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German Pages 235 [243] Year 2005
Rüdiger Bittner Aus Gründen handeln
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Ideen & Argumente Herausgegeben von Wilfried Hinsch und Lutz Wingert
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Rüdiger Bittner
Aus Gründen handeln
Walter de Gruyter · Berlin · New York
쑔 Copyright 2001 by Rüdiger Bittner. This translation of Doing Things for Reasons, originally published in English in 2001 by Oxford University Press, Inc., is published by arrangement with Oxford University Press, Inc., USA. Die englische Originalausgabe Doing Things for Reasons erschien 2001 bei Oxford University Press, Inc. Übersetzung mit Genehmigung von Oxford University Press, Inc., USA. Übersetzt vom Autor.
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-11-017245-3 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2005 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: ⫹malsy, kommunikation und gestaltung, Bremen
Vorwort Dieses Buch ist eine Übersetzung meiner Arbeit Doing Things for Reasons, 2001 bei Oxford University Press, New York erschienen. In der Sache unterscheidet sich der vorliegende Text nicht vom englischen Original. Auch alle internen Gliederungen bis hinunter zur Nummerierung der Fußnoten sind gleich geblieben. Dagegen habe ich mir im Ausdruck alle Freiheit genommen, um einen Text herzustellen, der wirklich Deutsch spricht. Wilfried Hinsch und Lutz Wingert danke ich für die Aufnahme des Buchs in die von ihnen herausgegebene Reihe „Ideen und Argumente“, Christian Hörnlein, Susanne Kaul und Lutz Wingert für kritische Durchsichten der Übersetzung, bei der sie vieles Falsche, Mißverständliche oder Schräge aufspürten, und Gitta Schmidt und Liisa Kurz für die technische Betreuung des Manuskripts. Das Buch in seiner ursprünglichen Fassung wurde mir möglich gemacht durch die Unterstützung verschiedener Institutionen. Forschungssemester, die mir die Universitäten Yale und Bielefeld gewährten, sowie ein ganzes Forschungsjahr, das ich an der School of Economic and Social Studies der Universität von East Anglia in Norwich verbrachte, gaben mir die nötige Zeit zum Schreiben. Oxford University Press, Oxford erlaubte mir, in Kapitel 10 des vorliegenden Buches Material wieder zu benutzen, das schon in meinem Aufsatz „Stronger reasons“ in dem Band Rights, Culture and the Law: Essays after Joseph Raz, herausgegeben von L. Meyer, S. Paulson und T. Pogge, copyright © 2002 by Oxford University Press, enthalten ist. Von vielen Menschen erhielt ich Hilfe und Ermutigung beim Schreiben des Buches in seiner englischen Fassung. Gitta Schmidt machte aus dem anfänglichen Text und zahllosen Revisionen, die ihm folgten, schließlich ein vollendetes Manuskript. Diana Abad, Sarah Buss, Jonathan Dancy, Christoph Fehige, Harry Frankfurt, David Gauthier, Marco Iorio, Sam Kerstein, Margret Kohlenbach, Jens Kulenkampff, Georg Mols, Thomas Pogge, Amélie O. Rorty, Angus Ross, Nancy Schauber, Susan Sugarman, Jay Wallace, Marcus Willaschek und drei anonyme Gutachter für
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Vorwort
Cambridge University Press und Oxford University Press lasen ganz oder zum Teil frühere Versionen des Textes und gaben mir zahlreiche kritische Hinweise, Verbesserungsvorschläge oder auch einfach weitere Überlegungen zur Sache. Obgleich ich versuchte, all das, so gut ich konnte, zu nutzen, ist doch klar, daß ich dem, was ich da empfing, nicht vollauf gerecht geworden bin. Aber wer könnte auch allem gerecht werden, was er empfängt. Jedenfalls ist es großenteils durch die Mühe und Teilnahme der Genannten, und vielleicht noch anderer, an deren Mitwirkung ich mich nicht mehr erinnere, daß dieses Buch geworden ist, was es nun ist. Ich bin dafür dankbar. Am meisten hat mir Martin Hollis geholfen, der im Februar 1998 starb. Er war die treibende Kraft bei der Entscheidung der Universität von East Anglia, mich zu einem Forschungsjahr an der School of Economic and Social Studies einzuladen, in welchem Jahr die Hauptmasse dieses Buches entstand; und während jenes Jahres wie auch später begleitete er mich und mein Schreiben mit erhellender und treffsicherer Kritik und zugleich mit Wärme und Solidarität, obwohl vieles von dem, was ich im Sinn hatte, besonders meine naturalistische Denkrichtung ihm gar nicht entgegenkam. An die Gewandtheit, die Eleganz und den Scharfsinn seiner Schriften kommt dies Buch nicht heran. Durch sein Dasein legt es doch Zeugnis ab von der Großzügigkeit, der Freundlichkeit und dem kritischen Geist dieses Menschen. Bielefeld, März 2005
Rüdiger Bittner
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Begehren und Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Herkunft der Begehren/Meinungs-These . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Handeln nach Grundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Etwas aus einem Grund tun – die Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Erklärungskraft von Gründe-Erklärungen . . . . . . . . . . . . . 100
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Beliebige Zustände oder Ereignisse können Gründe sein, aus denen jemand etwas tut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
7
Gründe, aus denen jemand etwas tut, sind normalerweise nicht Eigenschaften des Handelnden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
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Gründe, die man hat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
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Sind Gründe intern? Sind sie normativ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
10 Stärkere Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 11 Etwas zu einem Zweck tun, etwas aus Spaß tun. . . . . . . . . . . . . 183 12 Aus Gründen Handelnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Einleitung Leute tun Dinge aus Gründen. Die Frage dieses Buches ist: was sind diese Gründe, aus denen Leute etwas tun, und in welcher Beziehung stehen sie zu dem Tun? Das Buch schlägt die Antwort vor: ein Grund ist etwas, was in der Welt der Fall ist, ein Zustand der Dinge, und was aus einem Grund getan wird, ist eine Reaktion auf diesen Zustand. Die Literatur ist sich weitgehend einig darüber, daß Gründe Dinge im Geiste sind oder Kombinationen solcher Dinge. Das wird hier bestritten. Dieses Buch versucht, ein vollkommen weltliches Verständnis von Gründen und Handeln aus Gründen zu gewinnen. Hier ein Überblick über den Gedankengang. Das erste Kapitel stellt jene Theorie der Gründe, aus denen Leute etwas tun, vor, die in den letzten Jahrzehnten die Diskussion beherrscht hat, nämlich die Theorie, die Gründe durch Begehren und Meinungen des Handelnden erklärt. Das Kapitel versucht zu zeigen, daß diese Theorie nicht gut begründet ist. Bei genauerem Hinsehen entstehen einem sogar Zweifel, ob sie auch nur kohärent ist. Um nachzuweisen, daß die beherrschende Stellung der StandardTheorie nur darauf beruht, daß sie traditionell ist, verfolgt das zweite Kapitel die Herkunft dieser Theorie zurück zu ihrer Quelle, und das ist Platons Handlungstheorie. Schon dort treten die Schwierigkeiten auf, unter denen die moderne Version leidet, aber dort wird auch deutlich, wie es zu einem solchen Verständnis des Handelns aus Gründen kommt – und daß wir den dabei leitenden Gedanken nicht zu teilen brauchen. Das dritte Kapitel widmet sich einer anderen, weniger weit verbreiteten Konzeption der Gründe, aus denen jemand etwas tut, nämlich der Konzeption, die Gründe als Prinzipien des Handelns erklärt und deren klassischer Vertreter Immanuel Kant ist. Die Grundbegriffe dieser Konzeption, nämlich „eine Maxime haben“ und „nach einer Maxime handeln“, bleiben jedoch dunkel, und so erbringt diese Konzeption kein haltbares Verständnis von Gründen, aus denen Leute etwas tun.
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Einleitung
Der konstruktive Teil des Arguments beginnt mit Kapitel 4, wo die Grundidee der hier vorgeschlagenen Konzeption dargestellt wird, nämlich: ein Grund, aus dem jemand etwas tut, ist ein Zustand, auf den das Tun eine Reaktion bildet. Diese Idee wirft verschiedene Fragen auf, und die restlichen Kapitel gehen auf diese Fragen der Reihe nach ein. Kapitel 5 untersucht, wie man durch Verweis auf einen Grund, wie er hier verstanden wird, ein Handeln erklären kann, denn tatsächlich erklären wir ja Handlungen, indem wir auf die Gründe verweisen, aus denen sie getan wurden. Das Kapitel kommt zu dem Ergebnis, daß Erklärungen von Handlungen durch Gründe historische Erklärungen sind, und es bietet ein Verständnis historischer Erklärungen an, um dies Ergebnis inhaltlich zu füllen. In Kapitel 6 geht es darum, ob der Umkreis von Dingen, die als Grund, aus dem etwas getan wurde, in Frage kommen, beschränkt ist. Antwort: Nein, eine solche Beschränkung gibt es nicht. Die Gegenthese, daß Handlungen und Gründe gebunden sind an partikuläre Sinn-Systeme, läßt sich nur unter Berufung auf den Begriff einer konstitutiven Regel verteidigen. Tatsächlich aber, so wird hier argumentiert, gibt es keine konstitutiven Regeln. Kapitel 7 soll erklären, in welcher Weise es vom Handelnden abhängt, daß etwas ein Grund ist, aus dem er etwas tut. Gründe, aus denen man etwas tut, sind zwar, so ist hier die These, im Normalfall nicht Eigenschaften des Handelnden, aber es hängt von Eigenschaften des Handelnden ab, ob dieser oder jener Zustand ein Grund oder nicht ein Grund ist, aus dem er etwas tut. Kapitel 8 schlägt eine Erklärung von Gründen vor, die jemand hat, etwas zu tun, eine Erklärung, die mit der parallel geht, die hier für Gründe, aus denen jemand etwas tut, vertreten wird. Diese Erklärung, so soll deutlich werden, macht auch unsere Praxis des Ratgebens und des praktischen Überlegens verständlich. Zwei wichtige Einwände gegen diese Erklärung von Gründen, die man hat, sind der Gegenstand von Kapitel 9: zum einen der Einwand der Internalisten, zum anderen der Einwand derjenigen, die die Normativität von Gründen verteidigen. Beide Einwände erweisen sich jedoch als unbegründet. Gründe dafür, etwas zu tun, brauchen auf keine Weise an eine entsprechende Motivation gebunden zu sein; und sie müssen nicht als normativ betrachtet werden. Kapitel 10 behauptet, daß die verschiedenen Eigenschaften, die wir gemeinhin den Gründen zuschreiben, die Leute haben, Unterschiede in
Einleitung
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einer einzigen Dimension erfassen, nämlich in der Dimension von stärker und schwächer; und es macht einen Vorschlag, wie erklärt werden kann, was es heißt, daß ein Grund stärker ist als ein anderer, nämlich: die Zustände oder Ereignisse, welche die Gründe bilden, sind für den Handelnden wichtiger oder weniger wichtig. In Kapitel 11 werden zwei Arten von Fällen betrachtet, in denen die vorgeschlagene Erklärung von Gründen, aus denen Leute etwas tun, anscheinend mißlingt, nämlich einmal Fälle, in denen jemand etwas zu einem Zweck tut, und zum anderen Fälle, in denen jemand etwas einfach aus Spaß tut; und das Kapitel versucht zu zeigen, daß entgegen dem Anschein die vorgeschlagene Erklärung diesen beiden Arten von Fällen gerecht wird. Kapitel 12 schließlich zeichnet in weiterer Perspektive das Bild von Wesen, die manchmal Dinge aus Gründen tun, das sich aus diesem Verständnis von Gründen ergibt. Es ist zweifellos ein radikal verarmtes Bild, verglichen mit unserer normalen und auch verglichen mit der traditionellen Beschreibung eines Handelns aus Gründen. Aber es ist nicht ein unannehmbares Bild, ein Bild, in dem wir uns nicht wiedererkennen könnten – so jedenfalls der Schluß, zu dem das Argument gelangt. Die Untersuchung ist thematisch eng beschränkt: etwas aus einem Grund tun, das ist ihr zentraler Gegenstand. Nicht ihr einziger Gegenstand, das ist wahr: Gründe haben, etwas zu tun, und gute Gründe kommen als benachbarte Phänomene in den Kapiteln 8 und 10 zur Sprache, und ein umfassenderes Bild von Wesen, die etwas aus einem Grund tun, bietet Kapitel 12. Trotzdem, in diesem Buch wird nichts besprochen, was nicht direkt oder indirekt dazu beiträgt, den zufrieden zu stellen, der jene Anfangsfragen vorbringt, was ein Grund ist, aus dem man etwas tut, und in welcher Beziehung er zu dem Tun steht. Andere Dinge sollen hier nicht berührt werden. Es wird unterstellt, daß wir wissen, was ein Fall davon ist, daß jemand etwas tut; und der Begriff des Handelns insbesondere wird nicht diskutiert. Kein Argument wird auch für den allerersten Satz beigebracht, daß Leute Dinge aus Gründen tun: daß dem so ist, wird hier einfach angenommen. Gewiß, bei diesen wie bei anderen Dingen, die hier außer Betracht bleiben, könnte jemand durchaus geltend machen, ihre Diskussion sei nötig, um jenen Frager zu befriedigen, und auf der anderen Seite mag einiges, was hier berührt wird, als dafür nicht erforderlich erscheinen. Wie auch immer es damit genau bestellt sein mag, das hier geführte Argument versucht, mit einem recht schmalen Korb betrachteter Gegenstände auszukommen.
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Einleitung
Die einzelnen Kapitel sollten größtenteils für sich verständlich sein, und so kann man sich nach Geschmack ein Menü daraus zusammenstellen. Die Kritik der vorliegenden Theorien in den ersten drei Kapiteln kann gut überschlagen, wer rasch zu der positiven Lösung kommen möchte, die in Kapitel 4 vorgetragen wird. Wer an dem historischen Hintergrund der gegenwärtig herrschenden Theorie kein Interesse hat, für den ist insbesondere Kapitel 2 entbehrlich. Die Fragen oder Einwände, die in den Kapiteln 5 – 11 zur Sprache kommen, werden verschiedenen Lesern verschieden dringlich erscheinen, und entsprechend kann man seine Auswahl treffen. Das letzte Kapitel schließlich ist vielleicht ein guter Anfang. Denn die Idee des Handelns aus Gründen, die hier nach und nach im Gang des Arguments heraustritt, dürfte eher unorthodox erscheinen, und so mag es helfen, gleich von Anfang an zu sehen, wie viel Unorthodoxie die hier vorgestellte Theorie in Kauf zu nehmen bereit ist. Alle Übersetzungen fremdsprachlicher Zitate stammen von mir, außer ein Übersetzer wird genannt.
Kapitel 1 Begehren und Meinung 1. Was ist ein Grund, aus dem jemand etwas tut, und in welcher Beziehung stehen Grund und Tun? Anders gefragt, wenn Handlungen manchmal durch Gründe der Handelnden erklärt werden, mit Bezug worauf erklären solche Gründe-Erklärungen, und wie gelingt ihnen das Erklären? 2. Die geläufige Antwort auf diese Fragen lautet ungefähr so. Ein Grund, aus dem jemand etwas tut, ist eine Kombination aus einem Begehren und einer Meinung des Handelnden. Begehren und Meinung beziehen sich folgendermaßen auf das Tun: die Meinung ist eine des Inhalts, daß das Tun zur Realisierung des Begehrten beiträgt. Jemand möchte ein Bier trinken, und er denkt, wenn er zum Kühlschrank geht, so trägt das dazu bei, daß er dann wirklich eins trinkt: jenes Begehren und diese Meinung zusammen mögen den Grund bilden, aus dem er tatsächlich zum Kühlschrank geht, wenn er es denn tut. Eine vollständige Gründe-Erklärung eines Handelns gibt deshalb ein relevantes Begehren des Handelnden an sowie eine Meinung des Handelnden mit dem Inhalt, daß das Handeln zur Realisierung des Begehrten beiträgt.1 3. Es gibt bei dieser Antwort einige Schwierigkeiten. Die erste betrifft die Frage, wie weit hier „Begehren“ zu verstehen ist. Einige Autoren haben geltend gemacht, daß es bei einem engen Verständnis, begehren als Lust haben auf etwas, oder nach etwas gierig sein, nicht wahr ist, daß ein Grund, aus dem jemand etwas tut, immer ein Begehren umfaßt.2 Das meiste von dem, was wir aus moralischen Gründen tun, aber auch das, was wir aus Gründen der Klugheit, aber mit Widerstreben tun, wie den fälligen Zahnarztbesuch, tun wir wahrhaftig nicht, weil wir Lust dazu haben. Nowell-Smith führte deshalb den weiteren Begriff „Pro-Einstellung“3 ein, den Davidson aufnahm. Pro-Einstellungen umfassen bei Davidson Begehren, Wollen, Drang nach und Angesprochensein von etwas, dazu ein breites Feld von moralischen Überzeugungen, ästhetischen Grundsätzen, ökonomischen Vorurteilen, gesellschaftlichen Konventionen, öffentlichen und
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privaten Zielen und Werten, soweit sie sich als Einstellungen eines Handelnden zu Handlungen einer bestimmten Art verstehen lassen.4
Andere empfehlen statt des künstlichen Begriffs „Pro-Einstellung“ den Begriff „Wunsch“ und behaupten, der sei hinreichend breit.5 Viele stimmen dieser Behauptung zu,6 aber andere warnen, daß ein so weit ausgedehnter Begriff die Theorie inhaltlos macht, die sich seiner bedient.7 Angesichts der gerade zitierten Liste bei Davidson wird man solche Zweifel nicht einfach von der Hand weisen wollen. Hier sollen sie jedoch außer Betracht bleiben. „Begehren“ läßt sich, so sei angenommen, eng genug umschreiben, daß die Konzeption von Gründen als Kombinationen von Begehren und Meinungen (§ 2) gehaltvoll bleibt, und breit genug, daß diese Konzeption nicht handgreiflich falsch wird – wie diese Umschreibung in Wirklichkeit auch aussehen mag. 4. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß wir praktisch nie unsere Gründe-Erklärungen von Handlungen so formulieren wie in dieser Antwort vorgesehen. Wir sagen nicht, daß jemand zum Kühlschrank ging, weil er ein Bier trinken wollte und glaubte, daß zum Kühlschrank zu gehen mithelfen würde, sein Trinken eines Biers herbeizuführen. Oft sagen wir bloß, daß er zum Kühlschrank ging, weil er ein Bier wollte. In anderen Fällen erwähnen wir umgekehrt nicht ein Begehren, sondern nur eine relevante Meinung: „Ich fuhr über Kassel, weil ich dachte, das sei kürzer.“ Tatsächlich ist das eine geringe Schwierigkeit. Die Standard-Antwort war, unsere normalen Redeweisen als elliptisch einzustufen, und das ist plausibel. Haben wir eins von den beiden, ein Begehren oder eine Meinung, können wir sehr oft das andere ohne weiteres erschließen, und deshalb erwähnen wir es nicht ausdrücklich. 5. Wirklich aber erwähnen wir oft nicht nur eines von den beiden, Begehren oder Meinung, wir erwähnen oft weder dieses noch jenes, wenn wir Handlungen durch die Gründe der Handelnden erklären. Alle möglichen anderen Dinge als Begehren und Meinungen des Handelnden sind in der Position eines Grundes, aus dem jemand etwas tut, zulässig. Hier ein paar Beispiele, die die Vielfalt dessen zeigen, was wir normalerweise als Gründe betrachten: • Helmut stellt die Mülltonne raus, weil es Mittwoch ist. • Ich fuhr rechts ran, weil die Polizei mich dazu aufgefordert hatte.8 • Silvia öffnete das Fenster, um ein bißchen frische Luft zu schöpfen.9 • Ich nahm ein Taxi, ich hätte es sonst nicht geschafft. • Arnold war in großer Form, und so blieb ich viel länger.
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• •
Danke, ich esse kein Fleisch. Ich kehrte zu Michael zurück. In einer solchen Lage kann man jemanden nicht im Stich lassen. All das können in den jeweiligen Situationen vollkommen befriedigende Erklärungen dessen sein, was die Handelnden tun oder taten, und zweifellos sind es Gründe-Erklärungen, aber keine nimmt Bezug auf einen Zustand des Handelnden, auf ein Begehren, eine Meinung oder sonst etwas dieser Art. 6. Die Standard-Entgegnung war wiederum, von solchen Erklärungen zu behaupten, sie basierten auf anderen, die wohl auf Zustände des Handelnden Bezug nehmen. Davidson nannte das Paar von Begehren und Meinung „den primären Grund, warum der Handelnde die Handlung ausführte“.10 Implizit räumte er damit ein, daß es Gründe-Erklärungen von Handlungen gibt, die vollkommen in Ordnung sind, die aber nicht auf ein Begehren oder Meinen des Handelnden Bezug nehmen, eben die Erklärungen durch nicht-primäre Gründe.11 Er hielt jedoch daran fest, daß die von ihm so genannten primären Gründe, also die, die aus einem Begehren und einer Meinung des Handelnden bestehen, tatsächlich primär sind, in folgendem Sinne: um zu verstehen, wie irgendein Grund eine Handlung erklärt, ist es notwendig und hinreichend, daß man einsieht, zumindest im wesentlichen Umriß, wie ein primärer Grund sich konstruieren läßt.12 Nicht-primäre Gründe erklären also durchaus, aber um ihre Erklärungskraft zu verstehen, müssen wir eine Vorstellung von einem primären Grund haben. In Helmuts Fall mag ein primärer Grund sein Begehren sein, den Müll loszuwerden oder als verläßlicher Hausgenosse zu erscheinen, samt der Meinung, daß, da es Mittwoch ist und die Müllabfuhr Donnerstag früh kommt, das Hinausstellen der Mülltonne heute abend dazu beitragen wird, das eine oder andere dieser Begehren zu erfüllen. Nach Davidsons Meinung müssen wir irgendwelche Sachverhalte dieser Art vor Augen haben, um zu verstehen, wieso die Tatsache, daß es Mittwoch ist, ein Grund dafür ist, daß Helmut tut, was er tut; und ebenso bei den anderen Beispielen. 7. Die Frage ist jetzt, warum das so sein sollte; warum ein Begehren und eine Meinung des Handelnden ein in diesem Sinne primärer Handlungsgrund sind. Die bloße Beobachtung unserer Praxis des Erklärens durch Gründe beweist nicht, wie eben bemerkt, den Primat von Begehren und Meinungen. Was wir geläufig als Gründe nennen, aus denen Leute etwas tun, ist dafür zu vielfältig. Wir betrachten auch nicht im allgemeinen
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Gründe-Erklärungen als elliptisch, wann immer etwas anderes als ein Begehren oder eine Meinung des Handelnden als ein Grund angeboten wird, wie etwa im Fall von Helmut und der Mülltonne. Ein Satz wie „Caesar baute eine Brücke über den Rhein“ ist elliptisch. Zumindest werden manche sagen, daß genau zu reden nicht Caesar, sondern sein Heer die Brücke baute, oder daß Caesar die Brücke nicht wirklich baute, sondern bauen ließ. Aber wenige werden es nötig finden zu sagen, daß Helmut die Mülltonne rausstellte genau zu reden nicht, weil es Mittwoch ist, sondern wegen eines bestimmten Begehrens und einer Meinung, die er hat. Die These also, daß ein Begehren und eine Meinung in dem erklärten Sinne einen primären Grund bilden, gibt nicht einen offensichtlichen Zug unserer Erklärungs-Praxis wieder. Sie stellt die Behauptung auf, daß diese Praxis, unoffensichtlicher Weise, auf eine bestimmte Art verstanden und konstruiert werden muß. Gewiß ist das kein Einwand gegen die These. Es ist nur ein Grund dafür, um ein Argument für sie zu bitten. 8. Da dies die anstehende Frage ist, nämlich warum Begehren und Meinung eines Handelnden als primärer Grund des Handelns gelten sollen, kann ein weiteres Problem an der Begehren/Meinungs-Konzeption von Gründen im Augenblick beiseite bleiben. Das ist die Frage, ob Gründe, aus denen Leute etwas tun, begriffen als Begehren/Meinungs-Paare, auch Ursachen des Handelns sind; ob Gründe-Erklärungen mit Hilfe von Begehren und Meinung kausale Erklärungen sind. Diese Frage löste eine ausgedehnte, wenn auch insgesamt ergebnislose Diskussion aus. Die Frage kann hier beiseite bleiben, denn ihr Interesse hängt großenteils an der Wahrheit der Vorrangthese, also der These, daß alle Gründe-Erklärungen von Handlungen in dem angegebenen Sinne auf Erklärungen von Handlungen durch ein passendes Paar von Begehren und Meinung beruhen. Wenn die Vorrangthese nicht zutrifft; wenn Erklärungen von Handlungen durch Begehren und Meinungen nur eine Art von Gründe-Erklärungen sind, die neben anderen Arten, nicht aber ihnen zu Grunde liegt, dann sagt die Kausalitätsthese nur, daß Gründe einer Art Ursachen sind. Das mag für die eine Neuigkeit sein, die rein begrifflich dafür argumentierten, daß Gründe nicht Ursachen sein können,13 aber für andere ist es nicht besonders aufregend. Daß manche Gründe Ursachen sind, ist nicht die interessante These, die man uns versprochen hatte. Eine interessante These wäre es, daß alle Gründe Ursachen sind. Diese These aber ist argumentativ nicht erreichbar, wenn es nicht so etwas wie eine Normalform von Gründen gibt, wie die Vorrangthese behauptet; wenn wir bei der bunten
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Verschiedenheit dessen stehen bleiben, was unser normales Verständnis als Gründe zuläßt. Davidson jedenfalls unterscheidet in seinem Artikel von 1963 klar zwischen der Vorrang- und der Kausalitätsthese, und sowohl in der Exposition wie auch im Argument steht die Vorrangthese an erster Stelle. Das spricht dafür, daß sie auch sachlich der Kausalitätsthese zu Grunde liegt.14 Solange also die Vorrangthese nicht begründet ist, braucht man sich um die Kausalitätsthese nicht zu sorgen. Die Frage jetzt ist: läßt sich die Vorrangthese begründen? 9. Es ist eine kühne These. Wenn einer sagt, der primäre Grund einer jeden Handlung liege, sagen wir, in einem Angstgefühl und einer Wahrnehmungserinnerung, werden ihm die Leute schwerlich glauben. Manche Erklärungen, wird man ihm sagen, greifen zwar auf ein solches Paar zurück, aber um uns zu überzeugen, daß alle darauf basieren, bräuchte es einiges an Begründung. Mit der Begehren/Meinungs-These dürfte es ähnlich stehen. Niemand wird leugnen, daß Erklärungen, die ein solches Paar benutzen, manchmal vorgebracht werden, aber es müßte erst noch bewiesen werden, daß alle auf Erklärungen dieser Form beruhen. Es ist nicht offensichtlich, daß sich die Erklärung von Helmuts Hinausstellen der Mülltonne mit Hilfe der Tatsache, daß es Mittwoch ist, auf eine Erklärung dieses Tuns mit Hilfe von Helmuts Begehren und Meinungen gründet; „sich gründet“ in dem eben (§ 6) erklärten Sinne genommen. Aber obgleich hier ein Argument erforderlich ist, unternehmen die Freunde einer Begehren/Meinungs-These auffällig geringe Anstrengungen, sie ausdrücklich zu verteidigen. 10. Davidsons Aufsatz „Actions, Reasons, and Causes“ von 1963 ist ein Beispiel dafür. Unterstützung für die These, daß Begehren und Meinungen den primären Grund bilden, aus dem einer etwas tut, wird zwar eingangs versprochen,15 aber dann nirgends geliefert. Ein Argument könnte man in der folgenden Passage sehen: „Ich will die goldene Uhr da im Schaufenster“ ist kein primärer Grund und erklärt, weshalb ich in den Laden ging, nur weil es einen primären Grund andeutet – zum Beispiel, daß ich die Uhr kaufen wollte.16
Klar, „Ich will die goldene Uhr da im Schaufenster“ ist nicht ein primärer Grund, und auch nicht, um genauer zu reden, der Ausdruck des Begehrensteils eines primären Grundes, das folgt aus Davidsons Definition primärer Gründe. Ein primärer Grund schließt eine Pro-Einstellung zu Handlungen einer bestimmten Art ein, wobei der Handelnde glaubt, seine
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Handlung sei von dieser Art; und die goldene Uhr im Schaufenster ist nicht eine Art von Handlung. Gleichwohl, „Ich will die goldene Uhr da im Schaufenster“ erklärt nach der zitierten Passage, daß der Handelnde in den Laden geht. Davidson erkennt also durchaus erfolgreiche Erklärungen von Handlungen durch nicht-primäre Gründe an, wie zuvor behauptet (§ 6). Man darf annehmen, daß solche nicht-primären Gründe auch nicht einen Zustand des Handelnden einschließen müssen, wie das bei „Ich will die goldene Uhr da im Schaufenster“ der Fall ist. „Da liegt eine wunderbare goldene Uhr im Schaufenster“ sollte als Erklärung der Handlung durch einen nicht-primären Grund ebenso gute Dienste tun. Aber nach Davidsons Behauptung verdanken die nicht-primären Gründe ihre Erklärungskraft der Tatsache, daß sie anzugeben einen anderen, einen primären Grund erkennen läßt. Und warum sie dieser Tatsache ihre Erklärungskraft verdanken sollen, bekommen wir nicht gesagt. Wir erfahren nicht, weshalb „Ich will die goldene Uhr da im Schaufenster“ oder auch „Da liegt eine wunderbare goldene Uhr im Schaufenster“ als Erklärungen des Handelns nicht auf eigenen Füßen stehen können. Das heißt, in Wahrheit bekommen wir hier kein Argument für die Vorrangthese, die These wird nur für den vorliegenden Fall wiederholt. 11. Man mag einwenden, das sei ohne Wohlwollen gelesen. Ja, Davidson sagt nicht ausdrücklich, warum nicht-primäre Gründe ihre Erklärungskraft der Tatsache verdanken, daß sie eine Erklärung durch primäre Gründe zu erkennen geben. Aber das tut er nicht, weil es so leicht zu erkennen ist. „Ich will die goldene Uhr da im Schaufenster“ oder auch „Da liegt eine wunderbare goldene Uhr im Schaufenster“ erklären nicht spezifisch, daß der betreffende Mensch den Laden betritt und die Uhr kauft. Sie könnten ebensogut erklären, daß er nach Hause geht und für einen nächtlichen Einbruch Pläne schmiedet. „Ich will die Uhr kaufen“ ist dagegen spezifisch. Es erklärt, was der Handelnde tat und nichts sonst. Somit ist dies die Erklärung, die wirklich erklärt, was geschah, und die nichtprimären Gründe erklären ihrerseits nur dadurch, daß sie diese Erklärung andeuten. 12. Aber diese Verteidigung stimmt nicht mit Davidsons erklärter Lehre zusammen. Ein paar Zeilen vor der eben zitierten Stelle betont er: Eine jede aus einer unbestimmt großen Anzahl von Handlungen würde dem Wollen Genüge tun und kann gleichermaßen als dessen Gegenstand betrachtet werden.
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Damit sagt er ebenso, eine jede aus einer unbestimmt großen Zahl von Handlungen könnte mit Hinweis auf diesen Wunsch erklärt werden. Also ist es nicht wahr, daß „Ich will die Uhr kaufen“ das erklärt, was der Handelnde tat, und sonst nichts. Hätte er den Laden zuerst mit dem linken Fuß betreten und nicht mit dem rechten, wie er es wirklich tat, so hätte sein Wunsch, die Uhr zu kaufen, diese Handlung gerade so gut erklärt. Das heißt, der angebliche Unterschied zwischen „Ich will die goldene Uhr da im Schaufenster“ und „Ich will die Uhr kaufen“ löst sich auf. Dieses wie jenes erklärt, was der Handelnde tat, aber dieses wie jenes könnte auch einen unbestimmt großen Bereich anderer Dinge erklären, die er hätte tun können. Erklärungen durch primäre Gründe zeichnen sich also nicht durch Spezifizität aus; und so haben wir immer noch keinen Grund für die Annahme gehört, daß nicht-primäre Gründe sich ihre Erklärungskraft nur von den primären Gründen leihen, die sie zu erkennen geben. Gewiß, mit all dem ist nicht geleugnet, daß, wie Davidson zuvor schreibt, wann immer jemand etwas aus einem Grund tut, man ihn beschreiben kann als (a) eine Pro-Einstellung zu Handlungen einer bestimmten Art besitzend, und (b) meinend (oder wissend, wahrnehmend, bemerkend, sich erinnernd) daß seine Handlung von dieser Art ist.17
Schön, nehmen wir an, er läßt sich so beschreiben. Das beweist nicht im geringsten, daß Handelnde so zu beschreiben uns verstehen läßt, warum sie tun, was sie tun, geschweige denn, daß es dafür unentbehrlich wäre, uns das verstehen zu lassen. Es zeigt nicht im geringsten die Wahrheit der Vorrangthese. 13. Andere Autoren sind an diesem Punkt ebenso sparsam mit Argumenten wie Davidson. Tatsächlich sehen viele im Unterschied zu Davidson nicht einmal, daß es hier Argumente braucht. Colin McGinn sagt ziemlich entwaffnend, daß ein Grund, mit dem wir eine Handlung erklären, am besten verstanden wird als ein Begehren und eine Meinung in einer bestimmten Art von Verbindung.18
Warum ein Grund so am besten verstanden wird, erfahren wir nicht. Wir lernen auch nicht die Gründe kennen, auf die sich Martha Nussbaums emphatische Behauptung stützt, daß es in der Natur der Handlung liegt, durch ein Begehren und eine Meinung bestimmt zu sein.19
Autoren in benachbarten Gebieten wie der Philosophie des Geistes stützen sich ebenso auf diese Annahme:
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Für unseren Begriff einer Handlung scheint es wesentlich, daß unsere Körper in passender Weise durch unsere Wünsche und Meinungen bewegt werden.20
Der Punkt gilt als offensichtlich, ist es aber nicht, wie man an der Verschiedenheit dessen sieht, was wir im normalen Sprachgebrauch als Grund zulassen, aus dem Leute etwas tun (§ 5). 14. Michael Smith erkannte, daß hier ein Argument erforderlich ist, und stellte sich die Aufgabe, ausdrücklich die These zu verteidigen, daß Gründe, aus denen Leute etwas tun, immer aus einem Begehren und einer Meinung bestehen.21 Tatsächlich sucht er eine noch stärkere Behauptung zu beweisen, nämlich daß motivierende Gründe, wie er sie nennt, aus Begehren und Meinungen bestehen, und nicht bloß daß Gründe, aus denen Leute etwas tun, daraus bestehen; wobei der Unterschied darin besteht, daß ein motivierender Grund für Smith nur das Potential zu einer Handlungserklärung besitzt, tatsächlich aber nicht zu einer entsprechenden Handlung führen muß, etwa wenn er von einem anderen Grund übertrumpft wird.22 Dieser weitere Begriff motivierender Gründe bringt aber eigene Probleme mit sich, die hier nicht diskutiert werden müssen, und um diese zu vermeiden, empfiehlt es sich, das Argument auf Gründe zu beschränken, aus denen Leute wirklich etwas tun. Mit dieser Einschränkung sieht das Argument im Umriß so aus: 1. Einen Grund haben, aus dem man etwas tut, ist unter anderem dies, ein Ziel zu haben. 2. Ein Ziel haben heißt in einem Zustand sein, mit dem die Welt übereinstimmen muß. 3. In einem Zustand sein, mit dem die Welt übereinstimmen muß, ist Begehren. 4. Folglich, einen Grund haben, aus dem man etwas tut, ist unter anderem dies, etwas zu begehren.23 15. Tatsächlich ist das weniger, als versprochen war, sogar zweimal weniger. Zum einen, der Schlußsatz erklärt nur, daß einen Grund zu haben, aus dem man etwas tut, ein Begehren einschließt, während das Argument zeigen sollte, daß es ein Begehren und eine Meinung einschließt. Doch das, könnte man entgegnen, ist kein bedeutender Unterschied: stehe einmal fest, daß einen Grund zu haben, aus dem man etwas tut, unter anderem immer ein Begehren einschließt, sei der Rest des Wegs bis zur vollen Begehren/Meinungs-These leicht. In Wirklichkeit ist das nicht so. Die Begehren/Meinungs-These sagt, daß ein Grund, aus dem jemand etwas tut,
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eine Kombination aus einem Begehren und einer dazu in passender Beziehung stehenden Meinung ist (§ 2). Die These setzt damit voraus, daß Begehren und Meinung zweierlei Dinge sind. Das heißt, sie setzt voraus, daß es nichts gibt, was sowohl ein Begehren wie eine Meinung ist, und sie setzt auch voraus, wie man wohl unterstellen kann, daß, wenn jemand eine Meinung hat, dies nie logisch einschließt, daß er etwas begehrt. Denn sonst wäre die Rede von einer Kombination oder von einem Paar24 aus Begehren und Meinung irreführend, wenn nicht gar falsch. Doch diese Annahmen sind in der neueren Diskussion in Zweifel geraten. Der Erfahrung moralisch Handelnder, so ist geltend gemacht worden, können wir nur gerecht werden, wenn wir Geisteszustände einräumen, die zwar insofern kognitiv sind, als der Handelnde einen Begriff von der Sachlage hat, die aber ein Begehren nach einem passenden Handeln einschließen.25 Freilich weist Smith diesen Gedanken zurück,26 aber entgegen dem, was er vorgibt,27 weist er ihn nicht kraft des im letzten Absatz skizzierten Arguments zurück, sondern er müßte dafür zusätzliche Überlegungen anführen. Die Kritik in dem kürzlich erschienenen Artikel von Margaret Little28 zeigt das deutlich. Während Little, gegen Smith, den Gedanken verteidigt, daß manche Meinungen von moralisch Handelnden Begehren sind oder ein Begehren logisch einschließen, hat sie doch keine Bedenken gegen Smiths Konzeption von Begehren, wie sie in dem gerade dargestellten Argument enthalten ist.29 Also: selbst wenn dies Argument durchgeht, ist die Begehren/Meinungs-These damit nicht auch schon gesichert, wie Smith wollte, denn schon der Unterschied zwischen Meinungen und Begehren mag noch bezweifelt werden. 16. Zum anderen aber, selbst wenn das Argument schon zeigte, daß die Begehren/Meinungs-These richtig ist, würde das nicht schon für den Beweis einer Humeanischen Theorie der Motivation ausreichen, wiederum entgegen Smiths eigener Einschätzung.30 Eine Humeanische Theorie der Motivation sagt: vernünftige Überlegung allein bringt keine Handlungsmotivation zustande.31 Mit Hilfe einer Neu-Interpretation von Thomas Nagels Unterscheidung zwischen motiviertem und unmotiviertem Begehren32 hat Jay Wallace nun gezeigt, daß der rationalistische Gegner der Humeanischen Theorie die Begehren/Meinungs-These übernehmen kann, ohne seinen rationalistischen Gedanken im Kern zu gefährden.33 Smiths Argument sollte zeigen, daß jeder Grund, aus dem jemand etwas tut, ein Begehren einschließt, aber solange dies Begehren selbst in manchen Fällen rein aus vernünftigen Prinzipien erklärt werden kann, hat der Rationalist
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alles, was er für seine Theorie braucht.34 Gleichwohl läßt die folgende Diskussion von Smiths Argument diese weiteren Schwierigkeiten außer Acht, die zum einen den Übergang von Satz 4 (§ 14) zur vollständigen Begehren/Meinungs-These, und weiter den Übergang von der Begehren/ Meinungs-These zur Humeanischen Theorie der Motivation behindern. Hier soll es nur um die Frage gehen, ob Smiths Argument tatsächlich Satz 4 begründet. 17. Das tut es nicht: Prämissen 1 – 3 erscheinen allesamt zweifelhaft. Von der ersten behauptet Smith, sie sei begrifflich wahr. Er behauptet, wir verstehen, was das ist: ein Mensch tut etwas aus einem Grund, genau mit Hilfe des Gedankens: der Mensch hat ein Ziel.35 Diese Behauptung ist ungestützt. Angesichts der Breite von Dingen, die wir als Gründe bezeichnen, aus denen jemand etwas tut (§ 5), ist es durchaus nicht offensichtlich, daß, was diese Fälle gemeinsam haben, dies ist, daß der Handelnde ein Ziel hat; und erst recht nicht ist offensichtlich, daß dies es ist, im Hinblick worauf wir alle diese verschiedenen Dinge als Gründe verstehen. Ein Ziel ist ein Sachverhalt, den herbeizuführen jemand etwas tut oder unter passenden Umständen täte. Mit Aristoteles’ Ausdruck, ein Ziel ist ein ‚um wessentwillen‘. Um Metapher durch Metapher zu erklären, ein Ziel ist etwas, worauf der Handelnde mit seinem Tun schießt. Eines der früheren Beispiele (§ 5) zeigt deutlich die Beziehung, um die es hier geht. Da ist der Sachverhalt, daß Silvia etwas frische Luft bekommt, und da ist ihre Handlung, ein Fenster zu öffnen, und die beiden stehen in der Beziehung, daß Silvia das Letztere tut, um das Erstere herbeizuführen. Andere Beispiele für ein Handeln aus Gründen lassen sich jedoch nur schwer nach diesem Muster konstruieren. Was mag das Ziel des Menschen sein, der da zu Michael zurückkehrt, weil man jemanden in einer solchen Lage nicht im Stich lassen kann? Michaels Situation zu verbessern? Dann hätte der Betreffende genau das sagen können: „Ich kehrte zu Michael zurück, damit es ihm besser ginge,“ und davon zu reden, was man jemandem in einer solchen Lage antun kann oder nicht antun kann, hätte sich erübrigt. Oder soll das Ziel sein, daß es eine weitere rechte Handlung in der Welt gibt? Das scheint eine angestrengte Deutung, die kaum etwas mit dem zu tun hat, was die Leute, die so reden, normalerweise im Sinn haben. Es liegt näher zu sagen: dieser Mensch tat, was er tat, einfach aus dem Grund, daß es das Rechte war, das zu tun, und es gibt keinen Zustand, den er damit herbeizuführen suchte. Ähnliches gilt von der Fahrerin, die rechts ran fährt, weil die Polizei sie dazu auffordert. Es ist wahr, manchmal hat je-
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mand in einer solchen Lage ein Ziel und fährt deshalb rechts ran, etwa das Ziel, den Anschein eines gesetzestreuen Bürgers zu erwecken, oder das Ziel, drohenden Gewalttätigkeiten der Polizisten zu entgehen. Aber manchmal hat jemand in einer solchen Lage auch kein Ziel. Unsere Fahrerin hat vielleicht das Signal der Polizei bemerkt und einfach aus diesem Grund fährt sie rechts ran und hält. Sie tut es absichtlich, kein Zweifel; es ist nicht so, daß sie auf ein Polizeisignal so reagiert, wie Leute unter plötzlichem starken Licht mit den Augen zwinkern. Trotzdem ist da kein Zustand, auf den sie hinzielt mit dem, was sie tut. Sie tut es aus einem Grund, aber nicht um etwas willen. Angesichts solcher Beispiele, bei denen eine Interpretation des Handelns mit Hilfe von Zielen des Handelnden nicht nahe liegt, müßte Smith seine Prämisse ausdrücklich verteidigen, also die Prämisse, daß einen Grund zu haben, aus dem man etwas tut, unter anderem darin besteht, ein Ziel zu haben. Eine solche Verteidigung fehlt jedoch. (Mehr über Ziele und Gründe im elften Kapitel, §§ 278 – 282.) 18. Smith könnte so entgegnen: Ich will zugeben, und sei es auch nur um des Arguments willen, daß die Handelnden in den beiden eben betrachteten Beispielen kein weiteres Ziel mit dem, was sie tun, verfolgen. Gleichwohl haben sie ein Ziel. Ihr Ziel ist die betreffende Handlung selbst. Was sie anzielen, das ist im ersten Fall eine Situation, in welcher der Sprecher zu Michael zurückkehrt, und im zweiten Fall eine Situation, in der die Sprecherin rechts ran fährt. Etwas dieser Art aber wird immer der Fall sein, wenn jemand etwas aus einem Grund tut: man hat zumindest das Ziel, die Handlung selbst herbeizuführen. Und so ist es dann doch wahr, daß einen Grund zu haben, aus dem man etwas tut, es einschließt, ein Ziel zu haben.
Das ist nur wahr, wenn man „Ziel“ breiter versteht als im normalen Gebrauch üblich. Normal gesprochen, tut man manchmal etwas, um damit ein Ziel zu erreichen, und so ist das Ziel nicht das, was man tut, sondern das Resultat dessen, was man tut – wenn alles gut geht. Schließlich ist ein Ziel in der Grundbedeutung des Wortes der Endpunkt eines Rennens: es kann also nicht das Rennen sein. Noch einmal der Mensch, der zu Michael zurückkehrt aus dem Grund, daß man jemanden in einer solchen Lage nicht im Stich lassen kann: es klänge nach einem ziemlich lahmen Scherz, von diesem Menschen zu sagen, er habe ein Ziel, wenn er aus diesem Grund zurückkehrt, und zwar sei das Ziel, zurückzukehren. Ebenso die Fahrerin, die von der Polizei angehalten wird: man würde einfach nicht sagen, außer um einen Witz zu machen, daß sie, indem sie rechts
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ran fuhr, weil die Polizei sie dazu aufgefordert hatte, ein Ziel verfolgte, nämlich rechts ran zu fahren. Gewiß, Smith kann festlegen, daß „Ziel“ bei ihm das bedeutet, was nötig ist, um die erste Prämisse seines Arguments wahr, oder sogar begrifflich wahr werden zu lassen. Aber um einen solchen leeren Sieg ist es ihm nicht zu tun, denn so brächte die erste Prämisse das Argument substanziell nicht weiter. Bleiben wir aber bei den normalen Bedeutungen der Wörter, so scheint es nicht richtig zu sagen, daß einen Grund zu haben, aus dem man etwas tut, ein Ziel zu haben einschließt. 19. Die zweite Prämisse sagt, ein Ziel zu haben heiße in einem Zustand zu sein, mit dem die Welt übereinstimmen muß. Der Gedanke stammt von G.E.M. Anscombe.36 Sie stellte einander gegenüber den Einkaufszettel, den ein Mann von seiner Frau bekommt, und die Auflistung dessen, was er einkauft, durch einen Detektiv. Wenn der Einkaufszettel und das, was der Mann tatsächlich kauft, nicht übereinstimmen, dann liegt der Fehler im Tun des Mannes (von Fällen abgesehen, in denen Sachen auf der Liste nicht erhältlich sind oder der Mann es sich anders überlegt, usw.), aber wenn die Auflistung des Detektivs und das, was der Mann tatsächlich kauft, nicht übereinstimmen, dann liegt der Fehler in der Auflistung. Smith sieht nun einen entsprechenden Gegensatz zwischen zwei Arten geistiger Zustände: die einen, gleich der Liste des Detektivs, müssen mit der Welt übereinstimmen, und das erste Beispiel dafür sind Meinungen, die anderen, gleich dem Einkaufszettel, sind solche, mit denen die Welt übereinstimmen muß. Das ist, wie Smith gerne zugibt, eine metaphorische Redeweise, und er erklärt sie folgendermaßen. Ein geistiger Zustand, der mit der Welt übereinstimmen muß, ist ein Zustand, der angesichts einer Wahrnehmung, daß der intentionale Gegenstand dieses Zustands keine Tatsache ist, die Tendenz hat zu verschwinden. Dagegen ist ein Zustand, mit dem die Welt übereinstimmen muß, ein Zustand, der angesichts einer solchen Wahrnehmung die Tendenz hat fortzudauern und der den betreffenden Menschen, der sich in diesem Zustand befindet, dazu disponiert, den intentionalen Gegenstand dieses Zustands Tatsache werden zu lassen.37 Die zweite Prämisse behauptet nun, daß ein Ziel zu haben ein Zustand dieser zweiten Art ist. Wer das Ziel hat, ein Bier zu trinken, der ist in einem Zustand, der tendenziell fortdauert angesichts der Wahrnehmung, daß er gerade kein Bier trinkt, und der ihn dazu disponiert, es dahin zu bringen, daß er ein Bier trinkt. 20. Eine Schwierigkeit dieser Erklärung liegt in dem Begriff „Wahrnehmung“. Man möchte meinen, eine Wahrnehmung ist ein Sehen oder
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Hören oder dergleichen, aber bei vielen Zielen von Menschen gibt es in diesem normalen Sinne kein Wahrnehmen der Tatsache, daß der angestrebte Zustand nicht besteht. Ich nehme nicht wahr im normalen Sinne des Wortes, sondern ich weiß einfach, daß ich nicht das beste Buch der letzten hundert Jahre in Philosophie geschrieben habe, aber ich kann sehr wohl das Ziel haben, das zu tun. In einer Auseinandersetzung mit Smiths früherer Fassung seines Gedankens38 schlug I.L. Humberstone deshalb vor, „wahrnehmen“ bei Smith breiter zu verstehen, nämlich als „zu der Meinung gelangen“ oder „zum Wissen gelangen“.39 Doch auch diese Lesart führt in Schwierigkeiten, wie Humberstone zeigte.40 Wir wollten wissen, wodurch sich Zustände, die mit der Welt übereinstimmen müssen, von Zuständen unterscheiden, mit denen die Welt übereinstimmen muß. Die Antwort, die wir jetzt bekommen, nimmt Bezug auf Zustände, also Meinen und Wissen, die selbst wieder eine bestimmte Richtung der Übereinstimmung haben oder angeblich haben, nämlich die erstere. Das macht die Antwort uninformativ. Die Erklärung, die herauskommt, ist jetzt: Zustände, die mit der Welt übereinstimmen müssen, können von anderen Zuständen, die mit der Welt übereinstimmen müssen, in Mitleidenschaft gezogen werden, aber Zustände, mit denen die Welt übereinstimmen muß, können nicht von Zuständen, die mit der Welt übereinstimmen müssen, in Mitleidenschaft gezogen werden. (Grob: Meinungen sind der Veränderung durch Meinungen, Begehren sind nicht der Veränderung durch Meinungen ausgesetzt.) Aber das gibt uns keinen Begriff davon, was es heißt, daß ein Zustand von der Art ist, daß er mit der Welt, oder von der Art, daß die Welt mit ihm übereinstimmen muß. 21. Lassen wir diesen Einwand fallen und begnügen uns mit unserem ungefähren Verständnis eines Zustands, mit dem die Welt übereinstimmen muß: dann ist immer noch fraglich, ob ein Ziel zu haben einer von diesen Zuständen ist. Wenn die Welt nicht spurt, wenn zum Beispiel unser Mann immer noch dasitzt ohne Bier, wer wird die Welt zur Ordnung rufen? Smith sagt zum einen, das Haben eines Ziels daure tendenziell an angesichts dessen, daß die Dinge anders liegen. Tatsächlich dauert es manchmal nicht an. Manche geben frustriert ihre Ziele auf. Gewiß, für sie sorgt vielleicht der Zusatz, das Haben eines Ziels „habe die Tendenz“ anzudauern, statt daß es kurzum andauert. Aber wenn wir sagen, der Zustand habe eine Tendenz anzudauern, dauere jedoch oft nicht an, so ist das zu schwach, um die sei es auch vage Vorstellung von einem Zustand solcher Art zu erfassen, daß die Welt mit ihm übereinstimmen muß. Man möchte
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meinen, ein solcher Zustand sollte bestimmt nicht verschwinden, wenn er auf die Wahrnehmung trifft, daß die Dinge anders liegen, aber der Zustand, ein Ziel zu haben, tut manchmal genau das. Smith sagt zum anderen, das Haben eines Ziels disponiere einen dazu, es zu realisieren. Aber wieder, das tut es manchmal nicht: vielleicht reichen die Kräfte nicht aus, vielleicht hat einer Besseres zu tun, und so weiter. Gewiß, für diese Fälle sorgt Smith wieder vor, indem er nicht sagt, das Haben eines Ziels bringe einen dazu, sondern nur, es disponiere einen dazu, es zu realisieren. Aber damit bleibt wieder wenig übrig von dem Gedanken, daß die Welt mit dem Zustand übereinstimmen muß, der darin besteht, daß einer ein Ziel hat. Manchmal erreicht einer nicht sein Ziel, und dann stimmt die Welt eben nicht mit dem Zustand überein, der darin besteht, daß er dies Ziel hat – also kann man auch nicht sagen, daß sie mit diesem Zustand übereinstimmen muß. Nur soviel ist vielleicht wahr: ein Ziel zu haben ist ein Zustand, auf den meistens das Realisieren dieses Zieles folgt. Sicher kann man zweifeln, ob auch das nur wahr ist, aber selbst wenn es das ist, es ist zu wenig, um irgendetwas darauf zu bauen. Insbesondere ist es zu wenig, um die dritte Prämisse von Smiths Argument darauf zu stützen. Wenn in einem Zustand zu sein, mit dem die Welt übereinstimmen muß, nicht mehr ist als in einem Zustand zu sein, dem tendenziell eine bestimmte Art von Handlungen folgt, dann ist in einem Zustand zu sein, mit dem die Welt übereinstimmen muß, nicht dasselbe wie Begehren, entgegen dem, was die dritte Prämisse sagt. Schließlich mag es ja sein, daß an die Sahara zu denken tendenziell bei Leuten die Folge hat, daß sie sich ein Bier holen. In dem Falle qualifiziert sich der Gedanke an die Sahara, nach der schwachen Lesart, die übrig blieb, als ein Zustand, mit dem die Welt übereinstimmen muß. Aber dieser Gedanke ist kein Begehren. 22. Zur Verteidigung von Smiths zweiter Prämisse mag jemand entgegnen, das heiße „übereinstimmen muß“ unfreundlich eng zu lesen. Gemeint sei doch klarerweise, nicht daß das Haben eines Ziels notwendig das Erreichen desselben nach sich ziehe, sondern daß das Haben eines Ziels das Erreichen desselben nach sich ziehen solle. Tatsächlich ist auch das nicht immer so. Nicht alle Ziele, die die Leute haben, sollten sie erreichen.41 Manche sollten sie, manche sollten sie nicht erreichen, es kommt auf die Ziele an. Wohl wahr, vom Standpunkt dieses besonderen Zieles geurteilt sollte es erreicht werden, aber das ist eine Lesart, die schon so wohlwollend ist, daß sie der zweiten Prämisse allen Inhalt nimmt. „Ein Ziel zu haben ist ein Zustand, dem, vom Standpunkt des Zieles her geurteilt, das
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Erreichen dieses Zieles folgen sollte,“ das sagt nicht mehr als: „Ein Ziel haben heißt, seine Realisierung anzielen,“ und nichts von Belang folgt aus einer solchen Tautologie. 23. Nun zur dritten Prämisse von Smiths Argument, die besagt, daß in einem Zustand sein, mit dem die Welt übereinstimmen muß, begehren ist. Nehmen wir für jetzt an, wir haben einen verstehbaren Begriff von einem solchen Zustand, und mit Hilfe dieses Begriffes können wir Prämisse 2 so stark lesen, daß Prämisse 3 eine Chance hat, wahr zu sein. (§ 20 sollte zeigen, daß die erste, §§ 21 – 22 sollten zeigen, daß die zweite Annahme nicht zutrifft.) Smith stützt nun seine dritte Prämisse auf ein dispositionelles Verständnis von Begehren. Nach diesem Verständnis besteht ein Begehren in einer Reihe von Dispositionen, die man hat, einmal die Disposition, ein Ding zu tun unter einer Art von Umständen, sodann die Disposition, ein anderes Ding zu tun unter einer anderen Art von Umständen, und so weiter, wobei die Umstände unter anderem die Meinungen des Handelnden darüber, wie verschiedene Dinge sich tun lassen, und auch andere Begehren des Handelnden einbegreifen.42 Zum Beispiel, ein Bier zu trinken begehren besteht nach dieser Konzeption darin, daß man disponiert ist, zum Kühlschrank zu gehen, wenn man denkt, so kriegt man eins, und disponiert ist, in den Keller zu gehen, wenn man denkt, es gelingt so, und disponiert ist, in eine Wirtschaft zu gehen, es sei denn man scheut den Weg, wenn man denkt, so klappt es, und so weiter. Smith behauptet nun: in einem Zustand sein, mit dem die Welt übereinstimmen muß, heißt einen solchen Satz von Dispositionen haben. Man sieht das, sagt er, wenn man die Alternative betrachtet, ein phänomenologisches Verständnis von Begehren, wie er es nennt.43 Nach diesem Verständnis sind Begehren bloß eine Art von Gefühlen. Was immer für oder gegen diese Auffassung spricht, klar ist, daß ein solches Gefühl, um noch einmal Metapher durch Metapher zu erklären, nicht darauf wartet, daß die Welt ihren Part spielt. Ein solches Gefühl ereignet sich einfach; und wenn das Begehrte sich auch ereignet, so ist das nur ein weiteres Ereignis, nicht aber etwas, wodurch die Welt mit einem Zustand des Handelnden übereinstimmt. Dagegen ist nach dem dispositionellen Verständnis der Begehrende dazu disponiert, das begehrte Ereignis herbeizuführen, je nach Umständen in der einen oder anderen Weise. Also ist das Eintreten des begehrten Ereignisses tatsächlich die Erfüllung des Begehrenszustandes. Es ist ein Fall davon, daß die Welt mit einem solchen Zustand übereinstimmt.
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24. Das Argument überzeugt nicht. Für jetzt sei das dispositionelle Verständnis von Begehren zugestanden: damit wird das Eintreten des begehrten Ereignisses noch immer nicht zur Erfüllung eines Zustands des Handelnden, zu einem Fall davon, daß die Welt mit diesem Zustand übereinstimmt. Solange ich bloß das Bier begehre, gilt dies von mir, nach dem gegenwärtigen Verständnis von Begehren: ich bin ein solcher, der unter anderem, wenn er denkt, zum Kühlschrank zu gehen ist die beste Art, ein Bier zu kriegen, zum Kühlschrank geht. Dann, wenn ich tatsächlich gehe, gilt dies von mir: ich bin ein solcher, der denkt, zum Kühlschrank zu gehen ist die beste Art, ein Bier zu kriegen, und der auch zum Kühlschrank geht. Das heißt, zuerst gilt ein Bedingungssatz von mir, und dann gelten von mir dessen Vordersatz und dessen Nachsatz. Aber es gibt keinen Grund zu sagen, mit dem späteren Zustand komme die Welt zur Übereinstimmung mit dem früheren. Ein wahrer Bedingungssatz wartet in keiner Weise darauf, daß sein Vorder- und Nachsatz wahr werden. Es ist ihm egal. Weniger metaphorisch, mein Zustand, einer zu sein, der zum Kühlschrank geht, wenn er denkt, das ist die beste Art, ein Bier zu kriegen, und mein Zustand, dies zu denken und jenes zu tun, sind einfach verschiedene Zustände, verschiedene Existenzen, wie Hume sich manchmal ausdrückt, gerade so wie Begehren und Realisierung des begehrten Zustandes nach dem phänomenologischen Verständnis zweierlei Dinge waren. Dem dispositionellen Verständnis von Begehren gelingt es also nicht besser als dem phänomenologischen, dem Gedanken einen Sinn zu geben, daß Begehren ein Zustand ist, mit dem die Welt übereinstimmen muß. Das dispositionelle Verständnis von Begehren hilft Smith deshalb nicht, Prämisse 3 zu untermauern. 25. Zudem ist das dispositionelle Verständnis von Begehren an sich schon zweifelhaft. Zum einen, vielleicht ist es ja wahr, daß ich, wann immer ich etwas begehre, dazu disponiert bin, bestimmte Dinge zu tun, falls ich bestimmte Meinungen darüber habe, was wofür das beste Mittel ist. Also, vielleicht ist es wahr, daß, wenn ich das Bier begehre, ich dazu disponiert bin, zum Kühlschrank zu gehen, falls ich meine, das sei der beste Weg, es zu bekommen. Aber in manchen Fällen ist das bloß leerer Weise wahr, nämlich mangels geeigneter Meinungen. Menschen, die sehr jung sind, zum Beispiel, begehren klarerweise Dinge, oder sie begehren wirklich ein einziges Ding, nämlich gefüttert zu werden, aber sie haben keine Meinungen darüber, wie sich dieser Zustand herbeiführen läßt. Nicht daß sie gar nichts meinen. Vielleicht meinen sie, daß Milch gut schmeckt, vielleicht nicht, das ist schwer zu entscheiden. Der Punkt ist, sie haben keine Mei-
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nungen betreffend die Mittel und Wege, an Milch zu kommen. Sie schreien, weil sie Hunger haben, aber sie benutzen ihr Schreien nicht zu dem Zweck, jemanden dazu zu kriegen, sie zu füttern. G.E.M. Anscombes berühmter Satz, in der Literatur noch und noch zitiert: „Das allererste Zeichen von Wollen ist, etwas zu kriegen versuchen,“44 scheint bemerkenswert falsch. Zu versuchen etwas zu kriegen, ist gerade nicht ein erstes Anzeichen von Wollen, sondern schon ein ziemlich gewitztes. Man muß dazu schon jemand sein, der ein Ding so tut, daß er ein anderes kriegt, und wer das leistet, hat es schon weit gebracht. Man könnte dem entgegenhalten, daß kleine Kinder doch nicht danach begehren, gefüttert zu werden, daß sie nur wegen des Schmerzes schreien, den ihnen der Hunger macht.45 Tatsächlich finden es die Leute aber vollkommen natürlich zu sagen, daß ein kleines Kind, das schreit, etwas will, und sie finden es übrigens auch vollkommen natürlich zu sagen, daß ein kleines Kind, das nach dem Füttern einschläft, dann zufrieden ist. Die Leute sind sich auch keines metaphorischen Drehs bewußt, wenn sie so reden, so wie sie sehr wohl merken, daß sie an der Sprache drehen, wenn sie sich über ihren stumpfsinnigen Computer beklagen. Sie nehmen es im großen und ganzen als wörtlich wahr, daß kleine Kinder gefüttert werden wollen. So müßte die Beweislast bei denen liegen, die leugnen, daß es sich so verhält, und man sieht nicht leicht, was für ein Argument sie vorbringen könnten. Lassen wir also zu, daß kleine Kinder etwas begehren, dann wird allerdings diese Aussage wahr: dann, wenn sie gefüttert werden wollen, schreien sie normalerweise, falls sie meinen, das sei das beste Mittel, gefüttert zu werden. Das ist wahr, aber nur leererweise, denn dies meinen sie eben nicht. Doch es ist schwer zu glauben, daß das ihr Begehren ist, was durch einen Bedingungssatz beschrieben wird, der auf sie nur leererweise zutrifft. Man möchte meinen, es ist mehr an ihrem Begehren als bloß die Tatsache, daß, wenn sie dächten, was sie nicht tun, daß Schreien die beste Art ist, zu kriegen, was sie wollen, sie schreien würden. Aber wenn in ihrem Fall mehr an dem Begehren ist als die Wahrheit eines solchen Bedingungssatzes, dann auch in unserem Fall, denn ihr Begehren und unseres sind gleicher Art. 26. Zum anderen ist es nicht wahr, daß, wann immer einer einen Satz von Dispositionen der beschriebenen Art hat, er etwas begehrt. Etwa der Mensch in Kants Beispiel,46 der entschlossen ist, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, wenn es „bei seiner längeren Frist mehr Übel droht, als es Annehmlichkeiten verspricht“: es mag wahr sein, von diesem Menschen zu sagen, er sei jetzt disponiert, sich zu vergiften, falls er denkt, das sei der
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beste Weg sich zu töten, und falls einige andere Bedingungen auf ihn zutreffen, zum Beispiel die, daß er denkt, die Aussichten für ihn seien unwiderruflich düster; und es mag auch wahr sein, von ihm zu sagen, er sei jetzt disponiert, sich aufzuhängen, falls er denkt, das sei der beste Weg sich zu töten, und einige andere Bedingungen zutreffen, und so weiter. Dieser Mensch hat die Dispositionen, die das dispositionelle Verständnis von Begehren verlangt. Gleichwohl mag er jetzt nicht begehren, sich zu töten. Er mag nur bereit sein, es unter bestimmten Bedingungen zu tun, und es in einer bestimmten Art zu tun, falls er denkt, das sei die beste Art. Aber das ist offenbar etwas anderes als es zu begehren. 27. Die Kritik an Smiths Argument zusammengefaßt: Einen Satz von Dispositionen der bezeichneten Art haben ist keine hinreichende Bedingung für das entsprechende Begehren (§ 26), und noch weitere Gründe sprechen dafür, daß Begehren nicht darin besteht, solche Dispositionen zu haben (§ 25). Doch selbst wenn es darin besteht, hilft das nicht der dritten Prämisse des Arguments: das dispositionelle Verständnis von Begehren stützt nicht die Vorstellung, daß in einem Zustand sein, mit dem die Welt übereinstimmen muß, begehren ist (§ 24). Prämisse 2 wiederum ist unklar: wir erfahren nicht, was das ist, in einem Zustand zu sein, mit dem die Welt übereinstimmen muß (§ 20). Halten wir uns an das vage erste Verständnis dieses Ausdrucks, so ist die Prämisse falsch: es ist nicht der Fall, daß die Welt mit unserem Haben von Zielen übereinstimmen muß (§§ 21 – 22). Prämisse 1 schließlich ist nicht abgestützt: es gibt keinen guten Grund anzunehmen, alle Gründe-Erklärungen von Handlungen seien teleologisch, also Erklärungen aus den Zielen der Handlungen (§§ 17 – 18). 28. Zwei weitere Argumente haben David Lewis und John Collins dafür vorgebracht, daß ein Handlungsgrund ein Begehren des Handelnden einschließt.47 Die Annahme, daß Gründe bloß Meinungen sein könnten, ist nach Lewis’ Ansicht mit der Standard-Entscheidungstheorie nach Bayes unvereinbar, und nach Collins’ Ansicht ist sie auch unvereinbar mit einer nicht-quantitativen Entscheidungstheorie. Diese Argumente brauchen hier nicht diskutiert zu werden.48 Die Entscheidungstheorien, auf die sie sich berufen, sind schon in den Begriffen von Begehren und Meinung gefaßt,49 und ob eine Konzeption in Begriffen von Begehren und Meinung Handeln begreiflich macht, ist hier gerade die Frage. Wer wie Lewis sagt: „In den Grundzügen ist die Entscheidungstheorie jedenfalls richtig,“50 der setzt in der Handlungstheorie voraus, was es zu beweisen gilt.
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29. Die Frage war (§ 7), weshalb Begehren und Meinungen primäre Gründe des Handelns sind, und das Ergebnis dieser Durchsicht ist, daß nach allem, was wir in der Literatur dazu hören, wir nicht wissen, weshalb das so sein soll. Gute Argumente für diese Behauptung sind nicht vorgebracht worden, obgleich sie ja nicht unsere Erklärungspraxis widerspiegelt (§ 5). Sie ist auch nicht durch psychologische, geschweige denn neurologische Forschungen gestützt worden. Es scheint das einfach die allgemeine Meinung zu sein, ohne daß jemand Gründe für sie weiß. Unter diesen Umständen wird der einzige Weg zu einer begründeten Entscheidung über sie der sein, die Geschichte zu vervollständigen. Schließlich gehört ja die These, daß Begehren und Meinung den primären Grund bilden, aus dem jemand etwas tut, zu einem ganzen Bild des Handelns. Dieses Bild etwas detaillierter zu entfalten sollte für ein Urteil über die These die geeignete Grundlage geben. 30. Es liegt nahe, von dieser Frage auszugehen: warum braucht es gerade diese beiden, Begehren und Meinung, für einen primären Grund, aus dem jemand etwas tut? Was ist die besondere Leistung von jedem der beiden, die das Privileg dieses Paars rechtfertigt, den Grund eines Handelnden auszumachen? Die Literatur hält eine Standard-Antwort auf diese Frage bereit. Robert Audi etwa schreibt: Handeln aus einem Grund beruht auf einer leitenden Meinung und einem motivierenden Wollen,51
und nach Georg Henrik von Wright ist das Wollen das, was bewegt, und die Erkenntnis (kausaler Verknüpfungen) das, was die Bewegung steuert.52
Also, Motivation und Leitung sind die besonderen Aufgaben von Begehren und Meinung. „Motivation“ leitet sich vom lateinischen Wort für „Bewegen“ her. Ein Motiv, so darf man vermuten, ist also das, was jemanden zu einem Handeln bewegt,53 das, was Kant eine „Triebfeder“54 nennt. Leitung andererseits ist das, was ein Ding in Bewegung den richtigen Weg nehmen läßt: der Lotse leitet das Schiff in den Hafen. Das Bild des Handelns, das hier sichtbar wird, scheint also dies zu sein. Ich fange an zu begehren, etwas zu essen – warum dies Begehren einsetzt, spielt jetzt keine Rolle. Das Begehren, etwas zu essen, ist es, was mich in Bewegung setzt. In diesem Fall ist es das, was mich dazu bringt, Zwiebeln zu schneiden. Doch das Begehren könnte mich nicht in diese Bewegung setzen ohne die Leitung durch das Meinen. Das Meinen ist in diesem Falle eines des Inhalts, daß unter den gegebenen Umständen Zwiebeln zu schneiden der
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beste oder der einzige oder der wirksamste Weg dahin ist, daß ich etwas esse. Diese Meinung leitet mich oder mein Begehren zum Zwiebelschneiden. Mit einem Begehren, das nicht von einem Meinen unterstützt wird, stehe ich mich sehnend nach Essen da, aber ohne Mittel, es zu erreichen. Deshalb wird das Meinen in der Literatur auch manchmal „verbindend“ genannt.55 Dort ist das begehrte Essen, hier bin ich mit meinem Begehren, aber wir beiden kommen nicht zusammen, wenn das Meinen nicht dazwischentritt und mir sagt, daß Zwiebeln zu schneiden der Weg ist, etwas zu essen zu bekommen. (Zumindest im Normalfall kommen wir beide nicht zusammen. Es kommt auch vor, daß wir erreichen, was wir begehren, indem wir planlos um uns schlagen.) Mit einem anderen Bild, das gern herangezogen wird: wir tun, was wir tun, „im Lichte unserer Meinungen“.56 Wie man ohne Licht kaum die Uhr findet, die man in der Nacht sucht, so findet man ohne Meinungen kaum das Essen, nach dem man verlangt. Aber mit Licht greift man sich die Uhr, die hinter dem Buch lag, und mit der Meinung fängt man an, Zwiebeln zu schneiden. 31. Doch diese Geschichte ist nicht kohärent.57 Das Begehren bewegt einen zum Handeln, heißt es. Es heißt aber auch, daß das Begehren für sich allein nicht zum Handeln gelangt. Diese beiden Stücke passen nicht zusammen. Wenn Begehren für sich ein hilfloses Verlangen nach dem Ziel ist, dann ist es eben nicht wahr, daß es einen zum Handeln bewegt. Was einen zum Handeln bewegt, bewegt einen zu diesem oder jenem bestimmten Handeln, und so gelangt das Begehren doch zum Handeln. Oder ist der Gedanke, daß nicht Begehren für sich, sondern Begehren, das von einem Meinen begleitet wird, einen zum Handeln bewegt? Dann sind wir wieder da, wo wir anfingen (§ 30), und haben keine Antwort auf die Frage, was Begehren und Meinen jedes spezifisch zum Handeln beitragen. Oder ist der Gedanke, daß Begehren für sich einen zum Handeln bewegt, daß es allerdings zum Handeln gelangt, nur nicht, außer mit riesigem Glück, zum richtigen Handeln, das zum Ziele führt? Das würde bedeuten, daß mein Verlangen nach Essen mich ebenso gut dazu bewegen könnte, die Hemden zu waschen, wenn nicht das Meinen dazwischenträte und mich darauf hinwiese, daß Zwiebeln zu schneiden aussichtsreicher ist. Aber in dem Fall ist nicht klar, wieso diese bewegende Kraft überhaupt noch ein Begehren nach Essen wäre. Es wäre eher eine Bereitschaft, irgendetwas zu tun. Es stimmt schon, manchmal bringt uns unser Begehren nach etwas und besonders auch unser Begehren zu essen, in einen Zustand der Ruhelosigkeit, in dem wir alles Mögliche zu tun bereit wären. Insofern
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passiert es tatsächlich, daß man durch das Begehren nach Essen dazu kommt, die Hemden zu waschen. Aber auch dann ist Begehren nicht eine solche Bereitschaft, alles Mögliche zu tun, es wird nur manchmal von ihr begleitet. Begehren ist auf etwas ausgerichtet, wie zum Beispiel Essen. Wenn wir es als bloße Energie nehmen, die nicht bestimmt ist hinsichtlich der Art von Handlung, die sie antreibt, reden wir nicht mehr von Begehren. 32. Die Widersprüchlichkeit der Geschichte zeigt sich an den unvereinbaren Rollen, die sie dem Begehren zuweist. Begehren in der einen Rolle „setzt das Ziel“, wie Audi sich ausdrückt.58 Also, jeder Begehrende ist damit auch jemand, der ein Ziel hat. Von einem so verstandenen Begehren kann man gut sagen, daß es für sich nicht zum Handeln gelangt. Man hat oft das Ziel, etwas zu essen zu bekommen, und unternimmt doch aus dem einen oder anderen Grund keine Schritte, die zu diesem Ziel führen, oder von denen man meint, daß sie dahin führen.59 Begehren in der zweiten Rolle ist das, was denjenigen in Bewegung setzt, der tatsächlich Schritte unternimmt. Doch von einem so verstandenen Begehren kann man nicht sagen, daß es für sich nicht zum Handeln gelangt. Zum Handeln zu führen ist ja gerade seine Rolle. Aber ein so verstandenes Begehren setzt nicht ein Ziel. Es ist bloß ein Motor, ein Beweger, zum Zwiebelschneiden im vorliegenden Beispiel. Etwas zu essen zu bekommen, das Ziel, dem das Schneiden der Zwiebeln angeblich dient, ist für ein so verstandenes Begehren bedeutungslos. Dieses Begehren besteht darin, den Koch in Gang zu setzen. 33. Man wird sicher entgegnen, daß so die beiden Rollen zu trennen die Natur des Begehrens verfehlt. Es setze nicht entweder ein Ziel oder bewege den Handelnden, sondern es bewege den Handelnden dadurch, daß es ein Ziel setzt. Aber so erklärt man das Unklare mit etwas geradewegs Undurchsichtigem. Wir verstehen nicht, wie das Auszeichnen eines bestimmten Zustandes, etwa dessen, daß ich zu Abend esse, als meines Ziels, als etwas, das von mir herbeizuführen ist, auch noch mich unter bestimmten Umständen zum Handeln bewegen soll. Solange wir das nicht verstehen, versteckt man sich mit der Behauptung, daß Begehren beide Rollen spielt, nur hinter einem Wort, eben ‚Begehren‘. Die folgenden Sätze von Alfred Mele machen die Undurchsichtigkeit anschaulich: Die funktionale Verbindung zwischen Wollen und Handeln hat mindestens zwei Dimensionen. Zum einen, der Vorstellungsinhalt dessen, daß ein Handelnder A will, identifiziert ein praktisches Ziel (oder Unter-Ziel), nämlich
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daß der Handelnde A tut. Auf diese Weise gibt ein „Handlungs-Wollen“ sozusagen eine praktische Anweisung. Zum anderen, Wollen hat eine Neigungsoder Strebens-Dimension. Wollen macht die Betreffenden geneigt, entsprechend zu handeln.60
Daß Mele hier von Wollen spricht, nicht von Begehren, tut nichts zur Sache. Wichtig ist dies: während er Wollen in diesen zwei Dimensionen beschreibt, die den zwei eben unterschiedenen Rollen von Begehren entsprechen, gibt er doch keinerlei Hinweis, wie die beiden Dinge verbunden sind. Freilich wird traditionell angenommen, sie seien verbunden. Aber ohne eine Erklärung, wie sie verbunden sind, hilft uns diese Geschichte so wenig wie das Märchen, das uns auch nicht sagt, wie es zugeht, daß der tote Bruder jetzt der Vogel ist, der so wundervoll singt.61 34. Die Widersprüchlichkeit der Geschichte zeigt sich auch an den unvereinbaren Rollen, die sie dem Meinen zuweist. Die Zweiheit der Rollen verbirgt sich hier in einer Zweideutigkeit der Rede von einem „leitenden Meinen“. Wie leitet man jemanden zum Postamt? Entweder an der Leine: man richtet seine Bewegungen so aus, daß sie ihn schließlich zum Postamt bringen. So leitet man ein Pferd, und denken wir an von Wrights Metapher (§ 30), so steuert man ein Boot. Die Leitungsfunktion des Meinens in dieser Weise zu verstehen, paßt gut mit der Vorstellung zusammen, daß es zu der geeigneten Handlung nur dank einem solchen bestimmenden Einfluß kommt: ohne ihn ist der Handelnde ein Boot ohne Ruder. Nicht versteht man aber, wie Meinen das leisten kann. Meinen ist Für-wahr-halten: wie kann mein Etwas-für-wahr-Halten etwas sein, das meine Bewegungen in eine unter den gegebenen Umständen passende Handlung drängt? Wenn ich überzeugt bin, daß Zwiebeln zu schneiden der beste Weg dahin ist, daß ich heute Abend etwas zu essen bekomme, wie kann mein So-überzeugt-sein mich dahin lenken, daß ich Zwiebeln schneide? Die Überzeugung und das Lenken sind verschiedene Dinge, und solange wir keinen Begriff davon haben, wie sie verbunden sind, heißt es wieder nur Märchen erzählen, dem Meinen beide Funktionen zuzuschreiben. 35. Oder man leitet jemanden zum Postamt, indem man ihm den Weg beschreibt. Dieses Verständnis wird der Tatsache gerecht, daß es eben ein Meinen ist, das hier Handeln leiten soll. Von einem Meinen kann man mit gutem metaphorischen Sinn sagen, es gebe mir Kunde davon, daß Zwiebeln zu schneiden der Weg zum Essen ist, so wie buchstäblich jemand mir Kunde davon gibt, daß das und das der Weg zum Postamt ist. Doch nach diesem Verständnis bleibt wieder der bestimmende Einfluß,
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den das Meinen haben soll, uneinsichtig. Ich erfahre hier ja nur, daß dies der Weg zum Postamt ist, und diese Information erweitert mein Wissen, sie setzt mich nicht dorthin in Gang. Gewiß, dank ihr lenke ich tatsächlich meine Schritte in die Richtung, aber das ist so, weil ich selbst jemand bin, der aus Gründen handelt; und diese Tatsache darf nicht dazu benutzt werden, die Rolle des Meinens im Handeln zu erläutern, sonst drehen wir uns im Kreise oder schachteln Homunculi ineinander. Schließlich ist ja gerade die Frage, was es heißt, ein solcher Handelnder zu sein. 36. Die Metapher vom Handeln „im Lichte seiner Meinungen“ hebt die Schwierigkeit plastisch heraus. Es hat guten metaphorischen Sinn zu sagen, daß Meinungen auf Züge der Situation des Handelnden Licht werfen. Da ist etwa die Tatsache, daß Zwiebeln zu schneiden der beste Weg dahin ist, heute Abend etwas zu essen zu bekommen. Das ist zwar eine Tatsache, ob ich es denke oder nicht. Aber wenn ich es denke, kommt es damit in das Licht der Bühne, auf der das Handeln spielt. Doch Licht führt nicht. Ich sehe, daß Zwiebeln zu schneiden der Weg zum Essen ist, aber soweit hat das noch nichts mit Handeln zu tun: ich bin unterrichtet, aber nicht geleitet. Wohl kann ich mich mit Hilfe dieser Erkenntnis selber zu einem passenden Handeln leiten, aber was das heißt, wollten wir gerade verstehen. Das Problem am Meinen, das Handeln leiten soll, ist also dies: wo es Leiten gibt, da besteht kein Grund, es dem Meinen zuzuschreiben, und wo es Meinen gibt, da besteht kein Grund, es sich als leitend vorzustellen. 37. Die leitende Meinung leitet, so war hier unterstellt, den Menschen. Man mag hoffen, daß der Gedanke besseren Sinn gibt, wenn das Geleitete nicht der Mensch, sondern das Begehren eines Menschen ist. Das Leiten fände damit in dem Menschen statt. Ein Begehren nach etwas zu essen erzeugt, so wäre hier die Vorstellung, unter dem Einfluß der Meinung, daß Zwiebeln zu schneiden der beste Weg dahin ist, etwas zu essen zu bekommen, das Begehren, Zwiebeln zu schneiden; und dies Begehren bringt dann den Menschen dazu, Zwiebeln zu schneiden.62 Streng genommen wäre das nicht eine Theorie von Gründen, aus denen Leute etwas tun, in Begriffen von Begehren und Meinen, sondern eine Theorie allein in Begriffen von Begehren. Denn der Handelnde in dem Beispiel schneidet Zwiebeln aus dem Grund, daß er dies zu tun begehrt. Aber daß er dies begehrt, das verdankt er seinem Begehren nach etwas zu essen, zusammen mit der Meinung, Zwiebeln zu schneiden sei der beste Weg dorthin; und so ist es erhellender, diese beiden zu nennen, wenn die Frage ist, aus welchem Grund der Handelnde tut, was er tut. Tatsächlich könnte es, wenn
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auch streng genommen wahr, doch irreführend sein, als seinen Grund nur sein Begehren nach dem Schneiden von Zwiebeln zu nennen. Das könnte einen nämlich denken lassen, es sei ein unabgeleitetes Begehren des Handelnden, eine besondere Vorliebe, Zwiebeln zu schneiden, und das sähe nach einem eher seltsamen Geisteszustand aus. Aber das ist nicht der Fall unseres Handelnden. Er hat sein Begehren, Zwiebeln zu schneiden, aus dem Begehren, etwas zu essen zu bekommen, erst gebildet, und zwar durch die Meinung geleitet, daß dies der beste Weg dahin ist, etwas zu essen zu bekommen. 38. Man mag sich fragen, wie verläßlich dieser Mechanismus sein soll. Schließlich gibt es ja auch die Menschen, die begierig sind, etwas zu essen, und wohl wissend, daß Zwiebeln zu schneiden der Weg dahin ist, trotzdem dies nicht tun wollen, was bei einem normalen Verständnis der Begriffe bedeuten würde, daß sie es eben nicht zu tun begehren. Aber das wirkliche Problem an dieser Fassung des Gedankens ist, daß damit nichts verbessert wird. Beim Meinen, das den Menschen leitet, war die Frage, weshalb unterrichtet zu sein über den besten Weg zum Ziel einen auch auf diesen Weg bringen und in Gang setzen soll. Beim Meinen, welches das Begehren leitet, ist gleichermaßen die Frage, weshalb unterrichtet zu sein über den besten Weg zum Ziel den Menschen dazu bringen soll, ein Begehren danach auszubilden, diesen Weg zu gehen. Wie zuvor werden dem Meinen hier zweierlei Leistungen abverlangt, die Lieferung von Informationen und die Änderung des Begehrensprofils, und es müßte eine einsichtige Verbindung zwischen diesen beiden gezeigt werden, um eine solche Geschichte annehmbar zu machen. 39. Die Vorstellung von einem Leitung bietenden Meinen gibt also am Ende keinen Sinn; und da die Vorstellung eines motivierenden Begehrens ebenso zerfiel, weil es ein Ding ist, daß das Begehren ein Ziel ansetzt, und ein anderes, daß es den Handelnden in Bewegung versetzt (§ 32), so darf man wohl schließen, daß das Bild vom Handeln, das der Begehren/Meinungs-These zu Grunde liegt, nicht kohärent ist (§ 31). Es war erforderlich, dies Bild zu entfalten, denn die Begehren/Meinungs-These selbst ist trotz ihrer Popularität (§ 2) nicht angemessen begründet worden. Die meisten Autoren behaupten bloß, daß sie wahr ist (§ 13), und das einzige durchgeführte Argument für sie, das in der Literatur angeboten worden ist, das von Michael Smith, erwies sich nicht als erfolgreich (§§ 14 – 27). Es scheint, die herrschende Lehre darüber, was Gründe sind, aus denen Leute etwas tun, hält nicht stand.
Kapitel 2 Herkunft der Begehren/Meinungs-These 40. Daß die bisher vorgebrachten Überlegungen die Oberhand behalten werden gegen die Masse von philosophischer Orthodoxie, die hinter der Begehren/Meinungs-These steht, ist nicht zu erwarten. Wenden wir uns also zu dieser Masse von Orthodoxie selbst: warum erfreut sich die Theorie, wonach Gründe, aus denen Leute etwas tun, aus einem Begehren und einer Meinung bestehen, so breiter Zustimmung, da doch die bisherigen Überlegungen den Gedanken zumindest als zweifelhaft erweisen? Ein Verdacht ist: das liegt zum Teil daran, daß der Gedanke traditionell ist; die philosophische Orthodoxie der Gegenwart steht hinter ihm, weil das die hergebrachte Auffassung ist. Dieser Verdacht soll in dem jetzigen Kapitel ausgearbeitet werden, nicht um seine Richtigkeit zu beweisen, denn das verlangte ausgedehnte historische Forschungen, sondern nur, um ihn plausibel zu machen. Die Aufgabe ist, etwas detaillierter die Tradition nachzuzeichnen, die vermutlich hinter der herrschenden Lehre von den Gründen, aus denen die Leute etwas tun, steht. Insbesondere sollen die Ursprünge dieser Tradition beleuchtet werden. Das könnte den festen Griff lockern, mit dem die Begehren/Meinungs-These unser Verständnis festhält. 41. Einigkeit herrscht darüber, daß David Humes Lehre die Quelle ist, aus der moderne Theorien von Gründen als Paaren von Begehren und Meinung schöpfen. Tatsächlich widmet Hume einen Abschnitt seines Treatise dem Beweis, daß, erstens, die Vernunft allein nie ein Motiv für irgendeine Handlung des Willens sein kann, und zweitens, daß sie bei der Lenkung des Willens der Leidenschaft nichts entgegenzusetzen vermag;1
und die Moraltheorie im dritten Buch des Treatise baut auf diesen Thesen auf, verweist auch ausdrücklich auf sie (457, 458). Die Verbindung zwischen den beiden Thesen Humes und einer Theorie von Gründen als Paaren von Begehren und Meinung läßt sich folgendermaßen nachzeichnen. Erstens, lassen wir die zweite der Thesen auf der Seite, denn wie Hume überzeugend begründet (414 f.), folgt sie aus der ersten. Zweitens, „Mo-
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tiv“ sollte in dieser Aussage Humes als „Grund, aus dem jemand etwas tut“ verstanden werden, denn in einem weiten Sinne ist ein Motiv jedes Ding, auf das zu verweisen eine passende Antwort auf die Frage bildete, warum jemand etwas tat. Drittens, „Vernunft“ sollte durch „Meinung“ ersetzt werden, denn obgleich Hume erklärt, Vernunft sei „das Erkennen von Wahr und Falsch“ (458), zeigen seine Beispiele (416 – 417), daß seine Theorie auch Fälle erfassen soll, in denen der Handelnde nicht Wahr oder Falsch erkennt, sondern auf Grund irriger Annahmen handelt. Viertens, wenn Hume leugnet, daß Meinung allein je ein Grund für eine Handlung ist, so sollte das als seine Behauptung gelesen werden, daß wohl Meinung zusammen mit Begehren manchmal ein Grund für eine Handlung ist. Dies letzte Stück Deutung wird von seiner Aussage bestätigt, daß der Antrieb nicht aus der Vernunft entspringt, sondern von ihr nur geleitet wird (414),2
denn dasjenige, woraus der Antrieb entspringt, ist Begehren, oder wie er sich im selben Absatz ausdrückt, „Abneigung oder Zuneigung“. Begehren also setzt uns in Bewegung zu einem Handeln, zu dem das Meinen uns leitet: das ist, in anderen Worten, die zuvor (§ 30) betrachtete Konzeption vom motivierenden Begehren und leitenden Meinen. 42. Humes berühmter Satz Die Vernunft ist die Sklavin der Leidenschaften und sollte auch nur das sein; auf kein anderes Amt kann sie Anspruch erheben als ihnen zu dienen und zu gehorchen. (415)
muß im Lichte dieser Lehre verstanden werden. Die Interpreten sehen in diesem Satz die Quintessenz von Humes Verständnis von Vernunft, aber wirklich sagt der Satz sehr wenig. Er belehrt uns über die untergeordnete Stellung von Vernunft, aber wir möchten vor allem wissen, welche Arbeit die Vernunft tut. Schließlich arbeiten Sklaven, und manchmal ist ihre Arbeit unentbehrlich für den Betrieb. Der Satz bedeutet also nicht, daß die Vernunft an der Bestimmung des Handelns keinen Anteil hat. Sie hat Anteil daran, denn sie leitet den Antrieb von Seiten des Begehrens zu einem passenden oder für passend gehaltenen Handeln. Vielleicht ein strittigerer Punkt, der Satz bedeutet auch nicht, daß die Vernunft in ihrem besonderen Beitrag zur Handlungsbestimmung nur Befehle des Begehrens ausführt. Betreffend den besonderen Beitrag der Vernunft zur Bestimmung des Handelns, nämlich Leitung des Antriebs, kann das Begehren der Vernunft gar nicht befehlen. Das Begehren ist selbst nur das, was den Antrieb bereitstellt, und hat deshalb keinerlei Vorstellung, wie er gelenkt
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werden kann oder soll. Niemand schreibt der Vernunft vor, das zu tun, was sie tut, ebensowenig wie jemand es dem Begehren vorschreibt. Jedes tut eben sein besonderes Ding, antreiben das eine, leiten das andere. Das Bild von der Sklaverei hat in erster Linie eine rhetorische Pointe, nämlich die Umkehr des traditionellen Bildes von der Vernunft als Befehlshaber, dessen Anweisungen die Tugendhaften sich in ihrem Handeln anpassen (413). Schließlich ist ja der Zusatz, daß die Vernunft Sklavin nicht nur ist, sondern auch sein soll, hier ebenfalls überflüssig und unbegründet, und Hume fügt ihn nur hinzu als rotes Tuch für die Rationalisten. Für diese Lesart, nicht gegen sie, spricht dann die gespielte Harmlosigkeit, mit der Hume im nächsten Satz zugesteht, daß diese Meinung vielleicht ein wenig ungewöhnlich erscheint (415),
nur um seine Gegner noch mehr in Wut zu setzen, in deren Augen diese Meinung ja geradewegs skandalös ist. Die substanzielle Aussage des Bildes der Sklaverei ist bloß negativ: die Vernunft ist nicht ein autarker Produzent von Handeln. Hinsichtlich des Handelns arbeitet die Vernunft in einer Kooperative, oder wenn man so will, am Fließband: sie braucht den Antrieb, der vom Begehren kommt, um ihn zu bearbeiten, und sie bearbeitet ihn, indem sie ihn leitet. Die Vernunft kooperiert also, sie ist kein selbständiger Handwerksmeister. Das Bild der Sklaverei sagt also nicht mehr als schon das Wort „allein“ in Humes programmatischem Satz ausdrückt, „daß die Vernunft allein nie ein Motiv für irgendeine Handlung des Willens sein kann“ (§ 41). Die Vernunft wird hier eine Sklavin genannt, weil sie nicht für sich allein ein Handeln des Menschen entspringen läßt, sie trägt nur dazu bei. Die Vernunft wird hier eine Sklavin genannt trotz der Tatsache, daß ihr Beitrag, die Leitung des vom Begehren stammenden Antriebs, wahrhaftig nicht sklavenhafter Art ist. 43. Hume gibt kein Argument für die Begehren/Meinungs-These in ihrem vollen Umfang. Wie Michael Smith (§ 15) argumentiert er nur gegen die Vorstellung, eine bloße Meinung könne jemandes Grund sein, etwas zu tun. Was sein Argument zeigt, wenn es Erfolg hat, ist also nicht: der primäre Grund, aus dem jemand etwas tut, ist ein Begehren und eine Meinung des Betreffenden. Es zeigt im besten Fall dies: wenn der primäre Grund, aus dem jemand etwas tut, eine Meinung einbegreift, begreift er auch ein Begehren ein; was offen läßt, daß er vielleicht keines von beiden einbegreift. Doch wie zuvor (§ 16) bleibt dieser Unterschied hier besser unbeachtet. Humes Argument für eine Begehren/Meinungs-These, im Gegensatz zu einer bloßen Meinungs-These, lautet also wie folgt:
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Vernunft ist das Erkennen von Wahr und Falsch. Wahr und Falsch besteht in einer Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung mit realen Beziehungen von Vorstellungen oder mit realem Dasein und Tatsachen. Was immer also einer solchen Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung nicht fähig ist, vermag nicht wahr oder falsch zu sein und kann niemals ein Gegenstand unserer Vernunft sein. Nun sind offensichtlich unsere Leidenschaften, unser Wollen und unser Handeln keiner solchen Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung fähig, denn sie sind eigenständige Tatsachen und Realitäten, in sich vollständig und keine Beziehung auf andere Leidenschaften, Wollen und Handeln enthaltend. Also können sie unmöglich sei es wahr, sei es falsch genannt werden und können unmöglich im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft stehen. (458)3
Nach Humes Ansicht zeigt dies Argument daß die Vernunft vollkommen träge ist und niemals ein Handeln oder eine Gemütsregung verhindern oder hervorrufen kann. (458)
Die naheliegende Lesart dieser Sätze ist wohl die folgende. Ein Gegenstand der Vernunft muß wahr oder falsch sein können, denn Wahrheit und Falschheit sind die Eigenschaften, welche die Vernunft erkennt. Also sind Handlungen, die nicht wahr oder falsch sein können, keine Gegenstände der Vernunft. Also stehen sie auch nicht im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft. Um aber ein Handeln zu verhindern oder hervorzurufen, müßte die Vernunft korrekterweise urteilen, daß das Handeln im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft steht. Da nun solche Urteile allesamt falsch sind, kann die Vernunft kein Handeln verhindern oder hervorrufen. 44. Wenn das Humes Argument ist, schlägt es fehl. Der Ausdruck „Gegenstände der Vernunft“ ist zweideutig. In der ersten Prämisse bedeutet er ungefähr „die Art von Dingen, die in den Überlegungen der Vernunft vorkommen“, sozusagen die Währung, in der die Vernunft rechnet. Das muß der Ausdruck bedeuten, denn nur damit wird plausibel, was die erste Prämisse behauptet. Plausibel ist es nur zu sagen, daß allein, was wahr oder falsch ist, als ein Stück in den Überlegungen der Vernunft vorkommt. „Gegenstände der Vernunft“ bedeutet hier also nicht, was man in anderen Zusammenhängen leicht denken könnte, daß es bedeutet, nämlich „von der Vernunft untersuchte Dinge“, „das, wovon die ihrerseits wahren oder falschen Urteile der Vernunft handeln.“ Wovon die Urteile der Vernunft handeln, das sind schließlich alle möglichen Arten von Dingen, die nicht wahr oder falsch sind, wie etwa das Wetter morgen. Aus diesen Prämissen kann also nur geschlossen werden, daß Handlungen selbst nicht als Stücke
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in den Überlegungen der Vernunft vorkommen. Die Vernunft betreibt ihr Geschäft ausschließlich in der Währung von Urteilen (oder Sätzen, oder Propositionen). Aus den Prämissen kann nicht geschlossen werden, daß Handlungen nicht zu den Dingen gehören, von denen die Urteile der Vernunft handeln. Insbesondere kann nicht geschlossen werden, daß Handlungen nicht zu den Dingen gehören, von denen Urteile der Vernunft von der Form „das und das ist gut“ oder „das und das ist schlecht“ handeln. Dies aber wären genau die Handlungen, die im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft stehen. Also kann aus den Prämissen nicht geschlossen werden, daß es keine Handlungen im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft gibt. Die Vernunft aber wurde für träge erklärt aus dem Grund, daß es keine Handlungen im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft gebe. Also kann aus den Prämissen auch die Trägheit der Vernunft nicht geschlossen werden.4 45. Allerdings deuten die zitierten Sätze noch eine andere Argumentationslinie an, und man mag sich fragen, ob sie nicht mehr Erfolg verspricht. Die Andeutung liegt darin, daß Hume das Wort „real“ an beiden Stellen, an denen es in diesem Absatz vorkommt, unterstreicht. In dem Argument aus dem fehlenden Wahrheitswert von Handlungen sind diese Betonungen funktionslos. Denn dies Argument stützt sich darauf, daß Handlungen nicht zu den Dingen gehören, die mit Beziehungen zwischen Vorstellungen oder mit Tatsachen übereinstimmen oder nicht übereinstimmen; und ob das, womit jene Dinge übereinstimmen oder nicht übereinstimmen, real ist oder nicht, tut dabei nichts zur Sache. Das Herausheben der Realität dessen, womit Dinge übereinstimmen mögen oder nicht, verweist daher auf ein anderes Argument, das so lauten würde: Was einer Handlung die Eigenschaft gibt, im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft zu stehen, das müssen reale Beziehungen von Vorstellungen oder reales Dasein und Tatsachen sein. Denn Vernunft ist die Erkenntnis von Wahr und Falsch, und wahre oder falsche Sätze können von nichts anderem handeln als von realen Beziehungen von Vorstellungen und von realem Dasein und Tatsachen. Andererseits können es nicht reale Beziehungen von Vorstellungen und reales Dasein und Tatsachen sein, was einer Handlung die Eigenschaft gibt, im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft zu stehen. Denn die Prüfung welcher Handlung auch immer durch die Vernunft vermag eine solche Eigenschaft nicht zu entdecken. Somit führt die Annahme, daß Handlungen im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft stehen, zu einem Wider-
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spruch und ist also falsch. Wie im vorigen Argument also (§ 43), die Vernunft kann kein Handeln verhindern oder herbeiführen, denn dazu müßte sie korrekterweise urteilen, daß die Handlung im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft steht, und alle derartigen Urteile sind falsch. 46. Der entscheidende Schritt dieses Arguments ist die Behauptung, daß die Vernunft an Handlungen nicht das entdeckt, was sie im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft stehen läßt. Diese Behauptung erhält an der Stelle keine Begründung, sie bräuchte aber eine von der Art, wie sie Hume einige Seiten später anbietet: Aber kann es irgendeine Schwierigkeit geben zu zeigen, daß Laster und Tugend nicht Tatsachen sind, deren Vorliegen wir durch Schlüsse der Vernunft erkennen können? Nehmen wir irgendeine anerkanntermaßen schlechte Handlung, mutwilligen Mord zum Beispiel. Prüfen wir die Handlung in jedem Licht und sehen wir zu, ob sich die Tatsache oder das reale Dasein finden läßt, das wir Laster nennen. Wie man die Handlung auch betrachtet, man findet nur gewisse Leidenschaften, Motive, Wollen und Gedanken. Die gesuchte Tatsache ist nicht da. Solange wir allein auf das Objekt schauen, bekommen wir das Laster nicht zu fassen. (468)
Schlechtigkeit, oder mit dem älteren Sprachgebrauch Lasterhaftigkeit, kann als faires Beispiel einer Eigenschaft gelten, die eine Handlung im Gegensatz mit der Vernunft stehen läßt, und das Argument würde zeigen, daß die Vernunft eine solche Eigenschaft an Handlungen nicht zu entdekken vermag. Doch es ist schwer zu sehen, wie das Argument Humes rationalistischen Gegner soll beeindrucken können. Der mag keinen Anstoß an dem vorgeschlagenen Analogie-Schluß nehmen. Das heißt, er mag zugeben, daß, wenn die Vernunft Schlechtigkeit in einem mutwilligen Mord nicht zu entdecken vermag, sie überhaupt keine Eigenschaften an Handlungen finden kann, die diese im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft stehen lassen. Aber warum, wird er fragen, sollte die Vernunft nicht fähig sein, die Schlechtigkeit an einem mutwilligen Mord zu entdecken? Warum sollte seine Schlechtigkeit nicht ebenso gut eine durch Vernunft feststellbare Tatsache sein wie, sagen wir, sein Zeitpunkt? Es stimmt, man stellt den Zeitpunkt eines Mordes auf andere Weise fest als seine Schlechtigkeit. Aber man stellt den Zeitpunkt auch auf andere Weise fest als die Tatwaffe. Es stimmt auch, manchmal haben Leute Schwierigkeiten, ihre Behauptung zu rechtfertigen, daß mutwilliger Mord, oder daß dieser mutwillige Mord, schlecht ist, und vielleicht haben sie hier alles in allem größere Schwierigkeiten als bei der Rechtfertigung von Behauptun-
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gen über Zeitpunkte und Tatwaffen. Doch das ist kein guter Grund, solche Behauptungen vom Zuständigkeitsbereich der Vernunft auszuschließen. Dieser Zuständigkeitsbereich würde arg klein, wenn nur solche Urteile Einlaß erhielten, über deren Rechtfertigung kein Streit ist. Es scheint also bloß dogmatisch, zu sagen, „daß Laster und Tugend nicht Tatsachen sind, deren Vorliegen wir durch Schlüsse der Vernunft erkennen können.“ Allgemein, es scheint bloß dogmatisch, zu sagen, daß die Vernunft nicht diejenigen Eigenschaften der Handlungen zu erkennen vermag, kraft deren die Handlungen im Gegensatz oder in Übereinstimmung mit der Vernunft stehen. Und mit dieser Behauptung fällt auch die zweite Argumentationslinie, die sich in den vorhin zitierten Sätzen (§ 43) andeutete. 47. Diese Passagen enthalten alles, was Hume an positivem Argument für den Satz anbietet, daß die Vernunft vollkommen träge ist und daß es das Begehren braucht, um ein Handeln herbeizuführen. Sie enthalten das ganze positive Argument Humes für die Begehren/Meinungs-These. Wohl entgegnet er dem Argument seines Gegners mit dem versuchten Nachweis, daß sich die Phänomene, auf die jener sich stützt, im Einklang mit einer Begehren/Meinungs-These erklären lassen. So will er zeigen, daß, wenn empirische Information uns zum Handeln zu bewegen scheint, es wirklich so sein mag, daß ein vorausgehender Antrieb des Begehrens uns bewegt, der von der Information nur geleitet wird (414). Ferner, wo ein solches Begehren tatsächlich nicht erkennbar ist, weil sein normales Anzeichen fehlt, irgendeine Aufregung in der Seele, da kann man immer noch vermuten, eine der ruhigen Leidenschaften sei am Werk (417 – 418). Doch diese Überlegungen, seien sie auch überzeugend, zeigen nicht, daß die Begehren/Meinungs-These wahr ist. Sie zeigen nur, daß bestimmte Argumente fehlschlagen, die ihre Falschheit zu erweisen vorgeben. Mag also Hume am Anfang der modernen Tradition stehen, die Gründe für Handlungen als Begehren plus Meinungen erklärt (§ 41), so wird doch aus seinen Texten nicht klarer, was diese Konzeption rechtfertigt. Und reden wir nicht davon, ob das Argument trägt, sondern ob es seine Hörer für sich gewinnt, so ist wirklich schwer vorzustellen, daß die gerade diskutierten Argumente irgendjemanden zur Annahme der Begehren/Meinungs-These führen könnten, der sie vorher nicht schon für wahr hielt. Das Argument, das sich darauf stützt, daß Handlungen keine Wahrheitswerte haben, ist zu künstlich, und das Gleiche gilt, wenn auch in etwas geringerem Maße, von dem Argument aus der angeblichen Unfähigkeit der Vernunft, Eigenschaften von Handlungen zu entdecken, die sie im Gegensatz oder in
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Übereinstimmung mit der Vernunft stehen lassen. So kehrt die zuvor aufgeworfene Frage (§ 40) im Fall von Hume selbst mit neuer Kraft zurück: warum ist er von einer Erklärung durch Begehren und Meinung überzeugt, da dies schwerlich die Wirkung der Argumente sein kann, die er vorbringt? Und ebenso kehrt der Verdacht (§ 40) zurück, das liege, ganz oder zum Teil, an einer philosophischen Gewohnheit; Hume vertrete eine solche Konzeption von Gründen unter anderem deshalb, weil sie für ihn schon traditionell ist. Was auch die Frage erneuert, welche Tradition das ist und wie sie überzeugend wurde. 48. Die Lehre, daß der Antrieb für das Handeln nicht aus der Vernunft entspringt, sondern von ihr nur geleitet wird (414), dient Hume dazu, wie er sagt, „den größten Teil der Moralphilosophie, der antiken wie der modernen, zurückzuschlagen“ (413), denn diese gründet sich auf die Vorstellung eines Kampfes zwischen Vernunft und Leidenschaft. Von einem solchen Kampf kann nicht mehr die Rede sein. Denn wenn die Vernunft aus sich selbst keinen Antrieb zum Handeln liefert, so hat das Begehren, das ihn liefert, keinen Gegner mehr, und der Kampf ist vorbei. In dieser Weise sieht Hume selbst sein Argument in Beziehung stehend, wenn auch in polemischer Beziehung, zu einer mächtigen philosophischen Tradition, die im gelehrten wie im populären Denken herrschend sei (413).5 In ihren Grundlagen ist das eine platonische Tradition: die Vorstellung eines gewaltsamen Kampfes zwischen Vernunft und Begehren erscheint zum ersten Mal in Platons Phaidros. Doch Humes anti-platonische Polemik mag gleichwohl an platonische Annahmen gebunden sein. Zwar weist er die platonische Vorstellung vom Kampf zwischen Vernunft und Leidenschaft zurück, indem er die Vernunft auf den Status einer Sklavin herunterstuft, aber er könnte darin noch immer auf einen Gedanken zurückgreifen, der aus eben dieser Tradition stammt. Schließlich erscheint in Platons Phaidros auch zum ersten Mal die Lehre von der Vernunft, die das Begehren leitet. Sicher, die Erklärung von Gründen fürs Handeln durch Begehren und Meinen des Handelnden verdankt ihre beherrschende Stellung in der philosophischen Tradition der unerreichten Autorität des Aristoteles. Aber das entscheidende Stück dieser Erklärung, die Vorstellung vom Begehren als dem, was den Antrieb gibt, und von Vernunft als dem, was ihn leitet, ist schon platonisch. Man muß also zu Platon zurückgehen, wenn man verstehen will, was diese Vorstellung zuerst plausibel machte. 49. Sokrates’ zweite Rede in Phaidros enthält eine Auseinandersetzung über die Seele. Die Seele ist ähnlich, so hören wir, „der vereinten Kraft ei-
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nes geflügelten Pferdepaars und eines Wagenlenkers“ (246a6 – 7). In göttlichen Seelen sind beide Pferde und der Lenker gut, in unseren dagegen ist ein Pferd gut und eines schlecht (246a-b, 253a-e). Doch soweit ist das eine unvollständige Auskunft über die Seele. Nur zu hören, die Seele sei wie ein Pferdepaar samt Lenker, läßt einen so ratlos wie jene Witze, wo man nur gesagt bekommt, zum Beispiel: “Liebe ist wie ein Aufzug“ – wer nicht sehr pfiffig ist oder den Witz schon kennt, muß noch gesagt bekommen, wieso sie wie ein Aufzug ist. (Bitte nicht grübeln, das habe ich erfunden!) So müssen wir auch noch gesagt bekommen, wieso die Seele wie ein Pferdepaar samt Lenker ist. Das heißt, wir brauchen eine Geschichte von Pferden und Wagenlenker, die ein Licht wirft auf Phänomene der Seele, mit denen wir vertraut sind. 50. Sokrates’ Rede bringt eine Reihe solcher Geschichten. Eine macht Erkenntnis begreiflich. Wir haben wohl Erkenntnis, aber sie ist in verschiedenen Hinsichten mangelhaft, und bei verschiedenen Menschen in verschiedenem Grade mangelhaft. Die Geschichte von Pferden und Wagenlenker erklärt das. Als die Seelen vormals in einer Position waren, das zu sehen, was wahrhaft ist, wurden sie in ihrem Schauen von den Pferden gestört, und auch die Wagen kamen einander in die Quere, was zu großer Verwirrung und Streit führte, so daß jede Seele weniger sah als sie wollte und einige weniger sahen als andere (248a-b). In dieser Geschichte spielen die Flügel der Pferde übrigens auch eine Rolle. Wichtig für uns jetzt ist aber eine andere Geschichte. Die Beschreibung unserer Seele als aus Pferden und Lenker bestehend dient dazu, zu erklären, was manchmal geschieht, wenn wir etwas tun oder etwas unterlassen. Mit Sokrates’ Beispiel, sie dient dazu, zu erklären, was manchmal geschieht, wenn ein Mann den von ihm geliebten Jungen sieht und begierig ihn zu ficken sich ihm nähert oder das eben nicht tut (253e-254e). 51. Die Geschichte ist die. Den Jungen zu sehen erfüllt den Lenker mit Sehnsucht und anscheinend auch das gute Pferd, aber beide haben auch Bedenken, ob es richtig ist, vorwärts zu gehen. Das schlechte Pferd dagegen ist voller Eifer, das zu tun. Also entsteht ein Konflikt: das schlechte Pferd drängt voran, der Lenker und das gute Pferd widerstehen. Schließlich erlangt das schlechte Pferd die Zustimmung der anderen beiden, vorwärts zu gehen, und sie nähern sich dem Jungen. Aber in dem Augenblick, da sie das Gesicht des Jungen sehen, erinnert sich der Wagenlenker an die Natur der Schönheit und sieht wieder Schönheit und Mäßigkeit auf ihrem heiligen Feld. Furcht und Verehrung ergreifen ihn, er fällt
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rückwärts und kann nicht anders als die Zügel so heftig zu ziehen, daß beide Pferde auf die Hinterbacken zu sitzen kommen. Das gute Pferd ist tief beschämt, dagegen das schlechte Pferd schäumt vor Wut. Der Vorgang wiederholt sich mehrfach, und die Gewalt steigert sich so weit, daß das schlechte Pferd unter der Behandlung des Lenkers blutet. Am Ende ist das schlechte Pferd gezähmt: es gehorcht dem Lenker und vergeht vor Furcht, wenn es den schönen Jungen sieht. Auf diese Weise ist dann ein Zustand erreicht, in dem die Seele des Liebenden dem Jungen mit Furcht und mit Respekt folgt. 52. An drei Punkten besonders soll diese Geschichte von Pferden und Wagenlenker unsere gewöhnliche Erfahrung erhellen. Erstens, wir erfahren Konflikte in uns selbst, oder wir glauben sie zu erfahren. Wir sagen, es zieht uns hierhin und auch dahin. Nach Auskunft der Geschichte ist es genau so: das schlechte Pferd zieht zu der einen Seite, das gute Pferd und der Wagenlenker zur anderen. Zweitens, wir behaupten die Erfahrung zu haben von Leuten, die etwas nicht tun, das sie doch sehr gern täten, selbst wenn sie es tun könnten und auch wissen, daß sie es könnten. Die Geschichte erklärt einige dieser Fälle. So sehr auch das schlechte Pferd zieht, bestimmte Überlegungen, oder vielleicht sollte man sagen, bestimmte Anschauungen, in einem ganz wörtlichen Sinne, haben eine so markante Wirkung auf den Wagenlenker, daß er sich gegen das Pferd durchsetzen kann. Drittens, wir haben die Erfahrung davon, daß Leute auch ein starkes Begehren manchmal ablegen. Die Geschichte erklärt für manche Fälle, wie das zugeht. Nachdem es wieder und wieder Schmerz erlitten hat, lernt das schlechte Pferd ein anderes Benehmen. Das ist ja die Art, in der man Tieren etwas beibringt. 53. Hier geht es vor allem um das zweite Phänomen, anders handeln als man es gern täte. Gewöhnung, das dritte, wird durch wiederholtes Handeln anders als man es gern täte erreicht, während innerer Konflikt, das erste, nicht spezifisch genug ist, um die Einführung von Pferden und Wagenlenker zu rechtfertigen, denn zur Erklärung dieses Phänomens würde eine Zweiheit bloßer Kräfte genügen. Die Figuren gerade von Pferden und Wagenlenker werden eingeführt, um Handeln im Gegensatz zu dem, was man gern täte, verständlich zu machen, denn, so ist der Gedanke, Menschen handeln manchmal anders, als sie gern täten, kraft Einsicht und gemäß ihrer Einsicht. Dies ist also nicht bloß ein Fall, in dem zwei Kräfte zusammenstoßen und eine die Oberhand behält. Es ist ein Sehen, das sich durchsetzt. Im Bild gesprochen, es braucht einen Wagenlenker,
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um die Pferde zurückzuziehen, wenn sie alle dem Jungen nahe sind, denn er zieht sie zurück kraft seiner Erinnerung an Schönheit, wie sie in Wahrheit ist, und kraft dessen, daß er Schönheit wieder zusammen mit Mäßigkeit auf ihrem heiligen Feld sieht (254b). Das kann nur ein Wagenlenker. Nur er kann sich an die wahre Schönheit erinnern, weil nur er sie gesehen hat und so nur er sie wieder sehen kann. Pferde haben für solche Dinge keine Augen. Der Text sagt ausdrücklich, daß das, was wahrhaft ist, allein gesehen werden kann von der Vernunft (‚nous‘), dem Steuermann der Seele (247c7 – 8), und dieser Steuermann ist, nur in einem anderen Bild, der Wagenlenker. Entsprechend bemühen sich die gottartigsten der sterblichen Seelen bei der Prozession rund um die Dinge, die in Wahrheit sind, den Kopf des Wagenlenkers recht hoch zu heben, (248a2 – 3) offenbar um ihm gute Sicht auf das, was ist, zu verschaffen, während es den Pferden darum geht, recht viel von dem Gras zu bekommen, das dort oben wächst, weil es für Seelen die beste Nahrung ist (248b7-c1). Die besondere Stellung des Wagenlenkers gegenüber den Pferden kann leicht übersehen werden, weil das gute Pferd durchweg auf seiner Seite steht, und so mag die Haupt-Trennlinie zwischen ihnen beiden auf der einen und dem schlechten Pferd auf der anderen Seite zu liegen scheinen. Tatsächlich liegt sie, wie es die Figuren des Gleichnisses anzeigen, zwischen Wagenlenker und Pferden. Denn er kann die Wahrheit sehen und sie können es nicht, und so kann er, kraft dessen, daß er die Wahrheit sieht, den Kurs des Wagens bestimmen, wie er es in der Geschichte eben (§ 51) tut. Der Wagenlenker in der Seele läßt sich demnach auf natürliche Weise als die Instanz verstehen, die Einsicht liefert, welche ein Handeln bestimmen kann, und die Pferde in der Seele lassen sich als das verstehen, was den Antrieb zu einem Handeln liefert. Schließlich sind es die Pferde, die einen Wagen bewegen. Ohne Pferde, seien sie gut oder schlecht, kommt der Wagenlenker mit all seiner Einsicht nicht vom Fleck. Das heißt, ohne Pferde kommt es zu keinem Handeln. 54. Also, der Wagenlenker in der Seele ist die Vernunft. Was die Pferde in der Seele sind, wird im Text nicht ausdrücklich gesagt, aber man kann es erraten. Das schlechte Pferd benimmt sich wie jemand, der heftig begehrt, den Jungen zu umarmen. Es springt mit Gewalt vorwärts (254a4), versucht die anderen beiden zu überreden, mitzumachen (254a4 – 5) und wird ihnen richtig lästig (254b2). Wie sie das erste Mal kneifen, so zumindest sieht es das schlechte Pferd, ärgert es sich heftig und schimpft sie aus (254c7). Beim nächsten Mal zieht es schamlos voran, beißt auf den Zaum
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und richtet den Schwanz auf (254d7) – was im Griechischen denselben Doppelsinn hat wie im Deutschen. Dargestellt als heftig den Jungen begehrend, wird das schlechte Pferd also das Begehren eines Menschen sein, ob für Jungen oder für sonst irgendetwas.7 Das Pferd in der Seele als Begehren zu interpretieren liegt ohnehin nahe, wenn man daran denkt, wie häufig Leute ihr Begehren, und gerade ihr sexuelles Begehren, als wild, unberechenbar, tierhaft beschreiben. Das gute Pferd, da es schließlich auch ein Pferd ist, wird demnach gleichfalls ein Begehren sein, aber ein zahmes, lenkbares und in dem Sinne vernünftiges Begehren. 55. Hier ist also, jedenfalls soweit es um Handeln geht, die Antwort auf die Frage (§ 49), warum die Seele einem Pferdepaar und Wagenlenker gleicht. Die Seele kann nämlich, durch Begehren, den Menschen in Bewegung setzen, so wie Pferde einen Wagen in Bewegung setzen können. Die Seele kann ferner, durch Vernunft, das Wahre sehen, so wie ein Wagenlenker sehen kann, was um den Wagen ist. Und die Seele kann, wieder durch Vernunft, die Bewegungen des Menschen so bestimmen, daß sie der erblickten Wahrheit entsprechen, so wie ein Wagenlenker einen Wagen in Übereinstimmung mit dem, was er sieht, führen kann. 56. Die Theorie der Seele in Buch 4 von Platons Staat gleicht der des Phaidros.8 Auch im Staat besteht die Seele aus drei Arten von Dingen, nämlich dem rechnenden, dem begehrenden und dem mutartigen Teil (440e-441a). Die letzten beiden scheinen zuerst gleicher Natur zu sein (439e4), aber sie werden doch getrennt, weil der mutartige im Gegensatz zum begehrenden Teil normalerweise seine Kräfte mit denen des rechnenden Teils vereinigt (441a). So kann man den begehrenden und den mutartigen Teil mit dem schlechten und dem guten Pferd in Phaidros identifizieren: beide sind Begehren, aber der eine ist Begehren, das sich nur mit Mühe lenken läßt, der andere Begehren, das sich leicht lenken läßt. (Die Angleichung von begehrendem und mutartigen Teil wird gestützt von der deutlich spürbaren etymologischen Verwandtschaft zwischen den zwei entsprechenden griechischen Wörtern.) Zum anderen kann der rechnende Teil im Staat mit dem Wagenlenker in Phaidros identifiziert werden, denn man braucht Vernunft, um etwas zu berechnen. Die Beziehung zwischen Vernunft und Begehren ist, wie zuvor, Herrschaft: die Vernunft ist Chefin der Seele (439c7, 441e4 – 6). Die Phänomene, die damit erhellt werden sollen, sind wieder innerer Konflikt (440b,e) und Handeln gegen das Begehren (439c), während Gewöhnung hier nicht betrachtet wird. Handeln gegen das Begehren wird wie zuvor dadurch erklärt, daß die Vernunft mit
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ihrer Kraft den Antrieb durchs Begehren vereitelt (439c-d), wobei Begehren wieder das ist, was treibt und zieht (439d1). Der Staat äußert sich nur weniger ausdrücklich darüber, was für eine Art von Anblick die Vernunft dazu bringt, das Begehren niederzudrücken. In Phaidros zieht die Vernunft die Zügel zurück, wenn sie Schönheit und Mäßigkeit auf ihrem heiligen Feld sieht, aber was der rechnende Teil im Staat eigentlich berechnet, bekommen wir nicht ausdrücklich gesagt. Mag also die Darstellung der Theorie in Phaidros aufschlußreicher sein, die Lehre in beiden Texten ist im Grunde dieselbe. 57. Es ist Humes Lehre. „Der Antrieb entspringt nicht aus der Vernunft, sondern wird nur von ihr geleitet,“ Humes zentrale These (§ 41), ist eine exakte Beschreibung des Wagens bei Platon. Ja, der Antrieb, der den Wagen bewegt, stammt nicht vom Lenker. Der bestimmt nur, wie der Antrieb den Wagen bewegt. Genau das Wort, das Hume zur Beschreibung dessen, was die Vernunft tut, gebraucht, „lenken“ (‚to direct‘), wäre vollkommen passend zur Beschreibung dessen, was der Wagenlenker mit seinen Pferden macht. „Die Vernunft ist vollkommen träge,“ sagt Hume,9 und Platon genauso, denn wenn die Vernunft für sich allein den Menschen in Bewegung setzen könnte, wären Pferde unnötig, der Wagenlenker könnte sich selbst das Geschirr auflegen, und das Gleichnis wäre dahin. Gewiß, weder bei Platon noch bei Hume ist die Vernunft träge in dem Sinne, daß sie nicht ein Vernunftwerk täte. Nach Hume ist Vernunft „die Erkenntnis von Wahr und Falsch“,10 und eine solche Erkenntnis ist also eine Vernunftleistung. Ebenso ist nach Platon die Erkenntnis von Wahr und Falsch das Werk des Wagenlenkers, denn beim Anblick des Gesichts des Jungen erinnert er sich an das, was Schönheit wahrhaft ist. Solche Erinnerung aber ist eine Leistung, und eine, deren die Pferde nicht fähig sind (§ 53). Vernunft also bringt wohl ein Vernunftwerk zu Stande. Träge ist sie darin, daß sie den Menschen nicht bewegt. Was den Menschen bewegt, ist bei Platon wie bei Hume Begehren. 58. Platons und Humes Lehren so einander anzugleichen mag verfehlt erscheinen, weil Hume offensichtlich leugnet und Platon ebenso offensichtlich behauptet, daß zwischen Vernunft und Begehren manchmal Konflikt besteht. Aber daß Hume einen solchen Konflikt ausdrücklich leugnet, entscheidet die Sache nicht. Die Frage ist, ob er seine Leugnung durchhalten kann, während er die positive These vertritt, daß die Vernunft den Antrieb des Begehrens lenkt. Tatsächlich kann er es nicht. Es gibt kein Lenken, wo Kräfte nie auseinander gehen. Es gibt kein Lenken, wo prästabilierte Har-
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monie herrscht. Man lenkt den Ball in die Ecke des gegnerischen Feldes, weil Bälle das nicht von selbst tun. Man führt ein Kind zum Klo, weil es das nicht selber findet. Man lenkt die Gedanken auf eine bestimmte Frage, denn sich selbst überlassen wandern sie hierhin und dahin. So lenkt auch die Vernunft das Begehren, weil es für sich allein nicht Kurs hält. Das Begehren für sich könnte einen dazu bringen, alle möglichen Dinge zu tun, in Hektik zu verfallen oder in Lethargie oder irgendetwas dazwischen, aber es hat nicht eine spezifische Tendenz zum Tun des Vernünftigen. Deshalb muß die Vernunft das Begehren gleichsam bei der Hand nehmen. Ist das aber einmal zugegeben, und Hume kann nicht umhin, es zuzugeben, wenn seine Rede von der Vernunft, die den Antrieb des Begehrens leitet, einen Sinn behalten soll, so hat Platon alles, was er braucht. Hume muß die folgende Beschreibung des Beispiels akzeptieren: das Begehren für sich allein mag den Betreffenden hin zu dem Jungen eilen lassen, aber wenn die Vernunft das Begehren leitet, wird sie es manchmal so leiten, daß der Betreffende nicht zu dem Jungen hingeht; und was dieser Satz beschreibt, ist der Konflikt zwischen Vernunft und Begehren, den Hume zu leugnen schien. 59. Es mag hier einen Konflikt geben, wird man entgegnen, aber dann ist es ein Konflikt zwischen zwei Begehren, nicht zwischen Vernunft und Begehren, wie für die Angleichung von Hume an Platon erforderlich. Geben wir unserem Liebhaber eine mehr Humeanische Denkart. Lassen wir ihn sich von dem Jungen fern halten, nicht weil er Schönheit und Mäßigkeit sieht, wie sie in Wahrheit sind, sondern weil er für seinen Ruf fürchtet, wenn er entdeckt wird. (Platons Theorie soll auch Fälle dieser mehr irdischen Art abdecken, wie das Beispiel im Staat, 439c, von dem Durstigen zeigt, der doch nicht trinkt, vermutlich aus sportlichen, gesundheitlichen oder ähnlichen Gründen.) Dieser Liebhaber, wird man sagen, sei nur hinund hergerissen zwischen seinem sexuellen Begehren und seinem Verlangen nach einem guten Ruf. Vernunft sei in diesem Konflikt nicht Partei. 60. Doch, das ist sie. Zwischen den bloßen Begehren herrscht kein Konflikt. Man kann nach dem Jungen sich sehnen und um seine Reputation besorgt sein, und zwar eines neben dem anderen, unabhängig davon, was man dann tut. Zu einer Zeit mag einer wie verrückt hinter dem Jungen her sein und zu einer anderen außer sich vor Sorge um seinen Ruf: solange er nur jedes Mal ein gedankenloser Begehrender ist, entsteht kein Konflikt in ihm. Er mag unglücklich sein, wenn er zu der einen oder zu der anderen Zeit nicht bekommt, was er will; und bei seiner Unbeständigkeit ist das ziemlich wahrscheinlich. Aber in seinem Herzen ist kein Streit. Streit be-
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ginnt erst, wenn er einsieht, daß dem Jungen nachsteigen heißt, seinen Ruf zu riskieren, und daß seinen Ruf schützen heißt, auf den Jungen zu verzichten. Dies aber einzusehen braucht Vernunft. Es ist die Vernunft, die einem sagt, daß der Weg zu einem gesicherten Ruf über den Verzicht auf die Lust führt, nach der es ihn verlangt, und umgekehrt. Somit, wenn die Vernunft das Begehren leitet, wird sie auch manchmal ihm seine Erfüllung verwehren. 61. Vielleicht, wird man entgegnen, vielleicht ist es die Vernunft, die das unterlegene Begehren in die Schranken weist. Aber auch dann agiert die Vernunft nur auf Geheiß eines anderen Begehrens, und so besteht der Konflikt doch in Wirklichkeit zwischen den beiden Begehren, nicht zwischen Vernunft und Begehren. Aber das heißt mehr aus dem Bild von der Sklavin zu pressen versuchen, als es hergeben will. Das Begehren trägt nicht der Vernunft auf, den Weg zum begehrten Ding zu bestimmen (§ 42). Begehren ist Begehren nach Jungen oder Reputation oder sonst etwas, und zu sagen, daß es dazu noch Befehlsgewalt über andere Fähigkeiten hat, macht aus der Metapher einen Mythos (§ 33). Begehren und Vernunft arbeiten einfach nebeneinander an ihrem geistigen Fließband, jenes den Antrieb produzierend, dieses ihm Richtung gebend, aber keines dem anderen befehlend. So versagt die Vernunft, ein Begehren leitend, einem anderen die Erfüllung, aber die Vernunft für sich allein tut das, sie folgt darin nicht einem Befehl des ersten Begehrens. Wenn also die Vernunft das Begehren lenkt, wie Hume behauptet, dann gibt es Fälle echten Konflikts zwischen Vernunft und Begehren, auch wenn Hume solche Konflikte leugnet; und dieser angebliche Unterschied zwischen Humes und Platons Theorien (§ 58) löst sich auf.11 62. Ein anderer Unterschied bleibt. Wie vorhin angesprochen (§ 59), unterscheiden sich Platon und Hume darin, welche Art von erblickten Dingen nach ihrer Meinung die Vernunft dazu veranlaßt, das Begehren in einer bestimmten Weise zu lenken. Vernunft ist für beide das Erkennen von Wahr und Falsch, aber sie unterscheiden sich darin, welche Art von Wahrheiten sie für praktisch bedeutsam halten. Platon ist in dieser Hinsicht großzügiger. Er rechnet damit, daß sogar so etwas wie der Anblick von Schönheit und Mäßigkeit auf ihrem heiligen Feld manchmal die Handlungen eines Menschen ändern wird. Hume dagegen, so scheint es, traut nur der Erkenntnis weniger erhabener Wahrheiten, wie etwa der, daß unter bestimmten Umständen Geschlechtsverkehr dem Ruf schadet, Einfluß auf die Leute zu. Aber dieser Unterschied ist hier ohne Belang. Welches
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die erkannten Wahrheiten auch sein mögen, wichtig ist hier der Beitrag, den ihre Erkenntnis zur Bestimmung des Handelns leistet, und hinsichtlich dieses Beitrags sind sich Platon und Hume einig. 63. Die Angleichung von Platons und Humes Theorien des Handelns wird ebenso von der Gegenseite attackiert werden, nicht nur von Humeanern, die den Platonismus zu verachten vorgeben (§§ 58 – 62), sondern auch von Platonikern, die Hume feindlich sind. Eine einflußreiche Position in der gegenwärtigen Platon-Forschung12 sagt, es sei verfehlt, Platons und Humes Konzeptionen einander anzugleichen, denn es sei verfehlt zu meinen, daß nach Platon die Vernunft einfach vernünftige Überlegung betreibt und das Begehren begehrt, wie Giovanni Ferrari es ausdrückt.13 Vielmehr habe die Vernunft selbst Begehren, oder mit Charles Kahn, sie sei sogar eine Form des Begehrens,14 und umgekehrt habe das Begehren eine Fähigkeit des Erkennens.15 Demgegenüber verlangt die Konzeption Humes und der Humeaner, daß Begehren und Meinungen getrennte Klassen geistiger Vorkommnisse bilden (§ 15). Da ein solcher Unterschied zwischen Begehren und Meinung nach Ansicht dieser Forscher von Platon gerade aufgehoben wird, gehen Platons und Humes Konzeptionen des Handelns, trotz aller „irreführenden oberflächlichen Ähnlichkeit“,16 doch fundamental auseinander. 64. Kein Zweifel, buchstäblich genommen sagt Platons Text explizit oder implizit, daß der Wagenlenker oder der rechnende Teil Begehren hat (Kahns These, daß er Begehren ist, mag beiseite bleiben), und daß die Pferde oder mutartiger und begehrender Teil vernünftig überlegen, also Wahr oder Falsch erkennen. So heißt es ausdrücklich vom Wagenlenker, er sei voll Begehren, wenn er den Jungen sieht (253e5 – 254a1), und wenn er später, nach der unterbrochenen Annäherung, das schlechte Pferd bittet, eine weitere aufzuschieben, muß man unterstellen, daß er eine solche Verschiebung wünscht (254d2). Umgekehrt stellt sich das schlechte Pferd als ein recht vernünftiges Wesen dar, trifft eine Absprache mit den anderen beiden (254b2), schilt sie, wenn sie sie brechen (254c7-d1), gibt ihrer Bitte nach, eine neue Annäherung zu verschieben (254d2),17 und all diese Dinge kann man schwerlich einem Wesen zuschreiben, das nicht fähig ist, Wahr oder Falsch zu erkennen.18 65. Aber all das entscheidet nicht über den strittigen Punkt. Platon sagt, ausdrücklich oder nicht, daß die Vernunft begehrt und das Begehren vernünftig überlegt, aber die Frage ist, ob diese Aussage zum Bild oder zur
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Botschaft gehört. Irgendwo muß die Grenze zwischen diesen beiden gezogen werden, und es braucht weitere Gründe, um zu zeigen, daß das Begehren der Vernunft und das Überlegen des Begehrens zusammen mit dem Wissen der Vernunft von der wahren Schönheit auf die Seite der Botschaft fallen oder vielmehr, zusammen mit dem Wiehern des Begehrens (254d4), auf die Seite des Bildes. Auch der Staat, der ohne Pferde und Wagenlenker auskommt, unterliegt dieser Unterscheidung. Es soll doch wohl wörtlich wahr sein, daß anders zu handeln, als man es gern täte, manchmal der Vernunft geschuldet ist (439c9-d1), aber es soll nicht wörtlich wahr sein, daß der mutartige Teil zu Gunsten der Vernunft zu den Waffen greift (440e5 – 6). Auch hier also stellt sich die Frage, ob das Begehren der Vernunft und das vernünftige Überlegen des Begehrens zum Bau oder nur zur Dekoration gehören. 66. Doch wohl zur Dekoration. Das Problem mit der begehrenden Vernunft und dem überlegenden Begehren ist, daß wir, wenn wir diese zulassen, nicht mehr wissen, wovon wir überhaupt reden: mit der Anwendung des Prädikats wird die Bedingung verneint, die genau zur Identifikation dessen diente, worauf sich der Subjektbegriff beziehen soll. Zugestanden, das, worauf sich der Begriff „Vernunft“ bezieht, das, von dem der Wagenlenker in Phaidros das Bild ist, ist nicht die Kraft oder Fähigkeit, vernünftig zu denken, wie eine traditionelle Lesart annimmt.19 Eine Fähigkeit ist die Eigenschaft eines Menschen, die es wahr macht, von ihm zu sagen, er könne das, wozu die Fähigkeit eine Fähigkeit ist. Es gibt aber keinen Sinn, einer so verstandenen Fähigkeit die Leitung des Begehrens zuzuschreiben. Aber mit dem Bild des Wagenlenkers schreibt Platon der Vernunft allerdings die Leitung des Begehrens zu. Also ist die Vernunft nicht die Fähigkeit eines Menschen, vernünftig zu überlegen. Sie ist sein vernünftiges Überlegen. Von dem kann wohl sinnvoll gesagt werden, daß es das Begehren leitet. Das bedeutet nämlich, daß ein Stück des Überlegens dieses Menschen bestimmt, zu welchem Handeln ihn ein Begehren von ihm bewegt. Doch wenn Vernunft das vernünftige Überlegen eines Menschen ist, dann wird die Aussage „Vernunft hat für sich schon Begehren“20 geradewegs unverständlich, denn es ist unverständlich zu sagen, ein Stück Überlegung eines Menschen begehre etwas. Ein entsprechendes Argument gilt für Begehren. Es ist unverständlich zu sagen, das Begehren eines Menschen nach etwas sei mit dieser oder jener Überlegung beschäftigt. 67. Zwei Neu-Interpretationen von „begehrender Vernunft“ und „überlegendem Begehren“ sind in der Literatur versucht worden, um dieser Kon-
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sequenz zu entgehen. John Cooper spricht sich für eine Interpretation mit Hilfe der Vernunftnatur von Handelnden aus: Die Implikation ist also, daß die Begehren der Vernunft starke Antriebe einer bestimmten Art sind, die wir verspüren, einfach und unmittelbar weil wir die Fähigkeit der Vernunft besitzen.21
So sind die angeblichen Begehren der Vernunft streng genommen nicht Begehren, welche die Vernunft hat. Wir haben sie. Was den Ausdruck „Begehren der Vernunft“ rechtfertigt, ist die Tatsache, daß wir sie haben allein dank unserer vernünftigen Natur: jeder Überlegende verspürt sie. Diese Interpretation schlägt einen aristotelischen Weg ein. „Alle Menschen streben aus ihrer Natur nach Wissen,“22 der Anfangssatz der Metaphysik des Aristoteles, stellt eine Behauptung derselben Art auf: das Begehren nach Wissen ist Teil unserer Natur und insbesondere, darf man annehmen, unserer vernünftigen Natur. 68. Die Rede vom Begehren der Vernunft wird damit sicherlich verstehbar. Dennoch hat diese Lesart mit einer Reihe von Schwierigkeiten zu kämpfen. Einmal läßt sie Platon etwas behaupten, was schwer zu rechtfertigen scheint: was sollte uns davon überzeugen, daß wirklich ein jeder, der auf Erden Vernunft gebraucht, ein solches Begehren verspürt? Zum anderen, wenn diese Interpretation auch die Begehren der Vernunft erklärt, läßt sie doch unklar, was das vernünftige Überlegen des Begehrens ist. Man kann ja nicht ebenso behaupten, das seien Überlegungen, mit denen jedes begehrende Wesen beschäftigt ist, denn die meisten begehrenden Wesen überlegen überhaupt nicht. Da das Überlegen des Begehrens gleichermaßen Teil von Platons Darstellung ist wie die Begehren der Vernunft, spricht es gegen die vorliegende Interpretation, daß sie das eine erklärt, das andere aber nicht. Doch das Wichtigste im gegenwärtigen Zusammenhang ist die Tatsache, daß, drittens, dieser Interpretation die angestrebte Ent-Humeanisierung Platons gar nicht gelingt. Das Argument gegen die Angleichung von Platons und Humes Handlungstheorien war: Platon hebt eben die Unterscheidung von Vernunft und Begehren auf, die Humes Theorie zu Grunde liegt (§ 63). Nach der vorliegenden Lesart tut Platon das gar nicht. Er behauptet nur, aus wie guten oder schlechten Gründen auch immer, daß alles Überlegen von bestimmten Begehren begleitet wird. Mit dieser Behauptung hebt er die Unterscheidung nicht auf, er benutzt sie. Während also Hume vermutlich nicht mit der Auffassung einig geht, die in dieser Interpretation Platon zugeschrieben wird, nämlich daß alle Überlegenden als solche bestimmte Begehren unvermeidlich ver-
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spüren, berührt diese Uneinigkeit doch nicht die Einigkeit über die Basis des Handlungsverständnisses, die auf eine Formel gebracht ist in dem Hume’schen Ausdruck, daß „die Vernunft das Begehren leitet“. 69. Die zweite Art, mit dem Problem (§ 67) umzugehen, setzt auf eine regelrechte Homunculus-Theorie. Nach diesem Vorschlag gibt es in uns kleinere Wesen, kleine Menschen, Pferde, was auch immer, deren Zusammenspiel ein Handeln herbeiführt;23 und dies ist nicht als bloße Redeweise gemeint, sondern soll buchstäblich gelten. Nach dieser Auffassung bezeichnet „Vernunft“ nicht, wie eben vorgeschlagen, das Überlegen eines Menschen. Es bezeichnet einen derartigen Seelenbewohner. Auch dies löst das Problem: wenn es solche Wesen in der Seele gibt, ist es nicht mehr weiter schwierig zu verstehen, wie jenes Wesen, das „Vernunft“ heißt, entsprechend Platons Beschreibung sowohl überlegen wie auch begehren können soll. Schließlich können wir ja auch beides. Ebenso für den mutartigen und den begehrenden Teil, andere Bewohner der Seele: sind sie einmal zugelassen, kann man auch gefahrlos von ihnen behaupten, daß sie entsprechend Platons Beschreibung sowohl überlegen wie auch begehren können. 70. Dieser Interpretation gelingt die Ent-Humeanisierung Platons, aber sie leidet unter anderen Mängeln. Zunächst, ein Seelenteil, der sowohl zu überlegen wie auch zu begehren fähig ist, kann wieder derselben Art von innerem Zwist unterliegen, den beim ganzen Menschen zu erklären solche Seelenteile gerade erst herbeigeholt wurden. Sodann, die Berufung auf Homunculi raubt Platons Theorie die Erklärungskraft. Julia Annas verteidigt die Erklärungsfähigkeiten von Homunculi gegen diesen Einwand: „man kann tadellos von den erklärungsrelevanten Teilen des ganzen Menschen so reden, als ob es ihrerseits Menschen sehr einfacher Art wären.“24 Sie zitiert Daniel Dennett: „Wenn man eine Mannschaft oder eine Kommission von verhältnismäßig unwissenden, verständnislosen und blinden Homunculi das intelligente Verhalten des Ganzen produzieren lassen kann, dann ist das ein Fortschritt.“25 Soviel ist wahr: das Tun von Menschen durch das Tun von kleineren Menschen in ihnen zu erklären ist nicht grundsätzlich verboten. Aber eine solche Erklärung ist wohl tadelhaft, wenn für die Annahme solcher kleineren Menschen kein besserer Grund angegeben wird als die Tatsache, daß die Annahme, falls wahr, eine befriedigende Erklärung des Tuns des betreffenden Menschen abgäbe. Solange kein unabhängiger Grund für die Annahme der Homunculi vorliegt, solange Dennetts Kommission bloße Phantasie bleibt, wenn auch Phantasie, aus der sich das betreffende Tun erklären läßt, solange werden
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viele von uns den Erkenntnisfortschritt nicht sehen, den Dennett feiert. Viele von uns werden geltend machen, daß es die Aufgabe des Erklärens ist, zu sagen, wie wir handeln, und nicht bloß eine Geschichte davon zu erzählen, wie Handeln von irgendwelchen fiktiven Wesen, was für welche man sich da auch einfallen lassen mag, produziert werden könnte. An letzter Stelle, es ist bei dieser Interpretation nicht einmal klar, was ein Seelenteil ist. Die Rede von Teilen kann normalerweise unter Rückgriff auf räumliche oder zeitliche Unterscheidungen erklärt werden. Räumliche dürften bei der Seele nicht in Betracht kommen, und zeitliche sind zu schwach, da die Teile der Seele nebeneinander bestehen sollen. Die Teile können aber auch nicht durch ihre Leistungen unterschieden werden, da sie ja alle mehr als eine erbringen. Tatsächlich erbringen sie alle mehr oder weniger dieselben Leistungen: sie alle überlegen und begehren. So haben wir keine Kriterien für den Ausdruck „Seelenteil“. Wieder wissen wir nicht, wovon wir reden, wenn wir sagen, die Vernunft begehre und das Begehren überlege. 71. Um diesen Teil der Diskussion zusammenzufassen: Offensichtlich sagt Platon explizit oder implizit, daß die Vernunft begehrt und das Begehren vernünftig überlegt (§ 64). Das scheint die These (§ 57) zu widerlegen, daß der Satz „Die Vernunft lenkt das Begehren“ gemeinsame Lehre Platons und Humes ist, denn es scheint zu zeigen, daß Platon schon die Unterscheidung verwirft, auf der dieser Satz beruht (§ 63). Wirklich zeigt es das nicht. Platons Rede vom Begehren der Vernunft und dem Überlegen des Begehrens gehört entweder bloß zum Bild (§ 65), und dann zeigt es das nicht, oder sie gehört zur Botschaft, aber dann bedarf sie der Interpretation. Nur Coopers Interpretation aus der Vernunftnatur der Handelnden vermag der Rede vom Begehren der Vernunft, wenn auch nicht der Rede vom Überlegen des Begehrens, annehmbaren Sinn zu geben (§§ 67 – 68). Doch nach dieser Interpretation untergräbt Platon mit der Rede vom Begehren der Vernunft nicht die fragliche Unterscheidung, sondern setzt sie voraus (§ 68). Daß also Platon von einem Begehren der Vernunft und einem Überlegen des Begehrens spricht, begründet keine Zweifel an der These, daß er ein Handlungsverständnis vertritt, das uns durch Hume vertraut ist. Andererseits stellt auch die Tatsache, daß Hume einen Konflikt zwischen Vernunft und Begehren ausdrücklich leugnet, diese These nicht in Frage, denn Hume kann diese Leugnung nicht durchhalten (§§ 58 – 62). Somit bleibt die zuvor vorgeschlagene Interpretation (§ 57) unangetastet. Es ist eine Platonische Tradition, die in der heute so genann-
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ten „Hume’schen Theorie der Motivation“ fortlebt, also in der Konzeption, nach der Gründe, aus denen Leute etwas tun, aus Begehren und Meinungen der jeweils Handelnden bestehen. 72. Die Schwierigkeiten, die diese Konzeption belasten (§§ 31 – 39), lassen sich auch in der ursprünglichen Platonischen Version antreffen. Zur Erinnerung, die Schwierigkeiten bestanden darin, daß Begehren wie auch Meinen jeweils unvereinbare Rollen zugewiesen bekommen; Begehren die Rolle, ein Ziel aufzustellen und den Handelnden in Bewegung zu setzen (§§ 31 – 33), Meinen die Rolle, Informationen an die Hand zu geben und den Handelnden zu einem passenden Handeln zu lenken (§§ 34 – 36). Dieselben Doppeldeutigkeiten charakterisieren die Figuren in Platons Geschichte. Der Wagenlenker soll beides, sehen, was in Wahrheit ist, und den Wagen lenken. Die Pferde sollen sowohl Ziele haben, sei das die Ehre oder der Junge, wie auch den Wagen ziehen. Gewiß, normale Wagenlenker und normale Pferde können jeweils beides. Wagenlenker und Pferde in der Seele können es nicht. Von denen haben wir nur über ihre Leistungen Kenntnis gewonnen, und die Leistungen, die Wahrheit sehen und das Handeln leiten im einen Fall, ein Ziel haben und Bewegung anstoßen im anderen, sind jeweils verschieden. In diesem einfachen Sinne verstehen wir nicht die hier gegebene Erklärung. Die Identitäten, die für die Träger dieser Leistungen jeweils behauptet werden, sind mythisch. Sie haben Überzeugungskraft nicht dadurch, daß sie die relevanten Erfahrungen erfassen, sondern allein dadurch, daß die Geschichte vom Handeln eben in diesen Begriffen erzählt wird, in den Begriffen von Vernunft und Begehren, Wagenlenker und Pferden. Es scheint also, dies Verständnis von Gründen fürs Handeln hat sich stets nur innerhalb der Grenzen von Platons Mythos bewegt. 73. Um den Mythos abzuwerfen, wäre es hilfreich, das Bedürfnis zu verstehen, das er befriedigen sollte. Hier ein Vorschlag: der vom Mythos erwartete Dienst war genau, jene Identität dessen, was die Wahrheit sieht, und dessen, was lenkt, bereitzustellen, eine Identität, die nicht anders als durch mythische Mittel zu erreichen war. Schließlich ist diese Identität der Stift, um den sich die Geschichte in Phaidros dreht. Der Anblick des Gesichts des Jungen läßt den Wagenlenker sich erinnern, läßt ihn also geistig sehen, Schönheit, wie sie in Wahrheit ist, zusammen mit Mäßigkeit auf ihrem heiligen Feld, und dieses Sehen ist hinreichend, ihn die Pferde zurückziehen zu lassen. Es ist nicht so, daß dem Wagenlenker im Sehen von Schönheit und Mäßigkeit solche Informationen oder solche Anforde-
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rungen bekannt werden, daß er zu dem Schluß kommt, dem Jungen sich besser nicht zu nähern, und deshalb die Pferde zurückzieht. Das Zurückziehen ist vielmehr dargestellt als eine unkontrollierbare Reaktion, als etwas, das der Wagenlenker nicht unterlassen kann – er ist „gezwungen“ (254b8), die Zügel zu ziehen. Wie Ferrari gezeigt hat, verhält sich der Wagenlenker wirklich gerade wie ein Pferd, wenn er, wie es heißt, „von der Startlinie zurückscheut“ (254e1 – 2). Ferrari nimmt das als Beleg für die eben zurückgewiesene (§ 70) Homunculus-Lesart von Platons Seelenteilung. Besseren Sinn kann man aus seiner Beobachtung ziehen, wenn man sie als Hinweis darauf versteht, daß es zwischen der Wahrnehmung des Wagenlenkers von Schönheit und Mäßigkeit, wie sie wirklich sind, und seiner Bestimmung eines entsprechenden Handelns keinen Übergang geben soll: das geschieht „zur selben Zeit,“ wie Platon sagt (254b8). Insbesondere soll es keinen Übergang geben, der in einer Überlegung bestünde: das würde der angeblich überwältigenden Macht dieses Anblicks nicht gerecht, der den Sehenden einfach fortreißt. Der Schönheit und Mäßigkeit, wie sie wirklich sind, bewußt zu sein verbindet sich im Wagenlenker unmittelbar damit, das Begehren von schamlosem Tun zurückzuhalten. Auf diese Weise kann, wenn der Betreffende dann wirklich von Schamlosigkeit Abstand nimmt, das als Handeln im Einklang mit dem, was ist, als Handeln entsprechend dem wahren Sein gelten. Der Wagenlenker ist es, der solches Handeln auf der Seite des Subjekts erklärt, er ist der Kontakt, über den sich Wahrheit in Formung des Handelns überträgt. Platons Mythos befriedigt diejenigen, die einen Begriff von Handeln verlangen, der ein Handeln im Einklang mit dem, was wahrhaft ist, erlaubt. 74. Und was für ein seltsames Bedürfnis ist das? Tatsächlich ist es nicht so seltsam. Wer überzeugt ist, daß die Tradition der Gemeinschaft nicht mehr ausreicht, die Ansprüche der Moral gegen die Herausforderung rationaler Argumente abzustützen, und andererseits nicht bereit ist, die aus ihren Fugen geratenden moralischen Vorstellungen preiszugeben, der mag versuchen, ihnen eine Grundlage in dem zu geben, was wahrhaft ist. Freilich nicht in den gewöhnlichen Tatsachen des Lebens, die jeder kennt: was einer tun soll, gegeben diese gewöhnlichen Tatsachen, ist genau das, was zur Diskussion steht. Vielmehr mag er versuchen, moralische Forderungen in einem Bereich wahren Seins zu begründen, der jenseits der gewöhnlichen Erfahrung liegt und nur den Gebildeten zugänglich ist. Das gäbe erstens ein festes Fundament, denn das, was wahrhaft ist, scheint keinem Wandel ausgesetzt. Zweitens kann einer so die Kritiker auf ihrem eigenen
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Feld, dem rationaler Argumente, schlagen, indem er nämlich zeigt, daß eine methodisch durchgeführte rationale Untersuchung eine Ordnung der Dinge anerkennen lehrt, die dem, der sie einmal gesehen oder in der rechten Weise erinnert hat, keine andere Wahl läßt, als sich angemessen zu verhalten. Platon nun war überzeugt, daß die Tradition als Grundlage der Moral nicht mehr ausreichen würde. Das erste Buch des Staats, besonders die Behandlung des Kephalus dort, macht das offensichtlich. Andererseits war Platon nicht bereit, vor der sophistischen Herausforderung die Moral preiszugeben, was in Dialogen wie Gorgias oder wiederum dem ersten Buch des Staats sichtbar wird. Also schlug Platon den genannten Weg ein und gründete moralische Vorstellungen auf das, was wahrhaft ist. Sicherlich gerät man auf diesem Weg in erhebliche Schwierigkeiten. Es ist nicht leicht zu verstehen, warum das, was wahrhaft ist, Schönheit und Mäßigkeit an sich selbst zum Beispiel, irgendwelche Forderungen an das Handeln der Menschen enthalten sollte. Doch angenommen, der Nachweis, daß es sich so verhält, gelingt einwandfrei: dann bedarf es immer noch eines Verständnisses von Handelnden, die für diese Art von Anforderung empfänglich sind; also von Handelnden, die etwas aus dem Grund zu tun fähig sind, daß es im Einklang mit dem steht, was wahrhaft ist. Diesen Bedarf soll Platons Mythos decken. Ein Wagenlenker wird in unserer Seele installiert, um Handeln zu erlauben, das für seine Einstimmung mit der Wahrheit gepriesen werden kann. Platz zu schaffen für solches Handeln aber ist nötig, um angesichts der schwindenden Macht der Tradition der Moral eine Grundlage zu geben.26 75. Wenn wirklich dadurch sich der Mythos empfahl, können wir ihn nun hinter uns lassen. Wohl sind auch heute viele darüber besorgt, daß die Traditionen ihre Macht einbüßen, die Menschen im Gleis zu halten. Aber daß die Vorstellung eines Handelns im Einklang mit dem, was ist, hier helfen könnte, diese Hoffnung ist praktisch überall verloren. Metaphysische Ethik ist so gut wie tot. Emotivisten und Utilitarier, moralische Konstruktivisten und moralische Nihilisten sind sich darüber einig, daß, was ist, darüber schweigt, was wir tun sollen. Die Modernen haben diese Idee begraben, und bei aller Schwierigkeit einer solchen Diagnose, gegenwärtig gibt es keinen Grund zu denken, sie werde wieder zum Leben erstehen. Ebenso wenig brauchen wir deshalb einen Wagenlenker in der Seele, oder irgendeinen seiner Nachfolger. Es gibt die Arbeit nicht mehr, für die sie einmal angestellt wurden, nämlich Einsicht in Lenkung umzuwandeln; und wir können diese Gestalten aus unserem Selbstverständnis streichen.
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76. Und wirklich sollten wir es, denn der Mythos brachte zusätzliche Kosten. Mit dem Wagenlenker bekommen wir Herrschaft in der Seele. Pferde, ob gut oder schlecht, sind niedrige Kreaturen, unfähig zu sehen, was ist (§ 53), und so muß der Wagenlenker, der sieht, was ist, und im Einklang mit dem, was er sieht, den Wagen zu lenken hat, über sie Herr sein. Er ist ein sanfter Herr, solange die Pferde ohnehin gehorchen, aber gegen die widerspenstigen übt er seine Macht aus bis hin zur Anwendung von Gewalt (§ 51). Für das Vorrecht eines Handelns im Angesicht von Schönheit und Mäßigkeit, wie sie wirklich sind, zahlen so die Menschen mit Unterdrückung in ihnen selbst. Daß die Philosophen, diejenigen, die sehen, was in Wahrheit ist, Könige in den Städten werden sollten, auf diesen Gedanken richtete sich Unglauben oder Spott, seitdem er einmal gefaßt wurde.27 Der entsprechende Gedanke, daß die Vernunft in unserer Seele Herrin ist, wurde dagegen weithin angenommen und blieb seither in Kraft. Trotz seiner Sklaverei-Rhetorik spricht sogar Hume, wie bemerkt, davon, daß die Vernunft den Antrieb des Begehrens leitet (§ 41), und wo geleitet wird, da gibt es Leiter, „Direktoren“. Heute ist der Ausdruck „Kontrolle“ gebräuchlicher,28 aber das macht wenig Unterschied: wir sprechen immer noch von einer Macht- und Unterordnungs-Beziehung. Condorcet, im Schluß-Kapitel der Esquisse,29 blickte mit Hoffnung voraus auf die Zeit, wenn die Sonne nur auf freie Menschen scheint, die keinen anderen Herrn kennen als ihre Vernunft.
Es ist paradox, die frei zu nennen, die sich als untergeordnet einem Herrn in ihnen selbst betrachten. Eine bessere Zeit ist es deshalb, wenn die Sonne nur auf freie Menschen scheint, die keinerlei Herrn kennen, weil sie begreifen, daß Vernunft nichts mit Herrschaft zu tun hat. Das ist eine bessere Zeit, denn wir mögen dann in Frieden mit uns selbst leben. 77. Zusammengefaßt: Die im ersten Kapitel vorgebrachten Zweifel an der Begehren/Meinungs-These führten zu der Frage, weshalb diese These trotzdem so viele Anhänger hat, und der Verdacht entstand, das sei unter anderem deswegen so, weil die These traditionell ist (§ 40). So schien es angemessen, diese Tradition detaillierter zu betrachten. David Hume ist in der Neuzeit ihr Hauptvertreter, aber sein Argument für die Begehren/Meinungs-These überzeugt abermals nicht (§§ 41 – 47). Doch in Wirklichkeit stammt die Tradition aus der antiken Philosophie: ihr Ursprung ist Platons Teilung der Seele, wie sie in Phaidros und im Staat vorgeführt wird (§§ 48 – 56). Platons und Humes Auffassungen in dieser Sache ei-
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nander anzugleichen läßt sich gegen Platonische wie auch gegen Humeanische Einwände verteidigen (§§ 57 – 71). Bei Platon wiederum gründet sich der Gedanke auf einen Mythos, auf eine Geschichte, die sich nicht dadurch empfiehlt, daß sie bestimmte Züge unserer Erfahrung erfaßt, sondern dadurch, daß sie ein moralisches Bedürfnis erfüllt (§§ 72 – 74); und mit dem Mythos ist gesetzt und wird weitergegeben der Gedanke von Herrschaft in der Seele. Wenn das so ist, scheint es empfehlenswert und tatsächlich auch möglich, nun den Mythos und was an ihm hängt aufzugeben. (§§ 75 – 76)
Kapitel 3 Handeln nach Grundsätzen 78. Was ist ein Grund, aus dem jemand etwas tut, und in welcher Beziehung steht der Grund zu dem Tun? Es gibt eine zweite Antwort auf diese Fragen, die allerdings nicht so viele Anhänger hat wie die bisher diskutierte erste (§ 2). Sie sagt mit einem Wort, daß ein Grund, aus dem jemand etwas tut, ein Prinzip ist, nach dem er handelt. Sie sagt also, daß Grund und Handeln in der Beziehung stehen, daß dieses ein Fall der Erfüllung von jenem durch den Handelnden ist. Der Hauptvertreter dieser Auffassung ist Immanuel Kant, aber in den letzten Jahren wurde sie besonders von Onora O’Neill und Thomas Hill ausgearbeitet. Es ist wahr, Kant spricht nicht selbst von Gründen, aus denen Leute Dinge tun, das ist nicht seine Begrifflichkeit.1 Er spricht vielmehr von Maximen und von praktischer Vernunft. Aber wie das Folgende zeigen wird, läuft das, was er in seiner Begrifflichkeit sagt, auf die gerade genannte Konzeption hinaus: Gründe sind Prinzipien der Handelnden. 79. Zentral für Kants Handlungsverständnis ist die These, daß, wer handelt, nach einer Maxime handelt. Er sagt das nicht ausdrücklich, aber daß dies seine Auffassung ist, zeigt sich daran, daß der kategorische Imperativ in seinen offiziellen Versionen über die Maximen des Handelnden formuliert wird.2 Der kategorische Imperativ soll aber für jede Handlung gelten, also muß es für jede Handlung eine Maxime geben.3 Ja, es muß für jede Handlung genau eine Maxime geben, denn sonst könnte der Universalisierungs-Test manchmal divergierende Ergebnisse liefern, so daß dasselbe Handeln als moralisch zulässig und unzulässig betrachtet werden müßte. Deshalb spricht Kant unbedenklich von „der“ Maxime einer Handlung:4 es gibt eine Maxime, und es gibt nur eine Maxime für jede Handlung.5 Doch nicht umgekehrt: für jede Maxime kann es, und wird es normalerweise, verschiedene Handlungen nach dieser Maxime geben. 80. Um also diese Konzeption des Handelns aus Gründen zu verstehen, muß man verstehen, was eine Maxime ist. Kant erklärt, daß eine Maxime
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„das subjektive Prinzip zu handeln“ ist. Erstens also, eine Maxime ist ein Prinzip. Das heißt, sie ist allgemein. Sie gibt an, welche Art von Dingen jemand tun soll, gegeben eine bestimmte Art von Umständen. Kant erwähnt als Beispiel jemandes Maxime, sein „Vermögen durch alle sicheren Mittel zu vergrößern“ (KpV 27): dieser Mensch, wenn er eine dicke Brieftasche bei Nacht im Park findet oder am Postschalter zu seinen Gunsten falsch herausgegeben bekommt oder ein Depositum in Händen hält, das er nicht quittiert hat und dessen Eigentümer verstorben ist, und so weiter, ist durch sein Prinzip gehalten, die Brieftasche zu behalten, das Geld einzustecken, das Depositum zu unterschlagen, und so weiter. Sogar der Mann, der sich mit Selbstmord-Gedanken trägt, wird interessanterweise dargestellt als jemand, dessen Prinzip es ist, sein Leben zu verkürzen, wenn es „bei seiner längeren Frist mehr Übel droht, als es Annehmlichkeit verspricht“ (GMS 422), und das ist ein allgemeines Prinzip, obgleich man nur einmal nach ihm handeln kann. 81. Zweitens, eine Maxime ist ein subjektives Prinzip. Das bedeutet mehrerlei. Es bedeutet zunächst, daß eine Maxime jemandes Maxime ist, wie eine Meinung. Wohl können verschiedene Leute dieselbe Maxime haben, gerade so wie sie auch eine Meinung teilen können, aber das heißt nur, daß die Maximen zusammenfallen, die jeder einzeln hat, wie es auch ihre einzelnen Meinungen tun mögen. Es bedeutet ferner, daß jemand, anders als im Fall seiner Meinungen, Herr darüber ist, welches seine Maximen sind. Normalerweise hat man seine Meinungen nicht, weil man sich entschlossen hat, sie zu haben, von außergewöhnlichen Fällen wie dem von Pascals Ungläubigem abgesehen, der zum Glauben an die christliche Lehre kommt, weil er es klug findet, diesen Glauben zu haben.7 Aber seine Maximen hat man, weil man sich entschloß, sie zu haben. Man hat eine Maxime, weil man sie sich zu eigen gemacht hat, und man hat sie nicht mehr, sobald man sie fallen läßt, und das steht einem jederzeit frei. Daß die Maxime ein subjektives Prinzip ist, bedeutet demnach drittens, daß die Autorität, die sie gegenüber dem betreffenden Handelnden hat, bloß subjektiv ist. Nichts in der Welt verpflichtet einen dazu, sich durch alle sicheren Mittel zu bereichern, sollte das gerade die Maxime sein. Man hat sich nur selbst dazu verpflichtet und kann die Verpflichtung jederzeit widerrufen. Man unterliegt der Regel, aber es ist nur die eigene Regel. In dieser Hinsicht setzt Kant die Subjektivität von Maximen der Objektivität praktischer Gesetze entgegen (GMS 420n.). Wer die Maxime der Wahrhaftigkeit hat, unterliegt der Regel, nicht zu lügen, wie zuvor. In diesem Falle aber unterliegt er nicht allein der eigenen
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Regel, denn es gibt ein praktisches Gesetz, das verbietet zu lügen. Er unterliegt also einer Regel, nicht zu lügen, die gültig ist unabhängig davon, ob er sie sich selbst auferlegt hat. Selbst wenn er also, wie es leicht sein kann, die Selbstverpflichtung auf Wahrhaftigkeit widerruft, ist er damit doch die Anforderung, wahrhaftig zu sein, nicht los, so wie er bei der Maxime der Habsucht allerdings die Anforderung los wird, sich durch alle sicheren Mittel zu bereichern, wenn er die Maxime fallen läßt. Die Anforderung der Wahrhaftigkeit steht, was auch seine Maximen sind. Das bedeutet, sie ist objektiv. 82. Drittens, eine Maxime ist ein subjektives Prinzip des Handelns. Aber sie ist ein Prinzip des Handelns nicht in dem Sinne, in dem Newtons Gesetze Prinzipien der Bewegung sind, nicht in dem Sinne also eines Satzes, der für eine Theorie der fraglichen Phänomene grundlegend ist.8 Kants Wortlaut hier ist um so erhellender, als er grammatisch etwas zweifelhaft ist: „Maxime ist das subjektive Prinzip zu handeln“ – ein „Prinzip zu handeln“ ist ein Prinzip, nach dem jemand handelt. Es dient in erster Linie dazu, Handlungen zu erzeugen, und nur deshalb kann es dann auch dazu dienen, sie zu erklären. Ein „Prinzip zu handeln“ ist ein Prinzip fürs Handeln nach Prinzipien.9 Es ist ein Prinzip in dem Sinne, in dem man zum Beispiel sagt: „Ich esse aus Prinzip kein Fleisch.“ 83. Zusammen also, eine Maxime ist ein selbst-auferlegtes Prinzip eines Menschen, das anweist, unter einer Art von Umständen eine Art von Dingen zu tun, und das zu einem entsprechenden Handeln führt. Ein solches Prinzip kann gut der Grund sein, aus dem jemand etwas tut. Ich frage jemanden, warum er sich nicht aus einer schwierigen Lage mit einer harmlosen Lüge heraushilft, und er entgegnet, daß es sein Prinzip ist, niemals zu lügen: er hat damit in der Tat meine Frage beantwortet. Ich mag dann Einwände erheben gegen das, was er gesagt hat. Zum Beispiel mag ich bezweifeln, ob das eine kluge Strategie ist. Das ändert nichts daran, daß, was er gesagt hat, eine passende Entgegnung auf meine Bitte ist, die Gründe zu erfahren, aus denen er tat, was er tat. Es ist auch nicht nur passend nach Maßstäben guter Konversation, den Hinweis auf eine Maxime als Antwort auf die Frage nach Gründen zu betrachten. Es ist auch sinnvoll, das zu tun. Wenn ein Grund etwas sein soll, was sowohl Ursprung der Handlung ist als auch sie durchsichtig macht, dann, scheint es, sind Maximen ausgezeichnete Kandidaten dafür, Gründe zu sein.10 84. Diesem Vorschlag mag entgegengehalten werden, daß erstens, wie die eben erwähnte Maxime der Habsucht (§ 80) zeigt, es Maximen gibt, nach
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denen zu handeln nicht vernünftig ist. Wenn aber Maximen Gründe sind, bekommen wir damit unvernünftiges Handeln aus Gründen, und das klingt seltsam. Zweitens, Maximen macht man sich ihrerseits aus Gründen zu eigen, und so mag man darauf bestehen, daß diese Gründe, nicht die Maximen, als die Gründe genommen werden, aus denen die Leute tun, was sie tun, wenn sie nach Maximen handeln. Drittens mag verlangt werden, die Maximen-Erklärung des Handelns durch eine Erklärung aus Begehren und Meinungen des Handelnden zu ergänzen. Warum handelt schließlich jemand nach einer seiner Maximen? Doch weil er der Maxime folgen will und meint, die betreffende Handlung sei ein Fall davon, ihr zu folgen. Also scheint die Maximen-Konzeption nicht einmal ein eigenständiger Konkurrent der Konzeption von Gründen als Begehren/Meinungs-Paaren zu sein. 85. Was den ersten Punkt angeht, wird man unvernünftiges Handeln aus Gründen in jeder Gründe-Theorie zulassen müssen. Manches von dem, was Leute tun, tun sie aus Gründen, manches nicht, und vielleicht loben wir Leute manchmal dafür, in einer Situation aus Gründen etwas zu tun, statt sich zu etwas fortreißen zu lassen. Aber unter den Dingen, die Leute aus Gründen tun, unterscheiden wir wiederum und loben manche, weil sie großzügig, mutig oder eben vernünftig sind, im Gegensatz zu anderen, die wir für kleinlich, feige oder töricht halten. Es kann also nicht der Maximen-Konzeption von Gründen insbesondere entgegengehalten werden, daß etwas aus Gründen zu tun nicht garantiert, daß es etwas Vernünftiges ist, was man tut. (§§ 129 und 220 kommen darauf zurück.) Zum zweiten Punkt, es ist nicht klar, ob man Maximen ihrerseits aus Gründen sich zu eigen macht, denn es ist nicht klar, was das eigentlich ist, eine Maxime sich zu eigen machen. (Später in diesem Kapitel mehr dazu.) Doch selbst wenn man sich Maximen aus Gründen zu eigen macht, spricht nichts dafür zu sagen, daß die Leute aus diesen Gründen statt nach den Maximen handeln. Wer auf sein Prinzip verweist, niemals zu lügen, hat, möchte man meinen, vollständig die Frage beantwortet, weshalb er diesen Ausweg nicht wählt. (§ 83). Was den dritten Punkt betrifft, so ist es bloß dogmatisch zu behaupten, daß die Maximen-Konzeption des Handelns durch eine Erklärung mit Hilfe der Begehren und Meinungen des Handelnden ergänzt werden muß. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Dinge nicht einfach so ablaufen könnten: der Handelnde hat eine Maxime, sieht eine relevante Situation auftreten und produziert, eben auf Grund seiner Maxime, entsprechendes Handeln. Es ist nicht einzusehen, weshalb zusätzlich zur Maxime ein Begehren des Handelnden ins Spiel kommen muß.
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86. Hiergegen mag wieder eingewandt werden, daß Kant selbst es für notwendig hält, die Maximen-Konzeption des Handelns mit dem Hinweis auf die Begehren des Handelnden zu ergänzen, mindestens im Fall des Handelns nach materialen praktischen Prinzipien, wie er sie nennt (KpV 22). Diese können freilich Maximen eines Handelnden werden, und das entsprechende Handeln ist dann, gemäß Kants allgemeinem Handlungsverständnis, Handeln nach einer Maxime. Aber die Bedingung dafür, sie sich als Maximen zu eigen zu machen, ist, wie Kant behauptet, ein vorausgehendes Begehren (KpV 21). Somit hängt die Maxime ihrerseits, mindestens in diesen Fällen, von einem Begehren ab, und dies Begehren muß in einer vollständigen Erklärung des Grundes, aus dem jemand etwas tut, eingeschlossen werden. 87. Doch daß Kant davon spricht, ein vorausgehendes Begehren sei die Bedingung dafür, eine Regel sich als Maxime zu eigen zu machen, entscheidet nicht die Streitfrage, welche Rolle Begehren in einer Kantischen Handlungskonzeption spielt. Dazu ist noch im Einklang mit einer solchen Konzeption zu klären, in welchem Sinne das Begehren Bedingung der Maxime sein soll. Andrews Reath und Henry Allison haben überzeugende Gründe dafür vorgebracht, daß die Vorstellung, ein Begehren übe eine Kraft auf den Willen aus, mit praktischer Freiheit im Sinne Kants nicht zu vereinbaren ist; und Allison insbesondere zeigte, daß dies so ist, gleichgültig ob man den Druck von Seiten des Begehrens Handeln direkt produzieren läßt oder ob er erst dazu führt, daß jemand sich eine Maxime zu eigen macht, nach der er dann handelt.11 Weniger klar ist, wie sich positiv nach Kant ein Handelnder charakterisieren läßt, der seinem Begehren folgt. Zugestanden, das Begehren schiebt die Leute nicht zum Handeln oder zur Annahme einer Maxime fürs Handeln. Aber was heißt es nun, daß ein Begehren die Bedingung dafür ist, daß jemand sich eine Maxime zu eigen macht, wie es nach Kants Meinung bei Menschen oft der Fall ist? Reath und Allison antworten, ein Begehren sei eine solche Bedingung genau dann, wenn einer sich eine Maxime zu eigen macht, die „eine Strategie festlegt, so zu handeln, daß das Begehren befriedigt wird“;12 wobei die Annahme der Maxime immer noch ein Akt der Spontaneität des Handelnden ist. Auch diese Antwort überzeugt. Verschiedene Texte bei Kant stützen sie, vor allem die Äußerung von 1790, daß die Willkür „durch keine Triebfeder zu einer Handlung bestimmt werden kann, als nur sofern der Mensch sie in seine Maxime aufgenommen hat“;13 und eine andere Antwort, die nicht die Anforderungen praktischer Freiheit verletzen
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würde, ist schwer zu erkennen. Reath und Allison scheinen aber nicht zu sehen, wie kostspielig diese Antwort ist:14 sie entzieht allen Kantischen Vorstellungen von einem sinnlich affizierten, pathologisch bestimmbaren oder Triebfedern ausgesetzten Willen die Grundlage, und damit auch der Unterscheidung zwischen menschlichem und göttlichem Willen. Das ist so, weil nach dieser Antwort die Annahme jeder Maxime spontan ist, also undeterminiert und keiner Affektion ausgesetzt. Eine Triebfeder, die nicht den Willen bestimmen kann, außer wenn der Handelnde sie in seine Maxime aufgenommen hat, ist wirklich eine Triebfeder, die nicht den Willen bestimmen kann, Punkt. Der Beitrag des Begehrens beläuft sich nach dem jetzt vorliegenden Bild nur darauf: Leute wählen oft Maximen, von denen sie erwarten, daß nach ihnen zu handeln helfen wird, ihre Begehren zu befriedigen. Was die Leute zu tun wählen, ist also zu einem gewissen Maß korreliert mit dem, was sie begehren, aber ihr Wählen ist auf keine Weise von ihrem Begehren beeinflusst. Somit ist das Begehren nicht ein zusätzlicher Faktor, der in einer vollständigen Erklärung des Grundes, aus dem jemand etwas tut, vorkommen muß. Eine recht bedachte Kantische Position sagt: es ist niemals wahr, daß Leute etwas tun aus dem Grunde, daß sie dies oder jenes begehren. Wahr ist nur, daß, was sie tun, manchmal mit dem übereinstimmt, was sie begehren.15 88. Auf der Linie des letzten Einwandes (§ 86) weiter gehend könnte man sogar leugnen, daß die Maximen-Konzeption tatsächlich Kants Handlungstheorie bildet, wie vorhin behauptet (§ 78). Ralf Meerbote und Hud Hudson sehen Kant eine Begehren/Meinungs-Theorie des Handelns nach Art von Davidson vertreten.16 Meerbote stützt seine Interpretation vornehmlich auf § 10 der Kritik der Urteilskraft, wo Kant „Zweckmäßigkeit überhaupt“ diskutiert. Nach Meerbotes Ansicht sagt dieser Text, daß Menschen handeln „auf Grund propositionaler Vorstellungen von dem, was sie begehren, und von Meinungen über ausreichende oder wahrscheinlich ausreichende Mittel, das Begehrte herbeizuführen.“ Jemandes Grund, etwas zu tun, besteht somit aus einer Verbindung von Begehren und Meinungen über Mittel;17 und um nun Hudson zu folgen, die Propositionen, welche die von dem Handelnden angenommenen Mittel/Zweck-Beziehungen ausdrücken, sind Kants Maximen.18 89. Es geht hier nicht nur darum, wie Kant richtig zu lesen ist. Wenn eine Interpretation nach Art von Meerbote und Hudson zutrifft, ist der Hauptvertreter einer Maximen-Konzeption von Handlungsgründen dahin, und das muß den Verdacht (§ 84) verstärken, daß diese Konzeption nicht ein-
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mal ein eigenständiger Konkurrent beim Erklären von Handlungsgründen ist. Es gibt allerdings Gründe zu glauben, daß die Meerbote/Hudson-Interpretation nicht zutrifft. Zunächst ist § 10 der Kritik der Urteilskraft kein beeindruckender Zeuge in Sachen des Handelns.19 Kant umreißt hier Zweckmäßigkeit überhaupt für seine Ästhetik, nicht in einem praktischen Zusammenhang, und so kommt es, daß er hier nur Standard-Schulformeln wiederholt.20 Sodann ist es schwierig, die Begehren/MeinungsTheorie der Gründe, die Meerbote und Hudson in § 10 der Kritik der Urteilskraft finden wollen, dort wirklich wieder zu erkennen, eine Schwierigkeit, die hier nur erwähnt, nicht ausgeführt werden kann. Drittens läßt sich das, was Kant über Maximen sagt, in dieser Interpretation nicht unterbringen. Eine Maxime ist für Hudson ein Satz wie: „Eine Art, es hier warm zu kriegen, ist, ein Feuer zu machen.“ Aber dieser Satz kann schwerlich ein Prinzip genannt werden, und das ist genau das Wort, das Kant durchgängig von Maximen gebraucht (§ 80).21 Zudem sollten Maximen, nach KpV 19, praktische Prinzipien sein, aber an jenem Satz ist nichts Praktisches, es ist bloß ein Satz darüber, wie die Welt beschaffen ist. Handelnde sind vielleicht gut beraten, die darin ausgedrückte Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, aber das reicht nicht aus, ihn zu einem praktischen zu machen. Sonst wäre jeder Satz ein praktischer, denn für jeden Satz kann es Umstände geben, unter denen Handelnde gut beraten sind, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Schließlich paßt Hudsons Beschreibung von Maximen als Sätzen, die eine Zweck-Mittel-Beziehung ausdrücken, nicht auf die tatsächlich bei Kant gegebenen Beispiele von Maximen, wie etwa „keine Beleidigung ungerächt zu erdulden“ (KpV 19) oder wiederum „mein Vermögen durch alle sichere Mittel zu vergrößern“ (KpV 27). Somit darf man wohl schließen, daß die von Meerbote und Hudson vorgebrachten Überlegungen nicht die Behauptung anzufechten vermögen, daß Kant eine Maximen-Theorie der Gründe, aus denen Leute etwas tun, vorgeschlagen hat. 90. Jetzt ist die Frage, ob diese Theorie trägt. Zwei Dinge an ihr sind schwer zu verstehen: was es heißt, daß jemand eine Maxime hat, und was es heißt, daß jemand nach einer Maxime handelt. Zunächst also ‚eine Maxime haben‘: eine Maximen-Theorie des Handelns aus Gründen braucht diesen Begriff. Denn nach dieser Theorie handeln Leute, wie sie es tun, weil sie die Maximen haben, die sie haben. Wenn es nicht das Haben einer Maxime gibt, getrennt vom Handeln nach ihr und von diesem auch getrennt verständlich, wird diese Behauptung über Handelnde leer, und die
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Maxime eine bloße virtus dormitiva. Zudem beruht das normale Reden von Maximen und allgemein von Regeln und Prinzipien auf einer Vorstellung vom Haben einer Maxime unabhängig von jedem Handeln, das dem folgen mag. Wir sprechen davon, daß jemand sich ein Prinzip zu eigen macht, auf ein Prinzip festgelegt ist, ein Prinzip aufgibt, und keiner dieser Ausdrücke verlangt, daß ein Handeln nach dem Prinzip, oder im letzten Fall entgegen dem Prinzip, stattfand. All das kann man in seinem Herzen tun. Das sprichwörtlich Hohle von Neujahrs-Vorsätzen belegt das. Wer beschließt, jede Woche die Wohnung zu putzen, hat sich eine Regel gesetzt, und jetzt hat er diese Regel; und wenn die Maximen-Theorie des Handelns eine Chance hat, wahr zu sein, ist irgendetwas jetzt anders an ihm, weil er das beschlossen hat. Aber wie man weiß, ist damit noch gar nichts darüber gesagt, was der Betreffende nun wirklich tut. Schließlich kann er die Regel stillschweigend wieder fallen lassen, wenn es Zeit wird, sie zu erfüllen. Er kann ja auch einfach am Neujahrstag sterben. (Deshalb ist Kants Behauptung, GMS 421n., eine Maxime sei ein Prinzip, „nach welchem das Subjekt handelt,“ zu stark. Jemand kann eine Maxime haben und doch nicht nach ihr handeln, einfach weil sich zeit seines Lebens keine Gelegenheit dafür einstellt.) Also, wir unterscheiden zwischen dem Haben einer Maxime und dem Handeln nach ihr, und wir müssen zwischen diesen beiden Dingen unterscheiden, wenn die Rede von einem Handeln nach Maximen informativ sein soll. Somit ist es recht und billig, die zur Diskussion stehende Handlungstheorie um eine Erklärung von „eine Maxime haben“ zu bitten. 91. Aus dem Vorangegangenen ist deutlich, daß, um eine Maxime zu haben, es nicht erforderlich ist, nach ihr zu handeln. Das ist so, obgleich manchmal die Tatsache, daß einer nicht in Übereinstimmung mit einer Regel handelt, mit Recht als ein Anzeichen dafür genommen wird, daß er sie nicht zur Maxime hat. Auch ist es dafür, eine Maxime zu haben, nicht hinreichend, daß in dem, was man tut, die entsprechende Regelmäßigkeit herrscht. Was wir tun, ja sogar was wir absichtlich tun, zeigt Regelmäßigkeiten in Menge, die zu produzieren wir uns nicht entfernt zur Regel gemacht haben. Selbst gewußte Übereinstimmung mit einer Regel reicht nicht hin. Manchmal beobachten wir uns selbst, wie wir in Gewohnheiten geraten, etwa in die, mit kleinlichem Tadel zu reagieren, und sind doch weit davon entfernt, es zur Maxime zu haben, so zu reagieren. Es hilft ebenso wenig zu sagen, jemand habe eine Maxime genau dann, wenn er sie ausdrücklich sich zu eigen gemacht hat. Wenn dies heißt: er hat be-
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wirkt, wodurch auch immer, daß er diese Maxime hat, dann dreht sich die Erklärung im Kreis, denn was es heißt, daß er sie hat, galt es gerade zu erklären. Wenn dies aber heißt: er hat in seinem Inneren deklariert, er „sprach in seinem Herzen“22 oder hat auf andere Weise in ihm selbst das Gesetz verkündet, das und das solle von nun an der Lauf seines Handelns sein, dann ist nicht klar, weshalb es wahr sein sollte zu sagen, daß jemand eine Maxime hat genau dann, wenn er etwas Derartiges getan hat. Es ist nicht klar, warum diese inneren Amtshandlungen es dahin bringen sollten, daß der betreffende Mensch nunmehr die Maxime zu eigen hat. Die inneren Amtshandlungen sind nicht verdächtig, weil sie innere sind. Ihre Wirksamkeit ist zweifelhaft. Es läßt sich keine Verbindung erkennen zwischen dem, daß einer zu sich selbst ex cathedra spricht, und dem, daß die fragliche Maxime nun wirklich seine ist. Mit einem Ausdruck Wittgensteins, solche Gesten mögen eine bloße Zeremonie sein,23 also etwas, das Bedeutungsfülle vorgibt, aber in der Tat keine erkennbare Wirkung zeigt. 92. Nahe liegt der Vorschlag: eine Maxime haben, das ist im Einklang mit ihr handeln wollen. Doch das läßt zwei Deutungen zu. Im Einklang mit einer Maxime handeln, das kann verstanden werden als der Maxime folgen, es kann aber auch verstanden werden bloß als ihr konform handeln. Das heißt, es kann verstanden werden als Handeln nach der Maxime und als Handeln, das die Regelmäßigkeit zeigt, die in der Maxime aufgegeben ist. (Wenn jemand das Prinzip hat, keine Beleidigung ungerächt zu erdulden, und danach handelt, dann folgt er der Maxime. Wenn jemand kein solches Prinzip hat, aber trotzdem Rache nimmt, wann immer er beleidigt wird, dann handelt er ihr konform.) Nun ist es unbefriedigend zu sagen, eine Maxime haben bedeute, ihr folgen wollen, denn wie schon angesprochen (§ 90), wir verstehen nicht, was einer Maxime folgen, also nach ihr handeln ist, ohne einen Begriff davon, was es heißt, eine zu haben, und dies durch jenes erklären heißt also im Kreis gehen. So sollte die vorliegende Antwort besser im Sinne von Konformität verstanden werden: eine Maxime haben, das ist wollen, daß die eigenen Handlungen die in der Maxime benannte Regelmäßigkeit zeigen. Aber diese Erklärung scheint nicht korrekt zu sein. Wir kennen einen Unterschied zwischen: wollen, daß mein künftiges Verhalten von der und der Art ist, und: es als eine Regel haben, so und so zu handeln. Jemand könnte sagen: „Ich will wirklich ein aufmerksamer Lehrer sein und ein Auge haben für die jeweils besondere Gestalt der Leistungen, Mängel und Aussichten meiner Schüler. Aber ich weiß aus Erfahrung, daß ich es jedenfalls unter gegenwärtigen Bedin-
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gungen einfach nicht schaffe. Ein Stoß von zwanzig Arbeiten schon langweilt mich jedes Mal zu Tode, so daß ich dann mehr nicht zu Stande bringe als gewohnheitsmäßige Reaktionen auf bestimmte Dinge in den Texten. Und weil ich weiß, daß ich es nicht schaffe, habe ich auch aufgehört, es mir zur Regel zu setzen.“ Dieser Mensch will ein aufmerksamer Lehrer sein, aber er hat nicht die entsprechende Maxime. Natürlich mag er sich über die Tatsachen irren. Vielleicht könnte er bei einem anderen Herangehen doch das tun, was er will. Aber darum geht es hier nicht. Was er sagt, irrig oder nicht, scheint doch nicht widersprüchlich, und das müßte es sein, wenn eine Maxime haben dasselbe wäre wie wollen, daß das eigene Handeln ihr konform ist. 93. Dem mag entgegnet werden, daß der resignierte Lehrer tatsächlich Unsinn redet und Wollen und Wünschen verwechselt. Jetzt, da er aufgegeben hat, es zu versuchen, kann er mit Recht nur mehr sagen, daß er ein aufmerksamer Lehrer zu sein wünscht. Das Problem bei dieser Antwort ist, daß die Verwechslung, wenn es denn eine ist, in den gewöhnlichen Begriff des Wollens eingewachsen ist. Es ist kein schlechtes Deutsch, das Wort „wollen“ so zu gebrauchen, wie der resignierte Lehrer es tut. Wenn also in dem Einwand Wollen und Wünschen einander entgegengesetzt werden, so weicht das vom normalen Sprachgebrauch ab und ist selbst wieder erklärungsbedürftig; und die Aufgabe, es zu erklären, mag ebenso schwierig sein wie die erste, zu erklären was das ist, eine Maxime zu haben. Ja, nach der Maximen-Konzeption des Handelns mag es dieselbe Aufgabe sein. Das heißt, Wollen in dem Sinne, in dem der resignierte Lehrer nach dem gegenwärtigen Einwand nicht das Wollen hat, ein aufmerksamer Lehrer zu sein, mag tatsächlich auf dasselbe hinauslaufen wie die entsprechende Maxime zu haben. Wenn das so ist, haben wir keinen Fortschritt gemacht: der erste Gedanke ist so schwer zu verstehen wie der zweite. 94. Man könnte versuchen, das Kriterium dadurch zu verbessern, daß jemand, der eine Maxime hat, nicht nur will, daß sein Handeln mit der Maxime konform geht, sondern auch glauben muß, daß es möglich für ihn ist, das zu erreichen. Damit ist der resignierte Lehrer, wie eben beschrieben, versorgt: ihm fehlt der Glaube, daß er der aufmerksame Lehrer sein kann, der er sein will. Nicht versorgt ist ein anderer, der ein aufmerksamer Lehrer sein will und auch weiß, daß er es kann, der aber nicht die erforderliche Willensstärke hat, um sich das wirklich vorzunehmen. Es ist nicht, daß er gelegentlich dem untreu wird, was er will. In dem Fall könnte man sagen, daß er zu den Zeiten eben aufhört, ein aufmerksamer Lehrer sein zu
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wollen. Vielmehr, obwohl er das durchgehend will, bildet er nicht die entsprechende Strategie aus. Ein solcher Geisteszustand mag selten sein, unerhört ist er nicht. Depression, Selbstzweifel, innere Müdigkeit oder was die Mönche „acedia“ nannten, mag Menschen so belasten, daß sie nicht mehr fähig sind, sich eine Richtung in ihrem Handeln zu geben, während sie doch nicht weniger wollen, daß ihr Handeln diese Richtung nehme. Auf der anderen Seite mag es auch zuviel verlangt sein, daß einer, der eine Maxime hat, auch glauben muß, daß er entsprechend handeln kann. Wie im Fall von Davidsons Schreiber, der zehn leserliche Durchschläge machen will, aber sich überhaupt nicht sicher ist, daß es ihm gelingen wird,24 scheint es durchaus möglich, sich eine Maxime zu setzen, ohne doch positiv zu meinen, man werde es schaffen, ihr treu zu bleiben. Vielleicht sollte man nicht gerade glauben, daß man sie verletzen wird. Aber ohne feste Meinung in der einen oder anderen Richtung scheint eine Maxime durchaus erreichbar. Die folgende Bedingung dafür, eine Maxime zu haben, liegt dann vielleicht nahe: wollen, daß die eigenen Handlungen mit der Regel konform gehen, und nicht glauben, daß man es nicht kann. Aber als hinreichende Bedingung ist das sicher zu schwach. Ein resignierter Lehrer mag, anders als der in dem Beispiel eben, keinerlei Meinung darüber haben, was er kann und nicht kann, und doch resigniert sein, also nicht die Maxime sich setzen, ein aufmerksamer Lehrer zu sein, während er doch durchweg einer sein will. 95. So könnte man hoffen, Beabsichtigen statt Wollen (§ 92) gebe den Schlüssel für eine Erklärung von „eine Maxime haben“. Das heißt, man könnte vorschlagen, daß ‚eine Maxime haben‘ bedeutet, konform mit ihr zu handeln beabsichtigen. Aber dieser Gedanke hat zwei Schwierigkeiten. Zum einen, wir mögen nicht alles beabsichtigen oder beabsichtigt haben, was wir absichtlich tun.25 Wenn wir also das Haben einer Maxime an das Beabsichtigen binden, bekommen wir von jenem möglicherweise einen zu engen Begriff, einen, bei dem es nicht mehr wahr ist, daß es für jede Handlung eine Maxime gibt (§ 79). Zum Beispiel, ich betrete den Raum, in dem mein Vortrag stattfinden soll, und sehe unter den Leuten eine alte Freundin, die ich lang aus den Augen verloren hatte – sofort gehe ich zu ihr hinüber und begrüße sie mit Freude. War es eine absichtliche Handlung, sie zu begrüßen? Auf jeden Fall. Ich habe sie nicht aus Versehen gegrüßt, und es war auch kein Reflex, daß ich es tat. Hatte ich die Absicht, sie zu begrüßen? Nein. Sowie ich sie sah, begrüßte ich sie, ich durchlief nicht erst eine Phase, in der ich beabsichtigte, es zu tun; und bevor ich sie
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sah, beabsichtigte ich auch nicht, sie zu begrüßen, da ich überhaupt nicht an die Möglichkeit dachte, sie hier zu treffen. Ich gehe auch nicht zu meinen Vorträgen mit der Absicht, jede alte Freundin, die auftauchen könnte, zu begrüßen, oder mit einer anderen allgemeinen Absicht dieser Art.26 Ist die Begrüßung möglicher Gegenstand eines moralischen Urteils? Ja, das sollte sie sein, und somit sollte es eine Maxime geben, nach der ich handelte, auch wenn es schwierig sein mag herauszufinden, welche das ist. Also hatte ich eine Maxime, aber es war nicht so, daß ich beabsichtigte, in Übereinstimmung mit ihr zu handeln. Folglich läßt sich das Haben einer Maxime nicht durch ein Beabsichtigen erklären. 96. Die zweite Schwierigkeit an dem Vorschlag liegt darin, daß Maximen für den, der sie hat, bindend sein sollen, während die Absicht, künftig dies oder jenes zu tun, es nicht ist. Wohl sind Maximen auf seltsame Art bindend, denn der Handelnde ist Herr über seine Maximen (§ 81) und kann das Band jederzeit abstreifen. Doch solange er es nicht tut, unterliegt er ihrer Forderung. Kant beschreibt denn auch Leute, die Maximen haben, ständig im Vokabular von Verpflichtung. Zum Beispiel erklärt er „Maximen“ als „sich selbst auferlegte Regeln“ (GMS 438), und zeigt damit an, daß solch eine Regel zwar sich selbst auferlegt, aber darum doch nicht weniger auferlegt ist, so daß der Handelnde seinerseits ihr unterworfen ist.27 Diejenigen, die eine Maxime haben, sind schon, mit Paulus’ Ausdruck, „ein Gesetz für sie selbst“.28 Dagegen ist ein Handelnder nicht durch das gebunden, was er zuvor beabsichtigte. Michael Bratman vertritt zwar die Meinung, daß eine Absicht zu haben „eine charakteristische Art, sich verpflichtet zu haben,“ einschließt. Aber was er im Sinne hat, ist dies: außer unter ungünstigen Umständen werden Absichten das Handeln bestimmen und kontrollieren, sie werden das Überlegen dahin leiten, passende UnterAbsichten auszubilden, ferner dahin, nur solche anderen Absichten auszubilden, die mit der gegenwärtigen vereinbar sind, und so weiter.29 Es ist hier keine Rede davon, daß ein Handelnder, kraft dessen, daß er die und die Absicht hat, unter einer Art von Forderung steht, das und das zu tun. Der Handelnde aber, der die und die Maxime hat, steht allerdings unter einer entsprechenden Forderung, selbst wenn sie nur selbst auferlegt ist. Deshalb erneut: das Haben einer Maxime kann man nicht durch das Haben einer Absicht erklären. 97. Wenn diese Überlegungen richtig sind, zeigen sie, daß die Absicht zu haben, mit einer Regel konform zu handeln, weder notwendig noch hinreichend dafür ist, die entsprechende Maxime zu haben. Konform han-
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deln zu wollen aber scheint, wenn auch nicht hinreichend, wie der Fall des resignierten Lehrers zeigt, doch notwendig zu sein. Sagen wir, die Maxime, der ich folgte, als ich meine Freundin begrüßte, war die: innerhalb der Grenzen der Sitte meinen Gefühlen immer offen Ausdruck zu geben. Ich mag zu keiner Zeit die Absicht gehabt haben, das zu tun. Trotzdem, wenn das meine Maxime ist, so scheint es, daß so zu handeln etwas sein muß, was ich will. So fragt man sich, was dazu, daß einer konform handeln will, noch hinzukommen muß, damit er dies als Maxime hat. Wodurch unterscheidet sich der resignierte Lehrer von einem, der nicht resigniert ist, der also nicht nur wie der erste aufmerksam sein will für die individuellen Leistungen seiner Schüler, sondern auch im Unterschied zum ersten es zum Prinzip hat, so zu handeln? Man könnte sagen, der zweite habe sich schon für das Vorhaben eines aufmerksamen Lesens engagiert, der erste nicht. Wohl hat der Lehrer, der aufmerksames Lesen der Arbeiten seiner Schüler sich zur Regel gesetzt hat, damit noch kein aufmerksames Lesen zu Stande gebracht (§ 90). Aber er hat sich gleichsam eingeschrieben für ein aufmerksames Lesen. In einem stärkeren Sinne als demjenigen Bratmans (§ 96) hat er sich dazu verpflichtet. Kant nennt einmal das Annehmen einer Maxime „den formalen Grund“ eines mit ihr übereinstimmenden Handelns.30 So mag man sagen, daß der Lehrer, der die betreffende Maxime hat, sich selbst als Handelndem die Form eines aufmerksamen Lesers gegeben hat. Wenn er seine Regel nicht ändert, was zu tun ihm jederzeit freisteht, dann ist sein aufmerksames Lesen, wenn dann die Arbeiten abgegeben werden, bloß die Ausführung dessen, was er über sein Tun bereits festgesetzt hat. Es ist bloß die Erfüllung der Form, die er sich selbst gegeben hat. 98. Diese Interpretation macht eine sonst seltsam erscheinende Überlegung in Kants Religionsphilosophie verständlich.31 Er sagt dort: Wenn jemand den obersten Grund seiner Maximen, wodurch er ein böser Mensch war, durch eine einzige unwandelbare Entschließung umkehrt …, so ist er sofern, dem Prinzip und der Denkungsart nach, ein fürs Gute empfängliches Subjekt; aber nur in kontinuierlichem Wirken und Werden ein guter Mensch. … Dies ist für denjenigen, der den intelligibelen Grund des Herzens (aller Maximen der Willkür) durchschaut, für den also diese Unendlichkeit des Fortschrittes Einheit ist, d.i. für Gott soviel, als wirklich ein guter (ihm gefälliger) Mensch sein.32
Die hier angebotene Vorstellung vom Haben einer Maxime erklärt, wieso Gott sich damit nicht einfach irrt. Der Mensch, der eine gute Maxime
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erwählt hat, ist insoweit schon gut in seiner Form als der eines Handelnden. Nicht daß er sich jetzt die Mühe sparen könnte, wirklich Gutes zu tun. Das würde nur zeigen, daß er doch nicht die Form des Guten angenommen, oder sie inzwischen wieder abgelegt hat. Der Punkt ist, daß für Gott das, was dieser Mensch Gutes tut, keine Neuigkeit bedeutet. Der Form nach war es alles schon in seinem Herzen da. 99. Noch einmal in anderen Worten, wer eine Regel hat, der hat sich, noch bevor entsprechende Gelegenheiten für das Handeln auftreten, auf eine bestimmte Handlungsweise eingestellt. Er ist jetzt schon so, daß er dies künftig, wenn einmal Gelegenheiten kommen, tut – und so wird er dann, wenn er es tut, nur erfüllen, was er jetzt schon ist.33 Um einen anderen Ausdruck auszunutzen, manchmal sagt man von jemandem, er „schulde es sich selbst“, dies oder jenes zu tun. Wer eine Maxime hat, von dem kann man tatsächlich sagen, daß er es sich selbst schuldet, bei erscheinender Gelegenheit das in der Maxime Vorgesehene zu tun. Er schuldet es sich nur, das heißt, ob er es am Ende wirklich tut, ist damit noch nicht ausgemacht. Er schuldet es nur sich selbst, das heißt, er steht nicht unter Anforderungen oder Erwartungen anderer. Aber er schuldet es sich selbst, denn er steht doch unter einer Forderung, es zu tun (§ 96), er hat nicht nur Wörter oder Gedanken des Inhalts produziert, daß er es schuldig ist oder daß er es tun wird. Wer eine Maxime hat, unterscheidet sich nur darin von dem, der normalerweise als jemand bezeichnet wird, der sich selbst etwas schuldet, daß die „Schuld“ von diesem aus irgendeiner Würde oder ähnlichen Qualität, die er einfach hat, entsteht, während der, der eine Maxime hat, die „Schuld“ freiwillig sich selbst auferlegte, eben indem er die Maxime annahm. 100. Dies, scheint es, ist die beste Erklärung von „eine Maxime haben“, die man geben kann, aber sie ist nicht gut genug. Wir können den Unterscheidungen und Metaphern, auf denen diese Erklärung beruht, nicht Substanz in unserer Erfahrung geben. Wir kennen nicht Form, in dem hier gemeinten Sinne. Wir wissen nicht, was es heißt, in seiner Form als Handelnder ein aufmerksamer Leser zu sein, und was es heißt, daß ein Stück aufmerksamen Lesens diese Form erfüllt. Wir wissen nicht, was Gott, ob es ihn gibt oder nicht, in den Herzen der Menschen sehen soll. Und wir wissen nicht, was das für eine Verbindlichkeit sein könnte, der sich ein Mensch durch ein inneres „So soll es sein!“ unterwerfen kann. Wir wissen nicht, was es heißen könnte, daß jemand in diesem Sinne zu einer Handlungsweise verpflichtet ist. Denn diese Verpflichtung geht weiter als Bratmans durch Absichten ge-
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setzte Verpflichtung (§ 96), weiter als Nancy Schaubers „aktive Verpflichtung“, die in der Übernahme spezieller Obliegenheiten gegenüber anderen besteht,34 weiter als das Verhältnis, das wir zu Dingen oder Menschen haben, die uns am Herzen liegen, in Harry Frankfurts Sinne.35 Am Ende wissen wir nicht, trotz Römer 2, 14 und der langen Zeit, die diese Rede bei uns gewesen ist, was es heißt, sich selbst ein Gesetz zu sein. Also wissen wir nicht, was von einem Menschen gilt kraft der Tatsache, daß er sich eine Maxime zu eigen gemacht hat. Wir kennen uns mit den Dingen aus, von denen das Haben einer Maxime unterschieden werden muß. Wir kennen es, daß Leute etwas tun; daß sie sagen oder denken, daß sie etwas tun werden; oder daß andere von ihnen fordern oder erwarten, daß sie etwas tun. Aber wir wissen nicht, was das ist, daß einer durch das, was er jetzt ist, gebunden ist, künftig das und das zu tun – wenn es denn keins von den eben genannten Dingen sein soll. Das Argument ist nicht, daß eine solche Qualität etwas Seltsames wäre.36 Argumente aus der Seltsamkeit leiden darunter, daß sie erstens unterstellen, wir wüßten, welche Arten von Dingen seltsam sind, und zweitens, daß seltsame Dinge wohl nicht existieren. Das gegenwärtige Argument ist bescheidener. Es sagt nicht, daß das Haben einer Maxime eine komische Eigenschaft wäre. Der Punkt ist, daß wir bei näherer Betrachtung sagen müssen, daß wir einen solchen Vogel noch nie gesehen haben. Am Ende sagt das Argument wohl nicht mehr, als daß die erbetene Erklärung (§ 90) nicht geliefert wurde. „Jemand hat eine Maxime“ – wir wissen immer noch nicht, was dieser Satz bedeutet. 101. Die zweite Schwierigkeit (§ 90) an der Maximen-Theorie der Gründe liegt darin, zu verstehen, was das Handeln nach einer Maxime ist. Angenommen, entgegen dem eben geführten Argument, daß wir wissen, was es heißt, eine Maxime zu haben, so ist die Frage jetzt, was genau die Beziehung ist zwischen der Maxime, die einer hat, und einer Handlung nach dieser Maxime. Die Frage ist tatsächlich, was das Wort „nach“ in solchen Ausdrücken wie „nach Grundsätzen handeln“ bedeutet. Daß die Maximen-Theorie der Gründe auch eine Antwort auf diese Frage braucht, ist offensichtlich. Ihre zentrale Behauptung, daß, wer handelt, nach einer Maxime handelt (§ 79), bliebe uns sonst verschlossen. 102. Kants Schriften enthalten das Material für zwei verschiedene Antworten auf diese Frage. Die eine Antwort wird in der Grundlegung gegeben; und da diese Passage das Haupt-Argument von Kants wichtigster Schrift zur Moralphilosophie eröffnet, darf man sie wohl als die offizielle Antwort bezeichnen:
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Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d.i. nach Prinzipien zu handeln, oder einen Willen. Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes als praktische Vernunft.37
Diese Sätze erklären, was Handeln ist, indem sie es von bloßem Wirken, also dem bloßen Herbeiführen von Wirkungen, unterscheiden, wozu jedes Ding der Natur fähig ist. Der Unterschied zwischen Wirken und Handeln liegt darin, in welcher Weise sie auf Gesetze bezogen sind. Das bloße Wirken von Dingen der Natur fällt nur unter Gesetze, und das heißt, kann durch Gesetze richtig beschrieben werden. Dagegen können Handelnde ein Handeln herbeiführen, so daß es mit einem Gesetz übereinstimmt. Wenn sie das tun, wird ihr Handeln nicht nur durch Gesetze richtig beschrieben. Vielmehr gibt es ein Gesetz der Art, daß der Handelnde tut, was er tut, weil das Tun ein Fall des Gesetzes ist. Der Handelnde muß demgemäß eine Vorstellung von diesem Gesetz haben, während bloße Dinge der Natur des Gesetzes nicht bewußt sein müssen, das sie in dem, was sie tun, darstellen. So zu handeln, daß es mit einem Gesetz übereinstimmt, von dem man daher eine Vorstellung haben muß, heißt nach Prinzipien handeln, und diese Prinzipien nennt Kant Maximen. So gelesen ist demnach der vorliegende Text ein weiterer Beleg für die Behauptung (§ 80), daß alles Handeln für Kant ein Handeln nach Maximen ist. 103. Die Auskunft darüber, was Handeln nach einer Maxime ist, liegt im letzten Satz der zitierten Passage enthalten. Daß es zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft braucht, ist ein Grund dafür, Wille und praktische Vernunft zu identifizieren, nur unter der Annahme, daß Handlungen von Gesetzen abzuleiten eben das ist, was der Wille tut. Im vorigen Satz war aber der Wille eingeführt worden als das Vermögen, ein Handeln der Art herbeizuführen, daß es mit einem Gesetz übereinstimmt, von dem der Handelnde eine Vorstellung hat, kurz als das Vermögen, nach Maximen zu handeln. Implizit behauptet also der zitierte Text: Handeln nach Maximen besteht in der Ableitung von Handlungen von einem Gesetz. Nach der normalen philosophischen Terminologie heißt „ableiten“ soviel wie „schließen“. An dieser Stelle insbesondere ist „ableiten“ als „schließen“ zu verstehen, weil sich damit Kants Aussage erklärt, Vernunft sei erforderlich, um Handlungen von Gesetzen abzuleiten. Vernunft, „als Vermögen einer gewissen logischen Form der Erkenntnis betrachtet“, ist nach Kant „das Vermögen zu schließen“ (KrV A 330, B 386). Handeln
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nach einer Maxime besteht also darin, daß die Handlung aus der Maxime geschlossen wird. Kants Begriff vom Handeln nach einer Maxime ist die traditionelle Lehre vom praktischen Syllogismus. 104. Handeln nach einer Maxime funktioniert also wie folgt. Ich habe irgendeine Regel mir als meine Maxime zu eigen gemacht. Jetzt treten Umstände ein, für die meine Maxime eine bestimmte Handlung meinerseits vorsieht, und ich merke auch, daß das so ist. Ich ziehe also einen Schluß aus Maxime plus Angabe der betreffenden Tatsachen; und mein Ziehen des Schlusses ist mein Herbeiführen einer Handlung, die einen Beispielfall der Maxime bildet. Wohl kann ich auch Wirkungen, die Beispiele von Gesetzen sind, so herbeiführen, wie Dinge der Natur das tun. Schließlich bin ich auch ein Ding der Natur, und mein Verhalten könnte einfach unter das Gesetz fallen. Aber wenn ich eine Wirkung so erzeuge, wie allein vernünftige Wesen das tun können, dann ist mein Erzeugen dieser Wirkung mein Ziehen des Schlusses aus der Maxime, die ich habe. Deshalb können nur vernünftige Wesen Wirkungen auf diese Weise erzeugen: nur sie erfassen Allgemeines und können aus Allgemeinem schließen. Die syllogistische Anordnung ist sichtbar in Kants Depositum-Beispiel: Ich habe z. B. es mir zur Maxime gemacht, mein Vermögen durch alle sicheren Mittel zu vergrößern. Jetzt ist ein Depositum in meinen Händen, dessen Eigentümer verstorben ist und keine Handschrift darüber zurückgelassen hat. (KpV 27)
Offenbar beschreibt der zweite Satz eine Sachlage, die zu denjenigen gehört, für die der erste Satz eine bestimmten Art von zu ergreifender Maßnahme angibt (§ 80). Wäre da nicht die moralische Reflexion, die Kant ins Spiel bringt und die zumindest zeitweise die Maxime des Handelnden außer Kraft setzt, würde dieser „geradewegs“, mit Aristoteles zu reden,38 das Depositum unterschlagen. Es wäre eine Sache von eins und eins ist zwei: es handelte sich einfach darum, aus dem Prinzip samt Angabe der relevanten Umstände die Folge zu ziehen. Das Wort „Maxime“ verweist schon auf die syllogistische Funktion. „Maxima“ ist Superlativ zu „major“, was der Standard-Ausdruck für die erste Prämisse eines Syllogismus ist. 105. Zugegeben, diese Konzeption des Handelns nach einer Maxime läßt sich schwer mit Kants Gedanken vereinbaren, uns Menschen seien die eigenen Maximen im Grunde unerkennbar. Denn ein so verstandenes Handeln nach einer Maxime verlangt vom Handelnden, sich seiner Maxime bewußt zu sein. Nicht daß sich die Handelnden die Prämissen ihres Syllo-
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gismus vor dem Handeln ausdrücklich vorsagen müssen. Doch sie müssen eine Vorstellung davon haben, was für eine Art von Ding sie tun, sonst ist es keine Handlung. Wirklich besteht Kant ja in den zuvor zitierten Sätzen (§ 102) darauf, daß Handeln im Gegensatz zum bloßen Wirken der Naturdinge eine Vorstellung des Handelnden von dem Gesetz, von dem die Handlung ein Beispiel sein soll, einbegreift. Handelnde lassen Dinge geschehen auf der Grundlage eines Verständnisses der Gesetze, die in dem, was sie geschehen lassen, sich darstellen. Aber Kant verwirft auch das Erfordernis, daß Handelnde sich ihrer Maxime bewußt sein müssen, wenn er behauptet, daß wir selbst durch die angestrengteste Prüfung hinter die geheimen Triebfedern niemals völlig kommen können, weil, wenn vom moralischen Werte die Rede ist, es nicht auf die Handlungen ankommt, die man sieht, sondern auf jene inneren Prinzipien derselben, die man nicht sieht. (GMS 407)
Der Kontext zeigt, daß diese inneren Prinzipien als Maximen des Handelnden zu verstehen sind. Also sagt Kant hier, daß wir nie die Maximen einer Handlung erkennen können, in unserem eigenen Fall ebenso wenig wie bei anderen. Wir erkennen nur die Handlung. Also wissen selbst die Handelnden nicht, nach welcher Maxime sie handeln. 106. Der Konflikt zwischen der vorliegenden Erklärung des Handelns nach einer Maxime und der Lehre von der Undurchschaubarkeit des menschlichen Herzens sollte zu Gunsten jener Erklärung aufgelöst werden, denn gegen die Lehre von der Undurchschaubarkeit sprechen noch andere, unabhängige Gründe. Wenn man nie herausfinden kann, nach welcher Maxime man wirklich handelt, wird es eine so verzweifelte Aufgabe, nur nach moralisch wertvollen zu handeln, wie es die Aufgabe ist, einem Gott zu gehorchen, der menschlichem Begreifen prinzipiell unzugänglich ist; und wirklich mag der Calvinismus die historische Quelle von Kants Bestehen auf Undurchschaubarkeit sein. Aber dies ist ein fremdes Element in der von Grund auf rationalistischen Sichtweise von Kants Unternehmen. Nach Kants Überzeugung ist es uns nicht verborgen, was wir tun sollen. Weil das moralische Gesetz eine Forderung allein der Vernunft ist, kennen wir es, jeder von uns.39 Doch Kant nähme mit der einen Hand zurück, was er mit der anderen gab, würde er behaupten, daß wir nur in abstracto wissen können, was wir tun sollen; würde er also behaupten, daß wir zwar ein generelles Kriterium haben, mit dessen Hilfe wir die moralisch wertvollen Maximen heraussuchen können, aber nie sagen können, ob unsere jeweilige Maxime zu diesen gehört oder nicht. In der Religionsschrift heißt es:
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Was der Mensch im moralischen Sinne ist oder werden soll, gut oder böse, dazu muß er sich selbst machen oder gemacht haben.40
Es ist klar, daß dies Machen nicht nach der Art des Fangens beim Blindekuh-Spielen zu verstehen ist, wo man eben Glück hat oder nicht; aber es wäre von der Art, wenn wir nicht nachprüfen könnten, wo wir mit unseren jeweiligen Maximen moralisch stehen. Daß wir ein Ziel treffen oder verfehlen, ist nicht etwas, was wir selbst machen, in dem hier relevanten Sinne, wenn das Ziel zwar vor unseren Augen liegt, aber wir nie erfahren, wie wir geworfen haben. Gewiß sind wir uns manchmal nicht klar über die Maximen, die uns leiten, aber wenn wir uns immer nur unklar über sie sein könnten, müßte das eine moralische Perspektive zu Grunde richten. Onora O’Neill sagte vor kurzem in einem Beitrag, die Undurchschaubarkeit des Herzens mindere zwar unsere Chancen, Handlungen zu erklären, tue aber unserem Bestreben keinen Abbruch, moralisch wertvollen Prinzipien nachzuleben.41 Doch wieder, es ist schwer zu sehen, wieso sie das nicht tut, denn wer nicht manchmal wenigstens sagen kann, wo er steht und welche Fortschritte er macht, von dem kann man auch schlecht sagen, daß er irgendwohin strebt. Tatsächlich läßt Kant selbst in unbewachten Augenblicken die Lehre von der Undurchschaubarkeit fallen. In einer späteren Fußnote zur Religionsschrift heißt es, daß ohne eine fröhliche Gemütsstimmung man nie gewiß ist, das Gute auch lieb gewonnen, d.i. es in seine Maxime aufgenommen zu haben.42
Mit einer fröhlichen Gemütsstimmung kann man demnach gewiß sein, das Gute in seine Maxime aufgenommen zu haben. Und wahrhaftig, könnte man es nicht, wäre Moral eine Sache von „Furcht und Zittern“, nicht von fröhlicher Gemütsstimmung. 107. Die vorgelegte Erklärung des Handelns nach einer Maxime (§ 104) leidet also nicht darunter, daß sie mit der Lehre von der Undurchschaubarkeit des menschlichen Herzens nicht zu vereinbaren ist, denn diese Lehre kann ohnehin nicht stehen bleiben. Sie leidet unter inneren Schwierigkeiten. Es ist kein Sinn von „folgern“ erkennbar, in dem gewöhnliche Fälle des Handelns nach einer Maxime als Folgerungen beschrieben werden können (außer etwa, das Handeln bestünde gerade im Lösen logischer Übungsaufgaben). Wer das Prinzip hat, sich durch alle sicheren Mittel zu bereichern, und sieht, daß das Depositum in seiner Hand ein sicheres Mittel ist, der zieht in keinem einsichtigen Sinne einen Schluß, wenn er es unterschlägt. Ob seine Maxime als Sollens-Satz formuliert ist: „Ich sollte al-
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les, was sicher ist, tun, um mich zu bereichern,“ oder als an ihn selbst gerichteter Imperativ: „Tu alles, was zu deiner Bereicherung führt und sicher ist,“ oder vielleicht noch auf eine andere Weise, was hieraus geschlossen werden kann, gegeben das sichere Mittel in seiner Hand, sind höchstens Sätze wie: „Ich sollte das Depositum unterschlagen,“ oder: „Unterschlag es!“ Jemand also, der in dieser Situation zu sich sagt: „Das hol ich mir!“, oder was immer man im normalen Sprachgebrauch an dieser Stelle zu sich sagen würde, der mag allerdings einen Schluß ziehen. Aber wer das Depositum wirklich unterschlägt, zieht damit keinen Schluß. Doch es ist der, der es unterschlägt, nicht der, der zu sich sagt, daß er es unterschlagen soll, der nach der Maxime handelt, sich durch alle sicheren Mittel zu bereichern. Somit gibt es keinen Grund anzunehmen, daß nach einer Maxime zu handeln darin bestehe, einen Schluß aus ihr zu ziehen. Die Schwierigkeit ist in der Diskussion um Aristoteles’ Theorie des Handelns wohlbekannt. Sie besteht darin, der wiederholten Aussage des Aristoteles Sinn zu geben, daß der Schluß eines praktischen Syllogismus die Handlung ist:43 wie kann man eine Handlung folgern? Die Antwort darauf ist, daß man es nicht kann. Der praktische Syllogismus vermag Handeln nach einer Maxime nicht verständlich zu machen. 108. Damit zur zweiten Erklärung (§ 102) des Handelns nach einer Maxime, die sich aus Kants Schriften erheben läßt. In der Kritik der Urteilskraft stellt er die Behauptung auf: durch das Allgemeine unseres (menschlichen) Verstandes ist das Besondere nicht bestimmt. (KdU 406)
Entgegen dem, was in der ersten Erklärung gesagt wurde, bestimmt eine Maxime somit nicht, was in dieser oder jener Situation insbesondere zu tun ist. Dazu braucht es Urteilskraft. Ihre Leistung besteht nicht darin, die Situation zur Kenntnis zu nehmen (was Aristoteles in der Nikomachischen Ethik als Wahrnehmung bezeichnet),44 und sie erschöpft sich auch nicht darin, die Regel einfach zu haben (was Kant jedenfalls im Zusammenhang der Kritik der reinen Vernunft dem Verstand zuschreibt, A 132/B 171). Urteilskraft ist also weder das Vermögen, die erste Prämisse (etwa: „Ich sollte mich durch alle sicheren Mittel bereichern“), noch das Vermögen, die zweite Prämisse (etwa: „Hier ist ein Depositum in meinen Händen, dessen Eigentümer verstorben ist und keine Handschrift darüber zurückgelassen hat“) in einem praktischen Syllogismus zu bilden. Vielmehr ist Urteilskraft
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das Vermögen, unter Regeln zu subsumieren, d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht. (KrV A 132/ B 171)
Das heißt, Urteilskraft wendet die Regel auf die Situation an. Sie zieht in einem praktischen Syllogismus den Schluß aus den Prämissen. Um nach einer Maxime zu handeln, muß einer also erstens die Maxime zu eigen haben, zweitens die Situation zur Kenntnis nehmen, aber drittens und unabhängig davon eine besondere Handlung für die wahrgenommene Situation aussuchen, und dies eben mittels der Urteilskraft. Wer also seine Maxime hat und auch sieht, wie die Dinge stehen, bei dem ist es Urteilskraft, die sein Handeln nach der Maxime erklärt. Das ist die Auffassung von Onora O’Neill: Urteilskraft, schreibt sie, „ist immer erforderlich, wenn Prinzipien auf besondere Fälle angewandt werden sollen.“45 109. Die zweite Antwort auf die Frage, was Handeln nach einer Maxime ist, nimmt im Gegensatz zur ersten den Übergang von der allgemeinen Regel zur besonderen Handlung nicht als unproblematisch. Die Plausibilität der ersten Antwort hängt genau davon ab, daß sich zwischen der Regel und ihren Einzelfällen im Handeln keine Kluft auftut. Das ist der Witz von Aristoteles’ „geradewegs tut er es“: eine Regel haben und Umstände vorliegen sehen, für welche die Regel eine bestimmte Art von Handlung vorsieht, ist, wie Aristoteles die Dinge sieht, hinreichend, um loszugehen und es zu tun, ohne weiteren Zwischenschritt; gerade so wie nach seiner Ansicht das Denken der Prämissen eines theoretischen Syllogismus hinreichend dafür ist, auch den Schlußsatz zu denken.46 In dem gerade zitierten Satz der Kritik der Urteilskraft dagegen rückt Kant Allgemeines und Besonderes auseinander. Die Ableitung der Handlung vom Gesetz ist darum für ihn nicht mehr wie in GMS 412 eine Selbstverständlichkeit. Es braucht einen zusätzlichen Schritt, um vom Gesetz zur Handlung zu kommen. Es braucht Urteilskraft. 110. Die Vorstellung, für unseren Verstand sei durch das Allgemeine das Besondere nicht bestimmt, ist zwar grundlegend für das ganze Unternehmen einer Kritik der Urteilskraft. Dafür aber, diese Vorstellung im Bereich des Handelns anzuwenden, zeigt Kant selbst in Wirklichkeit keine besondere Begeisterung. In den Absätzen zu Beginn des Gemeinspruchs spricht er sich wohl dafür aus, aber in der Grundlegung wie auch in der Kritik der praktischen Vernunft dominiert der praktische Syllogismus als Theorie des Handelns nach Maximen.47 Seine Vorbehalte mögen folgenden Grund haben. Kant verfügt über zwei Erklärungen dafür, daß jemand ein beson-
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ders gutes Urteil hat. Einmal reiche Erfahrung: es ist eine geläufige Vorstellung bei ihm, daß das Urteil eines Menschen durch Erfahrung geschärft wird.48 Die Konzeption des Handelns mit Hilfe von Urteilskraft legt ihn damit auf die These fest, daß manche Leute besser sind als andere, wenn es darum geht herauszufinden, was zu tun ist, und insbesondere auch, wenn es darum geht herauszufinden, was aus moralischen Gründen zu tun ist, und zwar weil sie mehr von der Welt wissen. Viele werden das für eine sehr vernünftige These halten, aber für Kant ist es eine unwillkommene Folge. Sie steht in Konflikt mit der Überzeugung, die er sicher in der Begegnung mit Rousseaus savoyischem Vikar49 gewonnen hat, daß es nämlich keiner Wissenschaft und Philosophie bedürfe, um zu wissen, was man zu tun habe, um ehrlich und gut, ja sogar um weise und tugendhaft zu sein. (GMS 404)
Alasdair MacIntyre glaubt etwas Vernichtendes gesagt zu haben, wenn er schließt, daß man „nach Kant beides, gut und dumm sein kann“,50 und O’Neill verteidigt ihn dagegen.51 Aber in einem Sinne läßt sich Kant diese Konsequenz gern gefallen: Ja, man braucht nicht gescheit zu sein, sondern Unerfahren in Ansehung des Weltlaufs, unfähig auf alle sich ereignenden Vorfälle desselben gefaßt zu sein, frage ich mich nur: Kannst du auch wollen, daß deine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? (GMS 403)
Doch wenn wie in der vorliegenden Konzeption Urteilskraft erforderlich ist, damit einer auch nur zum Handeln gelangt, wird eine solche Einstellung unhaltbar. Unerfahrenheit in Ansehung des Weltlaufs ist dann ein Mangel, und durchaus ein moralischer Mangel. Eine zweite Erklärung dafür, daß jemand ein besonders gutes Urteil hat, ist einfach die, daß es ein Talent, eine Naturgabe ist (KrV A 133/B 172). Zusammen mit diesem Gedanken führt eine Handlungskonzeption mit Hilfe von Urteilskraft zu der Folge, daß von Natur aus manche Leute besser sind als andere, wenn es darum geht herauszufinden, was zu tun ist, oder insbesondere was aus moralischen Gründen zu tun ist. Es stimmt, für Kant hängt es nicht gänzlich von der Natur ab, wie gut jemandes Urteil ist, worauf O’Neill hinweist.52 Urteilskraft läßt sich bilden, sie kann etwa durch Beispiele geschärft werden. Andererseits, wem einfach das Talent fehlt, dem hilft auch keine Übung: „einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen“ (KrV A 133n./B 172n.). Somit folgt, daß von Natur aus einige Leute besser ausgestattet sind als andere, um moralisch gut zu sein. Das ist für Kant unannehmbar, und hier werden ihm viele zustimmen. Vielleicht war es
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wegen dieser Folgen, daß Kant die Erklärung des Handelns nach Maximen mit Hilfe von Urteilskraft sich nicht vorbehaltlos zu eigen machte. 111. Sie befriedigt tatsächlich nicht. Einmal ist sie unvollständig wie die erste Erklärung. Dort war der Einwand: der Schlußsatz eines Syllogismus ist ein Aussagesatz, oder vielleicht ein Befehl, aber keine Handlung; und so wissen wir nicht, was es heißen soll, eine Handlung aus einer Regel zu folgern (§ 107). Hier gilt ein ähnlicher Einwand: Urteilskraft produziert doch wohl Urteile, und wenn es um Handlungen geht, vermutlich Urteile des Inhalts, daß dies oder jenes getan werden sollte. Aber was ein Urteil des Inhalts, daß dies oder jenes getan werden sollte, zu tun hat mit diesem oder jenem Tun, das ist genau das, was erklärt werden muß, um die Frage zu beantworten, was Handeln nach einer Maxime ist. Zum anderen wüßte man gern mehr darüber, wie es der Urteilskraft gelingt, ein Urteil des Inhalts zu erreichen, daß dies oder jenes getan werden sollte. Solange darüber nichts weiter gesagt wird, sieht Urteilskraft nach einer virtus dormitiva aus. Nicht das erregt Verdacht, daß die Fähigkeit und das Produkt beide mit Hilfe des Worts „Urteil“ gekennzeichnet werden. Verdacht erregt, daß wir über die Fähigkeit nicht mehr erfahren, als daß ihr Gebrauch zu diesem Produkt führt. Kant macht geltend, daß man Urteilskraft nicht lehren kann, indem man Regeln fürs Urteilen vorlegt, weil Regeln nichts nutzen, wenn der Angesprochene nicht schon Urteilskraft besitzt.53 Das mag so sein, aber es ist darum nicht unvernünftig, um eine Erklärung dessen zu bitten, was einer tut, der seine Urteilskraft gebraucht. Ohne eine weitere Erklärung haben wir bloß ein Wort, nicht eine Theorie, geboten bekommen.54 112. Aber vielleicht wird mehr über den Gebrauch von Urteilskraft gewöhnlich nicht gesagt, weil schon die Idee einer solchen Fähigkeit nicht kohärent ist. Daß es so ist, dafür spricht folgende Überlegung. Urteilskraft soll den Übergang von einer Regel samt Aussagen über den relevanten Sachverhalt hin zu einer Angabe dessen leisten, was nun zu tun ist. Aber wenn, mit Kants Ausdruck, das Allgemeine unseres menschlichen Verstandes das Besondere nicht bestimmt (§ 108); wenn die Regel zusammen mit einer passenden faktischen Prämisse nicht geradewegs einen besonderen Aussagesatz oder auch Imperativ liefert; wenn der besondere Aussagesatz oder Imperativ nur erreichbar ist unter Einsatz einer zusätzlichen und unabhängigen Fähigkeit, der Urteilskraft, dann ist nicht mehr zu sehen, welche Bedeutung die Regel in dem ganzen Vorgang noch hat. Es ist nicht mehr zu sehen, was es heißen soll, daß eben diese Regel angewandt wird.
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Von einer unabhängigen Fähigkeit, eine Regel anzuwenden, zu sprechen ist paradox. Wenn diese Fähigkeit, weil unabhängig, für sich allein bestimmt, welcher besondere Aussagesatz oder Imperativ Ergebnis des Anwendens sein soll, dann wendet sie in der Tat nicht die Regel an; und wenn sie nur verkündet, was die Regel in Fällen dieser Art sagt, ist sie wirklich keine unabhängige Fähigkeit, sondern überflüssig. Es gibt tatsächlich keine Anwendungsprobleme. Wenn die Regel, gegeben eine passende faktische Prämisse, uns sagt, was zu tun ist, ist das angebliche Anwendungsproblem gelöst; und wenn sie uns das nicht sagt, haben wir vielleicht ein praktisches Problem, also wissen vielleicht nicht, was zu tun ist, aber wir haben kein Anwendungsproblem, da die Regel zum vorliegenden Fall ja schweigt. Anwenden ist einfach; wenn nicht, ist es keins. Eine Maxime haben und sehen, daß die betreffenden Umstände vorliegen, muß also ausreichen für den Schluß, daß dies oder jenes zu tun ist. Es gibt in diesem Sinne keine Lücke zwischen Allgemeinem und Besonderem: das Allgemeine verstehen schließt die Fähigkeit ein, den Übergang zum Besonderen zu machen. Ein Allgemeines, das nicht das Besondere bestimmt, ist zu nichts nütze. 113. Man wird einwenden: „Natürlich gibt es kein Anwendungsproblem, wenn man einmal eine passende faktische Prämisse in der Hand hat. Aber wie man die bekommt, das ist genau das Problem der Anwendung. Das Problem ist, die Züge der Situation zu erkennen, die ein Prinzip für sie relevant machen. Und dazu braucht man Urteilskraft.“ Soviel ist wahr: das erste und oft das schwierigste Problem, dem sich Handelnde gegenüber sehen, ist dies, zu erkennen, in was für einer Art von Situation sie sich befinden. Die schon erwähnte Maxime der Habsucht bietet ein triviales Beispiel der Schwierigkeit: manchmal ist es nicht leicht zu sagen, ob ein bestimmtes Mittel, sein Vermögen zu vergrößern, sicher ist. Maximen von Hilfsbereitschaft und Loyalität bieten bedeutsamere Beispiele: oft erkennt man nicht leicht, womit man jemandem helfen oder auf welche Weise man jemandem Loyalität wahren kann. O’Neill macht es in überzeugender Weise deutlich: „Mit der Annahme, daß Handelnde auf der Stelle erkennen, daß ihre Situation die und die spezifischen Züge hat, vereinfacht, ja verfälscht man die Aufgabe, vor die sie sich gestellt sehen:“55 Deshalb übrigens hilft Rat manchmal, und in einem Maße, das den Ratenden selbst überrascht. In erster Linie besteht Raten nämlich nicht darin, jemandem zu sagen, was er tun soll, sondern darin, jemandem zu helfen, seine Situation zu verstehen. Doch die Schwierigkeit, die eigene Situation zu verstehen, ist nicht eine Schwierigkeit der Anwendung. Diese Aufgabe
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verlangt nicht nach dem Gebrauch einer besonderen Fähigkeit, nämlich Urteilskraft. Es ist ein Erkenntnisproblem. Es ist die Schwierigkeit herauszufinden, wie die Dinge liegen. Klar, um herauszufinden, wie die Dinge liegen, genügt es oft nicht, die Augen aufzumachen und hinzuschauen. Man braucht Übung, man braucht Ausbildung, um zu sehen, was es in mancher Situation zu sehen gilt. Aber das ist eine andere und eine frühere Leistung als die, herauszufinden, was gemäß der Maxime, die man hat, in der gegebenen Situation zu tun ist. Für die gegenwärtige Aufgabe ist sie daher ohne Belang, denn hier geht es darum zu erklären, was es heißt, nach einer Maxime zu handeln. 114. Wahr ist, wir bezeichnen manchmal die Schwierigkeit, passende faktische Prämissen zu finden, irreführend als eine Schwierigkeit der Anwendung. Zum Beispiel, wenn man jemandem sagt, er solle immer das tun, was ihn am Ende glücklich macht, mag einem entgegnet werden, diese Regel sei leider schwer anzuwenden. Genau gesprochen ist sie das nicht. Es ist nicht so, daß man beim Anwenden dieser Regel leicht Fehler macht, wenn man nicht sehr sorgfältig arbeitet, so wie es etwa wirklich schwierig ist, eine Uhr auseinanderzunehmen und wieder zusammen zu setzen. Ein Anwenden dieser Regel wird überhaupt nicht stattfinden, weil nämlich vertrauenswürdige faktische Prämissen fehlen, und so kann man auch nicht sagen, das Anwenden sei ein schwieriger Vorgang. Das Problem, das man in einem solchen Falle hat, ist geradewegs ein Erkenntnisproblem, nicht eins der Anwendung im eigentlichen Sinne. Die Schwierigkeit ist einfach die, daß man nicht leicht sagen kann, ob eine bestimmte Handlungsweise einen am Ende glücklich macht. In diesen Fällen von einem Anwendungsproblem zu sprechen ist irreführend in der Art, in der es zum Beispiel auch irreführend ist zu sagen, es sei schwierig, heutzutage ein Haus zu bauen, wenn man dabei meint, Grundstücke seien schwer zu bekommen: daß die Vorbedingungen für einen Vorgang nicht erfüllt sind, wird verwechselt mit einer Schwierigkeit in dem Vorgang selbst. Diese Verwechslung läßt es so scheinen, als sei es die Aufgabe der Urteilskraft, eines besonderen Talents, wie Kant sagt (KrV A 133/B 172), eine Einschätzung der Situation zu liefern, während doch in Wirklichkeit eine Einschätzung der Situation Vorbedingung dafür ist, eine Regel anzuwenden. 115. Es stellt sich also heraus, daß es ein Vermögen der Urteilskraft nicht gibt, weil es keine spezifische Leistung gibt, für die ein solches Vermögen gebraucht würde. Liegt einmal eine passende Einschätzung der Situation vor, dann ist das Verstehen der Regel auch schon die Fähigkeit, sie anzu-
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wenden, und es braucht nicht noch einen zusätzlichen Schritt (§ 112). Fehlt aber die Einschätzung der Situation, dann ist unsere normale Fähigkeit, über Dinge etwas herauszufinden, dazu berufen, eine solche Einschätzung beizubringen, und Urteilskraft hat in diesem Bild wieder keinen Platz (§ 113). Was jene Eigenart von Leuten betrifft, auf die Kant aufmerksam macht56 und die er als Mangel an Urteilskraft beschreibt, also die gelehrte Dummheit von Menschen, die eine Menge etwa über Medizin und Recht wissen, aber trotzdem schlechte Ärzte oder Richter sind, so läßt die sich in ähnlicher Weise verstehen. Man braucht nicht anzunehmen, solchen Leuten fehle es an der Naturgabe Urteilskraft. Es kann nämlich sein, daß sie zwar eine Menge wissen, aber nicht das Richtige wissen; zum Beispiel hochspezielle Regeln kennen, die aber bei der Bewältigung der Alltagsfälle eines normalen Arztes oder Richters nicht helfen. Oder sie kennen vielleicht eine Menge Regeln, sind aber blind für die Züge von Situationen, die sie zu Anwendungsfällen dieser Regeln machen; und das heißt, sie sind nicht gut darin, zu ihren Regeln passende faktische Prämissen zu finden. Gewiß gibt es also einen Unterschied zwischen Leuten, von denen man gängig sagt, sie haben ein gutes Urteil, und Leuten, von denen gesagt wird, ihr Urteil sei schlecht. Aber im Gegensatz zu dem, was diese gängigen Redeweisen nahe legen, sollte der Unterschied nicht als ein Unterschied in der Ausstattung dieser Leute mit einer besonderen Fähigkeit, eben der Urteilskraft, verstanden werden. Er läßt sich einfacher verstehen als ein Unterschied darin, welche Regeln diese Leute kennen und was sie an Situationen wahrnehmen. 116. Fällt Urteilskraft weg, gibt es auch keine Erklärung des Handelns nach einer Maxime mit Hilfe von Urteilskraft. Die Erklärung über Urteilskraft war einer von zwei Versuchen zu sagen, was Handeln nach einer Maxime ist, wobei der erste eine Erklärung mit Hilfe des praktischen Syllogismus versuchte (§ 102). Beide Versuche sind nun fehlgeschlagen. Da andere Erklärungen nicht abzusehen sind, ist das Ergebnis, daß wir nicht wissen, was Handeln nach einer Maxime ist. Das Argument davor zeigte, daß wir auch nicht wissen, was es heißt, eine Maxime zu haben (§ 100). Eine Maxime haben und nach einer Maxime handeln sind aber die beiden ersten Dinge, die man mit einer Maxime machen kann. Wenn wir also diese beiden Dinge nicht verstehen, verstehen wir wirklich nicht Maximen, und verstehen somit auch nicht eine auf Maximen gegründete Konzeption von Handeln aus Gründen. Wir brauchen eine neue Konzeption.
Kapitel 4 Etwas aus einem Grund tun – die Idee 117. Noch einmal, was ist ein Grund, aus dem jemand etwas tut, und welche Beziehung besteht zwischen dem Grund und dem Tun? Anders gefragt, wenn Handlungen manchmal durch Gründe der Handelnden erklärt werden, mit Bezug worauf erklären solche Gründe-Erklärungen, und was ist die Beziehung zwischen dem Erklärten und dem, wodurch es erklärt wird? 118. Ein Beispiel. Wir spielen Schach. Sie ziehen Ihren Läufer nach b4. Dort bedroht er meinen Turm auf f8. Ich setze nun meinen Bauern nach d6. Der Bauer versperrt Ihrem Läufer den Weg zu meinem Turm. Unter diesen Umständen wird es manchmal wahr sein zu sagen: ich habe meinen Bauern nach d6 gesetzt, weil Ihr Läufer auf b4 meinen Turm bedrohte. Es wird manchmal wahr sein, äquivalent zu sagen: die Drohung Ihres Läufers gegen meinen Turm war ein Grund, aus dem ich den Bauern nach d6 setzte. Gewiß schließt das nicht aus, daß ich meinen Bauern auch aus dem Grund nach d6 setzte, daß dies meinem Läufer auf c8 mehr Spielraum geben würde. Es mag verschiedene Gründe gegeben haben, aus denen ich tat, was ich tat. Nehmen wir aber der Einfachheit halber an, daß die Bedrohung durch den Läufer der einzige Grund war, aus dem ich den Bauern zog. Die Frage ist dann, in welcher Beziehung diese beiden Dinge stehen, nämlich der Grund und was aus dem Grund getan wurde, die Bedrohung des Turms durch den Läufer und mein Bauernzug. Eine Antwort ist: der Bauernzug war meine Reaktion auf die Bedrohung meines Turms durch Ihren Läufer. Wirklich ist das nicht bloß eine Antwort neben anderen. Es ist die Antwort, die klar macht, was Gründe sind, aus denen Leute etwas tun. Die Drohung des Läufers und der Bauernzug können nicht nur beschrieben werden als einmal das erste der Grund für das zweite, zum anderen das zweite eine Reaktion auf das erste. Die beiden Beschreibungen sagen dasselbe. Daß die Drohung des Läufers der Grund ist, aus dem ich den Bauern ziehe, ist nichts anderes, als daß der Bauernzug meine Reaktion auf die Drohung des Läufers ist. Und so verhält es sich, nicht wegen
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einer Besonderheit des Beispiels, sondern allgemein: ein Grund sein, aus dem jemand etwas tut, das ist soviel wie, etwas sein, auf das die betreffende Handlung eine Reaktion ist. Das jedenfalls ist der Gedanke, der hier entwickelt und gegen verschiedene Einwände verteidigt werden soll. Manche Schwierigkeiten mögen dem Leser gleich auffallen, etwa die Frage, ob Handelnde sich nicht auch dessen bewußt sein müssen, worauf ihr Handeln eine Reaktion ist, und wie Handelnde zu beschreiben sind, die sich im Irrtum über die relevanten Züge der Situation befinden. Diese Schwierigkeiten werden im weiteren Gang des Arguments aufgenommen. 119. Zunächst aber muß die Rede, daß etwas eine Reaktion auf etwas anderes ist, erläutert werden. Nicht ist hier jener Sinn des Wortes gemeint, der in naturwissenschaftlichen Kontexten gebräuchlich ist („Gleich der erste Stoff rief eine heftige Hautreaktion hervor“). Gemeint ist der Sinn, mit dem wir das Wort in der Beschreibung unseres normalen Umgehens miteinander gebrauchen. („Er hat auf meinen Brief nicht reagiert“). Viele Beispiele finden sich im Kontext von Spielen: auf Ihren harten Aufschlag ist meine Reaktion ein langer Ball an der Linie entlang, Sie ziehen Kreuz und als Reaktion trumpfe ich mit einem Bauern, Sie legen mir in Domino eine Drei hin und ich reagiere mit meiner Doppel-Drei. Beispiele finden sich auch außerhalb von Spielen: auf Ihr Geschimpfe reagiere ich, indem ich Ihnen mit gleicher Münze zurückzahle, oder indem ich wortlos davongehe. Sie verkaufen mir eine Schrottkiste, und ich schlitze Ihnen die Reifen auf. Die Ampel springt um auf Rot, und ich trete auf die Bremse. Sie tun mir einen Gefallen, ich erweise Ihnen das nächste Mal auch einen Dienst. Sie bringen ein Buch in Philosophie heraus mit dicken Behauptungen und dünner Begründung, ich schreibe einen Verriß. Oder einfach, Sie fragen mich nach der Zeit, und ich sage Ihnen, wie spät es ist. Man mag sagen, dieser Gebrauch von „Reaktion“ sei metaphorisch gegenüber dem naturwissenschaftlichen. Das ist schwer zu entscheiden, buchstäblicher und metaphorischer Wortgebrauch gehen oft ineinander über. Tatsächlich hängt aber auch nichts daran: ob es metaphorisch ist oder nicht, diese Handlungen Reaktionen zu nennen, Hauptsache, es ist passend, das zu tun. In vielen dieser Fälle bildet sich dann eine charakteristische Geschichte, die das einbegreift, was Sie taten, oder generell, was mir geschehen ist, und das, was ich als Reaktion darauf tat. Da ist Ihre Drohung mit dem Läufer, und durch meinen Zug ist es eine abgewehrte Drohung. Da ist Ihr Geschimpfe, und mit meiner Reaktion haben wir den Anfang eines heftigen Wortwechsels. Da ist Ihr Aufschlag, und mit mei-
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nem Return ist er gut pariert. Da ist Ihre Frage, und nun ist es eine beantwortete Frage. Wir sagen manchmal: „Diese Behauptung kann nicht unwidersprochen bleiben.“ Die Behauptung hat also gleichsam zwei Leben offen, eines mit, eines ohne Widerspruch, auf den sie trifft, und der Sprecher dieses Satzes erklärt sich für die Realisierung des ersten. In gleicher Weise könnte ich mir sagen, daß dies Kreuz-As nicht ungetrumpft, Ihr Buch nicht unverrissen bleiben soll; und wenn ich das Entsprechende dann tue, ist soweit die Geschichte fertig, vom abgestochenen Kreuz-As und dem Buch, das seinen Verriß gefunden hat. 120. Das wird alles trivial erscheinen. Klar, ich habe die Drohung Ihres Läufers eingefügt in die Geschichte einer abgewehrten Drohung, aber so habe ich auch das Stehen Ihres Turmes auf a1 eingefügt in die Geschichte eines dort stehenden Turmes samt folgendem Bauernzug nach d6, und so habe ich wirklich jeden Zustand in der Welt eingefügt in eine Geschichte von eben diesem Zustand plus folgendem Bauernzug. Aber nicht auf alle diese Zustände habe ich mit meinem Bauernzug reagiert. Wohl haben wir nicht für alle diese Abläufe einen handlichen Ausdruck parat wie „Abwehr einer Drohung“, aber das sollte nicht von Belang sein. Frage also, wie unterscheidet sich die Beziehung zwischen meinem Bauernzug und der Drohung Ihres Läufers, auf die mein Zug eine Reaktion ist, von der Beziehung zwischen meinem Bauernzug und irgendeinem anderen Zustand, wie etwa dem Stehen Ihres Turmes auf a1, auf den mein Zug nicht eine Reaktion ist? 121. Wir vermögen die Antwort zu finden in unserer Eigenschaft als Historiker von Schachspielen. Wir beschreiben ja Schachspiele nicht allein, indem wir Züge aufzählen. Wir beschreiben sie auch, indem wir Beziehungslinien zwischen Zuständen und Zügen in verschiedenen Stadien des Spiels herausheben. Wir beschreiben sie, indem wir in den Spielen Geschichten zeigen. Eine Geschichte mag eine große Zahl von Positionen und Zügen einbegreifen: „Das zu Beginn aufgebaute starke Zentrum gab Schwarz durchweg die Oberhand.“ Oder die Geschichte mag nur wenige Einzelheiten umfassen: „Weiß attackierte sogleich den Gambitbauern.“ Manche Geschichten insbesondere verknüpfen Züge so, daß sie den einen als Reaktion auf den anderen darstellen. So ist in unserem Spiel mein Bauernzug mit Ihrer Bedrohung meines Turms durch den Läufer als eine Reaktion darauf verknüpft. Mein Bauernzug ist so nicht damit verknüpft, daß Ihr Turm auf a1 steht. An meinem Zug oder an dem Stehen Ihres Turms ist nichts, was es ausschlösse, daß sie in dieser Weise verknüpft
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sind. Sie sind es einfach nicht, und mit einiger Erfahrung im Schachspiel wissen wir, daß sie es nicht sind. Das ist der ganze Unterschied zwischen den beiden Beziehungen. Daß Ihr Turm auf a1 steht und ich meinen Bauern nach d6 ziehe, diese beiden Dinge kommen nur im selben Spiel vor, sind aber sonst nicht miteinander verbunden. Dagegen sind die Drohung Ihres Läufers und mein Bauernzug wohl verknüpft, eben als Zustand und Reaktion darauf. 122. In unserer Eigenschaft als Historiker generell vermögen wir herauszufinden, welches Handeln worauf eine Reaktion ist. Wir beschreiben ja auch, was überhaupt geschieht, kaum je durch Aufzählung einzelner Vorkommnisse. Wir beschreiben es, indem wir Beziehungslinien zwischen Zuständen und Ereignissen, insbesondere Handlungen herausheben. Wir beschreiben, was geschieht, indem wir Geschichten darin zeigen. Das heißt, wir beschreiben es, indem wir erzählen. Manche Geschichten umfassen nicht eine Handlung und einen Zustand oder ein Ereignis, worauf die Handlung eine Reaktion ist. Als ich heute morgen mich wusch, mich anzog, hinunterging und die Zeitung aus dem Briefkasten holte, da war es nicht eine Reaktion aufs Anziehen, daß ich die Zeitung holte. Andere Geschichten schließen eine Handlung und einen Zustand oder ein Ereignis, worauf die Handlung eine Reaktion ist, ein. Als ich zurückbrüllte, da war es eine Reaktion auf Ihr Geschimpfe. Und wir kennen den Unterschied zwischen den beiden Arten von Geschichten. Eine bloße Chronik und eine Erklärung dessen, was geschah, können wir auseinander halten. Manchmal zeigen wir den Unterschied ausdrücklich an. Wir mögen etwa sagen: „ … und dann holte ich die Zeitung aus dem Briefkasten,“ aber: „ …und so brüllte ich zurück“. Der Unterschied also zwischen dem, worauf eine Handlung eine Reaktion ist, und etwas, das für diese Handlung belanglos ist, gehört zu dem, was wir über die Geschichten wissen, die die Welt bilden. Und wir lernen diesen Unterschied kennen, gewiß nicht durch Intuition, nicht durch bloße Betrachtung der betreffenden Ereignisse. Wir lernen ihn kennen durch unsere normale Erfahrung davon, wie die Welt läuft. 123. Und nur in unserer Eigenschaft als Historiker vermögen wir herauszufinden, welches Handeln worauf eine Reaktion ist. Es ist eine Sache empirischer Erkenntnis. Nur an den Fällen können wir erkennen, welche Dinge eine Geschichte bilden und insbesondere eine Geschichte, die aus einem Zustand oder Ereignis sowie einer Handlung besteht, die darauf eine Reaktion bildet. Zugegeben, damit bekommen die betreffenden Ge-
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schichten die Last zugeschoben, zu erklären, was eine Reaktion und damit was ein Grund ist. Wir lernen, Schach zu spielen und Schachpartien zu beschreiben, zum Teil dadurch, daß wir lernen, auf Zustände des Spiels zu reagieren und Reaktionen als solche zu erkennen. Das heißt, wir lernen, Spiele, die eigenen oder die anderer, zu verstehen mit Hilfe von Geschichten, in denen Reaktionen auf Züge oder Zustände vorkommen. Wer also wirklich den Unterschied zwischen den beiden Beziehungen nicht versteht, zwischen der Beziehung von Bauernzug und Läuferdrohung einerseits und der Beziehung von Bauernzug und Stehen Ihres Turmes auf a1 andererseits, der braucht noch mehr Übung im Schachspiel. Der muß sich noch vertraut machen oder besser vertraut machen mit Geschichten im Schach, in denen Reaktionen vorkommen. Da der Vorrat von Geschichten unabsehbar ist, mit deren Hilfe er es begreifen lernen kann, muß ich in der Erfüllung meiner Erklärungspflicht nie nachlässig werden, obgleich ich ein allgemeines Kriterium von Handlungen, die eine Reaktion auf etwas sind, nicht anbieten werde. Irgendwann, darf man erwarten, wird er dank den Geschichten, die ich ihm vorgeführt habe, erkennen, daß in dem ersten Beispiel der Bauernzug eine Reaktion auf die Drohung durch den Läufer und nicht auf das Stehen des Turmes auf a1 ist. Es ist schon wahr, der Punkt mag auch niemals kommen. Nichts garantiert, daß er es schließlich begreift. Aber nichts garantiert überhaupt jemals, daß man beim Erklären Erfolg hat, gleichgültig was man erklärt und gleichgültig wem, und gleichgültig auch, ob man es mit Hilfe allgemeiner Kriterien oder auf andere Weise tut. 124. Was für die Spiele gilt, gilt auch für das Leben. Wir lernen, Dinge zu tun und zu beschreiben, was getan wird, zum Teil dadurch, daß wir lernen, auf das, was geschehen ist, zu reagieren und Reaktionen darauf als solche zu erkennen. Kaum je lebt man oder beschreibt man ein Leben Handlung für Handlung. Wir lassen uns ein auf ganze Handlungsverläufe und verstehen uns auch als eingelassen auf sie; und manche dieser Handlungsverläufe, wie etwa durch die Stadt fahren, eine Diskussion führen, oder eben Schach spielen, schließen charakteristischerweise ein, Dinge in Reaktion auf etwas, das geschehen ist, zu tun. Also wiederum, wer wirklich den Unterschied dazwischen nicht versteht, wie mein Treten auf die Bremse bezogen ist auf das Umspringen der Ampel auf Rot, und wie es auf der anderen Seite bezogen ist auf irgendetwas Belangloses, also etwa daß der Sonnenuntergang rot ist, der braucht noch mehr Erfahrung im Leben, also Erfahrung mit dem Treiben der Leute. Der braucht ein verbes-
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sertes historisches Verständnis. Er muß besser begreifen lernen, was man worauf hin tut. Und Geschichten, die einem helfen, das zu begreifen, gibt es wie Sand am Meer. 125. Es versteht sich, der Ausdruck „Historiker“ ist hier in einem weiten Sinne gebraucht. Er bezieht sich nicht allein auf Mitglieder einer akademischen Disziplin. Er bezieht sich auf jeden, der davon berichtet oder berichten will, „wie es eigentlich gewesen“.1 Das heißt, wir sind allesamt Historiker. Das Mädchen von drei Jahren ist Historikerin, wenn sie erzählt, wie es heute morgen im Kindergarten war, die Ärztin ist es, wenn sie die Anamnese eines Patienten zu erheben sucht, die Ingenieurin ist es, die den Ausfall der Maschine erklärt. Wirklich sind wir alle mehr oder weniger spezialisierte Historiker, für Morgen im Kindergarten, für Krankheitsverläufe, harmonische Entwicklungen in der Musik oder Schachspiele. Dank einem solchen Kundigsein, sei es spezialisiert, sei es weit verbreitet, wissen wir, was zusammengehört zu einer Geschichte und was belanglos ist, und wissen wir, was eine Reaktion worauf ist. Das heißt natürlich, manchmal wissen wir es. 126. Sind es nur bestimmte Arten von Dingen, auf die eine Handlung eine Reaktion sein kann? Es scheint so zu sein: nur Zustände und Ereignisse können diese Position einnehmen. Man mag es mit Gegenständen oder insbesondere mit Personen versuchen, aber es läßt sich kaum Sinn mit einer Aussage verbinden, der zufolge das und das in Reaktion auf mein Auto oder auf die Vereinten Nationen oder auf Annemarie getan wurde. Natürlicherweise vermutet man, daß es in diesen Fällen vielmehr solche Dinge sind wie, daß mein Auto schmutzig ist, daß die Vereinten Nationen eine Restriktion beschlossen haben, oder daß Annemarie mich um Hilfe bei ihrem Umzug gebeten hat, worauf manche Handlungen Reaktionen darstellen; und mit diesen Dingen sind wir dann wieder bei Zuständen und Ereignissen. Sodann sind auch Tatsachen Kandidaten; und die Aussage gibt guten Sinn, die etwa sagt, daß ich das Auto anhielt in Reaktion auf die Tatsache, daß die Ampel auf Rot sprang. Das bedeutet einfach, daß ich das Auto anhielt in Reaktion auf das Umspringen der Ampel auf Rot, und damit sind wir erneut bei Zuständen und Ereignissen, und Tatsachen fallen als hier überflüssig weg. Streng genommen, scheint es wirklich falsch zu sagen, daß meine Handlung eine Reaktion auf die Tatsache war, daß die Ampel umsprang. Schließlich tat ich, was ich tat, in Reaktion auf das, was da vor mir zu der Zeit geschah, aber die Tatsache, daß die Ampel umsprang, ist nicht etwas, was irgendwann oder irgendwo
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geschah. Da also weder Gegenstände noch Tatsachen in Frage kommen, kann man wohl unterstellen, daß es allein Zustände und Ereignisse sind, in Reaktion worauf wir etwas tun. (Kapitel 6 untersucht, ob es noch weitere Einschränkungen für die Dinge gibt, in Reaktion auf die wir etwas tun können.) 127. Steht das einmal fest, braucht man sich nicht peinlich genau an die entsprechende Sprachregelung zu halten. Es schadet nichts zu sagen, daß ich in Reaktion auf die rote Ampel anhielt, oder zu sagen, der Grund, aus dem ich anhielt, sei die Tatsache gewesen, daß die Ampel rot war. Schließlich sind das gebräuchliche Redeweisen. Es schadet nichts, so zu reden, solange nur klar ist, daß streng genommen der Grund, aus dem ich anhielt, entweder der ist, daß die Ampel rot war, ein Zustand, oder der, daß sie auf Rot umsprang, ein Ereignis. Auch wird es nicht nötig sein, in diesem Text ständig sowohl auf Zustände als auch auf Ereignisse Bezug zu nehmen, eins von beiden wird oft reichen. Tatsächlich hat Jonathan Bennett gute Gründe dafür vorgebracht, daß zwischen Zuständen und Ereignissen ohnehin kein interessanter Unterschied besteht,3 aber da der Punkt umstritten4 und der Streit im gegenwärtigen Zusammenhang ohne Belang ist, sollen hier Zustände und Ereignisse offiziell als zweierlei behandelt werden. Vielleicht lohnt es sich an diesem Punkt auch darauf hinzuweisen, daß „Zustand“ hier nicht so gebraucht wird wie „Sachverhalt“ in der Tradition von Wittgensteins Tractatus. Dort können Sachverhalte nur entweder bestehen, und dann sind sie Tatsachen, oder nicht bestehen, aber sie können nicht beginnen, dauern oder enden. Dagegen dauern Zustände, wie das Wort hier gebraucht wird, für eine Zeit und enden. Der hier vorgeschlagene Wortgebrauch hat noch den zusätzlichen Vorteil, daß nicht angegeben werden muß, um wessen Zustand es sich handelt. Wer sagt, daß die Ampel rot ist, berichtet vom gegenwärtigen Zustand der Ampel, wer sagt, daß es Mittwoch ist, berichtet einfach vom gegenwärtigen Zustand. 128. Zurück zur Erläuterung des Begriffs der Reaktion (§ 119): zugegeben, in einer Weise mag es irreführen, meinen Bauernzug eine Reaktion auf die Drohung Ihres Läufers zu nennen. Denn man mag denken, etwa in dem Fall, daß Sie mich nach der Zeit fragen und ich antworte, daß meine Antwort nicht nur das, was Sie sagten, zu einem Teil der Geschichte einer beantworteten Frage macht, sondern dem, was Sie sagten, auch seine angemessene Ergänzung gibt. Eine Frage, so mag man denken, ist etwas Unvollständiges, oder mit der Metapher der Logiker, etwas Ungesättigtes, das auf die passende Antwort wartet. Wir sprechen ja wirklich davon, daß
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Fragen Antworten „erwarten“ oder „verlangen“. Der Gedanke wäre also, daß auf etwas zu reagieren im Grunde eine Art von Erfüllung dessen ist, worauf reagiert wird. Doch dies ist schon für sich eine zweifelhafte Vorstellung. Man könnte dem entgegen vielmehr geltend machen, daß Fragen und Antworten allesamt, mit Hume zu sprechen, verschiedene Existenzen sind, von denen keine auf die andere wartet oder nach ihr verlangt, die nur verschiedene Fortsetzungen im Gang der Ereignisse finden. Man kann geltend machen, daß Redeweisen wie „eine Frage, die eine Antwort fordert“ eben das sind, Redeweisen, die nur dies ausdrücken, daß Leute unter bestimmten Umständen von anderen Leuten Antwort auf Fragen erwarten oder fordern. Wie es damit auch sei, jedenfalls bei Spielzügen oder bei Dingen wie Zurückschimpfen auf ein Geschimpfe ist es klar, daß das nicht Reaktionen in dem Sinne sind, daß sie dem, was vorausgegangen ist, irgendeine Art von Erfüllung bringen. Es mag ratsam sein, daß ich unter den Umständen meinen Bauern nach d6 setze, aber wenn ich es nicht tue, steht die Drohung des Läufers nicht ungesättigt da und wartet auf Erfüllung. Es ist nichts Mangelhaftes an einer unbeantworteten Frage und einer unabgewehrten Drohung. Mein Zug mit dem Bauern ist eine Reaktion auf die Drohung des Läufers nur in dem Sinne, daß er aus der bloßen Drohung eine abgewehrte Drohung macht. 129. Etwas, was ich tue, ist eine Reaktion auf etwas, was geschah, nicht nur dann, wenn ich es für eine solche Reaktion halte. Die Drohung erkennend, mag ich einfach den Bauern bewegen, ohne irgendwelche Gedanken darüber, welche Beziehung besteht zwischen dem, was ich erkannte, und dem, was ich tue, doch ohne darum eine bloße Reflexbewegung zu vollführen. Ebenso wenig ist etwas, was ich tue, eine Reaktion auf etwas, was geschah, immer dann, wenn ich es dafür halte. Wie jeder andere auch mag ich ein schlechter Historiker meiner Taten sein und sie mit Zuständen oder Ereignissen verbinden, mit denen sie in Wahrheit nichts zu tun haben. Rationalisierungen, im normalen Sinne des Wortes,5 geben dafür Beispiele. Andererseits betrachten wir eine Handlung nicht als eine Reaktion auf etwas, von dem der Handelnde auf keine Weise Kenntnis hat. Wenn ich also in eine Falle gehe, die mir jemand gestellt hat, ist das keine Reaktion auf die Falle. Es ist das nur, wenn ich die Falle vorher erkenne und, um dem anderen ein Vergnügen zu machen, absichtlich auf sie „hereinfalle“. Es ist auch nicht in Reaktion auf die gute Gelegenheit einer heißen Herdplatte, daß ich mir an ihr die Finger verbrenne, angenommen nämlich, ich hatte nicht bemerkt, daß sie noch heiß war. „Auf keine Weise
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Kenntnis haben“ ist freilich vage, aber das ist gut so, denn welche Art und welcher Grad von Kenntnis hier zu fordern ist, darüber besteht keine Einigkeit. Psychoanalytiker zum Beispiel sind hier in der Regel großzügiger als andere Leute. Nach ihrer Ansicht mag es in Reaktion auf das sein, was seine Mutter ihm antat, daß ein Mann seine Frau übel behandelt, obgleich er jetzt sich der Dinge nicht bewußt ist, für die er sich rächt; während andere diese Erklärung genau darum in Zweifel ziehen, weil er sich dieser Dinge nicht bewußt ist. Wie großzügig man hier sein muß, um dem, was Leute tun und warum sie es tun, gerecht zu werden, und wie großzügig man hier sein kann, ohne effektiv die Vorstellung aufzugeben, daß Leute in irgendeiner Weise Kenntnis haben müssen von den Gründen, aus denen sie tun, was sie tun, diese Frage sollte von denen entschieden werden, die wirklich in dem Feld des Verstehens von Menschen arbeiten. Klar ist, es gibt da eine Grenze. Das heißt, manche Dinge können nicht als Gründe, aus denen jemand etwas tat, akzeptiert werden. Sogar Psychoanalytiker fordern schließlich, daß der Betreffende von den Dingen, für die er Rache nimmt, in einer Weise Kenntnis hat, nämlich im Unbewußten. Was also völlig außerhalb des Gesichtskreises eines Menschen liegt, das wird niemand als etwas zulassen, worauf dieser Mensch in seinem Handeln reagiert, aber wo die Grenzen eines Gesichtskreises liegen, darüber sind wir uns uneinig.6 131. Vielleicht hat man den Eindruck, die Kenntnis, die ein Handelnder von dem hat, worauf die Handlung eine Reaktion sein soll, sei eigentlich nur das Meinungs-Element in der geläufigen Begehren/Meinungs-Theorie des Handelns aus Gründen, so daß das hier Vorgeschlagene auf ein bloßes Auswechseln von Begriffen hinausläuft. Dieser Eindruck täuscht. Erstens, nach der Standard-Theorie ist eine passende Meinung Teil des Grundes, aus dem jemand etwas tut, während nach dem jetzigen Vorschlag das Bewußtsein des Handelnden von einem Zustand oder Ereignis nur eine notwendige Bedingung dafür ist, daß der Zustand oder das Ereignis als Grund gelten kann, aus dem der Handelnde etwas tat. Das macht einen Unterschied. Nach der Standard-Theorie ist jemand, der passende Meinungen des Handelnden aufgezählt hat, zur Hälfte mit der Aufgabe fertig, den Grund zu nennen, aus dem dieser Handelnde etwas tat. Nach dem gegenwärtigen Vorschlag hat jemand mit der Ausführung dieser Aufgabe noch nicht einmal begonnen, wenn er nur angegeben hat, wovon der Handelnde zu der fraglichen Zeit Kenntnis hatte. Zweitens, nach der Begehren/Meinungs-Theorie braucht man eine besondere Art von Meinun-
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gen als Teil des Grundes, aus dem jemand etwas tut, nämlich eine Meinung des Inhalts, daß das betreffende Tun ein geeigneter Weg dahin ist, ein Begehren des Handelnden zu erfüllen (§ 2). Dagegen muß der Handelnde nach dem gegenwärtigen Vorschlag nur Kenntnis von dem Zustand oder Ereignis haben, auf den oder auf das die Handlung eine Reaktion sein soll. Das ist sicher eine weniger anspruchsvolle Forderung. Mein Handelnder muß nur Notiz nehmen von dem, was um ihn in relevanter Weise vorgeht. Der Handelnde der Standard-Theorie wird davon wohl auch Notiz nehmen, aber dazu muß er noch Meinungen über die Geeignetheit seiner Handlungen für die Erfüllung seiner Begehren haben. So unterscheiden sich die Meinungen der Begehren/Meinungs-These von der hier geforderten Kenntnis zum einen nach ihrer Rolle in der Theorie, zum anderen nach ihrem Inhalt; und der zweite Unterschied macht es theoretisch erheblich kostspieliger, die Meinungen der Begehren/MeinungsThese Handelnden zuzuschreiben als diese Kenntnis, die zuzuschreiben ganz billig ist. 132. Allgemeiner mag man einwenden, daß der Begriff von einer Geschichte, die eine Reaktion auf einen Zustand oder ein Ereignis einschließt, nicht die Objektivität besitzt, die für eine Theorie der Gründe, aus denen Leute etwas tun, erforderlich ist. Man mag geltend machen, daß die Chronik des Spiels, also die Liste der Züge, aufzeichnet, was wirklich geschehen ist, während Geschichten, in denen eine Handlung als eine Reaktion auf etwas vorgestellt wird, bloße Interpretationen sind. Geschichten also, in denen etwas in Reaktion auf etwas anderes getan wird, sind nicht Teil des Faktenbestands des Spieles, es sind den Fakten auferlegte Konstruktionen. Insbesondere ist es also nur eine Konstruktion, nicht eine Tatsache, daß mein Zug mit dem Bauern eine Reaktion auf die Drohung des Läufers ist. Aber es sollte doch wohl nicht eine bloße Konstruktion sein, daß der Grund, aus dem ich den Bauern zog, die Drohung des Läufers war. Folglich können die Gründe, aus denen Leute etwas tun, nicht mit Hilfe von Geschichten, die Reaktionen auf etwas einschließen, analysiert werden. 133. Das Argument überzeugt nicht. Die Unterscheidung zwischen einer Feststellung von Tatsachen und einer Interpretation, auf der das Argument beruht, gibt keinen Sinn. Der Punkt ist nicht, daß es, wie manche Autoren behauptet haben,7 schwer oder unmöglich ist, die interpretativen Aussagen unter denen, die es nicht sind, auszusondern. Wie es damit im allgemeinen auch stehen mag, bei manchen Beschreibungen von Schachspielen
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ist es nicht so. Hier fällt es oft leicht, die interpretierenden Aussagen auszusortieren: jedes Glied einer Reihe wie 1.e2-e4, e7-e5, 2. d2-d3, und so weiter, ist nicht eine interpretierende Aussage, alle anderen sind es. Da viele Beschreibungen von Schachspielen den Unterschied dadurch sichtbar machen, daß sie die nicht-interpretative Chronik des Spiels fett und den interpretierenden Text normal drucken, kann die Sonderung der beiden Arten von Aussagen nicht gar so schwierig sein. Der Punkt ist vielmehr, daß es keinen Sinn gibt, die so unterschiedenen Gruppen von Aussagen, die nicht-interpretierenden und die interpretierenden, zu beschreiben als Tatsachen feststellend beziehungsweise als Konstruktionen den Tatsachen auferlegend.8 Was das Feststellen von Tatsachen angeht, sagt jede wahre Aussage, ob interpretierend oder nicht, wie die Dinge liegen, und stellt in diesem Sinn eine Tatsache fest. Wenn es wahr ist zu sagen, daß ich meinen Bauern nach d6 setzte, und auch wahr ist zu sagen, daß der Zug eine Reaktion auf die Drohung des Läufers war, dann ist es trivialer Weise auch eine Tatsache, daß ich den Bauern nach d6 zog, und ebenso eine Tatsache, daß der Zug eine Reaktion auf die Drohung des Läufers war.9 Auf der anderen Seite den Tatsachen Konstruktionen auferlegen – es ist unverständlich, was das sein könnte. Gewiß, wer sagt, daß mein Bauernzug eine Reaktion auf die Drohung des Läufers war, behauptet, daß eine bestimmte Beziehung zwischen diesen beiden Dingen besteht; und sie besteht, wenn sie denn wirklich besteht, zusätzlich zu, und wenn man so will, obendrauf auf der Tatsache, daß der Bauernzug ein Zug nach d6 war – und das ist der ganze Sinn, den man der Rede von „auferlegen“ in diesem Zusammenhang abgewinnen kann. Aber beide Dinge sind wahr, daß der Bauernzug ein Zug nach d6 und daß er eine Reaktion auf die Drohung des Läufers war; und was es heißen soll, daß die letztere Beziehung eine Konstruktion ist, nicht eine Tatsache, läßt sich nicht erkennen. 134. Wenn es keinen Sinn hat, zwischen dem Feststellen von Tatsachen und dem Auferlegen von Konstruktionen auf die Tatsachen zu unterscheiden, warum ist diese Unterscheidung so beliebt? Vermutlich darum: Dinge, die normalerweise in die Schublade „Tatsachen“, und Dinge, die normalerweise in die Schublade „den Tatsachen auferlegte Konstruktionen“ kommen, werden oft auch auf verschiedene Arten und mit verschiedenen Graden von Schwierigkeit erkannt. Ein rascher Blick aufs Brett, einmal vor, einmal nach dem Zug, reicht im typischen Fall für die Feststellung aus, daß ich meinen Bauern nach d6 gezogen habe, aber viele Leute werden näher hinschauen und weitere Entwicklungen in Betracht ziehen
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müssen, um zu erkennen, daß mein Zug eine Reaktion auf die Drohung des Läufers war. Urteile der zweiten Art sind daher stärker dem Irrtum ausgesetzt und man kann sich über sie vernünftiger Weise streiten, was man über die ersten oft nicht kann. Diese und ähnliche Unterschiede werden dann als Grund für den Schluß genommen, daß nur die erste Art der Untersuchung, bei der man im Grunde nur die Augen aufmachen und hinschauen muß, den Zugang zu Tatsachen gewährt, während die zweite Art, die Zweifeln und Einwänden ausgesetzt ist, die Tatsachen nur auf die eine oder andere Art konstruiert. Ein radikaler Konstruktivist oder Perspektivist wird man schließlich, wenn man einsieht, daß nichts der Beschreibung entspricht „bloß die Augen aufmachen und hinschauen“; daß wir stets belehrt durch Erfahrung an Dinge herantreten. Wer so denkt, für den ist das erste Glied der Disjunktion, das Feststellen von Tatsachen, leer, und es bleibt ihm nur das zweite, das Auferlegen von Konstruktionen auf die Tatsachen. Doch der Fehler in dieser Überlegung ist schon einen Schritt vorher passiert. Verfehlt ist der Gedanke, daß, was sich nur mit Schwierigkeit erkennen läßt, wo man genauer hinschauen oder wo man nachrechnen muß, darum keine Tatsache ist. Diesem Gedanken scheint die Annahme zu Grunde zu liegen, daß, was wirklich eine Tatsache ist, offensichtlich sein muß und darum nicht Gegenstand einer Diskussion sein kann. Zugegeben, das steht im Einklang mit der klassischen philosophischen Tradition, nach der Sein wesentlich erkennbar ist, aber nichts sonst spricht für diese Annahme. In Wahrheit verhält es sich so: wie und mit welchen Schwierigkeiten wir herausfinden, was die Tatsachen sind, ist unser Problem. Es berührt nicht den Tatsachen-Status dessen, was wir da herausfinden. 135. Angenommen nun, wir verstehen, was es heißt, daß etwas in Reaktion auf einen Zustand oder ein Ereignis getan wird. Dann möchte man jetzt wissen, weshalb etwas in Reaktion auf einen Zustand oder ein Ereignis zu tun dasselbe sein soll wie, es aus einem Grund zu tun, der eben in dem Zustand oder dem Ereignis besteht (§ 118). Die Antwort ist, daß sich so unser normales Denken und Sprechen von Gründen, aus denen Leute etwas tun, am besten verstehen läßt. Zunächst: Wenn wir, was Leute tun, erklären mit Hilfe der Gründe, aus denen sie es tun, beziehen wir uns in einer großen Zahl von Fällen auf die Zustände oder Ereignisse, in Reaktion auf die sie es tun. Sätze der Art „Ich fuhr rechts ran, weil die Polizei mich dazu aufgefordert hatte“ (§ 5) scheinen die verbreiteteste Form des Erklärens durch Gründe zu sein. Zugegeben, diese Behauptung stützt sich nicht auf eine Zählung der verschiedenen Fälle. Sie stützt sich auf die Er-
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fahrung, daß bei der Autofahrerin, die rechts ran fährt, bei dem Schachspieler, der den Bauern zieht, und in vielen anderen Fällen die Erklärungen, die auf die Aufforderung der Polizei, auf die Drohung des Läufers und auf entsprechende andere Dinge verweisen, wieder und wieder als die natürlichsten erscheinen, und daß Erklärungen, die auf Begehren und Meinungen oder auf Prinzipien des Handelnden Bezug nehmen, in den meisten Fällen umständlich oder weit hergeholt erscheinen. Im Normalfall sagen wir einfach nicht, daß ich das Auto anhielt, weil ich dachte, die Ampel sei auf Rot gesprungen, oder weil ich vermeiden wollte, in die Kreuzung einzufahren, während die Ampel auf Rot stand, oder weil es mein Prinzip ist, vorsichtig zu fahren. Im Normalfall sagen wir, daß ich das Auto anhielt, weil die Ampel auf Rot stand, oder weil die Ampel auf Rot umgesprungen war.10 Klar, das allein entscheidet die Sache nicht. Man kann versuchen zu zeigen, daß hier der Schein trügt und daß Erklärungen durch Gründe in Wirklichkeit Erklärungen durch Begehren und Meinungen des Handelnden oder Erklärungen durch seine Maximen sind. Doch Kapitel 1 hat gezeigt, daß das Argument für den Primat von Gründe-Erklärungen durch Begehren und Meinungen fehlschlägt, und Kapitel 3 hat gezeigt, daß die Gründe, aus denen Leute etwas tun, nicht mit Rückgriff auf ihre Maximen verständlich zu machen sind. Unter diesen Umständen hat die Tatsache Gewicht, daß wir in einer großen Zahl und vielleicht in der Mehrheit der Fälle den Zustand oder das Ereignis, in Reaktion worauf einer etwas tat, als den Grund betrachten, aus dem er es tat. Und auf natürliche Weise trägt man dieser Tatsache Rechnung, indem man sagt: daß etwas der Grund ist, aus dem jemand etwas tut, das ist gar nichts anderes, als daß es dasjenige ist, in Reaktion worauf er es tut. 136. Ferner: Zwar verweisen wir zugestandenermaßen auch häufig auf Begehren und Meinungen der Handelnden, wenn wir die Gründe angeben, aus denen sie etwas tun. Aber viele dieser Fälle, vielleicht sogar alle, lassen sich leicht anders als durch die Annahme erklären, daß, wer so spricht, Begehren und Meinungen als die Gründe betrachtet, aus denen Leute etwas tun. Ganz natürlich kann man etwa sagen: „Ich nehme den Oleander herein, ich glaube, es gibt Frost heute Nacht,“ und es müßte einer schon viel Selbstvertrauen, oder Vertrauen in den Wetterbericht, haben, um hier das „ich glaube“ wegzulassen. Aber wer hier „ich glaube“ einfügt, deutet damit nicht an, daß seine Meinung der Grund oder ein Teil des Grundes ist, aus dem er den Oleander hereinnimmt.11 Mit dem Einfügen von „ich glaube“ geht er nur von der Aussage „Es gibt heute Nacht Frost“ auf die Aussage
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zurück „Wahrscheinlich gibt es heute Nacht Frost“; und die Wahrscheinlichkeit von Frost, ein Zustand der Dinge, ist der Grund, aus dem er den Oleander hereinnimmt. (Das unterstellt, daß es objektive Wahrscheinlichkeiten gibt – eine Annahme, die ich hier nicht verteidigen werde.) 137. Ebenso für Begehren. Der Bauer bei Anscombe hat uns den Grund, aus dem er nach Hereford fährt, vollständig und durchsichtig mitgeteilt, als er sagte: „Auf dem Markt in Hereford gibt es gute Jersey-Kühe.“12 Wohl hätte er auch sagen können: „Ich will eine gute Jersey-Kuh.“ Mit dieser Aussage hätte er jedoch nicht angedeutet, daß sein Wollen der Grund oder Teil des Grundes ist, aus dem er nach Hereford fährt. Allerdings hätte er uns mit dieser Aussage dahin geführt, daß wir den Grund erkennen, aus dem er fährt, nämlich das Angebot guter Jersey-Kühe in Hereford. Aber er hätte das indirekt getan, nämlich indem er sich als jemanden vorstellt, der auf diesen Zustand anspricht. 138. Vielleicht erscheint es dogmatisch, sich so die Dinge zurechtzulegen. Wenn Bauern manchmal sagen, daß es gute Jerseys in Hereford gibt, und manchmal sagen, daß sie eine gute Jersey wollen, warum dann darauf bestehen, daß der Grund, aus dem sie sich nach Hereford aufmachen,13 das Angebot guter Jerseys dort ist, und nicht ihr Begehren nach guten Jerseys? Weil man ihren Gebrauch des Ausdrucks „Ich will eine gute Jersey-Kuh“ auf eine generelle Tendenz in unserem Reden zurückführen kann, den Rückzug auf Subjektivität, wie man sie nennen könnte. Ausdrücke wie die folgenden treten ganz geläufig auch in Zusammenhängen auf, die mit dem Angeben von Gründen nichts zu tun haben: • Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werden konnte. Oder auch einfach, etwa beim Quartett-Spielen, wenn man die verlangte Karte nicht hat: • Bedaure. • Ich fürchte, ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen. • Ich entnehme der Weser-Zeitung vom 27.9., daß die Stadt Höxter einen Verwaltungsleiter sucht. • Ich glaube, das behaupte ich wirklich. • Ich hätte gern Orangensaft. Alle diese Sprecher berichten, wörtlich genommen, von ihrem Tun oder ihren Zuständen, im letzten Fall von ihren möglichen Zuständen, aber wir lassen uns davon nicht irreführen: indem sie sich als jemanden vorstellen, der diese oder jene Haltung zu einem bestimmten Zustand einnimmt oder
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einnähme, lassen sie uns eine andere Botschaft zukommen, und die betrifft nicht sie. Es ist, als ob die Sprecher uns zeigten, wie sich dieser oder jener Zustand bei ihnen eingedrückt hat oder eindrücken würde, und auf diese indirekte Art berichten sie von diesem Zustand selbst, oder im letzten Beispiel, sie bitten, wiederum indirekt, den Angesprochenen darum, den betreffenden Zustand herbeizuführen. Weshalb wir oft solche Umwege im Sprechen nehmen, braucht hier nicht untersucht zu werden. Jetzt ist nur wichtig, daß die Rede des Bauern „Ich will eine gute Jersey-Kuh“ nach demselben Muster verstanden werden kann. Wenn er sich so ausdrückt, antwortet er, streng genommen, nicht auf unsere Frage, warum er nach Hereford fährt. Aber indem er von seiner Einstellung zu guten Jerseys, also von dem subjektiven Gegenstück zu dem Grund berichtet, zeigt er uns indirekt den Grund an, und der ist das Angebot guter Jerseys in Hereford. Wenn also die Rede des Bauern „Ich will eine gute Jersey-Kuh“ sich verstehen läßt als ein Fall des Rückzugs auf Subjektivität, einer Erscheinung, die mit dem Angeben von Gründen insbesondere nichts zu tun hat, dann bietet sie kein Indiz mehr für die Annahme, daß wir das Wollen von Leuten gewöhnlich als Grund betrachten, aus dem sie etwas tun. Tatsächlich betrachten wir es nicht als einen solchen Grund: in den genannten Fällen ist die Bezugnahme auf die Einstellung des Sprechers müßig.14 139. Diese Überlegungen machen greifbar, wie seltsam die Vorstellung wirklich ist, daß die Gründe, aus denen Leute etwas tun, in ihrem Wollen und Meinen liegen. Der Grund, aus dem jemand etwas tut, sollte schließlich das sein, weswegen er es tut,15 aber im allgemeinen tut einer Dinge nicht wegen seines Wollens und Meinens, sondern wegen des Geschehenen oder wegen der aktuellen Situation. Das heißt, selbst wenn entgegen dem gerade geführten Argument „Ich glaube, es gibt heute Nacht Frost“ und „Ich will eine gute Jersey-Kuh“ verstanden werden als Angaben der Gründe oder von Teilen der Gründe, aus denen die jeweiligen Handelnden tun, was sie tun, so wären das unter normalen Umständen seltsame Gründe. Die Meinung, die man hat, daß es heute Nacht Frost gibt, ist nicht etwas, dessentwegen man normalerweise den Oleander hereinnähme. Der Frost oder die Wahrscheinlichkeit von Frost ist das, dessentwegen man es täte. Ebenso fährt der Bauer nach Hereford um der guten Jerseys willen, die dort angeboten werden, nicht um dessentwillen, daß er eine haben will. Und wenn Wollen und Meinen regelmäßig seltsame Gründe wären, aus denen Leute etwas tun, ist es eher wahrscheinlich, daß sie überhaupt keine Gründe sind.
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140. Ein Grund sollte auch etwas sein, was man in Betracht zieht oder erwägt: das gehört zu unserem Umgehen mit Gründen. So können wir ja im Deutschen ohne Schwierigkeit eine Erwägung selbst als Grund bezeichnen: „Diese Erwägung war der Grund, aus dem sie ihr Angebot zurückzog.“ (Im Englischen gibt es die merkwürdige, allerdings veraltete Redewendung, wonach man etwa ein Haus, wörtlich übersetzt, „in Erwägung“ von 80 000 Pfund kauft. Gemeint ist offenbar, daß der Verkäufer in Erwägung dieses Betrags, also aus dem Grund, daß dieser Betrag ihm zuteil wird, seine Rechte an dem Haus dem Käufer übergibt.) Freilich meint „Erwägung“ in diesen Fällen das Erwogene, nicht das Erwägen, denn wir würden jenen Satz erklären, indem wir etwa sagten: „Die Wahrscheinlichkeit eines Streits war der Grund, aus dem sie ihr Angebot zurückzog.“ Was wir aber betrachten und erwägen, das haben wir typischerweise vor uns, uns gegenüber, und in dieser Weise haben wir in aller Regel unser Wollen und Meinen gerade nicht vor uns. Wir begegnen ihm nicht. Unser Wollen und Meinen charakterisieren vielmehr uns selbst, wie wir der Welt begegnen. 141. Die Vorstellung von einem Grund als etwas, dem begegnend jemand etwas tut, kommt in einer Passage der Luther-Bibel klar heraus. Jesus sagt zu Simon, sie sollen noch einmal zum Fischen ausfahren. Simon entgegnet, daß sie die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen haben, und setzt dann fort: „aber auf dein Wort will ich das Netz auswerfen“ (Lukas 5,5). Simon sagt hier: es gibt zwar einen Grund gegen einen neuen Versuch, nämlich daß sie müde sind, aber Jesus’ Rede ist ein Grund dafür, und aus diesem Grund will er es tun. Der Grund ist nicht die Wahrscheinlichkeit eines guten Fanges zu dieser Zeit und an diesem Ort, denn Simon schließt eine solche Wahrscheinlichkeit nicht aus dem, was Jesus gesagt hat, und ein solcher Schluß wäre auch nicht vernünftig. Der Grund ist einfach, daß Jesus das gesagt hat. Und Jesus’ Rede ist das, worauf Simon das Netz auswerfen will. Das heißt nicht: worauf vertrauend er es tut. Es heißt: angesichts wessen oder wem begegnend er es tut. (Neuere Übersetzungen machen dies deutlicher, indem sie schreiben „auf dein Wort hin“.) Wenn es also wahr ist, was Simon sagt, und Jesus’ Rede ist der Grund, aus dem er das Netz auswerfen wird, dann ist dies Auswerfen seine Reaktion auf Jesus’ Rede. 142. Daß dies unsere normale Vorstellung von einem Grund ist, wird verdunkelt durch die gängige Verwechslung von Gründen und Ursachen. Befördert wird die Verwechslung dadurch, daß manche Ausdrücke, vor allem „warum“ und „weil“, passend gebraucht werden können, sowohl
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wenn von Gründen als auch wenn von Ursachen die Rede ist. Tatsächlich wird das Wort „Grund“ selbst oft im Sinne von „das, was erklärt“ gebraucht, gleich ob das jeweils Gemeinte als Grund im engeren Sinne, als Ursache oder auf eine andere Weise erklärt. Die Verwechslung wird zudem befördert durch die Tatsache, daß ein älterer Sprachgebrauch, und zwar im Englischen wie im Deutschen, „Ursache“ (oder „cause“) im Sinne von „Grund“ (oder „reason“) zu gebrauchen erlaubt. Zum Beispiel empfiehlt Hobbes, es dem Souverän anheim zu stellen, unautorisierte Propheten zuzulassen oder zu verbieten, „as he should see cause“,16 wörtlich „wie er Ursache sieht“ – die neuere Sprache würde hier „Grund“ setzen. Wilson bringt das Beispiel: „Der Wunsch eines Mannes, seine Ehe zu retten, mag ihm Ursache geben („may give him cause“), sein übermäßiges Trinken zu lassen“,17 aber auch diese Ausdrucksweise erscheint altertümlich. Im Deutschen haben wir dieselbe Verschiebung. Kant behauptet, wir müssen annehmen, „daß jedermann die Glückseligkeit in demselben Maße zu hoffen Ursache habe, als er sich derselben in seinem Verhalten würdig gemacht hat,“18 und wieder würde der neuere Sprachgebrauch hier „Grund“ statt „Ursache“ setzen. Trotz alledem ist die Abgrenzung von Gründen und Ursachen im normalen Verständnis deutlich genug, um die Klage über eine geläufige Verwechslung der beiden zu rechtfertigen. Man sagt nicht: „Ich erwähne das aus folgender Ursache“; heute sagt man an dieser Stelle „Grund“. Umgekehrt ist es zwar nicht unmöglich, doch nicht ganz korrekt zu sagen: „Der Grund, aus dem der Motor bockte, war die Feuchtigkeit;“ und es ist allerdings unmöglich, oder eben schon metaphorisch, zu sagen: „Der Grund, den der Motor dafür hatte zu bocken, war die Feuchtigkeit.“ Was man hier sagen sollte, ist: „Die Feuchtigkeit war die Ursache dafür, daß der Motor bockte.“ Man kann auch sagen: „Die Feuchtigkeit war der Grund, weshalb der Motor bockte.“ Aber das „weshalb“, ohnehin pleonastisch nach „Grund“, weist darauf hin, daß „Grund“ hier in dem vorhin erwähnten weiten Sinne gebraucht wird, nämlich so, daß alles Grund sein kann, was etwas erklärt oder zu erklären hilft. Der Unterschied zwischen Gründen und Ursachen, der in diesen Beispielen zutage tritt, läuft ungefähr darauf hinaus: der Grund, aus dem jemand etwas tut, ist das, weswegen er es tut. Die Ursache hingegen dafür, daß jemand etwas tut, ist das, was geschehen macht, daß er es tut. Die nachteilige Folge der Verwechslung ist die, daß sie Gründe zu Gunsten von Ursachen eliminiert, daß sie also denken läßt, es gebe gar keine Grund-Beziehung, die sich von der Ursachen-Beziehung spezifisch unterscheidet. Ist aber einmal die spezifische Grund-Beziehung anerkannt, wird es viel weni-
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ger plausibel, Gründe mit Wollen und Meinen, und viel plausibler, Gründe mit Zuständen und Ereignissen, denen einer begegnet, zu identifizieren. Gleichwohl, vor der Verwechslung von Gründen und Ursachen warnen heißt nicht, von vornherein ausschließen, daß tatsächlich Gründe Ursachen sind. Es kann sich herausstellen, daß die Dinge, derentwegen die Leute tun, was sie tun, genau die Dinge sind, die es geschehen machen, daß sie tun, was sie tun. Um zu entscheiden, ob es so ist oder nicht, müßten zusätzliche Argumente beigebracht werden. 143. Soweit eine erste Vorstellung der hier vorgeschlagenen Idee. Die folgenden Kapitel sollen sie weiter entwickeln und verteidigen, indem sie nämlich eine Reihe von Fragen und Einwänden diskutieren, die ihr entgegengehalten werden mögen. Der Rest des gegenwärtigen Kapitels bringt eine knappe Durchsicht von Stellen in der Literatur, an denen diese Idee berührt worden ist. So wies Annette Baier in einer Kritik an Davidsons Theorie der Handlungsgründe darauf hin, daß wir in unserem normalen Verständnis Dinge wie Fragen, die jemandem gestellt, und Befehle, die jemandem gegeben werden, als Gründe betrachten, aus denen Leute dies oder jenes tun, und nicht das Wollen und Meinen der Handelnden.19 Alasdair MacIntyre machte auf Handlungsreihen aufmerksam, in denen eine Handlung auf eine vorangehende antwortet, und er behauptete, daß mindestens in einigen Fällen die Handlung nur verständlich ist auf Grund ihrer Position in einer solchen Reihe.20 Entgegnungen auf andere Dinge als Handlungen zog er anscheinend nicht in Betracht, aber nach dem gegenwärtigen Konzept sind sie durchaus einbegriffen. Auch benutzte er seinen Gedanken nicht, wie hier vorgeschlagen, zur Erhellung dessen, was Gründe für Handlungen sind. Das liegt daran, daß bei ihm der Begriff der verständlichen Handlung einen weit größeren Bereich abdeckt als der Begriff der Handlung aus einem Grund. Tun, was zu diesem Zeitpunkt von den Mitgliedern der sozialen Gruppe, der man angehört, routinemäßig getan wird, ist für MacIntyre ein exemplarischer Fall verständlichen Handelns, aber es ist nicht Handeln aus einem Grund; eine Ansicht, die allerdings schwer zu rechtfertigen scheint. Weiter schrieb Robert Audi einmal, die Handlung einer Person „ist in gewisser Weise eine Entgegnung auf ihre Gründe, und sie geschieht, weil die Gründe da sind.“21 Doch stellt sich dann heraus, daß Gründe für Audi Zustände sind, deren Realisierung der Handelnde will;22 und wie die Handlung auf solche Zustände eine Entgegnung sein kann, sieht man nicht recht ein: worauf etwas eine Entgegnung ist, das sollte immerhin da sein.
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144. Den ersten und ausdrücklichsten Hinweis in die hier eingeschlagene Richtung gab Georg Henrik von Wright in seinem Aufsatz „Explanation and Understanding of Action“ von 1981. Er unterschied zwischen internen Gründen, verstanden nach dem vertrauten Muster der Begehren/Meinungs-Theorie, und externen Gründen. Externe Gründe sind Herausforderungen, wobei Dinge wie Befehle, Bitten und Fragen eine Gruppe von Herausforderungen bilden und Dinge wie Normen, Gebräuche und Traditionen eine andere. Handeln aus einem externen Grund ist Handeln in Reaktion auf eine solche Herausforderung.23 von Wrights Ausarbeitung des Gedankens bleibt zum einen dadurch unbefriedigend, daß seine Herausforderungen nur eine Art der Gründe bilden, aus denen Leute etwas tun. Läßt man aber interne neben externen Gründen zu, bleibt dunkel, wie die Beziehung zwischen ihnen zu verstehen ist. In vielen Fällen wird es beides, Herausforderungen und passende Begehren und Meinungen des Handelnden geben, aber es scheint unplausibel, sie einfach zu addieren und zu sagen, daß diese Handelnden immer aus zwei Gründen tun, was sie tun. Aber was wir stattdessen sagen sollen, ist nicht klar. Der hier vorgeschlagene Ansatz ist radikaler: Gründe, aus denen Leute etwas tun, sind allesamt externe Gründe in von Wrights Sinn. In Verbindung damit steht ein zweiter Punkt: von Wright läßt anscheinend nur Herausforderungen zu, die durch menschliches Handeln hervorgebracht wurden, und für diese Beschränkung ist kein guter Grund zu erkennen. Schließlich läßt von Wright am Ende seinen eigenen Gedanken im Stich. Einmal hören wir, daß es Handeln rein aus externen Gründen gibt,24 ein andres Mal ist eine Herausforderung ein Grund anscheinend nur dann, wenn sie durch die Anerkennung des Handelnden als Grund zum inneren Grund geworden ist,25 und damit wird überhaupt der Gedanke eines externen Grundes funktionslos. Wirklich lohnt es sich, von Wrights Gedanken treu zu bleiben. Zugegeben, ein Handelnder muß in irgendeiner Weise Kenntnis haben von dem, was der Grund ist, aus dem er etwas tut (§ 130). Doch muß er es nicht unbedingt als Grund ansehen, und vor allem, ob er es als einen solchen ansieht oder nicht, der Grund wird durch die Kenntnis, die der Handelnde von ihm hat, nicht ein interner Grund. Nicht die Anerkennung ist der Grund, sondern das Anerkannte; und das ist die äußere Herausforderung, die dem Handelnden entgegen tritt. 145. Schließlich haben drei neue Studien über Gründe für Handlungen in verschiedener Weise dieselbe Idee von Gründen entwickelt, wie sie in diesem Buch verteidigt wird. Frederick Stoutland vertritt in seinem Aufsatz
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„The Real Reasons“ von 1998 die These, daß äußere Situationen Gründe für Handlungen sein können. Sein Ansatz unterscheidet sich von dem gegenwärtigen vor allem durch die weitere Behauptung, daß äußere Situationen einen Inhalt haben und daß sie eben wegen ihres Inhalts Gründe für Handlungen sein können.26 In Marco Iorios Arbeit Echte Gründe, echte Vernunft von 1998 geht es zentral um die Erklärungskraft der Erklärungen von Handlungen durch Gründe, verglichen nämlich mit den wissenschaftlichen Erklärungen von Phänomenen der Natur. Mit Hilfe eines weit großzügigeren Verständnisses kausaler Erklärungen als hier zugelassen und gestützt auf die These, daß Gründe Zustände der Dinge sind, entfaltet Iorio eine durch und durch naturalistische Theorie des Handelns und der Erklärung und Rechtfertigung des Handelns. Jonathan Dancys Argument, in seinem Buch Practical Reality von 2000, für die Behauptung, daß Gründe nicht geistige Zustände sind, unterscheidet sich von dem hier geführten in erster Linie durch den Versuch, Gründen, die wohl als Zustände der Dinge gefaßt sind, doch eine normative Bedeutung zu bewahren, wobei der leitende Gedanke ist, daß Sachlagen für Handlungsweisen sprechen können.
Kapitel 5 Die Erklärungskraft von Gründe-Erklärungen 146. Der Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, ist der: ein Grund, aus dem jemand handelt, ist etwas, worauf die Handlung eine Reaktion ist (§ 118). An erster Stelle ist hier zu fragen, wie die Bezugnahme auf einen so verstandenen Grund das Handeln erklären kann. Denn die Bezugnahme auf Gründe tut in vielen Fällen genau das. Im groben ist die Antwort aus dem Vorangegangenen ersichtlich (§ 124): Erklärungen von Handlungen mit Hilfe von Gründen sind historische Erklärungen, denn Gründe und Handlungen sind als Teile von Geschichten aufeinander bezogen. Das ist nur eine grobe Antwort, weil nicht klar ist, was historische Erklärungen sind und wie sie erklären; ein Gegenstand, der in der Literatur breit diskutiert worden ist. Der folgende Überblick über diese Diskussion soll deutlich machen, daß die Antwort auch nur vorläufig ist: es gibt kein allgemeines Muster historischer Erklärungen. Historische Erklärungen verdanken ihre Kraft nicht der Tatsache, daß sie historische Erklärungen sind, sondern der, daß sie dem einen oder anderen spezifischeren Muster folgen (§ 159). Und Gründe-Erklärungen, so will ich behaupten, bilden genau ein solches Erklärungsmuster. Ihre Erklärungskraft ist nicht abgeleitet, sondern sie besitzen sie in ihrer Eigenschaft als Gründe-Erklärungen. 147. Es wird nützlich sein, ein Beispiel einer historischen Erklärung bei der Hand zu haben. Hier ist eins: Die Sitte, immergrüne Pflanzen zur Weihnachtszeit zu schmücken, entstand im Elsaß. Im späten Mittelalter wurde dort am Tag vor Weihnachten, dem Tag von Adam und Eva, die Paradies-Geschichte gespielt, und als notwendiges Requisit hing man Äpfel an Bäume – an immergrüne Bäume, denn alle anderen sind zu dieser Jahreszeit kahl.
Das ist eine schöne Erklärung. Fachleute in der Kulturgeschichte mögen wohl den Verdacht haben, sie sei mehr schön als wahr. Arthur Danto, aus dessen Buch sie entnommen ist,1 gibt keine Quelle an, und es gibt andere Hinweise, wonach Weihnachtsbäume ursprünglich Winter-Maibäume sind.2 Aber Wahrheit soll uns in diesem Fall nicht kümmern. Wichtig ist,
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daß dieser Text, wenn wahr, glänzend erfolgreich ist. Weihnachtsbäume sind etwas Seltsames in unserer Welt: normalerweise stellen die Leute keine Bäume in ihrem Wohnzimmer auf. Auch versteht man nicht, was die Weihnachtsbäume mit dem christlichen Fest Weihnachten zu tun haben. Also fragt man, woher diese Sitte kommt. Der eben zitierte Text gibt darauf eine Antwort. Er zeigt, auf welchem Wege Leute dahin kamen, Weihnachtsbäume aufzustellen. Damit erhellt er die Sitte, wie sie gegenwärtig existiert. Er hilft, sie zu verstehen. Er erklärt sie. 148. Dies ist eine historische Erklärung, denn sie erklärt die gegenwärtige Sitte durch Hinweis auf frühere Zustände oder Ereignisse. Das heißt großzügig sein beim Einstufen einer Erklärung als einer historischen. Erklärungen sind nicht historische dank den Gegenständen, von denen sie handeln, also etwa weil sie Dinge wie Kriege oder Revolutionen erklären, die ins Fachgebiet des professionellen Historikers fallen. Erklärungen sind historische, weil sie das, was sie erklären, was es auch sei, durch Hinweis auf etwas erklären, was zuvor geschah oder der Fall war. Historische Erklärungen in diesem weiten Sinne gibt es in der akademischen Disziplin der Geschichte, aber sie sind nicht eine Spezialität der Historiker. Sie kommen in verschiedenen Feldern vor, in der Sprachwissenschaft, der Musikwissenschaft, der Geologie, der Medizin. Sie begegnen auch außerhalb der Wissenschaft: ein Heizkörper bekommt einen Riß, weil die Temperatur unter Null fiel,3 ein Tischtuch hat einen Flecken, weil ein Tropfen Rotwein die Flasche hinunterrann, und so weiter. So den Begriff „historische Erklärung“ auszuweiten und nicht, wie es oft implizit in der Literatur geschieht,4 ihn einzuschränken auf ungefähr die Art von Erklärungen, die von Historiker-Fachleuten gebraucht werden, rechtfertigt sich dadurch, daß es gar keine besondere Art von Erklärungen gibt, die speziell von Historikern gebraucht werden. Sie betreiben dieselbe Art von Erklärung wie alle anderen Leute.5 Sie sind vermutlich besser darin, und sicher erklären sie Ereignisse von größerem Gewicht, als es der Rotweinfleck auf dem Tischtuch hat. Historisches Erklären ist nicht so etwas wie Tripel-Zunge, die Technik des fortgeschrittenen Flötisten für schnelles Staccato. Historisches Erklären ist wie Flöten: alle möglichen Leute versuchen sich daran, und manche sind besser als andere. 149. Morton White hat sich ausdrücklich gegen ein so weites Verständnis von „historische Erklärung“ gewandt. Nach diesem Verständnis „fänden sich historische Erklärungen in allen Wissenschaften.“ White aber macht es zur Bedingung einer korrekten Analyse von „historische Erklärung“,
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„daß wir von keiner Erklärung passender Weise sagen können, es sei sowohl eine physikalische wie eine historische.“6 Doch weiß man nicht, warum es uns nicht freistehen sollte, das zu sagen. Gewiß, im normalen Sprachgebrauch gilt, daß manche Erklärungen „physikalische sind, andere chemische und wieder andere historische“,7 aber der normale Sprachgebrauch folgt hier vielleicht bloß einer hergebrachten Einteilung akademischer Fächer, und es ist nicht klar, ob es gute Gründe gibt, die Abgrenzungen gerade so zu ziehen. Es gäbe dafür gute Gründe, wenn historisches Erklären eine besondere Technik der Historiker-Gilde wäre, aber wie gerade gezeigt ist das nicht so: die Gilde hat keine besonderen Techniken in diesem Sinne. Auf der anderen Seite gäbe es dafür auch gute Gründe, wenn der Begriff „historische Erklärung“, wie er normalerweise gebraucht wird, eine besondere Art des Erklärens aussonderte, die, obgleich keine Spezialität der Historiker, doch eine erkennbare Untergruppe der Erklärungen mittels des Vergangenen bildet, unterschieden etwa von physikalischen Erklärungen. Aber in dem Fall wäre es zuerst nötig zu zeigen, welches diese Untergruppe ist. Schließlich könnte man vermuten, daß nach diesem weiten Verständnis von „historische Erklärung“ keine Erklärungen übrig bleiben, die nicht historisch sind.8 Doch dem ist nicht so. Einen Beweis kann man erklären, die Bedeutung eines Wortes kann man erklären, man kann erklären, wie ein Differentialgetriebe funktioniert – das sind alles Erklärungen, aber keine historischen Erklärungen, da sie nicht Zustände oder Ereignisse durch frühere erklären.9 Wohl schloß Hempel solche Erklärungen aus dem Bereich dessen aus, was er wissenschaftliche Erklärungen nannte, und machte ausschließlich diese zum Gegenstand seiner Theorie.10 Doch machte er nie klar, was wissenschaftliche Erklärungen von Erklärungen kurzum unterscheidet, da es ja sicher nicht das Vorkommen im Reden oder Schreiben von Wissenschaftlern ist, was eine Erklärung zur wissenschaftlichen macht.11 Nach allem, was wir wissen, könnte es also am Ende wahr sein, daß alle wissenschaftlichen Erklärungen in Hempels Sinne, freilich nicht alle Erklärungen, zu den historischen gerechnet werden müssen, in dem gerade vorgeschlagenen weiten Sinne von „historische Erklärung“. Doch wenn es so wäre, wäre das auch nicht dramatisch unplausibel, in der Art, in der es allerdings dramatisch unplausibel wäre zu sagen, daß alle Erklärungen überhaupt historischen Charakters sind. Es ist kein geläufiger, aber es ist auch kein abwegiger Gedanke: daß alle Wissenschaft im Grunde Geschichte ist. Diese Konsequenz, wenn es denn eine ist, droht dem vorgeschlagenen Verständnis von „historische Erklärung“ also nicht mit Absurdität.
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150. Es besteht kein Zweifel, gegeben das Beispiel drei Absätze zurück, daß es historische Erklärungen, im weiten Sinne des Ausdrucks, gibt und daß manchen von ihnen das Erklären gelingt. Umstritten ist, wie es ihnen gelingt. Man sähe ihre Leistung gern selbst wieder erklärt. Eine Reihe solcher Erklärungen ist vorgeschlagen worden, aber die folgenden fünf dürften die Haupt-Alternativen darstellen, die sich anbieten. Nach Hempel verdanken historische Erklärungen ihren Erklärungserfolg einem Gesetz, das in der Erklärung, sei es eigens aufgestellt, sei es vorausgesetzt wird und das zusammen mit einer Angabe der Ausgangsbedingungen einen Satz logisch abzuleiten erlaubt, der sagt, daß ein Ereignis der zu erklärenden Art eingetreten ist.12 David Lewis behauptet, alles Erklären besonderer Ereignisse sei kausales Erklären.13 Nach Drays Ansicht gelingen historische Erklärungen typischer Weise deshalb, weil sie die zu erklärende Handlung vorstellen als das, was rationaler Weise zu tun war angesichts der Ziele des Handelnden und angesichts der Situation, wie sie für ihn sich darstellte.14 Hayden White behauptet zwar, daß historische Erklärungen auf verschiedene Arten gelingen, aber er hebt als ihre Leistung heraus, „die Kodierung eines Satzes von Ereignissen unter kulturell vermittelten Kategorien, wie es etwa metaphysische Begriffe, religiöse Überzeugungen oder Formen von Geschichten sind“, wobei besonders die Formen von Geschichten sein Interesse auf sich ziehen.15 Nach Paul Roth schließlich besteht der Erklärungserfolg einer historischen Erklärung darin, daß sie als paradigmatische Lösung eines aktuellen Problems in dem betreffenden Feld von einem Publikum akzeptiert wird.16 151. Diese Erklärungen befriedigen nicht. Was die Gesetzes-Konzeption angeht, so ist es nicht der Fall, daß eine Erklärung wie die vorhin angeführte (§ 147) ein Gesetz einschließt. Sie stellt nicht ausdrücklich ein Gesetz auf, aber ebenso wenig ist ein Gesetz in ihr „stillschweigend angenommen“.17 Wenn ein Gesetz in der Erklärung stillschweigend angenommen sein soll, muß eines von zwei Dingen der Fall sein. Die erste Möglichkeit ist die: wer solch eine Erklärung anbietet, hat in der Regel ein passendes Gesetz im Sinn, aber macht es aus welchen Gründen auch immer nicht ausdrücklich. So verhält es sich hier nicht. Wie Hempel selbst klar macht, „es wäre oft sehr schwierig, die zu Grunde liegenden Annahmen ausdrücklich zu formulieren, nämlich hinreichend präzis und zugleich so, daß sie mit dem gesamten vorliegenden empirischen Beweismaterial, soweit es von Belang ist, übereinstimmen.“18 Also haben die Leute normalerweise nicht ein passendes Gesetz im Kopf. Die andere Möglich-
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keit: ein Gesetz wird stillschweigend angenommen, wenn das, was Leute als eine Erklärung anbieten, erst wirklich eine ist, wenn man das Gesetz hinzufügt, ob sie es selber im Kopf haben oder nicht. Doch das vorhin über Weihnachtsbäume Gesagte war in der Tat schon eine Erklärung. Zu entgegnen, daß es wegen des fehlenden Gesetzes nicht wirklich eine Erklärung sein konnte, ist dogmatisch. Wohl wird das Dogma weithin geteilt: Hempel bemerkt, er sei sich über den Lehrsatz, daß „die Erklärung eines Phänomens … darin besteht, es unter Gesetze oder unter eine Theorie zu subsumieren“,19 mit einer breiten Tradition der Wissenschaftstheorie einig.20 Das macht den Satz doch nicht weniger zu einem Dogma, und zwar zu einem, das der Prüfung durch die Erfahrung nicht standhält. Denn unsere Erfahrung ist es, daß ein Text wie die Geschichte über Weihnachtsbäume vorhin wirklich erklärt und keine Ergänzung durch ein Gesetz braucht, um erst eine Erklärung zu werden. Jedenfalls haben sich die professionellen Historiker mit Nachdruck gegen die Idee gewehrt, daß sie, stillschweigend oder nicht, Gesetze der Geschichte zu Grunde legen müssen, um ordentlich ihre Arbeit zu tun, nämlich uns verstehen zu lassen, was geschehen ist. Vielleicht lohnt es sich, hier darauf hinzuweisen, daß Hempels Überzeugung, Erklärungen müssten sich auf Gesetze gründen, nicht auf einer Humeanischen Theorie der Kausalität beruht, nach der „gleiche Gegenstände unter gleichen Umständen stets gleiche Wirkungen hervorrufen werden.“21 Auch als Hempel 1964 kausale Erklärungen zu einer bloßen Untergruppe deduktiv-nomologischer Erklärungen herabstufte, wies er nach wie vor „Gesetzen oder theoretischen Prinzipien die Rolle von unentbehrlichen Prämissen in Erklärungs-Argumenten zu“,22 und das heißt, in Erklärungs-Argumenten jeglicher Art. Es ist die Zuweisung dieser Rolle, die hier bestritten wird. 152. Der Vorschlag von David Lewis, daß ein bestimmtes Ereignis zu erklären heiße, über seine kausale Geschichte zu informieren, ist verlokkend einfach, aber angesichts unserer wirklichen Erklärungspraxis bei Weihnachtsbäumen und dergleichen scheint es eine gewaltsame Einfachheit. Waren die elsässischen Paradies-Spiele Ursachen dafür, daß die Leute seither am 24. Dezember Weihnachtsbäume aufstellen? Normalerweise würde man sagen, daß die Paradies-Spiele der Ursprung dieser Tradition waren. Ist damit auf umständliche Weise gesagt, daß sie die Tradition verursachten? Warum das so sein sollte, ist schwer zu erkennen. In unseren Erklärungen dessen, was Leute tun, reden wir von Traditionen, Nachahmungen, Widerständen und ähnlichen Dingen; und in manchen Fällen,
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etwa bei den Weihnachtsbäumen, glauben wir, mit Hilfe dieser Begriffe ein echtes Verständnis dessen, was geschehen ist, auszudrücken. Daß dies Verständnis in einer Informiertheit über den einen oder anderen Zug der kausalen Vorgeschichte des Tuns der Leute besteht, scheint eine gekünstelte Annahme, besonders da diese kausale Vorgeschichte ansonsten ganz dunkel ist. Wirklich kennen wir die kausalen Vorgänge, die zum Aufstellen von Weihnachtsbäumen im späten Mittelalter führten, so wenig, daß die Annahme kaum nahe liegt, das, was wir verstehen, sei eben ein Charakter dieser Vorgänge. Warum sollte der Erklärungswert unseres Redens von Praktiken, Gewohnheiten, Traditionen und ähnlichen Dingen in kausaler Währung sich ausdrücken lassen müssen, wenn wir doch nie dazu kommen, diese Schecks auch einzulösen? Zunächst würde man denken, Kausalität ist nur eine Art, die Stücke in einer historischen Erklärung zu verknüpfen. Es bräuchte starke Argumente, um uns davon zu überzeugen, daß Kausalgeschichten die privilegierte Position innehaben, die Lewis ihnen zuschreibt, und Lewis jedenfalls bietet dafür keine positive Begründung an. 153. Drays Konzeption soll nur eine Unterart dessen, was hier „historische Erklärung“ heißt, abdecken, nämlich die Erklärungen von Handlungen und Handlungsfolgen: nur hier sei eine rationale Erklärung am Platz. Mit seiner Konzeption sondert er also in der zuvor beschriebenen Weise (§ 149) aus der größeren Gruppe der auf Vergangenes Bezug nehmenden Erklärungen eine besondere Art aus, die zwar nicht ausschließlich den Historikern vorbehalten ist, doch etwa von mechanistischen Erklärungen sich spezifisch unterscheidet. Allerdings könnte vermutet werden, die Konzeption sei noch enger und wirklich unerträglich eng. Man könnte geltend machen, der Siegeszug des Weihnachtsbaumes sei zwar ein Ergebnis von Handlungen, aber er könne nicht nach dem Muster der rationalen Erklärung erklärt werden, da kein Handelnder je es auf dies Ergebnis abgesehen hatte. Allgemein also, was analytische Geschichte, strukturale Geschichte oder bescheiden Fundamentalgeschichte23 genannt wird, fällt, so mag man behaupten, außerhalb des Bereichs von Drays Konzeption. Aber so verhält es sich in Wirklichkeit nicht. Zwar plante kein Handelnder die Eroberung der westlichen Welt durch den Weihnachtsbaum. Aber dieser Sieg besteht aus zahllosen einzelnen Handlungen, und die könnten sich wohl nach dem Muster der rationalen Erklärung erklären lassen.24 So erwiese sich die Beispiel-Erklärung zu Beginn (§ 147) als eine Zusammenfassung vieler rationaler Erklärungen in individuellen Fällen, und der Hin-
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weis auf die elsässischen Paradies-Spiele brächte die entscheidende Information über die Situation einiger ganz früher Handelnder, die deren Handeln rational verständlich machte. 154. Problematisch ist Drays Konzeption an einer anderen Stelle, oder vielmehr an zweien. Erstens, man fragt sich, wodurch es gerechtfertigt ist, Rationalität zum Maßstab zu machen, an dem alle Arten von Handlungen aus allen Zeiten und Orten gemessen werden können. Warum soll es erhellend sein, bei jedem Handeln von Leuten irgendwann und irgendwo zu fragen, ob es rational war?25 Dray muß unterstellen, daß es eine erhellende Frage ist, sonst wird das Privileg, das er der Rationalität beim historischen Erklären zuweist, willkürlich. Aber es ist schwer zu sehen, welche Gründe er dafür hat. Vielleicht wird das Problem deutlicher bei Max Weber (dessen Arbeiten auf Dray sicher Einfluß hatten). Weber behauptete, die wachsende Beherrschung verschiedener menschlicher Lebenssphären wie Wirtschaft, Religion und Recht durch Rationalität, insbesondere Zweck-Mittel-Rationalität sei eine geschichtliche Grundtendenz, und dieser historische Vorgang habe seinen Ursprung in den westlichen Kulturen.26 Er betrachtete also die Herrschaft der Rationalität nicht als eine menschliche Konstante, sondern als historisches Produkt, ein lokales noch dazu. Auf der anderen Seite behauptete Weber, daß wir eine Handlung nur verstehen, wenn wir das wirklich Getane zu dem in Beziehung setzen, was ein völlig rationaler und vollständig informierter Handelnder, der dieselben Ziele verfolgt, getan haben würde.27 Offensichtlich stehen die beiden Thesen jedoch in Spannung miteinander. Wenn die Idee der Rationalität ungeachtet des Siegs, den sie bei Leuten wie uns errungen hat, doch nach der ersten These nur eine Idee von historisch begrenzter Bedeutung ist, so ist es unbegründet, wenn jemand, der zu verstehen sucht, was Leute tun und taten, jede Handlung unter der Sonne diesem Maßstab der Rationalität unterwirft, wie es die zweite These verlangt. Gewiß, es gibt in unserer Kultur eine ganze Tradition des Gedankens, daß menschliches Handeln als solches die Erfordernisse der Rationalität zu erfüllen anstrebt, aber diese Denkrichtung ist unplausibel geworden, und zwar genau in der historischen Aufklärung des neunzehnten Jahrhunderts, die ihren Hauptvertreter in Nietzsche hat und in jener ersten These Webers zusammengefaßt ist. Wenn aber der Gedanke unplausibel geworden ist, daß Rationalität eine wesentliche Bestrebung menschlichen Handelns darstellt, dann ist es auch Drays Behauptung geworden, daß historisches Erklären so weit als möglich die Rationalität dessen, was Leute getan haben, an den Tag legt.
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Es ist nicht zu erkennen, warum das die richtige Art sein sollte, herauszufinden, warum Leute taten, was sie taten, daß man ihr Tun auf die Rationalitätsform bringt oder zu bringen sucht. 155. Das zweite Problem betrifft die Erklärungskraft des Urteils, ein Handeln sei rational. Nehmen wir an, es war rational von mir, in jener Lage den Bauern nach d6 zu ziehen (§ 118), und ich zog den Bauern nach d6: es ist schwer zu erkennen, wieso die erste Tatsache die zweite erklärt oder zu erklären hilft. Als ich tat, was zu tun rational war, bin ich nur ein braver Junge gewesen, der den nach verfügbarer Einsicht am besten erscheinenden Weg einschlägt. Aber daß ich dies war, ist keinerlei Erklärung für mein Tun. Der Punkt hier ist nicht, daß ich manchmal nicht das tue, was rational ist. Das ist so, aber es reicht nicht aus, die angebliche Erklärungskraft der Rationalität meines Handelns in den Fällen in Zweifel zu ziehen, in denen es rational ist. Der Punkt ist, daß rationales Handeln nur ein Typ von Handeln ist, und von einer bestimmten Handlung zu sagen, sie gehöre zu diesem Typ, klärt uns auf keine Weise darüber auf, warum so gehandelt wurde, das Handeln wird mit dieser Aussage nur klassifiziert. Dinge passieren nicht, bloß weil sie rational sind. Wohl besäße die Klassifikation der Handlung als rational Erklärungskraft, wenn wir schon wüßten, daß dieser Typ des Handelns unter all dem, was in der Geschichte getan wurde und wird, überwiegt, aber das wissen wir nicht. Höchstens wissen wir, wenn Weber recht hat, daß dieser Typ des Handelns in der Moderne immer wichtiger wird, besonders in den westlichen Ländern. Aber das ist zu wenig, um Drays Vorschlag eine Grundlage zu geben, denn der sollte für die historische Erklärung von Handeln überhaupt gelten. 156. Hayden Whites Konzeption historischer Erklärungen ist allenfalls gültig in einem noch schmaleren Bereich als diejenige Drays. Sie deckt nicht einmal das Gros der von Historikern gelieferten Erklärungen ab. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß alltägliche historische Untersuchungen, wie etwa „Veränderungen der wirtschaftlichen Lage westfälischer Klöster im späten 13. Jahrhundert“, obgleich sie doch wohl etwas erklären, die von ihnen berichteten Vorgänge unter einer metaphysischen Kategorie oder einer literarischen Form von Geschichten kodieren, und der Geschichte des Weihnachtsbaums liegt auch nicht das zu Grunde, was in der Dramaturgie die Intrige eines Stücks genannt wird, ein „plot“, was eine von Whites Lieblingsweisen der Kodierung darstellt. Whites Gedanke entstammt anscheinend seiner Beschäftigung mit den großen Historikern des 19. Jahrhunderts,28 aber die breitere Anwendung erscheint
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höchst zweifelhaft. Solche Zweifel lassen es aber auch zweifelhaft werden, ob selbst in diesen Fällen, bei den Historikern des 19. Jahrhunderts, Kodierung eine für das Erklären relevante Rolle spielt. Manche Historiker erklären und kodieren. Andere erklären, aber kodieren nicht. Kodieren mag also fürs Erklären belanglos sein, ein bloß literarisch bedeutsames Verfahren. 157. Paul Roth erklärt „historische Erklärung“ durch ein Akzeptiertwerden: „einen bestimmten Typ von Lösung als paradigmatisch zu akzeptieren, das ist es, was es heißt, eine Erklärung zu haben.“29 Nimmt man jedoch die Wörter in ihrer normalen Bedeutung, scheint diese Aussage nicht richtig zu sein. Zum einen, manchmal hat jemand eine historische Erklärung, aber akzeptiert sie nicht als paradigmatisch. Etwa mag man denken, die Geschichte vom Weihnachtsbaum sei eine gute Erklärung, ohne doch bereit zu sein, nach diesem Paradigma andere Fälle zu „konjugieren“, die etwa auftreten mögen. Es stimmt, im Großen und Ganzen haben Leute die Tendenz, einen erfolgreichen Trick erneut zu probieren. Es mag also wahrscheinlich sein, daß sie faktisch ähnliche Fälle ähnlich erklären. Aber daß sie, um diesen Typ von Lösung auch nur einmal zu benutzen, gleich einen Vertrag unterschreiben müssen, daß sie ihn wieder anwenden, scheint eine zu weit gehende Forderung. Wer eine bestimmte Tatsache oder ein bestimmtes Ereignis erklärt, braucht ja nicht einmal sich dessen bewußt zu sein, daß er einen Lösungstyp anwendet, der sich erneut anwenden ließe. Dann umgekehrt, manchmal akzeptieren die Leute eine Lösung als paradigmatisch, aber in Wirklichkeit haben sie keine Erklärung. Ein Beispiel bieten diejenigen, die an die biblische Theorie von der Schöpfung der Welt glauben. Viele von ihnen akzeptieren gerne diese Lösung als paradigmatisch für andere Fälle, aber sie haben trotzdem damit keine Erklärung, weil die Theorie falsch ist. „Aber für sie ist es doch eine Erklärung.“ Schon, aber das heißt nur, daß sie denken, es sei eine Erklärung, und das ist ohne Belang für den jetzt anstehenden Punkt, nämlich ob sie wirklich eine Erklärung haben, und das ist nicht so. Erklärung und Akzeptanz sind also zweierlei Dinge. 158. Angenommen, diese Einwände sind triftig, so folgt aus ihnen doch nicht, daß es keine allgemeine Erklärung davon geben kann, wie historische Erklärungen erklären. Es scheint nur klüger, nicht länger zu warten und sich mit dem zufrieden zu geben, was man hat – und das mag ja auch alles sein, was man jemals kriegen wird. Was wir haben, ist eine Reihe von Typen historischer Erklärung: Erklärung durch Gesetze, Erklärung durch
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kausale Information, vielleicht Erklärung durch Kodierung. Manche historischen Erklärungen verdanken ihre Kraft der Berufung auf ein Gesetz, das die Ausgangsbedingungen mit dem zu erklärenden Ereignis verknüpft. Manche verdanken ihre Kraft der Tatsache, daß sie uns über die kausale Vorgeschichte eines Ereignisses Aufschluß geben. Vielleicht verdanken manche ihre Kraft der Tatsache, daß sie das zu erklärende Ereignis in dieser oder jener literarischen Form von Geschichten kodieren. Doch keiner dieser Typen erklärt erfolgreiches historisches Erklären in seiner ganzen Breite. Das Feld ist, was Erklärungskraft angeht, pluralistisch. Historische Erklärungen haben Kraft, wo sie sie haben, nicht auf Grund dessen, daß sie historische Erklärungen sind, sondern dadurch, daß sie dem einen oder anderen spezifischeren Muster folgen. 159. Ein solches Muster ist das Erklären dessen, was Leute tun, mit Hilfe der Gründe, aus denen sie es tun. Gründe-Erklärungen sind historische Erklärungen, in dem angegebenen weiten Sinne des Ausdrucks (§ 148): sie erklären ein Handeln durch Verweis auf einen früheren Zustand oder ein früheres Ereignis, und der Zustand oder das Ereignis sind der Grund (§ 126). Sie bilden eine erkennbare echte Teilklasse der historischen Erklärungen: von Grenzfällen abgesehen, sind wir ziemlich gut darin, zu entscheiden, ob eine Erklärung eine Erklärung mit Hilfe der Gründe ist, aus denen etwas getan wurde oder nicht; also ob es eine Rationalisierung in Davidsons etwas irreführender Begrifflichkeit ist.30 Und die Erklärungskraft von Erklärungen dieses Typs verdankt sich für uns eben der Tatsache, daß es Erklärungen dieses Typs sind. Sicher gibt es unbefriedigende Gründe-Erklärungen. Aber sie sind nicht unbefriedigend, weil sie Gründe-Erklärungen sind. Sie sind unbefriedigend, weil sie zum Beispiel nur partial oder oberflächlich sind (§ 197). Eine Gründe-Erklärung, die nicht unter solchen kontingenten Mängeln leidet, ist so gut und effektiv, wie Erklärungen nur sein können. Auch beziehen schließlich GründeErklärungen ihre Erklärungskraft nicht von irgendeinem anderen Typus von Erklärung. Ein Grund läßt uns verstehen, was aus diesem Grund getan wurde, nicht weil es ein Gesetz des Inhalts gibt, daß bei Vorliegen des Zustands oder Ereignisses, welches der Grund ist, der Handelnde ein Handeln dieser Art produziert, denn ein solches Gesetz mag es nicht geben (§ 151). Ein Grund läßt uns verstehen, was aus diesem Grund getan wurde, nicht weil er uns über die kausale Vorgeschichte der Handlung belehrt, denn soviel wir wissen, mag er das nicht tun (§ 152). Ein Grund läßt uns verstehen, was aus diesem Grund getan wurde, nicht weil Grund
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und Handeln in der einen oder anderen Geschichten-Form kodiert werden können, denn vielleicht können sie das nicht: Tun aus Gründen wird nicht unbedingt in vorgeformten „Intrigen“ geliefert. Die Erklärungskraft von Gründe-Erklärungen scheint sich damit nicht auf die eines anderen Typs historischer Erklärungen zurückführen zu lassen. Die Erklärungskraft von Gründe-Erklärungen scheint nur ihre eigene zu sein. 160. Mit der Aussage, daß Gründe-Erklärungen eine Art von historischen Erklärungen mit unabhängiger Erklärungskraft bilden, ist man nicht darauf beschränkt zu sagen, ein Grund sei ein Grund. Zunächst, GründeErklärungen können identifiziert und von anderen Erklärungen unterschieden werden mit Hilfe der in ihnen charakteristisch gebrauchten Ausdrücke, im Deutschen wie in anderen Sprachen. Solche Ausdrücke sind etwa „aus dem Grund, daß …“, „deshalb“ und „deswegen“, oder im Englischen „therefore“ und „on account of“, im Lateinischen „propterea“, im Griechischen „heneka tinos“. Freilich, wie Sprachen einmal sind, kann man nicht erwarten, daß auch nur einer dieser Ausdrücke ausschließlich für die Grund-Beziehung gebraucht wird. Es bräuchte also eine lange linguistische Abhandlung, um die Kontexte herauszusuchen, die die GrundBeziehung anzeigen, und auch die beste Abhandlung mag noch viele Grenzfälle übrig lassen. Aber von welcher Beziehung hier die Rede ist, darüber braucht kein Zweifel zu bleiben. Zum anderen, Gründe-Erklärungen lassen sich identifizieren und von anderen Erklärungen unterscheiden mit Hilfe von Geschichten, wahren oder erfundenen, in denen sie am Platze sind oder es nicht sind, wie etwa die Geschichte von der Drohung des Läufers in meinem Schachspiel (§ 118) und die Geschichte von Simon, der auf Jesus’ Rede hin das Netz auswirft (§ 141). Da Erklärungen durch Gründe historische Erklärungen sind, können wir uns auf die Fähigkeiten unseres Gesprächspartners als Historiker berufen, wenn es darum geht, daß er sieht, was Gründe-Erklärungen sind (§ 124). Und Geschichten, die sich dazu eignen, das klar zu machen, werden uns nicht ausgehen. 161. Gründe-Erklärungen sind schwächer als es von anderen Arten von historischen Erklärungen angenommen wird, ob mit Recht oder nicht. Insbesondere zeigen Gründe-Erklärungen nicht, daß die so erklärten Handlungen in irgendeinem Sinne notwendig sind. Wenn wir erkennen, aus welchen Gründen jemand tat, was er tat, so begreifen wir, warum er es tat, aber es ist darum doch nicht so, daß er es, gegeben die Gründe, tun mußte. Es ist wahr, manche meinen, nichts verdiene eine Erklärung ge-
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nannt zu werden, was nicht das zu Erklärende als notwendig erweist.31 Aber hier ist die Antwort von David Lewis überzeugend: eine gute Erklärung sollte etwas Derartiges nur zeigen, wenn es wahr ist.32 Es gehört auch nicht zu unserem normalen Verständnis von Erklärungen, daß sie uns dazu bringen, das Erklärte als notwendig anzusehen. Die meisten von uns geben gerne zu, daß Historiker vom Fach manchmal Ereignisse erklären, aber nicht viele von uns, und die Historiker selbst am allerwenigsten, sehen in solchen Erklärungen den Nachweis, daß die Dinge so, wie sie geschehen sind, geschehen mußten. 162. Ebenso sind Erklärungen von Handlungen mit Hilfe der Gründe, aus denen sie getan wurden, zu schwach, um die entsprechenden kontrafaktischen Sätze zu stützen. Wenn es wahr ist, daß ich meinen Bauern wegen der Drohung des Läufers bewegte, sind wir doch darum nicht in der Lage zu sagen, daß ich den Bauern nicht bewegt hätte, wenn die Drohung des Läufers nicht gekommen wäre. Wir wissen nicht, was in dem Fall geschehen wäre; und wir brauchen es nicht zu wissen, um Erklärende dessen zu sein, was wirklich geschehen ist. Wir sind auch nicht in der Lage, hinsichtlich eines anderen Spiels, in dem unter sonst gleichen Umständen der Läufer nicht meinen Turm bedroht, sondern ein anderer Zug erfolgt, zu sagen, daß ich meinen Bauern bewegt hätte, wenn der Läufer meinen Turm bedroht hätte. Wir müssen einfach schweigen über das, was ich getan und nicht getan hätte, wenn das und das Ereignis eingetreten oder nicht eingetreten wäre. Diejenigen von uns, die den schieren Sinn kontrafaktischer Sätze anzweifeln,33 werden daran auch wenig zu bedauern finden. 163. Das Gleiche gilt für Voraussagen. Wenn man meinen Bauernzug mit Hinweis auf den Grund, aus dem ich tat, was ich tat, also mit Hinweis auf die Drohung des Läufers, erklären kann, so zeigt das nicht, daß man, sowie der Läufer seine bedrohliche Stellung eingenommen hatte, meinen Bauernzug voraussagen konnte. Vielleicht konnte man ihn voraussagen. Vielleicht ist eine solche Drohung des Läufers ein Grund, auf den ich unweigerlich reagiere. Oder vielleicht tun das Leute allgemein unter solchen Umständen. Aber vielleicht konnte man den Zug auch nicht voraussagen. Vielleicht gibt es kein Muster von Belang in meinen Reaktionen oder allgemein in den Reaktionen der Leute auf diese Art von Situationen, und doch tat ich es aus diesem Grund. So behandeln wir ja auch normalerweise Erklärungen und Voraussagen von Handlungen mit Hilfe der Gründe, aus denen sie getan werden. Leute töten sich aus Gründen, und oft genug haben wir nachher eine ziemlich deutliche Vorstellung davon, was der
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Grund war, aber in vielen dieser Fälle konnten wir nicht, auch wenn wir den Grund kannten, den Ausgang vorhersagen. Gleichwohl fühlen wir uns darum nicht genötigt, die Behauptung zurückzunehmen, das, was wir uns zusammengereimt haben, sei wirklich der Grund gewesen. Mit Handlungen und Gründen ist es wie mit den Gesichtern von Leuten. Aus dem Gesicht des Kindes ist nicht zu entnehmen, was das Gesicht des Erwachsenen sein wird, aber im Gesicht des Erwachsenen erkennt man manchmal das Gesicht des Kindes wieder. 164. Jemand könnte sagen: wenn Gründe-Erklärungen nicht zeigen, daß die betreffende Handlung, gegeben der Grund, kommen mußte, wenn sie keine entsprechenden kontrafaktischen Sätze tragen und keine passenden Voraussagen garantieren, wozu sind sie dann überhaupt gut? Warum sollte man eine solche Erklärung haben wollen? Die Antwort ist die normale: man will sie haben, um zu verstehen, was los ist oder war. Den Grund zu kennen, aus dem jemand etwas tat, heißt auf eine Art zu wissen, warum es geschah, also auf eine Art es zu verstehen. Notwendigkeit, kontrafaktische Sätze, Voraussagbarkeit mögen feine Sachen sein, wenn man sie kriegt, aber Verstehen hängt nicht an ihnen. Wer versteht, sieht, wie die Dinge gegangen sind. Dafür braucht er nicht zu wissen, daß sie unter diesen Umständen nicht anders hätten gehen können, daß sie unter anderen Bedingungen anders gegangen wären, oder daß ihr Gang hätte vorausgesagt werden können. Und es ist etwas Gutes, zu sehen, wie die Dinge gegangen sind. 165. Wenn man Gründe-Erklärungen von Handlungen als eine besondere Art historischer Erklärungen mit unabhängiger Erklärungskraft versteht, so mag es scheinen, daß damit die Konzeption von Handlungserklärungen als Neubeschreibungen des Handelns wieder aufgenommen wird, wie sie etwa in A.I. Meldens Buch Free Action vorliegt. Nach dieser Konzeption gibt es zwei Arten von Erklärungen, die durch Ursachen und die durch Gründe. Eine Erklärung durch Ursachen charakterisiert das Ereignis oder den Zustand, die erklärt werden sollen, nicht weiter, sie sagt nur, wie es zu ihnen kam. Bei einer Erklärung durch Gründe ist es umgekehrt, sie gibt eine neue Beschreibung des Handelns, das erklärt wird, aber sie sagt nichts darüber, wie es zu diesem Handeln kam.34 Man mag denken, daß ähnlich nach dem gegenwärtigen Argument Gründe-Erklärungen nur eine neue Beschreibung der Handlung liefern, indem sie sie nämlich in den Zusammenhang von Zuständen oder Ereignissen setzen, auf welche die Handlung eine Reaktion ist, nicht aber sagen, wie es zu der Handlung kam. Al-
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lerdings besteht eine Übereinstimmung in diesem Punkt: in der Neubeschreibungs-Konzeption wie nach dem hier entwickelten Argument sind Gründe-Erklärungen zugelassen, die nicht kausale Erklärungen sind. Was dagegen die positive Behauptung der Neubeschreibungs-Theorie angeht, so ist in der weiteren Diskussion klar geworden, daß die Unterscheidung zwischen einer neuen Beschreibung des Handelns und einer Auskunft darüber, wie es zu dem Handeln kam, sich nicht halten läßt. Melden argumentierte so: Gründe können nicht Ursachen sein, denn da sie das Handeln neu beschreiben, können sie nicht sagen, wie es zu ihm gekommen ist.35 Dies Argument schlägt fehl, denn man kann etwas neu beschreiben, genau indem man sagt, wie es dazu kam.36 Und das eben tun GründeErklärungen. Indem sie den Grund angeben, aus dem etwas getan wurde, sagen sie, wie es zu dem Tun kam: es kam dazu, weil der Grund vorlag. Zugleich geben sie eine neue Beschreibung dessen, was getan wurde, denn sie setzen es in Zusammenhang mit dem Grund. Die NeubeschreibungsKonzeption hat also recht in dem, was sie behauptet: Gründe-Erklärungen beschreiben Handlungen neu. Sie hat unrecht in dem, was sie leugnet: Gründe-Erklärungen sagen auch, wie es zu einem Handeln kam. 166. Es lohnt sich, hier darauf hinzuweisen, daß das Argument auf der Gegenseite, also auf der Seite derjenigen, die zeigen wollten, daß GründeErklärungen wirklich Kausalerklärungen sind, unter einer ähnlich übereilten Folgerung litt. Sie machten geltend, daß man noch nicht erklärt hat, warum jemand etwas getan hat, wenn man nur die Handlung in einen Kontext setzt, der, wenn er die Handlung auch verständlich macht, doch keine Ursache für sie enthält. Somit lasse sich die Erklärungskraft, die Gründe-Erklärungen schließlich haben, nur unter der Annahme verstehen, sie seien kausale Erklärungen.37 Dies Argument setzt einfach voraus, daß nur Beschreibungen erklären, die Ursachen angeben, und das ist genau das, was Melden in Frage gestellt hatte. Sicher hat Davidson recht, wenn er sagt: Eine Art, ein Ereignis zu erklären, ist die, es in den Kontext seiner Ursache zu setzen. Ursache und Wirkung bilden die Art von Muster, das die Wirkung erklärt, in einem Sinne von „erklären“, den wir so gut verstehen wie nur irgendeinen. Wenn Grund und Handlung ein anderes Erklärungsmuster darstellen, muß gesagt werden, welches dies andere Muster ist.38
Ganz richtig, und hier ist das Muster: es ist das, Handlungen durch die Gründe, aus denen sie getan wurden, zu erklären. – Und welches Muster ist das? – Ich habe es kenntlich gemacht, indem ich Begriffe nannte, wel-
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che die betreffende Beziehung anzeigen, und Geschichten beibrachte, in denen sie vorkommt (§ 160). – Könnte diese Beziehung nicht auf andere zurückgeführt werden, zum Beispiel auf eine Kausalbeziehung? – Ich kenne kein gutes Argument, das nachwiese, daß dies nicht gelingen kann. Nur ist es bisher nicht gelungen. Versuchen Sie es weiter, wenn Sie mögen. Ich finde es klüger, sich mit der normalen Unterscheidung zwischen Gründen und Ursachen zufrieden zu geben (§ 142). – Aber das Muster der Gründe-Erklärungen verstehen wir nicht so gut, wie wir das Muster kausaler Erklärungen verstehen. – Erstens ist das nicht ausgemacht. Im normalen Gebrauch dürften Gründe-Erklärungen ebenso glatt funktionieren wie kausale Erklärungen; und daß die philosophische Analyse der Kausalbeziehung besser dasteht als die philosophische Analyse der GrundBeziehung, kann man angesichts der Diskussionsstände wohl bezweifeln: in beiden Gebieten herrscht Streit. Zweitens, angenommen auch, wir sind in unserem Verständnis von Ursachen weiter als in unserem Verständnis von Gründen, so spricht das doch überhaupt nicht dafür, daß GründeErklärungen wirklich Ursachen-Erklärungen sind. Es ist ein pragmatischer Grund dafür, den Versuch, Gründe-Erklärungen auf Ursachen-Erklärungen zu reduzieren, besonders eifrig zu betreiben. Es ist kein Anzeichen dafür, daß dieser Versuch gelingen wird. 167. Auf der anderen Seite mag der Verdacht bestehen, daß die gegenwärtige Argumentation in Wirklichkeit zu der alten Unterscheidung zwischen Erklären und Verstehen zurückkehrt; daß sie nur behauptet, Handlungen aus Gründen müssen verstanden statt erklärt werden, in dem besonderen Sinn, den diese Ausdrücke in bestimmten Teilen der Philosophie der Sozialwissenschaften erhalten haben.39 (Es ist ein besonderer Sinn, im Gegensatz zum gewöhnlichen. Im gewöhnlichen Sinne ist Verstehen einfach das, was eine gute Erklärung zustande bringt. Es ist der gewöhnliche Sinn, der etwa in § 147 verwendet ist.) Auf eine Art ist der Verdacht im Recht. Der Gegensatz von Erklären und Verstehen ist auf verschiedene Weisen interpretiert worden, aber um Droysen zu folgen, einem der Autoren, von denen die Unterscheidung ausgeht, der Grundgedanke ist, daß Erklären und Verstehen verschiedene Untersuchungsverfahren sind, die zu verschiedenen Resultaten führen. Durch Verstehen gelangt man dahin, in dieser oder jener Erscheinung einen Ausdruck der Menschheit, durch Erklären gelangt man dahin, in dieser oder jener Erscheinung den Fall eines allgemeinen Gesetzes zu erkennen.40 Dilthey, ein anderer klassischer Vertreter des Gedankens, errichtet einen ähnlichen Gegensatz zwischen dem Entdecken
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von Gesetzen, welche die Erscheinungen der physischen Welt regieren, und dem Erkennen des Ausdrucks menschlichen Lebens in den Erscheinungen der menschlichen Welt.41 Richtig scheint hier die Behauptung, daß Erscheinungen unter Gesetze zu fassen nicht die einzige Art ist, sie zu erhellen. Braucht man die Wörter in dem, was ihr normaler Sinn zu sein scheint, so könnte man sagen, daß es Erklärung durch Angabe von Gründen nicht weniger gibt als Erklärung durch Angabe von Ursachen und als Erklärung durch Subsumtion unter Gesetze. Gebraucht man die etablierte Begrifflichkeit der Unterscheidung von Erklären und Verstehen, müßte man sagen, daß Erklären nicht die einzige Art ist, Kenntnis über Erscheinungen zu gewinnen. Und die Terminologien mischend könnte man paradox sagen, daß Erklären nicht die einzige Art der Erklärung ist, die es gibt. Doch wie immer man sich ausdrückt, worauf es ankommt, ist die Einsicht, daß die Gründe anzugeben, aus denen jemand etwas tut, eigene erhellende Kraft hat. Diese Einsicht bringt jedoch nicht die Annahme traditioneller Lehren vom Verstehen als besonderem Geisteszustand mit sich, der Zugang zu etwas wesentlich Innerem verschafft, zum Geist des Individuums, oder sogar zu menschlichem Leben und menschlicher Geistigkeit überhaupt. Das Verstehen dessen, was Leute tun, mit Hilfe der Gründe, aus denen sie es tun, gewinnt nicht Kenntnis von etwas an sich Verborgenem. Es ist nur eine Art unter anderen, über dies Tun sich klar zu werden. Das Innere ist wirklich entbehrlich. Wir erklären, was Leute tun, mit Hilfe der Gründe, aus denen sie es tun, und indem wir das erklären, verstehen wir sie aus den Geschichten, von denen dies Tun einen Teil bildet. Wir können uns Verstehen durch Gründe als wahrhaft oberflächlich vorstellen. 168. Um zusammenzufassen, die Frage dieses Kapitels war, wie sich die Erklärungskraft von Gründen verstehen läßt, wenn Gründe so begriffen werden wie im vorigen Kapitel angegeben (§ 146). Die Antwort ist, daß Gründe-Erklärungen kraft eigenen Rechtes gelten, wenn sie gelten (§ 159). Gewiß, Gründe-Erklärungen sind historische Erklärungen, in einem weiten Sinne dieses Ausdrucks (§ 159). Doch entgegen einer weithin geteilten Annahme haben historische Erklärungen nicht als solche Erklärungskraft, sondern auf Grund dessen, daß sie dem einen oder anderen spezifischeren Muster folgen (§ 158). Gründe-Erklärungen bilden ein solches Muster.
Kapitel 6 Beliebige Zustände oder Ereignisse können Gründe sein, aus denen jemand etwas tut 169. Zur Diskussion steht dieser Vorschlag (§ 118): ein Grund, aus dem man handelt, ist etwas, worauf die Handlung eine Reaktion ist. Die zweite (§ 146) Frage, die sich hier stellt, ist die, ob ein Grund eine besondere Art von ‚etwas‘ ist: auf was für Arten von Dingen sollen Handlungen aus Gründen Reaktionen sein? Eine erste Antwort wurde schon gegeben: Handlungen sind Reaktionen auf Zustände oder Ereignisse, nicht auf Gegenstände, Personen oder Tatsachen, obgleich wir manchmal so reden, als ob auch diese letzteren Dinge Gründe sein könnten (§ 126). Die weitere Frage jetzt ist, ob es zusätzliche Einschränkungen dafür gibt, was ein Grund für was sein kann. Viele Autoren behaupten solche Einschränkungen. Ihr Gedanke ist, daß Handlungen aus Gründen und diese Gründe selbst sinnvoll aufeinander bezogen sein müssen; daß nicht einfach irgendetwas als Grund dienen kann, aus dem jemand etwas tut, sondern nur solche Dinge, die nach dem sozialen Umfeld der Handlung als Gründe zulässig sind. 170. Für diesen Gedanken wird in der Literatur kaum ausdrücklich argumentiert. Doch dürfte eine Überlegung ungefähr nach dem folgenden Muster das sein, was einer Reihe von Autoren vorschwebt:1 1. Handeln schließt Sinn ein. 2. Insbesondere schließt Handeln aus Gründen Sinn ein, und ebenso tun es diese Gründe selbst. 3. Sinn gibt es nur in Systemen von Sinn. 4. Solche Systeme sind an Ort und Zeit gebunden. 5. Bei einer Handlung können folglich immer nur manche Zustände oder Ereignisse Gründe sein, aus denen gehandelt wird. 171. Das Argument ist erläuterungsbedürftig. Der erste Satz, daß Handlungen Sinn einschließen, bedeutet ungefähr Folgendes. Nach dem Essen in einem Restaurant geben Sie dem Kellner Ihre Kreditkarte. Das kann man so beschreiben, daß Sie ihm eine Karte aus Plastik mit allerhand Zei-
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chen darauf hinhalten und er sie nimmt. Aber diese Beschreibung ist, wenn auch richtig, so doch nicht adäquat. Sie erfaßt nicht das, was man natürlicher Weise den Sinn dessen, was Sie tun, nennen könnte, und der besteht darin, daß Sie dem Restaurant eine bestimmte Summe zahlen. Was Sie tun, ist also wirklich mehr als das Aushändigen der Plastikkarte, es begreift auch dies Element von Sinn ein. „Handlungen schließen Sinn ein“ sagt, daß dies allgemein gilt. Was immer Handlung genannt werden kann, enthält einen Sinn.2 172. Im Hinblick auf Satz 2 nehmen wir an, Sie zahlen dem Restaurant diese Summe aus dem Grund, daß Sie soviel für Ihr Essen schuldig sind. Der Umstand aber, daß Sie soviel schuldig sind, wird erneut unzulänglich beschrieben, wenn man nur sagt, Sie haben unter normalen Umständen in einem Restaurant gegessen und bisher noch nicht dafür gezahlt. Das zu sagen ist zwar wahr, aber es erfaßt nicht, was wieder passend der Sinn der Situation genannt werden kann, nämlich Ihre rechtliche, vielleicht auch moralische Verpflichtung zu zahlen. Auf diese Weise schließt das Handeln wie auch der Grund, aus dem gehandelt wird, Sinn ein; und nicht nur in diesem besonderen Falle, so ist die Behauptung, sondern allgemein. 173. Nach Satz 3 gibt es Sinn nur in Systemen. Der Gedanke dabei ist der. Etwas ist eine Zahlung nur im Umfeld einer Praxis des Tauschs von Gütern oder Diensten. In einer sozialen Wüste kann man nichts bezahlen. Eine Praxis des Tauschens, die ja aus Handlungen besteht, ist wiederum etwas, das Sinn einschließt. Das heißt, hier hängt ein Ding, das Sinn einschließt, von etwas anderem ab, das Sinn einschließt. Aber eine Praxis des Tauschens hängt ihrerseits wieder von anderen Dingen ab, die Sinn einschließen, von Einrichtungen und Rollen, die darin angeboten werden, von Regeln und von Sanktionen, die Verletzern der Regeln auferlegt werden, von einem Verständnis, das man von sich selbst oder von anderen hat; und während diese wiederum von anderen Sinn einschließenden Dingen abhängen, hängen noch wieder andere von ihnen ab. Es besteht also ein System solcher Abhängigkeiten, das sinntragende einzelne Dinge aneinander bindet. Das aber gilt allgemein, so ist die Behauptung: was immer Sinn einschließt, ist Teil eines solchen Systems. Es gibt verschiedene Meinungen darüber, was die Basis-Elemente sind, auf deren Grundlage diese Sinn-Systeme zu verstehen sind. Winch, der in der Nachfolge Wittgensteins steht,3 zieht soziale Regeln vor, MacIntyre mit seiner Aristotelischen Perspektive entscheidet sich für gemeinsame Praktiken,4 und Taylor in der Weiterführung von Hegels Unternehmen betont gemeinsame
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Selbstverständnisse.5 Doch diese Unterschiede sind zweiten Ranges. Gemeinsam ist der Gedanke, daß etwas, was Sinn einschließt, nur möglich ist als Teil eines ganzen Baus von Dingen, die Sinn einschließen. 174. Satz 4 sagt, es gebe kein umfassendes Sinn-System der ganzen Menschheit, es gebe davon verschiedene, und jedes von ihnen sei nur an diesem oder jenem Ort und zu dieser oder jener Zeit in Kraft. Wie Hollis diese Theorie beschreibt, „es gibt keine einzelne Lebensform, innerhalb deren sich Lebensformen niedrigerer Stufe begreifen lassen. Es gibt nicht einmal eine solche Lebensform für jede Kultur, geschweige denn eine allgemeine für alle Kulturen.“6 Während also jedes Ding, das Sinn einschließt, in irgendeinem System auf andere solche Dinge bezogen ist, gibt es doch kein System, innerhalb dessen jedes mit jedem in Beziehung steht. Pluralismus ist unvermeidlich: der Sinn, den eine Handlung mit sich bringt, ist Teil eines besonderen Sinn-Systems, das nur dann und dort gilt. Wie weit oder eng „dann und dort“ zu verstehen ist und ob die Sinn-Systeme überlappen oder geschachtelt sind, hängt vom besonderen Fall ab. 175. Satz 5 folgt, so scheint es, aus den Sätzen 2, 3 und 4. Wenn (2) Gründe Sinn einschließen, (3) Sinn nur in Systemen gedeiht und (4) Systeme nur lokale Bedeutung haben, dann (5) ist der Vorrat an Sinn, aus dem Gründe sich versorgen können, für jede gegebene Handlung beschränkt, und folglich ist der Bereich dessen, was als Grund für eine gegebene Handlung in Frage kommt, gleichfalls beschränkt, beschränkt eben durch das System oder die Systeme von Sinn, die dann und dort gültig sind. Aristoteles schrieb den berühmten Satz: „Die Seele ist in einer Weise alles, was ist.“7 Mag jetzt auf der Seite bleiben, daß die Seele alles, was ist, sein soll. Wichtig im gegenwärtigen Zusammenhang ist die Tatsache, daß nach dem Satz des Aristoteles die Menschen inmitten all dessen stehen, was ist, fähig, ein jedes zu berühren, und auch berührbar von jedem. Die Autoren, die ein Argument wie das gegenwärtig diskutierte vertreten, lassen diese aristotelische Vision fallen, wie nah sie auch sonst Aristoteles’ Denken stehen mögen. Für sie ist unsere Welt wesentlich eine beschränkte, eine Gegend. Heidegger schrieb den ähnlich berühmten Satz: „Die Sprache ist das Haus des Seins“8, und dies Haus, in dem wir vermutlich wohnen, ist ein begrenzter Raum, im Gegensatz zu der Allheit bei Aristoteles. Die Autoren, die das gegenwärtige Argument vertreten, schließen sich Heidegger an. Der Gedanke des Arguments ist: wir handeln nie gleichsam draußen, im Freien, sondern immer nur in diesem oder jenem Haus des Seins. Die Gründe, aus denen wir etwas tun, sind damit un-
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ausweichlich lokal, an ein besonderes System von Sinn gebunden und nur in einem solchen Kontext verständlich. 176. Zweifel weckt das Argument dadurch, daß es sich den eigenen Ast abzusägen scheint. Wenn für etwas Gründe zu geben selbst ein Handeln ist, wie manche Verteidiger dieses Arguments insistieren,9 fragt man sich, wie die allgemeinen Sätze in dem Argument auch nur erreichbar sein sollen. Zum Beispiel, wie kann man von einem solchen lokalen Blickwinkel aus sagen, daß kein Sinn-System umfassend ist? Wenn andererseits diese allgemeinen Sätze als Äußerungen von bloß lokaler Bedeutung gefaßt werden, verfällt die Kraft des Arguments. Es zeigt nämlich dann nur, daß Leute hier in der Gegend gerne sagen, ihre Aussagen seien nur gültig hier in der Gegend, und damit, daß sie dies sagen, ist ja nichts darüber ausgemacht, wie weit ihre Aussagen gültig sind. Doch Einwände dieser Art, die den Schlußsatz eines Arguments gegen es selber wenden, sind zwar manchmal verblüffend, aber kaum je überzeugend. Etwas Stärkeres ist nötig, um jenen Zweifeln Gewicht zu geben. 177. Lichtenberg schrieb in seiner Polemik gegen die Physiognomisten: „Gesetzt der Physiognome haschte den Menschen einmal, so käme es nur auf einen braven Entschluß an sich wieder auf Jahrhunderte unbegreiflich zu machen.“10 Die Physiognomen, das ist Lichtenbergs Punkt, können bestenfalls Korrelationen zwischen Eigenschaften des Charakters und physiognomischen Zügen ans Licht heben, wie sie sich bisher an Menschen gefunden haben. Sie können nicht behaupten, daß die und die Gesichtszüge ein für allemal mit den und den Charaktereigenschaften zusammengehen. Der Gedanke, daß ein Grund, aus dem jemand etwas tut, einem lokalen Sinn-System eingefügt ist, lädt eine ähnliche Rückfrage ein. Nehmen wir an, es ist alles wahr: Handlungen und die Gründe, aus denen gehandelt wird, schließen Sinn ein, Sinn gibt es nur in lokalen Systemen von Sinn, also gehören Gründe zu solchen lokalen Sinn-Systemen. Wieso zeigt das, daß Gründe ein für allemal an solche Systeme gebunden sind, an dieses oder jenes System oder überhaupt an irgendeines? Warum nicht Lichtenbergs „braven Entschluß“ zulassen, über den Zaun zu springen? Wenn nur unsere bisherige Erfahrung vom Tun und von den Gründen des Tuns der Leute uns sagt, daß Gründe diesen lokalen Sinn-Systemen eingefügt sind, ist die Annahme voreilig, daß die Leute in ihrem Tun und in den Gründen für ihr Tun an dies bestimmte oder an irgendein solches System gebunden sind. Wir können nur sagen: Handlungen und Gründe haben bislang diese Regelmäßigkeit gezeigt. Wir können nicht sagen: das ist eine
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Regelmäßigkeit, über die sie nicht hinaus können. Das zur Diskussion stehende Argument zeigt also nicht, daß, gegeben eine Handlung, nur manche Zustände oder Ereignisse Gründe für sie sein können. 178. Die Verteidiger des Arguments leugnen die entscheidende Prämisse des Einwands. Sie leugnen, daß nur unsere bisherige Erfahrung vom Tun und von den Gründen des Tuns der Leute uns sagt, daß Gründe diesen lokalen Sinn-Systemen eingefügt sind. Sie leugnen, daß dies a posteriori erkannt wird. Sie behaupten, es gehöre zum Rahmen a priori des Handelns aus Gründen, daß Handlungen und Gründe solchen Systemen sich einfügen. Es trifft sich nicht bloß so, daß Handeln aus Gründen einen Sinn einschließt, der zu einem lokalen Sinn-System gehört, sondern dies liegt in seinem Wesen. Mit Wittgensteins berühmtem Ausdruck, „das Hinzunehmende, Gegebene – könnte man sagen – seien Lebensformen.“11 Daß sie hinzunehmen sind, bedeutet: die Vorstellung eines Heraustretens aus ihnen, ob im Denken oder im Handeln, gibt keinen Sinn. Nach dieser Überlegung ist Lichtenbergs braver Entschluß einfach nicht erhältlich. Dann allerdings kann nicht jedes beliebige Ding ein Grund sein, aus dem etwas getan wird. Nur das kann ein Grund sein, was seinen Ort hat in einem dann und dort jeweils gültigen System von Sinn. 179. Die Frage ist dann, worauf diese Behauptung sich stützen kann. Warum sollte es so sein, daß etwas aus einem Grund zu tun unvermeidlich einen Sinn einschließt, der sich aus den Ressourcen eines lokalen Systems von Sinn speist? Auf diese Frage gibt die Lehre von den konstitutiven Regeln eine Antwort. Diese Lehre, zuerst vorgetragen von John Rawls im Jahre 195512 und von vielen Autoren seitdem wiederholt,13 hat sich heute weitgehend durchgesetzt. Sie besagt: es gibt Regeln, die für die unter sie fallenden Handlungen konstitutiv sind. Daß die Regeln konstitutiv sind, heißt: ohne die Regeln könnte es die Handlungen, die unter sie fallen, nicht geben. Mit einer häufig gebrauchten Metapher, durch konstitutive Regeln wird ein bestimmtes Tun erst „geschaffen“.14 Konstitutive Regeln stehen regulativen Regeln gegenüber. Unter die letzteren fallen Handlungen, die es geben kann unabhängig davon, ob es die Regel gibt oder nicht. Gewöhnlich erklärt man den Unterschied in Bezug auf Spielregeln. „Zieh den Läufer nur diagonal!“ ist eine konstitutive Schachregel, denn ohne diese Regel könnte es so etwas wie Schachspielen nicht geben und demnach auch nicht so etwas wie das Ziehen eines Läufers, im hier relevanten Sinne. „Rochiere beizeiten!“ ist eine regulative Regel beim Schach,15 denn Spieler können beizeiten rochieren, ob es die Regel gibt oder nicht.
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180. Die Lehre von den konstitutiven Regeln wird für die Frage fruchtbar gemacht, ob es für Handeln aus Gründen wesentlich ist, in ein lokales System von Sinn eingefügt zu sein (§ 178). Bei Taylor wird der weitere Schritt, den Verteidiger des zur Diskussion stehenden Arguments hier machen, so beschrieben: Ich rege an, diesen Begriff des Konstitutiven über den Bereich des regelgeleiteten Verhaltens hinaus auszuweiten. … Wie es konstitutive Regeln gibt, also Regeln der Art, daß es das von ihnen regierte Verhalten gar nicht geben könnte ohne sie, die in diesem Sinne also unabtrennbar sind von diesem Verhalten, so, möchte ich anregen, gibt es auch konstitutive Unterscheidungen, konstitutive Sprachbereiche, die ähnlich unabtrennbar sind, sofern nämlich gewisse Handlungsweisen ohne sie nicht existieren können.16
Das heißt, es gibt Sinn, der konstitutiv für Handeln ist. Weil konstitutiv, ist er tatsächlich Bestandteil des Rahmens a priori für Handlungen, und insbesondere für Handlungen aus Gründen. Da nun alle Sinn-Systeme lokalen Charakter haben, ist der Bereich dessen beschränkt, was ein Grund sein könnte, aus dem jemand etwas tut. Ein Analogie-Argument soll also auf die Frage vom Beginn des letzten Absatzes antworten. Es trifft sich nicht nur so, daß Handeln aus Gründen Sinn zeigt, es schließt unweigerlich Sinn ein, denn Handeln aus Gründen muß nach der Analogie mit Handeln unter konstitutiven Regeln verstanden werden. 181. Analogien sind verschieden plausibel, und gewiß ist diese hier nicht geradewegs unwiderstehlich. Zudem bietet Taylor keine weiteren Gründe für das an, was er selbst bloß eine Anregung nennt, und läßt uns also mit der Überzeugung zurück, die die Analogie für sich allein bewirkt. Immerhin, eine Analogie ist besser als gar kein Argument. Das Problem liegt auch nicht darin, daß das Argument mit einer Analogie arbeitet, sondern in dem, womit die Analogie eine Analogie sein soll. Die wirkliche Schwierigkeit ist, daß es konstitutive Regeln gar nicht gibt. Es gibt keine Regeln der Art, daß es die Handlungen, die unter sie fallen, nicht geben könnte ohne sie. Es ist nicht wahr, daß ohne die Regel betreffend Läuferzüge es gar kein Schachspiel und damit auch keine Läuferzüge geben könnte. Die Handlungen, die den Regeln des Schachspiels gehorchen, mit einem Wort das Schachspielen besteht darin, Holzstücke auf einem Brett in bestimmten geregelten Weisen zu versetzen, und gewiß könnten Leute das tun, auch wenn es keine Schachregeln gäbe. Sicher ist es unwahrscheinlich, daß Leute Schachfiguren in der Art herumführen würden, wenn es keine Regeln dieses Inhalts gäbe, aber das tut nichts zur Sache. Wenn Schachspiel nur tatsächlich nicht auftritt, ohne daß Regeln existieren, reicht das nicht
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aus, die Regeln konstitutiv zu machen: „tritt nicht auf ohne“ und „ist konstituiert durch“ sind zweierlei Beziehungen. 182. Gewiß, alle sind sich einig, daß auch ohne Schachregeln die Leute Holzstücke auf einem Brett in der Art herumführen könnten, wie es, so wie die Dinge jetzt liegen, von den Schachregeln vorgeschrieben wird.17 Deshalb wurde das Argument dafür, daß manche Regeln konstitutiv sind, normalerweise verlagert auf die Beschreibungen der betreffenden Handlungen. Rawls schrieb: Wenn man sagt, daß die Praxis logisch den besonderen Fällen vorausgeht, so ist dies gemeint: Es sei irgendeine Regel gegeben, die eine Handlungsweise (einen Zug) angibt. Dann würde eine bestimmte Handlung, die man bei bestehender Praxis als Fall dieser Regel verstünde, nicht als diese Art von Handlung beschrieben werden, wenn es nicht die Praxis gäbe.18
Vielleicht würde sie nicht so beschrieben werden. Wenn es so ist, zeigt das doch nicht, daß die betreffenden Regeln konstitutiv sind, sondern nur, daß Leute, die etwa die Schachregeln nicht hätten, wahrscheinlich das Schach-Vokabular auch nicht hätten. Das heißt, für die Frage der Konstitutivität ist es belanglos, wie irgendeine Handlung beschrieben wird oder beschrieben würde. Für die Frage der Konstitutivität ist es belanglos, ob Leute, die die Regeln nicht hätten, aber die Holzstücke auf die richtige Art herumführten, es Schachspielen nennen würden, was sie tun. Es ist belanglos, denn die Beschreibungen, die die Leute gebrauchen, zeigen nicht verläßlich an, was für Dinge es gibt oder geben könnte. Die Beschreibungen, die die Leute gebrauchen, hängen noch von anderen Dingen ab, zum Beispiel von dem Vokabular, in dem sie ausgebildet worden sind. Konstitutivität dagegen betrifft die Frage, was für Dinge es geben könnte. Sie betrifft die Frage, ob Handlungen, die tatsächlich Fall einer bestimmten Regel sind, auch vorkommen könnten, wenn es die Regel nicht gäbe. Die Tatsache, wenn es denn eine Tatsache ist, daß Leute, die die Regeln nicht hätten, die Tätigkeiten nicht mit Hilfe von Begriffen beschreiben würden, die uns auf Grund der Regeln bekannt sind, zeigt also nicht, daß diese Leute die Tätigkeiten selbst nicht ausführen könnten. Das aber müßte gezeigt werden, um zu beweisen, daß manche Regeln konstitutiv sind. 183. Sie werden leugnen, daß die Handlungen, die unter die Schachregeln fallen, darin bestehen, Holzstücke auf einem Brett auf die Arten zu verschieben, die wir damals lernten, als man uns die Regeln beibrachte. Recht haben Sie. Zunächst müssen die Figuren ja nicht aus Holz, sie können auch aus Glas sein. Doch berührt das nicht den Punkt: Leute könnten,
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ohne daß sie die Regeln hätten, Glasfiguren ebenso gut wie hölzerne herumschieben. Dann braucht es kein Brett zu geben, wir können Briefschach spielen, indem wir einander Signale wie „1. e2-e4“ schicken und Stellungen von Figuren auf einem Brett uns nur vorstellen, Stellungen, die in regelmäßiger Weise mit jenen Signalen verknüpft sind. Das berührt wiederum nicht den Punkt: Leute könnten, ohne daß sie die Regeln hätten, einander solche Signale schicken und Stellungen von Figuren auf einem Brett sich vorstellen, Stellungen, die in regelmäßiger Weise mit jenen Signalen verknüpft sind. (Zugegeben, das unterstellt, daß es regelmäßige Verknüpfungen auch dort geben kann, wo es keine Regeln gibt, aber das können Sie schwerlich leugnen: die Natur ist voll von ihnen.) Und so können wir weitermachen. Nehmen Sie die eben gegebene Erklärung der Handlungen, die unter die Schachregeln fallen, die Erklärung, nach der diese Handlungen darin bestehen, Holzfiguren auf einem Brett in bestimmten regelmäßigen Arten herumzuschieben, und fügen Sie Bedingungen hinzu oder nehmen Sie welche weg, wie es Ihnen richtig erscheint. Tun Sie Dinge hinzu wie Gewohnheiten der Spieler, Einschränkungen der Spieldauer, emotionale Bedingungen wie den Ehrgeiz zu gewinnen. Nach jeder solchen Revision kann ich mit Grund sagen, sie berühre nicht den Punkt: Leute könnten, ohne daß sie die Regeln hätten, tun, was diesen Anforderungen entspricht, also sie könnten diese Gewohnheiten erwerben, sich an diese Zeitbeschränkungen halten, diese emotionalen Reaktionen ausbilden. Vielleicht wird die Erklärung des Handelns, das unter die Schachregeln fällt, dabei unhandlich, aber auch das berührt nicht den Punkt. Die Frage, um die wir streiten, ist nicht, ob wir eine einfache Erklärung des Handelns, das Fall der Schachregeln ist, geben können, ohne auf die Schachregeln Bezug zu nehmen. Das können wir nicht. Die Frage, um die wir streiten, ist die, ob es dies Handeln geben kann, ohne daß die Schachregeln existieren. Das Spiel, das wir in diesem Absatz gespielt haben, zeigt, daß es dies Handeln geben kann. Auch ohne die Regeln könnten Leute Holzfiguren auf einem Brett auf die regelmäßige Art herumschieben, mit der wir vertraut sind, weil wir die Regeln gelernt haben; und wie Sie auch diese Erklärung des Handelns, das unter die Schachregeln fällt, in vernünftiger Weise verfeinern mögen, die Leute könnten immer noch auch ohne die Regeln das tun, was Sie angeben. 184. Irgendwann in diesem Hin und Her werden Sie versucht sein zu sagen, daß das Handeln, um das es uns hier geht, nicht ein bloßes Verschieben von Holzfiguren, oder meinetwegen Glasfiguren auf einem Brett ist,
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sondern spezifischer, ein wesentlich regelgeleitetes Verschieben dieser Figuren. Sie werden versucht sein, das zu sagen, denn es versperrt mir meine stehende Antwort auf Ihre Vorschläge, nämlich, daß sie den strittigen Punkt nicht berühren. Dieser Vorschlag berührt ihn. Ohne die Regeln könnten Leute nicht etwas tun, was eben ein wesentlich regelgeleitetes Verschieben dieser Figuren ist. Trotzdem, widerstehen Sie der Versuchung. Wenn Sie sagen, daß die unter die Schachregeln fallenden Handlungen wesentlich regelgeleitete Handlungen sind, so berührt das nicht nur den strittigen Punkt, es ist der strittige Punkt. Da ich an Ihrer Behauptung zweifle, daß es die Handlungen nicht geben kann ohne die Regeln, zweifle ich natürlich auch an Ihrer Behauptung, daß die Handlungen wesentlich regelgeleitet sind. Zu sagen, daß sie es sind, bringt unsere Auseinandersetzung also nicht weiter. Überdies landen Sie mit der Rede von einem wesentlich regelgeleiteten Handeln in einer russischen Puppe. Wer von Regelgeleitetheit, gleich ob wesentlich oder nicht, spricht, lädt die weitere Frage ein, was denn da geleitet wird. Wer darauf antwortet, daß das Geleitete wiederum ein wesentlich regelgeleitetes Handeln ist, beginnt einen Regreß, in dem er wirklich nie auf die Frage antwortet, was das Handeln ist, das unter die Schachregeln fällt. Wer aber die Handlungen, die durch die Regeln geleitet werden, bezeichnet, ohne sich wieder auf Regelgeleitetheit zu berufen, der hätte das auch gleich tun können, als die Frage zu beantworten war, welches die Handlungen sind, die den Schachregeln entsprechen; und dann tritt das vorige Argument wieder in Kraft, nämlich, daß ein Handeln, das sich ohne Rückgriff auf eine wesentliche Regelgeleitetheit beschreiben läßt, auch dort vorkommen kann, wo die entsprechenden Regeln nicht existieren. 185. Sie können Ihren Punkt auch vor Zweifeln schützen, indem Sie ihm definitorische Geltung geben. Sie können erklären, Sie seien nicht bereit, irgendeine Tätigkeit „Schachspielen“ zu nennen, die vorkommt, ohne daß bestimmte Regeln wie die über das Ziehen von Läufern existieren; und dann sind Sie in Sicherheit mit Ihrer Behauptung, daß diese Regeln konstitutiv sind, denn die fragliche Tätigkeit, Schachspielen, kann es nicht geben ohne die Regeln. Nur ist das ein Sieg, mit dem Sie nichts gewinnen. Wir wollten wissen, ob es wahr ist, daß es Schachspielen, dies Wort im normalen Sinne genommen, nicht geben kann ohne die Regeln, und auf diese Frage gibt Ihr Beschluß, den Ausdruck „Schachspielen“ nur so zu gebrauchen, daß es wahr ist, keine Antwort.
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186. Angesichts des großen Einflusses, den die Lehre von den konstitutiven Regeln ausübt, mag es sich lohnen, den kritischen Punkt noch einmal darzustellen. Searle schrieb: Eine Eheschließungs-Zeremonie, ein Baseball-Spiel, ein Prozeß und ein gesetzgeberischer Akt schließen verschiedene physische Bewegungen, Zustände und uninterpretierte Empfindungen ein, aber einen dieser Vorgänge nur in solchen Begriffen zu beschreiben heißt noch nicht, ihn als Eheschließung, Baseball-Spiel, Prozeß oder gesetzgeberischen Akt zu beschreiben. Die physischen Ereignisse und uninterpretierten Empfindungen zählen als Bestandteile solcher Vorgänge nur, wenn gewisse andere Bedingungen gegeben sind, und vor dem Hintergrund gewisser Arten von Institutionen.19
Der erste dieser Sätze ist trivial: etwas als eine physische Bewegung beschreiben heißt nicht, es als eine Zeremonie zu beschreiben. Aber der zweite Satz folgt nicht aus dem ersten. Was als Bewegung beschrieben wird, und auch richtig so beschrieben wird, mag gleichwohl eine Zeremonie sein, und nicht nur als Teil einer solchen zählen, gegeben gewisse Bedingungen und vor einem Hintergrund von Institutionen. Searles Vorstellung scheint zu sein, daß unter den richtigen Bedingungen und vor dem richtigen Hintergrund das bloß physische Ding, die Bewegung, einen anderen, einen sozialen Teil aufgesetzt bekommt; oder sogar, daß eine Art Transsubstantiation vorgeht: Nur wenn die Institution des Geldes gegeben ist, habe ich jetzt eine FünfDollar-Note in der Hand. Ohne die Institution habe ich bloß ein Stück Papier mit ein paar grauen und grünen Zeichnungen.20
In Wahrheit hat Searle etwas in der Hand, was sowohl eine Fünf-DollarNote als auch ein Stück Papier mit grauen und grünen Zeichnungen ist; und er hat etwas in der Hand, was dies und jenes ist, sowohl wenn es die Institution des Geldes gibt, wie auch wenn es sie nicht gibt. Wenn es die Institution des Geldes nicht gibt, werden wir dies Ding vielleicht nicht eine Fünf-Dollar-Note nennen, aber das ist, wie eben ausgeführt (§ 182), belanglos für den strittigen Punkt. Gewiß fängt der Steinzeit-Searle mit der Fünf-Dollar-Note in seiner Hand nicht viel an, aber das betrifft nur die absehbaren Wirkungen, die man mit diesem Papier erzielen kann, nicht das, was es ist. Ein Haartrockner auf dem Meeresgrund ist darum immer noch ein Haartrockner. Daß die Banknote, wenn die Institution des Geldes wegfällt, zu einem bloßen physischen Ding verwelkt, ist Aberglauben. Diese Vorstellung verwechselt Funktion und Substanz. 187. Zusammengefaßt: Es gibt keine konstitutiven Regeln, also keine Regeln der Art, daß es ohne sie auch die Handlungen, die Fälle dieser Regeln
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sind, nicht geben könnte (§ 181). Konstitutive Regeln wurden herbeigerufen, damit durch die Analogie mit ihnen der a priori-Status lokaler Sinn-Systeme relativ auf Handlungen gestützt würde (§ 180). Deren a priori-Status mußte gesichert werden, um das ursprüngliche Argument (§ 170) zu verteidigen (§ 178). Dieses Argument sollte, unter Berufung auf die Unentbehrlichkeit lokaler Sinn-Systeme, zeigen, daß es jeweils nur einen beschränkten Bereich von Dingen gibt, die dafür in Frage kommen, ein Grund zu sein, aus dem etwas getan wird. Verteidigt werden mußte das Argument gegen den Lichtenberg’schen Einwand, daß, selbst wenn die Handlungen, die wir kennen, ihren Sinn im Zusammenhang lokaler Systeme von Sinn gewinnen, es doch nicht unerläßlich ist, daß eine Handlung entweder aus diesen besonderen oder auch aus überhaupt einem System mit Sinn versorgt wird (§ 177). Nun gibt es keine konstitutiven Regeln. Damit fällt die Verteidigung gegen diesen Einwand zusammen, und ebenso fällt das ursprüngliche Argument. Es ist somit kein Grund gegeben worden zu leugnen, daß bei jeder Handlung jeder beliebige Zustand und jedes beliebige Ereignis ein Grund sein könnte, aus dem sie getan wurde. Jedes beliebige Ding könnte ein Grund sein, nach allem, was wir wissen: es ist Sache der Erfahrung, herauszufinden, was in einem besonderen Fall ein Grund wirklich ist. 188. Wer konstitutive Regeln, Sinn-Systeme mit a priori-Status und Lebensformen, die einfach hinzunehmen sind, leugnet, verweigert darum nicht Regeln, Gebräuchen, Verpflichtungen und anderen Dingen, von denen gesagt wird, daß sie Sinn einschließen, den Status von Gründen. Jemand tut etwas, weil er es versprochen hat: diesen Satz kann man genau so verstehen, wie er dasteht. Jemand hat etwas versprochen, und dies Ereignis, sein Versprechen, ist das, worauf sein Leisten des Versprochenen jetzt eine Reaktion ist. Also ist sein Versprechen der Grund, aus dem er jetzt das Versprochene leistet. Das Versprechen als einen Grund zuzulassen verlangt nicht, im Gegensatz zu der Behauptung vieler Autoren, eine zusätzliche Schicht „institutioneller Tatsachen“,21 Regeln,22 konstitutiver Selbstverständnisse23 oder dergleichen. Daß jemand etwas verspricht, ist ein Ereignis wie jedes andere und kommt daher wie jedes anderes dafür in Frage, den Grund zu bilden, aus dem jemand etwas tut. Wohl ist wahr, er hätte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht etwas versprochen, wenn die Praxis des Versprechens in seiner Umgebung nicht bekannt gewesen wäre; und nun, da er etwas versprochen hat, hätten wir es auch ziemlich schwer gehabt, herauszufinden, daß er es getan hat, wären wir unsererseits nicht
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auch schon einigermaßen mit der Praxis vertraut. Aber diese Dinge sind wahr nur, weil Leute beim Erkennen ebenso wie beim Tun von Dingen die Art haben, die sie nun eben haben, in dem Sinne, in dem die Gänse und die Elephanten auch ihre Art haben. Die Wahrheit dieser Dinge braucht nicht durch Sinn-Strukturen mit a priori-Status abgestützt zu werden. Dasselbe gilt für die Tatsache, daß Dinge wie ein Versprechen, das jemand gegeben hat, eine weit bessere Chance haben, tatsächlich ein Grund zu sein, aus dem jemand das tut, was er tut, als sie solche Dinge haben wie das Erlöschen eines entfernten Sterns. Das ist eben unsere Art, oder die Art der meisten von uns, daß wir bei unserem Handeln Versprechen in Rechnung stellen und nicht Sterne, aber darum ist es doch nicht zwingend, daß wir so verfahren. 189. Auch andere Gründe sind nicht in Sicht, die gegen Großzügigkeit beim Abmessen des Bereichs zulässiger Gründe-Kandidaten sprächen. Zum Beispiel könnte jemand sich darüber beklagen, daß schon das Eröffnungs-Beispiel einen zweifelhaften Zustand anführt, wenn nämlich die Drohung des Läufers als Grund für den Bauernzug angesehen wird. Ein echter Zustand, könnte man geltend machen, ist in diesem Fall allein die Position der Figuren und nicht so etwas wie eine Drohung, und nur ein echter Zustand kommt dafür in Frage, ein Grund zu sein, aus dem jemand etwas tut. Aber es ist schwer zu sehen, was Drohungen gegenüber Positionen disqualifiziert. Da ist das Argument, daß Positionen Tatsachen, dagegen Drohungen nur Interpretationen von Tatsachen sind. Dies Argument erwies sich als kraftlos: was in einer korrekten Interpretation behauptet wird, ist darum nicht weniger eine Tatsache (§ 133). Zum anderen könnte behauptet werden, daß, solange nur der Läufer meinen Turm bedroht, noch nichts geschehen ist, daß nur etwas geschehen wird, außer es tritt ein Hindernis dazwischen; während die Position etwas ist, was jetzt der Fall ist. Diese Überlegung dreht sich im Kreis. Wenn der Läufer meinen Turm bedroht, so ist wohl etwas geschehen, nämlich es entstand diese Drohung; und warum das Vorliegen der Drohung nicht ein ebenso guter Zustand sein sollte wie die Position der Figuren, war ja gerade die Frage. Ferner könnte man geltend machen, daß Drohungen deshalb Drohungen sind, weil sie bestimmte affektive Reaktionen auslösen, etwa Furcht oder Unruhe, während Positionen unabhängig von solchen Reaktionen vorliegen. Aber es stimmt nicht, daß ich nur bedroht bin, wenn ich auch in irgendeiner Weise in Unruhe gerate. Mit dem Läufer auf b4 ist mein Turm wirklich bedroht, und also ich als Schachspieler, wie unbeeindruckt ich es auch
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aufnehme. Wahr ist nur, daß eine Drohung regelmäßig affektive Reaktionen auslösen kann, aber das gilt auch für Positionen. Da die Argumente auf der Gegenseite also fehlschlagen, sind Drohungen als Gründe, aus denen Leute etwas tun, willkommen, und willkommen sind ebenso, nach der gleichen Überlegung, Versprechen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, in welchem ein hoher Stand des Barometers einen schönen Tag verspricht. Wir machen uns fertig, morgen sehr früh zum Gipfel aufzubrechen, weil das Barometer einen prächtigen Tag verspricht: dieses Versprechen ist der Grund, aus dem wir uns fertig machen. Wie Simon (§ 141) könnten wir zum Barometer sagen: auf dein Wort hin stellen wir die Stiefel bereit.
Kapitel 7 Gründe, aus denen jemand etwas tut, sind normalerweise nicht Eigenschaften des Handelnden 190. Der Vorschlag, soweit er bisher entwickelt wurde, sagt: ein Grund, aus dem etwas getan wird, ist ein Zustand oder Ereignis, auf das die Handlung eine Reaktion ist (§ 118), die Erklärungskraft von Gründe-Erklärungen ist ihnen eigentümlich (§ 159), und es gibt keine Beschränkungen a priori dafür, was ein Grund sein könnte, aus dem etwas getan wird (§ 187). Das ist nun alles sehr großzügig: da sind alle die Zustände und Ereignisse in der Welt, von denen jedes der Grund werden könnte, aus dem etwas getan wird, und um der Grund zu sein, brauchen sie zu der Handlung nicht in einer besonderen Beziehung von Kausalität oder von Sinn zu stehen. Hier liegt es nahe zu fragen: wodurch ist es der Fall, daß ein Handelnder vor dieser unabsehbaren Menge von Dingen, die alle Gründe sein könnten, etwas tut aus diesem oder jenem Grund insbesondere? Der Umkreis von Gründen, aus denen Handelnde etwas tun, ist tatsächlich recht beschränkt, der Umkreis von Gründe-Kandidaten ist nach dem gegenwärtigen Vorschlag enorm groß: woher diese Beschränkung? 191. Aus dem Handelnden. Dank seinen besonderen Eigenschaften verengt sich der Kreis von Dingen, die dafür in Frage kommen, Gründe zu sein, auf den Kreis von Gründen, aus denen er tatsächlich etwas tut. Eine solche Eigenschaft wurde schon erwähnt (§ 130): ein Grund, aus dem jemand etwas tut, kann nicht etwas sein, wovon der Handelnde auf keine Weise Kenntnis hat. Es gibt weitere. Wenn in dem letzten Beispiel das Barometer für morgen einen schönen Tag verspricht, so ist das nur dann ein Grund, aus dem wir unsere Stiefel bereit machen, wenn wir darauf aus sind, morgen den Gipfel zu erreichen, oder wenn wir finden, es wäre eine Schande, nicht loszugehen, oder wenn eine andere Bedingung dieser Art von uns gilt. Es ist nicht ein Grund, aus dem ihr eure Stiefel bereit stellt, weil ihr euch ohnehin einen faulen Tag im Tal machen wollt. Zustände oder Ereignisse verdanken also ihre Stellung als Gründe, aus denen je-
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mand etwas tut, Zügen des jeweiligen Handelnden, also etwa daß er dieses will und jenes weiß. Handelnde, werden sie mit Gründen gefüttert, produzieren Handlungen, aber welche Zustände oder Ereignisse es braucht, damit ein Handelnder etwas tut, was darauf eine Reaktion ist, hängt von dem bestimmten Handelnden ab, von dem, was er weiß, worauf er aus ist, was er erwartet, und so weiter. Handelnde sind differentiell sensitive Handlungs-Produzenten, und das Profil der Gründe, auf die einer anspricht, beschreibt zugleich seine praktische Blindheit. In diesem Sinne sind dann doch Seelen von Handelnden nicht „in einer Weise alles, was ist“ (§ 175). Handelnde sind Gründe-Selektoren, könnte man sagen, wenn das auch mißverständlich wäre. Gründe auszuwählen, aus denen man etwas tut, ist nicht eine zusätzliche Tätigkeit neben den normalen. Gründe auszuwählen ist eine Tätigkeit so, wie einen Schatten zu werfen eine Tätigkeit ist. Es gibt eine Gründe-Auswahl in dem Sinne, daß dank einigen Eigenschaften eines Menschen dieses ein Grund ist, aus dem er etwas tut, und jenes nicht, so wie dank anderen Eigenschaften eines Menschen sein Schatten lang oder kurz ist. 192. Gründe, aus denen man etwas tut, hängen in diesem Sinne also vom Handelnden ab. Etwas kann ein Grund sein, aus dem einer etwas tut, und nicht ein Grund, aus dem ein anderer das tut, oder irgendetwas tut; und dieser Unterschied mag daher rühren, daß die beiden verschiedene Dinge wissen, glauben, erwarten, begehren oder zu tun Lust haben. Daß Gründe von den Handelnden abhängen, heißt nicht, daß Gründe bloß subjektiv sind, in dem Sinne, daß es nicht eine Tatsache ist, sondern bloß für eine Tatsache gehalten wird, vom Handelnden oder einem Beobachter, daß etwas ein Grund ist, aus dem dieser Handelnde etwas tut. Gründe, aus denen jemand etwas tut, sind vom Handelnden abhängig so, wie es Nachbarn sind. Jeder Beliebige könnte von jemand der Nachbar sein, aber wirklich sind zu einer bestimmten Zeit nur ein paar Leute jemandes Nachbar, und welche das sind, mag von dessen Position abhängen. So könnte jeder beliebige Zustand ein Grund sein, aus dem jemand etwas tut, aber nur einige sind zu einer bestimmten Zeit wirklich solche Gründe, und welche es sind, hängt von der besonderen praktischen Einstellung dieses Menschen ab. Es hängt, mit einem etwas veralteten Begriff, von der besonderen Denkungsart eines Menschen ab, also von seinem Denken und Empfinden über das, was geschehen ist und geschehen könnte. Aus alledem folgt freilich nicht, daß sei es Nachbarschaft, sei es Gründe nur im Auge des Betrachters liegen. (Nicht daß leicht zu erkennen wäre, was es
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heißen soll, daß Schönheit im Auge des Betrachters liegt – außer es sollte heißen, daß Betrachter schöne Augen haben, aber das soll es anscheinend nicht heißen.) 193. Daß es von Eigenschaften des Handelnden abhängt, was ein Grund und was kein Grund ist, aus dem dieser Handelnde etwas tut, erlaubt auch nicht zu folgern, daß diese Eigenschaften selber die Gründe sind, aus denen er etwas tut. Wir müssen dahinter her sein, morgen den Gipfel zu erreichen, oder etwas Ähnliches, um heute unsere Stiefel fertig zu machen aus dem Grund, daß das Barometer gutes Wetter verspricht, aber das zeigt nicht, daß wir unsere Stiefel wirklich fertig machen aus dem Grund, daß wir dahinter her sind, morgen den Gipfel zu erreichen. Und mindestens normalerweise ist es nicht wahr, daß wir unsere Stiefel fertig machen aus dem Grund, daß wir dahinter her sind, morgen den Gipfel zu erreichen. Normalerweise kommen solche Dinge wie, daß wir hinter etwas her sind, gar nicht in Betracht. Normalerweise sind Handelnde, die Dinge aus Gründen tun, zur Welt gewandt. Sie machen ihre Stiefel fertig wegen des Versprechens des Barometers, nicht wegen ihres Verlangens, den Gipfel zu erreichen. Oft liegt ihnen nichts an diesem Verlangen, ja manchmal wissen sie nichts davon. Ihr Verlangen ist nur der Zug an ihnen, dem es zu verdanken ist, daß in diesem Fall das Versprechen des Barometers ein Grund wird, aus dem sie ihre Stiefel fertig machen. Ihr Verlangen ist sozusagen durchsichtig, wie ein Fernglas: manche Dinge werden durch es herausgehoben als Gründe, aus denen sie etwas tun, aber es selbst, das Verlangen oder das Fernglas, ist nicht eines von den so herausgehobenen Dingen. 194. Es sollte leicht sein, diese beiden Dinge auseinander zu halten: einen Grund, aus dem wir etwas tun, und das an uns, was den und den Zustand zu einem Grund macht, aus dem wir etwas tun. Aber die beiden Dinge werden häufig verwechselt, vermutlich in Folge der ähnlich häufigen Verwechslung von Gründen und Ursachen (§ 142). Daß wir dahinter her sind, morgen den Gipfel zu erreichen, angeblich ein innerer Zustand und damit fähig, unsere äußere Maschinerie in Bewegung zu setzen, scheint deshalb eine Ursache dafür zu sein, daß wir unsere Stiefel bereit machen; und es scheint die eigentliche Ursache, weil das Versprechen des Barometers, selbst wenn es auch als eine Ursache zugelassen wird, uns doch nur über unser Verlangen bewegt, den Gipfel zu erreichen. Wird das Verlangen aber auf diese Weise als Ursache angesehen, so schließt man durch die Verwirrung von Gründen und Ursachen, es sei auch ein Grund, und sogar der eigentliche Grund.
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195. In der Streitfrage, was für eine Art von Ding ein Grund ist, aus dem wir etwas tun, hat Stephen Darwall eine dritte Position vertreten.1 Gründe, so sagte er, seien das, „was Leute in Betracht zu ziehen haben, wenn sie wählenswerte Alternativen gegeneinander abwägen,“ und daraus schloß er, sie müssten die Art von Dingen sein, die man zu Gunsten einer Handlung denken oder sagen kann, „dicta“, „Gesagtes“ oder „Erwägungen“, wie er sie nennt.2 Darauf gestützt verwirft er a priori die Vorstellung, ein Grund, aus dem jemand etwas tue, sei ein Begehren, denn ein Begehren sei nicht eine Erwägung. Die Prämisse dieses Arguments, etwas abgeschwächt, scheint richtig: ein Grund, aus dem man etwas tut, ist die Art von Ding, die man typischer Weise in Betracht zieht, wenn man vor dem Tun überlegt, ob man die betreffende Sache tun soll. Aber es kann sein, daß man das nicht überlegt, vielleicht weil keine Zeit ist, und es trotzdem aus einem Grund tut. Ja, manchmal überlegen wir, ob wir etwas tun sollen, und tun es dann aus einem Grund, der in unseren Überlegungen gar nicht vorkam, vielleicht weil wir uns für diesen Grund schämen, von dem wir aber gleichwohl Kenntnis haben. Trotzdem möchte man meinen, daß Gründe, aus denen wir etwas tun, typischer Weise in vorangehenden Überlegungen auftauchen, wenn denn überhaupt solche Überlegungen angestellt werden. Darwalls negative Schlußfolgerung scheint ebenfalls richtig: die Begehren eines Handelnden sind im Normalfall nicht etwas, was in einer Überlegung dessen, was zu tun ist, in Betracht kommen. Sollten wir überlegen, ob wir unsere Stiefel bereit machen sollen, so ist es nicht unser Verlangen, morgen den Gipfel zu erreichen, was zählt, sondern die Aussicht auf gutes Wetter. Zweifelhaft ist Darwalls positive Schlußfolgerung, daß Gründe als etwas, das in Überlegungen darüber, was zu tun ist, in Betracht kommt, darum eben Erwägungen, Gedachtes oder Gesagtes sind. Das ist ein merkwürdig Berkeleyanisches Argument. Die Vorstellung scheint zu sein, daß Leute nichts anderes als Erwägungen erwägen können, wenn sie praktische Alternativen gegeneinander abschätzen. Viel näher läge es zu meinen, daß, was sie bedenken, vielmehr die wirklichen Zustände, die vorhandenen gefährlichen Lagen oder viel versprechenden Chancen sind. Wenn Darwall darauf drängt, es mit einem daß-Satz zu beschreiben, was die Leute erwägen, so macht das keine Schwierigkeit: dann erwägen wir eben, daß das Barometer für morgen einen schönen Tag verspricht. Auch dann erwägen wir aber nicht eine Erwägung. Wir erwägen, wie die Dinge liegen. 196. Wohl gibt es Fälle, in denen das Begehren eines Menschen ein Grund ist, aus dem er handelt, aber die Besonderheit dieser Fälle bestätigt viel-
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mehr, daß im Allgemeinen Begehren für die Rolle des Grundes nicht taugen. Ein Freund von mir legte immer die neue Packung Zigaretten, die er gerade gekauft hatte, in seinen Briefkasten unten in dem Gebäude, in dem er eine Wohnung hatte, um es sich schwieriger zu machen, an eine dranzukommen, wenn er eine wollte.3 Hier war wirklich sein Begehren ein Grund für seine Handlung. Er zog sein Begehren in Betracht und reagierte darauf, so wie ich die Bedrohung meines Turms durch den Läufer in Betracht ziehe und darauf reagiere. Ähnlich gibt es Fälle, in denen man etwas tut aus dem Grund, daß man etwas meint. Wer dahin gekommen ist zu glauben, er sei so wertlos, daß er verdiene, getötet zu werden, der mag aus diesem Grund einen Arzt aufsuchen. Aber das sind offensichtlich besondere Fälle.4 Nicht in dieser Weise ziehe ich mein Begehren in Betracht und reagiere darauf, wenn ich, an einem heißen Sommertag nach einem Bier verlangend, mir schließlich eins aus dem Kühlschrank hole, und ebenso wenig behandle ich bei mir eine Läufer-Phobie, wenn ich meinen Bauern nach c6 rücke. Zumindest müßten die klinischen Umstände ziemlich abseitig sein, um einen solchen Satz wahr werden zu lassen. Im Normalfall mögen solche Zustände wie Begehren, Meinung, Absicht vorhanden sein, aber sie sind nicht das, weswegen ich tue, was ich tue. Also sind sie nicht Gründe, aus denen ich tue, was ich tue.5 Mit dem Gedanken, daß sie es sind, zeichnet man das Bild eines Handelnden, der das praktische Gegenstück eines cartesischen Bewußtseins darstellt, der nämlich in erster Linie mit seinen eigenen Geisteszuständen zu tun hat und nur zusätzlich, durch ein glückliches Zusammentreffen mit solchen Dingen wie den Aussichten fürs Wetter und Drohungen von gegnerischen Läufern. In Wahrheit sind wir Handelnde inmitten der Dinge. Um einen großen Ausdruck bescheiden und passend zu gebrauchen, wir sind welthistorische Handelnde. Entsprechend verstehen wir unser Handeln in erster Linie aus dem Ort, den es unter den Geschehnissen einnimmt, nicht aus unseren Einstellungen zu den Geschehnissen. 197. Ein weiteres Argument dafür, daß Gründe Zustände der Dinge und nicht Zustände des Geistes sind, liegt darin, daß sich mit dieser Auffassung die Vorstellung von einem tieferen Grund, aus dem jemand etwas getan hat, gut verständlich machen läßt. Wenn wir zum Beispiel wissen wollen, weshalb ein Mann seine Frau attackierte, mag uns die Auskunft nicht befriedigen, daß er es tat, weil sie ihn nach den Kosten der Autoreparatur gefragt hatte. Es mag einiges darauf hindeuten, daß dies tatsächlich ein Grund war, und auch nicht nur ein Grund neben anderen, parallel gehen-
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den Gründen. Trotzdem werden wir fragen, was der tiefere Grund war. Eine Antwort wird uns auf solche Dinge wie Verletzungen seiner Eitelkeit oder berufliche Unsicherheit aufmerksam machen, unter denen er litt. Eine solche Antwort braucht die erste Aussage nicht für falsch zu erklären, daß die Frage seiner Frau ein Grund dafür war, daß er außer sich geriet. Beide Antworten können wahr sein, doch eine mag erhellender sein als die andere und mag sich nur herausfinden lassen, wenn man weiter zurück gräbt in die Umstände, die die Reaktion des Mannes hervorriefen. Tatsächlich kommt die Metaphorik von „Tiefe“ hier gelegen, da ja auch die oberen Teile eines Fundaments etwas tragen, selbst wenn sie ihrerseits zusammen mit dem, was sie tragen, getragen werden von den unteren Teilen. Ein tieferer Grund ist also, grob gesprochen, ein größeres Stück Welt, auf das die Handlung eine Reaktion ist. Gründe durch Begehren und Meinungen zu erklären eröffnet dagegen keine Dimension von Tiefe. Daß der Mann die Frage seiner Frau zum Schweigen bringen und daß er gegen viele Niederlagen, die er erlitten hatte, sich selbst beweisen wollte, sind nur zwei Begehren, die nebeneinander stehen. Gewiß, der Inhalt des zweiten begreift in diesem Fall den Inhalt des ersten ein, aber damit ist nichts gewonnen, solange wir die Begehren als Gründe oder als Teile der Gründe ansehen, aus denen Leute etwas tun; denn die Begehren sind nicht so aufeinander bezogen, daß das eine auf dem anderen beruhte. Die eine Erklärung also stellt eine Dimension von Tiefe bereit, die andere tut das nicht: das stützt weiter die These, daß im Allgemeinen ein Grund ein Zustand oder Ereignis in der Welt ist, nicht ein geistiger Zustand des Handelnden. 198. Diese Erklärung kann sich zudem darauf berufen, daß auf diese Weise verschiedene Handelnde aus demselben Grund handeln können, während, wenn Gründe Zustände des betreffenden Handelnden sind, wir nie streng genommen aus demselben Grund etwas tun können, sondern nur aus ähnlichen Gründen. Normalerweise aber sagen wir durchaus, daß wir beide aus demselben Grund etwas tun, etwa wenn wir beide unsere Stiefel bereitstellen, weil das Barometer für morgen einen schönen Tag verspricht. Wir sagen, daß es so etwas geben kann wie eine gemeinsame Sache. Zugegeben, das ist kein besonders starkes Argument, da unser normales Reden in Sachen von Identität und Ähnlichkeit wenig verläßlich ist. Doch ist es ein Vorteil der hier vertretenen Auffassung von Gründen, daß sie das Teilen von Gründen erlaubt. Man mag entgegnen, daß wir ja auch von geteilten Überzeugungen und gemeinsamen Wünschen sprechen, und wenn solche Redeweisen erhältlich sind, sollte es auch die von geteil-
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ten Gründen sein, wenn man sie durch jene erklärt. Doch die übliche Rekonstruktion der Rede von geteilten Überzeugungen und gemeinsamen Wünschen, nämlich über deren identischen Inhalt, hilft denen, die Gründe für Geisteszustände des Handelnden ansehen, nicht bei der Überwindung der gegenwärtigen Schwierigkeit. Denn Inhalte, was immer sie sind, sind nicht Geisteszustände von Handelnden. Geisteszustände sollen das Meinen, das Begehren und so weiter sein, und wenn Gründe in Geisteszuständen bestehen, dann bleiben die Gründe verschiedener Handelnder verschieden, trotz der Identität ihrer Inhalte. 199. Indessen gibt es ein ernsthaftes Argument dafür, daß beispielsweise die Drohung des Läufers nicht der Grund sein kann, aus dem ich den Bauern ziehe, daß der Grund vielmehr ein geistiger Zustand sein muß, wie etwa ein Begehren, der Drohung zu begegnen. Das ist das Argument aus dem Fall des Irrtums. Heinrich denkt, es kommt ein Gewitter, und bittet in dem Haus auf dem Hügel, sich dort unterstellen zu dürfen. Doch in Wirklichkeit kommt dann kein Gewitter, er dachte nur, es würde eins kommen. Gefragt, aus welchem Grund Heinrich zu dem Haus auf dem Hügel hinaufging, können wir nicht auf das Gewitter an dem Abend verweisen, da es ein solches nicht gab. Wir können anscheinend nur auf Heinrichs Meinung zu der Zeit verweisen, daß es ein Gewitter geben würde. So mag er selbst die Sache beschreiben, wenn er einmal seinen Irrtum erkannt hat. Er mag sagen: „Ich bat darum, mich dort unterstellen zu dürfen, weil ich dachte, es käme ein Gewitter.“ Doch wenn in diesem Fall seine Meinung und nicht das heraufziehende Gewitter der Grund ist, aus dem er zu dem Haus hinaufgeht, dann ist auch seine Meinung und nicht das heraufziehende Gewitter der Grund in dem Fall, daß tatsächlich das Gewitter kommt. Sein Zustand ist schließlich der gleiche, ob wirklich ein Gewitter kommt oder nicht. Es scheint also, mit und ohne Gewitter müssen wir auf Heinrichs Meinung verweisen, wenn wir den Grund angeben wollen, aus dem er zu dem Haus auf dem Hügel hinaufging. 200. Man mag diesem Argument entgegenhalten, daß, selbst wenn Heinrich im gleichen Zustand ist, ob ein Gewitter kommt oder nicht, daraus doch nicht folgt, daß der Grund, aus dem er zu dem Haus auf dem Hügel hinaufgeht, in beiden Fällen der gleiche ist. Das folgt nur unter der Voraussetzung, daß ein Grund, aus dem man etwas tut, eine Sache des Zustandes ist, in dem man sich befindet, und ob das wahr ist, steht genau zur Diskussion. Aber wenn auch zugestanden wird, daß seine Gründe in den beiden Fällen verschieden sein mögen, so bleibt die Herausforderung: was
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ist denn nun der Grund, aus dem er zu dem Haus hinaufgeht, im Fall er irrt sich über das bevorstehende Gewitter? Wenn er sich nicht irrt, dann ist das bevorstehende Gewitter der Grund, aber wenn er sich irrt, kann das der Grund nicht sein, weil eben keins bevorsteht. Andererseits ist einem auch nicht wohl dabei, dem eben geführten Argument zu folgen und Heinrichs Meinung als den Grund zu betrachten, denn die Einwände gegen diesen Gedanken (§ 196) sind ja nicht ausgeräumt worden. Schließlich ist dasjenige, auf das hin er in dem Haus auf dem Hügel um Unterstand bittet, nicht seine Meinung, daß ein Gewitter im Anzug ist. Es ist nicht so, daß Heinrich in seinem Geist auf diese Meinung stößt und findet, er sollte etwas dagegen tun, so wie der potenzielle psychiatrische Patient wirklich in seinem Geist auf eine Meinung stößt und zu dem Schluß kommt, er sollte allerdings dagegen etwas tun. Worauf Heinrich stößt, oder vielmehr worauf er zu stoßen meint, das ist ein aufziehendes Gewitter, und das ist es, auf das hin er um Unterstand bitten sollte. Aber auf das hin kann er nicht um Unterstand bitten, weil wirklich kein Gewitter kommt.6 201. Wenn es kein aufziehendes Gewitter gibt, das ein Grund sein könnte, aus dem er zu dem Haus hinaufgeht, und wenn die Meinung, ein Gewitter ziehe auf, auch nicht ein solcher Grund ist, scheint der Schluß unvermeidlich, daß es keinen Grund gibt, aus dem Heinrich zu dem Haus auf dem Hügel hinaufgeht. Er dachte, es komme ein Gewitter, und zu der Zeit könnte er und könnten andere gemeint haben, er gehe zu dem Haus hinauf aus dem Grunde, nämlich, daß ein Gewitter kommt. Jetzt, da seine Meinung über das Gewitter sich als falsch herausstellt, stellt sich auch dies Verständnis seiner Handlung als falsch heraus. Ist die Kuh hin, ist das Kalb auch hin: die Grund-Zuschreibung bricht auch zusammen, wenn der vorgesehene Träger des Grund-Prädikats nicht wirklich wird. 202. Bernard Williams wandte sich genau gegen eine solche Auffassung, als er schrieb: Der Unterschied zwischen falschen und wahren Meinungen beim Handelnden kann nicht die Form der Erklärung ändern, die für sein Handeln passend ist.7
Man ändert die Form der passenden Erklärung, wenn man in dem einen Falle, also wenn Heinrich sich nicht irrt, sagt, der Grund, aus dem er darum bat, sich unterstellen zu dürfen, sei das aufziehende Gewitter gewesen, im anderen Falle aber, also wenn er sich irrt, sagt, es habe keinen
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Grund gegeben, aus dem er darum bat, sich unterstellen zu dürfen. Doch ist nicht klar, warum Williams’ Behauptung richtig sein sollte. Er verteidigt sie nicht ausdrücklich, und das einzige Argument, das sich zu ihrer Stützung anbietet, ist das zuvor berührte (§ 199): was der Grund ist, und ob es überhaupt einen Grund gibt, aus dem jemand etwas tut, sollte vom Zustand des Handelnden abhängen, nicht vom Zustand der Welt; und da die Wahrheit oder Falschheit von Meinungen normalerweise vom Zustand der Welt abhängt, dürfte die Form der passenden Gründe-Erklärung nicht berührt werden, wenn die Wahrheitswerte mancher seiner Meinungen wechseln. Aber dies Argument setzt wieder nur voraus, daß die Gründe, aus denen jemand etwas tut, im Handelnden liegen müssen, und eben dies ist ja der umstrittene Punkt. Versteht man Gründe stattdessen als etwas, dem man in der Welt begegnet, wie hier vorgeschlagen, so liegt es durchaus nahe zu denken, daß passende Handlungserklärungen verschiedene Formen haben, je nach dem, ob die relevanten Meinungen des Handelnden zutreffen oder nicht. 203. Die Parallele mit dem theoretischen Fall ist auch (§ 196) hier erhellend. Die cartesianische Tradition schützte das natürliche Licht der Vernunft vor skeptischen Angriffen, indem sie das innere Theater der Ideen oder Impressionen errichtete: Urteile über diese sollen im Gegensatz zu Urteilen über die Dinge in der Welt gegen Irrtum gefeit sein. Ähnlich schützt die herrschende Auffassung des Handelns dadurch die praktische Vernunft, daß sie inneren Zuständen wie Meinungen die Rolle von Gründen gibt: selbst wenn im Hinblick darauf, wie die Dinge wirklich gehen, ein Handeln sich als töricht oder überflüssig erweist, der Handelnde tat doch aus einem Grund, was er tat. Aber in beiden Fällen bietet diese Wendung einen falschen Trost. Für Forschende ist es eine uninteressante Leistung, bloß von ihren Vorstellungen Kenntnis zu gewinnen, es sei denn, die wären gerade der Gegenstand der Forschung; und für Handelnde ist es eine uninteressante Leistung, im Hinblick auf ihre inneren Zustände vernünftig zu handeln. Worum es geht, das ist Kenntnis von den Dingen und vernünftiges Handeln im Hinblick darauf, wie sie wirklich gehen. Statt dem Schein eines sicheren Hafens von Vorstellungen und inneren Zuständen nachzuhängen, wäre es besser gewesen, zuzugeben, daß die eine wie die andere Art des Gelingens nicht so häufig ist. 204. Davidson und andere Autoren haben argumentiert, daß beide Arten des Gelingens häufig sein müssen; daß, was wir glauben, meistens wahr, und was wir tun, meistens aus einem Grund getan sein muß.8 Es ist ein
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transzendentales Argument, in dem Sinne, daß es Leuten diese Vollkommenheit als eine notwendige Bedingung dafür zuschreibt, daß sie auch nur verstanden werden. Wie ich jedoch an anderer Stelle ausführlicher gezeigt habe,9 leidet dies Argument wie die mehr traditionellen transzendentalen Argumente etwa von Strawson in Individuals und The Bounds of Sense zum einen an der Unterstellung eines zweifelhaften Verifikationismus.10 Es zeigt bestenfalls, daß wir kein Verfahren haben, den Leuten Meinungen und Einstellungen einzeln zuzuschreiben, daß wir sie ihnen in Bündeln zuschreiben müssen. Damit zeigt es nicht, daß Meinungen und Einstellungen ausschließlich oder vorwiegend in Bündeln wachsen: notwendige Bedingungen dafür, daß man etwas herausfindet über etwas, sind nicht notwendige Bedingungen dafür, daß es ist, was es ist. Der zweite Mangel des Arguments besteht darin, daß es nicht zeigt, daß solche Bündel, angenommen wir müssen sie bilden, nach Maßstäben der Rationalität gebildet werden müssen. Der Rationalität einen solchen privilegierten Status in der Beschreibung von Menschen einzuräumen ist nicht gerechtfertigt (§ 154).11 Da dies Argument also fällt, müssen wir mit der Möglichkeit leben, daß wir in unserem Denken wie in unserem Handeln in großem Umfang fehlgehen. 205. Die Behauptung, Heinrich habe nicht aus einem Grund darum gebeten, sich unterstellen zu dürfen, wird auch durch einige Redeweisen gestützt, mit denen wir eine solche Situation normalerweise beschreiben. Es stimmt, Heinrich mag nachher schon sagen, der Grund, aus dem er zu dem Haus auf dem Hügel hinaufging, sei die Meinung gewesen, es komme ein Gewitter (§ 199). Aber er mag auch sagen, daß er nur gedacht habe, es gebe einen Grund, das zu tun, oder daß es ihm nur schien, er habe einen solchen Grund. Wenn hier davon die Rede ist, daß es Gründe gibt oder daß man Gründe hat, so ist das für den jetzigen Gegenstand, aus einem Grund etwas tun, freilich nicht unmittelbar von Belang. Aber ich will später zeigen (§ 220), daß, wann immer jemand etwas aus einem Grund tut, es auch Grund gibt, es zu tun, und er Grund hat, es zu tun. Wenn dem so ist, dann zeigen die eben genannten Redeweisen, also daß er nur dachte, es gebe einen Grund, und daß es ihm nur schien, er habe einen Grund, indirekt, daß er nicht aus einem Grund tat, was er tat. Der normale Sprachgebrauch unterstützt also, wenn auch nicht eindeutig, die hier vorgeschlagene Erklärung des Falls des Handelnden im Irrtum. 206. Heinrich tat nicht aus einem Grund, was er tat, weil kein Gewitter kam. Man kann also etwas aus einem Grund tun und bei einer anderen
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Gelegenheit dasselbe nicht aus einem Grund tun, und nur die Umstände, nichts aber am Handelnden hat sich geändert, außer natürlich, daß einige seiner Meinungen statt wahr jetzt falsch sind. Etwas aus einem Grund tun ist wie ein Klavierkonzert spielen. Exakt das Gleiche spielend, kann einer das eine Mal zur Darbietung eines Klavierkonzertes beitragen und das andere Mal nicht: es kommt darauf an, ob ein Orchester mitspielt. Heinrich also, könnte man sagen, spielte seinen Part in einem Konzert für Wanderer und Gewitter, aber da das Gewitter seinen Einsatz verpaßte, wurde aus dem, was er tat, nicht ein Beitrag zu einer vollständigen Darbietung der Partitur. 207. Man mag sich aber fragen, ob sich Heinrichs Lage nicht einfacher beschreiben läßt. Wohl war es nicht eine Reaktion auf das bevorstehende Gewitter, daß er zu dem Haus hinaufging, denn in Wirklichkeit stand ja kein Gewitter bevor. Aber es gab Anzeichen dafür, daß ein Gewitter bevorstand, sagen wir, dunkle Wolken. Warum lassen wir ihn nicht zu dem Haus hinaufgehen in Reaktion auf sie? Drei Fälle sind hier zu unterscheiden. Der Vorschlag mag zum einen sein, daß Heinrich zu dem Haus hinaufging aus dem Grund, daß dunkle Wolken aufzogen, und von einem Gewitter ist hier keine Rede. Dieser Fall ist unproblematisch: dunkle Wolken ziehen wirklich auf, also bittet Heinrich darum, sich unterstellen zu dürfen. Allerdings ist hier das Problem nur vermieden, nicht gelöst: dies ist nicht mehr der Fall eines Handelnden im Irrtum, wie er es sein sollte (§ 199). Schließlich reagiert Heinrich hier auf etwas, was tatsächlich der Fall ist, nämlich das Aufziehen der dunklen Wolken. Zudem ist diese Geschichte eher unrealistisch. Heinrich leidet hier unter Wolkenangst, statt vor einem Gewitter Schutz zu suchen. Der Vorschlag mag zum anderen sein, daß Heinrich zu dem Haus hinaufging aus dem Grund, daß, wie die dunklen Wolken anzeigten, ein Gewitter wahrscheinlich war. Dieser Fall ähnelt dem, in dem wir unsere Stiefel bereit machen, weil das Barometer einen schönen Tag verspricht, und er ist gleichfalls unproblematisch. Wenn es tatsächlich zu einem gewissen Grad wahrscheinlich war, daß ein Gewitter kommen würde, dann irrte Heinrich sich nicht, als er darum bat, sich unterstellen zu dürfen, selbst wenn das Gewitter dann am Ende doch nicht kam. Er war nur vorsichtig, sein Handeln war eine Reaktion nicht auf ein Gewitter, sondern auf die Wahrscheinlichkeit eines solchen, und wahrscheinlich war das Gewitter ja. Der Vorschlag mag drittens sein, daß trotz allen dunklen Wolken ein Gewitter zu keiner Zeit wahrscheinlich war, oder jedenfalls nie wahrscheinlich genug, um einen Grund zu bil-
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den, aus dem Heinrich um Unterstand bitten würde. Als er zu dem Haus hinaufging, war er einfach im Irrtum darüber, was wahrscheinlich war. Hier haben wir jetzt wirklich den Fall eines Handelnden im Irrtum, aber hier kehrt auch das ursprüngliche Problem zurück, und die dunklen Wolken helfen nicht. Es spielt keine Rolle, was ihn irreführt, also ob er, wie im ursprünglichen Fall, unter dem irrigen Eindruck steht, daß ein Gewitter aufzieht, oder wie im jetzigen Falle, daß ein Gewitter wahrscheinlich ist. In jedem Fall ist das Problem, ob irgendetwas, Gewitter oder Wahrscheinlichkeit eines Gewitters oder sonst etwas, trotz Nicht-Existenz ein Grund sein kann, aus dem er zu dem Haus hinaufgeht. Und das kann es nicht. 208. Allerdings kann es irreführen zu sagen, daß Heinrich nicht aus einem Grund tat, was er tat. Es mag nahe legen zu denken, daß seine Bitte, sich unterstellen zu dürfen, damit als eine bloße Zufallsbewegung betrachtet werden sollte, etwa wie ein Zwinkern der Augen, und das ist sie natürlich nicht. Aber tatsächlich ist das ja auch nicht gesagt; und die Annahme ist nicht gerechtfertigt, daß, was nicht aus einem Grund getan wird, darum eine Zufallsbewegung sein muß. Wenn Heinrich darum bittet, sich unterstellen zu dürfen, so hat das allerdings die Ähnlichkeit mit einer Zufallsbewegung, daß kein Grund vorhanden ist, aus dem er das tut, aber ansonsten ähnelt es eher dem Bitten der Leute, sich unterstellen zu dürfen, wenn sie aus einem Grund darum bitten, etwa aus dem Grund, daß ein Gewitter aufzieht; und normalerweise wird es erhellender sein, Heinrichs Bitten mit diesem Bitten in eine Gruppe zu stellen. Nur den Klavierpart von Beethovens erstem Klavierkonzert zu spielen hat eine Ähnlichkeit damit, nur den Klavierpart von Brahms’ erstem Klavierkonzert zu spielen, nämlich die, daß in beiden Fällen keine volle Darbietung eines Klavierkonzerts stattfindet. Gleichwohl wird es normalerweise nützlicher sein, das Spielen des Klavierparts von Beethovens Konzert einer vollständigen Aufführung dieses Stücks zuzuordnen, etwa als Übung für eine solche Aufführung oder als verstümmelte Version von ihr, statt es mit der SoloVersion des Brahms-Konzertes unter dem Titel „Unvollständiges“ einzugruppieren. Entsprechend also, wenn einer, tatsächlich ohne aufziehendes Gewitter, in dem Haus auf dem Hügel darum bittet, sich unterstellen zu dürfen, läßt sich das am besten verstehen als eine lückenhafte Version davon, daß er bei aufziehendem Gewitter dort darum bittet, sich unterstellen zu dürfen. 209. Deshalb kann der Hinweis darauf, daß Heinrich meinte, ein Gewitter sei im Anzug, erklären helfen, daß er zu dem Haus hinaufging. Es ist ja
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so: eine Auskunft darüber, was der Handelnde meinte, daß der Fall sei, trägt sehr oft zur Erklärung dessen bei, was er tat (§ 199). Wenn man nun sagt: Heinrich meinte, ein Gewitter sei im Anzug, so benennt man damit nicht den Grund, aus dem er zu dem Haus hinaufging, denn seine Meinung ist kein solcher Grund (§ 200). Man identifiziert auch nicht eine Ursache dessen, daß er ging: solange die Physiologen nicht kausale Verknüpfungen zwischen Meinen und Tun herstellen, gibt es keinen Grund für die Annahme, daß Heinrichs Meinen es verursacht, daß er zu dem Haus hinaufgeht. Man zeigt an, daß sein Hinaufgehen zu dem Haus als eine unvollständige Version bei jenen Fällen des Hinaufgehens zu dem Haus eingeordnet werden sollte, in denen hinaufgegangen wird aus dem Grund, daß ein Gewitter im Anzug ist. Man gibt das Konzert an, von dem das, was Heinrich tat, der Solopart war oder, wäre das Gewitter gekommen, der ergänzende Teil gewesen wäre. Diese Angabe trägt zu einer Erklärung seines Hinaufgehens bei. Wir mögen uns wundern, daß er plötzlich von seinem Weg abbiegt, aber wenn wir jetzt hören, daß es sich dabei um eine Version, vollständig oder lückenhaft je nach dem, wie das Wetter sein wird, dessen handelt, daß einer wegen eines bevorstehenden Gewitters darum bittet, sich unterstellen zu dürfen, dann mögen wir verstehen, was er tut. Wir mögen es verstehen, denn wir kennen solche Geschichten wie die, daß einer in Reaktion auf ein bevorstehendes Gewitter darum bittet, sich unterstellen zu dürfen, und wir kennen es auch, daß Leute sich täuschen und sich für Ereignisse rüsten, die am Ende nicht eintreten. Es ist also eine Erklärung, wenn man sagt, Heinrich habe darum gebeten, sich unterstellen zu dürfen, weil er glaubte, es komme ein Gewitter, aber es ist nicht eine Erklärung, die entweder den Grund oder die Ursache seines Tuns angibt. Es ist keine historische Erklärung (§ 148). Es ist eine Erklärung, die angibt, von welcher Art sein Tun war. Solche Erklärungen sind uns geläufig. „Das ist eine Sonnenfinsternis“ (§ 149), „Sie haben schon angefangen zu spielen“, „Sie ist in der Trotzphase“, unter passenden Umständen geäußert, sind weitere Beispiele für diesen Typ von Erklärungen. 210. Dies wiederum mag erklären helfen, warum wir so gerne sagen, daß ein Grund, aus dem jemand handelt, und besonders jemand, der sich im Irrtum über relevante Züge der Situation befindet, eine Meinung ist oder eine Meinung einschließt, Sätze, die nach dem gegenwärtigen Vorschlag in den meisten Fällen falsch sind. (Siehe § 196 für die Sonderfälle, in denen ein solcher Satz wahr ist.) Wir stellen Heinrichs Bitte um Unterstand
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als ein lückenhaftes Exemplar zu den Bitten der Leute um Unterstand, wenn ein Gewitter wirklich kommt, und weiter nehmen wir an, daß es so wie in ihrem Fall auch bei Heinrich einen Grund gibt, aus dem er bittet. Da nun der Grund, aus dem die anderen handeln, nämlich das kommende Gewitter, in seinem Fall nicht zur Verfügung steht, so scheint nichts übrig zu bleiben, als seine Meinung für den Grund zu nehmen, aus dem er handelt. Wird aber einmal die Meinung des irrenden Handelnden als Grund betrachtet, so scheint die Klugheit zu gebieten, dasselbe Muster auch bei Handelnden anzuwenden, die die Sachlage richtig einschätzen. Es erscheint dann vorsichtig und selbstkritisch zu sagen, daß Gründe, aus denen Leute handeln, immer ihre Meinungen sind; ähnlich jenem geschwinden Argument, das manche von der Erfahrung von Sinnestäuschungen zu dem Schluß führte, daß wir nichts als Sinnesdaten wahrnehmen.12 Auf diese Weise enden wir bei einem Ergebnis, das fast das Gegenteil der Wahrheit ist. Der Grundfehler dieser Überlegung liegt nicht darin, Heinrichs Bitten den Bitten derjenigen an die Seite zu stellen, deren Meinungen über das bevorstehende Gewitter richtig sind. Diese Eingruppierung läßt uns ja gerade verstehen, was Heinrich tat. Er bat darum, sich unterstellen zu dürfen, so wie die es tun, die das aus einem Grund tun. Der Grundfehler liegt darin, Heinrichs Fall auch noch darin dem Fall derjenigen, die sich nicht irren, anzugleichen, daß Heinrich wie sie aus einem Grund tat, was er tat. Diese Annahme ist unberechtigt. 211. Wenn sich Heinrichs Fall so erklären läßt, was machen wir mit der glücklichen Gerlinde, der es irgendwie in den Kopf kommt, daß hinter der Wegbiegung ein gefährlicher Bär sitzt, und die wie Heinrich in dem Haus auf dem Hügel darum bittet, eine Weile dort bleiben zu dürfen? Tatsächlich befindet sich dort kein Bär, aber ein schweres Gewitter zieht auf, das sie nicht bemerkt hatte, und weil sie um Unterschlupf gebeten hat, entgeht sie ihm. Normalerweise werden wir Gerlindes Bitten erklären, indem wir sagen: sie tat es, weil sie dachte, um die Ecke vor ihr sei ein Bär; und daß wir so sprechen wie auch die Erklärungskraft dessen, was wir sagen, kann vielleicht nach dem Muster im vorletzten Absatz verstanden werden. Nur mag es scheinen, daß wir nach dem gegenwärtigen Vorschlag gezwungen sind zu sagen, daß Gerlinde wegen des aufziehenden Gewitters um Unterschlupf bat, was ja falsch ist. Denn ihr Bitten scheint, so wie die Dinge dann tatsächlich lagen, eine Reaktion auf das aufziehende Gewitter gewesen zu sein, ob sie es selbst so sieht oder nicht, und so müßte man das Gewitter als den Grund ansehen, aus dem sie bat. Dies scheint also ein
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Fall, der dem gegenwärtigen Vorschlag wenn auch nicht eine absurde, so doch zumindest eine glatt falsche Konsequenz nachweist. 212. Aber die angebliche Konsequenz folgt nicht. Wie vorhin gesagt, Handelnde sind Gründe-Selektoren (§ 191), und das aufziehende Gewitter ist nicht eines der Ereignisse, auf die das Tun der glücklichen Gerlinde eine Reaktion sein könnte, denn sie bemerkt es überhaupt nicht. Es ändert daran nichts, daß, was sie tut, allerdings eine passende Reaktion von jemandem gewesen wäre, der das aufziehende Gewitter bemerkt hat. Sie ist wirklich in derselben Position wie Heinrich: es gibt keinen Grund, aus dem sie um Unterschlupf bittet, denn ein Bär um die Ecke ist nicht da und das Gewitter fällt nicht in ihr Repertoire von Gründen, aus denen sie etwas tun könnte. Hinsichtlich des Gewitters hat die glückliche Gerlinde einfach nur Glück: sie tut das Richtige, aber nicht aus einem Grund. Und es läßt sich kaum bestreiten, daß es Fälle dieser Art gibt, Fälle, in denen wir das Richtige tun, aber nicht aus dem Grund, daß es das Richtige ist. 213. Zusammenfassend, die Frage war, was sondert die Gründe, aus denen man wirklich etwas tut, aus dem großen Feld all dessen aus, was ein solcher Grund sein könnte (§ 190). Antwort, es hängt von Zügen des Handelnden ab, insbesondere von solchen Dingen wie dem, daß er auf etwas aus ist, etwas meint, etwas erwartet, ob etwas ein Grund ist oder nicht, aus dem dieser Handelnde etwas tut (§ 191). Was also ein Grund ist, aus dem einer etwas tut, mag nicht ein Grund sein, aus dem ein anderer das tut oder irgendetwas tut (§ 192). Doch sind Züge des Handelnden wie die, daß er auf etwas aus ist, etwas meint und etwas erwartet, im typischen Fall nicht selbst Gründe, aus denen dieser Handelnde etwas tut (§ 193), manchmal freilich sind sie es (§ 196). Auch der Fall des Handelnden, der sich im Irrtum befindet, zeigt nicht, daß die Gründe, aus denen jemand etwas tut, Zustände des Handelnden sind. Handelnde im Irrtum mögen vielmehr das, was sie tun, überhaupt nicht aus einem Grund tun (§ 201).
Kapitel 8 Gründe, die man hat 214. Der hier zur Diskussion stehende Vorschlag (§ 118) gibt zu einer Reihe weiterer Fragen Anlaß. In dem Vorschlag ist gesagt, was ein Grund ist, aus dem jemand etwas tut, und in welcher Beziehung ein solcher Grund zu der Handlung steht. Aber von Gründen sprechen wir in Bezug auf Handlungen noch in verschiedenen anderen Weisen, und eine Erklärung der Gründe, aus denen jemand etwas tut, wird nicht überzeugen, solange sie nicht auch hilft, den Sinn dieser Redeweisen zu erhellen. Hier ein Überblick über einige von ihnen. Die Leute tun nicht nur etwas aus Gründen – der bisher behandelte Fall. Jemand kann auch einen Grund haben, oder Gründe haben, oder einfach Grund haben, etwas zu tun, oder wie man auch sagt, Grund oder Gründe dafür haben, etwas zu tun. Entsprechend kann es einen Grund, Gründe oder einfach Grund geben oder dafür geben, etwas zu tun; und es kann Grund oder Gründe für jemanden geben, etwas zu tun, oder es kann einfach Gründe geben, nicht für jemanden. Weiterhin werden Gründen verschiedene Eigenschaften zugeschrieben, entweder vergleichsweise oder absolut. Man kann guten, starken, hinreichenden, ausgezeichneten, überwältigenden Grund dafür haben, etwas zu tun. Ein Grund ist besser oder stärker oder wiegt schwerer als ein anderer. Jemand kann mehr Grund haben, das eine zu tun, als er Grund hat, das andere zu tun. Und diese verschiedenen Arten, von Gründen zu reden, können noch auf verschiedene Arten kombiniert werden. 215. Die Unterschiede sind hierbei oft nur stilistisch. Z. B. daß es Gründe für jemanden gibt, etwas zu tun, und daß dieser Mensch Gründe hat, das zu tun, läuft, darf man annehmen, auf dasselbe hinaus.1 Auch gibt es keinen interessanten Unterschied zwischen Gründen, etwas zu tun, und Gründen dafür, etwas zu tun. Ferner, daß es Grund gibt, etwas zu tun, läßt sich verstehen als die Aussage, daß es mindestens einen, möglicherweise viele Gründe gibt, das zu tun. Und wenn es heißt, daß es Gründe gibt, etwas zu tun, aber nicht Gründe für jemanden Bestimmten, dann darf man diese Gründe verstehen als Gründe für wen auch immer sie gege-
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benenfalls von Belang sind. Wer etwa sagt, daß es Grund gibt, vor dem Auswechseln einer Sicherung den Hauptschalter umzulegen, der sagt, daß jeder, der sich anschickt, eine Sicherung auszuwechseln, Grund hat, den Hauptschalter umzulegen. Die ganze Reihe verschiedener Ausdrucksweisen reduziert sich damit auf zwei Gruppen wichtiger Unterschiede. Da ist einmal der Unterschied zwischen dem Fall, daß es für jemanden einen Grund gibt, oder gleichwertig, daß jemand einen Grund hat, etwas zu tun, und dem Fall, daß jemand etwas aus einem Grund tut. Da sind zum anderen die qualitativen Unterschiede vom Ende des letzten Absatzes. Dieses Kapitel nimmt sich den ersten Unterschied vor und bietet eine Erklärung von Gründen an, die wir dafür haben, etwas zu tun. Zwei weitreichende Einwände gegen diesen Vorschlag, der eine von Internalisten, der andere von Verteidigern der Normativität von Gründen erhoben, sind Gegenstand des nächsten Kapitels. Kapitel 10 macht dann einen Vorschlag, wie sich die verschiedenen Eigenschaften verstehen lassen, die Gründen gemeinhin zugeschrieben werden. 216. Ein Grund, aus dem man etwas tut, unterscheidet sich dadurch von einem Grund, den man hat, etwas zu tun, daß man vielleicht nicht tut, was man Grund hat zu tun. Man mag Grund haben, dem Rat des Arztes zu folgen, und doch ihm nicht folgen. Ein weiterer Unterschied ist, daß man in irgendeiner Art Kenntnis haben muß von einem Grund, aus dem man etwas tut (§ 130), nicht aber von einem Grund, den man hat, etwas zu tun. Wenn Gift im Glas ist, so ist das für einen ein Grund, nicht daraus zu trinken, selbst wenn man keine Ahnung hat, daß das Zeug im Glas vergiftet ist. Eine gängige Terminologie bezeichnet Gründe, aus denen jemand etwas tut, als motivierende,2 und demgegenüber Gründe, die jemand hat, etwas zu tun, als rechtfertigende Gründe;3 aber beide Ausdrücke sind unglücklich. Was den ersten betrifft, so heißt „motivieren“ wörtlich „in Bewegung setzen“. Wenn man also einen Grund, aus dem jemand etwas tut, einen motivierenden Grund nennt, so legt man den Gedanken nahe, ein Grund sei etwas, was Handelnde in Bewegung setzt. Das heißt, man nimmt an, daß ein Grund eine Ursache dessen ist, was aus diesem Grund getan wird. Das ist aber eine bedeutsame Behauptung (§ 142), sollte also eigens verteidigt und nicht durch die Terminologie vorentschieden werden. Auf der anderen Seite führt es auch in die Irre, Gründe, die man dafür hat, etwas zu tun, rechtfertigende Gründe zu nennen, denn es verleitet zu dem Gedanken, daß diesen Gründen das Rechtfertigen der betreffenden Handlung immer gelingt. Doch dem ist nicht
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so. Zum Beispiel mögen solche Gründe durch Gründe, die man gegen die betreffende Handlung hat, überwogen werden. Aber auch überwogene Gründe sind immer noch Gründe, die man hat. Bleiben wir also bei der Terminologie von Gründen, die man dafür hat, etwas zu tun, und Gründen, aus denen man etwas tut, so ist das Problem nun, zu verstehen, was das ist, einen Grund nur zu haben, im Gegensatz dazu, daß man etwas aus einem Grund tut. Insbesondere ist das Problem, herauszufinden, ob Gründe, die man nur hat, in einer ähnlichen Weise verstanden werden können, wie es für Gründe, aus denen man etwas tut, angemessen schien. 217. Hier ist ein Fall davon, daß jemand einen Grund hat, etwas zu tun. An einem anderen Punkt in unserem Schachspiel (§ 118) bedrohen Sie mich mit einer so genannten Gabel, einer Stellung, in welcher der Springer zugleich beispielsweise König und Turm angreift und so den Gegner zwingt, den König zu sichern, aber den Turm preiszugeben. Unerfahren im Schachspiel, wie ich bin, sehe ich die Gefahr nicht. Auch gibt es in diesem Fall keinen anderen Vorteil dabei, diese Gefahr unbeachtet zu lassen. Wenn ich Ihren Springer nicht daran hindere, meinen König und Turm in die Gabel zu nehmen, wird das die pure Dummheit sein; und ich kann Ihren Springer daran hindern, indem ich das betreffende Feld decke. Dann ist es wahr zu sagen, daß ich Grund habe, dieses Feld zu decken. Und die Frage ist, was an der Situation es wahr macht, dies zu sagen. Eine Antwort bietet sich an, die der vorgeschlagenen Erklärung (§ 118) dafür entspricht, was es heißt, etwas aus einem Grund zu tun. Etwas aus einem Grund tun, das hieß: etwas tun, was eine Reaktion auf den Zustand ist, der den Grund bildet. Daß es bloß einen Grund gibt, etwas zu tun, das hieße demgemäß: es besteht ein Zustand, in Reaktion auf den jemand etwas tun könnte. Es braucht zwei, damit etwas aus einem Grund getan wird, den Grund und die Handlung, die eine Reaktion darauf ist. Ist nur das erste dieser beiden Dinge vorhanden, so ist das die Lage, in der es einen Grund, etwas zu tun, nur gibt. Die Welt hat ihren Teil getan, damit es eine Geschichte mit einem Zustand und einer Reaktion darauf durch einen Handelnden gibt. Solange der Handelnde aber nicht seinen Teil tut, gibt es bloß oder hat er bloß einen Grund, etwas zu tun. Der Ball ist in seinem Feld. 218. Mit einigen anderen vorhin erwähnten Beispielen (§ 119): wenn wir Domino spielen und Sie legen eine Drei hin, so ist das für mich ein Grund, meine Doppel-Drei dagegen hinzulegen, auch wenn ich es nicht tue, und somit es nicht aus diesem Grund tue, zum Beispiel, weil wir unterbrochen werden. Wenn Sie mich nach der Zeit fragen, so habe ich daran einen
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Grund, es Ihnen zu sagen, selbst wenn es nicht ein Grund ist, aus dem ich es tue, weil es einen stärkeren Grund für mich gibt, es nicht zu tun, da ich gerade meinen Mund voll habe. Das Anfangsstück einer Geschichte, die mit einer Reaktion von mir vervollständigt werden kann, liegt auf dem Tisch: das heißt einen Grund haben, etwas zu tun. Der Fall des Handelnden, der einen Grund hat, etwas zu tun, es aber nicht aus dem Grund tut, erweist sich damit als der umgekehrte Fall des Handelnden im Irrtum. Heinrich produzierte Handeln, wo kein Grund war (§ 201). Solch ein Handelnder produziert kein Handeln, wo ein Grund ist. 219. Auf diese Weise kann ein Grund, den ich habe, etwas zu tun, dasselbe sein wie der Grund, aus dem ich es tue, wenn ich es denn tue.4 So sollte es auch sein. Es sollte möglich sein, daß ich jenes Feld genau aus dem Grund decke, den ich vorher nur hatte, aber nicht sah. Deshalb kann es, noch einmal (§ 216), irreführen, von motivierenden im Gegensatz zu rechtfertigenden, oder normativen,5 Gründen zu reden, da es den Eindruck erwekken kann, es handle sich dabei um getrennte Klassen von Gründen.6 Das sind sie nicht: ein Grund, aus dem ich handle, ist immer ein Grund, den ich habe, wenn auch nicht umgekehrt. 220. Man mag zweifeln, ob jeder, der etwas aus einem Grund tut, auch einen Grund hat, es zu tun. Was sollen wir von jemandem sagen, dessen Reaktion auf einen Zustand einfach verrückt ist? Nach der vorgeschlagenen Erklärung müßten wir sagen, daß er, was er tat, aus einem Grund getan hat, doch mögen wir nicht bereit sein zuzugeben, daß es wirklich einen Grund gab, etwas so Blödsinniges zu tun.7 Doch wenn wir dazu nicht bereit sind, liegt das wahrscheinlich nur an einer Uneinigkeit über den Gebrauch der Worte. Manchmal gebraucht man den Ausdruck „einen Grund haben“ im Sinne von „einen guten Grund haben“,8 und in diesem Sinne genommen ist es freilich falsch, daß, wer etwas aus einem Grund tut, einen Grund hat, es zu tun. Manchmal jedoch schließt „einen Grund haben“ nicht ein, daß der betreffende Grund ein guter Grund ist, und so wird der Ausdruck im vorliegenden Text gebraucht. Unter diesem Verständnis aber gilt die Folgerung: ist einmal klar, daß der Grund, aus dem etwa manche Leute einen Regentanz aufführen, die gegenwärtige Trockenheit ist, so ist damit auch klar, daß es einen Grund für sie gibt, zu tanzen, eben die Trockenheit. 221. So ergibt sich, daß „jemand hat einen Grund“ und „es gibt für jemanden einen Grund“ genau das bedeuten, was auch andere Ausdrücke dieser
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Form bedeuten. Einen Grund haben ist wie eine Chance haben oder Schwierigkeiten haben, und daß es Gründe gibt, ist ähnlich dem, daß es Chancen und Schwierigkeiten gibt. Wie im Fall einer Chance etwas geschehen ist, was man mit dem passenden Handeln zum Anfangsstück irgendeiner Art von Erfolgsgeschichte machen kann, oder im Fall einer Schwierigkeit etwas geschehen ist, was einen in seinem Gang aufhält oder lahm legt, es sei denn es werden besondere Anstrengungen unternommen, so ist im Fall eines Grundes, den man hat, etwas geschehen, woraus sich durch passendes Handeln das Anfangsstück einer Geschichte von einem Tun aus einem Grund machen läßt. Das soll nicht heißen, daß Gründe eine Art Chancen oder Schwierigkeiten sind. Es soll heißen, daß man Gründe hat und es Gründe gibt in derselben Weise, in der man Chancen oder Schwierigkeiten hat oder es sie gibt. 222. Einwand: Warum sollen wir dann nicht von jedem, wozu einer physisch fähig ist, sagen, daß er das in Reaktion auf irgendein Geschehen, was es auch sei, tun könnte? Warum nicht sagen, daß ich in Reaktion auf das schlechte Wetter gestern die Bäume im Pfälzer Wald zählen könnte? Und so müßten wir nach dem gegenwärtigen Vorschlag sagen, daß ich Grund habe, die Bäume im Pfälzer Wald zu zählen. Tatsächlich habe ich aber keinen solchen Grund. – Nein, ich habe keinen solchen Grund, denn es ist auch nicht der Fall, daß ich in Reaktion auf das schlechte Wetter gestern die Bäume im Pfälzer Wald zählen könnte. Die Bäume könnte ich schon zählen, ich könnte sie nur nicht in Reaktion auf das schlechte Wetter gestern zählen. Wie die Dinge jetzt liegen, verbinden sich diese beiden nicht in der Form von Ereignis und Reaktion darauf. Es hätte der Fall sein können, daß sie es tun: jedes Ding könnte für jedes Tun ein Grund sein (§ 187). A priori spricht nichts dagegen, daß sie sich so verbinden. Es ist nur eine Sache dessen, wie die Welt, mich eingeschlossen, nun einmal ist, daß es ein Irrtum wäre, sie so zu verbinden. Und daß es ein Irrtum wäre, das können wir sagen auf Grund unseres Wissens davon, wie die Welt ist. Der gegenwärtige Einwand wiederholt für Gründe, die man hat, den Einwand, der zuvor mit Hinblick auf die Gründe, aus denen man etwas tut, erhoben wurde (§ 120), nämlich daß jedes beliebige Ding als dasjenige angesehen werden kann, in Reaktion worauf etwas getan wurde, so daß gemäß der vorgeschlagenen Erklärung jedes beliebige Ding als der Grund betrachtet werden kann, aus dem etwas getan wurde. Und die Antwort ist auch die gleiche (§ 121): es stimmt nicht, daß jedes beliebige Ding dasjenige sein kann, in Reaktion worauf jemand etwas tut. In der Gründe-Posi-
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tion der Geschichte eines Handelnden kann nicht jedes beliebige Ding auftreten, sei das die Position eines Grundes, den er nur hat, oder die eines Grundes, aus dem er etwas tut. Was aber in dieser Position auftreten kann und was nicht, ist eine historische Frage. 223. Nach dieser Erklärung versteht man leicht, wie jemand zur gleichen Zeit einen Grund dafür und einen Grund dagegen haben kann, etwas zu tun. Es kann verschiedene Anfangsstücke von Geschichten geben, und tatsächlich gibt es sie dauernd, die demselben Handelnden den Weg für unvereinbare Reaktionen öffnen. An Gründen herrscht Überfluß, nämlich an Gründen, die man hat. Mengen von Fäden liegen zu jeder Zeit für Handelnde da, an denen sie weiter stricken können, und an einem weiter zu machen schließt manchmal aus, einen anderen fortzuführen. Mit der geläufigen Metapher, Gründe, die man hat, konkurrieren manchmal darum, der zu werden, nach dem gehandelt wird, denn nach allen kann nicht gehandelt werden. Andererseits kann es verschiedene Gründe geben, aus denen jemand eine Sache tut (§ 118), also auch verschiedene Gründe, die man hat, etwas zu tun, die nicht konkurrieren. Ein Tun kann eine Reaktion auf verschiedene Zustände sein. 224. Zudem kann es verschiedene Gründe dafür geben, ein bestimmtes Ding zu tun, und der betreffende Mensch tut es aus einem dieser Gründe und nicht aus anderen. Davidson lenkte die Aufmerksamkeit auf diese Art von Fällen:9 man hat schon eine Verabredung zu der Zeit und hat also einen Grund, die Einladung abzulehnen, aber tatsächlich lehnt man sie nicht aus diesem Grund ab, sondern wegen der unangenehmen Leute, die man dort zu finden erwartet. Davidson meint, der Unterschied zwischen diesen beiden Fällen, einerseits einen Grund haben, etwas zu tun, es auch tun, aber nicht aus dem Grund, und andererseits einen Grund haben, etwas zu tun, und es aus diesem Grund tun, lasse sich nur erklären, indem man sagt, daß der Grund, den man hat, im zweiten Fall auch eine Ursache dafür ist, daß man es tut, im ersten hingegen nicht.10 Dies Argument erscheint jedoch nicht zwingend. Einem Handelnden, der verschiedene Gründe hat, eine Sache zu tun, bieten sich nach der hier vertretenen Erklärung eine Reihe von Zuständen oder Ereignissen an, auf die sein Handeln eine Reaktion sein könnte. Was er dann tut, mag wirklich auf keines dieser Dinge eine Reaktion sein, oder auf alle, oder auf einige und auf andere nicht. – Und wie erkennen wir, ob das, was er tut, eine Reaktion auf einen bestimmten Grund ist, den er dafür hat, es zu tun? – So wie jeder das machen würde: indem man ihn fragt, ihn in ähnlichen Situationen beobach-
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tet, und so weiter. Nichts anderes würde auch Davidson empfehlen. Streit herrscht nicht darüber, wie wir herausfinden, welcher der Gründe des Handelnden ein Grund wird, aus dem er das Betreffende tut. Der Streit besteht darüber, was wir so herausfinden. Und da scheint es hinreichend zu sagen, daß wir herausfinden, ob das, was einer tut, und der vorliegende Grund tatsächlich so aufeinander bezogen sind, daß das eine eine Reaktion auf das andere ist, so wie wir ja auch viele andere Beziehungen zwischen einem Tun und Zuständen oder Ereignissen herausfinden, Beziehungen wie Gleichzeitigkeit, Ähnlichkeit, Wiederholung, größere Bedeutsamkeit, Seltsamkeit vor dem Hintergrund von etwas, was auch immer. Es braucht keinen kausalen Unterbau, so scheint es, damit Dinge als Grund und was aus dem Grund getan wird verknüpft sind. Die Historiker vom Fach etwa ziehen Linien, könnte man sagen, zwischen den Dingen, die geschehen sind, Linien dessen, was wichtig war für was, was sich worein entwickelt oder was den Boden wofür bereitet hat. Genau solch eine Linie ziehen wir auch, nur bei einem Gegenstand von geringeren Dimensionen, wenn wir etwa sagen, daß einer jene Einladung ablehnte, nicht wegen der anderen Verabredung, die er schon hatte, sondern wegen der unangenehmen Leute, die er dort zu finden fürchtete. 225. Weiterhin, was für einen Handelnden ein Grund ist, etwas zu tun, braucht nicht für einen anderen ein Grund zu sein, das zu tun. Das ist erneut der gleiche Punkt wie bei Gründen, aus denen Leute Dinge tun (§ 191). Daß das Barometer für morgen einen schönen Tag verspricht, mag für Adelheid ein Grund sein, ihre Stiefel bereit zu stellen, ob sie es wirklich tut oder nicht, aber für Adalbert ist es nicht ein Grund, das zu tun, wenn er sich morgen nur einen faulen Tag machen will. Das heißt, Leute sind ebensosehr Selektoren von Gründen, die sie haben, wie sie es von Gründen sind, aus denen sie etwas tun: von allen Zuständen und Ereignissen, die es gibt, ist eine Teilmenge die Menge der Gründe, die ein Handelnder dafür hat, etwas zu tun, und eine andere Teilmenge die Menge der Gründe, die ein anderer Handelnder dafür hat, etwas zu tun. Noch einmal (§ 193), das bedeutet nicht, daß die Eigenschaften, die dafür verantwortlich sind, daß die Leute die Gründe haben, die sie haben, nun selbst ihre Gründe sind. Es bedeutet nur, daß die Leute entsprechend ihrer besonderen Denkungsart besondere Auswahlen von Dingen mitbringen, die für sie Gründe sind, etwas zu tun. Das läßt auch die Möglichkeit offen, freilich nicht mehr als die Möglichkeit, daß manche Gründe von vielen Wesen, die aus Gründen Dinge tun, oder gar von allen solchen
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Wesen geteilt werden. Ein rationalistisches Verständnis von Moral zum Beispiel wird hiermit nicht a priori ausgeschlossen. 226. Um dies auszuführen, man kann drei Ebenen der Gründe-Auswahl unterscheiden. Zunächst, von der Menge aller Zustände ist eine Untermenge die Menge der Gründe, die einer dafür hat, etwas zu tun, und eine andere Untermenge die Menge der Gründe, die ein anderer dafür hat, etwas zu tun. Die Drohung der Gabel des Springers ist etwa ein Grund, den ich habe, das betreffende Feld zu decken, aber es ist nicht ein solcher Grund für jemand anderen, der seinem Gegner dadurch gute Laune machen will, daß er verliert; und das ist so, auch wenn wir beide die Drohung nicht erkennen. An zweiter Stelle, unter den Gründen, etwas zu tun, die zwei Leute gleichermaßen haben, bilden die Gründe, die der eine sieht, eine Untermenge, und die Gründe, die der andere sieht, eine andere. Angenommen also, wir haben beide Grund, jenes Feld zu decken, so mag einer von uns sich dessen bewußt sein und der andere nicht. Drittens, unter den Gründen, etwas zu tun, die wir beide haben und beide kennen, bilden die Gründe, aus denen der eine wirklich etwas tut, eine Untermenge und die Gründe, aus denen der andere etwas tut, eine andere. Auch wenn wir beide wissen, daß die Drohung der Gabel uns Grund gibt, das betreffende Feld zu decken, mag immer noch der eine von uns es tun und der andere nicht. 227. Zu jeder Zeit haben wir Gründe, Dinge zu tun, aber welche das sind, das ändert sich. Es ändert sich zum Teil durch unser eigenes Tun. Zum Beispiel, was jetzt besorgt ist, wartet nicht in einer Stunde darauf, getan zu werden. Aber über die Gründe, die jetzt für uns bestehen, etwas zu tun, haben wir nicht jetzt auch freie Hand. Man kann es sich so vorstellen: Zu jedem Zeitpunkt meines Lebens, seit ich erwachsen wurde, gab es Briefe, die auf Antwort warteten. Die Menge dieser Briefe veränderte sich: einige fielen heraus, weil ich schließlich antwortete, andere fielen heraus, gerade weil ich es niemals tat, und immer wieder einmal kamen neue hinzu. So hängt es in gewissem Grad von einem selbst ab, welche Briefe morgen auf Antwort warten werden: welche es heute tun, das ist gegeben. In diesem Sinne hat man bereits eine Korrespondenz, man beginnt sie nicht von Null. Gewiß, es gibt Leute, die die Tafel rein wischen und ihre Korrespondenz von Null beginnen. Die meisten tun das nicht, und ihr Fall gibt das Bild her: Gründe, die man hat, sind wie Briefe, die einem die Welt geschrieben hat. (Der Handelnde im Irrtum antwortet nach diesem Bild auf einen Brief vom Weihnachtsmann: tatsächlich ist keine solche Botschaft
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gekommen.) Freilich bleibt der Unterschied, daß die Welt, anders als unsere Korrespondenten, ihre Briefe oft an viele Empfänger zugleich richtet. 228. Ein hervorstechender Zug von Gründen, aus denen Leute etwas tun, war die Tatsache, daß Handlungen durch sie erklärt werden können (§ 146). Im Fall von Gründen, die jemand bloß hat, nach denen er aber nicht handelt, kann man sich also fragen, warum nicht: warum tut er nicht, was er Grund hat zu tun? Schließlich verstehen wir manchmal, was einer tut, mit Hilfe des Grundes, aus dem er es tut, und so suchen wir nach einer Erklärung, wenn er trotz vorhandenem Grund, etwas zu tun, es doch nicht tut. Tatsächlich ist es nur ganz normale Unwissenheit, die einen in einem bestimmten Fall an einer Antwort hindert. Handelnde sind Selektoren von Gründen, aus denen sie etwas tun (§ 191), und in jedem besonderen Fall mag man in der Lage sein zu erklären, warum irgendein Grund, den der Handelnde hatte, sich nicht als ein Grund erwies, aus dem er etwas tat. Man wird es in vielen Fällen mit dem Hinweis auf relevante Zustände des Handelnden erklären. So tue ich nichts gegen die Gabel, die mich bedroht, es sei denn, jemand gibt mir einen Tip: das liegt daran, daß ich sie nicht sehe. Der Zustand meiner Zähne ist ein Grund für mich, zum Zahnarzt zu gehen, aber ich tue es nicht: das kommt daher, daß ich den Schmerz fürchte. Ich habe Grund, mich etwas mehr zu bewegen, und tue überhaupt nichts: weil mir andere Dinge wichtiger sind. Doch wie zuvor (§ 193), die Tatsache, daß nicht nach einem Grund zu handeln sich mit Hinweis darauf erklären läßt, daß der Betreffende das und das erkennt, fürchtet, wichtig nimmt und so weiter, diese Tatsache zeigt nicht, daß er das, was er wirklich tut, aus dem Grunde tut, daß er dies erkennt, fürchtet, wichtig nimmt und so weiter. Er tut es vielmehr aus dem materialen Grund der Handlung, welches der auch sei, wenn er es überhaupt aus einem Grunde tut. Wenn ich jenes Feld nicht gegen den Springer schütze, so läßt sich das damit erklären, daß ich die Drohung der Gabel übersehe, und dies wiederum wird erklärt durch meine mangelhafte Erfahrung im Schachspiel. Wenn ich aber stattdessen einen der Bauern angreife, so ist ein Grund, aus dem ich das tue, nicht mein Übersehen der Gabel, sondern zum Beispiel die Verwundbarkeit des gegnerischen Zentrums. 229. Wir reden von den Gründen, die Leute haben, nicht nur, wenn wir erklären, was sie getan haben, sondern auch, wenn wir ihnen raten, was sie tun sollen, und es lohnt sich zu zeigen, wie Ratgeben sich im Rahmen der vorgeschlagenen Erklärung von Gründen, die man hat, (§ 217) verstehen
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läßt. Barbara sagt mir, es gebe Grund für mich, das Feld c7 zu decken, und nehmen wir an, sie sagt mir sogar, was dieser Grund ist, nämlich die Drohung der Gabel. Daß sie mir das sagt, ist dazu gut, mir herausfinden zu helfen, wie ich am besten mit der Situation umgehen kann. Also ist nun die Frage, wie nach der vorgeschlagenen Erklärung von Gründen sie mit ihrer Auskunft über den Grund, den ich habe, mir dabei helfen kann. Nach der vorgeschlagenen Erklärung von Gründen bedeutet, daß ich einen Grund habe, c7 zu decken, soviel wie, daß ich in einer Position bin, in der ich durch Deckung von c7 eine Reaktion auf die Drohung der Gabel produzieren kann: warum sollte Barbara durch die Mitteilung dieses Tatbestandes mir helfen können, herauszufinden, wie ich am besten mit der Situation umgehen kann? Weil ihre Mitteilung den Umkreis dessen verändern mag, wofür ich praktisch ansprechbar bin. Wenn Leute Gründe-Selektoren sind, kann Barbara, indem sie mir das sagt, meine Auswahl von Gründen, aus denen ich etwas tue, verändern. Auf jeder der drei eben (§ 226) unterschiedenen Ebenen kann unsere Gründe-Auswahl von anderen verändert werden. Erstens, etwas kann ein Grund werden, den ich habe, etwas zu tun, wenn jemand mich belehrt. Als es die Kursbücher billig gab, war das kein Grund für mich, eines zu kaufen, aber dann wurde ich durch jenen Freund ein großer Eisenbahn-Fan, und damit wurde etwas ein Grund, was vorher keiner gewesen war. Zweitens, jemand kann mir einen Grund bewußt machen, den ich habe, etwas zu tun, wie Barbara es tat, als sie mich auf die Gabel hinwies. Drittens, jemand kann aus dem Grund, den ich habe und kenne, einen Grund machen, aus dem ich handle, indem er ihn mir zum Gegenstand lebhafter Aufmerksamkeit macht. Auf diese Arten kann die Menge der Gründe, die ich habe, deren ich bewußt bin oder denen ich im Handeln folge, sich ändern. Darin ändere ich mich, in dem, was ich an Gründen aufnehme, ebenso wie im Profil meiner praktischen Blindheit (§ 191). So verändert mag ich besser in der Lage sein, mit der Situation umzugehen. 230. Nichts ist problematisch an der allgemeinen Annahme, die hier eine Rolle spielt: daß wir durch unsere Worte einander ändern. Das tun wir ständig: wir lenken die Aufmerksamkeit eines anderen in eine andere Richtung, machen Erinnerungen wieder lebendig, mindern Furcht. Da wir uns so allenthalben gegenseitig verändern, nicht allein in Extrem-Situationen, sondern im normalen Lauf der Dinge, gibt es keinen Grund zu zweifeln, daß wir einander auch in unserer Auswahl von Gründen verändern: durch das, was wir sagen, werden aus Gründen, die einer hat,
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Gründe, nach denen er handelt. Man kann auch sinnvoll annehmen, daß eine solche Veränderung jemandem helfen kann, mit einer Situation umzugehen, was eine Bedingung für Rat ist. Auch Rat geben wir einander ständig. Zum Beispiel bekommt man im Flugzeug gesagt, daß man im Notfall die Sauerstoffmaske erst sich selbst, dann seinem Kind anlegen soll. Wenn man das zum ersten Mal hört, meint man wohl, Gründe für ein Vorgehen in umgekehrter Reihenfolge zu haben, und vermutlich ist es eine Verbesserung im Umgehen mit einer Notsituation, wenn sich dank dieser Ankündigung das Gründe-Profil entsprechend ändert. Gewiß, es kann sein, daß das Umgehen mit einer Not-Situation durch die Ankündigung tatsächlich nicht verbessert wird. Zum einen, die Worte mögen einen überhaupt nicht erreichen und die Gründe-Auswahl mag also unverändert bleiben. Zum anderen, auch wenn die Gründe-Auswahl sich ändert, mag es in Wirklichkeit keine Änderung zum Besseren sein. Die Ankündigung mag irreführen. Aber nichts davon zeigt, daß es Leuten nicht manchmal gelingt, andere zum Besseren zu verändern. 231. Vielleicht wendet jemand ein, es werde hier ein sonderbarer Begriff von Ratgeben benutzt. Wenn jemand mich über die Gründe, die ich habe, in Kenntnis setzt, kann das nach der gegebenen Erklärung ein Ratgeben sein, weil es mich zum Besseren verändern kann durch Veränderung des Satzes von Gründen, aus denen ich Dinge tue. Das ist ein sonderbarer Begriff von Ratgeben, mag jemand sagen, da man ja denken würde, daß man durch Raten nicht geradewegs Leute ändert, sondern ihnen nur Überlegungen anbietet, auf deren Grundlage sie dann entscheiden können, sich selbst, nämlich die Auswahl von Gründen zu verändern, aus denen sie etwas tun. Schließlich gilt es als charakteristisch für Raten im Gegensatz etwa zu Indoktrinieren, daß die vorgetragenen Überlegungen dem, der Rat empfängt, nur angeboten werden, die Entscheidung aber ihm bleibt. Doch in Wirklichkeit ist es zweifelhaft, ob man, um Rat anzunehmen, sich dazu eigens entscheiden muß, und somit ist es auch zweifelhaft, ob nach diesem Kriterium zwischen Raten und Indoktrinieren sich unterscheiden läßt. Aus dem Gespräch mit jemandem mag ich einfach mit einer anderen Auswahl von Gründen, aus denen ich etwas tue, fortgehen, ohne diese Veränderung ausdrücklich gebilligt zu haben, und doch wäre das ein Fall davon, daß ich einen mir gegebenen Rat angenommen habe. Zum Beispiel wenn mir jemand sagt, ich solle c7 decken, mag ich sogleich die Gefahr sehen und den Zug machen, mit dem ich das Feld decke. Ich brauche nicht eigens zu beschließen, daß dies ein Grund ist, nach dem ich han-
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deln sollte, und gleichwohl folge ich dem Rat dessen, der mir den Hinweis gegeben hat. Wie neue Meinungen nicht ausdrücklich angenommen werden müssen, sondern einem Menschen im Lauf seiner Erfahrung zuwachsen können, so müssen auch Gründe, nach denen man handelt, nicht als solche eigens zugelassen werden, sondern mögen diesen Status im Laufe dessen, was mit einem Menschen geschieht, und insbesondere im Laufe dessen, was diesem Menschen von anderen gesagt wird, erwerben. Gewiß, was andere sagen, tut vielleicht seine Wirkung langsam und indirekt. Vielleicht muß man erst noch einmal darüber nachdenken, vielleicht muß man die Sache auch für eine Weile ruhen lassen. Doch am Ende hat sich dann der Umkreis von Gründen, aus denen man Dinge tut, verschoben, eben durch das, was andere einem gesagt haben. Mit dem gängigen Begriff von Ratgeben, wonach nämlich derjenige, der Rat empfängt, Herr darüber bleibt, was er davon annimmt und was er zurückweist, ist der hier vertretene also tatsächlich nicht vereinbar – nun, um so schlimmer für den gängigen Begriff. 232. Unzufrieden mag man mit dieser Erklärung von Ratgeben auch aus dem Grund sein, daß sie nichts darüber sagt, welche Veränderungen Verbesserungen sind. Tatsächlich ist das eine Frage, die man hier nicht sinnvoll zu beantworten versuchen kann. Allerdings habe ich Meinungen darüber, einesteils was allgemein gut im Leben ist, und im besonderen, wie man Broccoli am besten zubereitet. Ich habe also Meinungen darüber, in diesen und in anderen Sachen, welche Veränderungen in der Gründe-Auswahl von Leuten Veränderungen zum Besseren sind. Nur haben Sie wahrscheinlich andere Meinungen, und wir müssen es mit Argumenten ausfechten, gestützt auf materiale Erwägungen betreffend Broccoli, das Leben und das Übrige. Das braucht Zeit, mehr als wir jetzt haben. Aber nichts außer der Tatsache, daß es zu lange dauert, spricht dagegen, diese Frage zu verfolgen. Der Gegenstand selbst entzieht sich nicht der argumentativen Auseinandersetzung, und es wäre auch nicht abwegig, ihn im gegenwärtigen Zusammenhang aufzunehmen. Er ist nur zu groß. Freilich wäre es anders, wenn jene alte Hoffnung der Philosophen von Platon an wahr wäre, daß es eine Form des Guten gibt. Um zu entscheiden, welche Veränderungen Verbesserungen sind, würde dann eine einzige Runde im Argument ausreichen. Doch geht man nach dem, was wir bisher in dieser Hinsicht erreicht haben, scheint das eine vergebliche Hoffnung. Wir müssen es wohl wirklich Punkt für Punkt ausfechten, was gut ist und was besser, im Fall von Broccoli, im Fall des Lebens und im Fall jedes anderen Dings, das ansteht.
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233. Wir raten anderen, aber wichtiger noch, wir erwägen selber, was zu tun ist – wichtiger, weil Rat kaum fruchtbar sein wird, wenn der Beratene nicht zugleich ein Erwägender ist. So lohnt es sich wiederum (§ 217) zu zeigen, wie das Erwägen sich nach der vorliegenden Erklärung von Gründen, die man hat, verstehen läßt. Sagen wir also, jemand hat eine Stelle an der Universität Bielefeld angeboten bekommen. In der informellen Rangordnung seines Fachs steht die Bielefelder Fakultät höher als seine gegenwärtige, und weil er sehr auf seine Anerkennung im Fach bedacht ist, ist dies ein Grund für ihn, die Stelle anzunehmen. Es ist ein Grund in dem genannten Sinne: da ist das gestiegene Ansehen, das die Stelle in Bielefeld ihm verschaffen wird, und er ist in der Lage, darauf mit Annahme zu reagieren. Dann nimmt er sich eines Nachmittags die Zeit, ausdrücklich durchzudenken, was eine Annahme mit sich brächte. Er erkennt, daß es wahrscheinlich bedeuten würde, in einer ziemlich uninteressanten Stadt zu leben. Da er aber mit ganzem Herzen Städter ist, ist das ein Grund dafür, die Stelle abzulehnen. Wiederum, es ist ein Grund im beschriebenen Sinne: da ist der Mangel an städtischem Leben, den die Stelle ihm auferlegt, und er ist in der Lage, darauf mit Ablehnung zu reagieren. Es ist ein Grund, und er ist in dieser Lage, ob er es merkt oder nicht. Das bedeutet, ein anderer könnte schneller als er entdecken, daß es da diesen Grund gibt. Es hätte für ihn eine Neuigkeit sein können, davon zu hören. Doch an jenem Nachmittag entdeckt er selber diesen Grund. Er malt sich das Bild eines grauen Lebens in Bielefeld aus. Er stellt sich vor, wie es wäre, nicht mehr an jedem beliebigen Abend die Wahl zwischen einer ganzen Reihe reizvoller Dinge, die man tun könnte, zu haben und Gefahr zu laufen, wohin er auch geht, seine Studenten zu treffen. Diese Aussicht betrachtet er, und das Betrachten ändert ihn. Daß die Annahme der Stelle ihm höheres Ansehen im Fach gäbe, wird weniger wichtig, und daß er, wenn er annimmt, wohl in Bielefeld wird leben müssen, gewinnt mehr und mehr Bedeutung für ihn, bis dies schließlich, sagen wir, der Grund wird, aus dem er tatsächlich das Angebot ausschlägt. 234. Das ist also ein Fall davon, daß einer überlegt, was er tun soll. Der Fall ist vereinfacht, das ist wahr, aber er unterscheidet sich von realen Fällen nur dadurch, daß hier nicht mehr als zwei Gründe in Betracht kommen. Eine Seite des Angebots, bisher übersehen oder nicht ernst genommen, tritt ins Licht, so sehr, daß sie die andere in den Hintergrund drängt und bei der Entscheidung den Ausschlag gibt. So hat sich das Gründe-Profil dieses Menschen verändert. Er hat etwas dazu getan, daß
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dies geschieht, er hat nämlich diesen Dingen Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt. Das ist wichtig. Gründe, die wir haben, üben ihre Kraft nicht hinter unserem Rücken aus. Offene Augen, Aufmerksamkeit und Zeit brauchen sie, um wirksam zu werden. So mögen wir einen Grund, den wir haben, sogar kennen, aber mangels Aufmerksamkeit von ihm unbeeindruckt bleiben. Erwägen heißt, Dinge betrachten, in Reaktion auf die man etwas tun kann, und manchmal wird eins dieser Dinge dank einem solchen Betrachten eines, in Reaktion auf das man tatsächlich etwas tut. Erwägen ist wie das Betrachten eines Bildes. Bei manchen Zügen verweilt man, und dieser oder jener bisher vernachlässigte Zug mag sich wider Erwarten als wahrhaft bedeutsam erweisen. 235. In dem Beispiel veränderte die lebhafte Vorstellung eines eintönigen Lebens in Bielefeld den Gründe-Stand dieses Menschen. Aber nichts wäre wesentlich anders gewesen, wenn ein anderer ihm diesen Dienst getan hätte. Ein anderer hätte ihn dazu bringen können, sich ein Leben in Bielefeld lebhaft vorzustellen, und hätte ihn damit verändern können in jemanden, der aus diesem Grunde handelt. Erwägen ist sich selbst Rat geben, Rat geben ist erwägen zu zweit oder zu mehreren. Dadurch, daß man anderen zuhört, und ebenso dadurch, daß man selbst geduldig die Dinge betrachtet, können aus Gründen, die man hat, Gründe werden, die man kennt, und vollends Gründe, aus denen man handelt. Soviel zu einer Erklärung von Gründen, die man hat, die der zuvor gegebenen Erklärung von Gründen, aus denen man etwas tut (§ 118), entspricht (§ 216) und die dazu unsere Praxis des Überlegens und Ratens verständlich macht.
Kapitel 9 Sind Gründe intern? Sind sie normativ? 236. Gegen die Erklärung von Gründen, die man hat, wie sie im letzten Kapitel vorgelegt wurde, erheben sich zwei wichtige Einwände, der eine von Seiten der Internalisten, der andere von Seiten der Normativisten. Um mit den ersten anzufangen: Internalismus ist die These, vertreten von Bernard Williams1 und anderen, daß man nur einen Grund hat, etwas zu tun, wenn man auch motiviert ist, es zu tun, oder wenn man zumindest auf der Grundlage derjenigen Motivation, die man hat, durch eine hiebund stichfeste Überlegung eine solche Motivation erwerben könnte.2 Es hat Uneinigkeit darüber gegeben, was aus dieser These folgt, insbesondere darüber, ob sie eine Kantische Konzeption ausschließt, nach der rationale Prinzipien dazu ausreichen, die Gründe festzulegen, die Leute dafür haben, bestimmte Dinge zu tun oder nicht zu tun; wobei Williams meinte, sie schließe eine solche Konzeption tatsächlich aus,3 Christine Korsgaard4 aber und vor allen Dingen Jay Wallace5 die Meinung vertraten, sie tue das nicht. Wie dem auch sei, die These selbst hat breite Zustimmung gefunden. Im Gegensatz dazu ist die hier vorgelegte Erklärung von Gründen, die man dafür hat, etwas zu tun, externalistisch. Um einen Grund zu haben, etwas zu tun, brauchen Leute keine Motivation, keine wirkliche und auch keine rational zugängliche, mitzubringen. Es genügt, daß etwas geschehen ist, worauf ihr Handeln eine Reaktion sein könnte. Wohl mag auch nach der vorliegenden Theorie ein Begehren, ein Wichtignehmen oder etwas Ähnliches in einer Erklärung dafür vorkommen, daß etwas für jemanden ein Grund ist, aber ob solche Erklärungen motivational sein müssen, ist offen geblieben (§ 191). Das heißt, anders als im Internalismus gibt es hier keine begriffliche Verbindung zwischen dem Haben von Gründen und einer entsprechenden Motivation. Damit erhebt sich die Frage, ob die hier gegebene Erklärung von Gründen der internalistischen Herausforderung etwas entgegnen kann. Die sagt nämlich: was könnte ein Grund, etwas zu tun, sein, der nicht durch eine entsprechende Motivation des Handelnden gestützt wird?
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237. Herausforderung gegen Herausforderung: warum sollte man nur dann einen Grund haben, etwas zu tun, wenn man auch ein Motiv dafür hat, sei es ein wirkliches, sei es ein rational erreichbares, es zu tun? Fangen wir die Diskussion nicht von Williams’ offizieller These her an, sondern von dem her, was er tatsächlich als Argument anbietet. Dessen Gedankengang scheint ziemlich geradlinig, auch wenn verschiedene Rekonstruktionen in der Literatur angeboten worden sind.6 Es ist dieser: 1. Ein Grund, den jemand hat, etwas zu tun, könnte ein Grund sein, aus dem er es tut, und in dem Fall würde der Grund die Handlung erklären.7 2. „Nichts kann die (absichtlichen) Handlungen eines Menschen erklären, als was ihn dazu motiviert, so zu handeln.“8 3. Folglich hat niemand einen Grund, etwas zu tun, wenn er nicht auch irgendeine Motivation hat, es zu tun. 238. Die entscheidende Frage ist, was für eine Art von Motivation der Schlußsatz bei einem Handelnden verlangt, der Grund hat, etwas zu tun. Tatsächlich kann man eine Reihe von immer stärkeren Schlußsätzen aufstellen, von denen allen man meinen könnte, sie werden durch das Argument gestützt. Nach der schwächsten Version besteht die angeblich für einen Grund erforderliche Motivation nur darin, daß der Grund von solcher Art ist, daß der Handelnde das Betreffende tun könnte aus diesem Grund. Zugegeben, so verstanden würde das Argument kaum einen Schritt voran tun. Der Schlußsatz würde nur die erste Prämisse mit Hilfe des zusätzlichen Begriffs „Motivation“ umformulieren. So verstanden würde das Argument auch nicht mit der hier vorgeschlagenen Erklärung von Gründen in Konflikt kommen. Daß ein Grund, den man hat, etwas zu tun, auch ein Grund werden kann, aus dem man es tut, können alle an der Diskussion Beteiligten zugestehen. Nach einer stärkeren Version besteht die angeblich für das Haben von Gründen erforderliche Motivation darin, daß man ein Begehren (oder eine persönliche Bindung, ein Vorhaben, eine gefühlsmäßige Reaktion, oder etwas Ähnliches) zu Gunsten dieses Handelns hat. Nach der stärksten Version muß ein solches Begehren (oder Ähnliches) in dem Handelnden, der einen Grund hat, wirklich vorhanden sein, während die schwächere der beiden stärkeren Versionen nur fordert, daß das Begehren (oder Ähnliches) in dem Handelnden vorhanden oder von ihm rational erreichbar ist. Nach beiden stärkeren Versionen erhielte das Argument bedeutendes Gewicht. Es würde die Gründe, die ein Handelnder hat, als abhängig jeweils von seinem gegenwärtigen psy-
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chischen Zustand erweisen. Denn es hängt von diesem Zustand ab, sowohl was für Begehren (oder Ähnliches) er wirklich hat, worauf es für die stärkste Version ankommt, als auch was für Begehren (oder Ähnliches) er in rationaler Weise auf der Grundlage derer, die er hat, erwerben könnte, worauf es für die zweitstärkste Version ankommt. 239. In der stärksten Version ist der Schlußsatz klar zu stark, um wahr zu sein. Wir wollen nicht sagen, daß es Gründe nur soweit gibt, als der Handelnde wirklich das Begehren (oder Ähnliches) hat, so zu handeln. Wir wollen nicht sagen, daß die Abneigung gegen einen Besuch beim Zahnarzt jeden angeblichen Grund für einen solchen Besuch zunichte macht. Wir wollen das nicht sagen, denn damit würde unsere Praxis von Raten und Überlegen großenteils unsinnig. Ob es Gründe gibt, etwas zu tun, erwägen wir gerade dann, wenn wir oder die betreffenden Handelnden keine Lust haben, so zu handeln; und es wäre dumm, das zu erwägen, wenn es so etwas wie einen Grund, nach dem zu handeln man keine Lust hat, ohnehin nicht gäbe. 240. Wie vorhin angemerkt (§ 236), verteidigt Williams nicht die stärkste Version des Arguments, sondern die schwächere der beiden starken Versionen, nach der nur solche Handelnde einen Grund haben, etwas zu tun, bei denen ein entsprechendes Begehren (oder Ähnliches) entweder wirklich vorhanden oder mindestens rational zugänglich ist. Doch ist schwer zu erkennen, wie diese schwächere Behauptung sich verteidigen läßt ohne Rückgriff auf die stärkste und unplausible Version des Arguments. Williams weist selbst darauf hin, daß es die erklärende Rolle von Gründen ist, an der das Argument hängt,9 aber im Hinblick auf eine Erklärungsleistung sollte wohl zwischen dem Fall, in dem ein Begehren (oder Ähnliches) nicht wirklich, aber immerhin rational erreichbar, und dem Fall, in dem das Begehren (oder Ähnliches) nicht wirklich und auch nicht rational erreichbar ist, kein Unterschied sein. Rationale Erreichbarkeit tut nichts zur Sache, sollte man denken, wenn es darum geht, was Handeln erklärt: wenn ein Begehren oder etwas Ähnliches in einer solchen Erklärung vorkommen muß, dann muß es ein wirkliches, nicht bloß ein rational erreichbares Begehren sein. Vielleicht wird man entgegnen, es sei vom Internalismus nicht gefordert, daß der Handelnde, der einen Grund hat, zu einem entsprechenden Handeln schon in Bewegung gesetzt ist. Gefordert sei nur, daß, wenn er nach dem Grund handelte, den er hat, es etwas gäbe, was ihn dazu bewegte. Aber diese Wahrheit lohnt sich nicht zu fordern: sicher, irgendetwas setzt den in Bewegung, der aus einem Grund etwas tut.
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Mit dieser Entgegnung sind wir also wieder bei der schwächsten Version des Arguments, in der es nur sagt, daß Gründe in dem Sinne nicht ohne Motivation existieren, daß der Handelnde nach dem Grund, den er hat, auch müßte handeln können. Dies ist wahr, aber nichts von Belang folgt daraus. Lassen wir also diese schwache Interpretation beiseite, so scheint Williams’ Argument ihn auf eine Schlußfolgerung festzulegen, die viel stärker ist als beabsichtigt, und tatsächlich unannehmbar stark. 241. Die zweite Prämisse ist schuld. Wenn nur das, was Handelnde motiviert, ihre Handlungen erklären kann, dann ist die Motivation, die sie eben jetzt nicht haben, sondern erwerben würden, wenn sie über die Sache etwas mehr nachdächten, unerheblich. Das Tun eines Handelnden, zu dem er jetzt nicht motiviert ist, läßt sich nicht erklären, sagt die zweite Prämisse; und damit folgt mit Hilfe von Prämisse 1 der anstößige Schlußsatz, daß nämlich dieser Handelnde jetzt auch keinen Grund hat, das zu tun, denn jedem angeblichen Grund fehlt, jetzt, das Erklärungspotential. Doch ist schwer zu erkennen, warum man Prämisse 2 zugeben sollte. Wir erklären das Handeln der Leute oft mit Verweis auf ihre Gründe statt auf ihre Begehren (oder Vorhaben, Bindungen und so weiter). Wir sagen, daß ich wegen der Drohung des Läufers meinen Bauern zog; und so fragt man sich, worauf gestützt Williams diese Erklärungspraxis verwirft. Als Verteidiger externer Gründe fragt man sich das insbesondere. Nach externalistischer Ansicht hängen ja Gründe nicht von den Begehren und dergleichen des Handelnden ab, also kann man auch vom Externalisten die Behauptung erwarten, daß die Gründe, die einer hat, für sich allein ausreichen können, sein Handeln zu erklären. Daß diese Behauptung falsch ist, müßte Williams zeigen, nicht einfach in einer Prämisse unterstellen. Doch ein solches Argument ist in Williams’ Text nicht zu erkennen. Kürzlich wiederholte er nur seine Behauptung, als er schrieb, „was ein Handelnder wirklich tue, das müsse durch sein S erklärt werden“, also durch den Satz von Motivationen, die er zu dem Zeitpunkt wirklich hat und die in seinen Begehren oder Ähnlichem bestehen. Er fügte noch hinzu: „das bestreitet auch niemand.“10 Sicher gehen viele mit dieser Behauptung einig. Trotzdem bleibt die Frage, was für eine Überlegung es sein mag, auf die sie sich stützt. 242. Die einzige, die einem einfällt, ist die: alles Erklären ist Erklären durch Ursachen, und die Ursachen des Handelns sind Begehren oder Ähnliches. Von diesen beiden Sätzen scheint der zweite, wie hier aufgestellt, falsch, denn es gibt schließlich physiologische Ursachen des Han-
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delns, die nicht Begehren oder irgendetwas der Art sind. Aber das mag im gegenwärtigen Zusammenhang unerheblich sein, da es ja hier nicht um die Erklärung von Handeln im allgemeinen, sondern um die Erklärung von Handeln durch Gründe geht. Doch genau im gegenwärtigen Zusammenhang läßt sich der erste der beiden Sätze bestreiten, daß nämlich Erklären Erklären durch Ursachen ist. Genau wenn es um die Erklärung von Handeln durch Gründe geht, wird mit diesem Satz die zentrale Streitfrage vorweg entschieden. Wir wollten wissen, mit Hinweis worauf Gründe-Erklärungen erklären, und einfach annehmen, daß Erklären Erklären durch Ursachen ist, heißt diese Untersuchung abschließen, bevor sie begonnen hat. Gut, es mag eine allgemeine Theorie des Erklärens geben, die uns sagt, daß nur Erklärungen durch Ursachen Erklärungen sind, aber in dem Fall würden wir immer noch wissen wollen, ob diese Theorie auf Gründe-Erklärungen des Handelns insbesondere paßt oder durch sie vielmehr widerlegt wird. Vielleicht sind Gründe-Erklärungen des Handelns nicht Erklärungen durch Ursachen, sondern durch Ziele.11 Vielleicht sind Gründe-Erklärungen des Handelns nicht Erklärungen durch Ursachen, sondern wirklich nur durch Gründe.12 Angesichts dieser Möglichkeiten ist es bloß dogmatisch zu sagen, daß alles Erklären Erklären durch Ursachen ist. 243. Williams’ Behauptung ist also unbegründet, daß nur Begehren oder Ähnliches, nur Bestandteile des Motivationssatzes eines Menschen, Handlungen erklären, und die internalistische Herausforderung (§ 236) erweist sich als kraftlos. Weshalb jene Behauptung trotzdem weithin geglaubt wird, ist leicht zu verstehen. Einem beherrschenden Motiv in der neuzeitlichen Tradition folgend, sind wir in dem Glauben erzogen worden, daß echtes, respektables Erklären Erklären durch Ursachen ist. Wenn wir nicht den Mechanismus, durch den eine Wirkung hervorgerufen wird, zeigen können, oder uns darauf verlassen können, daß jemand ihn zeigen kann, ist unser intellektuelles Gewissen in Unruhe. Unsere Praxis, Handlungen durch Gründe zu erklären, wird durch diesen Glauben verdächtig gemacht, da ja, wie es auf den ersten Blick scheint, Gründe nicht Ursachen sind (§ 142). Daß es einen Grund für jemanden gab, etwas zu tun, diese Tatsache allein, sagt Williams,13 kann niemals irgendetwas erklären, was dieser Mensch getan hat, nicht einmal sein Tun dessen, was er Grund hatte zu tun. Warum? Weil es anscheinend eben nicht eine Ursache von irgendetwas ist, das er getan hat. Also werden Begehren und Ähnliches herbeigerufen, damit sie die Erklärungsarbeit übernehmen, die gemeinhin
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Gründen zugesprochen wird. Das beruhigt unser Gewissen, weil angenommen wird, Begehren oder Ähnliches gebe uns einen psychologischen Mechanismus zur Produktion von Handeln, und es rechtfertigt so ungefähr unsere Praxis, die Handlungen der Leute durch ihre Gründe zu erklären, nur mit der Einschränkung, daß die wirkliche Erklärungsarbeit nicht von den Gründen, sondern von den passenden Elementen des Motivationssatzes des betreffenden Menschen getragen wird. Auf diese Weise wird es eine naheliegende Behauptung, daß nur ein Begehren oder ein anderes Element im Motivationssatz das Handeln eines Menschen erklären kann. Aber der Glaube, in dem wir erzogen worden sind, ist nicht wahr. Zumindest ist er nicht begründet. Es gibt keinen Grund für den Verdacht, daß die geläufige Praxis des Erklärens von Handeln durch Gründe, durch nicht auf Motive reduzierte Gründe, kein echtes und respektables Erklären ist, kein so gutes Erklären wie irgendein anderes. 244. Soviel zur internalistischen Herausforderung an die hier vorgeschlagene Erklärung von Gründen, die man hat (§ 217). Eine andere Angriffslinie, eine vielleicht noch näher liegende, verfolgt der Einwand, daß diese Erklärung von Gründen, die man hat, dem normativen Charakter von Gründen nicht gerecht wird. Wenn Gründe, die man hat, bloß Anfangsstücke von Geschichten sind, die man mit einer Reaktion komplett machen kann, erlegen Gründe dem Tun eines Menschen keinerlei Anforderungen auf. Doch einen Grund haben, etwas zu tun, bedeute in Wahrheit, irgendeiner Art von Forderung, es zu tun, zu unterstehen, so jedenfalls die Meinung der meisten Autoren in diesem Feld.14 Die gegenwärtige Erklärung von Gründen sei daher unbefriedigend, sie biete diesem Zug von Gründen, die man hat, keinen Platz. 245. Es ist nicht zu leugnen, daß Gründe, die man hat, nach der hier vertretenen Konzeption nichts Normatives an sich haben. Angefangene Fäden von Geschichten können zu Ende gebracht werden, aber es ist nicht so, daß sie es sollten. Wenn also Gründe tatsächlich normativ sind, ist die gegenwärtige Konzeption unhaltbar. Aber es ist nicht klar, trotz der Mehrheitsmeinung, daß Gründe normativ sind; jedenfalls soll das im Folgenden gezeigt werden. Zwei repräsentative und einflußreiche Fassungen der Idee der Normativität von Gründen sollen diskutiert werden, die eine von Christine Korsgaard, die andere von John Broome vorgetragen; und das Ergebnis wird sein, daß es keinem der beiden Ansätze gelingt, der Idee der Normativität von Gründen Substanz zu geben. Danach soll gezeigt werden, daß, anders als es zunächst scheint, unsere normalen Rede- und
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Denkweisen betreffend Gründe, etwas zu tun, diese Idee auch nicht stützen. Wenn nicht neue Argumente in dieser Frage vorgebracht werden, kann also die gegenwärtige Erklärung von Gründen, die man hat, nicht deshalb verworfen werden, weil sie für die angebliche Normativität von Gründen keinen Raum läßt. 246. Oft erklären die Autoren nicht, was sie genau meinen, wenn sie sagen, Gründe seien normativ. Soviel ist klar, die ungefähre Idee ist, daß Leute tun sollten, was sie Grund haben zu tun. Das trifft nur ungefähr, weil erstens die Rede von „sollen“ nicht der einzige Kandidat, wenn auch ein führender, für das Erfassen von Normativität ist. Jonathan Dancy zum Beispiel redet lieber davon, daß Zustände Handlungsweisen „begünstigen“;15 und eine solche Redeweise kann nicht offensichtlich auf die von „sollen“ zurückgeführt werden. Doch soll diese Komplikation hier außer Betracht bleiben, und das Argument wird allein in der Währung von „sollen“ geführt. Die eben gegebene Formulierung trifft aber zweitens nur ungefähr, weil oft Leute nicht tun sollten, was sie Grund haben zu tun. Ein Überfall auf eine Bank ist sicher etwas, was ich Grund habe zu tun, vorausgesetzt meine Chancen auf Erfolg sind gut, aber ich sollte es nicht tun, denn es gibt stärkere Gründe dagegen.16 Naheliegender Weise läßt sich das Problem so umgehen, daß man sagt, die Leute sollten tun, was sie alles zusammengerechnet, oder was sie unter dem Strich Grund haben zu tun. Leider beruht das Reden von einem Zusammenrechnen von Gründen auf einem Verständnis der Idee, daß man Gründen ein bestimmtes Gewicht zuordnen kann, und damit auf einem Verständnis dessen, daß ein Grund stärker ist oder schwerer wiegt als ein anderer – davon wird das nächste Kapitel handeln. Für den Augenblick mag es am besten sein, auch diese Komplikation beiseite zu lassen und vorzugeben, fälschlicherweise versteht sich, daß die Leute in jeder Situation nur einen relevanten Grund vor sich haben, etwas zu tun. Die Frage zur Normativität von Gründen ist dann, warum es wahr sein sollte, daß die Leute unter diesen Umständen tun sollten, was sie Grund haben zu tun. 247. Man möchte jedenfalls meinen, es ist wahr. Zum einen, wer in einer schwierigen Situation um Rat fragt, mag sehr wohl sagen: „Was soll ich tun?“, und als Antwort auf diese Frage wäre es vollkommen passend, die Gründe für und wider die verschiedenen Handlungsweisen, die sich anbieten, durchzugehen. Ebenso, wenn der Gefragte kein klares Bild dieser Gründe und ihrer relativen Stärke hat, wäre es vollkommen passend für ihn zu antworten: „Ich habe keine Ahnung, was du tun solltest.“ Diese Re-
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deweisen lassen allerdings denken, daß es von den Gründen, die man hat, abhängt, was man tun sollte. Zum anderen tadeln wir manchmal Leute dafür, daß sie etwas nicht tun, was sie, wie sie wissen, Grund haben zu tun. Zum Beispiel tadeln wir manchmal Leute, die ein bestimmtes Ziel verfolgen, dafür, daß sie nicht die geeigneten Mittel ergreifen. Wir meinen also, daß solche Leute nicht getan haben, was sie hätten tun sollen. Somit unterstellen wir, daß sie, indem sie einen Grund hatten, etwas zu tun, auch einer Forderung unterlagen, es zu tun.17 Doch entscheiden diese Punkte die Sache nicht. Vielleicht ist es verfehlt, daß wir so reden, wie wir es tun, und verfehlt, daß wir Leute dafür tadeln, nicht nach ihren Gründen gehandelt zu haben, weil sie tatsächlich keiner solchen Forderung unterliegen. Das wäre sicher eine Neuigkeit für unsere normale Art, über Gründe zu denken, aber Neuigkeit oder nicht, es könnte doch wahr sein. Es braucht also ein Argument, um die Annahme zu stützen, daß man tun sollte, was man Grund hat zu tun und keinen Grund hat, nicht zu tun. 248. Das ehrgeizigste Argument in dieser Sache stammt von Christine Korsgaard. Ihre Konzeption ist eine Erweiterung von Kants AutonomieTheorie. Kant behauptete, daß wir moralischen Forderungen unterliegen, weil wir uns als vernünftige Wesen das moralische Gesetz selbst auferlegen.18 Korsgaard behauptet, daß wir rationalen Forderungen von welcher Art auch immer, also nicht nur moralischen Forderungen, unterliegen, weil wir Gesetze uns selber auferlegen.19 Daher gibt es für sie keine Gründe „unabhängig vom vernünftigen Willen“.20 Vielmehr ist es dadurch, daß einer ein Ziel will, auch der Fall, daß er Gründe hat, passende Mittel zu diesem Ziel zu ergreifen, und weiter, daß er einer rationalen Forderung unterliegt, dies zu tun – immer unterstellt, daß es keine Gegengründe gibt. Also sollte man tun, was man Grund hat zu tun und keinen Grund hat, nicht zu tun: aus dem eigenen gesetzgeberischen Akt entspringt beides, daß man einen Grund hat, und daß man einer Forderung untersteht, entsprechend zu handeln. Grund und Forderung sind Zwillinge, zugleich geboren aus dem sich selbst ein Ziel Setzen eines vernünftigen Handelnden. 249. Anscheinend sieht Korsgaard das als Auslegung von Kants Lehre an, und an dieser Behauptung sind sicher Zweifel möglich. Für Kant sind Grund und Forderung nicht Zwillinge: Gott hat Gründe für das, was er tut, aber er steht nicht unter einer Forderung, es zu tun.21 Korsgaards Meinung, dieser Gedanke bilde nur ein vorübergehendes Element in Kants
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Philosophie, präsent zur Zeit der Grundlegung, doch überholt durch seine reife Autonomie-Theorie, dürfte historisch nicht zu halten sein.22 250. Aber ob historisch korrekt oder nicht, die Frage hier ist, ob Korsgaards Position für sich überzeugt. Das hängt davon ab, ob etwas dafür spricht, daß Wesen, die Gründe haben, etwas zu tun, auch Wesen sind, die, indem sie sich selbst Gesetze auferlegen, diesen Gründen normativen Status verleihen. Die Fähigkeit hierzu nennt Korsgaard „Wille“, führt also einen Unterschied ein zwischen Wollen auf der einen Seite, Begehren oder nach etwas Verlangen auf der anderen. In dieser Begrifflichkeit kann man die Frage auch so fassen: spricht etwas dafür, daß Wesen, die Gründe haben, auch Wesen sind, die einen Willen haben? Korsgaard besteht darauf, daß einen Willen zu haben „konstitutiv dafür sei, eine Person zu sein“,23 doch fällt es schwer, die Gründe für diese Behauptung zu erkennen. Personen, so wie man das Wort normalerweise versteht, sind die meisten oder sogar alle Mitmenschen, und zu sagen, daß sie alle Selbst-Gesetzgeber sind, und zwar konstitutiv, daß sie darum alle den Gründen, die sie haben, normative Bedeutung geben, erscheint auf den ersten Blick vollkommen unplausibel.24 Autonomie in diesem anspruchsvollen Sinne ist weder beobachtbar noch offensichtlich an den Leuten um uns herum, und eine weitere Begründung, die den Gedanken glaubhafter machte, wird nicht geliefert. Gelegentlich geht Korsgaard so weit zu behaupten, daß jemand, der keinen Willen hat, oder es abweist, einen zu haben, überhaupt niemand mehr ist,25 aber das scheint bloß eine dogmatische Behauptung: so denken wir in Wirklichkeit nicht von Leuten. Gewiß, stünde schon fest, daß Gründe normativ sind, könnte es sich herausstellen, daß unsere Selbstgesetzgebung für diese Tatsache die beste Erklärung bietet; und manchmal schreibt Korsgaard, als ob sie diese bescheidenere These verträte.26 Doch was immer ihr Ziel ist, hier ist die Aufgabe, eine Rechtfertigung für die Behauptung zu finden, daß Gründe überhaupt erst normativ sind, und eine solche Rechtfertigung legt sie nicht vor. 251. Eine vorsichtigere und aussichtsreichere Theorie hat John Broome jüngst in zwei Aufsätzen vorgetragen.27 Er unterscheidet drei Typen von normativer Beziehung:28 – die Grund-Beziehung: etwas ist für jemanden ein Grund, etwas zu tun, – die soll-Beziehung: etwas macht, daß jemand etwas tun sollte, – die Beziehung der normativen Forderung: etwas fordert normativ, daß jemand etwas tut.
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Und er vertritt die folgenden drei Thesen: 1. Praktisches Überlegen ist mit Hilfe der Beziehung der normativen Forderung zu verstehen. 2. Wer einer normativen Forderung unterliegt, der sollte den folgenden Bedingungssatz wahr machen: wenn die Bedingung der normativen Forderung vorliegt, dann tut er, was zu tun er unter einer normativen Forderung steht. 3. Wenn jemand einer normativen Forderung unterliegt, ist es nicht unbedingt der Fall, daß er tun sollte, was zu tun er unter einer normativen Forderung steht, und es ist auch nicht unbedingt der Fall, daß er Grund hat, es zu tun. 252. Machen wir uns anschaulich, was mit diesen Sätzen gesagt ist. Angenommen, ich habe das Ziel, ein Boot zu kaufen, und wie ich weiß, kann ich das nur tun, indem ich mir Geld leihe.30 Dann gilt von mir nach Broomes Ansicht nur dies: ich bin dadurch, daß ich das Ziel habe, ein Boot zu kaufen, der normativen Forderung unterworfen, mir Geld zu leihen. Praktisches Überlegen führt mich vom Wollen des Ziels zum Wollen des Mittels: vernünftiger Weise kann ich nicht beim Wollen des Ziels stehen bleiben und zum Wollen des Mittels nicht übergehen. Ich sollte dafür sorgen, daß gilt: wenn ich das Ziel habe, ein Boot zu kaufen, dann leih ich mir Geld. Aber das heißt nicht, daß einfach gilt: ich sollte mir Geld leihen. Es obliegt mir nur, den Bedingungssatz wahr zu machen, nicht, seinen Nachsatz wahr zu machen. 253. Vielleicht ist nicht offensichtlich, was diese Überlegungen für die anstehende Frage austragen, ob Gründe normativ sind. Ja, das mag vollkommen undurchsichtig werden, wenn man Broomes Satz liest: „Unter einem ‚Grund‘ verstehe ich ein ‚insofern sollen‘.“31 Die hier verhandelte Frage entsteht also für Broome gar nicht, sie ist durch Definition mit Ja beantwortet! Doch wirklich antworten Definitionen nicht auf Fragen; und auch wenn es Broome frei steht, festzulegen, daß das Wort „Grund“ in seinen Schriften für „insofern sollen“ steht, ist damit nichts für den Nachweis ausgerichtet, daß, was normalerweise „Grund“ genannt wird, normative Kraft besitzt. Die Frage ist noch offen, ob das so ist, und um Verwirrung zu vermeiden, mag es tatsächlich besser sein, Broomes Rede von Gründen in die Rede von „insofern sollen“ zurückzuübersetzen. Die erste der eben aufgezählten Beziehungen wird dann – die „insofern sollen“- Beziehung: etwas macht, daß jemand etwas tun soll, vorausgesetzt, er soll nicht etwas anderes tun.
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Um den Gegensatz kenntlich zu machen, könnte man dann die zweite Beziehung die „sollen und Schluß“- Beziehung nennen. Und Broomes dritte These, entsprechend revidiert, lautet dann: (3.) Wenn jemand einer normativen Forderung unterliegt, ist es nicht unbedingt der Fall, daß er tun sollte und Schluß, und es ist nicht einmal unbedingt der Fall, daß er insofern tun sollte, was zu tun er unter einer normativen Forderung steht. 254. Relevant für die Frage, ob Gründe normativ sind, ist Broomes Argumentation vielmehr durch das Verständnis von praktischem Überlegen, das er entwickelt. Normalerweise würde man nämlich unter einem Grund etwas verstehen, was in der oberen Prämisse einer praktischen Überlegung ausgedrückt oder angezeigt wird, und nicht wie in Broomes Sprachgebrauch etwas, das jemand einem „insofern sollen“ unterliegen läßt. Lassen wir für den Augenblick den vorher geführten Streit ruhen, wo genau Gründe anzusetzen sind, in einem Begehren, in Zielzuständen oder vielmehr in Zuständen, für die das Handeln Abhilfe schaffen soll! Normalerweise sähe man in der Aussage, daß ich das Ziel habe, ein Boot zu kaufen, einen Grund benannt, den ich unter diesen Umständen dafür habe, mir Geld zu leihen. So verstanden wären Gründe etwas, was im Überlegen, also im Begründen vorkommt, und schon die Wörter deuten darauf hin, daß so die Bedeutungen festzulegen näher liegt als, wie Broome es tut, Gründe und Begründungen voneinander zu trennen.32 So die Wörter verstanden, wird aber klar, wieso Broomes Theorie für die gegenwärtige Frage nach der Normativität von Gründen relevant ist. Die Theorie sagt, es sei nicht der Fall, daß man tun soll, was man Grund hat zu tun, und zwar ist es weder so, daß man es tun soll und Schluß, noch soll man es nur insofern tun. Das sagt die Theorie, denn Gründe nach dem jetzigen Verständnis sind das, wovon ein Überlegen seinen Ausgang nimmt, und wie Broome festhält,33 Überlegen ergibt kein Sollen, noch nicht einmal ein insofern Sollen. In diesem Sinne sind Gründe nicht normativ. Doch die Theorie sagt auch, daß man den folgenden Bedingungssatz wahr machen soll, und zwar soll man es und Schluß: wenn man Grund hat, etwas zu tun, dann tut man es. Das sagt die Theorie, weil wiederum Gründe nach dem jetzigen Verständnis das sind, wovon ein Überlegen seinen Ausgang nimmt, und wie Broome festhält,34 weil Überlegen mit Hilfe der Beziehung der normativen Forderung zu verstehen ist. In diesem Sinne also sind Gründe normativ. 255. Dies ist die Behauptung, was ist das Argument? Ziemlich klar ist, daß praktisches Überlegen, wird es einmal mit Hilfe der Beziehung der
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normativen Forderung begriffen, nicht den Schlußsatz ergibt, daß ich, um bei dem Beispiel zu bleiben, mir Geld leihen sollte – sollte und Schluß oder auch nur insofern sollte. Unter einer normativen Forderung sollte ich nur sicherstellen, daß nicht die folgenden zwei Dinge zugleich wahr sind: daß ich das Ziel habe, ein Boot zu kaufen, und daß ich mir kein Geld leihe; und daraus, daß ich das sicherstellen sollte, kann man nicht schließen, daß ich mir Geld leihen sollte. Man kann es nicht einmal dann schließen, wenn das eine, daß ich das Ziel habe, ein Boot zu kaufen, schon wahr ist, denn da mag es immer noch so sein, nicht daß ich mir Geld leihen sollte, sondern daß ich das Ziel, ein Boot zu kaufen, zwar habe, doch nicht haben sollte. Wenn die Theorie also sagt, daß Gründe nicht normativ sind, in dem Sinne, daß sie nicht ein solches Sollen herzuleiten erlauben, so folgt dies klarerweise aus der vorhin angeführten These 1; und wenn sie sagt, daß Gründe allerdings normativ sind, in dem Sinne, daß sie eine normative Forderung mit sich bringen, so ist das These 1, das korrigierte Verständnis von Gründen aus dem letzten Absatz vorausgesetzt. Damit hängt alles an der Frage, weshalb These 1 wahr sein sollte; also warum praktisches Überlegen im Sinne der normativen Forderung interpretiert werden muß. 256. Man kann Broome so lesen, daß er folgendes Argument vorbringt. Die Beziehung zwischen meinem Haben des Ziels, ein Boot zu kaufen, und meinem Leihen von Geld ist nicht die Beziehung von sollen und Schluß. Denn vielleicht sollte ich mir ja in Wirklichkeit nicht Geld leihen, zum Beispiel weil ich das Ziel, ein Boot zu kaufen, selbst gar nicht erst haben sollte. Wenn es so ist, dann macht mein Haben dieses Ziels nicht, daß ich auf jeden Fall mir Geld leihen sollte, wie es das machen müßte, wenn zwischen diesen beiden die Beziehung von sollen und Schluß bestünde. Aber auch die Beziehung von insofern sollen besteht zwischen diesen beiden nicht. Denn wenn ich unter diesen Umständen jenes Ziel habe und mir doch kein Geld leihe, dann sei ich „entschiedenermaßen nicht ganz so, wie ich sein sollte,“35 während ich unter der Beziehung von insofern sollen so sein mag oder auch nicht so sein mag, wie ich sein soll, abhängig nämlich davon, ob es noch etwas anderes gibt, was ich tun sollte. Angenommen nun, die beiden sollen-Beziehungen, nämlich insofern sollen und sollen und Schluß, sowie die Beziehung der normativen Forderung kommen allein für die Aufgabe in Frage, praktisches Überlegen verständlich zu machen, dann folgt, daß praktisches Überlegen im Sinne der normativen Forderung interpretiert werden muß.
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257. Und genau diese Annahme ist zweifelhaft. Nicht daß praktisches Überlegen mit Hilfe noch einer anderen normativen Beziehung interpretiert werden sollte. Es sollte vielleicht gar nicht mit Hilfe einer normativen Beziehung interpretiert werden. Broomes Argument überzeugt, soweit es eben reicht: den Wettbewerb der drei erläuterten normativen Beziehungen gewinnt die Beziehung der normativen Forderung, dank den Mängeln der anderen beiden. Aber das ist kein Argument dafür, daß Gründe normativ sind. Es ist nur ein Argument dafür, die Normativität von Gründen, wenn sie denn normativ sind, im Sinne der normativen Forderung zu verstehen; und nach allem, was Broome sagt, mögen sie eben nicht normativ sein. Wenn ich unter den genannten Umständen das Ziel habe, ein Boot zu kaufen, und mir kein Geld leihe, ist vielleicht gar nichts an mir auszusetzen. Vielleicht verfehle ich weder definitiv zu tun, was ich tun sollte, noch verfehle ich zu tun, was ich sollte, vorausgesetzt, es gibt nicht noch etwas anderes, was ich sollte. Vielleicht bin ich einfach prima. Sicher, verglichen mit den Leuten in meiner Umgebung, benehme ich mich vielleicht seltsam, aber das ist eine andere Sache. Auch mögen mich manche irrational nennen. Aber wenn das nur heißt, daß ich einer von denen bin, die nicht tun, was sie Grund haben zu tun, so ist das wahr und zugestanden, aber harmlos. Wenn es aber einschließt, daß ich nicht so bin, wie ich sein sollte, dann ist diese Äußerung, alles in Rechnung stellend, was wir bisher gehört haben, unbegründet.36 Broomes Argument setzt also voraus, zeigt aber nicht, daß Gründe normativ sind. 258. Dadurch, daß es die verwirrenden Einkleidungen dieses Gedankens abstreift, macht Broomes Argument vielmehr sichtbar, wie seltsam eigentlich die Vorstellung ist, daß ich in jenem Beispiel gehalten bin, den Bedingungssatz wahr zu machen: wenn ich das Ziel habe, ein Boot zu kaufen, dann leihe ich mir Geld. Warum bin ich in irgendeiner Weise nicht so, wie ich sein sollte, wenn solch ein Bedingungssatz von mir nicht gilt? Wer oder was hat mich dieser Aufgabe unterstellt? Es scheint einfacher und natürlicher, meine Lage so zu beschreiben (wobei „Grund“ hier wieder in dem, wie es scheint, normalen Sinne dieses Wortes, nicht in Broomes Sinn eines insofern Sollens gebraucht wird): die Vorteile, die es hat, ein Boot zu besitzen, geben mir Grund, eines zu kaufen, und bei meiner finanziellen Lage geben sie mir auch Grund, mir Geld zu leihen. Aber da ist nichts, was zu tun ich hierdurch aufgerufen wäre, weder Geld zu leihen noch es dahin zu bringen, daß von mir der Satz gilt: wenn ich das Ziel habe, ein Boot zu kaufen, dann leihe ich mir Geld. Mir Geld zu leihen ist einfach et-
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was, was ich angesichts der Attraktionen des Bootsbesitzes tun kann. Wenn ich aber an dem Ziel festhalte und immer noch kein Geld mir leihe, habe ich nicht zu leisten verfehlt, was ich schuldig war. Klar, wahrscheinlich habe ich dann kein Boot, und wahrscheinlich empfinde ich darüber Frustration, besonders wenn ich daran denke, daß ich durch mich selbst leide. Doch das zeigt noch nicht, daß ich fehlging in dem, was ich tat. Und wenn mir jemand dazu rät, mir Geld zu leihen, was leicht sein kann, wenn ich ihm wichtig genug bin, so spricht er nicht im Namen einer normativen Forderung, der ich unabhängig von seinem Sprechen unterliege. Indem er mir die Gründe, die ich habe, vor Augen führt, versucht er auf mich Einfluß zu nehmen, nämlich so, daß ich den Weg einschlage, der wahrscheinlich für mich besser ist. Das heißt, Normativität kann aus dem Bild ganz wegbleiben. 259. Rekapitulieren wir. Zwei Theorien über die Normativität von Gründen wurden untersucht, die ehrgeizige von Korsgaard und die bescheidenere von Broome. Keine der beiden lieferte ein Argument, das zeigte, daß Gründe tatsächlich normativ sind, in Wirklichkeit setzen sie beide die Normativität von Gründen einfach voraus und geben nur verschiedene Erklärungen von ihr, mit Hilfe der vernünftigen Selbstgesetzgebung des Handelnden die eine, mit Hilfe einer normativen Forderung die andere. Da also, soweit man sieht, eine positive Begründung ausbleibt, kann, wie es scheint, der Gedanke von Gründen, die normativ sind, aufgegeben werden. Es scheint, Gründe können wirklich entsprechend jener früheren Idee als bloße Vorschläge, Angebote oder Einladungen, mit denen die Welt an einen herantritt, betrachtet werden. Der Fall von Einladungen hebt hervor, worauf es ankommt. Im deutschen System sind Universitätsmitglieder im Allgemeinen gehalten, zur akademischen SelbstVerwaltung beizutragen. Daher hat in diesem System die Einladung zu einer Kommissions-Sitzung normative Kraft, die von jener generellen Verpflichtung abgeleitet ist. Angenommen, diese Verpflichtung fiele weg, und keine gesellschaftliche Verpflichtung oder moralischer Druck träte an ihre Stelle, angenommen, eine Einladung wäre wahrhaft frei, sie kündigte uns nur an, daß es hier eine interessante oder wichtige oder langweilige Kommissions-Sitzung gibt, und wir könnten ihr folgen oder fernbleiben, ohne im einen oder anderen Fall hinter dem, wie wir sein sollen, zurückzubleiben – dann hätten wir das Bild von nicht-normativen Gründen. Und angesichts dessen, daß überzeugende Argumente dafür fehlen, Gründe in anspruchsvollerer Weise, nämlich eben als normativ zu verstehen, wäre dies
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bescheidenere Verständnis von Gründen wohl in der besseren Position, wären da nicht die beiden Phänomene, die zu Beginn dieser Diskussion (§ 247) erwähnt wurden. Erstens, wenn Gründe nicht normativ sind, wie kommen wir darauf, als eine passende Antwort auf die Frage, was einer tun soll, die Gründe deutlich zu machen, die er in der Sache hat? Zweitens, warum tadeln wir Leute dafür, daß sie nicht tun, was sie Grund haben zu tun? Das Argument gegen die Normativität von Gründen wird erst vollständig mit einer befriedigenden Antwort auf diese beiden Fragen. 260. Was die erste Frage betrifft, mag das Problem verschwinden, sobald wir den Sprachgebrauch genauer beobachten. Unerwarteter Weise haben Sie zusammen mit einem guten Freund einen freien Abend vor sich. In einer solchen Situation wäre es ganz natürlich zu fragen: „Was sollen wir jetzt machen?“ Es käme niemandem in den Sinn zu fragen: „Was zu tun sind wir jetzt schuldig?“ Nicht einmal „Was sollten wir jetzt tun?“ klingt richtig. Dabei bildet das Wort „sollen“ hier nicht ein Futur. Wenn Ihr Begleiter sagt: „Ach, wir werden am Ende doch nur wieder arbeiten“, so antwortet er damit nicht auf Ihre ursprüngliche Frage, sondern er deutet an, die Frage sei nicht erwägenswert, weil Sie und er so phantasielos seien. Eine passende Antwort auf Ihre Frage ist eine, die einen Grund für diese oder jene Unternehmung benennt oder erkennbar macht, zum Beispiel: „Der Film im Moviemento soll ausgezeichnet sein.“ Eine andere Möglichkeit für eine passende Antwort ist einfach: „Gehen wir doch ins Kino!“ Dasselbe gilt für ernstere Fälle. Wer einen großen Verlust erlitten hat, mag fragen: „Was soll ich jetzt tun?“, und das hieße nicht zu fragen: „Was bin ich jetzt verpflichtet zu tun?“ und auch nicht: „Was werde ich jetzt tatsächlich tun?“ Ein solcher Mensch möchte einfach gesagt bekommen, wie er weitermachen kann, und wie im vorigen Beispiel, ein bloßer Imperativ oder die Angabe eines Grundes, dies oder jenes zu tun, wären darauf passende Antworten. Dies zeigt an, daß in einem solchen Zusammenhang „sollen“ keine normative Kraft hat; daß es überhaupt nicht etwas bedeutet wie: „Die in diesem Fall gültigen Normen verlangen von mir, das und das zu tun.“ Also, wir geben zwar passender Weise Gründe an, die jemand hat, etwas zu tun, wenn wir auf Fragen wie „Was soll ich tun?“ antworten, aber das zeigt nicht, daß wir Gründe für normativ halten. 261. Die zweite Frage war, weshalb wir Leute dafür tadeln, daß sie nicht tun, was sie Grund haben zu tun, wenn Gründe keine normative Kraft haben. Die Antwort ist, daß es streng genommen falsch oder irreführend ist zu sagen, daß wir Leute dafür tadeln, daß sie nicht tun, was sie Grund ha-
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ben zu tun. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß manche von uns, diejenigen von einer stark stoischen oder buddhistischen Geistesart, überhaupt nicht tadeln, oder jedenfalls versuchen, ohne das auszukommen. Sie haben nicht den Gedanken preisgegeben, daß es Gründe gibt, Dinge zu tun. Sie scheinen eher im Sinn zu haben, daß nicht zu tun, was man Grund hat zu tun, auch zum großen Ganzen der Welt gehört, das zu tadeln nur mangelnde Weisheit verrät. Sodann läßt sich in einer großen Zahl von Fällen vermuten, daß Leute, die dafür getadelt werden, daß sie etwas nicht tun, was sie Grund haben zu tun, doch nicht getadelt werden, weil sie etwas nicht getan haben, was sie Grund hatten zu tun, sondern weil sie etwas nicht getan haben, was sie hätten tun sollen. Schließlich ist es, auch wenn Gründe nicht als solche normativ sind, dennoch wahr, daß viele Dinge, die Leute Grund haben zu tun, auch Dinge sind, die sie tun sollten, und umgekehrt. So kann man getadelt werden für etwas, was tatsächlich ein Unterlassen dessen ist, was man Grund hat zu tun, aber nicht deshalb getadelt werden, weil es das ist. Deshalb ist es irreführend zu sagen, daß wir Leute dafür tadeln, daß sie nicht tun, was sie Grund haben zu tun, denn es läßt einen denken, daß wir normalerweise Leute tadeln nicht nur wenn, sondern auch weil sie nicht tun, was sie Grund haben zu tun, und das mag nicht so sein. Was an dritter und letzter Stelle das Tadeln von Leuten aus dem Grund betrifft, daß sie nicht getan haben, was sie Grund hatten zu tun, so ist Korsgaards Beispiel von der Fahrt auf der Schiffschaukel hilfreich.37 Da hat jemand sich entschlossen, mitzufahren, er braucht nur noch die Karte zu kaufen und einzusteigen, aber er tut es nicht, die Furcht hält ihn zurück. Wir können mit Zuversicht unterstellen, daß es keine allgemeine Norm gegen Fahrten auf der Schiffschaukel gibt, und wir können auch unterstellen, etwas weniger zuversichtlich, daß es keinen anderen Grund für ihn gibt, vor der Fahrt zurückzuscheuen. Werden wir ihn tadeln, weil er nicht tut, was er, soweit wir sehen können, Grund hat zu tun? Es ist wohl so, daß einige von uns ihn tadeln werden und einige nicht. Einige von uns werden tolerant sein gegen solche, die der Vernunft nicht folgen. Sie werden sagen, daß, wenn er sonst nicht in dem, was er tun sollte, Mängel zeigt, die Tatsache, daß er einen Grund hat, etwas zu tun, und weiß, daß er ihn hat, und trotzdem es nicht tut, nichts ist, wofür er zu tadeln wäre. Andere werden sich darüber aufregen, wie unvernünftig er ist. Sie werden sagen, daß zu tun, was man Grund hat zu tun, selbst ein Charakterzug ist, den man haben sollte, und so verdiene er Tadel. Wer recht hat, braucht hier nicht entschieden zu werden. Der Punkt ist, daß die Leute hier eben verschieden reagieren. Daher ist es falsch zu sagen, daß
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wir Leute darum tadeln, weil sie nicht getan haben, was sie Grund hatten zu tun. Wir tadeln sie nicht aus diesem Grund, manche von uns tun das. 262. Damit schützen die beiden zuvor erwähnten (§ 259) Phänomene die These, daß Gründe normativ sind, nicht länger vor Zweifel. Es ist nicht im Allgemeinen wahr, daß wir Leute deshalb tadeln, weil sie nicht getan haben, was sie Grund hatten zu tun; und während es eine passende Antwort auf eine Frage wie: „Was soll ich tun?“ ist, die Gründe, die jemand hat, ihm vor Augen zu stellen, so hat ein derartiger Gebrauch von „sollen“ doch in vielen Fällen keine normative Bedeutung (§ 260). Da andererseits kein überzeugendes Argument zu Gunsten der Normativität von Gründen weder bei Korsgaard (§ 250) noch bei Broome (§ 257) sich finden ließ, scheint es vernünftig zu schließen, jedenfalls solange kein besseres Argument auf der Bühne erscheint, daß Gründe nicht normativ sind. Und das entkräftet den zweiten wichtigen Einwand (§ 244) gegen die vorgeschlagene Konzeption von Gründen, die Leute dafür haben, etwas zu tun.
Kapitel 10 Stärkere Gründe 263. Jetzt steht noch die vor zwei Kapiteln (§ 215) markierte Aufgabe an, die Eigenschaften zu erklären, die man normalerweise Gründen zuschreibt, etwa wenn man sie stark, gut, überwältigend oder dergleichen nennt. Gewiß gibt es hier eine breite Auswahl stilistisch sich unterscheidender Ausdrücke, aber es scheint, daß der Sache nach diese Charakterisierungen allesamt dazu dienen, die Gründe, auf die sie angewandt werden, in einer einzigen Dimension zu platzieren, nämlich in der Dimension der Stärke. Ein guter Grund ist ein vergleichsweise starker Grund, ein kümmerlicher Grund ist vergleichsweise schwach, ein überwältigender Grund ist so stark, daß er unwiderstehlich ist, und so weiter. Wohl werden manche dieser Ausdrücke auch auf andere Weisen gebraucht. Was ein guter Grund genannt wird, ist oft einfach ein Grund, im Gegensatz zu etwas, das bloß ein Grund zu sein scheint. „Ein schwacher Grund“ und „ein schlechter Grund“ sind oft diplomatische Ausdrücke für Dinge, die überhaupt nicht als Grund angesehen werden. Doch erscheinen diese Gebrauchsweisen sekundär; und der Begriff, mit dessen Hilfe der primäre Gebrauch dieser Ausdrücke erklärt werden müßte, wäre der, daß ein Grund stark ist. Oder vielmehr, daß er stärker ist als ein anderer – Stärke, zumindest Stärke von Gründen, scheint einer der Fälle, in denen der Komparativ begrifflich dem Positiv vorausliegt.1 Jedenfalls geht es in der folgenden Diskussion darum, die Rede von einem Grund, der stärker ist als ein anderer, verständlich zu machen, und zwar im Einklang mit der hier vorgeschlagenen Gesamtkonzeption von Gründen. 264. Um zunächst einige unbefriedigende Vorschläge beiseite zu schieben, ein stärkerer Grund braucht nicht ein Grund zu sein, der im Bewußtsein des Handelnden größeren Raum einnimmt. Manchmal ist man tief beunruhigt über unwichtige Dinge und behandelt im Vorbeigehen, woran alles hängt. Weiter, ein stärkerer Grund kann nicht erklärt werden als ein Grund, nach dem mit größerer Wahrscheinlichkeit gehandelt wird. Vielleicht tun wir sehr oft Dinge, die wir stärkere Gründe haben, nicht zu tun.
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Also, die Stärke von Gründen kann nicht ihre Wirksamkeit sein. Schließlich sollte ein stärkerer Grund auch nicht als einer erklärt werden, der von einem drängenderen normativen Anspruch begleitet wird, diesem Grund zu folgen. Nicht allein die früheren Zweifel betreffend die Normativität von Gründen sprechen dagegen. Wichtiger ist, daß dies eine Erklärung durchs Dunklere wäre. Die Frage ist, was an einem Grund ihn stärker macht als ein anderer ist, und darauf zu hören, dies liege an einem drängenderen normativen Anspruch, der ihn begleite, ist enttäuschend: man wüßte dann gern, was es an einem Grund ist, das den ihn begleitenden normativen Anspruch drängender macht als den eines anderen Grundes. 265. Einen interessanten Vorschlag hat Joseph Raz eingebracht. Nach seiner Ansicht ist ein Grund dadurch stärker als ein anderer, daß er ihn im Konfliktfall übertrumpft. Gründe sind im Konflikt, wenn der eine ein Grund ist, etwas zu tun, und der andere ein Grund ist, eben das nicht zu tun. Und von zwei Gründen, die im Konflikt sind, übertrumpft der eine den anderen, wenn die beiden Gründe in Konjunktion einen Grund für das bilden, wofür der übertrumpfende Grund schon für sich ein Grund ist, während die beiden Gründe in Konjunktion nicht einen Grund für das bilden, wofür der übertrumpfte Grund schon für sich ein Grund ist.2 Man kann es sich als eine Wippe für Gründe vorstellen. Jeder Grund senkt die Wippe nach seiner Seite, wenn er allein auf dem Balken sitzt, aber nur der stärkere senkt sie zu seiner Seite, wenn sie beide an entgegengesetzten Enden sitzen. Wie Raz ausführt,3 läßt diese Erklärung auch gleich starke und inkommensurable Gründe zu: Gründe können im erklärten Sinne in Konflikt stehen, und doch mag ihre Konjunktion nicht ein Grund für die eine oder die andere Handlungsweise sein – wieder wie bei zwei Leuten auf einer Wippe. 266. Die Schwierigkeit an diesem Kriterium ist, daß es zu oft oder sogar immer Gründe für gleich stark erklärt. Hier ist eines von Raz’ Beispielen für einen Grund, der einen anderen übertrumpft: Daß mein Sohn verletzt worden ist, ist ein Grund für mich, ihn mit 75 km/h zum Krankenhaus zu fahren. … Dieser Grund übertrumpft den einzigen vorhandenen Grund, der mit ihm in Konflikt steht, die gesetzlich bestimmte Beschränkung der Geschwindigkeit auf 50 km/h.
Nach Raz’ Vorschlag übertrumpft der erste Grund den zweiten dadurch, daß die Konjunktion aus der Verletzung seines Sohnes und der gesetzlichen Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h ein Grund für ihn ist, mit 75 km/h zum Krankenhaus zu fahren, die Konjunktion dieser beiden
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aber nicht ein Grund für ihn ist, mit höchstens 50 km/h zum Krankenhaus zu fahren. Es ist jedoch schwer zu sehen, wieso die Verletzung seines Sohnes und die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h zusammen einen Grund für Raz bilden sollen, mit 75 km/h zum Krankenhaus zu fahren. Daß die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h Teil eines Grundes ist, den Raz dafür hat, mit 75 km/h seinen Sohn zum Krankenhaus zu fahren, wäre für einen normalen Sprecher des Deutschen eine verblüffende Auskunft, oder er müßte vermuten, Raz’ Gesinnung sei ungewöhnlich rebellisch. („Dann gerade!“) Man denke auch an die Situation, in der Raz seinen Sohn zum Krankenhaus fährt, nicht wegen einer Verletzung, sondern für eine Routine-Untersuchung: wir wollen nicht sagen, daß hier der Grund, den er zuvor für das Fahren mit 75 km/h hatte, zum Teil fortbesteht. Wir wollen vielmehr sagen, daß die Verletzung allein ihm Grund gab, schneller zu fahren als erlaubt. Das heißt, wir wollen sagen, es sei falsch, daß die Kombination aus Verletzung und Geschwindigkeitsbeschränkung ein Grund für ihn ist, schnell zu fahren. Sicher, die Kombination der beiden ist auch nicht ein Grund für ihn, langsamer zu fahren. Die Kombination, möchte man meinen, ist für gar nichts ein Grund. Nach Raz’ Kriterium ergibt sich damit, daß die beiden Gründe, Verletzung und Geschwindigkeitsbeschränkung, gleich stark sind. Das sollten sie aber nicht sein. 267. Zur Verteidigung von Raz’ Vorschlag könnte jemand darauf dringen, die Situation vielmehr wie folgt zu beschreiben. Auf der einen Seite sei es sowohl wahr, daß er Grund hat, seinen Sohn mit 75 km/h zum Krankenhaus zu fahren, als auch, daß er Grund hat, das unter Verstoß gegen die gesetzliche Geschwindigkeitsbeschränkung zu tun. Auf der anderen Seite aber sei es nur wahr, daß er Grund hat, sich an die Geschwindigkeitsbeschränkung zu halten, nicht jedoch sei es wahr, daß er Grund hat, dadurch das Leben seines Sohnes zu gefährden; und dieser Unterschied mache es aus, daß der erste Grund den zweiten übertrumpft. Das mag in Wirklichkeit kein Vorschlag sein, der Raz’ Gedanken ausbessert, da es bei dessen Gedanken ja um eine Konjunktion von Gründen ging, während hier von einer Konjunktion von Handlungs-Beschreibungen die Rede ist. Wie dem auch sei, das Hauptproblem bei dem Vorschlag ist, daß die Beschreibung der Situation schon nicht stimmt. Nur die erste Hälfte ist richtig: er hat Grund, seinen Sohn mit 75 km/h zum Krankenhaus zu fahren, und er hat Grund, das unter Verstoß gegen die Geschwindigkeitsbeschränkung zu tun. Die zweite Hälfte ist nicht richtig. Nicht nur ist es wahr, daß
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er Grund hat, sich an die Geschwindigkeitsbeschränkung zu halten, es ist auch wahr, daß er Grund hat, dadurch das Leben seines Sohnes zu gefährden. Das Bestehen der Geschwindigkeitsbeschränkung spricht dagegen, sie zu übertreten, wie eng oder weit diese Übertretung auch beschrieben werden mag. Auf diese Weise ergibt sich also kein Unterschied, mit dessen Hilfe das Übertrumpfen und Übertrumpftwerden von Gründen erklärt werden könnte. 268. Bessere Aussichten eröffnen sich, wenn man nach der hier vertretenen Theorie (§ 217) Gründe als Anfangsstücke von Geschichten faßt, auf die, nämlich die Anfangsstücke, die Handelnden mit dem, was sie tun, reagieren können. Normalerweise bietet einem die Welt zahlreiche Fäden an, an denen einer weiter stricken kann (§ 223), aber der Punkt ist, manche sind einem wichtiger als andere. Das praktische Feld, in dem man sich bewegt, ist nicht eben. Manche Zustände und Ereignisse, auf die man reagiert, ragen heraus, andere treten in den Hintergrund zurück, und das ist es, was aus ihnen stärkere oder schwächere Gründe macht. Im Beispiel von Raz tritt die Verletzung seines Sohnes unter den anderen Dingen, die ihn zu einer Reaktion einladen (§ 259), gegenüber der gesetzlichen Geschwindigkeitsbeschränkung nach vorn. Gewiß zählt die Geschwindigkeitsbeschränkung weiterhin, nur jetzt trifft sie auf etwas, was mehr zählt. Das ist also der Vorschlag: stärkere Gründe sind Zustände oder Ereignisse, die für den Handelnden wichtiger sind. 269. Das heißt nicht die relative Stärke von Gründen aus der relativen Stärke von Begehren der Handelnden erklären. Daß ein Grund für jemanden wichtig ist, das ist eine Sache; daß er begierig ist, nach diesem Grund zu handeln, oder begierig ist, die Früchte eines solchen Handelns zu ernten, ist eine andere. Es geschieht uns manchmal, daß wir sehr dahinter her sind, etwas zu tun, und doch mögen wir eingestehen, vielleicht später, vielleicht sogar zu der Zeit selbst, daß der Grund, es zu tun, nicht besonders schwer wiegt. Auch umgekehrt: ein Grund fürs Handeln kann bedeutsam sein, ohne eine besonders hitzige Begierde auszulösen. 270. Ja, das heißt nicht einmal die relative Stärke von Gründen aus dem erklären, was der betreffende Mensch für wichtig hält. Wichtig sein und für wichtig gehalten werden sind zwei Dinge. Leute können sich verrückt machen vor Sorgen um Dinge, an denen wenig liegt, und das, was wirklich wichtig ist, außer Acht lassen; und das ist nicht darum weniger wahr, weil es, oft in täuschender Weise, als ein Gemeinplatz in der christlichen
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Predigt gebraucht worden ist. Daß auf diese Weise die relative Stärke von Gründen nicht davon abhängt, wie der Betreffende die Situation beurteilt, stimmt mit unserem normalen Verständnis von Gründen überein. Wir meinen, daß Leute nicht nur manchmal die Gründe nicht sehen, die sie haben (§ 226), sondern daß sie auch manchmal nicht die besten Richter darüber sind, welche von den Gründen, die sie sehen, stärker und welche schwächer sind. Deshalb bieten wir manchmal unseren Rat an, vielleicht ungebeten: wir wollen, daß unser Gesprächspartner dem, worauf es ankommt, auch das richtige Gewicht beimißt. („Ihr seid befreundet, schön, aber seinetwegen die Schule schmeißen ist idiotisch.“) 271. Jemand mag protestieren: wer anders als ich kann denn entscheiden, was wichtiger und was weniger wichtig für mich ist? Antwort, Ihr Biograph kann es. Was wichtiger für einen Menschen und was weniger wichtig ist, hängt davon ab, wie sein Leben beschaffen ist, seines insbesondere und das Leben von Menschen allgemein; und so mag sein Biograph, dieser Ausdruck wieder in einem weiten Sinne genommen (§ 125), also jemand, der sich auskennt mit seinem Leben und mit dem menschlichen Leben, besser als er selbst sagen können, was für ihn wichtig und was weniger wichtig ist. Gewiß gibt es Dinge, in denen einer selbst sein bester Biograph sein wird, aber in anderen mag er es eben nicht sein. Mit dem Beispiel aus dem vorigen Absatz, es mag einfach der Fall sein, daß, so wie Ulrike bisher gelebt, was sie gemacht, worauf sie sich eingelassen hat und wofür sie ansprechbar geworden ist, eine zu Ende geführte Ausbildung tatsächlich wichtiger für sie ist als mit Jakob zusammenzuleben, daß also die Gründe dafür, die Ausbildung fertig zu machen, tatsächlich stärker sind als die Gründe dafür, mit Jakob zusammenzuziehen – auch wenn sie selbst jetzt anders urteilt. Vielleicht verfolgt sie ihren Plan nur, um sich als die ungebundene romantische Liebende darzustellen, ein Kleid, das ihr einfach nicht paßt, nach allem, was sie bisher in ihrem Leben geworden ist. Sicher heißt das nicht, daß die stärksten Gründe immer dafür sprechen, weiter zu machen wie bisher. Manchmal ist es wichtiger, eine neue Richtung einzuschlagen, und wieder mag es sein, daß der Betreffende selbst das nicht sieht. (In einem anderen Fall: „Sie sollte endlich bei ihren Eltern ausziehen.“) Noch weniger heißt das, daß generell Ausbildung wichtiger ist als Liebe. Manchmal ist sie es nur, für manche Leute – deren eigenem Urteil zum Trotz. Am wenigsten heißt es, daß irgendetwas davon leicht zu erkennen ist. Der Punkt ist bloß, es kann einer in seinem eigenen Fall falsch, und wir, die Beobachter, mögen richtig liegen mit dem Urteil darüber,
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was für ihn wichtig und weniger wichtig ist. Wir mögen wirklich richtig liegen – was nicht nur heißt, daß der weitere Fortgang uns Recht geben mag oder daß der Betreffende sich am Ende unserem Urteil anschließen wird. Ob diese Dinge eintreten oder nicht, es mag wahr sein, daß Ulrike jetzt stärkere Gründe hat, ihre Ausbildung zu Ende zu bringen, als dafür, mit Jakob zusammenzuziehen, obgleich sie selbst darüber anders denkt. 272. Diese Erklärung von „stärkerer Grund“ als „für den Handelnden wichtigerer Grund“ folgt zu einem gewissen Maß Harry Frankfurts Überlegungen dazu, daß uns Dinge am Herzen liegen und daß sie wichtig für uns sind.4 Zwar war Frankfurt vor allem darauf bedacht „die Wichtigkeit dessen, was uns am Herzen liegt“, so der Titel seines ersten Aufsatzes zu diesem Thema, herauszuheben und lenkte deshalb die Aufmerksamkeit in erster Linie auf Fälle, in denen jemand oder etwas sehr viel für einen Menschen bedeutet, zum Beispiel wenn dieser Mensch einen anderen liebt oder wenn er den Kampf für ein Ideal zum Inhalt seines Lebens macht. Aber diese Einschränkung liegt nicht in der Natur der Sache. Frankfurts Bemerkung, es gebe „große Unterschiede darin, wie stark und wie dauerhaft Leute mit ihrem Herzen an etwas hängen“5 kann man tatsächlich so lesen, daß es für einen Menschen möglich ist, an einer großen Zahl von Dingen jeweils verschieden stark zu hängen; und so bekommen wir für jeden Menschen eine Landschaft von Dingen, die ihm am Herzen liegen, mit ein paar Gipfeln vielleicht, einigen Mittelgebirgen und einem großen Gebiet mit geringen Erhebungen. Das ist die Vorstellung, mit deren Hilfe sich „stärkere Gründe“ erklären läßt: gegeben eine solche Landschaft, jetzt allgemeiner von Dingen, die für jemanden mehr oder weniger wichtig sind, so ist ein Grund stärker als ein anderer je nach dem, ob er in dieser Landschaft an einem höheren Punkt angesiedelt ist. Sicher, manche Dinge sind wichtig für jemanden und zählen doch nicht als Gründe, weil man an diesen Dingen nichts tun kann. Aber wenn etwas ein Grund für jemanden ist, etwas zu tun, kann man es auf seiner Wichtigkeits-Karte lokalisieren; und wie hoch dieser Ort liegt, das bestimmt die relative Stärke des Grundes. Also in jenem Beispiel von Raz, die gesetzliche Geschwindigkeitsbeschränkung ist ihm nicht unwichtig, und so ist der Grund dafür, diese Beschränkung einzuhalten, einigermaßen stark. Aber viel mehr liegt ihm an der Gesundheit, ja vielleicht am Überleben seines Sohnes, und deshalb ist der Grund stärker, den er dafür hat, schneller als erlaubt zum Krankenhaus zu fahren. 273. Wenn die Frage ist, ob jemandem etwas am Herzen liegt oder nicht, müssen wir uns nach Frankfurts Ansicht vorbehalten, gegebenenfalls an-
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ders zu urteilen als der Betreffende selbst, und wenn die Frage ist, ob etwas für jemanden wichtig ist, tun wir das, wie im vorletzten Absatz ausgeführt, auch wirklich. Ferner, die Ordnung dessen, was für uns wichtig ist, ist für Frankfurt nicht eine moralische Ordnung.7 Etwas mag für jemanden wichtig sein, ohne daß die Moral ihm das gesagt hätte, und umgekehrt, etwas mag immer noch nicht für jemanden wichtig sein, auch wenn die Moral das behauptet. „Stärkere Gründe“ durch das erklären, was für Leute wichtiger ist, hat somit die Folge, die relative Stärke der Gründe, die sie haben, nicht durch moralische Gesichtspunkte bestimmt, oder zumindest nicht allein durch sie bestimmt zu verstehen. Das ist eine willkommene Folge. Sie erlaubt uns, nach dem relativen Gewicht moralischer und anderer Gründe in einem besonderen Fall oder auch im Allgemeinen zu fragen, und das scheint gewiß eine vernünftige Frage. Die Moral ist nicht der Schiedsrichter über das relative Gewicht der verschiedenen Gründe, die einer hat, sie ist eine Partei in diesem Streit. Zweifellos sind also einige der Gründe, die Leute haben, etwas zu tun, moralische Gründe, und zweifellos tun sie manchmal, was sie tun, aus moralischen Gründen. Aber wie wichtig und damit wie stark moralische Gründe sind, hängt von dem jeweiligen Handelnden ab. 274. Es hängt vom Handelnden ab, doch freilich nicht in dem Sinne, daß die Handelnden nach Gutdünken festsetzen können, wie wichtig ein Grund, ein moralischer oder ein anderer, sein soll. Das relative Gewicht von Gründen ist, wie Frankfurt in einem anderen Zusammenhang sagt, „unaufhebbar eine Sache der persönlichen Umstände“.8 Was einer ist und geworden ist, ein Musik-Liebhaber, ein Geizkragen, ein wahrhaft politisches Lebewesen9 oder ein Abenteurer welcher Art auch immer, das bestimmt, welcher Grund, den man hat, stärker ins Gewicht fällt als ein anderer. Das bedeutet offensichtlich nicht, daß hier die Dinge nicht tatsächlich so oder so liegen. Die Aufnahme von Mahlers neunter Sinfonie, die sie heute Abend im Radio bringen, ist für den Musik-Liebhaber ein stärkerer Grund, daheim zu bleiben, als der Vortrag des berühmten Logikers ein Grund ist, zur Universität zu fahren. Das ist etwas, was der Fall ist, und jeder, der genug vom Leben des Musik-Liebhabers weiß, kann sagen, daß es so ist. Es ist klar, die relative Stärke von Gründen auf diese Weise vom Handelnden abhängig zu machen stimmt gut mit der hier vertretenen allgemeinen Konzeption von Gründen zusammen. Wenn Gründe Stücke von Geschichten sind, auf die man im Handeln reagieren kann, dann sollte es allerdings von den besonderen Eigenschaften dessen,
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der da möglicherweise reagiert, abhängen, welches dieser Stücke unter allen anderen hervorragt und welches in den Hintergrund tritt. 275. Wohl bestand Frankfurt selbst darauf, die Dinge voneinander zu trennen: daß uns etwas am Herzen liegt und daß es uns wichtig ist auf der einen Seite, daß wir Gründe haben, auf eine bestimmte Weise zu handeln, auf der anderen. So unterscheidet er zwischen einem Handeln unter „Willensnotwendigkeit“, wie er es nennt, wenn man also etwas tut, weil etwas einem derartig am Herzen liegt, daß man nicht umhin kann, es zu tun, und einem Handeln aus unübertrefflich starken Gründen, wo einer „die Möglichkeit einer Unterlassung verwerfen muß, weil er einen so guten Grund hat, sie zu verwerfen.“10 Aber ob dieser Unterschied von unserer Erfahrung bestätigt wird, läßt sich sehr wohl bezweifeln. Wer tut, was er tut, weil etwas ihm derart am Herzen liegt, wird sich leicht darüber mit Hilfe des Gründe-Vokabulars erklären, indem er etwa sagt, er finde die Gründe für diese Handlungsweise unwidersprechlich. Ebenso umgekehrt, wer überwältigend starke Gründe für eine Handlungsweise hat, mag sich hier leicht so ausdrücken, daß er sagt, jemand oder etwas sei für ihn über alles wichtig. Das Gleiche gilt von Fällen, in denen keinerlei Notwendigkeit vorliegt. Der Musik-Liebhaber zum Beispiel, der uns erklärt, weshalb er vorhat, heute Abend daheim zu bleiben, mag ebenso gut sagen, daß er Mahlers neunte Sinfonie liebt, die dann gesendet wird, wie auch, daß er ausgezeichnete Gründe hat, diese Aufnahme zu hören. Einen stilistischen Unterschied zwischen den beiden Ausdrucksweisen gibt es, denn die erste klingt emphatisch, die zweite ein bißchen formell, aber das scheint auch der einzige Unterschied zu sein. Wohl wehren sich Leute manchmal ausdrücklich dagegen, sich im Vokabular von Gründen auszudrücken. Jemand könnte etwa sagen: „Ich bleibe bei ihm, weil ich ihn liebe, obgleich alle Gründe dagegen sprechen.“ Aber so zu sprechen verrät ein zu enges Verständnis von Gründen: als ob nur die eigennützigen zählten. Zweifellos hat diese Sprecherin Gründe dafür, bei dem anderen zu bleiben, trotz ihren eigenen Worten. Vermutlich werden also diejenigen, die darauf bestehen, sich in Begriffen davon zu erklären, daß ihnen Dinge am Herzen liegen, statt in Begriffen davon, daß sie starke Gründe für ihr Handeln haben, nur in der einen oder anderen Weise darüber täuschen, was die Anforderungen an einen Grund sind. 276. Aus einem etwas weiteren Blickwinkel gesprochen, mag es tatsächlich ein Vorteil der hier angestellten Überlegung sein, daß sie den Unterschied zwischen der Ordnung der Gründe und der Ordnung dessen, was uns am
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Herzen liegt, einebnet. Frankfurt, der die philosophische Untersuchung dessen, was uns am Herzen liegt, und dessen, was für uns wichtig ist, eröffnete, stellte sie der Ethik entgegen, die von Recht- und Unrechttun und von moralischen Verpflichtungen handelt.11 Es aber bei diesem Gegensatz zu belassen kann schwerlich befriedigen. Das Wichtige und das Verpflichtende sind beide praktisch, bei beiden geht es darum, was zu tun ist, und so müßte die Beziehung zwischen ihnen erklärt werden, was aber eine schwierige Aufgabe zu sein scheint. Nach dem gegenwärtigen Vorschlag ordnen sich die Dinge ziemlich mühelos. Da ist, wie eine Reliefkarte, die ganze Breite von Dingen, die in verschiedenen Graden wichtig für uns sind. Alle Gründe, die wir haben, etwas zu tun, sind irgendwo in diesem Bereich angesiedelt, und ihre relative Stärke bestimmt sich dadurch, wie wichtig das betreffende Ding für uns ist. Moralische Gründe sind eine Unterklasse der Gründe, die wir haben. Und die relative Stärke moralischer gegenüber anderen Gründen hängt vom Handelnden und vom Fall ab.
Kapitel 11 Etwas zu einem Zweck tun, etwas aus Spaß tun 277. Es bleibt zu prüfen, wie gut sich die vorgeschlagene Theorie von Gründen, aus denen wir Dinge tun (§ 118), bei der Erklärung der verschiedenen Fälle bewährt, in denen wir Leuten wirklich solche Gründe zuschreiben. Klar ist, daß sie in einer ganzen Anzahl von Fällen guten Sinn ergibt. Wie schon bemerkt (§ 119), funktioniert sie besonders gut für Züge in Spielen. Etwa wenn ein As auf dem Tisch liegt und ich spiele aus diesem Grund Trumpf, so ist es sehr sinnvoll zu sagen, daß ich mit dem Spielen von Trumpf auf das As dort reagiere und daß genau dies es ausmacht, daß ich aus diesem Grund Trumpf spiele. Sie funktioniert gut, nicht allein für Spiele, sondern für Interaktionen aller Art. Ob ich Ihnen eine runterhaue, weil Sie mir gerade eine runtergehauen haben, oder Ihnen bei Ihrer Ernte helfe, weil Sie mir gestern bei meiner halfen, es ist sinnvoll zu sagen, daß ich die von Ihnen begonnene Geschichte mit einer Reaktion, sei sie ratsam oder nicht, fortsetze und daß genau darin die Tatsache besteht, daß Ihr Handeln der Grund für meines ist. Die Theorie funktioniert ferner gut für Arbeitsverhältnisse. Alfred beantwortet bei Schneider und Söhne die einlaufenden Anrufe, weil sie ihn anständig dafür bezahlen – es ist sinnvoll, diesen Satz so zu erklären: Alfred beantwortet die Anrufe in Anbetracht der Wahrscheinlichkeit, daß die Firma ihm am Ende des Monats eine bestimmte Summe zahlt, und das heißt, er beantwortet sie in Reaktion auf diese Wahrscheinlichkeit. Manche Fälle jedoch lassen sich nicht leicht nach diesem Muster behandeln. Das ist besonders bei zwei Arten von Fällen merkbar, einmal wenn etwas getan wird zu einem bestimmten Zweck, zum anderen wenn etwas getan wird einfach aus Spaß. 278. Oft erklären wir, was jemand tat, indem wir den Zweck des Tuns angeben. Zum Beispiel: Silvia öffnete das Fenster, um ein bißchen frische Luft zu schöpfen.1
Solche teleologischen Erklärungen, wie sie genannt werden, sind offensichtlich Erklärungen durch Gründe. Tatsächlich würde es sich anbieten,
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den eben angeführten Satz gegen jemand, der ihn etwa bezweifelte, mit der Aussage zu bekräftigen: „Doch, das war ihr Grund.“ Aber ein solcher Grund paßt nicht in die Form, die in der bisherigen Darstellung von Gründen entwickelt wurde. Den Zweck eines Tuns angeben heißt nicht einen Zustand angeben, auf den das Tun eine Reaktion ist. Es heißt vielmehr einen Zustand angeben, der das Ergebnis des Tuns sein wird, vorausgesetzt alles läuft wie beabsichtigt. In der einen oder anderen Richtung ist also eine Anpassung nötig. Entweder wir interpretieren die vorgeschlagene Theorie der Gründe um, so daß sie auch teleologische Erklärungen erfaßt, oder umgekehrt, wir deuten teleologische Erklärungen so um, daß sie in die vorgeschlagene Gründe-Konzeption passen. 279. Eine nahe liegende Anpassung der zweiten Art ist die. Entgegen dem Anschein erklären wir, was jemand tat, nicht durch Verweis auf den Zweck des Tuns. Wir erklären es durch den Verweis, den impliziten Verweis freilich, auf den Zustand, den zu ändern der Zweck des Handelns war. Wir erklären Silvias Öffnen des Fensters durch den Verweis, nicht auf die frische Luft, die sie atmen würde, wenn das Fenster einmal offen wäre, sondern auf die stickige Luft, die sie atmen mußte, solange es geschlossen war. Mit dieser Anpassung ist die vorgeschlagene Gründe-Erklärung wieder auf vertrautem Boden. Der Grund, aus dem Silvia das Fenster öffnete, war die stickige Luft im Büro, und auf diesen Zustand ist ihre Handlung eine Reaktion. Es ist wahr, in anderen Fällen funktioniert diese Anpassung nicht so glatt wie hier, wo wir die Handelnde nur von der frischen Luft, auf die sie zusteuert, zu der schlechten Luft vor ihrer Nase umwenden müssen. Es ist schwerfällig, den Satz Ich rannte, um den Zug noch zu erreichen
durch diesen Ausdruck zu ersetzen: Angesichts der Wahrscheinlichkeit, daß ich, weiter mit normaler Geschwindigkeit gehend, den Zug verpassen würde, rannte ich;
und ebenso schwerfällig ist Gegeben die Wahrscheinlichkeit, daß ich ohne einen Anruf bei ihr nicht bald erfahren würde, wie Ulla die Tagung fand, rief ich bei ihr an
als Ersatz für: Ich rief Ulla an, um sie zu fragen, wie sie die Tagung fand.
Aber das ist nur eine stilistische Schwierigkeit. In der Sache scheint hier kein Verlust zu sein. So besteht kein Grund für den Verdacht, daß eine An-
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passung dieser Art nicht in allen Fällen von Erklärungen durch den Zweck gelingen sollte. 280. Wenn aber der Zweck des Handelns nicht ist, einen Zustand zu ändern, sondern seine Änderung zu verhindern? Die Luft im Büro ist tadellos, aber Silvia sieht Otto sich bereit machen, seine alte Diesel-Maschine direkt vor dem Fenster zu starten, und so schließt sie das Fenster. Wir können hier sagen, daß Silvia das Fenster schließt, um zu verhindern, daß die Diesel-Gase hereinkommen, aber dieser teleologische Ausdruck läßt sich ohne Verlust in einen übersetzen, der mit der hier vorgeschlagenen Erklärung übereinstimmt: Silvia schließt das Fenster in Anbetracht der Diesel-Gase, die sonst wahrscheinlich hereinkommen. Was sie tut, ist also eine Reaktion auf diese Gefahr, und so kann die Gefahr, nicht das beabsichtigte Ergebnis ihres Tuns, als der Grund betrachtet werden, aus dem sie tut, was sie tut; gerade so, wie die Aussicht auf einen schönen Tag morgen der Grund war, aus dem wir unsere Stiefel bereit machten (§ 189). 281. Wenn es möglich ist, aus Erklärungen durch den Zweck Erklärungen durch vorliegende Bedingungen zu machen, ist es auch besser, das zu tun. Denn das Basis-Vokabular teleologischer Erklärungen ist schwer zu verstehen. Es ist schwer zu erkennen, was „zu dem Zweck“ und „um zu“ bedeuten.2 Es ist schwer zu erkennen, in welcher Beziehung Silvias Öffnen des Fensters und ihr frische Luft Kriegen zueinander stehen. Es läge nahe zu antworten, daß Silvias Öffnen des Fensters stattfand, weil in ihrem Geist zu irgendeiner Zeit die Vorstellung davon, daß sie etwas frische Luft bekäme, entstand. Aber mit dieser Antwort sind wir wirklich aus dem teleologischen Erklären heraus und wieder beim traditionellen Erklären durch Begehren und Meinung. Teleologisches Erklären sollte schließlich Erklären durch den Zweck des Handelns selbst sein, nicht durch die Vorstellung des Zwecks. Nicht das Erfassen des Ziels in ihrem Geist, sondern wirklich die frische Luft, die sie kriegt, sollte Silvias Handeln erklären. Verzichten wir aber auf diese Antwort, so scheinen wir in Verlegenheit, wenn wir sagen sollen, was die fragliche Beziehung ist. Wir scheinen nicht in der Lage, die basalen teleologischen Redeweisen zu erklären. 282. Manche Autoren sind der Meinung, Erklärungen durch Zwecke seien nicht bloß eine Art von Gründe-Erklärung unter anderen. So ist es für Aristoteles ein allgemein akzeptierter Ausgangspunkt der Überlegung, daß Handeln und überlegter Entschluß auf ein Ziel ausgerichtet sind,3 und für Michael Smith sind Gründe-Erklärungen teleologische Erklärun-
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gen (§ 17). Wenn diese Behauptungen zutreffen, müßte man es sich zweimal überlegen, bevor man ein teleologisches Verständnis des Handelns aus Gründen durch ein historisches ersetzt. Aber wenig spricht dafür, daß diese Behauptungen zutreffen. Was Smith angeht, so schenkt er sich einfach die Annahme, daß Gründe-Erklärungen teleologische Erklärungen sind, und als offensichtlich wahr kann diese Annahme wirklich nicht gelten. Aristoteles seinerseits bringt ebenso wenig Gründe für die Behauptung vor, daß alles Handeln zielgerichtet ist. Sarah Broadie betrachtet das als einen „rein begrifflichen Punkt“5 und meint, „wir könnten kaum weniger sagen.“6 In Wahrheit könnten wir sehr wohl weniger sagen. Wir könnten denken, daß Handeln so von Menschen erwächst, wie Regen vom Himmel fällt 7– natürlicher Weise, verstehbar, in Grenzen auch voraussagbar, aber ohne Zweck; und so braucht es Gründe, um diese Möglichkeit auszuschließen und Zielgerichtetheit als Charakter allen Handelns einzusetzen. Aristoteles wird sich hier auch nicht auf ein allgemeines teleologisches Naturverständnis berufen, wonach alles, was von Natur ist oder geschieht, einen Zweck hat, denn entgegen einem weit verbreiteten Mißverständnis vertritt er eine solche Konzeption nicht. Wie Charlton betont, „seine Behauptung ist, daß einiges von dem, was von Natur ist oder geschieht, zu einem Zweck ist oder geschieht“.8 So bedarf der Satz, daß insbesondere alles Handeln von Menschen auf ein Ziel gerichtet ist, einer Begründung, und es scheint, eine solche ist nicht geliefert worden. Gegeben also, daß Teleologie nicht die Form der Erklärung von Handlungen ist, sondern nur eine Art unter anderen, fällt dieser Einwand gegen eine Rekonstruktion teleologischer Erklärungen durch historische dahin, und die Folgerung kann bestehen bleiben: der Grund, aus dem wir etwas tun, das wir zu einem Zweck tun, ist der Zustand, den zu ändern unser Zweck ist, und das Handeln kann als eine Reaktion auf diesen Zustand erklärt werden. 283. Schwieriger unterzubringen in der vorgeschlagenen Erklärung von Gründen sind Dinge, die aus Spaß getan werden. Zum Beispiel, was ist der Grund, aus dem ich Klavier spiele? Ich werde nicht dafür bezahlt, und im Normalfall erfülle ich damit auch nicht die Erwartungen, Wünsche oder gar Bedürfnisse anderer. Im Großen und Ganzen ist es der Welt vollkommen egal, ob ich spiele oder nicht. Es scheint also, hier gibt es keinen Zustand, von dem man annehmen könnte, daß mein Spielen auf ihn eine Reaktion ist. Wohl übe ich manchmal, versuche also, etwas gegen den kläglichen Zustand meines Spielens zu tun, und dann ist eben dieser
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klägliche Zustand etwas, worauf mein Spielen als Reaktion betrachtet werden kann. Aber manchmal übe ich auch nicht in diesem Sinne. Manchmal spiele ich einfach, bloß aus Spaß am Spielen, überflüssiger Weise. Man könnte vorschlagen, daß ich, wenn ich so spiele, überhaupt nicht aus einem Grund spiele. Schließlich sprechen in solchen Situationen die Leute manchmal so: „Warum hast du Klavier gespielt?“ „Aus keinem besonderen Grund.“ Und da schon zugestanden ist, daß Leute manchmal Dinge tun ohne einen Grund, siehe Heinrichs Bitte in dem Haus auf dem Hügel, sich unterstellen zu dürfen (§ 201), fällt es um so leichter, dies auch über mein Klavierspiel zu sagen.9 Aber in Heinrichs Fall ist offensichtlich etwas schief gegangen, und so leuchtet es ein zu sagen, es habe keinen Grund gegeben, aus dem Heinrich tat, was er tat. Bei meinem Klavierspiel ist, in diesem Sinne, nichts schief gegangen, und so wäre es insofern ad hoc, hier auf fehlenden Grund zu plädieren. Was die Tatsache angeht, daß die Leute so sprechen, so bedeutet das nicht viel, denn vielleicht meinen sie nur, daß eine bestimmte Art von Grund nicht vorhanden war, nicht, daß gar kein Grund eine Rolle spielte. Tatsächlich müßte es als ein starkes Argument gegen eine Konzeption von Gründen, aus denen Leute etwas tun, erscheinen, wenn sich bei dieser Konzeption ergäbe, daß, was aus Spaß getan wird, generell nicht aus einem Grund getan wird. Man mag vielmehr geneigt sein zu sagen: im Gegenteil, wenn wir überhaupt je Dinge aus Gründen tun, so dann, wenn wir uns unschädlich daran freuen, sie zu tun. 284. Was ist also der Grund, aus dem ich Klavier spiele? Die gängige Antwort lautet: meine Begierde zu spielen. Aber wie schon früher bemerkt (§ 196), diese Antwort wird unserer Erfahrung nicht gerecht. Gewiß, wenn die Antwort nur sagen soll, daß eine Ursache meines Spielens meine Begierde zu spielen ist, so ist sie hier nicht von Belang, da die anstehende Frage die ist, aus welchem Grund ich spiele; und die Anhänger dieser kausalen These sollen sich mit den Physiologen einigen, die die Fachleute für Handlungsursachen sind. Ob also mein Begehren eine Ursache meines Spielens ist oder nicht, ein Grund ist es nicht. Es ist kein Grund, weil es nicht etwas ist, dessentwegen ich spiele (§ 142). Wenn ich, bevor ich spiele, überlege, ob ich spielen soll, prüfe ich normalerweise nicht den Stand meines Begehrens nach Klavierspiel; und während ich spiele, beobachte ich auch nicht, wie die Anzeige meines Klavierspiel-Tanks bis zurück auf „voll“ steigt. Ich tue diese Dinge nicht, weil das, worauf es bei meinem Spielen ankommt, nicht die Veränderung meines Begehrens-Zustandes ist. Worauf es bei meinem Spielen ankommt, ist überhaupt nicht
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etwas an mir. Sicher ändere ich mich durchs Spielen. Ich mag müde werden, oder aufgeregt, oder in der Tat mag mein Begehren nach Klavierspiel befriedigt werden, was es vorher nicht war. Aber nicht darum spiele ich. Man denke demgegenüber an Masturbation. Hier mag gleichfalls meine sexuelle Begierde befriedigt werden, was sie vorher nicht war, aber in diesem Fall ist es genau das, warum ich meine Finger so bewege, wie ich es tue. Klavierspielen ist nicht Masturbation mit anderen Mitteln (oder zumindest normalerweise ist es das nicht). Klavierspieler anders als Masturbierende brauchen sich selbst gar nicht im Sinne zu haben; womit nicht allein gemeint ist, daß sie nicht ständig beobachten müssen, wie es ihnen geht, was jeder zugeben wird, sondern auch, daß es für das, was sie tun, wirklich unerheblich ist, wie es ihnen geht. 285. Da die Begierde zu spielen und ihre Befriedigung in der praktischen Landschaft des Spielers keine Rolle spielen, führt der Ausdruck „aus Spaß etwas tun“ schon irre. Er legt nahe, daß der wahrscheinlich aus dem Spielen zu gewinnende Spaß der Grund fürs Spielen ist, so wie das Geld, das wahrscheinlich bei dem Annehmen der Anrufe für Schneider und Söhne herausspringt, Alfreds Grund dafür war, daß er die Anrufe annimmt (§ 277). Aber der Spaß, den man beim Spielen gewinnen kann, ist nicht der Grund fürs Spielen. Dies ist wahr: nach aller Voraussicht werde ich beim Spielen Spaß haben, wie Alfred nach aller Voraussicht für das Annehmen der Anrufe sein Geld bekommen wird. Nicht ist wahr, daß ich wegen des Spaßes spiele, den ich wahrscheinlich bekomme, im Gegensatz zu Alfred, der allerdings die Anrufe annimmt wegen des Geldes, das er wahrscheinlich bekommt. Das Argument hier ist bloß phänomenologisch: außer in ganz seltenen Fällen melkt man keinen Spaß aus der Tätigkeit des Klavierspielens, wie man allerdings Geld aus der Tätigkeit des Annehmens von Anrufen für eine Firma melkt.10 Da also der Ausdruck „aus Spaß etwas tun“ irreführt, sollte er hier nur verstanden werden im Sinne von „was gemeinhin ‚aus Spaß etwas tun‘ genannt wird“. 286. Traditionell erfaßt man das, was aus Spaß getan wird, unter einem an diese Fälle angepaßten teleologischen Muster. Wie Silvia das Fenster zu dem Zweck öffnete, ein bißchen frische Luft zu kriegen, so spiele ich Klavier, wird gesagt, zu dem Zweck, Klavier zu spielen. Die nötige Anpassung des teleologischen Musters besteht bloß darin, in dem besonderen Fall von Dingen, die aus Spaß getan werden, ein Zusammenfallen von Tun und Zweck zuzulassen, während sie normalerweise verschieden sind. Aristoteles erlaubt ausdrücklich eine Identität von Handeln und Zweck:
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Es macht nichts aus, ob die Tätigkeiten selber die Ziele des Handelns sind oder etwas anderes außerhalb von ihnen.11
Das heißt, es macht nichts aus für die Anwendung des teleologischen Schemas auf alles menschliche Handeln, wie sie im Eingangssatz der Nikomachischen Ethik verkündet wird, auf den ich mich eben bezogen habe (§ 282). Tatsächlich macht es etwas aus: wenn Tun und Zweck zusammenfallen, kann von einem Zweck nicht mehr sinnvoll die Rede sein. Das teleologische Schema hängt an der Verschiedenheit von Handeln und Zweck, denn einen Zweck oder ein Ziel verstehen wir als etwas, wohin man unterwegs ist oder, wie Aristoteles’ Ausdruck aus jenem ersten Satz wiedergegeben werden kann, wonach man strebt;12 und es gibt kein Streben eben nach diesem Streben selbst. Wir wissen, was wir mit dem teleologischen Vokabular meinen, solange der Vergleich etwa mit einem Menschen, der nach einer Scheibe schießt, am Platze ist,13 aber mit diesem Vergleich ist es vorbei, sowie Handeln und Ziel zusammenfallen. – Aber könnte man nicht zum Beispiel tanzen mit dem Ziel, anmutig zu tanzen?14 – Nein, das kann man nicht. Man kann versuchen, anmutig zu tanzen, und man kann hoffen, das Tanzen, in dem man gerade begriffen ist, sei ein anmutiges Tanzen. Aber das Ziel des Tanzens, in dem man gerade begriffen ist, kann nicht sein, daß man jetzt anmutig tanzt, denn das eigene Tanzen jetzt kann nicht, um wieder einen Aristotelischen Ausdruck zu übertragen,15 „hin zu“ dem eigenen anmutigen Tanzen jetzt sein. Das Tanzen, in dem man gerade begriffen ist, kann hin zu einem anmutigen Tanzen morgen sein – auf Deutsch, man kann üben. Es kann auch hin zu solchen Dingen wie dem Vergnügen der Zuschauer sein. Es kann nicht hin zu sich selbst sein, sonst verliert „hin zu“ seinen Sinn. 287. Trotzdem, etwas ist dran an der traditionellen Auffassung von dem, was aus Spaß getan wird, und es ist nur verfehlt, den Gedanken in ein teleologisches Kleid zu zwängen. Es scheint schon richtig zu sagen, daß manchmal Leute Klavier spielen um des Spielens willen. Doch sollte man das nicht so verstehen, daß ihr Spielen dann ein bestimmtes Ziel hat, nämlich eben dieses Spielen. Man sollte es vielmehr so verstehen, daß die Leute dann dessentwegen spielen, wie es ist, Klavier zu spielen. – „Und wie ist es?“ – Für den einen so, für den anderen so und für mich so – als ein Beispiel dafür, wie es ist, Klavier zu spielen: Klavier spielen ist, eines dieser wunderbaren Stücke zur Erscheinung bringen und mit den eigenen Händen formen, das Stück mit dem grandiosen Eröffnungsthema, oder das mit den erstaunlichen harmonischen Veränderungen gleich in der Ex-
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position, das Stück mit seinem überschwänglichen Jubel und das mit seiner verzweifelten Kargheit. So ist es, Klavier zu spielen: aus diesem Grund spiele ich, und aus dieser Art von Gründen spielen andere Leute. Irreführend könnte man sogar sagen, daß ich Klavier spiele um Beethovens oder Schuberts oder wer es auch sei willen. Das wäre irreführend, weil es denken ließe, ich wolle diesen toten Komponisten etwas Gutes tun – nichts dergleichen natürlich. Lassen wir „Beethoven“ stattdessen für den Charakter einiger Stücke stehen, die der Komponist dieses Namens geschrieben hat, so trifft der Satz den Punkt: ein Grund, aus dem ich manchmal Klavier spiele, ist die Tatsache, daß es so ist, Klavier zu spielen, also etwa daß es von der Beethoven-Art ist. Auf diese Weise paßt also mein Klavierspiel in das historische Verständnis von Gründen, aus denen Leute Dinge tun. Wie mir die Welt mit drohenden Läufern, schimpfenden Nachbarn und steigenden Barometern entgegentrat, aus welchen Gründen ich je nach dem meinen Bauern zog, zurückschrie und meine Stiefel fertig machte, so winkt sie mir nun mit Klavierspiel von der Beethoven-Art, und also spiele ich, aus diesem Grund. 288. Auf eine Art unterscheidet sich dieser Grund von den bisher betrachteten. Die Drohung des Läufers, das Geschimpfe des Nachbarn und das Steigen des Barometers sind neue Züge meiner Umgebung, aber es ist ständig der Fall, daß Klavierspielen so ist, wie es ist. Aber es ist nicht zu sehen, weshalb dies den Gründe-Status dieser oder jener Art von Dingen antasten sollte. Die Welt kommt eben mit einem Dauer-Sortiment und mit Sonderangeboten. Wohl mag man sich fragen, weshalb ich nicht 24 Stunden am Tag Klavier spiele, wenn ich doch all die Zeit Grund dafür habe. Aber zum einen habe ich auch Grund, andere Dinge zu tun, und diese Gründe behalten die meiste Zeit die Oberhand. Zum anderen, wenn auch zu jeder Zeit Klavierspielen so ist, wie es ist, habe ich doch nicht immer Grund zu spielen. Das Profil der Gründe, die ich habe, ändert sich, und so ist manchmal die Tatsache, daß Klavierspielen so ist, nicht ein Grund, den ich dafür habe, zu spielen, etwa wenn ich zu müde bin. Die Reize des Klavierspielens sind dann an mir verloren, könnte man poetisch und auch treffend sagen: die Reize sind noch da, nur ich bin nicht mehr für sie empfänglich. 289. Was für mein Klavierspielen gilt, trifft generell auf die Dinge zu, die wir aus Spaß tun: wir tun sie, weil es so und so ist, sie zu tun. Die Kontrolle über den eigenen Körper und zugleich dessen Ausdruckskraft sind es vermutlich, um derentwillen man Ballett-Tanz betreibt. Man trinkt Wein,
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normalerweise nicht weil man Flüssigkeit braucht, sondern weil man Schluck für Schluck diesen reichhaltigen, frischen und vielseitigen Geschmack zu spüren bekommt, den Wein und nur Wein gibt. Um eine etwas eigenartige Vorliebe zu nehmen, ich trockne gern mit einem Geschirrtuch die gespülten Weingläser. Anderen sage ich wohl, daß ich das tue, weil sie nicht ganz klar werden, wenn man sie einfach trocknen läßt, aber vielleicht tue ich es wirklich wegen der sinnlichen Qualitäten, die es hat, sorgfältig die Gläser zu halten, mit dem sauberen Tuch über die glatte Oberfläche zu gehen, vollkommene Durchsichtigkeit zu erreichen. Oder ein entgegengesetztes Beispiel, ich hasse es, die Knoblauchpresse zu reinigen. Daß man an diesen kleinen Löchern herumfummeln muß und dann meistens doch noch ein Stück Knoblauch drinnen findet, das sind Gründe, aus denen ich diese Arbeit, wenn möglich, jemand anderem überlasse, der mit mir in der Küche ist. Es ist anders, wenn Spaß oder Abneigung vernachlässigbar gering sind. Etwa putze ich meine Zähne nicht deshalb, weil diese Tätigkeit einen eigentümlichen Charakter hat. Sie hat einen eigentümlichen Charakter, aber das ist nicht ein Grund, aus dem ich Zähne putze oder es nicht tue. Ich tue es, und der Grund hier ist die Gefahr beschleunigten Zahnverfalls. Sicher, wer nichts am Klavierspielen findet, Wein verabscheut und begierig ist, jede Knoblauchpresse zu reinigen, die ihm in die Hände kommt, mit dem habe ich keinen Streit. Das Argument soll nicht zeigen, daß die hier beschriebenen Geschmäcker die richtigen sind. Es soll zeigen, daß, was immer einer aus Spaß tut, Klavier spielen, Wein trinken oder eben auch Leute foltern, er diese Dinge aus einem Grund tut, und daß der Grund darin liegt, daß es so und so ist, diese Dinge zu tun. 290. Jetzt mag man fragen, wieso die Tatsache, daß etwa Klavierspielen so ist, wie es ist, ein Grund für mich zu spielen ist und manchmal auch ein Grund, aus dem ich spiele, aber nicht für einen anderen ein Grund ist zu spielen. Hier tritt die vorher gegebene (§ 225) allgemeine Antwort wieder ins Recht: der Umkreis von Dingen, die für jemanden Gründe sind, etwas zu tun, und insbesondere der Umkreis von Dingen, die Gründe sind, aus denen jemand etwas tut, hängen von der besonderen Denkungsart (§ 192) des betreffenden Menschen ab. Fragt man nun weiter, warum wir diese verschiedenen Denkungsarten haben, müssen wir unsere jeweiligen Geschichten anschauen. Ich bin jemand geworden, für den die Tatsache, daß Klavierspielen die Art von Ding ist, die es ist, ein Grund ist, Klavier zu spielen, und das rührt daher, daß ich in meinem Leben bisher die und
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die Dinge erfahren und getan habe; und wer es genauer wissen möchte, dem könnte ich manche Einzelheiten davon berichten, wie es gekommen ist. Mancher andere könnte es auch: solche Dinge zu erklären ist die Kunst des Biographen. Wenn einer nicht jemand geworden ist, für den jene Tatsache ein Grund ist, so rührt das wieder daher, was er in seinem Leben bisher erfahren und getan hat. Wer so erklärt, weshalb etwas für jemanden ein Grund oder nicht ein Grund ist, bringt nicht wiederum eine GründeErklärung vor, wohl aber eine historische Erklärung (§ 148). Daß einer jemand wird, für den Dinge von der und der Art zählen oder nicht zählen, ist nicht selbst etwas, was er aus einem Grund tut, aber es ist etwas, was man aus dem, was er zuvor getan und erfahren hat, begreifen kann. 291. Wenn die Gründe, aus denen wir das tun, was wir aus Spaß tun, darin liegen, wie es ist, diese Dinge zu tun, fällt doch auf, daß wir selten diese Gründe nennen, wenn wir erklären, was wir tun. Wenn man Klavierspieler fragt, warum sie Klavier spielen, bekommt man wahrscheinlich eine Antwort wie „Weil es mir Freude macht“, obwohl das nach dem gerade geführten Argument (§ 285) tatsächlich im Normalfall nicht ein Grund ist, aus dem sie es tun. In Wirklichkeit ist es nicht schwer zu verstehen, weshalb wir auf diese Fragen in der Regel so ausweichend antworten. Das liegt daran, daß es schwierig ist, die wahren Gründe zu benennen, nämlich so, daß man sowohl dem Erfahrenen nahe bleibt wie auch für andere verständlich wird. Den beiden Forderungen unterliegt nicht allein das Erklären von Gründen, sie gelten allgemein für alles Erklären. Ihnen nachzukommen ist nur besonders schwierig im Fall der Gründe, aus denen wir das tun, was wir aus Spaß tun. Es ist schwierig, das am Klavierspielen genau zu beschreiben, was der Grund ist, aus dem ich spiele. Daß ich es tue, weil es das Ausführen eines dieser wunderbaren Stücke ist, wie vorhin gesagt (§ 287), ist wohl wahr und erklärt auch zur Genüge, daß ich es tue, aber man wüßte gern genauer, was das Wunderbare, auf das ich im Handeln anspreche, an diesem oder jenem Stück ist. Also, man wüßte gern, was genau das Ausführen dieses oder jenes Stückes anziehend macht. Ähnlich beim Wein: der Grund, aus dem ich im Normalfall Wein trinke, liegt darin, wie es ist, Wein zu trinken, aber auseinanderzulegen, wie es denn nun ist, und zwar zutreffend, genau und erhellend, übersteigt meine Fähigkeiten und auch die der meisten von uns. Einige von uns sind darin besser als andere, das stimmt, aber niemand ist darin gut. Wenn jemand von etwas Komischem zu erzählen versucht und schließlich daran verzweifelt, das, was komisch daran war, verständlich zu machen, sagt er am Ende
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oft „Es war unglaublich komisch“ oder „Wir konnten nicht mehr vor Lachen“. Auf diese Art sagen wir am Ende auch „Ich mag es einfach“ oder „Es macht mir solche Freude“, wenn wir zu erklären versuchen, weshalb wir Klavier spielen, Wein trinken und andere Dinge dieser Art tun. Wir sind überhaupt nicht gut darin, zu beschreiben, was es ist, woran wir Freude haben. Nicht unbereist ist das Land der Freuden, aber weithin unkartographiert.
Kapitel 12 Aus Gründen Handelnde 292. Die Frage vom Anfang war: was ist ein Grund, aus dem jemand etwas tut, und wie bezieht sich der Grund auf das Tun? Die Antwort, erläutert und verteidigt im Vorangegangenen, ist: etwas aus einem Grund tun heißt etwas tun, was eine Reaktion auf den Zustand ist, welcher der Grund ist. Es bleibt zu betrachten, welche Folgen diese Antwort für unsere Vorstellung von uns selbst hat, da wir ja Wesen sind, die manchmal Dinge aus Gründen tun, und als solche Wesen uns begreifen. Die Frage ist also, was für ein Wesen nach dem gegenwärtigen Argument ein aus Gründen Handelnder ist. 293. Es gehört hierher, das zu betrachten. Eine Konzeption des Handelns aus Gründen wird man nicht nur nach den bisher diskutierten spezifischen Punkten beurteilen: ob sie einen Platz hat für die erklärende Rolle von Gründen, ob sie schwierige Fälle verständlich machen kann wie den von Handelnden, die sich im Irrtum befinden, und von Handelnden, die etwas aus Spaß tun, ob sie verwandten Begriffen gerecht werden kann wie dem eines Grundes, den man dafür hat, etwas zu tun, und so weiter. Man wird sie auch und vielleicht in erster Linie daran messen, ob das Gesamtbild von aus Gründen Handelnden, das sie anbietet, annehmbar ist. Handlungstheoretiker machen Porträts: am Ende haben die Dargestellten ein Wort mitzureden, ob sie sich wieder erkennen können. Können sie es nicht, taugt das Bild nichts: Theorien sind zum besseren Verstehen da. Streiten läßt sich nur darüber, ob ein Bild wirklich unannehmbar ist oder nur unangenehm, vielleicht weil es ungewohnt ist oder weil es Unterschiede nicht heraushebt, in die Leute ihren Stolz setzen. In der Vergangenheit jedenfalls sind neue Begriffe von uns selbst, die sich auf neue Theorien stützten, oft ohne guten Grund als unannehmbar angesehen worden. So ist es über die letzten hundert Jahre klar geworden, daß wir ganz gut mit Theorien über den Ursprung der Menschengattung leben können, von denen zur Zeit ihres ersten Erscheinens viele dachten, sie führten zu einem unannehmbaren Bild von uns selbst. So ist es passend,
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wenigstens in groben Strichen das aus der hier entwickelten Theorie hervorgehende Bild von Wesen, die aus Gründen handeln, zu zeichnen, um dem Urteil über seine Annehmbarkeit eine angemessene Grundlage zu geben. 294. Nach der gegenwärtigen Theorie brauchen aus Gründen Handelnde weniger geistige Ausstattung, als in der Tradition angenommen wurde. Etwas aus einem Grund tun heißt etwas tun, was eine Reaktion auf irgendeinen Zustand ist, und dazu muß ein Handelnder von dem betreffenden Zustand Kenntnis haben (§ 130). Also müssen aus Gründen Handelnde Bewußtsein haben sowie die Fähigkeit, etwas zu tun in Reaktion auf das, wovon sie Bewußtsein haben. Mehr brauchen sie nicht. Insbesondere brauchen sie nicht das spezielle Vermögen genannt praktische Vernunft, das in einer weit gefaßten platonischen Tradition als erforderlich für das Erkennen von Gründen angesehen wurde. Sie brauchen keine Wagenlenker in der Seele, wie auch immer diese Wagenlenker in der Tradition eingekleidet wurden (§ 73). Ihnen reicht die Art von Augen, die Pferde haben, nämlich Augen, mit denen man registriert, was um einen herum geschieht. Aus Gründen Handelnde brauchen auch keinen begehrenden Teil, der in der platonischen und der Humeanischen Tradition als notwendig dafür betrachtet wurde, daß man etwas aus einem Grund tut. Freilich begehren aus Gründen Handelnde Dinge, und freilich mag es von den Begehren des Handelnden abhängen, was ein Grund und was nicht ein Grund ist, aus dem dieser Handelnde etwas tut (§ 191). Aber der Grund und das Handeln müssen nicht selbst ein Begehren einschließen. Handeln aus Gründen hat dieses Muster: gegeben das, tut jemand das; und in einer solchen Geschichte kommt das Begehren des Handelnden nicht vor. Wir mögen es nur erwähnen, wenn wir zu erklären versuchen, weshalb in einer Geschichte von jemandes Handeln aus einem Grund die Dinge vorkommen, die darin vorkommen. Die Geschichte von jemandes Handeln aus einem Grund ist somit nicht eine psychologische Geschichte, in der die inneren Triebfedern der Handlung aufgedeckt würden, sondern eine historische, in der die Handlung ihren Platz unter den Geschehnissen angewiesen bekommt (§ 196). 295. Weil Dinge aus Gründen zu tun so wenig geistige Ausstattung braucht, ist es nicht eine Eigenheit von Menschen. Dinge aus Gründen zu tun verlangt Bewußtsein, und es verlangt die Fähigkeit, Dinge zu tun in Reaktion auf Geschehnisse: sicher finden sich diese beiden Fähigkeiten auch bei anderen Tieren. Bei welchen sie sich finden, bei welchen nicht,
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ist schwer zu sagen, aber das sollen die entscheiden, die sich besser mit den Wegen dieser oder jener Art von Tieren auskennen. Klar scheint aber, daß ein von einem Hund verfolgtes Kaninchen in dem erklärten Sinne aus einem Grund flieht. Es ist dessen bewußt, daß der Hund sich ihm nähert, und die Flucht ist seine Reaktion darauf. In den relevanten Hinsichten ist damit sein Verhalten nicht unterschieden von meinem, wenn ich den Turm gegen den Angriff des Läufers schütze. Auf der anderen Seite ist klar, daß ein Stück Holz, ins Feuer geworfen, sich nicht aus einem Grund entzündet. Es hat keine Kenntnis von dem Feuer, und wenn es sich entzündet, ist das keine Reaktion auf das Feuer, sondern nur dessen Wirkung. Es begegnet dem Feuer nicht damit, daß es sich entzündet, so wie ich dem Angriff des Läufers damit begegne, daß ich den Turm schütze, oder wie das Kaninchen dem herannahenden Hund durch Flucht begegnet. Irgendwo zwischen den beiden, zwischen Kaninchen und Holzstück, liegt die Grenze zwischen Wesen, die ein Bewußtsein von Dingen haben und in Reaktion auf etwas, dessen sie bewußt sind, etwas tun können, und Wesen, die nicht diese beiden Fähigkeiten haben. Wohlgemerkt, wir reden hier nur von Fähigkeiten: bei jeder Art von Wesen ist es so, daß sie tatsächlich eine Menge Dinge nicht aus einem Grund tun. Wenn ich etwa in der Kälte zittere, unterscheide ich mich nicht in relevanter Weise von dem Holzstück, das sich im Feuer entzündet. 296. Die Geschichten, von denen menschliche Reaktionen einen Teil bilden, sind, darf man annehmen, komplexer als andere Geschichten, und bei Menschen sind sowohl die Reaktionen als auch das, worauf reagiert wird, über einen größeren Bereich von Ausdrucksweisen gestreut und innerhalb dieses Bereichs feiner differenziert. Was wir aus Gründen tun, dürfte also ein gutes Stück gewitzter sein, als was etwa die Enten aus Gründen tun. Doch es gibt keinen Grund a priori, daß das so ist, und wenn die Enten-Experten uns belehren, es sei nicht so, müssen wir die Behauptung als bloß arrogant zurückziehen. Wie dem auch sei, der Hauptpunkt hier ist, daß Handeln aus Gründen nichts spezifisch Menschliches ist, sondern in verschiedenen Wesen sich findet. Titel wie „Eine Theorie des menschlichen Handelns“,1 die in der Literatur geläufig sind, gehen von vornherein fehl. Eine Theorie des menschlichen Handelns ist, streng genommen, philosophisch uninteressant. Das Interessante am Handeln, insbesondere das, was zu einem Handeln aus Gründen gehört, hat keine spezielle Verbindung mit den besonderen Eigenschaften unserer Gattung. „Menschliches Handeln“ ist ein Ausdruck wie „Kölner Handeln“: wie es
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keinen Grund gibt anzunehmen, was in Köln getan wird, sei grundsätzlich unterschieden von dem, was irgendwo anders getan wird, so gibt es keinen Grund anzunehmen, was Menschen tun, sei grundsätzlich unterschieden von dem, was andere Tiere tun. 297. Aus Gründen Handelnde, nur mancher Dinge bewußt, die um sie vorgehen, und fähig, in Reaktion auf sie etwas zu tun (§ 294), brauchen nicht mehr einem Gegensatz in ihnen selbst zu unterliegen. Wie in Kapitel 1 beschrieben, rechnen aus Gründen Handelnde traditionell zuerst aus, was zu tun ist, und dann, wenn sie wirklich aus Gründen Handelnde sind, tun sie es auch. Etwas aus Gründen tun läuft immer in zwei Schritten ab. Platons Wagenlenker blickt auf zu Schönheit und Mäßigkeit und darum zieht er die Pferde zurück (§ 73), und Humes Vernunft, nachdem sie die für ein Ziel geeigneten Mittel berechnet hat, leitet dem entsprechend den Impuls des Begehrens (§ 42). Wie zuvor gezeigt, bringt diese Zweiheit Herrschaft in der Seele mit sich: Vernunft, allein fähig herauszufinden, was zu tun ist, wird Herrin (§ 76). Aristoteles gibt ein denkwürdiges Bild: Denn jeder hört auf zu suchen, wie er handeln soll, wenn er den Anfang des Handelns auf sich selbst zurückgeführt hat, und hier auf den leitenden Teil; denn das ist der Teil, der entscheidet. Das sieht man auch an den alten Gemeinwesen, die bei Homer beschrieben werden. Denn was die Könige entschieden, das verkündeten sie dem Volk.2
Die Seele enthält Könige und Volk, weil ein Teil dank seinem überlegenen Wissen dem anderen sagt, was zu tun ist. Handeln ist Ausführen. Die vom leitenden Teil konzipierte Vorstellung davon, was zu tun ist, wird exekutiert oder in die Praxis umgesetzt. Nach der hier entwickelten Überlegung dagegen brauchen keine leitenden und untergeordneten Teile in der Seele unterschieden zu werden. Der ganze Handelnde folgt diesem oder jenem Weg, den die Welt anbietet, und Herrschaft innerhalb der Handelnden hört auf. Ja, nach dieser Überlegung ist praktische Vernunft im Grunde Ansprechbarkeit. Dinge aus Gründen tun ist eine Sache dessen, Fäden von Geschichten, die die Welt bietet, aufzunehmen und fortzusetzen. Es ist eine Sache der Rezeptivität für das, was einem begegnet. Aus Gründen Handelnde sind Tiere, die sich ihren Weg durch die Welt schnüffeln. Sie haben die Sache nicht unter Kontrolle. Sie sind hingegeben dem, worauf sie treffen. 298. Sind einmal die Könige in der Seele fort, fällt auch das traditionelle Problem von ‚akrasia‘ dahin. ‚Akrasia‘, gewöhnlich übersetzt als „Willensschwäche“, aber auch als „fehlende Herrschaft“ übersetzbar, bezeichnet Fälle von Handelnden, die entgegen ihrem besseren Urteil handeln;
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mit dem Bild des Aristoteles, Fälle davon, daß das Volk nicht tut, was die Könige ihm sagen. Das Problem von ‚akrasia‘ war dies: es schien schwer zu verstehen, aber auch schwer zu leugnen, daß Leute manchmal wissentlich einen Kurs in ihrem Handeln einschlagen, den sie zur selben Zeit als schlechter betrachten. Doch wenn die hier angebotene Vorstellung vom Handeln aus Gründen trifft, steckt das Problem nicht in ‚akrasia‘, sondern in ‚enkrateia‘, Herrschaft.3 Wir sind nie Herr über unser Handeln, also besteht keine Schwierigkeit in den angeblich besonderen Fällen, in denen wir es nicht sind. Man könnte das so ausdrücken, daß man sagte: wir sind ständig willensschwach, aber das würde das Mißverständnis einladen, daß dies eine menschliche Schwäche zeige. Tatsächlich ist Selbstbeherrschung nicht ein Ideal, sondern eine Illusion. 299. Damit ist nicht geleugnet, daß es die Fälle gibt, die man gewöhnlich als Fälle von ‚akrasia‘ beschreibt. Geleugnet ist nur, daß es hilfreich ist, sie so zu beschreiben. Freilich gibt es diejenigen, die, während sie wirklich denken, es wäre besser, nicht mehr zu rauchen, doch der Versuchung einer Zigarette unterliegen, aber wer sagt, daß es anders sein müßte? Versuchungen zu unterliegen ist genau das, worauf Handeln aus Gründen nach der hier entwickelten Theorie hinausläuft. Wer trotz seiner Überzeugung, daß es alles in allem besser wäre, nicht zu rauchen, den Faden des herrlichen Geschmacks von Zigaretten aufnimmt und eine raucht, unterliegt einer Versuchung, aber wer den Faden, der durch die schlimmen Folgen des Rauchens für die Gesundheit gebildet wird, aufnimmt und sich des Rauchens enthält, unterliegt nur einer anderen; und aus einem Grund tut er das eine wie das andere. Allerdings habe ich eine bestimmte Ansicht darüber, welcher Versuchung man besser unterliegt, und bei Leuten, die mir wichtig sind, werde ich mich bemühen, diesen Grund zum verlockenderen zu machen. Das mag mir auch durchaus gelingen, da ja unterstellt ist, daß der Betreffende diese Ansicht mit mir teilt; und besonders dann mag es mir gelingen, wenn es ihm unangenehm ist, einer Versuchung zu unterliegen, die er selbst für schlecht hält. Aber ich werde nicht so dumm sein, mich zu bemühen, ihm beizubringen, daß er überhaupt nicht mehr von Versuchungen hingerissen wird. Hingerissen zu werden ist die Art der praktischen Vernunft. 300. Man mag entgegnen: Das heißt die Phänomene leugnen. Manchmal haben wir uns selbst unter Kontrolle, auch wenn es oft bedauerlicherweise nicht so ist. Manchmal reißen wir uns am Riemen und ziehen die Hand von den
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Zigaretten zurück oder unterdrücken die boshafte Bemerkung, die wir auf der Zunge hatten. Zudem unterscheiden wir zwischen Leuten, denen es Gewohnheit ist, sich zu kontrollieren, und anderen, bei denen das nicht so ist. All diese Unterschiede verschwinden, wenn sich selbst zu beherrschen eine Illusion ist. 301. Nein, sie verschwinden nicht, sie müssen nur anders beschrieben werden. Natürlich ist es ein Unterschied, ob man die boshafte Bemerkung macht oder zurückhält, aber der Unterschied ist nicht der, ob man sich selbst unter Kontrolle hat oder nicht. Der Unterschied, auf den es ankommt, liegt zwischen den Dingen, an denen man in einer solchen Situation anknüpft. Einer nutzt die Gelegenheit dazu, einen Volltreffer zu landen, ein anderer hält klug den Mund, weil er für seinen Volltreffer möglicherweise noch einmal teuer bezahlen muß. Sicher mag Schweigen einen schwer ankommen, wenn eine so schöne giftige Bemerkung sich anbietet, aber wer so etwas wie Selbstkontrolle leugnet, behauptet damit nicht, daß etwas aus einem Grund tun immer leicht fällt. Es kann nicht immer leicht fallen, wenn Gründe miteinander konkurrieren, was sie ja in der Regel tun. Wer es unterläßt, die boshafte Bemerkung zu machen, unterdrückt nicht etwas in ihm selbst, er nimmt nur einen anderen Faden auf, der sich in der Situation anbietet. Was die angeht, bei denen die so genannte Selbstkontrolle zum Charakterzug geworden ist, so mögen das solche sein, die regelmäßig darum besorgt sind, was sie vielleicht am Ende zu zahlen haben, oder solche, die den stoischen Weisen markieren, oder solche, die so eingeschüchtert worden sind, daß außer Fassung zu geraten aus ihrem Handlungs-Repertoire gelöscht wurde. Kurzum, was Selbstkontrolle genannt wird, sei sie momentan oder gewohnheitsmäßig, das läßt sich so verstehen, daß ein Handelnder von einer Art von Zügen einer Situation angesprochen wird und von einer anderen nicht. Herrschaft braucht dabei nicht im Spiel zu sein. 302. Wiederum mag man entgegnen: Nach dem hier vorgeschlagenen Verständnis von Handeln aus Gründen wird praktisches Überlegen sinnlos. Praktisches Überlegen ist das Betrachten der Gründe für und wider eine Handlungsweise, so daß man damit, wenn alles gut geht, ein gefestigtes Urteil darüber erreicht, was zu tun ist. Aber es ist sinnlos, diese Betrachtungen anzustellen, wenn das Ergebnis nicht wenigstens im Prinzip in Praxis umgesetzt wird. Aber mit der Vorstellung, daß das Ergebnis der Überlegung in Praxis umgesetzt wird, stehen wir wieder im Rahmen der
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klassischen Theorie. Wir haben wieder die Zweiheit von Betrachtung und Ausführung, die zweite der ersten untergeordnet. Wir sind wieder bei Aristoteles’ Königen, die dem Volk sagen, was zu tun ist. Somit, wer Herrschaft in der Seele aufheben will, muß auf einen sinnvollen Begriff von praktischem Überlegen ebenfalls verzichten. Der Preis mag zu hoch sein. 303. Nein, ein sinnvoller Begriff von praktischem Überlegen hängt nicht an Herrschaft in der Seele. Wir überlegen, ja, aber wie bemerkt (§ 234) bedeutet das nur, daß wir uns selbst dem aussetzen, von relevanten Zügen der Situation beeindruckt zu werden, die sonst hätten unbemerkt bleiben oder weniger hervortreten können. Es bedeutet, sich für die Versuchungen der Welt in der betreffenden Sache empfänglich zu machen. Wir betrachten also durchaus Gründe, und am Ende mag einer von ihnen ein Grund werden, aus dem wir handeln. Nicht bestimmen wir noch zusätzlich, was angesichts der Gründe zu tun ist. Wir entscheiden, wählen oder folgern nicht auf der Basis der Gründe. Wir lassen uns für etwas einnehmen, was wir betrachten. So werden wir wohl manchmal verändert durch das Betrachten von Gründen, die sich uns in der Situation anbieten. Praktisches Überlegen ist wirksam und sinnvoll. Nicht aber ändern wir uns selbst, gegeben die Gründe. Nicht leiten wir uns selbst durch praktisches Überlegen oder lenken uns selbst in eine andere Richtung. Überlegen ist wie Sonnenbaden, nur mit vielen Sonnen und deshalb mit nicht so leicht vorauszusagenden Ergebnissen. 304. Schließlich wird man entgegnen, daß die vorgeschlagene Erklärung preisgibt, was genau der Kern von Handeln ist, nämlich Aktivität; daß sie aus dem Handelnden ein passives Objekt macht, das die Dinge hierhin oder dahin ziehen. Ist Selbstbestimmung dahin, so gestalten nicht mehr wir unser Tun, sondern die Welt; und eine Konzeption, aus der das folgt, kann nicht als eine Erklärung von Handeln aus Gründen gelten. 305. Zwei Dinge zur Antwort. Erstens ist es nicht wahr, daß aus Gründen Handelnde, wie sie hier dargestellt werden, passiv sein müssen. Ich ziehe meinen Bauern wegen der Drohung des Läufers, also in Reaktion auf sie. Die Drohung veranlaßt mich dazu, den Bauern zu ziehen, und daß ich ihn aus diesem Grund ziehe, darin zeigt sich meine praktische Empfindlichkeit für die Drohung. Nichts von alledem aber erweist mich als passiv. Es ist kein Gedanke daran, daß die Drohung meinen Bauernzug bewirkt. Es ist kein Gedanke daran, nicht weil ich gemäß dem traditionellen Bild
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noch meine innerste Kammer im Geiste habe, wo ich nachdenke, was ich mit der Drohung machen soll, und dann entsprechend handle (oder nicht), so daß die Vorstellungen in meinem Geist, nicht die Drohung selbst, etwas Inneres, nicht etwas Äußeres, bewirken würden, daß ich den Bauern ziehe. (Wie eigentlich bei diesem Ansatz der Handelnde vor Passivität geschützt werden soll, ist nicht leicht zu erkennen, aber egal.) Es ist kein Gedanke daran, daß die Drohung meinen Bauernzug bewirkt, weil dies einfach nicht die Beziehung zwischen den beiden Dingen ist. Hier ist ein Beispiel von Aktivität und Passivität: ich trat auf die Plastikflasche, und sie zerbrach davon. Nichts Derartiges fand statt, als ich wegen der auf meinen Turm gerichteten Drohung des Läufers meinen Bauern zu dessen Schutz vorzog. Die Drohung machte nicht, daß ich den Bauern zog, in dem Sinne, in dem mein Tritt auf die Plastikflasche machte, daß sie zerbrach. Ich erlitt nicht einen Bauernzug von meines Gegners oder seines Läufers Hand, wie die Plastikflasche ihr Zerbrechen erlitt von der Hand meiner Füße. In Anbetracht der Drohung zog ich den Bauern, das ist wahr, aber das ist etwas anderes, als daß die Drohung den Zug bewirkte. Auch wer einer Versuchung unterliegt, ist dabei nicht passiv. Was einen verlockt, etwas zu tun, das macht nicht, daß man es tut. Man tut es selbst, angesichts der guten Gelegenheit. 306. Das Mißverständnis ist wiederum der Verwechslung von Gründen und Ursachen (§ 142) anzulasten. Daraus, daß ich wegen der Drohung den Bauern ziehe, wird geschlossen, die Drohung sei die Ursache des Bauernzugs, und damit bleibt mir nur eine passive Rolle – außer eben es gibt dazwischen noch das geistige Schaltpult, das irgendwie die aktive Funktion des Handelnden retten soll. Aber ein solches wird in dem hier vorgeschlagenen Konzept ja abgeschafft, und so scheint ein passiver Handelnder die Folge. Aber bei dieser Folgerung wird unterstellt, „wegen“ lasse sich immer durch Ausdrücke wie „Ursache von“ ersetzen, ohne daß sich der Wahrheitswert der betreffenden Sätze ändert, und das ist nicht so.4 Der Einwand ist also unbegründet, daß die hier vorgeschlagene Konzeption des Handelns aus Gründen dem Handelnden nur eine passive Rolle läßt. 307. Der zweite Punkt, Aktivität macht gar nicht den Kern des Handelns aus, entgegen dem Anschein, den die Wörter erwecken. Der Unterschied zwischen aktiv und passiv, wenn er mehr ist als ein grammatischer Unterschied, ist nur in einem begrenzten Bereich dessen, was wir tun, bedeutsam. Gewiß, manchmal ist der, der etwas tut, aktiv, und jemand anderer
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oder etwas anderes ist passiv, so wenn ich die Plastikflasche zerbreche oder wenn ich jemanden schlage. Aber in anderen Fällen bekommt der Unterschied nicht recht etwas zu fassen. Wenn ich mit jemandem tanze, tue ich wohl etwas, aber wer oder was leidet? Vielleicht nach dem alten Scherz die Zehen meiner Partnerin, aber sonst? Der Boden? Unsere Körper? Der Tanz an sich? Nichts davon gibt guten Sinn. Ebenso sind Dinge wie Flöte spielen, ein Gedicht auswendig lernen, eine Vereinbarung absagen, jemandem Grüße bestellen und seine Schulden bezahlen klar Fälle davon, daß man etwas tut, aber es fällt schwer, einen passenden leidenden Teil festzulegen. Grammatisch besteht natürlich keine Schwierigkeit: wenn jemand eine Verabredung absagt, dann ist die Verabredung das, was abgesagt wird. Sachlich aber scheint es forciert, alles, was wir tun, in die Aktiv-PassivForm zu zwängen und beispielsweise zu sagen, daß jemand seiner Verabredung eine Absage angetan hat. 308. Tatsächlich mag die traditionelle Idee, daß zum Handeln Aktivität gehört, nicht auf der Annahme beruhen, daß es bei jedem Handeln etwas oder jemanden in der Welt gibt, der den leidenden Teil bildet. Sie mag auf der Vorstellung beruhen, daß Handelnde mit Bezug auf ihre Handlungen aktiv sind, daß sie ihre Handlungen machen. Doch diese Vorstellung erscheint ungegründet und unplausibel. Ungegründet: was spricht dafür, die Beziehung zwischen uns und unserem Tun im Wesentlichen in Begriffen der Beziehung zwischen Hersteller und künstlichem Gegenstand zu fassen? Warum sollen wir nicht Handlungen hervorbringen wie Bäume Blätter treiben?5 Ein Naturalist, also jemand, der Handeln in Begriffen verstehen möchte, die aus unserer Erfahrung davon, wie die Natur wirkt, abgeleitet sind, sollte mit Widerstreben dem Gedanken begegnen, daß Handlungen etwas Gemachtes sind. Unplausibel: die Erfahrung, die wir von uns als Handelnden haben, ist nicht eine Erfahrung von uns als Machern unseres Tuns. Wir mögen einen Zaun machen, aber wir machen kein Zaun-machen. Gerade so ungegründet und unplausibel erscheint die Vorstellung in dem besonderen Fall der Dinge, die wir aus Gründen tun. Daß es da etwas gibt, dessentwegen wir tun, was wir tun, macht den Gedanken kein Stück plausibler, daß wir mit Bezug auf unser Tun selbst aktiv sind; und die Alternativ-Vorstellung, daß wir Handlungen hervorbringen wie die Bäume Blätter treiben, scheint im Fall dessen, was wir aus Gründen tun, genauso brauchbar. MacIntyre hat geschrieben, daß keiner von uns mehr als ein KoAutor seines oder ihres Lebens ist.6 In Wahrheit sind wir nicht einmal KoAutoren, und von einem Autoren-Verhältnis zu reden ist hier schon fehl am
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Platz. Wir haben keine „poetische“, im wörtlichen Sinne eine Beziehung des Machens zu unserem Leben. Wir sind die, die es leben, mehr nicht. 309. Handeln aus Gründen ist zum anderen (§ 294) nach der hier entwikkelten Theorie durch das Fehlen einer normativen Bedeutung charakterisiert. Gründe, so wird normalerweise angenommen, leiten uns: sie empfehlen Handlungsweisen.7 Die Gründe, die es dafür oder dagegen gibt, etwas zu tun, sagen uns auch, so ist die Annahme, ob es gut ist, das zu tun. Wenn das oben vorgetragene Argument (§§ 246 – 262) aber richtig ist, dann reißt dies Band zwischen dem, wofür es einen Grund gibt, und dem, was gut ist. Welche Gründe es dafür gibt, etwas zu tun, und ob es etwas Gutes ist, das zu tun, sind getrennte Fragen. Dinge aus Gründen tun ist, mit Heideggers Ausdruck, eine Art des in der Welt Seins. Nicht unbedingt eine gute Art. An unserer Fähigkeit, Dinge aus Gründen zu tun, haben wir nicht einen eingebauten Kompass zum Rechten und Guten. Wir sind nicht fürs Gute gebaut – auch nicht fürs Schlechte. Vielleicht liegt die alte Denktradition, daß, was ist, im Grunde gut ist, hinter dieser Vorstellung einer Fähigkeit, die wir haben, die eingestellt ist auf das, was recht und gut zu tun ist. Doch ob sie wirklich von jener Tradition abstammt oder nicht, beide Vorstellungen erscheinen gleichermaßen grundlos. Was ist, ist eine Frage, und ob es gut ist, eine andere; und so ist es eine Sache, welche Wege wir gehen, und eine andere, ob es gut ist, wie wir gehen. Dinge aus Gründen tun ist eine Art, in der wir manchmal laufen. Was wir tun sollten, ist eine andere Sache. 310. Dinge aus Gründen zu tun erlegt uns also nicht Imperative oder Gesetze oder Regeln auf. Vernunft fordert nichts. Sie fordert nicht, daß wir moralisch handeln, wie Kant8 und viele andere9 nach ihm meinten.10 Sie fordert auch nicht, daß wir klug oder geschickt handeln oder daß wir die effektivsten Mittel zu unseren Zielen ergreifen, wie Hobbes11 und Kant12 und viele andere13 nach ihnen behaupteten.14 Nicht einmal als bloß aus Gründen Handelnde sind wir „uns selbst ein Gesetz“, wie Paulus es denkwürdig und einflußreich formulierte.15 Thomas Hill erläuterte vor kurzem diese Idee der Autonomie mit der These, es gebe einen vernünftigen Maßstab des Handelns, auf den verpflichtet zu sein unabtrennbar ist von dem Blickwinkel eines Handelnden, der praktisch zu überlegen und vernünftig zu wählen versucht.16
Das ist genau die Behauptung, die sich nach der hier vorgelegten Theorie nicht halten läßt. Es gibt keinen Maßstab des Handelns, dem wir einfach
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dadurch unterliegen, daß wir aus Gründen Handelnde sind. Wir sind nicht kraft Vernunftgebot irgendetwas zu tun aufgerufen. 311. Freilich, zu einem praktischen Problem, das jemand hat, sei es groß oder klein, werde ich schon etwas zu sagen haben, außer ich habe von der betreffenden Sache keine Ahnung. Ich werde mich vorwagen und jemandem sagen, was in seiner Situation sich zu tun empfiehlt oder was zu tun eine gute Idee wäre. Ich werde davon reden, was gut und was schlecht ist, und was er tun und nicht tun sollte. Wird mir eine Rechtfertigung für das, was ich sage, abverlangt, werde ich Gründe vorbringen, die es stützen, Überlegungen also, die zeigen oder zeigen sollen, weshalb das, was ich empfohlen habe, tatsächlich empfehlenswert ist. Für mein Argument mag mir wieder eine Rechtfertigung abverlangt werden, und ich mag es seinerseits verteidigen. So kann es weiter gehen, und das Hin und Her kommt nur durch Müdigkeit oder etwas Ähnliches zu einem Ende, nicht dadurch, daß uns der Diskussionsstoff ausgeht. Es mag mir durch mein Reden sogar gelingen, die Landschaft von Gründen fürs Handeln bei meinem Gesprächspartner zu verändern (§ 229). Aber bei all dem werde ich mich für meine Empfehlungen nicht auf die Autorität der Vernunft berufen. Ich werde nicht geltend machen, daß so und so zu handeln das ist, oder eines von den Dingen ist, die jemand in dieser Situation tun sollte, weil er die Fähigkeit besitzt, aus Gründen zu handeln. Dafür, dies zu sagen, gibt es keine Grundlage. Es mag eine gute Idee oder eine schöne Sache oder eine bewunderungswürdige Leistung sein, das Betreffende zu tun: es ist nicht durch unseren Status, aus Gründen Handelnde zu sein, gefordert. 312. Man mag einwenden, daß wir das Wort „vernünftig“ gemeinhin lobend gebrauchen, und das lege den Gedanken nahe, daß ein gutes Handeln ein Handeln im Einklang mit den Forderungen der Vernunft sei. Ja, es legt diesen Gedanken nahe, aber nach der hier entwickelten Konzeption muß der Gedanke trotzdem als falsch betrachtet werden, da es solche Forderungen nicht gibt. Wohl spricht es gegen diese Konzeption, daß sie hier mit dem normalen Sprachgebrauch in Konflikt gerät, aber ein gewichtiger Punkt ist das nicht, da leicht zu verstehen ist, wie unser normales Reden dazu kam, das nahe zu legen. In unserer Tradition ist der Gedanke herrschend geworden, oder um es einfacher auszudrücken, sie haben uns immer in der Schule erzählt, daß wir in unserer Fähigkeit, aus Gründen zu handeln, auch einen Führer für gutes Handeln besitzen. Daß wir gelernt haben, dem entsprechend zu reden und mit dem Wort „vernünftig“ ein Lob auszudrücken, ist dann kein Wunder. Sollte dies Wort für jemanden
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ausschließlich ein Ausdruck des Lobes geworden sein, vielleicht ein allgemeiner Ausdruck des Lobes, der für eine ganze Bandbreite spezifischerer Ausdrücke wie „es wäre eine gute Idee, das zu tun“, „es wäre sinnvoll“, „es wäre gescheit“17 eingesetzt werden kann, dann ist mit ihm kein Streit: Wörter sind frei. Die Frage ist nicht, ob wir Handlungen loben dürfen, indem wir sie vernünftig nennen – das tun wir. Die Frage ist, ob wir darum denken sollten, daß ein lobwürdiges Handeln ein Handeln ist, zu dem wir kraft Vernunft aufgefordert sind. Wir sollten es nicht denken: es ist falsch, was sie uns in der Schule erzählt haben. 313. Aus Gründen Handelnde sind also nach dem gegenwärtigen Vorschlag dadurch charakterisiert, daß sie als solche keine innere Herrschaft und keine Normativität kennen. Aus Gründen Handelnde sind in diesem Sinn frei: nicht unterworfen einem Herrn oder einem Gesetz in ihnen. Die Enten, obgleich sie vermutlich manches aus Gründen tun (§ 296), regieren sich doch nicht selbst und sind auch nicht aufgerufen, Gebote zu beachten, die durch ihre Art des Handelns ihnen gesetzt sind. Wir sind wie sie, ist der Gedanke, und treiben unser Geschäft unentzweit. Das Geschäft ist anders, kein Zweifel: wir ähneln ihnen darin, daß wir leben ohne Unterordnung in uns selbst. Der innere Zustand aus Gründen Handelnder ist Anarchie. 314. Das Bild aus Gründen Handelnder, das sich hier abzeichnet, kann in der Aussage zusammengefaßt werden, daß sie ganz und gar weltliche Wesen sind. Eingeladen von dem, was ihnen begegnet, und nicht geführt durch eine Autorität oder ein Gesetz von unabhängiger Geltung, setzen sie einfach die Fäden der Welt weiter fort. Das heißt nicht, daß ihr Tun immer nur mehr von demselben ist, was vorher war. Im Gegenteil, die Dinge auf den Kopf zu stellen mag die Reaktion eines aus Gründen Handelnden auf den Stand der Dinge sein. Der Punkt ist vielmehr, daß ihr Tun allein aus den Geschichten verstanden werden muß, zu denen es gehört. Aus Gründen Handelnde treten als solche nicht mit einem Auftrag in die Welt, sie sind nicht an eine zuvor gültige Regel gebunden. Was sie tun, tun sie bloß in Reaktion auf diesen oder jenen Zustand. Die Welt ist ihr Element, und sie heben ihren Kopf nicht darüber hinaus. 315. Was nun die Frage angeht, ob dies Bild annehmbar ist, so werden manche es zurückweisen, weil es für eine Vorstellung von menschlicher Würde keine Grundlage übrig läßt. Kant, der wichtigste Autor in der spezifisch modernen Tradition dieses Gedankens, erklärt, daß der Grund der
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Würde der menschlichen Natur die Autonomie vernünftig Handelnder ist, wobei Autonomie die Eigenschaft dieser Handelnden ist, Gesetzen des Handelns, die aus ihrer eigenen vernünftigen Natur entspringen, unterworfen und auch allein diesen Gesetzen unterworfen zu sein.18 Nach der hier vorgeschlagenen Erklärung von Handeln aus Gründen gibt es aber nicht so etwas wie Autonomie (§ 310), und damit fällt auch die menschliche Würde. Doch auch wenn man den philosophischen Unterbau dieser Idee beiseite läßt und sich an das hält, was die Leute normalerweise im Sinn haben, wenn sie von menschlicher Würde reden, ist sichtbar, daß davon nichts bleibt, sobald einmal Dinge aus Gründen zu tun nicht mehr ein Privileg von Menschen (und vielleicht höheren Wesen) ist, sondern sich auch bei allerhand niedrigen Kreaturen findet. Wenn wir nicht grundsätzlich mehr bringen als die Enten, können wir Menschenwürde vergessen. Und das mag uns schwer fallen angesichts dessen, daß wichtige politische Dokumente unserer Zeit wie etwa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 diesem Begriff grundlegende Bedeutung zuerkennen. 316. Der Vorwurf, die hier vorgeschlagene Theorie des Handelns aus Gründen nehme dem Gedanken der Menschenwürde seine Grundlage, trifft zu. Da die Mitglieder unserer Gattung nicht kraft ihres Handelns aus Gründen eine besondere Aufgabe oder Verpflichtung haben, sondern einfach an ihren weltlichen Geschichten weitermachen wie andere Tiere, gibt es an ihnen nichts besonders Würdiges. „Menschheit“ ist ein Begriff ohne ehrenden Beiklang und ohne moralisches Gewicht, es ist ein Begriff wie „Entheit“. Was die grundlegende Bedeutung der Idee der Menschenwürde für unser politisches Selbstverständnis angeht, mögen die Behauptungen hier übertrieben worden sein. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte eröffnet ihre Präambel mit dem Teilsatz: Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bilden …
Das ist wohl einfach falsch. Es scheint, Menschen können in Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden zusammenleben ohne die Überzeugung, daß sie als aus Gründen Handelnde einen besonderen moralischen Status innehaben. Sicher bedarf die Frage einer eingehenderen Behandlung, als sie hier bekommen kann. Doch über die vorgeschlagene Theorie des Handelns aus Gründen ist das Urteil nicht schon gesprochen wegen ihrer Preisgabe
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der Idee der Menschenwürde. Sie gibt diese Idee preis, das ist wahr, aber es kann gut sein, daß wir ohne sie leben können. 317. Auf der anderen Seite sollte das hier entworfene Bild von aus Gründen Handelnden auch anziehend sein. Es zeigt ein Leben, das im Grunde in Frieden ist. In innerem Frieden: da Vernunft nicht ein leitender Teil in uns ist, gibt es auch keinen untergeordneten Teil, und wir leben im Prinzip mit uns selbst einig. In Frieden nach außen: aus Gründen Handelnden ist nicht durch ihre Natur eine Mission oder eine Verpflichtung auferlegt, und so ist die Welt für sie nicht ein fremdes Material, in dem sie ihre höheren Ziele realisieren. Sie ist das, was sie in ihrem Handeln aus Gründen aufnehmen und fortführen, sie ist ihr Element. Gewiß, das ist, innen oder nach außen, nur Friede im Grundsatz. Aus Gründen Handelnde können mit sich selbst unglücklich sein, und können mit anderen im Krieg liegen und gegen Zustände ankämpfen. Der Punkt ist, sie sind nicht schon durch ihre Verfassung uneins mit sich und ihrer Welt.19 Aber man mag fragen, was bringt uns ein solcher philosophischer Friede, wenn er nicht wirkliche Konflikte, im Innern oder nach außen, behebt und durch sie bewirktes Leid lindert? Dies: als aus Gründen Handelnde brauchen wir uns nicht zu verstehen als festgelegt auf Krieg mit uns selbst oder den Dingen. Daß wir im Krieg liegen mit uns selbst oder mit ihnen, das geschieht, aber es geschieht wie das Wetter, es ist nicht Teil der Abmachung. So können wir im Grunde die Waffen ablegen. Wir brauchen uns nicht als Ritter des Vernünftigen zu denken, die es durchsetzen bei uns selbst und bei den Dingen – nichts von „Schmach und Gram, daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam“.20 Und das mag ein hilfreicher, ja ein befreiender Gedanke sein. 318. So betrachtet ist es vielleicht sogar etwas Anziehendes an diesem Bild von aus Gründen Handelnden, daß es die Vorstellung einer besonderen Würde, die sie tragen, fallen läßt. Würde ist etwas, dem man im eigenen Leben gerecht zu werden hat. Würde beruht darum auf Druck, und man muß gewappnet sein, zumindest gegen sich selbst, um sie zu schützen. Dagegen ist es erleichternd zu denken, daß nichts von uns erwartet ist auf Grund unserer vernünftigen Natur. Es ist erleichternd, ohne Würde sich zu bewegen, alle höhere Berufung abzutun, rückhaltlos weltlich zu sein. 319. Am Ende ist es wohl die Tatsache, daß uns dieses Bild ohne Leitung in uns selbst läßt, die am stärksten gegen es zu sprechen scheint. Nichts von dem, was wir sind, sagt uns, wohin wir gehen sollen. Gewiß, auch
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nach dem vorgeschlagenen Bild bleibt es wahr, daß dies zu tun besser ist als jenes, sei es in der vorliegenden Situation oder allgemein, aber es ist nicht besser auf Grund dessen, daß es uns empfohlen wird durch unsere Fähigkeit, Dinge aus Gründen zu tun. Materiale Überlegungen allein entscheiden darüber, was getan werden sollte. Kant meinte, Vernunft sei etwas in uns, das uns immer zum Tun des Rechten und Guten leiten würde, hätte es nur alleinige Gewalt über unser Handeln.21 Es könnte scheinen, daß wir ohne einen solchen verläßlichen Führer in uns selbst in unserem Handeln orientierungslos sein müßten. Doch diese Vermutung ist wohl unbegründet. Es ist nicht zu erkennen, weshalb wir nicht fähig sein sollten, herauszufinden, was zu tun gut ist, im besonderen Fall und im Allgemeinen, und auch es zu tun, selbst ohne ein solches Werkzeug in uns, das uns den Weg anzeigt, dem wir zu folgen haben. Daß wir aus Gründen handeln, stellt uns keine Aufgabe. Aber wir können ohne eine leben.
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In seinen Grundzügen wird dieser Gedanke von vielen Autoren geteilt, von Carl Gustav Hempel, Studies in the Logic of Explanation, Teil I, Abschnitt 4; Donald Davidson, ‚Actions, Reasons, and Causes‘; Paul Churchland, ‚The Logical Character of Action-Explanations‘; Alvin Goldman, A Theory of Human Action, Kap. 3; Robert Audi, ‚Acting for Reasons‘; Michael Smith, The Moral Problem, Kap. 4 und anderen. Schueler, Desire, stellt diesen Punkt nachdrücklich heraus. P. H. Nowell-Smith, Ethics, S. 112. Davidson, ‚Actions, Reasons and Causes‘, S. 4. Audi verteidigt diese Behauptung in ‚Intending‘. Nowell-Smith erwog, „Wollen“ an Stelle von „Pro-Einstellung“ zu gebrauchen, aber er kam zu dem Schluß, „Wollen“ sei zu schwach, „um die heftigeren Leidenschaften und die dauerhaftesten und am tiefsten verankerten Begehren zu erfassen“, Ethics, S. 112. Davidson meint, es biete sich an, „Wollen als Gattung zu betrachten, die alle Pro-Einstellungen als Arten einschließt‘, ‚Actions, Reasons, and Causes‘, S. 6. (Zu beachten ist aber die Bemerkung S. 11 desselben Artikels, die anscheinend das Gegenteil sagt.) Siehe auch Schueler, Desire. Thomas Nagel, The Possibility of Altruism, Kap. V; Don Locke, Beliefs, Desires and Reasons for Action, S. 243; ähnlich Mark Platts, Ways of Meaning, S. 256, mit Bezug auf eine entsprechende Ausweitung des Begriffs „Begehren“. A. Baiers Beispiel, ‚Rhyme and Reason‘, S. 125. Wilson’s Beispiel, The Intentionality of Human Action, S. 171. Beispiele, die wie dieses teleologische Ausdrücke enthalten, werden im elften Kapitel diskutiert. Davidson, ‚Actions, Reasons, and Causes‘, S. 4. Ibid., S. 7. Ibid., S. 4. Zum Beispiel Melden, Free Action. ‚Actions, Reasons, and Causes‘, S. 4. Siehe auch Michael Smith, The Moral Problem, S. 103 – 104. Davidson, ‚Actions, Reasons, and Causes‘, S. 4. Ibid., S. 6. Ibid., S. 3. Colin McGinn, ‚Action and Its Explanation‘, S. 23. Martha Nussbaum, Aristotle’s De Motu Animalium, S. 188. Jaegwon Kim, Philosophy of Mind, S. 8. Michael Smith, The Moral Problem, Kap. 4: „The Humean Theory of Motivation“; hier besonders S. 92, 93. Smith, The Moral Problem, S. 96.
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Anmerkungen Ibid., S. 116. Davidson’s Ausdruck, ‚Actions, Reasons, and Causes‘, S. 4. Thomas Nagel, The Possibility of Altruism, und John McDowell, ‚Are Moral Requirements Hypothetical Imperatives?‘ entwickelten zuerst diese Überlegung. Mark Platts, Ways of Meaning, Kap. 10, and David McNaughton, Moral Vision, Kap. 3, vertraten eine ähnliche Auffassung. Die hier diskutierte Version des Arguments (von 1994) unterscheidet sich von ihrer Vorgängerin ‚The Humean Theory of Motivation‘ (von 1987) vor allem dadurch, daß sie auch die Annahme kritisiert, es könne Meinungen geben, die Begehren sind oder Begehren mit sich bringen. Smith, The Moral Problem, S. 117. Margaret O. Little, ‚Virtue as Knowledge‘. Ibid., S. 60 und Fn. 3. Das betreffende Kapitel von Smiths Buch trägt den Titel „Die Humeanische Theorie der Motivation“. Jay Wallace, ‚How to argue about Practical Reason‘, S. 355. Thomas Nagel, The Possibility of Altruism, S. 29. Eine ähnliche Unterscheidung, zwischen Begehren, die Gründen folgen, und Begehren, die Gründe liefern, zieht Stephen Schiffer, A Paradox of Desire, S. 197. Jay Wallace, ‚How to Argue About Practical Reason‘, besonders S. 366. Ähnlich Barry Stroud, Hume, S. 157. Smith, The Moral Problem, S. 116. G.E.M. Anscombe, Intention, §§ 2, 32. Smith, The Moral Problem, S. 115. Smith, ‚The Humean Theory of Motivation‘. I.L. Humberstone, ‚Direction of Fit‘, S. 63. Ibid., S. 64. Ähnlich David Velleman, ‚The Guise of the Good‘, S. 11. Smith, The Moral Problem, S. 113. Ibid., S. 105. G.E.M. Anscombe, Intention, § 36. Sarah Buss’ Einwand, brieflich. GMS S.421 f. David Lewis, ‚Desire as Belief‘; John Collins, ‚Belief, Desire, and Revision‘. Siehe die Kritik an Lewis und Collins bei Huw Price, ‚Defending Desire-as-Belief‘, sowie die Diskussion von Jay Wallace, ‚How to Argue About Practical Reason‘, S. 371 f. Siehe Lewis, ‚Desire as Belief‘, S. 325. Ibid., S. 325. Robert Audi, ‚Acting for Reasons‘, S. 158; ähnlich S. 147, 151. Georg Henrik von Wright, ‚Practical Inference‘, S. 166. Viele andere Autoren drücken sich ähnlich aus: John Collins, ‚Belief, Desire, and Revision‘, S. 333; Jonathan Dancy, Moral Reasons, S. 2; und in eine andere Richtung gehend Charles Ripley, ‚A Theory of Volition‘, S. 143. In der psychologischen Literatur siehe zum Beispiel J.R. Nuttin, The Respective Roles of Cognition and Motivation, S. 313. Vielleicht drückt Hobbes denselben Gedanken aus, wenn er sagt: „Gedanken sind für das Begehren wie Pfad-Sucher und Spione, um auszuschwärmen und den Weg zu den begehrten Dingen zu finden“. (Leviathan, Kap. 8, Abs. 16)
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Audi, ‚Acting for Reasons‘ S. 147, macht die Verbindung ausdrücklich: „Die Intuition ist, daß das Wollen – oder Absicht, Urteil, oder was sonst die motivationale Rolle in unserer Theorie spielt – einen zum Handeln bewegt.“ Kant, GMS S. 427. Audi, ‚Acting for Reasons‘, S. 151; Davidson, ‚Psychology as Philosophy‘, S. 231. Zum Beispiel Davidson, ‚Intending‘, S. 100, 102. Das Argument hier ist eng verwandt mit dem von David Velleman in ‚The Guise of the Good‘, das die Geschichte von der Motivation und die Geschichte von der vernünftigen Leitung, beides Geschichten, die wir regelmäßig über Handlungen erzählen, als nicht miteinander vereinbar erweist. Audi, ‚Acting for Reasons‘, S. 151. Plato, Staat 439 c. Alfred Mele, Springs of Action, S. 71. Brüder Grimm, ‚Von dem Machandelboom‘. Jonathan Lear, schreibt eine Theorie dieser Art Aristoteles zu, Aristotle: the Desire to Understand, S. 145 f.
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David Hume, A Treatise of Human Nature, S. 413. Verweise auf dieses Buch erscheinen bis § 48 im Haupttext. Treatise S. 459 unterstützt diese Interpretation. Dasselbe Argument erscheint auch auf S. 415 und ist angedeutet auf S. 413 des Treatise. Eine ähnliche Kritik an Humes Argument üben Barry Stroud, Hume, S. 159 – 163, und Rachel Cohon, ‚Hume and Humeanism in Ethics‘, S. 103 – 107. Über Humes Beziehung zu seinen rationalistischen Vorgängern in Handlungstheorie und Moralphilosophie unterrichtet Stanley Tweyman, Reason and Conduct in Hume and His Predecessors, Kap. 4 – 6. Heintsch, Phaidros, S. 30, 93 findet im Text die Aussage, daß auch der Wagenlenker geflügelt ist, aber das „te kai“ von 246a7, auf das er sich beruft, bietet für diese Lesart eine zu schwache Stütze. Ähnlich Jacqueline de Romilly, ‚Les conflits de l’âme‘, S. 105. Die Forschung ist sich einig darüber, daß die Lehren von Staat und Phaidros in den Grundzügen übereinstimmen, siehe etwa Giovanni Ferrari, ‚The Struggle in the Soul‘, S. 1. Uneinig ist man sich über die Reihenfolge der beiden Schriften. Hume, Treatise, S. 458. Ibid. Das Argument hier zielt auf einen ähnlichen Punkt wie Jean Hampton in einigen ihrer letzten Schriften, daß nämlich entgegen einer weit verbreiteten Annahme instrumentelle Rationalität bloß durch Begehren plus Kenntnis kausaler Verknüpfungen nicht zu verstehen ist. Siehe ‚On Instrumental Rationality‘; ‚Rethinking Reason‘; und Kap. 4 von The Authority of Reason, posthum veröffentlicht. Jon Moline, ‚Plato on the Complexity of the Psyche‘; Julia Annas, An Introduction to Plato’s Republic; John Cooper, ‚Plato’s Theory of Human Motivation‘; G.R.F. Ferrari, ‚The Struggle in the Soul‘; Charles Kahn, ‚Plato’s Theory of Desire‘.
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Anmerkungen Ferrari, ‚The Struggle in the Soul‘, S. 1. Kahn, ‚Plato’s Theory of Desire‘, S. 80. Dieser Punkt ist detailliert ausgeführt bei Moline, Plato’s Theory of Understanding, S. 60 – 66. Cooper, ‚Plato’s Theory of Human Motivation‘, S. 5. Weitere Belege gibt Ferrari, ‚The Struggle in the Soul‘, Teil I. Ähnlich in Staat 440 a – e. Siehe zum Beispiel Moline, Plato’s Theory of Understanding, S. 57 f. Annas, An Introduction to Plato’s Republic, S. 131. Cooper, ‚Plato’s Theory of Human Motivation‘, S. 5; ähnliche Ausdrücke erscheinen S. 6 und 8. Daß dieser Gedanke zentrale Bedeutung für Aristoteles’ Unternehmen hat, zeigt Jonathan Lear, Aristotle: the Desire to Understand. Diese Überlegung verfolgen Annas, An Introduction to Plato’s Republic, S. 131, und Moline, Plato’s Theory of Understanding, S. 57 – 62. Ähnlich drückt sich Kahn, ‚Plato’s Theory of Desire‘, S. 81 – 86 aus. Annas, An Introduction to Plato’s Republic, S. 142 – 146; hier S. 144. Daniel Dennett, ‚Artificial Intelligence as Philosophy and as Psychology‘, S. 123. In Platons siebtem Brief (325d3 – 326b4) wird die Verbindung offensichtlich zwischen dem Verlust traditioneller moralischer Gewißheiten und dem Bedürfnis, moralische Begriffe auf wahres Wissen zu gründen. Plato, Staat 473 c – e. Siehe zum Beispiel Susan Wolf, Freedom Within Reason, bes. Kap. 4, oder Jay Wallace, Responsibility and the Moral Sentiments, Kap. 6. Condorcet, Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain, S. 259.
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Thomas Hill, ‚Kant’s Theory of Practical Reason‘, S. 129 Fußn. 7. GMS 421, KpV 30. Siehe auch GMS 432, 434. Ähnlich Onora O’Neill: „Kant behauptet, daß wir, von bloßen Reflex-Handlungen abgesehen, immer nach einer Maxime handeln.“ ‚Kant After Virtue‘, S. 151. Zum Beispiel GMS 421, KpV 30. Siehe O’Neill, ‚Universal Laws und Ends-in-Themselves‘, S. 129. Willaschek, Praktische Vernunft, S. 298 f., leugnet, daß es für jede Handlung genau eine Maxime gibt, während Allison, Kant’s Theory of Freedom, S. 94, unterscheidet zwischen der einen Maxime, nach der jemand handelt, und anderen Maximen, die in der operativen Maxime als Hintergrunds-Bedingungen eingeschlossen sind. GMS 420 f. Fußn.; ähnlich GMS 400 Fußn. Blaise Pascal, Pensées Nr. 418. Dieselbe Unterscheidung erscheint in KpV 19 f. Diesen Titel gab Onora O’Neill ihrer früheren Arbeit über Kants Handlungskonzeption. Ähnlich schreibt Thomas Hill: ‚Wenn wir sagen, daß wir einen Willen haben, so sagen wir, daß wir Dinge aus Gründen, oder im Einklang mit Strategien oder Prinzipien geschehen machen können‘, ‚The Kantian Conception of Autonomy‘, S. 84. Das erste
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„oder“ in diesem Satz ist zu lesen im Sinne von „oder was das Gleiche bedeutet,“ (Siehe auch Hill, ‚Kant’s Argument for the Rationality of Moral Conduct‘, S. 106, ‚Kant’s Theory of Practical Reason‘, S. 125, ‚Autonomy and Benevolent Lies‘, S. 29.) Das heißt, etwas aus einem Grund tun ist für Hill dasselbe wie im Einklang mit einer Strategie oder einem Prinzip handeln. Andrews Reath, ‚Kant’s Theory of Moral Sensibility‘; Henry Allison, ‚Kant’s Theory of Freedom‘, Abschnitt 2 II. Allison, ‚Kant on Freedom‘, S. 119; ähnlich Reath, ‚Kant’s Theory of Moral Sensibility‘, S. 297. Religion, S. 24. Reath, ‚Kant’s Theory of Moral Sensibility‘, S. 300; Allison, ‚Kant’s Theory of Freedom‘, S. 60; Allison, ‚Kant on Freedom‘, S. 111. ‚Übereinstimmung‘ ist der Ausdruck, den Kant in der Diskussion des dritten Beispiels in GMS gebraucht, um die Beziehung zwischen der Maxime und der Neigung zu beschreiben, GMS 423. Ralf Meerbote, ‚Wille and Willkür in Kant’s Theory of Action‘, S. 70 f.; Hud Hudson, Kant’s Compatibilism, S. 42, 155. Meerbote, ‚Kant on Freedom and the Rational and Morally Good Will‘, S. 63. Hud Hudson, Kant’s Compatibilism, S. 155. Ähnlich Otfried Höffe, ‚Universalist Ethics und the Faculty of Judgment‘, S. 56. Marcus Willaschek, Praktische Vernunft, S. 49. GMS 400 Fußn., 420 Fußn., 412; KpV 20. Diesen Ausdruck gebrauchen Peter Geach, Mental Acts, London 1957, Abschnitt 18; Anthony Kenny, Action, Emotion and Will, London 1963, Abschnitte 10 – 11; Kenny, Will, Freedom and Power, Oxford 1975, Kap. 3. Allerdings wendet sich Kenny ausdrücklich gegen die Vorstellung, daß etwas im Herzen zu sagen eine stumme innere Rede sei. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt 1967, §§ 258, 263. Davidson, ‚Intending‘, S. 92. Siehe Audi, ‚Intending‘, S. 71. Nützliche Klärungen zu „etwas absichtlich tun“, „etwas tun mit einer weiteren Absicht“ und „etwas zu einer späteren Zeit zu tun beabsichtigen“ gibt H.L.A. Hart, ‚Intention and Punishment‘, Abschnitt 2. Michael Bratman, Intention, Plans, and Practical Reason, Abschnitt 8.7, sieht Vorteile darin, Fälle absichtlichen, aber anscheinend nicht beabsichtigten Handelns auf diese Weise zu beschreiben. Ähnlich sagt KpV 19, daß Maximen „nur als für den Willen des Subjekts gültig von ihm angesehen“ werden: für seinen Willen werden sie also von ihm als gültig, damit als eine Verpflichtung auferlegend angesehen. GMS 412 und 427 nehmen mit dem Wort „Gesetz“ auf Maximen Bezug (eine Interpretation, die allerdings umstritten ist), und in der Nachschrift Mrongovius von Kants Vorlesung über Moralphilosophie S. 1427 werden Maximen ausdrücklich als „subjektive Gesetze“ bezeichnet. Römer 2, 14. Wie wichtig dieser Satz für die neuzeitliche Moralphilosophie war, zeigt J. B. Schneewind, The Invention of Autonomy. Bratman, Intention, Plans, and Practical Reason, Abschnitte 2. 2, 7. Religion, S. 31. Seltsam erschien sie Hegel, Phänomenologie des Geistes S. 431 – 432, 433 – 434. Religion, S. 47 f.
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Anmerkungen Ähnlich schreibt Willaschek, daß Handeln nach Maximen es einem möglich macht, sich selbst „‚treu zu bleiben‘“ Praktische Vernunft, S. 280. Nancy Schauber, ‚Integrity, Commitment, and the Concept of a Person‘, S. 120. Harry Frankfurt, ‚The Importance of What We Care About‘; ‚On Caring‘. Siehe J.L. Mackie, Ethics, S. 38 – 42. Ich habe diese Passage in den Aufsätzen „Maximen“ und „Handlungen und Wirkungen“ genauer untersucht und stütze mich im Folgenden auf diese Arbeiten. Meine Interpretation ist jedoch umstritten. Pierre Laberge, ‚La définition de la volonté comme faculté d’agir selon la représentation des lois (GMS 412)‘, gibt eine ausgezeichnete Übersicht über die Diskussion. Siehe auch Allison, Kant’s Theory of Freedom, S. 86 – 94. De Motu Animalium, Kap. 7. Siehe GMS 403, 404, 411 und KpV 35, 36. Diese Überzeugung liegt auch der Lehre vom Faktum der Vernunft zu Grunde, siehe KpV 31, wo es heißt, daß das Bewußtsein dieses Grundgesetzes „sich für sich selbst uns aufdringt“. Ähnlich der Ausdruck in Religion, S. 36. Religion, S. 44. Onora O’Neill, ‚Kant’s Virtues‘, S. 90, 95. Religion, S. 24 Fußn. De Motu Animalium 701 a 11 – 13, 19 – 23. Neben vielen andern siehe Anscombe, Intention, § 33; Cooper, Reason and Human Good in Aristotle, S. 24 – 26, 33; Kenny, Aristotle’s Theory of the Will, S. 142 f.; Nussbaum, Aristotle’s De Motu Animalium, S. 185 – 189; Sarah Broadie, Ethics with Aristotle, Abschnitt 5. VI. Nikomachische Ethik 1113 a 1 – 2, auch 1143 b 4 – 5. O’Neill, ‚The Power of Example‘, S. 167. Siehe auch die weitere Ausarbeitung in ihrem Buch Towards Justice and Virtue, Abschnitte 3.4 und 6.7. Einen ähnlichen Weg scheint Höffe zu verfolgen, ‚Universalist Ethics and Judgment‘, S. 60 f. Aristoteles, De Motu Animalium 701 a 7 – 25. Siehe neben GMS 412 auch GMS 427, während allerdings nach GMS 389 „durch Erfahrung geschärfte Urteilskraft“ gebraucht wird, um den Gesetzen a priori Eingang in den Willen des Menschen zu verschaffen. Was die Kritik der praktischen Vernunft angeht, so beruht die mehrfache Erwähnung der Fähigkeit der Vernunft, unmittelbar den Willen zu bestimmen (zum Beispiel KpV 23 – 25), wohl auf der Handlungstheorie von GMS 412, und die Erklärung des Willens als des Vermögens vernünftiger Wesen, „ihre Kausalität durch die Vorstellung von Regeln zu bestimmen“ (KpV 32), stammt geradewegs aus dieser Theorie. GMS 389, 407; KrV A 134/B 173. Siehe das „Glaubensbekenntnis des savoyardischen Vikars“ im vierten Buch von JeanJacques Rousseau, Emile, ou de l’éducation. Alasdair MacIntyre, After Virtue, S. 145. O’Neill, ‚Kant after Virtue‘, besonders S. 160. O’Neill, ‚The Power of Example‘, S. 167. KrV A 133/B 172. Siehe auch KdU 169 und den Aufsatz ‚Über den Gemeinspruch‘, S. 275. Ähnlich O’Neill, Towards Justice und Virtue, S. 180. O’Neill, ‚The Power of Example‘, S. 181. Eine ähnliche Überlegung findet sich bei William James, The Principles of Psychology, Band II, S. 1139. KrV A 134/B 172 f.; ‚Über den Gemeinspruch‘, S. 275.
Anmerkungen
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Kapitel 4 1 2 3 4 5 6 7 8
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Das greift Rankes berühmte Wendung auf, es gehe dem Historiker darum zu zeigen, „wie es eigentlich gewesen“. Zeno Vendler, Linguistics in Philosophy, S. 144. Jonathan Bennett, Events and Their Names, Abschnitt 60. Siehe zum Beispiel P.M.S. Hacker, ‚Events and the Exemplification of Properties‘. – im Gegensatz zu dem eigenartigen Gebrauch dieses Wortes bei Davidson, ‚Actions, Reasons, and Causes‘, S. 3. So auch Annette Baier, ‚Rhyme and Reason‘, S. 125. Zum Beispiel Arthur Danto, Analytical Philosophy of History, Kap. VII. Walsh, An Introduction to Philosophy of History, S. 33, stellt den einfachen Geschichtserzählungen die bedeutungsvollen gegenüber und unterscheidet die ersten dadurch von den zweiten, daß sie sagen, „wie es eigentlich gewesen“. Implizit behauptet er damit, daß die bedeutungsvollen Geschichtserzählungen nicht sagen, wie es eigentlich gewesen. Ähnlich Danto, Analytical Philosophy of History, S. 140. A. Baier, Rhyme and Reason, S. 125, Marco Iorio, Echte Gründe, echte Vernunft, S. 144. Norman Malcolm, ‚„I Believe That p“‘, macht geltend, daß man mit Aussagen der Art „Ich denke, es gibt heute nacht Frost“ in einer sehr großen Zahl von Fällen gar nicht auf den eigenen Geisteszustand Bezug nimmt, sondern nur die Aussage qualifiziert. G.E.M. Anscombe, Intention, § 35. Derek Parfit, ‚Reasons and Motivation‘, Fn. 28, meint seltsamerweise, es sei annehmbar, beides zu sagen, daß Gründe Begehren und Meinungen, und daß sie das Begehrte oder Vermeinte sind. Auch Anscombe spricht sich dafür aus, die praktische Überlegung des Bauern in der Form wiederzugeben ‚Auf dem Markt in Hereford gibt es Jersey-Kühe, ich werde also dorthin fahren.‘ Noch die Prämisse hinzuzufügen ‚Ich will eine gute Jersey-Kuh‘ sei verfehlt, Intention, § 35. Robert Audi, ‚Acting for Reasons‘, S. 148. Thomas Hobbes, Leviathan, Kap. 36, letzter Absatz. Wilson, The Intentionality of Human Action, S. 13. KrV A 809, B 837. Annette Baier, Rhyme and Reason, S. 125. Alasdair MacIntyre, ‚The Intelligibility of Action‘. Robert Audi, ‚Acting for Reasons‘, S. 146. Siehe auch den Satz, von dem eben (§ 139) schon die Rede war, daß nämlich „der Grund, aus dem jemand etwas tut, schließlich das sein sollte, weswegen er es tut“. S. 148. Audi, ‚Acting for Reasons‘, S. 146. ‚Explanation and Understanding of Action‘, S. 54. Ibid., S. 55. Ibid., S. 54, 59. Doch ist zu beachten, daß ein etwas späterer Aufsatz von Wrights, ‚Probleme des Erklärens und Verstehens von Handlungen‘, offensichtlich nah verwandt mit dem hier besprochenen Text, nicht den Vorschlag enthält, daß ein externer Grund durch die Anerkennung von Seiten des Handelnden internalisiert werden muß, um als Grund zu gelten, aus dem der Handelnde etwas tut. Stoutland, ‚The Real Reasons‘, S. 47.
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Anmerkungen
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Danto, Analytical Philosophy of History, S. 247. Weiser-Aall, ‚Weihnacht‘, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hrsg. von H. Bächtold-Stäubli, Band 10, Berlin 1938/41, Nachträge, Spalte 910 – 915. Hempels Beispiel, ‚The Function of General Laws in History‘, S. 232. Siehe z. B. R.F. Atkinson, Knowledge and Explanation in History, S. 95, 101 f. Siehe J. Passmore, ‚Explanation in Everyday Life, in Science, and in History‘, S. 122. Morton White, ‚Historical Explanation‘, S. 216. Ibid., S. 212. White hat diesen Verdacht, ‚Historical Explanation‘, S. 215, Fn. 2. Zu den verschiedenen Formen des Erklärens siehe Passmore, ‚Explanation in Everyday Life, in Science, and in History‘, S. 106 f. Hempel, ‚Aspects of Scientific Explanation‘, S. 412 – 415. Ibid., S. 412. Siehe auch David-Hillel Ruben, Explaining Explanation, S. 16 – 19. Hempel, ‚The Function of General Laws in History‘; ‚Studies in the Logic of Explanation‘. David Lewis, ‚Causal Explanation‘, S. 217. William Dray, Laws and Explanation in History, Kap. 5, und ‚The Historical Explanation of Actions Reconsidered‘. Dray wiederum verweist, Laws and Explanations in History, S. 121 f., auf R.G. Collingwood als eine Quelle seiner Überlegung. Siehe dessen The Idea of History. Hayden White, ‚The Historical Text as Literary Artifact‘, S. 85 – 92, hier S. 86. Paul Roth, ‚How Narratives Explain‘, S. 468 f. Hempel, ‚The Function of General Laws in History‘, S. 237. Ibid., S. 236. Hempel/Oppenheim, ‚Studies in the Logic of Explanation‘, S. 251, Fußn. 7. Siehe zum Beispiel Stegmüllers selbstsichere Aussage: „Auch historische Erklärungen müssen sich auf Gesetzmäßigkeiten stützen.“ (‚Wissenschaft und Erklärung‘, S. 256.) Weitere einschlägige Aussagen sammeln B. Trill und H. Lenk in dem Artikel ‚Erklären, Erklärung‘ in Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hempel/Oppenheim, ‚Studies in the Logic of Explanation‘, S. 264. Hume, Treatise, S. 105. Hempel, ‚Aspects of Scientific Explanation‘, S. 354. Siehe K.-G. Faber, Theorie der Geschichtswissenschaft; A.J. Greimas, ‚Sur l’histoire événementielle et l’histoire fondamentale‘; R. Koselleck, ‚Ereignis und Struktur‘; Peter Szondi, ‚Für eine nicht mehr narrative Historie‘; W. Dray, ‚Narrative Versus Analysis in History‘. Dray verteidigt so seine Position, Laws and Explanations in History, S. 141 f. Ähnlich argumentiert Raymond Geuss in seiner Kritik an Habermas, The Idea of a Critical Theory, S. 66. Siehe z. B. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 196, 292 f., 504 f.; ‚Die Grenznutzlehre und das „psychophysische Grundgesetz“‘, S. 395. Weber, ‚Der Sinn der „Wertfreiheit“‘, S. 534; Wirtschaft und Gesellschaft, S. 10. Hayden White, Metahistory, zweiter Teil. Roth, ‚How Narratives Explain‘, S. 469. Davidson, ‚Actions, Reasons, and Causes‘, S. 3. Siehe z. B. Georg Henrik von Wright, Explanation and Understanding, S. 13.
Anmerkungen 32 33 34 35 36 37 38 39
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David Lewis, ‚Causal Explanation‘, S. 228. Die klassische Quelle für solche Zweifel ist Nelson Goodman, Fact, Fiction, and Forecast. Siehe Melden, Free Action, S. 88 – 90. Melden redet von Erklärungen von Handlungen durch Motive, aber dieser Unterschied ist hier nicht von Belang. Ibid., S. 88. Siehe Davidson, ‚Actions, Reasons, and Causes‘, S. 10, und Beckermann, ‚Intentionale versus kausale Handlungserklärungen‘, S. 472. Davidson, ‚Actions, Reasons, and Causes‘, S. 11. Ibid., S. 10; ähnlich S. 11. Neuere Diskussionen dieses Unterschieds finden sich bei Georg Henrik von Wright, Explanation and Understanding; Martin Hollis, The Philosophy of Social Science, Kap. 7; und Fred Dallmayr, Thomas McCarthy (Hrsg.), Understanding and Social Inquiry, mit nützlichen Bibliographien J.G. Droysen, ‚Grundriß der Historik‘, §§ 14, 15, 7. Wilhelm Dilthey, ‚Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften‘, Schriften VII, S. 82 – 88.
Kapitel 6 1
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Die folgende Argumentation stammt nicht von einem bestimmten Autor, sondern bringt Überlegungen aus verschiedenen Texten zusammen, nämlich aus Peter Winch, The Idea of a Social Science; Charles Taylor, ‚Interpretation and the Sciences of Man‘; Taylor, ‚Social Theory as Practice‘; Alasdair MacIntyre, After Virtue, Kap. 15; MacIntyre, ‚The Intelligibility of Action‘; Martin Hollis, The Philosophy of Social Science, Kap. 7. Das ist es, was MacIntyre mit seiner Formulierung sagt: „der Begriff einer verständlichen Handlung ist fundamentaler als der Begriff einer Handlung als solcher,“ After Virtue, S. 195. Siehe auch Taylor: „… sofern wir von Verhalten als Handeln, also in Begriffen von Sinn reden“, ‚Interpretation and the Sciences of Man‘, S. 24. Winch, The Idea of a Social Science, S. 51 f. MacIntyre, ‚The Intelligibility of Action‘, S. 66. Taylor, ‚Social Theory as Practice‘, S. 105. The Philosophy of Social Science, S. 155. Siehe auch Taylor, ‚Interpretation and the Sciences of Man‘, S. 32. Aristoteles, De Anima III 8, 431 b 21. Martin Heidegger, Über den Humanismus, S. 53. Siehe zum Beispiel Taylor, ‚Social Theory as Practice‘. Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe Band 3, S. 269. Philosophische Untersuchungen II, S. 263. Rawls, ‚Two Concepts of Rules‘. Siehe zum Beispiel John Searle, Speech Acts, Kap. 2.5; Taylor, ‚Interpretation and the Sciences of Man‘, S. 33 – 36; Hollis, The Cunning of Reason, S. 137 f. Searle, Speech Acts, S. 33; Hollis, The Cunning of Reason, S. 138. Hollis, The Philosophy of Social Science, S. 153. Taylor, ‚Interpretation and the Sciences of Man‘, S. 34 f.
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Anmerkungen Siehe Rawls, ‚Two Concepts of Rules‘, S. 25; Searle, Speech Acts, S. 35 f. Rawls, ‚Two Concepts of Rules‘, S. 25, die Hervorhebung stammt von Rawls. Ähnlich Searle, Speech Acts, S. 35 f. Searle, Speech Acts, S. 51. Ibid., S. 51. Ibid., Kap. 2.7. Winch, The Idea of a Social Science, S. 52; Hollis, The Cunning of Reason, S. 138. Taylor, ‚Social Theory as Practice‘, S. 105.
Kapitel 7 1 2 3 4
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Stephen Darwall, Impartial Reason, Kap. 1. Ibid., S. 31. Auch Marco Iorio, Echte Gründe, echte Vernunft, Abschnitt 6.7, lenkt die Aufmerksamkeit auf diese Art von Fällen. Nach Jonathan Dancy, Practical Reality, Abschnitt 6.1, spricht es gegen die Begehren/ Meinungs-Theorie, daß diese Fälle abseitig sind; nach dieser Theorie müßten sie als normal gelten. Ähnlich Darwall, Impartial Reason, S. 37. Anders Dancy. Er löst das Problem des irrenden Handelnden dadurch, daß er zuläßt, „es könne etwas eine Handlung erklären, was nicht der Fall ist“ (Practical Reality, Abschnitt 6.3.). Bernard Williams, ‚Internal and External Reasons‘, S. 102. Davidson, ‚Mental Events‘, S. 221 f.; ‚Psychology as Philosophy‘, S. 236 – 239; Peter Lanz, Menschliches Handeln zwischen Kausalität und Rationalität, S. 102 – 105. Bittner, ‚Verständnis für Unvernünftige‘. Barry Stroud, ‚Transcendental Arguments‘, zeigte das für traditionelle transzendentale Argumente. – wie es etwa als selbstverständlich unterstellt wird bei Davidson, ‚Psychology as Philosophy‘, S. 237, und Lanz, ‚The Explanatory Force of Action Explanations‘, S. 298, ein Aufsatz, dem wiederum Davidson nachdrücklich beistimmt, ‚Reply to Peter Lanz‘, S. 302. Zweifel in dieser Sache werden durch die empirischen Forschungen von Tversky und Kahneman genährt, zum Beispiel ‚Rational Choice and the Framing of Decisions‘. Davidson, ‚Hempel on Explaining Action‘, S. 272 – 273, geht kurz auf Tverskys früheren Aufsatz ‚A Critique of Expected Utility Theory‘, ein, aber für den hier zur Rede stehenden Punkt ist seine Diskussion unergiebig. John McDowell hat diese traditionelle Überlegung in seiner Vorlesung ‚Criteria, Defeasibility, and Knowledge‘ von 1982 effektiv entkräftet. Er verteidigt stattdessen eine disjunktive Theorie, wonach ein Anschein entweder ein bloßer Anschein ist oder darin besteht, daß es für jemanden in der Wahrnehmung offenbar wird, daß das und das so und so ist (S. 472). Diese Theorie bildet im theoretischen Feld eine enge Parallele zu der hier vertretenen Lösung im praktischen Fall.
Anmerkungen
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Kapitel 8 1
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So in Übereinstimmung mit Schueler, Desire, S. 66, und entgegen dem Vorschlag von Williams, ‚Internal and External Reasons‘, S. 101, wie auch dessen Sprachgebrauch, etwa Ethics and the Limits of Philosophy, S. 192. Smith gebraucht diesen Ausdruck, The Moral Problem, S. 94. Darwall gebraucht diesen Ausdruck, Impartial Reason, S. 30. Etwa Williams: „Wenn es wahr ist, daß A einen Grund hat zu , dann muß es möglich sein, daß er aus diesem Grund tut“. ‚Internal Reasons and the Obscurity of Blame‘, S. 5. Michael Smith, The Moral Problem, S. 94 ff. Ähnlich Williams, ‚Internal Reasons and the Obscurity of Blame‘, S. 5. Das wandte Thomas Pogge brieflich ein. Stampe, ‚The Authority of Desire‘, S. 345 f. Davidson, ‚Actions, Reasons, and Causes‘, S. 9. Ibid., S. 9 – 12.
Kapitel 9 1 2 3 4 5
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Williams’ Aufsatz ‚Internal and External Reasons‘ von 1980 eröffnete die zeitgenössische Diskussion des Internalismus. Ich halte mich hier an die Erklärung, die Williams in dem neueren Artikel ‚Internal Reasons and the Obscurity of Blame‘, S. 35, gegeben hat. Williams, ‚Internal and External Reasons‘, S. 109; Ethics and the Limits of Philosophy, S. 192. Christine Korsgaard, ‚Scepticism about Practical Reason‘. Wallace ‚How to Argue about Practical Reason‘. Wallace entwickelt hier, wie er sagt, Überlegungen Thomas Nagels aus dem fünften Kapitel von The Possibility of Altruism weiter. Siehe insbesondere Rachel Cohon, ‚Are External Reasons Impossible?‘; Brad Hooker, ‚Williams’ Argument Against External Reasons‘; Elijah Millgram, ‚Williams’ Argument Against External Reasons‘; Derek Parfit, ‚Reasons and Motivation‘. Die hier vertretene Interpretation steht derjenigen von Cohon am nächsten. Williams, ‚Internal and External Reasons‘, S. 106. Ibid., S. 107. Ibid., S. 102, 106. Williams, ‚Internal Reasons and the Obscurity of Blame‘, S. 39. Das ist Wilsons Vorschlag, siehe besonders seinen neueren Aufsatz ‚Reasons as Causes for Action‘, S. 68. Das habe ich oben, § 159, vorgeschlagen. Williams, ‚Internal and External Reasons‘, S. 107. Siehe z. B. Audi, ‚Acting for Reasons‘, S. 147; Darwall, Impartial Reason, S. 199; Williams, ‚Internal Reasons and the Obscurity of Blame‘, S. 5. Dancy, Practical Reality, Kap. 1.1.
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Anmerkungen Joseph Raz ist anderer Meinung, denn er behandelt die Sätze, daß jemand Grund hat, etwas zu tun, und daß er es tun sollte, als gleichwertig, Practical Reason and Norms, S. 29 f. Diese Argumentation findet sich bei Jean Hampton, ‚Rethinking Reason‘, Abschnitt 6, und Christine Korsgaard, ‚The Normativity of Instrumental Reason‘, S. 229. Kant, GMS 432 f. Korsgaard, ‚The Normativity of Instrumental Reason‘, S. 245; siehe auch Korsgaard, The Sources of Normativity, S. 103 – 105. Korsgaard, ‚The Normativity of Instrumental Reason‘, S. 243. GMS 414. Siehe Korsgaard, ‚The Normativity of Instrumental Reason‘, S. 219 f. und 239 f. mit Fußnote 52, und vgl. Kant, KpV S. 32, Religion S. 139. Korsgaard, ‚The Normativity of Instrumental Reason‘, S. 254; siehe auch S. 247. An anderer Stelle spricht Korsgaard lieber von „praktischer Identität“ (The Sources of Normativity, S. 100 – 102), aber der Sache nach ist es derselbe Gedanke. Siehe G.A. Cohen, ‚Reason, Humanity and the Moral Law‘, S. 185. ‚The Normativity of Instrumental Reason‘, S. 247, 254. Z. B. Korsgaard, ibid., S. 215. John Broome, ‚Normative Requirements‘ und ‚Practical Reasoning‘. ‚Normative Requirements‘, Abschnitte 2 – 3. Wirklich unterscheidet er vier solche Beziehungen, aber die vierte, die der „normativen Empfehlung“, ist in diesem Zusammenhang kaum von Interesse. Broome, ‚Normative Requirements‘, Abschnitte 3, 6. Broome’s Beispiel in ‚Practical Reasoning‘. Broome, ‚Practical Reasoning‘, Abschnitt 4; ähnlich ‚Normative Requirements‘, Abschnitt 2. Broome, ‚Normative Requirements‘, Abschnitte 5 – 6, ‚Practical Reasoning‘, Abschnitt 4. Broome, ‚Normative Requirements‘, Abschnitte 5 – 6, ‚Practical Reasoning‘, Abschnitt 5. Broome, ‚Normative Requirements‘, Abschnitte 5 – 6. Ibid., Abschnitt 6. Ausführlicher habe ich dies in dem Aufsatz ‚On Learning from Experience‘ entwickelt. Korsgaard, ‚The Normativity of Instrumental Reason‘, S. 228 f.
Kapitel 10 1 2 3 4 5 6 7
Broome vertritt die These, daß dies auch für „gut“ und „besser“ gilt, ‚Goodness Is Reducible to Betterness‘. Joseph Raz, Practical Reason and Norms, S. 26. Siehe auch Raz, ‚Reasons for Action, Decisions and Norms‘, S. 129 f. Raz, Practical Reason and Norms, S. 26 Fn. Siehe besonders Frankfurt, ‚The Importance of What We Care About‘, S. 80 f. Ibid., S. 85. Necessity, Volition, and Love, S. 162. ‚The Importance of What We Care About‘, S. 80 – 82.
Anmerkungen 8 9 10 11
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Necessity, Volition, and Love, S. 130. Martin Hollis hat diesen Ausdruck gefunden. Frankfurt, ‚The Importance of What We Care About‘, S. 86 f.; siehe auch Necessity, Volition, and Love, S. 80. ‚The Importance of What We Care About‘, S. 80 f.
Kapitel 11 1 2
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Wilson, The Intentionality of Human Action, S.171. Sehon unterstützt zwar Wilsons Argument, wonach Gründe-Erklärungen Erklärungen durch Zwecke sind, aber er gesteht ein, daß er „nicht über eine Analyse der entscheidenden teleologischen Verknüpfungen verfügt“, ‚Teleology and the Nature of Mental States‘, S. 65. Aristoteles, Nikomachische Ethik I 1. Smith, The Moral Problem, S. 116 f. Sarah Broadie, Ethics with Aristotle, S. 10. Ibid., S. 8 – 9. Siehe Aristoteles, Physik 198b18 – 21. Charlton, Aristotle’s Physics I,II, S. 120. Siehe auch die Diskussion bei Broadie, Nature, Change, and Agency, Abschnitte 28 – 42. Das ist Iorios Linie, Echte Gründe, echte Vernunft, Abschnitt 7.7. Ähnlich Aristoteles selbst, Nikomachische Ethik X.4. Ibid., 1094a16 – 17; siehe auch 1094a4 – 5, 1140b5 – 6. ‚ephiesthai‘, Nikomachische Ethik, 1094a2. Siehe Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1094a23 – 24. David Velleman erhob diesen Einwand in einem Brief. ‚pros to telos‘, zum Beispiel Nikomachische Ethik 1145a6.
Kapitel 12 1 2 3
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Diesen Titel gab Alvin Goldman seinem Buch von 1976. Nikomachische Ethik, 1113a5 – 9. Alfred Mele ist einer der wenigen Autoren, die eindringlich auf die Verbindung hinweisen, die zwischen dem Problem der ‚akrasia‘ und einem Verständnis von ‚enkrateia‘, also Selbstkontrolle, besteht, Irrationality, S. 50. George Wilson, The Intentionality of Human Action, Kap. 7.2. Das schlug ich in ‚Handlungen und Wirkungen‘, S. 25, vor. MacIntyre, ‚The Intelligibility of Action‘, S. 25. Eine repräsentative Formulierung dieser Idee gibt Darwall, Impartial Reason, S. 35, 80. Siehe GMS 389, 411, KpV 31. Zum Beispiel Alan Gewirth, Reason and Morality; Stephen Darwall, Impartial Reason; David Gauthier, Morals by Agreement. Daß Moral nicht eine Forderung der Vernunft ist, habe ich in Moralisches Gebot oder Autonomie zu zeigen versucht.
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Anmerkungen Thomas Hobbes, Leviathan, Kap. 14. Siehe GMS 413 – 414. Daß Kant instrumentelle Rationalität normativ versteht, haben Thomas Hill, ‚The Hypothetical Imperative‘, und jüngst Jean Hampton, ‚On Instrumental Rationality‘, hervorgehoben. Siehe zum Beispiel G.R. Grice, The Grounds of Moral Judgment, S. 27; D.A.J. Richards, A Theory of Reasons for Action, S. 27 – 28; Thomas Hill, ‚The Hypothetical Imperative‘, S. 18, 32. Ein ausführlicheres Argument dafür, auch Forderungen instrumenteller Rationalität zu leugnen, gibt mein Aufsatz ‚On Learning from Experience‘. Römer 2:14. ‚The Kantian Conception of Autonomy‘, S. 87. In diesem Sinn gebraucht Allan Gibbard das Wort „rational“, Wise Choices, Apt Feelings, S. 6 – 7. Siehe GMS 436, 440, 432 – 433 und Thomas Hills erhellende Aufsätze ‚Humanity as an End in Itself‘, bes. S. 47 und ‚The Kantian Conception of Autonomy‘. Der Grundgedanke hier leitet sich von Überlegungen Hegels her, siehe Phänomenologie des Geistes Kap. V C a und VI C. Shakespeare, Hamlet, Ende des 1. Aktes. GMS 453.
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