordert, den notorischen Ketzer zu überführen. Zeitgleich ergingen päpstliche Schreiben an den sächsischen Kurfürsten und den Provinzial der sächsischen Augustinereremiten mit behutsam formulierten Bitten um Auslieferung Luthers. Der am 20. Februar 1469 geborene Ordensmann Thomas de Vio war zwischen 1508 und 1518 Generaloberer der Dominikaner und in der Kurie hoch angesehen. Er zeigte sich u. a. für eine Wiederbelebung des Thomismus im ausgehenden Spätmittelalter verantwortlich. Der Kardinal agierte auf dem Reichstag als päpstlicher Gesandter vom Stadtpalais Jakob Fuggers aus und hatte die Aufgabe, „mit väterlicher Milde“ den der Häresie verdächtigen Luther zum Widerruf zu bewegen. Cajetan war ein akademischer Disput verboten worden und so scheiterte eine Verständigung der beiden Kontrahenten trotz mehrerer Treffen zwischen dem 12. und 14. Oktober. Luther verließ am 21. Oktober die Reichsstadt Augsburg fluchtartig. Literaturhinweis Bernhard Lohse: Cajetan und Luther. Zur Begegnung von Thomismus und Reformation, in: ders.: Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation, hg. von Leif Grane u. a., Göttingen 1988, S. 44–63. Volker Leppin: Martin Luther, Darmstadt 2006, S. 135–141. Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation, Frankfurt am Main/Leipzig 2009, S. 228–232. Ders.: Die Mitte der Reformation, Tübingen 2019, S. 486–512. Bernd Moeller: Luther und das Papsttum, in: Luther-Handbuch, hg. v. Albrecht Beutel, Tübingen 2017, S. 131–140.
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Philipp Melanchthon: Friedrich der Weise
Friedrich III. von Sachsen, genannt der Weise, wurde am 17. Januar 1463 in Torgau geboren und verstarb am 5. Mai 1525 in Lochau. Nach dem Tod seines Vaters 1486 übernahm Friedrich aus der ernestinischen Linie der Wettiner die Kurwürde. Mit seinem Bruder Johann, genannt der Beständige, verwaltete er seine weit verstreuten Herrschaftsgebiete. Friedrich praktizierte die Frömmigkeit seiner Zeit und war ein leidenschaftlicher Reliquiensammler. Die 1502 von ihm gegründete Landes-Universität zu Wittenberg entwickelte sich zu einer der frequenzstärksten Universitäten im Alten Reich. Friedrich versuchte in der Reichspolitik Reformen umzusetzen, die eine Stärkung der Territorialfürsten und zugleich eine Machtminderung der kaiserlichen Zentralgewalt zum Ziele hatte. Er sah das Renaissancepapsttum äußerst kritisch. Bei der Wahl des deutschen Königs von 1519 spielte der sächsische Kurfürst eine entscheidende Rolle: Als am 28. Juni 1519 in Frankfurt der 19-jährige Habsburger und Enkel Kaiser Maximilians von Habsburg Karl gewählt wurde, hatte er die wesentlich von Friedrich entworfene Wahlkapitulation zu unterzeichnen.
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Die Anfänge der Reformation
So wie einzig unter allen Fürsten unserer Zeit Friedrich die öffentliche Ruhe am stärksten liebte, und am wenigsten auf den eigenen Vortheil bedacht, seine Anschläge am meisten auf die gemeinsame Wohlfahrt der Welt zu beziehen gewohnt war, wie aus vielen Dingen ersehen werden kann: so hetzte er auch weder Luthern auf, noch gab er ihm Beyfall, und gab oft seine Bekümmerniß zu erkennen, die er, größere Zwietracht fürchtend, fortdauernd mit sich herum trug. Indessen tat dieser weise Fürst, nicht allein weltlichem Urtheil folgend, das die leisen Anfänge aller Veränderungen schleunigst zu ersticken befiehlt, sondern auch göttliche Vorschrift zu Rathe ziehend, welche das Evangelium zu hören gebeut, und der erkannten Wahrheit zu widerstreben verbeut, welche die der Wahrheit sich widersetzende Hartnäckigkeit eine Gotteslästerung nennt, die Gott zum Furchtbarsten verdammt, – er that darum, was viele andere fromme und weise Menschen getan, er wich Gotte, las aufmerksam das, was geschrieben wurde, und wollte, was ihm Wahrheit zu seyn däuchte, nicht vertilgen. Quellennachweis Philipp Melanchthons Erzählung vom Leben D. Martin Luthers. Übersetzt und hg. v. D. Friedr. Theoph. Zimmermann. Mit Anmerkungen vom Professor von Villers. Nebst einer Vorrede von G. J. Planck, Göttingen 1813, S. 24. Literaturhinweis Armin Kohnle/Manfred Rudersdorf (Hg.): Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532. Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung. Bd. 1: 1513–1517, Leipzig 2017. Klaus Kühnel: Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen. Eine Biographie, Wittenberg 2004.
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Friedrich der Weise an einen römischen Kardinal
Zutiefst von der spätmittelalterlichen Frömmigkeit durchdrungen, wird man Kurfürst Friedrich III. von Sachsen kaum als Parteigänger Luthers und als Anhänger der Reformation bezeichnen können. Gleichwohl führte seine vermittelnde, zuweilen ausgleichende Haltung in politischen Fragen dazu, dass Luther faktisch durch Friedrich geschützt wurde. Der Fürst setzte das Verhör vor dem Reichstag in Augsburg und später auch in Worms durch. Dabei kam ihm die kritische Haltung zahlreicher Vertreter der deutschen Reichsstände entgegen, welche sich von der kaiserlichen Zentralmacht emanzipieren wollten. Die finanzielle Not des Kaisers durch kostspielige Militäroperationen gegen Frankreich und später im Südosten des Reiches gegen die osmanischen Truppen Süleymans des Prächtigen gab den deutschen Ständen die Möglichkeit, ihre Belange nachdrücklich vorzutragen und den Kaiser zum Einlenken zu bewegen. Luther war Nutznießer dieser Konstellation. Vermittler der theologischen Probleme und von Luthers Anliegen war dabei häufig Georg Spalatin. Das nachfolgend abgedruckte Schreiben an einen Vertreter der Kurie dokumentiert Friedrichs vorsichtiges Lavieren zum Schutz seines Landeskindes.
Friedrich der Weise an einen römischen Kardinal
Hochwürdigster in Gott Vater, allerliebster Herr und Freunde! Euer Liebden Briefe, den 3. April zu Rom gegeben und den 7. Juli überantwortet, habe ich in freundlicher Meinung von Ew. Liebden empfangen und vernommen, fürnehmlich weil Ew. Liebden noch meines allerliebsten Herrn Vaters seligen Gedenkens sich erinnert. Denn ich mich allezeit zu Eurer Liebe, Ehre und alles Guten versehen habe. Wie Ew. Liebden aus meinen Briefen bisher leichtlich hat können vernehmen, versehe ich mich auch fürder nichts geringeres zu Ew. Liebden, bin auch wiederum ganz willig und bereit, Ew. Liebden solches mit Dank zu verschulden. Und weil ich vernehme, daß E. L. ich weiß nicht was für Widerwärtigkeit und Unglück begegnet und widerfahren sein soll, habe ich ein herzliches Mitleiden mit E.L. getragen. Hätte sichs indessen, wie ich hoffe, mit E. L. besser zugetragen, so hörte ich das herzlich gern und hätte Lust und Freude dran. Ferner habe ich vernommen, was E.L. von Dr. Martin Luther schreibet. E.L. soll, so Gott will, nimmermehr erfahren, dass ich etwas anderes vornehmen oder tun will, auch weder ein ander Gemüt noch Willen fassen, denn daß ich mich gegen die heilige allgemeine Kirche gehorsamlich und untertänig erzeigen will. So habe ich auch bisher mich noch niemals unterstanden, weder die Schriften noch Predigten Dr. Martin Luthers zu verteidigen, unterstehe michs auch noch diesen Tag nicht, wie ich solches päpstlicher Heiligkeit Legaten, dem Kardinal St. Sixti, ja auch dem päpstlichen Nuntius, Karl von Miltitz, schriftlich und gegenwärtig mündlich angezeigt habe. Gleichwohl, wie ich höre, hat Dr. Martinus sich allezeit erboten, so er mit genugsamer Versicherung und freiem Geleit vor aller Gewalt versichert würde, so wollte vor frommen, unparteiischen, unverdächtigen, gelehrten und christlichen Richtern gehorsamlich erscheinen, seine Lehre selbst verteidigen, und so er eines besseren und heiligeren berichtet würde, aus göttlicher Schrift sich weisen lassen und folgen. Zudem höre ich, daß ihm als ein Commissarius der Erzbischof und Kurfürst zu Trier, mein guter Freund, zugestanden worden sei; auf dessen Erfordern, trage ich keinen Zweifel, werde er, so er mit freiem sicherem Geleit wohl und genugsam verwahret ist, gehorsamlich erscheinen. Also mag mir niemand in dieser Sache mit Wahrheit irgendwelche Schuld geben. Auch täte mirs von Herzen wehe, daß in meinem Alter Irrtum im heiligen allgemeinen Glauben sollte entstehen und seinen Fortgang haben; und noch viel beschwerlicher wäre mirs, daß solcher Irrtum von mir sollte gefördert und geschützet werden. Von solch greulicher Sünde wolle mich ja der barmherzige Gott, wie ich ernstlich bitte, gnädiglich unbefleckt erhalten. Dieses habe ich auf E.L. Schreiben nicht verheimlichen wollen, und begehre, daß E.L. diese meine Schrift freundlich annehmen und verstehen wolle. Welche ich hiermit dem allmächtigen Gott in seine Gnade und Schutz zu bewahren empfehle. Gegeben aus Augsburg am 5. August, Anno M.D.XVIII. [1518] Quellennachweis Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta und Documenta, oder umständliche Vorstellung des Evangelischen Reformations-Wercks: mit Einrückung der darzu dienlichen, theils noch nie gedruckten, Nachrichten, So daß dieses Werck zugleich vor Theologische Annales dienen kann. Leipzig 1723. S. 314–316. Online-Zugriff: http://www.mdz-nbn-resolving.de/ urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10360760-0 (letzter Zugriff 10.12.2020). Literaturhinweis Klaus Kühnel: Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen. Eine Biographie, Wittenberg 2004. Armin Kohnle/Uwe Schirmer u. a. (Hg.): Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen. Politik,
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Die Anfänge der Reformation
Kultur und Reformation (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte. Bd. 40), Stuttgart 2015. Armin Kohnle/Manfred Rudersdorf (Hg.): Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532. Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung. Bd. 1: 1513–1517, Leipzig 2017.
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Martin Luther: Brief an Spalatin vom 14. Oktober 1518 in Augsburg
Georg Burkhardt wurde am 17. Januar 1484 in Spalt bei Nürnberg geboren und verstarb am 16. Januar 1545 in Altenburg. Er nannte sich nach seinem Geburtsort „Spalatin“ und galt als „Steuermann der Reformation“. Der humanistisch gebildete Theologe war lange Jahre Rat am kurfürstlichen Hof in Wittenberg und seit 1525 reformatorischer Pfarrer, seit 1528 Superintendent in Altenburg. 1502 nahm er seine Studien in Wittenberg auf und wurde zum Magister Artium promoviert. Danach wechselte er nach Erfurt und schrieb sich in die höheren Fakultäten der Rechtswissenschaft und Theologie ein. Nach seiner Priesterweihe berief ihn der Kurfürst 1508 zum Erzieher seines Sohnes Johann Friedrich. Bei Hofe diente Spalatin in verschiedenen Funktionen. Für die Entwicklung der Reformation ist er als Vermittler zwischen den Wittenberger Theologen und der kursächsischen Verwaltung von unüberschätzbarer Bedeutung. Er überbrückte vor allem die tiefe gesellschaftliche Kluft zwischen verschiedenen Teilnehmern, die aufgrund des Standesunterschieds nicht miteinander kommunizieren konnten. Heil! An den durchlauchtigsten Fürsten schreibe ich ungern, mein Spalatin. Nimm daher Du es als sein Vertrauter entgegen und sorge dafür, daß der durchlauchtigste Fürst Kenntnis erhält. Der Herr Legat verhandelt schon vier Tage mit mir — oder besser gesagt, gegen mich. Er verspricht zwar wegen des erlauchtigsten Fürsten, alles gütig und väterlich durchzuführen, tatsächlich wendet er die reinste und härteste Gewalt an. Er wollte nicht, daß ich in öffentlicher Disputation antworte, er wollte aber auch nicht mit mir privat disputieren. Es war nur eins, was er mir fortwährend wiederholte: „Widerrufe, erkenne deinen Irrtum, so will es der Papst und nicht anders, du magst wollen oder nicht“ und so weiter. Am meisten bedrängte er mich mit einer Bulle von Papst Clemens VI., die mit dem Wort „Unigenitus“ beginnt. „Hier, hier“, rief er, „kannst du sehen, daß der Papst feststellt, die Verdienste Christi sind ein Schatz für den Ablaß, glaubst du es oder glaubst du es nicht?“ Er ließ keine Erklärung oder Erwiderung zu, sondern pochte auf die Gewalt der päpstlichen Worte und schrie mich an. Endlich ließ er sich durch die Fürbitte vieler herbei, mir eine schriftliche Verantwortung zu gestatten. Diese habe ich heute übergeben, absichtlich in Gegenwart von Herrn Philipp von Feilitzsch176 , der im Namen und als Stellvertreter des Kurfürsten dessen Bitte nochmals vortrug. Trotzdem wies der Legat meine Zettel mit Verachtung zurück und schrie erneut, ich
176 Kursächsischer Gesandter (vor 1473–nach 1536).
Martin Luther: Brief an Spalatin vom 14. Oktober 1518 in Augsburg
solle widerrufen. Er gab sich den Anschein, als hätte er mich durch die lang und breit vorgetragenen Fabulierereien aus Thomas von Aquin überwunden und zum Schweigen gebracht. Etwa zehnmal begann ich zu sprechen, genau so oft überschrie er mich und beherrschte die Szenerie allein. Endlich fing ich auch an zu schreien: „Wenn gezeigt werden kann, daß jenes Dekret tatsächlich sagt, die Verdienste Christi sind der Schatz des Ablasses, dann will ich widerrufen, wie du es willst.“ Lieber Gott, was für gewaltige Gebärden und höhnisches Gelächter gab es da! Er ergriff heftig das Buch und las kochend und schnaufend bis zu der Stelle, an der steht, daß Christus durch sein Leiden einen Schatz erworben hat usw. Hier sagte ich: „Höre, ehrwürdiger Vater und erwäge doch das Wort ‚erworben‘. Wenn Christus durch seine Verdienste einen Schatz erworben hat, so sind also die Verdienste nicht der Schatz, sondern das, was die Verdienste erkauft hat, d. h. die Schlüssel der Kirche. Also ist meine These richtig. „ Hier wurde er plötzlich verwirrt. Da er aber vor uns nicht aus der Fassung gebracht sein wollte, sprang er schnell zu einem anderen Thema über und wollte das erste vergessen. Ich war aber erhitzt und brach – sicherlich ziemlich unehrbietig in die Worte aus: „Hochwürdigster Vater, glaube nicht, daß die Deutschen keine Grammatik verstehen, ‚einen Schatz erwerben‘ ist etwas anderes als ‚ein Schatz sein‘.“ So wurde seine Zuversicht gebrochen, auch wenn er noch schrie, ich solle widerrufen. Ich ging dann, denn er sagte: „Geh und komm mir nicht mehr vor die Augen, es sei denn, du willst widerrufen.“ Aber siehe da, am frühen Nachmittag rief er den hochwürdigen Vater Vikar Dr. Staupitz177 zu sich, dem er viel schmeichelte, damit er mich zum Widerruf überrede. Auch behauptete er – ich war ja abwesend –, daß ich nicht so leicht einen besseren Freund als ihn hätte. Staupitz erwiderte, daß er mir stets zugeredet habe und es auch jetzt noch tue, mich der Kirche demütig zu unterwerfen – ich habe dies ja schon längst vor aller Welt bezeugt –, er sei mir aber seiner Meinung nach in der Schrift und an Geistesgaben nicht gewachsen, außerdem sei Cajetan des Papstes Stellvertreter und damit unser aller Vorgesetzter, er möge mich also selbst überreden. Endlich einigten sie sich dahingehend, daß Cajetan die Artikel anzeigen sollte, die ich widerrufen und die ich halten sollte. So steht es in diesem Moment. Aber ich habe keine Hoffnung und kein Vertrauen zu ihm. Ich arbeite täglich an meiner Appellation178 und werde auch nicht eine Silbe zurücknehmen. Meine ihm gegebene Antwort werde ich herausgegeben, damit sie in der ganzen Welt verbreitet werden kann, falls er weiterhin so gewaltsam verfährt. In Eile zu Augsburg am St. Calixtustag 1518. Bruder Martinus Luther, Augustiner. Quellennachweis Günter Gloede (Hg.): Reformatorenbriefe. Luther, Zwingli, Calvin. Unter Mitarbeit v. Hans-Ulrich Delius u. Gottfried W. Locher, Berlin 1973, S. 36–38. Literaturhinweis Irmgard Höss: Georg Spalatin 1484–1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation, Weimar 1989.
177 Johann von Staupitz (um 1460–1524), Generalvikar der Augustiner-Eremiten. 178 Eine Appellation an den Papst vom 16. Oktober 1518.
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Die Anfänge der Reformation
Armin Kohnle/Christina Meckelnborg/Uwe Schirmer: Georg Spalatin. Steuermann der Reformation. Begleitband zur Sonderausstellung mit umfangreichem Katalogteil, Halle 2014. Christine Weide: Georg Spalatins Briefwechsel: Studien zu Überlieferung und Bestand (1505–1525), Leipzig 2014.
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Martin Luther: Brief an Kardinal Cajetan
Luther hatte kaum vier Wochen nach seiner Flucht aus Augsburg in einem sorgfältigen und ausführlichen Protokoll seine Sicht der Dinge für die Öffentlichkeit dargestellt. Eine kürzere Darlegung erhält sein Brief an den päpstlichen Legaten Kardinal Cajetan vom 18. Oktober 1518.179 Darin betont Luther seine Loyalität gegenüber der römischen Kirche, verweigert allerdings den Widerruf der beanstandeten Thesen, weil diese auf dem Fundament der Heiligen Schrift gewonnen wurden.
Verehrungswürdigster Vater in Christo! Schwach am Körper und arm an Mitteln, habe ich doch die weite gefahrvolle Reise hierher unternommen und bin auf den Befehl unsers Heiligsten Vaters Leo X. vor Euch zum Verhör erschienen. Das wird Euch ein genügender Beweis meines Gehorsams gewesen sein. Überdies habe ich durch die Veröffentlichung meiner „Resolutionen“ mich samt allen meinen Sätzen Seiner Heiligkeit zu Füßen gelegt, bereit, jedes verdammende oder zustimmende Urteil entgegenzunehmen. Auch bin ich mir bewußt, auch nicht die kleinste Pflicht eines ergebenen und gehorsamen Sohnes der Kirche versäumt zu haben. Nun aber will und kann ich nicht länger nutzlos hier verweilen. Mir selbst fehlen die nötigen Mittel, und meinen Gastfreunden, den Karmelitern, bin ich bereits mehr als genug zur Last gefallen. Vor allem aber habt Ihr mir ja voll Zorn verboten, noch einmal vor Euren Augen zu erscheinen, wenn ich nicht widerrufen wollte. Und inwieweit ich einen Widerruf zu leisten vermag, habe ich in meinem letzten Briefe ausgeführt. Darum reise ich nunmehr ab. Ich wandre nach einer andern Stätte, wo ich bleiben kann. Ich habe mich entschlossen, obwohl meine bisherigen Richter vermöge ihrer hohen Stellung großen Eindruck auf mich machen, doch von ihnen, von Euch, verehrungswürdiger Vater, und vor allen Dingen „von unserm schlecht berichteten Heiligsten Herrn Leo X. zum besser zu berichtenden“ zu appellieren; denn ich weiß, unserm erlauchten Kurfürsten wird eine solche Berufung angenehmer sein als ein Widerruf. Trotzdem hätte ich es, soviel an mir lag, unterlassen. Erstens scheint mir eine Appellation oder eine Überweisung an deutsche Richter deshalb unnötig, weil ich, wie ich ausgeführt habe, alles dem Richtspruch der Kirche anheimgegeben habe und einzig und allein ihre Meinungsäußerung erwarte. Was darf, was kann ich auch weiter tun? Nicht auf meine Anklage und nicht auf meine Verteidigung kommt es an. Ich will nicht meine Sätze, sondern die Glaubensformel der Kirche vernehmen; ich will nicht als ein Gegner streiten, sondern als ein Schüler mich belehren lassen. Ich darf ferner wohl überzeugt sein, daß Euch die Unterhandlung mit mir nur zur Last war und eine Appellation darum angenehm ist; und so brauche ich den Bann ebensowenig zu
179 Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1982, S. 249 datiert das Schreiben auf den 17. Oktober 1518.
Cajetan: Brief an Friedrich den Weisen
fürchten, wie ich ihn verdient habe. Jedoch hat mich Gottes Gnade auch so geschaffen, daß ich ihn weniger fürchte als Irrtum und falsche Meinungen in Glaubenssachen. Denn ich weiß, er kann nicht schaden und nur nützen, wenn der rechte Glaube und die Wahrheit mit mir waren. So bitte ich Euch denn bei Christi Blut und der hohen Gnade, die Ihr mir schon erzeigt habt: erkennt meinen Gehorsam, den ich bisher geleistet habe, gnädig an und empfehlt ihn auch unserm Heiligsten Vater; meine Abreise aber und meine Appellation legt mir zum besten aus, denn die Not und das gewichtige Wort der Freunde haben mich dazu veranlaßt. Ich kann ja die Gründe nicht widerlegen, die sie mir entgegenhalten: Was willst du widerrufen? Kannst du denn etwa durch deinen unmaßgeblichen Widerruf uns eine Norm für unsern Glauben schaffen? Wenn etwas an deinen Sätzen verwerflich ist, so mag die Kirche sie zunächst verdammen, und du kannst dann wohl ihrem Anspruch folgen, nicht aber sie dem deinen. – Diesen Worten mußte ich mich gefangen geben. Quellennachweis WA Br. 1, S. 217. Die Übersetzung folgt: Luthers Briefe. Auswahl, Übersetzung und Erläuterung von Reinhard Buchwald, Stuttgart 1956, S. 59–61.
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Cajetan: Brief an Friedrich den Weisen
Zeitgleich mit den Entwicklungen in Augsburg sucht Kardinallegat Thomas de Vio Cajetan die politischen Obrigkeiten, denen Luther sein Schutzrecht verdankte, von der Unrechtmäßigkeit von Luthers Position zu überzeugen. Der nachfolgende Brief vom 25. Oktober 1518 an den sächsischen Kurfürsten ist ein Teil dieser diplomatischen Korrespondenz.
Durchlauchtigster und vorzüglichster Fürst! Bruder Martin Luther kam mit Eurer Durchlauchtigkeit Schrift an. Bevor er zu uns kam, wollte er sich durch ein freies Geleit sichern, das er von den Herren Räten der kaiserlichen Majestät durch das Ansehen und die Gunst Eurer Durchlauchtigkeit erhielt, doch nicht ohne mein Wissen. Denn die Herren wollten ihm nichts zugestehen, was ich nicht erlaubte. Ihnen habe ich geantwortet, sie sollten tun, was ihnen gefiele, nur meinen Namen sollten sie nicht mit hineinmischen. Und an dieser Stelle fing ich an, mich zu wundern. Denn wenn Euer Durchlauchtigkeit mir vertraute, war das freie Geleit nicht nötig; wenn Ihr nicht vertrautet, sollte er nicht wie zu einem Vater zu mir geschickt worden sein. Danach kam Bruder Martin zu uns. Zuerst entschuldigte er sich, daß er sich wegen Feindschaften usw. ein freies Geleit erwirkt habe. Darauf sagte er, daß er gekommen wäre, um uns anzuhören und die von uns erkannte Wahrheit zu bekennen. Wir haben ihn voller Freude und sehr freundlich aufgenommen und ihn väterlich umarmt. Ich habe vor allem gesagt, daß er nur in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift und den heiligen Kirchengesetzen gefragt werden dürfe und daß, wenn er in sich gehe und sich in Zukunft vorsehe und wir in Ruhe schlafen könnten, daß er sein Ausgespeites nicht wieder auffresse, ich die ganze Sache mit der Autorität unseres Allerheiligsten Herren vergleichen könnte.
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Darauf ermahnte ich ihn väterlich und zeigte, daß seine Disputationen und seine Predigten gegen die apostolische Lehre wären, am meisten in bezug auf den Ablaß. […] Am folgenden Tag kam er wieder, zusammen mit dem Generalvikar der Observanten [Staupitz] und vielen Begleitern. Und als ich erwartete, daß er in sich ginge, begann er vor einem Notar, den er mitgebracht hatte, zu protestieren. Ich lächelte dazu und ermahnte den Menschen wiederum sehr freundlich, er solle diesen unnützen Entschluß aufgeben, in sich gehen und zum gesunden Menschenverstand zurückkehren. Es würde ihm schwer werden, wider den Stachel auszuschlagen. Darauf sagte er, er wolle mir seine Antwort und seine Gründe nur schriftlich vorbringen, ich hätte am Tage vorher mich genug mit ihm mit Worten herumgeschlagen. Ich war über die Kühnheit des Menschen erstaunt und sagte: „Mein Sohn, weder habe ich mich mit dir herumgeschlagen, noch will ich mich mit dir herumschlagen. Ich bin nur bereit, aufgrund des Ansehens des durchlauchtesten Herzogs Friedrich dich väterlich und freundlich (nicht um mit dir zu disputieren oder zu zanken) anzuhören, zur Wahrheit zu ermahnen und zu belehren und auch, wenn du willst, unserem Allerheiligsten Herrn und der römischen Kirche zu empfehlen.“ Da baten mich sowohl er als auch sein Vikar,180 daß ich ihn schriftlich hören wolle. Ich sagte, daß ich ihn sehr gerne anhören und alles väterlich behandeln würde, aber nicht als Richter. Und so gingen sie hinweg. Danach kam er zum dritten Male zurück und überreichte mir eine lange Denkschrift, in der er nur albern auf die Extravagante des Papstes antwortete und auch Seine Heiligkeit nicht schonte, indem er sagte, sie mißbrauche das Ansehen der Heiligen Schrift. Was aber den Glauben beim Sakramentsempfang betraf, so füllte er das Papier mit Stellen aus der Heiligen Schrift, die sich überhaupt nicht darauf bezogen und falsch verstanden waren. Nachdem ich ihm gezeigt hatte, daß man das, was in jener Extravagante und in der Heiligen Schrift geschrieben ist, nicht so verstehen dürfte, ermahnte ich den Bruder Martin wieder und wieder wie einen Sohn und beschwor ihn, daß er sich nicht für klüger halten wolle, als es sich gebühre. Auch solle er der Kirche nicht neue Dogmen aufdringen, sondern in sich gehen und seine Seele retten. Danach kam der Vater Vikarius seines Ordens mit jemandem und einem Magister der Theologie des besagten Ordens zu mir, während der hochwürdige Herr Urban, Orator von Montferrat, zugegen war. Wir haben viele Stunden über diese Sache sehr freundlich verhandelt, wie das Ärgernis beseitigt werden könnte, mit gebührender Ehrfurcht vor dem Apostolischen Stuhl und ohne jede Brandmarkung des Bruders Martin. Danach kam jener Magister der Theologie allein, ein Bundesgenosse des Bruders Martin. Er hieß die Verhandlung gut und lobte sie. Nachdem dieser Grund gelegt war und ich hoffte, es würde alles gut werden, machte sich der Vikarius davon, ohne sich von seinem Wirt zu verabschieden. Ich blieb ganz unwissend. Darauf folgten Bruder Martin und seine Gefährten und betrogen mich, ja sogar sich selbst sehr hübsch. Inzwischen empfing ich Bruder Martins Briefe, in denen er eine geschminkte Verzeihung erbat, ohne aber das schlecht Gesagte und das Anstößige zu widerrufen, das er der katholischen Kirche geschmiedet hatte. Ich, durchlauchtigster Fürst, verwunderte mich nicht nur über die betrügerische List des Bruders Martin und seiner Gefährten, sondern ich war auch ganz und gar erschrocken und betroffen. Denn als ich für sein Wohlbefinden am meisten hoffte, wurde ich am meisten betrogen. Dennoch weiß ich nicht, auf wen er bei dieser Handlung wohl seine Hoffnung setzt. Zur Sache aber will ich drei Dinge versichern:
180 Johann von Staupitz.
Die Leipziger Disputation
1. Wenn auch die Aussagen des Bruders Martin in den Thesen disputiert werden könnten, so sind doch seine Aussagen in den von ihm geschriebenen Predigten als Behauptung und mit dem Anspruch auf Wahrheit vorgetragen und, wie man sagt, in deutscher Sprache bekräftigt. Diese aber sind zum Teil gegen die Lehre des Apostolischen Stuhles und zum Teil sogar verdammlich. Und Eure Durchlauchtigkeit möge mir glauben, daß ich die Wahrheit sage und aus sicherem Wissen rede und nicht nur aufgrund von Vermutungen. 2. Ich ermahne und bitte Eure Durchlauchtigkeit, Eure Ehre und Euer Gewissen um Rat zu fragen und den Bruder Martin entweder nach Rom zu schicken oder aus Eurem Lande zu jagen, weil er seinen Irrtum aufgrund der väterlichen Ermahnung nicht erkennen und mit der allgemeinen Kirche nicht übereinstimmen will. 3. Eure Durchlauchtigkeit soll wissen, daß ein so schwerwiegender und verderblicher Handel auf keinen Fall lange hinhängen kann, denn in Rom wird man die Sache weiterverfolgen, sobald ich meine Hände gewaschen und diese List und Tücke dem Allerheiligsten Herrn, unserem Herrn, geschrieben habe. Quellennachweis WA Br. 1, S. 233, 1–19; 233, 29–234, 82 (Nr. 110) (lateinisch). Die Übersetzung und Auswahl folgt: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 63–66. Literaturhinweis Jared Wicks: Cajetan und die Anfänge der Reformation, Münster 1983.
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Die Leipziger Disputation
Auf Initiative von Johannes Eck und Einladung durch Herzog Georg von Sachsen fand vom 27. Juni bis zum 15. Juli 1519 ein nach akademischem Vorbild durchgeführtes Streitgespräch zwischen dem Ingolstädter Theologieprofessor Eck und den Wittenberger Theologen Andreas Bodenstein von Karlstadt und Martin Luther statt. Darin sollte es um den päpstlichen Primat und dessen Begründung aus göttlichem Recht gehen. Dank der gewählten Strategie gelang es Eck, die Wittenberger zu provozieren und in die inhaltliche Nähe zu den verurteilten Sätzen des am 6. Juli 1415 in Konstanz verbrannten böhmischen Gelehrten Johannes Hus zu rücken. Luther erklärte daraufhin tatsächlich, das Konzil habe geirrt, einige Sätze von Hus seien christlich und evangelisch. Sich selbst bezeichnete er als einen „unwissenden, d. h. sich seiner Nähe zu Jan Hus nicht bewußten Hussiten“. Damit war die Wittenberger Reformation bloß gestellt und Eck wurde als Sieger der Disputation gefeiert. Literaturhinweis Kurt-Victor Selge: Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 86 (1975), S. 26–40.
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Erwin Iserloh: Johannes Eck (1486–1543): Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung. Bd. 41), Aschendorff/ Münster 1981. Leif Grane: Martinus noster. Luther in the German Reform movement 1518–1521, Mainz 1994, S. 81–114. Anselm Schubert: Libertas Disputandi: Luther und die Leipziger Disputation als akademisches Streitgespräch, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 105 (2008), S. 411–442. Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation 1519: 1. Leipziger Arbeitsgespräch zur Reformation, Leipzig 2011. Franz Xaver Bischof/Harry Oelke (Hg.): Luther und Eck: Opponenten der Reformationsgeschichte im Vergleich, München 2017.
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Petrus Mosellanus: Die Kontrahenten der Leipziger Disputation
Der folgende Brief stammt vom 8. Dezember 1519 und charakterisiert die beteiligten Hauptpersonen der Leipziger Disputation. Der Verfasser, Peter Schade aus Bruttig an der Mosel (1493–1524), wurde nach humanistischer Manier „Mosellanus“ genannt. Er studierte an der Universität zu Köln. Anschließend wechselte er nach Leipzig und erlangte hier die akademischen Grade. 1517 übernahm er einen Lehrstuhl für griechische Sprache. Mit Philipp Melanchthon verband ihn eine langjährige Brieffreundschaft. Am 27. Juni 1519 hielt Mosellanus die Eröffnungsrede zur Leipziger Disputation. Sein Versuch, zwischen den Streitparteien zu vermitteln, scheiterte.
Martinus ist von mittelgroßer Gestalt. Sein Körper ist hager, durch Sorgen ebenso wie vom Studieren so erschöpft, daß man fast alle Knochen unter der Haut zählen kann. Aber er steht noch im frischen Mannesalter. Seine Stimme ist scharf und klar. Er ist voller Gelehrsamkeit und besitzt eine bewundernswerte Kenntnis der Bibel, so daß er fast alles gegenwärtig hat. Griechisch und Hebräisch versteht er so weit, daß er über den Wert der Übersetzungen urteilen kann. Niemals fehlt es ihm an Gesprächsstoff, solch ungeheuren Schatz an Wissen und Worten hat er. In seinem Verhalten und Betragen ist er höflich und gewandt, weder stoisch streng noch hochmütig – ein Mann, der sich jederzeit zu helfen weiß. In Gesellschaft ist er heiter, scherzhaft, munter, stets sicher, immer frohen Mutes, wie sehr ihm auch seine Widersacher drohen mögen. Es ist kaum zu glauben, daß der Mann ohne Gottes Willen solch schwierige Dinge zu bewegen vermag. Nur einen Fehler tadeln fast alle an ihm, daß er in der Widerrede ein wenig zu unverschämt und bissig ist, mehr als für einen, der im religiösen Bereich einen neuen Weg sucht, ratsam oder für einen Theologen überhaupt statthaft ist. Aber ich weiß nicht, ob er diesen Fehler nicht mit allen gemeinsam hat, die erst spät gelehrt wurden. Das ist fast alles an Karlstadt ebenso, nur in etwas geringerem Maße. Er ist von kleinerer Statur, hat ein braungebranntes Gesicht, eine dunkle und reizlose Stimme. Sein Gedächtnis ist schwächer und er ist jähzorniger. Eck dagegen ist hochgewachsen, sein Körper fest und vierschrötig. Seine aus gewaltiger Brust ertönende Stimme ist voll und echt deutsch Sie würde nicht nur für einen Tragödienspieler, sondern auch für einen öffentlichen Ausrufer passen, wenn sie nicht eher rauh als ausdrucksvoll wäre. Ihr fehlt daher jener natürliche Wohlklang
Petrus Mosellanus: Die Kontrahenten der Leipziger Disputation
der lateinischen Sprache, der an Fabius181 und Cicero182 so sehr gelobt wurde. Mund und Augen, kurz die gesamte Physiognomie sind derart, daß man ihn eher für einen Fleischer oder rohen Landsknecht als für einen Theologen halten könnte. Was seinen Geist betrifft, so hat er ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Hätte er einen gleich guten Verstand, so wäre er in allen Stücken ein Meisterwerk der Natur. Aber dem Manne fehlt es an schneller Auffassungskraft und Urteilsschärfe – Dinge, ohne die alle anderen Geistesgaben nichts nutzen. Dies ist auch der Grund, weshalb er beim Disputieren so viele Vernunftbeweise, so viele Bibelstellen, so viele Zitate von Kirchenlehrern völlig wahllos zusammenträgt, ohne jedoch zu merken, wie fade das meiste davon ist, wie das am gehörigen Ort ganz Verständliche zu seiner gegenwärtigen Sache gar nichts beiträgt, kurz wie unglaubhaft und sophistisch es ist. Er kümmert sich nämlich nur darum, daß er, indem er ein wortreiches Sammelsurium von sich gibt, die größtenteils verdutzten Zuhörer umgarnt und den Sieg für sich zu erreichen sucht. Dabei ist er von unglaublicher Dreistigkeit, die er mit verblüffender Hinterlist zu verdecken vermag. Wenn er nämlich merkt, daß er durch sein Gerede seinem Kontrahenten in die Falle gegangen ist, lenkt er die Disputation allmählich auf etwas anderes. Manchmal gibt er sogar die Meinung des Kontrahenten mit anderen Worten als seine eigene aus oder schiebt ihm seine falsche Ansicht mit erstaunlicher Gewandtheit unter, so daß es aussieht, als könne er selbst einen Sokrates183 überwinden. Nur daß jener sich mit Ironie dahin äußerte, nichts als gewiß anzusehen, während dieser, der wie Aristoteles von Erkenntniszuversicht geprägt ist, als ein Parasit handelt. Quellennachweis Vollständige Reformations-Acta und Dokumenta, ausgefertigt v. Valentin Ernst Löscher, Leipzig 1729, S. 247–249 (lateinisch). Die deutsche Übersetzung inkl. Anmerkungen folgt: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 184–186. Literaturhinweis John L. Flood: Mosellanus (Schade), Petrus, in: Franz Josef Worstbrock (Hg.): Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon. Bd. 2, Berlin/New York 2009–2013, Sp. 239–255. Robert Schober: Petrus Mosellanus, 1493–1524, ein vergessener Mosel-Humanist, Koblenz 1979. Manfred Ostermann: Festschrift zur 500-Jahrfeier von Petrus Mosellanus, Gemeinde BruttigFankel, 1993.
181 Wahrscheinlich ist Marcus F. Quintilianus, möglicherweise aber auch der wegen seiner Redekunst gerühmte römische Politiker Paulus F. Maximus (um 46 v. Chr.–14 n. Chr.) damit gemeint. 182 Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.), römischer Politiker und Schriftsteller, dessen Redekunst Modellcharakter für die rhetorische Ausbildung hatte. 183 Griechischer Philosoph (470–399 v. Chr.).
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Nr. 56
Johannes Eck: Sätze aus der Leipziger Disputation
Johannes Mayer, nach seinem Geburtsort Eck genannt, wurde am 13. November 1486 in Egg an der Günz geboren und verstarb am 10. Februar 1543 in Ingolstadt. Er stammte aus einfachen Verhältnissen und konnte dennoch an den Universitäten Heidelberg, Tübingen und Köln studieren. Dort pflegte er engen Kontakt zu den Humanistenkreisen um Ulrich Zasius. Nach Priesterweihe und Promotion wurde er 1510 Professor der Theologie in Ingolstadt. Gleichzeitig hatte er mehrere Pfründen als Domherr in Eichstätt und Pfarrer zweier Ingolstädter Gemeinden. Eck galt als glänzender Redner und verfügte über eine außergewöhnliche Bildung. Mit Luther fühlte Eck sich zunächst humanistisch verbunden. Dennoch waren Unterschiede in zentralen theologischen Fragen immer weniger zu leugnen. […] Ich [sc. Eck] nehme seine Ausflucht nicht an, die bestreitet, dass jene Bestimmung die des Anaklet184 sei. Denn so würden die Dekrete aller Konzilien und Päpste verspottet und so die gesamte juristische Fakultät des Irrtums bezichtigt, als ob sie in ihren Lesungen, Entscheidungen, Urteilen und ähnlichen Dingen auf falsche Gründe gestützt sei. Und so werden ihre priesterlichen Rechte sein wie die von schwarzen Bohnen, wenn sie nicht durch den Konsens der gesamten Christenheit anerkannt werden. Daher darf der Satz des ehrwürdigen Vaters [sc. Luthers] keineswegs angenommen werden, wenn auch an vielen Stellen die Dekrete aller Päpste und Konzilien gefunden werden, und, wie der vermessenen Art des Menschen eben entspricht, längst gefunden sind, die jenen einschreitenden Affen durch das Löwenfell des Analekt185 zerrissen hätten. Wenn er [sc. Luther] also nicht zeigen kann, dass jene in den Originalen so angesehen wurden, schenke ich ihm keinen Glauben. Außerdem hat er [sc. Luther] von den Böhmen gesagt – gewiss nicht ohne Schande für die christlichen Gelehrten – dass es viele Verleumder unter Böhmen gebe. Wo mögen sie sein, die aus Liebe und redlichem Eifer gegen diese schreiben und sie ermahnen wollen? Sie mögen dort natürliche Anlagen und Erinnerungsvermögen üben. Aber was sollte ich mich mit dem Gerede aufhalten? Doch soll ein Christ nicht bestreiten, dass viele vom besten Eifer bewegt gegen die Böhmen geschrieben haben. So wie es die Väter getan haben, die zum Konzil von Konstanz abgeordnet worden sind, wie es der Gelehrte getan hat, der den Böhmen auf dem Konzil zu Basel antwortete, wie es [Johannes] Ragusius,186 wie es der redliche und rechtgläubige, allen Gläubigen wohlbekannte Franziskaner Johannes Capistranus,187 wie es Nicolaus Cusanus,188 der Gelehrteste der Deutschen getan hat, zusammen mit vielen anderen Inquisitoren, wie mir der ehrwürdige Vater [sc. Luther] vorwirft, [die] ich [hier] auslasse. Deshalb hat es nicht an 184 Anspielung auf den zweiten Nachfolger des Petrus zwischen 76 und 95 als Leiter der Gemeinde in Rom. 185 Legende über die falsche Amtsanmaßung durch eine Macht vorspiegelnde Verkleidung. 186 Johannes von Ragusa OP (1395/96 in der Republik Ragusa, dem heutigen Dubrovnik; † 28. August 1443 in Lausanne) war ein hochrangiger kroatischer Kleriker und Angehöriger des Ordens der Dominikaner. 187 Johannes Capistranus (* 24. Juni 1386 in Capestrano in den Abruzzen; † 23. Oktober 1456 bei Vukovar) war ein Kleriker aus dem Orden der Franziskaner. Er wirkte als Wanderprediger, Inquisitor und zuletzt Heerführer in den Türkenkriegen. 188 Nikolaus von Kues (* 1401 in Kues an der Mosel; † 11. August 1464 in Todi, Umbrien) war ein humanistisch gebildeter deutscher Theologe und genoss bereits zu Lebzeiten hohes Ansehen.
Johannes Eck: Sätze aus der Leipziger Disputation
Böhmen gefehlt, die gute Dinge schrieben. Vielmehr haben die gefehlt, die – in der Häresie verbleibend – den guten Dingen nicht folgten. Von den heiligen Griechen haben wir häufiger gesprochen. Aber ich meine, dass dies von allen Gläubigen Christi gefürchtet werden muss, was der ehrwürdige Vater [sc. Luther] gegen das so heilige und lobenswerte Konzil von Konstanz, das in solchem Konsens der gesamten Christenheit versammelt war, nicht zu sagen scheute, dass einige Artikel der Hussiten und Anhänger Wyclifs sehr christlich und evangelisch gewesen seien. An dieser Stelle hat Dr. Martinus protestiert, dass es nicht wahr sei, was er gegen das Konzil zu Konstanz gesagt habe. Eck bringt dagegen vor, dass er dies durch Schriften und Aussagen belegen wird. […] Allerdings habe ich wider den Willen aller gehört, dass der ehrwürdige Vater gegen den Befehl des erlauchtesten Fürsten, durch den der erlauchteste Fürst von der Entscheidung der heiligen Konzilien unversehrt hat bleiben wollen, trotzdem bei dem gestrigen Satz geblieben ist. Und er hat vier von den verdammten hussitischen Artikeln, die er selbst für katholisch und evangelisch hält, vorgelegt – gewiss den Böhmen zu trefflicher Verteidigung. Vor der Versammlung hat er trotzdem aus Ehrfurcht die [Artikel] gewollt, die von irgendeinem Betrüger hinzugefügt worden sind. Durch den ersten aller Artikel hat der vortreffliche Gelehrte und Adelige Hieronymus von Croaria,189 der sich darum gekümmert hat, dass die Akten des Konzils gedruckt wurden, dafür gesorgt, dass sie unter einer authentischen Form angenommen werden. Und wenn die Sache so klar aus den Akten von Konstanz sei, hätten die Hussiten nicht so lange verschwiegen, dass ihnen einige Artikel untergeschoben worden sind. Und der ehrwürdige Vater [sc. Luther] wird nicht in Zweifel ziehen können, was er gestern angenommen hat, […] nachdem Johannes Hus im Jahr 1415 verbrannt worden war, sein Kollege Hieronymus [von Prag] im Jahr 1416, nachdem Martin V. am 11. November 1417 zuerst gewählt worden ist. Deshalb hatten die heiligen Väter und integren Männer aus allen führenden Völkern, die dazu bestimmt worden sind, jene Artikel besprechen, und die hochheilige Synode sie verdammt, verworfen und den Urheber verbrannt. Daher muss sie jeder gute Christ als verurteilt und verworfen erachten. Der ehrwürdige Vater [sc. Luther] möge mir nicht auferlegen, was ich über jene Artikel richten wollte, weil sie schon gerichtet sind. Er hebt nicht wieder auf, was die Synode erwähnt hat, dass etliche [Artikel] häretisch seien, andere unbesonnen, aufrührerisch und kriegerisch für das fromme Ohr. Da er ja jene Artikel in eine wie auch immer beschaffene Ordnung gewiesen hat, können sie nicht sehr christlich und evangelisch genannt werden. Und obwohl ich die Mühe nicht auf mich genommen habe, die ganze Synode zu verteidigen in der Verdammung der Artikel, wollen wir dennoch einige Dinge, aber in wenigen Worten sagen. Er urteilt, dass der erste Artikel katholisch sei und auch im sechsten Kapitel [des Werkes] des Augustinus über Johannes stehe. Ich sage: Vielleicht deutet der ehrwürdige Vater den Artikel wohlwollend. Aber weil die Sache nicht dem Wort, sondern das Wort der Sache untergeben ist, sind die Vorsteher des Konzils nicht stumpfsinnig gewesen. Wahr ist, dass es eine heilige und universale Kirche gibt. Aber weil es nur eine [Kirche] gibt, so wie es [nur] eine Schar der Prädestinierten nach hussitischem Verständnis gibt, ist er [der Artikel] höchst häretisch. […]. 189 Hieronymus von Croaria lebte von 1460/1463 bis 1527. Der deutscher Jurist wirkte als Universitätsprofessor und Richter des Schwäbischen Bundes. Hier wird auf seine Ausgabe der Akten des Konzils von Konstanz: Acta scitu dignissima docteque concinnata Constantiensis concilii celebratissimi, erchienen in Hagenau 1500.
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Die Anfänge der Reformation
Quellennachweis Der authentische Text der Leipziger Disputation von 1519 aus bisher unbekannten Quellen, hg. v. Otto Seitz, Berlin 1903, S. 92–110 (siehe auch https://archive.org/details/derauthentischet00eckj/page/14 letzter Zugriff 10.12.2020) Übersetzung durch Daniel Bohnert, Duisburg-Essen. Literaturhinweis Marco Benini: Johannes Eck – Kontroverstheologe und Pfarrer. Sein Pfarrbuch als Quelle für Liturgie und Frömmigkeit in der Reformationszeit, St. Ottilien 2017.
Nr. 57
Martin Luther: Brief an Spalatin über die Leipziger Disputation vom 20. Juli 1519
Der Streit zwischen Johannes Eck und seinen Herausforderern Andreas Bodenstein und Martin Luther fand – auf Initiative von Herzog Georg von Sachsen – vom 27. Juni bis zum 15. Juli 1519 in Leipzig statt. Er war von mannigfaltigen Auseinandersetzungen im Vorfeld geprägt. So notierte Eck in den „Obelisci“190 seine Luther entgegengesetzte Position. Dieser antwortete mit seinen „Asterisci“.191 Bereits im Mai 1518 hatte sodann Karlstadt zu einer Disputation über die menschliche Willensfreiheit aufgefordert. Ihm ging es darum, die gemeinsame Wittenberger Theologie öffentlich zu verteidigen. Eck wiederum bezog sich mit seinen Thesen zur Vorbereitung der Disputation allerdings sehr viel mehr auf Luther, der sich daraufhin zu einer Teilnahme an dem Streitgespräch genötigt sah. Infolge dieser Entwicklung platzierte Eck die Themen Kirche und Papstamt im Zentrum der Auseinandersetzung. Obwohl die Disputation mit Karlstadts Thesen begann, erfuhr die anschließende Diskussion über den Primat des Papstes und dessen Begründung aus göttlichem Recht größere Beachtung. Dabei gelang es, Luther zu anerkennenden Worten über Johann Hus zu verleiten, ihn mithin der Sympathie und Unterstützung einer verurteilten Ketzerei zu überführen. Der altgläubige Theologe Eck wurde nach dem Ende der Gespräche in Leipzig als Sieger gefeiert. Das räumte auch Luther ein. Dennoch wurden Luther infolge der Disputation in Leipzig größere Sympathien entgegengebracht. Zu Spalatin siehe Nr. 52. […] Von unserer weit und breit besprochenen Disputation hätten wir wohl längst geschrieben, wußten jedoch nicht, wohin und wie. Es verhält sich damit so, daß etliche Leipziger, und zwar nicht sonderlich saubere und redliche Leute, schon mit Eck zusammen triumphieren, und von da ist jenes verbreitete Geschwätz ausgegangen. Doch wird die Wahrheit selbst es
190 Diakritisches Zeichen im Text in Form einer kleinen Raute. 191 Diakritisches Zeichen im Text in Form eines kleinen Sterns.
Martin Luther: Brief an Spalatin über die Leipziger Disputation vom 20. Juli 1519
dann schon an den Tag bringen. Gleich als wir ankamen und noch nicht einmal vom Wagen gestiegen waren,192 da war an den Kirchentüren schon der Erlaß des Bischofs von Merseburg angeschlagen, daß die Disputation verboten sei, dazu die eben herausgekommene päpstliche Erklärung in diesen Sachen.193 Jedoch nahm man sie mit Verachtung auf, und der, so sie angeschlagen, wurde vom Rat ins Gefängnis gesetzt, weil er’s ohne dessen Wissen getan. […] Dann wurde disputiert, und zwar zunächst mit Karlstadt eine Woche lang194 über den freien Willen. Karlstadt brachte aus allerlei Büchern, die er mitgebracht, (mit Gottes Hilfe) mannigfache und gewichtige Beweisgründe bei und zog seine Schlüsse trefflich. Als darauf Karlstadt auch die Erlaubnis zu opponieren gegeben ward, da wollte Eck nicht weitermachen, wenn Karlstadt beim Disputieren nicht seine Bücher beiseite ließe.195 Eben das aber hatte Andreas deswegen getan, um ihnen ins Angesicht zu beweisen, daß er die Sprüche der Schrift und der Väter [= Kirchenväter] richtig anführe und nicht willkürlich damit umspringe, wie Eck es sich hatte beweisen lassen müssen. Da gab es wieder Tumult, bis schließlich zu Ecks Gunsten bestimmt wurde, daß man die Bücher zu Hause lassen soll. Wer aber sieht das nicht ein: Wenn es bei der Disputation wirklich um die Wahrheit gegangen wäre, hätte man da nicht gerade fordern müssen, daß man alle Bücher zur Hand habe? Nichts offenbart unverhüllter als dies ihre Gehässigkeit und eigene Ehrsucht. Am Ende gab dann dieser hinterlistige Mensch alles zu, was Karlstadt erwiesen hatte, wiewohl er doch zuvor so heftig dawider gestritten, und ist in allen Artikeln ganz mit ihm einig gewesen; ja er hat sich noch gerühmt, er habe Karlstadt zu seiner Meinung herübergezogen. Denn nun verwarf er Scotus samt den Skotisten und Capreolus196 samt den Thomisten in einem und sagte, alle übrigen Scholastiker hätten genau so geglaubt und gelehrt wie Karlstadt. So fielen dazumal Scotus und Capreolus zu Boden, das will sagen: die zwei bedeutendsten Schulhäupter von Skotisten wie Thomisten. In der nächsten Woche197 disputierte er dann mit mir. Erstlich aufs heftigste über den Primat des Papstes. Seine Waffen waren die Worte: „Du bist Petrus“ [Mt 16,18] und: „Weide meine Lämmer [Joh 21,15], folge mir nach und stärke deine Brüder“ [Lk 22,32], woran er noch viele Autoritätsstellen aus den Vätern hängte. Was ich darauf antwortete, wirst Du hernach hören. Er kam nun bald ans Letzte und stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf das Konzil zu Konstanz, darum daß es den Artikel Hußens198 verdammte, da er gesagt hatte, das Papsttum wäre vom Kaiser, wo es doch göttlichen Rechtes sein soll. Hier stapfte er nun so recht mutig als auf seinem alten Kampfplatz umher, hielt mir die Böhmen entgegen und bezichtigte mich offen der Ketzerei und Begünstigung der böhmischen Ketzer. Denn er ist nicht weniger unverschämt, wie er ein durchtriebener Sophist ist. Seltsam genug nur kitzelten diese seine Verdächtigungen die Leipziger mehr denn die Disputation selbst. Ich meinerseits hielt ihm die tausend Jahre der griechischen Christenheit und alten Väter entgegen, die nicht unter des Papstes Gewalt gestanden, wiewohl ich ihm seinen Ehrenprimat nicht verwarf. Und endlich haben wir noch über die Autorität der Konzilien disputiert. Da habe ich offen bekannt, es seien etliche Artikel unbillig verdammt worden, da sie ja von Paulus,
192 193 194 195 196 197 198
Am Freitag, dem 24. Juni. Ablassdekretale vom 9. November 1518. Vom 27. Juni bis 3. Juli, außer am 29. Juni. Eck bezog sich auf die italienische Disputierweise mit freier Rede und Gegenrede. Johannes Capreolus (um 1380–1444), Hauptvertreter des Thomismus im 15. Jahrhundert. Vom 4.–8. Juli. Johannes Hus.
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Augustin,199 auch selbst von Christus mit offenen und klaren Worten gelehrt seien. Da aber schwoll diese Giftnatter an und bauschte dies Verbrechen von mir ganz unmäßig auf, und wurde auf der anderen Seite ganz närrisch vor lauter Schöntun mit den guten Leipzigern. Schließlich bewies ich ihm mit den eigenen Worten jenes Konzils, daß dort nicht alle Artikel als ketzerisch und irrtümlich verdammt seien, also daß seine Vorwendungen ganz umsonst gewesen. Und so steht die Sache jetzt. In der dritten Woche200 ist dann über die Buße, das Fegefeuer, den Ablaß und ob jeglicher Priester Gewalt der Absolution habe, zwischen uns disputiert worden. Denn mit Karlstadt disputierte Eck nur ungern, auf mich hatte er’s vielmehr einzig abgesehen. Und da fiel nun der Ablaß gänzlich zu Boden, und Eck hielt’s fast in allen Punkten mit mir, und seine vorige Beschützung des Ablasses ward zu Hohn und Spott, da doch ich eben hierin zuvor die Summa der ganzen Disputation vermeint hatte. Ja, am Ende bekannte er’s sogar in öffentlichen Predigten, so daß auch das gemeine Volk ersehen konnte, daß ihm der Ablaß gar nichts gelte. Er soll nachher sogar bekannt haben: Hätte ich nicht des Papstes Gewalt in die Disputation gezogen, so wäre es ihm ein Leichtes gewesen, in allem mit mir übereinzukommen. […] Nach mir hat er dann noch an den drei letzten Tagen201 mit Karlstadt disputiert, und wieder gab er allem nach und billigte zu, daß es Sünde sei, wenn man „tue, soviel in einem liegt“; daß der freie Wille ohne die Gnade nichts denn sündigen könne; daß in jedem guten Werk die Sünde liege und daß es selbst Gnade sei, wenn man sich durch das „Tun, soviel in einem liegt“ für die Gnade bereiten könne, welches eben alles die Scholastiker ja doch leugnen. Und so ist denn in dieser Disputation schier gar nichts mit einiger Würdigkeit behandelt worden, ausgenommen meine dreizehnte These.202 Dennoch findet Eck bis jetzt nur Beifall, triumphiert und gilt als Sieger, jedoch nur so lange, bis wir das Unsrige veröffentlicht haben. Denn da die Disputation so schlecht verlaufen ist, werde ich meine Resolutionen203 von neuem im Druck herausgehen lassen. Uns haben die Leipziger weder begrüßt noch aufgesucht, vielmehr wie Todfeinde behandelt, Eck aber gaben sie das Geleit, sind ihm nachgelaufen, veranstalteten ihm zur Ehre Festgelage, und zu guterletzt machten sie ihm noch eine Schaube samt Schamlot204 zum Geschenk, auch ritten sie mit ihm spazieren, kurz: was sie nur ersinnen konnten, haben sie uns zur Demütigung getan. Überdies sind sie auch Herrn Caesar Pflug205 und dem Fürsten in den Ohren gelegen, daß all dies wohlgefällig sei. Das einzige, was sie uns taten, war, daß sie uns einen Trunk Weines kredenzten, was sie ja (weil’s der Brauch so fordert) nicht gut unterlassen konnten. Wie viele uns aber günstig gesonnen waren, die schlichen sich gleichsam nur bei Nacht zu uns. Eingeladen
199 Aurelius Augustinus (354–430), lateinischer Kirchenvater und Philosoph, seit 395 Bischof von Hippio Regius (Nordafrika). 200 Vom 8.–14., außer am 10. Juli 1519. 201 14.–16. Juli 1519. 202 Über den päpstlichen Primat. 203 Die zuvor schon einmal in Leipzig gedruckte Schrift erschien erneut am 15. August 1519. 204 Weiter Mantel mit einem Kleiderstoff aus Kamelhaar. 205 Herzoglicher Rat, der für die ordnungsgemäße Durchführung der Disputation und die Unterbringung der Gäste zu sorgen hatte.
Sebastian Fröschel: Über den Beginn der Disputation in Leipzig
hat uns allerdings der Doktor Auerbach,206 der ein gerecht Urteil hat, ebenso der Ordinarius Pistorius der Jüngere.207 Selbst Herzog Georg lud uns drei einmal gemeinsam zu sich. […] Da hast Du also die ganze Tragödie; das Übrige wird Doktor Johannes Plawnitzer208 Dir erzählen, der war nämlich selbst dabei und hat nicht wenig dazu verholfen, daß die Disputation nicht überhaupt wegfiel. Und da bei dieser Disputation Eck und die Leipziger nur auf ihren Ruhm, nicht auf die Wahrheit aus waren, so ist’s kein Wunder, daß sie leidig anhob und noch leidiger zum Ende kam. Denn wo man die Hoffnung einer Einigung zwischen Wittenbergern und Leipzigern gehegt hat, da fürcht ich, haben sie’s mit ihrer Gehässigkeit dahin gebracht, daß Zwietracht und Mißgunst erst wirklich an den Tag kommen sind. Das ist stets die Frucht menschlicher Ehrsucht. Ich, ob ich wohl meine Heftigkeit im Zaum zu halten suche, kann gleichwohl meinen Unmut darüber nicht gänzlich von mir tun; da ich auch nur Fleisch bin und ihre Gehässigkeit allzu schamlos war und ihre Ungerechtigkeit allzu böswillig in einer so heiligen und göttlichen Sache. Lebe wohl und empfiehl mich Seiner Durchlaucht, dem Kurfürsten. Mittwoch nach Alexius im Jahre 1519 Dein Martinus Luther Den ehrwürdigen Vater Vikar Staupitz traf ich in Grimma. Quellennachweis WA Br 1, S. 422,78–424,152 (Nr. 187). Die Übersetzung folgt: Martin Luther. Ausgewählte Werke. Bd. 1, bearb. v. Georg Merz, Ernst Kinder und Dotto Dietz, München 3 1951, S. 100–105. Literaturhinweis Irmgard Höss: Georg Spalatin 1484–1545, Weimar 1989, S. 156–167. Hans Joachim Kessler: Georg Spalatin: Geheimdiplomat der Reformation, Taucha 2017.
Nr. 58
Sebastian Fröschel: Über den Beginn der Disputation in Leipzig
Sebastian Fröschel wurde in Amberg am 24. Februar 1497 geboren und starb am 20. Dezember 1570 in Wittenberg. Er studierte in Leipzig und wurde dort zum Priester geweiht. Wohl auf Luthers Kritik hin gab er als einer der ersten in Leipzig die sog. „Privatmessen“ auf. 1522 wechselte er nach Wittenberg. Nach einer öffentlichen Predigt zugunsten der reformatorischen Theologie wurde Fröschel verhaftet und von Herzog Georg verhört. Er wurde daraufhin von der Universität relegiert. Er wandte sich erneut nach Wittenberg. Von seinen Schriften sind Predigten über das Evangelium des Matthäus zu nennen, sowie ein Katechismus.
206 Heinrich Stromer aus Auerbach in der Oberpfalz (1482–1542), humanistisch gebildeter Mediziner und fürstlicher Leibarzt. 207 Simon Pistorius (1489–1562), Professor der Rechte und Rat am Oberhofgericht zu Leipzig. 208 Hans von der Planitz (1473/74–1535), kursächsischer Rat und Amtshauptmann von Grimma, der im kurfürstlichen Auftrag der Disputation beiwohnte.
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Als Doktor Eck zu Ingolstadt solches gehört, erfahren und gelesen hat, da hat er sich auch an Dr. Martinum Luther gemacht und schriftlich von den Wittenbergern und den Herren der Universität Leipzig, sowohl von den Theologen als auch von den alten Kollegiaten und Obersten, begehrt, daß sie ihm erlaubten, zu Leipzig öffentlich mit den Wittenbergern zu disputieren. Aber sie haben es dem Doktor Eck kurzerhand abgeschlagen. Da hat Doktor Eck dem Herzog Georg von Sachsen geschrieben und seine Fürstlichen Gnaden gebeten, ihm zu erlauben, zu Leipzig mit den Wittenbergern zu disputieren. Das hat Herzog Georg dem Doktor Eck gerne erlaubt und der Universität Leipzig geschrieben und geboten, sie sollte die Wittenberger und Doktor Eck miteinander disputieren lassen. Zur Zeit der Disputation kam auch Herzog Georg nach Leipzig. Er lieh auch sein Schloß in Leipzig dazu und ließ die Hofstube ausräumen und zu einem Hörsaal herrichten und auf das schönste mit Kathedern schmücken, von denen zwei gegenüberstanden, und mit Bänken und Tischen, an denen die Notare saßen und die Argumente aufnahmen und alles aufschrieben. Er ließ alle Bänke und Katheder mit schönen Teppichen behängen, das der Wittenberger mit St. Martin und das des Doktors Eck mit dem Ritter St. Georg, denn Doktor Eck gedachte an den Wittenbergern Ritter zu werden und also wegen der Wittenberger zum Ritter geschlagen zu werden, wie er denn auch redlich von ihnen geschlagen worden ist, in und nach der Disputation. […] Am Freitag nach Corpus Christi [24. Juni] kamen die Wittenberger eingezogen, was ich selber gesehen habe. Sie fuhren durch das Grimmsche Tor in die Stadt Leipzig, und ihre Studenten liefen mit Spießen und Hellebarden neben den Wagen her und begleiteten auf diese Weise ihre Herren. Doktor Karlstadt fuhr voran, danach die Doktoren Martinus und Philippus selige, auch in einem Rollwagen. Sie hatten alle keine behangenen oder bedeckten Wagen. Und als sie also zum Grimmschen Tor einzogen und vor die Tür am Kirchhof der Paulinerkirche kamen, zerbrach dem Doktor Karlstadt sein Wagen, so daß der Doktor in den Schmutz fiel. Doktor Martinus aber und Herr Philippus Melanchthon fuhren vorüber. Die Leute aber, die das sahen, sagten: „Dieser wird überlegen sein (sie meinten Doktor Martinus seligen), und der andere wird unterliegen.“ Wie es auch geschah und bisher geschehen ist. Gott sei Lob. […] Am Montag nach Corpus Christi [27. Juni], an dem die Disputation anfing, kamen alle Fremden von Wittenberg und Ingolstadt in das große Kollegium, in die große Stube. Dort empfing Doktor Simon Pistoris209 die Gäste mit einer lateinischen Ansprache im Namen der Universität Leipzig. Danach ging man zu St. Thomas in die Kirche zur Messe. Der Leipziger Rektor befahl, daß die Leipziger Magister die Wittenberger zu sich in die Kirche nehmen sollten, ebenso auf dem ersten Gang zum Schloß. Also kam gleich zu mir Magister Vach210 seliger, den ich mit mir nahm. Und als wir in die St. Thomas-Kirche kamen, fing man an, eine Messe de sancto spiritu zu singen. Und der Kantor Georg Rau,211 später unser Buchdrucker, sang eine Messe mit zwölf Stimmen, die vorher noch keiner gehört hatte. Nach der Messe ging man auf das Schloß. Da war ein Viertel der Bürger der Stadt bestellt, die standen da mit ihrem Harnisch, mit ihren besten Waffen und ihrem Fähnlein. Und sie mußten
209 Der Rechtsgelehrte Simon Pistoris der Jüngere (28. Oktober 1489–3. Dezember 1562) wirkte zu dieser Zeit als Kanzler des Herzogs von Sachsen. 210 Möglicherweise Balthasar Fabricius, genannt nach seinem Geburtsort Vacha. 211 Georg Rhau (1488–6. August 1548) war zunächst Thomaskantor in Leipzig und später Universitätsdrucker in Wittenberg.
Sebastian Fröschel: Über den Beginn der Disputation in Leipzig
an jedem Tag zweimal auf dem Schloß sein, solange die Disputation währte, um Frieden zu halten, morgens von sieben bis neun Uhr und nachmittags von zwei bis fünf Uhr. Als man auf das Schloß kam, trat Petrus Mosellanus212 auf und hielt eine lateinische Ansprache. Danach ging man zum Frühstück zu Tisch. Nachmittags um zwei Uhr fing man mit der Disputation an. Da war Kantor Rau mit seinen Sängern und den Stadtpfeifern bestellt. Die fingen an zu singen und dazu zu blasen: Veni sancte Spiritus. Darauf fingen sie die Disputation an, zuerst nur Karlstadt mit dem Doktor Eck. Was in der Disputation auf beiden Seiten gehandelt worden ist, das ist lateinisch im Druck ausgegangen, das mögen die Gelehrten selber lesen. Eines aber muß ich sagen, was ich auch selber gehört habe und was sich in der Disputation zugetragen hat, im Beisein des Herzogs Georg, der oft in die Disputation kam und fleißig zuhörte. Einmal sagte Doktor Martin Luther seliger dieses Wort zu Doktor Eck, der ihn hart mit dem Johannes Huß beschwerte: „Lieber Herr Doktor, nicht alle hussitischen Artikel sind ketzerisch.“ Darauf sprach Herzog Georg mit lauter Stimme so laut, daß man es über das ganze Auditorium hörte: „Das walte die Sucht!“ Und er schüttelte den Kopf und stemmte beide Arme in die beiden Seiten. Das habe ich selber gehört und gesehen. Denn ich saß gleich zu seinen und des Herzogs Barnim von Pommern Füßen, der zur selben Zeit Rektor zu Wittenberg war213 und mit den Herren nach Leipzig zur Disputation gezogen war. Er versäumte derselben keine und hörte viel fleißiger zu als alle Leipziger Theologen und Kollegiaten. Er war auch in der wahren Theologie viel gelehrter als diese alle, die allzeit neben dem Doktor Eck saßen und ganz sanft schliefen. So fleißig hörten sie zu und so süße schmeckte ihnen die Disputation, daß man sie auch im allgemeinen aufwecken mußte, wenn man zu disputieren aufhörte, damit sie ihr Essen und ihre Mahlzeit nicht versäumten und damit sie nicht ihre Macht und Gewalt verlören, sondern dieselben behielten, bis es zu einem Konzil käme, damit sie dieselben wider die Ketzer gebrauchen könnten. Quellennachweis Sebastian Fröschel/Philipp Melanchthon: Vom Königreich Christi Jhesu, Der Christen grösten und höhesten Trost neben seinem Ewigen Priesterthumb, Wittenberg 1566, Aiij–Biib. Online-Digitalisat: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00086481/image_1 (letzter Zugriff 10.12.2020). Wir folgen der leicht veränderten Version in: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 68–71. Literaturhinweis „Fröschel, Sebastian“ in: Allgemeine Deutsche Biographie 8 (1878), S. 149–150 [Online-Version]; https://www.deutsche-biographie.de/pnd12894479X.html (letzter Zugriff 10.12.2020). Franz Oskar Germann: Sebastian Fröschel, sein Leben und seine Schriften, in: Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte. Bd. 14. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1899.
212 Vgl. Nr. 55. 213 Barnim IX. (2. Dezember 1501–2. November 1573) regierte ab 1523 zunächst mit seinem Bruder Georg I. als Herzog von Pommern-Stettin. Ab 1531 hatte er die Herrschaft allein inne. Seit 1534 schlossen sie sich der Reformation an.
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Nr. 59
Melanchthon: Brief an Oekolampad vom 21. Juli 1519
Der nachfolgende Brief stammt von Philipp Melanchthon und war an den Baseler Theologen und Reformator Johannes Oekolampad adressiert. Letzterer wurde 1482 unter dem Namen Johannes Heussgen in Weinsberg geboren und verstarb am 24. November 1531 in Basel. Nach Studien in Bologna, Heidelberg, Tübingen und Stuttgart wurde er 1510 zum Priester geweiht. Nach fünf Jahren als Pfarrer in Weinsberg ging der in humanistischen Kreisen bestens vernetzte Oekolampad nach Basel und wurde Mitarbeiter von Erasmus von Rotterdam. An der Universität promovierte er zum Doktor der Theologie. Zeitgleich pflegte er eine umfangreiche humanistische Korrespondenz u. a. mit Erasmus, Zwingli, Bucer und auch Luther. 1526 avancierte er zum Führer der Reformierten auf der Badener Disputation. Zwei Jahre später heiratete er. Melanchthon nimmt in seinem Schreiben an den befreundeten Humanisten Bezug auf die Thesen 13 und 14 der Leipziger Disputation.
Vom freien Willen wurde gefragt, ob wir aus freier Wahl ein gutes Werk tun können, das heißt, wie sie es selbst nannten, ob wir die gratia de congruo verdienen, wenn wir tun, was wir vermögen. Ich gebrauche nämlich ihre eigenen Worte. Obgleich dieses behandelt werden sollte, siehe, wohin sie durch ihre Streitrede gerissen wurden und an welche Riffe sie stießen. Es mußte untersucht werden, was unser Wille von sich aus ohne die Gnade vermöchte. Sie aber schleppten die Frage woandershin und erörterten, ich glaube vier Tage lang, ob der Wille nur das gute Werk annehme, und ob die Gnade allein das gute Werk hervorbringe. In diese Klemme haben sie die Sache gezwängt, ohne daß es nötig war. Und von dem Vorhaben Karlstadts entfernten sie sich weit. Eck gab zu, in unserem Willen sei keine angeborene Kraft, die gute Werke hervorbringe, sondern nur eine angenommene, und die Gnade bringe diese Kraft gleichsam wie Zinsen hervor. Dies schien er zuerst zu bestreiten. Als er darauf von Karlstadt gefragt wurde, ob er einräume, daß das ganze gute Werk von Gott sei, antwortete er, das ganze wohl, aber nicht voll und ganz. Siehe doch, wie scharfsinnig diese Erfindung ist und wie würdig der Hoheit der Theologie! So steht es heute jedem beliebigen frei, die Wörter zu verdrehen. Anfangs gestand Eck, daß der Wille von Gott bewegt werde, darauf sagte er, daß wir zustimmten, stände in unserer Gewalt. Dieser Meinung setzte Karlstadt einige Stellen aus Augustin und diesen Spruch des Paulus aufs kräftigste entgegen: „Gott wirkt in uns das Wollen und das Vollbringen.“214 Und diese Meinung Karlstadts blieb, wenn ich mich nicht täusche, unwiderlegt. Eck hatte sich für seinen Lehrsatz etwas aus Bernhard von Clairvaux herausgeschrieben, das sich nur wenig auf die Sache bezog. Und das ist es ungefähr, was Eck mit Karlstadt disputierte. Ich glaube, wir haben eine ganze Woche mit dem verloren, dessen Hauptpunkte ich Dir in Kürze mitgeteilt habe. […] Danach trat auch Martinus auf den Kampfplatz […]. Man fing an, über die Autorität des Papstes zu handeln. Es war strittig, ob die Autorität eines weltweiten Bischofs aus dem göttlichen Recht erwiesen werden könnte. Martinus gestand frei, daß ein weltweiter Bischof sei. Er disputierte
214 Phil 2,13.
Melanchthon: Brief an Oekolampad vom 21. Juli 1519
um diese Frage: Ob seine Autorität aus dem göttlichen Recht bewiesen werden könnte. Für diesen Punkt, da er nun einmal ein wenig schwierig ist, wurden fünf Tage aufgewendet, wenn ich mich nicht täusche. [4.–8. Juli] Eck disputierte dabei vieles scharf und vieles grob, kurzum, es war alles so angelegt, daß bei dem Volk die Mißgunst gegen Luther erregt werden sollte. Das erste Argument Ecks war, die Kirche könnte nicht ohne Haupt sein, weil sie eine öffentliche Gemeinschaft sei; folglich sei der Papst nach göttlichem Recht das Haupt der Kirche. Darauf antwortete Martinus, daß er bekenne, Christus sei das Haupt, weil die Kirche ein geistliches Reich sei, und daß er kein anderes Haupt begehre, wie Kolosser 1 steht. Eck fügte aus Hieronymus215 und Cyprian216 einige Stellen dazu. Wieviel diese für das göttliche Recht beweisen, möge er selbst erwägen. Nun wurden einige Stellen bei diesen Schriftstellern handgreiflich in Zweifel gezogen, die er selbst als zuverlässig vorgebracht hatte. Er prahlte mit der Ansicht des Bernhard in dessen Schrift De consideratione ad Papam Eugenium, als ob es eine Rüstung des Achilles sei, obgleich doch auch in dieser Schrift steht, was gerade den Grundsatz Luthers unterstützt. Übrigens, wer ist so stumpfsinnig, daß er nicht erkennte, was er von Bernhard in dieser Sache zu halten habe? Aus dem Evangelium führte er die Stelle bei Matthäus [Mt 16,18] an: „Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich meine Gemeinde bauen.“ Martinus forderte eine andere Deutung. Es handele sich um ein Glaubensbekenntnis, und Petrus stelle dort in seiner Person die gesamte Kirche dar. Luther nannte Christus einen Felsen und erwies dies aus dem Sinnzusammenhang mit zahlreichen Vermutungen. Ebenso antwortete Martinus darauf, daß der Spruch „weide meine Lämmer“ Petrus allein und persönlich zugesprochen sei, Christus hätte danach die Vollmacht allen anderen Aposteln übergeben durch den Spruch: „Nehmet hin den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben.“ [Joh 20, 22] Denn diese Worte beziehen sich auf das anvertraute Amt. Christus habe nur gelehrt, worin das rechte Weiden bestehe und wie er den wünschte, der seine Herde weiden würde. Darauf berief sich Eck auf das Konstanzer Konzil, wo unter den verdammten Artikeln der Hussiten entschieden worden wäre, es sei zur Seligkeit notwendig, zu glauben, daß der Papst ein weltweiter Bischof sei. Dabei wurde viel geprahlt, daß ein Konzil nicht irren könnte. Dazu antwortete Martinus klug, es wären nicht alle Artikel als ketzerisch verdammt worden. Und übrigens, das alles zu berichten ist beschwerlich. Auch ist dies nicht der Ort, zu behandeln, was die Autorität des Konzils sei. Dies ist offensichtlich: Ein Konzil kann keine neuen Glaubensartikel schaffen. Dadurch kam Martinus in einen schlechten Ruf, weil es schien, er setzte sich über die Konzilien hinweg, während Eck nichts mit größerer Gewissenhaftigkeit herausstellte, als daß den Konzilien die Autorität erhalten bliebe. Da wurden Ketzereien, böhmische Machenschaften und andere Verbrechen dieser Art vorgeworfen. Eck räumte zwar ein, alle Apostel hätten die gleiche Vollmacht gehabt, aber man dürfte nicht daraus folgern, daß sie Bischöfe vom gleichen Rang gewesen seien. Denn es müßte ein Unterschied zwischen der Sendung und der Verwaltung gemacht werden, weil die Sendung nichts anderes sei als der Gesandtenauftrag zum Glaubensgehorsam, wie Paulus an die Römer schreibe. Ich aber sehe keinen Unterschied zwischen Sendung und Verwaltung. Eck erschien es unerträglich zu sein, irgendwie von den päpstlichen Dekreten oder von den wie auch immer beschaffenen Worten eines der heiligen Väter abzuweichen. Martinus aber gründete seine Meinung über den Papst auf die Stelle im Galaterbrief [Gal 2,6], die nach meiner
215 Sophronius Eusebius Hieronymus (347–420) war ein spätantiker Gelehrter und Theologe. Er zählt zu den Kirchenvätern mit Ambrosius, Augustinus und Gregor. 216 Der Nordafrikaner Cyprian (um 200–258 ebenda) war Bischof von Karthago und ein bedeutender Kirchenschriftsteller.
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Ansicht gut hierzu paßte: „Von denen aber, die das Ansehen hatten – wer immer sie einst gewesen sind, daran liegt mir nichts; denn Gott achtet das Ansehen der Person nicht –, mir haben die, welche das Ansehen hatten, nichts weiter auferlegt.“ Inzwischen meinte Eck über Christus, er habe die Apostel erwählt, Petrus aber habe sie als Bischöfe eingesetzt. – Daraus magst Du das übrige selbst beurteilen. Zu der Konstitution, die in den Dekreten vorkommt, daß der Römische Bischof nicht allgemeiner Bischof genannt werden sollte, antwortete er, man dürfte ihn zwar nicht den allgemeinen Bischof nennen, aber den Bischof der allgemeinen Kirche. Quellennachweis Melanchthon, Philipp: Melanchthons Briefwechsel: kritische und kommentierte Gesamtausgabe, hg. v. Heinz Scheible, T 1. Texte 1–254: (1514–1522), bearb. v. Richard Wetzel. Stuttgart/Bad Cannstatt 1991. N°59. S. 132–141. Die deutsche Übersetzung folgt mit Anmerkungen und Auslassungen: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 74–77. Literaturhinweis Thomas Konrad Kuhn: Art. Oekolampad, in: Neue Deutsche Biographie (NDB). Bd. 19, Berlin 1999, S. 435 f. Thomas Kaufmann: Reformatoren. Göttingen 1998, S. 43–45 sowie 78–81. Wolf-Friedrich Schäufele: Johannes Oekolampad (1482–1531), in: Das Reformatorenlexikon, hg. v. Irene Dingel und Volker Leppin, Darmstadt 2 2016, S. 189–193. Heinz Scheible: Melanchthon: Vermittler der Reformation. Eine Biographie, München 2 2016.
Nr. 60
Lazarus Spengler: Eine bürgerliche Schutzrede auf Luther
Lazarus Spengler wurde am 13. März 1479 in Nürnberg geboren und verstarb am 7. September 1534 ebendort. Seit 1496 war er in der städtischen Kanzlei beschäftigt und wurde 1507 zum „vordersten“ Ratsschreiber, also Vorstand der Kanzlei, befördert. Seit 1516 nahm er Einfluss als Mitglied des „Größeren Rats“ auf die weitere Politik. Früh sympathisierte er mit der Wittenberger Reformation. Die „Schutzred und christenliche Antwort ains erbarn liebhabers goetlicher wahrhait der hailigen geschrifft“ wurde 1519 anonym gedruckt. Dennoch wurde Spengler zusammen mit Luther 1520 in der päpstlichen Bannbulle genannt. Dieser Sanktion konnte er sich vermittels einer äußerlichen Unterwerfung 1521 entziehen. Als Vertreter der Stadt Nürnberg reiste er 1521 zum Reichstag nach Worms.
Ich würd bei etlichen verdacht [= verdächtigt] und offenlich beschuldigt, als ob ich Doktor Martinus Luthers Augustiner Ordens, Diszipel [= Schüler] oder Nachfolger einer sei und desselben Lehr und Predig, ihrs Vermeinens [= ihrer Meinung nach], unbillich [= zu Un-
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recht] und zu viel rühmen und anhangen soll. Damit nun die, so mich also verdenken und beschuldigen und solchs, darfur ichs acht [= halte], meinerhalben nit arger Meinung, sondern aus diesem Grund tun, daß sie wider Luther vielleicht bei ihnen selbs allerlei Argwohns und Verdächtligkeit seiner Lehr halben, als ob die nit christenlich oder gut sei, schöpfen, auch kein bessers verstehen, ein lautere und eigentliche Anzeigung meins Verstands und Gemüts in dieser Sachen empfahen, so bitt ich sie und einen jeden, bei dem wider mich ein ungleicher [= unangemessener] Verdacht derhalben einfallen mag, nachfolgende mein Unterricht, auch die Ursachen, so mich bisher haben bewegt, Doktor Luthers Lehr nit ganz fur ungeschickt [= ungeeignet] oder nichten [= nichtig] zu achten und denselben Luther in die Zahl derer zu setzen, derer sich meins Achtens gemeine Christenheit und die heilig römisch Kirch fur ein sondern [= als über einen besonderen] trostlichen gegründten Vorfechter des heiligen Glaubens und Ausbreiter der heiligen evangelischen christenlichen Lehren nit unbillich erfreuen sollt, gütlich anzuhören, und alsdann, ob [= wenn] sie wöllen wider denselben Luther, den ich mit diesem meinem Anzeigen weder erheben oder unterdrucken, rühmen oder schelten, sein Lehr auch – dieweil mir darüber zu erkennen [= rechtens zu urteilen] nit geziemt – nit verwerfen oder anderer Weis, dann so viel sie göttlich und christenlich ist, angenummen haben will, desgleichen wider mich als seinen Diszipel, darfur ich geacht würd, nach ihrem Gefallen und doch der Gestalt zu urteilen, daß solchs [gegnerisches Urteil] bei christenlichen Personen mehr fur ein billichen notdurftigen Grund [= mehr als rechte, logische Begründung], dann [= als] selbsgeschöpften hässigen Schein [= gehässigen Vorwand] mög verstanden werden. Und sag anfangs: Erkanntnus christenlicher heilsamer und zugelassner Lehr steht meins Bedenkens, und wie ein jeder Verständiger ohn Zweifel bekennen muß, gründlich und eigentlich in dem, ob dieselb Lehr und Predig Christo als unserm Lehrmeister und Seligmacher – dieweil in ihnen [= ihm; also Christus] alle menschliche Lehr, auch alles unser Beginnen, ohn Mittel [= unmittelbar] muß ergründet [= gegründet] und gezogen werden – gleichformig [= gemäß], ob sie der evangelischen Unterweisung, auch den christenlichen heilsamen Gesetzen und der Vernunft gemäß sei, ob darin mehr Christus dann eigner Genieß [= Nutzen], weltlicher Rühm oder andere eitle Ursachen gesucht werden, ob die mehr zu Ausreutung beschwerlicher [= schädlicher] Irrsal dann Erweiterung viel unnützer Arguments und fahrlicher Skrupel der Seelen und Gewissens, auch mehr zu Unterweisung des Christenvolks dann Erfullung [= Übersättigung] des gemeinen Manns Ohren furderlich sei und [ob es] von Personen furgnummen werd, denen das aus Erheischung [= als Erfordernis] der Burden ihrs Amts und Gewissens billich geziem. Ob nun anfangs Doktor Luthers Lehr und Predig christenlich und heilsam, auch christenlicher Ordnung und der Vernunft gemäß seien, das gibt das Werk unwidersprechlich Gezeugnus. Dann alles, das derselb Luther bisher gepredigt, geschrieben und gelehrt, hat er allein auf das heilig Evangelium, die Spruch der heiligen Propheten und den heiligen Paulum ohn Mittel ergründet und also verständig und offentlich dargelegt, daß ich darwider wenig vernünftiger Argument, ja wahrlich zu reden gar kein gegründt Widersprechen befunden hab, und meins Bedunkens, wo ich mich unterstehen wöllt, Luthers Lehr und Predig zu verwerfen oder fur nichten zu achten, so müßt aus der Not [= notwendigerweise] daraus folgen, daß ich auch Christus Lehr und Unterweisung, in die sich Doktor Luther allein fundiert, widersprechen und vernichten müßt. Das sei aber von mir, als einem Christenmenschen, weit. […] Ich hab bisher gesehen, daß sich etwo viel unser Theologi wider Doktor Luthern mit einem großen Pracht [= Aufwand] empört und gleich den bösen Hunden viel gemarret [= geknurrt], aber wenig gebissen haben, all an ihm Ritter werden und den Dank [= Preis] erstechen wöllen. Wie ihn aber samentlich und sonderlich [= samt und sonders] der Harnisch ihrer kindischen schimpflichen Argumente angestanden, was Ehren und Uberwindung sie auch
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bisher außerhalb täglicher Schmachschriften (darein sie mehr dann auf die heiligen göttlichen Schrift ihr Fundament stellen) darvon getragen, haben wir scheinbarlich [= sichtbar] befunden und sehen das noch all Tag. Luther hat sich bisher keins andern Schirmstreichs [= Fechthiebs] wider seine Verfolger dann allein deren, die ihn unser rechter Fechtmeister Christus in dem heiligen Evangelio gelernet, gebraucht, und wie ich nit anders gesehen, alle die, so gegen ihm das Schwert aufgehaben, mit großen Ehren geschlagen. Glaub auch gänzlich, daß ihr viel ein anders, dann sie wider Luthern schreiben und reden, bei ihnen selbs wissen und erkennen und dieses ihr Geplärr allein darumb furnehmen aus Neid oder von ihres Eigennutz wegen, einen Rühm und Lob, wie sie ihnen selbs ein Freud schöpfen, damit zu erjagen. Dies seind die Grund und Anzeigung meiner Bewegung, die mich auch nit urzeitlich [= zur Unzeit] verursachen, Doktor Luthern und sein Lehr [für] unangefochten [= unwiderlegt] und unvemicht zu halten. Will doch darmit, dieweil es mir keinswegs geziemt, jemand zu gut oder Nachteil nichtzit [= nichts] beschlossen, auch nichtzit, das christenlicher Ordnung in einich Weg entgegen sein sollt, angenummen haben, sonder mich in allem dem, das einem rechten Christenmenschen zu halten, zu glauben und zu leisten aus göttlicher Billigkeit und christenlicher Gehorsam zusteht, dem Urteil und Erkenntnus Gottes und der heiligen christenlichen Kirchen in allweg unterworfen haben. Gott sei Lob. Quellennachweis Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518–1524). Bd. 1, bearb. v. Adolf Laube/ Annerose Schneider, unter Mitwirkung von Sigrid Looß. Erläuterungen zur Druckgeschichte von Helmut Claus, Berlin 1983, S. 501 f.; 511. Mit Änderungen und Anmerkungen übernommen aus: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 194–196. Literaturhinweis Berndt Hamm: Lazarus Spengler (1479–1534) – Der Nürnberger Ratsschreiber im Spannungsfeld von Humanismus und Reformation, Politik und Glaube, Tübingen 2004.
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Der römische Prozess
Die Verhandlungen im Prozess gegen Luther fanden auf mehreren Ebenen statt. Zunächst bemühte sich der Augustinereremiten-Orden unter der Leitung von Johann von Staupitz um eine Klärung. Die Heidelberger Disputation und der Vermittlungsversuch des Generalvikars anlässlich des Verhörs durch den Kardinallegaten Cajetan brachten 1518 allerdings nicht das von Rom gewünschte Ergebnis. In der Folge entpflichtete Staupitz seinen Ordensbruder von den Gelübden. Im Frühjahr wurde darum auch der kirchliche Prozess vorbereitet. Er wurde jedoch mit Rücksicht auf die politischen Verhältnisse im Reich in Erwartung der Kaiserwahl unterbrochen. Sein Ziel war es, Luther der Häresie zu überführen und die kirchliche Strafe der Exkom-
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munikation zu verhängen. Diese musste allerdings durch das weltliche Schwert, i.e. der Kaiser und das Reichsregiment, durchgesetzt werden. Dazu kam es infolge der langen Verzugsdauer – die päpstliche Bannandrohungsbulle wurde erst im Sommer 1520 fertiggestellt und nach Wittenberg gesandt – und den gesetzten Fristen erst im April 1521. Das Verhör Luthers vor dem versammelten Reichstag in Worms war ein politisches Zugeständnis an Friedrich III., den Kurfürsten von Sachsen. Ihm kam im gesamten Verfahren, wiewohl er nicht expliziter Vertreter der Reformation war, eine Schlüsselrolle zu – sprach er doch für die deutschen Kurfürsten, auf deren Unterstützung der junge Kaiser Karl V. unbedingt angewiesen war. Literaturhinweis Wilhelm Borth: Die Luthersache (Causa Lutheri) 1517–1524. Die Anfänge der Reformation als Frage von Politik und Recht (Historische Studien Nr. 414), Lübeck/Hamburg 1970.
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Papst Leo X.: Die kirchliche Bannandrohungsbulle Exurge, Domine
Der römische Prozess war zum Ende des Jahres 1518 unterbrochen worden. Die römische Kurie wollte den Ausgang der mit dem Tod Kaiser Maximilians I. im Januar 1519 erforderlichen Wahlen abwarten. Um sich gegen die Habsburgische oder Französische Übermacht zu stärken, protegierten die päpstlichen Theologen Kurfürst Friedrich III. von Sachsen. Als Karl V. 1519 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewählt wurde, war die Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten unnötig, zumal der junge Kaiser seine Loyalität gegenüber Rom und dem Papsttum bekundet hatte. Papst Leo X. veröffentlichte daraufhin am 15. Juli 1520 die Bannandrohungsbulle gegen Luther. Der wurde darin aufgefordert, seine Irrtümer binnen 60 Tagen zu widerrufen und ein entsprechendes Revers nach Rom zu übersenden. Sollte er das nicht tun, würden seine Schriften eingezogen und verbrannt. Überdies sei nach Ablauf der Frist jedermann der Umgang mit Luther verboten. Er solle verhaftet und nach Rom ausgeliefert werden.
Leo, Bischof, Diener der Diener Gottes. Zu ewigem Gedächtnis der Sache. Erhebe dich, o Herr, und verschaffe deiner Sache Recht. Sei deiner Schmähungen eingedenk, die von törichten Menschen täglich ausgehen. Schenke unseren Bitten Gehör, denn es sind Füchse aufgestanden, die sich anschicken, den Weinberg zu verwüsten, dessen Presse du allein bedient und dessen Pflege, Lenkung und Verwaltung du, als du zum Vater auffahren wolltest, Petrus als Haupt und deinem Stellvertreter sowie dessen Nachfolgern als gleichsam der siegreichen Kirche übertragen hast; diesen Weinberg will ein Wildschwein aus dem Walde verderben, und ein außerordentlich wildes Tier frißt ihn kahl […]. 1. Es ist eine ketzerische, aber verbreitete Ansicht, daß die Sakramente des Neuen Testaments jenen die rechtfertigende Gnade verleihen, die es nicht absichtlich verhindern.
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2. Zu leugnen, daß in einem Kinde nach der Taufe noch Sünde bleibt, heißt Paulus und Christus zugleich mit Füßen treten. […] 5. Daß die Buße aus drei Teilen – der Reue, der Beichte und der Genugtuung – bestehe, ist weder in der Heiligen Schrift noch in den alten heiligen christlichen Lehren begründet. […] 10. Die Sünden sind keinem vergeben, wenn er nicht bei der Vergebung durch den Priester glaubt, daß sie ihm vergeben sind; ja die Sünde würde sogar bleiben, wenn er nicht an ihre Vergebung glaubte, denn Sündenvergebung und Gnadengeschenk genügen nicht, sondern man muß auch glauben, daß die Sünde vergeben sei. 11. Du sollst dich nicht damit trösten, daß dir auf Grund deiner Reue vergeben sei, sondern nur auf Grund des Wortes Christi: „Was du lösen wirst usw.“ Hier, sage ich, vertraue darauf, wenn du die Absolution des Priesters erhältst, und glaube fest daran, daß dir vergeben wird, so wirst du wirklich absolviert sein, mag es mit der Reue stehen, wie es wolle. 12. Wenn jemand, was an sich unmöglich ist, ohne Reue beichten oder ein Priester nicht ernsthaft, sondern zum Spaß absolvieren würde – wenn er nur daran glaubt, daß ihm vergeben sei, dann ist er wahrhaft absolviert. 13. Im Sakrament der Buße und Vergebung der Schuld tut der Papst oder Bischof nicht mehr als der niedrigste Priester; ja selbst wo kein Priester anwesend ist, ist ihm jeder Christenmensch gleich, auch wenn er eine Frau oder ein Kind ist. 14. Keiner soll dem Priester antworten, daß er bereut habe, und der Priester soll auch nicht danach fragen. 15. Es ist ein großer Irrtum derer, die zum Sakrament des heiligen Abendmahls gehen und sich darauf verlassen, daß sie gebeichtet haben, sich keiner Todsünde schuldig wissen, ihre Gebete gesprochen und Vorbereitungen getroffen haben: Sie alle essen und trinken es sich zum Gericht. Wenn sie aber glauben und darauf vertrauen, daß sie dort Gnade erlangen, so ist es dieser Glaube allein, der sie rein und würdig macht. 16. Man möge beschließen, daß die Kirche in einem allgemeinen Konzil den Laien gestatten soll, unter beiderlei Gestalt zu kommunizieren; die Tschechen, die unter beiderlei Gestalt kommunizieren, sind weder Ketzer noch Schismatiker. 17. Die Schätze der Kirche, woraus der Papst Ablässe gibt, sind keine Verdienste Christi und der Heiligen. 18. Ablässe sind ein frommer Betrug der Gläubigen und eine Vernachlässigung guter Werke; sie sind zwar erlaubt, aber nicht notwendig. […] 24. Man soll die Christen lehren, den Bann mehr zu lieben als zu fürchten. 25. Der Römische Papst, der Nachfolger Petrus’, ist nicht der von Christus selbst in Gestalt des seligen Petrus eingesetzte Statthalter Christi für alle Kirchen der ganzen Welt. 26. Das Wort Christi zu Petrus: „Was du lösen wirst auf Erden usw.“, erstreckt sich nur auf das, was von Petrus selbst gebunden wurde. 27. Es ist sicher, daß es weder in der Macht der Kirche noch des Papstes steht, Glaubensartikel festzusetzen und schon gar nicht Moralvorschriften oder Gebote über gute Werke zu erlassen. […] 30. Manche der auf dem Konzil zu Konstanz verurteilten Artikel des Johannes Hus sind überaus christlich, wahr und evangelisch, die auch die ganze Kirche nicht verdammen könnte. 31. Ein rechtschaffener Mensch sündigt bei allen guten Werken. 32. Ein gutes Werk, selbst aufs beste ausgeführt, ist eine tägliche Sünde. 33. Die Ketzer zu verbrennen ist gegen den Willen des Heiligen Geistes. 34. Gegen die Türken kämpfen heißt gegen Gott kämpfen, der unsere Schwachheit durch sie heimsucht. […]
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41. Die geistlichen Prälaten und weltlichen Fürsten täten nicht übel, wenn sie alle Bettelsäcke vernichten würden. […] Die vorstehenden Artikel oder Irrtümer verurteilen und verwerfen wir insgesamt und einzeln, wie bereits gesagt, rückschauend als ketzerisch, anstößig und falsch, weil sie fromme Ohren beleidigen, einfache Gemüter verführen und der katholischen Wahrheit widersprechen, und weisen sie insgesamt zurück. […] Da außerdem die genannten und viele andere Irrtümer in den Büchlein und Schriften eines gewissen Martinus Luther enthalten sind, verurteilen und verwerfen wir in gleicher Weise die genannten Büchlein und alle Schriften oder Predigten des erwähnten Martinus – gleichgültig, ob sie in Latein oder in einer beliebigen anderen Sprache aufgefunden werden –, in denen die angeführten Irrtümer oder einer von ihnen vorkommt, und weisen sie insgesamt zurück. […] Dieser Martinus sowie seine Anhänger, Helfer, Gönner und Beherberger ersuchen und ermahnen wir mit dieser Urkunde zum heiligen Gehorsam, und unter Zusicherung aller und jeder der genannten Strafen, die selbstverständlich daraus folgen, befehlen wir mit striktem Gebot, daß innerhalb von sechzig Tagen – von denen wir zwanzig als den ersten, zwanzig als den zweiten und die letzten zwanzig als den dritten und letztmöglichen Termin ansetzen und die unmittelbar vom Anschlag dieser Bulle in den untengenannten Orten an zu zählen sind – Martinus persönlich sowie die erwähnten Helfer, Gönner, Anhänger und Beherberger von den genannten Irrtümern und ihrer Verbreitung, Veröffentlichung, Behauptung und Verteidigung wie von der Herausgabe von Büchern und Schriften über sie oder einen von ihnen gänzlich Abstand nehmen. […] Sollten aber, was nicht eintreten möge, der erwähnte Martinus und die genannten Helfer, Gönner, Anhänger und Beherberger anders handeln oder die vorstehende Forderung insgesamt und einzeln innerhalb der genannten Frist tatsächlich nicht erfüllt haben und der Lehre des Apostels zuwiderhandeln, der einen ketzerischen Menschen nach der ersten und zweiten Zurechtweisung zu meiden vorschreibt, so erklären wir dagegen aus dieser Ermächtigung für jetzt und für später, daß dieser Martinus, seine erwähnten Helfer, Anhänger, Gönner oder Beherberger und jeder von ihnen, die, wie dürre Weinreben, nicht christlich bleiben, sondern eine Gegenlehre aufstellen und predigen, die dem katholischen Glauben feindlich ist, gegen ihn verstößt und ihn verdammt, eine große Beleidigung der göttlichen Würde und der gesamten Kirche darstellt sowie dem katholischen Glauben Schaden und Ärgernis zufügt, und die sogar die Schlüsselgewalt der Kirche geringschätzen, ausgesprochene und hartnäckige Ketzer waren und sind; wir verurteilen sie als solche, und wir wollen und gebieten, daß sie von allen obengenannten Christgläubigen beiderlei Geschlechts als solche angesehen werden. […] Gegeben zu Rom bei Sankt Peter im Jahre der Menschwerdung des Herrn 1520, am 17. Tag vor den Kalenden des Juli, im achten Jahre unseres Pontifikats. Von der Kurie: Domicelli de Comitibus.
Quellennachweis Die Reformation in Dokumenten. Aus den Staatsarchiven Dresden und Weimar und aus dem Histor. Staatsarchiv Oranienbaum. Weimar 1967, S. 85–87. Wir folgen der Version aus: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 205–209.
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Literaturhinweis Martin Brecht: Martin Luther. Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483–1521, Stuttgart 2 1983, S. 371–378.
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Karl von Miltitz’ Brief an Kurfürst Friedrich von Sachsen
Karl von Miltitz, geboren um 1490 in Rabenau oder Scharfenberg und verstorben am 20. November 1529 in Steinheim am Main, entstammt einem sächsischen Adelsgeschlecht. Er wirkte u. a. als päpstlicher Kammerherr und war in der Funktion eines Nuntius mit der Überreichung der goldenen Tugendrose an Friedrich III. von Sachsen betraut. Bei dieser Gelegenheit verhandelte er auch mit Martin Luther. So hatte er im Januar 1519 mit Luther eine Unterredung in Altenburg und im Oktober desselben Jahres auch in Liebenwerda. Noch einmal versuchte er 1520 im Antoniterkloster Lichtenberg bei Prettin sein Glück. Allerdings blieben alle Versuche, Luther zum Einlenken zu bewegen, erfolglos. Auf einer späteren Reise ertrank er 1529 im Main bei Groß-Steinheim. Ich ritt nach Leipzig. Dort fand ich Doktor Eck mit großem Geschrei und Prahlen. Ich unterließ es nicht, ihn zu Gast zu bitten, um zu erfahren, was er vorhatte und was er wollte. Er trank schnell und leichtfertig und fing an, von seinen Befehlen zu reden, wie er Doktor Martinus lehren wollte. Er sagte mit spitzen Worten, er hätte die päpstliche Bulle am 21. September in Meißen, am 25. in Merseburg und am 29. in Brandenburg veröffentlichen und anschlagen lassen. Er gab mir eine beglaubigte Abschrift dieser Bulle, die ich Eurer Kurfürstlichen Gnaden mitschicke. Er macht ein großes Gepränge mit der Bulle. Sie verleiht ihm Geleit. Mein geliebter Herr Herzog Georg hat dem Rat geschrieben, daß man ihm einen vergoldeten Pokal mit viel Gold darinnen schenken soll. Ungeachtet des Geleites und seiner Bulle haben gute, fromme Kinder jetzt am Michaelistag [29. September] an zehn Orten angeschlagen, wovon ich Eurer Kurfürstlichen Gnaden auch eine Abschrift schicke, und daneben gedroht, so daß Eck in das Kloster zu den Paulinern fliehen mußte und sich nicht sehen lassen darf. Das hat er dem Caesar Pflug217 geklagt. Darauf hat Herr Caesar dem Rektor geboten, ein Mandat gegen die ausgehen zu lassen, die Eck dermaßen plagen, was geschehen ist. Davon schicke ich Eurer Kurfürstlichen Gnaden auch eins mit. Es hat nichts geholfen. Sie haben ein Lied auf ihn gemacht und singen es auf den Gassen. Er ist sehr bekümmert. Der Mut und das Prahlen sind ihm vergangen. Man schreibt ihm jeden Tag Fehdebriefe in das Kloster und droht ihm Verlust des Leibes und des Gutes an. Es sind auch über fünfzig Studenten aus Wittenberg da, die sich über ihn unnötig ereifern. […] Ich kann es Eurer Kurfürstlichen Gnaden nicht schreiben, wie grausam man wider ihn ist. Ich habe große Sorge, das freie Geleit wird nichts helfen, er wird erschlagen.
217 Cäsar Pflugk (1458–1524) stammt aus dem meißnischen Adelsgeschlecht der Pflugks. Er studierte in Leipzig und Bologna und wirkte als Richter am Oberhofgericht Leipzig. Später fungierte er auch als Berater Herzog Georgs von Sachsen und hatte als solcher für die ordnungsgemäße Durchführung der Leipziger Disputation Sorge zu tragen.
Bericht des Nuntius Aleander an Leo X.
Quellennachweis Wilhelm Ernst Tentzel: Historischen Bericht vom Anfang und ersten Fortgang der Reformation Lutheri zur Erläuterung des Hn. v. Seckendorff Historie des Lutherthums, mit grossem Fleiß erstattet, und nunmehro in diesem andern Evangelischen Jubel-Jahr, nebst einer besondern Vorrede, auch nützlichen, noch niemahls publicirten Uhrkunden, und nöthigen Registern mitgetheilet von D. Ernst Salomon Cyprian, Consistorial- und Kirchen-Rath zu Gotha. Der dritte Druck, Leipzig 1718, S. 439–440. Wir folgen der veränderten Version von Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 91 f. Literaturhinweis Hans-Günter Leder: Ausgleich mit dem Papst? Luthers Haltung in den Verhandlungen mit Miltitz 1520, Stuttgart 1969. Heinrich August Creutzberg: Karl von Miltitz: 1490–1529. Sein Leben und seine geschichtliche Bedeutung. Freiburg i. Br. 1907. Daniel Gehrt: Karl von Miltitz. Die Kritik „eynes Teufels kindtsäm Ablasshandel, in: ders. (Hg.): Aus erster Hand: 95 Porträts zur Reformationsgeschichte; aus den Sammlungen der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 2014, S. 133 f.
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Bericht des Nuntius Aleander an Leo X.
Hieronymus Aleander wurde am 13. Februar 1480 in Venedig geboren und verstarb am 1. Februar 1542 in Rom. Der römische Geistliche entstammte einer adligen Familie. Nach dem Studium in Padua lehrte der humanistische Gelehrte in Venedig alte Sprachen und zählte zum Netzwerk um den Buchdrucker Aldus Manutius. 1501 berief ihn Papst Alexander VI. nach Rom und vertraute ihm diplomatische Missionen an. 1508 ging er dennoch als Lehrer an die Universität von Paris und führte dort das Studium der griechischen Sprache ein. 1513 zum Rektor der Pariser Universität gewählt, trat er in den Dienst Ludwigs XII. und wurde außerdem Kanzler des Fürstbischofs von Lüttich. Von 1517 an diente er, wieder zurück in Rom, als Leiter der Vatikanischen Bibliothek. Papst Leo X. berief den erfahrenen Diplomaten zum Nuntius am Hof Karls V. 1524 wurde Aleander Erzbischof von Brindisi und päpstlicher Nuntius in Frankreich. Über die lutherische Angelegenheit, damit Eure Heiligkeit erfährt, welchen Verlauf hier alles genommen hat, melde ich, daß der Kaiser, als wir uns in Antwerpen aufhielten, befohlen hat, daß, wo auch immer in seinen Ländern und Herrschaften lutherische oder andere Schmähschriften gefunden würden, diese alle öffentlich durch das Feuer verbrannt werden sollten. Dieses Edikt war zwar durch ein allgemeines Siegel des Königs beglaubigt, aber die verdammten Ungeheuer von Büchern konnten, weil (wie ich danach erfuhr) für die Erlässe in Brabant ein anderes Siegel desselben Königs, das das brabantische genannt wird, nötig ist und dieses
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zur selben Zeit im Besitz des brabantischen Kanzlers in Löwen war, in Antwerpen durch das verdiente Feuer nicht zugrunde gehen, wie ich neulich voller Hoffnung geschrieben habe. Sobald wir aber nach Löwen kamen, ließen wir das königliche Edikt durch das Siegel von Brabant bekräftigen. Daraufhin wurden am 8. dieses Monates achtzig und mehr lutherische Bücher und viele Schmähschriften mit ihnen mitten auf dem Markt von einer Rednertribüne aus durch das Feuer vernichtet, wobei die Behörden in Amtstracht zugegen waren, der Herold mit lauter Stimme das Edikt verkündigte und der Henker das Feuer anlegte. Und das nicht nur vor den Augen der Einwohner von Löwen, sondern auch vor den Augen aller Nationen, die aus allen Ländern zum kaiserlichen Hof zusammenströmen. Die meisten brachten diese Bücher aus Furcht vor den angedrohten Strafen zu mir. Andere rissen die Ratsdiener und Schergen aus den Buden der Buchhändler heraus. Dasselbe geschah danach in Lüttich am 17. des Monates, wo ich aber noch vier Tage nach der Abreise des Königs verweilen mußte, bis das Edikt des Bischofs ausgefertigt wurde, das dieser mir bereitwilligst so umfangreich und so formuliert, wie ich es selbst diktieren wollte, zugestand. Quellennachweis Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Bd. 2, bearb. v. Adolf Wrede, Göttingen 1962, S. 455,7–456,2. Literaturhinweis Helmut Feld: Wurde Martin Luther 1521 in effigie in Rom verbrannt?, in: ders.: Essays zur europäischen Religions- und Kulturgeschichte. Kritische Blicke auf Personen und Epochen, Berlin 2017, S. 222–228.
Nr. 64
Die Verbrennung der Bannandrohungsbulle, 10. Dezember 1520
Die Verbrennung von missliebigen, als ketzerisch oder falsch beurteilten Schriften gehörte seit Langem zur gängigen Praxis der herrschaftlichen oder kirchlichen Machtdemonstration. Insofern Luther die Verbrennung seiner Schriften ebenfalls angedroht worden war, griff er nun zu dem bewährten Mittel der öffentlichen Stellungnahme durch Verbrennen. Durch Melanchthon wurden interessierte Angehörige der Universität durch einen Aushang um 9 Uhr an die Heiligkreuzkapelle, außerhalb des Elstertores, eingeladen. Diese Maßnahme war schon länger erwartet worden. Die Aktion selbst wurde durch Johann Agricola durchgeführt. Auf dem Scheiterhaufen landeten mehrere Ausgaben des kanonischen Rechts, ein Beichthandbuch sowie mehrere Schriften von Luthers Gegnern. Diesem Feuer fügte Luther möglicherweise von der Mehrzahl der Anwesenden unbemerkt ein gedrucktes Exemplar der Bannandrohungsbulle hinzu. Mit dieser Aktion stellten sich Luther und seine Anhänger außerhalb des kanonischen Rechts und der kirchlichen Gerichtsbarkeit. Die erste reformatorische Bücherverbrennung hatte eine nachhaltige Wirkungsgeschichte.
Die Verbrennung der Bannandrohungsbulle, 10. Dezember 1520
Im Jahre der Geburt unseres Herrn und Heilands 1520, am 10. Tage des Christmonats, sind alle Studenten in Wittenberg durch eine öffentliche Schrift, die an die schwarze Tafel vor dem Lectorio angeschlagen war, zusammengefordert worden, des Inhalts, daß die antichristlichen Decretalien um neun Uhr vormittags sollten verbrannt werden. Auf die angegebene Zeit fanden sich die Studenten in Menge zusammen an einem Ort vor dem Elstertor, hinter dem Spital gelegen. Dort richtete ein ansehnlicher Magister die Brandstätte an, legte Holz zu Haufen und zündete es an. Darauf warf Dr. Martin Luther die antichristlichen Decretalien samt der Bulle Leonis X., die neulich wider ihn ausgegangen, ins Feuer mit den Worten: „Weil du den Heiligen des Herrn betrübet hast, so betrübe und verzehre dich das ewige Feuer.“ Darauf ging der werte Mann wieder in die Stadt, und viele Doktoren, Magister und Studenten mit ihm. Einige hundert Studenten aber blieben zurück und umstanden das Feuer, und einige sangen mit erhobener Stimme: „Te deum laudamus“ [Herr Gott, dich loben wir], andere zelebrierten ein feierliches Totenamt der Decretalien und führten noch andere Possen auf, die man nicht alle aufzählen kann. Nachdem das alles geschehen war, gingen sie zum Essen. Nach dem Essen zogen sie einen Bauernwagen herbei, auf den setzten sich maskierte Studenten in dem Aufzuge, in dem sie den Trivialschülern das Beanium218 ausziehen und sie zum Studium tüchtig machen. In diesem Aufzuge trieb einer, der als Wagenlenker verkleidet war, mit lautem Schreien und Peitschenknallen die Pferde an, wobei er allenthalben unbändiges Gelächter erregte. Vorn im Wagen saßen vier Knaben, die hebräische Sprüche hersagten. Neben ihnen hielt ein Fahnenträger eine Bulle, vier Ellen lang [etwa 2,5 m], die sie, wie sie sagten, für zwanzig Dukaten in Rom gekauft hätten, an einer noch längeren Stange befestigt, als Banner in die Höhe und ließ sie wie ein Stück Fahnentuch im Winde flattern. Auf dem Wagen stand ferner ein Bläser, der mit einer irdenen Trompete ein fürchterliches Getöse erregte und alle Blicke auf sich zog. Die Trompete hielt er in der Rechten, in der Linken aber ein Kriegsschwert, an dessen Spitze eine Ablaßbulle zu sehen war, zweimal durchstochen, mit herabhängendem Siegel. Einer trug ein dichtbeschriebenes Blatt an einem Stäbchen auf dem Rücken befestigt, auf dem in größeren Buchstaben die Worte zu lesen waren: „In honorem ordinis praedicatorum“ [zu Ehren der Dominikaner]. Zu Füßen der Sitzenden lag gespaltenes Holz und Reisigbündel zum Anbrennen. Diesem Nachmittagsschauspiel wohnten weder Dr. Luther noch Melanchthon noch Karlstadt bei. Im Hof der Wohnung eines Magisters der Philosophie namens Vach219 wurde der Wagen weiter ausstaffiert und von da nach dem Hof des Gymnasiums gefahren. Hier strömte auf ein Trompetenzeichen und das Getön der irdenen Tuba eine zahllose Menge zusammen. Von allen Seiten wurden Bücher der Papisten, Ecks und der Sophisten zusammengebracht, und alles, was auf den Wagen geworfen wurde, in ein Gefäß gestopft. Dann setzten sie die Fahrt fort. An allen Häusern sahen die Leute aus den Fenstern oder standen vor den Türen, den Klang der Trompete, das Getön des hebräischen Gesanges und das Gewimmel der nachfolgenden Schar anstaunend, und freuten sich über den neuen, ungewohnten Aufzug und klatschten Beifall und begleiteten den Zug bis zum Scheiterhaufen. Das Feuer vom Vormittag war noch nicht ausgegangen, denn es waren welche dageblieben, die das Schindeldach irgendeines Hauses oder eines Schuppens plünderten und emsig die Schindeln ins Feuer warfen.
218 Erniedrigendes Aufnahmeritual für junge Studenten, die sich der Autorität der älteren zu unterwerfen haben. 219 Balthasar Fabricius, (auch Vach) wurde um 1478 in Vacha geboren und verstarb am 4. Juli 1541 in Wittenberg. Er war ein geschätzter Vertreter der kunstvollen Literatur und wirkte als lateinischer Grammatiker und Rhetoriker.
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Hier stieß der Bläser wieder ins Horn, und auf dieses Zeichen strömten die, welche im Zuge nachgefolgt waren, zu einem Haufen zusammen, die auf dem Wagen standen, stiegen herab, und alle zogen mit Fähnchen wie zur Ostervigil um den Scheiterhaufen herum. Die einen sangen „Te deum laudamus“, die andern „Oh, du armer Judas“, wieder andere „Requiem aeternam“ [ewige Ruhe], als ob sie den Decretalien das Totenamt abhielten, und jeder stimmte für sich an, was ihm paßte. Unterdessen stieg der Wagenlenker auf eine auf dem Platze hergerichtete Rednerbühne und las der unter lautem Gelächter zuhörenden Menge die Bulle mit Anmerkungen vor. Nach der Bulle verlas er ein Buch des Hieronymus Dungersheim aus Ochsenfart220 unter Gelächter der Zuhörer, dann eins von Eck und verschiedene andere, die sie aus dem Gefäß hervorlangten. Dann stieg er, um Geld zu einer Seelenmesse für die zu verbrennenden Missetäter zu sammeln, von der Rednerbühne herab und warf die Bullen, die Bücher mitsamt dem Bottich und den Fahnen ins Feuer. Darauf rissen die einen den Scheiterhaufen ein und hoben die einzelnen Blätter der Bücher mit Stäbchen in die Höhe, andere riefen, das würden sie dem Papst und den Päpstlern schicken, wieder andere stimmten verschiedene Lieder an und trieben mit der Asche ihren Mutwillen. Dann endlich ginge sie weg, jeder nach seiner Wohnung. Des anderen Tags vermahnte Dr. Martin Luther nach seiner Vorlesung über den Psalter alle Zuhörer, daß sie sich vor den päpstlichen Gesetzen und Statuten sollten hüten. Daß die Decretalien verbrannt worden seien, das sei nur ein Kinderspiel; hoch vonnöten wäre es, daß der Papst, d. h. der römische Stuhl samt aller seiner Lehre und Greueln verbrannt würde. Weiter sagte er mit großem Ernst: „Wo ihr nicht von ganzem Herzen des Papstes lächerlichem Regiment widersprecht, könnt ihr nicht selig werden. Denn des Papstes Reich ist so gar dem Reiche Christi und christlichem Leben zuwider, daß es besser und sicherer wäre, in einer Einöde, da kein Mensch zu sehen ist, zu leben, denn in und unter dem antichristlichen Reiche zu wohnen.“ Quellennachweis WA 7, S. 184,2–186,28. Exustionis Antichristianorum decretalium acta. Die deutsche Übersetzung folgt: Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 184 f. Literaturhinweis Thomas Werner: Den Irrtum liquidieren. Bücherverbrennungen im Mittelalter, Göttingen 2007. Mona Körte/Cornelia Ortlieb (Hg.): Verbergen – Überschreiben – Zerreißen. Formen der Bücherzerstörung in Literatur, Kunst und Religion, Berlin 2007.
220 Hieronymus Dungersheim, genannt nach seinem Geburtsort Ochsenfart (* am 22. April 1465 in Ochsenfurt; † am 2. März 1540 in Leipzig) war ein Professor in Leipzig und altgläubiger Kontroverstheologe.
Johannes Aurifaber: Der deutsche Adel tritt für Luther ein
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Johannes Aurifaber: Der deutsche Adel tritt für Luther ein
Johannes Aurifaber (latinisiert nach seinem Geburtsnamen Goldschmied) wurde um 1519 in Weimar geboren und verstarb am 18. November 1575 in Erfurt. 1537 begann er sein Studium an der Universität Wittenberg. Nach der Graduierung blieb er als Erzieher den Grafen von Mansfeld eng verbunden. 1545 begann er in Wittenberg Theologie zu studieren und zog in Luthers Haus als dessen letzter Famulus. In dieser Funktion sammelte er zahlreiche Tischgespräche Luthers mit seinen Haus- und Tischgenossen, die sog. „Tischreden“. Nach Luthers Tod wirkte er als Prediger, wurde 1547 in Weimar angestellt und übernahm 1550 die zweite Hofpredigerstelle. Aurifaber zählt zu den sog. „Gnesiolutheranern“, den Hütern der reinen Lehre Luthers, und sorgte seit 1556 für ihre Berufung an die Universität Jena. Als der Weimarer Hof sich 1561 von dieser Richtung des konfessionellen Luthertums lossagte, zog sich Aurifaber nach Eisleben zurück. Ab 1566 als Pfarrer an der Predigerkirche in Erfurt installiert, wurde er zum Senior von Erfurt gewählt. In diesem Amt verstarb er am 18. November 1575. 1. Als Anno 1520 der Pabst mit seinen Romanisten und Bischöfen, auch mit den Universitäten, gewaltiglich sich wider D. M. Luther setzten, ihn als einen Ketzer verdammten, und aus allen Winkeln voll Bücher und Schriften wider den einigen Mann schneiete, und auch des Pabsts Legaten zu Köln auf dem Reichstage den neuen Kaiser Carol wider D. Luthern verbittern wollten, und begehrten, daß seine im Druck ausgegangenen Bücher durch ihrer kaiserlichen Majestät Edict möchten verbrannt werden; aber ihre kaiserliche Majestät die Legaten nicht bald beantwortet, sondern ihnen sagen ließ: er wollte zuvor seinen Vater, Herzog Friedrich, Churfürsten zu Sachsen, fragen, was er dazu sagte, und sich erkundigen, wie es um D. Mart. Luther Lehre stände etc., und also D. Luther in großer Angst und Noth war, daß auch des Churfürsten zu Sachsen Hofleute wollten schier mit D. Luthern zürnen, darum, daß er wider den Zettel [Erlass] des Officials, oder Bischofs zu Meißen, öffentlich geschrieben; denn Herzog Georg zu Sachsen sich desselbigen Schreibens hart annahm, sehr zürnte und tobte, derhalben gänzlich darauf stund, daß D. Martin Luther sich hätte müssen von Wittenberg weg geben [wegbegeben] und ins Exilium ziehen, war auch im Vorhaben, sich ins Land zu Böhmen zu verstecken: 2. Da gab Gott Doctor Luthern wieder einen Trost und Muth. Denn Ulrich von Hutten, ein deutscher Edelmann und Poet, gewaltiglich wider den Papst schrieb, und ihn für den Antichrist ausschrie. Bekam also Lutherus nun einen Gesellen, der bei ihm öffentlich wider den Pabst stünde, und das antichristliche Reich stürmte. 3. Auch gab Gott Doctor Luthern einen leiblichen Schutz. Denn da der Papst und sein Anhang ihn gar wollten todt haben, oder auch aus dem deutschen Lande verjagen, da schrieb Ulrich von Hutten D. Luthern, daß Franciscus von Sickingen, auch ein Edelmann, an der Pfalz wohnend, sich erböte, Doctor Luthern zu hausen, zu herbergen, und wider alle seine Feinde zu schützen. 4. Derhalben schrieb Silvester von Schaumberg [Schaumburg],221 ein fränkischer Edelmann, auch an D. Luthern, und vermeldete, daß er und andere, ihrer bei hundert vom Adel, ihn 221 Siehe Nr. 67.
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wider alle seine Widerwärtigen [Widersacher] schützen wollten; wie denn derselbige Brief hernach folgt. Solches machte Doctor Luthern ein Herz, daß er dem Pabst erst recht in die Wolle griff, und das Büchlein schrieb an den christlichen Adel deutscher Nation, von des christlichen Standes Besserung, darinnen er den Pabst anders nicht denn als den wahren, rechten Antichrist handelte. Also erweckte Gott den Adel, daß er sich Doctor Luthers und seiner Lehre annahm, da er sonst weder von Fürsten, noch Bischöfen, Trost und Hülfe hatte; wie ihn denn Franz von Sickingen in einer Schrift auch des Schutzes halben vertröstet. Quellennachweis Walch, Bd. 15. Abt. 1, S. 1630 f. (Nr. 488). Literaturhinweis Helmar Junghans: Nachwort, in: Tischreden oder Colloqvia Doct. Mart. Luthers, so er in vielen Jaren gegen gelarten Leuten, auch frembden Gesten, und seinen Tischgesellen gefüret, nach den Heubtstücken unserer christlichen Lere zusammengetragen (Edition Leipzig 1981), Wiesbaden 1983, Anhang, S. 1–19.
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Ulrich von Hutten: Hutten an Luther
zu Hutten s.w.o. Nr. 25. – Früh fand Luther Unterstützung bei Vertretern des deutschen Adels und einiger Repräsentanten des Ritterstandes. Viele von ihnen versprachen sich von Luthers Stellungnahme gegen Kaiser und Papst die Durchsetzung lang ersehnter Freiheitsrechte, vor allem aber die Wiederherstellung alter Privilegien. Das klingt auch aus Huttens Brief an Luther deutlich heraus. Besonders die Ritter waren im Zuge des politischen und technischen Wandels an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden. Die Ausdrucksformen der mittelalterlichen Ritter- und Minnekultur waren erschöpft und der technische Fortschritt hatte ihre Kampfformen und Rüstungsbestrebungen überholt. Aufgrund der schlechten Erträge der Bauern im Zusammenhang mit einem klimatischen Wandel, der sog. „kleinen Eiszeit“, sahen sich etliche gezwungen, ihren Unterhalt durch Raubzüge in die ländlichen Regionen oder Wegelagerei (Raubritter) zu erbringen. Sie verstrickten sich überdies in lange Fehden und verloren so gleichermaßen politischen wie gesellschaftlichen Rückhalt. Du würdest gewiß betrübt sein, wenn Du sähest, in welchen Widerwärtigkeiten ich hier lebe; denn gar betrügerisch ist die Zuverlässigkeit der Menschen. Während ich neue Helfer zusammenbringe, fallen die alten wieder ab. Sie fürchten sich alle sehr und haben viele Ausreden. Vor allem schreckt die Menschen der Aberglaube, der ihnen die Meinung ins Herz gelegt hat, es sei eine Todsünde, dem römischen Papste zu widerstreben, und wenn er noch so böswillig und verbrecherisch wäre. Dennoch beharre ich fest, und gebe den Gegnern niemals nach. Am standhaftesten von allen nimmt sich Franz von Sickingen unser an, und doch hätten sie auch
Ulrich von Hutten: Hutten an Luther
ihn vor kurzem fast dazu gebracht, daß er wankend würde, dadurch, daß sie ihm verschiedene Schmähschriften zeigten und ihm einreden wollten, daß Du sie geschrieben hättest, die Du aber, davon bin ich überzeugt, niemals geschrieben hast. Als ich das erfuhr, hielt ich es für meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß eine so mächtige Schutzwehr für uns nicht von den Feinden eingenommen würde. Das habe ich dadurch erreicht, daß ich ihm Deine Schriften vorlas, von denen er vorher kaum etwas gekostet hatte. Nachdem ich zuerst, soweit es in meinen Kräften stand, seine Wißbegierde erweckt hatte, begann ihm die Sache zu gefallen; als er dann aber sah, welch mächtigen Bau Du errichtet hast, und auf welchem Grunde, rief er aus: „Kann einer wagen, das alles wieder einzureißen, und wenn er es wagt, wird er es durchführen können?“ Allmählich habe ich mehr und mehr sein Herz entflammt, daß ich ihn bereits derart auf unsere Seite gebracht habe, daß er keine Mahlzeit vorbeigehen läßt, ohne daß er sich etwas aus Deinen oder meinen Schriften vorlesen läßt. Und er ist ein Mann von sehr scharfem Urteil, und Du wirst niemanden finden können, der, ohne gelehrt zu sein, doch so viel Wissen besäße. Wie beredt ist er, wenn er etwas auffaßt, es zu erklären und zu umschreiben! Einen besseren und geeigneteren Beschützer haben wir in dieser unserer Sache nicht finden können. Es giebt infolgedessen viele, die ihn gegen uns aufbringen möchten, und sie geben sich unablässig die größte Mühe; aber sie werden kein Glück haben, das weiß ich gewiß; denn ich habe die Treue dieses Mannes erkannt. Als er beispielsweise vor einigen Tagen erst von einigen Freunden und Verwandten aufgefordert wurde, von einer Sache, die auf so zweifelhaftem Grunde errichtet sei, abzustehen, widerstand er ihnen mit fester Entschlossenheit und versicherte: er schütze keineswegs eine zweifelhafte Sache, denn sie sei die Sache Christi und der Wahrheit. Außerdem stünde es dem deutschen Volke zu, unsere Mahnungen zu beherzigen und den Glauben zu verteidigen. Ich will dir, teurer Luther, aber nicht verbergen, daß er die Ursache gewesen ist, daß ich bis auf diesen Tag noch nichts unternommen habe, sondern seinem Rate gefolgt bin, daß, je länger ich an mich hielte, die Umstände umso günstiger werden und die Gegner sich umso mehr überheben würden, in dem Glauben, daß ich besiegt und durch meine Notlage erdrückt sei. Ich bin dem freundlichen Mahner gefolgt. Inzwischen vertritt er meine Angelegenheit auch beim Kaiser, der ihm versprochen hat, daß er nicht dulden werde, daß ich unterdrückt und ungehört verdammt würde. Es handelt sich hauptsächlich darum, daß wir abwarten, was auf dem nächsten Reichstage beschlossen wird. Man glaubt allgemein, daß auch über uns in heftigen Kämpfen verhandelt werden wird. Wir werdens ja sehen, wenn es soweit ist. Du aber bleibe standhaft, und bleibe mit festem Mute der Wahrheit treu. Vom Kaiser ist freilich wenig zu erwarten, denn er hat eine große Herde von Pfaffen um sich, und ist von einigen derselben ganz abhängig; sie alle aber mißbrauchen seine Jugend und drängen ihn zu Entschlüssen, die ihm niemals nützlich sind. Aber Franzens Hilfe ist zuverlässig; obgleich er glaubt, daß der Kaiser auf jenem Reichstage endlich einsehen werde, was von der Untreue der Päpste zu halten ist. Einige sind der Meinung, daß es zu dieser Zeit zu einem großen Zerwürfnis zwischen beiden kommen werde, wobei Franz seine Pflicht tun wird. Er gilt viel beim Kaiser, und er will ihn bei guter Gelegenheit zu gewinnen suchen. Doch genug davon. Quellennachweis Huttens Schriften, hg. v. Ed. Boecking. Bd. 1, Leipzig 1859, S. 435–436 (lateinisch). Die deutsche, gekürzte Übersetzung folgt: Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 192 f.
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Literaturhinweis Eckhard Bernstein/Uwe Naumann: Ulrich von Hutten. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1999 (Erstausgabe 1988). Werner Paravicini: Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 32), München 2011. Olga Weckenbrock: Ritterschaft und Reformation (REFO 500 Academic Studies), Göttingen 2018.
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Silvester von Schaumberg: Ein ritterliches Schutzangebot für Luther
Silvester von Schaumberg wurde zwischen 1466 und 1471 geboren und starb 1534. Als Reichsritter war er zugleich Amtmann von Münnerstadt, Veldenstein und Parkstein. Früh zählte er zu den ritterlichen Unterstützern Martin Luthers. Der folgende Brief an Luther stammt vom 11. Juni 1520. Dem hochgelahrten und geistlichen Herrn Martin Luther, Lehrer der Heiligen Schrift, Augustiner Ordens zu Wittenberg, meinem besondern lieben Herrn und Freunde. Mein unbekannte Dienst und Freundschaft zuvor, hochgelahrter, besonder, lieber Herr und Freund! Mich hat angelangt von vielen Personen, die dennoch auch gelahrt und der Lernung angehängt haben, daß euer Lehre und Meinung auf die heilige, göttliche Schrift gegründet sein soll, dagegen doch abgünstige und neidische Personen, belästiget mit Geizigkeit, welche zu Abgötterei dienstlich ist, zuwider haben sollet. Und wiewohl Ihr euer Wohlmeinung [= Lehre] unterlasset und untergebet, durch ein gemein christenlich Berufung oder sonst unverdächtiger, verständiger, frommer Männer Recht sprechen scheiden zu lassen, sollet ihr doch daruber Gefahr euers Leibes gewarten und geursacht werden, euch zu frembden Nation, und besondern zu den Behmen [= Böhmen] zu tun, die da geistlicher, eigenwaltiger Zwäng [= Willkür] nicht hoch achten. Ich bitte aber und ermahne euch in Gott dem Herren: obgleich churfürstenlich, fürstenlich oder ander Obrigkeit sich euer äußern, eher und lieber eigenwaltig geistlich Zwäng, wider Euch ungehorsamlich leben wollten, daß ihr euch solch Abweichen und Abfallen nicht bekümmern lassen, noch zu den Behmen begeben wollet, bei denen etliche Hochgelahrte in Vorzeiten222 merkliche Verweise und Aergerung erlangt, und also Ungnade gehäuft und gemehrt haben. Denn ich und sonst, meines Versehens, hundert vom Adel,223 die ich (ob Gott woll!) aufbringen will, euch redlich zu halten und gegen euern Widerwärtigen vor Gefahr schützen wollen, so lang bis eure Wohlmeinung durch gemeine christenliche Berufung und Versammlung oder unverdächtige, verständige Rechtsprecher unwidertrieben und unwiderlegt, und ihr besser unterricht würdet, wie ihr Euch aus vorigem Grund der Submission selbst gefriedet habet. Das Alles hab ich euch, als dem ich mit unbekannten Diensten und Freundschaft gewilliget bin, nicht bergen noch unverkündiget lassen wollen, sich deßhalben zu getrösten. Datum Montag nach Corporis Christi, Anno 1520. Silvester von Schaumberg zu Munerstad. 222 Gemeint sind Jan Hus und Hieronymus von Prag (nach 1365–1416). 223 Die Adligen des Itz- and Baunachgrundes sympathisierten größtenteils mit der Reformation.
Hartmut von Kronberg: Sendbrief an Kaiser Karl V.
Quellennachweis D. Martin Luthers Werke. Briefwechsel, hg. v. Ulrich Köpf. Sonderedition der Kritischen Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe) Bd. 2. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1931, Weimar 2002, Nr. 298, S. 121 f. (Anmerkungen übernommen). Literaturhinweis Friedrich Kipp: Silvester von Schaumberg, der Freund Luthers – Ein Lebensbild aus der Reformationszeit, Leipzig 1911.
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Hartmut von Kronberg: Sendbrief an Kaiser Karl V.
Hartmut XII. von Kronberg, geboren 1488 und gestorben am 7. August 1549, schloss sich Franz von Sickingen in dessen Feldzügen zwischen 1515 und 1518 an. Er lernte in Frankfurt am Main Martin Luther auf dessen Weg nach Worms kennen und begleitete ihn dorthin. Bei den Verhandlungen vor dem Reichstag war er zugegen. Seine Zustimmung zu den reformatorischen Lehren verband er mit seinen Idealen der Wiederherstellung des Rittertums. Infolge seiner Parteinahme für Sickingen in dessen Fehde gegen den Trierer Erzbischof, verhängte Karl V. die Reichsacht über ihn. Er verlor Stadt und Burg Kronberg und lebte die nächsten 19 Jahre im Exil. Erst im November 1541 konnte er auf seine Burg in Kronberg zurückkehren. Im Folgenden ist ein Brief an Kaiser Karl abgedruckt, der vor dem 2. November 1521 verfasst wurde.
Unüberwindlichster, Durchlauchtigster, Großmächtigster und Christlicher Kaiser, o Karole; ich aus den geringsten Deiner Majestät Dienern, habe herzlich betrachtet die Höhe und Größe Deines obgemeldeten Titels, welcher Dir durch die allerhöchste Gnade Gottes wahrhaftiglich zugeordnet ist. Deshalben erfordert die große Notdurft, dass du geschickt seiest, Dich durch einen demütigen Geist empfänglich zu machen, solche überhohe Gnade von Gott zu empfangen […]. O Kaiser, so Du annimmst die Furcht Gottes, so würde Dir die Gnade von Gott haufenweise zufallen. Dein männliches und gewaltiges Kriegsvolk des Römischen und Spanischen Reiches ist Dir von Gott zu einer unüberwindlichen Waffe gegeben. So Du Dich mit Ernst und Fleiß daran machen würdest, dieselbe Waffe einzig nach dem Willen Gottes zu gebrauchen und Deinen Fleiß darauf stellest, mit der kindlichen Furcht zu Gott, in Gottes Wegen zu wandeln. Alsdann liebt und fürchtet das Volk seinen Herrn, wenn es sieht, dass er Gott fürchtet. Und soviel weiter der Herr von Gott abweicht, soviel weiter weicht das Volk von dem Herrn. Darum, wenn Du die Furcht Gottes annehmen würdest, so verlörest Du jede andere Furcht der Menschen und Teufel und erlangest also wahrhaftig den überhohen Titel und würdest unüberwindlich, durchleuchtig und großmächtig sein, wenn Du ein wahrhaftiger Christ bist. Denn solche Titel mag niemand wahrhaftig haben, er sei denn ein wahrer Christ. Darum haben sich ohne Zweifel viele Kaiser und Könige solche hohe Titel fälschlich zuschreiben lassen: Aus Mangel, dass sie wegen der Gnade Gottes dieses Titels nicht genügend erinnert worden sind; Deine hohe, adlige, königliche Geburt schenkt hohe, adlige Tugenden, dazu die große Macht Deines Königreiches und Deines Kaisertums, die Dir ohne Zweifel alles aus
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der hohen Gnade Gottes gegeben sind. Dieselbe ist nicht zu vergleichen mit der überhohen Gnade, die Dir Gott in der Taufe gegeben hat, denn in derselben bist Du so hoch gewürdigt und geadelt, dass Du Gewalt hast, ein Bruder und Miterbe Christi und seines ewigen Reiches zu sein. Nimmst Du solche überhohe Gnade an, so bist Du selig. Wo Du aber dieselbe würdest nicht recht zu Herzen nehmen (wie Du schuldig bist) so würde Dir alle Gnade von Gott auf das allerschädlichste sein, so wie Luzifer mit seiner Gesellschaft zu engelischer, hoher Würdigkeit von Gott erschaffen ist. Weil aber solch engelisch Kreaturen ihre hohe Gnade durch Hoffart missbraucht haben, deshalb, soviel adliger und würdiger sie von Gott erschaffen wurden, soviel schmählicher und härter wurden sie durch die starke Gerechtigkeit Gottes zur ewigen Strafe verurteilt. Oh, alleradligster, großmütiger Kaiser, nimm an die hohe Gnade Gottes! Fürchte einig Deinen Gott, der Dich in keiner Not verlassen will! Lass Dich durch keine menschliche Furcht von dem rechten, geraden Weg und von Gott abwenden! Folge nicht dem Papst, so er sich untersteht, das Wort Gottes zu unterdrücken! Gib Raum dem wahren Knecht Gottes, Doktor Luthern, das Wort Gottes zu predigen, welcher viele tausend Menschen zu dem wahren Brunnen Christum Jesum geführt hat. Aus diesem Brunnen ein jeglicher Durstiger trinken mag. Oh, welch ein seliger Brunnen ist das! Ein jeder, der den hohen, alleredelsten Geschmack befindet, den dürstet es mehr danach, und er wird nach seinem Begehren wunderbarlich ersättigt. O Kaiser, eine große Schar der Menschen sind durch die Lehre des Wegweisers Doktor Luther zu diesem lebendigen Brunnen gekommen und [haben] aus dem himmlischen Brunnen getrunken, die dadurch herzlich bewegt wurden, für Dich zu Gott zu rufen und zu bitten, dass Du durch die Gnade Gottes möchtest recht versuchen und erschmecken diesen alleredelsten, wohlschmeckenden Brunnen. O Kaiser, wo Du das lebendig Wasser versuchen würdest, so magst Du nach allem Lusten dich ersättigen, mit Erlangung aller Gnaden und Tugenden. Du würdest dadurch bewegt, all Dein Volk zu diesem allerseligsten Brunnen zu führen, denn an diesem alleredelsten, lebendigen Brunnen würde kein Mangel sein, und je mehr daraus getrunken wird, um so viel reichlicher fließt dieser Brunnen voll aller Gnaden und Tugenden über. […] Quellennachweis Mit geringfügigen Änderungen übernommen aus: Die Schriften Hartmuths von Cronberg, hg. v. Eduard Kück, Halle a. S. 1899 (Neudrucke dt. Literaturwerke d. 16. und 17. Jhs. No. 154–157. Flugschriften der Reformationszeit XIV), S. 1–3. Literaturhinweis Helmut Bode: Hartmut XII. von Cronberg. Reichsritter der Reformationszeit, Frankfurt am Main 1987.
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Thomas Murner: Weckt Hans Karst nicht auf
Thomas Murner, geboren am 24. Dezember 1475 in Oberehnheim (Obernai) im Elsass und dort auch vor dem 23. August 1537 verstorben, war ein streitbarer Kontroverstheologe aus dem Franziskanerorden. Seine polemische Schrift nimmt Luthers Adelsschrift von 1520 auf und spielt zugleich auf den bekannten Reformationsdialog
Thomas Murner: Weckt Hans Karst nicht auf
„Karsthans“ an. Diese im süddeutschen Raum Ende 1520 in deutscher Sprache verfasste Dialogschrift wurde verschiedenen humanistischen Parteigängern der Reformation zugeschrieben.
Dem allerdurchlauchtigsten, großmächtigsten Fürsten und Herren, Herrn Karolo, Erwähltem Römischen Kaiser, hispanischer und etc. Majestat etc. Durchlauchtiger, großmächtiger Fürst und Herr. Es ist von Ursprung des Römschen Reichs, des du jetz durch Gotts Fürsichtigkeit [als] ein friedsamer Kaiser und Gebieter erwählet und gesalbet bist, solches dein Reich von offentlichen Feinden nie schadlicher angefochten worden dann jetz zu diesen Zeiten. Sintemal das Catilina224 (ich mein Doktor Martinum Luther) ist von den Toten erwecket wieder zu menschlichem Leben kummen und darf, die alleredlisten Gemiet (alleredelsten Gemüter) deins Reichs zu burgerlichen Ufruhren und Niedergang ihres eignen Vaterlands erwecken, den Vater wider seine Kind, Bruder gegen Brüderen, Untertonen zugegen ihrer Oberkeit, alle Ding dermaßen zu verwicklen und vermischen, daß weder Papst, Kaiser, Künig, Bischof, Bader oder Säuhirt nit mehr sollen unterscheidet werden, ein ungewohnte Sach allenthalben, wo gute Sitten, Berden [= Gebaren], Zucht, Ehre, Ordenung, Fried, Freud und Mut, auch alles Wohlfahren sollen geiebet und gehalten werden. Und uf das solches dest schädlicher unterstanden werd, wird unser christlicher Glaub für ein Deckmantel fürgewendet, als ob sich sölche Ufruhr, Erneuerung und Verändrung in Kraft christlichs Glaubens gebühren wolle zu tun und unterstohn [= unternehmen], [daß] dadurch auch göttlich Gebot erfullet recht und in keinen Weg [= keineswegs] gesündet [= gesündigt] sei, sunder des Fug, Glimpf und Ehre haben aus Gebot, Erlaubnis und Nachlassung christlicher Lehre und des heiligen Evangeliums. Also listig haben sie das göttlich Gesatz in Behilf ihres bösen und ufriehrigen Fürnehmen künnen ansichziehen und uf ihren Nutz verfiehren, wie der bös Tüfel in ein Engel des Liechts und die Unwahrheit in Schein der Wahrheit transformieret und verstaltet, domit den Niederverständigen [Unverständigen] in ihre Hilf zu verfiehren. Daß sie auch des nit ohn Gewalt durch Zudrucken vergebens unterstanden, dem durchlüchtigsten Adel deutscher Nation ein solchs Specklin uf die Fallen gebunden und das Helmlein unter der Nasen gezogen, sie reisig [= gerüstet] zu machen und ihnen beiständig zu sein, mit dem Gekritzlet zu erwecken, wie der römisch Hof mit Geldbeschwerden das deutsch Land erschöpfe und unser Vermögen dermaßen ussäuge mit Annaten, VI.-Monatenpfrunden225 zu verleihen, mit andren Listen die Pfrunden an sich zu ziehen in Kraft des Tods eines, der uf dem Weg gon Rom stürbe, oder der Familiarität226 und deutsche Kardinäl zu machen, unzählig Gut von dem Pallium227 zu nehmen und für die Bestätigung der Bischöf, auch Coadjutores [= bischöfliche Amtsgehilfen] zu machen, reich Abteien in Kommenden [= Pfründen ohne Verpflichtung, das dazugehörige Amt auszuüben] zu befehlen, unleidliche Pfrunden leidlich zu machen, zu inkorporieren und vereinigen, Administratores [= Bistumsverwalter] zu setzen,
224 Lucius Catilina (108–62 v. Chr.), römischer Patrizier und Verschwörer, der mit sozialen Reformversprechen eine breite Anhängerschaft sammelte und mittels eines Putsches die Alleinherrschaft erstrebte. 225 Infolge des Wiener Konkordats von 1448 konnte der Papst an den sechs ungeraden Monaten des Jahres über alle freiwerdenden Kirchenlehen im Reich verfügen. 226 Zum Hofstaat des Papstes oder der Kardinale gehörige Geistliche. 227 Schmaler, weißwollener, mit schwarzen Kreuzen bestickter Tuchstreifen, der den Erzbischöfen als Schulterschmuck vom Papst verliehen wurde.
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Reservata vorzubehalten, Pectoralem reservationem [= Vorbehalt des Papstes, rechtmäßig gewählte Kandidaten nicht anzuerkennen und frei werdende Ämter an andere zu vergeben] zu erdichten, mit Pfrunden kaufen, verkaufen, wechslen, tauschen, rauschen, mit Liegen, Triegen, Rauben, Stehlen, Prachten, Hurerei, Büberei, allerlei Weis Gottsverachtung, mit mancherlei Schinderei, Ablaß zu geben, Seelen us dem Fegfeur zu verkaufen, Ablaßbriefen, Dispensieren, Butterbriefen [= bescheinigte Befreiungen vom Fastengebot], Confessionalibus [= Beichtbriefe zur Befreiung von bestimmten kirchlichen Vorschriften] etc. Und vielen dergleichen so hoch angeklaget wird in einem Buch, der deutsch Adel genennet, wird deiner Kaiserlichen, hispanischen und etc. Majestat in aller Demietigkeit zu verstanden [= verstehen] gegeben, daß wir solche fürgewandte Mißbruch und Untaten, wo ihm also wäre nit unterstond zu verantwurten, dann wir des kein Befehle haben noch Bericht von päpstlicher Heiligkeit, in eincherlei Weg [= keineswegs] zu vertreten oder zu beschönen. Dann wir wohl ermessen kinnen und verstohn, daß sich niemans billicheibeklage, dann der da leidet und beschweret ist. Aber das klagen wir deiner durchlüchtigsten genaden Majestat und christlichem Herzen mitsamt den durchlüchtigsten Kurfürsten, Fürsten und Herrn, geistlich und weltlichs Stands, daß solche Beschwerden der deutschen Nation durch Martinum Luther, ein wahrhaftigen Cathelinam und ohn Zweifal ein zornigen, unbesinnten Mann, mit solchen ungeschickten, unchristlichen und unwahrhaftigen Mittlen fürgeschlagen werden, daß niemans zweiflan mag, er nehm solche Beschwerden des römschen Mißbruchs fur ein Behilf und ein Specklin uf die Fallen und zu einem Deckmantel, unseren christlichen Glauben umbzuköhren, fieglich sein Gift uszugießen und hussisch, wicklöffische228 Botschaften zu verkünden, mit den Böhemen, Moscoviteren [= Russen] zu vereinigen ein Handvoll Leut, uf daß er uns von aller andren Christenheit, die ohn Zahl ist, absündre [= absondere], lerne, ein Küngreich zu einigen und ein Kaisertum zu verlieren, ein unsinniger Mensch, der Papst, Kaiser, Bischof, Unter, Ober, samt der ganzen Karten, dermaßen stoht zu vermischen, daß kein ehrwürdigs Angesicht eincherlei Ordenung in christlichem Glauben erfunden werd, so doch us Kriegsläufen erfahren ist, daß Niedergang der Ordenung ein Fall sei ernstliches Fürnehmens. Darumb deiner durchlüchtigen Majestat demietig fürgewendet wird, mitsamt allem deinen durchlüchtigen Adel, christliche Augen uf unseren Glauben zu werfen, in dem wir verhoffen, selig zu werden, behilfliche Händ anzuschlagen, unser göttlich und väterlich Gesatz durch Christum Jesum unseren Herren zu beschirmen und denen bösen Rat geben in solchem nit willfuhren und in allen andren, darin christlicher Gelauben möchte geletzet [= verletzt] werden. Erstlich gebiete, daß sich dieser Chatelina mitsamt seinem Anhang maßen [= mäßige], unwahrhaftige Irrungen zu erwecken, den Glauben in christlicher Kraft lassen ruhen und beleiben, ein ziemliche [= angemessene] Bitt, mit beiden Ohren von einem christlichen Kaiser zu erhören. Und so sie das nit wöllen Beton haben sunder christlich Geredt und solche neue Fund und Erneuerung billichen erwecket, solches durch dein große Macht zu Rechtfertigung für den Gelöhrtsten des Glaubens kumm und zu Verhör und Usspruch. Allein mittler Zeit [= unterdessen] diesen Ufriehrigen nit gebühre, Hans Karsten und die unverständig Gemein so bald zu Bösem als Gutem anzuzünden und in schellige Flammen [= sinnlosen Aufruhr] zu bewegen. Unparteiische Richter zu setzen, welche zu erwählen, niemans billicher dann dir zustohn will in Kur [= Erwägung] uszusprechen und zu verordnen mit Namen, so diese Ufriehrigen, Süne [= Söhne] des Unfriedens, jedermann argwöhnig erachten. Und in Mißtrauen allen Winde förchtend, von einem uf das ander appellieren bis uf das jungste Gericht, daß sie mittler Zeit
228 Meint: Wiclifsche; nach John Wiclif (um 1325–1384), dem englischen Theologen und Reformer benannte Charakteristik.
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mit verhängtem Zoum [= Zaum] unseren Glauben, mit ihrem Gift, unter dem Honig verkauft, durchrennen und zertrennen mögen. Welche christliche Bitt und billiche Hoffnung in dich, einen christgläubigen, menschlichen und angeborner Art gütigen Fürsten us Östereich, so du zu Herzen verfasset, unseren Glauben, deine und unser alle Seligkeit beschützen würdst und beschirmen, damit deines Ahnherren Maximiliani, unsers, ohn sein gewohnliche Titel, lieben, fründlichen und väterlichen Künig Art, Ader und Gemiet nachfolgend, erfüllest, in die Fußstapfen deiner frummen Elter und Vorfahren trittest. Ich geschweig Gottes Gebot daran diegest [= tust], dir in das ewig Leben erschüßlich [= förderlich] und zu dem ewigen Kaisertum dienend. Seind darnach zu dem andren (so christlicher Glaub – als unser Augapfel) ungeletzet [= unverletzt] beliebet [= bleibt], etliche Beschwerden, Bürden und unleidliche Tyrannei der deutschen Nation zu Niedergang und Verderbnis erdichtet. Das sei von wem es wöll uf Erden gefrevelet und unterstanden, wöll dein Kaiserliche Majestat und Genad mitsamt den durchlüchtigen Kurfürsten nach Gelegenheit der Sachen zu Hilf kummen, Trost, Steur und Hilf beweisen, von wegen der erschöpften Hoffnung zu deiner Fürsichtigkeit entpfangen. Und zu dem dritten Doktor Martinus Sachen, sein Späne [= Zwistigkeiten], Gezänk und Häder erstlich von der Sachen des Glaubens absünderen. Zu dem andren auch von dem Fürnehmen und Anklagen der päpstlichen Mißbrüch, daß also die Sach, unseren Glauben betreffend, von gesetzten Richteren von deiner Gnaden ein richterlichen Usspruch vor allen Dingen erlange. Darnach zu dem andren in den Sachen der Mißbrüch durch deine Fürsichtigkeit mitsamt den durchlüchtigsten Kurfürsten erkennet werd. Und zu dem letzten Doktor Martinus Zänk und Häder, auch richterlich Lüt Klag und Antwurt hingelegt werden, nach deiner Genaden Gelegenheit, Erkenntnis und Betrachtung, ob solches durch ein Concilium oder sunst in andre Weg mieg, größeren Kosten und Schaden zu vermeiden, geschehen mög und uf das geschicklichst unterstanden werde. Quellennachweis Thomas Murners deutsche Schriften mit den Holzschnitten der Erstdrucke. Bd. 7, Berlin/Leipzig 1928, S. 61–65. Wir folgen mit geringfügigen Änderungen der Version (mitsamt Anmerkungen) in: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 224. Literaturhinweis Thomas Neukirchen (Hg.): Karsthans. Thomas Murners „Hans Karst“ und seine Wirkung in sechs Texten der Reformationszeit, Heidelberg 2011. Hedwig Heger: Thomas Murner, in: Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450–1600), hg. v. Stephan Füssel, Berlin 1993, S. 296–310. Dirk Jarosch: Thomas Murners satirische Schreibart: Studien aus thematischer, formaler und stilistischer Perspektive, Hamburg 2006.
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Der Reichstag von Worms
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Karl V.: Der Geleitbrief für Martin Luther
Nach den Gepflogenheiten des römischen Prozesses hätte Luther nach Erhalt der Bannandrohungsbulle binnen 60 Tagen in Rom seinen Widerruf präsentieren müssen. Auf Druck des sächsischen Kurfürsten wurde erwirkt, dass dieses Verhör auf deutschem Boden und im Rahmen des ersten Reichstages, an dem Kaiser Karl V. anwesend wäre, erfolgen sollte. Erst nach Anhörung Luthers solle sodann über den Vollzug der Exkommunikation entschieden werden. Dies geschah im Einklang mit der Wahlkapitulation – wohl aus der Feder Friedrichs III. von Sachsen, wonach Luther vor Verhängung der Reichsacht durch den Kaiser angehört werden musste. Luther war bereits als Häretiker verurteilt und mit dem Kirchenbann belegt worden, musste jedoch vor der daraus resultierenden Ächtung als Beschuldigter angehört werden. Luther wurde am 6. März 1521 bei Zusicherung freien Geleits für den 17. bis 18. April nach Worms geladen.
Dem Ehrsamen Unserm lieben Andächtigen Doctor Martin Luther, Augustiner-Ordens. Wir Karl der Fünfte von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs und in Germanien, Hispanien, beider Sicilien, Jerusalem, Ungarn, Dalmatien, Kroatien etc. König, Erzherzog zu Österreich und Herzog zu Burgund, Graf zu Habsburg, Flandern und Tirol etc. Bekennen, als Wir aus beweglichen Ursachen Martin Luther Augustiner-Ordens her gen Worms erfordert, daß Wir ihm deshalben Unser und des heiligen Reichs freigestrack Sicherheit und Geleit wider männiglich gegeben und zugesagt haben, und tun das von Kaiserlicher Macht wissentlich in Kraft dieses Briefes, also daß er in einundzwanzig Tagen, den nächsten nach Überantwortung dieses Unseres Briefes her gen Worms kommen und daselbst Unser und des Reichs Stände Handlung auswarten [= abwarten] und darnach von dannen bis wieder an sein sicher Gewahrsam ziehen soll und mag, von Uns allermänniglichen unbeleidigt und unverhindert. Und gebieten darauf allen Kurfürsten, Fürsten, geistlichen und weltlichen, Prälaten, Grafen, Freiherren, Rittern, Knechten, Hauptleuten, Vitztumen, Vögten, Pflegern, Verwesern, Amtleuten, Schultheißen, Bürgermeistern, Richtern, Räten, Bürgern, Gemeinden und sonst allen andern Unsern und des Reichs Untertanen und Getreuen, in was Würden, Staats oder Wesens sie seien, ernstlich mit diesem Brief, und wollen, daß sie sollen Unser und des Reiches Sicherheit und Geleit an dem gedachten Martin Luther stet und fest halten, ihn auch in seinem Hin- und Widerziehen geleiten und geleitet zu werden verschaffen, und ihn dawider nicht beleidigen noch bekümmern, noch das jemand andern zu tun gestatten, in keiner Weise, so es einem jeden lieb sei, Unsere und des Reiches schwere Ungnade und Strafe zu vermeiden. Das meinen Wir ernstlich mit Urkund dieses Briefs. Gegeben in Unserer und des Reiches Stadt Worms, am 6. Tage des Monats Martii nach Christi Geburt im 1521., Unsers Reichs des Römischen im andern, und aller anderen im sechsten Jahr. Carolus. Ad Mandatum Domini Imperatoris manu propria. Albertus Cardinalis Moguntinus Archicancellarius. Niclas Zwyl.
Aleander: Depesche an Papst Leo X. über Verhandlungen in Worms
Quellennachweis Lucas Cranachs Stammbuch, S. 12. Lucas Cranach’s Stammbuch: enthaltend die von ihm selbst in miniature gemahlte abbildung des den segen ertheilenden heilandes und die bildnisse der vorzuglichsten fursten und gelehrten aus der reformations-geschichte. Nebst kurzen biographischen nachrichten von denselben, den handschriften der vier theologen und dem vorladungsund sicherheitsbrief kaisers Carl V., wodurch Luther auf den reichstag zu Worms entboten ward / Herausgegeben von Christian von Mechel. Berlin 1814. Gedruckt bey Georg Decker. Online-Zugriff: https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?view=image;size=125;id=chi.74694821;page=root;seq=24;orient=0 (letzter Zugriff 10.12.2020). Literaturhinweis Fritz Reuter (Hg.): Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache, Worms 1971.
Nr. 71
Aleander: Depesche an Papst Leo X. über Verhandlungen in Worms
Der Reichstag in Worms wurde am 27. Januar 1521 feierlich eröffnet und endete mit dem Reichsabschied am 26. Mai 1521. Der für die römische Kurie entsandte Nuntius Aleander berichtete am 27. Februar 1521 an Papst Leo X. über die Vorverhandlungen in der „Sache Luther“. Zu Aleander siehe Nr. 63. Wie ich Euer Herrlichkeit schon gemeldet habe, ist ungeachtet unseres dringenden Ansuchens, daß man die Sache Martins nicht vor den Reichstag bringen möchte, doch durch die offenkundige, unsinnige Begünstigung Luthers seitens der Fürsten, oder besser infolge der verrückten und abscheulichen Einflüsterungen des Satans, die allen Deutschen im Kopfe stecken, der Kaiser für dieses Verfahren gewonnen worden, denn seine Räte wollen Gott und der Welt genugtun, wodurch sie sich doch nur das Mißfallen beider verdienen. Man wendet nämlich vor, daß dieser Brand sich weit leichter und friedlicher bewältigen lasse, wenn die Mandate des Kaisers auf den Rat und mit Zustimmung der Fürsten ausgehen würden. Als wir dagegen auf die Befürchtung aussprachen, daß dem Kaiser dann die Hände gebunden seien, wenn die Fürsten anderer Meinung wären, da es doch hingegen das sicherste sei, das vom Papste in Glaubenssachen gefällte Urteil im Reiche einfach kraft kaiserlichen Ansehens auszuführen, wie es schon in den Erblanden Burgund und Flandern geschehen sei, eine Ansicht, welcher die Mehrzahl der Räte und der deutsche Staatsrat fast einmütig beipflichtete, bemerkte der Kanzler, daß der Kaiser sich trotzdem die volle Freiheit des Handelns bewahre: Seine Majestät werde einfach auf den Vorschlag des Papstes erwidern, daß er schon unter Zuziehung seiner Kronräte das Dekret gegen Luther und seine Schriften verordnet und erlassen habe, welches ohne Weiteres in seinen Königreichen und Erblanden sowie im Reiche in Kraft treten solle: im Reiche zwar mit Vorwissen der Fürsten, nicht aber auf ihren Rat und mit ihrer Genehmigung. Der Kanzler und die geheimen Räte erklärten, daß der Kaiser ohne Rücksicht auf die fürstlichen Beschwerden in diesem Sinne verfahren würde […]. Die vier Artikel, auf die sich schließlich, soviel ich erfahren habe, die Gesamtheit des Reichstages vereinigt hat, wurden dem Kaiser in deutscher Sprache übergeben. Fürs erste dankte man
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ihm, daß er nicht, wie er wohl konnte, das Mandat nach eigenem Ermessen habe ausgehen lassen, sondern zur Wahrung der Rechte des Reiches sich mit den Ständen in Verbindung gesetzt habe. Zweitens warnten sie, doch um alles nicht das verlangte Mandat zu erlassen, weil es einen Sturm des Unwillens hervorrufen und dem Volk den längst erwünschten Anlaß zum Aufruhr geben würde. Der Kaiser habe weise Voraussicht bewiesen, indem er ihr Gutachten eingefordert, denn sonst würde die Empörung in hellen Flammen ausgebrochen sein. Und so legten sie sich ein Recht der Mitberatung in dieser Sache bei, was doch, wie der Kanzler, Gott verzeih’s ihm, in jener Ratssitzung verheißen hatte, nicht geschehen sollte. Zum dritten erklärten sie für notwendig, daß vor Erlaß des Mandats der Martin unter freiem Geleit vor dem Reichstag berufen werde; man müsse ihn fragen, ob er die beanstandeten Bücher geschrieben habe, und ihm den sofortigen Widerruf der den Glauben und die Sakramente berührenden Sätze aufzuerlegen; im Weigerungsfalle müsse er für einen Ketzer gehalten und nach seiner Rückkehr in die Heimat als solcher prozessiert werden, sobald man ihn ergriffen habe: dazu aber wollten alle Fürsten Gut und Blut einsetzen. Was aber die Sätze über die Gewalt des Papstes und die positiven Rechte (des deutschen Volkes) angehe, so müsse man ihn darüber in einer von kaiserlichen Richtern abzuhaltenden Disputation hören, – welch’ trefflicher Ratschluß der deutschen Fürsten! – dann erst dürfe man das Mandat veröffentlichen. Wer erkennt darin nicht wieder die geheimen Anschläge des Sachsen, dem es darauf ankommt, Zeit zu gewinnen? Wenn auch sonst viele Fürsten in guter Gesinnung und in gottesfürchtiger Absicht diesen argen Beschluß tausendmal für das beste halten mögen: Diese freveln dann nicht aus Bosheit, sondern aus Kurzsichtigkeit. Gleichwohl ist ihre Rede immer, daß sie alles Kaiserlicher Majestät anheimstellen; dabei warnen sie jedoch stets vor der gewaltigen Entrüstung, die ein von ihrem Vorschlage abweichendes Zustandekommen des Mandats im deutschen Volke hervorrufen würde. […] Der Erzbischof von Salzburg hat uns vor allem erklärt, er sei nicht für die Berufung Luthers, da aber alle Fürsten und Stände es so haben wollten, so sehe er keine andere Möglichkeit eines günstigen Ausgangs vor sich; zugleich wollte er sich über unsere Ansicht unterrichten. Wir erwiderten, daß wir unserer Befugnis gemäß nicht gestatten könnten, daß man disputiere, anhöre oder verhöre in einer Sache, die durch die Aussprüche der alten Konzilien und das Urteil des lebenden Papstes entschieden sei; wir wiesen außerdem auf das Ärgernis hin, welches in der Christenheit aus der Berufung Luthers erwachsen könne, und neben vielen anderen Gründen auf die Pflicht des Kaisers, sobald er die nach dein allgemeinen Urteil wirklich abscheulichen Schriften Luthers vom Papste, dem einzigen und rechten Richter in dieser Frage, verdammt sähe, sie als solche öffentlich zu kennzeichnen, sie zu verbieten und zu vertilgen und mit dem Martin nach Recht und Gesetz zu verfahren. Wenn er aus Furcht vor dem Volke von diesem Verfahren abweiche, möge er nach bestem Ermessen Mittel und Wege finden, aber er dürfe nicht der Autorität des Heiligen Stuhles Eintrag tun und bei aller guten Absicht das Ärgernis noch schlimmer machen. So befinden wir uns denn die ganze Zeit über in einem solchen Wirrsal, daß wir in Wahrheit nicht wissen, wo aus noch ein: denn wenn Martin kommt, droht das Schlimmste. Quellennachweis Die Depeschen des Nuntius Aleander vom Wormser Reichstage 1521. Übersetzt und erläutert von Paul Kalkoff, Halle 1886, S. 64–68; 70 f. https://archive.org/details/diedepeschendesn00aleauoft/page/n4 (letzter Zugriff 10.12.2020).
Aleander: Luthers Verhör nach Aleanders Darstellung
Nr. 72
Aleander: Luthers Verhör nach Aleanders Darstellung
Hieronymus Aleander (13. Februar 1480 bis 1. Februar 1542) gehört zu den humanistisch gebildeten Mitgliedern des Kardinalskollegiums. Aleander stammte aus einer wohlhabenden Familie und studierte zunächst Medizin, aber auch Theologie und alte Sprachen in Padua. Seit 1499 unterrichtete er in Venedig alte und orientalische Sprachen. Er zählte dort zum Kreis um den humanistischen Buchdrucker und Verleger Aldus Manutius. Seit 1501 übernahm er im Auftrag des Papstes diplomatische Aufgaben. Erneut wandte er sich 1508 den alten Sprachen zu und lehrte an der Universität von Paris. Neben einer Systematisierung des Unterrichts verfasste er etliche Lehrbücher zur griechischen Grammatik sowie ein Lexikon. 1513 wurde er von den Angehörigen der Universität zum Rektor gewählt. Zugleich trat er in den Dienst Ludwigs XII. und wurde Kanzler des Lütticher Fürstbischofs. Im September 1520 sandte ihn Papst Leo X. als Nuntius zu Karl V. In dieser Funktion spielte er auf dem Reichstag zu Worms eine wichtige Rolle. Der Entwurf des Wormser Edikts stammte von ihm und führte zum Bruch mit Erasmus von Rotterdam. Ew. Herrlichkeit werden schon durch den mündlichen Bericht Messer Rafaels de Medici229 den Ausgang des ersten mit Luther vor Kaiser und Reich angestellten Verhörs erfahren haben. Durch gegenwärtigen kaiserlichen Kurier vernehmen Ew. Herrlichkeit, wie heute Nachmittag um vier Uhr Martin an den Hof beschieden wurde und, da der Kaiser mit den Fürsten noch oben verzog, bis zu seinem Verhör länger als anderthalb Stunden warten mußte unter gewaltigem Zulauf bei seiner Ankunft wie während seines Wartens. Als nun der Kaiser, die Fürsten und Stände des Reichs eingetreten waren, fragte der Trierer Offizial, der schon das erste Verhör im Namen des Kaisers geleitet hatte, in wohlgesetzter, eindringlicher Rede: „Luther, obwohl dir billigerweise in einer so offenkundigen Sache keine Bedenkzeit mehr hätte bewilligt werden sollen, so hat dir doch Kaiserliche Majestät nach Ihrer Gnade und Milde bis zu dieser Stunde für deine Antwort Frist gegeben; derhalben wirst du nun offen und ehrlich erklären, ob du widerrufen wollest alles, was du gegen das Herkommen unserer heiligen Kirche, gegen die Konzilien, Dekrete, Gesetze und Zeremonien, wie sie unsere Vorfahren und wir bis auf den heutigen Tag gehalten haben, geschrieben hast, und ob du gleichermaßen widerrufest die vom gegenwärtigen Papste verdammten Lehrsätze. Aber siehe zu, daß du nicht anstößig noch zweideutig antwortest, sondern uns klaren Bescheid gebest.“ Martin erklärte, er habe dreier Gattungen Bücher geschrieben, die einen gegen die römischen Mißbräuche: und nun fing er an den Heiligen Vater und Rom, das er die Folterkammer der Christenheit nannte, aufs giftigste herunterzureißen; und da er sich hierüber zu weit verbreitete, hieß ihn der Kaiser über diesen Punkt schweigen, im übrigen aber fortfahren. Die andere Reihe seiner Bücher habe er verfaßt auf die Anfeindungen seiner Gegner hin, deren Schuld es auch sei, wenn er sich hier scharf ausgesprochen habe; unter der dritten Klasse der Bücher, die Lehre des Evangeliums betreffend, fänden sich einige, die weder seine Gegner noch die
229 1477–1555. Er ist der Sohn von Francesco de’ Medici und Teresa Guiducci sowie mit Margherita Bonciani verheiratet. Der Ehe entstammten drei Kinder.
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Bulle für anstößig erklärten. Aber von diesen drei Arten der Bücher könne und werde er kein Wort widerrufen, wenn er nicht in einer Disputation allein auf Grund des Alten oder Neuen Testaments des Irrtums überwiesen sei und anders nicht; wenn er aus anderer Ursache, wozu er sich indessen nie verstehen werde, widerriefe, würde er gegen sein eigenes Gewissen und göttliche Wahrheit handeln; daher bitte und ermahne er Kaiserliche Majestät den Lauf dieser seiner Lehre nicht hemmen zu wollen, was nicht nur der ruhmreichen deutschen Nation, sondern auch Ihren andern Herrschaften und Königreichen zum Verderben ausschlagen könne: er für seine Person werde jedenfalls die christliche Wahrheit nicht verleugnen, da ihn sonst Christus verleugnen müsse vor seinem himmlischen Vater. Der Offizial seiner Instruktion gemäß erwiderte darauf klugerweise: „Martin, wenn Deine falschen Meinungen und Ketzereien neu und von Dir erfunden wären, so würde Kaiserliche Majestät vielleicht beim Heiligen Vater darum einkommen, daß Se. Heiligkeit dieselben durch fromme und gelehrte Männer prüfen ließe, damit Dir kein Unrecht geschähe. Aber Deine Irrlehren sind die der alten Ketzer, der Waldenser, Begharden, Adamiten, der Armen von Lyon, des Wiclef und Hus, die längst durch die heiligen Konzilien, die Päpste und das kirchliche Herkommen verdammt sind und deshalb nicht mehr gegen göttliches und menschliches Gesetz erörtert und in Zweifel gezogen werden dürfen.“ Daran knüpfte der Offizial eine Frage, welche die deutsche Nation ganz besonders bewegt, ob er nicht widerrufen wolle, was er gegen das heilige Konstanzer Konzil, das beschickt war von allen Nationen und anerkannt von aller Welt, geschrieben habe. Er verneinte und wollte den Konzilsbeschlüssen nur soweit beipflichten, als sie sich auf die Autorität der Bibel gründen, denn es finde sich, daß die Konzilien geirrt und eins dem andern widersprochen hätten. Der Offizial begann in Abrede zu stellen, daß die Konzilien in Glaubensfragen nicht übereinstimmten, da aber erklärte der Kaiser, es sei genug, er wolle nichts mehr hören, da dieser die Konzilien verworfen habe. Und so trat Luther ab, geleitet von aller Welt und besonders von vielen sächsischen Edelleuten aus der Umgebung des Kurfürsten; und als Martin den Saal verlassen hatte, reckte er die Hand in die Höhe, wie die deutschen Landsknechte pflegen, wenn sie im Kampfspiele über einen wohlgelungenen Hieb frohlocken. Quellennachweis Die Depeschen des Nuntius Aleander vom Wormser Reichstage 1521, übersetzt und erläutert von Paul Kalkoff, Halle 1886, Dep. 20, S. 140–143.
Nr. 73
Veit Warbeck an Herzog Johann von Sachsen: Luthers Einzug in Worms am 16. April 1521
Veit Warbeck wurde um 1490 in Schwäbisch Gmünd geboren und verstarb am 4. Juni 1534 in Torgau. Nach dem Studium der freien Künste wechselte er 1514 zum Studium der Rechte nach Wittenberg. Dort schloss er sich Luther an und stand in freundschaftlichen Beziehungen zu Georg Spalatin. Am Hof des Kurfürsten Friedrich III. von Sachsen wurde Warbeck aufgrund seiner französischen Sprachkenntnisse mit Sekretärsaufgaben befasst. Seit 1519 im geistlichen Stand, blieb er in kurfürstlichen Diensten. In dieser Funktion wohnte er der Leipziger Disputation und dem Wormser Reichstag bei.
Veit Warbeck an Herzog Johann von Sachsen: Luthers Einzug in Worms am 16. April 1521
Gnädiger Herr! Ew. Fürstl. Gnaden tue ich untertäniglich zu wissen, daß Doktor Martinus am heutigen Tage hierher gen Worms eingekommen ist selbviert auf einem sächsischen Rollwäglein; er mitsamt einem Bruder, dem Lizentiaten Niclas von Amsdorf,230 Thumherrn zu Wittenberg, und einem gelehrten Edelmann aus Pommern, genannt Schwofenius (Suaven). Vor dem Wagen sind geritten der gesandte Kaiserliche Ehrenhold231 mitsamt seinem Diener, und hat sein Wappen mit dem Adler am Arm geführt. Hinter dem Wagen sind geritten der Lizentiat Jonas von Nordhausen232 mitsamt seinem Diener. Auch sind ihm viele bis hinaus entgegengeritten, nämlich aus meines gnädigsten Herrn Hof Herr Bernhard von Hirschfeld,233 Herr Hans Schott, Albrecht von Lindenau,234 Schenk, mit 6 Pferden, und viele andere Diener der Fürsten. Also ist er um 10 Uhr hier eingekommen, als man gegessen hat. Nichtsdestoweniger haben ihn umgeben gegen 2000 Menschen bis zu seiner Herberge, darinnen Herr Friedrich Thun, Herr Philipp von Feilitzsch235 und Utz von Pappenheim236 verordnet zu liegen, nicht weit von meinem gnädigen Herrn an der Herberge zum Schwan, da Herzog Ludwig von Bayern237 gelegen. Also werde ich berichtet, ihm sei große Ehre an den Orten, die meinem gnädigsten und gnädigen Herrn zu Sachsen zuständig sind, widerfahren. Er hat auch zu Erfurt, Gotha und Eisenach gepredigt, und die von Erfurt sind ihm auf zwei Meilen Wegs entgegengezogen und haben ihn ehrlich gehalten. Nur zu Leipzig hat man nicht viel nach ihm gefragt, allein der Rat hat ihm den Wein geschenkt. Wie es weiter mit ihm gehandelt wird, will ich, soviel mir möglich ist, Ew. Fürstl. Gnaden bei nächster Botschaft zu wissen tun; nur das will ich Ew. Fürstl. Gnaden anzuzeigen nicht unterlassen, daß die Romanisten kein Gefallen darin empfangen haben, daß er gekommen ist, und dessen nicht wenig erschrocken sind. Denn sie sind allerwegen der Hoffnung gewesen, er werde ausbleiben und nicht erscheinen, damit sie Fug hätten, weiterhin wider ihn zu prozedieren. Aber der alte Gott lebt noch, der schafft alles nach seinem göttlichen Willen. Datum Worms, Dienstag nach Misericordias Domini anno etc. 21.
230 Nikolaus von Amsdorf, vgl. Thomas Kaufmann: Reformatoren, Göttingen 1998, S. 51 f., sowie Daniel Bohnert/Markus Wriedt: Theologiae alumni vitebergense. Die graduierten Absolventen der Wittenberger Theologischen Fakultät (1502–1648), Leipzig 2020, S.173–178. 231 Herold. 232 Justus Jonas (Geburtsname Koch) (5. Juni 1493–9. Oktober 1555) war ein reformatorischer Theologe mit humanistischer Bildung. Er wirkte bei Luthers Bibelübersetzung später intensiv mit. Vgl. Daniel Bohnert/Markus Wriedt: Theologiae alumni vitebergense. Die graduierten Absolventen der Wittenberger Theologischen Fakultät (1502–1648), Leipzig 2020, S. 209–214. Das Geburtsdatum ist dort falsch mit 1593 angegeben. 233 Ritter Bernhard von Hirschfeld (1490–1551), 1517/18 auf Wallfahrt im Heiligen Land, Befehlshaber des Kursächsischen Kreises Torgau zusammen mit Erasmus Spiegel. 234 Angehöriger einer meißnisch-sächsischen Uradelsfamilie mit gleichnamigem Stammsitz bei Lindenau (Leipzig). Stammsitz der Familie seit 1527 in Machern. 235 Geboren nach 1473 und verstorben nach 1532), gehörte Philipp einem alteingesessenen fränkischvogtländischen Adelsgeschlecht an. Er war kursächsischer Rat und Gesandter zu Reichstagen. Ihm war in Worms der Schutz Luthers übertragen war. 236 Angehöriger des fränkischen Geschlechts derer von Pappenheim im Altmühltal, der früh für Luther Partei ergriffen hatte. 237 Ludwig X. (* 18. September 1495; † 22. April 1545) war von 1514 bis zu seinem Tod Herzog von Bayern.
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Quellennachweis Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Bd. 2, bearb. v. Adolf Wrede, Göttingen 1962, S. 850 f.
Nr. 74
Erklärung Kaiser Karls V.
Auf Luthers Erklärung vom 18. April 1521 antwortete der Kaiser am 19. April mit einer Stellungnahme gegenüber der Reichstagsversammlung. Darin legt er ein Bekenntnis zur Katholischen Kirche Roms ab und bekräftigt seinen Vorsatz, die Einheit des Reiches auch durch die Einheit der Religion zu befestigen. Ihr wißt, daß ich von den allerchristlichsten Kaisern der edlen deutschen Nation abstamme, von den katholischen Königen Spaniens, von den Erzherzögen Österreichs, von den Herzögen Burgunds, die alle bis zum Tode treue Söhne der römischen Kirche waren. Sie waren immer Verteidiger des katholischen Glaubens, der heiligen Gottesdienste (Zeremonien), der Dekrete, Weisungen und heiligen Sitten zu Gottes Ehre, zur Mehrung des Glaubens und zum Heil der Seelen. Nach ihrem Ableben sind uns durch natürliches Recht und Erbe die genannten heiligen katholischen Pflichten überkommen, um dafür nach ihrem Beispiel zu leben und zu sterben. Als wahre Nachahmer dieser unserer Vorfahren haben wir durch die Gnade Gottes bis jetzt gelebt. Deshalb bin ich entschlossen, alles das zu erhalten, was meine Vorfahren und ich selbst bis in die Gegenwart hinein erhalten haben, und zwar besonders das, was durch meine Vorfahren angeordnet worden ist auf dem Konstanzer Konzil und anderweitig; denn es ist sicher, daß ein einzelner Bruder in seiner Meinung irrt, die gegen die ganze Christenheit in ihrer mehr als tausendjährigen Geschichte bis hin zur Gegenwart steht, der zufolge die ganze Christenheit sich ständig im Irrtum befunden hätte. Deshalb bin ich fest entschlossen, dafür meine Reiche und Herrschaften, meine Freunde, meinen Leib, mein Blut, mein Leben und meine Seele einzusetzen. Denn es wäre eine große Schande für mich und Euch, die Ihr die edle und angesehene deutsche Nation verkörpert, wenn in unserer Zeit, in der wir durch Vorrecht und Vorrangstellung als Verteidiger und Beschützer des katholischen Glaubens bestellt sind, nicht (nur) Häresie, sondern bereits der Verdacht auf Häresie oder Minderung der christlichen Religion durch unser Versäumnis nach uns einkehre in die Herzen der Menschen, zu unserer und unser Nachfolger immerwährenden Unehre. Und nachdem ich die halsstarrige Antwort, die Luther gestern (18.4.) in unser aller Beisein gegeben hat, vernommen habe, erkläre ich Euch, daß ich es bereue, so lange das Vorgehen gegen Luther und seine falsche Lehre aufgeschoben zu haben. Ich bin nicht gewillt, ihn noch weiter anzuhören, aber ich beabsichtige, ihn sogleich gemäß dem Wortlaut des Mandats zurückzuschicken, unter Einhaltung seines Geleits, ohne daß er predigen und das Volk von seiner schlechten Lehre unterrichten und irgendeine Bewegung hervorrufen darf. Wie ich oben gesagt habe; bin ich gewillt, gegen ihn als einen notorischen Häretiker einzuschreiten. Ich fordere Euch auf, Euch in dieser Sache als gute Christen zu erklären, wie Ihr es zu tun gehalten seid und mir es zugesagt habt.238 Ausgefertigt von meiner Hand am 19. April 1521. Gezeichnet: Carolus. 238 Diese Versicherung entnahm der Kaiser der Erklärung der Stände vom 19. 2. 1521. Sie war als Antwort auf den ersten Ediktsentwurf vom 15. Dezember 1520.
Bericht über Luthers Auftreten in Worms
Quellennachweis Luther in Worms: 1521–1971. Ein Quellenbuch, hg. v. Joachim Rogge, Berlin 1971, S. 105–107. Literaturhinweis Alfred Kohler: Karl V., München 3 2001. Alfred Kohler (Hg.): Quellen zur Geschichte Karls V., Sonderausgabe Darmstadt 2012. Heinz Schilling: Karl V.: der Kaiser, dem die Welt zerbrach. Biographie, München 2 2020. Geoffrey Parker: Der Kaiser. Die vielen Gesichter Karls V., Darmstadt 2020.
Nr. 75
Bericht über Luthers Auftreten in Worms
Auch nach der Entlassung Luthers am 18. April gingen die internen Verhandlungen auf dem Reichstag weiter. Darüber berichtet der folgende Abschnitt aus den von Luther zusammengestellten Akten zum Reichstag in Worms.
Also haben sich die Kurfürsten, Fürsten und Stände des Reiches darauf unterredet freitags nachmittag, auch den folgenden Samstag vor- und nachmittags, also daß Doktor Martinus am Sonntag Jubilate [21. April] keinen weiteren Bescheid weder von Kaiserlicher Majestät, noch vom Reich empfangen hat. Mittlerweile sind stetig viele Leute, und unter denselben auch vortreffliche, namhafte, hochgelehrte, verständige Herrschaften, Adel und gemeines Volk bei ihm ein- und ausgegangen, derer etliche über viele Meilen zu ihm gekommen sind, um ihn zu sehen und anzuhören. Indessen sind etliche Zettel, zum Teil wider, zum Teil für Doktor Martinus lautten, angeschlagen worden, so dass von etlichen Verständigen dafür gehalten wurde, es sei durch seine Feinde geschehen, um ihn gegen Kaiserliche Majestät und den Fürsten zu verunglimpfen, damit dadurch das Geleit gebrochen würde. Montags nach Jubilate hat Kaiserliche Majestät in den Reichsrat ein Vorzeichnung [= Schreiben] geschickt mit dieser Meinung: Sowie Ihre Majestät ihre Absicht in der Sache Luthers angezeigt habe, so beharre Ihre Majestät noch auf ihrem vorigen Vornehmen, die laut der Abschrift Ihrer eigenen Handschrift ihnen jüngst zugestellt wurde, hat ausgehen lassen, weil Luther auf seinem verhärteten Willen beharre; aber nichtsdestoweniger wollen Ihre Majestät gestatten, mit ihm durch etliche zu verhandeln und zu versuchen, ob er die verdammten Artikel widerrufen wolle oder nicht, auch dass man die Sache dermaßen fördere, dass er nicht über drei Tage in Worms bleibe und das die Acht, so er nicht widerrufen wollte, von Stund an ausgehen sollte. Als die Fürsten und die Stände die Mahnung Kaiserlicher Majestät vernommen hatten, haben sie auch nicht dawider sein wollen, sondern ihr stattgegeben, doch dass man im Falle, dass Doktor Martinus keinen Widerspruch tun würde, das Mandat der Acht nicht eher sollte ausgehen lassen, er sei denn zuvor wieder in sein Gewahrsam gekommen. Und wiewohl etliche Missgönner des Doktors Martinus’ dagegen waren, so ist es doch dabei geblieben: Darauf beschlossen worden ist, ihn mit einem Kurfürsten, einem Fürsten, einem Grafen, einem von den Städten und auch einigen Doktoren zu beschicken und mit ihm zu verhandeln, ob er die verdammten Bücher und Artikel wolle widerrufen oder nicht.
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Die Anfänge der Reformation
Quellennachweis Mit leichten Veränderungen übernommen aus: D. Martin Luthers Werke. Schriften, Teil 1, Bd. 7, unveränd. Nachdr. der Ausg. Weimar 1897, Stuttgart 2003, S. 841,26–842,33. Literaturnachweis Martin Brecht: Martin Luther. Sein Weg zur Reformation, Stuttgart 1981, S. 413–447. Fritz Reuter (Hg.): Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache. Worms 1971.
Nr. 76
Bericht über Verhandlungen zwischen Luther und dem Erzbischof von Trier
Nach der Entlassung Luthers versuchten verschiedene Vertreter der Reichsstände den Augustiner noch einmal umzustimmen. U. a. geschah dies auf Weisung des Kanzlers von Baden sowie im Beisein etlicher Räte und kurfürstlicher Unterstützer Luthers. Am 24. April 1521 diskutierte der Erzbischof von Trier mit Luther, zum Widerruf konnte jedoch auch er ihn nicht bringen.
Darauf hat Doktor Martinus sich demütig und untertänig verhalten, für die gnädige und brüderliche Erinnerung gedankt und gesagt: Weil Ihre Kurfürstlichen und Fürstlichen Gnaden sich mit ihm in keine Disputation einlassen, so wolle er sich auch nicht mit ihnen in eine Disputation begeben. Er lasse sich auch nicht nachsagen und wolle sich auch nicht nachsagen lassen, dass er seine Schriften Kaiserlicher Majestät, den Kurfürsten und Ständen des Reiches nicht unterwerfen wolle, da er dieselben doch auch dem Allergeringsten unterwerfe und demütig erdulden möchte, dass jedermann der sie angreife, dagegen schriebe und dieselbigen läutere, aber es müsste mit der göttlichen Schrift geschehen, denn er könnte niemals auf irgendeine Weise das klare Wort Gottes verleugnen oder ihm widersprechen. So hätte Sankt Augustin geschrieben: „Ich habe gelernt, allein die Bücher in Ehren zu haben, die kanonischen, die die gegründeten und göttlichen heißen, weil ich aufs festeste glaube, dass keiner ihrer Schreiber oder derjenigen, die sie gemacht haben, sich geirrt habe. Denn alle anderen Bücher, wie heilig und gelehrt sie auch gewesen sein mögen, lese ich dermaßen, dass ich sie für wahr halte, nicht weil sie der Meinung gewesen sind, sondern so sie mit der Heiligen Schrift oder der hellen Vernunft haben etwa: bestätigen oder beweisen können.“ So hat auch Sankt Paul zu den Thessalonichern gesagt: „Ihr sollt alle Dinge versuchen und, was gut ist, behalten.“ Und zu den Galatern: „Um wenn ein Engel vom Himmel käme und euch anders lernte, so sollt ihr ihm nicht glauben.“ Wenn nun seine Bücher als Irrtum der christlichen Lehre erfunden würden, wollte er um keine Gnade bitten, nur sollte man ihn nicht drängen, wider das klare Wort Gottes zu reden. Deshalb wäre nochmals seine untertänige Bitte, um Gottes willen vor Kaiserlicher Majestät für ihn zu bitten, mit ihm nicht nach der Schärfe, sondern gnädiglicher zu handeln. Darauf hat Markgraf Joachim von Brandenburg, Kurfürst usw. gesagt: „Herr Doktor, soviel ich merke, habt ihr gesagt, ihr wollt von eurem Vornehmen nicht abstehen, ihr werdet denn durch die Heilige Schrift anders unterwiesen.“ Darauf hat Doktor Martinus geantwortet: „Gnädigster Herr, ja, oder durch helle Ursache.“ Danach haben die Fürsten Doktor Martinus geheißen, von
Lazarus Spengler: Schilderung des Wormser Reichstages
ihnen wegzugehen. Darauf sind sie, ausgenommen den Erzbischof von Trier, zu den anderen Kurfürsten und Ständen des Reiches auf das Haus geritten und haben Bericht erstattet. Aber der von Trier hat Doktor Martinus wieder zu sich in die Stube genommen, und neben ihm war sein Offizial zu Trier, Doktor Cochläus, Dechant an Unser Lieben Frauen zu Frankfurt am Main, und wieder Doktor Hieronymus Schurff und Herr Niklassen von Amsdorf, Lizentiat der Heiligen Schrift und Domherr zu Wittenberg, für Doktor Martinus, und sagte, sie wollen freundlich und brüderlich miteinander handeln. Quellennachweis Mit Veränderungen übernommen aus: D. Martin Luthers Werke. Schriften, Teil 1, Bd. 7, unveränd. Nachdr. der Ausg. Weimar 1897, Stuttgart 2003, S. 848,13–849,27.
Nr. 77
Lazarus Spengler: Schilderung des Wormser Reichstages
Er reiste 1521 als Vertreter der Stadt Nürnberg zum Reichstag nach Worms. Dort fand er sich in seiner Parteinahme für die Reformation durch die persönliche Begegnung mit Luther bestärkt. Zu Spengler siehe Nr. 60.
Ihre Kaiserl. Majestät hat sich während der Zeit des gehaltenen Reichstages außerhalb der gemeinen Obliegenheiten des Reichs und seiner Stände wenig anderer Händel unterzogen. Den Reichssachen aber hat er (was von einem solchen jungen Herrn zu vernehmen wunderbarlich ist) mit solchem Fleiß obgelegen, dass er wenig Freude und Kurzweil gesucht, zu Worms auch für und für verharrt hat, und alle Tage entweder bei den Reichsständen oder seinen Hofräten persönlich im Rate gesessen, daraus ein jeder nicht anders hat vermuten können, denn dass es Seine Majestät um die Sachen, die das Reich und den gemeinen Nutzen anlangen, ernst gewesen ist. Insonderheit aber hat Ihre Kaiserl. Majestät die Zeit der heiligen Fasten in einem solchen christlichen, gottesfürchtigen Wesen zugebracht, dass solches allermänniglich billig zu einem besonderen Spiegel christlichen Wandels hätte bewegen und hinreißen sollen, sich als die Glieder und Untertanen dem Haupt und Oberen gleichmäßig zu halten. Was aber die Stände des Reichs von Anfang des Reichstags bis nach Ostern ausgerichtet, habe ich, der doch viel im Rate gesessen und bei den Verhandlungen gewesen ist, nicht spüren können. Das aber habe ich eigentlich befunden, dass der größte Teil des Reichstags und vornehmlich die Zeit der heiligen vierzig Tage der Fasten bis in die Marterwochen, mit täglichem Bankettieren, Trinkhöfen, übermäßigen Spielen und Zutrinken zugebracht worden ist; nicht allein von den Untertanen oder Fürstendienern, sondern auch von denjenigen, denen es zusteht, die Bürden des Reichs zu bedenken, und befohlen ist zu beratschlagen, und die dessen vor andern billig Scham und Entsetzen haben sollten; zuvor aber von den geistlichen vornehmsten Prälaten (weiter will ich nicht gehen) zugebracht ist. Denn ist es nicht schimpflich zu sagen, dass diese Bankette darinnen zu einer Mahlzeit wohl vierzig Gerichte aufs köstlichste zubereitet waren, die ganzen Fasten hindurch gehalten worden sind. Auch die vordersten Häupter und sonderlich die Geistlichen sind dessen die größten Anrichter und Handhalter gewesen, welche auch selber fast alle Nacht gespielt und damit dem gemeinen Sprichwort genug getan haben: „so der Abt Würfel legt, sind die Mönche zum Spielen bereit.“ Auf das mir aber hierin nicht möge untergelegt werden, als ob ich deshalb zu weit laufen wollte, will ich Euch nur das mit
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Wahrheit anzeigen, das in einer Woche von einem hohen Geistlichen, der vordersten Häupter einem, vierunddreißighundert Gulden, die andere Nacht aber in der heiligen Fasten von einem andern hohen Standes auf ein Mal oder auf einen Sitz (wie man das pflegt zu nennen) gegen sechzigtausend Gulden verspielt worden sind, und von dem, der solche Summe gewonnen, dieselbe ganze Summe von sechzigtausend Gulden an einen andern in einer Schanze und auf ein Mal wiederum verloren worden ist. Ferner haben ihrer etliche von den Herren und vom Adel, 72 an der Zahl, in einer Nacht auf einem Bankett 1200 fränkische Maß Wein und darüber ausgetrunken – sind das nicht ehrbare, rühmliche, löbliche Händel, des Reichs merklichem Obliegen ganz förderlich? Soll durch diese Wege Gottes Ehre gesucht werden, die man zu dieser Zeit, und sonderlich wo so schwere Sachen vorliegen, und umso mehr, als die Händel, darin man der Gnade und Hilfe Gottes notdürftig ist, tapferer sind, mehr denn zu anderer Zeit würdigen soll? Ist damit der Kaiser als ein christliches Haupt durch seine Glieder geehrt? Wird dadurch zum gemeinen Nutzen und zu des Reichs Obliegen fruchtbarlich beigetragen? Das geb ich einem jeden zu bedenken. Ich halte aber dafür: falls aus unserm täglichen Ratschlagen und Vornehmen viel glücklicher, ehrlicher und ruhmwürdiger Zustand folgen sollte, so müsste das gewiss mehr aus Gottes überreichlicher Gnade und Milde, denn aus unserm vorangegangenen Verdienst, Schicklichkeit und Ordnung fließen. Item, dieweil dieser Reichstag gehalten ist, haben sich, wie ich berichtet bin, nicht weit von Frankfurt und Worms ob drei oder vier Plackereien und Straßenbeschädigungen begeben; nämlich dass etliche Wagen, die mehrenteils des Kaisers erblichen Untertanen zugehörig gewesen, aufgehoben worden, die französische Botschaft, so den Reichstag hat besuchen sollen, beraubt worden, und ein welscher Kaufmann ein kleines Stück Wegs von Worms ermordet und alles Geldes, das er bei sich gehabt, beraubt worden ist – sind das nicht erschreckliche Händel? Und dabei haben sie sich begeben zu der Zeit, als Kaiserl. Majestät und alle Stände des Reichs beieinander und versammelt gewesen sind, welches auch dem ganzen Reich und deutscher Nation billig zu höchster schimpflicher Verkleinerung gereichet. Ich weiß nicht, mit was für Plagen wir Deutschen beschwert sind, dass uns diese bösen Händel so gar nicht zu Herzen gehen. Da sollte meines Erachtens billig ein jeder Untertan des Reiches helfen raten, und unerspart alles Vermögens nach Wegen trachten, dieser beschwerlichen, unleidlichen und spöttlichen Last, die uns bei den unsern und allen auswärtigen Nationen zu höchster Verachtung gereicht, und damit die Deutschen ihren ehrlichen Namen in nicht kleinen Verlust setzen, zu begegnen und von deutscher Nation abzuwenden. Aber diese Händel, nämlich des Reiches Ehre und Wohlfahrt zu fördern, die Straßen sicher zu halten und der Fürsten und Obrigkeiten Geleit, Treue und Glauben zu handhaben, Recht und Gericht in Wesen und Ordnung zu bringen, und Vollziehung und Exekution derselben dem Notdürftigen mitzuteilen, werden, wie ichs verstehe, an den Nagel gehangen, daran auf etwavielen Reichstagen, die ich gesehen, andere dergleichen wichtige Obliegenheiten des Reiches schon gehangen worden sind. Da müssen sie bleiben, und niemand untersteht sich, seines Nachbars Feuer zu retten, solange, bis er seine Wand vom selben Feuer gewärmt empfindet und sich gleicher Flammen besorgt. Wie man auch demselben weiten ungestümen Meer seinen freien Fluss gestatten und sich allein unterstehen will, die kleinen Bäche und Zuflüsse zu verstellen: das ist das, zu beratschlagen, wie man das unnütze Gold, seidenes Futter und ausländisches wollenes Tuch und anderes den Bürgern und Bauern zu tragen verbieten, desgleichen wie man die Federn zu Ross und Fuß führen und tragen soll, und andere dergleichen geringe Sachen. […] Es wäre gut und löblich, auch nicht ohne sondere Frucht, wenn man viele dergleichen Missbräuche im heiligen Reich abstellen und in bessere Ordnung bringen würde, doch das müsste an den Hauptstücken angefangen werden, die zuvor in ein ander Wesen gebracht werden; alsdann würden sich die geringeren Zufälle selbst von Tag zu Tag fördern und bessern lassen. Sonst ist
Johannes Cochläus: Bericht vom Wormser Reichstag
es nicht allein eine umgekehrte, unbeständige Ordnung, sondern auch bei vielen schimpflich zu hören, einem Korne eher nachzutrachten und einen ganzen Scheffel liegenzulassen. Der allmächtige Gott geruhe dem heiligen Reich, das doch schier gar verblichen ist, auch dessen Ständen und Untertanen seine göttliche Gnade barmherziglich mitzuteilen, dass wir nicht also in unserer vorlängst angenommenen und verstockten Blindheit verharren, sondern zuvor Gottes Ehre und Glorie suchen, und mehr den gemeinen Nutzen denn Wohlfahrt und Vorteil unser selbst bedenken, so wird ohne Zweifel all unser Beginnen durch den, zu dessen Liebe und Ehre und in dessen Namen es vorgenommen ist, zu glücklichem Ende gedeihen und reichen. Werden wir aber den alten Fußstapfen für und für nachfolgen, so bin ich fürwahr in Sorge. […] Gott werde uns für einen milden, gütigen und sanftmütigen König einen Tyrannen schicken, der uns reformiert, und mit der eisernen Rute, davon David sagt, heimsucht. Alsdann werden wir unser Versäumnis mit unserem nachfolgenden Bereuen viel zu spät beweinen und unsern Schaden schwerlich herwiederbringen mögen. Quellennachweis Spengleriana, gesam. und hg. v. Moritz Maximilian Mayer, Nürnberg 1830, S. 23–28. https://books.google.de/books?id=NERhAAAAcAAJ&pg=PR8&lpg=PR8&dq=Spengleriana+Mayer&source=bl&ots=2myFIGLrIM&sig=EADV34e3MhP384AU19qC5-QGYW4&hl= de&sa=X&ved=2ahUKEwiziqmBlbXcAhVRJVAKHUUACxoQ6AEwBXoECAUQAQ#v= onepage&q=Spengleriana%20Mayer&f=false (letzter Zugriff 10.12.2020). Literaturhinweis Berndt Hamm: Lazarus Spengler (1479–1534): der Nürnberger Ratsschreiber im Spannungsfeld von Humanismus und Reformation, Politik und Glaube, Tübingen 2004. Hans von Schubert: Lazarus Spengler und die Reformation in Nürnberg, hg. und eingeleitet von Hajo Holborn, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1934, New York/London 1971. Sigrid Fillies-Reuter: Spengler, Lazarus, in: BBKL, Bd. 10, begründet und hg. v. Friedrich Wilhelm Bautz, fortgeführt von Traugott Bautz, Herzberg 1995, Sp. 939–941.
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Johannes Cochläus: Bericht vom Wormser Reichstag
Zu Cochläus s.w.o. Nr. 6. Der Reichstag von Worms wurde zu einem medialen Ereignis. Zahlreiche Aktensammlungen, Berichte, Briefe und Wahrnehmungen wurden in gedruckter Form verbreitet. Dazu zählten auch etliche parteiische Verlautbarungen aus kontroverstheologischer Perspektive. Die weitere Reformation wurde zu einem Ereignis der Kunst des Buchdruckes.
Wieviel dem Kaiser aber verständige und gutherzige Leute Lob spendeten, soviel mehr murmelten und schalten ihn heimlich die Lutherischen, und sagten, er wäre ein Kind, das durch der Papisten und Bischöfe Schmeicheln, wohin sie wollten gezogen würde. Allermeist aber verdroß es, und drohten und schrieen auch Ulrich von Hutten und Hieronymus Busch, zween von den deutschen Poeten, dieser ein westfälischer, jener ein fränkischer von Adel, beide eines guten
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Verstands, jedoch eines freventlichen Gemüts. Beide stritten als lange alte Feinde wider die Geistlichen, und zwar der Busch wider die Schullehrer und Mönche, der von Hutten aber wider die Courtisanen und Legaten des römischen Hofes. In der Stadt hin und wieder in den Gassen an den Türen und Toren war angeschrieben: „Wehe dem Lande, deß König ein Kind ist!“ Also war auch ans Rathaus ein Absagezettel angeklebt, als ob 400 Deutsche gerüstete Pferde den Kardinal und Erzbischof zu Mainz, so durch Deutschland unter den Kurfürsten, Dechant, und mit Würde der nächste nach dem Kaiser ist, mit Kriegsgewalt überziehen wollten, jedoch war darunter kein Name genannt, allein, daß am Ende dieser Drohung die aufrührerischen Worte „Bundschuh, Bundschuh, Bundschuh“, so des gemeinen Mannes Verbindung und Rottierung wider die Oberen bedeutet, gesetzt wurden. Und damit den Katholischen ein desto größerer Schrecken gemacht würde, war nicht weit von der Stadt Worms ein stattlicher Reicher von Adel, Franz von Sickingen, so etwa in Kriegen großes Lob erlangt; denn er hatte dereinst den Landgrafen von Hessen, wie auch die Stadt Metz mit Krieg überzogen und beiden Feinden merklichen Schaden zugefügt. Von diesem von Sickingen war also angegeben, wie er sich in der Nähe um Worms auf seinen wohlverwahrten Häusern halten und einen reisigen Zug und anderes Kriegsvolk in Bereitschaft haben sollte; er wartet nur, was die lutherische Handlung für einen Ausgang gewinnen wollte, sintemal er Luthern auch aufs heftigste ergeben und günstig war. Quellennachweis Cochlaeus, Johannes: Historia Martini Lutheri / Das ist, Kurtze Beschreibung seiner Handlungen und Geschrifften der Zeit nach, vom M.D.XVII. biß auf das XLVI. Jar seines Ableibens … Verdeutscht von Johann Christoph Hueber, Dilingen 1611, S. 73–75 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Marcus Sandl: Medialität und Ereignis. Eine Zeitgeschichte der Reformation, Zürich u. a. 2011. Thomas Kaufmann: Die Mitte der Reformation. Eine Studie zu Buchdruck und Publizistik im deutschen Sprachgebiet, zu ihren Akteuren und deren Strategien, Inszenierungs- und Ausdrucksformen, Tübingen 2019.
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Johannes Cochläus: Versuch, Luther umzustimmen
Der folgende Brief des römischen Kontroversisten Johann Cochläus vom 12. Juni 1521 richtet sich an einen nicht näher bestimmbaren Georg N., dem er über seinen vergeblichen Vermittlungsversuch berichtet. Ich aber hatte aus seiner ungewissen Antwort, als er [Luther] sagte, was denn nun zu tun sei, die Hoffnung geschöpft, daß er vielleicht umgestimmt und überredet werden könnte, wenn irgendjemand ihn freundlich und aufrichtig ermahnte und ihm das übel vor Augen stellt, in das er kopfüber mit den Seinen hineinstürzen würde, wenn er nicht zur Vernunft käme. Deshalb geschah es, daß ich nach dem Essen verschwiegen und für mich allein, ohne irgendeines Menschen Befehl, meinen Sinn von neuem auf die Sache richtete, gewiß nicht in dem Sinne, daß ich öffentlich und in der Versammlung mit ihm reden wollte, sondern daß ich
Johannes Cochläus: Versuch, Luther umzustimmen
durch die Vermittlung eines seiner Freunde handle. Darum suchte ich Spalatin, von dem ich gehört hatte, daß er mit ihm durch höchste Freundschaft verbunden sei. Ich suchte ihn nicht nur an einem Ort, dennoch konnte ich ihn nirgends finden. Endlich wurde gemeldet, er sei in der Herberge Luthers. Folglich trat ich ein, um sie genau zu durchforschen. Ich stieß aber durch einen glücklichen Zufall auf den Theologen [Amsdorf], der vor dem Essen zugleich mit Luther bei unserer Unterredung gewesen war. Diesen rief ich freundlich an, wobei ich nach Spalatin fragte und ihn wegen der Sache Luthers ermahnte. Kaum aber, daß ich mit ihm in die Stube (wie wir unsere Feuerungskammer oder Heizgewölbe nennen) eintrat, strömte der lutherische Haufen zusammen. Ich wurde freundlich aufgefordert, mich zu setzen. Zugleich mit mir nahmen jene Gesprächspartner, der Rechtsberater [Schurff] und der Theologe, Platz. Darauf bat ich sie freundlich, daß sie die Sache besser abwägen und den Geist Luthers mehr auf den Frieden als auf einen hartnäckigen Widerstand richten sollten. Während wir uns freundlich unterhielten, ging plötzlich ein mit der Mönchskutte angetaner Ordensbruder [Johann Petzensteiner]239 Luthers auf mich los (wie auch er selbst [Luther] noch die Kutte trug), mit dem ich nicht gesprochen hatte, und forderte mich auf, daß ich ganz furchtlos mit ihm disputieren sollte. Auf die ungehörige Überheblichkeit dieses Menschen antwortete ich auch weniger gütig: „Schäbiger Bettelmönch, gibt es etwa nirgends Menschen“, sagte ich, „außer in Wittenberg in deinem Kloster? Weißt du, was du hier neulich gemacht hast? Was hatte dir der Prior der Dominikaner getan, daß du den von der Kanzel Herabsteigenden an seinem Gewand vor das Volk zogst und ihm Irrtümer vorwarfst, daß er in seiner Predigt Paulus schlecht ausgelegt hätte. Könntest du nicht durch solche Beleidigungen das freie Geleit für deinen Vater vernichten? Ist ihm etwa das freie Geleit gegeben worden, um zu beleidigen?“ Indessen trat Luther selbst ein, ob aus eigenem Antrieb oder von den anderen gerufen, ist mir nicht sicher. Als er jenes hörte, brachte er uns also durch folgenden deutschen Scherz zur Ruhe: „Mein Bruder will gewiß gelehrter sein als alle, zumal wenn er gut getrunken hat.“ Wir lachten, der Bruder aber murrte, besonders deshalb, weil ich ihn einen schäbigen Bettelmönch genannt hatte. Darauf setzte sich Luther an meine Seite, und wir unterhielten uns ziemlich vertraulich […]. Erregt aber durch die vorherige Leidenschaft forderte ich ihn wiederum auf und bat ihn, daß er vor Richtern, die der Kaiser und die Fürsten uns geben würden, genauer mit mir disputieren sollte, weil wir hier nichts entscheiden könnten, selbst wenn er weiß sagte, ich schwarz oder umgekehrt. Ohne Richter könnte jene Wahrheit nicht gefunden werden: Folglich sollte er, bat ich, einer Gerichtsverhandlung Folge leisten, ohne jede Gefahr, obgleich ich die gerichtliche Strafe weder zurückweisen noch durch Bitten abzuwenden suchen wollte, wenn ich von den Richtern verdammt würde. Daraufhin war wenigstens Ruhe, weder die Grafen noch die Umstehenden sprachen offen zu mir. Darauf sagte der Graf (wie gemeldet wurde) von Mansfeld: „Sondert euch folglich ab und redet, was ihr wollt!“ Und so blieben die übrigen in der Stube zurück, Luther aber führte mich hinauf in sein Schlafzimmer. Ich wollte seinen Bruder von dort ausschließen, damit wir allein miteinander reden könnten, aber jener lehnte es ab. Sogleich öffnete ich meine Kleidung, damit er sehe, daß ich unbewaffnet sei, damit er keinen Hinterhalt fürchte, nichtsdestoweniger wollte er dennoch nicht hinausgehen. Darauf befahl auch ich, daß mein Neffe, ein Knabe, darinnen sei. Und so abgeschlossen setzten wir zwei uns von jenen gesondert, um miteinander zu reden. Zuerst begann Luther, indem er vieles freundlich ins Gedächtnis rief, was geschehen war. Er bekannte wenigstens, daß er
239 Johannes Zacharias Petzensteiner (1487–1554) gehörte zum Orden der Augustinereremiten, begleitete Luther auf seiner Reise nach Worms und wurde später evangelischer Pfarrer in Sachsen.
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Die Anfänge der Reformation
gegen den römischen Papst habe Beleidigungen ausgehen lassen und allerdings die Ablässe abgeschafft habe, durch die wir getäuscht worden seien. Darauf antwortete ich ihm gleichfalls freundlich und vertraulich, ich hätte am Tage vorher vom Apostolischen Nuntius [Aleander] erfahren, daß er nicht mehr von ihm verlange, außer daß er das widerriefe, was offensichtlich gegen den Glauben und die katholische Kirche sei, mit dem übrigen sollte geschehen, daß vom Kaiser und den Fürsten gelehrte Männer angewiesen würden, nachdem sie seine Bücher fleißig durchgelesen hätten, die schlechten von den guten zu trennen, so daß sie diese bewahrten und jene vernichteten; daß, wenn er aus Furcht oder Scham nicht länger unter den Seinen leben wolle, der Kaiser und der Erzbischof von Trier dafür sorgen würden, daß er an einem anderen Ort ruhig und angesehen leben könnte. Ich fügte auch meine Stimmung hinzu: „Mann“, sagte ich, „du bist jung und dazu auch gesund, von großer Begabung, von Eifer und Arbeitsamkeit, von seltener Gelehrsamkeit und von höchstem Ruf, du könntest allen Nachkommen in einer frommen und friedenstiftenden Auslegung der Heiligen Schrift nützlich raten. Jetzt aber kannst du durch die Erkenntnis der Irrtümer das ganze Volk Gottes befrieden, das du so aufrührerisch angefeuert hast. Du kannst auch den guten Wissenschaften auf diesem einen Weg helfen, wenn nicht dich, so schone doch wenigstens deinen Philipp [Melanchthon], jenen göttlichen Genius, damit du ihn nicht in diese Gefahr ziehst.“ Und schon stürzten ihm Tränen aus beiden Augen. Denn Gott ist Zeuge, daß ich vertraulich und aus ganzem Herzen gesprochen habe Vor allem aber überfiel ihn die süße Erwähnung Philipps, von dem er bekräftigte, daß er in der Bibel sehr gelehrt sei, und er sei gewiß viel gelehrter, als daß heute überhaupt jemand lebte, der in der Heiligen Schrift sachkundiger sei als er. Ich war vorher gewiß über die Begabung, die Erfindungsgabe und die Gelehrsamkeit in den profanen Wissenschaften dieses Menschen bei einer so großen Jugend stark erstaunt gewesen. Wie ich aber hörte, daß er auch in der Heiligen Schrift so groß sei, erstarrte ich beinah und sagte daher mit großer Leidenschaft: „Mit welch einer Grausamkeit folglich willst du diesen Menschen in eine so große Gefahr mit dir reißen?“ Überaus vielfältig sprachen wir miteinander, teils lateinisch, teils deutsch, von Herzen ohne Prahlerei. Dennoch ließ er endlich eine mir traurige und schmerzliche Ansicht seines Geistes auf deutsch hören: „Mein Doktor“, sagte er, „ich bin der geringste in dieser Sache, andere sind weit größer und gelehrter. Ich predige“, sagte er, „und lese öffentlich über den Psalter. Das ist freilich sehr wenig, was ich tue. Deshalb wäre es vergeblich, auch wenn ich lange und oft widerriefe, denn andere, die viel mehr als ich und gelehrter sind, würden nicht schweigen, sie würden diese Sache nichtsdesto-weniger fortführen.“ Quellennachweis Dr. Martin Luthers Briefwechsel, hg. v. Ernst Ludwig Enders, Gustav Kawerau und Paul Flemming. Bd. 3: Briefe vom Dezember 1520 bis August 1522, Calw/Stuttgart 1889, S. 177,139–179,186; 182,332–183,363; 184,392–186,487 (lateinisch). Die deutsche Übersetzung folgt mit Anmerkungen und Auslassungen: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 115–120.
Aleander: Die Nachricht von Luthers Gefangennahme, 15. Mai 1521
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Aleander: Die Nachricht von Luthers Gefangennahme, 15. Mai 1521
Die Gefangennahme Luthers provozierte zahlreiche Spekulationen über sein weiteres Ergehen sowie die Hintergründe der Tat. Insbesondere wurde wohl den kaiserlichen und päpstlichen Repräsentanten unterstellt, sie hätten etwas mit der Festsetzung des Wittenberger Theologen zu tun. Aleander berichtet darüber in einer seiner Depeschen. Unabhängig davon machte bereits wenige Wochen nach Luthers Gefangennahme das Gerücht die Runde, er sei zu seinem Schutz auf die Wartburg gebracht worden und stehe dort unter der Aufsicht des kursächsischen Fürsten. An demselben letzten Sonntage kam die Nachricht, daß Martin gefangen genommen sei, und man murmelte sehr vernehmlich, daß wir die Anstifter der That seien. Wir schwebten in der größten Gefahr, da die Lutheraner das Volk mit dem zwiefachen Vorgeben aufwiegelten, daß Luther ein Mann voll des Heiligen Geistes sei, und sodann, daß wir das ihm zugesicherte Geleit gebrochen hätten. Aus mehr denn einem Grunde mußten wir annehmen, daß der Kurfürst von Sachsen die Hand im Spiele habe, und der Kaiser sowie alle Fürsten und fast der gesamte Hof traten unserer Meinung so entschieden bei, daß sich der Kurfürst durch den auf ihm lastenden Verdacht vor versammeltem Reichstage zu der Erklärung bewogen fand, er könne jeden Eid schwören, daß er nicht um jene Sache wisse; auch schien er sehr bestürzt zu sein, indessen kann man weder auf seinen stets zur Erde gerichteten Blick noch auf seine Worte etwas geben, noch dazu in der lutherischen Frage. Dieses Gerücht behauptete sich zwei Tage lang, und ein Bote über den andern berichtete in gleicher Weise, wie Luther vier Tagereisen von hier den Herold240 entlassen und ihm eigenhändig über das ihm obliegende Geleit quittiert habe; und das ist Thatsache; dann zog er nach der acht bis zehn Tagereisen von hier entfernten Stadt Eisenach, wo er am Tage der Kreuzeserfindung predigte gegen den ausdrücklichen Befehl des Kaisers; er bestieg dann unter Zurücklassung der Doktoren den Wagen allein mit seinem [Ordens-]Bruder, nur noch begleitet von einem Bruder seines Vaters, der ihm nahe sein wollte; er beabsichtigte einen abseits wohnenden Freund zu besuchen und so wurde er unterwegs ergriffen, seine Begleitung aber entlassen. Das waren meine Nachrichten vom Sonntag [dem 12.Mai] […]. Die Berichterstatter wollten selbst in Eisenach gewesen sein und den Oheim Luthers haben klagen hören; auch waren sie einstimmig in ihren Angaben über Ort und Zeit, über die fünf Reisigen, die ihn aufgriffen, und über alle schon erwähnten Umstände. Und nun legten einige die Anstiftung des Ueberfalles uns zur Last, andere dem Erzbischof von Mainz: wollte Gott, daß der so entschlossen gewesen wäre. Gar manche behaupten, Sickingen hätte ihn ergreifen lassen, um ihn in seiner Nähe zu haben, doch ist es nicht wahrscheinlich, daß er ihn dann erst zehn Tagereisen weit hätte sich entfernen lassen; viele aber glauben an einen heimlichen Anschlag des Kurfürsten von Sachsen, der ihn vor Ablauf des Geleits hätte in Sicherheit bringen, und, möchte er ihn nun in Zukunft festhalten oder entlassen, sich die Entschuldigung sichern wollen, es hätten ihn ganz andere aufheben lassen. Später meldete jemand dem Kaiser, wie
240 Kaspar Sturm (1475–4. Juni 1552) war kaiserlicher Reichsherold und hatte 1521 die Aufgabe, Martin Luther auf seiner Reise zum Reichstag zu Worms und zurück zu schützen. Sturm stand aus früherer Zeit in engen Beziehungen zu der Reichsstadt Nürnberg.
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ich vom Beichtvater hörte, daß er Martins Aufenthaltsort kenne: derselbe werde festgehalten von einem fränkischen Ritter, Hector Behem, der schon vor einigen Monaten dem Kurfürsten Fehde angesagt und ihm zum Trotz sich Luthers bemächtigt habe. Wenn dem doch so wäre, denn Luther hatte ja das Geleit schon durch sein Predigen gebrochen; dieser ganze Hof tobte und besonders gegen uns, indem man die Drohung aussprach, daß, wenn sichs so verhielte, das Volk zuerst uns und dann alle Pfaffen in Deutschland erwürgen würde. Aber das größte Übel stand uns noch bevor, denn gestern kam plötzlich neue briefliche Nachricht, Luther sei tot in einer Silbermine aufgefunden, durchbohrt mit einem Stoßdegen. Darauf hin erhob sich hier ein gewaltiger Tumult, der sich besonders gegen meine Person richtete, so daß, während ich mich am Hofe, ja vor dem Kabinett des Kaisers aufhielt, viele hochgestellte Personen mich umdrängten und mich warnten, da ich selbst in den Armen des Kaisers nicht sicher wäre; dann suchten mich in meiner Wohnung mehr und immer mehr Leute auf, um mir die zahllosen, zu meiner Ermordung getroffenen Verabredungen und Verschwörungen zu entdecken, und ähnliche Anzeigen erhielt auch Signore Carraciolo; auf einzelne Streiche, deren uns nur zu viele gespielt wurden, gehe ich nicht näher ein. All dessen ungeachtet haben wir hinterher nicht weniger als früher, jeder für sein Teil wie beide im Verein, unsere Obliegenheiten erfüllt und lassen uns daran auch nicht durch tausendfältig drohenden Tod verhindern. Des Herrn Wille geschehe: seine Sache ist es, die wir verteidigen. Heute morgen teilte mir der Kölner Domdechant mit, ein ihm befreundeter Gelehrter habe einen aus Leipzig in Sachsen eingelaufenen Brief gelesen, des Inhalts, daß Martin am 5. Mai dort unter großem Zulauf des Volkes feierlichst empfangen worden sei; das lautet nun ganz anders als die so lange herrschende Meinung, er sei am 3. Mai bei Eisenach, welches von Leipzig zwölf deutsche Meilen entfernt ist, aufgehoben worden, so daß sich annehmen läßt, letzteres sei eine von den Lutheranern ausgegangene Finte, mittels deren das Volk gegen uns und den Klerus aufgehetzt werden sollte, was Gott bisher verhütet hat, obwohl in der Tat besonders die Lutheraner auf verschiedene Rechtgläubige rohe Angriffe gemacht haben; auch heißt es, daß Sickingen zwei Priester aufgefangen hat und ihrer noch so viele in Verhaft zu nehmen droht, bis man ein Mittel gefunden, Luther aus der Gefangenschaft zu befreien. […] Jener Nachrichten über Luther ungeachtet behaupten hier glaubwürdige Leute und möchten Wetten darauf hin eingehen, daß Luther sich auf der eine halbe Tagereise von hier entfernten Burg Sickingens befinde; schon als Luther den Herold entließ, urteilten die Kaiserlichen und in erster Linie der Beichtvater, daß Luther auf Sickingens Betreiben sich zu diesem begeben habe; das aber ist mir nicht wahrscheinlich, denn es steht fest, daß Luther etwa zehn Tagereisen von hier angehalten wurde, daß aber Sickingen ihn in jenem Falle nicht so weit hätte kommen lassen. Quellennachweis Die Depeschen des Nuntius Aleander vom Wormser Reichstage 1521. Übersetzt und erläutert von Paul Kalkoff, Halle 1886, Dep. 25, S. 192–197.
Das Wormser Edikt
Nr. 81
Das Wormser Edikt
Um die Formulierungen des Luther betreffenden Reichstagsabschiedes wurde noch bis zum 8. Mai 1521 gerungen. Luthers Verurteilung lag in deutscher und lateinischer Fassung vor und ging wesentlich auf den päpstlichen Nutius Aleander zurück. Er sorgte auch sogleich für deren Druck. Allerdings erhob der kaiserliche Großkanzler Mercurino Arborio di Gattinara241 Einspruch und verwies auf die Zustimmungspflicht der Reichsstände. Der Reichstagsabschied erfolgte erst am 21. Mai 1521. Allerdings reisten bereits am 23. Mai 1521 etliche mit Luther sympathisierende Reichstände ab. So kam es dazu, dass der Kaiser auf der Schlusssitzung des Reichstages am 25. Mai 1521 das Mandat gegen Luther, das fortan als „Edikt“ bezeichnet wurde. Als Vertreter der Reichsstände erklärte Kurfürst Joachim I. von Brandenburg deren Zustimmung ohne weitere Nachbesserungen. Die Datumsangabe 8. Mai 1521 verblieb und erweckte den Anschein der rechtskonformen Verabschiedung des Mandats während des Reichstages. Dies war allerdings bald strittig.
Am ersten zu Lob dem Allmächtigen und Beschirmung des christenlichen Glaubens, auch des römischen Bischofs und Stuhls gebührlichen Ehre, in Kraft des Amts unser kaiserlichen Wirdigkeit, Hochheit und Autorität, derzu mit einhelligem Rat und Willen unser und des heiligen Reichs Kurfürsten, Fürsten und Stände jetzo hie versammelt, haben wir zu ewiger Gedächtnis dieses Handels, zu Vollstreckung des Dekrets, Sentenz und Verdammnus laut der Bullen, so unser Heiliger Vater Papst, als dieser Sachen ordenlicher Richter, hat ausgehen lassen, den gedachten Martin Luther, als von Gotts Kirchen abgesündert Gliede und einen verstockten Zertrenner und offenbarn Ketzer von uns und Euch allen und jedem insonderheit zu achten und ze halten erkennet und erkläret und tun das wissentlich in Kraft dies Briefs. Und gebieten darauf Euch allen und jedem besonder bei den Pflichten, damit Ihr uns und dem heiligen Reiche verwandt seid, auch Vermeidung der peene criminis lese majestatis [Strafe für Majestätsverbrechen] und unser und des Reichs Acht und Aberacht und darzu Beraubung und Entsetzung aller Regalia, Lehen, Gnaden und Freiheiten, so Ihr bisher von unsern Vorfahren, uns und dem heiligen Reiche in einigen Weg gehabt, von römischer kaiserlicher Macht ernstlich mit diesem Brief und Willen, daß Ihr samentlich und sonderlich nach Verlauf der obberührten zwanzig Tag, die sich auf den vierzehenten Tag dies gegenwurtigen Monats Mai enden, den vorgemelten Martin Luther nit hauset, hoffet, etzt, tränket, noch enthaltet, noch ihme mit Worten oder Werken heimlich noch offenlich keinerlei Hilf, Anhang, Beistand noch Fürschub beweiset, sonder wo Ihr ihne alsdann ankommen und betreten und dessen mächtig sein mögt, ihn gefänglichen annehmet und uns wohlbewahrt zusendet, oder das zu tun bestellet oder uns das zum wenigsten, so er zuhanden bracht würdet, unverzogenlich verkündet und
241 Mercurino Arborio di Gattinara wurde am 10. Juni 1465 auf Schloss Arborio bei Vercelli in Piemont geboren und verstarb am 5. Juni 1530 in Innsbruck. War als Jurist und Großkanzler Kaiser Karls V. bei Hofe tätig. In einem Lebensbericht zieht er ein Resümee der dramatischen Entwicklung; vgl. Ilse Kodek: Der Großkanzler Kaiser Karls V. zieht Bilanz. Die Autobiographie Mercurino Gattinaras aus dem Lateinischen übersetzt, Münster 2004.
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anzeiget und ihne dazwischen als gefänglichen behaltet, bis Euch von uns Bescheid, was Ihr ferner nach Ordnung der Recht gegen ihme handeln sollet, gegeben und Ihr umb solich heilig Werk, auch Euer Mühe und Kosten ziemliche Ergötzlichkeit empfangen werdet. Aber gegen seinen Mitverwandten, Anhängern, Enthaltern, Fürschiebern, Gönnern und Nachfolgern und derselben beweglich und unbeweglich Güter sollet Ihr in Kraft der heiligen Konstitution und unser und des Reichs Acht und Aberacht dieser Weise handeln: nämlich sie niederwerfen und fangen und ihre Güter zu Euren Handen nehmen und die in Euren Eigennutz wenden und behalten ohne männiglichs Verhinderung, es sei dann, daß sie durch glaublichen Schein anzeigen, daß sie diesen unrechten Weg verlassen und päpstliche Absolution erlangt haben. Ferrer gebieten wir Euch allen und Eur jedem insonders bei den vorgeschrieben Strafen, daß Euer keiner des obgenannten Martin Luthers Schriften, von unserm Heiligen Vater Papst, wie obsteht, verdammt, und all ander Schriften, die in Latein und Deutsch oder in ander Sprach bisher durch ihne gemacht sein oder hinfür gemacht werden, als bös, argwöhnig und verdächtlich und von einem offenbarn, hartnäckischen Ketzer ausgegangen, kauf, verkauf, lese, behalt, abschreib, druck oder abschreiben oder drucken lasse, noch seiner Opinion [= Ansicht] zufall, die auch nit halt, predig noch beschirme, noch das in einig ander Weg, wie Menschensinn das bedenken kann, unterstehe, unangesehen, ob darin etwas Guts, den einfältigen Menschen damit zu betriegen, eingeführt wäre. Dann wie die allerbeste Speis, so mit einem kleinen Tropfen Gifts vermischet, von allen Menschen gescheuet, so viel mehr sollen soliche Schriften und Bücher, in den so manch der Seelen Gift und Verdammnis eingeführt sein, von uns allen nit allein vermieden, sonder auch die von aller Menschen Gedächtnis abgetan und vertilgt werden, damit sie niemands schaden oder ewiglich töten. Quellennachweis Luther in Worms: 1521–1971. Ein Quellenbuch, hg. v. Joachim Rogge, Berlin 1971, S. 149–152 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Sigrid Looß: Luther in Worms 1521. Berlin 2 1984. Paul Kalkoff: Das Wormser Edikt und die Erlasse des Reichsregiments und einzelner Reichsfürsten, München 1917. Joseph Pötsch: Die Reichsacht im Mittelalter und besonders in der neueren Zeit. Neudr. d. Ausg. Breslau 1911, Aalen 1971. Matthias Weber: Zur Bedeutung der Reichsacht in der Frühen Neuzeit, in: Johannes Kunisch (Hg.): Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, Berlin 1997, S. 55–90. Ulrich Oelschläger: Worms – Martin Luther, Hans Denck und Ludwig Hätzer, in: Michael Welker u. a. (Hg.): Europa reformata. Reformationsstädte Europas und ihre Reformatoren, Leipzig 2016, S. 477–486.
Georg Spalatin: Luther auf der Wartburg
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Georg Spalatin: Luther auf der Wartburg
Der kurfürstliche Sekretär berichtet von Luthers Entführung auf die Wartburg und seinem Aufenthalt dort. Der Bericht fand Eingang in die bereits 1513 vom Kurfürsten in Auftrag gegebene Chronik über Kursachsen. Hochgedachter mein gnädigster Herr, Herzog Friedrich zu Sachsen, Kurfürst usw., war noch sehr kleinmütig. Er hatte Dr. Martinum geflissentlich lieb, und wäre ihm wahrhaftig groß Leid geschehen, wenn ihm etwas Ungutes widerfahren wäre. Er hätte nicht gern wider Gottes Wort getan, aber auch den Herrn Kaiser nicht gern auf sich geladen. So gedachte er auf ein Mittel, den Herrn Doktor Martinus eine Zeit beiseite zu bringen, ob die Sache unterdessen in eine Stillung gerichtet werden möchte. Er ließ ihm auch solches am Abend zuvor zu Worms, ehe er wegzog, in Gegenwart des Herrn Philipp von Feilitzsch, des Herrn Friedrich von Thun, meiner, nämlich Spalatins, und einiger weniger andern, anzeigen, wie man ihn beiseite bringen sollte; womit sich Doktor Martinus, dem Herzog Friedrich zu Ehren, untertäniglich zufrieden gab, wiewohl er gewißlich allezeit viel lieber frisch hinan gegangen wäre. Also zog Doktor Martinus mit seinen Gefährten dahin. Wie sie nun nicht fern von Eisenach kamen, waren Leute bestellt, die den Herrn Doktor Martinus allein vom Wagen forderten, wegnahmen und auf das Schloß Wartburg über Eisenach führten, wo dazumal Hans von Berlepsch Amtmann war. Der hat sich gegen Doktor Martinus Luther wohl und freundlich gehalten. Wenige Tage danach kam das Geschrei gen Worms, daß Doktor Martinus gefangen wäre, zum Teil auch, daß er ganz umgekommen wäre, und trieb sich seltsam durcheinander. Die Gefährten aber kamen wieder heim, und war nicht jedermann wohl mit der Sache. Und wiewohl viel Nachfragens war, wie denn in solchen Sachen geschieht, wohin Doktor Martinus gekommen wäre, so blieb es dennoch so geheim, daß es gewißlich nur ganz wenige Personen zu Hofe wußten, ausgenommen die beiden kurfürstlichen Brüder, die genannten Personen und Hieronymus Rudlanoff, derzeit Sekretär, und Hans Veihel. So ließ es sich auch vielgedachter mein gnädigster Herr, der Kurfürst zu Sachsen, Herzog Friedrich, wohl gefallen. Nun war es zum Teil recht gut, daß er also eine Weile versteckt war, denn in solchem Patmos, wie ers selbst nennet, verdeutschte er das ganze Neue Testament aus dem Griechischen, darin es geschrieben ist. Er machte auch das edle Buch wider die gotteslästerliche Winkelmesse und wider den Klosterstand und andere mehr, deren sich die ganze Christenheit zu trösten weiß. Neben dem geriet aber auch der Teufel gewaltig in die Sache, indem Storck und Thomas Marx,242 zween Tuchknappen, während Doktor Martinus’ Abwesenheit gen Wittenberg kamen und solche Geisterei und himmlische Offenbarungen fürgaben, daß sie fast der ganzen Universität zu Wittenberg zu schaffen machten. Darüber auch Doktor Andreas Bodenstein von Karlstadt und andere mehr irre wurden, das hochwürdige Sakrament in beider Gestalt anrichteten, Bilder und Gemälde stürmten, verbrannten und wegtaten und die Sache ganz wunderlich trieben. Deshalb ist Doktor Martinus, als er solches hörte, einstens selbst insgeheim zu Wittenberg gewesen, als ein Reiter mit einem Bart, um solches genauer zu erfahren. Als aber Doktor Martinus sah, daß, wo er länger würde außenbleiben, die Sache viel ärger werden würde, da verließ er sein Gefängnis und Patmos und kam wieder gen Wittenberg, auch von etlichen Freunden unerkannt, im Bart, der ihm gewachsen war, und machte mit Gottes Gnade in kurzem eine große Stillung. 242 Gemeint sind Niklas Storch und Marx Stübner [Anm. d. Hg. Karl Kaulfuß-Diesch].
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Quellennachweis Georgii Spalatini Annales reformationis … ans Licht gestellt von E.S. Cyprian, Leipzig 1718, S. 50–53. Leicht veränderte Version übernommen aus: Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 264–266. Literaturhinweis Hans Joachim Kessler: Georg Spalatin: Geheimdiplomat der Reformation, Taucha 2017. Irmgard Höss: Georg Spalatin 1484–1545, Weimar 1989, S. 156–167. Martin Burkert/Karl-Heinz Röhlin: Georg Spalatin: Luthers Freund und Schutz, Leipzig 2015. Christine Weide: Georg Spalatins Briefwechsel: Studien zu Überlieferung und Bestand (1505–1525), Leipzig 2014. Thomas Kaufmann: Luthers Übersetzung der Bibel, in: Hans-Joachim Simm (Hg.): Aspekte der Bibel. Themen, Figuren, Motive, Freiburg u. a. 2017, S. 446–454.
Nr. 83
Aus Albrecht Dürers Reisejournal
Albrecht Dürer, genannt der Jüngere, wurde am 21. Mai 1471 in Nürnberg geboren und verstarb ebenfalls in jener Reichsstadt am 6. April 1528. Als vielseitig interessierter und humanistischen Einflüssen gegenüber aufgeschlossener Künstler zählt er zu den wichtigsten Vertretern der Renaissance in Deutschland. Der Reformation zuneigend berichtete er, noch auf seiner Reise durch die Niederlande befindlich, von den Ereignissen in Worms. Item am Freitag vor Pfingsten im 1521 Jahr kamen mir Mähr243 gen Antorf, daß man Martin Luther verräterlich gefangen hätt. Dann do ihn des Kaisers Carols Herold mit dem kaiserlichen Geleit war zugeben, dem ward er vertrauet. Aber sobald ihn der Herold bracht bei Eisenach in ein unfreundlich Ort, saget, er dörfe [= bedürfe] seiner nit mehr, und ritt von ihn. Alsbald waren zehn Pferde do, die führten verräterlich den verkauften, frommen, mit dem heiligen Geiste erleuchteten Mann hinweg, der do war ein Nachfolger Christi und des wahren christlichen Glaubens. Und lebt er noch oder haben sie ihn gemördert, das ich nit weiß, so hat er das gelitten um der christlichen Wahrheit willen und [darum,] daß er gestraft hat das unchristliche Papsttum, das do strebt wider Christi Freilassung mit seiner großen Beschwerung der menschlichen Gesetz, und auch darum, daß wir unsers Blut und Schweißes also beraubt und ausgezogen werden und dasselbige so schändlich von müßiggehendem Volk lästerlich verzehrt wird, und die durstigen kranken Menschen darum Hungers sterben müssen. Und sonderlich ist mir noch das Schwerste, daß uns Gott vielleicht noch unter ihrer falschen blinden Lehr will lassen bleiben, die doch die Menschen, die sie Väter nennen, erdichtet und aufgesetzt haben, dadurch uns das göttliche Wort an viel Enden fälschlich ausgelegt wird, oder gar nicht vorgetragen wird. Ach Gott vom Himmel, erbarm Dich unser, o Herr Jesu Christe, bitt für dein Volk, erlös uns zur rechten Zeit, erhalt in uns den rechten wahren christlichen
243 Mähr meint Mär/Märe, d. h. Geschichte, merkwürdige Erzählung, Kunde oder Bericht.
Aus Albrecht Dürers Reisejournal
Glauben, versammele deine weit zertrennten Schafe durch dein Stimm, in der Schrift dein göttlich Wort genannt, hilf uns, daß wir dieselb dein Stimm kennen und keinem andern Schwigeln244 und Menschenwahn nachfolgen, auf daß wir, Herr Jesu Christe, nit von dir weichen. Ruf den Schafen Deiner Weide, derer noch ein Theils in der römischen Kirchen erfunden werden, mitsamt den Indianern, Moscabitern, Reußen, Griechen, wieder zusammen, die durch Beschwerung und Geiz der Päpste, durch heiligen falschen Schein zertrennt sind worden. Ach Gott, erlös Dein armes Volk, das dar durch großen Bann und Gebot gedrungen wird, der es keines gern tut, darum es stetigs sündigen muß in seinem Gewissen, so es die übergeht. O Gott, nun hast Du mit Menschengesetzen nie kein Volk also hart beschweret wie uns Arme unter den römischen Stuhl, die wir füglich durch dein Blut erlöst frei Christen sollen sein. O höchster himmlischer Vater, geuß in unser Herz durch deinen Sohn Jesum Christum ein solch Licht, dabei wir erkennen, zu welchen Geboten wir zu halten gebunden sind, auf daß wir die andern Beschwernis mit gutem Gewissen fahren lassen und dir, ewiger himmlischer Vater, mit freiem fröhlichem Herzen dienen mögen. Und so wir diesen Mann verlieren, der da klarer geschrieben hat dann nie einer in 140 Jahren gelebt, den du ein solchen evangelischen Geist geben hast, bitten wir dich, o himmlischer Vater, daß du deinen heiligen Geist wiederum gebest einem andern, der do deine heilige christliche Kirch allenthalben wieder versammele, auf daß wir all rein und christlich wieder leben werden, daß aus unsern guten Werken alle Ungläubige, als Türken, Heiden, Kalkutten, zu uns selbst begehren und christlichen Glauben annehmen. Aber, Herr, du willst, ehe du richtest, wie Dein Sohn Jesus Christus von den Priestern sterben mußt und vom Tod erstehen und darnach gen Himmel fahren, daß es auch also gleichförmig ergehe deinem Nachfolger Martino Luther, den der Papst mit seinem Geld verrätherlich wider Gott um sein Leben bringt, den wirst du erquicken. Und wie du darnach, mein Herr, verhängtest, daß Jerusalem darum zerstört ward, also wirst du auch diese eigne angenommene Gewalt des römischen Stuhls zerstören. Ach Herr, gieb uns darnach das neu gezierte Jerusalem, das vom Himmel herabsteigt, davon [die] Apocalypsis schreibt, das heilig klar Evangelium, das do nit mit menschlicher Lehr verdunkelt sei. Darum sehe ein Jeglicher, der Doktor Martin Luthers Bücher liest, wie sein Lehr so klar durchsichtig ist, so er das heilig Evangelium lehrt. Darum sind sie in großen Ehren zu halten und nit zu verbrennen, es wäre denn, daß man sein Widerpart [Widersacher], die allezeit die Wahrheit widerfechten, ins Feuer würf mit allen ihren Opinionen, die do aus Menschen Götter machen wollen, aber doch [so], daß man wieder neue lutherische Bücher druckt hätt. O Gott, ist Luther todt, wer wird uns hinfürt das heilig Evangelium so klar fürtragen! Ach Gott, was hätt er uns noch in zehn oder zwanzig Jahrn schreiben mögen! O ihr alle fromme Christenmenschen, helft mir fleißig beweinen diesen gottgeistigen Menschen und ihn bitten, daß er uns ein andern erleuchteten Mann send. O Erasme Roderadame, wo willt du bleiben? Sieh, was vermag die ungerecht Tyrannei der weltlichen Gewalt und Macht der Finsternis? Hör, du Ritter Christi,245 reit hervor neben den Herrn Christum, beschütz die Wahrheit, erlang der Märtyrer Kron! Du bist doch sonst ein altes Männiken, ich hab von dir gehört, daß du dir selbst noch zwei Jahr zugegeben hast, die du noch taugest etwas zu tun. Dieselben leg wohl an, dem Evangelio und dem wahren christlichen Glauben zugute und laß dich dann hören, so werden der Hellen Porten [= der Hölle Pforten], der römisch Stuhl, wie Christus sagt, nit wider dich vermügen. Und ob du hie gleichförmig deim Meister Christo würdest und Schand von den Lügnern in
244 Lockrufe, Locken. Vgl. mhd. swegelen, swigeln, flöten, blasen. 245 Anspielung auf das Motiv bzw. Ideal des christlichen Streiters aus Eph. 6 und die prominente Schrift des Erasmus von Rotterdam, Enchiridion militis Christiani aus dem Jahre 1503.
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dieser Zeit leidest und darum ein klein Zeit desto eher stürbest, so wirst du doch ehe[r] aus dem Tod ins Leben kommen und durch Christum clarificirt [= verherrlicht werden]. Dann so du aus dem Kelch trinkest, den er getrunken hat, so wirst du mit ihm regieren und richten mit Gerechtigkeit, die nit weislich gehandelt haben. O Erasme, halt dich hie, daß sich Gott dein[er] rühme, wie von David geschrieben steht, […] und fürwahr, du magst den Goliath fällen. Dann Gott stehet bei der heiligen christlichen Kirche, wie er ja unter den Römischen stehet, nach seinem göttlichen Willen. Der helfe uns zu der ewigen Seligkeit, Gott Vater, Sohn und heiliger Geist, ein einiger Gott, Amen. O ihr Christenmenschen, bittet Gott um Hilf, denn sein Urtheil nahet und sein Gerechtigkeit wird offenbar. Dann werden wir sehen die Unschuldigen bluten, die der Pabst, [die] Pfaffen und München [= Mönche] vergossen, gerichtet und verdammt haben. Apocalypsis246 . Das sind die Erschlagnen, unter dem Altar Gottes liegend, und schreien um Rach, darauf die Stimm Gottes antwortt: Erwartet die vollkommene Zahl der unschuldigen Erschlagenen, dann will ich richten. […] Quellennachweis Mit geringfügigen Änderungen übernommen aus: Dürers schriftlicher Nachlaß auf Grund der Originalhandschriften und theilweise neu entdeckter alter Abschriften, hg. v. Konrad Lange und Franz Fuhse, Halle 1893, S. 161–165. Literaturhinweis Norbert Wolf: Albrecht Dürer 1471–1528. Das Genie der deutschen Renaissance, Köln 2006. Thomas Schauerte: Dürer – Das ferne Genie. Eine Biographie, Stuttgart 2012. Klaus-Rüdiger Mai: Dürer. Das Universalgenie der Deutschen, Berlin 2015.
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Schreiben des Rats zu Leipzig an Herzog Georg: Beschwerde der Buchdrucker
Infolge des Wormser Edikts waren der Besitz, die Weitergabe und damit auch die Herstellung von reformatorischen Büchern streng verboten und wurde mit harschen Sanktionen geahndet. Da die reformatorische Buchproduktion einen erheblichen Anteil am deutschen Buchmarkt ausmachte – zeitweilig ist von über 25 % auszugehen – werden zahlreiche Buchdrucker durch das Verbot von Worms in ihrer Geschäftstätigkeit stark eingeschränkt. Am 7. April 1524 protestierten darum die Buchproduzenten von Leipzig gegen die Religionspolitik ihres Landesherren.
Es haben sich auch die Buchdrucker jetzt und zuvor oftmals gegen uns heftig beklagt, daß ihnen ihre Nahrung ganz darniederliege, und wenn es mit ihnen also in die Länge weitergehen sollte, würden sie von Haus, Hof und aller ihrer Nahrung kommen, weil sie nichts Neues, das zu Wittenberg oder sonst gemacht wird, allhier drucken und verkaufen dürfen. Denn
246 Offb 6,9–11.
Landgraf Philipp von Hessen: Brief an Herzog Georg von Sachsen, 19. Februar 1525
was man gerne kauft und wonach die Frage ist, dürfen sie nicht haben noch verkaufen, was sie aber in großen Haufen bei sich liegen haben, dasselbe begehrt niemand, und wenn sie es auch umsonst geben wollten. Und wiewohl sie sich nach Euer Fürstlichen Gnaden Gebot bisher hierinnen gehorsam gehalten, so drucken es doch andere zu Wittenberg, Zwickau, Grimma, Eilenburg, Jena und in anderen umliegenden Orten und es werde danach heimlich unter die Leute geschoben, wodurch ihnen derselbe Nutzen entzogen und Fremden, die es gerne annehmen, zugewandt wird. Derhalben die Drucker, Setzer und ihre anderen Diener, derer sich viele durch diesen Handel bisher hier ernährten, in Grund verderben und mit ihren Kindern Not leiden, so daß auch einige gezwungen waren, für Tagelohn auf der Mauer zu arbeiten. Und es würde also der Buchhandel dadurch ganz von hinnen gewandt. Was sie demütig gebeten, Euer Fürstlichen Gnaden anzuzeigen, damit dieselbe ein gnädiges Einsehen hierinnen zu haben geruhen. Quellennachweis Mit geringfügigen Anpassungen übernommen aus: Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, hg. v. Felician Gess. Bd. 1: 1517–1524, Nachdruck der bei B.G. Teubner erschienenen Originalausgabe Leipzig 1905, Leipzig 1985, S. 641,17–642,4 (Nr. 635). Literaturhinweis Christoph Volkmar: Reform statt Revolution. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488–1525, Tübingen 2008. Josef Benzing: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet, Wiesbaden 1982. Elizabeth L. Eisenstein: Die Druckerpresse. Kulturrevolution im modernen Europa, Wien 1997. Michael Giesecke: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 4 2006.
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Landgraf Philipp von Hessen: Brief an Herzog Georg von Sachsen, 19. Februar 1525
Philipp wurde am 13. November 1504 in Marburg geboren und verstarb am 31. März 1567 in Kassel. Von 1518–1567 war er Herrscher in der Landgrafschaft Hessen. Er avancierte zu einem der bedeutendsten Landesfürsten und politischen Führer im Zeitalter der Reformation im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Kurz nach seiner Mündigkeitserklärung trat der junge Landgraf mit 400 berittenen Soldaten auf dem Reichstag in Worms auf. Zunächst koalierte er aus machtpolitischem Kalkül mit dem Kurfürstentum Trier und der Kurpfalz im Krieg gegen Franz von Sickingen. Auch der Reformation gegenüber verhielt er sich zunächst zurückhaltend. Das änderte sich nach einer persönlichen Begegnung mit Philipp Melanchthon in Frankfurt im Jahr 1524. Philipp begann die protestantische Lehre zu fördern und versuchte, sie mit der Synode von Homberg 1526 in seinen Herrschaftsgebieten zu etablieren. Am 1. Juli 1527 gründete er in Marburg die noch heute existierende Universität – eine der ersten
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Die Anfänge der Reformation
evangelischen Universitäten Deutschlands. Auf dem Siegel der Institution ist noch heute das Bild des Gründers und Namensgebers zu sehen. 1523 heiratete Landgraf Philipp die Tochter des Herzogs Georg von Sachsen, Christine von Sachsen (1505–1549), aus der Ehe gingen zehn Kinder hervor. Aufsehen erregte eine weitere Eheschließung, die Philipp von Hessen 1540 mit Margarethe von der Saale (1522–1566) vollzog.
Nun wollt ich Euer Liebden auf das allerfreundlichste ermahnen und bitten, daß Euer Liebden der Menschen Gewissen nicht fest binden wolle, im Kloster zu bleiben oder herauszugehen, desgleichen Fleisch oder Fisch zu essen, denn ich habe Sorge, es sei wider Gott und stehe Euer Liebden solch Jurisdiktion nicht zu. Außerdem hat Christus von der Keuschheit also gesagt: „Wer es fassen kann, der fasse es!“ [Mt 19,12] und kein Gebot daraus gemacht, wie Euer Liebden das klar findet bei den Evangelisten und in einigen Episteln. Dazu hat uns Gott sonst so viel geboten, daß wir damit genug zu tun haben und seine Gebote ohne seine Gnade nicht halten können und darum uns kein Menschengebot oder unsere Vernunft, die doch Torheit gegen Gott ist, vorzunehmen brauchen. Wie denn auch Christus vom Fleisch oder sonstigem Essen sagt und spricht also: „Es verunreinigt den Menschen nicht, was in den Bauch geht, sondern was aus dem Herzen kommt.“ [Mt 15,11] Wie denn Paulus zum Überfluß davon sagt und spricht [1. Tim 4,3], wie in den letzten Zeiten schreckliche Nachrichten kommen werden, daß sie werden die Ehe verbieten, desgleichen, die Speise mit Danksagung zu nehmen, die Gott geschaffen hat. Wie auch Euer Liebden der Messe halber schrieb. Nun kann ich wahrlich nichts anderes nach meinem Gutdünken sagen, daß nicht viel daran gelegen sei, ob man sie deutsch oder lateinisch hält. Aber in unseren Landen scheint es mir gut zu sein, daß man mitunter eine deutsche Messe hielt, wie sie Christus eingesetzt hat. Allein der Kanon ist nach meinem Erachten eine Gotteslästerung, denn es steht darin: „Ich, Priester, opfere dir, allmächtigem Gott, ein angenehmes Opfer, deinen Sohn, und bitte die heiligen Engel, daß sie ihn vor Gott bringen wollten.“ Als ob er gerade nicht oben wäre und von selbst nicht hinaufkommen könnte, man ihn geleiten und erst für Christus bitten und opfern müßte, der sich für uns alle geopfert hat am Kreuz und uns erlöst, wie Paulus genug davon im Hebräerbrief und in seinen anderen Episteln sagt, wie auch Christus selbst davon sagt. Ist nun etwa der Kanon nicht eine Gotteslästerung und schmachvolle Sache, so gebe ich es Euer Liebden in Euer Liebden Gewissen, wie denn die Nürnberger Pröpste [Georg Besler und Hektor Pömer] genugsam davon geschrieben haben. Das bitte ich freundlich, Euer Liebden wolle dasselbe lesen. Nun ist meine freundliche Bitte an Euer Liebden, daß Euer Liebden nicht mir oder irgendeinem Menschen oder Geist glauben wollen, sondern die vier Evangelien, desgleichen die Briefe des Petrus, Paulus und Johannes und die Apostelgeschichte, desgleichen das Alte Testament ansehen, lesen und demselben klaren Wort folgen und dabei niemand gelten lassen, weder Freund noch Feind noch Haß, den Euer Liebden zu einigen Personen hat, und dass das Evangelium nicht entgelten lassen, sondern vergeben, wie Christus geboten hat, [Mt 6,15] wenn wir nicht vergeben, so wolle er uns auch nicht vergeben. Ich bitte auch, Euer Liebden wollen nicht denken, daß menschliche Vernunft nicht irren könnte, wie die Juden tun; denn wir haben wohl irren können, wie man täglich sieht. Wollen auch nicht denken, daß das Ding von Luther oder irgendeinem Menschen käme, sondern es ist eine Schickung Gottes und gefällt Gott wohl, durch verächtliche und verachtete Leute und Predigt selig zu machen, die daran glauben, wie das Paulus sagt. [1. Kor 1,21] Nun ist meine besondere Bitte, Euer Liebden wollen Gottes Wort sich vornehmen und das bedenken und ihm folgen. Ich wollte, daß Gott die von Euer Liebden wegschickte, die Euer Liebden irremachen
Ambrosius Blaurer: Bericht über seinen Klosteraustritt
und bitte, Euer Liebden wolle die Wahrheit nicht verfolgen, denn es wäre eine Sünde gegen den Heiligen Geist, die weder hier noch dort vergeben wird, wie das Christus sagt. [Mt 12,31; Lk 12,10] Denn Euer Liebden bedenke, daß alle unsere Dinge auf dem Erdreich vergänglich sind und wir alle sterben müssen, und es wird vor Gott kein Ansehen der Person geben, auch nichts vor ihm gelten als sein Wort und sein Gebot; und es würde Euer Liebden auch eine böse Nachrede einbringen; Euer Liebden wird es schwerlich tun können, denn Gott wird es nicht leiden. Christus spricht auch: „Himmel und Erde sollen vergehen, aber mein Wort soll nicht vergehen.“ [Mt 24,35] Er spricht auch: „Wenn die Menschen schweigen werden, sollen die Steine reden.“ [Lk 19,40] Denn Gottes Wort läßt sich nicht unterdrücken, auch wird es der gemeine Haufen auf die Dauer nicht leiden. Ich hoffe auch, Euer Liebden wird es nicht tun, und Gott werde Euer Liebden erleuchten, wie Petrus und Paulus. Das gebe Gott der Allmächtige, daß Euer Liebden das Wort Gottes dermaßen annehme, daß es Euer Liebden an Leib und Seele zugute komme. Quellennachweis Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, hg. v. Felician Gess. Bd. 2: 1525–1527. Nachdruck der bei B.G. Teubner erschienenen Originalausgabe Leipzig/Berlin 1917, Leipzig 1985, S. 45,11–46,29 (Nr. 813). Literaturhinweis Eckhart G. Franz: Landgraf Philipp der Großmütige: Fürst, Staat und Kirche im Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde. Bd. 109, Kassel 2004, S. 1–12. Richard Andrew Cahil: Philipp of Hesse and the Reformation, Mainz 2001. Jean-Yves Mariotte: Philipp der Großmütige von Hessen (1504–1567): fürstlicher Reformator und Landgraf, übersetzt von Sabine Albrecht, Marburg 2018. Gury Schneider-Ludorff: Der fürstliche Reformator. Theologische Aspekte im Wirken Philipps von Hessen von der Homberger Synode bis zum Interim, Leipzig 2006. Philipps-Universität Marburg (Hg.): Die Philipps-Universität zu Marburg: 1527–1927, Fünf Kapitel aus ihrer Geschichte (1527–1866), Marburg 2 1977. Barbara Bauer (Hg.): Melanchthon und die Marburger Professoren 1527–1627. (Schriften der UB Marburg. Bd. 89). 2 Bände, Marburg 2 2000.
Nr. 86
Ambrosius Blaurer: Bericht über seinen Klosteraustritt
Ambrosius Blarer (auch Blaurer) wurde am 4. oder 12. April 1492 in Konstanz geboren und verstarb am 6. Dezember 1564 in Winterthur. Als reformatorischer Theologe wirkte er in Konstanz, Württemberg und auf dem Gebiet der heutigen NordostSchweiz. Ambrosius stammte aus einer angesehenen Ratsfamilie und studierte ab 1505 in Tübingen. Er trat in die Benediktinerabtei von Alpirsbach im Schwarzwald ein. 1512 schloss er das Grundstudium mit der Promotion zum Magister Artium ab. Aus dieser Zeit rührt seine Freundschaft mit Philipp Melanchthon. Die Schriften Luthers erhielt er über seinen Bruder Thomas, der in Wittenberg studierte. Er
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wandte sich der Reformation zu und geriet bald in Konflikt mit seinem Konvent. 1522 verließ er das Kloster und kehrte nach Konstanz zurück. Seit 1523 stand er in Kontakt mit Huldrych Zwingli in Zürich, Johannes Oekolampad in Basel und Martin Bucer in Straßburg. 1533 heiratete er Katharina Ryff, eine Nonne aus Münsterlingen. Noch heute ist Ambrosius Blaurer in manchen Gesangbüchern präsent: Er schrieb zahlreiche Kirchenlieder, darunter Wach auf, wach auf, ’s ist hohe Zeit (EG 244).
Ich rufe Gott und mein eigenes Gewissen an, bei meiner Seele zu bezeugen, dass mich nicht Mutwillen oder unbegründete Ursachen aus dem Kloster getrieben und es zu verlassen gereizt haben – wie denn jetzt ein Geschrei auf der Gasse ist, Mönche und Nonnen liefen aus ihrem Orden aus Überdruss der klösterlichen Stille und Ruhe, damit sie in fleischlicher Freiheit leben und ihrem Mutwillen und der weltlichen Begierde Luft machen könnten –, sondern ehrenhafte, sehr große Beschwerden, untrüglicher Befehl meines Gewissens aufgrund der Anweisung des göttlichen Wortes. Und ich hoffe, dass die ganze Beschaffenheit und die Umstände meines Verlassens des Klosters nicht Leichtfertigkeit, Frevel oder irgendwelches ungeziemendes Vorhaben anzeigen, denn ich habe weder die Kutte noch die Kappe von mir gelegt, ausgenommen einiger Tage nach meinem Abschied wegen meiner Sicherheit, bis ich meine Zuflucht erreicht hatte. Ich bin auch weder in den Krieg noch mit einer hübschen Frau losgezogen, sondern ich habe mich unverzüglich, so schnell es mir möglich war, zu meiner viellieben Mutter und den Verwandten begeben, die ohne Zweifel christlichen Gemütes sind, sich in der Stadt Konstanz solcher Achtung und Ehrbarkeit erfreuen, dass sie mir zu keinem unbilligen Vorhaben geraten oder geholfen hätten […]. Als in den letztvergangenen Jahren die Schriften und Bücher Martin Luthers ausgingen und ruchbar wurden, sind sie auch mir in die Hände gekommen, ehe sie von geistlicher und weltlicher Obrigkeit verboten und verdammt wurden, die ich damals, wie auch andere neugedruckten Schriften, besehen und gelesen habe. Ich habe so die Freiheit gehandhabt, die uns der heilige Paulus gegeben und gegönnt hat, dass wir alle Dinge erproben und versuchen und danach das Gute, das wir finden, behalten und demselben anhangen sollten, 1. Thess. 5. Als mir aber anfangs diese Lehre etwas fremd und seltsam, auch uneins und entgegen der seit langer Zeit hergebrachten Theologie, kluger Scholastik, auch einigen Gesetzen und Ordnungen des päpstlichen geistlichen Rechtes, desgleichen alten und, wie mich damals dünkte, löblichen und von unseren Voreltern auf uns gekommenen Herkommen und Bräuchen vorkam und ich aber nichtsdestoweniger dabei deutlich merkte, dass dieser Mann überall in seiner Lehre helle und klare Sprüche der Heiligen Schrift anzog, nach denen dann alle anderen menschlichen Lehren gerichtet, beurteilt, auch angenommen oder verworfen werden sollten, trieb mich eine große Wissbegierde, diese Lehre nicht ein- oder zweimal, sondern oftmals fleißig und mit ernster Aufmerksamkeit zu lesen, zu erwägen und gegen evangelische und apostolische Schriften – auf die sie sich mehrmals beruft – zu halten, ob sie zu derselben stimmen und im Grunde mit ihr übereinstimmen wollten. Aber je mehr und je länger und fleißiger ich dies tat, desto mehr verstand ich, wie dieser hochgelehrte, erleuchtete Mann mit einer großen Würde die Heilige Schrift handhabt und behandelt, so ganz rein und sauber mit ihr umgeht, sie so klug und zierlich überall anzog, so bedächtig und geschickt miteinander vergleicht und verbindet, die dunklen, schweren Texte durch Heranziehen anderer klarer, verständlicher Sprüche erleuchtet und verständlich macht, dass er in der Handhabung der Schrift die größte Meisterschaft besitzt und zu einem recht gründlichen Verständnis die allerzuträglichste Hilfe ist, so dass auch jeder
Ambrosius Blaurer: Bericht über seinen Klosteraustritt
genug verständige Laie, der seine Bücher recht ansieht und sie fleißig liest, leicht begreifen kann, dass diese Lehre eine wahre, starke, ganz christliche Grundlage hat. Deshalb ist sie mir auch sehr lieb geworden und tief in mein Herz eingedrungen. […] Darum habe ich dann die obenerwähnte Lehre, wie sie in der klaren Schrift begründet ist, öffentlich und verborgen gehalten, gelehrt und so in christlicher Treue allen anderen, die nach dem göttlichen Wort Verlangen hatten, mit Nutz und Frommen für ihre Seelen, woran ich nicht zweifle, mitgeteilt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass sie ein wenig uneins und entgegen einigen alten Bräuchen und seit vielen Jahren gehaltenen Weise, Lehre und Satzung der Menschen war, denn Christus hat sich nicht Gewohnheit, sondern Wahrheit genannt. Er hatte auch den Befehl vom Vater, dass er unser Meister sein sollte, wie denn die Stimme vom Himmel herab uns befohlen hat, seinen gelobten Sohn zu hören und folglich allen anderen Lehren und Satzungen, die der Lehre seines Sohnes nicht zustimmen, fahrenzulassen, wie uns Christus selbst im Evangelium und in anderen apostolischen Schriften deutlich anzeigt. Als ich mir aber diesen richtigen Weg vornahm und nach Vermögen das heilige Evangelium lauter und rein lehrte, begegnete mir, was jetzt manchem hochverständigen, gelehrten, frommen Mann begegnet, dass einige vielleicht aus einfältiger, guter – denn ich will nicht urteilen –, jedoch unbegründeter Überzeugung einen Widerwillen und eine große Ungunst gegen mich fassten, als ob ich falsche, verführerische, unchristliche Lehre vorgelesen und gepredigt hätte, auch sonst etwas halten und verfechten wollte, dass, wenn es geduldet würde, zum Abfall von der Zucht der Regel und der Strenge des Ordens, zum Nachteil für das Gotteshaus und zum Aufruhr der Laien führe, obwohl ich doch ganz zurückhaltend war. Mein Vorhaben war allein, die Gewissen der mir Befohlenen frei zu machen von den unseligen Banden und der falschen Beachtung der Sünde bei der Übertretung menschlicher und im göttlichen Wort nicht begründeter Satzungen, von denen doch seit einigen hundert Jahren von ungelehrter, geistlicher Obrigkeit und habgierigen Pharisäern sehr viele erdacht und aufgerichtet worden sind, mit großer, unerträglicher Beschwerde des Leibes und der Seelen für ihre Befohlenen und Untertanen. […] Es hat aber niemand in dieser Sache Trotz geboten. Das Wort Gottes war stärker als Himmel und Erde und musste ewig bleiben. Wenn ich aber aus Gründen der Schrift eines anderen belehrt würde, wollte ich meinen Irrtum demütig erkennen, denselben als erster an den Orten und Enden widerrufen, wo ich ihn ausgebreitet und gepredigt hätte. Bei diesem Anerbieten ließen sie mich aus christlicher Erfordernis billig bleiben. Aber in summa, es vermochte mir alles nichts zu helfen. Man schickte mich nirgends hin, dass ich eines anderen belehrt würde. Man wollte auch niemand zu mir schicken. Es bekannten doch meine Väter und Brüder selbst, dass sie zu dieser Sache zu gering und nicht in der Lage wären, aus der Schrift mit mir zu verhandeln. Denn die gelehrtesten unter ihnen waren auch meiner Meinung. Sie sagten, sie wären gute, schlichte Brüder, ich aber wäre zum Lehren erzogen und sie obliege mir, deshalb wollten sie sich nicht mit mir messen. Nichtsdestoweniger wollten sie es mir aber nicht mehr gestatten und – wenn ich nicht davon abstehen wollte – mich mit Gewalt davon abhalten. Es wurde bei solchen Reden auch des Kerkers gedacht und mir damit gedroht, nämlich auch angesichts der päpstlichen Bulle und des kaiserlichen Mandates, in denen diese Lehre verboten und als verführerisch und ketzerisch ganz verdammt war. Ich achtete aber dessen alles nicht, sondern verharrte ganz mutig auf meinem Vorhaben und meinem Angebot. Ich wollte lieber in den Zorn und die Gewalt der Menschen fallen als in die Hand des starken, lebendigen Gottes. […] Als ich nun auf meinem wohlgegründeten Vorhaben freimütig allerwege beharrte und mich durch kein nur menschliches Verbot davon wegtreiben lassen wollte, wie ich aus christlicher Pflicht schuldig war, wuchs der Unwille meines Herren von Alpirsbach und einiger seines Konventes für und für, immer mehr und heftiger wider mich, und so fing das Schwert des göttlichen Wortes an zu schneiden und
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Uneinigkeit zu machen zwischen den Brüdern […]. Der Unfriede wurde täglich vermehrt, die klösterliche Ruhe untergraben und zerrüttet. Einer sagte, er wolle in dieser Ketzerschule nicht länger bleiben. Ein anderer sagte, die Lutherischen müssten aus dem Kloster oder er wolle hinaus. Der dritte gab vor, das Gotteshaus müsse üble Nachrede hören und zeitlichen Nachteil erleiden, da man glauben werde, sie wären alle meiner Meinung. Der vierte sprach vom Schlagen, der fünfte sonst etwas, so daß ich die Sache nicht länger ertragen, auch ohne Verletzung meines Gewissens in solcher Zwietracht nicht verharren konnte. […] Als mir auch dieses [ein unbezahlter Studienurlaub von zwei Jahren] von ihnen abgeschlagen wurde, was ich doch allein zum Vorteil für beide Parteien begehrt hatte, habe ich nichtsdestoweniger mein Herz und Gewissen keineswegs befrieden und zur Ruhe bringen können, sondern christlich gedacht, dass sich allerwege gebühre, Gott mehr als den Menschen gehorsam zu sein, dass auch seinem Gebot alle anderen Satzungen, Gelübde und selbst vorgenommenen Weisen Platz machen und weichen müssten. Ich bin also mit wohlüberlegter Absicht, mit einem weisen, gelehrten, hochverständigen und gottesfürchtigen, Herren und Freunden dienenden Vorrat an ganz guter, christlicher Überzeugung selbst aus dem Kloster entwichen, um größeren Irrtum und größere Uneinigkeit zu verhüten. Quellennachweis Ambrosius Blaurer: Warhafft verantwortnng Ambrosij Blaurer / an aynen ersamen weysen Rat zu Costenz /anzaygend warumb er auß dem kloster gewichen / vnd mit was geding er sich widerumb / hynein begeben wöl. 1523. Aiija-b; Aiijb-d; Biiijb-C(i)b; Diija-D(iiij)b. Mit geringfügigen Veränderungen und Auslassungen folgen wir der Version in: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 178–185. Literaturhinweis Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blarer 1509–1548, hg. v. der Badischen Historischen Kommission, bearb. v. Traugott Schieß. Bd. 1: 1509–Juni 1538, Freiburg im Breisgau 1908. Hermann Ehmer: Ambrosius Blarer und Gerwig Blarer. Zwei Benediktiner in den Entscheidungen der Reformationszeit, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 86 (1986), S. 196–214. Bernd Moeller (Hg.): Der Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer: 1492–1564. Gedenkschrift zu seinem 400. Todestag, Konstanz/Stuttgart 1964. Thomas Kaufmann: Reformatoren. Göttingen 1998, S. 71 f. Hermann Ehmer: Konstanz – Ambrosius, Margarete und Thomas Blarer, in: Michael Welker u. a. (Hg.): Europa reformata. Reformationsstädte Europas und ihre Reformatoren, Leipzig 2016, S. 195–204.
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Die Wittenberger Bewegung
Nach der Verhängung der Reichsacht wurde Luther auf der Wartburg in Eisenach festgesetzt. In Wittenberg sollte die Reformation dennoch weitergehen. Orientierung gaben zunächst Luthers reformatorische Hauptschriften des Jahres 1520. Deren Forderungen sollten nun praktisch umgesetzt werden. Dies galt insbesondere für die Einführung einer deutschsprachigen Gottesdienstordnung unter Abschaffung der mit dem Messopferverständnis verbundenen Riten und Gewänder, die Aufhebung des Zölibats für Priester und die Abschaffung der Mönchsgelübde. Ab Mai 1521 heirateten mehrere Angehörige des Priesterstandes. Luther begrüßte diese Entwicklung. Im Blick auf die Mönchsgelübde erhoben Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, und Philipp Melanchthon die Forderung nach deren Aufhebung. Nachdem Gabriel Zwilling im Oktober 1521 heftig gegen die verpflichtenden Gelübde gepredigt hatte, verließen 15 von 40 Augustinern das Kloster. Daraufhin ließ Luther seine Schrift „De votis monasticis … iudicium“ (Über die Mönchsgelübde … Urteil) drucken. Darin hob er auf die Freiheitsverheißung des Evangeliums ab. Ein Gelübde sei dann nicht gültig, wenn es gegen die evangelische Freiheit verstoße. Von daher plädierte Luther für eine temporäre Verpflichtung, welche die Freiheit nicht beschränkt. Zur gleichen Zeit wurden in Wittenberg die privaten Messen abgeschafft, die Beichte teilweise für unnötig erklärt und die Einhaltung der Fastengebote freigegeben: Sie können das Heil des Menschen nicht herbeiführen. Literaturhinweis Natalie Krentz: Ritualwandel und Deutungshoheit: Die frühe Reformation in der Residenzstadt Wittenberg 1500–1533, Tübingen 2014. Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation, Frankfurt am Main/Leipzig 2009, S. 300–364. Irene Dingel u. a. (Hg.): Initia Reformationis: Wittenberg und die frühe Reformation, Leipzig 2017.
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Die Wittenberger Bewegung
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Wittenberger Unruhen
Nr. 87
Ordnung des gemeinen Beutels zu Wittenberg (1521)
Seit der Jahrhundertwende wurden Fragen der sozialen Sicherheit und Armenfürsorge immer stärker diskutiert. Mit den Prozessen der Reformation wurden diese Reformanliegen nicht hervorgerufen, aber umfassend aufgenommen und verstärkt. In einer beeindruckenden Zahl entstanden seit den Zwanzigerjahren des 16. Jahrhunderts zahlreiche Ordnungen vor allem für städtische Gemeinden. Früh verbanden sich die sozialpflegerischen Initiativen auch in Wittenberg mit reformatorischen Initiativen. Noch während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg erließ der Rat der Stadt 1521 eine Armenordnung, die sogenannte „Ordnung des Gemeinen Beutels“. Entworfen hatte sie Martin Luther, und zwar noch vor seiner Reise zum Wormser Reichstag. An einem geschützten Ort in der Pfarrkirche sollten mehrfach gesichert die Einnahmen aus Almosen, Bettel und anderen Zustiftungen verwahrt werden. Das bereits vor den reformatorischen Anfängen existierende Sozialwesen wurde effizienter gestaltet und über die Spitalfürsorge und eine gemeinsame Armenspeisung allen bedürftigen Menschen der Stadt zugänglich gemacht. Zugleich wurde das Betteln von ortsfremden und durchreisenden Menschen verboten. Diese frühe Ordnung von 1521 floss in die bekanntere Kastenordnung von 1522 für Wittenberg und 1523 in die Leisniger Kastenordnung ein. Sie hatte für zahlreiche Regelungen Vorbildcharakter.
Ordnung des Gemeinen Beutels zur Erhaltung von Haus- und anderen armen bedürftigen Leuten, bei uns in Wittenberg aufgerichtet. Wie es damit gehalten werden soll: Erstens soll ein Kasten mit drei Schlössern wohl gesichert in die Pfarrkirche an einen sichtbaren Ort gestellt werden, in den das eingenommene Geld oder was sonst erbettelt wurde, eingeworfen werden soll. Zum anderen soll die andere Tafel, welche in der Pfarrkirche umhergetragen wurde und zuvor allein dem Hospital zugute kam, hinfort für alle gebrechlichen, notdürftigen Personen in der Gemeinde gebraucht werden, aber so, dass die Armen im Spital nach Erkenntnis der Vorsteher des Gemeinen Beutels nicht vergessen werden. Zum Dritten mag dieselbe Tafel wöchentlich in der Pfarrkirche umhergetragen werden, sooft das Volk zur Andacht versammelt ist, ungeachtet der Tatsache, dass ohne dieselbe das Bitten und Fordern allein an hochzeitlichen Festen neben anderen Tafeln gestattet ist. Zum Vierten ist vonnöten, dass dem Gemeinen Beutel diese Vorsteher vorgeordnet werden, welche in der Stadt kundig sind und um Vermögen, Wesen, Stand, Herkommen und Redlichkeit der armen Leute wissen. Auch sollen sie unter denselbigen unterscheiden können, ob sie zur Arbeit geschickt wurden oder müßig gehen. Sie sollen auch nicht aufgrund von Liebe und Hass richten, sondern allein die Notdurft bemessen, damit nicht die Müßigen vor die Arbeitsamen gestellt werden, die Unehrlichen und Unzüchtigen nicht vor diejenigen, die durch Kinder aufgehalten sind und sich dennoch ehrenhaft ernähren wollten, wie sie es nach ihrem Vermögen zu Wege bringen können. Darum ist für gut anzusehen, dass der regierende Bürgermeister
Ordnung des gemeinen Beutels zu Wittenberg (1521)
immer vier redliche, wohlhabende und getreue Bürger aus der Gemeinde beauftragt, die man aus den vier Vierteln der Stadt wählen soll und die sich bei ihren Ratsfreunden und anderen – ihren Nachbarn – nach Anliegen und Notdurft der armen, gebrechlichen und bedürftigen Leute erkundigen sollen, damit sie denen zu Hilfe, Rettung und Trost von dem Gemeinen Beutel nach ihrem besten Verständnis geben. Zum Fünften sollen die aus den vier Vierteln, die dazu von den drei Räten abgeordnet wurden, zwei Schlüssel und der regierende Bürgermeister einen haben. Und von ihren Einnahmen und Ausgaben dem Neuen [Bürgermeister] neben den drei Räten und dem Pfarrer vollständig Rechenschaft ablegen, damit aller Argwohn vermieden werde. Und zur gleichen Zeit soll über diese begonnenen Werke eine Befragung stattfinden und Rechenschaft abgelegt werden, dass stattlich erhalten und fruchtbringend ausgeteilt wurde. Wo es auch im Ermessen des Dreier-Rats und des Pfarrers angebracht sein wird, andere Vorsteher einzusetzen, da sollen sie auch Macht haben. Zum Sechsten soll der Rat auf der Hut sein, dass die Jakobs Brüder,247 Ternisten,248 und andere Streicher nicht hereingelassen werden, sondern nur die Unseren, die sich bei uns mit Arbeit und anderen redlichen Taten erhalten. Desgleichen mag man die Zahl der Terminierer,249 die unsere Einfältigen zu Testamenten überreden und sonst das Volk mit Betteln belästigen, mit gutem Gewissen vermindern und mäßigen, denn Gott Lob, wir haben Priester genug bei uns. Zum Siebenten sollen die aus den vier Vierteln verpflichtet sein, den Bürgermeister in diesen Sachen am Sonntag nach der Predigt zu besuchen, um bei ihm an gelegenem Ort zu beratschlagen, wem von dem Gemeinen Geld in derselben Woche etwas vorgestreckt oder um Gottes Willen gereicht werden soll. Sie sollen die hausarmen Leute selbst versorgen, um ihre Armut und Entbehrung zu erforschen und nicht ausharren, bis sie entzwei liegen und von der äußersten Not gepackt sind. Denn es sind viele zugegen, die sich des Bittens schämen und doch des Almosens bedürftig sind. Zum Achten, wenn es so viel von der Darreichung frommer christlicher Leute durch seine Gnade beschert gibt, wie es uns erscheinen muss, so ist es möglich, dass man einen Vorrat an Korn schaffen kann. Die Vorsteher sollen dann in wohlfeilen Jahren dasselbe einkaufen und es im Spital lagern, damit man den Armen in schweren Nöten zur Sättigung verhelfen kann. Den Habenden gegen Entgelt, den Kranken und Schwachen, die es nicht bezahlen können, um Gottes Willen. Hierin sollen immer die Erkenntnisse der Vorsteher vorgehen und eines jeden Vermögen soll ermessen werden. Ebenso soll man mit dem Holz im Sommer verfahren, damit die Armen im Winter vor Frost gerettet werden. In Sterbenszeiten soll man den Armen Pflege und Versorgung an einem abgesonderten Ort, von anderen Leuten entfernt gelegen, zukommen lassen, dieses und anderes soll dann der Beherzigung und Sorgfältigkeit der Vorsteher unterstehen. Ebenso soll es auch mit den Unwürdigen gehalten werden; alles Gott und allen Heiligen zu Ehren und zu der Liebe, die ein jeder für den anderen empfinden soll.
247 Mit besonderen Privilegien und Schutzmaßnahmen ausgestattete Pilger auf dem Jakobsweg. 248 Tertiarier, Menschen die nach der „dritten Regel“ eines Ordens in Gemeinschaft oder auch in klösterlicher Observanz lebten. Besonders bei den Franziskanern verbreitet. 249 Für einen bestimmten Sammelbezirk verordnete Angehörige der Orden.
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Die Wittenberger Bewegung
Quellennachweis Hans Lietzmann (Hg.): Die Wittenberger Beutelordnung, in: Kleine Texte für theologische und philologische Vorlesungen und Übungen. Bd. 21, Bonn 1907, S. 4–6. Wiederabgedruckt bei Theodor Strohm und Michael Klein (Hg.): Die Entstehung einer sozialen Ordnung Europas. Bd. 2: Europäische Ordnungen zur Reform der Armenpflege im 16. Jahrhundert, Heidelberg 2004, S. 15–17. Literaturhinweis Robert Jütte: Arme, Bettler, Beutelschneider. Eine Sozialgeschichte der Armut in der Frühen Neuzeit, Weimar 2000. Stefan Oehmig: Medizin und Sozialwesen in Mitteldeutschland zur Reformationszeit, Leipzig 2007. Anneliese Sprengler-Ruppenthal: Zur Entwicklungsgeschichte der reformatorischen bzw. reformierten Kirchen- und Armenordnungen, in: Theodor Strohm/Michael Klein: Die Entstehung einer sozialen Ordnung Europas. Bd. 1: Historische Studien und exemplarische Beiträge zur Sozialreform im 16. Jahrhundert, Heidelberg 2004.
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Karlstadt: Bericht über die Klosterauflösung in Wittenberg
Unter dem Einfluss von Johann von Staupitz sowie der intensiven Diskussionen in der theologischen Fakultät der Leucorea veränderte Andreas Bodenstein von Karlstadt seine theologische Position. Sein nachfolgender Bericht über die Wittenberger Unruhen stammt von Februar/März des Jahres 1522 und ist von deutlicher Sympathie für die Maßnahmen geprägt. Allerdings lehnt er noch eine radikale Durchsetzung reformatorischer Grundsätze ohne Zustimmung des Magistrats ab. Zugleich unterstützt er mit seinem Sendbrief die Auflösungserscheinungen in den Klöstern. Ferner, der Propst zu Wittenberg250 hat eine Felckin zur Ehe genommen. Ein Barfüßermönch ist ein Schuster geworden und hat eines Bürgers Tochter genommen. Ein anderer Barfüßer ist ein Bäcker geworden und hat eine Frau genommen. Ein Augustiner ist ein Schreiner geworden und hat eine Frau genommen. Doktor Feldkirch251 hat seine Köchin genommen.
250 Justus Jonas wurde im Januar 1521 zum Propst der Wittenberger Schlosskirche bestellt. Bereits im April begleitete er Luther nach Worms und vollzog den Anschluss an die Wittenberger Reformation. Weitere Informationen siehe Nr. 188 sowie Irene Dingel (Hg.): Justus Jonas (1493–1555) und seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation, Leipzig 2009. 251 Johann Dölsch wurde um 1486 in Feldkirch geboren und verstarb bereits am 21. Juli 1523 in Wittenberg. Nach anfänglichen Studien in Heidelberg zog er gemeinsam mit Bartholomäus Bernhardi nach Wittenberg und schrieb sich dort am 23. Mai 1504 ein. Das Studium der freien Künste schloss er 1506 als Magister ab, und kehrte nach Erhalt der Priesterweihe Anfang 1507 in seine Heimatstadt zurück. Allerdings kehrte er im Herbst wieder an die Universität und wurde 1509 in die Artistenfakultät
Karlstadt: Bericht über die Klosterauflösung in Wittenberg
Der Rat zu Wittenberg hat den Barfüßern und Augustinern gesagt, sie sollen die Klöster vor Mittfasten [30. März] räumen. Und sie haben alle Kleinodien im Kloster aufgezeichnet. Alle Dirnen sind vertrieben. Lebt einer in der Unehe, muß er sie ehelichen oder fahrenlassen. Der Rat hat vierzehn Männer eingesetzt und verordnet, die sollen alle armen Leute davon unterrichten; der Rat gibt denen von den Geistlichen einem jeglichen nach seiner Notdurft, einem alten Priester sechs Gulden, ein junger soll ein Handwerk lernen. Einer ist noch bei der Stadt Salzhändler geworden. Ferner, Herr Konrad [Ruppsch],252 meines gnädigen Herren Sänger, hat alle seine Lehen verlassen. Herr Paulus [Knod],253 Domherr zu Wittenberg, der Sänger gewesen war, hat alle seine Lehen verlassen. Der Pfarrer in der Stadt254
aufgenommen. Er graduierte weiter in der theologischen Fakultät und wurde 1510 zum Stiftsherrn der Schlosskirche gewählt. Im Wintersemester 1516/17 diente er als Rektor der Universität und las zugleich aristotelische Philosophie „secundum viam Scoti“, also nach der Weise des Duns Scotus und gehörte damit zur „via antiqua“ der scholastischen Philosophie. 1520 wurde er noch einmal Dekan der philosophischen Fakultät, promovierte aber erst 1521 zum Doktor der Theologie. Noch im Sommer wurde er als ordentliches Mitglied in die theologische Fakultät aufgenommen, zum Kustos der Schlosskirche und im Winter 1521 zum Dekan der Theologischen Fakultät gewählt. 1520 wurde er trotz seiner Sympathien für die Reformation als Domprediger nach Bamberg berufen. Weitere Hinweise bei Friedrich Kropatscheck: Johannes Dölsch aus Feldkirch. Professor in Wittenberg. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte in ihren Anfängen, Greifswald 1898 (http://www.martinluther.dk/kropat-doelsch.htm letzter Zugriff am 10.12.2020), und: Jens-Martin Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522, Mainz 2002. 252 Konrad Rupff (auch Conrad Rupsch) wurde um 1475 in Kahla geboren und verstarb im Juli 1530 in Torgau oder Altenburg. Er war ein deutscher Sänger und Kapellmeister. Rupff gehörte seit 1491 der kursächsischen Hofkapelle an. 1505 wurde er zum Priester geweiht. Als Hofkapellmeister berief er 1517 Johann Walter zum Bassisten der Hofkapelle. Im Jahr 1522 heiratete er Ell von Dohlenstein, die Tochter eines kurfürstlichen Musikers. Konrad Rupff arbeitete auf Wunsch des Kurfürsten mit Luther und Walter eine deutsche Messe aus, die am 29. Oktober 1525 erstmalig in der Stadtkirche gesungen wurde. 253 Paul Knod wurde in Eger geboren und diente zunächst in der Kantorei am Hofe Maximilians I. 1501 wechselte er in die Hofkapelle Friedrich III. von Sachsen. 1513 wurde er Priester an der Schlosskirche und erhielt 1516 ein Altarlehen an der Torgauer Schlosskirche, das er 1522 zurückgab. 1523 heiratete er in Wittenberg. Nach Auflösung der Hofkapelle unter Johann von Sachsen wirkte er als Schreiber der kurfürstlichen Visitation mit. Knod starb am 9. Oktober 1545 in Wittenberg. Vgl. Heinz Scheible (Hg.), MBW XII: Personenregister F–K, Stuttgart/Bad Cannstadt 2005, S. 431 f. 254 Simon Heins (auch Bruck oder Pontanus genannt), wurde um 1483 in Brück im Kurfürstentum Sachsen geboren und verstarb vor dem 25. September 1523 in Wittenberg. Er immatrikulierte sich im Wintersemester 1502 in Wittenberg und absolvierte das Studium der Artes liberales. Nach einem Wechsel an die Universität Frankfurt (Oder) kehrte er 1507 dauerhaft nach Wittenberg zurück. 1508 wurde er zum Magister der freien Künste promoviert und im Folgejahr in den Senat der philosophischen Fakultät aufgenommen. 1510 übernahm er die Professur für Logik (nach Thomas von Aquin; via antiqua). 1512 wählte man ihn zum Konventor der Universität und im Sommersemester 1513 zum Dekan der philosophischen Fakultät. 1515/16 wurde er zum Stadtpfarrer der Wittenberger Stadtkirche berufen, im gleichen Jahr erwarb er den ersten theologischen Grad. Neben Andreas Bodenstein und Justus Jonas dem Älteren beteiligte er sich am 25. Dezember 1521 an der Ausgabe des Abendmahls in beiderlei Gestalt. Aufgrund seiner schwächlichen Konstitution sah er sich jedoch von den Wirren der Wittenberger Bewegung überfordert und legte seine Ämter nieder. Der sächsische Kanzler Gregor Brück war sein
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hat alle seine Lehen verlassen, ebenso die Pfarrherrn und andere treffliche Herren, die mir unbekannt sind. Die Pfarrkirche ist alle Tage zu, nur am Sonntag hält man eine deutsche Messe darinnen und predigt. Und das Volk geht sehr zum hochwürdigen Sakrament und nimmt es selbst auf dem Altar ein und nimmt den Kelch selbst in die Hand und trinkt das Blut Christi. Zu Lochau hält unser Bischof255 in der Pfarrkirche deutsche Messe, und das Volk nimmt das Abendmahl auch unter beiderlei Gestalt. Sie nehmen es auch in beiderlei Gestalt vom Altar. Desgleichen hat man zu Jessen, zu Schmiedeberg, Eilenburg und Herzberg am Sonntag nach Valentini [16. Februar] angefangen. Am Sonntag nach Valentini ist ein fremder Priester bei den Barfüßern in der Predigt gewesen und hat mit lauter Stimme gerufen: „Herr domine, sagt uns von dem Evangelium!“ Das ist noch ein zweites Mal geschehen. Danach ist der Mönch von der Kanzel gegangen. Zu Schlieben256 hat der Pfarrer gepredigt. Da sagte ein Student von Wittenberg: „Liebes Volk, er lügt und legt die Heilige Schrift falsch aus.“ Da ist er ins Gefängnis gesetzt worden. Er hat sich erboten, mit dem Pfarrer zu disputieren. Da hat der Student recht behalten und den Pfarrer überwunden. Mönche und Pfaffen lassen ihre Platten257 verwachsen und nehmen Frauen. Quellennachweis Müller, Nikolaus: Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt, Leipzig 2 1911, S. 209–211 (Nr. 101). Der Text folgt mit Veränderungen und Anmerkungen: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 212 f.
jüngerer Bruder. Vgl. Heinz Scheible (Hg.): Melanchthons Briefwechsel (MBW) Bd. 11: Personen A–E, o. O. 2004, S. 223. 255 Gemeint ist Franz Günther. Er wurde in Nordhausen geboren – ein Datum ist nicht bekannt – und verstarb im September 1528 in Lochau. 1512 wurde er als Baccalaureus artium in Erfurt promoviert und immatrikulierte sich am 13. Mai 1514 in Wittenberg. Dort promovierte er im Januar 1516 zum Magister Artium. Luther ließ ihn am 21. September 1517 eine Reihe von Thesen gegen die scholastische Theologie verteidigen. Damit wurde er zum Baccalaureus biblicus promoviert und erhielt das Recht, theologische Vorlesungen über die Bibel zu halten. Weitere Graduierungen in der theologischen Fakultät zu Wittenberg folgten. Bereits um die Jahreswende 1518/1519 predigte Franz Günther an der Nikolaikirche zu Jüterbog polemisch gegen die Äbtissin des dortigen Zisterzienserinnenklosters. Der zuständige Propst verklagte ihn daraufhin beim Bischof von Brandenburg. Durch Luther vermittelt, gelangte Franz Günther auf eine Pfarrstelle in Lochau. Wann er die Priesterweihe empfing, ist nicht bekannt. Ab 1521 firmierte er als Bischof. Bei einer Visitation durch den Bischof von Meißen 1522 wurde die evangelische Amtsführung Günthers gerügt. Das hatte allerdings keine Folgen. Weitere Daten bei Siegfried Bräuer/ Manfred Kobuch (Hg.): Thomas Müntzer Briefwechsel, Leipzig 2010, S. 27–29. 256 Die heutige Stadt Schlieben liegt in Südbrandenburg. Der Ort besaß eine Superintendentur und gehörte zum Kurkreis. Vgl. auch: Die Registraturen der Kirchenvisitationen im ehemals sächsischen Kurkreise, hg. von d. Hist. Kommission für die Provinz Sachsen u. das Herzogtum Anhalt, bearb. von Karl Pallas, Bd. 1, Halle 1906. 257 Tonsuren.
Johannes Mathesius: Bericht über seine Anfänge in Wittenberg
Nr. 89
Johannes Mathesius: Bericht über seine Anfänge in Wittenberg
Der folgende Bericht gibt einen hervorragenden Eindruck von der Studiensituation in Wittenberg unter dem Einfluss der humanistischen Reformen und dem Beginn reformatorischer Lehre. Zur Biografie des Johannes Mathesius siehe Nr. 46.
Mit Freuden gedenke ich noch der ersten Predigt, dazu ich in Wittenberg aus Gnaden gekommen bin. Hernach bin ich Gott sei Lob das ganze Jahr über dergleichen viel lehrhafter und tröstlicher Predigten und Lektionen in beiden Kirchen wie in der Schulen teilhaftig geworden; denn weil Doktor Johann Pommer258 Pfarrherr zu Wittenberg, zur Anrichtung der Kirchen und Schulen im Land Sachsen verordnet und deshalb abwesend war, hielt unser Doktor [gemeint ist Martin Luther] wöchentlich drei oder vier Predigten, in denen er die Sonntagsevangelien, St. Johannem den Evangelisten und das 19. und 20. Capitel des zweiten Buches Mosis christlich und weislich auslegte, wobei er einmal am St. Jacobstage die Legende vom hl. Christoffel lieblich auf alle Prediger und Christenleute bezog, die Jesum Christum in ihrem Herzen und in ihren Armen trügen und ihr Gewissen bewahrten, den Leuten hülfen, und darüber lauter Undank von der Welt und ihren falschen Brüdern verdienten. Dieses Jahr habe ich auch zum erstenmal den Katechismus neben viel tröstlichen Lehren in der Schloßkirche von Dr. Justus Jonas259 und den drei Diakonen Magister Georg Rörer,260 Johann Mantel261 und Sebastian Fröschel262 hören auslegen. Wie die Pfarr- und Schloßkirche sehr wohl bestellt war und das Wort Christi weislich in guter Einigkeit gelehrt wurde und viel Frucht schaffte, so stand auch die hohe Schule in höchsten Würden. Vom Doktor habe ich ungefähr in vierzig Wochen die 22 letzten Capitel des Propheten Jesaias hören auslegen und bin aus dieser Lektion oftmals voller Trost und Freude heimgekommen. Vom Herrn Philippus, dem treuen und fleißigen Professor, habe ich diese kurze Zeit gehört ein Stück von Ciceros Orator und die schöne lateinische Rede pro Archia, und das Jahr über die ganze Dialektik, die er uns von neuem diktierte, samt der Rhetorik. Vormittags erklärte dieser große Mann die Epistel an die Römer, am Mittwoch las er von ehrbarer Zucht und Tugend aus Aristoteles’ Ethik, überdies disputierte oder deklamierte
258 Johannes Bugenhagen (1485–1558) nach seiner Herkunft „Doctor Pomeranus“ genannt. Vgl. Nr. 141. 259 Vgl. Nr. 188. 260 Georg Rörer (* 1. Oktober 1492 in Deggendorf; † 24. April 1557 in Jena) kam 1522 nach Wittenberg und wurde 1525 zum Diakon an der Stadtkirche ordiniert. Es dürfte die erste evangelische Ordination gewesen sein. Seine regelmäßigen Mitschriften von Luthers Predigten und öffentlichen Verlautbarungen führten dazu, dass Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen 1537 ihn offiziell mit der Dokumentation von Luthers reformatorischem Schaffen beauftragte. Gemeinsam mit Cruciger sorgte er 1539 für den Druck des ersten Bandes der Wittenberger Lutherausgabe. Wegen seiner Eingriffe in die Texte wurde er später heftig kritisiert. Vgl. Stefan Michel/Christian Speer (Hg.): Georg Rörer (1492–1557). Der Chronist der Wittenberger Reformation (LStRLO 15), Leipzig 2012. 261 Johann Mantel wurde um 1495 in Cottbus geboren und verstarb um 1542 ebendort. Mantel floh 1523 aus klösterlicher Obhut nach Wittenberg und wurde als Lektor an der Stadtkirche 1525 eingestellt. Nach kurzer Zeit in Mühlhausen kehrte er 1527 nach Wittenberg zurück. 262 Vgl. Nr. 58.
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man alle Wochen.263 Herr Johann Bugenhagen legte die Epistel an die Corinther aus,264 Doktor Jonas etliche Psalmen.265 Aurogallus266 las seine hebräische Grammatik und den 119. Psalm. Magister Franz von Weimar267 las Griechisch, Tulichius268 Ciceros officia,269 Magister Vach den Vergil,270 der alte Magister Volmar die Theorie der Planeten,271 Magister
263 Vgl. Nicole Kuropka: Philipp Melanchthon: Wissenschaft und Gesellschaft. Ein Gelehrter im Dienst der Kirche (1526–1532), Tübingen 2002. 264 Bugenhagen las die ersten vier Kapitel während der Pestzeit 1527/28, die er mit Luther in Wittenberg verblieb, um seine Gemeinde und die Studierenden in der Not nicht zu verlassen. Noch einmal las er über den 1. Korintherbrief 1530 während Luthers Abwesenheit auf der Coburg und den Verhandlungen in Augsburg. Bereits vorher waren seine Anmerkungen zu den paulinischen Briefen gedruckt worden: Annotationes in Epistolas Pauli XI, posteriores, Nürnberg 1524, Straßburg 1524, Basel 1524. 265 Justus Jonas hielt diese Vorlesungen wohl 1529. 266 Matthäus Aurogallus (latinisierter Geburtsname Goldhahn) wurde um 1490 in Komotau geboren und verstarb am 10. November 1543 in Wittenberg. Seit 1519 wirkte er als Lehrer für alte Sprachen (Latein, Griechisch, Hebräisch) an der Universität. Er war intensiv an der Bibelübersetzung Martin Luthers beteiligt. 267 Möglicherweise Franz Burchart, der als einziger Weimarer in der Matrikel vor 1535 den Vornamen Franz trägt (eingetragen als „Franciscus Borchardus de Bimaria magun. Dioc.“ im Jahr 1520 und mit der Nr. 102 in der Matrikel versehen). Er wurde am 4. Februar 1524 zum Magister Artium promoviert und übernahm 1530 die Griechisch-Professur. Im Wintersemester 1532 diente er als Rektor der Universität. Für diese Hinweise danken wir Herrn Patrick Schiele MA, der das DFG-Projekt einer Wittenberger Matrikeldatenbank zwischen 1502 und 1650 (https://www.civ-online.org/de/service/startseite/, letzter Zugriff am 10.12.2020) betreut. 268 Hermann Tulichius (Tulich) wurde um 1486 in Steinheim (Bistum Paderborn) geboren und verstarb am 28. Juli 1540 in Lüneburg. Nach dem Schulbesuch in Münster, unter anderem beeinflusst von dem niederländischen Humanisten Johannes Murmellius (1480–1517), studierte er ab 1508 in Wittenberg und wechselte 1512 nach Leipzig. Am 9. Februar 1520 wurde er in Wittenberg zum Magister promoviert und erhielt 1522 eine Professur in der Artistischen Fakultät. Weil er die mit einer Pfründe am Allerheiligenstift verbundene bischöfliche Weihe ablehnte, geriet er in wirtschaftliche Not und ging als Leiter der Schule nach Eisleben. Dort verantwortete er die erste deutsche evangelische Schulordnung. Im Oktober 1525 wurde er nach Wittenberg an die Universität zurückberufen und wirkte im Wintersemester als Rektor. 1532 wählte ihn das Kollegium des Johanneums in Lüneburg zum Rektor. Auch dort wirkte er durch sein pädagogisches Geschick und initiierte eine Reform der Schulordnung. Vgl. Karl Friedrich Ernst Koldewey: Tulichius, Hermann, in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Bd. 38, Leipzig 1894, S. 777–781. 269 Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) schrieb mit De officiis (Von den Pflichten) sein Standardwerk des ethischen Handelns im Jahre 44, kurz vor seinem Tod. Er behandelt darin die Pflichten des täglichen Lebens, insbesondere die von politischen Verantwortungsträgern. 270 Balthasar Fabricius; vgl. Anm. 209 und 218. 271 Volmar (geboren in Villinigen, Studium in Krakau und seit 1514 in Wittenberg, verstorben im Mai 1536) war der erste Inhaber des 1525 geschaffenen Lehrstuhls für Höhere Mathematik; er war der akademische Lehrer des Johann Joachim von Leuchen (Rheticus) (1514–1574). Vgl. sein Werk: Practica Wittenbergensis Teütsch Magistri Johan[n]is Volmar, nach der geburt Christi auf Tausentfünffhundert und vier und zwanzig jar, Nürnberg 1532.
Johannes Mathesius: Bericht über seine Anfänge in Wittenberg
Mülich die Speram. Mag. Creuziger272 las im Pädagogium den jungen Studenten den Terenz. So waren die Privatschulen trefflich bestellt. M. Winsheim,273 M. Kilian Goldstein,274 M. Auerbach275 und M. Erasmus Reinhold,276 bald hernach auch M. Marcellus,277 Herr Georg Major278 und M. Eberus279 hielten ihre Discipel gleichfalls in guter Zucht und repetierten
272 Caspar Cruciger (* 1. Januar 1504 in Leipzig; † 16. November 1548 in Wittenberg) studierte nach dem Schulbesuch an der Universität seiner Geburtsstadt und erwarb humanistisches Wissen. 1521 siedelte er nach Wittenberg um und studierte Theologie. Ab 1524 lehrte er an der philosophischen Fakultät und ging 1525 als Rektor und Prediger der Johannisschule nach Magdeburg. 1528 kehrte er als Professor für Theologie und als Prediger in der Schlosskirche nach Wittenberg zurück. 1533 graduierte er zum Doktor der Theologie und übernahm eine theologische Professur. Er gehörte zu den wichtigen Mitarbeitern an Luthers Bibelübersetzung. und hat selbst wichtige, jedoch bisher kaum beachtete Verdienste um die Bibelauslegung erworben. Als Sekretär nahm er auch an den Reichsreligionsgesprächen teil. Vgl. hierzu: Irene Dingel/Armin Kohnle (Hg.): Die Crucigers: Caspar der Ältere, Caspar der Jüngere und Elisabeth Cruciger in ihrer Bedeutung für die Wittenberger Reformation, Leipzig 2021. 273 Veit Winsheim (* 1. August 1501 in Windsheim; † 3. Januar 1570 in Wittenberg) war ein humanistischer Philologe und Mediziner. Ab August 1523 an der Universität Wittenberg, absolvierte er Studien bei Philipp Melanchthon. Zu seinem Lebensunterhalt trug eine Privatschule in Wittenberg bei, auf die Mathesius im vorliegenden Text anspielt. Vgl. Heinz Kathe: Die Wittenberger Philosophische Fakultät 1502–1817 (= Mitteldeutsche Forschungen. Bd. 117), Köln/Weimar/Wien 2002. 274 Kilian Goldstein (* 25. März 1499 in Kitzingen; † 25. Januar 1568 in Halle [Saale]) stammte aus einer angesehenen fränkischen Familie. Er studierte ab 1515 an der Universität Leipzig und setzte das 1521 an der Universität Wittenberg fort. Nach der Graduierung wurde er im Oktober 1528 in den Senat der philosophischen Fakultät aufgenommen. Zugleich unterhielt er eine Privatschule für jüngere Studenten. 275 Heinrich Stromer (* um 1476 in Auerbach in der Oberpfalz; † 25. November 1542) war Professor und Rektor der Leipziger Universität. Er praktizierte auch als Arzt und fungiert als Namensgeber (Gründer) des Weinlokals Auerbachs Keller. 276 Erasmus Reinhold (* 22. Oktober 1511 in Saalfeld/Saale; † ebendort am 19. Februar 1553) studierte ab dem Wintersemester 1530/31 an der Universität Wittenberg. 1535 erwarb er den Magistergrad und erhielt ein Jahr eine Professur für Mathematik. Er vertrat die Lehren von Nikolaus Kopernikus. Mehrere Male diente er als Dekan und im Wintersemester 1549/50 als Rektor der Leucorea. 277 Johannes Marcellus genannt Regiomontanus (* 1510 im unterfränkischen; † 25. Dezember 1551 in Wittenberg) war ein deutscher Philologe und humanistischer Poet. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Mathematiker Johannes Regiomontanus (1436–1476). Nach dem ersten Studium an der Universität Erfurt, unter anderem bei Helius Eobanus Hessus, schrieb er sich im November 1528 an der Universität Wittenberg ein. Hier wurde er 1534 zum Magister Artium promoviert und 1537 in die philosophische Fakultät aufgenommen. 278 Georg Major lebte vom 25. April 1502 (Nürnberg) bis zum 28. November 1574 (Wittenberg). Seit 1511 studierte er in Wittenberg und wurde später gleichermaßen zum Schüler Martin Luthers und Philipp Melanchthons. Ein Streit um die Bedeutung von guten Werken im Zusammenhang der auf die Rechtfertigung folgenden Heiligung nahm er gegenüber von Nikolaus von Amsdorf eine pragmatischere Position ein. Vgl. Daniel Bohnert/Markus Wriedt: Theologiae Alumni Vitebergenses. Die graduierten Absolventen der Wittenberger Theologischen Fakultät (1502–1648), Leipzig 2020, S. 334–339. 279 Paul Eber (* 8. November 1511; † 10. Dezember 1569 in Wittenberg) aus Kitzingen besuchte die Lateinschule in Ansbach und später das Egidiengymnasium in Nürnberg. Zum 1. Juni 1532 immatrikulierte er sich an der Universität Wittenberg. Vgl. Daniel Gehrt/Volker Leppin (Hg.): Paul Eber (1511–1569). Humanist und Theologe der zweiten Generation der Wittenberger Reformation, Leipzig 2014; Vgl.
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fleißig. Es war auch guter Friede und Eintracht zwischen Studenten und Bürgern. Einmal fingen ein paar Edelleute in eines Bürgers Haus mit Bürgerskindern Streit und Lärm an, wobei sie von der Bürgerschaft redlich über die Köpfe gedroschen und die Nacht bis zum Morgen in den Turm gesteckt wurden. Als aber etliche, nachdem die Sache schon beigelegt war, dem Stadtrichter vors Haus traten und ihm die Fenster einschlugen, ließ sich unser Doktor öffentlich auf der Kanzel hören: Gott habe dieser Universität durch vernünftige Vorsehung und Verordnung der Kurfürsten ein fein, still und ruhig Wesen bisher gegönnet; nun wären Leute da, die sich an gleichem Recht nicht wollten genügen lassen und brauchten bei Nacht und Nebel allerlei Frevel und Mutwillen, forderten die Leute heraus und vergriffen sich an ihrem Hausfrieden. „Ich bin“, so sagte er auf der Kanzel, „ein geistlicher Mann; wenn mir aber ein solcher Störenfried vor mein Haus käme, so wollte ich mit meinem Hausspieß zu ihm hinauswischen und Frieden und Ruhe meines Hauses, wie es einem Hausvater von Rechtswegen zugelassen ist und gebührt, verteidigen. Stieße ich meinen Spieß durch einen solchen Aufrührer, so wollte ich stillstehen und aufschreien: Hier Gottes und Kaisers Recht! Vor denen beiden wollte ich solch meine Notwehr und Hausschutz mit Ehren und gutem Gewissen christlich und rechtlich verantworten.“ Da sich unser Doktor als ein Liebhaber bürgerlichen Friedens und Einigkeit also vernehmen ließ, geriet es zum allerbesten und wurde fein still und friedlich in der ganzen Stadt. Gott sprach auch seinen Segen zur Nahrung. Denn obwohl in dieser Zeit ein sehr nasser, kalter und unfruchtbarer Sommer einfiel und die Elbe etlichemal zu den Schießlöchern durch die Stadtmauer drang, und die ungesunde Luft und geschwinde Zeit die gefährliche Krankheit, den englischen Schweiß erregte, daran auch ich und andere krank lagen, war dennoch ziemlich wohlfeile Zeit. Ich hatte bei meinem Wirt und Landsmann Wolf Johan von Rochlitz einen sehr guten trockenen Tisch um fünf Silbergroschen neben alten, gelehrten, ehrlichen und guten Tafelbrüdern, die mir armen Gesellen allen guten Willen erzeugten, darum ich sie zu ihrer Ehre allhier erwähne: Herr Lizentiat Zülsdorf, Mag. Staffelstein, später Professor, Herr Valentin Mellerstadt, Doktor Mellerstadts Bruder, und sein Vetter Mag. Martinus, Johann Figulus von Nürnberg, Hieronymus von Glauburg und Herr Clam von Frankfurt, Mag. Franciscus Groß von Oschatz, Andreas Vorberger von Mittweida, Mag. Peter von Zerbitz, Carolus Drachstedt von Halle und sein Pädagogus Bernhard Zedler von Ulm;280 wie zuvor auch der teure Märtyrer Leonhard Keyser, der in Bayern um des Evangeliums willen verbrannt ward,281 an dieser Tafel gesessen hatte. Es war kein Zwiespalt unter den Gelehrten, darum sich auch keine gefährliche Disputation über Tisch erhob. Fröhlich und guter Dinge, in Liebe und Freundschaft waren wir alle und hatten unsere Kantorei; daneben entfielen von den Alten, vor denen wir jüngeren eine ehrliche Scheu und Ehrfurcht hatten, viel guter Reden und Historien, die ich mit Fleiß behalten habe, und weil eben Herr Philippus die Dialektik las, ergaben sich aus dieser und anderer Lektion gute Gespräche in Frage und Antwort. Es war auch keine überflüssige und unzeitige Zehrung oder Gasterei, sondern jedermann
Daniel Bohnert/Markus Wriedt: Theologiae Alumni Vitebergenses. Die graduierten Absolventen der Wittenberger Theologischen Fakultät (1502–1648), Leipzig 2020, S. 431–436. 280 Wolf Jahn von Rochlitz war Fleischer in Wittenberg und Hauswirt einer größeren Zahl von Gelehrten, die hier aufgezählt werden. Vgl. Hans Volz: Die Lutherpredigten des Johannes Mathesius. Kritische Untersuchungen zur Geschichtsschreibung im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1930 (Reprint New York/London 1971), S. 183–188. 281 Leonhard Kaiser wurde um 1480 in Raab geboren und als Ketzer am 16. August 1527 in Schärding trotz Intervention zahlreicher Adliger hingerichtet. Vgl. Alfred Eckert: Käser, Leonhard, in: Neue Deutsche Biographie (NDB). Bd. 10, Berlin 1974, S. 733.
Johannes Mathesius: Bericht über seine Anfänge in Wittenberg
wartete seines Studierens, darum er an den Ort gekommen war. Wie denn Gott an diesem Tische viel gute und große Leute erzogen hat, deren noch etliche am Leben sind und Kirchen, Fürsten, Herren und Städten löblich und mit Ehren dienen. Und so Gott will, wollen wir an jenem Tage solche Tisch- und Studierfreundschaft in alle Ewigkeit miteinander vor Gottes Angesicht bringen und erhalten. Von teuern und berühmten Leuten in andern Fakultäten kannte ich damals die erleuchteten Herrn Dr. Caspar Dietleben, meinen Rektor,282 Dr. Hieronymus Schurf,283 Dr. Benedict Pauli,284 Dr. Augustin Schurf,285 Lic. Melchior Vend, welche Fürsten, Herren und Städten viele treffliche Leute erzogen haben, deren noch etliche mit Rat und Tat beim Regiment treulich dienen helfen. Denn den Ruhm soll und muß man dieser Universität lassen, daß der Stab Arons286 allda redlich ausgeschlagen, sehr lieblich geblüht und viel gute Früchte getragen hat, und daß heutzutage wenig Schulen und Herrenhöfe sind, wo man nicht Früchte von diesem Stabe findet. Gott wollte sein Wort mit den löblichen und freien Künsten schmücken, darum schuf er viel gute Leute und große Künstler an diesem Orte, wie diese Universität in fremden Landen den wahrhaftigen Ruhm mit guten Ehren behält, daß die besten Bücher der Griechen und Lateiner allda gründlich und weislich erklärt und fein zu Markt oder rechtem Gebraucht gerichtet wurden. Denn vor der Zeit, wie leider jetzt noch an vielen Orten, sind die Gelehrten nur in Platonis Schacht oder Gruft gesessen287 und haben nur den Schatten der Künste gesehen und sich mit den Hülsen und Schalen behelfen müssen; an diesen Ort aber gab Gott Leute, die von Grund und Korn reden und jungen Leuten richtig zeigen konnten, wozu die freien Künste schließlich dienten und wie man sie neben den Sprachen in heiliger Schrift, im Recht und in der Arznei richtig und bequemlich brauchen könnte. Ein großer Mann zu Wien hat, wie ich hier von einem Scholar gehört, öffentlich bekannt: er und alle seine Kollegen hätten bisher nicht gewußt, was das Mittel oder Medium im Syllogismus wäre, bis er Melanchthons Dialektik gelesen hätte. Die Grammatik eben dieses teuren und großen Grammatikers lehrte damals fast in allen Schulen in deutschen Landen die Kinder Deklinieren und Konjugieren. Nachmals ist das Ei klüger geworden als die alte Henne, und ein jeder Kalmeuser288 hat eine neue Redekunst erdichtet, wie schier ein jeder einen neuen Katechismus oder Postille hat machen wollen, so daß nun fast soviel und mancherlei Lehrbücher, als Schulmeister und Discipel sind. Grammatici certant et adhuc, sagt der Synodus avium, darum wird die Jugend irre und zeitlich zum Gebeiß und Zank erzogen. In Welschland hat man neulich des Herrn Philippus Dialektik nachgedruckt, soll jedoch seine Exempel weggelassen haben. Gerade für diese guten Exempel hat ein junger Mönch zu Venedig unserm Gott und
282 Kaspar Dietleben (Teutleben) wurde 1529 zum Doktor der Rechte promoviert und in die juristische Fakultät aufgenommen. Er diente im Jahr 1529 als Rektor der Universität, bei der Mathesius aufgenommen wurde. 283 Hieronymus Schurff (1481–1548) promovierte 1507 zum Doktor der Rechte in Wittenberg und wirkte bei der Kirchenvisitation in Kursachsen 1527–1529 mit. Siehe Nr. 98. 284 Benedict Paul (1490–1552) war als Visitator 1528 und 1530 tätig. Im Oktober 1529 promovierte er zum Doktor der Rechte. 1529, 1532, 1539 wirkte er als Bürgermeister in Wittenberg. 285 Melchior Fendt (1486–1564) promovierte am 3. Juni 1521 zum Doktor der Medizin. 1529/30 war er Rektor der Medizinischen Fakultät. 286 Num 17,16–26. 287 Anspielung auf die platonische Erkenntnislehre und das sog. „Höhlengleichnis“; vgl. Platon: Politeia 514–518. 288 Negativ konnotiertes Synonym für einen gelehrten Stubenhocker.
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Die Wittenberger Bewegung
einem deutschen Medico von Herzen mit diesen Worten gedankt: „Wenn dieses Buch nicht wäre, so wüßte ich armer Mensch nicht, wie ich sollte selig werden. Ach mein Gott, beschere mir dergleichen Bücher mehr.“ An demselben Ort wurde auch unsers Doktors Vaterunser in welsche Sprache gebracht. Als solches des Ordinarius (dessen Namen ich nicht kenne), gesehen, sprach er: „Gesegnet ist, der dies Vaterunser ausgelegt hat, und der es drucken und lesen wird.“ Als Bischof Lange in Salzburg,289 wenn ich recht mich erinnere, das zweite Buch des Plinius mit der köstlichen Wittenbergischen Auslegung und andere Tafeln vom Himmelslauf in die Hände kamen, sprach der kluge Weltmann: „Es giebt wohl gelehrte Abenteurer in Wittenberg; will man ihnen was anhaben, so müssen wir auch auf gute Schulen denken. Ich hab Sorge, mit Schwert und Gewalt werden wir sie nicht dämpfen.“ Desgleichen soll der Kardinal Cajetanus290 zu Regensburg auf öffentlichem Reichstag291 sich haben verlauten lassen: „Man muß auf Leute und gute Schulen trachten, in welchem Stück uns die Lutheraner weit überlegen sind. Wir finden ungeschickte Leute in Germanien.“ In demselben Sinne zeugt unser Herr König, da er mit einem böhmischen Abte lateinisch redete, der nichts als sic und ita antworten konnte: „Ach es giebt ungelehrte Leute in diesen Klöstern.“ Ferner habe ich vom Herrn Doktor am Tische gehört, daß Herzog Georg zu Sachsen Erasmum in geistlichen Händeln schriftlich habe um Rat fragen lassen. Als aber der schlüpfrige Mann eine zweifelhafte und verdrehte Antwort gab, die weder kalt noch warm war, soll der weise Fürst gesagt haben: „Lieber Erasme, wasch mir den Pelz und mach mir ihn nicht naß! Ich lobe mir noch die von Wittenberg; die behalten doch kein Mehl im Maul, sondern sagen frei und redlich heraus, was ihre Meinung sei.“292 Da zu Worms im Colloquium293 Doktor Creuziger294 auf unserer Seite Notarius war und nicht allein alle Worte des Herrn Philippus und Ecks aufschrieb, sondern ihn auch daneben erinnerte,
289 Matthäus Lang von Wellenburg wurde 1468 in Augsburg geboren und verstarb am 30. März 1540 in Salzburg. Als Salzburger Erzbischof und Kardinal verfolgte er die evangelischen Christen energisch und wandte sich besonders gegen die sog. „Täufer“. Vgl. Johann Sallaberger: Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg (1468–1540). Staatsmann und Kirchenfürst im Zeitalter von Renaissance, Reformation und Bauernkriegen, Salzburg u. a. 1997. 290 S. o. Einleitung zu Abschnitt 2.4. 291 Reichstag von Regensburg (27.4.1527–18.5.1527; RTA-JR VII/1, S. 1–82; RTA-JR VII/2, S. 975–1006 – unwahrscheinlich, da er auf dem Sacco di Roma am 6. Mai 1527 gefangengenommen wurde; oder 5.7.1528– 8.7.1528; RTA-JR VII/1, S. 313–319; RTA-JR VII/2, S. 1052–1058) oder vom 17.4.1532 – 27.7.1532 unter dem Vorsitz Ferdinand I. in Stellvertretung des Kaisers Karl V. (RTA JR Band X). 292 Zitiert bei Friedrich Carl von Moser: Patriotisches Archiv von Deutschland. Bd. 7, Mannheim/Leipzig 1787, S. 10; erneut in Wilhelm Körte: Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Deutschen, Leipzig 1837, N° 4691 (S. 339). 293 Wormser Religionsgespräch 1541; vgl. Klaus Ganzer, Karl-Heinz zur Mühlen (Hg.): Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert. Bd. 2: Das Wormser Religionsgespräch (1540/41), Göttingen 2002; Cornelis Augustijn (Hg.): Martin Bucers Deutsche Schriften. Bd 9/2: Religionsgespräche (1541–1542) (= Martini Buceri Opera Omnia, Series I), Gütersloh 2007. 294 Caspar Cruciger d. Ä.; vgl. Anm. 271, außerdem: Irene Dingel/Armin Kohnle (Hg.): Die Crucigers: Caspar der Ältere, Caspar der Jüngere und Elisabeth Cruciger in ihrer Bedeutung für die Wittenberger Reformation, Leipzig 2021.
Johannes Mathesius: Bericht über seine Anfänge in Wittenberg
was ferner von Ecks Spitzfindigkeiten zu versehen war, sagte Granvella,295 der Präsident: „Die Lutherischen haben einen Schreiber, der ist gelehrter denn alle unsere Pfaffen.“ Item, es kommen junge Juristen von Wittenberg nach Ingolstadt, um den berühmten welschen Juristen Dr. Curtius zu hören.296 Als sie aber in ordentlicher Disputation ihre Argumente rund und kurz in einen schmeißigen und geschlanken Syllogismus zwingen und auf ihren Sätzen steif stehen und liegen, beginnen andere Scholaren, die in blöckichter und schwülstiger Weise zu opponieren und Part zu halten pflegten, der Wittenberger subtile und scharfe Weise des Disputierens verächtlich zu machen; aber gedachter Dr. Curtius soll gesagt haben: „ Das ist die rechte aristotelische Weise und Manier, welche der Vernunft eigentlich gemäß, wie dergleichen vormals in Europa nicht gehört worden ist, darum sollen billig die Ungelehrten den Gelehrten nachstehen, und das Böse soll dem Guten weichen.“ So sprach er. Diese Zeugnisse von fremden und großen Leuten wiederhole ich, liebe Freunde, dieser löblichen Universität zu Ehren, wie mir der Wahrheit, der Ehre und meiner Pflicht halber gebühren will. Gott hat in dieser letzten Zeit sich eine Schule durch das Haus zu Sachsen aufrichten lassen am weißen Berge oder Berg des Lebens, die hat er also geziert und erhoben, daß Freund und Feind, so noch ein Fünklein menschlicher Vernunft ihnen geblieben, sich darüber hat verwundern und erstaunen müssen, wie einheimische und fremde Juden und Judengenossen über die zwölf Apostel am großen Pfingsttag bestürzt gewesen sind. Darum haben sich auch zu dieser Akademie viel gute Leute aus dem ganzen römischen Reiche und dem weiten Erdkreis versammelt, um die Wittenbergische Weisheit zu hören, zu holen und mit sich wie der Kämmerer Candaces von diesem Berge Libanon heimzubringen. Denn daß ich der Meißner, Sachsen, Rheinländer, Franken, Schwaben, Bayern, Österreicher, Schlesier, Hessen, Märker und Pommern, als deutscher Nachbarn geschweige, die häufig ihre Kinder und Lehrer dahin verordneten, so habe ich Reußen, Preußen, Holländer, Dänen, Schweden, Litauer, Böhmen, Polen, Franzosen, Spanier, Schotten, Engländer, sogar Griechen allda gesehen, wenn sie sich auch nicht alle des Lernens wegen mögen dort aufgehalten haben. Denn Judas war auch in des Herrn Christi Schule, bis er am Galgen von Raben zum Rabbi promoviert ward. Ich lasse alle andern Schulen in ihrem Wert und in den Ehren, deren sie würdig sind; ich aber bin ein Student von Wittenberg, ein Mitglied ihrer Schule, ein Bürger ihrer Kirche, und Discipel und Jünger dieser christlichen und seligen Leute, deren mich hernachmals ihrer viele in ihre Freundschaft genommen, darin mich unser lieber Gott von der Zeit an bis in 34. Jahr redlich und standhaftig, wie einem frommen dankbaren Schüler wohl anstehet, erhalten. Darum zeuge ich von meiner Universität, da mich Gott neben guten Künsten vor allem das hat studieren lassen, wie ich mit Gott und gutem Gewissen, Christo zu Ehren glauben, leben, lehren, leiden und seliglich aus dieser Welt zu meinen lieben Freunden und Präceptoren kommen solle. Quellennachweis Johann Mathesius: Historien Von deß Ehrwürdigen in Gott seligen theuren Manns Gottes D. Martin Luthers Anfang Lehre Leben standhaffter Bekenntnuß seines Glaubens und Sterben, ordentlich der Jarzal nach, wie sich solches alles habe zugetragen, beschrieben. 8. Predigt, Nürnberg 1566, S. 81–85. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
295 Antoine Perrenot de Granvelle auch Granvella (* 20. August 1517 bei Besançon; † 21. September 1586 bei Madrid) war Kardinal und Minister Karls V. Er war bei den Reichstagen von Worms und Regensburg in kaiserlicher Mission anwesend. 296 Volz 158 und 246 – keine weiteren Angaben.
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Die Wittenberger Bewegung
Literaturhinweis Hans Volz: Die Lutherpredigten des Johannes Mathesius. Kritische Untersuchungen zur Geschichtsschreibung im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1930 (reprint New York/London 1971). Armin Kohnle/Irene Dingel (Hg.): Johannes Mathesius (1504–1565): Rezeption und Verbreitung der Wittenberger Reformation durch Predigt und Exegese, Leipzig 2017.
Nr. 90
Erster Bericht des Rates der Stadt Wittenberg
Die Veränderungen in Wittenberg geschahen nicht allein auf Anregung der Hochschultheologen unter Führung von Andreas Bodenstein von Karlstadt und Gabriel Zwilling, sondern durchaus mit Billigung des Magistrats und auch Luthers. Die Situation eskalierte freilich, als die sogenannten „Zwickauer Propheten“ aus ihrer Heimat vertrieben wurden und nach Wittenberg kamen. Ihre Führungsgestalten waren Nikolaus Storch und Thomas Drechsel sowie der Student Markus Thomas Badstübner aus Elsterberg. Sie hatten sich wegen eines Aufruhrs gegen den Magistrat von Zwickau 1521 ihrer Verantwortung durch Flucht entzogen. Ihnen hatten sich 72 „Jünger“ angeschlossen. Unter ihnen auch der spätere Bauernkriegsführer Thomas Müntzer. Auch er war aus Zwickau verwiesen worden. Die Vertreter dieses radikalen Flügels der Reformation polemisierten gegen jede Art von Gelehrsamkeit und auch gegen die akademischen Autoritäten der Universität. Sie vertraten einen radikal fundamentalistischen Biblizismus, der auf eine Umsetzung der biblischen Heilszusagen im „Hier und Jetzt“ mit teilweise gewaltsamen Maßnahmen zielte. Ihr selbstbewusstes Auftreten und ihre gute Bibelkenntnis machten jedoch auf nicht wenige einen tiefen Eindruck. Der folgende Brief des Rates richtet sich an Kurfürst Friedrich den Weisen und stammt vom 3. Dezember 1521. Durchlauchtigster, hochgeborner Fürst, gnädigster Herr! Ew. Kurfürstl. Gnaden sind unserer willigen, untertänigsten Dienste zuvoran versichert. Gnädigster Kurfürst und Herr! Ew. Kurfürstl. Gnaden bitten wir zu wissen, dass etliche von der hohen Schule bei uns und auch etliche Laien von den Mitbürgern sich auf heute, Dienstag früh, unterstanden haben, den Priestern in der Pfarrkirche [Stadtkirche] das Amt der Messe in dem Maße wie es zuvor der Brauch gewesen, abzuhalten, nicht zu gestatten. Besonders die der Universität Unterstehenden haben, wie wir glaubwürdig berichtet sind, bloße Messer unter ihren Röcken gehabt, und als die Priester vor den Altar getreten sind, haben sie die Messbücher hinweggetragen und die Priester von den Altären vertrieben. Ganz früh im Finstern haben etliche nach den Priestern, die die Horen unserer lieben Frauen in gemeldter Pfarrkirchen singen, mit Steinen geworfen, sodass diese unserer lieben Frauen Messe auch haben fallen lassen. Wir haben jedoch, sobald wir das vernommen, die Vorfälle untersucht, und wollen
Der Beschluss des Augustinerkonvents von 1521 auf 1522
auch alle, die uns verwandt sind,297 ungestraft nicht von uns kommen lassen. Es hat sich auch der Rektor der hohen Schule samt den andern Herren der Universität auf unser Ersuchen erboten, soweit es ihm möglich sei, diejenigen, die sich dieses Tuns unterstanden, in Wandel zu nehmen, und neben uns, so viel ihnen möglich sei, fernerem Aufruhr vorzubeugen. Wir vermuten – wie uns auch berichtet ist – daß diejenigen, die dieses Tun angefangen, einen merklichen Anhang haben sollen von Leuten, die uns nicht verwandt sind. Derhalben bitten wir Ew. kurf. Gnaden in untertänigem Fleiß, Ew. kurf. Gnaden möchten gelegentlich dieses Handels in Gnaden bedenken und ein gnädiges Einsehen haben. Daneben wollen wir es an Fleiß nicht fehlen lassen, der Sachen Acht zu haben. Welches wir Ew. kurf. Gnaden in bestem nicht vorenthalten wollen; denn Ew. kurf. Gnaden in aller Untertänigkeit zu dienen erbieten wie uns allezeit willig und beflissen. Gegeben ganz eilends Dienstag nach Andreae Anno domini 1521. Ew. kurf. Gn. williger, untertäniger und gehorsamer Rat zu Wittenberg. Quellennachweis Nikolaus Müller: Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt. Leipzig 2 1911, S. 73–74. (Nr. 32) (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis James M. Stayer: Sächsischer Radikalismus und Schweizer Täufertum. Die Wiederkehr des Verdrängten, in: Günter Vogler (Hg.): Wegscheiden der Reformation. Alternatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Weimar 1994, S. 151–178. Hans-Jürgen Goertz: Radikalität der Reformation: Aufsätze und Abhandlungen, Göttingen 2007. Hans-Jürgen Goertz: Religiöse Bewegungen in der frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 20), München 1993.
Nr. 91
Der Beschluss des Augustinerkonvents von 1521 auf 1522
Johann von Staupitz hatte auf einem Generalkapitel in Eisleben sein Amt als Generalvikar der observanten Augustinereremiten an Wenzel Linck übergeben. Dieser, 1483 geboren, stammte aus Colditz und gehörte einer wohlhabenden Ratsfamilie an. Zunächst studierte er in Leipzig, wurde dann aber als Mitglied der Augustiner 1503 von Staupitz nach Wittenberg entsandt. Dort promovierte er 1511 zum Magister der Theologie. Staupitz förderte seinen Ordensbruder entschieden. Linck war auch mit Luther eng verbunden. Seit Dezember 1520 befand sich letzterer im Kirchenbann. Das verbot auch jeglichen Umgang mit dem Geächteten. Daher bestand Handlungsbedarf dahingehend, wie sich die Augustiner künftig zu Luther und der von ihm initiierten Reformation verhalten sollten.
297 D. h. unserer Gerichtsbarkeit unterstellt.
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Die Wittenberger Bewegung
Jesus. Wir, der Vicarius, Priores und Brüder des Ordens St. Augustini, zu Wittenberg versammelt, haben von den Gelübden, vom Bettel und andern Aufsätzen des Ordens dermaßen, wie folgt, beschlossen. In welcher [Meinung], sintemal wir der Schrift folgen, wollen wir uns nicht [durch] einiges menschlichen Ansehens oder Satzung lassen hindern, denn es billig ist, daß Gottes Worte weiche auch alle Creatur. Doch die, so noch nicht solche Freiheit begreifen, oder durch ihre Macht nicht drein verwilligen, lassen wir in ihrem Sinn walten. Wir wissen, daß wir solcher unserer Meinung müssen vor Gott Rechenschaft geben, derhalben ohne Zweifel wir uns nicht scheuen, auch den Menschen zu antworten. Dieweil aber unsere Meinung ist, den einfältigen Gewissen zu dienen, wollen wir nicht, daß sich unsers Beschlusses sollen behelfen, die das Wort Gottes [nur] pflegen vorzuwenden zu schädlicher Freiheit ihres fleischlichen Mutwillens; und ermahnen einen jeden, der dies lesen oder hören wird, eben deß, das St. Paul die Galater Cap. 5,13 ermahnt, daß er frei sei, sofern er der Freiheit nicht brauche zu fleischlichem Mutwillen, sondern es stehe einem jeglichen auf seinem Gewissen. Denn was nicht aus dem Glauben fleußt, das ist Sünde, Röm 14,23. Darum, liebe Brüder, irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten, Gal. 6,7. Aufs erste lassen wir zu einem jeden, wie sein Gewissen sich fühlt, daß er möge bleiben, oder nicht bleiben im Kloster, sintemal was an Christum glaubt, das ist weder Jude noch Grieche, Gal. 3,28, weder Mönch noch Laie, und das Gelübde, das wider das Evangelium ist, nicht ein Gelübde, sondern ein unchristlich Ding ist. Aufs andere, sintemal die christliche Freiheit eine geistliche Freiheit ist, die nicht haftet an Speise noch Kleidern, dünkt’s uns gut, daß die, so in unsern Klöstern bleiben, des Kleids und gewöhnlichen Brauchs sich halten, auf daß wir jedermann eben seien, oder allerlei würden, nach dem Exempel St. Pauli 1. Cor. 9,21 f. Aufs dritte, doch wollen wir die Aufsätze gemäßigt haben, beide im Brauch und Abtun, also, daß nicht jemands Glaube daran versehrt oder wider die Liebe gehandelt werde. Denn das Reich Gottes ist nicht Essen noch Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist, Röm. 14,17. Aufs vierte, tun wir ab die Bettelei, welche so vielmal die Schrift verboten hat, 1. Thess. 4,11; 5,22. Ein jeder arbeite mit seinen Händen, sei stille und nähre sich seines Brotes. Wir tun auch ab die verdingten Messen, sintemal St. Paulus will, daß man alle böse Gestalt (oder Schein) meiden soll. Aufs fünfte, soviel es möglich ist in unsern Klöstern, soll man erlesen, die geschickt sind, das Wort Gottes zu lehren, öffentlich und sonderlich; die andern sollen mit Arbeit den Brüdern die Nahrung erwerben, wie denn gewesen ist die Weise der alten Väter. Aufs sechste, dieweil wir denn die Aufsätze wollen mäßigen, dünkt’s uns gut, daß unsere Brüder in Klöstern ihren Obersten untertänig sein sollen aus freier Liebe, auf daß wir unter uns selbst und vor jedermann ohn Ärgernis wandeln, damit nicht Ursach gegeben wird den Widersachern, zu lästern das heilige Evangelium. Quellennachweis Walch, Bd. 15. Abt. 1, S. 1948 f. (Nr. 622) (Geringfügige Änderungen vorgenommen). Literaturhinweis Wolfgang Günter: Reform und Reformation. Geschichte der deutschen Reformkongregation der Augustinereremiten (1432–1539), Münster 2018, S. 381–420.
Allerheiligen-Stift Wittenberg: Eine Eingabe an den Kurfürsten
David Gutiérrez: Die Augustiner vom Beginn der Reformation bis zur katholischen Restauration: 1518–1648, Rom 1975.
Nr. 92
Allerheiligen-Stift Wittenberg: Eine Eingabe an den Kurfürsten
Der folgende Text entstammt dem Bericht des Leitungsgremiums des Allerheiligenstifts in Wittenberg über die Störungen der Gottesdienste im Dezember 1521. Der Brief stammt vom 29. Dezember 1521. Durchlauchtigster, hochgeborener Fürst und Herr! Ew. kurf. Gnaden seien unsers Gebets zu Gott und untertäniger, gehorsamer Dienste allezeit zuvor versichert. Gnädigster Herr! Es hat jüngst auf Ew. kurf. Gnaden gnädigen Befehl der hochgelehrte Dr. Christianus Beyer298 dem Kapitel und der Universität Ew. kurf. Gnaden Gemüt und gnädige Meinung vorgehalten, nämlich daß, nachdem bemeldtes Kapitel und Universität auf die vorgefallenen Sachen, die Messe belangend, zu einer einträchtiglichen und endlichen Antwort und Meinung sich nicht haben entschließen können, sie sich ungebräuchlicher Einführung der Messe enthalten und sie auch den ihrigen nicht gestatten sollten, sondern sollten es beim alten Gebrauch bleiben lassen, bis daß die Sachen von andern auch erwogen seien, und es also in Bedenken nehmen, davon disputieren, schreiben, lesen und predigen, und alles mit christlichem und vernünftigem Maß handeln und vornehmen. Dies unangesehen haben mittler Zeit die, so das Wort Gottes im Stift, der Pfarre und in beiden Klöstern gepredigt, solch christliches, vernünftigtes Maß übergangen und all ihr Predigen dahin gerichtet, das gemeine Volk wider die Priesterschaft mit gehässigem Mut zu reizen und Uneinigkeit und Zwietracht zu erwecken. […] Dr. Karlstadt hat solches erstlich am heiligen Christtag im Predigen übergangen, da er unter anderm das Volk zum Sakrament gehalten, sagend, daß jeder wohl dazu gehen möchte, und es wäre ihnen keine vorhergehende Beichte not. Es wäre auch nicht daran gelegen, ob einer noch nüchtern wäre, sondern nur ein starker Glaube. Nach geschehener Predigt ist er wider unsern Willen übergetreten und hat eine Messe, die er evangelisch nennt, wider den gemeinen Brauch gelesen, danach dem umstehenden Volk das Sakrament in beiderlei Gestalt gereicht. Dazu ist das Volk in Haufen gedrungen, viele ohne Beichte, viele, die zuvor gegessen und getrunken, wie man sagt, sogar Branntwein, und haben den Kelch mit dem hochwürdigen Sakrament selbst in die Hände genommen und getrunken. Er hat auch das hochwürdige Sakrament zweimal, erst einem Manne auf sein Kleid — von wo es ein dabeistehender Priester wieder weggenommen, das andere Mal auf die Erde fallen lassen, und die Laien geheißen, es aufzuheben, sprechend, es wäre nicht so, wie die Pfaffen davon sagten. Welches sich aber die Laien nicht unterstanden haben; darum hat ers selbst aufgehoben. Ob das christlich und vernünftig ist, können wir nicht abnehmen. So es je christlich wäre, hätte es billiger in der Pfarre geschehen sollen. Wir besorgen, daß solches am Neujahrstage, wo ihm das Fest abzuhalten gebührt, auch wieder geschehen wird, wenn nicht dagegen vorgesorgt wird. Dies, wie vorbezeichnet ist, haben wir nicht zu hindern gewußt, da ihm das gemeine Volk zufällt. Am andern Tage ist bemeldter Dr. Karlstadt samt etlichen, die er dazu vermocht, hinaus auf ein Dorf gezogen und hat sich eine zum Eheweib lassen vertrauen, was auch wider den
298 Christian Beyer (1482–1535) war sächsischer Kanzler und Rechtsgelehrter.
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gemeinen Brauch und alles Recht ist. Das rechtfertigt genugsam seine Bestrafung; ob es ihm aber nachzusehen ist oder nicht, stellen wir in Ew. kurf. Gnaden gnädiges Bedenken. Auch sollen in der Christnacht etliche großen Mutwillen in der Pfarrkirche getrieben haben; sie sollen die Lampen zerhauen, und so sie darum angeredet wurden, gesprochen haben, daß sie ein geringes nehmen und alles in der Kirche zerhauen würden, auch einen Priester bedroht, ihn mit Bleikugeln auf den Altar zu werfen, darein geschrieen und gesungen „O Mumme von Braunschweig“, ferner „Es hat eine Maid einen Schuh verlorn“. Da sie aber innegeworden, daß die Wächter kommen, sind sie auf den Kirchhof gegangen, dem Chor gegenüber und haben gesungen und wie die Hunde und Wölfe geheult. Danach sind sie in die Stiftskirche gekommen. Und da der Priester, als er das Evangelium hat lesen wollen, die Benediktion erbeten, haben sie von oben, von der Emporkirche, allen Pfaffen die Pestilenz und die höllischen Flammen gewünscht. Solche Gewalt wäre keinem Manne in seinem Hause zu leiden gewesen, und auch sie, die Täter, würden es in ihren eigenen Häusern, auch in den Bierstuben, wo sie die Nacht verbracht haben, nicht leiden. Und dabei schreien sie über Gewalt, bitten und suchen Recht. Es sollte doch billig die Kirche soviel Freiheit haben. Dies haben wir Ew. kurf. Gnaden in untertänigem Gehorsam und aus Pflicht unsers Statuts und Gewissens nicht vorenthalten, und bitten dabei untertäniglich, so fürder sich dermaßen Mutwillen und Empörung begeben sollte und wir solches Ew. kurf. Gnaden unvermeldet vorhalten würden, Ew. kurf. Gnaden wolle uns das je mit Ungnade nicht vermerken. Denn wir befinden, daß wir damit des Haufens Unlust wider uns erwecken und uns in Gefahr stellen. Ew. kurf. Gnaden wolle auch uns, die göttlichen Ämter sicher zu gewarten in der Kirche, in unsern Häusern und sonst gnädiglich schützen und handhaben. Das wollen wir mit unsern Gebeten und Diensten allezeit geflissen sein zu verdienen. Datum Wittenberg, Sonntag in Weihnachten, Anno 1521. Ew. kurf. Gn. untertänige Kapellan, Kustos, Scholaster und andere, so nicht im Ausschuß, des Kapitels der Allerheiligen-Stiftskirche zu Wittenberg. Quellennachweis Nikolaus Müller: Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt, Leipzig 2 1911, S. 131–134. (Nr. 61). Mit Änderungen übernommen aus: Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 282–284.
Nr. 93
Sebastian Fröschel: Erzählung von den Wittenberger Neuerungen
Sebastian Fröschel (1497–1570) kam 1522 nach Wittenberg. Der nachfolgende Bericht schildert in der Widmungsvorrede zu seiner Schrift: „Vom Priestertum der rechten wahrhafftigen Christlichen Kirche“ an Kurfürst August von Sachsen aus dem Jahre 1565 die Zustände in Wittenberg. Die Quelle ist von eingeschränktem Wert, da Froeschel die ihm zugetragenen Berichte wiedergibt. Er war selbst kein Augenzeuge.299 Zur Biografie Fröschels siehe Nr. 58.
299 Vgl. Hermann Barge: Andreas Bodenstein von Karlstadt. Bd 1, Nieuwkoop 2 1968, S. 426 f.
Sebastian Fröschel: Erzählung von den Wittenberger Neuerungen
Als ich hierher gen Wittenberg gekommen bin anno 1522, da hab ichs also gefunden in der Kirche: Der Pfarrherr Mag. Simon Pontanus, des alten Dr. Brücken, Kanzlers seligen, Bruder,300 derselbe ist ein kranker Mann gewesen und durch seine Krankheit also zugerichtet, daß er in der Kirche nichts nütze gewesen, sondern nur daheim seiner Krankheit gewartet hat. Er hat auch nicht die geringsten, sondern nur die vornehmsten von den Studiosis an seinem Tische gehabt. In der Kirche aber ging es so zu: In der Woche hielt man nur eine Messe, ferner Sonntags und an den großen Festen. Und hatte der Pastor nur zween Diaconos, Herrn Johann Rau301 und Herrn Tiburtius;302 die hielten einer um den andern Messe und reichten das Sakrament des Abendmahls des Herrn jedem, der da kam, ob er nun gebeichtet hatte oder nicht. Der Ministrant, der am Altar diente, war der König Christian aus Dänemark,303 der fleißig am Altar aufwartete und sich so tief demütigte, daß er allewege mit dem Diaconus Messe hielt, vor dem Altar niederkniete und mit ihm das Confiteor betete, wie damals gebräuchlich war. Der andere Diaconus aber mit dem Kustoden oder Küster stand neben dem Altar im Stuhl, und sangen beide miteinander den Introitus, das Kyrie Eleison und was zu singen war, bis daß die Messe gar aus war; denn es waren keine Schüler in der Knabenschule, die mit hätten helfen singen können, davon wir im folgenden mehr sagen wollen. Mit der Predigt ging es also zu, daß allein Dr. Martinus alle Sonntage und hohen Feste in der Pfarrkirche predigte. Sonst geschah keine Predigt in der Pfarrkirche die ganze Woche über. Am Sonntag und auf die Feste aber predigte Dr. Martinus allewege in seinem Kloster, im Chor in seiner Kirche. Da tat er eine kurze Vermahnung zu seinen Fratribus,304 danach
300 Simon Heins (auch Bruck oder Pontanus genannt), wurde um 1483 in Brück im Kurfürstentum Sachsen geboren und verstarb vor dem 25. September 1523 in Wittenberg. Er immatrikulierte sich im Wintersemester 1502 in Wittenberg und absolvierte das Studium der Artes liberales. Nach einem Wechsel an die Universität Frankfurt (Oder) kehrte er 1507 dauerhaft nach Wittenberg zurück. 1508 wurde er zum Magister der freien Künste promoviert und im Folgejahr in den Senat der philosophischen Fakultät aufgenommen. 1510 übernahm er die Professur für Logik (nach Thomas von Aquin; via antiqua). 1512 wählte man ihn zum Konventor der Universität und im Sommersemester 1513 zum Dekan der philosophischen Fakultät. 1515/16 wurde er zum Stadtpfarrer der Wittenberger Stadtkirche berufen, im gleichen Jahr erwarb er den ersten theologischen Grad. Neben Andreas Bodenstein und Justus Jonas dem Älteren beteiligte er sich am 25. Dezember 1521 an der Ausgabe des Abendmahls in beiderlei Gestalt. Aufgrund seiner schwächlichen Konstitution sah er sich jedoch von den Wirren der Wittenberger Bewegung überfordert und legte seine Ämter nieder. Der sächsische Kanzler Gregor Brück war sein jüngerer Bruder. Vgl. Heinz Scheible (Hg.): Melanchthons Briefwechsel (MBW) Bd. 11: Personen A–E, o. O. 2004, S. 223. 301 Johann R(h)au(w) – Vgl. Scheible, MBW Regesten Bd 11 sowie Stefan Oehmig (Hg.): Buchdruck und Buchkultur im Wittenberg der Reformationszeit. Bd. 21, Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Leipzig 2015. 302 Tiburtius – Vgl. Scheible, MBW Regesten Bd 11. 303 Christian III. (1503–1559) regierte von 1534–1559 über Dänemark und Norwegen. Er weilte zu Studienzwecken in Wittenberg, nachdem er auf dem Reichstag zu Worms 1521 Luther persönlich kennengelernt hatte. Gleich nach seinem Regierungsantritt ließ er die Reformation 1536 in Dänemark durchsetzen. Vgl. Martin Schwarz-Lausten: Die Reformation in Dänemark, Gütersloh 2008; Jens E. Olesen: Dänemark, Norwegen und Island, in: Dänemark, Norwegen und Schweden im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Nordische Königreiche und Konfession, hg. v. Matthias Asche und Anton Schindling, Münster 2003, S. 27–106. 304 Brüder aus dem Augustinerkonvent.
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trat der Prior über den Altar und rezitierte laut die verba Coenae Domini und reichte allda Domino Dr. Martino Luthero zum ersten das Sakrament, darnach den Fratribus. Hernach ging Dr. Martinus Luther aus seiner Kirche nach der Pfarrkirche und predigte dort, wenn man das Patrem ausgesungen hatte. Auch Nachmittag um zwölf Uhr predigte er wiederum in der Pfarrkirche am Sonntag und den hohen Festen nach dem Geläute, ohne Schüler. In den Fasten predigte er nur den Katechismus alle Werktage um 4 Uhr, bis zur Einführung der neuen Kirchenordnung. Um die Knabenschule stand es also, daß kein Schüler mehr darein ging, denn sie war gar zergangen und ein Brothaus oder eine Brotbank daraus gemacht. Die Knabenschule haben aber zerrissen und die Ursache dazu gegeben drei Männer, welche auch gerne die löbliche Universität allhier zerrissen hätten, wenn Herr Philippus Melanchthon und Dr. Hieronymus Schurf305 nicht so heftig gewehret und sich mit aller Macht wider sie gesetzet und aufgelehnet hätten. Diese drei Männer sind gewesen Andreas Carolostadius, Doctor Theologiae, Frater Gabriel Augustinerordens,306 und der Knabenschulmeister Magister Georgius More.307 Diese drei alle miteinander haben vorgegeben, nämlich Dr. Carolostadius in seinen Lectionibus, der Frater Gabriel in seinen Predigten an Luthers Statt während dessen Abwesenheit anno 1521, und Mag. More, der Knabenschulmeister in- und außerhalb der Schule auf dem Kirchhof mit seinen Predigten: man solle nicht studieren, auch keine Schule, weder particular für die Jugend, noch die Universität für die andern halten, auch niemand promovieren, weder Baccalaureos noch Magistros noch Doctores in allen Facultäten, denn solches hätte Christus selber verboten Matth. 23 mit den Worten: „Ihr sollt euch nicht Rabbi noch Meister nennen lassen.“ Der Schulmeister hat auch aus der Schule heraus gepredigt auf dem Kirchhof und die Bürger und Bürgerinnen aufs höchste vermahnet und gebeten, daß sie ihre Kinder und Verwandten aus der Schule sollten nehmen; welches auch aufs heftigste betrieben hat auf der Kanzel Frater Gabriel, und Dr. Carolstadt in seinen Lectionibus, also daß zu dieser Zeit viel feine Ingenia von hinnen sind hinweggezogen und das Studieren aufgegeben haben, die Land und Leuten hätten können nützlich sein. Ich habe derselben etliche gesehen und angesprochen, die zu Leipzig durchzogen und vorgaben, sie wollten heimziehen und ein Handwerk lernen, denn man dürfe nicht mehr studieren. […] Also ists gestanden zu Wittenberg in der Schule und Pfarrkirche. Aber im Stift, Thum und Schloß, da behielten sie ihr Papsttum mit allen Ceremonien und fragten nichts nach Dr. Martin Luther, wie heftig er auch gegen sie predigte und sie schalt. Denn sie verließen sich auf den Kurfürsten, Herzog Friedrich, der nicht das mindeste und geringste darin wollte ändern lassen. Also blieb alles daselbst ungeändert bis nach seinem Tode. Es sind sogar zween Canonici, die im Jahre 1523 zum Thumherren erwählt wurden, nämliche Mag. Tulichius308 und Mag. Junckel,309 wieder abgesetzt worden, die der Kurfürst Friedrich nicht konfirmieren wollte, weil sie sich von den papistischen Bischöfen nicht wollten ordinieren lassen.
305 Hieronymus Schurff (1481–1554), siehe Nr. 98. 306 Gabriel Didymus, auch bekannt als Gabriel Zwilling, siehe Nr. 95. 307 Georg Mohr stammte aus Rodach bei Coburg und hatte zunächst in Leipzig und ab 1517 in Wittenberg studiert, wo er 1521 den Titel eines Magister Artium erwarb. Vgl. Thomas Kaufmann: Der Anfang der Reformation, Tübingen 2012, S. 226 f. 308 S. o. Anm. 267. 309 Bisher nicht nachgewiesen.
Brief an Kurfürst Friedrich von Sachsen
Im selbigen Jahre verschied auch in Gott der alte Pastor Mag. Simon, Dr. Brückens, des alten Kanzlers, Bruder.310 An seine Statt wurde um Michaelis Dr. Joh. Bugenhagen Pomeranus,311 Doctor Theologiae zum Pastor vocieret und angenommen von der löblichen Universität und den Herren des Rats und der ganzen Gemeinde, wie solches noch jetzt geschieht. Derselbige Dr. Pomeranus richtete die Knabenschule wieder auf, daraus man zuvor eine Brotbank gemacht hatte, daß also die Bürger ihre Kinder wieder in die Schule ließen gehen und in die Kirchen, daß es nicht so dörflich in der Kirche zuginge wie vorhin, da keine Schule noch Schulmeister noch Schüler war. Des Pfarrherrn Mag. Joh. Drüllers zu Dresden Vater war wieder der erste Schulmeister. Im selbigen 23. Jahr begrub auch Dr. Martin Luther das Fest Corporis Christi, das nicht wieder herfür sollte kommen noch gehalten werden. Im selbigen Jahre richtete Dr. Pomeranus die Ohrenbeichte und Einzelabsolution wieder an; die Beichte, darinnen die Leute recht unterrichtet und gefragt oder examinieret wurden ihres Glaubens, Lebens und Wandelns halben, welches durch die Schwärmerei der Kirchen-, Schulen- und Bilderstürmer schier gar gefallen war. Quellennachweis Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen, Büchern, Uhrkunden, Controversien, Veränderungen, Anmerckungen und Vorschlägen u.d.g. Bd. 31, Leipzig 1731, S. 689–696. Wir folgen der Version in: Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 288–291.
Nr. 94
Brief an Kurfürst Friedrich von Sachsen
Auf Nachfrage des Kurfürsten führen die Wittenberger Universitätsangehörigen theologische Gründe für die Einstellung der herkömmlichen Messliturgie an: Opfergedanke, Privatmessen und der Vorbehalt gegen den Laienkelch seien biblisch nicht begründet und darum auch nicht geboten. Der Brief stammt von Justus Jonas, Johannes Dölsch, Andreas Karlstadt, Tilemann Plettener, Hieronymus Schurff, Nikolaus von Amsdorf und Philipp Melanchthon.
Deshalb bitten wir in aller Untertänigkeit, Euer Kurfürstliche Gnaden wolle, als ein christlicher Fürst, sich der Sache mit Ernst annehmen und solchen Missbrauch der Messen in Euer Kurfürstlichen Gnaden Landen und Fürstentumen bald und schleunigst abtun und weltliche Schande oder Unehre, dass man Euer Kurfürstliche Gnaden einen Böhmen oder Ketzer schelten würde, gar nicht beachten. Denn alle, die um des Wortes Gottes willen etwas tun, die müssen solchen Hohn, Unehre und Schande dulden und leiden; und keiner von ihnen wird einen Vorschlag haben, dass Euer Kurfürstlichen Gnaden von Christus am Jüngsten Tage nicht wie Kapernaum vorgeworfen werde, dass solche große Gnade, Wunder und Barmherzigkeit in Euer Kurfürstlichen Gnaden Land umsonst und ohne unser Zutun geschehen ist, dass das 310 S. o. Anm. 260. 311 Johannes Bugenhagen (1485–1558), auch „Pomeranus“ genannt. Vgl. Nr. 141.
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Die Wittenberger Bewegung
heilige Evangelium darinnen offenbart, erklärt und an den Tag gekommen ist. Derhalben wird er auch von Euer Kurfürstlichen Gnaden für die Gnade und Gabe, die er Euer Kurfürstlichen Gnaden vor allen anderen Königen und Fürsten erzeigt hat, Rechenschaft fordern. Soviel aber die Augustiner betrifft, ist es nach unserem Bedünken keine Sünde, allein Messe zu halten, wenn man sonst die Messe nicht missbraucht. Man soll auch niemand wehren, allein und privatim die Messe zu halten. Doch wenn diese anfingen, die Messe dermaßen zu halten, wie sie sich vernehmen lassen, nach der Form des Evangeliums, wissen wir nicht, sie zu widerlegen. Bitten deshalb, Euer Kurfürstlich Gnaden wollen es als ein christlicher Kurfürst in gnädiges Bedenken nehmen. Damit befehlen wir uns Euer Kurfürstlich Gnaden in aller Untertänigkeit. Datum Wittenberg sonntags nach Luce evangeliste anno etc. XXI Quellennachweis Philipp Melanchthon: Melanchthons Briefwechsel: kritische und kommentierte Gesamtausgabe, hg. v. Heinz Scheible, T 1. Texte 1–254: (1514–1522), bearb. v. Richard Wetzel. Stuttgart/Bad Cannstatt 1991, N°174, S. 364–370, hier 369 f. (geringfügige Veränderungen und Anpassungen vorgenommen).
Nr. 95
Predigt und Abendmahl in Eilenburg durch Gabriel Zwilling
Gabriel Zwilling, gräzisiert auch „Didymus“ genannt, wurde um 1487 in Annaberg geboren und verstarb am 1. Mai 1558 in Torgau. 1512 schrieb er sich in Wittenberg ein und erwarb dort 1518 den Grad eines Magister Artium. Er schloss sich der Reformation an, drängte jedoch auf deren radikale Durchsetzung. Gemeinsam mit Nikolaus von Amsdorf und Justus Jonas wandte er sich gegen die Privatmessen und forderte die Kommunion in beiderlei Gestalt, also mit Brot und Wein. Er vertrat diese Position auch im Orden mit dem Ergebnis, dass der Konvent seit Oktober auf das Lesen von Messen verzichtete. Im November 1521 trat er aus dem Augustinerkloster aus. Ihm folgten einige Mitbrüder. Unter dem Einfluß der sog. „Zwickauer Propheten“ unterstützte er den Wittenberger Bildersturm, unterwarf sich aber später Luthers Maßregelung, der ihn daraufhin mehrfach als Prediger empfahl. Zwilling weilte zur Weihnachtszeit in Eilenburg. Er versuchte, die auch in Wittenberg begonnenen reformatorischen Änderungen im Abendmahlsgottesdienst umzusetzen. Die geschilderten Ereignisse dürften sich am Freitag, dem 27. Dezember 1521, dem sog. Johannistag, zugetragen haben und stimmen mit Augenzeugenberichten aus dem Januar 1522 überein. Seit 1523 in Torgau, wurde Zwilling dort zunächst Stadtpfarrer und später Superintendent bis 1548. In diesem Jahr wandte er sich energisch gegen die Bestimmungen des Augsburger Interims. Der sächsische Kurfürst Moritz ließ ihn verhaften und enthob ihn seines Amtes. Die letzten Jahre verbrachte er als Privatprediger. In der Pfarrkirchen hält man noch göttlichen Ampt Gottesdienst, aber ohne große Feierlichkeit und ohne Orgel. Erstlich hat man in der Pfarrkirche die Messe gesungen. Nach dem Evangelium hat der wittenbergische entlaufene Mönch angehoben [= angefangen] zu predigen und der
Predigt und Abendmahl in Eilenburg durch Gabriel Zwilling
Mönch hatte einen langen schwarzen Studentenrock und ein Hemd mit schwarzen Börtlein an. Er trug ein Barett aus Marderfell mit zwei Aufschlägen. Er hatte keine Tonsur, sondern die Haare waren nur kurz über den Kamm geschnitten, und er sah aus wie der Teufel. Neben ihm gingen einige tapfere Männer, die ihn führten, deren Namen ich nicht weiß. Er hat sein Sermon angefangen und das Volk zuerst singen lassen: Ein Kindelein etc. Den Text des heiligen Evangeliums hat er mit kurzen Worten gesagt. Danach fing er an: „Heute ist der achte Tag der Geburt Christi. An ihm sollten wir billigerweise Gott loben und das Evangelium predigen. Aber unsere Pfaffen und Prediger sagen uns Fabeln und Märchen und menschliche Gesetze etc.“ Danach hat er das Evangelium dieses Tages ausgelegt und den Namen Jesu, dabei hat er mit gesagt, daß die Pfaffen jetzt so sehr aufs Messehalten aus wären, daß man sie davon nicht abwenden könnte, man ziehe sie denn am Kopf und an den Haaren weg. Er hat die Messe auf das höchste verachtet und auch die guten Werke. Er sagte, daß es zwei Wege gäbe, einer davon sei enge und führe uns zum Himmel, und das sei der Weg des Glaubens, der andere sei breit und führe uns zur Hölle, und das seien die guten Werke, wie Messehalten, Beten, Fasten, Almosengeben und solches unnützes Zeug. Wir wären keinem Gesetz unterworfen, sondern die Gesetze wären uns unterworfen, und man sollte keinen zur Beichte oder zur Taufe zwingen. Er hat auch gesagt, man sollte keinen Tag bevorzugen, es sei denn Ostern, Pfingsten oder der Christtag, und keinen Heiligen feiern. Wir würden den Himmel erben, wenn wir glaubten, dann wäre es unmöglich, daß wir nicht selig würden. Daneben hat er alle Meßgewänder verachtet und gesagt, sie seien eine Erfindung und ein Gespenst [= Blendwerk] des Teufels und des Papstes. Danach hat er die Predigt geschlossen und ein Vaterunser beten lassen und gesagt, wer das Abendmahl unter beiderlei Gestalt nehmen wollte, der sollte ihm auf das Schloß folgen. Da sind ihm fast alle gefolgt, die in der Predigt waren, in die Kirche, die vor dem Schloß auf dem Berge liegt. Dort ist der Mönch in den Chor getreten und hat ein kurz Sermon [= Rede] gehalten, in der er sagte, es wäre eine lange Zeit das Evangelium und das Sakrament unter die Bank gestoßen worden. Jetzt wollte er beides zugleich wieder hervorziehen. Schließlich hat er gesagt, wer kommunizieren wolle, der solle in den Chor treten und das anzeigen. Er hat auch gesagt, wenn das Sakrament konsekriert wäre, brauchte man keinen Priester mehr, denn es könnte wohl ein Christenmensch das Sakrament dem anderen reichen. Es haben ungefähr hundertdreißig und mehr dabeigestanden, die danach hingegangen sind und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt genommen haben. Diese haben jeder einen Finger ausgestreckt, damit der entlaufene Mönch sich danach richten konnte. Und es sind Mann, Frau, Jungfrauen und Kinder von zehn und elf Jahren hinzugetreten. Der Mönch selbst hatte keine Meßgewänder an und hat mit deutschen Worten konsekriert und die Hostien den Kommunikanten in die Hand gegeben und gesagt, er wolle sie niemand in den Mund geben, auf daß sie selbst sehen und fühlen könnten, was sie nähmen. Den Wein hat er in zwei großen Bechern mit deutschen Worten gesegnet und den Kommunikanten zu trinken gegeben. Einer hat dem anderen den Becher umhergereicht und in seine Hand gegeben. Ein jeder hat nach seinem Gefallen getrunken und den Becher weitergegeben. Wenn sie den Wein ausgetrunken hatten, hat er neuen benedicirt [= gesegnet]. Er hat auch gesagt, es sei nicht nötig, zu beichten, wenn man kommunizieren wolle. Man könnte wohl auch nach dem Essen kommunizieren und wohl des Morgens vorher ein Süpplein essen. Die Kommunikanten sind fast mit lachendem Gemüt zum Abendmahl gegangen, auch die, die die Nacht vorher mit Saufen und Buhlen zugebracht hatten, wie ich es zum Teil gesehen habe.
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Die Wittenberger Bewegung
Quellennachweis Johann Karl Seidemann (Hg.): Erläuterungen zur Reformationsgeschichte durch bisher unbekannte Urkunden, Dresden 1844, S. 37–39. Wir folgen der Version von: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 206–209. Literaturhinweis Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation, Frankfurt am Main/Leipzig 2009, S. 334 f. Karl Pallas: Der Reformationsversuch des Gabriel Zwilling (Didymus) in Eilenburg und seine Folgen, in: ARG 9 (1912), S. 347–362. Detlef Metz: Zwilling (Didymus), Gabriel, in: BBKL, Bd. 14, Bautz/Herzberg 1998, Sp. 672–674.
Nr. 96
Philipp Melanchthon: Gutachten über Zwickauer Propheten
Melanchthon und Amsdorf hatten den Kurfürsten gebeten, wegen der Zwickauer Propheten zu intervenieren. Der sah sich zwar generell nicht zuständig, bestellte aber die beiden Theologen zu näheren Erläuterungen in seinen Aufenthaltsort Prettin. In seinem Brief an Hugold von Einsiedel312 und Georg Spalatin in Lichtenberg vom 1. Januar 1522 berichtete Melanchthon von seiner Unterredung mit den Vertretern der Zwickauer Propheten, insbesondere über die Frage einer Sonderoffenbarung und die Kindertaufe. Daraus entwickelt er die Frage des politisch geschickten Umgangs und rät von einer gewaltsamen Niederschlagung ab. In der Reaktion auf diesen Bericht wiegelt der Kurfürst ab, rät aber dazu, sich von den Zwickauer Propheten fernzuhalten. Zugleich unterstreicht er noch einmal, dass Luther nicht nach Wittenberg kommen dürfe, weil er ihm dort den nötigen Schutz nicht angedeihen lassen könne. Anfänglich ist die Sache, die mich bewegt, folgendermaßen verlaufen. Es sind am Tage des Evangelisten Johannes [27. Dezember] Claus Storck [Nikolaus Storch] mit zweien seiner Gesellen [Markus Stübner und Thomas Drechsel] in Wittenberg zu mir gekommen und haben mir angezeigt, wie sich in Zwickau eine gewisse Empörung erhoben hat, besonders wegen baptismi parvulorum [= der Kindertaufe] und fidei aliene [= des fremden Glaubens] und sich auf doctorem Martinum berufen. Danach habe ich insonderheit einen von den dreien, Marcus Thome [Markus Stübner], gehört, der mir gesagt hat, dass er – desgleichen auch Storch – besondere, gewisse und offenbare Gespräche mit Gott habe, doch nirgends predige, denn wo und was ihm Gott befehle. Ich habe so viel von ihm wahrgenommen, dass er in den höchsten und vornehmsten Artikeln des Glaubens der Schrift Sinn in rechter Weise hat, obwohl er eine sonderliche Weise zu reden hat. […] Ich habe also die Sache bei mir hin und her bedacht, besonders weil sie anzeigten, dass sie diesen Aufruhr in Zwickau erregt hätten und nach Möglichkeit weiter erregen möchten, und 312 Auch Haubold von Einsiedel (geboren zwischen 1462 und 1466–1522) war Kanoniker in Zeitz und Domherr zu Magdeburg und in Merseburg. Er diente zeitweilig Friedrich III. von Sachsen als kurfürstlicher Rat.
Ambrosius Wilkens „Zeitung aus Wittenberg“
gedacht, weil solch eine Empörung nicht mit Gewalt, sondern an sich mit Schriften und iudicio spiritualium hominum [= dem Urteil der geistlichen Menschen] zu stillen sei, dass in dieser Sache doctoris Martini iudicio [= das Urteil des Doktors Martinus] vonnöten sei, besonders weil sie sich auf Doktor Martinus berufen. […] Quellennachweis Philipp Melanchthon: Melanchthons Briefwechsel: kritische und kommentierte Gesamtausgabe, hg. v. Heinz Scheible, T 1. Texte 1–254: (1514–1522), bearb. v. Richard Wetzel. Stuttgart/Bad Cannstatt 1991, N° 202, S. 428 (Änderungen und Anmerkungen vorgenommen). Literaturhinweis James M. Stayer: Sächsischer Radikalismus und Schweizer Täufertum. Die Wiederkehr des Verdrängten, in: Günter Vogler (Hg.), Wegscheiden der Reformation: Alternatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Weimar 1994, S. 151–178. Paul Wappler: Thomas Müntzer in Zwickau und die Zwickauer Propheten. Gütersloh 1966. Thomas Kaufmann: Thomas Müntzer, „Zwickauer Propheten“ und sächsische Radikale: eine quellen- und traditionskritische Untersuchung zu einer komplexen Konstellation, Mühlhausen 2010. „Martinus halbenn …“, Zwickau und der reformatorische Umbruch, hg. v. der Stadtverwaltung Zwickau, Kulturamt und Stadtarchiv Zwickau, unter Mitarbeit von Helmut Bräuer, Silva Teichert u. a., Zwickau 2016.
Nr. 97
Ambrosius Wilkens „Zeitung aus Wittenberg“
Über die turbulenten Vorgänge in Wittenberg in der Weihnachtszeit 1521 berichtete die „Zeitung aus Wittenberg“ des Ambrosius Wilkens. Er hebt dabei einerseits die Rolle Melanchthons als vorsichtigen Vermittler, andererseits auch die detaillierten Forderungen der Bürgerschaft hervor. Die insgesamt positive Haltung Luthers zu den Veränderungen wird ebenfalls kolportiert. Sie steht zu den späteren InvokavitPredigten aus der Fastenzeit 1522 im Widerspruch. Dr. Martinus ist im Advent letzthin drei Tage heimlich zu Wittenberg gewesen, wie ein Edelmann in einem Wappenrock, hat eben einen dicken Bart um Mund und Wangen, daß ihn erstlich sogar seine allergeheimsten Freunde nicht gekannt haben. Er ist zu einem Goldschmied gekommen und hat eine Kette verdingt, dann zu Lukas Cranach, dem Maler, und hat also seine Possen getrieben und gesagt, es gefiele ihm in Wittenberg alles wohl, nur eins nicht, daß man seine Bücher zurückhielte, deren er wohl drei gemacht hat – die aber hat der Herzog lassen zurückhalten. Darüber ist Martinus unwillig geworden und hat eilends entboten und sie zurückfordern lassen, und dabei hat er dem Fürsten treulich geraten, er solle all sein Heiltum313 zusammen in einen Kasten schütten und das Gold und Silber gemeiner Stadt und dem armen 313 Reliquiensammlung des Allerheiligenstifts von Friedrich III. von Sachsen. Siehe Nr. 40.
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Haufen zu Nutz und Förderung wenden und kehren. Sein Gewissen dringe und nötige ihn, wider den Fürsten zu schreiben, denn es sei in vielen hundert Jahren kein christlicher Fürst in solch große Abgötterei gefallen. Er hat schließlich nicht länger können bleiben vor den Leuten, als man seiner ist innen geworden, und hat sich wieder von dannen gemacht. Item der Gabriel,314 Prediger im Augustinerkloster, der erstlich so wider die Messe gepredigt hat, hat seither seine Kutte auch abgelegt und soll ein Prediger geworden sein zu Eilenburg, sechs Meilen von hier. Auch sonst andere Augustinermönche mehr haben die Kutten von sich gelegt. Diese Dinge aber werden schier alt bei uns. Man redet jetzt von nichts anderem denn von einem Mann, den man einen neuen Propheten nennt. Er ist etliche Tage hier gewesen; ich habe ihn nicht gesehen, aber man sagt, er habe viel Offenbarung von Gott, und habe oft mit ihm geredet. Er ist zu Prag in Böhmen gewesen und hat dort gepredigt, aber sie haben ihn nicht wollen annehmen, sondern haben ihn mit Steinen geworfen, die aber wunderbarlich ohne ihm zu schaden, abgefallen seien. Philippus hat ihn in seinem Hause oft verhört, daß er nicht weiß, wie er mit ihm dran ist. Er ist in der Schrift erfahren und hat gesprochen, man habe viel Bibeln hier, sehe sie aber nur von außen an, und nicht von innen im Geist. Auch andere Doktoren haben ihn verhört und ihn mancherlei gefragt, ob er gepredigt habe und wer es ihn geheißen. Da hat er geantwortet: „Unser Herrgott.“ Ob er auch Bücher gemacht habe; da hat er gesagt: „Nein, unser Herrgott habe es ihm verboten“ usw. Also, daß ein Teil alles für Tand und Fantasma halten. Aber gleichwohl hat sich Philippus über ihn sehr entsetzt und den Studenten verboten, man solle ihn nicht vexieren. Man hat an den Herzog geschrieben, er solle Martinum herschicken; er hat sich auf ihn berufen, er muß zu ihm kommen. Er hat auch gesagt, Martinus habe meistenteils recht, aber nicht in allen Stücken; es werde noch ein anderer über ihn kommen mit einem höheren Geist, usw. Item, daß der Türke in kurzem solle Deutschland einnehmen, item daß alle Pfaffen sollten erschlagen werden, ob sie schon Weiber nähmen, item, daß in kurzem, ungefähr in fünf, sechs, oder sieben Jahren, solle eine solche Änderung in der Welt werden, daß kein Unfrommer oder böser Sünder solle lebend über bleiben usw. Dann werde ein Eingang, eine Taufe, ein Glauben sein. Die Kinder, die man jetzt taufe, ehe sie Vernunft haben, das sei keine Taufe. Also daß viele Gelehrte sagen, er habe einen Geist, er sei halt gut oder böse; aber er brauche scharfe Schulmeister. Ich meine, sie werden ihn noch erkennen lernen. Die folgenden Artikel sind von einer Gemeinde zu Wittenberg dem Rat vorgehalten worden, dabei zu bleiben und Hab und Gut, Leib und Leben darüber zu lassen: Der erste Artikel: Daß man einen jeden das Wort Gottes frei soll lassen predigen; denn das Gotteswort mag und will nicht gefangen sein. Der andere: Alle gezwungene Messe abzutun, denn es hat mancher Pfaff fünf, sechs, sieben Messen oder mehr am Tag in der Woche zu halten, da er deren keine mit Andacht, Hunger, Begierde, aus Liebe, mit Lust und Freude, ja auch mit gutem Gewissen halten kann. Der dritte: Abzutun Reliquien, Begängnis, Vigilien, Brüderschaft, Hochzeitsmessen, Votivmessen; aus dem Grunde, daß die Messe niemand nutz ist denn dem, der da isset und trinket sein Fleisch und Blut nach Christi Wort: „Esset und trinket alle davon“; und das allein in seinem Gedächtnis. Der vierte: Daß niemandem verboten und vorenthalten würde, was man beide Gestalten nennt, das Fleisch und Blut Christi, wer es begehrt. Das fünfte: Bier- und Schenkhäuser, da man ungebührlich Saufen abhält, abtun. Der sechste: Hurenhäuser, deren in der Stadt viele sind, austilgen und abtun und unter den
314 Gabriel Zwilling, siehe Nr. 95.
Hieronymus Schurff: Die Beilegung der Wittenberger Unruhen, 15. März 1522
Studenten, Pfaffen, Bürgern, Hausleuten usw., so öffentlich Hurerei halten, einen jeden strafen, unangesehen, daß sie unter dem Rektor oder Bischof stehen. Die Artikel hat der Rat dem Fürsten zugeschrieben. Der Fürst hat darauf entboten, sich zu enthalten, bis er eine Ordnung vorschlüge; es wird aber lang, und mittlerweile will die Gemeinde nicht gesättigt sein, und am Neujahrstage sind mehr denn tausend Menschen mit der Hostie und dem Kelche gespeist worden, und am Sonntag danach ebensoviele, desgleichen am Heiligen Dreikönigstage mit Fleisch und Blut Christi gespeist. Item, Karlstadt predigt alle Freitage zweimal. Ich glaub, daß all das Volk in der Stadt jetzt dabei sei; und die vorher nie oder wenig zur Predigt gegangen sind, versäumen jetzt keine. Auch wird man anheben, alle Werktage je einen Psalm zu verdeutschen und auszulegen, und die Schrift, die dazu dient und stimmt, am Morgen früh anstatt der Messe. Der Propst [Justus Jonas] macht es schon so. Ebenso will Karlstadt ein Kapitel aus der Bibel lesen, das die Pfaffen nicht gerne hören, und zwar am Abend anstatt der Vesper. Der Fürst kanns nicht länger verhindern, und andere Fürsten mögen dazu tun, was sie wollen, sie werdens nicht dämpfen, noch unterdrücken. Ist es von oder aus Gott, so wird man noch Wunder sehen. Es begeben sich rings umher in allen Städtlein seltsame Fälle und Geschichten. Gott gebe seine Gnade! Amen. Quellennachweis Nikolaus Müller: Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt, Leipzig 2 1911, Nr. 68, S. 151–163. Mit Änderungen übernommen aus: Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 284 f. Literaturhinweis Thomas Kaufmann, Geschichte der Reformation, Frankfurt am Main/Leipzig 2009, S. 320–324.
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Hieronymus Schurff: Die Beilegung der Wittenberger Unruhen, 15. März 1522
Hieronymus Schurff, am 12. April 1481 in St. Gallen geboren und am 6. Juni 1554 in Frankfurt (Oder) verstorben, war Jurist und folgte 1502 der Bitte des Johann von Staupitz, sich in der neu gegründeten Landesuniversität von Kursachsen zu engagieren. Dort, in Wittenberg, promovierte er 1507 zum Doktor beider Rechte (weltliches Recht und Kirchenrecht) und wirkte neben seiner Lehrtätigkeit als kurfürstlicher Rat, Beisitzer am sächsischen Oberhofgericht und Rechtskonsulent. Der mit Philipp Melanchthon seit den Tübinger Studientagen bekannte und herzlich verbundene Jurist Schurff genoss als Berater am Hof der Kurfürsten einen ausgezeichneten Ruf. In seinem Schreiben an den Kurfürsten versucht Schurff zu vermitteln, warum Luther entgegen der kurfürstlichen Weisung die Wartburg verlassen hatte und nach Wittenberg zurückgekehrt war. In seinen Invokavit-Predigten gebot Luther den radikalen Auswüchsen der Reformatoren Einhalt. Es gelang ihm, die Ruhe in der Stadt wiederherzustellen und die Tumulte radikalerer Geister abzuwehren.
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Dem durchlauchtigsten, hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Friedrichen, des heiligen römischen Reichs Erzmarschalln, Kurfürsten, Herzogen zu Sachsen, Landgrafen in Thüringen, und Markgrafen zu Meißen, meinem gnädigsten Herrn. Durchlauchtigster, hochgeborner Fürst, meine ganz willige, untertänige, verpflichte Dienste sind Ew. Kurfürstl. Gnaden zuvor. Gnädigster Herr! Ich habe Ew. Kurfürstl. Gnaden gestellte Copie Dr. Martino gehorsamlich vorgehalten, der die dann in aller Untertänigkeit angenommen und lauts der allenthalben an Ew. Kurfürstl. Gnaden demütiglich geschrieben, wie ich hiermit Ew. Kurf. Gnaden untertäniglich zuschicke. Und bitte Ew. Kurf. Gn. untertäniglich zu wissen, daß sich große Freude und Frohlocken, unter Gelahrten und Ungelahrten, bei uns aus Dr. Martini Zukunft [= Ankunft] und Predigen erhoben und erwachsen, denn er dadurch uns arme verführte und geärgerte Menschen, vermittelst göttlicher Hilfe, wiederum auf den Weg der Wahrheit täglich weiset mit unwiderfechtlichen Anzeigung unsers Irrtums, darinne wir von den eingedrungenen Predigern jämmerlich geführet; also daß augenscheinlich und am Tage [ist], daß der Geist Gottes in ihm ist und durch ihn wirket. Und bin ungezweifelt, daß aus sonderlicher Schickung des Allmächtigen er auf diese Zeit gen Wittenberg kommen. Gabriel315 hat auch bekannt, daß er geirret, und den Sachen zu viel getan. Es ist auch Dr. Capito316 zwo Nächte bei uns gewesen, und zween Sermon [= Predigten] von Dr. Martino,317 in denen er angezeigt, wie gröblich von dem hochwürdigen Sakrament des Altars, und dessen Gebrauchung, geirret worden ist, angehöret, und dessen höchlich erfreuet, als er denn mir selbst sagte. Und darum, dieweil ohn allen Zweifel dieses angefangene Werk aus Gott kommen und geflossen, so wird er’s auch wohl vertreten, und also schicken, daß es wohl unumgestoßen bleibe, weder vom Teufel noch seinen Anhängern, wo man das in wahrhaftiger Zuversicht und Vertrauen, in rechter Demut und Furcht Gott befiehlt und anheimstellet. Es soll auch, ob Gott will, was Ew. Kurf. Gn. mir befohlen und befehlen werden, bei mir bis in die Grube [Grab] geheim bleiben. Karlstadt ist nicht wohl zufrieden, aber er wird nichts, hoffe ich zu Gott, ausrichten noch schaffen. Und befehle mich hiermit Ew. Kurf. Gn. in aller Untertänigkeit, die der allmächtige Gott im wahren, beständigen Glauben bis zu Ende dieses elenden Lebens enthalte, Amen. Datum Wittenberg, Samstag nach Invocavit, Anno 1522. Ew. Kurf. Gn. untertäniger und verpflichteter Hieronymus Schurf. Quellennachweis Walch, Bd. 15, S. 2008 f. (Nr. 653). (Geringfügige sprachliche Anpassungen vorgenommen).
315 Ebd. 316 Wolfgang Capito (1478–1541), humanistisch gebildeter Theologe aus Schlettstadt im Elsass. Nach Studien in Ingolstadt, Heidelberg und Freiburg promovierte er zum Doktor der Theologie und nahm bis 1520 verschiedene Aufgaben in Kirche und an der Universität Basel wahr. Danach wechselte er als Domprediger nach Mainz. In dieser Funktion dürfte er, vermittelt über sein ausgeprägtes, humanistisches Netzwerk, nach Wittenberg gekommen sein. Vgl. Thomas Kaufmann: Reformatoren, Göttingen 1998, S. 40–42 sowie Martin Heimbucher: Prophetische Auslegung: Das reformatorische Profil des Wolfgang Fabricius Capito ausgehend von seinen Kommentaren zu Habakuk und Hosea, Frankfurt am Main 2008. 317 Die vierte und fünfte Predigt am 12. und 13. März 1522.
Hans Sachs: Die Wittenbergisch Nachtigall
Literaturhinweis Heinz Kathe: Die Wittenberger Philosophische Fakultät 1502–1817 (Mitteldeutsche Forschungen. Bd. 117), Köln/Weimar/Wien 2002. Wiebke Schaich-Klose: D. Hieronymus Schürpf. Leben und Werk des Wittenberger Reformationsjuristen 1481–1554, Trogen 1967. Rolf Steding: Hieronymus Schürpf und sein Verhältnis zu Martin Luther. Porträtskizze eines namhaften Wittenberger Juristen, in Jus commune Jg. 20 (1993), S. 186–192. Heiner Lück: „… und viel feiner gesellen, die fleißiglichen studieren…“ Hieronymus Schurff (1481–1554), in: Mit dem Recht für das Leben, in: Evangelisches Predigerseminar Lutherstadt Wittenberg (Hg.): Wittenberger Lebensläufe im Umbruch der Reformation. Wittenberger Sonntagsvorlesungen 2005, Wittenberg 2005, S. 52–74.
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Hans Sachs: Die Wittenbergisch Nachtigall
Hans Sachs wurde am 5. November 1494 in Nürnberg geboren und verstarb in seiner Heimatstadt am 19. Januar 1576. Er war Schuhmacher und gehörte zu den Meistersingern. Nach der Ausbildung und den damit verbundenen Wanderjahren sowie einer Ausbildung zum Meistersinger ließ sich Sachs 1516 in Nürnberg nieder. Nach Erwerb der Meisterwürde wurde er aktives Zunftmitglied der Meistersinger und zeitweise deren Vorsitzender. Noch vor Einführung der Reformation in Nürnberg positionierte er sich als deren Parteigänger und trug zur Verbreitung der reformatorischen Lehren bei. Sein Gedicht Die Wittenbergisch Nachtigall aus dem Jahr 1523 ist das wohl bekannteste Beispiel dafür. Zwischen 1523 bis 1526 verfasste er etliche Reformationsdialoge und zeitkritische Flugschriften sowie das Reformationslied Wach auf. Er firmierte als Autor weiterer 6.000 Werke. Sachs’ Werk gilt als ein bedeutendes Zeugnis der reichsstädtischen Kultur des 16. Jahrhunderts. Die Wittembergisch Nachtigall, die man jetzt höret überall Wach auf! Es nahent gen dem Tag. Ich hör singen im grünen Hag Ein wunnigliche Nachtigall. Ihr Stimm durchklinget Berg und Tal. Die Nacht neigt sich gen Okzident, Der Tag geht auf von Orient, Die rotbrünstige Morgenröt Her durch die trüben Wolken göht, Daraus die lichte Sonn tut blicken. Des Mondes Schein tut sie verdrücken. Der ist jetzt worden bleich und finster, Der vor mit seinem falschen Glinster Die ganze Herd Schaf hat geblendt,
Daß sie sich haben abgewendt Von ihrem Hirten und der Weid Und haben sie verlassen beid, Sind gangen nach des Mones Schein In die Wildnis den Holzweg ein, Haben gehört des Löwen Stimm, Und sind auch nachgefolget ihm, Der sie geführt hat mit Liste Ganz weit abwegs tief in die Wüste. Da haben s’ ihr’ süß Weid’ verloren, Hant gessen Unkraut, Distel und Doren; Auch legt’ ihn’ der Löw Strick verborgen, Darein die Schaf fielen mit Sorgen.
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Da sie der Löw dann fand verstricket, Zuriß318 er sie, darnach verschlicket’319 . Zu solcher Hut haben geholfen Ein ganzer Hauf von reißender Wolfen, Haben die elend Herd besessen Mit Scheren, Melken, Schinden, Fressen. Auch lagen viel Schlangen im Gras, Sogen die Schaf ohn Unterlaß Durch all Gelied bis auf das Mark. Des wurden die Schaf dürr und arg Durchaus und aus die lange Nacht und sind auch allererst erwacht, So die Nachtigall so hell singet Und des Tages Gelänz320 herdringet, Der den Löwen zu kennen geit321 Die Wölf und auch ihr falsche Weid. Des ist der grimmig Löw erwacht. Er lauret und ist ungeschlacht Uber der Nachtigall Gesang, Daß sie meldt der Sonnen Aufgang, Davon sein Königreich End nimmt. es ist der grimmig Leu ergrimmt, Stellt der Nachtigall nach dem Leben Mit List vor ihr, hinten und neben. Aber ihr kann er nicht ergreifen. Im Hag kann sie sich wohl verschleifen.322 Und singet fröhlich für und für. Nun hat der Löw viel wilder Tier, Die wider die Nachtigall blecken,323 Waldesel, Schwein, Böck, Katz und Schnecken. Aber ihr Heulen ist alls fehl, Die Nachtigall singt ihn’ zu hell Und tut sie all ernieder legen. Auch tut das Schlangenzücht sich regen. Es leuchtet her des Tages Brunst Und singt die Nachtigall so klar, Und sehr viel Schaf an dieser Schar
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Zerriss. Verschluckte. Glanz. Erkennen gibt. Verbergen. Die Zähne zeigen. Weit. Menschenfinten.
Kehren wieder aus dieser Wilde Zu ihrer Weid und dem Hirten milde. Etlich melden den Tag mit Schall In Maß recht wie die Nachtigall, Gen den’ die Wölf ihr Zähn tun blecken, Jagen sie ein die Dorenhecken Und martern sie bis auf das Blut Und drohen ihn’ bei Feuers Glut, Sie sollen von dem Tage schweigen. So tunt sie in die Sunnen zeigen, Der’ Schein niemand verbergen kann. Nun daß ihr klärer möcht verstahn, Wer die lieblich Nachtigall sei, Die uns den hellen Tag ausschrei, Ist Doktor Martinus Luther, Zu Wittemberg Augustiner, Der uns aufwecket von der Nacht, Darein der Monschein uns hat bracht. Der Monschein deut die Menschenlehr Der Sophisten hin und her, Innerhalb der vierhundert Jahren, Die sind nach ihr Vernunft gefahren Und hant uns abgeführet ferr324 Von der evangelischen Lehr Unseres Hirten Jesu Christ Hin zu dem Löwen in die Wist. Der Löwe wird der Papst genennt, Die Wüst des geistlich Regiment, Darin er uns hat weit verführt Auf Menschenfunt,325 als man jetzt spürt, Damit er uns geweidnet hat. Es wispelt sehr und widerficht Und förchtet sehr des Tages Licht. Ihn’ will entgehn die elend Herd, Darvon sie sich haben genährt Die lange Nacht und wohl gemäst, Loben, der Löw sei noch der best, Sein Weid sei süß unde gut, Wünschen der Nachtigall die Glut.
Hans Sachs: Die Wittenbergisch Nachtigall
Desgleichen die Frösch auch quaken Hin und wider in ihren Laken326 Uber der Nachtigall Getön, Wann ihr Wasser will ihn’ entgehn. Die Wildgäns schreien auch Gagag Wider den hellen lichten Tag Und schreien ingemeine all: Was singet Neus die Nachtigall? Verkündet uns des Tages Wunn, Sam327 macht’ allein fruchtbar die Sunn Und verachtet des Mones Gläst!328 Sie schwieg wohl still in ihrem Nest, Macht’ kein Aufruhr unter den Schafen. Man sollte sie mit Feuer strafen. Doch ist dies Mordgeschrei alls umsunst. Deut den Gottesdienst, der jetzund gaht In vollem Schwang auf ganzer Erden: Mit Mönich-, Nonnen-, Pfaffenwerden, Mit Kuttentragen, Kopfbescheren, Tag unde Nacht in Kirchen plärren, Metten, Prim, Terz, Vesper, Komplet, Mit Wachen, Fasten, langen Bet,329 Mit Gertenhauen, Kreuzweisliegen, Mit Knien, Neigen, Bucken, Biegen, Mit Glockenläuten, Orgelschlagen, Mit Heiltum-, Kerzen-, Fahnentragen, Mit Räuchern330 und mit Glockentaufen, Mit Lampenschüren, Gnadverkaufen331 , Mit Kirchen-, Wachs-, Salz-, Wasserweihen; Und desgeleichen auch die Laien: Mit Opfern und den Lichtleinbrennen, Mit Wallfahrt und den Heiling denen, Den Abend fasten, den Tag feiren, Und beichten nach der alten Leiren,
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Lachen. Als. Mondes Glanz. Gebeten. Rauchopfer bringen. Ablasshandel. In die Kirche scharwenzen. Aufwand. Manieren. Samtene. Bildern. Durch Simonie erwerben.
Mit Bruderschaft und Rosenkränzen, Mit Ablaßlesen, Kirchenschwenzen,332 Mit Pacemküssen, Heiltumschauen, Mit Meßstiften und Kirchenbauen, Mit großem Kost333 die Altar zieren, Tafeln auf welschen Monieren,334 Sammate335 Meßgewand, Kelich gülden, Mit Monstranzen und silbern Bülden.336 In Klöster schaffen Rent und Zinst. Dies alles heißt der Papst Gottesdienst. Spricht, man verdient damit den Himmel Und lös mit ab der Sünden Schimmel. Ist doch alls in der Schrift ungründt, Ist eitel Gedicht und Menschenfund. – Nun laßt uns schauen nach den Wolfen, Die dem Papst hân dazu geholfen, Zu führen solche Tyrannei. Bischöf ’, Pröbst’, Pfarrer und Abtei, Alle Seelsorger und Prälaten, Die uns mit Menschenlehr’ beraten Und das Wort Gottes unterdrücken, Kommen mit vorgeen Stucken, Und wenn man’s bei dem Licht besicht, Ist es alls nur auf das Geld gericht. Man muß Geld geben von dem Taufen, Die Firmung muß man von ihn’ kaufen, Zu Beichten muß man geben Geld, Die Meß man auch um Geld bestellt, Das Sakrament muß man ihn’ zahlen; Hat man Hochzeit, man geit ihn’ allen. Stirbt eins, um Geld sie es besingen. Wer’s nit will tun, den tun sie zwingen, Und sollt es einen Rock verkaufen. Also sie uns die Woll ausraufen. Und was sie lang ersimoneien.337
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Sie wieder um Wucher hinleihen. Von zweinzg Gulden ein Malter Koren, Ich mein, das heißt die Schaf geschoren. […] Also hant uns die Wölf und Schlangen Bis in das vierthalbhundert Jahr Behalten in ihr Hut fürwahr Und mit des Papsts Gewalt umtrieben, Bis Doktor Martin hat geschrieben […] Darum, ihr Christen, wo ihr seid,
Kehrt wieder aus des Papstes Wüste Zu unserm Hirten Jesu Christe! Derselbig ist ein guter Hirt, Hat sein Lieb mit dem Tod probiert338 Durch den wir alle sind erlost, Der ist unser einiger Trost Und unser einige Hoffnung, Gerechtigkeit und Seligung All, die glauben in seinen Namen. Wer des begehr, der spreche: Amen! Anno salutis 1523 Jahr, am 8. Tag Julii
Quellennachweis Hans Sachs. Werke in zwei Bänden. Bd. 1: Spruchgedichte und Lieder. Prosadialoge. Auswahl, Einleitung und Anmerkungen von Reinhard Hahn. Textrevision und Fußnoten von Erika Weber, Weimar 1992, S. 33–37; 38–39; 42–43; 53. Literaturhinweis Eckard Bernstein: Hans Sachs mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1993. Gabi Posniak (Hg.): Hans Sachs, der Schuhmacher: 1494–1576, Offenbach am Main 1994. Wilhelm Richard Berger: Hans Sachs: Schuhmacher und Poet, Frankfurt am Main 1994. Eli Sobel: Luther and Hans Sachs, in: Gerhard Dünnhaupt (Hg.): The Martin Luther Quincentennial, Detroit 1985, S. 129–141. Richard Zoozmann: Hans Sachs und die Reformation: In Gedichten und Prosastücken, hg. und mit einem Vorwort versehen von Christiane Beetz, Nachdruck der Originalausgabe Leipzig 1904, Hamburg 2010.
Nr. 100 Die Spottfeier von Buchholz Der karnevaleske Spott der Bevölkerung richtete sich gegen die Verehrung der Reliquien von Benno, dem ersten Bischof von Meißen. Die römischen Kontroverstheologen Hieronymus Emser, Augustin von Alfeldt sowie der Abt Bachmann von Alten-Zella versuchten, den Kult zu bestärken, konnten aber gegen den reformatorischen Aufruhr wenig ausrichten. Der Text der Flugschrift stellt ein sprechendes Beispiel für die Wirkmacht der reformatorischen Kritik an der bestehenden Kirchenpraxis in den einfacheren Bevölkerungsschichten und deren radikalreformerisches Potential dar.
338 Bewiesen.
Die Spottfeier von Buchholz
Es warf sich in Buchholz zusammen ein sehr großer Haufe Häuer und junges Volk und richteten einen Bischof zu, machten eine herrliche, löbliche Prozession und trugen Fahnen vor von alten faulen Fußtüchern, setzten Badhütlein und Hanffieber auf als Baretts, daß man sehe, wie es geistliche Gelehrte wären. Sie trugen auch ein offenes Brettspiel als Gesangbuch und sangen daraus; auch eine Misttrage und alte Multern,339 das Heiligtum zu fassen und zu heben, weil keine silbernen oder goldenen Becken und Schüsseln zu der Zeit vorhanden waren, und einen alten Fischkessel zum Weihwasser, und einen schönen Himmel von einem besudelten Grastuch, etliche Mistgabeln wie die Kerzen. Es ging eine Fiedel vor mit einer Laute. Also zogen sie hinaus zu einem alten Schacht und taten ihren Gesang, traten umher mit Schaufeln und Hauen, und erhoben Bischof Benno mit großem Ernst und Andacht, daß man sich möchte starr gelacht haben. Sie trugen das Gebein auf der Misttrage mit Mist und alten Pelzflecken zugedeckt, weil die goldenen und seidenen Stücke nicht da waren; nämlich einen Roßkopf, einen Kinnbacken von einer Kuh und zwei Roßbeine, und zogen hinein auf den Markt. Da ging ein Bischof her, der hatte einen strohernen Mantel oder Chorkappe an, und einen krummen Stab, und eine Fischreuse als Bischofshut, wiewohl Perlen und Edelsteine nicht daran waren, trat auf und tat eine schöne Predigt und verkündete das Heiligtum, nämlich einen Kinnbacken und sprach: „O liebe Andächtige, das ist der heilige … Backen des lieben Chorschülers zu Meißen, St. Benno.“ Es goß jedermann Wasser dazu. Da half alles nichts: wer nur zusah, der mußte vor Andacht lachen, daß ihm die Augen troffen und er sich setzen mußte. Darauf verkündigte der Papst Ablaß und vermahnte, daß man opfern sollte, und sie sangen: „Lieber Herr St. Benno, wohne uns bei“, usw. Darnach nahmen sie den Papst und setzten ihn auf die Misttrage, und trugen ihn zu viert empor, und kamen mit Gesange zu einem Rohrkasten.340 Da warfen sie den Papst hinein mit Stuhl und mit allem, darnach seine Träger auch. Es ging alles so andächtig zu, daß mans nicht schreiben kann. Etliche aber der Bürger erschraken, die wohl schwach im Glauben waren, und regten den Bergvogt an, daß er sie hieße aufhören, damit es nicht scheinen sollte, als wäre solches durch das Predigen oder auf Geheiß geschehen. Da mußten sie aufhören; sprachen aber: „Ei, wollen denn die Papisten nicht aufhören so gröblich und unverschämt zu narren, warum soll man nicht ihrer Narrheit närrisch spotten?“ Also ist der löbliche Actus zugegangen. Ich habe auch in einer Gesellschaft davon hören reden, daß einer fragt: „Nun ratet alle: welche haben des Benno am ärgsten gespottet; die zu Meißen mit ihrem Heben oder die in Buchholz?“ Da ward geantwortet, daß die zu Meißen hätten den ärgsten Spott getrieben, aus der Ursache: das in Buchholz ist ein Schimpf und Scherz, der niemand geschadet hat; aber die zu Meißen haben mit Ernst gespottet und viele Leute ums Geld dazu gebracht. Denn es haben etliche Großen des Adels etliche Domherren angeredet und hart getadelt, warum sie so kühn sein mögen, ein solches Affenspiel anzurichten, so sie doch selbst müssen bekennen, daß sie ungewiß sind und noch heutigestags nicht eigentlich wissen, an welchem Ort Bischof Benno begraben liegt, und den Leuten das Maul mit ungewissen Sachen aufsperren. Daher viele meinen, es sei etwa ein Chorschüler erhoben an Bennos statt. Das ist ein ernstlicher schändlicher Spott. Das mögt Ihr aber mir kühnlich nachsagen, da ichs neben viel andern mit Augen gegenwärtig gesehen habe, da man den Benno zu Meißen erhub, daß sein Haupt nicht wohl zwei Fäuste groß war, und sein Gebein und Röhren so klein, daß, wenn mans hätte aufeinandergesetzt, der ganze Leib einem Manne kaum an die Hüfte sollte gereicht haben. Es waren keines Mannes Gebeine da außer ein Schulterblatt, welches vielleicht dazugelegt ist. Gott gebe, daß der Benno
339 Gefäß aus dem Müllerhandwerk. 340 Brunnentrog.
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irgendein junger Markgraf zu Meißen gewesen sei, da doch sonst ein Gerücht geht, daß er eines Markgrafen Sohn sei (etliche sagen jedoch, eines wendischen Bauern Sohn.) Also treibt der Teufel sein Affenspiel mit Gottes Namen und Dienste. Quellennachweis Von der rechten Erhebung Bennonis ein Sendbrief (1524), hg. v. Alfred Götze, Halle 1906, S. 203–205. [S. 35–37] (Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation, hg. v. O. Clemen. Bd. 1. H. 5). Wir folgen der Version in: Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 320–322. Literaturhinweis Max Moritz Tutzschmann. Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen: ein Lebensbild aus dem Zeitalter der Reformation, Grimma 1848, S. 520. Heribert Smolinsky: Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser. Eine Untersuchung zur Kontroverstheologie der frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen (= RST Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Heft 122), Münster 1984.
Nr. 101 Herzog Georg von Sachsen Herzog Georg von Sachsen (27. August 1471 bis 17. April 1539), auch Georg der Bärtige genannt, war ein erbitterter Gegner von Jan Hus und Martin Luther. Er verfügte über eine gute Bildung und hat möglicherweise sogar Theologie studiert. Seit 1486 hatte er das Amt und die Würde eines Domherrn in Mainz inne. Er führte gegenreformatorische Maßnahmen in seinem Herrschaftsgebiet durch. 1523 ließ er in seinem Herzogtum alle Lutherbibeln konfiszieren. Der nachfolgende Bericht stammt von Georg Fabricius (1516–1571). Der reformatorische Gelehrte, mit Geburtsnamen Goldtschmidt, hat den Bericht über Herzog Georg sehr viel später geschrieben.
Herzog Georg hat diejenigen seiner Untertanen, so anders als er und seine Theologen gläubten, mit Gefängnis oder Landesverweisung gestraft, wenn sie verbotene Speisen aßen, in andere Kirchen gingen, oder das Abendmahl unter einerlei Gestalt nach des Papstes Einsetzung nicht mehr gebrauchen wollten. Die Prediger, so er antraf, schickte er nach Stolpen oder Merseburg den Bischöfen, sie zu martern; deren etliche zu ewiger Gefängnis verdammet, etliche durch Hunger und Gestank der Gefängnisse getötet worden. Wenn sie dann starben, wurden sie auf dem Schinderkarren weggeschleppt und auf dem Schindanger begraben. Die Bürger in großen und kleinen Städten wurden gleichergestalt eines ehrlichen Begräbnisses beraubt (worunter zu Leipzig der ehrbare und gelehrte Jurist Augustinus Picus gewesen ist), und entweder außer dem Gottesacker, oder gar auf den Fehmstätten eingescharrt. Etlichen, wenn sie vom Scharfrichter oder Büttel des Landes verwiesen wurden, hing man zum Spott einen Lappen über die Schultern, so in der Mitte zerrissen, dadurch sie den Kopf stecken mußten, welches ich zu Dresden selbst gesehen habe. Lutherus schrieb Briefe an die Vertriebenen zu
Bericht über die Verbrennung der Brüsseler Märtyrer
Leipzig, Oschatz, Mittweida und andere, vermahnte sie zur Ruhe und Geduld, und versicherte, des Herzogs Grimm würde nicht lange währen. Quellennachweis Johann Erhard Kapp, Kleine Nachlese einiger größten Theils noch ungedruckter und sonderlich zur Erläuterung der Reformationsgeschichte nützlicher Urkunden. Th. 1, Leipzig 1727, S. 43–45 (Nach Tentzels Übersetzung aus: Georgii Fabricii Chemnicensis Originum illustrissimae stripis Saxoniae libri septem. Jenae 1597. Lib. VII, S. 874–875). Wir folgen der Version in: Karl Kaulfuß-Diesch (Hg.): Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden, Leipzig 3 1917, S. 427. Literaturhinweis Christoph Volkmar: Reform statt Revolution. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488–1525, Tübingen 2008. Friedrich Wilhelm Bautz: Georg der Bärtige, in: BBKL, Bd. 2, Hamm 1990, Sp. 209 f.
Nr. 102 Bericht über die Verbrennung der Brüsseler Märtyrer Hendrik Voes und Johannes van Esschen waren Augustinermönche, die der Reformation zuneigten. Zunächst wurde Propst Heinrich von Zütphen341 wegen seiner reformatorischen Gesinnung, die er öffentlich kundgetan hatte, verhaftet und das Kloster niedergerissen. Weitere Augustiner wurden inhaftiert. Voes und van Esschen verweigerten den Widerruf und wurden zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Das Urteil wurde am Mittwoch, den 1. Juli 1523, in Brüssel auf dem Grote Markt vollstreckt. Luthers Lied „Ein neues Lied wir heben an.“ steht im Zusammenhang mit diesem Ereignis. Der folgende Bericht stammt von einem Augenzeugen jener Verbrennung.
Es ist uns in diesen Tagen ein Schauspiel dargeboten worden, das ich beklagenswert nennen würde, wenn diejenigen, für die es Mitleid erregen sollte, die Zuschauer hätten für sich Mitleid fühlen lassen und sie nicht sehr glücklich erschienen wären. Wenn man Zeit hat und es gefällig ist, nimm die Summe der Sache in Kürze an. Aus jenem Konvent der Augustiner, die aus der Stadt Antwerpen als Gefangene nach Vilvoorde geführt worden waren, beharrten drei in ihrer Häresie, während die übrigen widerriefen. Nichts blieb unversucht, damit diese genauso widerriefen, wie ihre Ordensbrüder widerrufen hatten. Als sie sahen, daß sie – denen das Geschäft übergeben worden war – nichts herausbrachten, obgleich sie alles versuchten, beschlossen sie, die allzu Hartnäckigen schließlich der Todesstrafe zu übergeben. Sie wurden nach Brüssel gebracht und sorgfältig in Verwahrung genommen. Es kamen die edlen Magister
341 Heinrich von Zütphen (1488–1524) war Reformator und Märtyrer. Vgl. hierzu Friedrich Wilhelm Bautz: Heinrich von Zutphen, in: BBKL, Bd. 2, Bautz/Hamm 1990, Sp. 685–686.
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von Löwen dorthin. Das Gerücht, daß fast kaum ein Tag dem Tag der Hinrichtung vorangehen würde, zog noch einige wenige andere von dort hierher. Am Tage vor Visitationis Deiparae virginis [1. Juli] lief man auf dem Markt zusammen. Es kamen drei Minoritenorden zusammen, denn es gibt hier, wie Du weißt, nicht mehr, und schritten in feierlicher Prozession einher, wobei sie, wie sie gewohnt sind, die Kreuzesfahne vorantrugen. Es nahmen nun nach der Ordnung die Professoren der heiligen Theologie, die Äbte mit sichtbaren Bischofsmützen und edelsteinbesetzten Hirtenstäben, die im Range der Bischöfe erschienen waren, und einige andere auf der Tribüne Platz. Denn die Tribüne war sehr groß vor dem Gebäude errichtet, das im Volk Rathaus genannt wird. In der elften Stunde wurde der jüngste der drei über den Markt geführt, der so, wie er an Jahren von den anderen überragt wurde, diese an Gelehrsamkeit und Redefertigkeit übertraf. Er wurde hineingeführt und hielt sich darinnen ein wenig auf. Er kam hervor auf die Tribüne, angetan mit einer geistlichen Rüstung. In der Mitte war ein Tisch aufgestellt, der wie ein Altar ausgerüstet und unbedeckt war. Vor diesem fiel er nieder, nachdem er seine Knie gebeugt hatte, wo alle wie Erstarrte ihre Augen auf ihn hefteten. Es war unmöglich, ein Anzeichen der Unruhe oder der Verwirrung des Geistes wahrzunehmen. Ein Guardian der Minoriten trat hinter den Altar und begann seine Predigt. An der Vorderseite begann der Bischof, nachdem ein Buch aufgeschlagen worden war, die Zeremonien. Die ganze Zeit über, solange dieser die Zeremonien durchführte, predigte jener, und der Jüngling verharrte in derselben Körperhaltung und in demselben Gesichtsausdruck. Da ich den Prediger wegen der Menge nicht sehen konnte, was auch anderen widerfuhr, richtete ich meinen Blick ganz auf den Angeklagten. Wenn feststeht, daß es wahr ist, warum sollen wir es leugnen? Das Gesicht war gefaßt und still. Er trug nicht nur die Verachtung des Todes, sondern auch höchste Bescheidenheit und Sanftmut zur Schau. Er schien einem ähnlich zu sein, der sich mit Gebeten und heiligen Betrachtungen beschäftigt. Danach wurde ihm dieses und jenes befohlen. Es ist erstaunlich, wie bereitwillig und nicht ungern er gehorchte. Es heißt, er habe nebenher gesagt, er würde bis zum Tod gehorsam sein. Nachdem diese Zeremonien durchgeführt worden waren, in denen aus einem Geistlichen einer gemacht worden war, den das Volk Laie oder Weltlichen nennt, und seine Kleidung gewechselt worden war, ging er hinweg. Danach kamen die zwei übrigen heraus. Sie waren schrecklich anzusehen. Sie waren allzu bärtig – während jener Jüngling, den ich erwähnte, am Kinn nicht struppig, sondern das Antlitz in erstaulicher Weise lieblich und ausgesprochen reizend gewesen war –, aber sie traten hervor, und ihr Gesichtsausdruck bezeugte dieselbe Festigkeit und denselben freudigen Mut. Warum soll ich viele Worte machen? Nachdem ihnen die Priester- und die Mönchsweihe abgenommen worden war, so daß aus Heiligen Weltliche gemacht wurden, verließen sie die Tribüne. Bald danach wurden zwei herausgeführt. Zuerst der eine und dann der andere von den späteren. Man ging zu dem Feuer, das auf demselben Platz, wo das geschehen war, hergerichtet worden war. Inzwischen, während sie geführt wurden und während sie sich ihre Kleidung auszogen, wurde vieles von ihnen gehört, was für alle sehr deutliche Beweise ihres vernünftigen und frommen Denkens und eines Handelns, als wären sie vom Körper erlöst und mit Christus verbunden, gewesen wären, wenn man nicht überzeugt worden wäre, daß sie als Ketzer überführt wurden. Wiederholt bezeugten sie, daß sie als Christen sterben, daß sie an die heilige, christliche Kirche glauben. Sie sagten, das sei der Tag, den sie schon lange erwartet hätten. Bald waren sie von ihrer Kleidung entblößt, so daß sie nur noch das Unterkleid anhatten, und standen eine Zeitlang, wobei sie selbst mehr die Pfähle umfaßten als daß sie angebunden waren. Das Feuer wurde ziemlich langsam angezündet. Ob das mit Absicht oder aus Zufall geschah, wage ich nicht zu entscheiden. Was sagst Du? Haben sie ihren Geist nicht schon
Bericht über die Verbrennung der Brüsseler Märtyrer
aufgegeben als der Rauch emporstieg, kaum daß die Flamme nachfolgte? Wenn man also nach den Gesten, der Stirn, den Augen und schließlich dem ganzen Gesichtsausdruck urteilen sollte – die alle, wie man sagt, sowohl nicht selten sicherer als auch mit besserer Zuverlässigkeit den Sinn offenbaren als die Sprache –: Zuversicht, Festigkeit und freudiger Mut, die immer die besten gewesen sind, schienen zuzunehmen. Danach strahlte ganz vorzüglich, ich weiß nicht, was für eine Heiterkeit hervor, so sehr, daß sie vielen zu lachen schienen. Neben anderem trugen sie das Glaubensbekenntnis und das Kirchenlied „Te deum laudamus“ vor. Und sie sprachen dies zueinander: Während der eine das anbrennende Feuer unter seinen Füßen anschaute, sagte er, es schienen ihm Rosen unter den Füßen ausgebreitet zu werden. Nachdem sich endlich die Flamme erhoben hatte, erstickte sie die Stimme der beiden. Ich aber bin immer vor Schauspielen dieser Art von Natur zurückgeschreckt und habe mich von ihnen gerne ferngehalten. Und auch hier hätte ich kein Zuschauer sein können, wenn nicht diejenigen, um deren Kopf es ging, mir, der ich beschaulich und ungefährdet zuschaute, durch ihren hohen Mut und die Heiterkeit ihres Gesichtsausdruckes jedes Bedenken vertrieben hätten. Der dritte wurde nicht herausgeführt. Warum das geschah, habe ich nicht erfahren können. Einige sagen, er hätte widerrufen. Warum er aber dann nicht zu dem Volk zurückgeführt worden ist, um öffentlich vor allen zu widerrufen, das konnte nicht überzeugend gesagt werden. Einige haben den Verdacht, daß er heimlich getötet wurde. Wie sich die Sache verhält, kann nicht lange verborgen bleiben. Am folgenden Tag, als der Tag der heiligen, göttlichen Jungfrau war [2. Juli], belehrte hier ein Minorit in einer Predigt das Volk, daß wenn er vielleicht von ihnen gefragt würde, was für ein Ende die gehabt hätten, die sie hätten verbrennen sehen, und sagten, sie wären im irrtümlichen Glauben Luthers gestorben, so würde er antworten – wie er sagte –, er hätte aus gewissen Dingen geschlossen, daß sie im letzten Moment von ihrem Irrtum abgefallen seien, was allerdings durch ihre Gebete und das Verdienst der göttlichen Jungfrau, das ein Wunder hervorgebracht hätte, geschehen sei. Beinahe dasselbe behaupteten mit Ernst die Löwener, denn der edle Magister Nikolaus Egmond kehrte dahin zurück und erzählte gleich nach dem Essen in der Predigt, er hätte in der elften Stunde einen Brief von dem tüchtigen und sehr vornehmen Franziskus von Houlst – dem vom Kaiser die Aufgabe anvertraut worden ist, die Ketzer aufzuspüren und zu verfolgen – erhalten, in dem er sage, daß jene ketzerischen, verdammten und verbrannten Augustiner hätten Anzeichen erkennen lassen, als die Flamme schon emporschlug, daß sie ihre Irrtümer verworfen hätten und zu einem vernünftigen Denken zurückgekehrt wären. Was, weil dieses beständig leugnen, wie viele auch ganz nahe am Feuer standen, vielleicht besser verschwiegen worden wäre, wenn nicht irgendeiner glaubte, daß dieses aus Überfluß der Liebe, die alles hofft, geschehen sei. Lebe wohl! Brüssel, am 10. Juli 1523. Quellennachweis Historia // de duobus Augustinen // sibus, ob Euangelij doctrina exustis Bru // xellae, die trigesima Junij, 1523, A2a–a3b (lateinisch). Wir folgen der Übersetzung von Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 131–135.
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Literaturhinweis Brad S. Gregory: Salvation at Stake. Christian Martyrdom in Early Modern Europe, London 2 2001. Robert Christman: Early Modern German Historians Confront the Reformation’s First Executions, in: Archeologies of Confession: Writing the German Reformation, 1517–2017, Carina L. Johnson et al. (eds.), New York/Oxford 2017, S. 242–261. Ders.: The Brussel Martyrs, Amsterdam 2020. Julius Boehmer: Die Beschaffenheit der Quellenschriften zu Heinrich Voes und Johann van den Esschen, in: ARG 28 (1931), S. 112–133. Friedrich Wilhelm Bautz: Esschen, Johann van, und Voes, Hendrik, in: BBKL, Bd. 1, Hamm 2 1990, Sp. 1546. Thomas Kaufmann: Erlöste und Verdammte, München 2 2017, S. 201–205.
Nr. 103 Johann Eberlin von Günzburg: Warum die „christliche Lehre so kleinen Fürgang hat“ Eberlin hatte die Wittenberger Unruhen erlebt und sich klar auf Seite der Evangelischen positioniert. Noch vor seiner Heirat 1524 und der Alimentation durch eine Stelle als Prediger in Erfurt behandelte Johann Eberlin das Martyrium evangelischer Blutzeugen. Eberlin wird zu den sprachgewandten Theologen der beginnenden Reformationszeit gezählt (zur Biografie siehe Nr. 154). Seine Predigt zeichnete sich durch eine akzentuierte Sicht in Fragen der Sozialfürsorge aus. Der folgende Ausschnitt stammt aus Eberlin von Günzburgs Büchlein, worin auf drei Fragen geantwortet wird, trägt den Titel: Wider Kleinmütigkeit deren, so sich ärgern, ob dem, das christliche Lehre so kleinen Fürgang hat und ist auf das Jahr 1523 datiert.
Christus hat allen Christen verkündet Johannes 6 [Joh 6,63]: Der Geist sei es, der lebendig mache, das Fleisch nutze nichts. Dieses Wort soll sonderlich beherzigt werden zu unseren Zeiten, in welchen Gott uns lässt sehen ein Strom evangelischen Lichts, das in die Finsternis leuchtet, und die Finsternis begreift es nicht, Joh 1 [Joh 1,5]. Auch spricht Christus Joh. 3 [Joh 3,6]. Das aus Fleisch geboren wird, ist Fleisch, und was aus Geist geboren wird, ist Geist. Auch spricht Christus Joh. 6 [Joh 6,63], meine Worte sind Geist und Leben. Merk da ein [jeder] Christ, dass alles, was der Mensch hat, vermag und ist (ohne und außer göttliches Lichts, oder wiedergeboren aus Gott durch das Evangelium) ist Fleisch und Finsternis, allein was aus Gott geboren wird, ist Licht und göttlich, oder Geist. Aus jetzt gemeldeten Worten wird genugsame Ursache dargetan, warum jetzt das Evangelion so kleinen Fürgang hat, so man doch so begierig anfänglich darauf gefallen ist, und es hatte einen Schein, als ob die ganze Welt ein Verlangen habe nach Gottes Wort. Der Schein ist also, aber der Sinn oder Wesen ist anders. Im Menschen ist eine besondere Neigung zu Erneuerung und zu Verdruss des Gewöhnlichen. So dann solche Bewegung in eine Gemein[de] kommt, druckt man sie hindurch ohne alles Urteil, es sei wahrlich oder scheinlich gut. […]
Johann Eberlin von Günzburg: Warum die „christliche Lehre so kleinen Fürgang hat“
Das Evangelium ist ein allgemeines Geschrei von der Mildigkeit und Barmherzigkeit Gottes, uns angeboten in und durch Christum, solche Barmherzigkeit statt in Reinigung von Sünden, in Rechtfertigung des Lebens, im Frieden der Gewissen, in gewisser Hoffnung und [Er-]Wartung göttlicher Erbschaft, in Freuden, in Trübsal, Röm. 5 [Röm 5,1–5]. In einer Erneuerung des menschlichen Herzen durch Gottes Wort, dass dir jetzt die Sünde widerwärtig sei und dich gelüstet das Gute, und dass [du] ein liebliche, freundliche Bewegung befindest in dir gegen Gott und gegen alle Menschen. Solcher Barmherzigkeit Pfandschaft ist Christus, solche Herzigung schafft der Geist Christi in der frommen Menschen Herzen durch den Glauben. Auf solche Verkündigung oder Evangelien fallen die Menschen, so sie es hören, und machen ihnen selbst ein Gedanken, Wahn, Meinung, sie wollen auch glauben, dass sie der verheißenen Güter mögen teilhaftig werden, tun als jene, welche sagen, kauft mir etwas ab, so will ich euch auch hold sein, ist freilich ja eine schwache Liebe, die gekauft wird und mit Kramen [Handel] erhalten, auch so man sieht, dass es den Frommen wohl ergeht, so folgt man hernach. Aber dieser Glaube ist falsch […]. Ein anderer sieht, wie die Welt übel regiert wird, so er hört, das Evangelium verheiße ein gutes, freundliches, wohl geordnetes Regiment, da Gott selbst regiert, fällt er auf diese Lehre, lobt sie. So aber das Regiment nicht so glatt und hübsch fortfährt, wie das Fleisch gemeint hat, so fällt er auch ab. Der dritte will fromm werden, sein Herz ist unruhig und unsicher, er versucht viele Dinge, so [das] nicht hilft, höret er das Evangelium, wie allein der Glaube fromm mache, er gedenkt, ich will glauben, so würde ich in mir selbst ruhig und fröhlich und sicher. Er hört Gottes Wort, er liest göttliche Bücher, er wandelt also für eine kleine Weile in seiner Fantasei und freut sich, fromm [zu] sein durch den Glauben. Aber es ist Fleisch, denn die Verwirrungen bleiben nicht lang aus, das Herz ist nicht wiedergeboren durch den lebendigen Glauben, darum bleibt es auch wie vor[her], voller gewaltiger Neigung zu allem Bösen […]. Der vierte nimmt die evangelische Lehre an als ein gutes bürgerliches Leben und fallet darauf, will solches alles auf äußerlichen Schein ziehen. Und so es aber im Geist muss geübt werden, davon er nicht weiß, und im Geist bringt es seine fröhliche Frucht, aber im Leib bringt es nichts als Kreuz, wie gesagt ist vom Dritten. So dieser vierte überfallen wird mit widerwärtigen menschlichen Argumenten, welche des Fleisches voll sind, fängt er an zu schwanken, und bald kommt greuliche Anfechtung und Trübsal, dazu schlagen die Argumente tiefer in das Herz, da mag dann das Fleisch nicht bestehen, fället dahin, schimpft, was es geglaubt hat, verfolgt, was es gefördert hat. Kurz, aller solcher Glaube ist aus dem Fleisch geboren und ist Fleisch: unstet, umfällig, hinflüssig. Der Glaube ist eine göttliche Gabe, und du kannst nicht glauben, wann du willst, es steht nicht in deiner Gewalt. Gott schafft in dir den Glauben allmächtiglich, wie er auch allmächtiglich Christum auferweckt hat vom Tod, an den wir glauben. Quellennachweis Johann Eberlin von Günzburg. Sämtliche Schriften, hg. v. Ludwig Enders. Bd. 2, Halle 1900, S. 154–157 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Günther Heger: Johann Eberlin von Günzburg und seine Vorstellungen über eine Reform in Reich und Kirche, Berlin 1985. Christian Peters: Johann Eberlin von Günzburg ca. 1465–1533. Franziskanischer Reformer, Humanist und konservativer Reformator, Gütersloh 1994.
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Nr. 104 Hans Greiffenberger: Von der Besserung christlichen Lebens Hans Greiffenberger wirkte als Maler in Nürnberg. Er zeigte sich von der evangelischen Reformation ergriffen und ließ 1523/24 mehrere populäre Schriften drucken. Darin griff er das Papsttum unter Verwendung karikierender Bilder an und wurde deswegen 1524 vom Nürnberger Rat verwarnt. Er war der oberdeutschen Abendmahlsanschauung Zwinglis zugeneigt und wurde erst durch Andreas Osiander umgestimmt. Aus einem der reformationsfreundlichen Propagandatraktate mit dem Titel Die Welt sagt, sie sehe keine Besserung an denen, die sie lutherisch nennt. wird im Folgenden in modernisierender Fassung zitiert.
Brüder in Christo: Es begibt sich oft, daß man sagt, man sehe niemand, der sich besser [in] dieser Zeit, in welcher das Wort Gottes so in vollem Schwang gehet. Darauf ich fürgenummen [hab], mit der Gnad Christi meines Gottes, ein wenig Unterricht zu geben, was die recht wahrhafte Besserung eines Menschen sei, der wiederumb geboren wird aus dem Geist der Wahrheit, wie Christus sagt Johannis am 3.[3–6]. Es ward Christus gefragt, Luce am 17 [Lk 17,20 f.], wenn das Reich Gottes kömme. Sagt er zu ihnen: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußern Gebärden. Man wird nicht sagen: Siehe, hier oder dort ist es, sondern das Reich Gottes ist inwendig in euch etc.“ Darum ist die Besserung des Menschen nicht also getan [= beschaffen], daß man sie offenlich sehe, sondern es ist ein solches Ding, daß es ganz heimlich und still zugehet. […] Es ist auch gewiß und fehlet nicht, daß sie, diese Menschen, verfolgt und verspottet werden von allen Gleisnern und Werkheiligen, denn dieselbigen sagen jetzt: „Oho, es ist jetzt ein seltsames Ding, man darf [= braucht] nicht mehr beten und in Kirchen gehen und darf nicht mehr fasten, man hat genug am Glauben, man darf gar nichts Gutes mehr tun. Ich will gern sehen, was daraus will werden etc.“ Gott erbarme sich dieser Menschen, sie sind nicht zu schelten, sondern zu erbarmen. Wenn sie einer fragt, was gut sei, so sagen sie wild Strohbutzen [= dreschen sie Stroh, d. h. reden leeres Zeug] und nicht anders, dann was sie gut gedunkt, wie wir bisher leider alle getan haben. Darumb kann niemand jetzt von keiner Besserung sagen, dann [der], in dem sie geschieht. […] Darum ist eine christliche geistliche Besserung viel ein anders, dann wie die Vernunft vorgibt. Die meint, wenn sie nur ein seltsam Kleid anleg und eß und trink nicht wie ander Menschen, so sagen sie: Ich bin im geistlichen Stand. Ach Gott, der Blindheit! Ein rechter Christ fleucht soliche Ding selber, man darf ihms nicht gebieten, daß er sich nit fülle mit gutem Geschleck [= Naschwerk] und Trank, sunder er weiß und hat große Acht darauf, daß er kein großem Feind hat dann sein Schelm, den alten Adam. Darumb wird ein rechter Christ nit sehr erschrecken, wenn man ihm vom Tod sagt. Darvon wissen die Heiligenküsser342 nichts, sunder sie rufen sie all an, daß sie nur nicht leiden dörfen, geben einem [Heiligen] ein eichenen Fuß, dem andern ein wächsene Nasen, dem Dritten ein wächsen Maulkorb. Solicher guter Werk stecken sie voll, und die solichs nit tun, die seind lutherisch, sagen sie. Wenn man sie fragt: Was ist lutherisch? So gehen sie hin und winden die Häls wie die Gäns auf dem Mist und verschmachten in Übel, daß mans nit loben will und den Christen ihr
342 Polemik gegen die Reliquienverehrung.
Schreiben des Nürnberger Rats: Die Neugestaltung des Gottesdienstes
Gaukelwerk nit gefällt. Wiewohl ihr viel seind, die dieser Gauklerei aller abgestanden sein [= sich abgewendet haben], nit, daß sie es für gut halten, sunder haben vorhin kein Lust darzu gehabt und so sie es gebraucht haben, haben sie es nur getan den Menschen zu Gesicht [= zu Gefallen], haben auch christlich gescholten [= genannt] wöllen werden. Diese vermeinen jetzt, sie sein gut Christen, sie saufen, fressen und huben aber gleich als vor. Das ist kein Besserung und seind ärger dann vor, Ursach, sie verachten und spotten aller der, die noch nit ledig [= frei] seind [des Gaukelwerks], mit den sie sollen ein Mitleiden haben. Der ist auch nit gebessert, der ein Handel hat oder ein Handwerk, damit sein Nächster betrogen oder verärgert wird und nit darvon läßt, wie etliche tun, als Bildschnitzer, Maler und Formschneider etc. Ei, sagen sie, gelten die Heiligen nicht, so will ich Huren und Buben machen, ob die Geld gulten [= wert sind]. Das ist falsch und unchristlich, [denn] solich Leut machen, daß man das Wort Gottes verlästert und verspott, und man sagt: „Schau, das tund die Evangelischen“ und dergleichen. Aber nit also [= aber so ist das nicht, so darf man nicht urteilen], man muß es anders verstehen, es ist ja kein Besserung da. Aber wo ein wahrhafte Besserung geschieht, fleißt [= befleißigt] man sich, zu meiden alles des, das [= was] dem Wort Gottes wider ist, und fleißt sich zu tun, was Gott gefällig ist. Darumb soll ein jeglich Christenmensch sich Tag und Nacht üben im Gesetz und Wort Gottes. Wiewohl etlich Gelehrt sagen: „Der gemein Mann soll nit mit der Geschrift umbgehen, wann [= denn] es ziem sich nit, daß ein Schuster das Evangelion les oder mit Feder und Tinten umbgehe, sunder mit Leder und Schwärz etc.“ So sag ich darauf: Ich hab nie kein Esel gehört singen als ein Nachtigall, es seind Leut von zerritten [= zerrütteten] Sinnen, untüchtig zum Glauben [2. Tim 3,8], die solichs sagen, blodern [= schwatzen], wissen nit was! Quellennachweis Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518–1524), bearb. v. Adolf Laube, Annerose Schneider unter Mitwirkung von Sigrid Looß. Erläuterungen zur Druckgeschichte von Helmut Claus. Bd. 1, Berlin 1983, S. 265; 267–268. Mit Änderungen und Anmerkungen übernommen aus Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 318–320. Literaturhinweis Thomas Kaufmann: Die Mitte der Reformation, Tübingen 2019, S. 424–445.
Nr. 105 Schreiben des Nürnberger Rats: Die Neugestaltung des Gottesdienstes Mit dem Mandat vom 9. August 1524 wurden nunmehr sichtbare Zeichen der reformatorischen Neuordnung in Nürnberg vom Rat umgesetzt. In der damals größten Stadt des Alten Reiches waren gleich nach Veröffentlichung der Thesen Luthers und erster Schriften aus seiner Feder Gespräche in Gang gekommen, welche die Forderungen der Reformation und anderer um die Kirche besorgter Menschen aufnahmen. Vorbereitet waren diese Entwicklungen durch zahlreiche humanistisch gebildete Bürger der Stadt und weitere Gelehrte, die in unterschiedlichen Anstellungen Re-
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formgedanken formulierten. Daraus hatten sich Unruhen und Tumulte entwickelt, denen der Rat und der Klerus der Stadt entgegenzuwirken suchten. In insgesamt sechs Gesprächen zwischen dem 3. und dem 15. März 1525 verhandelten Altgläubige und Reformatoren miteinander. Die Gespräche wurden von Christoph Scheurl geleitet. Daran nahmen u. a. der Pfarrer von St. Lorenz, Andreas Osiander, der ehemalige Prior des Augustinerklosters in Nürnberg, Wolfgang Volprecht und Dominicus Sleupner auf der reformatorischen Seite teil. Die Franziskaner Lienhard Ebner, Michael Fries und weitere Klosterprediger traten für die Altgläubigen an. In der Folge der Gespräche schloss sich der Rat der Stadt Nürnberg der Reformation an. Das angeführte Mandat griff bereits ein Jahr vorher in die Gestaltung der Messe ein.
Auf den ersten [Artikel], wie es mit Zelebrierung der göttlichen Amt der Messen, auch Handreichung der Sakrament des Fronleichnams Christi und der heiligen Taufen in unserer Stadt Nürnberg gehalten werde, geben wir diesen Bericht, dass die Pröpste beider unser Pfarren vor diesen Tagen für sich selbst und ohne unser Wissen, Willen und Geheiß etlich Änderung in ihren Kirchen haben vorgenommen dergestalt, dass sie die Kinder deutsch taufen […], desgleichen auch einen Tag zwei Amt [= Messen] in jeder Pfarr singen, nämlich die Frühmess und das Tagamt. In denselben wurdet also gebraucht, dass der Priester mit zweien Leviten343 über den Altar gehet, und singen die andern Priester den Introitum344 zu der Mess, wie die Zeit gibt, und gar nichts von den Heiligen […]. Nach solchem tritt der Leviten einer auf den Predigstuhl und liest ein Kapitel aus Sankt Paulsen Epistel, die sie vom Anfang aller Sankt Paulsen Epistel in ihrer Ordnung nacheinander alle Tag lesen, doch in deutscher Sprache, und vor derselben Lektion wurdet durch den Leviten ein christenliche Auslegung solchs Kapitels der Epistel, was die innenhalt und daraus zu erlernen sei, vorgenommen. Nach Verlesung der Epistel singen die Priester das Gradual,345 nämlich aber einen Vers oder zwei aus dem Psalter oder sonst heiliger biblischer Schrift. Dann gehet der ander Levit auf den Predigstuhl und liest das heilig Evangelium, wie das auch von Evangelisten und Kapitel der Evangelien in seiner Ordnung begriffen ist, nämlich alle Tag oder Mess ein ganz Kapitel bis zum Ende, auch in deutschem Gezung [= Sprache] mit einer vorgehenden christenlichen Auslegung und Erklärung, wie oblautet. Dann singen sie den Simbolum,346 welchs wir das Patrem nennen. […] Dann wendet sich einer der Leviten auf dem Altar um, tut gar ein schöne christliche Ermahnung in deutsch zu dem Volk, wie man sich zu der Empfängnis des Fronleichnams und Bluts Christi halten und wie es den Hungrigen gegeben werden soll etc. Nach derselben Ermahnung werden alle Tag, zuvor [= besonders] an Sonntagen, ein große Anzahl Personen mit dem ganzen heiligen Sakrament des Leibs und Bluts Christi nach göttlicher Einsetzung versehen. […] Nach Vollendung der Mess tritt abermals ein Priester auf den Predigstuhl und liest in deutscher Sprach ein Kapitel aus dem Alten Testament, wie die in ihrer Ordnung und Büchern nacheinander folgen, auch mit vorgehender Erklärung, was solch
343 Assistierende Kleriker. 344 Diese Termini bezeichnen Bestandteile der katholischen Messe. 345 Lied/Gesang während der Messe, in deren Verlauf der Priester die Stufen zum Evangelienpult bzw. Altar emporsteigt. 346 Apostolisches Glaubensbekenntnis.
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folgend Kapitel in sich hält, was seine Mysteria und wie die zu verstehen sei. Und dann die Predigt darauf vorgenommen, der alle Tag eine, dann in dieser, dann in jener Kirchen unserer Stadt durch evangelische christliche Prediger beschicht [= geschieht]. Quellennachweis Quellen zur Nürnberger Reformationsgeschichte. Von der Duldung liturgischer Änderungen bis zur Ausübung des Kirchenregiments durch den Rat (Juni 1524–Juni 1525), bearb. v. Gerhard Pfeiffer, Nürnberg 1968, S. 280 f. Mit Änderungen übernommen aus: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 335 f. (Anmerkungen übernommen). Literaturhinweis Gunter Zimmermann: Prediger der Freiheit. Andreas Osiander und der Nürnberger Rat 1522–1548, Mannheim 1999. Hanna Goyer: Der Moment der Entscheidung? Die Einführung der Reformation in Nürnberg als Ergebnis von Minimalentscheidungen, ARG 109 (2018), S. 331–350.
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Andreas Bodenstein von Karlstadt
Der aus dem mainfränkischen Karlstadt stammende Andreas Bodenstein durchlief während seiner Zeit in Wittenberg eine intensive Wandlung vom scholastisch geprägten Gelehrten hin zu einem radikalen Augustinisten. Er wollte sich nicht darauf beschränken, die Vätertexte zu lesen und zu verstehen, sondern suchte die Tat und die konkrete Umsetzung seiner anhand von Augustin geschulten Schriftauslegung. Zunächst Vertreter der alten Schule der akademischen Theologie im Gefolge der Thomas-Auslegung, wandte er sich unter Einfluss von Staupitz Augustins antipelagianischen Schriften dazu. Deren Einsichten verband er mit einer intensiven Lektüre mystischer Traktate und entwickelte so eine Melange von kirchenkritischen und reformerischen Ideen. In den ersten Jahren durchaus ein Parteigänger Luthers, entfremdeten sich beide im Verlauf der Wittenberger Unruhen und nach Luthers Rückkehr im Frühjahr 1522. Literaturhinweis Hermann Barge: Andreas Bodenstein von Karlstadt. 2 Bände, Leipzig 1905. Ulrich Bubenheimer: Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae – Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation, Tübingen 1977. Ulrich Bubenheimer/Stefan Oehmig: Querdenker der Reformation: Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung, Würzburg 2001.
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Sigrid Looß/Markus Matthias (Hg.): Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541). Ein Theologe der frühen Reformation, Wittenberg 1998. Amy Nelson-Burnett: Andreas Bodenstein von Karlstadt, in: Das Reformatorenlexikon, hg. v. Irene Dingel und Volker Leppin, Darmstadt 2 2016, S. 45–51.
Nr. 106 Sebastian Fröschel: Karlstadt und die Laien Fröschel zeichnet in seinen Berichten ein nachhaltig wirksames Bild von Andreas Bodenstein als einer der Hauptvertreter der umstürzlerischen Reformationsversuche während Luthers Abwesenheit von Wittenberg. Der nachfolgende Textausschnitt beschreibt auch die weitere Entwicklung nach der Rückkehr Luthers, als sich Karlstadt aller akademischen Würden entledigte und sich als „newer Lay“, der auf den Namen „Bruder Andreas“ hörte, auf seine Pfründe nach Orlamünde zurückzog. Zur Biografie Fröschels siehe Nr. 58. Doktor Carlstadt, der war allhie zu den Bürgern in ihre Häuser gegangen und hat sie gefragt, wie sie den oder jenen Spruch in diesem oder jenem Propheten verstünden, und wenn sich die einfältigen Bürger seines Fragens verwunderten und zu ihm sprachen: „Herr Doktor, wie kommt Ihr damit her, daß Ihr Gelehrte und Doctores der Heiligen Schrift uns arme, alberne, ungelehrte Leute also fraget, daß wir Euch solches sagen sollen, Ihr sollts uns billig sagen!“ Da hat ihnen Dr. Carlstadt geantwortet, daß ihnen Gott solches verborgen habe, wie denn der Herr Christus selber spricht Matth. 11 [Mt 11,25 f.] und Luc. 10 [Lk 10, 21]: „Jesus freuet sich im Geist und sprach: Ich preise dich, Vater und Herr [des] Himmels und der Erden, daß du solches verborgen hast den Weisen und Klugen und hasts offenbaret den Unmündigen, ja Vater, also war es wohlgefällig von dir.“ So sehet Ihr auch an den Aposteln und Jüngern des Herrn Christi, sprach Dr. Carlstadt, dass dieselben viel gelehrter sind gewesen, und die heiligen Propheten die Heilige Schrift viel besser haben verstanden und können auslegen denn die Hochgelehrten zur selbigen Zeit, als die Pharisäer, Schriftgelehrten und Hohen Priester. Das taten auch die andern zween347 in ihren Predigten, darauf denn das arme, gemeine, ungelehrte Volk der Laien, von Bürgern und Bürgerinnen, so verstutzt waren, dass sie nicht wußten, was sie tun sollten. Dazu fingen nicht allein an die drei Personen die Schule zu stürmen, sondern auch die Kirchen und Bilder in der Kirchen, dass sie dieselben Bilder aus der Kirchen warfen und gaben für, man sollte auch keinen gelehrten Mann zu Predigern, zu Priestern in der Kirchen annehmen noch leiden, sondern eitel Laien und Handwerksleute, die nur allein lesen kunnten, als ich auch derselben etliche wohl gekannt habe, die sie dazu wollten vocieren [= benennen] und berufen. Solches haben mir die Bürger von Dr. Carlstadt selber gesagt, die er gefraget hat, wie man die Propheten sollte verstehen. Da war nun Zeit, dass D. Martin Luther wieder ex Patmo, aus seinem heimlichen Gefängnis gen Wittenberg kam348 und richtet Kirchen und Schule recht wieder an, sonst wäre es alles zu
347 Gabriel Zwilling und Magister Georgius More. 348 Am 6. März 1522.
Karlstadt: Verteidigung gegenüber dem Kurfürsten
Trümmern gangen, denn vor ihm mußten sich die obgenannten drei, der Schulen-, Kirchenund Bilderstürmer fürchten. Als nun Dr. Carlstadt sah, dass seine Anschläge zunichte wurden, da zog er von Wittenberg aus der Stadt, nicht weit davon auf ein Dorf, Segren [Seegrehna] genannt, daselbst kauft er ihm [= sich] ein Bauerngut und war ein Bauer und hielt Gemeinschaft mit den Bauern, und was der Geringste unter ihnen musste tun, das tat er auch, und mussts auch tun, als wenn sie das gemeine Bier trunken, da musste er vor dem Tisch stehen, dieweil er der jüngste Bauer war, und Bier auftragen und einschenken, und die andern Bauern hießen ihn nur Neber Enders [= Nachbar Enders] und ruften ihn auch also, wenn er sollte Bier holen oder einschenken. Das litt Neber Enders solange, bis es ihm zu viel wollt werden, und er dessen überdrüssig war, und kroch wieder zum Kreuz, aber nicht allhie zu Wittenberg, sondern zog hinaus in Schweiz gen Basel, und ward daselbst wieder ein Prediger, dass man ihn wieder Herr Doktor nennet, daselbst ist er auch endlich blieben und verschieden. Quellennachweis Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen, Büchern, Uhrkunden, Controversien, Veränderungen, Anmerckungen und Vorschlägen u.d.g. Bd. 31, Leipzig 1731, S. 692–695 (Mit geringfügigen sprachlichen Veränderungen und Anmerkungen). Literaturhinweis Shinichi Kotabe: Das Laienbild Andreas Bodensteins von Karlstadt in den Jahren 1516–1524, München 2005. Sabine Todt: Äußeres und inneres Wort in den frühen Flugschriften des Andreas Bodenstein von Karlstadt – Das Bild vom Laien, in: Ulrich Bubenheimer/Stefan Oehmig: Querdenker der Reformation: Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung, Würzburg 2001, S. 111–134.
Nr. 107 Karlstadt: Verteidigung gegenüber dem Kurfürsten Aufgrund der reformatorischen Maßnahmen, die der Rat von Wittenberg unter Berufung auf Karlstadt zum Ende des Jahres 1521 in Wittenberg durchführen wollte, kam es zu Differenzen mit Luther. Nachdem die Situation eskalierte, kehrte dieser von der Wartburg zurück und veranlasste die Rückführung der eingeleiteten Maßnahmen. Karlstadt zog sich resignierend von der Universität und aus Wittenberg auf ein Gut bei bei Orlamünde an der Saale zurück. Er widmete sich dort als „newer Lay“ der Landwirtschaft, nutzte aber den Wechsel des Erfurter Druckers Mich(a)el Buchführer nach Jena, um von dort aus publizistisch weiterzuwirken. Luther versuchte, die publizistische Aktivität Karlstadts zu verhindern. Er bat den kursächsischen Kanzler Gregor Brück um Zensurmaßnahmen oder die Schließung der Buchdruckwerkstatt. Am 27. August 1524 übernahm Kaspar Glatz in der Nachfolge Karlstadts dessen Pfarre in Orlamünde. Karlstadt schied gleichzeitig aus der Universität aus.
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Durchläuchtiger, hochgeborner Fürst, gnädiger Herr. E[uer] F[ürstliche] G[naden] seind meine untertänige und gehorsame Dienst noch meinem höchsten Vermögen allzeit zu voran bereit. Wiewohl ich mich nicht demütiglicher kündt [= könnte] untergeben und erbieten, dann ich mich durch mein jüngstes Schreiben, welches E. F. G. Räten in Abwesen E. F. G. am Tag Assumptionis Marie [= 15. August] in die Hofstuben zu Weymar ob der Mahlzeit überantwort, erboten und tröstlich gehofft, daß mein und in Sonderheit aller meiner Zuhörer E. F. G. Untertanen, Besserung, Heil und Gedeihen, ja auch unser aller, als der allerunschätzigsten und unehrlichsten Gliedern und verloren Schafen, sunderliche Ehr und Wiederbrengung sollt gesucht, gemeint und fürgenommen und meiner schriftlicher Erbietung stattgegeben. So werd ich so vielfältig geschmäht und belästiget, daß ich zweifel, ob E. F. G. der Brief meiner Erbietung, des ich ein Kopien hie mit schicke, behändet oder nicht. Denn D. L[uther] ist in viel Enden und Orten aufgetreten, da meine christliche, göttliche, erweisliche und gegründte Lehre eingeplanzt, mit E. F. G. Befehl (als er sagt) abgefertiget, soliche mein Lehre vernichtig, irrig, aufrührisch auszuschreien und, als sollt sie aus einem schwärmenden Geist entsprossen sein, offenlich zu widerlegen und das Volk darfür zu warnen. Mich auch mit dem Aufruhr zu Alstadt349 lügenhaftiglich eingemengt und für [= vor] allem Volk, so viel er vermocht, auch vielleicht bei E. F. G. verdächtig gemacht. Des ich mich dann nicht unbillig beschwerlich gefunden und aus solchem Gehöre, für der großen Spaltung und Fährlichkeit [= Gefahr], so bei den armen Christen entstehen möcht, herzlich entsatzt. Darauf obgemeldter D. L. zu Ihen [= Jena], da ich sein grundlose, selbseingebildte Ungestumigkeit seiner Predigt vormerket, geschrieben und darnach auch persönlich besucht, anfänglich freundlicher, brüderlicher und christlicher Weise angeredt und gebeten, dafür zu sein und abzustellen. Ab er aber an meiner Person oder Lehre einigen Fehl oder Mangel hätt, mich zuvor brüderlichen, nach evangelischer Satzung anzureden, Irrtum zu verhüten, wöllt ich mich zu aller Billigkeit weisen lassen und wiederum vom Unbillichen abtreten. Hab ich mich offenlich erboten, mit ihm zu Wittemberg oder Erfurt ein Disputation aller meiner gepredigten Artikeln, darinnen ich verdächtig, zu halten oder christliche Weisung von ihm – wo er wollt – zu hören, so fern ich Geleit [erhalten] wird, welches alles von ihm abgeschlagen und gewegert [=verweigert]. Bin hieruber von ihm durch Zuwerfung eines Floren [= Gulden], den ich genommen, wider ihnen zu schreiben angereizet. Das ich mich dann gegen ihm zutun verpflicht und verstrickt und gern halten will. Damit aber mein Gelimpf [= guter Name] und Lindigkeit [= Zurückhaltung] allenthalben erkannt und ich nicht ein Poltergeist oder haderischer Schwärmer, wie ich dann von ihm ausgeruft, geacht werd, will ich mich des Schreibens ein Zeit lang – so mir leidlich – enthalten und aufs Neu und aus Überfluß zu gnädiger Verhör erboten haben, auf das E. F. G. erkennen, daß ich nichts hierinnen denn allein den Grund göttlicher Wahrheit suche, E. F. G. untertäniglich und um Gottes Willen bittend, wolle mich zu demütiger Anzeig meiner Unschuld und gegründter Lehre gnädiglich lassen kommen und nicht allein genannten D. L. und seinem Anhang Glauben geben. Wo aber solches E. F. G. beschwerlich, als dann wöllen E. F. G. mir armen und allergeringsten Diener Gottes gnädiglich vergünstigen und gestatten, mein wohlgegründte und rechte christliche Lehre an lichten Tag wider Dr. L. auf seine trötzige und feindliche Begehrung durch offenbaren Druck zu bringen und zu keinem ungnädigen Verhindernis nach angefangner Arbeit, zu Unkost und Nachteil gerochen [= gereichen] lassen, als mir dann vormals durch die Wittenbergische Universität, auch durch heimlich Zuschub [=
349 Allstedt, eine Stadt im Mansfeldischen, war seit 1523 mit seiner Kirche St. Johannis der Wirkungsort Thomas Müntzers. Karlstadt stand mit ihm in Verbindung, lehnte aber eine Mitgliedschaft im Allstedter Bund zur gewaltsamen Durchsetzung reformatorischer Forderungen ab.
Luther und Karlstadt in Jena
Hilfe] Dr. L. und seiner Anhänger widerfahren. Das werden E. F. G. von Gott, dem lebendigen Herren, ohne Zweifel reichen Lohn entpfahen [= empfangen]. So will ichs um E. F. G. zu verdienen all Zeit gehorsam beflissen und bereit sein. Die der Vater unsers Herren Jesu Christi erhalten will. Bitt um gnädige Antwort. Datum zu Orlamünde am XI. Tag des Mondes Septembris. Anno. etc. XXIIII. A[ndreas] B[odenstein] C[arlstadt] Quellennachweis Karlstadts Schriften aus den Jahren 1523–1525, ausgewählt und hg. v. Erich Hertzsch. Teil II, Halle 1957, S. 53–55. Mit Änderungen übernommen aus: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 330 f. Literaturhinweis Günter Schmidt: Austreibung eines Dissidenten. Andreas Karlstadt (1486–1541), in: Matthias Steinbach/Michael Ploenus (Hg.): Ketzer, Käuze, Querulanten. Außenseiter im universitären Milieu, Jena/Quedlinburg 2008, S. 27–39.
Nr. 108 Luther und Karlstadt in Jena Im Sommer 1523 nahm Karlstadt die Wahl zum Pfarrer von Orlamünde an. Dort begann er mit reformatorischen Umgestaltungen und konnte auf die Unterstützung der Gemeinde zählen. Er reformulierte die Liturgie auf Deutsch, schaffte die Kindertaufe ab und entfernte die Orgel und Bilder aus der Kirche. Von Orlamünde aus beeinflusste er das gesamte Saaletal bis hin nach Jena im Sinne der radikalen Reformation. In der Frage der Bilder und des Verständnisses der leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl näherte er sich zunehmend den Positionen Zwinglis und weiterer oberdeutscher Reformatoren an. Bald nahm er auch Verbindung mit Thomas Müntzer in Allstedt auf. Luther rückte ihn in die Nähe Müntzers und seiner gewaltbereiten Anhänger und bemühte sich um die Vertreibung des ehemaligen Kollegen. August 1524 kam es zu zwei Disputationen zwischen den Reformatoren in Jena und Orlamünde.
Wes sich Doctor Andreas Bodenstein von Karlstadt mit Doktor Martino Luther beredet zu Jena 1524 In dem schwieg Doktor Luther eine Weile still, und in dem Schweigen wandte sich Doktor Karlstadt zu den anderen, die da saßen, und sprach: „Liebe Brüder, ich bitte euch, stoßt euch nicht an meiner harten Rede, es liegt an meiner Complexion,350 daß ich so hart rede. Es ist
350 Physische und psychische Verfassung.
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das Herz deshalb nicht arg oder zornig.“ Luther fing wieder an und sprach: „Lieber Herr Doktor, ich kenne euch wohl.“ Karlstadt: „Ich kenne euch auch wohl und besser als ihr selbst denkt.“ Luther: „Ich weiß wohl, daß ihr immer und überall hoch einherfahrt, trumpft groß auf und wollt allein erhoben und gesehen sein.“ Karlstadt: „Wenn ich das täte, solltet ihr mich zurechtweisen. Aber ich sehe wohl, wer sich am höchsten rühmt und am allermeisten Ehre sucht.“ L.: „Ich habe euch ja zu Leipzig getadelt, daß ihr so hochmütig ward und vor mir disputieren wolltet. Nun, ich gönnte euch die Ehre und ließ es geschehen.“ K.: „Ach Herr Doktor, wie könnt ihr das sagen, wißt ihr doch, daß ihr noch ungewiß ward, als ich schon disputierte, ob man euch zulassen wollte oder nicht. Hier berufe ich mich auf Herzog Georgs Räte und auf die Universität zu Leipzig. Aber ihr müßt immer und überall so reden, daß ihr euren Ruhm erhaltet und anderen Leuten Haß erregt. Was habt ihr heute, wie ihr immer und überall pflegt, in eurer Predigt anderes ausgerichtet, als im ersten Eingang Neid und Haß des Volkes über und auf die erweckt, wider die ihr zu predigen vorhattet?“ L.: „Ich sage wie zuvor: Ich habe heute wider die Geister gepredigt und will es jetzt wieder tun, trotz dem, der es mir wehren will.“ K.: „Nur, lieber Herr Doktor, so predigt und macht es gut, andere Leute werden auch das ihre dazu tun.“ L.: „Frisch her, habt ihr etwas, so schreibt es frei heraus.“ K.: „Ich will es auch unerschrocken tun.“ L.: „Ihr steht danach bei den neuen Propheten?“ K.: „Wo sie recht und die Wahrheit haben; wo sie unrecht haben, da stehe der Teufel bei.“ L.: „Schreibt wider mich öffentlich und nicht heimlich.“ K.: „Wenn ich denn wüßte, daß euch so not danach wäre, es dürfte euch zuteil werden.“ L.: „So tut es.“ K.: „Wohlan!“ L.: „Tut es, ich will euch einen Gulden dafür schenken.“ K.: „Einen Gulden?“ L.: „Wenn ich es nicht tue, so sei ich ein Schalk.“ K.: „Gebt ihr ihn mir denn, so nehme ich ihn wahrlich an.“ Da griff Doktor Luther in seine Tasche und zog einen goldenen Gulden heraus und gab ihn dem Karlstadt und sprach: „Nehmt hin und greift mich nur tapfer an, frisch auf mich!“ Karlstadt nahm den Gulden, zeigte ihn allen Versammelten und sprach: „Liebe Brüder, das ist Arrogo, ein Zeichen, daß ich Macht habe, wider Doktor Luther zu schreiben. Und ich bitte euch alle, ihr wollt mir’s bekanntmachen und Zeugen sein.“ L.: „Es bedarf ’s nicht.“ Und Karlstadt bog ihn krumm und legte ihn in seinen Beutel und gab Doktor Luther die Hand darauf. Und Doktor Luther trank ihm einen Trunk darauf zu, und Karlstadt tat ihm Bescheid […]. Quellennachweis WA 15, S. 339, 5–340, 11. Mit Änderungen übernommen aus: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 338. Literaturhinweis Rosemarie Schuder: „Ich kenne den Teufel!“ Martin Luther und sein Doktorvater Andreas Bodenstein aus Karlstadt, Guben 2016. Thomas Kaufmann: Orlamünde – Andreas Karlstadt, in: Michael Welker u. a. (Hg.): Europa reformata. Reformationsstädte Europas und ihre Reformatoren, Leipzig 2016, S. 307–316. Ulrich Bubenheimer: Gelassenheit und Ablösung. Eine psychohistorische Studie über Andreas Bodenstein von Karlstadt und seinen Konflikt mit Martin Luther, Karlstadt 1981. Christian Peters: Luther und seine protestantischen Gegner, in: Luther-Handbuch, hg. v. Albrecht Beutel, Tübingen 3 2017, S. 150–164.
Herzögliche Räte zu Weimar: Die Vertreibung Karlstadts aus Kursachsen
Nr. 109 Herzögliche Räte zu Weimar: Die Vertreibung Karlstadts aus Kursachsen Luther verharrte in seiner schroffen Ablehnung der „Schwarmgeister“ und provozierte so den Bruch mit den Karlstadt verbundenen Gruppen. Wegen der zunehmenden Eskalation wurde Karlstadt wohl auch auf Betreiben Luthers am 18. September 1524 aus Kursachsen ausgewiesen. Der Streit um das von Augustin hergeleitete hermeneutische Verfahren zur Auslegung der Bibel, der in den frühen Jahren zu einer gewissen Pluralität innerhalb der Wittenberger Bewegung beigetragen hatte, wurde zugunsten einer eindeutigen theologischen Positionierung im Sinne Luthers und Melanchthons aufgegeben. Freilich endete der inhaltliche Streit nicht, sondern brach nahezu zeitgleich der scharf und polemisch geführten Debatte über das Verständnis der Gegenwart Christi im Abendmahl mit Huldrych Zwingli wieder auf. Dem wirdigen und hochgelehrten Andresen Bodenstein von Carolstat Doctor, unserm guten Freund. Unser freundlich Dienst zuvor, wirdiger und hochgelehrter guter Freund. Das Schreiben, so Ihr vor wenigen Tagen an den durchläuchten, hochgebornen Fürsten und Herren, Herrn Johansen, Herzogen zu Sachsen etc., unsern gnädigen Herrn, getan, haben sein Fürstlich Gnad hören lesen und uns befohlen, Euch wiederum anzuzeigen, daß die Universität zu Wittemberg an sein F[ürstliche] G[naden] geschrieben mit Anzeig: Nachdem sich die Pfarr zu Orlamünde nach Abziehen Magistri Conradi Glitz wiederum verlediget, so hätten sie den hochgelehrten Herrn Casparn Glatz, der Heiligen Schrift Doktor, itzo an sein stadt zu einem Pfarrner daselbst gewählet. Derhalben sie sein F. G. gebeten, dieweil Ihr Euch verschiedner Zeit unterstanden, in dieselb Pfarr ahn [= ohne] ihren Willen zu dringen, daß sein F. G. dem Volk zugut mit Euch ernstlich verfügen wöllte, Euch anderswo zuversehen und da dannen [= von dannen] zu wenden. Wann Euch dann, wie Ihr selb zu achten nicht gebührt, die selb [Pfarre] aus eignem Fürnehmen und an Willen gemeldter Universität zu haben, so ist seiner F. G. Begehr und Meinung, daß Ihr beruhrte Pfarr fürderlich räumet und dasjenige, was sich nach Vermöge der Pfarr Inventarii gebührt, zu Behuf des zukünftigen Vikarien allda und darinnen lassen. Euch auch da dannen und aus seiner F. G. und derselbigen Bruders, unsers gnädigsten Herren, des Kurfürsten zu Sachsen etc., Fürstentum und Landen [der] Sachsen halben, die seine F. G. darzu bewegen, förderlich wendet und das nicht anders haltet. Dann was Ihr alsdann wider D. Lutern zu erhalten vermeint oder mit Schreiben nicht zu unterlassen wisset, daran werdet Ihr seiner F. G. halben ungehindert sein. Das haben wir Euch nicht wissen unangezeigt zu lassen. Und tut daran hochgedachtes unsers gnädigen Herrn Meinung. Datum Sonntags nach Crucis exaltationis. Anno etc. XXIIII. Unser gnädigst und gnädiger Herrn von Sachsen etc. Räte itzo zu Weymar. Quellennachweis Karlstadts Schriften aus den Jahren 1523–1525, ausgewählt und hg. v. Erich Hertzsch. Teil II, Halle 1957, S. 55 f. Mit Änderungen übernommen aus: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 331 f.
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Nr. 110 Karlstadt: Der gemeine Mann redet mit spitzer Zunge Karlstadt reagierte auf die Ausweisung und das Publikationsverbot durch den Rat von Wittenberg zunächst dadurch, dass er außerhalb von Kursachsen seine Schriften drucken ließ. Allerdings wurde ihm auch das nach und nach verboten. Einer seiner letzten polemischen und apologetischen Traktate wird nachfolgend in Auszügen wiedergegeben.
Brüder, ihr wundert [Euch], daß ich still schweig und nichts schreib, und beschuldigt meine Faulheit do mit und tut als [= wie] etliche, die täglich uber mich schreien. Ich verlaß ein bessere Arbeit der Lektion und übe mich in äußerlicher laiischer Arbeit, und untersteht Euch, mich zum Schreiben zu dringen, als wär ich Euch pflichtig, mit Schreiben zu dienen, gleich als möchte solcher Dienst ohne Fährligkeit [= Gefahr] und Nachteil des Geistes geschehen. Ich will aber (hoff ich) Euch genugsame Ursachen anzeigen und Euch mit schriftlichem Gezeugnis fahen [= fangen] und dohin führen, do Ihr bekennen müßt, daß kein äußerlichs Bekenntnis (als Schreiben und Predigen der Wahrheit) ohne Fährligkeit und ohne schwinde Anfechtung des Geistes Gottis geschieht. Drum auch mir nutzer wär, still [zu] stehen und allein [zu] hören die Stimm des Bräutigams, dann aus dem Schlaf und Gehör [zu] laufen [= untätig zu sein]. Vor allem wisset Ihr die überschwängliche Bosheit dieser Zeiten, in welichen die Liebe erkalt und erloschen, daß die Welt keiner Müh spart, keines Scheltworts sich schämet, wider Gottes Wort zu bellen. Man hört grimmig Zähneklappern und siehet die aufgesperrte Rachen der Lauen [=Löwen] und Bären, derhalben die evangelische Prediger verursacht, wiederum etwas zuviel [zu] schelten und [zu] höhnen. Vergessen auch, daß sie nicht übel reden sollen, sondern nur übel hören, und schämen sich nicht, daß sie ihr Büchlein mehr mit Scheltworten erfüllen dann mit göttlichen Reden und schriftlichen Ursachen ihres Sinns und Verstands. Daher dann der große Schade (als ich [er-]acht) ist herkommen, daß der gemein Mann so spitzige und igelische Zungen erlangt, daß wenig von tapfern und ernstlichen Sachen ernstlich [zu] reden, alles darum, daß sie Gut und Böse mit gleichem Fleiß ingesoffen haben. Dadurch ist auch zum Teil brüderliche Liebe in der Aschen erstickt und die Schreiberei geneigter, zu spotten und [zu] höhnen dann zu unterweisen und [zu] lehren. Darin aber beschuldig ich den Leser mehr als den Schreiber, daß der Leser ohne Urteil und Erkenntnis alles ins Maul und in Bauch raffelt, das ihm in den Büchern vorgetragen ist, und hellt das Bös als gut. Quellennachweis Karlstadts Schriften aus den Jahren 1523–1525, ausgewählt und hg. v. Erich Hertzsch. Teil I, Halle 1956, S. 3–4. Mit Anmerkungen übernommen aus: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 317.
Thomas Müntzer und die gewaltbereite Reformation
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Thomas Müntzer und die gewaltbereite Reformation
Ein bis heute umstrittener Vertreter der Reformation ist Thomas Müntzer. Er wurde um 1489/90 in Stolberg im Südharz geboren und studierte in Leipzig und Frankfurt/ Oder. 1514 wurde er in Halberstadt zum Priester geweiht und versah seit 1520 den kirchlichen Dienst in Zwickau. Da er für die dortigen Unruhen verantwortlich gemacht wurde, zog er nach Prag und veröffentlichte den bekannten „Prager Sendbrief “ (auch „Prager Manifest“) – ein frühes Dokument seiner mystisch-apokalyptischen Theologie. Nach einigen Zwischenstationen u. a. in Jena und Weimar wurde Müntzer im Frühjahr 1523 Prediger in Allstedt und heiratete Ottilie von Gersen, eine ehemalige Nonne (siehe Nr. 121). Während Müntzer anfangs ein begeisterter Anhänger Luthers war, wurde das Verhältnis beider zunehmend von Unstimmigkeiten geprägt. Müntzer übte nicht nur Kritik an der Kirche, sondern auch an der weltlichen Obrigkeit. Luther, der bereits 1521 eine gewaltsame Reformation ausschloss, distanzierte sich von Müntzer. Der verließ 1524 seine Predigtstelle in Allstedt und reiste u. a. in die südlichen Gebiete des Schwarzwalds, in denen sich die beginnenden Bauernunruhen bemerkbar machten. 1525 kehrte er nach Mühlhausen zurück und wurde Pfarrer der Marienkirche, von wo er sich, ganz im Interesse der Bauern, für eine gewaltsame Verwirklichung seiner Vision einer gerechten Gesellschaftsordnung einsetzte. So zog Müntzer 1525 in die entscheidende Schlacht des Bauernkriegs nach Frankenhausen in dem fundamentalistisch-apokalyptischen Vertrauen als „Gideon mit dem Schwert Gottes“. Er unterlag militärisch und die kaiserlichen Truppen hielten ein grausames Blutgericht, dem auch Thomas Müntzer am 27. Mai 1525 zum Opfer fiel. Die historische Person Thomas Müntzer wurde in der historisch-materialistischen Geschichtsschreibung, etwa in der DDR, als Anführer einer „frühbürgerlichen Revolution“ zur geschichtspolitischen Instrumentalisierung genutzt. Mit der sog. „Wende“ 1989 geriet diese Interpretation an den Rand der Reformationsgeschichtsschreibung. Literaturhinweis Hans-Jürgen Goertz: Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biografie, München 2015. Günter Vogler: Thomas Müntzer, Berlin 1989. Siegfried Bräuer/Günter Vogler: Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt, Gütersloh 2016. Günter Vogler: Müntzerbild und Müntzerforschung vom 16. bis zum 21. Jahrhundert. Bd. 1, 1519–1789, Berlin 2019. Alexander Fleischauer: Die Enkel fechten’s besser aus. Thomas Müntzer und die Frühbürgerliche Revolution – Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in der DDR, Münster 2010.
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Nr. 111 Frühe Unruhen in Mühlhausen Die Stadt Mühlhausen war schon vor der Ankunft Thomas Müntzers ein Ort kirchenreformerischer Debatten. Eine davon wurde durch Heinrich Pfeiffer (Schwertfeger) angestoßen. Pfeiffer war vor 1500 in Mühlhausen geboren und wurde am 27. Mai 1525 nach der Schlacht bei Frankenhausen gemeinsam mit Thomas Müntzer hingerichtet. Er besaß wohl in Mühlhausen das Bürgerrecht und verließ das Zisterzienser-Kloster Reifenstein im thüringischen Eichsfeld im Jahr 1521. Danach zog er als Wanderprediger durchs Land und kam im Februar 1523 nach Mühlhausen. In der Regel hielt er seine Predigten unter freiem Himmel, diese sind jedoch nicht überliefert. Unter seinem Einfluss radikalisierte sich die reformwillige Bevölkerung. Die städtische Obrigkeit versuchte, die Bewegung einzudämmen, hatte aber mit Verhören des Wandermönches keinen Erfolg. Seine Anhänger schlossen sich zusammen und organisierten massive Unterstützung für Müntzer, der im August 1524 vor Ort eintraf. Gemeinsam entwarfen beide im September die „Elf Artikel“, in denen sie die Einsetzung eines „ewigen“ Rates und eine christliche Ordnung forderten. Müntzer und Pfeiffer wurden ausgewiesen. Im Winter 1524/1525 kehrten beide nach Mühlhausen zurück und führten bald den Aufstand der Bauern in Mühlhausen und Umgebung an. Im Jahr nach Christi Geburt 1523 ist einer, Heinrich Pfeiffer, ein ausgelaufener Mönch, sonst Schwertfeger genannt, aus dem Kloster Reifenstein (welches auf dem Eichsfelde lieget, eine Meile von Mühlhausen) nach Mühlhausen kommen, hat daselbst ihm einen Anhang allerlei Volks gemacht und hin und wieder von Mönchen und Pfaffen in der Stadt geredet und geprediget, (welches dem Pöbel sehr wohl gefallen) sonderlich zu St. Nikolaus die Kirche inne gehabt. Sonntags nach Septuagesima [= 8. Februar] desselben Jahres, als man das Kreuz um die Kirche getragen, wie damals der Brauch war, der Bierrufer auf einem hohen Steine gegen der Pfarrtür zu Unser Lieben Frauen aufm Kirchhofe Wein und Bier ausgerufen hatte, ist dieser Mönch in weltlichen Kleidern auf denselben Stein getreten und hat gesagt: „Höret zu, ich will euch ein ander Bier verkündigen!“ Hat angefangen von dem Evangelium desselben Sonntages zu reden und Pfaffen, Nonnen und Mönche zu schelten. Da hat jedermann zugehört, und ist ein großer Zulauf worden, denn er hat bereits viel Volks, Fremde und Heimische, gehabt, die seiner Lehre anhängig gewesen, hat auch letztlich gesaget, wer ihn weiter hören wolle, sollte des andern Tages wiederkommen; könnte er nicht in die Kirche kommen, so wollte er daselbst wieder predigen. Als solches der Rat erfahren, haben sie ihn auf folgenden Montag aufs Rathaus fordern lassen, darauf er gesagt, ja er wolle erst predigen, darnach wollte er aufs Rathaus kommen. Da er nun zu Mittage geprediget, ist er aufs Rathaus kommen mit vielen Bürgern und Bauern vom Eichsfelde und anderen Orten mit solcher Ungestümigkeit, daß der Rat froh war, daß sie ihn mit dem Volke (haben) mit guten Worten abweisen können; haben nichts wider ihn vornehmen dürfen, denn die Gemeinde hing an ihm und hieß ihn predigen; und dies war der erste Auflauf in der Stadt Mühlhausen.
Thomas Müntzer: Brief an den Grafen Ernst von Mansfeld
Quellennachweis Chronik der Stadt Mühlhausen in Thüringen. Bd. 1 (Bis 1525). Reprintauflage 2001 nach der Originalausgabe, Mühlhausen 1900, hg. v. Harald Rockstuhl, Bad Langensalza 2001, S. 166. Literaturhinweis Thomas T. Müller: Müntzers Werkzeug oder charismatischer Anführer? Heinrich Pfeiffers Rolle im Thüringer Aufstand von 1525, in: Günter Vogler (Hg.): Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald, Stuttgart 2008, S. 243–259. Ders.: „Höret zu, ich will euch ein ander Bier verkündigen.“ Das Leben des Mühlhäuser Bauernführers Heinrich Schwertfeger, genannt Pfeiffer. Eine Literaturstudie, in: Eichsfeld-Jahrbuch 1997, S. 47–66.
Nr. 112 Thomas Müntzer: Brief an den Grafen Ernst von Mansfeld 1523 wirkte Thomas Müntzer als Pfarrer in der Johanniskirche von Allstedt. Wenn auch noch nicht so scharf wie in seiner späteren Fürstenpredigt (siehe Nr. 114), kritisierte er nicht nur kirchliche, sondern auch staatlich verantwortete Missstände. Außerdem polemisierte er gegen das Festhalten an der katholischen Lehre. Das missfiel dem Grafen Ernst II. von Mansfeld-Vorderort (1479–1531), der dem alten Glauben folgte. Er verbot den Besuch der deutschsprachigen Gottesdienste bei Strafe. Am 21. September 1523 beschwerte sich Graf Ernst II. von Mansfeld bei dem Schlossverwalter und Rat zu Allstedt, Müntzer habe ihn „uff offener canzel vor allem volgke eyn ketzerischen schalgk und schindtfessel mit andern bosen und lesterlichen worten ausgeruffen“351 . Im folgenden Brief vom 22. September 1523 wehrt sich Müntzer dagegen.
Dem edlen und wohlgebornen Grafen, Herrn Ernste zu Mansfeld und Heldrungen, christlich geschrieben. Salutem, edler, wohlgeborner Grafe. Der Schosser352 und Rat zu Allstedt haben mir Euer Schreiben vorgehalten, wie ich Euch als einen ketzerischen Schalk und Schindfessel sollt mit Worten gescholten haben. In der Maß ist es wahr, dass ich wahrhaftig weiß, und es ist landruchtig,353 dass Ihr Euren Leuten durch öffentliches Mandat354 habt härtiglichen355 gebieten lassen, sie sollen zu meiner ketzerischen Messe oder Predigt nicht kommen. Darauf habe ich gesagt und will es allen christgläubigen Menschen klagen, dass Ihr so kühn seid und es wagt, das heilige Evangelium zu verbieten, und wenn Ihr (da sei Gott für), in solchem Toben 351 Thomas Müntzer: Briefwechsel. Bearbeitet und kommentiert von Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch [Thomas-Müntzer-Ausgabe, Kritische Gesamtausgabe Bd. 2], hg. v. Helmar Junghans und Armin Kohnle, Leipzig 2010, S. 194. 352 Amtmann Johannes/Hans Zeiß, seit 1513 Schlossverwalter in Allstedt. 353 Landesweit bekannt. 354 Über das antireformatorische Mandat des Grafen Ernst von Mansfeld ist sonst nichts bekannt. 355 D. h. auf grausame Weise.
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und unsinnigen Verbieten würdet verharren, so will ich Euch noch auf den heutigen Tag, weil sich in mir ein Aderlein regt, nicht alleine vor der Christenheit, sondern meine Bücher auch wider Euch in manchen Zungen lassen dolmetschen und Euch den Türken, Heiden und Juden356 ein zerrissenen und unverständigen Menschen schelten und ausschreien und aufs Papier klecksen. Und Ihr sollt wissen, dass ich in solchen mächtigen und rechten Sachen auch die ganze Welt nicht fürchte. Christus schreiet Zeter über die, die da wegnehmen den Schlüssel der Erkenntnis Gottes,357 Luce am 11 [Lk 11,52]. Der Schlüssel aber der Erkenntnis Gottes ist der, dass man die Leute damit regiere, dass sie Gott lernen alleine fürchten, Ro. 13 [Röm 13,1–4], denn ein Anfang der rechten christlichen Weisheit ist die Furcht des Herrn. Nun Ihr aber wollt mehr denn Gott gefürchtet sein, wie ich dann durch Euer Werk und Mandat beweisen will, so seid Ihr, der den Schlüssel der Erkenntnis Gottes wegnimmt und den Leuten verbietet, in die Kirche zu gehen, und vermöget doch nur ein Besseres.358 Ich will mein angefangenes Amt359 und Predigt durch die Heilige Bibel beweisen, und auch das Allergeringste, das ich sage und singe. Wo aber ich das nicht vermöchte, so will ich Leib und Leben und solches allhier gewärtig sein zu verlieren. So Ihr aber das Widerspiel360 nicht vermögt, dann alleine mit der Hand, so möget Ihr Euch desselben um Gottes Willen enthalten. So Ihr aber darüber etwas, wie öffentlich berührt, werdet anrichten, sollt Ihr gedenken des zukünftigen Zanks ohne Ende. Der Prophet sagt: „Es hilft keine Gewalt oder Ratschlagen gegen den Herrn.“ [Spr 21,30] Ich bin ein Knecht Gottes gleich sowohl wie Ihr, darum habt gemach,361 da die ganze Welt Geduld mittragen muss. Gnackt362 nicht, der alte Rock reißt sonst. Bringt Ihr mich den Druckern in die Fäuste,363 will ich hundertmal tausend ärger mit Euch umgehen als der Luther mit dem Papst. Seid mein günstiger Herr, so Ihrs möchtet leiden und erzeugen, wo aber nicht, das lass ich Gott walten. Amen. Gegeben zu Alltstedt am Tage Mauricii im Jahre 1523.364 Thomas Müntzer, ein Verstörer der Ungläubigen. Quellennachweis Thomas Müntzer: Briefwechsel, bearb. und kommentiert v. Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch [Thomas-Müntzer-Ausgabe, Kritische Gesamtausgabe Bd. 2], hg. v. Helmar Junghans und Armin Kohnle, Leipzig 2010, S. 194–199 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen, Anmerkungen weitestgehend übernommen.)
356 Formelhafte Wendung für Nichtchristen. 357 Vom „Prager Sendbrief “ an erhebt Müntzer den Vorwurf, den Schlüssel zur wahren Erkenntnis (Kunst) Gottes weggenommen zu haben, zunächst gegen die Geistlichen der römischen Kirche, bald jedoch ebenfalls gegen die reformatorischen Theologen, die sich der unvermittelten Offenbarung Gottes verschließen. 358 Und könnt doch nichts Besseres – sc. anstelle des verbotenen Kirchgangs nach Allstedt – anbieten. 359 Gottesdienst; d. h. die reformierten Allstedter Gottesdienstordnungen. 360 Gegenteil, d. h. die Widerlegung und Besiegung Müntzers. 361 D. h. gebt Ruhe. 362 Nagt oder zerrt. 363 Müntzer scheint befürchtet zu haben, Graf Ernst von Mansfeld lasse sein antireformatorisches Mandat auch noch drucken oder wolle sogar einen antimüntzerischen Traktat im Druck verbreiten. 364 22. September 1523.
Thomas Müntzer: Brief an den Kurfürsten
Literaturhinweis Mathias Henkel/Volker Honemann: Tradition und Erneuerung: mittelalterlicher Hintergrund der Gottesdienstreform Thomas Müntzers in Allstedt: zwei Beiträge, Mühlhausen 2015.
Nr. 113 Thomas Müntzer: Brief an den Kurfürsten Die Situation in Allstedt eskalierte, als Müntzer etliche Bürger zum „Allstedter Bund“ vereinigte und konkrete Widerstandsmaßnahmen ankündigte. Ob dazu auch die Plünderung der Kapelle im Besitz des Klosters Naudorf (Affäre Mallerbach) gehörte, ist nicht eindeutig festzustellen. Müntzer sah sich gegenüber dem Landesherren zu einer Klarstellung genötigt und schrieb ihm am 4. Oktober 1523 folgenden Brief.
Dem durchlauchtigsten, hochgebornen Fürsten und Herrn Frideriche, des Heiligen Römischen Reichs Erzmarschall und Kurfürsten, Herzogen zu Sachsen, Landgrafen in Thüringen und Markgrafen zu Meißen, meinem gnädigsten Herren. Jesus der Sohn Gottes. Durchlauchtigester, hochgeborner Fürst und Herr, Euern kurfürstlichen Gnaden sei die rechtschaffene Furcht Gottes und der Friede, dem die Welt feind ist. Gnädigster Herr, nachdem mich der allmächtige Gott zum ernsten Prediger gemacht hätt, so pfleg ich auch die lautbaren beweglichen365 Posaunen zu blasen, dass sie erhallen mit dem Eifer der Erkenntnis Gottes, keinen Menschen auf dieser Erden zu verschonen, der dem Wort Gottes widerstrebt, wie Gott selber durch den Propheten befohlen hätt, Isaie am 58 [Jes 58,1 f.]. […] Über das alles hätt mich kein billiges Vortragen und Protestieren wollen helfen, dass der wohlgeborene Graf Ernst von Mansfeld den ganzen Sommer durch und durch immer mehr seinen Untertanen verboten hat, ehe des Kaisers Mandat366 je ausgangen war, und dadurch die Unsern und die Seinen zur Empörung verursachet, dass ichs die Länge mit meinem Überreden nicht habe wehren können und habe am Sonntag nach Nativitatis Marie [= 13. September 1523] auf offener Kanzel ganz inständig vermahnt und emsiglich geladen ihn, zu meinen Schäflein sagende: „Ich bitte Grafen Ernst von Mansfeld, dass er mit den Ordinarien dieses Bistums hier erscheine und beweise, dass meine Lehre oder Amt ketzerisch sei. Wenn aber nicht (da sei Gott für), so will ich ihn für einen Bösewicht und Schalk und Buben, Türken und Heiden367 achten und das mit der Wahrheit beweisen aus der Schrift.“ Das ist die Form der Worte gewesen und nichts anderes, wie ich beweisen kann. Er hat unordentlich mit mir gehandelt, nun beruft er sich aufs kaiserliche Mandat, wie seine Sache solle im selbigen inbegriffen sein, wie doch nicht zu sehen ist. So sollte er seine gelehrten Leute mitgebracht haben und mich gnädig und angemessen unterwiesen haben. So ich wäre überwunden worden, sollte er mich danach Euer Kurfürstlichen Gnaden verklagt haben und danach seinen Leuten verboten haben, solche Ämter nicht zu hören. Wenn es indes gelten wird, dass man mit menschlichen Geboten das Evangelium will aufhalten, Isaie 29 [Jes 29,13], Matt. 15 [Mt 15,7 ff.].368 zum Tito 1 [Tit 1,14 ff.],
365 366 367 368
D. h. die angekündigten starken Posaunen. Mandat des Reichsregiments vom 6. März 1523. Gängige Scheltworte, vor allem gegen ein dem Glauben widersprechendes Verhalten gerichtet. Mt 15,7 ff. wird Jes 29,13 zitiert.
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und daneben nicht vorschriftsgemäß die Worte des Mandats exequieren [= vollstrecken] wird, so wird man das Volk irre machen, das die Fürsten mehr lieben als fürchten soll, zu Römern am 13. [Röm 13,3 f.]: Die Fürsten sind den Frommen nicht erschrecklich. Und wenn sich das wird ändern, so wird das Schwert ihnen genommen werden und wird dem inbrünstigen Volke gegeben werden zum Untergange der Gottlosen, Danielis 7 [Dan 7,27], da wird das edel Kleinod, der Friede, aufgehoben werden von der Erden, Apokalipsis 6 [Offb 6,4]. […] Euer kurfürstlich Gnaden müssen auch hier keck sein, seht ihr doch, dass Gott also unaufhörlich von Anbeginn bei Euer Kurfürstlich Gnaden gestanden hat, der euch und euer Volk bewahre in Ewigkeit. Amen. Gegeben zu Allstedt im 1523 Jahre des Herrens am Tage Francisci.369 Tomas Munczer von Stolberg, ein Knecht Gottes. Quellennachweis Thomas Müntzer: Briefwechsel, bearb. und kommentiert v. Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch [Thomas-Müntzer-Ausgabe, Kritische Gesamtausgabe Bd. 2], hg. v. Helmar Junghans und Armin Kohnle, Leipzig 2010, S. 199–206 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen, Anmerkungen weitestgehend übernommen.) Literaturhinweis Informationen zur Nachgeschichte des Briefes in Thomas Müntzer: Briefwechsel, bearb. und kommentiert v. Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch [Thomas-Müntzer-Ausgabe, Kritische Gesamtausgabe Bd. 2], hg. v. Helmar Junghans und Armin Kohnle, Leipzig 2010, S. 207. Carl Hinrichs: Luther und Müntzer: ihre Auseinandersetzung über Obrigkeit und Widerstandsrecht. Nachdruck der Ausgabe Berlin 2 (1962) 1971, VIII, S. 9 f., 34–36.
Nr. 114 Thomas Müntzer: Predigt vor den Fürsten Wegen der weiteren Entwicklungen statteten der Kurfürst und der kursächsische Prinz der Stadt Allstedt am 13. Juli 1524 einen Besuch ab. Das gab Müntzer die Gelegenheit, in einer öffentlichen Predigt – der sogenannten Fürstenpredigt – vor den adeligen Herrschern auf dem Allstedter Schloss seinen Standpunkt deutlich zu machen: Er erläuterte darin seine Vision von dem fünften Weltreich, dem ewigen Gottesreich, und proklamierte den erlaubten Widerstand gegen die Obrigkeit, wenn diese sich nicht gottgefällig verhält. Seine Ausführungen fußten dabei v. a. auf dem zweiten Kapitel des Danielbuchs. Diese „Fürstenpredigt“ wurde kurz danach in Müntzers Druckerei publiziert. Der Titel lautete Auslegung des andern Unterschieds Danielis des Propheten.
369 4. Oktober 1523.
Thomas Müntzer: Predigt vor den Fürsten
Es ist wahr und ich weiß fürwahr, dass der Geist Gottes jetzt vielen auserwählten, frommen Menschen offenbart ist, eine treffliche, unüberwindliche, zukünftige Reformation von großen Nöten sein, und es muss vollführet werden. Es wehre sich gleich ein jeglicher wie er will, so bleibet die Weissagung Danielis ungeschwächt, ob ihr wohl niemand glauben will, wie auch Paulus zu den Römern am 3. Kapitel [Röm 3,3 f.] saget. Es ist dieser Text Danielis also klar wie die helle Sonne, und das Werk geht jetzt im rechten Schwange vom Ende des fünften Reichs der Welt. Das erste ist erklärt370 durch den goldenen Knauf. Das war das Reich zu Babel [Dan 2,38]. Das andere durch die silberne Brust und Arm, das war das Reich der Medier und Persier [Dan 2,39a]. Das dritte war das Reich der Griechen, welches erschallet mit seiner Klugheit, durch das Erz angezeicht [Dan 2,39b], das vierte das Römische Reich,371 welches mit dem Schwert gewonnen ist und ein Reich des Zwingens gewesen [Dan 2,40]. Aber das fünfte ist dieses, das wir vor Augen haben, das auch von Eisen ist und wollte gern zwingen, aber es ist mit Kot geflickt,372 wie wir vor sehenden Augen sehen, eitel Anschläge der Heuchelei, die sich krümmt und windet auf dem ganzen Erdreich. Denn wer nicht betrügen kann, der muss ein dummer Kopf sein. Man sieht jetzt hübsch, wie sich die Aale und Schlangen zusammen verunkeuschen373 auf einem Haufen. Die Pfaffen und alle böse Geistlichen sind Schlangen, wie sie Johannes, der Täufer Christi, nennet, Matthei 3 [Mt 3,7], und die weltlichen Herren und Regenten sind Aale, wie figuriert [= sinnbildlich dargestellt] ist Levit. am 11. Kapitel von Fischen usw. [Lev 11,10–12]. Da haben sich die Reiche des Teufels mit Tone beschmieret.374 Ach liebe Herren, wie hübsch wird der Herr da unter die alten Töpfe schmeißen mit einer eisern Stangen, Psal. 2 [Ps 2,9]. Darum, Ihr allerteuersten, liebsten Regenten, lernt Euer Urteil375 recht aus dem Munde Gottes und lasst Euch [durch] Eure heuchlisch Pfaffen376 nicht verführen und mit erdichteter Geduld und Güte aufhalten. Denn der Stein, ohne Hände vom Berge gerissen, ist groß worden. [Dan 2,34] Die armen Laien und Bauern sehen ihn viel schärfer an als Ihr. Ja, Gott sei gelobt, er ist so groß worden, wann Euch andere Herren oder Nachbarn schon um des Evangelium willen wollten verfolgen, so würden sie von ihrem eigenen Volk vertrieben werden, das weiß ich fürwahr. Ja, der Stein ist groß. Davor hat sich die furchtsame Welt lange gefürchtet. Er ist auf sie gefallen, als er noch klein war. Was sollen wir denn nun tun, nachdem er so groß und mächtig ist worden? Und weil er so mächtig unaufhaltsam auf die große Säule geschlagen und sie bis auf die alten Töpf377 zuschmettert hat? Drum, Ihr teuren Regenten von Sachsen, tretet keck auf den Eckstein, wie der heilige Petrus es tat, Matthei am 16. [Mt 16,16–18] und sucht die rechte Beständigkeit göttlichen Willens. Er wird Euch wohl erhalten auf dem Stein, Psalm 39 [Ps 40,3]. Eure Wege werden richtig sein, suchet nur stracks Gottes Gerechtigkeit und greifet die Sache des Evangeliums tapfer an. Denn Gott steht so nah bei Euch, dass Ihrs nicht glaubt, warum wollt Ihr euch dann vor dem Schreckbild des Menschen entsetzen, Psalm 117 [Ps 118,6–16]. […]
370 371 372 373 374 375 376 377
Meint: versinnbildlicht, vgl. Dan 2,32 ff. Gemeint ist das Heilige Römische Reich. Herabsetzende Übersetzung von „partem testae figuli“ (Dan 2,41). Zusammen ringeln, Unzucht treiben. Vgl. Basilius von Cäsarea: Homiliae in Hexaemeron, VII 516 (MPG 29,160) über die unnatürliche Verbindung von Viper und Muräne. Meint: Getarnt mit vermeintlich christlichem Glauben. Gemeint ist das richterliche Urteil Gottes. Heuchlerische Pfaffen; mglw. Kritik an dem jeglicher Gewalt abholden Martin Luther. Verbindung von Dan 2,34 f. mit Ps 2,9; das fünfte Reich, gemischt aus Ton und Eisen.
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Sollt Ihr nun rechte Regenten sein, so müsst Ihr das Regiment bei der Wurzel beginnen und wie Christus befohlen hat. Treibt seine Feinde von den Auserwählten, denn Ihr seid die Mittler dazu. Lieber gebt uns keine schalen Fratzen vor, dass die Kraft Gottes es tun soll ohne Euer Zutun des Schwerts, es möcht Euch sonst in der Scheiden verrosten. […] Tut ein recht Urteil aus Gottes Befehl. Ihr habt Hilfe genug dazu, Sapiente am 6. [Weisheit Salomos 6,4], denn Christus ist Euer Meister, Matthei am 23. Kapitel [Mt 23,8]. Drum lasset die Übeltäter nicht länger leben, die uns von Gott abwenden, Deut. 13 [Dtn 13,6–16], denn ein gottloser Mensch hat kein Recht zu leben, wo er die Frommen behindert. Daß aber dasselbige nun redlicher Weise und füglich geschehe, so sollen das unsere teuren Väter, die Fürsten, tun, die Christum mit uns bekennen. Wo sie aber das nicht tun, so wird ihnen das Schwert genommen werden, Danielis am 7. Kapitel [Dan 7,26 f.], dann sie bekennen ihn also mit den Worten und leugnen sein mit der Tat, Titum 1. [Tit 1,6] Also sollen sie den Feinden anbieten den Friede, Deut. 2. [Dtn 2,26–36] Wollen sie geistlich sein und die Kunst Gottes nicht berechnen,378 1. Petri 3 [1. Petr 3,15], so soll man sie wegtun, 1. Korint. 5. [1. Kor 5,13] Aber ich bitte für sie mit dem frommen Daniel, wenn sie Gottes Offenbarung nicht zuwider sind. Wo sie aber das Widerspiel treiben, dass man sie erwürge ohne alle Gnade, wie Ißkias,379 Josias,380 Cirus,381 Daniel,382 Helias, 3. Regum 18,383 die Pfaffen Baals zerstöret haben. Anders vermag die christliche Kirche zu ihrem Ursprung nicht wieder kommen. Man muss das Unkraut ausräufen aus dem Weingarten Gottes in der Zeit der Ernte, dann wird der schöne rote Weizen beständige Wurzeln gewinnen und recht aufgehen, Matth. 13. [Mt 13,24–30] Die Engel aber, welche ihre Sicheln dazu schärfen, sind die wahren Knechte Gottes, die den Eifer göttlicher Weisheit vollführen, Malachie 3 [Mal 3,1]. Quellennachweis Thomas Müntzer: Schriften, Manuskripte und Notizen, hg. v. Armin Kohnle und Eike Wolgast [Thomas-Müntzer-Ausgabe, Kritische Gesamtausgabe Bd. 1], Leipzig 2017, S. 314 f.; 317; 319 f. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen, Anmerkungen übernommen.) Literaturhinweis Hans-Jürgen Goertz: Gegenwart Gottes und Veränderung der Welt. Die „Fürstenpredigt“ Thomas Müntzers auf dem Schloss zu Allstedt, in: Thomas Müntzer: keine Randbemerkung der Geschichte, hg. v. Landkreis Mansfeld-Südharz und der Landeszentrale für Politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt, Wettin-Löbejün 2017. Ders.: Thomas Müntzer: Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biographie, München 2015, S. 133–158.
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Rechenschaft ablegen über. 2 Kön 18,22. 2 Kön 23,4–24. 2 Chr 36,22 f. Dan 6,27. Elia: 1 Kön 18,40.
Martin Luther: Ein Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist
Nr. 115 Martin Luther: Ein Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist Seit den Entwicklungen von Allstedt, aber auch im Kontext weiterer zu befürchtender Auseinandersetzungen, die rasch in Aufruhr münden könnten, war Luther in intensivem Austausch mit Kurprinz Johann. Dieser hatte verschiedentlich um Hilfe bei der Schriftauslegung gebeten. Luther zeigte sich verärgert, dass in Kursachsen die radikalreformerischen Kräfte Fuß fassten. Er nannte Müntzer den „Satan von Allstedt“ und wünschte, dass er sich besser im albertinischen Sachsen bei Herzog Georg bewähren sollte. Dazu unternahm er verschiedentliche Initiativen und versuchte auch persönlich, Müntzer zu mäßigen. Als nun über Johann Brießmann aus Königsberg (1488–1549)384 Nachrichten nach Wittenberg gelangten, die auf die Gefahr eines gewaltsamen Aufruhrs hinwiesen, sah sich Luther zum Eingreifen genötigt. In einem gutachterlichen Brief an die Fürsten zu Sachsen nahm er deutlich Stellung zu Müntzer und dem Allstedter Bund. Es ist dies die erste öffentliche Stellungnahme Luthers gegen die Gegner aus dem eigenen Lager. Sie erscheint bei näherem Hinsehen als eine programmatische Aussage zur Frage der Berechtigung von Gewaltanwendung und nimmt gerade in ihrer geschichtstheologischen Deutung der Situation die spätere Argumentation im Bauernkrieg vorweg.
Ich hab diesen Brief an Euer Fürstliche Gnaden allein aus der Ursach geschrieben, dass ich vernommen und auch aus ihrer Schrift385 verstanden habe, als wollt derselbe Geist die Sache nicht im Wort lassen bleiben, sondern gedenke sich mit der Faust hinein zu begeben und wolle sich mit Gewalt setzen wider die Oberkeit und stracks daher eine leibliche Aufruhr anrichten. Hier lässt der Satan den Schalk kicken [= durchblicken], das ist zu viel an Tag geben. Was sollt der Geist wohl anfangen, wenn er des Pöbels Anhang gewänne? Ich habs zwar vorhin auch von demselben Geist allhier zu Wittenberg gehört, dass er meinet, man müsse die Sache mit dem Schwert vollführen. Da dachte ich wohl, es wollt dahinaus, dass sie gedächten, weltliche Oberkeit zu stürmen und selbst Herrn in der Welt zu sein. So doch Christus vor Pilato das verneinet und spricht [Joh 18,36], sein Reich sei nicht von dieser Welt, und auch die Jüngern lehret [Mt 20,25–26], sie sollten nicht sein wie weltliche Fürsten. Wiewohl ich mich nun versehe, E. F. G. werden sich hierinnen besser wissen zu halten, denn ich raten kann, so gebührt mir doch untertäniger Fleiß, auch das Meine dazuzutun, und E. F. G. untertäniglich zu bitten und ermahnen, hierinnen ein ernstlich Einsehen zu haben und aus Schuld und Pflicht ordentlicher Gewalt solchen Unfug zu wehren und dem Aufruhr zuvorzukommen. Denn E. F. G. haben des gut Wissen, dass ihr Gewalt und weltliche Herrschaft
384 Der deutsch-sorbische Franziskaner hatte zu Beginn der Zwanzigerjahre in Wittenberg studiert und dort die Grade bis zum Doktor der Theologie erworben. Als Franziskaner 1522 kurzfristig aus Wittenberg ausgewiesen, konnte er durch Fürsprache Spalatins zurückkehren und wurde auf Empfehlung Luthers zum Domprediger in Königsberg berufen. 385 Offensichtlich Briefe Müntzers.
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von Gott darum gegeben und befohlen ist, dass sie den Friede handhaben sollen und die Unruhigen strafen, wie St. Paulus lehret, Ro 13 [Röm 13,4]. Darum E. F. G. hier nicht zu schlafen noch zu säumen ist. Denn Gott wirds fordern und Antwort haben wollen um solch nachlässigen Brauch und Ernst des befohlenen Schwerts. So würde es auch vor den Leuten und der Welt nicht zu entschuldigen sein, dass E. F. G. aufrührische und frevele Fäuste dulden und leiden sollten. Quellennachweis WA 15, S. 199–221; StA 3, 85–104 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Siegfried Bräuer: Die Vorgeschichte von Luthers „Ein Brief an die Fürsten zu Sachsen und dem aufrührerischen Geist“, in: Lutherjahrbuch 47 (1980), S. 40–70. Hans-Jürgen Goertz: Thomas Müntzer: Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biographie, München 2015, S. 159–180.
Nr. 116 Thomas Müntzer: Die Ursachen des Aufruhrs Thomas Müntzer beantwortete die Schrift Luthers von dem aufrührerischen Geist wohl ab Juli, veröffentlichte allerdings erst im Herbst 1524 seinen polemischen Traktat Hochverursachte Schutzrede und Antwort wider das geistlose sanftlebende Fleisch zu Wittenberg. Bei aller Kritik und dem Versuch der Richtigstellung seiner Predigten wird erkennbar, dass die Verbindung zwischen Luther und Müntzer nachhaltig gestört war. Das wird in der zweiten Julihälfte unübersehbar. Müntzer floh Anfang August nach Mühlhausen, wo er sich in Heinrich Pfeiffer und Matthäus Hisolidus386 Gesinnungsgenossen erhoffte.
Die Juden wollten Christum allenthalben gerne gelästert und zuschanden machen, wie mit mir jetzt der Luther vornimmt. Er schilt mich gar heftig und wirft mir vor, die Gütigkeit des Sohn Gottes und seiner lieben Freunde,387 nachdem ich den Ernst des Gesetzes gepredigt hab, wie es wegen der Strafe der geistlosen Übertreter (wiewohl sie Regenten sind) nicht aufgehaben, sondern mit dem allerhöchsten Ernst vollzogen werden soll, wie dann Paulus seinen Schüler Timotheon und durch ihn alle Seelewarter388 unterrichtet, 1. Timo. 1 [1. Tim 1,9–11], dem Volk zu predigen. Er sagt klärlich, dass es die heimsuchen soll, die wider die gesunde Lehre fechten und streben, wie niemand verneinen kann, Deutro. am 13. Kapitel [Dtn 13,8–12] ist das helle, klare Urteil beschlossen, und Paulus fället es auch über den unkeuschen Übertreter, 1. Korinth. 5 [1. Kor 5,1–5]. Wiewohl ich das hab lassen in Druck gehen,389 wie
386 Vgl. Thomas Müller: Frühreformation in Westthüringen. Jakob Strauß in Eisenach und Matthäus Hisolidus in Creutzberg, Jena 2019. 387 Vgl. WA 15,218,5–16. 388 Meint: Seelsorger. 389 Die sogenannte Fürstenpredigt, siehe Nr. 114.
Thomas Müntzer: Die Ursachen des Aufruhrs
ichs vor den Fürsten zu Sachsen hab gepredigt, ohne alle Hinterlist ihnen das Schwert aus der Schrift gezeigt, dass sie es sollten brauchen, auf dass nicht Empörung erwüchse. Kurzum, die Übertretung muss gestraft werden, es kann weder der Groß noch der Klein darvonkommen, Numeri 25 [Num 25,4]. Gleichwohl kommet Vater Leisentritt,390 ach, der körre391 Geselle, und saget: Ich wölle Aufruhr machen, wie er dann aus meinem Sendbrief an die Berggesellen392 herausgelesen.393 Eines saget er, und das Allerbedeutsamste verschweiget er, wie ich klärlich vor den Fürsten ausbreitete, dass ein ganze Gemeinde Gewalt des Schwerts habe, wie auch den Schlüssel der Auflösung, und sagte vom Text Danielis 7 [Dan 7,27], Apokalip. 6 [Offb 6,15–17] und Romano 13 [Röm 13,1–3 f.], 1. Regum 8 [1. Sam 8,7], dass die Fürsten keine Herren, sondern Diener des Schwerts sein. Sie sollens nicht machen, wie es ihnen wohlgefällt, Deutro 17 [Dtn 17,18–20], sie sollen Recht tun. Darum muss auch aus altem, gutem Brauch das Volk darneben sein, wenn einer gerichtet wird nach dem Gesetz Gottes, Num. 15 [Num 15,35]. Ei warum? Ob die Obrigkeit das Urteil wöllte verkehren, Jesaja 10 [Jes 10,1 f.], so sollen die umstehenden Christen das verneinen und nicht leiden, denn Gott will Rechenschaft haben vom unschuldigen Blut, Psalm 78 [Ps 79,10]. Es ist der allergrößte Greuel auf Erden, dass niemand der Bedürftigen Not sich will annehmen, die Großen machens wie sie wollen, wie Hiob am 41. [Hiob 41] beschreibt. Der arme Schmeichler will sich mit Christo in erdichteter Gütigkeit decken wider den Text Pauli 1. Timoth. 1 [1. Tim 1,8 ff.]. Er saget aber im Buch von Kaufshandelung,394 dass die Fürsten sollen getrost gegen die Diebe und Räuber [mit Gewalt] vorgehen. Im selbigen verschweigt er aber den Ursprung aller Dieberei. Er ist ein Herold, er will Dank verdienen mit der Leute Blutvergießen um zeitlichs Guts willen, welches doch Gott nicht als seinen Willen befohlen hat. Sieh zu, die Grundsuppe [= Ursache, Nährboden] des Wuchers, der Dieberei und Räuberei sein unser Herrn und Fürsten, nehmen alle Kreaturen zum Eigentum. Die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden muss alles ihr sein, Jesaja 5 [Jes 5,8]. Darüber lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und sprechen: Gott hat geboten, du sollst nicht stehlen; es dienet ihnen aber nicht. So sie nun alle Menschen nötigen, den armen Ackermann, Handwerkmann und alles, das da lebet, schinden und schaben, Miche 3. Kapitel [Mi 3,2 f.], sowie er sich dann vergreift am Allergeringsten, so muss er gehenkt werden: So saget denn der Doktor Lügner: Amen. Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursach des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun, wie kann es auf Dauer gut werden? So ich das sage, muss ich aufrührisch sein, wohlan. Quellennachweis Thomas Müntzer: Schriften, Manuskripte und Notizen, hg. v. Armin Kohnle und Eike Wolgast [Thomas-Müntzer-Ausgabe, Kritische Gesamtausgabe Bd. 1], Leipzig 2017, S. 384 f. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen, Anmerkungen übernommen).
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Gemeint ist Luther. fügsame. Gemeint ist der sogenannte Sendbrief an die Mansfelder Bergleute; nicht überliefert. Im Brief an die Fürsten zu Sachsen erklärt Luther, er habe vernommen und „auch aus yhrer schrifft“ verstanden, der Geist „woelle sich mit gewallt setzen widder die oberkeyt vnd stracks daher eyne leypliche auffruhr anrichten“ (WA 15, S. 212,11—14). 394 Luthers Schrift Von Kaufshandlung und Wucher, 1524, WA 15, S. 283–322.
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Nr. 117 Thomas Müntzer: Das Manifest an die Allstedter Unter dem Eindruck des herandrängenden Bauernaufstandes rief Thomas Müntzer am 26. April 1525 Bauern und Bergleute in Thüringen zum Aufstand gegen die Obrigkeit auf. Er warnte vor falschen Verträgen, d. h. Vertragsabschlüssen, die letztlich zu Ungunsten der Bauern und Bergleute ausgehen würden. Angeregt durch seine alttestamentliche Auslegung und die Selbstidentifikation mit der alttestamentarischen Richterfigur des Gideon395 sah er sich zum gewaltsamen Aufruhr berufen.
Die reine Furcht Gottes zuvor, liebe Brüder. Wie lange schlaft Ihr, wie lange seid Ihr Gott seines Willens nicht geständig, darum dass er Euch nach Eurem Ansehen verlassen hat? Ach, wie viel hab ich Euch das gesagt, wie es muss sein. Gott kann sich anders nicht offenbaren, Ihr müsst gelassen stehen. Tut Ihrs nicht, so ist das Opfer, Euer herzbetrübtes Herzeleid umsonst. Ihr mußt danach von neuem auf wieder in Leiden kommen. Das sage ich Euch: Wollt Ihr nicht um Gottes Willen leiden, so müsst Ihr des Teufels Märtyrer sein. Darum hütet Euch, seid nicht also verzagt, nachlässig, schmeichelt nicht länger den verkehrten Fantasten, den gottlosen Böswichtern. Fanget an und streitet den Streit des Herren! Es ist hoch Zeit, haltet Eure Brüder alle dazu, dass sie göttliches Gezeugnis nicht verspotten, sonst müssen sie alle verderben. Das ganze deutsche, französisch und welsch Land ist wach, der Meister will [sein] Spiel machen, die Böswichter müssen dran. Zu Fulda sind in der Osterwochen vier Stiftskirchen verwüstet, die Bauern im Klegau und Hegau, [im] Schwarzwald sind auf, dreimal tausend stark, und wird der Hauf je länger je größer. Allein ist das meine Sorge, dass die närrischen Menschen sich verwilligen in einen falschen Vertrag, darum, dass sie den Schaden nach nicht erkennen. Wenn Euer nur drei sind, die in Gott gelassen, allein seinen Namen und Ehre suchen, werdet Ihr hunderttausend nicht fürchten. Nun dran, dran, dran, es ist Zeit, die Böswichter sind frei verzagt wie die Hunde. Regt die Brüder an, dass sie zu Frieden kommen und ihr Bewegung Gezeugnis holen. Es ist über die Maß hoch, hoch von Nöten. Dran, dran, dran! Laßt Euch nicht erbarmen, ob Euch der Esau gute Worte vorschlägt, Genesis 33 [Gen 33,1–6]. Sehet nicht an den Jammer der Gottlosen. Sie werden Euch also freundlich bitten, greinen, flehen wie die Kinder. Lasset Euch nicht erbarmen, wie Gott durch Moses befohlen hat, Deutro 7 [Dtn 7,1–5], und uns hat er auch offenbart dasselbige. Reget an in Dörfern und Städten und sonderlich die Berggesellen mit anderen guten Burschen, welche gut dazu werden sein. Wir müssen nicht länger schlafen. Sieh, da ich die Wort schreib, kam mir Botschaft von Salza [= Langensalza], wie das Volk den Amtmann Herzog Georgen vom Schloß langen wollen, um des willen, dass er drei [Männer] hab heimlich wollen umbringen. Die Bauern vom Eisfelde sind ihr Junkern feind worden, kurz, sie wollen ihr kein Gnade haben. Es ist des Wesens viel, Euch zum Ebenbilde. Ihr müsst dran, dran, es ist Zeit. Balthasar und Barthel Krump, Valtein und Bischoff,396 gehet vorne an den Tanz! Lasset diesen Brief den Berggesellen werden. Mein Drucker wird kommen in
395 Richter 6 – 8; vgl. hierzu Christoph Levin: Art. Gideon. In: RGG4 Bd. 3, Tübingen 2000, Sp. 925 f. 396 Mitglieder des Allstedter Verbündnisses: Balthasar Reif, Bartel Krump, Valentin Krumpe und ein unbekannter Bischof aus Wolfenrode.
Philipp von Solms: Bericht über die Schlacht bei Frankenhausen
kurzen Tagen, ich habe die Botschaft erhalten.397 Ich kann es jetzt nicht anders machen, sonst wollt ich den Brüdern Unterricht genug geben, dass ihnen das Herz viel größer sollt werden dann alle Schlösser und Rüstung der gottlosen Bösewichter auf Erden. Dran, dran, dieweil das Feuer heiß ist. Lasset Euer Schwert nicht kalt werden, lasset es nicht lahm werden! Schmiedet pinkepanke auf den Ambossen Nimrods,398 werfet ihnen den Turm zu Boden! Es ist nicht möglich, weil sie leben, dass ihr der menschlichen Furcht solltet leer werden. Man kann Euch von Gott nicht sagen, dieweil sie über Euch regieren. Dran, dran, weil Ihr Tag habt, Gott gehet Euch vor, folget, folget! Die Geschichte steht beschrieben Mattei 24 [Mt 24,1–45], Ezechielis 34 [Ez 34,8 f.], Danielis 7 [Dan 7,16 f.], 4. Esdro 16 [Esra 10,10 f.], Apokalypsis 6 [Offb 6,9 f.], welche Schrift alle Romer 13 [Röm 13,1 f.] erkläret. Darum lasst Euch nicht abschrecken. Gott ist mit Euch, wie geschrieben 2. Paralippomeno 20. Kapitel [2. Chr 20,15–18], dies sagt Gott: „Ihr sollt Euch nicht fürchten. Ihr sollt diese große Menge nicht scheuen, es ist nicht Euer, sondern des Herrn Streit. Ihr seid nicht, die da streiten, stellet Euch fürwahr männlich. Ihr werdet sehen die Hilfe des Herren über Euch.“ Da Josaphat diese Worte hörete, da fiel er nieder. Also tuet auch und durch Gott, der Euch stärke, ohne Furcht der Menschen im rechten Glauben. Amen. Datum zu Mühlhausen im Jahre 1525. Thomas Muntzer, ein Knecht Gottes wider die Gottlosen. Quellennachweis Thomas Müntzer: Briefwechsel, bearb. und kommentiert v. Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch [Thomas-Müntzer-Ausgabe, Kritische Gesamtausgabe Bd. 2], hg. v. Helmar Junghans und Armin Kohnle, Leipzig 2010, S. 409–415 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen, Anmerkungen weitestgehend übernommen). Literaturhinweis Sven Tode: Stadt im Bauernkrieg 1525: strukturanalytische Untersuchungen zur Stadt im Raum anhand der Beispiele Erfurt, Mühlhausen/Thür., Langensalza und Thamsbrück, Frankfurt am Main u. a. 1994.
Nr. 118 Philipp von Solms: Bericht über die Schlacht bei Frankenhausen Philipp von Solms-Lich (1468–1544) widmete sich dem Studium in Erfurt, Mainz sowie Heidelberg und war am Hof der Kaiser Maximilian I. und Karl V. tätig. Zwischen 1506 und 1514 wirkte er als kurfürstlicher Rat am Hof des Kurfürsten von Sachsen. Bereits 1520 setzte er sich bei Franz von Sickingen für Martin Luther ein. Nach dem Tod Friedrichs des Weisen wechselte Philipp in den Dienst des Landgrafen von
397 Der Drucker, dessen Name unbekannt ist, ist mit der Familie nach Mühlhausen gekommen und hat in Müntzers Pfarrhaus gewohnt. Hinweise, dass er seine Tätigkeit noch aufnehmen konnte, gibt es nicht. Er konnte vor der Einnahme der Stadt durch das Fürstenheer Mühlhausen noch verlassen. 398 Die Fürsten und Herren, vgl. Gen 10,8 f.
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Hessen. Obwohl der sich für die Reformation engagierte, blieb Philipp dem alten Glauben treu. Zwischen 1516 und 1522 diente er im Gefolge Franz von Sickingens. Er zeichnete sich durch militärtheoretische Interessen aus, zog sich aber zunächst aus den politisch-konfessionellen Konflikten seiner Zeit zurück. Der nachfolgende Brief vom 16. Mai an seinen Sohn berichtet von der Niederschlagung des Bauernaufstands bei Frankenhausen und Mühlhausen sowie von der Hinrichtung Müntzers. Ich geb Euer Liebden für neu Zeitung zu erkennen, nachdem sich ein gewaltiger Haufen Bauern zu Mühlhausen und Franckenhausen, welchs das Haupt unter andern im Lande zu Thüringen gewesen, versammlet, haben wir zu Stund von Fulda noch denselben an nähesten gezogen und den rechten Haufen zu Franckenhausen antroffen. Und also wir sind auf Samstag [13. Mai] gegen Abend zu Saltz [= Langensalza] ausgezogen, dieselbe Nacht und Tag bis um den Mittag gereist und den nähesten nach Franckenhausen zu, da wir 6 Meil hin gehabt. Etlich Schützen, ungefähr um dreißig Pferde, zuvornt vor uns hin gegen Franckenhausen, den Haufen zu besichtigen, geschickt. Dieselben sind auf Sonntag Cantate [14. Mai] ganz frühe vor Franckenhausen gehalten. Da hat sich der Haufen mit zweien Fähnlein gegen sie getan. Da haben die Schützen zu Pferde mit ihren Büchsenschützen ein Scharmützel gehabt und etlich bis zu ihren Haufen erstochen und [sind] mit gutem Ritt wieder von ihnen weggekommen. Also hätt man die Schutzen auf 150 oder 200 Pferde gestärkt und gegen den Feinden im gleichen Felde gehalten. Haben sie sich über 6000 stark heraus ins Feld an der Stadt getan, ihre Wagenburg gemacht und Schlangen und sonst Geschütz bei ihnen gehabt, nach den Unsern geschoßen, da sie auch etlichen Pferd Schade [getan], aber nichts sonderlichs genommen. Da wir aber mit dem Geschütz und rechten Zeug kämen, haben wir uns nicht sehen lassen wollen und in Rat funden, daß wir die ganzen Nacht und Tag gezogen und Pferde und Kriegsvolk ganz müde gewest und das Schützenfähnlein bis gegen Abend gegen ihnen halten lassen und wir unser Lager eine halbe Meile davon geschlagen. Danach die Schützen ihren Abzog auch genommen, haben sich die Bauern [gewundert], daß unser nicht mehr gewesen und gegen uns zu siegen vermutet. Aber gestern, montags zu Morgen [15. Mai], sind wir frühe aufgewesen. Haben sich die Bauern jenseits der Stadt auf die andere Seiten auf einen hohen Berg nahe an die Stadt frühe vor Tage in ihre Ordnung getan, ein Wagenburg um sich gemacht, ihre gut Geschütz bei sich gehabt. Sind wir auf die andere Seiten ins freie Feld gezogen. Haben sie zum ersten über die Stadt here fasten [= stark] zu uns geschossen, aber nichts getroffen. Da haben wir bis um zwölf Horen [= Uhr] gehalten, auch bis unser Geschütz und Gereitschaft kommen, wie wir sie angriffen sollen, Rat gehabt. Dann sie ein fast guten Vorteil ingehabt und darnach im Rat funden, daß wir den nähesten zu beiden Seiten um die Stadt her zu ihnen gezogen, unser Geschütz mit gutem Ritt den Berg hinauf bracht, das in sie gehen lassen und den nähesten mit dem reisigen Zeug und Fußvolk in sie gesetzt. Do haben sie kein Stand mehr gestanden, sondern gelaufen und der Stadt begehrt. Haben wir gefolgt und den mehrer Teil zwischen dem Berge und [der] Stadt erstochen, aber etlich viel sind hinein kommen. Haben wir zu Stund den Storm an der Stadt auch angelaufen, dieselbe auch also in der Eile erobert und alles, was ergriffen, erstochen. Es haben sich aber viel in den Eiduchen [= Abzugskanälen] der Salzsoden und sonst in Häusern, die man erst den Abend, die Nacht und heut Morgen, der [= als man] der Knecht und Reisigen eine gute Zahl gefangen genommen und damals [= damit] ihre Leben gefrist, gefunden. Man hat auch den Pfarrer von Allstedt, genannt Müntzer, gefangen, welcher des Haufens Prediger und Führer gewest und Grafe Ernsten meinem Sohne fast [= sehr] gedrohet und
Flugschrift: Die Schlacht bei Frankenhausen
allwegen zuwider gewesen ist, und denselbigen haben unser gnädigen Herrn, die Fürsten, Grafe Ernsten, seins Gefallens mit ihm zu handeln überliefert, welcher ihnen zu Stund gegen Heldrungen geschickt und noch da hat und sein gebührlich Lohn empfangen wird. Und sind auf diesmals über 5000 Bauern erstochen und tot blieben, die andern, wie oben angezeigt, gefangen, einsteils noch verborgen heimlich sitzen und einsteils – aber nicht viel – entlaufen. […] Quellennachweis Walther Peter Fuchs (Hg.): Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland. Bd. 2, unter Mitarbeit von Günther Franz, Jena 1942, S. 308 f. (Anmerkungen übernommen). Literaturhinweis Blickle, Peter: Der Bauernkrieg. Die Revolution des gemeinen Mannes, München 3 2006. Ders.: Der Bauernjörg. Feldherr im Bauernkrieg, München 2015. Frank Rudolph: Art. Solms-Lich, Philipp von, in: BBKL. Bd. 28, Nordhausen 2007, Sp. 1259–1263.
Nr. 119 Flugschrift: Die Schlacht bei Frankenhausen Die anonyme Flugschrift berichtet über Thomas Müntzer nach seiner Vertreibung aus Nürnberg bis zu seinem Tod. Den Schwerpunkt der Darstellung bilden Informationen über die Schlacht bei Frankenhausen. Es wird sehr detailliert über den Landgrafen von Hessen als Gegner Müntzers und der Bauern berichtet. […] 24. Der Rath zu Nürnberg jagte ihn [Thomas Müntzer] zeitlich aus der Stadt. Da wandte er sich, und zog wieder in Thüringen gen Mühlhausen. Denn dieweil er zu Allstädt gewesen war, hatte er etliche freventliche Buben von Mühlhausen an sich gezogen, dieselbigen machten ihm Raum in der Stadt, und Kundschaft, also, daß ihn die Gemeinde zu einem Prediger annahm. 25. Dawider aber legte sich der Rath. Damit aber sein Vornehmen einen Fortgang hätte, trieb er, Thomas, den Pöbel förderlich dazu, den Rath als unchristlich abzusetzen, einen neuen christlichen Rath zu wählen, die ihm seines Predigens gestatten. Solches geschah, und wurden die ehrbaren Leute des Raths entsetzt, etliche auch aus der Stadt verjagt. 26. Dies war der Anfang des neuen christlichen Regiments. Darnach stießen sie die Mönche aus, nahmen der Klöster und Stifte Güter ein; da haben die Johanniter einen Hof gehabt, und große Rent, denselben Hof nahm Thomas ein. 27. Und daß er in allen Spielen wäre, ging er auch mit zu Rath, und gab vor: Recht zu sprechen muß durch Offenbarung von Gott und durch die Bibel geschehen. Also was ihm gefiel, sprach man zu Recht, und man hielt’s als sonderlich Gottes Befehl. 28. Er lehrte auch, daß alle Güter gemein sollten sein, wie in Actis Apostolorum (Cap. 4, 32.) geschrieben steht, daß sie die Güter zusammengethan haben. Damit machte er den Pöbel so muthwillig, daß sie nicht mehr arbeiten wollten, sondern wo ein Korn oder Tuch vonnöthen war, ging er zu einem Reichen, wo er wollte, fordert’s aus christlichem Rechte, denn Christus wollte, man sollte theilen mit den Dürftigen [Mt 19,21]. Wo denn ein Reicher nicht willig gab, was man forderte, nahm man es ihm mit Gewalt. Dies geschahe von vielen, auch thaten es die,
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so bei Thoma wohnten im Johanniterhofe. Solchen Muthwillen trieb Thomas, und mehrete täglich, und dräuete allen Fürsten in der Nachbarschaft, daß er sie wollte demüthigen. 29. Dies trieb er fast ein Jahr lang, bis in das 1525. Jahr, da die Bauernschaft in Schwaben und Franken sich erregte, denn Thomas so kühne nicht war, daß er ein Lärmen hätte angefangen, wiewohl er sagte, Gott hätte es ihm befohlen, bis daß er verhoffte, er würde einen Rücken haben an der ausländischen Bauernschaft. Denn in Franken mehr denn 40 000 Mann zu Felde lagen in dreien Haufen, hatten die Edelleute verjagt, schier alle Schlösser verbrannt und geplündert. 30. Da meinte Thomas, er wollte das Stündlein treffen, die Fürsten wären erschrocken, der Adel verjagt und die Bauern würden das Feld behalten, und wollte auch im Spiel sein, und seine Reformation anfahen; und ließ sich hören in Predigten, die Zeit wäre kommen, er wollte schier zu Feld ziehen, goß Büchsen im Barfüßer Chor, es lief auch das Landvolk mit Haufen gen Mühlhausen, wollten alle reich werden. 31. Er hatte einen Prediger bei ihm, der hieß Pfeiffer, eine ausgelaufener Mönch, sehr gut zum Spiel, frevel und mutwillig, der wollte je den ersten Angriff tun, und gab vor, er hätte ein Gesicht gehabt, daraus er merkete, daß Gott ihn fordere, fortzufahren. Er hätte einen Traum gehabt, wie er wäre in einem Stall gewesen, und viel Mäuse gesehen, die hätte er alle verjagt; damit, meinte er, hätte ihm Gott angezeigt, er sollte ausziehen und allen Adel verjagen. 32. Und da Thomas aus Furcht nicht wollte vergönnen, noch zu ziehen, wars er sehr mit Thomas zwieträchtig, dräuete ihm heftig, er wollte ihn vertreiben, wo er ihn nicht ziehen ließe, und ihm das Volk abschreckte. Denn Thomas wollte den Angriff nicht thun, er wäre denn stark genug, und nicht aus der Stadt kommen, es hätten sich denn vorhin die Bauern allenthalb in der Nachbarschaft erregt. Darauf schrieb er dem Bergvolk zu Mansfeld einen teufelischen Brief, daß sie sollten auf die Fürsten schlagen wie auf den Ambos Nimrod pinkepank; er hoffte auch, es sollten die fränkischen Bauern näher gegen Thüringen rücken. 33. Pfeiffer zog aus ins Eisfeld, plünderte Schlösser und Kirchen, verjagte und fing die Edlen, kam heim, brachte viel Raubes. Da ward der gemeine Pöbel beißig, dieweil es geglückt hatte. Indem erregten sich die Bauern zu Frankenhausen, nicht weit von Mühlhausen gelegen. Sie fielen auch in die Grafschaften Mansfeld und Stollberg, brachen und plünderten die Schlösser. 34. Da zog Thomas aus. Denn er meinte, es wäre nun das ganze Land der Fürsten abgefallen, und zog gen Frankenhausen mit dreihundert Buben von Mühlhausen, und ward der Pöbel in allen Städten wegig. Und wiewohl die sächsischen Fürsten sich rüsteten, den Bauern zu wehren, und der Landgraf von Hessen, und die Herzöge von Braunschweig auf waren, den Lärmen zu stillen, doch hätten sie schier das Spiel versäumt, wo nicht bald die Bauern erschreckt wären worden, daß sie sich auch säumeten und nicht fortzogen, die Städte einzunehmen. 35. Es fiel aber ein Schreck in die Bauern aus der Ursach: Da sich die Graffschaft Mansfeld empört hatte, und darum alle Graffschaften, die daran stoßen, machte sich Albrecht auf mit sechzig Pferden, und erstach zweihundert; da erschraken die Bauern, und zogen nicht fort, sondern liefen alle gen Frankenhausen, da zu warten, bis der Haufe größer würde, und verzogen da, bis daß die Fürsten auch zusammen kamen. 36. Also zogen die Fürsten, Herzog Johann zu Sachsen Geschickten, Herzog Georg zu Sachsen, Landgraf Philipps zu Hessen und Herzog Heinrich von Braunschweig wider die Bauern mit 1500 Pferden und nicht viel Fußvolk. Es hatten aber die Bauern ihre Wagenburg geschlagen auf einen Berg bei Frankenhausen, daß man nicht wohl zu ihnen mochte mit den Reisigen; doch hatten sie nicht viel Geschütz und Harnisch, und waren ganz ungeschickt und ungerüstet. 37. Solches sahen die Fürsten und erbarmten sich der törichten, elenden Leute, und nahmen Handlung vor, sie abzumahnen, und schickten zu ihnen, daß sie abzögen, und überantworteten die Hauptleute und Anhänger des Lärmens. Die armen Leute waren erschrocken und wären wohl zu weisen gewesen; aber der Teufel wollte seinen Muthwillen ausrichten durch Thomas,
Flugschrift: Die Schlacht bei Frankenhausen
der trieb den Thomam (Müntzer), daß er sie vermahnete zu bleiben und sich zu wehren. Darum trat er auf und redete also: 38. Lieben Brüder, ihr seht, daß die Tyrannen, unsere Feinde, da sind, und unterstehen sich, uns zu erwürgen, und sind doch so furchtsam, daß sie uns nicht dürfen angreifen, und fordern, daß ihr sollt abziehen, sollt die Anfänger dieser Sache überantworten. Nun, lieben Brüder, ihr wißt, daß ich solche Sache aus Gottes Befehl habe angefangen, und nicht aus eigenem Vornehmen oder Kühnheit. Denn ich kein Krieger mein Tag nie gewesen bin. Dieweil aber Gott mir mündlich geboten hat, auszuziehen, bin ich schuldig und ihr alle da zu bleiben und des Endes zu warten. 39. Es gebot Gott Abraham, seinen Sohn zu opfern; nun wußte Abraham nicht, wie es gehen sollte, dennoch folgte er Gott, und fuhr fort, wollte das fromme Kind opfern und tödten. Da errettete Gott Isaak, und behielt ihn beim Leben. Also auch wie, dieweil wir Befehl von Gott haben, sollen wir des Ends erwarten, und Gott lassen für uns sorgen. 40. Darüber aber habe ich nicht Zweifel, es werde wohl geraten, und wir werden diesen heutigen Tage Gottes Hülfe sehen, und unsere Feinde alle vertilgen. Denn Gott spricht oft in der Schrift, er wolle den Armen, den Frommen helfen, und die Gottlosen ausrotten. [Ps 37,38–40]. Nun sind wir je die Armen und die Gott und sein Wort begehren zu erhalten. Darum sollen wir nicht zweifeln, es wird Glück auf unserer Seite sein. 41. Was sind aber die Fürsten? Sie sind nichts denn Tyrannen, schinden die Leute, unser Blut und Schweiß verthun sie mit Hofieren, mit unnützer Pracht, mit Huren und Buben. Es hat Gott geboten im fünften Buch Mosis [Cap. 17,16]: Es soll der König nicht viel Pferde bei sich haben und eine große Pracht führen, auch soll ein König das Gesetzbuch täglich in Händen haben. 42. Was thun aber unsere Fürsten? Sie nehmen sich des Regiments nicht an, hören die armen Leute nicht, sprechen nicht Recht, halten die Straßen nicht rein, wehren nicht Mord und Raub, strafen keinen Frevel und Muthwillen, verteidigen nicht Witwen und Waisen, helfen nicht den Armen zu Recht, schaffen nicht, daß die Jugend recht erzogen würde zu guten Sitten, fördern nicht Gottesdienst, so doch um solcher Ursache willen Gott die Oberkeit eingesetzt hat, sondern verderben allein die Armen je mehr und mehr mit neuen Beschwerden, brauchen ihre Macht nicht zu Erhaltung des Friedens, sondern zu eigenem Trotz, daß je einer seinem Nachbarn stark genug sei, verderben Land und Leute mit unnötigen Kriegen, Rauben, Brennen und Morden. Das sind die fürstlichen Tugenden, damit sie jetzund umgehen. Ihr sollt nicht gedenken, daß Gott länger solches leiden wolle. Denn wie er die Cananiter vertilgt hat, so wird er auch diese Fürsten vertilgen. [2. Mos 33,2; 34,11] 43. Und obschon solches zu leiden wäre, so kann doch Gott das nicht leiden, daß sie den falschen Gottesdienst der Pfaffen und Mönche verteidigen wollen. […] 44. Darum seid getrost und thut Gott den Dienst, und vertilget diese untüchtige Oberkeit. Denn was hülfe es, ob wir schon Frieden machten mit ihnen? Denn sie wollen doch fortfahren, uns nicht freizulassen, treiben uns zu Abgötterei. Nun sind wir schuldig, lieber zu sterben, denn in ihre Abgötterei zu verwilligen. Es wäre je besser, daß wir Märtyrer würden, denn daß wir leiden, daß uns das Evangelium entzogen werde und wir zu der Pfaffen Mißbräuchen gedrungen werden. 45. Darüber weiß ich gewißlich, daß Gott uns helfen wird und uns Sieg geben. Denn er hat mir mündlich solches zugesagt, und befohlen, daß ich alle Stände soll reformieren. Es ist nicht Wunder, daß Gott wenigen und ungerüsteten Leuten Sieg gebe wider viel tausend. Denn Gideon mit wenig Leuten [Ri 7,23 ff.], Jonathan mit seinem einigen Knaben viel tausend geschlagen haben [1. Sam 14,14], David ungerüstet den großen Goliath umbracht [1. Sam 17,49].
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46. Also hab ich nicht Zweifel, es werde jetzund dergleichen geschehen, daß wir, wiewohl ungerüstet, werden obsiegen; es müßte sich ehe Himmel und Erde ändern, denn wir sollten verlassen werden […]. Lasset euch nicht erschrecken das schwache Fleisch, und greift die Feinde kühnlich an, dürft das Geschütz nicht fürchten. Denn ihr sollt sehen, daß ich alle Büchsensteine im Aermel fassen will, die sie gegen uns schießen. Ja ihr sehet, daß Gott auf unserer Seite ist. Denn er giebt uns jetzund ein Zeichen. Sehet ihr nicht den Regenbogen am Himmel? der bedeutet, daß Gott uns, die wir den Regenbogen im Panier führen, helfen will, und dräuet den mörderischen Fürsten Gericht und Strafe. Darum seid unerschrocken, und tröstet euch göttlicher Hülf, und stellt euch zur Wehre; es will Gott nicht, daß ihr Frieden mit den gottlosen Fürsten machet. 47. Da Thomas ausgeredet hatte, war der mehrer Theil entsetzt, wäre gern davon gewesen, und sahen wohl, daß das Wasser über die Körbe gehen wollte. Es war aber keine Ordnung und Regiment, daß man hätte Rath gehalten, was man thun sollte. Auch waren etliche mutwillige Buben, die Lust hatten zu fechten und ihnen selbst Unglück anzurichten; welche, dieweil sie gleichen Geist hatten, fielen sie Thomä zu; und nicht allein von der Rede Thomä wüthend geworden, sondern es bewegte sie vielmehr der Regenbogen, der erschien, da Thomas redete. Denn dieweil sie einen Regenbogen in ihrem Fähnlein führten, meinten sie, Gott hätte ihnen ein Zeichen gegeben des Sieges. Auch war der Haufe ziemlich groß, und lag wohl, daß sie meinten, sie wollten den Fürsten stark genug sein. Denn es war der Bauern um die achttausend, und schrieen also etliche Buben, man sollt sich zur Wehre stellen, und huben an zu singen den Gesang: Veni sancte spiritus [Komm, Heiliger Geist]. 48. Also ward den Fürsten keine Antwort auf ihr Anregen. Es hatte auch Thomas einen jungen Edelmann, einen einigen Sohn eines alten Manns, gesandt mit andern ins Lager, etwas zu werben, erstechen lassen, wider aller Welt Kriegsweise. Solches erzürnte die Fürsten und den Adel sehr, daß sie hitzig auf die Bauern wurden, drum blies man auf, und ordnete den Zeug. Und der Landgraf von Hessen, der unter den Fürsten daselbst der jüngste war, ritt um den Zeug, und vermahnte sie, zu retten gemeinen Frieden, und redete also: 49. Lieben Freunde, ihr sehet die armen Leute vor euch, wider die ihr geführt seid, ihrem Ungehorsam und Frevel zu wehren. Nun hat die Fürsten erbarmet ihres Elends, und wir haben mit ihnen lassen handeln, daß sie abzögen, sich ergäben und die Hauptleute überantworteten. Auf solchs geben sie keine Antwort, und rüsten sich zu schlagen: So fordert es die große Noth dagegen, daß wir uns wehren. Drum vermahne ich euch, daß ihr sie ritterlich angreift und den treulosen Bösewichtern und Mördern wehret. 50. Es hat der Teufel die Leute so geblendet, daß sie sich nicht wollen rathen oder helfen lassen. Denn wiewohl sie große Klage über die Fürsten führen, dennoch ist keine Ursach auf Erden genugsam, um Aufruhr zu erregen, und Gewalt wider die Oberkeit vorzunehmen. Denn es ist ein sehr ernst Gebot Gottes, die Oberkeit ehren und fürchten. […] Wie Gottes Ordnung ist, daß Tag und Nacht wird, und mag kein Mensch die Sonne vom Himmel reißen, Tag und Nacht wegzunehmen: also wird weder Teufel noch Teufels Apostel, die Münzerschen Bauern, wider geordnete Oberkeit Glück haben. 51. Ich rede solches nicht darum, daß ich mich als ein Fürst schmücke, und der Bauern Sache arg mache, sondern es ist die ganze Wahrheit. Ich weiß wohl, daß wir oft sträflich sind, denn wir Menschen sind, und uns oft vergreifen; dennoch soll man darum nicht Aufruhr anrichten. […] 54. […] „Wer das Schwert nimmet, soll mit dem Schwert umkommen“, spricht Christus [Mt 26,52], und hat sich selbst ans Kreuz hängen lassen. Also ist Aufruhr wider das Gebot und Exempel Christi.
Flugschrift: Die Schlacht bei Frankenhausen
55. Weiter ist am Tage, daß dieser Münzer und sein Anhang nicht das Evangelium lehret, sondern Mord und Raub, es lästert niemand das Evangelium höher denn diese Buben, die unter des heiligen Namens Schein allen Muthwillen treiben. Das ist ihr Evangelium: den Reichen das Ihre nehmen, Andern Weib und Kind zu Schanden machen, Oberkeit wegnehmen, daß ihnen niemand wehren möge. Solche große Schmach des heiligen Namens Evangelii läßt Gott nicht ungerochen. Denn er spricht im andern Gebot, daß der nicht soll ungestraft bleiben, der Gottes Namen mißbraucht [2. Mos 20,7]. 56. Dieweil nun die Bauern so groß Unrecht haben, lästern Gott, schmähen ihre Oberkeit, und haben keine billige Ursache des Aufruhrs, sollt ihr sie getrost angreifen als Mörder, und gemeinen Frieden helfen retten, frommen, ehrbaren Leuten helfen, eure Weiber und Kinder wider diese Mörder schützen; daran thut ihr Gott einen groß Gefallen. Und wiewohl wir den elenden Leuten (menschlicher Weise zu richten) stark genug sind, dennoch wollt ich sie nicht angreifen, wenn ich nicht wüßte, daß ich recht thäte. Denn Gott hat uns das Schwert gegeben, nicht Mord mit zu treiben, sondern Mord zu wehren. So ich aber weiß, daß ich recht daran thue, will ich sie helfen strafen, und habe nicht Zweifel, Gott werde helfen, daß wir siegen. Denn er spricht: „wer der Oberkeit widerstrebt, werde gestraft.“ [Röm 13,2] 57. Da der Landgraf ausgeredet hatte, rückte man hinzu an die Bauern, und schoß ab. Die armen Leute aber stunden da und sangen: „Nun bitten wir den Heiligen Geist“, gleich als wären sie wahnsinnig, schickten sich weder zur Wehr noch zur Flucht, viele auch trösteten sich der großen Zusage Thomä, daß Gott Hülfe vom Himmel erzeigen würde, dieweil Thomas gesagt hatte, er wolle alle Schüsse in den Aermel fassen. 58. Da man nun zu ihnen in die Wagenburg brach, und sie begunnte [zu] erstechen, da wandten sich die elenden Leute zu der Flucht; der größere Haufen gegen dem Flecken Frankenhausen, etliche auch auf die andere Seite vom Berg, und ist keine Gegenwehr von den Bauern geschehen, denn ein Häuflein, das im Tal vom Berg sich zusammengethan hatte, das wehrte sich eine Weil gegen wenige Reiter. Denn auch der reisig Zug, da er sahe, daß kein Fahr und Gegenwehr war, hielt keine Ordnung und sich also von einander gerstreuet. An diesem Ort machten sie etliche wund und fällten zwei oder drei Reisigen. Da wurden die Reisigen mehr erzürnt, und erstachen nicht allein dies Häuflein, sondern was sie in der Flucht ereilen mochten, und sind todt blieben bei fünf tausend Mann. Quellennachweis Walch, Bd. 16, Abt. 1, S. 164–171. (Anmerkungen übernommen). Literaturhinweis Günter Vogler (Hg.): Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald. Stuttgart 2008. Horst Kratzmann: Der große Bauernkrieg: Ursachen, Geschichte und Tragödie einer gescheiterten Revolution, Groß-Gerau 2007, S. 71–75. Ludwig Fischer (Hg.): Die Schlacht unter dem Regenbogen: Frankenhausen, ein Lehrstück aus dem Bauernkrieg. Belege, Berichte und Ansichten, Berlin 1975. Ernst Wechmar (Hg.): Thomas Müntzers Leben und Wirken. Kritisch ausgewählte Literaturauszüge chronologisch zusammengestellt. Teil 3: Der Bauernkrieg in Westthüringen. Thomas Müntzer im Frankenhäuser Bauernlager. Die Schlacht bei Frankenhausen. Ihre Folgen für die Reichsstadt Mühlhausen, Mühlhausen 1956.
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Nr. 120 Johannes Rühels Brief an Luther: Müntzers Flucht Luther stand seit einiger Zeit mit dem mansfeldischen Rat Johannes Rühel († 1548) in brieflichem Kontakt. Er hatte ihn u. a. vor Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen ermahnt, den Grafen Albrecht von Mansfeld nicht von der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes abzuraten. Es sei nun einmal die Aufgabe der Obrigkeit, jeglichem Umsturz zu wehren. Rühel war es dann auch, der Luther davon in Kenntnis setzte, dass ihm seine Parteinahme für die weltlichen Obrigkeiten erhebliche Kritik eingebracht habe. Die langjährige Verbindung bewog Luther 1531, Rühel um die Patenschaft seines am 9. November geborenen zweiten Sohnes zu bitten. Der folgende knappe Bericht über Müntzers Versteck und Gefangennahme stammt aus einem Brief Rühels an Luther vom 26. Mai 1525. Müntzer hat sich verborgen, ist nahe am Tor in ein Haus gekommen, hat den Rock von sich getan gehabt, sich in ein Bett gelegt. In das Haus solle ungefähr ein Edelmann, ein Sachse, Otto von Eppe, gekommen sein und darinnen Herberge genommen haben. Zufällig sei einer seiner Knechte auf den Boden gegangen, den im Bett gesehen, seinen Junker gerufen und herzugangen. „Was liegt allda, wer bist du?“ Er hat gesagt: „Ei, ich bin ein krank arm Mann.“ Da hat er seine Reisetasche gefunden (wie der Leute Art ist zu suchen), darinnen den Brief, so Graf Albrecht ins Lager geschrieben, gefunden und gesagt: „Wo kommt dir der Brief her? Du wirst wohl der Pfaffe sein.“ Erstlich [hat er es] geleugnet, hernach bekannt, und ihn also mitgenommen und Herzog Georg gebracht. Da hat man ihn auf eine Bank gesetzt, ist der Herzog neben ihm gesessen und mit ihm gesprachet, gefragt, was für Ursache ihn bewegte, daß er die viere am vergangenen Sonnabend hatte köpfen lassen, davon ich Euch denn geschrieben. Er hat gesagt: „Lieber Bruder, ich sage Euer Liebden, daß ich solches nicht getan, sondern das göttliche Recht.“ Da hat der Herzog Heinrich von Braunschweig angefangen: „Höre, bist du auch Fürstengenosse? Fürwahr“, hat er gesagt, „du bist ein schöner Fürstengenosse, hast dein Regiment wohl angefangen. Wie kommst du darauf, daß ein Fürst nicht mehr denn acht Pferde, ein Graf vier Pferde haben soll?“ Was nun allenthalben allda mit ihm gehandelt wurde, weiß ich eigentlich nicht zu schreiben. Ich höre aber, daß sich der Landgraf des Evangeliums nicht geschämt, sich mit Müntzer in einen heftigen Streit damit begeben. Müntzer hat das Alte Testament gebraucht, der Landgraf aber sich an dem Neuen gehalten, sein Neues Testament auch bei sich gehabt und daraus die Sprüche gegen Müntzer gelesen. Quellennachweis WA Br. 3, S. 510, 36–511, 60 (Nr. 875). Literaturhinweis Hans-Jürgen Goertz: Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biografie, München 2015, S. 197 ff.
Ottilie von Gersen: Brief an Herzog Georg von Sachsen
Nr. 121 Ottilie von Gersen: Brief an Herzog Georg von Sachsen Ottilie von Gersen war eine aus dem Kloster ausgetretene Nonne, von der nur sehr wenig überliefert ist. Es wird angenommen, dass sie von dem Adelsgeschlecht von Görschen bei Merseburg abstammte. 1523 heiratete sie Thomas Müntzer. Als der jedoch im Mai 1525 hingerichtet wurde, war sie schwanger und mittellos. Am 19. August 1525 wandte sie sich deshalb brieflich an Herzog Georg mit der Bitte, ihre Habseligkeiten zurückzuerhalten und zu ihrer Verwandtschaft ziehen zu dürfen. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Dem durchleuchtigen, hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Georgen, Herzogen zu Sachsen, Landgrafen in Thüringen und Markgrafen zu Meißen, meinen gnädigsten Fürsten und Herrn. Durchlauchter, hochgeborner Fürst und gnädiger Herr, mein ganz williger Gehorsam sei euern fürstlichen Gnaden allezeit zuvor bereit. Ich Arme, elend Verlassene tu euern fürstlichen Gnaden untertäniglichen klagende zu erkennen, als ich nächstmals vor euern fürstlichen Gnaden zu Mühlhausen in der Herberge „Zum Schwan“ gewesen und durch er Ernsten von Schönburg399 euer fürstlichen Gnaden […] ersucht um mein geretthe400 so hat er Ernst von euern fürstlichen Gnaden mir trostlich zugesagt, mein geretthe sollt mir ohne Hindernis wieder werden. Ist aber nicht geschehen. Bin also […] gegen Nordhausen gegangen und mich vier Wochen lang ungeheuerlich so enthalten und danach wieder nach Mühlhausen durch große Notdurft gekommen, daselbst durch meinen Verwandten, den ehrbaren Erasmus von Waren,401 auf die Zeit ein Hauptmann unter den Knechten, so durch euer fürstliche Gnaden nach Mühlhausen geschickt, […] um das meine ansuchen lassen. Hat ein erber rotht gute Vertröstungen gegeben, ich sollt kommen, das meine sollt mir wieder werden. Darauf bin wieder gegen Mühlhausen mit großer Beschwerung gezogen. […] Ist derhalben mein demütig Bitt, euer fürstlichen Gnaden wollen ansehen mein groß enelende und Armut und mich durch die Barmherzigkeit Gottes gnädiglich an die von Mühlhausen, dass ich das Meine möchte erkriegen, fürschreiben und so zu meiner Freundschaft, da ich mich Trostes und Hilfe in meinem enelende zuvorsehe, ziehen. Das will ich allezeit gehorsamlich gegen euer fürstliche Gnaden verschulden. Auch habe ich vernommen, dass euer fürstlichen Gnaden guter Meinung sei, dass ich wieder zu Kloster sollt ziehen, da ich dann vor gebetten will habe, doch mit euer fürstlichen Gnaden Gunst und Willen, denn euer fürstlich Gnaden kann gnädiglicher die Sache allenthalben ermessen, dann ich sei, als mir wohl vonnöthen, erzählen kann. Das will ich aber so mit meinem untertänigsten geflissen Gehorsam gegen euer fürstlichen Gnaden in aller Untertänigkeit verschulden. Datum sonnabent nach assumptionis Marie anno etc. 1525. Euer fürstlichen Gnaden untertänige Otthilia von Gersen
399 Ernst von Schönburg (Herr zu Glauchau und Waldenburg) war Rat Herzog Georgs. 400 Hab und Gut. 401 Hauptmann in der Mühlhäuser Besatzungstruppe des Herzogs.
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Quellennachweis Thomas Müntzer: Briefwechsel, bearb. und kommentiert v. Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch [Thomas-Müntzer-Ausgabe, Kritische Gesamtausgabe Bd. 2], hg. v. Helmar Junghans und Armin Kohnle, Leipzig 2010, S. 504–506 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen, Anmerkungen teilweise übernommen). Literaturhinweis Friedrich Winterhager: Ottilie Müntzer, geb. von Gersen – eine Aristokratin an der Seite Thomas Müntzers, in: Landkreis Mansfeld-Südharz u. Landeszentrale für politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt (Hg.): Thomas Müntzer. Keine Randbemerkung der Geschichte, WettinLöbejün 2017, S. 235–247.
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Spiritualismus und Täufertum
Unter Spiritualismus wird eine dissidente und häufig nonkonforme Tradition innerhalb des Protestantismus verstanden. Ihre Vertreterinnen und Vertreter berufen sich auf die direkte Geistoffenbarung, die als persönlich erfahrene Weisung Gottes die Autorität der Schrift, ihrer Zeugen und auch der kirchlichen Tradition überwiegt. Aus dieser Haltung resultiert auch eine insgesamt institutionenkritische sowie die Traditionen des kirchlichen Handelns ablehnende Position. Von Luther verächtlich als „Schwärmer“ bezeichnet, finden sich spiritualistische Auffassungen bereits innerhalb der Wittenberger Bewegung, insbesondere bei den sogenannten „ Zwickauer Propheten“ und dann auch bei Andreas Bodenstein von Karlstadt und Thomas Müntzer. Die Täuferbewegung greift zum Teil diese Argumentationen auf. Neben dem auf Luther und die mittelalterliche Mystik zurückgehenden „mystischen Spiritualismus“ wurden auch ein „libertinistischer Spiritualismus“, ein „apokalyptischer Spiritualismus“ und ein „humanistischer Spiritualismus“ typologisch charakterisiert. Die Grenze zum Täufertum ist hierbei häufig fließend und unscharf. Die Täuferbewegung ist eine weit ausdifferenzierte radikalreformatorisch-christliche Bewegung. Sie wird einerseits als der „linke Flügel der Reformation“ bezeichnet oder auch mit der „radikalen Reformation“ identifiziert. Ihre Abgrenzung zu den Spiritualisten, den radikalreformatorischen Aufrührern, aber auch späteren Entwicklungen ist außerordentlich schwierig und in der Forschung umstritten. Wiewohl in der Reformationszeit hart unterdrückt, gibt es Nachfahren dieser Bewegungen bis heute, die sich eines großen Zulaufes erfreuen. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Gruppierungen das Motiv der tätigen Nachfolge Christi, die Kirche als Bruderschaft und der radikale Gewaltverzicht. Sie begründen ihre Auffassungen mit der Schrift und meinen damit eine wortgetreue Auslegung des Neuen Testamentes. Das kommt insbesondere in ihrem Sakramentsverständnis (Erwachsenentaufe, Abendmahl) zum
Spiritualismus und Täufertum
Ausdruck. Forderungen nach Glaubensfreiheit, der Trennung von Kirche und Staat sowie teilweise nach Gütergemeinschaft und die Absonderung von der Welt gehören zu ihren Charakteristika. Die jüngere Forschung geht von drei Hauptwurzeln des Täufertums aus: – die Zürcher Reformation mit Konrad Grebel und Balthasar Hubmaier; – die radikale Reformation um Andreas Bodenstein von Karlstadt und Thomas Müntzer, zu denen auch apokalyptische Denker wie Hans Hut gehören; – das spiritualistisch-endzeitliche Milieu von Straßburg, das etwa von Melchior Hofmann in die nordwestlichen Gebiete des Reiches gebracht wurde. Die Täuferbewegung entwickelte sich trotz massiver Verfolgung zu einem europaweiten Phänomen. Sie einte die Enttäuschung über den schleppenden Fortgang der Reformation und den Rückfall der Wittenberger Theologen in überkommene Verhaltensmuster. Sie proklamierten die Rückkehr einer staatlich unabhängigen Kirche nach dem Vorbild der ersten apostolischen Gruppen des Neuen Testaments. Sichtbar wurden die alternativen Verhaltensformen der Täuferbewegung in der Betonung der Gemeindeautonomie, des Priestertums aller Gläubigen, der Verweigerung des Eides und anderer staatlich geforderter Dienstleistungen und dem oberdeutschen Abendmahlsverständnis. Dennoch kann die Ausprägung der verschiedenen Täufergemeinschaften keineswegs als einheitlich charakterisiert werden. Nach dem Ende des Bauernkrieges gerieten die Täufer unter Generalverdacht und verloren erheblich an Zulauf. Etliche wählten darum die Absonderung von der Welt als ihre Form des Christenlebens. Am 24. Februar 1527 traf sich in Schleitheim auf Initiative und unter der Leitung von Michael Sattler eine „Brüderliche Vereinigung“ und formulierte das erste programmatische Bekenntnis des Täufertums. Auf einer Synode im August 1527 in Augsburg wurden die Thesen allerdings abgelehnt. Dennoch breitete sich das Täufertum weiter aus. Reichsweit erwirkte der Reichstag von Speyer 1529 ein Mandat, wonach jegliches Täufertum streng zu bestrafen sei. Im Laufe der weiteren Verfolgungen starben mehr als 1.000 namentlich bekannte Anhänger und Anhängerinnen der Bewegung. Quellenausgaben Quellen zur Geschichte der (Wieder-)Täufer (derzeit 18 Bände), versch. Orte 1930–2011. Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz (derzeit 4 Bände), Zürich 1972–2008. Literaturhinweis Jens Stangenberg: Radikale Reformation: Der „Linke Flügel“ und seine Bedeutung für heute, Norderstedt 2 2019. Gustav Adolf Benrath: Die Lehre außerhalb der Konfessionskirchen, in: Handbuch der Dogmenund Theologiegeschichte, Bd. 2, hg. v. Carl Andresen, Göttingen 2 1998, S. 560–672. Hans-Jürgen Goertz (Hg.): Radikale Reformatoren, München 1978.
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Die Wittenberger Bewegung
Siegfried Wollgast: Grundlinien oppositionellen weltanschaulich-philosophischen Denkens in Deutschland zwischen 1550 und 1720, in: Günter Vogler (Hg.): Wegscheiden der Reformation. Alternatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Weimar 1994, S. 337–367. Volker Leppin: Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln, München 2 2017, S. 200–204. Hans-Jürgen Goertz: Die Täufer. Geschichte und Deutung, München 1980. Marlies Mattern: Leben im Abseits: Frauen und Männer im Täufertum (1525–1550). Eine Studie zur Alltagsgeschichte, Frankfurt am Main 1998. Marion Kobelt-Groch: Aufsässige Töchter Gottes: Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen, Frankfurt/New York 1993. Andrea Strübind: Eifriger als Zwingli. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz, Berlin 2003. Astrid von Schlachta/Anselm Schubert/Michael Driedger (Hg.): Grenzen des Täufertums/ Boundaries of Anabaptism. Neue Forschungen (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 209), Heidelberg 2009.
Nr. 122 Sebastian Franck: Paradoxa (1534) Sebastian Franck (*1499 in Donauwörth; †1542 in Basel) gehört zu den schwer zu charakterisierenden Vertretern eines freien Geistchristentums im Umfeld der Reformation. Er wirkte mit breitem humanistischem Wissen als Theologe, Übersetzer und Buchdrucker. Bereits zum Priester geweiht, schloss er sich der Reformation an. Später gab er dieses Amt auf und wirkte als freier Schriftsteller. In Straßburg, aufgrund der liberalen Gesetze der Stadt zum Zufluchtsort zahlreicher reformatorischer Dissidenten geworden, druckte er eine Weltchronik mit schonungsloser Kritik an den kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten. Er wurde ausgewiesen und ging nach Ulm, wo er ab 1535 eine Offizin (Druckerei und Verlag) betrieb. Erneut musste er 1539 nach Basel fliehen. Zum Kernbestand seiner Gedanken gehörte seine radikale Ablehnung jeglicher Form religiöser Bevormundung. Daraus folgte eine harsche Institutionenkritik. Die sichtbaren Autoritäten einschließlich der Bibel suchte Franck durch das „innere Wort“ des Geistes zu ersetzen. Dessen Stimme war ihm handlungsleitende Instanz, Norm der Erkenntnis und alleinige Quelle des Heils. Bei seinen Zeitgenossen fand der spiritualistische Denker wenig Anklang, allerdings wirken seine institutionenkritischen Ansätze bis in die Gegenwart fort.
[…] Die Kirche ist ja nicht etwa ein besonderer Haufen und eine mit Fingern zu zeigende Sekte, gebunden an ein Element, eine Zeit, Person und Stätte, sondern ein geistlicher, unsichtbarer Leib aller Glieder Christi, aus Gott geboren, und in einem Sinn, Geist und Glauben; aber nicht in einer Stadt oder etwa an einem Ort äußerlich versammelt, daß man sie sehen und mit Fingern zeigen könnte, sondern [eine Gemeinschaft], die wir glauben und nicht anders sehen als mit gleich geistlichen Augen des Gemüts und des inneren Menschen: die Versammlung und Gemeinde aller recht gottesfrommen und gutherzigen, neuen Menschen in aller Welt, durch den Heiligen Geist in dem Frieden Gottes mit dem Band der Liebe zusammengegürtet, [eine
Sebastian Franck: Paradoxa (1534)
Gemeinschaft] außer der kein Heil, kein Christus, kein Gott, Verstand der Schrift, Heiliger Geist noch Evangelium ist. In und bei dieser bin ich, nach ihr sehne ich mich in meinem Geist, wo sie zerstreut unter den Heiden und dem Unkraut verkehrt, und glaube an diese Gemeinschaft der Heiligen. Ich kann sie zwar nicht zeigen, bin aber gewiß, daß ich in der Kirche bin, sei ich auch wo ich will, und suche sie deshalb, wie auch Christum weder hier noch dort. Denn ich weiß eben nicht, welches Steine an diesem Tempel und Körner auf dem Acker sind. Die kennt Gott allein, weshalb er auch die Sonderung allein seinen Engeln und nicht uns befohlen hat, die Schafe von den Böcken, das Unkraut vom Weizen zu scheiden. Wiewohl die Liebe der Zeuge, die Losung, Hoffarbe und der Zeigefinger ist, woran man einen Christenmenschen erkennt wie den Baum an den Früchten (Joh 13), so bringt doch die Gleißnerei so schöne Früchte, daß wir oft im Urteil betrogen werden (Mt 7,13). Gott aber weiß, welche sein sind und Steine an diesem Tempel (2 Ti 2). Ich bin nach Gottes Gnade nicht so parteiisch und sektiererisch, daß ich nicht einen jeden meiner Brüder als Fleisch und Blut ansehe, der mich dafür hält und sich nicht von mir trennt; ja, der nach Gott eifert und fragt, Gericht oder Gerechtigkeit wirkt oder, wie Petrus aus Erfahrung sagt, der Gott fürchtet und Recht tut in der ganzen Welt. Auch [diejenigen sehe ich also an], die aus Schwachheit (und nicht freventlich wider den Heiligen Geist zum Tode) zeitweilig irren, anstoßen und sündigen, gewiß, daß, wer Gott angenehm ist, dem Herrn fällt, aufersteht und ein Glied Christi ist. Sehe ich doch in einem solchen auch meine Fehler wie in meinem Fleisch und in einem vor mich gestellten Spiegel, so daß ich für ihn zu bitten, aber ihn gar nicht zu richten habe (Röm 2,14). Darum möchte ich, daß viele ihren törichten Eifer, mit dem sie täglich Gott ein neues Volk zu versammeln und eine neue Kirche aufzurichten sich unterstehen, ablegten und nicht eher dienten, als bis sie dazu angeworben, um die Erntezeit dazu gedrungen würden. Viele hat unzeitiger Eifer hinausgetrieben, die zuletzt selbst bekannt haben, daß ihr Lauf vor der Zeit und vor dem Beruf dazu stattgefunden hat. Es sollte einer des anderen Bürde und Schwachheit tragen, weil dies allein der Liebe Gegenstand, des Gesetzes Fülle, der Christen Zeichen und die höchste Kraft ist (Gal 6). Siehe Par. „Alter alterius onera portate“. Weil auch die Väter geirrt und fehlgegriffen haben und niemand ohne Irrtum ist und weil wir sogar sagen dürfen, daß auch die Apostel und Propheten hier und da in etwas erlegen seien. Wir haben alle mit David um unserer Torheit und Unwissenheit willen zu bitten, weil uns allen noch viel abgeht (Jak 3), ja, weil wir alle irren wie die Schafe ohne einen Hirten und weil nicht ein jeder Irrtum verdammlich ist. […] Sprichst du: Wie und wann geschieht die Wiedergeburt, daran alles gelegen und die ja eitel Geist und Leben ist? Antwort: Durch das lebendige Gotteswort in uns, wenn wir uns zu seinem Einleuchtenden, Zusprechen, zu seiner Ankunft und seiner vorhergehenden Gnade begeben, aller Dinge gelassen, verleugnend und uns lebendig im Tode dem Wort aufopfern, daß es uns wiedergebäre, anders formiere, bilde, pflanze am Sinn, Geist, Willen etc. Sobald uns das Wort ledig und leer findet, nimmt es uns in Besitz und legt sich wie der Seele Speise an unsere Natur, ja verkocht und reißt unsere Natur in sich. Denn diese Speise der Seele, Christus, das Wort des Vaters, ist so mächtig, daß es den Gespeisten in sich zieht und zur Speise macht. Andere Speisen werden verzehrt, verdaut, verwesen und legen sich an die Natur des Menschen und werden zu Fleisch und Blut. Diese Speise aber kann nicht verwesen noch verdaut werden, sondern überwältigt den Gespeisten, daß er zur Natur des Wortes und der Speise, das Fleisch, daß es zu Geist wird und reißt alles in sich, daß es zu Geist, Wort und Christus wird. Das nennt dann die Schrift: Christum essen, Speise einnehmen, deren Speise wir werden, die wir nicht verdauen können, da wird alles göttlicher Art.
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Quellennachweis
Sebastian Franck: Paradoxa, hg. und eingeleitet von Siegfried Wollgast, Berlin 2 1995, S. 11–13; S. 378. Literaturhinweis Horst Weigelt: Sebastian Franck, in: Martin Greschat (Hg.): Gestalten der Kirchengeschichte. Bd. 6: Die Reformationszeit II, Stuttgart 1981, S. 119–128. Patrick Hayden-Roy: The Inner Word and the Outer World. A Biography of Sebastian Franck, New York u. a. 1994. Alfred Hegler: Geist und Schrift bei Sebastian Franck: Eine Studie zur Geschichte des Spiritualismus in der Reformationszeit, Nachdruck der Ausgabe von 1892, Norderstedt 2016. Andreas Wagner: Das Falsche der Religionen bei Sebastian Franck: Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Spiritualismus der radikalen Reformation, Berlin 2007.
Nr. 123 Kaspar Schwenckfeldt: Rechtfertigung, Wiedertaufe und Heiligung (1529) Kaspar Schwen(c)kfeldt (1490–1561) war ein Theologe und religiöser Schriftsteller. Er stammte aus einem alteingesessenen Adelsgeschlecht. Seine Studien unternahm er in Köln und in Frankfurt/Oder. Danach wählte er eine Karriere bei Hofe und wechselte mehrfach die Stellung. 1522 besuchte er Wittenberg und neigte seitdem zur evangelischen Position. Er bemühte sich um die Einführung der Reformation in Liegnitz und entwarf eine selbständige Abendmahlslehre. Zugleich wandte er sich gegen die kirchliche Lehre von Christus sowie Luthers Verständnis der Rechtfertigung. 1528 wurde er verbannt und zog nach Straßburg, wo er bis 1534 Heimat fand. Nach Stationen in Württemberg und Ulm verbrachte Schwenckfeldt die letzten Jahre auf Gütern wohlhabender Freunde. Er hatte regen Briefkontakt mit anderen Repräsentantinnen und Repräsentanten des Spiritualismus (bspw. Anna Aitinger402 in Ulm, Margarethe Engelmann403 in Straßburg, Sibilla Eisler in Augsburg, Catharina Ebertz404 und Cäcilia von Kirchen uvm.), die maßgeblich die spiritualistischen Kreise bildeten und führten. Zahlreiche Briefe Schwenckfeldts zeugen davon, die seiner Empfänger und Empfängerinnen sind jedoch nicht erhalten.405 Schwenckfeldt starb 1561 im Haus der einfluss-
402 Anna Schöfferlin, Frau des Ulmer Stadtschreibers und Notars Konrad Aitinger, oder: Anna Lebzelter, die seit 1525 mit Sebastian Aitinger verheiratet war. 403 Unter dem Mädchennamen Surgant 1498 geboren, heiratete Margarethe 1517 den Tuchhändler Christoph Engelmann aus Straßburg. Die Eheleute hatten zwei Kinder. Margarethe Engelmann verstarb 1540. 404 Geboren 1488 in St. Gallen. 405 Vgl. Wilma Rademacher-Braick: Frei und selbstbewusst: reformatorische Theologie in Texten von Frauen (1523–1558), mit einem Geleitwort von Ute Gause, St. Ingbert 2017, S. 243 ff.
Kaspar Schwenckfeldt: Rechtfertigung, Wiedertaufe und Heiligung (1529)
reichen Angehörigen seiner Gruppierung um Agatha Streicher. Von ihr sind seine letzten Worte überliefert, die die Basis der späteren Lebensbeschreibung darstellten.406 Zum ersten wird ein armer Sünder von Gott dem Vater gezogen und im Herzen gerühret, wenn er zu Christus kommt, wenn er sich Christus mit Ernst über- oder untergibt, wie der Herr sagt Joh 6 [44 ff.]. […] Was ist aber der anfängliche Zug des Vaters? Es ist ein Tadel des Heiligen Geistes wegen der Sünde, des Sünders Erkenntnis der eigenen Sünden, in seinem Herzen Reue und Leid über die Sünde, ein Verlangen nach Vergebung und ein christliches Versöhnen oder Verlangen nach einem neuen christlichen Leben […]. Zum zweiten kommt der arme betrübte Sünder, der verwundete Samariter, zum Arzt Christus [Lk 10,30–37], zum einzigen Heiland unserer Seelen, […] von dem hört er das Evangelium der Gnade Gottes, nämlich die tröstliche, liebliche Botschaft des Friedens im Heiligen Geist. Das ist aber nichts anderes als die Wiedergeburt durch die Kraft der Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Es ist die heilige geistliche Beschneidung des Herzens, das Ausziehen des Leibes der Sünden, ein ernsthaftes Ergeben, Veränderung des Sinnes, Austilgung des Unglaubens und eine beginnende Einpflanzung in Jesus Christus, wovon vielfach die Rede ist Kol 2 und Röm 6. Das heißt dann Gottes Wort recht hören, wovon auch der Herr spricht bei Joh [5,24]. Zum dritten nimmt der Mensch, der nun erwacht und durch das Wort der Wahrheit wiedergeboren ist, Jak 1 [18], solches Wort des Evangeliums an. Sein Leben und Wesen allenthalben danach auszurichten, das ist dann die himmlische Berufung, Hebr 3 [6], deren er teilhaftig wird zur Hoffnung des ewigen Lebens. […] Hierher gehört dann die Parabel vom Sauerteig, Mt 13[33]. Denn in der gleichen Weise, wie der Sauerteig sich vermengt mit dem Mehl und dasselbe vermittels des Wassers durch und durch säuert, so durchdringt auch das lebendige Wort Gottes nicht allein das Herz, sondern das ganze Innere des Menschen, auf daß das Wort sich das Fleisch ähnlich und zuletzt ganz gleich mache, weshalb es auch das himmlische Wasser und das Feuer göttlicher Gnaden zu Hilfe nimmt […]. Zum vierten folgt hernach die wahre Erkenntnis des Wortes Jesu Christi, das da Fleisch geworden ist, wenn sich dasselbe immer tiefer im Herzen auftut und sich ins Fleisch ergießt und ausbreitet. Da ist dann die Betrachtung […] im Willen des Herrn Tag und Nacht; da beginnt der Gesetzesmensch zu fühlen und zu schmecken, wie süß und lieblich der Herr sei [Ps 34,9]. Er erkennt, daß außer Christus kein Heil, keine Wahrheit, Liebe noch Seligkeit ist. […] Er erkennt die Wahrheit, bleibt in der Rede des Herrn und wird dadurch wahrhaftig befreit, Joh 8[32]. Er gewinnt geübte Sinne zur Unterscheidung des Guten und des Bösen, Hebr 8[11]. […] Zum fünften, wenn Gott also mit dem Menschen um Christi willen im Heiligen Geist handelt, so folgt dann die Gewißheit des christlichen Glaubens; nicht daß die vorherigen Grade ohne Glauben zugehen oder geschehen können, da doch der Glaube der Anfang ist und aus dem Wort kommt, das von Gott dem Vater innerlich, auch oft vermittels des Dienstes im Heiligen Geist, gehört wird, aber es wird in diesem Grad der Glaube, der aus solcher Erkenntnis ist, reich, gewiß, voll und beständig, davon auch Petrus spricht [Joh 6,69] […]. Da wird der Mensch mit Gott vertraut durch Christus, er handelt mit Gott in Christus, wird ein Glied des Leibes Christi. Er muß aber immerfort in Erkenntnis und Glauben wachsen, solange er lebt. Zum sechsten wird der neue gläubige Mensch getauft im Heiligen Geist. Er wird gesalbt, geheiligt und von aller Unreinigkeit von Gott abgewaschen durch das Wasserbad im Wort, Eph 5[26], durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung durch den Heiligen Geist, 406 Corpus Schwenckfeldianorum XVII, Doc. MCLXXI–MCLXXII, hg. v. Chester David Hartranft und Elmer Ellsworth Schultz Johnson, S. (1011) 1017–1032.
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welchen Gott reichlich über ihn ausgießt durch Jesus Christus, Tit 3[5.6]. Das ist, daß er sich ganz unter das Kreuz Christi begibt, Gott aufgeopfert zum lebendigen Opfer, Röm 12[1]. Er geht weiter in die Gleichförmigkeit des Bildes des Sohnes Gottes, und nachdem er den alten Menschen ausgezogen und dagegen den neuen angezogen hat, bekennt er Jesus Christus als seinen Gott und Herrn im himmlischen Wesen vor der ganzen Welt. Er wird angetan mit der Kraft aus der Höhe, und ihm werden geoffenbart die Geheimnisse Gottes. Zum siebenten, damit er also erhalten werde und aufwachse in dem Leben, das er aus Gott empfangen hat, so wird er im Abendmahl des Herrn gespeist mit dem Leib und getränkt mit dem Blut des Herrn Jesus Christus. Daraus empfängt er immer mehr Leben, Kraft, Stärke und das Wachsen göttlicher Gnaden, bis er zu einem vollkommenen Menschen wächst, der da ist in dem Maße des vollkommenen Alters Christi [Eph 4,13]. Zum achten folgt die Besiegelung durch den Heiligen Geist […]. Da wird er in den neuen ewigen Bund durch den Glauben eingeführt. Es wird ihm in Christus Jesus alles gewährt, was er bittet nach dem Willen Gottes, und er sehnt sich danach mit Paulus [Röm 7,24], daß er erlöst werden möge von dem Leib dieses Todes, daß er heimziehen könne, nachdem er hier keine bleibende Stätte hat, auf daß er ganz und gar bei Christus sein könne im himmlischen Wesen. Das gebe Gott, Amen. Zum neunten, obwohl nun solcher Mensch sicherlich befreit ist vom ewigen Tod, vom bösen Geist und der Hölle, so wird er doch nun in diesem irdischen Tabernakel und sündigem, ungehorsamen Fleisch zu streiten haben mit dem Gesetz der Glieder, solange er lebt; denn solange wir im Fleisch wohnen, kann es nicht fehlen, daß die fleischlichen Begierden wider die Seele streiten […]. Zum zehnten und letzten wendet der beschriebene Christenmensch allen Fleiß daran, daß er in Christus allen Sünden, allen Begierden ganz und gar absterbe […]. Darum ist auch der Tod ein auserwähltes Mittel für alle Heiligen Gottes, obwohl das Fleisch sich dagegen sträubt und sich davor fürchtet. Denn dadurch kommen sie von Angst und Not in Wonne, Freude und ewige Seligkeit […]. Quellennachweis Corpus Schwenckfeldianorum. Leipzig, später Pennsburg (PA) 1 (1907)–19 (1961), hier: 3, S. 572–575. Wir folgen der Version in: Heiko A. Oberman (Hg.): Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Ein Arbeitsbuch. Bd. III, Neukirchen-Vluyn 5 2004, S. 153–155. Literaturhinweis Horst Weigelt: Sebastian Franck und Caspar Schwenckfeld in ihren Beziehungen zueinander, in: ZBKG 39, 1970, S. 3–19. Ders.: Spiritualistische Tradition im Protestantismus. Die Geschichte des Schwenckfeldertums in Schlesien, Berlin/New York 1973. Ders.: Caspar von Schwenckfeld. Verkünder des „mittleren“ Weges, in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.): Radikale Reformatoren, München 1978, S. 190–200. Günter Mühlpfort: Schwenkfeld und die Schwenkfelder – ihr „Mittelweg“ als Alternative: von gewaltloser deutscher Radikalreformation zur amerikanischen Freikirche, in: Günter Vogler (Hg.) Wegscheiden der Reformation. Alternatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Weimar 1994, S. 115–150. Paul Gerhard Eberlein: Ketzer oder Heiliger? Caspar Schwenckfeld, der schlesische Reformator und seine Botschaft, Metzingen 1999.
Melchior Hoffmann: Prophetische Gesichte und Offenbarungen (1530)
Nr. 124 Melchior Hoffmann: Prophetische Gesichte und Offenbarungen (1530) Melchior Hofmann wurde um 1495 bei Schwäbisch Hall geboren und verstarb vermutlich 1543 in Straßburg in Haft. Er erlernte das Kürschner-Handwerk, mit dem er auch später seinen Lebensunterhalt bestritt. Recht früh wandte er sich der Reformation zu. 1518 holte ihn Georg von Zedlitz in das Herzogtum Liegnitz. Dort hielt er die ersten Gottesdienste im reformatorischen Geist ab. Ab 1523 wirkte Hofmann als evangelischer Sendbote an den Küsten der Ostsee. Dabei predigte er immer wieder im Sinne der Wittenberger Reformation und konnte auf das Einverständnis Luthers zählen. Seine Schriftauslegung, vor allem aber seine chiliastischen Spekulationen und seine spiritualistische Abendmahlslehre führten bald zur Trennung. 1529 weilte er in Straßburg und kam in engeren Kontakt mit der Täuferbewegung. Er schloss sich ihnen an und ging nach Norden. Vor allem in Ostfriesland entfaltete er eine große Wirkung. 1533 ließ sich Hoffmann in Straßburg festnehmen und hoffte damit, das Kommen des erwarteten Reiches Gottes zu provozieren. Er starb nach zehnjähriger Haft. Er veröffentlichte 1530 ein Buch mit 77 apokalyptischen Visionen. Sie dürften auf Ursula Jost (1500–1539) zurückzuführen sein. Deren Ehemann Lienhard Jost war, einem Bericht Martin Bucers zufolge, ebenfalls durch Visionsberichte in der Stadtöffentlichkeit aufgefallen. Unklar ist, inwieweit Hoffmann die Quellen redaktionell und inhaltlich überarbeitet hat. Prophetische Gesichte und Offenbarungen vom Wirken Gottes in dieser Zeit, die vom Jahr 1524 bis 1530 einer Gottesliebhaberin durch den Heiligen Geist offenbart worden sind und von denen hier in diesem Büchlein verzeichnet sind. (Anno 1530) Jesus Gnade und den ewigen Frieden und das ewige Heil wünscht Melchior Hoffmann allen auserwählten, gläubigen Liebhabern der göttlichen Wahrheit und Gerechtigkeit von Gott dem himmlischen, barmherzigen Vater durch Jesus Christus unsern Heiland, der uns geliebt und uns mit seinem Blut von Sünden reingewaschen und uns zu Königen und Priestern vor Gott seinem Vater gemacht hat. Ihm sei Preis und das Reich von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Weil die Barmherzigkeit und Güte Gottes nicht will, daß seine Geliebten einen andern Ratgeber suchen oder besitzen sollen als ihn allein (Jes. 45, 5), hat er ihnen auch seinen Rat, Willen und sein Wohlgefallen in höchst mannigfaltiger Art durch seine heiligen Propheten offenbart und auch durch Jesus Christus in der verborgenen Offenbarung Johannes des Apostels und Evangelisten allen seinen Dienern das Geheimnis seines göttlichen Rates und Willens kundgetan (Offb. 1, 1 ff.). So breitet sich Gottes Güte auch weiter aus. Vor allem ist durch diese Liebhaberin der Arm göttlichen Rates offenbart worden und wird ‚es noch jetzt‘. Denn so spricht Gott Jes. 42, 9: „Ich habe euch verkündet neue Dinge und will sie euch hören lassen, noch ehe sie aufgehen.“ Auch Jes. 46, 9 f.: „Ich bin Gott, und mir ist niemand gleich. Ich verkünde von Anfang an, wie es später kommen wird, und zuvor, was noch nicht geschehen
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ist. Kurzum, mein Ratschluß erfüllt sich.“ Solche Weissagungen der göttlichen Geheimnisse werden den gläubigen Kindern Gottes vorgehalten (1. Kor. 14), damit ihr Gemüt nicht von Gott weggeführt wird zu den Naturpropheten, Schwarzkünstlern und Sternsehern, um so die Kraft des Lebens bei den Toten zu finden, sondern damit sie allein auf ihren Gott und ewigen Vater vertrauen und auf ihren Heiland, ihre Stärke und Kraft, Weisheit, Leben und ewige Gerechtigkeit. Die Auslegung der folgenden Gesichte wird auch in kurzem erscheinen und aus Gottes Gnade Klärung und Deutung bringen, so daß jeder fromme Christ genügend die Kraft Gottes erinnern und dadurch Gott höchstes Lob und Dankopfer darbringen kann, durch Jesus Christus unseren ewigen Erlöser und Heiland. Amen. […] Melchior Hoffmans Schlußwort über diese Gesichte der göttlichen Kraft, Wirkung und Offenbarung seines heimlichen verborgenen Willens Hier ist nun jedem frommen Christen die Offenbarung des göttlichen Ratschlusses kundgetan. Hieraus mag jeder so viel schöpfen, wie ihm der Herr der Gnaden Kraft und Möglichkeit gibt. Jedes fromme Herz hüte sich vor frevlem Urteil, wenn es nicht gleich versteht, und bitte Gott fleißig durch Christum. Beim zweitenmal wird es Gott wohl geben, wie der Apostel Jakobus (1,5) lehrt. Man soll auch nicht lästern, was man nicht verstehen oder erkennen kann, wie es einige tun. Davon schreibt der Apostel Judas (10). Denn die Geister [zu] unterscheiden ist nicht jedermanns Sache, sondern ein besonderes Amt Gottes und seines Heiligen Geistes. Denn die Gaben des Geistes und die Ämter teilen sich in sehr viele Arten, und es ist doch der eine Geist, der das bewirkt. Denn wie zu dem leiblichen Tempel mancherlei Ämter gehören und mancherlei Arbeiter, so auch zu dem geistlichen Tempel auf geistliche Weise und dem Geiste nach. So wird aus Gottes Gnaden mit der Zeit ein jeder treuer Diener die Ämter wohl erkennen lernen und mit Kraft erfahren. So ist es ganz offensichtlich, daß die erwähnte Liebhaberin eine hohe Gabe des göttlichen Geistes hat, Gesichte göttlicher Offenbarung, nicht jedoch eine verständliche Auslegung derselben, außer was der Geist ihr offenbart und sie lehrt. Das wird einem andern geschenkt werden. Von diesen Gaben schreibt auch Joel 2 (28–32). Nun hat der Mann dieser Liebhaberin auch eine Gabe des Geistes und ein öffentliches Prophetenamt. Seine Prophezeiungen werden mit Gottes Gnaden auch in Kürze erscheinen. So haben diese beiden zwei Ämter, und es ist ein ganz großer Fehler, wenn man den Geist binden und knüpfen will, der doch sein Geisten [= Wirkung] in Freiheit und ungezwungen tut. Und der größte Fehler ist heutzutage, daß man die Grade und Stufen des Geistes, die Gaben und die Ämter der Gemeinden nicht recht unterscheiden kann. Daher kommt es, daß man den hohen Geist Gottes schändet und lästert, ihn aufhält und unter die Füße tritt. Aber jeder fromme Christ passe hier fleißig auf und bitte, daß es mit Glück seinen Fortgang nimmt. Denn die Zeit ist da, daß der Geist Gottes weiterschreiten und durchdringen wird, und keine rote Kunst oder Weisheit wird gegen ihn helfen, denn Christus wird in Kürze auferstehen, wenn sein Leiden genügend vollbracht sein wird, und es werden alle die zuschanden werden, die ihm entgegenstehen und seinen Geist aufhalten und unter die Füße getreten haben. Es ist ja wahr, daß Christus bei der Apostel Zeiten nie so hart in seinen Gliedern gelitten hat, wie er jetzt leidet, und auch der Geist Gottes nicht so fest gefangen gewesen ist, wie jetzt zu dieser Zeit, und es ist gar niemand, der sich des armen nackten Christus erbarmt und Mitleiden mit ihm hat, sondern jeder beteiligt sich auf schäbige Art mit Urteilen, Schänden und Lästern, Durch-die-Finger-Sehen, Lachen und Spotten. O weh, weh! Wie wird es denen ergehen, die so freventlich das unschuldige Blut kreuzigen und ermorden, dabei mit Rat und Tat helfen! Ja, weh ihnen, ewig weh! Ja, jetzt steht es vor aller Augen, daß ein Bruder den andern zum Tode liefert, wie auch Christus spricht (Matth. 10, 21), und die Freunde einander verfolgen wie Feinde (4. Esr. 6). Wie hart wird in Kürze das unschuldige Blut heimgesucht werden, ja, an Jung und Alt, an Niedern und am Höchsten gerächt werden. Gott erbarme sich unser
Balthasar Hubmaier: Summe eines ganzen christlichen Lebens (1525)
aller! Zu dieser Zeit hat der Satan die Auslegung der erwähnten Gesichte zurückgestoßen und verhindert. Aber es wird doch nicht helfen. Denn es muß zu seiner Zeit alles ans Licht kommen, auf daß jeder Liebhaber der Wahrheit auf dem hohen Weg der Gerechtigkeit nach Gottes Willen wandle und lebe und seine Hände von allem Greuel der Greulichen rein erhalten kann bis an das Ende. Dazu helfe uns Gott der barmherzige himmlische Vater durch Jesus Christus unsern Heiland und ewigen Erlöser. Amen. Quellennachweis Der linke Flügel der Reformation. Glaubenszeugnisse der Täufer, Spiritualisten, Schwärmer und Antitrinitarier, hg. v. Heinold Fast, Bremen 1962, S. 298–308. Literaturhinweis Klaus Deppermann: Melchior Hofmann. Soziale Unruhen und apokalyptische Visionen im Zeitalter der Reformation, Göttingen 1979. Ders.: Melchior Hofmann. Widersprüche zwischen lutherischer Obrigkeitstreue und apokalyptischem Traum, in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.): Radikale Reformatoren, München 1978, S. 155–166. Gregor Helms: Melchior Hofmann in Ostfriesland, Hamburg 1976. Kerstin Lundström: Polemik in den Schriften Melchior Hoffmans. Inszenierungen rhetorischer Streitkultur in der Reformationszeit, Stockholm 2015. Miriam Usher Chrisman: Women and the Reformation in Strasbourg 1490–1530, in: ARG 63 (1972), S. 143–168.
Nr. 125 Balthasar Hubmaier: Summe eines ganzen christlichen Lebens (1525) Balthasar Hubmaier wurde um 1485 in Friedberg bei Augsburg geboren und starb am 10. März 1528 in Wien. Er gehörte zu den führenden Persönlichkeiten der Täuferbewegung und prägte sie durch seine gründliche theologische Ausbildung. Nach Stationen in der Domschule zu Augsburg und der Universität Freiburg 1512 promovierte er in Ingolstadt zum Doktor der Theologie. 1516 wurde er als Domprediger nach Regensburg berufen. Er war rigoroser Judenverfolger und verantwortete die Zerstörung der Regensburger Synagoge. Außerdem erwarb er sich einen Ruf als Wallfahrtsprediger und Marienverehrer. Seit den frühen Zwanzigerjahren suchte er Kontakt zu humanistischen Schriftstellern und arbeitete sich in die Paulusexegese ein. Dazu las er auch die Schriften Martin Luthers. Während eines Aufenthalts in Zürich kam er mit Zwingli zusammen und nahm an der Zweiten Zürcher Disputation teil. Zurück in Waldshut versuchte er, reformatorische Änderungen durchzusetzen und geriet in Konflikt mit romtreuen Bürgern und deren Klerus. Er wurde gezwungen, die Stadt zu verlassen und floh nach Schaffhausen. Unter dem Motto „Die Wahrheit ist untödtlich“ verfasste er Schriften gegen die gewaltsame Bekehrung zum Glauben und weitere Traktate zu seiner Verteidigung. Im Herbst 1524 konnte er nach
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Waldshut zurückkehren und sein reformatorisches Werk durchsetzen. Bald sprach er sich gegen die Kindertaufe aus. An Ostern 1525 ließ er sich zusammen mit 60 weiteren Waldshuter Bürgern von Wilhelm Reublin (wieder-)taufen. Diesem Beispiel folgte ein großer Teil des Rates und der Bevölkerung der Stadt. Ende 1525 floh er vor den habsburgischen Truppen und fand Zuflucht in Zürich. Es kam allerdings aufgrund seiner programmatischen Taufschrift zum endgültigen Bruch mit Zwingli. Zum April 1526 verließ er Zürich und zog durch Bayern nach Nikolsburg in Mähren. Dort verfasste Hubmaier weitere Schriften, mit denen er wichtige Grundsteine einer täuferischen Theologie legte. Im Juli 1527 wurde er verhaftet und am 10. März 1528 in Wien verbrannt. Summe eines ganzen christlichen Lebens Durch Balthasar Friedberger, Predikant jetzt zu Waldshut, geschrieben an die drei Kirchen Regensburg, Ingolstadt und Friedberg, seinen lieben Herren, Brüdern und Schwestern in Gott dem Herrn. Besonders ein Bericht über die Kindertaufe und das Nachtmahl (1525) Gnade und Friede in Jesus Christus, unserm einzigen Heiland. Ehrsame, fürsorgende und günstige Herrn! Mein untertäniger, fleißiger Dienst voraus! Liebe Herrn und Brüder! Ich bekenne aufrichtig, daß ich gegen den Himmel und gegen Gott gesündigt habe, nicht allein mit meinem sündigen Leben, das ich in aller Hoffart, Hurerei und weltlicher Üppigkeit bei Euch entgegen der Lehre Christi geführt habe, sondern auch mit falscher, unbegründeter und gottloser Lehre, in der ich Euch unterwiesen, gespeist und geweidet habe außerhalb des Wortes Gottes, vor allem, wie ich mich wohl noch erinnere, dass ich viel unnützen Tand von der Kindertaufe, Vigilien, Jahrestage, Fegefeuer, Messen, Götzen, Glocken, Läuten, Orgeln, Pfeifen, Ablaß, Prozessionen, Bruderschaften, von Opfern, Singen und Brummen gesagt habe. Jedoch darf ich mich mit Paulus wahrhaftig rühmen, daß ich es unwissend getan habe. Die rote Hure von Babylon407 mit ihren Schullehren, Gesetzen und ihrem Fabelwerk hat mich betrogen. Aber ich habe Gott gebeten; der hat mir alles verziehen. Deshalb, liebe Herrn und Brüder, seid gewarnt und ermahnt, daß Ihr fortan selbst die Propheten und Predikanten erprobt und erforscht, ob sie Euch mit Gottes Lehre vorangehen oder nicht. Ergründet die Schriften. Die werden von Christus und von einem christlichen Leben Zeugnis geben. Tut wie die Thessalonicher (Apg. 17,11), so könnt Ihr nicht fehlgehen oder verführt werden. Und wenn auch Euer Pfarrherr und Eure Predikanten sich erbieten, ihre Seelen für Euch zu versetzen, ist es doch nicht genug, noch ist Euch dadurch geholfen, denn Christus spricht: „Wo ein Blinder den andern führt, fallen sie beide in eine Grube“ (Matth. 15,14). Es wäre ein geringes, wenn ein Pfarrer allein fiele. Es werden nach dem Sinn des Wortes Christi auch die Schäflein mitfallen. In Summa Zum ersten. Wie Christus ein christliches Leben lehrt, sagt er: „Ändert oder bessert euer Leben und glaubt dem Evangelium“ (Mark. 1,15). Zur Änderung des Lebens gehört aber, daß wir in uns selber gehen und uns unsers Tuns und Lassens erinnern. Dabei finden wir, daß wir tun, was wider Gott ist, und lassen, was er uns befohlen hat. […]
407 Offb 17,3 – Anspielung auf die römische Kirche und deren akademische Theologie.
Balthasar Hubmaier: Summe eines ganzen christlichen Lebens (1525)
Darüber hinaus aber findet der Mensch in sich auch weder Hilfe, Trost noch Arznei, mit der er sich selbst helfen könnte. Darum muß er an sich selbst verzweifeln und verzagen, wie ein Mensch, der unter die Räuber gefallen war. So ein elendes Ding ist es um einen Menschen, der sich selbst bedenkt und erkennt. Zum andern. Deshalb muß der Samariter kommen, das ist Christus. Der bringt mit sich Arznei, nämlich Wein und Öl, und gießt sie dem Sünder in die Wunden. Wein: Er gibt dem Menschen eine Reue, daß ihm seine Sünden leid sind. Und Öl, mit welchem er den Schmerz vertreibt und mildert, und spricht: „Glaubt dem Evangelium, das klar verkündet, daß ich der Arzt bin, der in diese Welt gekommen ist, den Sünder gerecht und fromm zu machen. Das Evangelium lehrt auch, daß ich bin der einzige Erbarmer, Versöhner, Fürbitter, Mittler und Friedemacher gegenüber Gott, unserm Vater. Wer an mich glaubt, der wird nicht verdammt, sondern hat das ewige Leben.“ Durch solche Trostworte wird der Sünder wiederum erquickt, kommt zu sich selbst, wird fröhlich und ergibt sich fortan dem Arzt, so daß er ihm all seine Krankheit anempfiehlt, anheimgibt, vertraut. […] Und jetzt begibt sich der Mensch inwendig im Herzen und Vorsatz in ein neues Leben nach der Regel und Lehre Christi des Arztes, der ihn gesund gemacht hat und von dem er das Leben hat. So bekennt Paulus öffentlich (Gal. 2,20), daß nicht er lebe, sondern Christus lebe in ihm. Derselbe sei in ihm das Leben, und außerhalb Christi bekennt er sich und seine Werke als eitel, nichtig und als einen unseligen Sünder. Zum dritten. Nachdem sich der Mensch nun inwendig und im Glauben in ein neues Leben ergeben hat, bezeugt er das auch äußerlich, öffentlich vor der christlichen Kirche, in deren Gemeinschaft er sich verzeichnen und einschreiben läßt nach der Ordnung und Einsetzung Christi. Er gibt deshalb der christlichen Kirche, d. h. allen Schwestern und Brüdern, die im Glauben an Christus leben, zu erkennen, daß er dermaßen im Wort Christi inwendig unterrichtet und gesinnet sei, daß er sich schon ergeben habe, fortan nach Wort, Willen und Regel Christi zu leben, sein Tun und Lassen nach ihm zu richten und zu schlichten und unter seinem Fähnlein zu kämpfen und zu streiten bis in den Tod. Und er läßt sich taufen mit dem äußerlichen Wasser, wodurch er öffentlich seinen Glauben und Vorsatz bezeugt […]. Zum vierten. Weil aber der Mensch weiß und bekennt, dass er von Natur ein böser, wurmstichiger und vergifteter Baum ist und aus sich selbst keine gute Frucht hervorbringen kann, deshalb geschieht diese Verpflichtung, Zusage und dieses öffentliche Zeugnis nicht aus menschlichen Kräften oder Vermögen – denn das wäre eine Anmaßung oder menschliche Vergessenheit –, sondern im Namen Gottes, des Vaters und Sohnes und des Heiligen Geistes, oder im Namen unsers Herrn Jesus Christus, d. h. in der Gnade und Kraft Gottes. Denn es ist alles nur eine Kraft. Aus dem allem folgt, daß die äußerliche Taufe Christi nichts anderes ist als ein öffentliches Zeugnis der inwendigen Pflichten, womit der Mensch von sich bezeugt und vor jedermann kundtut, daß er ein Sünder und sich selbst für schuldig bekennt. Doch dabei glaubt er ganz und gar, daß Christus ihm seine Sünde über den Tod verziehen und ihn durch die Auferstehung fromm gemacht hat vor dem Angesicht Gottes, unseres himmlischen Vaters. […] Das ist die Summe und rechte Ordnung eines ganzen christlichen Lebens, das anfängt im Wort Gottes. Daraus folgt Erkenntnis der Sünden und Verzeihung derselben im Glauben. Der Glaube bleibt nicht müßig, sondern ist arbeitsam in allen guten christlichen Werken. Das sind aber allein gute Werke, die Gott selbst uns geheißen hat und über die er Rechenschaft fordern wird am Jüngsten Tag (Matth. 25). Zum fünften. Nachdem wir nun im Glauben hell und klar aus dem Wort Gottes erkannt haben die unschätzbare, unaussprechliche Güte Gottes, sollen wir darum Gott, unserm himmlischen Vater, dankbar sein, der die Welt immer so inbrünstig geliebt hat, daß er seinen eingeborenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns hergegeben hat bis in den Tod, ja, in den Tod des
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allerschändlichsten Kreuzes, damit wir selig würden. Danach hat Jesus Christus, unser Heiland, selbst eine schöne Erinnerung angeordnet und eingesetzt bei seinem letzten Nachtmahl, auf daß wir seiner nicht vergessen. Denn als er und seine Jünger miteinander aßen, nahm er das Brot, dankte und sprach: „Nehmet und esset; das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis.“ Desgleichen nahm er das Trinkgeschirr und gab ihnen allen zu trinken und sagte: „Nehmt und trinkt; das ist mein Blut, das für euch vergossen wird zur Verzeihung der Sünden; das tut zu meinem Gedächtnis“ (vgl. 1. Kor. 11, 23–25). Hier sieht jeder, daß Brot Brot ist und Wein Wein, aber doch so eingesetzt von Christus zur Ermahnung und Erinnerung, damit wir, sooft wir das Brot miteinander brechen, austeilen und essen, seines Leibes gedenken, der für uns am Kreuz gebrochen und allen denen ausgeteilt ward, die ihn im Glauben essen und zu sich nehmen. Da sieht man es vor Augen, daß das Brot nicht der Leib Christi ist, sondern eine Erinnerung an denselben. Desgleichen ist der Wein nicht das Blut Christi, sondern auch ein Gedenken, daß er sein Blut vergossen und ausgeteilt hat am Kreuz allen Gläubigen zur Abwaschung ihrer Sünden […]. Der Mensch, der nun das Nachtmahl Christi dermaßen begeht und betrachtet das Leiden Christi mit festem Glauben, der wird auch Gott für diese Gnade und Güte danksagen und sich in den Willen Christi ergeben. Der aber ist, daß wir, wie er uns getan hat, wir so auch unserm Nächsten tun sollen und unser Leib, Leben, Gut und Blut um seinetwillen hingeben. Das ist der Wille Christi. Und weil uns solches wiederum unmöglich ist, sollen wir zu Gott emsig um Gnade und Kraft rufen, daß er uns die zuteil werden lasse, damit wir so seinen Willen vollbringen können. Denn wenn er nicht Gnade gibt, dann ist es um uns schon verloren. Wir sind Menschen und waren Menschen und werden Menschen bis in den Tod bleiben. […] Hiermit seid Gott befohlen. Datum: zu Waldshut, Samstag nach Petri und Pauli. (1. Juli) Anno 1525. Quellennachweis Der linke Flügel der Reformation. Glaubenszeugnisse der Täufer, Spiritualisten, Schwärmer und Antitrinitarier, hg. v. Heinold Fast, Bremen 1962, S. 37–45. Literaturhinweis Christof Windhorst: Täuferisches Taufverständnis: Balthasar Hubmaiers Lehre zwischen traditioneller und reformatorischer Theologie, Leiden 1976. Eddie L. Mabry: Balthasar Hubmaier’s understanding of faith. Univ. Press of America, Lanham/New York/Oxford 1998. Anselm Schubert: Balthasar Hubmaier, in: Das Reformatorenlexikon, hg. v. Irene Dingel und Volker Leppin, Darmstadt 2 2016, S. 133–137.
Nr. 126 Ludwig Hätzer: Vom Bilderverbot (1523) Ludwig Hätzer wurde wohl noch vor 1500 in Bischofszell im Thurgau geboren und verstarb am 4. Februar 1529 in Konstanz. Nach dem Schulbesuch in seiner Heimatstadt besuchte er die Universitäten von Freiburg und Basel und wurde für kurze Zeit Inhaber einer Messpfründe am Zürichsee. 1523 schloss er sich der Reformation unter
Ludwig Hätzer: Vom Bilderverbot (1523)
Huldrych Zwingli an. Ende des Jahres 1523 publizierte er eine Flugschrift gegen die Bilderverehrung. Sie ist streng biblizistisch gehalten und führt zahlreiche Schriftbelege gegen Bilder in den Kirchen und im Gottesdienst an. Seit 1525 zählt Hätzer zu den Mitgliedern der um Grebel und Manz entstandenen Täuferbewegung, ohne sich jedoch wiedertaufen zu lassen. Aus Zürich ausgewiesen, ging er über Konstanz und Augsburg nach Straßburg, wo er sich den spiritualistischen Täufern um Hans Denck anschloss. Nur knapp konnte er einer Verhaftung in Augsburg 1527 entgehen. Im November 1528 wurde Hätzer in Bischofszell verhaftet und als Häretiker und wegen Unzucht hingerichtet.
Gott unser Vater und Ehegemahl verbietet uns, Bilder zu machen. Zum Ersten soll ein jeder wissen, dass dies Wort idolon, lateinisch: simulacrum in Deutsch ein Bild oder Gleichnis heiße. Darum, wo in der Schrift die idola verboten sind, nicht allein die Abgötter, sondern alle Bilder und Gleichnisse verboten sind. Darin irren nämlich die Päpstlichen, dass sie behaupten mit idola seien die Abgötter gemeint. Es heißt vielmehr auch Bild und Gleichnis. Zwar sind im Besonderen die Abgötter verboten, aber auch die Bilder, wo man idola findet. […] Das andere (zweite) Argument: Wir ehren doch die Bilder nicht und beten sie auch nicht an, sondern die Heiligen, die sie uns anzeigen. – Sag Du Gottloser, was du willst. Ob du sie schon nicht ehrest, so sollen die die Christen kein Bild haben. So redet Gott. Wenn Du aber sagst, dass du die Heiligen ehrst, so tust du das aber ohne Gottes Geheiß und wort, denn er will seine Ehre keinem anderen geben als jenen, die zu ihm gehören. Er will nicht, dass die Seele einem Geschöpf (einer Kreatur) anhängt. […] Das dritte Argument: Es sind Bücher der Laien. – Das ist menschlicher Tand. Gregorius408 sagt solches, aber Gott nicht. Ja, Gott sagt vielmehr ein anderes. Gott verwirft die Bilder aber du willst aus den Büchern lehren, was Gott verworfen hat. Oh Widerchrist – dir gliebt [= aus Dir spricht], dass du Gott hassest und ein gräuliches Bild Gottes vertrittst. Willst Du Gott kennen lernen, so lies die Schrift, die gibt Zeugnis von ihm Johannes 10 (V. 3): Meine Schäfchen hören meine Stimme. Bist Du ein Christ, so lies was Gott und Christus, Dein Herr, mit Dir redet. Das vierte Argument: Sie reizen den Menschen zu Andacht und zu Besserung. – Du Gleichsner [= Blender]. Alle Bilder auf einen Haufen geworfen vermögen dich nicht um ein Haar frömmer oder andächtiger zu machen oder zu Gott zu ziehen. Denn Christus spricht Joh 6 (V. 65): Niemand kommt zu mir, es sei denn das mein himmlischer Vater ihn ziehe. Warum schreibst Du dem Holz zu, was allein Christus seinem himmlischen Vater zubilligt? Wiederum Joh 14 (V. 6). Es kommt niemand zum Vater, denn durch mich. Er ist der Weg. Er ist die Tür. Warum willst Du dann durch die Götzen – Du Ölgötze – zu Gott kommen? Quellennachweis Ein urteil gottes unsers ee gemahels, wie man sich mit allen götzen und bildnussen halten sol, uß der heiligen gschrifft gezogen durch Ludwig Hätzer, Zürich 1523 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
408 Papst Gregor der Große, von dem dieses Zitat überliefert ist. Vgl. Hartmut Leppin: Die Kirchenväter und ihre Zeit. Von Athanasius bis Gregor dem Großen. München 2000, S. 101–111.
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Literaturhinweis Alejandro Zorzin: Ludwig Hätzer als täuferischer Publizist (1527–1528), in: Mennonitische Geschichtsblätter 67 (2010), S. 25–49. Ders: Ludwig Hätzers „Kreuzgang“ (1528/29): Ein Zeugnis täuferischer Bildpropaganda, in: ARG 97 (2006), S. 137–164. Frank Jehle: Ludwig Hätzer (1500–1529) – der „Ketzer“ aus Bischofszell, in: Thurgauer Beiträge zur Geschichte 147 (2010), S. 7–125.
Nr. 127 Hans Denck: Protestation und Bekenntnis (1527) Hans Denck wurde um 1500 in Oberbayern geboren und verstarb im November 1527 in Basel. Nach Studien in Ingolstadt verkehrte er in einigen Humanistenkreisen in Augsburg. Dort lernte er die reformatorischen Ansätze kennen. Er schloss sich der Bewegung an und ging 1521 nach Basel. Johannes Oekolampad empfahl Denck 1525 als Schulmeister zurück an die Nürnberger Sebaldusschule. Über die Gebrüder Behaim geriet er in Kreise der Täuferbewegung und ging über St. Gallen erneut nach Augsburg. Dort wurde er einer der Hauptrepräsentanten der Täufer und immer wieder vertrieben. Seine letzten Monate verbrachte er in Basel, wo er an der Pest erkrankte und starb. Denck formulierte Überzeugungen eines eigenverantwortlichen, von jeglicher äußeren Autorität unabhängigen Christentums. Seine Schrift „Widerruf “ erschien posthum im Druck und war wohl auf Veranlassung Oekolampads entstanden. Sie diente zur Klarstellung seiner Grundüberzeugungen, nicht aber als Aufgabe früherer Positionen.
Protestation und Bekenntnis über etliche Punkte, zu welchen sich Hans Denck (kurz vor seinem Ende) selbst ausführlicher erklärt und geäußert hat. Allen denen, die den Weg zur Seligkeit in Jesus Christus suchen, wünsche ich Ohren, den Willen ihres himmlischen Vaters von ihm zu hören. […] Hierauf bitte ich sie um Gottes willen, daß sie mir verzeihen, was ich ohne mein Wissen und meinen Willen wider sie getan habe. Daneben bin ich bereit, allen Unfug, Schaden oder Schande, die mir von ihnen vielleicht auch schon zugestoßen sind, zu vergeben und nie mehr zu rächen. Damit aber diese meine Bitte von ihnen gewährt werden kann, habe ich mein Herz, soweit es mir möglich war, Punkt für Punkt aufdecken wollen, damit sie erkennen möchten, wo man meine Worte nicht zureichend verstanden hat, was mein Herz gemeint oder gesucht hat, auch wenn der Mund geirrt haben sollte. 1. Von der Heiligen Schrift Die Heilige Schrift halte ich über alle menschlichen Schätze, aber nicht so hoch wie das Wort Gottes, das da lebendig, kräftig und ewig ist, welches aller Elemente dieser Welt ledig und frei ist. Denn wenn es Gott selber ist, so ist es Geist und kein Buchstabe, ohne Feder und Papier geschrieben, so daß es nimmer ausgetilgt werden kann. Darum ist auch die Seligkeit nicht an die Schrift gebunden, wie nützlich und gut sie dazu auch sein mag. Ursache: Es ist der Schrift
Hans Denck: Protestation und Bekenntnis (1527)
nicht möglich, ein böses Herz zu bessern, wenn es auch wohl gelehrter wird. Ein frommes Herz aber, nämlich wo ein rechter Funke göttlichen Eifers ist, wird durch alle Dinge gebessert. So dient die Heilige Schrift den Gläubigen zum Guten und zur Seligkeit, den Ungläubigen aber zur Verdammnis, wie alle Dinge. Also kann ein Mensch, der von Gott erwählt ist, ohne Predigt und Schrift selig werden. Nicht daß man darum keine Predigt hören oder keine Schrift lesen soll! Ich meine nur, daß sonst all die Ungelehrten nicht selig werden könnten, weil sie nicht lesen können, und sogar ganze Städte und Länder, weil sie nicht Prediger haben, die von Gott gesandt sind. […] 3. Vom Glauben Glaube ist der Gehorsam gegenüber Gott und die Zuversicht zu seiner Verheißung durch Jesus Christus. Wo dieser Gehorsam nicht ist, da ist die Zuversicht falsch und betrogen. Der Gehorsam aber muß rechtschaffen sein, das heißt, daß Herz, Mund und Tat aufs beste miteinandergehen. Denn es kann kein wahrhaftiges Herz sein, wo weder Mund noch Tat gespürt wird. Wo aber das Herz nicht aufrichtig ist, da sind alle Worte und Werke eitel Betrügerei. Ein böses Herz verrät sich selber mit Hoffart und Ungeduld. Ein gutes beweist sich durch Demut und Geduld. […] 7. Von Zeremonien: Die Menschen beweisen am allermeisten dadurch ihr Menschsein, daß sie so hart um der äußerlichen Elemente willen zanken. Wer sie zu sehr verachtet, betrübt die unwissenden Menschen; wer sie zu hoch schätzt, verringert die Ehre Gottes. Zeremonien sind aus sich nicht Sünde. Aber wer meint, dadurch die Seligkeit zu erlangen, es sei durch Taufen oder Brotbrechen, der hat einen Aberglauben. Ein Gläubiger ist frei in äußerlichen Dingen. Doch wird er sich nach seinem Vermögen befleißigen, daß die Ehre Gottes durch ihn nicht vermindert und die Nächstenliebe nicht freventlich verachtet wird. Wer sich um die Zeremonien sehr kümmert, gewinnt doch nicht viel. Denn auch wenn man alle Zeremonien verlöre, so hätte man doch keinen Schaden. Es wäre besser, sie entbehren zu müssen, als sie zu mißbrauchen. 8. Von der Taufe Die Taufe ist eine Einschreibung in die Gemeinde der Gläubigen; nicht, daß sie alle vor Gott gläubig sind, die getauft werden, sondern nur, daß sie als gläubig erkannt werden, sofern es möglich ist zu erkennen. Darum ist die Kindertaufe nicht nach dem Befehl Christi. Denn bei Kindern spürt man nicht, welches ein Jakob oder Esau ist, was doch ein Diener Christi vor allem prüfen soll, nach Maßgabe dessen, wie er es erkennen kann. Die Kindertaufe ist ein Menschengebot und steht in der Christen Freiheit. Es schadet keinem Gläubigen, daß er in der Kindheit getauft ist, und Gott fragt nach keiner andern Taufe, wenn man nur die Ordnung hielte, die einer christlichen Gemeinde zusteht. Da man das aber nicht tut, weiß ich nicht, was Gott machen wird. Wer nun von neuem tauft, der sehe, daß er nicht diene, ehe er ordnungsmäßig berufen ist. Denn wer nicht berufen und gesandt ist zu lehren, der unterwindet sich vergebens zu taufen. Darum werde ich, so Gott will, ewiglich mit dem Taufen aufhören, wenn ich keine andere Berufung vom Herrn haben werde. […] 9. Vom Brot und Kelch, Nachtmahl oder Gedächtnis des Leibes und Blutes des Herrn Der Herr Christus nahm das Brot im Nachtmahl, segnete es und brach’s usw., als wollte er sagen: „Ich habe euch früher gesagt, ihr sollt mein Fleisch essen und mein Blut trinken, wenn ihr selig werden wollt und habe damit angedeutet, wie es geistlich geschehen muß und nicht, wie Fleisch und Blut es versteht. Nun sage ich euch hier eben dasselbe, daß ihr es bei diesem Brot und Wein betrachtet. Denn wie dieses Brot das Leibesleben erhält, wenn es zerbrochen und zerkaut wird, so wird mein Leib durch Gottes Kraft eurer Seelen Leben erquicken; wenn er dargegeben, getötet und geistlich gegessen (das heißt erkannt und geglaubt) wird.
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Desgleichen, wie dieser Wein des Menschen Herz frisch und fröhlich macht, wenn er ihn trinkt, so wird auch mein Blut, das ich in der Liebe Gottes für euch vergieße, wenn ihr es betrachtet, euch erfrischen, fröhlich und inbrünstig in der Liebe machen, daß ihr so ganz eins mit mir werdet, ich in euch und ihr in mir bleibt, wie sich Speise und Trank ganz mit der menschlichen Natur vereinigt.“ Quellennachweis Der linke Flügel der Reformation. Glaubenszeugnisse der Täufer, Spiritualisten, Schwärmer und Antitrinitarier, hg. v. Heinold Fast, Bremen 1962, S. 196; 198 f.; 201–203. Literaturhinweis Gottfried Seebaß: Hans Denck, in: Gerhard Pfeiffer/Alfred Wendehorst (Hg.): Fränkische Lebensbilder. Bd. 6, Würzburg 1975, S. 107–129. Clarence Bauman: The Spiritual Legacy of Hans Denck. Interpretation and Translation of Key Texts, Leiden 1991.
Nr. 128 Hans Hut: Vom Geheimnis der Taufe (1527) Hans Hut wurde um 1490 im thüringischen Haina geboren und starb am 6. Dezember 1527 in Augsburg. Er gilt als Schüler der radikalen Reformatoren Thomas Müntzer und Andreas Karlstadt. Freilich ist seine Position höchst selbständig und durch Mystik und Apokalyptik beeinflusst. Hut war Buchbinder in Bibra und verdingte sich als Küster und reisender Buchhändler. Aufgrund seiner Weigerung, sein Kind taufen zu lassen, wurder er ausgewiesen. Frau und Kinder kamen bei Hans Denck in Nürnberg unter. Hut schloss sich Müntzer und den Bauernkriegstruppen an. Er entkam dem Blutgericht knapp und wurde an Pfingsten 1526 von Hans Denck in Augsburg getauft. Seitdem entwickelte er größere Missionsaktivitäten und war im südöstlichen Raum des Reiches unterwegs. Im Zuge des sogenannten „Märtyrertreffens“ verschiedener Täufer in Augsburg 1527 wurde Hut verhaftet. Zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, starb er im Gefängnis noch im selben Jahr.
Von dem Geheimnis der Taufe sowohl des Zeichens als auch des Wesens. Der Anfang eines rechten, wahrhaftigen christlichen Lebens (1526/27) Joh. 5,39: Suchet in der Schrift; denn ihr meint, ihr habet das ewige Leben darin; und sie ists, die von mir zeuget. Die reine Furcht Gottes wünsche ich zum Anfang göttlicher Weisheit allen Brüdern und Schwestern im Herrn, der reinen und rechtgeschaffenen Christenheit, der Gemeinde Gottes, der einzigen Ehefrau und Braut Christi, die aus Bewegung des Heiligen Geistes durch das Band der Liebe vereinigt, und allen, die mit betrübtem Herzen und zermahlenem Geist Verlangen haben nach der ernsten Gerechtigkeit des gekreuzigten Sohnes Gottes, und allen denen, die begehren, gespeist zu werden: denen wünsche ich Gnade und Friede im Heiligen Geist. Amen. […]
Hans Hut: Vom Geheimnis der Taufe (1527)
Wollen wir ein rechtes Verständnis und Urteil über die Taufe erreichen, so dürfen wir nicht nach unserm Gutdünken handeln, die Form und Weise Christi und seiner Apostel fahren lassen. Denn Gott hat uns verboten, zu tun, was uns gutdünkt. Vielmehr was er gebietet, das sollen wir tun und halten und nicht wanken, weder zur Rechten noch zur Linken. Soll nun die Taufe nach rechter Ordnung gehalten werden, wie sie von Christus befohlen worden ist und wie die Apostel sie gehalten haben, so müssen wir mit ganzem Fleiß und Ernst genau auf den Befehl Christi achten, mit dem er eine Ordnung stellt und eine Regel oder Richtschnur gibt, durch die ein rechter Grund des christlichen Glaubens gelegt werden soll. Wer Ohren hat zu hören, der höre. Ärgere sich, wer da will. Zum ersten spricht Christus: „Gehet hin in die ganze Welt, predigt das Evangelium aller Kreatur.“ Zum zweiten sagt er: „Wer glaubt“; zum dritten: „und wird getauft, der wird selig.“ (Mk 16,15 f.) Diese Ordnung muss gehalten werden, wenn eine rechte Christenheit gestiftet werden soll, und sollte die ganze Welt darob zerbrechen. Wo die nicht gehalten wird, da ist auch keine christliche Gemeinde Gottes, sondern des Teufels, und Trotz der ganzen Welt und allen falschen Christen, dass sie es mit ihrer verkehrten Ordnung ändern und als unrecht verfechten. […] Im Evangelium aller Kreatur wird nichts anderes vorgetragen und gepredigt als allein Christus der Gekreuzigte, aber nicht allein Christus das Haupt, sondern der ganze Christus mit allen Gliedmaßen. Diesen Christus predigen und lehren alle Kreaturen. Der ganze Christus muß leiden in allen Gliedmaßen und nicht wie unsere Schriftgelehrten Christus predigen, die dennoch die Besten sein wollen, wie man es täglich von ihnen hört: Christus als das Haupt habe es gar ausgetragen und zu Ende gebracht. Wo aber bleiben die Gliedmaßen und der ganze Leib, in dem das Leiden Christi erfüllt werden muß? Davon gibt Paulus Zeugnis, wenn er spricht: „Ich freue mich in meinem Leiden, daß ich erstatte, was noch fehlt vom Leiden Christi, an meinem Leibe“ [Kol 1,24]. Darum müssen sie in kurzer Zeit, wie es schon beginnt, mit ihrer Weisheit zu Toren werden. Denn es gefällt Gott wohl, durch törichte, närrische und schwärmerische Predigt, wie es die Klüglinge nennen, selig zu machen die, so dran glauben. Wenn sie noch so sehr dagegen tobten, so müssen sie in kurzer Zeit mit ihrer Weisheit und mit ihrem Geiz den Armgeistigen, die ihre Schwärmer sein müssen, weichen, wie Paulus klar ausspricht (1. Kor 1,21). Darum müßt ihr, meine allerliebsten Brüder, mit Fleiß erkennen und achthaben auf das Wort, das Christus spricht: „das Evangelium aller Kreaturen.“ Hier ist nicht gemeint, daß das Evangelium den Kreaturen gepredigt werden soll, wie Hunden und Katzen, Kühen und Kälbern, Laub und Gras, sondern, wie Paulus sagt, das Evangelium, das euch gepredigt wird, ist in allen Kreaturen. Auf solches weist er auch hin und spricht, daß die ewige Kraft und Gottheit erkannt werde, wenn man sie wahrnimmt bei den Kreaturen oder Werken von der Schöpfung der Welt an (Röm 1,20). Darum sage ich und bekenne, daß das Evangelium nach dem Befehl Christi, wie es Christus und seine Apostel gepredigt haben, noch zu unsern Zeiten ‚in den Kreaturen erkannt werden kann‘. Auch die, die die Besten sein wollen, wissen noch nicht, was das Evangelium aller Kreaturen ist (Mk 16,15). Es ist ihnen verborgen und verschlossen, weil sie nicht die reine und lautere Ehre Gottes suchen, sondern ihren Bauch und ihre Ehre. Auch wenn man es ihnen sagt, so verlachen sie es und sprechen: „Es sind Schwärmer und spitzfindige Köpfe“. Deshalb sollt ihr mit Fleiß erkennen, meine herzallerliebsten Brüder, was das ist, das Evangelium aller Kreaturen, und wie es Paulus genannt hat, wenn er spricht: das Evangelium das euch gepredigt ist in allen Kreaturen (Kol 1,23).
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Quellennachweis Der linke Flügel der Reformation. Glaubenszeugnisse der Täufer, Spiritualisten, Schwärmer und Antitrinitarier, hg. v. Heinold Fast, Bremen 1962, S. 79 f.; 83–86. Literaturhinweis Gottfried Seebaß: Das Zeichen der Erwählten. Zum Verständnis der Taufe bei Hans Hut, in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.): Umstrittenes Täufertum. 1525–1975. Neue Forschungen, Göttingen 1975, S. 138–164. Ders.: Müntzers Erbe. Werk, Leben und Theologie des Hans Hut, Gütersloh 2002. Ders.: Hans Hut. Der leidende Rächer, in: Radikale Reformatoren: 21 biographische Skizzen von Thomas Müntzer bis Paracelsus, hg. v. Hans-Jürgen Goertz, München 1978, S. 44–50.
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Abendmahlsstreit und Marburger Religionsgespräch
Teilweise durch die Wittenberger Reformation angestoßen, in anderen Teilen aber auch völlig unabhängig davon, brechen in vielen Orten des Alten Reiches und bald auch darüber hinaus evangelische Reformbewegungen auf. Allen gemeinsam ist der exklusive Bezug auf die Bibel und in unterschiedlicher Weise deren Auslegung in alltagspraktischer Hinsicht. Daran scheiden sich dann auch sehr bald die Geister, wie am Beispiel des Verhältnisses von Martin Luther und Huldrych Zwingli rasch sichtbar wurde. Huldrych Zwingli wurde am 1. Januar 1484 im schweizerischen Ort Wildhaus geboren. Der angesehene Vater vermittelte seinem Sohn zunächst die Ausbildung durch einen entfernten Verwandten aus dem Schweizer Klerus und später an den Universitäten von Basel und Wien. 1506 beschloss Zwingli in Basel seine Studien mit dem Magistergrad und wirkte zunächst als Prediger in Glarus und einige Jahre als Feldpriester der Schweizer Söldner in Oberitalien. Nach seinem Amt als Priester am Marienheiligtum Einsiedeln wurde er 1519 als Leutpriester an das Zürcher Großmünster berufen. Er zeigte sich durchaus reformoffen. Zum Durchbruch kam die reformatorische Gesinnung allerdings erst, als er während der Fastenzeit 1522 den Genuss von Fleisch in der Öffentlichkeit duldete. Diese Haltung begründete er in einer ausführlichen Predigt über die Freiheit der Speisenwahl. Zwingli legte weitere Thesen zur Reformation in Zürich dem Rat vor, die dieser am 29. Januar 1523 annahm. Aufgrund mehrerer öffentlicher Disputationen wurde die Reformation in kleinen Schritten und ohne gewaltsame Eingriffe in der Stadt durchgesetzt und darüberhinaus verbreitet. 1524 heiratete Zwingli Anna Reinhart (1484–1538), nachdem sie bereits eine geheime Ehe geführt hatten. Noch im gleichen Jahr brachte sie die Tochter Regula zur Welt. In dieser Zeit wurde allerdings auch der Unterschied zu Luther immer deutlicher und konnte trotz eines Treffens 1529 in Marburg nicht behoben werden. Seitdem begann Zwingli seine Forderungen in der Stadt mit grö-
Abendmahlsstreit und Marburger Religionsgespräch
ßerem Druck umzusetzen: Die Bürger wurden zum Gottesdienstbesuch verpflichtet und Gegner der Stadt verwiesen. Besonders dramatisch war die Hinrichtung von zahlreichen Täufern. Den römisch gesonnenen Städten drohte Zürich mit Krieg. Ein Präventivkrieg half nicht zur Klärung der Situation. Am 11. Oktober 1531 gelang den romtreuen Katholiken bei Kappel ein Sieg über die reformierten Truppen, bei dem allein 500 Zürcher ihr Leben ließen. Unter ihnen war auch Huldrych Zwingli, der mit dem Schwert in der Hand ins Feld gezogen war. Trotz der wahrgenommenen großen Nähe in der evangeliumsgemäßen Verkündigung von Luther und Zwingli zerbrach deren Einheit schon in der Frage der Gegenwart Christi im Altarsakrament. Luther erkannte in Zwinglis Auslegung einen Gesinnungsgenossen von Andreas Bodenstein von Karlstadt. Dessen einseitige Bezugnahme auf Augustins Hermeneutik fand er bei Zwingli bestätigt und wandte sich darum mit aller Kraft gegen die seiner Meinung nach falsche Auslegung und Missdeutung des Abendmahls. Zwingli seinerseits suchte in mehreren Schriften eine gemeinsame Basis in der philologisch genauen Schriftauslegung zu erreichen. Die Fronten waren zunehmend verhärtet und konnten auch mit Hilfe der protestantischen Fürsten, allen voran Philipps von Hessen, im Marburger Religionsgespräch (1529) nicht beigelegt werden. Dies war nicht allein aus theologischen Gründen anberaumt worden, sondern um die innerprotestantischen Gegensätze auszugleichen, die einem militärischen Verteidigungsbündnis der evangelischen Reichsstände im Wege stehen konnten. Man befürchtete ein gewaltsames Vorgehen des Kaisers zur Durchsetzung des Wormser Edikts vom 8. Mai 1521 und versuchte sich dagegen zu wappnen. Literaturhinweis Amy Nelson Burnett/ Emidio Campi (Hg.): Die schweizerische Reformation. Ein Handbuch, Zürich 2017. Rebecca A. Giselbrecht/Sabine Scheuter (Hg.): „Hör nicht auf zu singen“: Zeuginnen der Schweizer Reformation, Zürich 2016. Ulrich Gäbler: Huldrych Zwingli. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, München 1983. Berndt Hamm: Zwinglis Reformation der Freiheit, Neukirchen-Vluyn 1988. Gottfried Wilhelm Locher: Huldrych Zwingli, in: Martin Greschat (Hg.): Gestalten der Kirchengeschichte. Bd. 5: Die Reformationszeit I, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 2 1994, S. 187–216. Peter Opitz: Ulrich Zwingli. Prophet, Ketzer, Pionier des Protestantismus, Zürich 2015. Thomas Kaufmann: Luther und Zwingli, in: Luther-Handbuch, hg. v. Albrecht Beutel, Tübingen 3 2017, S. 184–192. Heiko A. Oberman: Zwei Reformationen: Luther und Calvin – alte und neue Welt. Aus dem Engl. von Christian Wiese, Berlin 2003. Judith Engeler/Peter Opitz: Zürich – Huldrych Zwingli und Heinrich Bullinger, in: Michael Welker u. a. (Hg.): Europa reformata. Reformationsstädte Europas und ihre Reformatoren, Leipzig 2016, S. 487–496.
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Patrik Müller: Heinrich Bullinger. Reformator, Kirchenpolitiker, Historiker, Zürich 2004. Volker Reinhardt: Die Tyrannei der Tugend: Calvin und die Reformation in Genf, München 2009. Christian Link: Johannes Calvin: Humanist, Reformator, Lehrer der Kirche, Zürich 2009.
Nr. 129 Huldrych Zwingli: Brief an Oswald Myconius Am 1. Januar 1519 hatte Zwingli seinen Dienst als Leutpriester am Großmünster in Zürich angetreten. Seine schlichten, klaren und vor allem für jederman verständlichen Predigten zogen rasch zahlreiche Hörerinnen und Hörer an. Zugleich begann er sofort mit einer die Perikopenordnung verdrängenden fortlaufenden Auslegung der Evangelien. Das machte auch auf den Rat von Zürich Eindruck, der alle Prediger in Stadt und Land 1520 anwies, dieser Auslegungsweise zu folgen. Zeitgleich brach 1519 in Zürich die Pest aus. Aus diesem Anlass verfasste Zwingli ein mehrgliedriges Gedicht oder Lied, das auf die verschiedenen Stadien der Erkrankung eingeht. Er selbst wurde auch im September des Jahres angesteckt. Bekanntermaßen hat Zwingli überlebt, war aber für mehr als ein Jahr deutlich von der Infektion gezeichnet. Der nachfolgende Brief vom 24. Juli 1520 an Oswald Myconius (1488–1552) schildert den selbständigen Weg Zwinglis zur reformatorischen Überzeugung. Dieser ist 1520 noch nicht zur Gänze abgeschritten. So lässt sich eine gewisse Zurückhaltung gegenüber einer scharfen Papstpolemik erkennen. Friedrich Myconius weilte zu dieser Zeit in Luzern und war Lehrer am Stift im Großmünster von Zürich. Er gehört zu den treusten Freunden Zwinglis (s.w.o. Nr. 28). Huldrych Zwingli an seinen Myconius. Meinen Gruß zuvor! Liebster Myconius, es drückt Dich der Gedanke, wohin es mit unserer Zeit wohl kommen wird; ist doch jetzt ein allgemeines Drunter und Drüber und überall solch ein Durcheinander, daß niemand mehr die ursprüngliche Gestalt zu erkennen vermag. Ja, es herrscht allenthalben solche Verwirrung, daß sich nichts hervorwagen darf, ohne daß von der andern Seite das gerade Gegenteil dazu auftauchen würde. Und mag auch ein scharfsichtiger Geist neue Hoffnung fassen, so ist ihr eben doch eine Furcht beigemischt und schwebt ihm vor den Augen. Schon längst ist bei allen, die den Glanz der feinen Bildung lieben, die Hoffnung erwacht, daß jene gelehrten Zeiten wiederkehren werden, in denen noch, wie man vermuten darf, fast alle insgesamt gelehrt gewesen sind. Aber diese Hoffnung wird auf der andern Seite zunichte gemacht durch die hartnäckige Unwissenheit, um nicht zu sagen Unverschämtheit vieler, die eher alles leiden will, bevor sie einer Spur Gelehrsamkeit und Feinheit den Zutritt gestattet – natürlich! Die Flecken ihrer Unwissenheit könnten sonst zum Vorschein kommen. Der Helfer derselben ist die Gewalt, die mit der unbesieglichen Weisheit in steter Feindschaft lebt. Es ist auch die mächtige Hoffnung auf eine Renaissance Christi und des Evangeliums erwacht, da viele gute und gelehrte Männer mit Rudern und Segeln, wie man sagt, auf das Ziel loszusteuern begonnen haben, die Saat zur reifen Frucht zu bringen. Aber diese Hoffnung wird
Huldrych Zwingli: Brief an Oswald Myconius
geschwächt, wenn man das Unkraut sieht, das der Feind darunter säte, während die Leute schliefen und schlecht auf der Hut waren. Und da es schon tiefer hinab Wurzeln getrieben hat, ist zu befürchten, es habe sich mit den Wurzeln des Weizens schon zu innig verschlungen, als daß dieser ohne Gefahr wieder davon gesäubert werden könnte. Wie soll man sich also da behelfen? fragst Du. Höre, wozu Christus rät: „Lasset beides miteinander wachsen bis zur Ernte, und zur Zeit der Ernte usw.“ [Mt 13,30] So, mein umsichtiger Myconius, muß das Gold durch das Feuer, so das Silber von den Schlacken gereinigt werden. […] Das alles führe ich aus, um, wie man sagt, den anzutreiben, der ja zwar schon im Lauf ist und eilends das Ziel verfolgt, für Christus möglichst viele Soldaten zu werben, die dann einmal tapfer für ihn kämpfen sollen; ermanne sie je länger je mehr, daß sie, je grausamer die Verfolgung sie trifft, um so weniger schmählich Reißaus nehmen. Denn auch das will ich Dir offen sagen: ich glaube, wie die Kirche durch Blut zum Leben kam, so kann sie auch bloß durch Blut erneuert werden, nicht anders. […] Für Luthers Leben habe ich keine Angst, für seine Seele gar keine, auch wenn er vom Bannstrahl jenes Jupiters getroffen werden sollte; nicht weil ich den Kirchenbann verachte, sondern weil ich glaube. daß der Schlag solcher Verdammungen mehr den Leib als die Seele trifft, wenn er wenigstens ungerechterweise erfolgt. Ob man aber mit Luther gerecht oder ungerecht vorgeht, steht nicht bei uns zu entscheiden. Du weißt aber schon, welcher Ansicht ich bin. Ich will in diesen Tagen zu dem päpstlichen Kommissar Guilelmus409 gehen und, sobald er wieder wie neulich das Gespräch darauf bringt, will ich ihm raten, er möge den Papst ermahnen, den Bann nicht zu erlassen, denn dies läge wohl sehr in seinem Interesse. Wird er nämlich erlassen, so sehe ich jetzt schon, wie die Deutschen nicht nur den Bann, sondern zugleich auch den Papst verachten werden. Du aber sei guten Mutes, nie wird es unserer Zeit an Männern fehlen, die Christus echt lehren und die ihr Leben gern für ihn in die Schanze schlagen wollen. […] Was mich betrifft, so bin ich schon lange völlig gefaßt auf alles Böse von allen Geistlichen und Laien. Ich flehe nur um das eine, daß Christus mir verleihe, alles mit einem mannhaften Herzen zu tragen, und daß er mich, sein Geschirr, zerbreche oder festmache, wie es ihm gefällt. […] Von Luther habe ich jetzt fast nichts mehr gelesen, aber was ich bisher von ihm gesehen habe, das befindet sich meines Erachtens in Übereinstimmung mit der evangelischen Lehre. Vielleicht erinnerst Du Dich noch, aus was für einem Grunde vor allem ich ihn empfohlen habe, weil er nämlich seine Behauptungen mit lauter gründlichen Zeugen erhärtet usw. […] Quellennachweis CR 94 (XCIV) Bd. VII, S. 341–345 (lateinisch). Wir folgen der Übersetzung in: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 203–205.
409 Päpstlicher Kommissar Wilhelm von Falconibus, der im Januar 1520 an den Zürcher Prediger geschrieben hatte; vgl. Brief Nr. 115 vom 12. Jänner 1520 in: Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, vol. 7, Leipzig 1911 (= Corpus Reformatorum 94), S. 256–257.
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Literaturhinweis Thomas Konrad Kuhn: Myconius, Oswald in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 662 f. Egloff, Gregor: „Myconius, Oswald“, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.12.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/014127/2014-12-09/, letzter Zugriff 01.01.2021.
Nr. 130 Ulrich Zasius: Brief an Zwingli vom 16. Februar 1520 Ulrich Zasius wurde 1461 in Konstanz geboren und verstarb am 24. November 1535 in Freiburg im Breisgau. Er zählt zu den bedeutenden deutschen Rechtsgelehrten. Durch Briefe wurde er zum Knotenpunkt eines weitverzweigten humanistischen Gelehrtennetzwerkes. Nach dem Studium an der Universität Tübingen wurde er Gerichtsschreiber und Notar bei dem Bischof von Konstanz. Von dort wechselte er 1489 als Stadtschreiber nach Baden und 1494 nach Freiburg im Breisgau. Dort übernahm er 1496 die Leitung der Lateinschule. 1499 kehrte er an die Universität zurück und studierte Rechtswissenschaften. Nach seiner Promotion diente er seit 1502 als Gerichtsschreiber und Rechtskonsulent in Freiburg. 1505 wurde er zum kaiserlichen Rat ernannt. Aus dieser Zeit stammt die enge Verbindung mit Erasmus von Rotterdam. Die in diesem Zusammenhang übernommene Reform des Stadtrechts führte er gewissenhaft aus und machte sie ab 1520 zum Vorbild weiterer Stadtrechtsreformen im Alten Reich. Seit 1505 lehrte er als Professor der Rechte. Ich bewundere Luther von ganzem Herzen und sehe zu ihm auf, von dem ich gelernt habe, alle guten Gaben, die ich empfangen habe, Gott als einzigem Verursacher zuzuschreiben. Es schmeichelte mir bisher, wenn irgendein ausgereiftes Werk von mir ausging, wenn ein wenig mehr Frömmigkeit vor handen war, wenn ich durch irgendein gutes Werk, eine Wohltat oder einen Rat einen anderen für mich gewann. Eine Hoffnung hatte angefangen, durch die ich glaubte, daß ich gleichsam aufgrund eines Rechtsanspruches einen Ehrenplatz im Himmel verdient hätte. Es ekelte mich, wenn ich annehmen mußte, andere seien zu lässig, nach Höherem zu streben. Der Trug dieser schwachen Hoffnung, die ich anfing zu haben, log mir Sicherheit vor und gab mir anstelle eines lebenskräftigen und echten Kindes eine Mißgeburt. Nachdem ich durch Luthers sehr beglückende Lehren aus diesem Irrtum herausgerissen worden bin, halte ich mich für nichts anderes als ein Werkzeug, durch das Gott gute Werke in mir wirkt, wovon außer der Arbeit nichts mein ist. Ich glücklicher Zasius, der ich dies am Ende meines Lebens lernen durfte! Wer kann sagen, wieviel Frucht aus dieser Lehre hervorgeht? Zunächst lerne ich, nicht mehr hoch hinaus zu wollen, sondern immer zu fürchten, daß vielleicht unser Heiland, der den Hoffärtigen widersteht, beim Hervorbringen guter Werke unterläßt, mich als Werkzeug zu verwenden. Darauf lerne ich auch Demut, weil ich weiß, wie nichts mein ist, was irgendwie ausgezeichnet ist, weil alles Ausgezeichnete geschenkt ist usw. Mein sind nur die Freveltaten, Ungerechtigkeiten und die verletzenden Worte, so daß die Wohnung meines Verstandes voller Geschwüre wäre wie der selige Hiob, wenn Gott nicht zur Hilfe käme. Wer dieses glaubt, der überlegt sich, wieso er sich nicht ganz und gar verachtet, sich von sich selbst zu trennen begehrt, zum alleinigen Gott (der alles Gute zuteilt) flieht und
Huldrych Zwingli: Auslegung und Begründung der 67 Artikel vom 29. Januar 1523
immer im Munde, auf den Lippen und im Herzen dieses umherträgt: „Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib die Ehre!“ Ferner und drittens, wie sollte ich Gott nicht danken, der mich allein um seiner Güte willen liebt, wodurch er mich als Werkzeug zum Hervorbringen guter Werke verwendet? Ebenso viertens, wie sollte ich nicht mit dem Nächsten mitleiden, wenn ich ihn vielleicht in Üppigkeit, Hochmut, Stolz und Treulosigkeit irren sehe? Ich empfinde Schmerz über den entarteten Willen, der es nicht verdient, ein Werkzeug für ein gutes Werk zu sein. Hier entsteht der Eifer, für den Nächsten zu beten, und die Neigung, seine Mühsale mit zu erleiden, hier erwacht in uns die Vorsicht, dann wir nicht das Werkzeug des allerherrlichsten Hervorbringe verderben, indem wir es durch unseren ganz schlechten Wille mißbrauchen. Dies sind die Früchte (wobei ich inzwischen viele andere verschweige, die selbst eine Briefsammlung nicht einmal in der Form einer abgekürzten Aufzählung faßt), dies sind die Erträge der lutherischen Lehre. Quellennachweis CR. 94 (XCIV) Bd. VII, S. 265,7–266,20 (lateinisch). Wir folgen der Übersetzung in: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 260 f. Literaturhinweis Karl Heinz Burmeister: Ulrich Zasius (1461–1535). Humanist und Jurist, in: Paul Gerhard Schmidt (Hg.): Humanismus im deutschen Südwesten. Biographische Profile, Sigmaringen 2000, S. 105–123.
Nr. 131 Huldrych Zwingli: Auslegung und Begründung der 67 Artikel vom 29. Januar 1523 Zur Vorbereitung auf die erste Zürcher Disputation fasste Zwingli in 67 Thesen die Hauptargumente aus seinen vorangegangenen Predigten zusammen und legte damit Rechenschaft über seinen Glauben ab. Hingegen enthalten die Thesen kein ausgearbeitetes Programm der zukünftigen Reformation. Zur Disputation versammelten sich etwa 600 Hörer. Auch der Bischof von Konstanz hatte seinen Generalvikar Johannes Fabri und weitere Zeugen geschickt – allerdings mit der Maßgabe, sich jeglicher Diskussion zu enthalten. Ich habe jetzt nahezu fünf Jahre durch Gottes Beistand und Hilfe sein Evangelium in der vortrefflichen, christlichen Stadt Zürich gepredigt und wurde deshalb oft wüst beschimpft, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, hätte sich die Beschimpfung nicht gegen Gottes Wort und Ehre gerichtet. Nachdem dies aber eingetreten war, konnten es die aufrechten Zürcher nicht länger dulden und forderten mich auf, am 29. Januar 1523 über meine Lehre Rechenschaft abzulegen und sie zu verteidigen, vor allen Gelehrten der Stadt Zürich und ihres Herrschaftsbereichs, zudem vor den Gelehrten des Bischofs von Konstanz und jenen aus der vereinten Eidgenossenschaft oder woher sie sonst kommen mochten, und im Beisein des
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ganzen Großen Rates;410 dem Auftrag der aufrechten Zürcher war ich unverzagt und gerne bereit auszuführen. In wenigen Tagen – denn die Frist war kurz bemessen – stellte ich eine Anzahl von Thesen zusammen und war zuversichtlich, sie am verabredeten Tag mit Gottes Hilfe und Wort gründlich erhärten zu können. […] In diesen Thesen sind etwa alle wichtigsten Streitfragen, die man in unserer Zeit stellt, enthalten: Was ist das Evangelium? Sind ihm andere Lehren und Schriften gleichzustellen? Ist Christus, der Sohn Gottes, mächtig und würdig genug, für unsere Sünden zu bezahlen? Können wir überhaupt etwas Gutes tun? Haben die von Menschen erfundenen unnützen Riten411 Anspruch auf göttliche Belohnung? Hat der Papst seinen Auftrag und seine Machtbefugnis von Gott oder von den Menschen? Ist er aufgrund der kirchlichen Rechtsbestimmungen auch schon höchster Priester? Ist die Messe ein Opfer oder nicht? Brauchen wir einen anderen Mittler vor Gott als den Herren Jesus Christus? Wie und warum soll man beten? Ist es möglich, dass der Mensch durch seine eigene Gerechtigkeit zu Gott kommt? Können die sogenannten Geistlichen ihren Machtanspruch und Reichtum zu Recht unter dem Ehrentitel und namen Christi behaupten? Sündigen wir, wenn wir die unnützen Riten nicht abhalten, die von Menschen erfunden worden sind? Ist Gott an einem bestimmten Ort gnädiger als an einem anderen? Ist Gott zu einer bestimmten Zeit gnädiger als zu einer anderen? Wie gut gefällt Gott Heuchelei? Sind Mönchskutten, Kreuze, religiöse Zeichen und Tonsuren zweckmässig oder Gott wohlgefällig? Ist es mit Gottes Wort zu vereinbaren, dass man in der Christenheit so viele Orden, Vereinigungen und Sekten erfunden hat? Ist den Geistlichen die Ehe verboten? Gefallen Gott das Versprechen der Ehelosigkeit und ähnliche Gelübde? Wenden die hohen Bischöfe den Kirchenbann in der vorgeschriebenen Weise an? Und wenn sie ihn mißbräuchlich anwenden, ist man dann verpflichtet, die damit verbundenen Vorschriften einzuhalten? Zu welchem Zweck verwendet man das unrechtmässig erworbene Gut? Richtet sich die Lehre Christi gegen die Obrigkeit? Gründet sich die geistliche Obrigkeit auf Gottes Anordnung? Wem steht es zu, die Gerechtigkeit mit Rechtsmitteln zu verteidigen? Sind alle Menschen – seien es sogenannte Geistliche oder andere – der weltlichen Obrigkeit Gehorsam schuldig? Was soll diese verordnen? Was ist man ihr wiederum schuldig? Wofür sind Gebet und Kirchengesang gut, wenn man sie für Geld erwirbt? Wie soll man öffentliches Ärgernis beseitigen oder verhüten? Ist es etwa nicht ein abscheuliches Laster, dass die Priester offenkundig Huren haben statt Ehefrauen? Kann irgendein anderer als Gott allein die Sünde erlassen? Durch wen und um wessentwillen erlässt er sie? Hat Gott die Tuschelbeichte412 und das Auferlegen von Bußleistungen verordnet? Darf man unter Berufung auf Gott dem reumütigen Menschen die Vergebung gewisser Sünden vorenthalten? Darf man für das Erlassen von Sünden Geld verlangen? Gibt es ein Fegefeuer? Wenn nicht, ist es schädlich, wenn man der Toten in der Fürbitte gedenkt? Ist die Priesterweihe etwas wert? Wer sind die wahren Priester? Ja, alle diese Themen und noch viel mehr könnt Ihr in dieser Schrift finden. Ich habe sie zum Nutzen der ganzen Christenheit – sofern diese sie beherzigt – zusammengestellt und
410 Stadtparlament der freien, ehrbaren Bürger von Zürich. Im Gegensatz zum Kleinen Rat, welcher die eigentliche Regierungsgewalt ausübte, war der Große Rat vor allem ein beratendes Gremium, um der Bürgerschaft ein politisches Gewicht zu geben. Vgl. Kleine Zürcher Verfassungsgeschichte 1218–2000, hg. v. Staatsarchiv des Kantons Zürich im Auftrag der Direktion der Justiz und des Innern auf den Tag der Konstituierung des Zürcher Verfassungsrates am 13. September 2000, Zürich 2000. 411 Zünselwerk – Räucherwerk (Weihrauch), synonym mit zahlreichen liturgischen Handhabungen, welche von Zwingli als überflüssig angesehen werden. 412 Lüselbycht – karrikierender Ausdruck für die Ohrenbeichte.
Beschluss der Zürcher Disputation
mit der Widmung an Eure Weisheit veröffentlicht, in der Hoffnung, Eure Weisheit werde die offenkundigen Mißbräuche, welche von den Irrlehrern eingeführt worden sind, nach reiflicher und ungestörter Beratung allmählich wieder abschaffen; überdies haben wir ja in einer kurzen Lehrschrift die Beseitigung der Mißbräuche bereits dargelegt.413 Quellennachweis Huldreich Zwingli. Sämtliche Werke, hg. v. Emil Egli und Georg Finsler. Bd. I, München 1981, S. 458–465 und Bd. II (CR LXXXIX), Leipzig 1908, S. 1–457. Auslegung und Begründung der Thesen oder Artikel, die Huldych Zwingli am 29. Januar 1523 bekanntgegeben hat, in: Huldrych Zwingli. Schriften II, hg. v. Thomas Brunnschweiler und Samuel Lutz, S. 13–16 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Bernd Moeller: Zwinglis Disputationen. Studien zur Kirchengründung in den Städten der frühen Reformation, Göttingen 2 2011.
Nr. 132 Beschluss der Zürcher Disputation Im Ergebnis führte die erste Zürcher Disputation zu einer vollständigen Entlastung Zwinglis und der faktischen Unterstützung der von ihm geforderten Maßnahmen zur Durchsetzung der Reformation von Seiten des Rates in Zürich.
Obwohl Meister Ulrich Zwingli, Chorherr und Prädikant am Großmünster, vorher viel verleumdet und angeschuldigt worden ist, hat sich auf sein Erbieten und seine veröffentlichten Artikel niemand wider ihn erhoben oder gewagt, ihn mit der gerechten göttlichen Schrift zu überwinden, obgleich er die, die ihn als Ketzer beschuldigt haben, mehrmals aufgefordert hat hervorzutreten, hat ihm niemand irgendeine Ketzerei bewiesen usw., darum haben darauf der obengenannte Bürgermeister, der Rat und der Große Rat der Stadt Zürich, um die große Unruhe und Zwietracht abzustellen, nach gehabtem Rat erkannt, beschlossen und ist ihre ernstliche Meinung, daß Meister Ulrich Zwingli fortfahren und hinfort wie bisher das heilige Evangelium und die rechte göttliche Schrift so lang und so viel verkündigen soll, bis er eines Besseren belehrt wird. Es sollen auch alle ihre anderen Leutpriester, Seelsorger und Prädikanten in ihrer Stadt, Landschaften und Herrschaften nichts anderes vornehmen noch predigen, als was sie mit dem heiligen Evangelium und sonst rechter göttlicher Schrift bestätigen können, desgleichen hinfort keineswegs schmähen, verketzern oder andere Schmähworte nach-reden. Denn wer hierin ungehorsam erscheint und dem nicht genugtut, gegen den wird man sich dermaßen verhalten, daß er sehen und befinden muß, daß er Unrecht getan hat.
413 Gemeint ist die Schrift Die freie Wahl der Speisen von 1522 mit ihrer Kritik an den Fastenregeln. Vgl. Huldreich Zwingli. Sämtliche Werke, hg. v. Emil Egli und Georg Finsler. Bd. I, Berlin 1905 (CR 88), S. 74–136; siehe auch: Huldrych Zwingli. Schriften I, hg. von Thomas Brunnschweiler und Samuel Lutz, Zürich 1995, S. 13–73.
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Quellennachweis Huldreich Zwingli. Sämtliche Werke, hg. v. Emil Egli und Georg Finsler. Bd. I, München 1981, S. 470,14–471,11 (CR 88). Der Text folgt der Übersetzung in: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 264.
Nr. 133 Bericht über das Abhängen der Bilder Zwingli konnte sich mit seiner Argumentation gegen die Bilderverehrung schließlich durchsetzen. Er folgte dabei in Grundzügen der bereits von Andreas Karlstadt in Wittenberg vorgetragenen Richtung, wonach Kultbilder als Verstofflichungen der Götzen, die der Mensch im Herzen trage und die ihn vom wahren Gottesdienst abhielten, zu gelten haben. Der christliche Gottesdienst solle vielmehr den Armen selbst gelten, da sich in ihnen Gott zeige.
Anno 1524 auf einen Montag am 20. Juni waren von der Constafel zwei Mann und sonst von jeder Zunft414 ein Mann ohne Steinmetzen, Zimmerleute und sonstige Handlanger und fingen an, aus dem Triumphbogen das große Kreuz und von den Altären alle Bilder abzutun und das Gemälde, das mit Ölfarben gemacht war, mit Steinäxten abzuhacken und wieder zu übertünchen, damit es nicht so bliebe. Wie und an welchem Tag alle Kirchen in der Stadt und vor der Stadt geräumt wurden, würde zu lange werden, alles zu erzählen. Doch es geschah dies alles in dreizehn Tagen. Dazwischen am Donnerstag des letzten Junitages wurde nach dem Imbiß fast in einer Stunde hier im Großmünster das gesamte Gestühl herausgebrochen und hinweggetragen von jedermann, was er wollte, unangesehen, wer es hineingebaut hatte. Und das schätze ich für ein großes Wunder und eine Gnade Gottes, daß diese Dinge alle mit gutem Frieden geschahen, so daß keinem Menschen irgendetwas geschah, auch kein Aufruhr daraus wurde. Und es war doch den zwölf Orten und manchem in der Stadt Zürich ein großes Kreuz, aber man tat es nichtsdestoweniger. Gleichfalls in diesen Tagen an einem Freitag, es war der Johannestag [24. Juni] 1524, als des Bürgermeisters Walder Vollmacht angefangen hatte, nahmen die von Stammheim ihre beiden kostbaren Gemälde, von denen eins im Dorf und eins in der St. Annakapelle war. Dies war nicht vergoldet, sondern so zart von Sankt Anna Geschlecht, daß man sie nicht malen wollte; aber das Gemälde im Dorf war vergoldet und gemalt. Die beiden kosteten wohl 300 Gulden. Diese beiden verbrannten sie an diesem Freitag mit dem Rosenkranz und was sonst daran hing. Und sie wollten sie nicht verkaufen, Gott zu Lob und Ehre, um diese Abgötterei zu unterdrücken. Und es mußte auch ihr Leutpriester hinweg. […] Meine Herren von Zürich aber hatten alle Gemälde und Bilder, die sie in jeder Kirche und jedem Kloster ausräumten, in einer besonderen Kammer, in einem alten Gemach, behalten aus dem Grunde, daß man, wenn jemand, wer er auch wäre, aus der wahren Heiligen Schrift als dem Worte Gottes uns eines Besseren belehren könnte, sie wieder aufstellen wollte. 414 Zu den Zunftgemeinschaften in Zürich siehe Markus Brühlmeier/Beat Frei: Das Zürcher Zunftwesen, Zürich 2005 sowie Martin Illi: Geschichte der Constaffel, von Bürgermeister Rudolf Brun bis ins 20. Jahrhundert, Zürich 2003.
Huldrych Zwingli: Auslegungen und Gründe der Schlussreden
Quellennachweis Die Chronik des Bernhard Wyss 1519–1530, hg. v. Georg Finsler, Basel 1901, S. 42,3–44,2; 44,8–12. Der Text folgt der Version in: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 269 f. Literaturhinweis Peter Blickle u. a. (Hg.): Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, München 2002. Norbert Schnitzler: Ikonoklasmus – Bildersturm. Theologischer Bilderstreit und ikonoklastisches Handeln während des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1996. Lee Palmer Wandel: Voracious Idols and Violent Hands. Iconoclasm in Reformation Zurich, Strasbourg and Basel, Cambridge 1995.
Nr. 134 Huldrych Zwingli: Auslegungen und Gründe der Schlussreden Infolge der öffentlichen Disputationen über seine Lehre konnte Zwingli zwar auf die Unterstützung der städtischen Obrigkeit zählen, wollte aber doch seinen Anhängern wie Gegnern den tieferen Grund seiner theologischen Forderungen in einer Weise erläutern, dass sie allgemeinverständlich sind. Dazu verfasste er in kurzer Zeit seine Auslegungen und Gründe der Schlussreden, deren Druck bereits auf den 14. Juli 1523 datiert ist. Dabei holte er zu etlichen Themen weiter aus und ergänzte jene Passagen, die bei der ersten Disputation seiner Meinung nach zu kurz gekommen waren. Er legte darin allerdings großen Wert auf die Tatsache, dass er selbständig und ohne Bezug auf Luther zu seiner schriftgemäßen Bibelauslegung gefunden hat.
Die Großen und Mächtigen dieser Welt haben angefangen, die Lehre Christi, die unter dem Namen Luthers verbreitet wird, zu verfolgen und verhaßt zu machen. Deshalb nennen sie die ganze Lehre Christi, von wem immer sie auf der Erde gepredigt wird, einfach „lutherisch“. Und wenn einer nichts oder von Luther gelesen hat und sich nur an das Wort Gottes hält, wagen sie es doch, ihn abschätzig „lutherisch“ zu nennen. So geschieht es auch mir. Lange Zeit bevor ein Mensch in unserer Gegend Luther auch nur dem Namen nach kannte, begann ich im Jahre 1516 das Evangelium Christi zu predigen. Ich stieg auf keine Kanzel, ohne daß ich die Worte, die jeweils am gleichen Morgen in der Messe als Evangelium gelesen worden waren, vorzunehmen und sie allein aus der biblischen Schrift auszulegen. […] Als ich nun im Jahre 1519 in Zürich zu predigen begann, machte ich den ehrenwertem Stiftsherren, dem Propst und dem Domkapitel, klar, dass ich vorhätte, mit der Hilfe Gottes das von Matthäus geschriebene Evangelium ohne alle wertlose menschliche Tradition, und mich darin weder irre machen noch anfechten zu lassen. Zu Anfang desselben Jahres (denn ich kam am Tag des Evangelisten Sankt Johannes415 nach Zürich) wußte noch niemand bei uns etwas von Luther,
415 27. Dezember 1518.
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ausser, dass dieser eine Schrift über den Ablaß verfasst hatte,416 die mir wenig Neues brachte. Denn davon, dass der Ablaß Lug und Trug sei, wußte ich bereits aus einer Disputation, die Doktor Thomas Wyttenbach von Biel,417 mein Mentor und geschätzter, treuer Lehrer, vor einiger Zeiten in Basel418 – allerdings in meiner Abwesenheit – gehalten hatte. Daher half mir Luthers Schrift beim Predigen über Matthäus sehr wenig. Zu diesen Predigten kamen aber von Anfang an so ausnahmslos alle, die das Wort Gottes zu hören begehrten, dass ich mich selbst darüber wunderte. Jetzt will ich den Feinden der Lehre Christi folgendes sagen: Wer schalt mich da lutherisch? Als nun Luthers Büchlein vom Vaterunser erschien419 und ich kurz zuvor dasselbe in Matthäus ausgelegt hatte, kamen – wie ich mich genau erinnere – viele Gläubige zu mir, die mich geradezu verdächtigten, das Büchlein unter dem Namen Luthers selber geschrieben und herausgegeben zu haben. Wer konnte mich da lutherisch schelten? Wie kommt es, dass die römischen Kardinäle, die damals als päpstliche Gesandte in unserer Stadt wohnten und anfingen, mich zu hassen und mit Geld zu umgarnen – wie kommt es also, dass sie mich nicht lutherisch schalt bevor sie Luther zum Ketzer erklärt hatten? Und obwohl sie ihm keine Häresie nachweisen konnten, schrien sie, ich wäre lutherisch usw. […] Aber wie gesagt: Die Päpstler hangen mir und anderen die Bezeichnung „lutherisch“ aus reiner Hinterlist an und sagen: „Du mußt lutherisch sein, weil du so predigst wie Luther schreibt.“ Darauf antworte ich ihnen: „Ich predige doch gleich wie Paulus schreibt, warum nennst du mich nicht lieber gleich einen Paulischen? Ja, ich predige das Wort Christi, warum nennst du mich nicht gleich einen Christen?“ Deshalb ist das Verhalten der Päpstler nichts als ein übler Trick. Luther ist, wie mir scheint, ein vorzüglicher Gottesstreiter, der die Schrift mit so großem Ernst durchforscht, wie es ihn seit tausend Jahren nicht mehr auf Erden gegeben hat. Quellennachweis Huldreich Zwingli. Sämtliche Werke, hg. v. Emil Egli und Georg Finsler. Bd. II (CR LXXXIX), Leipzig 1908, [CR.89], S. 144,26–145,4; 145,21–147,13. Die Übersetzung folgt: Auslegung und Begründung der Thesen oder Artikel, die Huldych Zwingli am 29. Januar 1523 bekanntgegeben hat, in: Huldrych Zwingli. Schriften II, hg. von Thomas Brunnschweiler und Samuel Lutz, Zürich 1995, S. 172–175 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
416 Gemeint ist wohl Luthers Sermon von Ablass und Gnade aus dem Februar/März 1518; vgl. WA 1, 243–246. 417 1472–1526, humanistisch gesonnener, später der Reformation zuneigender Pfarrer von Biel, der sich nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie immer weiter kritisch von der römischen Doktrin entfernte. Ab 1523 kritisierte er öffentlich die Transsubstantiationslehre. 1524 heiratete er und wurde vom Pfarramt dispensiert. 418 Möglicherweise handelt es sich um die Promotionsdisputation von Thomas Wyttenbach im Jahre 1515. 419 Vgl. WA 2,80–130. Vgl. dazu jetzt auch: Volker Leppin: Luthers Vaterunserauslegung von 1519. Die Transformation spätmittelalterlicher Frömmigkeit zu reformatorischer, in: ders.: Transformationen. Studien zu den Wandlungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und Reformation, Tübingen 2015, S. 429–441.
Andreas Osiander: Bericht über das Marburger Gespräch
Literaturhinweis Volker Leppin: „Worauff du nun dein hertz hangest“. Zu Zwinglis Einfluss auf Luthers Auslegung des ersten Gebots, in: Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 90, Göttingen 2019, S. 92–96. Urs B. Leu/Christian Scheidegger (Hg.): Buchdruck und Reformation in der Schweiz. Zürich 2017. M. Nielsen: „Kinder, Küche und Kirche“ – Pfarrfrauen der Reformationszeit in Südwestdeutschland und der Schweiz, in: M. Treu (Hg.), Katharina von Bora, die Lutherin. Aufsätze anlässlich ihres 500. Geburtstages, Wittenberg 1999, S. 128–158. Rebecca A. Giselbrecht/ Sabine Scheuter (Hg.): „Hör nicht auf zu singen“: Zeuginnen der Schweizer Reformation, Zürich 2016. Gerhard May: Das Marburger Religionsgespräch 1529 (= Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 13), Gütersloh 1970. Eberhard Grözinger: Luther und Zwingli, Gütersloh 1988. Walther Köhler: Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen, Reprint der Ausgabe, Heidelberg 1924 und Gütersloh 1953 in zwei Bänden, Gütersloh 2017. Martin Ebner (Hg.): Herrenmahl und Gruppenidentität, Freiburg/Basel/Wien 2007.
Nr. 135 Andreas Osiander: Bericht über das Marburger Gespräch Andreas Osiander wurde am 19. Dezember 1496 oder 1498 in Gunzenhausen im Fürstentum Ansbach geboren und verstarb am 17. Oktober 1552 in Königsberg. Er studierte in Ingolstadt und wurde 1522 Pfarrer der St.-Lorenz-Kirche in Nürnberg. Früh zeigte er sich von der Theologie Martin Luthers beeindruckt und setzte mit weiteren humanistisch gesonnenen Bürgern der Stadt die Reformation in Nürnberg durch. Er zeichnete sich auch für die 1533 eingeführte Kirchenordnung verantwortlich und wirkte an weiteren Ordnungen mit. Zeitlebens vertrat er eine reformatorische Lehre, die eng mit der Luthers verbunden war. Dennoch kam es nach seiner Berufung nach Königsberg 1549 zu einem langanhaltenden Streit, in dem es um das Verständnis der Rechtfertigung und die Position Melanchthons dazu ging. Das führte zu einer Entfremdung von der Wittenberger Theologie. Osiander war in den alten Sprachen unterwiesen und suchte den glaubwürdigen, weil gleichberechtigten Dialog mit den Juden. Dann Doktor Martinus Luther, Philippus Melanchthon, Justus Jonas, Fridericus Myconius und Caspar Creutziger von Wittenberg waren am Donnerstag [30. September] vor Mittags angekommen. Martinus Luther hat den Freitag mit abgesondertem Gespräch zwischen sich, Zwingli und Oekolampad allein zugebracht, aber, wie er sagt, nichts Fruchtbares ausgerichtet. Deshalb wurde am Samstag früh um sechs Uhr ein öffentliches, freundliches, undisputierliches Gespräch (so wurde es genannt) vorgenommen. Der Fürst war in eigener Person von Anfang bis zum Ende dabei, ebenso das Hofgesinde und die hessischen Prediger, die deshalb gekommen
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waren. Und dann wurden wir [Stephan Agricola von Augsburg,420 Johannes Brenz421 von Schwäbisch Hall und Andreas Osiander von Nürnberg] insonderheit vom Fürsten dazugerufen. Sonst ließ man niemand hinein, vielleicht wegen des Sterbens, denn die Englische Sucht,422 wie wir erst beim Abziehen erfahren haben, regierte zur selben Zeit sehr. Wie wir von anderen fleißig erfragt haben, ist am Samstag früh vor unserer Ankunft folgendermaßen verhandelt worden: Zum ersten ist durch den Kanzler des Fürsten423 vorgetragen worden, warum der Fürst sie berufen habe. Er hat daran erinnert, was an der Sache gelegen ist, und gebeten, sie wollten Gottes Ehre, den Nutzen der allgemeinen Christenheit und die brüderliche Einheit mehr suchen als etwas anderes. Danach hat Luther kurz vorgetragen, wie die andere Partei sich unterstanden haben, zu beweisen, daß die Worte Christi: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“424 ein anderes Verständnis annehmen und haben müßten, als wir glauben und lehren. Und als sie das zugegeben haben, hat er [Luther] weiter gesagt, das wolle er von ihnen erwarten [daß sie das beweisen], es sei bisher noch nicht geschehen. Er hoffe, es werde auch in Zukunft nicht geschehen, doch er wolle ihre Beweisführung hören, und womit er nicht zufrieden sein würde, freundlich und kurz anzeigen […]. Darauf haben sich Zwingli und Oekolampad erboten, ihre Grundsätze mit heiliger, göttlicher Schrift und mit der Väter klaren Sprache zu beweisen. Dagegen hat Luther gebeten, sie möchten das ordentlich und freundlich tun und nicht untereinandermischen, sondern von den Vätern schweigen, bis man zuvor aus heiliger, göttlicher Schrift verhandelt habe. Das haben sie bewilligt und gehalten. Also hat Zwingli angefangen und den Spruch Johannes Kapitel 6 „das Fleisch ist nichts nütze“425 angezogen in der Meinung, damit zu beweisen, weil das Fleisch nichts nütze wäre, so hätte es Christus auch nicht zu essen gegeben. Und als er seiner Beweisführung zugute das ganze Kapitel hat erzählen wollen, wie er es in seinen Büchlein vielfältig getan hat, hat Luther wohl gemerkt, daß es ein langes, unnötiges, undienstliches und verdrießliches Geschwätz werden würde, und Zwingli unterbrochen. Es nähme ihn wunder, daß er den Spruch
420 Stephan Agricola (Geburtsname Stephan Kastenbauer) wurde um 1491 in Abensberg geboren und verstarb am 10./11. April 1547 in Eisleben. Als Mitglied des Augustinereremitenordens studierte er in Wien, Venedig und Bologna. Dort promovierte er 1519 zum Doktor der Theologie. Agricola genoss als Prediger ein hohes Ansehen. Dabei vertrat er durchaus die lutherische Lehre. Nach Gefangennahme und einem langwierigen Prozess wurde er 1524 aus der Haft entlassen und ging nach Augsburg, wo er wieder predigen durfte. Seine 1523 verfasste Programmschrift über Ziel und Verfahren der Reformation war moderat im Ton und in den Forderungen. Im Abendmahlstreit positionierte er sich an der Seite Luthers. 421 Johannes Brenz wurde 1499 in Weil der Stadt geboren und starb 1570 in Stuttgart. Er studierte in Heidelberg und war u. a. 1518 an der dortigen Heidelberger Disputation (siehe Kap. 2.3) anwesend und wurde daraufhin Reformator in Schwäbisch Hall. Vgl. Thomas Kaufmann: Reformatoren, Göttingen 1998, S. 90 f. 422 Möglicherweise ist damit der Englische Schweiß gemeint, eine sehr ansteckende Infektions-Erkrankung mit hohen Sterbeziffern. Sie trat im 15. und 16. Jahrhundert besonders in England auf. Eine Welle von Infektionen erreichte Deutschland um 1528/29. Bis heute sind Ätiologie und Infektionserreger unbekannt. 423 Johann Feige (1482–1543) war ein hessischer Jurist und Politiker. Er erwarb sich besondere Verdienste um die Homberger Synode und die Gründung der Universität Marburg. 424 Mt 26,26–28. 425 Joh 6,63.
Andreas Osiander: Bericht über das Marburger Gespräch
vortrage, obgleich er wisse, daß Christus daselbst nichts vom Abendmahl rede, sondern vom Glauben. Deshalb diene er nicht zu dem gegenwärtigen Streit. Darauf hat Zwingli geantwortet, es sei wahr, er wolle aber dennoch daraus beweisen, daß das Fleisch im Abendmahl nichts nütze sei, ihn nähme nicht wunder, dass Luther den Spruch nicht gern höre, denn er werde ihm (hat er mit großem Trotz und Hochmut gesagt), dem Luther, noch den Hals brechen. Darauf hat Luther den Zwingli freundlich ermahnt, wie sie selbst nicht eine zänkische Disputation, sondern nur ein freundliches Gespräch begehrt hätten, und dazu gebeten, er möchte die stolzen und trotzigen Worte sparen bis er heim zu seinen Schweizern käme, wo nicht, so wüßte er auch wohl ihm über die Schnauze zu fahren, dass es ihn gereuen würde, dass er dazu Ursache gegeben und solches selbst angefangen hätte – und mit anderen Worten mehr. Davon ist Zwingli still und gemäßigt worden. Als nun Zwingli den Spruch „das Fleisch ist nichts nütze“ nach seiner Art wie auch in allen seinen Büchern vorgetragen hatte, hat ihm Luther mit Fleiß ungefähr diese Meinung geantwortet: Zum ersten, er gestehe ihm gar nicht zu, dass Christus daselbst von seinem Fleisch rede, sondern von unserem sündlichen und fleischlichen Wesen, wie sonst der Brauch der Schrift ist und er in seinem Büchlein fleißig gelehrt und bewiesen habe. Zum zweiten, wenngleich Christus von seinem eigenen Fleisch geredet hätte, gestände er nicht, daß deshalb folgte und recht geschlossen wäre, das Fleisch ist nichts nütze, darum ist es nicht da. Er wollte sonst wider Zwingli auch schließen, das Brot ist nichts nütze, darum ist es nicht da, desgleichen von der Taufe, das Wasser ist nichts nütze, darum ist es nicht da, was Zwingli selbst begreifen müßte, daß es nicht recht geschlossen wäre, sondern das Wort, in dem Fleisch und Blut gefaßt, eingesetzt und zu genießen befohlen wäre, das mache alles nütze, was sonst unnütz wäre, wenn das Wort nicht dabei wäre, und unnütz bleibe, wenn man das Wort nicht wahrnimmt oder nicht glaubt usw. Also ist über diesen Spruch der halbe Tag zugebracht und nach jedermanns Urteil durch Luther erstritten worden – auch bei der anderen Partei –, daß der Spruch nichts zur Sache helfe und sie nichts damit beweisen können. Nach Mittag aber, als wir auch dabei waren, trug Zwingli den Spruch Hebräer Kapitel 5426 „der versucht ist allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde“ vor und zog dazu Römer Kapitel 8427 an: „Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches“ und das Philipper Kapitel 2428 : „Er hat die Gestalt eines Knechtes angenommen, ist gleich wie ein anderer Mensch geworden und an Gebärden als ein Mensch erfunden usw.“ Er wollte daraus schließen, Christus ist uns in allen Dingen gleich geworden, die Sünde allein ausgenommen, unser Leib sei nur an einer Stelle, darum muß auch der Leib Christi nur an einem Ort sein und kann nicht an vielen Orten im Abendmahl sein. […] Danach sagt Zwingli: „Ich habe bewiesen, daß Christus an einer Stelle gewesen ist. Beweiset ihr wiederum, daß er an gar keiner oder an vielen Stellen sei.“ Luther antwortet: „Ihr habt am Anfang euch erboten, ihr wollt beweisen, daß es nicht sein könne und unser Verständnis falsch sei. Das seid ihr schuldig zu tun und nicht, Beweisführung von uns zu fordern, denn wir sind euch keine schuldig.“ Zwingli sagt, es wäre eine Schande, daß wir einen so schweren Artikel hielten, lehrten und verfechteten und doch keine Schrift dazu zeigen könnten oder wollten. Da hob Luther die Samtdecke auf und zeigte ihm den Spruch „Das ist mein Leib“, den er mit der Kreide vor
426 Hebr 4,15. 427 Röm 8,3. 428 Phil 2,7.
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sich hingeschrieben hatte, und sprach: Hier steht unsere Schrift. Die habt ihr uns noch nicht abgerungen, wie ihr euch erboten habt. Wir brauchen keine andere.“ Zwingli fragt, ob er sonst weiter keine Schrift, Argument oder Zeugnis hätte als diese allein. Luther antwortet: „Ich habe wohl noch andere, wie ihr hören werdet, wenn ihr mir zuvor diese abgewinnt, denn was nötigt mich, dass ich ein gewisses Wort Gottes, das mir niemand abringen kann, selbst fahren ließe und mich nach einem anderen umsähe. Stürzt mir das um, danach werdet ihr ja wohl hören, was ich weiter für Argumente habe.“ Soviel haben Zwingli und Oekolampad aus der Heiligen Schrift Zeugnisse angeführt und nicht mehr, sondern sie fuhren zu und wollten viel nach der Vernunft forschen, wie ein Leib an vielen oder gar an keinem Ort sein könnte. Das wollte ihnen aber Luther nicht gestatten. Er sagte: „Vernunft, Philosophie und Mathematik gehören nicht hierher, denn wenn wir gleich beschlössen, dass ein Leib nur an einem Ort sein müßte, so wäre es doch nicht anders beschlossen, als daß er nach dem allgemeinen Lauf der Natur betrachtet nur an einem Ort sein müßte; dass aber Gottes allmächtiges Wort nichts anderes vermögen sollte als die allgemeine Natur, das würde sich nimmer finden, darum helfe es hier nichts usw.“. Und er erbot sich, wenn sie es dennoch nicht lassen wollten, wollte er außerhalb dieser Verhandlung mit ihnen davon disputieren, eine Stunde oder zwei, einen Tag oder zwei oder auch einen ganzen Monat usw. Sie fragten, wo Gott je einen Leib ohne einen besonderen Ort gesetzt oder erhalten habe. Darauf antwortete Luther: „Den allergrößten Leib, darin alle anderen Leiber enthalten sind, nämlich die ganze Welt, enthält Gott ohne eine Stelle, darum hat die Welt keine Stelle, darin sie ist.“ Darauf schwiegen sie alle still. Also wurde aus der Schrift von ihnen weiter nichts vorgebracht, worüber wir uns sehr verwunderten und zweifelten nicht, es geschehe darum, daß sie wüßten, wie die Antwort gestaltet sein würde, dass sie ihnen nämlich mehr Schande zufüge als ihr Stillschweigen. Denn wenn sie mit den Schriftstellen gekommen wären „Er sitzt zur Rechten des Vaters“429 und anderen mehr, mit denen sie doch den gemeinen Mann geblendet und verführt haben, würde man sie seltsam empfangen haben, denn wir würden gefragt und sie in ihren Antworten so gefangen haben, daß es ihnen nichts nütze gewesen sein würde. Dem kamen sie aber zuvor und bekannten selbst, die Rechte Gottes wäre nicht ein besonderer Ort oder Stelle, sondern es wäre die Allmächtigkeit Gottes, daraus ist wohl zu entnehmen, mit was für einem Gewissen sie handeln. Am Sonntag vor- und nachmittags trugen Zwingli und Oekolampad Sprüche der Väter vor, nämlich einen aus Fulgentio430 und einige aus Sankt Augustin, die bedeuten, daß ein Leib an einem besonderen Ort sein müßte und daß das Brot im Abendmahl ein Zeichen des Leibes und Blutes Christi wäre. Darüber hörten wir ihnen bald den ganzen Tag zu, bis sie es suchten, lasen und verdeutschten, was ganz langweilig zu hören war. Zuletzt antwortete Luther: „Daß Sankt Augustin das Brot ein Zeichen des Leibes Christi nennt, ist nichts Besonderes, denn wir können daraus nicht wissen, ob es seine Meinung sei, daß der Leib da sei oder nicht, denn wir selbst halten und nennen es auch ein Zeichen und halten doch nichtsdestoweniger, der Leib sei da. Dass er aber sagt, ein Leib muß nur an einem Ort sein, 429 Mk 16,19. 430 Fulgentius von Ruspe lebte zwischen 462 und 533 in Nordafrika. Er war Bischof von Ruspe und zählt zu den Kirchenvätern, deren Schriften von den Reformatoren hoch geschätzt wurden. Er setzte sich für die Prädestinations- und Gnadenlehre Augustins und eine respektvolle Offenmütigkeit innerkirchlicher Gegner gegenüber ein. Vgl. Hans-Joachim Diesner: Fulgentius von Ruspe als Theologe und Kirchenpolitiker, Stuttgart 1966; Alexios G. Savvides/Benjamin Hendrickx (Hg.): Encyclopaedic Prosopographical Lexicon of Byzantine History and Civilization. Bd. 3: Faber Felix–Juwayni, Al-, Turnhout 2012, S. 30–32.
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das schreibt er an den Stellen, an denen er des Abendmahls mit keinem Wort gedenkt. Wenn er aber vom Abendmahl redet, so nennt er es den Leib und das Blut Christi so gut wie wir.“ Wie Luther das mit einigen Sprüchen anzeigt und sagt: „Warum sollten wir nun die Sprüche Augustins fahrenlassen, die er an den Stellen schreibt, an denen er vom Abendmahl handelt, und sollten uns nach denen richten, die er schreibt, wo er überhaupt nichts vom Abendmahl behandelt. Außerdem, wenn es gleich gewiß wäre, daß es Augustin so gemeint hätte, wie ihr vorgebt, warum sollten wir gerade Augustin anhangen und nicht vielmehr Cyprian,431 Cyrill,432 Ambrosius,433 Hieronymus434 und anderen mehr, die diese Meinung aufs allerklarste geschrieben haben? Und wenngleich die Väter alle für eure Meinung wären, wie kämen wir dazu, daß wir um der Väter willen Gottes Wort sollten fahrenlassen und ihnen anhangen? […]“ Darauf sagt Oekolampad: „Wohlan, wir haben dennoch so viel angezeigt, dass wir nicht leichtfertig und ohne Ursache oder Bewegung zu dieser Meinung gekommen sind.“ Dazu sagt Luther: „Wir wissen es allzugut, daß ihr große Ursache gehabt habt. Es ist aber die Sache nichtsdestoweniger besser.“ Danach wurden sie gefragt, ob sie weiter etwas vorbringen wollten. Sie sagten nein, weil man das Vorhergehende nicht annehmen wollte, könnten sie wohl ermessen, daß man das Nachfolgende viel weniger annehmen würde. Darauf sagt Luther: „Nun habt ihr doch nichts bewiesen, das bezeugt euch euer eigenes Gewissen.“ Also wurde vom Kanzler dazwischengeredet, sie sollten Mittel und Wege suchen, wie man einig würde. Dieweil aber Luther im Anfang unter anderem gesagt hatte: „Sollen wir ains [= einig] werden, so müssen wir nicht allein vom Sakrament, sondern auch von anderen Stücken handeln. Denn sie der Widerteil [= Gegenpartei] lehrt schier kein Hauptstück christlicher Lehre recht lehren, sonderlich ist es mir von denen von Straßburg angezeigt worden usw.“ […] Als man nun sah, daß sie sich nicht helfen noch raten lassen wollten – im Hauptartikel vom Sakrament –, ließ uns der Fürst danken, daß wir Seiner Gnaden zu Gefallen gekommen wären, mit Ehrerbietung usw., diesmal sollten wir abgehen,und wenn uns Seine Gnaden wieder forderte, zusammen oder einzeln, sollten wir keine Beschwerde haben, Seine Gnaden wollten weiter Rat pflegen, wir dürften also noch nicht voneinander usw. Danach beschickte er einen nach dem anderen und fragte Rat, Mittel und ob man nicht etwas weichen könnte. Er fand bei uns allen, wenn der andere Teil bekennen wollte, daß der Leib Christi im Abendmahl wäre, nicht allein in der Menschen Gedächtnis: so wollten wir ihnen alle anderen Fragen erlassen und nicht darauf dringen, ob er leiblich oder geistlich, natürlich oder übernatürlich, in einem Ort oder ohne Ort da wäre und sie also als Brüder wieder annehmen und alles tun, was ihnen lieb wäre. Aber (das ist wunderlich zu hören) sie wollten nicht.
431 Thascius Caecilius Cyprianus (200/210–14. September 258) war Bischof von Karthago und eine bedeutende Autorität der Alten Kirche. 432 Der hervorragend ausgebildete Einsiedler Kyrill (380–27. Juni 444) wurde zum Patriarchen von Konstantinopel erwählt. Er zählt zu den engagierten Vertretern der Nizänischen Trinitätslehre. Seine Autorität gilt gleichermaßen in der orthodoxen griechischsprachigen Welt wie im lateinischen Westen. 433 Ambrosius von Mailand (339–4. April 397) wurde als hochrangiger römischer Präfekt der Provinz Mailand zum dortigen Bischof gewählt. Er begründete die christliche Schriftauslegung mit den Mitteln der spätantiken Wissenschaft und prägte die lateinische Theologie so nachhaltig, dass er zu den vier Kirchenvätern des Westens gezählt wurde. 434 Sophronius Eusebius Hieronymus (347–30. September 420) war ein spätantiker Gelehrter und asketischer Theologe der Alten Kirche. Bestens vertraut mit dem Griechischen und Lateinischen, bildete er durch seine Bibelübersetzung (Vulgata) die Grundlagen für die abendländische Theologie.
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Quellennachweis WA 30, S. 144,17–150,24. Literaturhinweis Claus Bachmann: Die Selbstherrlichkeit Gottes. Studien zur Theologie des Nürnberger Reformators Andreas Osiander, Neukirchen-Vluyn 1996. Wolfgang Osiander: Die Reformation in Franken: Andreas Osiander und die fränkischen Reformatoren, Gunzenhausen 2008. Gottfried Seebaß: Das reformatorische Werk des Andreas Osiander, Nürnberg 1967.
Nr. 136 Die Marburger Artikel Zum Beschluss der Marburger Unterredungen wurde ein Kommuniqué mit fünfzehn Artikeln am 3. Oktober 1529 verabschiedet. Während in vierzehn Punkten Einigkeit herrschte, konnte der fünfzehnte Artikel über das Abendmahlsverständnis nur bleibenden Dissens notieren. Dennoch wurden die Marburger Artikel von allen Teilnehmern unterzeichnet. Der Urkundentext wurde für den nachfolgenden Abdruck in neuhochdeutsche Sprache übersetzt und durch ergänzte Überschriften gegliedert.
[Von der heiligen Dreifaltigkeit:] Erstens glauben und meinen wir beiderseits übereinstimmend, dass es nur einen einzigen, richtigen, wesenhaften Gott gibt, den Schöpfer aller Kreaturen, und dass dieser Gott in seinem Wesen und Natur einer und in den Personen, nämlich Vater, Sohn und Heiliger Geist, dreifaltig sei usw. – alles, wie auf dem Konzil von Nizäa beschlossen wurde und im Nizänischen Glaubensbekenntnis gesungen und gelesen wird in der ganzen christlichen Kirche in aller Welt. [Vom Sohn Gottes, unserem Herrn Jesus Christus:] Zweitens glauben wir, dass weder der Vater noch der Heilige Geist, sondern der Sohn Gottvaters, auch er rechter wesenhafter Gott, Mensch geworden sei durch das Wirken des Heiligen Geistes, dass er ohne das Zutun männlichen Samens von der Jungfrau Maria geboren worden sei, in vollkommener leiblicher Gestalt, mit Leib und Seele wie jeder andere Mensch, aber ohne jede Sünde usw. [Vom Leiden Christi:] Drittens, dass dieser Gottes- und Mariensohn, die ungetrennte Person Jesus Christus, für uns gekreuzigt, gestorben und begraben, von den Toten auferstanden und in den Himmel aufgefahren sei, dass er zur Rechten Gottes sitze, als Herr über alle Kreaturen, um künftig die Lebenden und die Toten zu richten usw. [Von der Erbsünde:] Viertens glauben wir, dass uns von Adam her die Erbsünde angeboren und vererbt worden sei und dass sie eine Sünde von solcher Art sei, dass sie alle Menschen verdammt; und wenn Jesus Christus uns nicht zu Hilfe gekommen wäre mit seinem Tod und Leben, hätten wir den ewigen Tod deswegen sterben und nicht zum Reich Gottes und zur Seligkeit kommen können.
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[Vom Glauben:] Fünftens glauben wir, dass wir von dieser Sünde und von allen anderen Sünden mitsamt dem ewigen Tod erlöst werden, wenn wir an diesen Gottessohn Jesus Christus glauben, der für uns gestorben ist usw., und dass wir ohne diesen Glauben durch keine Werke, Stände oder Orden usw. von der ewigen Sünde frei werden können usw. [Vom Verdienst der Werke:] Sechstens, dass dieser Glaube ein Geschenk Gottes sei, den wir mit keinen vorangehenden Werken oder Verdiensten erwerben noch aus eigener Kraft machen können; sondern der Heilige Geist gibt und schafft ihn in unsere Herzen, wenn er will, wenn wir das Evangelium oder Wort Christi hören. [Von christlicher Gerechtigkeit:] Siebtens, dass dieser Glaube unsere Gerechtigkeit vor Gott sei, indem Gott uns um seinetwillen für gerecht, fromm und heilig erachtet und hält ohne alle Werke und Verdienste und uns dadurch aus Sünde, Tod und Hölle hilft, uns gnädig annimmt und selig macht um seines Sohnes willen, an den wir so glauben und dadurch die Gerechtigkeit, das Leben und alle Güter seines Sohnes genießen und ihrer teilhaftig werden. Deshalb sind jedes Klosterleben und alle Ordensgelübde, die vermeintlich zur Gerechtigkeit nützen, ganz verdammt. Von dem äußeren Wort: Achtens, dass der Heilige Geist, um vom Normalfall zu sprechen, niemandem diesen Glauben oder sein Geschenk gibt ohne vorherige Predigt oder mündliches Wort oder Evangelium von Christus; sondern er wirkt und schafft den Glauben, wo und in wem er will, durch und mit diesem mündlichen Wort (Römer 10,17). Von der Taufe: Neuntens, dass die Heilige Taufe ein Sakrament sei, das von Gott für diesen Glauben eingesetzt wurde. Und weil das Gebot Gottes – „Geht hin und tauft …“ [Mt 28,19] – und die Verheißung Gottes – „Wer da glaubt …“ [Mk 16,16] – darin liegen, ist es nicht allein ein bloßes Zeichen oder Merkmal unter den Christen, sondern ein Zeichen und Werk Gottes, in dem unser Glaube gefordert wird, durch den wir zum Leben wiedergeboren werden. Von den guten Werken: Zehntens, dass solcher Glaube durch das Wirken des Heiligen Geistes danach, wenn wir dadurch für gerecht und heilig erachtet und geworden sind, gute Werke durch uns ausübt, nämlich Nächstenliebe, Gebet zu Gott, Erleiden aller Art von Verfolgung usw. Von der Beichte: Elftens, dass die Beichte oder das Ratsuchen beim eigenen Pfarrer oder Nächsten ohne Zwang und freiwillig sein soll, aber den betrübten, angefochtenen oder mit Sünden beladenen oder in Irrtum gefallenen Gewissen doch sehr nützlich sei, vor allem wegen der Absolution oder der Tröstung des Evangeliums, welche die wahre Absolution ist. Von der Obrigkeit: Zwölftens, dass jede Obrigkeit und weltliche Gesetze, Gerichte oder Ordnungen, wo es sie gibt, ein rechtmäßiger guter Stand sind und nicht verboten, wie viele Papisten und Wiedertäufer lehren und meinen, so dass ein Christ, der da hinein berufen oder geboren wird, durch den Glauben an Christus ohne weiteres selig werden kann usw., ebenso wie im Stand von Vater und Mutter, von Mann und Frau usw. [Von menschlichen Ordnungen:] Dreizehntens, was man Tradition oder menschliche Ordnungen in geistlichen oder kirchlichen Angelegenheiten nennt, kann man, wenn sie sich nicht gegen offenkundiges Gotteswort richten, frei einhalten oder unterlassen, je nachdem, mit welchen Menschen wir zu tun haben, dass wir sie stets vor unnötigem Ärgernis bewahren und durch die Liebe den Schwachen und
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dem allgemeinen Frieden dienen usw. Wir glauben auch, dass die Lehre, die Pfaffen die Ehe verbietet, Teufelslehre sei. [Von der Kindertaufe:] Vierzehntens, dass die Kindertaufe rechtmäßig sei und die Kinder dadurch in Gottes Gnade und in die Christenheit aufgenommen werden. Vom Sakrament des Leibes und Blutes Christi: Fünfzehntens glauben und meinen wir alle von dem Abendmahl unseres lieben Herrn Jesus Christus, dass man gemäß der Einsetzung Christi beide Gestalten [= Brot und Wein] verwenden solle; ferner, dass die Messe nicht ein Werk ist, mit dem einer für den anderen im Tod oder Leben Gnade erlangt; ferner, dass das Sakrament des Altars ein Sakrament des wahren Leibes und Blutes Jesu Christi und der geistliche Genuss dieses Leibes und Blutes jedem Christen in besonderer Weise nötig ist; ebenso, dass der Gebrauch des Sakraments wie das Wort von Gott dem Allmächtigen gegeben und angeordnet sei, um damit die schwachen Gewissen durch den Heiligen Geist zum Glauben zu bewegen. Und obwohl wir uns andererseits dieses Mal nicht geeinigt haben, ob der wahre Leib und das wahre Blut Christi leiblich in Brot und Wein sei, so soll doch jede Partei der anderen, soweit es das Gewissen nur zulässt, christliche Liebe erweisen, und beide Parteien Gott den Allmächtigen fleißig bitten, dass er uns durch seinen Geist das richtige Verständnis bestätigen wolle. Amen. Quellennachweis Die Marburger Artikel als Zeugnis der Einheit, hg. v. Wolf-Friedrich Schäufele, Leipzig 2012, S. 27–29. Literaturhinweis Wolf-Friedrich Schäufele (Hg.): Die Marburger Artikel als Zeugnis der Einheit, Leipzig 2012. Ders.: Marburg – Philipp von Hessen und Adam Krafft, in: Michael Welker u. a. (Hg.): Europa reformata. Reformationsstädte Europas und ihre Reformatoren, Leipzig 2016, S. 251–260.
Nr. 137 Johannes Calvin: Über Luther Johannes Calvin (1509–1564) war zeitlebens von einer großen Achtung gegenüber dem Wittenberger Theologen Martin Luther geprägt. Wohl schon in den Zwanzigerund Dreißigerjahren erhielt er Kenntnis von Luthers Schriften, die teilweise in französischer Sprache übersetzt vorlagen. Am 25. November 1544 schrieb Calvin an den Vorstand der Zürcher Gemeinde, Heinrich Bullinger,435 und versuchte, mäßigend und ausgleichend auf die Parteien einzuwirken.
435 Heinrich Bullinger (1504–1575) war Reformator in Zürich. Vgl. Thomas Kaufmann: Reformatoren, Göttingen 1998, S. 94 f.
Johannes Calvin: Über Luther
[…] Ich höre, Luther sei kürzlich mit furchbarem Schelten nicht nur über Euch, sondern über uns alle hergefahren. Es ist ja schon an sich traurig, daß wir, gering an Zahl und rings von Gegnern umgeben, noch in unserer eigenen Mitte im Kampf zusammenstoßen; aber zu unpassenderer Zeit konnte es wirklich nicht dazu kommen als gerade jetzt. Ich kann mich daher nicht anders ausdrücken als: Gott hat dem Satan die Zügel gelockert. Luther hat darin freilich, außer seinem eigenen, maßlos leidenschaftlichen und kecken Charakter, den Amsdorf436 zum Ratgeber, einen geradezu verrückten Menschen ohne Nachdenken. Er läßt sich von ihm lenken, oder besser: auf Abwege führen. Es ist aber gut, wenn wir anerkennen, daß auch mit dieser Geißel der Herr uns schlägt; wir werden dann geduldiger tragen, was sonst entsetzlich herb wäre. Ich weiß nicht, ob Luther durch irgendeine Schrift von Euch gereizt worden ist; aber wenn ein Charakter wie der seine, der nicht nur reizbar, sondern verbittert ist, auch aus geringfügiger Ursache aufbraust, zu solchem Toben und Lärmen konnte er sicher keinen genügenden Grund haben. Nun wage ich kaum, Euch zu bitten, Ihr möchtet stillschweigen; denn es wäre nicht recht, Unschuldige so schimpflich behandeln zu lassen und ihnen Gelegenheit zur Rechtfertigung zu verweigern; auch wäre schwer zu sagen, es wäre gut zu schweigen. Aber das ist mein Wunsch, daß Ihr Euch darauf besinnt, welch großer Mann Luther doch ist, durch welche außerordentlichen Geistesgaben er sich auszeichnet. Wie tapfer und unerschütterlich, wie geschickt, wie gelehrt und wirksam hat er bisher gearbeitet an der Zerstörung der Herrschaft des Antichristen und an der Ausbreitung der Lehre zur Seligkeit. Ich habe schon oft gesagt: Wenn er mich einen Teufel schölte, ich würde ihm doch die Ehre antun, ihn für einen ganz hervorragenden Knecht Gottes zu halten, der freilich auch an großen Fehlern leidet, wie er an herrlichen Tugenden reich ist. Hätte er doch sich bemüht, sein stürmisches Wesen besser in Zaum zu halten, mit dem er überall herausplatzt! Hätte er doch die Leidenschaftlichkeit, die ihm angeboren ist, stets gegen die Feinde der Wahrheit gekehrt, statt sie gegen Knechte des Herrn blitzen zu lassen! Hätte er sich doch mehr Mühe gegeben, seine Fehler einzusehen! Am meisten haben ihm die Schmeichler geschadet, da er schon von Natur zu sehr dazu neigt, sich selbst milde zu behandeln. Doch ists unsere Pflicht, was fehlerhaft an ihm ist, so zu tadeln, daß wir seiner genialen Begabung etwas zu gut halten. Denk also vor allem daran, das bitte ich Dich wie Deine Kollegen, daß Ihr es zu tun habt mit einem Erstling unter den Knechten Christi, dem wir alle viel schulden. Ihr werdet auch, wenn Ihr in feindlichen Kampf mit ihm tretet, nichts erreichen, als daß Ihr den Ungläubigen ein Vergnügen bereitet, sodaß sie dann triumphieren werden nicht so sehr über unsere Personen als über die Sache des Evangeliums. Wenn wir uns gegenseitig herunterreißen, dann schenken sie uns mehr wie genug Glauben. Wenn wir aber einmütig und einstimmig Christus predigen, dann wollen sie uns die Glaubwürdigkeit absprechen und mißbrauchen dazu eben unsere Anschuldigungen gegeneinander, denen sie mehr glauben als recht ist. Ich möchte, Du sähest es und bedächtest es, mehr als darauf, das, was Luther seiner maßlosen Heftigkeit wegen verdient. Es soll doch bei uns nicht eintreten, was Paulus tadelt [Gal 5,15], daß wir uns gegenseitig beißen und fressen und dabei selbst verzehrt werden. Auch wenn Luther uns gereizt hat, ist es besser, abzustehen vom Kampf als den Schaden größer zu machen zum Nachteil der ganzen Kirche. 436 Nikolaus von Amsdorf (3. Dezember 1483–14. Mai 1565) war zunächst Fakultätskollege Luthers und seit den Zwanzigerjahren ein engagierter Verbreiter reformatorischen Gedankenguts. Seine 1541 erfolgte Einsetzung als erster evangelischer Bischof von Naumburg-Zeitz scheiterte. Später geriet er in die Streitigkeiten um die richtige Auslegung der Theologie Luthers und wurde zu einem der Wortführer der sog. „Gnesiolutheraner“.
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Quellennachweis Reformatorenbriefe. Luther, Zwingli, Calvin. Mitarbeit v. H.-U. Delius u. G. W. Locher, hg. v. Günter Gloede, Berlin 1973, S. 342–343. Der Text folgt der Version in: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 483–485 (Anmerkungen übernommen). Literaturhinweis Calvin Handbuch, hg. v. Herman J. Selderhuis, Tübingen 2008, S. 57–63. Christian Link: Johannes Calvin: Humanist, Reformator, Lehrer der Kirche, Zürich 2009. Eberhard Busch: Gotteserkenntnis und Menschlichkeit. Einsichten in die Theologie Johannes Calvins, Zürich 2005. Ders.: Zum Zusammenleben geboren. Johannes Calvin – Studien zu seiner Theologie, Zürich 2016. Thomas Henry Louis Parker: Johannes Calvin – Ein großer Reformator, Holzgerlingen 2009. Georg Plasger: Johannes Calvins Theologie – Eine Einführung, Göttingen 2008. Volker Reinhardt: Die Tyrannei der Tugend. Calvin und die Reformation in Genf, München 2009. Herman Selderhuis: Calvin und Wittenberg, in: ders. (Hg.): Calvin Handbuch, Tübingen 2008, S. 57–63. Heiko A. Oberman: Zwei Reformationen. Luther und Calvin – alte und neue Welt, Berlin 2003. Friedrich Wilhelm Bautz: Johannes Calvin, in: BBKL, Bd. 1, Hamm 2 1990, Sp. 866–889. Patrik Müller: Heinrich Bullinger. Reformator, Kirchenpolitiker, Historiker, Zürich 2004.
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Die Entwicklung im Reich zwischen 1521 und 1530
Mit der Exkommunikation und Ächtung Luthers anlässlich des Reichstags in Worms kam die Reformation entgegen der Hoffnungen des Kaisers nicht zum Erliegen. Da etliche Reichsstände das Edikt vom 8. Mai 1521 nicht unterzeichneten, blieb die Durchsetzung der darin beschlossenen Sanktionen Luthers und seiner Anhänger eine offene Frage. Reichsrechtlich sollte die Umsetzung des Wormser Edikts zu einem Dauerthema auf den Reichstagen werden. In den der Reformation zugeneigten Territorien wurden vermehrt Maßnahmen ergriffen, den theologischen Impuls aus Wittenberg in alltagstaugliches Handeln zu vermitteln. Das betraf nahezu alle Felder gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kirchlichen Lebens. Exemplarisch sei das im Folgenden an den Reformen im Bildungswesen, den Visitationen, der Klosterreformation und der Rolle weiblicher Unterstützerinnen der Reformation illustriert. Insgesamt wurde die Reformation zunehmend zu einer politischen Angelegenheit. Sie wurde auf den Reichstagen verhandelt und lag immer mehr in den Händen der Landesfürsten. Die enge Verknüpfung der sog. „Türkenfrage“ mit dem weiteren religionspolitischen Geschehen sollte für die nächsten Jahrzehnte die Tagesordnungen der Reichstage bestimmen. Literaturhinweis Winfried Schulze: Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978. Armin Kohnle: Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden, Gütersloh 2001. Tobias Licht/Stephan Mokry (Hg.): Die Reformation – ein Bildungsgeschehen?: historische Einordnung und ökumenische Ausblicke, Leipzig 2017.
4.1
Maßnahmen zur Sicherung der Reformation oder ihrer Eindämmung
Nr. 138 Philipp Melanchthon: Über die Ausbildung der Jugend Als Vertreter humanistischer Bildungsvorstellungen wurde Philipp Melanchthon 1518 mit nur 21 Jahren zum Professor der griechischen Sprache an die Universität Wittenberg berufen. Seinen Lehrstuhl hatte er in der Fakultät der freien Künste. Wenige Tage nach seiner Ankunft hielt er am 28. August bereits seine Antrittsvorlesung, in der er
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Reformation im Reich 1521–1530
ein ambitioniertes, humanistisches Bildungsreformprogramm vorstellte. Wiewohl von kleiner Gestalt, mit einem Sprachfehler und nur leiser Stimme, überzeugte „das Griechlein“ die meisten Hörer seiner Vorlesung von seiner Absicht, die Grundlagen der Bildung aus originalsprachlichen Quellen der Antike zu erwerben. Die Rede ist gespickt mit Anspielungen auf antike Werke und illustrierende Erzählungen aus der – teilweise legendarischen – Vergangenheit. Das ließ ihn als den kommenden Mann der humanistischen Studien in Wittenberg erkennen. Auch in späteren öffentlichen Vorträgen wird er immer wieder das Ziel einer umfassenden Bildung erläutern. Dann437 aber kam diese rege wissenschaftliche Tätigkeit durch die sich einstellende Gewöhnung zum Erliegen, und einige Leute verfielen, sei es von wissenschaftlicher Entdeckerleidenschaft, sei es von Streitlust getrieben, auf Aristoteles und zwar auf einen verstümmelten und zerfetzten, dessen Worte übrigens schon den Griechen dunkel und den rätselhaften Orakeln des Apoll438 ähnlich erschienen, außerdem so entstellend ins Lateinische übersetzt, daß man sie auch als Weissagungen einer von einem Gott begeisterten Sibylle439 ansehen konnte. […] Nachdem man sich zum ersten Mal von den Lehren der Alten abgewendet und jene respektlose Art des Kommentierens und Philosophierens die Oberhand gewonnen hatte, wandte man sich gleichzeitig auch verächtlich vom Griechischen ab, kümmerte sich nicht mehr um die Mathematik und betrieb die Theologie mit zu wenig Sorgfalt. Welche Seuche hätte unheilvoller sein können als diese schlimme Entwicklung? Sicherlich war keine jemals so allgemein verbreitet. Denn da bis zu diesem Zeitalter die gesamte Philosophie griechisch gewesen war, im Lateinischen keine bedeutenden theologischen Schriften vorhanden waren außer denen von Cyprian, Hilarius,440 Ambrosius und Augustin und da sich insofern die Theologie des Abendlandes die Griechen in ihrer Originalsprache zum großen Teil durch Vermittlung der Römer zugänglich gemacht hatte, kam es infolge der Verachtung der Griechen notwendigerweise dahin, daß zugleich alles, was die Philosophie an Nützlichem für die Geisteswissenschaften beiträgt – das aber ist das weitaus meiste –, sodann das Interesse an der Beschäftigung mit dem Heiligen verloren ging. Durch diesen Verfall im Bereich des Religiösen wurden die christlichen Bräuche und Sitten der Kirche, durch jenen Verfall im Bereich der Philosophie die wissenschaftlichen Studien ins Wanken gebracht. […] Erfahrt jetzt also, welcher Methode sich die Barbaren beim Kommentieren bedienen! Auf welche Sprünge diese zurückgeht, habt ihr bereits gehört. Es gibt drei Wissenschaftsbereiche: den sprachkundlichen (Logik), den naturkundlichen (Physik) und den ethischen (Protreptik). Die Sprachkunde behandelt alle Erscheinungen und unterschiedlichen Bestandteile der
437 Melanchthon spielt hier auf die zurückliegende Zeit der Karolingischen Reformen des 9. Jahrhunderts und der hoch zu schätzenden Autoren wie Alkuin, Hugo und Richard von St. Viktor und anderen an. 438 Griechischer Gott der Weissagung, dem zu Ehren zahlreiche Kultstätten, unter ihnen das bekannte Orakel von Delphi, verehrt und befragt wurden. 439 Sammelname für eine Weissagerin, die häufig unaufgefordert die Zukunft vorhersagt. Sie ist an verschiedenen Orten zumeist in Erdgrotten und Höhlen lokalisiert. Ihr Vorherwissen formuliert sie häufig mehrdeutig oder in Rätseln. 440 Anspielung auf Hilarius von Poitiers (um 315–367). Er war ein altkirchlicher Bischof und vertrat in den Arianischen Streitigkeiten um die Trinitätslehre engagiert die Position des Nizänischen Bekenntnisses.
Philipp Melanchthon: Über die Ausbildung der Jugend
Sprache. Da gerade über sie der Weg zu jenen höheren Künsten führt, ist sie die erste Stufe der Ausbildung des Kindes und umfaßt Lese- und Schreibunterricht. Eigentümliche Erscheinungen der Sprache werden in Regeln gefaßt, oder es wird das, was man zu beachten hat, anhand der Sprachgestaltung bei Schriftstellern gezeigt. Dies etwa ist der Beitrag, den die Grammatik für die Ausbildung leistet. Sodann verhilft die Sprachkunde, wenn man ein wenig fortgeschritten ist, dem Geist zur Urteilskraft. Mit deren Hilfe kann er die Grenzen der Dinge, ihre Ursprünge, ihre Bereiche und ihren Zusammenhang so erkennen, daß man, wenn man vor der Aufgabe steht, einen Sachverhalt genau zu behandeln, alles, was für dieses Vorhaben wichtig ist, gleichsam wie bares Geld zur Verfügung hat und mit den Mitteln der Wissenschaft die Gedanken der Zuhörer so beherrscht, daß sie kaum anderer Meinung sein können. Für diesen Bereich ist jene Kunst zuständig, die wir Dialektik, andere Rhetorik nennen. […] Ihr jungen Leute sollt den Eindruck haben können, daß es mir nur auf dieses eine ankommt, daß das Studium der sich wiederbelebenden Wissenschaften nützlicher ist als das, das man einst betrieb. […] Im Übrigen sollte es meinetwegen jedem freistehen, dorthin zu streben, wohin ihn der Nutzen ruft oder die Begabung hinzieht. […] Daher ist es angebracht, daß man für diese Studien einen wachen Sinn und sorgältige Aufmerksamkeit mitbringt, sodann einen Lehrer mit gutem Urteilsvermögen zur Unterstützung heranzieht, der auswählt, was denn gelernt werden muß und in welchem Umfang. Für verständige Menschen ist es nämlich ärgerlich, daß es Leute gibt, die überzeugt sind von der Nutzlosigkeit unserer Studien, egal welcher Art sie sein mögen […]. Ich habe nämlich den Wunsch, daß bei den Studenten schließlich das Vertrauen geweckt wird, daß eine bestimmte andere Art Wissenschaft größeren Nutzen bringt als das, was die Copulata441 wiederholt und weitschweifig abhandeln. […] Denn ich bin durchaus der Meinung, daß jemand, der in Kirche oder Staat etwas Bedeutendes erreichen will, zu wenig schaffen wird, wenn er nicht zuvor seine geistigen Fähigkeiten durch die allgemeinbildenden Fächer – so nämlich bezeichne ich die Philosophie – verständig und ausreichend geschult hat. Ich habe nämlich etwas dagegen, daß jemand das Philosophieren als Possenreißerei betreibt, denn so etwas führt dazu, daß man schließlich auch den Gebrauch des gesunden Menschenverstands verlernt. Man wähle aber von den besten Autoren die besten Werke aus und zwar solche, die sich einerseits mit der Erkenntnis der Natur, besonders aber mit der sittlichen Bildung befassen. […] Für die geistige Bildung geradezu unentbehrlich ist die Geschichtsschreibung, auf die allein ich, wenn ich es wagte, fürwahr nicht ungern alle Lobreden häufen würde, die dem gesamten Kreis der Künste und Wissenschaften gebühren. […] Unter Philosophie verstehe ich also eine zusammenfassende Bezeichnung für die Naturwissenschaft, die Sittenlehre und die anschaulichen Beispiele der Geschichte. Wer sich mit diesen in rechter Weise vertraut gemacht hat, der hat sich den Weg zum höchsten Bereich gebahnt. Wenn er als Anwalt in Prozessen auftreten will, wird er Stoff haben, aus dem er eine an Tatsachen reiche und prachtvolle Rede aufbauen kann; wenn er als Beamter ein Gemeinwesen verwalten will, wird er eine Grundlage haben, auf die er zurückgreifen kann, wenn es um Maßstäbe für gleich, gut und gerecht geht. […] Was aber die Theologie angeht, so ist es von größter Wichtigkeit, wie man für ihr Studium sich geistig zurüstet. Denn mehr als alle anderen Studiengebiete verlangt die Theologie tatsächlich ein Höchstmaß von Denkfähigkeit, intensiver Beschäftigung und Sorgfalt. Der Duft der Salben
441 Begriff aus der Grammatik: verbundener Ausdruck, Aufzählung.
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des Herrn übertrifft nämlich die wohlriechenden Gewürze menschlicher Wissenschaften. Geführt vom Heiligen Geist, begleitet von der Ausbildung in unseren Künsten und Wissenschaften, ist es uns möglich, den Zugang zum Heiligen zu finden. […] Da also die theologischen Schriften teils in Hebräisch, teils in Griechisch abgefaßt sind – denn wir Lateiner haben nicht mehr getan, als die Bäche jener Völker begierig einzusaugen –, müssen wir fremde Sprachen lernen, damit wir nicht gleichsam wie „taubstumme Masken“ den Theologen gegenübertreten. Erst anhand der Originaltexte werden sich uns die Worte mit ihrem Glanz und ihrer eigentlichen Bedeutung erschließen, und gleichsam wie im strahlenden Licht der Mittagssonne wird sich uns der wahre und eigentliche Sinn des Buchstabens, nach dem wir auf der Suche waren, offenbaren. Sobald wir zum Verständnis des Buchstabens vorgedrungen sind, werden wir ein sicheres Beweismittel für die Dinge, um die es sich tatsächlich handelt, in die Hand bekommen. […] Und wenn wir unseren forschenden Geist ganz auf die Quellen gerichtet haben, werden wir anfangen, Christus zu begreifen, sein Auftrag wird uns klar werden, und wir werden von jener beglückenden Süße göttlicher Weisheit ganz erfüllt werden. […] Erkennt ihr jetzt, wenn auch noch nicht ganz klar und deutlich, wieviel davon abhängt, daß in die Studien ein neuer Geist einzieht, und wieviel dieser zur Ausbildung guter charakterlicher und geistiger Anlagen beitragen kann? […] Quellennachweis Philipp Melanchthon: De corrigendis adolescentiae studiis, in: Corpus Reformatorum 11, S. 15–25. Die Übersetzung folgt Gerhard Steinger in: Philipp Melanchthon: Melanchthon deutsch. Bd. 1, hg. v. Michael Beyer/Stefan Rhein/Günther Wartenberg, Leipzig 2011, S. 46–59. Literaturhinweis Heinz Scheible: Melanchthon. Vermittler der Reformation. Eine Biografie, München 2016, S. 34–69. Irene Dingel (Hg.): Philipp Melanchthon: Lehrer Deutschlands, Reformator Europas, Leipzig 2011. Martin Greschat: Philipp Melanchthon: Theologe, Pädagoge und Humanist, Gütersloh 2010. Markus Wriedt: Humanistische Reform – evangelische Reformation. Melanchthons Beiträge zu den Reformen der Wittenberger Universität zwischen 1518 und 1536 und deren theologische Begründung, in: Matthias Asche/Heiner Lück/Manfred Rudersdorf/Markus Wriedt (Hg.): Die Leucorea zur Zeit des späten Melanchthon. Institutionen und Formen gelehrter Bildung um 1550 (= Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie [LStRLO] 26), Leipzig 2015, S. 117–148. Ders.: Bildung, Schule und Universität, in: Philipp Melanchthon. Der Reformator zwischen Glauben und Wissen. Ein Handbuch, hg. v. Günter Frank, Berlin 2017, S. 141–154.
Philipp Melanchthon: Brief an Johannes Reuchlin vom 18. März 1520
Nr. 139 Philipp Melanchthon: Brief an Johannes Reuchlin vom 18. März 1520 Mit seinem Brief an den entfernten Verwandten und langjährigen Unterstützer Johannes Reuchlin begründete der inzwischen in Wittenberg gut etablierte Professor Philipp Melanchthon seine Absage des Angebots, ihn an die Universität Ingolstadt zu berufen. Das humanistische Netzwerk um Johannes Eck und Johannes Reuchlin dürfte diese Anfrage lanciert haben. Möglicherweise stand im Hintergrund auch das Bemühen, Melanchthon aus der eskalierenden Krise um Martin Luther herauszuhalten. Zugleich betonte Melanchthon seine tiefempfundene Loyalität für den sächsischen Kurfürsten. Hatte Reuchlin noch am 12. September 1519 seine Bibliothek Melanchthon vermachen wollen, trübte sich das beiderseitige Verhältnis nach der Absage erheblich. Reuchlin bat zunächst, von weiteren Briefen abzusehen und überließ seine Bibliothek dem Michaelsstift an der Schlosskirche in Pforzheim. Jetzt nehme ich schon beglückend und nicht mehr unklar wahr, daß der Würfel für den sehr tüchtigen und sehr frommen Helden, für Friedrich, Herzog von Sachsen, gefallen ist, der, nachdem er den Studenten die klassischen Wissenschaften angekündigt hat, so große Nachahmer seiner herrlichen Einrichtung findet, die berühmten Fürsten von Bayern, denen die Wissenschaften ohne Zweifel am Herzen liegen, da sie Deinen Dienst und Deinen Rat in Anspruch nehmen, um sie zu errichten. Für Deinen Wunsch, daß ich Dir in Deinen Ämtern nachfolgen soll, sage ich Dir Dank und allen anderen Freunden, die mich berücksichtigt sehen wollten. Und gewiß rufen mich Gründe zu Dir, die nicht geringgeachtet werden dürfen: ganz besonders Dein, ferner des Vaterlandes Wunsch, das mir sehr teuer sein muß, dazu der beständige Umgang mit den Gebildeten, die prächtigen Bibliotheken, schließlich auch der Vorteil für mein Wohlergehen. Wenn ich es geringachtete, könnte ich als zu wenig auf das Irdische bedacht erscheinen. Aber daß ich zu Euch überwechsele, erlaubt zuerst das dem durchlauchtigsten und sehr weisen Fürsten gegebene Versprechen nicht, das zu brechen die Empfindung des allgemeinen Naturgesetzes nicht zuläßt. Jedes Erdenkbare werde ich eher erdulden, als daß ich es dahin kommen lasse, daß ich meinem Versprechen oder seiner in mich gesetzten Erwartung nicht entsprochen zu haben scheine. Mir ist bei den Versprechen nichts wichtiger, als daß ich die Meinung des über mich sehr gütig denkenden Fürsten durch die Tat selbst künftig bestätige. Ferner bin ich von Natur so kleinmütig, daß ich für eine so häufige Änderung der Dinge wenig geeignet bin. Ich bin nach Sachsen gebracht worden, wo ich meine Pflicht tun will, bis mich der himmlische Geist an eine andere Stelle beruft, dem ich mich ganz anvertrauen will. Ich meinerseits werde von der Liebe zum vaterländischen Boden bewegt, die ich in keiner Weise aufhalte, wenn die Oberen sie mir vorenthalten wollten. Aber ich muß bei allem mehr ins Auge fassen, wohin mich Christus zieht, als wohin mich mein Verlangen rufen möchte. Ich habe in Sachsen etwas von meinem Wohlergehen geopfert, aber ich möchte es noch nicht bereuen. Auch sollst Du nicht glauben, daß ich hier durch ein Vergnügen festgehalten werde, von dem die Jugend in der Regel ergriffen wird. Denn niemals sind wir freieren Geistes gewesen, und das so sehr, daß, wohin auch immer das Geschick uns reißen möge, wir mit ungehindertem und freiem Geist folgen würden. Deshalb gefällt es mir nicht, mich zu verändern, weil ich noch nicht achte, daß es mir erlaubt sei, der ich einem sehr tüchtigen Fürsten verpflichtet bin.
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Warum sollte ich mein Versprechen nicht erfüllen? Wenn er also selbst aus eigenem Antrieb wegen irgendeines Vorfalles uns verabschieden sollte, verfielen wir noch nicht in eine klagende Stimmung, da uns die Hoffnung übrigbliebe, das Leben sinnvoll zum Abschluß zu bringen. Denn ich meine, daß es nicht darauf ankommt, wie glücklich ich das Leben beschließen werde, sondern wie vortrefflich, wie christlich. Ja, ich handele in Sachsen sogar so, daß ich, wenn ich sähe, daß es das Interesse der Universität erfordert, selbst freiwillig abtreten würde. Deshalb diene ich nicht unfrei, so daß ich wünsche, mehr von ihrem als von meinem Nutzen her meine Gründe zusammenzustellen. Auch treibe ich schon die Studien, die, ich weiß nicht auf welche Weise, durch Euch zustande kommen sollen. Ferner werde ich nicht zulassen, daß ich von den Freunden, deren Umgang ich jetzt genieße, mit Ärger losgerissen werde. Daß Du doch verständest, daß sie mich wegen meiner Urteilskraft und nicht wegen meines jugendlichen Ungestüms anerkennen! Quellennachweis MBW 77, auch CR. 1, S. 150 f. (66) (lateinisch). Die Übersetzung folgt: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 226–228. Literaturhinweis Heinz Scheible: Reuchlins Einfluß auf Melanchthon, in: ders.: Melanchthon und die Reformation. Forschungsbeiträge, hg. v. Gerhard May und Rolf Decot, Mainz 1996, S. 71–97.
Nr. 140 Philipp Melanchthon: Ein Urteil über Martin Luther (1524) Im Jahr 1524 ersuchte Philipp Melanchthon um Urlaub und bekam diesen gewährt. Mitte April machte er sich auf den Weg in seine Heimatstadt Bretten. Rasch wurde im deutschen Südwesten bekannt, dass der prominente Wittenberger im Lande sei. So unternahm auch der päpstliche Legat Lorenzo Kardinal Campeggio (1474–1539) von Stuttgart aus einen Versuch, Melanchthon auf seine Seite zu ziehen. Er entsandte seinen Sekretär Friedrich Nausea (1496–1552) nach Bretten, um die Situation zu erkunden. Auf dessen Ansinnen antwortete Melanchthon in einem Brief, in dem er differenziert die kirchliche Situation analysierte. Darin betont er, dass die Frage der Zeremonien weniger bedenklich sei, als vielmehr die einer grundlegenden Revision der evangelischen Grundlehren der Kirche. Trotz der bleibenden Differenzen blieb das Verhältnis beider von hohem Respekt und Loyalität geprägt.
Ein Urteil Philipp Melanchthons von Doktor Martin Luthern, dem Kardinal und päpstlichen Legaten gen Stuttgart zugeschickt. Die Welt irrt, wenn sie meint, Doktor Luther ginge [es] allein darum, dass er die Zeremonien, so allenthalb gebraucht werden, abtun wolle. Derhalb aus Verdruss [wegen] so vieler Zeremonien trägt der gemeine gottlose Haufen große Gunst zu Doktor Martin Luther als zu einem Anfänger der Freiheit. Die Gelehrten, denen das gläubige Leben unbekannt ist, lachen darüber und
Johannes Bugenhagen: Eine schöne Offenbarung des Endchristes (1524)
achten es als ein abergläubig Ding, dass man sich um der Zeremonien willen so standhaft auf beide Teile ängstet. Die Tyrannen, so gemeine Sitten, Gewohnheiten und Friede beschirmen, wollten, der Luther wäre ausgelöscht. Aber Doktor Luther streitet nicht um die Zeremonien, er handelt und lehrt viel größeres, nämlich, was der Unterschied sei zwischen menschlicher Frömmigkeit oder Gerechtigkeit und Gottes Gerechtigkeit (man muss je die Worte der Schrift gebrauchen), womit des Menschen Gewissen gegen die Pforten der Hölle zu stärken sei, in welchen Dingen die rechte Bußfertigkeit stünde. Das sind die Dinge, die zu dieser Zeit göttlich durch Doktor Martin Luther angezeigt werden, dazu sind zu allen Zeiten etliche gewesen, die er hier als Zeugen seiner Lehre vorbringen kann, damit niemand meine, Doktor Luther habe erst diese Dinge von neuem erdacht. Dieweil nun die Vollbringung menschlicher Satzungen und Zeremonien von Menschen aufgesetzt nichts zur Gerechtigkeit dienen, die vor Gott gilt, hat Dr. Luther uns solches ermahnt. Doch weil sie nichts schaden und nicht böse sind, erfordert er, dass man sie um Liebe und Friedens willen halte, wie dann seine Meinung das Büchlein von Christlicher Freiheit, auch die Form der Messe zu halten, neulich ausgegangen, bezeugen. Ich wollte auch, dass gute Sitten, Gewohnheiten und Zeremonien um des Friedens willen gehalten werden, sofern es christlicher Glaube zulässt. In der Messe und dem keuschen Stand der Geistlichen ist so viel Böses und Irrtum, dass man nicht mehr zusehen kann. Nun kann aber dem gemeinen Frieden nichts Böses geraten, es ersehe denn eine Obrigkeit mit Fleiß, dass fromme und Gelehrte in der Kirche predigen. So aber das nicht geschieht, wird der Haufen durch des Luthers feind, die törichten Mönche gereizt und viele geben sich vor dem gemeinen Volk als lutherisch aus, die gar nicht lutherisch sind. […] Quellennachweis Ain urteil Philippi Melanchthonis von Doctor martin Luthers dem Cardinal und pebstlichen Legaten gen Stutgart zugeschickt, 1524 Supplementa Melanchthoniana. Werke Philipp Melanchthons, die im Corpus Reformatorum vermisst werden, hg. v. der Melanchthon-Kommission des Vereins für Reformationsgeschichte I/1, Leipzig 1910, S. 235 f. Wir folgen mit sprachlichen Anpassungen dem Wiederabdruck in: Jörg Haustein (Hg.): Philipp Melanchthon. Ein Wegbereiter für die Ökumene, Göttingen 1997, S. 240 f.
Nr. 141 Johannes Bugenhagen: Eine schöne Offenbarung des Endchristes (1524) Johannes Bugenhagen gehörte zu den getreuesten Anhängern Martin Luthers. Er wurde am 24. Juni 1485 in Wollin (Herzogtum Pommern) geboren und verstarb am 20. April 1558 in Wittenberg. Seiner Herkunft wegen wurde er auch „Doctor Pomeranus“ genannt. Bugenhagen schloss sich nach dem Studium in Greifswald 1521 den Ideen Luthers an und wurde 1523 Pfarrer an der Stadtkirche Wittenberg. Zugleich übernahm er eine Professur an der Universität Wittenberg und fungierte als Generalsuperintendent des sächsischen Kurkreises. Wirkmächtig waren seine Kirchenordnungen für Braunschweig, Braunschweig-Wolfenbüttel, Dänemark, Hamburg, Hildesheim, Holstein, Lübeck, Norwegen, Pommern und Schleswig. Dazu
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übersetzte er zahlreiche wichtige programmatische Schriften der Wittenberger Reformatoren ins Niederdeutsche. Immer wieder wirkte er als Seelsorger für den von Anfechtungen geplagten Martin Luther. Seit der Leipziger Disputation war Luther zunehmend davon überzeugt, dass der Antichrist in Rom in Gestalt des Papsttums regiere. Rasch fand diese Einschätzung Eingang in die kontroverstheologische Polemik. Besonders die Auslegung von 2. Thess 2 fand dabei intensive Beachtung. Bugenhagen hatte 1524 seinen Kommentar zu den kleinen Paulusbriefen veröffentlicht. Daraus wurde die Auslegung von 2. Thess 2,3–8 separat gedruckt und mit der voranstehenden Stellungnahme Melanchthons zusammen vertrieben. Bugenhagen betont in seiner Auslegung, dass die Gefährdung durch den Antichristen aktuell sei, denn die Vernichtung des Glaubens im Papsttum sei nicht mehr zu überbieten. Hatte Luther sich in seiner Auseinandersetzung mit Ambrosius Catharinus442 vor allem auf Dan 8, 23–25 gestützt, betonte Bugenhagen nun die Stelle aus dem zweiten Thessalonicherbrief. […] Auch wenn Du sagst, der Endchrist werde erst in der Zukunft kommen, wenn er die Leiber mit Feuer verbrenne, mit Schwertern verletze, in die Kerker werfe etc., der seinen Anhängern großen Reichtum gebe etc. – Mein Lieber, was kann er doch mehr tun, als wir es schon jetzt im päpstlichen Reich gesehen haben? Wie kann er etwas gräulicheres gegen der Menschen Heil tun, als dass er die Furcht Gottes und das Vertrauen in Gott hinwerfe und dafür sorgt, dass man seine Lehre und ausgedachte Träume fürchtet. Und das unter der Aussicht, wenn man sich daran halte, Vertrauen haben soll und Hoffnung auf die Seligkeit bekomme. Bedeutet das nicht vielmehr alles wegzunehmen, was Christus unser Herr für uns worden ist? Heißt das nicht, Jesus als den rechten Christus, als den Sohn Gottes zu leugnen – wovon im ersten Johannesbrief im zweiten Kapitel geschrieben ist: Wenn man den Namen ansieht, so können sie es nicht leugnen. Aber sie nehmen ihm das, warum er diese Namen empfangen hat. Sie lassen ihn keinen Gerechtmacher sein, wie die Propheten Christus vorgezeichnet haben, dann schreiben sie die Gerechtigkeit den Werken zu und leugnen, dass Christus eine Kraft Gottes sei. Außerdem lehren sie, es sei nicht genug zur Seligkeit. Darum sind es Endchristen, von denen Johannes spricht. Darunter finden sich jetzt zu unseren Zeiten all jene, die das Evangelium Christi verbieten, das heißt: sie wollen es nicht ertragen, dass man die Gnade Christi predigt. Sie wissen, wo die Gnade Christi allein – wie es notwendig ist – gepredigt wird, damit alle ihre Träume und erdichteten Gesetze von der Menschen Gewissen abfielen zum Untergang ihrer Tyrannei. […] [2. Thess. 2,8] Hier lernen wir, dass es nicht in unserer Macht steht, die Gewissen vom Endchrist zu erlösen. Christus muss man hier anrufen, der nicht mit weltlicher Gewalt handelt, sondern mit der Gewalt Gottes, wie es bei Jesaja im 53. Kapitel heißt. Darum handeln die töricht, die sich unterstehen, den Endchrist mit fleischlichen Waffen wie etwa mit Spießen, Büchsen und Hellebarden zu vertreiben. Dennoch müssen wir derartige Gewalt entgegen den
442 Der Dominikaner und Luthergegner Ambrosius Catharinus (mit Geburtsnamen Lancelotto Politi) (um 1484–8. November 1553) war ein italienischer Theologe, Hochschullehrer und Erzbischof von Conza.
Johannes Bugenhagen: Eine schöne Offenbarung des Endchristes (1524)
Papisten ertragen, die uns mit derartiger Gewalt bedrohen, dass es nicht eine Beschirmung des Evangeliums genannt wird. Das lässt sich allerdings so nicht bewahren, sondern es soll vielmehr eine Beschirmung der unterdrückten Menschen heißen. Paulus spricht, dass Christus diesen Widersacher töten wird, der die Gnade des Evangeliums hinweg genommen hat. Er wird ihn allerdings töten mit dem Atem seines Mundes, das ist mit dem Wort des Geistes, das aus seinem Munde hervorgeht. Das lehrt er selbst auch allen glaubenden Menschen in ihren Herzen, d. h. mit seinem heiligen Evangelium, wie wir auch zu unseren Zeiten sehen und empfinden, obwohl wir uns insgesamt ganz undankbar gegenüber dieser unaussprechlichen Gnade verhalten. Würde jetzt allein das lautere Evangelium Christi gepredigt, welches uns durch den Mund Christi gegeben ist und gegeben wird, würden im gleichen Moment die menschlichen Erdichtungen und Teufelslehren, welche mit falschem Glanz (Gleißnerei) die Lügen verbreitet haben, wie ein Rauch zerstieben. So wird der Endchrist im Gewissen und Herzen der Menschen getötet, wie es bei Jesaja im 11. Kapitel von Christus heißt: Er wird den Gottlosen töten mit dem Atem seiner Leftzen und wird das Erdreich schlagen – das ist die irdische Weise mit der Rute seines Mundes. Also wird der Endchrist getötet durch das Evangelium und gleichermaßen wird sein Reich zerstört, aber nicht mit leiblichen Waffen. Aber es müssen viele gottlose Menschen sein, in denen das Wort des Geistes nichts bewirkt, auch nichts ertötet, sondern es bleibt in ihnen der Endchrist wohnen bis an den jüngsten Tag, wenn Christus mit der Klarheit seiner Zukunft diese Wirkung des Teufels ganz und gar austilgen wird. Quellennachweis Johannes Bugenhagen. Reformatorische Schriften (1515/16–1524), hg. v. Anneliese BieberWallmann, Bd. I/1, Göttingen 2013, S. 741–765, hier S. 751 und 765. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Christian Bellermann: Das Leben des Johannes Bugenhagen. Nebst einem vollständigen Abdruck seiner Braunschweigischen Kirchenordnung vom Jahre 1528, Berlin/Boston 2019. Irmfried Garbe/Heinrich Kröger (Hg.): Johannes Bugenhagen (1485–1558). Der Bischof der Reformation, Leipzig 2010. Bernhard Rogge: Johannes Bugenhagen, genannt Doktor Pommer, der Evangelist Norddeutschlands, Barmen 2 1886. Hans J. Hillerbrand: Von Polemik zur Verflachung. Zur Problematik des Antichrist-Mythos in Reformation und Gegenreformation, in: ZRGG 47 (1995), S. 114–125. Volker Leppin: Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548–1618, Gütersloh 1999. Thomas Kaufmann: Reformatoren. Göttingen 1998, S. 57 f. Martin Schwarz Lausten: Kopenhagen – Johannes Bugenhagen, in: Michael Welker u. a. (Hg.): Europa reformata. Reformationsstädte Europas und ihre Reformatoren, Leipzig 2016, S. 205–212.
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Nr. 142 Die Visitationsstruktur in Weida 1527 Das Amt Weida gehörte zum kursächsischen Kreis Neustadt an der Saale. Die Stadt war seit 1524 protestantisch. Sie diente seit dem 11. Jahrhundert als Sitz einer Vogtei und beherbergte ein Dominikanerinnenkloster namens Nonnenhof, in dem die Schwester von Lazarus Spengler, Martha (1476–1538), seit 1513 für eine Reform Sorge tragen sollte. Diese Aufgabe gab sie 1525 ihrer reformatorischen Gesinnung wegen auf. Das Kloster wurde ebenfalls aufgelöst und diente später als Schule. Die Visitation wurde von Philipp Melanchthon, Hans von der Planitz (1473–1535), Hieronymus Schurff (1481–1554) und Asmus von Haubitz (gestorben 1532) vorgenommen. Im Folgenden ein Auszug.
1. Zum ersten, die Pfarrherren sollen für Messen und Vigilien und auch für die Sakramente nichts nehmen noch fordern. 2. Wirt und Wirtin sollen jährlich ihrem Pfarrherren jeder einen Groschen geben, für die Kirchenalmosen und Sakramente, und jeder vom Gesinde oder Knecht, der das Sakrament empfängt, soll jährlich dem Pfarrherren einen halben Groschen geben. 3. Die Sakramente soll man jedermann nach seinem Begehren geben, in beiderlei Gestalt oder in einer. 4. Die Zeremonien, die dem Evangelium gemäß sind, soll man wie von alters her halten. 5. Keinen Geistlichen, Mönch, Pfaffe noch Nonne soll man schmähen oder verhöhnen, bei Strafe an Leib und Gut geboten. 6. Den Priestern soll man den cetzman zins443 und was ihnen gebührt geben. 7. Die Messen soll man nach jedermanns Gefallen deutsch oder lateinisch halten, wie die Andacht es erfordert. 8. Das Evangelium soll hell und klar gepredigt werden. 9. Die Prediger sollen auch vom Glauben, den Zehn Geboten und von der Beichte predigen, dem Evangelium gemäß, und die Menschen zur Beichte reißen. 10. Schulen soll man überall wieder aufrichten. 11. Die Pfarrherren sollen einem Kaplan 18 Gulden und freien Tisch im Jahr geben; 12. den Prediger, Kaplan und Schulmeister und Kirchner wohl versorgen. Quellennachweis Emil Sehling: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. I. Abt.: Sachsen und Thüringen, nebst angrenzenden Gebieten. 1. Hälfte: Die Ordnungen Luthers. Die ernestinischen und albertinischen Gebiete, Leipzig 1902, S. 148. Wir folgen der Version in: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 373.
443 Kirchliche Gebühren und Einkünfte; vgl. dazu Wolfgang Petke: Oblationen, Stolgebühren und Pfarreinkünfte vom Mittelalter bis in die Zeit der Reformation, in: Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts, hg. von Hartmut Boockmann, Göttingen 1994, S. 26–58; sowie Enno Bünz: Die Mittelalterliche Pfarrei. Tübingen 2017, S. 41, 94 u. ö.
Protokoll der Visitation in Kemberg 1528
Literaturhinweis Rudolf Herrmann: Die Kirchenvisitationen im Ernestinischen Thüringen vor 1528, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte, Bd. 1, o. O. 1929–1931, S. 191–230. Ders.: Zur Kirchenkunde der Diözese Weida im 16. Jahrhundert, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte. Bd. 3, o. O. 1933–1935, S. 283–388; Bd. 4, 1936–1939, S. 255–276. M[oritz] Mitzenheim: Die erste Kirchen- und Schulvisitation in Saalfeld im Jahre 1527, Saalfeld/ Saale 1927. Joachim Bauer/Stefan Michel (Hg.): Der „Unterricht der Visitatoren“ und die Durchsetzung der Reformation in Kursachsen, Leipzig 2017. Joachim Bauer/Dagmar Blaha/Stefan Michel (Hg.): Der Unterricht der Visitatoren (1528): Kommentar – Entstehung – Quellen, Gütersloh 2020.
Nr. 143 Protokoll der Visitation in Kemberg 1528 Die heutige Kleinstadt Kemberg in Sachsen-Anhalt zählte zum Amt Wittenberg und wurde vom dortigen Konsistorium verwaltet. Die Visitatoren waren neben Luther auch Hans Metzsch, Benedikt Pauli (1490–1552), Hans von Taubenheim, Justus Jonas (1493–1555), Johannes Bugenhagen (1485–1558), Bernhard von Hirschfeld (1490–1551), Sebastian von Kötteritz und Kilian Goldstein (1499–1568). Ihre Gewohnheit zu predigen ist und soll sein: zwei Predigten am Sonntag, die erste über das Evangelium entsprechend dem Kirchenjahr und die andere aus dem Alten Testament; montags, mittwochs und freitags, an jedem der drei Tage eine Predigt oder Lesung eines Evangelisten, wie sie ermessen, daß es dem Volk gut und nützlich sei, und darüber den Katechismus zu lehren. Dabei haben es die Visitatoren gelassen und befohlen, den Katechismus vor allem und insonderheit um der Jugend willen in der Woche nimmer zu vergessen. […] Unterhalt der Personen: Beim Überschlagen des Pfarrers Einkommen an Geld, auch Korn, Zinsen, Opfer, liegenden Grundstücken, einen Hopfgarten, drei Tage Dienst im Jahr, auch acht Fischlöcher – wiewohl diese mit Mertens Liste strittig sind –, Gehölz, das er allein zur Notdurft seines Feuers, nicht aber zum Verkaufen nutzt, wurde befunden, daß ihm nach Abzug von 15 Gulden, die er dem Kaplan für seinen Tisch und Belohnung gibt, 94 Gulden, 1 Groschen 4 Pfennige bleiben. Die Visitatoren haben dem Pfarrer dieses sein Einkommen und Nutzung kraft seines Registers und Gebrauchs dermaßen unvermindert zu nutzen bestätigt und ermessen, daß er und ein jeder seiner Nachfolger nach Gelegenheit des Ortes, ihrer Haushaltung und Arbeit dabei ein Auskommen und Ausreichen haben können. Dem Kaplan aber oder Prediger sind über die erwähnten 15 Gulden, die er vom Propst hat und hinfort behalten soll, aus dem Gemeinen Kasten zu empfangen 35 Gulden angeordnet worden, die sollen ihm zugleich mit den 15 Gulden jedes Jahr auf zwei Tage, halb auf Walpurgis [1. Mai], die andere Hälfte auf Michaelis [29. September], ohne Verzug zufallen. Und da der Propst verpflichtet ist, ihm den Tisch zu geben, soll es in seinem [des Kaplans] Gefallen stehen, den bei ihm zu behalten oder anstatt desselben 7 12 Gulden, das ist die Hälfte der obenerwähnten 15 Gulden, dafür zu nehmen. Seine Wohnung soll er, bis ein Kommendenhaus durch Tod frei wird, in der Propstei haben und sogleich, wenn ein Kommendenhaus frei wird, dasselbe
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beziehen, und dieses soll auf seinen Nachfolger als Wohnung gelangen. Dagegen sollen von nun an die Zinsen, die zur Kaplanei oder dem Predigeramt gehören, in den Gemeinen Kasten zu fallen gewiesen sein. Die Schule soll hinfort immer mit einem Schulmeister und Kantor erhalten werden. Des Schulmeisters Belohnung soll 25 Gulden sein, des Kantors 20 Gulden, und ihnen beiden sollen die Eingänge von den Knaben verbleiben, nämlich zu jedem Quatember444 dem Schulmeister 1 Groschen, dem Kantor aber 8 Pfennige von jedem Schüler. Die Hauptbelohnung sollen sie aus dem Gemeinen Kasten auf zwei Tage im Jahr, wie oben, erwarten. Der Gemeine Kasten soll zu jeder Zeit mit sechs tüchtigen, gottesfürchtigen Bürgern – zwei vom Rat und vier aus der Gemeinde –, die dazu besonders vereidigt werden, versorgt sein. Derselben Amt soll sein, der Kirchen nun in den Kasten verordnetes Gut treu zu pflegen, die Zinsen und Schulden fleißig einzumahnen, indem sie die Unvermögenden wahrnehmen mögen, die armen Leute im Hospital nach Vermögen und Gelegenheit des Vorrates, auch der Person, mit leiblicher Nahrung, Kleidung und anderer Notdurft zu versorgen, obdachlosen Leuten und anderen, die wahrhaftig in Not sind und der Hilfe bedürfen, aber nicht Müßiggängern oder denen, deren keine Hilfe Nutzen bringt, leihen oder geben, wie sie eines jeden Not und Vermögen befinden – doch 20 Gulden oder darüber sollen sie ohne Wissen des Amtmanns zu Wittenberg nicht verleihen; auf Ärgernis, öffentliche und heimliche Schande achtzugeben und sie dem Pfarrer zu weiterer Vermahnung anzuzeigen; Kaplan, Schulmeister und Kantor ihren angeordneten Lohn zur gebührenden Zeit auszuzahlen; Propstei, Kaplanei, Schulen und Hospital baulich zu erhalten, dem Rat in Gegenwart des Propstes und der Viertelmeister jährlich ihre Verwaltung vorzurechnen. Ihre Veränderung soll in des Rates und des Propstes Ermessen stehen. […] Rat: Öffentliche Sünde, vorgenommene tägliche Trunkenheit, Ehebrecherei und andere Laster, Gotteslästerung und Schande soll der Rat ernstlich strafen und zum Einbringen der Schulden des Gemeinen Kastens auf Ansuchen der Vorsteher gute Hilfe verfügen; so der Propst abstirbt, einen anderen bei der Universität Wittenberg erbitten und sonst alle Dinge zu Gottes und seines heiligen Wortes Ehre helfen fördern und auszurichten. Der Schulmeister soll durch den Propst und den Rat zugleich, der Kantor aber vom Propst und dem Schulmeister angenommen werden. Zwei Kelche sollen für den Bedarf der Kirchen, desgleichen drei Meßgewänder samt allem Zubehör behalten, die anderen verkauft und das Kaufgeld in den Gemeinen Kasten genommen werden. Quellennachweis Die Registraturen der Kirchenvisitationen im ehemals sächsischen Kurkreise, bearb. v. Karl Pallas, Teil 1, Halle 1906, S. 177–180. Wir folgen der Version in: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 374–376.
444 Quatember (vom Lateinischen „ieiunia quattuor temporum“, d. h. „Fasten der vier Zeiten“) meint festgelegte Bußtage, die als Fasten- und/oder Abstinenztage viermal im Jahr vorgesehen sind und neben Fasten und Abstinenz zudem aus Almosengabe und Gebet bestehen.
Johannes Cochläus: Die Wirkung der Lutherbibel
Literaturhinweis C[arl] A[ugust] H[ugo] Burkhardt: Geschichte der sächsischen Kirchen- und Schulvisitationen von 1524 bis 1545, Leipzig 1879, S. 15f. Rudolf Herrmann: Die Kirchenvisitationen im Ernestinischen Thüringen vor 1528, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte 1, o. O. 1929–1931, S. 167–230. Heiko Jadatz: Wittenberger Reformation im Leipziger Land. Dorfgemeinden im Spiegel der evangelischen Kirchenvisitationen des 16. Jahrhunderts (Herbergen der Christenheit, Sonderband 10), Leipzig 2007, S. 51. Helmar Junghans: Die Ausbreitung der Reformation von 1517 bis 1539, in: Ders. (Hg.): Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen. Festgabe zum 450jährigen Bestehen der EvangelischLutherischen Landeskirche Sachsens, Berlin 1989, S. 33–66.
Nr. 144 Johannes Cochläus: Die Wirkung der Lutherbibel Die volkssprachliche Übersetzung des Neuen Testaments, die Luther auf der Wartburg vorgenommen hatte und die im September 1521 erschien, war ein riesiger publizistischer Erfolg und befeuerte die Reformation. Erstmals erhielten Laien damit Zugang zu einem verständlichen Bibeltext. Verschiedentlich versuchten nun auch romtreue Theologen eine Übersetzung der Vulgata herzustellen, die als Alternative zur reformatorischen Bibel hätte gebraucht werden können. Den meisten jener Unternehmungen war jedoch nur geringer Erfolg beschieden. Der Kontroverstheologe Johann Emser ließ sogar eigens eine Druckerei (u. a. aus Mitteln des Landesherren) einrichten, um so dem reformatorischen Schriftgut entgegentreten zu können.445 Im Folgenden ein Bericht von Johann Cochläus (zu ihm siehe auch Nr. 6) über das Ausmaß der lutherischen Bibelübersetzung.
Wer kann genugsamlich aussprechen, was Luthers Dolmetschung des Neuen Testaments für eine gewünschte Gelegenheit und Zunder zu allerlei Spaltung, Betrübung und Abfall gewesen sei? In welcher diese Haderkatze wider den alten bewährten Text der Kirche viele Dinge vorsätzlich verkehrt, ausgelassen, hinzugetan, einen anderen Verstand aufgedrungen, viele ärgerliche falsche Glossen am Rande hinzugeflickt und in Summa kein Bubenstück, vor allem in den Vorreden, unterlassen hat, damit er den Leser auf seinen Part ziehen möge. Daher
445 Die erste Ausgabe der römisch-katholischen Dietenberger-Bibel erschien 1534 in Mainz. Sie war nach der Übersetzung des Neuen Testaments durch Hieronymus Emser aus dem Jahre 1527 die erste katholische Vollbibel. Drei Jahre darauf erschien 1537 mit der Bibel von Johannes Eck eine weitere katholische Gesamtübersetzung. Dietenberger hatte seinen Text in einer oberdeutschen Dialektform gehalten, während die Übersetzung von Eck deutliche süddeutsche Akzente setzte. In der Folge wurde die Dietenberger-Bibel zur meistgedruckten Ausgabe in den römisch-katholischen Territorien. Weitere Auflagen entstanden 1540, 1550, 1556, 1561, 1564, 1571 und 1575 – bis ins 18. Jahrhundert hinein.
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wurden auch etliche unter den Deutschen gefunden, die aus dieser Translation über die tausend von Luthern begangene Irrtümer und Depravation angezogen und verzeichnet haben, wie denn der vorgedachte Hieronymus Emser mit sonderlichem Lob vor anderen nicht allein gemeldte irrige lutherische Glossen, Verkehrung und Verfälschung in seiner Translation in ein besonderes Libell zusammengetragen und ausgehen lassen, sondern auch eine eigene, mit dem angenommenen und bewährten lateinischen Text der Kirche übereinstimmende Version gleich als eine recht Arznei wider Luthers Gift nicht ohne sonderlichen merklichen Trost der Katholischen an den Tag gegeben hat. Denn hieraus könnten dennoch die Katholischen Luthers gefährliche Irrtümer vernehmen und verstehen und den berühmten lutherischen Hansen auf ihr evangelisches Rühmen und Prangen mit Freudigkeit begegnen. Ehe denn aber Emsers Arbeit an den Tag gegeben, war Luthers Neues Testament durch die Buchdrucker dermaßen gemehrt und in so großer Anzahl ausgesprengt, also daß auch Schneider und Schuster, ja auch Weiber und andere einfältige Idioten, soviel deren dies neue lutherische Evangelium angenommen, wenn sie auch nur ein wenig Deutsch auf einem Pfefferkuchen lesen gelernt hatten, dieselbe gleich als einen Brunnen aller Wahrheit mit höchster Begierde lasen. Etliche trugen dasselbe mit sich im Busen herum und lernten es auswendig. Daher maßen sie sich in der Folgezeit innerhalb weniger Monate soviel Geschicklichkeit und Erfahrung selber zu, daß sie keine Scheu trugen, nicht allein mit den katholischen gemeinen Laien, sondern auch mit Priestern und Mönchen, ja auch mit Magistern und Doktoren der heiligen Schrift vom Glauben und Evangelium zu disputieren. Ja es fanden sich auch armselige Weiber, die sich mit offenen ausgegangenen deutschen Büchern und fürgestellten Propositionen aus geiler Verachtung der angeblichen Unwissenheit der Männer nicht allein mit Laien und sonderen Privatpersonen, sondern auch mit Lizentiaten, Doktoren und ganzen Universitäten austaten, sich in Disputationen einzulassen, wie es sich an Argula von Staufen,446 einer von Adel eigentlich, befunden. Und waren die lutherischen Weiber endlich ohne einige weibliche Scham so vermessen, daß sie sich auch des Predigtamts und Rechtens in der Kirchen anmaßten und gebrauchten, so [= während] doch Paulus öffentlich das Widerspiel dagegen hält und lehret. Es mangelte ihnen auch an lutherischen Schützern nicht, die vorgaben, daß Paulus den Weibern das Predigtamt nur soweit untersagt und verboten, soweit geschickte taugliche Mannspersonen, zu lehren und zu unterweisen, vorhanden wären; wo aber nicht, und wo die Männer auch zu ungeschickt wären, so wollte es den Weibern gar wohl gebühren. So hatte Luther lange zuvor eben solches auch gelehrt, daß nämlich die Weiber der Christen eigentlich Priester seien, ja auch alles, was aus der Taufe gekrochen, wahrhaftig zu Papst, Bischof und Priestern geweihet wäre, nach dem Spruch des heiligen Petrus: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk.“ Derhalben wie der gemeine wankelmütige Pöbel allerwegen mehr geneigt und begierig ist, alles was neu ist, in die Weite zu bringen, als die vorige Gewohnheit in ihrem Stand zu lassen, also geschah hieraus ferner, daß der lutherische Haufen viel mehr Fleiß fürwandte, die auf solche Weise verdolmetschte Schrift äußerlich zu lernen, denn die Katholischen selbst, da die Laien solche Sorge den Priestern und Mönchen befahlen. Daher pflegten unterweilen die lutherischen Laien in Zusammenkünften und Gesprächen ohne Bedenken mehr Schrift zu zitieren, als wohl die katholischen Mönche und Priester.
446 Argula von Grumbach, vgl. Nr. 146.
Edikt Kurfürst Joachims I.: Verbot von Luthers Schriften
Quellennachweis Cochlaeus, Johannes: Historia Martini Lutheri Das ist, Kurtze Beschreibung seiner Handlungen und Geschrifften: der Zeit nach, vom M.D.XVII. biß auf das XLVI. Jar seines Ableibens … aus dem Lateinischen übersetzt von Hueber, Johann Christoph, Ingolstatt 1582, Dilingen 1611. S. 109–111. Literaturhinweis Frank Aurich: Die Anfänge des Buchdrucks in Dresden: Die Emserpresse 1524–1526, Dresden 2000. Enno Bünz (Hg.): Bücher, Drucker, Bibliotheken in Mitteldeutschland. Neue Forschungen zur Kommunikations- und Mediengeschichte um 1500 (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 15), Leipzig 2006. Volker Leppin: „Biblia, das ist die ganze Heilige Schrift deutsch“. Luthers Bibelübersetzung zwischen Sakralität und Profanität, in: Jan Rohls/Gunther Wenz (Hg.): Protestantismus und deutsche Literatur, Göttingen 2004, S. 13–26. Thomas Kaufmann: Vorreformatorische Laienbibel und reformatorisches Evangelium, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, Vol. 101, No. 2 (2004), S. 138–174.
Nr. 145 Edikt Kurfürst Joachims I.: Verbot von Luthers Schriften Neben der vielfältigen Unterstützung durch ihm freundlich gesinnte Fürsten musste Luther aber auch den ausdrücklichen Widerstand etlicher Obrigkeiten zur Kenntnis nehmen. Deren Mandate setzten teilweise Forderungen der römischen Kontroverstheologen durch, nahmen allerdings auch die entstehenden Unruhen zum Anlass, im Interesse einer Befriedung ihrer Territorien das evangelische Schrifttum zurückzudrängen. Unter ihnen ist auch der Kurfürst von Brandenburg, Joachim I. Nestor (1484–1535). Er entstammte dem fränkischen Geschlecht der Hohenzollern. Von 1499–1535 regierte er als Markgraf von Brandenburg sowie Kurfürst und Erzkämmerer des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Bereits mit fünfzehn Jahren musste Joachim 1499 gemeinsam mit seinem zehnjährigen Bruder Albrecht, ab 1513 Erzbischof von Mainz und Kurfürst des Reiches, die Regierung übernehmen. Joachim regierte mit autokratischer Strenge, gründete bereits 1506 die Brandenburgische Landesuniversität Frankfurt an der Oder. 1527 setzte er ein einheitliches Erbrecht um, das sich stark am Römischen Recht orientierte. Religionspolitisch war Joachim ein erbitterter Gegner der Reformation. Unter seiner Herrschaft kam es außerdem zu einer massiven Judenverfolgung. Das Testament des Fürsten verfügte 1534, seine Erben mögen die Mark Brandenburg für alle Zeiten dem katholischen Glauben erhalten.
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Joachim, von Gottes Gnaden Markgraf zu Brandenburg und Kurfürst etc., zu Stettin, Pommern etc. Herzog etc. Unsern Gruß zuvor, lieben Getreuen. Wiewohl wir hievor aus Befehlich und Mandat Römischer Kaiserlicher Majestat, unsers allergnädigsten Herren, Martini Lutters Bücher, als der heiligen christlichen Kirchen entgegen, bei hoher Pön und Straf ernstlich verboten und uns jitzund aufs neu angelanget und gelaublich und wahrhaftig von andern, auch unser Universität und sonderlich der Doktorität und Magistern der Theologischen Fakultät und der Heiligen Schrift, unterrichtet werden, daß in der neuen verteutschten Bibel, Alt und Neue Testament, so in kurzen Tagen von Martino Lutter verteutschet und unter seinem Namen ausgegangen, über viel hundert Irrtumb begriffen und eingeleibt, dann er in vielen Orten [= an vielen Stellen] etzlich Wort und Sentenz, daran groß [= viel] gelegen, ausgelassen, auch an vielen Orten immer anders, denn die vorigen alten und der christlichen Kirchen genommenen Bücher an sich gehabt, zugesetzt und mancherlei Veränderung und Falschheit in deme gebraucht, auch dieselben Bibel also augenscheinlich verfalschet, welches dann zu merklicher Uneinigkeit christlich Glaubens gereicht und daraus mancherlei Aufruhr, so dem sollte zugesehen und dieselben Bücher in unsern Landen gestatt, kommen würde. Demnach und solichem zuvorzukommen, haben wir als ein christlicher Kurfürst bedacht, daß uns solches zuzusehen gestatten keineswegs gebühren will, dieweil dann auch etlich andere Kurfürsten und Fürsten dergleichen Bücher in ihren Fürstentum verboten und befehligt, daß Ihr von Stund an allen Eueren Inwohnern und Untertanen in ein Gemein versammlen lassen, anzeigen und gebieten, daß ein iglicher, er sei hohes oder niedern Standes, geistlich oder werentlich [= weltlich], sich solcher Bücher, so unter Martini Lutters Namen ausgangen und von ihme verteutschet, Alt und Neue Testament, äußeren [= enthalten], die nicht käufen oder lesen lassen, sondern so sie die haben, ohne Säumen Euch vorantworten, damit die nicht weiter unter die Leute zu Verführungen derselben ausgebreitet vorhalten werden, die wollet uns von Stund zuschicken. Wer aber dasselbige sich zu tun weigern oder in einigem Teile gegen dies unser Verbot handlen wurde, denselben und die wollet uns bei Euern Eiden und Pflichten anzeigen, damit wir uns gegen den oder denselbigen mit gebührlicher Maße und Strafe zu erzeigen wissen. Wo aber andere Evangelii Bücher, auch die Bibel, Alt und Neue Testament, lateinisch und teutsch, die hievor im Gebrauch gewesen und von Lutter nicht verteutschet, vorhanden und bei den Leuten wären, dieselben wollen wir zum Käuf und Lesen hiemit nicht gemeiner oder verboten haben: Dann unser Gemüt und Bedenken nie gewesen oder noch nicht ist, die Heilige Schrift oder evangelische Wahrheit zu verbieten, sondern allein die Voränderung und Vorfälschung der Bibel, so neulich unter Martini Lutters Namen ausgegangen, aus dem großen Aufruhr und Uneinigkeit zu besorgen, zu vorhüten und abzuschaffen. Hieran tut Ihr unser ernstlich Meinung, gönstlich in Gnaden zu erkennen. Datum Cöln an der Spree, am Sonntag Oculi, Anno 1524. Quellennachweis Adolf Friedrich Riedel: Codex diplomaticus Brandenburgensis. 3. Hauptteil. Bd. 3, Berlin 1861, S. 302 f. Wir folgen der Version in: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 334 f. (Anmerkungen übernommen).
Frauen und die Reformation
Literaturhinweis Lothar Voßmeyer: Brandenburgs Kurfürsten der Reformationszeit. Drei Hohenzollern-Porträts, Berlin 2014, S. 15–98.
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Frauen und die Reformation
In den Prozessen der Reformation bezogen Frauen auf vielfältige Weise aktiv Stellung. Als Verfasserinnen von Flugschriften bewirkten sie – unterstützt durch den Buchdruck – mehrfach öffentlichkeitswirksame Diskussionen und Aufmerksamkeit. So sind für den Zeitraum zwischen 1523 und 1534 18 gedruckte Flugschriften von Frauen erhalten.447 Hierzu zählen Argula von Grumbach, Ursula Weyda, Herzogin Ursula von Münsterberg, Florentina von Oberweimar und Katharina Zell. Letztere war darüberhinaus, wie auch Anna Zwingli, Katharina Luther (siehe Nr. 191), Katharina Melanchthon, Ottilie Müntzer (siehe Nr. 122) und Wibrandis Rosenblatt mit einem Reformator verheiratet. Es handelt sich bei ihnen somit um die ersten evangelischen Pfarrfrauen. Die reformatorischen Umwälzungen machten auch vor zahlreichen Klöstern nicht Halt. Die Debatte um eine klösterliche Reform verbreitete sich bereits im 15. Jahrhundert in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. Die angestrebten Reformen waren nicht von allen gleichermaßen erwünscht. Phasenweise überstieg die Zahl der Gegner sogar die der Reformbefürworter. Die mit der Reformation verbundenen Veränderungen in Klöstern und geistlichen Stiftungen provozierten mannigfaltige Widerstände. Teilweise setzten sich in ihnen die spätmittelalterlichen Debatten fort. Da die Klosterflucht reichsrechtlich immer noch stark geahndet wurde, befanden sich entlaufene Mönche und Nonnen in großer Gefahr. Nicht selten handelte es sich bei den geflohenen Nonnen um Angehörige des Reichsadels, deren finanzielle Mittel den Klöstern fehlten bzw. zurückgefordert wurden. Entsprechend entstanden zahlreiche Traktate in apologetischer wie auch in kontroverstheologischer Absicht. Literaturhinweis Anne Conrad (Hg.): „In Christo ist weder man noch weyb“. Frauen in der Zeit der Reformation und katholischen Reform, Münster 1999. Wilma Rademacher-Braick: Frei und selbstbewusst: reformatorische Theologie in Texten von Frauen (1523–1558), mit einem Geleitwort von Ute Gause, St. Ingbert 2017. Dorothee Kommer: Reformatorische Flugschriften von Frauen, Leipzig 2013. Frauen und Reformation: Zwischen Spindel und Bibel. Tagungsband, hg. v. der Evangelischen Akademie Wien, Wien 2012.
447 Vgl. hierzu Dorothee Kommer: Reformatorische Flugschriften von Frauen, Leipzig 2013.
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Frauen fo(e)rdern Reformation: Elisabeth von Rochlitz, Katharina von Sachsen, Elisabeth von Brandenburg, Ursula Weida, Argula von Grumbach, Felicitas von Selmnitz, hg. vom evangelischen Predigerseminar Wittenberg, Wittenberg 2004. Lisbeth Haase: Mutig und glaubensstark: Frauen und die Reformation, Leipzig 2011. Eva Labouvie (Hg.): Glaube und Geschlecht – Gender Reformation, Köln/Weimar 2019. Lyndal Roper: Das fromme Haus: Frauen und Moral in der Reformation. Aus dem Englischen von Wolfgang Kaiser, Frankfurt am Main/New York 1999. Sigrid Lampe-Densky: Reformation – verdrängt, verhindert, verweigert: Erneuerung und Befreiung in den frühen Jahren des 16. Jahrhunderts, Berlin 2017. Auf zur Reformation: selbstbewusst, mutig, fromm – Frauen gestalten Veränderung, hg. v. EvaMaria Bachteler und Petra Ziegler. Evangelische Frauen in Württemberg, Stuttgart 2016. Eva Schlotheuber: „Gelehrte Bräute Christi“: geistliche Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft, Tübingen 2018. Schattkowsky, Martina (Hg.): Frauen und Reformation: Handlungsfelder – Rollenmuster – Engagement, Leipzig 2016. Rebecca A. Giselbrecht/Sabine Scheuter (Hg.): „Hör nicht auf zu singen“: Zeuginnen der Schweizer Reformation, Zürich 2016. Johannes Schilling: Gewesene Mönche. Lebensgeschichten in der Reformation, München 1990. Dieter Mertens: Klosterreform als Kommunikationsereignis, in: Gerd Althoff (Hg.): Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, Stuttgart 2001, S. 397–420. Milena Svec Goetschi: Klosterflucht und Bittgang. Apostasie und monastische Mobilität im 15. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2015. Antje Rüttgardt: Klosteraustritte in der frühen Reformation: Studien zu Flugschriften der Jahre 1522 bis 1524, Gütersloh 2007.
Nr. 146 Argula von Grumbach: Brief an die Universität Ingolstadt (1523) Argula von Grumbach, geborene Reichsfreiin von Stauff, kam um 1492 in der Nähe von Regensburg zur Welt und verstarb vermutlich um 1554 oder 1557 in Zeilitzheim. Sie befürwortete schon recht früh die Reformation und verfasste bis 1524 acht Flugschriften, die mehr als 16 mal aufgelegt wurden. Argula wurde in frühen Jahren an den Münchner Hof gegeben, wo sie durch Herzogin Kunigunde mit der Bildung ihrer Zeit vertraut gemacht wurde. 1510 heiratete sie den fränkischen Reichsritter Friedrich (Wolfskeel) von Grumbach und brachte vier Kinder zur Welt. Sie war mit den Schriften Martin Luthers vertraut und korrespondierte mit Paul Speratus (Prediger in Würzburg), Georg Spalatin und Andreas Osiander. Den auf der Veste Coburg weilenden Martin Luther besuchte sie 1530, nachdem bereits ein Briefwechsel stattgefunden hatte, der jedoch nicht erhalten ist. Bekannt wurde Argula, als sie sich für den aufgrund seiner reformatorischen Überzeugungen ins Kloster Ettal verbannten Wit-
Argula von Grumbach: Brief an die Universität Ingolstadt (1523)
tenberger Magister Arsacius Seehofer448 engagierte, indem sie jeweils einen Brief an die Universität Ingolstadt sowie den regierenden Herzog Wilhelm von Bayern sandte. In diesem Zusammenhang entstand auch ihr Traktat Ain christentlich schrifft ainer Erbarn Frauen vom Adel, darin sy alle christentliche obrigkeit ermant, bey der Warheit und dem Wort Gottes zu bleyben und solches auf christenliche pflicht ernstlicher zu handthaben, in dem sie u. a. Vorschläge für eine Reformation in Bayern lieferte. Ihre Schriften fanden große Verbreitung weit über Bayern hinaus, sie wird auch deshalb als „die erste evangelische Schriftstellerin in Europa“449 bezeichnet.
Wie eine christliche Frau des Adels in Bayern durch ihren, in göttlicher Schrift wohlgegründeten Sendbrief, die Hohenschul zu Ingolstadt, um das sie einen evangelischen Jüngling zu Widersprechung des Wort Gottes, bedrängt haben, straft. Vorrede Brüder: Es ist Zeit, vom Schlaf aufzustehen. Denn unser Heil ist näher, als wir glauben. Darum, o christlicher Leser, und auch ihr verblendeten, blinden, wütenden Pharisäer, die ihr allwege dem heiligen Geist widerstanden habt, wollt ihr den Worten Christi nicht glauben, so glaubt doch den Werken, die er dadurch tut. [Joh 10,38] Legt ab den Deckel eurer großen Hoffart, Geiz und fleischlichen Wollust. Merket und greifet, wie gnädiglich, vetterlich, mannigfaltig und wunderbarlich Christus unser Seligmacher in diesen letzten Tagen (als im Anfang seiner Kirche auch geschah) uns nicht allein durch Gelehrte der Schrift, sondern auch durch andere viel jüngere und alte Manns- und Weibsbilder großen Beständigkeit, Pein, Marter und Tod zu seinem göttlichen, seligmachenden Wort locket und stärket und die Verfolger desselben so schämlich endlich schändet. Damit euer Herz nicht wie das des Pharaos [Ex 4,21] verstockt und verhärtet bleibe. So ihr doch nichts gewiesers spüret, denn so die Kinder (Luce am xix)450 schweigen, dass die Steine reden würden. Und (Johel am ij)451 nach dieser Zeit werd ich gießen meinen Geist auf alles Fleisch, und [es] werden prophezeien oder wahrsagen eure Söhne und eure Töchter, auch euer Knecht und Meyde. Und ich werde Wunder wirken im Himmel und auf Erden, ehe der große und erschreckliche Tag Gottes kommt. Welcher Spruch jetzt mancherley weiß, und sonderlich jetzt in gemeldetem Weib offenlich erscheinet, dieweil aus ihren nachgeschriebenem Sendbrief gefunden wird, dass sie darin die Schriftgelehrten der Hohenschul zu Ingolstadt (wie Judith am viij. die irrenden Priester [Jdt 8,9 ff.]) mit viel eingeführten unüberwindlichen
448 Vgl. hierzu auch Luthers Verteidigungsschrift in WA XV, S. 95 ff. 449 Peter Matheson: Argula von Grumbach, in: Das Reformatorenlexikon, hg. v. Irene Dingel und Volker Leppin, Darmstadt 2016, S. 125. 450 Lk 19,40: „Er [Jesus] antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.“ 451 Joel 3,1–4: „Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen. Auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen. Und ich will Wunderzeichen geben am Himmel und auf Erden: Blut, Feuer und Rauchdampf. Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des Herrn kommt.“
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göttlichen Schriften, von wegen ihrer Verfolgung des heiligen Evangeliums, [immer] wieder glaublich (und vormals von weiblichem Geschlecht dergleichen gar wenig und bey unsern Zeiten nie gehört) strafet, ermahnet und unterweiset. […] Ich finde einen Spruch, Mt 10, also lautend: Wer mich bekennt vor den Menschen, den bekenne ich auch vor meinem himmlischen Vater. [Mt 10,32] Und Lukas 9: Wer sich meiner schämt und meiner Worte, dessen werde ich mich auch schämen, so ich komm in meiner Majestät. etc. [Lk 9,26] Solche Worte, von Gott selbst geredet, sind mir allzeit vor meinen Augen. Denn es werden weder Frauen noch Männer darin ausgeschlossen. Aus diesem [Grund] werde ich als ein Christ gedrungen, euch zu schreiben. Denn Ezechiel 33: Siehst du sündigen deinen Brüder, so straf ihn oder ich will sein Blut erfordern von deinen Händen. [Ez 33,8] Mathei 12, sagt der Herr: Alle Sünden werden vergeben, aber die Sünde wider den heiligen Geist werden nicht vergeben, weder hier noch dort. [Mt 12,31] Und Johanis 6, sagt der Herr: Meine Wort sind Geist und Leben etc. [Joh 6,63] Ach Gott, wie werdet ihr bestehen mit eurer hohen Schule, dass ihr so töricht und gewaltiglich handelt wider das Wort Gottes und mit Gewalt zwingt, das heilige Evangelium in der Hand zu halten, dasselbige dazu zu verleugnen, wie ihr mit Arsacius Seehofer452 getan habt, und ihm einen solchen Eid und Vorschreibung [schriftliche Erklärung] vorgehalten [habt], [und ihn] mit Gefängnis und Androhung des Feuers dazu gezwungen, Christum und seines Worts zu verleugnen. Ja, so ich’s betracht, so erzittert mein Herz und alle meine Glieder. Was lehrt dich Luther oder Melanchthon anderes denn das Wort Gottes? Ihr verdammt sie unüberwunden; hat euch das Christus gelehrt oder seine Apostel, Propheten oder Evangelisten? Zeigt mir, wo es steht: Ihr hohen Meister, ich finde es an keinem Ort der Bibel, dass Christus noch seine Apostel oder Propheten [andere] gekerkert, gebrennt noch gemordet haben oder das Land verboten etc. Wisst ihr nicht, dass der Herr sagt, Mathei 10 [Mt 10,28]: Nicht fürchtet den, der euch den Leib nimmt und dann nicht mehr vermag, aber den sollt ihr fürchten, der die Macht hat, Seele und Leib zu versenken in die Hölle. Man weiß wohl wie sehr man der Obrigkeit Gehorsam sein soll. Aber über das Wort Gottes haben sie nichts zu gebieten, weder Papst, Kaiser noch Fürsten als Actuum 4 und 5. [Apg 4,19 f.; 5,29]453 Ich bekenne aber bei Gott und meiner Seelen Seligkeit, wo ich Luthers und Melanchthons Schrift verleugnet, das ich [damit auch] Gottes und seines Worts verleugnet; dafür Gott ewig sei. Amen. […] Ich hab lang [gehört], wie euer decretalischer Prediger zu unserer Frauen hat geschrien: Ketzer, Ketzer!, wiewohl es schlechtes Latein ist, so könnte ich es doch selber wohl, bin doch auf keiner hohen Schule gewesen. Aber zu probieren bedarf es mehr. Ich hab immer im Sinn gehabt, ihm zu schreiben, [er soll] mir die ketzerischen Artikel anzeigen, die der treue Arbeiter des Evangeliums, Martin Luther, gelehrt hat. Jedoch [wurde] mein Geist niedergedrückt und [ich
452 Arsacius Seehofer wurde um 1505 in München in eine wohlhabende Handwerkerfamilie geboren. Er studierte in Ingolstadt und wurde nach einem kurzen Besuch in Wittenberg zum Anhänger der Reformation. Nach einer an Melanchthon orientierten Vorlesung über die Paulusbriefe wurde er inhaftiert und konnte erst nach geraumer Zeit fliehen. Auf Empfehlung Melanchthons erhielt er verschiedene Lehrerstellen in Celle, Eisfeld und Augsburg. 1539 oder 1545 verstarb er als Pfarrer in Winnenden. 453 Apg 4,19 f.: „Petrus aber und Johannes antworteten und sprachen zu ihnen: Urteilt selbst, ob es vor Gott recht ist, dass wir euch mehr gehorchen als Gott. Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“; Apg 5,29: „Petrus aber und die Apostel antworteten und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Die Übersetzung folgt stets der Lutherbibel in revidierter Fassung von 2017.
Argula von Grumbach: Brief an die Universität Ingolstadt (1523)
habe es] mit Schwermütigkeit unterlassen; [aus der] Ursache, dass Paulus sagt 1. Thimo. 2: Die Weiber sollen schweigen und nicht reden in der Kirchen. [1. Tim 2,12; vgl. 1. Kor 14,34 f.] Nun ich aber in dieser Art keinen Mann sehe, der reden will noch darf, dringt mich der Spruch: „Wer mich bekennt (…)“, wie oben angezeigt, und nehme für mich Isai am 3 [Jes 3,4]: Ich schick ihnen Kinder zu Fürsten und Weiber oder Weibische werden sie beherrschen. […] Höret ihr, dass uns den Verstand Gott und kein Mensch geben kann? Als auch Paulus 1. Kor am 2: Euer Glaube soll nicht sein in der Weisheit der Menschen, etc. [1. Kor 2,5] Ihr werdet uns mit euern päpstlichen Gesetzen lang nicht dazu bringen. […] Wo es aber in der Bibel […] gegründet ist, wollen wir es gern und fröhlich annehmen. Wo aber nicht, gilt es uns eben nichts, als soviel, als ich meinen schwachen unverständigen Bruder davor schonen muss, solang, bis er auch unterwiesen wird. […] Ich spreche mit Paulus am 1 zu den Kor am 2 [Röm 1,16]: Ich schäme mich nicht des Evangeliums, welches die Kraft Gottes ist, die da selig macht, [alle], die daran glauben. Der Herr sagt Mat am 10 [Mt 10,19]: So ihr werdet vorgeführt, sorgt nicht, was ihr werdet reden, ihr seid nicht, die da redet, in derselben Stunde wird euch gegeben, was ihr reden sollt. Und der Geist eures Vaters redet durch euch. Ich kann kein Latein, aber ihr könnt Deutsch, in dieser Zung geboren und erzogen. Ich hab euch nicht Weibergeschwätz geschrieben, sondern das Wort Gottes als ein Glied der christlichen Kirche, vor welcher die Pforten der Hölle nicht bestehen mögen, aber vor der römischen bestehen sie wohl. Besehet nur dieselbige Kirche, wie sie vor der Pforten der Hölle bestehen werde, Gott gebe uns seine Gnade, dass wir alle selig werden und regiere es nach seinem Gefallen; nun walte seine Gnad. Amen. Datum Dietfurt sonntags nach Erhebung des heiligen Kreuzes Anno Domini Etc. Tausendfünffhundert und in dem dreiundzwanzigsten Jahr. Mein Handschrift. Argula von Grumbach Eine geborene von Stauff Quellennachweis Wie ain Christliche Fraw des Adels […] Sendtbrieffe/die Hohenschul zu Ingolstadt, 1523, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Wir folgen der Version in: Argula von Grumbach. Schriften, bearb. und hg. v. Peter Matheson, Gütersloh 2010, S. 63–75, hier 63–65; 67 f.; 75 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Peter Matheson: Argula von Grumbach. Eine Biographie, Göttingen 2014. Silke Halbach: Argula von Grumbach als Verfasserin reformatorischer Flugschriften, Frankfurt am Main [u. a.] 1992. Uwe Birnstein: Argula von Grumbach: das Leben der bayerischen Reformatorin, Schwarzenfeld 2014. Peter Matheson: Argula von Grumbach (ca. 1492–1554/1557), in: Das Reformatorenlexikon, hg. v. Irene Dingel und Volker Leppin, Darmstadt 2 2016, S. 123–127. Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2010, S. 17–31. Theodor Kolde: Arsacius Seehofer und Argula von Grumbach, in: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte. Bd. 11, o. O. 1905, S. 47–77; 97–124; 149–188.
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Nr. 147 Ursula Weyda: Flugschrift (1524) Ursula Weyda454 (1510 bis nach 1565) gehörte neben Argula von Grumbach zu den ersten Frauen, die sich durch eine publizierte Flugschrift in die theologischen Auseinandersetzungen um die reformatorische Bewegung einmischten und damit eine Diskussion v. a. über die Berechtigung von Frauen an theologischen Diskussionen maßgeblich beförderten. Über ihr Leben und Wirken liegen nur wenige Informationen vor: Sie entstammte der adeligen Familie von Zschöpperitz in Altenburg und war die Frau des kurfürstlichen Verwaltungsbeamten (sog. „Schössers“455 ) Johann Weida (Weyde), mit dem sie im thüringischen Eisenberg bei Gera lebte. Vor allem durch ihren Mann, der für die Reformation des Zisterzienserinnenklosters Eisenberg zuständig war, hatte sie vermutlich Kontakt mit Schriften Luthers. Im Jahr 1524 wurde die Flugschrift Ursula Weydas in Zwickau mit dem Titel Wyder das unchristlich schreyben un Lesterbuch / des Apts Simon zu Pegau unnd seyner Brüder. Durch Ursula Weydin Schösserin zu Eyssenberg / Eyn gegründe Christlich schrifft Götlich wort und Ehelich Leben belangende456 gedruckt und umfasst zwölf Blätter. Der Anlass ihrer Schrift war eine Schrift des Abts des Klosters von Pegau457 (Verderben und Schaden der Lande458 ), worin er Luther für Aufstände und Verderben des Landes, Niedergang von Universitäten, Arbeitslosigkeit usw. verantwortlich macht. Ursula Weyda nimmt in ihrer Schrift – sowohl als Frau als auch als Laientheologin – Stellung zum Evangelium, insbesondere auch zum Zölibat und zur Ehe. Dabei bedient sie sich auch eines für das 16. Jahrhundert nicht unüblichen harschen Sprachstils. Durch die Veröffentlichung ihrer Flugschrift hat Ursula Weyda weitere Publikationen zum Thema bewirkt, vor allem eine Ausweitung der Diskussion um öffentliche weibliche Meinungsäußerungen zu theologischen Sachverhalten. Es gab herbe Kritik an ihrer Schrift, aber auch Zuspruch: Eine als Apologia für die Schösserin zu Eisenberg 459 publizierte Schrift verteidigt Ursulas Ansichten und Tun. Sie wurde sehr wahrscheinlich von einem Mann verfasst. 454 Auch bekannt als: Ursula Behm, Ursula Pehem, Ursula von Schoppritz, Ursula Weida, Ursula Weydin, Ursula von Zschöpperitz. 455 Daher begründet sich auch Ursulas (Selbst-)Bezeichnung als „Schösserin“. 456 Originaltitel: Wyder das vnchristlich schreyben vnd // Lesterbuoch / des Apts Simon zuo Pegaw vnnd seyner // Brueder. Durch Vrsula Weydin Schoesserin zuo // Eyssenbergk / Eyn gegründe Christlich // schrifft Goetlich wort vnnd Ehe= // lich leben belangende zitiert nach der Textwiedergabe in: Gisela Brandt: Ursula Weyda – prolutherische Flugschriftautorin (1524). Soziolinguistische Studien zur Geschichte des Neuhochdeutschen, Stuttgart 1997, S. 279–301. 457 Zur fraglichen Autorschaft jener Schrift siehe: Wilma Rademacher-Braick: Frei und selbstbewusst, St. Ingbert 2017, S. 81. 458 Originaltitel: Verderben vnd schaden der Lande // vnd leuthen am gut leybe ehre vnnd // der selen seligkeit auß Lutherischen vnd seins anhangs / lehre // zugewant / durch Simonem Apt zu Begawe mit einhelli= // ger seiner Brueder vorwilligung. 459 Originaltitel: Apologia fur // die Schösserin zu Eysenbergk // Auff das gotlose Buechlin so fur Ern Simon
Ursula Weyda: Flugschrift (1524)
Wider das unchristlich Schreiben des Abts zu Pegau und seiner Brüder Durch Ursula Weidin Schösserin zu Eissenberg. Mein Abt, dein Büchlein, das du wider göttliche Lehre und das heilige Evangelium hast ausgehen lassen, ist mir auch zu Händen gekommen, darin du reichlich deinen Unverstand an den Tag gibst, wie du in der Schrift ja so wenig weißt, wie ein grober, unbehauener Klotz, hast du doch die Schrift durchwühlt wie eine unflätige Sau […] keinen Spruch, den du einführest, [hast du] seinen natürlichen Verstand gelassen. Es hat mich wahrlich deiner Unwissenheit und groben Anlauffens hoch erbarmt, dass dich Gott mit so greiflicher Finsternis […] geplagt hat. […] Oh, wehe euch, ihr falschen Propheten, die ihr uns stehlet und verdreht die Worte des lebendigen Gottes, die ihr das Wort des Herrn verlästert und nicht annehmt. Die es aber annehmen, hindert ihr mit eurem Leben und Lehren, ihr Propheten, Pfaffen und Mönche von den kleinsten bis auf den größten, die ihr ohne Gottes Wort allein mit eitel lauter Lüge und Trüge handelt […] und will dir nicht aus eigenem Gutdünken, sondern aus der Schrift anzeigen, das nicht der falschen, teuflischen päpstlichen Kirche zu glauben sei und alter Gewohnheit nicht zu folgen (denn hierin ist wahrzunehmen die Regel Pauli 1. Thessa. 5 Allzeit prüfet alles und das Gute haltet460 ), sondern allein der Schrift und reinem göttlichen Wort. Nach dem klaren Spruch Esa. xl. [Jes 40,6–8] Das Wort Gottes bleibt ewig, Menschen und Gewohnheit sein vergänglich461 und dass das weltlich eheliche Leben von Gott eingesetzt christlich [sei], aber euer mönchisch unehelich Leben von Menschen erdichtet teuflisch sei. Die aber solches erdichteten Lebens verabschieden, sind nicht abtrünnig und meineidig, sondern ihr Mönche seid meineidig an eurer Taufe und eurem Glauben geworden. […] Deshalb, du junger Mönch und [oder] Nonne, empfindest du Brennen deines Fleisches und kannst nicht Keuschheit halten, so spring mit freiem, sicheren Gewissen aus und lass Kloster, Platten, Kappen liegen, unangesehen, ob du tausend Eide getan hast […] und halt dich wieder zu deinem ersten Gelöbnis, dass du Gott in der Taufe gegeben hast, das ist Gott anzuhangen, seinen Worten zu folgen. Werde dazu ehelich, wie dich Gottes Wort lehrt und du zum ersten in der Taufe zu halten gelobet hast. Schilt man dich hierüber einen Buben oder eine Bübin, meineidig oder abtrünnig, so achte solch Geplärr gar nicht, wenn auch Leiden daraus folgen würden. So leide, was zu leiden ist, ist besser gelitten und totgeschlagen zeitlich, denn ewig zum Teufel fahren. […] Ich weiß wohl, dass [es] spöttisch und für geringen Wert angesehen [wird], dass sich ein Weibsbilde unterstehe, solch großen Hansen zu strafen, die antworten werden, wie etwa die stolzen Pharisäer zum Blinden sagten Johannes 9: Willst du uns lehren? Willst du eine fremde Sache verantworten, welche dich nicht belangt? Aber was gehet mich ihre Widerrede an, mir wäre von Herzen leid, wenn der fromme christliche Luther seine Zeit nicht nützlicher sollte zubringen, als solchen Eseln zu antworten. Dazu so weiß ich, dass Christus gleich als wohl zu mir als zu allen Bischöfen gesegt hat, Matth. 10. Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem Vater, der im Himmel ist. Der aber mein Wort vorleugnet vor den Menschen, den will ich auch vor meinem Vater verleugnen […] Der allmächtige Gott aber // So sich schreybt von Gots vnnd deß, // Roemischen Stuols gnaden // Apt zuo Pegaw. // C.D.V.N. id est. Contz Drometers von Niclaß= // hausen […]; zu den bibliografischen Angaben siehe: Wilma Rademacher-Braick: Frei und selbstbewusst, St. Ingbert 2017. S. 84. 460 1. Thess 5,21: „Prüfet aber alles und das Gute behaltet.“ 461 Jes 40,6–8: „Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.“
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erbarme sich deiner und erleuchte dein Herz mit seiner Gnade, achte dir diese Torheit nicht zu […]. Aber Gott gebe seine Gnade und erhalte sein Wort wie er angefangen hat, für solche großen und kleinen Teufel, die das zu verhindern gedenken. Erleuchte und führe uns in den Weg und die Wahrheit, dass wir nicht verführt werden […] wie Joh. 14. Denn das göttliche Wort ist der Weg, die Wahrheit und das Leben […]. Quellennachweis Gisela Brandt: Ursula Weyda – prolutherische Flugschriftautorin (1524). Soziolinguistische Studien zur Geschichte des Neuhochdeutschen, Stuttgart 1997, S. 279–301, hier 282 f.; 296f.; 300–301 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Dorothee Kommer: Reformatorische Flugschriften von Frauen: Flugschriftenautorinnen der frühen Reformationszeit und ihre Sicht von Geistlichkeit, Leipzig 2013. Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2017, S. 33–43. Wilma Rademacher-Braick: Frei und selbstbewusst: reformatorische Theologie in Texten von Frauen (1523–1558); mit einem Geleitwort von Ute Gause, St. Ingbert 2017, S. 80–92.
Nr. 148 Katharina Zell: Verteidigungsschrift Entgegen der durch die Ehe mit Matthias Zell entstandenen Gerüchte und die Exkommunikation ihres Mannes veröffentliche Katharina Zell 1524 eine Entschuldigung Katharina Schützinn für M. Matthes Zellen, jren Eegemahel,462 in der sie die Ehe der beiden verteidigte und sich damit für die generelle Priesterehe einsetzte. Bei der Beerdigung ihres Mannes 1548 hielt Martin Bucer die Grabrede, danach ergriff auch Katharina das Wort, würdigte Leben und Werk ihres Mannes und mahnte zur Fortführung der reformatorischen Lehre. Dieser öffentliche Auftritt war höchst ungewöhnlich für eine Frau ihrer Zeit und brachte ihr den Vorwurf ein, „Doktor Katrina“ zu sein. Sie antizipierte dies deshalb wie folgt: „Ich bitt euch aber zuvor, dass ihr mir nichts für übel aufnehmen, noch [euch] an mir ärgern wollt, als ob ich mich jetzt in das Amt der Prediger und Apostel stellen möchte; nein, gar nicht, sondern allein wie die liebe Maria Magdalena ohne Vorbedacht ihrer Gedanken zu einer Apostelin ward und vom Herrn selbst gedrängt, den Jüngern zu sagen, dass Christus erstanden wäre, also ich jetzt auch.“463 Im Folgenden ein Auszug aus der oben genannten Verteidigungsschrift von 1524.
462 Der vollständige Titel lautet: Entschuldigung Katharina Schützinn / für M. Matthes Zellen / jren Eegemahel / der ein Pfarrher und dyener ist im wort Gottes zů Straßburg. Von wegen grosser lügen uff jn erdiecht. 463 Klagrede und Ermahnung Katharina Zellin zum Volk bei dem Grab m. Matheus Zellen. Manuskript bei Wilhelm Horning: Beiträge zur Kirchengeschichte des Elsasses VII (1887), S. 49–79; 113–121.
Katharina Zell: Verteidigungsschrift
Meinst du, dass mir diese Sache nicht auch am Herzen liege, dass ich sehe, wie viele Seelen bislang und noch weiterhin dem Teufel anheim gefallen sind? Das ist auch ein Grund dafür gewesen, dass ich geholfen habe, die Pfarrerehe einzuführen und mit Gottes Hilfe die erste in Straßburg zustande gebracht habe, da ich doch ursprünglich willens war, überhaupt keinen Mann zu nehmen. Als ich aber die große Angst und den Widerstand und auch die wilde Hurerei sah, habe ich selbst einen genommen; ich hoffte damit, allen Christen Mut zu machen und einen Weg zu eröffnen, was, wie ich hoffe, auch geschehen ist. Darum haben sich auch, als ich ein Büchlein geschrieben habe, in dem ich den Grund meines Glaubens und die Beweggründe meiner Ehe dargelegt habe, viele darüber gewundert.464 Denn niemand hatte an mir derartige Worte oder Taten wahrgenommen, dass ich in die Ehe eintreten wollte. Darum habe ich notgedrungen den Frommen meine Entschuldigung und Gründe dargetan, wie uns Petrus lehrt (1. Petr 3,15). Diese Gründe haben auch meinen Ehegemahl bewegt, soweit ich es von ihm erfahren habe und auch nicht anders finden oder wahrnehmen kann: dass er die Ehe eingegangen ist, weil er bestrebt war, Gottes Ehre und sein Heil und das seiner Brüder aufzurichten. Denn ich kann nichts Unschickliches, was Lust oder anderes angeht, an ihm finden. Denn ich bin nicht so übermäßig mit Schönheit, Reichtum oder anderen Tugenden ausgestattet, dass einen das bewegen könnte. Aus dieser seiner Handlung in Lehre und Leben hat er solche Missgunst der Gottlosen auf sich gezogen, dass sein Leib und Leben geradezu den Vögeln in der Luft und den Würmern in der Erde ausgesetzt und frei gegeben war, von den Menschen gar nicht zu reden. Damit ich aber wieder zu meinem ersten Anliegen zurückkomme, ihn zu verteidigen: Diese Missgunst ihm gegenüber ist so tief in die Herzen der Gottlosen eingewurzelt, dass sie, wenn es ihnen schon nicht gelingt, ihm an Leib, Seele und Leben Schaden zuzufügen, so gewaltige teuflische Lügen über ihn ausgedacht und erzählt und im ganzen Land schriftlich verbreitet haben und das noch weiter tun. […] Als ihnen alles nicht helfen wollte und sie immer nur der Lüge überführt wurden, haben sie aber noch etwas anderes versucht und teuflische üble Lügen ausgedacht und in Straßburg und im ganzen Land verbreitet und erzählt, dass er mich so übel behandle und mich schlage und dergleichen […]. Was soll ich dazu anderes sagen, als dass sie Kinder des Teufels sind, der selbst ein Lügner ist und solche Lügen in ihnen wirkt. Denn sie haben ohne Grund, allein durch Einflüsterung des Teufels so etwas ausgedacht. Denn er ist – Gott ist mein Zeuge, dass ich hier nicht lüge, ich will keinen größeren haben – mit mir und ich mit ihm keine Viertelstunde, das heißt in summa, keinen Augenblick uneins gewesen und hat mir nie ein Leid zugefügt, sei es groß oder klein, mit Worten oder mit Werken, und ich hoffe, dass das von mir ihm gegenüber genauso gilt. Ich weiß bis zur Stunde auch nichts anderes, als dass wir einander unsere Wünsche (gedencken), sofern sie göttlich sind, stets erfüllen möchten. […] In summa, um kurz zu schließen: Dafür, wie er sein Leben geführt hat, ehe ich seine Frau geworden bin, will ich keine Verantwortung übernehmen. Er hat sich eben verhalten, wie es Päpste und Bischöfe haben wollen, die die Ehe verbieten, die Gott gebietet, und die das Huren erlauben, das Gott verbietet. Darum habe ich ihn in Ansehung seines und anderer Leben genommen und habe mir vorgenommen, seine und viele Seelen durch Gottes Gnade und Kraft zu gewinnen, und ich hoffe, das auch Gott getan zu haben. Aber seit ich seine Frau geworden bin, da will ich für ihn eintreten und meine Ehre, Leib und Leben für ihn einsetzen, dass solche Lügner sich völlig ohne sein Verschulden und ohne Grund so gegen ihn wenden und Lügen über ihn ausbreiten […].
464 Das Buch ist leider nicht erhalten.
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Ich kenne keine größere Ehre, die wir erleben können, als dass wir, wenn wir nach den Maßstäben dieser Welt in Schande sterben einander, er mir und ich ihm, fröhlich am Kreuz Zuspruch leisten und uns stärken werden. Darum wollen ich und er solche Lügen und alle Schmach, ja selbst den Tod in aller Geduld, Friede und Freude, der Frucht des Geistes (Gal 5,22) empfangen und sagen mit dem Propheten Jesaja im 41. Kapitel (V.23): „Tut Gutes oder Böses, wie ihr wollt, so wollen wir miteinander reden und sehen und uns vor niemandem fürchten.“ Quellennachweis Entschuldigung Katharina Schützinn / für M. Matthes Zellen / jren Eegemahel / der ein Pfarrher und dyener ist im wort Gottes zů Straßburg. Von wegen grosser lügen uff jn erdiecht. Straßburg 1524. In der kritischen Ausgabe von Elsie Anne McKee: Elisabeth Schütz Zell. Bd. 2: The writings. A critical Edition, Leiden u. a. 1998, S. 21–47, hier 39–44. Wir folgen der Version mit Anmerkungen und sprachlichen Anpassungen nach Volker Leppin (Hg.): Reformation. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Ein Arbeitsbuch. Bd. III, Neukirchen-Vluyn 5 2005, S. 96–98. Literaturhinweis Elsie Anne McKee: Elisabeth Schütz Zell. Bd. 1: The life and thought of a sixteenth-century reformer, Leiden u. a. 1998. Dies.: Katharina Schütz Zell (ca. 1498–1562), in: Das Reformatorenlexikon, hg. v. Irene Dingel und Volker Leppin, Darmstadt 2 2006, S. 220–225. Roland Herbert Bainton: Frauen der Reformation: Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli, Gütersloh 3 1996, S. 56–83. Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2017, S. 45–58. Thomas Kaufmann: Pfarrfrau und Publizistin. Das reformatorische „Amt“ der Katharina Zell, in: Zeitschrift für Historische Forschung 23 (1996), S. 169–218. Lisbeth Haase: Katharina Zell: Pfarrfrau und Reformatorin, Stuttgart 2002. Martin H. Jung: Katharina Zell, geb. Schütz (1497/98–1562). Eine Laientheologin der Reformationszeit?, in: ders.: Nonnen, Prophetinnen, Kirchenmütter: Kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliche Studien zu Frauen der Reformationszeit, Leipzig 2002, S. 121–168.
Nr. 149 Katharina Zell: Brief an die Frauen in Kenzingen Katharina Zell (geb. Schütz, 1497–1562) engagierte sich mit ihrem Mann Matthias Zell für die Reformation in Straßburg. Sie schrieb zahlreiche Werke, darunter ein Buch mit Liedern (1534) und den Trostbrief an Frauen Den leydigen christenglaubigen weybern zu kentzingen sowie eine streitbare Entgegnung auf altgläubige Polemik. Sie gab Anregungen zum städtischen Sozialgefüge und forderte das Diakonenamt für Frauen.
Katharina Zell: Brief an die Frauen in Kenzingen
Kenzingen ist ein kleiner Ort im nördlichen Breisgau, etwa 40 Kilometer von Straßburg entfernt. Der dortige reformatorisch eingestellte Pfarrer Jakob Otter wurde aus seiner Stadt vertrieben. Etwa 150 Männer der Gemeinde standen hinter ihm und begleiteten ihn einen Teil des Weges. Als sie wieder zurückkamen, fanden sie die Stadttore verschlossen und von Soldaten bewacht. Einer von ihnen wurde gefangen genommen und hingerichtet. Daraufhin flohen die anderen und fanden Schutz in Straßburg. Katharina Zell besorgte ihnen Unterkünfte, zum Teil im Zellschen Pfarrhaus. Sie schrieb den zurückgebliebenen Ehefrauen einen Brief, um sie zu ermutigen und die Gedanken der Reformation weiter zu unterstützen. Der Brief wurde als Traktat veröffentlicht. Den Leidenden christgläubigen Frauen der Gemeinde Kenzingen: meinen Mitschwestern in Christo Jesu zu Händen (1524) Gnade, Frieden, Heil und Stärke und langmütige Geduld will Gott der Vater aller Barmherzigkeit mit überflüssiger Fülle zu euch schicken und geben durch den Verdienst Jesu Christi, in euer emsiges Leiden und von Gott gesandtes Trübsal, christlich, besonders in Gott geliebte Schwestern und gläubige Weiber der ganzen Gemeinde zu Kenzingen. Ich und wir alle, so bei mir in Christo eins sind, wissen und bedenken wohl, und das mit mitleidigem Herzen, eure große Quälung, so ihr leidet um Christi willen. Und freuen uns aber auch dessen mit euch mit fröhlichem, innerlichem Gemüte, so wir dabei hören und spüren euren von Gott gegebenen Glauben, den ihr dabei habt. […] Also auch ihr, glaubhaftigen, gottgeliebten Weiber, Christus sagt: Wer nicht mag verlassen Vater und Mutter, Weib, Mann und Kind und alles, was er hat, um meinet- und des Evangeliums willen, der ist meiner nicht würdig etc. [Lukas 14,26] Wer aber um meinetwillen verlässt Vater und Mutter, Weib, Mann und Kind, Acker und Matten, dem will ichs hundertfältig wiedergeben und dort das ewige Leben. […] Darum, wer mich bekennt vor diesem ehebrecherischen und argen Geschlecht, den will ich auch bekennen vor meinem Vater und seinen Engeln. Wer aber mich verleugnet und sich mein und meiner Worte schämt, den will ich auch verleugnen und mich seiner schämen vor meinem Vater. [Mt 10,33] […] Also auch ihr, wollet ihr Christen sein und mit ihm in seine Herrlichkeit gehen, so müsst auch also mit ihm leiden. Darum begegnet euch Schmach, ja, ob ihr würdet ins Halseisen gestellt, und das um Christi willen. O wie selig seid ihr. Wollte Gott, dass er mich so gnädig und günstig ansehe und mir solch große Ehre gönnen wollte. Wenn ich also etwas ungleicher und doch gleicher Gaben mit seinem allerliebsten Christus haben sollte und mit euch solches leiden, wollte ich freudiger, hochfertiger und fröhlicher darin sein, denn aller Adel in der Straßburger Messe in ihren goldenen Ketten und Halsbändern gewesen sind, ja fröhlicher darin stehen, als wenn ich des römischen Kaisers Weib wäre und auf dem Sitz seiner höchsten kaiserlichen Majestät säße. […] Darum, liebe christliche Weiber, gedenkt dieser Worte, die nicht meine, sondern des Geistes Gottes sind und seid dankbar und empfänglich [für] solche Gottesgaben. Christus sagt: Der mir will nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. [Mt 16,24] […] Ich hab dich einen Augenblick, eine kleine Zeit verlassen. Aber ich sammle dich wieder in grosser Erbarmung. [Jes 58,4] […] Solcher Worte seid eingedenk, daß er euch nicht verlassen
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will noch euer vergessen, wie er denn auch im Propheten sagt. Sowenig als die Mutter ihres saugenden Kinds mag vergessen, so wenig mag ich euer vergessen. Und ob sie sein vergisst, so mag ich doch euer nicht vergessen. [Jes 49,15] […] Sind das nicht tröstliche, goldene Worte einem Glaubenden, dass ihm Gott, der da nicht lügen kann, seine Hilfe vielfältig mit dem höchsten Eid, das ist, bei ihm selbst, verspricht, dass er ihn nicht verlassen will? […] Liebe Schwestern, ob aber schon etwa euer Glaube kleinmütig wird und das Fleisch wider den Geist ficht, erschreckt darum nicht. Es ist ein seliger Kampf, also muss es sein. Der Glaube ist kein Glaube, der nicht angefochten wird. […] Bedenkt die Worte Christi, da er sagt: Selig sind, die so da hier traurig sind, denn sie sollen getröstet werden [Mt 5,4] und selig sind, die so um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihrer [Mt 5,10], und ermahnt euch und alle die seinen, solches in Geduld und Liebe anzunehmen. Er sagt: Habt lieb eure Feinde. Benedeit [segnet] die, die euch vermaledeien [verfluchen]. Bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder eures Vaters im Himmel seid. [Mt 5,44] […] Darum sollt ihr vollkommen sein gleich wie euer Vater im Himmel vollkommen ist [Mt 5,48]. Dies kann aber niemand tun, [außer] er habe denn Christi Geist, den will er euch senden nach seiner Verheissung. Derselbe will euer Tröster und Beschirmer sein [Joh 14,16]. Amen. Gegeben Freitag Sankt Maria Magdalena Tag, Anno tausendfünfhundertzwanzig und vier Jahr. Katherina Schützin ein Ehegemahl Matthei Zell, Kinder des Wortes Gottes der christlichen Gemeinde zu Straßburg, eure Mitschwester in Christo. Quellennachweis Den leydenden Christglaubigen weybern der gmein zu Kentzigen minen mitschwestern in Christo Jesu zu handen. Katharina Schützin. M.D. xxiiij. In der kritischen Ausgabe von Elsie Anne McKee: Elisabeth Schütz Zell. Bd. 2: The writings. A critical Edition, Leiden u. a. 1998, S. 4–13, hier 4; 7–13 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Elsie Anne McKee: Elisabeth Schütz Zell. Bd. 1: The life and thought of a sixteenth-century reformer, Leiden u. a. 1998. Roland Herbert Bainton: Frauen der Reformation: Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli. Gütersloh 3 1996, S. 56–83. Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2017, S. 45–58. Thomas Kaufmann: Pfarrfrau und Publizistin. Das reformatorische „Amt“ der Katharina Zell, in: Zeitschrift für Historische Forschung 23 (1996), S. 169–218. Lisbeth Haase: Katharina Zell: Pfarrfrau und Reformatorin, Stuttgart 2002. Martin H. Jung: Katharina Zell, geb. Schütz (1497/98–1562). Eine Laientheologin der Reformationszeit?, in: ders.: Nonnen, Prophetinnen, Kirchenmütter: Kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliche Studien zu Frauen der Reformationszeit, Leipzig 2002, S. 121–168.
Ursula von Münsterberg: Rechtfertigung der Klosterflucht
Nr. 150 Ursula von Münsterberg: Rechtfertigung der Klosterflucht Ursula von Münsterberg (1491/1497–1534) war Nonne des Klosters der heiligen Maria Magdalena von der Buße in Freiberg (Sachsen) und Enkelin des Königs von Böhmen, Georg von Podiebrad (1420–1471). Aufgrund des frühzeitigen Todes ihrer Eltern wuchs sie mit ihren Cousins, den späteren Regenten Georg und Heinrich von Sachsen, am Hof des Herzogs Albrecht von Sachsen auf, bis sie (vermutlich im Alter zwischen neun und 15 Jahren) von ihrer Tante in das Freiberger Frauenkloster geschickt wurde. Dem Ordensleben überdrüssig und mit heimlich eingeschleusten reformatorischen Schriften sowie mit einem lutherisch gesinnten Prediger in Kontakt gekommen, floh sie am 6. Oktober 1528 mit zwei weiteren Nonnen (Dorothea Tanberg und Margaretha Volckmar) aus dem Kloster und fand – mit einer Zwischenstation bei einem Pfarrer in Leisnig – schließlich am 16. Oktober 1528 Zuflucht bei Luther in Wittenberg. Ihre Flucht (sie war immerhin eine Verwandte der Regenten) hatte einen schnellen und intensiven Briefwechsel zwischen den Herzogen Georg und Heinrich von Sachsen einerseits und Kurfürst Johann andererseits zur Folge. Ursula von Münsterberg war in das Gebiet des Kurfürsten geflohen, die beiden Herzöge forderten ihre Auslieferung. Ihre in diesem Zusammenhang publizierte Flugschrift465 über die Rechtfertigung ihrer Entscheidung, zu der Luther ein Nachwort466 lieferte, sorgte für weitere Brisanz des Themas und gibt einen Einblick über ihre Gründe für die Klosterflucht, insbesondere die Infragestellung des Klostergelübdes.
Von Gottes Gnaden Ursula geborene Herzogin zu Münsterberg und Troppau, Gräfin zu Glatz etc. etwa zu Freiberg im Kloster, samt zweien Jungfrauen auch von dannen, nämlich Dorothea Thanbergin und Margareta Volckmarin einträchtigen Gemütes. Paulus 1. Corinth 10 [1. Kor 10,32] sagt: Seid unanstößig beide den Griechen und Juden und der Gemeinde Gottes. Diesem nach haben wir nicht unterlassen wollen, für einen jeden, der es begehre zu wissen, an Tag zu geben, Grund und Ursachen, durch welche wir verursacht sind, [das] Klosterleben samt denselben Zeremonien, Weisen, Stelle und Personen zu verlassen. Fleißig begehrend, [dass] ein jeder fromme Christ, so solches hören und sehen wird, die großen gefährlichen Nöte unseres Gewissens, darin wir gewesen sind, beherzigen wolle und an welchen er wird befinden, dass wir in keinem andern Wege dem unvermeidlichen Urteil Gottes […] haben mögen entfliehen, denn eben durch diese Weise. Aus welchem er auch wird erkennen, dass solches aus keinem leichtfertigen Gemüte geschehen sei, noch aus keinem schnellen Zufall, sondern allenthalben bewogen und wohlbedacht. Sind der Zuversicht zu einem jeden, der durch göttliche Gnade des Glaubens berichtet und von Gott gelehret ist, dass ihm solches kein Ärgernis sein wird, sondern mehr eine Stärkung, Gott
465 Der durchleuchtigen // hochgebornen F. Vrsulen, Her= // tzogin zu Monsterberg etc. Gre= // fin zu Glotz etc. Christlich // vr // sach des verlassen Klo= // sters zu Freyberg. 466 WA 26, S. 623 ff.
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zu loben und zu preisen, der die Seinen aus solcher gefährlicher Not erretten kann. Wiewohl wir denen, die mit verstocktem Herzen Gottes Wort verachten und verfolgen, kein Wort nicht wollen geantwortet haben hierin, sondern wir lassen sie fahren, denn sie sind blind […]. Derhalben, so wir uns alleine auf Gott und sein Wort stützen, wird unsere Verantwortung freilich nichts gelten bei denen, die vor ihren Augen den gekreuzigten Christum zu einem Ärgernis und Torheit haben, welchen wir bekennen [als] göttliche Kraft und göttliche Weisheit. Welchem ewiger Preis sei zu ewigen Gezeiten. Amen. Die erste Ursache, die uns zwingt, [das] Klosterleben zu verlassen, ist diese: Christus sagt Marci am letzten: Verkündigt das Evangelium allen Kreaturen. Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig etc. [Mk 16,15]; und Johannes [Joh 3,16]: Also hat Gott die Welt geliebet, dass er seinen eigenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben etc. Auch der Prophet Habakuk 2 [Hab 2,4] sagt: Der Gerechte wird seines Glaubens leben. In welchen Sprüchen aufs klärlichste angezeigt ist, dass all unser Heil und Leben blößlich auf Christo stehe, so der im Glauben angenommen wird, wie Johann 14 [Joh 14,6]: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch mich etc. Dieweil solches dies ewige Wahrheit selbst redet, von welchem die hohe göttliche Majestät persönlich Befehl tut, ihm zu gehoren […] ists unwiderruflich, dieweil in dem Wort und Glauben desselben allein das Leben steht, dass auch in Verachtung desselben und Unglauben nichts anders zu gewarten sei, denn ewige Verdammnis wie Johan 3. [Joh 3,36] […] Nun aber, so wir aus lauter Gnaden und Barmherzigkeit Gottes ohne all unser Verdienst erleuchtet sind durch das Wort des heiligen Evangeliums, so aus dem Herzen und Munde Gottes mit unbetrüglicher Wahrheit ausgegangen ist, durch welches wir etlicher Masse befriedet und getrost sind in unserem Gewissen, befinden wir doch etliche mächtige und starke Hindernis bei uns, so unserem Glauben entgegen und unser Gemüte mit steter Unruhe belästigen, welches wir nach der Ordnung hier erzählen wollen. Das erste, so unserm Glauben anstößig und verhinderlich ist, ist, dass dieweil wir nach empfangener Gnade, so in der Taufe uns geschenkt, noch müssen streiten und kämpfen mit dem verdammten Fleisch, so durch die erste Geburt verderbt und vergiftet ist durch die Sünde. So fühlen wir auch, dass solcher Kampf schwer und gefährlich ist, weil dieses Laster so tief in unser Fleisch gewurzelt ist, dass es nicht kann ganz ausgerottet werden, solange dieses Fleisch in seinem ersten Wesen bleibt. Welches verdammliche Laster ist der Unglaube, will uns denn nicht gebühren, solches Hindernis aus dem Wege zu tun, auf dass wir desto sicherer möchten kämpfen? Weil denn nun der Glauben allein unsere Seligkeit ist und Unglauben unsere Verdammnis, wie oben angezeigt, befinden wir, dieser Stelle und Ortes ganz das Widerspiel zu sein, beides in Worten und Werken, und eben die Gelübde, so sie sagen, unsere Seligkeit solle darin stehen, die sind es, die uns von Gott reißen, und werfen uns in Ungewißheit und ewige Verdammnis, derhalben wir sie haben müssen verlassen. […] Quellennachweis Der Durchleuchtigen hochgebornen F. Ursulen, Hertzogin zu Mönsterberg, Christliche Ursach des verlassen Klosters zu Freyberg, in: Der Vierde Teil || aller Buecher vnd Schrifften/ des || thewren seligen Mans Gottes D.M.L. vom XXVIII. || jar an/ bis auffs XXX. Ausgenomen etliche wenig Stueck / so zu ende || des dritten Teils gesetzt sind / Zum dritten mal gedruckt / aller || ding dem ersten vnd andern gleich / On was in der ord= || nung der tag vnd Monden / dem ersten druck || nach / etwas geendert ist. || … || Jena 1566, S. 358r–359r. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
Florentina von Oberweimar: Flugschrift (Wittenberg 1524)
Literaturhinweis Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2017, S. 75–88. Roland Herbert Bainton: Frauen der Reformation: Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli, Gütersloh 3 1996, S. 40–55. Gabriele Jancke: Ursula von Münsterberg und der Versuch einer Reformation des Freiberger Magdalenerinnenklosters, in: Verein zur Erforschung der Dresdner Frauengeschichte (Hg.): Frauen in der Kirchengeschichte Sachsens. Ein Lesebuch, Dresden 1997, S. 23–40. Wilma Rademacher-Braick: Frei und selbstbewusst: Reformatorische Theologie in Texten von Frauen (1523–1558); mit einem Geleitwort von Ute Gause, St. Ingbert 2017, S. 108–124.
Nr. 151 Florentina von Oberweimar: Flugschrift (Wittenberg 1524) Florentina von Oberweimar (1506 bis nach 1523) war von adliger Herkunft und wurde mit sechs Jahren in das Zisterzienserinnenkloster Neu-Helfta gebracht. Wie sie selbst berichtet, wurde sie bereits im Alter von elf Jahren eingesegnet. Drei Jahre später aber erkannte sie, dass sie für das Klosterleben nicht geeignet war. Eine Rückkehr ins weltliche Leben wurde ihr versagt. Aufgrund der Lektüre von Martin Luthers Schriften entschloss sie sich zur Flucht, allerdings scheiterte ihr erster Versuch Anfang Oktober 1523. Ein zweiter Versuch gelang vor April 1524. Der römische Kontroversist Johannes Cochläus behauptete, sie habe sich für einige Zeit bei Martin Luther aufgehalten. Ihre leidvollen Erfahrungen dokumentiert ihre Flugschrift Eyn geschicht wie Got eyner Erbarn kloster Jungfrawen ausgeholffen hat (acht Drucke erhalten), die, gedruckt noch im Frühjahr 1524, unter ihren Zeitgenossen große Beachtung fand. Die Nähe zu Luthers Schrift De votis monasticis (Von den Mönchsgelübden) von 1521 führte dazu, dass er die Publikation mit einem Vor- und Nachwort und kommentierenden Randglossen versah.
Unterricht der ehrbaren und tugendsamen Jungfrau Florentina von Oberweimar, wie sie durch Gottes Hilfe aus dem Kloster gekommen ist Ich, Florentina von Oberweimar wünsche allen frommen Christen und Liebhabern des Evangeliums Gottes Gnade und Barmherzigkeit mit demütiger Bitte, diese meine Unterrichtung und Entschuldigung mit christlichem Herzen zu vernehmen. Denn das weiß Gott, das, nach dem mir Gott der Allmächtige durch seine Gnade und Barmherzigkeit so scheinbarlich aus diesem Gefängnis geholfen hatte, es mein fester Vorsatz war, solche unbillige Beschwerung, die mir erzeigt wurde, niemandem zu eröffnen. Weil aber vor mich kommt glaubwürdiglich [= mich die glaubwürdige Information erreicht], wie Katharin von Watzdorff,467 des Klosters Äbtissin,
467 Von 1493–1534 amtierte Katharina von Watzdorf als Äbtissin von Neu-Helfta. Das Adelsgeschlecht war in Thüringen weit verbreitet. Etliche weibliche Angehörige der Familie hatten in Klöstern ihre Bleibe gefunden. Die Nichte von Katharina, Florentina von Oberweimar, war ebenfalls als Nonne in Neu-Helfta
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mich mit viel Schmachworten schriftlich und mündlich in die Leute trägt [= öffentlich verunglimpft], als sollte ich wider Ehre gehandelt haben (das sie mit Wahrheit nimmermehr wird nachbringen, denn ich Gott lob wider Ehre nie gehandelt habe), dringet mich die Notdurft, Gott zu Lobe und zu Ehren, auch meine Ehre und guten Namen zu erretten, diese Schrift aus zu lassen [= zu veröffentlichen]. Denn wiewohl ich Schmach und Schande zu leiden schuldig bin, so bin ich doch auch wiederum schuldig, dieselbige, weil sie Unrecht ist, nicht zu billigen oder durch Stillschweigen zu bestätigen und mich fremder Sünden teilhaftig zu machen. Und will die Wahrheit reden vor Gott und aller Welt. […] Ich bin meines Alters im 6. Jahre von meinen Eltern, die den geistlichen Stand auf die Zeit für gut und selig angesehen, durch Bitte und Anreizung meiner Mühmen,468 der Domina zu Eisleben, in das Jungfrauen Kloster daselbst, Neu-Helfta genannt, gegeben worden, darinnen ich bis zu elf Jahren erzogen wurde. Als ich das elfte (Lebens-)Jahr erreichte, bin ich durch Angeben der Domina ohne alles Befragen (und wenn ich gleich viel gefraget, hatte ich keinen Verstand) also in unwissender Jugend eingesegnet worden. Aber als ich 14 Jahre alt war und mein Gemüt und Geschicklichkeit begann zu fühlen und zu erkennen, befand ich, dass der geistliche Stand aller meiner Geschicklichkeit und Natur entgegen (sei), und also das meiner Seelen Seligkeit mir beizubehalten unmöglich wäre, was ich meiner Mühmen, einer von Oberweimar,469 klagte, die zeigte es der Domina und meiner Mutter Schwester […] an,470 durch welche mein Vornehmen an die Domina gelangte, die mir […] ansagen ließ: Ich möchte mich von dem Sinne abwenden, ich sollt und müsst eine Nonne sein […] ich wäre nun eingesegnet und hätte Gott durch die Opferung des Ringes ewige Reinigkeit verheissen und geschworen, das könnte ich nicht widerrufen, es könnte mich auch kein Papst oder Bischof davon absolvieren. Antworte ich: Warum sie mich nicht zu meiner Vernunft hätten lassen kommen, (so)dass ich hätte erkennen können, was mir zu tun oder zu lassen? […] Als nun die heilsame Zeit göttlichen Trostes, in welcher das Evangelium, das etwa lange verborgen, an den Tag gekommen ist, […] sind auch mir als einem verschmachtem hungrigem Schaf, das lange der Weide gedarbet, die Schriften der rechten Hirten, die Christus jetzt in diesen Zeiten […] erwählt hat, um seine Schafe wieder zu erretten, vorgekommen, in welchen ich befunden [habe], sie wären auf ein recht christlich evangelisches Leben gegründet und gestellt, welche mir klar gegeben [= gemacht haben, dass] mein vermeintlich geistliches Leben (wie ich denn auch längst in meinem Gewissen befunden) mir, wenn nach erkannter Wahrheit nicht geändert, ein gestrackter Weg zur Hölle sein würde, da ich nichts evangelisches, nichts geistliches, noch viel weniger Christliches darin erkennen kann. Dieweil […] hab ich an den hoch gelehrten Doctor Martin Luther geschrieben, ihm mein Gemüt zu erkennen gegeben, von ihm Trost, Hilfe und Rat begehrt. Dies ist wider christliche Liebe durch etliche meine gleichen […] vor meine Oberste gekommen, wodurch ich hart gefangen gesetzt wurde […] In dem Gefängnis habe ich 4 Wochen gesessen ohne alle Barmherzigkeit, in großer Kälte, und bin in keine [warme] Stube gekommen. Ich wurde gezwungen
und floh 1524 daraus. Martin Luther unterstützte ihre Flucht und versah ihren Lebensbericht mit einem Vorwort: Eynn geschicht wie Got eyner Erbarn kloster Jungfrawen ausgeholffen hat. WA 15, S. 79–94; siehe auch WA 11, S. 394–400. 468 Muhme: altdeutscher Begriff für Tante oder Taufpatin. 469 Wahrscheinlich Katharina von Oberweimar, eine Verwandte. 470 Katharina von Watzdorf.
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zu bekennen was ich […] gegen die Regel und geistliche Ordnung getan und musste solches der Domina durch meine Handschrift untergeben. […] Danach kam mir hart [nachdrücklich] ins Gemüte, meinem lieben Vetter Caspar von Watzdorf als einem berühmten Liebhaber evangelischer Wahrheit, […] zu schreiben, ihm meine anliegende Not zu klagen, was ich getan und durch einen Diener unseres Klosters […] ihm zu behändigen bestellt, was aber verräterisch vor die Domina gekommen ist. Wie schmählich, schämlich, lästerlich und höhnisch ich da von ihr und anderen ausgerichtet, ist nicht vor frommen Leuten zu reden oder zu schreiben etc. Ich ward durch sie und andere vier Personen durchstäupet,471 (bis) dass ihr keine mehr zu schlagen vermochte. Dann setzte sie mich wieder in den Kerker und ließ mir die Beine in eiserne Fesseln legen. Also saß ich fast einen Tag und eine Nacht, dann ließ sie mich von den Fesseln, aber im Kerker musste ich acht Tage verharren […]. Aber Gott, dem alle Dinge möglich, schickt aus seiner göttlichen Weisheit, gegen welche dieser Welt Weisheit eine Torheit ist, dass eines Tages nach dem Essen, als ich in meine Zelle ging, die Person, die mich verschließen sollte, die Zelle offen stehen ließ und ich also vermittelst göttlicher scheinbarlicher Hilfe noch bei Schein der Sonne entkommen bin […]. Quellennachweis Eine Geschicht, wie Gott einer erbarn Klosterjungfrau ausgeholfen hat, in: WA 15, S. 86–94, hier S. 89–93 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Antje Rüttgardt: Klosteraustritte in der frühen Reformation: Studien zu Flugschriften der Jahre 1522 bis 1524, Gütersloh 2007, S. 256–315. Dorothee Kommer: Reformatorische Flugschriften von Frauen. Flugschriftenautorinnen der frühen Reformationszeit und ihre Sicht von Geistlichkeit, Leipzig 2013. Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2017, S. 89–100.
Nr. 152 Charitas Pirckheimer: Klosterreformation in Nürnberg Charitas Pirckheimer wurde 1467 mit dem Taufnamen Barbara in Eichstätt geboren und starb 1532 in Nürnberg. Für längere Zeit war sie Äbtissin des Klarissenklosters der fränkischen Großstadt, in dem zahlreiche Töchter hochrangiger Patriziergeschlechter untergebracht wurden. Zeitgenossen lobten ihre ausgezeichnete Bildung. Sie stand in humanistischem Briefkontakt mit Christoph Scheurl sowie ihrem Bruder Wilibald Pirckheimer. Als infolge des Nürnberger Religionsgespräches 1525 die Reformation in Nürnberg durchgesetzt wurde, verlangte der Rat die Auflösung der Klöster. Von Charitas‘ Haltung gegen die gewaltsame Durchsetzung der Reformation in ihrem Kloster zeugt ihr folgender Bericht. Er spiegelt die Perspektive einer überzeugten
471 Verprügelt.
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Nonne für den Verbleib im Kloster trotz des reformatorischen Geschehens wider. Unerwartete Unterstützung erhielt Charitas in ihrem Kampf um das Fortbestehen des Klosters von Philipp Melanchthon. Immerhin konnte sie die Auflösung des Konvents verhindern, nicht jedoch den Aufnahmestopp für Novizinnen. So schloss das Kloster 1596 seine Pforten und wurde säkularisiert. Am Mittwoch war der heilige Ablassabend. Da kam der Abt von St. Gilgen und zeigte uns an: als unser Kloster reformiert worden wäre, wäre der Abt von St. Gilgen vom Papst zu einem Exekutor eingesetzt worden; infolgedessen wären alle Äbte seines Klosters unsere Konservatoren. Darum wollte er sich als unsern Hirten anzeigen. Es nähme ihn Wunder, dass wir, wo wir jetzund so viel Anliegen hätten, nicht längst nach ihm geschickt hätten; er wollte ja doch auch gern helfen und raten und ermahnte uns auf das höchste, dass wir doch allerwegen einem Ehrb. Rat als unserer von Gott eingesetzten Obrigkeit sollten folgen: was sie uns ansinnen und mit uns angeben wollten, das wären wir schuldig zu geloben. So redete er mit viel geschmierten Worten. Ich aber antwortete ihm mit kurzen Worten: erstens, wir erkennten Christum als unsern wahren Hirten, der seine Seele für seine Schäflein gesetzt habe, sonst wären wir leider auf diese Zeit mit solchen Hirten versehen, vor denen wir uns ebenso wie vor den Wölfen zu fürchten hätten, und seiner und anderer Hirten halber wäre es nicht verwunderlich, wenn die Wölfe die Schäflein längst zerrissen hätten; zweitens aber wären wir nicht gewillt, dass wir den Leuten folgen sollten in den Dingen, die wider unser Gewissen und unser Gelübde wären, denn wir hätten miteinander beschlossen, dass wir uns durch niemand wollten treiben lassen von der Einigkeit der christlichen Kirche und unseres Ordens. […] Am heiligen Karfreitag nach der Predigt kam noch einmal der Pfleger und hielt uns denselbigen heiligen Tag auf bis zur Kollation, sagte, wie es im Rat ergangen wäre, da er unsere Meinung des Beichtvaters halber vorgehalten hätte, und dass ein Ehrb. Rat nicht wohl zufrieden mit uns wäre, dass wir seine väterliche Treue so gar nicht wollten zu Herzen nehmen. […] Er trug uns immer wieder den abtrünnigen Karthäuser an, der von Würzburg um der Lutherei willen vertrieben worden war und den man uns verordnet hatte zum Prediger. Den konnte er nicht genug loben, was für ein heiliger, gelehrter, erfahrener Mann er wäre, wie er ein Visitator des Ordens gewesen wäre und ein Prior. Unter demselben wären wir aufs höchste versorgt, wenn wir ihn zu einem Beichtvater und Visitator annehmen wollten. Da sprach ich: Wir sind Clarissinnen und nicht Karthäuserinnen; womöglich müssten wir noch seinen Orden annehmen. Darauf antwortete er, er wollte mir gut dafür sein, dass er kein Karthäuser oder Mönch würde bleiben; er würde auch die Kutte nicht anbehalten. Da sprach ich: Ei, so beichte ihm der Tod! Sollten wir erst einem treulosen Apostaten beichten? So er Gott seine Treue nicht hält, was sollte er uns denn Treue beweisen? oder was sollte er uns anders lehren denn was er selber tut? So müssten wir alle apostasieren, und da behüte uns der lebendige Gott davor! Kurzum, je mehr der Pfleger diesen Mönch lobte, umso mehr verschwor ich für mich und den ganzen Convent, dass wir ihm wahrlich und gewisslich nimmermehr keine Beichte tun und ihn auch weder zu einem Visitator noch einem Oberen haben wollten. […] Da er nun mit diesen Stücken nicht obsiegen konnte, hub er an und sagte von der Versammlung der Bauern, die jetzund mit großem Heer zu Felde lägen allein in der Absicht, dass sie alle Klöster zerstören wollten und alle, die sich geistlich nennten, verderben und vertreiben; er hielte dafür, dass sie auf denselben Karfreitag zu Bamberg wären und die Klöster zerstörten; er glaubte, dass auf denselbigen heutigen Tag keine Schwester mehr da zu St. Claren im Kloster wäre, darum sollten wir schauen, womit wir umgingen, dass wir nicht Ursache wären zu dem
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großen Blutvergießen; und wenn schon die Bauern nicht herkämen, so wäre doch der gemeine Mann hier durch das klare Evangelium unterrichtet, dass der geistliche Stand nichts wäre. Darum, wenn wir ja doch unser Wesen nicht könnten behalten, so sollten wir gütlich davon lassen. Mit diesen und viel dergleichen Drohworten verzehrten wir den heiligen Karfreitag, desgleichen auch den zweiten Ostertag, an dem der Pfleger wiederkam und abermals seinen höchsten Fleiß vorkehrte, wie er uns möchte bekehren. Aber durch Gottes Gnade konnte er uns nichts anhaben. Wir hatten wahrlich eine lange betrübte Fastenzeit voll Angst und Not, Schrecken und Furcht von innen und außen, auch nichts, was zu heiligen Zeit gehört mit Passion und andern guten Dingen; ja wir mussten das heilige Kreuz selber erheben, da wir keinen Priester konnten haben. Da wir nun mit Jammer und Not kaum aus den Fasten kamen, o da wurde es nach Ostern noch viel böser. Am Freitag in der Osterwoche berief man alle Priester aus das Rathaus und verbot ihnen allen die lateinische Messe zu lesen. […] Auf denselben Freitag verbot man auch unsern würdigen Vätern zu den Barfüßern, dass sie ihre Glocken nimmer sollten läuten und keinen Gottesdienst weder bei Nacht noch bei Tage sollten halten, noch nichts in der Gemeinde miteinander sollten beten. Dies tat man keinem andern Kloster denn den armen Barfüßern; den andern verbot man nur die Messe, ließ sie aber das göttliche Amt halten wie sie wollten. Aber sie fielen leider selber bald ungezwungen alle ab, ließen sich dazu herbei, die deutsche Messe zu singen und anders wie in der Pfarre zu halten, gaben auch das Sakrament dem Volk in beiderlei Gestalten in allen Kirchen. Nur die Barfüßer taten es nicht. Es mussten auch alle Laienpriester Bürger werden und schwören, Umgeld und Losung zu geben und sich in allen solchen Dingen zu halten wie andere Laien. Man inventierte auch von Rats wegen in allen Mannsklöstern alle Gottesgezierde, Kelche und andere Kleinode und Ornat, Messgewänder und Altartücher und schrieb alles an; auch den Barfüßern. Bald darauf übergab der Abt zu St. Gilgen sein Kloster mit all seiner Zugehörung liegender und fahrender Habe, auch alle Briefe und Kleinode. Das nahm der Rat alles zu seinen Händen, die Mönche schwuren das Bürgerrecht, und einem jeglichen wurde taxiert, was man ihm das Jahr geben sollte, nämlich ungefähr jedem 25 Gulden; aber wenn sich einer des Klosters ganz begeben und heiraten wollte, so gab man einem 50 oder etlichen 200 Gulden, je nachdem er ins Kloster eingebracht hatte. Danach zogen sie ihre Ordenskleider ab, kleideten sich weltlich, zum Teil gar köstlich, und hielten keine Messe mehr, noch sonst was zum Gottesdienst gehört, und taten nur, was sie wollten. Desgleichen taten auch die Augustiner, die ein Anfang alles dieses Unglücks waren, ebenso die Karmeliter und Karthäuser. Da ward in allen Klöstern ein wildes Leben, und keine Ordnung wurde mehr gehalten; jeglicher tat was er wollte, und in der Fastenzeit und an andern Pauttagen aß man in diesen Klöstern Fleisch. Viele Mönche liefen aus allen Klöstern davon und nahmen Weiber. Die Predigermönche hätten ihr Kloster auch gern den Herren übergeben, sie baten sogar selber darum; aber man wollte sie nicht annehmen, denn sie waren zu arm und hatten nicht so viel jährliche Nutzung wie die andern Klöster. Da zogen die Mönche alle davon bis auf neun; die verkauften, was sie an Kleinoden fanden und zehrten davon, solange sie mochten. O da waren wir in großen Ängsten und Nöten! Nacht und Tag drohte man uns, wir würden auch also tun müssen. Aber wir hatten uns zuvor mit einander vereint, dass wir das Kloster keinesfalls wollten aufgeben, da wir gar keine Macht darüber hätten; es wäre nicht unser, und wir hätten es nicht gebaut. Täglich drohte man uns auszutreiben und das Kloster zu stürmen oder zu verbrennen. […] Wir waren in großem Hass und Ungunst und es waren uns die Oberen und die Unteren feind, und man hielt uns schmählicher denn die armen Frauen hinter der Mauer [= öffentliche Dirnen] und predigte öffentlich, wir wären ärger denn diese selbst. […] Die Prediger auf allen
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Kanzeln sagten für und für, man solle kein Kloster noch Kutte mehr hier leiden. Es wollten auch die Leute, dass man die Klöster nicht mehr Klöster, sondern Spitäler nennen sollte, man sollte auch die Schwestern nicht mehr Schwestern nennen, sondern Pfründnerinnen, keine Äbtissin noch Priorin, sondern Verweserin, und kein Unterschied sollte sein zwischen Weltlichen und Geistlichen, sondern sie sollten alle gleich sein. Alle Tage hatten wir neue Drohung, wodurch wir so kleinmütig waren, dass wir schier jede Nacht besorgten, wir wären die letzte Nacht im Kloster, denn wir hörten täglich so viel jämmerliche erschreckliche Dinge, wie die Bauern so viele Klöster zerstörten und die armen Klosterkinder so elendiglich hinausjagten von allem dem Ihrigen. […] Quellennachweis Der Hochberühmten Charitas Pirckheimer. Aebtissin von S. Clara zu Nürnberg, Denkwürdigkeiten aus dem Reformationszeitalter, hg. v. C. Höfler. Bamberg 1852, S. 79–86 (Quellensammlung für fränkische Geschichte, hg. v. d. Histor. Ver. Zu Bamberg. Bd. 4) (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Anne Bezzel: Caritas Pirckheimer. Äbtissin und Humanistin. Kleine Bayerische Biografien, Regensburg 2016. Georg Deichstetter (Hg.): Caritas Pirckheimer. Ordensfrau und Humanistin – ein Vorbild für die Ökumene, Festschrift zum 450. Todestag, Köln 1982. Claudio Ettl/Siegfried Grillmeyer/Doris Katheder (Hg.): Caritas Pirckheimer und ihr Haus. Gedanken zum 550. Jubiläum, Würzburg 2017. Ursula Hess: Oratrix humilis. Die Frau als Briefpartnerin von Humanisten, am Beispiel der Caritas Pirckheimer, in: Franz J. Worstbrock (Hg.): Der Brief im Zeitalter der Renaissance (Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung 9), Weinheim 1983, S. 173–203. Gerta Krabbe: Caritas Pirckheimer. Ein Lebensbild aus der Zeit der Reformation. Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, Heft 7, Münster 1982. Martin H. Jung: Nonnen, Prophetinnen, Kirchenmütter: Kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliche Studien zu Frauen der Reformationszeit, Leipzig 2002. Julia von Grünberg: Caritas Pirckheimer und das Zeitalter der Reformation, Weinheim 2001. Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2017, S. 101–114.
Nr. 153 Charitas Pirckheimer: Bericht über erzwungene Austritte aus dem Klarissenkloster Nürnberg Der nachfolgende Bericht thematisiert die erzwungenen Austritte von jungen Nonnen, Novizinnen und Oblaten aus dem Klarissenkloster im Sommer 1525.
Charitas Pirckheimer: Bericht über erzwungene Austritte aus dem Klarissenkloster Nürnberg
Am Mittwoch St. Veitsabend [14. Juni 1525] – der auch unseres lieben Herrn Fronleichnamsabend war, welchen allerheiligsten Tag man weder feierte noch beging noch dem hochwürdigen Sakrament die allergeringste Reverenz erwies – schickten die bösen Weiber eine Stunde vor dem Essen zu mir, sie wollten während des Essens kommen und die Kinder holen. Sie wollten auch andere Leute mitbringen, damit ich sähe, dass sie genug Macht hätten. Da schickte ich sogleich auf das Rathaus und begehrte, dass man mir zwei Zeugen schickte, die bei diesem Handel dabei sein sollten, da sie Leute mitbringen wollten, damit auch einige auf unserer Seite da wären damit mich die Weiber nicht abermals unbillig verklagten wie vorher. Die armen Kinder aber wussten noch nicht genau, wann es geschehen würde. Sie hatten viele Pläne und hofften noch immer, wenn es schon an das Treffen ginge, wollten sie sich noch erretten, man würde ihnen wider ihren Willen keine solche Gewalt antun. Da ich sie aber zu mir rief und ihnen sagte ihre Mütter würden sie in derselben Stunde holen, da fielen sie alle drei auf die Erde und schrien, weinten und heulten und gebärdeten sich so kläglich, dass es Gott im Himmel erbarmt haben möchte. Sie wären gerne geflohen und hätten sich verborgen. Das wollte ich ihnen nicht gestatten, denn wir fürchteten, man würde mit Gewalt hereinlaufen und sie an allen Orten suchen, und das Unglück würde noch größer werden. Desgleichen weinte und klagte der ganze Konvent, denn es waren fromme und geschickte Kinder, die sich gut bei uns gehalten hatten und sich von Herzen und Seele ungern von uns trennten. Die Schwester Margret Tetzlin war 23 Jahre alt und neun Jahre im heiligen Orden gewesen. Katharina Ebnerin und Clara Nutzlin kamen beide an einem Tage in den heiligen Orden, legten an einem Tage – zu inventionis sanctae crucis [3. Mai – Feiertag zur Erinnerung an die Auffindung des Kreuzes] – ihr Gelübde ab, als es sechs Jahre gewesen war, dass sie ins Kloster gekommen waren. Katharina Ebnerin war 20 Jahre alt, Clara Nutzlin 19, als man sie herausnahm. Da taten wir ihnen mit vielen Tränen die Schleier und die Gürtel und die weißen Kleider ab, legten ihnen Hemdlein und weltliche Gürtel an und setzten ihnen Auflegerlein auf das Haupt. Ich führte sie mit einigen Ratsschwestern in die Kapelle. Dort warteten wir wohl eine ganze Stunde, bis die grimmigen Wölfinnen auf zwei Kammerwagen gefahren kamen. Inzwischen war das Gerücht unter das gemeine Volk gekommen. Dieses versammelte sich in großer Menge, als wenn man einen armen Menschen zur Hinrichtung führen wollte. Die ganze Gasse und der Kirchhof standen voll, so dass die Weiber mit ihren Wagen kaum auf den Kirchhof kommen konnten. Da schämten sie sich, dass so viel Volk da war. Sie hätten es gerne gesehen, dass wir es zur hinteren Tür im Garten hinaus getan hätten. Deshalb schickten sie die zwei Herren Sebolt Pfintzing und Andreas Imhof zu mir, die vom Rat dazu verordnet waren, als ich zwei als Zeugen begehrt hatte. Da wollte ich es nicht tun. Ich wollte mit dieser Sache nicht heimlich umgehen. Ich sprach, täten sie recht, so brauchten sie sich nicht zu schämen. Ich wollte sie an keinem anderen Ort hinausgeben, als wo ich sie hereingenommen hätte, das war durch die Kapellentür. Also um die elfte Stunde kamen die grimmigen Wölfe und Wölfinnen unter meine herzlieben Schäflein, gingen in die Kirche, trieben das ganze Volk hinaus und sperrten die Kirche zu. Ich musste leider die Klostertür in der Kapelle aufsperren, wollten sie doch, ich sollte mit den Kindern hinaus in die Kirche gehen. Das wollte ich nicht tun. Da wollten sie wenigstens, ich sollte die Kinder mit Gewalt allein hinausgehen heißen. Das wollte ich auch nicht tun. Ich stellte es ihnen anheim. Da wollte keine von ihnen über die Türschwelle hinaus. Sie baten, die Herren sollten sie sofort herausreißen, denn es lief immer noch mehr Volk zusammen. Sie fürchteten einen Auflauf. Da sprach ich zu den Herren: „So kommt ihr herein und redet mit ihnen, damit sie es gerne tun. Ich kann und will sie nicht zu dem nötigen, was ihnen von Seele und Herz zuwider ist.“ Darauf kamen die zwei Herren herein. Ich sprach: „Da bringe ich euch meine armen Waislein zur Stelle, wie ihr mir gestern von Rats wegen befohlen habt,
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und befehle sie dem obersten Hirten, der sie mit seinem teuren Blut erlöst hat.“ Die Kinder verabschiedeten sich untereinander mit unzähligen, heißen Tränen, fielen alle drei um mich, heulten und schrien und begehrten, ich sollte sie nicht verlassen. Aber ich konnte ihnen leider nicht helfen. Ich ging mit den Schwestern davon und ließ die armen Kinder allein in der Kapelle und sperrte die Tür der Kapelle, die auf den Kirchhof führte, zu, so dass niemand in das Kloster konnte. Da liefen die bösen Weiber herein wie die grimmigen Wölfinnen, die Fritz Tetzlin mit einer Tochter, Hieronymus Ebnerin, Siegmund Furerin, unsere Pflegerin, Caspar Nutzlin mit ihrem Bruder Linhardt Held, der an des Pflegers Statt da war, und auch des Sebolt Pfintzing Söhnlein usw. Da befahlen die Weiber mit guten Worten den Kindern hinauszugehen und drohten ihnen, wenn sie es aber nicht in Güte tun wollten, so wollten sie sie mit Gewalt hinauszerren. Da wehrten sich die starken Ritterinnen Christi mit Worten und Werken so sehr sie konnten mit großem Weinen, Schreien, Bitten und Flehen. Aber da war weniger Barmherzigkeit als in der Hölle. Die Mütter sprachen zu den Kindern, sie wären ihnen Gehorsam schuldig nach dem Gebot Gottes, und sie hätten gewollt, dass sie hinausgingen, denn sie wären deshalb da, weil sie ihre Seele aus der Hölle erlösen wollten. Sie säßen dem Teufel im Rachen. Das könnten sie in ihrem Gewissen nimmer erleiden. Die Kinder schrien, sie wollten sich von dem frommen heiligen Konvent nicht trennen. Sie wären gar nicht in der Hölle. Aber wenn sie sie hinausbrächten, würden sie in den Abgrund der Hölle fahren. Sie wollten ihre Seelen am Jüngsten Tag vor dem strengen Richter von ihnen fordern. Obgleich sie ihre Mütter wären, so wären sie ihnen doch nicht in Dingen Gehorsam schuldig, die wider die Seele wären. Katharina Ebnerin sprach zu ihrer Mutter: „Du bist eine Mutter meines Fleisches, aber nicht meines Geistes, denn du hast mir meine Seele nicht gegeben. Darum bin ich dir nicht in Dingen Gehorsam schuldig, die wider meine Seele sind.“ Aus diesem und anderem machten sie ein großes Gespött, sagten, sie wollten die Sache vor Gott wohl verantworten und alle Sünden auf sich nehmen. Der Held hielt die Hand hin, damit Clara Nutzlin ihm dareinschlage, dass er alle ihre Sünden, die sie in der Welt tun werde, auf seine Seele nehmen und am Jüngsten Tag verantworten wollte. Jede Mutter stritt mit ihrer Tochter. Sie verhießen ihnen eine Zeit viel und drohten ihnen eine Zeit viel. Aber die Kinder weinten und schrien unaufhörlich. Als der Streit und der Zank eine lange Zeit gewährt hatten, redete die Katharina Ebnerin so tapfer und beständig und bewies alle ihre Worte mit der Heiligen Schrift, dass sie sie in allen ihren Worten fing und ihnen sagte, wie sehr sie gegen das heilige Evangelium handelten. Die Herren sollen danach draußen gesagt haben, sie hätten dergleichen in ihrem ganzen Leben nie gehört. Sie hätte fast die ganze Stunde ohne Unterlass geredt, aber kein unnützes Wort, sondern so wohl bedacht, dass ein jedes Wort ein Pfund gewogen hätte. Da nun kein Teil dem anderen weichen wollte – die Kinder wollten nicht gehen, und die Weltlichen wollten nicht in den Ruf kommen, dass sie Gewalt anwendeten –, drohte ihnen der Held und auch die Weiber, wenn sie schon jetzt nicht mit ihnen gehen wollten und von ihnen ablassen müssten, so sollten sie doch wissen, dass sie sie nicht hier drinnen lassen wollten. Kurzum, sie müssten über kurz oder lang auf jeden Fall hinaus. Sie wollten ihnen wohl Leute schicken, die ihnen stark genug wären, und wenn man ihnen die Hände und Füße zusammenbinden und sie wie die Hunde hinaustragen müsste. Aber das half alles nichts. Die Kinder wollten nicht einwilligen. Da schickten die Herren wieder nach mir und klagten mir, dass sie so in der Klemme säßen. […] Sie baten mich, ich sollte sie doch der Gelübde ledig sprechen, für den Fall, dass mit dem Gehorsam verbunden wäre, dass sie nicht gehen dürften. Ich sprach: „Ihr habt vorher
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mehrmals von mir gehört, dass ich keine Gewalt habe, aufzulösen, was Gott gelobt ist.“ Sie begehrten, ich sollte doch wieder in die Kapelle zu ihnen gehen, dass die Frauen sähen, dass es nicht an mir läge. Sie wollten mir Schutz und Schirm halten, dass sie mir keinen Hochmut erwiesen. Also ging ich wieder mit einigen Schwestern in die Kapelle hinein. Da standen meine armen Waislein unter den grimmigen Wölfen und stritten mit aller ihrer Kraft. Ich grüßte die Frauen und sagte, ich hätte nach Befehl des Rates ihre Kinder frei daher gestellt, so sähen sie wohl, wie gerne sie hinausgingen. Sie begehrten, ich sollte sie des Gehorsams ledig erklären. Ich sprach unter anderem: „Liebe Kinder, ihr wisst, was ihr Gott gelobt habt, das kann ich nicht auflösen. In dasselbe will ich mich gar nicht einmischen, sondern dem allmächtigen Gott befehlen, der wird es zu seiner Zeit wohl ausrichten. Aber von dem, was ihr mir bisher schuldig gewesen seid, will ich euch ledig sagen soviel ich soll und vermag, wie ich denn auch heute getan habe, als ich allein bei euch gewesen bin.“ Damit waren die Weltlichen zufrieden und sagten, ich hätte das Meine getan, sie begehrten nicht mehr. Was Gott gelobt wäre, gelte ohnedies nicht. Die Gelübde wären schon hin. Sie hätten keine Gewalt gehabt, etwas außer der Taufe zu geloben. Da schrien die drei Kinder wie aus einem Munde: „Wir wollen nicht für ledig erklärt werden, sondern was wir Gott gelobt haben, wollen wir mit seiner Hilfe halten. Wenn uns schon die würdige Mutter freigibt und der ganze Konvent da wäre, wollten wir dennoch nicht hinaus, denn wir sind keinen Gehorsam gegen unser Gelübde schuldig.“ Margareta Tetzlin schrie: „O liebe Mutter, treibt uns nicht von euch.“ Ich sprach: „Liebe Kinder, ihr seht, dass ich euch leider nicht helfen kann, denn die Gewalt ist zu groß. Sollte dann dem Konvent weiteres Unglück daraus entspringen, säht ihr es auch nicht gerne. Ich hoffe, wir wollten darum nicht geschieden sein, sondern wieder zusammenkommen und ewiglich bei unserem treuen Hirten bleiben. Dem befehle ich euch, der euch mit seinem teuren Blut erlöst hat.“ Katharina Ebnerin sprach: „Da stehe ich und will nicht weichen. Kein Mensch soll bewirken können, dass ich hinausgehe. Zerrt man mich aber mit Gewalt hinaus, soll es doch mein Wille ewiglich nimmer sein, will es Gott im Himmel und aller Welt auf Erden klagen.“ Sobald sie das gesprochen hatte, nahm sie der Held unter die Arme, fing an, sie zu ziehen und zu zerren. Da lief ich mit den Schwestern davon. […] Wie es den armen Kindern unter den grimmigen Wölfe, danach weiter ergangen ist, können wir nicht wissen, außer dem, was man uns am vierten Tag danach sagte. Die Clara Nutzlin hätte noch keinen Bissen in der Welt gegessen. Ebenso weinten die anderen ohne jedes Aufhören. Quellennachweis Der Hochberühmten Charitas Pirckheimer. Aebtissin von S. Clara zu Nürnberg, Denkwürdigkeiten aus dem Reformationszeitalter, hg. v. C. Höfler, Bamberg 1852 (Quellensammlung für fränkische Geschichte, hg. v. d. Histor. Ver. zu Bamberg. Bd. 4), S. 101–106; 108. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Krakau – Nürnberg – Prag: Die Eliten der Städte im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Herkunft, Nationalität, Mobilität, Mentalität, hg. v. Michael Diefenbacher, Olga Fejtová und Zdisław Noga. Prag 2016 mit den Beiträgen von Michael Diefenbacher, Antonia Landois, Wolfgang Mährle und Franz Fuchs. Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2017, S. 101–114.
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Nr. 154 Johann Eberlin von Günzburg: Eine Vermahnung Johann Eberlin wurde um 1470 bei Günzburg geboren und verstarb im Oktober 1533 in der Nähe von Ansbach. Bedeutung erlangte er als reformatorischer Theologe in Wertheim. Nach dem Studium an der Universität Ingolstadt übernahm er zunächst ein Priesteramt in Augsburg. Seit 1489 studierte er an der Universität Basel. In dieser Zeit trat er in das Franziskanerkloster Heilbronn ein. 1519 wechselte er nach Tübingen und lernte durch die dortigen Mitglieder eines humanistischen Kreises Texte Martin Luthers kennen. Er wechselte weiter über Freiburg nach Ulm und begann dort im evangelischen Sinne zu predigen. Die dadurch provozierten Auseinandersetzungen bewogen ihn zum Verlassen des Ordens und einer Phase der Wanderschaft durch Oberdeutschland. Er verfasste zahlreiche Druckschriften reformatorischen Inhalts. Noch 1521 trug er sich in die Matrikel der Universität Wittenberg ein und erlebte die Wittenberger Unruhen. Zu den Flugschriften dieser Zeit zählt auch seine Warnung vor dem Klostereintritt: Eine Vermahnung aller Christen, dass sie sich erbarmen über die Klosterfrauen, dessen Deckblatt den Leser bereits auffordert: „Thu kein Tochter in ein Kloster, du lesest dann dies Büchlein vor.“ Sooft ich bedenk das gemeine Wesen deren Personen, genannt Klosterfrauen, so wird all mein Gemüt zu Erbarmung bewegt, denn wer vermag ihre Plage ohne großes Herzeleid zu bedenken? In ihrer blühenden, unerfahrenen Jugend kommen sie in ein Gefängnis, daraus sie nimmer erlöst werden können, in dem sie ihre Not nicht klagen können oder dürfen. Und ob sie schon klagen, so vermag ihnen doch niemand zu helfen. Sie werden, glaube mir, meistens betrogen, entweder durch Liebreden ihrer Freunde oder durch den guten Schein der Klöster […]. Die Eltern sind oft schuld daran, wenn sie von sich aus oder aus Armut ihr Kind ins Kloster tun, weil sie für einige Jahre von deren fortwährendem Betteln erlöst sein wollen, oder sie tun es aus religiösem Eifer. Ich sage euch ein geschehenes Ding. Einmal sagte mir eine Klosterfrau: „Wenn ich meine Eltern in der Hölle wüßte, und ich vermöchte sie mit einem Ave-Maria herauszubitten, so wollte ich sie noch mehr hineinbeten, weil sie mich in dies elend Wesen gebracht haben. Hätten Sie mir keinen Edelmann zum Ehegemahl geben können, so hätten sie mir doch einen Bauern geben können.“ O ihr törichten Eltern, wie laßt ihr euer Kind so ganz zugrunde gehen wegen eures närrischen Wahns. Wie könnt ihr euer Fleisch und Blut so wegwerfen, daß ihr sie an diesen Bratspieß eines Klosterlebens gebt? Wenn es noch so wie früher wäre, da man arme Kinder so lange in die Klöster tat, bis einer kam und eine wohlerzogene Jungfrau zur Ehe begehrte (wie es noch bei den Freifrauen ist), da wäre ich nicht dagegen, daß man die Kinder in die Klöster stieße und sie dort auf die Jahre kämen, da sie es selbst entscheiden können. Und wenn eins sein Leben in Reinheit und Ruhe verbringen wollte, so wollte ich nicht widerraten, sondern mit allem Ernst dazu raten. Aber die unmündige Jugend an solch eine ewige Kette zu legen, widerrate ich allen Menschen. Du tust dein Kind wegen der Ehre in ein Kloster. Es wäre eine größere Ehre, wenn du ihm einen frommen Gesellen zur Ehe gäbest, auch wenn er nur ein Handwerksmann wäre. Du willst aber nicht für so gering geachtet werden, daß deine edle Tochter einem Bauern zuteil
Elisabeth Cruciger: „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“
werde, und weißt nicht, daß das Hineinstoßen ins Kloster alle Menschen zu einem Urteil über deine Armut bringt. O du harte, steinerne Mutter, wie unglaublich gehst du mit deinem Kind um! Meinst du, es sei aus Holz oder Eisen? Als ob es nicht heiße Reizungen zur Leibeslust wird empfinden müssen, wie du sie gespürt hast. Und es wird ihr so viel schwerer werden, so viel die Leidenschaft nach unerfahrener Lust das weibliche Gemüt mehr anficht. Du willst dein Kind nicht in einen armen ehelichen Stand geben, in dem es mit Ehren und mit der Ruhe des Gewissens des Leibes Lust und Unlust, Ruhe und Unruhe üben könnte, und du mußt täglich gewärtig sein, daß dein Kind in seinen Begierden ausbricht und sich mit Schande und Sünde einem geringen Stallknecht oder Viehknecht unterwerfe, ja wenn es nur dabei bliebe und nichts Ärgeres an ungenannter Sünde folgte, auch mit bösen Gesten, wie es jetzt leider an vielen Orten angetroffen wird. Und wenn es schon in natürlicher Form bleibt, so muß man doch Sorge haben, daß man die Empfängnis verhindere oder das Empfangene verderbe oder das neugeborene Kind ermorde, oder die Kinder werden mit Bewußtsein unrechten Vätern gegeben, mit ewigem Nagen der Gewissen. […] Nun sage mir, wem soll dein Kind seine Not klagen, da es vielleicht (mit gutem Grund) dem Beichtvater nicht trauen darf, oder er zu ihr keine Gunst noch Gnade hat, oder die zwei sich vielleicht ungeziemend hold sind, so daß die Beichte nichts anderes als eine Buhlschaft ist. Quellennachweis Johann Eberlin von Günzburg. Ausgewählte Schriften Bd. 1, hg. v. Ludwig Enders, Halle 1896, S. 24 f.; 29. Mit geringfügigen Änderungen übernommen aus: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 173–175. Literaturhinweis Günther Heger: Johann Eberlin von Günzburg und seine Vorstellungen über eine Reform in Reich und Kirche, Berlin 1985. Christian Peters: Johann Eberlin von Günzburg (ca. 1465–1533). Franziskanischer Reformer, Humanist und konservativer Reformator, Gütersloh 1994.
Nr. 155 Elisabeth Cruciger: „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“ Elisabeth Cruciger, geb. von Meseritz, gilt als die erste protestantische Liederdichterin. Ihr Kirchenlied wurde 1524 erstmals gedruckt und ist heute im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 67 enthalten. Elisabeth war Nonne im Prämonstratenserinnenkloster Marienbusch bei Treptow an der Rega, bis sie 1523 durch Johannes Bugenhagen (vgl. Nr. 141) nach Wittenberg gelangte. Dort wohnte sie zunächst in dessen Haushalt und heiratete schließlich Caspar Cruciger (vgl. Anmerkungen bei Nr. 89). Luther traute die beiden Eheleute. Elisabeth Cruciger starb am 2. Mai 1535 in Wittenberg. Ein Sohn aus der gemeinsamen Ehe mit dem gleichen Namen Caspar sollte als Theologe an der Wittenberger Universität der Nachfolger Melanchthons werden.
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1. Herr Christ, der einig Gotts Sohn, Vaters in Ewigkeit, aus seim Herzen entsprossen, gleichwie geschrieben steht, er ist der Morgensterne, sein Glänzen streckt er ferne vor andern Sternen klar; 2. für uns ein Mensch geboren im letzten Teil der Zeit, dass wir nicht wärn verloren vor Gott in Ewigkeit, den Tod für uns zerbrochen, den Himmel aufgeschlossen, das Leben wiederbracht: 3. lass uns in deiner Liebe und Kenntnis nehmen zu, dass wir am Glauben bleiben, dir dienen im Geist so, dass wir hier mögen schmecken dein Süßigkeit im Herzen und dürsten stets nach dir. 4. Du Schöpfer aller Dinge, du väterliche Kraft, regierst von End zu Ende kräftig aus eigner Macht. Das Herz uns zu dir wende und kehr ab unsre Sinne, dass sie nicht irrn von dir. 5. Ertöt uns durch dein Güte, erweck uns durch dein Gnad. Den alten Menschen kränke, dass der neu’ leben mag und hier auf dieser Erden den Sinn und alls Begehren und G’danken hab zu dir. Quellennachweis Evangelisches Kirchen-Gesangbuch. Ausgabe 1994, Nr. 67. Vgl. außerdem: https://www.liederdatenbank.de/song/10523 (zuletzt eingesehen am 07. Juli 2020). Literaturhinweis Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit, Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2010. S. 59–72. Elisabeth Schneider-Böklen: Elisabeth Cruciger, die erste Dichterin des Protestantismus, in: Gottesdienst und Kirchenmusik Heft 2 (1994), S. 32 ff.
Bauernkrieg und soziale Reformbewegungen
Albrecht Classen: Elisabeth Creutzigerin oder Crucigerin, in: Dies.: „Mein Seel fang an zu singen“. Religiöse Frauenlieder des 15.–16. Jahrhunderts. Kritische Studien und Texteditionen, Leuven u. a. 2002, S. 258–265. Irene Dingel/Armin Kohnle (Hg.): Die Crucigers: Caspar der Ältere, Caspar der Jüngere und Elisabeth Cruciger in ihrer Bedeutung für die Wittenberger Reformation, Leipzig 2021.
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Bauernkrieg und soziale Reformbewegungen
Unter dem deutschen Bauernkrieg wird die Gesamtheit der Aufstände von Bauern, Städtern und Bergleuten gefasst, die 1524 in weiten Teilen Süd- und Mitteldeutschlands sowie in angrenzenden Ländern der Habsburgischen Krone und der sich konstituierenden Eidgenossenschaft ausbrachen. Mit den Zwölf Artikeln von Memmingen wurden die Forderungen der Aufständischen nachhaltig formuliert. Etliche Formulierungen erinnern an die späteren Menschenrechte. Zwischen 1525 und 1526 wurden die Aufstände blutig niedergeschlagen, wobei schätzungsweise rund 70.000 Menschen ums Leben kamen. Europaweit gingen den Aufständen im Alten Reich etliche Erhebungen in anderen Ländern voraus. Ursachen dieser Erhebungen waren soziale, wirtschaftliche, politische und auch religiöse Missstände. Teuerungen, Gewaltexzesse und illegale Ausbeutung führten zur Eskalation. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts waren zahlreiche Forderungen in den Beschwerden der Deutschen Nation auf den Reichstagen verhandelt worden. Dennoch griffen die Reformen nicht und kamen in den unteren sozialen Schichten nicht an. Der reformatorische Aufbruch erschien zahlreichen Aufständischen als die religiöse Legitimation ihrer Forderungen. Sie wurden durch die Haltung insbesondere der Wittenberger Reformatoren schwer enttäuscht. Die brutale Niederschlagung der schlecht ausgerüsteten und militärisch kaum geschulten Bauernheere verwüstete die mitteldeutschen Landschaften nachhaltig. Literaturhinweis Peter Blickle: Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes, München 4 2012. Gottfried Seebaß: Artikelbrief, Bundesordnung und Verfassungsentwurf. Studien zu drei zentralen Dokumenten des südwestdeutschen Bauernkrieges, Heidelberg 1988. Marion Kobelt-Groch: Aufsässige Töchter Gottes: Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen, Frankfurt/New York 1993. Günter Vogler (Hg.): Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (Historische Mitteilungen. Beihefte 69), Stuttgart 2008. Benjamin Heidenreich: Ein Ereignis ohne Namen? Zu den Vorstellungen des „Bauernkriegs“ von 1525 in den Schriften der „Aufständischen“ und in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung, Berlin 2019. Peter Blickle: Der Bauernjörg. Feldherr im Bauernkrieg, München 2015.
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Nr. 156 Christoph Scheurl: Der Aufstand des Armen Konrad von 1514 Sein Geschichtsbuch der Christenheit von der Jahrzahl Christi 1511 bis auf dieses gegenwurtig achtundzwainzig Jahr zählt zu den in humanistischer Manier verfassten, wichtigen Geschichtswerken mit detaillierten Angaben zu den Geschehnissen zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Auch in ihm kommt die ambivalente Haltung Scheurls zur Reformation, vor allem aber zur gewaltsamen Änderung gesellschaftlicher, politischer oder wirtschaftlicher Zustände zum Tragen. – Mit „Armer Konrad“ (zuweilen auch „Armer Kunz“) wird ein Bündnis einfacher Menschen bezeichnet. Sie wehrten sich um das Jahr 1514 im Herzogtum Württemberg gegen die sozialen und wirtschaftlichen Zustände. Neben den unter der feudalen Ausbeutung leidenden agrarischen Bürgern waren es auch Stadtbürger, die sich, mit Unterstützung der Geistlichkeit, gegen die obrigkeitliche Umverteilungspolitik zu Lasten der unteren gesellschaftlichen Schichten erhoben. Unmittelbarer Anlass waren die Preissteigerungen für Lebensmittel und Steuererhöhungen Herzog Ulrichs, der damit seine Kriegszüge finanzieren wollte. Unter dem Druck der sich rasch verbreitenden Unruhen kam es im Juni zu einer Einigung des Herzogs mit seinen Landständen. Ihnen wurden Mitspracherechte bei der Regierung und insbesondere bei den Staatsausgaben garantiert. Alle Untertanen erhielten das Grundrecht auf Freizügigkeit und ordentliche Gerichtsverhandlungen. Dem Landesherren gegenüber verpflichteten sich die Landstände, den größten Teil der immensen Schuldenlast des Herzogs zu übernehmen. Freilich erlaubte der Vertrag dem Herzog nun auch ein militärisches Vorgehen gegen die als Aufrührer identifizierten Wortführer der Bewegung. Sie wurden gefangen genommen und öffentlichkeitswirksam hingerichtet. (Zur Biografie Christoph Scheurls siehe Nr. 21.) Ursache Württembergischer Empörung, der arme Konrad genannt […] Nun hat zu Corbach in Weblinger Vogtei im Remstal ein Bauer, der Armut halben der arm Cuntz genannt worden, eine Kuh, die aus Missgeschick ein Bein gebrochen hatte, geschlachtet, und dieweil er sie ohne Schaden nicht verkaufen konnte, das Fleisch räuchern wollen. Nachdem aber der Vogt, ungeachtet seines erlittenen Schadens, das Fleisch zu wiegen und vom Zentner drei Schilling Ungelds erfordert hatte, hat er die Kuh auf dem Anger den Hunden vorgeworfen und sich seines Unfalls bei seinen Nachbarn beklagt und hören lassen: Er wäre um sein Gut gekommen. Wo er jemand vertrauen durft, wollt er seinen Leib auch dransetzen. Davon und anderen vorstehenden Beschwernissen des Mehl- und Weinungelds [halber] ist, als die Kirchweihen nach Ostern hin und wieder angangen sein, soviel Gemurmels entstanden und erfolgt, dass sich Corbach, klein und Großheppach, Beutelspach, Endelspach, Auerbach, Cronbach und das ganze Remstal zusammengelegt, ein Haus auf dem Berg zu Großheppach erkauft, mit Stroh gefüllt und verabredet haben: So man das Haus anzündet, sollte man allenthalben, sofern der Rauch gesehen wurde, Sturm anschlagen und männiglich mit seiner Wehr und Harnisch zuziehen. Und es ist die Meinung gewesen, mit den Reichen zu teilen,
Christoph Scheurl: Der Aufstand des Armen Konrad von 1514
keinen Herrn zu haben, noch Schuld oder Gult zu bezahlen. Aber von einem alten Mann wurde widerraten, dieweil nie kein Bundschuh Fürgang gehabt hat. Darum sollten sie, um weiteren Unglücks willen, allein unterstehen, die ungewohnlichen Auflagen und Beschwernisse abzubringen und sonst ihrem Herrn billigen Gehorsam zu leisten. Der Wirtenbergischen Anzug, Klagen und Empörungen Donnerstag nach Invencionis crucis, den 4. Mai, hat der arme Cuntz das Haus angezündet und ein Fähnlein aufgeworfen. Daran ist gemalt gewesen ein armer Bauer mit einem Hahnenfederlein, nicht wohl gekleidet, der hätte ein Los [= Losungszeichen] mit zweien Bundschuhen an einer goldenen Kette. Und ist mit 1500 gerüsteten Bauern das Remstal hinauf vor Schorndorf gezogen. Da [sind] ihrer nachts bei 3500 worden, aber nicht eingelassen seien, die haben zu Heuppach und an mehreren Orten das gegebene Gewicht genommen und in das Wasser geworfen. Des folgenden Tages haben die fürstlichen Gesandten ihre Beschwernis im Feld von ihnen vernommen und versprochen, dass sie von dem Herzog außerhalb einiger Strafe sollten gnädiglich verhört und bedacht werden, und sie damit abzuziehen bewegt. […] Des Herzogs Vertrag mit der Landschaft zu Württemberg Dienstag nach Corporis Christi472 ist der Fürst gen Stuckgarten gekommen, hat den Landtag daselbst abgesagt, gen Tübingen verrückt und dahin die Landschaft zu sich erfordert und [ist] wieder zum Tor ausgeritten. Dem [sind] die von Stuckgarten nachgefolgt und weiter – derhalben vorstehend Empörung zu verhüten – verabredet haben, dass zu Tübingen die Beschwernis des Fürsten halben acht Tage, und dann Montag nach Visitacionis Marie [3. Juli] zu Stuckgarten die Klagen wider die Vogt, Forstmeister und Amtleute gehört und beratschlagt werden sollten. […] Der Schorndorfer Vogtei andere Empörung und deren Strafe Inzwischen hat der Herzog aus Luttringen, Westerreich, Schwartzwald, Lutzelburg, Badischen, Wetterau, Pfeltzischen, Würtzburgischen, Franckfordischen und derselben Gegend in die 1600 Pferde mit der Hilfe Herrn Ludwig von Hutten, Rittern, aufgebracht und auch ein Fußvolk von dem Markgrafen von Baden überkommen, in das Land vor Schorndorf geführt. Da Mittwoch nach Vincula Petri [1. August] zwölf aus der Landschaft erkannt haben, dass Stadt und Amt von Schorndorf den Vertrag, [so] zu Tübingen verabredet, halten, huldigen und die Empörigen und Ungehorsamen mit Worten oder Werken gefänglich angenommen und nach Recht gestraft werden. Und deshalb der Herzog gegen sie, mit Frag und Rechtfertigung zu handeln, guten Fug und Recht haben sollt. Darauf hat der Herzog mit seinen Gereisigen den Bauernhaufen umringt, die Flecken voneinander gesondert, aus einem jeden die Schuldigsten in Gefangenschaft und die Übrigen auf dem Rathaus zu Schorndorf verwahrt, festgehalten und nach beschehener peinlicher Frag Montag nach Sixti [7. August] auf gemeldetem Platz vor Schorndorf über sie peinlich klagen, die Aussage verlesen lassen und sie doch peinlicher Strafe erlassen außer 18, denen alsbald am folgenden Dienstag und Mittwoch nach Sixti auf dem Markt zu Stuckgarten die Kopf abgeschlagen. Darum, weil sie vorhatten, den Adel und die Geistlichkeit zu plündern. Quellennachweis Jahrbücher des deutschen Reiches und der deutschen Kirche im Zeitalter der Reformation, hg. v. Joachim Karl Friedrich Knaake, Bd. 1, Leipzig 1872, S. 49–55 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
472 Fronleichnam; 13. Juni 1514.
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Literaturhinweis Andreas Schmauder: Württemberg im Aufstand – der Arme Konrad 1514. Ein Beitrag zum bäuerlichen und städtischen Widerstand im Alten Reich und zum Territorialisierungsprozeß im Herzogtum Württemberg an der Wende zur Frühen Neuzeit, Leinfelden-Echterdingen 1998. Götz Adriani/Andreas Schmauder (Hg.): 1514. Macht. Gewalt. Freiheit. Der Vertrag zu Tübingen in Zeiten des Umbruchs, Ostfildern 2014. Manfred Scharoun: Willibald Pirckheimer und Christoph Scheurl. Zur Ambivalenz einer humanistischen Freundschaft im Spannungsfeld der beginnenden Reformation, in: Artibus. Kulturwissenschaft und deutsche Philologie des Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. v. Stefan Füssel, Wiesbaden 1994, S. 179–196.
Nr. 157 Johannes Trithemius: Bundschuh
Eng verbunden mit den Aufständen des „Armen Konrad“ ist auch die Bewegung des Bundschuh. Sie wurde wegen ihrer Fahne so benannt, auf der ein gebundener Schuh als Symbol der Bekleidung des armen Mannes zu sehen ist. In ihr vereinigten sich verschiedene Bauernunruhen zwischen 1493 und 1517 in Südwestdeutschland. Sie werden zu den Vorläufern und Wurzeln des Bauernkrieges gezählt. Insgesamt handelte es sich um eine Anzahl von lokalen Verschwörungen und Aufständen in verschiedenen Orten Südwestdeutschlands. Zu überregionaler Bedeutung kamen die Unruhen in Untergrombach, Lehen und am Oberrhein, deren Anführer Joß Fritz (1470–1525) gewesen ist. Johannes Trithemius – der Nachname stellt die latinisierte Form seiner Geburtsstadt Trittenheim an der Mosel dar – wurde dort am 1. Februar 1462 geboren und verstarb am 13. Dezember 1516 in Würzburg. Er gehört zu den humanistisch gebildeten und intensiv publizierenden Angehörigen benediktinischer Konvente. Trotz seiner schwierigen Familienverhältnisse konnte er Griechisch und Latein erlernen und erwarb später auch Kenntnisse des Hebräischen. Nach seiner Flucht aus dem Elternhaus gelangte er Anfang 1482 in die Benediktinerabtei Sponheim bei Bad Kreuznach. Dort wurde er knapp eineinhalb Jahre nach seinem Klostereintritt zum Abt gewählt. Er betrieb eine intensive Reform des Klosterlebens sowie eine wirtschaftliche Konsolidierung der Finanzen. Zu seiner Reform im Sinne der Bursfelder Kongregationen473 gehörte auch die Einrichtung einer umfangreichen Bibliothek. Zahlreiche Gelehrte und Fürsten besuchten diese Sammlung. 1505 verließ Trithemius sein Kloster und wechselte an das Benediktinerstift St. Jakob (Schottenkloster) in Würzburg. 1506 wurde er auch dort zum Abt gewählt und übte diese Funktion bis zu seinem Tod aus. Seine zahlreichen historischen Arbeiten, die durchaus den 473 Zusammenschluß von etlichen westeuropäischen Benediktinerklöster, die sich der Reformbewegung von Bursfelde bei Göttingen angeschlossen hatten.
Johannes Trithemius: Bundschuh
Intentionen ihrer Auftraggeber entsprechend zugespitzt wurden, trugen ihm zum Ende seines Lebens den Ruf eines Fälschers ein. In seinen „Annales Hiersaugensis“ beschreibt er die Anfänge der Aufstände in Untergrombach bei Bruchsal.
Im zuvor genannten Jahre vergingen sich in der Herrschaft der Speyrer Kirche etliche Bauern in unbesonnener Weise gegen ihr Gelöbnis und verschworen sich wider ihre Herren, den Bischof und die Kanoniker. Nach Schweizer Art verpflichteten sie sich gegenseitig eidlich und vergrößerten allmählich insgeheim ihre Zahl. Und wenn man ihre Verschwörung nicht rechtzeitig entdeckt hätte, wären sie binnen kurzem durch ihre Menge unüberwindbar gewesen. Dieser Bauernbund (den jene in der Volkssprache „Bundschuh“ nannten) nahm seinen Anfang in einem Dorfe der Speyrer Diözese namens Untergrombach durch zwei Bauern, die durch ihre Ränke mit der Zeit viele in das Verbündnis hineinzogen, nicht nur in diesem Dorfe, sondern auch in vielen anderen der Umgebung. Und wie einige von ihnen auf der Folter bekannten, gab die Hälfte der Einwohner der Stadt Bruchsal der Verschwörung ihre Zustimmung. Sie schickten von hier aus geheime Aufwiegler durch Dörfer und Städte, die viele zum Eintritt in das Verbündnis gegen die Fürsten, den Klerus und alle Hochgestellten der Herrschaft aufreizen sollten. Sie hatten sich schon zwei Hauptleute bestimmt, welche die Menge im Kriege führen und denen alle übrigen ohne Widerspruch gehorchen sollten. Sie ordneten an, ihnen eine zweifarbige Fahne zu machen, weiß und blau, auf der das Bild des gekreuzigten Heilands gemalt sein sollte, wie er nach der Überlieferung dem heiligen Georg erschienen ist. Auf der einen Seite sollte ein Bundschuh zum Zeichen des Bundschuhverbündnisses abgebildet sein, auf der anderen aber ein kniender Bauer mit erhobenen Händen, über dessen Scheitel so in der Volkssprache zu lesen wäre: Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes! […] Im folgenden werden wir freilich an Hand des Bekenntnisses der Gefangenen leicht zeigen, dass die Ruchlosen nicht die Gerechtigkeit Gottes suchten, sondern sie vielmehr bekämpfen und verjagen wollten. Durch göttliche Vorsehung wurde nämlich der Plan der Frevler enthüllt und eine Anzahl Urheber der Verschwörung gefangengenommen. Nach peinlicher Befragung bekannten und offenbarten sie ihre ruchlosen Geheimnisse, die ich zur einfacheren Unterrichtung für alle Artikel auf Artikel schriftlich niedergelegt habe: Erster Artikel ihres Bekenntnisses. Den Bundschuh hätten sie hauptsächlich in der Absicht begonnen, nachdem sie an Zahl stark und zum Kampfe geeignet und ausreichend gerüstet gewesen seien, das Joch aller Leibeigenschaft mit Gewalt abzuschütteln und sich nach Schweizer Art mit den Waffen gänzlich zu befreien. Zweitens bekannten sie, dass ein jeder, bis er zu ihrem ruchlosen Unterfangen geschworen hatte, zunächst fünf Vaterunser mit dem Englischen Gruß474 zum Gedächtnis der fünf Hauptwunden Christi kniend zu sprechen gehalten sein sollte, damit Gott ihrem Vorhaben zur Gerechtigkeit den Erfolg gebe. Drittens: Als Schutzheilige haben sie sich unsere Herrin Sankt Marien und den heiligen Johannes bestimmt, zum gegenseitigen Erkennungszeichen legten sie das fest: Ein Angehöriger dieses Verbündnisses, der wissen wollte, ob auch ein anderer Mitverschworener sei, fragte jenen: „Was ist euch für ein Wesen?“ Wenn der Gefragte mit von der Verschwörung war, antwortete er: „Wir vermögen vor den Pfaffen nicht zu genesen.“ O bäuerliche Verworfenheit, für den Klerus immer schwer zu ertragen! 474 Gebet Ave Maria.
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Viertens bekannten sie mit und ohne Folter, dass es ihre Absicht gewesen sei, alle Landesobrigkeit und Herrschaft auszutilgen und, sobald sie zahlreich genug waren, mit der Fahne in Scharen gegen alle zum Kampf auszuziehen und jeden, der ihnen Widerstand leistete, ohne irgendwelches Erbarmen niederzuschlagen. Fünftens sagten sie, dass sie beschlossen hätten, zuerst die Stadt Bruchsal, der Gewalt des Speyrer Bischofs unterworfen, zu überfallen, wo sie sich rühmten, bereits die Hälfte der Bewohner zu Mitverschworenen zu haben. Nachdem sie diese, wie sie hofften, leicht eingenommen hätten, wollten sie mit Waffengewalt weiter gegen die Markgrafschaft Baden ziehen und hier alles verwüsten. Sechstens hatten sie beschlossen, die Güter der Klöster, Kathedral- und Kollegiatkirchen, aller Kleriker der Umgebung mit Waffengewalt zu plündern, nach ihrem Ermessen unter sich zu teilen, die Dienstleute der Kirche zu demütigen und ihre Zahl durch Ermordung und Vertreibung vieler möglichst zu verringern. […] Elftens bekannten sie, unter sich beschlossen zu haben, mit Krieg und Waffengewalt gänzlich die Freiheit zu erringen und danach keines Menschen Herrschaft mehr zu dulden: Sie wollten keinem Zins und Zehnten, den Fürsten keine Präkarien [= Grundsteuern], keine Steuern noch irgend etwas geben, sondern von jeder Abgabenlast vollständig befreit sein. Zwölftens nahmen sie sich vor, Jagd, Fischfang, Weide, Wald und alles, was durch die Exemtion [= Befreiung] der Fürsten privater Nutzung zu dienen pflegt, in die Gemeinschaft zurückzuholen, so dass jedem Bauern zu jagen und zu fischen erlaubt ist, wo und wann er will, zu aller Zeit und an jedem Ort, ohne irgendeines Mannes Behinderung oder Verbot. […] Dies und anderes mehr erdachte der Wahnwitz der Bauern in Untergrombach, Jöhlingen, in der Stadt Bruchsal und in verschiedenen anderen Dörfern und Orten zum Verderben des Staates wider die Fürsten, Bischöfe und den ganzen Klerus. Ihrer Bosheit kam der allmächtige Gott mit seiner Güte zuvor und ließ nicht zu, dass sie Erfolg hätten. Nachdem nämlich die ruchlose Verschwörung aufgedeckt worden war, wurden mehrere von ihnen gefangen, in Fesseln geworfen und, wie es Brauch ist, durch die Folter nach ihrem Verbrechen befragt. Quellennachweis Zur Geschichte des großen deutschen Bauernkrieges (Dokumente und Materialien), bearb. v. Walter Zöllner, Berlin 1961, S. 31–34 (Verwiesen auf: Johannes Trithemius: Annales Hirsaugienses, Bd. 2, St. Gallen 1690, S. 589–592) (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Jürgen Pankatz: Johannes Trithemius (1462–1516): Abt des Benediktiner-Klosters Sponheim, Bücherfreund und Vertreter humanistischer Gelehrsamkeit, Sponheim 2011. Thomas Adam: Joß Fritz – das verborgene Feuer der Revolution: Bundschuhbewegung und Bauernkrieg am Oberrhein im frühen 16. Jahrhundert, hg. v. der Historischen Kommission der Stadt Bruchsal, Ubstadt-Weiher 3 2013. Horst Kratzmann: Der große Bauernkrieg: Ursachen, Geschichte und Tragödie einer gescheiterten Revolution, Groß-Gerau 2007.
Andreas Lettsch: Erhebung in Stühlingen
Nr. 158 Andreas Lettsch: Erhebung in Stühlingen Andreas Lettsch (* vor 1519; † nach 1534) war Jurist und Chronist. Seine Villinger Chronik zählt zu den wichtigsten Dokumenten aus der Zeit zu Beginn der südwestdeutschen Bauernaufstände. Er beschreibt darin mit erkennbar konservativer Sichtweise neben den Ereignissen auch die Führungspersönlichkeiten des Aufstandes, unter ihnen Hans Müller von Bulgenbach (hingerichtet am 12. August 1525). Im Juni 1524 überreichten die Bauern am Schloss von Stühlingen ein Gesuch mit 16 Punkten, mit denen sie auf Missstände und Unrecht hinwiesen, sowie deren Änderung forderten. Graf Sigmund II. von Lupfen (gestorben am 28. Dezember 1524) zögerte die Verhandlungen hinaus und schlug wenig später mit Hilfe weiterer Adliger die Bauern vernichtend. Im gemeldeten Jahr [1524] nach Pfingsten [15. Mai] entstand ein Auflauf von Bauern in der Grafschaft Stühlingen zu Bonndorf, als der Herr Siegmund seliger, Graf zu Lupfen, Landgraf zu Stühlingen, diese Grafschaft regierte. Die Bauern der Stühlinger Grafschaft empörten sich wider ihre Herren einiger beschwerlicher Ursachen halber, sie könnten solchen Frondienst und andere tägliche Beschwernisse nicht länger erleiden und wollten auch weiterhin nichts tun, als was sie nach altem Herkommen zu tun hätten. In denselben Tagen hatten die von Waldshut einen Pfarrer mit Namen Doktor Balthasar Hubmaier.475 Derselbe war ein Lehrer der göttlichen Schrift, welcher gegen jede Obrigkeit, geistliche und weltliche, predigte, daß man keinem mehr etwas zu tun schuldig wäre und allein unseren Herr Gott zu ehren hätte. Dadurch wurden die Bauern gegen die Obrigkeit erregt, und sie wollten keinen Herrn haben außer Gott dem Allmächtigen. Und wahrlich, so man die Sache recht bedenkt, so ist derselbe Doktor Balthasar ein Anfänger und Aufrührer des ganzen Bauernkrieges gewesen, denn durch ihn ist solcher erbärmlicher Schaden und Übel ausgegossen worden und sind die von Waldshut durch sein Predigen an Ehre, Gewalt und Reichtum zu spürbarem, unwiederbringlichem Verderben gekommen – davon viel zu schreiben wäre, was der Kürze halber unterlassen wird –, wiewohl sie seinem Predigen untertänig und günstig [gesonnen], auch gut lutherisch waren, indem sie rühmten, er käme aus Anordnung und besonderer Sendung des allmächtigen Gottes. Derselbe Doktor genoß viel Gunst zu Waldshut, bei Frau, Mann, Jungen und Alten. Er fing an, die deutsche Messe zu lesen, vernichtete die Kirchen, verbrannte die Bildnisse darin, verkaufte der Kirchen Gewänder, Kelche und andere Kleinodien, taufte auch viele Menschen noch einmal, indem er sagte, daß die Taufe ohne Glaube nichtig und vergeblich wäre, und brachte mit seinem unchristlichen Wesen zuwege, daß die von Waldshut einen besondern Glauben hatten und gegen die Mandate des Herren Ferdinand, zu Ungarn und Böhmen König usw., stritten, sie wollten allein Christus und seiner Lehre anhangen. Als nun die Bauern zu Bonndorf in der Grafschaft Stühlingen zusammengelaufen waren und sich durch einhelligen Ratschlag entschlossen hatten, auf welche Weise sie dem Evangelium dienen und der Gerechtigkeit beistehen wollten, machten sie Hans Müller von Bulgenbach zu einem obersten Feldhauptmann. Sie wollten das Evangelium in allen Ländern samt der
475 Zur Biografie siehe Nr. 125.
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Gerechtigkeit beschirmen und besetzten alle Ämter, die man bei kriegerischen Handlungen und Geschäften haben muß. Wiewohl vorgenannter Hans Müller (nach ihrem einfältigen Urteil) ganz beredt und vorwitzig war, einen Redner seinesgleichen könnte man nicht finden, Gott hätte sie auch mit einem geschickten Mann versorgt. Alle Menschen fürchteten diesen Hans Müller. Ich habe ihn auch wohl gekannt. Er war ein stattlicher Mann von rechter Mannes Länge, der zuvor in Frankreich Krieg geführt hatte und für einen Laien genug reden konnte. Als nun die lupfschen Bauern sich zusammengeschworen und verbunden hatten, daß sie mitund untereinander Lieb und Leid leiden und auch mit der Obrigkeit nicht so hart verbunden sein wollten, schossen sie das Wildbret, wo und wie sie es bekamen, und fischten auch, wo sie wollten. Und sie zogen mit ihrem Fähnlein gegen Waldshut auf die Kirchweih. Und da die von Waldshut bei unserer Königlichen Majestät, unserem Herrn, ein wenig in Ungnade standen wegen ihrer angenommenen lutherischen Lehre, machten sie mit den lupfschen Bauern ein Verbündnis, daß sie sich gegenseitig retten, schützen und schirmen sollten. Danach wollte sich Graf Siegmund von Lupfen wegen der vermeintlichen Forderung, die die Bauern gegen ihn hatten, mit ihnen gütlich einigen. Als ein Tag zum gütlichen Handeln nach Tiengen festgesetzt worden war, mit der Absicht, daß beide Parteien dort erscheinen sollten, und Graf Siegmund mit seinem Beistand ankam, da zogen die Bauern von Waldshut heraus mit ihrem Fähnlein und bewaffneter Hand, welches keinem Vertrag vergleichen mochte. Da nun Graf Siegmund und die anderen ihm zugetanen Herren das sahen, ritten sie unverzüglich von Tiengen ab, aus der Stadt hinaus, und wollten solchermaßen, wie vorsteht, mit den Bauern nicht verhandeln. Nach dem allem ward Graf Sigmund [mit] seinen armen Leut zusammen veranlasset, auf die Herrn Wolfen von Honburg, Hansen Walthern von Loubenberg, beide Ritter, und die Burgermeister und Rat der Stadt Schaffhausen, welche gemeldte Herrn Graf Sigmunden und die Bauern in ihren Spennen und Stößen [= Widersetzlichkeiten] gütiglich gegen und miteinandern vertragen sollten. Demnach ward die Sache von beiden obgeschriebenen Herrn und gütlichen Unterrednern mit aller Gewahrsam nach Notdurft ubergeben. Darzu hätten die Lupfischen Bauren ein vollmächtigen Usschutz [= Ausschuß] und Sachwalter darzu verordnet. Wie dem allem, ward ein Vertrag zwischen Grafen Sigmunden und seinen armen Leuten gemacht, aufgericht, beeidiget und besiegelt, auch gänzlich in Kräften gestellt, welcher Vertrag denen Bauern zugeschickt und ihnen verlesen ward. Er mißfiel ihnen, und [sie] wollten denselbigen Vertrag nicht halten, davon auch gänzlich nichts hören sagen, und zogen darauf vor das Schloß Stühlingen, lagen davor bei vierzehn Tagen, so sie kein Geschütz hatten, damit sie die Muren brechen, mochten sie das Schloß nicht gewinnen. Quellennachweis Günther Franz: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, München 1963, S. 85,30–87,37. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Hiroto Oka: Der Bauernkrieg in der Landgrafschaft Stühlingen und seine Vorgeschichte seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, Konstanz 1998.
Amandus Scheffer: Der Baltringer Haufen
Nr. 159 Amandus Scheffer: Der Baltringer Haufen Unter dem Begriff „Baltringer Haufen“ wird gemeinhin ein Zusammenschluss von Bauern und Handwerkern aus Südwestdeutschland im Bauernkrieg von 1524/25 verstanden. Sie zählten zur „Christlichen Vereinigung“ oder „oberschwäbischen Eidgenossenschaft“. Sie verantworteten später die Memminger Artikel. Die Initiative ergriff eine Versammlung von Bauern an Heiligabend des Jahres 1524 in einem Wirtshaus in Baltringen. Weitere Treffen folgten und auch die Obrigkeit wurde aufmerksam. Die Vertreter des Schwäbischen Bundes planten, die Aufstände im Keim gewaltsam zu ersticken. Dennoch kam es zu Verhandlungen unter dem Vorsitz des Ulmer Bürgermeisters Matthäus Neidhardt (* um 1465 in Ulm; † 1537). Auf seine Anregung hin übergaben die Bauern mehr als 300 Beschwerdeschriften aus ihren jeweiligen Dörfern. Die Beschwerden richteten sich gegen die Leibeigenschaft, die Höhe der Zinsen und Abgaben sowie anderer Steuern. Weitere Forderungen betrafen den Umfang des Frondienstes sowie die Nutzung von Wäldern, Wiesen und Gewässern. Als Grundlage ihrer Aussagen beriefen sich die Bauern auf das göttliche Recht, welches für jederman sichtbar mit dem angewandten Recht in Konflikt geriet. Die Anwesenheit der Truppen des Schwäbischen Bundes zur Absetzung von Herzog Ulrich von Württemberg ließen die Auseinandersetzungen eskalieren. Unter dem Kommando von Georg III. Truchsess von Waldburg-Zeil (dem „Bauernjörg“) wurde der Baltringer Haufen zersplittert und löste sich schließlich auf. Nach der Niederlage mussten die Bauern erneut den Treueeid schwören und hohen Schadensersatz leisten. Am 29. Tag des Januar anno 1525, an einem Sonntag sind zum erstenmal bei 20 Bauern zu Baltringen im Wirtshaus beisammen gewesen. An diesem Tage ist der erste Anschlag gemacht worden, wie der Bauernhaufen zusammenkommen wolle. Darnach am Donnerstag, den zweiten Tag des Monats Hornung [Februar], an unserer lieben Frauen Lichtmess, sind bei 80 Bauern abermals im Wirtshaus zu Baltringen zusammengekommen und haben einander verheißen und versprochen, allen Nachbarn und guten Gesellen anzusagen, auf den nächstfolgenden Donnerstag, am 9. des Hornungs (Februar), auf dem Ried bei Baltringen mit ihren Gewehren zu erscheinen, da werde man ratschlagen, wie dem armen Mann geholfen werden könne von den Beschwerungen ihrer Obrigkeiten. Also sind auf denselben Donnerstag mehr denn 2000 Bauern auf dem Ried zusammengekommen, und ist der Bauernhaufen von Tag zu Tag je länger je mehr angeschwollen, dass an einem Haufen 12.000 Bauern beieinander gewesen sind. Da haben sie Räte und Ausschüsse gemacht und durch dieselben alle ihre Sachen gehandelt. Auf Lätare, am 26. Tag des März, haben die Bauern den ersten Angriff getan und sind eingefallen zu Schömerberg ins Schloss und haben da alle Öfen, Fenster, Türen, Läden und Tröge zerschlagen, und was von Eisen gewesen ist, abgebrochen und keinen Nagel an der Wand bleiben lassen, und was sie an Hausrat und Betten gefunden haben, (wiewohl dessen nicht viel gewesen ist) alles hinausgetragen und geplündert; desgleichen Korn, Hafer, Gerste und viel Mehl, auch fünf Hakenbüchsen hinweggeführt. Zum letzten haben sie das Schloss angezündet und es verbrennen wollen; aber die Hintersassen zu Schömerberg haben das Feuer wieder gelöscht, aus Besorgnis, das Dorf würde davon angezündet werden und verbrennen.
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Aber dem Gotteshaus haben die Hintersassen zu Schömerberg den größten Schaden getan und hinausgetragen, was sie fanden, und im Schloss haben sie gar nichts bleiben lassen. Desgleichen hat die Gemeinde zu Äpfingen unsern Stadel aufgebrochen und 3000 Roggengarben, die ausgedroschen gewesen sind, daraus genommen und verteilt, und jedem Haus ein Teil gegeben. Auch haben die von Äpfingen den Weiher am Dorf, der dem Gotteshause gehört, ablaufen lassen und die Fische alle daraus genommen und jeglichem Hause sein Teil gegeben. Quellennachweis Aufzeichnung des P. Amandus Scheffer, in: Quellen zur Geschichte des Bauernkriegs in Oberschwaben, hg. v. Franz Ludwig Baumann, Tübingen 1975, S. 299 f. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
Nr. 160 Peter Haarer: Das Weinsberger Blutgericht Peter Haarer (geboren zwischen 1480 und 1490), Feldschreiber des Pfalzgrafen bei Rhein, verfasste eine 1625 gedruckte Eigentliche Warhafftige beschreibung deß Bawrenkriegs: Wie derselbe vor hundert Jahren, nemblich im Jahr 1525 fast an allen enden Teutsches Landes angangen, vnd wider gedempfet worden. Sie beschreibt unter vielen anderen Ereignissen auch die Weinsberger Bluttat. Danach zogen am Karfreitag, dem 14. April 1525, die vereinigten Odenwälder und Hohenloher Bauern nach Neckarsulm. Ihnen schlossen sich die Neckartäler Bauern unter Jäcklein Rohrbach an. Der Zug umfasste rund 6.000 Bauern. In der Stadt Weinsberg war der bei den Bauern verhasste Graf von Helfenstein, österreichischer Amtmann Weinsbergs, Schwiegersohn des verstorbenen Kaisers Maximilian I. sowie Obervogt über alle württembergischen Bauern mit 60 Landsknechten und berittenen Begleitern eingetroffen. Provoziert von einer harschen Warnung des Adligen begannen die Bauern am Ostersonntag, dem 16. April 1525, mit dem Sturm auf die Burg, die bereits wenig später fiel. Sie wurde geplündert und in Brand gesteckt, während die Besatzung und die Familie des Grafen gefangen genommen wurden. Wenig später fiel auch die Stadt Weinsberg. Noch vor dem Mittag richteten die Bauern die Adligen und militärischen Führer öffentlich und schmachvoll durch einen Spießrutenlauf hin. Die Familie des Grafen wurde verschont und nach Würzburg geschickt. Es lag eine Meile Wegs von Neckarsulm im Gebirge ein hübscher, schöner Flecken samt einem Schloss darüber, Weinsberg genannt, dem Fürstentum Württemberg zugetan, in welchem die dort wohnenden Bürger wider ihr Gelübde, Eid und Pflicht, auch aller Ehrbarkeit und Aufrichtigkeit entgegen das grausamste, lästerlichste, schändlichste und untreueste Übel, dergleichen nicht bald mehr gehört werden, gegen ihre vorgesetzte Herrschaft verübet. Sie hatten mit den Bauern zu Neckarsulm im Luder und aller Üppigkeit gelegen und mit ihnen allerhand gewechselt und paktiert. Sie waren von niemandem beschwert, belagert, genötigt oder bedrängt, sondern von ihrer Herrschaft zum Schutz mit einer guten Anzahl Reisigen, etwa 70 Pferden, versehen; und es waren gute, ehrliche, tapfere Leute, die wenige Tage zuvor dem Regiment des Fürstentums Württemberg als Besatzung, Schloss und Flecken zu bewahren, ihnen zugeschickt
Peter Haarer: Das Weinsberger Blutgericht
worden waren; darunter sind nachfolgende Grafen und Adlige gewesen: der wohlgeborene Graf Ludwig von Helfenstein, Amtmann daselbst, die edlen und festen Dieterich Weiher und sein Sohn, Hans Konrad Schenk, Vogt zu Vehingen, Bastian von Aue, Georg Wolff von Neuhaufen und sein Vetter Friedrich Eberhard Sturmfeder, Hans Dieterich von Westerstetten, Rudolf von Eltershofen, Burkhardt von Ehingen, Philipp von Bernhausen, Georg von Kaltenthal, und ein Hirnheimer usw. Es richteten nun die gemeldeten Einwohner zu Weinsberg aus lauter eigenwilliger Bosheit und teuflischem Eingeben ihre Kundschaft und Verräterei mit den Solmischen Haufen an und reizten und bewegten dieselben zum Vorwitz, indem sie ihnen anzeigten, was es für eine Gestalt um die Reisigen hätte. Also brach der Solmische Haufe (weil ihnen zu diesem Tanz gut pfeifen war) in derselben Nacht auf und zog eilends hinüber in das Weinsberger Tal. Am Ostertage morgens etwa um 9 Uhr liefen sie mit zwei Haufen mit dem einen oben an das Schloss, mit dem anderen an den Flecken mit großem Geschrei und Ungestüm und hauten und brachen die Tore auf. Als nun die ehrlichen, frommen Herren, Edlen und Reisigen verraten und ungewarnter Dinge überfallen waren, auch in keiner Wehr standen (denn sie sich dieser mörderischen Tat gar nicht versehen, sondern sich alles Guten vertröstet hatten), sondern sich im Flecken bei den Bürgern hielten, […] hat solche Ritterschaft, nachdem sie zur Rettung der Bürgerwacht zugeschrieen, die aber als die stummen Hunde und Verräter ihre Rohre in die Höhe gehalten und keinen Bauern beschädigen, viel weniger treffen noch erlegen wollten, sich zumal, das Schloss samt dem Flecken ohne einige Not und Widerstand in solchem ersten Anlauf aufgegeben in der Hoffnung, zum wenigsten das Leben zu erretten. Daran aber haben sich diese losen verfluchten Leute gar nicht begnügt, sondern ihr teuflisches, tyrannisches Vornehmen diesmal recht verübt. Sie sagten diesen ehrlichen Leuten ins Gesicht, daß ihr beschlossenes Consilium, das ist ihr Vorhaben […] auf hundert und ein Jahr dermaßen gerichtet und gestellt wäre, dass sie keinen Fürsten, Grafen, Herrn, Edelmann, Reisigen und was Sporen trüge, desgleichen keinen Pfaffen, Mönch noch Müßiggänger leben lassen, sondern wo sie sie treffen und erlangen würden, allesamt erwürgen und umbringen wollten. Darauf alsbald (vielleicht, wie etliche gemeint, aus Rache für ihre christlichen Mitbrüder, die von den Bündischen zuvor umgebracht worden waren, […] daneben auch, um dem Adel ein sonderbar Entsetzen und Furcht einzujagen) haben sie den wohlernannten Grafen, die Edlen und Reisigen angenommen und dieselben miteinander freventlicher, mutwilliger und unmenschlicher Weise durch die Spieße gejagt. Dieterich Weiher, von Leibe eine gerade, männliche Person, ist zur Rettung seines Lebens in den Kirchturm geflohen; denselben haben sie darin in der Höhe erstochen und also tot oben heraus zu einem Schauspiel auf den Kirchhof geworfen. Die ehr- und treulosen Buben sind in ihrer Bosheit dermaßen ergrimmt, dass sie die Reisigen samt den unschuldigen jungen Reitersknaben alle elendiglich erstochen haben, bis auf zwei Knechte, (die wohl von ängstlicher Not und daneben von großem Glück sagen konnten, die sich versteckt hatten und nach einigen Tagen heimlich davongekommen sind). Damit sie aber noch über alles Geschehene ihrem freigewagten ausgelassenen Mutwillen noch ein Genügen täten und ihr teuflisches Eingeben vollkommentlich verbüßen und verlustieren möchten, sind […] sie zugefahren und trotz alles angerufenen Erbarmens (ungeachtet dessen, was sie zuvor mit der Ritterschaft getan), mit der ehrlichen tugendsamen Gräfin von Helfenstein und ihrem jungen Herrlein, (den sie aber trotz alles christlichen Anrufens und Bittens in sein Ärmlein verwundet), dermaßen umgegangen und ihr alle, was sie gehabt, genommen, dass es ein ehrliebend Herz, ja einen rauhen wilden Stein, der es gesehen, möchte erbarmt haben. An solchen grausamen Taten mag manches fromme Herz sich spiegeln und ein christliches Mitleid tragen, daneben aber betrachten, was für Leute solches Bauernvolk sei, wenn sie die Oberhand erlangen; und das gemeine alte Sprichwort lügt nicht: „Kein Messer niemals härter schiert, dann wann ein Bauer Edel, Herr und Meister wird, welches an diesen wohl verspürt.“
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Quellennachweis Eigentliche Warhafftige beschreibung deß Bawrenkriegs / Wie derselbe vor hundert Jahren / nemblich im Jahr 1525. fast an allen enden Teutsches Landes angangen / und wider gedempfet worden / Damals in Teutsch und Latein beschrieben / Durch H. Peter Haarern. Jetzunder erstmal ins Teutscher sprach in den Druck gegeben, Frankfurt 1625, Cap. 16, S. 16–19. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Erich Weismann: Die Eroberung und Zerstörung der Stadt Weinsberg und des Schlosses Weinsberg im Bauernkrieg. Eine Rekonstruktion der Vorgänge nach zeitgenössischen Augenzeugenberichten, Weinsberg 1992. Joachim Hamm: Geschichte und Geschichtsdeutung. Zur sogenannten Bluttat von Weinsberg (16. April 1525) in der zeitgenössischen Literatur des 16. Jahrhunderts, in: Dorothea Klein (Hg.): Vom Mittelalter zur Neuzeit, Wiesbaden 2000, S. 513–540.
Nr. 161 Christoph Schappeler und Sebastian Lotzer: Die 12 Hauptartikel der Bauernschaft Christoph Schappeler wurde um 1472 in St. Gallen geboren und verstarb am 25. August 1551 ebendort. Bis 1513 wirkte er als Schulmeister in St. Gallen und wechselte dann auf eine Stiftungsprädikatur an der St.-Martins-Kirche. Er predigte volkstümlich und stand den Ideen der oberdeutschen und Zürcher Reformation und Huldrych Zwingli nahe. Dennoch war er bei der Durchsetzung reformatorischer Änderungen eher vorsichtig. Unter Einfluss engagierter Laien eskalierten allerdings die Verhältnisse. Der Bischof von Augsburg belegte ihn 1524 mit dem Bann. Das hinderte den Rat der Stadt dennoch nicht, nach einer öffentlichen Disputation 1525 die Reformation insgesamt durchzuführen. Schappeler wurde in die Wirren des Bauernkrieges hineingezogen. Seine Verfasserschaft an den 12 Artikeln ist ungewiss. Nach der Besetzung der Stadt durch Truppen des schwäbischen Bundes floh Schappeler nach St. Gallen. Dort lebte er bis zu seinem Tod und trat nur vereinzelt bei Disputationen mit reformatorischer Theologie an die Öffentlichkeit. – Sebastian Lotzer wurde um 1490 in Horb am Neckar geboren und verstarb nach 1525 an unbekanntem Ort. Er war Kürschner und wirkte als Laientheologe durch etliche Schriften. Nach Memmingen gelangte er auf der Wanderschaft als Geselle und verfasste hier zwischen 1523 und 1525 fünf reformatorische Schriften. Er gilt als Autor der „Memminger Artikel“ sowie (gemeinsam mit der „Christlichen Vereinigung“) der „Zwölf Artikel“ und der „Bundesordnung“. Hierbei zeigte er sich deutlich von Christoph Schappeler beeinflusst. Nach der Niederlage gegen die Truppen des Schwäbischen Bundes musste Lotzer im April 1525 aus Memmingen fliehen.
Christoph Schappeler und Sebastian Lotzer: Die 12 Hauptartikel der Bauernschaft
Dem christlichen Leser Fried und Gnad Gottes durch Christum. Es sind viele Widerchristen, die jetzund wegen der versammleten Bauerschaft das Evangelium zu schmähen Ursache nehmen, sagend, das seien die Früchte des neuen Evangeliums: Niemand gehorsam sein, an allen Orten sich emporheben und aufbäumen, mit großer Gewalt zuhauf laufen und sich rotten, geistlich und weltliche Obrigkeiten zu reformieren, auszureiten [= zu vernichten], ja vielleicht gar zu erschlagen? Allen diesen gottlosen, frevenlichen Urteilern antworten diese nachgeschriebenen Artikel, am ersten, daß sie diese Schmach des Wortes Gottes aufheben, zum andern, die Ungehorsamkeit, ja die Empörung aller Bauern christlich entschuldigen. Zum ersten ist das Evangelium nicht eine Ursache der Empörungen oder Aufruhren, dieweil es eine Rede ist von Christo, dem verheißenen Messias, welchs Wort und Leben nichts als Liebe, Friede, Geduld und Einigkeiten lernet, also daß alle, die an diesen Christum glauben, lieblich, friedlich, geduldig und einig werden. So dann der Grund aller Artikel der Bauern (wie dann klar gesehen wird), das Evangelium zu hören und demgemäß zu leben, dahin gericht ist. Wie mögen dann die Widerchristen das Evangelium eine Ursache der Empörung und des Ungehorsams nennen? Daß aber etliche Widerchristen und Feinde des Evangeliums sich wider solches Ansinnen und Begehren auflehnen und aufbäumen, dafür ist das Evangelium nicht Ursache, sondern der Teufel, der schädlichste Feind des Evangeliums, der solches durch den Unglauben in den Seinen erweckt, hiemitte [= damit], daß das Wort Gottes (das Liebe, Frieden und Einigkeit lehrt) unterdrückt und weggenommen würde. Zum andern dann klar lauter folget, daß die Bauern, [die] in ihren Artikeln solches Evangelium zu Lehre und Leben begehren, nicht mögen ungehorsam, aufrührisch genennt werden. Ob aber Gott die Bauern (die nach seinem Wort zu leben ängstlich rufen) erhören will, wer will den Willen Gottes tadeln? Wer will in sein Gericht greifen? Ja, wer will seiner Majestät widerstreben? Hat er die Kinder Israels, die zu ihm schreien, erhöret und aus der Hand des Pharaos befreit, mag er nicht noch heute die Seinen erretten? Ja, er wirds erretten. Und in einer Kürze. Derhalben, christlicher Leser, solche nachfolgenden Artikel lies mit Fleiß, und danach urteile. Hier nachfolgend die Artikel: Der erst Artikel: Zum ersten ist unser demütig Bitt und Begehr, auch unser aller Will und Meinung, daß wir nun fürhin Gewalt und Macht wollen haben, eine ganze Gemeinde soll einen Pfarrer selbst erwählen und kiesen [= prüfen], auch Gewalt haben, denselbigen wieder zu entsetzen, wenn er sich ungebührlich hielt. Derselbig erwählt Pfarrer soll uns das heilig Evangelium lauter und klar predigen, ohne allen menschlichen Zusatz, Lehr und Gebot, denn uns den wahren Glauben stets verkündigen, gibt uns ein Ursache, Gott um seine Gnad zu bitten, uns denselbigen wahren Glauben ein[zu]bilden und in uns [zu] bestätigen. Denn wenn seine Gnad in uns nicht eingebildet wird, so bleiben wir stets Fleisch und Blut, das dann nichts nutz ist, wie klärlich in der Schrift steht, daß wir allein durch den wahren Glauben zu Gott kommen könnten und allein durch seine Barmherzigkeit selig müssen werden. Darum ist uns ein solcher Vorgeher und Pfarrer von Nöten und in dieser Gestalt in der Schrift begründet. Der ander Artikel: Zum andern, nachdem der rechte Zehnt aufgesetzt ist im Alten Testament und im Neuen erfüllt ist, nichtsdestominder wollen wir den rechten Kornzehnt gern geben, doch wie sich gebührt. Demnach man soll ihn Gott geben und den Seinen mitteilen. Gebührt es einem Pfarrer, so klar das Wort Gottes verkündet, sind wir des Willen, hinfort diesen Zehnt unser Kirchenpropst, so dann eine Gemeinde einsetzt, sollen einsammeln und einnehmen, davon einem Pfarrer, so von einer ganzen Gemeinde erwählt wird, sein ziemlich [gebührend] genugsamer Unterhalt
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geben, ihm und den Seinen, nach Erkenntnis einer ganzen Gemeinde, und was überbleibt, soll man armen Bedürftigen, die im selben Dorf vorhanden sind, mitteilen, nach Gestalt der Sache und Erkenntnis einer Gemeinde. Was überbleibt, soll man behalten, ob [= falls] man Reisen [= Kriegsdienst leisten] muß von Landsnot wegen. Damit man keine Landsteuer auf den Armen anlegen muss, soll man es von diesem Überschuß ausrichten. Auch wenn es Sache wäre, daß eins oder mehr Dörfer wären, die den Zehnten selbst aus etlicher Not halben verkauft hätten, dieselbigen sollen es dem, der ihn so von einem ganzen Dorf erhalten hat, nicht entgelten lassen, sondern wir wollen uns ziemlicher [= angemessener] Weise nach Gestalt der Sache mit ihm vergleichen, ihm solches wieder mit ziemlicher Ziel und Zeit ablösen.476 Aber wer von keinem Dorf solches erkauft hat und seine Vorfahren sich selbst solches zugeeignet haben, wollen und sollen und sind [wir] ihnen nichts weiteres schuldig zu geben, allein [= außer], wie oben steht, unseren erwählten Pfarrer damit zu unterhalten, Verpflichtungen abzulösen oder den Bedürftigen mitzuteilen, wie die Heilige Schrift beinhaltet, sie seien geistlich oder weltlich. Den kleinen Zehnt wollen wir gar nicht geben, denn Gott der Herr [hat] das Vieh frei dem Menschen geschaffen, sodass wir [es] für ein unziemlichen Zehnt schätzen, den die Menschen erdichtet haben. Darum wollen wir ihn nicht weiter geben. Der dritt Artikel: Zum dritten ist der Brauch bisher gewesen, daß man uns für ihre eigenen [leibeigenen] Leute gehalten habt, was zu erbarmen ist, angesehen, daß uns Christus alle mit seinem kostbaren Blutvergüßen erlöst und erkauft hat, den Hirten ebenso als den Höchsten, keinen ausgenommen. Darum erfindet [= ergibt] sich mit der Schrift, daß wir frei seien und wollen sein. Nicht, daß wir ganz frei sein wollen, [und] keine Obrigkeit haben wollen, das lehrt uns Gott nicht. Wir sollen in Geboten leben, nicht in freiem fleischlichen Mutwillen, sondern Gott lieben, ihn als unsern Herren in unserm Nächsten erkennen, und alles das tun, was wir auch gerne hätten, was uns Gott am Nachtmahl [= Abendmahl] geboten hat zu einer Lehre. Darum sollen wir nach seinem Gebot leben. Zeigt und weist uns dies Gebot nicht an, dass wir der Obrigkeit nicht gehorsam seien, nicht allein der Obrigkeit, sondern wir sollen uns gegen jedermann demütigen, daß wir auch gerne gegen unsere erwählte und gesetzte Obrigkeit (so uns von Gott gesetzt) in allen gebührenden und christlichen Sachen gerne gehorsam seien. [Wir] seien auch ohne Zweifel, ihr werdet uns der [Leib-]Eigenschaft als wahre und rechte Christen gerne entlassen oder uns im Evangelium des berichten, dass wirs seien. Der viert Artikel: Zum vierten ist bisher im Brauch gewesen, daß kein armer Mann die Gewalt gehabt hat, das Wildbret, Geflügel oder Fisch in fließenden Wasser zu fangen zugelassen [zu] werden, welches uns ganz unziemlich und unbrüderlich dünkt, besonders eigennützig und dem Wort Gottes nicht gemäß. Auch in etlichen Orten [hält] die Obrigkeit uns das Gewild zu Trotz und mächtigem Schaden, [sodass] wir mutwilliglich leiden und darzu still schweigen müssen, dass die unvernünftigen Tiere uns das Unsere (so Gott dem Menschen zu Nutz wachsen hat lassen) zum Unnutzen abfressen, was wider Gott und dem Nächsten ist. Denn als Gott der Herr den Menschen erschuf, hat er ihm Gewalt gegeben über alle Tiere, über die Vögel in der Luft und über den Fisch im Wasser. Darum ist unser Begehren, wenn einer Wasser hätte, das er es mit genugsamer Schrift beweisen mag, dass man das Wasser unwissentlich also erkauft hätte, begehren wir, es ihm nicht mit Gewalt zu nehmen, sondern man müsste ein christliches
476 Sinn der Stelle: Dass Inhaber des Zehnten (des Anspruchs auf den Zehnt), die diesen von einem Dorf nachweislich erkauft haben, ihn zunächst behalten dürfen, bis mit ihnen ein Vergleich über die Ablösung erfolgt [Anm. der urspr. Hg.].
Christoph Schappeler und Sebastian Lotzer: Die 12 Hauptartikel der Bauernschaft
Einsehen darinnen haben wegen brüderlicher Liebe. Aber wer nicht genugsam Anzeigen darum kann tun, soll es eine Gemeinde in gebührender Weise teilhaben lassen. Der fünfte Artikel: Zum fünften sind wir auch beschwert der Beholzung halber, denn unsere Herrschaften haben sich die Hölzer alle allein [an-]geeignet, und wenn der arme Mann was bedarf, muss er es um das doppelte Geld kaufen. Ist unser Meinung, was für Hölzer seien, mögen sie Geistliche oder Weltliche innehaben, die es nicht erkauft haben, sollen einer ganzen Gemeinde wieder anheimfallen und einer Gemeinde gebührender Weise freistehen, einem jeglichen sein Notdurft ins Haus zu brennen umsonst lassen nehmen, auch wenn es vonnöten sein würde zu zimmern, auch umsonst nehmen [zu lassen], doch mit Wissen derer, die von der Gemeinde dazu erwählt werden. Wenn aber keins vorhanden [sein sollte, außer] das, was redlich erkauft ist worden, soll man sich mit denselbigen brüderlich und christlich vergleichen. Wenn aber das Gut am Anfang von ihnen selbst geeignet wär worden und nachmals verkauft worden, soll man sich vergleichen nach Gestalt der Sache und Erkenntnis brüderlicher Liebe und Heiliger Schrift. Der sechste Artikel: Zum sechsten ist unser hart Beschwerung der Dienste halber, welche von Tag zu Tag gemehrt werden und täglich zunehmen. Begehren wir, dass man ein ziemlich Einsehen damit habe, uns dermaßen nicht so hart [zu] beschweren, sondern uns gnädig hierinnen ansehen, wie unsere Eltern gedient haben, allein nach Laut des Wortes Gottes. Der siebente Artikel: Zum siebenten, dass wir hinfüro uns [durch] ein Herrschaft nicht weiter wollen lassen beschweren, sondern wie es eine Herrschaft jemandem in ziemlicher Weise verleiht, also soll er es besitzen laut der Vereinigung des Herren und Bauern. Der Herr soll ihn nicht weiter zwingen noch dringen, mehr Dienst noch anders von ihm umsonst [zu] begehren, darmit der Bauer solches Gut unbeschwert, also ruhig brauchen und genießen mag. Wenn aber dem Herren Dienst vonnöten wäre, soll ihm der Bauer willig und gehorsam für andere sein, doch zu Stunde und Zeit, daß dem Bauern nicht zu Nachteil gereicht, und ihm um einen ziemlichen Pfenning Dienst tun. Der achte Artikel: Zum achten sind wir [damit] beschwert, und deren viel, die Güter innenhaben, dass dieselbigen Güter die Gült [Zinsen] nicht erbringen können und die Bauern das Ihre darauf einbüßen und verderben. [Wir begehren,] dass die Herrschaft dieselbigen Güter von ehrbaren Leuten besichtigen lassen und nach Billigkeit ein Gült [= Zins] festlege, damit der Bauer seine Arbeit nicht umsonst tue, denn ein jegliches Tagwerk ist seines Lohnes würdig. Der neunte Artikel: Zum neunten sind wir beschwert der großen Frevel, so man stets neu Satzungen macht, nicht dass man uns straft nach Gestalt der Sach, sondern zu Zeiten aus großem Neid und zu Zeiten aus großer Gunst. Es ist unsere Meinung, uns mit der alten geschriebenen Strafe [zu] strafen, danach die Sache gehandelt ist, und nicht nach Gunst. Der zehnte Artikel: Zum zehnten sind wir beschwert, dass etliche haben sich angeeignet Wiesen, dergleichen Äcker, die aber einer Gemeinde zugehören. Dieselben werden wir wieder zu unseren gemeinen Händen nehmen, es sei denn, dass man es redlich erkauft habe. Wenn man es aber unbilliger Weise erkauft hat, soll man sich gütlich und brüderlich miteinander vergleichen nach Gestalt der Sache. Der elfte Artikel: Zum elften wollen wir den Brauch, genannt den Todfall [= Erbschaftssteuer], ganz und gar abgetan haben, ihn nimmer leiden noch gestatten, dass man Witwen und Waisen das Ihre
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wider Gott und Ehren also schändlich nehmen und berauben soll, wie es an vielen Orten (mancherlei Gestalt) geschehen ist. Und von den, so sie beschützen und beschirmen sollten, haben sie uns geschunden und geschabt, und wenn sie wenig Recht hätten gehabt, hätten sie es ganz genommen. Das will Gott nicht mehr leiden, sondern das soll ganz ab sein. Kein Mensch soll hinfort schuldig sein, etwas zu geben, weder wenig noch viel. Beschluss. Zum zwölften ist unser Beschluss und endliche Meinung, wenn einer oder mehr Artikel, die allhier aufgestellt, so dem Worte Gottes nicht gemäß wären, wie wir aber nicht vermeinen [= glauben], dieselbigen Artikel, möge man uns mit dem Wort Gottes für unziemlich anzeigen, so wollen wir davon abstehen, wenn man es uns aufgrund der Schrift erklärt. Wenn man uns schon etlich Artikel jetzt zuließ und hernach sich befänd, dass [sie] unrecht wären, sollen sie von Stund an tot und hinfällig sein und nichts gelten. Dergleichen, [wenn] sich in der Schrift mit der Wahrheit mehr Artikel gefunden, die wider Gott und Beschwernis des Nächsten wären, wollen wir uns auch vorbehalten und beschlossen haben und uns in aller christlicher Lehr üben und brauchen. Darum wir Gott den Herren bitten wollen, der uns dasselbig geben kann und sonst niemand. Der Friede Christi sei mit uns allen. Quellennachweis Flugschriften der Bauernkriegszeit, hg. v. Adolf Laube und Hans Werner Seiffert, Berlin 1975, S. 26–31. Literaturhinweis David von Mayenburg: Gemeiner Mann und Gemeines Recht. Die Zwölf Artikel und das Recht des ländlichen Raumes im Zeitalter des Bauernkriegs, Frankfurt am Main 2018. Joachim Jahn/Hans-Wolfgang Bayer (Hg.): Die Geschichte der Stadt Memmingen. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende der Reichsstadt, Stuttgart 1997.
Nr. 162 Lorenz Fries: Das Ergebnis des Bauernkriegs Lorenz Fries (1489/1491–1550) war Sekretär der Würzburger Fürstbischöfe und diente auch als Rat und Archivar. Er gilt als bedeutender fränkischer Geschichtsschreiber des 16. Jahrhunderts. Zu seinen Hauptwerken zählen Die Würzburger Bischofs-Chronik und Die Geschichte des Bauernkriegs in Ostfranken. Darin fasste der Würzburger Chronist das Ergebnis der Auseinandersetzungen zusammen. In einer literarisch gestalteten Rede an die Göttin des Glücks wirft er ihr vor, für das unsägliche Leid der Aufständischen und vom Aufruhr Betroffenen verantwortlich zu sein. Er fleht darum, zum wahren Glauben an Gott zurückzukehren und die Konflikte ruhen zu lassen. O du unbeständiges verfluchtes Glück, wie schnell hast du alle Sachen umgekehret und zerrüttet! Es wußten die Untertanen in Franken noch selbst nicht, wie gar wohl ihre Sachen standen, wie sanft sie saßen, was Unfried und Fried wäre; aber du hast sie es mit ihrem großen Schaden und Verderben gelehret. Wie ganz väterlich, treulich und gnädiglich sind sie von ihrer Obrigkeit zu dem, was sie schuldig waren und billig zu tun hatten, vermahnt, gewarnt und gebeten
Lorenz Fries: Das Ergebnis des Bauernkriegs
worden! Welch eine große Bürde hätten sie von ihren, ihrer Kinder, Erben und Nachkommen Hälsen mit guten Ehren und Fugen ablegen können! Mit was sonderlichem Lob und Nutze hätten sie sitzen, leben und sterben, wie viel jämmerliches, elendes und erbärmliches Rauben, Brennen, Blutvergießen, Verderbung von Land und Leuten, kurz, unwiderbringlichen Schaden an Leib und Seele leichtlich verhüten mögen! Aber du untreues, falsches Glück (wehe allen denen, so sich auf dich verlassen!) konntest es nicht leiden, daß sie die Erbmakel, ihnen von ihren Voreltern herrührend, mit einer jetzigen einigen Wohltat auslöschen und dagegen ihnen und ihren Kindern ewigen Ruhm und Wohlfahrt erlangen sollten, sondern verblendest ihnen die Augen ihrer Herzen, daß sie nicht mehr sehen möchten, was göttlich, ehrlich und redlich war; malest ihnen vor, sie sollten aller Beschwerden frei, erledigt und selbst Herren werden, und, so sie darauf solcher deiner falschen, unchristlichen Verwähnungen folgen, machst du nichts anderes aus ihnen, denn Sklaven und Knechte, nimmst nicht allein ihre Beschwerden nicht von ihnen, sondern, wo die vorher gering, leicht und einfach gewesen, die machst du jetzt zwiefach, dreifach, ja zehnfach schwer und unerträglich. Du bildest ihnen ein, sie sollen ohne besondere große Mühe und Arbeit merklich zunehmen und reich werden, und führest sie in verderbliche, leidige Armut, Jammer und Elend. Du redest ihnen vor, wie durch solch ihr Vornehmen alle Reisigen verjagt und vertrieben werden sollen, und bringst doch dadurch in das Land mehr Reisige, denn vorher in Menschengedenken und noch viele Jahre länger darein gekommen. Du treibest sie dahin, dass sie den Fürsten, Herren und anderer Obrigkeit ihre Schlösser und Häuser zerreißen, verbrennen und verwüsten, und siehest nun zu, dass sie die mit saurer Arbeit und Schweiß besser, denn sie vorher gewesen, machen, oder mit Geld härtiglich bezahlen und dazu die geleerten Kästen und Keller wiederum füllen müssen. Du läßt ihnen ihre Weingärten zerreißen, ihre erbauten Früchte zertreten, ihre Hütten verbrennen, ihre Barschaft, Kleinode, Kleider und Hausrat plündern, zu Beute machen und aus dem Land führen, und, was das allerbeschwerlichste und größte ist, du nennest den vermaledeiten, schändlichen Anfang und Brunnen, daraus solcher Unrat, Sterben und Verderben aller geflossen ist, mit dem ungereimtesten Namen, so immer gefunden werden möchte, eine Bruderschaft. Und unserm Herrn und Seligmacher Jesu Christo zu einem Greuel und Schmach bedeckest du es mit seinem heilsamen, edlen und teuren Namen und heißest solche bübliche Bubenschaft oder Bruderschaft christlich, nennest auch solch unchristliches, heidnisches, tyrannisches und viehisches Vornehmen und Handlung (wie aus allem deiner Brüder Schreiben lauter zu vernehmen ist), eine Gnade und Frieden in Christo, so es doch in Grund und Wahrheit, wie dieselbigen deine Brüder selbst bekennen müssen, nichts anderes denn lauter Ungnade, Unfriede, Krieg, Schande, Raub, Diebstahl, Brand und Blutvergießen gewesen ist. Wer könnte aus solchen deinen angerichteten Taten und Handlungen nicht spüren, dass du des Teufels Schwester oder der Teufel selbst seiest, dieweil alle die, so sich auf dich und deine Anschläge verlassen, sich von Gott abwenden und darum gewißlich geschändet werden! O allmächtiger, ewiger Gott, durch deine Milde, Barmherzigkeit und Güte verleihe uns armen, elenden Sündern, welche du durch die milde, gnadenreiche Vergießung und Hingebung deines Blutes und Lebens so teuer erkauft hast, deine göttliche Gnade, daß wir durch das falsche Glück und Verführung des höllischen Feindes uns von dir nicht abwenden, sondern nach deinem göttlichen Willen und Geboten gehorsamlich leben und sterben. Amen. Quellennachweis Lorenz Fries: Die Geschichte des Bauernkrieges in Ostfranken, hg. v. August Schäffler und Theodor Henner, Bd. 1, Neudruck der Ausgabe Würzburg 1883, Aalen 1978, S. 338–340.
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Nr. 163 Hieronymus Emser: Nach dem Bauernkrieg Hieronymus Emser (1478–1527) gehörte zu den bekannteren römischen Kontroverstheologen in der Reformationszeit. Nach dem Studium der Rechte und der Theologie in Tübingen und Basel lehrte er ab 1504 an der Universität Erfurt. Nach der Graduierung zum Baccalaureus der Theologie wurde er einige Zeit später Sekretär und Kaplan des Herzogs von Sachsen. Durch seine literarische Fehde 1519 mit Luther wurde er rasch bekannt. Er kritisierte dessen Bibelübersetzung und verfasste 1527 eine eigene Übertragung ins Deutsche. Das Werk wurde in Dresden gedruckt und fand einige Verbreitung in der Bevölkerung. 1537 nutzte es Johannes Eck als Basis für seine eigene oberdeutsche Übersetzung der Bibel. Emser verstarb 1527 in Dresden.
Hört zu, ihr Deutschen, und schaut an, Das ist Luther, der fromme Mann, Euer Prophete und Abgott, Um deswillen ihr Gottes Gebot Und aller seiner Heiligen Ehr, Dazu der christlich Kirchen Lehr, Alt, selig Ordination Verachtet habt und abgeton; Sein Wort für Gottes Wort gehalten, Kommuniziert in zwei Gestalten, Und wider euern Eid und Pflicht Euer Obrigkeit gar vernicht’, Allen Gehorsam abgeworfen; In Städten, Märkten und in Dorfen Zusammengeloffen wie die Schwein’, Manch’ schönes Gebäude gerissen ein; Klöster, Kirchen und Gotteshäuser, Mönche, Pfaffen, Nonnen und Karthäuser Verjagt, beraubet und geplündert Und Gottesdienst und Ehr verhindert, Der Heiligen Bilder zu Stücken gehauen, Die Mutter Gottes und zarte Jungfrauen Gottslästerlich und unbescheiden Vergleicht den alten Bademaiden; Die Fürsten, die euch widerstanden, Gescholten und genannt Tyrannen; […] Manch Burg verwüstet in deutschen Landen, Die vor dem Türken wohl wäre bestanden: Das ist das Evangelium, Das ihr von Luthern gelernet hon, Der euch gebracht in diese Not, Jetzt aber eurer lacht und spott’,
Den Kopf tut ziehen aus der Schlingen, So er den Harnisch höret klingen. Und will das auf den Teufel legen, Das er doch selber tat erregen. Hätt’ Luther nie ein Buch geschrieben, Deutschland wär wohl in Frieden blieben, Und nicht in solche Not gesetzet. Er hat ein Haar aufs andre gehetzet, Wie sichs beim Kehraus jetzt erfindet; Nun er das Feuer angezündet, Wäscht er mit Pilato die Händ, Den Mantel nach dem Wind hinwendt, Und will euch jetzt dem Teufel geben, All, die der Herrschaft widerstreben. Die er doch vorhin selbst verschmächt, Schergen genannt und Henkersknecht’, Und den Kaiser ein’ Madensack; Dazu er selbst nicht leugnen mag, Daß er zur Aufruhr euch ermahnt, Und liebe Gotteskind’ genannt. […] Man hat euch aber das Maul geschmiert, Mit falscher Lehr gar grob verführt, Wie ihr allein aus dem vermerkt, Daß Luther jetzt die Herrschaft stärkt Wider euch arme Untertan’, Heißt stechen, würgen, wer da kann, Und spricht, ihr seid ins Kaisers Acht, Die er doch vorhin selbst veracht, Und will euch nu aufs ärgst’ ausmessen Euren Eid, deß er doch selbst hat vergessen, Darum ich bitt um Gottes Ehr, Daß ein jeglich Fürst und Herr
Hieronymus Emser: Nach dem Bauernkrieg
Dasselbig bei ihm woll gedenken. Und so ihr euch sonst werdet lenken, Sich eur’ erbarmen und verschonen Und den andern desto besser lohnen, Die euch geführt in dieses Spiel; […] Und ist noch kein recht angefangen; Es sein noch viel, die jetzo prangen Mit Luthers Wort und seiner Lehr, Sie müssen später klagen sehr.477 Gott läßt die Sach nicht ungestraft, Und giebt den Fürsten Sieg und Kraft, Sein und seiner Heiligen Ehr, Dazu der Kirchen alte Lehr Zu schützen und darum zu kämpfen, Und alle Ketzerei zu dämpfen. […] Darum will er nicht länger schlafen, Sondern einen mit dem andern strafen
Groß und klein, niemand ausgenommen. Die Zeit ist hie, die Stund’ ist kommen, Drum schickt euch nun geduldig drein, Es kann und mag nicht anders sein. Wir müssen all zugleich bezahlen, Und trinken aus des Zornes Schalen, Davon Johannes hat geschrieben. Wir han die Sach’ zu wild getrieben; Beim Pfaffen fing es erstlich an, Die Hefe bleibt dem gemeinen Mann. Die werden nun so lang rumoren, Bis daß sie alle Ding umkohren, Und einander auch selbst verderben, Zu schaden ihn und ihren Erben. Und also wird es gehn auf Erden, So lang bis daß wir frömmer werden, Und allen Mißbrauch übergeben. Gott helf uns, daß wir das erleben!
Quellennachweis Quellen zur Geschichte des Bauernkriegs aus Rotenburg an der Tauber, hg. v. Franz Ludwig Baumann, Tübingen 1878, S. 620–624. Literaturhinweis Heribert Smolinsky: Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser. Eine Untersuchung zur Kontroverstheologie der frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen, Münster 1984.
4.4
Reichstage in Nürnberg und Speyer
Zwischen 1522 und 1529 fanden weiterhin regelmäßige Reichstage statt, allerdings stets in Abwesenheit des Kaisers, der sich durch seinen Bruder, Erzherzog Ferdinand I., vertreten ließ. Während die kaiserliche Intention auf eine Beruhigung der innenpolitischen Situation abzielte, um mehr Bewegungsspielraum, vor allem aber finanzielle Unterstützung seiner außenpolitischen Aktionen zu erhalten, betonten die evangelischen Reichsstände trotz massiver Uneinigkeit immer wieder den Vorrang der Religionsfrage und machten ihre Unterstützung von Zugeständnissen in dieser Angelegenheit abhängig.
477 Original: „Mit Luthers Lehr und Evangeli, die darnach singen werden Heli.“
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Literaturhinweis Armin Kohnle: Reichstag und Reformation, Gütersloh 2001, S. 105–371.
Nr. 164 Reichstagsabschied von Nürnberg – Der Ruf nach einem nationalen Konzil Der nächste auf die Versammlung von Worms folgende Reichstag fand 1522 in Nürnberg statt und stand ganz im Schatten des Wormser Edikts. Herzog Georg suchte das Reichsregiment zu gegenreformatorischen Maßnahmen zu veranlassen, insofern vorher keinerlei Initiativen ergriffen worden waren. Dadurch hatten sich reformatorische Praktiken in mehreren Orten durchgesetzt. Sie wurden auf einer Liste des Reichsregiments geführt, aber nicht namentlich mit Luther in Verbindung gebracht. Dadurch geriet die vermittelnde Position des sächsischen Kurfürsten unter Druck. Auf dem Reichstag zu Nürnberg März/April 1522 wurde eine Klärung der unterschiedlichen Vorgehensweisen erwartet und mit ihr eine reichsweite Vereinheitlichung der Religionspolitik. Da diese fehlschlug, stand erneut zum zweiten Nürnberger Reichstag 1522/23 die Religionsfrage auf dem Programm. Im Abschied vom 9. Februar und im Reichsregimentsmandat vom 6. März 1523 wurden die vorherigen gegenreformatorischen Positionen in abgemilderter Form aufgenommen. Nach Rücksprache und Einwilligung des Kaisers sollte ein Konzil die Frage der religiösen Erneuerung klären. Der Status quo schrieb vor, dass keinerlei nicht-evangeliumsgemäße Neuerungen oder Maßnahmen bis zum Konzil angeordnet werden dürften. Insgesamt ließen die interimistischen Formulierungen einen großen Interpretationsspielraum insbesondere im Blick auf die evangeliumsgemäße Predigt. Das Publikationsverbot für Luther und seine Anhänger wurde allerdings festgeschrieben.
Demnach auf solch unser Gesinnen und Begehren haben sich unser und des heiligen Reichs Kurfürsten, Fürsten, Prälaten, Grafen und gemeine Stände, als gehorsame Glieder des heiligen Reichs, vereinigt und beschlossen, demselbigen unserm Mandat gehorsamlich (wie sie sich des schuldig erkennen), soviel ihnen möglich, zu geleben, gemäß zu halten und nachzukommen. Darzu daß ein jede Obrigkeit bei ihren Druckereien und sonst allenthalben notdürftig Einsehens haben sollen, damit Schmäheschrift und Gemaltes hinfurter gänzlich abgetan und nicht weiter ausgebreitet usw. Und daß furter der Druckereien halber Inhalt unseres Mandats gehalten werde. Ob aber jemand derhalb Beschwerung oder Verhinderung begegnet oder zustunde, mag [er] solches unserm Statthalter und Regiment anzeigen. Die haben von uns Befehl, wie wir ihnen auch hiermit ernstlich befehlen, den Ansuchenden Rat und Hilfe mitzuteilen, darob zu halten und dasselbig unser Mandat mit allem Fleiß zu exequieren [= auszuführen]. Und damit das Gute neben dem Bösen nicht untergedrückt und endlich erörtert werden möge, wes sich hinfurter in dem ein jeder halten soll, so haben unser Statthalter, Orator, auch Kurfürsten, Fürsten, Prälaten, Grafen und Stände des Reichs, so allhier zugegen, als für hochnotdürftig eines gemeinen freien Universals-Concilii der ganzen Christenheit, so durch päpstliche Heiligkeit mit unser Bewilligung aufs allerförderlichst, so solches immer
Reichstagsproposition
möglich, geschehen kann, an gelegene Malstat [= Stätte] in teutscher Nation, wie sich gebührt, verkündet und ausgeschrieben werden, angesehen, darauf mit päpstlicher Heiligkeit Legaten allhier gehandelt, die solches an päpstliche Heiligkeit zu bringen und zum treulichsten zu fördern angenommen. Und soll nichtsdestominder mittler Zeit auf St. Martinstag [11. November] schnellstens gen Speier ein gemeine Versammlung teutscher Nation beschehen, darin, wie obgemeldet, bedacht, erwäget und beratschlagt, wie es bis zu Anstellung eines gemeinen Conciliums gehalten werden soll, darauf auch ein jeglicher Kurfürst, Fürst, Prälat, Graf und andere Stände des Reichs in eigener Person erscheinen sollen. […] Und ist darauf Kurfürsten, Fürsten und Ständen, und sonderlich denen, so hohe Schulen in ihren Fürstentümern und Städten haben, geschrieben und befohlen, durch ihre gelehrte, ehrbare, erfahrene und verständige Räte, einen Auszug aller neuen Lehre und Bücher, was darin disputierlich befunden, zu machen und denselbigen uns oder in unserm Abwesen unserem Statthalter, auch Kurfürsten, Fürsten und Ständen auf obgemeldete Versammlung vorzubringen, desto fruchtbarlicher und förderlicher auf künftigen Concilio im Handel haben vorzuschreiten. Es sollen auch unser Statthalter und Regiment, dazu Kurfürsten, Fürsten, Prälaten, Grafen und Stände des Reichs daneben mit sonderm hohen Fleiß und Aufmerken versehen, das mittler Zeit das heilige Evangelium und Gottes Wort nach rechtem wahrem Verstand und Auslegung der von gemeiner Kirchen angenommen Lehrer ohne Aufruhr und Ärgernis gepredigt und gelehrt werde. Quellennachweis Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Bd. 4, bearb. v. Adolf Wrede, (photomechanischer Nachdruck) Göttingen 2 1963, S. 603–605 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Otto Reinhard Redlich: Der Reichstag von Nürnberg 1522–23, Paderborn 2011.
Nr. 165 Reichstagsproposition Die verheerenden Folgen des Bauernkrieges wurden von einzelnen Regierenden als unmittelbare Folge der reformatorischen Initiativen interpretiert. Kaiser Karl V. suchte auf dem nächsten Reichstag von Speyer 1526 erneut die Kontrolle über die reformatorischen Umwälzungen zu gewinnen und zeigte sich insgesamt wenig kompromissbereit. Allerdings versprach er eine Reise nach Rom und eine Initiative zur Einberufung eines gemeinchristlichen Konzils. Umso mehr bestand er darauf, dass es in der Zwischenzeit keine weiteren Änderungen an Lehre und Ritus der bestehenden Kirche geben dürfte. Zeitgleich war eine Einigung der evangelischen Stände bis zum Sommer 1526 nicht gelungen. – Der folgende Ausschnitt aus dem Anfangsteil der Proposition vom Reichstag (das meint die sachlichen Diskussionsgegenstände, die der Kaiser den Ständen übergibt), verlesen am 25. Juni 1526, gibt einen Einblick in die kaiserlichen Vorhaben. Er wird allerdings auch diesen Reichstag nicht besuchen und hatte stattdessen eine kaiserliche Nebeninstruktion vorbereitet.
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Und obgleich sich nun Ihre Kaiserliche Majestät ganz und gar, ohne sich irgendwie umzusehen, vorgenommen hat – und deshalb auch in steter und eifriger Übung ist und sich auch mit allem möglichen Fleiß danach richtet und schickt –, mit Gnade und Hilfe des allmächtigen Gottes sich in kurzer Zeit aus genannten, Ihrem spanischen Königreich zu erheben und sich in eigener Person in Italien nach Rom zu verfügen, um die kaiserliche Krone zu empfangen und daneben mit der Päpstlichen Heiligkeit über ein allgemeines Generalkonzil zu verhandeln, auf dem unseres heiligen Glaubens und der allgemeinen Christenheit Anliegen und Beschwernis abgeholfen, alle Ketzerei, Mißbräuche und Unordnung – die sich an vielen Orten, leider jedoch im Heiligen Reich Deutscher Nation am gefährlichsten und lästerlichsten zutragen und anhalten – abgestellt, ausgerottet und durch eine heilsame, einhellige, christliche Reformation, Ordnung, Satzung und Leben hinfort für dergleichen nicht nur unchristlichen, sondern ganz unmenschlichen Aufruhre und Empörungen allenthalben Vorsorge getroffen und sie verhütet werden; so könnte sich doch das Abhalten dieses Konzils etwas verzögern und der allgemeinen Deutschen Nation in den obengenannten Irrtümern noch länger zu stehen unerträglich und sogar zum höchsten beschwerlich sein – in Anbetracht, daß bei einigen Reichsständen täglich je mehr und mehr allerhand beschwerliche, verdammte und irrige Neuerungen einreißen, öffentlich mit besorgniserregendem Anstoß bei dem gemeinen Volk gepredigt, viele neue Schriften mit schmähenden Angriffen auf alle Obrigkeit, die aufrührerische Bewegungen des gemeinen Mannes bewirken, allenthalben im Druck ausgebreitet werden, alles wider die göttlichen und christlichen, auch Kaiserlicher Majestät und des Reiches Ordnungen, Satzungen, Mandate und Abschiede –, so daß zu befürchten ist, wenn hierin nicht zeitig genug und beratendes Einsehen geschieht, daß daraus – wie zum Teil auch oben gesagt ist – Zerrüttung unseres heiligen Glaubens, Zerstörung der christlichen Religion, großer Ungehorsam, Empörung wider die Obrigkeit, Parteiung, Aufruhre, Zertrennung im Reiche, Lästerung Gottes, unseres Schöpfers, Verunehrung seiner lieben Heiligen und dergleichen viel Übles entsteht, was der Kaiserlichen Majestät, dem Heiligen Reich und aller Ober- und Ehrbarkeit zu unwiederbringlichem Nachteil gereichen würde. Um aber diesem mit Hilfe des Allmächtigen und der löblichen Kurfürsten, Fürsten und anderen Stände des Reiches Mitwirkung und mit treuem, möglichem Fleiß zuvorzukommen, ist für das erste der gedachten Kaiserlichen und Spanischen Königlichen Majestät usw., unseres allergnädigsten Herren gnädiges und ernstliches Ansinnen, Begehren und Befehl, die Kurfürsten, Fürsten und Stände des Heiligen Reiches möchten mit den obengenannten Ihrer Majestät Kommissare und Bevollmächtigten auf diesem gegenwärtigen Reichstag beratschlagen, bedenken und miteinander sich schließlich vergleichen und beschließen Mittel, Maß und Wege, mit denen der christliche Glaube und der allgemeinen Kirche wohl hergebrachte, gute christliche Übung und Ordnung mittlerweile bis zu einem freien Konzil geschützt und hierin unter den Gliedern des Heiligen Reiches Einigkeit von jedermann gehalten und wie die Übertreter für ihre Freveltat gestraft und so sich jemand der Strafe mit Gewalt widersetzen würde, wie eine Obrigkeit der anderen behilflich sein kann, damit nach Ihrer Kaiserlichen Majestät Edikt, auch dem, das die genannten Kommissare mit den Ständen des Reiches beschließen werden, von jedermann gelebt wird und ihm unverweigerte Ausführung geschehen möge. Quellennachweis Walter Friedberg: Der Reichstag zu Speier 1526 im Zusammenhang der politischen und kirchlichen Entwicklung Deutschlands im Reformationszeitalter, Berlin 1887, S. 527–529. Wir folgen der Version in: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 354–356.
Reichstagsabschied: Vorkehrungen gegen neue Erhebungen
Nr. 166 Reichstagsabschied: Vorkehrungen gegen neue Erhebungen Der Reichstag von Speyer fand vom 25. Juni–27. August 1526 in der Domstadt statt. In Vertretung des Kaisers hatte den Vorsitz Ferdinand I., dessen Bruder, inne. Der dringlichste Tagesordnungpunkt dürfte die Unterstützung Ungarns gegen die aggresive Expansionspolitik des osmanischen Reiches gewesen sein. Einige Reichsstände unter Führung von Landgraf Philipp I. von Hessen und Kurfürst Johann von Sachsen forderten hingegen zunächst religionspolitische Fragen zu klären. Der Not gehorchend rückte Ferdinand I. in Absprache mit seinem Bruder von der Forderung einer strikten Durchführung des Wormser Edikts ab. Stattdessen wurde beschlossen, das weitere Vorgehen den Ständen selbst zu überlassen. Im Gegenzug wurde dem Kaiser umfangreiche Kriegshilfe zugesprochen. Freilich konnte diese Zusage die Niederlage in der Schlacht bei Mohács nur drei Tage später nicht mehr abwenden. Mehrere lutherische Landesherren nahmen Luthers Argumentation vom Notbischofsamt auf und begründeten das in ihren Territorien geltende landesherrliche Kirchenregiment. Sie waren nunmehr nicht nur weltliche, sondern auch geistliche Obrigkeiten. Unter dem Eindruck der Bauernerhebungen wurde die Religionsfrage eng mit dem Problem der Aufrechterhaltung öffentlicher Ordnung verbunden. In der Folge wurde die konfessionelle Systemkonkurrenz etabliert, aber im allgemeinen Landrecht jegliche Gewaltanwendung und Zwangsmaßnahmen allein der weltlichen Obrigkeit und zur Durchsetzung der öffentlichen Ordnung zugesprochen. Das wird freilich erst im vorläufigen Augsburger Friedensschluss 1555 erfolgen. 1526 zeichneten sich diese Entwicklungen allerdings bereits ab.
§ 5. Zum andern, als sich verschiedner Jahr erschreckliche, unerhörete und unchristliche Empörung der Untertanen fast an allen Orten oberteutscher Nation gegen der Ober- und Ehrbarkeit begeben und entstanden, zu merklichem christlichen Blutsvergießen, auch Verheeren und Verderben Land und Leut [geführt], derhalben dann Ihr Kaiserliche Majestät in Ihrer, zu diesem Reichstag gefertigten Instruktion mit ausdrücklichen Worten insonder gewollt und befohlen hat, ernstlichs Einsehens zu haben, damit künftiglich dergleichen Aufruhr und Empörung der Untertanen verhütet und fürkommen [= zuvorgekommen] werden möchten […]. § 6. Und wiewohl der gemein Mann und Untertanen in vergangener Aufruhr sich etwas schwerlich vergessen und gegen ihrer Oberkeit gröblich gehandelt, jedoch damit sie die Gnade und Barmherzigkeit ihrer Obern größer und milder dann ihre unvernünftig Tat und Handlung spüren mögen, so soll ein jede Oberkeit Macht und Gewalt haben, ihre Untertanen, so sich in Gnad und Ungnad begeben und gestraft worden sind, nach Gelegenheit und ihrem Gefallen wiederum in vorigen Stand ihrer Ehren zu setzen, zu qualifizieren und geschickt zu machen, Rat und Gericht zu besitzen, Kundschaft zu geben und Amt zu tragen, darzu sie und andere in ihren Anliegen und Beschwerden jederzeit gnädiglich zu hören und nach Gestalt der Sachen gnädiglichen und förderlichen Bescheid zu geben, sie auch durch sich selbst, ihre Amtmann,
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Schultheißen und andere Diener nicht unbillich beschweren, sonder welcher Recht leiden mag, dabei bleiben zu lassen. § 7. Ob auch einiger Oberkeit Untertanen jemands beleidiget oder beschädiget und derhalben Zuspruch und Forderung nicht erlassen werden wollten, alsdann sollen sie den Beschädigten ihren zugefügten Schaden nach Mäßigung ihrer ordentlichen Oberkeit, unter deren sie gesessen, oder am Kaiserlichen Kammergericht, nach Ordnung des Reichs, kehren und erstatten, und was also durch ihre Oberkeit, wie jetzt gemeldt, gemäßiget wird, dabei soll es bleiben und der Beschädigt dem Beschädiger deshalben weiter mit Tat oder sonst unangefochten lassen, es sei mit oder ohne Recht, in einige Weis. Es wäre dann Sach, daß einiger Teil vermeint, mit getanem Spruch oder Erkanntnus, vor dem ordentlichen Richter ergangen, beschweret zu sein, soll demselben sein Appellation ordentlicher Weis, auch bis an das Kammergericht inklusive zu gebrauchen, unbenommen sein. Und soll hiemit den Verträgen und Ordnungen, die der Schwäbisch Bund in bäuerischer Empörung gemacht, nichts entzogen oder abgebrochen sein. § 8. Es soll sich auch ein jede Oberkeit gegen denen, so der bäurischen Aufruhr halben ausgetreten, nach Gelegenheit eines jeden Verhandlung dermaßen erzeigen, damit sie die Untertanen, so viel sich immer leiden will, mehr Gnad und Gütigkeit dann die Schärfe und Ungnad spüren und finden mögen. Doch sollen ohn sonderliche treffentliche Ursach und Bewegung, die zu jeder Oberkeit Bedenken und Macht stehen, diejenige, so gedachter Aufruhr Anfänger, Aufwiegler und Hauptsächer oder sonderliche Förderer gewesen, zu keinen Gnaden angenommen, auch von niemands behauset, behöft oder fürgeschoben, sonder wo sie betreten, gegen ihnen ihrer Uberfahrung nach, wie sich gebührt, ernstlich gehandelt und gestraft werden. Und sollen sich hinfürder die Untertanen gegen ihrer Oberkeit, geistlichs und weltlichs Stands, gehorsamlich, treulich, friedlich und dermaßen halten und erzeigen, wie sie zu tun schuldig, auch sie ihre Pflicht und Eid weiset und zu ihrem selbst Verderben und Unrat nicht Ursach geben. § 9. Darauf so haben wir uns, samt Kurfürsten, Fürsten, Prälaten, Grafen und Ständen Kaiserlicher Majestät zu untertäniger Gehorsame vereinet und verglichen, wo entgegen obgemeldt erzeigte Gnad und Mildigkeit einiger Oberkeit Untertanen, geistlichs oder weltlichs Stands, ferner zusammenlaufen, wiederum Aufruhr und Empörung erwecken, alsdann sollen die nächsten anstoßende Kurfürsten, Fürsten, Grafen und andere Oberkeit auf derselben Oberkeit, darin die Aufruhr entstanden, Ansuchen von Stund und Angesichts, auch zum eilendsten zu Roß und Fuß aufsein, zuziehen, retten und helfen, und wo derselben Hülf, so also ersucht, zu der entstandenen Aufruhr zu schwach wäre, alsdann sollen die andere nächst gesessene Kurfürsten, Fürsten und Stände auf Erfordern, wie vorsteht, gleicher Weis, zum stärksten ihnen möglich, auch zuziehen, die ungehorsamen Aufrührigen wiederum zu stillen, in Gehorsam zu bringen und [nach] der Gebühr zu strafen und uns alle einer gegen dem andern hierin nicht anders erzeigen und halten, als ob sich solche Aufruhr und Empörung in unser jedes eigen Fürstentum, Herrschaften und Gebiet begeben und zugetragen hätte und inmaßen ein jeder von dem andern gern getan haben und nehmen wollte. Quellennachweis Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede. 2. Teil, Frankfurt am Main 1747, S. 274 f. Wir folgen der Version in: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 418–420.
Appell der Reichsstände an Karl V.
Literaturhinweis Armin Kohnle: Nürnberg – Passau – Augsburg: Der lange Weg zum Religionsfrieden, in: Der Augsburger Religionsfrieden 1555, hg. v. Heinz Schilling und Heribert Smolinsky, Gütersloh 2007, S. 5–15. Axel Gotthard: Der Religionsfrieden und das politische System des Reichs, in: Der Augsburger Religionsfrieden 1555, hg. v. Heinz Schilling und Heribert Smolinsky, Gütersloh 2007, S. 43–57.
Nr. 167 Appell der Reichsstände an Karl V. Erzherzog Ferdinand I., der Bruder des Kaisers Karls V., vertrat diesen auf dem Reichstag in Speyer. Er hatte jedoch die Anweisung, nicht über Religionsfragen zu diskutieren. Die Reichsstände schickten daraufhin Gesandte zum Kaiser nach Spanien. Im August 1526 wurde hierfür eine Instruktion verabschiedet, die um ein erneutes Konzil in Anwesenheit des Kaisers zur Klärung von erwünschten Reformen und um Aufschub bei der Vollstreckung des Wormser Edikts bittet. Nachfolgend ein Ausschnitt. Zum andern: dass Ihr Kaiserliche Majestät aufs fleißigst und treulichst daran sein, handeln, verfügen und verschaffen wollen, damit zum furderlichsten in einer bestimmten Zeit, als nämlich in einem Jahr oder aufs längst anderthalben, ein gemein frei Concilium gewißlich an gelegne Malstatt [= Stätte] in deutschem Lande vorgenommen werde. Wo aber Ihr Kaiserlich Majestät solches in bestimmter Zeit nicht glaubt zu erhalten und dann der Handel kein längeren Verzug erleiden möge, dass alsdann Ihr Kaiserliche Majestät ein frei Nationalversammlung aller Stände teutscher Nation an ein gelegne Malstatt in deutschen Landen in bestimmter Zeit vornehmen und ausschreiben lassen wollen. Und nachdem in solchen großen wichtigen Sachen des Zwiespalts des heiligen christlichen Glaubens ohne Ihr Kaiserliche Majestät (als des Haupts) persönlich Beisein nichts fruchtbarliches oder beschließliches kann oder möchte gehandelt werden, dass alsdann Ihre Majestät den Sachen allenthalben zu gutem daselbst auch in eigner Person zu erscheinen geruhe. Und nachdem Ihre Kaiserliche Majestät auf Ihrem erstgehalten Reichstag zu Worms deshalb ein Edikt und Mandat […] haben ausgehen lassen, denen vielleicht ihres Inhalts an vielen Orten nicht vollkommenlich gelebt worden, auch etlicher Oberkeiten von wegen ihrer eigen und Untertanen Gewissen halber, zum Teil auch aus Sorge vor Empörung ihrer Untertanen, und etlich von der beider Ursachen wegen, ihrer Achtung nicht mögen oder könnten gelebt werden, haben sie, die Gesandten, Befehl, Ihr Majestät aufs untertänigst zu bitten, Ihr Majestät die wollen gnädiglich beherzigen und bedenken die schweren seltsamen Läuft dieser Zeit und darin Ihr kaiserlich Mildigkeit und Gnad wenden, als dass Ihr Majestät mit der Exekution und Vollstreckung, soviel die Strafe desselben Edikts belangt, bis auf Beschluss künftigs Conciliums gegen niemands handelt, sondern dieselbe Exekution Ihrer Majestät halben gnädiglich in Ruhe stellen. Das werde ohne allen Zweifel großen Gehorsam und untertänigen Willen bei allen Ständen und Untertanen des heiligen Reichs gebären und zu Friede, Ruhe und Einigkeit sehr dienlich sein. Es haben sich auch Kurfürsten, Fürsten und Stände des Reichs und derselben Botschaften aus obangezeigten Ursachen vereinigt, mit ihren Untertanen in mittler Zeit des Concilii
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nichtdestominder478 also zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein jeder solches gegen Gott und Ihrer Majestät hofft und getraut zu verantworten, auf dass Friede und Einigkeit desto besser gehalten und soviel menschlich und möglich künftig Aufruhr und Empörung im Reich vermieden werde. […] Quellennachweis Renaissance, Glaubenskämpfe, Absolutismus, bearb. v. Fritz Dickmann. Ein Band der Reihe: Geschichte in Quellen, hg. v. Wolfgang Lautemann und Manfred Schlenke, München 2 1976, S. 157 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
Nr. 168 Lazarus Spengler: Brief an Peter Butz vom 21. Mai 1526 Lazarus Spengler (vgl. Nr. 60) trat 1496 in die Ratskanzlei Nürnbergs ein. 1507 wurde er deren Leiter und diente seit 1516 als Ratsherr im „Größeren Rat“. In zahlreichen Traktaten und Druckschriften brachte er der Stadtbevölkerung das reformatorische Gedankengut nahe. Er gehörte der „Ursulabruderschaft“ an und wird von Scheurl der „Sodalitas Staupitziana“ zugeordnet. Auch infolge der persönlichen Begegnung mit Luther anlässlich des Reichstages zu Worms 1521 setzte er sich für die Reformation ein. 1525 wurde die Reformation in Nürnberg eingeführt. In der Folge nahm Spengler auch auf das reformatorische Geschehen in den fränkischen Markgrafschaften Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Kulmbach Einfluss. Mit Peter Butz pflegte er einen Briefwechsel, besonders in der Zeit der Auseinandersetzungen um das Verständnis des Abendmahls. Dieser diente als Stadtschreiber der Freien Stadt Straßburg. Er gehört mit zu jenen reformatorisch gesinnten Eliten, welche in der Stadt die Reformation beförderten. Er hielt sich mehr im Hintergrund und trat kaum mit eigenen Schriften an die Öffentlichkeit.
Gottes Frieden, Gnad und Barmherzigkeit! Ehrbar und achtbar besonders vertrauter Herr und Freunde. Euer jüngstes Schreiben hab ich empfangen und acht gleich Euch für ganz notdürftig, dass die ehrbaren Städte vor Kaiserlicher Majestät Ankunft in Teutsche Land einen tapferen Städttag ausschreiben und zusammenkommen, sich zu bereden, wie sich in Ihrer Majestät Ankunft des Evangeliums und ander Sachen halben zu halten und gegen Ihre Majestät zu erbieten sei. Allein [es] mangelt nur hierin des rechten Hauptstücks, nämlich, dass ich bei höchstem Glauben die Städt bishere zu allen Reichstägen und andern Versammlungen nicht allein etwas ungeschickt und weitläufig, sondern […] so ganz misstrauisch befunden hab, dass auch schier keine Stadt weiß, was sie sich in allem Obliegen und Notdurften zu der andern vertrosten soll. Zudem haben, wie Ihr wissen mögt, die vergangen Aufruhrn nicht allein bei den Fürsten, sondern auch bei den Städten ein so merkliche Ärgernis verursacht, dass schier keine Stadt das Wort Gottes und heilig Evangelium bei sich leiden mag. Es ist vielen mehr
478 D. h. ohne auf die Rückkehr der Gesandtschaft zu warten.
Lazarus Spengler: Brief an Peter Butz vom 21. Mai 1526
ein Greuel und Unlust als ein Trost worden. So will auch ein jegliche [Stadt] jetzt vielmehr darnach trachten, wie sie ein gnädigen Kaiser […] dann einen gnädigen Gott überkommen. Nun müssen wir aber hindurch, entweder Christen sein und bleiben oder Christum verleugnen. Dazwischen ist kein Mittel. Werden wir nun ungeachtet alles vorstehenden Ungemachs zum höchsten auf Gott sehen, so bin ich gewiss, dass wir am Ende, obschon das Wasser der Trübsal und das Kreuz bis in unsere Seelen dringt, erhalten werden. Denn, so Gott für uns und uns [ein] Helfer und Beistand ist, wer mag wider uns sein? Werden wir aber mehr auf die Menschen, auf den Kaiser oder andere als auf Gott sehen, welche werden wir alsdann für ein Helfer, Trost oder Schutz haben? Wessen können wir uns dann trösten? […] Darum lasst uns nun fest sein, dem Kaiser geben, was dem Kaiser zugehört, und Gott, das Gott zugehört. So werden wir die Hilfe des Herrn, auf den wir uns verlassen, wunderbarlich und gewaltiglich über uns sehen. Ich bin noch guter Zuversicht, obschon Kaiserliche Majestät, die ich für einen frommen gottsfürchtigen Kaiser erkenne, der gern, soviel er Verstands und Unterrichtung hat, christlich handelt, in das Land komm, er werde sich dannoch auch berichten lassen, unangesehen, dass er jetzt allein unter den Skorpionen, seinen Bischöfen und Geistlichen, von denen er vergiftet wurde und nichts anderes als „Ketzer, Ketzer“ hören kann, wohnen muss. Und tröst mich in solchem nicht wenig, dass das Herz des Königs, wie Salomon sagt, furderlich und vor ander Menschen Herzen in der Hand Gottes ist, der es auch leitet und wendet, wohin er will. So bin ich auch des gewiss, dass die ganze Welt, zu geschweigen der Kaiser, wider uns nicht eines Haares breit mehr vermag, dann ihr von Gott zugelassen wurdet. Was entsetzen wir uns dann? So zweifelt mir auch nicht, wo der Kaiser kommen, er würdet bei den Städten, die das heilig Evangelium angenommen, viel ein andere und christlichere Ordnung befinden, als unsere Spitzhüte, die Bischöfe, durch Schriften und mündliche Botschaften bei Seiner Majestät einzubilden bisher unterstanden haben. So sein je die christenlichen Commun [= Städte] bisher keins andern als dessen gesinnt gewest: Was sie durch das klar Wort Gottes für gut unterrichtet werden möchten, demselben anzuhangen. Dabei bleib es. Es ist möglich und mag nach Gestalt der Sachen wohl allerlei Sorgen walten, dass die um den Kaiser wohnen, auch andere fremde Potentaten, den Kaiser dahin zu führen unterstehen werden, teutsche Nation, wie Ihr schreibt, beschwerlich heimzusuchen. Mich bedünkt auch, wie wir teutschen Leut sein und ein Regiment halten, wir hätten das auch wohl verdient. Aber sollen wir je zu Trümmern gehen, so wäre es besser, ehrlicher und genießlicher um des Evangeliums dann ander unser Verschuldung willen. Gleichwohl hab ich in keiner Historien des Evangeliums je gelesen, dass Gott der Allmächtige, ob er wohl etwaviel besondere Personen als seine Freunde mit dem Kreuz heimgesucht und sie um seines Wortes willen zu Märtyrern gemacht [hat], dass er ein ganzes Land oder Commun [= Stadt] von des Evangeliums wegen untergehen lassen und verderbt habe. Darum lasst uns mannlich und unverzagt sein; dann der lebt noch, der die Welt überwunden hat, der auch die Seinen gewisslich aus der Widerwärtigkeit zu erretten weiß, und ist kein Mangel an seiner Hilfe, sondern an unserm Misstrauen. Quellennachweis Lazarus Spengler: Schriften, Bd. 2: Schriften der Jahre September 1525 bis April 1529, hg. und bearb. v. Berndt Hamm, Wolfgang Huber und Gudrun Litz, Gütersloh 1999, S. 42–45. Wir folgen der Version in: Buch der Reformation: eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), bearb. und hg. v. Detlef Plöse und Günter Vogler nach der Ausgabe von Karl Kaulfuss-Diesch, Berlin 1989, S. 437–439.
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Literaturhinweis Thomas Brady: Ruling Class, Regime and Reformation at Strasbourg 1520–1555, Leiden 1978. Berndt Hamm: Lazarus Spengler (1479–1534) – Der Nürnberger Ratsschreiber im Spannungsfeld von Humanismus und Reformation, Politik und Glaube, Tübingen 2004.
Nr. 169 Otto von Pack: Bericht über den Verlauf des Reichstages vom 2. Juli 1526 Otto von Pack wurde um 1480 geboren und starb ca. 1537. Er diente als Rat des albertinischen Herzogs Georg des Bärtigen von Sachsen. Bereits sein Vater diente bei Hofe. Das ermöglichte ihm ein Studium in Leipzig, Erfurt, Köln und Mainz. Er graduierte an der juristischen Fakultät bis zum Doktor beider Rechte (weltliches Recht und Kirchenrecht). Bereits vorher wegen Betrugs angeklagt und entlassen worden, lancierte er gegenüber Philipp von Hessen 1527 Nachrichten eines wehrhaften romtreuen Bündnisses, mit dem die protestantischen Reichsstände militärisch überwunden werden sollten. Das setzte diplomatische Aktivitäten, aber auch konkrete Aufrüstung auf der evangelischen Seite in Gang. Im Frühjahr 1528 drohte eine bewaffnete Auseinandersetzung, die erst in letzter Minute durch eine offizielle Stellungnahme der romtreuen Fürsten, insbesondere Herzog Georgs und des Kaiserbruders Ferdinand, entschärft werden konnte. In den weiteren Verhören fiel die Intrige in sich zusammen. Otto von Pack wurde auf Herzog Georgs Verlangen hin verhaftet und 1537 in Brüssel hingerichtet. Vom Reichstag in Speyer berichtete Otto von Pack am 2. Juli 1526 brieflich seinem Dienstherren Herzog Georg von Sachsen.
Also ist am folgenden Dienstag [26. Juni] der erste Artikel, der dem Auszug des kaiserlichen Auftrages einverleibt ist, den christlichen Glauben und der allgemeinen Kirche ehrliche hergebrachte Übung usw. betrifft, in der Verhandlung genommen worden. Und dieser Artikel ist von den Ständen in fünf Artikel geteilt worden: erstlich, dass man über Glauben disputieren sollte, wie er zu erhalten sei; zum andern wie christliche, wohlhergebrachte Übung zu erhalten sei und was christliche, wohlhergebrachte Übung und Ordnung heißen sollen; drittens, wie die Übertreter, die in den vergangenen Zeiten wider das Edikt der Kaiserlichen Majestät, das zu Worms ausgegangen, gehandelt haben, zu strafen seien; viertens, wie nun die, die nachmals nach dem Schluss dieses Reichstages es übertreten würden, auch gestraft werden sollten; und fünftens, wenn sich jemand der Strafe widersetzen würde, wie man denselben zur Strafe bringen sollte. Darauf ist beschlossen worden für das erste, das unseren heiligen Glauben betrifft, dass alle Kurfürsten, Fürsten und Stände des Heiligen Reiches und desselben Untertanen bei dem heiligen Glauben, der bisher aufgrund der heiligen, beständigen Konzilien in der heiligen christlichen Kirche angenommen worden ist, erhalten, gelehrt, gemehrt, geübt und gebraucht, nachmals sollen und wollen dabei bleiben, leben und sterben, wie das ehrlichen, christlichen, gottesfürchtigen Leuten eigen ist und gebührt, und sie wollen derhalben weiter keine Disputation, Neuigkeit oder Veränderung bis auf ein zukünftiges allgemeines Konzil leiden noch
Otto von Pack: Bericht über den Verlauf des Reichstages vom 2. Juli 1526
dulden. Zum zweiten ist beschlossen, dass alle wohlhergebrachte, gute christliche Übung laut Auftrag Kaiserlicher Majestät bis auf ein Konzil erhalten werden soll. Aber über den Punkt, was gut, christlich und wohlhergebracht sei, da hat es sich hart gestoßen. Die allgemeinen weltlichen Stände und dazu die Städte haben gewollt, man sollte den Missbrauch und alles, was nicht gut, nicht christlich, nicht wohlhergebracht, sondern übel in der allgemeinen christlichen Kirche erhalten sei, abtun, und das Gute und Christliche sollte bestehen bleiben. Dabei wollten sie auch bleiben, sterben und genesen. Die Geistlichen haben das nicht annehmen wollen, sondern haben hart darauf bestanden, das alles, was in ihrem Brauch bisher erhalten ist, das sollte alles für gut gehalten und also einfältig geglaubt und gehalten werden, in Anbetracht, dass das Abtun der Missbräuche und das Scheiden des Guten vom Bösen nicht ein Werk des Reichstages sei, sondern auf ein allgemeines Konzil gehöre. Die anderen Stände haben das nicht einräumen wollen und gesagt, dass der gemeine Mann nun so weit unterwiesen sei, dass er sich nicht mehr mit einfältigem Glauben weiter leiten lassen will; deshalb sei es den Städten unmöglich, die Gemeinde dabei zu erhalten. Und sie haben sich auf den Auftrag Kaiserlicher Majestät bezogen, in dem mit klaren Worten angezeigt wird, dass es Seiner Majestät Meinung nicht gewesen sei, dass von des Heiligen Reiches obliegenden Beschwerden, Missbräuchen und anderen begründeten Dingen nicht handeln soll. Und sie haben schlechterdings nicht beschließen wollen, werde denn von den Missbräuchen gehandelt. Es bestand auch die Gefahr, dass dieser einzige Artikel den Reichstag zertrennt hätte, wenn die Geistlichen nicht bewilligt hätten, dass sie von den Missbräuchen wollten handeln lassen, obgleich nicht eher, als alle anderen Artikel beschlossen sind, was von jedem für eine Gefahr gehalten wird. Denn wenn dem nicht Folge geleistet werden sollte, so würde dies viel mehr Zwiespalt als Einigkeit machen und gebären. Zu dem dritten und vierten Artikel, die die Strafe für die Übertreter des kaiserlichen Ediktes und die nachmals dawider handeln würden betrifft, ist beschlossen, wenn jemand von den Kurfürsten, Fürsten und Ständen bisher wider die christliche Ordnung und kaiserliches Edikt gehandelt hat und hinfort aber nicht mehr dagegen handeln, sondern sich der christlichen Ordnung gemäß verhalten würden, so wollten andere Kurfürsten, Fürsten und Stände Kaiserliche Majestät untertänig ersuchen und bitten, dass Seine Majestät die Ungnade von den Übertretern gnädiglich wenden will und sie aus der Sorge vor Strafe kommen lassen wolle. Die aber in ihrem Irrtum verharren und davon nicht abstehen wollten, die sollten Kaiserlicher Majestät und des Heiligen Reiches, das dem Kaiser darin unmittelbar Hilfe leisten soll, schwerer Strafe gewärtig sein. Wie aber laut des fünften Artikels die Exekution geordnet werden soll, das eine Obrigkeit der anderen Hilfe und Handreichung tue usw. ist noch nicht beschlossen, sondern es ist für gut angesehen worden, dass man die alte Ordnung, die etwa auf den Reichstagen der Exekution halber gemacht worden ist, zur Hand nehme und danach, auch nach des Reiches und der Stände Gelegenheit, eine dauerhafte Hilfe veranschlage. Von welcher Hilfe wird nun in den künftigen Wochen verhandelt werden. Bisher ist im Reich nichts weiter beratschlagt oder beschlossen worden, denn die obengenannten Artikel sind sehr angefochten worden. […] Mir erscheinen die Verhandlungen nicht übel. Ich habe keinen Zweifel, wenn die Geistlichen nicht so sehr halsstarrig wären und dulden könnten, dass von ihren Missbräuchen – die sie selbst zugeben müssen – etwas abgestellt würde, dass sollt bei dem gemeinen Mann viel guten Gehorsam wirken, und es sollten alle Dinge durch die Hilfe des Allmächtigen wieder zu christlicher Liebe und Einigkeit gebracht werden. Ich finde aber leider, dass sie alle nicht einig sind, so findet man auch Geistliche, – und bald den größten Teil – die mehr auf ihre Ehre und Hoffart als auf die Wohlfahrt der allgemeinen Christenheit sehen. Derhalben steht es also und ist am Tag: Wenn die Geistlichen um die allgemeine Christenheit ebenso besorgt wären wie die Laien, so bliebe Gottes Ehre, alle gute christliche Ordnung, Brauch und Übung der heiligen
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Kirche, und sie selbst blieben dazu mit allem ihrem Habe, Ehre und Gütern. Denn ich habe bisher noch keinen Laien bemerkt, der da auch nur einen Buchstaben von der kirchlichen Ordnung abtun oder die geistlichen Güter um einen einzigen Pfennig schmälern wollte. Quellennachweis Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, hg. v. Felician Gess, Bd. 2: 1525–1527, Nachdruck der bei B. G. Teubner erschienenen Originalausgabe Leipzig/Berlin 1917, Leipzig 1985, S. 566,5–568,1 (Nr. 1276) (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Kurt Dülfer: Die Packschen Händel: Darstellung und Quellen, Marburg 1958. Jan Martin Lies: Zwischen Krieg und Frieden: Die politischen Beziehungen Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen zum Haus Habsburg 1534–1541, Göttingen 2013.
Nr. 170 Otto von Pack: Bericht über den Verlauf des Reichstages vom 11. August 1526 Und als dieselben [Artikel] im allgemeinen Rat weiter beraten und beschlossen werden sollten, ist dem kaiserlichen Statthalter und den Kommissaren ein anderer Auftrag von Kaiserlicher Majestät zugekommen, in dem Seine Majestät ernstlich befahl, dass auf diesem Reichstag über den heiligen Glauben, Kirchengesetze, altes Herkommen, Lehre, Ordnung, Zeremonien und Gebräuche nicht verhandelt, verändert oder beschlossen werden soll, sondern dass dieselben Artikel samt aller Ketzerei, Irrsal, Missbräuche und Unordnungen bis auf ein allgemeines Generalkonzil bleiben und beharren sollen. Wie denn Euer Fürstliche Gnaden aus dem Artikel desselben kaiserlichen Auftrages, den ich Euer Fürstlichen Gnaden mit der Werbung, die die kaiserlichen Kommissare an die Reichsstände getan haben, in einer Abschrift hiermit überschicke, gnädiglich zu vernehmen haben. Und diese Handlung hat im Reich einen großen Widerwillen und Zwiespalt gemacht, durch die den Ständen verboten wurde, über die Missbräuche zu reden, was ihnen vormals im Ausschreiben und im ersten Auftrag (zumal auch der Reichstag vornehmlich derhalben eingesetzt wurde) erlaubt und zugestanden worden war. Darauf hat auch der größere Teil der Fürsten und Stände abreisen wollen, wenn sie nicht durch vielfältiges Bitten des Erzherzogs davon abgehalten worden wären. Seit der Zeit, ungefähr vier Tage, sind zwei Artikel zum Beratschlagen vorgenommen worden. Erstlich, dass Kurfürsten, Fürsten und allgemeinen Stände im Heiligen Reich eine ehrliche, tapfere Botschaft zu Kaiserlicher Majestät nach Spanien abfertigen, die Seiner Majestät alle Umstände des Heiligen Reiches untertänig anzeigen und bitten soll, Majestät wolle baldigst ins Reich kommen und gnädiglich verfügen, dass ein allgemeines Generalkonzil zur Abwendung aller Irrtümer der Christenheit gehalten werden möchte. Quellennachweis Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, hg. v. Felician Gess. Bd. 2: 1525–1527. Nachdruck der bei B. G. Teubner erschienenen Originalausgabe Leipzig/Berlin 1917, Leipzig 1985, S. 607,21–608,8 (Nr. 1304).
Reichstagsproposition
Literaturhinweis Kurt Dülfer: Die Packschen Händel: Darstellung und Quellen, Marburg 1958. Jan Martin Lies: Zwischen Krieg und Frieden: Die politischen Beziehungen Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen zum Haus Habsburg 1534–1541, Göttingen 2013.
Nr. 171 Reichstagsproposition Auch nach der weichen Beschlusslage von 1526 war an eine flächendeckende Umsetzung des Wormser Edikts nicht zu denken. Darum berief der Kaiser, wegen seiner Abwesenheit im Krieg gegen Frankreich durch seinen Bruder Ferdinand I. vertreten, die Stände zu einem neuen Reichstag nach Speyer zusammen. Der fand vom 15. März bis zum 22. April 1529 statt. Auf die Wiedereinsetzung des Wormser Edikts reagierten die evangelischen Reichsstände mit einer Protestation, welche später zur Namensgebung der evangelischen Stände als „Protestanten“ beitrug. Um politischen Druck auszuüben, verweigerten sie jede militärische Unterstützung gegen Johann Zápolya und Süleyman I. im Türkenkrieg.
Und da in dem Reichsabschied zu Speyer, der in dem obengenannten 26. Jahr gemacht wurde, ein Artikel enthalten ist, der besagt, dass sich die Kurfürsten, Fürsten und Stände des Reiches und deren Botschaften einmütig verglichen haben und übereingekommen sind, bis zum Konzil mit ihren Untertanen in Sachen, die das Edikt – das durch gedachte Kaiserliche Majestät auf dem Reichstag zu Worms gemacht worden ist – berührt, zu leben, zu regieren und zu halten wie ein jeder dies gegen Gott und Ihre Kaiserliche Majestät zu verantworten hofft und zutraut usw. Über diesen Artikel, der bisher von vielen aus den Ständen des Heiligen Reiches nach ihrem Gefallen verstanden, ausgelegt und erklärt worden ist, woraus außerordentlich großes Unheil und Missverständnis wider unseren heiligen christlichen Glauben, auch Ungehorsam der Untertanen gegen ihre Obrigkeiten und vieles andere Nachteilige gefolgt ist, trägt Ihre Majestät nicht wenig Befremden. Damit aber in Zukunft derselbe Artikel nicht weiter nach eines jeden Gefallen angenommen und ausgelegt und das, was bisher daraus unserem Glauben zuwider erfolgt ist, verhütet werde, so hebt Ihre Kaiserliche Majestät den angezeigten Artikel, wie er in dem erwähnten Abschied enthalten ist, hiermit auf, kassiert ihn und erklärt denselben als ungültig jetzt wie dann und dann wie jetzt, alles aus kaiserlicher Machtvollkommenheit. Und es ist Ihrer Kaiserlichen Majestät Befehl, dass an die Stelle desselben der jetzt verlesene Artikel, soweit er den Glauben betrifft, gestellt und in den künftigen Reichstagsabschied rein hineingebracht und von niemand bei Vermeidung der obengenannten Strafen, Bestrafungen und Bußen dawider gehandelt werde. Quellennachweis Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Bd. 7, 2. Teilband, bearb. v. Johannes Kühn, photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1935, Berlin u. a. 1963, S. 1134,17–1135,4 (104). (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
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Literaturhinweis Rainer Wohlfeil/Hans-Jürgen Goertz: Gewissensfreiheit als Bedingung der Neuzeit: Fragen an die Speyerer Protestation von 1529, Göttingen 1980. Protestation: 1529–1979. Die Reichstage zu Speyer gehalten anno 1526 und 1529, dargestellt von Werner Seeling aus Anlass der 450-Jahrfeier der Protestation in Speyer, Speyer 1979. Julius Ney (Hg.): Die Appellation und Protestation der evangelischen Stände auf dem Reichstage zu Speier 1529, unveränderter repographischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1906, Darmstadt 1967. Helga Schnabel-Schüle: Die Reformation 1495–1555: Politik mit Theologie und Religion, Stuttgart 2006, S. 153–170.
Nr. 172 Das Bedenken der Stände auf die kaiserliche Proposition Gegen eine Aufweichung der Bestimmungen des Wormser Edikts von 1521 wandten sich zahlreiche Reichsstände. Das machte die verfahrene Verhandlungssituation am Vorabend des Speyerer Reichstages erkennbar, vor deren Hintergrund auch Erwartungen an eine finale Lösung der Religionsfrage gedämpft worden sein dürften.
So haben sich demnach Kurfürsten, Fürsten, Prälaten, Grafen und die anderen Stände entschlossen, dass diejenigen, die bisher bei dem obenerwähnten [Wormser] kaiserlichen Edikt geblieben sind, von nun an auch bei diesem Edikt bis zu dem künftigen Konzil verharren und ihre Untertanen dazu halten sollen und wollen und dass bei den anderen Ständen aber, bei denen die anderen Lehren entstanden sind und zum Teil ohne spürbaren Aufruhr, Beschwernis und Gefährdung nicht abgewendet werden können, hinfort doch alle weiteren Neuerungen bis zum künftigen Konzil soweit möglich und menschlich verhütet werden sollen. Und besonders sollen einige Lehren und Sekten, soweit sie hochwürdigen Sakrament des wahren Fronleichnams und Blutes unseres Herrn Jesus Christus zuwider sind, bei den Ständen des Heiligen Reiches Deutscher Nation nicht angenommen noch hinfort zu predigen gestattet oder zugelassen werden. Desgleichen sollen die Feiern der heiligen Messe nicht abgetan und auch niemand an den Orten, an denen die andere Lehre entstanden ist und gehalten wird, das Hören der Messe verboten, behindert noch dazu oder davon gedrungen werden. Quellennachweis Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Bd. 7, 2. Teilband, bearb. v. Johannes Kühn, photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1935, Berlin u. a. 1963, S. 1142, 22–1143,5 (106). (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
(Wiedertäufer-)Mandat des Reichstags zu Speyer
Nr. 173 (Wiedertäufer-)Mandat des Reichstags zu Speyer Die Verfolgung von Täufern wurde von den protestierenden Reichsständen unterstützt. Dabei fielen unter den Sammelbegriff der „Täufer“ sowohl Wiedertäufer als auch andere, spiritualistische und nonkonforme Gruppen (siehe Kap. 3.4), die sich vom Hauptstrom der Reformation gelöst hatten. Das Wiedertäufermandat des Reichstagsabschiedes enthält zahlreiche Beschlüsse, die die religiöse Bewegung eindämmen und auslöschen sollten. Wiewohl in gemeinen Rechten geordnet und versehen, dass keiner, so einmal nach christlicher Ordnung getauft worden ist, sich wiederum oder zum zweiten Male taufen lassen noch derselben einichen taufen soll, und fürnehmlich in kaiserlichen Gesetzen solichs zu beschehen bei Straf des Tods verboten, daruf wir dann in Anfang des nächstverschienen [= vergangenen] achtundzwanzigsten Jahrs der mindern Zahle euch allen samt und sonder als Römischer Kaiser, Oberster Vogt und Beschirmer unsers heiligen christlichen Glaubens durch unser offen Mandat ernstlich haben tun gebieten, Euer Untertanen, Verwandten und Angehörigen von demselben jetzo kürzlich neuen aufgestanden Irrsal und Sekt des Wiedertaufs und derselben mutwilligen, verführigen und aufrührigen Anhang durch Euer Gebot und sunst auf den Kanzeln durch christliche gelehrte Prediger getreulich und ernstlich auch der Pene [= Strafe] des Rechten in solchem Fall und sonderlich der großen Straf Gottes, die sie zu gewarten haben, zu erinnern, zu ermahnen, abzuweisen und zu warnen und gegen denen, so also in solichem Laster und Irrung des Wiedertaufs erkundiget, erfunden und betreten würden, mit Straf der Penen des Rechten, wie sich solichs gegen einem jeden seinem Verschulden nach gebührt, zu verfahren und deshalb nit säumig zu sein, damit solch Ubel gestraft und ander Unrate und Weiterung, so sunst daraus erwachsen, fürkommen und verhut würde: So befinden wir doch täglich, dass über angezeigt gemein Recht, auch unser ausgangen Mandat solch alt, vor viel hundert Jahren verdammte und verbotene Sekt des Wiedertaufs je länger je mehr und schwerlicher einbricht und uberhand nimmt. Soliche Ubel und was daraus folgen mage, zufürzukommen und Fried und Einigkeit im heiligen Reich zu erhalten, auch alle Disputation und Zweifel, so der Straf halber des Wiedertaufs zufallen möcht, aufzuheben, so erneuern wir die vorigen kaiserlichen Gesetz, auch obgemeldt unser darauf gefolgt und ausgekündt Mandat, ordnen, setzen, machen und deklariern demnach aus kaiserlicher Macht Vollkommenheit und rechter Wissen und Wollen, dass alle und jede Wiedertäufer und wiedergetauften Mann und Weibspersonen verständigs Alters von natürlichem Leben zum Tode mit dem Feuer, Schwert oder dergleichen nach Gelegenheit der Personen, ohne vorgehend der geistlichen Richter Inquisition gericht und gebracht werden. Und sollen derselben Fürprediger, Hauptsächer, Landlaufer und aufrührische Aufwiegler des beruhrten Lasters des Wiedertaufs, auch die darauf beharren und diejenigen, so zum anderen Male umbgefallen, hierin keinswegs begnadet, sonder gegen ihnen vermög dieser unser Konstitution und Satzung ernstlich mit der Straf gehandelt werden. Weliche Person aber ihren Irrsal für sich selbs oder auf Unterricht und Ermahnen unverzüglich bekennen, denselben zu widerrufen, auch Buß und Straf daruber anzunehmen willig sein und umb Gnade bitten wurden, dieselbigen mögen von ihrer Oberkeit nach Gelegenheit ihres Verstands, Wesens, Jugend und allerlei Umstände begnadet werden.
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Wir wollen auch, dass ein jeder sein Kinder nach christlicher Ordnung, Herkommen und Gebrauch in der Jugend taufen lassen soll. Welche aber das verachten und nit tun würden uf Meinung, als ob Kindertauf nichts sei, der soll, so er darauf zu beharren unterstünde, für ein Wiedertaufer geacht und obangezeigter unserer Konstitution unterworfen sein. Und soll keiner derselbigen, so aus obangezeigten Ursachen begnadet werden, an andere Ort relegiert und verwiesen, sonder unter seiner Oberkeit zu bleiben verstrickt und verbunden werden, die dann ein fleißig Aufsehens, damit sie nit wieder abfallen, haben lassen soll. Dergleichen soll keiner des andern Untertanen oder Verwandten, so aus angezeigten Ursachen von ihrer Oberkeit gewichen oder ausgetreten, enthalten, unterschleifen oder fürschieben, sonder alsbald dieselbig Oberkeit, darunter sich der Entwichen enthält, solcher Uberfahrung innen oder gewahr wirdet, soll er gegen demselben, so also entwichen, laut obberuhrter unserer Satzung strenglich handeln und sie daruber nit bei sich leiden oder dulden, alles bei Pene der Acht. […] Geben in unser und des Reichs Statt Speyer am 23. Tag des Monats Aprilis nach Christi Geburt 1529 unserer Reiche des Römischen im 10. und der andern alle im 13. Jahre. Quellennachweis Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Bd. 7, 2. Teilband, bearb. v. Johannes Kühn, photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1935, Berlin u. a. 1963, S. 1325–1327 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
Nr. 174 Erklärung von Statthalter, Orator und Kommissaren Je weiter die Beratungen fortschritten, umso mehr schwand die Hoffnung auf eine gütliche Einigung in der Religionsfrage. Vertreter der romtreuen Reichsstände erklärten sich mit dem durch Ferdinand unterbreiteten Vorschlag Karls V. einig und opponierten gegen die Protestnote der evangelischen Reichsstände.
Denn es haben dieselben Statthalter, Orator und Kommissare die Schrift, die der Kurfürst von Sachsen usw., Markgraf Georg von Brandenburg etc., Landgraf [Phillipp] von Hessen etc., Fürst [Georg III.] von Anhalt und der Lüneburgische Kanzler479 der allgemeinen Reichsversammlung wider den ersten der aufgestellten Artikel, der unseren christlichen Glauben betrifft, übergeben haben, auch vernommen und lassen dieselbe Schrift in ihrem Wert bleiben. Denn weil dem Großen Ausschuss, nachmals den Kurfürsten und Fürsten und anderen Ständen des Heiligen Reiches diese Schrift vorgetragen und verlesen worden ist und die allgemeine Versammlung nachmals nach altem, löblichem Herkommen und Brauch auch Wissen und Gewissen in dem Artikel, der den Glauben berührt, den viel größeren Teil mit ihren Stimmen ausgemacht und darauf beschlossen hat und die kaiserlichen Statthalter, Orator und Kommissare aufgrund ihrer Vollmacht anstelle vielgenannter Kaiserlicher Majestät und auch für sich selbst als Mitglieder des Heiligen Reiches diese aufgestellten Artikel – wie oben steht – angenommen haben, wollen dieselben kaiserlichen Statthalter, Orator und Kommissare ganz
479 Vermutlich Ludwig Furster.
Der evangelische Protest während des Reichstags zu Speyer: Protestation von Speyer
und gar erwarten, dass der genannte Kurfürst von Sachsen, die anderen obengenannten Fürsten und die Botschaft, die bisher gegen den Beschluss des angezeigten Artikels Einspruch erhoben haben, den Abschied – obengenanntermaßen gemacht – auch nicht verweigern werden, in Rücksicht darauf, dass nicht nur – wie oben steht – durch den viel größeren Teil der Kurfürsten, Fürsten und auch anderen Ständen des Reiches nach altem, löblichem Brauch aufrichtig, ordentlich und wie es sich gebührt bei diesem Reichstag gehandelt und prozessiert worden ist, sondern dass auch die kaiserlichen Statthalter, Orator und Kommissare nichts anderes vorgebracht und gehandelt haben, auch weiterhin vornehmen, handeln, bewilligen und beschließen werden, als was sie kraft ihrer obengenannten Vollmacht Fug, Recht und Macht haben und gegen gedachte Kaiserliche Majestät wohl und genügend zu verantworten wissen. Quellennachweis Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Bd. 7, 2. Teilband, bearb. v. Johannes Kühn, photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1935, Berlin u. a. 1963, S. 1259,37–1260,24.
Nr. 175 Der evangelische Protest während des Reichstags zu Speyer: Protestation von Speyer Der Vertreter des Kaisers, sein Bruder Ferdinand, nahm die Eröffnungsrede zum Reichstag von Speyer am 1. März 1529 zum Anlass, die Aufhebung des Reichsabschieds von 1526 bekannt zu geben. Daraus sei „großer Unrat und Mißverstand“ entstanden. Zugleich sanktionierte er jede „Verführung zu unrechtem Glauben“ mit der Reichsacht. Bis zur Klärung auf einem noch einzuberufenden Konzil sollten alle Neuerungen untersagt bleiben. Zugleich gestand er zu: „Wer bis jetzt das Wormser Edikt gehalten, soll dies auch ferner tun. In den Landschaften, wo man davon abgewichen, soll man doch keine weitere Neuerung machen und niemand verwehren, Messen zu halten. Die Sekten endlich, welche dem Sakramente des wahren Leibes und Blutes widersprechen, solle man ganz und gar nicht dulden, so wenig wie die Wiedertäufer.“ Am 19. April wurden die Bedenken gegen den Reichsabschied von 1526 von der Mehrheit der Stände angenommen. Den Evangelischen wurde dabei erklärt, sie sollten sich „dem ordentlich und gehörig behandelten Beschlusse“ der Mehrheit beugen. So haben wir in Betrachtung solchs voraufgerichten, verpflichten, verbrieften und besiegelten Abschieds [von 1526], auch aus hernachfolgenden gegrundten Ursachen […] in Aufhebung des vorgesatzten einmütiglich bewilligten und zu halten verpflichten Artikels, noch auch die derhalben begriffen vermeinten (und doch an ihr selbst kein) getan Milderung, nicht willigen können noch mögen. Nämlich zum ersten aus der gegrundten Ursache, dass wir unzweifenlich dafür halten, Kaiserliche Majestät als ein loblicher, gerechter und christlicher Kaiser, unser allergnädigster Herr, auch Euer Königliche Durchlaucht [Erzherzog Ferdinand, König von Böhmen und Ungarn] und andere Ihre Mitkommissarien, desgleichen auch der mehrer Teil aus Eurn der andern
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Liebden, seien nichts weniger dann wir des […] ehrbarn, aufrichtigen, beständigen Gemüts und Willens, was die alle (als obgemeldt) einmal und mit uns einmütiglich bewilligt, verpflichtet, verbrieft und besiegelt haben, also laut des Buchstabens steht, fest und unverbrüchlich zu halten, zu vollziehen und darin gar nichts zu grubeln, noch mit irgendetwas dawider zu sein noch zu tun. […] Zum andern wissen wir auch solches, wie vor und hernach gemeldet wird, mit gutem Gewissen gegen Gott dem Allmächtigen als dem einzigen Herrn, Regierer und Erhalter unseres heiligen christlichen seligmachenden Glaubens noch auch gegen Kaiserliche Majestät als einem christlichen Kaiser in keinen Wege zu verantworten. […] So sind doch dieses solche Sachen, wie E. K. D. und Ihr, die andern, wissend, die Gottes Ehre und unser jedes Seelenheile und Seligkeit angehen und betreffen, darin wir aus Gottes Befehl unser Gewissen halben denselben unsern Herrn und Gott als höchsten König und Herrn aller Herrn in der Tauf und sonst durch sein heilig göttlichs Wort vor allem anzusehen verpflicht und schuldig sein, der unzweifenlichen Zuversicht, E. K. D. und Ihr, die andern, werden uns (als wir auch hiefür freundlich gebeten haben) darin freundlich, gnädiglich und gutwilliglich entschuldigt halten, dass wir mit E. K. D. und Euch, den anderen, obberuhrter Artikel halben, in dem nicht einig sein, noch in solchem der Mehrheit, wie etlich mal auf diesem Reichstag hat furgewandt werden, gehorchen wollen in Bedacht [und] in Angesehen, dass wir solchs vermog des vorigen Speierischen Reichsabschied, der sonderlich in dem angezogen Artikel lauter dartut, dass solcher Artikel durch ein einmutige Vereinigung (und nicht allein den mehrer Teil), also beschlossen worden, darumb auch ein solcher einmutiger Beschluss von Ehrbarkeit, Billigkeit und Rechts wegen anders nicht denn wiederum durch ein einhellig Bewilligung geändert werden soll, kann oder mag, zusamt dem, dass auch ohn das in den Sachen, Gottes Ehre und unser Seelenheile und Seligkeit belangend, ein jeglicher für sich selbst vor Gott stehen und Rechenschaft geben muss, also dass sich des Orts keiner auf ander minders oder mehrers Anordnen oder Beschließen entschuldigen kann und aus andern redlichen, gegrundten, guten Ursachen zu tun nicht schuldig sein. […] Dem allen nach wollen wir uns zu E. K. D. und Euch, den andern, als unsern lieben und gnädigen Herrn, Oheimen, Vettern, Schwägern, Freunden und besonderen Lieben versehen, als wir auch abermals freundlich bitten und gutlich begehren, Ihr werdet und wollet Gelegenheit der Sachen nochmal zu Gemüt führen und unser Beschwerung, auch derselben Grund und Ursachen mit Fleiß betrachten und Euch wider den zuvor einmütiglich beschlossenen, verpflichteten, verbrieften und besiegelten Abschied mit nichten bewegen lassen und handeln, wie dann niemand desselben aus angeregten und andern wohlbegründeten Ursachen, die wir diesmal um des besten Willen zu melden unterlassen, Fug, Macht und Recht hat. Und wo aber je dieses dritt Anzeigen unserer merklichen Beschwerden bei E. K. D. und Euch, den andern, kein Statt finden noch haben wollt: so protestieren und bezeugen wir hiermit öffentlich vor Gott, unserm einigen Erschaffer, Erhalter, Erlöser und Seligmacher (der wie vorgemeldet allein unser aller Herzen erforscht und erkennt, auch demnach recht richten würde), auch für alle Menschen und Kreaturen, dass wir für uns, die Unsern und allermänniglichs halben in alle Handlung und vermeint Abschied, so, wie vorberührt, in gemeldeten oder anderen Sachen wider Gott, sein heiliges Wort, unser aller Seelenheil und gut Gewissen, auch wider den vorigen angezogen Speierischen Reichsabschied vorgenommen, beschlossen und gemacht werden, nicht zustimmen noch willigen, sondern aus vorgesatzten und andern redlichen, gegründeten Ursachen für nichtig und unverbindlich halten, dass wir auch dawider unser Notdurft öffentlich ausgehen lassen und der Römischen Kaiserlichen Majestät, unserem allergnädigsten Herrn, in diesem Handel weiter gründlichen und wahrhaftigen Bericht tun, wie wir uns desselben gestern nach gegebenem vermeintem Abschied alsbald durch unser in
Das Appellationsinstrument vom 25. April 1529
der Eile getane Protestation, die wir auch hiermit wiederholen, öffentlich vernehmen lassen, und daneben erboten haben, dass wir uns nichtsdestoweniger bis zu dem gemeldeten allgemeinen, freien christlichen Konzil oder Nationalversammlung, mit göttlicher Hilfe vermöge und Inhalts des vielberührten vorigen Speierischen Reichsabschieds in unseren Obrigkeiten, auch bei und mit unsern Untertanen und Verwandten also halten, leben und regieren, wie wir das gegen dem allmächtigen Gott und Römischen Kaiserlichen Majestät, unserm allergnädigsten Herrn, als einem christlichen Kaiser, hoffen und getrauen zu verantworten. […] Wir behalten uns auch bevor, vielberührt unser Beschwerungen und Protestation ferner zu erweitern, und was sonst in dem allem unser weiterer Notdurft erfordert. […] Quellennachweis Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., Bd. 7, 2. Teilband, bearb. v. Johannes Kühn, photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1935, Berlin u. a. 1963, S. 1276 f; 1286 f. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
Nr. 176 Das Appellationsinstrument vom 25. April 1529 Auf der Schlusssitzung des Reichstags am 24. April wurde der Reichsabschied ohne Erwähnung der Protestation der evangelischen Fürsten verlesen. Sie verfassten daraufhin eine Appellation, in dem sie ihre Beschwerden gegen den Reichsabschied zusammenfassten. Und als wir dasselbe [den Inhalt der Schlusserklärung im Reichstagsabschied] gar nicht erwartet hatten und uns deshalb zu einer kurzen Unterredung miteinander zurückgezogen und gar nicht vermuteten, dass Königliche Durchleuchtigkeit mit den erwähnten Oratoren und Kommissaren nicht die kleine Weile verziehen und abwarten werde, damit wir ein kurzes Gespräch hätten halten und Ihrer Königlichen Durchleuchtigkeit und Liebden, auch Kurfürsten, Fürsten und Ständen unsere Notdurft vortragen können, sind doch Ihre Königliche Durchleuchtigkeit und die vielgenannten Oratoren und Kommissare – von uns unerwartet – aufgestanden und aus der Versammlung der Reichsstände vom Haus unversehens herabgezogen. Wiewohl wir auch Ihre Königliche Durchleuchtigkeit und Liebden aufs freundlichste durch einige Räte, die wir zu Ihrer Durchleuchtigkeit und Liebden geschickt hatten, haben bitten lassen, sich unbeschwert zu fühlen und neben den Kurfürsten, Fürsten und Ständen unsere Notdurft auf die verlesene Erklärung wiederum zu hören, hat es doch bei Ihrer Durchleuchtigkeit, auch dem Orator und Kommissaren nicht verfangen wollen, sondern den Unsern ist die Antwort gegeben worden, die Artikel wären beschlossen etc. Deshalb sind wir verursacht worden, wider den angeblichen Beschluss, der durch die obenerwähnten Stände kraft einer angemaßten und doch ganz undienlichen, unerheblichen und unverbindlichen Mehrheitsentschließung entstanden ist, und das, was durch die obengenannte, verlesene Meinung und Antwort der Königlichen Durchleuchtigkeit, auch der Oratoren und Kommissare darauf erfolgt ist, vor Kurfürsten, Fürsten und Ständen öffentlich zu protestieren und in Schriften zu übergeben […].
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Quellennachweis Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., Bd. 7, 2. Teilband, bearb. v. Johannes Kühn, photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1935, Berlin u. a. 1963, S. 1350,32–1351,13 (167). (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
4.5
Reichsritter
Der insgesamt unscharfe Begriff „Reichsritter“ bezeichnet Mitglieder des Deutschen Adels, die sich in einem reichsunmittelbaren, d. h. direkten Verhältnis zum Kaiser befanden. Aufgrund der starken territorialen Zersplitterung und geringen Besitzstände hatten sie auf den Reichstagen keine Stimme. Insgesamt war die mittelalterliche Ritterkultur vom Niedergang dieses Standes bedroht (vgl. Nr. 66–68). Daran änderte auch die dem Ritterideal nacheifernde Hofhaltung Kaiser Maximilians I., der sich als den letzten Ritter sah, nichts. Im Zuge der reformatorischen Auseinandersetzungen im Reich versuchten etliche Angehörige der Reichsritterschaft Kapital aus der Schwächung zahlreicher großer Reichsstände auf den Reichsversammlungen zu schlagen und erhofften sich eine Wiederherstellung ihrer alten Rechte. Literaturhinweis Volker Press: Adel im Alten Reich – gesammelte Vorträge und Aufsätze (FrühneuzeitForschungen 4), Tübingen 1998.
Nr. 177 Hartmut von Kronberg: Vermahnung an alle Stände und Gesandten Hartmut von Kronberg (vgl. Nr. 68) machte seit 1520 keinen Hehl aus seiner Neigung zur Reformation. Daran änderte auch seine Flucht nichts. Zunächst lebte er für mehrere Jahre in Basel und reiste von dort nach Schweinfurt und Wittenberg. Wohl während der Bauernunruhen weilte er in Sachsen und Böhmen. 1527 reiste er nach Madrid, um Kaiser Karl V. um die Aufhebung der Acht zu bitten. Das geschah allerdings erst 1532. Immer wieder trat er mit Flugschriften zugunsten der evangelischen Partei an die Öffentlichkeit. So auch in einer Schrift, die er an die zum Reichstag sich sammelnden Reichsstände richtete. Zuerst begehre ich, meine Schuld und Pflicht gegen Gott und den Nächsten zu bedenken, wie dies ein jeder rechter Christ schuldig ist, und vermahne hiermit einen jeden, von dem Untersten bis zu dem Obersten, Ihr möchtet bedenken die große Last des ganzen deutschen Landes, die wegen der göttlichen Wahrheit, des heiligen Evangeliums halber auf uns liegt; denn unwiderlegbar ist die Wahrheit, wo das heilige Evangelium (wie es bisher geschehen ist) von uns unterdrückt und unachtsam gehalten wird, so mag uns nicht helfen (der gräulichen,
Hartmut von Kronberg: Vermahnung an alle Stände und Gesandten
verheißenen Strafe Gottes zu entfliehen), dass einige von uns die Wahrheit annehmen und dem Evangelium einigermaßen beistehen, sondern, ich sage es frei und kann es mit Gottes Hilfe klar beweisen, wenn auf diesem Reichstag nichts getan würde, damit das heilige Evangelium unseres Erlösers durch unsere Oberen frei gelassen würde, dass demselben im ganzen deutschen Land Freiheit zum Predigen verschafft wird, so muss man die allergrausamste, sichere Strafe über das ganze deutsche Land befürchten. […] Und hiermit will ich einen jeden, der die Wahrheit durch die Gnade Gottes versteht, treulich ermahnt und gewarnt haben, dass er bei Verlust der ewigen Seligkeit dem Evangelium der göttlichen Wahrheit (mit Anrufen der göttlichen Gnade) mit seiner ganzen Kraft beistehen wolle und die Wahrheit wie einem wahren Christen zusteht – Zeugnis geben, denn es ist jetzt die Zeit zu reden. Wer aber aus Furcht vor Verlust zeitlicher Güter oder körperlicher Strafe und auch des Todes halber, die Wahrheit, die ihm aus der Gnade Gottes offenbart worden ist, zum Nachteil des Nächsten verschweigt, wenn er Gelegenheit hat zu reden, der würde von Gott hart gestraft werden, denn er tut seinen höchsten Pflichten nicht genüge, die er Gott und dem Nächsten schuldig ist. Wenn der Papst ein wahrhaftiger Christ ist, so wird er selbst erkennen, dass sein Papsttum und das römische geistliche Recht wider Gott und das heilige Evangelium sind, da ja doch dasselbige ich oder ein anderer schlechter deutscher Laie mit den klaren ausdrücklichen Worten des Evangeliums – als durch den Mund Gottes – beweisen kann; denn das päpstliche geistliche Recht ist in seinen höchsten Stücken eine laute, falsche Erdichtung des Teufels, wider Gott und sein heiliges Evangelium. Desgleichen ist jede Schatzung wegen des Ablasses und anderer Dinge halber und was an Geld aus deutschen Landen Rom zugefallen ist, aus lauterem teuflischen Betrug geschehen. Und wir sind nicht schuldig, einen Pfennig zu geben oder nach Rom kommen zu lassen. Wer anderes sagt oder glaubt, der irrt, er sei Papst, Kardinal, Bischof, Herr oder Knecht. Ich erbiete mich als ein schlechter Laie, klar vor allen Menschen aus dem klaren lauteren Evangelium zu beweisen, was man darlegen soll im guten Deutsch. Und wo sich das nicht klar findet, so soll man mich lebendig schinden und töten. Quellennachweis Die Schriften Hartmuths von Cronberg, hg. v. Eduard Kück, Halle an der Saale 1899 (Neudrucke deutscher Literaturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts, No. 154–157. Flugschriften der Reformationszeit XIV.), S. 95–100. Literaturhinweis Victor Thiessen: The Noble’s Reformation, Kingston 1998. Wolfgang Breul/Kurt Andermann (Hg.): Ritterschaft und Reformation. Tagung „Ritterschaft und Reformation“ (19.–21. März 2015), Stuttgart 2019.
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Nr. 178 Heinrich von Kettenbach: Vermahnung Junker Franz von Sickingens zu seinem Heer Über Heinrich von Kettenbach ist wenig bekannt. Er gehörte als Franziskaner 1507/08 zum Kloster Kaysersberg/Oberelsass. 1508–1510 lebte er bei seinem Orden in Mainz. Weitere Lebensstationen waren Heilbronn, Freiburg/Br. und Ulm. Dort predigte er reformatorisch und musste daraufhin im Sommer 1522 die Stadt verlassen. 1523 verteidigte er polemisch und pointiert Franz von Sickingen und Martin Luther. Daraus ist der nachfolgende Quellenabschnitt übernommen. Er bezog sich auf die Niederlage Franz von Sickingens 1522. 1524 befand sich Heinrich in München im Gefängnis und ist dort wohl auch gestorben. Er gehört zu den frühen, produktiven und anerkannten Autoren deutscher Flugschriften. Einige Reformschriften dürften auch auf den Einfluss Eberlin von Günzburgs rückschließen lassen, den er aus Ulm kannte.
Darum soll Gott allein die Ehre gegeben werden. Darum, o getreue Ritter Christi, allerliebste Mitbrüder, bittet Christus, unseren obersten Herrn und Hauptmann, daß er um seiner Ehre willen uns den Sieg gebe wider unsere Feinde und seine Feinde. Denn dieser Streit ist nicht angefangen, damit Franz von Sickingen, euer Mitbruder, reich werde an Land, Leuten und Geld, denn er hat ohnedies genug davon für einen Edelmann. Ja, Land, Leute, Geld, Gut, Ehre, Leib, Leben, Gunst, Huld, Freundschaft aller Welt will er wagen und daransetzen, damit die Ehre Gottes gesucht und geschützt wird, was am allermeisten geschieht, wenn man dem Worte Gottes anhangt, dabei bleibt und sich nicht abwenden läßt. Nun liegt es am Tag, wie uns Päpste und Bischöfe mit ihren Gesetzen und ihren Fündlein von dem Evangelium weggezogen und mit ihren Gesetzen gefangen haben. Sie machen aus uns, was sie wollen, verdammen rechte Christen, beschirmen die simonistischen Ketzer und viel Irrtum und verdammen auch das, was im Evangelium und bei Paulus klar geschrieben steht. So hat Leo X. einen Artikel des Glaubens verdammt: Ich glaube an die Vergebung der Sünden. Außerdem ist keiner von ihnen nach dem Evangelium Papst oder Bischof, das lehrt, daß sie sollen Diener sein, arm sein, das Evangelium predigen, den anderen ein gutes Beispiel geben usw. Sie sind wie die Fürsten der Heiden, wie weltliche Könige und Herren, und wollen auch über solche Fürsten und Könige sein. Das ist wider Christi Lehre. Darum sind sie wider Christus, das ist Diener des Endchristen, sie sind weltlicher als die weltlichen Fürsten und geben der ganzen Welt Ärgernis, so daß auch die Ungläubigen sprechen: „Unser Prälaten, Päpste und Bischöfe sind genauso wie die Hurenwirte. Sie nehmen Geld von den Huren der Pfaffen und verbieten den ehelichen Stand.“ Was Christus erlaubt hat, das verbieten sie, was Christus verboten hat, erlauben sie. Das ist alles gut antichristlich. Darum, meine frommen Mitbrüder, seht, daß ich streite für die Ehre Christi wider seine Feinde und Vertilger der evangelischen Wahrheit. Ich hatte geglaubt, die christlichen Fürsten würden mir helfen, sie ziehen sich aber zurück. Wohlan, Gott soll unser Helfer sein, von ihm kommt jeder Sieg. Will er, daß wir um seinetwillen sterben sollen, wie St. Mauritius mit seiner Gefolgschaft und viele andere mehr, so meint er es treu mit uns. Er wird uns einen guten Sold in seinem Reich geben, daran wir ewige Freude haben werden. Es muß doch gestorben sein. Wie könnten wir denn ehrenvoller sterben als um unseres Herren Evangeliums willen, für das alle Apostel, Märtyrer und Märtyrerinnen gestorben sind und mit freudigem Herzen alles Gut, Sinn, Ehre, Leib und Leben dieser Welt dahingegeben und
Der Reichstag von Augsburg 1530
verachtet haben? Wenn aber unser Herr uns den Sieg wider seinen und unseren Feind geben will, wie wir weiter hoffen sollten, so werden wir hier und dort guten Sold erlangen und Gottes Ehre und eure Ehre gemehrt und durch die Welt ausgebreitet werden. Damit aber uns Gott den Sieg gebe, wollen wir auf ihn hoffen und ihm vertrauen, ihn aber nicht versuchen. Quellennachweis Die Schriften Heinrichs von Kettenbach, hg. v. Otto Clemen, [Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation], Bd. 2, Nachdruck der Ausgabe Halle 1907–1911, Nieuwkoop 1967, S. 204,10–205,27. Wir folgen der Version in: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten. Mit einer Einleitung von Franz Lau, Düsseldorf 1967, S. 246 f. Literaturhinweis Paul Kalkoff, Die Prädikanten Rot-Locher, Eberlin und Kettenbach, in: ARG 25 (1928), S. 128–150. Gustav Kawerau: Hieronymus Emser: ein Lebensbild aus der Reformationsgeschichte, Halle 1898.
4.6
Der Reichstag von Augsburg 1530
Nach seiner Kaiserkrönung in Bologna durch Papst Clemens VII. (1478–1534) kehrte Karl V. 1530 nach Deutschland zurück. Neun Jahre hatte er an keinem Reichstag mehr teilgenommen. Bereits in seiner Instruktion und Einladung zu dem ursprünglich auf den 8. April und dann auf den 1. Mai terminierten Treffen der Reichsstände, formulierte er ein umfangreiches Programm zu Themen der kirchlichen Einheit im Reich mit einem Verzicht auf das Wormser Edikt und der Verteidigung gegen die vordrängenden osmanischen Heere. Erneut verzögerte sich das Zusammentreffen und Karl V. konnte den Reichstag erst am 20. Juni 1530 eröffnen. Im Vorfeld war es bereits zu erheblichen Spannungen zwischen den Konfessionsgruppen gekommen, da der Kaiser die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession verfügte und Predigtverbote aussprach. Von den in Speyer protestierenden Ständen forderte der Kaiser eine schlüssige Darlegung ihrer Position als Diskussionsgrundlage. Aufgrund einiger Vorbereitungen verfasste Philipp Melanchthon im Auftrag der kursächsischen Delegation die Confessio Augustana (CA), ein Dokument, das von dem Bemühen um Einigung geprägt war. Als Mitglied einer altgläubigen Theologenversammlung entgegnete Johannes Eck mit seiner Confutatio, mit der die Confessio Augustana widerlegt werden sollte. – Wegen der engen Verknüpfung der Religionsfrage mit dem Problem der Finanzierung der Türkenkriege zogen sich die Verhandlungen in die Länge und blieben letztlich erfolglos. Nach der Abreise der evangelischen Stände wurde das Wormser Edikt wieder in Kraft gesetzt. Aus Sorge vor einem Militärschlag
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gegen die Anhänger der Augsburgischen Konfession schlossen sich etliche von ihnen im Februar 1531 zu einem Verteidigungsbündnis, dem Schmalkaldischen Bund, zusammen. 1532 schloss Karl V. daraufhin mit den evangelischen Reichsständen den sogenannten Nürnberger Anstand mit dem Ziel ab, einen Waffenstillstand zwischen den Konfessionen bis zur Klärung der Religionsfrage durch ein allgemeines Konzil zu erreichen. – Martin Luther als Geächteter unter dem Bann konnte in Augsburg nicht dabei sein, wurde aber von Philipp Melanchthon durch Briefe und Boten regelmäßig unterrichtet. Im Nachhinein wurde das wechselseitige Vertrauensverhältnis durch einseitige Interpretationen des Briefwechsels als belastet und gar zerrüttet verstanden. Melanchthon war in der Tat zu größeren Zugeständnissen gegenüber den kurialen Theologen in Erwartung eines Konzils bereit, sah sich allerdings im Nachhinein getäuscht und vertrat die Wittenberger Linie Luthers ohne jegliche Abweichung. Literaturhinweis Leif Grane: Die Confessio Augustana. Einführung in die Hauptgedanken der lutherischen Reformation, Göttingen 1996. Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation, Frankfurt am Main 2009. Gunther Wenz: Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Berlin/ New York 1996. Armin Kohnle: Reichstag und Reformation, Gütersloh 2001, S. 381–394. Beate Kobler: Die Entstehung des negativen Melanchthonbildes, Tübingen 2014, S. 123–185.
Nr. 179 Ausschreiben des Kaisers zum Reichstag vom 21. Januar 1530 Die Einladung zum Reichstag in Worms war durchaus konziliant und friedfertig abgefasst. Dennoch lässt der Kaiser keinen Zweifel an seinen Interessen. Die Beratungen sind von der fortschreitenden Reformation in zahlreichen Reichsständen und Territorien einerseits und den Niederlagen gegen die Truppen des Osmanischen Reiches andererseits belastet. In seinem Ausschreiben an die Stände verband der Kaiser die Lösung der Religionsfrage mit der der Türkenhilfe. Zugleich befiehlt er im vorliegenden Dokument dem kursächsischen Fürsten unter Androhung von Nichtbeachtung seiner Anliegen das Erscheinen zum Reichstag.
So haben wir es als Römischer Kaiser und Haupt der Christenheit, so wir des heiligen Reichs und dessen Wohlfahrt gern und gnädiglich fördern und Schaden und Nachteil verhüten wollen, […] es für nützlich und gut erachtet, einen gemeinen Reichstag und Versammlung vorzunehmen und beschlossen, ihn auf den achten Tag des Monats April nächstkünftig in unserer heiligen Reichsstadt Augsburg zu halten. Zu welcher Zeit wir verhoffen, dass wir diese italische Sachen erörtern werden, also dass wir an solchem Tag persönlich besuchen können, wie wir uns das dann zutun endlich vorgenommen haben. Welchen tag wir also deiner
Proposition des Reichstages durch Karl V. vom 20. Juni 1530
Liebden hiermit verkünden von Römischer Kaiserlicher Macht befohlen und bei den Pflichten, damit du uns und dem Reiche verwandt bist, ernstlich gebietend, und wollen, dass du auf dem selben Tag zu Augsburg persönlich erscheinst. Und samt uns und anderen unsern und des heiligen Reichs Kurfursten, Fürsten und Ständen, welche wir gleicherweise beschrieben haben, vorzunehmen, zu beratschlagen, zu beschließen und zu vollziehen verhilfst: Wie zur Abwendung der sorglichen Last und Eindringen des Türken auf die Christenheit mit ernstlicher Rettung […] und beharrlichen Hilfe der Noturft nach auf vormals deshalb geübte Handlung stattliches Vornehmen beschehen. Weiterhin, wie der Irrung und dem Zwiespalt halben in dem heiligen Glauben und der christlichen Religion gehandelt und beschlossen werden kann und soll, und damit solches destobesser und heilsamer geschehen möge, die Zwietracht hinzulegen, Widerwillen zulassen, vergangene Irrsal unserem Seligmacher zuvergeben […]. Alle eines jeglichen Gutdünken: Urteil und Meinung zwischen uns selbst in Liebe und Gütigkeit zuhören, zu verstehen und zuerwägen, die zu einer einigen christlichen Wahrheit zu bringen und zu vergleichen. Alles abzutun, was zu beiden Teilen nicht recht aufgelegt oder gehandelt ist, durch uns alle ein einige und wahre Religion anzunehmen und zu halten und wie wir alle unter einem Christo sind und streiten, auch alle in einer Gemeinschaft, Kirche und Einigkeit zu leben. Quellennachweis Karl Eduard Förstemann: Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530. Bd. I, Halle 1833, S. 7 f. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
Nr. 180 Proposition des Reichstages durch Karl V. vom 20. Juni 1530 Anlässlich der verspäteten Eröffnung des Reichstages am 20. Juni 1530 ließ der Kaiser durch den Pfalzgrafen Friedrich eine Rede vortragen, aus der das Ziel der geplanten Beratungen klar hervorging: Zunächst und in erster Linie ging es um die dringend erforderliche Türkenhilfe. Die zur Verteidigung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zwingend gebotene Einmütigkeit sollte sodann auch durch eine Einigung in der Religionsfrage erreicht werden. Auch wenn die Eröffnungsrede insgesamt in konziliantem Ton gehalten war, ließ Karl V. keinen Zweifel daran, dass er die sich abzeichnende Religionsspaltung mit aller Macht verhindern wollte und sich selbst als Richter über die aufgeworfenen Fragen erhob. Weder mit der genannten Prioritätensetzung noch mit der Schiedsrichterrolle des Kaisers konnten sich die protestantischen Reichsstände für einverstanden erklären. Eine Konsenslösung war damit ausgeschlossen. So lagen alle Hoffnungen auf einem baldigen Konzil.
Dann ferner die Irrung und den Zwiespalt des heiligen Glaubens und der christlichen Religion belangend, haben Ihre kaiserl. Majestät alsbald nach empfangener Ihrer königlichen Krone und Annehmung Ihrer Regierung im Heiligen Reich mit beschwerlichem Gemüt vernommen, wie sich dieselbe Irrung und Zweiung an etlichen Orten im Reich deutscher Nation erhoben hat und eingewachsen ist. Deshalb kann Ihre Majestät als römischer Kaiser, Voigt und Beschirmer des christlichen Glaubens, der Religion und Kirche, Ihr Bedenken Ihres Amts auf dem ersten
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Reichstag zu Worms, denselben Beschwerden mit zeitlichem Einsehen begegnen, und bevor sie weiter einwurzelt, verhüten […] und also zur Ablehnung solcher Irrung und Zweiung mit Wissen, Rat, und Bewilligung der Kurfürsten, Fürsten und anderer gemeinen Stände ein offenes Edikt ausgehen lassen und allenthalben in das Reich verkünden […]. Aber unangesehen aller solcher gnädigsten, nothdürftigsten und wohlbedachten Handlung hat Ihre Majestät mit nicht kleiner Gemütsbeschwerung vernommen und gehört, wie seither auf mehreren Wegen der gedachten Handlung entgegen und zuwider gegangen, woraus nicht allein Verkleinerung und Verachtung Ihrer kaiserl. Majestät erfolgt ist, sondern auch ein Abfall von Gott, dem Allmächtigen und seiner Gebote und von der vorgesetzten und von Gott geordneten Oberkeit. Das dann alles den Ständen selbst zum Nachteil gereicht und nicht anders als zu Raub, Brand, Krieg und allem demjenigen, das Gott, dem Allmächtigen zum höchsten missfällt und seinem heiligen Glauben zuwider ist und auch sonst zu Verderben und Sterben hat kommen mögen, wie sich dann solches in deutscher Nation leider in mehr Wege erzeigt hat, insonderheit in dem nächstvergangenen gemeinen bäuerischen Aufruhr, auch mit den Widertäufern und anderem, das sich deshalb zugetragen hat und sich noch zeigen, zutragen und gereichen wird. Deshalb hat Ihre kaiserl. Majestät mit der angeregten großen Beschwerde Ihres Gemütes also befunden, dass solche Irrung und Zwiespalt je mehr und beschwerlicher zugenommen und gewachsen ist, und das die über derhalb vielfältige, emsige und fleißigste geübte Handlung hin und wider bisher nicht gelassen, noch verglichen hat werden wollen, Ihre Kaiserl. Majestät bedacht hat, das diese Irrung zuletzt nicht füglicher noch heilsamer, als durch Ihrer Majestät selbst Beisein abgelehnt und widerum in Einigkeit gebracht werden möchten, und darum aus angeborner Güte und Milde diesen Weg nach vermöge des Ausschreibens vorgenommen, der schlussendlichen Hoffnung, der soll bei allen Verständigen ein billiges Ansehen haben und viel dahin bewegen und leiten, dass alle Sachen wieder zum besten gekehret und gewendet werden, damit Ihre Majestät in Ihrem gnädigen Vornehmen verharren und bleiben, und ferner was allem Wesen zu Gute kommen mag vornehmen und vollziehen mag. Und ist Ihre Majestät demnach gnädiglich gewillt, diese Sache also vorzunehmen, zu beratschlagen und zu beschließen, was neben obenerwähnter Abwendung der gefährlichen Last und des Eindringens der erwähnten Türken in die Christenheit der genannten Irrung und Zwiespalt halber in dem heiligen Glauben und der christlichen Religion auch gehandelt und beschlossen werden kann und soll, ganz freundlich, gnädiglich und mit höchstem Fleiß und Ernst begehrend, Kurfürsten, Fürsten und die gemeinen Stände wollen in dem allen, soviel und wie das einem jeden zusteht, desgleichen sein und zur Förderung der Sache ein jeder gemäß dem genannten Ausschreiben Ihrer Majestät sein Urteil, Meinung und Ansicht über die genannte Irrung und den Zwiespalt, auch die Missbräuche, was die Geistlichen gegen die Weltlichen und herwieder die Weltlichen gegen die Geistlichen oder unter sich selbst oder durcheinander haben mögen, zu deutsch oder lateinisch in Schrift stellen und übergeben, damit diese Irrung und der Zwiespalt desto besser vernommen und erwogen, auch zu einem einmütigen christlichen Wesen desto schneller wieder gebracht und verglichen werden können. Quellennachweis Karl Eduard Förstemann: Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530. Bd. I, Halle 1833, S. 307–309 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
Spalatin: Der Augsburger Reichstag
Nr. 181 Spalatin: Der Augsburger Reichstag Obwohl seit 1528 als Superintendent von Altenburg tätig, begleitete der ehemalige kurfürstliche Rat, Georg Spalatin, den Kurfürsten Johann den Beständigen zum Augsburger Reichstag. Zu Spalatin vgl. Nr. 52.
Im Jahr nach Christi Geburt 1530, wie die Römische Kaiserliche Majestät Herr Karl, des Namens der fünfte, die kaiserliche Krone zu Bologna in Gegenwart und Beisein aller des Heiligen Römischen Reiches Kurfürsten usw. vom Papst Clemens dem siebenten empfangen hatte, an St. Matthias des heiligen Apostels Tag beschrieben seine kaiserliche Majestät einen kaiserlichen Reichstag gen Augsburg, den ersten Tag Mai daselbst einzukommen, mit diesen gnädigen Worten im Ausschreiben: die Religionssachen in Liebe und Güte zu handeln, dessen sich die evangelische Kur und Fürsten, auch Stände und Städte hoch erfreueten. [Also machten sich] Herzog Johann, auch zu Sachsen Kurfürst, hochlöblicher und seliger Gedächtnis, auf, zusamt Ihrem Sohn, Herzog Johann Friedrich, nach ihm regierender Kurfürst, und Herzog Franciscus von Lüneburg und Braunschweig, sodass Ihre Kur- und Fürstliche Gnaden am ersten Tag Mai zu Augsburg als die getreuen, gehorsamen Kur- und Fürsten, wie sie beschrieben, eingekommen; der von Mainz aber, und andere kamen viel langsamer. Etliche, und sonderlich Herzog Georg zu Sachsen zogen der Kaiserl. Majestät entgegen bis gen Innsbruck, und wurden nur viel Praktiken gemacht, wie man den armen Christum und sein liebes Wort mochte und wollt angreifen, damit man seiner loswerden könnte. Kaiserl. Majestät kam auch nicht eher gen Augsburg, denn auf den Abend vor Fronleichnam samt seinem Bruder, König Ferdinand, ganz spät. Da hob sich die Finstermette mit Christo bald an. Denn wie sichs verzog bis unter Lichte, ehe Kaiserl. Majestät aus dem Domstift in die Pfalz oder in den bischöflichen Hof in ihre Herberge kam, hatte man den evangelischen Kur- und Fürsten sowohl, als den andern lassen anmuten, des folgenden Tags bei Kaiserl. Majestät auf den Dienst zur Fronleichnamsprozession zu warten. Dessen sich die evangelischen Kur- und Fürsten alsbald beschwert hätten. Nachdem sich aber die Handlung bis um elf Uhr in die Nacht verzog, ehe die Kur- und Fürsten zu Hofe zu Tisch ließen blasen, zogen die evangelischen Kur- und Fürsten des folgenden morgens zu fernerer Handlung an den kaiserlichen Hof, und wurde soviel verhandelt, dass die evangelischen Kur- und Fürsten nicht zur unchristlichen Prozession kamen, sondern blieben in ihrer Herberge und ließen Kaiserl. Majestät samt den andern Kur- und Fürsten, Erzbischöfen und Bischöfen einen guten Mut mit ihrer Prozession haben, mit welcher sie fast erst um zwölf Uhr ausgingen. Denn dieweil dieselbige Prozession keinen Grund aus Gottes Wort hat, und abgöttisch ist, so wussten sich die evangelischen Kur- und Fürsten darin [einig], Gott und dem heiligen Evangelium zur Unehre keineswegs zu begeben. Bald den Sonnabend danach ließen Kaiserl. Majestät öffentlich, neben ihrem Trompeter einen ausschreien, dass kein Teil sollte zu Augsburg predigen, denn die verordneten Prediger daselbst, womit den evangelischen Predigern das Amt gelegt und verboten war, und doch vom Gegenteil nicht gehalten ward, da auf ihrer Seiten wohl etliche fremde unbestallte Prediger ungeschickt und unchristlich genug, auch ohne allen Grund Gottes Worts und Trost predigten, das musste doch alles gut und recht sein. Kaiserl. Majestät Vortragen, montags nach Fronleichnam an die Kurfürsten, Fürsten und Stände geschehen, ist auf drei Artikeln gestanden. Zum ersten auf der beharrlichen Hilfe wider die Türken; zum andern eine Einigkeit des Glaubens zu machen, und dass ein jeder Teil seine Beschwerung soll schriftlich zu Latein und Deutsch einbringen, die weltlichen wider die
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geistlichen, und die geistlichen wider die weltlichen; zum dritten andere Sachen, das Reich belangend. Sonnabends, nach Johannis, des heiligen Täufers, ist auf diesem Reichstag zu Augsburg der allergrößten Werke eins geschehen, das je auf Erden geschehen. Denn desselbigen Tages nachmittag hat mein gnädigster Herr, der Kurfürst zu Sachsen, Herzog Hans, Markgraf Georg von Brandenburg, Herzog Johann Friedrich zu Sachsen, Herzog Ernst von Braunschweig und Lüneburg, Landgraf Philipp zu Hessen, Herzog Franz zu Braunschweig und Lüneburg, Fürst Wolfgang zu Anhalt, und die zwei Städte Nürnberg und Reutlingen, ihres Glaubens und der ganzen christlichen Lehre, die sie in ihren Fürstentümern, Landen und Städten predigen lassen, Bekenntnis öffentlich lassen deutsch vorlesen, mit christlichem, feinem, tröstlichem Gemüt und Herzen, von Artikel zu Artikel, nicht allein vor allen Kurfürsten, Fürsten, Ständen, Bischöfen, Räten, so vorhanden, sondern auch vor Röm. Kaiserl. Majestät selbst und ihrem Bruder, König Ferdinand. Und es hat gelesen der Herr Kanzler, Doktor Christian Bayer, und hats sehr wohl gelesen, und so laut und deutlich, dass mans nicht allein in dem Saal gehört hat, sondern auch unten auf der Pfalz, das ist in des Bischofs von Augsburg Hof, da Kaiserl. Majestät zur Herberge liegt. Nun ist dasselbige Bekenntnis deutsch und lateinisch gestellt gewesen, ist aber der Kürze halber damals nur deutsch gelesen worden. Und das Bekenntnis ist gewisslich, in lateinisch und deutsch, mit göttlicher Schrift im Grund und mit solchem Glimpf gefasst gewesen, dass dergleichen Bekenntnis nicht allein in tausend Jahren, sondern dieweil die Welt gestanden, nie geschehen ist. Man findet auch in keiner Historie noch bei keinem alten Lehrer oder Doktor dergleichen. Denn zum ersten standen alle Artikel des Glaubens, daneben auch was man lehret, predigt und hält, erstlich von der heiligen göttlichen Dreifaltigkeit, von Gottvater, Sohn und Heiligem Geist; wie man fromm und rechtfertig vor Gott werde; wie alle Menschen in der Erbsünde geboren werden; was Erbsünde sei; wie man Gottes Gnade erlange; wie zur Rechtfertigung die Predigt vonnöten sei; wie der Glaube gute Früchte und Werke bringen müsse; was die allgemeine christliche Kirche sei; dass die Sakramente, auch durch böse Priester gereicht, wirksam sind; von der Taufe gegen die Wiedertäufer; von dem hochwürdigen Sakrament des wahren Leichnams und Blutes Christi, im Sakrament des Altars; von der Buße; dass die Sakramente solche tröstlichen Wahrzeichen sind, dass wir dadurch versichert und gewiss werden, dass uns Gott um Christi willen, gnädig, gütig und barmherzig sei und zeitlich und ewig Gutes tun will; von Kirchendienern; von Zeremonien, dass man um des Friedens willen behalten soll, was man ohne Sünde behalten kann, und nicht dadurch selig zu werden [trachte]; von weltlichen Gesetzen und Ordnungen; dass Christus am Jüngsten Tag kommen werde, zu richten die Lebendigen und die Toten, den Gläubigen das ewige Leben und Freude zu geben und die Teufel und Gottlosen zu verdammen; vom freien Willen, dass wir einen freien Willen haben, äußerlich fromm zu sein, aber nicht vor Gott; dass die Sünde aus dem verkehrten Willen der Teufel und der bösen Leute verursacht wird; vom Glauben und guten Werken; dass der rechte Glaube sei, dass man sich herzlich alles Gute, Gnade und Hilfe zu Gott, um Christus willen, versieht und dass der Glaube nicht ohne gute Werke sei, die Gott geboten hat; und vom Heiligendienst, dass man auch alles Gute von Gott erwarten soll, wie es die Heiligen getan haben, und dass man ihrem Glauben folgen soll und der Liebe, aber nur allein Gott anrufen. Danach folgten die strittigen Artikel: wie von beiderlei Gestalt, warum sie bei uns jedermann gereicht wird; von der Messe, wie die bei uns gehalten wird und aus welcher Ursache die Winkelmesse bei uns gefallen ist; von der Priester, Mönche und Nonnen Ehe; von den Klostergelübden; von dem Unterschied der Speisen; von der Beichte und von der Gewalt der Bischöfe und dem Unterschied des geistlichen und weltlichen Schwertes. […]
Clemens Sender: Bericht über Verlesung der Confessio Augustana und die Beratungen der Fürsten
Quellennachweis Georgii Spalatini Annales Reformationis Oder Jahr-Bücher von der Reformation Lvtheri, hg. v. Ernst Salomon Cyprian, Leipzig 1718, S. 131–137 (Sprachliche Anpassungen vorgenommen). Literaturhinweis Martin Burkert/Karl-Heinz Röhlin: Georg Spalatin: Luthers Freund und Schutz, Leipzig 2015. Martin Burkert: Georg Burckhardt genannt Spalatin: seine Zeit und sein Leben mit Bezügen zur Gegenwart, Spalt 2013. Bernhard Lohse/Otto Hermann Pesch (Hg.): Das „Augsburger Bekenntnis“ von 1530: damals und heute, München 1980. Wolfgang Bartholomae: Einführung in das Augsburger Bekenntnis: Betrachtungen für die Gemeinde, Göttingen 1980. Lutz Mohaupt (Hg.): Wir glauben und bekennen: Zugänge zum Augsburger Bekenntnis, Göttingen 1980. Leif Grane: Die Confessio Augustana: Einführung in den Hauptgedanken der lutherischen Reformation, Göttingen 3 1986. Peter Meinhold: Kirche und Bekenntnis: historische und theologische Aspekte zur Frage der gegenseitigen Anerkennung der lutherischen und der katholischen Kirche auf der Grundlage der Confessio Augustana (Institut für Europäische Geschichte Mainz), Wiesbaden 1980.
Nr. 182 Clemens Sender: Bericht über Verlesung der Confessio Augustana und die Beratungen der Fürsten Zahlreiche Berichte liegen von den Schreibern der Reichsstände vor. Hier wird die Chronik von Clemens Sender (1475–1537) zitiert. Der Benediktiner aus dem Stift St. Ulrich und St. Afra verfasste in den letzten Jahren seines Lebens eine Augsburger Stadtchronik in deutscher Sprache von den Anfängen der Stadt bis zum Jahr 1536. In ihr positionierte sich der Geistliche im altgläubigen Sinn und charakterisierte die Reformation als Übel. Und am Samstag danach [25. Juni] ließ der Kaiser den Ständen ansagen, daß die Kur- und Fürsten und anderen Reichsstände zu ein Uhr nachmittags bei Ihrer Majestät auf der Pfalz sein sollten. Also versammelten sich alle Fürsten, geistliche und weltliche, und der Kaiser kam auch herab in die untere große Stube auf der Pfalz, und der Kaiser und Ihrer Majestät Bruder Ferdinand samt Kur- und Fürsten setzten sich nieder und der Kurfürst von Sachsen mit den obengenannten Fürsten, Grafen, Herren, Städten und Ständen usw. […] Darauf hob der Kanzler des Kurfürsten von Sachsen480 an zu lesen, das währte bei drei Stunden. Und er las laut und so ganz wohl, daß es ein Wunder war. Danach wurde die Schrift, deutsch und lateinisch, dem Kaiser übergeben. Und nach diesem Verlesen und Übergeben der Schrift
480 Christian Beyer (1482–1535) war Jurist, Professor, Bürgermeister von Wittenberg und kurfürstlicher Kanzler.
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stand der Kaiser, die Kur- und Fürsten alle auf und hielten Rat. Und das war der Abschied: die Kaiserliche Majestät hätte das Verlesen der Schrift gehört, und Ihre Majestät wolle zu Ihrer Majestät Gelegenheit Rat haben und weiter darinnen handeln. Wenige Tage danach übergab der Kaiser den Kur- und Fürsten die verlesene Schrift des Kurfürsten von Sachsen samt seiner Verbündeten mit dem Befehl, daß sie darüber beratschlagen sollten. Also setzten dieselben Kur- und Fürsten endlich viele Gelehrte ein, übergaben ihnen die Schrift, und es wurde ihnen dabei befohlen, darüber zu beraten und anzuzeigen, was darin zu tun und zu lassen sein möchte. Unter denselben Gelehrten wurden Doktor Hans Faber und Doktor Eck von Ingolstadt samt anderen mehr an die erste Stelle gesetzt, die alle dafür gehalten wurden, daß sie die allergrößten Feinde wider das wären, was die evangelische Meinung genannt wurde. Als nun dieselben Gelehrten, die von den genannten Evangelischen päpstisch genannt wurden, in ihren Rat kamen und die Schrift wieder vornahmen und die Artikel wieder gelesen wurden und davon reden wollten, da wurden einmal der Kurfürsten Räte – nicht am wenigsten unter den geistlichen – am ersten gefragt, die sagten, daß sie wider die Schrift und Artikel des Kurfürsten von Sachsen und seiner Verbündeten nichts zu reden oder zu machen wüßten, denn sie hielten sie für die echte Wahrheit. So wurden dieselben Räte hinausgesetzt, und sie wollten sie weiter nicht bei sich leiden. Quellennachweis Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert. Bd. 25: Die Chroniken der schwäbischen Städte: Augsburg. Nachdruck der 1. Auflage Leipzig 1896, Göttingen 2 1966, S. 375–377.
Nr. 183 Valentin von Teutleben: Protokoll zur Widerlegung der Confessio Augustana Nach der Verlesung der Augsburgischen Konfession durch den sächsischen Kanzler berief Karl V. 20 romtreue Theologen in eine Kommission, welche auf das evangelische Bekenntnis antworten sollten. Maßgeblich war daran Johannes Eck aus Ingolstadt beteiligt. Nach einigen Revisionen konnte das Schriftstück am 3. August 1530 auf dem Reichstag verlesen werden. Die Kommission wies insbesondere die Passagen zu den guten Werken, zur Kirche und zur Heiligenverehrung zurück. Die Theologen forderten die Rückkehr zur römischen Lehre, stimmten jedoch ausdrücklich in zahlreichen Artikeln den Formulierungen der Confessio Augustana zu. Eine Abschrift des Dokuments wurde den Evangelischen Ständen nicht ausgehändigt. Auch die nochmalige Erwiderung Philipp Melanchthons, die Apologia Confessionis, durfte nicht mehr verlesen werden und gelangte so auch nicht in die Dokumentation des Reichstags. Der nachfolgende Protokollauszug stammt von Valentin von Teutleben (auch Tet(e)leben – † 1551), der seit 1537 als Bischof von Hildesheim fungierte. Bereits vorher hatte er Ämter als Dompropst in Frankfurt sowie Domherr in Mainz, Magdeburg und Hildesheim inne. Er gab in Frankfurt eine Chronik des Reichstages heraus. Teutleben gehörte seit 1541 zu einer Reformgruppe in Mainz, die Vorschläge im Auftrag des Kurfürsten und Erzbischofs erarbeiten sollte.
Bitte der lutherischen Fürsten um Abschrift der Confutatio
Am 1. August 1530 in der Versammlung aller katholischen Fürsten unter dem Vorsitz Kaiserlicher Majestät wurden wiederum die Artikel des Glaubens und des Bekenntnisses von jenen und die theologischen Antworten von diesen verlesen. Denn Kaiserliche Majestät hat die Artikel und Antworten, die den lutherischen Kurfürsten und Fürsten zu geben sind, wiederum durchsehen, besser aufstellen und das Übrige, das nicht vonnöten ist, hinaustun und auslassen lassen. Und Kaiserliche Majestät hat dieselben Artikel wieder vor allen christlichen Fürsten lesen lassen, die die Artikel bedacht und danach sich entschlossen haben: Nachdem die Antwort der Kaiserlichen Majestät auf die Artikel der lutherischen Fürsten als ein Dekret und eine Bestimmung aufgestellt ist, bei der es endlich bleiben soll, und doch in dem letzten milder gestellt ist, in dem der Kaiser sie an ihre Pflicht und Eide gemahnt, damit sie dem Reich und Seiner Kaiserlichen Majestät verpflichtet sind, von demselben abzustehen, was Ihre Majestät in Gnaden anerkennen wollte, so dünkt es den Kurfürsten und Fürsten gut, daß Kaiserliche Majestät die Artikel nicht per modum decreti aut determinationis [= auf die Art des Dekretes oder der Bestimmung], sondern per modum consultacionis [= auf die Art der Beratung] stellen lassen wolle, auf der durch Kaiserliche Majestät mit den Lutherischen zu verhandeln wäre. Denn wenn es als determinative und decretive [= Bestimmung und Dekret] jetzt gestaltet würde, wären Kaiserlicher Majestät und auch den Kurfürsten und Fürsten, die christlich sind, alle gütlichen Verhandlungen mit den lutherischen Fürsten genommen. Quellennachweis Valentin von Tetleben: Protokoll des Augsburger Reichstages 1530, hg. und eingeleitet von Herbert Grundmann, Göttingen 1958, S. 97 f. Literaturhinweis Herbert Immenkötter: Um die Einheit im Glauben. Die Unionsverhandlungen des Augsburger Reichstages, Münster 1974. Erwin Iserloh (Hg.): Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche, Münster 1981.
Nr. 184 Bitte der lutherischen Fürsten um Abschrift der Confutatio Für das weitere Vorgehen hatten der Kaiser und die ihm loyalen Stände bereits Anfang Juli 1530 ein Verfahren festgelegt, wonach der Kaiser Delegierte zu benennen hätte, welche mit den protestantischen Fürsten und ihren Vertretern Gespräche aufnehmen sollten. Dabei wollte man die strittigen Punkte klären. Dieses Vorhaben scheiterte allerdings bereits daran, dass den evangelischen Ständen die katholische Antwort der Confutatio nicht vorlag und ihnen eine Abschrift nicht ausgehändigt wurde. (siehe Nr. 185) Am 4. August sind auf Befehl Kaiserlicher Majestät alle christlichen Kurfürsten und Fürsten und andere Stände auf das Rathaus zusammengerufen worden, um zu beratschlagen und zu verhandeln, ob man auf die Bitte der lutherischen Kurfürsten und Fürsten hin ihnen die Abschrift der gegebenen Antwort zustellen soll oder nicht. Darauf ist die Meinung der Kurfürsten in ihrem Rat gewesen, man soll ihnen die Abschrift aus billigen Gründen zustellen und geben und besonders, wenn das nicht geschähe, würden sie sich beklagen, sie wären entsprechend
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des kaiserlichen Ausschreibens zu diesem Reichstag nicht genügend gehört worden und vieles andere. Aber die Fürsten – geistliche und weltliche – sind in ihrem Rat der Meinung gewesen, man solle ihnen von der Schrift und gegebenen Antwort keine Abschrift zustellen, weil sie dann darauf antworten wollten und Kaiserliche Majestät dann wiederum antworten müßte, darauf werden sie wiederum antworten wollen und also wird es transitus usque in infinitum [= endloses Hin und Her]. Außerdem werden sie auch die Antwort Kaiserlicher Majestät drucken lassen und den gemeinen Haufen an sich ziehen, gleichsam als wäre auf ihre Bekenntnisse nicht genugsam geantwortet, und es werde viel Böses daraus entstehen. Und es haben sich die Kurfürsten und Fürsten nicht vergleichen können und Kaiserlicher Majestät beide Ansichten vorgetragen, daraus zu erwählen, diejenige, welche Ihrer Majestät gefalle. Quellennachweis Valentin von Tetleben: Protokoll des Augsburger Reichstages 1530, hg. und eingeleitet von Herbert Grundmann, Göttingen 1958, S. 100.
Nr. 185 Antwort Kaiser Karls V. auf das Begehren der evangelischen Fürsten Die am 3. August 1530 für die Protestanten überraschend verlesene Widerlegung der Augsburgischen Konfession, die sog. Confutatio, wollten die evangelischen Verhandlungspartner gern schriftlich zur Bearbeitung erhalten. Die Widerlegung war unter maßgeblicher Beteiligung Johann Ecks in Verbindung mit weiteren Vertretern der kaiserlich-römischen Position entstanden. Die evangelischen Stände hielten es für billig, nun ihrerseits eine Abschrift zur gründlichen Vorbereitung der Gespräche zu erhalten, Ihre Bitte um ein Exemplar (siehe Nr. 184) wurde jedoch abschlägig von Seiten des Kaisers beschieden. Dies wohl auch aus Sorge, dass der weitere Austausch von Schriften den Streit übermäßig in die Länge ziehen würde. Dennoch konnte die kaiserliche Partei nicht verhindern, dass Philipp Melanchthon 1531 eine Apologia Confessionis, eine Verteidigung des Augsburgischen Bekenntnisses, verfasste und in ihr ausführlich die kritischen Streitpunkte behandelte.
Römische kaiserliche Majestät unserer allergnädigster Herr haben auf Bitte des Kurfürsten von Sachsen und anderen Fürsten und zweier Städte Bitte und Begehr, Ihnen die verlesene Kaiserl. Schrift zu übergeben, wie denn solches mündlich und weiter von Ihretwegen vorgetragen worden ist, entschlossen, nämlich also: Damit bei männiglich gespürt werde, dass Kaiserl. Majestät gnädiges Gemüt und Meinung nicht anders stehe, als sich dem Ausschreiben nach gnädiglich und aller Gebür nach zu halten, so wollt ihre Kaiserl. Majestät ihnen die Schrift zustellen lassen. Doch dergestalt, dass sich Ihre Majestät mit Verbeantwortung sich mit ihnen kein weitere Schrift einlassen will, denn die Sachen sind nahezu in allen Teilen dem Ausschreiben genugsamlich eingführt. Und es ist der Kaiserl. Majestät gnädiges Begehren, dass sie sich mit ihrer Kaiserl. Majestät und derselbigen Kurfürsten, Fürsten und Ständen vereinigen und vergleichen, wie solches der Beschluss der vorgelesenen ihrer Schrift beinhaltet und vermag. Kaiserl. Majestät Meinung ist auch, dass sie bei der Verwandtnis, damit sie ihrer Majestät zuge-
Diskussion um Abschrift der Confutatio
tan, gemeldete noch andere ihre Schrift nicht drucken, noch aus ihren Händen kommen lassen oder geben. Das will sich ihre Kaiserl. Majestät gänzlich zu ihnen versehen. Das haben ihre Kaiserl. Majestät ihnen auf ihr Begehren und Bitte gnädiger Meinung nicht vorenthalten wollen. Quellennachweis Karl Eduard Förstemann: Urkundenbuch zur Geschichte des Reichtages von Augsburg im Jahre 1530. Bd. II, Halle 1835, S. 179 f. (Sprachliche Anpassungen vorgenommen).
Nr. 186 Diskussion um Abschrift der Confutatio „Die Stunde der ständischen Vermittlung schlug“481 bereits am 6. August, als sich ein Ausschuss altgläubiger Stände unter Kurfürst Joachim von Brandenburg konstituierte. Sie wollten auf der Grundlage der Beschwerden der Nationen verhandeln, da ein Vergleich auf Basis der Confutatio ausgeschlossen war. Am 9. August wiesen die evangelischen Stände ein diesbezügliches Angebot zurück:
Darauf haben die fünf lutherischen Kurfürsten und Fürsten Kaiserlicher Majestät für die Zustellung der Schrift wieder Dank gesagt und daß sie auf dieselbe nach ihrem Bedürfnis Antwort geben möchten, und sie wollen sich untadlig halten, indem sie die Schrift nicht zum Druck kommen zu lassen oder sonst von sich kommen zu lassen. Darauf hat Kaiserliche Majestät wieder Antwort geben lassen, daß Ihre Majestät ihnen die Schrift nicht zustellen wollte, es wäre denn, daß sie zuvor Ihrer Majestät klar zusagten, daß sie dieselbe nicht drucken oder sonst von sich kommen lassen wollten, denn das Wort „untadlig“ [im Original: „unforwislich“] wäre weder zu- noch abgesagt. Darauf nehmen sie, die lutherischen, wieder eine Bedenkzeit und gaben die Antwort wie zuvor, sie wollten sich untadlig halten, was der Kaiser hat nicht annehmen wollen. Er wollte eine starke Antwort haben, ja oder nein, die sie nicht haben geben wollen. Und sie haben darauf um eine Bedenkzeit bis morgen gebeten, denn es [war] ganz spät am Abend. Diese Bedenkzeit hat Kaiserliche Majestät abgeschlagen und haben wollen, daß sie sich gleich entscheiden sollten. Also sind sie darauf abgetreten und nach langem Bedenken wiedergekommen und haben gesagt, daß sie ihrethalben, die Kurfürsten, Fürsten und Städte, kein Bedenken hätten zuzusagen, die Schrift nicht drucken oder sonst von sich kommen zu lassen. Aber da die Schrift sonst möchte durch andere gedruckt werden und ihnen das dann angerechnet werden sollte, wäre es ganz beschwerlich, nachdem Ihre Majestät sie an ihre Verpflichtungen hätte ermahnen lassen. Und derhalben könnten sie Ihrer Majestät nicht zusagen, daß die Schrift nicht in Druck kommen, sollte […]. Darauf ließ Kaiserliche Majestät wieder sagen, Ihre Majestät lasse die Sache bei der vorher gegebenen Antwort; da sie das nicht zusagen wollten, so wollte Ihre Majestät ihnen auch keine Abschrift geben. Quellennachweis Valentin von Tetleben: Protokoll des Augsburger Reichstages 1530, hg. und eingeleitet von Herbert Grundmann, Göttingen 1958, S. 101 f.
481 Armin Kohnle: Reichstag und Reformation, Gütersloh 2001, S. 384.
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Literaturhinweis Erwin Iserloh (Hg.): Confessio Augustana und Confutatio: der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche. Internationales Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum in Augsburg vom 3.–7. September 1979, Münster/Westfalen 1980.
Nr. 187 Flucht des Landgrafen von Hessen aus Augsburg Über die Gründe des vorzeitigen Aufbruchs Philipps von Hessen vom Augsburger Reichstag ist intensiv spekuliert worden. Es scheint, als habe er bereits im Juni seine Frau gebeten, ihn durch Briefe dringlichst um die Heimreise zu bitten. Über die Gründe dafür lässt sich auch aus den erhaltenen Dokumenten kaum etwas erfahren. Es spielen allerdings gleichermaßen politische wie konfessionsstrategische Überlegungen eine Rolle. Danach, auf Samstag, den 6. August, schickt der Landgraf von Hessen zu dem Kaiser und ließ ihm sagen, seine Gemahlin wäre krank, außerdem stünden ihm in seinem Land allerlei Sachen zu, so daß sein dringendes Bedürfnis erfordere, nach Hause zu reiten, er ließ Ihre Kaiserliche Majestät ganz untertänig um eine Erlaubnis bitten. Darauf ließ ihm Kaiserliche Majestät sagen, er solle nicht hinwegreiten, sondern den Abschied abwarten. Darauf schickte der Landgraf seine Räte wieder zu dem Kaiser. Und während seine Räte bei dem Kaiser waren, machte sich der Landgraf von Hessen auf mit ganz wenigen Pferden und ritt heimlich hinweg. Wie nun der Kaiser dieses innen ward, da ließ er in der Nacht seinen Landsknechten ansagen, daß sie die auf der Wacht und sonst überall einer den anderen aufwecke und zusammenkämen, und es entstand also gleich ein stilles Lärmen. Desgleichen ließ der Kaiser den burgundischen Reitern, von denen hier viele lagen, auch ansagen, die bliesen um zwei Uhr in der Nacht in der oberen Stadt eilends wach. Die waren auch in der Rüstung. Und sonst des Kaisers und Königs Ferdinand Volk war auch alles in der Rüstung, daneben auch einiger anderer Fürsten Volk. […] Sie schickten auch einige Landsknechte, die mußten auf die Tore in den Turm und sehen, ob keine Reiterei vorhanden wäre. So wurde auch Heilig Kreuz und Unser Frauen Tor und Turm besetzt. Der Kaiser schickte auch zu dem Einlaß und ließ daselbst ernstlich befehlen, daß man niemand hinauslassen sollte, es käme, wer da wolle, Fürsten oder andere. Quellennachweis Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert. Bd. 25: Die Chroniken der schwäbischen Städte: Augsburg. Nachdruck der 1. Auflage Leipzig 1896. Göttingen 2 1966, S. 385 f. Literaturhinweis Herbert Grundmann: Philipp von Hessen auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, Gütersloh 1959. Gury Schneider-Ludorff: Der fürstliche Reformator. Theologische Aspekte im Wirken Philipps von Hessen von der Homberger Synode bis zum Interim, Leipzig 2006.
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Ausklang
Infolge der Entwicklungen zwischen 1521 und 1530 wurde die praktische Durchführung der Reformation zunehmend zu einer politischen Angelegenheit und von säkularen Obrigkeiten verantwortet. Den Reformatoren fiel die Rolle von Beratern und Impulsgebern gleichsam aus der zweiten Reihe zu. Während Melanchthon als Diplomat, Gelehrter und Vertreter der kursächsischen Position in Europa nachhaltig rezipiert wurde, beschränkte sich Luthers Wirksamkeit auf seine Lehrtätigkeit, seine Schriften und einen umfangreichen Briefwechsel. In die Gebiete außerhalb Sachsens wurden die lutherischen Überlegungen vor allem durch seine und Melanchthons Schüler aus Wittenberg getragen. Die kursächsische Landesuniversität entwickelte sich zu einer „Drehscheibe“ reformatorischen Gedankenguts und gut ausgebildeter Theologen, die im Reich und an dessen Grenzen erfolgreich wirkten.482 Seit dem Ende der Zwanzigerjahre hatte Luther jedoch erheblich unter gesundheitlichen Problemen zu leiden. Die Enttäuschung über die mangelnde Reformbereitschaft der römischen Kirche führte zu einem sich verstärkenden apokalyptischen Wirklichkeitsverständnis in enger Verbindung mit der Erwartung des nahenden Endes der Welt. Die fortschreitende Aufspaltung der reformatorischen Bewegung gab Anlass zu weiteren Konflikten, auf die Luther oftmals hart und unbarmherzig reagierte. In dieser Stimmung sind auch die harschen Anti-Judenschriften und seine gewaltverherrlichenden Äußerungen gegen „die Türken“ und Andersdenkende zu deuten. Literaturhinweis Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers 1526–1546. Festausgabe zu seinem 500. Geburtstag. 2 Bände, Berlin 2 1985. Hans-Joachim Neumann: Luthers Leiden. Die Krankheitsgeschichte des Reformators, Berlin 1995. Thomas Kaufmann: Luthers Juden, Stuttgart 2 2015. Ders.: „Türckenbüchlein“. Zur christlichen Wahrnehmung „türkischer Religion“ in Spätmittelalter und Reformation, Göttingen 2008. Christopher Spehr: Luther und das Konzil. Zur Entwicklung eines zentralen Themas der Reformationszeit, Tübingen 2010. Rolf Decot: Luthers Reformation zwischen Theologie und Reichspolitik, hg. v. Hans Josef Schmitz, Frankfurt am Main 2007, S. 147–190.
482 Vgl. dazu jetzt Daniel Bohnert/Markus Wriedt: Theologiae Alumni Vitebergenses. Die graduierten Absolventen der Wittenberger Theologischen Fakultät (1502–1648), Leipzig 2020.
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Ausklang
Nr. 188 Justus Jonas und Michael Coelius: Luthers Lebensende Justus Jonas der Ältere wurde am 5. Juni 1493 in Nordhausen geboren und verstarb am 9. Oktober 1555 im südthüringischen Eisfeld. Er gehört zu den wirkmächtigen Vertretern der lutherischen Theologie und war an zahlreichen Vermittlungsmissionen der Wittenberger Reformation beteiligt. Als Befürworter der Priesterehe trat er wiederholt als Anwalt bei rechtlichen Angelegenheiten in Erscheinung. Zunächst durch seine Studien in humanistischer Gelehrsamkeit ausgebildet und als Lektor in der juristischen Fakultät beheimatet, wandte er sich der Theologie zu und kam 1520 nach Wittenberg. Dort wirkte er als Propst der Schlosskirche sowie als Professor der Theologie. Zudem arbeitete er an der Bibelübersetzung Luthers mit. Häufig wurde er als Berater und Organisator von Reformationsbestrebungen hinzugezogen und verband dabei theologische Kenntnis mit juristischem Geschick. Als seelsorgerlicher Begleiter stand er dem Reformator auch persönlich sehr nahe. Im Januar 1546 begleitete er den schon von Gebrechen des Alters gezeichneten Luther auf dessen Reise nach Mansfeld. Luther sollte dort vermittelnd tätig werden. Die Verhandlungen zogen sich über drei Wochen hin. Dabei erkrankte Luther schwer und starb am Montag, den 18. Februar in der Frühe. Jonas stellte den Tod Luthers fest und informierte den Kurfürsten, Nikolaus von Amsdorf und Johannes Bugenhagen. Am 19. Februar hielt er in Eisfeld eine Leichenpredigt und überführte Luthers Leichnam nach Wittenberg, wo er am 22. Februar unter der Kanzel der Schlosskirche beigesetzt wurde. Der folgende Ausschnitt stammt aus dem Bericht vom christlichen Abschied Luthers, verfasst von Justus Jonas und Michael Coelius. Am 23. Januar ist aus Erforderung der edeln und wohlgeborenen Grafen und Herren zu Mansfeld der ehrwürdige Herr Dr. Martinus Luther von Wittenberg ausgezogen und die erste Nacht zu Bitterfeld gelegen. Und ist aber die Erforderung D. Doctoris Martini von wohlgedachten Grafen aus der Ursache geschehen, daß sich zwischen Ihren Gnaden viele und große Irrungen und Gebrechen etliche Zeit her erhalten, daraus der Herrschaft Mansfeld allerlei Weiterung zu befahren gewesen. Derhalben die Grafen sämtlich D. Doctorem Martinum, als der aus Ihrer Gnaden Herrschaft, nämlich von Eisleben, gebürtig, gebeten haben, sich mit der Unterhandlung zu beladen und zu befleißigen, soviel als möglich die Sachen zu vertragen und zu vergleichen. Wiewohl aber D. Doctor Martinus sich in solche weltliche Händel einzulassen nicht gepflegt, sondern seines Berufs je und allerwegen mit Predigen, Lesen, Schreiben und anderem, wie männiglich bewußt, mit höchstem Fleiß gewartet, so hat er doch, seines Vaterlandes halben, damit dasselbige zur Einigkeit gebracht und des Weiteren die Grafen miteinander freundlich möchten versöhnet und vertragen werden, diese Reise nicht weigern noch abschlagen wollen, ob es ihm wohl solcher Zeit zu reisen und sich mit diesen Dingen zu beladen ganz ungelegen, auch beschwerlich und wider seinen Gebrauch gewesen. Deswegen ist er an dem Tage wie obsteht von Wittenberg im Namen des Allmächtigen nach Eisleben gereiset. Den 24. Januar ist er um elf Uhr vormittags zu Halle angekommen und bei Dr. Jonas zur Herberge gelegen. Den 25. – 27. Januar ist er zu Halle verblieben, durch Hochwasser verhindert,
Justus Jonas und Michael Coelius: Luthers Lebensende
und hat den 26. Tag, am Dienstag nach Conversionis Pauli, allda in unserer Lieben Frauen Kirchen gepredigt aus der Apostelgeschichte, von Pauli Bekehrung. Am Donnerstag den 28. ist er von Halle aus, über das Wasser, samt seinen drei Söhnen und Dr. Jonas, wahrlich etwas mit Gefahr, auf dem Kahn über das Wasser gefahren, dass er zu Dr. Jonas selbst sprach: „Lieber Dr. Jonas, wäre es nicht dem Teufel ein fein Wohlgefallen, wenn ich, Dr. Martinus, mit dreien Söhnen und Euch, in dem Wasser ersöffe?“ Darauf ist er weiter nach Eisleben gereist. Und nachdem er an der Grenze mit 113 Pferden empfangen worden war und vor Eisleben kam, wurde er sehr schwach im Wagen, also daß man sich seines Lebens versah. Doch als man ihn in der Herberge mit warmen Tüchern gerieben, aß und trank er am Abend, und war zufrieden und klagte nicht mehr. Aber zuvor auf dem Wagen, wie ihn die Krankheit anstieß, sagte er: „Das tut mir der Teufel allewege, wenn ich etwas Großes vorhabe und ausrichten soll, daß er mich zuvor also versucht und mit einer solchen Tentation angreift.“ Vom 29. Januar an bis auf den 17. Februar ist er zu Eisleben gewesen in der Verhandlung, daneben hat er vier Predigten getan, einmal öffentlich vom Priester (so an dem Altar die Kommunion gehalten) die Absolution empfangen, und zweimal kommuniziert, und bei der andern Kommunion, nämlich Sonntags am Tage nach Valentini, hat er zween Priester nach apostolischem Brauch selbst ordiniert und geweiht. Es sind auch vom 28. Januar an bis auf den 17. Februar gar viele feine, tröstliche Reden von ihm gehört worden, wobei er oft seines Alters, und daß er sich daheim, wenn er wieder gen Wittenberg kommen würde, zur Ruhe legen wollte, gedacht hat. Auch viele wichtige, tröstliche Sprüche der Schrift hat er über Tisch im Beisein der Grafen und unter andern, die wir mit ihm zu Tisch saßen, ausgelegt, welche zu seiner Zeit in einem sonderlichen Verzeichnis sollen ausgehen. Da legte er sich ungefähr um 9 Uhr aufs Ruhebettlein und sprach: „Wenn ich ein halbes Stündlein könnte schlummern, so hoffte ich, es sollte alles besser werden.“ Da hat er anderthalb Stunden bis auf 10 Uhr sanft und natürlich geschlafen, und sind wir, Dr. Jonas und Magister Michael Celius, samt seinem Diener Ambrosius und seinen zwei kleinen Söhnen, Martino und Paulo, bei ihm geblieben. Als er aber gleich Punkt 10 Uhr aufwachte, sprach er: „Siehe, sitzet ihr noch? Möchtet ihr euch nicht zu Bett legen?“ Antworteten wir: „Nein Herr Doktor, jetzt sollen wir wachen, und auf Euch warten.“ Mit dem begehrte er auf und stand auch vom Ruhebettlein auf, und ging in die Kammer hart an der Stube, die mit Fenstern gegen allen Luftzug verwahrt war, und wiewohl er da nicht klagte, doch da er über die Schwellen der Kammer ging, sprach er: „Walts Gott, ich gehe zu Bett. In manus tuas commendo spiritum meum, redemisti me, Domine Deus veritatis. (In deine Hände übergebe ich meinen Geist, erlöse mich, Herr Gott in Deiner Wahrheit). Als er nun zu Bett ging, welches wohl zubereitet war mit warmen Betten und Kissen, legte er sich hin, gab uns allen die Hand, und gute Nacht, und sprach: „Doktor Jonas und Magister Celi und ihr andern, betet für unsern Herrn Gott und sein Evangelium, daß es ihm wohlgehe, denn das Konzilium zu Trient und der leidige Papst zürnen hart mit ihm.“ Da ist die Nacht bei ihm in der Kammer geblieben Dr. Jonas, seine zwei Söhne, Martinus und Paulus, sein Diener Ambrosius und ein anderer Diener. […] Da hat er wohl geschlafen mit natürlichem Schnauben, bis der Zeiger eins geschlagen. Dann ist er erwacht und hat seinen Diener Ambrosius gerufen, ihm die Stube einzuheizen. Da aber dieselbige die ganze Nacht warm gehalten war und Ambrosius der Diener wiederkam, fragte ihn Dr. Jonas, ob er wieder Schwachheit empfinde. Sprach er: „Ach Herr Gott, wie ist mir so wehe! Ach lieber Doktor Jonas, ich achte, ich werde hier zu Eisleben, da ich geboren und getauft bin, bleiben.“ Darauf Dr. Jonas und Ambrosius, der Diener, geantwortet: „Ach, Reverende Pater, Gott unser himmlischer Vater wird helfen durch Christum, den Ihr gepredigt habt.“ Da ist er ohne Hilfe
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und Handreichung durch die Kammer in das Stüblein gegangen, und beim Überschreiten der Schwelle hat er gleichermaßen wie er zu Bett gegangen, diese Worte gesprochen: „In manus tuas commendo spiritum meum, redemisti me, Domine DEUS veritatis.“ Einmal oder zwei ist er im Stüblein hin und wider gegangen, leget sich danach auf das Ruhebettlein und klaget, es drücke ihn um die Brust sehr hart. Aber doch schonete es noch das Herz. Da hat man ihn, wie er begehrt und zu Wittenberg im Brauche gehabt, mit warmen Tüchern gerieben und ihm Kissen und Pfühl gewärmt, denn er sprach, es hülfe ihm wohl, daß man ihn warm hielte. Vor diesem allen, und da der Doktor nun sich aufs Ruhebettlein gelegt, kam Magister Celius aus seiner Kammer neben der unsern gelaufen, und bald nach ihm Johannes Aurifaber. Da hat man ganz eilend den Wirt Johan Albrecht, den Stadtschreiber, und sein Weib aufgeweckt, desgleichen die zween Medicos in der Stadt, welche beide, da sie nahe wohnten, in einer Viertelstunde gelaufen kamen. Erstlich der Wirt mit seinem Weibe, danach Magister Simon Wild, ein Arzt, und Dr. Ludwig, ein Medicus, bald darauf Graf Albrecht mit seinem Gemahl, welche allerlei Gewürz und Labsal mitbrachte, und ohne Unterlaß mit allerlei Stärkung ihn zu erquicken sich befleißigte. Aber in dem allem sagte der Herr Doktor: „Lieber Gott, mir ist sehr weh und angst, ich fahre dahin, ich werde nun wohl zu Eisleben bleiben.“ Da tröstete ihn Dr. Jonas und Mag. Celius und sprachen: „Reverende Pater, ruft Euern lieben Herrn Jesum Christum an, unsern hohen Priester und einigen Mittler! Ihr habt einen großen, guten Schweiß gelassen, Gott wird Gnade verleihen, daß es wird besser werden!“ Da antwortete er und sprach: „Ja, es ist ein kalter, toter Schweiß, ich werde meinen Geist aufgeben, denn die Krankheit mehret sich.“ Darauf fing er an und sprach: „O mein himmlischer Vater, ein Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, Du Gott alles Trostes, ich danke Dir, daß Du mir Deinen lieben Sohn Jesum Christum offenbart hast, an den ich glaube, den ich gepredigt und bekannt habe, den ich geliebet und gelobet habe, welchen der leidige Papst und alle Gottlosen schänden, verfolgen und lästern. Ich bitte Dich, mein Herr Jesu Christe, laß Dir meine Seele befohlen sein. O himmlischer Vater, ob ich schon diesen Leib lassen und aus diesem Leben hinweggerissen werden muß, so weiß ich doch gewiß, daß ich bei Dir ewig bleiben und aus Deinen Händen mich niemand reißen kann.“ Weiter sprach er auch: „Sic deus dilexit mundum, ut unigenitum filium suum daret, ut omnis, qui credit in eum, non pereat, sed habeat vitam aeternam.“ Und die Worte aus dem 68. Psalm: „Deus noster, DEUS salvos faciendi, et Dominus est Dominus educendi ex morte.“ Das ist deutsch: „Wir haben einen Gott des Heils, und einen Herrn, der mitten aus dem Tod uns führet.“ Indem versuchte der Magister noch eine sehr köstliche Arznei, die er zur Not allezeit in seiner Tasche hatte, davon der Doktor einen Löffel voll einnahm. Aber er sprach abermal: „Ich fahre dahin, meinen Geist werde ich aufgeben“; sprach deshalb dreimal sehr eilend aufeinander: „Pater, in manus tuas commendo spiritum meum, redemisti me, Deus veritatis.“ Als er nun seinen Geist in die Hände Gottes des himmlischen Vaters befohlen hatte, fing er an still zu sein. Man rüttelte ihn aber, rieb, kühlte ihn und rief ihn, aber er tat die Augen zu und antwortete nicht. Da strichen Graf Albrechts Gemahl und die Ärzte ihm den Puls mit allerlei Stärkwassern, welche ihm die Doktorin geschickt und er selbst pflegte zu gebrauchen. Indem er aber so still ward, riefen ihm Dr. Jonas und Magister Celius zu: „Reverende Pater, wollet Ihr auf Christum und die Lehre, wie Ihr sie gepredigt, beständig sterben?“ Sprach er, daß man es deutlich hören konnte: „Ja.“ Mit dem wandte er sich auf die rechte Seite und fing an zu schlafen, fast eine Viertelstunde, so daß man auf Besserung hoffte. Aber die Ärzte und wir alle sagten, dem Schlaf wäre nicht zu trauen, und leuchteten ihm mit Lichten fleißig unter das Angesicht. Indem kam Graf Hans Heinrich von Schwarzenburg samt seinem Gemahl auch dazu. Bald danach
Philipp Melanchthon: Grabrede für Martin Luther
erbleichte der Doktor sehr unter dem Angesicht und wurden ihm Füße und Nase kalt. Er tat einen tiefen, doch sanften Atemzug, mit welchem er seinen Geist aufgab, mit Stille und großer Geduld, daß er weder einen Finger noch ein Bein regte. Und konnte niemand (das bezeugen wir vor Gott auf unser Gewissen) einige Unruhe, Quälung des Leibes oder Schmerzen des Todes merken, sondern er entschlief friedlich und sanft im Herrn, wie Simeon singet. Daß wohl der Spruch Johannis an ihm wahr ward: „Wahrlich ich sage euch, wer mein Wort hält, wird den Tod nimmermehr sehen ewiglich.“ […] Quellennachweis WA 54, S. 487–497. Literaturhinweis Irene Dingel (Hg.): Justus Jonas (1493–1555) und seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation, Leipzig 2009. Armin Kohnle (Hg.): Luthers Tod. Ereignis und Wirkung, Leipzig 2019. Paul Majunke: Luthers Lebensende, Paderborn 2011.
Nr. 189 Philipp Melanchthon: Grabrede für Martin Luther Die feierliche Bestattung Martin Luthers fand am 22. Februar 1546 in der Schlosskirche zu Wittenberg statt. Die Predigt hielt Johannes Bugenhagen,483 langjähriger Vertrauter und Beichtvater des Reformators. Die lateinische Leichenrede hielt Philipp Melanchthon im Stil einer humanistischen Lobrede mit allerlei Anmerkungen zum Fortgang der Reformation. Im Zentrum stand allerdings Luthers Wirken für die Kirche. Bereits eine Woche später lag die Rede in Wittenberg im Druck vor. Sie unterscheidet sich deutlich von der überarbeiteten und länger gefassten Traueransprache, die Joachim Camerarius484 in Leipzig drucken ließ. Ihre deutsche Fassung erarbeitete Caspar Cruciger.485 In dieser Form geriet die Ansprache in die Werkausgaben des 19. und 20. Jahrhunderts. Meine Stimme wird zwar bei dieser allgemeinen Trauer durch Schmerz und Tränen gehemmt, dennoch ist es meine Aufgabe, zu dieser zahlreichen Gemeinde zu sprechen. Ich will allerdings keine Lobrede halten, wie das bei den Griechen und Römern üblich war. Vielmehr will ich die hier Versammelten an die wunderbare Leitung genauso wie an die Gefährdung der Kirche erinnern. […]
483 Vgl. Nr. 141. 484 Joachim Camerarius der Ältere (auch Joachim Kammermeister) wurde am 12. April 1500 in Bamberg geboren und verstarb am 17. April 1574 in Leipzig. Der Humanist erwarb sich als Philologe das Vertrauen Philipp Melanchthons. Aus seiner Feder liegt die erste Biografie des Gelehrten aus Wittenberg vor. 485 Vgl. Anmerkungen bei Nr. 89.
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Ich will dennoch diesen Teil der Rede beiseite lassen und nur von der Hauptsache sprechen, von Luthers kirchlichem Amt. Wohlgesinnte werden nämlich immer zu folgendem Ergebnis gelangen: Hat Luther die rettende und notwendige Lehre in der Kirche wieder zur Klarheit gebracht, so müssen wir Gott danken, dass er ihn erweckt hat. Luthers Mühen, sein Glaube, seine Standhaftigkeit und seine weiteren Begabungen sind zu rühmen. Mit anderen Worten, die Erinnerung an ihn sollte allen Wohlgesinnten teuer sein. […] Luther ist deshalb jener großartigen Schar ganz vorzüglicher Männer zuzurechnen, die Gott gesandt hat, dass sie die Kirche sammeln und erbauen.486 […] Luther hat die wahre und notwendige Lehre wieder an den Tag gebracht. Es steht doch fest, dass bei der Lehre von der Buße die dichteste Finsternis herrschte. Luther brachte diese zum Verschwinden. Er hat damit gezeigt, was die wahre Buße und wo der Hafen ist. Dem, der über den Zorn Gottes nachdenkt und erschrocken ist, hat er den festen Trost für die Seele aufgewiesen. Er hat die Lehre des Paulus erklärt, die besagt, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird. Den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium, zwischen der geistlichen und weltlichen Gerechtigkeit hat er aufgezeigt. Er hat auch gelehrt, wie Gott wahrhaftig angerufen werden kann. Die ganze Kirche hat er von der heidnischen Verblendung zurückgerufen. Sie bildet sich nämlich ein, man könne Gott selbst dann anrufen, wenn die Gemüter von gelehrten Zweifeln geplagt werden und vor Gott fliehen. Luther hat dagegen bestimmt, dass man Gott im Glauben und mit gutem Gewissen anrufen muss. Zu dem einzigen Mittler, dem Sohn Gottes, der zur Rechten des ewigen Vaters sitzt und für uns bittet, hat er uns geführt, nicht etwa zu Götzenbildern und toten Menschen. […] Er hat auch andere rechte Dienste aufgezeigt, die Gott wohlgefällig sind. Die weltliche Ordnung hat er hervorgehoben und befestigt. So ist sie noch von keinem durch Veröffentlichungen hervorgehoben und befestigt worden. Schließlich hat er aus den notwendigen Werken die kindischen religiösen Handlungen ausgeschieden. Diese von Menschen eingeführten Zeremonien, Gebräuche und Gesetze behindern ja die rechte Anrufung Gottes. Damit aber die klare himmlische Lehre den Nachkommen weitergegeben werden kann, hat er die Schriften der Propheten und Apostel so verständlich ins Deutsche übersetzt, dass diese Übersetzung allein schon dem Leser mehr Licht bringt als die meisten Kommentare. Viele Auslegungen fügte er den vorhandenen auch selbst hinzu. Erasmus war der Meinung, sie überträfen alle anderen.487 Und wenn von denen, die Jerusalem wieder aufgebaut haben, berichtet wird, sie hätten mit der einen Hand gebaut und in der anderen das Schwert gehalten,488 so gilt das auch von Luther. Er hat mit den Feinden der wahren Lehre gestritten und zugleich Auslegungen der biblischen Schriften verfasst, in denen er die göttliche Lehre darstellte. Außerdem hat er durch geistliche Ratschläge den Gewissen vieler Menschen geholfen. Luthers Lehre überragt großenteils die üblichen menschlichen Maßstäbe, die Lehre von der Vergebung der Sünden und vom Glauben beispielsweise. Deshalb muss man zugeben, dass er durch Gott gelehrt ist. Viele von uns haben seine Kämpfe gesehen, in denen er gelernt hat, in dem Glauben fest zu stehen, dass uns Gott annimmt und erhört. […] Einige, die nicht zu verachten sind, haben sich beklagt, Luther sei schärfer gewesen, als es ertragbar sei. Ich will mich weder mit ihnen, noch mit den Verteidigern Luthers auseinanderset486 Melanchthon zählte vorher die große Zahl von biblischen Propheten und altkirchlichen Lehrern auf und verglich sie mit den großen Helden der Geschichte, die allerdings hinter die Bedeutung der kirchlichen Leiter zurücktreten müssen. 487 Erasmus von Rotterdam hatte in einem Brief vom 30. Mai 1519 an Luther dessen zweite Psalmenvorlesung (Operationes in psalmos) lobend erwähnt. 488 Neh 4,11.
Philipp Melanchthon: Grabrede für Martin Luther
zen. Vielmehr antworte ich darauf mit dem, was Erasmus oft gesagt hat: Weil die Krankheiten so groß sind, hat Gott diesem letzten Zeitalter einen scharfen Arzt gegeben.489 Ein solches Werkzeug hat Gott gegen die hochmütigen und unverschämten Feinde erweckt, wie er zu Jeremia sagt: „Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund, dass du einreißen und bauen sollst“,490 und er wollte ihnen gleichsam diesen Gorgo entgegenwerfen. Deshalb beschweren sich jene vergeblich bei Gott. Gott leitet die Kirche nicht nach menschlichen Ratschlägen. Er will auch nicht, dass seine Werkzeuge einander geradezu gleich sein sollen. Überall aber gilt, dass gemäßigte und besonnene Charaktere ungezügelte Angriffe nicht gutheißen, seien sie gut oder böse. […] Ich leugne nicht, dass die große Heftigkeit manchmal sündigt, ist doch niemand bei der Schwäche der menschlichen Natur ganz und gar ohne Gebrechen. Davon abgesehen, ist einer, auf den das zutrifft, was die antiken Autoren von Herkules, Kimon und anderen sagten, er sei zwar etwas ungesittet, aber zumeist gut, ein wackerer und lobenswerter Mann. Wenn er, mit den Worten des Apostels Paulus gesprochen, in der Kirche recht kämpft, den Glauben und ein gutes Gewissen bewahrt,491 so ist er Gott wohlgefällig und ist von uns zu ehren.492 Wir wissen, dass Luther ein solcher Mann gewesen ist. Die Reinheit der Lehre hat er standhaft verteidigt und die Gewissen unversehrt erhalten. Ja,493 wo gibt es den, der ihn gekannt hat und nicht wüsste, wie menschenfreundlich er war, wie liebenswürdig im vertrauten Kreise, wie wenig streitsüchtig oder zänkisch. In seinem ganzen Verhalten war eine Würde, die einem solchen Mann eigen sein sollte: Er hatte ein Herz ohne Falsch und einen Mund voller Freundlichkeit. […] Weil der Tod großer Männer den Nachkommen oft Strafe anzeigt, so beschwören wir euch, ich und alle, denen das Lehramt befohlen ist, dass ihr die Gefahren für die ganze Welt bedenkt. Da wüten die Türken von außen, hier drohen andere Feinde mit Kriegen im Inland. Weit und breit gibt es auch eine große Frechheit der Geister. Seit sie Luthers Kontrolle nicht mehr befürchten müssen, werden sie die recht überlieferte Lehre mit umso größerer Waghalsigkeit verfälschen. Lasst uns umso sorgfältiger sein, unser Leben und unsere Studien zu leiten, damit Gott diese Übel abwende. Und lasst uns immer die Überzeugung unverändert im Herzen festhalten, solange wir die reine Lehre des Evangeliums bewahren, hören, lernen, lieben, werden wir Gottes Haus und Kirche sein. […] Quellennachweis Philipp Melanchthon: Oratio in funere reverendi viri D. Martini Lutheri, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, hg. v. Michael Beyer und Günter Wartenberg unter Mitwirkung von Hans Peter Hasse, Leipzig 1996, S. 214–219. Wir folgen der Übersetzung von Siegfried Bräuer in: Melanchthon deutsch II: Theologie und Kirchenpolitik, hg. v. Michael Beyer, Stefan Rhein, Günther Wartenberg, Leipzig 2011, S. 166–177. (Anmerkungen übernommen). 489 Nach der Veröffentlichung seiner Schrift über den freien Willen hatte Erasmus in seinem Brief an Melanchthon vom 10. Dezember 1524 eingeräumt, dass die Gegenwart vielleicht einen so schonungslosen Arzt verdient hätte, der die Krankheit durch Ausbrennen und Schneiden heilt. 490 Jer 1,9 f. 491 Melanchthon kombiniert 2. Tim 2,5; 4,7 und 1. Tim 1,19. 492 Vgl. Röm 14,18. 493 Beginn der ersten größeren Ergänzungen durch Camerarius.
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Literaturhinweis Siegfried Bräuer: Die Überlieferung von Melanchthons Leichenrede auf Luther, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, hg. v. Michael Beyer und Günter Wartenberg unter Mitwirkung von Hans Peter Hasse, Leipzig 1996, S. 185–252.
Nr. 190 Katharina Luther an Christiana von Bora: Luthers Tod Seit dem 13. Juni 1525 war die ehemalige Nonne aus dem Zisterzienserinnenkloster Nimbschen, Katharina von Bora (1499–1552), die Ehefrau an Luthers Seite. Von ihm selbst ist folgende Aussage über seine Frau überliefert: „Gott hat es gut mit mir gemeint, daß er mir ein solches Weib gab, das für das Hauswesen sorgt, so dass ich nicht gezwungen bin, das auch noch auf mich zu nehmen.“494 Als Pfarrfrau sorgte Katharina neben der Erziehung der sechs Kinder – Johannes (*1526), Elisabeth (*1527), Magdalena (*1529), Martin (*1531), Paul (*1533) und Margarethe (*1534) – auch für die Verwaltung von Ländereien und die Versorgung der Gäste des Schwarzen Klosters. Dazu gehörte Viehzucht, eine Brauerei und vor allem die Unterkunft für Studenten, die beträchtliche Einnahmen generierte. Der ökonomische Erfolg geht maßgeblich auf das Organisationstalent der „Lutherin“ zurück. Trotz ihrer großen Bedeutung, die sich nicht nur in ihrer symbolischen Funktion als Frau des Reformators erschöpft, sind als Zeugnisse nur wenige Briefe Katharina Luthers erhalten. Am 2. April 1546, zwei Monate nach Luthers Tod, schrieb sie Folgendes an ihre Schwägerin Christiana von Bora: Gnad’ und Fried’ von Gott, dem Vater unseres lieben Herrn Jesu Christi, freundliche liebe Schwester! Daß Ihr ein herzlich Mitleiden mit mir und meinen armen Kindern tragt, glaub’ ich leichtlich. Denn wer wollt’ nicht billig betrübt und bekümmert sein um einen solchen teuren Mann, als mein lieber Herr gewesen ist, der nicht allein einer Stadt oder einem einzigen Land, sondern der ganzen Welt viel gedienet hat. Derhalben bin ich wahrlich so sehr betrübt, dass ich mein großes Herzeleid keinem Menschen sagen kann und weiß nicht, wie mir zu Sinn und zu Mut ist. Ich kann weder essen noch trinken. Auch dazu nicht schlafen. Und wenn ich hätt’ ein Fürstentum oder Kaisertum gehabt, sollt’ mir so leid nimmermehr geschehen sein, so ich’s verloren hätt’, als nun unser lieber Herrgott mir, und nicht allein mir, sondern der ganzen Welt, diesen lieben und teuren Mann genommen hat. Wenn ich daran gedenk’, so kann ich vor Leid und Weinen (das Gott wohl weiß) weder reden noch schreiben lassen. Wie Ihr leichtlich selbst, liebe Schwester, zu ermessen habt. […] Damit Gott befohlen! Dat. Wittemberg Freitag nach Oculi im XLVI Jahr. Catharina des Herrn Doctor Martinus Luthers gelassene Wittfrau.
494 Fausel, Heinrich: D. Martin Luther. Sein Leben und Werk. 2 Bände, Stuttgart 1996, S. 92 f. (Nr. 6).
Der Reichstagsabschied von Augsburg – Ein ewig währender Religionsfriede?
Quellennachweis Wilhelm Martin Leberecht de Wette: Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken. Bd. 6, Berlin 1856, S. 650. Literaturhinweis Reinhard Dithmar (Hg.): Luthers Briefe an Katharina, Ludwigsfelde 2014. Sabine Kramer: Katharina von Bora in den schriftlichen Zeugnissen ihrer Zeit, Leipzig 2 2017. Martin Treu: Katharina von Bora, Wittenberg 2011. Dick Akerbom: Katharina von Bora und ihr Einfluss auf Martin Luther. Meinem „Herrn Käthe“ gewidmet, in: Lutherische Kirche in der Welt 52 (2005), S. 83–119. Helmar Junghans: Katharina Luther im Licht und Schatten der Reformation. HCh 24 (Herbergen der Christenheit: Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte – 2000), S. 39–52.
Nr. 191 Der Reichstagsabschied von Augsburg – Ein ewig währender Religionsfriede? Nach der Konsolidierung seiner außenpolitischen Konflikte wandte sich Kaiser Karl V. den innenpolitischen Auseinandersetzungen zu. Das protestantische Verteidigungsbündnis war durch die Doppelehe Philipps von Hessen und die Kollaboration des Herzogs Moritz von Sachsen mit dem Kaiser entscheidend geschwächt, sodass die kaiserliche Fraktion den Waffengang wagen konnte. Der Schmalkaldische Krieg ging 1547 in der Schlacht bei Mühlberg am 28. April mit einer Niederlage der Protestanten zu Ende. Die führenden Vertreter des Schmalkaldischen Bundes, Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen, wurden gefangen gesetzt und dem albertinischen Herzog von Sachsen wurde die Kurwürde der Ernestiner übertragen. Auf dem „geharnischten Reichstag“ von Augsburg 1548 diktierte der Kaiser den unterlegenen Ständen in 26 Artikeln seine Friedensbedingungen: Wiedereinsetzung der katholischen Riten und Verfahren, keine weiteren Säkularisierungen kirchlicher Güter und Aufrichtung der römischen Lehre. Allein die Predigt wurde den Evangelischen frei gestattet und die Einführung des Laienkelchs nicht revidiert. Die Hoffnung auf Frieden trog allerdings. Aufgrund eines Geheimfriedens mit Frankreich wechselte Kurfürst Moritz von Sachsen erneut die Fronten und vertrieb den Kaiser im sog. „Fürstenkrieg“ systematisch aus den Territorien des Alten Reiches. Der Passauer Vertrag besiegelte am 2. August 1552 die formale Anerkennung des Protestantismus. Sie wurde im Augsburger Religionsfrieden 1555 reichsrechtlich umgesetzt. Der Kaiser resignierte und übergab noch vor Beginn der Reichstagsverhandlungen seine Geschäfte an seinen Bruder Erzherzog Ferdinand. Karl zog sich verbittert zurück und verstarb am 21. September 1558 im Kloster Yuste in Spanien. Sein Ziel, die Erhaltung der Einheit des Reiches unter einer religiösen Gestalt, konnte er nicht verwirklichen.
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Abschied der Römisch Königlich Majestät und gemeiner Stände auf dem Reichstag zu Augsburg aufgericht, im Jahr 1555. […] § 9. Als sich aber gleich alsbald in der Beratschlagung eräugt [= gezeigt], daß nach Größe und Weitläufigkeit dieser Traktation über die Hauptartikel und Sachen, unsers heiligen christlichen Glaubens, Zeremonien und Kirchen-Gebräuchen die endliche [= endgültige] Vergleichung dieses trefflichen Artikels in weniger Zeit nicht wohl zu finden, und dann alle Gelegenheiten sich dermaßen ansehen lassen, daß noch wohl allerhand Unruhe und Kriegsempörungen, dadurch gemeine Sicherheit gestört werden, im Heiligen Reich Teutscher Nation entstehen, dadurch auch, wo nicht zuvor ein beständiger Fried, Exekution und Handhabung desselben im Heiligen Reich aufgericht, die Stände und Botschaften von solcher fürgenommener heilsamer Traktation und Beratschlagung wohl abgehalten oder verhindert werden mögen. § 10 So ist durch die Stände, Botschaften und Gesandten aus jetzterzählten Bedenken und erheischender Not für ratsam, fürträglich und notwendig angesehen, auch uns in Untertänigkeit vermeldet, daß die Traktation dieses Artikels der Religion, auf andere gelegene Zeit einzustellen. […] § 13. In solcher fürgezogener Beratschlagung des Friedens haben sich gleich alsbald aus der Erfahrnis und demjenigen, so hievor fürgangen, der Kurfürsten Räte, erscheinende Fürsten, Ständ, Botschaften und Gesandten erinnert: Dieweil auf allen von [= seit] dreißig oder mehr Jahren gehaltenen Reichstagen und etlichen mehr Partikularversammlungen von einem gemeinen, beharrlichen und beständigen Frieden zwischen des heiligen Reichs Ständen der strittigen Religion halben aufzurichten, vielfältig gehandelt, geratschlagt und etlichmal Friedstände aufgericht worden, welche aber zu Erhaltung des Friedens niemals genugsam gewesen, sondern deren unangesehen die Stände des Reichs, für und für in Widerwillen und Mißtrauen gegeneinander stehen blieben, daraus nicht geringer Unrat sein Ursprung erlangt. Wofern dann in währender Spaltung der Religion ein ergänzte Traktation und Handlung des Friedens in beiden der Religion, profan und weltlichen Sachen, nicht fürgenommen würd und in alle Wege dieser Artikel dahin gearbeitet und verglichen, damit beiderseits Religionen hernach zu vermelden wissen möchten, wes einer sich zu dem andern endlich zu versehen, daß die Stände und Untertanen sich beständiger, gewisser Sicherheit nicht zu getrösten, sondern für und für ein jeder in unträglicher Gefahr zweifentlich stehen müßt. Solche nachdenkliche Unsicherheit aufzuheben, der Stände und Untertanen Gemüter wiederum in Ruhe und Vertrauen gegeneinander zu stellen, die teutsche Nation, unser geliebt Vaterland, vor endlicher Zertrennung und Untergang zu verhüten, haben wir uns mit der Kurfürsten Räten und Geordneten, den erscheinenden Fürsten und Ständen, der Abwesenden Botschaften und Gesandten und sie hinwieder sich mit uns vereinigt und verglichen. […] § 15. Und damit solcher Fried auch der spaltigen Religion halben […] desto beständiger zwischen der Römischen Kaiserlichen Majestät, uns, auch Kurfürsten, Fürsten und Ständen des heiligen Reichs teutscher Nation angestellt, aufgericht und erhalten werden möchte: So sollen die Kaiserliche Majestät, wir, auch Kurfürsten, Fürsten und Stände des heiligen Reichs keinen Stand des Reichs von wegen der Augsburgischen Konfession und derselbigen Lehr, Religion und Glaubens halben mit der Tat gewaltiger Weis überziehen, beschädigen, vergewaltigen oder in andere Wege wider sein Conscienz [= Wissen], Gewissen und Willen von dieser Augsburgischen Konfessions-Religion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Zeremonien, so sie aufgericht oder nochmals aufrichten möchten, in ihren Fürstentumen, Landen und Herrschaften dringen oder durch Mandat oder in einiger anderer Gestalt beschweren oder verachten, sondern bei solcher Religion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Zeremonien, auch ihren Hab, Gütern, liegend und fahrend [= beweglich], Land, Leuten, Herrschaften, Obrigkeiten, Herrlichkeiten und Gerechtigkeiten ruhiglich und friedlich blei-
Der Reichstagsabschied von Augsburg – Ein ewig währender Religionsfriede?
ben lassen, und soll die streitige Religion nicht anders dann durch christliche, freundliche, friedliche Mittel und Wege zu einhelligem, christlichem Verstand und Vergleichung gebracht werden, alles bei Kaiserlicher und Königlicher Würden, Fürstlichen Ehren, wahren Worten und Pön [= Strafe] des Landfriedens. § 16. Dargegen sollen die Stände, so der Augsburgischen Konfession verwandt, die Römische Kaiserliche Majestät, uns und Kurfürsten, Fürsten und andere des heiligen Reichs Stände, der alten Religion anhängig, geistliche oder weltliche, samt und mit ihren Kapituln, und andern geistlichs Stands […] gleicher Gestalt bei ihrer Religion […] unbeschwert bleiben […]. § 17. Doch sollen alle andere, so obgemeldten beiden Religionen nicht anhängig, in diesem Frieden nicht gemeint, sondern gänzlich ausgeschlossen sein. § 23. Es soll auch kein Stand den andern noch desselben Untertanen zu seiner Religion dringen, abpraktizieren oder wider ihre Obrigkeit in Schutz und Schirm nehmen, noch verteidigen in keinen Weg. Und soll hiermit denjenigen, so hievor von alters Schutz- und Schirmherrn anzunehmen gehabt, hierdurch nichts benommen und dieselbige nicht gemeinet sein. […] § 25. Und nachdem ein Vergleichung der Religion und Glaubenssachen durch ziemliche und gebührliche Wege gesucht werden soll, aber ohne beständigen Frieden zu christlicher, freundlicher Vergleichung der Religion nicht wohl zu kommen: So haben wir, auch der Kurfürsten Rät an statt der Kurfürsten, erscheinende Fürsten, Stände und der Abwesenden Botschaften und Gesandten, geistliche und weltliche, diesen Friedstand von geliebts Friedens wegen, das hochschädlich Mißvertrauen im Reich aufzuheben, diese löbliche Nation vor endlichem, vorstehendem Untergang zu verhüten, und damit man desto ehe zu christlicher, freundlicher und endlicher Vergleichung der spaltigen Religion kommen möge, bewilligt, solchen Frieden in allen obgeschriebenen Artikeln bis zu christlicher, freundlicher und endlicher Vergleichung der Religion und Glaubenssachen stetig, fest und unverbrüchlich zu halten und demselben treulich nachzukommen. Wo dann solche Vergleichung durch die Wege des General-Conciliums [= allgemeinen Konzils], Nationalversammlung, Kolloquien oder Reichshandlungen nicht erfolgen würde, soll alsdann nichtsdestoweniger dieser Friedstand in allen oberzählten Punkten und Artikeln bei Kräften bis zu endlicher Vergleichung der Religion und Glaubenssachen bestehen und bleiben und soll also hiemit obberührter Gestalt und sonst in alle andere Weg ein beständiger, beharrlicher, unbedingter, für und für ewig währender Fried aufgericht und beschlossen sein und bleiben. Quellennachweis Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, welche von den Zeiten Kayser Conrads des II. bis jetzo, auf den Teutschen Reichs-Tagen abgefasset worden, sammt den wichtigsten Reichs-Schlüssen, so auf dem noch fürwährenden Reichs-Tage zur Richtigkeit gekommen sind. In Vier Teilen. 3. Teil (1552–1654). Neudruck der Ausgabe 1747, Osnabrück 1967, S. 16–19. Literaturhinweis Carl A. Hoffmann u. a. (Hg.): Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Begleitband zur Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg (16. Juni–16. Oktober 2005), Regensburg 2005. Heinz Schilling/Heribert Smolinsky (Hg.): Der Augsburger Religionsfrieden 1555, Münster 2007. Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation, Frankfurt am Main 2009, S. 676–709.
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Namensregister
A Agnes, Gräfin von Mansfeld 98 Agricola, Georg 28 Agricola, Georgius 28 Agricola, Johann 158 Agricola, Rudolph 34 Agricola, Stephan 300 Aitinger, Anna 274 Aitinger, Konrad 274 Aitinger, Sebastian 274 Albertus Magnus 46 Albrecht VII., Graf von Mansfeld 268 Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz und Magdeburg 104–106 Albrecht, Herzog von Sachsen 337 Albrecht, Johan 406 Aleander, Hieronymus 157, 171, 173, 184, 185 Alexander VI., Papst 157 Alfeldt, Augustin von 230 Ambrosius 149, 303, 310, 405 Amerbach, Familie 34 Amsdorf, Nikolaus von 175, 179, 183, 219, 220, 222, 307, 404 Antoine Perrenot de Granvelle 211 Aristoteles 50, 120, 139, 205, 310 Arnold von Tungern 47 Aue, Bastian von 361 August, Kurfürst von Sachsen 216 Augustin, Aurelius 144 Augustinus 38, 114, 115, 128, 144, 148, 149, 241, 310 Aurifaber, Johannes 161, 406 Aurogallus, Matthäus 206
B Bachmann von Alten-Zella 230 Badstübner, Markus Thomas 212 Barnim IX., Herzog von Pommern-Stettin 147 Bauer, Georg s. Agricola, Georgius Bayer, Christian 396 Behem, Hector 186 Behm, Ursula s. Weyda, Ursula Benno, Bischof von Meißen 230, 231 Berlepsch, Hans von 189 Bermann, Lorenz 28, 29 Bernhausen, Philipp von 361 Beroaldus, Philippus 24 Berthold von Henneberg 63 Besler, Georg 194 Beyer, Christian 215, 397 Bild, Beat s. Rhenanus, Beatus Blaurer, Ambrosius 44, 195, 196 Blaurer, Thomas 195 Bodenstein, Andreas 114, 119, 120, 137, 138, 142–144, 146–148, 159, 189, 199, 202, 212, 215, 216, 218, 219, 225, 226, 241–248, 270, 271, 286, 289, 296 Bonciani, Margherita 173 Bora, Christine von 410 Bora, Katharina von s. Luther, Katharina Brant, Sebastian 53, 54 Brenz, Johannes 125, 300 Brießmann, Johann 257 Brigitta von Schweden 80 Brück, Gregor 203, 217, 243 Bucer, Martin 125, 127, 148, 196, 210, 277, 332 Buchführer, Michel 243
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Namensregister
Bugenhagen, Johannes 205, 206, 219, 315, 316, 319, 349, 404, 407 Bullinger, Heinrich 306 Burchart, Franz 206 Burkhardt, Georg s. Spalatin, Georg Busch, Hieronymus 181 Butz, Peter 376
C Cajetan, Thomas de Vio 103, 128, 129, 133–135 Calvin, Johannes 306 Camerarius d. Ä., Joachim 407 Capistranus, Johannes 140 Capito, Wolfgang 226 Capreolus, Johannes 143 Carraciolo, Signore 186 Catharinus, Ambrosius 316 Catilina, Lucius 167 Celius, Michael 405, 406 Celtis, Conrad 34 Christian III., König von Dänemark 217 Christine von Sachsen, Landgräfin von Hessen 194 Cicero, Marcus Tullius 139, 206 Clairvaux, Bernhard von 84, 87, 88, 148, 149 Clam von Frankfurt 208 Claudius, römischer Kaiser 35 Clemens VI., Kaiser 132 Clemens VII., Papst 391, 395 Cochläus, Johannes 32, 179, 181, 182, 321, 339 Coelius, Michael 404 Colt, Joan 44 Columbus, Christoph 26, 27 Cranach, Lukas 71, 223 Creutziger, Caspar 299 Cruciger, Caspar 207, 210, 349, 407 Cruciger, Elisabeth 349 Cusanus, Nicolaus 140
Cyprian 149, 303, 310 Cyrill 303 D Denck, Hans 283, 284, 286 Dietleben, Caspar 209 Dobeneck, Johannes s. Cochläus, Johannes Dölsch, Johannes 202, 203, 219 Drachstedt von Halle, Carolus 208 Drechsel, Thomas 212, 222 Drüller, Johannes 219 Dungersheim, Hieronymus 160 Dürer d. J., Albrecht 190 Dürer, Albrecht 32 D’Ailly, Petrus 26 E Eber, Paul 111, 207 Eberlin von Günzburg, Johann 236, 348, 390 Ebertz, Catharina 274 Ebner, Lienhard 240 Ebnerin, Hieronymus 346 Ebnerin, Katharina 345–347 Eck, Johannes 137, 138, 140, 142–150, 156, 160, 313, 368, 391, 398 Egmond, Nikolaus 235 Ehingen, Burkhardt von 361 Einsiedel, Hugold von 222 Eisler, Sibilla 274 Elisabeth von Meseritz s. Crusiger, Elisabeth Ell von Dohlenstein 203 Eltershofen, Rudolf von 361 Emser, Hieronymus 230, 322, 368 Emser, Johann 321 Engelmann, Christoph 274 Engelmann, Margarethe geb. Surgant 274 Eppe, Otto von 268 Erasmus von Rotterdam 34, 39–41, 45, 70, 74, 148, 173, 191, 292, 408, 409 Erhard von der Mark 48 Eriugena, Johannes Scotus 84
Namensregister
Ernst II., Graf von Mansfeld 251–253 Ernst, Herzog von Braunschweig und Lüneburg 396 Esschen, Johannes van 233 Etzlaub, Erhard 32 F Faber, Hans 398 Fabri, Johannes 293 Fabricius, Balthasar 146, 159, 206 Falconibus, Wilhelm von 291 Federleser, Bernhard s. Plumilegus, Bernhardus Feige, Johann 300 Feilitzsch, Philipp von 132, 175, 189 Fendt, Melchior 209 Ferdinand I., König von Böhmen, Ungarn und Kroatien 357, 369, 373, 375, 381, 384, 385, 396 Ferdinand I., König von Neapel 24 Ferdinand II., König von Aragon-Sizilien 26–28 Ferdinand III., Kaiser 68 Flach, Martin 23 Franciscus Groß von Oschatz 208 Franciscus, Herzog von Lüneburg und Braunschweig 395 Franck, Sebastian 272 Franz I., König von Frankreich 47 Franz, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg 396 Friedberger, Balthasar s. Hubmaier, Balthasar Friedrich III. Kurfürst von Sachsen 222 Friedrich III., Kaiser 23, 65 Friedrich III., Kurfürst von Sachsen 98, 110, 128–130, 135, 136, 153, 156, 161, 170, 174, 189, 203, 212, 218, 219, 223, 253, 313 Friedrich Myconius 79 Fries, Lorenz 366 Fries, Michael 240
Fritz, Joß 78, 354 Froben, Johann 28, 34, 40 Fröschel, Sebastian 145, 205, 216, 242 Frytz, Jost s. Fritz, Joß Fugger, Anton 70 Fugger, Jakob 68, 69, 129 Fugger, Raimund 70, 71 Fulgentius von Ruspe 302 Furerin, Siegmund 346 G Gasser, Achilles Pirmin 30 Gengenbach, Pamphilus 77 Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen 137, 142, 145–147, 156, 161, 192, 193, 210, 232, 257, 260, 264, 268, 269, 378 Georg I., Herzog von Pommern-Stettin 147 Georg III. Truchsess von Waldburg-Zeil 359 Georg III., Fürst von Anhalt 384 Georg von Podiebrad, König von Böhmen 337 Georg von Speyer 48 Georg, Herzog zu Sachsen 337, 395 Georg, Markgraf von Brandenburg 384, 396 Gersen, Ottilie von 269 Ghetelen, Hans van 57 Giovanni de’ Medici s. Leo X., Papst Giovanni Gaetano Orsini s. Johannes III., Papst Glatz, Caspar 243, 247 Glitz, Conrad 247 Goch, Johann Pupper von 91 Goethe, Johann Wolfgang von 57 Goldstein, Kilian 207, 319 Gottsched, Johann Christoph 57 Grapheus, Cornelius 91 Gratius, Ortvinus 50, 51 Gregor 149 Gregor der Große, Papst 283 Gregor VII., Papst 52 Greiffenberger, Hans 238
417
418
Namensregister
Großer Khan 27 Grumbach, Argula von 325, 326, 329 Grumbach, Friedrich von 326 Guiducci, Teresa 173 Günther, Franz 204 Gutenberg, Johannes 22, 23 H Haarer, Peter 360 Han, Ulrich 24 Hans Heinrich, Graf von Schwarzenburg 406 Hans von der Planitz 318 Hans von derPlanitz 145 Hans, Kurfürst von Sachsen 396 Hartmut von Kronberg 388 Hartmut XII. von Kronberg 165, 388 Hätzer, Ludwig 282 Haubitz, Asmus von 318 Heinrich von Sachsen 337 Heinrich, Herzog von Braunschweig 264, 268 Heins, Simon 203, 217 Held, Linhardt 346 Henlein, Peter 33 Hessus, Helius Eobanus 49 Heussgen, Johannes s. Oekolampad, Johannes Hieronymus 149, 303 Hieronymus von Croaria 141 Hieronymus von Etsch 78 Hieronymus von Glauburg 208 Hieronymus von Prag 141, 164 Hilarius 310 Hildegard von Bingen 87 Hilduin von Saint-Denis 88 Hirschfeld, Bernhard von 175, 319 Hisolidus, Matthäus 258 Hochheim, Eckhart von 84 Hofmann, Melchior 271, 277, 278 Houlst, Franziskus von 235 Hubmaier, Balthasar 271, 279, 280, 357
Hus, Jan 123, 137, 141, 143, 147, 154, 164, 232 Huser, Jacob 78 Hut, Hans 271, 286 Hutten, Ludwig von 353 Hutten, Ulrich von 22, 34, 49, 74, 161, 162, 181 I Imhof, Andreas 345 Ingolstadt, Eck von 398 Innozenz III., Papst 97 Innozenz IV., Papst 51 Innozenz VIII., Papst 80 Isabella I., Königin von Kastilien Iserin, Georg Joachim 30
26–28
J Jakob van Hoogstraten 47–49, 52 Joachim I., Kurfürst von Brandenburg 178, 323, 401 Johann der Beständige, Kurfürst von Sachsen 129, 174, 203, 373 Johann Figulus von Nürnberg 208 Johann Friedrich I., Herzog von Sachsen 132, 205, 395, 396, 411 Johann Zápolya, Fürst von Siebenbürgen 381 Johann, Erbprinz von Sachsen 264 Johannes Duns Scotus 39, 46, 128, 143, 203 Johannes III., Papst 62 Johannes Phillippson von Schleiden s. Sleidanus, Johannes Johannes von Tepl 53 Johannes von Werdea 51 Johannes XXI., Papst 120 Jonas, Justus 202, 205, 206, 219, 220, 225, 299, 319, 404–406 Jost, Lienhard 277 Jost, Ursula 277 Julia Agrippina, römische Kaiserin 35 Julius II., Papst 48
Namensregister
K Kaiser, Leonhard 208 Kaltenthal, Georg von 361 Karl I., König von Spanien 69 Karl V., Kaiser 129, 153, 157, 161, 165, 170, 173, 176, 211, 261, 369, 371, 375, 384, 388, 391, 393, 398, 400, 411 Karl von Miltitz 131, 156 Karlstadt s. Bodenstein, Andreas Kaysersberg, Johann Geiler von 93 Kessler, Johannes 39 Kettenbach, Heinrich von 390 Kirchen, Cäcilia von 274 Knod, Paul 203 König David 61 Konstantin XI., Kaiser 25 Kopernikus 30, 207 Kötteritz, Sebastian von 319 Kropatscheck, Friedrich 203 Krump, Bartel 260 Krumpe, Valentin 260 Kunigunde, Herzogin von Bayern 326 Kurprinz Johann 257
L Lang, Johannes 114, 119 Lang, Mathäus 98 Laurentius von Rom 36 Leo X., Papst 48, 104, 105, 108, 134, 153, 157, 159, 171, 173, 390 Lettsch, Andreas 357 Leuchen, Johann Joachim von 206 Linck, Wenzel 119, 213 Lindenau, Albrecht von 175 Lombardus, Petrus 96 Lorenzo Campeggio 314 Lotzer, Sebastian 362 Lucius Domitius Ahenobarus s. Nero, römischer Kaiser Ludwig X., Herzog von Bayern 175
Ludwig XII., König von Frankreich 48, 71, 157, 173 Ludwig, Graf von Helfenstein 360, 361 Luther d. J., Martin 405, 410 Luther, Elisabeth 410 Luther, Johannes 410 Luther, Katharina 410 Luther, Magdalena 410 Luther, Margarethe 410 Luther, Martin 32, 34, 39, 40, 48, 74, 79, 90, 95, 98, 103, 114–116, 119, 120, 123–125, 128–138, 140, 142, 145–153, 155, 156, 158–179, 182, 183, 185–187, 189–191, 194–196, 199, 200, 202–206, 212, 213, 217–219, 222–226, 228, 230, 232, 239, 241–247, 249, 252, 255, 257–259, 261, 268, 270, 277, 279, 288, 289, 291, 292, 297–303, 306, 307, 309, 313–316, 321–324, 328, 330, 337, 339, 340, 349, 368, 376, 390, 392, 403, 404, 407–410 Luther, Paul 405, 410 M Magus, Simon 62 Mantel, Johann 205 Manutius, Aldus 157, 173 Marcellus, Johannes 207 Margarethe von der Saale, Landgräfin von Hessen 194 Markus F. Quintilianus 139 Marschalk, Nikolaus 119 Martin V., Papst 141 Mathesius, Johannes 123, 205 Matthäus Lang von Wellenburg 210 Maximilian I., Kaiser 32, 47, 48, 64, 65, 68, 69, 74, 82, 153, 203, 261, 360, 388 Mayer, Johannes 140 Mazzolini, Silvester 124, 128 Mecheln, Johann von s. Goch, Johann Pupper von Medici, Francesco de 173
419
420
Namensregister
Medici, Rafael de 173 Mehmed II., Sultan 25 Meinhardi, Andreas 37 Meister Eckhart s. a. Hochheim, Eckhart von, 84, 87, 90 Melanchthon, Philipp 34, 79, 123, 129, 138, 146, 148, 158, 159, 184, 193, 195, 199, 207, 209, 218, 219, 222–225, 299, 309, 310, 313, 314, 316, 318, 328, 342, 349, 391, 392, 398, 403, 407–409 Mellerstadt, Martin Pollich von 37 Mellerstadt, Valentin 208 Mentel, Johannes 23 Metzsch, Hans 319 Meyr/Mayer, Martin 35 Mohr, Georg 218, 242 Moritz, Herzog von Sachsen 411 Moritz, Kurfürst von Sachsen 220 Morus, Thomas 44 Mosellanus, Petrus 138, 147 Muhammad XII., Emir von Granada 27 Müller von Bulgenbach, Hans 357 Münster, Sebastian 76 Münsterberg, Ursula von 325, 337 Müntzer, Ottilie geb. von Gersen 249, 325 Müntzer, Thomas 204, 212, 244, 245, 249–254, 257, 258, 260–264, 266–271, 286 Murmellius, Johannes 206 Murner, Thomas 55, 166 Mutianus Rufus 119 Myconius, Friedrich 111, 290, 299 Myconius, Oswald 290 N Naeve, Johann 28, 29 Nausea, Friedrich 314 Nero, römischer Kaiser 35 Neuschel, Johannes 32 Nikolaus V., Papst 65 Nikolaus von Kues 140
Nutzlin, Caspar 346 Nutzlin, Clara 345–347 O Oberweimar, Florentina von 325, 339 Oekolampad, Johannes 148, 196, 284, 299, 300, 302, 303 Olpe, Johann Bergmann von 53 Ortvinus, Gratius 51 Osiander, Andreas 238, 240, 299, 300, 326 Otter, Jakob 335 P Pack, Otto von 378 Paltz, Johann von s. Paltz, Johannes von Paltz, Johannes von 95 Palude, Petrus de 96 Pappenheim, Utz von 175 Paul, Benedict 209 Pauli, Benedikt 209, 319 Paulus 42, 46, 79, 88–90, 92, 99, 128, 143, 148, 149, 154, 194–196, 255, 258, 276, 280, 281, 287, 298, 307, 317, 322, 329, 390, 408 Paulus F. Maximus 139 Pehem, Ursula s. Weyda, Ursula Pelagius 92, 93 Pelikan, Konrad 76 Pellifex, Johannes 50 Peraudi, Raimund 106 Petrus 26, 42, 46, 50, 105, 108, 109, 120, 149, 150, 154, 194, 195, 255, 275, 322, 328 Petzensteiner, Johannes Zacharias 183 Peutinger, Familie 34 Pfefferkorn, Jakob 47 Pfefferkorn, Johannes 47, 48, 52 Pfefferkorn, Joseph s. Pfefferkorn, Johannes Pfeiffer, Heinrich 250, 258, 264 Pfintzing, Sebolt 345, 346 Pflug, Caesar 144, 156 Pflug, Johann 113 Philipp I., Landgraf von Hessen 48, 193, 263, 264, 266, 289, 373, 378, 384, 396, 402, 411
Namensregister
Picolomini, Enea Silvio 34 Picus, Augustinus 232 Pirckheimer, Charitas 44, 341, 344 Pirckheimer, Familie 34 Pirckheimer, Wilibald 22, 74 Pistorius d. J., Simon 145, 146 Pius II., Papst 35 Plawnitzer, Johannes 145 Plettener, Tilemann 219 Plumilegus, Bernhardus 51 Pömer, Hektor 194 Pommer, Johann s. Bugenhagen, Johannes Pontanus, Simon 217 Prierias s. Mazzolini, Silvester Ptolemaeus, Claudius 33 Puchaimer, Philipp 70 R Ragusa, Johannes von 140 Rau, Georg 146, 147 Rau, Johann 217 Regiomontanus, Johannes 207 Reif, Balthasar 260 Reinhold, Erasmus 207 Reinke de Vos 57 Reublin, Wilhelm 280 Reuchlin, Johannes 34, 47–49, 51, 52, 313 Rhenanus, Beatus 70, 127 Rheticus, Georg Joachim 30, 31 Richard von Greiffenklau zu Vollrads, Erzbischof von Trier 178, 179 Richard von St. Viktor 310 Rochlitz, Wolf Johan von 208 Rodt, Adam 106 Rodt, Michel 106 Rodt, Peter 106 Rörer, Georg 205 Rosenblatt, Wibrandis 325 Rosenplüt, Hans 59 Rubeanus, Crotus 49 Rudlanoff, Hieronymus 189
Rufus, Mutianus 34, 49 Rühel, Johannes 268 Rupff, Konrad 203 Rusch, Adolph 23 Rusinger, Sixtus 23 Ryff, Katharina 44, 196
S Saalfeld/Saale 207 Sachs, Hans 227 Sattler, Michael 271 Schade, Peter 138 Schappeler, Christoph 362 Schaumberg, Silvester von 164 Schaumburg, Silvester von 161 Scheffer, Amandus 359 Schenk, Hans Konrad 361 Scheurl, Christoph 67, 240, 341, 352, 376 Schnabel, Tilemann 119 Schnepf, Erhard 125 Schöffer, Peter 49 Schönburg, Ernst von 269 Schoppritz, Ursula von s. Weyda, Ursula Schott, Hans 175 Schurf, Augustin 209 Schurff, Hieronymus 179, 209, 218, 219, 225, 226, 318 Schwenckfeldt, Kaspar 274 Schwester von Lazarus Spengler Martha 318 Sebaldus 36 Seehofer, Arsacius 327, 328 Sender, Clemens 397 Sickingen, Franz von 74, 127, 161, 162, 165, 182, 185, 186, 193, 261, 262, 390 Sigismund von Luxemburg, Kaiser 61 Sigmund II., Graf von Lupfen 357, 358 Sleidanus, Johannes 47 Sleupner, Dominicus 240 Sokrates 139 Solms-Lich, Philipp von 261
421
422
Namensregister
Spalatin, Georg 120, 130, 132, 142, 174, 183, 189, 222, 326, 395 Spengler, Lazarus 150, 179, 318, 376 Speratus, Paul 326 Sphrantzes, Georgios 25 Spiegel, Erasmus 175 Staupitz, Georg 145 Staupitz, Johann von 67, 98, 114, 119, 125, 133, 136, 152, 202, 213, 225 Storch, Nikolaus 189, 212, 222 Straton von Lampsakos 29 Streicher, Agatha 275 Stromer, Heinrich 145, 207 Stübner, Markus 222 Stübner, Marx 189 Sturm, Kaspar 185 Sturmfeder, Friedrich Eberhard 361 Süleyman I., Sultan 381
T Tacitus 32, 35 Tanberg, Dorothea 337 Tartaretus, Petrus 120 Taubenheim, Hans von 319 Tauler, Johannes 87, 90, 114 Tetzel, Johann 104–106, 109–111, 113, 120, 121 Tetzlin, Fritz 346 Tetzlin, Margareta 345, 347 Thomas von Aquin 39, 46, 96, 120, 133, 203, 217 Thun, Friedrich von 175, 189 Tiberius Caius Nero Germanicus s. Claudius, römischer Kaiser Tiburtius 217 Trier 48 Trithemius, Johannes 354 Tucher, Familie 34 Tulichius, Hermann 206
U Ulrich, Herzog von Württemberg 48, 352, 359 Urban, Orator von Montferrat 136 Urbinas, Polydorus Vergilius 24 Uriel von Gemmingen 47, 48 V Veihel, Hans 189 Vend, Melchior 209 Victor von Carben 47 Vischer d. Ä., Peter 32 Vischer d. J., Peter 32 Vischer, Hermann 32 Vitruvius Pollio 29 Voes, Hendrik 233 Vögelin, Georg 30 Volckmar, Margaretha 337 Volmar 206 Volprecht, Wolfgang 240 von Pack, Otto 380 von Sickingen, Franz 390 Vorberger von Mittweida, Andreas
208
W Walter, Joann 203 Warbeck, Veit 174 Watzdorf, Caspar von 341 Watzdorff, Katharin von 339 Weida, Johann 330 Weida, Ursula s. Weyda, Ursula Weiher, Dieterich 361 Welser, Familie 34 Westermann, Johann 119 Westerstetten, Hans Dieterich von 361 Weyda, Ursula 325, 330 Weydin, Ursula s. Weyda, Ursula Wild, Simon 406 Wilhelm von Ockham 46 Wilhelm, Herzog von Bayern 327 Wilibald Pirckheimer 341
Namensregister
Wilken, Ambrosius 223 Wimpfeling, Jakob 23, 24, 53 Wimpina, Konrad 120, 121 Winsheim, Veit 207 Winter, Robert 30 Wirsung, Christoph 70 Wolff von Neuhaufen, Georg 361 Wolfgang, Fürst zu Anhalt 396 Wyclif, John 168 Wyttenbach von Biel, Thomas 298 Z Zasius, Ulrich 140, 292 Zedler von Ulm, Bernhard 208
Zedlitz, Georg von 277 Zeiß, Johannes (Hans) 251 Zell, Katharina 325, 332, 334, 335 Zell, Matthäus 334 Zerbitz, Peter von 208 Zschöpperitz, Ursula von s. Weyda, Ursula Zütphen, Heinrich von 119, 233 Zwilling, Gabriel 199, 212, 218, 220, 224, 242 Zwingli, Anna geb. Reinhart 288, 325 Zwingli, Huldrych s. Zwingli, Ulrich Zwingli, Regula 288 Zwingli, Ulrich 74, 148, 196, 238, 245, 279, 280, 283, 288–290, 292–297, 299–302, 362
423
Ortsregister
A Aachen 80 Albioris s. a. Wittenberg, 37, 38 Allstedt 244, 245, 249, 251–254, 257, 262 Altenburg 132, 156, 330, 395 Amorbach 121 Annaberg 111, 220 Ansbach 207, 299 Antwerpen 52, 157, 158, 233 Athen 88 Auerbach 145, 207, 352 Augsburg 34, 63, 70, 128–135, 206, 271, 274, 279, 283, 284, 286, 300, 328, 348, 362, 391, 392, 395, 396, 402, 411, 412 Avignon 84 B Bad Kreuznach 354 Baden 292, 353, 356 Bahamas 26 Baltringen 359 Bamberg 342, 407 Basel 28, 30, 34, 39, 40, 53, 61, 76, 77, 87, 93, 114, 148, 196, 206, 226, 243, 272, 282, 284, 288, 298, 348, 368, 388 Bayern 208, 280, 313, 326, 327 Bibra 286 Bischofszell 282, 283 Bitterfeld 404 Blois 48, 71 Böhmen 62, 161, 388 Bologna 67, 148, 156, 300, 391, 395 Brabant 48 Brandenburg 61, 105, 156, 204, 323, 324 Brandenburg Ansbach 376 Brandenburg Kulmbach 376
Braunau/Inn 98 Braunschweig 216, 264, 315, 396 Braunschweig-Wolfenbüttel 315 Breisgau 77–79, 93, 292, 335 Bretten 314 Bruchsal 355, 356 Brück 203, 217 Brüssel 233, 235, 378 Bruttig an der Mosel 138 Buchen (Odenwald) 121 Buchholz 230, 231 C Chartres 48 Colditz 213 Cöln an der Spree Corbach 352 Cottbus 205 Cronbach 352 Cuneo 124
324
D Dänemark 35, 217, 315 Deventer 51 Donauwörth 272 Dresden 232, 368 E Eger 203 Egg an der Günz 140 Eichsfeld 250 Eilenburg 193, 204, 220, 224 Eisenach 175, 185, 186, 189, 190, 199 Eisenberg 330 Eisfeld 264, 404 Eisleben 161, 213, 300, 404–406 Elbe 38
426
Ortsregister
Elsass 55, 166, 226 Elsterberg 212 Endelspach 352 Erfurt 34, 35, 47, 82, 83, 119, 132, 161, 175, 204, 236, 244, 261, 368, 378 Esslingen 63 F Feldkirch 31, 203 Florenz 36 Franken 36, 264, 366 Frankenhausen 249, 261–264, 267 Frankfurt (Oder) 120, 121, 225, 249, 274, 323 Frankfurt am Main 22, 36, 50, 51, 68, 129, 165, 179, 180, 193, 398 Frankreich 48, 62, 69, 71, 122, 130, 157, 358, 381, 411 Freiberg (Sachsen) 337 Freiburg 78, 79, 93, 226, 279, 282, 292, 348, 390 Friedberg 279, 280 Fulda 74, 80, 260, 262 G Genua 26, 36 Geyer 28, 29 Glarus 288 Goch 91 Gotha 34, 79, 81, 84, 175 Göttingen 106 Granada 27 Greifswald 315 Grimma 145, 193 Groß-Steinheim 156 Gunzenhausen 299 H Habsburgische Erblanden 41 Haina 286 Halberstadt 104, 105, 109, 249 Halle 207, 404
Hamburg 315 Heidelberg 23, 34, 47, 67, 76, 119, 125, 127, 140, 148, 202, 226, 261, 300 Heilbronn 348, 390 Heppach 352 Hessen 35 Heuppach 353 Hildesheim 315, 398 Hispanien s. Spanien Holstein 315 Homberg 193 Hoogstraten 48 Horb am Neckar 362 I Indien 26–28 Ingolstadt 123, 140, 146, 211, 226, 279, 280, 284, 299, 313, 326–328, 348 Insel Ufenau im Zürichsee 74 Italien 36, 44, 71, 122, 372 J Jena 161, 193, 243–245, 249 Jerusalem 61, 80, 111, 191, 408 Joachimsthal 123 K Kappel 289 Karlstadt 114, 241 Kassel 193 Kemberg 319 Kenzingen 334, 335 Kitzingen 207 Koblenz 95 Köln 35, 37, 47–49, 52, 80, 87, 138, 140, 161, 274, 378 Komotau 206 Königsberg 257, 299 Konstantinopel 25, 26 Konstanz 30, 61, 137, 140, 141, 143, 154, 195, 196, 282, 283, 292 Krakau 34, 206
Ortsregister
Kronberg 165 Kursachsen 109, 189, 209, 225, 247, 248, 257 Kuttenberg 29 L Lehen 75, 77, 78, 187, 354 Leipzig 22, 37, 51, 82, 109, 121, 138, 142, 144–147, 156, 160, 175, 186, 192, 204, 207, 213, 218, 232, 233, 246, 249, 378, 407 Leisnig 337 Lichtenberg 222 Lichtenfels 79 Liebenwerda 156 Liegnitz 274, 277 Lochau 129, 204 Lübeck 35, 57, 315 Lüneburg 206 Lüttich 48, 158 Luttringen 353 Lutzelburg 353 Luzern 290 M Machern 175 Magdeburg 35, 105, 109, 207, 398 Mähren 280 Mainz 22, 23, 47–49, 52, 74, 82, 105, 109, 182, 226, 232, 261, 378, 390, 395, 398 Mansfeld 264, 404 Marburg 193, 288, 300 Mecheln 64, 91 Meißen 109 Memmingen 351, 362 Merseburg 35, 121, 156, 222, 232, 269 Mittweida 233 Mohács 373 Motterwitz 98 Mühlhausen 205, 249, 250, 258, 261–264, 269 Mühlheim 95 München 283, 390 Münster 206
N Neapel 23, 24, 36 Neckarsulm 360 Neu-Helfta 339, 340 Nikolsburg 280 Nordhausen 175, 204, 269, 404 Norwegen 35, 217, 315 Nürnberg 22, 32, 34, 36, 59, 61, 63, 67, 77, 105, 116, 123, 150, 179, 185, 190, 206, 207, 227, 238–240, 263, 286, 299, 300, 341, 344, 369, 370, 376, 396 O Oberbayern 284 Oberehnheim 166 Oberitalien 288 Oberrhein 354 Ochsenfart 160 Orlamünde 242, 243, 245, 247 Oschatz 233 Österreich 69 P Padischen 353 Padua 157, 173 Palos 27 Paris 45, 48, 70, 88, 157, 173 Peutelspach 352 Pfalzel 95 Pforzheim 76, 313 Pirna 109 Pommern 105, 175, 211, 315, 324 Prag 224, 249 Prettin 156, 222 R Raab 208 Rabenau 156 Regensburg 63, 210, 211, 279, 280 Reichenweier 48 Remstal 352, 353 Rochlitz 123
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Ortsregister
Rodach 218 Rom 24, 27, 32, 45, 48, 49, 52, 62, 65, 80, 104, 105, 107–109, 113, 119, 123, 124, 128, 131, 137, 153, 155, 157, 159, 167, 170, 173, 316, 372, 389 S Saaletal 245 Sachsen 388 Salzburg 98, 210 Schaffhausen 93 Scharfenberg 156 Schleswig 315 Schlettstadt 23, 34, 77, 127, 226 Schlettstadt (Elsass) 70 Schlüchtern (Hessen) 74 Schneeberg 29 Schömerberg 359, 360 Schorndorf 353 Schwäbisch Hall 277, 300 Schwarzwald 249, 353 Schweden 35 Schweinfurt 388 Schweiz 74, 93, 195, 243 Seegrehna 243 Sizilien 45, 71 Soriano nel Cimino 62 Spalt bei Nürnberg 132 Spanien 27, 44, 380, 411 Speyer 23, 63, 72, 271, 369, 373, 378, 381, 383–385, 391 St. Gallen 39, 225, 274, 284, 362 Steinheim 206 Steinheim am Main 156 Stolberg 249, 254, 264 Stolpen 232 Straßburg 23, 24, 47, 70, 87, 93, 94, 196, 206, 271, 272, 274, 277, 283, 303, 333–335, 376 Stuckgarten 353 Stühlingen zu Bonndorf 357 Stuttgart 148, 300, 314
T Thabor 91 Thüringen 35, 84, 260, 262, 263 Torgau 129, 174, 175, 220 Tours 71 Treptow an der Rega 349 Trier 52, 74, 95, 131, 179, 184 Tübingen 34, 140, 148, 195, 292, 348, 353, 368 U Ulm 272, 274, 348, 359, 390 Ungarn 62, 373 Untergrombach 77, 354–356 V Vacha 146 Valencia 48 Venedig 36, 157, 173, 209, 300 Villingen 206 Vilvoorde 233 Vogtland 35 W Waldshut 279, 280, 282, 357, 358 Wartburg 185, 189, 199, 200, 225, 243, 321 Weida 318 Weimar 79, 161, 244, 247, 249 Weinsberg 148, 360, 361 Westerreich 353 Wetterau 353 Wetzlar 63 Wien 34, 207, 209, 279, 280, 288, 300 Wildhaus 288 Wimpfen 121 Winterthur 195 Wittenberg 30, 34, 37–39, 51, 67, 98, 109, 110, 114, 116, 119, 123, 128, 129, 132, 145–147, 153, 156, 159, 161, 164, 174, 175, 179, 183, 189, 192, 193, 195, 199, 200, 202–218, 220, 222–226, 228, 241–244, 247, 248, 257, 258, 274, 296, 299, 309, 310, 313,
Ortsregister
315, 319, 320, 337, 339, 348, 349, 353, 388, 403–407, 410 Wollin 315 Worms 49, 63, 64, 69, 130, 150, 153, 165, 170, 171, 173–175, 177, 179–183, 185, 189, 190, 192, 193, 202, 210, 211, 217, 309, 370, 375, 376, 378, 381, 392, 394
Württemberg 195, 274, 352, 360 Würzburg 342, 354, 360 Z Zeilitzheim 326 Znaim (Mähren) 61 Zürich 71, 196, 279, 280, 283, 288–290, 293–297, 306 Zwickau 193, 212, 222, 249, 330
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