Bildung - Intersektionalität - Othering: Pädagogisches Handeln in widersprüchlichen Verhältnissen 9783839434581

Social relations of domination present teaching methods with a challenge, and confront it with the risk of reproducing t

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German Pages 364 Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1. Theoretische Zugänge zur Analyse sozialer Differenzen und Ungleichheiten
2. Theoretischer Analyserahmen zur Untersuchung von Otheringprozessen
3. Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen I: Bildung im Horizont von Differenz und Ungleichheit
4. Intersektionalität und Othering – Methodologische Implikationen und Perspektiven
5. Forschungskontexte und methodische Rahmung
6. Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen II: Pädagogische Praktiken des Othering – Empirische Studien
7. Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen III: Reflexions- und Bildungsprozesse von Pädagog_innen – Empirische Studien
8. Resümee
Literatur
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Bildung - Intersektionalität - Othering: Pädagogisches Handeln in widersprüchlichen Verhältnissen
 9783839434581

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Christine Riegel Bildung – Intersektionalität – Othering

Pädagogik

Christine Riegel (Prof. Dr. habil.) ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und forscht zu sozialer Ungleichheit und Dominanzverhältnissen in Feldern der Pädagogik und Sozialen Arbeit. Sie arbeitet im Bereich der Migrations-, Rassismus-, Jugend- und Genderforschung.

Christine Riegel

Bildung – Intersektionalität – Othering Pädagogisches Handeln in widersprüchlichen Verhältnissen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3458-7 PDF-ISBN 978-3-8394-3458-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung | 7 1. Theoretische Zugänge zur Analyse sozialer Differenzen und Ungleichheiten | 17

1.1 Strukturtheoretische Ansätze | 19 1.2 Sozialkonstruktivistische und interaktionistische Ansätze | 21 1.3 Poststrukturalistische, diskurstheoretische und dekonstruktivistische Perspektiven | 27 1.4 Cultural Studies, Postkoloniale Theorien und Rassismuskritik | 33 1.5 Intersektionalitätsansätze | 41 2. Theoretischer Analyserahmen zur Untersuchung von Otheringprozessen | 51

2.1 Zur Konzeption des Othering – Theoretische Annäherung an ein empirisches Phänomen | 51 2.2 Theoretischer Analyserahmen zur Untersuchung von Otheringprozessen | 61 3. Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen I: Bildung im Horizont von Differenz und Ungleichheit | 77

3.1 Differenz und Ungleichheit – Strukturelle und institutionelle Voraussetzungen in Schule und Jugendarbeit | 80 3.2 Bildung und pädagogisches Handeln zwischen Reproduktion und Veränderung – Theoretische Zugänge | 106 3.3 Zum Zusammenhang von Bildung und Othering in widersprüchlichen Verhältnissen | 131 4. Intersektionalität und Othering – Methodologische Implikationen und Perspektiven | 135

4.1 Intersektionalität als Forschungs- und Analyseperspektive | 136 4.2 Methodologische Überlegungen zur Untersuchung von Othering- und von Bildungsprozessen | 147 5. Forschungskontexte und methodische Rahmung | 159

5.1 Erkenntnisinteresse und empirische Fragestellung | 160 5.2 Forschungskontexte | 162

5.3 Forschungsmethodische Zugänge | 165 5.4 Zum Sample und zur sozialen Positionierung der an den Studien Beteiligten | 167 5.5 Methodologische Prinzipien, Analyseperspektiven und methodisches Vorgehen | 171 6. Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen II: Pädagogische Praktiken des Othering – Empirische Studien | 175

6.1 Diskurse und Praktiken von pädagogisch Professionellen im Umgang mit Differenzen und Ungleichheiten | 176 6.2 Mechanismen des Othering und Modi des intersektionalen Zusammenspiels | 212 6.3 Funktionen und Folgen von Othering im institutionellen Kontext von Schule und Jugendarbeit | 223 6.4 Othering – im Rahmen differenzsensibler und diskriminierungskritischer Bildungsarbeit? | 232 6.5 Reflexion des Forschungsprozesses | 236 7. Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen III: Reflexions- und Bildungsprozesse von Pädagog_innen – Empirische Studien | 243

7.1 Veränderungen – Reflexionen von Pädagog_innen über eigene Lernprozesse | 246 7.2 Transformationsprozesse von Pädagog_innen – Fallbezogene Analysen | 261 7.3 Zur Widersprüchlichkeit von Transformations- und Bildungsprozessen | 285 7.4 Lernen und Bildung in und durch Kooperation | 299 7.5 Reflexion des Forschungsprozesses | 302 8. Resümee | 309 Literatur | 317

Einleitung

Angesichts gesellschaftlicher Verhältnisse, die durch soziale Ungleichheit, hegemoniale Macht- und Herrschaftsverhältnisse, kapitalistische Interessenkonflikte, asymmetrische Geschlechterverhältnisse sowie internationale Grenz- und Migrationsregimes gekennzeichnet sind, stellt sich pädagogisches und soziales Handeln als herausfordernd dar. Prozesse der Ein- und Ausgrenzung, Unterwerfung sowie Normierung und Normalisierung sind immanente Bestandteile dieser Verhältnisse, die durch Neoliberalisierung und ökonomische Krisen noch weiter verschärft werden. Diese Verhältnisse spiegeln sich u.a. in Organisationen und Institutionen von Bildung oder auch in Projekten zu Diversität und Diskriminierungskritik wider. Sie prägen diese und werden hier zugleich reproduziert – aber auch kritisch hinterfragt. In diesem Kontext gestalten sich Bildung und Unterstützung widersprüchlich: Beide enthalten sowohl emanzipatorisches Potenzial als auch normierende, disziplinierende und ausgrenzende Aspekte. Das Agieren und Handeln ist vor diesem Hintergrund sowohl für Pädagog_innen als auch für Adressat_innen oder Nutzer_innen von Bildung herausfordernd und äußerst ambivalent. Bereits Heydorn (1970) und Bourdieu/Passeron (1973) haben hervorgehoben, dass sich gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse nicht nur in, sondern auch durch Bildung bzw. Organisationen von Bildung reproduzieren. Der Zusammenhang von Bildung, Differenz und Ungleichheit ist im sozialund erziehungswissenschaftlichen Zusammenhang in verschiedener Hinsicht von Relevanz. So war die Verbindung von Bildung und Differenz von jeher ein erziehungswissenschaftliches Thema und ist in einige Teildisziplinen und Bereiche der Erziehungswissenschaft, wie z.B. die Interkulturelle Bildung, die erziehungswissenschaftliche Geschlechterforschung oder die Sonderpädagogik, eingeschrieben. Die Thematisierung von Differenz erfolgt dabei primär mit Blick auf das Andere und vor dem Hintergrund einer machtvollen, aber unausgesprochenen ›Normalität‹, mit dem (pädagogischen) Ziel der Normalisierung und In-

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tegration, aber auch verbunden mit der Gefahr der Ausgrenzung und des Othering. In dieser Weise ist auch Soziale Arbeit als »Arbeit mit den Anderen«, so Kessl/Plößer (2010), konzipiert und konstituiert. In aktuellen sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Differenz und Ungleichheit werden verschiedene Differenzlinien oder Markierungen in den Blick genommen, ausgehend von der klassischen Trias von class, gender und race. Ansätze und Perspektiven, wie die der Intersektionalität oder Diversität, nehmen die Komplexität und das machtvolle Zusammenspiel unterschiedlicher Differenzverhältnisse als gesellschaftlich wirksame Dominanz- und Unterdrückungsverhältnisse in den Blick und wurden für die erziehungswissenschaftliche Diskussion in den letzten Jahren zunehmend bedeutsam (vgl. Lutz/Wenning 2001, Krüger-Potratz 2011, Leiprecht 2011, Effinger et al. 2012, Emmerich/Hormel 2013). Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Arbeit der pädagogische Umgang mit Differenz und sozialer Ungleichheit unter einer intersektionalen Perspektive betrachtet und dabei insbesondere das Handeln von Pädagog_innen bzw. von Professionellen der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit in den Blick genommen. Von besonderem Interesse ist dabei, in welcher Art und Weise in pädagogischen Diskursen und Praktiken Konstruktionen von Normalität und Andersheit vorgenommen werden, wie sich dabei verschiedene Differenzkonstruktionen und Dominanzverhältnisse überlagern und wie damit zu einer Reproduktion hegemonialer Ordnungen und bestehender Ungleichheitsverhältnisse beigetragen wird – oder diese problematisiert und herausgefordert werden. Mit Bezug auf postkoloniale, machttheoretische und dekonstruktivistische Theorien wird danach gefragt, wie im Bildungskontext ›Konstruktionen von Anderen‹ zum Tragen kommen, in pädagogischen Praktiken und Diskursen Andere hervorgebracht werden und und inwieweit durch Prozesse des Othering1 hegemoniale Dominanzverhältnisse im pädagogischen Kontext mit hergestellt und

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Unter ›Konstruktionen von Anderen‹ werden, mit Bezug auf postkoloniale Theorien und die Cultural Studies, soziale Prozesse, Repräsentationen, Diskurse und Praxen verstanden, durch die vor der Folie einer selbstverständlichen, wirkungsmächtigen Normalität sozial bedeutsame Differenzen und Grenzziehungen hergestellt und Menschen zu Anderen, Nicht-Zugehörigen gemacht werden. Sie werden dabei einer hegemonialen Differenzordnung (vgl. Mecheril 2009) unterworfen und bekommen eine inferiore Position zugewiesen. Dies wird auch als Prozess des Othering bezeichnet (vgl. Said 1978, Spivak 1985, Broden/Mecheril 2007). Ausführlich wird das theoretische Konzept des Othering in Kapitel 1.1.4 und 1.2.1 erörtert.

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gefestigt werden. Dabei ist allerdings nicht nur von Interesse, wie es im Bildungskontext zur Reproduktion vorherrschender Verhältnisse kommt, sondern auch, welche Möglichkeiten der Veränderung bestehen. Dementsprechend wird unter einer subjektwissenschaftlichen und herrschaftskritischen Perspektive der Frage nachgegangen, wie Pädagog_innen selbst zu Subjekten der Bildung werden und es im Umgang mit Differenz und Ungleichheit zu Transformationen ihrer Deutungs- und Handlungsmuster sowie zu Perspektiven der Kritik und Möglichkeiten der Veränderung kommen kann. Mit diesem doppelten Erkenntnisinteresse wird also zum einen der Blick mehr auf das reproduzierende Moment pädagogischer Praxis gerichtet, zum anderen auf Aspekte und Potenziale der Reflexion des eigenen Handelns sowie der Veränderung. Die Auseinandersetzung mit dem zentralen Gegenstand – der Konstruktion von Anderen im Bildungskontext – erfolgt dabei durchgängig mit einer Perspektive der Intersektionalität, wie sie im Kontext des angloamerikanischen Black Feminism sowie der Critical Race Theory entwickelt wurde (vgl. Crenshaw 1989, Collins 1990). Es wird diskutiert, welchen Beitrag der Ansatz der Intersektionalität für die theoretische und forschende Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Othering leistet und welche Konsequenzen sich aus dieser Perspektive für die Konzeptionalisierung und empirische Analyse von Othering ergeben. Während Rassismustheorien und die Postcolonial Studies den Blick hauptsächlich auf rassialisierte Dominanz- und Unterdrückungsverhältnisse und damit verbundene Konstruktionen von Anderen im migrationsgesellschaftlich bzw. postkolonial gerahmten gesellschaftlichen Kontext richten,2 wird mit einer intersektionalen Perspektive der Blick erweitert und danach gefragt, wie es durch das Zusammenwirken und die Interdependenz von verschiedenen sozialen Macht- und Herrschaftsverhältnissen, von Rassismen, (Hetero-)Sexismus, Klassimus und Ableism zu Prozessen von Ein- und Ausgrenzung, Normalisierung und Unterwerfung kommt und mit welchen Folgen dies verbunden ist. In diesem Sinne wird in der vorliegenden Arbeit der Blick auf und das Verständnis von Othering intersektional erweitert.

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In postkolonialen Theorien werden durchaus auch Bezüge zu feministischen, kapitalismuskritischen bzw. marxistischen Theorien hergestellt. Damit wird auch auf Hierarchien, Privilegien und Unterdrückung in gesellschaftlichen Kontexten des Spätkapitalismus und ungleichen Geschlechterverhältnissen verwiesen. Allerdings wird terminologisch nicht unbedingt der Begriff der Intersektionalität verwendet (vgl. Spivak 1995, Gutiérrez Rodríguez 1999, Erel et al. 2007).

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Der Ansatz der Intersektionalität wird dabei in zweierlei Hinsicht relevant: Zum einen als theoretische und als methodologische Analyseperspektive und Forschungshaltung. Hier wird die Bedeutung des Konzepts der Intersektionalität als Analyse- und Reflexionsinstrument für die erziehungswissenschaftliche Forschung entfaltet. In Auseinandersetzung mit verschiedenen theoretischen Ansätzen und der Berücksichtigung unterschiedlicher sozialer Ebenen werden dabei ein intersektionales Analysemodell sowie eine Analyseperspektive ausgearbeitet, mit denen der forschende Blick auf unterschiedliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse, deren Interdependenzen und daraus resultierenden Folgen gerichtet werden kann. Diese methodologische Perspektive kann darüber hinaus als Reflexionsinstrument für die pädagogische Praxis fruchtbar gemacht werden (vgl. Riegel 2011a, 2013). Zum anderen hat diese Perspektive der Intersektionalität auch Konsequenzen für die theoretische Konzeptualisierung von Othering, für deren empirische Rekonstruktion und Analyse sowie auch für die Untersuchung von diesbezüglichen Bildungs-, Reflexions- und Veränderungsprozessen. Letztendlich ist eine intersektionale Perspektive auch folgenreich für den pädagogischen Umgang mit Differenzkonstruktionen und Othering und somit für eine diversitätsbewusste und dominanzkritische Konzeptualisierung von Bildungsarbeit. Die vorliegende Untersuchung leistet somit einen Beitrag zur Entwicklung methodologischer Perspektiven auf Verhältnisse von Differenz und Ungleichheit, die für die theoretische, empirische und praktisch-pädagogische Auseinandersetzung mit Othering folgenreich ist. Eine intersektional erweiterte Perspektive stellt sich der Herausforderung, der Dynamik und den vielfältigen Verstrickungen von Othering und Bildung in Macht- und Ungleichheitsverhältnissen theoretisch und empirisch gerecht zu werden. Gleichwohl besteht im Kontext einer macht- und dominanzkritischen Intersektionalitätsforschung durchaus ein Bewusstsein über das Involviertsein in Machtverhältnisse und die Unausweichlichkeit von Machteffekten. Hinsichtlich der Forschung zu pädagogischem Handeln bzw. dem Umgang von pädagogisch Professionellen mit Differenz und Ungleichheit wurde lange Zeit ein starkes Empirie-Defizit benannt (vgl. Diehm et al. 2007). In den letzten Jahren gab es jedoch gerade in der erziehungswissenschaftlichen Forschung im deutschsprachigen Raum einen regelrechten Boom der Thematisierung von Differenz. In diesem Zusammenhang entstanden zahlreiche Arbeiten und (v.a. qualitative) Studien zur Bedeutung von sozialer Differenz und Ungleichheit für pädagogisches Handeln und in (sozial-)pädagogischen Feldern (bspw. Budde/Willems 2009, Diehm et al. 2013a, Kuhn 2013, Kleiner/Rose 2014, Tervooren et al. 2014, Budde et al. 2015). Ebenfalls sind Arbeiten zum Zusammenhang

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von Rassismus und Bildung bzw. sozialer Unterstützung (bspw. Melter 2006, Gomolla/Radtke 2009, Broden/Mecheril 2010) entstanden oder, wenn auch sehr viel weniger, zur Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt bzw. der Bedeutung von Heteronormativität für pädagogische Kontexte (z.B. Hartmann 2012, Schondelmayer/Schmidt 2014). Allerdings kann auch konstatiert werden, dass sich viele dieser Arbeiten auf den Bildungskontext Schule beziehen. Des Weiteren wird von den einzelnen Studien meist nur ein Differenz- oder Diskriminierungsverhältnis in den Fokus genommen, wenngleich in den letzten Jahren Intersektionalität als Forschungsperspektive immer bedeutender wurde (z.B. Weber 2005, Kubisch 2008, von Langsdorff 2013, Schulze et al. 2014). Die folgenden Überlegungen und Analysen schließen an die genannten Arbeiten an, erweitern diese Forschungsperspektiven in mancher Hinsicht und zeichnen sich durch die folgenden Aspekte aus: •

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Eine intersektionale Analyseperspektive, mit der der Blick auf verschiedene Macht- und Herrschaftsverhältnisse und deren Zusammenwirken und Interdependenzen gerichtet wird. Es werden also nicht exklusiv Rassismen, Heterosexismen oder Klassismen untersucht. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass für Othering- und Differenzierungsprozesse verschiedene soziale Macht- und Ungleichheitsverhältnisse ineinandergreifen und dem auch theoretisch und methodologisch Rechnung getragen werden muss. Mit der hier entwickelten methodologischen Perspektive wird das Zusammenspiel von verschiedenen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen in Situationen und Prozessen des Othering analysiert. Von Interesse ist dabei v.a., in welcher Weise gerade das Zusammenwirken verschiedener Differenzkonstruktionen (z.B. entlang Geschlecht, Ethnizität/›race‹3, Klasse, Körper o.a.) zu Othering führt und wie sich dabei verschiedene Ungleichheits- und Dominanzverhältnisse in ihrer ein- und ausgrenzenden Wirkung gegenseitig verstärken, überlagern oder abschwächen. Damit erfolgt die Analyse und Rekonstruktion von Othering in Bildungsprozessen aus einer Perspektive der Intersektionalität und Interdependenz.

Die Problematik der beiden Begriffe Ethnizität und Rasse (als die deutsche Übersetzung von race) ist evident, allerdings ist es schwierig begrifflich Alternativen zu finden. Im Folgenden wird hier die doppelte Begrifflichkeit von Ethnizität/›race‹ (in Anführungszeichen) verwendet, um zum einen die nicht-essentialistische Verwendung des Begriffs zu markieren, zum anderen auf die Gewaltförmigkeit rassistischer Verhältnisse hinzuweisen, was tendenziell durch den Begriff der Ethnizität verschleiert wird.

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Bezüglich des Themas der ›Konstruktion von Anderen im Bildungskontext‹ wird ein zweifaches Erkenntnisinteresse verfolgt: zum einen die Analyse von Differenzkonstruktionen und Otheringprozessen, an denen Professionelle in ihrem pädagogischen Tun beteiligt sind. Hier werden Aspekte der Reproduktion und Tradierung vorherrschender Differenz- und Dominanzordnungen sowie deren (soziale) Funktionen und Folgen in den Blick genommen. Zum anderen interessiert jedoch auch, wie Pädagog_innen sich mit den vorherrschenden Differenz- und Dominanzverhältnissen und der eigenen Involviertheit in diesen Verhältnisse auseinandersetzen und wie es zu Möglichkeiten der Reflexion und Veränderung der eigenen, etablierten, aber ausgrenzenden, unterwerfenden und normalisierenden Praxen kommen kann. In diesem Kontext stehen Reflexions- und Bildungsprozesse von Professionellen bzw. (realisierte und potenzielle) Möglichkeiten widerständigen Handelns sowie Perspektiven der Veränderung im Fokus der empirischen Analyse. Eine Erweiterung erfolgt durch den Einbezug verschiedener institutioneller Bildungskontexte bzw. die Untersuchung der genannten Fragestellungen in unterschiedlichen Bildungskontexten, konkret der Schule und der Jugendarbeit sowie Projekten der Bildungsarbeit. Es wird kontextbezogen nach der jeweiligen institutionellen und organisatotionalen Rahmung pädagogischen Denkens und Handelns, nach institutionalisierten Formen des Othering sowie nach (Bildungs-)Potenzialen der interprofessionellen Kooperation gefragt.

Das zentrale Erkenntnisinteresse dieser Arbeit bezieht sich also auf pädagogisches Denken und Handeln in widersprüchlichen Verhältnissen sozialer Ungleichheit. Es geht um die Frage, wie durch institutionalisierte und personale Praxen und Deutungsmuster von Professionellen der Bildungsarbeit Differenzen relevant gemacht werden, wie Othering hervorgebracht und bestehende Differenzordnungen und asymmetrische Verhältnisse reproduziert oder auch verschoben werden. Es wird der Zusammenhang von Bildung und Othering untersucht, indem sowohl pädagogische Diskurse und Praxen und damit verbundene Dynamiken von Othering als auch Veränderungs- und Bildungsprozesse von Professionellen in ihren Ambivalenzen und Verstrickungen in hegemoniale Macht- und Ungleichheitsverhältnisse beleuchtet werden. Diesen Fragen wird anhand qualitativer Studien in unterschiedlichen institutionellen Bildungssettings und pädagogischen Feldern, konkret der sozialpädagogischen Jugendarbeit, der Schule, dem Projektunterricht und der rassismuskritischen Bildungsarbeit mit Pädagog_innen, nachgegangen. Als zentrales Untersuchungsfeld werden dabei zwei Interventions- und Weiterbildungsprojek-

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te mit Jugendlichen und Pädagog_innen in den Blick genommen, in denen zu den Themen Diskriminierung und Diversität gearbeitet wird. Im Kontext dieser Arbeit werden Bildung und Bildungsprozesse als widersprüchlich hinsichtlich der Verstrickungen in vorherrschende Macht- und Ungleichheitsverhältnisse und der Gefahr ihrer Reproduktion betrachtet. Aber auch der Forschungsprozess selbst und die damit verbundenen Wissensproduktionen sind aufgrund des Involviertseins in Macht und der Situiertheit und Partialität von Forschungsperspektiven (vgl. Haraway 1995, Harding 1995) in diese Widersprüche eingebunden. Auch die vorliegende Arbeits sieht sich mit diesen Herausforderungen und mit Gefahren der Reifizierung und Festigung von Differenz- und Normalitätskonstruktionen, der Reproduktion von Othering sowie der Aufrechterhaltung der hegemonialen Ordnung konfrontiert. Es wird versucht, diesen u.a. durch eine intersektional ausgerichtete Reflexion des Forschungsprozesses und der eigenen (relativ) privilegierten sozialen Positionierung als Forscher_in zu begegnen und diese sowie die damit verbundenen Effekte für die Forschung transparent zu machen. Trotz und vor diesem durchaus ambivalenten Hintergrund möchte diese Arbeit einen Beitrag dazu leisten, Fallstricke pädagogischen Handelns sowie Prozesse der Grenzziehung, des Othering und der Normalisierung in widersprüchlichen (Bildungs-)Verhältnissen aufzuzeigen, aber auch, darüber hinausgehend, Perspektiven und Möglichkeiten der Veränderung (in ihren Diskrepanzen und Schwierigkeiten) herauszuarbeiten. Aufbau der Arbeit Die folgende Abhandlung ist in acht Abschnitte gegliedert. Dabei ziehen sich die zentralen Themen ›Bildung – Intersektionalität – Othering‹ durch die gesamten theoretischen, methodologischen und empirischen Studien. Sie beziehen sich aufeinander, wenngleich in den einzelnen Kapiteln jeweils ein anderer Aspekt im Zentrum steht. In einem ersten Kapitel werden aktuelle sozialwissenschaftliche Ansätze und Perspektiven, die sich mit Fragen der sozialen Differenz und Ungleichheit auseinandersetzen, in ihren theoretischen Grundzügen, ihrer Erklärungskraft und Reichweite für die Fragestellung der Arbeit diskutiert. Hieran anschließend wird im zweiten Kapitel der für die Untersuchungen zentrale Begriff des Othering mit Bezug auf postkoloniale Theorien sowie unter Berücksichtigung einer intersektionalen Perspektive konzeptualisiert. Vor diesem Hintergrund wird dann eine theoretische Rahmung ausgearbeitet, die in ein mehrebenenbezogenes intersektionales Analysemodell mündet, welches der systematischen Untersuchung von Otheringprozessen im Bildungskontext dient.

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Das dritte Kapitel, mit dem Titel ›Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen I‹, widmet sich der Analyse von Bildungsverhältnissen und Bildungsprozessen im Horizont von Differenz und Ungleichheit. Dazu werden zuerst die beiden institutionellen Kontexte von Schule und Jugendarbeit betrachtet und die strukturellen Voraussetzungen von Bildung im Kontext gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse untersucht und geklärt, inwiefern die Figur des Othering bereits strukturell in diesen Bildungskontexten verankert ist. Im zweiten Teil des Kapitels wird pädagogisches Handeln zwischen Reproduktion und Veränderung betrachtet, wobei Ambivalenzen pädagogischen Handelns im Kontext hegemonialer Verhältnisse beleuchtet werden. Darüber hinaus werden auch bildungstheoretische und subjektwissenschaftliche Perspektiven ausgelotet, die eine analytische Betrachtungsweise von Bildungsprozessen im Hinblick auf Veränderungsmöglichkeiten im Denken und Handeln von Pädagog_innen erlauben. Mit einem Resümee zum theoretischen Zusammenhang von Bildung und Othering in widersprüchlichen Verhältnissen endet das dritte Kapitel. In Kapitel vier wird Intersektionalität als methodologische Perspektive für die sozial- und erziehungswissenschaftliche Forschung vertiefend in den Blick genommen. Dazu werden zuerst Strategien einer intersektionalen Analyse ausgearbeitet und im Hinblick auf den Forschungsgegenstand ›Othering im Bildungskontext‹ konkretisiert. Darüber hinaus werden methodologische Erfordernisse und methodische Konsequenzen für eine kontextbezogene Analyse von Praxen und Diskursen des Othering sowie von Transformations- und Bildungsprozessen von Professionellen erörtert. Hier werden auch Herausforderungen und Ambivalenzen im Kontext von differenz- und ungleichheitsbezogener Forschung thematisiert. Die in den vorhergehenden Kapiteln dargestellten theoretischen und methodologischen Überlegungen bilden die Grundlage für die empirischen Studien zu ›Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen II und III‹ bzw. ›Othering im Bildungskontext‹. In den präsentierten Studien wird sowohl dem reproduzierenden Handeln von Pädagog_innen in Verhältnissen von Differenz und Ungleichheit (Kapitel sechs) als auch den Möglichkeiten von diesbezüglichen Bildungs- und Reflexionsprozessen und einem damit zumindest potenziell einhergehenden veränderten Handeln nachgegangen (Kapitel sieben). Da die Studien in unterschiedlichen Forschungs- und Praxiskontexten entstanden sind, werden diese in Kapitel fünf, zusammen mit der methodischen Rahmung dargelegt. An dieser Stelle wird ebenso auf die Perspektivität und Situiertheit der Forschenden sowie die Positionierungen der an der Forschung Beteiligten eingegangen.

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In Kapitel sechs werden anhand empirischer Studien in verschiedenen pädagogischen Feldern (diskursive) Praktiken von Pädagog_innen hinsichtlich ihres Umgangs mit Differenz und Ungleichheit beleuchtet und darin liegende Mechanismen des Othering herausgearbeitet. Diese werden vor dem Hintergrund widersprüchlicher gesellschaftlicher und institutioneller (Bildungs-)Voraussetzungen diskutiert – auch im Hinblick auf die Frage, wie es dazu kommen kann, dass Othering selbst oder gerade im Rahmen differenzsensibler und diskriminierungskritischer Bildungsarbeit vollzogen wird. Im zweiten Teil der empirischen Studien (Kapitel sieben) werden Reflexions- und Bildungsprozesse von Pädagog_innen, die an einem Bildungsprojekt zu Diskriminierung und Diversität beteiligt waren, analytisch in den Blick genommen und hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Widersprüche diskutiert. Anhand von ausführlichen Fallanalysen konnten verschiedene Ausprägungen von Bildungsprozessen sowie Konfliktkonstellationen herausgearbeitet werden, durch die Transformationsprozesse angeregt (oder auch behindert) wurden. Die Analysen verdeutlichen die widersprüchliche Verstrickung von Bildung und Othering, zeigen aber auch Möglichkeiten und Perspektiven der Veränderung auf und ermöglichen die anschließende Theoretisierung der jeweiligen strukturellen Zusammenhänge. Abschließend werden die Chancen und Herausforderungen von Kooperation (von Jugendarbeit und Schule) hinsichtlich der herausgearbeiteten Bildungsprozesse diskutiert. Sowohl Kapitel sechs als auch Kapitel sieben ist eine Reflexion des Forschungsprozesses angefügt, in der der Erkenntnis- und Forschungsprozess mit Blick auf die Entstehungskontexte sowie die Situiertheit und Perspektivität, aus der die Analysen erstellt wurden, betrachtet und hinsichtlich möglicher Folgen reflektiert wird. Im abschließenden Resümee (Kapitel acht) wird vor dem Hintergrund der zuvor herausgearbeiteten Erkenntnisse die Bedeutung einer intersektionalen Perspektive für professionelles Handeln und für die Gestaltung von Bildung erörtert. Die Perspektive der Intersektionalität wird hier auch als Perspektive der Reflexion, der Kritik und der Veränderung ausgeführt und stark gemacht. Dies geschieht vor dem Hintergrund widersprüchlicher Verhältnisse, in die Bildung involviert ist, sowie der ambivalenten Herausforderung, in diesen Verhältnissen nicht-diskriminierend zu handeln.

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Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Rahmenteil meiner kumulativen Habilitation an der Eberhardt-Karls-Universität Tübingen. Ich möchte mich bei den Gutachter_innen Barbara Stauber, Rudolf Leiprecht, Paul Mecheril und Karin Amos für den Austausch und ihre wertvollen Anregungen herzlich bedanken; ganz besonders bei Barbara Stauber, die mir auf meiner damaligen Stelle nicht nur den Raum gegeben hat, diese Gedanken zu entwickeln, sondern mich auch durch viele inspirierende Diskussionen und eine tolle Arbeitsatmosphäre unterstützt hat. Darüber hinaus bin ich einer Reihe von Personen dankbar, die in ganz unterschiedlicher Weise dazu beigetragen haben, dass die Weiterführung der Gedanken und das Projekt der Publikation doch noch zu einem Ende gebracht werden konnten: Marianthi Anastasiadou, Eva Bronner, Lalitha Chamakalayil, Silke Drether, Angelika Hipp, Anja Lochner, Sakis Marvakis, Saskia Opferkuch, Anna Punde, Angela Rein, Wiebke Scharathow, Ingolf Stöcker und Carina Utz. Meinen Eltern Elisabeth und Guido Riegel möchte ich in besonderer Weise danken. Und nicht zuletzt gelten mein Dank und die Anerkennung denjenigen, die sich im Rahmen der vorliegenden Studien und Projekte auf das Wagnis von Bildung eingelassen haben und dabei auch noch bereit waren, sich forschend begleiten zu lassen.

1. Theoretische Zugänge zur Analyse sozialer Differenzen und Ungleichheiten

Differenz stellt eine gesellschaftskonstituierende Größe dar, die auf Pluralität und Diversität, aber auch auf Macht, Herrschaft und Ungleichheit verweist. Zur Erklärung und Analyse von sozialer Differenz und Ungleichheit existieren verschiedene epistemologische und theoretische Zugänge. Im Folgenden werden theoretische Diskursstränge und Perspektiven, die auf unterschiedliche Wissenschaftstraditionen zurückgehen, aufgezeigt. Dazu werden aktuelle sozialwissenschaftliche Theorieperspektiven, die sich mit Fragen sozialer Differenz und Ungleichheit auseinandersetzen, in ihren jeweiligen theoretischen Grundzügen, ihrer Erklärungskraft und Reichweite diskutiert. Es wird herausgearbeitet, wie in den jeweiligen Ansätzen das Verhältnis von Differenz und sozialer Ungleichheit bzw. Macht und Herrschaft gefasst wird und inwiefern Ursachen und Folgen sowie Wandel und Beständigkeit von sozialen Differenzbildungen und Ungleichheitsverhältnissen erklärt werden. Vor diesem Hintergrund soll geklärt werden, inwiefern diese Ansätze für eine theorie- und forschungsbezogene Auseinandersetzung mit Othering im Bildungskontext fruchtbar gemacht werden können. Im Kontext dessen scheint es zunächst naheliegend, sich auch mit den (Differenz-)Verhältnissen von ›Ich und der_die Andere‹ sowie ›das Eigene und das Fremde‹ auseinanderzusetzen. Hier ist zum einen an die Arbeiten von Martin Heidegger, Emanuel Levinas, Jaques Lacan oder von Alfred Schütz zu denken, die sich in ihren Arbeiten mit dem Thema Alterität bzw. dem ›allgemeinen Anderen‹ beschäftigen. Zum anderen sind mit Bezug auf ›das Fremde‹ die historisch bedeutsame Arbeit Georg Simmels »Exkurs über den Fremden« (1908), Zygmunt Baumans Beitrag über »das Eigene und das Fremde« (1991) oder Bernhard Waldenfelsʼ »Studien zur Phänomenologie des Fremden« (1997) zu nennen. Die sozialphilosophischen Fragen des Verhältnisses von ›Ich und Ande-

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rem‹ sowie ›Eigenem und Fremdem‹ werden an dieser Stelle nicht explizit erörtert, sie haben jedoch die hier diskutierten Perspektiven auf soziale Differenz oder auf binäre und hierarchische Unterscheidungen beeinflusst. Das hier verfolgte Erkenntnisinteresse richtet sich v.a. auf die Frage der sozialen Konstruktion von Anderen und dabei auf pluriforme Mechanismen und Prozesse der Kategorisierung, Unterscheidung und Grenzziehung in gesellschaftlichen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen. Es geht somit über eine philosophische, auf Intersubjektivität abzielende Auseinandersetzung mit dem ›Anderen‹ oder einer einseitigen Spezifizierung oder Bestimmung des ›Fremden‹ hinaus. Vor diesem Hintergrund werden v.a. sozial- und kulturwissenschaftliche Ansätze, die sich mit Fragen der Macht und sozialer Ungleichheit beschäftigen, in den Blick genommen. Dies sind: • • • • •

Strukturtheoretische Ansätze Sozialkonstruktivistische und interaktionistische Ansätze Poststrukturalistische, diskurstheoretische und dekonstruktivistische Perspektiven Ansätze und Perspektiven der Cultural Studies, Postkolonialen Theorien und der Rassismuskritik Intersektionalitätsansätze.

Die einzelnen Ansätze werden jeweils unter folgenden Gesichtspunkten und Fragen diskutiert: • • •

• •

Was ist die epistemologische Herkunft der Konzepte und in welcher Wissenschaftstradition stehen sie? Wie wird soziale Differenz gefasst? In welcher Weise werden Differenzen im Zusammenhang mit Hierarchien und sozialer Ungleichheit gedacht und im Kontext von Macht- und Dominanzverhältnissen diskutiert? Wie werden Ursachen, Funktion und Folgen von sozialer Differenz und Ungleichheit erklärt? Welche sozialen und gesellschaftlichen Ebenen werden dabei fokussiert bzw. als relevant erachtet?

Mit dieser Betrachtung soll u.a. geklärt werden, inwieweit diese Ansätze zur Untersuchung von Otheringprozessen im Bildungskontext geeignet sind und für deren Analyse fruchtbar gemacht werden können.

T HEORETISCHE Z UGÄNGE ZU D IFFERENZ

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1.1 S TRUKTURTHEORETISCHE ANSÄTZE Strukturtheoretische Ansätze setzen auf der gesellschaftlichen Makro- und Mesoebene an. Diese fokussieren auf die Strukturierung von Gesellschaft und unterschiedliche Formen und Ursachen sozialer Ungleichheitsverhältnisse. Sie beziehen sich auf gesellschaftstheoretische Strömungen u.a. im Anschluss an marxistische Konzepte und Theorien sozialer Ungleichheit (vgl. hierzu bspw. Wallerstein 1989, Kreckel 1992, Lenz 1995, Smith 1998) und finden sich in Perspektiven feministischer wie auch rassismus- und kapitalismuskritischer Forschung und Theoriebildung wieder. In einer gesellschaftstheoretischen Perspektive wird danach gefragt, welche Strukturprinzipen historisch unter welchen Bedingungen entstanden und gesellschaftskonstituierend und strukturierend geworden sind und wie diese durch Hierarchisierung, Segmentierung, Ein- und Ausgrenzung geordnet und eingeteilt werden. Hierfür spielen Klasse, Geschlecht, Ethnizität/›race‹ eine bedeutsame Rolle. Allerdings wird vor diesem Hintergrund nicht von sozialen Differenzen, sondern von Strukturkategorien (bspw. Winker/Degele 2009), Strukturwidersprüchen oder Strukturkonflikten (bspw. Kreckel 1992: 269) gesprochen und deren strukturierende Bedeutung für asymmetrische Geschlechter-, Klassen- oder Ethnizitätsverhältnisse herausgearbeitet. So hat Reinhard Kreckel (1992) in seinem strukturtheoretischen Ansatz zur Erklärung sozialer Ungleichheit für westliche, kapitalistisch und nationalstaatlich organisierte Gesellschaften als grundlegende und konstitutive Strukturkonflikte den Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital sowie den zwischen Produktions- und Reproduktionsarbeit – in Form eines abstrakten Geschlechterverhältnisses – analysiert. Dies wurde später von ihm (Kreckel 1994) und anderen (bspw. Marvakis 1996 mit Bezug auf Wallerstein 1989) noch durch einen weiteren Strukturkonflikt im internationalen Kontext der Weltgesellschaft erweitert, der sich in asymmetrischen Ethnizitätsverhältnissen zeigt. Ilse Lenz (1995) bezieht systematisch die dargestellten Strukturprinzipien, die zu sozial ungleichen Lebenschancen führen, in ihr Konzept der »Dreifachen Vergesellschaftung« ein. Dabei betrachtet sie die gesellschaftlichen Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse als ›Konfigurationen‹ bzw. als komplexe wechselseitige Verbindungen von Klasse, Ethnie und Geschlecht. Die Herrschaftsverhältnisse Patriarchat, Klassismus sowie Nationalismus/Ethnozentrismus/Kolonialismus und Imperialismus werden in ähnlicher Weise – u.a. von Klinger (2008) – als »Achsen der Ungleichheit« oder von Fraser (2003: 80) als »Achsen der Benachteiligung« bezeichnet. Diese strukturellen Ungleichheitsverhältnisse sind jedoch in ihrer historischen Funktionalität und Entstehung nicht gleichzusetzen und aufeinander zurückzuführen, auch wenn sie empirisch durch-

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aus zusammenwirken können, worauf insbesondere in Intersektionalitätsansätzen hingewiesen wird (s.u.). Diese Strukturkategorien sind systematisch an der ungleichen Verteilung von Lebenschancen und sozialen Ressourcen beteiligt und werden als soziale Platzanweiser für Individuen als Angehörige sozialer Gruppen wirksam. Hervorzuheben ist, dass für die genannten strukturtheoretischen Ansätze westliche kapitalistische Gesellschaften die Rahmung der Analysen darstellen. Das Kennzeichen und damit auch der Gewinn strukturtheoretischer Perspektiven liegt in ihrem Potenzial einer (ungleichheits-)kritischen Gesellschaftsanalyse, die sich auf Strukturkonflikte und soziale Spannungsverhältnisse bezieht, durch die die ungleiche Verteilung von sozialen Ressourcen und Lebenschancen sowie Asymmetrien hinsichtlich sozialer Ein- und Ausgrenzung, Auf- und Abwertung sowie Unterwerfung und Vereinnahmung erklärt werden. Strukturkonflikten wird somit eine ursächliche Wirkung für Verhältnisse sozialer Ungleichheit zugesprochen und soziale Unterscheidungen und Kategorien werden als Produkte gesellschaftlicher Macht- und Interessenkonflikte verstanden. Dabei werden Unterschiede v.a. hinsichtlich ungleicher Chancen und Möglichkeiten sozialer Gruppen (die entlang der Strukturkategorien gebildet werden) in den Blick genommen. Kritik erhält der Ansatz von Vertreter_innen interaktionistischer oder dekonstruktivistischer Ansätze (s.u.) dahingehend, dass die Strukturkategorien als feste Größen behandelt und davon potenziell einheitliche Lebenslagen von sozialen Gruppen abgeleitet werden womit die Gefahr einer Quasi-Naturalisierung der Kategorien verbunden ist. Zwar wird in strukturtheoretischen Ansätzen vom Charakteristikum des ›historisch Gewordenen‹ von Strukturkategorien bzw. asymmetrischer Verhältnisse ausgegangen und dies rekonstruiert. Allerdings werden z.T. in empirischen Analysen, in denen es z.B. um Geschlechtergerechtigkeit oder um Bildungsbenachteiligungen geht, Kategorien wie Nationalität, Alter, Geschlecht oder Einkommen als feste Größen verwendet. Sie werden dabei nicht hinsichtlich ihres Konstruktionscharakters sowie den damit verbundenen Gefahren der Reifikation in der Forschung hinterfragt. So wird etwa in der strukturtheoretischen Geschlechterforschung, als deren Vertreter_innen u.a. Regina Becker-Schmidt, Ursula Beer und Cornelia Klinger gelten, auf das System der Zweigeschlechtlichkeit rekurriert. Dabei wird notwendigerweise von der binären Unterscheidung von Männern und Frauen ausgegangen, womit das damit verbundene hierarchisch geordnete Heteronormativitätsverhältnis in der Analyse tendenziell reproduziert wird. Für die Analyse von Konstruktionen von Anderen im Bildungskontext sind strukturtheoretische Ansätze für die gesellschaftstheoretische Fundierung und für

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die gesellschaftliche Kontextualisierung von Bedeutung. Unter einer strukturtheoretischen Perspektive werden die sozialen und materiellen Verhältnisse, in denen Differenzkonstruktionen und Othering erfolgen, in den Blick genommen. Es wird danach gefragt, was die strukturellen Voraussetzungen von Bildung sind, inwiefern sich soziale Ungleichheit im Bildungssystem niederschlägt und zu welchen ungleichheitsstrukturierenden Folgen dies führt: Wie wirken Geschlechter-, Ethnizitäts- und Klassenverhältnisse im Bildungssystem und in welcher Weise wirken sich diese Unterschiede auf die Lebenschancen von Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen aus? Strukturtheoretische Ansätze sind mit einer potenziell kritischen Perspektive auf gesellschaftliche Ungleichheitsund Herrschaftsverhältnisse verbunden und zielen politisch auf Möglichkeiten der strukturellen und rechtlichen Gleichberechtigung und sozialen Gerechtigkeit ab.

1.2 S OZIALKONSTRUKTIVISTISCHE UND INTERAKTIONISTISCHE A NSÄTZE Konstruktivistische Ansätze und insbesondere die für diesen Zusammenhang relevanten interaktionistischen und ethnomethodologischen Varianten des Konstruktivismus heben das soziale Hergestelltsein und die Konstruiertheit von sozialen Kategorien wie Geschlecht, Ethnizität/›race‹, aber auch Alter, Körper, Gesundheit u.ä. hervor. Im Gegensatz zu strukturtheoretischen Ansätzen ist für eine interaktionistische Theorieperspektive v.a. die Frage interessant, in welcher Art und Weise Differenzen und soziale Kategorien hergestellt und mit sozialer Bedeutung versehen werden. Hier geht es explizit um die Rekonstruktion von Konstruktionsprozessen, wie sie in alltäglichen oder institutionellen Interaktionen und Praxen von konkreten Akteur_innen hergestellt werden. Der Fokus ist auf die Ebene des Handelns, der sozialen Praktiken und der konkreten Interaktionen gerichtet. Historische Wurzeln haben diese Perspektiven im Sozialkonstruktivismus, wie er auf Berger/Luckmann (1966) und deren Werk »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« zurückgeht, bzw. im symbolischen Interaktionismus (u.a. Goffman 1996 [1967]) sowie in der Ethnomethodologie (u.a. Garfinkel 1967). Diesen Ansätzen liegt die sozialkonstruktivistische Annahme zugrunde, dass soziale und kulturelle Phänomene nicht ›objektiv‹ gegeben sind – auch wenn sie Handelnden so erscheinen –, sondern stets interaktiv hergestellt werden. Es wird davon ausgegangen, dass menschliches Handeln gesellschaftliche Strukturen und Institutionen schafft und ihnen Sinn verleiht. Von daher ist

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von Interesse, wie es zur Herstellung von gesellschaftlicher Objektivität und ihrer Strukturierung kommt und auch wie diese sich durch Wiederholung und Tradierung festigen. Hier hat Goffman in seinen Interaktionsanalysen (u.a. 1980 [1963], 1996 [1967]) Kategorisierung als Mittel der Zuschreibung und Diskreditierung herausgearbeitet und auf die gesellschaftliche Bedeutung solcher Interaktionsresultate verwiesen. In seinen Studien zu »Interaktion und Geschlecht« (1994) spricht er schon relativ früh1 von doing gender und weist darauf hin, dass sich in Interaktionen Geschlecht mit anderen Kategorisierungen überkreuzt und überlagert (ebd.: 93). Soziale Differenzen wie Geschlecht, Ethnizität/›race ‹, Alter werden nicht als Faktoren oder Merkmale von Individuen verstanden, sondern als interaktive und situationsspezifische Konstruktionspraxen beschrieben und rekonstruiert. Diese Ansätze hinterfragen somit feste Entitäten und in essentialistischer Weise vorgestellte Größen. Von Interesse ist dabei der Prozess, in dem und durch den es zu diesen Konstruktionen im alltäglichen Handeln kommt und wie diese von den Akteur_innen in der Interaktion wechselseitig verstanden und mit Sinn versehen werden. Dabei wird beispielsweise die Herstellung von Geschlecht als zirkulärer Prozess verstanden, der sowohl Protagonist_innen/Darsteller_innen (Garfinkel 1967) als auch Rezipient_innen (Kessler/McKenna 1978: 158) braucht. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass durch diese alltäglichen Konstruktionsprozesse immer auch eine repräsentierende Differenzordnung hergestellt und gefestigt wird, sodass (den Akteur_innen) die konstruierten Phänomene und die damit verbundenen Ordnungen als natürlich und kaum mehr veränderbar erscheinen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das Konzept des ›doing‹ – des Herstellens, Machens und Erzeugens von sozialen Differenzen und Kategorisierungen – relevant, wie es zunächst von Candace West und Don Zimmermann (1987) aus ethnomethodologischer Perspektive und im Anschluss an Garfinkel (1967) und Kessler/McKenna (1978) als ›doing gender‹ herausgearbeitet wurde. Im deutschsprachigen Raum wurde der Ansatz v.a. von Hagemann-White (1984, 1988), Hirschauer (1989) und Gildemeister/Wetterer (1992) aufgenommen. Das Konzept des ›doing‹ wurde inzwischen auf eine Vielzahl anderer Differenzkonstruktionen und deren Herstellungs- und Präsentationsprozesse übertragen: doing ethnicity, doing youth, doing age usw. West und Fenstermaker (1995) haben den

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Die amerikanische Originalfassung von 1977 trägt den Titel: »The Arrangement between the Sexes« (Goffman 1977).

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Ansatz u.a. in Reaktion auf die Kritik an der Omnirelevanzannahme2 von Geschlecht, wie sie West/Zimmermann (1987) zunächst formuliert haben (»doing gender is unavoidable«, ebd.: 137), zum Konzept des ›doing difference‹ erweitert. Mit dem Konzept des ›doing difference‹ (West/Fenstermaker 1995) wird nun dezidiert auf die Relevanz und das Zusammenwirken von verschiedenen Differenzkategorien und deren Herstellungsprozesse verwiesen: »Geschlecht, Klassen- und ethnische Unterschiede werden in Interaktionsprozessen simultan erzeugt und resultieren in westlichen Gesellschaften in vielfältigen Formen sozialer Ungleichheit, Unterdrückung und Herrschaftsverhältnissen.« (Fenstermaker/West 2001: 236)

Dabei wird von einem situativen und interaktionistischen Herstellungsprozess von verschiedenen sozial relevanten Differenzen und Unterscheidungen ausgegangen, die nicht in einzelne Entitäten auseinanderdividiert werden können, sondern als gleichzeitiger und simultaner Vorgang betrachtet werden.3 Der simultane Prozess des Erzeugens von Differenz (doing difference) wird dabei als ungleichheits- und dominanzkonstituierend betrachtet. Die Perspektive dieses Ansatzes richtet sich v.a. auf das Herstellen, Reproduzieren und Festigen von sozialen Differenzierungen und Grenzziehungen. Zudem wird danach gefragt, inwiefern diese Prozesse mit Hierarchisierungen und Asymmetrien verbunden sind (vgl. Gildemeister/Wetterer 1992, Gildemeister 2004) und dadurch soziale Ungleichheit und Dominanzverhältnisse konstituiert werden (West/Fenstermaker 1995). Ziel einer konstruktivistischen Analyse ist es, Differenzierungsprozesse bzw. Herstellungsweisen von sozialen Differenzen und ihre hierarchisierenden Wirkungen in alltäglichen Interaktionen und Routinen zu rekonstruieren. Konstruktivistische Theorien wenden sich also kritisch gegen eine Naturalisierung und Essentialisierung von Kategorien (sowie Identitäten) und der alltäg-

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Die Omnirelevanzannahme wurde u.a. von Hirschauer (2001) mit dem Argument zurückgewiesen, dass Geschlecht auch im Hintergrund ›mitlaufen‹, situativ dethematisiert und ihm Bedeutung genommen werden kann. Ebenso betonte er, dass neben Geschlecht noch andere Kategorien in alltäglichen Interaktionen, Identitäten und Kategorisierungsprozessen relevant sind, d.h. hergestellt und mit Sinn versehen werden.

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Dabei wird jedoch nahegelegt, dass doing ethnicity, doing age, doing class, doing gender ähnlichen Unterscheidungsmechanismen unterliegen, was (nicht nur) von strukturtheoretischen Ansätzen infrage gestellt wird (s.o.).

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lichen Selbstverständlichkeit von binären Unterscheidungen (wie z.B. Zweigeschlechtlichkeit vor dem Hintergrund einer heterosexuellen Matrix, Konstruktionen von ›Wir und die Anderen‹), Grenzziehungen und Hierarchisierungen. Mit dieser Perspektive können auch Normalitätsvorstellungen4 als soziale Konstruktionen und in ihren alltäglichen Reproduktionen und Bezugnahmen auf vorherrschende Differenzordnungen rekonstruiert, in ihrer Selbstverständlichkeit entlarvt und dabei ihre ein- und ausgrenzenden, auf- und abwertenden, hervorhebenden oder ignorierenden Mechanismen und ihre Folgen aufgezeigt werden. Ebenfalls wenden sich konstruktivistische Ansätze kritisch gegen Erklärungsansätze, die auf naive Zuordnungen und stereotype Kategorisierungen und Alltagswissen zurückgreifen, um gesellschaftlich vorherrschende Annahmen, z.B. zu Kultur, Ethnizität, Religion usw., plausibel zu machen. Mit einer konstruktivistischen Perspektive kann kritisch gefragt werden, welche Annahmen, Stereotype und Selbstverständlichkeiten in Alltagswissen einfließen und in welcher Weise sie in alltäglichem Handeln und Interaktionen relevant und aktiviert werden – auch im pädagogischen Kontext. In dieser Hinsicht kann die konstruktivistische Perspektive für die Analyse von pädagogischen Prozessen der Konstruktion von Anderen fruchtbar gemacht werden. Darüber hinaus kann mit Blick auf alltägliche Praxen bzw. Herstellungsoder Reproduktionsprozesse von sozial relevanten Differenzierungen und Grenzziehungen die Trägheit und Beständigkeit von sozialen Ungleichheitskategorien und -verhältnissen erklärt werden. Durch die Charakterisierung dieser Prozesse als ›menschlich gemacht‹ steckt in sozialkonstruktivistischen Ansätzen potenziell auch die Perspektive der Veränderbarkeit. Sozialkonstruktivistische Ansätze thematisieren dabei jedoch nicht die Subjektivität bzw. die Handlungsgründe der Akteur_innen. Hier interessieren v.a. die Prozesse der Konstruktion bzw. deren Praxis und nicht die Gründe, weshalb sich die Einzelnen daran beteiligen oder auch nicht. Kritik besteht gegenüber solchen konstruktivistischen Ansätzen v.a. vonseiten gesellschaftskritischer und strukturtheoretischer Wissenschaftsperspektiven. Vertreter_innen dieser Ansätze kritisieren Ansätze des ›doing gender‹ oder ›doing difference‹ in ihrer interaktionistischen Verengung. In ihnen werde zum einen von einer Gleichursprünglichkeit von Differenz und Hierarchie ausgegangen (vgl. Gottschall 2000, Knapp 2005) sowie die Bedeutung von binären Unterscheidungen ausschließlich in alltäglichen Interaktionen verortet, Strukturkate-

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Konstruktivistisch betrachtet ist Normalität nur in Abgrenzung zur Abweichung zu denken, wie z.B. Heterosexualität – als selbstverständliche Norm – nur in Abgrenzung zu Homosexualität (vgl. Degele 2008: 89).

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gorien würden durch die Überführung in Prozesskategorien (doing gender, doing race, doing ethnicity, doing age etc.) aufgegeben (vgl. Maihofer 1995) und somit die materiellen Verhältnisse, in denen sie entstehen, vernachlässigt (vgl. Klinger 1998, 2008, Gottschall 2000). In diesem Zusammenhang gelten ethnomethodologische und interaktionistische Ansätze in ihrem Blick auf gesellschaftliche Ungleichheit und die diese strukturierenden Kräfte als unkritisch. M.E. verfolgen diese Ansätze jedoch unterschiedliche Fokusse bzw. Analyse- und Erkenntnisperspektiven, wobei die Frage nach sozialer Differenz und Ungleichheit auf unterschiedlichen sozialen Ebenen verortet wird. Strukturtheoretische Ansätze fragen nach den Ursachen und den dahinterliegenden Strukturen und Herrschaftsverhältnissen, weniger nach dem ›Wie‹ der Produktion und Reproduktion dieser Strukturen. Ethnomethodologische und interaktionistische Ansätze hingegen gehen von der interaktiven Konstruktion sozialer Wirklichkeit aus und legen ihren Schwerpunkt auf das Machen und Herstellen von Differenzen und deren Beitrag für die Produktion und Reproduktion von Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnissen. Mit Blick auf die sozialwissenschaftliche Diskussion (und strukturtheoretischen Ansätze) kann jedoch festgehalten werden, dass die Konstruktion von sozialen Kategorien nicht mehr angezweifelt wird und Prozesse der Differenzierung und Hierarchisierung für gesellschaftsstrukturelle Entwicklungen sozialer Ungleichheit als relevant erachtet werden. Nina Degele konstatiert mit Blick auf verschiedene Denkströmungen eine ähnliche, übergreifende Entwicklung: weg von Strukturkategorien, hin zu Prozessbeschreibungen: »Geschlechter- und Migrationsforschung, Queer Studies und Postkoloniale Studien haben sich von der Beschreibung stabiler Identitäten verabschiedet und auf die Rekonstruktion von Prozessen verlegt. Geschlecht, Sexualität und Rasse sind soziale Positionierungen, Elemente von Fremd- und Selbstzuweisung und Mechanismen sozialer Differenzierung. Wie auch Geschlecht wird Rasse getan – und ist kein Merkmal.« (Degele 2008: 97)

Das kritische Potenzial von konstruktivistischen Ansätzen besteht hinsichtlich des Infragestellens von sozialen Differenzkonstruktionen und Grenzziehungen. Diesbezüglich sind für die Erklärung von Ein- und Ausgrenzungsmechanismen (u.a. auch im Bildungs- und Erziehungskontext) theoretische Bezüge auf den Etikettierungsansatz (Labeling Approach, weiter unten immer mit Bindestrich geschrieben) von Bedeutung, der von Howard Becker in seinem Buch »Outsiders« (1963) u.a. zur interaktionistischen Analyse abweichenden Verhaltens entwickelt wurde; ebenso wie die soziologischen Arbeiten von Elias und Scotson (1990), die darin das asymmetrische Verhältnis von ›Etablierten‹ und

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›Außenseitern‹ charakterisieren und verdeutlichen, welch strukturierende Rolle dabei Elemente des sozialen Kategorisierens sowie der positiven und negativen Etikettierung spielen. Um das prozessuale, aber gleichzeitig machtvolle Zuweisen auf soziale und gesellschaftliche Positionen deutlich zu machen, wird auch von Ethnisierung5, Kulturalisierung und Vergeschlechtlichung von sozialen Unterscheidungen und gesellschaftlichen Strukturen gesprochen. Für den vorliegenden Forschungskontext sind diese Ansätze insofern von Interesse, als dass sie mit ihrem Fokus für die Rekonstruktion von sozialen Differenzierungs- und Kategorisierungsprozessen Analysepotenziale bereithalten, ebenso für Prozesse der Veränderung. Mit dieser Perspektive kann herausgearbeitet werden, wie im alltäglichen und pädagogischen Umgang mit Differenz und Ungleichheit im Bildungskontext vorherrschende Vorstellungen von Geschlecht, Ethnizität/›race‹ usw. reproduziert und tradiert werden und wie damit bestehende Verhältnisse gefestigt oder aber modifiziert und verändert werden. Im Kontext der Bildungsforschung wurden interaktionistische Ansätze, zunächst mit Bezug auf den in den 1960er-Jahren in der US-amerikanischen Kriminologie entstandenen »Labeling Approach« (vgl. Becker 1963, Sack 1968), bedeutsam. Zuschreibungs- und Labelingprozesse von Pädagog_innen gegenüber Heranwachsenden wurden in den Blick genommen und damit verbundene Erwartungen der Lehrkräfte sowie Interaktionen zwischen Schüler_innen und Lehrer_innen als mögliche Ursachen von Benachteiligungs- und Ausgrenzungsprozessen im Bildungskontext analysiert.6 Der interaktionistischen Perspektive

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Wolf-Dietrich Bukow (1996) sowie Bukow/Llayora (1988) arbeiten beispielsweise die gesellschaftlich strukturierende Bedeutung von sozialen Konstruktionen wie Ethnizität/›race‹ sowie von Prozessen der Ethnisierung heraus. Sie machen deutlich, dass es im Rahmen von Kommunikation und sozialem Handeln in Alltag, Politik, Verwaltung und Wissenschaft durch Prozesse der Ethnisierung zur sozialen Konstruktion von ethnischen Minderheiten kommt. Dabei wird das ungleichheitsrelevante Potenzial dieser Ethnisierungsprozesse deutlich: Angehörige der Gruppe, die als ethnische Minderheiten kategorisiert werden, werden dabei als ›Fremde‹ und ›Andere‹ konstruiert und nicht als vollwertige Mitglieder einer als Nationalgesellschaft konzeptionalisierten Gesellschaft gesehen. Bukow (1996) bezeichnet dies als Labeling- bzw. Ethnisierungsprozess, der mit einer »ethnisch sortierten Zuweisung« (ebd.: 177) von Individuen und der Hervorhebung von (bestimmten) sozialen Gruppen zu ethnischen Figurationen verbunden ist. Diese Prozesse sind auch im Rahmen von Bildung relevant.

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Der Kerngedanke des Ansatzes besteht darin, dass abweichendes (Lern-)Verhalten, gerade auch in Schule oder Jugendarbeit, ein Etikett darstellt, das im Kontext gesell-

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wurde im Zusammenhang mit der Erkenntnis, dass Kinder mit sogenanntem Migrationshintergrund in Sonderklassen und Hauptschulen überdurchschnittlich vertreten sind, zu Beginn der 1990er-Jahre eine starke Erklärungskraft zugeschrieben, was zu einer Vielzahl von entsprechenden Untersuchungen führte. Diese konnten aufzeigen, dass Lehrkräfte Schüler_innen je nach deren (zugeschriebener) Herkunft unterschiedlich einschätzen und Kinder mit (zugeschriebenem) Migrationshintergrund in der Regel unterschätzt werden (vgl. u.a. Grant/Tate 1995, Moser/Rhyn 2000). Cristina Allemann-Ghionda spricht in diesem Zusammenhang von einem »kollektiven Pygmalioneffekt« (AllemannGhionda 2006: 245), durch den die Schulkarrieren dieser Kinder und Jugendlichen stark beeinflusst werden. Konstruktivistische Theorien, wie z.B. Etikettierungsansätze oder der Labeling Approach, haben aber auch in der Sozialen Arbeit in vielfältiger Weise Beachtung gefunden, insbesondere im Kontext von Theorien abweichenden Verhaltens (vgl. bspw. Peters/Cremer-Schäfer 1975, Böhnisch 2011, Albrecht/Groenemeyer 2011). In der ersten Dekade dieses Jahrhunderts wurde in der erziehungswissenschaftlichen und kultursoziologischen qualitativen Bildungsforschung im deutschsprachigen Raum, u.a. in Referenz auf Bourdieu, verstärkt Bezug auf Konzepte von ›doing gender‹, ›doing ethnicity‹ usw. genommen. Damit rückten Prozesse der Herstellung von sozialen Differenzen sowie der Reproduktion von Ungleichheitsverhältnissen in pädagogischen Kontexten in den Fokus und wurden rekonstruiert (vgl. bspw. Faulstich-Wieland 2004, Weber 2005, Budde/Willems 2009 für den Kontext Schule, Diehm/Kuhn 2009 für Kindertagesstätten, Graff 2004 in der Mädchenarbeit).

1.3 P OSTSTRUKTURALISTISCHE , DISKURSTHEORETISCHE UND DEKONSTRUKTIVISTISCHE P ERSPEKTIVEN Fokussieren interaktionistische und konstruktivistische Ansätze das Hergestelltsein und die soziale Konstruktion von sozialen Kategorien und Unterscheidun-

schaftlicher Normalitätsvorstellungen sowie im institutionellen Rahmen der Schule in einem interaktiven Prozess konstruiert und Schüler_innen ›angeheftet‹ wird; ihnen bzw. ihrer Herkunft werden bestimmte Eigenschaften oder Merkmale zugeschrieben und diese damit als abweichend markiert. Dieses Labeling hat wiederum Folgen für die Wahrnehmung des Verhaltens und der Leistungen von Schüler_innen sowie für die Antizipation ihrer zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten.

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gen, gehen diskurstheoretische oder dekonstruktivistische Ansätze des Poststrukturalismus noch darüber hinaus – durch sie erfolgt eine grundlegende Kategorienkritik. Unter Poststrukturalismus werden verschiedene sozial- und geisteswissenschaftliche Ansätze und Autor_innen gefasst, die sich – trotz ihrer Heterogenität – v.a. mit der Bedeutung von Sprache zur Herstellung von Realität und von sozial wirksamen Unterscheidungen sowie deren Verknüpfung mit Machtkonstellationen beschäftigen. Hier sind exemplarisch Jaques Derrida und dessen Denken der ›différance‹, Julia Kristeva im Kontext feministischer Differenzperspektiven oder die Psychoanalyse von Jaques Lacans zu nennen. Von besonderer Relevanz sind im vorliegenden Kontext diskurstheoretische und dekonstruktivistische Perspektiven, wie sie v.a. von Michel Foucault und Judith Butler entwickelt wurden. Poststrukturalistische Perspektiven, so Paula-Irene Villa (2010), zeichnen sich dadurch aus, dass sie »Sprache und symbolische Ordnung als privilegierten Ort der Konstitution von Wirklichkeit betrachten. Sprache ist demnach nicht Abbild einer gegebenen Wirklichkeit, sondern sinn- und damit ordnungsstiftend, d.h. welterzeugend« (Villa 2010: 265). Vor diesem Hintergrund sind Diskurse für Judith Butler (mit Bezug auf Foucault) »produktiv« (Butler 1993: 129). Dabei ist für die Analysen von beiden Autor_innen, Butler und Foucault, von Interesse, wie durch Diskurse und symbolische Ordnungen Machtverhältnisse und Dominanzordnungen zum Ausdruck kommen. Nach dieser Lesart verschränkt sich in Diskursen Diskursives, Sprachliches und Symbolisches mit Gesellschaftlichem und Materiellem. In Diskursen werden implizit Dominanzordnungen, Normen und Ideologien zum Ausdruck gebracht, die auf den hegemonialen Kontext und Herrschaftsverhältnisse verweisen. Es wird davon ausgegangen, dass Wirklichkeit geschaffen wird, indem die ›Dinge‹ benannt werden. Damit werden Ein- und Ausschluss produziert und Wahrnehmungen und Handeln gerahmt. Diskursanalyse ist somit als Machtanalyse zu verstehen. Auf die Frage der Differenz wird in diesen poststrukturalistischen Kontexten dezidiert Bezug genommen; sie werden – entsprechend dem Diskursverständnis – als Hinweise für Hierarchie und Indikatoren der Macht betrachtet. Dabei werden nicht nur der Konstruktionsprozess von Differenzen (als sprachlicher Herstellungsprozess) und dessen diskursive Verfasstheit angenommen, sondern auch naturalistische Vorstellungen und Deutungen von Differenz infrage gestellt und explizit Diskontinuität und Wandel von Differenz(-konstruktionen) sowie ihre Kontextualität betont. Diesbezüglich ähneln sie konstruktivistischen Ansätzen (s.o.), gehen jedoch darüber hinaus, indem sie in radikaler Weise den Gebrauch von und das Festhalten an Differenz- oder Identitätskategorien hinterfragen.

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Judith Butler hat in »Das Unbehagen der Geschlechter« (1991) eine grundsätzliche Kritik an der Kategorie Geschlecht und v.a. auch der für die feministische Bewegung relevanten Identitätskategorie ›Frau‹ vorgenommen: Sie hat die diskursive Verfasstheit und die sprachliche Hervorbringung von sex und gender sowie von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität als historisch gewordene Effekte und Machtwirkungen (als symbolische Geschlechterordnungen) herausgearbeitet und damit implizite Annahmen und deren Natürlichkeit hinterfragt. Ort und Modus der Konstruktion von Geschlecht bzw. einer heterosexuellen Matrix (sex, gender und desire)7 (vgl. ebd.: 220) sind bei Butler vor allem der Bereich der Sprache, des Diskurses, der symbolisch diskursiven Ordnungen. Mit der Genealogie als kritische Untersuchungsmethode wird darauf abgezielt, diese Kategorien als Effekte spezifischer Macht- und Wissensformationen aufzudecken. Butler stellt damit die scheinbar natürliche Bedeutung von Kategorien wie Geschlecht, aber auch von anderen Differenzkategorien infrage und verweist auf deren Performativität (der Herstellung und Inszenierung von Geschlecht durch zitathaftes Wiederholen) und damit auf Veränderbarkeit. Ebenso akzentuiert sie die Notwendigkeit der Kontextualisierung. Gerade mit Blick auf die Bedeutung von verschiedenen Differenzen zeigt sie die Unmöglichkeit bzw. das Scheitern einer vollständigen Erfassung von (Identitäts-)Kategorien auf und betont hingegen das Aufschlussreiche und die politische Triebkraft einer diesbezüglichen Offenheit und Unabgeschlossenheit: »Theories of feminist identity that elaborate predicates of color, sexuality, ethnicity, class, and able-bodiedness invariably close with an embarrassed ›etc.‹ at the end of the list. Through this horizontal trajectory of adjectives, these positions strive to encompass a situated subject, but invariably fail to be complete. This failure, however, is instructive: what political impetus is to be derived from such exasperated ›etc.‹ that so often occurs at the end of such lines?« (Butler 1990: 143)

Diesbezüglich positioniert sie sich indirekt gegen strukturtheoretische Versuche in der Geschlechterforschung, für den Kontext von bestimmten Gesellschafts-

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Butler definiert die heterosexistische Anordnung so: »Es geht darum, ein hegemoniales diskursives/epistemisches Modell der Geschlechter-Intelligibilität zu charakterisieren, das folgendes unterstellt: Damit die Körper eine Einheit bilden und sinnvoll sind, muß es ein festes Geschlecht geben, das durch eine feste Geschlechtsidentität zum Ausdruck gebracht wird, die durch die zwanghafte Praxis der Heterosexualität gegensätzlich und hierarchisch definiert ist.« (Butler 1991: 220)

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formationen mehr oder weniger bedeutsame Strukturkategorien unterscheiden zu wollen (s.o.). Differenzen werden, poststrukturalistisch betrachtet, diskursiv hervorgebracht und konstituieren damit Machtverhältnisse. Sie beziehen sich dabei jedoch nicht nur auf soziale Differenzkategorien wie Geschlecht, Alter, Körper, Klasse usw., sondern auch auf binäre Vorstellungen und Differenzordnungen von Normalität und Abweichung oder von Kultur und Natur und v.a. auf die damit verbundenen Machtverhältnisse. Die jeweiligen Differenzkonstruktionen können unter einer macht- und diskurstheoretischen Perspektive re- und dekonstruiert werden. Dabei, und dies heben insbesondere Autor_innen wie Foucault hervor, kann nicht aus diesen Diskurs- und Machtverhältnissen ausgebrochen werden. Auch die Analyse und Kritik bleiben darin involviert. Poststrukturalistische Theorietraditionen – und hier ist zuvorderst Derrida (2004) mit seinem Entwurf der ›différance‹ zu nennen, aber auch Foucault und Butler – bedienen sich des Prinzips bzw. des Verfahrens der Dekonstruktion. Zentrales Anliegen ist es, Kategorien und Differenzen ihrer vermeintlichen Natürlichkeit zu entlarven und sie als ganz und gar von Machtverhältnissen durchsetztes, soziales und kulturelles Produkt sichtbar zu machen. Damit verbunden ist das Hinterfragen des Nicht-Benannten, des ›Normalen‹ und die dahinter stehenden binären Differenzordnungen (bspw. die ›heterosexuelle Matrix‹) und die damit verbundenen Machtverhältnisse. Dekonstruktivistische Perspektiven spielen diesbezüglich in den Cultural und Postcolonial Studies, den Disability Studies sowie in den Queer Studies eine bedeutsame Rolle. Mit Dekonstruktion als Haltung (Derrida 2004) ist gemeint, sowohl hegemoniale Differenzverhältnisse und ihre ein- und ausgrenzenden Folgen als auch deren soziale Herstellungsprozesse kritisch in den Blick zu nehmen und zu thematisieren, sie ihres vermeintlich essentialistischen Gehalts zu entkleiden, dabei den Aspekt des ›Hergestellt-Seins‹ von Differenzen (und der potenziellen Beteiligung daran) bewusst zu machen und somit auf den unmittelbaren Zusammenhang von Differenzen und Differenzeffekten aufmerksam zu machen (vgl. Hall 2004a). Im Verhältnis von Konstruktion und Dekonstruktion zeigt sich die Ambivalenz der Benennung und sprachlichen Reproduktion von Kategorien oder Differenzen sowie der Unausweichlichkeit einer Verstrickung in diskursiven Machtverhältnissen. So formuliert Bettine Menke den Zusammenhang zwischen Konstruktion und Dekonstruktion: »Dekonstruktion heißt für die Ordnung der Geschlechter, zunächst das Modell der Konstruktion zu exponieren« (Menke 1995: 38) – mit dem Wissen, in der Entfaltung der Konstruktion, bevor diese dekons-

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truiert werden kann, nicht ohne Sprache und diesbezügliche Begriffe und Diskurse auszukommen und diese – durch ihre Anrufung – wieder zu reifizieren. Theoretisch interessant für die Herstellung von Differenz durch Sprache und deren Relevanz für die Aufrechterhaltung, aber auch Veränderung hegemonialer Ordnungen sind Judith Butlers gendertheoretische Beiträge zum Konzept der Anrufung und Adressierung (Butler 1995, 2006) sowie zur Performanz als Verkörperung sprachlicher Akte bzw. zur Performativität als reiterativer Praxis (ebd. 1991, 1995). Damit ist die sprachliche Hervorbringung von Differenz durch ständiges diskursives Wiederholen gemeint, wodurch Subjekte benannt und konstituiert werden. In Bezug auf Althussers und Austins Sprachtheorie versteht Judith Butler Sprechen als Anrufung. Durch wiederholte Akte der Anrufung werden Subjekte sozial positioniert und erhalten somit eine soziale Existenz. Jemanden (wiederholt) als etwas zu bezeichnen – von Butler wird hier mit Bezug auf Geschlecht der Ausruf nach der Geburt ›ein Mädchen‹ genannt – bedeutet, diese Person zu etwas zu machen und ihr einen bestimmten sozialen Platz in einer binären und asymmetrischen (in diesem Fall heteronormativen) Differenzordnung zuzuweisen und damit gegebenenfalls zu_r Anderen zu machen. Durch sprachliche Handlungen werden also nicht nur materielle Effekte erzielt, sondern auch die soziale Stellung der adressierten Person konstituiert und gegebenenfalls verändert. Butler verweist des Weiteren in ihren Ausführungen zu verletzendem Sprechen (Butler 2006) auf die Macht der Sprache bzw. die Praxis des Sprechens, um Andere auszugrenzen, herabzusetzen oder zu blamieren. Dabei zeigt sie auf, dass verletzendes Sprechen seine Kraft erst durch seine Konventionalität und die Praxis des Wiederholens gewinnt, der Zitation des zirkulären (gesellschaftlich vorherrschenden) Wissens und die perpetuierende Anwendung dieses Wissens. Mit Bezug auf das Butlerʼsche Konzept der Adressierung können Praktiken und Interaktionen im Bildungskontext als Re-Signifizierungsprozesse untersucht werden. Im Charakteristikum der zitathaften Wiederholung von solchen performativen Akten sieht Butler jedoch nicht nur Ausdruck und Wirkungen von Ausgrenzung und Reproduktion von Differenzordnungen, sondern auch performative Potenziale für Widerstand und Veränderung (vgl. Butler 2006). So kann der Ansatz der Performanz (bspw. ›gender performances‹ Butler 1990) auf Potenziale des Widerstands verweisen: Widerstands- und Dekonstruktionsstrategien der absichtlichen Irritation der Norm, der bewussten Verschiebung von Grenzen oder der Inszenierung von Zugehörigkeiten bzw. Nicht-Zugehörigkeiten bis hin zu Veränderungen vorherrschender Ordnungen.

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Wie bereits deutlich wurde, werden in dieser diskurstheoretischen Lesart nicht nur Differenzen, sondern auch Normen und Normierungen durch Sprache und performative Akte hergestellt. Michel Foucault hat sich in »Überwachen und Strafen« (1977) in diesem Zusammenhang mit diesbezüglichen Disziplinartechniken auseinandergesetzt und deren disziplinierende Wirkung – unter anderem von Institutionen – sowie die ›Macht der Norm‹ herausgearbeitet. Er konstatiert: »Zusammen mit der Überwachung wird am Ende des klassischen Zeitalters die Normalisierung zu einem der größten Machtinstrumente. An die Stelle der Male, die Standeszugehörigkeiten und Privilegien sichtbar machten, tritt mehr und mehr ein System von Normalitätsgraden, welche die Zugehörigkeit zu einem homogenen Gesellschaftskörper anzeigen, dabei jedoch klassifizierend, hierarchisierend und rangordnend wirken.« (Foucault 1977: 238f.)

In Disziplinaranstalten, wie beispielsweise der Schule, werden als Bestandteile eines normalisierenden Systems einer Disziplinarmacht Mechanismen des Vergleichens, des differenzierenden Hierarchisierens, des Homogenisierens und des Ausschließens als sogenannte Disziplinartechniken wirksam. Diese wirken normierend, normalisierend und disziplinierend (vgl. ebd.: 236). Nach Foucault sind die Macht-Wissens-Diskurse Ausdruck von Machtverhältnissen. Diese sind gleichzeitig machtvoll und disziplinierend, sie schreiben sich in die Wahrnehmung der Subjekte ein und werden von ihnen reproduziert. In diesem Sinne werden binäre Unterscheidungen wie ›Wir und die Anderen‹ durch eine bestimmte Praxis erst hervorgebracht. Sind sie einmal etabliert, dann kann über bestimmte Gruppen schließlich eine Art Wissen produziert werden. Der gesamte MachtWissen-Komplex kann in Anlehnung an Michel Foucault (1978) als ein differenzbezogen codiertes Alltagswissen oder Dispositiv bezeichnet werden, das als Deutungswissen in der sozialen Praxis funktioniert – so auch in der pädagogischen Praxis. Hinsichtlich Geschlecht, Körper, Alter, Herkunft bestehen binär codierte Bilder, die sich als Dispositive ins Alltagswissen, in Diskurse, aber ebenso in die Subjekte und deren Körper eingeschrieben haben. Inwieweit sich diese dabei überlagern, ist jeweils – unter einer intersektionalen Perspektive, auf die Butler durchaus in ihrer kritischen Genealogie eingeht –, zu rekonstruieren. Die Dispositive können zu Feindbildern (als eine Form der Konstruktion der Anderen) werden oder, sehr viel subtiler, als Normalitätsvorstellung fungieren und ganz selbstverständlich im Alltag und den Alltagspraxen der Akteur_innen ›mitlaufen‹ und wirksam werden. Dies ist ein wichtiger Hinweis für die Analyse und Erklärung der Beständigkeit und Wirksamkeit von Alltagswissen und den

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darin zum Ausdruck kommenden Machtverhältnissen im Kontext professionellen pädagogischen Handelns. Die poststrukturellen und dekonstruktivistischen Ansätze werden im Rahmen einer kritischen Pädagogik und Bildungsforschung aufgegriffen (bspw. Fritzsche et al. 2001, Ricken 2006, Ricken/Balzer 2012, Fritzsche 2012, Kleiner/Rose 2014), wobei insbesondere auf das Konzept der Anrufung und Subjektivierung im Kontext rassismus- und differenzkritischer Analysen von Praxen in (schulischen und außerschulischen) Bildungskontexten Bezug genommen wird (bspw. Plößer 2010, Velho 2010, Rose 2012, Mecheril/Thomas-Olalde 2011, Machold 2014). Kessl und Maurer (2010, 2014) entwickeln u.a. vor diesem theoretischen Hintergrund ihr Konzept der Grenzanalyse und Grenzbearbeitung im Kontext Sozialer Arbeit. Nicht zuletzt wird Dekonstruktion im Kontext (sozial)pädagogischer Praxis als Frage der pädagogischen Haltung diskutiert (Plößer 2005, Fegter/Geipel/Horstbrink 2010).

1.4 C ULTURAL S TUDIES , P OSTKOLONIALE T HEORIEN UND R ASSISMUSKRITIK Im Folgenden werden Perspektiven der Cultural Studies und Postkolonial Studies sowie damit in Verbindung stehende Ansätze der Critical Whiteness und der Rassismuskritik in ihrer Bedeutung für die Konzeptionalisierung und Analyse von Differenz- und Ungleichheitsverhältnissen diskutiert. Sie sind deshalb von Interesse, da sie sich konzeptionell in besonderer Weise mit der Konstruktion von Anderen bzw. Othering beschäftigen bzw. dieses Konzept aus diesem Diskurskontext entstammt. Den Cultural Studies und den Postkolonial Studies ist gemeinsam, dass sie sich als Projekte der Herrschaftskritik mit einer Perspektive auf Veränderungen und politischer Intervention verstehen, mit interdisziplinären Theoriebezügen und Verortungen. Die Cultural Studies beziehen sich in ihren Analysen auf die Untersuchung von (Alltags-)Kultur als sozialem und gesellschaftlichem Bedeutungszusammenhang (vgl. Clarke et al. 1979) sowie auf die Untersuchung von kulturellen Texten, Formen und Praktiken unter einer herrschaftskritischen Perspektive. Sie analysieren den Zusammenhang von Struktur, Ideologie und Subjekt hinsichtlich der Wirksamkeit und Veränderbarkeit von Machtverhältnissen. In diesem Sinne besteht das Selbstverständnis eines politischen Theorieprojekts (vgl. Hall 2000a). Ein bedeutender Vertreter ist Stuart Hall, der sich u.a. mit den Strukturen, der Ideologie und den Praktiken des Rassismus auseinandersetzt.

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Die Postcolonial Studies beschäftigen sich mit der Geschichte des Kolonialismus und v.a. dessen gegenwärtigen Kontinuitäten und Effekten im globalen internationalen Gesellschaftszusammenhang. Postkoloniale Theorien sind in kritischer Auseinandersetzung mit dem historischen Fortbestehen kolonialer Strukturen, den Machtverhältnissen und Diskursen in der Zeit der offiziellen Entkolonialisierung in der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden. In ihrer Wissenschaftstradition, ihren Theorietraditionen und der Entstehungsgeschichte sind sie eng mit den Cultural Studies verbunden, mit theoretischen Bezügen zum Poststrukturalismus und zu einer marxistisch orientierten Imperialismuskritik. Bedeutsame Vertreter_innen sind Edward Said, Homi Bhabha und Gayatri Chakravorti Spivak (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005, 2015).8 Zentral für postkoloniale Kritik ist die dekonstruktivistische Beschäftigung mit essentialisierenden und naturalisierenden (Differenz-) Konstruktionen, wie Kultur oder Identität (bspw. Hall 1999, 2004a oder Bhabha 1993, 1994), sowie mit Imperialismus und Rassismus. Sie fragen nach Spuren kolonialer Geschichte in der Gegenwart und danach, wie gesellschaftliche Verhältnisse, Alltag und Wissensdiskurse im globalen Norden und im globalen Süden nach wie vor dadurch geprägt sind. Postkoloniale Analysen folgen einer dekonstruktivistischen und herrschaftskritischen Idee, von gesellschaftlichen ›Rändern‹ aus, um essentialisierende, totalisierende und eurozentristischen Diskurse des ›Westens‹ zu entlarven und zu dekonstruieren (vgl. Said 2007: 36). Cultural Studies und Postcolonial Studies thematisieren und untersuchen Differenz v.a. im Kontext hegemonialer Wissensdiskurse und verstehen diese als machtvolle Unterscheidungen, die dazu dienen, vorherrschende Verhältnisse abzusichern. Sie beschäftigen sich mit Rassismus bzw. Rassismen als kolonialen, imperialistischen und neokolonialen Unterdrückungsverhältnissen sowie mit Prozessen der Rassifizierung, Rassialisierung, Ethnisierung und Kulturalisierung als hegemoniale soziale Diskurse und Mechanismen der Aufrechterhaltung und Herstellung von Verhältnissen von Dominanz und Unterdrückung (vgl. Hall 1994) im Kontext von globalem Imperialismus und internationaler Arbeitsteilung. Als ein zentrales Prinzip von Rassismus wird – wie in fast allen kritischen Rassismustheorien (vgl. Leiprecht 2001) – die binäre Unterscheidung von ›Wir und die Anderen‹ bzw. die Einteilung in imaginierte Gruppen, die sich auf soziale Konstruktionen von Rasse, Kultur, Nation oder Religion beziehen, erachtet (Miles 1991, Hall 2000b). Stuart Hall sieht Rassismus als (machtvolle) soziale Praxis, die sich auf Diskurse der Differenz und ein Klassifikationssystem (als

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Einflussreich sind die Arbeiten von Frantz Fanon, Antonio Gramsci, Karl Marx, Jacques Lacan, Louis Althusser, Jacques Derrida und Michel Foucault.

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klassifizierende Unterscheidung von Bevölkerungsgruppen anhand von körperlichen Merkmalen, z.B. als Einteilung in ›Schwarz‹ und ›Weiß‹9) bezieht, mit ausschließenden Funktionen und Effekten. »Rassistische Ideologien entstehen also immer dann, wenn die Produktion von Bedeutungen mit Machtstrategien verknüpft ist und diese dazu dienen, bestimmte Gruppen vom Zugang zu kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen.« (Hall 2000b: 7)

Zentral für den rassistischen Diskurs ist die Herstellung und Festschreibung von Differenz mit einer, so Hall, »eigentümlichen Struktur: er bündelt die den jeweiligen Gruppen zugesprochenen Charakteristika in zwei binär entgegengesetzte Gruppen. Die ausgeschlossene Gruppe verkörpert das Gegenteil der Tugenden, die die Identitätsgemeinschaft auszeichnet.« (Ebd.: 14) Symptomatisch für die Konstruktion der binären Gegensätze ist die notwendige und widersprüchliche Bezogenheit der jeweiligen Pole aufeinander. Die Konstruktion der binären Gegensätze bezeichnet er als »System der Spaltung der Welt« (ebd.). Hall bezieht sich in diesen Ausführungen zu Differenzkonstruktionen und deren rassistischer Funktion, »das Andere zu fixieren und an seinem Platz festzuhalten« (ebd.: 15), auf Frantz Fanon und dessen Buch »Peau noire, masques blancs / Schwarze Haut und weiße Masken« (2015 [1952]) und Edward Said und dessen Ausführungen zu Orientalismus (2007 [1978]). Said hat in seinem Buch »Orientalism. Western Concepts of the Orient« (1978) Prozesse der Konstruktion von Anderen im Kontext der Analyse westlicher Bilder und Diskurse zu Orientalismus herausgearbeitet. Hier rekonstruiert er den Dualismus der einander gegenübergestellten Konstruktionen von Orient und Okzident und zeigt den impliziten Rassismus dieses binären Orientierungssystems und die Wirkmächtigkeit dieser asymmetrischen Kategorisierung auf. Dabei arbeitet er – mit Bezug auf Foucault und dessen Diskursanalyse – den Prozess des Orientalismus heraus, indem er aufweist, wie der Orient erst durch den Westen zum Orient gemacht wird, während dieser und die kolonisierten Menschen in kolonialen Bildern und Diskursen orientalisiert und exotisiert und somit unterworfen werden. In der deutschen Übersetzung heißt es:

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Die hier verwendeten Begriffe ›Schwarz‹ und ›Weiß‹ bezeichnen historisch und sozial konstruierte Gruppen, die sich durch unterschiedliche Privilegien, Beteiligung an Macht und Verfügung an Ressourcen im gesellschaftlichen Kontext auszeichnen. Um den Konstruktionscharakter deutlich zu machen, werden die Begriffe großgeschrieben.

36 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING »[…] was ich als Orientalismus bezeichne, das heißt eine Umgangsweise mit dem Orient, die auf dessen besonderer Stellung in der europäisch-westlichen Erfahrung beruht. Der Orient grenzt nicht nur an Europa, er barg auch seine größten, reichsten und ältesten Kolonien, ist die Quelle seiner Zivilisationen und Sprachen, sein kulturelles Gegenüber und eines seiner ausgeprägtesten und meistvariierten Bilder ›des Anderen‹. Überdies hat der Orient dazu beigetragen, Europa (oder den Westen) als sein Gegenbild, seine Gegenidee, Gegenpersönlichkeit und Gegenerfahrung zu definieren.« (Said 2007: 9f.)

Orient und Okzident werden als kulturelle und geografische Konstrukte betrachtet, als »bloßes Menschenwerk« (ebd.: 13), das in reziproker Bezugnahme hergestellt wird. Was diese Beziehung jedoch ausmacht, ist, und hier wird indirekt auf die Spiegelmetapher von Lacan zurückgegriffen, »dass die beiden Konstrukte einander stützen und in gewissem Maße spiegeln« (ebd.: 13), als imaginiertes Gegenüber, Gegenbild und Gegenidee. Allerdings erfolgt dies in einer asymmetrischen Art und Weise: »Die Beziehung zwischen Okzident und Orient ist ein hegemoniales Macht- und Herrschaftsverhältnis« (ebd.: 14), in dem es dem Okzident gelingt, »den Orient gesellschaftlich, politisch, militärisch, ideologisch, wissenschaftlich und künstlerisch zu vereinnahmen – ja sogar erst zu schaffen« (ebd.: 11f.), um die Vorstellung einer überlegenen europäischen Identität zu sichern. So bezeichnet er Orientalismus als Diskurs, als »Zusammenhang von Wissen und Macht, der ›den Orientalen‹ erst gebiert und gleichzeitig in gewissem Sinne als Mensch auslöscht« (ebd.: 39). Die Konstruktion von Anderen erfolgt in dialektischer Beziehung zwischen der ›eigenen Gemeinschaft‹ und ›den Anderen‹. Diese Analyse, die von Said am Beispiel des imperialen Diskurses des Westens über den Orient herausgearbeitet wird, ist auf weitere Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse und verbundene Wissensdiskurse anzuwenden und kontextbezogen zu übertragen. Von Gayatri C. Spivak wurde der Begriff des Othering geprägt und in ihrem Artikel »The Rani of Samur« (Spivak 1985) mit Bezug auf Hegels Herr-undKnecht-Dialektik herausgearbeitet. Sie analysiert in ihren Arbeiten die Situation und Perspektiven von marginalisierten Menschen im globalen Süden, die subaltern genannt werden. In ihren kritischen Dekonstruktionen, u.a. in ihrem vielzitierten Text, »Can the Subaltern Speak?« (ebd. 1988b), beschäftigt sie sich mit dem Zusammenhang von westeuropäischer Wissensproduktion und dem Kolonialismus. Dabei arbeitet sie nicht nur heraus, wie die Konstruktion der_des Anderen durch die Abgrenzung und Unterwerfung des Eigenen, Dominanten und Imperialen erfolgt und Marginalisierte erst dadurch zu Anderen gemacht werden. Spivak betont, dass Othering den Prozess darstellt, durch den der imperiale Diskurs die Anderen bzw. das im Machtdiskurs ausgeschlossene Andere hervor-

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bringt (ebd. 1985), gleichzeitig diese durch den hegemonialen westlichen Wissensdiskurs am Sprechen gehindert bzw. nicht gehört und damit in der Artikulation ihrer Bedürfnisse sprachlos gemacht werden (ebd. 1988b). Sie verbindet materialistische Analysen mit feministischen und dekonstruktivistischen Perspektiven (mit Bezug auf Derrida) zu einer postkolonialen Kritik. Dabei übt sie auch Kritik an der Repräsentation des westlichen Feminismus und wie dieser am Prozess des Othering und des Silencing beteiligt ist (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005). Bedeutsam und hervorzuheben ist, dass es sich bei den hier im Rahmen der Postkolonialen Theorie herausgearbeiteten Konzepten zu Konstruktionen von Anderen und Othering nicht um intersubjektive Labelingprozesse oder Stereotypisierungen handelt, sondern diese als Mechanismen und Prozesse diskursiv hervorgebracht werden, in gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen eingebunden sind und diese absichern. In diesem Sinne wird auch Rassismus als ein Macht- und Herrschaftsverhältnis betrachtet, das durch Mechanismen der Kategorisierung und Naturalisierung, der binären Gegenüberstellung und der Hierarchisierung sowie durch damit verbundenen Ideologien und Bilder gestützt, historisch in die Gesellschaft eingeschrieben und durch entsprechende Diskurse und Praktiken aufrechterhalten wird (vgl. Hall 1989, Kalpaka/Räthzel 1990, Miles 1991, Leiprecht 2001, Rommelspacher 2005). So betont Philomena Essed: »Racism is a structure because racial and ethnic dominance exists in and is reproduced by the system through the formulation and application of rules, laws, and regulations and through access to and the allocation of resources. Finally racism is a process because structures and ideologies do not exist outside the everyday practices through which they are created and confirmed. These practices both adapt to and themselves contribute to changing social, economic, and political conditions in society.« (Essed 2002: 185, Herv. i. Orig.)

Essed bezeichnet Rassismus als strukturelles Phänomen oder Strukturprinzip, weil rassistische Vorherrschaft in Strukturen der Gesellschaft eingelassen ist und durch Regeln, Gesetze, Ordnungsmuster sowie den ungleichen Zugang zu sozialen Ressourcen organisiert und gefestigt wird. Gleichermaßen wird das Prozessuale betont und Rassismus als Prozess verstanden, da rassistische Strukturen und Ideologien nicht außerhalb alltäglicher Handlungsweisen und Praxen bestehen und festgeschrieben sind, sondern alltäglich in ›gewöhnlichen‹ Praxen hergestellt, bestätigt und gefestigt werden. In diesem Sinne hat sie auch, im Zusammenhang mit einer Studie zu Erfahrungen und Wissen von Schwarzen Frau-

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en in den USA und den Niederlanden zu Rassismus im Alltag, den Begriff des »everyday racism« (1991) geprägt, den Leiprecht (2001, 2005)10 und Melter (2005) in Untersuchungen im deutschsprachigen Raum weiterentwickelt haben. In all diesen Ansätzen wird darauf verwiesen, dass Rassismen auf verschiedenen sozialen Ebenen verankert sind und relevant werden, in Strukturen, Institutionen, Interaktionen, Diskursen, Praxen sowie in personalem Denken und Handeln (vgl. dazu auch Mecheril/Melter 2009). Hinsichtlich der Vielfalt der Phänomene von Rassismus, der unterschiedlichen historischen Formen und der verschiedenen sozialen und gesellschaftlichen Ebenen, auf denen Rassismus wirksam ist, wird von Rassismen im Plural gesprochen (vgl. Hall 1989, Miles 1991, Cohen 1994). Die Critical Whiteness Studies, die sich aus den Black Studies, postkolonialen und feministischen Theorien in den USA entwickelt (u.a. Frankenberg 1993) und sich Anfang der 2000er-Jahre auch in Deutschland etabliert haben (Wachendorfer 2001, Wollrad 2005, Eggers et al. 2005), nehmen explizit das Weiß-Sein als unsichtbare herrschende Normalität und die damit verbundenen Privilegien kritisch in den Blick. Sie weisen darauf hin, dass infolge der jahrhundertelangen Beherrschung und Kolonialisierung von Menschen und Gebieten außerhalb Europas und des damit verbundenen Rassismus innerhalb Europas ein Selbstverständnis von ›whiteness‹ entstand, demzufolge Weiß-Sein als die unmarkierte, unproblematische und selbstverständliche Normalität und als Zentrum der Perspektivität gilt. Von dieser privilegierten, aber nicht thematisierten Position aus erfolgt die Legitimation, Subjekte zu Anderen zu machen, sie damit stimmlos und unsichtbar zu machen (vgl. Spivak 1988b) – also das, was als Othering bezeichnet wird (s.o.). Die Ansätze der Critical Whiteness nehmen damit eine Perspektivenumkehr vor, indem sie nicht nur den Blick auf die Unterdrückung und De-Privilegierung von rassialisierten Anderen richten, sondern das in rassistischen Verhältnissen Selbstverständliche und Normale und dabei v.a. die Verteilung von Privilegien und die unthematisierte Perspektive der Privilegierten fokussieren. Die Thematisierung von Privilegien und damit verbundenen Positionierungen und Perspektivität wird im Kontext postkolonialer, feministischer sowie anderer herrschaftskritischer Theorien vorgenommen. So wurde bereits in

10 Rudolf Leiprecht benutzt in diesem Zusammenhang den Begriff des Alltagsrassismus: »Der Begriff Alltagsrassismus kennzeichnet die alltäglichen und vorherrschenden Formen von Rassismen der Mehrheitsgesellschaft, die keineswegs nur in extremer oder offener Weise auftreten, sondern auch subtil, unauffällig, verdeckt und latent sein können. Nicht immer handelt es sich dabei um bewusste und gewollte Prozesse, und oft geht es um ein Verhalten innerhalb bestimmter Strukturen, das (möglicherweise unbeabsichtigt) rassistische Effekte zur Folge haben kann.« (Leiprecht 2005: 319)

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den späten 1980er-Jahren in den USA der Blick auf ›interlocking oppressions‹ und miteinander verschränkende Verhältnissen von Privilegien (vgl. McIntosh 1988) gerichtet. Frankenberg hebt hervor, dass aus der Perspektive derjenigen, die strukturell aus einer hegemonialen Position von Privilegien profitieren, rassistische Ordnungen und andere Herrschaftsstrukturen für diese weitgehend unsichtbar bleiben (zumindest solange diese nicht gefährdet sind). »Wie männliche Privilegien werden weiße Privilegien eher als gegeben hingenommen als benannt, und für ihre NutznießerInnen sind sie eher unsichtbar als sichtbar.« (Frankenberg 1996: 55) Wenn Cultural und Postcolonial Studies sowie Critical Whiteness Studies den Fokus auf die binäre Konstruktion von ›Wir und die Anderen‹ sowie auf Otheringprozesse im Kontext von Imperialismus und Rassismus richten, wird nicht allein von imperialistischer, rassistischer Diskriminierung und Unterdrückung ausgegangen, sondern dies durchaus im Zusammenhang mit kapitalistischen Verhältnissen, internationaler Arbeitsteilung und patriarchalen Geschlechterverhältnissen gesehen (McIntosh 1988, Collins 1990, Spivak 1988a, McClintock 1995, Castro Varela/Dhawan 2015). Dabei wird explizit auf Überlagerungen von Rassismus mit Sexismus hingewiesen (vgl. Kalpaka/Räthzel 1990, Gutiérrez Rodríguez 1999, Leiprecht 2001, Hall 2000b, 2004b, Leiprecht/Lutz 2009), ohne von einer Gleichsetzung dieser Herrschaftsverhältnisse auszugehen.11 Insbesondere Philomena Essed expliziert, wie sich Rassismus mit Sexismus und anderen Formen der Unterdrückung und Ungerechtigkeit verbindet und in alltäglichen Rassismen als »gendered racism« und »racially charged sexism« zum Ausdruck kommt (Essed 1991, o.J.). Im Kontext der Postcolonial Studies hat sich insbesondere Spivak (u.a. 1988a, 1988b) um die Verbindung von postkolonialen und feministischen Perspektiven verdient gemacht, beispielsweise in ihrer Kritik am westlichen Feminismus (vgl. dazu Castro Varela/Dhawan 2005: 58ff.) oder in ihren historisch-imperialistischen Analysen des Othering (Spivak 1985). In kritischen Analysen von Verhältnissen von Dominanz und Unterwerfung sowie von Privilegierung und De-Privilegierung werden also verschiedene Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse in ihrem Zusammenwirken berücksichtigt, was be-

11 Albert Scherr weist darauf hin, dass mit einem zu weit gefassten Rassismusbegriff die Gefahr besteht, dass darunter ganz unterschiedliche Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnisse gefasst werden können (also auch Sexismus), die jedoch unterschieden werden müssen. Um den Unterschieden verschiedener Unterdrückungsverhältnisse gerecht zu werden, sie jedoch nicht immer im Einzelnen benennen zu müssen, schlägt er als Abstraktion und als übergeordnete Form den Begriff der Diskriminierung vor (Scherr 2009: 79ff.).

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reits hier auf eine intersektionale Perspektive verweist (s. folgendes Teilkapitel), auch wenn diese im Kontext postkolonialer Theoriebildung nicht unbedingt so benannt wird. Die vorgestellten theoretischen Ansätze ermöglichen kritische Analyseperspektiven auf binäre Differenzkonstruktionen, Othering und Rassismus – unter einer macht- und herrschaftstheoretischen Perspektive. Sie zielen darauf ab, scheinbar selbstverständliche Grundannahmen im Kontext von Herrschaftsverhältnissen infrage zu stellen und deren Entstehung und Funktionen zum Gegenstand der Analyse zu machen sowie Verschiebungen in den hegemonialen Ordnungen und Verhältnissen vorzunehmen. Postkolonialismus will essentialistische und eurozentristische Diskurse herausfordern, so Castro Varela (2010: 254), und dies immer mit dem Ziel sozialer und politischer Veränderung. Eine ähnliche Perspektive stellt das Konzept der Rassismuskritik (Mecheril 2004, Mecheril/Melter 2009) dar. Sie kann als eine analytische und reflexive Perspektive und Haltung verstanden werden, die neben dem Moment der Kritik nach Perspektiven und Möglichkeiten fragt, sich im Foucaultʼschen Sinne unter diesen Verhältnissen ›nicht dermaßen regieren zu lassen‹. »Das Konzept Rassismuskritik beinhaltet macht- und selbstreflexive Betrachtungsperspektiven auf Handlungen, Institutionen, Diskurse und Strukturen.« (Mecheril/Melter 2009: 14) Es beinhaltet gleichzeitig eine »Standpunktsensibilität, eine Selbstreflexivität, die eigene Verstrickungen, Vor- und Nachteile in einer von Rassismen, Sexismen und Einkommensungleichheiten strukturell beeinflussenden Gesellschaft berücksichtigt« (ebd.: 15). Postkoloniale Konzepte werden trotz ihrer interdisziplinären Ausrichtung v.a. in den Kultur- und Literaturwissenschaften rezipiert, jedoch wird zunehmend in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion (bspw. Burney 2012) und im deutschsprachigen Raum darauf Bezug genommen (Broden/Mecheril 2007, Castro Varela 2007, 2010, Attia 2009, Messerschmidt 2009, Yıldız 2009). Zum Thema Rassismus in Bildungsverhältnissen liegen inzwischen empirische Arbeiten v.a. für den Bildungskontext Schule vor, so z.B. die vielbeachtete Studie zu institutionalisierten Formen des Rassismus von Gomolla/Radtke (2009), sowie Analysen zu rassistischen Strukturen, Diskursen, Repräsentationen und pädagogischer Praxis, die exemplarisch an einzelnen Sequenzen untersucht werden (vgl. Broden/Mecheril 2010, Rose 2010, Mecheril/Thomas-Olalde 2011, Riegel 2012a). Für den Kontext der Sozialen Arbeit gibt es aus einer rassismuskritischen Perspektive erst wenige Studien, die v.a. den Kontext von Jugendhilfe und Jugendarbeit fokussieren (Melter 2006, Scharathow 2014). In diesem Theoriekontext sind auch qualitative Arbeiten entstanden, wie z.B. von Rose (2012) und Scharathow (2014), die Rassismus und Subjektivierung aus der Perspektive der-

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jenigen analysieren, die im rassistischen Bedeutungskontext als Andere markiert werden. Untersuchungen von rassistischen Praktiken im Kontext von interkultureller, rassismuskritischer oder diversitätsbewusster Bildungsarbeit gibt es bisher nur sehr wenige (Weiß 2001, Scherschel 2006, Riegel 2012a, 2012b). Eine rassismuskritische Analyse von Bildungsarbeit, insbesondere solcher Bereiche, die sich als interkulturell oder diversitätsbewusst bezeichnen, liegen z.B. von Elverich et al. (2009) sowie Scharathow/Leiprecht (2009) vor. In den Arbeiten von Hormel und Scherr (Hormel/Scherr 2005, Hormel 2007, Hormel/Scherr 2010) wird v.a. unter einer diskriminierungstheoretischen Perspektive der Blick auf Rassismus in Bildungsverhältnisse gerichtet.

1.5 I NTERSEKTIONALITÄTSANSÄTZE In den letzten Jahren haben sich – u.a. in Bezug auf die dargestellten Theorieperspektiven – Ansätze entwickelt, die den Blick auf verschiedene soziale Differenz- und Ungleichheitsverhältnisse richten und dabei explizit deren Verschränkungen untersuchen. Begriffe wie »Intersektionalität/Intersectionality« (Crenshaw 1989), »Interdependenz« (Walgenbach 2007) oder »Interferenz« (Müller 2003) kennzeichnen diese Perspektiven, wenngleich sich die Bezeichnung Intersektionalität zur Charakterisierung des Zusammenwirkens in der doch heterogenen und sich in Bewegung befindenden Diskussion vorläufig durchgesetzt zu haben scheint. Bezeichnend für Ansätze der Intersektionalität ist der Fokus auf das interdependente Zusammenspiel von verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen bzw. Diskriminierungs- und Unterdrückungsformen – als »interlocking system of oppression« (Collins 1990) – sowie von den damit verbundenen sozial konstruierten Differenzkategorien, ausgehend von der Trias ›gender, race and class‹. Mit diesen Ansätzen wird darauf Bezug genommen, dass sich verschiedene – in ihren Ursprüngen nicht gleichzusetzende – Ungleichheits- und Differenzverhältnisse empirisch überlagern, sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinflussen und in diesem Zusammenwirken folgenreich sind. Damit besteht der Anspruch, über eine rein additive Betrachtung von verschiedenen Differenzkonstruktionen und Ungleichheitsverhältnissen hinauszugehen, indem die Art und Weise ihres Zusammenwirkens und dessen Folgen theoretisch fokussiert und empirisch herausgearbeitet werden. Ebenfalls zeichnet sich die Perspektive der Intersektionalität durch das Zusammendenken bzw. die multidimensionale Berücksichtigung von verschiedenen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen aus. Es wird danach gefragt, wie verschiedene soziale Relevanzebenen zusammen-

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spielen und dabei Herrschafts- und Machtverhältnisse gleichzeitig und ineinander verwoben wirksam werden. Historisch betrachtet liegen die Ursprünge des Ansatzes im angloamerikanischen Black Feminism und der Critical Race Theory (u.a. Combahee River Collective 2000 [1977], bell hooks 1981, Lorde 1984). Von hier aus wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren in den USA kontroverse Debatten geführt und Kritik am Ethnozentrismus der vorherrschenden Frauenbewegung sowie dessen (weitgehende) Ignoranz gegenüber Rassismus und Klassenherrschaft formuliert. Gleichzeitig wurde in kapitalismus- und rassismuskritischen Bewegungen die Ausblendung der Geschlechterfrage beklagt. Auch wenn eine integrale Analyse und Berücksichtigung der Verknüpfung verschiedener Unterdrückungsformen und ihrer Relevanz für die heterogenen, nicht zu vereinheitlichenden Situationen von Frauen_ in diesem politischen Kontext zunehmend postuliert und gefordert wurde, war diese Kritik nicht neu. Sie wurde von einzelnen Frauenrechtler_innen schon im 19. Jahrhundert in den USA12 und zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Kontext der ersten deutschen Frauenbewegung formuliert (vgl. Knapp 2005). Die Notwendigkeit des Zusammendenkens von verschiedenen Differenz- und Unterdrückungsverhältnissen wurde zunehmend im wissenschaftlichen Kontext diskutiert und theoretisch ausgearbeitet (Crenshaw 1989, McIntosh 1989, Collins 1990). In diesem Zusammenhang hat die angloamerikanische Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw (1989) den Begriff ›intersectionality‹ geprägt, der zur Metapher für das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungs- und Unterdrückungsverhältnisse und zur Bezeichnung des gesamten Ansatzes wurde. Diese Diskussion wurde im europäischen und auch im deutschsprachigen Raum – ebenfalls zunächst v.a. von Schwarzen Feminist_innen (z.B. Oguntye et al. 1986, FeMigra 1994) und im Kontext der Frauen- und Geschlechterforschung – aufgegriffen und auf den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext bezogen weitergeführt. Es entstanden diverse Lesarten und Weiterentwicklungen sowie methodologische Vorschläge (u.a. Lutz/Wenning 2001, Phoenix/Pattynama 2006, Walgenbach 2007, Klinger/Knapp 2008, Winker/Degele 2009, Kerner 2009, Lutz et al. 2010,Riegel 2010b, Hess et al. 2011, Knapp 2013, Bereswill 2015, Portal Intersektionalität). Inzwischen gehen Diskurse und Analysen um Intersektionalität weit über die Gender Studies hinaus. Das Konzept hat sich in der akademischen Diskussion etablieren können und in verschiedenen Disziplinen

12 Hier ist die ehemalige Sklavin Sojourner Truth (1798 – 1883) zu nennen, die sich nach der Befreiung für Frauenrechte einsetzte und sich gegen eine einseitige Perspektive mit der berühmt gewordenen Frage »Ain’t I a Woman?« zur Wehr gesetzt hat.

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Eingang gefunden. Gleichzeitig ist die Perspektive der Intersektionalität in besonderer Weise auf inter- und transdisziplinäre Bezüge angewiesen, wird von diesen inspiriert und kann diese produktiv erweitern (Collins 2007, Riegel 2010b). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wird Intersektionalität auch als ›travelling concept‹ bezeichnet (vgl. Knapp 2005, Davis 2008), mit all den damit verbundenen Herausforderungen der Übertragbarkeit und Übersetzung in unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte sowie den Gefahren der De-Kontextualisierung (Knothe 2013, Lutz 2014) und der Vereinnahmung. Denn mit der zunehmenden Etablierung in der Wissenschaft hat sich der Ansatz in gewisser Weise von sozialen Bewegungen (und deren politischem Ansinnen) entfremdet. Angesichts solcher Diskursverschiebungen wird der akademischen Rezeption von Intersektionalität vorgeworfen, die theoretischen Impulse von Schwarzen und migrantischen Feminist_innen systematisch auszublenden, den gesellschaftskritischen Impetus zu vernachlässigen und sich dem Diskurs einer universitären Markt- und Verwertungslogik zu unterwerfen, ohne dabei die eigene Praxis und Involviertheit in Dominanzverhältnisse kritisch zu hinterfragen (Gutiérrez Rodriguez 2011). Damit deutet sich an, dass der Ansatz der Intersektionalität durchaus kontrovers diskutiert wird und durch (interne und externe) Kritik geprägt ist. Ferner zeichnet sich die Auseinandersetzung um Intersektionalität und Interdependenz durch divergierende theoretische Zugänge aus (vgl. Bührmann 2009; Lenz 2010, Knapp 201313), sodass nicht von einem in sich geschlossenen Konzept ausgegangen werden kann. Es gibt u.a. Kontroversen dahingehend, welche sozialen Kategorien und ungleichheitsstrukturierenden Differenzen, ausgehend von der Trias ›gender, class, race‹ zu berücksichtigen sind und auf welchen Ebenen bzw. in welchen gesellschaftlichen Bereichen das intersektionale Zusammenwirken zu verorten bzw. zu untersuchen ist. Lesley McCall (2005) hat dazu eine Ordnung verschiedener Ansätze vorgelegt, auf die nach wie vor Bezug genommen wird.14

13 Einen guten Überblick über die verschiedenen Ansätze und Kontroversen für den deutschsprachigen Raum und mit Blick auf die gesellschafts-historischen und epistemologischen Ursprünge des Konzepts bieten der Beitrag von Knapp 2013 in der Zeitschrift ›Erwägen Wissen Ethik‹ 24, Heft 3/2013 sowie die darauf bezogenen Kommentierungen und Kritiken (ebd.). 14 Lesley McCall (2005) unterscheidet zwischen anti-kategorialen, intra-kategorialen und inter-kategorialen Zugängen: Der anti-kategoriale Ansatz basiert auf einem dekonstruktivistischen Zugang, der bestehende soziale Kategorien als Konstruktionen und Imaginationen kritisch in den Blick nimmt. Unter dieser dekonstruktivistischen

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Die Diskussion um kategoriale Bezüge schlägt sich u.a. auf die viel diskutierte Frage nieder, wie viele und welche Differenzen bzw. Kategorien für eine intersektionale Analyse zu berücksichtigen sind (vgl. Degele/Winker 2007, Lenz 2010). Innerhalb der auf Intersektionalität oder Interdependenz bezogenen Diskurse sind verschiedene Ansätze zu unterscheiden, die auf die bereits dargestellten strukturtheoretischen bzw. poststrukturalistisch-dekonstruktivistischen Theorieperspektiven zu Differenz und Ungleichheit rekurrieren: •



Strukturtheoretisch fundierte Ansätze zu Intersektionalität konzentrieren sich im Wesentlichen auf drei gesellschaftliche Strukturkategorien: Klasse, Geschlecht und Ethnizität/›race‹ bzw. die Herrschaftsverhältnisse des Kapitalismus, des Patriarchats und des Nationalismus/Ethnozentrismus/ Kolonialismus. Diese werden als die zentralen ›Achsen der Ungleichheit‹ herausgearbeitet und für die Intersektionalitätsanalyse als relevant markiert (bspw. Lenz 1995, Klinger 2003, Knapp 2005). Diese gesellschaftstheoretischen Perspektiven richten den Blick v.a. auf die Ursachen und das historische Geworden-Sein dieser ungleichheitsrelevanten Strukturkategorien und deren systematische Bedeutung für die ungleiche Verteilung von Lebenschancen und sozialen Ressourcen. Macht- und dominanzkritische Perspektiven und Ansätze sprechen sich hingegen explizit für eine Offenheit und Unabgeschlossenheit hinsichtlich der zu berücksichtigenden Kategorien aus (vgl. Butler 1990). Mit einer dekonstruktivistischen Perspektive werden normalisierende und ausgrenzende Effekte von Master-Kategorien sowie hegemonial wirksamen Differenz- und Dominanzverhältnissen in den Blick genommen und die Performanz sowie

Forschungsperspektive wird versucht, das ausgrenzende, normative und ungleichheitsreproduzierende Potenzial von Master-Kategorien aufzuzeigen (vgl. Butler 1990), aber auch den Blick auf Möglichkeiten der Veränderung zu richten. Dahingegen greifen die beiden anderen Ansätze soziale Kategorien für ihre Analyse auf: Der intrakategoriale Ansatz fokussiert die Vielschichtigkeit innerhalb intersektionaler Kategorien (die jeweils auch kritisch als soziale Konstrukte betrachtet werden), um die Komplexität von Lebenswirklichkeiten innerhalb einer sozial(konstruiert)en Gruppe aufzuzeigen und die Relevanz von weiteren sozialen Differenzlinien und gegenseitigen Überlagerungen in die Analyse mit einzubeziehen. Der inter-kategoriale Ansatz bezieht sich strategisch auf soziale Kategorien, um die Komplexität sozialer Wirklichkeit und v.a. soziale Ungleichheitsverhältnisse zwischen verschiedenen sozialen Gruppen im Vergleich zu betrachten.

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die machtvollen Effekte ihres Zusammenwirkens untersucht (bspw. Plößer 2010, Tuider 2015). Im Zusammenhang der Diskussion um kategoriale Bezüge ist darauf hinzuweisen, dass es auch im gesellschaftstheoretischen Diskurszusammenhang Vorschläge gibt, die hier genannten zentralen Strukturkategorien zu erweitern. Hier werden u.a. von Winker/Degele (2009) Körper bzw. Bodyismen15 genannt oder von Albert Scherr (2012) Staatlichkeit bzw. Staatsangehörigkeit16. Nicht zuletzt wird im deutschsprachigen Kontext auch die problematische Verwendung der Kategorie ›race‹ in ihrem spezifischen historisch-gesellschaftlichen Zusammenhang diskutiert (bspw. Lutz et al. 2010) und die Notwendigkeit der Anpassung und Kontextualisierung der Konzepte und kategorialen Bezüge betont. Allerdings ist hervorzuheben, dass die Diskussion um die Relevanz verschiedener Kategorien im Rahmen einer intersektionalen Analyse nur bedingt zielführend ist, da es ja gerade um die Überlagerungen von verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen und deren (ungleichheitsrelevanten) Folgen geht. Dafür, so zeigt sich (vgl. dazu auch das folgende Kapitel), sind beide Perspektiven fruchtbar und ermöglichen jeweils unterschiedliche Erkenntnisse. Denn auch wenn bei diesen Zugangsweisen hinsichtlich des Bezugs auf soziale Kategorien und Differenzen theoretische Unterschiede zu konstatieren sind und dabei auf verschiedenen sozialen (Analyse-)Ebenen angesetzt wird, ist beiden, gesellschaftsstrukturellen und dekonstruktivistischen, Ansätzen das Interesse an einer kritischen Analyse von Ungleichheits- und Dominanzverhältnissen, deren Funktionsweisen und sozialen Folgen gemeinsam.

15 Gabriele Winker und Nina Degele (2009) stellen in ihrem mehrebenenbezogenen Ansatz zu Intersektionalität auf struktureller Ebene ›Körper‹ als weitere Strukturkategorie heraus. Damit fokussieren sie auf »Herrschaftsverhältnisse zwischen Menschengruppen aufgrund körperlicher Merkmale wie Alter, Attraktivität, Generativität und körperliche Verfasstheit« (ebd.: 51), die sie auch als Bodyismen bezeichnen. Damit soll der Relevanz der körperlichen Leistungsfähigkeit als zentrale und eigenständige Voraussetzung für die individuelle Reproduktion und den Verkauf von Arbeitskraft im Kontext kapitalistischer Verhältnisse entsprochen werden. 16 Albert Scherr (2012) erachtet es mit Bezug auf eine durch staatliche Grenzziehungen aufrechterhaltene weltgesellschaftliche Ungleichheitsordnung und vor dem Hintergrund der Bedeutung des Aufenthaltsstatus für die Lebenslagen und Möglichkeiten von migrierten und geflüchteten Personen als »zwingend, Staatlichkeit als eigenständige und hoch folgenreiche Strukturkategorie zu berücksichtigen« (ebd.: 6).

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Über diese Auseinandersetzungen hinaus sind trotz der zunehmenden Popularität von Intersektionalitätsansätzen auch kritische Stimmen und Bedenken gegenüber diesen zu vernehmen. Zum einen wurde – nicht nur anfänglich – innerhalb der (hegemonialen weißen) Frauen- und Geschlechterforschung im deutschsprachigen Raum z.T. die Befürchtung formuliert, dass durch diese Aufmerksamkeitsverschiebung auf Intersektionalität und Diversität ihre primäre Bezugskategorie ›Geschlecht‹ relativiert werde und an Bedeutung verliere (vgl. Casale/Rendtorff 2008). Letztendlich werde es dadurch auch schwieriger, sich politisch auf die Identitätspolitiken und damit auf Identitätskategorien ›Frau‹ bzw. ›Wir Frauen‹ zu beziehen17. Zum anderen werden von Seiten dominanz- und machttheoretischer Ansätze Bedenken und Einwände gegenüber einer einseitigen Fokussierung und Konzentration auf Kategorien und Differenzen formuliert. Es wird – von unterschiedlichen Seiten – befürchtet, dass dabei die strukturell und gesellschaftlich verankerten Verhältnisse von Dominanz und Unterwerfung sowie deren gewaltvolle Geschichte aus dem Blick geraten (vgl. Erel et al. 2007; Soiland 2008, Çetin 2013, Castro Varela/Dhawan 2015). So werden in diesem Zusammenhang Grenzen und Sichtverengungen von Intersektionalitätsperspektiven aufgezeigt. Allerdings ist dies nicht unbedingt Kritik von außen, sondern wird im Kontext der Intersektionalitätsdebatten selbst diskutiert, wo deutliche Einwände gegen eine kategoriale Zentrierung geäußert werden. So wird seit Beginn der Intersektionalitätsdebatten davor gewarnt, komplexe Felder der Herrschaft und Unterwerfung auf identische Kategorien zu reduzieren und den reziproken Charakter aus den Augen zu verlieren (McClintock 1995). In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff der Intersektionalität hinsichtlich der Metapher einer Kreuzung kritisiert, u.a. deshalb, weil dadurch die Vorstellung von ›in sich geschlossenen‹ Kategorien, einer statischen Überschneidung oder von voneinander unabhängigen Linien oder Achsen der Differenz suggeriert wird (Yuval-Davis 2006, Walgenbach 2007), wodurch das Zusammenwirken und die Interdepen-

17 Dies ist u.a. auch im Kontext der Debatten um Judith Butler in der deutschsprachigen Frauen- und Geschlechterforschung zu sehen, die zentrale Kategorien feministischer Theorie infrage stellt. Butler lehnt bekannterweise solche essentialisierenden kategorialen Bezüge auf ein wie auch immer konstruiertes ›Wir‹ bzw. ›Wir Frauen‹ ab und löste eine heftige Diskussion über Möglichkeiten und Ausrichtungen feministischer Politik und Praxis aus. Spivak hingegen, die diese Gefahren ebenso sieht und eine herrschaftskritische und dekonstruktive Perspektive gegenüber Othering und Vereinnahmungen von Wir-Konstruktionen einnimmt, vertritt die Position, dass aus politischen Gründen ein »strategischer Essentialismus« (u.a. Spivak 1988: 205) durchaus angebracht sein kann.

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denz von verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen und deren Folgen kaum untersucht werden können. Mit einem einseitigen Blick auf soziale Differenzen (oder gar Gruppenkategorien oder Identitäten), ohne diese in asymmetrischen gesellschaftlichen Verhältnissen zu denken, ist zweifelsohne die Gefahr groß, Intersektionalität als eine mechanische Überschneidung von in sich geschlossenen Kategorien zu denken und diese in dieser Weise auch in der Forschung festzuschreiben und zu reifizieren. Damit wird weder dem historisch Gewordenen, dem Prozessualen, dem Uneinheitlichen und Komplexen von sozialen Differenz- und Dominanzverhältnissen entsprochen, noch werden diese als Bestandteil hegemonialer Dominanzverhältnisse und darin eingelassener Strukturen betrachtet und damit sowohl der Struktur- wie auch der Machtaspekt von sozialen Differenzkonstruktionen sowie die Folgen interdependenter konfligierender Konstellationen ausgeblendet. Eine interessante terminologische Wendung hat die Künstler_in und Queertheoretiker_in Renate Lorenz vorgenommen, indem sie den Begriff der ›freaky theory‹ oder ›Freak Theory‹ (2012) kreiert hat und sich dabei einer widerspenstigen Metapher bedient, um auf die gewaltvolle Macht der Kategorisierung (und der Betrachtung von Körpern) zu verweisen und gleichzeitig in Distanz zu vorherrschenden Normalitätskonstruktionen zu gehen. Auf der Webside der Konferenz »Freaky - Queer Art Conference/Workshop/Filmprogram« heißt es: »Ein queer freak könnte als nützliche Figur der Intersektionalität auftreten. Diese wäre in der Lage, verschiedenste Arten von Differenz zu repräsentieren, ohne eine Kategorie oder Identität herzustellen. Die Figur des Freaks erlaubt keine Definition einer Norm, von der sie abweicht. […] Das Bild des Freaks mag eine Verkörperung zeigen, die nicht in Gender- oder ethnischen Kategorien beschrieben werden kann. Oder sie vermag Körper zu repräsentieren, ganz ohne sie zu zeigen.« (Lorenz 2009: o.S.)

Intersektionalität hat also das Potenzial für ein korrektives Instrument, um Unsichtbares sichtbar zu machen und damit verbundene Irritationen produktiv zu wenden und Perspektiven für Widerstand und Veränderungen zu entwickeln. Dies wird aus postkolonialer Perspektive ebenso gesehen. Allerdings wird auch auf Intersektionalitätsperspektiven immanente Gefahren der Re-Essentialisierung sowie die Problematik eines methodologischen Nationalismus bzw. einer Universalisierung des Ansatzes hingewiesen (vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 299ff.). Von Castro Varela und Dhawan (ebd.: 299f.) wird kritisch zu bedenken gegeben, dass die scheinbar offenen Intersektionalitätsanalysen sich i.d.R. stillschweigend und selbstverständlich auf den Westen beziehen und in einem euro-

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zentristischen Rahmen verharren.18 Somit werden globale, weltumspannende Ungleichheitsverhältnisse sowie historische Entwicklungen des Kolonialismus und Imperialismus vernachlässigt und bestimmte Unterdrückungsformen ausgeblendet und verschwiegen. Vor diesem Hintergrund werden aus einer postkolonialen Perspektive globale und transnationale Ansätze gefordert, die auch historische Entwicklungen und makroökonomische Strukturen in den Blick nehmen (ebd.: 307). Die dargestellten Kritikperspektiven zeigen, wie anspruchsvoll und gleichzeitig widersprüchlich sich intersektionale Analysen gestalten und diese in widersprüchlicher Weise in hegemoniale Differenzordnungen und Ungleichheitsverhältnisse, die sie analysieren wollen, involviert sind.19 Angesichts dessen ist es unumgänglich, genau diese Verstrickungen bei der Analyse mit in den Blick zu nehmen (Messerschmidt 2013; Hornscheidt 2013, Eggers 2005). Dann liegt in dieser Perspektive herrschaftskritisches Potenzial, um Überlagerungen und Interdependenzen von gesellschaftlichen und historischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen in ihrer Komplexität und im globalen internationalen Zusammenhang kapitalistischer Verhältnisse in den Blick zu nehmen, deren einund ausgrenzende sowie bestehende Verhältnisse festigende Effekte und Wirkungen aufzuzeigen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Diese bestehen darin, mit den Analysen auch Voraussetzungen für Veränderungen der Verhältnisse und einer Erweiterung von Handlungsfähigkeit der intersektional konfligierend unterworfenen Subjekte aufzuzeigen und zu ermöglichen. Hier stellen Castro Varela und Dhawan skeptisch die Frage, »ob die in feministischen Kreisen so zelebrierte intersektionale Perspektive tatsächlich besser dazu in die Lage versetzt, komplexe Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu untersuchen. Und ob sie wirklich Analysen hervorbringt, die Widerstandsstrategien ermöglichen und Handlungsmacht verletzlicher Subjekte stärkt.« (Castro Varela/Dhawan 2015: 305) Allerdings wirkten herrschaftskritische Theorie- und Politikperspektiven, wie die Queer Studies, Disability Studies, Perspektiven der Critical Whiteness und Rassismuskritik, die z.T. Teil eng mit sozialen und politischen Bewegungen verbunden sind, von Beginn an bei der Entwicklung intersektionaler Perspektiven mit und heben in aktuellen Diskursen mehr denn je auf die vielfältigen und

18 Diese Gefahr sehen sie v.a. in der deutschsprachigen Rezeption von Intersektionalität und deren Analysen. 19 Dadurch, dass die wissenschaftliche Diskussion und Wissensproduktion in Machtund Dominanzverhältnisse verstrickt ist, sind Intersektionalitätsansätze mit der Herausforderung konfrontiert, Diskriminierungs- und Differenzierungsprozesse zu analysieren, ohne sie hegemonial zu reproduzieren (ausführlich dazu: Kapitel 4).

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machtvollen Überlagerungen und Verquickungen von Rassismen, (Hetero-) Sexismen, Klassismen und Ableismen ab. Inzwischen hat der Ansatz der Intersektionalität auch in der Pädagogik und Erziehungswissenschaft Einzug gehalten. Sie wird v.a. dann aufgegriffen, wenn es um Analysen sozialer Ungleichheit und Fragen sozialer Gerechtigkeit, um gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse und damit verbundene Differenz- und Zugehörigkeitsordnungen und deren Bedeutung für Verhältnisse sowie Prozesse der Sozialisation, Bildung und Erziehung geht (vgl. Hormel 2012, Emmerich/Hormel 2013, Walgenbach 2013). Dies sind zum einen empirische Studien, die sich unter einer intersektionalen Perspektive mit den Lebenslagen und Handlungsstrategien von Jugendlichen oder von Adressat_innen Sozialer Arbeit beschäftigen (bspw. Spindler 2006, Riegel 2007, Lehmann 2008, Groß 2010, von Langsdorff 2014). Darüber hinaus spielen Intersektionalitätsanalysen zunehmend auch in der qualitativen Bildungsforschung bzw. der Analyse von pädagogischen Ansätzen, professionellen Diskursen und Praxen sowie von Interaktionen im schulischen oder außerschulischen Bildungskontext eine Rolle (z.B. Leiprecht/Lutz 2005, Weber 2005, 2008, Stuve 2008, Kubisch 2008, Riegel 2011c, 2012a, b, Melter 2012). Zum anderen wird auf Intersektionalität im Kontext von Diversity Studies (Adams et.al. 2000; Krell et al. 2007; Allemann-Ghionda/Bukow 2011) Bezug genommen und im pädagogischen Zusammenhang auf Debatten um den Umgang mit Diversität, Ungleichheit und Diskriminierung im schulischen (vgl. Krüger-Potratz 2011, Emmerich/Hormel 2013) und im sozialpädagogischen Kontext (vgl. Leiprecht 2008, 2011, Busche/Stuve 2010, Riegel 2011a, Effinger et al. 2012, Schulze/Giebeler/Rademacher 2013) zurückgegriffen. Diskurse um Intersektionalität finden sich also auch in Ansätzen und Debatten zu Diversity und Diversitymanagement im Kontext von Bildung, Pädagogik und Sozialer Arbeit. Dabei handelt es sich um Antidiskriminierungsstrategien bzw. eine Gleichstellungspraxis, in denen verschiedene Formen der Diskriminierung und Ungleichheit Berücksichtigung finden bzw. es um die Vermittlung von verschiedenen emanzipatorischen bzw. diskriminierungskritischen Ansätzen geht.

2. Theoretischer Analyserahmen zur Untersuchung von Otheringprozessen

Im Folgenden wird in Auseinandersetzung mit den dargestellten Theorieansätzen ein theoretischer Analyserahmen entwickelt, mit dem Prozesse des Othering bzw. der Konstruktion von Anderen im Bildungskontext untersucht werden können. Dazu sind zunächst die Figur des Othering und deren theoretische Implikationen für eine empirische Analyse zu klären (2.1). Es wird herausgearbeitet, wie der für die Untersuchung zentrale Begriff des Othering theoretisch zu fassen und unter einer Perspektive, die verschiedene Macht- und Herrschaftsverhältnisse einbezieht, zu betrachten ist. Daran anschließend (2.2) wird ein intersektionales Analysemodell ausgearbeitet, das als theoretische Hintergrundfolie zur Untersuchung von Otheringprozessen im Bildungskontext dienen kann.

2.1 Z UR K ONZEPTION DES O THERING – T HEORETISCHE ANNÄHERUNG AN EIN EMPIRISCHES P HÄNOMEN Das Konzept des Othering ist im Kontext der Postcolonial Studies1 entstanden und wurde u.a. durch Autor_innen wie Edward Said (1978) und begrifflich durch Gayatri C. Spivak (1985) geprägt. Othering stellt eine zentrale Figur postkolonialer Theoriebildung dar, dessen theoretische Ausarbeitung vor dem Hintergrund des Fortwirkens kolonialer Verhältnisse in heutigen postkolonialen Gesellschaften erfolgt und im deutschsprachigen Raum im Kontext von kritischer Rassismusforschung und Migrationspädagogik aufgegriffen wurde (z.B. Mecheril et al. 1999, Gutiérrez Rodríguez 1999, Mecheril 2004, Castro Varela/Dhawan

1

Ausführlich werden postkoloniale Theorien in Kapitel 1.4 diskutiert.

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2005, Eggers 2005, Mecheril/Broden 2007, 2010, Attia 2009, Castro Varela 2010). Wenn im Folgenden versucht wird, zentrale Aspekte und Spezifika von Othering herauszuarbeiten, um davon ausgehend eine Perspektive zur Untersuchung von Othering im Bildungskontext zu entwickeln, erfolgt dies in Bezug auf postkoloniale Theorien und dekonstruktivistische und poststrukturalistische Theorieperspektiven, die einen Beitrag zur Analyse von diskursiver Herstellung und Aufrechterhaltung von hegemonialen Differenzordnungen leisten. Festzuhalten ist zunächst, dass die Konstruktion von Anderen vor dem Hintergrund hierarchischer und asymmetrischer Differenzordnungen (Mecheril 2009) und gewaltförmiger Macht- und Herrschaftsverhältnisse erfolgt und zu deren Legitimation und Aufrechterhaltung dient. Mit dem Begriff des Othering wird die Konstruktion der_des Anderen als Prozess des »Different-Machens« (Castro Varela/Dhawan 2005: 60) markiert, der sowohl Elemente der Festschreibung, der Ausgrenzung als auch der Unterwerfung enthält. Das entscheidende Moment von Othering liegt darin, dass in einer wirkmächtigen Verschränkung und im Zusammenspiel von hegemonialen alltäglichen, fachlichen, wissenschaftlichen und politischen Diskursen und Bildern, mit Mitteln der Zuschreibung, Essentialisierung und Repräsentation eine bestimmte Gruppe erst als solche, dann als Andere diskursiv hervorgebracht und identitär festgeschrieben wird. Die Konstruktion von Anderen basiert, wie dies Said in seinem hierfür zentralen Werk »Orientalism« (1978) herausarbeitet, auf einer Unterscheidung, in der das ›Andere‹ als komplementärer Gegenpart und in binärer Opposition zu einem hegemonialen ›Wir‹ konstituiert wird. Dabei ist die Definition des Anderen notwendig zur Definition des Eigenen, Prioren und Normalen. Die soziale Konstruktion von Anderen erfolgt vor dem Hintergrund eines binären Codierungssystems, das auf ungleich bewerteten Gegensatzpaaren wie ›modern-traditionell‹, ›zivilisiert-wild/gewalttätig‹, ›rational-irrational‹ usw. beruht. Das Andere dient dabei als Negativfolie und verkörpert symbolisch das von der (so konstruierten) Normalität Abweichende und mit Mängeln und Unzulänglichkeiten Behaftete. Durch solche, z.T. essentialistischen Zuschreibungen und stereotypen Bilder wird Subjekten ihre (untergeordnete) Position im gesellschaftlichen Raum zugewiesen und diese darauf festgeschrieben. »Das von Said (1978) formulierte Konzept des Othering verdeutlicht dabei«, so Maria do Mar Castro Varela (2010: 256), »dass der_die Andere beständig (neu) erzeugt werden muss und gleichzeitig auf der Position der Differenz festgezurrt werden muss.« Mit Mechanismen (Diskursen und Praxen) der Benennung und Fixierung (der sozialen Außen-Positionierung) sowie der Zurückweisung und Abgrenzung wird versucht, die (gleichzeitig bedrohlichen und auch begehrten) Anderen an dem ihnen

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zugewiesenen(ausgegrenzten und marginalisierten) Platz zu halten und festzuschreiben. Über den Prozess der Konstruktion der Anderen und die damit verbundene Diskriminierung und Abgrenzung erfolgen ebenso eine Selbstvergewisserung und Absicherung einer privilegierten Position sowie der hegemonialen sozialen Ordnung. Kennzeichnend ist somit auch die (abwertende, ausgrenzende) Abgrenzung des imaginierten Anderen vor der Folie einer konstruierten, aber selbstverständlichen ›Normalität‹, die jedoch nicht expliziert und benannt, sondern selbstverständlicher und äußerst wirkmächtiger Referenzpunkt ist – weshalb Audre Lorde (1984) hier von einer ›mythischen Norm‹ spricht. So geht die binäre Unterscheidung von ›Wir und die Anderen‹ als konstitutives Element des Othering in postkolonialen Gesellschaften über bloße Gruppenzuschreibungen hinaus und verweist auf ungleiche Positionierungen und Repräsentationsmöglichkeiten im Kontext von Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Stuart Hall spricht mit Blick auf den Imperialismus des Westens von der symbolischen Aufteilung der Welt als »The West and the Rest« (vgl. Hall 1994). Spivak (u.a. 1988b) hebt darüber hinaus hervor, dass im imperialen Machtund Wissensdiskurs die Perspektiven und Stimmen von marginalisierten Anderen nicht gehört werden bzw. diese sprachlos gemacht werden. Durch die Kategorisierungsprozesse des Othering werden diejenigen, die als Andere gelten, im dominanten, kolonialen Machtdiskurs in ambivalenter Weise zugleich ein- und ausgeschlossen (Spivak 1985). Mit den genannten Mechanismen der Zuordnung, beispielsweise im Kontext rassistischer Diskurse, wird zum einen die Subjektivität derjenigen, die als Andere markiert werden, systematisch ignoriert und verfehlt, zum anderen werden marginalisierte Standpunkte übergangen und unsichtbar gemacht. Othering kann mit Said in Bezug auf Foucault als Wechselspiel von Subjektivierung (als Prozess der Hervorbringung und Anrufung als Andere) und Objektivierung (durch Zuschreibung, Festschreibung, Ausgrenzung) gelesen werden. Die soziale Wirkkraft hegemonialer Diskurse zeigt sich u.a. daran, dass diejenigen, die als Andere markiert werden, sich auch selbst in diesen Diskurs einfügen und auf Konstruktionen und Zuschreibungen zurückgreifen, die sie zu Anderen machen. Spivak (1996) und Stuart Hall (2004a) haben beide darauf hingewiesen, dass die als Andere Markierten und Unterworfenen erst durch den Bezug auf das hegemoniale Zentrum bzw. ein Normalitäts-Dispositiv und in Abhängigkeit von diesen sich selbst erkennen (und benennen). Im Zusammenhang mit der subjektivierenden und unterwerfenden Wirkung von hegemonialen Diskursen ist es sinnvoll, auf Judith Butler und deren Ausführungen zu Prozessen der Anrufung und Adressierung Bezug zu nehmen (Butler

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2001, 2006). Sie entziffert beispielsweise die Herausbildung einer vergeschlechtlichten Selbstpositionierung als diskursiven Effekt von Akten wiederholter Anrufung (z.B. als Mädchen oder als Junge) (Butler 1995, 2001) und verweist auf die Macht von Sprache, des Benennens, der Adressierung und v.a. des zitathaften Wiederholens diskursiven Wissens, um Subjekten die für sie vorgesehene (de-)privilegierte Positionierung bzw. gesellschaftliche Subjektposition (z.B. in einer binären heteronormativen Geschlechterordnung) zuzuweisen. In ihren Ausführungen zu rassifizierten Anrufungen und Diskursen in »Haß spricht« schreibt sie: »Die Äußerungen der hate speech gehören zum fortgesetzten, ununterbrochenen Prozess, dem wir unterworfen sind. Diese fortwährende Unterwerfung (assujettissement) ist nichts anderes als der Vollzug der Anrufung, jene wiederholte Handlung des Diskurses, der die Subjekte in der Unterwerfung formt.« (Butler 2006: 49) Dabei verweist sie auf die machtvollen Prozesse der Subjektivierung, die es ermöglichen, dass der Anrufung auch Folge geleistet wird, wenngleich sie ebenso die performative Möglichkeit der Verschiebung und des Widerstands betont (s.u.). Mit postkolonialen und poststrukturalistischen Bezügen kann also die Konstruktion von Anderen als machtvoller Prozess des Different-Machens, der Ausgrenzung und der Hineinrufung in eine untergeordnete Position analysiert werden, durch die bestehende Differenzordnungen und gesellschaftlich Dynamiken von Herrschaft und Unterwerfung (immer wieder neu) diskursiv hergestellt, abgesichert und reproduziert werden. Darauf, dass prinzipiell jedoch auch immer die Möglichkeit der Variation oder subversiven Veränderung dieser Ordnungen besteht, weisen insbesondere Stuart Hall und Judith Butler hin. Verkürzt wäre es, Othering nur als sozialpsychologisches Phänomen der Abgrenzung und Distinktion zu betrachten, das Individuen dazu bewegt, sich (einseitig) von anderen Menschen oder Gruppen zu distanzieren.2 Das postkolonial begründete Konzept des Othering verweist hingegen auf die diskursive Verschränkung von Wissen und Macht, auf die durch binäre Kategorisierungen legitimierte ungleiche Verteilung von Privilegien und sozialen Ressourcen sowie die damit verbundene soziale Funktion von Othering zur Absicherung und Aufrechterhaltung von vorherrschenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Konstruk-

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Ein solches Verständnis wird beispielsweise in Kontexten interkultureller Kommunikation und internationaler Zusammenarbeit diskutiert (vgl. dazu das OnlineKulturglossar von Schönhuth o.J.). Ein stark auf individuelles Handeln und Einstellungen sowie Gruppenbeziehungen bezogenes Verständnis von Othering ist seit einiger Zeit auf Wikipedia zu finden (http://de.wikipedia.org/wiki/Othering, zuletzt aufgerufen am 7.1.2016).

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tionen von Anderen sind in gesellschaftliche Ordnungen und Wissensdiskurse eingeschrieben, durch sie als Subjektivierungsweisen werden Einzelnen gesellschaftliche Positionierungen und Privilegien zugewiesen oder vorenthalten und damit auch der Zugang zu sozialen Ressourcen geregelt. Kategorisierungsprozesse des Othering werden als solche von Gesellschaftsmitgliedern (aus unterschiedlich (de-)privilegierten Positionen) bewusst oder unbewusst aufgegriffen und reproduziert, wenn auch prinzipiell die Möglichkeit des Widerstands und der Veränderung der Diskurse besteht. Intersektionalität und Othering Neben imperialistischen Machtkonstellationen und rassifizierten und kulturalisierten Differenzordnungen sind im internationalen und nationalen Kontext auch noch andere gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse wirksam. Das Prinzip der Unterscheidung von ›Wir und die Anderen‹ in Form von kontradiktorischen Gegensatzpaaren, die jeweils die unausgesprochene Norm und deren Abweichung symbolisieren, findet sich auch in der Organisation asymmetrischer Geschlechterverhältnisse oder in hegemonialen Vorstellungen über Körper und Gesundheit, über die die Zuweisung von Privilegien und Positionen im gesellschaftlichen Raum und damit verbundenem Zugang zu sozialen Ressourcen geregelt wird. Mit Blick auf bipolare Geschlechterkonstruktionen erfolgt die Herstellung von Differenz als ausgrenzende und unterwerfende Praxis, worauf bereits Simone de Beauvoir in »Das andere Geschlecht/Le deuxième sexe« (1951 [1949]) hingewiesen hat: Das als ›männlich‹ Bezeichnete gilt als das Universale und allgemein Menschliche und wird im Gegensatz zum ›Weiblichen‹ gedacht, welches als Negativfolie fungiert und das Abweichende verkörpert. Durch diese Zentralität bedarf das dominante Konstrukt des Männlichen keiner expliziten Kennzeichnung mehr, was aus feministischer Perspektive als Androzentrismus kritisiert wird und auch Bestandteil feministischer Wissenschaftskritik (u.a. Harding 1991) ist. Darüber hinaus wurde der normative Zusammenhang von sexgender-Begehren aus feministisch-dekonstruktiver Perspektive und insbesondere von den Queer Studies (Butler 1991, 1995, polymorph 2002, Hark 1999) zunehmend infrage gestellt und nicht nur die bipolare hierarchische Geschlechterordnung, sondern auch die Selbstverständlichkeit der Annahme von heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit (Rich 1983) kritisch hinterfragt. Im Feld einer heteronormativen Matrix, so Butler (1991), kann sich Heterosexualität überhaupt erst und in Abgrenzung zu Homosexualität als gesellschaftliche Norm ausdrücken und etablieren. Die heteronormative Gegenüberstellung und binär codierte Einteilung in Frau/Mann funktioniert jedoch nur, wenn weitere Geschlechter bzw. Formen des Begehrens ausgeschlossen werden, sodass das Moment der Norma-

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tivität eng mit Ausgrenzung, Diskriminierung und auch Auslöschung (z.B. im medizinischen Umgang mit Intersexualität) verbunden ist. Das Konstrukt der Behinderung wird in ähnlicher Weise als Negativabweichung von dominanten Normvorstellungen von Körper und Gesundheit konstruiert, auf deren ausgrenzende und diskriminierende Wirkung die Disability Studies (Waldschmidt/ Schneider 2007, Jacob/Köbsell/Wollrad 2010) hinweisen. Diesbezüglich zeigen sich Parallelen und Gemeinsamkeiten der Mechanismen von hierarchischen Differenzkonstruktionen und -ordnungen, die unterschiedliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse stützen und aufrechterhalten, wenngleich diese in ihren Entstehungszusammenhängen und ungleichheitsstabilisierenden Prinzipien und Funktionen nicht gleichzusetzen sind (vgl. Eichhorn 1993, Hall 2000b, 2004b, Riegel 2004). Sehr viel schwieriger ist es in heutigen kapitalistischen Verhältnissen, von Klasse als binär organisierter Konstellation zu sprechen, die in einer Identität von Klassen und sozioökonomischen Gruppen aufgeht. Vielmehr verdeutlicht sich hier, und darauf weist u.a. Stuart Hall hin, das Ineinandergreifen der Entwicklung von Rassismus und Sexismus in spätkapitalistischen Verhältnissen. »Rassismus ist in den modernen kapitalistischen Industriegesellschaften zu einem bestimmenden Moment geworden. Er ist verknüpft mit Fragen des Kapitals, aber die kapitalistische Produktionsweise kann keineswegs einfach als Ursache des Rassismus betrachtet werden. Wie das Patriarchat ist der Rassismus auch ein vor- und nachkapitalistisches System.« (Hall 2000b: 8f.) Allerdings, und auch darauf verweist er, können sozial konstruierte Gegensätze wie ›Kapital und Arbeit‹ und ›Schwarz und Weiß‹ nicht gleichgesetzt werden. Von anderen postkolonialen Autor_innen, wie Spivak, wird hervorgehoben, dass in postkolonialen Gesellschaften Rassismus und Sexismus von kapitalistischen Verhältnissen überlagert, durchdrungen und herangezogen werden, um diese Herrschaftsform aufrechtzuerhalten. »Der moderne Kapitalismus funktioniert entgegen der nivellierenden Tendenz des Weltmarkts gerade aufgrund und nicht etwa trotz geschlechtsspezifisch und ›rassisch‹ definierter Arbeitskraft« (Hall 2000b: 10). Auf das Ineinanderwirken von verschiedenen Differenzordnungen und Machtverhältnissen wird, wie bereits herausgearbeitet, systematisch durch die Arbeiten zu Intersektionalität (Crenshaw 1989, Collins 1990) hingewiesen und dieses Zusammenwirken und die Interdependenz von asymmetrische Klassenverhältnissen, Rassismen, (Hetero-)Sexismen, Bodyismen und Ableismen zum Gegenstand der Analyse gemacht. Dabei wird davon ausgegangen, dass die einzelnen Macht- und Herrschaftsverhältnisse sich gegenseitig durchdringen. Peter Wagenknecht formuliert dieses Zusammenwirken, ausgehend von Heteronormativität, wie folgt: »H [Heteronormativität, C.R.] ist sämtlichen gesellschaftlichen Verhältnissen eingeschrieben; auch Rassismus und

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Klassenverhältnisse sind heteronormativ geprägt und prägen ihrerseits die kulturellen Bilder und konkreten Praxen heteronormer Zweigeschlechtlichkeit.“ (2004: Spalten 189-206) Nun stellt sich die Frage, was dies für die Konzeptionalisierung von Othering bedeutet. Mit den Bezügen auf feministische und marxistische Theorien wird von Spivak (1985) Othering als multidimensionaler Prozess in kolonial geprägten Gesellschaften beschrieben, der verschiedene Machtkonstellationen und -verhältnisse berührt und von spätkapitalistischen Verhältnissen durchdrungen ist.3 Vor dem Hintergrund der dargestellten Theoriebezüge zeigt sich, dass in verschiedenen Machtkonstellationen und Differenzordnungen durch Kategorisierungs- und Grenzziehungsprozesse die Herstellung von Anderen diskursiv vollzogen wird. Gleichzeitig wirken die jeweiligen Differenzordnungen nicht nur in und für sich, sondern werden jeweils von anderen Differenzverhältnissen durchdrungen und überlagert, wodurch Prozesse der Normierung einerseits sowie der Ausgrenzung und Unterwerfung andererseits z.T. erst ermöglicht werden. Durch das Zusammenwirken und den Bezug auf verschiedene Differenzkonstruktionen werden sozial immer wieder aufs Neue Grenzen geschaffen und Differenzen relevant gemacht. So sind auch Bilder und Konstruktionen beispielsweise über Migrationsandere (Mecheril 2010: 17) nicht nur mit Bezügen zu natio-ethnokulturellen Zugehörigkeitskontexten und Differenzordnungen konstruiert, sondern auch gegendert und mit bestimmten Vorstellungen über Klasse und Körper verbunden, ebenso die darin enthaltenen Vorstellungen von Normalität und Abweichung. Durch das jeweils spezifische Zusammenspiel von verschiedenen Differenzkonstellationen gewinnen die damit verbundenen Einteilungen und Grenzziehungen erst ihre ein- und ausgrenzende Wirkung und sind somit zur Aufrechterhaltung von hegemonialen Ordnungen funktional. Es zeigt sich, dass bei Othering potenziell ein komplexeres System von bipolaren Codierungen und Zuordnungen angerufen und wirksam wird und dabei verschiedene Macht- und Herrschaftsverhältnisse bedeutsam werden. Dieses Zusammenwirken ist in der Analyse zu berücksichtigen. Othering als Analysekonzept impliziert potenziell eine intersektionale Perspektive, die verschiedene Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse und damit verbundene Kategorisierungen, Grenzziehungen und Normierungen integrierend einbezieht. Unter

3

Vor diesem Hintergrund wird das Konzept des Othering, wie es von Spivak ausgearbeitet wurde, auch als intersektional bezeichnet, ohne dass Spivak sich selbst dieser Bezeichnung bedient hätte. So schreibt beispielsweise Suna Jensen: »The concept of othering builds on a Hegelian heritage; it is inspired by both feminist and postcolonial theory, and it is from the very beginning an intersectional concept.« (Jensen 2009: 11)

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einer dekonstruktivistischen Theorieperspektive, und hierzu tragen sowohl die Analysen der Queer Theory und der Disability Studies als auch die der postkolonialen Kritik bei, können dominante Kategorisierungsprozesse und Differenzordnungen infrage gestellt und kritisch auf ihre Folgen und Effekte hin analysiert werden. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden ein Verständnis von Othering pointiert, das als theoretische Grundlage für die empirische Analyse von Othering zugrunde gelegt werden kann. •







Othering ist als Prozess zu verstehen, der nicht nur durch das Prozessuale und das Charakteristische des Herstellens von Grenzen und Differenzen gekennzeichnet ist, sondern auch dadurch, dass es in Relation zu sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen von Dominanz und Unterwerfung steht und darüber gesellschaftliche Positionen und damit verbundene Zugänge zu sozialen Ressourcen und Privilegien verteilt. Othering ist als machtvoller Diskurs zu verstehen, der in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse eingeschrieben ist: Neben dem Prozess des Different-Machens ist das damit verbundene macht- und gewaltvolle Unterwerfen von Subjekten unter eine bestimmte Differenzordnung bedeutsam. Begriffe wie Rassialisierung, Vergeschlechtlichung, Ethnisierung oder Kulturalisierung sind Versuche, nicht nur das Prozessuale und Hergestelltsein zum Ausdruck zu bringen (was auch die doing-Formulierungen, wie doing gender oder doing ethnicity, leisten), sondern mehr noch auf den gewaltvollen Akt der Zuweisung, Festschreibung und Unterwerfung und damit der marginalisierten Positionierung von Anderen (in Distanz zum Eigenen/zu sich selbst) zu verweisen. Der Prozess des Othering korrespondiert eng mit Prozessen der Normalisierung, welche sich u.a. in binären Differenzkonstruktionen, die jeweils die Gegensatzpaare von ›Normalität-Abweichung‹, ›dominant-dominiert‹, ›superior-inferior‹ usw. zeigen, repräsentieren. Dabei stellt das ›Normale‹ das Selbstverständliche, das Unhinterfragte, aber auch Nicht-Thematisierte dar, das jedoch zum zentralen Orientierungspunkt, zur Norm wird bzw. diese verkörpert und hegemonial wirkt. Vor dem Hintergrund der unausgesprochenen Macht der Normalität ist in der Analyse nicht nur die Seite der Abweichung in den Blick zu nehmen, sondern auch nach impliziten Normalitätskonstruktionen zu fragen, ebenso nach deren Funktionen für die Absicherung hegemonialer Verhältnisse und Differenzordnungen. Otheringprozesse erfolgen im Kontext interdependenter Ungleichheits- und Machtverhältnisse und konstituieren diese. Sie sind als soziale Diskurse und

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Praktiken zu verstehen, die durch Anrufung und Adressierung verschiedener Differenzkonstruktionen, wie Geschlecht, Ethnizität/›race‹, Klasse, Körper, Sexualität, Alter usw. Prozesse der Ein- und Ausgrenzung, Auf- und Abwertung in Gang setzen. Es wird davon ausgegangen, dass Othering durch dieses Zusammenspiel z.T. erst richtig wirksam wird, indem bestimmte Differenzkonstruktionen hervorgehoben, andere in den Hintergrund geschoben oder ignoriert werden. Durch die jeweilige Mixtur, – die nicht allgemein, sondern jeweils empirisch und im jeweiligen Kontext herauszuarbeiten ist –, erreicht die Konstruktion von Anderen erst ihre ausgrenzende und/oder normalisierende Wirkung. Selbst wenn primär rassistische Zuschreibungen oder Zugehörigkeiten im natio-ethno-kulturellen Kontext verhandelt werden, werden dabei Geschlechterkonstruktionen, Klassismen, Bodyismen sowie andere hegemoniale Normalitätsdispositive angerufen und rassistische Ausgrenzungspraxen damit gestützt. Diesbezüglich ist eine intersektionale Perspektive auf Otheringprozesse notwendig sowie eine diesbezügliche empirische Offenheit, die Othering nicht nur hinsichtlich rassifizierender, rassialisierender, kulturalisierender und ethnisierender Zuschreibungen und Diskriminierungen untersucht. Dies wäre unter einer intersektionalen Perspektive unterkomplex. Otheringprozesse sind im Rahmen vorherrschender Ungleichheits- und Machtverhältnisse funktional zu deren Aufrechterhaltung und zur Reproduktion von bestehenden Differenzordnungen. Deshalb sind sie im Analyseprozess hinsichtlich ihrer sozialen Funktionalität und ihrer Folgen zu befragen und als solche herauszuarbeiten. Otheringprozesse werden auf verschiedenen sozialen Ebenen relevant: Sie sind durch strukturelle Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse gerahmt, dabei in internationale und globale kapitalistische Verhältnisse sowie in nationalstaatlich organisierte Systeme eingebunden. Sie werden in sozialen Diskursen, Bildern und Praktiken hergestellt und wirksam und haben Relevanz für das Denken und Handeln von Individuen und deren soziale Positionierung und Möglichkeitsräume. Othering ist einerseits in vorherrschende Wissensformen und institutionelle Differenzordnungen eingeschrieben, andererseits werden Konstruktionen von Anderen durch menschliches Handeln hergestellt und reproduziert. Das charakteristische Gemacht- und Hergestelltsein von Konstruktionen von Anderen und damit verbundenen Grenzziehungen besteht auch darin, dass die bestehenden ein- und ausgrenzenden bzw. hierarchischen Verhältnisse so nicht feststehen, sondern prinzipiell veränderbar sind. Deshalb ist Othering immer im Spannungsfeld von Reproduktion und Veränderung bzw. Über-

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schreitung vorherrschender Dominanzverhältnisse und Ordnungsmuster zu betrachten und zu untersuchen. Für die Untersuchung und empirische Analyse von Otheringprozessen bzw. der Konstruktion von Anderen im Bildungskontext bedarf es folglich •







einer Perspektive, die es ermöglicht, das Zusammenwirken und die Interdependenz von verschiedenen Macht-, Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnissen sowie deren Relevanz für die Konstruktion von Anderen in den Blick zu nehmen und ebenso die spezifischen Folgen dieses Zusammenwirkens – also einer intersektionalen Perspektive auf Otheringprozesse; einer Perspektive, die nicht nur den Prozess des Othering bzw. dessen ausgrenzende und unterwerfende Effekte des Different-Machens in den Blick nimmt, sondern auch das Hegemoniale und Selbstverständliche, die unausgesprochene, aber wirkmächtige ›mystische Norm‹ (Lorde 1984) fokussiert, um auch diese auf ihre ein- und ausgrenzenden Strukturen und Mechanismen hin zu beleuchten und somit die Analyse unter Einbezug von Dominanz und Privilegierung vornehmen zu können; eines Analysemodells, das den Zusammenhang verschiedener sozialer Ebenen (gesellschaftliche Bedingungen, soziale Diskurse und Repräsentationen, subjektives Handeln) und deren Bedeutung für die Konstruktion von Anderen adäquat einbeziehen kann; eines Analysekonzepts, das nicht nur den Aspekt der Tradierung bzw. Reproduktion von Differenzkonstruktionen und Dominanzverhältnissen, sondern außerdem die Möglichkeit der Veränderung bzw. der Überschreitung denkbar und theoretisch fassbar macht. Wenn dabei sowohl nach der hegemonialen und sozialen Funktionalität als auch nach dem subjektiven Sinn bzw. der subjektiven Funktionalität von Reproduktion bzw. Überschreitung gefragt wird, erfährt die Analyse von Otheringprozessen eine subjektwissenschaftliche Erweiterung.

Ein solches Analysemodell zur Untersuchung von Othering in gesellschaftlichen und pädagogischen Kontexten soll im Folgenden skizziert werden.

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2.2 T HEORETISCHER ANALYSERAHMEN ZUR U NTERSUCHUNG VON O THERINGPROZESSEN Im Folgenden wird in Auseinandersetzung mit den dargestellten Theorieansätzen ein Analyserahmen entwickelt, mit dem Otheringprozesse bzw. Konstruktionen von Anderen im Bildungskontext untersucht werden können. Dieser Analyserahmen sollte die oben genannten Anforderungen erfüllen, um Strukturen, Diskurse und Praktiken des Othering in ihrer Komplexität sowohl hinsichtlich der Verschränkung von verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen als auch des Ineinanderwirkens verschiedener sozialer Ebenen für die Analyse erfassen (bzw. rahmen) zu können. Interdependenz verschiedener gesellschaftlicher Herrschafts- und Machtverhältnisse Zum einen wird mit einem solchen Analysemodell dem Sachverhalt zu entsprechen versucht, dass Otheringprozesse in gesamtgesellschaftliche Verhältnisse eingebunden sind, die durch Ungleichheit, Macht und Herrschaft geprägt und in diese eingebettet sind. Diese Macht- und Herrschaftsverhältnisse sind im Einzelnen zu charakterisieren als gesellschaftliche Widerspruchsverhältnisse, die zu einer asymmetrischen Strukturierung der Gesellschaft (u.a. der Strukturierung des gesellschaftlichen Kräftefelds in Zentren und Peripherien) sowie zu einer ungleichen Verteilung von Lebenschancen führen und gleichzeitig verschiedene Formen des Verhältnisses von Dominanz und Unterwerfung bzw. Diskriminierungsverhältnisse enthalten: •



4

Asymmetrische Klassenverhältnisse, die auf den Strukturkonflikt von Lohnarbeit und Kapital zurückgehen,4 sowie Klassismen als klassenbezogene Diskriminierungen und Unterdrückungsformen bzw. -verhältnisse. Asymmetrische Geschlechterverhältnisse, die auf den strukturellen Widerspruch von Produktion und Reproduktionsarbeit verweisen,5 und damit in

Vgl. das ungleichheitstheoretische Modell von Kreckel 1992 sowie marxistisch geprägte materialistische Ansätze.

5

Vgl. das ungleichheitstheoretische Modell von Kreckel 1992, Becker-Schmidt 1987 mit dem Konzept der ›Doppelten Vergesellschaftung‹ bzw. Lenz 1995 mit dem Konzept der ›Dreifachen Vergesellschaftung‹, die sich jeweils u.a. auf diesen Strukturwiderspruch beziehen, durch den die jeweiligen Geschlechterverhältnisse konturiert werden.

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Verbindung stehende Unterwerfungs- und Diskriminierungsformen/-verhältnisse Sexismen und Heterosexismen6. Asymmetrische internationale Ethnizitäts-, Nationen- und Territorialverhältnisse im weltgesellschaftlichen Kontext7 sowie die damit verbundenen Diskriminierungs- und Unterdrückungsformen/-verhältnisse Nationalismus, Ethnozentrismus, Kolonialismus, Imperialismus und Rassismen.8 Asymmetrische Körperverhältnisse9 sowie damit verbundene Unterwerfungs- und Diskriminierungsformen/-verhältnisse Ableismen10.

Diese Verhältnisse werden von verschiedenen Theorien unterschiedlich in den Blick genommen und benannt: Struktur- und ungleichheitstheoretische sowie marxistisch-materialistische Ansätze beziehen sich v.a. auf Strukturkonflikte und strukturelle Widerspruchskonstellationen (bspw. Kreckel 1992, Becker-Schmidt 1987, Lenz 1995, Klinger 2008); machttheoretische Ansätze und poststrukturalistische Theorietraditionen fokussieren in ihren Analysen v.a. die Prozesse von Dominanz und Unterwerfung, die (in dieser Lesart) v.a. diskursiv hergestellt werden (vgl. Kapitel 1). Allerdings können sich beide Perspektiven in herrschafts- und hegemoniekritischen Ansätzen, wie beispielsweise in postkolonia-

6 7

Vgl. Kapitel 1.3. bzw. Rich 1983, Butler 1991, Hartmann et al. 2007 Beispielsweise wird mit Bezug auf Wallerstein 1989 von Kreckel 1994 sowie von Marvakis 1996 dieses Verhältnis ebenfalls als ungleichheitsstrukturierend im internationalen Kräfteverhältnis herausgearbeitet; Postkoloniale Theorien gehen ebenfalls von strukturellen Asymmetrien und strukturell verankerten imperialistischen und (neo)kolonialen Unterdrückungsverhältnissen im weltgesellschaftlichen und globalen Zusammenhang aus (s.o.).

8 9

Zu Rassismustheorien s. Kapitel 1.4. Von Winker und Degele (2009) wird Körper als vierte Strukturkategorie in ihrer Analyse sozialer Ungleichheitsverhältnisse eingeführt.

10 Ableism ist ein Begriff aus den Disability Studies (u.a. Waldschmidt/Schneider 2007), womit die Kritik an gesellschaftlich unhinterfragten Fähigkeitszuschreibungen an Subjekte formuliert wird. Mit Ableism wird die essentialisierende Reduzierung von Menschen auf ihren als ›nicht / behindert‹ konstruierten Körper bezeichnet. Der Begriff verweist sowohl auf Auf- und Abwertungen bzw. Diskriminierungen von Personen aufgrund zugeschriebener ›vorhandener‹ oder ›fehlender‹ Fähigkeiten als auch auf die Normativität von gewissen Fähigkeiten, die zum (Vergleichs- und Verwertungs-) Maßstab in kapitalistischen Gesellschaften gemacht werden. Es handelt sich also um ein gesellschaftliches Verhältnis, das in der Bestimmung von Fähigkeiten seinen Ausdruck findet.

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len Theorien (s.o.) oder einer queer-feministischen Kapitalismuskritik (bspw. Voß/Wolter 2013), ergänzen bzw. aufeinander bezogen werden. Zu betonen ist, dass die genannten Herrschafts- und Machtverhältnissen nur analytisch getrennt voneinander zu betrachten sind. Auch wenn sie jeweils unterschiedliche Ursachen, Entstehungszusammenhänge und Wirkweisen haben und darin nicht gleichzusetzen sind, wirken sie gesellschaftlich zusammen, überlagern sich und bedingen einander, worauf insbesondere Intersektionalitäts- und Interdependenzansätze hinweisen. Die Macht- und Herrschaftsverhältnisse wirken in internationalen kapitalistisch geprägten Kräfteverhältnissen, sind in diese eingebettet bzw. bringen diese mit hervor. Inwiefern sich die verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse im Kontext kapitalistischer Verhältnisse gegenseitig durchdringen, einander prägen und in ihren jeweiligen aktual empirischen Formationen mit herstellen, darauf wurde im vorherigen Teilkapitel u.a. mit Bezug auf Hall, Spivak und Wagenknecht bereits eingegangen. Gleichzeitig wirken diese Verhältnisse – in ihrer interdependenten Überlagerung – in verschiedene soziale und gesellschaftliche Bereiche hinein und strukturieren diese. Interdependenz verschiedener sozialer Referenzebenen Zum anderen soll mit einem Analysemodell, das die verschiedenen Interdependenzen berücksichtigt, auch dem Zusammenwirken unterschiedlicher sozialer ›Ebenen‹ entsprochen werden können, die für das (im Fokus der Untersuchung stehende) pädagogische Handeln (bzw. Handeln generell) bedeutsam sind und in die die genannten Macht-und Herrschaftsverhältnisse jeweils hineinwirken. Dies sind die Ebene der gesellschaftlichen Bedingungen, die Ebene der sozialen Repräsentationen bzw. Diskurse und Praxen sowie die Ebene des (handelnden) Subjekts. Allerdings sind auch diese sozialen Referenzebenen nicht getrennt voneinander zu verstehen, sie beziehen sich aufeinander und bedingen sich gegenseitig.11 Damit wird das komplexe Zusammenspiel von verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen auf der einen Seite durch die Interdependenz von verschiedenen sozial relevanten Ebenen noch ergänzt. Für die Analyse kann das Zusammendenken dieser komplexen Interdependenzen und Verhältnisse eine Herausforderung darstellen.

11 Vor diesem Hintergrund ist der Begriff der Ebene auch schwierig, da dieser voneinander abgrenzbare und womöglich hierarchisch zueinanderstehende Einheiten assoziiert. Der Begriff wird in Referenz auf die soziologische Unterscheidung von Makro-, Meso-, Mikro-Ebene verwendet, wenngleich die im folgenden Analysemodell unterschiedenen Ebenen mit diesen nicht ganz gleichzusetzen sind.

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Perspektiven der Intersektionalität versuchen diese Komplexität und deren Folgen aufzugreifen, indem sie die Mehrdimensionalität von Unterdrückungs- und Ungleichheitsverhältnissen sowie deren Relevanz in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen in deren Fokus nehmen. Dabei ist für diese eine mehrebenenbezogene Betrachtung naheliegend. In diesem Zusammenhang wurden bereits verschiedene Konzepte zur Analyse des intersektionalen und mehrebenenbezogenen Zusammenspiels ausgearbeitet. So hat Collins bereits 1990 eine Herrschaftsmatrix zur Analyse von race, gender, class als ›interlocking systems‹ vorgelegt, deren Anwendungsbereich jedoch v.a. im US-amerikanischen Gesellschaftskontext, in dem diese Matrix entwickelt wurde, zu sehen ist.12 Im deutschsprachigen Raum wurde u.a. von Winker und Degele (2007, 2009) für die intersektionale Analyse sozialer Ungleichheiten das methodologische Prinzip der Mehrebenenanalyse entwickelt (Winker/Degele 2009: 63ff.). Von einem dynamischen und wechselseitigen Verhältnis von StrukturRepräsentation-Subjekt gehen verschiedene handlungstheoretische Ansätze, wie z.B. Agency-Konzepte, praxeologische Ansätze in Anlehnung an Bourdieu, die Cultural Studies oder subjektwissenschaftliche Forschungstraditionen aus und loten – durchaus unterschiedlich – das Spannungsverhältnis von ›Geprägt-Sein‹ und ›aktivem Mitgestalten und Herstellen‹ von sozialen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen aus. In Anlehnung an die Kritische Psychologie wird dieses Verhältnis – aus der Subjektperspektive – auch als Bedingungs-BedeutungsBegründungs-Zusammenhang bezeichnet (vgl. Holzkamp 1983a).13 Diese subjektwissenschaftliche Begründung bzw. Charakterisierung des Zusammenhangs, die jedoch ebenso gesellschaftliche Verhältnisse einbezieht, wird im Folgenden aufgegriffen und zu einem intersektionalen Analysemodell erweitert. Somit beziehe ich mich mit der Konzeptionalisierung eines intersektionalen Analyserahmens auf das subjektwissenschaftliche Verständnis des (interdependenten) Bedingungs-Bedeutungs-Begründungs-Zusammenhangs (vgl. Holzkamp 1983a), durch das die verschiedenen sozialen Ebenen in ihrem Zusammenspiel

12 Collins unterscheidet hier vier verschiedene Wirkungsbereiche des Zusammenspiels von race, gender und class: den strukturellen, disziplinaren, hegemonialen und interpersonalen Bereich. Dies wird im deutschsprachigen Raum u.a. von Kerner (2009) aufgegriffen und diskutiert. 13 Eine solche analytische Rahmung wurde für die empirische Untersuchung von sozialen und subjektiven Orientierungen und Handlungsformen jeweils gegenstandsbezogen von Held et al. (1996), Leiprecht (2001), Riegel (2004), Leiprecht/Riegel (2011) entwickelt.

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in der Analyse in die Forschung einbezogen werden können. Dabei werden analytisch folgende Ebenen unterschieden: • • •

gesellschaftliche Bedingungen, soziale Bedeutungen als soziale Diskurse und soziale bzw. kulturelle Praktiken, (subjektiv funktionales/begründetes) Denken und Handeln der Individuen.

Auf den einzelnen Ebenen werden Prozesse des Othering wirksam, diese werden durch Diskurse und Praktiken hergestellt oder sind bereits institutionalisiert oder in den gesellschaftlichen Bedingungen verankert. Wie sich die verschiedenen sozialen Ebenen aufeinander beziehen und sich gesellschaftliche Bedingungen, soziale Diskurse und subjektives Denken und Handeln gegenseitig bestärken, darauf wird nachfolgend im Rahmen der Konkretisierung des Analyserahmens eingegangen. Es wird zunächst versucht, diesen darzustellen. Intersektionales Analysemodell Vor diesem Hintergrund wurde ein intersektionales Analysemodell entwickelt. Abbildung 1: Intersektionales Analysemodell.

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Mit der Grafik wird versucht die Wechselwirkungen der verschiedenen Ebenen und der diversen Herrschafts- und Machtverhältnisse zu veranschaulichen.Der Beitrag eines solchen intersektionalen Analyserahmens liegt darin, explizit zu machen, dass dieses interdependente Wechselverhältnis der einzelnen Ebenen immer auch durch das interdependente Zusammenspiel und die Überlagerungen verschiedener Macht- und Herrschaftsverhältnisse gekennzeichnet ist. Verschiedene asymmetrische Ungleichheitsverhältnisse (sowie rassistische, heterosexistische, klassen- und körperbezogene Dominanz- und Diskriminierungsverhältnisse) durchdringen alle drei Ebenen und schlagen sich hier (wenn auch in unterschiedlicher Weise) nieder bzw. werden aufgegriffen und immer wieder aufs Neue mit Bedeutung versehen. Einerseits prägen sie die gesellschaftlichen Bedingungen, sozialen Diskurse und Praxen sowie die soziale Positionierung von Individuen und deren Handlungsmöglichkeiten. Andererseits (und gleichzeitig) werden die asymmetrischen Verhältnisse und Strukturen von Herrschaft und Unterdrückung in und durch soziale Praxen und Diskurse sowie durch individuelles Handeln hergestellt und aufrechterhalten. In diesem Prozess des aktiven Herstellens und Modifizierens der Verhältnisse liegt dann auch das Potenzial für soziale und individuelle Veränderungen bzw. Transformationsprozesse. Das hier vorgestellte Modell hat die Bedeutung eines Analyserahmens, der das Zusammendenken der verschiedener Ebenen und die Dynamiken asymmetrischer Ungleichheitsverhältnisse ermöglicht und die Komplexität von Otheringprozessen theoretisch zu rahmen vermag – und damit auch eine wichtige Grundlage zur konkreten Analyse von Othering- und Bildungsprozessen darstellt. Allerdings ist es vor dem Hintergrund der interdependenten Beziehungen zueinander für die konkrete Analyse nicht unbedingt sinnvoll, den Blick statisch und getrennt voneinander auf die verschiedenen Ebenen und die einzelnen Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu richten, sondern auf die Prozesse, durch die diese Verhältnisse im Zusammenspiel hergestellt, reproduziert und auch transformiert werden. Auf diesen Aspekt der Anwendung des Analyserahmens wird ausführlicher in Kapitel 4.1 eingegangen. Zum Zusammenwirken interdependenter Verhältnisse und Ebenen Das konkrete Zusammenwirken der verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie deren Relevanz auf den verschiedenen Ebenen werden im Folgenden zu erklären versucht, ohne das Zusammenwirken der verschiedenen Ebenen aus dem Blick zu verlieren. Dabei wird auf verschiedene Theorieperspektiven Bezug genommen, die jeweils auf unterschiedliche Ebenen abzielen und für Differenzverhältnisse und Othering unterschiedliche Erklärungskraft ha-

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ben (vgl. Kapitel 1), und ihre Bedeutung für einen intersektionalen Analyserahmen diskutiert. Auf der Ebene bzw. dem Bereich der gesellschaftlichen Bedingungen zeigen sich die interdependenten Macht- und Herrschaftsverhältnisse in vielfacher Weise: in internationalen Beziehungen, in globalisierten weltumspannenden politischen und sozioökonomischen Verhältnissen, in nationalstaatlich organisierten Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialsystemen sowie die national und international wirksamen Migrationsregimes mit den jeweiligen Regelungen von Staatsbürgerschaft, Aufenthaltsrecht, Integrationsleistungen usw. Diese Verhältnisse schlagen sich in gesetzlichen Regelungen nieder, ebenso in der Struktur von Organisationen und Institutionen. Somit wirken verschiedene Macht- und Herrschaftsverhältnisse auch in das Bildungssystem sowie die verschiedenen Institutionen von Bildung und sozialer Unterstützung hinein und überlagern sich darin. Dies zeigt sich beispielsweise in der Gestaltung und Organisation von sogenannten Integrationskursen für Migrant_innen sowie in der Regelung des Zugangs dazu. Auch auf dieser Ebene dokumentieren sich u.a. in Bildungseinrichtungen und -politiken verschiedene Formen von Othering und es materialisieren sich symbolische Differenzkonstruktionen, beispielsweise in Lehr- und Lernmaterialen (vgl. dazu die Analysen in Kapitel 3.1). Auf dieser Ebene werden ebenso rechtlich abgesicherte Regelungen wirksam, die sich auf diskursiv hergestellte binäre Unterscheidungen beziehen, wie z.B. Deutsche/Ausländer_innen, EU-/Drittstaatangehörige, Männer/Frauen mit dem Zwang zur binären Geschlechtszuordnung14, homosexuell/heterosexuell, gesund/krank. Diese Differenzkonstruktionen haben sich jedoch in diesen (Gesetzes-)Regelungen materialisiert, sodass diese zu materiellen, nicht nur zu symbolischen Grenzen und Begrenzungen werden. Die verschiedenen, ineinandergreifenden und miteinander wirksam werdenden Macht- und Herrschaftskonstellationen und Differenzordnungen entscheiden über nationale Zugehörigkeiten/Nicht-Zugehörigkeiten und damit verbundene Rechte. Sie regeln Zugänge zu sozialen Ressourcen und strukturieren damit in ungleicher Weise die individuellen und kollektiven Lebenschancen – gegebenenfalls trotz formaler Gleichberechtigung oder Antidiskriminierungsgesetzen. Othering zeigt sich nicht nur in

14 In der Neuregelung des Personenstandsgesetzes von 2013 besteht in Deutschland für Neugeborene, deren Geschlecht nicht eindeutig bestimmt werden kann, die Möglichkeit, sich keinem Geschlecht zuordnen zu müssen. Da dies jedoch nur auf den Kontext von Intersexualität und die Gruppe der Neugeborenen beschränkt ist, besteht der Zwang zur binären Zuordnung weiterhin für Heranwachsende und Erwachsene bzw. für diejenigen, für die Geschlecht keine Frage von körperlichen Merkmalen bedeutet.

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Form von symbolischer Gewalt, Ausgrenzung und Unterdrückung, sondern schlägt sich auch in materiellen Verhältnissen nieder und entfaltet seine ausgrenzende und unterwerfende Wirkung (in Formen von ökonomischer Armut bzw. Reichtum sowie körperlicher Ausbeutung bzw. psychischer und physischer Gewalt). Mithilfe von gesellschaftstheoretischen und ungleichheitstheoretischen Ansätzen, insbesondere solchen, die die Komplexität von verschiedenen Ungleichheits- und Herrschaftsformen zentral berücksichtigen (Kreckel 1992, 1994, Lenz 1995, Klinger 2008, Knapp 2005, Winker/Degele 2009), können solche gesellschaftlichen Bedingungen für Othering in den Blick genommen werden und in ihren Konsequenzen für die Einteilungen, Grenzziehungen und Segmentierung von Gesellschaften sowie für bestimmte gesellschaftliche Bereiche, wie z.B. den Bildungssektor, herausgearbeitet sowie die Auswirkungen auf die Möglichkeitsräume von Subjekten bzw. Lebenschancen von Individuen analysiert werden. Othering- und Normalisierungsprozesse vollziehen und zeigen sich v.a. auf der (Analyse-)Ebene der sozialen Diskurse und Praktiken. Wie bereits zuvor herausgearbeitet, wird Othering durch diskursive Praktiken hervorgebracht, was bestehende Differenzordnungen absichert. Hierbei wird auf verschiedene Differenzkonstruktionen, wie z.B. Geschlecht, Ethnizität/›race‹, Bezug genommen, die poststrukturalistisch betrachtet als Produkte von Machtverhältnissen gesehen werden. Durch Diskurse wird Wirklichkeit erzeugt, geordnet und es werden die Möglichkeiten des Denk- und Sagbaren abgesteckt.15 Vor diesem Hintergrund werden durch den Bezug auf verschiedene Machtverhältnisse der Gegenstand konstruiert und konturiert und somit diskursiv Grenzen geschaffen. Hier ist es sinnvoll, (wiederum analytisch) zwischen institutionalisierten Normen, Werten, Diskursen und Praxen sowie sozial geteilten kulturellen Diskursen und Praxen, die sich in medialen, politischen oder alltäglichen Diskursen und Interaktionen zeigen, zu unterscheiden. Institutionalisierte Diskurse und Praxen sind in organisationale und institutionelle Ordnungen, Organisationsprinzipien, Regeln und Handlungsabläufe eingeschrieben. Daran zeigen sich auch

15 Dies formuliert Stuart Hall in seiner Ausführung zum Diskursbegriff. Diskurse sieht er als »[…] eine Reihe von Aussagen, die eine Sprechweise zur Verfügung stellen, um über etwas zu sprechen – z.B. eine Art der Repräsentation – eine besondere Art von Wissen über einen Gegenstand. Wenn innerhalb dieses Diskurses Aussagen über ein Thema getroffen werden, ermöglicht es der Diskurs, das Thema in einer bestimmten Weise zu konstruieren. Er begrenzt ebenso die anderen Weisen, wie das Thema konstruiert werden kann.« (Hall 1994: 150)

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die wechselseitigen Bezüge zur Ebene der gesellschaftlichen Bedingungen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Bedeutung von struktureller und institutioneller Diskriminierung im Kontext von Bildung zu verweisen (Hormel 2007, Gomolla 2010, Hormel/Scherr 2010). Mit Blick auf die angloamerikanische pädagogische Differenzdebatte macht Karin Amos (2001) deutlich, dass Bildungsund Erziehungssysteme die hegemonialen Diskurse um die jeweils Anderen widerspiegeln und dabei herrschende (nationale oder kulturalistische) Deutungen und Machtverhältnisse stützen. Soziale Repräsentationen und Diskurse sind darüber hinaus auch in informellen, aber sozial vorherrschenden Denkmustern, Werten und Normen verankert und zeigen sich in medialen, politischen oder alltäglichen Diskursen und Interaktionen. In solchen sozial geteilten Ideologien, Diskursen, Bildern und Praxen werden soziale Unterscheidungen, Grenzziehungen und Normalisierungen hergestellt und mit sozialer Bedeutung versehen und damit hegemoniale Differenzordnungen und Grenzziehungen legitimiert. Diese Prozesse erfolgen nicht kontextlos, sondern sind durch die gesellschaftlichen Bedingungen gerahmt und von intersektionalen Macht- und Herrschaftsverhältnissen durchdrungen. Diese diskursiven Praktiken der Kategorisierung, Differenzsetzung und Normierung haben Folgen für diejenigen, die der hegemonialen Norm nicht entsprechen. Ein- und ausgrenzende Diskurse und Bilder sind in ihren Bedeutungen und Gehalten sozial geteilt und als vorherrschende Orientierungsangebote für die Akteure naheliegende Bezugspunkte. Dabei werden etablierte Figuren des Othering (z.B. die Konstruktion von ›Wir und die Anderen‹ in ihren Variationen) von den Akteuren im alltäglichen Tun immer wieder aufs Neue aufgegriffen und ethnisierende, rassialisierende, vergeschlechtlichte, körperbezogene, klassenbezogene Zuschreibungen, aber auch Normalitätsvorstellungen in unterschiedlichen Zusammensetzungen und Konstellationen aktualisiert. Je nach Funktion und Intention werden dabei in Diskursen und Praxen bestimmte (sozial konstruierte) Differenzlinien, wie Geschlecht oder Herkunft, angerufen, thematisiert und hervorgehoben, andere wiederum ignoriert und übergangen. Durch diese Dynamiken werden Prozesse der Ein- und Ausgrenzung bzw. der Auf- und Abwertung konstituiert und bestehende Dominanzverhältnisse diskursiv hergestellt, gefestigt und reproduziert. Poststrukturalistische und diskurstheoretische Ansätze arbeiten die konstituierende Bedeutung von Diskursen der Adressierung und Subjektivierung heraus, durch die machtvolle Differenzordnungen abgesichert werden und Subjekte als Andere, Nicht-Zugehörige oder von der sozialen Norm Abweichende in der dominanten Differenzordnung hervorgebracht und positioniert werden. Dabei wird nicht nur auf den machtvollen Akt des Herstellens und Different-Machens ver-

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wiesen, sondern auch auf die potenzielle Möglichkeit der Veränderung der vorherrschenden Verhältnisse und der Verschiebung von symbolischen Grenzen mit durchaus auch materiellen Folgen. Praxeologische Ansätze, und hier besonders Bourdieus Habitustheorie (1982), sehen in Distinktionsprozessen den Motor für Ein- und Ausgrenzungsmechanismen und die Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen durch routinierte (und oft herrschaftsförmige) Praktiken. Dadurch ist die Trägheit und Festigkeit von vorherrschenden Differenzordnungen erklärbar. Poststrukturalistische Theorien, aber auch interaktionstheoretische (bspw. Fenstermaker/West 2001) sowie aktuelle praxeologische Handlungstheorien, die poststrukturalistische Theorien mit Bourdieu zusammenbringen (vgl. Reckwitz 2003, Hörning/Reuter 2004), verweisen hingegen deutlicher darauf, dass diese Prozesse auch einer sozialen Dynamik unterworfen sind. Insbesondere von Butler wird das performative Moment sozialer Praktiken hervorgehoben und diese werden als grundsätzlich unberechenbar und subversiv, d.h. Routinen durchbrechend, begriffen. Sie verweist im Rahmen des Konzepts der Performanz (Butler 1990) auf widerständige Formen wie beispielsweise die Verschiebung von vorherrschenden Bildern oder die Irritation im Kontext von Grenzziehungen und Zugehörigkeiten. Aber auch von postkolonialen Theoretikern wie Homi Bhabha (1994) oder Stuart Hall (2004) werden hybride, widerspenstige und subversive Praxen im Umgang mit Differenz aufgezeigt, die es ermöglichen, vorherrschende Ordnungsmuster und Grenzziehungen zu irritieren und zu verschieben. Mit diesen Theorieperspektiven sind Othering und Normalisierungsprozesse auf der Ebene der sozialen Diskurse und Praxen in der Dynamik von Reifizierung und Verschiebung bzw. Reproduktion und Veränderung denk- und analysierbar. Auf der Ebene des Subjekts werden Prozesse des Othering durch subjektiv begründetes Denken und Handeln hervorgebracht – allerdings nicht ohne Bezug auf die beiden anderen Ebenen, die sozialen Diskurse und Praktiken sowie die gesellschaftlichen Bedingungen. Gleichermaßen werden Individuen durch gesellschaftliche Bedingungen, soziale Bedeutungen und kulturelle Praxen in Verhältnissen sozialer Ungleichheit sozial positioniert. Hier kann zunächst auf den (unterwerfenden) Prozess der Subjektivierung in Anlehnung an Butler (2001) verwiesen werden, durch welchen den Subjekten eine Subjektpositionierung in der Gesellschaft zugewiesen wird. Gleichermaßen sind die Subjekte auch mit einer gewissen Handlungsmacht innerhalb der jeweiligen Machtverhältnisse ausgestattet (vgl. Sattler 2009: 11). Sie nehmen ihrerseits in ihrem Denken und Handeln auch selbst Bezug auf soziale Differenzen bzw. Differenzkonstruktionen und positionieren sich in den komplexen sozialen Ungleichheits- und Dominanzverhältnissen – u.a. in subjektiver Auseinandersetzung mit vorherrschenden Repräsentationen und Bildern und unterwerfenden und subjektivierenden Praxen

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der Adressierung, Anrufung und Zuschreibung. Es kann hier also mit Bezug auf Butler von einem doppelten Charakter von Adressierung, Anrufung oder Subjektivierung ausgegangen werden: Subjekte werden einerseits in ihre soziale Existenz gerufen und sie können auch andererseits aus ihrer Positionierung heraus selbst diskriminieren bzw. sich an Othering beteiligen oder auch zu einer Veränderung der Verhältnisse beitragen. Sattler spricht hier von einem machtvollen Unterworfen-Sein (Sattler 2009: 11). An dieser Stelle möchte ich eine subjektwissenschaftliche Erweiterung der bisher dargestellten Ansätze sowie des handlungstheoretischen Modells einer Mehrebenenanalyse von Winker/Degele (2009)16 vornehmen. Diese subjektwissenschaftliche Erweiterung betrifft sowohl die Betrachtung der individuellen Handlungsmöglichkeiten bzw. der subjektiven Möglichkeitsräume im Kontext sozialer Ungleichheiten und vielfacher sozialer Unterdrückungsverhältnisse. Sie bezieht sich aber auch auf eine erweiterte Betrachtung des Spannungsfelds von Reproduktion und Veränderung/Überschreitung hegemonialer Ungleichheitsverhältnisse sowie der diese stützenden Diskurse und Praxen. Dazu möchte ich das Konzept des subjektiven Möglichkeitsraums, wie es Klaus Holzkamp (1983a) im Kontext der Kritischen Psychologie ausgearbeitet hat, heranziehen und verdeutlichen, inwieweit dieses auch für eine intersektionale Analyseperspektive bedeutsam ist. Der »subjektive Möglichkeitsraum« umfasst das »bei ›je mir‹ vorfindliche Verhältnis von Handlungs-/Verfügungsmöglichkeiten und deren Realisierungsbedingungen« (Holzkamp 1983a: 550), d.h. die von den Einzelnen subjektiv wahrgenommenen und gedeuteten Möglichkeiten und Behinderungen der Verfügung über ihre Lebensverhältnisse. Dabei beziehen sie sich sowohl auf personale, biographische Aspekte (die subjektive Geschichtlichkeit als Summe der biographischen Erfahrungen, Fähigkeiten und Kapazitäten) als auch auf situationale Aspekte (sowohl die aktuelle Situation als auch die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Einschränkungen im sozial-gesellschaftlichen Kontext), die jeweils durch die interdependenten Un-

16 Winker und Degele arbeiten zwar auch – neben der Struktur- und Repräsentationsebene – die Subjektebene heraus und bezeichnen diese als Ebene der Identitätskonstruktionen (Winker/Degele 2009: 59ff.). Allerdings wird hier v.a. in Anschlag genommen, in welcher Art und Weise Individuen als Akteure durch soziale Differenzen konstituiert und sozial positioniert werden und wie diese in ihrem Handeln wiederum auf soziale Differenz- und Dominanzverhältnisse Bezug nehmen; es wird jedoch nicht nach der subjektiven Perspektive und deren Begründetheit gefragt.

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gleichheits- und Differenzverhältnisse durchdrungen sind.17 Vor diesem Hintergrund (bzw. diesem Bedingungs-Bedeutungs-Begründungs-Zusammenhang) bewerten Subjekte ihre aktuellen und zukünftigen Handlungspotenziale. Damit ist mit Blick auf Othering- und Normalisierungsprozesse zum einen herauszuarbeiten, wie der_die Einzelne sich vor dem Hintergrund der Herrschaftsverhältnisse, der Differenzordnungen sowie der alltäglichen ein- und ausgrenzenden Diskurse und Praxen selbst positioniert18 (vgl. dazu auch Riegel 2004), zum anderen aber auch, inwiefern dabei in Denken und Handeln bewusst oder habitualisiert auf bestehende Grenzziehungen oder Normalitätsvorstellungen Bezug genommen oder sich davon distanziert wird. Durch die Möglichkeitsbeziehung der Menschen, sich bewusst zu den gesellschaftlichen Verhältnissen und den eigenen Lebensvoraussetzungen zu verhalten, haben sie prinzipiell die »doppelte Möglichkeit« (vgl. Holzkamp 1983a: 263), in ihrem Handeln zur Reproduktion vorherrschender Differenzverhältnisse beizutragen oder sich dem zu widersetzen. Dieser Gedanke geht auf das Widerspruchspaar »restriktive versus verallgemeinerte Handlungsfähigkeit« (ebd.: 383ff.) zurück und kann auch als Anpassung bzw. Zustimmung19 auf der einen oder als Widerstand auf der anderen Seite bezeichnet

17 Mit einer intersektionalen Perspektive können sowohl die ›objektiven‹ Handlungsmöglichkeiten und -beschränkungen von Individuen (der objektive Möglichkeitsraum) mit Bezug auf die gesellschaftlichen Bedingungen und sozialen Bedeutungen/Denkmuster ungleichheitsbezogen herausgearbeitet werden als auch die subjektive Bewertung der eigenen Möglichkeiten und Beschränkungen (dem subjektiven Möglichkeitsraum). 18 Je nach sozialer Lage und Position sehen sich Menschen dabei unterschiedlichen und ungleichen Möglichkeiten der Verfügung und Ausgestaltung ihrer Lebensverhältnisse gegenüber. Dabei steht in der Regel eine Person nicht durchgängig auf der gesellschaftlich privilegierten oder benachteiligten Seite, sondern auch hier überlagern sich Ungleichheitsverhältnisse in gegenläufiger und mehrfach gebrochener Weise (wie dies in intersektionalen Analysen schon vielfach herausgearbeitet wurde). Wie die eigene soziale Positionierung sowie die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten und die Verfügung über soziale Ressourcen und Handlungsfähigkeit eingeschätzt und relevant gemacht wird, hängt jedoch jeweils von deren subjektiver Bewertung ab. 19 Von Zustimmung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen wird mit Frigga Haug dann gesprochen, wenn die Einzelnen freiwillig und ohne äußeren Zwang so handeln, wie es gesellschaftlich und sozial von ihnen erwartet wird. Allerdings bedeutet das nicht, »dass sie völlig frei und autonom in ihren Entscheidungsmöglichkeiten uneingeschränkt handeln, sondern das heißt, dass sie die gesellschaftlichen Strukturen verin-

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werden (vgl. Haug 1982). Beide Formen sind jedoch im beschriebenen Sinne als subjektiv funktional bzw. subjektiv begründet in Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensbedingungen zu betrachten. So kann das Arrangement mit herrschaftssichernden Strukturen für die Einzelnen subjektiv sinnvoll sein und wissentlich eingegangen werden, z.B. wenn sie sich individuell davon eine Erweiterung ihrer Handlungsoptionen versprechen, auch wenn diese Strukturen langfristig für sie und ihre Handlungsmöglichkeiten schädigend und einschränkend sind. Vor diesem Hintergrund wird restriktive Handlungsfähigkeit auch als »Selbstfeindschaft« (vgl. Holzkamp 1983a: 397) oder »Selbstentmächtigung« (Osterkamp 2008: 35) bezeichnet, da Menschen durch herrschaftsreproduzierendes Handeln, auch wenn es für sie subjektiv funktional erscheint, langfristig gegen ihre eigenen Bedürfnisse handeln, indem sie die herrschaftsförmigen Verhältnisse stützen. Die Unterscheidung zwischen restriktiver und verallgemeinerter Handlungsfähigkeit ist allenfalls analytisch möglich, in der Realität gestaltet sich dieses Verhältnis äußerst ambivalent und widersprüchlich.20 In diesem Spannungsfeld von ›restriktiver versus verallgemeinerter Handlungsfähigkeit‹ bzw. von Anpassung, Zustimmung, Reproduktion und Widerstand ist also auch professionelles Handeln im Bildungskontext und insbesondere auch der widersprüchliche (pädagogische) Umgang mit Differenz- und Dominanzverhältnissen zu betrachten – als herrschaftsförmiges oder widerständiges Handeln gegenüber vorherrschenden Diskursen und Praxen des Othering. Wenn pädagogisch Professionelle dabei nicht nur als institutionelle Vollstrecker_innen, Träger_innen von Ideologien oder als verlängerter Arm von Herrschaftsinteressen gesehen werden, sondern (subjektwissenschaftlich betrachtet) auch als bewusst und begründet Handelnde in Auseinandersetzung mit ihren jeweiligen sozialen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, ist danach zu fragen, welche subjektive Bedeutung diese Praxen für sie als handelnde Subjekte haben und inwiefern einund ausgrenzende Praxen für sie subjektiv funktional sind oder inwiefern sie überschreitende Perspektiven sehen und entwickeln können. Beides, sowohl Praktiken der Reproduktion als auch widerständiges oder veränderndes Handeln, ist unter subjektwissenschaftlichen Gesichtspunkten aus

nerlicht haben, sodass sie von innen so handeln, als ob sie frei wären.« (Haug 1982: 20) 20 Durch die gesellschaftliche Vermitteltheit und die damit verbundene Möglichkeitsbeziehung sind Ambivalenzen und Widersprüche Bestandteile des Verhältnisses des Subjekts zu seinen Handlungsvoraussetzungen. Außerdem sind die gesellschaftlich produzierten Orientierungsbedeutungen selbst als widersprüchlich zu charakterisieren (vgl. Marvakis 1996: 44).

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der Perspektive des Subjekts zu betrachten. Damit gehen subjektwissenschaftliche Ansätze in der Bestimmung des Verhältnisses von Reproduktion und Veränderung über poststrukturalistische Theorien hinaus. Diese explizieren zwar das Moment der Performanz und der subversiven Veränderung (vgl. Butler 1990) sowie den paradoxen Doppelcharakter der machtvollen Unterwerfung (vgl. Butler 2001, Sattler 2009), allerdings verbleiben sie dabei auf der Ebene der sozialen Praxen und Handlungsvollzüge sowie deren sozialen Folgen für die Aufrechterhaltung, Festigung, Verschiebung oder Brechung vorherrschender Differenz- und Dominanzordnungen. Sie berücksichtigen nicht die Subjektperspektive dieser Praktiken vor dem Hintergrund der subjektiven Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhältnissen und den je eigenen Lebensbedingungen. Insgesamt ermöglicht eine solch komplexe intersektionale Betrachtungsweise bzw. ein solches intersektionales Analysemodell, Prozesse des Othering in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen und sozialen Kontext zu untersuchen. Dabei sind diese als interdependente soziale Phänomene zu analysieren und ihre einund ausgrenzenden sowie normierenden Folgen und Konsequenzen zu rekonstruieren – die Konsequenzen für Prozesse der Unterdrückung, Diskriminierung und Normalisierung und deren Folgen für subjektive Möglichkeitsräume, für soziale Diskurse, Bedeutungen und kulturelle Praxen als auch gesellschaftliche Bedingungen, in denen diese reglementiert und festgeschrieben sind. Für die Untersuchung von Othering im Bildungskontext bedeutet dies, die Denk- und Handlungsmuster von Pädagog_innen im Horizont von Normalisierung und Othering immer auch im Hinblick auf die darin liegende ›doppelte Möglichkeit‹ des Handelns zu betrachten, das sich im Spannungsfeld von ›reproduzierend versus überschreitend‹, ›restriktiv versus verallgemeinernd‹ vollzieht. Diese doppelte Perspektive auf Möglichkeiten der Reproduktion und der Veränderung von gesellschaftlich vorherrschenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse ist zentral für diese Arbeit. Deshalb werden sowohl Praxen des Othering und der Normalisierung als auch Möglichkeiten der Kritik, der Verschiebung und Veränderung im Kontext professionellen pädagogischen Handelns in den Blick genommen. Hinsichtlich der Möglichkeit der Veränderung sind dabei Orientierungen und Handlungen zu unterscheiden, die auf eine Veränderung der Verhältnisse abzielen oder die zu Veränderungen der eigenen Denk- und Handlungsmuster führen – das, was auch als Prozess der Entwicklung, Reflexion, des Lernens oder der Bildung bezeichnet wird.21

21 Vgl. dazu den zweiten Teil des kommenden dritten Kapitels.

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In dem hier vorgestellten intersektionalen Analyserahmen wird auf gesellschaftstheoretische, poststrukturalistische und subjektwissenschaftliche Theorieperspektiven Bezug genommen, wobei diese ergänzend miteinander verbunden werden. Mit einer solchen Ausrichtung und analytischen Rahmung sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, um bei der empirischen Untersuchung von Othering im Bildungskontext die verschiedenen Ebenen des BedingungsBedeutungs-Begründungs-Zusammenhangs sowie die Interdependenz und das Zusammenspiel verschiedener Macht- und Herrschaftsverhältnisse in ihrem Zusammenspiel einzubeziehen. Dieser theoretische Analyserahmen wird auch dem doppelten Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studien gerecht: die Rekonstruktion von Otheringprozessen sowie von Möglichkeiten der Veränderung theoretisch zu fundieren und zugänglich zu machen und dabei gleichzeitig die Mechanismen und Folgen von Macht- und Herrschaftsverhältnissen aufzudecken. Die methodologische Bedeutung des intersektionalen Analyserahmens und die konkrete methodische Arbeit mit diesem werden in Kapitel 4 im Rahmen der Ausführungen zu Intersektionalität als Forschungs- und Analyseperspektive diskutiert.

3. Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen I: Bildung im Horizont von Differenz und Ungleichheit

Bildung in Verhältnissen sozialer Differenz und Ungleichheit wird im Rahmen dieser Studien in mehrfacher Hinsicht thematisiert, wobei verschiedene Dimensionen von Bildung beleuchtet werden. Erstens geht es um soziale und gesellschaftliche Kontexte und Voraussetzungen von Bildung. Damit sind soziale und institutionelle Rahmenbedingungen gemeint, unter denen sowohl Bildungs- als auch Otheringprozesse stattfinden: das Bildungssystem sowie die institutionellen Settings von Schule und Jugendarbeit in den jeweiligen gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Zweitens bezieht sich Bildung auf das pädagogische Handeln von Professionellen (Lehrer_innen und Sozialpädagog_innen), das hier im Hinblick auf ein- und ausgrenzende Praktiken in den Fokus gerückt wird. Drittens wird ein weiterer Aspekt von Bildung in den Blick genommen: Bildungsprozesse von Pädagog_innen, zu denen sie im Rahmen ihres professionellen Handelns und in Auseinandersetzung mit Differenz und Ungleichheiten möglicherweise angeregt werden.1 Dass diese ganz unterschiedlichen Dimensionen und Aspekte alle ›irgendwie‹ unter Bildung gefasst werden können, spiegelt die Uneindeutigkeit und Polyvalenz des deutschen Bildungsbegriffs wider, dem deshalb die Charakteristik eines »umbrella term« (Göhlich/Zirfas 2007: 15) oder eines Container-

1

Eine weitere – in der Regel deutlich mehr fokussierte – Dimension von Bildung ist die Frage nach den Lern- und Bildungsprozessen der Adressat_innen von Erziehung und Bildungsveranstaltungen, also von Schüler_innen, den Besucher_innen eines Jugendhauses oder den Nutzer_innen eines politischen Bildungsprojektes. Diese Frage ist jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Studien.

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Begriffs zugeschrieben wird. Entsprechend werden im erziehungswissenschaftlichen Diskurs ganz unterschiedliche Dimensionen von Bildung unter einen Begriff gefasst: Mit Bildung werden zum einen individuelle Bildungsprozesse als Entwicklungs- und Veränderungsprozesse eines Menschen in seinem Verhältnis zur Welt und zu sich selbst (Transformation des Selbst- und Welt-Bezugs) bezeichnet. Zum anderen wird mit dem Begriff die pädagogische Lehr- und Vermittlungstätigkeit benannt, die auf die (Aus-)Bildung von Anderen abzielt und dabei mehrheitlich institutionell organisiert und gerahmt ist (z.B. in Schule, Ausbildung, Weiterbildung). Beide Modi, der Modus der Aneignung von Welt und die Transformation des Selbst- und Welt-Verhältnisses sowie der Modus der pädagogischen Vermittlung, werden begrifflich gleichermaßen als Bildung gefasst (vgl. Liegle 2002: 50). Für die hier geführte Auseinandersetzung um Othering im Bildungskontext sind beide Aspekte von Bildung von Bedeutung, insbesondere dann, wenn nicht nur Diskurse und Praktiken der Reproduktion, sondern auch Möglichkeiten der Veränderung in den Blick genommen werden. Pädagogisch Professionelle werden vor diesem Hintergrund nicht nur, der üblichen Perspektive entsprechend, als ›Lehrende‹, ›Vermittelnde‹ und ›Gestaltende‹ von Bildung in den Blick genommen, sondern auch als ›Lernende‹, die selbst Lernund Bildungsprozesse durchlaufen – u.a. im Kontext und Vollzug ihres pädagogischen Tuns bzw. des Lehrhandelns. Gesamtgesellschaftlich wird Bildung eine enorme Bedeutung beigemessen. Dabei ist der Begriff mit ganz unterschiedlichen Implikationen, Hoffnungen und Erwartungen verbunden. So spricht Norbert Ricken von einer »[…] Intensität des neuen Bildungsdiskurses (vgl. Ricken 2007), in dem Bildung nicht bloß als notwendiges Humankapital einer solchen Wissensgesellschaft, sondern auch als ein Mittel der sozialen Integration und Entwicklung verstanden und nun ihrerseits zunehmend programmatisch zum Lösungsmuster vieler spätmoderner Krisen – von der Zunahme sozialer Ungleichheit bis zur Pluralisierung der kulturellen und normativen Lebenswelten – aufgeladen wird.« (Ricken 2011: 9)

Diesbezüglich sind in der Diskussion um Bildung verschiedene Diskursstränge zu unterscheiden: Zum einen bildungstheoretische Diskurse – ausgehend von Wilhelm von Humboldts Bildungsverständnis, über die kritische Erziehungswissenschaft, für die u.a. Heydorn und Klafki stehen, bis hin zu aktuellen bildungstheoretischen Auseinandersetzungen –, die sich mit Bildung im gesellschaftlichen Kontext beschäftigen. Davon zu unterscheiden sind bildungspolitische Diskurse, die am Schnittfeld von Politik und Bildung anzusiedeln sind, wie auch bildungsökonomische Debatten, die mit dem Gedanken der Investition (in Bil-

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dung und Humankapital) andere Perspektiven verfolgen als etwa ein emanzipatorisches oder mit Gesellschaftskritik verbundenes Bildungsverständnis. Beispielsweise wird das aktuell dominante, v.a. an ökonomischen Interessen orientierte, marktförmige Bildungsverständnis, das u.a. in bildungspolitischen Steuerungen zum Ausdruck kommt und das auf den Erwerb von Kompetenzen abzielt, die zum Bestehen oder Überleben in einer kapitalistischen Wirtschafts-, Leistungs- und Konsumgesellschaft als erforderlich betrachtet werden, von kritischen theoretischen Perspektiven als verkürzte Bildungsvorstellung kritisiert. Darüber hinaus wird die damit verbundene Funktionalisierung von Bildung für neoliberale Interessen einer Kritik unterzogen (bspw. Merkens 2002b, Bernhard 2002, Markard 2009). Hier wird zum einen die Gefahr gesehen, dass, indem die Verantwortung für Bildung den Einzelnen übertragen wird, damit die politischgesellschaftliche Verantwortung für Bildung in den Hintergrund rückt. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass mit einer solchen Bildungsperspektive durchaus emanzipative und kritische Möglichkeiten und Implikationen von Bildung vereinnahmt und paralysiert werden (vgl. Bernhard 2002). Diesen Überlegungen liegt die Einschätzung zugrunde, dass Bildung nicht nur emanzipatives, sondern auch vorherrschende (Ungleichheits-)Verhältnisse konservierendes und reproduzierendes Potenzial hat; ebenso, dass Bildung in widersprüchlicher Weise in Macht- und Herrschaftsverhältnisse involviert ist. Hierauf hat Heydorn bereits 1970 aufmerksam gemacht und nach wie vor ist dies Gegenstand kritischer Debatten um Bildung. Aber auch kritische und v.a. humanistische Bildungsideale, die u.a. im Kontext der kritischen Erziehungswissenschaft entwickelt wurden, stehen aus feministischen, postkolonialen, postmodernen und machtkritischen Perspektiven in der Kritik, sich an einem verkürzten und einseitig normativen und bürgerlich geprägten Bildungsbegriff zu orientieren, der mit dem Anspruch auf Universalität immer auch Normalitätsannahmen enthält und kolportiert. Damit besteht in solchen Diskursen die Gefahr, sowohl den historisch-gesellschaftlichen Kontext der Entstehung und die Perspektivität von Wissen, einer Grundlage von Bildung, als auch soziale Macht- und Dominanzverhältnisse, die in Bildungsverhältnissen wirken, auszublenden und fortzuschreiben (vgl. Jacobi 1991, Castro Varela/Dhawan 2009, Messerschmidt 2009). Darüber hinaus wird, je nach sozialem und institutionellem Kontext, immer auch Unterschiedliches unter Bildung verstanden und dabei zum Teil auf ganz verschiedene Aspekte abgezielt. So unterscheidet sich beispielsweise das Bildungsverständnis von Schule stark von außerschulischen Bildungskonzepten der Jugendarbeit (s.u.) – worauf u.a. mit der Unterscheidung von formaler und informeller Bildung verwiesen wird.

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Vor diesem Hintergrund, und mit einer soziale Macht- und Ungleichheitsverhältnisse berücksichtigenden sowie vorherrschende Bildungsvorstellungen hinsichtlich ihrer machtvollen Implikationen und Effekte hinterfragenden Perspektive, soll im Folgenden nach den Verhältnissen von Bildung gefragt werden. In einem ersten Schritt wird geklärt, unter welchen gesellschaftlichen und institutionellen Voraussetzungen pädagogisches Handeln erfolgt und wie Strukturen sozialer Ungleichheit sowie hegemoniale Differenzordnungen in institutionellen Mechanismen und Praxen eingeschrieben sind und wirksam werden. Dazu werden die beiden institutionellen Kontexte von Schule und Jugendarbeit betrachtet und die Voraussetzungen von Bildung im Horizont von Differenz und Ungleichheit in diesen beiden bedeutsamen Sozialisationsinstanzen analysiert. In einem zweiten Schritt werden theoretische Überlegungen zu pädagogischem Handeln und Bildungsprozessen von Pädagog_innen in diesen durch Widersprüche geprägten Verhältnissen vorgenommen und Bildung sowie pädagogisches Handeln im Spannungsfeld von Reproduktion und Veränderung betrachtet. Vor dem Hintergrund, dass Bildung in gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsverhältnisse widersprüchlich verstrickt ist, werden dabei zunächst die Ambivalenzen pädagogischen Handelns im Kontext hegemonialer, ungleichheitsstrukturierender Verhältnisse beleuchtet. Anschließend wird danach gefragt, wie Lern- und Bildungsprozesse von Pädagog_innen in widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhältnissen theoretisch gefasst werden können.

3.1 D IFFERENZ UND U NGLEICHHEIT – S TRUKTURELLE UND INSTITUTIONELLE V ORAUSSETZUNGEN IN S CHULE UND J UGENDARBEIT Der Zusammenhang von Bildung und sozialer Ungleichheit bzw. die Frage, inwieweit Bildung zu mehr Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit beitragen kann, wurde und wird bildungspolitisch und auch im erziehungswissenschaftlichen Kontext kontrovers diskutiert. Zunächst wurde soziale Ungleichheit im Bildungskontext v.a. von sozialen Emanzipationsbewegungen sowie durch kritische Bildungstheorien und in der soziologischen Bildungs- und Ungleichheitsforschung thematisiert. Spätestens seit dem sogenannten PISA-Schock zu Beginn des Jahrtausends in Deutschland und seit zahlreiche Studien den Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft (erneut) nachgewiesen haben, ist das Thema im politischen Mainstream angekommen. Allerdings werden bildungswissenschaftlich unterschiedliche Ursachen für diesen Befund gesehen (vgl. Diefenbach 2008) und bildungspolitisch unterschiedliche

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Konsequenzen gezogen. Vorherrschend ist aktuell die Ansicht, an der Ausbildung von sogenanntem Humankapital anzusetzen (s.o.), das die Einzelnen qualifiziert, an der Gesellschaft zu partizipieren und so möglicherweise Bildungsbenachteiligungen auszugleichen (Klieme et al. 2007). Andere Perspektiven sehen eine Ursache der Misere in struktureller Hinsicht bei der Organisation von Bildung bzw. dem Bildungssystem (Wenning 2004, Gomolla/Radtke 2009). In den Debatten um Ganztagsbildung (vgl. Otto/Coelen 2008) und den Ausbau von Ganztagsschulen (vgl. Spies/Stecklina 2005) werden Hoffnungen gehegt, durch Ganztagsbildung ungleiche Bildungsvoraussetzungen kompensieren oder vermindern zu können und zu einer gerechteren Verteilung von Bildungs- und Lebenschancen beizutragen. Auch wenn es im Bildungssystem derzeit nicht gelingt, soziale Ungleichheiten zu mindern bzw. Chancengleichheit herzustellen, besteht bei ganz unterschiedlichen Ansätzen die Hoffnung, durch Bildung zu mehr Chancengleichheit und gesellschaftlicher Teilhabe bzw. sozialer Gerechtigkeit beitragen zu können (vgl. Ricken 2011). Dabei wird die Frage nach sozialer Gerechtigkeit in Bildungstheorien und emanzipativen Ansätzen explizit oder implizit mitdiskutiert (für die Soziale Arbeit bspw. Thiersch 20112). Bock, Andresen und Otto (2006) gehen so weit zu konstatieren, dass soziale Gerechtigkeit »als abstrakte Vorstellung in jeder Theorie über Bildung enthalten« (Bock et al. 2006: 341) sei. Allerdings erweist sich die Umsetzung dieses Anspruchs als schwierig – sowohl in der schulischen als auch in der außerschulischen Bildung. Vielmehr zeigt sich Bildung unter herrschenden Bedingungen als zuverlässiger Motor und Reproduzentin sozialer Ungleichheit. So werten beispielsweise gegenüber dem Bildungssystem kritische Positionen (vgl. Bourdieu/Passeron 1973 sowie marxistische oder gouvernementalitätstheoretische Perspektiven) das Prinzip der Chancengleichheit als Ideologie zur Verschleierung von Herrschaftsverhältnissen und zur Legitimation von sozialer Ungleichheit sowie als individualisierte Verantwortungsdelegation. Feministische und postkoloniale Perspektiven auf Bildung stellen machtförmige Implikationen infrage. So wird beispielsweise der ›Blick auf das Andere‹, das der interkulturellen Pädagogik als Umgang mit Differenz inhärent ist, entlarvt und kritisch in den Blick genommen (vgl. bspw. Messerschmidt 2009). Im Folgenden werden die für diesen Forschungskontext und als Bildungsund Sozialisationsinstanzen im Jugendalter generell bedeutsamen pädagogischen

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Thiersch hebt die Bedeutung von Bildung für Fragen der sozialen Gerechtigkeit hervor und verweist dabei auf Bildung als Menschenrecht im Horizont der Gleichheit und im Kampf gegen Bildungsarmut (vgl. Thiersch 2011: 166).

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Felder, die Schule und die Jugendarbeit, hinsichtlich ihrer strukturellen Voraussetzungen fokussiert. Dabei wird jeweils das immanente Bildungsverständnis herausgearbeitet und die jeweilige Bedeutung von Differenz und Ungleichheit für Prozesse der Ein- und Ausgrenzung sowie der Normierung und des Othering beleuchtet. 3.1.1 Differenz und Ungleichheit im Bildungskontext Schule Das traditionelle Bildungsverständnis im Kontext von Schule bezieht sich auf das Aneignen und Beherrschen eines kanonisierten Wissensbestands, der sich v.a. an den Erfordernissen bzw. der Qualifizierung für gesellschaftlich verwertbare Kompetenzen und Zwecke orientiert. Damit wird bereits deutlich, dass schulisches Wissen bereits herrschaftsförmig strukturiert ist. Schulische Bildung zeichnet sich durch einen stark formalisierten Charakter aus: Bildungsprozesse werden curricular und systematisch strukturiert und in Form von Abschlüssen, Zeugnissen und Bildungstiteln zertifiziert. Dem zugrunde liegt eine durch Bildungspläne und Curricula vereinheitlichende Rahmung, die allen Schüler_innen dieselben Voraussetzungen gewähren soll. Bildungserfolg bzw. Nicht-Erfolg wird vor diesem Hintergrund und unter der Dominanz des Leistungsprinzips v.a. den individuellen Kompetenzen und Anstrengungen der Schüler_innen zugeschrieben bzw. übertragen. Individueller Erfolg und Leistungsfähigkeit werden durch standardisierte Notengebung, Zeugnisse und Zertifikate bescheinigt, die als gerechte Instrumente der Zuweisung von Positionen im Arbeitsleben und in der Gesellschaft gelten. Diesem formalisierten Leistungsbezug entsprechend ist das Bildungssystem stark gegliedert, d.h. es findet eine Differenzierung nach Leistung und angestrebten Bildungsabschlüssen statt. Dies zeigt sich deutlich am mehrgliedrigen Schulsystem, das sowohl in Deutschland3 als auch in der Schweiz4, den beiden natio-

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In Deutschland erfolgt nach einer gemeinsamen Grundschulzeit aller Schüler_innen in der Primarstufe (bis einschl. 4. oder 6. Klasse), die nicht in den Bereich der Sonderoder Förderschulen ausgesondert sind, in der Sekundarstufe I die Trennung und Aufteilung in Haupt-, Realschulen oder Gymnasien. Allerdings sind hier inzwischen verschiedene Modifikationen hinzugekommen, wie bereits in den 1970er-Jahren in einigen Bundesländern die integrierte Gesamtschule. Darüber hinaus sind in den letzten Jahren durch Schulreformen in einzelnen Bundesländern vielfältige Varianten und Spezifikationen zu finden, sodass nicht mehr von einem einheitlichen dreigliedrigen Bildungssystem in Deutschland gesprochen werden kann, wobei an dem Prinzip der

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nalstaatlichen Kontexten der folgenden Untersuchungen, Bestand hat. So wird versucht, durch die Einteilung in Klassen, Stufen und Schulformen zum einen nach Leistungsniveau auszudifferenzieren und zugleich innerhalb dieser Klassifizierungen Leistungs- als auch Altershomogenität herzustellen. Diese interne Homogenisierung geht mit diskriminierender Unterscheidung und Selektion einher, führt notwendigerweise zu Prozessen der Ein- und Ausgrenzung und legitimiert diese zugleich. Hier ist v.a. das dreigliedrige Schulsystem in Deutschland deutlich in Kritik geraten, u.a. hinsichtlich der damit verbundenen Undurchlässigkeit und der stark selektiven Wirkung dieses differenzierenden Systems (vgl. OECD 2007), das u.a. zu wenig auf unterschiedliche Voraussetzungen der Lernenden einzugehen vermag und damit nicht nur zu einer Reproduktion, sondern sogar zu einer Verschärfung der Effekte sozialer Ungleichheit beiträgt. Durch neuere Entwicklungen in Deutschland hin zu Ganztagsbildung, Gemeinschaftsschulen oder altersübergreifendem Unterricht in der Schulanfangsphase wird diese Tendenz der starken Gliederung zwar etwas aufgebrochen und mit neuen Impulsen versehen. Die Prinzipien der Homogenisierung und der Leistungsdifferenzierung bleiben dabei jedoch unhinterfragt. In der Schweiz sind die Differenzierungen in leistungsbezogene Klassen in der Sekundarstufe I zwar durchlässiger, allerdings sind auch hier soziale Disparitäten sowie ein Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg bzw. höherem Bildungsabschluss zu konstatieren (vgl. Stamm/Lamprecht 2005). Festzuhalten ist für beide Länder, dass das jeweilige Schulsystem und die Organisation von Schule strukturell nur unzureichend auf soziale Vielfalt und Diversität sowie auf unterschiedliche Lebenslagen der Schüler_innen eingestellt

Gliederung und (leistungsbezogenen) Differenzierung nach der Primarstufe festgehalten wird (s. KMK 2012). 4

Im Schulsystem der Schweiz (deren Bildungssystem kantonal noch ausdifferenzierter geregelt ist als in Deutschlands Bundesländern) erfolgt nach der Primarstufe (i.d.R. 1. – 6. Klasse) die Sekundarstufe I für alle Schüler_innen (bis einschließlich 9. Klasse) in leistungsdifferenzierten Klassen mit Grund- und erweiterten Ansprüchen. Ein zweijähriger Kindergartenbesuch vor dem Schuleintritt ist ebenso wie der Besuch der Primarstufe und Sekundarstufe I obligatorisch für alle Kinder und Jugendlichen, auch für die mit nicht geregeltem Aufenthaltsstatus. Parallel dazu gibt es Schulen und Klassen mit besonderem Lehrplan für Schüler_innen mit spezifischem Förderungsbedarf. In der Sekundarstufe II können Schüler_innen zwischen gymnasialen Maturatsschulen (als Voraussetzung für ein Hochschulstudium), Fachmittelschulen und einer beruflichen Grundbildung (Lehre) wählen. Auf dieser Stufe besteht keine Schulpflicht mehr. (s. Staatssekretariat für Bildung und Forschung SBF 2012).

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sind. Durch ein Bildungsverständnis, das auf den Zuwachs an Wissen sowie den Erwerb von Bildungstiteln abzielt, ist Schule allenfalls auf Leistungsdifferenzierung ausgerichtet. In diesem Zusammenhang wird soziale Heterogenität – so der vorherrschende Begriff im schulpädagogischen Kontext5 – als Störung oder zumindest als Herausforderung empfunden und durch die Organisation von vereinheitlichenden Lernsettings zu minimieren versucht. Darüber hinaus sind sowohl das schulische Bildungssystem als auch die Bildungsinhalte an hegemonialen Wissens- und Wertestrukturen sowie an gesellschaftlichen Anforderungen orientiert. Zur Durchsetzung dieser – durchaus ambivalenten Voraussetzungen für den Umgang mit sozialen Differenzen und Ungleichheiten – werden verschiedene Mechanismen der Individualisierung bzw. Personalisierung, der Normalisierung und des Othering funktional, die die zentralen Prinzipien der Institution Schule, das der Homogenisierung und das der Segmentierung, im Umgang mit Vielfalt legitimieren. Prinzipien der (normalisierenden) Homogenisierung und der (ausgrenzenden) Differenzierung Der Umgang mit sozialen Verhältnissen von Differenz und Ungleichheit im Kontext Schule ist vordergründig betrachtet mehrdeutig, folgt jedoch einem Pluralität vereinnahmenden und homogenisierenden Prinzip. So besteht bildungspolitisch zunehmend ein Bewusstsein darüber, dass der Umgang mit Heterogenität eine wichtige Qualifikation in globalisierten und internationalisierten Lebensverhältnissen darstellt und somit auch als relevanter Bildungsinhalt anzusehen ist. Allerdings ist hier ein Verständnis von Heterogenität dominant, das v.a. als Inbegriff von Vielfalt verstanden wird, welcher von strukturellen Machtverhältnissen und sozialen Ungleichheiten absieht und v.a. auf individuelle Differenzen und Besonderheiten abzielt. So wurden von der OECD in einem Programm zur Definition und Auswahl von Kompetenzen (DeSeCo-Definition and Selection of Competencies) Schlüsselkompetenzen benannt, die – so die Intention – für ein erfolgreiches und nachhaltiges Leben in der Gesellschaft notwendig sind und von Schüler_innen erworben werden sollten. Zu diesen drei Schlüsselkompetenzen gehört neben der »Interaktiven Anwendung von Medien und Mitteln (z.B. Sprache, Technologie)« sowie der

5

Im schulpädagogischen Kontext dominiert der Begriff der sozialen Heterogenität, um auf Phänomene der Vielfalt und Differenz zu verweisen. Dabei wird jedoch tendenziell v.a. dem Aspekt der Unterschiedlichkeit Tribut gezollt, der Aspekt von Macht jedoch vernachlässigt. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der Heterogenität aus macht- und hegemonietheoretischen Perspektiven kritisiert.

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»autonomen Handlungsfähigkeit« auch der Umgang mit Heterogenität – genaugenommen die »Interaktion in heterogenen Gruppen« (DeSeCo-Projekt 2005 o.S.). Dieses Kompetenzverständnis bleibt jedoch weitgehend in der Logik der individualisierten Aneignung von als gesellschaftlich relevant betrachteten Kompetenzen und deren Verwertung gefangen und ist funktional auf die Zwecke und Vorgaben einer globalisierten und neoliberalen Gesellschaft ausgerichtet. Der Umgang mit Heterogenität wird als individuelle Herausforderung für Schüler_innen und Lehrer_innen und als Kompetenz im zwischenmenschlichen Umgang betrachtet, jedoch nicht strukturell im Kontext von Machtasymmetrien und sozialer Ungleichheit gefasst. Die Reproduktion von sozialer Ungleichheit durch das selektive und homogenisierende Bildungssystem wird durch einen solchen individualisierten Zugang zu Heterogenität – über die Ausbildung personenbezogener Kompetenzen – weiter verschleiert; von gesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen, durch die soziale Diversität geprägt ist, wird abgesehen. Im disziplinären schulpädagogischen Diskurs wird das Thema Heterogenität in den letzten Jahren zunehmend thematisiert und als Herausforderung für die Schule, die Lehrkräfte und v.a. für den Unterricht problematisiert (vgl. Grunder/Gut 2009, Faulstich-Wieland 2011, Trautmann/Wischer 2011, einen kritischen Überblick liefern Budde 2012, Walgenbach 2014). Allerdings steht in der schulpädagogischen Auseinandersetzung mit Heterogenität oft die Frage des Umgangs mit Leistungsunterschieden im Vordergrund. Soziale Differenzlinien werden v.a. als Fragen sozialer Unterschiede im Rahmen von Schulleistungsstudien diskutiert. Hier wird nach Ursachen und bildungspolitischen Konsequenzen gefragt, die das schlechtere Abschneiden von Kindern und Jugendlichen mit sogenanntem Migrationshintergrund oder aus Haushalten mit geringem Einkommen erklären sollen. In der jüngeren Vergangenheit erfährt – v.a. im bildungspolitischen Zusammenhang – die Differenzlinie Geschlecht eine verstärkte Aufmerksamkeit. Mit dem Diskurs um ›Jungen als Bildungsverlierer‹ (vgl. Bundesjugendkuratorium 2009) wurde und wird einer privilegierten und lange Zeit auch leistungsmäßig besser abschneidenden Gruppe ausgesprochen viel Aufmerksamkeit geschenkt, die hier nicht mehr ihre (sozial erwartete) Position sichern kann. Hier ist kritisch danach zu fragen, wie Geschlecht (als interdependente Kategorie) in diesem Zusammenhang diskutiert wird und inwiefern es zu bestimmten Diskursüberlagerungen (bspw. vergeschlechtlichter Ethnisierungen im Diskurs um Jungen mit Migrationshintergrund), Fokussierungen oder Auslassungen bezüglich hegemonialer Normalitätserwartungen kommt. Denn trotz einer (vermeintlichen) Öffnung hinsichtlich sozialer Pluralität und Diversität besteht im Kontext Schule – in mehrfacher Hinsicht – kulturelle Hegemonie. Es dominieren Normalitätsvorstellungen und Wissensbestände, die

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ethnozentristisch-rassialisierten, heteronormativen, mittelstands- und ableismorientierten Bedeutungs- und Differenzordnungen westlich-kapitalistischer Verhältnisse unterliegen. Unter einer dominanz- oder hegemonietheoretischen Perspektive stellt sich die Frage, was und wer in den vorherrschenden Bildungsinhalten und -strukturen repräsentiert bzw. nicht repräsentiert wird. Das Schulsystem, die dort geltenden Normen und Regeln sowie Bildungsinhalte sind einseitig an der jeweiligen nationalen Dominanzkultur orientiert, was sich u.a. an einer westlich-eurozentrischen Ausrichtung der Bildungsinhalte sowie einer engen Verbindung von Nation und Sprache niederschlägt (vgl. Gogolin/Krüger-Potratz 2006, Dirim/Mecheril 2010). Letzteres gilt v.a. für Deutschland. In der Schweiz, die sich offiziell als mehrsprachiges Land versteht, variiert die Unterrichtssprache je nach Sprachgebiet und Schule zwischen Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch. Allerdings besteht auch hier eine Ignoranz bzw. Abwertung von anderen, jenseits der anerkannten und in der westlich globalisierten Welt verwertbaren Sprachen, insbesondere gegenüber der Mehrsprachigkeit von Schüler_innen mit Migrationsgeschichte. Diesbezüglich spricht Ingrid Gogolin (zumindest für Deutschland) von einem monolingualen Habitus einer faktisch multilingualen Schule (Gogolin 2008). Aber auch mit Blick auf die Bildungsinhalte sowie die Lehr- bzw. Lernmaterialien wird Diversität als historisch entstandene gesellschaftliche und schulische Realität wenig berücksichtigt und anerkannt (vgl. Leiprecht/Kerber 2005). In der didaktischen Gestaltung von Bildungsinhalten (z.B. in Schulbüchern) spiegelt sich eine dominanzkulturelle bürgerliche Orientierung wider (vgl. Höhne u.a. 2006, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2015), die nicht unbedingt den vielfältigen Lebenswelten der Schüler_innen entspricht. In Lernmaterialien und -inhalten materialisiert und dokumentiert sich die Dominanz heteronormativer Bilder und Vorstellungen, z.B. über Familie, über Formen der Lebensführung sowie von patriarchalen und heterosexistischen Geschlechterrollenstereotypen (vgl. hierzu Stürzer et al. 2003, Andresen/ Rendtorff 2006). Eine Schulbuchanalyse von Bittner (2012) zeigt, dass in Biologie-, Geschichts- und Englischbüchern weitgehend eine Reproduktion binärer Geschlechterkonstruktionen erfolgt, die Norm der Zweigeschlechtlichkeit nicht hinterfragt wird, Homo- und Bisexualität lediglich am Rande, verkürzt oder problematisiert behandelt werden und Intersexualität, Transgender und Trans*Personen nicht repräsentiert sind. Ebenso werden in Schulmaterialien Bilder über Armut produziert, die als Armut der Anderen konzeptualisiert sind, ohne dass dabei auf strukturelle und historische Zusammenhänge, wie z.B. Kolonialismus verwiesen wird. Damit reproduzieren sich koloniale und rassistische Bilder auch in Unterrichtsmaterialien (Marmer 2013). So finden sich in Bil-

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dungsmaterialien und Lehrplänen kaum Inhalte, die soziale Differenzen mit Blick auf damit verbundene Ungleichheits- und Machtverhältnisse in den Fokus nehmen, ebenso wenig Bildungsprojekte, die sich mit Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus auseinandersetzen. Auch zeigt sich, dass wenig Bewusstsein hinsichtlich einer kolonialen Geschichtsschreibung sowie einer Kontinuität von rassistischen Verhältnissen bis in die Gegenwart besteht (vgl. Messerschmidt 2009). Folglich sind die Bereitschaft und Möglichkeiten zu deren Thematisierung wenig ausgeprägt. Diese Themen sind strukturell in Curricula und Bildungsplänen kaum verankert und kommen eher zufällig und abhängig von den Interessen und dem Engagement einzelner Lehrpersonen zum Einsatz – oder wenn diesbezüglich Probleme im Schulalltag bzw. Konflikte unter Schüler_innen oder zwischen Gruppierungen beobachtet werden. Solchen Projekten kommt jedoch eher die Bedeutung von Sonderveranstaltungen zu, als dass sie feste Bestandteile des Bildungskanons wären. Ebenso wenig spiegelt sich die Diversität der sozialen Positionierungen und Lebenslagen unter den Schüler_innen im Lehrpersonal wider. In der Zusammensetzung der Lehrkräfte herrscht nach wie vor ein Mittelschichtsbias sowie eine starke Unterrepräsentanz von Lehrkräften mit Migrationshintergrund oder Angehörigen von Minderheiten (vgl. Georgi et al. 2011: 18), was sich letztendlich auch auf die Perspektiven, von denen aus Bildungsinhalte vermittelt werden, auswirkt. In der medialen Öffentlichkeit werden Lehrkräfte mit Migrationsgeschichte durchaus thematisiert und die Erhöhung deren Anteils im Bildungssystem in Deutschland als bildungspolitisches Ziel formuliert (z.B. die Bundesregierung 2007: 67; BAMF 2010: 101ff.). Dabei werden z.T. jedoch Bilder gezeichnet und von Vorbildern, Mittler_innen oder change agents gesprochen (vgl. kritisch: Schwendowius 2015: 57), durch die (angehende) Lehrkräfte mit Migrationsgeschichte auf die Herkunft reduziert und sie als Andere thematisiert werden. Mit dieser kulturalisierenden Verbesonderung werden sie als funktional für migrationsgesellschaftliche Heterogenität im Bildungskontext erachtet und für diese Zwecke vereinnahmt. Auch die ungleiche Verteilung von Lehrkräften im Geschlechterverhältnis bzw. die generelle Überrepräsentanz von Frauen in pädagogischen Berufen besteht nach wie vor.6 Diese ist in verschiedener Hinsicht als kritisch zu beurteilen, kann jedoch nicht auf das Moment der mangelnden Identifikation bzw. Repräsentation von (Geschlechter-)Rollenvorbildern reduziert

6

Laut Nationalem Bildungsbericht waren im Jahr 2008 in Deutschland knapp zwei Drittel (68 %) des pädagogischen Personals Frauen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010: 41), wobei deren Anteil in allgemeinbildenden und beruflichen Schulen bei rund 64 % lag (ebd.: 232).

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werden. Der Ruf nach ›mehr Männer(n) in Erziehungs- und Lehrberufen‹ geht zum Teil mit essentialistischen und naturalisierenden Geschlechterrollenvorstellungen einher und führt in dieser Hinsicht die dominante Geschlechterordnung fort. In mancher Hinsicht überlagern sich dabei geschlechterbezogene mit den oben genannten kulturalisierenden bzw. rassialisierenden Argumentationsfiguren. Die Verteilung von Männern und Frauen spiegelt sich jedoch auch darin wider, in welchen Schulformen diese tätig sind und inwiefern diese mehr oder weniger anerkannte und materiell vergütete Positionen besetzen: Je höher das Bildungslevel, umso höher wird der Anteil von Männern im Lehrpersonal. Damit reproduzieren sich nicht nur symbolisch, sondern auch materiell dominante Geschlechterordnungen im Bildungskontext. Insgesamt kann festgehalten werden, dass im schulischen Feld der Bildung kaum strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für ›Bildung und Lernen in einer durch Vielfalt und Ungleichheit geprägten Gesellschaft‹ geschaffen werden – weder hinsichtlich der Bildung der Schüler_innen noch in der Ausund Weiterbildung der Lehrer_innen (vgl. Leiprecht/Kerber 2005). Die unzureichende Berücksichtigung von sozialer Heterogenität und sozialer Ungleichheit bzw. die Tendenz der Homogenisierung im schulischen Bildungssystem korrespondieren mit dem Diskurs und Anspruch der Gleichheit und Gleichbehandlung. Formal soll durch die allgemeine Schulpflicht der Zugang zu schulischer Bildung allen Schüler_innen gewährleistet werden. Schule wird dadurch zum verbindlichen Bildungsangebot für alle, das sich in staatlicher Zuständigkeit befindet, d.h. das von staatlicher Seite gewährt, aber auch kontrolliert wird.7 Allen Heranwachsenden soll die Möglichkeit gegeben werden, sich für ihre soziale und gesellschaftliche Integration zu qualifizieren, wobei das Leistungsprinzip als faires Medium der Zugangsgerechtigkeit verstanden wird. Der Erwerb schulischen Wissens wird – vor diesem Hintergrund – als Möglichkeit gesehen, zu (mehr) Gleichheit in der Gesellschaft beizutragen bzw. soziale Ungleichheiten zu kompensieren. Allerdings wird davon abstrahiert, dass nicht alle Schüler_innen die gleichen sozialen Voraussetzungen und Hintergründe haben, die erwarteten Lernziele zu erreichen und sich die normierten Bildungsinhalte der Schule anzueignen. So wird ein ober- oder mittelschichtsbezogener Habitus erwartet, der mit bestimmten Kenntnissen und kulturellem Kapital, wie z.B. mit sogenanntem Allgemeinwissen und/oder Fähigkeiten in der anerkannten Bildungssprache, verbunden ist. Dieses implizite Wissen und diese Kompetenzen

7

Die Kehrseite der Medaille verweist sowohl auf die staatliche Kontrolle von Bildung als auch auf den Zwangscharakter schulischer Bildung, dem sich Heranwachsende nicht entziehen können.

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werden in der Schule jedoch nicht vermittelt, sondern stillschweigend vorausgesetzt. Gleichzeitig sind sie jedoch Lernvoraussetzungen und damit letztendlich für den Lern- und Bildungserfolg entscheidend (vgl. Gomolla/Radtke 2009). Diese impliziten Normalitätserwartungen führen zu Benachteiligungen derjenigen Schüler_innen, die über diese Kenntnisse qua Herkunft nicht selbstverständlich verfügen. Somit kann formale Leistungsgerechtigkeit soziale Ungleichheit nicht kompensieren, vielmehr wird sie dadurch verschleiert und tradiert, worauf bereits in den 1970er-Jahren Bourdieu und Passeron (1973) hingewiesen haben. Durch das selektive schulische Bildungssystem, das auf gleiche Chancen durch das Kriterium der Leistung bzw. meritokratische Merkmale der Leistungserfassung setzt, sowie einen nach wie vor androzentristischen, bürgerlich-mittelschichtsorientierten und eurozentristischen Bildungskanon, welcher ungleiche Bildungsvoraussetzungen unberücksichtigt lässt, werden soziale Ungleichheiten unter dem Mantel der Neutralität durchgesetzt und gefestigt. In diesem Zusammenhang ist auch auf die klassifizierende und hierarchisierende Wirkung von Normalisierung in und durch Institutionen unter dem Deckmantel des formalen Gleichheitspostulats hinzuweisen. Die Schule spielt hier – um mit Foucault zu sprechen – als Disziplinierungsinstanz und Normalisierungsmacht eine bedeutende Rolle: »Einerseits zwingt die Normalisierungsmacht zur Homogenität, andererseits wirkt sie individualisierend, da sie Abstände misst, Niveaus bestimmt, Besonderheiten fixiert und Unterschiede nutzbringend aufeinander abstimmt. Die Macht der Norm hat innerhalb eines Systems der formalen Gleichheit so leichtes Spiel, da sie in die Homogenität, welche die Regel ist, als nützlichen Imperativ und als präzises Messergebnis die gesamte Abstufung der individuellen Unterschiede einbringen kann.« (Foucault 1977: 238f.)

Foucault weist hier auf die disziplinierende, aber auch ausgrenzende Macht der Normalisierung hin. Normierung, Normalisierung und Homogenisierung wirken in der Schule zusammen und entfalten eine klassifizierende, hierarchisierende sowie eine ein- und ausgrenzende disziplinierende Wirkung. Dabei werden diejenigen Schüler_innen zu Anderen gemacht, die nicht der imaginären Norm entsprechen, die damit den reibungslosen Ablauf des Unterrichts und die symbolische Ordnung gefährden und zum Störfall werden. Diese Mechanismen sind bereits in die Organisation und die Regulatorien der Institution Schule sowie die Organisation von Lernen eingeschrieben und werden als implizites organisationsspezifisches Wissen über die Schüler_innen bzw. über verschiedene Schüler_innen-Gruppen wirksam. Bei der Identifizierung als Andere – und deren mehr oder weniger offenen Etikettierung, Problematisierung und Hervorhebung

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– spielen soziale Differenzlinien und -konstruktionen wie Klasse bzw. soziale Herkunft, natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeiten8, Geschlecht, sprachliche Kompetenzen, körperliche Dispositionen in ihrem interdependenten Zusammenspiel eine bedeutsame Rolle – entgegen dem formalen Gleichheitspostulat. Diesbezügliche Abweichungen von der jeweiligen hegemonialen Norm können unterschiedliche ein- und ausgrenzende Folgen mit sich bringen. Der zum Problem avancierten Heterogenität wird mit normierenden und homogenisierenden Mechanismen und Reglementierungen, wie Disziplinarmaßnahmen, Klassenwiederholungen oder dem Versetzen bzw. Aussondern in weniger qualifizierte Schulformen, begegnet. Durch diese individualisierten, gleichzeitig aber tendenziell v.a. auf Angehörige bestimmter Gruppen zielenden, also überindividuell ergriffenen Maßnahmen wird die Vereinheitlichung von Lerngruppen wiederhergestellt, gleichzeitig wird Segmentierung forciert. Solche Normalisierungsprozesse und damit verbundenes Othering sind dabei nicht unbedingt offen ausgrenzend oder resultieren nicht zwingend aus absichtsvollem Verhalten von Einzelnen, sondern sind bereits in die Strukturen und institutionellen Routinen eingeschrieben. Unter dem Deckmantel der Gleichbehandlung bzw. des gleichen (hegemonialen) Maßstabes für alle sind sie in ihrer normierenden und ausgrenzenden Wirkung verdeckt. Deshalb wird hier auch von institutioneller Diskriminierung gesprochen (vgl. Flam 2007, Hormel 2007, Gomolla 2010). Studien zu institutioneller Diskriminierung in der Schule zeigen, dass v.a. in Phasen des Übergangs (von der Primarstufe in weiterführende Schulformen sowie von der Schule in die berufliche Ausbildung) diskriminierende Mechanismen wirksam werden und sich beispielsweise zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund und aus sozial benachteiligten Familien auswirken (vgl. Häberlin/Imdorf/Kronig 2004, Kronig/Haeberlin/ Eckhart 2007, Flam 2009, Gomolla/Radtke 2009, Imdorf 2010, Meyer 2011, Scherr/Gründer 2011, Scherr/Janz/Müller 2015). Der Anspruch der Gleichbehandlung aller Schüler_innen führt – bei gleichzeitigem Absehen von ungleichen Bildungsvoraussetzungen und der stark aufteilenden und diskriminierenden Wirkung der genannten Homogenisierungs- und Disziplinierungsstrategien – zu einer gegenteiligen Wirkung: der Reproduktion von ungleichen Chancen und sozialer Ungleichheit sowie der Tradierung hege-

8

Der Begriff »natio-ethno-kulturell« wurde von Paul Mecheril (2003: 24) geprägt. Angesichts der Unmöglichkeit, trennscharf zwischen Differenzkonstruktionen, die auf ›Nationalstaat‹, ›Ethnie‹ oder ›Kultur‹ Bezug nehmen, unterscheiden zu können, schlägt Paul Mecheril vor, dieser Bedeutungsdiffusion mit dieser verbindenden Formulierung zu begegnen.

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monialer Machtverhältnisse und Differenzordnungen. Mit dieser Ausdifferenzierung entspricht die Schule ihrer gesellschaftlichen Funktion, auf eine segmentierte, kapitalistische Leistungsgesellschaft vorzubereiten (vgl. Wenning 2004: 569ff.). Hier zeigen sich wesentliche Paradoxien im Umgang mit sozialer Heterogenität in der Schule und im Bildungssystem: Einerseits wird auf Differenz und Ungleichheit mit Ignoranz und De-Thematisierung reagiert, anderseits werden in schulischen Repräsentationen und Interaktionen ständig informelle Differenzierungen, Zuschreibungen und Normalitätserwartungen vorgenommen. Der Anspruch auf Chancengleichheit wird durch soziale Segmentierung und Othering unterlaufen. Es besteht insgesamt ein spannungsreiches Verhältnis zwischen Gleichheit und Differenz, zwischen Homogenisierung und Differenzierung sowie zwischen Integration und Selektion. Mit diesen bereits strukturell und institutionell im Denken und der Organisation verankerten Paradoxien und Spannungsfeldern sind dann auch die Lehrkräfte – als in diesem ambivalenten Feld involvierte Akteur_innen – konfrontiert. 3.1.2 Differenz und Ungleichheit im Bildungskontext sozialpädagogischer Jugendarbeit In der Sozialen Arbeit, der die Jugendarbeit als ein Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe zuzuordnen ist, besteht ein zur schulischen Bildung zunächst konträres Bildungsverständnis. Bildung wird spätestens mit dem Zwölften Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2005) als selbstverständlicher Bestandteil der Sozialpädagogik betrachtet und als zentrale Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe expliziert. Dabei wird in Abgrenzung zu formalen Bildungsangeboten betont: »Bildung ist mehr als Schule« (Bundesjugendkuratorium 2002). Es wird auf ein weites Bildungsverständnis Bezug genommen, das über curriculares Lernen, einen institutionalisierten Wissenskanon, den Erwerb von formalen Bildungstiteln oder die Qualifizierung für den Arbeitsmarkt hinausgeht. Dieser weite Bildungsbegriff umfasst in dem Sinne das »Insgesamt der kognitiven, sozialen, emotionalen, ästhetischexpressiven, praktischen und leibbezogenen Komponenten« (Thiersch 2011: 163). Gerade im Zwölften Kinder- und Jugendbericht wurde auf die Bedeutung von informellen Lernprozessen und lebensweltlichen Lernorten für eine umfassende Bildung hingewiesen. Bildung wird im sozialpädagogischen Kontext – mit Bezug auf Wilhelm von Humboldt – als Selbstbildung verstanden und als »Anregung aller Kräfte eines Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt […] entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität oder

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Persönlichkeit führen« (Humboldt, zitiert nach von Hentig 1996: 40). Die Kinder- und Jugendhilfe zielt entsprechend ihrer Aufgabe, Kinder und Jugendliche in ihrem Recht auf Förderung der Entwicklung und auf Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu unterstützen (vgl. KJHG § 1), auf Bildung im Sinne einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung und mit Blick auf die Lebenswelt und die gesamte Lebenslage der Jugendlichen ab. Hans Thiersch spricht in diesem Zusammenhang von Bildung als Lebenskompetenz (Thiersch 2003), mit dem Hinweis, dass damit nicht Lebensbewältigung im reaktiven Sinne gemeint sei, sondern Lebensgestaltung allgemein. In der Expertise »Lage und Zukunft der Kinder und Jugendarbeit in BadenWürttemberg« (Rauschenbach et al. 2010) werden die bildungsbezogenen Potenziale der Kinder- und Jugendarbeit als »personale, praktische und soziale Bildung ebenso […] wie als erfahrungsbasierte, lebensweltlich geprägte Alltagsbildung« (ebd.: 237) umrissen. Albert Scherr hebt in seinen Arbeiten zu »Subjektorientierter Jugendarbeit« (Scherr 1997, 2002a, b, 2003) in Anlehnung an Humboldt und die Kritische Theorie ein für die Sozialpädagogik relevantes Bildungsverständnis hervor, das auf die Entfaltung von Subjektivität abzielt. Bildung wird als derjenige Prozess betrachtet, in dem Individuen ihre Subjektivität entwickeln, also ihre »Selbstbewusstseins- und Selbstbestimmungsfähigkeit […], ihre eigenständige und eigensinnige Wahrnehmungs-, Sprach-, Handlungs- und Urteilsfähigkeit« (Scherr 2003: 93). Der Bildungsauftrag und -anspruch der Jugendarbeit besteht folglich darin, Jugendliche zu einer bewussten Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie und den eigenen Handlungsmöglichkeiten und -beschränkungen im gesellschaftlichen Kontext anzuregen sowie zur Entwicklung selbstbestimmter Handlungs- und Reflexionsfähigkeit beizutragen. »Die Anerkennung der Individuen als Subjekte, als selbstbewusstseins- und selbstbestimmungsfähige Personen, ist also nicht nur Ziel, sondern auch Methode pädagogischen Handelns. Pädagogische Praxis vollzieht sich in kleinen Schritten, die darauf ausgerichtet sind, Möglichkeiten einer selbstbestimmten Lebenspraxis zu eröffnen, gegebene Beschränkungen, die Individuen auferlegt sind und die sie sich selbst auferlegen, zu überwinden. Dies erfordert grundlegenden Respekt vor der Eigenverantwortlichkeit der Einzelnen für ihre Lebensgestaltung.« (Scherr 2002b: 40)

Dies hat bildungstheoretische Konsequenzen: »Bildung kann demnach angeregt und ermöglicht, aber nicht erzwungen werden.« (Scherr 2002a: 94; vgl. auch Bundesjugendkuratorium 2002: 164).

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Kennzeichnend für das Bildungsverständnis der sozialpädagogischen Jugendarbeit sind vor diesem Hintergrund sowohl das Informelle, z.T. Nicht-Planbare von Bildungsprozessen als auch das Prinzip der Freiwilligkeit, welche zumindest für die offene Jugendarbeit spezifisch ist. In den dargestellten Punkten unterscheidet sich das Bildungsverständnis der Jugendarbeit deutlich von dem der Schule bzw. es wird im Selbstverständnis auch explizit davon abgegrenzt (vgl. Bundeskuratorium 2002 oder Rauschenbach et al. 2010). Ein weiterer Unterschied bezieht sich auf den thematisierten Zusammenhang von sozialer Gerechtigkeit und Bildung. Die Soziale Arbeit als konstituierender Rahmenkontext von Jugendarbeit hat sich traditionell (und über lange Zeit exklusiv) als Unterstützungsinstanz für sozial Benachteiligte und von Desintegration Betroffene verstanden. In diesem Zusammenhang steht immer auch das Thema der sozialen Ungleichheit im Fokus. Dieses Selbstverständnis, sich den Konsequenzen von sozialen Spaltungen und Ungleichheiten zu stellen, besteht nach wie vor, wenngleich in der Sozialen Arbeit inzwischen eine »Entwicklung zum Normalangebot« (Thole 2005: 48) stattgefunden hat. Hans Thiersch konstatiert hier einen zweifachen Auftrag von Sozialer Arbeit und von sozialpädagogischer Bildung: »Soziale Arbeit versteht sich heute im Doppelauftrag der Unterstützung in den besonderen Schwierigkeiten randständiger, ausgegrenzter und benachteiligter Lebensverhältnisse und der allgemeinen Unterstützung in heutigen, brüchigen und anstrengenden Lebensverhältnissen. In ihrem Auftrag, im Horizont sozialer Gerechtigkeit Lebensverhältnisse zu strukturieren und Lebenskompetenzen zu fördern, ergibt sich ihre spezifische Konkretisierung des Projekts Bildung. Das Grundprinzip sozialpädagogischer Arbeit als Hilfe zur Selbsthilfe (oder Empowerment) entspricht der zentralen Bedeutung von Selbstbildung und Individualisierung im reformulierten Projekt Bildung.« (Thiersch 2011: 169)

Hinsichtlich der Herausforderungen sozialer Ungleichheit und mit Bezug auf den Doppelauftrag bzw. die Notwendigkeit der Unterstützung sowohl bei ›allgemeinen‹ (alle betreffenden) als auch ›besonderen‹ (v.a. Randgruppen betreffenden) Problemen der Lebensführung und der damit verbundenen Anforderungen an Bildung verweist Thiersch auf klassische Prinzipien der Sozialpädagogik, wie die Hilfe zur Selbsthilfe, und ebenso auf das Humboldtʼsche Verständnis von Bildung als Selbstbildung. Allerdings wird der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen nach wie vor eine bedeutende Rolle zugewiesen. Hier ist der Anspruch der Kinder- und Jugendhilfe zu sehen, Bildung für alle Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen, insbesondere für sozial benachteiligte Kinder und

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Jugendliche, und dadurch u.a. zu mehr sozialer Gerechtigkeit und Partizipationsmöglichkeiten beizutragen (vgl. hierzu u.a. Treptow 2009, Rauschenbach et al. 2010, Thiersch 2011). Allerdings ist dieser Anspruch sozialpädagogischer Bildungs- und Jugendarbeit, zu einem Mehr an sozialer Gerechtigkeit beizutragen, nicht einfach umzusetzen und in Widersprüche verstrickt. Dies wird im Folgenden mit Bezug auf die Soziale Arbeit im Allgemeinen und die Jugendarbeit im Besonderen ausgeführt. Professionsimmanente Mechanismen der Kategorisierung, Grenzziehung und Normalisierung Bildung ist im Kontext von Sozialer Arbeit und von Jugendarbeit in gesellschaftliche Ansprüche sowie hegemoniale Macht- und Herrschaftsverhältnisse eingebunden. So ist Jugendarbeit durch den staatlichen Bildungsauftrag im Sinne des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) nicht allein den Bedürfnissen und Erfordernissen der jugendlichen Subjekte verpflichtet, sondern auch gesetzlichen Vorgaben und gesellschaftlichen Anforderungen, was von Böhnisch und Lösch (1973) als doppeltes Mandat bezeichnet wurde. Somit ist nicht nur die Soziale Arbeit als Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle zu definieren (Merten/Olk 1996), dieses Spannungsfeld bzw. die hieraus entstehenden Ambivalenzen spiegeln sich im Bildungskontext wider. Darüber hinaus führen neoliberale Tendenzen in der Gestaltung des Sozialstaats, zunehmende Ökonomisierung und betriebswirtschaftliche Steuerung zu einem Wandel Sozialer Arbeit (vgl. Kessl 2005, Dahme/Wohlfahrt 2005, Otto/Kessl 2008) sowie der Kinder- und Jugendhilfe (Messmer 2007) und wirken sich auf das Bildungsverständnis und die Bildungsziele von Sozialer Arbeit im Allgemeinen und Jugendarbeit im Besonderen aus. Des Weiteren ist im Feld der Sozialen Arbeit das Verhältnis von Differenz und Ungleichheit widersprüchlich angeordnet und Normalisierung und Othering bereits strukturell enthalten. In der Art und Weise, wie Soziale Arbeit organisiert und aufgestellt ist, nimmt sie Differenzbildungen vor und trägt zu Herstellung, Reproduktion und Festschreibung von Grenzziehungen und asymmetrischen Ungleichheitsverhältnissen bei (vgl. Maurer 2001, Kessl/Plößer 2010). Mecheril und Melter (2010) sehen die Aufgabe des Unterscheidens und des DifferenzHerstellens als ein konstituierendes Merkmal Sozialer Arbeit (vgl. Mecheril/ Melter 2010: 117). Historisch betrachtet operierte die Soziale Arbeit von Beginn an mit differenzierenden, ein- und ausgrenzenden Gegensatzpaaren, wie z.B. mit Unterscheidungen von Hilfsbedürftigkeit und Nicht-Hilfsbedürftigkeit (vgl. Bommes/Scherr 1996: 109) oder, anders formuliert, von Unterstützungswürdigkeit und fehlender Unterstützungswürdigkeit (vgl. Mecheril/Melter 2010). Aus

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dieser Unterscheidung erfolgt zum einen eine Konstruktion und Deutung dessen, was als hilfebedürftig bzw. unterstützungswürdig verstanden wird, zum anderen resultiert daraus die Entscheidung darüber, wer Hilfe erhält, Anspruch darauf hat und damit zum sozialpädagogischen Fall wird oder nicht. Die Herstellung von Differenz ist somit in die Organisation und Denkstrukturen Sozialer Arbeit eingeschrieben und trägt daher auch zu einer Tradierung gesellschaftlich vorherrschender Unterscheidungen bei. In diesem Zusammenhang spielt in der Sozialen Arbeit das Gegensatzpaar von Normalität und Abweichung eine zentrale Rolle (vgl. Böhnisch 2011). Der sozialpädagogische Blick (der Hilfe und Unterstützung) richtet sich dabei traditionell auf Phänomene, die als abweichend, marginalisiert und benachteiligt bezeichnet werden, auf Armut, Devianz oder abweichendes Verhalten sowie Phänomene der sozialen Desintegration (vgl. Maurer 2001, Thole 2005, Böhnisch 2011). Damit verbunden ist z.T. ein auf Defizite gerichteter Benachteiligungsdiskurs (vgl. Walther 2002). Vor diesem Hintergrund bezeichnen Fabian Kessl und Melanie Plößer die Soziale Arbeit als »Arbeit mit den Anderen« (Kessl/Plößer 2010). Soziale Arbeit ist an Grenzziehungen beteiligt und trägt durch diesen Fokus zu Prozessen des Othering bei. Für die Frage, wer sozialpädagogische Unterstützung und Hilfe erhält, spielen gesellschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen eine Rolle. Durch die nationalstaatliche Organisation von Hilfe sind nationale Zugehörigkeiten und das Kriterium der Staatsangehörigkeit für das Recht auf Inanspruchnahme staatlicher Unterstützungsleistungen entscheidend und in verschiedener Hinsicht mit Exklusionen, beispielsweise von Nicht-Staatsangehörigen, verbunden. In diesem Zusammenhang erweisen sich die Unterstützungsangebote und -möglichkeiten für Jugendliche, die im transnationalen Raum ihr Leben gestalten bzw. in diesem Kontext eine berufliche Perspektive entwickeln, als unzureichend; die Unterstützung von jugendlichen Flüchtlingen ist auf einen prekären, nur individuell auszugestaltenden Rahmen begrenzt. Solche Benachteiligungen und Diskriminierungen ergeben sich u.a. aus der nationalstaatlichen Orientierung und Organisation von Bildungs- und Übergangssystemen und den damit verbundenen wohlfahrtsstaatlichen Begrenzungen (vgl. für das berufliche Übergangssystem Pohl/ Walther 2006; Walther 2011). Darüber hinaus ist auch der Anspruch Sozialer Arbeit, zur sozialen und gesellschaftlichen Integration von sogenannten benachteiligten Kindern und Jugendlichen beizutragen, untrennbar mit Prozessen der Normierung und Normalisierung9 verbunden (vgl. Müller 1995, Seelmeyer 2008, Kutscher/Seelmeyer

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Normalisierung resultiert bereits aus der der Sozialen Arbeit immanenten Unterscheidung zwischen ›hilfebedürftig/nicht-hilfebedürftig‹ oder zwischen ›besonderem‹ und

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2011). Soziale Arbeit fungiert hier mit einem mehrfachen Auftrag: als wohlfahrtsstaatliche Instanz, die zugleich ordnungspolitische Funktionen hat. In diesem Zusammenhang bezeichnet Susanne Maurer die Soziale Arbeit auch als »Normalisierungsmacht« (Maurer 2001: 125). Normalisierung trägt damit ebenso wie die zuvor beschriebene Grenzziehung zur Unterwerfung der Subjekte unter die hegemoniale Differenzordnung bei. Der Sozialen Arbeit implizite Mechanismen der Unterscheidung, Grenzziehung und Normalisierung sind dabei eng mit dem spezifischen Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle verbunden, wie dies Lothar Böhnisch am Beispiel der Jugendhilfe formuliert: »Die Jugendhilfe, jenes breite Feld der Sozialpädagogik/Sozialarbeit, gerät zwangsläufig, das heißt strukturell, immer wieder in den Sog von eigenen Etikettierungs- und Stigmatisierungsprozessen, die aus der ihr innewohnenden Spannung zwischen Hilfe und Kontrolle resultieren.« (Böhnisch 2011: 8)

Für solche Kategorisierungsprozesse sowie die Frage nach Devianz und Abweichung spielen gesellschaftliche Normvorstellungen sowie problembezogene Zuschreibungen gegenüber Adressat_innen Sozialer Arbeit eine entscheidende Rolle. Es werden Grenzziehungen und Kategorisierungen hinsichtlich der Frage vorgenommen, was als soziales Problem wahrgenommen wird, wer davon betroffen ist, damit zum Fall gemacht wird und der institutionellen Problembearbeitung, u.a. durch die Soziale Arbeit, überführt wird. Diese Konstruktionsprozesse im Alltag der Organisationen der Sozialen Arbeit und die daraus folgende Problemarbeit bzw. Problembearbeitung bezeichnet Axel Groenemeyer (2010, 2011) als ›doing social problems‹. So werden Mechanismen der Differenzbildung, Kategorisierung und Grenzziehung auch im Zuge bedeutsamer Methoden der Kinder- und Jugendhilfe, wie der Diagnostik, der Bewertung, Beurteilung und Begutachtung im Rahmen von Unterstützungs- und Hilfemaßnahmen relevant. Bereits bei der Konstruktion des Falls – bzw. im Prozess, wie jemand zum sozialpädagogischen Fall wird – sowie in der Kommunikation und Kooperation mit anderen Instanzen wie der Schule, der Polizei, den Ausbildungsbetrieben oder kommunalen Bildungsträgern werden eine Vielfalt an Differenzen bzw.

›allgemeinem‹ Unterstützungsbedarf bzw. einem damit verbundenen Doppelauftrag (s.o. Thiersch 2011). In der bereits diskutierten Aussage, dass sich Soziale Arbeit zum Normalangebot entwickelt hat (s.o. Thole 2005), zeigt sich, dass im sozialpädagogischen Fachdiskurs die Unterscheidung von Normalität und Abweichung und die Konstruktion von Anderen nach wie vor bedeutsam sind.

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Differenzkonstruktionen angerufen, über die gleichzeitig Kategorisierungen und Einteilungen vorgenommen werden. Bei solchen für Soziale Arbeit und Jugendarbeit relevanten Differenzierungen bzw. Differenzkonstruktionen – ausgehend vom Begriffspaar ›normal‹ vs. ›abweichend‹ – spielen gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie soziale Konstruktionen von Geschlecht, Ethnizität, Klasse, Körper, Alter etc. eine Rolle. Für diese Etikettierungs- und Stigmatisierungsprozesse sind immer gesellschaftliche Bilder über Normalität und Abweichung relevant, wobei diese Vorstellungen jeweils gegendert und kulturalisiert bzw. mit heteronormativen, bürgerlichen und christlich-eurozentristischen Vorstellungen aufgeladen sind. Solche Differenzkonstruktionen sind dabei nicht eindeutig der bipolaren Unterscheidung von Normalität und Abweichung zuzuordnen, sondern werden vielmehr situativ und kontextbezogen angerufen und in einem jeweils spezifischen Arrangement zu unterschiedlichen Repräsentationen von Normalität und Abweichung gemacht. Dabei werden, je nach Ziel sozialpädagogischer Arbeit und Intention, in einem intersektionalen Zusammenspiel bestimmte Differenzlinien hervorgehoben und andere in den Hintergrund gerückt. Die Differenzierungs- und Kategorisierungsprozesse im Kontext von Normalität und Abweichung bzw. des Spannungsfelds von Hilfe und Kontrolle zeigen sich jedoch nicht nur in jenen Bereichen der Jugendhilfe, in denen das Kontrollmoment relativ stark ist und es zu expliziten Fallkonstruktionen kommt. Auch in der offenen Jugendarbeit oder der außerschulischen Bildungsarbeit kommen diese Spannungsverhältnisse und gesellschaftlich relevante Kategorisierungen, Grenzziehungen und Normalitätsvorstellungen zum Tragen (vgl. die Ergebnisse in Kapitel 6). Bereits der einseitige und hierarchische Blick auf die Adressat_innen im Kontext von Bildung, Hilfe und Erziehung impliziert eine gewisse paternalistische Haltung bzw. legt diese sowie eine defizitäre Sichtweise nahe, auch wenn sich auf ressourcenorientierte Ansätze bezogen wird. Hier kann es – sowohl in Fachdiskursen als auch in pädagogischen Praxen – zu Mechanismen der Zuschreibung, Etikettierung und Stigmatisierung kommen. Beispielsweise zeigt sich in fachlichen Diskursen zu sozialpädagogischer Kinder- und Jugendarbeit bzw. an darin enthaltenen Konstruktionen über das Bildungspotenzial für sogenannte benachteiligte und bildungsferne Jugendliche eine stark defizitäre und stereotype Perspektive auf die Bildungspotenziale dieser sozial konstruierten Gruppe sowie deren lebensweltliche und familiäre Unterstützungsmöglichkeiten. Dies zeigt sich exemplarisch in den Formulierungen der Expertise zur Jugendarbeit in Baden-Württemberg (Rauschenbach et al. 2010: 247). Hier heißt es konkret:

98 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING »Dabei könnte sie [die Jugendarbeit, C.R.] gezielt auch jene sozial benachteiligten und bildungsfernen jungen Menschen, die sonst nur schwer erreichbar sind, ansprechen und fördern sowie mit Blick auf ihre gesellschaftliche und kulturelle Partizipation unterstützen. Kinder aus benachteiligten Milieus könnten auf diese Weise auf freiwilliger Basis vieles lernen, was sie sonst weder in der Schule noch zu Hause lernen. Die Kinder- und Jugendarbeit wäre demnach jener Bildungsort, in dem das bildungsbezogene Potenzial schlummert, einen Teil jener Kompetenzen zu vermitteln, die ansonsten in der Regel nirgends systematisch gelernt werden, weder in der Schule, noch in der Familie, noch an anderen Lernorten.« (Ebd.: 247f.)

Begriffskonstruktionen wie ›bildungsfern‹ oder ›bildungsbenachteiligt‹ spielen für das Selbstverständnis sozialpädagogischer Bildung eine bedeutsame Rolle, rekurrieren jedoch auf Prozesse des Othering. Hier erfolgt ein Othering in der Formulierung eines spezifischen Bildungsbedarfs. Mit diesem hierarchisch und paternalistisch konstruierten Bildungsbedarf wird die Notwendigkeit von Bildung im Rahmen der Jugendarbeit legitimiert. Dabei wird von einem Bildungsverständnis ausgegangen, das auf den individuellen Erwerb von gesellschaftlich erforderlichen Kompetenzen abhebt und nicht an den Ressourcen bzw. einer Form der ganzheitlichen Bildung oder Stärkung von Handlungsfähigkeit im Kontext gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse (vgl. Scherr 2003) ansetzt. Dies widerspricht nicht nur subjektorientierter Jugendarbeit, sondern zementiert durch die Adressierung des spezifischen Bildungsbedarfs an benachteiligte Jugendliche potenziell soziale Spaltungen. Es zeigt sich: Auch sozialpädagogische Jugendarbeit ist in gesellschaftliche Zwänge involviert. So ist im Kontext von sozialpädagogischer Bildung und Hilfe auch ein marktförmiges Bildungsverständnis vorzufinden, das sich stark an gesellschaftlichen Anforderungen und explizit an den Anforderungen des Arbeitsmarktes orientiert. Gerade am Beispiel der Jugendsozialarbeit wird deutlich, dass mit dem sozialpädagogischen Anspruch der ›Unterstützung Jugendlicher bei ihrer Integration in die Gesellschaft‹ mehr oder weniger einseitig die ›Integration in die Erwerbsarbeit‹ verstanden wird. Nach wie vor wirkt die Orientierung am Ideal der Vollbeschäftigung bzw. die Konstruktion einer auf Erwerbsarbeit zentrierten Normalbiographie. Dies zeigt sich v.a. in Unterstützungsmaßnahmen bei Jugendarbeitslosigkeit bzw. zur Begleitung in prekären Übergängen in den Beruf (vgl. dazu Oehme 2007, Walther/Stauber 2007, Pohl/Stauber/Walther 2011, Walther 2011). Hier finden sich Zwänge und Formen der Anpassung und Normalisierung, die einer Selbst- oder Subjektbildung im obigen Sinne entgegenste-

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hen.10 Selbst wenn das Prinzip der Normalisierung in der Jugendberufshilfe besonders deutlich wird, zeigt sich auch in der offenen oder aufsuchenden Jugendarbeit eine Tendenz der Orientierung an Normalitätsverhältnissen sowie verstärkte Bemühungen, die Jugendlichen gesellschafts- bzw. berufsfähig machen zu wollen – was sich u.a. in Projekten wie Kompetenztrainings, Knigge-Kursen u.a. im Rahmen der Jugendarbeit zeigt. Jugendarbeit steht diesbezüglich in Gefahr, sich von gesellschaftlichen Anforderungen vereinnahmen zu lassen und dabei gesellschaftliche Probleme, wie soziale Ungleichheit bzw. der ungleiche Zugang zu sozialen Ressourcen, deren Ursachen in Bildungs-, Sozial- und Wirtschaftspolitik zu verorten sind, zu individualisieren und deren Lösung dem individuellen Kompetenzerwerb der Jugendlichen zu übertragen. Zum Teil gehen mit einer solchen Personalisierung kulturalisierende, gegenderte oder andere Defizitzuschreibungen einher; Benachteiligungen oder Beeinträchtigungen von Jugendlichen werden mit deren familiärer, sozialer oder kultureller Herkunft bzw. mit mangelnder familiärer Unterstützung erklärt. Darüber hinaus brauchen (durch die Projektierung der Arbeit immer mehr) sozialpädagogische Maßnahmen in der Jugendarbeit zu ihrer Legitimation den Ausweis, dass soziale Probleme, Problemlagen oder individuelle Gefährdungen vorliegen oder diesen präventiv begegnet werden muss. Gerade im Kontext dessen, dass Jugendarbeit sich immer mehr durch kurzfristige Einzelprojekte finanzieren muss, sind Träger_innen und Pädagog_innen bei der Antragstellung darauf angewiesen, die Notwendigkeit der Maßnahmen zu begründen. Dabei ist es entsprechend der Antragslogik z.T. erforderlich, soziale Probleme und gefährdete Adressat_innengruppen zu konstruieren und entsprechend ›effektive‹, aber stereotype Bilder anzurufen. Gleichzeitig besteht über Adressat_innen eine Art (Herrschafts-)Wissen, welches durch Politik, Medien, Alltags- und Fachdiskurse mitstrukturiert wird. Dieses wiederum fungiert bei der Entscheidung über die Notwendigkeit sozialpädagogischer Unterstützung oder auch von Bildungsarbeit als Deutungsgrammatik und kann zu einer wirkungsmächtigen Interpretationsfolie für die Identifikation von Adressat_innen oder der Beurteilung ihres Verhaltens werden. Solche Differenzierungspraxen und Praxen des Othering stehen einer subjektorientierten Jugendarbeit (s.o.) entgegen, spielen aber bei der Deutung und Formulierung von sozialen Problemen bzw. sozialpädagogischen Inter-

10 Diesbezüglich konstatiert Michael Galuske für die Jugendberufshilfe »ein fundamentales Orientierungsdilemma […], nämlich in ihren Konzepten und Handlungsstrategien ein Normalitätsmuster zu konservieren, das mit den Möglichkeitsstrukturen der Lebenswelten der Klienten immer weniger zu tun hat« (Galuske 2005: 891).

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ventions- oder Präventionsangeboten eine nicht zu unterschätzende Rolle.11 Im Kontext neoliberaler Tendenzen sowie eines aktivierenden Sozialstaats spitzt sich das Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle sowie damit verbundenen Kategorisierungen zu. Integration in die Gesellschaft erfolgt um den Preis der Normierung, Normalisierung und Anpassung sowie der Tradierung hegemonialer Differenzordnungen im sozialpädagogischen Bildungskontext. Darüber hinaus ist das sozialpädagogische Verhältnis zwischen Professionellen und Nutzer_innen, zwischen Jugendarbeiter_innen und Jugendlichen durch eine Differenz gekennzeichnet, die sich v.a. als asymmetrisches und hierarchisches Verhältnis auszeichnet – was u.a. den Umgang mit sozialer Ungleichheit und sozialen Differenzen prägt. Dies zeigt sich im sozialpädagogischen Kontext nicht nur in Bezug auf ein Mehr an Entscheidungsmacht der Professionellen (vgl. Böllert 2003, Dollinger 2006), sondern v.a. in einer Asymmetrie im MachtWissens-Komplex, hinsichtlich der Definitions- und Deutungsmacht, über die Professionelle gegenüber Adressat_innen verfügen – was sich u.a. in der Entscheidung über den jeweiligen Förder- und Unterstützungs- oder Sanktionsbedarf bzw. über die jeweilige Art der Maßnahmen niederschlägt. Hier wirken aus einer hegemonialen Perspektive Zuschreibungen und Otheringprozesse entlang der Unterscheidung von Normalität und Abweichung in pädagogische Entscheidungen hinein. Die Asymmetrien zwischen Professionellen und ihren (jugendlichen) Adressat_innen werden darüber hinaus von sozial bedeutsamen Differenzlinien wie Alter, Religion, Geschlecht, Klasse, Bildung u.a. in mehrfacher Hinsicht überlagert. So zeichnet sich die Gruppe der Professionellen bezüglich der sozialen Positionierung und Situiertheit ähnlich wie in der Schule durch eine relativ starke Homogenität aus. Sozialpädagog_innen sind (vergleichbar mit Lehrer_innen) i.d.R. akademisch gebildet, Angehörige der Mittelschicht und der Mehrheitsgesellschaft. Dies hat Auswirkungen auf die interpersonale Beziehung und den Blick der Pädagog_innen, die hier tendenziell die gesellschaftlichen Dominanzverhältnisse repräsentieren. Gleichzeitig reproduzieren sich hier diverse hegemoniale Verhältnisse und Differenzordnungen. Im Geschlechterverhält-

11 Ein Beispiel für eine solche zuschreibende Praxis, die auf der Konstruktion von Problemlagen durch den Rückgriff auf verschiedene Differenzlinien, aber einer einseitigen Konstruktion des pädagogischen Handlungsbedarfs hinsichtlich der Überlagerung von Migrationshintergrund und männlichem Geschlecht fußt, ist beispielsweise der Titel eines Projekts für Jugendliche – »Gewaltprävention für Migrantenjungs« –, mit dem es direkt die Adressat_innen und somit deren Problematik benennt. Diese Problemzuschreibung wird von den Adressat_innen auch durchaus verstanden und entsprechend widerständig aufgenommen.

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nis ist innerhalb der Gruppe der Professionellen (Sozialpädagog_innen) je nach hierarchischer Position und Arbeitsbereich ein Geschlechterbias festzustellen – Männer arbeiten eher in Verwaltungs- und Führungspositionen, Frauen eher in der direkten Betreuung und im Kontakt mit den Klient_innen (vgl. Wallner 2008). Darüber hinaus werden Sozialpädagog_innen mit einer Migrationsgeschichte v.a. für die Arbeit mit der gleichen Zielgruppe eingestellt oder als Ehrenamtliche (trotz beruflicher Ausbildung) hinzugezogen und damit in ihrer Fachlichkeit einseitig reduziert und vereinnahmt. Dabei wird u.a. auf Bilder und Diskurse rekurriert, die Pädagog_innen hinsichtlich ihrer ›Herkunft‹ und in ihrem ›Geschlecht‹ adressieren und ihnen die Bedeutung von ›Identifikationsfiguren‹ oder ›akzeptierten Autoritätspersonen‹ für die als männlich oder weiblich konstruierten jugendlichen Adressat_innen aus sogenannten Migrationsfamilien zugeschrieben. In diesem Zusammenhang wird eine explizit geschlechtsspezifische oder -homogene Arbeit und entsprechende personelle Besetzung als notwendige Voraussetzung gesehen, damit die Nutzung von Jugendarbeit von den Eltern akzeptiert wird. In solchen Argumentationen und Diskursen überlagern sich kulturalisierende bzw. rassialisierende mit heterosexistischen Diskursmustern und Otheringprozessen. Gleichzeitig wird vordergründig auf Prinzipien differenzsensibler und geschlechterbezogener Ansätze, wie z.B. der feministischen Mädchenarbeit, zurückgegriffen, allerdings ohne sich auf deren herrschaftskritische Ansprüche zu beziehen. Soziale Differenzen bzw. Differenzkonstruktionen spielen also in vielfältiger Hinsicht für die Organisation und die Handlungsausrichtung von Sozialer Arbeit eine bedeutsame Rolle – auch wenn die strukturimmanente Bedeutung von Differenzkonstruktionen, Grenzziehungen, Vereinheitlichungen und Normierungen i.d.R. unthematisiert bleibt. Allerdings haben sich in der Sozialen Arbeit – u.a. in kritischer Auseinandersetzung mit vorherrschenden Ungleichheits- und Differenzverhältnissen in der Gesellschaft und deren Wirkungen auf die signifikanten sozialpädagogischen Arbeitsfelder – differenzbewusste und ungleichheitskritische Ansätze herausgebildet. Standen sozial benachteiligte und marginalisierte Gruppen und Klassenverhältnisse traditionell im Zentrum Sozialer Arbeit, sind im Zuge von Emanzipationsbewegungen in den 1970er- und 1980er-Jahren weitere Differenzlinien und Ungleichheitsverhältnisse sowie darauf bezogene diskriminierungskritische und differenzbewusste (u.a. geschlechterbezogene, interkulturelle, rassismuskritische, körperbezogene) Ansätze in der Sozialen Arbeit relevant geworden (vgl. Maurer 2001, Leiprecht 2008). Sie haben insbesondere im Feld der Jugendarbeit seit den späten 1970er- und 1980er-Jahren verstärkt an Bedeutung gewonnen. Diese Ansätze gingen vor dem Hintergrund der Prinzipien der Parteilichkeit

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und der Förderung des Empowerments zum Teil mit einer exklusiven Fokussierung auf bestimmte Adressat_innengruppen (und damit verbundenen Kategorisierungsprozessen) einher, wie z.B. einer geschlechterhomogenen Arbeit im Rahmen von feministischer Mädchenarbeit (Savier/Wildt 1978) oder antisexistischer Jungenarbeit (Sielert 1990). In den letzten Jahren haben sich zunehmend pädagogische Konzepte entwickelt, die verschiedene Differenzlinien und Diskriminierungsverhältnisse gemeinsam in den Blick nehmen, z.B. als antirassistische Mädchen- und Jungenarbeit (z.B. Rauw et al. 2001) oder körper- und inklusionsorientierte Jungenarbeit (z.B. Sickinger 2006). Inzwischen ist eine intersektionale Erweiterung von geschlechterbezogenen Ansätzen zu konstatieren (für die Mädchen_arbeit vgl. Busche et al. 2010). Im Kontext feministischer Mädchen_arbeit lassen sich aktuelle Veränderungen beobachten, die in Referenz auf dekonstruktivistische Theorien heteronormative bipolare Geschlechterkonstruktionen in prinzipieller Weise infrage stellen und vielfältige und herausfordernde Entwicklungen zu einer konsequenten Berücksichtigung von Trans* Personen bzw. die Schaffung von Trans*Räumen vorantreiben (vgl. Pohlkamp/ Rauw 2010, Pohlkamp 2010, Schmitz 2014). Darüber hinaus wurden explizit diversitätsbewusste Ansätze und Perspektiven für die Soziale Arbeit und Bildungsarbeit (vgl. Hormel/Scherr 2005, Leiprecht 2008, 2010) sowie Programmatiken entwickelt, die sich der Figur der Vielfalt bzw. der Diversität verschrieben haben. Mecheril und Plößer (2011) unterscheiden hier drei Hauptlinien von Diversity-Ansätzen: Diversity als Anti-Diskriminierungsansatz, Diversity als Anerkennungsansatz und Diversity als Ressourcenansatz. Auch in der sozialpädagogischen Praxis finden sich inzwischen vielfältige diversitätsbewusste Varianten, die diese Ansätze aufgreifen und das Zusammenwirken verschiedener Differenz- und Diskriminierungslinien in ihre Praxis einbeziehen.12 Trotz der Relevanz solcher Ansätze – gerade in der Jugendarbeit – kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass in der Sozialen Arbeit eine systematische Einbeziehung von sozialen Differenzen in die Konzept- und Theoriebildung stattgefunden hat (vgl. Lamp 2007). Differenz- oder diversitätsbewusste Ansätze werden als verbesonderte Spezial-Pädagogiken behandelt und nicht als Querschnittsaufgabe (vgl. Leiprecht 2008). So ist der Blick auf soziale Differenzen und damit verbundene Ungleichheits- und Diskriminierungsverhältnisse auch in der Praxis der Jugendarbeit eher zufällig oder problemzentriert. Des

12 Vgl. dazu die Untersuchungen sozialpädagogischer Praxis und Projekte mit DiversityBezug durch Studierende zweier von Barbara Stauber und Christine Riegel geleiteten Seminare im Sommersemester 2009 und 2010 an der Universität Tübingen: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/portal/stud_Forschungsarbeiten/?la=de, 17.10.2015.

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Weiteren bleiben die sozialpädagogischer Logik immanenten Ordnungs- und Differenzierungsmechanismen hinsichtlich ihrer potenziell exkludierenden oder normalisierenden Folgen sowie die Verstrickungen von sozialpädagogischer Jugendarbeit in vorherrschende gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsverhältnisse weitgehend unreflektiert (vgl. Plößer 2010, Riegel 2012c). So sind im sozialpädagogischen Alltag der Jugendarbeit ebenfalls Pauschalisierungen, homogenisierende Zuschreibungen und Rassismen zu konstatieren (vgl. Melter 2006, Riegel 2010a, Riegel 2012c),13 obwohl es durch die institutionelle Rahmung der Jugendarbeit, ihrer niedrigschwelligen und offenen Angebotsstruktur, der konzeptionellen Ausrichtung auf Prinzipien wie Freiwilligkeit, Partizipation, Parteilichkeit sowie durch die Relevanz von subjekt- und lebensweltbezogenen Ansätzen eher möglich ist, auf die jeweilige Bedeutung von sozialen Differenzund Diskriminierungsverhältnisse einzugehen. Vor dem Hintergrund der systemimmanenten Logik der Differenzierung und Kategorisierung, den damit verbundenen Herausforderungen und Paradoxien im Kontext von Hilfe und Kontrolle sowie der Durchdringung differenzbezogener Denk- und Deutungsmuster in gesellschaftlichen Fachdiskursen ist der pädagogische Umgang mit Ungleichheit und Differenz für Professionelle der Sozialen Arbeit herausfordernd. Hier zeigt sich, dass sowohl die institutionell als auch gesellschaftlich dominanten Gegensatzpaare von Normalität und Abweichung sowie die darin institutionell eingelassenen ein- und ausgrenzenden Wahrnehmungs- und Deutungsmuster für die Praxis der Jugendarbeit relevant sind. Dies kann zu rassialisierten, gegenderten und im Hinblick auf Körperpräsentationen oder Bildungsressourcen hegemonial normativen Zuschreibungen und Kategorisierungen führen, die mit ein- und ausgrenzenden Folgen verbunden sind. Claus Melter (2005) hat in diesem Zusammenhang den strukturellen und institutionellen Rassismus der Jugendhilfe herausgearbeitet. Angesichts der strukturellen Verankerung von anderen Diskriminierungs- und Unterdrückungsverhältnissen, wie z.B. Heteronormativität, Bodyismen und Klassismen in Institutionen der Jugend- und Bildungsarbeit, ist der Fokus auf strukturellen und institutionellen Rassismus intersektional zu erweitern und von verschiedenen Formen institutioneller Diskriminierung (vgl. Scherr 2009) auszugehen, die sich überlagern. So gestaltet sich sozialpädagogische Bildungs- und Jugendarbeit im Umgang mit sozialer Ungleichheit und Differenz ambivalent. Dem Anspruch Sozialer Arbeit, sich den Konsequenzen von sozialer Ungleichheit zu stellen und zu mehr sozialer Gerechtigkeit beizutragen (vgl. Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005, Thole

13 Auf solche Diskurse und Zuschreibungen wird in den empirischen Studien zu pädagogischen Praxen des Othering in Kapitel 6 ausführlich eingegangen.

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2005, Schrödter 2007, Otto/Ziegler/Scherr 2010), stehen gesellschaftlich dominante sowie systemimmanente institutionalisierte Mechanismen der Kategorisierung, Normalisierung und Grenzziehung entgegen. Das gesamte Feld ist diesbezüglich durch Paradoxien und Widersprüche gekennzeichnet, die sich im Kontext neoliberaler Verhältnisse und damit verbundener Individualisierung von Bildungs- und Integrationsanforderungen zuspitzen. Daraus resultieren ambivalente Voraussetzungen für das pädagogische Handeln. Es besteht die Gefahr, dass Professionelle aus einer hegemonialen Perspektive in sozialpädagogischen Fach- und Alltagsdiskursen sowie in Interaktionen mit Adressat_innen an der Herstellung und Bestätigung von vorherrschenden Normalitätsvorstellungen und Differenzordnungen mitwirken. Daran wird deutlich: Soziale Arbeit oder Jugendarbeit ist in gesellschaftliche Machtverhältnisse involviert und kann sich diesen nicht entziehen. Damit trägt sie potenziell zur Reproduktion und Absicherung von gesellschaftlichen Ungleichheits- und Dominanzverhältnissen bei (vgl. Lamp 2007, Plößer 2010, Riegel 2012c). 3.1.3 Fazit: Widersprüchliche Bildungsvoraussetzungen Die Bildungskontexte Schule und Jugendarbeit zeigen sich hinsichtlich ihrer strukturellen Voraussetzungen und des institutionellen Umgangs mit Differenz und Ungleichheit äußerst ambivalent. Trotz der durchaus unterschiedlichen institutionellen Rahmungen und Bildungsvorstellungen sowie der verschiedenen Möglichkeiten, auf die Adressat_innen und deren Lebenswelten einzugehen, sind in beiden Bildungskontexten vielfältige Mechanismen der Ein- und Ausgrenzung sowie der Normalisierung und des Othering enthalten, die den Ansprüchen auf Gleichbehandlung und sozialer Integration entgegenstehen. Sowohl in der Schule als auch in der Sozialen Arbeit wird Bildung als ein Motor für soziale Integration verstanden und Integration in die Gesellschaft als selbstverständlicher Teil und Aspekt der Sozialisationsinstanzen Schule und Jugendarbeit betrachtet. Dabei werden jedoch nicht immer die jeweiligen (normativen, herrschaftsförmigen) Implikationen hinreichend im jeweiligen disziplinären und fachlichen Diskurs oder hinsichtlich der pädagogischen Praktiken reflektiert. Im Kontext von Migration bzw. Migrationsgesellschaften wurden vorherrschende Integrationsdiskurse und deren immanente Logiken und Funktionen als Instrumente der Normalisierung und Disziplinierung sowie der Diskriminierung und Ausgrenzung, die auf der Konstruktion eines ›Innen‹ und eines ›Außen‹ der Gesellschaft basieren, vielfach kritisiert. In dieser Kritik wird u.a. auf die national-kulturelle Auslegung und die einseitige Konzentration auf Integrationsbemühungen von Eingewanderten unter Absehung von gesellschaftlichen Macht- und

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Ungleichheitsverhältnissen sowie strukturellem Rassismus, institutioneller Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung durch die Dominanzgesellschaft kritisch Bezug genommen (vgl. Ha 2007, Hess et al. 2009, Marvakis 2012). Aber auch jenseits der auf natio-ethno-kulturelle Aspekte gerichteten Integrationsdiskurse, die durchaus in den beiden Bildungskontexten Schule und Jugendarbeit präsent sind (vgl. Riegel 2012b), enthalten Integrationsvorstellungen mit Bezug auf die Integration von Heranwachsenden in die Gesellschaft normative und herrschaftsförmige Implikationen. Dabei wird die Vielfalt der Lebenslagen und Ausgrenzungserfahrungen der Heranwachsenden wenig berücksichtigt und Gesellschaft tendenziell als homogenes Gebilde angenommen und geradezu als mythische Norm gesetzt. So sind die Vorstellungen und Ansprüche an gesellschaftliche Integration – und dies betrifft beide Kontexte, Schule und Jugendarbeit – mit einund ausgrenzenden sowie unterwerfenden Normalitätsvorstellungen und Normierungen verbunden, die jeweils mit gender-, natio-ethno-kulturellen, soziokulturellen sowie körperbezogenen Vorstellungen verknüpft sind. Das Problem der Normalisierung und Normierung ist in der Sozialen Arbeit professionstheoretisch benannt als doppelter Auftrag bzw. doppeltes Mandat an professionelles Handeln der Unterstützung von Adressat_innen einerseits und der Umsetzung gesellschaftlicher Interessen und seiner widersprüchlichen Auftragslage und Anforderungen andererseits (s.u.); es bleibt aber hinsichtlich seiner hegemonialen Implikationen bzgl. der Interdependenz von asymmetrischen Geschlechter-, Klassen-, Ethnizitäts- und Körperverhältnissen disziplinär und in der fachlichen Diskussion im Kontext von Jugendhilfe weitgehend unberücksichtigt. So kann es unter Rückgriff auf vorherrschende Integrationsvorstellungen und damit verbundene einseitige Forderungen im pädagogischen Kontext, institutionell und professionell abgesichert, zu Ausgrenzung und Othering kommen. Integration als implizite Norm schulischer und außerschulischer Bildung ist hinsichtlich ihrer hegemonialen und normierenden Implikationen weitgehend unthematisiert und professionstheoretisch infrage zu stellen bzw. hinsichtlich damit zusammenhängender Annahmen und Zielsetzungen zu dekonstruieren. In beiden Bildungskontexten, der Schule und der Jugendarbeit, sind Mechanismen und Formen des Othering – der Subjektivierung, der machtvollen Unterwerfung, der Ausgrenzung und Normalisierung – bedeutsam. Trotz anderer Ansprüche sind diese pädagogischen Institutionen und Räume im hegemonialen Machtgefüge widersprüchlich verstrickt. Sie sind mit ihrer gesellschaftlichen und sozialstaatlichen Rahmung so organisiert und strukturiert, dass soziale Ungleichheitsverhältnisse und vorherrschende gesellschaftliche Ordnungen tendenziell aufrechterhalten und reproduziert werden. Dies verschärft sich durch die zunehmende Ökonomisierung, neoliberale Verwertungstendenzen und die be-

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triebswirtschaftliche Steuerung von sozialer Unterstützung und Bildung, aber auch durch die nach wie vor bestehende nationalstaatliche Rahmung von Bildungssystem und Wohlfahrtsstaat sowie der damit verbundenen Zentrierungen und Begrenzungen. Bildung ist also in mehrfacher Hinsicht von gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Macht- und Herrschaftsverhältnissen durchdrungen und trägt selbst zu Ein- und Ausschlüssen sowie zu Normalisierungen und Othering bei. So wirken in den Bildungskontext gesellschaftliche Verhältnisse der Dominanz und Unterwerfung unmittelbar hinein, sie werden aber auch im Bildungskontext mit hergestellt. Anne Broden und Paul Mecheril haben mit der Formulierung »Rassismus bildet« (2010) treffend die Verwobenheit von Bildung und Rassismus auf den Punkt gebracht. Die Normalität von rassistischen Ordnungen (ebd.: 12) dokumentiert sich darin, dass rassistische Unterscheidungen nicht nur in Bildungsinstitutionen und -situationen hineingetragen werden und dort wirksam sind, sondern dass diese auch in den Bildungsinstitutionen hergestellt, gefestigt und tradiert werden. Dieses Zusammenspiel zeigt sich auch für andere Dominanzverhältnissen und Differenzordnungen. Diese sind (z.T. in sich intersektional überlagernder Weise) in die Selbst- und Weltverständnisse von Pädagog_ innen und ihr Handeln eingelassen, materialisieren sich in didaktischen Mitteln, Bildern und Texten und werden somit auch zum ›Lerngegenstand‹. Dies ist folgenreich für intendierte und nicht-intendierte Lern- und Bildungsprozesse aller Beteiligten.

3.2 B ILDUNG UND PÄDAGOGISCHES H ANDELN ZWISCHEN R EPRODUKTION UND V ERÄNDERUNG – T HEORETISCHE Z UGÄNGE Angesichts der institutionellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Rahmungen zeigt sich Bildung hinsichtlich ihrer Ziele und Potenziale mit Ambivalenzen konfrontiert und in Widersprüche verstrickt. Diese widersprüchliche Verstrickung von Bildung in Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnisse wurde bereits in vielfacher Hinsicht thematisiert, v.a. in der kritischen Erziehungswissenschaft (hier v.a. in Anschluss an Heydorn), durch die Cultural Studies bzw. die Kritische Pädagogik (bspw. Giroux/Shannon 1997) sowie durch die Kritische Psychologie (bspw. Holzkamp 1993, Haug 2003). Hier sind bildungstheoretische Überlegungen eng mit gesellschaftstheoretischen Analysen und Herrschaftskritik verbunden bzw. kreisen um die Frage nach Funktionalität von Bildung für die Aufrechterhaltung oder auch Verände-

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rung von Herrschaftsverhältnissen. »Kritisch-marxistische Bildungstheorie thematisiert Bildungsprozesse«, so Andreas Merkens, »als reproduktiv eingebunden in die Aufrechterhaltung kapitalistischer Produktionsweise und damit in ihrer produktiven Funktion für die Legitimierung, aber auch die Anfechtung von Herrschaft.« (Merkens 2002a: 340) Diesbezüglich wird Bildung als widersprüchlicher Prozess gekennzeichnet. In der kritischen Erziehungswissenschaft wird beispielsweise der Widerspruch von Freiheit und Unterwerfung als innerer Widerspruch von Bildung beschrieben (vgl. Koneffke 2006). Heydorn analysierte in seinem Buch »Widerspruch von Bildung und Herrschaft« (1970) Bildung als widersprüchliche Einheit von Befreiung und Herrschaft, die sich historisch im Spannungsfeld von antizipierender Selbstentdeckung und gesellschaftlicher Destruktion anordnet. Perspektivisch verfolgte er die Idee der Ermöglichung einer Bildung, die zum Widerstand befähigt und sich kritisch und verändernd gegen hegemoniale Mächte und Ungleichheitsverhältnisse verhält – im Wissen, dass Bildung durch Herrschaft gekennzeichnet und strukturiert ist, aber doch auch die Möglichkeit und Perspektive der Veränderung enthält. Ohne die weitreichende Diskussion um ›Bildung in Widersprüchen‹ an dieser Stelle darstellen zu können, ist für den vorliegenden Forschungszusammenhang festzuhalten, dass sich Bildung immer in einem widersprüchlichen Spannungsfeld befindet: im Spannungsfeld von Herrschaftssicherung und Widerstand, von Reproduktion vorherrschender (institutioneller und sozialer) Ungleichheitsverhältnisse und der Veränderung dieser Verhältnisse, von ›Sich-Einrichten in den Verhältnissen‹ und Erweiterung der Handlungsfähigkeit sowie Partizipation und Teilhabe an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Bildung enthält also potenziell immer beides: ungleichheitsreproduzierende und emanzipative Momente, die nicht losgelöst voneinander zu betrachten sind. In Bildung sind »Prozesse der Selbstermächtigung und der Aneignung gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit angelegt und blockiert zugleich« (Merkens 2002b: o.S.). So sind pädagogisches Handeln und pädagogische Professionalität in herrschaftsförmige und durch Ungleichheit strukturierte Bildungsverhältnisse verstrickt und hinsichtlich der doppelten Funktionalität von Bildung mit Ambivalenzen verbunden. Dies gilt für den pädagogischen Umgang mit Differenz und Ungleichheit. Allerdings sind Akteur_innen im Bildungskontext diesen Verhältnissen nicht völlig ausgeliefert, sie sind in diese Verhältnisse involviert, stellen diese Verhältnisse auch immer wieder mit her und profitieren von diesen in unterschiedlicher Weise – selbst noch in dem Moment, indem sie diese kritisieren. Bildung findet also nicht nur in widersprüchlichen Verhältnissen statt, die Akteur_innen bzw. Subjekte von Bildung sind in widersprüchlicher Weise in Herrschafts- und Machtverhältnisse verstrickt.

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Vor diesem Hintergrund sind für die Untersuchung von Othering im Bildungskontext auch Prozesse der Reproduktion und Veränderung zu beleuchten und es gilt danach zu fragen, wie pädagogisch Professionelle in diesen widersprüchlichen Verhältnissen und Bildungsfunktionen agieren. Dazu ist zunächst theoretisch zu klären und dann empirisch zu rekonstruieren, inwiefern (d.h. wie und in welchen Kontexten bzw. in welchen Bedingungs-Bedeutungs-BegründungsZusammenhängen) durch pädagogische Praktiken zu Reproduktion und Herrschaftssicherung beigetragen wird – oder zu einer Veränderung bzw. Überschreitung der Verhältnisse. 3.2.1 Pädagogisches Handeln in widersprüchlichen Verhältnissen Wenn im Kontext der vorliegenden Studien von pädagogischen Praktiken und pädagogischem Handeln gesprochen wird, ist damit – ohne diese gleichzusetzen – von zweierlei Handlungsformen die Rede: zum einen von pädagogischem Handeln im engeren Sinne als intendiertes, zielgerichtetes, Bildungsinhalte oder Werte vermittelndes Handeln, u.a. auch mit dem Ziel, »Lernen zu ermöglichen« (Giesecke 2007), zum anderen von sozialen Praktiken und Handeln von Professionellen, die nicht unbedingt pädagogisch intendiert und aufgeladen sein müssen, jedoch durch ein (professionelles) Bildungs- oder Erziehungsverhältnis gerahmt sind, also im pädagogischen Kontext stattfinden und in diesem wirksam sind. Pädagogischem Handeln (im engeren Sinne, was auch als Erziehungs- oder Lehr-Handeln bezeichnet werden kann) ist die spezifische pädagogische Differenz von Vermitteln und Aneignen immanent, die zu einer gewissen Fragilität pädagogischer Prozesse bzw. Lehr-Lern-Zusammenhänge führt.14 In diesem Forschungskontext steht jedoch nicht der Zusammenhang von Vermitteln und Aneignen bzw. die Frage, ob und wie beabsichtigte Bildungsinhalte von den Adressat_innen aufgegriffen und angeeignet werden, im Fokus des Erkenntnisinteresses. Vielmehr geht es um (beabsichtigte oder nicht beabsichtige) Implikationen von pädagogischem Handeln und dessen Folgen, den Konsequenzen und Effekten für die Bildungsmöglichkeiten und -begrenzungen aller Beteiligten sowie für die Aufrechterhaltung oder Veränderung von hegemonialen Differenz- und Dominanzverhältnissen. Pädagogisches Handeln wird also auf darin implizierte Mechanismen der Normierung und Normalisierung sowie der Ein- und Ausgren-

14 Vermitteln und Aneignen können jedoch nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern sind zwei aufeinander bezogene Aspekte von Bildung (vgl. Rubinstein 1977 [1958]: 741).

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zung hin betrachtet. Es wird danach gefragt, in welcher Weise pädagogisches Handeln zur Reproduktion von vorherrschenden Praktiken und Verhältnissen oder zur Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten (von sich selbst und anderen, z.B. Adressat_innen) sowie einer Veränderung der Differenzordnungen und Dominanzverhältnisse beitragen kann. Vor dem Hintergrund, dass der Umgang mit sozialer Differenz und Ungleichheit bereits institutionell und gesellschaftlich widersprüchlich gerahmt ist (s.o.), kann davon ausgegangen werden, dass pädagogisches Handeln im Rahmen vorherrschender Bildungs- und Gesellschaftsverhältnisse mit zahlreichen Herausforderungen und Ambivalenzen verbunden ist. Der Umgang mit Differenz und Ungleichheit ist hinsichtlich der Komplexität gesellschaftlicher Unterdrückungs- und Machtverhältnisse sowie deren interdependenten Überlagerungen mit Herausforderungen verbunden. Diskriminierungs- und Zugehörigkeitsverhältnisse sind durch Unbestimmtheit und Uneindeutigkeit gekennzeichnet. Dies fordert pädagogisches Denken bzw. die Wahrnehmung und das Deuten von pädagogischen Handlungsnotwendigkeiten und -optionen sowie das konkrete Tun in und mit Bezug auf interdependente(n) Dominanz- und Ungleichheitsverhältnisse(n) heraus. Diesbezüglich steht pädagogisches Handeln der Herausforderung gegenüber, Uneindeutigkeiten auszuhalten sowie in widersprüchlichen Verhältnissen zu agieren. Komplexitätsreduktion, u.a. durch Vereindeutigungen, Kategorisierungen, Grenzziehungen und Othering, kann in diesem Zusammenhang eine naheliegende Umgangsform mit diversen und ungleichen Bildungsverhältnissen und Lebensvoraussetzungen von Adressat_innen oder mit pluriformen Zugehörigkeits- und Diskriminierungserfahrungen sein – mit den bereits aufgezeigten diskriminierenden, ausgrenzenden, abwertenden und/oder normierenden Konsequenzen. Paradoxien pädagogischen Handelns Allerdings ist pädagogisches Handeln im professionellen Kontext auch mit Paradoxien (Schütze 2000) konfrontiert, die aufgrund widersprüchlicher Handlungsanforderungen oder -orientierungen nicht aufgelöst werden können. Professionelles Handeln, so argumentieren u.a. Fritz Schütze (1992, 1996) am Beispiel der Sozialen Arbeit und Werner Helsper (1996) am Beispiel der Schule, ist notwendigerweise mit Antinomien, Widersprüchen und Paradoxien verbunden. Diese Handlungsparadoxien gehen über Face-to-Face-Interaktionen hinaus und beziehen sich auf gesellschaftlich eingebundene Konfliktlagen, institutionelle Zwänge, gesellschaftliche Anforderungen und Dominanzverhältnisse. Eine zentrale Paradoxie professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit ist schon in der Grundfigur Sozialer Arbeit, dem doppelten Mandat (vgl. Böhnisch/Lösch 1973),

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angelegt: dem Zwiespalt, sowohl dem Staat bzw. der Gesellschaft als den Nutzer_innen bzw. der Klientel verpflichtet zu sein, woraus die paradoxe Auftragslage professionellen Handelns zwischen Hilfe und Kontrolle resultiert. Wie bereits ausgeführt, spielt in das Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle die Frage des Umgangs mit Normalität und Abweichung hinein. Die jeweilige Bestimmung dessen, was als normal oder abweichend gilt und welche Maßnahmen daraus resultieren, erfolgt im Kontext asymmetrischer Machtbeziehungen zwischen Professionellen und Klient_innen sowie gesellschaftlicher Deutungsmacht (vgl. auch Mertens/Olk 1996). Sie ist mit Mechanismen der Differenzierung und Grenzziehung notwendigerweise verbunden und fördert Prozesse der Normalisierung und des Othering im Kontext sozialpädagogischer Hilfe und Unterstützung. Für den Umgang mit Heterogenität im Handlungsfeld Schule benennt Beate Wischer die Spannungsfelder von Selektion und Förderung sowie von Individualnorm versus Gruppennorm (vgl. Wischer o.J. u. 2008) – wobei sich diese Spannungsfelder v.a. auf die Leistungsheterogenität von Schüler_innen beziehen. Die Frage nach Differenz und Ungleichheit spielt somit in die Paradoxien professionellen Handelns in den Bildungskontexten von Schule und Jugendarbeit hinein. Ambivalenzen im Umgang mit Differenzen und Ungleichheiten Über diese pädagogischen Paradoxien hinaus ist jedoch der Umgang mit Differenz und Ungleichheit an sich schon mit Ambivalenzen und Widersprüchen verbunden. So ist die Frage der Verhältnisbestimmung von Differenz und Ungleichheit für pädagogisches und politisches Handeln in sozialen Ungleichheitsverhältnissen und im Bemühen, zu einem ›Mehr‹ an sozialer Gerechtigkeit beizutragen, äußerst widersprüchlich (vgl. Fraser 2003). Hier ergeben sich spezifische Ambivalenzen und Paradoxien, v.a. im Hinblick auf die Frage der Thematisierung bzw. De-Thematisierung von Differenz. Die Paradoxien im Umgang mit Differenz in hegemonialen Verhältnissen und Dominanzordnungen wurden bereits im Kontext migrationssensibler Pädagogik von Mecheril (2004) sowie von Maurer (2001) mit Bezug auf die Soziale Arbeit diskutiert. Wird dem Prinzip der Anerkennung von sozialen Differenzen gefolgt, wie beispielsweise in der geschlechterbezogenen oder interkulturellen Bildungsarbeit sowie in politischen Emanzipationsbewegungen, besteht eine wichtige Voraussetzung darin, dass sozial relevante Differenzkategorien benannt werden, sodass strukturelle Ungleichheits- und Machtverhältnisse und damit verbundene Diskriminierungen und Benachteiligungen gekennzeichnet und angeklagt werden können. Ferner liegt in der Benennung von Differenz ein emanzipatorisches Potenzial des Zusammenschlusses von ›Gleichen‹, mit den Möglichkeiten der

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Repräsentation, des Empowerments und der Selbstermächtigung. Allerdings – und damit wird die andere Seite der Anerkennung und Benennung von Differenz deutlich – werden damit Abgrenzungen nach außen sowie Homogenisierungstendenzen nach innen verstärkt. Die Frage ist hier, ob bereits die Anerkennung von Differenz notwendigerweise auf den Bezug gesellschaftlich schon vorhandener (aber auch herrschaftsförmiger) Konstruktionen und Grenzziehungen angewiesen ist. Mit der Thematisierung von Differenz ist die Gefahr der Homogenisierung und der Vereinheitlichung sozialer Gruppen verbunden, aber auch die Gefahr der Reproduktion von Grenzziehungen und damit verbundenen Differenzordnungen (zur Widersprüchlichkeit diesbezüglicher Identitätspolitik vgl. Butler 1991, Koppert 1997, Fraser 2002). Eine differenzbezogene Perspektive impliziert potenziell also die Gefahr der Essentialisierung oder Naturalisierung von binären Differenzordnungen und damit von (ethnisierenden, vergeschlechtlichten, milieu- und körperbezogenen usw.) Kategorisierungen, Zuschreibungen und Stigmatisierungen von Adressat_innen-Gruppen bzw. deren Hilfe- und Unterstützungsbedarf (vgl. Leiprecht 2008). Die Anerkennung von Differenz ist auf die (erneute) Festschreibung von Grenzen angewiesen und somit potenziell an der Konstruktion des Anderen beteiligt, indem durch die Benennung der Differenz diese gleichzeitig hervorgebracht wird. Dabei besteht die Gefahr, dass diejenigen fokussiert und salient gemacht werden, die von der hegemonialen Norm abweichend konstruiert werden und der vorherrschenden Differenzordnung unterworfen sind. Somit geht die Anrufung von Differenz nicht nur mit den Möglichkeiten der Emanzipation, sondern mit Gefahren des Othering einher. Denn die Anerkennung von Differenz ist mit einer weiteren Paradoxie verbunden: der Verflechtung von Anerkennung und Macht. Anerkennung kann nur das finden, was im Machtdiskurs als der Wertehegemonie entsprechend positiv (oder die Norm positiv erweiternd) definiert wird.15 Aber auch die Nicht-Thematisierung von Differenz ist nicht frei von Problemen und Widersprüchen. Mit einer solchen Perspektive besteht zum einen keine Möglichkeit, strukturelle Disparitäten und Asymmetrien sowie damit verbundene ungleiche Lebenslagen und Handlungsmöglichkeiten von Adressat_innen zu benennen und (politisch) zu problematisieren bzw. gleiche Rechte und Möglichkeiten im Sinne sozialer Gerechtigkeit einzufordern. Ohne den Bezug auf Differenz kann im pädagogischen Handeln nicht adäquat auf unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen und Lebenskontexte eingegangen werden. Somit besteht

15 Vgl. die sozialphilosophische Diskussion um Macht und Anerkennung bei Goffman (1980 [1963]) bzw. bei postkolonialen bzw. poststrukturalistischen Theoretiker_innen wie Fanon (1981), Bhabha (1993), Butler (1997).

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– gerade im Kontext Schule – die Gefahr, unter dem Vorzeichen von ›Gleichbehandlung‹ soziale Ungleichheit zu reproduzieren (s.o.). Damit einher kann eine Verharmlosung sozialer Ungleichheits- und Diskriminierungsverhältnisse gehen. Dies zeigt sich z.B. im pädagogischen Denken und Handeln in Form von personalisierenden Deutungsmustern schwieriger Lebenslagen von Adressat_innen, wenn diesen dabei die Verantwortung für soziale Integration oder Ausgrenzung übertragen wird oder sie in Diskriminierungserfahrungen verkannt und ignoriert werden. Dies wird von Claus Melter (2007) bezogen auf rassistische Verhältnisse als »Sekundärer Rassismus« bezeichnet. In diesem Zusammenhang entsteht ein Dilemma für pädagogisches, forschendes oder politisches Handeln, in dem es, poststrukturalistisch gesprochen, um den Konflikt zwischen der performativen Erzeugung von Differenz und der Besonderung dieser geht: Durch die Thematisierung und Fokussierung von Differenz wird diese erst hergestellt, dabei besteht die Gefahr der Festschreibung von Differenzkonstruktionen und der Reproduktion von dominanten binär organisierten Differenzordnungen. Damit besteht für differenzbezogene Ansätze die Gefahr, die Differenzen, die eigentlich infrage gestellt und überwunden werden sollen, in der Anrufung und durch die Benennung zu perpetuieren. Erziehungswissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung, so Jutta Hartmann (2009), muss sich »mit dem Paradox auseinandersetzen, dass Mädchen- und Jungenarbeit ebenso wie lesbisch- schwule Bildungsarbeit an Geschlechterdichotomie und heterosexuelle Normen ansetzt und damit zunächst aufruft, was sie irritieren will« (ebd.: 56). Wird jedoch nur auf den Konstruktionscharakter von Differenzen verwiesen und eine Bezugnahme auf damit verbundene Kategorisierungen verweigert, ist es kaum möglich, strukturell verankerte Ungleichheitsverhältnisse und ungleiche Bildungs- und Teilhabechancen aufzuzeigen und politische Bündnisse zu schließen. Die De-Thematisierung von Differenz hingegen führt zur Vernachlässigung ungleicher materieller und nicht nur konstruierter (Bildungs-)Voraussetzungen. In verschiedenen Ansätzen der Pädagogik und der Bildungsarbeit wird mit diesem Dilemma unterschiedlich umgegangen und Fragen von Differenz, Anerkennung und Macht werden unterschiedlich verhandelt. Die interkulturelle Pädagogik, die einem differenztheoretischen Paradigma folgt und für die Differenz den konstituierenden Ausgangspunkt darstellt, um Zusammenhänge von Migration und Bildung zu beschreiben, richtet traditionell ihren Fokus auf ›kulturelle Unterschiede‹ bzw. damit verbundene Differenzkonstruktionen. Die damit zusammenhängenden Gefahren (der Kulturalisierung bzw. eines reduktionistischen Kulturverständnisses, der Personalisierung und der Vernachlässigung von gesellschaftlichen, politischen, rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen sowie

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die Gefahr der binären Einteilung in ›das Eigene‹ und ›das Fremde‹, wobei der Fokus einseitig auf Migrationsandere gerichtet wird) wurden schon vielfach kritisiert. Rassismuskritische Bildung (Scharathow/Leiprecht 2009; Mecheril/Melter 2009) hingegen richtet ihren Blick auf die gesellschaftlichen Macht- und Unterdrückungsverhältnisse, zuvorderst auf Rassismus und rassistische Strukturen. Das kritische und verändernde Potenzial liegt in Dekonstruktion von Differenz(-konstruktionen) und der Offenlegung der dahinter liegenden Dominanz- und Herrschaftsstrukturen sowie deren materiellen und symbolischen Folgen. Nancy Fraser (2002, 2003) versucht die Dimensionen von Ansprüchen auf Gleichheit sowie der Anerkennung von Differenz zusammenzubringen, indem sie materielle Voraussetzungen grundsätzlich einbezieht und diese ins Verhältnis zu Fragen von Gerechtigkeit stellt. Sie schlägt eine »zweidimensionale Konzeption von Gerechtigkeit vor, die nicht nur Anerkennung, sondern auch die Verteilungsproblematik umfasst« (Fraser 2002: 11). Um der Gefahr der Verdinglichung und Ontologisierung von Differenz vorzubeugen, verweist sie auf eine Politik der Anerkennung, die nicht zu einer Identitätspolitik führt, und verbindet diese mit einer auf der strukturellen Ebene und bzgl. der ungleichen Verteilung an sozialen Ressourcen ansetzenden Kritik sowie der Forderung nach sozialer Umverteilung und Teilhabe. Deutlich wird hierbei: Die aufgezeigten Paradoxien im Umgang mit Differenz und Ungleichheit und das Dilemma zwischen Thematisierung und DeThematisierung sind strukturell verankert und durch individuelles Agieren und pädagogisches Handeln allein nicht aufzulösen. Sie stellen jedoch eine ständige Herausforderung für professionelles Handeln dar. Zur doppelten Möglichkeit pädagogischen Handelns: zwischen Reproduktion und Veränderung Angesichts der Dominanz und Wirkmacht hegemonialer Differenzordnungen, Normalisierungs- und Segmentierungsprozessen im Bildungskontext kann es für pädagogisch Professionelle naheliegend sein, in ihrem Denken und Handeln den alltäglichen Handlungsroutinen und -abläufen sowie den hegemonialen und z.T. institutionalisierten Deutungsmustern, Vorgaben und Regelungen mit ihren immanenten Kategorisierungs-, Normalisierungs-und Hierarchisierungslogiken zu folgen. Damit wird in und durch pädagogisches Handeln zur Festigung von vorherrschenden Ungleichheitsverhältnissen sowie zu Diskriminierung und Ausgrenzung beigetragen, auch wenn dies nicht unbedingt durch die Akteur_innen beabsichtigt ist oder sogar entgegengesetzte Intentionen verfolgt werden (vgl. dazu Weiß 2001, Scherschel 2006). Ebenso ist pädagogisches Handeln selbst in

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verschiedene asymmetrische Macht- und Dominanzverhältnisse eingebunden: Dies betrifft zum einen die pädagogische Beziehung zwischen Pädagog_innen und Jugendlichen, für die eine Machtasymmetrie sowie die Deutungshoheit der Pädagog_innen charakteristisch ist, was diesen erleichtert, ihre Sichtweise und Konstruktion von Wissen durchzusetzen. Zum anderen werden im pädagogischen Handeln explizit oder implizit bestimmte dominante Wert- und Normvorstellungen, Normierungen und Integrationsanforderungen sowie vorherrschende Deutungsmuster vermittelt, was u.a. als ›heimlicher Lehrplan‹ bezeichnet wird. Diese unterschwelligen Botschaften oder expliziten Anforderungen an die Adressat_innen von Bildung in einem hierarchischen Bildungssetting können durchaus gegensätzlich zu den beabsichtigten Bildungszielen sein und selbst in differenzsensiblen und diskriminierungskritischen Projekten zu Ausgrenzungen und Otheringprozessen führen. So sind Bildungskontexte, die sich als kritisch verstehen und sich explizit mit Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnissen auseinandersetzen bzw. sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, wie z.B. rassismuskritische oder feministische Bildungsarbeit mit Jugendlichen oder Trainings für Pädagog_innen (vgl. Elverich et al. 2009, Foitzik/Pohl 2009, Messerschmidt 2009), ebenso in Herrschaftsverhältnisse und Widersprüche involviert. Bildung (oder Bildungsveranstaltungen), die sich explizit gegen Ausgrenzung oder Herrschaftsmechanismen wie Rassismus oder Sexismus positionieren, sind ebenso wenig frei von Othering. Die Gefahr des Othering im pädagogischen Kontext und für pädagogisches Handeln besteht, solange deren Wirkmächtigkeit und die jeweiligen (unterschiedlichen) Verstrickungen in Machtverhältnisse unreflektiert und unthematisiert bleiben. Diese sind in ihrer intersektionalen Komplexität und Widersprüchlichkeit zu betrachten. Angesichts der Involviertheit pädagogischen Handelns und der beschriebenen Gefahren der Reproduktion hegemonialer Ordnungen und Prozessen der Ein- und Ausgrenzung sind pädagogisch Professionelle nicht nur ›Träger_innen‹ von Ideologien oder Vollstrecker_innen des Bildungs- und Hilfesystems16, sondern handelnde Subjekte, die sich potenziell bewusst und subjektiv begründet mit den gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnissen sowie den institutionellen Voraussetzungen und nahegelegten Denk- und Handlungsschemata auseinandersetzen können (und müssen). Damit ist gemeint, dass sie sich sowohl ›angepasst‹ und ›die Verhältnisse reproduzierend‹ oder ›widerständig‹ und ›verändernd‹

16 Dies wird beispielsweise in den Schriften von Bourdieu und Passeron (1973) sowie in Bourdieus Habitustheorie nahegelegt. Auf diesen – die Verhältnisse reproduzierenden Aspekt – konzentriert sich v.a. die Forschung zu institutioneller Diskriminierung im Bildungskontext.

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gegenüber vorherrschenden Denk-, Ordnungs- und Handlungsweisen im Bildungs- und Hilfekontext verhalten können. An dieser Stelle ist theoretisch zum einen auf das von Klaus Holzkamp herausgearbeitete spezifisch menschliche Verhältnis der ›doppelten Möglichkeit‹ des Handelns (Holzkamp 1983a) zu verweisen, die es Menschen prinzipiell ermöglicht, nicht nur entsprechend den gesellschaftlichen Erwartungen zu handeln und dabei vorherrschende Verhältnisse zu bestätigen und fortzuführen, sondern diese auch infrage zu stellen und darauf hinzuwirken, die beschränkenden Handlungsbedingungen für sich und andere zu erweitern. Holzkamp unterscheidet dabei zwischen ›restriktiver und verallgemeinerter Handlungsfähigkeit‹ (ebd.: 490ff.). Zum anderen ist Judith Butlers Konzept der Subjektivierung/ Subjektivation (Butler 2001) von Interesse. Butler beschreibt das Verhältnis von Subjekt und Macht insofern als ambivalent, als dass sich Subjekte den hegemonialen Verhältnissen unterwerfen, gleichzeitig jedoch dieser Macht eine Handlungsfähigkeit verdanken, um sich gegen diese machtvollen Verhältnisse zu wenden. Sie spricht von ermächtigenden Subjekten und einer kritischen Handlungsfähigkeit des postsouveränen Subjekts, das die Verhältnisse kritisch variiert, die es hervorbringt und von denen es hervorgebracht wird. Darin liegen performative Potenziale – z.B. der Verschiebung oder Resignifizierung von Bedeutungen und sprachlichen Codes – für Kritik, Widerstand und Veränderung (vgl. Butler 1991, 2006). Pädagogische Subjekte können in und durch pädagogische(n) Praxen und Diskurse(n) sowohl zur Bestätigung und Reproduktion von Ungleichheitsverhältnissen beitragen als auch gegenüber der vorherrschenden Ordnung widerständig und verändernd agieren. Theoretisch sind dies gegensätzliche Formen: Reproduktion versus Veränderung der Verhältnisse, empirisch kann beides gleichzeitig und nebeneinander auftreten. Pädagogisches Handeln befindet sich also hinsichtlich der herrschaftsförmigen Verhältnisse in einem Spannungsverhältnis und oszilliert zwischen den Polen von restriktiver und verallgemeinerter Handlungsfähigkeit (Holzkamp 1983a). Es ist somit in dieser potenziellen Gleichzeitigkeit von Reproduktion und Emanzipation bzw. Veränderung zu betrachten. Gegenüber den herrschenden Verhältnissen widerständiges und veränderndes Handeln im pädagogischen Kontext kann bedeuten, als Professionelle in der Wahrnehmung und Deutung, in Diskursen und Interaktionen (selbst)kritisch gegenüber vorherrschenden ein- und ausgrenzenden Kategorisierungen, Grenzziehungen und Normalitätsvorstellungen zu handeln und in der pädagogischen Arbeit ein- und ausgrenzende Ordnungen, Diskurse und Praxen sowie Ungleichheitsverhältnisse aufzuzeigen, in ihrer Selbstverständlichkeit zu hinterfragen und

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mit den Adressat_innen gemeinsam Möglichkeiten der Veränderung zu suchen. Dies kann sowohl im Rahmen von expliziten Projekten zu den Themen Vielfalt, Ausgrenzung, Diskriminierung erfolgen oder integrativer Bestandteil der alltäglichen pädagogischen Arbeit in der Schule oder Jugendarbeit sein. Pädagogisches Handeln mit Blick auf eine Veränderung der sozialen und gesellschaftlichen Ungleichheits- und Machtverhältnisse impliziert potenziell aber immer politisches Handeln. Veränderung kann sich ebenso auf das eigene (pädagogische) Denken und Handeln als Professionelle, die eigenen Handlungsroutinen sowie die gewohnten und institutionalisierten Denk- und Handlungsmuster beziehen. Hier besteht potenziell nicht nur die Möglichkeit, sich bewusst und reflexiv zu den eigenen Handlungsvoraussetzungen zu verhalten, sondern die eigenen Denk- und Handlungsweisen kritisch auf ein- und ausgrenzende Elemente sowie der weiteren Reproduktion und Festigung bestehender Verhältnisse und Differenzordnungen zu hinterfragen – mit der Perspektive auf deren Veränderung. Dieser Prozess kann zu einer Transformation der eigenen Orientierungs- und Handlungsmuster führen. Diesbezüglich sind pädagogisch Professionelle selbst Subjekte des Lernens bzw. von Bildung (u.a. im Umgang mit vorherrschenden Kategorisierungen, Grenzziehungen, Normalitätsvorstellungen sowie mit Dominanzverhältnissen und Privilegien) mit der Perspektive und Möglichkeit einer Veränderung der eigenen Praxis und der Erweiterung der eigenen Handlungsmöglichkeiten. In Bezug auf den Umgang mit den Gefahren des Othering ist also das Moment der Veränderung in zweierlei Hinsicht relevant: erstens als gegenüber vorherrschenden Verhältnissen widerständiges und veränderndes Handeln und zweitens als Veränderung bzw. Transformation der eigenen etablierten, ein- und ausgrenzenden Denk- und Handlungsmuster. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden Bildungs- und Lerntheorien diskutiert, mit denen Bildungs- und Lernprozesse von pädagogisch Professionellen betrachtet und analysiert werden können. 3.2.2 Transformationsprozesse von Pädagog_innen – Bildungs- und lerntheoretische Zugänge Wie sind diese Möglichkeiten der Veränderungen im Denken und Handeln von Pädagog_innen nun theoretisch zu fundieren bzw. welche bildungs- und lerntheoretischen Bezüge sind für eine empirische Exploration von Bedeutung? Hierfür können Bildungstheorien, die Bildung als Transformation des Selbstund Weltverhältnisses (u.a. Koller 2007, 2012, Nohl 2006, Marotzki 1999) verstehen, fruchtbar gemacht werden, ebenso wie subjektwissenschaftliche Lern-

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theorien im Kontext der Kritischen Psychologie, die Lernen als subjektiv begründete Tätigkeit in widersprüchlichen sozialen Verhältnissen begreifen (1977 [1958]), Holzkamp 1993, Held 1994, Haug 2003, Dreier 2008). Diese Ansätze werden im Folgenden daraufhin diskutiert, inwiefern sie als Beitrag zur Analyse von Reflexions-, Lern- oder Bildungsprozessen von pädagogisch Professionellen bedeutsam sind. Erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Bildung als Transformation des Welt-Selbst-Verhältnisses Zunächst ist festzuhalten, dass unter Bildung als Selbst-Bildung eines Menschen – mit Rekurs auf die Bildungstheorie Wilhelm von Humboldts – der »Prozess und das Ergebnis einer Veränderung verstanden [wird], die sowohl das Selbst als auch das Sozial- und Weltverhältnis des Menschen betrifft« (Göhlich/Zirfas 2007: 15). Das Humboldt'sche Bildungsverständnis bezieht sich auf die Bildung der gesamten Person, als Wechselwirkung zwischen dem Ich und der Welt, in der sich das Subjekt entwickelt und bildet. Damit ist dem Verständnis von Bildung das Moment der Veränderung, der Transformation immanent. Dieser Aspekt der Transformation wird von aktuellen Bildungstheorien17 hervorgehoben, die das Prozessuale von Bildung in den Mittelpunkt stellen und Bildungsphilosophie mit qualitativer Bildungsforschung verbinden.18 Bildung wird hier als ein längerfristiger, die ganze Person umfassender Prozess verstanden, als eine Erfahrung, aus der der Mensch in seinem Denken und Handeln verändert hervorgeht. Koller/Marotzki/Sanders (2007) beschreiben u.a. in Bezug auf die Arbeiten von Rainer Kokemohr Bildung »als Transformationsprozess, in dem das Welt- und Selbstverständnis eines Menschen durch die Konfrontation mit neuartigen Problemlagen eine weitreichende Veränderung erfährt« (ebd.: 7). Daran anschließend formuliert Hans-Christoph Koller in seiner Theorie transformatorischer Bildungsprozesse »Bildungsprozesse als Transformationen der Grundfiguren des Welt- und Selbstverständnisses« (Koller 2007: 7). Koller betont dabei das für Bildung notwendige Moment der Krise bzw. der krisenhaften Erfahrung (Oevermann), durch die Bildungsprozesse erst herausgefordert werden. Zu einer Transformation im Sinne von Bildung kann es nur dann kommen –

17 Hier sind exemplarisch die bildungstheoretischen Auseinandersetzungen von Rainer Kokemohr, Hans-Christoph Koller, Winfried Marotzki und Arndt-Michael Nohl zu nennen. 18 Dies hat u.a. zur Folge, dass Bildungsprozesse biographisch betrachtet und im Rahmen qualitativer Forschung rekonstruiert werden (vgl. u.a. Marotzki 2006, Nohl 2006).

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und hier bezieht sich Koller auf Kokemohr –, wenn die Passung zwischen Selbst- und Weltbezug nicht mehr stimmig ist und es so zu Passungsproblemen kommt – beispielsweise bei einem Wechsel des Lebensumfelds, durch Umzug oder Migration, bei Übergängen in Lebensphasen oder Fremdheitserfahrungen.19 Zu Bildung kommt es durch die Entwicklung von Neuem, einer neuen, bisher nicht realisierten Fallstruktur, deren Verwirklichung die gesamte Person verändert. Dies untersucht Koller diskurstheoretisch und greift dabei auf Lyotards Konzept des Widerstreits zurück (vgl. Koller 2003). Dabei wird Bildung nicht kontextlos betrachtet. Er hebt, u.a. mit Bezug auf Bourdieu, die Seite der gesellschaftlichen Vermitteltheit von Bildung hervor: Bildung ist sowohl durch soziostrukturelle Verhältnisse präfiguriert als auch durch symbolische und sprachliche Repräsentationen und Diskurse – was für die Bildungsforschung zur Folge haben muss, Bildung genau in diesem Kontext zu verorten und zu analysieren (vgl. Koller 2009, 2012). Damit geht er über Humboldts Verständnis des Selbst-WeltBezugs hinaus, indem er nicht nur auf den Aspekt der Selbstbildung verweist, sondern auf die Möglichkeit, die Welt (mit) zu gestalten – was u.a. für die vorliegende Untersuchung von Bildungsprozessen von pädagogisch Professionellen in widersprüchlichen gesellschaftlichen und institutionellen Ungleichheits- und Machtverhältnissen bedeutsam ist. Winfried Marotzki hebt in seiner strukturalen Bildungstheorie v.a. das reflexive Moment von Bildung hervor. Er bezeichnet Bildung als »reflexiven Modus des menschlichen In-der-Welt-Seins« (Marotzki 2006: 61). Damit verweist er auf den Sachverhalt, dass der Mensch sich die Welt zu eigen machen kann und sich bewusst zu sich selbst und zu der Welt in Beziehung setzen bzw. sich dazu reflexiv verhalten kann. Dabei positioniert er Reflexion als Voraussetzung von Transformations- und Bildungsprozessen. Der reflexive und flexible Umgang mit Wissensbeständen, Handlungsvoraussetzungen, (Lebens-)Erfahrungen und die Reflexion von Grenzen und Differenzen stellen hier notwendige Aspekte von Bildung dar (vgl. Jörissen/Marotzki 2009: 31ff.). Mit modernisierungstheoretischem Bezug auf Anthony Giddens betonen Jörissen und Marotzki (2009) die Diskontinuität als ein Kennzeichen der Moderne, sodass die Beziehung zu sich selbst und zur Welt immer nur vorläufig sein kann und immer wieder neu bestimmt werden muss. Deshalb kann (und muss) der Welt-Selbst-Bezug bzw. der eigene Standpunkt im Verhältnis zur Weltsicht immer wieder durch eine reflexive Beziehung hergestellt werden.

19 Als fremd wird hier die Wahrnehmung von etwas bezeichnet, das nicht mehr in die bekannte Struktur einzuordnen ist.

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»Indem sich der Mensch zur Welt grundsätzlich anders verhalten und die Prinzipien der eigenen Verhaltensmuster durchschauen kann, kann er sich auch zu sich selbst anders verhalten, d.h.: Indem der Mensch sich die Welt auf andere Weise zugänglich macht, findet er auch einen anderen Zugang zu sich selbst. Welt- und Selbstbezug bilden in diesem Sinne die Grundlogik von Bildungsprozessen.« (Ebd.: 24)

Den Autoren zufolge bedeutet Bildung in modernen Gesellschaften nicht länger ein Überführen von Unbestimmtheit in Bestimmtheit, vielmehr stellt ein bedeutsames Strukturmerkmal von Bildung die Pluralisierung von Orientierungsschemata dar, die den flexiblen und reflektierten Umgang mit Erlerntem ermöglichen. »Bildung lebt vom Spiel mit den Unbestimmtheiten. Sie eröffnet den Zugang zu Heterodoxien, Vieldeutigkeiten und Polymorphien.« (Ebd.: 21) Dies bedeutet für Bildungsprozesse in widersprüchlichen und paradoxen Verhältnissen – wie dies für die Bildungskontexte Schule und Jugendarbeit sowie pädagogisches Handeln in widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhältnissen aufgezeigt wurde –, dass die Herausforderung mit Widersprüchen und Ambivalenzen umzugehen kein Hindernis, sondern ein qualitativer Bestandteil von Bildung ist.20 Arnd-Michael Nohl (2006) betont in seinen Arbeiten das Spontane und die nicht-reflexive Dimension von Bildungsprozessen. Er bezieht sich in seiner pragmatisch-wissenssoziologischen Auseinandersetzung mit Bildung auf John Dewey und bezieht die dem Bildungsprozess immanente Entwicklung von Neuem auf die Veränderung von Lebens- und Handlungsorientierungen durch Handeln. Bildung, so Nohl, entsteht dann, wenn gewohnheitsmäßiges Handeln ins Stocken gerät, es zu spontanem Handeln kommt, durch das dann Bildungsprozesse angestoßen werden. »Aus spontanem Handeln kann Bildung werden. In der Spontaneität des Handelns bricht das Neue in das Leben ein, schafft sich seinen Raum, wird von anderen respektiert und von den Betroffenen reflektiert. So kommt ein Bildungsprozess in Gang, der nachhaltige und tiefgreifende Veränderungen der Lebensorientierungen von Menschen zeitigt.« (Nohl 2009: 179)

Damit entwickelt Nohl ein Bildungsverständnis, das sich explizit nicht an geplanter (oder gar pädagogisch inszenierter) Bildung orientiert. Er rekonstruiert anhand narrativer Interviews, wie aus spontanem Handeln ungeplant und weit-

20 Damit ist jedoch nicht gemeint, dass gesellschaftliche Widersprüche und diese, die mit hierarchischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen einhergehen, durch Bildung (auf)gelöst werden könnten.

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gehend unkontrolliert Bildung werden kann. Hinsichtlich des Zusammenhangs von Bildung und Reflexion (von Lebens- und Handlungsorientierungen) charakterisiert er Reflexion dabei v.a. als nachgeordneten Prozess: Erst die dem Bildungsprozess immanenten Transformationsprozesse führen zur Möglichkeit der Reflexion des eigenen Handelns. »Mit jenen Theorien, die Bildung alleine auf Reflexion gründen und Spontaneität allenfalls als ›Störfeuer‹ bzw. Residualkategorie begreifen, lässt sich die Bildsamkeit spontanen Handelns kaum theoretisch reflektieren. Vielmehr sollte eine solche Theorie der Spontaneität eine konstitutive Bedeutung für das Handeln einräumen und gleichzeitig die hohe Relevanz von Reflexion für Bildungsprozesse nicht verleugnen.« (Nohl 2006: 104)

Mit der Betonung des engen Zusammenhangs von Handlung, Reflexion und Bildung wird auf verschiedene Dimensionen möglicher Bildungsprozesse von Pädagog_innen im Kontext ihres professionellen Handelns verwiesen: Sowohl im pädagogischen Tun als auch im reflexiven Rückbezug auf das eigene pädagogische Handeln kann es zu Reflexion und Bildung kommen. Bildung wird in den hier dargestellten Ansätzen als Transformationen der Gesamtheit der Selbst- und Weltverhältnisse betrachtet, wenn sie sich z.T. hinsichtlich der Frage, wie es jeweils zu Bildung kommt bzw. was Anstöße für Bildungsprozesse sein können, unterscheiden. Diese Ansätze grenzen sich damit deutlich von einem kanonisierten Bildungsverständnis ab, das Bildung auf die Aneignung von Faktenwissen oder auf schulische oder formalisierte Bildung reduziert. Sie beziehen sich stattdessen explizit auf informelle, lebensweltlich verortete und nicht geplante Bildungsprozesse als Transformationsprozesse des Selbst-Welt-Verhältnisses. Bildung ist dabei – wie die Autoren in unterschiedlicher Weise aufzeigen – eng mit darin liegenden Krisen und Widersprüchen verbunden, denn diese sind häufig gerade der Anlass von Bildung. Die skizzierten Bildungstheorien können hinsichtlich dieser Verbindung von Bildung und spontanem Handeln und hinsichtlich des komplexer zu denkenden Verhältnisses von Bildung und Reflexivität für die Analyse von Bildungsprozessen von Pädagog_innen fruchtbar gemacht werden. Wie stehen nun diese Bildungsansätze zum Begriff des Lernens? Kennzeichnend für diese Bildungsansätze ist u.a., dass Bildung deutlich vom Begriff des Lernens unterschieden wird. Diese Abgrenzung findet sich insbesondere bei Kokemohr (1992), Marotzki (1990) bzw. Jörissen/Marotzki (2009). Lernen wird allenfalls als Teilaspekt oder einzelne Teilhandlung von Bildung betrachtet, als bloße Informationsverarbeitung im Kontext eines gleichbleibenden kognitiven Referenzrahmens. Bildung stellt im Gegensatz zu Lernen nicht nur eine Verän-

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derung innerhalb einer Orientierung dar, sondern ist die Transformation dieser Orientierung – mit einer neuen Qualität (vgl. Marotzki 1990: 32ff.). Allerdings, so ist hier anzumerken, wird dabei (v.a. bei Jörissen/Marotzki 2009) von einem reduktionistischen Lernverständnis im Sinne eines Reiz-Reaktions-Modells ausgegangen. Ein Lernverständnis, das diese reduzierte Form überschreitet und Lernen nicht auf der Basis eines Reiz-Reaktions-Schemas oder als bloße Anpassung fasst, sondern als tätige, subjektiv begründete Lernhandlung, die zu einer neuen Qualität des Weltaufschlusses und der Weltverfügung führt, liefern beispielsweise subjektwissenschaftliche Lerntheorien, wie sie im Folgenden dargestellt werden. Diese beziehen sich auf ganz ähnliche Phänomene und Prozesse wie die, die in den bereits dargestellten erziehungswissenschaftlichen Ansätzen als Bildung bezeichnet werden.21 Darüber hinaus sind sie aufgrund ihrer sozialen und gesellschaftlichen Kontextualisierung sowie der Beleuchtung des Zusammenhangs von Lehren und Lernen durchaus anschlussfähig an Bildungstheorien (vgl. Faulstich/Faulstich-Wieland 2008: 15). Sie erweisen sich insbesondere hinsichtlich der bereits angesprochenen Widersprüchlichkeit von Bildung im Kontext von Herrschaftsverhältnissen als fruchtbar, weil sie diese Widersprüchlichkeit explizit in ihre theoretische Entwicklung von Lernen und Analyse von Lernverhältnissen aufnehmen. Subjektwissenschaftliche Ansätze zu Lernen und Lehren Die im Folgenden dargestellten subjektwissenschaftlichen Lerntheorien sind der Kritischen Psychologie bzw. der sowjetischen Tätigkeitstheorie zuzuordnen. Lernen wird dabei als tätige und subjektiv begründete Lernhandlung verstanden, die in Auseinandersetzung mit der sozialen und materiellen Welt, den gesellschaftlichen Bedeutungen und Bedingungen, zu einer neuen Qualität des Welt-

21 Deren begrifflicher Bezug auf Lernen anstatt auf Bildung ist möglicherweise auf deren (kritischen) Bezug auf die Psychologie zurückzuführen, in der die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Lernens traditionellerweise stattfindet, wohingegen sich die vorhergehenden Ansätze im erziehungswissenschaftlichen Diskurs verorten, der sich deutlich stärker auf Phänomene der Bildung und Erziehung konzentriert. Lange Zeit kam in der Erziehungswissenschaft der Beschäftigung mit Lerntheorien eher eine randständige Bedeutung zu, wobei sich dies in den letzten Jahren verändert hat (vgl. Göhlich/Zirfas 2007, Meyer-Drawe 2008). Außerdem findet der Lernbegriff in erziehungswissenschaftlichen Subdisziplinen, u.a. der Erwachsenenbildung, der Interkulturellen Bildung oder der Schulpädagogik vielfältige Beachtung und Verwendung.

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aufschlusses und der Weltverfügung führt. Dabei sind für eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Lernens u.a. die Arbeiten von Ute Holzkamp-Osterkamp (1976), Klaus Holzkamp (1993), Josef Held (1994), Frigga Haug (2003), Ole Dreier (2003) u.a. zu nennen. Für die Konzeptionalisierung von Lernen spielt hier, ähnlich wie bei den vorher dargestellten Bildungskonzepten, das Moment der Krise oder des Entwicklungswiderspruchs eine zentrale Rolle, wodurch Lernen und Entwicklung angestoßen werden können.22 Lernen wird als Konfliktverarbeitung betrachtet, als Verlassen einer gewohnten und als sicher aufgefassten (Denk-)Position und der damit verbundenen Handlungsfähigkeit. Somit bedeutet Lernen zunächst Verunsicherung, um auf einer höheren Stufe neue, erweiterte Handlungsfähigkeit zu erwerben. Klaus Holzkamp (1993) hat in Anschluss an die Tätigkeits- und Handlungstheorien der Sowjetischen Schule (Leontjew, Vygotski) eine Theorie des Lernens aus subjektwissenschaftlicher Perspektive erarbeitet. Das Spezifische dieses Ansatzes ist, dass das Lernen vom Standpunkt des Lernsubjekts aus betrachtet und konzeptionell entwickelt wird. Lernen wird dabei als subjektiv begründete Aneignungsaktivität unter historisch bestimmten gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen begriffen. Durch Lernen entwickelt sich der Mensch in die gesellschaftlichen Zusammenhänge hinein. In diesem Sinne bezeichnet Klaus Holzkamp Lernen als Lebensbedürfnis: »Lernen ist […] allgemein gesehen der wesentliche Motor menschlicher Entwicklung und Lebensentfaltung. So scheint es evident, daß das Lernen, da Schlüssel zur subjektiven Lebensqualität, auch genuines Interesse der Individuen sein müsste.« (Holzkamp 1987: 5)

Ausgangspunkt von Lernprozessen ist nach Holzkamp eine subjektive Handlungsproblematik. Diese ist dann gegeben, wenn Individuen mit ihren mehr oder weniger selbstverständlichen Deutungen und Handlungen auf Grenzen, Diskre-

22 In konstruktivistischen bzw. kognitiven Lerntheorien, beispielsweise in der Lern- und Entwicklungstheorie Jean Piagets (u.a. 1974) oder der dialektischen Entwicklungstheorie Klaus Riegels (1979), wird ebenso von der Notwendigkeit einer Divergenzerfahrung zwischen alten Denkstrukturen und dem sozialen Feld bzw. von einem Entwicklungswiderspruch bzw. Moment der Krise für Entwicklung im Allgemeinen und für die Anregung von Lernen im Besonderen ausgegangen. Solche Divergenz- oder Widerspruchserfahrungen, in denen Handlungsprobleme deutlich werden, sind dann entwicklungsfördernd, wenn dadurch ein Lernprozess angeregt wird und sich neue Denkstrukturen herausbilden.

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panzen und Widerstände stoßen bzw. die Verfügung über gesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten als eingeschränkt erleben. Lernen ist, mit der Perspektive, diese Beschränkungen zu überwinden, »aus dem emotional-motivational fundierten Interesse an Weltverfügung/Lebensqualität begründet« (Holzkamp 1994: 10). Eine Handlungsproblematik wird dann zur Lernproblematik, wenn die Bewältigung dieser Einschränkung der subjektiven Handlungsfähigkeit im weiteren Handlungsvollzug nicht möglich ist, sondern bisher bewährte Handlungsoder Deutungsmuster bewusst unterbrochen und hinterfragt werden müssen, um zu deren Klärung eine eigenständige Aktivität – als intendierte Lernhandlung – vorzunehmen. Diese Ausgliederung aus dem Handlungsvollzug bezeichnet Holzkamp als Lernschleife, die eine bestimmte Haltung (der Distanzierung, Dezentrierung) gegenüber dem Lerngegenstand und dem seitherigen Umgang damit impliziert (Holzkamp 1993: 184). Holzkamp zufolge kommt es in der aktiven Auseinandersetzung mit den erfahrenen Widersprüchen bzw. Diskrepanzerfahrungen zu qualitativen Lernsprüngen (ebd.: 239), die über einen bloßen Kompetenzzuwachs hinausgehen, indem auf einem durch das neue Lernprinzip erreichten höheren Niveau neue Möglichkeiten des Weltzugangs erschlossen werden. Holzkamp spricht hier von »lernendem Weltaufschluss« (Holzkamp 1992: 98). Vor dem Hintergrund der subjektiven Antizipation einer Verfügungserweiterung bzw. erhöhten Lebensqualität durch Lernen und der Relevanz der damit verbundenen Lerngründe wird diese Form des Lernens von Holzkamp – in Abgrenzung zum Mitlernen (1993: 183f.) – als intentionales Lernen bezeichnet. Die dabei als notwendige Voraussetzung von Lernen herausgearbeitete Intentionalität bedeutet, dass Lernen nur dann stattfindet, wenn dazu eine subjektive Notwendigkeit bzw. Lernproblematik besteht (s.o.). Das heißt aber auch, dass Lernen nicht von außen geplant und initiiert werden kann, indem von Dritten (Lehrer_innen, Eltern, Weiterbildner_innen bzw. durch Schule und andere Bildungsinstanzen) Lernanforderungen und Lernziele gesetzt und durch didaktische Überlegungen und Curricula gezielt vermittelt werden. Das Lernsubjekt muss vielmehr Gründe haben, diese Lernanforderungen dann auch als seine Lernproblematik zu übernehmen. Deshalb grenzt Holzkamp (u.a. 1992, 1993) die Form des intentionalen Lernens von denjenigen Phänomenen ab, die, wie z.B. schulisches Lernen, mit einer pädagogischen Außenperspektive verbunden sind. Holzkamp (1992) spricht hier von einem Lehr-Lern-Kurzschluss. Damit ist gemeint, dass unter Absehung der Subjektivität der Lernenden davon ausgegangen wird, dass das, was gelehrt wird, auch gelernt wird. Dieses Lernverständnis ist nicht nur im Kontext Schule, sondern auch im Kontext Interkultureller Bildung zu finden (vgl. Holzkamp 1997). Die Besonderheit dieses lerntheoretischen Ansatzes besteht darin, dass sowohl der aktive und intentionale Charakter von Lernprozes-

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sen erfasst wird, gleichermaßen die gesellschaftliche Vermitteltheit der subjektiven Lerngründe einbezogen wird. Lernen wird hier als Möglichkeit der Erweiterung der Lebens- und Handlungsmöglichkeiten und als Überwindung von Ausgeliefertsein und Abhängigkeit begriffen. Es enthält damit ein emanzipatives Moment – wobei dies, so ist hinzuzufügen, unter herrschaftlichen Verhältnissen schwierig bzw. widersprüchlich ist, sodass es zu (Lern-)Widerständen kommen kann. Diesem Sachverhalt wird Holzkamp gerecht, indem er – vor dem Hintergrund widersprüchlicher Lernbedingungen und gesellschaftlicher Verhältnisse – analytisch zwischen defensiven und expansiven Lerngründen unterscheidet. Er hat diese Konstellation mit dem Begriffspaar »expansiv begründetes« und »defensiv begründetes Lernen« gekennzeichnet (vgl. Holzkamp 1993: 190ff.): Expansive Lerngründe liegen in den Lebensinteressen begründet, mit dem Ziel der Erweiterung des Weltaufschlusses bzw. der Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten bzw. Handlungsfähigkeit. Defensive Lerngründe hingegen sind in der Abwehr von drohendem Weltverlust begründet. Sie beziehen sich auf Lernanforderungen von außen bzw. auf den Versuch, diese möglicherweise mit Druck oder Zwang herangetragenen Anforderungen irgendwie zu bewältigen. Allerdings handelt es sich hier nicht um Lernen im eigentlichen Sinne (also der Erweiterung der Handlungsfähigkeit und die Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen), sondern vielmehr um das Vermeiden von Lernen zugunsten von bloßer Bewältigung von Lern- und Handlungsanforderungen. Diese Unterscheidung expansiver und defensiver Lerngründe erfolgt in Rückgriff auf Ute Holzkamp-Osterkamp (1976) sowie auf die (oben bereits dargestellte) Unterscheidung von verallgemeinerter und restriktiver Handlungsfähigkeit (Holzkamp 1983a). Indem sich Holzkamp in seiner Arbeit v.a. auf intentionales Lernen als Idealform des Lernens konzentriert, sieht er jedoch weitgehend davon ab, dass menschliches Lernen vielfach im Kontext anderer Tätigkeiten, als Mitlernen erfolgt. Er nimmt damit eine Engführung von Lernen vor, die andere Autor_innen, wie beispielsweise Held (1994), Haug (2003) und Dafermos/Marvakis (2009), die sich in derselben Wissenschaftstradition mit Lernen beschäftigen, nicht unbedingt teilen bzw. die dem Aspekt des (beiläufigen) Mitlernens mehr Beachtung schenken. Der Tätigkeitspsychologe Rubinstein z.B. unterscheidet mit Bezug auf die unterschiedliche Zielgerichtetheit von Lernen die beiden Lernformen in ähnlicher Weise wie Holzkamp, nimmt jedoch eine andere Bewertung vor: »Das Lernen als besondere Tätigkeit, die speziell auf ihr direktes Ziel, auf das Erlernen gerichtet ist, ist nur eine von ihnen. Das Lernen gibt es daneben auch als Ergebnis – und nicht als Ziel – einer Tätigkeit, die unmittelbar auf ein anderes Ziel gerichtet ist. Das Ler-

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nen ist in diesem Fall nicht eine besondere, vorher beabsichtigte Tätigkeit, sondern die Komponente einer anderen Tätigkeit. Dieses zweite, unwillkürliche Erlernen ist historisch das ursprüngliche.« (Rubinstein 1977 [1958]: 205)

Josef Held unterscheidet mit Verweis auf Rubinstein zwischen »Lernhandeln und Lernen als Aspekt von Handeln« (Held 1994: 87). Dieser Bezug auf das ›Alltägliche des Lernens‹ und die Bedeutung von Lernen als Begleiterscheinung von Handeln ist für die hier im Fokus stehende Untersuchung von Bildungsprozessen von Pädagog_innen von besonderem Interesse. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass Lern- und Bildungsprozesse von Pädagog_innen nicht nur in expliziten Lernsettings (wie z.B. in Weiterbildungsveranstaltungen, in denen sie als Lernende adressiert werden) oder im Selbststudium stattfinden, sondern ebenso im Kontext einer anderen Tätigkeit erfolgen können – also im Kontext von Lehren, Unterrichten und pädagogischem Handeln. Dieser Aspekt des Mitlernens schließt jedoch nicht aus, dass sie als pädagogisch Professionelle gerade beim Lehren oder bei der Durchführung von Bildungsprojekten und einer damit verbundenen thematischen Auseinandersetzung eine Lernproblematik für sich erkennen, sie zu einer expliziten Lernhandlung angeregt werden bzw. diese für sie subjektiv notwendig wird. Frigga Haug (2003) untersucht Lernen – in Auseinandersetzung mit der von Holzkamp entwickelten subjektwissenschaftlichen Lerntheorie – v.a. im Hinblick auf alltägliche Lernprozesse. Dabei nimmt sie unter einer sozialtheoretischen Perspektive v.a. die Lernverhältnisse in ihren Widersprüchlichkeiten in den Blick. Sie geht der Frage nach, wie Menschen in alltäglichen Situationen lernen, wie sich menschliches Lernen unter herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen gestaltet, welche Schwierigkeiten Menschen hierbei haben, wie sie diese zu lösen versuchen und welche Bedeutung dabei (pädagogische) Lernarrangements haben. Damit richtet sie – anders als Holzkamp – nicht den Blick auf die Idealform von Lernen, sondern darauf, unter welchen alltäglichen (Lern-) Verhältnissen Subjekte Lernwiderstände und Lernblockierungen entwickeln und inwiefern dabei Herrschaftsverhältnisse reproduziert werden. Damit betrachtet sie die Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen bereits als (möglichen) Bestandteil oder Aspekt von Lernen. Sie benennt im Klappentext ihres Werkes »Lernverhältnisse« (2003) die Widersprüchlichkeit von Lernen – und verweist sowohl auf die Gefahr des Reproduzierens von vorherrschenden Verhältnissen in und durch Lernen als auch auf Möglichkeiten der Überschreitung: »Lernen zu untersuchen trifft auf gelebte Widersprüche. Oft lernt es sich ungewollt, während man vergisst, was man lernen will. Viele reagieren auf frustrierende Verhältnisse mit

126 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING Lernwiderstand und tragen so zu deren Versteinerung bei. Solche ›versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen‹, bedarf es vielerlei Anstrengungen, die von den lernenden Subjekten selbst ergriffen werden müssen, um befreiend zu sein.« (Haug 2003: Klappentext)

Haug arbeitet wie Holzkamp die Figur des Lernens als dialektische Figur der Entwicklung heraus. Sie betont v.a. die Bedeutung von widersprüchlichen Erfahrungen: Fortschritt ohne Widerspruch gibt es nicht, aus dem zunehmenden Weltaufschluss resultieren immer wieder neue Widersprüche, die neues Lernen und Entwickeln anregen. Dabei fasst Frigga Haug Lernen als Prozess, in dem gewohnte Denk- und Handlungsmuster neu organisiert werden. Sie begreift Lernen als Krise der Erfahrung, die zu einer Umorganisation und zu einer Veränderung der gesamten Person führt.23 Damit es jedoch zu einer dialektischen Veränderung, zu Lernen, kommen kann, braucht es, so Haug (Selbst-)Kritik und (SelbstReflexion. Dazu schreibt sie: »Lernen setzt also Selbstkritik voraus bzw. ist diese.« (Haug 2003: 38) Lernen ist verbunden mit dem Prozess, »sich selbst als widersprüchlich zu erfahren« (ebd.). Daraus ist zu folgern, dass »Selbstreflexion, Kritik und Balance ein ständiger Prozess des Lernens« (ebd.) sind. Demgegenüber stellen Lernblockierungen und Lernwiderstände Formen des Festhaltens am Gewohnten dar. Vor dem Hintergrund des dargestellten Lernverständnisses, bei dem Lernen auf das Sich-Einlassen und Aushandeln von Widersprüchen angewiesen ist, bedeutet dies für Lernblockierungen oder Lernwiderstände, dass diesbezügliche Widersprüche eliminiert werden und Lernen als Weiterentwicklung bisheriger Orientierungs- und Deutungsmuster abgewehrt wird. Dass Lernen potenziell immer beides enthalten kann – Veränderung und Stillstand, Produktion und Reproduktion, Gestaltung und Unterwerfung – und allenfalls analytisch zu trennen ist, stellt sie am Ende ihres Buches als zentral heraus: »Der lang währende Prozess der Aneignung von Welt, dabei die Produktion und Reproduktion der Verhältnisse, gestaltender Eingriff wie Unterwerfung sind Bewegungen, die wir als Lernen erfahren, wenngleich sie häufig nicht so trennscharf dingfest gemacht werden können. […] Das schließt Formierung und Selbstformung ein, und es kann auf verschiedenen Ebenen je unterschiedliche Strategien erfordern. […] Lernen ist also als widersprüchlicher Prozess zu fassen; es gibt darin nicht bloß eine ›richtige‹ Strategie. Und es

23 Wenn sie diesen Veränderungsprozess als Lernen bezeichnet, kennzeichnet sie damit ein Phänomen, das im Kontext der dargestellten erziehungswissenschaftlichen Bildungstheorien von Koller, Marotzki oder Nohl begrifflich als Bildung gefasst wird.

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gibt nicht bloß Zuwachs. Lernen ist Selbstkritik. Lernen ist als Bewegung unabgeschlossen und zwiespältig.« (Haug 2003: 288)

Die Auseinandersetzung mit Lernen erfolgt bei Haug und Holzkamp mit Blick auf widersprüchliche soziale und gesellschaftliche Lern- und Bildungsvoraussetzungen. Sie verweisen explizit darauf, dass Lernen nicht losgelöst von den sozialen Kontexten und gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen sie stattfinden, zu betrachten ist. Damit sind sowohl gesamtgesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsverhältnisse sowie sozioökonomische Verhältnisse als auch spezifische staatliche und institutionelle Bildungsvoraussetzungen und pädagogische Kontexte gemeint, die sich in pädagogischen Beziehungen und Interaktionen niederschlagen. Ebenso sind Lernprobleme in der Regel nicht allein individuell, sondern stellen sich erst in der (wenn auch subjektiv begründeten) Auseinandersetzung mit und der Beteiligung an vielfältigen sozialen Zusammenhängen und Kontexten dar. Auf das soziale Eingebettet-Sein von Lernen weisen u.a. Autor_innen wie Lave/Wenger (1991) oder Dreier (2008) in ihren Arbeiten zu situated learning hin. Ole Dreier versteht in diesem Zusammenhang Lernen nicht nur als Tätigkeit im sozialen Kontext, sondern hebt hervor, dass sich Lernen auf Veränderungen des Alltags, Veränderung der alltäglichen Lebensführung und nicht zuletzt auf eine Veränderung der Verhältnisse beziehen kann. Dabei fasst er Lernen als partizipierende Praxis bzw. als Voraussetzung zur Partizipation an Gesellschaft und arbeitet den Aspekt von Veränderung als zentral für Lernen heraus. Er unterscheidet dabei verschiedene Aspekte des Verhältnisses von Lernen und Veränderung: »[…] we must distinguish between (a) the learning which enables us to take part in an existing social practice, (b) the learning we undertake just to follow along with changes in the practices in which we live our lives, and (c) the learning involved when we contribute to changing the practices we are part of.« (Dreier 2003: 27)

Lernen kann sich also auf Kompetenzen beziehen, die die Partizipation an bestehenden sozialen Praxen und Handlungsformen ermöglichen, Lernen kann die Anpassung an soziale Veränderungen bedeuten, um neuen Anforderungen zu entsprechen, und nicht zuletzt kann Lernen darauf abzielen, selbst zu einer Veränderung der sozialen Praxen beizutragen.24

24 Ole Dreier merkt in Bezug auf traditionelle Lerntheorien an, dass dort v.a. der erste Aspekt, die Aneignung von schon bestehendem sozialen Wissen und Praxen, im Fo-

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Der letztgenannte Aspekt von Lernen, der auf die Veränderung von Praktiken abzielt, verweist dabei auf die Möglichkeit der Veränderung der sozialen Verhältnisse und damit auf die prinzipielle Möglichkeit menschlichen Handelns, sich nicht nur an die Verhältnisse anzupassen und damit Dominanzverhältnisse und Dominanzordnungen zu reproduzieren, sondern diese infrage zu stellen und verändernd in die Verhältnisse einzugreifen. Dieser Aspekt, der zuvor schon im Kontext von pädagogischem Handeln herausgearbeitet wurde, ist für Lernen als Möglichkeit der Erweiterung von Handlungsverfügung und sozialer Partizipation von zentraler Bedeutung. Damit wird deutlich, dass Bildung und Lernen in verschiedener Hinsicht Veränderungen impliziert und zu Veränderungen führen kann: •



als veränderndes Handeln hinsichtlich vorherrschender ausgrenzender, diskriminierender, ungleichheitsgeprägter Verhältnisse und selbige reproduzierenden Praktiken sowie als (biographische) Veränderung der Selbst-Welt-Verhältnisse einer Person im Allgemeinen und einer Veränderung der Denkstrukturen, Orientierungsmuster, Handlungspraxen hinsichtlich des Umgangs mit Differenz und Ungleichheit im Besonderen.

Diese Veränderungsprozesse sind angesichts ihres Involviertseins in widersprüchliche gesellschaftliche Verhältnisse potenziell ambivalent und spannungsreich. Konsequenzen für die Untersuchung von Lernund Bildungsprozessen Die hier diskutierten Ansätze sind für die Analyse von Bildungs- und Lernprozessen von pädagogisch Professionellen im Bildungskontext in mehrfacher Hinsicht fruchtbar. Deutlich wurde, dass Lernen und Bildung nicht nur in expliziten Bildungssettings, wie z.B. in der Schule oder in Weiterbildungen für Pädagog_innen, stattfindet, sondern als Mitlernen oder Begleiterscheinung von Handeln (vgl. Rubinstein 1977 [1958], Nohl 2006) erfolgen kann: z.B. in der alltäglichen pädagogischen Arbeit und den damit verbundenen Herausforderungen oder in spezifischen Bildungsprojekten (z.B. zu Themen wie Diversität und Ausgrenzung) mit Jugendlichen, Heranwachsenden oder anderen Adressat_innen der Bildungsarbeit. Dies entspricht dem mit dieser Arbeit vorgenommenen Per-

kus und Interesse steht. Die anderen Aspekte hingegen, die auf Veränderungen des Sozialen bezogen sind, werden mehr oder weniger vernachlässigt.

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spektivenwechsel, Pädagog_innen nicht nur als Vermittler_innen von Bildungsinhalten oder von vorherrschenden Normen und Ideologien zu betrachten, die anderen Bildung ermöglichen (oder verunmöglichen bzw. erschweren), sondern auch als Subjekte von Bildung bzw. eines eigenen Bildungsprozesses. Die diskutierten bildungstheoretischen Ansätze (Kokemohr, Koller, Marotzki) und subjektwissenschaftlichen Lerntheorien (Haug, Holzkamp) gehen davon aus, dass Lern- oder Bildungsprozesse durch Irritationen, fehlende Passung der eigenen Denkschemata oder Handlungsprobleme und -widersprüche angeregt werden und zu einer Umorientierung und Umstrukturierung der bisherigen Erfahrungs-, Deutungs- und Handlungsmuster führen. Reflexion stellt dabei einen Teil des Lern- oder Bildungsprozesses dar (vgl. Marotzki, Haug) – als Hinterfragen von bewährten Routinen und vorherrschenden Deutungs- und Handlungsmustern. Lernen und Bildung von Professionellen im Kontext der hier fokussierten Problematik bedeutet eine Veränderung bzw. Transformation des Denkens und Handelns, d.h. von (bisherigen) Orientierungen und Deutungsmustern (die einund ausgrenzende Orientierungen enthalten und dem vorherrschenden Wissensregime entsprechen) sowie von (bisherigen) Handlungsmustern und Praxen. Wenn es zu einem veränderten Umgang mit Handlungsroutinen und etablierten Deutungsmustern kommt, kann von Bildungsprozessen von Professionellen gesprochen werden. Diesbezügliche Bildungs- und Lernprozesse können sich auf berufsbezogenes Denken, Deuten und Handeln beziehen, aber auch auf Transformationsprozesse der gesamten Person. Somit sind sie potenziell berufsbiographisch und gesamtbiographisch von Bedeutung. Abschließend und in Bezugnahme auf Frigga Haug (2003) ist hervorzuheben, dass Lernen und Bildung nicht als lineare, sondern als in mehrfacher Hinsicht widersprüchliche Prozesse (vgl. Haug 2003) zu verstehen sind. Transformation und Entwicklung werden zum einen durch die Erfahrung von Widersprüchen oder Passungsproblemen und Handlungskonflikten ausgelöst – Widersprüche sind also notwendig und entwicklungsfördernd. Zum anderen ist der Bildungsprozess mit Brüchen und Ambivalenzen verbunden. Dies verweist darauf, dass Bildung in gesellschaftliche Widersprüche verstrickt ist und der Bildungsprozess selbst im Kontext der jeweiligen Positionierung der Bildungssubjekte und deren Verfügung über Privilegien in diesen Machtverhältnissen zu betrachten ist. Dies bedeutet, dass theoretisch von einem widersprüchlichen Moment von Lern- und Bildungsprozessen sowie der Dialektik von restriktivem und verallgemeinertem Handeln bzw. defensivem und expansivem Lernen (Holzkamp) auszugehen ist. Für die Analyse von Bildungs- und Lernprozessen von Pädagog_innen ist deshalb der Fokus auf den Umgang mit den Span-

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nungsfeldern und Widersprüchen zu richten. Bildungsprozesse sind unter den jeweiligen gesellschaftlichen und institutionellen Voraussetzungen zu untersuchen. Für die Frage nach Praxen der Reproduktion bzw. Möglichkeiten der Überschreitung etablierter Mechanismen des Othering ist eine solch dialektische, gesellschaftsbezogene und subjektwissenschaftliche Betrachtung von Lernen und Bildung von Bedeutung, um zu rekonstruieren, in welcher Weise Professionelle gesellschaftliche und institutionelle Möglichkeiten und Zwänge, das eigene Involviertsein in Machtverhältnisse sowie die Reproduktion von vorherrschenden Verhältnissen aufgreifen und wie sie damit umgehen: abwehrend (im Sinne der oben genannten Lernwiderstände) oder reflexiv mit der Perspektive der Erweiterung der Deutungs- und Handlungsmöglichkeiten.25 In Anbetracht der Widersprüchlichkeit und Verstrickung von Bildung in Herrschaftsverhältnisse und Machtinteressen und angesichts der Gefahren eines universalistischen Bildungsbegriffs, der immer auch hegemoniale Normund Normalitätsvorstellungen enthält, erscheint es abschließend nicht sinnvoll, einen allumfassenden und in sich geschlossenen Bildungs- oder Lernbegriff zu etablieren. Astrid Messerschmidt (2009) plädiert – im Anschluss an ihre Auseinandersetzung mit der kritischen Bildungstheorie und mit Bildung in Bezug auf Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte dafür, auf einen starken und in sich ungebrochenen Bildungsbegriff zu verzichten. Sie hält es, »[…] für angemessen, von einem fragilen Konzept der Bildung auszugehen, das es [mir] ermöglicht, Brüche und Infragestellungen [meiner eigenen] durch Bildung angeeigneten Selbst- und Weltbilder zu artikulieren. Dabei riskiere ich zwar eine gefestigte Position, eröffne aber Zugänge für ein Bildungskonzept, das nicht ignorant bleibt gegenüber den inneren Brüchen in seiner jüngeren Geschichte. Für eine kritische Bildungstheorie kann es nach den erfolgten Einsprüchen, Infragestellungen und Verwerfungen aufgeklärter Überzeugungen keinen einfachen Gegensatz von kritisierter gesellschaftlicher Wirklichkeit und normativ geglückter Bildung geben.« (Messerschmidt 2009: 254f.)

25 Hinsichtlich dieses Erkenntnisinteresses ist es für die Analyse von untergeordnetem Interesse, jeweils genau zu bestimmen, ob es sich dabei um Bildung oder nur um einen Teilaspekt davon handelt, was u.a. im bildungstheoretischen Kontext diskutiert wird.

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3.3 Z UM Z USAMMENHANG

VON B ILDUNG UND O THERING IN WIDERSPRÜCHLICHEN V ERHÄLTNISSEN

Resümierend kann festgehalten werden, dass Bildung unter den vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen und institutionellen Rahmungen widersprüchlich und in vielfältiger Weise in Macht- und Herrschaftsverhältnisse verstrickt ist. Davon kann in der Betrachtung pädagogischen Handelns nicht abstrahiert werden. Somit ist professionelles (pädagogisches) Denken und Handeln erstens nicht losgelöst von Verhältnissen von Differenz und Ungleichheit und zweitens im Spannungsfeld von Reproduktion und Veränderung der hegemonialen sozialen Verhältnisse zu analysieren. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass pädagogisches Handeln hinsichtlich seiner Konsequenzen (nicht Absichten) zu einer Festigung und Reproduktion der vorherrschenden Verhältnisse ebenso wie zu deren Veränderungen beitragen kann. Vor diesem Hintergrund ist der Zusammenhang von Othering und Bildung zu betrachten: Pädagogische Praxen sind als ›die Verhältnisse reproduzierend‹ zu charakterisieren, wenn sie sozial und institutionell etablierten, routinierten und somit naheliegenden sozialen Denk- und Deutungsmustern und Praxen folgen bzw. diese aufgreifen, mit der Konsequenz, diese (ein- und ausgrenzenden sowie normierenden) Strukturen, Repräsentationen und Praxen weiter zu reproduzieren und aufrechtzuerhalten und sich damit auch an einer Tradierung machtvoller Unterscheidungen und hegemonialer Differenzordnungen – und damit an Othering – zu beteiligen. Das (darüber hinausgehende) Moment der Veränderung bzw. der Transformation zeigt sich im Zusammenhang von Bildung und Othering in verschiedenen Dimensionen: a) die Veränderung der vorherrschenden sozialen Praxen und gesellschaftlichen Verhältnisse, und b) die Transformation der je eigenen Denkund Handlungsmuster in Bezug auf die hegemonialen Verhältnisse: a.

Das Verhältnis von Othering und Bildung bezieht sich zum einen auf veränderndes – im Sinne von Veränderungen beabsichtigendes und bewirkendes – Handeln: Dieses zielt potenziell auf die Veränderung von gesellschaftlichen, sozialen und institutionellen Verhältnissen ab, mit der Perspektive der Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten von sich selbst und anderen.26 Veränderndes pädagogisches Handeln richtet sich hier

26 Die Perspektive der Veränderung richtet sich z.B. auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Nutzer_innen (Stichwort Empowerment) oder auf die Voraussetzun-

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gegen ein- und ausgrenzende bzw. normalisierende gesellschaftliche Strukturen und institutionelle Mechanismen und Praktiken. Dies kann performativ (in Bezug auf Butler 1990, 2006) eine Verschiebung von symbolischen Grenzziehungen oder die Kritik und Dekonstruktion von normalisierenden Diskursen sein. Veränderung mit Bezug auf die hegemonialen Verhältnisse bedeutet neben Kritik gesellschaftliche Einmischung und ein Eingreifen in die Verhältnisse und damit politisches Handeln. Im Rahmen pädagogischer (Vermittlungs- und Bildungs-)Tätigkeit in der (schulischen oder außerschulischen) Bildungsarbeit zielt die Perspektive der Veränderung auf die Veränderung vorherrschender ein- und ausgrenzender bzw. normalisierender Denkweisen und Praxen ab. Hier kann pädagogisches Handeln v.a. den Rahmen der (gemeinsamen) Auseinandersetzung mit Strukturen und Mechanismen des Othering schaffen; es kann den Widerstreit zwischen etablierten, aber ausgrenzenden Denkund Handlungsmustern und die diese überschreitenden Orientierungen und Handlungsweisen anregen und ermöglichen.27 Diese pädagogische Perspektive der Veränderung zielt auf Transformations- und Bildungsprozesse bei anderen (z.B. den jugendlichen Teilnehmenden von Bildungsprojekten) ab, ermöglicht aber ebenso Bildungsprozesse bei sich selbst als Professionellen. Die Veränderung bezieht sich auf eine Transformation des Selbst- und Weltverhältnisses der Professionellen und deren (eigener) Denk- und Handlungsmuster (als verändertes Denken und Handeln): als berufsbezogener oder gesamtbiographischer Bildungsprozess. Eine solche Transformation ermöglicht sowohl die Reflexion und (widersprüchliche und ungleichzeitige) Überwindung ausgrenzender, unterwerfender und normali-

gen, in denen Bildung und Soziale Arbeit und das eigene professionelle Handeln stattfinden, und die die Bildungsmöglichkeiten und -behinderungen aller Beteiligten strukturieren. 27 In Anlehnung an die subjektwissenschaftliche Fassung von Lernen nach Holzkamp (1993) (und dessen Hinweis auf die unzureichende Betrachtung des Lehr-LernVerhältnisses als Lehr-Lern-Kurzschluss) sowie in Anlehnung an die Relevanz von Spontaneität für Handeln und Bildung, wie sie Nohl (2006) hervorhebt, ist mit Blick auf die Frage von Bildung in Lehr-Lern-Verhältnissen (seien es Bildungskontexte der Schule, in der außerschulischen Bildungsarbeit oder der Weiterbildung von Pädagog_innen) zu betonen, dass Lernen und Bildung als eine nicht-planbare Eigenaktivität des Individuums betrachtet werden können, da Lernen jeweils im Kontext des jeweiligen Möglichkeitsraums subjektiv begründet ist.

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sierender Denk- und Handlungsmuster als auch eine Erweiterung der personalen und professionellen Handlungsfähigkeit. Die Reflexion, als Teilaspekt von Bildung, impliziert eine Veränderung der Perspektivität auf das eigene Handeln, auf das eigene Involviertsein in diese Verhältnisse und auf die ein- und ausgrenzenden sozialen Verhältnisse selbst. So zielt Bildung in Bezug auf pädagogisches Handeln im Horizont von Differenz und Ungleichheit und angesichts von Othering sowohl auf veränderndes als auch verändertes Denken und Handeln ab. Dabei ist abschließend hervorzuheben, dass es sich bei der Unterscheidung von ›Verhältnisse-reproduzierenden‹ und ›Verhältnisse-verändernden‹ Praxen um eine analytische bzw. theoretische Unterscheidung handelt; empirisch überlagern sich diese und sind widersprüchlich miteinander verschränkt (vgl. Haug 1992) – worauf auch die Ergebnisse der empirischen Analysen hinweisen. Folglich sind pädagogisches Denken und Handeln wie damit verbundene Bildungsund Transformationsprozesse in diesem Spannungsfeld gesellschaftlicher Dominanz- und Unterdrückungsverhältnisse (in ihren interdependenten und intersektionalen Überlagerungen und Verstrickungen) sowie der jeweiligen situativen Kontexte und subjektiven Perspektiven und Möglichkeitsräume der Akteur_innen zu untersuchen.28

28 Vgl. dazu den intersektionalen mehrdimensionalen Analyserahmen in Kapitel 2, auf den im folgenden Kapitel 4 methodologisch für die Untersuchung von Othering- und Bildungsprozessen Bezug genommen wird.

4. Intersektionalität und Othering – Methodologische Implikationen und Perspektiven

Welchen methodologischen Beitrag kann die Intersektionalitätsperspektive für die erziehungs- und sozialwissenschaftliche Forschung leisten? Anhand dieser Frage wird in diesem Kapitel herausgearbeitet, welche methodologischen Konsequenzen sich aus den vorherigen theoretischen Ausführungen zu Intersektionalität, Bildung und Othering für die empirische Forschung ergeben und wie Analysen zu Bildung und Othering unter einer hegemoniekritischen und bestehende Verhältnisse kritisch hinterfragenden Perspektive methodisch zu gestalten sind. Vor dem Hintergrund, dass Othering- und Bildungsprozesse durch verschiedene, sich überlagernde gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse gerahmt und von diesen durchdrungen sind und dass es sich bei Othering um machtvolle Praktiken und Diskurse handelt, die in Interaktionen und im Handeln subjektiv bedeutsam und sozial wirksam gemacht werden, bedarf es eines analytischen Zugangs, der dieses Zusammenwirken in seiner Komplexität in der empirischen Analyse zu berücksichtigen und im jeweiligen situativen und historischgesellschaftlichen Kontext zu untersuchen vermag. Angesichts der zuvor herausgearbeiteten Widersprüchlichkeit von Bildung und pädagogischem Handeln scheint es ebenso erforderlich, die konkreten Praktiken und Entwicklungen in ihrer Prozesshaftigkeit und in ihrer (potenziellen) Widersprüchlichkeit zu analysieren. Dem zu entsprechen stellt jedoch methodologisch und methodisch eine Herausforderung dar, ebenso der Anspruch einer kritischen Forschung/ Wissenschaft, den Gegenstand der Analyse – Othering im Bildungskontext – durch die Forschung nicht einfach zu reproduzieren, sondern diese Prozesse in ihrer Funktionalität und in ihren Effekten kritisch zu hinterfragen. Wie kann eine methodologische Perspektive aussehen, die diesen theoretischen Ansprüchen angemessen begegnet und mit der es gelingen kann, sowohl

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die Kontextverhältnisse (gesellschaftliche Bedingungen und soziale Bedeutungen) als auch die im Fokus stehenden (pädagogischen) Orientierungen und Praktiken bzw. diesbezügliche Veränderungen und Bildungsprozesse hinsichtlich ihrer ein- und ausgrenzenden, auf- und abwertenden sowie normalisierenden Implikationen, Mechanismen und Folgen in den Blick zu nehmen? Der Perspektive der Intersektionalität kann diesbezüglich ein gewisses Potenzial zugeschrieben werden. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden das methodologische Potenzial einer intersektionalen Analyseperspektive für die sozial- und erziehungswissenschaftliche Forschung im Allgemeinen und für die Untersuchung von Otheringprozessen im Bildungskontext im Besonderen erörtert. Dazu werden erstens konkrete Instrumente bzw. Möglichkeiten des methodischen Vorgehens einer intersektionalen Analyse herausgearbeitet. Zweitens werden methodologische Erfordernisse und methodische Konsequenzen für eine kontextbezogene Analyse von Praxen und Diskursen des Othering auf der einen Seite und von Transformations- und Bildungsprozessen von Professionellen auf der anderen Seite diskutiert.

4.1 I NTERSEKTIONALITÄT ALS F ORSCHUNGS - UND ANALYSEPERSPEKTIVE Lange wurde im Kontext der Intersektionalitätsdebatte beklagt, dass es zu wenige methodologisch und forschungsmethodisch ausgerichtete Beiträge gäbe, die konkrete Hinweise zur Forschung unter einer intersektionalen Perspektive beinhalten (vgl. Davis 2008). Allerdings gibt es inzwischen eine große Anzahl von quantitativen und v.a. qualitativen Studien, die sich auf diesen Ansatz beziehen und dafür jeweils spezifische Vorgehensweisen erarbeitet haben. Darüber hinaus hat sich eine methodologische Diskussion über den Nutzen und die Herausforderungen sowie die unterschiedlichen Zugänge einer Intersektionalitätsperspektive entwickelt (zur Überblicksdiskussion vgl. McCall 20051, Abels/Lepperhoff 2010, Lutz et al. 2010) und es gibt konkrete Vorschläge der methodischen Umsetzung (vgl. Winker/Degele 2009, Riegel 2014, Tuider 2015 sowie die Beiträge

1

Leslie McCall und ihr Aufsatz ›Managing the Complexity of Intersectionality‹ (2005) stellt in diesem Zusammenhang nach wie vor eine wichtige Referenz dar. Darin diskutiert sie, unter welchen epistemologischen und theoretischen Perspektiven in der Forschung Bezug auf soziale Kategorien genommen wird.

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in den Sammelbänden von Riegel et al. 2010, Smykalla/Vinz 2011, Bereswill et al. 2015). Hervorzuheben ist jedoch, dass Intersektionalitätsforschung keine bestimmte Forschungs- oder Auswertungsmethode verkörpert, sondern eine bestimmte Sicht auf den Forschungsgegenstand und dessen Kontext ermöglicht. Somit ist Intersektionalität v.a. als Analyseperspektive oder als sensitizing concept zu verstehen (vgl. Davis 2008, Phoenix 2010). In diesem Sinne verfolgt das Konzept der Intersektionalität sowohl eine offen fragende als auch eine (vorherrschende Verhältnisse) kritisch-hinterfragende Perspektive. Damit kann potenziell dem 2 Anspruch feministischer Wissenschaftskritik (vgl. Harding 1991, 1995 , Haraway 1995), die Standpunktabhängigkeit und Perspektivität von Wissensproduktion deutlich zu machen, ebenso entsprochen werden wie dem herrschaftskritischen Impetus feministischer oder postkolonialer Forschung. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden eine intersektionale Heuristik zur Untersuchung von verschiedenen erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Themenfeldern und Fragestellungen vorgestellt. Diese besteht aus zwei Analyseinstrumenten: •



Einem intersektionalen Analyserahmen, der verschiedene Dimensionen und Ebenen von sozialen Ungleichheits- und Dominanzverhältnissen sowie deren Interdependenz aufzeigt und für die Analyse zugänglich macht (vgl. Kapitel 2.2). Intersektionalen Fragedimensionen – im Sinne einer analytisch aufschließenden und hinterfragenden Forschungsperspektive – für die konkrete Analyse des empirischen Materials und dessen sozialem und situativem Kontext.

Damit führe ich im vorliegenden Forschungszusammenhang frühere Überlegungen zu einer intersektionalen heuristischen Analyseperspektive (u.a. Riegel 2010b, Riegel 2014) weiter. 4.1.1 Intersektionaler Analyserahmen Ein intersektionaler Analyserahmen, wie er bereits in Kapitel 2.2 theoretisch begründet, zu einem Analysemodell ausgearbeitet und graphisch dargestellt wurde (Abb. 1), ist v.a. als theoretische Hintergrundfolie für die empirische Untersu-

2

Vgl. auch die Beiträge in »The Feminist Standpoint Theory Reader« (hrsg. von Harding 2004), z.B. von Patricia Hill Collins, Dorothy Smith, Sandra Harding oder Donna Haraway.

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chung des Forschungsgegenstandes von Bedeutung. Mit diesem soll versucht werden, dem Anspruch einer intersektionalen Analyseperspektive gerecht zu werden, die Mehrdimensionalität von verschiedenen gesellschaftlich relevanten Ungleichheits- und Dominanzverhältnissen sichtbar zu machen sowie deren Relevanz für und Wirksamkeit auf verschiedenen sozialen Referenzebenen in den Blick zu nehmen. Dabei sind verschiedene Relationen zu berücksichtigen: •



Zum einen die Interdependenz von verschiedenen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen: von asymmetrischen Geschlechter-, Klassen-, Ethnizitätsund Körperverhältnissen bzw. (Hetero-)Sexismen, Klassismen, Rassismen und Ableismen in internationalen, globalisierten kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen; Zum anderen die Konnexionen von verschiedenen sozialen Ebenen, auf denen diese relevant und wirksam werden: die Ebenen a) der gesellschaftlichen Bedingungen, b) der sozialen Diskurse und institutionalisierten Praktiken, und c) des Subjekts bzw. des subjektiv begründeten Handelns und subjektiven Orientierungen.

Der intersektionale Analyserahmen skizziert und zeigt die potenziellen Interaktionen und Interdependenzen auf. Wie die jeweiligen Macht- und Herrschaftsverhältnisse und die sozialen Referenzebenen jeweils ineinandergreifen und zusammenspielen, ist bei der konkreten Analyse empirisch zu rekonstruieren. Der jeweilige Forschungsgegenstand kann im Kontext bzw. unter Einbezug gesellschaftlicher, sozialer, situativer und institutioneller Voraussetzungen sowie in den jeweiligen sozialen Diskurs- und Bedeutungszusammenhängen untersucht werden. Mit einer solchen mehrdimensionalen Analysefolie können die Komplexität und Mehrdimensionalität interdependenter Herrschafts- und Machtverhältnisse und deren, z.T. widersprüchliche, Effekte der empirischen Analyse zugänglich gemacht werden. Daher ermöglicht ein solches Analyseinstrument eine herrschafts- und machtkritische Kontextualisierung des Forschungsgegenstandes. Mit diesem intersektionalen Analyserahmen können über den Forschungsgegenstand dieser Studien hinaus – die Analyse von Othering im Bildungskontext – noch viele andere sozial- und erziehungswissenschaftliche Fragestellungen im Kontext sozialer Macht- und Ungleichheitsverhältnisse untersucht werden. Für dessen Verwendung ist es allerdings nicht erforderlich, auf allen relevanten Ebenen (eigene) empirische Studien durchzuführen und diese Daten durch eine Triangulation zusammenzuführen (vgl. Helsper et al. 2010). Es ist jedoch bei der Analyse des empirischen Materials entscheidend, auf alle drei Ebenen

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Bezug zu nehmen bzw. diese in ihrer Relevanz für den zu untersuchenden Forschungsgegenstand zu rekonstruieren. Dabei kann auch auf spezifisches Kontextwissen und Erkenntnisse aus anderen Studien zurückgegriffen werden, wie dies beispielsweise in der Analyse des institutionellen Umgangs mit Differenz und Ungleichheit in Schule und Jugendarbeit in Kapitel 3.1 erfolgt ist. Durch den Charakter einer Analysefolie bzw. einer theoretischen Rahmung scheint für dieses intersektionale Analysemodell der Begriff einer Mehrebenenanalyse nicht angemessen, wie dies beispielsweise von Helsper et al. (2010) oder – mit einer explizit intersektionalen Ausrichtung – von Winker und Degele (2009) für ihre jeweiligen Analysemodelle konzeptionalisiert wird. Diese beziehen sich jedoch sehr viel unmittelbarer in der Analyse auf die verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen. Des Weiteren ist zu betonen, dass es sich mit dem hier dargestellten intersektionalen Analyserahmen forschungsmethodisch nicht um eine methodische Anleitung oder konkrete Aufforderung handelt, im empirischen Material systematisch und nacheinander die verschiedenen Ebenen auf das ›Auftauchen‹ oder ›Thematisieren‹ von sozialen Kategorien oder von Diskriminierungs- und Unterdrückungsformen hin zu untersuchen. So wird in den methodologischen Konsequenzen und der methodischen Umsetzung mit einer heuristischen, intersektionalen, mehrebenenbezogenen Analysefolie ein anderer Weg verfolgt, wie ihn Winker/Degele (2009) mit den acht methodischen Schritten einer intersektionalen Analyse vorgeschlagen haben (vgl. Winker/Degele 2009: 79ff.). Bei diesem Vorgehen wird v.a. in den ersten vier Schritten auf den verschiedenen Ebenen getrennt nach der Thematisierung von Differenz- und Ungleichheitsverhältnissen gefragt. Diese Trennung stellt m.E. tendenziell ein zu starres mechanisches Vorgehen dar, das möglicherweise zu einer Strukturierung des Analysevorgehens beitragen kann, jedoch dem dialektischen Wechselspiel und der Interdependenz der Ebenen und der verschiedenen Ungleichheitsverhältnisse nicht hinreichend gerecht werden kann. Zu groß ist die Gefahr, dass auf den unterschiedlichen Ebenen jeweils verschiedene Kategorien aufgespürt werden, aber gerade die Konsequenzen und die Folgen des intersektionalen Zusammenspiels aus dem Blick geraten. Vor diesem Hintergrund scheint ein offenes und fragendes methodisches Vorgehen sinnvoll. Hierfür kann der intersektionale Analyserahmen als (theoretisch fundierte) Heuristik zur empirischen Untersuchung und Kontextualisierung der (zu untersuchenden) pädagogischen Diskurse, Praktiken und Interaktionen sowie von Bildungsprozessen dienen.

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4.1.2 Intersektionalität als strategischer Forschungsblick: heuristische Fragen Intersektionalität ist für die Forschungspraxis auch als Analyseperspektive bedeutsam. In diesem Sinne ist die Intersektionalitätsperspektive als ›strategischer Blick‹ zu verstehen. Mit diesem kann empirisch offen und vor dem Hintergrund der dargestellten intersektionalen Analysefolie die implizite und explizite, sichtbare und weniger sichtbare Relevanz von Differenzkonstruktionen, Grenzziehungen und Kategorisierungen in ihrem Zusammenwirken und deren ein- und ausgrenzende, dominierende und unterwerfende sowie Ungleichheit strukturierende Folgen rekonstruiert werden. Von poststrukturalistischen Theorien und hegemoniekritischen Perspektiven der queer-feministischen, Critical-Whiteness-Ansätze, Disability Studies oder postkolonialen Perspektiven angeregt, enthält eine solche Analyseperspektive auch kritisches und dekonstruktivistisches Potenzial. Mit einer dekonstruktivistischen Perspektive (vgl. Derrida 2004) können soziale Verhältnisse, die sich durch Macht, Ungleichheit und Herrschaft auszeichnen sowie durch bipolare Einteilungen und Strukturierungsversuche von Welt, hinterfragt und das Selbstverständliche und In-sich-Geschlossene sozialer Kategorien infrage gestellt werden und auf ihre ungleichheitsstabilisierenden Effekte hin untersucht werden. Somit verbinden sich in einer solchen intersektionalen Analyse Perspektiven der Rekonstruktion mit der Dekonstruktion. Dabei ist für eine dominanz- und ungleichheitskritische intersektionale Analyse nicht nur von Interesse, welche Differenzlinien sich überlagern und in welcher Weise sich dies gestaltet, sondern v.a. auch mit welcher (hegemonialen) Funktion und mit welchen (ein- und ausgrenzenden) sozialen Folgen dies für die hegemoniale Ordnung und die bestehenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verbunden ist. Aus einer intersektionalen Perspektive wird danach gefragt, in welcher Weise soziale Differenzen hergestellt werden und Dominanz- und Ungleichheitsverhältnisse zum Ausdruck kommen und inwieweit durch ein Zusammenwirken bzw. durch die Bezugnahme auf verschiedene Differenzkonstruktionen Prozesse des Othering oder der Normalisierung hervorgebracht, forciert oder abgeschwächt werden. Vor dem zuvor ausgeführten Hintergrund, dass diese Praktiken und Diskurse des Othering in ihrem situativen und sozialen Zusammenhang zu analysieren sind, ist dabei auch nach den jeweiligen sozialen Positionierungen der Akteur_innen zu fragen; diese sind wiederum in die Analyse mit einzubeziehen. Deshalb ist auch die Frage nach der Funktion dieser Mechanismen, Diskurse und Praxen bedeutsam und es ist im Blick zu behalten, inwieweit es dabei für die Akteur_innen funktional ist, auf verschiedene Differenz-

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und Ungleichheitsverhältnisse Bezug zu nehmen oder diese zu vernachlässigen. Dabei kann rekonstruiert werden, in welcher Weise Grenzziehungen zur Absicherung und Aufrechterhaltung bzw. zur Veränderung der vorherrschenden Verhältnisse beitragen. Dabei wird der analytische Blick auch auf die Wirksamkeit von Differenzkonstruktionen und -praxen sowie auf (mögliche) Folgen gerichtet. Nicht zuletzt ist unter einer intersektionalen und emanzipativen Perspektive von Interesse, inwiefern in den Praxen und Diskursen Dominanzverhältnisse reproduzierende und/oder überschreitende Elemente enthalten sind, welche Folgen dies jeweils hat und welchen Beitrag das Zusammenspiel von verschiedenen Differenzverhältnissen hierzu leistet. Vor dem Hintergrund dieser Fragen und die damit verbundenen Perspektiven systematisierend, wurden für die intersektionale Analyse heuristische Fragen entwickelt, die im Untersuchungsprozess an den Forschungsgegenstand und an das empirische Material gestellt werden: • • • • • •

Wie werden soziale Differenzkonstruktionen3 und Dominanzordnungen (situativ, habituell, diskursiv) hergestellt und reproduziert? Welche sozialen Differenzkonstruktionen sowie Macht- und Herrschaftsverhältnisse werden (wie) relevant? Wie wirken diese zusammen? Was wird dabei sichtbar (gemacht), was in den Hintergrund gerückt? Aus welcher sozialen Positionierung heraus werden Differenzkonstruktionen vorgenommen und in welchem Kontext erfolgt dies? Welche Funktionen und welche Folgen hat dies für die beteiligten Subjekte und für die hegemoniale soziale Ordnung? In welcher Weise (und in welchen Kontexten) zeigen sich dabei gegenüber hegemonialen Strukturen, Diskursen und Repräsentationen affirmative, hinterfragende, widerständige oder verschiebende Praktiken?

Mit dieser Analyseperspektive und mit diesen Fragen ist es potenziell möglich, hegemoniale Differenzordnungen, Kategorisierungen und Grenzziehungen in der Gesellschaft und in Bildungsverhältnissen kritisch zu hinterfragen sowie deren ein- und ausgrenzende Effekte und Folgen herauszuarbeiten. Diese Fragen können jedoch auch dazu herangezogen werden, um den Forschungsprozess als solchen sowie die Positioniertheit der Forschenden reflexiv in den Blick zu nehmen.

3

Differenzkonstruktionen stehen hier auch für damit verbundene (Herstellungs-) Prozesse der Grenzziehung und Kategorisierung sowie damit verbundene Prozesse der Auf- und Abwertung, der Unterwerfung, der Hervorhebung, der Marginalisierung.

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Die heuristischen Fragen sind als strategische Blickrichtungen in den Forschungsprozess einzubeziehen, um mit ihnen an das empirische Material in seinen verschiedenen Facetten heranzutreten. Dabei kommen die Fragen insbesondere bei der Analyse von einzelnen (Diskurs- oder Interaktions-)Sequenzen zur Anwendung, die in der empirischen Analyse einer Feinanalyse unterzogen werden. Für diese Analyse ist wiederum der zuvor dargestellte intersektionale Analyserahmen als theoretische Hintergrundfolie von kontextualisierender Bedeutung. Bei der konkreten empirischen Analyse von einzelnen Sequenzen ist der Forschungsblick insofern offen, als dass nicht im Vorhinein deduktiv festgelegt werden kann, welche Dominanzverhältnisse bzw. Differenzlinien und -kategorien wie relevant und deshalb zu fokussieren sind. Diese sind – vor dem Hintergrund der gesellschaftlich wirksamen asymmetrischen Macht- und Ungleichheitsverhältnisse – induktiv und in ihrem Zusammenwirken aus dem konkreten empirischen Material herauszuarbeiten (vgl. Winker/Degele 2009, Riegel 2010b). Damit regen diese Fragedimensionen bei der Analyse von Othering im Bildungskontext an, im empirischen Material die im Fokus stehenden Mechanismen und Prozesse der Differenzherstellung, der Grenzziehung, der Normalisierung und Unterwerfung zu re-konstruieren, sie jedoch ebenso hinsichtlich ihrer Effekte (u.a. zur Stabilisierung und Aufrechterhaltung oder der Verschiebung der hegemonialen Ordnung und gesellschaftlichen Verhältnisse) und den damit verbundenen Machtverhältnissen kritisch zu befragen. In diesem Zusammenhang ist also zu betonen, dass es bei einer intersektionalen Analyse nicht um das ›Aufspüren‹ und ›Nachweisen‹ von sozialen Differenzen oder um die bloße Deskription ihrer Überlagerung gehen kann. Ohne den Analyseblick auf die dahinterstehenden ungleichheitsstrukturierenden Bedingungen und machtvollen Bedeutungen zu richten, wie auf die Funktionen und Folgen von bestehenden Differenzkonstruktionen im Kontext hegemonialer Verhältnisse, verliert die Intersektionalitätsanalyse ihr herrschaftskritisches Potenzial. Darüber hinaus ist die Gefahr groß, dass dominante Differenzkonstruktionen in der Forschung lediglich reifiziert werden. Vor diesem Hintergrund ist eine Perspektive erforderlich, mit der nicht nur offensichtliche und im Datenmaterial explizit thematisierte Differenzlinien zu fokussieren und in die Analyse einzubeziehen sind, sondern auch solche, die unter dem Deckmantel von Normalitätskonstruktionen und Dominanzverhältnissen verborgen sind und (deshalb) nicht explizit benannt werden. Mit einer dekonstruktivistischen Perspektive wird auch das in den Fokus gerückt, was in der hegemonialen Ordnung ›unsichtbar‹ bleibt oder als ›deviant‹, ›abweichend‹, ›anders‹ markiert wird. Beispielsweise werden

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in vorherrschenden sozialen Diskursen natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeiten besonders mit Blick auf Migrationsandere (Mecheril 2010: 17) oder sexuelle Orientierung v.a. hinsichtlich queerer Lebensweisen bzw. Lebensweisen von LGBTTIQ* thematisiert. Dahinterstehende asymmetrische Machtverhältnisse und Unterdrückungsformen wie Rassismus oder Heteronormativität bleiben in diesem Zusammenhang häufig de-thematisiert. Wird diese hegemoniale Perspektive in der Forschung unhinterfragt übernommen, werden vorherrschende Verhältnisse und Normalitätskonstruktionen reproduziert und machtvolle Unterscheidungen sowie Prozesse des Othering auch in Wissenschaft und Forschung fortgeschrieben. Vor diesem Hintergrund ist im analytischen Umgang mit Differenzkategorien und damit verbundenen Machtverhältnissen auf eine dekonstruktivistische Wachsamkeit zu verweisen, die bestehende soziale Ordnungen nicht nur untersucht und rekonstruiert, sondern im Sinne Derridas auch de-konstruiert, indem diese in ihrem System hinterfragt und in ihren Bedeutungen in kritischer Weise verschoben wird. So besteht der Sinn oder die Aufgabe der Analyse nicht darin, das zu verdoppeln, was eigentlich der kritischen Analyse zugeführt wird, sondern die ein- und ausgrenzenden Effekte zur Aufrechterhaltung bzw. Verschiebung des herrschenden Systems aufzuzeigen und herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang, und dabei auch auf Butler (1991: 217) Bezug nehmend, sind Blickverschiebungen vorzunehmen, sodass die Verhältnisse und diskursiven Verfahren in den Blick gerückt werden, durch die Normierungen, Festschreibungen und Ausgrenzungen hergestellt und möglich gemacht werden, und – darin besteht das kritische Potenzial – zu Vervielfältigungen, Umdeutungen und Bedeutungsverschiebungen beizutragen. Eine intersektionale Perspektive, die die Wirkweisen verschiedener und sich überlagernder Differenzkonstruktionen und -ordnungen in den Blick nimmt, kann in diesem Zusammenhang die Dekonstruktion einseitiger Perspektiven und Deutungen sowie damit verbundene Verschiebungen begünstigen. Nicht zuletzt ist für kritische Forschung die Frage von Bedeutung, wie zu einer Veränderung der vorherrschenden Verhältnisse beigetragen werden kann. Dazu wurde in früheren Arbeiten (bspw. Riegel 2010b, 2011b) die Frage nach Möglichkeiten, »die Reproduktion von ungleichheitsstrukturierender Differenzbildung und Dominanzordnungen zu durchbrechen« (Riegel 2010b: 77), gestellt. Diese Frage geht bereits über eine re- und dekonstruktive Forschung hinaus (schließt aber an deren Erkenntnisse an) und fokussiert Möglichkeiten der Veränderung. Diese Frage ist auch als Perspektive für eine verändernde soziale und pädagogische Praxis bedeutsam (vgl. Riegel 2011a). Mit dieser Transformationsperspektive enthält die intersektionale Analyse also auch emanzipatives

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Potenzial, indem das wissenschaftliche Interesse nicht nur auf die Analyse des Ist-Zustands bzw. der Entstehung und Reproduktion sozialer Verhältnisse abzielt, sondern nach den Folgen sowie den Möglichkeiten der Veränderung fragt. Damit kann die intersektionale Perspektive explizit auch für emanzipative und partizipative Forschung (Bergold/Thomas 2010, Held 2010) fruchtbar gemacht werden (s.u.). Die intersektionale Analyseperspektive mit ihren heuristischen Fragen kann sich prinzipiell auf ganz unterschiedliches Forschungsmaterial und verschiedene empirische Daten beziehen und es können unterschiedliche Forschungsmethoden einbezogen werden. Vor dem Hintergrund, dass es sich hier um soziale Prozesse handelt, bieten sich insbesondere Methoden der qualitativen rekonstruktiven Sozialforschung an, aber auch angesichts der dekonstruktivistischen Potenziale die der (kritischen) Diskursanalyse (vgl. Tuider 2015). Mit Blick auf das Prozesshafte, Situative und Kontextspezifische des intersektionalen Zusammenwirkens sowie die unterschiedlichen sozialen Ebenen, die die vorgestellten intersektionalen Fragedimensionen tangieren, kann eine Methodenkombination und Triangulation verschiedener Daten äußerst nützlich sein (vgl. Flick 2007) bzw. »ist gar Voraussetzung einer gelingenden Mehrebenenanalyse« (vgl. Helsper et al. 2010: 119). Allerdings kann das hier vorgestellte Analysevorgehen durchaus auch in Einzelfallanalysen und weniger komplexen Forschungsdesigns angewendet werden. Denn unabhängig vom Umfang der Daten ist das interdependente Zusammenwirken von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen und damit verbundenen Prozessen der Differenzbildung, Kategorisierung, Grenzziehung und Normalisierung jeweils am konkreten Fall und an konkreten Diskursen und (Interaktions-) Situationen zu untersuchen. Von der intersektionalen Analyse einzelner Sequenzen und Konstellationen ausgehend, an der sich beispielweise Otheringprozesse zeigen, können unter Einbezug der jeweiligen sozialen Kontexte und Zusammenhänge Folgerungen für übergeordnete ein- und ausgrenzende Dynamiken gezogen werden. Der intersektionale mehrebenenbezogene Analyserahmen und die heuristischen Fragedimensionen stellen dabei einander ergänzende methodologischmethodische Zugangsweisen dar, durch die eine intersektionale Perspektive in die empirische Sozialforschung integriert und in den Forschungsprozess systematisch eingebunden werden kann. Doch so sehr eine solche Intersektionalitätsperspektive einen aussichtsreichen Zugang zur Komplexität und Widersprüchlichkeit sozialer Realität darstellt, so schwer ist es, diese Perspektive in ihrem gesamten Potenzial tatsächlich umzusetzen. Hinsichtlich der Komplexität der empirisch ineinander verschlungenen, interdependenten Differenzen und Dominanzverhältnisse sowie der ver-

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schiedenen sozialen Ebenen, auf denen diese miteinander verschränkt wirksam werden, bleibt die intersektionale Analyse ein tendenziell unabgeschlossenes Projekt, v.a. bezüglich der begrenzten Perspektiven einzelner Forschungsprojekte. Die fragende Art der Intersektionalitätsperspektive soll zur kritischen Auseinandersetzung einladen und kann mit dem Bewusstsein für eine Verschiedenheit von Standpunkten sowie dem Pluriformen und Uneindeutigen der Verhältnisse nicht von einer Eindeutigkeit der Ergebnisse bzw. des Erkenntnisgewinns (bezüglich der Rekonstruktion von Differenzkonstruktionen und deren Funktionen und Effekten) ausgehen. Im Gegenteil, es geht darum – und darauf verweist die Perspektive und Haltung der Dekonstruktion –, selbstverständliche Kategorisierungen, Differenzkonstruktionen und Grenzziehungen und damit verbundene Dominanzverhältnisse infrage zu stellen und ihre Folgen für die Einzelnen und die hegemoniale gesellschaftliche Ordnung sowie mögliche Veränderungen aufzuzeigen. 4.1.3 Intersektionalität als (selbst-)kritisches Reflexionsinstrument für die Forschung Allerdings ist nicht nur die Bedeutung von Intersektionalität als Analyseperspektive hervorzuheben, sondern auch auf deren Relevanz für Perspektiven von Kritik und Reflexion hinzuweisen. Auch in diesem Zusammenhang stellt Intersektionalität ein für Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie damit verbundene Differenzkonstruktionen sensibilisierendes und dekonstruktivistisches Konzept dar, das auch für die (selbst-) kritische Reflexion der Wissensproduktion genutzt werden kann. Das Potenzial der intersektionalen Analyse, das die Effekte des Zusammenwirkens verschiedener Macht- und Herrschaftsverhältnisse rekonstruiert und gegenüber vorherrschenden Kategorisierungen dekonstruiert, kann auch auf den Forschungsprozess selbst angewendet werden oder für die kritische Relektüre wissenschaftlicher Diskurse und Wissensproduktionen bedeutsam sein. Denn auch der Forschungs- und Erkenntnisprozess selbst ist nicht losgelöst von gesellschaftlichen Dominanz- und Ungleichheitsverhältnissen, was mit verschiedenen Herausforderungen einhergeht. So besteht gerade bei differenzbezogener Forschung die Gefahr der Reifizierung von sozialen Kategorien, worauf u.a. in der Geschlechterforschung aufmerksam gemacht wurde (vgl. Gildemeister/Wetterer 1992), bzw. die Gefahr der Reproduktion vorherrschender Einteilungen und Zuschreibungen (vgl. hierzu Kalpaka/Räthzel 1990, Mecheril et al. 2003, Diehm et al. 2013b, Inter Kultur 2011). Darüber hinaus ist der ›forschende Blick‹ immer auch eng mit

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der jeweiligen Situiertheit und sozialen Positionierung der Forschenden in Dominanzverhältnissen und Privilegien bzw. De-Privilegierung verbunden (vgl. Haraway 1995, Lykke 2005). Dies verweist auf die generelle Relativität und Perspektivität von Wissen (Mannheim 1952) und Wissensproduktion, die im Forschungsprozess einzubeziehen sind. Denn Forschende sind diesbezüglich selbst in Dominanzverhältnisse und alltägliche Zwänge der Wissensproduktion verstrickt, die Verkürzungen und einseitige Perspektiven im Forschungsprozess nahelegen. Hier besteht die Gefahr, dass der wissenschaftliche Blick vorstrukturiert und eindimensional auf bestimmte Differenz- und Ungleichheitsverhältnisse gerichtet ist, andere aber vernachlässigt oder ausblendet. Dies hat zur Folge, dass die eigenen Privilegien und Positionierungen im gesellschaftlichen Raum und die eigene Forschungs- und Alltagspraxis kritisch auf darin implizierte Vorannahmen, Zuschreibungen, Normalitätsvorstellungen sowie einseitige Perspektiven und Auslassungen zu reflektieren und zu dekonstruieren sind. Vor dem Hintergrund der Gefahren, die vorherrschenden Dominanz- und Ungleichheitsverhältnisse durch die Forschung selbst zu reproduzieren, kann die intersektionale Perspektive dazu dienen, als Forschende die eigene Forschungspraxis kritisch in den Blick zu nehmen. Hier kann die intersektionale Perspektive (u.a. mit den heuristischen Fragen) als Instrument der Reflexion impliziter Annahmen sowie einseitiger Sichtweisen und Kategorisierungen sowie zur Reflexion der eigenen sozialen Positioniertheit und damit verbundener Perspektivität dienen. Diese selbstkritische Reflexivität bezieht sich auf den gesamten Forschungsprozess: von der Entwicklung der Fragestellung über die Entwicklung methodischer Instrumente und die Umsetzung der Datenerhebung und Datenanalyse, herangezogene Erklärungsansätze, vorgenommene Verallgemeinerungen und Typisierungen bis hin zur Präsentation der Ergebnisse. Gleichzeitig können davon ausgehend Möglichkeiten der Veränderung der jeweiligen (Forschungs-) Praxis entwickelt werden, was ein wichtiger Aspekt emanzipativer Forschung ist. Darüber hinaus kann eine solche intersektionale Analyseperspektive zur kritischen Betrachtung von wissenschaftlichen Theorie- und Fachdiskursen sowie zu einer Reanalyse von bereits vorhandenen Untersuchungen und Forschungsergebnissen genutzt werden. Diese können auf immanente Kategorisierungen, Klassifizierungen und Vorannahmen hin befragt werden, die wiederum zu einer Verzerrung oder Einseitigkeit von Forschungsergebnissen führen können; beispielsweise wenn bestimmte Phänomene v.a. unter dem Fokus von Migration und (vermeintlicher) kultureller Herkunft betrachtet und interpretiert werden, jedoch andere, interdependente Kategorien, wie Alter, Jugend, Geschlecht oder Klasse, mehr oder weniger unberücksichtigt bleiben. Durch eine solche einseiti-

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ge Betrachtung kann es zu verkürzten Interpretationen sowie Homogenisierungen und Pauschalisierungen kommen, die dazu beitragen, hegemoniale Ordnungen zu festigen und zu legitimieren. Unter einer intersektionalen Analyse hingegen können sozial- und erziehungswissenschaftliche Theorien, Diskurse und Forschungsarbeiten kritisch auf einseitige Fokussierungen, implizite (Merkmals-)Zuschreibungen, Differenzmarker sowie Auslassungen hin reflektiert und re-analysiert werden. Dabei ist nach den Folgen und der Funktionalität von solchen Erklärungsmustern und Wissenschaftsdiskursen für die Festigung von gesellschaftlichen Dominanzverhältnissen zu fragen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Intersektionalität für die empirische Forschung in dreifacher Hinsicht bedeutsam ist: als theoriebasierter intersektionaler Analyserahmen, als sensibilisierende und dekonstruierende Analyseperspektive sowie als kritische Reflexionsfolie für Prozesse der Wissensproduktion. Das methodologische Potenzial einer intersektionalen Forschungsperspektive liegt in der Analyse, Reflexion und Kritik und ermöglicht Perspektiven der Veränderung. Damit ist der Ansatz nicht nur für die Forschungspraxis und die erziehungswissenschaftliche Untersuchung von pädagogischen Praxen und Diskursen sowie Prozessen des Othering nützlich, sondern gewinnt auch für die kritische (Selbst-)Reflexion von professionellen Praktiken und Verhältnissen von Bildung an Relevanz (vgl. Busche/Stuve 2010, Riegel 2011a).

4.2 M ETHODOLOGISCHE Ü BERLEGUNGEN ZUR U NTERSUCHUNG VON O THERING - UND VON B ILDUNGSPROZESSEN Angesichts des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Untersuchung – zum einen die Frage nach Praxen des Othering, der Grenzziehung und Normalisierung im Bildungskontext, zum anderen die Frage nach Reflexions-, Bildungs- und Transformationsprozessen von Pädagog_innen – werden im Folgenden methodologische und forschungsmethodische Überlegungen angestellt.

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4.2.1 Methodische Zugänge für die Erforschung von Otheringprozessen Wie sind nun der pädagogische Umgang mit Differenz und Ungleichheit sowie damit verbundene Normalisierungs- und Otheringprozesse gegenstandsangemessen empirisch zu untersuchen? Welche Erfordernisse und welche Herausforderungen sind damit verbunden? Das Thema kann – wie bereits mehrfach betont und herausgearbeitet – nur im jeweiligen situativen sowie historischen und gesellschaftlichen Kontext untersucht werden. Um erstens die Forschungsfrage im dialektischen Spannungsverhältnis von subjektivem Handeln, von sozialen Diskursen und Praktiken sowie von gesellschaftlichen Bedingungen untersuchen zu können und dabei zweitens dem Umstand entsprechen zu können, dass Praktiken, Orientierungen und Erfahrungen von Professionellen sowohl eine relative Autonomie als auch eine relative Prägung durch Strukturen und Diskursumgebungen aufweisen, sind Methoden erforderlich, die nicht nur die Praktiken und Diskurse in den Blick nehmen, sondern ebenso deren situativen und sozialen Handlungskontext sowie die subjektive Perspektive der Akteur_innen. Ebenfalls muss methodisch dem Charakteristikum des Prozessualen entsprochen bzw. dieses erfasst werden können. Dazu eignen sich insbesondere qualitative sowie offene, nichtstandardisierte Forschungsverfahren, insbesondere ethnographische, diskursanalytische und rekonstruktive Methoden der Sozialforschung. Rekonstruktive Sozialforschung zielt auf die Rekonstruktion von impliziten Wissensbeständen und Regeln sozialen Handelns sowie subjektivem und sozialem Sinn von Deutungsmustern und Handlungsformen (vgl. Meuser 2003, Bohnsack et al. 2006, Bohnsack 2008). Damit ist sie geeignet, sowohl pädagogische Praktiken und ihre Begründungen als auch mögliche Veränderungen und Transformationen zu analysieren. Im Sinne der Grounded Theory Methodology (Strauss 1994) sind darüber hinaus möglichst offene Verfahren sinnvoll, die sich gegenseitig ergänzen und verschiedene Perspektiven der Analyse zugänglich machen. Einerseits ermöglicht ein methodisches und hinsichtlich theoretischer Vorannahmen offenes Vorgehen für den Erkenntnisprozess, nicht Erwartetes sehen zu können (vgl. Dellwing/Prus 2012: 71ff.) und das Feld ›sprechen zu lassen‹ (Skeggs 2001: 430). Andererseits gestattet eine solche Offenheit eine für die intersektionale Analyse erforderliche Sensibilität gegenüber Differenz- und Dominanzordnungen, die z.B. im Rahmen pädagogischer Diskurse oder Praktiken nicht offensichtlich thematisiert und in den Hintergrund gerückt werden, jedoch in ihren ein- und ausgrenzenden Wirkungen (auch für die Situation) nicht unbedeutend sind. Die Kombination eines

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re- und dekonstruktiven Verfahrens (s.o.) erlaubt es, alltagsweltliche Bedeutungskonstellationen, Differenzkonstruktionen und Praktiken kontextbezogen und reflexiv-analytisch zu rekonstruieren, ohne dabei automatisch hegemoniale und im empirischen Material thematisierte Differenzkonstruktionen zu affirmieren und zu reproduzieren (vgl. Fritzsche 2003). Für die Erforschung von Otheringprozessen, die im Handlungsvollzug, in Routinen und Interaktionen hergestellt und wirksam werden, erweisen sich ethnographische Zugänge und beobachtende Verfahren als besonders erfolgreich – mit ihren methodologischen und theoretischen Bezügen zum symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie sowie der partizipativen Feldforschung (vgl. Girtler 2001, Bergold/Thomas 2010). Anders als durch quantitative oder standardisierte qualitative Befragungen von Pädagog_innen kann mit diesem Vorgehen die soziale und situative Kontextualität von Otheringprozessen erfasst und mitberücksichtigt werden. Vor allem aber lassen sich die interaktiven und sozialen Aspekte des alltäglichen Herstellens von Differenzen, Grenzen und Zuschreibungen im Bildungskontext in den Blick rücken, womit ihrem Prozesscharakter entsprochen werden kann. Um pädagogisches Handeln bzw. den Umgang mit Differenzen und Ungleichheiten in realen pädagogischen Settings und Kontexten untersuchen zu können, bieten sich Interaktionsstudien (vgl. Goffman 1996 [1967]) oder teilnehmende Beobachtungen (vgl. Lüders 2007, Friebertshäuser/Panagiotopoulou 2010) von realen Unterrichtssituationen oder (sozial-) pädagogischen Projekten, von alltäglichen Interaktionen in der Jugend- oder Bildungsarbeit oder von Teamgesprächen, kollegialer Beratung oder Fallsupervisionen an. Die ethnographische Beobachtung kann durch videographische Verfahren ergänzt werden (vgl. Dinkelaker/Herrle 2009, Fritzsche/Wagner-Willi 2013). Beides hat sich inzwischen v.a. in der schulpädagogischen Forschung etabliert. Durch ethnographische Fallstudien werden beispielsweise in den Untersuchungen von Kolbe et al. (2009), Reh et al. (2010), Geier (2011) sowie Hummrich (2011) pädagogische Praktiken im Umgang mit Heterogenität oder Anerkennungsverhältnisse im schulischen Kontext (Fritzsche 2013, 2014) untersucht. Prozesse des doing gender und doing ethnicity werden mit einem ethnographischen Zugang z.B. von Weber (2003), Faulstich-Wieland et al. (2004) und Budde (2005) im Geschehen in Schulen und Schulklassen rekonstruiert. Bedeutsam in diesem Zusammenhang sind auch die ethnographischen Studien im Bereich der Elementarpädagogik von Diehm et al. (2013a, b), Kuhn (2013) und Machold (2014), die in kritisch-reflexiver Weise Differenz(-verhältnisse) in Einrichtungen der frühen Bildung untersuchen. Im sozialpädagogischen Forschungskontext ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die Studie von Cloos et al. (2009) zu nennen, in der durch ethnographische Forschung heraus-

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gearbeitet wird, wie Kinder- und Jugendarbeit von Professionellen konstruiert und hergestellt wird. Mit einer ethnomethodologischen Konversationsanalyse analysiert die Hildesheimer Forschungsgruppe von Böhringer et al. (2012) professionelle Beratungsgespräche mit jungen Erwerbslosen in Jobcentern, von Messmer und Hitzler (2007) werden Klient_innen-Konstruktionen in Jugendhilfeplangesprächen analysiert. Mit beobachtenden Verfahren ist insbesondere das performative Element des Handelns im Blick der Analyse. Allerdings kann damit auch nur die Außenperspektive, d.h. die Perspektive der Beobachter_in bzw. Forscher_in, rekonstruiert werden, jedoch nicht unbedingt der subjektive Sinn und die Perspektiven und Handlungsgründe der agierenden Subjekte. Deshalb wird in ethnographischen Untersuchungen zum Teil zusätzlich auf Methoden der Befragung zurückgegriffen. Zur Rekonstruktion des subjektiven Sinns und der subjektiven Handlungsgründe (für reproduzierendes oder widerständiges Handeln) sind darüber hinaus andere methodologische Herangehensweisen und methodische Zugänge erforderlich, mit denen die jeweiligen Situationen und dabei relevante Praktiken aus Sicht der handelnden Subjekte rekonstruiert werden können. Hierzu bieten sich offene, nicht-standardisierte Befragungsverfahren, wie z.B. ethnographische Interviews bzw. ero-epische Gespräche im Rahmen der Feldforschung (Girtler 2001), an. Bei diesen werden im Kontext ethnographischer Beobachtungen Gespräche mit relevanten Akteur_innen geführt, wobei die forschende Beobachtung expliziert und nach der diesbezüglichen Perspektive der Akteur_innen, deren Einschätzung und auch deren Handlungsgründen gefragt wird. Andere Möglichkeiten sind qualitative und episodische Interviews (Flick et al. 1995) oder Interviews mit einer problemzentrierten (Witzel 2000) oder narrativen Ausrichtung (z.B. Rosenthal 2011), in denen pädagogische Situationen, pädagogische Konzepte oder die Arbeit mit den Nutzer_innen zum Gegenstand gemacht werden. Dabei stehen die Erzählungen, die Bewertung und Einschätzung der Befragten im Mittelpunkt der Erhebung und Analyse. Hier können v.a. Deutungsmuster, Bilder, Werte, Normen und Selbstbilder der Professionellen thematisiert werden, ebenso deren Sonderwissen über Verfahrensabläufe, Routinen und Selbstverständnis der pädagogischen Organisation oder Institution, in der sie arbeiten (vgl. dazu Bogner/Menz 2002, Meuser/Nagel 2004). Indirekt können auch hier Handlungsformen, Routinen und pädagogische Interaktionen mit den Nutzer_innen untersucht werden, indem fiktive oder bereits erfahrene Praxen und Handeln anhand von konstruierten Fallvignetten oder realen Erfahrungsberichten über Fallkonstellationen aus der eigenen Praxis thematisiert werden. Allerdings kann dabei wenig über die Performanz an sich ausgesagt werden.

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Eine weitere relevante Methode stellt die Gruppendiskussion dar (Bohnsack 2000, Loos/Schäffer 2001). Mit diesem Zugang können kollektive Orientierungsmuster und Praktiken, der kollektive Sinngehalt sowie das Aushandeln von Bedeutungen in Realgruppen, wie pädagogischen Teams, Kollegien etc., rekonstruiert werden. Mit der Methode der Gruppendiskussion wurden in verschiedenen rekonstruktiven Analysen Differenzkonstruktionen von Professionellen unter einer intersektionalen Perspektive (Kubisch 2008) bzw. die Bedeutung von rassistischen Konstruktionen und Othering für gesellschaftlich engagierte Personen und in politischen Gruppen (Weiß 2001, Scherschel 2006) herausgearbeitet. Einen weiteren methodischen Zugang zur Erforschung von pädagogischen Umgangsweisen mit Differenz und Ungleichheit sowie von (diskursiven) Praktiken des Othering bietet die Dokumentenanalyse (vgl. Wolff 2008). Eine Dokumentenanalyse von pädagogischen Konzepten und Ansätzen, Leitbildern der Institutionen, von didaktischem Material oder Artefakten im pädagogischen Kontext ist aufschlussreich hinsichtlich impliziter Wissensbestände und Adressat_innenkonstruktionen sowie erklärter Ziele im Umgang mit Differenz und Ungleichheit. Gerade Differenz- und Normalitätskonstruktionen, Zuschreibungen und Konstruktionen von Anderen zeigen sich in schriftlichen Dokumentationen von Professionellen, in Diagnose- oder Verfahrensdokumenten, mit denen Projektverläufe, einzelne Projektsitzungen oder Unterrichtseinheiten dokumentiert werden. Sie präsentieren sich auch in Fallbeschreibungen und Aktennotizen sowie in Dokumenten der Bewertung wie in Zeugnissen oder in Zielvereinbarungen mit Adressat_innen. Zur Untersuchung der hier relevanten komplexen Forschungsfrage, die sowohl das Zusammenwirken verschiedener sozialer Differenzkonstruktionen und Ungleichheitsverhältnisse einbezieht als auch verschiedene Perspektiven auf den Forschungsgegenstand ermöglicht, ist die Konzentration auf eine der beschriebenen Methoden tendenziell unzureichend. Ein Multimethod-Design bzw. eine Mehrebenenanalyse mit einer Triangulation verschiedener methodischer Zugänge (vgl. Helsper et al. 2010, Hummrich 2011), welches bzw. welche die dargestellten methodischen Zugänge kombiniert und so eine Rekonstruktion aus verschiedenen Perspektiven ermöglicht, ist sinnvoll. Aus diesem Grund beschränken sich die wenigsten der erwähnten Forschungsprojekte auf nur einen methodischen Zugang.

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4.2.2 Methodische Zugänge und Herausforderungen der Forschung zu Bildungsprozessen Das zweite Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung betreffend stellt sich die Frage, wie Reflexions-, Bildungs- und Transformationsprozesse von Pädagog_innen untersucht werden können und mit welchen methodologischen und methodischen Implikationen und Herausforderungen dies verbunden ist. Methodologisch betrachtet stellt es für die Forschung eine Herausforderung dar, Bildungsprozesse zu untersuchen. Es erweist sich hier aufgrund der Komplexität und der potenziellen Unabgeschlossenheit von Lern- und Bildungsprozessen (s.o.) als herausfordernd bis unmöglich, einen solchen Prozess im Gesamten erfassen und rekonstruieren zu können (Koller 2012a). Eine Möglichkeit der empirischen Untersuchung von Bildungsprozessen wird in biographischen Analysen gesehen, da damit Bildungsprozesse aus der Perspektive der Biograph_innen nachgezeichnet werden können und gleichzeitig der sozialgesellschaftliche Kontext einbezogen werden kann (vgl. die Arbeiten von Nohl 2006, v. Rosenberg 2011, Georgi et al. 2011, Rose 2012). Auch wenn über die biographische Analyse retrospektiv Darstellungen von Veränderungen rekonstruiert werden können, bleibt dabei immer noch fraglich, ob eine biographische Erzählung zu einem bestimmten Zeitpunkt zuverlässig über Bildungsprozesse berichten kann, die sich in der erzählten Vergangenheit abgespielt haben (Koller 2012a). So sind es v.a. Handlungswidersprüche oder Krisen, durch die Reflexions- oder Bildungsprozesse angeregt wurden, oder die Erfahrung oder das Erkennen, etwas gelernt zu haben, die im Nachhinein durch Erzählung rekonstruiert werden können. Der Prozess an sich, wie Bildung und Lernen vonstattengegangen sind, bleibt jedoch der retrospektiven Betrachtung relativ unzugänglich. Eine andere Möglichkeit, Lern- und Bildungsprozesse zu untersuchen, wird in klassischen Versuchsanordnungen oder quasiexperimentellen Designs mit Vorher-Nachher-Vergleichen (vgl. Campbell/Stanley 1966) gesehen. Dieser Vergleich besteht in der Regel aus quantitativen Befragungen zu verschiedenen Messzeitpunkten, durch die mögliche Veränderungen in Einstellungen, Kompetenzen oder Wissen gemessen werden können. Zum einen kann bei dieser Art der Operationalisierung nicht von Bildung oder Lernen, höchstens von Veränderungen in Wissensbeständen, geäußerten Meinungen und Einstellungen gesprochen werden. Zum anderen verfügen solche Studien über eine geringe Aussagekraft zur Performanz von Bildung und Lernen. Selbst wenn Erhebungen zu zwei oder mehreren verschiedenen Zeitpunkten gemacht werden, können weder das, was davor, dazwischen oder danach geschehen ist, noch der Prozess an sich sowie damit verbundene Widersprüchlichkeiten beleuchtet und damit der Analyse

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zugänglich gemacht werden. So zeigte sich beispielsweise bei einer Interventionsstudie (Riegel et al. 2005, Oser et al. 2007, 2010) mit einem MultimethodDesign, welches neben qualitativen Methoden auch eine standardisierte quantitative Vorher-Nachher-Befragung enthielt, dass über die Messung von Veränderungen zwischen verschiedenen Zeitpunkten relativ wenig über Transformationsprozesse zu erfahren ist. Erst durch prozessbezogene Methoden, wie Unterrichtsbeobachtungen und teilnehmende Beobachtungen bei Weiterbildungen, sowie durch Gruppendiskussionen und Einzelinterviews mit den beteiligten Lehrer_innen und Schüler_innen, konnten Situationen, Momente und Prozesse, die auf Transformation oder auf Aha-Erlebnisse hinweisen, fokussiert und in ihrer Bedeutung für Bildungsprozesse weitergehend untersucht werden.4 Da es sich bei Lern- und Bildungsprozessen (verstanden als Transformationen der Denk- und Handlungsformen der Akteur_innen) um einen tendenziell unabgeschlossenen und hinsichtlich seines Ziels oder Ausgangs offenen, nichtlinearen und widersprüchlichen Prozess handelt (s.o.), der prinzipiell schwer zu erforschen ist, sind eine Forschungshaltung und Forschungszugänge sinnvoll, die sich durch Offenheit auszeichnen und dem Charakter der Prozesshaftigkeit entsprechen. Mit ethnographischen Methoden, offenen und systematischen Beobachtungen in formalen und non-formalen Bildungssettings sowie in alltäglichen (pädagogischen) Situationen und Handlungsvollzügen können empirische Hinweise auf Aha-Effekte, Veränderungen, Handlungswidersprüche oder Lernwiderstände gewonnen werden. Diese können in ergänzenden ethnographischen Befragungen oder in späteren Interviews mit den beteiligten Akteuren aufgegriffen und thematisiert werden. Durch offen gestaltete Interviews besteht die Möglichkeit, den Informant_innen den Raum zu geben, in Erzählungen, Beschreibungen und Argumentationen ihre Perspektive auf ihr Handeln und den jeweiligen Handlungskontext zu explorieren und damit einen empirischen Zugang zu deren subjektiven Handlungsgründen zu schaffen. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass es bei der Erforschung von Bildungs- und Lernprozessen nicht darum gehen kann, von ›außen‹, aus der Forscher_innen-Perspektive zu bestimmen, ob es sich um einen Bildungsprozess handelt oder nicht, ob Bildung oder Lernwiderstände stattgefunden haben oder nicht. Hier sei an das Postulat subjektwissenschaftlicher Forschung in Anschluss an Holzkamp (1993) oder Held (1994) erinnert, dass Lernen jeweils nur vom Standpunkt des Subjekts aus rekonstruiert werden kann. Methodisch bieten sich hier narrative oder problemzentrierte Einzelinterviews und bedingt Gruppendis-

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Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde zum Teil auf diese Daten zurückgegriffen und diese einer Re-Analyse unterzogen (s. Kapitel 5).

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kussionen an, in denen Veränderungs-, Reflexions- und mögliche Bildungsprozesse, aber auch Lernwiderstände und -blockaden von den Beteiligten erzählt und reflektiert werden können. In solchen kommunikativen, intersubjektiven Erhebungsformen kann jedoch ›nur‹ über Lernerfahrungen gesprochen bzw. laut nachgedacht werden; der Lernprozess an sich sowie Veränderungen in der Performanz bzw. im Handeln entziehen sich auch dieser Erhebungsform und sind deshalb durch ethnographische Zugänge zu ergänzen bzw. miteinander zu kombinieren.5 Eine weitere, ergänzende Methode der Untersuchung von Bildungsprozessen, die dem Anspruch entspricht, Bildungs- und Lernprozesse und damit verbundene Widersprüche aus der Perspektive der Lernsubjekte zu rekonstruieren, stellt die Dokumentenanalyse bzw. die diskursanalytische Untersuchung von schriftlichen Dokumenten dar, in denen von Professionellen die eigene Arbeit mit den Adressat_innen oder ein bestimmtes pädagogisches Projekt dokumentiert werden oder die gezielt der Reflexion der eigenen Bildung und Praxis und damit verbundenen Problemen und Herausforderungen dienen (z.B. Portfolio, Lerntagebücher, Dokumente aus Reflexionsübungen in Weiterbildungen usw.). Subjektwissenschaftlich betrachtet ist es darüber hinaus sinnvoll, den Forschungsprozess selbst zur Bildungs- und Reflexionsgelegenheit zu machen. Idealerweise stellt der Forschungsprozess selbst – für Forschende und Forschungssubjekte – einen Bildungsprozess dar bzw. regt zur Reflexion und Transformation von bisherigen Orientierungs- und Handlungsweisen an. Auf das Reflexionspotenzial von offenen, sowohl narrativen als auch problemzentrierten, Interviews wurde schon an verschiedenen Stellen hingewiesen (u.a. Riegel 2004, Rosenthal et al. 2006). Im Kontext der ethnographischen Forschung können die Interaktion zwischen Forschenden und Feldteilnehmenden sowie die Beobachtung selbst zum Anlass von Reflexion werden. Beispielsweise, wenn im Rahmen partizipativer Forschung die Beobachtungen der Forschenden (die ja ganz eindeutig aus deren Perspektive erfolgen) mit den beobachteten Akteur_innen zusammen zum gemeinsamen Gegenstand der Betrachtung und Analyse gemacht werden. Die Beobachtungen zu den Praktiken und Handlungsweisen der Pädagog_innen können so nicht nur intersubjektiv validiert werden, sondern auch zusammen hinsichtlich deren Bedeutung und Folgen für die Aufrechterhaltung und Reproduktion hegemonialer Differenzkonstruktionen und Dominanzverhältnisse reflektiert werden. Idealerweise bleibt dies jedoch kein einseitiger Prozess, und auch die Praxis und

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Eine solche Methodenkombination haben beispielsweise Stauber/Kaschuba (2006) in einer Evaluation medienpädagogischer Projekte vorgenommen, die sie methodologisch zur Reflexion von Gender-Dynamiken bei der Rekonstruktion von Bildungsprozessen nutzen konnten (Stauber 2008).

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die Interpretationen der Forschenden werden einer solchen gemeinsamen Reflexion unterzogen. Durch die gegenseitigen Rückmeldungen (sowohl die der Forschenden gegenüber denjenigen, die sie in ihren Praktiken beobachtet haben als auch dieser gegenüber der Forschungspraxis und der Interpretationen der Forschenden), die Konfrontation der eigenen Perspektive mit dem Blick ›von außen‹, können die jeweiligen Praktiken und Interpretationen der Beteiligten in ihrer Selbstverständlichkeit infrage gestellt und der (selbst-)kritischen Reflexion zugänglich gemacht werden. Je nachdem wie weit dieser kooperative Austausch geht, lässt sich auch gemeinsam über alternative Handlungsformen nachdenken und diese entwickeln. Dadurch können bestenfalls bei Pädagog_innen und Forscher_innen Bildungsprozesse angeregt werden. Ein solch dialogischer Forschungsprozess zwischen Forscher_innen und Praktiker_innen ist jedoch nicht widerspruchsfrei, da er verschiedene Machtasymmetrien enthält und in Machtverhältnisse verstrickt ist, was einen egalitären Austausch und die Möglichkeit der Reflexion erschwert. Denn das der Forschung und Praxisreflexion (notwendigerweise) inhärente Sprechen über Differenz ist – wie bereits herausgearbeitet – ambivalent. Britta Hoffarth und Claudia Machold (Arbeitsgruppe Inter Kultur 2011) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass »in jedem Sprechen und Forschen über Differenz sowohl Ermöglichendes als auch Verunmöglichendes« (ebd.: 18) liegt. Sie sprechen damit das Spannungsverhältnis von widerständigverändernder und reproduzierender Praxis an, indem sie weiter ausführen: »Ermöglichendes dann, wenn das Sprechen über Erkenntnisse zu einer subversiven Praxis wird, die hegemoniale Wissensbestände nicht einfach abbildet, sondern zu ihrer Dekonstruktion und Rekonstruktion im Sinne einer gerechteren Welt beiträgt. Verunmöglichendes, wenn allzu bekanntes Wissen noch einmal gesprochen wird.« (Ebd.: 18f.)

In diesem Sinne ist nicht nur für den Erkenntnisprozess der Forschung, sondern ebenfalls für die damit verbundene Praxisreflexion (von pädagogischer als auch forschender Praxis) zu fragen: »Wie wird Differenz wiederholt und welche ermöglichenden und/oder verunmöglichenden Effekte lassen sich rekonstruieren?« (ebd.: 19) Angesichts des Involviertseins aller Beteiligten in Machtverhältnisse ist gleichzeitig zu reflektieren, aus welcher sozialen Positionierung und mit welcher damit verbundenen Perspektivität die Beteiligten (aus Forschung und Praxis) den gemeinsamen Prozess der Dekonstruktion und Rekonstruktion vornehmen und welche Effekte wiederum daraus resultieren. Bedeutsam für diese Art der Forschung sind auch Forschungsansätze wie der der Aktionsforschung, welcher Möglichkeiten der Partizipation und der aktiven Mitwirkung am Forschungsprozess, unter anderem mit der Perspektive und Me-

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thode der Veränderung von (ungerechten und repressiven) Verhältnissen, enthält (vgl. Bergold/Thomas 2010). Die Übergänge zwischen Aktionsforschung, partizipativer Feldforschung und Praxisforschung sind dabei fließend. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang das Konzept der Mitforscher_innen, wie es im Kontext der subjektwissenschaftlichen Prämissen der Kritischen Psychologie entwickelt wurde (vgl. Holzkamp 1983a, Held 2010). Hier wird Forschung prinzipiell als in die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse eingreifende Tätigkeit verstanden (vgl. Haug 2003, Reimer 2008), wobei die Entwicklung des Forschungsinteresses vom Standpunkt des Subjekts und dessen Handlungsproblematik aus erfolgt. Dies resultiert in einem möglichst weitreichenden Einbezug der Akteur_innen im Feld, sodass aus ›Beforschten‹ im herkömmlichen Sinne Mitforschende werden. Das Mitforschenden-Konzept bedeutet, dass gemeinsam mit Forscher_innen (z.T. sind diese identisch) einem Handlungsproblem oder einer sozialen Herausforderung forschend nachgegangen wird.6 Das gemeinsame Interesse an Forschung ist dabei die Handlungs- und Verfügungserweiterung.7 Vor diesem Hintergrund ist darüber nachzudenken, inwieweit durch (differenzsensible und dominanzkritische) Forschung Reflexions- und Bildungspotenziale für die Forschungssubjekte angeregt werden können (vgl. Held 2010).8 Bei den hier vorliegenden Untersuchungen, auf die sich die empirischen Studien bezie-

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Konsequent wurde der Anspruch, die in der hegemonialen Forschungsordnung als ›Beforschte‹ Bezeichneten auf die Subjektseite der Forschung zu holen, in Projekten kollektiver Erinnerungsarbeit (vgl. Haug 1990) und kollektiver AutobiographieForschung umgesetzt, in denen alle Beteiligten zu Mitforscher_innen qualifiziert wurden und am gesamten Forschungsprozess beteiligt waren. Für den Bereich der Jugendforschung und der damit verbundenen Anforderungen und Begrenzungen der Umsetzung wurde das Konzept u.a. von Held (1994), Held/Leiprecht/Riegel (1997) und Riegel (2004) kritisch diskutiert.

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Holzkamp beschreibt dies wie folgt: »Und es kommt also darauf an, für die [und mit den] jeweils Betroffenen eine Begrifflichkeit und Verfahrensweise zu entwickeln, mit denen sie selber die Bedingungen verallgemeinert erfassen können, unter denen sie ein Stück an Verfügungserweiterung und Verbesserung ihrer Lebensqualität in der jeweilig konkreten Fragestellung herauskriegen.« Vor diesem Hintergrund ist es für die Betroffenen möglich, »ein Stück mehr an Überwindung der Abhängigkeit zu gewinnen.« (Holzkamp 1983b: 157)

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Bedeutsam und unumgänglich ist hier die ständige Reflexion der poteniell unterschiedlichen Perspektiven von Forscher_innen und Akteur_innen im Feld, die in den Forschungs- und Bildungsprozess eingebracht werden, wofür eine intersektionale Perspektive auf die darin wirkenden Machtverhältnisse und Interaktionen hilfreich ist.

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hen, handelt es sich auch um ein Forschungsdesign, in dem Bildung nicht nur Gegenstand der Forschung ist, sondern durch die Gestaltung des Forschungsprozesses Bildung auch angestoßen und ermöglicht werden soll (s. dazu Kapitel 5). Allerdings ist eine auf soziale Differenzen und Ungleichheit gerichtete Forschung immer mit Gefahren und Fallstricken verbunden (s.o.). Im Kontext der Forschung zu Othering besteht neben der Gefahr der Reifizierung von dominanten sozialen Kategorisierungen die Gefahr der Reproduktion von rassistischen, sexistischen und normativen Diskursen und Praxen sowie dominanten Differenzordnungen (vgl. Holzkamp 1994: 293; Arbeitsgruppe Inter Kultur 2011). Dies bedarf nicht nur einer sensiblen Gestaltung der Forschungsinstrumente und eines reflektierenden Vorgehens im Forschungsprozess, sondern einer dekonstruktivistischen und das Involviertsein in Machtverhältnisse reflektierenden Forschungshaltung – die über den Aspekt der Reflexion hinausweist und gleichermaßen ermöglicht, sich mit Perspektiven der Kritik und Veränderung im Sinne widerständiger Praxen und Möglichkeiten der Verfügungserweiterung auseinanderzusetzen. Hier bietet die intersektionale Perspektive eine Analysefolie bzw. ein kritisches Reflexionsinstrument (s.o.), mit der nicht nur Differenzverhältnisse in ihrem Kontext und in ihrer Überlagerung untersucht werden, sondern gleichermaßen Prozesse der Thematisierung und De-Thematisierung sowie die damit verbundenen Konsequenzen für hegemoniale Repräsentationen und Ordnungen im Forschungskontext analysiert werden können. Anti-kategoriale Ansätze (vgl. McCall 2005) und dekonstruktivistische Perspektiven von Intersektionalität bieten die Möglichkeit der kritischen Reflexion des Forschungsprozesses und dessen Gestaltung. Damit kann kritisch hinterfragt werden, inwiefern im Forschungsprozess vorherrschende Kategorisierungen sowie dominante Ordnungen und Sichtweisen reproduziert werden und wie bzw. welche Repräsentationen im Spannungsfeld von Thematisierung und De-Thematisierung von Differenz ermöglicht oder verunmöglicht werden. Gleichermaßen sind mit dieser Perspektive die Standortgebundenheit der Forschenden sowie die (widersprüchlichen) Verstrickungen aller am Forschungsprozess Beteiligten und deren Positionierungen in hegemonialen Macht- und Differenzverhältnissen in den Blick zu nehmen und in die Analyse mit einzubeziehen. Angesichts der gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie der Verwobenheit von Forschung in diese bleibt es für eine emanzipative und gleichzeitig differenzsensible Forschung eine Herausforderung, subjektivierende, ausgrenzende und diskriminierende Kategorisierungen, Deutungsmuster und Praktiken zu untersuchen, ohne sie dabei zu wiederholen und damit weiter zu festigen. Damit besteht auch weiterhin die Gefahr, Othering bei der ›Forschung zu Othering‹ zu reproduzieren.

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Vor diesem Hintergrund erscheint es aus einer dekonstruktivistischen und herrschaftskritischen Perspektive erforderlich, sich in Forschungsprojekten (auch in differenzbezogenen) nicht auf Kategorien und Differenzkonstruktionen zu konzentrieren, sondern die gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu fokussieren, in die sowohl die untersuchten Diskurse und Praktiken als auch die Praxis der Forschung involviert sind, und deren machtvolle Effekte sowie Perspektiven der Verschiebung und Veränderungen herauszuarbeiten.

5. Forschungskontexte und methodische Rahmung

Bevor in den folgenden beiden Kapiteln die empirischen Studien zu Prozessen des Othering im Bildungskontext sowie zu Reflexions- und Bildungsprozessen von Pädagog_innen vorgestellt und die Ergebnisse diskutiert werden, sollen zuvor, in diesem Kapitel, das Erkenntnisinteresse und der Kontext dieser Untersuchungen sowie das methodische Vorgehen geklärt werden. Gegenstand der empirischen Studien sind Otheringprozesse im Bildungskontext. Es wird zum einen danach gefragt, wie Professionelle der Bildungsarbeit an Othering beteiligt sind, zum anderen nach möglichen Bildungs- und Reflexionsprozessen von Pädagog_innen in der Auseinandersetzung mit Verhältnissen von Differenz und Ungleichheit. Dabei wird mit dem ersten Fokus der Blick stärker auf das reproduzierende Moment pädagogischen Handelns gerichtet, mit dem zweiten mehr auf Aspekte und Potenziale der Reflexion sowie der Veränderung eingegangen. Die fokussierten Prozesse werden exemplarisch anhand von Fallstudien untersucht, wobei verschiedene qualitative Forschungsmethoden angewandt und zueinander in Beziehung gesetzt werden. So ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass es sich hier nicht um eine in sich homogene Untersuchung mit einem zu Beginn festgelegten Forschungsdesign handelt. Vielmehr wurden mit dem Fokus des genannten Erkenntnisinteresses das Feld der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit, in dem Themen rund um Differenz, Diversität, Ausgrenzung und Diskriminierung behandelt werden, ethnographisch beobachtet und in diesem Zusammenhang für die Fragestellung relevante Situationen, Konstellationen und Zusammenhänge aufgegriffen und der Analyse unterzogen. Vor dem Hintergrund, dass sich auf unterschiedliches Datenmaterial und auf verschiedene Forschungs- und Praxiskontex-

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te bezogen wird, ist es sinnvoll, – im Plural – von Studien zu Bildung und Othering zu sprechen. Für diese Studien und damit zusammenhängende Analysen war und ist eine intersektionale Perspektive, wie sie im vorherigen Kapitel dargestellt wurde, erkenntnisleitend. Mit dieser eng verbunden ist eine gegenüber hegemonialen Differenz- und Dominanzverhältnissen dekonstruktivistische Forschungshaltung und Perspektive (Derrida 2004, Tuider 2015). Somit sind für die Analysen von Othering im Bildungskontext sowohl Elemente der Rekonstruktion wie auch der Dekonstruktion bedeutsam: Othering- und Bildungsprozesse werden nicht nur rekonstruiert, sondern auch hinsichtlich ihrer herrschaftssichernden Funktionen sowie der ein- und ausgrenzenden Mechanismen und Folgen befragt. Im Folgenden werden über diese kurze Charakterisierung der Studien hinausgehend das empirische Erkenntnisinteresse und die Forschungsfragen weiter ausgeführt, daran anschließend der Forschungskontext der Fallstudien näher erläutert, das methodische Vorgehen konkretisiert, das in Kapitel 4 bereits methodologisch gerahmt und hergeleitet wurde. Anschließend werden Informationen zur Zusammensetzung des Samples gegeben. Davon ausgehend wird die Bedeutung der sozialen Positioniertheit aller an der Forschung Beteiligten, insbesondere der Forschenden selbst, erörtert. Abschließend geht es vor dem Hintergrund methodologischer Prinzipien um das konkrete Vorgehen in der Analyse und es werden Aussagen über die Reichweite und Verallgemeinerbarkeit dieser gemacht.

5.1 E RKENNTNISINTERESSE F RAGESTELLUNG

UND EMPIRISCHE

Den Fragen nach Otheringprozessen im Bildungskontext auf der einen und Bildungsprozessen von pädagogisch Professionellen auf der anderen Seite liegt ein doppeltes Erkenntnisinteresse zugrunde. Dieses wird anhand von zwei zentralen Forschungsfragen verfolgt: a.

In welcher Weise kommt es im Rahmen von pädagogischem Handeln zu Othering? In welcher Weise nehmen Professionelle in Diskursen und Praktiken im pädagogischen Kontext Kategorisierungen, Grenzziehungen, Auf- und Abwertungen, Auslassungen sowie Normierungen und Normalisierungen vor? Mit welchen Folgen für die Beteiligten sowie für die Aufrechterhaltung bzw. Veränderung der hegemonialen Ordnung ist dies (potenziell) verbunden?

F ORSCHUNGSKONTEXTE UND

b.

METHODISCHE

R AHMUNG | 161

Hier zielt das Erkenntnisinteresse auf Formen und Mechanismen von Othering im pädagogischen Kontext sowie auf damit verbundene Effekte und Konsequenzen ab. In welcher Weise setzen sich pädagogisch Professionelle mit Verhältnissen von sozialer Diversität und Ungleichheit auseinander und inwiefern und unter welchen Voraussetzungen kommt es dabei zu Prozessen der Veränderungen der bisherigen Denk- und Handlungsmuster? Mit dieser Frage wird der forschende Blick auf Reflexionsund Bildungsprozesse von Pädagog_innen und auf damit einhergehende Widersprüche, Grenzen und Brüche gerichtet.

Auch wenn die Forschungsfragen unterschiedliche Aspekte fokussieren und in den folgenden Kapiteln die Ergebnisse der beiden Forschungsperspektiven voneinander getrennt dargestellt werden, ist jedoch der enge Zusammenhang zwischen Othering und Bildung1, wie er bereits am Ende des dritten Kapitels herausgearbeitet wurde, zu betonen. Beide hier im Fokus stehenden Prozesse sind nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Unter einer intersektionalen Analyseperspektive ist von Interesse, wie für das Denken und Handeln der Professionellen hegemoniale, sich überlagernde Differenz- und Dominanzverhältnisse relevant sind, inwieweit in pädagogischen Diskursen und Praktiken auf soziale Differenzkonstruktionen und Dominanzverhältnisse (direkt oder indirekt) Bezug genommen wird und in welcher Weise das diesbezügliche intersektionale Zusammenspiel für Prozesse und Effekte des Othering relevant werden. Die Analyse der Forschungsfragen erfolgt darüber hinaus unter einer institutionen- und professionsbezogenen Perspektive. Es wird danach gefragt, in welcher Weise die beiden Bildungskontexte Schule und Jugendarbeit sowie professionsspezifische Diskurse und Habitus-Formen die jeweiligen pädagogischen Diskurse und Praktiken rahmen und wie Veränderungs- und Transformationsprozesse der Professionellen dadurch befördert bzw. ermöglicht oder auch erschwert bzw. begrenzt werden.

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Bildung ist hier als vermittelnde Tätigkeit, als Transformationsprozess des SelbstWelt-Verhältnisses bzw. Selbstbildung oder im Sinne der Rahmung von Bildung durch Institutionen und Bildungssysteme gemeint (vgl. dazu Kapitel 3).

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5.2 F ORSCHUNGSKONTEXTE Der Frage nach Othering im Bildungskontext wurde in verschiedenen Forschungskontexten nachgegangen. Gemeinsam ist den verschiedenen Kontexten, dass es sich um Institutionen und Projekte der außerschulischen und schulischen Bildungsarbeit handelt, die sich explizit (im Rahmen von Projekten) oder implizit (aufgrund der Zusammensetzung der Adressat_innen bzw. der gesellschaftlichen Verhältnisse) mit Fragen und Verhältnissen von Differenz, Diversität, Diskriminierung und Ungleichheit auseinanderzusetzen hatten. Dabei standen zwei Bildungsprojekte im Fokus der Untersuchungen, die zwar in unterschiedlichen nationalen Kontexten (in der Schweiz und in Deutschland) und zu unterschiedlichen Zeiten stattfanden, die jedoch inhaltlich und methodisch ähnlich ausgerichteten waren: •



Das Forschungsprojekt »Prävention von Rechtsextremismus und ethnisierter Gewalt an Schulen. Eine Interventionsstudie mit Weiterbildungsmaßnahmen in der Schweiz« (Projekt 1). Das Kooperations-Tandem-Weiterbildungsprojekt zu »Alltagsrassismus und Diversität« (Projekt 2).

In beiden Projekten stand die Umsetzung eines Bildungsprojekts im Zentrum, an dem sowohl Pädagog_innen als auch Jugendliche beteiligt waren: Die Pädagog_innen führten mit Schulklassen der Klassenstufen 6 bis 10 jeweils ein sechsmonatiges Projekt zum Thema »Vom Zusammenleben und Ausgrenzen« durch. Begleitend besuchten die Pädagog_innen speziell auf das Projekt bezogene Weiterbildungsveranstaltungen, in denen u.a. die Arbeit mit den Jugendlichen gemeinsam reflexiv bearbeitet werden konnte. Das Bildungsprojekt mit den Jugendlichen war also eng mit den Weiterbildungsveranstaltungen und den Bildungs- und Reflexionsperspektiven der Pädagog_innen verbunden. Erstmalig wurde dieses Bildungsprojekt im Rahmen des Forschungsprojekts2 »Prävention von Rechtsextremismus und ethnisierter Gewalt an Schulen. Eine Interventionsstudie mit Weiterbildungsmaßnahmen« (Laufzeit von 2004 bis 2006) von Fritz Oser, Christine Riegel und Sabine Tanner an der Universität Fribourg in dieser Form entwickelt, in der deutschsprachigen Schweiz durchgeführt

2

Das Forschungsprojekt wurde vom Schweizer Nationalfonds finanziert und war Bestandteil des Forschungsprogramms NFP 40+.

F ORSCHUNGSKONTEXTE UND

METHODISCHE

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und umfassend mit qualitativen und quantitativen Methoden evaluiert3. Der Fokus dieser Studie lag neben der Entwicklung des Interventionsprogramms und der Durchführung der Weiterbildung auf der empirischen Untersuchung von Veränderungen und Bildungsprozessen der Schüler_innen. Zudem wurde nach den Effekten der Projektteilnahme bei den Jugendlichen gefragt (zu den Ergebnissen vgl. Oser et al. 2007, 2009). Allerdings zeigte sich bei den Beobachtungen im Feld, sowohl bei der Durchführung der Bildungsveranstaltung durch die Lehrer_innen als auch bei den Weiterbildungsveranstaltungen mit diesen, dass auch die Pädagog_innen in ihren Diskursen, Praktiken und Interaktionen mit den Schüler_innen Ein- und Ausgrenzungen vornahmen. Vor diesem Hintergrund hat sich das Erkenntnisinteresse noch während des laufenden Projekts erweitert und der forschende Blick wurde verstärkt auch auf Praktiken und Diskurse der Lehrkräfte und deren Folgen gerichtet. Im Rahmen der vorliegenden Studien habe ich auf Daten aus diesem Projekt zurückgegriffen und diese vor dem Hintergrund des Forschungsinteresses an Otheringprozessen im Kontext pädagogischen Handelns reinterpretiert. Das zweite Projekt, mit dem Titel »Alltagsrassismus und Diversität«, wurde im Jahr 2010 als Weiterbildungsprojekt für Pädagog_innen in Deutschland durchgeführt. Dieses Projekt orientierte sich in Konzeption und inhaltlicher Ausrichtung weitgehend an dem Bildungsprojekt der ersten Studie und wurde von dessen theoretischer, struktureller und inhaltlicher Basis ausgehend entwickelt und für den deutschen Kontext passend gemacht. Darüber hinaus wurde eine bedeutende Modifikation vorgenommen: Dieses Projekt beschränkte sich nicht auf den Kontext Schule, sondern fand auch in Räumen und pädagogischen Kontexten der Jugendarbeit statt. Dementsprechend wurde die Intervention bzw. das Bildungsprojekt jeweils von pädagogischen Tandems – Lehrer_innen und Jugendarbeiter_innen – gemeinsam durchgeführt. Entsprechend erfolgten die Organisation des Projekts sowie die gemeinsame Leitung der Weiterbildungen durch einen Träger der offenen Jugendarbeit und des Schulamtes desselben Landkreises. Darüber hinaus wurde das Projekt wissenschaftlich begleitet.4

3

Dabei handelte es sich um Videographie und teilnehmende Beobachtungen bei der Durchführung der Projekte, Gruppendiskussionen und qualitative Interviews mit Jugendlichen, Interviews mit den beteiligten Lehrer_innen sowie eine quantitative Befragung der Jugendlichen mit einem Repeated-Measure-Design mit drei Befragungszeitpunkten.

4

Dieses Projekt war jedoch nicht wie Projekt 1 als Interventions- und Evaluationsstudie mit einem Multimethod-Design konzipiert. Das Forschungsinteresse lag hier v.a. auf Othering- und Bildungsprozessen und deren Untersuchung durch qualitative Studien.

164 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING

In beiden Projekten wurde das gleiche Programm mit den Jugendlichen durchgeführt und dieses an den jeweiligen Bedarf der einzelnen Klassen sowie an die jeweiligen sozialen und gesellschaftlichen Erfordernisse angepasst. Inhaltlich zeichnete sich das Programm des Bildungsprojekts für die Jugendlichen5 dadurch aus, dass sich Module mit der Thematisierung von Diversität und Vielfalt in Verhältnissen sozialer Ungleichheit und Module mit einer dekonstruktivistischen Perspektive auf Formen der Diskriminierung, Ausgrenzung, Missachtung abwechselten, also beide Aspekte thematisiert wurden, wobei tendenziell die Bedeutung von alltäglichem Rassismus im Mittelpunkt stand. Während in der ersten Hälfte des Projekts v.a. auf Sensibilisierung für die genannten Verhältnisse und die Dekonstruktion von hegemonialen Bildern abgezielt wurde, ging es in der zweiten Hälfte stärker um konkretes Handeln in durch Ungleichheit geprägten Verhältnissen und die Erarbeitung von alternativen Handlungsmöglichkeiten zu gewaltförmigen und ausgrenzenden Praktiken. Kennzeichnend für beide Projekte ist die enge Verzahnung von Projektdurchführung und Weiterbildung. So waren die Pädagog_innen in doppelter Hinsicht am Projekt beteiligt. Sie führten das Programm über den Zeitraum eines halben Jahres mit den Jugendlichen in der Schule oder im Jugendhaus durch und wurden zudem über den gesamten Zeitraum hinweg durch Weiterbildungsworkshops begleitet. Die Weiterbildungsmodule waren so konzipiert, dass neben fachlichen Inputs und der Möglichkeit der gemeinsamen Vorbereitung v.a. Raum gegeben wurde, damit sie sich im kollegialen Austausch sowie mit Referent_innen und Projektleitung reflektierend mit der Umsetzung des Bildungsprojekts, mit den Jugendlichen sowie dem eigenen pädagogischen Handeln auseinandersetzen konnten. Gleichermaßen konnten die Weiterbildung mit in die begleitende Forschung einbezogen werden und beispielsweise für die vorliegende Studie relevante (Beobachtungs-)Daten gewonnen werden.

Dies erfolgte zum einen durch die Diplomarbeit von Michaela Freiheit (2011), die der Frage nachging, wie die beteiligten Jugendlichen mit Vielfalt und Diskriminierung umgehen, zum anderen im Rahmen der vorliegenden Studie mit Blick auf das pädagogische Handeln und auf Veränderungs- und Transformationsprozesse von Pädagog_innen. 5

Vgl. dazu das Modulhandbuch »Vom Zusammenleben und Ausgrenzen. 10 Unterrichtseinheiten« (Oser/Riegel/Tanner 2005), das für das Tandem-Projekt auf die Verhältnisse in Deutschland und die Kooperation von Jugendarbeit und Schule angepasst wurde. Zur Darstellung der einzelnen Modulbestandteile und der Durchführung von Projekt 1 vgl. Riegel/Oser/Tanner (2005) und Oser/Riegel/Tanner (2007).

F ORSCHUNGSKONTEXTE UND

METHODISCHE

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Methodisch entspricht diese Verknüpfung von pädagogischer Intervention, Weiterbildung und Forschung einem Vorgehen, das bereits in anderen Interventionsstudien, z.B. zur moralischen Entwicklung und Erziehung (vgl. Oser/Schläfli 1986) angewandt wurde. Dieser Ansatz bietet die Möglichkeit, das Interventionsprogramm kontextbezogen zu untersuchen. Er ermöglicht darüber hinaus, die Pädagog_innen in den Forschungsprozess einzubeziehen, und eröffnet dadurch Reflexions- und Bildungsgelegenheiten. So bestand nicht nur im Rahmen der Weiterbildungen Raum für Reflexion, zum Teil fanden auch im Anschluss an einzelne Projekteinheiten Reflexionsgespräche zwischen Forschenden und Pädagog_innen statt. Hier handelt es sich um ein Forschungsdesign, in dem Bildung nicht nur Gegenstand der Forschung ist, sondern ebenso die Möglichkeit geschaffen wird, Reflexions- und Bildungsprozesse bei allen Beteiligten anzuregen. Diesbezüglich enthalten die Projekte Elemente von Handlungsforschung oder einer partizipativen Praxisforschung (vgl. Haug 1990, Völter 2007, Bergold/Thomas 2010, Coelen 2010, Held 2010). Aus diesen beiden Projekten heraus wurden die vorliegende Studie und das damit verbundene Erkenntnisinteresse entwickelt. Die in den folgenden Teilkapiteln dargestellten Ergebnisse der Analysen basieren zu einem großen Teil auf den dort gewonnenen Daten. Hierzu wurden mit Bezug auf Projekt 1 eine Sekundäranalyse (vgl. Witzel/Medjedović 2010) der qualitativen Daten der empirischen Untersuchung durchgeführt und das Datenmaterial aus den Unterrichtsbeobachtungen und den Interviews mit den Lehrkräften einer erneuten Analyse unterzogen, nun hinsichtlich der Frage nach pädagogischen Praktiken des Othering sowie nach Bildungsprozessen der beteiligten Pädagog_innen. In Projekt 2 erfolgten teilnehmende Beobachtungen bei den Weiterbildungen und bei der Projektumsetzung durch die Pädagog_innen, darüber hinaus wurden leitfadengestützte Interviews mit den beteiligten Lehrer_innen und Sozialpädagog_innen geführt.

5.3 F ORSCHUNGSMETHODISCHE Z UGÄNGE Die gesamte Untersuchung ist durch die Verzahnung verschiedener Elemente von Forschung und Praxis gekennzeichnet. Die beiden aufeinander bezogenen und parallel zueinander stattfindenden Bildungsveranstaltungen (das Projekt mit den Jugendlichen und die Weiterbildungen der Pädagog_innen) wurden von Beginn an durch Forschung begleitet. Dabei wurden, dem jeweiligen Forschungskontext und -gegenstand entsprechend, verschiedene methodische Zugänge gewählt.

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Die empirische Untersuchung von Bildungs- und Otheringprozessen erfolgte auf der Basis folgender methodischer Elemente und Daten: •







Teilnehmende Beobachtung und ethnographische Forschung (vgl. Lüders 2007, Friebertshäuser/Panagiotopoulou 2010) – bei den Projekten mit den Jugendlichen und bei den Weiterbildungen der Pädagog_innen. Die Beobachtungen in den Projekten mit den Jugendlichen wurden durch detaillierte Beobachtungsprotokolle festgehalten und für den Forschungskontext relevante Sequenzen zu dichten Beschreibungen ausgearbeitet. Darüber hinaus wurden in Projekt 1 ausgewählte Projekteinheiten durch Videoaufnahmen dokumentiert. Die Beobachtungen bei den Weiterbildungen wurden teils durch detaillierte Beobachtungsprotokolle festgehalten, teils durch Gedächtnisprotokolle, wobei diese durch Tonbandmitschnitte einzelner Sequenzen der Weiterbildung ergänzt wurden.6 Leitfadengestützte episodische Interviews (vgl. Flick et al. 1995, Helfferich 2005) – mit den beteiligten Pädagog_innen am Ende des Projekts. Diese Interviews bestanden aus zwei Teilen: Erstens aus einer rückblickenden Betrachtung des Verlaufs des Projekts aus ihrer Perspektive und zweitens einem (lauten) Nachdenken und Sprechen über mögliche eigene Veränderungen im Verlauf des Projekts. Die Interviews wurden wortwörtlich transkribiert. Gespräche mit den Pädagog_innen im Rahmen der ethnographischen Beobachtungen oder Reflexionsgespräche. Diese wurden durch Gedächtnisprotokolle festgehalten. Auswertung von Dokumentationsnotizen der Pädagog_innen.

Über die Daten aus den beiden Bildungsprojekten hinaus stellen Interviews und Gruppendiskussionen mit pädagogischen Fachkräften aus unterschiedlichen (sozial-)pädagogischen Feldern eine weitere empirische Basis dar: Diese zusätzlichen Daten wurden v.a. im Feld der offenen Jugendarbeit erhoben, da zunächst, bevor Projekt 2 startete, nur empirisches Material aus dem schulischen Bildungskontext vorlag. Zusätzlich konnte auch auf empirisches Material, das im

6

Die unterschiedliche Form der Dokumentation der Beobachtungen in den Weiterbildungen und den Unterrichtsbeobachtungen hängt damit zusammen, dass ich als Forschende in die Durchführung der Weiterbildungen weitaus stärker mit Redebeiträgen und Inputs eingebunden war als in die Durchführung der Projekte mit den Jugendlichen, die allein durch die Pädagog_innen erfolgte und bei denen ich nur die Rolle der Beobachterin hatte.

F ORSCHUNGSKONTEXTE UND

METHODISCHE

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Rahmen eines universitären Lehr-Forschungs-Projekts zum Thema Diversität in der Jugendarbeit gewonnen wurde, zurückgegriffen werden.7

5.4 Z UM S AMPLE UND ZUR SOZIALEN P OSITIONIERUNG DER AN DEN S TUDIEN B ETEILIGTEN An Projekt 1 waren insgesamt zweiunddreißig Schulklassen der Sekundarstufe und drei Berufsschulklassen beteiligt. Davon wurden in sechs Schulklassen Unterrichtsbeobachtungen mit Videodokumentation und mit sieben Lehrer_innen leitfadengestützte Interviews am Ende des Projekts durchgeführt. Darüber hinaus fanden verschiedene Gespräche im Rahmen der Weiterbildung oder im vor- oder nachbereitenden Austausch zu den Projekten statt, die in Gedächtnisprotokollen dokumentiert wurden. In Projekt 2 waren fünf Schulklassen der Sekundarstufe (aus Haupt- und Werkrealschulen) und aus schulischen beruflichen Übergangsangeboten involviert, die jeweils von einer Lehrperson und einer Jugendarbeiter_in im Projekt angeleitet wurden. Hier wurden in vier Klassen Beobachtungen bei der Projektumsetzung und mit acht Pädagog_innen leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Darüber hinaus fanden im Anschluss an die Beobachtungen Reflexionsgespräche mit den Pädagog_innen statt. Bei den Weiterbildungen wurden ebenfalls teilnehmende Beobachtungen durchgeführt. Die an den Projekten beteiligten Schulklassen waren in Deutschland hinsichtlich Geschlecht, Migrationsgeschichte (mit und ohne) und sozialökonomischer Herkunft heterogen zusammengesetzt, in der Schweiz waren in einigen Sekundarschulklassen Schüler_innen mit (zugeschriebenem) Migrationshintergrund nur marginal vertreten. Die Berufsschulklassen wurden in zwei Fällen ausschließlich von jungen Männern besucht. Die soziale Zusammensetzung der an den Projekten oder nur an der Forschung beteiligten Pädagog_innen hingegen war sehr viel weniger divers. Im Durchschnitt sind diese, v.a. in den genannten Schulformen, i.d.R. besser situiert als die Schüler_innen (und deren Familien), mit denen sie zusammenarbeiten. Wenngleich die am Projekt teilnehmenden Pädagog_innen in ihren gesellschaftlichen Positionierungen Unterschiede auswiesen, entsprach das Gesamtbild der nach wie vor üblichen (relativ homogenen) Zusammensetzung von Lehrer_innen und Sozialpädagog_innen (vgl. Kapitel 3.1): Sie arbeiteten alle in mehr oder we-

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An dieser Stelle möchte ich mich bei den Studierenden bedanken, dass sie mir das Material zur Verfügung gestellt haben.

168 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING

niger sicheren Arbeitsverhältnissen (wobei die der Lehrkräfte deutlich besser bezahlt und abgesichert sind als die Pädagog_innen der Jugendarbeit), verfügten über eine akademische Ausbildung und sind entsprechend sozial gut situiert. Des Weiteren zeigte sich eine Weiße mehrheitsgesellschaftliche Dominanz in der Zusammensetzung der beteiligten Pädagog_innen, wobei sowohl Personen mit und ohne eigene bzw. familiale Migrationserfahrungen, jedoch keine people of color, dabei waren. Im Geschlechterverhältnis waren Frauen_ in den Projekten und Weiterbildungen deutlich überrepräsentiert. Auch die Leitung der Weiterbildungen entsprach weitgehend dieser Zusammensetzung, wenngleich sich in Projekt 2 um eine paritätische Besetzung hinsichtlich Geschlecht, dominanzgesellschaftlicher Verortung und in der Vertretung der beiden Arbeitsfelder von Jugendarbeit und Schule bemüht wurde. Insgesamt repräsentieren die Pädagog_innen eine dominanzgesellschaftliche Hegemonie. In den folgenden Fallstudien werden die jeweiligen sozialen Positionierungen sowie soziale Konstellationen in ihrem dominanzgesellschaftlichen Kontext konkretisiert und hinsichtlich damit verbundener (unterschiedlicher) Perspektiven und Möglichkeitsräume in die Analyse einbezogen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die empirischen Daten in zwei verschiedenen Länderkontexten, der Schweiz und Deutschland, erhoben wurden. Auch wenn es sich um keine ländervergleichende Untersuchung handelt und sich diesbezügliche Kontrastierungen in der Analyse nicht als bedeutsam für Othering- und Bildungsprozesse von Pädagog_innen erwiesen haben, sind die jeweiligen Situationen, Diskurse und Praxen jedoch auch immer in diesem nationalstaatlich konturierten Zusammenhang zu betrachten und diskursimmanente Hinweise auf nationale Bezüge und damit verbundene Kategorisierungen in dem jeweiligen Kontext zu berücksichtigen. Als Forschende war ich in mehrfacher Hinsicht in die genannten Projekte und Forschungskontexte involviert, was folgenreich für den Forschungsprozess und die Analyseperspektive ist. So war ich nicht nur an der Forschung im Kontext der genannten Projekte beteiligt, sondern auch an deren konzeptioneller Entwicklung und Gestaltung. In Projekt 1 war ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin sowohl für die Konzeption und inhaltliche Ausrichtung der Bildungsprojekte mit den Jugendlichen, für die Planung, Organisation und Durchführung der Weiterbildungsveranstaltungen als auch für die empirische Untersuchung mitverantwortlich. Die inhaltliche Gestaltung von Projekt 2 entstand auf der theoretischen und methodischen Basis des ersten Projekts, wobei ich diesmal für die Transformation des Konzepts und des Programms zuständig war. Hier beschränkte sich in der Umsetzung der Weiterbildung meine Rolle insbesondere auf die der begleitenden Forschenden, in einzelnen Fällen erfolgten auch fachli-

F ORSCHUNGSKONTEXTE UND

METHODISCHE

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che Inputs. Die an den Projekten beteiligten Pädagog_innen begegneten mir in diesen verschiedenen Rollen und Funktionen. Sie waren dabei nicht nur über mein Forschungsinteresse informiert, sondern wussten auch von meiner Beteiligung an der Konzeption des gesamten Programms. Dies prägte nicht nur die Erhebungssituationen, sondern konturierte auch meine jeweiligen Perspektiven auf den Gegenstand der Forschung (Othering- und Bildungsprozesse von Pädagog_ innen) mit. Darüber hinaus bin ich als Forschende selbst in die vorherrschenden gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse verstrickt. Somit sind der Blick auf den Forschungsgegenstand, meine Analysen sowie die Darstellung der Ergebnisse nicht unabhängig davon zu sehen. Der Forschungsprozess erfolgte diesbezüglich aus einer sozialen Positionierung, die in vielfacher Hinsicht durch Privilegien geprägt ist und deren Zugehörigkeit zur Dominanzgesellschaft im Großen und Ganzen nicht infrage gestellt wird. In materieller und sozioökonomischer Hinsicht verfüge ich über das Privileg, finanziell und existenziell abgesichert zu sein und in einer Gesellschaft zu leben, die im globalen Kontext eine dominante Stellung einnimmt und von den weltweiten asymmetrischen Kräfteverhältnissen profitieren kann. Auch was meine körperliche Konstitution anbelangt, ist diese weitgehend hegemonialen Normen entsprechend, was es mir auch ermöglicht, den Ansprüchen und Anforderungen an die körperliche und gesundheitliche Verfasstheit in kapitalistischen Leistungsgesellschaften zu entsprechen und nachkommen zu können. In Bezug auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitskontexte kann ich als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft bezeichnet werden, die ihre Zugehörigkeit nicht legitimieren muss. Zwar wurde ich als deutsche Wissenschaftler_in in der Schweiz – auch im Forschungskontext – als Andere adressiert, wobei auch hier meine Positionierung als Weiße Wissenschaftler_in insgesamt sehr privilegiert und ich als Person materiell und aufenthaltsrechtlich abgesichert war. Dies verweist auch auf die potenziellen Möglichkeiten, über die ich durch diese Positionierung verfüge, mich relativ uneingeschränkt im internationalen Raum und grenzüberschreitend bewegen zu können. Durch diese Positionierung profitiere ich gleichzeitig von hegemonialen rassistischen Ordnungen und von globalen, weltgesellschaftlichen Ausbeutungs- und Ungleichheitsverhältnissen. Hinsichtlich der bestehenden hierarchischen und ungleich strukturierten Geschlechterverhältnisse ist meine Positionierung als Frau_ (u.a. im Zugang zu sozialen relevanten Ressourcen und Macht) weniger privilegiert. Innerhalb der heteronormativen binär organisierten Geschlechterordnung werde ich durch hegemoniale Diskurse der Verbesonderung oder Ignoranz gegenüber von der Norm abweichenden Lebensweisen und sexuellen Orientierungen tendenziell als Andere positioniert oder in diesen Lebensweisen unsicht-

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bar gemacht. Vor diesem Hintergrund besteht eine verstärkte Sensibilität hinsichtlich der Dominanz einer heteronormativen Ordnung und der damit verbundenen De-Thematisierungen und Auslassungen. In anderen Kontexten und mit Bezug auf die zuvor dargestellten Herrschaftsverhältnisse und Machtkonstellationen sind mir bestimmte Perspektiven und Erfahrungsdimensionen der Diskriminierung sowie der sozioökonomischen Not verschlossen. Dies hat u.a. zur Folge, dass die Perspektive der Diskriminierungskritik in diesen Bereichen ›äußerlich‹ bleibt. Insgesamt ist mein forschender Blick – trotz einer Haltung der Herrschaftskritik – durch eine relativ privilegierte soziale Positionierung im globalen, weltgesellschaftlichen Zusammenhang und eine damit verbundene Perspektive geprägt, in der sich verschiedene soziale Positionierungen im herrschafts- und machtkonturierten gesellschaftlichen Raum verschränken und überlagern. Für den Forschungsprozess bedeutend ist, dass die Situiertheit der Forschenden im gesellschaftlichen Raum jeweils eine bestimmte Perspektive auf die Prozesse der Ein- und Ausgrenzung sowie auf die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse mit sich bringt. Dies wirkt sich auf den gesamten Erkenntnisund Forschungsprozess aus. So kann es aufgrund der jeweiligen Standortgebundenheit der Analysen zu Überbetonungen oder Auslassungen hinsichtlich der Thematisierung und auch Skandalisierung verschiedener Diskriminierungs- und Ungleichheitsverhältnisse kommen. Vor diesem Hintergrund ist die Reflexion der jeweiligen Positioniertheit und Perspektivität sowie die daraus resultierenden Konsequenzen im gesamten Forschungsprozess erforderlich. Dementsprechend habe ich versucht, zu berücksichtigen und kenntlich zu machen, inwiefern meine Positionierung Effekte auf die Erhebung und Auswertung hat. Allerdings sind auch diese reflexiven Betrachtungen in vorherrschende Machtkonstellationen und Ungleichheitsverhältnisse verstrickt, sodass auch der Prozess der Reflexion angesichts dieser Involviertheiten sowie der Komplexität sozialer Macht- und Herrschaftsverhältnisse widersprüchlich ist und an Grenzen stößt. Es besteht auch hier und entgegen anderer Ansprüche die Gefahr, die bestehenden herrschaftsförmigen Verhältnisse in und durch die Forschung zu untermauern und zu stützen. Mit dem Wissen um die Notwendigkeit als auch um die Widersprüchlichkeit und Beschränktheit diesbezüglicher Reflexionen wird in den beiden folgenden Kapiteln den empirischen Analysen jeweils ein Abschnitt zur Reflexion des Forschungsprozesses hinzugefügt, in dem diesbezügliche Involviertheiten und deren Konsequenzen für den Erkenntnisprozess einer selbstkritischen Betrachtung unterzogen werden.

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5.5 M ETHODOLOGISCHE P RINZIPIEN , ANALYSE PERSPEKTIVEN UND METHODISCHES V ORGEHEN Das qualitative Vorgehen in dieser Studie zeichnet sich durch Offenheit aus. Das Prinzip der Offenheit wurde sowohl in der Datenerhebung, durch einen qualitativ-narrativen und ethnographischen Ansatz, als auch in der Analyse, durch eine gegenstandsbezogene Theorieentwicklung im Sinne der Grounded Theory (vgl. Strauss 1994), verfolgt. Die Erhebung des empirischen Materials erfolgte nach den Kriterien der Kontrastierung im Sinne eines Theoretical Sampling der Grounded Theory (vgl. Strauss 1994, Strübing 2004). Durch die Diversität an empirischem Material war eine mehrperspektivische Betrachtung von pädagogischen Diskursen und Praktiken sowie von Reflexions- und Bildungsprozessen der Professionellen in ihrem jeweiligen Kontext möglich. Um zu einer Beantwortung der zuvor dargestellten Forschungsfragen zu kommen, wurde auf das unterschiedliche Datenmaterial Bezug genommen und in der Analyse eine Triangulation der Daten (vgl. Flick 2007) vorgenommen. Der gesamte Forschungsprozess und die empirische Analyse wurden von einer intersektionalen Perspektive geleitet. Mit einer intersektionalen Perspektive werden Diskurse, Praktiken und Veränderungsprozesse von Pädagog_innen im Kontext hegemonialer gesellschaftlicher Ungleichheits- und Dominanzverhältnisse sowie von sozialen und institutionellen Praktiken, Repräsentationen und Orientierungsangeboten analysiert. Diese Analysen erfolgten vor dem Hintergrund eines intersektionalen Analyserahmens (vgl. Kapitel 2) und unter Verwendung der heuristischen Fragen sowie der damit verbundenen Perspektive der Dekonstruktion, wie sie im vorherigen Kapitel dargestellt wurden. Eine intersektionale Perspektive auf pädagogische Interaktionen oder Diskurse erlaubt nicht nur einen der Komplexität von Differenzpraxen und -konstruktionen entsprechenden Zugang, sondern ermöglicht auch, die Selbstverständlichkeit und Normalität von Differenzkonstruktionen und hegemonialen Differenzordnungen zu hinterfragen. Somit ist es möglich, die Folgen und Effekte von miteinander verschränkten und interdependenten Ein- und Ausgrenzungsmechanismen, wie sie sowohl in pädagogischen Alltagssituationen als auch im spezifischen Bildungszusammenhang eines Projekts zur Sensibilisierung gegenüber Diversität und Alltagsrassismus relevant sind, kontextbezogen und unter Einbezug vorherrschender Macht- und Dominanzverhältnisse zu analysieren. Darüber hinaus kann die intersektionale Analyseperspektive sowohl genutzt werden, um die Relevanz von verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen für die gesellschaftliche Positionierung der beteiligten Subjekte und den damit verbundenen Möglich-

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keitsräumen herauszuarbeiten als auch um deren Aussagen und Perspektivität zu kontextualisieren. Ebenfalls kann diese systematisch auf das Involviertsein und die Relevanz von Dominanzverhältnissen verweisende Perspektive hilfreich sein, um die soziale Situiertheit und damit verbundene Perspektivität von mir als Forschender reflexiv in die Analyse einzubeziehen. Bei der konkreten Analyse von Interaktionen im pädagogischen Kontext sowie von Diskursen und Praktiken von Pädagog_innen wurde zunächst das gesamte empirische Material untersucht und Sequenzen (Diskurszusammenhänge und Interaktionssequenzen) herausgearbeitet, die auf Kategorisierungen, Grenzziehungen, Normalisierungen hinwiesen. Diese Sequenzen wurden in ihrem jeweiligen Diskurs- und Handlungszusammenhang einer Feinanalyse unterzogen. Diese erfolgte unter einer rekonstruktiven, interpretativen, aber auch dekonstruktivistischen Perspektive und vor dem theoretischen und kontextualisierenden Hintergrund des bereits benannten intersektionalen Analyserahmens. Mithilfe des Kodierparadigmas der Grounded Theory (vgl. Strübing 2004: 26ff.) und der heuristischen Fragen einer Intersektionalitätsperspektive (s.o.) wurden die einzelnen Segmente in ihrem Diskurs- und Handlungskontext analysiert. Dabei wurde jeweils nach Thematisierungen und De-Thematisierungen von Differenzkonstruktionen in pädagogischen Diskursen und Praktiken sowie dem konkreten Zusammenwirken verschiedener Dominanz- und Diskriminierungsverhältnisse und der Effekte dieses intersektionalen Zusammenspiels gefragt. Ziel dieser Analysen war es, an konkreten Diskursmustern und Interaktionen Mechanismen, Funktionen und Folgen von Otheringprozessen in pädagogischen Kontexten herauszuarbeiten. Die Untersuchung von Transformations- und Bildungsprozessen erfolgte zunächst unter Einbezug der Interviewtranskripte. Hier wurden zum einen die Interviews mithilfe des Kodierparadigmas der Grounded Theory ausgewertet und dabei die Perspektiven der Pädagog_innen auf ihre eigenen Reflexions- und Veränderungsprozesse rekonstruiert. Um jedoch auch das für Bildung und Transformation relevante Moment der Prozesshaftigkeit untersuchen zu können, wurde des Weiteren eine Triangulation von Beobachtungen und Interviewaussagen vorgenommen. Dadurch konnten fallbezogen Prozesse der Veränderung sowie damit verbundene Krisen, Widersprüche, Brüche, Entwicklungssprünge oder Aspekte des Mitlernens oder der Spontaneität von Bildung – wie sie in Kapitel 3.2 als charakteristisch für Lern- und Bildungsprozesse herausgearbeitet wurden – kontextbezogen untersucht und in die Analyse einbezogen werden. Weder für die Untersuchung von Othering noch für die Reflexions- und Transformationsprozesse von Professionellen besteht der Anspruch, eine empirische Sättigung zu erreichen und diesbezüglich zu verallgemeinerbaren Ergebnis-

F ORSCHUNGSKONTEXTE UND

METHODISCHE

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sen zu kommen. Allerdings stellen die herausgearbeiteten Praktiken und Prozesse (jeweils) eine von den Akteur_innen realisierte Möglichkeit (neben anderen) dar, mit den widersprüchlichen Verhältnissen und Voraussetzungen umzugehen. Mit einer mehrebenenbezogenen Analyseperspektive wurden explizit die jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen, institutionellen Rahmungen und sozialen Bedeutungs- und Repräsentationsregimes sowie vorherrschende öffentliche, mediale, politische und fachliche Diskurse in die Analyse einbezogen und damit in ihren jeweiligen sozialen Zusammenhang gestellt. Somit ist eine »strukturelle Verallgemeinerung« (vgl. Braun 1985 in Bezug auf Kurt Lewin 1981) der Diskurse und Praktiken der Professionellen im jeweiligen Bildungskontext möglich. Eine solche Verallgemeinerung zielt darauf ab, eine typische Konstellation im Verhältnis von Handlungsmöglichkeiten und Realisierungsbedingungen herauszuarbeiten.8 Strukturelle Verallgemeinerung bedeutet, dass für die jeweilige Umgangsform die typische Konstellation der Handlungsvoraussetzungen (als gesellschaftlich vermittelte Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen) benannt und theoretisch erklärt wird. Dies sollen die vorliegenden Analysen zu Konstruktionen von Anderen im Bildungskontext leisten. Das ›Allgemeine‹ an den jeweils an Einzelfällen herausgearbeiteten Bildungs- und Reflexionsprozessen von Pädagog_innen kann mit Bezug auf den jeweiligen Bedingungs-Bedeutungs-Begründungs-Zusammenhang (Held et al. 1994) bzw. den jeweiligen Möglichkeitsraum bestimmt und spezifiziert werden. Die Verallgemeinerung dieses spezifischen und individuellen Gefüges zielt auf die Spezifizierung des jeweiligen »subjektiven Möglichkeitsraums«9 als »typischen bzw. verallgemeinerten Möglichkeitsraum« ab. Dies wird in der Kriti-

8

Kurt Lewin verweist auf den möglichen Zusammenhang eines solchen typischen Falles mit anderen typischen Fällen. Er beschreibt dies wie folgt: »Der Aufstieg von der Erfahrung am einzelnen Fall zum allgemeinverbindlichen Gesetze entspricht dem Aufstieg vom ›Beispiel‹ zum ›Typus‹ [...]. Dieser Aufstieg ist nicht vergleichbar dem Fortgang von einigen Gliedern der Menge zur ganzen Menge, sondern besteht in dem Übergang von ›diesem‹ hic et nunc vorliegenden ›Fall‹ zu ›einem solchen‹ Fall.« (Lewin 1981: 220, zitiert nach Braun 1985: 16)

9

Der »subjektive Möglichkeitsraum« umfasst die von der/dem Einzelnen subjektiv wahrgenommenen und gedeuteten Verfügungsmöglichkeiten und -behinderungen über ihre Lebensverhältnisse; in den Worten von Klaus Holzkamp gesprochen kennzeichnet der subjektive Möglichkeitsraum das »bei ›je mir‹ vorfindliche Verhältnis von Handlungs-/Verfügungsmöglichkeiten und deren Realisierungsbedingungen« (Holzkamp 1983: 550). Dieser Zusammenhang ist zunächst nur für diesen individuellen und konkreten Fall als zutreffend zu bezeichnen.

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schen Psychologie als »Möglichkeitsverallgemeinerung« bezeichnet (Holzkamp 1983a: 545ff.). Es geht bei dieser Form der Verallgemeinerung darum, von der subjektiven Umgangsweise der einzelnen Subjekte auf eine typische Konstellation oder einen »Möglichkeitstypus« (ebd.: 553) zu schließen. Die Verallgemeinerung erfolgt, ähnlich wie bei der strukturellen Verallgemeinerung, indem zuerst der subjektive Zusammenhang zwischen Handlungsvoraussetzungen und deren Begründungen herausgearbeitet wird. Anschließend wird geklärt, unter welchen Voraussetzungen diese Umgangsweise, über die individuelle Besonderheit dieses Einzelfalls hinaus, als typisch zu charakterisieren ist. Diesbezüglich ist zu klären, unter welchen (personalen, sozialen und gesellschaftlichen) Voraussetzungen die Handlungsweisen sowie die Reflexions- und Bildungsprozesse von Einzelnen auch für andere, in vergleichbarer Ausgangslage, eine subjektiv bedeutsame Option darstellen bzw. realisiert werden. Damit ist auch die Reichweite und Aussagekraft der folgenden Analysen von Reflexions- und Bildungsprozessen von Pädagog_innen in widersprüchlichen Verhältnissen benannt.

6. Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen II: Pädagogische Praktiken des Othering – Empirische Studien

Pädagogisches Handeln ist angesichts gesellschaftlich verankerter Macht- und Herrschaftsverhältnisse und institutioneller Vorgaben, Regeln und Routinen sowie angesichts pädagogischer Paradoxien und Ambivalenzen im Umgang mit Differenz und Ungleichheit widersprüchlich. Pädagogisches Handeln und die im pädagogischen Kontext agierenden Subjekte sind in diese Verhältnisse involviert und stellen diese mit her. Prinzipiell besteht jedoch auch die Möglichkeit, durch pädagogisches Handeln in die Verhältnisse einzugreifen und sowohl diese als auch die eigenen Denk- und Handlungsweisen zu reflektieren und zu verändern. Auf den letztgenannten Aspekt – eine die nahegelegten Möglichkeiten überschreitende Praxis und Möglichkeiten der Reflexion sowie der Transformation der Welt- und Selbstverhältnisse der Pädagog_innen – wird im nächsten Kapitel eingegangen. Im nun folgenden Kapitel wird der Fokus auf Prozesse des Othering gelegt und dabei der Frage nachgegangen, inwiefern Pädagog_innen an diesen Prozessen beteiligt sind und inwiefern auch in diversitätsbewussten oder diskriminierungskritischen Bildungssettings dazu beigetragen wird, dass bestehende Dominanzverhältnisse und Differenzordnungen reproduziert werden. Dazu werden zunächst in empirischen Fallstudien Prozesse und Mechanismen des Othering in verschiedenen institutionellen Kontexten, sowohl in Schule und Jugendarbeit als auch im Rahmen des zuvor dargestellten Bildungsprojekts mit Jugendlichen und Pädagog_innen, zu ›Diversität und Ausgrenzung‹ rekonstruiert (6.1). Von diesen Studien ausgehend werden zentrale Mechanismen des Othering im Bildungskontext sowie Modi des intersektionalen Zusammenspiels verschiedener Differenzkonstruktionen und Machtkonstellationen herausgearbeitet (6.2) und anschließend vor dem Hintergrund der beiden institutionellen Kon-

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texte von Schule und Jugendarbeit Funktionen und Folgen von Othering aufgezeigt (6.3). In diesem Zusammenhang wird der Blick auch auf die Jugendlichen und deren Umgangsweisen mit den an sie gerichteten Adressierungen und Zuschreibungen gerichtet. Es wird erörtert, inwieweit in diesen Bildungssettings und Machtkonstellationen Widerstand und Kritik vonseiten der Jugendlichen an Praktiken und Verhältnissen des Othering möglich sind. Das vierte Teilkapitel (6.4) geht schließlich der Frage nach, wie es selbst im Rahmen von Bildungsveranstaltungen, die zu Diversität, Ausgrenzung und Diskriminierung arbeiten, dafür sensibilisieren bzw. Gegenstrategien entwickeln wollen, zu Prozessen des Othering kommen kann. Das Kapitel endet mit einer Reflexion des Forschungsprozesses (6.5.), in der dieser vor dem Hintergrund der Involviertheit und Positioniertheit der Forschenden in hegemoniale Macht- und Herrschaftsverhältnisse diskutiert wird.

6.1 D ISKURSE UND P RAKTIKEN VON PÄDAGOGISCH P ROFESSIONELLEN IM U MGANG MIT D IFFERENZEN UND U NGLEICHHEITEN In den Diskursen von Pädagog_innen, sowohl von Lehrer_innen als auch Sozialpädagog_innen in der Jugendarbeit, so zeigte sich in der Analyse, werden in vielfältiger Weise Unterscheidungen vorgenommen und Bilder über die jugendlichen Adressat_innen und Nutzer_innen ihrer Arbeit gezeichnet, die Grenzziehungen, aber auch Normalisierungen enthalten, wodurch bestimmte Jugendliche zu Anderen gemacht werden. Dabei werden, je nach Thema, unterschiedliche Differenzkonstruktionen hergestellt und angerufen und auf verschiedene hegemoniale soziale Kategorisierungen, Grenzziehungen sowie Normalitätsannahmen zurückgegriffen. Bipolare Einteilungen und ein- und ausgrenzende Unterscheidungen Zunächst wurde deutlich, dass Pädagog_innen, wenn sie über ihre Arbeit und v.a. die Arbeit mit ihren Adressat_innen (Schüler_innen oder Jugendliche, die Angebote der Jugendarbeit nutzen) sprechen, homogenisierende und bipolare Bilder produzieren und dabei Unterscheidungen zwischen verschiedenen Gruppen vornehmen – also Differenz erzeugen –, die mit unterschiedlichen Bewertungen verbunden sind. Dabei wird, v.a. wenn es um Diskurszusammenhänge zu ›Vielfalt‹ oder ›Diversität‹ geht, auf vermeintliche Unterschiede verwiesen, die an kulturell, national und religiös konnotierten Kategorien und Zugehörigkeiten

B ILDUNG

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festgemacht werden, sie also Bezug nehmen auf dominante natio-ethnokulturelle Zugehörigkeitsordnungen (Mecheril 2003) im migrationsgesellschaftlichen Kontext. Andere Differenzlinien und Differenzverhältnisse (wie bspw. Geschlecht, sozioökonomische Verhältnisse oder Bildungskontext) rücken dabei in den Hintergrund und scheinen für den Diskurs- und Deutungszusammenhang der Pädagog_innen weniger relevant. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist – und hier entsprechen die Pädagog_innen auch der Deutungslogik und Praxis des Unterscheidens von interkulturellen Pädagogiken, deren primäre Bezugsdifferenz ›Kultur‹ bzw. ›kulturelle Differenzen‹ darstellen –, dass sie dabei den Blick einseitig auf Migrationsandere (Mecheril 2010: 17) richten, die im Rahmen hegemonialer Differenzordnungen zu Anderen gemacht werden. Solche Diskurse der Unterscheidung entlang natio-ethno-kultureller Zugehörigkeitsordnungen werden beispielsweise von Lehrer_innen vorgenommen, wenn sie über die diverse oder heterogene Zusammensetzung ihrer Schüler_innenschaft in ihren Klassen oder an der Schule sprechen. So sagt die Lehrerin einer Grundschule in einem Interview: »Wir haben zwar viele Migrantenkinder, die jetzt Migrationshintergrund haben, aber so richtige, also äh (stockt) ausländische Kinder, die quasi auch wirklich zu Hause türkisch sprechen, haben wir höchstens so zehn Prozent.«

Ein anderer Lehrer aus einer reformpädagogischen Grundschule äußert in einem weiteren Interview: »[…] wir haben schon ein ausgelesenes Publikum. Ich in meiner Klasse hab jetzt eins, ja ein Kind aus Frankreich. Kann man das zählen lassen? Also wirklich, zwei muslimische Kinder sind es bei mir. Und das ist sehr wenig.«

In diesen Ausführungen wird zum einen deutlich, dass mit Blick auf soziale Heterogenität und Diversität im Schulalltag von Pädagog_innen selbstverständlich und unhinterfragt auf migrationsbedingte Pluralität verwiesen wird.1 Andere Differenzlinien oder gar Hinweise auf mit solchen Unterscheidungen und Ordnungen verbundenen Macht- und Dominanzverhältnisse werden in solchen Diskursen weitgehend vernachlässigt. Zum anderen wird durch solche Unterschei-

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In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch auch die Frage, ob in Interviewsituationen oder Alltagssituationen, in denen nach Vielfalt und Diversität gefragt wird, nicht bereits an hegemoniale Dispositive angeschlossen wird und deshalb auch gerade Antworten herausgefordert werden, die auf solche Diskurse affirmativ verweisen.

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dungspraktiken mit Referenz auf dominante Diskurs- und Ordnungsmuster eine Hervorhebung und Ausgrenzung derjenigen Schüler_innen hervorgebracht, die – aufgrund der hier angedeuteten Kriterien – in der hegemonialen natio-ethnokulturellen Zugehörigkeitsordnung als nicht-zugehörig gesehen und markiert werden. Dazu werden diverse bipolare Kategorisierungen vorgenommen, wobei auf gesellschaftlich gängige, jedoch potenziell festschreibende und ausgrenzende Bezeichnungen wie ›mit Migrationshintergrund‹ oder ›ausländisch‹ zurückgegriffen wird: Dabei wird jedoch intern differenziert – was das Ganze in seiner ausgrenzenden Wirkung weniger offensichtlich erscheinen lässt. Es wird in tendenziell essentialistischer Weise zwischen denjenigen unterschieden, die als ›wirkliche‹ oder ›richtige‹ Andere konstruiert werden und denjenigen, die als solche nicht gezählt oder identifiziert werden können. Dabei wird nicht nur auf Konstruktionen wie Migrationshintergrund oder Nationalität, sondern auch auf Sprache und Religion rekurriert, wobei hier das vermeintlich von der Dominanzgesellschaft abzugrenzende Andere fokussiert und benannt wird (und hier wird nicht umsonst auf die türkische Sprache sowie Muslime verwiesen). Gleichzeitig knüpfen sie an aktuelle Repräsentationen und Bezeichnungspraxen über Jugendliche, die als Migrationsandere wahrgenommen und kategorisiert werden, an. In diesem Zusammenhang hat in den letzten Jahren eine semantische Diskursverschiebung im deutschsprachigen Raum stattgefunden, die in den zitierten Aussagen deutlich wird: Wurde bis in die 1980er-Jahre allgemein von ›ausländischen Jugendlichen‹ gesprochen, konnte sich die Bezeichnung ›mit Migrationshintergrund‹ in den 1990er-Jahren zunehmend durchsetzen. Zu Beginn des neuen Jahrtausends, einhergehend mit der verstärkten Thematisierung und Problematisierung des Islam im öffentlichen Diskurs, rückte die Gruppe der als ›muslimisch‹ bezeichneten Jugendlichen in den Mittelpunkt des politischen, medialen und fachlichen Interesses. Diese Fokussierung und veränderte Begriffswahl spiegelt sich in den Aussagen dieser Lehrer_innen wieder. Der Verweis auf das »Kind aus Frankreich« zeigt hingegen, dass diejenigen, die aus anderen mittel- und auch nordeuropäischen Ländern kommen, im Gegensatz dazu nicht so eindeutig als ›anders‹ oder ›fremd‹ kategorisiert werden. Die Erwähnung von Schüler_innen mit einem so markierten ›Migrationshintergrund‹ (der als solcher jedoch ›nicht wirklich zählt‹, um als anders kategorisiert zu werden), kann für die Sprecher_innen funktional sein, um sich als prinzipiell offen gegenüber Migrationsphänomenen zu präsentieren oder auch auf eine diesbezügliche pädagogische und/oder internationale Ausrichtung der Schule hinzuweisen. Dabei werden jedoch auch diejenigen, die in diesem Sinne positiv evaluiert werden, in die vorherrschende Differenz- und Zugehörigkeitsordnung und in ein privilegiertes ›Wir‹ (das z.B. auf eine ausgelesene Schüler_innenschaft stolz sein kann) inte-

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griert bzw. einverleibt. Sie werden damit aber auch aus einer machtvollen Position vereinnahmt und den Passungsregeln unterworfen. Gleichzeitig wird dabei die Grenze gegenüber denjenigen gezogen, die nicht mehr in dieses ›Wir‹ der Dominanzgesellschaft einverleibt, sondern davon ausgeschlossen werden. In solchen Diskursen werden Einteilungen vorgenommen und Differenzen markiert, die auf eine Dichotomie von ›Eigenem und Fremden‹ bzw. ›Wir und die Anderen‹ verweisen. Dabei wird von den Pädagog_innen Bezug auf das hegemoniale Dispositiv der ›Integration‹ Bezug genommen. Kinder und Jugendliche, denen ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird, werden – diskursimmanent, ohne hierauf gesondert einzugehen – nach dem Kriterium ihrer ›Integration‹ beurteilt und unterschieden. Die Kategorisierung in ›die Integrierten‹ und ›die Ausländer‹ stellt in diesem Zusammenhang ein dominantes und gängiges Unterscheidungsmuster dar. So betont beispielsweise eine Lehrerin einer weiterführenden Schule in ihrer Überlegung, ob sie sich mit ihrer Klasse am Projekt »Vom Zusammenleben und Ausgrenzen« beteiligen soll: »[…] bei uns gibt es eigentlich keine Probleme, so richtige Ausländer haben wir keine, die meisten sind integriert.«

In dieser Aussage wird wieder auf die bereits schon analysierte Unterscheidung von ›richtigen‹ und vermeintlich ›nicht-richtigen‹ – als ›Ausländer‹ markierten – Anderen rekurriert, die auf eine verschwommene, aber dennoch explizit ein- und ausgrenzende Differenzlinie verweist. Das hier eingeführte Gegenbild wird positiv mit ›integriert‹ bezeichnet. Diese Ausführung steht gleichzeitig in einem deutlich problematisierenden Diskurszusammenhang, indem ›Ausländer‹ in den Zusammenhang mit Problemen gebracht und ›Integration‹ bzw. ›integriert‹ hingegen als unproblematisch und positiv konnotiert wird. Und sie impliziert des Weiteren, dass für ein Präventionsprojekt zu Rassismus und Ausgrenzung eine spezifische Problematik im Kontext von Migration vorliegen muss, wobei die Problemlagerung eindeutig zu sein scheint. Auf eine ähnliche Form der Problematisierung weist auch eine Protokollnotiz2 eines Lehrers hin, der mit seiner Klasse am Projekt beteiligt war:

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Im Projekt in der Schweiz hatten die Lehrpersonen die Aufgabe, zu den einzelnen Projektteilen einen Reflexionsbogen auszufüllen. Darauf hat er es unter besondere Anmerkungen nach dem Projektauftakt notiert.

180 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING »Da meine Albaner in der Klasse offen dazu stehen, auch mit Gewalt zu ihrem Recht zu kommen, ist diese Reihe hier absolut angebracht. Ich hoffe sehr, dass am Ende die erhoffte Wirkung spürbar sein wird.« (pro1_bw)3

Wenn dies nicht die Motivation der anderen am Projekt beteiligten Lehrer_innen repräsentiert und nicht der Ausrichtung des Projekts entspricht, zeigt sich in dieser Aussage durchaus symptomatisch eine problematisierende Perspektive auf einen Teil der Schüler_innen, die anhand ihrer vermeintlichen Herkunft benannt und charakterisiert werden. In dieser Aussage wird auf ein vielzitiertes Feindbild des öffentlichen Diskurses in der Schweiz Bezug genommen (vgl. Leiprecht/Riegel 2011). Des Weiteren zeigt sich, dass der Lehrer sich durch das Projekt eine Lösung dessen erhofft, was er als Problem formuliert und konstruiert. Das implizite pädagogische Ziel ist es, dass sich die angesprochene Gruppe von Jugendlichen in ihrem Verhalten ändert. Gleichzeitig zeigt sich in anderen Aussagen, in denen derselbe Lehrer in den Weiterbildungen fast liebevoll von ›meinen Albanerle‹ spricht, eine durchaus schwierige Verbindung von Paternalismus bzw. vereinnahmender väterlicher Fürsorge und einer nationalen Kategorisierung, der die bereits angesprochenen problematisierenden Bilder eingeschrieben sind. Aus einer machtvollen Perspektive eines Lehrers und eines Angehörigen der Schweizer Mehrheitsgesellschaft wird es von ihm als legitim erachtet, in dieser zuschreibenden Weise über die Schüler_innen zu sprechen und es sich zur pädagogischen Aufgabe zu machen, diese auf den ›richtigen Weg‹ zu bringen. in seiner schriftlichen Beschreibung der (Klein-)Klasse bedient er sich Markierungen mithilfe nationaler Kategorien, die er mit Aussagen zum Verhalten der Jugendlichen verbindet: »Die 3 Albaner (2 Knaben / 1 Mädchen) in meiner Klasse bilden eine sehr starke Gruppe (Ethnisierung stark ausgeprägt...). Die anderen (2 stille Schweizer Knaben, 1 ruhiges und vernünftiges Peruaner Mädchen) haben einen recht schweren Stand ihnen gegenüber und bekommen es auch zu spüren [...].« (pro1_bw)

Der Lehrer nimmt hier Differenzkonstruktionen vor, die an nationale Kategorisierungen anknüpfen, die durch essentialisierende und kulturalisierende Zuschreibungen aufgeladen sind und durch Hinweise auf das vermeintliche Verhalten der Jugendlichen begründet werden: Dies sind auf der einen Seite Merkmalszuschreibungen, wie auffällig, selbstsegmentierend und dominant, auf der anderen solche wie angepasst, still, ruhig, vernünftig, die v.a. die erstgenannten Schü-

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Das Kürzel »pro1« steht für Protokoll Nr. 1 der jeweiligen Lehrperson.

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ler_innen zu den auffälligen Anderen machen. Auch wenn der Pädagoge versucht zu differenzieren, indem er Angaben zu Geschlecht und Nationalität macht, und auch auf das jeweilige Verhalten einzugehen vorgibt, nimmt er mit der Einteilung in ›problematisch‹ und ›unauffällig‹ eine klare Grenzziehung vor. Diese Grenze wird an der national markierten Zuschreibung ›Albaner‹ gezogen, die in den Merkmalszuschreibungen keine weiteren Geschlechterdifferenzierungen enthalten, jedoch als dominant beschrieben werden, ein Bild, das ›männlich‹ konnotiert ist, im Gegensatz zum Gegenentwurf der anderen Gruppe, die als ›ruhig‹, ›still‹ und ›vernünftig‹ charakterisiert und damit als unterlegen und dominiert dargestellt wird, ein Bild, das eher als ›weiblich‹ attribuiert wird. Diese Unterscheidung wird an einem bestimmten Bild über eine in der Schweiz marginalisierte Gruppe festgemacht und als Grenze bedeutsam gemacht, indem der natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitskontext hervorgehoben wird und gleichzeitig Geschlechterzuschreibungen in einem diametral entgegengesetzten Bild eingesetzt werden. Durch solche Formen der Grenzziehung und Kategorisierung werden gleichzeitig Gegensätze konstruiert, allerdings dabei v.a. eine Seite fokussiert und über diese Explikation das z.T. rassialisierte, z.T. kulturalisierte Bild der ›problematischen Anderen‹ gezeichnet. In diesen Diskursen wird in der Regel jedoch nicht ausgeführt, was unter ›integriert‹ zu verstehen ist, und diejenigen, denen ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird, die aber vermeintlich als integriert gelten, werden dennoch als Andere kategorisiert. Dies zeigt beispielsweise die Aussage eines Berufsschullehrers, der am Projekt beteiligt war. Im Interview nach Projektabschluss berichtet er über die Kommunikation zwischen den Schüler_innen während des Projekts. Er sagt: »Das sind zwei Türken, die wirklich (.) assimiliert sind. Die sprechen (.) Schweizerdeutsch wie jeder andere auch, die sind sehr modisch gekleidet, aber nicht zu modisch, dass man sagen würde: Ah, typisch Türken oder so. Wirklich, sind voll integriert. Haben Schweizer Kollegen4 (.) und trotzdem ganz andere Muster. Und das finde ich spannend. Das finden glaube ich auch die Schüler spannend. Wow, das ist wirklich, der benimmt sich im Normalfall so wie wir auch, aber da gibt es trotzdem zu Hause irgendwelche Regeln, die anders sind.« (int_rf: 626-633)

In dieser Aussage wird zunächst eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Gruppen von Schüler_innen vorgenommen. Die beiden als ›Türken‹, aber nicht

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Mit »Kollegen« sind in diesem Kontext Kumpel oder Freund_innen gemeint, also Gleichaltrige, mit denen die Freizeit geteilt wird.

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als Schüler markierten Jugendlichen werden in dieser Darstellung als Andere/Besondere aus dem Kreis des ›Normalfalls‹ der restlichen Schüler_innen (die ohne Nationalitätsbezug konstruiert werden) hervorgehoben und ausgesondert. Dabei wird jedoch mehrfach betont, dass diese »wirklich assimiliert« bzw. »voll integriert« seien, wobei dabei m.E. von einer synonymen Verwendung der Begriffe auszugehen ist. In dieser Aussage zeigt sich die Präsenz einer unbenannten, aber dennoch existierenden Norm, die darüber entscheidet, was das ›Integriertsein‹ der Jugendlichen ausmacht, gleichzeitig wird dabei immer wieder auf ›das Andere‹ verwiesen. Damit wird an einer imaginären Differenz festgehalten und über die Konstruktion des Integriertseins festgeschrieben. Beides wird über Bezüge auf Sprache (»Schweizerdeutsch« als Maßstab), auf Körper bzw. Körperpräsentation (»modisch gekleidet«) oder auf soziale Beziehungen zur Dominanzgesellschaft (»Schweizer Kollegen« als Indiz) hergestellt, wobei die dabei hervorgerufenen Bilder mit Männlichkeit assoziiert sind bzw. mit Konstruktionen von Männlichkeit, die denjenigen zugeschrieben werden, die als Andere konzeptionalisiert werden. Darüber hinaus wird das vermeintliche ›Integriertsein‹ jeweils daran gemessen, ob bzw. dass sie »wie jeder andere auch« oder »wie wir« seien. Damit wird auf eine imaginäre oder mythische Norm (Lorde 1984) verwiesen, an der das Verhalten der Jugendlichen gemessen wird. Hier spielt das Kriterium der Mäßigkeit eine Rolle (modisch, aber nicht zu modisch), die so etwas wie eine hegemoniale Norm darstellt, an der die Jugendlichen gemessen werden, und der sie, so legt es die Aussage nahe, weitgehend zu entsprechen scheinen. Gleichzeitig wird jedoch immer auf ›ihre‹ Differenz, die Differenz der Anderen, rekurriert, wobei diejenigen, die als integriert gelten, relativ nah an der Grenzlinie bzw. der Messlatte des ›Normalen‹ positioniert werden, letztendlich aber doch ›die Anderen‹ bleiben. Sie werden in einem Raum des Dazwischen – zwischen ganz nah und ganz fern von der mythischen Norm – u.a. über Bilder der ›Integrierten‹ – positioniert, können jedoch die Zugehörigkeit zum hegemonialen und nicht-migrantischen ›Wir‹ letztendlich nicht erreichen. In den aufgezeigten Diskursen der Professionellen werden Kategorisierungen vorgenommen, die einem dominanten Zuordnungsmuster mit ein- und ausgrenzender Wirkung entsprechen: ›Die Integrierten‹, die unauffällig (geworden) sind, und ›die richtigen Ausländer‹, die als auffällig und abweichend von der (wie auch immer gefassten) Normalität konstruiert werden, wobei auf bestimmte national und religiös konnotierte Feind- und Fremdbilder rekurriert wird. Die so pauschalisierend markierten Gruppen werden problematisiert und ausgegrenzt, nicht nur semantisch, indem von ihnen – unabhängig von ihrer tatsächlichen Staatsangehörigkeit – pauschal von ›Ausländern‹ gesprochen wird, sondern auch, indem sie zu Anderen gemacht werden und damit nicht dem hegemonialen

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›Wir‹ zugehörig betrachtet werden. Die bipolare Einteilung von Schüler_innen mit Migrationshintergrund in ›Integrierte und Ausländer‹ entspricht den von Zygmunt Bauman benannten gegensätzlichen Umgangsformen mit den Fremden, die er als die Unbestimmbaren und Nicht-Einordenbaren in dichotome symbolische Ordnungen bezeichnet (vgl. Bauman 1991: 77): Der Umgang der Mehrheitsgesellschaft besteht entweder darin, sie zu assimilieren, sie in Form einer totalitären Vereinnahmung zu integrieren, oder sie als ethnisierte Andere, Nicht-Zugehörige auszugrenzen und auszusondern. Die Diskussion über Integration und v.a. die Bestimmung darüber, wer als integriert gilt, ist also immer macht- und gewaltförmig. Sie erfolgt aus der Perspektive der Dominanzgesellschaft, die die Regeln und den Maßstab setzt. Dabei werden nicht nur die Norm und damit verbundene Grenzen konstruiert und angelegt, sondern es wird auch über Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit verhandelt und bestimmt. Diejenigen, die als (wenn auch integrierte) Andere identifiziert werden, sind dabei dem Urteil und Maß derjenigen, die über die Macht verfügen, ausgeliefert. Barbara Schramkowski spricht mit Blick auf diese machtvolle und prekäre Anerkennung von »Integration unter Vorbehalt« (Schramkowski 2006). Auch wenn in den herausarbeiteten Diskursen der bipolaren Unterscheidung v.a. auf Kategorisierungen im natio-ethno-kulturellen Kontext zurückgegriffen wurde, spielen in die Herstellung dieser binären Bilder sowie in hegemoniale Vorstellungen über Normalität und Abweichung ebenso bestimmte Geschlechterkonstruktionen mit hinein. Es werden Geschlechterkonstruktionen ethnisiert bzw. Bilder über hegemoniale und marginalisierte Männlichkeit konstruiert. Im nächsten Abschnitt wird darauf eingegangen, in welcher Weise zur Konstruktion von Anderen auf das Zusammenspiel von verschiedenen Differenzkonstruktionen zurückgegriffen wird und bipolare Einteilungen im gesellschaftlichen Kontext hergestellt werden, in dem verschiedene Dominanzverhältnisse ineinandergreifen. Differenz und Unterordnung herstellen: Das Zusammenspiel von Hervorheben und In-den-Hintergrund-Rücken sozialer Differenzverhältnisse5 Im Folgenden wird anhand von Diskursen von in der Jugendarbeit tätigen Pädagog_innen aufgezeigt, wie es im Kontext der sozialpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen zu vergleichbaren Kategorisierungen und Bildern kommt, wie sie zu-

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Die folgenden Ausführungen wurden zum Teil bereits in dem Beitrag zu »Religion als Differenzmarker. Zu Herstellungsprozessen von Differenz im (sozial-)pädagogischen Sprechen über jugendliche Migrationsandere« (Riegel 2011d) erörtert.

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vor für den Kontext Schule herausgearbeitet wurden. In der Analyse wurde zum einen deutlich, wie von den Pädagog_innen im Sprechen über die eigene Arbeit v.a. die Jugendlichen als Adressat_innen fokussiert und problematisiert werden und bestimmte zuschreibende Bilder über ihre Klientel konstruiert werden. Zum anderen kann in diesem Zusammenhang herausgearbeitet werden, in welcher Weise Bilder von Jugendlichen und v.a. Bilder über Migrationsandere konstruiert werden und inwiefern dafür in unterschiedlicher und strategisch wechselnder Weise auf verschiedene Differenzkonstruktionen und Dominanzverhältnisse Bezug genommen wird bzw. bestimmte hervorgehoben und andere in den Hintergrund gerückt werden. Die empirische Grundlage für die folgenden Analysen stellt eine Gruppendiskussion mit pädagogischen Mitarbeiter_innen der mobilen Jugendarbeit dar. Als Einstieg in die Gruppendiskussion6 wurde die Frage gestellt, welche Erfahrungen die Jugendarbeiter_innen in ihrer sozialpädagogischen Arbeit mit Differenzen, Unterschieden und Vielfalt machen. Daraufhin entspann sich eine Diskussion, die sich zum einen dadurch auszeichnete, dass die konkrete pädagogische Arbeit kaum thematisiert wurde, sondern hauptsächlich über Jugendliche als soziale Gruppe und v.a. über Jugendliche mit vermeintlichem Migrationshintergrund gesprochen wurde. Die Diskussion konzentrierte sich dabei zunehmend auf sogenannte muslimische Jugendliche. Zum anderen zeichnete sich die Diskussion dadurch aus, dass die Eingangsfrage von den Teilnehmenden v.a. unter dem Aspekt von Differenzen und Unterschieden (und nicht von Vielfalt!) interpretiert und verhandelt wurde. Dabei wurde von Beginn an Differenz fast ausschließlich im natio-ethno-kulturellen Kontext diskutiert und mit ›kultureller Differenz‹ gleichgesetzt. In diesen Darstellungen und in den Argumentationen mischten sich Konstruktionen zu ›Kultur‹ stark mit solchen zu ›Religion‹. Im gesamten Verlauf der Diskussion richteten die Jugendarbeiter_innen ihren Blick auf Migrationsandere sowie auf die diesen zugeschriebenen kulturalisierten Bilder und Imaginationen. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren dabei der Islam bzw. als muslimisch bezeichnete Jugendliche und deren Familien. Die Professionellen konstruierten diese als different und von der ›deutschen Kultur‹ (so benannt oder nur implizit gemeint) abweichend. Religion wird dabei zum Differenzmarker gemacht. Die damit verbundenen Konstruktionen der Kultur bzw.

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Die Diskussionsrunde setzte sich aus neun Mitarbeiter_innen der Mobilen Jugendarbeit zusammen, die als Arbeitsteam (mit unterschiedlichen Standorten) auch eine reale Gruppe bilden mit gemeinsamen Arbeitsbezügen und regelmäßigem Austausch. Die Pädagog_innen haben eigenen Angaben zufolge selbst keine Migrationserfahrungen.

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Religion der Anderen beziehen sich darüber hinaus auf Geschlechter- und Generationenverhältnisse. So werden diese Bilder und Konstruktionen an rassistischen Erzählungen über Freiheitseinschränkungen von Mädchen durch männliche Familienmitglieder, patriarchale Geschlechterrollenvorstellungen und gewalttätige Konflikte festgemacht – also an Themen, die auch im Fokus dominanter öffentlicher rassistischer Diskurse über Migrationsandere stehen. Hierbei werden – zumindest vordergründig – Bilder von ›unterdrückten Mädchen bzw. Frauen‹ und von ›patriarchalen und potenziell gewalttätigen Männern‹ in Migrationsfamilien gezeichnet und daran eine Differenz und das Anderssein im Hinblick auf Kultur und Religion konstruiert bzw. aufgezeigt. Dabei sind es nicht unbedingt Erfahrungen aus dem unmittelbaren Arbeitsund Aufgabenbereich der Sozialpädagog_innen, auf die sich die Ausführungen beziehen. Es sind vielmehr allgemein gehaltene Erörterungen und alltagstheoretische Ausführungen über Religion bzw. den Islam oder Geschichten vom Hörensagen, Geschichten, die tradiert werden, und hier als Erklärungs- und Deutungsmuster für das Anderssein der Anderen herangezogen werden. Dies zeigt sich beispielsweise an den Ausführungen eines Sozialpädagogen, selbst Angehöriger der deutschen Mehrheitsgesellschaft, der die Diskussion eine Zeitlang stark dominiert: Am: »Und da ist es für mich einfach so, dass ich merke, dass es halt in bestimmten Kulturschichten, muslimischen, so Ehre-Geschichten gibt und so ein Kram. Dem eine reinhauen, weil er die Schwester angelangt hat, mal den Arm hingelegt hat auf dem Pausenhof, ein Deutscher oder sonst was. Dann haut man dem eins in die Fresse und solche Geschichten […] es gibt halt so Ehre-Geschichten. Oder irgendeiner verliebt sich halt in die Falsche und dann rückt die ganze Familie an und dann gibt es eine Schlägerei deswegen, nur weil er sich in die Falsche verknallt hat.« (GD mj_317-326)

Solche Konflikte, die hier vom Sprecher lapidar und abschätzig geschildert werden, werden als Kennzeichen einer türkischen Kultur oder muslimischen Religion gedeutet und auf das Konstrukt der ›Ehre‹ zurückgeführt. Dabei wird auf Geschlecht Bezug genommen und die Geschlechterverhältnisse der Anderen als patriarchal und gewaltförmig beschrieben. Frauen_ und Mädchen_ werden dabei als Spielbälle von durch Männer_ ausgetragenen gewaltsamen Konflikten (um ethnisch-nationale Zugehörigkeiten) dargestellt. Gleichzeitig werden Kultur und Religion in diesem Diskurs als Ursache und Begründungskontext für das Handeln der Menschen betrachtet, die als muslimisch markiert werden. So sagt der Befragte beispielsweise kurze Zeit später in der Diskussion, in der es um Einschränkungen von Mädchen_ aus Familien mit einer Migrationsgeschichte geht:

186 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING »[…] das hat viel mit religiösem Hintergrund zu tun, das hat aber auch mit traditionellen Hintergründen zu tun, wie Ehre oder sonst was«. (GD mj_357-360)

Diese Einschätzung, verbunden mit einer Engführung von Erklärungsmustern auf Kultur, Religion und Tradition, wird in der Diskussionsrunde jedoch nicht von allen geteilt. So wendet eine Kollegin ein, dass sie gewalttätige und rivalisierende Auseinandersetzungen um Mädchen und Frauen sowie patriarchale Frauenbilder bei jungen Männern unterschiedlicher Herkunft auch bei Deutschen erlebe. Sie stellt einen Zusammenhang zum sozialen Milieu und zur Schichtzugehörigkeit her: If: »[…] und je prekärer die Lebenslagen von denen sind, umso verbretterter und komischer sind sie von ihrer Einstellung her. Und man kann dann da auch durchaus in der 10. Generation reinrassig deutscher Abstammung, mindestens genauso machohafte und verbretterte Sichtweisen und Frauenbilder finden und auf dem Silbertablett serviert kriegen von solchen Jugendlichen wie von einem mit einem albanischen Hintergrund. Also, so nehm ich das wahr.« (GD mj_448-453)

Sie versucht einen Gegendiskurs zu den einseitig religions- oder kulturzentrierten Interpretationsmustern der Vorredner_innen, indem sie auf andere Ursachenzusammenhänge verweist. Dabei nimmt sie eine andere Konturierung und Fokussierung von Dominanz- und Ungleichheitsverhältnissen vor. Sie benennt das zuvor thematisierte Verhalten explizit als männliches Dominanzgebaren und rückt damit, neben sozialem Milieu, das Geschlechterverhältnis als relevant für solche Situationen und Verhaltensweise in den Vordergrund. Durch das Einbringen anderer Ursachen oder Einflussfaktoren, hier Milieu oder Klasse, sowie einer anderen Lesart von Gewalt in Geschlechterverhältnissen, verfolgt sie einen zur Argumentation der Kolleg_innen querliegenden Diskurs – möglicherweise in der Absicht, diese in ihrer einseitigen, ethnisierenden Deutung zu durchbrechen. Allerdings pointiert sie ihre Aussage bzw. spitzt diese zu, indem sie nicht nur eine starke und etwas plakative Sprache wählt, sondern selbst Pauschalisierungen und Kategorisierungen vornimmt und – wenn auch ironisch – auf Rassekonstruktionen und nationale Kategorien zurückgreift. Ebenfalls verbleibt sie in einem mehr oder weniger deterministischen Zusammenhangsdenken zwischen sozialer Lage und männlichem Dominanzgebaren bzw. patriarchalen Frauenbildern. Ein weiterer Diskussionsteilnehmer macht sich in seinen Ausführungen ebenfalls für die zentrale Bedeutung von kulturellen Unterschieden stark, be-

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zeichnet diese als »tiefgreifend« (412) und will sie auch nicht »wegdiskutieren« (310). Anknüpfend an die Diskussion um die Bedeutung von Religion als Einflussfaktor auf die Jugendlichen, sagt er: Bm: »Ja, ich denke, das ist ein Aspekt. Also ich hab mal Theologie studiert und so viel Urteilsvermögen, glaube ich, hab ich noch (lacht). Und ich erlebe unsere Gesellschaft hier als sehr (.) sagen wir, sie ist säkularisiert, sie ist verweltlicht. Jetzt hab ich natürlich jemand, der aus der Türkei von einem anderen Hintergrund kommt, völlig anderen religiösen Hintergrund kommt, und natürlich ein religiöser Hintergrund, der das Leben auf völlig andere Weise bestimmt wie jetzt uns. Also wer nimmt heut noch am Pfingstfasten teil. Also unsere Gesellschaft ist wirklich säkularisiert. Bei ihnen spielt des noch eine andere Rolle, da ist ein anderer Hintergrund da und von daher vielleicht auch ein anderer Zusammenhalt. Also von daher gibt es schon Unterschiede. Ich hab vor sechs, sieben Jahren in meiner Heimatstadt einen fürchterlichen Ehrenmord mitbekommen. Da hat einer seine Schwester tatsächlich, ein junger Türke, seine Schwester wirklich mitten auf dem Schulhof hingerichtet, vom Gymnasium, weil sie eben, weil ihr nachgesagt wurde, sie hat ein Verhältnis mit einem Deutschen und schwierigem Umfeld und so weiter. […] aber es war nicht mal seine Entscheidung, sondern er ist als Vollstrecker der Sippe, der Vollstrecker der Ehre dieser Familie, um die wiederherzustellen, eingesetzt worden als Exekutor. Definitiv, bestätigt übrigens. […] Ja, aber die Unterschiede gibt’s.« (GD mj_530-546)

Religion wird in dieser Ausführung des Jugendarbeiters zu einer zentralen Differenzlinie gemacht. Dabei nimmt er Bezug auf einen Fall, mit dem er nicht in seiner Arbeit zu tun hatte, sondern der ihm als Argument und Deutungsrahmen für die Konstruktion kultureller bzw. religiöser Differenzen dient. Bei genauerer Betrachtung des Gesagten hinsichtlich der darin liegenden Botschaften sowie einund ausgrenzender Mechanismen zeigt sich: Hier wird mit verschiedenen Gegenüberstellungen gearbeitet. Die bipolare Konstruktion von ›Wir und die Anderen‹ (»bei uns« und »bei ihnen«) wird dabei diskursiv am Beispiel der Religion hergestellt und diese als Differenzmarker angerufen. Die Bedeutung von Religion für »unsere Gesellschaft« und die für »jemanden, der aus der Türkei kommt«, wird als diametral unterschiedlich konstruiert: Die ›eigene‹ Gesellschaft wird als »säkularisiert«, als »verweltlicht« gekennzeichnet, in der die Religion keinen Einfluss auf das Leben der Einzelnen hat, im Gegensatz zu Menschen aus der Türkei, die einen »völlig anderen religiösen Hintergrund« haben, deren Leben durch die Religion wesentlich mehr bestimmt wird. Hier deutet er, ähnlich wie sein Kollege, den Islam und die Bedeutung von Ehre als determinierend für das Verhalten von (männlichen) Muslimen als einzelne Personen und als Kollektiv. Mit der Rede über die Religion der Anderen wurde bereits im Dis-

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kussionsverlauf zuvor eine Assoziationskette angestoßen, die zu Gewalt, Ehre und dort nun zu Ehrenmord führte. Diese Phänomene gelten hier als Symbol, Kennzeichen oder Merkmal einer ebenfalls konstruierten und zugeschriebenen Kultur bzw. Religion der islamisierten Anderen. In der Beschreibung des Falls wird mit der Verwendung von Begriffen wie Sippe, Vollstrecker der Ehre, Exekutor ein Bild der Anderen bzw. von deren vermeintlicher Kultur gezeichnet, das mit Referenz auf das Gegensatzpaar modern und traditionell als archaisch, gewalttätig, kollektivistisch und patriarchal entworfen und festgeschrieben wird. Damit wird der Gegensatz zur Mehrheitsgesellschaft als diametral und auch unvereinbar gekennzeichnet. Gleichzeitig werden die hier konstruierten Differenzen mit dem Bezug auf Geschlecht hergestellt – auch wenn dies nicht explizit benannt wird. Damit knüpft er an zuvor schon in der Diskussion verhandelte vergeschlechtlichte Bilder über Kultur und Islam an. Diese werden im Geschlechterverhältnis als patriarchal-gewaltförmig markiert. Der sogenannte Ehrenmord dient im Gesamtdiskurs als Metapher für dieses und wird hier als Beispiel für kulturelle Differenz sowie für die Macht der Religion über die Menschen, die dem Islam angehören, herangezogen. Dadurch, dass gewaltförmige und männlich dominierte Geschlechterverhältnisse allein der ›anderen‹ Religion bzw. Kultur zugeschrieben werden, bleibt das asymmetrische Geschlechterverhältnis der eigenen Gesellschaft bzw. Religion ausgeblendet. Gleichzeitig werden vom Sprecher in seiner Darstellung und Interpretation des Konflikts vorherrschende Geschlechterordnungen reproduziert: In der Art und Weise, wie der Fall dargestellt wird, wird der »junge Türke« als aktiv und gewalttätig präsentiert, die Schwester als passives Opfer, sprachlich konturiert durch Passivkonstruktionen (»wird hingerichtet«). Diese gegenderte Täter-Opfer-Konstellation wiederholt sich auch in den anderen Darstellungen, wobei der Fokus auf die Gewalt der Männer gerichtet wird, die Stärke und Handlungsfähigkeit der Frauen, welche hier offensichtlich aus den ihnen in einem konservativen Geschlechterentwurf zugedachten Rollen ausbrechen, bleibt diesbezüglich unkommentiert. In diesem Sprechakt werden also in verschiedener Hinsicht Doing-difference-Prozesse (Fenstermaker/West 2001) deutlich: doing gender, doing ethnicity und doing religion; Differenzierungs- und Unterwerfungsprozesse, die sich überlagern und über die – in ihrem Zusammenwirken – Grenzziehungen vorgenommen und Normalitätsvorstellungen zementiert und verbreitet werden. Kennzeichnend für diese polaren Konstruktionen und Einteilungen ist, dass der Einfluss von Religion in der Mehrheitsgesellschaft komplett ausgeblendet wird, ebenso die Vielfalt an Religionen, die für Jugendliche in ihrem Leben, ihrem Umfeld und der Gesellschaft existieren und unterschiedlich bedeutsam

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sind. Vielmehr wird der Fokus einseitig auf ein vereinheitlichtes und essentialisiertes Bild vom Islam bzw. von Muslimen gerichtet. Es handelt sich um einen Diskurs, der zur Abgrenzung gegenüber den Anderen und der Aufwertung der ›eigenen‹ Kultur dienlich ist. Konstruktionen von und zu ›Kultur‹ und ›Religion‹ (der Anderen) stellen im hier vorgestellten Diskurs von Jugendarbeiter_innen im Rahmen einer Gruppendiskussion über die Bedeutung von Differenz und Vielfalt in der Jugendsozialarbeit die primären Bezugsgrößen dar. Sie werden als sozial bedeutsame Differenzmarker im Diskursverlauf immer wieder neu hergestellt, auch wenn es über deren Relevanz als Erklärungskraft für die Lebenslagen der Jugendlichen und für die konkrete Arbeit unterschiedliche Meinungen gibt. In der Diskussion der Jugendarbeiter_innen – in deren Sprechen über Jugendliche, die sie in Bezug auf Kultur und Religion als different markieren – findet das statt, was Stuart Hall (2004) als »Spektakel des ›Anderen‹« bezeichnet. In dieser Gruppendiskussion wurden stellenweise Konstruktionen und Bilder aneinandergereiht und gegenseitig ergänzt, es wurde fast schon zu einem Wettbewerb, besonders spektakuläre Fälle oder Geschichten einzubringen – gerade mit einem skandalisierenden Bezug auf Geschlecht im Kontext von Migration. So begann ein Diskussionsteilnehmer seinen Beitrag beispielsweise mit »Also ich wollte noch was sagen zu dieser türkischen Migrationsfrauengeschichte […]« (GD mj_288). Der Ehrdiskurs und die pauschalisierte Situation von Frauen_ und Mädchen_ mit familiären oder eigenen Migrationserfahrungen werden dabei zur Metapher und zum Symbol für die (rückständige) Kultur der Anderen. Die entsprechenden Bilder werden durch ständiges Wiederholen und Pointieren festgeschrieben. Othering – verdeckt unter fachlichen Labels Allerdings verliert die Konstruktion von ›Kultur‹ und damit verbundenen Zuschreibungen und Assoziationen als Erklärungs- und Deutungsmuster nicht unbedingt an Relevanz, wenn es um die Beschreibung der konkreten Arbeit mit Jugendlichen geht. Eine andere an der Gruppendiskussion beteiligte Sozialarbeiterin nimmt in ihrem Beitrag explizit darauf Bezug und sagt: Hf: »Also für mich spielt in der Arbeit eigentlich eher ne Rolle, wenn Jugendliche mit kulturellen Unterschieden, also zum Beispiel Unterschieden, wie das die Eltern gern hätten und wie sie es in der deutschen Gesellschaft, in der Schule, in ihrem normalen Umfeld erleben, wenn die damit Probleme und Auseinandersetzung haben. Also ein irakisches Mädchen, das nur in die Schule darf, das aber sonst immer zuhause sitzt, keinen Freund haben darf, nicht tanzen gehen darf, es Absichten gab sie zu verheiraten mit 14, also solche Notlagen von Jugendlichen, die sind für mich eigentlich eher das Thema von Unter-

190 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING schieden. […] Also die Konflikte, die die Jugendlichen haben, sind dann in dem Fall auch mein Konflikt oder eben mein Auftrag da aktiv zu werden.« (GD mj_550-561)

Diese Sozialpädagogin geht ganz selbstverständlich von der Annahme ›kultureller Unterschiede‹ aus, auch wenn sie diese anders, weniger ontologisch, definiert als ihre beiden Kollegen. Für sie zeigen sich diese als Divergenzen zwischen Wertevorstellungen und Verhaltensnormen der (migrantischen) Eltern im Gegensatz zu dem, was die Jugendlichen in der deutschen Gesellschaft erfahren. Die Jugendlichen werden in diesem Spannungsfeld als ›dazwischen‹ verortet. Damit schließt sie an im öffentlichen Diskurs immer noch relevante Bilder über die Situation von Migrationsjugendlichen und dichotomisierenden Metaphern wie »zwischen den Stühlen« an, die die Komplexität der Lebenssituation und Selbstverortungen der Jugendlichen nicht hinreichend reflektieren und nur einseitig, als problematisch, interpretieren. Entstehen aus dem so ausgewiesenen Spannungsfeld Probleme für die Jugendlichen, sieht sie sich als Sozialpädagogin gefordert. Sie verbleibt dabei in einer kulturalistischen Argumentation, in der Unterschiede als kulturelle Konflikte im Spannungsfeld von Norm und Abweichung gedeutet werden. Das Bild der ›Kultur der Anderen‹, als deren Hüter_innen und Repräsentant_innen hier die Eltern konstruiert werden, wird dabei als abweichend von den Normvorstellungen der deutschen Gesellschaft gezeichnet und diese gleichzeitig zur gültigen Bezugsgröße erhoben. Das Beispiel, auf das sie sich bezieht, kreist entsprechend um die bereits benannten geschlechterbezogenen Themen Freiheitseinschränkungen von Mädchen und potenzieller Zwangsverheiratung, an denen die (konstruierte) Divergenz zwischen verschiedenen kulturellen Vorstellungen scheinbar besonders gut deutlich gemacht werden kann. Gleichzeitig kommen darin Normalitätsvorstellungen über ein ›angemessenes‹ Leben eines 14-jährigen Mädchens zum Ausdruck, nicht nur in ethnozentristischer Hinsicht, sondern als heteronormative Geschlechtervorstellungen. Auch wenn sie mit der Aussage, dass die Konflikte der Jugendlichen ihre Konflikte seien, auf einen pädagogischen Ansatz verweist, der parteilich an den Bedürfnissen der Jugendlichen ansetzt, bleibt der Bezug auf sogenannte ›kulturelle Unterschiede‹, die im Sprechen über die Situation des Mädchens konstruiert werden, die zentrale Interpretationsfolie – und damit verfehlt sie potenziell die Subjektivität der Jugendlichen. Hier deutet sich an, dass pauschalisierende und mit vergeschlechtlichtethnisierenden Zuschreibungen überlagerte Sichtweisen und Deutungsmuster mit pädagogischen Konzepten und Ansätzen einhergehen können, die diesen jedoch widersprechen. Das kann das emanzipativ-motivierte Bedürfnis der Pädagogin sein, sich gegen Ungerechtigkeiten im Geschlechterverhältnis einzusetzen und

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dem Mädchen zu ihrem Recht zu verhelfen und diese empowernd zu unterstützen. Der stark kulturalisierende Blick erschwert jedoch, sich der Situation und den Bedürfnissen der Mädchen zu nähern. Es besteht dabei die Gefahr, die Mädchen in ihrer Situation zu verfehlen und sie zumindest nicht als Subjekte einzubeziehen. So stehen zum Teil von den Professionellen postulierte partizipative, subjekt- oder lebensweltbezogene Ansätze neben ethnisierenden und pauschalisierenden Zuschreibungspraxen. Hier kommt es z.T. zu widersprüchliche Verstrickungen. Dies zeigt sich beispielsweise an den Aussagen eines Jugendarbeiters, der in einer anderen Organisation der Mobilen Jugendarbeit tätig ist und dessen Aussagen aus einem anderen Forschungszusammenhang stammen. Konzeptionell sind ihm für seine Arbeit die Prinzipien der Lebensweltorientierung und Subjektorientierung wichtig, die neben einer geschlechterbezogenen Arbeit auch in der Konzeption der Einrichtung verankert ist. Für seine Arbeit mit den Jugendlichen hebt er v.a. eine biographische Herangehensweise als zentral und bedeutsam hervor: »Ich leg sehr viel Wert drauf das Ganze biographisch anzugehen, ja. Also für mich steht äh nicht en Türke vor mir sondern nen Mensch mit ner bestimmten Biographie, ja. Und dann kuck ich mir seine Biographie an, ja. So, das ist so mein Vorgehen immer.« (Int mj2_515-519).

Den biographischen Zugang, mit der der Mensch und dessen Biographie im Fokus des pädagogischen Blicks steht, sieht er dabei als Möglichkeit, seine Klientel nicht mit der Folie der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit und damit verbundenen Bildern zu begegnen. So präsentiert er seine Ansprüche zumindest in dieser Aussage. Allerdings ist er trotz dieses Versuches einer biographischen Herangehensweise vor pauschalisierenden Bildern und Kategorisierungen im natio-ethnokulturellen Kontext nicht gefeit. So erzählt er an einer anderen Stelle des Interviews von der Arbeit in als geschlechterhomogen konzeptionalisierten Mädchenund Jungengruppen und nimmt dabei verschiedene Zuschreibungen und Kategorisierungen vor: »Ja. Also wir haben Mädchenclubs, drei Stück im Moment. Aber jetzt der Club von der Y (Pädagogin), das sind hauptsächlich, aber das sind ausschließlich Mädchen mit Migrationshintergrund, auch Kopftuchmädchen dabei. Sehr lustige Mischung, von Polen über Marokko nach Türkei, Russland, Ägypten. Wer da alles rumsitzt. Und gerade für viele muslimische Mädchen ist es häufig die einzige Zeit, wo sie jetzt selbstbestimmt ihre Frei-

192 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING zeit gestalten können. Klingt n bisschen hart, is aber manchmal tatsächlich so. Also es gibt immer wieder auch tatsächlich muslimische Mädchen, die sehr stark zu Hause gehalten werden, auch sehr eng kontrolliert werden, was ihre Freizeit, was die Freizeit so angeht. Und das ist auch so ein bisschen der Erfolg von dieser langjährigen Arbeit, die man hier tut, dass die Eltern oft einen sehr hohen Vertrauensvorschuss geben.« (Int mj2_ 356-365).

Im ersten Teil erfolgt eine Beschreibung der an der Mädchengruppe beteiligten Jugendlichen, die jedoch nicht als subjekt- oder biographiebezogene Perspektive zu interpretieren ist. Auf die Subjektivität, die Beweggründe oder biographischen Hintergründe der Einzelnen, mit denen pädagogisch gearbeitet wird, wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Sie werden vielmehr als Vertreterinnen von verschiedenen Nationen dargestellt (»wer da alles rumsitzt«). Dies kann als folkloristische Auslegung eines Diversity-Diskurses im Sinne von ›alles so schön bunt hier‹ verstanden werden. Die Art der reihenden Aufzählung, auf die der Pädagoge in der Darstellung zurückgreift, erinnert darüber hinaus an die Benennung von Nationenvertretungen durch die Moderation beim Grand Prix d’Eurovision oder bei internationalen Misswahlen, in denen es u.a. um eine vergeschlechtlichte Körperpräsentation geht (einer Verschränkung von verschiedenen Repräsentationsdimensionen hinsichtlich Nation, Geschlecht, Körper). Gleichermaßen werden in der Reihe der Jugendlichen, denen ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird, diejenigen hervorgehoben, die als »Kopftuchmädchen« benannt und festgeschrieben werden. Diese Bezeichnung bedarf für den Sprecher offenbar keiner weiteren Erklärung. Er greift hier auf ein dominantes Wissen und eine vorherrschende Repräsentation zurück – ein Bild, das Körperpraxen vergeschlechtlicht-ethnisiert-religiös deutet und gleichzeitig als abweichend konstruiert. In seinem weiteren Sprechen wiederholt sich die zum Objekt degradierte Darstellung und Positionierung, die er den Mädchen zuweist: zunächst als passive Mitglieder der Mädchenclubs (eine weitere Lesart von »wer da alles rumsitzt«), dann als passive Opfer der vermeintlichen Zwänge ihrer Herkunftsfamilie, wobei seine Darstellung ihrer Situation fast schon an die Domestizierung eines Haustiers (»muslimische Mädchen, die sehr stark zu Hause gehalten werden«) erinnert, was zu einer weiteren Enteignung ihrer Subjektivität beiträgt. Damit stellt er die als Mädchen bezeichneten Heranwachsenden zum einen in einer amüsiert distanzierten Art und Weise dar (»lustige Mischung«), zum anderen zeichnet er ein Bild der stark vonseiten der Familie eingeschränkten und kontrollierten muslimischen Töchter. Dabei greift er auf ein Amalgam von vergeschlechtlichten-kulturalisierenden-generationenbezogenen Konstruktionen zurück und macht die hier angesprochenen Jugendlichen und ihre Familien zu Anderen. In dieser Darstellung der Jugendlichen, mit denen er bzw. die

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Einrichtung arbeitet, bezieht er sich auf gesellschaftlich vorherrschende geschlechterbezogene Bilder über Jugendliche, denen ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird. Er greift diese auf und festigt diese im pädagogisch fachlichen Diskurs. Gleichzeitig fällt er jedoch hinter seinen zuvor geäußerten fachlichen Anspruch der Subjekt- und Biographieorientierung zurück, indem er die Jugendlichen auf ihren vermeintlichen Herkunftskontext und den damit verbundenen Konstruktionen reduziert. Mit dem letzten Satz bringt er dann die eingeschränkte Lebenssituation der Mädchen und die erfolgreiche Arbeit der Einrichtung zusammen und erklärt den Erfolg der Arbeit zum einen damit, den Mädchen einen Platz jenseits der Familie zu bieten, zum anderen damit, das Vertrauen der Familien gewonnen zu haben. Jenseits des hier präsentierten paternalistischen Habitus dieses Sozialpädagogen und der pauschalisierenden Charakterisierung seiner Klientel scheint es zu einer vertrauensbildenden Kommunikation mit den Eltern gekommen zu sein, die über Zuschreibungen und deren Adressierung als Andere hinausgeht. Deutlich werden jedoch die widersprüchlichen Verstrickungen einer differenzbezogenen Perspektive, die einerseits Othering nahelegt, aber gleichzeitig emanzipatives Potenzial für die Adressat_innen enthalten kann. Ebenso zeigt sich die Gleichzeitigkeit von fachlichen Ansprüchen, wie die hier postulierte Subjektorientierung auf der einen Seite und Kulturalisierungen und Pauschalisierungen im fachlichen ›Sprechen über‹ die Jugendlichen auf der anderen Seite. Vor diesem Hintergrund der unterwerfenden Subjektivierung der Jugendlichen drohen die genannten fachlichen Ansprüche zu Labels zu werden, wenn sie möglicherweise in der konkreten Arbeit mit einem Jugendlichen durchaus Anwendung finden. Anzumerken ist in diesem Kontext, dass es durchaus Fälle von Zwangsverheiratung und Einschränkungen der Selbstbestimmung der Jugendlichen durch ihre Familien gibt und Pädagog_innen in ihrer Arbeit diesen begegnen. Allerdings werden in den vorgestellten Diskursen jedoch Pauschalisierungen vorgenommen und dabei in unzulässiger Weise diese Fälle oder Problemkonstellationen als für eine ganze Gruppe zutreffend verallgemeinert. Und dieser Prozess der pauschalisierenden Zuschreibung ist es, mit dem die so markierte und mit diesen Bildern behaftete Gruppe von Jugendlichen zu Anderen gemacht wird. An den herausgearbeiteten Diskursen von Pädagog_innen aus den Feldern der Schule und der Jugendarbeit konnten zwei Diskursmuster über Jugendliche mit Migrationshintergrund ausgemacht werden, in denen sich Geschlechterkonstruktionen mit rassialisierten und kulturalisierenden Zuschreibungen zu Othering verbinden: die gegenderten Konstruktionen von Migrationsanderen als »die Problematischen« (das Bild der gewaltbereiten, patriarchalen, sexistischen und körperbetonten Migranten-Jungs) und als »die Defizitären« (das Bild der muslimi-

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schen, familiär und patriarchal unterdrückten und eingeschränkten Mädchen) – die sich komplementär ergänzen und als Gegenbild zur mythischen Norm, die das ›Wir‹ der Dominanzgesellschaft repräsentiert, fungieren. Mit diesen Bildern nehmen die Professionellen im pädagogischen Kontext Bezug auf gesellschaftlich dominante Bilder und Diskurse7, ein Repräsentationsregime, in dem Differenz repräsentiert wird (vgl. Hall 2004b: 115) und sich Rassialisierungen und Ethnisierungen mit Geschlechterkonstruktionen verbinden. Mit den dargestellten Diskursen der Pädagog_innen werden symbolische Ein- und Ausgrenzungsprozesse sowie Zuordnungen aus einer machtvollen Perspektive vorgenommen, was sich – so ist anzunehmen – auf den alltäglichen und pädagogischen Umgang mit den Adressat_innen ihrer Arbeit auswirkt und in mehrfacher Hinsicht folgenreich ist. Im nächsten Abschnitt wird der forschende Blick darauf gerichtet, inwiefern solche Diskurse und Bilder für das Handeln der Pädagog_innen bedeutsam sind. Dazu werden exemplarisch Interaktionssequenzen betrachtet, die aus dem Kontext der Umsetzung des Präventionsprojekts »Vom Zusammenleben und Ausgrenzen« stammen.8 Durch Hervorhebung und Zuschreibung zu Anderen machen Anhand zweier Szenen soll der schmale Grat zwischen Anerkennung und Othering bei der Thematisierung und Hervorhebung von Differenz aufgezeigt werden. Deutlich wird, wie eine Adressierung mit einseitigem Bezug auf die Herkunft – je nach Art der Adressierung sowie der vorherrschenden Wertung bzw. dem Grad der Anerkennung der adressierten Herkunft bzw. Zugehörigkeit – zum Akt des Othering oder der Anerkennung werden kann. Die Unterrichtseinheit, auf die ich dabei Bezug nehme, findet in einer siebten Klasse9 einer Schule in der Schweiz statt, die am Projekt »Vom Zusammenleben

7

Diese Bilder zeigen sich auch in Diskursen über Jugendgewalt, sogenannte Problemschulen oder marginalisierte Stadtteile, Zwangsverheiratung, Homophobie usw. (vgl. Munsch u.a. 2007)

8

Die Darstellungen basieren auf Beobachtungsprotokollen und dichten Beschreibungen sowie Videoaufnahmen von den Unterrichtsstunden, in denen das Projekt von Lehrer_innen mit ihren Klassen durchgeführt wurde. Die hier präsentierten Sequenzen entstammen alle aus dem Projektkontext der Untersuchung in der Schweiz, bei dem das Projekt nur in der Schule und ohne Kooperationspartner aus der Jugendarbeit durchgeführt wurde.

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Die Klasse ist an dem Projekt »Vom Zusammenleben und Ausgrenzen« beteiligt. Allerdings ist die hier thematisierte Lehrerin ›nur‹ als Vertretung einer anderen Kollegin im Projekt involviert: Sie führt zwar einige Einheiten des Projekts in der Klasse durch,

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und Ausgrenzen« beteiligt war. Das Thema der Einheit ist das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, sozialer Lage und Lebensweisen. Wenn das Thema explizit nicht auf ethno-natio-kulturelle Zugehörigkeitsfragen reduziert ist, gelangt die Auseinandersetzung in der Klasse, u.a. durch die Lenkung der Lehrerin, bald auf diesen Fokus. Im Anschluss an einen Filmausschnitt, in dem verschiedene in der Schweiz lebende Menschen über ihre ganz unterschiedlichen Positionen und ihr Verständnis von »Integration« sprechen (»Colors of Schweiz« 1998), versucht die Lehrerin eine Diskussion zu einzelnen Themen des Films anzuregen. Zunächst fragt sie nach verschiedenen im Film zum Ausdruck gebrachten Meinungen, anschließend nach positiven Folgen von »Einwanderung«. Von den Schüler_innen wird daraufhin vor allem die Arbeitskraft von Migrant_innen genannt und dabei das Wissen formuliert, dass diese in der Schweiz v.a. schlecht angesehene Arbeiten übernehmen: »Die machen, wozu sich die Schweizer zu gut sind«. Die Lehrerin lenkt mit ihren Fragen die Diskussion auf die Themen Essen, Musik, Umgang mit verschiedenen Sprachen, verschiedenen Menschen und bringt den Fokus auf die, wie sie sagt, »kulturellen Einflüsse von Einwanderern«. Die Schüler_innen ihrerseits sind an dieser Stelle zurückhaltend und bringen auf Nachfragen keine eigenen Beispiele dazu ein. Dann wendet sich die Lehrerin relativ unvermittelt einer Schülerin zu und fragt diese: LPin: Wo kauft denn deine Mutter ein? Die Schülerin zögert mit ihrer Antwort, sagt dann jedoch: Sin: Sie kauft überall ein, bei der Migros, Coop10 … [5 sec.] Meine Mutter kocht eigentlich gar nicht brasilianisch, viel mehr asiatisch.11 Die Lehrerin wendet sich von der Schülerin ab, geht nicht auf deren Antwort ein und spricht, an die ganze Klasse gerichtet und den vorherigen Faden wieder aufnehmend, weiter.

In dieser Situation adressiert die Lehrerin eine Schülerin, von der sie annimmt, dass diese etwas zu dem von ihr eingeführten und benannten Thema »kulturelle Einflüsse« durch Migration sagen kann. Mit der Frage nach den Einkaufsgewohnheiten der Mutter wird eine natio-ethno-kulturell geformte Differenzlinie

besucht jedoch nicht die begleitenden Workshops und Weiterbildungsveranstaltungen der Lehrkräfte. 10 Beides sind beliebte und marktführende Schweizer Supermarktketten. 11 Zitat auf der Basis des Beobachtungsprotokolls (Einh.6_Klasse_G).

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gezogen. Die Schülerin und ihre Mutter werden diesbezüglich als ›Spezialistinnen‹, aber damit als Migrationsandere positioniert. Gleichzeitig wird mit der Frage der Lehrperson ein vorherrschendes Geschlechterverhältnis reproduziert, da die Bereiche Kochen und Lebensmittel einkaufen selbstverständlich der Mutter zugewiesen werden. Damit wird die Jugendliche nicht als Subjekt angesprochen, sondern dient der Lehrerin als Informantin (oder in dieser schleppenden Unterrichtssituation nur Stichwortgeberin) über ›kulturell‹-andere Koch-, Einkaufs- und Ernährungsweisen. Die Schülerin ist sichtlich irritiert darüber. In ihrer Antwort distanziert sie sich von dem, was von ihr erwartet wird. Sie weicht einer auf kulturalisierende Bilder bezugnehmenden Stellungnahme aus, verweigert diese zunächst, um schließlich eine Bedeutungsverschiebung vorzunehmen. So versucht sie, mit ihrer Antwort sich (und ihre Mutter) explizit in der Mehrheitsgesellschaft zu verorten und implizite Zuschreibungen abzuwehren, indem sie betont, dass ihre Mutter in etablierten Schweizer Lebensmittelketten einkauft und nicht herkunftsbezogen kocht, sondern sich an der modernen internationalen/transkulturellen Küche orientiert – so kann zumindest der Hinweis auf »asiatisch« und der vorherrschenden Bezugnahme auf die asiatische Küche gelesen werden. In dieser kurzen Interaktion wird die Schülerin (und deren Mutter) durch diese Hervorhebung auf ihre vermeintliche Herkunft reduziert und festgeschrieben und damit auch ihrer Subjektivität enthoben. Sie wird für didaktische Zwecke vereinnahmt und zur (ethnisierten und kulturalisierten) Anderen gemacht und somit symbolisch ausgesondert. Die Jugendliche erlebt möglicherweise in dieser Situation und im schulischen Kontext eine Wiederholung von vergleichbaren Situationen des Othering, mit denen sie wahrscheinlich bereits schon mehrfach in ihrem Alltag und ihrem Leben konfrontiert wurde. Allerdings geschieht dies in einer Bildungssituation, die gegenüber Ausgrenzung sensibilisieren soll und sich als Präventionsprojekt gegen Ausgrenzung versteht, was den Schüler_innen so kommuniziert wird. Über die Handlungsgründe der Lehrerin kann anhand dieses Materials nichts gesagt werden, sondern nur aus dem Kontext heraus spekuliert werden: Möglicherweise will sie das Thema, nach dem die Schüler_innen zuvor auf ihren monologisierenden Beitrag über die ›kulturellen Einflüsse‹ nicht eingegangen sind, an einem konkreten Beispiel aus der eigenen Klasse veranschaulichen, das Mädchen als gelungenes Beispiel einer ›kulturellen Bereicherung‹ präsentieren oder an der Lebenswelt einer Schülerin ansetzen, um den Schüler_innen den Zugang zum Thema zu erleichtern. Die Handlungsgründe seien auch dahingestellt, allerdings hat diese Art der Adressierung eine Zugehörigkeitsverhältnisse ordnende Funktion und ist in ihrer Wirkung und in ihren Folgen ausgrenzend.

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Auch wenn sich in dieser Situation die Widerständigkeit und Handlungsfähigkeit des Mädchens zeigen und dieses durch ihre Antwort zur Irritation der Lehrerin beitragen kann (worauf hindeutet, dass sich diese gleich abwendet) sowie durch das von ihr entworfene Gegenbild ein Stück weit aus der damit verbundenen Zuschreibung und Einordnung befreien kann,12 sind solche kulturalisierenden Differenzierungspraxen rassistisch und ausgrenzend. Die Schülerin kann sich nur dann der Wirkmacht dieser Zuschreibungen und impliziten Ordnungsmacht (gerade wenn sie von einer Lehrerin ausgeht) entziehen, wenn sie eindeutig und aktiv ein anderes Deutungsmuster entgegenhält. Die Gefahr besteht jedoch, dass das Mädchen durch diese symbolische Aussonderung durch die Lehrerin (vor dem Hintergrund eines hierarchischen Settings der Schule und der machtvollen Position der Lehrkräfte) in dieser kurzen Sequenz in der Wahrnehmung der restlichen Klasse als Andere positioniert bleibt. Es findet hier ein Akt der Grenzziehung und symbolischen Aussonderung statt, in dem das Mädchen zur (ethnisierten und kulturalisierten) Anderen gemacht wird. Wie an diesen Beispielen deutlich wird, besteht bereits mit dem Hervorheben von Differenzen, v.a. mit dem einseitigen Fokus auf Herkunft oder Zugehörigkeit im natio-ethno-kulturellen Kontext, die Gefahr, diese sozial konstruierten, aber wirkungsmächtigen Differenzen salient zu machen, Subjekte darauf festzuschreiben und so zu Anderen bzw. Nicht-Zugehörigen zu machen – mit negativen Folgen für deren Positionierung in der Mehrheitsgesellschaft, gerade im Kontext von gesellschaftlichen Kämpfen um Zugehörigkeit. Als Kontrast dazu kann eine andere Interaktion im weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit herangezogen werden. Hier kann eine Schülerin die Situation, dass sie von der Pädagogin auf ihre Zugehörigkeit angesprochen wird, positiv für sich nutzen. In diesem Fall zieht die Lehrerin sie als Beispiel für jemanden heran, die drei Pässe besitzt, einen schweizerischen, einen schwedischen und einen französischen. Dann fordert sie die Schülerin auf, der Klasse davon zu berichten. Die Lehrerin sagt: Erzähl uns doch mal, warum du drei Pässe hast und wie das für dich ist. Die (ansonsten eher stille und zurückhaltende) Schülerin kommt dieser Aufforderung gleich und sichtlich erfreut nach und berichtet ausführlich und auf ihre Mehrfachzugehörigkeit positiv Bezug nehmend. Ihre Erzählung stößt dabei auch auf das Interesse der Mit-

12 Zum kreativen und widerständigen Umgang von Jugendlichen mit rassistischen und gegenderten Fremdzuschreibungen vgl. auch Riegel (2003, 2004), Riegel/Yildiz (2010) und Scharathow (2014).

198 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING schüler_innen, die wie die Lehrerin interessiert zuhören, was die Schülerin zu genießen scheint.13

In dieser Situation wird – ebenso wie im vorherigen Fall – eine Schülerin von der Lehrerin auf ihren Herkunfts- und Zugehörigkeitskontext angesprochen, allerdings in anderer Weise, mit einer anderen Wertigkeit und mit anderen Konsequenzen. Die Schülerin wird in positiver Weise auf ihre Mehrfachzugehörigkeit angesprochen und nicht mit dem Bezug auf Kultur, sondern auf Staatsangehörigkeit adressiert. Darüber hinaus wird ihr explizit Raum gegeben von ihren Erfahrungen zu berichten. Das Mädchen kann diese Gelegenheit nutzen, vor dem Hintergrund einer insgesamt positiv konnotierten Wertung der Mehrfachzugehörigkeit, die sich auf drei mittel- und nordeuropäische Länder bezieht, die im dominanzgesellschaftlichen Deutungszusammenhang des deutschsprachigen Raums als diesem ›ähnlich‹ und als ebenso ›fortschrittlich‹ anerkannt sind. Vor diesem Hintergrund muss diese Schülerin nicht fürchten, dass sie zur Anderen, Nicht-Zugehörigen gemacht wird, sondern kann sich als besondere Schweizerin mit den Vorteilen verschiedener Pässe und Sprachen präsentieren – und erfährt hierbei Unterstützung von der Lehrerin. Dies wäre wahrscheinlich anders, wenn ihr Herkunftskontext ein anderer bzw. in der Dominanzgesellschaft anders bewertet wäre. An diesen beiden Fällen wird deutlich: Es macht einen Unterschied, wie, als was und in welchem Bedeutungskontext eine Person hinsichtlich ihres Herkunfts- oder Zugehörigkeitskontexts adressiert wird. Es zeigt sich, wie unterschiedlich das Hervorheben und Benennen von Herkunft und Zugehörigkeit wirken kann: In einem Fall als kulturalisierende Zu- und Festschreibung, die zu einer symbolischen Grenzziehung und Ausgrenzung führt, aus der sich die Schülerin wieder befreien will/muss; im anderen Fall als positiv konnotierte Besonderheit. Je nachdem geht diese Fremdpositionierung entweder mit Anerkennung und diversifizierender Vereinnahmung oder mit Missachtung und symbolischer Ausgrenzung einher. Beide Prozesse sind jedoch nicht nur im Rahmen der beiden schulischen Interaktionskontexte zu sehen, sondern im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Dominanzverhältnisse. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der Herkunft (vgl. Battaglia 2000) immer mit der Gefahr der Festschreibung und des Othering verbunden, dabei bleibt im Kontext vorherrschender Machtverhältnisse die Anerkennung der Herkunft bzw. Zugehörigkeit prekär (vgl. Schramkowski 2006, Riegel 2009) und hängt letztendlich von der Deu-

13 Dichte Beschreibung auf der Basis des Beobachtungsprotokolls (Einh.6_Klasse_G).

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tungsmacht der Dominanzgesellschaft ab, die hier u.a. von der Lehrperson repräsentiert wird und im Schulkontext äußerst präsent ist (s.o.). Monologisierendes Sprechen über ›die Anderen‹ aus machtvoller Position In der folgenden Szene handelt es sich um eine Situation, in der Othering nicht in direkter Interaktion mit den als Andere Adressierten erfolgt, sondern indem in einem Bildungskontext über eine bestimmte Gruppe gesprochen wird und dabei diese bzw. Personen, die dieser Gruppe zugeordnet werden, durch Abgrenzung, Homogenisierung und Hierarchisierung als ›Andere‹ diskursiv hervorgebracht und festgeschrieben werden. Die Szene erfolgt im Kontext der zuvor dargestellten Unterrichtssituationen und schließt an diese an. Im weiteren Verlauf der Stunde wird die Diskussion zum Zusammenleben in der Gesellschaft unter den Schüler_innen lebhafter als zuvor, wobei die Lehrerin trotzdem den Diskurs immer wieder aufgreift und in eine bestimmte Richtung lenkt. Dies zeigt sich im Folgenden: Sin1: Ich finde, dass Ausländer, die in der Schweiz leben, sollen sich anpassen. Sin2: Aber man sollte ihnen schon das Eigene lassen. S3: Man muss ihnen auch die Eigenarten lassen, z.B. die Religion. LPin: Aber die Religion darf nicht einschränkend wirken. Mädchen zum Beispiel sollen nicht durch die Religion eingeschränkt werden, indem sie ein Kopftuch tragen müssen, nicht in den Sportunterricht gehen dürfen und solche Dinge. Wir haben ja schon darüber gesprochen. Was gibt es noch für Bereiche, in denen muslimische Mädchen eingeschränkt werden? Sin1: Sie dürfen nicht in Vereine. S4: Sie dürfen keinen Freund haben. LPin: Ja, und manchmal werden sie auch gezwungen, gegen ihren Willen jemanden zu heiraten, den sie gar nicht kennen, und werden wieder in die Türkei gebracht. S3:

Ja, aber dies ist nicht in allen Familien gleich, es gibt auch sehr offene Eltern, die gar nichts dagegen haben.

S5: Das hängt immer von den Eltern ab. 14

Durcheinander von Stimmen mit Bruchstücken wie: Es gibt auch sehr offene Ausländer.

14 Zitat auf der Basis des Beobachtungsprotokolls (Einh.6_Klasse_G).

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In dieser Sequenz werden von den Schüler_innen und der Lehrerin zahlreiche Differenzkonstruktionen vorgenommen. Aus einer gesellschaftlichen Dominanzperspektive erfolgt das Sprechen über die Anderen, über die »Ausländer, die in der Schweiz leben«. Mit dem Hinweis, dass ihnen »das Eigene« gelassen werden solle, wird bereits von einer Differenz bzw. Grenzziehung zwischen dem unausgesprochenen ›Wir‹ und ›den Anderen‹, denen so etwas wie eine genuine Eigenheit bzw. Wesenhaftigkeit zugesprochen wird, ausgegangen und diese festgeschrieben. Interessant hinsichtlich der Konstruktion von Anderen im pädagogischen Diskurs sind v.a. der Redeanteil und die Kommunikationsform der Pädagogin. Sie erarbeitet und konturiert in schultypischer Frage-Antwort-Manier ein Bild von ›muslimischen Mädchen‹. Sie spricht über diese so konstruierte Gruppe, adressiert und identifiziert in diesem Fall jedoch keine der Anwesenden in dieser Weise. Dabei greift sie (wie die Schüler_innen) auf gesellschaftlich vorherrschende und bekannte Bilder zurück und reproduziert diese. Sie gibt der zunächst noch allgemein gehaltenen Diskussion über den Umgang mit Unterschieden eine bestimmte Richtung, indem sie eine Assoziationskette eröffnet, die von Religion und der Gleichsetzung von Religion und Islam direkt zu Einschränkungen und Verboten für Mädchen führt. Bereits zu Beginn ihrer Ausführungen zur Religion der Anderen und zu den Einschränkungen durch Religion bezieht sie sich selbstverständlich auf den Islam, auch wenn sie dies erst am Ende durch die Fokussierung auf ›muslimische Mädchen‹ mit Worten benennt. In dieser und ihren folgenden Ausführungen (sowie den von ihr herausgeforderten Beiträgen der Schüler_innen) zu »muslimischen Mädchen« erfolgt ein Otheringprozess über die Bezugnahme und Anrufung eines Bildes von einer Gruppe, die im gesellschaftlichen Diskurs gleichzeitig als bekannt und doch abweichend markiert ist. In diesem Akt des ›Sprechens über‹ werden verschiedene soziale Differenzkonstruktionen aufgriffen und angesprochen – Kultur, Religion, Geschlecht, Körperpraxen, Alter – und daraus das essentialisierende Bild von religiös geprägten und patriarchal unterdrückten muslimischen Mädchen geformt. Dabei wird zur Konturierung dieses Bildes auf patriarchale Geschlechterverhältnisse und restriktiv-autoritäre Generationenverhältnisse Bezug genommen, diese werden jedoch nur im ethnisch-kulturell-religiösen Kontext gedeutet und damit einseitig ›der Religion‹ der Anderen zugeschrieben. Es werden zudem Normalitätsvorstellungen ins Spiel gebracht, allerdings die hier relevanten (Normalitätsund Dominanz-)Verhältnisse jedoch nicht thematisiert. So wird zum Beispiel unausgesprochen vorausgesetzt, dass Mädchen_ in diesem Alter einen Freund haben, und gleichzeitig, ebenso unausgesprochen, eine heterosexuelle Norm gesetzt. Die in diesen durchaus vorherrschenden Geschlechterkonstruktionen im-

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manenten Macht- und Gewaltverhältnisse werden jedoch nicht thematisiert. Die Überlagerung von verschiedenen Differenz- und Dominanzverhältnissen fügt sich hier zu einem Bild zusammen, das die Anderen als Opfer oder Täter festschreibt und dabei Geschlechter- und Generationenverhältnisse ethnisiert. Die unausgesprochene Bezugnahme und Orientierung an dominanten Verhältnissen und Normen wird zur Messlatte und Hintergrundfolie und positioniert das ›Eigene‹ als überlegen gegenüber dem ›Anderen‹. In diesem Gespräch zeigt sich – im Sprechen über die Anderen – ein Prozess des ›doing difference‹, wobei es nicht nur um eine hierarchische Unterscheidung geht, sondern auch um die damit verbundene symbolische Auf- und Abwertung. Aber erst durch die intersektionale Überlagerung von verschiedenen Differenz- und Dominanzverhältnissen fügt sich ein Bild zusammen, das dazu dienen kann, die Anderen als abweichend und nicht mit den Verhältnissen und Lebensweisen der Mehrheitsgesellschaft vereinbar zu konturieren und abzuwerten und somit deren Positionierung im Außen, als Nicht-Zugehörige festzuschreiben und zu legitimieren. Bedeutsam für das Thema der ›Konstruktion von Anderen im Bildungskontext‹ ist, dass die vorgenommenen Zuschreibungen und Kategorisierungen v.a. von der Lehrperson vorgenommen werden und unmittelbar in ihre pädagogische Botschaft eingebunden und als (schul- und/oder gesellschaftlich) relevantes Wissen behandelt werden. Sie stärkt ihre inhaltliche Aussage durch ihre machtvolle Position als Lehrerin, die im schulischen Kontext über die Definitionsmacht von ›richtig‹ und ›falsch‹ verfügt. Nicht nur durch ihre eigenen Redebeiträge und die gezielten Fragen an die Schüler_innen, mit denen sie in einer Art Abfragesituation bestimmte Antworten erwartet, wird das allen bekannte (weil gesellschaftlich durchaus dominante) Bild über ›muslimische Mädchen‹ wiederholt, es erhält damit die Bedeutung von schulspezifischem Wissen und wird so auch im Wissensbestand der Schüler_innen gefestigt. Die Schüler_innen greifen dieses ›Wissen‹ in der dargestellten Szene auf, selbst wenn sie schließlich die von der Lehrerin vorgenommenen Pauschalisierungen zu differenzieren versuchen. Aufgrund der generellen Deutungshoheit der Lehrperson gestaltet sich ein solches Infragestellen von deren Aussagen tendenziell als schwierig und erfolgt auch in diesem Kontext nur vorsichtig. Die aufgezeigte Konstruktion von Anderen erfolgt aus einer doppelt machtvollen Position: aus der Perspektive der Dominanzgesellschaft und aus der einer Pädagogin, die gegenüber den Adressat_innen von Bildung über Wissens- und Deutungshoheit verfügt und von deren Urteil diese gleichzeitig abhängig sind. In dieser Szene wird deutlich, wie in einer vermeintlichen Bildungssituation, in der zum Thema Zusammenleben und Ausgrenzung gearbeitet wird, von Pädagog_innen unreflektiert dominante soziale Prozesse des Othering fortgeführt und

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durch die pädagogische Praxis und deren Wirkung noch verstärkt werden. Durch die Praxis des ›Sprechens über‹ Andere, wird nicht der Intention des Projekts gefolgt, vorherrschende pauschalisierende und abwertende Bilder und Diskurse zu hinterfragen und zu dekonstruieren, sondern im Gegenteil, diese werden unkritisch aufgegriffen und durch die Praxis des ›Sprechens über‹ weitertradiert und festgeschrieben. Drängen in eine Opferrolle und Reproduktion von Rassismuserfahrungen Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen und Ebenen von Rassismus sowie anderer Unterdrückungs- und Ausgrenzungsformen und damit verbundenen Machtverhältnissen, wie z.B. Sexismus, waren Gegenstand des Projekts »Vom Zusammenleben und Ausgrenzen«. Allerdings zeigte sich in der Umsetzung, dass in der Thematisierung von Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen durchaus Gefahren liegen. Führte auf der einen Seite die kontinuierliche Beschäftigung mit dem Thema zu einer erhöhten Sensibilisierung der Schüler_innen, v.a. gegenüber Pauschalisierungen und ausgrenzenden Bildern und Normalitätsvorstellungen, und gelang es in manchen Klassen, einen vertrauensvollen Raum zu schaffen, über ganz unterschiedliche Ausgrenzungserfahrungen zu sprechen, war dies in anderen Klassen und Situationen schwierig und führte zu Widerständen der Schüler_innen. Hier kam es z.T. bei der Thematisierung von Rassismus zu einer Reproduktion von Otheringprozessen und einer Wiederholung von Ausgrenzungserfahrungen, denen einzelne Schüler_innen sowohl durch Mitschüler_innen als auch durch Pädagog_innen ausgesetzt waren. Es zeigte sich, dass dies, jenseits der Dynamik der Schulklasse, stark von der Art und Weise der Thematisierung abhängig ist, also, wie über Ausgrenzung und Diskriminierung gesprochen und wer in diesem Zusammenhang wie adressiert wird. Als eine Form des Othering kann in diesem Zusammenhang die externe Zuschreibung von Rassismus- oder Ausgrenzungserfahrungen herausgearbeitet werden. In verschiedenen Situationen im Projekt konnte beobachtet werden, dass Jugendliche mit zugeschriebenem Migrationshintergrund oder Jugendliche of color von den Pädagog_innen als Betroffene von Rassismus und Ausgrenzung oder als Expert_innen zu diesem Thema gemacht wurden. In diesem Zusammenhang wurden die Jugendlichen explizit von den Pädagog_innen aufgefordert, über Erfahrungen zu sprechen, die sie – wie z.T. auch die Reaktionen zeigten – entweder so nicht gemacht haben oder über die sie (zumindest in dieser Situation oder diesem Kontext) nicht sprechen wollten. Die Problematik der vereindeutigenden

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Adressierung und des Labelings ist an der folgenden Protokollnotiz eines Lehrers zu erkennen: »Der Brasilianer verneint selbst erlebte Ausgrenzungen, dabei wird und wurde er oft Opfer von Ausgrenzungen aufgrund der Hautfarbe. Erst durch Nachfragen und Aufzeigen einiger Situationen anerkennt er die Vorurteile, schränkt aber ein, dass er dies so gewohnt sei, dass er es gar nicht mehr wahrnehme.« (pro2_cgla)

Die vorgenommenen Zuschreibungen und Adressierungen zeigen sich bereits in der Formulierung des ersten Halbsatzes: Der Lehrer bezeichnet seinen Schüler nicht mit Namen oder schreibt von ›einem Schüler‹, sondern kennzeichnet diesen qua Nationalität. Damit reduziert er ihn und exponiert diese Markierung gleichzeitig als Alleinstellungsmerkmal, was durch die Verwendung des bestimmten Artikels (›der‹) verstärkt und negativ konnotiert wird. Des Weiteren kommt zum Ausdruck, dass er zu wissen meint, dass der Schüler Ausgrenzung erlebt. Vor dem Hintergrund dieser Unterstellung konstatiert er, dass diese Erfahrung von dem Schüler verleugnet wird. Diese Annahme unterstreicht er im Weiteren, indem er den Jugendlichen als Opfer von Ausgrenzung bezeichnet. Mit dem Selbstverständnis des Lehrers als Wissender geht er davon aus, das Erleben und Verarbeiten von Erfahrungen eines Schülers beurteilen zu können. Dabei nimmt er nicht nur eine (in der Position als Pädagog_in durchaus naheliegende) Rolle des Wissenden bzw. des ›Besser-als Schüler_innen-Wissenden‹ ein, indem er davon ausgeht, durch sein Experten-Wissen über Ausgrenzung (auch als Experte im Rahmen dieses Projekts) die Situation des Jugendlichen besser als dieser selbst einschätzen zu können. Darüber hinaus schreibt er ihm auch eine Opferrolle zu, ohne dessen Sicht und auch mögliche Gründe für dessen Abwehr gegenüber der ihm zugeschriebenen Opferrolle einzubeziehen. Ähnlich riskant ist es, wenn in Sensibilisierungsübungen oder Rollenspielen Teilnehmenden gesellschaftlich prekäre Positionen oder Rollen zugewiesen werden, die in ihrem realen Leben potenziell von Ausgrenzung und Marginalisierung betroffen sind. Dies erfolgt z.T. ganz selbstverständlich mit dem Argument, dass dies ja den Erfahrungen der Person entspreche und deshalb die Rolle authentisch verkörpert werden könne oder dass dadurch den anderen (nicht oder weniger von Diskriminierung betroffenen) Schüler_innen ein Wissen um und vielleicht auch Solidarität mit dieser Situation vermittelt werden kann. Allerdings mit fatalen Folgen. Zu dieser Situation kam es beispielsweise in einer 8. Klasse, in der einem Schüler diese Rolle immer wieder aufs Neue von der Lehrperson zugewiesen wurde. Eine zentrale Szene dazu ereignete sich schon zu Beginn des Projekts. Thema der Einheit ist eine Dilemma-Diskussion. Der Lehrer lässt zunächst das

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sogenannte Heinz-Dilemma nach Kohlberg (1995) in der Klasse diskutieren, danach die speziell für das Projekt entwickelte Dilemma-Geschichte von »Wilhelm Tell«. In dieser geht es um die Frage, ob der Schweizer Nationalheld in einem modernen Theaterstück, das in Zürich aufgeführt werden soll, auch von einer Schwarzen Frau als Schauspielerin dargestellt werden kann. Der Verlauf der Situation wird im Folgenden anhand einer dichten Beschreibung der Szene dargestellt.15 Während der gesamten Unterrichtseinheit sind die Schüler_innen unruhig und tendenziell gelangweilt, der Lehrer ist immer wieder mit Disziplinierungsmaßnahmen beschäftigt. Zunächst fragt der Lehrer das Wissen der Schüler_innen zur Geschichte von Wilhelm Tell ab. Als er die Klasse fragt, wer Wilhelm Tell war, meldet sich ein Schüler und schildert ausführlich verschiedene Aspekte der Sage von Wilhelm Tell, u.a. auch das Dilemma, in dem Wilhelm Tell mit dem Apfelschuss stand. Dem Lehrer geht jedoch die umfassende Antwort zu weit, er unterbricht ihn mit dem Hinweis, er solle nicht schon das Dilemma erzählen, und führt selbst die Erklärung zu Ende. Der Schüler zeigt sich frustriert und entrüstet, nimmt die Hände hoch und lässt sie wieder fallen und sagt: »Das ist auch ein Dilemma. Alles, was ich sage, ist falsch. Alles, was ich mache, ist falsch.« In der folgenden schleppenden Diskussion in der Klasse wirkt der Schüler zwar präsent, beteiligt sich aber nicht mehr mit einem Beitrag. Als die Diskussion darüber, ob eine Schweizer Heldenfigur wie Wilhelm Tell von einer Schwarzen Person und von einer Frau gespielt werden kann, ins Stocken kommt, wendet sich der Lehrer mit der Frage an die Klasse »Wer fände es okay, wenn Daniel16 Wilhelm Tell spielt?« und bezieht sich direkt auf den Schüler, dessen Antwort er vorhin abgeschnitten hat. Dies ist der einzige Schüler of color in der Klasse. Als Antwort auf seine Frage ist in der Klasse schallendes Gelächter zu hören. Im Lärm sind einzelne Kommentare zu hören wie »er ist kein Schweizer Held« und »jetzt müssen wir ruhig sein, sonst…«. Auf diese Kommentare wird vonseiten des Lehrers nicht mehr eingegangen und er greift auch den von ihm hergestellten Bezug auf Daniel nicht mehr auf. Es wird im Folgenden, von ihm angeleitet, wieder nahe an der Ausgangsgeschichte und anhand der Regeln einer Dilemma-Diskussion die Frage eines Schwarzen Darstellers diskutiert. Die Frage des Geschlechts bzw. ob Tell von einer Frau dargestellt werden kann, wird nicht mehr erörtert.

15 Dichte Beschreibung auf Basis einer Videoaufnahme der Unterrichtseinheit (Einh.3_Klasse_B8). 16 Der Name des Schülers ist, wie alle anderen Namen der am Projekt beteiligten und hier benannten Personen, anonymisiert.

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In dieser Szene sind verschiedene Otheringprozesse zu rekonstruieren. Der Schüler Daniel wird wiederkehrend als Anderer adressiert und zum Anderen gemacht. Zunächst wird er vom Lehrer in seinem Beitrag zur Geschichte von Wilhelm Tell unterbrochen und zum Schweigen gebracht. Damit wird er zurückgewiesen und ihm die Möglichkeit genommen, sein Wissen über eine Schweizerische Heldenfigur bzw. eine national bedeutsame Legende zu präsentieren. Kurze Zeit später wird er vom Lehrer in einer vorwiegend weißen Klasse herausgegriffen und als einziger Schüler of color salient gemacht. Dabei wird zum einen ›race‹/Ethnizität als soziales Konstrukt durch die Lehrperson hervorgehoben und mit Relevanz versehen, während andere Differenzkonstruktionen, wie z.B. Geschlecht, in den Hintergrund gerückt werden. Gleichzeitig wird Daniel darauf festgeschrieben und eindimensional darauf reduziert. Darüber hinaus fördert der Lehrer mit der Frage: »Wer findet es okay, dass Daniel Wilhelm Tell spielt?« weniger eine argumentative Auseinandersetzung mit der eigentlichen Fragestellung der Dilemma-Diskussion, sondern provoziert eine Art Abstimmung in der Klasse über Daniel als Wilhelm Tell. Er macht die konkrete Person zum Verhandlungsgegenstand. Mit dieser Aktion wird Daniel vom Lehrer vorgeführt und zum ›Diskussionsanreiz‹ missbraucht. Auch wenn ungeklärt bleibt, was mit den nur in Ausschnitten rekonstruierbaren Satzfetzen der Mitschüler_innen gemeint ist, zeigt sich an ihren Reaktionen, dass sie die Brisanz, die in der Frage des Lehrers steckt, sehr wohl spüren und z.T. auch bereit sind, sich auf Kosten von Daniel auf diesen Prozess der rassifizierenden Fremdzuschreibung und Diskriminierung einzulassen. In diesem Teil der Sequenz ist Daniel nicht mehr Teil der Klassenkommunikation, vielmehr wird, und dies wird durch die Frage des Lehrers forciert, über ihn als Anderen gesprochen, gelacht und geurteilt. In der gesamten Situation wird die soziale Kategorie ›race‹/Ethnizität in den Vordergrund gerückt. Daniel wird als ›Schwarz‹ adressiert und identifiziert, jedoch ohne dass dies von einem oder einer der Akteur_innen so direkt benannt werden würde. Dennoch ist dieses implizite, sozial geteilte Wissen um eine solche Kategorisierung bei allen vorhanden und die Kommunikation darauf ausgerichtet. Und diese ist in ihrer ausgrenzenden Dynamik wirkungsvoll. Das Handeln des Pädagogen befördert in mehrfacher und ineinander verwobener Weise rassistische Ausgrenzung und Othering: Dass der Lehrer Daniel an dieser Stelle und in dieser Weise unterbricht, kann so interpretiert werden, dass er und möglicherweise Schwarze Menschen generell zu einem solchen national bedeutsamen Symbol nichts zu sagen haben. Mit dieser Unterbrechung wird Daniel symbolisch aus dem national-kulturellen Schweizer ›Wir‹ ausgeschlossen und als nicht-zugehörig betrachtet. Durch die anschließende Fokussierung und Hervorhebung durch die provokante Frage des Lehrers wird er erneut zum Ande-

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ren inmitten eines vermeintlich homogenen weißen ›Wir‹ gemacht und dabei sowohl als Person als auch als rassifizierter Anderer zur Disposition gestellt. Die implizite, aber folgenreiche Botschaft dieser Interaktion und v.a. das Handeln des Lehrers können so gelesen werden: Rassialisierte Andere bzw. als Schwarz markierte Menschen sind weder dazu ermächtigt, Schweizer Mythologie oder Geschichte zu erzählen, noch dazu, einen Nationalhelden zu verkörpern. Damit ist die eigentliche Intention dieser pädagogischen Übung bzw. der Dilemma-Diskussion, geschlechterbezogene und rassialisierte Bilder sowie vorherrschende Normalitätsvorstellungen und selbstverständliche Rollenzuordnungen zu hinterfragen, verfehlt worden. Im Gegenteil, rassistische Zuschreibungen wurden durch das Handeln des Pädagogen noch bestärkt. Anstatt Rassismus und andere diskriminierende Verhältnisse17 zu dekonstruieren, wird in der Umsetzung der Übung genau dieses gesellschaftlich relevante Unterdrückungsverhältnis, das sich unter anderen in der Dilemma-Geschichte zeigt, aktiviert und reproduziert. Gleichzeitig wird mit dieser von der pädagogischen Fachkraft vorgenommenen Fokussierung einer konkreten Person durch eine rassifizierende Markierung und der Engführung des Themas auf ›race‹, ein weiterer Aspekt der DilemmaGeschichte unberücksichtigt gelassen: die Frage (und Infragestellung) des Geschlechts, thematisiert an der geschlechtlichen Verkörperung eines nationalen Helden bzw. einer Heldin durch eine Frau. Dies ist nicht nur hinsichtlich der DeThematisierung von Geschlecht bzw. gesellschaftlich vorherrschender (hetero)sexistischer Geschlechterverhältnisse in dieser thematischen Einheit folgenreich, sondern intensiviert durch die ungebrochene Fokussierung nur einer Differenzlinie zudem die diskreditierende Hervorhebung und Konstruktion von Daniel als Anderem, als Nicht-Zugehörigem. Durch die Fokussierung von ›race‹ unter Absehung von anderen Differenzkonstruktionen und v.a. von damit verbundenen Machtverhältnissen werden Rassismus bzw. die hier rekonstruierten rassistischen Effekte noch verstärkt. Daniel hat die Botschaft dieser Interaktion schmerzvoll verstanden. Zunächst wehrt er sich noch mit einem kurzen Kommentar gegen die Zurückweisung des Lehrers, danach zieht er sich aus der aktiven Mitarbeit zurück. Mit seinem Einwurf »Das ist auch ein Dilemma. Alles, was ich sage, ist falsch. Alles, was ich

17 Die Thematisierung anderer Dominanzverhältnisse ist in der Übung angelegt, u.a. durch die Frage, ob der Schweizer Nationalheld auch von einer Frau oder als Frau gespielt werden kann. Durch die Fokussierung auf Daniel und die damit verbundene Rassifizierungen wurde dieser Aspekt in der Umsetzung jedoch komplett vernachlässigt.

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mache, ist falsch.« bringt er zum einen Resignation, aber auch Verzweiflung darüber zum Ausdruck, immer ›falsch‹ zu sein. Mit diesem ›falsch‹ meint er möglicherweise nicht nur die Beurteilung dessen, was er sagt und macht, sondern ›falsch‹ steht potenziell dafür, dass er von anderen ›falsch‹ positioniert und verstanden wird oder dass er als ›falsch‹ im Sinne von nicht-zugehörig ausgesondert und ausgegrenzt wird. Wahrscheinlich fügt sich diese Situation in eine Reihe ähnlicher Erfahrungen der Missachtung und der rassistischen Diskriminierung ein, die er schon zuvor gemacht hat. Zum anderen erweist er sich mit seinem Einwand als durchaus gewitzt, indem er seine Situation als ein Dilemma beschreibt, womit er genau das aufgreift, was der Lehrer zuvor zu erklären versucht hat. Er zeigt damit, dass er weiß, was dies bedeutet, bezieht dies auf seine eigene als paradox empfundene Situation und versucht möglicherweise, den Lehrer mit dessen eigenen Mitteln zu schlagen, indem er ihm dies so vor Augen führt. Allerdings kann dies in dieser Machtkonstellation nur bedingt gelingen. Zumindest ist der Jugendliche, wie der weitere Verlauf der Szene und anderer Unterrichtseinheiten zeigt, nicht vor weiteren Rassifizierungen gefeit. Zu einem späteren Zeitpunkt des Projekts zeigt der Lehrer in derselben Klasse den Kurzfilm »Schwarzfahrer«18, den die Schüler_innen zu einem früheren Zeitpunkt schon gesehen haben und bereits kennen. Er stoppt den Film an einer bestimmten Stelle, um – so kündigt er den Schüler_innen an – von dort aus mit einem Rollenspiel alternative Handlungsmöglichkeiten der (im Film sehr passiv und wegschauend dargestellten) Mitfahrenden in der Straßenbahn auszuprobieren. Bevor das Rollenspiel startet, versucht der Lehrer den bisherigen Ablauf im Film nochmals zusammen mit den Schüler_innen zu rekapitulieren. Dabei fokussiert er v.a. die rassistischen Aussagen, die im Film von der älteren Frau geäußert werden, und lässt diese von den Schüler_innen wiederholen, indem er nach den »Argumenten der Frau« fragt. Dies geschieht in einem lehrerzentrierten Frage-Antwort-Modus, den er immer wieder von neuem mit der Frage einleitet: »Welches Argument wird von der Frau noch vertreten?«, bis mehr oder weniger alle Aussagen aus dem Film wiederholt sind. Dieses rekapitulierende Vorgehen ist insofern problematisch, als dass dadurch die Dominanz des rassistischen Monologs der Frau im Film auch noch in der Unterrichtssituation fortgeführt und

18 Kurzspielfilm von Pepe Danquart (Deutschland, 1992). Inhalt: »Ein junger schwarzer Mann setzt sich im Tram neben eine ältere weisse Frau. Diese beschimpft ihren Sitznachbarn provokativ und gut hörbar mit gängigen und diskriminierenden Vorurteilen. Die anderen Fahrgäste schweigen. Als ein Kontrolleur zusteigt, schnappt sich der […] [junge Mann, C.R.] das Billet seiner Nachbarin und verschluckt es…« (Begleittext aus dem Medienpaket: Respekt statt Rassismus 2004).

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perpetuiert wird und damit den rassistischen und menschenverachtenden Diskursen weiterer Raum gegeben wird.19 Im Anschluss daran will der Lehrer dann direkt in das Rollenspiel20 einsteigen und leitet dies wie folgt ein: LP: Wir möchten jetzt diese Situation in der Straßenbahn spielen. Daniel, ich möchte dich einladen D: LP:

/neein ich bin nicht Schwarz/ /komm jetzt bitte/

D:

/[laut] ich möchte nicht immer das Arschloch sein/

LP: Das ist nicht das Arschloch, komm, setzt dich hier hin D: nein ich weigere mich (..) ich weigere mich LP: Würde sonst jemand auf den Stuhl sitzen, damit wir diese Situation spielen können Nach einigem Hin und Her steht ein anderer Schüler auf und setzt sich auf den Stuhl, den der Lehrer in die Mitte des Raums gerückt hat.21

Zunächst soll sich hier der Frage gewidmet werden, weshalb der Lehrer diese Rolle des jungen Mannes als erstes besetzen will, obwohl dies weder von der Abfolge des Auftretens der einzelnen Figuren im Film noch für die Intention der Übung, bei der v.a. die Handlungen der passiv bleibenden Mitfahrer_innen zur Disposition stehen, sinnvoll und notwendig ist. Naheliegend wäre auch, mit der Besetzung der Rolle der älteren Frau zu beginnen, die direkt zuvor im Zentrum der Aufmerksamkeit des Unterrichtsgeschehens stand. Dass der Lehrer nun in dieser Weise vorgeht und diese Rolle als erstes auswählt, ist also keineswegs alternativlos oder einfach nur zufällig oder naheliegend. Dieses Vorgehen ist jedoch für den Prozess des Othering folgenreich und verstärkt bereits zuvor vollzogene Prozesse des Othering. Die Praxis des Lehrers und die Situation doku-

19 Eine solche Repetition, die z.T. didaktisch eingesetzt wird, um komplexe Szenen oder Sachverhalte sowie divergierende Perspektiven zu klären, ist in dieser Situation nicht notwendig gewesen, da die Schüler_innen die rassistische Botschaft durchaus verstanden haben. 20 Dabei handelt es sich um eine Übung in Anlehnung an das Forumtheater von Augusto Boal (1989). 21 Zitat aus Transkription von Videomitschnitt (Einh.9_Klasse B8 ).

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mentieren gleichzeitig die Atmosphäre, die diesbezüglich in der Luft liegt bzw. die Dominanzverhältnisse, die sowohl den Raum auch als Bildungsraum prägen. In dieser Situation zeigt sich also erneut eine Fokussierung und Adressierung von Daniel. Mit seiner deutlichen Aufforderung, die mit einer freundlichen Floskel gerahmt wird, nutzt der Lehrer seine machtvolle Position, um Daniel die ihm zugedachte Rolle im geplanten Rollenspiel zuzuweisen. Auch wenn dies vom Lehrer so nicht direkt benannt wird, von Daniel wird die Intention, dass er die Rolle des Schwarzen jungen Mannes im Rollenspiel einnehmen soll, jedoch sofort verstanden. Er ist es, der diese im Raum stehende rassifizierte Zuordnung nun aufgreift, benennt und sich dagegen wehrt: Kaum hat ihn der Lehrer angesprochen, artikuliert er vehement seinen Unwillen, diese Rolle einzunehmen und begründet es damit, dass er nicht »Schwarz« sei. Damit will er sich der ihm zugeschriebenen Rolle und auch sozialen Positionierung und Zuordnung im realen Leben verweigern. Er tut dies zunächst, indem er sich selbst konträr oder negativ dazu positioniert und nimmt damit eine Umdeutung der selbstverständlich vorgenommenen Adressierung und Fremdpositionierung vor. Er distanziert sich auf diese Weise von der vorgenommenen Zuweisung, der Position des marginalisierten und unterworfenen rassifizierten Anderen. Der Lehrer seinerseits nimmt auf diesen Einwand keinen Bezug, übergeht diesen und wiederholt nun seine Aufforderung deutlicher und direktiver. Daniel wiederum setzt seine Abwehr fort und sagt schnell und laut: »Ich möchte nicht immer das Arschloch sein«. Er artikuliert damit, dass er die Rolle als Verkörperung einer unterprivilegierten, abgewerteten und ausgegrenzten Position interpretiert – eine Rolle, die er nicht einnehmen will, die ihm aber möglicherweise schon häufiger zugewiesen wurde. So kann sich die Symbolisierung des »Arschlochs« auch auf seine eigene Situation beziehen, indem er mit dem »immer« auf eine wiederkehrende Situation oder Erfahrung der Diskreditierung und Diskriminierung verweist. Es kann sein, dass er dabei Bezug nimmt auf verschiedene vorherige Vorfälle, in denen der Lehrer ihn in dieser Weise adressiert und markiert hat und er – so legen seine Reaktionen nahe – in seiner Selbstpositionierung nicht anerkannt wurde. Der Lehrer seinerseits greift diese Aussage nur dahingehend auf, indem er erwidert, dass dies keine »Arschloch«-Position sei. Was er damit meint, bleibt unklar. Möglicherweise bezieht er sich auf die Rolle des jungen Mannes im Film, der dort durchaus zum Sympathieträger wird und in dieser rassistischen Situation Handlungsfähigkeit zeigt, und er will diese positiv konnotierte Rolle Daniel zukommen lassen. Allerdings vermittelt er dies nicht dem Jugendlichen und bemüht sich nicht weiter um ihn und dessen offensichtlich sehr emotional aufgeladene Reaktion. Vielmehr wendet er sich von ihm ab und versucht weiter, das Rollenspiel in Gang zu bringen. Mit Blick auf den gefährdeten Ablauf geht der

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Lehrer also weder auf die Gründe des Widerstands ein, noch auf die damit verbundenen Artikulationen und Botschaften des Schülers. Damit wird von ihm Daniels subjektive Perspektive ignoriert, dessen Subjektivität missachtet sowie seine potenzielle Verletzbarkeit übergangen. Allerdings wird Daniel durch das Hineinrufen in die marginalisierte Position und das Insistieren auf derselben wiederholt in eine Situation der Verletzbarkeit gebracht. Aus dieser Situation kann er sich – trotz deutlicher Artikulation eines anderen Selbstverständnisses – nicht befreien, da er nicht gehört wird. Mehr noch: Er wird in seinen expliziten Bedürfnissen und seinem artikulierten Selbstverständnis übergangen. Damit wird ihm das Recht auf Selbstdefinition genommen. Er wird durch die Lehrkraft nicht nur kontinuierlich auf eine bestimmte, rassialisierte und marginalisierte Position reduziert, sondern – mit Blick auf den damit verbundenen Rassismus – zum potenziellen Opfer gemacht. Dadurch, dass die der Selbstpositionierung des Jugendlichen entgegenstehende Zuweisung und Fremdpositionierung durch den Lehrer nach Daniels widerständiger Intervention nicht aufgelöst wird, bleiben das Othering und das damit verbundene Blaming im Raum und so für alle spürund erfahrbar. Die vorherrschende rassistische Ordnung wird symbolisch im Klassenraum fixiert, womit eine gesellschaftliche Ordnung in einer Bildungssituation fortgeführt wird. Dies führt zu erneuten und wiederkehrenden Prozessen des Othering und für Schüler_innen, die vergleichbar positioniert werden, zu einer Wiederholung von Rassismuserfahrungen in einem Bildungskontext, der eigentlich das Ziel verfolgt, zur Prävention von Rassismus beizutragen. Im Rahmen einer Übung, durch die Möglichkeiten erweiterter Handlungsfähigkeit spielerisch erarbeitet werden sollen, wird schon vor Beginn der eigentlichen Übung zumindest einem Schüler Handlungsfähigkeit genommen. Othering erfolgt hier, indem in einem Rollenspiel aus der mehrfach machtvollen Position des Lehrers einem Schüler, der sich in einer sozial marginalisierten Position befindet und der zumindest strukturell von Rassismus betroffen ist, eine vergleichbar unterworfene Position zugewiesen wird. Diese Rolle wird dem Schüler offensichtlich wiederholt zugeteilt, auch körperlich eingeschrieben, was es ermöglicht, ontologisch und selbstverständlich immer wieder darauf Bezug zu nehmen, ohne dies mit Worten zu benennen. Dieser wird somit gezwungen, diese Verkörperung des Anderen in einer Bildungssituation zu übernehmen oder zumindest irgendwie darauf zu reagieren. Diese Art der Verbesonderung enthält nicht nur Elemente der Hervorhebung und der Veranderung, sondern ebenfalls der Unterwerfung, indem dem Jugendlichen die (potenziell untergeordnete) Position in der Gesellschaft gespiegelt und er erneut in diese verwiesen wird. Hier dokumentiert sich ein dominanter Raum im Bildungskontext, in dem ›Weiß-Sein‹ die dominante Normalität

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darstellt und vor dessen Selbstverständlichkeit ›Nicht-Weiß-Sein‹ als hervorzuhebende Abweichung und gleichzeitig als Anschauungsmaterial fungiert. Dabei werden die einseitig so adressierten Personen für ›Bildungszwecke‹ instrumentalisiert. Somit findet in diesem Bildungskontext zum einen eine Reproduktion von sozialen Markierungs-, Ausgrenzungs-und Unterwerfungsprozessen statt, zum anderen für einige Jugendliche eine Wiederholung von bereits schon in schulischen und gesellschaftlichen Kontexten mehrfach gemachten Diskriminierungsund Rassismuserfahrungen. Betrachten wir die beiden dargestellten Interaktionen, zwischen denen ein paar Wochen vergangen sind und die nur Ausschnitte eines komplexeren Beziehungs- und Bildungsgefüges darstellen, wird deutlich, dass sich verschiedene Mechanismen des Othering in ihrer Dynamik unmittelbar aufeinander beziehen und einander in ihrer Wirkung verstärken: das machtvolle Wechselspiel von ›zum Schweigen bringen‹, ›nicht hören‹ und ›nicht schweigen lassen‹, wenn Daniels Weigerung, diese Rolle einzunehmen, als eine widerständige Form des Schweigens betrachtet wird. In der ersten Szene erfolgt ein ›zum Schweigen bringen‹ von Daniel durch den Lehrer, wenn es um das Wissen und die Repräsentation von nationalen Symbolen geht. Gleichzeitig wird er zum Anderen und Nicht-Zugehörigen gemacht und in dieser ihm zugewiesenen Rolle vorgeführt und schließlich aufgefordert, sich in dieser ihm aufgezwungenen Positionierung zu präsentieren. Allerdings wird er weder in seinen Artikulationen seines Selbstverständnisses gehört, noch wird er in seiner Verweigerung bzw. seinem Widerstand dagegen, der als Versuch, sich zu entziehen auch als Schweigen gegenüber dem dominanten Diskurs und seiner als ›falsch‹ empfundenen Fremdpositionierung interpretiert werden kann, akzeptiert und gelassen. Die dargestellten Szenen verweisen aber auch darauf, dass Bildungssituationen, in denen Differenz und Ungleichheit thematisiert werden, zu Otheringprozessen einladen und verführen können – gerade wenn Differenz an Personen oder marginalisierten Gruppen festgemacht und ›veranschaulicht‹ wird, jedoch nicht bestehende Machtverhältnissen und damit verbundene Privilegien in den Blick genommen werden. Im Folgenden werden in der Zusammenschau der verschiedenen Rekonstruktionen die wesentlichen Charakteristika und Mechanismen von Othering im Kontext von Bildung herausgearbeitet und auf diese Analysen bezugnehmend Überlegungen angestellt, welche Funktionen und Folgen Prozesse des Othering in verschiedenen Bildungszusammenhängen haben.

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6.2 M ECHANISMEN DES O THERING UND M ODI DES INTERSEKTIONALEN Z USAMMENSPIELS Wie an verschiedenen Diskurszusammenhängen und Interaktionssequenzen im pädagogischen Kontext deutlich wurde, finden Otheringprozesse in ganz unterschiedlichen Situationen und Zusammenhängen statt, die alle dem Bereich der Bildung und der Bildungsarbeit zugerechnet werden können. Othering geht offensichtlich mit pädagogischem Handeln einher, sodass es auch in Bildungssettings zu beobachten ist, die gegen Ausgrenzung und Diskriminierung sensibilisieren und alternative Handlungsstrategien entwickeln sollen. Othering kann somit als Teil einer alltäglichen und selbstverständlichen Praxis von Professionellen im pädagogischen Umgang mit Differenz und Ungleichheit betrachtet werden. Durch den Bezug auf vorherrschende Bilder und Deutungsmuster sowie auf institutionalisiertes Wissen und hegemoniale Praxis vollziehen sich mit Othering verbundene Ausgrenzungs- und Unterwerfungsprozesse in subtiler und in legitimer Art und Weise. Gleichzeitig erfolgen diese Praktiken i.d.R. aus einer machtvollen Position und hegemonialen Perspektive. Somit verbinden sich im Bereich der schulischen und außerschulischen Bildungs- und Unterstützungsarbeit Bildung und Othering in diskriminierender und unterwerfender sowie Dominanz- und Ungleichheitsverhältnisse reproduzierenden Weise: Vorherrschende Machtverhältnisse wirken in Bildungsverhältnisse hinein, werden hier von den Agierenden aufgegriffen, reproduziert, modifiziert (wenngleich es auch Versuche der Verschiebung gibt) und - durchaus modifiziert – gefestigt. Vor dem Hintergrund dieser Analysen zeigt sich erneut, wie bedeutsam – verschiedene und zueinander interdependente – Macht- und Herrschaftsverhältnisse für Bildung sind – ohne diese zu determinieren. ›Dominanzverhältnisse bilden‹ – dies kann an die Formulierung von Broden/Mecheril »Rassismus bildet« (2010) anschließend an dieser Stelle festgehalten werden. Aus dem empirischen Material konnten verschiedene Mechanismen und Funktionsweisen herausgearbeitet werden, an denen die Verschränkung von Bildung und Othering sichtbar wird. In den Analysen wurde der Blick v.a. auf den Aspekt der Bildung als pädagogische Vermittlung gerichtet, d.h. auf das konkrete pädagogische Handeln in ihrem institutionellen und gesellschaftlichen Kontext. Es wurde rekonstruiert, inwiefern pädagogisches Handeln mit Othering einhergeht und inwiefern dies für die beteiligten Subjekte und für die soziale Ordnung folgenreich ist. Den herausgearbeiteten Prozessen des Othering gemeinsam ist das Zusammenspiel von Ein- und Ausgrenzung sowie von Hervorhebung und Unterwerfung. Dadurch können vorherrschende Dominanzverhältnisse und Differenzord-

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nungen aufrechterhalten und abgesichert werden. Im Prozess des Othering im Bildungskontext wird den dabei implizit oder explizit adressierten Jugendlichen22 die Zugehörigkeit zur Dominanzgesellschaft diskursiv vorenthalten oder infrage gestellt. Gleichzeitig werden sie den vorherrschenden Differenzordnungen und Normierungen unterworfen und entweder als ›nicht-zugehörige Andere‹ oder als ›vereinnahmte Andere‹ in das vorherrschende asymmetrisch organisierte Machtgefüge eingeordnet. Dabei erfolgt das, was u.a. Butler (2001) als Subjektivierung und als Unterwerfung unter hegemoniale Machtverhältnisse bezeichnet. Binäre Einteilungen und Kategorisierungen Othering vollzieht sich also auch in pädagogischen Kontexten über symbolische binäre Einteilungen und Kategorisierungen (wie z.B. die Einteilung in ›die Integrierten‹ und ›die Problematischen‹ oder das ebenso polarisierende Zuweisen einer defizitären Täter- oder Opferrolle), die sich durch klare Grenzziehungen auszeichnen und auf dominante Normalitätsvorstellungen rekurrieren. Hier findet förmlich eine Dramatisierung von Differenz statt. Solche Kategorisierungen dienen der sozialen Unterscheidung von ›Wir und die Anderen‹ sowie der symbolischen Sortierung und Einordnung von Adressat_innen der Bildung (in diesem Fall Jugendliche und deren Familien im Sozialraum bzw. Schüler_innen in einer Schulklasse). Dies ist in mehrfacher Hinsicht folgenreich. Solche Kategorisierungen können zum einen für die Pädagog_innen zur Bewertungsbasis für ihr weiteres pädagogisches Urteil und Handeln werden. Zum anderen wird durch solche Konstruktionen, die im Rahmen eines machtvollen pädagogischen Diskurses und Kontextes gemacht werden, Wissen produziert und festgeschrieben und als Bildungsinhalte an die Jugendlichen bzw. die Adressat_innen von Bildung weitergegeben bzw. von diesen (potenziell) angeeignet. Einseitige Adressierung und Festschreibung auf zugeschriebene Zugehörigkeiten Kennzeichnend für Otheringprozesse ist, dass diejenigen in den Blick genommen werden, denen in der auf diesen Unterscheidungen basierenden binären Ordnung die Position der_des Anderen zugewiesen wird. Dies erfolgt als (einseitige) Adressierung, Fokussierung und Festschreibung auf sozial konstruierte und zugeschriebene ›Merkmale‹ und Zugehörigkeiten, die auf dominanten Differenzkonstruktionen basieren. Diese werden im pädagogischen Diskurs hervorgeho-

22 In dem fokussierten Bildungskontext werden durch Otheringprozesse sowohl Jugendliche adressiert, die zum Nutzer_innenkreis der pädagogischen Arbeit gehören, als auch Individuen oder soziale Gruppen, die bereits gesellschaftlich marginalisiert sind.

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ben und salient gemacht, wobei dies mit einer Betonung der Abweichung vom dominanten ›Wir‹ bzw. der unausgesprochenen Norm einhergeht. In den hier vorgestellten Fällen sind es v.a. Konstruktionen ›kultureller Differenz‹, die (durchaus auch in Bezug auf oder in Überlagerung mit andere(n) soziale(n) Kategorien) diskursiv hergestellt werden und auf die, gerade auch im Rahmen des Präventionsprojekts, zur Veranschaulichung von sozialer Diversität wiederkehrend rekurriert wurde. Diese Fokussierung ist zwar damit zu erklären, dass die Auseinandersetzung mit rassistischen Verhältnissen in den Projekten im Vordergrund stand. Allerdings ist es bemerkenswert, dass trotz der Ausrichtung des Projekts auf Verhältnisse der Ausgrenzung, Diskriminierung und (Alltags-) Rassismus Konstruktionen von ›Kultur‹ und ›kultureller Differenz‹ – wie sie u.a. in der interkulturellen Pädagogik, aber auch in vielen Fach- und Alltagsdiskursen relevant sind – doch so wirkmächtig sind, dass sie in den Diskursen und Praktiken übernommen werden. Bei der dabei impliziten Unterscheidung von ›Eigenem‹ und ›Fremdem‹ handelt es sich jedoch um ein »rassistisches Klassifikationssystem« (Hall 2001: 7), auf das sich in der Bildungssituation bezogen wird. Dabei wird einseitig der Fokus auf das ›Andere‹ bzw. die als anders markierten und konstruierten Gruppen oder auch konkreten Jugendlichen gerichtet. Diejenigen, die als Andere konzeptualisiert werden, werden so zu ›Marionetten‹ der ihnen zugeschriebenen ›Kultur‹ gemacht (Leiprecht 2004) und auf diese Konstruktion reduziert. Gleichzeitig werden in diesem pädagogischen Diskurs soziale Differenzen und Grenzziehungen überbetont und Jugendliche, die in dieser Differenzordnung zu Anderen gemacht werden, symbolisch in eine marginalisierte Rolle gedrängt, was durchaus konkrete und materielle Folgen haben kann. Denn solche Konstruktionen können zur Rechtfertigung von Minorisierung, Ausgrenzung und Ausschluss dienen. Stuart Hall (1989) spricht in diesem Zusammenhang von rassistischen Praxen und Diskursen, wobei auch ungleiche soziale Klassenverhältnisse, Heteronormativität oder Bodyismen, so wurde deutlich, durch solche Konstruktionen im pädagogischen Kontext legitimiert werden. Durch Anrufungen, die auf bestimmte Differenzkonstruktionen rekurrieren, erfolgt, so Butler, eine »zeitweise Totalisierung« und »totalisierende Identitätsreduktion« (Butler 2001: 92), die in den herausgearbeiteten Fällen – trotz Versuchen der Gegenwehr und der Bedeutungsverschiebung – zum Ausschluss und zur Lähmung der adressierten Personen führt. Wiederholtes Hineinrufen in eine Opferposition Othering zeigt sich jedoch auch in Form von Fremdpositionierungen oder in Praktiken der Zuweisung einer unterworfenen und de-privilegierten Position durch wiederholtes Hineinrufen in eine Opferposition. Dies geschieht entweder

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dadurch, dass von außen Jugendlichen mit Migrationserfahrungen oder Jugendlichen of color per se Diskriminierungserfahrungen zugeschrieben und sie darauf festgeschrieben werden, ohne jedoch deren Perspektive und Positionierung dazu zu hören. Die so adressierten Jugendlichen dienen in einem ansonsten Weißen bzw. Weiß dominierten Kontext als Anschauungsmaterial; sie werden einerseits instrumentalisiert und objektiviert, anderseits wird ihnen durch das Hineindrängen in eine Opferrolle ihre Verletzbarkeit vorgeführt, was sie in ihrer sozialen Positionierung weiter marginalisiert. Durch eine einseitig auf ›verletzbare‹ Personen fokussierte Thematisierung von Rassismus (oder anderen Formen der Diskriminierung) besteht die Gefahr, dass es bei den Adressierten zu einer Wiederholung von Rassismuserfahrungen im pädagogischen Kontext kommt (vgl. Melter 2006). Die rekonstruierten Sequenzen im Bildungskontext weisen auch darauf hin, dass in solchen Projekten der diskriminierungskritischen Bildungsarbeit im Weiß dominierten Raum Schwarze Personen, people of color oder Personen mit Migrationserfahrungen als Akteur_innen im Bildungskontext nicht mitgedacht sind und so zum Anschauungsobjekt oder zur authentischen Stimme gemacht und darauf reduziert werden. Heteronormativität und damit verbundene Normalitätskonstruktionen, die verschiedenen pädagogischen Diskursen inhärent sind, führen hingegen weniger zu einem ›Vorführen‹ von als Anders ausgemachten Jugendlichen, sondern eher dazu, dass nicht der heteronormativen ›Normalität‹ entsprechende Lebensweisen generell ignoriert werden und unsichtbar bleiben, was zu einer anderen Form der Missachtung führt, die im Kontext von Bildung ebenso dominant und institutionell verankert ist. Praktiken des ›Zum-Schweigen-Bringens‹ und des ›Nicht-Hörens‹ Die subjektivierende Praxis der Anrufung, Adressierung und Festschreibung ist dabei in zweifacher Hinsicht als einseitig zu bezeichnen. Zum einen, weil vorgenommene Adressierungen ausschließlich auf das_die konstruierte_n Andere_n gerichtet sind und aus einer dominanten und darin unhinterfragten Perspektive erfolgen. Zum anderen, weil in dieser Machtkonstellation die Perspektiven der adressierten Jugendlichen, deren Artikulationen und Selbstpositionierungen ignoriert und zurückgewiesen werden. Mit Praktiken des ›Zum-SchweigenBringens‹ und des ›Nicht-Hörens‹ werden sie der vorherrschenden Ordnung unterworfen und unsichtbar gemacht. Damit erfolgt auch im pädagogischen Kontext ein ›Silencing‹ und eine Verhinderung des Sprechens oder des ›NichtGehört-Werdens‹, wie dies Spivak für die Situation von subalternen Frauen durch die Wissensproduktion westlicher Intellektueller analysiert hat (Spivak 1988: 308). Eine paternalistische Haltung, die sich in Bildungssituationen mit Subjektivierungs- und Otheringprozessen verbindet, zeigt sich z.B. dann, wenn

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sich weiße Pädagog_innen – begründet mit einem pädagogischen Auftrag der Unterstützung oder in Anrufung von vermeintlich aufklärerischen und emanzipativen Normen und Idealen – zu Kämpfer_innen für die Rechte von als ›muslimisch‹ markierten Mädchen und Frauen stilisieren und diese dabei – ungefragt und v.a. ungehört – in eine Opferrolle drängen. Durch solche Praktiken des Silencing werden im Bildungskontext Stimmen, Zeugnisse und Erfahrungen von marginalisierten Personen unsichtbar gemacht, zumindest wenn diese nicht der vorherrschenden Differenz- und Dominanzordnung entsprechen oder in diese einordenbar sind. Eine andere übergriffige und gewaltförmige Form des Umgangs mit als Anders-Markierten ist es, deren Reaktionen bzw. Strategien des Rückzugs oder des bewussten Schweigens nicht zu respektieren und sie wiederholt als Andere zu adressieren, trotz deutlicher Zeichen des Widerstands bzw. des Unwillens (wie z.B. von Daniel), sich nicht wiederholt in die zugedachte Rolle zwängen zu lassen. Die Missachtung und Nicht-Anerkennung der Selbstpositionierung oder der Weigerung, sich dem Positionierungszwang zu fügen, stellt eine Form der gewaltförmigen Unterwerfung und disziplinierenden Zuweisung in die dominante Differenzordnung dar. So sind die unterwerfenden Praktiken des ›Zum-Schweigen-Bringens‹ und des ›Nicht-schweigen-Lassens‹ zwei Seiten der gleichen Medaille bzw. des machtvollen Agierens von Pädagog_ innen, die im Bildungskontext eine besondere Brisanz erhalten. Othering ist also mit beidem verbunden: sowohl mit einem Hervorheben konstruierter Merkmale oder einer zugeschrieben sozialen Positionierung, wobei die adressierten Subjekte auf diese reduziert werden, als auch mit einem Zurückweisen, Ignorieren und Abwerten der Subjektivität und Perspektivität derjenigen, die zu Anderen gemacht werden. Diese widersprüchliche Verbindung macht jedoch Othering sowie die Herstellung ausgrenzender und unterwerfender Machtdifferenz aus, wie dies durch die postkolonialen Studien, u.a. von Said 1978 oder auch Eggers (2005), herausgearbeitet wurde. Einseitiges und monologisierendes ›Sprechen über‹ Wie sich in den vorgenommenen Analysen zeigte, vollzieht sich Othering sowohl in direkten Interaktionen mit Adressierten der Bildungsarbeit als auch als einseitiges und monologisierendes ›Sprechen über‹ diejenigen Gruppen, die zu Anderen gemacht werden. Auf diese diskursive Praxis des ›Sprechens über‹, die in mehrfacher Hinsicht in Interviews mit Pädagog_innen und Interaktionssequenzen rekonstruiert werden konnte, soll im Folgenden in seiner Bedeutung als hegemoniale Praxis im Bildungskontext vertiefend eingegangen werden. Die dargestellten Diskurse und Interaktionen, in die die Professionellen in den dargestellten Sequenzen involviert waren, bestanden aus einem monologisierenden

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oder pseudo-dialogischen, immer aber einseitigen ›Sprechen über‹ – wobei es hier hauptsächlich ein Sprechen über Migrationsandere, die hier v.a. als muslimische Jugendliche thematisiert werden, war. Diese Praxis an sich sowie die Art, wie über Jugendliche gesprochen wird, implizieren in mehrfacher Hinsicht Otheringprozesse: Die einseitige Problematisierung und Objektivierung wird durch die objektivierende Praxis des ›Sprechens über‹ verstärkt. Denn bei dieser Form des einseitigen Monologisierens haben die Adressierten keine Möglichkeit zu reagieren und zu kommentieren, und wenn, werden sie durch die Dominanz und Penetranz des fortlaufenden Monologs nicht gehört. Es handelt sich um eine Diskurspraxis, aus der die Jugendlichen ausgeschlossen sind und bei der sie sich nur schwer gegen solche Zuschreibungen und Otheringprozesse wehren können. Vor diesem Hintergrund weist Mona Singer (1997) darauf hin, dass »sich das Monologisieren über andere aus sich heraus gar nicht von einem Diskriminierungsverdacht befreien kann« (Singer 1997: 45). Das objektivierende Sprechen, das mit einer totalisierenden Zuschreibung von Identitäten und Lebensweisen verbunden ist, geht in den rekonstruierten pädagogischen Diskursen z.T. in widersprüchlicher Weise mit pädagogischen Ansprüchen der Subjektorientierung einher, wobei dies, wie deutlich wurde, von den Pädagog_innen selbst nicht in seiner Gegensätzlichkeit gesehen bzw. thematisiert wird, sondern beides unverbunden nebeneinander steht. Das perpetuierte ›Sprechen über‹ (bestimmte) Jugendliche bzw. diejenigen, die in den Fokus von Othering kommen, und dabei abweichend und nichtzugehörig konzeptualisiert werden, hat im Kontext von Bildungsarbeit machtvolle Effekte. Die entsprechenden Bilder werden durch ständiges Wiederholen und Pointieren festgeschrieben. Dies wird beispielsweise in der Unterrichtssequenz, in der über die Situation von ›muslimischen Mädchen‹ gesprochen und diese Gruppe dabei diskursiv hergestellt und konstruiert wurde, deutlich und durch einen didaktisch aufbereiteten Frage-Antwort-Dialog auf die Spitze getrieben. Gleichzeitig wird durch diese Lehrsituation die erfolgte Konstruktion zum wiederholbaren und überprüfbaren Wissensbestand für alle Schüler_innen und somit als geteiltes und gültiges Wissen weiter tradiert. Judith Butler verweist in ihren Ausführungen zu verletzendem Sprechen (Butler 2006), zu dem diese Praktiken der herabsetzenden Zuschreibung und des Othering gezählt werden können, auf die Macht der Sprache bzw. die gewaltvolle Praxis des Sprechens. Verletzendes Sprechen gewinnt seine Kraft jedoch erst durch seine Konventionalität und die Praxis des Wiederholens, der Zitation des zirkulären (gesellschaftlich vorherrschenden) Wissens und die perpetuierende Anwendung. Die entsprechenden Bilder werden durch ständiges Wiederholen und Pointieren festgeschrieben –

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was ihre Selbstverständlichkeit, Eingängigkeit und damit Banalität23 ausmacht. Die Macht des Sprechens kann sich erst dann voll entfalten, wenn sie mit der gesellschaftlichen Autorität ausgestattet ist, um gehört zu werden. Erst so erfährt das Gesagte gesellschaftliche Legitimität (vgl. Bourdieu 2005). Die Legitimität des Sprechens und die Autorität des Wissens über ihr Klientel wird Professionellen der Bildungs- oder Sozialarbeit gesellschaftlich eher zugestanden als den durch Bildung oder Unterstützung Adressierten selbst. Professionelle sprechen hier also aus einer vergleichsweise machtvollen Position: zum einen aus einer gesellschaftlich tendenziell eher privilegierten sozialen Positionierung und damit verbundenen Perspektivität,24 zum anderen aus der Perspektive von Pädagog_innen, von denen qua beruflichem Auftrag erwartet wird, über Wissen bezüglich ihrer Adressat_innen zu verfügen und dieses im professionellen Kontext auch anzuwenden. Sie stehen dabei – sowohl im Kontext Schule als auch im Kontext Jugendarbeit – in einer hierarchischen Beziehung zu den Jugendlichen und sind mit ungleich mehr Macht, Privilegien, Deutungshoheit und Entscheidungsgewalt ausgestattet.25 Deutlich wurde in der Rekonstruktion, dass es bei der Praxis des ›Fokussierens auf‹ und des ›Sprechens über‹ nicht unbedingt um die Erhellung der Le-

23 In diesem Zusammenhang wurde von Mark Terkessidis (2004) die Formulierung »Die Banalität des Rassismus« geprägt, die auf diesen Zusammenhang verweist. 24 Anzumerken ist, dass die sozialen Positionierungen von Professionellen im intersektionalen Gefüge von Ungleichheitsverhältnissen nicht einheitlich sind, sondern diese in unterschiedlicher Weise im Feld von Privilegierung/De-Privilegierung positioniert sind. Sie sind zumindest hinsichtlich Bildung und Generation/Alter gegenüber den Adressat_innen mit mehr Macht und Anerkennung ausgestattet. Angesichts des geringen Anteils von Lehrkräften und Pädagog_innen der Jugendarbeit mit eigener Migrationsgeschichte oder von people of color besteht i.d.R. auch in dieser Hinsicht ein asymmetrisches Verhältnis zu den Adressat_innen und Nutzer_innen von schulischer und außerschulischer Bildung und Erziehung, von denen ein sehr viel größerer Anteil als ›Jugendliche mit Migrationshintergrund‹ oder als ›Schwarz‹ wahrgenommen und adressiert wird. 25 Pädagog_innen haben im für die Jugendlichen bedeutsamen Kampf um Anerkennung und Zugehörigkeiten (Riegel 2004) die Macht, anerkennend zu sein oder Anerkennung zu verwehren, zu definieren, was beispielsweise ›Integration‹ bedeutet und wer als ›integriert‹ gilt, und somit auch über symbolische Zugehörigkeiten zu urteilen und diese den Jugendlichen zuzuweisen. Vor allem aber sind sie machtvoll in ihren Entscheidungen, wem und wie sie Hilfe und Unterstützung gewähren und Bildungs- und Handlungsperspektiven aufzeigen oder gar beschränken.

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benslagen oder der Perspektiven derjenigen geht, über die gesprochen wird und die als Andere konzipiert werden. Vielmehr werden bei dieser Praxis bestehende Differenz- und Dominanzordnungen gefestigt und aufrechterhalten, indem die als Andere Markierten in dieser hegemonialen Differenzordnung positioniert oder besser eingeordnet werden. Sie werden dabei, je nachdem, als Zugehörige vereinnahmt oder als Nicht-Zugehörige symbolisch ausgegrenzt. Über Jugendliche als Adressat_innen wird eine Art (Herrschafts-)Wissen produziert, das in der pädagogischen Praxis als Deutungsgrammatik funktioniert und zu einer bedeutsamen Interpretationsfolie für deren Wahrnehmung (der Jugendlichen) und für (sozial-)pädagogisches Handeln werden kann. Es kann jedoch auch davon ausgegangen werden, dass die dargestellten Repräsentationen von Anderen nicht nur im unmittelbaren Umgang mit ihnen zu Diskriminierung, Ausgrenzung und Normalisierung beitragen, sondern auch über die konkrete Situation hinaus wirkmächtig sind (s.u.). Intersektionalität und Othering Vor dem Hintergrund dessen, dass Othering in gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsverhältnisse eingebettet ist, ist auch deren Komplexität in die Analyse einzubeziehen: die Relevanz von ungleich strukturierten Klassenverhältnissen und Arbeitsteilungen sowie kapitalistischen Interessenskonflikten, von heteronormativen Geschlechterverhältnissen, von internationalen Grenz- und Migrationsregimes, gesellschaftlich verankerten rassistischen Strukturen sowie natioethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnungen (s.o.). Diese ineinander verwobenen gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse spielen in Prozesse des Othering (u.a. in pädagogische Situationen und Bildungskontexte) hinein und werden durch Praktiken des Othering aufgegriffen und in spezifischer Weise relevant gemacht. In der empirischen Analyse zeigt sich, dass die mit Othering eng verbundenen Praktiken der Grenzziehungen und Normalitätskonstruktionen nicht nur in Bezug auf eine soziale Differenzlinie erfolgen, sondern in funktionaler Weise Bezug auf verschiedene Differenzkonstruktionen genommen wird. Dieses Zusammenspiel ermöglicht es, Bilder und Zugehörigkeiten zu schaffen, die Einund Ausgrenzungen sowie Auf- und Abwertungen legitimieren und dazu dienen, vorherrschende Differenzordnungen abzusichern. Auch wenn in den dargestellten Interaktionen und Diskursen die Markierung als Andere bzw. die Zuweisung einer marginalisierten Position durch die beschriebenen Mechanismen mit einer vordergründigen Engführung auf Konstruktionen wie ›Kultur‹ oder ›kulturelle Differenzen‹ erfolgt, werden in den Argumentationen und Erzählungen noch andere sozial relevante Differenzlinien bzw. Vorstellungen von Geschlecht, Klasse,

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Sexualität, Körper u.a.m. angerufen und mitthematisiert. Die Konstruktion von Anderen entsteht also in Überlagerung und einem sich ergänzenden Wechselspiel von verschiedenen Differenzkonstruktionen und Dominanzverhältnissen. Dabei – so Stuart Hall mit Bezug auf Medienpräsentationen und Pressefotos von Schwarzen Sportler_innen – »scheint eine Differenz die andere anzuziehen, sodass sie sich zu einem ›Spektakel‹ der Andersheit summieren.« (Hall 2004b: 114) Die mit Othering verbundenen Diskurse werden also deutungs- und wirkmächtig durch die Art und Weise, wie verschiedene Differenzkonstruktionen miteinander interagieren bzw. zueinander in Beziehung gesetzt werden, sich dabei gegenseitig verstärken, abschwächen oder überdecken. So werden beispielsweise bei der Konstruktion des Bildes von ›muslimischen Mädchen‹, – das in einer pseudo-dialogischen Kommunikation in der dargestellten Unterrichtsszene kreiert wird –, rassistische oder kulturalistische Bilder und Zuschreibungen durch den Verweis auf Geschlechter- und Generationenverhältnisse, Sexualität und Körperpraxen hergestellt; dabei werden gleichzeitig andere, wie z.B. Klassenverhältnisse, vernachlässigt bzw. bleiben unthematisiert.26 Auch die in den Gesprächen der Jugendarbeiter_innen aufgezeigte Konstruktion von Religion (hier nur einseitig als die ›Religion der Anderen‹ thematisiert) erfährt eine starke Konturierung durch Geschlecht. Geschlecht schwingt in rassistischen und kulturalisierenden Diskursen immer mit und hat für die Adressierung und Konstruktion von Migrationsanderen (Mecheril 2010: 17) konturierenden Charakter. In den Diskursen von Pädagog_innen zeigt sich, wie sich zum Teil eine auf Geschlechterverhältnisse bezogene Antidiskriminierungs- und Emanzipationsperspektive sowie eine parteilich-unterstützende pädagogische Haltung der Pädagog_innen (u.a. gegenüber Jugendlichen, i.d.R. Mädchen_, mit denen sie konkret zusammenarbeiten) mit kulturalistischen und rassialisierten Bildern und Argumentationen überlagern. In diesen hier aufgegriffenen hegemonialen Diskursen27 werden Hierarchien, Ungleichheiten und Normativitäten im Geschlechterverhältnis einseitig kulturalisiert, ethnisiert und rassialisiert. Diese vergeschlechtlichten Konstruktionen bzw. rassistisch überformten Bilder über Ge-

26 Auch Martina Weber (2003, 2005) hat in ihrer intersektionalen Analyse von doing difference bzw. Differenzkonstruktionen in Schulklassen herausgearbeitet, dass bei der Beurteilung und Wahrnehmung der Lehrkräfte durch den Fokus auf ›Kultur‹ bzw. Ethnizität/›race‹ andere Differenzlinien, wie etwa soziale Klasse, vollständig vernachlässigt werden. 27 Das Geschlechterverhältnis wird dabei in binär organisierten Konstruktionen des ›Eigenen‹ und des ›Anderen‹ als diametral unterschiedlich gezeichnet (als ›emanzipativ-gleichberechtigt-modern‹ vs. ›gewaltförmig-patriarchal-traditionell‹).

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schlechterverhältnisse werden zu einem Beweis oder Indiz für ›kulturelle Differenz‹ gemacht. Sexismus und (hetero)sexistische Gewalt werden damit zu einem Problem der imaginierten Anderen, wobei gleichzeitig von eigenen gesellschaftlichen Verstrickungen in diese Macht- und Gewaltverhältnisse abgesehen wird. Die Verschiebung bzw. Projektion von Sexismus, Gewalt und Homophobie im Geschlechterverhältnis auf ein ›Außerhalb‹ des eigenen ›Wir‹ bzw. der eigenen Nation bzw. national gefassten Gesellschaft ermöglicht die Konstruktion einer sich als progressiv und egalitär verstehenden Gesellschaft, geht aber mit einer Verleugnung und De-Thematisierung von Ungleichheit produzierenden Strukturen innerhalb dieser einher. Mit dem Argument der pädagogischen Unterstützung und der pädagogischen Absicht der Stärkung eines gleichberechtigten Geschlechter- bzw. Frauenbildes bzw. der Rechte von Mädchen_ im Bildungskontext erscheint die Herstellung von ›kultureller Differenz‹ bzw. dem damit verbundenem Ein- und Ausschluss legitim. Damit werden jedoch die hegemonialen Differenzordnungen (in verschiedener Hinsicht) stabilisiert. Die hier zunächst als Andere adressierten Mädchen_ werden dann in dieses ›Wir‹ inkludiert und vereinnahmt. Dadurch, dass in den hier aufgezeigten Diskursen und Praktiken der Pädagog_innen Geschlechterverhältnisse weder in ihrem spezifischen heterosexistischen Machtgefüge noch in ihrer gesamtgesellschaftlichen Relevanz thematisiert und hinterfragt werden, verpufft auch die emanzipatorische Idee einer solchen pädagogischen Intervention. Rassismusrelevante Anrufungen verbinden sich in Diskursen des Othering also mit heteronormativen Geschlechterzuschreibungen, wobei die Thematisierung von Geschlecht implizit bleiben kann. So zeigt sich beispielsweise in hegemonialen Diskursen zu Jugendgewalt, dass es hier zu einseitigen Kulturalisierungen durch gleichzeitige De-Thematisierung von Geschlecht und sexistischen Geschlechterverhältnissen kommt, indem in Deutungs- und Erklärungsmustern (zu Jugendgewalt) Geschlecht oder andere Faktoren wie (das jugendliche) Alter nicht berücksichtigt werden, selbst wenn es sich um sexistische Gewalt und sexuelle Übergriffe handelt (vgl. dazu Leiprecht/Riegel 2011). Solche Erklärungsmuster verbleiben in der homogenisierenden Eindimensionalität rassistischer Diskurse. Durch die Absehung von anderen Dominanzverhältnissen wird die rassistische Wirkung noch gestärkt. In anderen Diskurszusammenhängen werden Differenzkonstruktionen über Körperdiskurse und Zuschreibungen hergestellt: Nicht nur im rassistischen Klassifikationssystem fungieren »körperliche Merkmale als Bedeutungsträger, als Zeichen innerhalb eines Diskurses der Differenz« (Hall 2001: ebd.) bzw. werden als solche gelesen, auch körperbezogene Praktiken und Präsentationen werden in dieses Deutungsschema eingeordnet, wobei diese sich in der Regel mit vergeschlechtlichten Körpernormen sowie mit

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Vorstellungen eines funktionsfähigen oder gesunden Körpers überlagern. So wirken beispielsweise beim Thema Essen im schulischen oder außerschulischen Kontext in unterschiedlicher Weise Adressierung, Anerkennung und Othering zusammen: Kann eine Schüler_in am gemeinsamen Essen aufgrund einer Lebensmittelunverträglichkeit nur eingeschränkt teilnehmen, zeigen sich im Umgang der Pädagog_innen damit durchaus Besonderungen und Hervorhebungen, die für die jeweilige Schüler_in nicht immer angenehm sind. Die damit verbundene Anerkennung (als individueller Fall und gesundheitsrelevante Praxis) unterscheidet sich jedoch vom Umgang mit Essens- und Körperpraktiken, die als ethisch oder religiös begründet markiert werden. Diese werden zwar möglicherweise in den jeweiligen pädagogischen Kontexten anerkannt und/oder ermöglicht, die Anerkennung als solche geht jedoch mit einer kollektiven Zuschreibungspraxis und der Herstellung von Differenz sowie damit verbundenen Grenzziehungen und Othering einher. Anzumerken ist, dass sich diese kulturalisierenden Konstruktionen mit geschlechterbezogenen und heteronormativen Adressierungen und Anrufungen verbinden. Die im Kontext der hier vorgenommenen Analysen rekonstruierten Bilder und Diskurse enthalten immer auch Normalitätsvorstellungen in Bezug auf Geschlecht und Sexualität und stützen damit, absichtsvoll oder nicht, die binäre und heteronormative Struktur vorherrschender Geschlechterordnungen. Die implizite Dominanz der heteronormativen Matrix (Butler 2001) durchdringt die pädagogischen Diskurse und bleibt, wenn auch weitgehend unthematisiert, wirkungsvoll. Zumindest im Projektkontext der Arbeit mit Jugendlichen zum Thema Diversität und Ausgrenzung findet in der Regel keine Adressierung und einseitige Hervorhebung ›sexuell abweichender‹ Subjekte statt, wie dies u.a. im rassistischen Diskurs des Othering erfolgt. Vielmehr zeichnet sich der Diskurs durch eine Ignoranz des Themas aus, wobei sich die Kraft und Kontinuität von Heteronormativität zeigen und festigen (vgl. dazu auch Schondelmayer/Schmidt 2014). Verweise auf bzw. die Thematisierung von Homosexualität bzw. Homo- und Transphobie oder normativ abweichenden Körpern erfolgen in pädagogischen Diskursen u.a. dann, wenn Jugendliche im Projektkontext von Pädagog_innen auf eigene Ausgrenzungspraktiken hingewiesen werden – womit z.T. von einer Thematisierung rassistischer Diskriminierungserfahrungen, die Jugendliche einfordern, abgelenkt und abgesehen werden kann. Teilweise wird in den Schilderungen und Erzählungen der Pädagog_innen über das Projektgeschehen in den Weiterbildungsveranstaltungen das Bild der ›homophoben Migrantenjungs‹ gezeichnet. Durch solche Konstruktionen erfolgt nicht nur eine Verschiebung eines heterosexistischen Gewaltverhältnisses auf eine marginalisierte Gruppe. Durch die damit verbundene Kulturalisierung und Personalisierung bleiben auch eine Thematisierung und

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Kritik heteronormativer Verhältnisse im Kontext des Präventionsprojekts aus bzw. werden verunmöglicht (s.o.), sodass rassistische Verhältnisse reproduziert werden. Dieses Zusammenspiel ermöglicht die Stabilisierung hegemonialer Verhältnisse in einer Bildungssituation. Othering und die damit verbundenen Konstruktionen und Festschreibungen erfolgen i.d.R. aus einer privilegierten und machtvollen Position (s.o.), wobei sich die Verteilung von Privilegien, intersektional betrachtet, als gebrochen und uneinheitlich erweist und sich in einer Sprecher_innen-Position (und die der Adressierten) verschiedene Verhältnisse von Privilegierung und DePrivilegierung überlagern (aber nicht aufheben oder addieren). Dies spielt, wie die jeweilige Haltung und Positionierung gegenüber verschiedenen Diskriminierungsverhältnissen, in die konkrete Situation des Othering hinein, mit Konsequenzen für deren Wirkmächtigkeit. Um Subjekten eine marginalisierte Position zuzuweisen, ist es im intersektionalen Zusammenspiel verschiedener Positionierungen zumindest funktional, aus einer privilegierten Position heraus auf eine verletzbare Position abzuzielen. Andere Aspekte der jeweiligen komplexeren Positionierungen und Situierung werden durch einseitige Anrufungen in den Hintergrund gedrängt. In den verschiedenen Praktiken und Diskursen des Othering zeigt sich, wie durch eine wechselnde, aber jeweils funktionale Bezugnahme auf unterschiedliche Differenzkonstruktionen die Aufrechterhaltung vorherrschender Differenzordnungen abgesichert wird und die Ausgrenzung von als ›anders‹ oder ›abweichend‹ markierten Subjekten oder Gruppen gerechtfertigt werden kann. Durch Kulturalisierung, die mit Geschlechter- und anderen Differenzkonstruktionen einhergeht, können soziale Ungleichheiten in materieller Hinsicht sowie ungleiche Bildungschancen unter Absehung von Klasse erklärt und damit kapitalistische und neoliberale Logiken im Bildungskontext bedient und gerechtfertigt werden.

6.3 F UNKTIONEN

UND F OLGEN VON O THERING IM INSTITUTIONELLEN K ONTEXT VON S CHULE UND J UGENDARBEIT

Nachdem bei der bisherigen Analyse bereits auf Funktionalität und Folgen von Othering hingewiesen wurde, sollen diese Aspekte nun genauer in den Blick genommen werden. Dabei finden die jeweiligen institutionellen Voraussetzungen in Schule und Jugendarbeit sowie professionsspezifische Kontexte, durch die Prozesse des Othering gerahmt und in denen diese hervorgebracht werden, be-

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sondere Berücksichtigung. Die Praktiken von Jugendarbeiter_innen und Lehrer_innen erfahren in den jeweiligen Kontexten von Jugendarbeit und Schule unterschiedliche Akzentuierungen und sind zumindest teilweise mit anderen Konsequenzen verbunden.28 Gemeinsam ist beiden pädagogischen Arbeits- und Berufsfeldern, dass das ›Sprechen über‹ – als ein Modus des Othering – als pädagogische Praxis bereits institutionell nahegelegt und habitualisiert ist und darüber hinaus auch professionsspezifisch konturiert wird. So konnte in den Studien herausgearbeitet werden, dass über die Praxis des ›Sprechens über‹ sowie durch schulspezifische didaktische Mittel (wie das Repetieren-Lassen, Frage-Antwort-Interaktionen) dominante Bilder und ein- und ausgrenzende Botschaften reproduziert und tradiert werden. Das ›Sprechen über‹ verweist darüber hinaus auf eine Praxis, die bereits Bestandteil pädagogischer Aufgaben ist: In Gesprächen unter Kolleg_innen, bei der Konzeptionalisierung von Maßnahmen oder bei der Erstellung von Gutachten bzw. Arbeitsberichten gehört das Sprechen bzw. Schreiben über die Schüler_innen bzw. Jugendlichen zur alltäglichen (sozial-)pädagogischen Arbeit. Es handelt sich um eine eingeübte, professionell habitualisierte Praxis, die sich mit gesellschaftlich dominanten Diskursen und den damit verbundenen Konstruktionen, Grenzziehungen und ausgrenzend-unterwerfenden Zuweisungen verbindet. In dieser Praxis ist immer auch die Macht der Kontrolle und der Wertung enthalten, was in der Jugendarbeit über die Frage der Unterstützung bzw. NichtUnterstützung und in der Schule über Bewertung und Versetzung entscheiden kann, was wiederum die selektive Funktion von Schule stärkt. Dabei sind die Jugendlichen strukturell von der Gunst der Pädagog_innen abhängig. Im ›Sprechen über‹ verwirklicht sich die Objektivierung der Jugendlichen: Es wird über die Jugendlichen geredet und nicht mit ihnen, es werden ihnen Problemlagen zugeschrieben und dabei ihre subjektiven Perspektiven und Bedürfnisse ignoriert und missachtet. Sie werden zum »reparaturbedürftigen Objekt« (Goffman 1973: 9) – wie dies in den aufgezeigten Diskursen der Jugendarbeiter_innen zum Ausdruck kommt. Problematisierung und Normalisierung sind nicht nur im Rahmen (sozial-)pädagogischer Arbeit im Umgang mit dem Anderen institutionell nahegelegt (Maurer 2001; Kessl/Plößer 2010), sondern fügen sich darüber hinaus in genuine Praktiken sozialpädagogischen Handelns, wie das Sprechen, Begutachten, Disziplinieren und Kontrollieren, ein, das nicht nur die Beziehung und Interak-

28 Auf die Relevanz von institutionalisierten Routinen und herrschaftsförmigen Strukturen für Diskriminierung und Ausgrenzung im Bildungskontext weisen bereits Studien zu institutioneller Diskriminierung in der Schule (u.a. Flam 2007; Gomolla/Radtke 2009) oder zu institutionellem Rassismus in der Jugendhilfe (Melter 2006) hin.

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tion von Professionellen und Adressat_innen prägt. Das ›Sprechen über‹ Klient_innen entspricht in der Sozialen Arbeit dem spezifischen Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle und kann funktional sein, um dieses professionsspezifische Spannungsfeld auszutarieren. Deutlich wird hier, wie Alltagstheorien und gesellschaftlich vorherrschende Diskurse und Repräsentationen über marginalisierte Gruppen in fachliche Diskurse einfließen und sich mit professionellem Wissen mischen bzw. dieses überlagern. Alltagsdiskurse sind in den Deutungsund Handlungsmustern von Pädagog_innen enthalten und dabei in der Praxis nicht von handlungsbezogenen Fachdiskursen und professionsbezogenem Wissen zu trennen (vgl. Schneider 2006). Gerade im Hinblick auf gesellschaftlich höchst umstrittene Themen wie Migration und Einwanderung oder auf die Thematisierung von Rassismus oder Sexismus scheinen solche Diskursmuster und Konstruktionen in besonderem Maße für pädagogisches Denken und Handeln bedeutsam zu werden. Vor diesem Hintergrund ist das pädagogische Agieren mit Beispielen oder Bildern äußerst problematisch. Die Absicht, durch Beispiele oder Bilder bestimmte Sachverhalte konkretisieren zu wollen, geht immer mit einer Vereindeutigung bzw. der Vorgabe einer bestimmten (Denk-)Richtung einher. Dabei werden vorherrschende (Klischee-)Bilder angesprochen und aufgegriffen, in denen die hegemonialen Differenzordnungen repräsentiert sind und der Blick auf das konstruierte Andere (durchaus auch in positiver Konnotation) gerichtet wird. Ebenso werden vorherrschende Verhältnisse zementiert, wenn versucht wird, an dem Alltag oder der Lebenswelt von Jugendlichen anzuknüpfen, ohne deren Perspektiven wirklich zu berücksichtigen. Letztendlich werden hier alltägliche Bilder und Theorien über Andere didaktisch verpackt, reproduziert und in der Bildungsarbeit en passant eingeführt und vermittelt. Ähnlich verhält es sich mit Versuchen der Konkretisierung durch Lebensweltbezüge. Wie am empirischen Material deutlich wurde, stehen diese z.T. fachlich argumentierenden Ansprüche neben unterwerfenden und diskriminierenden Zuschreibungen und Diskursen des Othering. Es besteht jedoch die Gefahr, dass ein solches Verständnis von Lebensweltorientierung oder Subjektorientierung an der Oberfläche verbleibt und die vermeintliche Lebenswelt der Adressat_innen oder der Versuch deren Konkretisierung in der Bildungsarbeit eine Konstruktion aus der distanzierten und privilegierten Sicht der Pädagog_in wird, ohne Berücksichtigung dessen, ob dies der Sicht und dem Erleben der Jugendlichen entspricht. So werden hegemoniale Bilder und Differenzordnungen weiter tradiert. Des Weiteren konnte im Bildungskontext der Schule festgestellt werden, dass Othering in Situationen von professioneller oder persönlicher Verunsicherung relevant wird. Gerade wenn der Unterricht, die Durchführung der Projekt-

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einheiten oder die Kommunikation mit den Schüler_innen nicht so funktioniert wie geplant, kann es für Lehrer_innen ›aus der Not heraus‹ (bzw. vor dem Hintergrund des unmittelbaren Handlungsdrucks29) naheliegend sein, auf dominante und etablierte, nichtsdestotrotz ausgrenzende Mechanismen und Handlungsmuster zurückzugreifen, um Handlungsfähigkeit oder den (von ihnen als Lehrer_innen erwarteten) souveränen Umgang mit der Situation oder Klasse zu bewahren. Allerdings führt diese Form der Absicherung der eigenen Handlungsfähigkeit als Pädagog_in dazu, dass die hegemoniale Differenzordnung (nicht nur zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen, sondern auch im gesellschaftlichen Dominanzgefüge) in einem Projekt zur Sensibilisierung gegenüber Ausgrenzung und Diskriminierung erneut bestätigt bzw. zementiert wird. In diesem Kontext kann Othering gleichzeitig eine disziplinierende Funktion haben, u.a. wenn Schüler_innen sich nicht in diese Ordnung einfügen wollen, wenn sie sich widerständig verhalten oder sich gelangweilt dem Unterrichtsgeschehen entziehen. Hier werden Praktiken der ethnisierten und rassialisierten Adressierung und Besonderung (i.d.R. mit einer intersektionalen Konturierung) von anwesenden Schüler_innen oder das monologisierende Sprechen über marginalisierte Gruppen für Pädagog_innen relevant, um die Jugendlichen wieder ›mit ins Boot zu holen‹. Praktiken des Othering können im schulischen (Unterrichts-)Setting Mittel der Disziplinierung sein, aber auch ein Akt der Einweisung in und Unterwerfung (aller anwesenden Subjekte) unter die hegemoniale (gesellschaftliche, nicht nur schulische) Ordnung. Diese Praktiken schließen also an die institutionellen Mikromechanismen der Schule direkt an bzw. überlagern sich mit diesen, sodass die Normalisierungs- und Disziplinierungsmacht der Schule (Foucault 1977) auch mit Blick auf Othering und zur Durchsetzung und Legitimation dominanter Differenz-, Zugehörigkeits- und Normalitätsordnungen funktional und effektiv ist. Diskurse und Praktiken des Othering sind also in institutionellen Routinen und Ordnungen verankert und sind in diesen Kontexten und darüber hinaus folgenreich, jenseits dessen, ob diese von den Akteur_innen so beabsichtigt oder diese sich dessen gewahr sind oder nicht. Solche Diskurse und Praktiken erzeugen Wirklichkeiten, sie sind machtvoll und die Folgen (nicht nur in intersektionaler Hinsicht) komplex. Die dargestellten Praktiken des Othering gehen mit Beschämung der (direkt oder indirekt) adressierten Jugendlichen und der Missachtung deren Perspekti-

29 Dieser Druck, handlungsfähig zu sein und im spezifischen Projektkontext das Projekt gut umsetzen zu wollen, wird in diesen Fällen durch die Anwesenheit einer beobachtenden Projektmitarbeiter_in noch verstärkt.

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ven und Selbstpositionierungen und damit ihrer Subjektivität einher. Somit bekommen Jugendliche bzw. die hier adressierten Subjekte, deren Zugehörigkeit und Anerkennung im gesellschaftlichen Kontext prekär sind und die sich tendenziell in einer marginalisierten und verletzbaren Position befinden, in einer Bildungssituation erneut eine solche Position zugewiesen. In diesem Zusammenhang kommt es im Bildungskontext, der sich der Prävention von Ausgrenzung verschrieben hat, zu Wiederholungen von Rassismus (und auf andere Dominanzverhältnisse bezogene Diskriminierungen) und für die (als Andere markierten) Jugendlichen zu wiederholten Erfahrungen der Diskriminierung, Unterwerfung und Marginalisierung. So kann auch davon ausgegangen werden, dass Jugendliche nach solchen Erfahrungen keine Unterstützung in der jeweiligen Bildungseinrichtung mehr erwarten oder suchen werden. Damit kann es zu Ausgrenzungen aus Bildungs- und Unterstützungsangeboten kommen, was wiederum dem (sozial-)pädagogischen Bildungsauftrag entgegensteht. In der Schule zeigen sich Otheringprozesse besonders wirkmächtig. Einseitig kulturalisierende oder problematisierende Zuschreibungen sowie bipolare Unterscheidungen von Lehrer_innen (wie die ›Integrierten‹ und die ›Problematischen‹) sind in mehrfacher Hinsicht folgenreich, auch über den konkreten Interaktionskontext hinaus: Sie können zu einem Bias der Wahrnehmung und Bewertung der Lehrer_innen gegenüber den Leistungen, Kapazitäten und Potenzialen der Schüler_innen führen, mit diskriminierenden Folgen und ungleichen Bildungschancen für diejenigen, die als Andere konzeptualisiert werden (vgl. dazu Diehm 2008, Gomolla/Radtke 2009). Studien zu institutioneller Diskriminierung im Kontext von Schule haben u.a. herausgearbeitet, dass die einseitige und defizitäre Wahrnehmung durch Pädagog_innen, die auf vielfach differenzkonturierten und defizitorientierten Zuschreibungen basiert und mit zahlreichen Unterstellungen (von Sprachdefiziten, einer zu geringen oder zu starken Bildungsaspiration, einer mangelnden Unterstützung aus dem Elternhaus usw.) verbunden ist, zu einer Unterschätzung der so markierten Schüler_innen und ihrer Leistungen bzw. zur Verkennung vorhandener Potenziale führt (vgl. Weber 2005, Flam 2007, 2009). Somit hat Othering im Bildungskontext nicht nur subjektivierenden und unter die vorherrschenden Verhältnisse unterwerfenden Charakter, sondern bringt auch Bildungsarrangements mit hervor und konturiert Lernprozesse und Bildungschancen. Dies hat nicht nur Folgen für den schulischen Erfolg bzw. Misserfolg Einzelner und der damit verbundenen Chancenverteilung im Kontext formaler Bildung, sondern auch für informelle Lern- und Bildungsprozesse. Im Kontext von Bildung kommt es durch Diskurse des Othering zu einer Wissensproduktion, der Produktion von Herrschaftswissen über Andere (bzw. als anders Markierte) sowie einer Tradierung von Wissen über hegemoniale Dif-

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ferenzordnungen. Dieses Wissen wird zum Lerngegenstand, auch wenn dies von den Adressat_innen von Bildung, hier den Jugendlichen, nicht automatisch oder zwingend übernommen wird. Die Produktion von Herrschaftswissen ist für Pädagog_innen – insbesondere im Kontext Schule – gängige, legitime und im obigen Sinne funktionale Praxis. Der schulische Rahmen und die Inszenierung der Wissensvermittlung ermöglichen, dass Aussagen und Botschaften von Lehrpersonen, die z.T. nur implizit, über Beispiele, kurze Interaktionen usw., eingebracht werden, die Bedeutung von relevantem Wissen erhalten, das abgefragt und gegebenenfalls auch für Bewertungen in Prüfungen relevant werden kann. So können Bilder über Andere, wie sie im schulischen Kontext oder der Bildungsarbeit implizit oder explizit vermittelt werden, zu faktischem (Schul-) Wissen und Bestandteil eines heimlichen Lehrplans werden. Gleichzeitig werden durch die (Re-)Produktion von hegemonialem Wissen gesellschaftliche Ordnungen und damit verbundene Ein- und Ausschlüsse hergestellt, gefestigt und reproduziert – und als gesellschaftliche Realität vermittelt. Diese und die eigene Position in dieser Ordnung wird damit von den durch Bildung Adressierten erfahren, begriffen und verstanden. Schüler_innen bzw. Jugendliche (sollen) ›lernen‹, wie das Verhältnis von Dominanz und Unterwerfung funktioniert, wie die vorherrschende gesellschaftliche Ordnung ist, wie sie darin positioniert sind bzw. sich an dem ihnen zugedachten Ort zu positionieren. Das, was hier implizit vermittelt und möglicherweise angeeignet wird, ist je nach Positionierung in diesem intersektionalen konturierten Macht- und Herrschaftsgefüge unterschiedlich: Für Diskriminierungserfahrene zeigt sich eine erneute Zuweisung einer marginalisierten Position und damit eine Wiederholung von Diskriminierung und abwertender Hervorhebung; sie erfahren und begreifen die vorherrschenden Verhältnisse als Ordnungsschema und sind damit konfrontiert, sich dazu zu positionieren. (Eher) privilegierte Schüler_innen erfahren und begreifen die Gültigkeit, Kontinuität und Wirksamkeit vorherrschender Dominanzverhältnisse, indem sie ›Dominanz lernen‹, ebenso wie die Absicherung von Privilegien. Othering provoziert damit implizite Lerneffekte: das Lernen von Dominanzordnungen und von Positionierungen und Diskriminierungen in dieser Machtkonstellation – und hat damit sozialisatorische und bildende Wirkung. Othering im Bildungskontext hat ein- und ausgrenzende und subjektivierende und disziplinierende Effekte und führt zu ungleichen Chancen im Zugang zu sozialen Ressourcen. Othering ist aber auch folgenreich für die Erfahrungen, Selbst- und Weltverständnisse und damit auch für die Lern- und Bildungsprozesse aller Beteiligten. Durch pädagogisches Handeln wird Othering im Bildungskontext bestätigt und reproduziert. Angesichts der Dominanz und durchschlagenden Wirkkraft institutioneller und gesellschaftlicher Machtverhältnisse und

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Differenzordnungen kann es den Anschein erwecken, dass Pädagog_innen und auch die Adressat_innen von Bildung in diesen gefangen wären. Allerdings, und darauf wurde bereits hingewiesen, sind sie zwar in diese Verhältnisse involviert (und reproduzierendes Handeln ist angesichts der symbolischen und materiellen Ordnungen in gewisser Weise naheliegend), dennoch sind sie diesen Verhältnissen und vorherrschenden Denkweisen nicht völlig unterworfen. Es gibt Möglichkeiten der Veränderung, der Kritik sowie Perspektiven der Überschreitung von Grenzen. Zur Herausforderung, sich in hegemonialen Ordnungen und Machtkonstellationen kritisch zu positionieren So kann auch nicht von einer ungebrochenen Vermittlung von Wissen bzw. Reproduktion rassistischer, heterosexistischer Effekte im Bildungskontext ausgegangen werden. Dass dies keine linearen und zwangsläufigen Lerneffekte sind, wurde bereits schon an der Erörterung eines kritischen Lern- und Bildungsverständnisses aufgezeigt (vgl. Kapitel 3). Subjekte – in einer eher privilegierten oder eher unterworfenen Position – können sich als Subjekte zu diesen Verhältnissen und den darin vermittelten Botschaften verhalten – und tun dies auch, wie an den Reaktionen und Umgangsweisen der Jugendlichen in den dargestellten Sequenzen deutlich wurde. Ebenso kann nicht davon ausgegangen werden, dass die dargestellten Praktiken und Mechanismen des Othering die adressierten Subjekte hilflos und handlungsunfähig machen. In den Interaktionssequenzen zeigt sich durchaus, wie sich Jugendliche zu Zuschreibungen und Adressierungen aktiv in Beziehung setzen. Sie zeigen sich offen oder subtil widerständig gegenüber diesen im Bildungs- oder Projektkontext erfahrenen hegemonialen Diskursen und Praktiken, indem sie Gegendiskurse und -bilder entwerfen oder in subversiver Weise Bedeutungsverschiebungen vornehmen oder sich weigern, sich am Diskurs zu beteiligen. Es wird deutlich, dass die als Andere markierten Jugendlichen die impliziten Botschaften sofort verstehen und in ihren Effekten durchschauen – durch, so ist anzunehmen, zahlreiche, bereits zuvor gemachte ähnliche Erfahrungen. Die Jugendlichen verstehen Othering bzw. lernen Othering und die damit verbundenen hegemonialen Verhältnisse zu deuten und entwickeln Strategien und Taktiken (de Certeau 1988, Seukwa 2006, Scharathow 2014), in diesen zu ›überleben‹ bzw. damit umzugehen. Mit subversiven und widerständigen Praktiken können sie zu Irritationen beitragen, zur Irritation von vorherrschenden Denkformen und Kategorisierungsprozessen und damit die vorherrschende Ordnung, die durch Pädagog_innen und Mitschüler_innen hergestellt wird, infrage stellen. Allerdings sind diese Versuche, und dies wird u.a. bei dem Jugendlichen Daniel deutlich, mit einer gewissen Frustration gegenüber

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diesen wiederkehrenden und machtvollen Prozessen sowie der Beständigkeit der jeweiligen Dominanzordnung verbunden. Dies kann zu Rückzug und Schweigen führen. Dhavan (2007) weist in ihren Arbeiten zur Politik des Schweigens darauf hin, dass Schweigen nicht unbedingt als Zustimmung verstanden werden muss. Zu Schweigen kann auch eine Form des Widerstands bedeuten oder eine im Kontext bestehender Dominanzverhältnisse abwägende Taktik. So ist die Artikulationsform des Schweigens (wie die des Sprechens) jeweils im Kontext der jeweiligen Macht- und Dominanzverhältnisse zu betrachten (vgl. Butler 2006, Dhavan 2007). Vor diesem Hintergrund kann das Schweigen der Jugendlichen als beschämte Reaktion auf die erfolgten Adressierungen und Fremdzuschreibungen und als resignierter Rückzug gelesen werden, in anderen Fällen als aktives Schweigen und als subversive Praxis, um sich beispielsweise Positionierungszwängen oder Zuschreibungs- und Diskriminierungszumutungen zu entziehen oder durch Schweigen die Zustimmung zu verweigern. Schweigen kann z.B. dann machtvoll sein, wenn damit in dem jeweiligen Kontext gezeigt werden kann, dass die Antwort, die erwartet wird, nicht gegeben wird (im Sinne von ›ich spiele dieses Spiel nicht mit‹). Dass Schweigen nicht unbedingt Zustimmung bedeuten muss, zeigt sich beispielsweise in einer schriftlichen Ausführung eines Schülers im sogenannten Schultagebuch30, in der er sich im Projekt zu den seines Erachtens ausgrenzenden Aussagen eines Lehrers schriftlich äußert. Er bezieht sich auf die zuvor stattgefundene Projekteinheit im Unterricht und die Aussage seines Lehrers: »Ich hatte es so verstanden. Ich wollte fragen, ob er damit sagen will, dass es unsere Kultur ist, andere zu schlagen, oder was??? Das ist falsch. Natürlich gibt es solche Leute, aber das sind doch nicht nur Türken, und bestimmt sind das auch nicht mehrheitlich Türken. Ich weiß nicht ganz genau, was er meinte, aber mir kam es vor, als würde er der Klasse sagen wollen: Passt auf bei den Türken. Man muss bei jedem Menschen aufpassen, wenn man diese Person nicht kennt. Ich hatte mich einfach beleidigt gefühlt, aber ich hatte 31

32

nichts gesagt, weil ich nicht mit meinem Lehrer stürmen wollte.«

30 In diesem Schultagebuch, das in dieser Schulklasse unabhängig vom Projekt genutzt wird, können Schüler_innen ihre Gedanken zum Unterrichtsgeschehen aufschreiben und sich individuell mit für sie relevanten Fragen beschäftigen. Das Schultagebuch ist insofern öffentlich, dass die Inhalte wieder in den Unterricht eingebracht werden können und von den Lehrer_innen gelesen werden. 31 Schweizerdeutscher Ausdruck, der in diesem Kontext im Sinne von ›streiten‹, ›Ärger machen‹ zu verstehen ist. 32 Zitiert aus dem Schultagebuch eines Schülers der Klasse 7.

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In dieser Notiz zeigt sich, dass Schüler_innen durchaus wahrnehmen, was Lehrer_innen implizit oder explizit sagen, und auf kulturalisierende und rassistische Zuschreibungen sensibel reagieren, v.a. wenn sie sich der Gruppe, über die gesprochen wird, zugehörig oder mit dieser verbunden fühlen. Es zeigt sich aber auch, dass es für Schüler_innen im gegebenen Machtgefüge von Schule nicht einfach ist, direkt und offensiv gegen zuschreibende Äußerungen vonseiten der Lehrenden vorzugehen und diesen unmittelbar etwas zu entgegnen. So ist es für den Schüler in der unmittelbaren Situation sinnvoll zu schweigen, weil er ihm nicht direkt widersprechen will. Möglicherweise schweigt er, weil er keinen Ärger mit dem Lehrer bekommen will, oder auch, weil er in dieser Konstellation die Chancen der Anerkennung seines Widerspruchs bzw. Gegenpositionierung als gering einschätzt. Seine Dissonanz, seine Nicht-Zustimmung will er jedoch nicht ganz für sich behalten und wählt den halböffentlichen Ort des Schultagebuchs, in dem er sich deutlich positioniert. Hier besteht die Chance, dass dies vom Lehrer wahrgenommen wird und von den Mitarbeiter_innen des Forschungsprojekts, die das gesamte Projekt ethnographisch begleiten. So kann er damit rechnen, dass sein Widerspruch in irgendeiner Weise doch gehört wird, ohne dass er in eine direkte Konfrontation gerät, in der er potenziell schlechter positioniert ist. Das schulische Setting, mit dem Zwangscharakter der Teilnahme sowie dem hierarchischen Gefüge zwischen Lehrpersonen und Schüler_innen, erschwert kritische Äußerungen oder Gegenwehr der Schüler_innen. Dies zeigte sich auch in den dargestellten Szenen, in denen von pädagogischer Seite aus Othering und Diffamierung praktiziert wurde und es eher vorsichtige Hinweise der Schüler_innen auf die Notwendigkeit einer differenzierteren Sichtweise gab oder ein (verlegenes) Lachen ob der Brisanz dessen, was gerade geschah. Ein Infragestellen der Aussagen der Lehrer_innen oder gar ein Widerstand im hierarchischen schulischen Kontext ist für Schüler_innen riskant und mit Schwierigkeiten verbunden. Mit Blick auf die möglichen oder gefürchteten Konsequenzen (Sanktionen, schlechter Eindruck, der sich auf Noten auswirkt usw.) und angesichts der Deutungsmacht der Lehrpersonen kann es für sie sinnvoll sein, sich mit Erwiderungen oder Gegendarstellungen zurückzuhalten. Die hierarchische Struktur sowie der Zwangscharakter der Institution von Schule erschweren nicht nur Widerstand, sondern grundsätzlich Bildung und Bildungsprozesse, die sich durch Reflexion und Kritik auszeichnen sowie den Anspruch auf demokratisches Lernen und Diskriminierungskritik formulieren (vgl. Oser/Riegel/Tanner 2007). Othering stellt also nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in Schule und Bildungsarbeit eine ordnende Kraft dar, mit (unterschiedlichen) Folgen für die Positionierungs- und Handlungsmöglichkeiten von Jugendlichen im gesellschaft-

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lichen Raum. Obwohl die Jugendlichen verschiedene und durchaus widerständige Umgangsweisen im Umgang mit alltäglichen Erfahrungen des Othering entwickeln, bleiben diese angesichts der Kontinuitäten und der Dominanz damit verbundener Diskurse, Bilder und Praktiken nicht zuletzt im Kontext von Schule und Jugendarbeit riskant und widersprüchlich, wie dies beispielsweise Wiebke Scharathow (2014) in ihrer qualitativen Untersuchung zu Rassismuserfahrungen von Jugendlichen herausarbeitet hat.

6.4 O THERING –

IM R AHMEN DIFFERENZSENSIBLER UND DISKRIMINIERUNGSKRITISCHER B ILDUNGSARBEIT ?

Wie in diesen Studien deutlich wurde, besteht selbst im Kontext von diversitätsbewusster Bildungsarbeit und Projekten mit einem diskriminierungskritischen Anspruch die Gefahr des Othering. Daran zeigt sich, wie rassistische, heterosexistische, klassen- und körperbezogene Dominanzordnungen fest in der Gesellschaft verankert sind und sich auch in solchen Bildungsveranstaltungen niederschlagen, die das Ziel verfolgen, für Verhältnisse von Differenz und Ungleichheit zu sensibilisieren, Denk- und Handlungsperspektiven jenseits von Ausgrenzung, Normierung und Normalisierung zu eröffnen und sich um einen nichtdiskriminierenden Umgang zu bemühen. Denn solche Bildungsveranstaltungen sind ebenso in vorherrschende Macht- und Ungleichheitsverhältnisse involviert. Vor dem Hintergrund der dargestellten machtvollen gesellschaftlichen und institutionellen Verhältnisse und Rahmungen gestalten sich diese Veranstaltungen als äußerst ambivalent und es werden hier Diskurse und Praxen des Othering relevant, die sich mit professionsspezifischen Habitusformen und asymmetrischen Machtbeziehungen im pädagogischen Kontext verbinden. Pädagog_innen sehen sich im Rahmen solcher Projekte u.a. mit Ambivalenzen des Umgangs mit Differenz und Ungleichheit konfrontiert, wie sie bereits in Ansätzen differenzbezogener Pädagogiken angelegt sind (vgl. Lutz/Wenning 2001, Mecheril 2001, 2010, Messerschmidt 2009, Kessl/Plößer 2011) und sich unter den gesellschaftlichen Ungleichheits- und Machtverhältnissen sowie den jeweiligen institutionellen Rahmungen noch zuspitzen. So zeigt sich im pädagogischen Umgang mit sozialen Differenzen und Ungleichheiten eine spezifische Ambivalenz hinsichtlich der Frage der Thematisierung versus DeThematisierung, wie sie bereits in Kapitel 3 erörtert wurde. Durch die den differenzsensiblen Ansätzen und Projekten implizite und notwendige Differenzorientierung (und entsprechende differenzbezogene Methoden und Materialien) werden Pädagog_innen in solchen Präventions- und Bildungsprojekten z.T. gerade-

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zu herausgefordert, auf Differenzkonstruktionen Bezug zu nehmen und Differenz zu thematisieren. In den vorliegenden Analysen zeigte sich, dass es im Rahmen der Projekte u.a. dann zu Othering kam, wenn eine einseitige Fokussierung und Hervorhebung von nur einer Differenzlinie33 erfolgte und dabei dualistischen Konzepten und Kategorisierungen vorherrschender Differenzordnungen mehr oder weniger ungebrochen gefolgt wurde. Die bereits schon angesprochene Engführung und Überthematisierung von Konstruktionen wie ›Kultur‹ bzw. ›kultureller Differenz‹, bei gleichzeitiger Fokussierung dessen, was als ›anders‹ bzw. ›abweichend‹ konstruiert wird, sowie einer De-Thematisierung von gesellschaftlichen und strukturelle Macht- und Ungleichheitsverhältnissen, sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Diese Zentrierung erfolgte auch entgegen anderer Anregungen, Vorgaben und Haltungen im Projektzusammenhang (Manual, Methoden und Weiterbildungsveranstaltungen), in dem immer wieder und explizit verschiedene Differenz- und Dominanzverhältnisse thematisiert wurden und eine mehrdimensionale Betrachtung angeregt wurde. Offensichtlich setzen sich hier gesellschaftlich vorherrschende Diskurse zu Differenz34 (z.B. der Gleichsetzung von Differenz und Diversität mit ›kultureller Differenz bzw. Diversität‹) im pädagogischen Denken und Handeln durch und zeigen sich gegenüber Sensibilisierungen sowie intersektionalen und dekonstruktivistischen Perspektiven und Methoden resistent. Eine einseitige Fokussierung von einer Differenzlinie unter Absehung anderer sowie von gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnissen führt zu Diskriminierung und Othering in Bildungssettings, die sich als präventiv, sensibilisierend und kritisch gegenüber Ausgrenzung verstehen. So werden in einem Bildungskontext, in dem i.d.R. der Bildungsbedarf bei den Adressat_innen der Präventions- und Bildungsprojekte, hier den Schüler_innen bzw. Jugendlichen, verortet wird, die Pädagog_innen zu denjenigen, die Othering betreiben und – entgegen der Programmatik der Projekte und wahrscheinlich auch entgegen eigener Ansprüche und Absichten – Dominanz verkörpern und Othering vermitteln. Othering wird in solchen Bildungszusammenhängen dann relevant, wenn Pädagog_innen durch den einseitigen kulturalisierenden Blick auf die Anderen von der eigenen Positionierung und damit verbundenen (Normalitäts-)

33 Dass für deren Konturierung noch andere Differenzkonstruktionen (z.B. Geschlecht) relevant gemacht werden, stärkt diese Hervorhebung und Zentrierung nur noch (s.o.). 34 Trotz kritischer Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff im Kontext der Disziplin bzw. des Faches Interkultureller Pädagogik bzw. Interkultureller Bildung zeigen sich im Fachdiskurs und in vielen Methodenhandbüchern nach wie vor mehr oder weniger deutliche Spuren eines auf ›Kultur‹ bzw. ›kulturelle Differenz‹ zentrierten Bildungsverständnisses.

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Perspektiven und Privilegien absehen bzw. sie nicht thematisieren und berücksichtigen. In diesem Zusammenhang werden Migrationsandere als aktive Subjekte im (sich als antidiskriminierend oder interkulturell verstehenden) Bildungsgeschehen nicht sichtbar, sie werden vielmehr als Anschauungsmaterial vorgeführt und zu Objekten gemacht. Durch solche einseitigen Fokussierungen werden andere Verhältnisse de-thematisiert und in dieser Verbindung z.B. heteronormative Denkmuster und Ordnungen reproduziert. So kommt es, und dies zeigt sich bereits an einzelnen Diskursen und Interaktionsszenen, die sich zusammenfügen, dass in einem sich als diskriminierungskritisch verstehenden Kontext Weiße und heteronormative Räume hervorgebracht werden. In diesem Zusammenhang wird auch das Moment der Anerkennung, das u.a. differenzbezogenen Ansätzen inhärent ist, ambivalent. Anerkennung von Differenz kann unter asymmetrischen Machtverhältnissen und aus einer privilegierten und dominanten Position heraus mit Othering verbunden sein und zu Ausgrenzung, Unterwerfung und Missachtung führen. Paul Mecheril bezeichnet dies als Paradoxie der Anerkennung: »Jede Anerkennungspolitik kann mithin nur Derivate ihrer selbst zulassen und achten. Das radikal und tatsächlich Andere wird nicht einbezogen und kann auch gar nicht einbezogen werden. Es muss ausgeschlossen bleiben, weil ansonsten der Ort, von dem aus Anerkennung formuliert und praktisch wird, aufgegeben würde. Ist erst einmal die tatsächliche Grenze der Zumutung durch das Fremde, das kulturell Andere benannt, findet nicht ein Einbezug, sondern der Ausschluss des Anderen statt.« (Mecheril 2001: 9)

Dass diese Form der Benennung zu Grenzziehungen und Aussonderung sowie Ausschluss führt, wurde an verschiedenen empirischen Beispielen deutlich, u.a. an der ambivalenten Thematisierung und Fokussierung von Differenz durch Fragen nach Herkunft bzw. spezifischen ›kulturellen‹ Praktiken oder der Einteilung von Schüler_innen-Gruppen in mehr oder weniger ›problematisch‹ vs. ›angepasst‹ bzw. ›integriert‹. In diesem Zusammenhang (der Anerkennung von ›Integrationsleistungen‹) fungiert Anerkennung als Versuch der Vereinnahmung und des Einschlusses, bei gleichzeitiger Unterwerfung unter die dominante Differenzordnung. Solche Normen der Anerkennung wirken gleichzeitig regulierend und reproduzieren Macht- und Ungleichheitsverhältnisse. Die Anerkennung (bzw. die Benennung und Zuschreibung) von Rassismus stellt eine Unterwerfungspraxis dar, wenn sie in Form einer personalisierenden und hierauf reduzierenden Festschreibung auf eine Opferrolle erfolgt. Gleichzeitig verdeutlicht sich in Praxen der Anerkennung bzw. der Benennung bzw. Nicht-Benennung die machtvolle Funktion von Sprache, die hierbei als Macht- und potenzielles Ge-

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waltmittel fungieren kann (vgl. Arndt/Hornscheidt 2009, Butler 2006). So werden – in zunächst gegenüber Diskriminierungen sensibilisierender und kritischer Intention und Bildungsabsicht – herrschaftsförmige und unterwerfende Effekte produziert und vorherrschende Strukturen und Verhältnisse reproduziert: »Indem wir Fragen stellen, indem wir Wahrnehmungen haben, indem wir Gespräche führen, indem wir Dinge sagen und andere Dinge nicht sagen, reproduzieren und wiederholen wir die rassistische Struktur. Das ist ein Aspekt der Normalität des Rassismus« (Mecheril 2007: 8) – bzw. die Normalität von verschiedenen und interdependenten Dominanzverhältnissen. Jedoch kommt es auch im Rahmen einer dekonstruktivistischen Perspektive und Haltung, wie sie u.a. im Projektkontext hinsichtlich vorherrschender Differenzkonstruktionen und Ordnungen verfolgt wurde, zu Herausforderungen und Ambivalenzen im Umgang mit Differenz(-konstruktionen). Wenn mit dem Mittel der Dekonstruktion – wie im vorliegenden Projekt mit den Jugendlichen – gearbeitet wird, müssen die bestehenden Differenzkonstruktionen erst rekonstruiert werden, bevor sie de-konstruiert werden können. Dabei werden Differenzlinien durch ihre Thematisierung erst hervorgebracht und bedeutsam gemacht, mit der Folge, dass sie als symbolische Differenzmarker, die über Zugehörigkeiten bzw. Ein- und Ausgrenzung im Kontext hegemonialer Differenzordnungen entscheiden, auch zukünftig wirksam werden. Bleibt die reflektierende Bearbeitung jedoch bei der Beschreibung und auch Fokussierung von Differenz stehen und wird auf diese weiter Bezug genommen, ohne diese hinsichtlich des Herstellungscharakters sowie gesellschaftlicher Funktion und Folgen zu hinterfragen, kommt es zu deren Reproduktion und Festschreibung – also dem Gegenteil einer dekonstruktivistischen und mit Blick auf Diskriminierungen und Dominanzverhältnisse (selbst-)kritischen Bearbeitung. In dieser Widersprüchlichkeit des Agierens in ungleich strukturierten Verhältnissen sind die dargestellten Diskurse und Praxen von Pädagog_innen wie auch die Versuche einer gegen Ausgrenzung und Diskriminierung sensibilisierenden und kritischen Bildungsarbeit zu betrachten. Diese Paradoxie bleibt solange unausweichlich, wie diese Strukturen und die eigene Verstrickung sowie die oft selbstverständliche Praxis des Othering und der Privilegierung nicht kritisch reflektiert werden. Erst durch das bewusste Sich-ins-Verhältnis-Setzen zu (bzw. ›bewusste Verhalten zu‹) diesen Bedingungen des eigenen pädagogischen Handelns besteht die Möglichkeit, zur Dekonstruktion und Kritik und damit auch potenziell – im Rahmen von Bildungsarbeit und professionellem Handeln – zu Veränderungen und Verschiebungen der Diskurse, Bedeutungen und Verhältnisse beizutragen.

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6.5 R EFLEXION DES F ORSCHUNGSPROZESSES Angesichts dessen, dass Forschung ähnlich wie pädagogische Praxis in Machtund Herrschaftsverhältnisse involviert ist, besteht auch dort die Gefahr, dass Mechanismen des Othering und der Reproduktion von vorherrschenden Verhältnissen relevant und wirksam werden. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die Herausforderungen des Forschens im Kontext machtvoller Verhältnisse und Folgen der Perspektivität der Analyse auf den konkreten Forschungskontext bezogen diskutiert und reflektiert werden. Damit können daraus resultierende methodische Herausforderungen und Grenzen der Reichweite und der Aussagekraft der Ergebnisse deutlich gemacht werden. Für die folgenden Reflexionen gilt aber auch, dass diese ebenso durch Positioniertheit und Involviertheit in die interdependenten und widersprüchlichen Verhältnisse geprägt sind und diese Verstrickungen dadurch nicht aufgelöst werden können. Eigene Positioniertheit und die damit verbundenen Herausforderungen Die Standortgebundenheit von Forschung sowie die soziale Positioniertet, von der aus Forschung gemacht wird, geht mit einer Perspektivität und einem bestimmten Blick auf den Gegenstand einher: Bestimmtes wird im Forschungsprozess gesehen, Anderes nicht, manche Aspekte werden in der Ergebnisdarstellung für erwähnenswert gehalten, manche bleiben unerwähnt. Dies ist jedoch nicht beliebig, sondern Bestandteil von Herstellungsprozessen von hegemonialen Ordnungen und machtvollen Verhältnissen. Vor diesem Hintergrund ist die Frage zu diskutieren: Inwiefern trage ich als Forschende zu Othering und zur Festigung dominanter Verhältnisse hegemonialer Ordnungen in der Forschung, der Analyse und der Ergebnisdarstellung bei? Die hier vorgenommenen Analysen erfolgen aus einer im interdependenten Machtgefüge vergleichsweise privilegierten und machtvollen gesellschaftlichen Positionierung von mir als Forschende_r (ausführlich dazu Kapitel 5.4). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass sich in den vorgenommen Analysen auch Brüche, Einseitigkeiten, Leerstellen und Überbetonungen befinden, die meiner Perspektivität als Forscher_in geschuldet sind. Beispielsweise kann die relativ ähnliche Positioniertheit zu den hier fokussierten Pädagog_innen dazu führen, deren Perspektiven ›zu sehr verstehend‹ nachzuvollziehen und damit Othering gar nicht zu sehen oder zu verharmlosen – oder eben auch dazu, besonders kritisch damit umzugehen, jedoch die eigene Involviertheit und die eigenen Privilegien (auch im analytischen Umgang mit Othering) dabei zu vernachlässigen bzw. nicht zu berücksichtigen.

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Diesbezüglich ist meine Rolle als Forscher_in kritisch zu betrachten und die Möglichkeiten und Bedingungen des Forschens sind denen des pädagogischen Handelns der Pädagog_innen gegenüberzustellen. Ohne den Handlungsdruck, dem die Pädagog_innen in der Umsetzung des Projekts und in alltäglichen Interaktionen immer wieder aufs Neue ausgesetzt sind, und aus einer distanziert beobachtenden Perspektive konnte ich die Analyse des empirischen Materials (und deren Praktiken) vornehmen. Dadurch verfügte ich über ungleich mehr Möglichkeiten zur reflektierenden Betrachtung und war diesbezüglich in einer deutlich privilegierteren, zugleich aber auch machtvollen Position, mit der Option, die Praktiken der Pädagog_innen – einseitig – beurteilen und ›durchforschen‹ zu können. Darüber hinaus waren die Praktiker_innen durch das Forschungssetting und die wissenschaftliche Begleitung des Projekts in gewisser Weise auch unter Druck, das Projekt gut umzusetzen oder sich als gute Pädagog_innen in den Projekteinheiten oder in den Interviews zu präsentieren. So wurden der potenzielle Handlungsdruck durch die anwesenden Forscher_innen bzw. den Forschungskontext in den beschriebenen Situationen zum Teil noch verstärkt und so möglicherweise (die beschriebenen) Otheringprozesse noch gepusht und herausgefordert. Um verschiedene Macht- und Herrschaftsverhältnisse und die eigene Involviertheit im Forschungsprozess berücksichtigen zu können, und auch, um mögliche Einseitigkeiten und Auslassungen diesbezüglich im Analyseprozess reflektieren zu können, haben sich die intersektionale Analyseperspektive und die damit verbundenen heuristischen Fragen (vgl. Kapitel 4) als hilfreich bewährt: zum einen, um die Oberfläche der sich in der Beobachtung, den Beobachtungsprotokollen oder auch im Interviewtransskript präsentierenden Daten zu Praxen und Diskursen ›aufzubrechen‹, sich dieser unter einer dominanzkritischen deskonstruktivistischen Perspektive anzunähern, hegemoniale Verhältnisse und Differenzkonstruktionen in ihren widersprüchlichen Überlagerungen und kontextuellen Verstrickungen ›aufzudröseln‹ und so der Analyse zugänglich zu machen. Zum anderen ermöglichten sie einen erweiterten Blick auf die Funktionsweisen und Mechanismen des Othering, sodass herausgearbeitet werden konnte, dass Othering gerade durch das Zusammenwirken seine normalisierende, ausgrenzende und unterwerfende Wirkung erhält. Das dekonstruierende und die Selbstverständlichkeit der Perspektive hinterfragende Instrument war im Forschungsprozess immer wieder nützlich, um den forschenden Blick und damit verbundene Vorannahmen hinterfragen zu können, zu korrigieren und neue Perspektiven einnehmen zu können. Ebenso konnten Begleiteffekte der Forschung unter einer machtbezogenen Perspektive analysiert werden.

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Und dennoch: Trotz dieser fruchtbaren Perspektiven und des analytischen Potenzials zeigen sich hinsichtlich der Komplexität der Machtverhältnisse und deren empirischer Interdependenzen Grenzen in der Umsetzbarkeit der intersektionalen Analyseperspektive, da sie in der konkreten Analyse dieser Vielschichtigkeit nicht immer gerecht werden kann. Es ist davon auszugehen, dass im konkreten Forschungsprozess nicht alles gesehen wird und Einseitigkeiten in der Analyse bleiben (die wiederum nicht zufällig, sondern auch standortbedingt sind). So ist beispielsweise in den vorliegenden Studien auf Klassenverhältnisse bzw. klassistisch markierte Zuordnungen oder Zuschreibungen vergleichsweise wenig eingegangen worden, ebenso auf Überlagerungen von Klassekonstruktionen und Rassismus, von Körper und Klasse oder auf die Bedeutung von nationalstaatlichen Grenzen für Othering. Hier stellt sich nur rhetorisch die Frage, ob diese im fokussierten Untersuchungsfeld nicht vorgekommen sind oder eben ›nur‹ von mir – aus meiner jeweils standortbedingten und theoretisch mehr oder weniger sensibilisierten Forschungsperspektive – nicht hinreichend gesehen und für die Analyse berücksichtigt wurden. An diesem Beispiel, das auf die Problematik von ungleichzeitigen und ungleichen Aufmerksamkeiten im Forschungsprozess verweist, zeigen sich auch methodische Herausforderungen der intersektionalen Analyse, die insbesondere in der ethnographischen Forschung relevant werden: Das, was durch den Akt der Beobachtung nicht gesehen bzw. wahrgenommen und nicht festgehalten wurde, ist der späteren Analyse kaum mehr zugänglich. So kam es in diesem, sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Forschungsprozess durch die zunehmende Schärfung eines intersektionalen Blicks zu Aufmerksamkeitsverschiebungen und Perspektivenerweiterungen. Diese Erweiterung in der Forschungsperspektive bildete sich jedoch nur teilweise im bereits erhobenen Material ab. Und so ist es im Nachhinein äußerst schwierig, in diesen Daten bestimmte Formen der Adressierungen, Kategorisierungen und Normalitätskonstruktionen zu entdecken, die zuvor nicht beobachtet und dokumentiert wurden. Die Herausforderung, nicht zu wiederholen, was kritisiert werden soll Angesichts der Herausforderung, Othering, als Gegenstand der (kritischen) Analyse, nicht im Forschungsprozess zu reproduzieren und in der herrschaftssichernden und subjektivierenden Wirkung zu verdoppeln, ist nicht nur selbstkritisch zu fragen, inwiefern ich durch Hervorhebungen oder Auslassung zu Othering beitrage, sondern auch: Inwiefern wiederhole ich das, was ich kritisiere? Es stellt sich also hier die Frage, wie im Forschungskontext zu Othering hegemoniale Dominanzordnungen wiederholt und produziert oder auch problematisiert

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und verschoben werden können. Oder ob es gelingen kann, die Prozesse und Strukturen, durch die bestimmte Menschen zu Anderen gemacht werden, zu dekonstruieren und die Kontexte, Strukturen und Herstellungsprozesse herauszuarbeiten, damit sie in ihren Effekten entlarvt werden können. Die Wirkkraft der Reproduktion zeigt sich beispielsweise bereits schon bei der Vorgabe eines bestimmten Themas im Forschungssetting, wie z.B. die Frage nach der Relevanz von Vielfalt und Ausgrenzung in der pädagogischen Arbeit als Erzählaufforderung der in den Studien relevanten Gruppendiskussion. Die ambivalente Problematik von Thematisieren oder Nicht-Thematisieren von Differenz stellt also auch eine Herausforderung für die Forschung dar: Inwieweit werden durch das Forschungssetting, die Forschungsfrage bzw. die Fragen an die Informant_innen nicht bereits Differenzen und Othering erzeugt oder einseitige Perspektiven nahegelegt? So bestand bereits schon in der Gestaltung der Forschungssituation trotz des Bemühens, diese als ›offen‹ anzulegen, die Gefahr, dass dominante Kategorisierungen, Grenzziehungen und Diskurse des Othering im Forschungsprozess reproduziert wurden. Es stellte sich in der Analyse der in den Studien relevanten Gruppendiskussion mit einem Team von Jugendarbeiter_innen zunehmend die Frage, ob das hier herausgearbeitete ›Sprechen über Andere‹ durch das Forschungssetting nicht erst herausgefordert wurde und somit diese Form der Datenerhebung potenziell zur Reproduktion und Festigung von vorherrschenden subjektivierenden, ausgrenzenden und normalisierenden Diskursen und Othering beiträgt. Diesbezüglich ist die narrative Ausrichtung einer Gruppendiskussion als ambivalent zu betrachten: Einerseits stellt die Gruppendiskussion eine adäquate Methode dar, um die Art und Weise der Thematisierung von Diversität, Ausgrenzung, Macht und Ungleichheit in einer Gruppe von Angehörigen einer pädagogischen Profession zu erforschen und Erkenntnisse über kollektive Orientierungs- und Deutungsmuster zu gewinnen (vgl. Bohnsack 1993, Loos/Schäffer 2001). Andererseits wird durch die narrative, wenig von außen eingreifende Interviewform nicht nur die Selbstläufigkeit der Diskussion gefördert, sondern gleichzeitig auch dominierenden Sprecher_innen und Diskursen Raum gegeben. Dabei besteht die Gefahr, dass vorherrschende Positionierungen und populäre Meinungen – wie auch in diesem Fall – die Gesamtdiskussion dominieren. Dies ist zwar für die Analyse erkenntnisreich. So konnte herausgearbeitet werden, dass auch der pädagogische Diskurs nicht vor essentialisierenden Zuschreibungen und Otheringprozessen Halt macht. Gleichzeitig wurde aber auch einem rassistischen und heteronormativen Diskurs eine Plattform zur Darlegung, Festschreibung und Tradierung gegeben. Eine weitere Problematik liegt in der Art der Thematisierung und Benennung: Auch wenn der Versuch unternommen wurde, die Eingangsfrage möglichst offen zu formulieren, legt die

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Frage nach Erfahrungen mit Differenz und Vielfalt vor dem Hintergrund vorherrschender Diskurse und Repräsentationen bereits bestimmte Kategorisierungen und Deutungsmuster nahe und ist womöglich gar nicht so ›offen‹. Durch sie wird möglicherweise schon herausgefordert, an vorherrschende Diskurse und Kategorisierungen anzuknüpfen und Menschen mit Verweis auf Differenzen zu Anderen zu machen. Nicht zuletzt werden in der Forschungssituation solche Diskurse in ihrer Wiederholung zu Fachwissen gemacht und Herrschaftswissen sowie hegemoniale Dominanz- und Zugehörigkeitsordnungen weiter gefestigt. Allerdings können diese ausgrenzenden und abwertenden Diskurse – auch wenn sie sich wie in diesem Fall durch das ›Sprechen über Nicht-Anwesende‹ auszeichnen – zu Verletzungen bei anwesenden Diskussionsteilnehmer_innen führen, die damit indirekt auch adressiert werden oder sich als Andere angesprochen fühlen. Sie sind im Rahmen der Gruppendiskussion und in einem fachlichen und kollegialen Kontext erneut mit den ständig wiederkehrenden diskriminierenden Diskursen und Minorisierungserfahrungen konfrontiert – gleich, wie sie sich selbst dazu in der Gruppendiskussion verhalten. So kann es in der Forschungssituation zu erneuten Otheringerfahrungen kommen.35 Diese Gefahr der Reproduktion von hegemonialen Perspektiven und vorherrschenden ausgrenzenden und abwertenden Diskursen und Deutungsmustern besteht also auch bei auf Offenheit abzielenden Forschungsmethoden. Dieser kann allenfalls durch gezielte Interventionen in der Interviewsituation begegnet werden, durch die die vorgenommenen Kategorisierungen und Deutungsmuster in ihrer Selbstverständlichkeit infrage gestellt werden: entweder durch andere Diskussionsteilnehmende im Verlauf der Gruppendiskussion oder durch kritische Nachfragen vonseiten der Interviewführung gegen Ende des Interviews.36 Eine weitere Herausforderung in der Forschung zu Othering, insbesondere im Hinblick auf die Reproduktion von abwertenden, unterwerfenden, ausgrenzenden und normalisierenden Diskursen, liegt auch in der Präsentation der Ergebnisse. Hier, wie auch in der Dokumentation des Forschungsprozesses, kann

35 Solche Diskussionen können in Teams unterschwellige Konflikte, Abwertungen und Hierarchisierungen tangieren und offen legen. Diese bedürfen einer weiteren Bearbeitung, was jedoch in der Regel im Rahmen der Gruppendiskussion nicht geleistet werden kann – oder aufgrund der Normalität der Dominanzordnungen eben erst gar nicht bemerkt wird. 36 Peter Loos und Burkhard Schäffer bezeichnen diesen an die narrativen Erzählungen sowie den immanenten und exmanenten Nachfrageteil anschließenden Teil des Interviews als »direktive Phase«, in der direkt und auch konfrontativ Widersprüche und Inkonsistenzen angesprochen werden können (vgl. dazu Loos/Schäffer 2001: 54).

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es zu einer Reproduktion dieser Diskurse kommen, indem diese erneut dargestellt und perpetuiert werden. Denn für die Analyse und die Ergebnispräsentation ist es notwendig, die diesbezüglichen Diskurse und Praktiken – in Zitaten – darzustellen, sodass sie rekonstruiert – und auch dekonstruiert werden können. Gerade dieser für die intersubjektive Validierung und Nachvollziehbarkeit notwendige Schritt (vgl. Steinke 2007) trägt zu einer weiteren Artikulation und Wiederholung von ausgrenzenden und abwertenden Diskursen bei. Der Problematik des erneuten Festschreibens und Wiederholens rassistischer, heterosexistischer und anderer abwertender, ausgrenzender oder unterwerfender Artikulationen ist zwar durch eine kritische und dekonstruktive Analyseperspektive zu begegnen, allerdings bleibt das Problem der Wiederholung, die für Diskriminierungserfahrene zu Verletzungen führt, und gleichzeitig diesen Diskursen – wenn auch in kritischer Absicht – eine weitere Präsentationsplattform zu bieten. In diesem Zusammenhang wurde versucht, unnötige Wiederholungen und beschreibende Darstellungen von Othering zu vermeiden, hingegen den dekonstruktivistischen Blick auf die solchen Prozessen zugrundeliegenden Strukturen sowie auf die herrschaftssichernden oder auch verändernden Folgen zu richten. Die Notwendigkeit und Herausforderung liegt darin, die Perspektive der Dekonstruktion und Kritik in der Analyse stark zu machen und Raum zu geben. Repräsentationen: Wer steht im Fokus und wer verbleibt im Hintergrund? Wie bereits deutlich wurde, kann Othering auch durch Prozesse des Auslassens, der De-Thematisierung oder des ›Zum-Schweigen-Bringens‹ erfolgen, auch im Forschungsprozess. Dadurch, dass aufgrund des Erkenntnisinteresses die Praktiken von Pädagog_innen im Vordergrund standen, ist es dazu gekommen, dass diejenigen, die – u.a. durch diese Praktiken – zu Anderen gemacht wurden, aus dem Blick gerieten. In der vorliegenden Analyse werden die in diesem Bildungssetting ohnehin mit vergleichsweise viel Macht ausgestatteten Pädagog_innen und deren Praktiken beleuchtet und auch deren Verstrickungen in institutionelle Zwänge zu erklären versucht. Allerdings besteht bei dieser einseitigen Fokussierung die Gefahr, Othering insofern zu reproduzieren, als dass die Perspektiven und die Subjektivität von denjenigen Personen ausgeblendet und ignoriert werden, die zu Anderen gemacht werden, und dabei das Bild der ›passiv erleidenden Opfer‹ zu bedienen, deren Situation jedoch aus einer hegemonialen Perspektive nicht weiter von Interesse ist. Deshalb wurde in den vorhergehenden Analysen immer wieder versucht, wenn auch nur vereinzelt umgesetzt, ebenfalls die Perspektiven der adressierten Jugendlichen in den Blick zu rücken und sie als handelnde, und nicht nur reagierende Subjekte wahrzunehmen und sichtbar zu ma-

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chen. Vor diesem Hintergrund wird auf einer allgemeineren Ebene der Frage nachgegangen, wie Kritik und Widerstand für Jugendliche in durch Othering geprägten Bildungssettings möglich ist und welche Strategien sie wählen. Durch den Fokus des Erkenntnisinteresses auf Mechanismen und Funktionsweisen von Othering im Bildungskontext und auch aufgrund der Art des empirischen Materials und des methodischen Vorgehens (das sich hier v.a. auf teilnehmende Beobachtungen, Gruppendiskussionen, nur vereinzelt auf Interviews stützt) blieb jedoch unweigerlich die Berücksichtigung der subjektiven Handlungsgründe der Agierenden (sowohl von den Jugendlichen, als auch den Pädagog_innen) außen vor und die Bezugnahme auf deren Subjektivität trat in den Hintergrund. Die Analyse erfolgt diesbezüglich aus einer Außenperspektive bzw. einem Außenstandpunkt mit der Gefahr, die Akteur_innen auf ihr Handeln festzuschreiben und auch die Widersprüchlichkeit ihres Handelns, innere Konflikte und Widersprüche sowie Gründe für affirmatives bzw. widerständiges Verhalten weitgehend unberücksichtigt zu lassen. Auf diese Aspekte wird jedoch – unter einer stärker subjektwissenschaftlichen Perspektive – im nächsten Kapitel bei der Analyse von Transformations- und Bildungsprozessen von Pädagog_innen im Kontext von Bildungssettings eingegangen, die Othering kritisch thematisieren, aber auch reproduzieren. Allerdings bleibt auch hier der Fokus auf die Pädagog_innen beschränkt.

7. Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen III: Reflexions- und Bildungsprozesse von Pädagog_innen – Empirische Studien

Nachdem im vorherigen Kapitel Diskurse und Praktiken des Othering im Rahmen pädagogischer Settings und Interaktionen im Fokus des Forschungsinteresses standen, wird nun der Aspekt der Reflexion und Veränderung in den Mittelpunkt gerückt: Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern und in welchen Konstellationen und Kontexten es in der Auseinandersetzung mit Differenzen und Ungleichheiten bei Pädagog_innen nicht nur zu Praktiken kommt, die vorherrschende Deutungs- und Handlungsmuster reproduzieren, sondern auch zu Veränderungen im Sinne eines veränderten und/oder verändernden Denkens und Handelns und mit welchen Herausforderungen und Widersprüchen dies verbunden ist. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden Reflexions-, Veränderungsund Bildungsprozesse von Professionellen in den Blick genommen, ebenso damit verbundene (Lern-)Widerstände und Widersprüche. Diese Prozesse werden im Rahmen der beiden Bildungs- und Präventionsprojekte (vgl. Kapitel 5) untersucht. Damit beziehen sich die Studien zu Transformationsprozessen von Pädagog_innen auf einen Bildungskontext, der sich explizit mit den Themen Diversität, Diskriminierung und v.a. Alltagsrassismus beschäftigt und selbst als Bildungsprojekt einen Anspruch auf eine diesbezügliche Sensibilisierung sowie Reflexionen und Veränderungen bezüglich ausgrenzender und normalisierender Diskurse und Handlungsmuster hat. Die an diesen Projekten beteiligten Pädagog_innen nahmen in Bezug auf Bildung verschiedene Rollen ein: Zum einen waren sie Vermittler_innen und Umsetzende des Projekts mit den Jugendlichen; zum anderen Teilnehmende der begleitenden Weiterbildungs-Workshops, in denen die Projekte konzeptionell, theoretisch, methodisch eingeführt und vorbereitet wurden und darüber hinaus Raum zur Reflexion der bereits durchgeführten

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Module sowie der eigenen Haltung und Praxis bestand. Zudem gab es Unterschiede zwischen den Pädagog_innen dahingehend, dass sie aus verschiedenen pädagogischen Kontexten, der Schule und der Jugendarbeit,1 kamen und im gesellschaftlichen Kontext unterschiedlich sozial positioniert2 sind. Darin spiegeln sich gesamtgesellschaftliche Dominanzverhältnisse wider. Beides ist für die Konstellation des Bildungssettings bedeutsam und in die Analyse von Bildungsprozessen einzubeziehen. Die im Folgenden rekonstruierten Veränderungsprozesse von Pädagog_innen sind also in diesem Kontext zu betrachten. Sie basieren auf dem empirischen Datenmaterial von teilnehmenden Beobachtungen bei den Weiterbildungen, Reflexionsgesprächen, Projektnachtreffen und bei der Durchführung der Projekte mit den Jugendlichen sowie von Protokollen der Pädagog_innen. Eine bedeutende Grundlage der Analyse stellen darüber hinaus leitfadengestützte Interviews mit den Pädagog_innen dar, die nach Projektende (zwischen zwei Wochen und mehreren Monaten später) durchgeführt wurden. Die Analyse beruht also auf verschiedenen qualitativen Datensorten, was unterschiedliche Perspektiven auf mögliche Transformationsprozesse eröffnet.

1

In Projekt 1, das im Schweizer Kontext und im Rahmen des Forschungsprojekts »Prävention von Rechtsextremismus und ethnisierter Gewalt in Schulen« situiert war, wurde die Intervention jeweils von einer Lehrperson in ihrer Klasse durchgeführt. In Projekt 2, das in Deutschland durchgeführt wurde und explizit als Kooperationsprojekt von Jugendarbeit und Schule konzipiert war, wurde das Interventionsprojekt mit den Jugendlichen jeweils gemeinsam von einer Lehrperson aus der Schule und einer sozialpädagogischen Fachkraft aus der offenen Jugendarbeit oder Schulsozialarbeit umgesetzt.

2

Hierzu ist zu bemerken, dass die am Projekt teilnehmenden Pädagog_innen in ihrer sozialen Zusammensetzung und in ihren gesellschaftlichen Positionierungen ebenso Ähnlichkeiten ausweisen wie Unterschiede. Sie arbeiten alle in mehr oder weniger gesicherten Arbeitsverhältnissen (wobei die der Lehrkräfte deutlich besser bezahlt und abgesichert sind) und verfügen über eine akademische Ausbildung. Des Weiteren zeigt sich eine Weiße mehrheitsgesellschaftliche Dominanz in der Zusammensetzung der beteiligten Pädagog_innen (und auch der Leitung der Weiterbildung), wenngleich Personen mit und ohne eigene und familiale Migrationserfahrungen, jedoch keine people of color, beteiligt waren. Im Geschlechterverhältnis sind in den jeweiligen Weiterbildungsgruppen Frauen_ deutlich überrepräsentiert. Damit repräsentiert diese Zusammensetzung in etwa auch das Bild der jeweiligen Berufsgruppen und wie darin verschiedene soziale Gruppierungen über bzw. unterrepräsentiert sind.

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Meine Rolle als Wissenschaftler_in war in diesem Forschungszusammenhang nicht die der ›unbeteiligten‹ Beobachter_in und Forscher_in. Sie überlagerte sich mit der Position derjenigen, die das Gesamtprojekt (die schulische Intervention mit den Jugendlichen und die Weiterbildungen) mitkonzipiert hatte und ganz oder teilweise an der Durchführung der Weiterbildungen beteiligt war. In dieser mehrfachen Funktion wurde ich auch von den Pädagog_innen wahrgenommen und adressiert, was sich sicherlich auf deren Aussagen in den Interviews niederschlug. Das heißt, ich war in die Bildungsprozesse, die hier Gegenstand der Rekonstruktion sind, selbst involviert, was einer impliziten und expliziten Berücksichtigung bei der Analyse bedarf. Wenn im Folgenden Bildungs- und Transformationsprozesse rekonstruiert werden, ist des Weiteren zu betonen, dass es sich dabei nicht um eine Evaluation der Projekte oder der Weiterbildung handelt. Vielmehr wird der Frage nachgegangen, inwiefern und in welcher Weise es im Rahmen der Beteiligung am Gesamtprojekt zu Veränderungen in den Orientierungs-, Deutungs- und Handlungsmustern der Pädagog_innen gekommen ist. Dazu wurden zum einen die retrospektive Betrachtung des Projekts und die Einschätzung der Pädagog_innen bezüglich eigener Veränderungsprozesse analysiert, zum anderen wurden Situationen und Interaktionen aus dem Projektkontext beleuchtet, durch die (möglicherweise) Transformationsprozesse bei den beteiligten Pädagog_innen angestoßen wurden und/oder an denen sich Irritationen oder Widersprüche offenbarten und/oder ein Perspektivwechsel sichtbar wurde. Auch wenn es schwierig ist, vollständige Bildungsprozesse zu rekonstruieren (vgl. Koller 2012a, Kapitel 4), ist es möglich, an einzelnen Situationen Momente jener Verläufe zu beleuchten und diese hinsichtlich ihres Beitrags für das Gesamt des Bildungs- und Veränderungsprozesses zu befragen. Dabei konnte herausgearbeitet werden, inwiefern die jeweiligen gesellschaftlichen Positionierungen und professionellen Hintergrundkontexte der Pädagog_innen für Bildungs- und Reflexionsprozesse bedeutsam sind und in welchen Konstellationen oder Kontexten diese eher (Bildung) ermöglichend oder eher (Bildung) erschwerend bzw. behindernd sind. Im Folgenden werden zunächst Reflexionen von Pädagog_innen zu Veränderungen in ihrem Denken und Handeln sowie zu erfahrenen Schwierigkeiten und neuen Herausforderungen durch ihre Teilnahme am Projekt nachgezeichnet und diskutiert (7.1). Danach werden an zwei Fallanalysen Transformationsprozesse von Pädagog_innen rekonstruiert und diese hinsichtlich der jeweiligen Möglichkeitsräume und mit Blick auf die jeweilige Involviertheit in Dominanzverhältnisse sowie in unterschiedliche Professionskulturen analysiert (7.2). Auf diesen empirischen Analysen basierend erfolgt anschließend eine theoretisierende Betrachtung der herausgearbeiteten Bildungs- und Transformationsprozesse im

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Kontext hegemonialer Dominanzverhältnisse und widersprüchlicher Bildungskontexte (7.3), und es werden die Potenziale und Herausforderungen von Kooperationen für Lern- und Bildungsprozesse reflektiert (7.4). Abschließend wird der Forschungsprozess einer Reflexion unterzogen (7.5).

7.1 V ERÄNDERUNGEN – R EFLEXIONEN VON P ÄDAGOG _ INNEN ÜBER EIGENE L ERNPROZESSE Die am Projekt beteiligten Pädagog_innen berichteten während des laufenden Projekts und im Rückblick von verschiedenen Anregungen, die sie durch die Beschäftigung mit dem Thema, der Umsetzung des Projekts und der diesbezüglichen Auseinandersetzung mit den Jugendlichen sowie den Kolleg_innen in der Weiterbildung erhielten und die ihres Erachtens zu Veränderungen geführt haben. Sie berichteten ebenso von Schwierigkeiten und Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert waren. In der Analyse dieser Reflexionen zeigt sich, dass kritische Reflexionen mit hegemonialen Denkweisen einhergehen und Prozesse der Veränderung und der Reproduktion ineinandergreifen, sodass die angeregten und in Gang gekommenen Transformationsprozesse widersprüchlich sind. Es stellt sich die Frage, in welcher Weise die Pädagog_innen in ihren Reflexionen dabei vorherrschende Verhältnisse aufgreifen und kritisch oder reproduktiv Bezug nehmen und inwiefern diese Veränderungen gesellschaftlich oder kollektiv gerahmt werden. Von der Schwierigkeit, die eigene Praxis zu reflektieren Zunächst ist anzumerken, dass es den Pädagog_innen z.T. schwergefallen ist, über eigene Lern- und Veränderungsprozesse im Rahmen eines Interviews laut nachzudenken. Jenseits der Schwierigkeit, eigene Transformationen reflexiv zu erinnern und zu berichten, kann ein Grund für dieses Phänomen im professionsspezifischen Habitus von Pädagog_innen liegen, deren Selbstverständnis v.a. im Lehren, Vermitteln oder der Unterstützung von Schüler_innen oder Jugendlichen in deren Bildungsprozessen liegt. Es ist möglich, dass sich das bereits herausgearbeitete habitualisierte ›Sprechen über die Anderen‹ auf die Reflexion über Veränderungsprozesse niederschlug. Dies dokumentierte sich in verschiedener Weise. So fiel es den Pädagog_innen beispielsweise leichter, über mögliche Veränderungen bei den Jugendlichen während des Projekts zu sprechen (wobei sie sich hier nicht unbedingt anmaßen wollten, darüber Aussagen zu machen) oder eine evaluative Bewertung des Projekts vorzunehmen, als über mögliche Veränderungen und/oder Schwierigkeiten bei sich selbst zu sprechen. Der primä-

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re (pädagogische) Blick auf die Anderen – die Schüler_innen – sowie die Verstrickung in die vorherrschende Lehr-Lern-Anordnung scheint Pädagog_innen und v.a. Lehrer_innen eine reflexive Auseinandersetzung mit eigenen pädagogischen Praktiken (und deren Folgen), mit Möglichkeiten der Veränderung derselben und somit auch mit eigenen Lernpraktiken und Lernprozessen zu erschweren, wenn nicht sogar zu verhindern. Dies wurde v.a. bei Lehrer_innen deutlich, die in diese Lehr-Lern-Anordnungen im formalen Bildungskontext Schule stärker verstrickt sind als beispielsweise Pädagog_innen aus der offenen Jugendarbeit. Ein weiterer Anhaltspunkt für die Fokussierung auf pädagogisches als vermittelndes Handeln und das damit verbundene professionelle Selbstverständnis dokumentiert sich in der positiven Evaluation (nicht Reflexion!) hinsichtlich des Erwerbs von methodischen Kenntnissen im Projekt. In den Interviews haben die Befragten mehr oder weniger durchgehend hervorgehoben, dass sie durch das Projekt eine Vielzahl von Methoden und Übungen sowie didaktische Anregungen für die Arbeit mit Jugendlichen kennenlernen und v.a. auch umsetzen konnten, was sie als unmittelbaren Gewinn für ihr berufliches Handeln betrachten. Die Erweiterung des Methodenrepertoires, wiederum mit Blick auf den Nutzen für die Bildung von Anderen, stellt für die beteiligten Pädagog_innen eine wichtige didaktische Ressource dar. Allerdings handelt es sich dabei mehr um Aneignungsprozesse von technologischem Know-how als um Reflexions- oder Bildungsprozesse die eigene Haltung oder Praxis betreffend. Denn eine pragmatische Verwertung und Umsetzung von neuen methodischen Impulsen muss nicht notwendigerweise mit Veränderungen der eigenen Orientierungs- und Handlungsmuster verbunden sein. Methoden und Sensibilisierungsübungen können auch so umgesetzt werden, dass sie unreflektiert an die bisherigen Denk- und Handlungsschemata angepasst werden. Wie bereits im vorherigen Kapitel an verschiedenen Fallkonstellationen herausgearbeitet wurde, kann eine unbedachte Umsetzung von Methoden und Übungen, die weder soziale Kontexte noch Machtkonstellationen berücksichtigt, gegenteilige bzw. unbeabsichtigte Effekte mit sich bringen und Othering auch im Kontext von solchen Projekten hervorbringen bzw. reproduzieren. Eine Erweiterung und Aneignung des Methodeninventars ohne die Reflexion der dahinterstehenden Intentionen, der jeweiligen Kontexte sowie möglicher Folgen und ohne das Vermögen, darauf reflektierend reagieren zu können, bedeuten also noch nicht Lernen oder Bildung. Jedoch kam es im Verlauf des Projekts durchaus zu Veränderungen und es wandelte sich der Blick einiger Pädagog_innen auf die eigene Rolle und das eigene Involviertsein in Bildungsprozesse. So erlebten sich Lehrer_innen, die ihre Aufgabe im Projekt zunächst als Vermittler_innen der Inhalte an ihre Schü-

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ler_innen sahen oder deren Beteiligung v.a. mit dem Bedarf bei den Schüler_innen bzw. Klassen begründet wurde, zunehmend selbst als Subjekte des Lernens, als Personen, die durch das Projekt herausgefordert wurden, über ihre Sicht- und Handlungsweisen nachzudenken. Am Ende des Projekts, bei einem Nachtreffen der Pädagog_innen, wurde dies von einem Lehrer wie folgt zum Ausdruck gebracht: »Ich weiß nicht, was es für die Schüler gebracht hat, aber ich hab’ auf jeden Fall viel mitgenommen.« (Nachtreffen Pro1_2) Der Fokus wird in dieser Bilanzierung, von den Schüler_innen weg, auf sich selbst gerichtet. In den Interviews wurden weitere Veränderungsprozesse angesprochen, die in verschiedener Hinsicht auf Reflexions- und Lernprozesse hinweisen. Damit einher gehen z.T. gegenläufige Prozesse oder es dokumentiert sich ein gleichzeitiges bzw. nach wie vor bestehendes Verhaftetsein in hegemoniale Diskurs- und Denkmuster sowie Machtverhältnisse. Sensibilisierung gegenüber verschiedenen Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung In den Interviews konstatieren die Pädagog_innen als ein Resultat der Teilnahme am Projekt, dass sie selbst sensibler gegenüber den Themen Ausgrenzung und Diskriminierung geworden sind. So berichten einige der beteiligten Pädagog_innen, dass sie durch die Auseinandersetzung mit dem Projekt und dem Thema ›Diversität und Ausgrenzung‹ einen offeneren, aber auch geschärften Blick für alltägliche Ausgrenzungsprozesse sowie für deren Präsenz in ihrem Arbeitsfeld, der Schule bzw. Jugendarbeit, bekommen haben. Sie heben ebenso hervor, dass sie nun aufmerksamer gegenüber subtileren Formen der Ausgrenzung und Gewalt seien. Wenngleich dabei das Thema Rassismus im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, werden in deren Ausführungen auch Homo- und Transphobie, Sexismus sowie andere Formen der Diskriminierung aufgrund von Armut, Körperpräsentationen oder Schulform genannt.3 Ebenfalls – so ihre Selbsteinschätzungen – sind sie zunehmend aufmerksamer gegenüber Unterdrückungs- und Ausgrenzungserfahrungen von Schüler_innen geworden. Einige Pädagog_innen folgerten daraus, dass sie die gemeinsame Projektarbeit den Jugendlichen nähergebracht habe. Sie waren

3

Diese Öffnung des Fokus entsprach auch der Projektausrichtung, die Alltagsrassismus in den Mittelpunkt rückte, wobei durchgehend ebenso Bezug auf andere Diskriminierungs- und Unterdrückungsverhältnisse genommen wurde. Die intersektionale Betrachtung von Diversität und Ungleichheit wurde dabei intendiert und methodisch sowohl in dem Projekt mit den Jugendlichen als auch in der Weiterbildung berücksichtigt und umgesetzt

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über sich selbst erstaunt, wie wenig sie bisher von ihren Schüler_innen und deren Erfahrungen wussten und darüber, welch große Relevanz das Thema Rassismus und Ausgrenzung – zumindest für einige der Jugendlichen – im alltäglichen Leben hat. So schreibt ein Lehrer ungefähr zwei Monate nach Beginn des Projekts in einem Protokoll: »Zudem tauchen plötzlich immer mehr solche aktuellen Vorfälle aus dem Umfeld der 4

Sch. auf, dies zeigt mir, wie unwissend wir L. doch häufig sind!« (pro5-cwaa)

Darüber hinaus berichten Pädagog_innen davon, dass von den Jugendlichen bei der Projektarbeit, im Jugendhaus- oder Unterrichtsalltag oder im persönlichen Gespräch immer mehr Fälle und Erlebnisse von Ausgrenzung und Diskriminierung thematisiert wurden: konkrete Diskriminierungs- und Diffamierungserfahrungen von Schüler_innen durch andere Jugendliche oder durch Lehrpersonen. Dies ist vor dem Hintergrund dessen, dass Pädagog_innen Rassismuserfahrungen ihrer Adressat_innen oft nicht sehen (wollen), ignorieren oder verharmlosen (vgl. Melter 2006), eine bedeutsame Entwicklung. Ein solcher Perspektivenwechsel führte allerdings nicht dazu, dass die Themen Ausgrenzung und Gewalt einseitig als Probleme von Jugendlichen und deren Umfeld gesehen wurden, es rückten verstärkt sowohl strukturelle Ursachen als auch die Existenz von manifester und latenter Gewalt und Diskriminierung in der Institution Schule ins Blickfeld. Allerdings waren die sensibilisierte Wahrnehmung solcher Vorkommnisse und das konkrete Wissen um Rassismus, Diskriminierung und Gewalt als Erfahrungen von Jugendlichen in pädagogischen Einrichtungen für die Pädagog_innen mit neuen Anforderungen verbunden. Es stellte sich für sie die Frage, wie sie nun beispielsweise mit dem Wissen um diskriminierende und herabwürdigende Praxen von Kolleg_innen adäquat umgehen sollten. Dabei zeigten sich die Einbindung in den Projektkontext und die Möglichkeit der Thematisierung solcher Herausforderungen im Rahmen der begleitenden Workshops als hilfreich. Hier wurden zunehmend diskriminierendes oder demütigendes Verhalten sowie Machtmissbrauch durch andere Lehrpersonen thematisiert.5 Der Austausch mit

4

Abkürzungen im Original.

5

Beispielsweise wurde in Projekt 1 von einer Lehrerin ein Vorfall, von dem die Schüler_innen im Rahmen des Projekts berichtet hatten, an die Projektverantwortlichen herangetragen und später in die Weiterbildung eingebracht: Eine andere Lehrperson zwang als Disziplinarmaßnahme einen Schüler, sich bis auf die Unterhose auszuziehen. Dieser Vorfall lag schon über ein Jahr zurück, fand jedoch in der gleichen Schule

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den anderen Pädagog_innen sowie mit den Leiter_innen und Referent_innen der Weiterbildungsveranstaltungen boten eine geeignete Plattform zur Reflexion und Erarbeitung möglicher Handlungsoptionen sowie des Involviertseins in diverse machtvolle Verhältnisse und Strukturen. Einige der Professionellen konstatieren, dass sie durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema Rassismus und Ausgrenzung im Projektkontext nicht nur sensibler, sondern auch kritik- und handlungsfähiger geworden seien. Sie würden nun über mehr Mut und Know-how verfügen, um in alltäglichen diskriminierenden Situationen Stellung zu beziehen, einzugreifen und ihres Erachtens adäquat zu handeln. So berichtet eine Lehrerin beim Nachbereitungstreffen: »Ich mache jetzt den Mund auf, wenn Sachen passieren, die ich so nicht stehen lassen will. Neulich hat wieder mal ein Kollege einen blöden und eigentlich schon rassistischen Kommentar über Mädchen mit Kopftuch gemacht. Und da hab’ ich dann gesagt: Überleg 6

dir mal, was du da sagst. Das hätte ich früher wahrscheinlich so nicht gemacht.«

Solche Aussagen und Berichte von Situationen, in denen sie das Verhalten von Anderen hinterfragten und konkret in dieses eingriffen, erfolgten in ähnlicher Weise von verschiedenen Pädagog_innen. Sie verwiesen dabei auf Veränderungen in ihrem Tun und präsentierten sich nun als kritisch und intervenierend gegenüber diskriminierenden Situationen. Dies verweist auf Transformationen, die das konkrete Handeln als solches betreffen, die aber gleichzeitig auch potenziell die Situation oder Verhältnisse verändernden Charakter haben. Hier zeigt sich eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten und der Handlungsfähigkeit. Allerdings ist dieses eingreifende und gegenüber vorherrschenden Meinungen und Praxen kritische Handeln nicht immer einfach und durchaus mit Widersprüchen verbunden (s.u.). Beispielsweise können solche Selbstpräsentationen ebenso dazu dienen, sich von anderen (Kolleg_innen) abzugrenzen, indem das eigene Bewusstsein und die erworbene Kompetenz hervorgehoben werden und sich

statt, an der die betreffende Lehrperson unterrichtete und war bis zu dem Zeitpunkt nicht bekannt geworden. Ein anderer Lehrer berichtete im Rahmen der Weiterbildung von einem Vorfall eines körperlichen Übergriffs eines Kollegen auf einen Schüler, nachdem ihm dieser Rassismus vorgeworfen hatte. In dieser Situation griff der Lehrer ein und wollte nun sein Handeln in der Weiterbildung reflektieren. Die Workshops dienten für die (Anliegen zur) Auseinandersetzung mit solchen Vorkommnissen als Plattform, um mögliche Umgangsweisen mit den ›Fällen‹ kollegial zu bearbeiten und Handlungsoptionen und deren mögliche Folgen abzuwägen. 6

Transkription einer Audioaufnahme.

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damit von anderen ›Unwissenden‹ positiv abgesetzt wird. Solche konkurrenzförmigen Profilierungsversuche sind jedoch nicht Verhältnisse verändernd, sondern eher stabilisierend. Reflexion eigener Perspektiven und Praxen Die beteiligten Pädagog_innen berichten darüber hinaus, dass sie sich zunehmend bewusst darüber wurden, wie sehr sie selbst in ausgrenzende Praxen und Strukturen involviert sind. Beim Nachtreffen der Lehrer_innen von Projekt 1 sagt ein Sekundarschullehrer selbstkritisch und mit Bezug darauf, nicht nur den Blick auf die Schüler_innen zu richten: »Es hat auch den Lehrpersonen geholfen, wir machen auch Pauschalisierungen, da muss man sehr aufpassen.«

Diese Aussage verweist auf den schon benannten verändernden Blickwinkel, sich selbst als ›Täter_innen‹ bzw. ›an Rassismus und Ausgrenzung Beteiligte‹ und vor allem als Lernende bzw. sich Verändernde wahrzunehmen – und solche Veränderungsprozesse nicht nur einseitig bei den Adressat_innen der Bildungsarbeit bewirken zu wollen. Andere Pädagog_innen beschreiben die Teilnahme am Projekt und die Weiterbildung als einen Prozess der Bewusstmachung (s.u.), die für sie einen anderen Blick auf die Dinge – konkret auf Dominanz- und Ungleichheitsverhältnisse – ermöglicht hat. Eine Lehrerin formuliert dies wie folgt: »Wenn man in so einem Betrieb drin steckt, merkt man ja vieles nicht mehr. (,) Einfach dieses Rauskommen, sich wieder mal anhören, oder wenn ich nur so einen Film angucke und sage: ja, das stimmt, also so hast du dir das schon lange nicht mehr wieder klar gemacht. Ne? [Mhm] Also einfach diese Bewusstmachung, dieser Bewusstmachungsprozess.« (int3: 630-634)

Mit der Formulierung der Bewusstmachung verweist sie darauf, dass sie die Weiterbildung als Bildungssetting wahrnimmt, das von anderen gestaltet wird, in das sie sich hineinbegibt und von dem sie sich anregen lassen kann. Diese Anregungen greift sie auf und überdenkt in diesem Kontext ihre Perspektiven, sodass es zu einer sich verändernden Bewusstwerdung kommen kann. Durch das Heraustreten aus dem pädagogischen Alltag und das Eingebundensein in (institutionelle) Zwänge und Routinen – so kann diese Aussage weiter gelesen werden – sind solche Prozesse der Reflexion erst möglich. Später im Interview macht sie

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die veränderte Perspektive an einer Erfahrung aus einer Sensibilisierungsübung aus der Weiterbildung fest: »Einfach die Sichtweise. (,) ich erinnere mich jetzt wieder an den Film mit dem Schwarzen und mit der (,) mit der Waschmaschine. Und das man den Schwarzen automatisch als Schwarz rezipiert weil, wenn sie mich fragt, was ist ihnen aufgefallen. Ja, der ist Schwarz. (,) Und dass man aber nicht sagt: ja, die ist Weiß. (lacht) [Aha] Also, also, so, ja manchmal denke (schnippst mit dem Finger) ich: ja (,) das ist diese, diese Selbstverständlichkeit. Immer noch, ne, dass die Weißen die Normalen sind und die Schwarzen eben nicht. Ne.« (int3: 676)

Sie reflektiert kritisch die Selbstverständlichkeit der eigenen und vorherrschenden Sichtweisen bzw. rassistischen Normalitätsvorstellungen, indem sie darstellt, wie sie sich dessen und auch der Omnipräsenz dieser Dominanzperspektive bewusst wurde. Gleichzeitig dokumentiert sich in ihrer Aussage, wie stark sie selbst nach wie vor noch in diesen vorherrschenden Denk- und Ordnungsmustern verhaftet ist. Sie folgt bei der Benennung des Films dieser Logik, indem die als abweichend konstruierte Besonderheit zuerst benannt und hervorgehoben und dann erst die selbstverständliche Norm des Weißseins nachgeordnet hinzugefügt wird. Somit werden die hegemonialen Differenzordnungen und Othering in ihrem Sprechen über veränderte Perspektiven reproduziert. Hier zeigt sich das Herausfordernde, Widersprüchliche und potenziell nie Abgeschlossene solcher Bildungs- und Transformationsprozesse in hegemonialen Verhältnissen. Die verstärkte Sensibilisierung und das geschärfte Bewusstsein bringen diese Pädagogin in ihren Reflexionen jedoch auch dazu, über ihr Involviertsein in Diskriminierung und Othering – im privaten Leben wie im beruflichen Kontext – nachzudenken. Sie konstatiert, dass ›Ausgrenzung‹7 ständig und überall präsent ist, weshalb sie sich dem nicht entziehen kann: »[…] weil ich damit eigentlich immer, immer konfrontiert bin, ja. (.) In meiner Umgebung, jetzt, gut in meiner persönlichen oder privaten Umgebung (...) Wenn man da mal so

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An einer früheren Stelle des Interviews betont sie, dass Ausgrenzung und Diskriminierung – in ganz unterschiedlichen Formen und Bereichen – ein ständiges, allgegenwärtiges Thema sind. Dabei fügt sie hinzu, dass dies jedoch nicht nur auf Rassismus zu reduzieren sei, wobei sie hier sowohl auf die Thematisierungen in der Weiterbildung von Heterosexismus und Klassismus Bezug nimmt sowie auf körper- und schulformbezogene Diskriminierungsdiskurse und Ausgrenzungserfahrungen, die im Alltag der Klasse relevant sind.

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genau nachdenkt, was man für Freunde hat (lacht) [mhm] (..) ähm (...) sind das ja meistens eigentlich auch jetzt welche, die (atmet tief aus) [...] Wenn man an seine Nachbarschaft denkt oder sonst wie, was machst du da grad oder wie (,), wie ist das eigentlich in deinem Kopf auch schon irgendwie, wo grenzt du da eigentlich aus, ne. Also eigentlich muss man sich da schon immer fragen, ne (.) bist du da eigentlich auch gerade am Ausgrenzen, auch wenn du jetzt (,) nach außen hin vielleicht mit dem, mit der Person anders redest, aber ich finde halt das ist ein Thema, eigentlich betrifft es uns ständig, oder (..) dass du einfach das (...) ja, im Kopf haben musst. Und und je mehr du es selber natürlich im Kopf hast, je besser kannst du es natürlich hier auch deinen Schülern vermitteln, ne oder sie darauf aufmerksam machen (..) oder mit den Begriffen umgehen und (,) was ist das denn jetzt eigentlich (,) was ihr da macht (..) [mhm] ja.« (int3: 829-852)

Hinsichtlich ihres eigenen Involviertseins in Ausgrenzungsprozesse stellt sie während ihrer Ausführungen selbstkritische Fragen an ihr privates Umfeld bzw. die Zusammensetzung des Freundeskreises und meint vermutlich, ohne dies zu Ende zu führen, dessen in sozialer und natio-ethno-kultureller Hinsicht exklusive und homogene Zusammensetzung. Im Anschluss denkt sie darüber nach, inwiefern sie in ihrem alltäglichen Denken und Handeln selbst ausgrenzend ist. Sie kommt zu dem Schluss, dass das Thema Ausgrenzung »uns ständig (betrifft)« – womit sie auf eine allgemeine Präsenz und das Involviertsein von allen hinweist. Daraus folgert sie, dass »du es einfach im Kopf haben musst» und plädiert für die Notwendigkeit, sich der Omnipräsenz und der Gefahr der Beteiligung an Prozessen und Verhältnissen der Ausgrenzung und Diskriminierung bewusst zu sein. Dabei verbindet sie das reflexive Nachdenken über die eigene Verstrickung mit Überlegungen zu ihrer pädagogischen Praxis: Sie geht davon aus, dass ihr zunehmendes Bewusstsein gegenüber Ausgrenzung dazu beitragen kann, dass sie ein solches den Schüler_innen besser vermitteln kann, sich also ihr eigener geschärfter Blick positiv auf die Bildungsarbeit mit den Schüler_innen auswirkt. Sie stellt eine Verbindung zwischen der eigenen Sensibilisierung und Bildung und dem Nutzen für eine verbesserte pädagogische Praxis her. In ihren Formulierungen, in denen sie von ›ich‹ und ›du‹ im Singular spricht, zeigt sich jedoch auch eine individualisierte Perspektive auf diese Involviertheit bzw. auf die damit verbundenen Reflexions- und Lernprozesse. Es wird als individuelle und persönliche Aufgabe und Kompetenz betrachtet. Eine andere Lehrerin verweist ebenso auf eine Sensibilisierung und Reflexivität ihres eigenen Denkens und Handelns und hebt die Bedeutung der expliziten Beschäftigung im Rahmen des Projekts hervor. Auch sie sieht die Gefahr, dass ansonsten das Thema von anderen Themen, Dringlichkeiten oder Routinen verdeckt oder in den Hintergrund gerückt wird:

254 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING »Was es vielleicht bei mir ausgelöst hat, dass ich wieder mal mich konkret damit auseinandergesetzt habe. Wie ich überhaupt denke über Ausländer und (,) wie mein Handeln ist und in dieser Zeit wurde mir sicher bewusst, dass ich in meinem Kollegenkreis keine Ausländer habe. […] Oder auch (,) ja wenn ich mich darauf vorbereitet habe irgendwas in der Schule durchzuführen, da sind vielleicht auch solche Überlegungen gekommen. Ja, das schon. Also bei mir hat es sicher (,) mir hat es sicher gut getan, mich wirklich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und wenn ich nicht mitgemacht hätte, dann (,) da, dann wäre das da hinten geblieben wahrscheinlich.« (int_mrta: 712-723)

In diesem Ausschnitt benennt die Lehrerin die Konsequenzen ihrer Auseinandersetzung mit einem veränderten Denken und Handeln bezüglich des Themas Migration. Dabei zeigt und betont sie, dass sie inzwischen Selbstverständlichkeiten und Normalitätsverhältnisse hinterfragen kann, wie z.B. die Zusammensetzung des Kollegiums. Gleichzeitig zeigt sich in ihren Formulierungen, dass sie nach wie vor auf eine ausgrenzende Semantik Bezug nimmt, die klar zwischen Zugehörigen und Nicht-Zugehörigen unterscheidet. Darin spiegeln sich auch eine distanzierte Haltung und unbeteiligt-privilegierte Positionierung wider, von denen aus sie diese Auseinandersetzung zu führen scheint. Diese Attitüde deutet darüber hinaus auf eine mögliche Distanz gegenüber denjenigen Schüler_innen hin, denen sie diesen Status zuweist. Hier zeigt sich, dass Sensibilisierung und eine Veränderung der Perspektive und Haltung nicht unbedingt in allen Bereichen gleichermaßen erfolgen und es zu widersprüchlichen Entwicklungen und Orientierungen kommen kann. So beharrt ein Lehrer im Interview, nachdem er intensiv über die Gefahren des Othering und seine eigenen Verstrickungen in Zuschreibungen reflektiert und dies als eine zentrale Erkenntnis konstatiert hat, zum Ende des Gesprächs auf der in seiner Schule geltende, verpflichtende Regelung des exklusiven und einheitlichen Gebrauchs der deutschen Sprache in und außerhalb des Unterrichts. Diesbezüglich sieht er keine Veränderung in seiner Haltung – »Da hat sich auch nichts verändert in der Richtung, also ich für mich möchte das auch« (int2: 925926) – und fügt im Weiteren hinzu: »Ich hätte da jetzt vor dem Projekt genauso reagiert wie jetzt« (int2: 939). Dabei zeigt er sich in gewisser Weise auch widerständig gegenüber einer (potenziellen oder von ihm antizipierten) Erwartung einer Veränderung. Wenngleich nicht klar ist, inwieweit die Interviewsituation wiederum zu Reflexions- und Denkprozessen – gerade hinsichtlich dieses durchaus strittigen Themas – angeregt hat, zeigt sich, dass Reflexions- und Lernprozesse in verschiedenen Bereichen gegensätzlich oder zumindest diskontinuierlich zueinander verlaufen können.

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In den Reflexionen der Pädagog_innen wird jedoch die eigene gesellschaftliche Positionierung nur wenig angesprochen: weder ihre Positionierung und damit verbundene Verfügung über Privilegien bzw. Erfahrungen der De-Privilegierung in der durch Rassismus geprägten Dominanzgesellschaft, in heterosexistischen Geschlechterverhältnissen oder in sozioökonomischen Verhältnissen, noch die Konsequenzen dieser (intersektional nicht eindeutigen) Positionierung für die pädagogische Arbeit bzw. für die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Thema Diversität und Ausgrenzung. Ebenso wenig thematisierten sie ihre machtvolle Position als Pädagog_innen (Lehrer_innen oder Jugendarbeiter_innen) gegenüber den Jugendlichen. Allein die professionelle Differenz in den Teams durch die Kooperation von Pädagog_innen aus Schule und Jugendarbeit wurde von ihnen im Rückblick auf das Projekt reflexiv zum Thema gemacht. Des Weiteren ist zu den Berichten und Reflexionen der Pädagog_innen im Interview anzumerken, dass Sensibilisierung und Reflexion bereits zentrale Elemente des Projekts und der Weiterbildung waren. In diesem Kontext wurde Reflexion eingeübt – ebenso das Sprechen über Reflexion und Sensibilisierung, wie dies von den Pädagog_innen in den Interviews vorgenommen wurde. Vor diesem Hintergrund war es für sie scheinbar naheliegend und auch möglich, auf die Themen, die im Projekt immer wieder gemeinsam angesprochen wurden, in den Interviews einzugehen und gemeinsam erarbeitete Inhalte auf einer reflektierten ›Vorderbühne‹ wiederzugeben – selbst wenn das Thema nicht immer vollends durchdrungen und es diesbezüglich (noch) nicht zu einem Transformationsprozess kommen konnte. Herausforderungen von verändertem und veränderndem Handeln Neben den genannten Veränderungen der zunehmenden Sensibilisierung und Reflexion sowie der Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit alltäglicher Diskriminierung offenbaren sich für die Pädagog_innen zugleich Widersprüche. Sie stoßen an Grenzen, und es werden ihnen die eigene Fehlbarkeit und generell die Schwierigkeit, ›richtig zu handeln‹, bewusst. So wurde für die Pädagog_innen deutlich, dass es nicht immer einfach ist, in jeder Situation adäquat zu reagieren. Der eigene Anspruch, sich dezidiert gegen Rassismus und Ausgrenzung zu positionieren oder in gewalttätigen oder diskriminierenden Situationen einzuschreiten, lässt sich nicht immer in angemessenes Handeln umsetzen. Ein junger Lehrer, der sich auch privat engagiert mit der Thematik auseinandersetzt, spricht die Schwierigkeit in der Umsetzung der eigenen Ansprüche im Interview an:

256 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING »Ja sicher ja, das habe ich auch selber festgestellt, dass es auch schwierig ist. In dieser Zeit ist mir auch etwas passiert, in L. am Bahnhof, da hat jemand einer Frau ins Gesicht geschlagen und da musste auch ich zuerst leer schlucken und danach, ja ich habe schon reagiert, aber ich habe gemerkt, man kann nicht zu hohe Anforderungen haben und diese dann auch zu erfüllen, ist immer schwierig.« (int_stla: 238-245)

Wenn dieser Pädagoge die Schwierigkeit betont, nicht immer adäquat handeln zu können, zeigt sich, dass auch eine längere und intensive Beschäftigung mit den Themen nicht unbedingt automatisch zu Handlungssicherheit führt. In diesen Ausführungen wird zwar davon ausgegangen, dass es diesbezüglich bestimmte Anforderungen und Ansprüche an ein adäquates Handeln gibt. Allerdings bleibt offen, wen und was er genau meint, wenn er sagt, dass ›man‹ nicht zu hohe Ansprüche haben könne. Sind hier die eigenen Ansprüche, die der Projektleitung oder übergeordnete normative Anforderungen gemeint? Und an wen sind sie gerichtet: an die Pädagog_innen oder an die Schüler_innen? Und welche Konsequenzen hat dies für deren Verhältnis und das pädagogische Handeln? Offensichtlich führen die Konfrontation mit anderen Perspektiven und die intensive Beschäftigung mit dem Thema Diskriminierung und Ausgrenzung zu Verunsicherungen. Die Irritation bisheriger Denk- und Handlungsmuster kann jedoch auch Veränderungen derselben anstoßen. So beschreibt ein Lehrer die in diesem Prozess gemachte Erkenntnis, dass es gerade bei dem Thema Zusammenleben und Ausgrenzen nicht immer eindeutige Lösungen geben kann, als einen wichtigen Lernprozess für sich und als eine Chance in der Zusammenarbeit mit seinen Schüler_innen. LP: Es war für mich wieder mal, oder es ist für mich wieder mal (,) es hat sich gezeigt, dass in diesem Bereich, in dem ich das Gefühl hatte, dass es immer Lösungen geben müsse und dass man mit Verständnis und Toleranz und Offenheit alles lösen kann, auch hier gibt es im Moment wahrscheinlich keine einfachen Lösungen. Dass das Problem komplexer ist. Hätte ich früher gesagt eben mit Toleranz und Offenheit und mit dem Bewusstsein, dass die Leute anders sind, aber mit dem Willen, dem anderen zu begegnen, dass man so alles lösen kann (,) das glaube ich nicht. Also da haben mir die Jungs gezeigt: Du bist auf dem Holzweg. I: Und die Konsequenz jetzt für dich so? LP: Dass ich auch in diesem Bereich (,) dass es auch in diesem Bereich nicht so einfach ist, irgendeine Lösung zu finden.[…] Aber es ist auch einfacher für mich jetzt zu wissen, auch da gibt es keine Lösungen und ich glaube auch, es ist für die Schüler jetzt viel einfacher mit mir über derartige Sachen zu diskutieren, weil jetzt kommt nicht mehr der

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Schmid [sein Nachname] und sagt: so ist es, ich weiß, wie es ist, ich war noch nie an einer Schlägerei beteiligt, Sie müssen sich anders benehmen. (.) Ich glaube, es ist für die Schüler einfacher und wenn ich dieses Thema wieder mal behandle, was sicher passieren wird, dann werde ich mit den Meinungen der Schüler toleranter umgehen. Ob sie meiner Meinung entsprechen oder nicht, das sei dahingestellt. Aber ich glaube, wenn ich offener bin gegenüber den Meinungen der Schüler und ihren Ansichten, dann komme ich vermutlich weiter. (int_rfzu: 956-971)

Die (von ihm zugelassene) Verunsicherung seiner vorherigen, relativ klaren Meinung macht es ihm möglich, selbst hinsichtlich der Frage der Konfliktlösung, zu neuen Einsichten und einer differenzierten Wahrnehmung zu kommen, aber v.a., seine eigene Position des unfehlbaren Lehrers gegenüber seinen Schülern infrage zu stellen. Dass sie ihn nicht mehr als unumstößliche Instanz oder moralisierenden ›Besserwisser‹ betrachten müssen, sondern als Person, die ebenfalls nicht für alles eine Lösung parat hat, bietet, so seine hoffnungsvolle Einschätzung, eine bessere Handlungsvoraussetzung, um zukünftig gemeinsam an konkreten Problemen und Konflikten zu arbeiten. So resümiert dieser Lehrer die im Verlauf der Intervention gemachten Erfahrungen und Revision vorheriger Positionen als konstruktiv: »Und ich habe wieder mal Grenzen erfahren müssen und kann vielleicht etwas profitieren davon.« (int_rfzu: 983)

Diese Diskrepanz- und Grenzerfahrungen werden von ihm als Perspektiven eröffnend und Handlungsmöglichkeiten erweiternd erfahren, was ihn befähigt, eine neue Perspektive auf sein pädagogisches Handeln und seine Haltung einzunehmen und es vor diesem Hintergrund zu reflektieren und gegebenenfalls zu ändern. Eine andere Pädagogin, die sich schon länger mit dem Thema Rassismus beschäftigt, sieht das Uneindeutige und Unabgeschlossene als eine Herausforderung in der Auseinandersetzung mit Ausgrenzung und Diversität. Sie wertet dies gleichzeitig auch als Charakteristik des damit verbundenen Lern- und Bildungsprozesses und zeichnet im Interview nach Projektende diesbezüglich das Bild eines »nie endenden Lernprozess(es)«, der zwar verunsichert, aber auch Potenziale enthält. Auf die Frage, was sie von ihrer Mitarbeit im Projekt für sich mitnehmen konnte, sagt sie nach einigem Überlegen:

258 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING B: (8sec) Also ich glaube, das ist für mich so ein Lernfeld, wo ich einfach nie aufhöre (lachend) zu lernen [mhm] weil ich einfach (,) weil ich merke, dass ich immer wieder an Punkte komme, wo ich denke, ah klar, das kann man auch aus dem Blickwinkel sehen oder eben weil wenn dann (5sec) Sichtweisen, also anderen Sichtweisen von Jugendlichen auf so ein Thema (,) ich finde das ist immer (,) das ist ein nie endender Lernprozess ja. Von dem her würde ich nicht sagen, also (,) fühle ich mich da selber nie so (,) versiert in dem Thema ja (,) [aha] ich habe immer den Eindruck ähm (,) da gibt es immer noch was, was (,) [aha] was ich neu […]. (int 4: 488-495)

Die Konfrontation mit unterschiedlichen Sichtweisen sieht sie als Herausforderung, andere Perspektiven einzunehmen und sich selbst dabei weiterzuentwickeln. Aufgrund dessen geht sie davon aus, in diesem Themenfeld nie ganz sicher oder kompetent zu sein. Dies wertet sie jedoch nicht als ihr persönliches Versagen, sondern als spezifisch für den Umgang mit dem Thema. Von daher fühlt sie sich gerade in der Beschäftigung mit den Themen Diskriminierung, Ausgrenzung und v.a. Rassismus weiterhin herausgefordert. Sie konstatiert für sich, dass Handeln in diesen Verhältnissen uneindeutig und widersprüchlich ist und sie inzwischen gelernt hat, damit umzugehen: »[…] weshalb ich damit besser mit leben kann ja (,) dass ich denke, ja (,) da muss ich einfach mit umgehen lernen ja (,) [ja] diese Unsicherheit, die wird einfach nicht verschwinden (,) [ja] muss man halt aufpassen, dass ich nicht denke, dann lass ich es lieber, nur weil ich es nicht kann ja (,) [jaja] so [ja]« (int 4: 505-510).

Trotz des Zulassens von Unsicherheit und des Wissens, nicht immer ›richtig‹ handeln zu können, sieht sie für sich beim Thema Rassismus durchaus noch Veränderungsbedarf: »Na also ich glaube (,) das Thema Rassismus ist für mich schon auch interessant, weil ich, ich glaube ähm (..) das ich mit dem Kopf da recht weit bin, ja (..) aber das ich von mir jetzt nicht sagen würde, ich bin nicht rassistisch ja (,) [mhm] rein vom Gefühlsmäßigen und rein von meiner Bewertung, die ich letztendlich dann doch irgendwie treffe ja (,) [mhm] und auch in meinem Umfeld, das wie ich es mir gestalte, mein Umfeld wie ich mich wohlfühle ja (,) (4sec) was für Zugänge ich zu Leuten habe (,) ähm (..) ging mir jetzt mit den Jugendlichen nicht so, aber (,) das ist schon so, dass ich, dass ich immer wieder merke (,) (4sec) das ist kein Thema für mich (,) bei dem ich mich sicher bewege, ja (,) weil ich da so gut bin ja (,) sondern, da bin ich im Kopf vielleicht ganz gut ja und kann dann auch gut (,) vielleicht argumentieren und kann dann vielleicht auch jemand anderem

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(,) sagen, nee nee so ist es nicht, ja (,) aber selber bin ich ja auch nicht (,) koscher8, ja, also (,) das finde ich spannend.« (int 4: 686-699)

Sie präsentiert sich selbst als reflektiert und kritikfähig und hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass sie nicht frei von Rassismen ist. Allerdings führt dies nicht (mehr) zu einer Verunsicherung oder Handlungsunfähigkeit. Sie präsentiert hier ihre eigene Unzulänglichkeit als spannende Herausforderung, nicht als Belastung oder Verunsicherung. Diese reflektierte und offene, auf weiteres Lernen ausgerichtete Haltung kann sie (nur) deshalb so gelassen und souverän ›an den Tag legen‹, weil sie sich (im Rahmen des Projekts und gesamtgesellschaftlich) in einer privilegierten und in ihrer Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft unhinterfragten Position befindet, in der sie sich leisten kann, sich selbstkritisch zu hinterfragen. In anderen Situationen, in denen sie sich als weniger privilegiert erachtet bzw. ihre eigene Positionierung absichern muss, so z.B. als Jugendarbeiterin im Verhältnis zur Schule, zeigen sich bei ihr durchaus auch Lernwiderstände bzw. weniger Offenheit, sich die Perspektiven und Sichtweisen der jeweils Anderen anzueignen. Im Rückblick auf die Kooperation im Tandem mit einer Lehrerin und mögliche Anregungen durch diese Zusammenarbeit, sagt sie: »Also mir ist es so gegangen (,) ähm auch mit diesem ähm am Ende (,) und Tandem und dass man ja voneinander gelernt hat (,) und so (,) ähm (,) und das hört sich jetzt sehr eingebildet an, wenn ich das so sage ja, aber mir ging es so, dass ich den Eindruck hatte (,) ähm (...) wir haben super zusammen gearbeitet (,) und (5sec) ich habe aber nie (,) ich hatte, also mir ging es nicht so, dass ich den Eindruck hatte (..) in Bezug auf das Projekt lerne ich von der Marianne [Tandempartnerin] was ja (,) […] also natürlich kann ich sagen (,) in Bezug auf (,) ähm das Formale und in Bezug auf das (,) Unterrichtsmäßige (,) hätte ich was lernen können, wenn ich es wollen hätte ja (,) [mhm mhm] und (.) aber da merke ich, das ist (,) das ist mir gar nicht so (,) ein Bedürfnis ja. [ja ja] Genau. [ja mhm] Von dem her (,) ähm (..) hat es mich vielleicht bestätigt, in meiner Art zu arbeiten.« (int 4: 593-611)

Hier gibt sie sich auf der einen Seite gegenüber der Tandempartnerin überlegen und bezieht dies v.a. auf den Umgang mit dem Thema Diversität und Ausgren-

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Hier bleibt unklar, ob sie sich der Brisanz des Begriffes bewusst ist oder nicht. Möglicherweise benutzt sie ihn auch provokativ, um die Fehlbarkeit und auch Schwierigkeit, richtig zu handeln, zu verdeutlichen. Bei einem Weiterbildungsworkshop hat sie in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es ihres Erachtens nicht allein darum gehen kann, p.c./politisch korrekt zu sein.

260 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING

zung. Auf der anderen Seite nimmt sie sich bezüglich schulspezifischer Handlungsweisen und Praxen in der Kooperation zurück, konstatiert für sich explizit keinen Lernbedarf und positioniert sich widerständig-eigensinnig (»hätte ich was lernen können, wenn ich es wollen hätte«). Diese Form des eigensinnigen Widerstandes zu lernen und der damit verbundenen Abgrenzung ist möglicherweise im Gesamtkontext des nach wie vor spannungsreichen Kooperationsverhältnisses von Jugendhilfe und Schule zu sehen, das über die konkrete TandemZusammenarbeit hinausgeht, welche sie positiv würdigt. Dies kann als Weigerung gedeutet werden, sich mit dem professionell Anderen auseinanderzusetzen – oder als bewusste Entscheidung, sich und ihren fachlichen Idealen treu zu bleiben und sich nicht (im schulischen Kontext) vorherrschenden pädagogischen Methoden zu unterwerfen. An diesem Fall zeigen sich bei einer Person unterschiedliche Tendenzen und Umgangsweisen, sich auf andere Positionen oder Neues einzulassen bzw. sich diesen gegenüber zu öffnen. Darin verdeutlicht sich die Relevanz des jeweiligen Kontextes und der jeweiligen eigenen Positionierung für das jeweilige Handeln in widersprüchlichen gesellschaftlichen Dominanzverhältnissen. Denn der jeweilige subjektive Begründungszusammenhang und Möglichkeitsraum, sich überhaupt für neue Perspektiven und Verunsicherungen und damit potenziell auch für Bildungsprozesse öffnen zu können, sind jeweils durch die eigene Perspektivität, die eigene Positionierung im hegemonialen Machtgefüge gerahmt. An diesen Beispielen für Reflexion und dem retrospektiven Nachdenken über mögliche Veränderungen des eigenen Denken und Handelns zeigen sich verschiedene Ambivalenzen. Zum einen dokumentiert sich in den Reflexionsprozessen eine widersprüchliche Verquickung eines Blickes weg von sich selbst auf Andere (Schüler_innen, Kolleg_innen) und einer Personalisierung und Individualisierung von Reflexion und Lernen. Zum anderen sind die rekonstruierten Reflexionsprozesse durch widersprüchliche Gleichzeitigkeiten geprägt. Es zeigt sich, dass die Diskurse über Reflexion sowie die konstatierten Veränderungen (und hier werden u.a. die Zunahme an Sensibilisierung, ein größeres Bewusstsein gegenüber Ausgrenzung und Diskriminierung genannt) nach wie vor stark im vorherrschenden Denken und in hegemonialen Diskursen verhaftet sind. Auch im Sprechen über eigene Bewusstwerdungsprozesse werden Othering sowie Normalitätsannahmen deutlich. Othering ist also nicht nur Gegenstand von Reflexion und kann durch eine reflexive Bearbeitung verändert werden, sondern hegemoniale Praktiken und Diskurse des Othering können durchaus auch mit Prozessen der Reflexion und Bildung einhergehen. Abschließend kann festgehalten werden, dass anhand der dargestellten Ausführungen nicht unbedingt Bildungs- und Lernprozesse rekonstruiert werden

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konnten. Die Aussagen der Pädagog_innen im Rückblick auf den Projektverlauf stellten v.a. ein Sprechen über Reflexion dar. Dieses Sprechen über eigene Reflexions- und Veränderungsprozesse verblieb zum Teil an der Oberfläche und hatte eher einen auf das Projekt bezogenen evaluativen Charakter.9

7.2 T RANSFORMATIONSPROZESSE – F ALLBEZOGENE ANALYSEN

VON

P ÄDAGOG _ INNEN

Allein anhand der zuvor rekonstruierten Perspektiven der Pädagog_innen, die sich im Rahmen von Interviews retrospektiv mit der eigenen Entwicklung und möglichen Veränderungen beschäftigen und vor diesem Hintergrund zum Teil ergebnisorientiert sind (im Sinne von: Was hat sich für mich verändert?), kann nicht unbedingt etwas über das ›Wie‹ bzw. das Prozessuale des Transformationsprozesses ausgesagt werden. Deshalb werden im Folgenden in zwei Fallanalysen Veränderungsprozesse von Pädagog_innen über den Verlauf des Projekts hinweg betrachtet und rekonstruiert. Dies erfolgt nicht nur mit Bezug auf Interviewsequenzen aus den Interviews mit den Pädagog_innen, sondern auch anhand von dichten Beschreibungen,10 die der teilnehmenden Beobachtung bei der Projektdurchführung der Pädagog_innen mit den Jugendlichen, bei den Reflexionsgesprächen und bei den Weiterbildungsworkshops entstammen. Dabei wird jeweils versucht, für den Transformationsprozess relevante Schlüsselstellen und Interaktionskonstellationen herauszuarbeiten, um so mehr über den Prozess der Veränderungen sowie über Situationen und Konstellationen zu erfahren, durch die (möglicherweise) Bildung angeregt wurde oder in denen bisherige Orientierungsmuster ins Wanken gerieten. Für die exemplarischen Fallanalysen wurden zwei Fälle ausgewählt, in denen es in verschiedener Weise zu Transformationsprozessen kam bzw. sich diese unterschiedlich gestalteten. Da Bildungs- und Lernprozesse jeweils im sozialen und gesellschaftlichen Kontext erfolgen und durch die jeweilige soziale Positionierung der Subjekte und des damit verbundenen jeweiligen Möglichkeitsraumes bedingt und begründet sind (s.o.), werden diese Prozesse im jeweiligen gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsgefüge sowie in den institutionellen Bil-

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Dies ist u.a. im Kontext dessen zu sehen, dass sie ihre diesbezüglichen Erfahrungen und Einschätzungen gegenüber derjenigen im Interview geäußert haben, die das Projekt mit konzipiert hat.

10 Die folgenden Ausführungen sind dichte Beschreibungen auf Basis der Beobachtungsprotokolle mit (wenn so gekennzeichnet) wörtlichen oder sinngemäßen Zitaten.

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dungskontexten untersucht. Die beiden Pädagog_innen sind darin unterschiedlich positioniert und entstammen verschiedenen pädagogischen Feldern und Berufsgruppen. 7.2.1 Fallanalyse 1: Transformationen im Umgang mit Paradoxien und Dominanzverhältnissen In der Fallanalyse der Jugendarbeiterin, im Folgenden Ioana Dubrava genannt, wird der Prozess einer Veränderung herausgearbeitet, der durch eine bewusste und selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Praxis und der eigenen Positionierung in Dominanzverhältnissen gekennzeichnet ist und daraus sein Entwicklungspotenzial schöpft. Ioana Dubreva ist seit einigen Jahren in der offenen Jugendarbeit (inzwischen in leitender Funktion) tätig, hat bereits diverse Erfahrungen in Kooperationsprojekten und war eine der ersten, die sich zu diesem Projekt gemeldet hat. Sie und ihr_e Tandempartner_in, die gemeinsam das Projekt mit einer Hauptschulklasse durchgeführt haben, erklärten sich gleich zu Beginn bereit, dass sie und ihre Klasse forschend begleitet werden können. Deshalb waren wir Forschende bei einigen Projekteinheiten zur teilnehmenden Beobachtung anwesend. Diese Beobachtungen dienten nicht nur zu Forschungszwecken, sondern waren jeweils mit einem Reflexionsgespräch verbunden. So konnten die Eindrücke der Forschenden wieder an die Akteur_innen zurückfließen und aus deren Perspektive validiert und ergänzt werden, ebenso konnte dies zur gemeinsamen Reflexion der jeweiligen Praxis oder bestimmter Situationen genutzt werden.11 Dass diese

11 Die Pädagog_innen wussten von unseren jeweiligen Forschungsinteressen. Sie versprachen sich von den Beobachtungen und den anschließenden Reflexionsgesprächen, Rückmeldungen und Anregungen für die Verbesserung ihrer Praxis zu bekommen und auch konkrete Fragen für die weitere Planung des Projekts stellen zu können. Beides war Gegenstand der gemeinsamen Reflexionsgespräche. Auch wenn versucht wurde, diese dialogisch zu gestalten und alle Perspektiven als gleichberechtigt zu behandeln, kam uns Forschenden in dieser Konstellation eine sehr machtvolle Position zu: Wir nahmen – von außen – Beobachtungen vor, ohne selbst direkt in die Praxis involviert zu sein, ebenso wurde uns als Wissenschaftler_innen von den Pädagog_innen eine gewisse Autorität und Deutungsmacht zugesprochen. So wurde z.T. nach den Einheiten spannungsvoll nachgefragt, wie wir es fanden, was vermuten lässt, dass mit den Beobachtungen eine Bewertung konnotiert wurde. So gestaltete sich die Reflexion hinsichtlich eines gleichberechtigten Austausches von Perspektiven als Balanceakt; weniger bezüglich unterschiedlicher Perspektiven aus Forschung und Praxis und dass

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Gespräche in mehrerer Hinsicht herausfordernd waren, zeigte sich gleich bei der ersten solchen Besprechung mit diesem Tandem. Zunächst wurde deutlich, dass die Reflexionsgespräche nicht in einem hierarchiefreien und gleichberechtigten Raum stattfanden. Die Rückmeldungen durch mich als Forschende erwiesen sich als sehr macht- und wirkungsvoll, wurden von der Pädagogin sehr ernst genommen und verunsicherten sie nachhaltig. Gleichzeitig wurde durch diese Verunsicherung auch ein Reflexionsprozess angeregt, der zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber nicht-intendierten Folgen des Handelns, insbesondere im Blick auf Zu- und Festschreibungen, führte. Dies soll im Folgenden rekonstruiert werden. Anlass und Hintergrund war die Beobachtung von uns Forschenden, dass es in der ersten Projektsitzung mit den Jugendlichen zu einer starken und einseitigen Thematisierung von Differenz durch das Hervorheben und Fokussieren von Zugehörigkeiten im natio-ethno-kulturellen Kontext kam. Dies wurde durch eine praktische Übung – ›Die Geschichte meines Namens‹12 – herausgefordert und bei der Umsetzung durch die Pädagog_innen durch wiederholtes Nachfragen und das durchaus sehr wertschätzende Adressieren der Jugendlichen hinsichtlich ihrer diversen nationalen Zugehörigkeiten noch verstärkt. Hier zeigte sich die Paradoxie von Anerkennung und Festschreiben von Differenzen. Dies war v.a. dahingehend spannungsreich, als dass die Pädagog_in zunächst den Jugendlichen als Beispiel präsentierte und dabei ihre eigenen Erfahrungen, einen Namen zu haben, der als anders wahrgenommen wird, mit den Jugendlichen teilte. Allerdings ließ sie in der folgenden Moderation den Jugendlichen kaum Raum, ihre eigenen Erfahrungen zu explorieren, sondern fragte mehr oder weniger direkt nach, aus welchem Land bzw. welcher Sprache der jeweilige Name käme, und nahm somit den Schüler_innen die Möglichkeit, auch andere Geschichten oder Zugehörigkeitskontexte zu artikulieren. Somit kam es zu nicht intendierten Effekten. Diese konkrete Beobachtung wurde von mir im Rahmen der Reflexion

diese unterschiedlich bewertet werden, als vielmehr dadurch, dass bei den Reflexionen fast nur die Praxis der Pädagog_innen und die damit verbundenen Kontexte der pädagogischen Arbeit im Zentrum der Auseinandersetzung standen, unsere (Forschungs-)Praxis tendenziell jedoch unthematisiert blieb. Allerdings war gerade die anschließend diskutierte Paradoxie von Benennen/Nicht-Benennen von Differenz ein gutes Beispiel, um von unserer Seite darauf hinzuweisen, dass dies ein Problem sei, mit dem auch die Forschung zu kämpfen habe. 12 Diese Übung wird in der Bildungsarbeit gern als Einstiegs- oder Kennenlernübung genutzt, so auch von diesen Pädagog_innen. Allerdings besteht in dieser Übung tendenziell die Gefahr zu kulturalisieren.

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der Projekteinheit mit den beiden Pädagog_innen eingebracht und als generelle Schwierigkeit und Paradoxie im Umgang mit und in der Anerkennung von Differenz thematisiert. Zunächst waren die beiden Pädagog_innen hinsichtlich meiner Deutung und der vermuteten Effekte der Umsetzung der Übung überrascht, u.a. weil diese nicht mit ihren Intentionen übereinstimmten. Das Aufgreifen dieser Irritation ermöglichte es, anschließend die Situation aus den unterschiedlichen Perspektiven zu rekonstruieren, mögliche Konsequenzen des Benennens oder auch Nicht-Benennens zu diskutieren und die Gefahr von Otheringprozessen und Pauschalisierungen herauszuarbeiten. Auch wenn dadurch für alle Beteiligten das allgemein Paradoxe der Adressierung von Differenz (scheinbar) deutlich wurde, zeigte sich v.a. die Sozialpädagogin Ioana Dobreva ziemlich betroffen.13 Bei dem direkt an dieses Treffen anschließenden Weiterbildungsworkshop gab es an verschiedenen Stellen Hinweise, dass sie das Thema noch weiter beschäftigte. So brachte sie die Thematik bzw. das zuvor besprochene Dilemma selbst in einem Redebeitrag ein. Hierzu ein Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll bzw. der daraus verfassten dichten Beschreibung: Als alle Pädagog_innen von ihren Erfahrungen aus den letzten Projektsitzungen mit den Jugendlichen berichten, greift I.D. eine der zuvor (beim Reflexionsgespräch) diskutierten Situationen auf und stellt diese als Herausforderung für den Umgang mit Differenzen und Zugehörigkeiten im Projektzusammenhang dar und bringt dabei die Ambivalenz des Benennens von Differenz treffend auf den Punkt.14

Ihr gelingt es, das Dilemma des Thematisierens von Differenz gekonnt – so meine Interpretation der Situation – den Kolleg_innen darzustellen. In der Darstellung zeigt sie sich selbstkritisch, indem sie die zuvor besprochene Situation und damit auch ihr Handeln in diesem Kontext offenlegt. Auch wenn dies souverän und thematisch durchdrungen wirkt, erscheint sie im weiteren Verlauf des Workshops in Bezug auf das Thema jedoch aufgewühlt und beunruhigt. Bei der Fallbesprechung eines (anderen) Tandems werden die Schwierigkeiten und Gefahren des Fokussierens der Herkunft der Schüler_innen diskutiert. Auf einmal bricht es aus I.D. heraus und sie sagt stöhnend, weniger an die Gruppe, als an sich selbst gerichtet:

13 Diese Interpretation des Reflexionsgesprächs basiert auf einem Gedächtnisprotokoll im Anschluss an dieses. 14 Dichte Beschreibung aus Beobachtungsprotokoll Tandem_WB2.

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»Puh, das ist alles so kompliziert, das kann man ja nur falsch machen (…) ich weiß auch nicht.« 15

An diesem Aufstöhnen zeigt sich, dass sie das Thema weiter beschäftigte, wohl auch verunsicherte und sie die Herausforderungen des ›richtigen Handelns‹ oder die Schwierigkeit, nicht ›richtig handeln zu können‹ belastete bzw. frustrierte. Der schwierige und ambivalente Umgang mit Differenz wird für die Pädagogin Ioana Dobreva zu einer Herausforderung, gerade hinsichtlich ihrer an sich selbst gestellten Ansprüche, pädagogisch gut zu arbeiten und nicht zu diskriminieren. Im Interview nach Projektende, also über ein halbes Jahr später, kommt sie auf diese für sie sehr zwiespältige Rückmeldung bei dem Reflexionsgespräch zurück. Dabei berichtet sie von der durch die Auseinandersetzung entstandenen Verunsicherung und der gewonnenen Sensibilität im pädagogischen Umgang mit Differenz und im Hinblick auf intendierte bzw. nicht-intendierte Effekte. Sie sagt: »Ähm (.) natürlich du warst ja bei uns in, ich glaube sogar bei der ersten Sitzung (,) und dann hast du ja von außen auch bemerkt zum Beispiel, dass ich ja dann mal gesagt habe ähm (,) wie ihr in der Dominikanischen Republik [mhm] ja (,) und äh da war ja so die Anmerkung, das wäre jetzt (,) also das ist ja schon wieder auf ihre Nationalität und so weiter fokussiert und ob ich sie nicht in eine Schublade stecke. Und das war so, da habe ich danach gedacht, oh Gott (,) also eigentlich habe ich das bei jeder Sitzung gedacht (,) ob ich jetzt nicht zu sehr irgendwie was durch das Thema an sich (,) durch die Übungen an sich (,) ob ich an sich allgemein lenke, ohne es zu wollen. Ja, deswegen habe ich mich oftmals gefragt, geht es jetzt so in die falsche Richtung (,) weil wir es thematisieren ja [ja ja ja] also das klingt jetzt irgendwie so paradox.« (int1: 335-346)

In dieser sehr detailreichen Rückerinnerung und der dabei thematisierten Problematik des einseitigen Hervorhebens und Festschreibens dokumentiert sich, wie eindrücklich und nachhaltig diese Situation war. Daraus resultierte eine anhaltende Verunsicherung, aber auch immense Vorsicht und selbstkritische Perspektive auf ihr pädagogisches Handeln. Dabei benennt sie konkret die Gefahr, dass sie möglicherweise etwas anderes mit ihrem pädagogischen Tun auslösen oder in eine Richtung lenken könnte, als von ihr beabsichtigt war. Das Bewusstsein darüber hat zur Folge, dass sie ihr Handeln im Projektverlauf auf mögliche

15 Dichte Beschreibung aus Beobachtungsprotokoll Tandem_WB2.

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Wirkungen und Folgen hinterfragt und reflektiert. Eine gewisse Irritation scheint dabei jedoch geblieben zu sein. Ihr_e Tandempartner_in und sie versuchten daraufhin, einseitige Thematisierungen zu vermeiden bzw. neue Perspektiven einzubringen und festgefahrene Grenzlinien aufzubrechen: »ja und dennoch sind wir danach ein bisschen sensibler und haben versucht nicht immer nur auf Schwarz – Weiß (,) sondern an anderen Themen, aber das war immer so ein Knackpunkt« (int1: 330-333)

Sie berichtet an anderer Stelle (im Interview und in den Weiterbildungen), dass sie im Anschluss an die Auseinandersetzung mit Ausgrenzung, Diskriminierung und Unterdrückung im Projektunterricht verstärkt andere Differenz- und Dominanzverhältnisse, wie z.B. im Geschlechterverhältnis oder Diskriminierungen aufgrund von Armut oder Aussehen, die für die Jugendlichen von unterschiedlicher Relevanz waren, thematisierten und ansprachen, um so starre Opfer-TäterKonstellationen aufzulösen und die Vielfalt der Erfahrungen der Jugendlichen aufzugreifen und einzubeziehen. Zunehmend kann von ihr das Paradoxe des Hervorhebens von Differenz und damit verbundener Folgen gesehen werden, ebenso die Fragilität des pädagogischen Zusammenhangs (vgl. Ricken 2011), d.h. von dem, was vermittelt wird bzw. beabsichtigt ist, und dem, was von den Adressat_innen aufgegriffen wird. Dadurch erhält sie eine reflektierende Distanz zu ihrem Tun und kann zunehmend die damit verbundenen Widersprüche als solche akzeptieren, ohne an sich zu zweifeln. Diesbezüglich ist sie sich – zum Interviewzeitpunkt – der Widersprüchlichkeit des pädagogischen Handelns bewusst: »also das (.) mir ist schon bewusst, dass es oft so ein Balanceakt ist« (int1: 323). Sie konstatiert inzwischen bei sich ein Bewusstsein für die Gefahr der Zuschreibung oder der damit nicht intendierten Diskriminierung bzw. des Othering. Hier sieht sie zwar eine der größten Herausforderungen und auch Anstrengungen ihrer pädagogischen Arbeit, dieser kann sie jedoch inzwischen begegnen. Sie hat nicht nur mehr Sensibilität und Bewusstsein entwickelt, es zeigt sich sogar eine Veränderung der Haltung diesen Paradoxien und Herausforderungen gegenüber. I: [...] aber wo siehst du für dich (,) ja so da die Herausforderungen auch jetzt in der pädagogischen Arbeit (,) bei den Themen? B: Äh (.) ein Standing zu bekommen (,) weil es ja ganz unterschiedliche Ebenen und man rutscht dann in so Parteilichkeiten und ich kenne nicht die Hintergründe und (,) man will nicht diskriminieren, tut es dann aber doch [mhm] also das ist ja immer so eine Gratwan-

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derung (,) äh man möchte so offen und tolerant sein und tappt in irgendwelche Fettnäpfchen (,) man fokussiert was, die Jugendlichen, die das gar nicht so gemeint haben, also das ist ja immer so ein so ein (,) [aha] so ein Zwingen und Ding ähm. Obwohl ich ja gerade finde (,) dass es anstrengend ist, nicht in irgendwelche Schubladen reinzutappen (,) und ich weiß, dass ich es (,) mache (,) ja (,) Alltagsvereinfachung und dann aber auch finde, dass es aber ein Thema ist, das ich mit den Jugendlichen ganzoffen (,) weil ich dann auch sagen kann, puh (,) das da darüber habe ich mir auch noch keine Gedanken gemacht oder (,) [ja] ha das ist ja (,) oder dann ich auch perplex sagen kann, das kann ja positive Diskriminierung sein was ich mache. (int1: 877-891)

Was sie zuvor als Balanceakt bezeichnet hat, beschreibt sie hier als Gratwanderung beim Umgang mit Differenz und Ungleichheit, immer in Gefahr parteilich zu sein, Bestimmtes zu fokussieren, Anderes zu vernachlässigen, zuzuschreiben – in Fettnäpfchen zu tappen und Schubladen zu bedienen – auch wenn der Anspruch besteht, offen und tolerant zu sein. Sie geht davon aus, dass es wichtig ist, ein ›Standing‹ – also mehr Handlungssicherheit oder Gelassenheit – zu bekommen. Sie findet den Umgang damit anstrengend. Jedoch hat sie einen Weg gefunden, sich zu entlasten. Dabei scheint es ihr wichtig zu sein, dass sie den Jugendlichen gegenüber ihre Fehlbarkeit oder Unwissenheit zeigt und dies dann zum Anlass nimmt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Es ist ein Thema, bei dem sie eigene Schwächen zeigen und zugeben kann. Allerdings fühlt sie sich pädagogisch gerade in der Interaktion mit den Jugendlichen herausgefordert, Position zu beziehen und sich dabei nicht in den gegebenen Fallstricken zu verfangen. Dabei hat sie eine Strategie entwickelt, um Festschreibungen und Zuschreibungen, die auch von den Jugendlichen erfolgen, zu begegnen: »[…] aber ich finde bei dieser ganzen Achterbahn, […] die man so im Alltag macht und mit Jugendlichen, die irgendeine Äußerung (,) wir irgendwie reagieren müssen, wir aber jetzt vielleicht noch gar kein Standing oder selbst eine Schublade haben (.) [aha] und obwohl das so ist, finde ich ja eigentlich das es ja was (,) ist, wo ich immer eine Gegenfrage eigentlich mache, also (,) das ist ja kein Thema da gibt es nicht richtig oder falsch und das macht es auf der anderen Seite aber auch leichter (,) weil ich mit Fragen reagieren kann (,) oder dadurch (,) diese Ausgrenzungserfahrungen machen sie alle und (,) eigentlich ist es (,) da wissen sie besser Bescheid (,) [mhm] als (,) ich vielleicht […] ja deswegen bietet sich ja auch so viel an (,) weil sie selber drüber mitreden können. Und wenn (,) das hatten

268 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING wir schon, wenn sie über Homosexuelle reden, kann man sie dann auf ihr Gewicht ansprechen (lacht) also nicht so, aber an anderen Ebenen [ansetzen]16.« (int1: 912-924)

An dieser Stelle hebt sie hervor, dass es ›kein Richtig oder Falsch‹ geben kann. Ihre Strategie im Umgang mit den Jugendlichen ist es, Fragen zu stellen und das Thema offen zu halten und somit sich und den Jugendlichen die Chance zu lassen, sich selbst zu positionieren und sich nicht einseitig festlegen zu müssen. Hier deutet sich an, dass sie die Jugendlichen als Expert_innen ihrer Erfahrungen ernst nimmt und sie herausfordert, über ihr eigenes Involviertsein oder die eigene Verletzlichkeit nachzudenken, indem sie ihnen einen Spiegel vorhält. Um von den Jugendlichen artikulierte Zuschreibungen oder hate speaches zu hinterfragen oder zu irritieren, verweist sie auf andere Diskriminierungsdimensionen und die damit verbundenen Positionierungen der Jugendlichen. Dabei verfolgt sie die (intersektionale) Strategie, Diskriminierung auf verschiedenen Ebenen oder in verschiedenen Dimensionen zu thematisieren und so eine Dezentrierung von einseitigen Perspektiven vorzunehmen. Rückblickend können verschiedene Veränderungen und Entwicklungen nachgezeichnet werden, die sie selbst retrospektiv konstatiert. Zunächst kommt es in ihrer reflexiven Beschäftigung mit dem Differenz-Dilemma und der Gefahr der Festschreibung zu einem starken Verunsicherungseffekt, der sich fast krisenhaft gestaltet. Dies regt jedoch zu einer Sensibilisierung und einem Bewusstwerdungsprozess bezüglich der Dilemmata im Umgang mit Differenzen und Ungleichheiten an, was dann in eine Phase des vorsichtigen Handelns übergeht. Dies ist für sie mit dem Wissen um die Ambivalenz und Schwierigkeit des ›richtigen Handelns‹ verbunden, was sie als »Balanceakt« oder »Gratwanderung« bezeichnet. Hier konstatiert sie zwar, dass sie noch nicht über genug »Standing« verfügt, sicher damit umzugehen, sie hat aber verschiedene Strategien entwickelt, um Festschreibungen bei sich und anderen wahrzunehmen, vorzubeugen oder zu dekonstruieren. Für sich selbst sieht sie diesen Prozess nicht als abgeschlossen an und hebt die Bedeutung der Auseinandersetzung, des Zurückspiegelns und den Austausch mit anderen Pädagog_innen hervor. »Also einfach so dieser kollegialer Austausch (,) finde ich gerade bei so einem (,) ersten Prozess (,) für mich schon sehr hilfreich, einfach (,) aufzuatmen, dass andere ähnliche Probleme haben (,) aufzuatmen, auch äh das andere ganz andere Probleme haben (,) [aha]

16 Sie wird an dieser Stelle durch Türklingeln unterbrochen und beendet deshalb den Satz nicht mehr.

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und man froh ist, haha das habe ich jetzt Gott sei Dank nicht [(lacht)] so, also sehr (lacht) [ja] aber das ist einfach so ein Erleichterungsfaktor [ja] wenn man sich (,) oft in (,) also ha(-) wir hatten ja das Glück, dass ihr öfters da ward und da bin ich ja immer ganz amüsiert, wie die Außenwahrnehmung ist und wie innen (,) [ja ja] ja äh [ja] eben mir ist schon bewusst, dass ich sehr (,) kritisch manchmal bin oder sehr negativ dann auch Sachen sehe (,) aber das kommt einfach aus der (,) Brisanz von innen (,) [ja] äh und ich das gar nicht so (,) von außen jetzt mal als Ganzes, sondern i(-) ich bin angespannt und die (,) das transportiere ich dann auch was ich sehe und äh (,) das nochmal so im Kreis auszutauschen finde ich wichtig« (int1: 697-708)

An dieser Stelle zeigt sich eine deutlich größere Distanz und reflexive Souveränität gegenüber ihrem eigenen Handeln und dessen Fehlbarkeiten. Ebenso hebt sie die Bedeutung des kollektiven Moments der Reflexion und Auseinandersetzung hervor. Das Gespräch mit Kolleg_innen, die mit ähnlichen Herausforderungen und Schwierigkeiten konfrontiert sind, ist für sie auf der einen Seite eine Entlastung und Bereicherung hinsichtlich des Erfahrungsaustausches, auf der anderen Seite jedoch auch mit einem ›Aneinanderreiben‹ verbunden. Die angesprochene »Brisanz von innen« kann in diesem Kontext in verschiedener Weise gelesen werden: als Verunsicherung gegenüber den Uneindeutigkeiten des Handelns und deren Effekten, als unbefriedigende Erkenntnis und des nach wie vor bestehenden Herausgefordertseins hinsichtlich der Schwierigkeit, angemessen zu handeln, und als Anspannung, damit umgehen zu müssen. Sie erklärt damit ihre kritische Haltung gegenüber anderen Pädagog_innen (in der Weiterbildung) wie gegenüber sich selbst. Dies kann sich auf die explosive Bedeutung des Themas beziehen. Die »Brisanz von innen« kann aber auch darauf hinweisen, dass dadurch etwas aufgerüttelt und angestoßen wird – was bei ihr offensichtlich zu einem Aushandlungsprozess führt. Dadurch kann es eventuell zu Veränderungen im Denken und Handeln kommen und einen Bildungsprozess anregen. Für Ioana Dobreva kommt es im Prozess der Auseinandersetzung mit dem Projekt noch zu weiteren Veränderungen und Perspektivenverschiebungen, die ihren Blick auf die eigene soziale Positionierung im Gefüge der hegemonialen Dominanzordnung betreffen. Sie spricht im Interview die biographische Dimension ihrer Auseinandersetzung an: »Das Thema an sich (,) ist für mich (,) äh komischerweise nochmal biographisch (,) aufgekommen (,) [mhm] also bei manchen Diskussionen dann musste ich darauf achten, dass ich nicht ihr und ich s(-) also (,) also das (,) ich habe dann ab und zu eine andere Haltung genommen, weil ich mich (,) also biographisch bin ich ja in Bulgarien geboren in Deutschland aufge(-) äh [mhm] trotzdem hier mit sieben Jahren aufgewachsen und durch

270 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING Auslandsaufenthalte fand ich, dass ich immer mehr das Deutschsein so bisschen draufgepocht habe (,) [mhm] weil ich mich den Werten zugehöriger fühle oder wie man auch immer formulieren [mhm] mag. Und jetzt in diesem Kreis nochmal so dieses diesen Blickwinkel auch nochmal so (,) zum Teil (,) innerhalb zum Beispiel innerhalb der Weiterbildung auf Unverständnis der Nicht-Integration (,) die so zur Sprache kam (,) wo ich dann innerlich so mich ange(-) also nicht angegriffen, aber angesprochen gefühlt habe (,) [mhm] und dann hat man so das Bedürfnis zu sagen, aber das gibt es doch (,) und das ist nur ein anderer Blickwinkel (,) [mhm mhm] und (,) also biographisch habe ich es auch nochmal, glaube ich, äh so für mich aufgegriffen (,) [mhm] und äh (..) nochmal so die innere Bewusstmachung was bin ich denn, wo stehe ich gerade und wo sehe ich mich gerade integriert (,) [mhm mhm]. Und familiär bedingt (,) einfach also (.) ähm (,) bei mir sieht man es jetzt nicht so (,) [mhm] oder das Sprechen ist jetzt nicht automatisch eine Zuordnung (,) [mhm ja] viele (,) denken irgendwelche zwar kein Hoch(-) zwar ein (..) kein Schwäbisch, aber jetzt auch nicht ein krasses Hochdeutsch (,) deswegen ist das so was Verschwommenes, aber (,) äh also zum Beispiel bei meinem Vater (,) äh der spricht sehr gebrochen (,) [mhm] obwohl er Führungsposition hat, aber (,) so und da ist es Thema des Integriertsein und Assimiliertsein (,) [mhm] also der wollte (,) nicht mehr bulgarisch in der Öffentlichkeit sprechen, weil ma(-) er das nicht wollte und sich ganz arg bemüht hat [aha] und (,) das kam mir alles so hoch, wenn ich jetzt diese äh Filme von Jugendlichen sehe, die über ihre Heimat und dann auch so Gespräche mit (,) ähm mit diesen (,) also das ist jetzt nur, weil es mir einfällt, aber da gab es noch mehrere innerhalb der Weiterbildung zum Thema (,) ähm Integriertsein, die Türken, die wollen nicht [aha] und so [aha] und dann denke ich immer, die Angst des (,) die Angst des nicht Aufgenommen, also da kommen so (,) äh also ich glaube, dass ich nochmal (,) mich ab und zu auf der anderen Seite gestellt habe (,) [mhm mhm] so, was ich lange schon nicht mehr gemacht habe (...) Mhm genau.« (int1: 774-806)

Sie verfolgt hier zwei Argumentationsstränge, die sie wechselseitig aufeinander bezieht. Zum einen rahmt sie ihre veränderten Umgangsweisen mit Differenz und Ungleichheit lebensgeschichtlich und exploriert in diesem Kontext ihren familialen Migrationshintergrund. Zum anderen erklärt sie in diesem Zusammenhang, weshalb sie in der Diskussion mit den hauptsächlich mehrheitsangehörigen Kolleg_innen in der Weiterbildung eine Gegenposition einnimmt, v.a. wenn es um das hegemoniale Sprechen über Integration und damit verbundene Bilder und Forderungen geht. Sie spricht von einer »inneren Bewusstmachung« in der Beschäftigung und im Aushandeln mit hegemonialen und ausgrenzenden Diskursen der v.a. mehrheitsangehörigen Pädagog_innen in der Weiterbildung, aber auch mit den Jugendlichen, die über eine Migrationsgeschichte verfügen. Diese Bewusstwer-

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dung ist als aktive Auseinandersetzung mit ihrer Biographie und ihrer bisherigen Selbstpositionierung als Deutsche zu sehen. Die Betonung des ›Inneren‹ verweist auf eine individuelle und für sich geführte Aushandlung und Beschäftigung, anders als die, von der sie zuvor im kollektiven Kontext gesprochen hat. Dies ist möglicherweise vor dem Hintergrund ihrer potenziell verletzbaren Position und der von ihr durchaus als verletzend empfundenen Aussagen der Kolleg_innen als Schutz zu interpretieren. Als biographisch relevant für ihre bisherige Haltung führt sie familiale Umgangsweisen und konkret die Bemühungen ihres Vaters um Unauffälligkeit an, die sie bisher – so ist zumindest dieser Einschub zu lesen – weitgehend unreflektiert übernommen und sich damit auch hegemonialen Dominanzordnungen und damit verbundenen ›Integrationsforderungen‹ unterworfen hat. Angesichts dessen treffen sie zum einen die Diskurse anderer Pädagog_innen und deren »Unverständnis der Nicht-Integration«, also deren abwertende und verständnislose Haltung gegenüber jugendlichen Adressat_innen bzw. Nutzer_innen, die als ›nicht integriert‹ bezeichnet werden oder von denen angenommen wird, dass sie sich ›nicht integrieren wollen‹, persönlich. Auf der anderen Seite wird sie mit biographischen Erinnerungen konfrontiert, als sie sich mit den Jugendlichen zum Thema Heimat auseinandersetzt. Dabei benennt sie die Angst der Diskriminierung und Ablehnung als Andere – als Angst der Jugendlichen, aber auch in Erinnerung an ihr eigenes Aufwachsen. Hier werden biographische Erfahrungen und v.a. Umgangsweisen mit hegemonialen Integrationsanforderungen aus früheren Zeiten präsent, die sie bisher nicht mehr bewusst in ihre Haltung und ihr Handeln einbezogen hat. So kommt es dazu, dass sie ihre eigene Selbst-Positionierung im Kontext der Mehrheitsgesellschaft neu ausloten muss. Dabei gewinnt sie einen anderen Blick auf ihre Biographie und positioniert sich in Fragen der ›Anpassung‹ und ›Integration‹ sowie anderer unterwerfender dominanzgesellschaftlicher Diskurse neu: Sie bezieht sowohl innerlich als auch in ihren Stellungnahmen in den Diskussionen mit den anderen Pädagog_innen eine Gegenposition. Etwas, was sie, wie sie sagt, schon lange nicht mehr gemacht habe, und was mit ihrer seitherigen selbstverständlichen Selbstpositionierung als deutsche Mehrheitsangehörige in Widerstreit steht. Diesbezüglich kann von einem Veränderungsprozess gesprochen werden, durch den sie sich nun in anderer Weise zu sich selbst, ihrer Biographie und zu ihrer gesellschaftlichen Verortung verhält. Durch diese reflexive Auseinandersetzung ist es ihr gelungen, sich kritisch von hegemonialen Diskursen, denen sie sich auch ein Stück weit unterworfen hat, zu distanzieren. Es erfolgt in gewisser Weise eine Befreiung von selbst auferlegten und familial tradierten Zwängen, die durch die unterwerfende Macht vorherrschender Differenzordnungen und ordnender Diskurse an Migrationsandere gestellt und u.a. durch Sprache und Bil-

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dung vermittelt werden: Sie vollzieht eine Ent-Subjektivierung (in Bezug auf Butler 2001) als Befreiung aus einem »machtvollen Unterworfen-Sein« (Sattler 2009: 11) oder eine Ent-Unterwerfung (Osterkamp 2003), die mit einer Erweiterung an Handlungsmöglichkeiten verbunden ist, aber auch die Option der Veränderung der unterdrückenden Verhältnisse enthält. In diesem Sinne mischt sich Ioana Dobreva kritisch in die Diskussion um Integration im Rahmen der Weiterbildung ein, aber auch bei anderen Themen, wie sie im Interviewausschnitt zuvor andeutet. In diesem Transformationsprozess ihres Selbst- und Weltverhältnisses hat sie nicht nur eine neue Haltung und Position gewonnen, sondern auch mehr Handlungsfähigkeit – gerade für die kritische Auseinandersetzung mit potenziellen Veränderungen von unterwerfenden und ausgrenzenden Strukturen. Dieser Prozess und v.a. die Einnahme einer kritischen Gegenposition sind jedoch auch mit Risiken verbunden. Sie wird dadurch als abweichend von dominanten Diskursen und v.a. Positionierungen sichtbar und damit potenziell angreifbar(er) und läuft in verschiedener Hinsicht Gefahr, zur Anderen gemacht zu werden, z.B. da sie von Kolleg_innen nur mehr einseitig als Migrationsandere oder als Rassismuserfahrene oder -beklagende wahrgenommen werden könnte. Ihre biographische Rückbesinnung verbunden mit einer Neu-Positionierung bzw. Verschiebung ihrer ›eher angepassten‹ zu einer ›mehr widerständigen‹ Haltung und den Rassismuserfahrungen, die sie durch die Diskurse der Kolleg_innen macht, bringt sie den Jugendlichen, mit denen sie arbeitet, näher: »Deswegen (,) ähm (...) äh war das finde ich für mich nochmal spannend, weil ich so eine (,) so nochmal äh sehr persönlich (,) [ja ja ja] nachgedacht habe (,) u(-) und ähm (...) viele Gesprächskreise jetzt mit innerhalb der Jugendlichen (,) äh über ihre diffusen Heimatbegriff (,) kann ich total nachvollziehen (,) [mhm] ja weil ich ja (,) [jaja] deswegen war dann diese (,) Verständnis [mhm] an Diffusität und und wir und ihr und ich will wieder hin, aber ich will eigentlich doch nicht hin (,) [mhm] kann ich eigentlich nur nicken [mhm] und so [mhm] also (,) das ist nah und noch so mal abstrakte Themen die ich mit Jugendlichen, wo mir ein bisschen so (,) der Zugang fehlt (,) [ja] ich rational ich einiges verstehen kann (,) aber ich konnte es jetzt auch auf emotionaler (,) [ja ja] Ebene verste(-) wahrnehmen (,) [ja] so. [aha] (.) Ähm (...) ja.« (int1: 806-816)

Vor dem Hintergrund einer bewussteren Auseinandersetzung mit der Frage ihrer eigenen Zugehörigkeiten bzw. ihrer Fremd- und Selbstverortung fühlt sie sich den Jugendlichen und den von ihnen artikulierten Positionierungen verbunden. Sie sieht Parallelen zwischen ihrer eigenen Zugehörigkeit (»so etwas Verschwommenes«) und dem »diffusen Heimatbegriff« der Jugendlichen. Dies hat auch Einfluss auf ihre (professionelle) Beziehung zu den Jugendlichen, mit

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denen sie (nicht nur in diesem Projekt) arbeitet. Sie sagt, dass sie sich den Jugendlichen, denen sie sich sonst in ihren Erfahrungen nur rational annähern konnte, nun auch emotional näher fühlt bzw. sie besser verstehen kann. Sie ist also den Jugendlichen, v.a. denen mit Migrationsgeschichte, näher gerückt und hat sich von den Kolleg_innen, die hauptsächlich der Mehrheitsgesellschaft angehören, innerlich etwas distanziert. Damit hat sich durch das Hervortreten der Bedeutung des Migrationshintergrundes und ihrer damit verbundenen Neu-Positionierung eine Verschiebung ergeben, die gegenläufig zum etablierten professionellen Nähe-Distanz-Verhältnis verläuft: Die relative Nähe unter Kolleg_innen (auf der gleichen Ebene) und die relative (hierarchische) Distanz gegenüber den jugendlichen Adressat_innen erfahren eine Verschiebung. Durch die Beschäftigung mit dem Projekt und den darin stattfindenden Aushandlungsprozessen ist es für sie zu einer Selbstvergewisserung bezüglich ihrer familialen Migrationsgeschichte und ihrer Positionierung in der Mehrheitsgesellschaft gekommen. Sie kann sich nun selbstbewusster darauf beziehen und sich diesbezüglich positionieren. Vor diesem Hintergrund nimmt sie im Kontext der Weiterbildung eine Gegenposition zu dominanten Diskursen aus einer marginalisierten Perspektive ein. Allerdings zeigen sich auch in diesem Zusammenhang die Ambivalenzen des Benennens von Differenz (u.a. durch die Einnahme einer Gegenposition) sowie die Gefahren der Festschreibung in dominanzgesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Dadurch treten für sie das Thema Migrationserfahrung und damit verbunden auch Rassismus in den Vordergrund und durchdringen ihre pädagogische Haltung und ihr Tun. Andere Differenzlinien und Dominanzverhältnisse bleiben in diesem Kontext eher im Hintergrund ihrer Auseinandersetzung, auch in der Reflexion ihres pädagogischen Tuns. So wird sie erst im Interview, in der Reflexion des Umgangs der Jugendlichen mit Geschlechterrollen und wie sie und männliche Kollegen unterschiedlich darauf reagieren, dazu angeregt, über Geschlecht bzw. Geschlechterverhältnisse und deren Bedeutung in der Beziehung zu den Jugendlichen nachzudenken. Dass eine solche Perspektive für sie zukünftig bedeutsamer werden kann, deutet sie an, als sie sagt, dass sie noch weiteren Fortbildungsbedarf zu den Themen Ausgrenzung und Diversität habe und sich nun bei einem benachbarten Mädchenzentrum zu einem Fachtag zu Migration und Geschlecht angemeldet habe. Bis dahin war für sie, wie sie in der Darstellung ihrer Umgangsstrategien gegen Vereindeutigungen aufgezeigt hatte, Geschlecht eine Differenzierungskategorie unter anderen, das sie jedoch als Dezentrierungsstrategie bei Homogenisierungen und einseitigen Perspektiven ins Feld führte. Allerdings hat die Beschäftigung mit gender und Sexismus sowie mit anderen Dominanzverhältnissen für sie zu diesem Zeitpunkt nicht die gleiche In-

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tensität und Tiefe wie die Auseinandersetzung mit Rassismus und rassistischen Strukturen. Insgesamt, so scheint es, ist es für sie in der pädagogischen Auseinandersetzung mit Verhältnissen der Differenz und Ungleichheit zu einer Transformation ihrer Selbst- und damit auch ihrer Weltsicht gekommen. Vor dem Hintergrund ihrer biographischen Erfahrungen (und das sind mehr als die angesprochenen Aspekte), ihrer intersektional uneindeutigen gesellschaftlichen Positionierung (und hierfür ist nicht nur der thematisierte Migrationskontext bedeutsam) sowie ihres Berufs (ihrer Ausbildung und Arbeit als Sozialpädagogin in der Jugendarbeit) und des damit verbundenen Möglichkeitsraums hat sie sich im Verlauf des Projekts herausfordern lassen und sich auf diese Herausforderungen sowie auch auf die Widersprüchen des Handelns eingelassen, sodass es zu verschiedenen Transformationen kommen konnte. Die von ihr realisierten Möglichkeiten zu reflektieren, zu handeln, sich zu verändern und auch kritisch hinterfragend auf andere soziale Akteur_innen und Verhältnisse einzuwirken sind subjektiv funktional und in ihrem Bedingungs-Bedeutungs-Begründungs-Zusammenhang zu sehen. In diesem Zusammenhang ist der dargestellte Reflexions- und Bildungsprozess als eine spezifische Möglichkeit der lernenden Veränderung zu betrachten. Dieser Bildungsprozess wurde durch das wiederholte Infragestellen von sich selbst und anderen angeregt und erst ermöglicht. Dies zeigt sich hinsichtlich ihrer Auseinandersetzung mit eigenen Verunsicherungen, mit Ambivalenzen, die sie in ihrem Denken und Handeln erlebt hat und denen sie mit Selbstkritik begegnet, aber auch dem Willen, nicht zu diskriminieren. Sie entwickelt ein zunehmendes Bewusstsein für strukturelle Widersprüche, die sie wiederum in der Praxis von überhöhten Selbst-Ansprüchen entlasten, ohne den kritischen Blick zu verlieren. Einen wirklichen Perspektivenwechsel erlebt sie jedoch v.a. in biographischer Hinsicht und mit Blick auf ihre eigene Positionierung in der Dominanzgesellschaft. Sie nimmt eine Neu-Positionierung sowie eine Verschiebung von Grenzen vor, die sich auf ihre professionelle Beziehung zu den Jugendlichen auswirken. Dies ist auch im Kontext professionsspezifischer Haltungen und Diskurse zu betrachten, die als subjektbezogen markiert werden und auf die sie sich erst wieder bzw. besser durch diese Veränderungen ihrer Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten einlassen kann. 7.2.2 Fallanalyse 2: Perspektivenwechsel und Überwindung von Widerständen Im Folgenden wird versucht, sich dem Transformationsprozess einer Lehrerin, Andrea Heine genannt, anzunähern und diesen in einigen Teilen zu rekonstruie-

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ren. Rückblickend bezeichnet die Lehrerin ihre im Verlauf des Projekts erfolgten Veränderungen selbst als »Perspektivenwechsel« (int7: 402) und bezieht sich dabei auf ihren Blick auf Schüler_innen und damit einhergehende Zuschreibungen und Deutungsmuster. Andrea Heine beteiligt sich zusammen mit ihrer Klasse (Stufe 8 in einer Hauptschule) sowie ihrer_m Tandempartner_in aus der Jugendarbeit am Projekt. Ein Grund für ihre Beteiligung ist u.a. die aus ihrer Sicht schwierige Klassenkonstellation. Diese macht sie im Projektverlauf immer wieder zum Thema. Sie benennt zum einen die Ausgrenzung eines einzelnen Schülers durch die gesamte Klasse, zum anderen eine starke Gruppenbildung und Spaltung in der Klassengemeinschaft. In dieser Begründung hebt sie bereits die »Gruppe der türkischen Jungs« 17 als problematisch hervor und bezieht sich dabei auf ein natio-ethnokulturelles und gegendertes Bild und einen damit verbundenen hegemonialen und rassialisierten Problematisierungsdiskurs. Im Verlauf der Weiterbildungsmodule wird von ihr und der_ Tandempartner_in immer wieder auf die so bezeichnete Gruppe hingewiesen und im Sprechen über ihre Arbeit oder auch die Projektdurchführung wird diese Bezeichnung zu einer Art Label für Abweichung und Störung im Schulkontext. Im Rahmen eines Weiterbildungsworkshops wird dieses pauschalisierende und problematisierende Sprechen von den anderen Pädagog_innen kritisch hinterfragt. Ein paar Teilnehmende zeigen sich irritiert über diese ständig wiederkehrende Bezeichnung und hinterfragen diese. Dabei stellen sie sehr direkt Fragen wie: »Was meint ihr damit, wenn ihr türkische Jungs sagt?« oder »Glaubt ihr, dass sie nur so drauf sind, weil sie türkisch sind?« und es werden von ihnen noch andere Aspekte und Differenzlinien eingebracht: »Hat das nicht vielleicht eher was mit Pubertät oder Männlichkeit zu tun?« Andrea Heine scheint darauf kaum zu reagieren und sagt schließlich: »Naja, es sind halt türkische Jungs, also v.a. türkische Jungs. Was soll ich sagen«.18

Bevor nun der Prozess von Andrea Heine weiterverfolgt wird, soll zunächst auf das Agieren der Kolleg_innen eingegangen werden. Diese intervenieren an dieser Stelle gegen die vorgenommene abwertende Pauschalisierung und stellen diese infrage, indem sie den einseitigen Fokus des pauschalisierten Bildes zu de-

17 Hier handelt es sich um ein Zitat von ihr aus dem Kontext des ersten Weiterbildungsmoduls (vgl. Beobachtungsprotokoll Tandem_WB 1). Diese pauschalisierende Formulierung wird in den folgenden Sitzungen von ihr (und zunehmend auch anderen) formelhaft gebraucht. 18 Dichte Beschreibung aus Beobachtungsprotokoll Tandem_WB2.

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konstruieren versuchen und/oder sie dezentrierend und differenzierend auf andere Ursachenkonstellationen und Zusammenhänge jenseits der fokussierten Differenzkonstruktion aufmerksam machen. Dabei weisen sie auch auf mögliche Zusammenhänge mit anderen Differenzlinien, wie z.B. Geschlecht oder Alter, hin. Möglicherweise hat bei diesen Pädagog_innen bereits ein Lernprozess stattgefunden, der sie befähigt, dekonstruierend und potenziell verändernd in ausgrenzende Deutungsmuster einzugreifen. Andrea Heine reagiert auf diese doch intensiven Nachfragen – zumindest nach außen hin – verschlossen und bestärkt ihre Einschätzung noch durch eine naturalisierende Formulierung (im Sinne von ›die sind eben so‹). Ähnlich defensiv verhält sie sich in einer anderen Situation im Rahmen einer späteren Weiterbildungseinheit, in der sie wieder mit kritischen Nachfragen der anderen Pädagog_innen konfrontiert ist. Die Situation wird im Beobachtungsprotokoll wie folgt festgehalten: Es geht um die Planung der Abschlussveranstaltung, die als gemeinsames Fest o.ä. von allen beteiligten Klassen und Pädagog_innen am Ende des Projekts stattfinden soll. Als es darum geht, inwieweit dies eine öffentliche Veranstaltung werden soll und wer dazu eingeladen wird, greift A.H. in die Diskussion ein und meint, dass sie dagegen ist, dass die Jugendlichen jemanden zu dieser Veranstaltung mitbringen können. Die anderen Pädagog_innen sind darüber irritiert. Auf die Frage, ob sie damit die Eltern meine oder ob die schon kommen dürften, schüttelt sie den Kopf und verdreht die Augen und sagt: »Die kommen da nicht. Die kommen nie […], das sagt die Erfahrung. Die kommen auch nicht zum Elternabend.« Bei der Nachfrage, was sie dazu meine, wenn dann die Freunde und Freundinnen mitgebracht würden, schüttelt sie sehr energisch den Kopf und sagt: »Nee, das geht nicht. Ich weiß, wen die mitbringen und das gibt nur Ärger.« Daraufhin gibt es weitere kritische Fragen der Kolleg_innen, woraufhin sie nach außen den Anschein macht, als ob sie sich verschließt. Sie reagiert auf die Frage »Weshalb glaubst du, dass die Ärger machen?«, mit einem Schulterzucken und sagt: »Erfahrung«.19

In dieser Situation zeichnet Andrea Heine ein geschlossenes und wenig wertschätzendes Bild ihrer Schüler_innen und deren Eltern. Auch wenn dies von ihr an dieser Stelle nicht mehr so verbalisiert wird, wird klar, dass sie damit nicht alle Schüler_innen gleichermaßen meint, sondern dass wieder die problematisierende Kategorisierung greift. Gegenüber den kritischen Nachfragen reagiert sie wiederum mit Rückzug und defensivem Widerstand. Möglicherweise will sie

19 Beobachtungsprotokoll Tandem_WB 4.

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sich nicht mehr länger erklären und bringt das scheinbar unschlagbare Argument der »Erfahrung«, um weitere Fragen abzublocken. Allerdings vollzieht sich hinter dieser Fassade durchaus eine Veränderung ihrer Sichtweise, wie sich später im Interview und auch bei der Durchführung der letzten Projekteinheit mit den Jugendlichen zeigt. In dieser letzten Einheit haben die Jugendlichen die Möglichkeit und Aufgabe, eigenständig und in Kleingruppen die Themen des zurückliegenden Projekts kreativ umzusetzen. Bei der Diskussion um die Gestaltung der Abschlussfeier entstand von den Pädagog_innen die Idee, dass die Resultate aus diesen Projekten bei der Abschlussveranstaltung präsentiert werden könnten. Im Verlauf der Projektarbeit mit den Jugendlichen machte ich folgende Beobachtung: Der Einstieg zu dieser Einheit (für die mehrere Sitzungen erforderlich sind) findet im Jugendhaus statt, zu dem die Klasse zusammen mit der Lehrerin kommt. Als die Klasse zu Beginn etwas Zeit braucht, um anzukommen, sich zu sammeln, dabei zwei Mädchen lustlos rumhängen, ein Junge dies kommentiert, bleibt Frau Heine hinsichtlich der Verzögerung recht locker und zwinkert uns Beobachter_innen zu. Schließlich fängt sie an und führt in die Idee und die Aufgabe dieser Einheit ein. Die Jugendlichen geben sich zunächst skeptisch und werfen kritische Kommentare und Fragen ein. Andrea Heine geht ruhig auf die Bedenken der Schüler_innen ein, erklärt weiter das Vorhaben und die Aufgabe und betont, dass sie ihre Interessen einbringen und selbst ein Projekt gestalten können. Einige der Schüler_innen zeigen sich damit etwas überfordert und fragen erneut nach. Nun wendet sich Andrea Heine einem Jugendlichen zu, der auch nachgefragt hat und sagt zu ihm: »Ich habe ein Idee, Yusuf, was machst du gerne? Du tanzt gerne. Du kannst mit einer Gruppe zusammen auch so einen Rap machen.«20

In dieser Situation geht sie ruhig auf die Schüler_innen mit ihren Bedenken ein. In der Kommunikation mit einem Schüler greift sie direkt die vermeintlichen Interessen des Jugendlichen auf und versucht, ihm so eine Spur zu legen, wie das Projekt umgesetzt werden kann. Dabei handelt es sich um einen der Schüler, die sie zuvor in den Weiterbildungen als problematisch charakterisiert hat. Offensichtlich weiß sie über ihn noch mehr als den Umstand, dass er in der Schule Probleme macht, und zeigt ihm, dass sie auch diese Seite von ihm kennt, und fordert ihn auf, dieses Können hier einzubringen. Der Jugendliche gibt sich zunächst skeptisch, es wird aber auch deutlich, dass er sich geschmeichelt fühlt. Er sagt nach einigem Zögern: »Vielleicht (…), aber nicht in einer

20 Dichte Beschreibung aus Beobachtungsprotokoll_Einheit 10_tandem C.

278 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING Gruppe. Eigentlich mach’ ich das alleine oder mit einem Freund, und der ist nicht in der Klasse. Mit dem mach’ ich immer die Texte«. Darauf sagt sie: »Ja, da kannst du das vielleicht mit ihm vorbereiten und vielleicht will er dann auch mit zur Abschlussparty kommen.«21

In dieser Situation bietet sie genau das an, was sie ein paar Wochen zuvor im Rahmen der Weiterbildung noch für undenkbar hielt und lädt den Freund nicht nur zur Abschlussveranstaltung ein, sondern auch dazu, sich daran aktiv zu beteiligen. Offensichtlich hat sie seither ihre Meinung und Haltung zu diesem Thema geändert. Letztendlich setzte der Jugendliche diesen Vorschlag um und erarbeitete zusammen mit seinem Freund einen Rap zum Thema Ausgrenzung. Dieser wurde bei der Abschlussfeier präsentiert und zu einem großen Erfolg für ihn. Für die Lehrerin war, wie sie später im Interview sagte, der Weg dahin eine ›nervenaufreibende Sache‹, da die Jugendlichen alles außerhalb der Schule vorbereiteten und ihr lange nicht klar war, ob überhaupt etwas daraus würde und der Rap zur Aufführung kommen könne. Aber sie ließ sich darauf ein und war letztendlich trotz ihrer lange währenden Skepsis auf den Erfolg stolz. Andrea Heine hat sich in zweierlei Hinsicht geöffnet: Zum einen hat sie dem Jugendlichen Vertrauen entgegengebracht und es ihm überlassen, Verantwortung zu übernehmen, zum anderen hat sie die – ihr als Lehrerein vertraute und Sicherheit gebende – Kontrolle über das Projekt und das Projektgeschehen zumindest ein Stück weit losgelassen bzw. abgegeben, was es wiederum erst ermöglicht hat, dass dieser Schüler (und auch andere) Verantwortung übernehmen und partizipieren konnte. Dies hat nicht nur zu einer Veränderung ihres festgefahrenen Blickes auf den Jugendlichen geführt, sondern auch eine Veränderung der Beziehung zwischen beiden ermöglicht. Von außen beobachtet kann bei Andrea Heine eine Veränderung in ihrer Haltung und in ihrem Handeln konstatiert werden, der jedoch die Taktik des Rückzugs sowie des defensiven Widerstands gegenüber Versuchen der Kritik und der Dekonstruktion gegenüber den geäußerten Pauschalisierungen und Kategorisierungen vorausgegangen sind. In dem nach Abschluss durchgeführten Interview beschreibt sie schließlich, dass und wie sich ihre Haltung im Verlauf des Projekts verändert hat. Auf die Frage, was sie aus dem Projekt mitgenommen habe, sagt sie: »(4sec) Also mit dem Thema an sich (.) mhm (...) hatte ich ja so meine Bedenken gerade mit unserer (,) großen Gruppe (.) und dann habe ich im Projekt wieder so an mir (,) arbei-

21 Dichte Beschreibung aus Beobachtungsprotokoll_Einheit 10_tandem C.

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ten müssen, wo ich gedacht habe, ich bin auch manchmal (,) rutsche in die Schiene (,) wo ich sage, ja das sind halt die Türken (,) [aha ja] wo ich dachte, ja (,) also da kannst du selber, also ich habe das selber auch noch einiges gelernt (,) [ja] weil das waren dann halt immer für mich (,) ha diese Türken-Gruppe (,) [aha] und die mich dann immer so (,) geärgert haben (,) […] und da habe ich dann auch noch (,) oder jetzt auch immer wieder, wenn ich dann (,) das Wort benutze oder sage, dann denke ich (.) man kann es auch mal anders ausdrücken. (lacht) [aha] Es sind eben nicht alle (jedes Wort einzeln betont) (,) die in der Gruppe [aha] sind auch wirklich Türken [ja] sondern es sind schon auch andere dabei (,) aber das ist dann für mich auch wieder dieses (,) ne (,) [aha] diese Zuschreibungen, die sind so [aha] (lacht) und da habe ich auch (,) also (,) doch auch an mir, mit mir oder an mir gearbeitet, ja. [ja ja] Doch das hat mir dann schon auch was gebracht.« (int7: 351-371)

Andrea Heine konstatiert in diesem Rückblick für sich selbst eine Veränderung. Gerade hinsichtlich der pauschalisierten Betrachtung und Benennung einer Gruppe habe sie ein Bewusstsein für die Problematik der Pauschalisierung entwickelt, auch wenn sie – wie sie einschiebt – durchaus noch die Bezeichnung benutze. Hier reflektiert sie die Wirkung von Sprache und von pauschalisierendem Sprechen. Diesbezüglich beschreibt sie einen Prozess, bei dem sie an sich habe arbeiten müssen, bei dem sie selbst etwas gelernt habe. Damit hebt sie hervor, dass sie diesen Veränderungsprozess aktiv angegangen ist. Sie benutzt Begriffe wie Arbeiten und Lernen, die zum einen auf ein schulisches Bildungsverständnis sowie die in diesem Kontext verwendeten Begrifflichkeiten verweisen und zum anderen auch als ›Tugenden‹ zu verstehen sind, denen sie selbst entsprechen will. Gerade mit dem Verweis auf Arbeit möchte sie möglicherweise hervorheben, dass dieser Bewusstwerdungs- und Veränderungsprozess nicht einfach vonstatten ging, sondern mit Anstrengung verbunden war. Mit Formulierungen wie »an mir und mit mir gearbeitet« dokumentiert sich des Weiteren ein Lernverständnis, das Lernen als individuelles Tun bzw. als individuellen Prozess versteht. Dabei erfolgt eine Fokussierung auf das Selbst, sodass Lernen zu einem Projekt der Selbstoptimierung reduziert und gleichzeitig das kollektive oder soziale Moment von Lernen oder Bildung, wie z.B. die Interaktionen mit den Kolleg_innen und Schüler_innen – außen vor lässt. Damit schließt sie jedoch an vorherrschende Lernverständnisse an. Möglicherweise will sie mir als Interviewerin, die sie im Verlauf des Projekts miterlebt hat, im Interview zeigen: ›Bei mir hat sich etwas verändert, auch wenn es nicht immer so ausgesehen hat‹. Nachdem sie verschiedene Elemente des Projekts genannt hat, die für sie »lehrreich« (389) waren, resümiert sie:

280 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING »Genau (,) also das (,) da habe ich auch gelernt. [aha] Nicht bloß die Schüler, sondern ich auch. (lacht) [ja ja] Und das fand ich wieder, also für mich (,) positiv, ich lerne auch gern.« (int7: 394-396)

In dieser Sequenz zeigt sich in ihrer Wortwahl ein geballtes Auftreten von Begriffen, die im Zusammenhang von Lernen und Lehren stehen, was sicherlich auch im Kontext ihrer Profession zu sehen ist. In diesem semantischen LehrLern-Zusammenhang bleibend, konstatiert sie für sich zum Schluss nicht nur, dass sie dazu gelernt habe, sondern dass sie gerne lerne – und inszeniert sich damit selbst in unterwerfender Weise als ›fleißige Schülerin‹. Im weiteren Verlauf des Interviews geht sie genauer auf die Veränderung ihrer vorherigen Deutungsmuster ein und spricht von einem Perspektivenwechsel, der sie aus ihrem gewohnten Denken herausgebracht hat: »Ja diesen Perspektivenwechsel [aha] einfach mal. Ah da bin ich wieder (,) man fährt ja irgendwann ja schon mal (.) [aha] hat so ein sein Ding (,) und dass man einfach wieder dran denkt, ah ja klar (,) der- oder diejenige sieht das so, muss mich auch wieder in meine Schüler reinversetzen, andere Nationalität, wie sehen die das, wo kommen die raus und einfach mal wieder ein bisschen (,) [aha aha] anders denken (,) und das hat mich dann wieder (.) vielleicht auch (.) offener gemacht. [ja] (.) Also das (,) [aha] habe ich jetzt mitgenommen.« (int7: 402-409)

Der von ihr genannte Perspektivenwechsel bezieht sich darauf, dass sie nun den Anspruch hat bzw. dazu angeregt bzw. daran erinnert wurde, sich auf die Perspektive ihrer Schüler_innen einzulassen bzw. sich bewusst zu machen, dass diese eventuell eine andere Perspektive haben. Sie deutet an, dass diese Perspektive schon einmal bei ihr vorhanden war und möglicherweise durch die Routinen des alltäglichen Unterrichtens, schulische Deutungsmuster und Lehr-LernAnordnungen verloren gegangen ist bzw. in den Hintergrund gerückt wurde. Bei der Formulierung dessen, was sich bei ihr verändert hat, greift sie jedoch wieder auf hegemoniale Differenzkonstruktionen zurück, und zwar nicht nur auf die Differenz zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen, sondern auch auf kulturalisierende Bilder und Deutungsmuster, die (zumindest bestimmte) Schüler_innen zu Anderen machen. Hier überlagern sich Prozesse der Erweiterung und Öffnung mit kulturalisierenden Deutungen, die nun möglicherweise verständnisvoller sind, jedoch nach wie vor die Position der Anderen zuweisen. Den veränderten Blickwinkel und die erweiterte Sichtweise schreibt sie darüber hinaus der Zusammenarbeit im Tandem und der Kooperation mit Pädagog_innen aus der Jugendarbeit zu. Dabei konstatiert sie, dass sie dadurch eine

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andere Sicht auf die Dinge, konkret v.a. auf die Jugendlichen, und andere Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen erfahren habe: »Mhm also zum einen ähm die unterschiedliche Sichtweise (,) [aha] das war immer gut, weil ich habe dann so was (,) halt die Schulsicht gehabt und (,) der benimmt sich immer daneben und da natürlich benimmt er sich wieder daneben und dann kam Mareike [Tandempartnerin] mit ihrer anderen Sicht, die dann wieder (,) aber da hat er sich doch so benommen oder das war da (,) besser oder hier war es so und so (,) und (,) da habe ich gedacht (,) okay (,) man kann es auch wieder ganz anders sehen und habe dann wieder selber gedacht (,) ich bin wieder so festgefahren, habe wieder die Schulsicht (,) und das war für mich wieder toll (,) also das [aha] war dann auch wieder ein Bereich, wo man diese (,) ja äh andere Sichtweise [aha] einfach wieder. (.) Und das fand ich wieder (,) positiv. [ja ja] Also das war (,) für mich auch hilfreich.« (int7: 630-640)

Sie zeigt sich selbstkritisch hinsichtlich ihrer bisherigen Sichtweise, bezeichnet sich als festgefahren und in einer Schulsicht gefangen. Vor diesem Hintergrund beschreibt sie die Zusammenarbeit und den Austausch über die unterschiedlichen Perspektiven – die sie professionsspezifisch wertet – als für sich hilfreich und fruchtbar, um ihre Sichtweise, die sie als festgefahren bezeichnet, zu relativieren und um den Blick zu öffnen. »Da haben wir natürlich oft drüber geredet, das war ja also (,) auch für uns (.) über die Schüler oder über das Thema und (,) da haben wir dann sind wir auch oft ins Diskutieren gekommen so (,) und das war (,) also positiv wirklich. [aha aha] Doch. (...) Durfte auch viel so (,) selber über sich nachdenken, über die (,) eigene Sichtweise und über wie es andere dann wiederum sehen. [ja ja ja] Und dann ist ein Tandem schon (,) finde ich (,) sehr hilfreich.« (int7: 642-646)

Sie kann von der dialogischen und diskursiven Auseinandersetzung, die sie im Tandempartner_in geführt hat, und deren anderen Deutungs- und Vorgehensweisen, profitieren: »Die andere Sichtweise, da habe ich auch wieder da von gelernt. [ja] (..)« (int7: 662-663). Allerdings zeigt sich in diesen Ausführungen nicht nur ein auf das Selbst ausgerichteter Reflexionsprozess, sondern auch eine gewisse Einseitigkeit in der Zusammenarbeit, indem die_ Kolleg_in als ›Korrektiv‹ dargestellt und die Zusammenarbeit darauf reduziert wird. Auf die Diskussionen in den Weiterbildungen geht sie im Interview nicht ein, hebt jedoch die Reflexionsrunden, in deren Rahmen ihre Aussagen immer wieder hinterfragt wurden, als sehr produktiv und hilfreich hervor.

282 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING

Im Interview macht sie des Weiteren deutlich, dass die fruchtbare Auseinandersetzung mit der Thematik und die neuen und anderen Sichtweisen auf das Thema für sie auch über das Projekt und ihre professionelle Arbeit hinausgehen: »(..) Also was mir es gebracht hat, dass ich öfters das Thema auch (,) das ein Thema zuhause war, dass wir darüber geredet haben (.) [aha] mit meinem Mann, also der ist auch Lehrer (,) […] und das war dann schon auch Thema, dass man so drüber geredet hat (,) oder auch die verschiedenen Sichtweisen, dass man (,) ja das man sie vielleicht doch noch anders sehen könnte und das das war dann schon auch Tagesthema oft. [aha ah ja aha] Also einmal im nach dem Unterricht oder auch nach solchen Fortbildungen (,) [aha] und das fand ich wieder ganz ganz gut, also das war (,) ja dieses (,) halt Sachen anders sehen (,) [ja] das hat dann wieder meinem Mann was gebracht. (lacht) [aha ja] Das war dann auch ganz gut.« (int7: 480-490)

Hier teilt sie die neuen Erfahrungen und Sichtweisen mit ihrem Partner und bringt diese in ihr Privatleben ein. Dabei handelt es sich jedoch um eine Auseinandersetzung auf der professionellen Ebene, da dieser, wie sie bemerkt, ebenfalls als Lehrer tätig ist. Möglicherweise findet sie mit ihm eine Plattform, wo sie mögliche Verunsicherungen – von denen sie weder in der Weiterbildung noch im Interview spricht – artikulieren kann. Offensichtlich bringt sie jedoch in diese Gespräche die sie herausfordernden Sichtweisen aus den Weiterbildungen und den Gesprächen mit Kolleg_innen ein und führt sie zumindest so aus, dass – wie sie sagt – auch ihr Mann von ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema profitieren kann. Wie sich Veränderungen in ihrem Denken und Deuten in ihrem Handeln niederschlagen und sich mit diesem verknüpfen, zeigt sich an einer Episode im Rahmen der Abschlussveranstaltung des Projekts, von der sie im Interviewkontext erzählt. Sie habe, so berichtet sie, auf dem Weg zur Veranstaltung mit einer Schülerin gesprochen und gefragt, weshalb ihre Eltern nicht dabei sind. Die Schülerin hat ihr geantwortet, dass sie solche Einladungen zuhause nie abgibt, weil sie nicht will, dass ihre Eltern mit anwesend sind. Darauf Bezug nehmend sagt Andrea Heine nach dem Interview: »Das hab’ ich bei der Abschlussparty gemerkt. Also daran liegt es, dass es nicht an den Eltern, sondern dass die Jugendlichen, das war mir gar nicht bewusst, die wollen cool sein, sagen nichts zu den Eltern, weil sie sagen, ich bin alt genug, das ist meine Sache. Da kommt man wieder ins Nachdenken.« (Mitschrift_int7_anhang)

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Inzwischen kann sie offensichtlich nicht nur eine neue Sichtweise zulassen, mit der das Fehlen bei Elternveranstaltungen zu erklären ist, sie öffnet sich offensichtlich den Schüler_innen, sodass diese ihr das auch mitteilen können. In diesem – wenn auch nur partiell – rekonstruierten und rekonstruierbaren Transformationsprozess zeigten sich ambivalente Entwicklungen. Für sich konstatiert sie das Aufbrechen festgefahrener Meinungen, Bilder und Positionen, die sich auf einen Teil ihrer Schüler_innen beziehen und damit im pädagogischen Kontext relevant werden. Durch die Konfrontation mit anderen, z.T. ihrem Blick entgegenstehenden Sichtweisen auf die jugendlichen Adressat_innen ihrer pädagogischen Arbeit, das kritische Hinterfragen und Infragestellen ihrer Perspektiven und Sprechweisen bei der Weiterbildung sowie durch Inputs, wie z.B. Videos mit Aussagen von migrantischen Jugendlichen zu Rassismus- oder Fluchterfahrungen, werden ihre seitherigen Bilder und Deutungsmuster infrage gestellt, durcheinandergerüttelt und aufgebrochen, wodurch sie wieder aus der »Schiene« (int7: 353), wie sie es selbst bezeichnet, des eindimensionalen Zuschreibens heraustreten kann. Dies führt bei ihr zunächst zu einem Rückzug und zu Widerstand gegenüber einer Revision ihrer Sichtweise, der möglicherweise mit der damit verbundenen Verunsicherung und dem Versuch einer Neu-Orientierung in diesen widersprüchlichen Sichtweisen zu erklären ist. Sie kann sich jedoch zunehmend (und dies ist, so ist anzunehmen, auch kein eindeutiger und linearer Prozess) auf die Auseinandersetzung mit anderen, ihr widersprechenden Perspektiven und Positionen einlassen. Im Interview betont sie, dass sie förmlich eine Freude an der dialogischen Auseinandersetzung entwickelt hat und sieht dies als Chance, sich in ihren Perspektiven und Umgangsweisen mit den Jugendlichen zu öffnen. Performativ zeigt sich dies in ihrem Umgang mit den Schüler_innen, einer stärkeren Öffnung ihnen und ihren Meinungen und Perspektiven gegenüber, wie auch in einem Loslassen, in Form des Sich-Zurücknehmens in ihrer Kontrolle über den schulischen Ablauf oder in diesem Falle des Projektablaufs. Im Interview wird weiter deutlich, dass sie sich dieser Veränderung bewusst ist bzw. eine Reflexivität für diesen Wandlungsprozess zeigt (vgl. Nohl 2006)22. Dies kann möglicherweise als Inszenierung gelesen werden: Sie präsentiert sich im Interviewkontext als diejenige, die an sich gearbeitet und die gelernt hat. Insgesamt zeigt sich, dass sowohl ihre (sich verändernden) Orientierungsund Deutungsmuster als auch ihre Einschätzung zu ihren Veränderungen und Lernprozessen professionsspezifisch und durch die Anforderungen an Bildungs-

22 Arndt-Michael Nohl charakterisiert die selbstreflexive Bewusstseinskomponente einer neuen Identität als Voraussetzung von Bildung in Vollendung (vgl. Nohl 2006: 218).

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arbeit in der Schule gerahmt sind. Die Zusammenarbeit mit Pädagog_innen der Jugendarbeit hat zwar zu einer Perspektivenveränderung geführt, dennoch sind diese Veränderungsprozesse nach wie vor in einer durch Schule und schulisches Lernen institutionell geprägten Sichtweise verhaftet. Auch in diesem Fall konnte der Auslöser eines Transformationsprozesses in der Konfrontation mit anderen Perspektiven rekonstruiert werden, durch die bisherige Deutungs- und Handlungsmuster (zumindest zum Teil) in die Krise geführt wurden (vgl. Haug 2003). Es handelt sich um die Krise ihrer bisher gefestigten Haltung und Sichtweise, eine Krise, die sie als Person berührt hat und deren Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen sie über den Projekt- und Berufskontext hinaus in ihr Leben mitnimmt. Allerdings kann dieser Transformationsprozess empirisch nur bis an diese Stelle rekonstruiert werden, er kann – theoretisch betrachtet – nicht als abgeschlossen und muss als ergebnisoffen betrachtet werden. Es ist davon auszugehen, dass die Auseinandersetzung mit verschiedenen Sichtweisen weiterhin eine Herausforderung bleibt, was mit neuen Konfrontationen und Infragestellungen verbunden ist, aber dann auch wieder zu Veränderungen anregen kann. Es ist nicht davon auszugehen, dass die in einem ersten Schritt konstatierte Öffnung des Denkens bzw. der relativ geschlossenen Bilder und Umgangsweisen nun vollständig und alle Bereiche betreffend umgesetzt ist, sondern dass dies ein widersprüchlicher Prozess ist. Wahrscheinlich kann sich auf der Suche nach neuen Orientierungsmustern zwar nun eine mehr die Perspektiven der Jugendlichen einbeziehende Sichtweise etablieren, möglicherweise hält sie dabei jedoch nach wie vor an kulturalisierenden Deutungsmustern fest bzw. greift in der Phase der Umorientierung und Suche nach neuen Orientierungen auf solche Deutungsmuster zurück. Somit zeigt sich dieser Transformationsprozess als widersprüchlich. Die Veränderungen, auf die sie sich bezieht, sowie der vorgenommene Perspektivenwechsel gehen mit Diskursen und Deutungsmustern einher, die nach wie vor durch dominante Differenzordnungen, Othering sowie ein individualisiertes Lern- und Reflexionsverständnis geprägt sind. So kann es zwar zu partiellen Veränderungen in ihrem Handeln kommen, allerdings wird die Existenz von vorherrschenden Verhältnissen weder thematisiert, noch infrage gestellt; ebenso wenig die eigene privilegierte Position in der Dominanzgesellschaft und in einem Bildungskontext, der durch eine hierarchische Ordnung von Lernverhältnissen geprägt ist. Durch diese unreflektierte Involviertheit in diese Verhältnisse, gepaart mit deren De-Thematisierung sind zwar individuelle Veränderungen im Denken und Handeln möglich, ein die Verhältnisse veränderndes Handeln jedoch weniger. Dies braucht wahrscheinlich noch andere (Divergenz-) Erfahrungen, durch die das eigene Handeln in sozialen und gesellschaftlichen

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Verhältnissen und deren (ein- und ausgrenzende) Wirkungen und v.a. die Bedeutung von strukturellen Ungleichheits- und Dominanzverhältnissen erfahrbar und denkbar werden. Reflexion, Lernen und Bildung sowie damit verbundene Transformationen sind – so wurde an diesem Fallbeispiel deutlich – nicht als lineare Prozesse zu betrachten. Eine widerspruchsfreie ›Weiter‹-Entwicklung ist aufgrund der widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhältnisse und uneindeutigen Positionierungen, durch die der Umgang mit Differenzen und Ungleichheiten gerahmt ist, nicht oder kaum möglich.

7.3 Z UR W IDERSPRÜCHLICHKEIT VON T RANSFORMATIONS - UND B ILDUNGSPROZESSEN In den empirischen Analysen zu Bildungsprozessen von Pädagog_innen in der Auseinandersetzung mit Themen und Verhältnissen von Differenz und Ungleichheit konnten Veränderungsprozesse herausgearbeitet werden, die als Transformationen der Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster bezeichnet werden können und die (potenziell) zu einer veränderten Praxis führen. Es zeigen sich aber auch Brüche und Widersprüche in diesen Prozessen. Diese rekonstruierten Prozesse werden im Folgenden theoretisiert, indem sie – in Bezug auf den intersektional und subjektwissenschaftlich inspirierten Analyserahmen (s. Kapitel 2) – hinsichtlich der jeweiligen Voraussetzungen und des jeweiligen Möglichkeitsraums betrachtet werden. Dabei wird nach den jeweiligen verallgemeinerbaren Bedingungs-Bedeutungs-Begründungs-Zusammenhängen (Held et al. 1994) von Reflexion und Bildung im Kontext von sich mehrfach überlagernden Macht- und Herrschaftsverhältnissen sowie einer Situiertheit von Bildung, die diese Verhältnisse und damit verbundene Diskriminierungen, Ausgrenzungen und Normalisierungen thematisiert, gefragt. Die jeweiligen Bildungsverhältnisse, in denen die Pädagog_innen agieren und in denen sie Bildungs- und Reflexionsprozesse vollziehen und aktiv vorantreiben, sind jeweils am Einzelfall zu rekonstruieren und nicht in ihrer Komplexität und Diversität zu homogenisieren. Dennoch können, von den rekonstruierten Einzelfällen und dem spezifischen sozialen Feld der Untersuchung ausgehend, als bedeutsame soziale Verhältnisse für Reflexion, Lernen und Bildung zum einen der Projekt- und Weiterbildungskontext23, zum anderen die gesell-

23 Dabei handelt es sich um eine Verschränkung von Weiterbildung und Umsetzung der Projekte, sodass es zu einer Verzahnung von Reflexion und Praxis kommen kann. Da-

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schaftlichen Verhältnisse und hegemonialen Diskurse, die in interdependenter Weise durch verschiedene Macht- und Herrschaftsformen geprägt sind, ausgemacht werden. Die jeweiligen Möglichkeiten der Subjekte für Bildung und Veränderungen sind bedingt durch deren jeweilige Positionierung im gesellschaftlichen, durch soziale Ungleichheit strukturierten Raum und den damit verbundenen Möglichkeiten und Perspektiven (Möglichkeitsraum). Wenngleich sich die Positionierungen der Pädagog_innen in diesem Kontext in vielem ähnlich sind, zeigt sich, dass sie in interdependent strukturierten gesellschaftlichen Dominanzverhältnissen positioniert sind, in ungleicher Weise über Privilegien verfügen und – mit Blick auf die Fallanalysen – beispielsweise in unterschiedlicher Weise von rassistischen Diskursen und Otheringprozessen betroffen sind. Ebenfalls agieren sie – als Sozialpädagog_innen in der Jugendarbeit oder Lehrer_innen in der Schule – vor dem Hintergrund unterschiedlicher institutioneller Voraussetzungen und divergierender pädagogischer Konzepte und Traditionen. Für die herausgearbeiteten Bildungs- und Transformationsprozesse, die sich auf der Ebene des Denkens und Handelns vollziehen, konnte das Moment der Krise bzw. des inneren Konflikts als Auslöser oder Initiator ausgemacht werden, durch das bisher bewährte Denk- und Handlungsmuster infrage gestellt und erschüttert wurden. Dazu kam es v.a. dann, wenn Pädagog_innen in der Interaktion mit signifikanten Anderen – hier v.a. mit Jugendlichen oder Kolleg_innen – mit divergierenden Sichtweisen und Standpunkten konfrontiert wurden oder wenn sie sich in Situationen befanden, in denen ihr bewährtes Denken und Handeln an Grenzen stieß bzw. sie die Situation durch bereits vollzogene Reflexions- und Bildungsprozesse in einem anderen Licht sahen und neu bewerten mussten, sodass die bisherigen Handlungsmuster nicht mehr passend erschienen. Dies erfolgte beispielsweise dann, wenn sie für sich konstatieren konnten, dass sie trotz anderer Ansprüche in Otheringprozesse involviert waren und aktiv zu Ausgrenzung beitrugen. Eine solche potenziell krisenhafte Erfahrung (vgl. auch Koller 2007, 2012b) wird von Holzkamp als Diskrepanzerfahrung bezeichnet (ebd. 1993: 239). Solche – mehr oder weniger krisenhaft erlebten – Diskrepanzerfahrungen führten, wie hier exemplarisch herausgearbeitet werden konnte, bei den Pädagog_innen (in unterschiedlicher Weise) zur subjektiven Notwendigkeit,

rüber hinaus wurden im Weiterbildungskontext sowohl kollegiale Formen der Reflexion, der Selbstreflexion und der Selbstkritik methodisch gerahmt und dabei – in den Projekten mit den Jugendlichen und in der Arbeit mit den Pädagog_innen – die dekonstruktivistische Perspektive der Intersektionalität eingeführt und angewendet. Zur genaueren Konstellation der Projekte und Weiterbildungen s. auch die Ausführungen zum Forschungskontext in Kapitel 5.

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sich mit anderen Positionen und Deutungsangeboten und mit den ambivalenten Voraussetzungen und Folgen ihres Handelns reflexiv auseinanderzusetzen. Wie in den Fallanalysen deutlich wurde, haben Ioana Dobreva und Andrea Heine subjektive Gründe, sich auf diese divergierenden Positionen und Diskrepanzerfahrungen überhaupt einzulassen, wenngleich diese vor dem Hintergrund verschiedener biographischer Erfahrungen und sozialer Positionierungen unterschiedlich gelagert sind. Dies kann, wie bei der Jugendarbeiterin Ioana Dobreva, der Wunsch sein, nicht diskriminieren zu wollen und in dem widersprüchlichen Gefüge von Differenz und Ungleichheit handlungsfähiger zu werden oder – wie sie es sagt – ein Standing zu bekommen. Von der Lehrerin Andrea Heine werden die jeweiligen Gründe nicht in dieser Weise artikuliert. Es wird jedoch deutlich, dass Diskrepanzerfahrungen sie zu einer Öffnung zuvor eingefahrener Deutungsmuster anregen konnten, wobei die Aussicht auf eine diesbezügliche Horizonterweiterung und veränderte Perspektive auf die Jugendlichen für sie in irgendeiner Hinsicht subjektiv sinnvoll und anstrebenswert sein musste. Allerdings erscheint es vor dem Hintergrund ihrer unhinterfragten Zugehörigkeit zur Dominanzgesellschaft, ihrer Position als Lehrerin und damit verbundener Privilegien nicht naheliegend (und subjektiv funktional), hegemoniale Denk- und Deutungsmuster infrage zu stellen sowie sich ihrer eigenen Verquickung in diese Verhältnisse und den damit verbundenen Konsequenzen bewusst zu werden, was diesbezügliche Transformationsprozesse erschwert. So sind die in ihrem Fall rekonstruierten Versuche und Prozesse der Öffnung und Veränderung (noch) brüchig und gehen mit dem Festhalten an bewährten und hegemonialen Deutungsund Handlungsformen einher. Zu konstatieren ist, dass die Transformationsprozesse der Pädagog_innen in ihrer reflexiven Beschäftigung mit den erfahrenen Irritationen aktiv vorangetrieben wurden. Diese Prozesse sind vor dem Hintergrund unterschiedlicher professioneller und fachlicher Ansprüche und Praktiken im Umgang mit Differenz und Ungleichheit zu interpretieren, aber auch mit Blick auf die jeweiligen Erfahrungen von Privilegien bzw. von sicheren oder prekären Zugehörigkeiten. Diese aktive und durchaus nicht immer einfache und potenziell mit Brüchen und Zweifeln verbundene Konfliktverarbeitung ermöglicht jedoch – in beiden Fällen – erst das Bewusstwerden und Hinterfragen von eigenen und hegemonialen Deutungsmustern und Praxen hinsichtlich ihrer ein- und ausgrenzenden Implikationen und Folgen; sie gestattet im Weiteren die Ausbildung von alternativen bzw. von neuen Orientierungs-, Deutungs- und Handlungsmustern im Umgang mit Differenz, Ungleichheit und Diskriminierung. Es handelt sich um ein aktives ›Sichreiben‹ an Widersprüchen und Diskrepanzerfahrungen in der Interaktion und im Austausch mit Anderen und Anderem, um einen Widerstreit, wie dies

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Koller (2007, 2012b) mit Bezug auf Lyotard beschreibt, einem ›Sich-selbstBilden‹ in einem ungleichheitsgeprägten sozialen Raum und einem ›Erarbeiten‹ einer neuen, erweiterten Perspektive. Dies ist als ein die ganze Person erfassender und umfassender Prozess zu bezeichnen (und wird von den Subjekten so erfahren), der nicht nur das professionelle Denken und Tun berührt, sondern auch in andere Bereiche des Lebens eindringt und zu einer biographischen Neubewertung führen kann. Von dieser neuen ›Warte‹ erfolgt dann – aus einer anderen, erweiterten Perspektive oder mit neuen Handlungsmöglichkeiten ›ausgestattet‹ – die weitere (orientierende und handelnde) Beschäftigung mit sozialer Vielfalt, Diskriminierung und Ungleichheit, mit der eigenen Positionierung in diesem Feld, dem jeweiligen Blick auf die Adressat_innen sowie dem eigenen pädagogischen Tun. Dabei ist jedoch auf das dialektische Moment dieses Entwicklungsprozesses, wie es in den subjektwissenschaftlichen Lerntheorien hervorgehoben wird (vgl. Holzkamp 1993, Haug 2003), hinzuweisen. Neben der hier herausgearbeiteten Erweiterung der Denk- und Handlungsmöglichkeiten bestehen potenziell noch andere Optionen im Kontext von Bildung und Lernen, wie z.B. die der (subjektiv begründeten) Verweigerung dieser (inneren und äußeren) Auseinandersetzung. Dies zeigt sich beispielsweise bei der eingangs zitierten Jugendarbeiterin in Bezug auf schulische Lehrformen bzw. pädagogisches Handeln im schulischen Kontext oder in Form des inneren Rückzugs, wie er sich zunächst bei Andrea Heine angedeutet hat. Damit wird Bildung oder Lernen tendenziell erschwert bzw. verhindert. Bei Bildung handelt es sich also nicht um einen kontinuierlichen, ›ansteigenden‹ Prozess, sondern um eine sprunghafte Entwicklung, die mit inneren Widerständen, Verunsicherungen und Brüchen einhergeht. Darüber hinaus kann es prinzipiell auch dazu kommen, an dieser konflikthaften Auseinandersetzung zu scheitern. So ist Bildung kein abgeschlossener Akt, sondern bleibt prozesshaft und offen (vgl. Haug 2003).24 Der Bildungsprozess selbst fordert wiederum neue Widersprüche und Konflikte heraus, da nun neue Handlungsprobleme und gesellschaftliche Beschränkungen oder Widersprüche erkannt werden können und somit in einer erweiterten Perspektive über die damit verbundenen Herausforderungen anders nachgedacht werden kann bzw. konkret handelnd mit diesen umgegangen werden muss. So konnte bei Ioana Dobreva rekonstruiert werden, dass sie sich in veränderter Weise mit der Ambivalenz der Benennung von Differenz auseinandersetzte. Diese Veränderung fordert potenziell einen

24 Vor diesem Hintergrund ist die Frage zu stellen, ob Bildung in Vollendung erreicht werden kann, wie dies Nohl beispielsweise konstatiert und anhand von Biographieanalysen herausarbeitet hat (vgl. Nohl 2006: 218).

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weiteren bzw. weitergehenden Lern-und Bildungsprozess heraus oder kann – dialektisch betrachtet – zu einem Scheitern oder einem Zurückfallen in alte und bewährte Deutungs- und Handlungsmuster führen. Für die Bildungsprozesse von Pädagog_innen im Rahmen des Projekts war der Aspekt des Mitlernens (vgl. dazu u.a. Rubinstein 1958/1977) bedeutsam: Bei ihnen selbst wurden in der Auseinandersetzung mit Diversität und Ausgrenzung, also von Lerninhalten, die sie in ihrer Funktion als Pädagog_innen zunächst den Heranwachsenden vermitteln (sollten), auch Lern- und Veränderungsprozesse als Formen des Mitlernens im Kontext ihrer pädagogischen Tätigkeit angeregt. Einige Pädagog_innen sahen sich zunächst nicht selbst als Lernsubjekte, was sich v.a. bei Lehrer_innen zeigte. Diese konzentrierten sich vielmehr aufgrund ihres professionellen Selbstverständnisses auf ihre lehrende bzw. vermittelnde Rolle und auf die Adressat_innen ihrer intentionalen Vermittlungstätigkeit. Für sie kam es erst im Projektverlauf und ihrer Auseinandersetzung mit den Themen und den bestehenden sozialen Verhältnissen dazu, dass sie bei sich selbst auf Widersprüche, Widerstände und Entwicklungsanforderungen stießen bzw. hierzu durch andere herausgefordert wurden. Dies hat nicht nur die – zunächst nicht intendierten – dargestellten Veränderungsprozesse angestoßen, sondern zu einem veränderten Selbstverständnis als Lernende geführt und damit eine bewusste Reflexion ermöglicht. Dass es im Zuge der Umsetzung des Projekts und der damit verbundenen pädagogischen Tätigkeit erst zu Diskrepanzerfahrungen und Irritationen kam, die dann zu einem Umdenken und einer Perspektivenverschiebung geführt haben, verweist auf die Spontaneität von Bildungsprozessen, wie sie von Nohl (2006) hervorgehoben wird und auf die Komplexität der (beabsichtigten und unbeabsichtigten) Effekte von Bildungsangeboten. Zum Zusammenhang von Reflexion und Bildung Wie in den Rekonstruktionen der Bildungs- und Transformationsprozesse deutlich wurde, ist Reflexion ein bedeutender Bestandteil von Lernen und Bildung und wird an unterschiedlichen Stellen für die Möglichkeit einer Veränderung der Denk- und Handlungsmuster relevant: Reflexion wird dann erforderlich, wenn die jeweiligen Deutungs- und Handlungsformen entweder von außen infrage gestellt und mit anderen Sichtweisen konfrontiert werden oder wenn es zu Passungsproblemen zwischen bisherigem Handeln und neuen Anforderungen von außen kommt. Reflexion bedeutet hier, einen Schritt zurück, in Distanz zu sich und seinen selbstverständlichen und auch widerständigen Handlungsmustern zu gehen und diese sowie die jeweiligen Voraussetzungen des Handelns und die

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Verhältnisse zu betrachten, kritische Fragen zu stellen und über alternative Denk- und Handlungsmöglichkeiten – allein oder mit anderen – nachzudenken.25 Für einen Transformationsprozess erwies sich als förderlich, wenn die Professionellen es zuließen, sich als widersprüchlich zu erfahren (vgl. auch Haug 2003), den Widerstreit überhaupt wahrzunehmen und sich den Diskrepanzerfahrungen zu stellen. Denn Lernen (und Bildung) – so betont Frigga Haug (2003) – brauchen Selbstkritik und Reflexion. Sowohl Haug als auch Marotzki (2006) beurteilen Reflexion als notwendige Voraussetzung von Bildung, als einen Prozess, der den Zugang zur Welt und sich selbst erst ermöglicht. Die reflexive Auseinandersetzung mit einer Handlungsproblematik oder widersprüchlichen Handlungsvoraussetzungen sowie mit Dilemmata, für die es keine eindeutigen Lösungen gibt, kann zu einer sogenannten Lernschleife (Holzkamp 1993) werden. Durch das Heraustreten aus dem Handlungsvollzug und damit aus Handlungszwängen kann reflektierend auf die Voraussetzungen des eigenen Handelns geblickt werden und vom direkten Handlungsdruck befreit, können neue Handlungsmöglichkeiten erschlossen werden, um dann in den Handlungsvollzug zurückzukehren. Für Andrea Heine hat möglicherweise die dialogische Auseinandersetzung mit signifikanten Anderen, aber v.a. mit sich selbst, die Bedeutung einer solchen Lern- und Reflexionsschleife erlangt. Das Resultat eines Reflexionsprozesses kann ferner sein, weitere Fragen zu stellen, den Blick zu öffnen und dabei auf neue Herausforderungen zu stoßen – so wie Ioana Dobreva durch die Auseinandersetzung mit dem Thema Diskriminierung und mit den hegemonialen Meinungen und Deutungsmustern der Kolleg_innen zu einem Reflexionsprozess über ihre eigene soziale Positionierung in der Dominanzgesellschaft kommt. Wenn auch diese Auseinandersetzung im Kontext hegemonialer

25 Eine intersektionale Perspektive stellte auch im Projektzusammenhang ein Reflexions- und Analyseinstrument dar, mit dem zur Dekonstruktion von festgefahrenen und vereindeutigenden Sichtweisen, zur Dezentrierung von einseitigen Polarisierungen (z.B. Schwarz-Weiß) und Fokussierungen von Unterdrückungsverhältnissen (z.B. von Rassismus) angeregt werden kann und das das eigene Involviertsein in sich widersprechenden Dominanzverhältnissen entschlüsselt und reflektierbar macht. Diese Perspektive war im Ansatz in den Bildungsveranstaltungen mit den Jugendlichen und den Pädagog_innen relevant. Sie wurde von den Pädagog_innen für die eigene Reflexion aufgegriffen, um den eigenen Blick gegenüber verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu schärfen. Als Instrument bzw. Methode der Dekonstruktion und Dezentrierung wurde es von ihnen jedoch v.a. dann herangezogen, wenn es um das kritische Hinterfragen von Pauschalisierungen oder einseitigen Perspektiven von anderen, den Jugendlichen oder den Kolleg_innen, ging.

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Verhältnisse, in denen sie eine Minderheitenposition einnimmt, prekär und mit Risiken der Verletzbarkeit verbunden ist, ermöglicht ihre subjektive Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie und sozialen Positionierung in professioneller Hinsicht einen veränderten Zugang zu den Jugendlichen. Überdies entwickelt sie nicht nur Widerspruchsgeist gegenüber den Kolleg_innen, sondern mischt sich ein. Reflexion schlägt sich in diesem Falle nicht nur auf eine Veränderung von Handeln nieder, sondern resultiert in Kritik und (potenziell) in veränderndem Handeln. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, wie Reflexions- und Bildungsprozesse in biographische Erfahrungen und soziale Positionierungen eingewoben sind und daraus ihr Entwicklungspotenzial nehmen oder mit Beschränkungen und Widerständen verbunden sind – gerade wenn eigene Privilegien nicht gesehen werden können oder nicht aufgegeben werden wollen. Bildungsprozesse sind damit immer mit Erfahrungen der Ein- und Ausgrenzung bzw. der Privilegierung und De-Privilegierung verbunden. Die daraus resultierenden Perspektiven und Möglichkeiten werden in die Reflexionen eingebaut und in den sogenannten Lerngründen (Holzkamp 1993, s.o.) verarbeitet. So hängt es immer von der jeweiligen Positionierung und dem damit verbundenen Möglichkeitsraum ab, ob es für ein Subjekt subjektiv funktional ist, sich in einen Transformationsprozess hineinzubegeben, der zunächst mit Verunsicherung sowie dem Aufgeben von Sicherheiten und potenziell von Privilegien einhergeht, oder ob dies als zu großes Risiko betrachtet wird und es deshalb naheliegend erscheint, sich in den vorherrschenden Verhältnissen einzurichten. Bildung als Erweiterung der Handlungsfähigkeit Von Bildung kann dann gesprochen werden, wenn die Person aus der krisenhaften Erfahrung und dem widersprüchlichen Prozess der reflexiven Auseinandersetzung mit erweiterten Handlungsmöglichkeiten bzw. einer erweiterten Handlungsfähigkeit hervorgeht. Die Handlungsproblematiken oder Diskrepanzerfahrungen der Pädagog_innen, durch die Transformationen angeregt werden konnten, bezogen sich u.a. auf den Umgang mit Verhältnissen von Differenz und Ungleichheit, aber auch auf das Involviertsein in Prozesse der Ein- und Ausgrenzung.26 In den hier herausgearbeiteten Veränderungsprozessen dokumentiert

26 In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass es sich hier nicht um Handlungsproblematiken oder Diskrepanzerfahrungen handelt, die sich auf Konflikte und Verunsicherungen sogenannter ›kultureller Differenz‹, ›interkultureller Begegnungen‹ oder ›kultureller Fremdheitserfahrungen‹ beziehen. Vielmehr verweisen die Handlungsproblematiken auf die Ambivalenzen und Paradoxien des Handelns in widersprüchlichen sozialen und gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen – wovon das Di-

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sich eine Offenheit gegenüber Neuem, ein Sicheinlassen auf Handlungsunsicherheiten sowie divergierende Sichtweisen und Perspektiven. Dies geht zum Teil einher mit dem Erkennen oder nur Erahnen eines notwendigen und auszuhaltenden Nicht-Wissens (das der Kontrolle oder Kontrollierbarkeit von Situationen und der Adressat_innen entgegensteht) und v.a. mit dem Erkennen bzw. Erahnen, in diesen Verhältnissen nicht ›richtig‹ handeln zu können. Die notwendige Kompetenz des Nicht-Wissens hat Paul Mecheril in kritischer Auseinandersetzung mit dem Begriff der interkulturellen Kompetenz als »Kompetenzlosigkeitskompetenz« (Mecheril 2008) bezeichnet. In dem Moment, in dem dies von den Pädagog_innen realisiert wird, führt dies für sie zu einer Entlastung (nicht alles richtig machen und nicht alles methodisch und didaktisch kontrollieren zu können) und bietet Raum für mehr Handlungs- und Kritikfähigkeit. Erweiterte Handlungsfähigkeit bedeutet in dem hier fokussierten Bildungskontext, mit den damit verbundenen Widersprüchen reflektierter umgehen zu können und so ausgrenzende Praktiken bei sich selbst zu erkennen und auch verändern zu können, aber auf die durch Ungleichheit und Macht strukturierenden Verhältnisse, die zu Othering führen, kritisch und verändernd einwirken zu können. Die Erweiterung von Handlungsfähigkeit bezieht sich auf zwei Aspekte von Handeln (vgl. Kapitel 3): Erstens durch Transformationen der Denk- und Handlungsmuster handlungsfähiger zu werden, d.h. im (professionellen) Umgang mit Adressat_innen, mit widersprüchlichen Verhältnissen von Differenz und Ungleichheit sowie mit damit verbundenen Paradoxien erweiterte Handlungsmöglichkeiten jenseits etablierter (ausgrenzender und normalisierender Praxen) zu erkennen und zu nutzen. Dies bedeutet, sich tendenziell kritisch gegenüber hegemonialen und naheliegenden Praktiken und Deutungsmustern zu positionieren und sich diesen sowie institutionellen Zwängen und hegemonialen Dominanzund Unterdrückungsverhältnissen so wenig wie möglich zu unterwerfen. Bildung kann hier – am Beispiel von Ioana Dobreva – als Prozess der Ent-Unterwerfung von sich selbst und anderen rekonstruiert werden, auch wenn sich Kritik und Widerstand nicht immer einfach und in obigem Sinne verallgemeinernd gestalten. Bei Andrea Heine zeigt sich das widersprüchliche Moment von Bildung im Spannungsfeld von Unterwerfung und Veränderung deutlich. Hier ist auf der einen Seite zu rekonstruieren, wie sie zunehmend ihren festschreibenden Blick und subjektivierenden Umgang mit ihren Schüler_innen reflektiert und zurücknimmt und alternative, weniger normierende und unterwerfende Deutungs- und Handlungsmuster entwickelt. Dabei eröffnen sich ihr zwar neue Handlungsmög-

lemma von Benennen vs. Nicht-Benennen von Differenzen nur eine der Herausforderungen ist.

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lichkeiten in der pädagogischen Beziehung und Praxis, sie bleibt jedoch in ihrem Orientierungsrahmen nach wie vor in hegemonialen Verhältnissen gefangen und reproduziert diese. Für die Interpretation von Bildungsprozessen und der Erweiterung von Handlungsfähigkeit im Kontext hegemonialer Machtverhältnisse ist nicht nur für die beiden ganz unterschiedlich gelagerten Fälle der folgende Hinweis von Ute Osterkamp bedeutend: »Eine Ent-Unterwerfung wird nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn sie nicht auf die Erweiterung eigener Handlungs- und Lebensmöglichkeiten beschränkt bleibt, sondern Unterdrückungsverhältnisse auch dann wahrnimmt, wenn sie zum eigenen Vorteil sind; anderenfalls bleibt sie auf die erweiterte Partizipation an der Macht reduziert, die eine besonders effektive Form persönlicher Unterwerfung ist.« (Osterkamp 2003: 176)

Vor diesem Hintergrund bezieht sich zweitens Bildung auf eine Veränderung der (ein- und ausgrenzenden) Verhältnisse. So ist ein Resultat der Transformation bzw. des Bildungsprozesses die Ermöglichung von veränderndem Handeln (vgl. Dreier 2003), womit ein aktives Eingreifen, Einmischen und Verändern der vorherrschenden Verhältnisse, die zu Othering bei sich und anderen führen, gemeint ist. Dies zeigt sich z.B., wenn Pädagog_innen in den Weiterbildungsworkshops bei normalisierenden und ausgrenzenden Deutungsmustern von Kolleg_innen intervenieren und sich einmischen oder wenn Pädagog_innen im Rahmen des Projekts beginnen, über ein- und ausgrenzende Strukturen in ihrer Jugendeinrichtung nachzudenken und konkrete Umgestaltungen vornehmen, um potenziell aus dem Angebot ausgeschlossenen Jugendlichen den Zugang zu diesem zu ermöglichen. Veränderndes Handeln bedeutet potenziell auch, in ein- und ausgrenzende Strukturen einzugreifen. Dies geschieht dann, wenn im diskursiven Austausch in der Weiterbildung oder in der Bildungsarbeit mit den Jugendlichen durch Intervention symbolische Grenzen verschoben werden – was bei Ioana Dobreva in Bezug auf die Jugendlichen aus einer relativ machtvollen Position heraus erfolgt, bei der Diskussion um Integration in der Weiterbildung aus einer eher prekären Position. Diese potenziellen Widerstandsstrategien gegenüber Othering, Normalisierungen und Vereinnahmungen, wie z.B. des symbolischen Verschiebens von Grenzen, wie sie u.a. von Butler (1990) herausgearbeitet wurden, sind jedoch erst durch den Prozess der Bildung, durch einen veränderten Selbst- und Weltbezug, möglich. Allerdings, und dies ist an dieser Stelle hervorzuheben, wurde in den vorliegenden Studien zu Reflexions- und Bildungsprozessen diese Dimension von Bildung, die Entwicklung von Handlungsweisen, die ausgrenzende und unterwerfende Verhältnissen verändern versuchen, vergleichsweise wenig sichtbar, es schien für die Pädagog_innen in ihrem Sprechen

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über Reflexion kaum von Relevanz. Wenn, dann wurden v.a. die damit verbundenen Handlungsschwierigkeiten bzw. die Herausforderungen eines angemessenen Handelns thematisiert. Dies verweist auf die Involviertheit in herrschaftsförmige Verhältnisse, die das Denken von Kritik und Veränderung erschwert, ebenso deren handelnde Umsetzung. Bildung ist also ein spannungsreicher Prozess, in dem sich das Subjekt dialektisch zwischen den Möglichkeiten der Reproduktion von Ungleichheits- und Machtverhältnissen und der Erweiterung von Handlungsfähigkeiten (von sich und Anderen) bewegt – in reflexiver und kritischer Auseinandersetzung mit sich selbst, mit Anderen und mit den jeweiligen sozialen und gesellschaftlichen Handlungs- und Lebensvoraussetzungen. Allerdings sind Bildung und die Erweiterung von Handlungsfähigkeit in diesem Kontext – und v.a. angesichts hegemonialer Verhältnisse – mit Widersprüchen und Ambivalenzen verbunden. Zur Widersprüchlichkeit von Reflexions- und Bildungsprozessen Die Ergebnisse weisen in verschiedener Hinsicht auf Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten in den rekonstruierten Reflexions- und Bildungsprozessen hin. So zeigen sich sowohl mit Blick auf die Reflexion als auch auf Veränderungsprozesse individualisierte Interpretationen und Umgangsweisen der Pädagog_innen. Reflexion wird von den Pädagog_innen v.a. als individueller Prozess dargestellt, der sich v.a. auf das Bewusstsein und die eigene Person bezieht, was sich in den dafür von ihnen verwendeten Bezeichnungen der ›Bewusstmachung‹ oder ›Sensibilisierung‹ zeigt. Der Zentrierung auf das Selbst kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Dies entspricht zum einen einem vorherrschenden individualisierten Verständnis von Lernen und Bildung, das sich auf die personale Entwicklung bzw. individuelle Veränderungsprozesse einer Person – wenn auch in einem sozialen Kontext – bezieht. Zum anderen verweist es auf ein neoliberal inspiriertes und verkürztes Lern- und Bildungsverständnis, das v.a. auf den Erwerb von Kompetenzen abzielt, die im Rahmen einer kapitalistischen Gesellschaft gefordert und als notwendig erachtet werden, und dabei die Einzelnen in die Verantwortung nimmt und strukturelle Voraussetzungen und gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse weitgehend unberücksichtigt lässt. In diesem Diskurs- und Deutungszusammenhang besteht die Gefahr, dass Reflexion und Lernen – auch in diesem Bildungskontext – mit Kompetenzerwerb gleichgesetzt werden und v.a. der Selbstoptimierung dienen. Im Sich-Arrangieren mit neoliberalen Logiken und herrschaftsförmigen Verhältnissen kann Reflexion zu einer ›Technik des Selbst‹ (Foucault) werden und dabei den Charakter von Selbstbearbeitung, Selbstdisziplinierung, Selbstregierung annehmen, anstelle von SelbstKritik und Kritik an den vorherrschenden Verhältnissen.

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In den herausgearbeiteten Praktiken und Formen der Selbstreflexion zeigen sich individualisierte Umgangsweisen mit Irritationen, Widersprüchen und Konflikten, die gesellschaftlicher ›Natur‹ sind und auf diskriminierende gesellschaftliche Verhältnisse verweisen. Bei solchen Formen der individualisierten Umgangsweisen mit Phänomenen der Ausgrenzung und Diskriminierung beziehen sich Reflexion sowie die Auseinandersetzung mit eigenen (ausgrenzenden) Bildern und Praktiken mehr auf das Selbst als auf die (diskriminierenden) Verhältnisse. Sie fokussieren – im Kontext von Diskriminierungskritik – auf mögliche Veränderungen, die in der eigenen Person (oder bei anderen Personen) liegen, jedoch kaum auf gesellschaftliche, strukturelle oder institutionelle Verhältnisse und damit verbundene Veränderungen. Reflexion wird in diesen Fällen, durch andere angeregt, mit sich selbst ›ausgemacht‹ und als anstrengender Akt der Selbstbearbeitung beschrieben. Trotz verschiedener Konstellationen und Prinzipien der Zusammenarbeit sowie des gegenseitigen Austausches bei Weiterbildungen und Reflexionsgelegenheiten zeigen sich in solch individualisierten Umgangsweisen nur wenige Momente, in denen ein gemeinsamer Prozess der Auseinandersetzung mit anderen Pädagog_innen oder den Jugendlichen stattfindet, die das Ziel der Verbesserung der Verhältnisse oder der Kritik an Diskriminierung und den damit verbundenen Veränderungen verfolgen. Der Bezug auf andere findet – in diesen individualisierten Reflexionsprozessen – v.a. in Form der Abgrenzung statt, indem die eigene Haltung oder das Bewusstsein als tendenziell ›besser‹ oder ›weiterentwickelt‹ dargestellt werden. Es konnten hierzu kontrastierende Umgangsweisen und Formen der Reflexion herausgearbeitet werden. Eine solche wird exemplarisch bei Ioana Dobreva deutlich, die den Gewinn und die Notwendigkeit eines kollektiven und gemeinsamen, wenn auch anstrengenden Prozesses der Auseinandersetzung im Tandem oder in der Weiterbildung hervorhebt, sich in diesen hineinbegibt und darin Möglichkeiten einer kollektiven Veränderungspraxis sieht. Aber bei ihr zeigen sich Momente des ausschließlichen Bezugs auf sich selbst, was sie u.a. als »inneren Bewusstseinsprozess« beschrieben hat, als sie sich in ihrer Biographiearbeit aus dem Projektkontext und von den anderen Pädagog_innen zurückzieht. Dieser Rückzug kann vor dem Hintergrund ihrer verletzbaren Position als Migrationsandere gelesen werden, in der sie sich vor Otheringerfahrungen schützt. Insgesamt zeigte sich, dass von den Pädagog_innen die eigene soziale Positionierung in Machtverhältnissen und damit verbunden die eigene Involviertheit in vorherrschende Dominanzverhältnisse kaum thematisiert wurde. Dies galt insbesondere für diejenigen, die selbstverständlich zur Dominanzgesellschaft gezählt werden. Solche Thematisierungen waren darüber hinaus wenig auf den gesamtgesellschaftlichen Kontext und damit verbundene Machtverhältnisse bezo-

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gen; wenn, dann eher auf Interaktionskontexte oder die Zusammensetzung von Tandems oder die Weiterbildungsgruppen (beispielsweise »als einziger Mann unter lauter Frauen«). Ungleiche Macht- und Dominanzverhältnisse sowie deren Auswirkungen wurden v.a. mit Blick auf die Schüler_innen thematisiert – ebenso das dabei relevante Zusammenwirken verschiedener Ungleichheitsverhältnisse. Das Absehen von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen sowie die Reflexion über eigene Privilegien bzw. Dimensionen der De-Privilegierung erschweren zum einen, die eigene Involviertheit und Beteiligung an Othering selbstkritisch zu reflektieren, und verunmöglichen zum anderen davon ausgehende Bildungsprozesse, die nicht nur auf eine Veränderung der Person und deren Haltung abzielen, sondern auch auf ein die Verhältnisse veränderndes Handeln, wie beispielsweise auf Privilegien zu verzichten. Die Konzentration auf das eigene Selbst bzw. auf personalisierte Kompetenzen und auch ›Fehler‹ sowie die Tendenzen zur individualisierten Bearbeitung dieser im Rahmen von Reflexion und Bildung gestalten sich in verschiedener Hinsicht widersprüchlich. Zum einen werden durch ein solches Verständnis und eine solche Praxis von Reflexion gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie Kontexte von Othering ausgeblendet. Durch das weitere Ausblenden des eigenen Involviertseins in Diskriminierungs- und Ungleichheitsverhältnisse besteht die Gefahr, dass bei der individualisierten Bearbeitung des eigenen Selbst (und auch bei der ›Bearbeitung‹ von anderen individualisierten Personen) diese Verhältnisse reproduziert werden. Somit können Otheringprozesse relativ unbemerkt mit Reflexions- und Veränderungsprozessen einhergehen. Die Reflexion und das Handeln verbleiben in den hegemonialen Dominanzordnungen, sodass beispielsweise Weiße Pädagog_innen von dieser rassistischen Ordnung im Bildungskontext profitieren können. Für diskriminierungskritische Bildungsarbeit zeigen sich hier Grenzen. Mit einer solch personalisierenden Umgangsweise mit Diskriminierung, Rassismen, Heterosexismen, Klassismen und Ableismen im Projektkontext – welche tendenziell von allen Beteiligten in irgendeiner Weise mitgetragen wird – geht das kritische und emanzipative Potenzial von Bildungsarbeit verloren und Anregungen zur Selbst- und Gesellschaftskritik können sich nicht entfalten. Hingegen besteht die Gefahr in diesem Kontext, bestehende Verhältnisse zu reproduzieren und aus einer privilegierten Perspektive davon zu profitieren. Ein solches individualisiertes Reflexions- und Bildungsverständnis gestaltet sich darüber hinaus im Kontext von pädagogischer Professionalität dahingehend widersprüchlich, als dass sich die Kompetenz der Selbstreflexion persönlich an-

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geeignet und auf einem kontinuierlich wachsenden und kapitalisierten Weiterbildungsmarkt zunehmend ökonomisch individuell erworben werden muss, aber im Rahmen der beruflichen (Erwerbs- und Lohn-)Arbeit in Schule oder Jugendarbeit erwartet, eingebracht und gesellschaftlich verwertet wird. Dem gesellschaftlichen Auftrag dieser Arbeit wird individuell nachgekommen. Aber auch in anderer Hinsicht wird die Widersprüchlichkeit von Reflexionsund Bildungsprozessen im Kontext hegemonialer Verhältnisse deutlich. So zeigt sich eine Gleichzeitigkeit von Veränderung und Reproduktion von hegemonialen, aber diskriminierenden Praktiken und herrschaftsförmigen Verhältnissen im Bildungskontext und in der Bildungsarbeit. In den rekonstruierten Reflexionsund Bildungsprozessen dokumentiert sich das Zusammentreffen von Bildung und Othering. Es wird deutlich, dass Reflexions- und Lernprozesse in verschiedenen Bereichen gegensätzlich oder zumindest diskontinuierlich zueinander verlaufen können. Auch wenn es in bestimmten Teilen der Orientierungen und Handlungsmuster der Pädagog_innen zu einer kritischen Selbstreflexion und einer Transformation des Handelns gekommen ist, können nach wie vor in anderen Bereichen Orientierungen oder Handlungsmuster relevant bleiben, die noch nicht in dieser Weise durchdrungen sind und/oder die den neu entwickelten Sichtweisen und Handlungsperspektiven widersprechen. Dies verweist auf die generelle Widersprüchlichkeit von Lernen und auf die besondere Widersprüchlichkeit von Bildung in gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen (vgl. Haug 2003). Unter den Voraussetzungen von hegemonialen institutionellen und gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen spitzt sich die Widersprüchlichkeit im ambivalenten Umgang mit Differenz und Ungleichheit noch zu. So kann es in der (reflektierenden) Auseinandersetzung mit den Gefahren des Othering dazu kommen, in den dominanten Denkweisen und Strukturen der Normalisierung und der Segmentierung von vorherrschenden Bildungskontexten sowie in gesellschaftlichen oder institutionellen Zwängen verhaftet zu bleiben. Dies zeigt sich v.a. im schulischen Kontext, in dem Bildung stark durch hierarchische und formale Regelungen und Strukturen geprägt ist. Im Projektkontext wurde deutlich, dass Pädagog_innen in manchen Bereichen ihre bisherigen Routinen und selbstverständliche, aber in den Folgen ausgrenzende Praxen selbstkritisch hinterfragen, alternative Handlungsperspektiven entwickeln und umsetzen, in anderen Bereichen jedoch schulischen Zwängen und Regelungen, die ebenso von Ein- und Ausgrenzungen sowie Normierungen durchdrungen sind, scheinbar widerspruchsfrei folgen. Andere Widersprüche im Handeln und im Transformationsprozess zeigen sich daran, dass Pädagog_innen institutionelle Regelungen, Gewohnheiten und Praxen anwenden bzw. zur Geltung kommen lassen, die den

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Inhalten des Projekts widersprechen und eine offene und freie Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen und Positionen tendenziell verhindern. So machten einige Lehrpersonen von der Vergabe von Schulnoten oder Leistungsbeurteilungen im Rahmen der Projektarbeit Gebrauch, andere verteilten stupide Strafarbeiten. Insgesamt kann konstatiert werden, dass institutionelle Zwänge, Routinen und Regelungen für Pädagog_innen das Infragestellen der eigenen Praxis erschweren und Überlegungen zu alternativen, kritischen oder widerständigen Handlungsweisen entgegenstehen. Die Transformationsprozesse der Pädagog_innen bleiben in den herrschenden Verhältnissen – institutioneller und gesellschaftlicher Art – widersprüchlich verstrickt. Die hierarchische Struktur sowie der Zwangscharakter der Institution Schule erschweren insbesondere demokratisches Lernen und widersprechen einer kritischen und potenziell verändernden Auseinandersetzung mit Verhältnissen von sozialer Differenz und Ungleichheit, wie dies in Projekten zu Diskriminierungskritik Gegenstand ist (vgl. Scharathow/Leiprecht 2009). Obwohl Jugendarbeiter_innen nicht in gleichem Ausmaß den normierenden, segmentierenden Strukturen und institutionellen Zwängen ausgesetzt sind, sind sie darüber hinaus in gesellschaftliche Zwänge und Machtverhältnisse verstrickt und nicht vor Othering und Normalisierungspraxen gefeit (vgl. Kapitel 6). Diese knüpfen an gesellschaftliche Erwartungsund Normhorizonte sowie Alltagsdiskurse an und durchdringen Sensibilisierungs- und Reflexionsprozesse von Othering. Bildungsprozesse von Pädagog_innen erweisen sich in widersprüchlicher Weise in hegemoniale und intersektionale Macht- und Dominanzverhältnisse verstrickt und sind dadurch widerspruchsvoll gebrochen. Dies hat die enge Verbindung von Bildung und Othering zur Folge. Dabei durchkreuzen sich verschiedene interdependente Macht- und Herrschaftsverhältnisse, auf die möglicherweise nicht in gleicher Weise durch Reflexion und Kritik eingegangen wird. Die Reflexion von eigenem diskriminierenden Handeln und das ›Verlernen‹ von Othering können mit einem Festhalten an etablierten Normalisierungsdiskursen einhergehen, ebenso ein kritisches Engagement gegen Rassismus mit heteronormativen Orientierungen. Beide (potenziell reflexiven) Umgangsweisen können damit auch zu Othering beitragen. Ein intersektional inspiriertes Infragestellen oder ›Verschieben‹ einseitiger Thematisierungen in der Arbeit mit Jugendlichen, das stark personalisierend erfolgt, birgt die Gefahr, zu ›neuem‹ Othering, zu einer Ethnisierung von Homo- und Transphobie, einer Relativierung von Rassismus oder einem Blaming der Jugendlichen beizutragen. Die beabsichtigte Sensibilisierung wird damit ambivalent. Dadurch zeigen sich Ungleichzeitigkeiten von Bildung und das widersprüchliche Zusammenwirken von Reproduktion und Kritik.

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Bildungsarbeit gegen Diskriminierung und Normierung ist unter herrschaftsförmigen und asymmetrischen Gesellschaftsverhältnissen widersprüchlich. Sensibilisierende und sich öffnende Perspektiven der Kritik und des Widerstands werden durch gesellschaftliche und institutionelle Erwartungen, neoliberale Bildungsvorstellungen sowie durch asymmetrische Machtverhältnisse und die ungleiche Verteilung von Privilegien überlagert und die Bildungsprozesse der Beteiligten werden davon durchdrungen. Dies zeigt sich selbst in Bildungsverhältnissen, die sich durch Formen der Kooperation auszeichnen.

7.4 L ERNEN

UND

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IN UND DURCH

K OOPERATION

Das Thema Kooperation spielte bei der retrospektiven Betrachtung des Projekts durch die Pädagog_innen eine bedeutsame Rolle: zum einen die interprofessionelle Kooperation von Jugendarbeit und Schule bzw. von Sozialpädagog_innen und Lehrer_innen, deren Zusammenarbeit in einem pädagogischen Tandem konzeptionell für das Projekt 2 angelegt war; zum anderen verschiedene Formen der Zusammenarbeit von Pädagog_innen, die an derselben Schule arbeiten und dort entweder zu zweit mit einer Klasse das Projekt durchführten oder bei der Vorbereitung, der Aufarbeitung des Materials und im Austausch über ihre Erfahrungen kooperierten. Diese Formen der Kooperation wurden von den beteiligten Pädagog_innen im Großen und Ganzen als fruchtbar und anregend bezeichnet; so wurde in diesem Zusammenhang die Redensart des ›Voneinanderlernens‹ gebraucht. In der Rekonstruktion von Reflexions- und Transformationsprozessen der Pädagog_innen konnte die Kooperation als bedeutender Faktor für den Widerstreit, für die Konfrontation mit anderen Sichtweisen ausgemacht werden, die potenziell zu einem Perspektivenwechsel und zu einer Transformation der Orientierungs- und Handlungsmuster anregen. Josef Held (1995: 92) betont in diesem Zusammenhang »die Bedeutung der Interaktion für das Lernen« und mit Bezug auf Vygotski das Soziale des Lernens (vgl. auch Marvakis 1996, Haug 2003). Im Rahmen des Projektzusammenhangs »Automation und Qualifikation« (vgl. Brosius/Haug 1987) beschreibt Frigga Haug den Gewinn der Kooperation für Veränderungsprozesse, die aus routiniertem Denken und Handeln herausführen können: »Der Schutz des Gewohnten, der eine Blockierung der Lernmöglichkeiten darstellt, wird durchbrochen, wenn unterschiedliche Wahrnehmungen und Interessen gegeneinander sto-

300 | BILDUNG – I NTERSEKTIONALITÄT – OTHERING ßen, die sich gleichwohl nicht antagonistisch (wie etwa Kapital und Arbeit) aufeinander beziehen.« (Haug 2003: 273)

Das ›Aneinanderreiben‹ und das Aufeinandertreffen verschiedener Perspektiven, die im Rahmen der Weiterbildungen im vorliegenden Projektkontext rekonstruiert werden konnten, fordern Widerspruch und Widerstreit heraus. Es konnten dadurch eine Perspektivenerweiterung befördert und die Transformation und Veränderung etablierter, aber in der Folge ausgrenzender Denk- und Handlungsmuster ermöglicht werden. Dieser Widerstreit unterschiedlicher Perspektiven kann aber auch zu Widerständen führen, wenn in die Kommunikation Machtverhältnisse und Konfliktkonstellationen hineinspielen, durch die sich die Beteiligten nicht auf einen Lernprozess einlassen können. Die diversen Kooperationen im hiesigen Projektzusammenhang waren in verschiedener Hinsicht durch asymmetrische Machtverhältnisse gerahmt, und die Beteiligten verfügten in unterschiedlicher Weise über Macht und Privilegien,27 was auf das Lernen in und durch Kooperation Auswirkungen hatte. Für die Auseinandersetzung mit Themen der Diskriminierung, Unterwerfung und Normierung in sozial heterogenen Gruppen, in denen die Beteiligten über ungleich viel Macht und gesellschaftliche Anerkennung verfügen oder (beruflich) zueinander in einem hierarchischen Verhältnis stehen, kann sich Bildungsarbeit äußerst ambivalent auswirken. Annita Kalpaka (2009: 146ff.) arbeitet die Gefahr heraus, dass in Weiterbildungsveranstaltungen, in denen gesellschaftliche Minderheits- und Mehrheitsangehörige28 zusammenarbeiten, die hegemonialen Dominanzverhältnisse reproduziert werden können und der Austaustauch zu einer Zumutung für diejenigen werden kann, die strukturell von Diskriminierung betroffen sind. Minderheitenangehörige können hier – durch Artikulationen von Mehrheitsangehörigen, u.a. in deren Reflexionsprozess – in einem diskriminierungskritischen Bildungskontext mit hegemonialen ausgrenzenden Diskursen konfrontiert sein und erneut zu Anderen gemacht werden oder der Zumutung ausgesetzt sein, selbst für Mehrheitsangehörige zum ›Lernobjekt‹ zu werden. In diesem Kontext gestalten sich für sie dann

27 Dies bezieht sich auf die ungleichen Positionierungen im ungleich strukturierten gesellschaftlichen Raum sowie auf die asymmetrischen Beziehungen zwischen den Angehörigen verschiedener Berufsgruppen und Bildungskontexte, zwischen den Jugendlichen und den Pädagog_innen, zwischen Forscher_in und Pädagog_innen sowie den Pädagog_innen und den Leiter_innen der Weiterbildung, die z.T. in einem abhängigen Arbeitsverhältnis standen usw. 28 Hinsichtlich der Intersektionalität der Macht- und Dominanzverhältnisse sind diese Positionen nicht immer eindeutig auszumachen, worauf auch Kalpaka hinweist.

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die subjektiven Möglichkeiten der Partizipation an gemeinsamen Reflexionsprozessen oder die des Rückzugs oder der Verweigerung. Schlechterdings können in der diskriminierungskritischen Bildungsarbeit durch die Dominanz hegemonialer Perspektiven und von Otheringprozessen Bildungsprozesse von Diskriminierungs-Erfahrenen blockiert werden, oder sie werden von diesen an einem anderen Ort ausgetragen, wie z.B. von Ioana Dobreva, die die Auseinandersetzung mit ihrer Biographie und eigenen Zugehörigkeiten nicht im Rahmen der Weiterbildung geführt hat. Das interprofessionelle Verhältnis zwischen Schule und Jugendarbeit war im Rahmen des Projekts hinsichtlich eines spannungsreichen strukturellen Beziehungsgefüges von besonderer Brisanz. Obwohl sich die Kooperation von Jugendarbeit und Schule in den letzten Jahren etabliert hat, bestehen nach wie vor strukturelle Asymmetrien und ungleiche Machtpositionen zwischen den beiden Professionen, die die Kooperation miteinander beeinträchtigen. Aus unterschiedlichen institutionellen Voraussetzungen ergeben sich in der Kooperation Konflikte, Spannungen und z.T. ein Konkurrenzverhältnis, das v.a. vonseiten der Jugendarbeit formuliert wird (vgl. Olk/Speck 2001, Merchel 2005, Zipperle/Bolay 2009). Diese sieht sich u.a. in der Gefahr, unter der Dominanz des schulischen Bildungssystems einverleibt zu werden. Die am Projekt Beteiligten formulierten zum Teil starke Kritik gegenüber der Institution Schule und deren geringem Bemühen zur Kooperation. Eine Jugendarbeiterin beschreibt das Verhältnis der Jugendarbeit zur Schule so: »Wir sind doch immer die aufsuchende Einrichtung, die dann immer guckt (,) wir möchten was verändern (,) und die sitzen.« (int1: 592-593) Dieses Spannungsverhältnis zwischen beiden Professionen und Institutionen sowie Bilder und Vorurteile29 spielten – trotz der gegenseitigen persönli-

29 Dazu eine exemplarische Episode aus der Weiterbildung: In einer StärkenSchwächen-Analyse zu Beginn der Zusammenarbeit, die beide Berufsgruppen jeweils für sich ausarbeiteten und dann im gemeinsamen Plenum präsentierten, zeigte sich, dass sich darin nicht nur Selbstbilder, sondern Bilder von der anderen Profession spiegelten. Es wurde deutlich, dass sich die Pädagog_innen jeweils über die gegenseitigen Bilder bewusst sind. Hier formulierte auf dem Poster beispielsweise die Lehrer_innenGruppe als eine ›Stärke‹: »Strukturiertheit« und »Klarheit in der Gestaltung und Planung des Unterrichts«, ein Punkt unter ›Schwächen‹ war: »Skepsis gegenüber der Jugendarbeit«. Die Jugendarbeiter_innen ihrerseits formulierten bei ›Stärken‹: »Sozialraumbezug« und »situatives Handeln«. Im weiteren Verlauf kam die Nachfrage einer Lehrerin: »Was ist denn Sozialraum?«, worauf ein_e Jugendarbeiter_in dies erklärte und damit endete: »Ist das jetzt klar geworden? Ich sehe jetzt ein paar verwirrte Lehrergesichter.« In dieser Bemerkung deutet sich ein gewisses Überlegenheitsgefühl in

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chen Wertschätzung und der Würdigung der konkreten Zusammenarbeit – in die Kooperationen im Rahmen des Projekts hinein. So wurde beim Projektrückblick durch die Beteiligten deutlich, dass neben dem allgemeinen Lob für die Zusammenarbeit und den positiven Auswirkungen der Tandem-Konstellationen für die Arbeit mit den Schüler_innen der Tenor des professionsübergreifenden ›Voneinanderlernens‹ v.a. vonseiten der Lehrer_innen ausging. Sie konnten die Kooperation für sich und ihre Weiterentwicklung eher nutzen und sahen, wie Andrea Heine, in der Zusammenarbeit eine Erweiterung ihres methodischen Handelns und ihrer Perspektiven, sie ließen sich anregen im pädagogischen Umgang mit den Jugendlichen und zollten den Pädagog_innen aus der Jugendarbeit viel Anerkennung. Die Sozialpädagog_innen hingegen gaben sich sehr viel zurückhaltender und sahen den Erkenntnisgewinn der Zusammenarbeit eher bei den Kolleg_innen aus der Schule als bei sich selbst, was sogar zum Teil mit Abgrenzung und einer widerständigen Haltung gegenüber Anregungen einherging. Dies ist u.a. ebenfalls im Kontext des ungleichen Beziehungsgefüges von Jugendarbeit und Schule zu sehen. Lehrer_innen befinden sich in diesem strukturell asymmetrischen Verhältnis in einer privilegierteren Situation. Aus dieser gesicherten Position heraus können sie sich eher auf Anregungen durch die Sozialpädagog_innen einlassen, diese annehmen und für ihr Lernen nutzen. Diese Asymmetrie verdeutlicht die grundsätzliche Bedeutung der jeweiligen sozialen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Kontexte, unter denen Subjekte sich in Bildungsprozesse hineinbegeben oder wodurch die Möglichkeit der Entfaltung und Erweiterung der Handlungsfähigkeit beschränkt wird. Die Möglichkeiten von Reflexion und Bildung sind im Kontext von Kooperationsbeziehungen abhängig von der jeweiligen sozialen Positionierung und den Möglichkeiten, über Macht und Privilegien zu verfügen. Dabei wirken intersektionale Kräfte und Dominanzverhältnisse in Bildung und Bildungsprozesse hinein.

7.5 R EFLEXION DES F ORSCHUNGSPROZESSES Im Rückblick auf die vorhergehenden Analysen und den Forschungsprozess möchte ich abschließend vier Aspekte einer reflektierenden Diskussion unterziehen: Zunächst wird im Anschluss an die Reflexionen zur Untersuchung von Otheringprozessen auch in diesem Zusammenhang thematisiert, was durch die vorliegenden Studien fokussiert wird bzw. dadurch ausgespart bleibt und mit wel-

fachlichen Fragen gegenüber der anderen Profession an, wobei gleichzeitig mit dem Bild der wissenden Lehrer_innen gespielt wird.

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chen Konsequenzen dies verbunden ist. Danach werden methodologische Fragen diskutiert. Zum einen mit Blick auf die vermeintliche (Un)Möglichkeit, Bildungsprozesse zu rekonstruieren, zum anderen wird die Relevanz von Intersektionalität für die Analyse von Bildungsprozessen reflektiert. Schließlich wird die eigene Involviertheit in den Forschungsprozess betrachtet und mit Bezug auf (vergebene) Potenziale einer Mitforschenden-Konstellation erörtert. Das Erkenntnisinteresse dieses Teils der Untersuchung lag auf den Reflexions- und Bildungsprozessen von Pädagog_innen. Mit dieser Forschungsfrage wurde zwar konsequenter Weise die ›andere Seite‹ reproduzierenden Handelns im Bildungskontext, die der Veränderung, beleuchtet. Allerdings standen mit den Pädagog_innen auch in diesem Teil der Studien diejenigen im Fokus des Forschungsinteresses und der damit verbundenen Aufmerksamkeiten, die ohnehin als Akteur_innen der Bildung gelten. Zwangsläufig geht mit einem solchen Hervorheben immer auch ein Vernachlässigen von anderen Aspekten einher, in diesem Fall betraf dies die Perspektiven und Bildungsprozesse der Jugendlichen – eine Schwierigkeit, die bereits im Anschluss an Kapitel 6 problematisiert wurde. Mit dieser Schwerpunktsetzung und den damit verbundenen Auslassungen werden jedoch hegemoniale Machtordnungen reproduziert, indem die Perspektiven derjenigen unsichtbar bleiben, die in dieser Konstellation eine untergeordnete Position einnehmen und tendenziell – als Schüler_innen – zwar als Adressat_innen von Bildung, aber kaum als Bildungssubjekte betrachtet und anerkannt werden. Vor diesem Hintergrund wäre es – gerade im Kontext der Untersuchung von Othering im Bildungskontext – von Interesse, inwiefern sich diejenigen bilden, die in hegemonialen Machtordnungen in dieser Weise positioniert und subjektiviert sind und welche Bildungsprozesse in einem pädagogischen Gefüge möglich sind, das von ganz verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen durchzogen ist. Ebenso wäre es erkenntnisreich, Bildungsprozesse von Jugendlichen (sowie damit verbundene Widerstände und Behinderungen) in rassistischen, klassistischen, (hetero-)sexistischen Dominanzordnungen zu untersuchen. Bezogen auf den vorliegenden Projektkontext wäre zu fragen, wie Jugendliche mit mehr oder weniger Diskriminierungserfahrungen mit einem Bildungskontext umgehen, in dem Otheringprozesse alltäglich sind und der gleichzeitig ein Bildungssetting darstellt, in dem dazu angeregt werden soll, Denk- und Handlungsstrategien gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu entwickeln. Dies würde die Ergebnisse zur Frage nach Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen um einen bedeutenden Aspekt ergänzen. Von Interesse wäre es im Kontext hegemonialer Differenzordnungen und Machtkonstellationen im Bildungskontext weiterhin, mehr auch die Interaktio-

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nen und Dynamiken zwischen Pädagog_innen und Jugendlichen zu fokussieren und herauszuarbeiten, wie dadurch und aus verschiedenen Positionierungen und Perspektiven Bildungs- und Reflexionsprozesse angeregt oder eher verhindert werden. Methodisch wäre sowohl für die Untersuchung von Praktiken und Diskursen des Othering (Kapitel 6) als auch für die von Bildungsprozessen (im vorliegenden Kapitel) eine stärkere Perspektivenverschränkung sinnvoll, die konkret am Fall (einer bestimmten Schulklasse oder eines Betreuungsverhältnisses zwischen Pädagog_in und Jugendlichen) untersucht werden kann, wie dies beispielsweise von Melter (2006) in seiner Untersuchung zu sekundärem Rassismus in der Jugendhilfe gemacht wurde. Für die Rekonstruktion von Bildungsprozessen erwies sich methodologisch die mehrperspektivische Annäherung durch die beobachtende und intervenierende Begleitung der Pädagog_innen bei der Durchführung der Projekte (teilnehmende Beobachtung mit der Perspektive von außen) und der Analyse der Interviews, in denen die Pädagog_innen retrospektiv von ihren Erfahrungen berichteten, als sinnvoll. So konnten Veränderungen auf verschiedenen Ebenen des Denkens und Handelns fokussiert und aufeinander bezogen werden: sowohl das konkrete Tun und Interaktionen betreffend als auch das retrospektive Nachdenken und Reflektieren über Haltungen, Veränderungen im Handeln usw. Und dennoch ist eine vollständige Erfassung der rekonstruierten Bildungsprozesse oder auch deren Einordnung als Lern- oder Bildungsprozess nicht möglich, aber auch nicht notwendig. So sind Auskünfte der Informant_innen in einem retrospektiven Interview zum Projektverlauf zunächst v.a. als Auskünfte und Sprechen über Bildung, Lernen und Veränderung zu betrachten – als Konstruktionen aus der heutigen Perspektive und immer mit dem Filter der gemachten Bildungsprozesse versehen (vgl. Nohl 2006: 218). Auch wenn davon ausgegangen wird, dass Lernen, wie Handeln, subjektiv begründet ist (vgl. Holzkamp 1993, Held 1994), muss dennoch nicht das, was die Informant_innen im Interview erzählen, den Lernprozess an sich verkörpern. Das, was von den Interviewten in Interviews gesagt wird, ist wiederum als eine Konstruktion zu betrachten, wie sie zu diesem Zeitpunkt und im Kontext des Interviews für sie selbst sinnvoll und subjektiv funktional ist30 und die von ihrer diesbezüglichen Warte aus als Veränderung oder Lernen bei sich selbst gewertet wird. Das Sprechen über Veränderungen ist dabei auch als Inszenierung des Themas zu betrachten, zu dem sie befragt werden. So kann es – im Kontext eines Projektrückblicks und im Interview mit einer der Projektinitiator_innen – für den einen Pädagogen funktional sein, sich

30 Das, was im Kontext der rekonstruktiven Forschung als Konstruktion ersten Grades (vgl. Schütz 1971) bezeichnet wird.

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als ›der Kritische‹ darzustellen, für eine andere Lehrerin, sich als diejenige zu stilisieren, ›die an sich gearbeitet hat‹ oder ›jetzt einen besseren Draht zu den Jugendlichen‹ hat, oder für eine weitere Person, sich als jemand zu präsentieren, bei dem sich ›nichts verändert‹ hat. Diese Äußerungen sind somit immer auch als Inszenierungen von Veränderungen zu sehen, die zwar mit Transformationen im Denken und Handeln einhergehen können – wobei die Inszenierung bereits eine Form des Reflexions- und Bildungsprozesses sein kann –, die aber zunächst v.a. als Darstellen von und Sprechen über (Nicht-)Veränderungen betrachtet werden müssen. Reflektierend soll weiter darüber nachgedacht werden, welche Bedeutung die Perspektive der Intersektionalität für die Analyse und Rekonstruktion von Bildungsprozessen hat. Zunächst ist festzuhalten, dass es dabei nicht darum gehen kann, herauszuarbeiten, hinsichtlich welcher Machtverhältnisse etwas gelernt wurde oder für welche Diskriminierungsverhältnisse sensibilisiert werden konnte. Vielmehr erwies sich die Intersektionalitätsperspektive zur Kontextualisierung der fraglichen Bildungsprozesse bedeutsam. Mit Blick auf die jeweiligen sozialen Positionierungen konnten unterschiedliche Möglichkeitsräume in sich mehrfach überlagernden Macht- und Herrschaftsverhältnissen rekonstruiert werden. Dies erlaubt es, den jeweiligen Bedingungs-Bedeutungs-BegründungsZusammenhang im Rahmen eines intersektionalen Analyserahmens herauszuarbeiten und so Aussagen über bestimmte Bildungskonstellationen zu machen. Dabei konnte die Relevanz von mehr oder weniger privilegierten Positionierungen ins Verhältnis zu den Möglichkeiten der Sensibilisierung für bestimmte Macht- oder Diskriminierungsverhältnisse und zu Potenzialen für mögliche Veränderungen gesetzt werden. Die intersektionale Perspektive ist des Weiteren von Relevanz, um die eigene Situiertheit und Positionierung als Forscher_in hinsichtlich der Konsequenzen für den forschenden Blick reflektieren und auch kritisch infrage stellen zu können. Die unmittelbare Verknüpfung meiner Forschung mit der Begleitung des Projekts und meiner mehrfachen Rolle in diesem Zusammenhang31 hatte auch Konsequenzen für den Forschungsprozess. Wie bereits herausgearbeitet, vermischten sich in den Interviews mit den Pädagog_innen die evaluative Bewertung des Projektverlaufs und der Rückblick auf diesen mit der Thematisierung eigener Lern- und Entwicklungsprozesse. Dies hatte zur Folge, dass evaluative Einschätzungen immer wieder in den Vordergrund drängten und die bereits kon-

31 Konzeption des Gesamtprojekts und der Module des Projekts mit den Jugendlichen, Durchführung der Evaluation und Forschung als auch von Teilen der Weiterbildungen (vgl. dazu Kapitel 5.4).

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statierte Schwierigkeit der Professionellen, über eigene Reflexions- und Veränderungsprozesse im Rahmen der Interviews Auskunft zu geben, noch verstärkt wurde. Außerdem lag in der Verknüpfung meiner Mehrfachfunktion auch die Gefahr, dass die Pädagog_innen vermeintlich erwünschte Auskünfte gaben. Hier erwies sich die Kombination verschiedener Forschungsmethoden, und v.a. solcher, die Praktiken in den Blick nehmen, als fruchtbar. Die teilnehmende Beobachtung in Kombination mit der anschließenden gemeinsamen Reflexion durch alle Beteiligten (Pädagog_innen und Forscher_innen) ermöglichte es, Handlungsprobleme und Ambivalenzen herauszuarbeiten und sie damit dem Forschungsprozess, aber auch einem potenziellen Bildungsprozess der Professionellen zugänglich zu machen. Allerdings war dieses partizipative Forschungsverhältnis bzw. die Verbindung von Praxis, Reflexion und Forschung auch nicht frei von Macht und Hierarchien. Zum einen ist hier meine Position als Wissenschaftler_in zu nennen, der ungleich mehr Deutungsmacht zugestanden wird und der auch in der Analyse und der Darstellung der Ergebnisse letztendlich die Macht der Repräsentation und Definition der Lernprozesse obliegt. Zum anderen sind auch die sogenannten Reflexionsgespräche von Machtasymmetrien durchzogen. So war beispielsweise nur die (diskursive) Praxis der Professionellen Gegenstand der Beobachtung und der gemeinsamen Reflexion, die Praxis von uns Forscher_innen blieb unhinterfragt. Gleichermaßen erfolgten meine Beobachtungen aus der Perspektive meiner sozialen Positionierung und waren mit diesbezüglichen Fokussierungen und Auslassungen verbunden. So war es aus einer machtvollen und auch privilegierten Position heraus in den Reflexionsgesprächen höchst ambivalent, Pädagog_innen, die potenziell selbst von Othering betroffen sind, auf ausgrenzende Elemente ihres Handelns hinzuweisen. Damit wird auch deutlich, dass im Kontext hegemonialer Machverhältnisse, die in jede Interaktion hineinwirken, nicht nur Bildungsverhältnisse, sondern auch Forschungsverhältnisse (die potenziell auch zu Bildung anregen sollen) widersprüchlich in Prozesse der Unterwerfung und des Othering verstrickt sind. Angesichts der bestehenden Machtverhältnisse, die auch das Verhältnis von Forschenden und Beforschten betreffen, ist ein gleichberechtigtes gemeinsames Forschen nur bedingt möglich. In solchen Konstellationen ist auch das Besprechen eines Beobachtungsprotokolls mit Zumutungen verbunden. Um einen wirklichen Prozess des Mitforschens (vgl. Holzkamp 1983a, Haug 2003, Held 2010) zu ermöglichen, in dem gemeinsam Perspektiven der Veränderung sowie der Verfügungserweiterung entwickelt werden können, muss die wissenschaftliche Arbeitsteilung zwischen Forschenden und Beforschten kritisiert und durchbrochen werden. Dies bedeutet auch, die eigene Positionierung nicht nur hinsichtlich deren Konsequenzen für die Perspektivität zu hinterfragen, sondern auch die eigene privilegierte Position

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als Wissenschaftler_in zu destabilisieren. Nur so ist es potenziell möglich, dass es zu einem Eingreifen in die Verhältnisse (Haug 2003) durch die Mitforschenden kommen kann (vgl. Paulus 2013).

8. Resümee

Bildung in vorherrschenden Verhältnissen ist widersprüchlich – dies wurde einleitend konstatiert und in den vorgelegten Studien nach und nach ausgeführt und expliziert. In den theoretischen und empirischen Analysen zu ›Bildung in widersprüchlichen Verhältnissen I, II und III‹ wurde deutlich, dass Bildung – in all ihren Dimensionen und trotz gegenteiliger Ansprüche und Potenziale – in den vorherrschenden, durch verschiedene Macht- und Herrschaftsverhältnisse geprägten gesellschaftlichen, institutionellen und organisationalen Voraussetzungen mit Prozessen des Othering und Normalisierungen einhergeht, sodass resümierend konstatiert werden kann: Bildung und Othering sind eng miteinander verflochten und beziehen sich in widersprüchlicher Weise aufeinander. Dieser Zusammenhang konnte zunächst mit der Analyse gesellschaftlicher, bildungspolitischer, struktureller und institutioneller Rahmungen von Bildung am Beispiel von Jugendarbeit und Schule herausgearbeitet werden. Ferner verdeutlichte sich die Alltäglichkeit und subtile Macht von Othering im Bildungskontext bei der Untersuchung pädagogischer Diskurse und Praktiken und dokumentierte sich schließlich auch in der Widersprüchlichkeit von Bildungsprozessen von Pädagog_innen. In all diesen Studien wird die widersprüchliche Verbindung von Bildung und Othering im Kontext vorherrschender Ungleichheitsverhältnisse und hegemonialer Differenzordnungen ersichtlich: Möglichkeiten der Veränderung, der Bildung sowie eines verändernden Handelns gehen einher mit (diskursiven) Praktiken des Othering oder auch mit Otheringerfahrungen. Potenziale des Veränderns werden begleitet und ebenso konterkariert durch Prozesse des Veranderns. Die Befunde der vorliegenden Studien zeigen, dass der Umgang mit Differenz(en) und Ungleichheit(en) im pädagogischen Kontext und auch im Rahmen einer diese Aspekte bewusst in den Blick rückenden Bildungsarbeit mit zahlreichen Herausforderungen und Fallstricken verbunden ist. Die Gefahr ist groß,

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unter dominanten gesellschaftlichen und institutionellen Verhältnissen und angesichts struktureller Spannungsfelder und Paradoxien, sowohl im pädagogischen Tun als auch im Rahmen von Reflexion, Selbstbildung und Veränderung zu Ausgrenzung, Abwertung und Normierung beizutragen – und somit vorherrschende (Ungleichheits-)Verhältnisse zu reproduzieren. Pädagogische Diskurse und Praktiken des Othering erfolgen nicht unbedingt in ihren ausgrenzenden und unterwerfenden Folgen absichtsvoll (vgl. Weiß 2001), sondern folgen routinierten und institutionalisierten Praxen und hegemonialen Deutungsmustern. Sie gehen jedoch auch einher mit neoliberalen Anforderungen und einer marktförmigen Zurichtung von Bildung, mit denen Institutionen der Bildung sowie die darin agierenden Pädagog_innen konfrontiert sind, sodass die herausgearbeiteten pädagogischen Umgangsformen mit Differenz und Ungleichheit auch als Reaktionen auf diese zu lesen sind. Vor diesem Hintergrund können Diskursmuster und ausgrenzende Praktiken, die vorherrschende Verhältnisse stabilisieren, naheliegend sein, ebenso Kategorisierungen und Zuschreibungen, die einfache Antworten auf komplexe Probleme und Verhältnisse und widersprüchliche Anforderungen liefern. So hat sich in den empirischen Fallstudien gezeigt, dass Diskurse und Praktiken des Othering z.T. gerade in Situationen der Uneindeutigkeit, der Unsicherheit oder Überforderung für Pädagog_innen relevant werden können. In diesen, so wurde deutlich, wird von den Pädagog_innen z.T. auf bewährte Bilder und Ordnungspraxen zurückgegriffen und es kommt zu Othering. Solche Praxen erfolgen aus einer (wenn auch uneindeutigen und vielfach gebrochenen) machtvollen Positionierung und sind in ihrer Wirkung und für die Beteiligten folgenreich. Darüber hinaus haben sie für die hegemoniale Differenzordnung sowohl im pädagogischen als auch im gesellschaftlichen Kontext stabilisierende Effekte. Otheringprozesse, so konnte auch gezeigt werden, erreichen ihr ausgrenzendes und unterwerfendes Potenzial gerade dadurch, dass sie sich in ihren Mechanismen der Grenzziehung und Normalisierung produktiv auf verschiedene Differenzkonstruktionen und Dominanzverhältnisse beziehen. Dabei werden – je nach Intention und Kontext – bestimmte Dominanzverhältnisse und Differenzkonstruktionen hervorgehoben und ins Zentrum gerückt (z.B. Ethnizität/›race‹), mit anderen verbunden (z.B. Geschlechterkonstruktionen), wiederum andere werden vernachlässigt, ignoriert und in den Hintergrund geschoben (z.B. Klassenverhältnisse). Durch dieses intersektionale Zusammenspiel wird ein in sich stimmiges Bild gezeichnet, wodurch hierarchische Ordnungen oder Prozesse des Ausgrenzens und Unterwerfens legitim erscheinen. Wenngleich es sich dabei um Überlagerungen handelt, werden dadurch bipolare Ordnungsmuster bestätigt und hegemoniale Differenzordnungen reproduziert.

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Auch wenn Othering durch die jeweiligen Verhältnisse nahegelegt ist, besteht jedoch immer auch die Möglichkeit für die Einzelnen, die ein- und ausgrenzenden Denk- und Deutungsmuster sowie die Verhältnisse im Handeln zu überschreiten und zu einer Verschiebung oder Veränderung der Verhältnisse beizutragen. In den fallbezogenen Studien zeigte sich das durch Hinterfragen und Irritationen vorheriger, selbstverständlicher Deutungsmuster und Praktiken. Die Konfrontation mit anderen Perspektiven und Denkweisen, mit den Mechanismen und Folgen der eigenen Praxen in der interprofessionellen Kooperation, dem kollegialen Austausch und auch in Interaktion mit Jugendlichen führten zu (konstruktiven) Verunsicherungen bei Pädagog_innen, die – wenn auch nicht linear und widerspruchsfrei – die Möglichkeit eröffneten, eigene Deutungsmuster und Praktiken (nicht nur des Othering) zu hinterfragen und den Blick für alternative Sichtweisen zu öffnen, die potenziell zu einer Transformation der Orientierungen und Handlungsmuster führen konnten. Aber auch diesbezügliche Veränderungs- und Bildungsprozesse, so wurde deutlich, gehen mit Widersprüchen einher und sind in vorherrschenden Strukturen, institutionellen Ordnungen sowie hegemonialen Diskurs- und Bedeutungsregimes gefangen. Die aufgezeigten Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen sind jedoch nicht nur spezifisch für den Bildungskontext, sie zeigen sich ebenso im Forschungskontext und der forschenden Praxis. Dies offenbart sich auch in den vorliegenden Untersuchungen und deren Darstellung, die in gewisser Weise auch nur einen bestimmten, einseitigen Blick auf die Verhältnisse der Dominanz und der Praktiken der Reproduktion und Veränderung erlauben. Vor dem Hintergrund dieser Ambivalenzen und damit verbundener Herausforderungen für die pädagogische und auch forschende Praxis sowie der Unmöglichkeit, sich dieser widersprüchlichen und hierarchischen und asymmetrischen Voraussetzungen zu entziehen, zeigt sich die Notwendigkeit von Reflexion, Kritik und Veränderung – in Bezug auf sich selbst, aber auch in Bezug auf die Verhältnisse. Intersektionale Perspektiven auf Reflexion, Kritik und Veränderung Die in dieser Arbeit als zentral herausgearbeitete Analyseperspektive der Intersektionalität stellt auch einen geeigneten Zugang für die genannten Aspekte Reflexion, Kritik und Veränderung dar. Diese Perspektive enthält reflektierendes, kritisches und auch veränderndes Potenzial und ist bedeutend für die dekonstruktivistische Bearbeitung von Differenz- und Dominanzverhältnissen. In diesem Sinne kann Intersektionalität auch als Analyseinstrument nutzbar gemacht werden, um soziale Praxis (sowohl pädagogische Praxis als auch Forschungspraxis),

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damit verbundene fachliche, erziehungswissenschaftliche und forschungsmethodische Diskurse und Konzepte auf implizite Grenzziehungen, Normierungen, Zentrierungen und Auslassungen (selbst-)kritisch zu reflektieren und zu hinterfragen (vgl. dazu ausführlich Riegel 2011a, 2013, 2014). Für eine praxisbezogene Perspektive der Analyse, Reflexion, Kritik und Veränderung sind wiederum analytische, die oberflächliche Betrachtung durchdringende und aufschließende Fragen an Situationen und Kontexte, in denen soziale Praxis stattfindet, hilfreich, um die Mechanismen, Funktionsweisen und Folgen zu durchdringen und vor diesem Hintergrund Perspektiven der Veränderung entwickeln zu können. Ähnlich wie in der forschenden Analyse kann dabei Bezug auf die intersektionale Analysefolie sowie die heuristischen Fragen genommen werden (vgl. Kapitel 4), wobei hier v.a. die Möglichkeiten der Veränderung im Fokus stehen, die jedoch der vorherigen Reflexion bedürfen. Die heuristischen intersektionalen Frageperspektiven haben Ähnlichkeiten mit den grenzanalytischen Rekonstruktionen bzw. der rekonstruktiven Grenzbearbeitung, wie sie Kessl/Maurer (2010, 2013) für die Soziale Arbeit entwickelt haben, sowie mit dem Konzept bzw. der Haltung der Rassismuskritik von Mecheril/Melter (2009: 14ff.). Wie in den Studien zu Bildungs- und Transformationsprozessen von Pädagog_innen im Rahmen der Interventions- und Weiterbildungsprojekte deutlich wurde, ist Reflexion ein bedeutender Aspekt und Voraussetzung von Bildung und damit auch von Veränderung (vgl. Marotzki 2006), die, wie sich zeigte, durch Reflexion angestoßen werden kann. Auch wenn Reflexion in manchen Ausführungen lediglich die Funktion eines Zauberworts zu haben scheint oder von anderen als triviale Antwort auf Widersprüche, die aus Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnissen resultieren, erachtet wird, wird im Kontext von professionalitätsbezogenen Debatten (vgl. Gildemeister 1983, Urban 2004, Heiner 2004) Reflexion als notwendiger Bestandteil professionellen (sozial-) pädagogischen Handelns herausgearbeitet. Reflexivität wird in der Diskussion um professionelles Handeln als Mittel gesehen, um mit Widersprüchlichkeiten, Paradoxien, Dilemmata in der pädagogischen Praxis umzugehen. Mit Blick auf die Verstrickungen von (pädagogischem) Handeln und Bildung in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse und angesichts der Gefahr, Reflexion auf individualistische Techniken der Selbstbearbeitung zu reduzieren, scheint eine Form der Reflexivität in Bezug auf die Komplexität der Macht- und Herrschaftsverhältnisse und deren Wirkweisen notwendig zu sein. Dies würde bedeuten, eine kritische Reflexion von sozialen Diskursen, Praxen, Institutionen und Gesellschaftsstrukturen sowie die Reflexion der eigenen sozialen Positionierung, der damit verbundenen Privilegien/Benachteiligungen und der eigenen Deu-

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tungs- und Handlungsmuster bzw. pädagogischen Praxen vorzunehmen. Hier bietet eine intersektionale Perspektive sowohl die Möglichkeit der Dekonstruktion selbstverständlicher Verhältnisse und Asymmetrien, als auch einen kritischen Blick auf Heterosexismen, Rassismen, Klassismen und Ableismen und andere machtvolle Verhältnisse in ihrem Zusammenspiel. Gerade in Hinsicht auf die Verstrickungen in vorherrschende Macht- und Ungleichheitsverhältnisse bedeutet Kritik sowohl Gesellschafts- als auch Selbstkritik. Eine intersektionale Ausrichtung von Reflexion ist besonders fruchtbar, um im Spannungsfeld von Thematisierung bzw. De-Thematisierung von Differenzverhältnissen handlungsfähig zu bleiben, die jeweiligen Differenzen in ihrem situativen und spezifischen Zusammenwirken zu betrachten und bewusst mit den jeweiligen Herausforderungen und möglichen Folgen umzugehen. Kritik hat mit Blick auf die reflektierende Betrachtung vorherrschender Verhältnisse die Funktion des Hinterfragens und des Veränderns von Machteffekten (Butler 1990, 2006). Sie ist somit eng mit Dekonstruktion sowie mit Strategien der Verschiebung – also der Veränderung von sozialen Grenzziehungen, Normierungen, Kategorisierungen – verbunden und zielt auch auf Veränderungen im eigenen Denken und Handeln ab. Haug (2003) spricht hier von der Notwendigkeit des Verlernens – von routinierten, eingefahrenen, jedoch ausgrenzenden Deutungs- und Handlungsmustern. Spivak (1994) schlägt die Praxis des Verlernens als Intervention vor, eigene Vorannahmen, Perspektivität und Privilegien nicht nur zu reflektieren, sondern auch aufzugeben (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005: 60f.). Allerdings kann es – v.a. für diejenigen, die über Macht und Privilegien verfügen, und diejenigen, die pädagogische Verhältnisse mitgestalten, – nicht dabeibleiben, die eigene privilegierte Position oder die eigenen Vorurteile zu reflektieren. Hier bedarf es der Entwicklung einer Perspektive der Veränderung als Bestandteil pädagogischer Praxis (vgl. Foitzik/Pohl 2009). Veränderung zielt dabei auf eine die restriktiven Verhältnisse und die eigenen Handlungsverstrickungen überschreitende Praxis ab. Dies erfordert Veränderungen im eigenen Denken und Handeln, aber auch das Hinwirken auf strukturelle und gesellschaftliche Veränderungen. Das bedeutet für Angehörige der Dominanzgesellschaft – was im intersektionalen Sinne nie eindeutig ist – notwendigerweise, Privilegien und Macht aufzugeben bzw. diese zu teilen. Sonst ist die Gefahr groß, dass durch eine um sich selbst kreisende Reflexion, ohne Perspektiven der Veränderung, asymmetrische Machtverhältnisse nur reproduziert werden (vgl. Reindlmeier 2007: 31). Pädagogische Praxis umfasst neben der Haltung der Kritik also immer auch daraus resultierendes politisches Handeln (vgl. Held 1994). Dies verweist u.a. auf das (umstrittene) politische Mandat der Sozialen Arbeit.

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Allerdings bleibt pädagogisches und forschendes Handeln in widersprüchlichen Dominanz- und Ungleichheitsverhältnissen ambivalent und auch Perspektiven der Veränderung sind in diesen Widersprüchen gefangen. Eine kritisch-reflexive intersektionale Perspektive kann dazu beitragen, die Verstrickungen des Handelns in widersprüchlichen Dominanz- und Machtverhältnissen sowie damit verbundene Effekte und Begrenzungen aufzudecken und vor diesem Hintergrund (und davon ausgehend immer wieder neu) Perspektiven der Reflexion, Kritik und Veränderung zu entwickeln. Und gleichermaßen kann diese Analyseperspektive an ihre Grenzen stoßen angesichts der Involviertheit in widersprüchliche Verhältnisse und angesichts deren Komplexität, so wie dies auch im Kontext dieser Studien an unterschiedlichen Stellen deutlich und z.T. diskutiert wurde. Vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Verbindung von Bildung und Othering und der vielfachen Verstrickungen in institutionelle und gesellschaftliche Widersprüche und Dominanzverhältnisse kann auch hinsichtlich der Programmatik und Gestaltung von Bildung eine solche reflexiv fragende und kritisch hinterfragende Perspektive anregend sein. So ist mit Blick auf die Gestaltung von verschiedenen Formen der Bildung und Bildungsarbeit danach zu fragen: •





wie interdependente Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie hegemoniale Differenzordnungen wirken und in welcher Weise Bildung(sarbeit) und Soziale Arbeit in diesen Verhältnissen zu einer Erweiterung von ungleichen Lebens- und Verwirklichungschancen und Handlungsmöglichkeiten ihrer Adressat_innen beitragen können, in welcher Weise Bildung(sarbeit) und Soziale Arbeit an der Herstellung von Differenz und Praxen der Grenzziehungen und Normierung beteiligt sind und inwiefern dies zu einer Reproduktion gesellschaftlich vorherrschender Ungleichheitsverhältnissen führen kann, in welcher Weise Bildung(sarbeit) und Soziale Arbeit zu einer Veränderung dieser Verhältnisse und einer Durchbrechung von vorherrschenden Kategorisierungen, Grenzziehungen und Dominanzordnungen beitragen kann – und somit auch zu einem Mehr an sozialer Gerechtigkeit und gleichberechtigter Teilhabe.

Eine solche Analyse kann Aufschluss darüber geben, wie Bildung(sarbeit) und Soziale Arbeit produktiv, d.h. ungleichheits- und herrschaftskritisch, mit hegemonialen gesellschaftlichen Verhältnissen, sozialen Ordnungen und Praxen der Grenzziehung umgehen kann. Fabian Kessl und Susanne Maurer (2010, 2013) haben diesbezüglich die Soziale Arbeit in ihrer Aufgabe als ›Grenzbearbeiterin‹

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bezeichnet. Hier ist die Intersektionalitätsperspektive direkt anschlussfähig. Entsprechend der Benennung von Sozialer Arbeit als Grenzbearbeiterin kann vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Verbindung von Bildung und Othering auch Bildungsarbeit und Weiterbildung(sarbeit) (nicht nur mit pädagogisch Professionellen) als reflexive Differenz- und Grenzbearbeiterin entworfen werden.

Literatur

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BZW .

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Pädagogik Elisabeth Kampmann, Gregor Schwering Teaching Media Medientheorie für die Schulpraxis – Grundlagen, Beispiele, Perspektiven Januar 2017, ca. 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3053-4

Monika Jäckle, Bettina Wuttig, Christian Fuchs (Hg.) Handbuch TraumaPädagogik und Schule August 2016, ca. 400 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2594-3

Jan Erhorn, Jürgen Schwier, Petra Hampel Bewegung und Gesundheit in der Kita Ein Lehrbuch Juli 2016, ca. 200 Seiten, kart., ca. 19,99 €, ISBN 978-3-8376-3485-3

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Pädagogik Sarah Huch, Martin Lücke (Hg.) Sexuelle Vielfalt im Handlungsfeld Schule Konzepte aus Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik 2015, 308 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2961-3

Juliette Wedl, Annette Bartsch (Hg.) Teaching Gender? Zum reflektierten Umgang mit Geschlecht im Schulunterricht und in der Lehramtsausbildung 2015, 564 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2822-7

Tobias Leonhard, Christine Schlickum (Hg.) Wie Lehrer_innen und Schüler_innen im Unterricht miteinander umgehen Wiederentdeckungen jenseits von Bildungsstandards und Kompetenzorientierung 2014, 208 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2909-5

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Pädagogik Olga V. Artamonova »Ausländersein« an der Hauptschule Interaktionale Verhandlungen von Zugehörigkeit im Unterricht April 2016, 320 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3461-7

Jan Erhorn, Jürgen Schwier (Hg.) Pädagogik außerschulischer Lernorte Eine interdisziplinäre Annäherung April 2016, 306 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3132-6

Jan Böhm, Roswitha Stütz (Hg.) Vielfalt in der Bildung Lehrerausbildung und pädagogische Praxis im internationalen Vergleich 2015, 216 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3291-0

Hannah Rosenberg Erwachsenenbildung als Diskurs Eine wissenssoziologische Rekonstruktion 2015, 226 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3254-5

Jan Erhorn, Jürgen Schwier (Hg.) Die Eroberung urbaner Bewegungsräume SportBündnisse für Kinder und Jugendliche 2015, 274 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2919-4

Judith Krämer Lernen über Geschlecht Genderkompetenz zwischen (Queer-)Feminismus, Intersektionalität und Retraditionalisierung 2015, 394 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3066-4

Christin Sager Das aufgeklärte Kind Zur Geschichte der bundesrepublikanischen Sexualaufklärung (1950-2010) 2015, 348 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2950-7

Diemut König Die pädagogische Konstruktion von Elternautorität Eine Ethnographie der Familienhilfe 2014, 228 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2925-5

Carmen Schier, Elke Schwinger (Hg.) Interdisziplinarität und Transdisziplinarität als Herausforderung akademischer Bildung Innovative Konzepte für die Lehre an Hochschulen und Universitäten 2014, 326 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2784-8

Stefanie Marr Kunstpädagogik in der Praxis Wie ist wirksame Kunstvermittlung möglich? Eine Einladung zum Gespräch 2014, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2768-8

Anja Tervooren, Nicolas Engel, Michael Göhlich, Ingrid Miethe, Sabine Reh (Hg.) Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern Internationale Entwicklungen erziehungswissenschaftlicher Forschung 2014, 430 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2245-4

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