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German Pages 220 Year 2015
Ekaterina Svetlova Sinnstiftung in der Ökonomik
2008-01-28 15-35-35 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02fa169490382904|(S.
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Ekaterina Svetlova (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologie an der Zeppelin University, Friedrichshafen.
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Ekaterina Svetlova
Sinnstiftung in der Ökonomik Wirtschaftliches Handeln aus sozialphilosophischer Sicht
2008-01-28 15-35-35 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02fa169490382904|(S.
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Dissertation der FernUniversität in Hagen Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften, Institut für Philosophie, mit dem Originaltitel »Sinnstiftung in der Ökonomik: Ein sozialphilosophischer Beitrag zur Theorie des Ökonomischen«
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Ekaterina Svetlova Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-869-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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INHALT
DANKSAGUNG
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EINFÜHRUNG
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Das mechanistische Selbstverständnis der Ökonomik und seine Kritik Fragestellung und Aufbau der Arbeit
TEIL I: DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE Der »subjektiv gemeinte Sinn« bei Max Weber Prozesse der Sinnkonstitution bei Alfred Schütz Der hermeneutische Sinnbegriff von Hans-Georg Gadamer Individualistische Sinnkonzepte in der Ökonomik Sinn als Zweck-Mittel-Relation Sinn als Intention Wirtschaften als soziales Handeln Markt, Vertrauen und soziale Wechselwirkungen Die Präferenzen Handeln und Sprechen Die prinzipielle Ungewissheit und das Neue Regeln und Institutionen Die Sinnstiftung als zentrales Erklärungsprinzip wirtschaftlichen Handelns
TEIL II: DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE Der Sinnbegriff bei Niklas Luhmann Das generelle Sinnkonzept Die Konzeption der sozialen Wechselbeziehungen als doppelte Kontingenz Die Zeitdimension des Sinnprozessierens und das Neue Die Rolle des Subjekts und die Bedeutung der Relationen Wirtschaft als sinnverarbeitendes System Der poststrukturalistische Sinnbegriff
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Der performative Sinnbegriff Das Neue und seine Geltung Die soziale Natur des performativen Sinns Die Praxistheorien Praktiken als Gebrauch Die posthumanistischen Ansätze Die Rolle der materiellen Objekte Die Subjekt-Objekt-Beziehung als Grundeinheit der Praxis und des Sozialen Zwischenfazit Poststrukturalistische, performative und praxistheoretische Ansätze in der Ökonomik Karl Weick: Sensemaking in organizations Jens Beckert: Performativer Ursprung einer sozialen Beziehung Karin Knorr Cetina: Finanzmärkte als Praktiken Zwischenfazit
TEIL III: DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK Die Theorie des Ökonomischen als ein Teil der Sozialphilosophie Der methodologische Relationismus als Alternative zum methodologischen Individualismus Die Rolle des Dritten und Beziehungsbeziehungen Die Kategorie des Fremden Die Zeitdimension der Sinnstiftung in der Ökonomik Beispiele der Anwendung der sinnorientierten Theorie des Ökonomischen Die Präferenzgenese Entscheidung und Unentscheidbarkeit Der Markt als soziales Gebilde Ein anderes Verständnis vom Wandel Beispiel: Eine Beziehungsbeziehung »Produzent – Konsument – Ware« Wirtschaften als praxis Schlusswort
LITERATUR
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Danksagung Bei der Fertigstellung dieser Arbeit haben mich viele Leute unterstützt, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Mein erster Dank gilt meinem Betreuer Prof. Dr. Kurt Röttgers an der FernUniversität in Hagen, der mich auf der Suche nach dem Sinn begleitet hat. Ich bin ihm sehr für das Vertrauen verpflichtet, das er mir insbesondere in den ersten schwierigen Phasen der Arbeit gewährt hat. Gespräche mit ihm sowie seine Kommentare halfen mir enorm bei meiner Gedankenentwicklung. Sein umfangreiches Œuvre war eine beständige Quelle der Inspiration. Ein herzlicher Dank geht auch an meine Ex-Kollegen am Lehstuhl für praktische Philosophie an der FernUnivesität in Hagen Dr. Thomas Bedorf, Eva Ledwig, Verena Rauen und Meike Hinnenberg für die freundschaftliche und fachliche Unterstützung: Sie halfen mir bei vielen Gelegenheiten mit wertvollen Anmerkungen, Verweisen auf Literaturquellen und guten Ideen. Auch Prof. Dr. Günther Ortmann danke ich für einige wichtige Hinweise in der Anfangsphase der Arbeit. Herrn Hergen Hillen bin ich für die hilfreichen Kommentare sehr verbunden. Zu danken habe ich ganz besonders meinem Ehemann Karl-Heinz Thielmann: Ohne ihn hätte diese Arbeit nie begonnen, geschweige denn je beendet werden können. Seine tatkräftige und liebevolle Unterstützung bedeutete viel mehr, als ich es hier ausdrücken kann. Meiner Tochter Xenia danke ich für die Geduld, die sie meiner Arbeit entgegengebracht hat, und die Sinnstiftung in meinem Leben. Ich widme dieses Buch meinen Eltern.
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Einführung Das mechanistische Selbstverständnis der Ökonomik und seine Kritik »Sinn und Ökonomie? Was für ein Unsinn!« – so lautet die spontane Reaktion vieler Ökonomen auf das Thema dieser Arbeit. Diese Reaktion spiegelt die eigentümliche Lage im Bereich der Humanwissenschaften wider: Sinn ist einerseits keine Kategorie der Ökonomik und gleichzeitig ein Schlüsselbegriff der Sozial- und Kulturwissenschaften. Dies ist deswegen verwunderlich, weil sich sowohl Ökonomik als auch Sozial- und Kulturwissenschaften mit dem menschlichen Handeln, also mit dem sinnhaften Handeln, beschäftigen. Das Bestehen des Unterschieds im Umgang mit dem Sinnbegriff – seine Eliminierung aus dem ökonomischen Kategorieapparat und die Hervorhebung durch die Sozialwissenschaften – ist aber auf den zweiten Blick verständlich. Die Sozialwissenschaften untersuchen explizit die Frage: »Wie handeln Menschen?«, während die Ökonomik eine bestimmte Art des Handelns unterstellt, die nicht zu ihrem Untersuchungsobjekt gehört. Diese wesentliche Unterscheidung war das Resultat einer Entkoppelung der Ökonomik von den anderen Humanwissenschaften gegen Ende des XIX. Jahrhunderts. Als eine selbstständige Wissenschaft, die sich nicht mehr als Teil der Sozial- und Kulturwissenschaften begriff, machte die Ökonomik es sich zur Aufgabe, einerseits allgemeine objektive Prinzipien des Wirtschaftslebens aufzustellen, andererseits reales wirtschaftliches Geschehen zu beschreiben, zu erklären und zu prognostizieren. Die Ökonomik geht von der spezifischen Situation der Knappheit aus. Wirtschaften wird als Handeln zwecks der Reduzierung von Knappheit sowie zur Überbrückung von Spannungen zwischen mensch9
SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
lichen Bedürfnissen und knappen Gütern verstanden. Die Ökonomik macht Mittel und Wege zur Erreichung der Bedürfnisbefriedigung – »Produktion, Distribution, Konsumtion oder allgemeiner: Marktgeschehen«1 zu ihrem Untersuchungsobjekt. Sie verfügt aber nicht über einen einheitlichen und klar definierten Gegenstandsbereich. Alle ihre Unterdisziplinen vereint die methodische Vorgehensweise2: das so genannte wirtschaftliche Prinzip (das Rationalitätsprinzip). Dieses Prinzip besagt: Da der ökonomische Akteur nicht alle seine Bedürfnisse gleichzeitig befriedigen kann, ist er gezwungen, zu wählen, d.h. über die knappen Ressourcen und Güter zu disponieren. Seine Wahl hängt von den Präferenzen (den nach Dringlichkeit geordneten Bedürfnissen), von den Beschränkungen (z.B. von den zur Verfügung stehenden Mitteln wie einem Budget oder äußeren Faktoren wie Preisen) und von den Handlungsalternativen ab. Jede Präferenz wird mit einer bestimmten Konsequenz (einem kalkulierbaren Nutzen) in Verbindung gebracht; auf dieser Basis können Präferenzen geordnet und miteinander verglichen werden. Bei der Wahl zwischen Alternativen verhält sich der wirtschaftliche Akteur rational, d. h., er wählt die beste Alternative und maximiert dadurch seinen subjektiven Nutzen (rational choice). Diese Wahl zwischen Alternativen wird durch die zentrale ökonomische Kategorie Entscheidung (rationale Entscheidung) konzipiert. Der Wirtschaftsakteur muss sich für eine Alternative entscheiden, und zwar für genau eine, nämlich die beste Alternative. Ein sich so verhaltender Akteurtyp wird homo oeconomicus genannt. Das zentrale methodologische Prinzip der Ökonomik – der methodologische Individualismus – besagt in seinem Kern, dass alle kollektiven Phänomene ausschließlich aus dem Verhalten der Individuen, aus ihren physischen und psychischen Zuständen abgeleitet werden können, so dass der Schwerpunkt von Untersuchungen auf das Individuum und sein Verhalten gelegt werden muss. Dabei benutzt die Ökonomik diese Methode in einer atomistischen Ausprägung: Sie unterstellt, dass keine Relationen zwischen den autonomen Subjekten bestehen, oder anders gesagt, dass Relationen oder Interaktionen keine Erklärungskraft besit-
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Bernd Biervert/Josef Wieland: »Gegenstandsbereich und Rationalitätsform der Ökonomie und der Ökonomik«, in: Bernd Biervert (Hg.): Sozialphilosophische Grundlagen ökonomischen Handelns, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1990, S. 11. In den 1970er und 1980er Jahren plädierten einige Ökonomen wie G.S. Becker (1993) sowie McKenzie/Tullock (1978) ausdrücklich dafür, die Ökonomik als Wissenschaft von ihrem approach (dem Rationalitätsprinzip) her zu bestimmen.
EINFÜHRUNG
zen.3 Somit stellt das autonome Individuum eine unteilbare Analyseeinheit der Ökonomik dar. Es wählt zwischen Alternativen und trifft Entscheidungen nach rationalen Kriterien, völlig isoliert von den anderen Wirtschaftsteilnehmern in einem sozialen Vakuum. Die zentrale Rolle des methodologischen Individualismus für das Selbstverständnis der Ökonomik, die sich als Disziplin über ihre Methode definiert, ist einerseits ein geschichtliches Phänomen, andererseits ein intellektuelles Rätsel. Die Entstehung des methodologischen Individualismus ist auf die liberale Grundhaltung der Philosophie und der politischen Ökonomie in England im 18. Jahrhundert zurückzuführen, die ein freies und von Außenfaktoren unabhängig entscheidendes Individuum in das Zentrum des sozialen Universums stellte. Bezogen auf die Wirtschaft wurde das Prinzip des methodologischen Individualismus von den Vertretern der marginalistischen Schule (Jevons) sowie der Österreichischen Schule (ansatzweise noch von Menger und dann ausführlicher von Schumpeter) ausgearbeitet.4 Es kann theoriegeschichtlich nachvollzogen werden, wie in den oben angesprochenen Prozessen der Abkopplung der Ökonomik von anderen Humanwissenschaften »Fragen der Beziehungen zwischen Personen und Sachen sowie zwischen Personen [...] endgültig aus der ökonomischen Analyse ausgeklammert« wurden5. Gleichzeitig gilt die folgende Unterstellung: »Economic events never have social consequences and that social events never have economic implications«6. Dies ist vor dem Hintergrund der Tatsache verwunderlich, dass arbeitsteiliges Wirtschaften im Zentrum der früheren ökonomischen Analysen stand. Arbeitsteilung ist jedoch ohne soziale Interaktion nicht denkbar. Die Situation der individuellen Wahl wurde auch der Erklärung von makroökonomischen Phänomenen wie Markt oder Gleichgewicht zugrunde gelegt: Wenn alle wirtschaftlichen Akteure ihre Entscheidungen rational treffen, d.h., immer nach der subjektiven Einschätzung die beste Alternative auswählen, befindet sich die Wirtschaft in einem Zustand des Gleichgewichts. »Die homini oeconomicii werden als Mikro-
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Vgl. Rajeev Bhargava: Individualism in Social Science: Forms and Limits of a Methodology, Oxford: Clarendon Press 1992, S. 40. Vgl. ausführlich zur Entwicklung des methodologischen Individualismus Udehn (2001, 2002). Bernd Biervert,/Josef Wieland: »Der ethische Gehalt ökonomischer Kategorien – Beispiel: Der Nutzen«, in: Bernd Biervert/Michael Held (Hg.): Ökonomische Theorie und Ethik, Frankfurt/Main [u.a.] 1987: Campus, S. 43. Lester Thurow: Dangerous Currents, New York 1983: Random House, zitiert nach Zelizer 1988, S. 615. 11
SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
gleichgewichtssysteme konstruiert.«7 Die lokalen (individuellen) Optima werden zu einem globalen Gleichgewicht aggregiert, einem stabilen Zustand, in dem keiner der Akteure sich veranlasst sieht, irgendetwas zu verändern. In der so genannten Standardökonomik, die in dem Lehrbuch von Paul Samuelson »Economics« (1948) ihren Höhepunkt gefunden hat, erreicht jede Wirtschaft früher oder später einen Gleichgewichtszustand, da unterstellt wird, dass Akteure immer imstande sind, eine vollständig überschaubare und widerspruchsfreie Präferenzordnung zu bilden sowie die hierzu passende beste Alternative zu wählen. Sie kennen ihre Bedürfnisse und Präferenzen genauso wie sie die zur Befriedigung der Bedürfnisse notwendigen Güter kennen, so dass sie tatsächlich ex ante entscheiden können, welche Handlung den größten Nutzen stiftet. Anstatt das menschliche Handeln zu untersuchen, das im Bereich des Ökonomischen abläuft, unterstellt die Ökonomik »eine apriorische Theorie des menschlichen Handelns, gewissermaßen eine Logik des Handelns und der Tat«8. Das Handeln wird für einen bestimmten Typ von Individuum unterstellt: Der homo oeconomicus ist autonom, egoistisch, rational und voll informiert. Es spielt keine Rolle, wie ein Mensch tatsächlich Alternativen abwägt und wie er den eigenen Nutzen definiert: Entscheidend ist, dass er seine Wahl nach einer bestimmten Logik trifft. Das Streben nach der optimalen Befriedigung der Bedürfnisse wird von der Wirtschaftstheorie als ein allgemeines »naturwissenschaftliches« Gesetz, als ein objektives Prinzip des Wirtschaftslebens dargestellt. Die Gültigkeit des Rationalitätsprinzips erlaubt der Ökonomik, so wird argumentiert, kausale Erklärungen des wirtschaftlichen Geschehens zu liefern sowie die wirtschaftlichen Daten zu prognostizieren. Léon Walras trieb die Formalisierung der Ökonomik so weit, dass ihr Gegenstandbereich so behandelt werden konnte, »als ob es sich um bloße Güterströme, Tauschmechanismen, Preisbewegungen und so weiter handele, denen gleichsam ein eigenständiges Leben ohne menschlichen Akteur eignet. [...] Das ist dann bis heute auch die Sicht der Dinge für die Neoklassik geblieben, und dies folgt mit Notwendigkeit aus der gewählten Forschungsmethode.«9
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Birger P. Priddat: Theoriegeschichte der Wirtschaft, München: Fink 2002, S. 183. Hans Albert: Marktsoziologie und Entscheidungslogik: zur Kritik der reinen Ökonomik, Tübingen: Mohr 1998, S. 9. B. Biervert/J. Wieland: Gegenstandsbereich und Rationalitätsform, S. 15.
EINFÜHRUNG
Die mathematische Modellbildung wird als zentrales Instrument benutzt. Die Ökonomik in ihrer neoklassischen Standardausprägung wird als eine ausschließlich materiell-technische Wissenschaft betrieben. Dies erklärt, aus welchen Gründen die Ökonomik den Sinnbegriff für ihre Zwecke nicht benötigt: Das Handeln im Wirtschaftsbereich ist auch ohne die Untersuchung der Sinnstiftungsprozesse verständlich; die ökonomische »Logik des Entscheidens«, so die Vertreter der Standardökonomik, beschreibt das wirtschaftliche Handeln vollständig. Gleichzeitig impliziert diese Beschreibung wesentliche Vereinfachungen. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Stimmen gemehrt, die hinterfragen, ob diese Vereinfachungen noch zulässig und tolerierbar sind. Der Standardökonomik wird vor allem Realitätsferne vorgeworfen: Obwohl eingesehen wird, dass jede Theorie »specified ignorance« betreibt, darf sie – und dies ist prinzipiell wichtig – bei ihrer Modellierung der Realität ergebnisrelevante Sachverhalte nicht ausschließen und die Abbildung der Realität nicht verzerren. Sonst entsteht eine Wissenschaft, die in sich zwar konsistent ist, aber keinen Bezug zur Realität hat. So sind die Wirtschaftswissenschaften mit dem Vorwurf konfrontiert worden, dass sie mit unrealistischen Annahmen über die Präferenzen, über das menschliche Verhalten etc. für die Praxis irrelevante Aussagen produzieren. Milton Friedman (1964) wies diese Vorwürfe an die Ökonomik zurück und behauptete, dass eine erfolgreiche ökonomische Forschung keinen realistischen Annahmekomplex benötigt, dass es völlig legitim sei, vereinfachende theoretische Konstrukte (wie zum Beispiel den homo oeconomicus) zu benutzen oder unrealistische Annahmen zu treffen, wenn »die Theorie funktioniert«, d.h., exakte Prognosen liefert.10 Prognosen, ihre Erfüllung bzw. Nichterfüllung, sind die einzigen, aber zentralen Berührungspunkte einer Wirtschaftstheorie mit der Realität. Friedman betonte erneut, dass die Ökonomik sich nicht zur Aufgabe machen soll, menschliches Verhalten korrekt zu erklären, sondern typische Verhaltensweisen bestimmter Gruppen von Menschen (z.B. Konsumenten, Firmen) in bestimmten Situationen vorherzusagen und Möglichkeiten der Beeinflussung durch die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu untersuchen. Welche Motive die wirtschaftenden Menschen tatsächlich bewegen und antreiben, darüber braucht der Ökonom genauso wenig Vermutungen anzustellen wie ein Physiker über die Ursachen des Verhaltens der Atome und Moleküle.11 10 Vgl. Milton Friedman: »The Methodology of Positive Economics«, in: ders., Essays in Positive Economics, 4. Aufl., Chicago: University of Chicago Press 1964, S. 15. 11 Vgl. ebd., S. 16ff., insbesondere 21ff. 13
SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
Diese Aussagen wären ohne weiteres zu akzeptieren, wenn Ökonomik in der Tat ihre Ziele, unter anderem die Lieferung praxisrelevanter Vorhersagen, erfüllen könnte. Empirische Untersuchungen zeigen aber, dass die Modellbildung der Ökonomik die wirtschaftliche Realität doch zu stark vereinfacht, so dass irrelevante und verfälschte Resultate produziert werden.12 Eine der zentralen Vereinfachungen, welche die Ergebnisse der ökonomischen Modelle unzulässig verzerrt, ist die Vernachlässigung der Tatsache, dass wirtschaftliches Handeln soziales Handeln ist. Für das Erklären des Wirtschaftens haben der methodologische Individualismus sowie die Kategorien des traditionellen ökonomischen Theorieapparats wie »isolierte Entscheidung«, »Gleichgewicht« oder »autonomes Subjekt« eine begrenzte Erklärungskraft, worauf eine umfangreiche Kritik hingewiesen hat. In dem Werk von Jens Beckert »Grenzen des Marktes: die sozialen Grundlagen wirtschaftlicher Effizienz« (1997) finden sich einige einschlägige Beispiele für ein Versagen der Rational-choice-Theorie. Er wies auf das Kooperationsproblem hin: Aus der Verfolgung der eigennützigen Interessen ist das kooperative Verhalten (Erfüllung von Verträgen, Vertrauen etc.), das bei Tausch und arbeitsteiliger Produktion von zentraler Bedeutung ist, nicht zu erklären, denn es kann gezeigt werden, dass eine individuelle rationale Handlung die Erreichung eines effizienten Resultats oft verhindert. In den Situationen mit Ungewissheit, die eigentlich das wirtschaftliche Handeln dominieren, kann überhaupt nicht rational gehandelt werden, da den Handlungen keine Folgen zugeordnet werden können. Dies ist insbesondere im Bereich der Innovationen der Fall: Der Nutzen und die Kosten von grundlegend neuen Produkten lassen sich bei ihrer Entwicklung und selbst bei ihrer Markteinführung auch nicht ansatzweise abschätzen: Die Theorie der rationalen Wahl lässt sich nicht anwenden. Die Ökonomen sind mit Sachverhalten konfrontiert, die sie mit ihrem traditionellen Kategorieapparat und ihrer Methode nicht erklären können. Ihr Umgang mit den theoretisch nicht fassbaren Phänomenen bestand traditionell in der Eliminierung 12 Das nachhaltige Fehlschlagen der Prognosen der professionellen Ökonomen ist ein geeignetes Beispiel, um die empirische Valenz der bestehenden ökonomischen Modelle in Frage zu stellen. Zahlreiche Studien belegen, dass die Vorhersagen für die Entwicklung der Inflation, der Zinsen, der Aktienindizes und der Gewinnentwicklungen der Unternehmen stark von den tatsächlich realisierten Werten abweichen (vgl. zum Beispiel James Montier: Behavioural Investing: A Practitioner’s Guide to Applying Behavioural Finance, Chichester: Wiley&Sons 2007, S. 99 ff.) Siehe auch Birger P. Priddat: »Rational Choice, Hermeneutik und Systemtheorie: ein Beitrag zur Subjektivierung des Akteurs auf Null«, in: Sociologia Internationalis 33 (1995), S. 129, Fußnote 3. 14
EINFÜHRUNG
dieser Phänomene aus dem Theoriedesign durch das Treffen von entsprechenden Annahmen. So wurde der Schlüsselrolle der Innovationen für den Wirtschaftsprozess in den ökonomischen Theorien lange keine Rechnung getragen. Seit den 1980er Jahren mehren sich die Stimmen aus verschiedenen Bereichen der Wirtschaftswissenschaften, die ihre Unzufriedenheit mit dem mechanistischen Selbstverständnis der Ökonomik und ihrer Vorgehensweise zum Ausdruck bringen. Neben den Versuchen, sich dem realistischeren Menschenbild eines Wirtschaftsakteurs zu nähern – unter anderem durch die Kooperation mit Psychologen sowie durch umfangreiche empirische Forschungen13 – wurden neuere Theorieansätze entwickelt, die die Ökonomik in ihrer Autonomie, in ihrer strikt formalen Form sowie ihre Methode grundsätzlich in Frage stellen. Die neuen theoretischen Stimmen fordern eine Wiederanknüpfung der Wirtschaftstheorie an die praktische Lebenswelt und die Ethik und plädieren für den Übergang zu dem Paradigma der praktischen Sozialökonomie (Peter Ulrich, 1993, 2001) oder einer Sozioökonomik (Amitai Etzioni, 1988). Mark Granovetter (1985) postulierte in seinem programmatischen Artikel »Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness« die Berücksichtigung der sozialen Einbettung jeder ökonomischen Aktion und begründete damit den Forschungszweig Neue Wirtschaftssoziologie. Karl Homann (zusammen mit Suchanek, 2000) wies auf die Tatsache hin, dass die Wirtschaftsakteure ihre Handlungen stets aufeinander abstimmen, und schlug vor, Ökonomik vorwiegend als Interaktionsökonomik zu verstehen. Der Neue Institutionalismus hat Vertrags- und Eigentumsbeziehungen sowie Institutionen als gesellschaftlichen Rahmen für diese Wirtschaftsbeziehungen in das Zentrum der Analyse gerückt (North 1990, Denzau/North 1994; Williamson 1985, 1996). Im Rahmen dieser Entwicklungen wurde auf die Relevanz der soziologischen Faktoren und Zusammenhänge hingewiesen, die jenseits des ökonomischen Kernmodells bleiben. Es geht vor allem um die Interdependenzen zwischen den Akteuren, die sich in einem ethischen, normativen oder institutionellen Bereich konstituieren und das wirtschaftliche Handeln beeinflussen. 13 Vgl. zum Beispiel Rolf Haubl/Walter Molt/Gabriele Weidenfeller/Peter Wimmer: Struktur und Dynamik der Person: Einführung in die Persönlichkeitspsychologie, Opladen: Westdeutscher Verlag 1996, Kap. 4 sowie Daniel Kahnemann/Amos Tverski: »Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk«, in: Econometrica 47(1979), S. 263-291; dies.: »The Psychology of Preferences«, in: Scientific American 146 (1982), S. 160173 und Reinhard Tietz/Wulf Albers (Hg.): Bounded Rational Behavior in Experimental Games and Markets: Proceedings, Berlin [u.a.]: Springer 1988. 15
SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
Gleichzeitig wurde Unzufriedenheit über die Vernachlässigung von kulturellen Faktoren in der Ökonomik geäußert: Präferenzen und damit die Konsumnachfrage, Kostenstrukturen der Unternehmen, wirtschaftliche Organisationen sowie die Verteilung der Güter können ohne eine kulturelle Einbettung nicht hinreichend verstanden werden. Die Oldenburger »FUGO - Forschungsgruppe Unternehmen und gesellschaftliche Organisation« mit ihrer Untersuchung »Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Theorie der Unternehmung« (2004) sowie die Freiburger Reihe »Kulturelle Ökonomik« (Blümle, 2004) setzten sich für die Wiederentdeckung der Kultur als einer wichtigen Determinante der ökonomischen Prozesse ein: Die kulturelle Dimension wirtschaftlichen Handelns soll nicht länger vernachlässigt werden. Die Überlegungen aus der Institutionsökonomik (Denzau/North, 1994) sowie aus der Evolutionsökonomie (Hermann-Pillath, 2002; Dopfer, 1992; 2004) rückten die Frage nach dem sozialen und kulturellen Wandel in den Fokus. Auch Autoren wie DiMaggio (1997), Zelizer (1988, 1994) und Dobbin (1995) untersuchten als Vertreter der kulturellen Soziologie Institutionen und wirtschaftliches Handeln in dem breiteren Kontext der Traditionen, Überzeugungen und Ideologien, d.h. als kulturell eingebettet. Diesen neueren Forschungsansätzen ist die Einsicht gemeinsam, dass Wirtschaft ein Teil des Sozial- und Kulturlebens ist und demnach die wirtschaftlichen Phänomene genuin soziale und kulturelle Phänomene sind. Ökonomik darf nicht mehr als eine isolierte, in sich geschlossene mathematische Wissenschaft betrieben werden. Es ist ein Paradigmenwechsel in den Wirtschaftswissenschaften gefordert. Dieser Paradigmenwechsel hat allerdings bis jetzt nicht stattgefunden, weil – und das ist der Grundwiderspruch in der modernen Ökonomik – die meisten Wirtschaftstheoretiker auf keinen Fall auf die vorherrschende Methode, eben den methodologischen Individualismus, verzichten wollen. Obwohl sie die Mängel dieses Ansatzes durchaus erkennen, versuchen sie eher ihre Erkenntnisse in das bestehende Theoriegerüst »hineinzupressen« als nach alternativen Ansätzen zu suchen. Damit wollen sie auf einer akzeptierten theoretischen Basis bleiben und die Vorteile der traditionellen Methode nutzen.14 Als wichtigste Vorteile werden die Quantifizierbarkeit und die Formalisierbarkeit der ökonomisch relevanten Faktoren und die daraus resultierende Eindeutigkeit der Aussagen und Prognosen der Wirtschaftstheorie gepriesen. Diese Wirtschaftswissenschaftler vertreten die Auffassung, dass die Ökonomik
14 Vgl. z.B. Stefan Voigt: »Neue Institutionsökonomik als kulturelle Ökonomik«, in: Gerold Blümle (Hg.): Perspektiven einer kulturellen Ökonomik, Münster: LIT 2004, S. 411. 16
EINFÜHRUNG
es sich nicht erlauben könne, auf Eindeutigkeit zu verzichten. Jede Mehrdeutigkeit, die mit der Einbeziehung des Sozialen und der Kultur verbunden ist, würde die Maximierungsmodelle »wegen unhantierbarer Komplexität«15 überfordern. Daher kommt es sogar in neuesten Forschungsprogrammen zu der Forderung, die traditionelle ökonomische Methode unantastbar zu lassen: »Neoklassik erwartet kaum Impulse für die Reformierung ihrer Grundlagen, sondern neue Anwendungsmöglichkeiten für akzeptierte Modelle«.16 Damit dreht sich die Diskussion im Kreis: Einerseits besteht man auf der Beibehaltung der methodologischen Ansätze, andererseits wird deren Unzulänglichkeit bemängelt.
Fragestellung und Aufbau der Arbeit Wenn man allerdings davon ausgeht, dass der Mittelpunkt der ökonomischen Forschung sich von den technischen Effizienzproblemen zu den sozialen und kulturellen Fragen verschieben soll, muss die »unhantierbare Komplexität« in Kauf genommen werden. Sie stellt die zentrale Herausforderung für eine ökonomische Theorie dar, die nicht von einem isolierten Individuum, sondern von den sozialen Beziehungen ausgeht. Diese Komplexität wird dadurch bedingt, dass eine Interdependenz der Akteure im Sozialen eine unauslöschbare Quelle der Ungewissheit darstellt und damit die Erklärungskraft des Rational-choice-Ansatzes für viele wirtschaftliche Handlungen außer Kraft setzt. In den Situationen der so genannten »doppelten Kontingenz« besitzen Akteure prinzipiell kein Wissen über die Folgen ihres Handelns: Ein Mitakteur kann immer auch anders handeln. Diese Ungewissheit kann nicht ohne weiteres in eine Situation mit Risiko transformiert werden, in der den Handlungsfolgen Eintrittswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können: Eine solche Transformation von Ungewissheit in Risiko durch die Beschaffung zusätzlicher Informationen war bis jetzt die Lösung, welche die Ökonomik für das Problem anbot. Die Unterstellung einer prinzipiellen Möglichkeit der Transformation der Ungewissheit in Risiko ist aber eine weitere starke Vereinfachung, die sich im Theoriedesign der Ökonomik wieder findet. Die Ungewissheit, die dem Wirtschaften – verstanden als soziales Handeln – immanent ist, unterliegt keinem rationalen Kalkül: Die unbekannten Ergebnisse der Entscheidungsprozesse lassen sich 15 Günther Ortmann: Als ob: Fiktionen und Organisationen, Wiesbaden: VS 2004, S. 61. 16 Kurt Dopfer: »Der evolutorische Kern einer kulturellen Ökonomik«, in: Gerold Blümle (Hg.): Perspektiven einer kulturellen Ökonomik, Münster: LIT 2004, S. 82. 17
SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
nicht optimieren. Das wirtschaftliche Handeln als soziales Handeln unter Knappheitsbedingungen erscheint vor diesem Hintergrund als ein komplexes Untersuchungsobjekt, das durch das Rationalitätsprinzip allein nicht mehr ohne weiteres erklärt und verständlich gemacht werden kann. Man befindet sich in einem Themenkomplex, der außerhalb der Reichweite vom Rational-choice-Ansatz liegt: Wie wird beim Wirtschaften, verstanden als soziales Handeln, mit Ungewissheit umgegangen? Wie ist das Handeln (Kooperation, Vertrauen und damit Tausch und Produktion) trotz dieser Ungewissheit möglich? Wie entscheidet man sich für eine Ware und wie verkauft man eine Ware, wenn eine rationale Wahl nicht getroffen werden kann? In der vorliegenden Arbeit wird die These aufgestellt, dass in ungewissen Situationen nicht der Nutzen maximiert, sondern Sinn gestiftet wird. Die Argumentation der Arbeit verläuft deswegen entlang der folgenden Linie: Wenn Wirtschaften soziales Handeln darstellt, soll Sinnstiftung zu dem zentralen Element des Wirtschaftens erklärt werden. Mit dieser Umstellung geraten einige Begriffe wie »das Soziale«, »doppelte Kontingenz« und natürlich »der Sinn« in den Fokus der Überlegungen über ein alternatives Verständnis des Wirtschaftens. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die vorliegende Arbeit sich nicht die Entwicklung einer formalen ökonomischen Theorie als Ziel setzt, sondern die Untersuchungen auf der Ebene einer Theorie des Ökonomischen durchführt. Diese Theorie des Ökonomischen kann auch Wirtschaftsphilosophie genannt werden, verstanden als »die Philosophie […], die die Sphäre der Wirtschaft zum Gegenstand hat«17, die eine Reflexion über inhaltliche und vor allem methodologische Fragen ermöglicht.18 Bis jetzt wurde versucht, diese Fragen in der Ökonomik – wenn überhaupt – innerhalb der formalen Theorie zu bearbeiten: Man hat sich überlegt, welche Axiome aufgegeben werden sollen, wie die Annahmen angepasst, d.h. »realistischer« gemacht werden können etc. Mit anderen Worten wurden für die Problemlösungen diejenigen Mittel benutzt, die diese Probleme eben verursachten. Dies konnte nicht funktionieren.19 17 Kurt Röttgers: »Wirtschaftsphilosophie – Die erweiterte Perspektive«, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik 5 (2004a), S. 118. 18 Vgl. B. Biervert/J. Wieland: Gegenstandsbereich und Rationalitätsform, S. 27ff. In dieser Arbeit geht es vor allem um die Reflexion über den Mainstream der Ökonomik, obwohl auf die neuesten Entwicklungen ökonomischer Teildisziplinen wie zum Beispiel Managementlehre, Organisationstheorie und Marketing Bezug genommen wird. 19 B. Biervert/J. Wieland: Gegenstandsbereich und Rationalitätsform: S. 27ff. Siehe auch Viviana A. Zelizer: »Beyond the Polemic of the Market: Establishing a Theoretical and Empirical Agenda«, in: Sociological Forum 18
EINFÜHRUNG
Das Instrumentarium anderer Geisteswissenschaften wurde, wenn überhaupt, so angewandt, dass die Ökonomik, ausgehend von dem eigenen Selbstverständnis, bestimmte, was benutzt werden darf. So schrieb Visker (1988) in Bezug auf die Philosophie: »The place of a philosophy of economics is the one indicated by the conjunction in ›philosophy and economics‹. This philosophy seems to be bound to a place prescribed for it by the self-comprehension of economics.« Anschließend fragte der Autor: »But what, if philosophy should refuse this prescription, refusing to engage in a conjunctional relationship because it knows of older bonds?«20 Die vorliegende Arbeit soll genau diese Frage beantworten, indem sie auf den Kategorieapparat der Philosophie, insbesondere der Sozialphilosophie, zugreift, um eine Theorie des Ökonomischen zu formulieren, die nicht auf den Grundannahmen und den Grundbegriffen der traditionellen Ökonomik basiert, sondern sie hinterfragt. Es geht um eine Theorie des Ökonomischen, die versucht, inhaltliche und methodologische Probleme der Wirtschaftswissenschaften gemäß dem State of the art der modernen Philosophie und Sozialwissenschaft zu bearbeiten sowie über das Selbstverständnis der Ökonomik zu reflektieren. In dieser Arbeit wird überprüft, ob der Begriff Sinn als Grundbegriff des Sozialen und der Kultur einen Beitrag zur Theorie des Ökonomischen leisten, ob er eine Annäherung an den bis jetzt in der Ökonomie weitgehend vernachlässigten Themenkomplex »soziales Handeln unter Ungewissheit« fördern kann. Dabei ist zentral zu analysieren, wie die Einführung des Sinnbegriffs in den ökonomischen Untersuchungsbereich zur Erhöhung des methodologischen Reflexionsniveaus in der Ökonomie beiträgt. Es mag an dieser Stelle die Frage aufgeworfen werden: »Warum der Sinnbegriff?« Diese Frage ist berechtigt, weil Sinn einen eigentümlichen Zwitterstatus besitzt: Er wird zum Beispiel als »Grundbegriff der Soziologie«21 gepriesen, bleibt aber faktisch ohne große Bedeutung22, da
3 (1988), S. 614-634. Es geht vor allem, wie Wiesenthal es formulierte, um »eine zunehmend interdisziplinäre Anwendung und Verfeinerung des Begriffsinstrumentariums […], während theoretische Innovationen nur noch selten auftreten« (Helmut Wiesenthal »Rational Choice: Ein Überblick über Grundlinien, Theoriefelder und neuere Themenakquisition eines sozialwissenschaftlichen Paradigmas«, in: Zeitschrift für Soziologie 16/6 (1987), S. 440). 20 Rudi Visker: »Marshallian Ethics and Economics: Deconstructing the Authority of Science«, in: Philosophy of the Social Sciences 18 (1988), S. 185. 21 Jürgen Habermas/Niklas Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1971, S. 171. 19
SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
trotz zahlreicher Bemühungen in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen kein klares Verständnis besteht, was mit Sinn gemeint ist. Es existiert keine eindeutige Definition. »Phänomenologie und Hermeneutik, verstehende Soziologie, strukturale, sprachphilosophische, semiotische oder kommunikationstheoretische Zugriffe, praxis- und systemtheoretische Konzepte konstruieren in unterschiedlicher Weise das Problemfeld Sinn, ohne es erschöpfend beschreiben zu können.«23 Sinn kann ganz unterschiedliche Zusammenhänge und Sachverhalte bezeichnen. Wie geht man angesichts dieser Vielzahl der Definitionen vor? Vor allem stellt sich die Frage: Wie macht man diesen Begriff operationalisierbar? Der einfachste Weg wäre, sich für eine bestimmte Definition zu entscheiden. Man läuft aber dabei Gefahr, den Sinnbegriff zu stark einzuengen. Es wäre auch möglich, mehrere Sinnbegriffe in einen zu synthetisieren und dann mit einem konsensualen Begriff zu arbeiten. Es ist aber bis jetzt nicht gelungen, auf diesem Weg einen aussagefähigen Sinnbegriff zu generieren. Schülein vermutete, dass dies »an der Vielschichtigkeit des Problemzusammenhangs« liegt und es besser ist, »den Dissens stehen zu lassen«.24 In dieser Arbeit wird ein anderer Weg gewählt. Es werden einige bis jetzt ausgearbeitete Sinnkonzepte vorgestellt. Die Kategorie »Sinn« wird dadurch arbeitsfähig gemacht, indem gefragt wird, was sich für unser Wissenssystem, d.h. in dem untersuchten Fall für die Theorie des Ökonomischen ändert, wenn wir diese Kategorie in ihren bestimmten Ausprägungen dort zulassen.25 Es wird untersucht, inwieweit die Einführung des Begriffs die Lösung der angesprochenen theoretischen Probleme ermöglicht. Es wird gezeigt, dass die Art, wie Sinn aufgefasst werden kann und wie Sinn konstituiert wird, sich im Lauf der sozial- und kulturtheoretischen Beschäftigung verändert hat und dass diese Veränderung den Weg vorzeichnet, wie Subjektzentrierung und Individualismus theoretisch überwunden werden und dadurch eine alternative Annäherung an das Erklären der sozialen Phänomene ermöglicht wird. Das Verständnis des Sinnbegriffs entwickelte sich von einem individuell produzierten Sinn zu den Sinnmustern, die keine subjektive sinnstiftende Leistung in den Mittelpunkt stellen. 22 Vgl. Johann Schülein: »Zur Konzeptualisierung des Sinnbegriffs«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie 34 (1982), S. 652ff. 23 Dirk Rustemeyer: Sinnformen: Konstellationen von Sinn, Subjekt, Zeit und Moral, Hamburg: Meiner 2001, S. 110. 24 Schülein: Zur Konzeptualisierung, S. 653. 25 Vgl. Kurt Röttgers: (2004b), »Die Kosten der Einheit«, in: http://www.phil-inst.hu/highlights/pecs_kant/Kosten_der_Einheit.pdf. 20
EINFÜHRUNG
Konkret werden im ersten Teil dieser Arbeit die subjektiv geprägten Sinntheorien von Max Weber, von Alfred Schütz und von den Hermeneutikern vorgestellt. Es soll der Widerspruch zwischen der Subjektivität und der sozialen Natur des Sinns aufgedeckt werden. Danach werden die bis jetzt durchgeführten Versuche analysiert, Sinn als subjektiven Sinn in die Wirtschaftstheorie einzubringen (Sinn als Zweck-Mittel-Relation und Sinn als Intention), die aber in der Aporie zwischen der Individualität und Sozialität stecken bleiben. Subjektive Sinnkonzepte, d.h. die von dem in einem isolierten Bewusstsein produzierten Sinn ausgehenden Konzepte, stoßen an Grenzen, wenn es um das Erklären des Sozialen geht. Deswegen ermöglichen sie keine effektive Lösung für die oben aufgestellten Probleme der Ökonomik. Anschließend werden Sinnkonzepte von Niklas Luhmann sowie die poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Sinnansätze dargestellt. Es werden in ihnen die Zugänge zu dem Sozialen gesucht. Außerdem wird überprüft, ob sie eine Alternative zum methodologischen Individualismus eröffnen und inwieweit sie das Verständnis der Ungewissheit und des Neuen erweitern können. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden anschließend auf eine breitere Basis der Sozialphilosophie gestellt, um ein für die Theorie des Ökonomischen tragfähiges Konzept des Sozialen und der Ungewissheit zu formulieren. Die Hinwendung zu der Sozialphilosophie ist dadurch begründet, dass die Wirtschaftsphilosophie als Teil der Sozialphilosophie angesehen wird. Es handelt sich dabei nicht um die Errichtung von Brücken zwischen Ökonomie und Philosophie bzw. Soziologie, sondern um das Eruieren der Möglichkeiten des ökonomischen Theoretisierens von einem prinzipiell anderen Ausgangspunkt. Luhmann schrieb: »Theorien sind zumeist nicht in der Lage, die Begriffsentscheidungen, mit denen sie beginnen, nachträglich zu korrigieren. Die Folgelasten einer Anfangsdisposition mögen abgeschwächt oder retouchiert werden. Sie mögen bedeutende Innovationen oder sogar ›wissenschaftliche Revolutionen‹ im Sinne Thomas Kuhns auslösen. Aber es kann auch sein, dass die ganze Bemühung schlicht unnötig wird und als intellektuelle Fehlinvestition abgeräumt werden kann, wenn es gelingt, den Theoriebereich von anderen Ausgangsentscheidungen her neu zu ordnen.«26
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht nicht darin, die Ökonomik als Wissenschaft »abzuschreiben«, sondern eben die grundlegenden »Begriffsentscheidungen« der Ökonomik (»Subjekt«, »Gleichgewicht«, 26 Niklas Luhmann: »Intersubjektivität oder Kommunikation«, in: Archivio di filosofia 54 (1986), S. 41. 21
SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
»Entscheidung«) zu überprüfen und alternative theoretische Ausgangspositionen vorzuschlagen und zu diskutieren, die sich durch die Auseinandersetzung mit Sinnbegriff öffnen: Als Alternative zu einem autonomen Individuum wird eine sozialphilosophische Kategorie der Beziehungsbeziehung gesehen. Der Ausgangspunkt des Denkens im Rahmen der Theorie des Ökonomischen verschiebt sich damit von einer Substanz (Subjekt) zu einer Relation (Beziehungsbeziehung). Anstatt des methodologischen Individualismus wird der methodologische Relationismus als Vorgehensweise vorgeschlagen. Es werden die Vorteile und Perspektiven dieses relationistischen Denkens am Beispiel der für die traditionelle Ökonomie schwierigen Begriffe wie »Innovation«, »Markt« und »Konsum« diskutiert. Auch die zentralen ökonomischen Kategorien »Gleichgewicht« und »Wandel« werden kritisch hinterfragt und von der alternativen Perspektive besprochen. Zum Schluss wird ein Verständnis des Wirtschaftens und der Ökonomik diskutiert, das von dem allgemein anerkannten abweicht. Hiermit werden die Weichen einer Theorie des Ökonomischen gestellt, die eventuell als Basis für die Ausarbeitung einer formalen alternativen Wirtschaftswissenschaft dienen könnte.
22
Teil I: Die subjektiven Sinnkonzepte Der »subjektiv gemeinte Sinn« bei Max Weber Max Weber brachte Handeln mit Sinn in Verbindung. Er definierte Handeln als ein Verhalten, mit dem die Handelnden einen subjektiven Sinn verbinden.1 Für die Erklärung des Handelns ist es deshalb zentral, den subjektiv gemeinten Sinn zu rekonstruieren. Dies erfolgt durch die Rekonstruktion eines Handlungstypus. Die Kausaladäquanz, eine aus der Erfahrung abgeleitete hohe Wahrscheinlichkeit des gleichen Ablaufens der Vorgänge, die in den Wissenschaften ausreichend für das Erklären war, muss dort, wo es um das menschliche Handeln geht, durch die Sinnadäquanz ergänzt werden, also durch die Rekonstruktion eines typischen Sinnzusammenhangs.2 Sinnhaftes Handeln ist verständlich, weil es typisch ist. Weber distanzierte sich davon, dass Sinn als objektiv richtig oder als metaphysisch wahr verstanden wird. Für ihn ist Sinn »entweder a) der tatsächlich Į. in einem historisch gegebenen Fall von einem Handelnden oder ȕ. durchschnittlich und annähernd in einer gegebenen Masse von Fällen von den Handelnden oder b) in einem begrifflich konstruierten reinen Typus von dem oder den als Typus gedachten Handelnden subjektiv gemeinte Sinn«.3
Idealtypische Konstruktionen werden zum zentralen Instrumentarium der verstehenden Soziologie. Konkrete Handlungen werden einem Ide1 2 3
Vgl. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen: Mohr 1972, S. 1. Vgl. ebd., S. 5. Ebd., S. 1. 23
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
altypus zugeordnet, indem die Motive4 als typisch erfasst werden. Idealtypen sollen möglichst eindeutig gebildet werden und sind in folgende Kategorien aufzuteilen: »Jedes Handeln kann bestimmt sein: 1. zweckrational: durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Außenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser Erwartungen als ›Bedingungen‹ oder als ›Mittel‹ für rational, als Erfolg erstrebte und abgewogene eigene Zwecke, - 2. wertrational: durch bewussten Glauben an den – ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden – unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg, - 3. affektuell, insbesondere emotional: durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen, - 4. traditional: durch eingelebte Gewohnheit.«5
Bei seinen Untersuchungen des »subjektiv gemeinten« Sinns konzentrierte sich Weber auf das zweckrationale Handeln. Dies hängt damit zusammen, dass das Untersuchungsinteresse von Weber methodologisch geprägt war. »Ihm geht es um die Frage, auf welche Weise der subjektive Sinn, den ein Akteur mit seinem Verhalten verbindet und der definiert, welche Handlung er zu vollziehen beabsichtigte, vom wissenschaftlichen Beobachter verstanden werden kann.«6 Der zweckrationale Handlungstyp besitzt »das Höchstmaß an Evidenz«7. Er lässt einen Soziologen den »subjektiv gemeinten« Sinn am genauesten rekonstruieren und das Handeln vollständig nachvollziehen. »Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt: also jedenfalls weder affektuell (und insbesondere nicht emotional), noch traditional handelt.«8
Aufgrund dieser Definition lässt sich der »subjektiv gemeinte Sinn« vor allem als Zweck verstehen, der in Relation zu den angewandten Mitteln gesetzt wird. »Sinn« nach Weber lässt sich also als ein Zweck-Mittel4
5 6
7 8 24
»›Motiv‹ heißt ein Sinnzusammenhang, welcher dem Handelnden selbst oder dem Beobachtenden als sinnhafter Grund eines Verhaltens erscheint.« (ebd., S. 5) Ebd, S. 12. Wolfgang L. Schneider: Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1: Weber – Parsons – Mead – Schütz, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002, S. 234. Vgl. Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen: Mohr 1973, S. 428. M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 13.
DER »SUBJEKTIV GEMEINTE SINN« BEI MAX WEBER
Zusammenhang rekonstruieren. Die Handlungsabsichten können in der Rückschau (post-hoc) verstanden und aufgedeckt werden. So wird dem Handeln nachträglich ein Sinn gegeben. Zweckrationalität als idealtypische Konstruktion bleibt aber nur eine Hypothese9. Weber verwies auf die Diskrepanz zwischen den idealtypischen Konstruktionen und der Realität: Die Idealtypen »stellen dar, wie ein bestimmt geartetes, menschliches Handeln ablaufen würde, wenn es streng zweckrational, durch Irrtum und Affekte ungestört, und wenn es ferner ganz eindeutig nur an einem Zweck (Wirtschaft) orientiert wäre.«10 Idealtypisierungen helfen den »subjektiv gemeinten Sinn« unter der Annahme zu rekonstruieren, dass menschliches Handeln rational verläuft. Weber setzte aber fort: »Das reale Handeln verläuft nur in seltenen Fällen (Börse) und auch dann nur annäherungsweise so, wie im Idealtypus konstruiert.«11 Er realisierte, dass eine reine Zweckorientierung durch Vorurteile, Denkfehler und Irrtümer über Tatsachen sowie über Stimmungen und Affekte verzerrt werden kann. Sie kann auch dem Handelnden, wie beim traditionalen Handeln, unbewusst bleiben.12 Nach Weber lässt sich aber dieser harte zweckrationale Kern jeder Handlung und damit der »subjektiv gemeinte Sinn« von dem Einfluss der empirischen verzerrenden Faktoren befreien und auf diesem Weg rekonstruieren. Wichtig ist darauf hinzuweisen, dass Weber von der Existenz dieses zweckrationalen Kernes des Handelns ausging. Er setzte Sinn als schon vorhanden voraus; ihn gilt es im Laufe der zweckrationalen Rekonstruktion aufzudecken. »Nach Sinn wird so gefragt, dass allein Sinnvolles wirklich in Betracht kommen kann.«13 Post-hoc kann immer ein Zweck rekonstruiert und damit eine Handlung sinnvoll interpretiert werden. Weber beschäftigte sich nicht explizit mit der Frage der Genese der Zwecke und Motive und damit des »subjektiv gemeinten Sinns«. Das Soziale ist für die Sinnbildung nach Weber nicht konstitutiv. Deswegen kann das konstruierte Prinzip monologischer Sinnbildung als vorsozial bezeichnet werden: In soziale Beziehungen treten Individuen, 9
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13
Hartmut Esser: »Die Konstitution des Sinns«, in: Anne Honer/Ronald Kurt/Jo Reichertz, (Hg.), Diesseitsreligion: Zur Deutung der Bedeutung moderner Kultur, Konstanz: UVK 1999, S. 136. M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 4. Ebd., S. 4. Vgl. Rainer Greshoff: Die theoretischen Konzeptionen des Sozialen von Max Weber und Niklas Luhmann im Vergleich, Opladen: Westdeutscher Verlag 1999, S. 185. Gerhard Sauter: Was heißt: nach Sinn fragen? München: Kaiser 1982, S. 46. 25
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
von denen jeder über einen »subjektiv gemeinten Sinn« verfügt. Dieser Sinn ist schon irgendwie da und bleibt von dem Geschehen im Sozialen unbeeinflusst. Weber führte ausdrücklich das Einzelindividuum und sein Handeln als Grundeinheit der Analyse des Sozialen ein: »Das Ziel der Betrachtung: ›Verstehen‹ ist schließlich auch der Grund, weshalb die verstehende Soziologie […] das Einzelindividuum und sein Handeln als unterste Einheit […] behandelt.«14 Weber ging davon aus, dass nur das Handeln des Einzelnen verstehbar ist, weil sich der Sinngehalt dieses Handelns rekonstruieren lässt. Das Verstehen einer individuellen Handlung öffnet nach Weber den Zugang zu den sozialen Phänomenen durch die Rekonstruktion des »subjektiv gemeinten« Sinns. Die Reduktion der komplexen Erscheinungen der Sozialwelt auf das Verhalten und Handeln Einzelner vollzog Weber radikal wie auch die Ökonomik der Jahrhundertswende. So schrieb Schütz über die Webersche Soziologie: »Nur in der Deutung des individuellen Handelns gewinnt die Sozialwissenschaft Zugang zur Deutung jener sozialen Beziehungen und Gebilde, die sich in dem Handeln der einzelnen Akteure der sozialen Welt konstituieren.«15 Wie genau erfolgt dieser Zugang und welche Rolle spielt dabei der subjektive Sinn? Um das Webersche Verständnis des Sozialen zu analysieren, muss man sich den von ihm eingeführten Begriffen des »sozialen Handelns« und der »sozialen Beziehung« widmen. »›Soziales‹ Handeln […] soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.«16 »Soziale Beziehung« definierte Weber als ein »seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer.«17 (Es geht um mindestens zwei Individuen). Das Webersche Verständnis der einzelnen Komponenten dieser Definitionen – die gegenseitige Bezogenheit, Einstellung und Orientierung – soll im Folgenden präzisiert werden. Im Fall von zwei am sozialen Handeln Beteiligten verbinden beide mit ihrem Handeln einen »subjektiv gemeinten Sinn«: Die Sinngehalte müssen nicht identisch sein, dies ist nicht die Voraussetzung für das gegenseitige Aufeinanderbeziehen. Beide Beteiligten beziehen sich aufeinander, weil »der Handelnde vom Partner (vielleicht ganz oder teilweise irrigerweise) eine bestimmte Einstellung dieses letzteren ihm (dem Han14 M. Weber: Gesammelte Aufsätze, S. 439. 15 Alfred Schütz: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1974, S. 13ff. 16 M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 1. 17 Ebd., S. 13. 26
DER »SUBJEKTIV GEMEINTE SINN« BEI MAX WEBER
delnden) gegenüber voraussetzt und an diesen Erwartungen sein eigenes Handeln orientiert.«18 Dabei ist es nicht wichtig, ob die Einstellung von Alter gegenüber dem erwartenden Ego tatsächlich vorliegt oder stimmt. Zentral ist für das Webersche Konzept der sozialen Beziehung, dass eine einseitige Erwartung der Einstellung des Handelnden dem Anderen gegenüber vorhanden ist und als Orientierung für sein Handeln dient. Es geht um Einstellungserwartungen, deren Aufbau deswegen immer möglich ist: Eine einseitige Erwartung kann immer aufgebaut werden, weil sie unabhängig davon ist, was der Andere tatsächlich annimmt und tut. In seiner Kritik an dem Sinnkonzept von Weber wies Schütz (1974) darauf hin, dass Weber sich damit begnügt hat, »die sinnhaften Phänomene der sozialen Welt naiv als intersubjektiv konform vorauszusetzen, und zwar in eben der Weise, in welcher wir im täglichen Leben naiv mit der Vorgegebenheit einer homogenen und unserer Auffassung konformen Außenwelt rechnen«19. Mit anderen Worten setzte Weber voraus, dass eine Orientierung an den Anderen immer möglich ist, er stellte sie nicht als ein unlösbares Problem dar. Greshoff (1999) rekonstruierte den Weberschen Begriff des sozialen Handelns wie folgt: »Alter baut einen Sinngehalt auf. D.h. Alter erwartet eine bestimmte Einstellung bei Ego (die sich auch auf Alter bezieht). Mit dieser Einstellungserwartung ist verbunden, dass Alter sich auf Ego einstellt. Orientiert an dieser Erwartung bzw. Einstellung handelt Alter mit Bezug auf Ego. Alters Handeln ist somit durch diese Orientierung auf Ego ausgerichtet und dadurch soziales Handeln.«20
Ego berücksichtigt also in seinen Einstellungen die prinzipielle Fähigkeit des Anderen, sinnvoll zu handeln. Diese wechselseitige Orientierung hat allerdings einen mechanischen Charakter. Oder, besser gesagt, es ist schwierig, von der Wechselseitigkeit zu sprechen, wenn die tatsächlichen Einstellungen und Handlungen der Anderen keinen Einfluss auf die Erwartungen und Handlungen von Ego haben. Der individuelle Sinn wird nicht gemeinsam in einem interaktiven Prozess, d.h. in einer sozialen Beziehung konstituiert, sondern bleibt jedem Einzelnen schon vorgegeben. Ego und Alter bleiben jeweils in ihrer monadischen Eigenwelt eingeschlossen. Diese Kritik wurde mehrfach an dem Sinnkonzept von Weber geübt. Es sei allerdings auf den von Weber eingeführten Begriff des Sinnge18 Ebd., S. 14. 19 A.Schütz: Der sinnhafte Aufbau, S. 16. 20 R. Greshoff: Konzeptionen des Sozialen, S. 169. 27
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
halts einer sozialen Beziehung hingewiesen, der eben beabsichtigt, die individuelle Perspektive in einer sozialen Beziehung zu überwinden. So schrieb Greshoff: »Der Sinngehalt einer sozialen Beziehung ›verteilt sich‹ auf die Träger der sozialen Beziehung, er ist also – wenn man von zwei Trägern ausgeht – zu einem Teil bei Alter, zu dem anderen Teil bei Ego zu verorten. Es geht nicht auf in dem Sinn der beiden aufeinander bezogenen Handlungen der sozialen Beziehung.«21
Die Handelnden orientieren ihr Handeln nicht (nur) an den subjektiven Sinn, sondern an den Sinngehalt einer sozialen Beziehung22. Es kann passieren, dass Orientierung an einen bestimmten Sinngehalt zu einer Wiederkehr der Handlungen und der Entstehung einer »auf Dauer eingestellten sozialen Beziehung«23 führt. Mit der Einführung des Begriffs »Sinngehalt einer sozialen Beziehung« räumte Weber ein, dass die Analyse des sozialen Handelns und der sozialen Beziehungen ausschließlich vom individuellen Standpunkt nicht ausreichend ist. Diese Idee entwickelte Weber aber nicht weiter. Zusammenfassend sei noch einmal betont, dass Weber den Sinnbegriff vor allem in Verbindung mit dem individuellen Handeln brachte. Er konzipierte Sinn als eine Zweck-Mittel-Relation, die in jedem Handeln aufgedeckt werden kann. Weber ließ aber die Prozesse der Sinnstiftung außer Betracht. Er verband sie nicht mit dem sozialen Handeln oder dem Geschehen in den sozialen Beziehungen. Soziale Beziehungen sind für die Sinnherausbildung nicht konstitutiv: Im Sozialen treffen Ego und Alter aufeinander, jeder ist mit seinem »subjektiven Sinn« ausgestattet, dessen Genese nicht weiter untersucht wird.
Prozesse der Sinnkonstitution bei Alfred Schütz Alfred Schütz schloss in seinem Werk »Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt« (1974) an die Untersuchungen des »subjektiv gemeinten« Sinns bei Weber an. Er wies darauf hin, dass »der Begriff der sinnhaften und daher verstehbarer Handlung des Einzelnen« bei Weber »nur der Titel für eine vielverzweigte und der weiteren Durchdringung sehr 21 Ebd., S. 168. 22 Vgl. zum Beispiel M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 16. 23 R. Greshoff: Konzeptionen des Sozialen, S. 173. M. Weber (Wirtschaft und Gesellschaft, S. 14) nennt solche Beziehungen perennierende soziale Beziehungen. 28
PROZESSE DER SINNKONSTITUTION BEI ALFRED SCHÜTZ
bedürftige Problematik« ist.24 Diese weitere Durchdringung verband Schütz vor allem mit der Frage nach der Konstitution des Sinns: Was bedeutet »einen ›subjektiv gemeinten‹ Sinn verbinden«? Wie erzeugen und erfahren die Handelnden den subjektiven Sinn ihrer Handlungen? Um diese Fragen zu beantworten, beschäftigte sich Schütz mit der Rekonstruktion der Akte des Sinnverstehens. Dadurch dynamisierte er den Sinnbegriff, denn die Untersuchung der Konstitutionsprozesse unterstellt, dass Sinn nicht einfach in den Handlungsstrukturen versteckt ist. Außerdem äußerte Schütz die Unzufriedenheit mit der Ignoranz, die Weber dem Intersubjektivitätsproblem durch die Unterstellung einer konformen sozialen Welt entgegenbrachte. Weber analysierte nicht explizit die Frage »Wie können die Handelnden den subjektiven Sinn Anderer, an denen sie sich im Sozialen orientieren, verstehen?« Diese Frage machte Schütz neben der Sinnkonstitution zu einem zweiten zentralen Anliegen seiner Auseinandersetzung mit Sinnthematik. Schütz fundierte die Analyse der Sinngenese mit der Phänomenologie von Husserl und situierte das Sinnverstehen in dem Bewusstseinsstrom eines Subjekts. Der Akt der Sinnkonstitution des Handelns wird als eine intentionale Bewusstseinsleistung konzipiert. »Intentionalität heißt, dass jeder Bewusstseinsakt, sei es ein Denken oder ein Erinnern, ein Fantasieren oder ein Fürchten, auf einen Gegenstand bezogen ist, auf etwas, das gedacht oder erinnert, fantasiert oder gefürchtet wird. Intentionalität heißt also, dass jeder Bewusstseinsakt auf etwas hin gerichtet ist.«25 Das Handeln unterscheidet sich nach Schütz vom Verhalten durch seine Gerichtetheit und Entworfensein: Es ist auf die Zukunft gerichtet und an einen Plan oder Entwurf orientiert. Es wird als abgelaufen phantasiert, »vorerinnert«, mit anderen Worten im Kopf entworfen (Denken modo futuri exacti als ein innerer Entwurfsprozess). Die Handlungssituation wird dadurch mental vorweggenommen und definiert. Der Sinn des Handelns ist die vorher entworfene Handlung.26 An diesem Sinn orientiert sich das Handeln in seinem Ablauf. Der Handlungsentwurf stellt den »primären und fundamentalen Sinn des Handelns«27 dar. Die Konstitution des Sinns ist hiermit allerdings 24 A. Schütz: Der sinnhafte Aufbau, S. 15. 25 Rainer Schützeichel: Soziologische Kommunikationstheorien, Konstanz: UVK 2004, 119 ff. 26 A. Schütz: Der sinnhafte Aufbau, S. 79. 27 Alfred Schütz: Gesammelte Aufsätze, Bd. 2: Studien zur soziologischen Theorie, Den Haag: Nijhoff 1972a, S. 12. 29
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
noch nicht beendet. Das Handeln ist ein unabgeschlossener Prozess der Realisierung eines Entwurfs und hiermit der Entstehung des Sinns. »Nachdem eine Handlung vollendet wurde, wird der Sinn, wie er im ursprünglichen Entwurf gegeben war, sich im Lichte dessen, was wirklich ausgeführt wurde, modifizieren, und die Handlung wird dann einer bestimmten Anzahl von Reflexionen offen stehen, die ihr in der Vergangenheit Sinn zuschreiben.«28
Schütz entwickelte die Webersche Idee der nachträglichen Rekonstruktion des Sinns weiter als eine Zuwendung zu einem abgelaufenen Erlebnis: »Der reflexive Blick, der sich einem abgelaufenen, entwordenen Erlebnis zuwendet und es so als ein von allen anderen Erlebnissen in der Dauer wohlunterschiedenes heraushebt, konstituiert dieses Erlebnis als sinnhaftes.«29 Er konstituierte ein Erlebnis insofern als ein sinnhaftes, weil eine Einordnung des Erlebnisses in einen übergeordneten Zusammenhang, in einen Erfahrungsstrom erfolgt30. In diesem Prozess der Einordnung werden die Differenzen zwischen dem Entwurf und dem Ergebnis des Handelns sichtbar: Der primäre Sinn des Handelns kann sich im reflexiven Blick modifizieren, was die weiteren Entwürfe und Handlungsabsichten beeinflusst. Die Resultate des Handelns (»die Erzeugnisse«) sind, so Schütz, aus der eigenen Wesenheit für jeden Beobachter verständlich. Die Prozesse der Sinnkonstitution als Entwerfen und Reflektieren sind im Gegenteil interpretationsbedürftig und verlangen eine Deutung. So unterschied Schütz zwischen subjektivem und objektivem Sinn: »Das Erzeugte und vom Prozess des Erzeugens losgelöste Sinngebilde habe […] einen objektiven Sinn, sei an sich sinnvoll, wie etwa der Satz 2x2=4 sinnvoll ist, gleichgültig von wem, wann und wo so geurteilt wurde. Ich kann mich aber auch den leistenden Intentionalitäten meines Bewusstseins, in denen und durch die sich die Sinngebung vollzog, selbst zuwenden. Dann habe ich vor mir nicht eine fertig konstituierte Welt, sondern eine, die sich im Strom meines dauernden Ich eben erst konstituiert und immer wieder neu konstituiert: Nicht eine seiende, sondern eine in jedem Jetzt neu werdende und vergehende oder besser entwerdende Welt.«31
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Ebd., S. 12. A. Schütz: Der sinnhafte Aufbau , S. 95. Ebd., S. 104. Ebd., S. 47.
PROZESSE DER SINNKONSTITUTION BEI ALFRED SCHÜTZ
Schütz hatte eine Entfaltung des Sinns in einem Bewusstsein vor Augen. Diese Idee eines subjektiv konstituierten Sinns ist zentral für den phänomenologischen Sinnbegriff: Im Umgang mit der Welt stiftet das Subjekt den Sinn immer wieder neu. Dies geschieht, indem das Subjekt sich seinen Erlebnissen zuwendet, diese Erlebnisse unterscheidet und abgrenzt, um sie dann in den Gesamtzusammenhang der Erfahrung einzuordnen. Der Sinn entsteht dadurch, dass das Subjekt immer wieder in einer Situation Stellung gegenüber der Welt nimmt. Entscheidend bleibt der Prozesscharakter des Vorgangs der Sinnentstehung: Sinn ist nicht in den Dingen, Texten oder Situationen vorgegeben, er entsteht im Entwerfen und Interpretieren der Handlungen. Bei dem Einordnen der Ereignisse in den Erfahrungsstrom greifen Subjekte auf Idealisierungen und Interpretationsschemata zu, die bei Schütz Typisierungen genannt werden. Typisierungen stellen die aus den vorherigen Erfahrungen »gespeicherten« Sinnmuster dar, die erlauben, routiniert die Erlebnisse in den Erfahrungszusammenhang einzuordnen, sich in konkreten Situationen vom Besonderen und Partikularen zu abstrahieren und die bekannten Probleme zu lösen. Wichtig ist zu betonen, dass Typisierungen Lösungen und Orientierungen »bis auf weiteres«32 darstellen, d.h., bis die Einordnung eines Erlebnisses in den Gesamtzusammenhang problematisch erscheint. Dann sind die eine Deutung ermöglichenden Typisierungen nicht mehr fraglos gegebenen, sondern werden aufgrund des Auftretens von etwas Unvertrautem hinterfragt: »Unvertrautes zieht im Rahmen des Vertrauten die Aufmerksamkeit auf sich«33. Wenn etwas Unvertrautes, d.h. auch Unerwartetes passiert, sind neue Interpretationen gefragt, die das ungewöhnliche Ereignis in einem neuen Kontext wieder als verständlich erscheinen lassen. Diese Einordnung zu ermöglichen, ist die zentrale Aufgabe der Sinngebung: Dem überraschenden Ereignis muss ein neuer Sinn gegeben werden. Menschen denken in einer problematischen Situation plötzlich über etwas nach, das im Rahmen der gewohnten Kontexte als sinnlos erscheint. Die erarbeiteten Lösungen sind erneut nur Teillösungen, die als selbstverständlich gelten, bis neue Probleme auftauchen und der Sinngebungsprozess fortgesetzt wird. Obwohl Schütz als Vertreter der interpretativen Phänomenologie eine aktive subjektive Bewusstseinsleistung für seine Sinntheorie als zentral erachtete, versuchte er, die Sinnkonstitution in dem sozialen Prozess zu verankern. Er kritisierte die Vernachlässigung dieser Fragestel-
32 Alfred Schütz/Thomas Luckmann: Strukturen der Lebenswelt, Konstanz: UVK 2003, S. 40. 33 Ebd., S. 258. 31
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
lung bei Weber und setzte den Schwerpunkt seiner Untersuchungen auf die Frage, wie »die Konstitution der Sozialwelt in den setzenden und deutenden Akten des täglichen Lebens mit Anderen« geleistet wird.34 Sein Anliegen war, die Sinnkonstitution in der Sozialwelt zu erklären. Die Sozialwelt wurde von ihm wesentlich als Sinnwelt verstanden und Sinn als ein soziales Phänomen: »Die Phänomene der äußeren Welt haben nicht nur Sinn für mich oder für dich, für B oder C, sondern für uns alle, die wir gemeinsam in dieser Welt leben und denen nur eine einzige äußere Welt, die Welt jedermanns, vorgegeben ist. Es weist daher jede Sinngebung dieser Welt durch mich zurück auf die Sinngebung, die diese Welt durch dich in deinem Erleben erfährt, und so konstituiert sich Sinn als intersubjektives Phänomen.«35
Diese Intersubjektivität des Sinnprozessierens im Sozialen konnte Schütz allerdings nicht adäquat erfassen, da der Ausgangspunkt der Sinnkonstitution (auch der fremden Sinnkonstitution) für ihn im individuellen Bewusstsein lag. Im Unterschied zu Weber betrachtete Schütz das wechselseitige Orientieren und gegenseitige Verstehen als grundsätzliches Problem der sozialen Welt. Er bezweifelte, dass der Sinn von fremden Handlungen und Erfahrungen so verstanden werden kann, wie er gemeint ist. Da sich der subjektive Sinn nur aus dem Gesamtzusammenhang der Erfahrung des Akteurs erschließen lässt, wird der fremde Sinn einem Akteur nur in Bruchteilen und nie vollkommen zugänglich. Aus der egologischen Perspektive her, die Schütz durchgehend beibehielt, erscheint das Soziale »als das subjektiv interpretierte Soziale, mithin in der Form des ›Fremdverstehens‹«.36 Unter dem »echten Fremdverstehen« verstand Schütz die Rekonstruktion des Erlebnisablaufs im Bewusstsein des Anderen.37 Wie ist sie aber möglich, wenn das Bewusstsein des Anderen prinzipiell intransparent bleibt? Um das Fremdverstehen zu ermöglichen, traf Schütz die Annahme, »dass auch das Du Bewusstsein überhaupt habe, dass es dauere, dass sein Erlebnisstrom die gleichen Urformen aufweise, wie der meine.«38 Diese Urformen sind subjektive Sinnzuschreibungen: Auch das Du legt seine Erlebnisse aus und verleiht ihnen dadurch Sinn. Das Du tut dies aber auf die-
34 A. Schütz: Der sinnhafte Aufbau, S. 26. 35 Ebd., S. 43. 36 Andreas Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms, Weilerswist: Velbrück 2000, S. 370. 37 A. Schütz: Der sinnhafte Aufbau, S. 158. 38 Ebd., S. 137ff. 32
PROZESSE DER SINNKONSTITUTION BEI ALFRED SCHÜTZ
selbe Weise, wie das Ich es tut. Schütz formulierte das Postulat der »Erfassung des fremden gemeinten Sinnes«, das besagt, »dass die Erlebnisse des alter ego durch ein ego in der nämlichen Weise auszulegen seien, wie das alter ego die Selbstauslegung seiner Erlebnisse vollzieht.«39 Er nannte dieses Postulat auch »die Generalthese der reziproken Perspektiven«.40 Diese These stellt eine Idealisierung dar: Sie postuliert, dass trotz der Unzugänglichkeit der individuellen Bewusstseine eine Verständigung der sozialen Akteure möglich ist. Genauer gesagt, geht es um zwei Idealisierungen: »(a) Idealisierung der Übereinstimmung der Relevanzsysteme und (b) Idealisierung der Austauschbarkeit der Standpunkte«.41 Das bedeutet, dass neben der Kongruenz der Relevanzperspektiven (überlappende Situationsdefinitionen, identische Weltdeutungen) die Kongruenz der Erlebnisperspektiven (identische Erfahrungen in den identischen Situationen) unterstellt wird. Vor dem Hintergrund dieser Annahmen erscheinen Typisierungen als ein unentbehrliches Instrument des Fremdverstehens42: In der Generalthese der reziproken Perspektiven unterstellte Schütz unter anderem, dass die eigenen Typisierungen die fremden Motive und den fremden Sinnzusammenhang aus der eigenen Perspektive adäquat abbilden. Motive sind dann die typischen Motive und der Sinn der gemeinte typische Sinn. Typisierungen ermöglichen das Handeln und seine Deutungen.43 Da kein vollständiges gegenseitiges Verstehen der Akteure möglich ist, sind Typisierungen nicht nur methodologische Instrumente des Fremdverstehens, sondern auch Instrumente des praktischen Handelns. Sie ermöglichen die Übernahme der Perspektive des Anderen, das Erkennen der Beweggründe seines Handelns und die Berücksichtigung dieser Motive bei dem Entwerfen des eigenen Handelns. Sie erlauben, die Differenzen zwischen den subjektiven und fremden Perspektiven zu überwinden und Interaktionen sowie Kommunikation überhaupt zu ermöglichen. Aus der egologischen Perspektive, die Schütz auch bei der Analyse der Akte des Fremdverstehens beibehielt, verharrt diese Analyse in einem statisch-typologischen Stadium: Der Andere wird als ein typischer Anderer und als analog zum Ego begriffen. Das eigene Bewusstsein 39 A. Schütz: Der sinnhafte Aufbau, S. 139. 40 Alfred Schütz: Gesammelte Aufsätze, Bd. 1: Das Problem der sozialen Wirklichkeit, Den Haag: Nijhoff 1971, S. 14. 41 R.Schützeichel: Kommunikationstheorien, S. 132. Vgl. auch A. Schütz: Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, S. 13. 42 A. Schütz: Der sinnhafte Aufbau, S. 252. 43 Vgl. A.Schütz/T. Luckmann: Strukturen, S. 29ff. 33
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
bleibt die Quelle des Sinns, so dass Ego und Alter in einer sozialen Beziehung nicht einen (gemeinsamen) Sinn produzieren, sondern in ihrem Handeln von dem unterstellten Sinn des jeweils Anderen (Typisierungen) ausgehen. Der Andere beteiligt sich nicht an der Stiftung des Sinns. Das Soziale wird hiermit als eine subjektive Vorstellung von Kollektivität und von Reziprozität der Perspektiven konzipiert.44 Gleichzeitig wies Schütz darauf hin, dass Typisierungen, auf die Subjekte bei dem Sinnprozessieren zugreifen, keinen ausschließlich individuellen Ursprung haben: Sie werden in einem gemeinsamen Wissensvorrat gespeichert und stehen den sinnstiftenden Subjekten zur Verfügung. Sinnzuschreibungen erfolgen in einer historisch vorgegebenen Sozial- und Kulturwelt45, die einen subjektübergreifenden Bezugsrahmen für das menschliche Handeln bildet. Hier konstituieren sich Typisierungen nicht nur aus den eigenen, sondern auch aus den fremden (übermittelten) Erfahrungen, den Erfahrungen der Mitmenschen wie Eltern, Lehrer etc.46 Dass ein Mensch nicht für jede Situation oder jedes Ereignis seines Lebens nach neuen Lösungen suchen muss, liegt daran, dass sein »Erfahrungsvorrat zum großen Teil sozial übermittelt ist; die Rezepte haben sich schon anderweitig ›bewährt‹.«47 Das Entstehen und die Übermittlung eines gemeinsamen Vorrats von Sinnmustern und Deutungsschemata aus einer streng subjektiven Perspektive zu analysieren, ist unmöglich. Schütz gab diese Perspektive sogar teilweise auf, wenn er sich dem Entstehen der Typisierungen in der Wir-Welt (Umwelt) widmete. Eine Wir-Beziehung besteht zu den Menschen, mit denen das Ich räumlich und zeitlich koexistiert. Diese umweltliche soziale Beziehung wird durch einen hohen Grad an Intimität gekennzeichnet, die durch die unmittelbaren Interaktionen bedingt ist. In ihrem Rahmen werden rein individuelle Motive und subjektive Sinnzusammenhänge überstiegen: »In der umweltlichen sozialen Beziehung steht ja nicht ein einzelner auf das Du intentional bezogener Akt isoliert da, vielmehr wird jede solche Beziehung erst in einer kontinuierlichen Reihe solcher Akte konstituiert, und zwar die
44 Vgl. A. Schütz: Der sinnhafte Aufbau, S. 137ff.; A. Reckwitz: Transformation der Kulturtheorien, S. 391ff. 45 Die Rolle der sozialen und kulturellen Kontexte thematisierte Schütz insbesondere in seinen späteren Werken (A. Schütz/T. Luckmann: Strukturen; A. Schütz: Gesammelte Aufsätze, Bd. 1; ders.: Das Problem der Relevanz, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1982). 46 Vgl. A. Schütz: Aufsätze Bd. 1, S. 8. 47 A. Schütz/T. Luckmann: Strukturen, S. 43. 34
PROZESSE DER SINNKONSTITUTION BEI ALFRED SCHÜTZ
Einstellungsbeziehung in Akten der Fremdeinstellung, die Wirkensbeziehung in Akten der Sinnsetzung und Sinndeutung.«48
Schütz konzipierte die Interaktionen in den Wir-Beziehungen nicht als ein Nebeneinanderfließen von unzugänglichen Bewusstseinen, sondern als ein Ineinandergreifen, als eine genuine Wechselseitigkeit der Perspektiven. Diese Wechselseitigkeit wird durch die Synchronisierung der Erfahrungen, die man bezüglich einer dritten Sache oder eines Ereignisses macht, erreicht: »Since we are growing older togehter during the flight of the bird, and since I have evidence, in my own observations, that you were paying attention to the same event, I may say that we saw a bird in flight.«49 Das ist der Grund, warum Freunde und Liebende so gern zusammen verreisen oder Kino und Theater besuchen: Das gemeinsame Erleben einer dritten Sache oder einer dritten Person steigert das Zusammengehörigkeitsgefühl. In den synchronisierten Interaktionen entsteht ein gemeinsames Wissen von Deutungsmustern und Erfahrungsschemata. Typisierungen, die der individuellen Sinnstiftung dienen, haben daher einen intersubjektiven Ursprung: Sie entstehen in der intersubjektiv geteilten Wir-Welt. An ihnen orientiert sich auch das Handeln in der sozialen Mit-Welt, also im Umgang mit Akteuren, mit denen man nicht eine gemeinsame Situation teilt. In seinem Konzept der Lebenswelt betonte Schütz die Gemeinsamkeit dieser Welt, der »Grundstruktur ihrer Wirklichkeit«50: Lebenswelt ist keine Privatwelt. Sinnstiftung ist nach dieser Lesart kein rein subjektiver Vorgang: »Sinn bedeutet subjektive Wirklichkeitsauslegung, die freilich einen übersubjektiven Rahmen und eine intersubjektive Genesis hat.«51 Bei Schütz wird gezeigt, schrieb Srubar (1992), »wie im Verlauf des sozialen Handelns selbst seine sinnhaften Regulative in Form von Typik und Relevanz entstehen und reproduziert werden. Schütz legt dar, dass Typik und Relevanz als Handlungsregulative nicht nur intersubjektive Geltung, sondern auch intersubjektive Genese haben. Sie entstehen nicht (größtenteils nicht) im Handeln isolierter Individuen aufgrund abwägender 48 A. Schütz: Der sinnhafte Aufbau, S. 236. 49 Alfred Schütz: Collected Papers II: Studies in Social Theory, The Hague: Nijhoff 1964, S. 25. 50 A. Schütz/T. Luckmann: Strukturen 2003, S. 30. 51 Ilja Srubar: »Abkehr von der transzendentalen Phänomenologie. Zur philosophischen Position des späten Schütz«, in: Richard Grathoff/Bernhard Waldenfels (Hg.): Sozialität und Intersubjektivität: Phänomenologische Perspektiven der Sozialwissenschaften im Umkreis von Aron Gurwitsch und Alfred Schütz, München: Fink 1983, S. 75. 35
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
Entwürfe, sondern in der Interaktion und in der Kommunikation als intersubjektive Motivationsverkettungen, die als Orientierungs- und Deutungsschemata künftigen Handelns Typik- und Relevanzstrukturen festlegen. Die sinnhafte Ordnung der Lebenswelt ist also immer schon das Produkt einer ›Aggregation‹ von individuellen Handlungen in ihrem intersubjektiven Wirkungszusammenhang [...], ein Produkt, das unabhängig von der individuellen Handlungsintentionen fortbesteht.«52
Das egologische Sinnkonzept von Schütz stößt an Grenzen: Die Interaktionen sowie die in ihnen intersubjektiv produzierten Wissensvorräte sind für die Sinnstiftung konstitutiv, was allerdings mit den Mitteln der interpretativen Phänomenologie, die eine subjektive Bewusstseinsleistung zum Ausgangspunkt der Analyse macht, nicht abgebildet werden kann. Die Reflexions- und Generierungskraft eines Bewusstseins ist durch die Verwicklung in die sozialen und kulturellen Kontexte, durch die »Verflechtung der subjektiven Sinndeutung mit ihren sozial hervorgebrachten Bedingungen«53 kein adäquater Bezugspunkt für die Analyse von sinnhaften Konstruktionsleistungen. Den Widerspruch zwischen der Subjektivität der sinnstiftenden Bewusstseinsleistungen und der Sozialität der Konstitutionsbedingungen von Sinn löste Schütz nicht auf: Meist behielt er die egologische Perspektive (Die »Wir-Beziehung« ist eine Ausnahme.54) bei. Dies bringt das Sinnkonzept von Schütz an seine Grenzen, wenn die Genese des sozialen Sinns verständlich gemacht werden soll.
Der hermeneutische Sinnbegriff von Hans-Georg Gadamer Hermeneutik ist eine Theorieausrichtung, die sich mit dem Schriftsinn beschäftigt. Obwohl es ihr ursprünglich um die Auslegung von überlieferten Texten, vor allem der Bibel ging, suchte sie später nach der Lösung des grundsätzlichen Verstehensproblems, wie es auch von Schütz formuliert wurde: Da es keinen direkten Zugang zu dem fremden Bewusstsein gibt, kann man den Sinn der Handlungen des Anderen nur
52 Ilja Srubar: »Grenzen des ›Rational Choice‹-Ansatzes«, in: Zeitschrift für Soziologie 21/3 (1992), S. 160. 53 I. Srubar: Abkehr, S. 75. 54 Coenen schrieb, dass die Wir-Beziehung die einzige Situation ist, bei der das Primat der Bewusstseinsakte individueller Subjekte bei Schütz eindeutig durchbrochen wird (Herman Coenen: Diesseits von subjektivem Sinn und kollektivem Zwang, München: Fink 1985, S. 96). 36
DER HERMENEUTISCHE SINNBEGRIFF VON HANS-GEORG GADAMER
annähernd erschließen, indem man die Ausdrucksformen des Handelns (z.B. Texte) interpretiert und ihnen dadurch einen Sinn abgewinnt. Das Problem des Sinnverstehens lösten die Vertreter der Hermeneutik auf unterschiedliche Art und Weise; es gibt keinen einheitlichen hermeneutischen Ansatz. Die Unterschiede zwischen den Vorgehensweisen bestehen in den abweichenden Erklärungen, von wem und wie der Sinn abgewonnen wird. Es geht um die Fragen, ob das Verstehen ausschließlich aufgrund der Rekonstruktion des subjektiven Sinns des Autors möglich ist oder ob ein objektiver (von der Person des Autors unabhängiger) Sinn aufgedeckt werden soll. Im Rahmen dieser Arbeit wird das Sinnkonzept von Hans-Georg Gadamer kurz vorgestellt. Gadamer (1965) bestritt, dass es beim Sinnverstehen ausschließlich um die Rekonstruktion des subjektiven Sinns, i.e. der Intentionen des Autors geht. Der Autor eines Texts legt seinem Werk keinen »fertigen« Sinn bei; der Sinn wird in den Interpretationsprozessen, in den Prozessen der Sinnerschließung konstituiert. Die philosophische Hermeneutik von Gadamer vertritt die Vorstellung, dass Sinn nie endgültig festgelegt ist oder in einer abgeschlossenen Gestalt existiert. Der Grund hierfür ist, dass es immer einen zeitlichen Abstand zwischen dem zu verstehenden Text und dem Verstehenden gibt. Das Verstehen findet jetzt und heute statt, während der Text schon der Geschichte gehört. Der Interpret erwartet, antizipiert den Sinn eines Textes aus seiner heutigen Perspektive. Er greift auf die Vorurteile zurück, die überliefert sind und ihn in den hermeneutischen Zirkel bringen. Sinn wird durch die Einordnung in die historischen Zusammenhänge gewonnen. Er ist deswegen kein Wesensbegriff, sondern ein Beziehungsbegriff. Diese Zusammenhänge sind aber nicht stabil, sonst würde das Verstehen nie über die überlieferten Vorurteile hinausreichen. Sinn ist ständigen Wandlungen unterworfen, die nie abgeschlossen sind. Gadamer benutzte den Begriff der Wirkungsgeschichte, um diese Wandlungen zu erklären. Der Sinn eines Textes kann nicht in einer einzelnen Interpretation gefunden werden, weil eben die Kontexte, in denen die Erschließung des Sinns erfolgt, sich im Lauf der Zeit verändern: Immer neue Vorverständnisse und Vorurteile erlangen eine Geltung, die eine Verschiebung der Sinnhorizonte verursachen. Vorurteile leiten zwar das Verständnis eines Lesers, bestimmen seine Deutungen, stellen aber ein von dem Subjekt unabhängigen Moment der Tradition, der Geschichte dar. »Die Vorurteile und Vormeinungen, die das Bewusstsein des Interpreten besetzt halten, sind ihm als
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DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
solche nicht zu freier Verfügung.«55 Ein Leser greift nicht bewusst auf bestimmte überlieferte Vorverständnisse, er befindet sich so zu sagen in Überlieferung und interpretiert einen Text im Kontext seiner Zeit. Historische Kontexte des Verstehens können von einem Subjekt nicht bewusst erzeugt werden. »Der Zirkel … ist weder subjektiv noch objektiv, sondern beschreibt das Verstehen als das Ineinanderspiel der Bewegung der Überlieferung und der Bewegung des Interpreten. Die Antizipation von Sinn, die unser Verständnis eines Textes leitet, ist nicht eine Handlung der Subjektivität, sondern bestimmt sich aus der Gemeinsamkeit, die uns mit der Überlieferung verbindet.«56
Bei so einem Verständnis des Verstehens ist die Rekonstruktion von subjektivem Sinn des Autors von zweitrangiger Bedeutung. Zwar kann es hilfreich sein, die Intentionen eines Autors zu kennen, um die Entstehungsbedingungen eines Sinngebildes zu verstehen. Dieses psychologische Verstehen erschöpft aber nicht den Sinn eines Textes. Durch das Eingebundensein in die Überlieferung entsteht ein Sinn, der erheblich von dem Sinn abweichen kann, den der Verfasser des Texts ursprünglich damit verband. »Eine jede Zeit wird einen überlieferten Text auf ihre Weise verstehen müssen, denn er gehört in das Ganze der Überlieferung… Der wirkliche Sinn eines Textes, wie er den Interpreten anspricht, hängt eben nicht von dem Okkasionellen ab, was der Verfasser und sein ursprüngliches Publikum darstellen… Nicht nur gelegentlich, sondern immer übertrifft der Sinn eines Textes seinen Autor. Daher ist das Verstehen kein nur reproduktives, sondern stets ein produktives Verhalten.«57
Mit seinem Begriff der Wirkungsgeschichte beschrieb Gadamer einen Vorgang der subjektübergreifenden Sinnproduktion.58 Es geht nicht darum, dass jede Epoche einen Text besser, sondern immer anders interpretiert. Der Sinn eines Textes übersteigt nicht nur den subjektiven Sinn eines Autors oder eines Lesers, sondern auch jede einzelne Interpretation. Soziale und kulturelle Kontexte, die eine Voraussetzung jedes Handelns und eine Grundlage jedes Sinnverstehens bilden, wurden insbe55 Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, 2., erw. Aufl., Tübingen: Mohr 1965, S. 279. 56 Ebd., S. 277. 57 Ebd., S. 280. 58 W. L. Schneider: Grundlagen Band 3, S. 160ff. 38
DER HERMENEUTISCHE SINNBEGRIFF VON HANS-GEORG GADAMER
sondere in den späteren Varianten der hermeneutischen Konzepte in den Fokus der Untersuchungen gestellt. Diese Entwicklungen fanden im Rahmen der »kulturellen Wende« in den Sozialwissenschaften statt. Ihr wichtigstes Merkmal bestand eben in dem Loslösen der Sinnproduktion von einem Subjekt: Kollektiv geteilte Sinnmuster rückten in das Zentrum der Analyse, weil sie als Basis sowohl für die subjektiven Intentionen als auch für die Interpretationen dienen. So wurde die Annahme entkräftet, dass nur das Subjekt sinnkonstituierend wirken kann. Zusammenfassend sei zu den individualistischen Sinnkonzepten angemerkt, dass mit ihrer Hilfe der Widerspruch zwischen dem subjektiven Zugang zu Sinn und der Sozialität der Sinnkonstitution aufgedeckt werden kann: Sinn ist ein soziales Phänomen, das von der egologischen Perspektive aus nicht erklärt werden kann. Dies wurde mit Hilfe des Weberschen Begriffs »der Sinngehalt einer sozialen Beziehung«, des Begriffs einer »Wir-Beziehung« von Schütz sowie des Konzepts einer Wirkungsgeschichte von Gadamer erläutert. Hiermit wurde ein Problemkreis bestimmt, der für die Ökonomik von besonderer Relevanz ist: Die ökonomischen Phänomene sind soziale Phänomene, die sich einem Zugang vom Standpunkt eines isolierten Subjekts entziehen. Wie sich dieses Problem im Rahmen der Wirtschaftstheorie analysieren lässt, soll im Folgenden anhand der subjektiven Sinnkonzepte erörtert werden.
Individualistische Sinnkonzepte in der Ökonomik Die pauschale Behauptung, dass ein Sinnbegriff in der ökonomischen Theorie nicht vorkommt, ist nicht ganz richtig. Zwar gibt es keine explizite Formulierung eines Sinnkonzepts, implizit spielen die individualistischen Auffassungen von Sinn als Zweck-Mittel-Relation und Sinn als Intention in verschiedenen ökonomischen Ansätzen durchaus eine Rolle. In dem nachfolgenden Kapitel sollen der State of the art der subjektiven Sinnkonzepte in der Ökonomik sowie ihre Kritik analysiert werden.
Sinn als Zweck-Mittel-Relation Der Begriff »Sinn« gehört nicht zu dem Kategorieapparat der Standardökonomik. Es kann allerdings gezeigt werden, dass dieser Begriff implizit in der ökonomischen Theorie vorhanden ist, und zwar in einem ihrer Zentralbegriffe »Rationalität«. Ökonomik unterstellt eine bestimmte Art des menschlichen Handelns, die dem von Weber beschrieben Idealtypus der Zweck-Mittel-Rationalität entspricht. Sinn als Zweck, oder genauer, 39
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
als Zweck-Mittel-Zusammenhang, ist in der ökonomischen Theorie präsent: »Eine Person handelt rational, wenn ihre Handlungen im Hinblick auf die Ziele dieser Person sinnvoll erscheinen. Handlungen sind im Hinblick auf die Ziele einer Person sinnvoll, wenn sie als ein gutes Mittel gelten können, diese Ziele zu erreichen.«59 Die Wirtschaftsakteure wägen ihre Zwecke (z.B. Befriedigung der Bedürfnisse oder Herstellung eines Produkts) sowie Mittel zu ihrer Befriedigung (notwendige Konsumgüter oder knappe Ressourcen) ab und wählen den optimalen Weg für das Erreichen der Zwecke: Ein »gutes Mittel« bedeutet im Sinn der Ökonomik »optimal« oder »nutzenmaximierend«. Der zweckrationale Kern macht das Wesentliche der Ökonomik aus. Weber definierte die Wirtschaft wie folgt: »Wenn irgend etwas, dann bedeutet, praktisch angesehen, Wirtschaft vorsorgliche Wahl zwischen Zwecken, allerdings: orientiert an der Knappheit der Mittel, welche für diese mehreren Zwecke verfügbar oder beschaffbar erscheinen.«60 Diese Definition fällt fast wörtlich mit der neoklassischen Definition der Ökonomik von Robbins (1949) zusammen: »Economics is the science which studies human behaviour as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses.«61 Auch G.S. Becker (1993) bestimmte die Ökonomik als Wissenschaft von ihrem approach, d.h. dem Theorem einfacher Zweckmittelrationalität her. Obwohl der Rationalitätsbegriff eine zentrale Rolle in der Wirtschaftstheorie spielt, bleibt der Sinnbegriff dort eher versteckt, weil es in der Ökonomik vor allem um die Wahl der Mittel geht, die genauso wie Zwecke in einer Entscheidungssituation als gegeben vorausgesetzt werden. Es wird unterstellt, dass Zwecke (Bedürfnisse) bekannt sind und dass sich die bevorzugte Reihenfolge ihrer Befriedigung (Präferenzordnung) nicht ändert, so dass die Folgen der Wahl perfekt abschätzbar sind. Vielmehr befreit die Herrschaft des Rationalitätsprinzips die Ökonomik von der Aufgabe der inhaltlichen Bestimmung und der Beantwortung der Frage nach der Genese ihrer Kategorien. Der als ZweckMittel-Zusammenhang konzipierte Sinn ist den handelnden Akteuren bereits vorgegeben, oder, besser gesagt, er lässt sich immer im Nachhinein rekonstruieren. Das wirtschaftliche Handeln hat wie jedes Handeln bei Max Weber immer diesen zweckrationalen Kern. Nach Sinn 59 Julian Nida-Rümelin: »Das rational-choice Paradigma: Extensionen und Revisionen«, in: ders. (Hg.), Praktische Rationalität: Grundlagenprobleme und ethische Anwendungen des rational choice-Paradigmas, Berlin, New York: de Gruyter 1994, S. 3. 60 M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 32. 61 Robbins, Lionel: An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, 2nd edition, London: Macmillan 1949, S. 16. 40
INDIVIDUALISTISCHE SINNKONZEPTE IN DER ÖKONOMIK
wird nicht mehr gefragt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Wirtschaft »sinnlos« operiert. Wirtschaften ist vor diesem Hintergrund als ein Prozess zu verstehen, der sich auf die exogenen Zwecke orientiert, die Zwecke also, die außerhalb der Ökonomie bestimmt werden. Ihre Bestimmung wird von der Ökonomik an andere Wissenschaften (zum Beispiel Philosophie, Kulturwissenschaften etc.) delegiert. Wirtschaften selbst ist nur ein Mittel: ein Mittel zur Sicherung des materiellen Auskommens und zur Befriedigung der elementaren Bedürfnisse, das eine Basis für das Erreichen anderer Zwecke liefert. Genau so sind die beim Wirtschaften hergestellten Produkte nur Mittel für weitere Zwecke. Wirtschaften, das als Herstellungsprozess, als poiesis verstanden wird, wird von der entleerten Zweck-Mittel-Kategorie bestimmt: »Das hergestellte Ding ist ein Endprodukt, weil der Herstellungsprozess in ihm an ein Ende kommt [...], und es ist ein Zweck, zu dem der Herstellungsprozess selbst nur das Mittel war.«62 Das hergestellte Produkt existiert nach der Fertigstellung unabhängig von dem Produzenten, verliert aber dabei den Status eines Zwecks und wird zum Mittel. So ist die Herstellung einer Uhr ein Zweck für einen Uhrmacher, für den Käufer der Uhr ist sie ein Mittel, die Zeit zu wissen. Das geschieht mit allen Produkten des Herstellungsprozesses: Alle Zwecke werden zu Mitteln für andere Zwecke (»Zweckprogressus in infinitum«63). Aus diesem Grund, so Hannah Arendt, darf man Sinn nicht als Zweck verstehen, »denn ein Zweck, der erreicht ist, hört ja damit auf, ein Zweck zu sein; er hat seine Fähigkeit verloren, die Auswahl bestimmter Mittel zu indizieren, sie zu rechtfertigen, sie zu organisieren und zu produzieren [...] Ein Sinn muss dagegen beständig sein, und er darf von seinem Charakter nichts verlieren, wenn er sich erfüllt, oder besser, wenn er dem Menschen in seinem Tun aufgeht oder sich ihm versagt und ihm entgeht.«64
Der Mensch als herstellendes Wesen ist, so Arendt, unfähig, Sinn zu verstehen. Sinn bleibt im Rahmen von einem ausschließlich an der Zweck-Mittel-Relation orientierten Herstellungsprozess unbestimmt, so dass die Illusion entsteht, dass ein so verstandenes Wirtschaften gar »keinen Sinn« hat: Das wirtschaftliche Handeln ist an Zwecken orientiert, die außerhalb von ihm definiert werden, von dem Vollzug dieses Handelns völlig losgelöst bleiben und dem Handelnden einfach »vorge62 Hannah Arendt: Vita activa, oder Vom tätigen Leben, Stuttgart: Kohlhammer 1960, S. 130. 63 H. Arendt (ebd., S. 140) bezieht sich hier auf Nietzsche. 64 Ebd., S. 141. 41
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
geben« sind. Mit anderen Worten, wird Sinn in der Ökonomik so »konzipiert«, das er keinen wesentlichen Bestandteil der Wirtschaftsprozesse darstellt: Er ist exogen und statisch, was dem mechanistischen Charakter der Standardökonomik entspricht.
Sinn als Intention Der oben beschriebene Eindruck einer »Sinn-Losigkeit«65 der Standardökonomik resultiert daraus, dass Sinn zu eng – ausschließlich als eine Zweck-Mittel-Relation – verstanden und als ein starres Konstrukt dargestellt wird. So schrieb Esser (1992): »Der Vorwurf der Sinn-Losigkeit und der Vorhalt der doch recht eng gezogenen ›Grenzen des Rational-choice-Ansatzes‹ verlagert sich daher – ist erst einmal akzeptiert, dass der ›Rational-choice‹-Ansatz durchaus ›Sinn‹ hat – auf den Vorwurf, dass er die Prozesse der Definition der Situation ausblende, ja ausblenden müsse, weil er die Grundelemente des sinnhaften Handelns immer nur voraussetze, aber ihre Genese grundsätzlich verfehlen müsse.«66
Unter Grundelementen des sinnhaften Handelns verstand Esser vor allem den »subjektiv gemeinten Sinn«, der in seiner Genese, auch in der Ökonomik, untersucht werden muss. Das Verständnis dieser Genese ist an die subjektiven Bewusstseinsleistungen und an die Intentionen gebunden. Vor dem Hintergrund der interpretativen Wende in den Geisteswissenschaften gab es in der ökonomischen Theorie Versuche, die strikte Form der Zweck-Mittel-Rationalität, wo alle Parameter schon vorgegeben sind, zu »lockern«. Es geht beispielsweise um die Arbeiten von Ökonomen der Österreichischen Schule, aber auch von Jon Elster (1987), Birger Priddat (1995; 1999) und Falk Reckling (2002), um nur einige Autoren zu nennen. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass die Definition der Ziele und Mittel ein Resultat einer aktiven Leistung des Individuums ist. So hat zum Beispiel Lachmann (1991), ein prominenter Vertreter der Österreichischen Schule, in seinem Artikel »Austrian Economics: A Hermeneutic Approach« das Verständnis einer klassischen ökonomischen Handlung als einer bloßen Reaktion, der jeder Sinn fehle, bemängelt: Ökonomik interessiere sich nicht, so Lachmann, für die Motive des menschlichen Verhaltens, weil diese Motive – rationale Verfolgung der egoistischen Interessen – a priori festgelegt sind. Eine Hand65 Hartmut Esser: »›Foundations of Social Theory‹ oder ›Foundations of Sociology‹«, in: Analyse und Kritik 14 (1992), S. 136. 66 Ebd. 42
INDIVIDUALISTISCHE SINNKONZEPTE IN DER ÖKONOMIK
lung sei aber dann sinnvoll, wenn Akteure mit ihr aktiv einen Sinn verbinden, d.h., ihre Ziele bewusst wählen. Lachmann wies wie andere Vertreter der Österreichischen Schule darauf hin, dass die Wirtschaftssubjekte nicht vor den gegebenen Alternativen stehen, sondern Pläne entwerfen, Ideen generieren, die Zukunft imaginieren, also »ihr Wissen über ökonomische Wirklichkeit in der Entscheidungssituation durch hermeneutische Konstruktion erst erzeugen müssen und ihr Verhalten an diesen Konstruktionen orientieren.«67 Es geht dabei um nichts anderes als um das Entworfensein des sinnhaften Handelns oder um den primären Sinn des Handelns, wie es von Schütz beschrieben wurde. So wies auch Hartmut Esser (1991, 1996), der eine Vermittlung zwischen der Theorie von Schütz und der Rational-choice-Theorie versucht, darauf hin, dass jeder rationalen Wahl stets eine besondere »Definition« der Situation vorausgeht: Die in den Sinngebungsprozessen des Entwerfens und des Interpretierens formulierten Ziele und Handlungsalternativen bestimmen die darauf folgende Wahl. Die »Definition« der Situation ist nach Esser immer subjektiv: »Die gleiche objektive Situation könne von verschiedenen Akteuren [...] ganz anders gesehen und ›definiert‹ werden.«68 Wichtig ist, dass »im Moment des Handelns nur die subjektiven, jeweils real vorliegenden, wenngleich ganz und gar falschen und ›irrationalen‹ Vorstellungen der Akteure bedeutsam sind – und dass dieses Handeln auch dann ›reale‹ und objektive Folgen hat, wenn die subjektiven Sichtweisen objektiv nicht zutreffen. Es ist nichts weiter als eine andere Formulierung für das Konzept des subjektiven Sinns von Max Weber.«69
Bei Lachmann, bei Esser wie auch bei Schütz verlaufen Prozesse des Entwerfens der Handlungen im Bewusstsein des Individuums.70 Es geht um den subjektiven Sinn, um das Formulieren von Meinungen, Wünschen und Überzeugungen71, auf die das individuelle Handeln orientiert 67 Beate Männel: Sprache und Ökonomie: Über die Bedeutung sprachlicher Phänomene für ökonomische Prozesse, Marburg: Metropolis Verlag 2002, S. 138. 68 Hartmut Esser: »Die Definition der Situation«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 48 (1996), S. 3. 69 Ebd., S. 3ff. 70 Vgl., Ludwig M. Lachmann: »Austrian Economics: A Hermeneutic Approach«, in: D. Lavoie, (Hg.), Economics and Hermeneutics, London/New York: Routledge 1991, S. 136. 71 Siehe zum Beispiel Jon Elster (Subversion der Rationalität, Frankfurt/Main [u.a.]: Campus 1987, S. 78ff.) sowie Birger P. Priddat (»Kultur und Ökonomie. Eine ökonomische Herangehensweise«, in: Klaus E. Müller (Hg.), Phänomen Kultur: Perspektiven und Aufgaben der Kultur43
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
wird und von denen es eingeleitet wird. Das intentionale Handeln wird als eine Form des rationalen Handelns betrachtet: »Intentional rational handeln Akteure, die ein Ziel erreichen wollen, durch das sie ihren Nutzen maximieren, die aber zugleich nicht wissen, welche Mittel sie für die Realisierung einzusetzen hätten.«72 Hier geht es nicht um eine optimale Relation zwischen Zwecken und Mitteln, sondern um die Zielgerichtetheit, um die Orientierung an einen subjektiv definierten Zweck (Sinn). Dieses Konzept hat eine breite Anerkennung in den ökonomischen und soziologischen Kreisen gefunden73, weil es erlaubt, die rigide Nutzenmaximierung aufzugeben: Nutzenmaximierung wird als eine spezifische Variante des zielgerichteten Handelns verstanden. Bhargava (1992) nannte den Intentionalismus die plausibelste Version des methodologischen Individualismus. Eine ökonomische Theorie, die auf den subjektiven Sinn als eine Intention, eine vorentworfene Handlung abstellt, wird als eine hermeneutische (oder interpretative) Theorie verstanden.74 Die Wirtschaftsakteure deuten und interpretieren die aktuellen und zukünftigen Marktzustände, imaginieren die Alternativen, entwickeln Meinungen und Überzeugungen, zwischen denen sie dann wählen und welche die Präferenzordnung beeinflussen. Die Intentionen sind den Akteuren allein bekannt,
wissenschaften, Bielefeld: transcript 2003, S. 208; ders.: »Kommunikative Steuerung von Märkten. Das Kulturprogramm der Ökonomie«, in: Gerold Blümle (Hg.), Perspektiven einer kulturellen Ökonomik, Münster: LIT 2004, S. 356). Priddat schrieb in diesem Zusammenhang, dass »das ›Meinen‹« jetzt mindestens genauso große Rolle spielt wie die Präferenzen und dass dadurch der Fokus der wirtschaftlichen Untersuchungen erneut auf den »Menschen« gerichtet wird (vgl. B. J. Priddat: Kultur und Ökonomie, S. 208). 72 Jens Beckert: »Was ist soziologisch an der Wirtschaftssoziologie? Ungewissheit und die Einbettung wirtschaftlichen Handelns«, in: Zeitschrift für Soziologie 25/2 (1996), S. 136. 73 Siehe zusätzlich zu den in der Fußnote 13 erwähnten Werken folgende Arbeiten: James S. Coleman: Foundations of Social Theory, 3. print, Cambridge, Mass.: Belknap Press 2000; Hartmut Esser: Alltagshandeln und Verstehen: Zum Verhältnis von erklärender und verstehender Soziologie am Beispiel von Alfred Schütz und ›Rational Choice‹, Tübingen: Mohr 1991; auch Thomas Beschorner: Ökonomie als Handlungstheorie: evolutorische Ökonomik, verstehende Soziologie und Überlegungen zu einer neuen Unternehmensethik, Marburg: Metropolis 2002. 74 Siehe Jon Elster »Some Unresolved Problems in the Theory of Rational Behavior«, in: Acta Sociologica 36 (1993), S. 179ff. sowie B. P. Priddat (1995). Allerdings wird damit die »intentionalistisch beschränkte Hermeneutik« gemeint, die sich ausschließlich mit dem Verstehen des subjektiven Sinns aus der handlungstheoretischen Perspektive beschäftigt. 44
INDIVIDUALISTISCHE SINNKONZEPTE IN DER ÖKONOMIK
da nur sie selbst die eigene »innere« Situation kennen, d.h., Zugang zu dem eigenen Bewusstsein haben. Dies bedeutet aber, dass das zentrale Problem der Konstitution des Sozialen auf der Basis der individuellen Bewusstseinsleistungen, das ausführlich in dem Abschnitt über das Sinnkonzept von Alfred Schütz besprochen wurde, für eine auf der intentionalen Rationalität basierende, interpretative Ökonomik relevant bleibt. Warum dieses Problem eine Bedeutung für die ökonomische Theorie hat und wie es dort bis jetzt gelöst wurde, wird im nächsten Abschnitt besprochen.
Wirtschaften als soziales Handeln Es lässt sich zeigen, dass die Übernahme der hermeneutischen Perspektive genauso wie das Beharren auf der Zweck-Mittel-Rationalität einem der zentralen Ansprüche der Ökonomik, nämlich Phänomene »auf sozialer Ebene« zu erklären75, nicht gerecht sind. Es geht dabei um Phänomene, die als Resultat gegenseitig abhängiger Handlungen mehrerer Akteure zustande kommen. In einer arbeitsteilig organisierten und auf den Tausch orientierten Ökonomie spielen solche Phänomene (z.B. Markt, Kooperation, Vertrauen, auch Präferenzen) eine zentrale Rolle, denn die Wirtschaftsakteure sind in ihrem Handeln aufeinander bezogen und in dem Ablauf des Handelns aneinander orientiert. Gemäß der Definition von Max Weber handeln sie sozial. Wirtschaften ist vor diesem Hintergrund keine bloße »Dingwelt« (das Herstellen, poiesis), sondern soziales Handeln. Die Ökonomie wurde sich der Sozialität ihrer Untersuchungsobjekte bewusst, versuchte aber in Übereinstimmung mit dem methodologischen Individualismus soziale Phänomene als Aggregate, als Summe individueller, voneinander unabhängiger Entscheidungen, darzustellen. Diese Lösung bleibt aber unbefriedigend. Der Vorgang der Aggregation genauso wie Prozesse der Anpassung der Entscheidungen aufeinander stellen für die Ökonomik ein theoretisches Problem dar, das mit ihrem Kategorien- und Methodenapparat nicht gelöst werden kann. Dies wird in den nächsten Abschnitten an einigen Beispielen illustriert. Es wird gezeigt, dass der methodologische Reduktionismus auf das Individuum und seine rationalen Kalküle oder Intentionen, zum Widerspruch führt: Vom Standpunkt des individuellen Sinnentwerfens und Interpretierens
75 Wolfgang Leininger: »Mikroökonomik«, in: von Jürgen Hagen (Hg.), Springers Handbuch der Volkswirtschaftslehre, Berlin [u.a.]: Springer 1996, S. 2. 45
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
lassen sich soziale Phänomene, die genau wie Sinn selbst sozialer Natur sind, nicht erklären.
Markt, Vertrauen und soziale Wechselwirkungen Markt wird in der Ökonomik als ein »Treffpunkt« unabhängiger wirtschaftlicher Kalküle konzipiert. Zum Beispiel in der allgemeinen Gleichgewichtstheorie in ihrer Walrasianischen Ausprägung stellt sich in einem Wettbewerbsmarkt immer ein Gleichgewichtspreis ein, der durch den Ausgleich von Angebot und Nachfrage, die als eine mechanisch ermittelte Summe der individuellen Angebote und Nachfragen bestimmt werden, zustande kommt. Es wird unterstellt, dass alle Wirtschaftsakteure vollkommen informiert sind, die Preise im Markt nicht beeinflussen können und ihre Nachfrage- (bzw. Angebots-) funktion optimieren. Sie entscheiden isoliert und voneinander unabhängig, als Ergebnis erreichen sie eine Pareto-optimale Güterallokation76. Der Anpassungsmechanismus, der zu diesem Ruhepunkt einer Ökonomie führt, wird aber unzureichend erklärt. Die klassische ökonomische Theorie schreibt die Leistung der Anpassung individueller Handlungen und Entscheidungen den mythischen Marktkräften zu. So beschreibt die Metapher der »unsichtbaren Hand« diese regulierenden Marktkräfte als Interdependenzmechanismus der Einzelentscheidungen im Markt.77 Die »unsichtbare Hand«, die aus dem Individuellen Soziales schafft, ist eine Metapher für die gesamte soziale Dynamik, die ohne entsprechende theoretische Fundierung in die ökonomischen Modelle eingeht. So schrieb Baecker (1988): »Eine Theorie des Wirtschaftssystems, die die Interdependenz der Kalküle bestimmen könnte, gibt es in der ökonomischen Theorie nicht. Darum wird der Markt als Voraussetzung gleichzeitig zum Problem der ökonomischen Theorie: ausgehend von individuellen Kalkülen kann der Markt nicht abgebildet werden.«78
Trotzdem versuchte die Ökonomik eben dies nachhaltig zu tun. Walras, dessen Namen die eben beschriebene statische Gleichgewichtswirtschaft trägt, sowie nach ihm Arrow und Debreu, postulierten die »unsichtbare
76 In einem Pareto-Optimum ist es unmöglich, einen Konsumenten oder Produzenten durch weitere Güterumverteilungen besser zu stellen, ohne den Nutzen von einem anderen zu verschlechtern. 77 Dirk Baecker: Information und Risiko in der Marktwirtschaft, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1988, S. 21. 78 D. Baecker: Information und Risiko, S. 22. 46
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Hand« als einen Auktionator, einen »Marktspieler«, der die Gleichgewichtspreise bestimmt: Der Auktionator sammelt sozusagen die Tauschpläne (Angebote und Nachfragewünsche) der Akteure und erhöht die Preise dort, wo er eine Überschussnachfrage feststellt, und reduziert sie dort, wo ein Überschussangebot herrscht. Dies wiederholt er solange, bis alle Märkte im Gleichgewicht sind. Es geht dabei um einen Preismechanismus, der den einzelnen Akteuren erlaubt, weiterhin unabhängig voneinander zu entscheiden. Sie können die Preise, die offensichtlich von den Entscheidungen anderer Akteure abhängen, weiterhin als gegebene Parameter betrachten: »Die Formulierung dieser Modelle stellt zwar explizit auf die im ökonomischen System vorhandenen Interdependenzen zwischen den verschiedenen Akteuren ab, analysiert diese aber nur insoweit, als gezeigt wird, dass die enorme Komplexität des ganzen Systems unter Tâtonnement-erzeugten Bedingungen auf eine Vielzahl gegenseitig unabhängiger individueller Entscheidungsprobleme reduziert werden kann.«79
Wegen dieser theoretischen Konstellation haben soziale Beziehungen in der Ökonomik grundsätzlich keinen Einfluss auf Produktion, Verteilung und Konsum; es handelt sich um die idealisierten Märkte, so Granovetter (1985) in seinem programmatischen Artikel »Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness«. Er kritisierte dort die neoklassische Annahme der sozialen Unabhängigkeit der handelnden und entscheidenden Wirtschaftssubjekte: »In classical and neoclassical economics […] the fact that actors may have social relations with one another has been treated, if at all, as a frictional drag that impedes competitive markets.«80 Diese Vernachlässigung des Sozialen ist insbesondere deshalb erstaunlich, weil in der frühen ökonomischen Literatur mehrmals auf die zentrale Rolle der sozialen Beziehungen in der Wirtschaft hingewiesen wurde. So betrachtete zum Beispiel Bentham (1970) die Wechselwirkungen zwischen den Individuen als eine der grundlegenden Determinanten von Bedürfnissen: Er listet Freuden auf, die aus diesen Beziehungen entspringen wie »die Freuden eines guten Rufs« oder Freuden der Freundschaft. Je mehr die ökonomische Theorie nach dem Siegeszug des methodologischen Individualismus formalisiert wurde, desto stärker verlor das Konzept sozialer Wechselwirkungen an Bedeutung. Dies ge79 W. Leininger: Mikroökonomik, S. 10. 80 Mark Granovetter: »Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness«, in: American Journal of Sociology 91/3 (1985), S. 484. Hervorhebungen - E.S. 47
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schah, weil in der formalisierten Standardökonomik der erzielte Nutzen eines Individuums so konzipiert wurde, dass er ausschließlich von den erworbenen Gütern und Dienstleistungen abhing. Außerhalb der klassischen Theorie wurden soziale Wechselwirkungen jedoch nicht vernachlässigt. Hinweise auf ihre zentrale Rolle in der Wirtschaft findet man zum Beispiel in der Soziologie. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte Georg Simmel (1989, 2001) die zentralen wirtschaftlichen Begriffe wie Wert, Tausch und Konkurrenz auf die sozialen Wechselwirkungen ab. Dem Konkurrenzprinzip liegt nach Simmel ein Begehren zugrunde, verstanden als eine soziale Beziehung angesichts einer dritten Sache, die knapp ist. Die Konkurrenten hindern einander daran, diese Sache exklusiv zu besitzen, und beeinflussen also gegenseitig das eigene Handeln erheblich. Jeder Wettbewerb ist sozial so strukturiert, »dass der Gewinn, weil er dem einen zufällt, dem anderen versagt bleiben muss [...] Bei jedem Wettbewerb, selbst um die idealen Güter der Ehre und Liebe, wird die Bedeutung der Leistung durch das Verhältnis bestimmt, das sie zu der Leistung des Nebenmannes hat.«81 Nur mit dieser Bestimmung der Leistung durch eine Relation zu dem Anderen kann man, schrieb auch Ortmann (2004), den »Handlungsdruck«, der die Wirtschaft antreibt, eine »Nötigung zur Überbietung« erklären. Das ist »eine Nötigung, die von der tatsächlichen oder vermeintlichen Abhängigkeit des eigenen Erfolgs vom Verhalten der Anderen ausgeht.«82 Es handelt sich hierbei um ein Konkurrenzprinzip, das nicht auf eine individuelle Nutzenmaximierung, eine einfache Bedürfnisbefriedigung oder eine Anspruchsanpassung zurückzuführen ist, weil in diesen Fällen eine »Sättigung«, ein Sich-Zufrieden-Geben möglich ist. Wenn aber die eigene Leistung durch eine Beziehung zu der aktuellen oder möglichen Leistung der Anderen, durch das ständige Beobachten und Vergleichen bewertet wird, kann der Druck zur Überbietung nicht nachlassen. »Was gut genug ist, hängt jedoch innerhalb kapitalistischer Ökonomien von den Handlungen ›der anderen‹ ab. Es stellt sich allenfalls a posteriori und hinter dem Rücken des einzelnen Akteurs heraus.«83 Auch einen anderen zentralen Begriff des Ökonomischen, den Wert eines Gegenstands, erklärte Simmel durch den Bezug zu dem Anderen. Wert entsteht nicht nur, weil der Gegenstand ein Bedürfnis befriedigt, sondern ergibt sich daraus, wie stark der Gegenstand auch von einem Anderen begehrt wird. So gesehen ist Wert keine isolierte Substantiali81 Georg Simmel: Schriften zur Soziologie: eine Auswahl, 3. Aufl., Frankfurt/Main: Suhrkamp 1989, S. 181. Hervorhebungen – E.S. 82 G. Ortmann: Fiktionen, S. 213. 83 Ebd., S. 227. 48
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tät, er entsteht in dem »lebendigen Prozess der Relation.«84 Eine Bedürfnisbefriedigung ist mehr als bloßes »Haben einer Sache«, sie ist auch eine Positionierung gegenüber dem Anderen im Sozialen: ein Streben nach Status, nach Anerkennung. Oder wie Simmel es formulierte: »Das eben war der welthistorische Irrtum, dass man in das Haben oder Nichthaben von Gegenständen den Grund der Freuden oder Leiden verlegte. Nein, nicht ob ich es habe oder nicht habe, entscheidet meine Gefühle – sondern ob andere es nicht haben oder haben.«85 Es geht um ein ständiges In-Relation-Setzen zu der Position des Anderen bezüglich der umkämpften Sache. Auch der Tausch als wichtigste Aktion im Ökonomischen ist nur so zu verstehen. Im Tausch werden die Intensitäten der Begehren verglichen, dort wird die Relation verwirklicht, welche die Gegenstände zu den Werten macht. Dies sind übersubjektive Prozesse. Tausch ist »die zugleich reinste und gesteigertste Wechselwirkung«86 und »ein soziologisches Gebilde sui generis.«87 Es sei aber angemerkt, dass es auch in der ökonomischen Theorie Versuche gab, der Bedeutung von Wechselwirkungen zwischen Individuen Rechnung zu tragen. So haben Pigou, Fisher und Pantaleoni »Eigenschaften anderer Personen in die Nutzenfunktion integriert (allerdings ohne etwas damit zu machen).«88 Die sozialen Wechselwirkungen wurden auch in der weiteren ökonomischen Literatur fast ausschließlich als Effekte auf das Einkommen oder den Konsum (»Demonstrations-«, »relative Einkommens-« oder »Mitläufereffekte«) erfasst, die mit Hilfe einer individuellen Nutzenfunktion untersucht wurden.89 Sie wurden als »spezielle Fälle«90 behandelt, die in die Theorie nicht richtig integriert wurden und keine besondere Aufmerksamkeit erregt haben. Später hat sich Ökonomik allerdings dem Problem der Erfassung der Interdependenz der Kalküle durchaus bewusst gezeigt, indem sie das theoretische Gerüst der Spieltheorie als einer interaktiven Entscheidungstheorie für die Untersuchung eigener Probleme herangezogen hat. Spieltheorie beschäftigt sich mit interdependenten (strategischen) Entscheidungen. Das heißt: Die Höhe der Auszahlungen, die Akteure mit 84 Georg Simmel: Philosophie des Geldes, Lizenzausgabe, Köln: Parkland 2001, S. 46. 85 Simmel: Schriften, S. 172. 86 Simmel: Philosophie, S. 33. 87 Ebd., S. 59. 88 G. S. Becker: Der ökonomische Ansatz, S. 284. 89 Einige Bespiele nennt G. S. Becker: (Der ökonomische Ansatz, S. 282ff.), und zwar: Brady/Friedman (1947), Leibenstein (1950) und Johnson (1952). 90 G. S. Becker: Der ökonomische Ansatz, S. 285. 49
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Entscheidungen erzielen, hängt von den Entscheidungen anderer Spieler ab. Allerdings – und dies ist zentral – ist die grundlegende Verhaltensannahme der Spieltheorie genauso wie in der klassischen ökonomischen Theorie die »der individuellen rationalen Entscheidung«91. Um eine rationale Entscheidung zu treffen, muss ein Spieler nicht nur über die Preise Erwartungen bilden, sondern auch über das Verhalten der Mitspieler, das die Preise und seine eigenen Erwartungen beeinflusst. Da es sich um eine individuelle rationale Entscheidung handelt, werden andere Personen und ihr Verhalten als Teile der Außenwelt behandelt92, über die ziemlich genaue Erwartungen gebildet werden können: Die Spieltheorie unterstellt, dass Akteure immer erwarten können, dass ihre Mitspieler rational entscheiden, d.h. die Entscheidungen treffen, die ihren Erwartungsnutzen maximieren. Mit Hilfe dieser wechselseitigen Rationalitätserwartungen wird ein selbstbestätigendes Gleichgewicht (ein Nash-Gleichgewicht) konstruiert: »Ist nämlich jeder einzelne Spieler rational (d.h. ein der Verhaltensmaxime Auszahlungsmaximierung Folgender) und ist dies wechselseitig allen Spielern bekannt, so wird (und kann!) ein rationaler Spieler das rationale Kalkül des/der anderen für sich duplizieren und so aus reinen Rationalitätsprinzipien folgern, welche (sich dann auch bestätigende) Erwartungen bezüglich des Verhaltens der anderen Spieler er (und ein anderer in bezug auf ihn) nur haben kann. Man beachte, dass dieses rationalistische Argument ohne jede Anpassungsdynamik à la Tâtonnement auskommt. Ein Nash-Gleichgewicht ist selbstbestätigend in dem Sinne, dass rationale Agenten in einer interaktiven Entscheidungssituation [...] dieser auch zu folgen bereit wären, da sich eine individuelle Abweichung nicht lohnt.«93
Dieser automatisierte Anpassungsmechanismus erklärt aber genauso wenig wie der Auktionator von Walras, wie die Anpassungen der Entscheidungen im Markt stattfinden. Besonders problematisch erscheint dieses theoretische Konstrukt, wenn es sich um Situationen handelt, in denen eine konsequente Verfolgung der individuell rationalen Strategien zu keinem effizienten Resultat, zu keiner Anpassung der Kalküle, sondern zum Marktversagen führt. Spieltheoretisch wird so eine Situation als Gefangenendilemma konstruiert: Zwei Spieler können ein optimales kollektives Ergebnis erreichen, wenn sie ihre Handlungen aneinander 91 J. Nida-Rümelin: Das rational-choice Paradigma, S. 9. 92 Wolfgang Spohn: »Wie lässt sich die Spieltheorie verstehen?«, in: Julian Nida-Rümelin (Hg.), Praktische Rationalität: Grundlagenprobleme und ethische Anwendungen des rational choice-Paradigmas, Berlin, New York: de Gruyter 1994, S. 201. 93 W. Leininger: Mikroökonomik, S. 12. 50
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abstimmen (kooperieren); gleichzeitig ist die spieltheoretisch dominante Strategie für beide die Nichtkooperation. Die individuelle Optimierung führt zu einem für die Gesamtheit suboptimalen Ergebnis. Das Gefangenenspiel macht klar, dass das Zustandekommen der kooperativen Beziehungen nicht erklärt werden kann, wenn von den rationalen Kalkülen der Akteure ausgegangen wird: Es ist unter Umständen rational, von der Kooperationsstrategie abzuweichen.94 So kann es zum Beispiel im Fall der Herstellung »öffentlicher Güter« (wie Verkehrsinfrastruktur) zum Marktversagen kommen. Wiesenthal (1987) wies in diesem Zusammenhang auf das Theorem der Unmöglichkeit des rationalen Kollektivhandelns von Olson hin: »Geht es um die Herstellung eines kollektiven Gutes, von dessen Genuss kein Mitglied einer ausreichend großen Gruppe ausgeschlossen werden kann, dann ist Kooperationsenthaltung die individuell vorteilhaftere Alternative. Weil der Nutzen aller nicht identisch ist mit dem Nutzen eines jeden, bedürfen individuelle Beiträge zur Herstellung eines Kollektivgutes anderer Motive als solche der rationalen Nutzenabwägung.«95
Solche Motive werden geformt, indem Sanktionen eingeführt oder die Spiele ausreichend lange in überschaubaren Gruppen, wo Kontrolle leicht fällt, wiederholt werden. Dies sind aber spezifische Bedingungen, die hohe Transaktionskosten verursachen und die Effizienz gefährden. Kooperation stellt vor diesem Hintergrund ein Paradox dar: »Das empirische Problem besteht darin, dass wir kooperative Strategien in wirtschaftlichen Kontexten beobachten können, in denen von den Prämissen der Spieltheorie ausgehend nichtkooperative Strategien erwartet werden müssen.«96 Die Erklärung der Anpassung von individuellen Kalkülen aneinander entzieht sich dem ökonomischen Handlungsmodell. Beckert forderte die Suche nach den alternativen Erklärungen und stellte die Hypothese auf: »Die Betrachtung wirtschaftlicher Akteure nicht als atomisierte Handelnde, sondern in ihrem sozialen Beziehungsgeflecht kann [...] zur Erklärung kooperativer Beziehungen beitragen.«97 Dies ist ein Hinweis auf die Notwendigkeit, die Rolle der sozialen Wechselwirkungen bei dem Erklären der wirtschaftlichen Sachverhalte stärker zu berücksichtigen: Es reicht nicht aus, die Abhängigkeit der Kalküle zu postulieren, es ist wichtig, sie zum Ausgangspunkt der Untersuchungen zu machen. 94 95 96 97
Vgl. J. Beckert: Grenzen des Marktes, S. 37ff. H. Wiesenthal: Rational Choice, S. 437. J. Beckert: Grenzen des Marktes, S. 38. Ebd., S. 58ff. 51
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Ein der Kooperation verwandtes Phänomen stellt Vertrauen dar. Die Situation, in der vertraut werden muss, ist durch eine Asymmetrie der Informationen charakterisiert: Ein Vertragspartner verfügt vor oder nach dem Vertragsabschluss über mehr Informationen als der andere und könnte diesen Umstand für sich ausnutzen, d.h. zu eigenem Nutzenvorteil von der Kooperationsstrategie abweichen. Dies ist beispielsweise in einer Situation der Fall, in der Güter und Leistungen gekauft werden, deren Qualität der Käufer aus verschiedenen Gründen (mangelndes Fachwissen, kein Zugang zu der Ware etc.) selbst nicht beurteilen kann: Der Nutzen, den der Käufer aus dem Kauf ziehen wird, hängt unmittelbar von der Ehrlichkeit des Verkäufers ab. Um einen Kauf in dieser Situation der Ungewissheit tätigen zu können, muss der Käufer einen Vertrauensvorschuss gegenüber den Verkäufer leisten.98 Diese Situation wird in der ökonomischen Vertragstheorie als ein Spiel konstruiert, in dem der Vertrauensgeber (Principal) das rationale Verhalten seines Gegenübers (Vertrauensnehmer, Agent) unterstellt und darüber rational entscheiden kann, ob er vertrauen soll oder nicht. Diese Entscheidung fällt er, indem er seine Nutzenfunktion maximiert, also mögliche Gewinne und Verluste abwägt. Er betrachtet die Vertrauensgewährung als eine Art ökonomischer Transaktion. Der Vertrauensgeber trifft außerdem Maßnahmen, die darauf zielen, die potenziellen Verluste einzugrenzen: Er informiert sich über den Agenten und überwacht sein Verhalten und seine Leistungen. Er wertet auch die Signale aus, die der Agent ihm in Form von Zertifikaten, Garantieversprechungen etc. sendet. Die Vertragstheorie geht davon aus, dass alle Signale von den Beteiligten uneingeschränkt beobachtbar, eindeutig interpretierbar und einschätzbar sind. Dies erlaubt dem Vertrauensgeber seine rationalen Kalküle zu präzisieren, ändert aber nichts an der Natur der Vertrauensgewährung auf der Basis einer individuellen Entscheidung. Die Kalkulationen des Vertrauensgebers versagen aber in den Situationen, in denen es tatsächlich um Vertrauen geht: »Trust can be discussed meaningfully only when it is not possible for the actors either to exclude the risk of exploitation or to calculate it probalistically.«99 Mit anderen Worten darf bei der Untersuchung des Phänomens Vertrauen kein Verhalten des potenziellen Partners als bekannt unterstellt werden, 98 Solche Situationen werden in der ökonomischen Fachliteratur als Principal-Agent-Beziehungen konzipiert: Das sind Beziehungen zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern, zum Beispiel Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Aktionäre und Manager, Kreditgeber und Kreditnehmer etc. 99 Jens Beckert: »Trust and the Performative Construction of Markets«, in: MPIfG Discussion Paper 05/8 (2005), S. 6. 52
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sonst wird das Ergebnis des Spiels, wie oben dargestellt, selbstbestätigend. Es gibt keinen rationalen Grund zu vertrauen, weil jeder, der vertraut, vor einer unauflösbaren Ungewissheit steht. Dies ist so, weil es immer möglich ist, dass der potenzielle (und im Fall, wenn vertraut wird, reale) Partner sein Versprechen nicht hält, d.h., dass er nicht liefert, nicht zahlt, die versprochene Qualität nicht leistet etc., auch wenn genug Informationen und Signale empfangen und ausgewertet wurden. Diese prinzipielle Ungewissheit, die durch die Angewiesenheit auf den Anderen entsteht, kann nicht ausgeschlossen werden. Alle individuellen rationalen Kalküle versagen in dieser Situation und tragen zum Verständnis des sozialen Phänomens Vertrauensbildung im Markt wenig bei. Diese Beispiele demonstrieren, dass obwohl soziale Interdependenzen für die ökonomische Theorie eine zentrale Rolle spielen und zu ihrem Untersuchungsobjekt gemacht wurden, sie mit dem bestehenden Kategorien- und Methodenapparat, der von isolierten individuellen Entscheidungen ausgeht, nicht befriedigend erfasst werden können. Es bleibt letztlich ungeklärt, wie sich die Entstehung und das Funktionieren vom Markt aus der Optimierung einer subjektiven Nutzenfunktion, wo die Anderen und ihre Eigenschaften als Parameter vielleicht vorkommen, erklären lassen. Die Ökonomik findet sich hier vor einem Problem, das in dem Zusammenhang mit dem Sinnbegriff bei Schütz bereits geschildert wurde: Wenn die sozioökonomische Realität aus dem individuellen, dem Anderen prinzipiell unzugänglichen Bewusstsein gesponnen wird, erscheint sie als ein Nebeneinanderfließen mehrerer getrennter Bewusstseinsströme, als Resultat autonomer Handlungen und Entscheidungen. Diese Bewusstseinsströme stehen in keiner Relation zu einander, was den Zugang zu sozialen Phänomenen unmöglich macht. Vor diesem Hintergrund ist prinzipiell zweifelhaft, dass im Rahmen der bisherigen ökonomischen Theorie der Übergang von der individuellen zu der sozialen Ebene möglich ist und dass das Soziale als eine subjektive Vorstellung von Kollektivität eine Erklärungskraft besitzt. Der methodologische Individualismus als geeignetes Instrument für die Analyse der wirtschaftlichen Phänomene wird in Frage gestellt.
Die Präferenzen Auch Präferenzbildung stellt ein Phänomen dar, das vom Standpunkt eines individuellen Kalküls nicht erfasst werden kann. Die klassische Ökonomik beschäftigt sich nicht mit diesem Problem, weil sie die Präferenzen (Zwecke) als gegeben betrachtet. Die hermeneutisch (oder interpretativ) geprägte Ökonomik verbindet die Frage nach der Entstehung 53
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und Entwicklung der Präferenzen mit den sinngebenden Aktivitäten der Wirtschaftsakteure. Bevor ein Akteur wählen kann, entwirft und interpretiert er Präferenzen, die früher »axiomatisch, d.h. als nicht begründbare Ausgangsdaten eines jeden wirtschaftlichen Handelns« eingeführt wurden.100 Die Präferenzordnung und Handlungsmöglichkeiten werden in Prozessen der Bedeutungszuschreibungen bestimmt: Einige Alternativen werden für bedeutsam gehalten und in die Menge der möglichen Handlungen aufgenommen, die anderen bleiben unberücksichtigt oder werden aussortiert. Handlungsräume werden durch die Deutungsleistungen der Akteure konstituiert. Diese Deutungsleistungen werden in der Ökonomik als rein subjektive Vorgänge konzipiert. Es sei an dieser Stelle allerdings an die oben dargestellte Diskussion des Sinnbegriffs bei den Hermeneutikern und bei Alfred Schütz hingewiesen, als gezeigt wurde, dass jede intentionale Sinngebung in die sozialen und kulturellen Kontexte gestellt und dadurch transzendiert wird. So äußerte Gadamer Zweifel an der Möglichkeit der intentionalen Sinngebung. Er behauptete, dass Sinn nicht durch die Intention eines Autors in einen Text »gelegt« werden kann. Ein Anderer, z.B. ein Interpret, stellt den subjektiven Sinn des Autors in immer wieder neue Kontexte, bindet ihn in eine Wirkungsgeschichte, in eine Reihe von sozialen und kulturellen Vorverständnissen und Vorurteilen mit ein. Sinn übersteigt jede subjektive Intention. Genauso wurde am Beispiel vom egologischen Sinnkonzept von Alfred Schütz gezeigt, dass jede subjektive Sinngebung durch die Anwendung von Typisierungen in die sozialen und kulturellen Kontexte eingebunden ist. Die Analyse der subjektiven Sinnkonzepte lässt grundsätzliche Zweifel daran entstehen, ob man von so etwas wie einer autonomen Entscheidung oder einer individuellen Bewusstseinsleistung überhaupt sprechen kann. Aus dieser Perspektive darf auch die Erklärung der Präferenzbildung nicht auf ein rationales Kalkül oder eine Intention eines wirtschaftenden Subjekts zurückgeführt werden. Auf diese Tatsache wurde schon mehrmals in der Literatur hingewiesen. So ging es den hermeneutisch orientierten Autoren wie Johnson (1991) und Wildavski (1992, 1998) um das Erklären der Präferenzbildung durch ihre Anbindung an kulturelle Kontexte, die nach ihrer Meinung nicht länger ignoriert werden können. »By getting rid of the uncaused cause (interests or preferences explain everything but nothing explains them), the cultural context through which preferences are formed and reformed becomes central.«101 100 B. P. Priddat: Kultur und Ökonomie, S. 203. 101 Aaron Wildavsky: »Indispensable Framework or just another Ideology? Prisoner’s Dilemma as an Antihierarchical Game«, in: Rationality and Society 4/1 (1992), S. 21. 54
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Das beste Beispiel hierfür sind die Präferenzen für die Positionsgüter, d.h. Güter, die nicht überlebensnotwendig sind, sondern sozialen Status und Macht signalisieren.102 Bereits Veblen (1986) hat auf die Rolle des demonstrativen Konsums hingewiesen. Die Positionsgüter symbolisieren soziale Anerkennung und Prestige, die nur für einen Menschen als soziales Wesen, also in soziale Wechselwirkungen eingebundenes Wesen, von Bedeutung sein können. Sie sind Symbole und folglich Kult- und Kulturobjekte, die ihren Wert im Sinn von Simmel in den sozialen Wechselbeziehungen erlangen. Menschen definieren in den sozialen Kontexten, d.h. mit Rücksicht auf Andere, was begehrt ist, laden Güter mit Bedeutungen auf und fragen diese Güter teilweise nur wegen der sozialen Bedeutung und als Statussymbol nach. Ganze Branchen wie Marketing und Werbung beschäftigen sich mit der Kreation und Verkörperung der sozialen Bedeutungen in Form von visuellen und akustischen Symbolen; dabei formen und umformen sie die Präferenzen der Konsumenten, öffnen die neuen Alternativen. Die Nachfrage nach Luxusgütern und die Bereitschaft, einen übertriebenen Preis für sie zu zahlen, kann nur durch den ausgeprägten Wunsch, sich von den Anderen abzusetzen und zu unterscheiden, erklärt werden.103 Es geht dabei um nichts anderes als eine andere Form des Orientierens an Mitmenschen, die aber interessanterweise Hand in Hand mit Mimesis geht. Der Prozess der Präferenzbildung kann auch als ein mimetischer beschrieben werden: »Wir ahmen einander in unserem Begehren nach. Wir begehren, was der andere begehrt, der aber begehrt, was wir begehren.«104 Das heißt, man generiert die Präferenzen nicht isoliert, sondern kopiert sie gegenseitig. Dies stellt aber die Ökonomik vor ein schwieriges Problem: Sie ist nicht imstande, die Genese der Präferenzen theoretisch zu erfassen. »This failure to explain the formation of preferences is linked to the assumption of independent individuals who interact solely through exchange. If preferences are socially constructed, not only socialized but socially structured, then markets cannot operate in a Pareto optimal manner.«105 102 Vgl. Rolf P. Sieferle: »Gesellschaft in Übergang«, in: Dirk Baecker: (Hg.): Archäologie der Arbeit, Berlin: Kadmos 2002, S. 144. 103 Zum Beispiel betonte Marshall (1964, S. 87ff.) die Bedeutung »des Wunsches nach Unterscheidung«, der die Nachfrage nach der Nahrung, der Kleidung, der Wohnung und produktiver Aktivitäten bestimmt (s. Becker 1993, S. 284). 104 Günther Ortmann: Regel und Ausnahme: Paradoxien sozialer Ordnung, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2003a, S. 262. 105 Roger Friedland/Robert Alford: »Bringing Society Back in: Symbols, Practices, and Institutional Contradictions«, in: Walter W. Powell/Paul 55
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Die Präferenzen werden dadurch beeinflusst, dass die Wirtschaftsakteure in direkten oder indirekten Beziehungen zueinander stehen, dass sie verhandeln, um Status und Anerkennung kämpfen. Die Präferenzen werden in den sozialen Kontexten geformt und umgewandelt. Genauso wie es unmöglich ist, einen Sinn subjektiv zu intendieren, ist es nicht möglich, eine Präferenz haben zu wollen. Der Präferenzwandel ist ein Resultat des sozialen Handelns, das genauso wie Markt oder Vertrauen aus den individuellen Kalkülen der Akteure nicht abgeleitet werden kann.
Handeln und Sprechen Hannah Arendt (1960) wies in ihrem Werk »Vita activa, oder vom tätigen Leben« auf die Untrennbarkeit von Handeln und Sprechen hin. Diese Untrennbarkeit ist für die ökonomische Theorie nicht selbstverständlich, denn dort wird von der »Neutralität der Sprache«106 ausgegangen: Sogar wenn wirtschaftliche Akteure miteinander sprechen, bleibt diese Kommunikation in ökonomischer Hinsicht folgenlos. Die individuellen Entscheidungen, Überzeugungen und Meinungen der Akteure werden von den Sprechhandlungen nicht beeinflusst. Die Kommunikation wird als Austausch von Botschaften, d.h. als reine Verständigung konzipiert. So eine Art Verständigung ist zum Beispiel für einen Akt des Vertragsabschlusses notwendig, wird aber für den Erfolg oder Misserfolg der Verhandlungs- und Einigungsprozesse, die dabei ablaufen, für die zustande kommende Preise und weitere Konditionen des Geschäfts als belanglos betrachtet. Wenn aber Handeln und Sprechen nicht trennbar sind, resultiert daraus, so Arendt, die Unmöglichkeit der Privatheit des Handelns. Mit anderen Worten, wenn Handelnde eine Sprache benutzen, können ihre Handlungen nicht als isoliert und voneinander unabhängig betrachtet werden, weil sie sich gegenseitig beeinflussen. Diese Idee ist für die Theorie des Ökonomischen besonders wichtig, wenn Wirtschaften als ein soziales Handeln konzipiert wird. Priddat (1995) griff sie auf, als er betonte, dass ein isolierter ökonomischer Wahlakt als Resultat von subjektiven Denkakten nur unter einer Voraussetzung möglich ist: Das individuelle Denken erfolgt nicht in der Sprache.107 Dann kann das Entwerfen und Planen des Handelns als ein monologischer innerlicher Prozess begriffen werden. Wenn aber Sinngebungsprozesse, Bedeutungszuschreibungen, Interpretationen und »DefiDiMaggio (Hg.), The New Institutionalism in Organisational Analysis, Chicago: University of Chicago Press 1991, S. 234. 106 B. Männel: Sprache und Ökonomie, S. 28ff. 107 B. P. Priddat: Rational Choice, S. 131. 56
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nition« der Situation in der Sprache erfolgen, wenn Akteure in die Sprachspiele involviert sind, können die Wahlakte nicht isoliert von den Wahlakten anderer betrachtet werden. Es gibt dann keine »private Regel« für die Entscheidungen. Es geht um »subjektive Entscheidungen im Bedeutungskollektiv der Sprache«108. Priddat schrieb: »Gerade dann, wenn das Individuum meint, dass es die Wahl alleine getroffen hat, indem es in seinem privaten Denken sich Alternativen imaginiert hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich über diesen Umstand täuscht und dass es nur das entschieden hat, was alle entscheiden, weil der sublime Einfluss der allgemeinen, in gesellschaftlichen Kommunikationen variierten Semantik so selbstverständlich ist, dass das Individuum gar nicht weiß, dass seine Privatheit nur einen öffentlichen Diskurs imitiert.«109
Bedeutungen, die den nachgefragten Gütern zugeschrieben werden, sind dann die in den Kommunikationsprozessen geteilten sozialen Bedeutungen. Sie können nicht einer individuellen Entscheidung zugeschrieben werden. Das Postulat der Untrennbarkeit von Handeln und Sprechen wird ausführlich im Abschnitt 8, wo es um den performativen Sinnbegriff geht, behandelt. An dieser Stelle soll lediglich auf die Nicht-Neutralität der Sprache hingewiesen werden, um zu zeigen, dass ökonomische Handlungen einzelner Akteure durch die Einbezogenheit in die sprachliche Kommunikation verwoben und vom individuellen Standpunkt unzugänglich sind. Isoliert werden weder das Handeln entworfen noch der Sinn verbunden: Handeln und Sinn werden von den in der Sprache kommunizierten Zielen und Wünschen der Anderen beeinflusst.
Die prinzipielle Ungewissheit und das Neue Die prinzipielle Schwierigkeit, mit der die traditionelle Ökonomik bei dem Erfassen der sozialen Phänomene konfrontiert ist, besteht darin, dass das Verhalten anderer Akteure eigentlich nicht als bekannt oder als rational vorhersagbar unterstellt werden darf. Wenn Wirtschaften soziales Handeln darstellt, dem soziale Beziehungen zugrunde liegen, dann ist jeder Wirtschaftsakteur in seinem Handeln einer prinzipiellen Ungewissheit ausgesetzt. Wenn man das Soziale als wechselseitige Abhängigkeit und Orientiertheit des Handelns versteht, kann diese Wechselseitigkeit nicht als eine »bloße« Präsenz von einem Anderen mit den bekannten Eigenschaften oder als eine einseitige, auf den Anderen gerich108 Ebd. 109 Ebd., S. 132. 57
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tete Erwartung konzipiert werden. Dies wurde schon am Beispiel Sinnbegriffs von Weber demonstriert: Die Wechselseitigkeit einer sozialen Beziehung kann nicht erfasst werden, wenn der Ausgangspunkt der Betrachtung ein in seiner monadischen Welt eingeschlossenes Individuum bleibt. Der Andere muss als eine Quelle des Unerwartbaren betrachtet werden. Dieses Argument gilt auch für das Konzept des »Fremdverstehens« bei Schütz: Da der Andere dort als ein typischer Anderer wie Ich und Du erfasst wird, bleibt das Soziale bloß eine subjektive Vorstellung, der keine wechselseitigen Beziehungen zugrunde liegen. Sowohl die traditionelle Ökonomik als auch die Spieltheorie gehen ebenso von einem rationalen Idealtyp aus, der mit der »Generalthese der reziproken Perspektiven« arbeitet: Ein Anderer ist ein rationaler Spieler, der genauso wie Ego seinen Erwartungsnutzen maximiert. Sein Einfluss auf die Erwartungen und Entscheidungen von Ego kann in einer rationalen Theorie nur deswegen präzise ausgerechnet werden, weil sein Verhalten bekannt, genau beobachtbar oder eindeutig interpretierbar und erwartbar ist. Diese Annahmen, und dies wurde bereits am Beispiel des Phänomens Vertrauen angedeutet, sind im Sozialen nicht ohne weiteres gültig: Wenn es um die sozialen Wechselwirkungen geht, muss mit einer unauflösbaren Ungewissheit der Situationen gerechnet werden, vor allem weil fremdes Verhalten und Erwarten nicht einfach unterstellt oder erwartet werden können. So schrieb der Spieltheoretiker Harsanyi (1965): »Die grundsätzliche Schwierigkeit für die Definition rationalen Verhaltens in Spielsituationen liegt in der Tatsache, dass die Strategie eines jeden Spielers im allgemeinen von seinen Erwartungen über die Strategien der anderen Spieler abhängen wird. Wenn wir seine Erwartungen als gegeben voraussetzen könnten, so reduzierte sich sein Entscheidungsproblem auf ein gewöhnliches Maximierungsproblem [...] Der springende Punkt ist jedoch, dass die Spieltheorie die Erwartungen der Spieler über das Verhalten der anderen nicht als gegeben betrachten kann; vielmehr liegt eines der wichtigsten Probleme für die Spieltheorie genau darin zu entscheiden, welche Erwartungen intelligente Spieler über das Verhalten anderer intelligenter Spieler rationalerweise haben können. Dies kann man das Problem der wechselseitigen ›rationalen Erwartungen‹ nennen.«110
Grundsätzlich geht es um die Frage, ob und wie das Verhalten anderer Akteure erwartet werden kann. Dies ist im Sozialen deswegen ein Prob110 John C. Harsanyi: »Bargaining and conflict situations in the light of a new approach to game theory«, in: The American Economic Review. 55 (1965), S. 450. 58
INDIVIDUALISTISCHE SINNKONZEPTE IN DER ÖKONOMIK
lem, weil die Wechselseitigkeit des Handelns bedeutet, dass die Resultate des Handelns vom unvorhersehbaren Handeln anderer Akteure abhängen. Das Handeln Anderer ist unvorhersehbar, weil, wie im Kapitel über das Sinnkonzept bei Alfred Schütz ausführlich diskutiert wurde, ein vollständiges Verstehen der anderen sozialen Akteure seitens eines Individuums nie möglich ist: Kein Akteur hat eine Vorstellung über den gesamten Erfahrungszusammenhang seines Gegenübers und kann deswegen den fremden Sinn nur in Bruchteilen, wenn überhaupt, erfassen. Da im Voraus nicht bekannt ist, wie die Partner oder Konkurrenten handeln, welchen Einfluss sie ausüben, in welche Kontexte die subjektiven Entwürfe gerückt werden und welche Handlungsmöglichkeiten sich dadurch öffnen, entstehen Ungewissheit und Mehrdeutigkeit. Hannah Arendt (1960) nannte die sozialen und kulturellen Kontexte, die jede subjektive Intention modifizieren, »das Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten«: »Weil dies Bezugsgewebe mit den zahllosen, einander widerstrebenden Absichten und Zwecken, die in ihm zur Geltung kommen, immer schon da war, bevor das Handeln überhaupt zum Zug kommt, kann der Handelnde so gut wie niemals die Ziele, die ihm ursprünglich vorschwebten, in Reinheit verwirklichen.«111
Insbesondere im Sozialen kommt es oft zu den »Zuständen, die wesentlich Nebenprodukt sind«112: Das sind Zustände, die man durch das Intendieren eben nicht erreicht. Es kommt zu unintendierten Folgen des Handelns. Dies geschieht, weil der Einfluss der Handlungen Anderer, der in diesen Kontexten ausgeübt wird, nicht vorhersehbar ist. In den Interaktionen kommt zum Entstehen der kollektiven Phänomene wie Wirtschaftskrisen, Börsenkrach, Konsumtrends, die sich aus den Handlungen einzelner nicht erklären lassen, denn, schrieben Homann/Suchanek (2000), »solche interdependenten Resultate will oft keiner der Interaktionspartner [...] Das Resultat der [...] Interaktion hat kein Interaktionspartner allein in der Hand, jeder ist für die Erzielung eines gewünschten Resultats auf die Mitwirkung des/der anderen angewiesen.«113 Die kollektiven Phänomene lassen sich nicht aus den Intentionen und Handlungen einzelner Subjekte erklären. Ein einschlägiges Beispiel bieten die Finanzmärkte an: So hat ein Investor in eine Aktie ein klares Ziel vor Augen, nämlich der Anstieg 111 H. Arendt: Vita activa, S. 174. 112 J. Elster: Subversion, S. 141ff. 113 Karl Homann/Andreas Suchanek: Ökonomik: eine Einführung, Tübingen: Mohr 2000, S. 23. 59
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
des Aktienpreises in der Zukunft, kann aber dieses Ziel nicht beeinflussen, weil die Aktienpreisentwicklung von der Mitwirkung mehrerer anderer Akteure auf dem Markt abhängt. Sie hängt davon ab, ob das Management des Unternehmens, in das investiert wurde, Bilanzen nicht fälscht oder in einer anderen Form die Investoren nicht betrügt, ob es auch korrekte Informationen professionell kommuniziert etc. Es ist auch wichtig, zu welchen Empfehlungen Analysten verschiedener Investmentbanken gelangen. Vor allem hängt die Entwicklung des Aktienpreises davon ab, wie andere Investoren die im Markt erhältlichen Informationen auswerten und darauf reagieren. Wenn alle Anderen ihre Aktien verkaufen und dadurch der Kurs sinkt, wird ein Käufer mit den unintendierten Folgen seiner Handlung konfrontiert. Daraus folgt: Wenn Wirtschaften ein soziales Handeln, dem soziale Beziehungen zugrunde liegen, darstellt, dann erfolgt dieses Handeln unter prinzipieller Ungewissheit. Eine Situation mit prinzipieller Ungewissheit stellt ein theoretisch unlösbares Problem für den Rationalchoice-Ansatz. Um sich damit näher befassen zu können, muss die Ungewissheit definiert werden. Unter Ungewissheit wird eine Entscheidungssituation verstanden, in der die zur Wahl stehenden Alternativen unbekannt sind.114 Seit Frank Knight (1971) wird die Entscheidungstheorie durch die Unterscheidung zwischen Sicherheit, Risiko und Unsicherheit dominiert, die die Ungewissheit als eine von den drei prinzipiell unterschiedene Situation nicht berücksichtigt. In Anlehnung an Knight definierte Priddat: »(a) Entscheidungen unter Gewissheit sind der ›klassische‹ Normalfall der Ökonomie; er gilt für wohlstrukturierte Alternativenmengen und für eindeutige Präferenzprofile. (b) Entscheidung unter Unsicherheit dagegen bezeichnet eine Situation, in der zwar die Alternativen bekannt sind, nicht aber ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten. (c) Die Behebung des Mangels von (b) - die Zuordnung von Eintrittswahr115 scheinlichkeiten zu den Alternativen definiert eine Risikoentscheidung.«
Der prinzipielle Unterschied zwischen Unsicherheit und Ungewissheit besteht darin, dass bei der Ungewissheit die Alternativen nicht bekannt
114 Vgl. Birger P. Priddat: »Risiko, Ungewissheit und Neues: Epistemologische Probleme ökonomischer Entscheidungsbildung«, in: Gerhard Banse (Hg.): Risikoforschung zwischen Disziplinarität und Interdisziplinarität: von der Illusion der Sicherheit zum Umgang mit Unsicherheit, Berlin: Ed. Sigma 1996a, S. 107ff. 115 Ebd., S. 108. 60
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sind: Deswegen kann Ungewissheit nicht, im Unterschied zu Unsicherheit, in eine Situation mit Risiko oder Gewissheit transformiert werden, bei denen den bekannten Handlungsmöglichkeiten bestimmte Folgen und Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden, so dass der Erwartungsnutzen ausgerechnet und hiermit die Nutzenmaximierungsregel angewandt werden können. Im sozialen Handeln des Wirtschaftens muss immer mit einer Überraschung, mit dem Eintritt von etwas Neuem (d.h. dem Eintritt einer bis jetzt unberücksichtigten Alternative116) gerechnet werden. Der Alternativenraum ist ex ante unbekannt, weil er von einem autonomen Subjekt nicht bestimmt werden kann. Im sozialen Handeln, bei dem in der Abhängigkeit von dem unvorhersehbaren handeln Anderer agiert wird und ständig unintendierte – überraschende – Folgen des Handelns entstehen, ist es unmöglich den Alternativenraum vollständig zu überblicken. In diesem Fall »haben wir Schwierigkeiten, davon zu sprechen, ob überhaupt ›etwas‹ vorliegt, das wir ›Alternativen‹ nennen können«117. Wir wissen nicht, welche Alternativen für eine zu treffende Wahl relevant sind, weil sich alle uns scheinbar bekannten Alternativen durch den Eintritt eines überraschenden Ereignisses als irrelevant erweisen können. Diese prinzipielle Ungewissheit lässt alle Versuche der traditionellen, auf dem Rational-choice-Ansatz basierten Ökonomik, die sozialen Phänomene zu erklären, als unbefriedigend erscheinen: Die unbekannten und unberechenbaren Resultate eigener und fremder Handlungen lassen sich nicht optimieren. In diesem Zusammenhang schrieb Beckert (1997): »Wie aber steht es um das Problem des Handelns unter Bedingungen radikaler Ungewissheit? Das sich durch Ungewissheit für die ökonomische Theorie ergebende Problem war ja, ... dass es für Akteure nicht möglich ist, die optimale Handlungsalternative zu deduzieren, weshalb notwendigerweise das Maximierungspostulat der Theorie verletzt werden muss. Die sich daraus ergebende Frage war, wie Akteure, die an der Maximierung ihres Nutzens bzw. Gewinns interessiert sind, unter dieser Bedingung Entscheidungen treffen. Was tun wir, wenn wir nicht wissen können, welche Handlungsalternative unseren Nutzen maximiert?«118
Eine für die vorliegende Arbeit interessantere Frage lautet aber: Wie reagiert die ökonomische Theorie auf das Problem, dass ihre Akteure den 116 B. P. Priddat (Risiko, Ungewissheit und Neues, S. 111) nennt diesen Umstand »C-Kontingenz«: Während ein Akteur Ereignisse A und B erwartet, tritt das Ereignis C auf (»potential surprise«). 117 B. P. Priddat: Risiko, Ungewissheit und Neues, S. 110. 118 Jens Beckert: Grenzen des Marktes: die sozialen Grundlagen wirtschaftlicher Effizienz, Frankfurt/Main [u.a.]: Campus 1997, S. 291. 61
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Nutzen nicht maximieren können? Die klassische und neoklassische Theorie ist konsequent mit dem Problem so umgegangen, dass sie die Ungewissheit und das Neue ausgeschlossen hat. Es wurde die Annahme vollständiger Information getroffen. Oder es wurde unterstellt, dass adäquate Erwartungen gebildet werden können, die erlauben, den Alternativenraum doch zu definieren und den Erwartungsnutzen zu optimieren.119 Alle Quellen der Ungewissheit wurden als einer Wirtschaft exogen betrachtet. Dies soll am Beispiel des Phänomens des Neuen und der Innovation erläutert werden. Das Neue ist eine Überraschung, die in der traditionellen Wirtschaftstheorie eine exogen erzeugte Veränderung darstellt. Eine Innovation ist lediglich ein von außen induziertes Ereignis, das zu einer Kostensenkung bei den Produktionsfaktoren führt, die als Variablen in die Produktionsfunktion eines Unternehmens eingehen. Ihr Resultat ist eine Veränderung der Optimierungsbedingungen für das Unternehmen. Die Gründe für das Entstehen einer Innovation werden nicht betrachtet. »Neoclassical economics is committed to the explanation of all phenomena in terms of rational choice within constraints. In the present case, this implies that the rate and the bias of technical change should result from deliberate choice, presumably by the enterpreneur. But then we must ask: What are the constraints? And how can they be known to the enterpreneur? If he has access to better methods, how is it that he is not already using them?«120
Elster spielte in diesem Zitat auf das Paradox des Neuen als »das Paradox des Suchens«121 an, das dem Optimierungsansatz den Zugang zu dem Problem versperrt: Das Neue kann man nicht gezielt suchen, sonst hätte man schon gewusst, was man sucht, und es wäre folglich nicht neu. Das Neue ist nicht planbar, nicht vorhersehbar, deswegen können in einer Innovationssituation weder Ziele noch Mittel eindeutig bestimmt und einander zugeordnet werden. Mit Hilfe einer rationalen Methode kann in dieser Situation keine Entscheidung getroffen werden. Auch die Ambivalenz des radikalen Übergangs zu dem Neuen, der mit dem ständigen Risiko des Scheiterns, des Misslingens verbunden ist, kann mit den rationalen Gesetzen nicht erfasst werden.
119 Die Theorie von Weber unterstellt auch, wie oben gezeigt wurde, dass die Erwartungsbildung über das Verhalten der Anderen immer möglich ist. 120 Jon Elster: Explaining Technical Change: A Case Study in the Philosophy of Science, Cambridge: Cambridge University Press 1983, S. 101. 121 Bernhard Waldenfels: Der Stachel des Fremden, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1990, S. 97. 62
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Deswegen betreibt die traditionelle Ökonomik nachhaltig suppresion of surprise122. »Das Neue ist nicht ein Begriffselement des rationellen Wirtschaftens«123 schrieb Immerthal (2007) und erklärte damit auch, warum dem Unternehmer als kreativem Zerstörer und dem Regelbrecher eine Rolle nur außerhalb der Standardökonomik zukommt. Für die Österreichische Schule, die sich mit dem Problem des Neuen im Unternehmertum befasst hat, wird die Entstehung des Neuen mit dem Begriff einer unternehmerischen Idee verbunden. So war zum Beispiel für Schumpeter (1926) die wirtschaftliche Entwicklung ohne unternehmerische Vorstellungskraft nicht denkbar: Ohne sie würden die Märkte in der Statik des ewigen Gleichgewichts verharren. Auch von Mises (1949), Hayek (1969) und Kirzner (1973) betonten die Bedeutung der Innovationstätigkeit, die sie als unternehmerische Findigkeit und als individuellen Entdeckungsprozess verstanden haben, für die wirtschaftliche Dynamik. Für Shackle (1972) war die Quelle des Neuen die menschliche Imaginationsgabe, die die neuen Handlungsalternativen schafft. Mit anderen Worten liegt dem Entstehen einer neuen Ware zum Beispiel eine Intention, eine subjektive Bewusstseinsleistung zugrunde. Ein Unternehmer denkt das Neue aus, »imaginiert« sozusagen eine Ware. Er verbindet mit der neuen Ware einen subjektiv gemeinten Sinn. Interessanterweise wurde diese Ansicht auch von den Vertretern neuerer evolutionärer Innovationstheorien, wie zum Beispiel von Nelson/Winter (1977), geteilt: Sie betonten die zentrale Rolle der Techniker und Ingenieure, ihrer Überzeugungen und Motivationen. Es wird mit anderen Worten unterstellt, dass das Neue von einem Individuum intendiert werden kann, was aber vor dem Hintergrund der oben geführten Diskussion nicht unproblematisch erscheint. Schumpeter teilte zum Beispiel den Innovationsprozess in drei Phasen – Invention (das Entwerfen und Entwickeln eines Produkts), Innovation (die Einführung in den Markt) und Diffusion (die Prozesse der Durchsetzung und Verbreitung des Produkts im Markt). Mit diesem Verständnis der Innovation – es handelt sich dabei um Produkte, die im Markt eine Verbreitung gefunden haben – wird betont, dass das Ergebnis der Innovationsprozesse nicht beabsichtigt werden kann, weil es in sozialen und kulturellen Kontexten des Konsums bestimmt wird. Dies wird auch von den neueren Innovationstheorien herausgestellt, die den Nachfragesog (»de122 John R. Hicks: »Is Interest the Price of a Factor of Production?«, in: Mario J. Rizzo (Hg), Time, Uncertainty, and Disequilibrium: Exploration on Austrian Themes, Lexington, Massachusetts: D.C. Heath and Company 1979, S. 56. 123 Lars Immerthal: Zum Wandel von Ethos und Strategie des Unternehmertums im Ausgang der Moderne, München: Fink (2007), S. 82. 63
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mand pull«), i.e. Erwartungen und Bedürfnisse der Konsumenten, als Quelle von Innovationen betrachten. Es geht um die sozialen Wechselwirkungen zwischen Produzenten und Konsumenten, in denen das Neue entsteht. Die Beschreibung von diesen Prozessen, genauso wie das Problem der Entstehung der neuen Bedürfnisse und Präferenzen sowie der Vertrauensbildung, entzieht sich dem Analyseapparat der traditionellen Ökonomik.
Regeln und Institutionen Wenn Wirtschaften als ein soziales Handeln unter prinzipiellen Ungewissheit verstanden wird, stellt sich dann generell die Frage: Wie ist überhaupt das Handeln im Sozialen (und im Ökonomischen) möglich? Wieso wird nicht alles durch Ungewissheit gelähmt? Parsons formulierte das Problem der doppelten Kontingenz, »dass kein Handeln zustande kommen kann, wenn Alter sein Handeln von den Handlungen von Ego abhängig macht, die wiederum kontingent an die Handlungen von Alter angeschlossen werden sollen. Wie also, so stellt sich die Frage, können Akteure Handlungsanschlüsse unter der Bedingung radikaler Ungewissheit bezüglich der Handlungsabsichten des Interaktionspartners finden?«124
Die ökonomische Theorie hat in den letzten Jahrzehnten einen anderen Weg als den pauschalen Ausschluss von Überraschungen gesucht, um die Überbrückung der Kluft der doppelten Kontingenz zu konzipieren. Es handelt sich dabei um die Institutionsökonomik. Ähnlich wie die Annahme der vollständigen Information oder der rationalen Erwartungsbildung sind auch Normen und Institutionen Instrumente der Überwindung der Ungewissheit im Sozialen. Normen sind Regeln, die von den sozialen Akteuren geteilt werden und ihr Handeln anleiten. Sie werden entweder als sanktionierte soziale Erwartungen (Fremdzwang) oder als internalisierte Werte (Selbstzwang) konzipiert. Auch Institutionen werden als Systeme etablierter Verhaltensregeln verstanden. Normen und Institutionen dienen der Stabilisierung der reziproken Handlungserwartungen, dem Ausschluss der Kontingenz. Aus der Verfügbarkeit gemeinsamer Symbole, der Normen und Werte ergibt sich, so Parsons, die Möglichkeit sozialer Ordnung, der Koordination und wechselseitiger Orientierung der sozialen Akteure. Dadurch wird ein geteiltes Situationsverständnis und damit Koordination des Handelns
124 J. Beckert: Grenzen des Marktes, S. 294. 64
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ermöglicht. Institutionen und Normen bieten der Ökonomik scheinbar einen Weg, Kooperation, Markt und Vertrauen zu erklären: Die Tauschbeziehungen sind normgeleitet und institutionell strukturiert. Das zentrale Problem, das vor diesem Hintergrund entsteht, wurde bereits sehr ausführlich in der Literatur diskutiert: das Problem der Regelbefolgung. Wenn man das Handeln durch die Orientierung an Normen und Werte erklären will, müsste man davon ausgehen können, dass jedes Handeln normorientiert ist. Die Geltung der Normen und normativer Konsens müssten immer vorausgesetzt werden, was offensichtlich nicht geht. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie und warum Normen geteilt und befolgt werden. Die neue Institutionsökonomik bietet eine Erklärung der Regelbefolgung aus dem Eigeninteresse der Akteure: Sie konzipiert die Institutionen selbst als Resultate rationaler Wahlhandlungen, die ausschließlich unter Effizienzgesichtspunkten stattfinden125: »Wenn die Mitglieder einer Gesellschaft einem einheitlichen Verhaltensstandard zustimmen, sinken die Transaktionskosten und die Kosten zur Einhaltung der Nutzungsrechte.«126 Damit bleibt die Annahme des methodologischen Individualismus eine zentrale der institutionellen Ökonomik. Diese Erklärung erscheint allerdings schon aus dem folgenden Grund nicht plausibel: »Wenn Akteure von Fall zu Fall rational entscheiden, ob sie einer Regel folgen oder nicht, ... gäbe es gar keine Regeln«127 und keine Institutionen. »Der rational actor kann nicht individuell über den Zweck der Zweckmäßigkeit der Regelgeltung verfügen.«128 Eine private Regelbefolgung gibt es nicht. Vielmehr wird in der Literatur betont, »dass durch den Markt gerade strategische Wahlhandlungen belohnt werden, die von etablierten Routinen abweichen. Die Dynamik wirtschaftlicher Entwicklung in kapitalistischen Gesellschaften verlangt die Überschreitung von etablierten Kon-
125 Vgl. Johannes Berger: »Neoinstitutionalismus und Wirtschaftssoziologie«, in: Michael Schmid/Andrea Maurer, (Hg.), Ökonomischer und soziologischer Institutionalismus, Marburg: Metropolis 2003, S. 76. Er fügte hinzu: »Insofern bleibt auch NIE [New Institutional Economics – E.S.] völlig dem neoklassischen Ansatz verhaftet.« (ebd.) 126 B. P. Priddat: Kultur und Ökonomie, S. 197. 127 Dirk Fischer: »Rational Choice der Kultur? Gary S. Beckers Ansatz und dessen Grenzen«, in: FUGO - Forschungsgruppe Unternehmen und gesellschaftliche Organisation, Universität Oldenburg (Hg.), Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Theorie der Unternehmung, Marburg: Metropolis 2004, S. 108. 128 Birger P. Priddat: »Die Zeit der Institutionen«, in: Birger P. Pridat/ Gerhard Wegner (Hg.), Zwischen Evolution und Institution: neue Ansätze in der ökonomischen Theorie, Marburg: Metropolis 1996b, S. 27. 65
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ventionen.«129 Die Wirtschaftsakteure versuchen, das gewinnbringende Potenzial, das in jeder Kontingenzsituation steckt, für sich zu erschließen. Eine alternative soziologische Erklärung der Regelbefolgung, wie sie zum Beispiel von Durkheim und Parsons angeboten wurde, erfolgt durch die Rückführung auf einen gemeinsamen, von den sozialen Akteuren geteilten Vorrat von Normen und Werten. Damit verschiebt sich lediglich das Problem: »An die Stelle der Frage nach der Möglichkeit sozialer Ordnung tritt jetzt die Frage nach der Möglichkeit gemeinsam geteilter symbolischer Ordnungen und Bedeutungsstrukturen.«130 Es bleibt allerdings ungeklärt, wie es zu dem Teilen der Normen und Werte kommt und warum die Existenz von dem gemeinsamen Vorrat an Verhaltenserwartungen ein Abweichen von diesen Erwartungen ausschließen soll. Normen stellen genau wie Typisierungen bei Schütz ein theoretisches Instrumentarium dar, die Kontingenz im Sozialen zu reduzieren. Dabei kann die prinzipielle Ungewissheit nicht aufgelöst werden. Es ist immer möglich, dass der soziale Gegenüber von der Norm abweicht, eine Regel verletzt, nicht im Einklang mit einem Wert handelt. Die theoretischen Instrumente, welche die Ökonomik und die Soziologie benutzen, um Sicherheit herzustellen, Erwartungen zu stabilisieren und das Kontingente auszuschließen, sind Vereinfachungen, Unterstellungen, die als solche oft kritisiert werden, ohne dass Konsequenzen aus dieser Kritik gezogen werden. Eine Konsequenz aus den oben angeführten Überlegungen für eine Theorie des Ökonomischen wäre die Einsicht in die Notwendigkeit, das ökonomische Handeln als ein soziales Handeln unter der Bedingung prinzipieller Ungewissheit zu konzipieren. Die Ungewissheit und damit das Neue sollen als notwendige und nicht eliminierbare Bedingungen des ökonomischen Handelns für das Theoriedesign zugelassen werden. Infolge dieses theoretischen Schritts wird sich das Instrumentarium von 129 J. Beckert: Grenzen des Marktes, S. 295. In diesem Zusammenhang wies Beckert auch auf die Arbeiten von John Child (»Organisational Structure, Environment and Performance: The Role of Strategic Choice«, in: Sociology 6 (1972), S. 1-22) und Christine Oliver (»Strategic Business Responses to Institutional Processes«, in: Academy of Management Review 16 (1991), S. 145-179) hin. 130 Alexander Kraft/Günter Ulrich: »Kultur, Kontingenz, Innovation: Der Beitrag der Systemtheorie zur kulturwissenschaftlichen Wende in der Ökonomie«, in: FUGO – Forschungsgruppe Unternehmen und gesellschaftliche Organisation, Universität Oldenburg (Hg.), Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Theorie der Unternehmung, Marburg: Metropolis 2004, S. 169. 66
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Rational Choice für die ökonomische Analyse als ungeeignet erweisen, da unter Ungewissheit, wie schon diskutiert, die Mittel der Zielerreichung unbekannt sind und/oder nicht eindeutig den noch nicht »gegebenen«, noch im Entstehen begriffenen Zielen zugeordnet werden können. Allgemeiner lässt sich feststellen: Wenn das Neue nicht mehr als unwahrscheinlich betrachtet wird, stellt das Rationale eher eine seltene Ausnahme dar. In Worten von Michel Serres heißt das: »Das Rationale ist im strengen Sinne unwahrscheinlich. Gesetz, Regel, Ordnung, alles, was wir so bezeichnen, sind so unwahrscheinlich, dass sie an die Grenze dessen kommen, was eigentlich gar nicht sein kann [...] Das Rationale ist eine seltene Insel [...] Eine präzise, exakte, in ihrem Zuschnitt streng und fest umrissene Insel auf dem Meer des Undifferenzierbaren.«131
Die Ökonomik kann, da sie eine Überraschung, das Neue zulassen muss, dieses »Meer des Undifferenzierbaren« nicht mehr ignorieren und sich auf der kleinen Insel des Rationalen abkapseln. Infolgedessen steht die Ökonomie vor der prinzipiellen Frage: Wenn das Rationalitätsprinzip als ein das wirtschaftliche Handeln anleitendes Prinzip in Situationen der Ungewissheit versagt, wenn das Wirtschaften nicht als rationale Wahl zwischen gegebenen Alternativen und als Nutzenmaximierung konzipiert werden kann, was passiert dann beim Wirtschaften? Die Antwort dieser Arbeit lautet: Es wird Sinn gestiftet. Diese These soll im nächsten Abschnitt erläutert werden.
Die Sinnstiftung als zentrales Erklärungsprinzip wirtschaftlichen Handelns Wenn Wirtschaften als soziales Handeln verstanden wird, bei dem die gegenseitige Angewiesenheit der Akteure und die Interdependenz ihrer Kalküle sowie die uneliminierbare Ungewissheit in den Fokus der Überlegungen rücken, dann muss man sich von den mechanistischen Vorstellungen über Ökonomik verabschieden. Deswegen soll Wirtschaften nicht als eine mechanische Anwendung eines Nutzenmaximierungsprinzips, sondern als ein Sinnstiftungsprozess konzipiert werden. So schrieb Koslowski (1983): »Wir können wirtschaftliches Handeln nicht ohne ein Verstehen des subjektiven und sozialen Sinnes, den die
131 Michel Serres: Hermes, Teil 4: Verteilung, Berlin: Merve 1993, S. 8ff. 67
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
Handelnden mit ihrem Handeln verbinden, begreifen.«132 Dies erklärt, warum die vorliegende Arbeit, die sich mit einer Theorie des Ökonomischen befasst, auf den Sinnbegriff und die Sinnstiftung abstellt. Die hier aufgestellte These einer Theorie des Ökonomischen lautet: Soziales Handeln ist notwendig sinnhaftes Handeln; Die Sozialwelt wird nicht logisch, sondern sinnhaft aufgebaut. Allerdings konnte am Beispiel der subjektiven Sinnkonzepte gezeigt werden, dass nicht jeder beliebige Sinnbegriff die Anforderung erfüllt, das wirtschaftliche Handeln als soziales Handeln im Zustand der Ungewissheit zu erfassen. Die Ansätze, die Sinn als eine Zweck-Mittel-Relation oder als eine Intention begreifen, sind dazu nicht imstande. Sie erlauben keinen Zugang zu einem plausiblen Konzept des Sozialen, da sie im Widerspruch zwischen der subjektiven Wirklichkeitsauslegung und ihrem übersubjektiven Rahmen sowie ihrer intersubjektiven Genesis verstrickt sind. Außerdem sind die subjektiven Sinntheorien nicht imstande, der radikalen Kontingenz des ökonomischen Handelns Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund soll die Suche nach Sinnkonzepten, die den theoretischen Zugang zu dem Verständnis des kontingenten sozialen Handelns ermöglichen, fortgesetzt werden. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll daher eine Hinwendung zu alternativen Sinnkonzepten erfolgen, zu den Konzepten nämlich, die es erlauben, die individualistische Perspektive zu verlassen. Srubar (1994) nannte diesen Schritt die »Verlagerung der Sinnkonstitution von der Bewusstseinsebene auf die Ebene des sozialen Handelns« und schrieb dazu: »Das bedeutet aber, dass sich auch die erklärende Logik der Handlungsselektion von der Ebene subjektiver Kalkulation auf die Ebene der in der Interaktion entstehenden Verkettungen von Handlungsanschlüssen verlagern muss, auf deren Basis intersubjektive Erwartungen und Handlungsorientierungen entstehen. Auf dieser Selektionsebene [...] hat aber der Akteur die Sinnorientierung seines Handelns nie allein in der Hand. Sie ist von kommunikativen Prozessen und von ihren institutionalisierten Resultaten abhängig. Diese Prozesse können nicht per maximierender Entscheidung ausgesetzt oder eingeführt werden: sie stellen einen immer präsenten Bestandteil sozialer Ordnung dar.«133
132 Peter Koslowski: »Mechanistische und organistische Analogien in der Wirtschaftswissenschaft – eine verfehlte Alternative«, in: Kyklos – Internationale Zeitschrift für Sozialwissenschaften 36 (1983), S. 311. 133 Ilja Srubar: »Die (neo-)utilitaristische Konstruktion der Wirklichkeit«, in: Soziologische Revue 17 (1994), S. 117. 68
INDIVIDUALISTISCHE SINNKONZEPTE IN DER ÖKONOMIK
Die nichtindividualistischen Sinnkonzepte sollen ermöglichen, die Interdependenz der einzelnen Kalküle der Wirtschaftsteilnehmer in den sozialen Beziehungen zu erfassen. Die soziale Beziehung anstatt des autonomen Individuums soll zu der zentralen Analyseeinheit werden. Es wird mit Priddat (1995) eingesehen, »dass nicht der individuelle Sinn den Handlungserfolg entscheidet, sondern nur der ›Sinn‹, den andere in der Handlungsabsicht für ihre Absichten oder Intentionen erblicken.«134 Eine Theorie des Ökonomischen, die Wirtschaften als soziales Handeln und folglich als Handeln unter Ungewissheit begreift, kann nicht mehr von dem autonomen Subjekt und seinem »subjektiv gemeinten Sinn« ausgehen. Des Weiteren ist es wichtig, den Begriff »soziale Beziehung« zu definieren und genau zu analysieren, wie Sinn in einer sozialen Beziehung entsteht. Es wird dabei nicht auf eine subjektive Sinnstiftung abgestellt, sondern auf das Ineinandergreifen und die Interdependenzen der individuellen Kalküle. Die ersten, nicht konsequent ausgeführten Ansätze für diese Schritte waren schon im Weberschen Begriff des »Sinngehalts einer sozialen Beziehung« und bei Schütz in seinem Konzept der »WirWelt« zu finden: Sinn entsteht nicht aus einer Intention, sondern in den Modifikationen der einzelnen Intentionen in der sozialen Welt. Der Charakter dieser Modifikationen soll ausführlich untersucht werden. Vielleicht wird dadurch mindestens teilweise das Geheimnis der »unsichtbaren Hand« gelüftet. Da der individualistische Standpunkt verlassen wird, soll außerdem eine tragfähige Alternative zu dem methodologischen Individualismus gesucht werden, eine Alternative, die erlaubt, die wirtschaftlichen Phänomene ausgehend von sozialen Beziehungen zu erklären. Die Möglichkeiten eines prinzipiellen Zugangs zu dem Gewebe der menschlichen Angelegenheiten im Wirtschaftlichen werden erforscht. Gleichzeitig soll untersucht werden, wie durch die Modifikationen des Sinns im Sozialen das Entstehen des Neuen und die Ungewissheit als zentrale wirtschaftliche Phänomene analysiert werden können. Es soll analysiert werden, auf welchem Weg das radikal Neue im ökonomischen Theoriedesign zugelassen werden kann, wie der Mechanismus der Entstehung des Neuen und der Ungewissheit in den sozialen Beziehungen funktioniert. Es soll überprüft werden, welchen Beitrag die des Weiteren dargestellten Sinnansätze zu der Beantwortung dieser für die Theorie des Ökonomischen zentralen Fragen leisten können. Mit anderen Worten wird in dieser Arbeit nach einem Konzept des sozialen Sinns gesucht, der die Aporien der individuellen Sinnproduk134 B. P. Priddat: Rational Choice, S. 141. 69
DIE SUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
tion meidet und soziale Dynamik berücksichtigt. Wenn Wirtschaften als soziales Handeln im Zustand der Ungewissheit verstanden wird, sollen die Sinnkonzepte ermöglichen, beide Komponenten dieser Definition adäquat zu erfassen: einerseits das Soziale und das Handeln dort und andererseits die Ungewissheit und die Wege des Umgangs mit ihr. Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung werden das Sinnkonzept von Niklas Luhmann und die poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Sinnansätze eingehend analysiert. Diese Sinnkonzepte verzichten auf das Subjekt und seine Handlung als Ausgangspunkt der Sinnkonstitution und erlauben ein Verständnis des Sozialen, das nicht auf den Vorstellungen in jeweiligen Bewusstseinen beruht, sondern von den wechselseitigen Beziehungen der Individuen her konzipiert ist. Sie betonen den Prozesscharakter der Sinnkonstitution, ihre Unruhe, so dass Sinn nicht als ein stabiler Vorrat von Zeichen in Erscheinung tritt. Das ist ein Prozess, der auch Zugang zu dem Wandel und dem Entstehen von Neuem erlaubt.
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Teil II: Die nichtsubjektiven Sinnkonzepte Der Sinnbegriff bei Niklas Luhmann Niklas Luhmann (1984; 2002) stellte das Problem der Ungewissheit im Sozialen in den Fokus seiner Untersuchungen, was seine Auseinandersetzung mit dem Begriff »Sinn« für die Zwecke dieser Arbeit besonders hilfreich macht. Er ging nicht von der prinzipiellen Möglichkeit einer Lösung dieses Problems aus: Er machte die Ungewissheit im Sozialen zu der ultimativen Bedingung jedes menschlichen Handelns, unabhängig davon, welche Idealisierungen für das Verstehen von diesem Handeln verwendet oder Werte und Normen geteilt werden etc. Auf die Frage »Wie wird die Handlungsfähigkeit der Akteure unter Bedingungen von Ungewissheit hergestellt?« lautete die Antwort von Luhmann: indem Sinn prozessiert wird. Eben vor diesem Hintergrund behauptete Luhmann, »dass ›Sinn‹ als einer der Grundbegriffe der Soziologie, wenn nicht gar als der Grundbegriff, eingeführt werden sollte«1, und dass Sinnanalysen in der Zukunft stärker »die Erklärungslast übernehmen« müssten2. Wenn aber das Wirtschaften soziales Handeln ist, dann gelten diese Worte auch für die Ökonomik: Die Problematik des Handelns unter Ungewissheit und Sinnstiftung als Umgang mit ihr sind, wie bereits in den vorangehenden Überlegungen gezeigt wurde, zentral für die Theorie des Ökonomischen. Nach der Darstellung des Sinnbegriffs von Niklas Luhmann wird das Konzept der »doppelten Kontingenz« und der Sinnstiftung im Sozialen besprochen. Danach werden Bezüge zu dem systemtheoretischen Wirtschaftskonzept hergestellt und diskutiert.
1 2
J. Habermas/N. Luhmann: Theorie der Gesellschaft , S. 171. Ebd., S. 86ff., auch S. 173. 71
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
Das generelle Sinnkonzept Der systemtheoretische Sinnbegriff ist ein Versuch, Sinn als einen dynamischen, von den egologischen Vorstellungen losgelösten Prozess zu konzipieren. Luhmann wollte keinen auf einer Identität (z.B. Kosmos, Subjekt) beruhenden Sinnbegriff entwickeln und bemühte sich deswegen um einen »ausreichend formalen Sinnbegriff«3. Er ging davon aus, dass bei einer funktionalistischen Vorgehensweise ein Sinn nicht vorausgesetzt und nicht als ein fragloses a priori konzipiert wird. Zu betonen ist, dass Sinn bei Luhmann die Essenz allen menschlichen Handelns und Denkens darstellt. Er wird sowohl in psychischen als auch in sozialen Systemen prozessiert und ermöglicht eine Kopplung zwischen diesen Systemen. Luhmann verschaffte sich zunächst auf der phänomenologischen Ebene einen Zugang zum Sinnbegriff: Er übernahm von Husserl die Idee der Verweisung von einem aktuellen auf einen möglichen Horizont und definierte Sinn als einen Verweisungszusammenhang zwischen dem Aktuellen und dem Möglichen. Sinn ist ein Differenzprozessieren, bei dem die realisierten Möglichkeiten von dem Rest der Welt unterschieden werden. Dabei werden die Möglichkeiten miteinander verknüpft: Die realisierten Möglichkeiten (Wirklichkeit) verweisen auf die ignorierten oder verworfenen Alternativen, die allerdings nicht verschwinden, sondern als Potenzialität bestehen bleiben. Dieser Verweis auf die vergangenen und zukünftigen Potenzialitäten wiederholt die Denkfiguren von Retention und Protention bei Husserl4: »Das Gegenwärtige ist präsent nur, indem es das Nichtgegenwärtige appräsentiert.«5 In den sinnhaften Unterscheidungsoperationen zwischen Aktuellem und Potenziellem wird für die psychischen und sozialen Systeme die Welt »zum Gegebenen«. Durch Sinnprozessieren erhalten sie einen Zugang zu der Welt, der nie ein direkter, ein unmittelbarer Zugang ist. Indem die psychischen und sozialen Systeme die realisierten Möglichkeiten vom Rest der Welt als Potenzialität unterscheiden, erhalten sie einen Verweis auf andere Möglichkeiten und schließen so ihr Handeln an das vergangene Handeln an. Die beschriebenen Unterscheidungsoperationen unterliegen einer eigentümlichen Dynamik. Um diese Dynamik zu erschließen, vollzog 3 4
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Niklas Luhmann: »Einführung in die Systemtheorie«, Heidelberg: CarlAuer-Systeme-Verl. 2002, S. 225. Sybille Krämer: Sprache – Sprechakt – Kommunikation. Sprachtheoretische Positionen im XX. Jahrhundert, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 170. Ebd.
DER SINNBEGRIFF BEI NIKLAS LUHMANN
Luhmann einen Übergang von der phänomenologischen auf die komplexitätstheoretische Ebene: »Die durch die phänomenologische Beschreibung gewonnene Differenz impliziert, dass es immer mehr Potentialitäten gibt, als aktuell realisiert und erlebt werden können«.6 Diesen Umstand nannte Luhmann Komplexität. Komplexität ist ein Überschuss potenzieller gegenüber den realisierten Möglichkeiten. Dieser Überschuss zwingt zur Selektion: Es kann nur eine geringe Menge der Alternativen realisiert werden. Und jede Realisierung ist kontingent: Es hätten immer andere Möglichkeiten verwirklicht werden können. Eine Handlung stellt hiermit in der Systemtheorie eine Auswahl dar, eine Selektion, die auch anders hätte ausfallen können, aber in ihrer aktuellen, ausgeführten Form eine Differenz zu anderen Möglichkeiten schafft, die den Sinn konstituiert. Sinn stellt aus dieser theoretischen Perspektive eine Technik des Umgangs mit Komplexität dar. Sinnhaftes Aktualisieren reduziert die Komplexität, da etwas gewählt wird und dadurch eine Festlegung erfolgt. Gleichzeitig wird die Komplexität nicht vernichtet, sondern mit jeder Selektion immer wieder aufgebaut, da die nicht gewählten Möglichkeiten für weitere Realisierungen verfügbar bleiben. Sinn verweist damit auf die nichtrealisierten Alternativen und hält die Komplexität aufrecht. Dem sinnhaften Aktualisieren als einem Prozess der gleichzeitigen Reduktion und des Aufbaus der Komplexität ist eine basale Unruhe immanent. Dieser Prozess besteht aus den temporalisierten Selektionen, zeitgebundenen Ereignissen, die zu einem bestimmten Moment stattfinden und keine Dauer haben. Sie entschwinden sofort, um neue Aktualisierungen möglich zu machen. So wird in den Sinnprozess eine Instabilität eingebaut: »Die Instabilität des Sinns liegt in der Unhaltbarkeit seines Aktualitätskerns.«7 Die stets entschwindenden Ereignisse ermöglichen Anschlüsse: Sie eröffnen die neuen Möglichkeitshorizonte, aus denen weitere sinnvolle Unterscheidungen entstehen können. Sinn verschafft so gesehen einen Zugang zu der Wirklichkeit, die aber nie vollständig oder abgeschlossen ist und die sich in jedem Moment wieder neu aufbaut. Die Wirklichkeit ist in einem bestimmten Moment zwar »komplett«, bleibt aber durch Unruhe des Sinngeschehens in Bewegung.8
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Rainer Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann, Frankfurt/Main [u.a.]: UVK 2003, S. 36. N. Luhmann: Soziale Systeme, S. 100. »Die Selbstbeweglichkeit des Sinngeschehens ist Autopoiesis par excellance« (ebd., S. 101): Elemente, aus denen das System besteht, werden 73
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
Luhmann setzte die Unruhe des Sinnprozessierens nicht in den »Kontext einer Anthropologie« (Bewusstsein oder plaisir)9 ein, sondern in den Sinnprozess selbst. Es geht um ein selbstreferenzielles Sichselbst-Prozessieren nach Maßgabe der Differenzen. Möglichkeiten werden in der Systemtheorie nicht von einem Subjekt imaginiert, entworfen oder phantasiert, sondern entstehen im Lauf der sinnhaften Unterscheidungsoperationen.
Die Konzeption der sozialen Wechselbeziehungen als doppelte Kontingenz Sinn wird also allgemein als Verweisungsüberschuss von aktuellen auf mögliche Operationen, als Differenzprozessieren von Aktualität und Potenzialität definiert. Dieses Differenzprozessieren erfolgt in drei Dimensionen, die Luhmann näher untersuchte: Sachdimension, Zeitdimension und Sozialdimension. Für die Zwecke dieser Arbeit wird eine besondere Aufmerksamkeit auf die soziale Dimension des Sinns gelegt. In der Sozialdimension wird ein Anderer als Faktor des Sinnprozessierens berücksichtigt: Auf ihn wird verwiesen. Während in der Sachdimension ein Ego »allein« in der Welt operiert und Erwartungen nur über die »Dinge« in der Welt bildet, bringt der Übergang zu der Sozialdimension eine Komplexitätssteigerung mit sich: Der Andere wird nicht als ein »Ding«, sondern als ein anderes Ich, ein anderes psychisches System, ein Träger anderer Erlebnisse und Erwartungen gesehen, die nicht ignoriert werden können. Ein sozialer Anderer stiftet Unruhe, weil seine kontingenten Erwartungen in ein eigenes Erwarten einbezogen werden müssen und umgekehrt. Die Beteiligten befinden sich dann in einer unsicheren Situation, in der sie trotzdem ihre Selektionen treffen sowie ihre Handlungen aufeinander abstimmen und anschließen müssen. Diese Situation bezeichnete Luhmann in Anschluss an Parsons als eine doppelt kontingente. Schützeichel (2004) wies allerdings darauf hin, dass sie genauer als »doppelt doppelt kontingente Situation« bezeichnet werden muss: »Doppelt kontingent wird die Situation von Ego und Alter dadurch, dass für Ego das Verhalten von Alter kontingent ist und für Alter das Verhalten von Ego. Und doppelt doppelt kontingent ist diese Situation deshalb, weil für Ego das Verhalten von Alter kontingent ist und deshalb (!) sein eigenes Verhalten auch, und weil für Alter das Verhalten von Ego kontingent ist und deshalb (!)
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durch das System selber produziert und reproduziert, indem weitere Anschlüsse immer ermöglicht werden. N. Luhmann: Soziale Systeme, S. 99.
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auch sein eigenes Verhalten. Beide, Ego und Alter, erfahren doppelte Kontingenz, weil die Situation, in der sie sich befinden, absolut unbestimmbar ist, und beide wissen, das es für den anderen ebenso ist.«10
Die Komplexität, mit der Ego und Alter in den Situationen doppelter Kontingenz konfrontiert sind, ist so groß, dass nicht nur die Unmöglichkeit der Maximierungsentscheidungen, sondern die Unmöglichkeit des Handelns überhaupt zum Problem wird. Es muss ein Bezug der sozialen Akteure aufeinander in irgendeiner Form möglich sein. Es besteht »ein zwingendes Bedürfnis nach Einschränkung des Spielraums der Möglichkeiten«.11 Mit anderen Worten, Ego und Alter, um handeln zu können, müssen wissen, was sie voneinander zu erwarten haben. In der Situation doppelter Kontingenz erfolgt der Bezug der Beteiligten in Form der Erwartungserwartungen: Jeder erwartet, was der Andere von ihm erwartet, und gleichzeitig weiß, dass sein Erwarten auch erwartet wird. »Nur so lassen sich Situationen mit doppelter Kontingenz ordnen. Das Erwarten muss reflexiv werden, es muss sich auf sich selbst beziehen können, und dies nicht nur im Sinne eines diffus begleitenden Bewusstseins, sondern so, dass es sich selbst als erwartend erwartet weiß. Nur so kann das Erwarten ein soziales Feld mit mehr als einem Teilnehmer ordnen. Ego muss erwarten können, was Alter von ihm erwartet, um sein eigenes Erwarten und Verhalten mit den Erwartungen des anderen abstimmen zu können.«12
In sozialen Systemen wird also nicht das fremde Verhalten erwartet, sondern das fremde Erwarten. »Demnach erschöpft sich die Sozialität von Sinn, zum Beispiel der soziale Aspekt des Sinnes einer Handlung, nicht in dem Hinweis darauf, dass ein anderer Mensch existiert; sie liegt vielmehr in der Erkennbarkeit gemeinten Sinnes, und diese Erkennbarkeit hat strukturelle Relevanz dadurch, dass sie Aufschluss darüber gibt, was der andere erwartet.«13
Es geht also um eine besondere Art der Beziehung zu dem Anderen, um eine wechselseitige soziale Beziehung, die von einer individuellen Perspektive nicht konzipiert werden könnte. Diese Beziehung ist zentral für 10 R. Schützeichel: Kommunikationstheorien, S. 267. 11 Niklas Luhmann: »Die Form ›Person‹«, in: ders., Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch, Opladen: Westdeutscher Verlag 1995b, S. 149. 12 Luhmann: Soziale Systeme, S. 411 ff. 13 J. Habermas/N. Luhmann: Theorie der Gesellschaft , S. 63 ff. 75
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das Sinnprozessieren im Sozialen. »Sozial ist also Sinn nicht qua Bindung an bestimmte Objekte (Menschen), sondern als Träger einer eigentümlichen Reduplizierung von Auffassungsmöglichkeiten.«14 Wie kann aber ein fremdes Erwarten erwartet werden? Während der Diskussion über die subjektiven Sinnkonzepte wurde darauf hingewiesen, dass das fremde Bewusstsein für das eigene Bewusstsein prinzipiell unzugänglich ist. Die Systemtheorie teilt diese Ansicht: Für sie konstruiert sich jedes Bewusstsein seine eigene Welt, die niemals mit der Welt eines anderen zusammenfallen wird.15 Deswegen kann Ego in Bezug auf Alter nur eine Außenperspektive annehmen: Luhmann betrachtete zwei »black boxes«, zwei Zentren der Sinnbestimmung, die füreinander undurchsichtig sind. Er verzichtete konsequent auf die Vorstellung der gegenseitigen Perspektivenübernahme, des Sich-Ineinander-Versetzens, des gemeinsamen Sinnvorrats und weitere Unterstellungen genau wie auf die sprachliche Konzeption des Sinnprozessierens. Und auf die Frage »Wie können sie in so einer Situation ihre Selektionen koordinieren?« lautete die Antwort von Luhmann: durch Kommunikation. Eine ausführliche Beschreibung des systemtheoretischen Kommunikationskonzepts würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es sei nur erwähnt, dass Luhmann in seiner Kommunikationstheorie drei Aspekte hervorhob, nämlich Mitteilung, Information und Verstehen: Damit Kommunikation gelingt, muss die Mitteilung einer Information verstanden werden. Eine verstandene Mitteilung von Alter schafft für Ego eine neue Situation, an die es seine Handlungen und Erwartungen orientiert. Der Möglichkeitsraum wird eingeengt: »Wie in einem Trichter wird das Verhalten von Ego auf das kommunikative Verhalten von Alter bezogen.«16 Aus einer Mitteilung wird der Informations- und Anschlusswert für anderes Handeln gewonnen.17 Sinn wird in der Systemtheorie nicht mehr an eine Handlung, sondern an Kommunikation gebunden. Handlungen sind Selektionen im Kommunikationsprozess: Sie werden nicht durch »subjektiv gemeinten« Sinn ermöglicht, sondern in den Situationen doppelter Kontingenz »erzwungen«. Es muss selektiert, beobachtet und koordiniert werden. Das ist, wozu Handlungen benötigt werden. Das Soziale besteht aber nicht aus Handlungen. Kommunikation dient dem Aufbau der sozialen Systeme: Kontingentes Sinnerleben der einander unzugänglichen Operato14 N. Luhmann: Soziale Systeme, S.119. 15 Vgl. dazu zum Beispiel von Heinz von Foerster: »Über das Konstruieren von Wirklichkeiten«, in: ders., Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993a, S. 25ff. 16 R. Schützeichel: Kommunikationstheorien, S. 268. 17 Vgl. N. Luhmann: Soziale Systeme, S. 165. 76
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ren fordert die Möglichkeit einer Abstimmung von Handlungen und damit ein soziales System. Den sozialen Systemen geht es aber vorrangig um die Ermöglichung der Anschlüsse, um die ununterbrochenen kommunikativen Sinnprozesse. Handlungen müssen, wollen sie auf der sozialen Ebene eine Wirkung entfalten, in ihrer Selektivität verstanden, also kommuniziert werden. Kommunikation ist ein basaler sozialer Akt. Für den Verlauf der Kommunikationsprozesse ist eine »Überlappung« oder eine vollständige Gemeinsamkeit der Sinnwelten der Akteure, i.e. das Teilen von Typisierungen, Normen und Werten nicht notwendig. Es wird nicht das eigene Verhalten an das fremde Verhalten oder das eigene Erwarten an das fremde Erwarten angeschlossen. Ein psychisches System verarbeitet die mitgeteilte Information und schließt eigene Gedanken an die eigenen Gedanken an. Genau so kann ein soziales System nur Kommunikation an Kommunikation anschließen.
Die Zeitdimension des Sinnprozessierens und das Neue »Kommunikation ist koordinierte Selektivität. Sie kommt nur zustande, wenn Ego seinen Eigenzustand auf Grund einer mitgeteilten Information festlegt.«18 Mit Hilfe dieser Festlegungen beobachtet ein Bewusstsein oder ein soziales System sich selbst und reproduziert eigene Gedanken oder Kommunikationen. Dies geschieht, indem die Festlegungen (Erwartungen) mit den eingetroffenen Ereignissen (Erfüllung/Enttäuschung der Erwartungen) verglichen werden. Es werden die vergangenen Ereignisse erinnert und Erwartungen über die Zukunft gebildet. Damit wird die Bedeutung der Zeitdimension des Sinnprozessierens deutlich. Bewusstseine und soziale Systeme operieren nur in der Gegenwart, die eine Differenz zwischen Vergangenheit und Zukunft darstellt. Wenn sie sich an die vergangenen Ereignisse erinnern oder Erwartungen bilden, tun sie das im Hier und Jetzt. Dieses »Hier und Jetzt« bildet einen »blinden Fleck« jeder Beobachtung, weil aktuelle Operationen nicht beobachtet werden können: Sie finden gerade statt, trotzdem müssen sie unterschieden werden. Deswegen müssen Systeme hier und jetzt eine wichtige Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Zukunft treffen, sich in ihrem Handeln auf die Vergangenheit und Zukunft beziehen, sich erinnern und erwarten. Die realisierten Möglichkeiten werden von dem Rest der Welt unterschieden. Insbesondere im Fall der Erwartungsenttäuschung besteht für die psychischen und sozialen Systeme ein Anlass, sich selbst zu beobachten. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass eine Erwar18 N. Luhmann: Soziale Systeme, S. 212. 77
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tungsenttäuschung einen »Normalfall« im Sozialen, dem eine Situation doppelter Kontingenz zugrunde liegt, darstellt: Es herrscht eine prinzipielle Ungewissheit: Man weiß nicht, was der Andere in der Zukunft tun wird, deswegen können Erwartungen immer enttäuscht werden und sich Selektionen als falsch erweisen. Generell: Jede Zukunft ist kontingent. Zum Beispiel hat ein Anleger eine Aktie gekauft, in der Erwartung, dass der Kurs steigt. Der Kurs ist gefallen – der Käufer ist irritiert. Er geht im Kopf die eigene Argumentation, die ihn zu dem Kauf bewogen hat, noch einmal durch. Das Bewusstsein reproduziert eigene Gedanken, schließt sie – anhand der Differenz von Erfüllung und Enttäuschung – an die Folgeereignisse, beobachtet und strukturiert die Anschlussvorstellungen. Auch für soziale Systeme stellt Erwartung »eine Orientierungsform« dar, die der autopoietischen Reproduktion dient.19 Hiermit wird noch einmal die zentrale Rolle der Zuwendung zu den abgelaufenen Ereignissen für die Sinnstiftung deutlich: Das Bewusstsein »operiert gleichsam mit dem Rücken zur Zukunft, nicht proflexiv, sondern reflexiv. Es bewegt sich gegen die Zeit in die Vergangenheit, sieht sich selbst dabei ständig von hinten und an der Stelle, wo es schon gewesen ist; und deshalb kann nur seine Vergangenheit ihm mit gespeicherten Zielen und Erwartungen dazu verhelfen, an sich selbst vorbei die Zukunft zu erraten. Es verfolgt in sich selbst kein Ziel, sondern bemerkt, was ihm passiert ist.«20 Da es nie gelingt, Zukunft zu erraten, ist Sinnstiftung ein unabschließbarer Prozess des Umgangs mit Enttäuschungen, Irritationen und auch mit dem Neuen. Im reflexiven Blick wird das Neue erkannt: Das Neue ist der blinde Fleck der Gegenwart, es wird von den Zeitgenossen nicht als solches gesehen. »Neuheit wird im Nachhinein in die Abläufe verlegt, indem etwas, was heute wichtig ist [...] im Vergangenen lokalisiert wird. Neuheit ist ein Konstrukt und keine Erfahrung oder ein Handlungsziel bzw. mögliches Handlungsresultat.«21 Diese Prozesse des Herauskristallisierens des Neuen im Vergangenen sind wichtige Elemente des Sinnprozessierens. Aber aus dieser Sicht gibt es für das System nie etwas Neues, da die Definition des Neuen immer nach den immanenten Regeln dieses Systems erfolgt. Das Neue als Bruch, als eine radikale Irritation, wird in
19 Vgl. N. Luhmann: Soziale Systeme, S. 362ff. 20 Niklas Luhmann: »Die Autopoiesis des Bewusstseins«, in: ders., Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995a, S. 63. 21 Kurt Röttgers: Metabasis: Philosophie der Übergänge, Magdeburg: Scriptum 2002a, S. 172. 78
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der Systemtheorie nicht zugelassen. »Das Neue, die Innovation werden auf die Wahl zwischen Möglichkeiten, die von der Struktur selbst erzeugt werden, reduziert«.22 Es werden zwar ständig neue Unterscheidungen produziert, dies geschieht aber nach den im System bestehenden Gesetzen. Alle produzierten Unterscheidungen sind sinnhaft, denn Luhmann baute in sein Konzept einen Sinnzwang ein: Sinn ermöglicht nur Sinn, Sinn produziert nur Sinn. »Auch Negationen haben, nur dadurch sind sie anschließbar, Sinn. Jeder Anlauf zur Negation von Sinn überhaupt würde also Sinn wieder voraussetzen.«23 Durch den Verzicht auf das radikal Neue schloss Luhmann aus, dass ein Bruch im Sinnprozessieren entsteht: Ein Bruch würde eine Anschlussverweigerung bedeuten und das System würde kollabieren. Der Grund liegt darin, dass die psychischen und sozialen Systeme nur im Sinnprozessieren einen Zugang zur Welt erhalten: Sollten sie aufhören, sinnhafte Unterscheidungen zu produzieren, verlieren sie den Zugang zur Welt. »Sinn-Systeme (psychische oder soziale Systeme) beruhen ja definitorisch darauf, dass Sinn prozessiert wird. Und sie haben daher auch immer Sinn – oder es gibt sie nicht.«24 Sinn wird stets durch Sinn ersetzt; der Unsinn als Geschehen nach den einem System nicht immanenten Regeln wird ausgeschlossen. Die potenzielle Fruchtbarkeit der Störungen und Irritationen wird ignoriert. Bei einer solchen Herangehensweise bleibt der Moment der Entstehung des Neuen (genau so wie der Moment der Entstehung einer neuen Sozialbeziehung) ein blinder Fleck. Wie entsteht etwas? Wie ist das radikal Neue zu denken? Auf diese Fragen gibt die Systemtheorie keine Antwort, daher werden später auch die poststrukturalistischen und performativen Theorien (vgl. Kapitel 8 und 9) bemüht.
Die Rolle des Subjekts und die Bedeutung der Relationen Aus dem vorgestellten Sinnkonzept von Luhmann folgen zwei wichtige Konsequenzen: 1) der Subjektbegriff wird zweitrangig und 2) die Relationen zwischen den Operatoren werden zentral. Die Operatoren, das Ego und das Alter, sind bei Luhmann abstrakt konzipiert: Sie können psychische Systeme (Subjekte, Menschen) und soziale Systeme (Unternehmen, Organisationen, Wirtschaft, Wissen22 Urs Stäheli: Sinnzusammenbrüche: Eine dekonstruktive Lektüre von Niklas Luhmanns Systemtheorie, Weilerswist: Velbrück 2000a, S. 238. 23 N. Luhmann: Soziale Systeme, S. 96. 24 Hartmut Esser: Soziologie: allgemeine Grundlagen, Frankfurt/Main: Campus 1993, S. 499. 79
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schaft) sein. Wichtig ist nur, dass sie sinnhaft prozessieren. Nach Luhmann verlassen sich die traditionellen Konzepte, die ein monadisches Subjekt und seine Bewusstseinsleistungen dem Sinn vorauszusetzen, auf etwas, »was nicht sein kann: ein einziges Ich.«25 Das Subjekt wird dort aus dem sozialen Sein herauskatapultiert; Sinn wird als »seinloser Sinn« konzipiert. Sinn bewegt sich aber nach Luhmann unabhängig von intentionalem Bewusstsein und intersubjektiver Vermittlung. Verstanden als ein Selektionszwang in den komplexen und kontingenten Situationen wird Sinn von den psychischen und sozialen Systemen nur verarbeitet. »Der Sinnbegriff ist primär, also ohne Bezug auf den Subjektbegriff zu definieren, weil dieser als sinnhaft konstituierte Identität den Sinnbegriff schon voraussetzt.«26 Deswegen kann eine Soziologie, die den Sinnbegriff ins Zentrum stellt, nicht das Subjekt als Analyseeinheit und die subjektive Wahl als eine Grundsituation benutzen. Bei Luhmann ist die Situation doppelter Kontingenz eine soziale Grundsituation, in der Sinn prozessiert wird. Deswegen ist jeder Sinnfestlegung die soziale Dimension immanent: Es wird immer gefragt, wie die Anderen den Sinn erleben. Wichtig ist, dass Luhmann die sozialen Beziehungen nicht als eine »Reziprozität«, eine »Spiegelung« konzipierte, bei der eine Symmetrie und damit nur »die halbierte doppelte Kontingenz« eingebaut wird.27 Doppelte Kontingenz wird von beiden Partnern erfahren, sie ist hiermit eine »doppelte doppelte Kontingenz«. Sie weist auf die wechselseitige Abhängigkeit des Ego von den Anderen hin; eben diese Abhängigkeit ist für den Aufbau der sozialen Systeme von zentraler Bedeutung. Dies gab Schützeichel (2003) den Grund, die Theorie von Luhmann als eine relationistische Theorie einzuordnen. Sie geht nämlich nicht von einem Individuum oder einer holistischen, übergeordneten Struktur aus, sondern von den mutualistischen Relationen zwischen den Sinnzentren.28 Diese Alternative zu dem individualistischen sowie zu dem holistischen Sinnprozessieren wird als zentral für diese Arbeit angesehen. Auf sie wird im Verlauf der Arbeit noch ausführlich eingegangen. Es sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass Schützeichel den Hauptunterschied zwischen Individualismus und Relationismus in der Konzeption der Basiselemente der beiden Theorien sieht: »Methodologisch-individualistische Theorien konzipieren Sozialität durch Elemente, die ohne Bezug auf die sozialen Relationen konstituiert werden. Methodologischrelationistische Theorien konzipieren hingegen das Basiselement schon 25 26 27 28 80
J. Habermas/N. Luhmann: Theorie der Gesellschaft , S. 27. Ebd., S. 28. N. Luhmann: Soziale Systeme, S. 154. Vgl. R. Schützeichel: Sinn als Grundbegriff , S. 66ff. und S. 77.
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als ein komplexes, als ein relationales.«29 Eine soziale Relation ist grundlegend. Genauso verfuhr Luhmann, als er eine soziale Beziehung in Form der doppelten Kontingenz und der Erwartungserwartungen schon auf ein elementares Niveau der Begriffsbildung setzte: Selektionen in der Sozialdimension des Sinnprozessierens sind immer von dem Anderen abhängig.
Wirtschaft als sinnverarbeitendes System Die systemtheoretischen Auseinandersetzungen mit der Wirtschaft (Luhmann 1988; Baecker 1988) beschäftigten sich nicht explizit mit dem Sinnbegriff. Wirtschaft ist aber nach Luhmann ein funktionales Subsystem der Gesellschaft, also ein soziales und damit ein sinnverarbeitendes System. Da Luhmann sein Sinnkonzept bewusst von den subjektiven Sinnkonzepten abgrenzte, unterscheiden sich die systemtheoretischen Darstellungen der Wirtschaftsprozesse prinzipiell von den »hermeneutischen Erweiterungen« der Ökonomik. Mit dem systemtheoretischen Konzept der Wirtschaft als einem sinnverarbeitenden sozialen System öffnete sich ein Weg, die soziale Dynamik zu konzipieren, die hinter den traditionellen ökonomischen Begriffen wie Markt, Arbeit und Gleichgewicht vermisst wurde. Intentionale Akte und Handlungen treten in den Hintergrund; eine wechselseitige soziale Beziehung – eine Situation der doppelten Kontingenz – wird zum Ausgangspunkt der Analyse. Nach Luhmann ist die elementare Unterscheidung, mit der die Wirtschaft arbeitet, ein binärer Code mit den Alternativen: Zahlung oder Nicht-Zahlung. Da es in der Wirtschaft um die dauerhafte Bewältigung von Knappheit geht, wird Zahlung zu der Schlüsselkategorie der Wirtschaftstheorie gemacht, weil sie eben eine Fähigkeit verkörpert, auf knappe Leistungen zuzugreifen. Knappheit kann bewältigt werden, wenn die Zahlungsfähigkeit ständig wiederherstellt oder gesteigert wird, so dass sich weitere Zahlungen anschließen können. Als Motivation für die Reproduktion von Zahlungen dienen Bedürfnisse. In der Wirtschaft haben wir es so gesehen mit einem Verweisungszusammenhang zwischen aktuellen und potenziellen Zahlungen zu tun, die reproduziert werden und aneinander anschließen, also mit einem Sinnprozessieren. Zahlungen sind Elementarereignisse eines Wirtschaftssystems. Der unendliche wirtschaftliche Kreislauf besteht darin, dass man eine Zahlung erbringt (investiert) und dann die Leistungen anbietet, die durch Preise (in Geld ausgedrückt) andere Akteure dazu be29 Ebd., S. 67. 81
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
wegen, Zahlungen zu erbringen, um wieder selbst imstande zu sein, Leistungen nachzufragen. Das Wirtschaftssystem bleibt durch die Reproduktion der Zahlungen durch Zahlungen aufrechterhalten. Zahlungen leisten zweierlei. Einerseits sind sie imstande, Komplexität zu reduzieren: »Zahlungen reduzieren jedem Teilnehmer an der Wirtschaft einsichtig die Komplexität des Wirtschaftssystems auf jeweils nur zwei Möglichkeiten: als Verkäufer erhält man für sein Leistungsangebot eine Zahlung oder man erhält keine Zahlung; als Käufer kann man eine bestimmte Leistung nachfragen oder man fragt sie nicht nach.«30
Andererseits – und dies ist viel wichtiger – schaffen Zahlungen als Elementarereignisse des Sinnprozessierens in der Wirtschaft ausreichend Instabilitäten, um Komplexität erneut aufzubauen: sie sind unsicher (es ist immer unsicher, wofür sie verwendet werden) und beliebig (sie können beliebig verwendet werden), so dass immer neue Möglichkeiten ins Spiel kommen und Anschlüsse möglich werden. Wenn Wirtschaft als Sinnprozess mit einem unhaltbaren Aktualitätskern in Form von aktualisierten und entschwindenden Zahlungen konzipiert wird, folgt automatisch ein Abschied von der Idee des Gleichgewichts: »Der adäquate Bezugspunkt für die Beobachtung und Analyse des [wirtschaftlichen – E.S.] Systems ist nicht die Rückkehr in eine Ruhelage, wie Theorien des Gleichgewichts‹ suggerieren, sondern die ständige Reproduktion der momenthaften Aktivitäten, eben der Zahlungen, aus denen das System besteht.«31
Mit der zentralen Stellung des systemtheoretischen Sinnbegriffs wird erkannt, dass sich Wirtschaft als ein selbstreferenzielles System nicht primär an einem Gleichgewicht, an einer stabilen Lage orientiert, sondern Instabilitäten und Unordnung braucht, um zu existieren. Dies impliziert nach Baecker den Wechsel der Theorieebene: von dem Grundbegriff »Gleichgewicht« zu dem Grundbegriff »Komplexität«.32 Während die Aufgabe einer Gleichgewichtstheorie darin besteht, die Möglichkeit der Räumung der Märkte, also das Erreichen von optimalen Zuständen unter Beachtung der individuellen Kalküle nachzuweisen, 30 D. Baecker: Information und Risiko, S. 106. 31 Luhmann, Niklas: Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988, S. 17. 32 D. Baecker: Information und Risiko, S. 35ff. 82
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fragt eine Komplexitätstheorie nach den Bedingungen der Reproduktion der Wirtschaft als einem selbstreferenziellen sozialen System. In der Wirtschaft sollen die Anschlüsse der Zahlungsereignisse aneinander gesichert werden. Diese Anschlüsse sind umso unwahrscheinlicher, je komplexer das System ist. Komplexität muss deswegen reduziert werden. Wenn aber Komplexität nur reduziert und nicht wieder aufgebaut wird, hört das System bald auf, zu existieren, weil es immer neue Anschlussmöglichkeiten benötigt. Eine systemtheoretisch orientierte Ökonomik untersucht die Vorkehrungen, die ein Wirtschaftssystem trifft, um die Reproduktion der Zahlungen und damit des Systems selbst zu sichern. Dem Wirtschaftssystem geht es um den Umgang mit der Komplexität: Nicht der Umstand allein, dass es mehr Möglichkeiten gibt, als realisiert werden können, ist wichtig, sondern wie man mit diesem Umstand umgeht. Es stellt sich mit anderen Worten die Frage: Wie selektiert und sichert man das Überleben eines Systems? Dieser Umgang ist nichts anderes als Sinnverarbeitung. Sinn leistet beide Seiten: Komplexität wird reduziert und gleichermaßen ermöglicht. In der Wirtschaft bedeutet dies: Laufend werden Zahlungen aktualisiert und Möglichkeiten weiterer Zahlungen geschaffen. Daher erscheint eine Umstellung der Theorie nicht auf Komplexität, sondern auf Sinn logisch. Dies ist in der systemtheoretisch fundierten Wirtschaftstheorie impliziert: Da Wirtschaft ein soziales System ist, ist es ein sinnverarbeitendes System, das mit der Komplexität so umgeht, dass Anschlüsse immer möglich sind. Wirtschaften ist ein Sinnprozessieren. In den sozialen Systemen wie Wirtschaft wird Komplexität in Situationen doppelter Kontingenz aufgebaut und durch die Bildung der Erwartungserwartungen reduziert. Ereignisse des Wirtschaftssystems – Zahlungen, Entscheidungen – bilden die informativen Grundlagen für die Erwartungen über die darauf folgenden Operationen und Ereignisse. Sie werden beobachtet: von den anderen sozialen Systemen (z.B. das Recht, die Gesellschaft), aber auch von dem Wirtschaftssystem selbst. Mit Hilfe von Erwartungen wird ein Mechanismus der Selbstbeobachtung in das Wirtschaftssystem eingebaut. Beobachtung ist der zentrale Punkt der Erwartungsbildung. Das System unterscheidet die Ereignisse und informiert sich über sich selbst. Neben den Beobachtungen von Positionen und Operationen finden Beobachtungen der Beobachtungen (so genannte Beobachtungen zweiter Ordnung) statt. Vor allem im Markt geht es laut Baecker (1988) um Beobachtungen zweiter Ordnung. Der Markt stellt den Mechanismus der Selbstreferenz des Wirtschaftssystems dar. Um erfolgreich zu agieren, d.h. um immer weitere Zahlungen an schon getätigte Zahlungen an83
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schließen zu können, müssen die Marktteilnehmer Erwartungen über die Zukunft bilden. Dafür sind die bloßen Beobachtungen der Operationen ungeeignet, weil sie die Informationen ex post liefern. Der Rückschluss aus der Vergangenheit auf die Zukunft ist nicht möglich, weil jede Situation einmalig ist, obwohl sie den vorherigen Situationen vielleicht ähnelt. »Wenn man sich ex ante über Möglichkeiten, Risiken und Chancen informieren will, muss man versuchen, die Beobachtungen zu beobachten, die den Operationen der anderen vorausgehen.«33 Man bildet die Erwartungen nicht nur über die zukünftigen Ereignisse, sondern auch über die Erwartungen der Wirtschaftsteilnehmer, also Erwartungserwartungen. Dabei versucht man zu antizipieren, wie andere beobachten und wie man selbst von anderen beobachtet wird.34 Hiermit wird die Sozialdimension von Sinn im wirtschaftlichen Geschehen zentral. Es wird postuliert, dass die Grundsituation im Markt eine Situation »doppelter doppelter Kontingenz« ist und dass der Bezug der Wirtschaftsakteure aufeinander in Form der Erwartungserwartungen erfolgt. Systemtheorie stellt den Moment der Abhängigkeit des eigenen Handelns und Erwartens vom fremden Handeln und Erwarten in den Vordergrund der Wirtschaftstheorie. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Luhmann die Funktion des Teilssystems Wirtschaft in der Gesellschaft grundsätzlich vor dem Hintergrund der Situation doppelter Kontingenz bestimmte: In der Wirtschaft geht es um die Aufhebung der Unsicherheit über die künftige Bedürfnisbefriedigung; diese Unsicherheit wird durch die Zugriffe der Anderen auf knappe Leistungen bedingt. Der Mensch befriedigt seine Bedürfnisse nicht allein, sondern in Interaktion und Konkurrenz mit anderen Menschen. Deswegen ist er gezwungen, für künftige Bedürfnisse Vorsorge zu treffen und Güter für die Zukunft zu reservieren, die ein Anderer heute braucht. Es ist daher eine Koordination momentan vorhandener Güter, Leistungen und Geld notwendig, so dass eine künftige Bedürfnisbefriedigung gewährleistet werden kann. Diese Aufgabe übernimmt die Wirtschaft in der Gesellschaft. Wenn die Situation der doppelten Kontingenz eine Grundsituation des Wirtschaftlichen ist, muss Kommunikation zu dem basalen Akt des Wirtschaftssystems erklärt werden. Im systemtheoretischen Wirtschaftkonzept übernimmt Kommunikation die Rolle der »unsichtbaren Hand«: Die einander gegenüberstehenden »black-boxes«, wie zum Beispiel ein Anbieter und ein Nachfrager, selektieren im Markt unter Bedingungen der Ungewissheit, die unter anderem durch sie selbst und durch ihre so-
33 D. Baecker: Information und Risiko, S. 200. 34 Ebd., S. 139ff. 84
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ziale Beziehung erzeugt wird. Angebot und Nachfrage sind dann Kommunikationsfunktionen, die aufeinander abgestimmt werden. Handlungen werden nur durch Kommunikation ermöglicht: Kommunikative Prozesse der Beobachtungen und die darauf basierenden Erwartungserwartungen liefern Informationen, die verstanden werden und erlauben, Handlungen festzulegen. Es ist dabei prinzipiell unwichtig, wer handelt. Bedeutsam ist, dass Kommunikationen an Kommunikationen und das heißt Zahlungen an Zahlungen angeschlossen werden, damit es zu keinem Bruch in der Sinnverarbeitung kommt und dass weitere Handlungen ermöglicht werden. Als Beispiel dafür, wie eine Koordination durch Kommunikation in einem Wirtschaftssystem erfolgt, kann Geld dienen. Geld ist ein Kommunikationsmedium, das eine Ähnlichkeit mit dem Generalmedium »Sinn« besitzt: Geld überbrückt die unüberbrückbare Differenz zwischen Ego und Alter in einer Situation der doppelter Kontingenz, ohne den Dissens der Interessen, der durch die individuelle Sinnverarbeitung erzeugt wird, zu beseitigen. Nur Symbole, unter ihnen Geld, sind dazu fähig. Sie leisten keine Aufhebung der Differenz, sondern sichern eine paradoxe Einheit von Ego und Alter, indem sie ein Sinnformangebot unterbreiten, »das ein besser organisiertes Beobachten ermöglicht und mit höherer Komplexität der Systeme besser kompatibel ist.«35 Eine ausführliche Darstellung des systemtheoretischen Geldkonzepts würde an dieser Stelle zu weit führen. Es soll nur noch einmal betont werden, dass die Systemtheorie auch Geld, eines der zentralen Phänomene der Wirtschaft, als eine Antwort auf das Problem der doppelten Kontingenz definiert. Das wirtschaftende Subjekt und seine Handlungen sind in einer solchen Theorie marginal. Es kommt nicht mehr darauf an, welche Entscheidungen es trifft (rationale oder irrationale) und wie es handelt. Hauptsache ist, dass es überhaupt entscheidet (zu zahlen oder nicht zu zahlen) und handelt, so dass Transaktionen zustande kommen. Im Lauf der wirtschaftlichen Sinnverarbeitung wird bestimmt, ob die getätigten Transaktionen auch tatsächlich anschlussfähig sind. Und darauf kommt es letztendlich an. Der wirtschaftliche Akteur bestimmt nicht, was im Wirtschaftssystem passiert. Er »ist der ›Ort‹ der systeminternen Prozesskopplungen, nicht aber ›Herr der Lage‹.«36 Er gehört, systemtheoretisch gesehen, zu der Umwelt des Systems. Arbeit und Produktion werden in der Systemtheorie der Wirtschaft als Kommunikation verstanden: Sie sind keine primären Erklärungsgrö-
35 N. Luhmann: Die Wirtschaft, S. 238. 36 B. P. Priddat: Rational Choice, S. 142. 85
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ßen mehr. Es wird produziert, nicht um zu verbrauchen, sondern um an andere Produkte im Kommunikationsprozess Anschluss zu finden. Der Wert eines Produkts liegt in der Kommunizierbarkeit. »Mehr und mehr geht die Arbeit daher dazu über, die Produkte im engeren Sinne, ihre Inhalte, nur als Werbung dafür zu verstehen, worin die eigentliche Arbeit besteht: in der Verknüpfung dieser mit anderen Produkten, in der Analyse möglicher Anschlüsse, in der Lösung möglicher Probleme, ja in der Leistung der Problemidentifizierung. In letzter Konsequenz werden die Produkte dann nicht mehr verkauft, sondern frei verteilt: Das mögliche Geschäft liegt erst in den Anschlussaufträgen, in der Arbeit an der Arbeit mit den Produkten.«37
Arbeit ist nicht mehr ausschließlich eine Herstellung von Produkten oder eine Hervorbringung von Leistungen, sondern ein Prozess der Aushandlungen und Verhandlungen. Arbeitsteilung, Rollen und Verantwortungen in Betrieben werden ausgehandelt. Die Mitarbeiter müssen in den Auseinandersetzungen mit anderen herausfinden, »was von ihnen erwartet wird und was sie von anderen erwarten können. Mehr noch, sie müssen durch Kommunikation, also durch beobachtbare Beobachtungen der Beobachtungen anderer, andere überhaupt erst dazu bringen, von ihnen zu erwarten, dass sie an der Kommunikation teilnehmen und damit eigene Erwartungen von Erwartungen ins Spiel bringen.«38
Arbeit basiert auf einem Prozess der Kommunikation über Arbeit. Zusammenfassend sei betont, dass die Systemtheorie nicht bloß versucht, das Soziale in die Wirtschaftstheorie irgendwie einzubauen, »einzubetten«. Der Sinnbegriff wird als ein zentraler Begriff des Sozialen und damit auch der Wirtschaft konzipiert. Wirtschaft ist ein soziales und damit ein sinnverarbeitendes System. Wirtschaften stellt ein ununterbrochenes Sinnprozessieren dar. Es ist unmöglich sinnfrei zu operieren, auch in der Wirtschaft nicht. Sinn ist ein Medium, in dem alles geschieht. Er wird nicht mit einer Handlung »verbunden«, er ist einfach da. Mit der Umstellung auf Komplexität und Sinn als Technik des Umgangs mit Komplexität ist der Verzicht auf die Vorstellung verbunden, die Wirtschaft um einen Punkt herum zentrieren möchte, zum Beispiel um ein Gleichgewicht. Der Prozessgedanke wird zentral. Wirtschaften ist ein Prozessieren, das sich nicht auf eine stabile Lage hinorientiert und 37 Dirk Baecker: Organisation und Management, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2003, S. 68ff. 38 Ebd., S. 64ff. 86
DER SINNBEGRIFF BEI NIKLAS LUHMANN
in eine stabile Lage zurückkehrt. Unsicherheiten und Instabilitäten sind äußeren Störungen, die das System vorübergehend aus dem Gleichgewicht bringen, sie sind jedem sinnverarbeitenden System immanent und für sein Überleben notwendig. Diese Instabilitäten dürfen aber einen bestimmten »Überraschungswert« nicht übersteigen, so dass es zu keinem Zusammenbruch des Sinnprozessierens kommt. Damit Kommunikation erfolgreich bleibt, d.h. angenommen wird, sollen die unerwarteten Verbindungen möglichst weitgehend ausgeschlossen bleiben. Damit schloss Luhmann das Entstehen des radikal Neuen aus dem systemtheoretischen Sinnprozessieren aus. Instabilitäten des sozialen Systems resultieren aus der Konstellation seiner Grundelemente. Es ist nicht mehr ein Subjekt, sondern die Relation der einander unzugänglichen Subjekte, der »black-boxes«. Diese Unzugänglichkeit und die gleichzeitige Notwendigkeit der gegenseitigen Orientierung schaffen die Ungewissheit. Luhmann legte »doppelte doppelte Kontingenz« als ein unhintergehbares Unsicherheitspotenzial dem Sozialen zugrunde und konzipierte sie als basale soziale Beziehung: Es ist eine »relationistische« Lösung. Die soziale Konstitution der wirtschaftlichen Phänomene (wie z.B. Risiko, Arbeit) wird betont. Hiermit wird eine Annäherung an eine alternative Methode zum methodologischen Individualismus geboten, nämlich den methodologischen Relationismus. Wenn Wirtschaften ein Sinnprozessieren ist und Sinn – und zwar jeglicher Sinn – eine soziale Dimension besitzt, mit anderen Worten darauf verweist, »was andere Personen davon halten oder damit anfangen können«, ist Wirtschaften ein sozialer Prozess, der sich ohne Sinnbegriff nicht konzipieren lässt. Daraus ergibt sich die Forderung, Sinn zu einem Begriff des Ökonomischen zu erheben, weil alles, was in der Wirtschaft geschieht, Sinnprozessieren darstellt und eine soziale Dimension besitzt.
Der poststrukturalistische Sinnbegriff Mit dem Begriff Poststrukturalismus wird eine Reihe von Philosophen (G. Deleuze, J. Derrrida, M. Foucault, J.-F. Lyotard), Literaturkritikern (R. Barthes), Soziologen (J. Baudrillard) und Psychoanalytikern (F. Guattari, J. Kristeva, J. Lacan) in Verbindung gebracht. In der Literatur ist oft auch auf die Gemeinsamkeiten der Systemtheorie und des Poststrukturalismus hingewiesen: Beide Theoriekonzepte stellen von Identität auf Differenz um, verabschieden sich von dem Subjektbegriff sowie »vom ›Kompromiss‹ der Intersubjektivität«, konzipieren Kommunikation als einen nichtintentionalen Prozess, behaupten die Unmöglichkeit 87
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
einer universellen Rationalität und unterstellen ein dezentriertes Gesellschaftsmodell.39 Sie konzipieren Sinn als einen offenen, unruhigen Prozess. Beide Theorien unterscheiden sich allerdings radikal im Hinblick auf Umgang mit den Zusammenbrüchen und Möglichkeiten des Fehlschlagens von Sinnprozessen. Während Luhmann den Sinnzwang postulierte und den Nicht-Sinn exkludierte, entwickelten die poststrukturalistischen Theorien ein besonderes Interesse für die Frage nach der Denkbarkeit von Nicht-Sinn und seiner Inklusion in das Theoriedesign. »Das Scheitern von Kommunikation und die paradoxale Logik der Supplementarität (Derrida), die Persistenz des Realen als Mangel (Lacan) oder die Unmöglichkeit der Schließung der Diskurse (Laclau): Immer wird ein konstitutives Moment des Sinnprozessierens hervorgehoben, das gleichzeitig Sinngebung ermöglicht und verunmöglicht.«40
Während die Systemtheorie die Unwahrscheinlichkeit des Normalen, der Ordnung postuliert und dabei untersucht, wie Ordnung trotzdem möglich ist, behauptet zum Beispiel die Dekonstruktion die Unmöglichkeit des Normalen, der Ordnung, der erfolgreichen Kommunikation: Sie geht vom notwendigen Fehlschlagen von Sinn, von seinem unendlichen Gleiten aus und lässt den radikalen Bruch der Sinnprozesse zu. Sinnzusammenbrüche sind notwendige Elemente der Sinnstiftungsprozesse, die eine Eröffnung von neuen Möglichkeiten des Sinns, des radikal Neuen mitdenken lassen. In den poststrukturalistischen Theorien wird Abschied von der Totalität des Sinns genommen. Vor diesem Hintergrund ist das poststrukturalistische Sinnkonzept für die vorliegende Arbeit hilfreich, denn es öffnet Wege, die Natur der Innovation sowie der Ungewissheit der Sinnprozesse anders als zweckrational zu untersuchen. Außerdem bieten die poststrukturalistischen Sinnkonzepte durch die Umstellung auf den Differenzbegriff eine interessante Möglichkeit, das Soziale nicht als eine aus den Individuen oder ihren Handlungen bestehende Struktur zu denken, sondern als ein Geflecht der Beziehungen, welche die einzelnen Elemente dieser Struktur erst bestimmen. Es wird möglich, sich den Fragen nach der sozialen Dynamik in den Beziehungen, nach den Veränderungen nicht nur in Texten, sondern auch im Sozialen zu nähern. Die poststrukturalistischen Positionen entwickelten sich aus einer komplexen Revision und Neudefinition des Strukturalismus. Der Strukturalismus nahm seinen Ausgang in den Arbeiten von Ferdinand de 39 Vgl. U. Stäheli 2000a, S. 15. 40 Ebd., S. 19. 88
DER POSTSTRUKTURALISTISCHE SINNBEGRIFF
Saussure (1967) und beschrieb die Sprachstrukturen als ein Zeichensystem, wobei ein Zeichen als eine Verbindung definiert41 wird. Ein Zeichen besteht aus einem Signifikat (dem Bedeuteten) und einem Signifikanten (dem Bedeutenden). Verbindungen sind Differenzen: Ein Zeichen unterscheidet sich von dem anderen und erhält seine Bedeutung nicht durch die eigene Beschaffenheit, sondern einzig durch eine Position innerhalb eines Differenzsystems. Sinn wird aus der Differentialität der Elemente des Zeichensystems erzeugt. Die Relationen, die Zusammenhänge zwischen den Signifikaten und Signifikanten sind sinnkonstitutiv: Sinn entsteht zwischen den Zeichen und kann nicht in den Zeichen lokalisiert werden. Zeichen an sich haben keine Bedeutung, sie sind keine Träger von Sinn. Sinn wird durch die Relation zu anderen Zeichen bestimmt. »Das Leben der Zeichen bildet ein System universeller Dependenzen, jedes Element hängt mit allem anderen und mit dem Gesamtsystem so zusammen, dass sich nichts in dem Gesamtsystem folgenlos ändern kann.«42 Hier wird das relationistische Denken zentral, wie es auch im vorherigen Abschnitt über Luhmann definiert wurde: Die Grundeinheit ist nicht eine Substanz, sondern eine Beziehung, in der Sinn konstituiert wird: »Die Pointe von de Saussures Argumentation besteht darin, nicht die Bedeutung eines isolierten, einzelnen Zeichens festzulegen, sondern Zeichen innerhalb von Zeichensystemen zu konzipieren. Dieser relationale Ansatz erklärt das Sprachsystem (langue) nicht aus den Eigenschaften der einzelnen Elemente, sondern aus den Beziehungen zwischen einzelnen Elementen.«43
Der Rückgriff auf die Zeichentheorie von de Saussure ist den poststrukturalistischen Theorien gemeinsam. Poststrukturalisten bereicherten sie mit der Idee einer ständigen Bewegung und Sinntransformation: Es gibt keine festen Relationen zwischen Bezeichnenden und Bezeichneten, sie verschieben sich ständig. Lacan sprach vom unendlichen Gleiten des Sinns. Sinn ist nie vollständig präsent, gesättigt, er ist nie mit sich selbst identisch. Er ist »immer anderswo, verschoben, stets in Bewegung«44. Es gibt keine festgelegte Ordnung. Das gleiche Wort kann in einem anderen Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben. Der Zeichen-
41 K. Röttgers: Metabasis, S. 49. 42 Ebd., S. 50. 43 Urs Stäheli: Poststrukturalistische Soziologien, Bielefeld: transcript 2000b, S. 18. 44 Jean-Luc Nancy: Das Vergessen der Philosophie, Wien: Passagen 1987, S. 45. 89
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
gebrauch – obwohl scheinbar immer derselbe und einer bestimmten Regel folgend – geschieht in einem neuen Kontext, ändert seine vorhergehende Bedeutung und verweist auf immer neue Gebrauchsmöglichkeiten. Kontexte sind unabschließbar, sie sind nie gesättigt oder gesichert: »Jedes Zeichen [...] kann zitiert – in Anführungszeichen gesetzt werden; von dort aus kann es mit jedem gegebenen Kontext brechen und auf absolut nicht sättigbare Weise unendlich viele neue Kontexte zeugen. Das heißt nicht, dass das Zeichen [marque] außerhalb eines Kontexts gilt, sondern ganz im Gegenteil, dass es nur Kontexte ohne absolutes Verankerungszentrum gibt.«45
Dadurch, dass das Zentrum einer Struktur nicht mehr besetzt ist, entsteht ein Überschuss von Signifikanten. »Jede Interpretation, ja jede Zeichenverwendung – unterbreitet gleichsam einen Vorschlag, wie man den fehlenden Zentralsinn des Textes ersetzen und damit (vorübergehend, vorbehaltlich) bestimmen könnte. Da der Zentralsinn aber fehlt, ist die Interpretation nicht eigentlich ein Finden (der Fund setzt die Gegenwart des zu Findenden voraus), sondern ein Er-Finden, d.h. ein Zusatz, eine Ergänzung des Textes.«46
Es sind immer andere Interpretationen möglich. Die Interpretationen können nicht festgelegt werden, weder von dem Autor noch von dem Leser. Interpretation ist dabei nie ein »verdoppelnder Kommentar«47, der Sinn vollständig wiedergibt, sondern immer eine Sinnverschiebung. Es gibt keine zentrale, »eigentliche« und verbindliche Interpretation, nur eine gleitende Ergänzung. Da eine Struktur nicht mehr stabil sein kann, weil alles in unbestimmbaren Kontexten geschieht, ist sie zu den sinnschaffenden Wiederholungen fähig. Dabei gibt es keine völlig identische Wiederholung. Um eine unreine Wiederholung denken zu können, entwickelte Derrida den Begriff der Iterabilität: Das Wiederholte wird stets verändert. Sinn kann deswegen nicht als eine vollständig konstruierte Identität (als ein ständig identischer Sinnkern) wiederholt werden. Diese unreinen Wiederholungen sind sinnschaffende Wiederholungen. Bei der Sinnerzeugung ist beides wichtig: die Notwendigkeit der Wiederholung und die gleichzeitige Unmöglichkeit einer identischen Wiederholung. Sinn ent-
45 Jacques Derrida: »Signatur Ereignis Kontext«, in: Limited Inc., Wien: Passagen 2001, S. 32. 46 Manfred Frank: Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt/Main: Suhrkamp 1984, S. 86. 47 J. Derrida: Limited Inc., Wien: Passagen, S. 220. 90
DER POSTSTRUKTURALISTISCHE SINNBEGRIFF
steht in den Beziehungen, die sich ständig verändern. Deswegen wird Sinn nie »erreicht« und nie endgültig bestimmt. Hier klingt schon der performative Gedanke durch: Die Sinnverschiebungen erfolgen im Gebrauch der Zeichen. Das Zitieren sowie der Kontextwechsel sind die »Anwendungen« eines Zeichens, die eine reine Wiederholung unmöglich machen. Sie verleihen dem Zeichen »eine Kraft zum Bruch mit seinem Kontext.«48 Derrida beschrieb dies als Technik der Aufpfropfung49. »Worauf es nun ankommt, ist, dass Aufpfropfung nicht einfach heißt, einem alten Namen wird eine neue Bedeutung eingepflanzt; vielmehr handelt es sich um eine ›formale oder syntaktische Praxis‹, die Worte, Sätze, Textaussagen, manchmal ganze Diskurse ›zusammengesetzt (composé) und auseinander nimmt (decomposé)‹, so dass diese syntaktische Operation Worten oder Textstücken eine neue Stellung innerhalb einer Textur verliehen wird.«50
Es handelt sich um die Möglichkeit eines neuen Sinns, um die unabschließbaren Prozesse der Sinngenerierung. Ein auf Iteration basierendes System ohne Zentrum produziert Unentscheidbarkeiten: Mehrdeutigkeit des Sinns führt zum Oszillieren zwischen den Möglichkeiten des Sinns als Unentscheidbarkeit.51 Unentscheidbarkeit entsteht unausweichlich im System, wo Sinn nicht vollständig determinierbar ist, i.e. wo nur vorübergehende Interpretation möglich und Kontexte unabschließbar sind. »Das Unentscheidbare ist nicht einfach das Schwanken oder die Spannung zwischen zwei Entscheidungen, es ist die Erfahrung dessen, was dem Berechenbaren, der Regel nicht zugeordnet werden kann, weil es ihnen fremd ist und ihnen gegenüber ungleichartig bleibt, was dennoch aber – dies ist eine Pflicht – der unmöglichen Entscheidung sich ausliefern und das Recht und die Regel berücksichtigen muss. Eine Entscheidung, die sich nicht der Prüfung des Unentscheidbaren unterziehen würde, wäre keine freie Entscheidung, sie wäre eine programmierbare Anwendung oder ein berechenbares Vorgehen.«52
Eine Entscheidung »schließt« temporär die Kontexte, sie ist eine Fixierung, die aber die Unentscheidbarkeit als Voraussetzung hat. In Worten von Derrida heißt es: Jeder Entscheidung wohnt das Unentscheidbare 48 49 50 51 52
J. Derrida: Signatur Ereignis Kontext, S. 27. Ebd. S. S. Krämer: Sprache – Sprechakt – Kommunikation, S. 231. Vgl. U. Stäheli 2000a, S. 232ff. Jacques Derrida: Gesetzeskraft: Der ›mystische Grund der Autorität‹, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1991, S. 49. 91
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
inne.53 Dabei »stört Unentscheidbarkeit die Formalisierung und Stabilisierung des Systems, da sie die Unterbestimmtheit in das System einführt. Diese ist kein Free play von Sinn, sondern unterbricht und versagt das Erreichen vollständigen Sinns.«54 Im Poststrukturalismus wird nicht nur die Unmöglichkeit des vollständigen Sinns betont, sondern auch das Scheitern und Verzögern von Sinnprozessen. Die poststrukturalistischen Sinnkonzepte lassen den Sinnzusammenbruch und die Sinnverletzung als prinzipielle Möglichkeiten einer Unterbrechung des Sinngeschehens (im Unterschied zu Luhmann) grundsätzlich zu. Luhmann schloss aus, »dass das nichtanschlussfähige Element für die Autopoiesis bedeutsam sein könnte«55. Der Sinnzusammenbruch, d.h. wenn Anschlüsse fehlschlagen, wird durch die Operation des Verstehens »genäht« und »das, was nicht verstanden werden kann, bleibt ohne Effekt«56. Bei den Poststrukturalisten haben die Sinnzusammenbrüche durchaus einen Effekt: Sie bedeuten nicht das Ende eines Systems, sondern die Möglichkeit der Erneuerung. Bei Derrida bedeutet die Iterabilität die Möglichkeit des radikalen Brechens mit den Gesetzen des Systems, die Möglichkeit einer Überschreitung des bekannten Sinnhorizonts und so die Möglichkeit einer Innovation. Eine Unterbrechung bedeutet aber immer Unsinn – sie macht eben keinen Sinn. Mit der Zulassung der Unterbrechungen wird Unsinn nicht mehr ausgeschlossen, sondern als konstitutiver und produktiver Bestandteil des Sinnprozesses erkannt. Sinn ist nie vollständig präsent, er verweist immer auf Abwesendes, auf das nämlich, wovon er sich abgrenzt: auf Unsinn. »Eine dekonstruktive Position fasst [...] Sinn ›letzten Endes im Verhältnis zum Verlust des Sinns ins Auge‹. Sinn muss in Beziehung zu seiner eigenen Unmöglichkeit (miß)verstanden werden – nur so kann man der zirkulären Maschine des Sinns zeitweise entkommen. Nicht um eine Zelebration eines mystisch verklärten Bereiches des Nicht-Sinns geht es, sondern um die Verknotung von Sinn und Nicht-Sinn.«57
Dabei geht es nicht um ein zwanghaftes Schließen der Risse im Sinn, um das Überführen des Unsinns in Sinn, indem man den Unsinn doch
53 54 55 56 57 92
Ebd., S. 50. U. Stäheli 2000a, S. 236. Ebd., S. 91ff. Ebd., S. 92. Ebd., S. 74.
DER POSTSTRUKTURALISTISCHE SINNBEGRIFF
irgendwie begründet, sondern um das Zulassen der Koexistenz von Sinn und Unsinn als Zulassen der permanenten Irritation. Durch die Anerkennung der ständigen Kopräsenz von Unsinn wird die theoretische Überlegenheit der Kategorie »Sinn« in Frage gestellt. Es gibt keinen Grund, Sinn dem Unsinn (genauso wie Vernunft dem Wahnsinn oder dem Irrationalen, das Bewusste dem Unbewussten etc.) vorzuziehen und jenen als ein methodisch unverträgliches Anderes einfach auszuschließen. Derrida und Foucault behaupteten die konstitutive Bedeutung von Gegensätzen und zerstörten dadurch das hierarchische Denken innerhalb des Gegensatzpaares »Sinn – Unsinn«. Sinn und Unsinn schließen einander nicht mehr aus. Sinn kann unter anderem nicht durch die Kopräsenz des Unsinns fixiert werden, er wird ständig hinterfragt. Es sei auch angemerkt, dass sich die poststrukturalistischen Theorien von einem einheitlichen Subjektbegriff verabschiedet haben. Dabei darf nicht übersehen werden, »dass es keineswegs um eine völlige Aufgabe des Subjekts geht, sondern um die Dekonstruktion der Annahme eines autonom handelnden und selbstidentischen Subjekts«58. Dem Subjekt wird lediglich die Rolle eines Stabilisierungsmechanismus, eines (Sinn-) Zentrums aberkannt (»Dezentrierung des Subjekts«). Das Subjekt ist ein Konstrukt, es wird genau so wie Sinn in den unstabilen Differenzsystemen »produziert«. Es wird als ein Ort im Zeichensystem, in den vielfältigen Diskursen geschaffen, es ist in Worten von Foucault eine Position. Das Subjekt ist ein Mangelwesen und für sich selbst unfassbar (Lacan). In seiner Sozialontologie vermied zum Beispiel auch Jean-Luc Nancy (2004) Subjekte vorauszusetzen, wenn er über den Sinn schrieb. Er setzte bei dem Denken des Zwischen an, bei dem »Inter« der Intersubjektivität: Der Sinn ereignet sich zwischen uns – und in diesem Zwischenraum entstehen Subjektivitäten. »Der Sinn, das sind wir«59 – wir alle stiften Sinn und sind nur Effekte dieser Sinnstiftung. Das »Wir« symbolisierte bei Nancy die Pluralität der Sinne, die gleichzeitig in der Welt präsent sind: Sein Konzept erinnert an die Luhmannschen »blackboxes«, die einander nicht berühren, einander unzugänglich bleiben, keinen Sinn teilen – zwischen ihnen ist stets eine Lücke, ein Bruch, eine Distanz. Ihre Koexistenz ist aber unvermeidlich – deswegen ist ein Sein immer ein Mit-ein-ander-sein, eine »singulär-plurale Koexistenz«60. 58 U. Stäheli 2000b, S. 48. 59 J.-L. Nancy: Das Vergessen, S. 100. Ausführliche Argumentation dazu siehe in: Jean-Luc Nancy: singulär plural sein, Berlin: Diaphanes 2004, S. 19ff. 60 J.-L. Nancy: singulär, S. 21. 93
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
Nancy betonte ausdrücklich, dass Sinn nur mit anderen Sinnen existiert. Also der Sinn des Anderen wird stets mitgedacht, was das Intermediäre des Sozialen, die Relation in den Fokus rückt: »So wird weder von Individuen ausgegangen, die dann (auf welche Weise?) qua Interaktion die Gesellschaft bilden sollen, noch von einem vernünftigen Horizont, vor dem sich die Individualitäten als bloße Besonderungen abheben würden. Daher bildet das Zwischen, das Mit, eine angemessene, wenn auch notwendig a-substantielle Bestimmung der Relationalität des Sozialen.«61
Hier wird nachdrücklich die Rolle der Relationen für das Konzipieren des Sozialen und des Sinnprozessierens betont – auf diesen Gedanken wird später noch einmal Bezug genommen. In diesem Überblick konnten nur einige Eigenschaften des poststrukturalistischen Sinnbegriffs gestreift werden. Zentral ist für die vorliegende Arbeit die Idee unreiner Wiederholungen, der Sinnverschiebungen im Gebrauch, die direkt zu den performativen Konzepten führt.
Der performative Sinnbegriff Im Anschluss an die Analyse der Sinnzusammenhänge im Poststrukturalismus soll der performative Sinnbegriff dargestellt werden. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich beide Theorieausrichtungen – der Poststrukturalismus sowie die Performativität – an einem wichtigen Punkt, nämlich der Analyse der Sinntransformation im Gebrauch von (sprachlichen) Zeichen, Regeln und Gegenständen kreuzen. Die performativen Theorien konzentrieren sich auf dem kreativen Aspekt des Gebrauchs, der insbesondere für das Theoretisieren über die Literatur und Kunst ausschlaggebend ist. Dies ist kein Zufall: »Viele der poststrukturalistischen DenkerInnen sind [...] auch maßgeblich durch künstlerische Avantgarden beeinflusst: Man denke etwa an die Bedeutung des Dadaismus für Jacques Lacan, an Paul Veléry für Jacques Derrida oder an Lautréamont für Julia Kristeva.«62 Vor dem Hintergrund des zentralen Bestrebens der Avantgarde, durch eine radikale Störung des Sinns das Neue zu kreieren, galt das Interesse der Vertreter des performativen Denkens dem Scheitern des Sinns im Gebrauch der Zeichen und der Gegenstände – aus der Perspektive der Frage nach dem Entstehen des neuen Sinns. 61 Bedorf, Thomas »Bodenlos. Der Kampf um den Sinn im Politischen«, in: in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 55 (2007), S. 701, Hervorhebungen – E.S. 62 U. Stäheli 2000b, S. 7ff. 94
DER PERFORMATIVE SINNBEGRIFF
Als Ausgangspunkt dienten die Konzepte der Performativität der Sprache. Grundsätzlich ist die Idee der Performativität, die unter anderem in den Werken von Austin, Wittgenstein, Lacan, Derrida und Butler entwickelt wurde, mit der Suche nach den Wegen der Überwindung des strukturalistischen »Zwei-Welten-Modells«63 der Sprache verbunden. De Saussure postulierte einen theoretischen Vorrang der Sprache (langue) über das Sprechen (parole), der Regel über die Regelbefolgung, des Zeichens über das Bezeichnete. Das Sprechen (parole) wurde als neutraler Gebrauch eines Schemas (langue) verstanden. Eine gemeinsame Maxime der Autoren, die sich mit der performativen Kraft der Sprache befasst haben, lautet: »Es ist – aus welchen Gründen auch immer – nicht sinnvoll, zwischen Schema und Gebrauch kategorisch, also im Sinne verschiedenartiger Seinsmodalitäten zu unterscheiden.«64 Der Gebrauch von Zeichen ist sinnkonstitutiv, weil eben dort die innovativen Sinnverschiebungen (die Iterationen) stattfinden. Es geht darum, den sprachlichen Sinn nicht als ein verborgenes ideelles Konstrukt, sondern als eine performative Konstruktion zu konzipieren. In den performativen Auffassungen der Sprache wird nicht einfach der Schwerpunkt auf den Gebrauch, den Vollzug gelegt, so dass das Handeln jetzt die mentalen Prozesse bestimmt. Sprache und ihr Vollzug werden als untrennbar, als ein einheitliches Tun betrachtet. Ihren Ursprung fand dieser Gedanke in dem Begriff der performativen Äußerung von John Austin (1979). Performative Äußerungen sind Handlungsakte, dabei ist es wichtig, »dass ich mit diesen Äußerungen etwas Bestimmtes tue [...], dass ich mit ihnen nicht beschreibe, was ich tue, oder feststelle, dass ich es tue; den Satz äußern heißt: es tun.«65 Als Beispiele für solche Äußerungen können Begrüßung, Versprechen, Hochzeit und Taufe dienen. Austin betonte, dass sich Sprache nicht darin erschöpft, etwas wiederzugeben oder zu repräsentieren (Lokution), sondern mit einer performativen sprachlichen Äußerung, die an eine andere Person gerichtet ist (Illokution), auch etwas geschaffen (Perlokution) wird: Das Sprechen ist ein Handeln, das mehr als Kompetenz, mehr als Kenntnis der sprachlichen Regeln und ihre perfekte Anwendung ist. Auch in den »Philosophischen Untersuchungen« von Wittgenstein wird Sprache als eine Tätigkeit, als ein Tun beschrieben. Diese Tätigkeit ist der regelgeleitete Sprachgebrauch, das »Sprachspiel«. Eine Liste von Regeln ergibt noch kein Spiel. Die Regeln haben keine selbständige Existenz, sie fallen mit der lebendigen Praxis ihrer Anwendung, mit der
63 Vgl. S. Krämer: Sprache – Sprechakt – Kommunikation, S. 9ff. 64 Ebd., S. 264. 65 John L.Austin: Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart: Reclam 1979, S. 29. 95
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
Spielpraxis zusammen.66 Es muss mit Bezug auf die Regeln gehandelt werden, erst dann gewinnen einzelne »Spielzüge« (gesprochene Worte und Sätze) ihren Sinn. Dementsprechend gibt es keine »tieferen« Sinnstrukturen, die im Verborgenen der Sprache walten, wie zum Beispiel Semantik oder Grammatik, die durch den Sprachgebrauch mehr oder weniger sauber repräsentiert werden. Sprache wird nicht im Gebrauch repräsentiert, sie existiert nur im Gebrauch und nur im Gebrauch wird der Sinn des Gesagten konstituiert. »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache«.67 Was bedeutet aber genau »Der Sinn wird im Gebrauch konstituiert« oder »Die Bedeutung ist der Gebrauch«? Das bedeutet, dass der Gebrauch, verstanden als ein performativer Akt, eine generative Kraft, eine Kreativität besitzt. Die unglaubliche schöpferische Kraft des Performativen rührt von der Tatsache, dass der Vollzug immer »reicher« ist als Regel, als Muster, als Geplantes und Vorbestimmtes. Sollte Sinn als das stabile Regelwerk begriffen werden, wird hiermit das Entstehen des neuen Sinns ausgeschlossen.68 Ein Vollzug, eine Gebrauchspraxis produzieren immer einen Überschuss an Sinn. Der vollzogene Gebrauch von Zeichen und Worten, obwohl scheinbar immer derselbe, geschieht ständig in einem neuen Kontext und ändert seine vorangegangene Bedeutung, verweist auf immer neue Gebrauchsmöglichkeiten. Kontexte sind unabschließbar, was zur unendlichen Formung und Umformung des Sinns führt. So ist zum Beispiel jede Aufführung eines Theaterstücks eine andere im Sinn von »eine neue«, obwohl das Muster (das verfasste Theaterstück selbst mit den vorgeschriebenen Rollen, Repliken etc.) immer dasselbe bleibt. Derridas Idee der Iteration weist ebenso auf diesen fundamentalen Aspekt der Sinngenerierung hin: Es ist keine reine Wiederholung möglich, jede Wiederholung ist eine Veränderung. Sinn wird durch das Einbeziehen in die Gebrauchskontexte einer ständigen Verschiebung und damit Veränderung ausgesetzt. Dies gilt nicht nur für die Texte, sondern auch für das Soziale.69 Jede Routine, jede Regel oder jede Typisierung ist offen für Störungen, Misslingen und Neuinterpretationen, die durch ihre Anwendung erzeugt werden. Es ist theoretisch möglich, die Fälle zu konstruieren, in denen 66 Vgl. dazu Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, § 197, S. 131ff. 67 Ebd., § 43, S. 40. 68 Das ist das schon erwähnte Problem des Strukturalismus. 69 Dies betonte nachdrücklich Ortmann (vgl. Organisation und Welterschließung: Dekonstruktionen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2003b, S. 88; auch 2003a, 2004). 96
DER PERFORMATIVE SINNBEGRIFF
Akteure auf die Typisierungen, routinisierte Regeln etc. zugreifen. Diese Fälle sind aber Idealisierungen. Vor diesem Hintergrund ist es auch falsch, Institutionen als »geronnenen Sinn«70 zu betrachten. Der Sinn kann nicht »geronnen« werden, er ist im ständigen Fließen begriffen, das im Gebrauch stattfindet. Die permanenten Sinnverschiebungen sind die Quelle der unauslöschbaren Ungewissheit im Sozialen: Die Regeln werden im Gebrauch ständig verletzt, die Typisierungen gelten nur »bis auf weiteres«. Die Erkenntnis der Instabilität des Sinns im Gebrauch ermöglicht die Einsicht in den Mechanismus der Ungewissheit in den sozialen Beziehungen.
Das Neue und seine Geltung Wichtig ist, dass Kreativität des Performativen nicht bloß eine »kreative Verschiebung« im Tun bedeutet, sondern auch erlaubt, das radikal Neue zu denken, die Frage zu stellen »wie der Übergang von einem Systemzustand zu einem gänzlich von ihm verschiedenen beschrieben werden kann, da es ja offensichtlich nicht die Gesetzmäßigkeiten des ersteren sein können, die zu dem zweiten geführt haben, ansonsten wäre er nicht grundsätzlich von dem ersten unterschieden?«71 Diese Frage konnte in den vorher besprochenen Sinnkonzepten nicht gestellt werden, weil die Hermeneutiker und Schütz sich mit Sichtweisen beschäftigten, durch die der schon in der Welt vorhandene (»gegebene«) Sinn aufgedeckt werden kann. Luhmann konzipierte zwar eine innere Unruhe des Sinngeschehens als ein wesentliches Merkmal, begriff aber diesen permanenten Wandel als einen graduellen, als eine Transformation, die nach den inneren Gesetzen des Systems geschieht.72 Etwas Neues, das die Gesetzmäßigkeiten des Systems bricht, ist nach den bis jetzt vorgestellten Sinnkonzepten nicht denkbar. Die performativen Theorien ermöglichen die Annäherung an die Frage nach der Entstehung des Neuen. Die »unreinen« Wiederholungen des Poststrukturalismus lassen einen »irrationalen« Bruch zu. Das sind sinnschaffende Wiederholungen:
70 Thomas Beschorner/Dirk Fischer/Reinhard Pfriem/Günter Ulrich: »Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Theorie der Unternehmung – zur Heranführung«, in: FUGO - Forschungsgruppe Unternehmen und gesellschaftliche Organisation, Universität Oldenburg (Hg.), Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Theorie der Unternehmung, Marburg: Metropolis 2004, S. 31. 71 K. Röttgers: Metabasis, S. 15. 72 Vgl. ebd., S. 66. 97
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
Sie implizieren eine Regelverletzung als ein Außer-Kraft-Setzen der bestehenden Regeln, die bei der Anwendung, im Gebrauch erfolgen, und neue Möglichkeiten öffnen. Hetzel (2001) trennte in seiner Charakterisierung der Kultur die Prozesse der Verletzung, des Außer-Kraft-Setzens des Bestehenden und der Kreation des Neuen: Kultur als Afformativ und Kultur als Performativ. »Kultur setzt nicht nur performativ etwas Neues, sondern entsetzt afformativ etwas bereits Gesetztes.«73 Das Afformative bedeutet »Entbestimmen«, »schöpferisches Lassen«. Dadurch wird die Voraussetzung, der »Platz« für etwas Neues geschaffen. Erst dann kommt das Performative ins Spiel als das »Auftreten eines radikal Neuen«: »Das Performative steht für eine ursprüngliche, vorbildlose Produktivität, die auf kein Regelsystem abgebildet werden kann«74 und auf nichts Etabliertes zurückgreift. Es ist ein »radikaler Sprung in das Andere.«75 Hetzel wies darauf hin, dass das englische Verb »to perform« nicht nur durchführen oder vollziehen bedeutet, sondern auch aufführen oder spielen, inszenieren.76 Er erwähnte in diesem Zusammenhang eine künstlerische Bewegung, die Performance-Kunst, als Beispiel: »Die Performance steht für eine künstlerische Praxis, deren Produkt mit dem Akt ihrer Aufführung zusammenfällt, für eine Praxis reiner Darstellung, in der nicht zwischen Weisen der Darstellung und dem dargestellten Gehalt unterschieden werden kann [...] In der Performance fallen Tun, Darstellen und Schaffen zusammen. Eine Handlung wird hier als ihre eigene Dar- und Herstellung vollzogen. Die Performance steht damit [...] für eine Praxis, die sich selbst schafft, für reine Selbstveränderung.«77
Die Performance-Kunst ist auf das Schaffen eines Ereignisses ausgerichtet, es muss nicht unbedingt ein Artefakt sein. »Die Kunst schafft das Ereignis, wenn das Ereignis das ist, was sich nicht von der Kausalität beschränken lässt, was aus einem unbekannten ›Anderswo‹ kommt und eine neue Möglichkeit des Sinnes eröffnet.«78 Als Beispiel sei die berühmte »Schießaktion« in Paris im Februar 1961 erwähnt, die von Niki de Saint Phalle veranstaltet wurde. Es wurden Freunde und Bekannten eingeladen, sich an dem Entstehen eines 73 Andreas Hetzel: Zwischen Poiesis und Praxis: Elemente einer kritischen Theorie der Kultur, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S. 277. 74 Ebd., S. 260. 75 Ebd., S. 267. 76 Ebd., S. 259. 77 Ebd. 78 Jean-Luc Nancy/Elisabeth Schweeger, (Hg.): Philosophische Salons, Frankfurter Dialoge I, Frankfurt/Main: Belleville 2004, S. 73. 98
DER PERFORMATIVE SINNBEGRIFF
Kunstwerks zu beteiligen: Sie sollten auf weiße Reliefe, die mit Farben, Tomaten etc. gespickt wurden, aus einem Gewehr schießen. Niemand wusste, wie Objekte am Ende der Aktion aussehen werden, weil es nicht vorhersehbar war, wer an welcher Stelle die Reliefe trifft, wie viele Leute überhaupt schießen werden etc. Der Prozess der Entstehung des neuen Werks war von Anfang an kontingent: Es hätte auch ein anderes Werk sein können, was die weiteren Schießaktionen bestätigt haben. Aber: »Das Wesentliche hatte sich [...] ereignet – der Prozess des Entstehens.«79 Das radikal Neue kommt immer als eine irrationale Überraschung. Eben weil es mit den bestehenden gültigen Gesetzen bricht, ist es mit den rationalen Instrumentarien nicht zu begreifen. Rationale Entscheidung versagt in diesem Fall in der Rolle eines angeblich universelles Analyseinstruments, weil sie eine klare Situation, d.h. die bekannten Ziele und Mittel, i.e. eine vollständige Kontrolle voraussetzt. Es wird vorausgesetzt, dass darüber entschieden werden kann, was passieren wird. Diese Voraussetzungen sind in den performativen Prozessen der Sinngenerierung nicht gegeben. Niemand konnte wissen, wie die Kunstobjekte am Ende der Schießaktionen von Niki de Saint Phalle aussehen würden. Das Neue ist, wie Shackle es formulierte, immer eine potenzielle Überraschung.80 Es ist unberechenbar und unerwartbar, es hat keinen Grund. Die neuen Alternativen kann man nicht nach den Regeln der Rationalität abwägen, mit anderen Handlungsmöglichkeiten vergleichen und über sie entscheiden, weil sie erst wahrgenommen und überhaupt als Alternativen begriffen werden müssen. Hier treten an die Stelle der Optimierungsverfahren die Sinnstiftungsprozesse: Das in den performativen Akten entstandene Neue muss als das Neue erkannt werden. Mit anderen Worten ist es wichtig, dass der neu geschaffene Sinn zur Geltung gebracht wird: Der Sinn soll als Sinn anerkannt werden, soll als Sinn gelten.81 In dem performativen Tun entstehen also unintendiert neue Ereignisse, Artefakte und Tatsachen, die der Gefahr ausgesetzt sind, völlig ignoriert zu werden. In dem Moment, in dem etwas Neues entsteht, muss 79 Monika Becker: Niki de Saint Phalle: Die Biographie, Berlin: List 2005, S. 13. 80 Vgl., Georg L.S. Shackle: Decision Order and Time in Human Affairs, 2. Aufl., Cambridge: Cambridge University Press 1969, S. 68ff, 113ff. 81 Sinn als solcher soll anerkannt und übernommen werden: »Denn einerseits ist Sinn eine Grundkategorie des Sozialen, d.h. Sinn ist nirgendwo Privatsache, andererseits muss Sinn subjektiv übernommen sein, an ihn muss in irgendeinem Sinne des Wortes ‚geglaubt’ werden.« (Kurt Röttgers: Kategorien der Sozialphilosophie, Magdeburg: Scriptum 2002b, S. 225). 99
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
es deswegen schon bestimmte Geltungsvoraussetzungen schaffen, um nicht sofort unbemerkt zu verschwinden. Es muss in die Zukunft »vorgreifen« können. »Nehmen wir die Proposition ›Die Sitzung ist geschlossen‹ – was vollbringt der Sprecher, indem er das behauptet? Er bringt einen neuen Sachverhalt in der Welt hervor (die Tatsache, dass die Sitzung geschlossen ist); [...] – wie aber macht er das genau? Indem er statuiert, dass die Sitzung geschlossen ist, d.h. indem er in seiner Äußerung diesen Sachverhalt als bereits vollzogen darstellt – kurz gesagt, er vollzieht den Akt, indem er ihn als bereits vollzogen beschreibt.«82
Der Sprecher muss aber davon ausgehen können, dass die Anderen sein Statement als gültig akzeptieren; der performativ geschaffene Sinn muss als Sinn akzeptiert und nicht als reiner Unsinn unbeachtet sofort aus der Welt geschaffen werden. Das Ergebnis der Schießaktion von Niki de Saint Phalle sollte am Ende als ein Kunstobjekt (und nicht als ein Haufen Müll) gelten. Ein wichtiges Charakteristikum des Neuen ist die Schwierigkeit (und manchmal die Unmöglichkeit), sich in seinem Geltungsanspruch auf die schon bestehende Institutionen oder Diskurse zu stützen. »Im Gegensatz zu den transzendentalpragmatischen Positionen von Searle, Habermas und Apel kann der performative Akt die Bedingungen seiner möglichen Geltung nicht voraussetzen. [...] Jeder Satz artikuliert einen neuen Geltungsanspruch, der sich gegen seine Subsumtion unter vermeintlich universale Rationalitätsformen sperrt.«83
Der performative Akt schafft etwas Neues und setzt es gleichzeitig in Kraft. Er muss den Kontext der Gültigkeit und Akzeptanz des Neuen mit erfinden.84 Es müssen die Kontexte geschaffen werden, in denen das Neue, eben das Sinnlose sinnhaft wird. Dies gilt nicht nur für Kunstobjekte, sondern auch für eine neue Ware am Markt, für die, um nachgefragt zu werden, erst mal solche Kontexte der Geltung geschaffen werden müssen. Gleichzeitig wird das Neue als Neues nur im Rückblick, d.h. bei dem Versuch der Anwendung der schon bestehenden Mechanismen der Sinnerschließung, erkannt. Nur wenn diese Mechanismen versagen, wird 82 Slavoj Zizek: Grimassen des Realen. Jacques Lacan oder die Monstrosität des Aktes, Köln: Kiepenheuer und Witsch 1993, zitiert nach A. Hetzel: Zwischen Poiesis und Praxis, S. 258. 83 A. Hetzel: Zwischen Poiesis und Praxis, S. 268. 84 Ebd., S. 267 100
DER PERFORMATIVE SINNBEGRIFF
das Neue ersichtlich. »Neues ist ›neu‹ nur in bezug auf – bekannt – Dagewesenes. […] Neues wird ›neu‹ erst durch die rückwärts gerichtete Zuschreibung.«85 Mit anderen Worten stellt das Neue einen Vorgriff in die Zukunft dar, der vom Standpunkt der Gegenwart mit alten (bekannten) Instrumenten erfolgt. Als Beispiel für einen solchen Vorgriff kann die Metapher dienen. Eine Metapher entsteht als Verwendung der bekannten Elemente der Sprache für die Bezeichnung davon, was diese Elemente gerade nicht bezeichnen: Sie stellt »etwas als etwas anderes« dar.86 Die Metapher lässt das Neue als Transformation und neue Bewertung des Alten entstehen, indem sie »etwas vermeintlich Fremdes und Sinnloses in den Bereich des Sinnhaften überträgt und diesen damit transformiert«87. Es geht um die gleichzeitige Beschreibung und Erzeugung des Neuen: »In Sich-Anverwandeln an das Fremde, in der Selbstentäußerung, verwandelt die Metapher das Fremde gleichzeitig sich selbst an, ohne es einfach gleich zu machen. Anstatt das eine unter das andere zu subsumieren, erweist sich die Metapher als eine Synthesis, die beide Relata transformiert. Sie ›hat ihren Platz genau da, wo Sinn im Un-Sinn entsteht‹ und vermittelt zwischen Identität und Andersheit, ohne den Prozess dieser Vermittlung jemals stillzustellen.«88 Da die Metapher ein rhetorisches, also sprachliches Konzept ist, beschreibt sie die sinnstiftende Performativität der Sprache: Indem man die Zukunft (metaphorisch) bespricht, entwirft man sie, lässt etwas Neues entstehen und gelten. »Insofern kann man Sinnstiftungsprozesse auf der Basis sprachlicher Vermittlung kennzeichnen als einen Prozess des Erzeugens und Rezipierens eines Verständnisses von Unbekanntem im selben Moment.«89 Dies ist eine wichtige Eigenschaft der Sinnstiftung, auf die später Bezug genommen wird.
Die soziale Natur des performativen Sinns Die performativen Prozesse sowohl der Entstehung als auch der Schaffung der Geltungsvoraussetzungen des neuen Sinns können von einem
85 Frank Heideloff: Sinnstiftung in Innovationsprozessen: Versuch über die soziale Ausdehnung von Gegenwart, Mering: Hampp 1998, S. 52. 86 A. Hetzel: Zwischen Poiesis und Praxis, S. 243. 87 Ebd. 88 Ebd., S. 244. 89 F. Heideloff: Sinnstiftung, S. 69. 101
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
Individuum nicht intendiert werden. Der im Vollzug geschaffene Überschuss an Sinn hat keinen Schöpfer, er ist den handelnden Menschen auch oft einfach unbewusst, »weil die Subjekte im eigentlichen Sinne nicht wissen, was sie tun, weil das, was sie tun, mehr Sinn aufweist, als sie wissen«90. Eben diese Unmöglichkeit, den Sinn zu intendieren, schafft ihn, ist seine Voraussetzung. Jede Kreativität, jede Imagination setzen den Verzicht auf die Zweck-Mittel-Rationalität voraus: »Das Machen, für welches kulturelle Praxis steht, ist nur auf dem Wege einer Selbstaussetzung intentionalen Handelns möglich.«91 Joas nannte diesen notwendigen Verzicht auf jede Berechnung und Bestimmung »sinnhafter Verlust der Intentionalität.«92 Produkte performativen Tuns, kulturelle Artefakte und Ereignisse können nicht geplant und gezielt von einem Subjekt erzeugt werden, weil die Praxis des Schaffens diese Pläne und Ziele übersteigt und zerstört. In einem performativen Akt wird ein Handelnder selbst umgeformt: »Der Akt ist nicht einfach etwas, das ich ›vollziehe‹ – nach dem Akt bin ich buchstäblich ›nicht derselbe wie vorher‹. In diesem Sinne könnten wir sagen, dass sich das Subjekt dem Akt eher ›unterzieht‹ (›durch ihn hindurchgeht‹), als dass es ihn ›vollzieht‹. Im Akt ist das Subjekt ausgelöscht und wird in der Folge ›wiedergeboren‹ (oder auch nicht); der Akt bringt also eine Art von temporärer Finsternis, eine Aphanisis (ein ›Fading‹, Schwinden) des Subjekts mit sich.« 93
Der Schöpfer und seine Beweggründe werden nachträglich angesichts der Resultate eines Aktes »geschaffen«. Die Wirkung bestimmt sozusagen die Ursache. Diese Vertauschung der intentionalen Handlung und ihrer Folgen setzt jede Rationalität außer Kraft. Am Beispiel des Grundphänomens des »Werkes«94, wie Ernst Cassirer (1995) es beschrieb, lässt sich zeigen, dass der in den performativen Prozessen geschaffene Sinn sozialer Natur ist: »Denn jedes Werk ist als solches nicht das eines Einzelnen – sondern es geht aus einer Wechselwirkung hervor – es bekundet sich in ihm ein ›soziales‹ Wirken«.95 Der 90 Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1976, S. 179. 91 A. Hetzel: Zwischen Poiesis und Praxis, S. 277. 92 Ebd., S. 278. 93 Zizek 1993, zitiert nach A. Hetzel: Zwischen Poiesis und Praxis, S. 269. 94 Vgl. Ernst Cassirer: »Zur Metaphysik der symbolischen Formen«, in: John M. Krois und Oswald Schwemmer (Hg.), Ernst Cassirer, Nachgelassene Manuskripte und Texte, Band 1, Hamburg: Meiner 1995, S. 155ff. 95 Ebd., S. 156. 102
DER PERFORMATIVE SINNBEGRIFF
Zugang zu der »Werk-Sphaere« soll die traditionelle Willensmetaphysik, die das Entstehen der Werke auf die »Geschenke« der überirdischen Kräfte wie Götter und Heroen oder auf Taten der einzelnen Individuen zurückführt, überwinden. Die kreative Sinnbildung geht jeder Initiative eines einzelnen Subjekts, seinen Wahrnehmungs- und Deutungsleistungen voraus und übersteigt sie. Sinn entsteht in den kulturellen und geschichtlichen Prozessen, deren Inbegriff für Cassirer der tätige Geist ist. Das sind Prozesse der Symbolbildung, durch die das Seiende als Sinn den Menschen zugänglich wird.96 Die individuelle »Form des Verstehens wird keineswegs als entbehrlich erklärt – aber ihr muss noch ein anderes generelles Verständnis vorausgehen, eine Erkenntnis [...] der Sprache, der Kunst [,] je als spezifische, aber in dieser Spezifizität ganz universelle und originelle (weil originäre) Formen der Sinngebung.«97 Die Welt ist bei Cassirer, wie auch bei Nancy, eine Welt von Ich und Du, die voneinander geschieden sind, aber gleichzeitig nicht ohne einander, nicht als »fertige Gegebenheiten«98, als »zwei substantiell getrennten Wesenheiten«99 existieren können, sondern nur in Wechselbeziehungen (in den Worten von Cassirer: im »Wechselverkehr«100): »Im Anfang ist die Tat: im Gebrauch der Sprache, im künstlerischen Bilden, im Prozess des Denkens und des Forschens drückt sich je eine eigene Aktivität aus, und erst in ihr finden sich Ich und Du, um sich gleichzeitig voneinander zu scheiden. Sie sind in- und miteinander, indem sie sich in dieser Weise im Sprechen, im Denken, in allen Arten des künstlerischen Ausdrucks Einheit bleiben.«101
Deswegen soll der Zugang zu der »Werk-Sphaere« ausgehend von der grundlegenden Sozialität der Welt der Menschen erfolgen. Nur dann wird es verständlich, warum Menschen imstande sind, das Geschaffene schöpferisch mitzuerleben, den inneren Schöpfungsprozess des Einzelnen nachzuvollziehen und »anzueignen«. Es geht um eine Konkreativität102, die Cassirer so beschrieb:
96 Vgl. D. Rustemeyer: Sinnformen, S. 54. 97 E. Cassirer: Zur Metaphysik , S. 165. 98 Ernst Cassirer: Zur Logik der Kulturwissenschaften: 5 Studien, 3. Aufl., Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1971, S. 50. 99 Ebd., S. 51. 100 Ebd. 101 Ebd. 102 Vgl. dazu auch Brigitte Hilmer: »Die unhintergehbare Tätigkeit des Geistes. Zur Genese des Sinns im Schöpferischen bei Ernst Cassirer«, in: Bri103
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
»Im Sprechen und Bilden teilen die einzelnen Subjekte nicht nur das mit, was sie schon besitzen, sondern sie gelangen damit erst zu diesem Besitz. An jedem lebendigen und sinnerfüllten Gespräch kann man sich diesen Zug deutlich machen. Hier handelt es sich niemals um bloße Mitteilung, sondern um Rede und Gegenrede. Und in diesem Doppelprozess baut sich erst der Gedanke selbst auf [...] Das Denken des einen Partners entzündet sich an dem des anderen, und kraft dieser Wechselwirkungen bauen sie beide, im Medium der Sprache, eine ›gemeinsame Welt‹ des Sinnes für sich auf.«103
Eben diese Fähigkeit zur Konkreativität, zum »Mit-Schaffen« ermöglicht dem geschaffenen Werk und dem performativ erzeugten Sinn die eigenen Geltungsvoraussetzungen mit zu produzieren. Das Werk wird in den sozialen Interaktionen (in den »Wechselwirkungen«, im »sozialen Wirken«) erzeugt und in die sozialen Kontexte gestellt, die sein weiteres Schicksal bestimmen. Das Werk fängt an zu »gelten«. (Es darf jedoch auch nicht die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass es unbeachtet verschwindet.) Seine Geltungsgeschichte ist mit dem Schöpfungsakt nicht abgeschlossen, sie setzt sich fort in weiteren performativen Akten des Gebrauchs des Werks und schließt die Umformung, die Umgestaltung und das Entstehen von weiteren ganz neuen Werken mit ein. Cassirer verabschiedete sich damit von der Vorstellung einer monadischen Welt des Subjekts und stellte auf Wechselwirkungen als Form des »sozialen Wirkens« um. Zentral wird deswegen vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen mit den Sinnbildungsprozessen die Frage nach den allgemeinen »Struktur-Bedingungen […] des Schaffens«104. Diese Fragestellungen und Verschwinden werden nicht nur durch individuelle Wahrnehmungen, Tauschprozesse, Preisverhältnisse etc. bestimmt, sondern auch durch die Interaktionen und die konkreativen Prozesse. Darauf wird im Teil III der Arbeit ausführlich eingegangen.
gitte Hilmer/Georg Lohmann/Tilo Wesche (Hg.), Anfang und Grenzen von Sinn, Weilerswist: Velbrück 2006, S. 148ff. 103 E. Cassirer: Zur Logik , S. 53ff. 104 E. Cassirer: Zur Metaphysik , S. 160ff. 104
DIE PRAXISTHEORIEN
Die Praxistheorien Praxistheorien sind ein Zweig der Kulturwissenschaften, der sich in den letzten Jahren stark verbreitet hat. Sie profilieren sich durch eine Kritik an der theoretischen Rationalisierung und Intellektualisierung des Sozialen und des Handelns. Praxistheorien verzichten auf die Vorstellung von der Sinnproduktion im »Inneren« des Mentalen (als Bewusstseinsinhalte, Meinungen) oder im »Außen« der Diskurse und Texte, sondern stellen den Vollzug als Praxis in das Zentrum ihrer Untersuchungen.105 Viele der noch im Entstehen begriffenen Praxistheorien sind eine Weiterentwicklung des Wittgensteinschen performativen Konzepts: Sie greifen die Idee auf, dass im Gebrauch der Sprache, der Gegenstände und der Regeln etwas entsteht, das sich einer rationalen Logik entzieht106. Dabei geht es den Praxistheoretikern um eine besondere Art von Wissen, dem so genannten praktischen Wissen. Dieses Wissen ist ein »Know-how«, ein Können, ein routinisierter Umgang mit Technik und Mitmenschen, der auf den »taken-for-granted«-Kriterien basiert. Einmal verkönnen von der Ökonomik nicht unbeachtet bleiben. Das, was für ein »Werk« gilt, gilt auch für eine Ware. Eine Ware wird in sozialen Kontexten produziert und in soziale Kontexte gestellt: Ihr Entstehen, Gelten mitteltes und inkorporiertes praktisches Wissen wird von den Akteuren immer wieder eingesetzt, so dass repetitive Muster der Praxis entstehen. Das Verstehen der »Funktionsweise« von diesem praktischen Wissen 105 Siehe dazu Andreas Reckwitz: »Praxis – Autopoiesis – Text: Drei Versionen des Cultural Turn in der Sozialtheorie«, in: Andreas Reckwitz/Holger Sievert (Hg.), Interpretation – Konstruktion – Kultur: ein Paradigmenwechsel in den Sozialwissenschaften, Opladen 1999: Westdeutscher Verlag, 19-49, auch ders.: »Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive«, in: Zeitschrift für Soziologie 32/4 (2003), S. 288ff. Es sei allerdings betont, dass die These von Reckwitz, dass phänomenologisch-hermeneutische und diskursorientierte Ansätze zu einer Theorie sozialer Praktiken konvergieren, in dieser Arbeit nicht vertreten wird. Die Praxistheorien werden als eine besondere Ausrichtung der Kultur- und Sozialwissenschaften behandelt. 106 Der bedeutende Praxistheoretiker Theodore Schatzki gab nicht zufällig einem seinem Buch (1996) den Titel »Social Practices: A Wittgensteinian Approach to Human Activity and the Social«. Wittgenstein wird als »Urvater« der Praxistheorien auch in A. Reckwitz (2000; 2003) sowie in Theodore R. Schatzki: »Introduction: Practice Theory«, in: Theodore R. Schatzki/Karin Knorr Cetina/Eike von Savigny (Hg.), The Practice Turn in Contemporary Theory, London/New York: Routledge 2001 genannt. Schatzki (2001, S. 14, Fußnote 1) schreibt: »Wittgenstein, of course, does not use an expression translatable as the count noun ›practices‹. His usage of Sprachspiele simply points toward the phenomenon of practices.« Sprechen ist für Wittgenstein (ein Teil von) Praxis. 105
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
schafft eine Basis für das Verstehen, wie sich Interessen formieren und Handlungen zustande kommen und bewertet werden. So behauptete Bourdieu (1987), dass die menschlichen Verhaltensweisen nur dadurch erklärt werden können, dass Akteure über gemeinsame kognitive Schemata, über sinnhafte Unterscheidungssysteme verfügen, die er Habitus nannte. Bourdieu begriff die Habitusformen »als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepasst sein können, ohne jedoch bewusstes Anstreben von Zwecken und ausdrückliche Beherrschung der zu deren Erreichung erforderlichen Operationen vorauszusetzen, die objektiv ›geregelt‹ oder ›regelmäßig‹ sind, ohne irgendwie das Ergebnis der Einhaltung von Regeln zu sein, und genau deswegen kollektiv aufeinander abgestimmt sind, ohne aus dem ordnenden Handeln eines Dirigenten hervorgegangen zu sein.«107
Habitus als eine Praktikform stellt einen Vorrat an den zu Gewohnheiten gewordenen Sinnmustern dar, die Akteure in verschiedenen Situationen verwenden. Dabei können sie durchaus auf der Basis vom Habitus verschiedene individuelle Sinnzuschreibungen in jeder Situation vornehmen, »aber diese Sinnzuschreibungen, die Akte des ›praktischen Verstehens‹, reproduzieren in spezifischer Weise das präexistente allgemeine Sinnmuster.«108 Mit dem Begriff »praktischer Sinn« meinte Bourdieu vor allem die Sinnmuster, die eine relative Berechenbarkeit der zu erwartenden Handlungen erzeugen, vom »Ausarbeiten« des Sinns in jeder konkreten Situation entlasten und die Handlungen ermöglichen. »Genau mit diesem praktischen Sinn, der sich weder mit Regeln noch mit Grundsätzen belastet […] kann der Sinn der Situation auf der Stelle, mit einem Blick und in der Hitze des Gefechts, eingeschätzt und sogleich die passende Antwort gefunden werden. Nur diese Art erworbener Meisterschaft, die mit der automatischen Sicherheit eines Instinkts funktioniert, gestattet es, augenblicklich auf alle möglichen ungewissen Situationen und Mehrdeutigkeiten der Praxis zu reagieren.«109
Durch den Habitus werden immer wieder die gleichen Unterscheidungsmuster den Handelnden zur Verfügung gestellt. Bourdieu betonte die Stabilität der Habitusmuster. Ein Habitus ist so konzipiert, dass er sich immer wieder selbst verstärkt:
107 Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn: Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1987, S. 98ff. 108 A. Reckwitz: Transformation der Kulturtheorien, S. 339. 109 P. Bourdieu: Sozialer Sinn, S. 190ff. 106
DIE PRAXISTHEORIEN
»Der Habitus steht für eine geschlossene symbolische Ordnung, die ihre eigene Genese generiert. Jede Handlung, die der Habitus aus sich entlässt, geht verstärkend wieder in den Habitus ein [...] Ungeregelte Hervorbringungen, Emergenz, Spontaneität und Kreativität, kurz jede Form von Nicht-Identischem wird von der Heuristik Bourdieus abgeblendet. Das Andere erscheint aus der Perspektive Bourdieus immer nur als das anders Bedingte.«110
Das ist ein treffendes Charakteristikum der meisten bis jetzt entwickelten Praxistheorien: Der Vollzug der Praktiken wird als regelmäßig und routinisiert konzipiert. Der Schwerpunkt, den die Praxistheorien auf die Routinen und Gewohnheiten legen, steht allerdings im Widerspruch zu den oben dargelegten performativen Ideen, die die ständige Zerstörung der Routinen und die Regelverletzung betonen, zu den Ideen also, denen die Praxistheorien eigentlich entspringen. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, der dynamischen Genese von Sinn im Sozialen näher zu kommen, so dass sie kein besonderes Augenmerk auf den »geronnenen Sinn« in Form von impliziten Regeln und Gewohnheiten legt. Deswegen sind für den Gedankengang dieser Arbeit nur die praxistheoretischen Konzepte von Relevanz, die den dynamischen Charakter der Praktiken und der Sinnentstehung in ihnen hervorheben. Es geht vor allem um die Arbeiten von de Certeau (1988) und von Knorr Cetina (1997; 2001).
Praktiken als Gebrauch Praktiken stellen eine Anwendung, einen Gebrauch von Artefakten, Regeln etc. in immer wieder neuen Kontexten dar, in denen es keine reine Wiederholung geben kann. So analysierte de Certeau (1988) Verschiebungen, die in den Praktiken der Benutzung der Waren durch die Konsumenten stattfinden. Er bezog sich explizit auf die Theorie von Wittgenstein sowie auf die Sprechakttheorie, um die Sinnverschiebungen, die in den Praktiken des Konsums erfolgen, als Quelle des Neuen zu beschreiben und zu analysieren. Genauso wie Wittgenstein die zentrale Rolle des Gebrauchs der Sprache betont hat, wies de Certeau auf die Bedeutung der Gebrauchsweise einer Ware für die mitlaufenden Erneuerungen, für das Unterlaufen der bestehenden (auch von den Produzenten aufgezwungenen) Regeln der Benutzung hin. De Certeau hob hervor, dass es schwierig ist, von der »Logik der Praxis« zu sprechen, weil diese Logik das irrationale Element des Neuen
110 A. Hetzel: Zwischen Poiesis und Praxis, S. 104. 107
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
nicht ausschließen kann. Er fragte, ob man überhaupt von der Logik der Praktiken sprechen kann: Praktiken bringen nach und nach unsere bisherigen Logiken durcheinander, sie sind mehr als eine vernünftige Anwendung bestimmter Mittel zum Erreichen vorgegebener Zwecke – der Moment des Vollzugs, des Gebrauchs schafft die unerwarteten Sinnverschiebungen. De Certeau verwies auf die »Bastelei« als Beispiel dafür, wie das Neue aus den unvorhersehbaren Verbindungen der vorhandenen Elemente der Praxis entstehen kann: Die »Bastelei« kann rational-theoretisch – mit einer Logik – nicht eingefangen werden.111 Die Ergebnisse des Bastelns können nicht intendiert werden, die dort stattfindenden Sinnverschiebungen sind größtenteils unbeabsichtigt. Das Geschehen in den Praktiken kann auch deswegen nicht beabsichtigt werden, weil es sozialer Natur ist. Im aufeinander orientierten Gebrauch der Gegenstände gewinnen Menschen gemeinsame Handlungskriterien und Bewertungsmaßstäbe sowie den Zugang zu der Welt der Anderen. Dies ist ein ganz anderer Ansatz als das Intersubjektivitätskonzept von Schütz, nach dem der Zugang zu dem fremden Bewusstsein nur auf dem Weg der Unterstellungen (»Typisierungen«) möglich ist. Gemäß den Praxistheorien ist das »Teilen« der Bedeutungen und der Werte nicht dank mentaler Leistungen der Akteure möglich, sondern dank ihrer sozialen Einübung und gemeinsamen Erfahrung in der Ausübung der Praktiken. So entsteht der »Gemein-Sinn« des Handelns und Sprechens112. »Die Bedeutung eines Dings, einer Sache, eines Sachverhalts steckt in den sozialen Praktiken; die sozialen Praktiken bilden das Medium gemeinsamer Vorstellungen und sozialer Übereinkünfte.«113 De Certeau wies explizit darauf hin, dass jeder Gebrauch die Signifikationsprozesse mit einschließt: Die Sinnverschiebungen finden nicht in einem leeren, sondern in einem sozialen Raum, wo sie ihre Geltung (Bedeutung) erlangen oder verschwinden. So gesehen entstehen Sinn und Bedeutungen nicht bloß, weil Menschen miteinander kommunizieren (einer linguistic community angehören114), sondern – und das ist entscheidender – auch miteinander handeln (eine »community of practice«115 bilden). 111 Michel de Certeau: Kunst des Handelns, Berlin: Merve 1988, S. 21. Röttgers (Metabasis, S. 65ff.) verwies auf die Bricolage als einen Weg, das Neue im Strukturalismus zu denken. 112 Karl H. Hörning: Experten des Alltags: Die Wiederentdeckung des praktischen Wissens, Weilerwist: Velbrück 2001, S. 164. 113 Ebd., S.12. 114 Vgl. B. P. Priddat: Theoriegeschichte , S. 210ff. 115 Vgl. Jean Lave/Etienne Wenger: Situated Learning – Legitimate Peripheral Participation, 4. Aufl., Cambridge (MA): Cambridge University Press 1995, S. 98: »[the term community] imply participation in an ac108
DIE PRAXISTHEORIEN
In dem Prozess des gemeinsamen Handelns werden Bedeutungen zugeschrieben und Sinn produziert, oder, anders ausgedrückt, die Welt wird sinnhaft produziert. Swidler (2001) führte das Werk von Richard Biernacki (1995) »The Formation of Labor: Germany and Britain, 1640– 1914« als ein starkes Argument ein, um die produktive Kraft der Praktiken zu illustrieren. In diesem Buch beschrieb Biernacki, wie die Praktiken der Arbeitsentlohnung das Verständnis der Arbeit bei den Unternehmern und den Arbeitern selbst beeinflusst haben, was dann seinen Ausdruck in dem Fabrikdesign, in den Formen der öffentlichen Proteste und der Forderungen der Arbeiter gefunden hat. Biernacki betonte: »The cultural definition of labor as a commodity was communicated and reproduced, not through ideal symbols as such, but through the hallowed form of unobtrusive practices.«116 Die Praxistheoretiker sind der Meinung, dass diese konstitutive Macht der Praktiken der Grund ist, warum soziale Praktiken ontologisch grundlegender sind als individuelle Handlungen oder Normen. Vor diesem Hintergrund – und das ist ein zentraler Punkt – muss das Soziale anders definiert werden: nicht wie traditionell als Intersubjektivität oder Normenbefolgung oder Kommunikation, sondern als Kollektivität von Verhaltensweisen.117 Das praktische Tun, in dem Sinn produziert wird, ist ein »Zusammen-Tun«. Als Beispiele kann man »jagen« oder »kochen« nennen. Auch »zusammen Wissenschaft betreiben« ist eine gemeinsame produktive Praxis, eine »Konkreativität« – wie »miteinander reden« in der Theorie von Cassirer, wenn die Gedanken sich an dem Gesagten des Anderen entzünden und ihre Form annehmen. Auch viele Arten des wirtschaftlichen Handelns passen in dieses Schema hinein, wie z.B. »eine Ware produzieren« oder »eine Ware bezahlen« oder »eine Ware nachfragen«. Die praxistheoretischen Gedanken gelten auch nicht nur dann, wenn die Tätigkeit auf einer Arbeitsteilung basiert. Sogar wenn man scheinbar etwas allein praktiziert wie »ein Bild malen« oder »Lesen«, ist man von den Anderen nicht »befreit«: In der Malerei orientiert man sich an bekannten Schulen oder Vorgängern sowie am Erfolg, z.B. Anerkennung von den Anderen; zudem hat man diese Praxis
tivity system.« Ausführlich siehe dazu Etienne Wenger: Communities of Practice: Learning, Meaning, and Identity, Cambridge: Cambridge University Press 1998. 116 Richard Biernacki: The Fabrication of Labor: Germany and Britain, 1640 – 1914, University of California Press: Berkeley 1995; zitiert nach Ann Swidler: »What anchors Cultural Practices«, in: Theodore R. Schatzki/Karin Knorr Cetina/Eike von Savigny (Hg.), The Practice Turn in Contemporary Theory, London/New York: Routledge 2001, S. 84. 117 A. Reckwitz: Grundelemente einer Theorie, S. 289. 109
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
von jemandem erlernt. So wie es keine private Sprache gibt, gibt es keine private Praxis. Das von den Praxistheoretikern formulierte alternative Verständnis des Sozialen nimmt den relationistischen Gedanken auf und untermauert ihn: »A practice – a way of cooking, of consuming, of working, of investigating, of taking care of oneself or of others, etc. – forms so to speak a ›block‹ whose existence necessarily depends on the existence and specific interconnectedness of these elements, and which cannot be reduced to any one of these single elements.«118 Praxistheorien stellen das wechselseitige Orientieren der Akteure im gemeinsamen Tun in das Zentrum ihrer Argumentation. »What is required to understand a practice of this kind [»the simple collective routines« – E.S.] is not individuals oriented primarily by their own habits, nor is it individuals oriented by the same collective object; rather it is human beings oriented to each other.”119 Die elementaren kollektiven Routinen wie »in einer Reihe marschieren« oder »Sandburg bauen« können nur ausgehend vom gegenseitigen Orientieren verstanden werden, bei dem die Akteure ihr gewohntes Handeln doch ständig modifizieren, weil sie mit anderen agieren und auch auf fremdes Handeln reagieren. Die konstitutive Kraft dieser Beziehungen zeigt Schatzki am Beispiel von Lehrern, die das, was sie sind, nur dank ihrer Orientierung auf den Studenten sind; gleichzeitig sind diese Aktivitäten in ihrer üblichen Form nur deswegen möglich, weil sie Lehrer sind.120 Praxistheorien machen einen Vorschlag, wie die Kluft zwischen sozialen »black-boxes« überwunden werden kann, ohne die Bedingung der fundamentalen Ungewissheit aufzuheben. Auch unter Ungewissheit sind Menschen gezwungen zu handeln: Sie orientieren sich aufeinander in den Prozessen des praktischen Handelns nicht nur sprachlich (kommunikativ), sondern auch indem sie einfach ihre Handlungen zeitgleich ausüben. Es finden die Definition der gemeinsamen Wirklichkeit und die Sinnproduktion statt.
118 Andreas Reckwitz: »Toward a Theory of Social Practices. A Development in Culturalist Theorizing«, in: European Journal of Social Theory 5 (2002a), S. 249ff. 119 Barry Barnes: »Practice as Collective Action«, in: Theodore R. Schatzki/Karin Knorr Cetina/Eike von Savigny (Hg.): The Practice Turn in Contemporary Theory, London/New York: Routledge 2001, S. 24. 120 Vgl. T. J. Schatzki: Introduction, S. 43. 110
DIE PRAXISTHEORIEN
Die posthumanistischen Ansätze Neben den post-wittgensteinischen Ansätzen entwickelten sich die Praxistheorien, die Praktiken als materiell vermittelte Sozialitäten darstellen.121 Es geht um die so genannten posthumanistischen Arbeiten, die sich von der traditionellen Sicht der humanistischen Geisteswissenschaften distanzieren, dass nur Menschen einen Sinn kreieren können. Sie betonen die Rolle der materiellen Objekte in diesen Prozessen. Außerdem kritisieren sie die Betonung der Routinen und der Regelhaftigkeit, die für die Praxistheorien bisher typisch waren. Sie sind mit der herrschenden Darstellung von Praktiken als erlernten und routinisierten Verhaltensweisen, die man dann in konkreten Situationen anwendet, nicht einverstanden. Knorr Cetina (1997; 2001) wies darauf hin, dass Praktiken auch einen kreativen und konstruktiven Charakter haben können, und setzte sich zum Ziel, ein Praxiskonzept zu entwickeln, das eben solche Eigenschaften der Praktiken wie Dynamik und Kreativität erfasst. Sie argumentierte, dass sich das Wissen, das die Praktiken einleitet, ständig entwickelt, genauso wie Teilnehmer verschiedener Praktiken ständig lernen und ihre Praktiken des Wissenserwerbs modifizieren. Knorr Cetina meinte dabei vor allem die »wissenszentrierten« Praktiken wie zum Beispiel wissenschaftliche Forschung. Gleichzeitig behauptete sie, dass diese so genannten epistemischen Praktiken auch Bereiche außerhalb des Wissenschaftsbetriebs immer stärker dominieren. Auch Ökonomik wird immer mehr wissenszentriert und wissensbasiert: Forschungsabteilungen der Unternehmen von verschiedenen Branchen wie Pharmazeutik, Telekommunikation und Autoindustrie funktionieren wie richtige wissenschaftliche Laboratorien, die Wissen ansammeln und generieren. Auch Analysten und andere Experten in den Researchabteilungen der Banken und Versicherungen untersuchen das Wissen über die ökonomische Welt, um Entscheidungen zu ermöglichen. Knorr Cetina betonte die besondere Rolle, die Objekte bei der wissenschaftlichen Forschung spielen. Eine Beziehung zwischen den Subjekten und ihren Arbeitsobjekten wird zentral: »The definition of things, the consciousness of problems, etc., is deliberately looped through objects and the reaction granted by them. This creates a dissociation between self and work objects and inserts moments of interruption and
121 Es handelt sich zum Beispiel um die Arbeiten von Knorr Cetina (1997; 2001), Pickering (1995); Latour (1994; 1999). 111
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
reflection into the performance of research, during which efforts at reading the reactions of objects and taking their perspective play a decisive role.«122
Diese Subjekt-Objekt-Beziehungen, so Knorr Cetina, sind konstitutiv für (epistemische) Praktiken: »What holds differentiated practice together and gives it continuity is the relationship between subject and object.«123 Zentral sind also für das Praxiskonzept von Knorr Cetina zwei Aspekte: die Rolle der materiellen Objekte einerseits und die Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten andererseits. Auf sie wird in den folgenden Abschnitten ausführlicher eingegangen.
Die Rolle der materiellen Objekte Die Geisteswissenschaften haben lange die materiellen Artefakte entweder komplett ignoriert oder ihnen eine passive Rolle bei der Konstitution des Sozialen und des Sinns zugewiesen. Erst Bourdieu (1976, 1987) mit seinem Konzept des Kapitals und Giddens (1988) mit dem Konzept der Ressourcen haben versucht, wenn auch in etwas verkürzter Form, sich dem Problem der kompletten Ignoranz des Materiellen zu stellen. Bruno Latour (1999) demonstrierte, dass das Denken immer in zwei Kammern geteilt wurde: die soziale und kulturelle Welt des Sinns und der Macht sowie die materielle Welt der nichthumanen Objekte. Er behauptete, dass diese Trennung (Trennung von Sinn und materieller Praxis) unberechtigt ist, genauso wie es unberechtigt ist, das Soziale ausschließlich als reine Beziehungen zwischen den Individuen, als Intersubjektivität ohne materielle Komponente zu verstehen. Die neueren soziologischen Ansätze haben die Rolle der materiellen Objekte für das Soziale erkannt, gehen aber mit dieser Erkenntnis unterschiedlich um: Entweder verselbstständigen sie die Artefakte, schreiben ihnen ein Eigenleben und Macht zu oder sie stellen die materiellen Objekte als Produkte der Sozialisation und Kommunikation dar und lassen sie dadurch wieder – als materielle Dinge – aus der Theorie verschwinden.124 Die praxistheoretischen Ansätze versuchen diese Tücken des Theoretisierens über die Artefakte dadurch zu umgehen, dass sie den Schwerpunkt auf den Umgang mit Dingen und die dabei entstehenden Beziehungen zwischen Herstellern, Nutzern und den materiellen Objek122 Karin Knorr Cetina: »Objectual practice«, in: Theodore R. Schatzki/Karin Knorr Cetina/Eike von Savigny (Hg.): The Practice Turn in Contemporary Theory, London/New York: Routledge 2001, S. 175. 123 Ebd., S. 176. 124 Vgl. K. H. Hörning: Experten des Alltags, S. 69. 112
DIE PRAXISTHEORIEN
ten setzen. Dabei haben die schon erwähnten Praxistheorien der postwittgensteinischen Provenienz (Schatzki 1996; Hörning 2001, auch de Certeau 1988) gewisse Schwierigkeiten, über eine aktive Rolle der Gegenstände in den Praktiken zu theoretisieren: Sie lassen Artefakte in ihren Untersuchungsbereich zu, betrachten sie aber ausschließlich als Objekte des Gebrauchs. Einen möglichen Weg zwischen der Verselbstständigung der Artefakte und der vollständigen Ignoranz schlug Reckwitz (2002b) vor, nämlich die Theorie von Latour mit den Praxistheorien (z.B. von Schatzki) zu verbinden. Die Schlüsselaussage einer solchen Theoriehybride würde lauten: »Not only human beings participate in practices, but also non-human artefacts form components of practices«125. Um aber einen Effekt zu haben, müssen Artefakte benutzt werden: Sie spielen letztlich ihre aktive Rolle ausschließlich dank ihres Gebrauchs. In diesem Sinn argumentierte auch Krämer (2002; 2004) im Rahmen der performativen Theorie von Medien: Medien werden gebraucht und sind dadurch sinnkonstitutiv. Sprache, die als performative Praxis begriffen wird, kann nicht losgelöst von ihrer Materialität gedacht werden: Sie ist eine in Stimme, Schrift, Gesten, technischen Mitteln »verkörperte Sprache«126, eine Sprache-in-einem-Medium. Wenn ein Mensch etwas sagt, benutzt er seine Stimme, die nicht bloß das Gesagte neutral transportiert, sondern auch »kommentiert«, »widerspricht« oder »verrät«. Mit anderen Worten bestimmt die Benutzung von Medien, dass »mehr« gesagt wird als von dem Sprecher intendiert. »Medien sind an der Entstehung von Sinn und Bedeutung also auf eine Weise beteiligt, die von den Sprechenden weder intendiert, noch von ihnen völlig kontrollierbar ist und als eine nicht-diskursive Macht sich ›im Rücken der Kommunizierenden‹ zur Geltung bringt. Es ist die Medialität der Sprache, die alle Vorstellungen, das Sprechen sei ein intentionales, intersubjektiv kontrollierbares Zeichenhandeln, zu kurz greifen lässt.«127
Medien können in ihrer Materialität nicht mehr neutral aufgefasst werden, d.h. als ein Kommunikationsmittel, das ausschließlich einer reibungslosen und invarianten Übertragung eines Sinns dient. Medien kon125 Andreas Reckwitz: »The Status of the ›Material‹ in Theories of Cultures: From ›Social Structure‹ to ›Artefacts‹«, in: Journal for the Theory of Social Behaviour 32/2 (2002b), S. 212. 126 Sybille Krämer: »Sprache – Stimme – Schrift: Sieben Gedanken über Performativität als Medialität«, in: Uwe Wirth (Hg.), Performanz: Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2002, S. 331. 127 Ebd., S. 332. 113
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
stituieren das, was sie medialisieren. Sie besitzen eine sinnerzeugende Kraft: Durch ihre Anwendung und Modifizierung in der Anwendung werden die Praktiken selbst verändert. So zum Beispiel verändern sich die kommunikativen Praktiken, wenn die technischen Medien sich weiterentwickeln. Die Praktik des Versendens von E-Mails ersetzt die Praktik des Schreibens von Briefen; modifizierte Mobiltelefone ermöglichen Kommunikation mit SMS an Stelle der Telefonate: Es entsteht die neue Praktik der so genannten Kurzmitteilungen. Auch bei Knorr Cetina wird die Meinung vertreten, dass die sinnkonstitutive Rolle der materiellen Objekte für jede Praktik zentral ist. Sie entwickelte auf der Basis von Ideen Heideggers und Rheinbergers das Konzept eines Wissensobjekts, das eben von den Subjekten nicht bloß passiv benutzt wird, sondern eine Beziehung zum Subjekt konstituiert und unterhält. Im Zentrum der Überlegungen steht die Unterscheidung zwischen technologischen Objekten (Rheinberger: »technological objects«) und wissenschaftlichen Objekten (Rheinberger: »scientific objects«). Die technologischen Objekte sind fixiert, unproblematisch, sie »verschwinden«, wenn man sie benutzt, so dass man sie nicht bemerkt und keine Beziehung zu ihnen unterhält. Die wissenschaftlichen Objekte sind im Gegenteil in der Entwicklung begriffen, i.e. nicht abgeschlossen und komplex. »These objects are both present (ready-to-be-used) and absent (subject to further research)«128, »they are processes and projections rather than definitive things.«129 Das zentrale Charakteristikum dieser Objekte ist die Unabgeschlossenheit, die auf eine Mangelstruktur zurückzuführen ist. Hier bezog sich Knorr Cetina auf das Konzept des Begehrens von Lacan: Das Begehren entspringt einem ständigen, unüberwindbaren Mangel. Diesen Mangel sehen auch die Experten, die sich mit einem epistemologischen Objekt auseinandersetzen: Sie versuchen zu spezifizieren, was in dem »perfekten« Bild noch fehlt. »In that sense one could say that objects of knowledge structure desire, or provide for the continuation of the structure of wanting.«130 Selbst wenn ein wissenschaftliches Objekt für »fertig« erklärt wird, so Knorr Cetina, sind sich die Experten der Mängel und der Verbesserungsmöglichkeiten bewusst. Es wird an dem Objekt immer weiter gearbeitet: Es wird modifiziert und transformiert sich dabei in etwas Anderes. Als Beispiel können Computerprogramme dienen, die von den Experten immer weiter entwickelt (»updated«) werden. Diese Updates basieren auf den neuen 128 Karin Knorr Cetina, »Sociality with Objects. Social Relations in Postsocial Knowledge Societies«, in: Theory, Culture & Society 14 (1997), S. 10. 129 K. Knorr Cetina: Objectual practice, S. 181. 130 K. Knorr Cetina: Sociality with Objects, S. 13. 114
DIE PRAXISTHEORIEN
Bedürfnissen und Wünschen (z.B. eine bessere Virusabwehr), die sowohl bei der eigenen Benutzung entstehen als auch von den anderen Anwendern mitgeteilt werden. Epistemische Objekte sind sinnkonstitutiv (»meaning-producing«131), weil sie in Relationen zu Subjekten stehen und weitere Relationen herstellen (ermöglichen). Knorr Cetina schrieb: »I do not see partial epistemic objects as elementary units into which a complex whole is decomposed, but rather as complex links which extend a practical sequence at least partly through being unfoldable into equally complex sublinks.«132 Dieses relationale Konzept ist aussagekräftig, weil die wissenschaftlichen Objekte den Subjekten nicht einfach gegeben sind, sondern im Gegenteil immer neue Fragen provozieren. Wenn aber Praxis keine Routine mehr ist, wenn in ihr etwas Neues entsteht, dann werden Objekte dieser Praxis sichtbar. Subjekte »merken« sie (benutzen, aber auch beobachten, entwickeln, sich vorstellen etc.), sie treten mit ihnen in eine Beziehung.
Die Subjekt-Objekt-Beziehung als Grundeinheit der Praxis und des Sozialen Knorr Cetina legte den wissenschaftlichen Praktiken eine Subjekt-Objekt-Beziehung zugrunde, eine Beziehung, die zwischen Experten und Objekten der Forschung entsteht und aufrechterhalten wird. Dies erlaubte ihr, die Dynamik der Praktiken adäquat zu erfassen, nämlich eine besondere relationale Dynamik: Es geht um dynamische Beziehungen zu Objekten, die sich ständig entfalten. Diese Dynamik setzt die Beziehungen sowie Subjekte und Objekte selbst, die durch diese Beziehungen geformt (bestimmt) werden, ständigen Veränderungen aus: »Object relationships define the flow of practice.«133 Es handelt sich hierbei um gegenseitige und reflexive Beziehungen. Objekte signalisieren ständig die eigene Unabgeschlossenheit, was Subjekte dazu veranlasst, an ihnen zu arbeiten, sie weiter zu entwickeln – Objekte setzen sich dadurch sozusagen fort, entfalten sich weiter, signalisieren aber gleichzeitig immer neue Mängel und Unvollkommenheiten. In der Darstellung einer Subjekt-Objekt-Beziehung verschob Knorr Cetina den Fokus von einem Subjekt zu einem Objekt, das die Impulse durch die eigene Unabgeschlossenheit zu der Entfaltung der Praxis gibt.
131 K. Knorr Cetina: Objectual practice, S. 184. 132 Ebd. 133 Ebd., S. 176. 115
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
Sie sprach deswegen von einer objektzentrierten Praxis, betonte aber die Bedeutung der Beziehungen, um die konventionelle Spaltung zwischen Subjekt und Objekt zu überwinden. Die Objektbeziehungen sind konstitutiv nicht nur für Praktiken, sondern auch für das Soziale. Knorr Cetina schlug ein alternatives, ein erweitertes Konzept des Sozialen vor, das sich von den üblichen Konzepten distanziert, die eine Fixierung auf soziale Gruppen verschiedener Art, den normativen Konsensus oder den geteilten Werten voraussetzen. Sie entwickelte ein Konzept der objektzentrierten Sozialität: ein Konzept, das Objekte neben den Subjekten, aber vor allem die Beziehungen zwischen ihnen als gleichberechtigte und konstitutive Elemente des Sozialen betrachtet. Sie legt dem Sozialen eine Beziehung zugrunde: »We are experiencing a shift in forms of relatedness that points away from social and normative integration and towards objects as relationship partners or embedding environments. [...] Our core concepts of the social need to become inclusive of such forms.«134 Dies ist ein wichtiger Aspekt der Konstitution des Sozialen, das in den Praxistheorien an Bedeutung gewinnt.
Zwischenfazit Die poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Ansätze vereint die Idee der Zentralität einer Relation für das Erfassen des Sinns. Schon im Strukturalismus sind die Relationen sinnkonstitutiv: Nichts kann aus einem atomisierten Element erklärt werden, sondern nur aus der Beziehung zwischen den Elementen. Der Poststrukturalismus beschäftigt sich mit der Sinndynamik, die sich in den Beziehungen entwickelt: Das Erkenntnis der Instabilität des Sinns in multiplen Kontexten des Gebrauchs ermöglicht die Einsicht in den Mechanismus der Ungewissheit in den sozialen Beziehungen. Es wird theoretisch fundiert, warum die Ungewissheit ein fundamentales Phänomen des Sozialen ist, nämlich weil bei jedem Gebrauch einer Regel, eines Wortes etc. eine Verschiebung stattfindet. Keine Anwendung kann zwei Mal in einer absolut identischen Form wiederholt werden: Die unreinen Wiederholungen sind sinnschaffende Wiederholungen, die allerdings auch zu Sinnzusammenbrüchen, zu Irritationen führen können, auch zum Entstehen des neuen Sinns. Dies kurbelt das Sinngeschehen wieder an: Von den Unterbrechungen und Irritationen soll Sinn gemacht werden, dafür wendet man die schon bekannten Regeln an, die erneut verletzt werden, und so weiter. 134 K. Knorr Cetina: Sociality with Objects, S. 23. 116
DIE PRAXISTHEORIEN
Die Regelbefolgung ist bei Günther Ortmann (2003a; 2003b; 2004) ein Paradebeispiel für die Relevanz der Denkfiguren der Poststrukturalisten nicht nur für die Textsphäre, sondern auch für den Bereich des Sozialen. Da jede Anwendungssituation einer Regel einmalig ist, entsteht immer ein Überschuss an »Sinn«: Der Regelgebrauch ist reicher als der formale Regelinhalt. In Anlehnung an Derrida zeigte Ortmann (2003a) an zahlreichen Beispielen, dass die Anwendung der Regeln in den sozialen Kontexten immer ihre Verletzung mit impliziert, was zum Entstehen der neuen Regeln führen kann, die aber eigene Geltungsvoraussetzungen gleichzeitig mit schaffen müssen. Eine Regel kann infolge ihrer Anwendung auch ganz außer Kraft gesetzt werden. Die Regelverletzung, insbesondere die nachhaltige Regelverletzung, kann auch zur Veränderung der Bedeutung (des Geltungsanspruchs) einer Regel führen, obwohl ihr Inhalt gleich bleibt. Gleichzeitig bedeutet eine Regelverletzung eine Erwartungsenttäuschung, eine Unterbrechung, eine Störung, die zu der Praxis der Regelbefolgung gehören und denen ein Sinn abgewonnen werden muss. Das alles sind rekursive performative Prozesse der Etablierung und der In-/Außer-Kraft-Setzung der Regeln: »Regeln gewinnen vollends ihre Bedeutung und Geltung erst im Zuge jenes Handelns, das sie eigentlich einleiten und orientieren sollen.«135 Offensichtlich wird dabei nicht bloß das Veränderungspotenzial, sondern auch die produktive Kraft der performativen Prozesse des Regelgebrauchs in den Vordergrund gestellt. Weiterführend betonte Ortmann in Anlehnung an de Certeau die enorme Bedeutung der Denkfiguren von Iteration und Différance für die Wirtschaftswissenschaften auch am Beispiel des Gebrauchs der Ressourcen. Wichtig ist, dass die im Teil II dieser Arbeit bisher dargestellten Ansätze den relationalen Charakter des Gebrauchs betonen: Es geht nicht um eine einseitige, individuelle Anwendung von Regeln, Wörtern etc., sondern stets um die Anwendung in sozialen Kontexten, d.h. um eine Anwendung, die von allen Beteiligten mitgestaltet wird: Der Sinn wird nicht einseitig, individuell, intentional produziert, sondern ko-kreiert. Das performative Moment der Entstehung des Sinns ist nur ein Moment in dem Prozess des sozialen Zusammenwirkens. Das Neue wird schöpferisch – vor allem in Kontexten des Gebrauchs – miterlebt, weiterentwickelt, zur Geltung gebracht und schöpferisch mitgestaltet. Es geht um Prozesse des praktischen Tuns, die durch das ständige Ineinandergreifen der individuellen Kalküle charakterisiert werden und zu dem Entstehen der kollektiven Verhaltensweisen führen. Diese kollektiven Verhaltensweisen werden nicht geteilt, sondern entstehen, modifizieren 135 G. Ortmann: Regel und Ausnahme, S. 15. 117
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
sich und verschwinden, um anderen Praktiken Platz zu machen. Auch materielle Objekte sind an der ständigen Entfaltung der sozialen Praktiken und des Sinns beteiligt. Sinnstiftung kann so gesehen nicht ausgehend von einem isolierten Element einer Beziehung, sondern nur durch Wechselwirkungen der Elemente (Akteure und Objekte) erklärt werden. Sinn entsteht in den unabschließbaren sozialen Prozessen ohne Schöpfer: Es findet eine ständige Sinntransformation statt, die nicht als eine intentionale Bewusstseinsleistung eines autonomen Subjekts zu begreifen ist. Die Auseinandersetzung mit den poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Ansätzen ermöglicht deswegen die Annäherung an die Konzepte des Sinns und des Sozialen, die im ersten Teil der Arbeit als Ziel der Suche anvisiert wurden: Das Soziale wird als wechselseitige Abhängigkeit und Orientiertheit verstanden, die vom Standpunkt einer sozialen Beziehung ausgehend konzipiert werden. Sinn entsteht in den Wechselwirkungen im Sozialen und nicht als Produkt der subjektiven Intentionen. Dies bekräftigt noch einmal die Vermutung, die schon bei der Auseinandersetzung mit dem Sinnbegriff Luhmanns angedeutet wurde, dass eben soziale Beziehungen (in Form des methodologischen Relationismus) im Zentrum der Suche nach einer Alternative zu dem methodologischen Individualismus stehen sollen.
Poststrukturalistische, performative und praxistheoretische Ansätze in der Ökonomik Das Sinnverständnis, wie es in den oben besprochenen poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Ansätzen ausgearbeitet wurde, fand bis jetzt keinen Eingang in die ökonomische Theorie. Das ist auch nicht verwunderlich, da Sinn in der Ökonomik ausschließlich als Zweck-Mittel-Relation oder in den erweiterten Konzepten als Intention aufgefasst wird. Die Vorstellungen von Sinn als Zweck bzw. Sinn als Intention sind mit den in diesem Teil der Arbeit vorgestellten Konzepten, die sich klar von den Ideen der Sinnentstehung aus einer intendierten Bewusstseinsleistung distanzieren, nicht kompatibel. Es ist schwierig, diese Position mit der subjektzentrierten Sicht der traditionellen Ökonomik in Einklang zu bringen. Deswegen finden die Ideen, die in den poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Sinnkonzepten enthalten sind, bisher nur am Rande der ökonomischen Theorien Beachtung: in der Organisationstheorie, in der Managementlehre, in der Institutionenökonomik und 118
DIE ANSÄTZE IN DER ÖKONOMIK
in der Soziologie der Finanzmärkte. Des Weiteren werden diese Beispiele besprochen, um dann, im dritten Teil der Arbeit, zu einem Vorschlag zu kommen, wie ein dynamisches soziales Sinnstiftungskonzept in den Wirtschaftswissenschaften aussehen könnte, das auf diesen Ideen aufbaut.
Karl Weick: Sensemaking in organizations Es sind vor allem Organisationstheorien, die von den poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Ideen Gebrauch machen. Es besteht eine Fülle von Literatur in diesem Gebiet136, von besonderem Interesse sind für die vorliegende Arbeit die Ausarbeitungen zu Sinnstiftung in den Organisationen von Karl Weick (1995, 1998, 2001). Sie sind für die vorliegende Arbeit deswegen von zentraler Bedeutung, weil sie den Versuch darstellen, ein abgeschlossenes Sinnkonzept zu entwickeln. Dieses Konzept enthält viele performative Elemente, obwohl es von den meisten Organisationstheoretikern dem Bereich der kognitiven Organisationsforschung zugeordnet wird. Weick betrachtete die Sinnstiftung als zentralen Bestandteil der Prozesse des organisatorischen Wandels, den er in vier Stufen aufteilte: ökologischer Wandel – Gestaltung (Enactment) 137 – Selektion (eigentliche Sinnstiftung) – Retention.138 Die zentrale Idee von Weick besteht in der Behauptung, dass die Umwelten, in denen sich Organisationen vorfinden, nicht objektiv gegeben sind, sondern von den Organisationen selbst erschaffen und gestaltet werden. Die äußeren Umweltveränderungen (ökologischer Wandel) sind nur ein Ausgangspunkt, ein Anlass dazu. Das sind Veränderungen, Unterbrechungen oder Überraschungen, 136 Es werden als Beispiel die schon erwähnten Arbeiten von Günther Ortmann (2003a; 2003b; 2004) genannt, aber auch: Elke Weik: Zeit, Wandel und Transformation. Elemente einer postmodernen Theorie der Transformation, München: Mering 1998; Robert Chia: Organizational Analysis as Deconstructive Practice, New York: de Gruyter 1996; James G. March: Decisions and Organisations, Oxford: Blackwell 1988. 137 G. Ortmann (2004, S. 201) wies darauf hin, dass das Wort »Enactment« nicht als »Gestaltung« übersetzt werden darf, wie es in der deutschen Ausgabe des Buchs von Weick »Der Prozess des Organisierens« (1998) getan wurde. Sein Gegenvorschlag lautet deswegen, »auf eine Übersetzung zu verzichten und mit dem Anglizismus Enactment zu leben, wie wir gelernt haben, mit dem Management zu leben.« 138 Siehe, Karl E. Weick: Der Prozeß des Organisierens, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998. Weick zieht es allerdings vor, eher von den »Betonungen« als von den »Stufen« zu sprechen, da sie nicht immer nacheinander, oft aber gleichzeitig erfolgen (vgl. ders.: Making Sense of the Organization, Malden/Oxford/Victoria, MA: Blackwell 2001, S. 96). 119
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
aus denen Organisationen Sinn machen müssen: »Thus to understand sensemaking is also to understand how people cope with interruptions.«139 Weick behauptete, und das wurde schon mehrmals in dieser Arbeit angesprochen, dass der Umgang mit Überraschungen nicht auf der Basis rationaler Entscheidungen stattfinden kann. Rationale Verfahren funktionieren nur in stabilen Umwelten, wenn nichts Unerwartetes passiert und bekannte Mittel den stabilen Zielen zugeordnet werden können. In solchen stabilen Situationen befinden sich Organisationen aber nur selten: Sie sind eher mit den mehrdeutigen Situationen konfrontiert und müssen diese Mehrdeutigkeit verarbeiten, i.e. Sinn stiften. Sinn wird nach Weick in Prozessen der Lösungssuche für die vielfältigen Probleme erst erfunden und als Sinn postuliert. Diese Prozesse nannte Weick auch Enactment: Menschen setzen sich durch Wahrnehmung, Interpretation und Handlung etc. mit ihrer Umwelt auseinander. Sie schaffen dadurch zum größten Teil eine eigene Umwelt. Die von ihnen im Tun geschaffenen Umstände dienen als Voraussetzungen und Begründungen für das weitere Handeln. Mit anderen Worten benutzte Weick die performative Denkfigur des gleichzeitigen Schaffens und Rezipierens des Neuen. Er schrieb: »There is not some kind of monolithic, singular, fixed environment that exists detached from and external to these people. Instead, in each case the people are very much a part of their own environments. They act, and in doing so create the materials that become the constraints and opportunities they face.«140 Nach Weick ist es nicht richtig zu behaupten, dass die Situation eine angemessene Handlung bestimme. Menschen wüssten oft einfach nicht, was die angemessene Handlung sei, bis sie irgendetwas tun und sehen, was passiere. »Action is a precondition for sensemaking«141. Das Tun bestimmt Situationen und Ereignisse, von denen Sinn gemacht wird, und nicht umgekehrt. Die Aktionen selbst sind so gesehen auch Instrumente der Sinnstiftung: Weick nannte Interpretationen, Framing, Vertrauen, Glauben, Verpflichtungen etc., welche die Umwelt so gestalten, dass sie als sinnvoll erscheint. Ortmann wies darauf hin, dass es eben die performative Dimension ist, die Enactment auszeichnet: »Weick meint jenen selektiven, konstruktiven und performativ wirksamen Vorgang, in dem wir Teile, Aspekte, Dimensionen der Umwelt aus- und andere einklammern, als rele-
139 Weick, Karl E.: Sensemaking in Organisations, Thousand Oaks: Sage Publications 1995, S. 5. 140 Ebd., S. 31. Die Suchbewegung beeinflusst die Sinnsuche. 141 Ebd., S. 30. 120
DIE ANSÄTZE IN DER ÖKONOMIK
vant anerkennen und – daher ›performativ‹ – diese Anerkennung praktisch folgenreich machen […] Enactment ist ein Tun.«142 Die performativen Vorgänge der Umweltgestaltung sind bei Weick Elemente der Sinnstiftungsprozesse: »Sencemaking […] is less about discovery than it is about invention. To engage in sensemaking is to construct, filter, frame, create facticity.«143 Deswegen ist Sinn nach Weick immer mehr als eine bloße Interpretation. Beim Interpretieren setzen sich die Menschen mit der schon existierenden, »vorgegebenen« Realität auseinander, während bei Sensemaking diese Realität erst produziert wird: Sinn schafft die eigenen Voraussetzungen immer wieder neu. In einem Gestaltungsprozess wird die Realität produziert, die nicht einem vorausgeplanten Entscheiden, sondern einem (praktischen, nicht unbedingt intendierten) Tun entspringt. Selektionsprozesse stellen daher eine nachträgliche Auseinandersetzung damit dar, was »gestaltet« wurde. Es geht um die retrospektive Sinnstiftung, i.e. um das nachträgliche Schreiben von plausiblen Geschichten, um das Formulieren von Entscheidungen. »Mehrdeutigkeit wird beseitigt, wenn die Gestaltung mit einer Geschichte beliefert wird, welche sie hervorgebracht haben könnte.«144 In den Analysen über die Sinnstiftung wies Weick auf eine Rückkoppelung von Wirkungen auf Ursachen hin, die in den Überlegungen über den performativen Sinn schon angesprochen wurde: Der Schöpfer und seine Beweggründe werden nachträglich, ausgehend von Resultaten des Tuns geschaffen. Weick betonte, dass Sinnstiftung der Akt der Verknüpfung ist. In einem Rückblick werden zwei Elemente, nämlich »Momente der Vergangenheit« und »Momente der (aktuellen) Erfahrung«, miteinander verbunden. Es erfolgt eine Überbrückung zwischen dem Alten und dem Neuen. Dadurch entsteht eine sinnhafte Situation145. Es geht um ein Ein-
142 G. Ortmann: Als ob, S. 202. Oder wie es in den Worten von Weick selbst heißt: »Enactment is first and foremost about action in the world, and not about conceptual pictures of that world.« (K. E. Weick: Sensemaking, S. 36). 143 K. E. Weick: Sensemaking, S. 13ff. 144 K. E. Weick: Prozeß des Organisierens, S. 278. 145 K. E. Weick: Sensemaking, S. 111. »The combination of a past moment + connection + present moment of experience creates a meaningful definition of the present situation. And a lack of prototypical past moments […] can prolong the search for meaning. Frames tend to be the past moments of socialization and cues tend to be present moments of experience. If a person can construct a relation between these two moments, meaning is created.« 121
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ordnen in den Rahmen der Erfahrung, quasi um eine Verbindung zwischen zwei »Erfahrungselementen«. Diese kann eine Form von Geschichten, Metaphern oder Begründungen etc. annehmen. So gesehen ist Sinn bei Weick ein Beziehungsbegriff: Sinnstiften bedeutet bei ihm, Bezüge herzustellen. Die Herstellung von Bezügen ist allerdings eine schwierige Aufgabe angesichts der sich ständig verändernden Umwelt. Weick verglich deswegen die Sinnstiftung mit der Tätigkeit eines Geographen, der die Karte von einer sich permanent verändernden Region zeichnen muss: »People who try to make sense under these conditions have to differentiate and determine the nature of the materials they are working with, have to look for a unifying order without any assurance that there is a pre-existing order in these materials, have to decide how to represent this order, and have to play indefinitely, never knowing whether they have discovered a unifying order.«146
Da man nicht von einer Ordnung ausgehen kann, wird Sinnstiftung zu einem kreativen Prozess, zu einer Art »Bricolage«. Aus den existierenden oder – besser – in dem Enactment geschaffenen Materialien und ihren Überresten (Symbolen, Normen, sozialen Strukturen etc.) wird eine Art Ordnung kreiert: »The bricoleur is a thinker who makes creative use of whatever builds up during the process of work«147. Dies schließt mehrere kreative Wege der Herstellung der Bezüge mit ein (nicht nur den traditionellen Weg der Intention, Planung und Implementierung). Ein Bricoleur lässt das Neue aus den unvorhersehbaren Verbindungen der vorhandenen Elemente der Praxis entstehen. Zur Geltung gelangte und hiermit erfolgreiche Bezüge werden im kollektiven Gedächtnis einer Organisation gespeichert (Retention). Sie dienen dann als Ausgangspunkt für die Wahrnehmung und Beurteilung von Überraschungen und Unterbrechungen, weil ausgehend von den gespeicherten Sinnmustern klar wird, ob eine Organisation mit neuen Herausforderungen und Chancen konfrontiert wird. Diese Prozesse verlaufen im Sozialen. Weick betonte auch mehrmals, dass Sinnstiftung eine soziale Aktivität ist. Dies ist so, weil in den Organisationen nicht ein Akteur isoliert die Ereignisse wahrnimmt, Sinnbezüge herstellt etc.: Es sind mehrere Akteure, die dies tun, und sie tun es in der Abhängigkeit voneinander. Weick sprach von dem ineinander greifenden Verhalten (interlocking behaviour) und schlug vor, einen
146 K. E. Weick: Making Sense . S. 9. 147 Ebd., S. 63. 122
DIE ANSÄTZE IN DER ÖKONOMIK
doppelten Interakt148 als Grundeinheit der Organisationsanalyse zu betrachten. »Sensemaking is never solitary because what a person does internally is contingent on others.«149 Sinnstiftung verläuft in den sozialen Beziehungen und ist auf die Stabilisierung dieser Beziehungen orientiert. Wenn Weick eine Verpflichtung als Instrument der Sinngebung beschrieb, wies er darauf hin, dass man sich vor allem einer sozialen Beziehung und nicht einem individuellen Verhalten verpflichtet. Auch die Rechtfertigungen der Aktionen, die aus Verpflichtungen folgen, sind sozialer Natur: »Since the committed action is actually a committed interact, the appropriate justifications tend to invoke social entities (e.g., ›We did it because our role demanded it, ... because we are colleagues, … because we are in competition, … because we respect each other.‹)«150 Die nachträgliche Herstellung der Bezüge erfolgt als ein Erarbeiten der plausiblen Geschichten in den Kommunikationen (z.B. »talk as the work«) mit Rückgriff auf die im kollektiven Gedächtnis gespeicherten Symbole, Argumente und Metapher. Wichtig ist zu betonen, dass sich für Weick eine soziale Sinnstiftung nicht mit den »shared meanings« erschöpft hat. Menschen teilen zwar Bedeutungen, aber Sinnstiftung ist mehr als das: »Sensemaking is also social when people coordinate their actions on grounds other than shared meanings as when joint actions are coordinated by equivalent meanings, distributed meanings, overlapping views of ambiguous events, or nondisclosive intimacy [...], experience of the collective action that is shared.«151 Weick bezog sich auch auf Blumer (1969), der betonte, dass Sensemaking auch dann sozial bleibt, wenn die Bedeutungen nicht geteilt werden, sondern miteinander konfligieren. Ein Konflikt muss die Menschen nicht unbedingt davon abbringen, ihre Aktivitäten in die gleiche Richtung zu entwickeln, d.h. auf der Basis eines Kompromisses, eines Zwangs, einer Notwendigkeit, einer Vernünftigkeit. »Alignment is no less social than is sharing. But it does suggest a more varied set of inputs and practices in sensemaking than does sharing.«152 Dies sind wichtige Überlegungen, die durchaus eine Relevanz für die ökonomische Theorie besitzen, obwohl sie – wie bereits erwähnt – dem Bereich der kognitiven Forschung zugeordnet werden. Weick 148 Unter einem doppelten Interakt wird eine Handlung unter der Bedingung der wechselseitigen Abhängigkeit der Handelnden verstanden: Zum Beispiel ist die Korrektur eines Textes durch den Autor als Reaktion auf die Kritik von der Seite des Verlegers (vgl. K. E. Weick: Making Sense, S. 16). 149 K. E. Weick: Sensemaking, S. 40. 150 K. E. Weick: Making Sense , S. 15. 151 K.E. Weick: Sensemaking, S. 42. 152 Ebd., S. 43. 123
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
macht keinen Unterschied zwischen den wirtschaftlichen und sonstigen Organisationen. Es ist aber offensichtlich, dass Unternehmen auch Organisationen sind und dass die oben angeführten Argumente durchaus für die ökonomische Managementlehre gelten. Das, was Manager tun, ist keine Nutzenmaximierung, kein rationales Entscheiden, sondern Sinnstiftung – das ist eine der zentralen Erkenntnisse von Weick. Sinnstiftung ist eine Hauptaktivität der Manager: »It is a job of the sensemaker to convert a world of experience into an intelligible world.”153 Es ist genau das, was die Vorstände von Unternehmen und Banken täglich tun.
Jens Beckert: Performativer Ursprung einer sozialen Beziehung Die performativen Konzepte finden eine immer stärkere Beachtung bei der Analyse der strategischen Situationen, wenn von einem nichtindividualistischen Standpunkt untersucht werden muss, wie die Interdependenz der Kalküle im Markt zu konzipieren ist und wie eine soziale Beziehung zustande kommt. Das sind Fragen, die für das Verständnis der Sinnstiftung in der Ökonomik von Relevanz sind. In der vorliegenden Arbeit wurde bereits mehrmals angesprochen, dass eine Ungewissheit in sozialen Beziehungen jeder Art prinzipiell nicht ausgeschaltet werden kann. Normen, Institutionen, auch Signale154 können dies nur bedingt leisten: Sie tragen zur Stabilisierung der Erwartungen bei, diese Erwartungen können aber trotzdem immer (auch vorsätzlich, manipulativ) enttäuscht werden. Beide Parteien sind an einem Vertragsabschluss, also an dem Entstehen einer sozialen Beziehung interessiert, sich aber auch einer möglichen Täuschung bewusst. Vor diesem Hintergrund bleibt die Frage offen, warum es trotzdem zu der Entstehung einer sozialen Beziehung kommt. Es bleibt unklar, warum Akteure einander vertrauen, wenn sie nur vieldeutige Schlussfolgerungen aus den Signalen eines Gegenübers ziehen können (»doppelte Kontingenz«). Jens Beckert (2005) schlug eine performative Lösung dieses Problems vor: Er behauptete, dass Vertrauen in strategischen Situationen durch einen performativen Akt der Selbstdarstellung des Vertrauensnehmers entsteht. So verschiebt sich erstens der Fokus von den Kalkülen des Vertrauensgebers, der über das Entstehen einer Vertrauensbeziehung
153 K. E. Weick: Making Sense , S. 9. 154 Vgl. B. Männel: Sprache und Ökonomie, S. 161 zu der Verschwommenheit der Grenze zwischen Institutionen und Signalen. 124
DIE ANSÄTZE IN DER ÖKONOMIK
einseitig entscheidet, zu den Aktivitäten des Vertrauensnehmers, der auch durchaus an der Etablierung einer Beziehung interessiert ist. Dabei kommt zweitens die Wechselseitigkeit in den Blick, die für das Entstehen von Vertrauen von zentraler Bedeutung ist: Vertrauen ist kein isolierter Akt. Die Vertrauensnehmer vollziehen einen Akt der Selbstdarstellung, einen performativen Akt, der genau das hervorbringt, was in ihm dargestellt wird: die Glaubwürdigkeit. Wie im Theater (Erving Goffman) »spielen« die Akteure eine Realität, die für die Zuschauer (für eine Weile) zu einer »echten« Realität wird. Eine Performance wird zum Erfolg, wenn Zuschauer »mitmachen«, also ihr Glauben (in das Geschehen auf der Bühne) schenken und die Performance auf diese Art und Weise koproduzieren. Beckert bezog sich auch auf den Begriff Parasozialität von Wenzel (2001): »Parasozialität heißt dann nichts anderes, als dass ego eine soziale Beziehung zu alter fingiert (erdichtet, unterstellt, vortäuscht), um sie dadurch erst herzustellen.«155 Wenn die von einem Vertrauensnehmer vollzogene Darstellung der eigenen Glaubwürdigkeit überzeugend ist, entsteht durch diese performative Fiktion eine gemeinsame Definition der Situation: Der Vertrauensgeber tut so, als ob er die dargestellte Glaubwürdigkeit als real einschätzt, also als ob er vertraut. Nur dank dieser Bestätigung der Darstellung des Vertrauensnehmers von der Seite des Vertrauensgebers entsteht eine geteilte Interpretation der Situation als einer Kooperation; eine parasoziale Interaktion wird zur sozialen Interaktion.156 Das gemeinsame Handeln wird möglich. Beckert schrieb in diesem Zusammenhang auch über die performative Konstruktion der Märkte generell: Die Erklärung der Interdependenz der Kalküle beinhaltet ein starkes performatives Element, nämlich die Koproduktion einer (kooperativen) Situation durch die Marktteilnehmer. Prozesse der Vertrauensbildung haben viele Gemeinsamkeiten mit den oben beschriebenen Sinnstiftungsprozessen, obwohl es in den Arbeiten von Beckert und Wenzel nicht hauptsächlich um Sinnstiftung geht. Vertrauen ist das Produkt der Sinnstiftung: eine performative Erzeugung von (neuem) Sinn und die Erlangung einer Geltung in der sozialen Koproduktion. Durch die performative Darstellung wird eine Handlungssequenz eröffnet, die aber nur durch die weiteren sinnstiftenden Handlungen eines Gegenübers vervollständigt werden kann: Ohne diese Handlungen kann kein Vertrauen wie auch kein Sinn entstehen.
155 Harald Wenzel: Die Abenteuer der Kommunikation. Echtzeitmedien und der Handlungsraum der Hochmoderne. Weilerwist: Vellbrück 2001, S. 20. 156 Ebd. 125
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
Zum Schluss sei angemerkt, dass von der Wirtschaftstheorie die performative Rolle der Sprache inzwischen immer stärker beachtet wird, also die Fähigkeit der Sprache, Realität zu kreieren und sie für geltend zu erklären. Die Hypothese der »Neutralität von Sprache«157 wird in der Wirtschaftstheorie zunehmend kritisiert. In den letzten Jahrzehnten sind einige Ansätze entstanden, die das besondere Augenmerk auf die performative Produktivität der Sprache legen. Sprechhandlungen werden dort als echte ökonomische Handlungen gesehen. Es sind vor allem die Arbeiten von McCloskey (1994), Männel (2002), Ortmann (2004) gemeint, aber auch einige spieltheoretische Ansätze. So betonte zum Beispiel McCloskey die Rolle der rhetorischen Kunst des Überzeugens (persuasive talks) für ökonomische Transaktionen: Wichtig ist nicht bloß, eine Information mitzuteilen, sondern den potenziellen Partner zu überzeugen, diese Information überhaupt wahrzunehmen, auszuwerten und für die Entscheidungsfindung zu nutzen. Für die Wirtschaft ist die Situation, in der ein (Gesprächs-) Partner zu einem Geschäftsabschluss überredet werden soll, zentral, sei es eine Kreditvergabe, sei es eine Verkaufssituation. McCloskey wies auf die besondere Rolle hin, die sprachliche illokutionäre Akte, d.h. die dialogischen Hinwendungen an andere Personen, die durchaus einen performativen Effekt haben können, für die Vorbereitung, Durchsetzung und Kontrolle von Transaktionen haben. Dies tun sie, indem sie unter anderem die Vertrauensbildung und die Beziehungsanknüpfung zwischen den Wirtschaftspartnern fördern158: Hiermit lieferte McCloskey nur ein weiteres Argument für die Plausibilität des performativen Verständnisses von Vertrauen und der Märkte.
Karin Knorr Cetina: Finanzmärkte als Praktiken Die Grundideen der Soziologie der Finanzmärkte, die von Knorr Cetina ausgearbeitet wurden (Knorr Cetina/Bruegger 2002; Knorr Cetina/Preda 2005), sind ebenso wie die bereits dargestellten performativen Ansätze für die zentrale Fragestellung der Arbeit relevant, obwohl auch hier kein Sinnbegriff explizit verwendet wird. An einem Modell der Finanzmärkte zeigte Knorr Cetina, wie man Märkte als eine performative Praxis konzipieren kann, ohne von einem isolierten Akteur (Kalkül) auszugehen. Sie untersuchte, wie ein (Devisen-)Markt entsteht, an dem Händler in verschiedenen Zeitzonen an weit entfernten geographischen Orten agie-
157 Vgl. B. Männel: Sprache und Ökonomie, S. 28ff. S. auch Abschnitt 5.2.4. 158 Vgl. Donald N. McCloskey: Knowledge and Persuasion in Economics, Cambridge, UK: Cambridge Univ. Press 1994, S. 369ff. 126
DIE ANSÄTZE IN DER ÖKONOMIK
ren. An diesem Beispiel wird klar, dass es in der Tat absolut unmöglich ist, das Marktgeschehen von einer isolierten Handlung eines Händlers ausgehend zu begreifen. Wie in ihrem Konzept einer objektförmigen Praxis (s. Abschnitt 9.2) betonte Knorr Cetina auch für Finanzmärkte zwei Aspekte: die Rolle der materiellen Objekte (der technischen Infrastruktur) und die Rolle der Beziehungen (zwischen den Händlern und den Objekten). Die konstitutive Rolle der Technik besteht in der Repräsentation der Transaktionen, die dadurch sichtbar und beobachtbar werden. Alle Marktteilnehmer sehen auf ihren Bildschirmen gleichzeitig die gleichen Zeichen, i.e. Preise, Mengen, Gebühren etc. Es findet eine gemeinsame Beobachtung der Zeichen und der durch sie repräsentierten Transaktionen statt. Knorr Cetina benutzte für die Beschreibung dieser Prozesse die Denkfigur der Appräsentation159: »The screen brings that which is geographically distant and invisible near to participants, thus rendering it interactionally present.«160 Globale Märkte werden auf den Bildschirmen sichtbar und bilden einen gemeinsamen Bezugspunkt für die Finanzmarktteilnehmer. Die Märkte werden performativ konstituiert: Die Händler beobachten die Aufführungen von Zeichen auf den Bildschirmen und, indem sie handeln, gestalten sie diese Aufführungen mit. Es entsteht ein Objekt (Markt), das durch die weiteren performativen Handlungen der Marktteilnehmer aufrechterhalten bleibt und als solcher gilt. Wichtig ist zu betonen, dass die Repräsentation der Transaktionen auf den Bildschirmen (durch die technische Infrastruktur) keine Abbildung einer anderen (wirklichen) ökonomischen Praxis darstellen, genau so wie das Sprechen keine bloße Abbildung einer Sprache ist, sondern diese Repräsentationen sind die Marktpraxis selbst. Diese Praxis ist losgelöst von der technischen Infrastruktur nicht zu verstehen: Sie wird durch Rechner, Telefone, Programme der Nachrichtendienste ermöglicht und konstituiert (medialisiert). Die performative Rolle der technischen Infrastruktur wird auch dadurch klar, dass, wie Knorr Cetina betonte, die Marktteilnehmer sich in einer »face-to-screen-situation« befinden: Sie beobachten ein Objekt (Markt) rund um die Uhr auf ihren Bildschirmen und konstituieren es dadurch. Diese Konstellation bezeichnete Knorr Cetina als eine globale Wir-Beziehung: Sie nahm zwar Bezug auf die Denkfigur von Schütz, stellte aber nicht die räumliche Koexistenz der Beteiligten (»face-to159 K. Knorr Cetina bezog sich auf A. Schütz/T. Luckmann: Strukturen. 160 Karin Knorr Cetina/Urs Bruegger: »Global Microstructures: The Virtual Societies of Financial Markets«, in: American Journal of Sociology 107/4 (2002), S. 909. 127
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
face-situation«161) in den Fokus, sondern eben die gleichzeitige Orientierung auf ein gemeinsam beobachtetes drittes Objekt. Eine Orientierung auf ein drittes Objekt kann zu der Entstehung einer Wir-Beziehung führen, auch wenn die Beteiligten geografisch voneinander entfernt und deswegen füreinander unsichtbar sind.162 Zentral ist nicht die körperliche Präsenz (»embodied presence«), sondern die »Reaktionspräsenz« (»response presence«) der Marktteilnehmer: Sie reagieren auf die Zeichen, die sie auf den Bildschirmen beobachten, d.h., sie reagieren auf die Beobachtungen und Handlungen der Anderen, die durch diese Zeichen repräsentiert werden. Es geht um die Reziprozität der Orientierungen: »The reciprocity indicates that global financial markets are fields of interaction: at any point of time, all traders will be watching the same events and one another, but some also interact (trade) and, in doing so, implement a new level of signaling and responsiveness among themselves.«163
Knorr Cetina analysierte am Beispiel der Finanzmärkte, wie die sinnkonstitutive Kollektivität der Verhaltensweisen (vgl. die Abschnitte 8.2 und 9.1) konzipiert werden kann. Es geht um das praktische Tun, verstanden als »Zusammen-Tun«, als »Konkreativität«, die ohne jegliche Intention von Seiten der Teilnehmer sinnkonstitutiv wirkt. In der Beschreibung von Cassirer hat diese Konkreativität eine starke sprachliche (symbolische) Komponente, die auch für das Konzept der Finanzmärkte von Knorr Cetina eine wichtige Rolle spielt: Märkte entstehen im Sprechen. Konkreativität bedeutet nicht nur gleichzeitig den Markt zu beobachten und durch Transaktionen hervorzubringen, sondern auch miteinander zu reden und dadurch auch den Markt zu konstituieren, d.h., eine Trennung zwischen Handeln und Sprechen ist auf den Finanzmärkten nicht möglich: »Traders perform market transactions through conversations.«164 Hier kommt die wichtige Rolle der Performativität der Sprache für die Ökonomik erneut zum Ausdruck: Es geht nicht um eine Übertragung der Information, sondern um Vollzug einer ökonomischen Aktion; es geschieht etwas, nämlich ein Markt entsteht, während geredet wird. Die marktkonstitutive Reziprozität der Beteiligten ist an die Kommunikation gebunden: »[Traders] provide for the market’s existence and process continuity through the intensity of their
161 A. Schütz: Collected Papers II, S. 27ff. 162 Karin Knorr Cetina/Urs Bruegger: Global Microstructures, S. 920 ff., insb. S. 922. 163 Ebd., S. 927. 164 Ebd., S. 910. 128
DIE ANSÄTZE IN DER ÖKONOMIK
communication with one another.«165 Es geht um verbale Angebote eines Geschäfts, um das Verhandeln über Preise und Mengen, um einen Small talk über das Wetter und über die Gerüchte im Markt, um einen Geschäftsabschluss oder die Absage einer Transaktion. Diese Gespräche schaffen – lassen entstehen, gelten und sich fortsetzen – das, was ohne diese Gespräche einfach nicht da wäre, nämlich die Märkte: »What must be recognized is that the markets studied take the form of a large, globally distributed conversation. In this conversation, deal making, information exchange, and personal talk come together on one platform, with information exchanges and personal talk also filling gaps between economic transactions and supplying background for deals that are made via electronic brokerage. Thus, the ongoing conversation provides the market with social liquidity, which serves the market’s economic liquidity.«166
Vor dem Hintergrund des dargestellten soziologischen Konzepts der Finanzmärkte sei mit Knorr Cetina betont, dass Märkte nur als soziale Systeme betrachtet werden können, das heißt nicht (nur) als Netzwerke oder Institutionen, sondern als praktischer Vollzug der Transaktionen in den technisch medialisierten Kommunikationen. Dem Sozialen liegen reziproke Beziehungen zugrunde, und ausgehend von diesen Beziehungen können Märkte theoretisch begriffen werden.
Zwischenfazit Mit den hier vorgestellten drei Beispielen – dem Sensemaking-Konzept von Weick, dem performativen Vertrauensansatz von Beckert und dem Konzept der Finanzmärkte von Knorr Cetina – soll gezeigt werden, dass die poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Sinnkonzepte durchaus eine Relevanz für das ökonomische Theoretisieren besitzen: Sie können beim Theoretisieren über das wirtschaftliche Organisieren sowie über die Konstitution der Märkte behilflich sein. Das sind allerdings, wie schon erwähnt, nur Beispiele aus Randdisziplinen. Wenn die Theorie des Ökonomischen aber auf die Sinnstiftung umstellt, kann und muss sie einen Vorschlag unterbreiten, wie die besprochenen sinntheoretischen Konzepte als Basis für eine einheitliche ökonomische Theorie dienen können, die von der Vorstellung über die Wirtschaft als einer performativen sozialen Praxis ausgeht. Für einen solchen Vorschlag sind folgende Punkte wichtig:
165 Ebd., S. 914. 166 Ebd. 129
DIE NICHTSUBJEKTIVEN SINNKONZEPTE
1. Diese Theorie soll soziale Beziehungen ihrer Analyse zugrunde legen: Es soll von den Versuchen abstrahiert werden, einen anderen Typ des ökonomischen Menschen zu konstruieren, der realistischer erscheint: So schlugen Panther/Nutzinger (2004) zum Beispiel vor, statt des homo oeconomicus einen homo culturalis in das Zentrum der wirtschaftswissenschaftlichen Überlegungen zu stellen: Da Wirtschaft eine Praxis ist, so Panther/Nutzinger, ist es wichtig, von einem in diese Praxis »eingebetteten« Menschentyp auszugehen. Dieser homo culturalis ist ein »zutiefst relationales Wesen«, d.h., er beobachtet, beschreibt und interpretiert das Handeln Anderer, spricht mit Anderen, realisiert mit ihnen gemeinsame Interpretations- und Handlungsschemata, entwickelt eine kollektive Identität etc. Der Konstrukt »homo culturalis« löst aber die in dieser Arbeit angesprochenen Probleme der Ökonomik nicht: Die individualistische Perspektive wird beibehalten; die Erklärung der Märkte, des Neuen etc. bleibt unmöglich. Wenn ein alternativer Menschentyp unterstellt wird, folgt daraus nicht der Abschied von den Vorstellungen der Intentionalität, was aber als besonderer Vorteil der in diesem Kapitel besprochenen Theorien erscheint. Sie legen der wirtschaftlichen Praxis, wie auch jeder anderen – und dies sollten die Beispiele oben unter anderem illustrieren – soziale Beziehungen zugrunde und rücken sie in das Zentrum der Analyse. Es bleibt allerdings die Frage offen, was unter einer sozialen Beziehung zu verstehen ist. Die Antwort darauf wird im nächsten Teil der Arbeit gesucht. 2. Aus den drei besprochenen Beispielen wird ersichtlich, dass die performativen und praxistheoretischen Sinnkonzepte erlauben, über das Wirtschaften als ein aktuelles Tun, das im Hier und Jetzt stattfindet, zu theoretisieren: In diesem Tun, das in den sozialen Beziehungen erfolgt, wird die Wirtschaft (die Unternehmen und ihre Umwelt, der Markt, die Kundenbeziehungen etc.) erst hervorgebracht. Auch Geld ist bloß eine performative Eigenschaft eines Stücks Papier, die ohne Bezug auf die soziale Praxis nicht zu verstehen wäre.167 3. Die bis jetzt in der Ökonomik vernachlässigte performative Rolle der Sprache kann so berücksichtigt werden, obwohl, und dies ist wichtig, durch das Rekurrieren auf die Praxistheorien mit der linguistischen Wende nicht »übertrieben« wird: Es ist festzustellen, dass Sprache nur eine Form der performativen Praxis ist; die anderen Formen – wie eine mediale Selbstdarstellung der potenziellen Partner, eine gemeinsame Nutzung von Computerprogrammen etc. – sind gleichermaßen wichtig und als andere Praktiken zu berücksichtigen.
167 Siehe G. Ortmann: Als ob, S. 53 und S. 60. 130
DIE ANSÄTZE IN DER ÖKONOMIK
Im folgenden Teil soll ausgehend von den besprochenen Sinnkonzepten und Beispielen im Rahmen der Theorie des Ökonomischen überlegt werden, wie die zunächst vereinzelt vorhandenen poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Ideen in ein einheitliches Konzept der sozialen Sinnstiftung in der Ökonomik zusammengeführt werden können und in welcher Form sie eine Basis für eine Wirtschaftstheorie bilden können.
131
Teil III: Dimensionen der Sinnstiftung in der Ökonomik Zum Schluss des ersten Teils dieser Arbeit wurde das doppelte Problem der adäquaten Erfassung des Sozialen und der Ungewissheit in einer Theorie des Ökonomischen formuliert. Es wurde auf die zentrale Rolle der Sinnstiftungsprozesse beim Wirtschaften, das als soziales Handeln verstanden wird, hingewiesen: Dem Verständnis des Sozialen liegen wechselseitige Orientierungen der Akteure und nicht das autonome Handeln eines je isolierten Individuums zugrunde. Diese wechselseitigen Orientierungen bedingen eine fundamentale Ungewissheit, die sich mit keinem sozialen Konstrukt wie Norm, Institution etc. eliminieren lässt: Das soziale Handeln ist immer kontingent. Diese Kontingenz schaltet die Mechanismen des rationalen Entscheidens aus, weil den zukünftigen Handlungen keine Folgen zugerechnet werden können und dadurch Optimierungsoperationen unmöglich werden. Unter solchen Umständen können die sozialen Akteure nur handeln, indem sie sich nicht an dem Zweck oder Nutzen orientieren, sondern Sinn prozessieren. Deswegen wird Sinnstiftung anstatt der Nutzenmaximierung zu dem zentralen Prinzip und Sinn zu einem Schlüsselbegriff der Theorie des Ökonomischen erklärt. Die Lösung für das doppelte Problem des Theoretisierens über das Soziale und die Ungewissheit wurde deswegen in der Analyse der Sinnkonzepte gesucht: Wenn Wirtschaften als soziales Handeln unter Ungewissheit verstanden wird, sollen die Sinnkonzepte ermöglichen, beide Komponenten dieser Definition adäquat zu erfassen: einerseits das Soziale und das soziale Handeln sowie andererseits die Ungewissheit und die Wege des Umgangs mit ihr. Da sich die individualistischen Sinnansätze
133
DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
als ungeeignet dafür erwiesen haben, wurden die nicht-subjektiven Sinnkonzepte im Teil II ausführlich analysiert. Jetzt soll diskutiert werden, welche Wege die besprochenen Sinnansätze der Theorie des Ökonomischen bei dem Konzipieren des Sozialen (Kapitel 11) und der Ungewissheit (Kapitel 12) öffnen. Es sei allerdings an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass eine klare Trennung der Sozialdimension und der Zeitdimension des Sinns nicht möglich ist: Soziale Beziehungen stellen eine unauslöschbare Quelle der Ungewissheit und des Neuen dar und eben im Sozialen wird mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umgegangen. Aus diesem Grund werden ständig wechselseitige Bezüge auf beide Sinndimensionen genommen. Gleichzeitig werden die Ausgangsfragen der Arbeit im Auge behalten und Vorschläge für ihre Beantwortung unterbreitet, nämlich: Wie kann die Einführung des Sinnbegriffs in die Theorie des Ökonomischen zur Erweiterung des begrifflichen und methodologischen Reflexionsniveaus der Ökonomik beitragen? Wie verändert sich unser Wissen über das Ökonomische, wenn wir Sinn als einen Begriff der Sphäre des Ökonomischen betrachten? Welches Denken geht mit dieser Perspektive einher? Wie ändert sich das Selbstverständnis der Ökonomik?
Die Theorie des Ökonomischen als ein Teil der Sozialphilosophie Wenn die Theorie des Ökonomischen Wirtschaft als ein soziales, an Sinnstiftung orientiertes Handeln oder wie Luhmann als ein soziales und deswegen sinnverarbeitendes Subsystem der Gesellschaft begreift, dann ist somit die Theorie des Ökonomischen ein Teil der Sozialphilosophie.1 Sozialphilosophie ist eine philosophische Disziplin, die sich mit dem Verständnis des Sozialen, des Gemeinschaftlichen befasst: Sie macht nicht ausschließlich die Gesellschaft zum Gegenstand der Reflexion, sondern den Bereich des Zwischenmenschlichen generell. Wie oben gezeigt wurde, gerät der Bereich des Zwischenmenschlichen in den Fokus einer Theorie des Ökonomischen, die einen Sinnbegriff zum Schlüsselbegriff macht, weil dadurch die zentrale Rolle der Wechselwirkungen und gegenseitigen Orientierungen der wirtschaftlichen Akteure erkennbar wird. Deswegen soll für die Klärung des Verständnisses der Sinnstiftung im Ökonomischen der Kategorieapparat der Sozialphilosophie herangezogen werden. 1
Vgl. K. Röttgers: Wirtschaftsphilosophie, S. 118.
134
DIE THEORIE DES ÖKONOMISCHEN ALS EIN TEIL DER SOZIALPHILOSOPHIE
Die hier zugrunde gelegte Sozialphilosophie verfügt über einige Konzepte und Begriffe, die helfen, den Bereich der zwischenmenschlichen Angelegenheiten als ein Gewebe von Beziehungen zu begreifen und ihn in seiner Komplexität darzustellen. Es wurde dort nicht nur die Sicht überwunden, dass eine Gesellschaft aus den autonomen Individuen als Substanzen, als unteilbaren Grundeinheiten besteht, deren Beziehungen sekundär sind, sondern auch das Denken in einfachen Zweierbeziehungen, in dem das Soziale als ein Gegenüberstehen von Ego und Alter begriffen wird. Es wurde erkannt, dass sowohl die Kategorie des Subjekts als auch die Kategorie des Anderen für die adäquate Darstellung der sozialen Gewebe unzureichend sind. Wie im Teil I demonstriert wurde, ist ein autonomes Subjekt in dem Intersubjektivitätsproblem verstrickt: Es geht um das Problem der Erfassung einer Relation aus einer individualistischen Perspektive. Es kann mit Luhmann betont werden: Intersubjektivität ist »kein Begriff, sondern eine Verlegenheitsformel [...] Man greift zu dieser Formel, wenn man am Subjekt festhalten und nicht festhalten will. Die Formel ist ein paradoxer Begriff, der bezeichnet, was er nicht bezeichnet. Er dient lediglich dazu, in eine Theorie, die bei der Subjektivität des Bewusstseins ansetzt, etwas einzuführen, was von dieser Theorie aus nicht gedacht werden kann.«2
Weiter heißt es: »Das ›Problem der Intersubjektivität‹ stellt sich nur im Kontext und in der Terminologie der Subjekttheorie; aber es fordert implizit dazu auf, diese Theorie zu widerrufen. Er markiert eine Korrekturnotwendigkeit, die die Theorie des Subjekts akzeptieren muss und ohne Selbstaufgabe nicht akzeptieren kann. Das ›Inter‹ widerspricht dem ›Subjekt‹.«3
Diese Korrektur, d.h. die Aufgabe der Subjekttheorie, kann nicht durch eine einfache Hinzufügung eines Anderen zu einem autonomen Ego erfolgen. Die Sozialphilosophen, auf die in dieser Arbeit Bezug genommen wird, haben darauf hingewiesen, dass ein autonomes Subjekt keinen Anderen kennt, oder anders gesagt, ihn nicht als Differenz zu sich selbst wahrnimmt: »Es gibt ein generelles Problem, Vielheit zu denken, wenn man in den Ursprung die Einheit legt.«4 Wenn ein Anderer, wie
2 3 4
N. Luhmann: Intersubjektivität, S. 42. Ebd. Kurt Röttgers: »Autonomes und verführtes Subjekt«, in: Paul Geyer/Monika Schmitz-Emans, Proteus im Spiegel: Klassische Theorie 135
DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
am Beispiel der Theorien von Max Weber und von Alfred Schütz im ersten Teil der Arbeit demonstriert wurde, als Analogie zu dem Subjekt selbst, »als Doppelgänger des autonomen Subjekts«5 begriffen wird, ist er für die sozialen Beziehungen nicht konstitutiv. Die zwischenmenschlichen Beziehungen an sich sind dann zweitrangig: Das Soziale wird vom Standpunkt des autonomen Subjekts als eine Zusammenfügung von unabhängigen Individuen erfasst. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen soll das Soziale nicht als Intersubjektivität, sondern als ein komplexes Geflecht von Beziehungen – und ausgehend von diesen Beziehungen – verstanden werden. Es wird ein Kategorienapparat benötigt, der erlaubt, das Soziale komplex genug zu erfassen, so dass die individualistische Perspektive überwunden werden kann. Im Lauf der Analyse der Sinnbegriffe der Systemtheorie sowie der poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Ansätze wurden einige Schritte in diese Richtung unternommen. So wurde mit Luhmann die Situation der »doppelten Kontingenz« als eine zentrale Situation im Sozialen untersucht. Die poststrukturalistischen Theorien haben Einsicht in die Dynamik und den Mechanismus der Ungewissheit im Sozialen verschafft. Die performativen Ansätze erlaubten, das Entstehen des Neuen zu diskutieren, und dann, zusammen mit den praxistheoretischen Konzepten, die Sinnstiftung als »Konkreativität«, als »Zusammen-Tun«, also als genuin sozialen Prozess zu begreifen. Es ist an dieser Stelle aber wichtig, diese Erkenntnisse in ein komplexes Konzept des Sozialen einzuweben, ein Konzept nämlich, das erlauben würde, das Soziale ausgehend von den Relationen, von den Wechselwirkungen zwischen den handelnden Individuen zu verstehen. Dafür soll der Kategorienapparat der Sozialphilosophie genutzt werden. Die hier zugrunde gelegte Sozialphilosophie bietet Wege zum Überwinden des Denkens in Substanzen. Sie geht ebenfalls über das Verständnis der Gesellschaft als einer Anzahl von Individuen hinaus. Die Schlüsselrolle eines autonomen Subjekts wird grundsätzlich in Frage gestellt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde diese Entwicklung am Beispiel der Zuordnung des Subjekts der Umwelt durch die Systemtheorie von Luhmann sowie der »Dezentrierung des Subjekts« im Poststrukturalismus illustriert. Die Sozialphilosophie stellt die Analyse des Sozialen prinzipiell auf den Standpunkt der sozialen Beziehungen um. Diese Umstellung erfolgt nicht nur durch die Kategorie des
5
des Subjekts im 20. Jahrhundert, Würzburg: Könighausen & Neumann 2003, S. 72. Ebd., S. 73.
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DIE THEORIE DES ÖKONOMISCHEN ALS EIN TEIL DER SOZIALPHILOSOPHIE
Anderen, sondern auch durch die Kategorien des Dritten und des Fremden, die die Kategorie des Anderen ergänzen, da sie sich von ihr methodisch prinzipiell unterscheiden. Sie steigern hiermit die Komplexität der Darstellung des Sozialen. Die Theorie des Ökonomischen will die ökonomischen Phänomene ausgehend von sozialen Beziehungen erklären und analysieren, denn das ökonomische Handeln – Konkurrenz, Tausch, Transaktion, Markt – basiert auf Beziehungen. Vom Standpunkt der Sozialphilosophie ausgehend, erweist sich ein autonomes Subjekt als analytische Grundeinheit der Ökonomik unzulänglich. So schrieb Priddat: »Wenn wir z.B. Verträge betrachten, sind mindestens 2 Personen beteiligt [...] Es ist erstaunlich, dass man angesichts dieser Tatsache das ›methodologische Individuum‹ zur Basiseinheit der Ökonomie erhoben hat, anstelle eines methodologischen Minimalkollektives.«6 Die Kategorien der Sozialphilosophie können bei der Beantwortung der Frage Hilfe leisten, wie ein solches methodologisches Minimalkollektiv, i.e. eine genuin soziale Beziehung konzipiert werden kann. Außerdem können die sozialphilosophischen Kategorien des Dritten und des Fremden verhindern, dass eine Umstellung von einem Subjekt auf eine isolierte Dyade stattfindet: Dazu tendiert nämlich die Ökonomik, wenn sie gezwungen wird, über die Beziehungen zwischen den Wirtschaftssubjekten zu reden. Es werden Dyaden gebildet, die genau so atomisiert, d.h. isoliert und aus dem sozialen Kontext ausgerissen sind wie das einzelne Individuum.7 So wurden bei Homann/Suchanek (2000) eine Interaktion und bei Williamson (1996) eine Transaktion als dyadische Relationen konzipiert. Mit einer Zweierbeziehung kann man zwar die Komplexität, die durch die Präsenz des Anderen entsteht, abbilden, die Aporien der Intersubjektivität bleiben dann allerdings bestehen. Die Beziehungen zu dem Anderen können als Restriktionen des individuellen Handelns betrachtet werden; sie sind aber für das wirtschaftliche Geschehen nicht konstitutiv. Die Vorhersagen und Erklärungen der ökonomischen Ereignisse können unabhängig von den Beziehungen der Wirtschaftsakteure zueinander gemacht werden. Erst mit der Einführung der Figur des Dritten geht eine »bloße Alterität« über sich hinaus; das Soziale wird konstituiert8, indem die Einseitigkeit des individualistischen Verständnisses der sozialen Beziehungen überwunden wird und diese Beziehungen als für das Soziale konstitutive Wechselwirkungen verstanden werden. Die soziale Komplexität wird 6 7 8
B. P. Priddat: Rational Choice, S. 144. Vgl. M. Granovetter: Economic Action, S. 486ff. Vgl. K. Röttgers: Kategorien, S. 245ff.; auch Thomas Bedorf: Dimensionen des Dritten, München: Fink 2003, S. 101ff. 137
DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
mit der Einführung der Figur des Fremden als radikalen Störer einer etablierten Beziehung weiter gesteigert. Die Kategorien des Dritten und des Fremden sollen in den folgenden Abschnitten in Einklang mit den bis jetzt erfolgten Ausarbeitungen zum Sinnbegriff gebracht werden, so dass ein einheitliches Konzept der sozialen Sinnstiftung als zentrales Konzept der Theorie des Ökonomischen formuliert werden kann. Sinnprozesse sollen als Prozesse im Sozialen, als soziales Geschehen dargestellt werden. Dabei werden noch einmal die Methode und die Grundbegriffe der traditionellen ökonomischen Theorie hinterfragt; es werden tragfähige Alternativen analysiert.
Der methodologische Relationismus als Alternative zum methodologischen Individualismus Im ersten Teil der Arbeit wurde unter anderem festgestellt, dass das Verlassen der individualistischen Ebene bei den Untersuchungen der ökonomischen Phänomene automatisch die Gültigkeit des methodologischen Individualismus in Frage stellt und die Suche nach einer Alternative notwendig macht. Dies ist so, weil für den methodologischen Individualismus ein Subjekt und dessen Verhalten die zentralen Erklärungsvariablen sind, aber ausgerechnet diese Sichtweise für die Erklärung vieler ökonomischer Sachverhalte nicht ausreicht. Mit der Einführung des Sinnbegriffs in die Theorie des Ökonomischen wird eine Annährung an eine zum methodologischen Individualismus alternative Methode möglich – die Methode des methodologischen Relationismus: Sie erklärt eine Relation zum Ausgangspunkt aller theoretischen Überlegungen. Der Begriff Sinn als ein Beziehungsbegriff9 ist so konstituiert, dass nicht von Wesenheiten, sondern von Relationen auszugehen ist; er bedingt somit die Anwendung des methodologischen Relationismus. Die Einführung des Sinnbegriffs in die Theorie des Ökonomischen erfordert eine Abkehr vom Substanzdenken hin zum relationalen Denken. So wurde zum Beispiel bei der Darstellung der Sinnkonzepte von Niklas Luhmann sowie der Strukturalisten und Poststrukturalisten auf die zentrale Rolle der Relationen bei der Analyse der Sinnprozesse hingewiesen. Bei Luhmann sind die Beziehungen zwischen den Sinnzentren als Situation der doppelten Kontingenz entscheidend für das Erfassen der sozialen Dimension von Sinn. Schützeichel betrachtete aus die-
9
Vgl. Johannes E. Heyde: »Vom Sinn des Wortes Sinn: Prolegomena zu einer Philosophie des Sinnes«, in: Richard Wisser (Hg.), Sinn und Sein: ein philosophisches Symposion, Tübingen: Niemeyer 1960, S. 77.
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DIE THEORIE DES ÖKONOMISCHEN ALS EIN TEIL DER SOZIALPHILOSOPHIE
sem Grund die Luhmannsche Theorie als eine relationistische Theorie, die das Soziale und das Sinngeschehen ausschließlich unter Bezug auf die sozialen Relationen konzipiert. Im Strukturalismus, und dieser Gedanke wurde von einigen Poststrukturalisten übernommen, entsteht Sinn aus den Beziehungen zwischen den Zeichen, aus der Position in einem Gesamtsystem. So kann mit Bourdieu (1987) behauptet werden, dass ein Theoretiker bei der Rekonstruktion des Sinns in der Praxis die gegenseitigen Bezüge ihrer Elemente, die simultan bestehen, berücksichtigen muss. Obwohl alle diese Bezüge (also Sinn in seiner Totalität!) nicht zu erfassen sind, sind sie für die Sinnbestimmungen in der Praxis zentral10. Praktiken und die dort entstehenden Sinnmuster sind Relationsgefüge. Diese These wurde auch durch das Praxiskonzept von Knorr Cetina bekräftigt: Sie stellte Beziehungen zu den epistemischen Objekten in Zentrum ihres Konzepts und betrachtete die besondere Fähigkeit dieser Objekte, Relationen zu ermöglichen, als sinnkonstitutiv. Wichtig ist es zu betonen, dass der Sinnbegriff nicht nur das relationale Denken in der sozialen Dimension, sondern auch in der Zeitdimension mit sich bringt. Bei den Phänomenologen und auch bei Karl Weick geht es beim Sinnprozessieren um das Verbinden der erlebten Momente als das Einordnen der Ereignisse in den Kontext der Erfahrung. Weick sprach von einem vergangenen und einem aktuellen Moment und behauptete: »If a person can construct a relation between these two moments, meaning is created.«11 Sinnstiftung bedeutet, Bezüge zwischen dem Alten und dem Neuen herzustellen. Auch bei Luhmann besitzt Sinn eine Zeitdimension, die als Überbrückung der Differenz zwischen Vergangenheit und Zukunft, als Herstellung der Anschlüsse an neue Unterscheidungen verstanden wird. Wenn Sinn zu einem Grundbegriff der Theorie des Ökonomischen gemacht wird, kann vor dem Hintergrund dieser Beispiele behauptet werden, dass die Erklärungen von den Relationen her durchgeführt werden sollen. Weder irgendwelche »inneren Eigenschaften«, Ziele der Individuen noch »die sozialen Tatsachen« wie die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsschicht oder Nationalität sind ausreichend für die Analyse. Einer der wichtigsten Beiträge des Sinnbegriffs zu der Theorie des Ökonomischen ist vor allem das Denken in Relationen, der Verzicht auf das Substanzdenken.
10 Vgl. P. Bourdieu: Sozialer Sinn, S. 147ff, insb. S. 153ff. Vgl. auch D. Rustemeyer: Sinnformen, S. 95. 11 K. E. Weick: Sensemaking, S. 111. 139
DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
Dieser Art des Denkens können weder der methodologische Individualismus noch der als alternativ zu ihm betrachtete methodologische Holismus gerecht werden: Für beide Methoden sind soziale Beziehungen für die Analyse des Sozialen nicht konstitutiv. Beide gehen von den Substanzen aus: Entweder ist es ein autonomes Subjekt oder eine Gesellschaft. Gleichzeitig stellen der methodologische Individualismus und der methodologische Holismus zwei traditionelle Pole dar (Individuum vs. Gesellschaft, structure vs. agency), zwischen denen sich die meisten sozialen Theorien bewegen. Diese Theorien liefern Versuche, die begrifflichen Dualismen irgendwie aufeinander zu beziehen, sie miteinander zu »verschmelzen«, »Verknüpfungen« zu arrangieren, den Mikro-MakroLink immer wieder neu herzustellen, was allerdings nur formell gelingt. »Statt einer überzeugenden Konzeptualisierung des Sozialen kommt dabei nur eine Litanei von an sich trivialen ›Sowohl als auchs‹ heraus: Dass die Gesellschaft sowohl aus Handeln, als auch aus Struktur besteht; dass soziale Objektivität ohne das individuelle Subjekt nicht denkbar ist und ›jedes soziale Phänomen [...] aus subjektiven und objektiven Elementen zusammengesetzt‹ [...] sei.«12
Der methodologische Relationismus als eine dritte Position verfolgt eine Argumentation jenseits des Individualismus und des Holismus13: »Soziale Phänomene bestehen nicht aus atomaren Einheiten, sondern aus Einheiten, die sich aufeinander beziehen bzw. aufeinander bezogen sind, die in Relation zueinander stehen, und diese ihre Relationen sind konstitutiv für die Einheiten.«14 Ausgangspunkt der Analyse sind nicht Substanzen (Individuum, Gesellschaft), sondern Beziehungen zwischen ihnen. Die Relation wird als ein analytisches Basiselement betrachtet. 12 Bernd Kießling: »Diesseits von Subjektivismus und Objektivismus: Zu einer Theorie der symbolischen Ordnung des Sozialen«, in: Soziologia Internationalis 35 (1997), S. 61-86, hier S. 63. (Die Kursivierung im Original wurde nicht übernommen). Siehe als Beispiel einer solchen Hybride »die Alternative des individualistischen Holismus« in Falk Reckling: Interpretative Handlungsrationalität: Intersubjektivität als ökonomisches Problem und die Ressourcen der Hermeneutik, Marburg: Metropolis 2002. 13 Vgl. z.B. R. Schützeichel: Sinn als Grundbegriff, S. 66ff.; Mario Bunge: »A Systems Concept of Society: Beyond Individualism and Holism«, in: Theory and Decision 10 (1979), S. 13-30; Magoroh Maruyama: »Hierarchists. Individualists and Mutualists: Three Paradigms Among Planners«, in: Futures 6 (1974), S. 103-113; Mustafa Emirbayer: »Manifesto for a Relational Sociology«, in: American Journal of Sociology 103 (1997), S. 281-317. 14 R. Schützeichel: Sinn als Grundbegriff, S. 66. 140
DIE THEORIE DES ÖKONOMISCHEN ALS EIN TEIL DER SOZIALPHILOSOPHIE
Das bedeutet: Wenn in der Theorie des Ökonomischen das Wirtschaften als soziales Sinnprozessieren konzipiert wird und Sinn relationales Denken impliziert, dann ist die alternative Methode für die Wirtschaftstheorie der methodologische Relationismus. Diese Methode hat sich in der Ökonomik bisher nicht in der Form etabliert wie der methodologische Individualismus, findet aber zunehmend Beachtung. Es häufen sich Publikationen zu dem Thema, die aber eher eine Art »Manifesto«15 darstellen, einen Aufruf, sich zu diesem »dritten Weg« zu bekennen. Die generelle theoretische Ausarbeitung dieser Methode bleibt noch aus, obwohl es schon konkrete Anwendungsbeispiele gibt. Ein Beispiel für eine Theorie, in der die relationistischen Ideen ihre Realisierung finden, stellt die Netzwerktheorie dar: »Network theory builds its explanations from patterns of relations«16 stellte Roland Burt fest, einer der Hauptvertreter dieser Theorien. Die Netzwerktheorien in der modernen Form entspringen vor allem der Idee der »Einbettung« der ökonomischen Aktion, die Granovetter 1985 formulierte. Unter »Einbettung« verstand Granovetter vor allem die Einbettung in Netzwerke der intersubjektiven Relationen.17 Die »inneren Charakteristika« eines Menschen, wie z.B. seine Ziele, genauso wie die sozialen Attribute (Parteizugehörigkeit, Geschlecht, Beruf) erklären nicht das Verhalten, so Granovetter, wenn das Einbeziehen in strukturelle soziale Relationen außer Acht gelassen wird. Das Handeln eines Arbeit suchenden Menschen (was er konkret tut) kann nicht nur durch das Ziel selbst (»Arbeit finden«) und durch den sozialen Status etc. erklärt werden. Vielmehr ist es entscheidend, welche Beziehungen Menschen pflegen und wie Informationen in diesen Beziehungsstrukturen fließen.18 Daran knüpfen die netzwerktheoretischen Konzepte von Vertrauen und Sozialkapital an. So wird Sozialkapital zum Beispiel als ein Netz von Beziehungen innerhalb und außerhalb eines Unternehmens verstanden. Dieses Netz von wechselseitigen Verpflichtungen und Vertrauensbeziehungen ist entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg. »Something about the structure of the player’s network and the location of the 15 Vgl. M. Emirbayer: Manifesto. 16 Roland Burt: »Comment«, in: Siegwart Lindenberg,/James S Coleman,./Stefan Nowak (Hg.), Approaches to Social Theory, New York: Russell Sage 1986, S. 106. 17 Richard Swedberg: »New Economic Sociology: What Has Been Accomplished, What Is Ahead?«, in: Acta Sociologica 40 (1997), S. 161-182, hier S. 165. 18 Vgl. Mark Granovetter: Getting a Job: A Study of Contacts and Careers, 2nd edition, Chicago: University of Chicago Press (1995). 141
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player’s contacts in the social structure of the [competitive] arena provide a competitive advantage in getting higher rates of return on investment.«19 Netzwerke sind Ressourcen, die schon bestehende Chancen auf Erfolg verstärken und neue Möglichkeiten eröffnen. Nicht nur Firmen, sondern Märkte insgesamt werden als ein Geflecht sozialer Beziehungen konzipiert. So schlug White (1981) vor, die Produktionsmärkte als ein Netzwerk der sich aufeinander (und nicht unbedingt auf Kunden) orientierten Produzenten zu verstehen: Produzenten beobachten sich gegenseitig und entwickeln aus diesen Erkenntnissen eigene Strategien. Aus den Beispielen wird ersichtlich, dass die Netzwerktheorie für die Analyse mehrerer (auch ökonomischer) Phänomene herangezogen werden kann. Sie stellt keine einheitliche Theorie dar, sondern eher ein »Paradigma« oder eine »Perspektive«20, »a loose federation of approaches«21, die das Denken in Relationen in Zentrum stellen. Allerdings werden die Relationen im Rahmen der Netzwerktheorien eher nicht als bewegliche Beziehungen, sondern als verfestigte Strukturen konzipiert. Netzwerke bilden Strukturen, die einen Einfluss auf das wirtschaftliche Handeln ausüben. Es bleibt aber außer Betracht, wie diese Strukturen zustande kommen und sich verändern sowie was in diesen Strukturen konkret passiert. Knorr Cetina/Brügger (2002) merkten an: »Networks reflect social relations between actors, but […] network approaches also have major limitations. Networks are sparse social structures, and it is difficult to see how they can incorporate the patterns of intense and dynamic conversational interaction, the knowledge flows, and the temporal structuration […]«22.
Es handelt sich um Phänomene, die für das Verständnis der Märkte und der ökonomischen Praktiken entscheidend sind. Vor dem Hintergrund dieser Kritik soll in der weiteren Ausarbeitung des methodologischen Relationismus die Dynamik der Relationen berücksichtigt werden, die Dynamik nämlich, die bei der Beschäftigung mit dem Sinnbegriff aufgedeckt wurde: Sinn entsteht in den Beziehun19 Roland Burt: »The Social Structure of Competition«, in: Richard Swedberg (Hg.), Explorations in Economic Sociology, New York: Russell Sage (1993), S. 65. 20 Mustafa Emirbayer/Jeff Goodwin: »Network Analysis, Culture, and the Problem of Agency«, in: American Journal of Sociology 99 (1994), S. 1411-1454, hier S. 1414. 21 Ebd. 22 K. Knorr Cetina/U. Brügger: Global Microstructures, S. 910. 142
DIE THEORIE DES ÖKONOMISCHEN ALS EIN TEIL DER SOZIALPHILOSOPHIE
gen, die sich ständig verändern; dort finden Verschiebungen und Umbrüche statt, die diese Beziehungen gefährden, stabilisieren und das Sinngeschehen immer wieder ankurbeln. Mit Sinn geht nicht nur das relationale, sondern auch das prozessuale Denken einher. Genauso bedeutend ist die Frage, wie eine soziale Beziehung überhaupt entsteht: Diese Frage bildet offensichtlich einen »blinden Fleck« jeder Netzwerkanalyse. Mit anderen Worten: Wie erfolgt Sinnstiftung, wenn eine soziale Beziehung noch nicht etabliert ist? Sinnstiftung in dieser Situation ist, wie schon gezeigt wurde, eine der zentralen Herausforderungen des Wirtschaftens: eine Beziehung als Vertrauensbeziehung (Kundenbeziehung, Kreditbeziehung etc.) zu etablieren, i.e. unter Ungewissheit (über den potenziellen Partner) zu handeln. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, nicht nur die schon bestehenden Relationen im Markt zu analysieren, sondern auch die Prozesse der Erzeugung von Relationen und hiermit von Märkten. Hiermit ist auch die Frage verbunden, wie eine soziale Beziehung überhaupt verstanden und konzipiert werden kann. Diese Fragen nach der Entstehung und Dynamik der sozialen Beziehungen sollen im Zentrum weiterer Entwicklung des methodologischen Relationismus stehen: Nur dann hat diese Methode eine Chance auf eine breitere Anwendung, auch im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften. Diese Methode soll in der vorliegenden Arbeit als Weg angezeichnet werden, der mit der Anerkennung des Sinnbegriffs als einen der zentralen Begriffe des Ökonomischen einhergeht, als Weg, der das Denken in Relationen ermöglicht. Im weiteren Verlauf der Arbeit sollen die aufgestellten Fragen nach der Entstehung und nach der Dynamik der sozialen Beziehungen, die auch als solche erst einmal zu definieren sind, mit dem Kategorieapparat der Sozialphilosophie untersucht werden, um den Prozessen der Sinnstiftung im Sozialen weiter nachzugehen. Die sozialphilosophischen Kategorien des Dritten und des Fremden erscheinen besonders geeignet dafür zu sein.
Die Rolle des Dritten und Beziehungsbeziehungen Die dieser Arbeit zugrunde gelegte Sozialphilosophie versteht eine soziale Beziehung als eine Beziehungsbeziehung, eine Beziehung in Anwesenheit/Abwesenheit des Dritten.23 Erst in Anwesenheit/Abwesenheit
23 Vgl. K. Röttgers: Wirtschaftsphilosophie, S. 119. Siehe ausführlich zu der Rolle des Dritten K. Röttgers: Kategorien, S. 245ff. sowie T. Bedorf: Dimensionen. 143
DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
des Dritten betrachten sich Ego und Alter nicht als bloße Gegensätze, sondern als sich in einer Beziehung befindliche Elemente; sie können sich dann als solche beobachten und analysieren. »Der Dritte unterscheidet sich nämlich vom weiteren Anderen dadurch, dass er nicht eine zusätzliche Beziehung eröffnet, d.h. nur ein anderer Anderer wäre, sondern, dass er eine Beziehung zu einer Beziehung zu einem Anderen unterhält.«24 Er leistet die Einbettung einer Zweierrelation in das Soziale, indem er Beziehungen zu den Beziehungen herstellt: Eine Beziehungsbeziehung ist nicht isoliert. Als Beispiel kann die schon erwähnte »Wir-Beziehung« bei Alfred Schütz erwähnt werden: Eine umweltliche soziale Relation entsteht, indem Subjekte gleichzeitig mit einer dritten Sache bzw. einer dritten Person beschäftigt sind, und, so fügt Knorr Cetina hinzu, dafür müssen sie nicht unbedingt eine räumliche Nähe haben. Der Dritte muss auch nicht unbedingt eine Person sein: Konstitutiv für das Soziale und den Sinn kann auch eine Beziehung zu einem dritten Objekt sein, wie es im Fall von zwei Tradern und einem Handelsprogramm im Computer, das gemeinsam benutzt wird, auf dem Finanzmarkt ist. Besonders ausgeprägt ist eine sozialphilosophische Position, die die Rolle des Dritten unterstreicht, in den Werken von Georg Simmel und Michel Serres vertreten. Auf die Werke von Georg Simmel wurde im Verlauf dieser Arbeit schon einmal Bezug genommen, als die Schlüsselrolle der sozialen Wechselwirkungen für den Bereich des Ökonomischen erläutert wurde. Generell verband Simmel (1968) die Beantwortung der sozialphilosophischen Frage »Wie ist eine Gesellschaft möglich?« mit der Konzeption der vergesellschaftenden Wechselwirkungen: »Es handelt sich um die Prozesse der Wechselwirkung, die für das Individuum die [...] Tatsache bedeuten, vergesellschaftet zu sein.«25 Vergesellschaftung wird als ein dynamischer Prozess des Herausbildens einer Einheit, einer Verkettung der Individuen, als ein Geschehen der Verknüpfung und der Auflösung der wechselwirkenden Beziehungen zwischen den Beteiligten verstanden. Es geht um den Bereich des Zwischenmenschlichen, der nicht intendiert von den Individuen hergestellt wird (»Das Bewusstsein, Gesellschaft zu bilden, ist [...] nicht in abstracto dem Einzelnen gegenwärtig.«26), sondern unausweichlich entsteht. Unausweichlich bedeutet, »dass jeder Augenblick uns von Beziehungen zu Menschen umfasst fin-
24 K. Röttgers: Wirtschaftsphilosophie, S. 119. 25 Georg Simmel: Soziologie: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, 5. Aufl., Berlin: Duncker & Humblot 1968, S. 24. 26 Ebd., S. 23. 144
DIE THEORIE DES ÖKONOMISCHEN ALS EIN TEIL DER SOZIALPHILOSOPHIE
det und sein Inhalt von diesen direkt oder indirekt bestimmt ist.«27 Der Bereich des Zwischenmenschlichen als ein »Geschehen« ist flüchtig, er stabilisiert sich nie endgültig – und dafür sorgt der Dritte. Simmel schaffte den paradigmatischen Übergang von der Dyade als einer interindividuellen Beziehung zur Triade als einer Gruppe, die durch die Beziehung eines Dritten zu einer Zweierbeziehung entsteht. »Erst der Dritte spannt die Wechselwirkungen zu einer Gruppe und damit zur Gesellschaft in nuce auf, weil die Struktur der Gruppe sich von den Individuen unabhängig machen kann.«28 Eine Gruppe ist auf die Präsenz eines bestimmten Dritten nicht angewiesen, während die Dyade sofort zu existieren aufhört, sollte eines ihrer Elemente weg brechen. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Triade stabiler ist als eine Zweierbeziehung: Eine Gruppe wird durch die Anwesenheit oder Abwesenheit des Dritten ständig in Unruhe gehalten. Simmel betrachtete den Dritten nicht als bloßen »Vermittler einer Polarität«, sondern als eine paradigmatische Figur, die starre Strukturen einer Harmonie, aber auch eines Konflikts aufbricht und gleichzeitig neue Möglichkeiten eröffnet.29 Der Dritte unterhält eine Beziehung zu einer (Zweier-)Beziehung, die erst als solche bestimmt wird, indem die an ihr Beteiligten die Störung abwehren und/oder über sich selbst als Paar reflektieren. Eine solche Rolle eines Dritten können zum Beispiel für ein Ehepaar ein Kind oder ein Liebhaber erfüllen. Es sei dabei darauf hingewiesen, dass in einer Beziehungsbeziehung die Stelle eines Dritten rotieren kann: Es muss nicht unbedingt ein Liebhaber ein Dritter sein, sondern es kann eine betrogene Ehefrau durchaus als ausgeschlossener Dritte betrachtet werden. Ebenso können Mutter und Tochter eine Beziehung bilden, aus der der Vater als Dritter ausgeschlossen wird etc. So gesehen verfügen Triaden als Wechselwirkungen bei Simmel über eine Dynamik, die einen momenthaften Charakter hat: Sie sind »keine stabilen Gebilde, sondern Fragmente einer entstehenden Sozialität, über deren Verfestigung noch nicht entschieden ist«30.
27 Ebd., S. 26. 28 T. Bedorf: Dimensionen, S. 118. Es sei an dieser Stelle betont, dass Simmel nicht konsequent das Soziale ausgehend von einer Beziehungsbeziehung konzipierte. Bei T. Bedorf finden sich Hinweise darauf, dass Simmel soziale Beziehungen auf den Begriff des Individuums stützt und bei der Konzeption doch vom Primat der Zweierbeziehung ausging. Für die vorliegende Arbeit ist aber die Anerkennung der Rolle des Dritten für die Konstitution des Sozialen, die Simmel geleistet hat, zentral (vgl. T. Bedorf: Dimensionen, S. 129 ff.) 29 Vgl. T. Bedorf: Dimensionen, S. 150 ff. 30 Ebd., S. 148. (Die Kursivierung im Original wurde nicht übernommen) 145
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Die Instabilität einer rotierenden Triade wird insbesondere in der Theorie des Dritten von Michel Serres (1981) hervorgehoben: Es findet eine ständige Verschiebung der Positionen in einer Triade statt. Serres betrachtete eine parasitäre Relation als grundlegende Konstellation des Sozialen: Der Dritte als Parasit etabliert eine nutznießende Beziehung zu einer Beziehung, er profitiert von einer Relation der zwei Anderen, indem er die Unmittelbarkeit dieser Zweierbeziehung verhindert. Er stört eine Zweierbeziehung zum Beispiel in ihrem Kommunikationsprozess, indem er die Botschaften verändert, Geräusche produziert etc. Serres ließ vor den Augen des Lesers eine parasitäre Kaskade entstehen: An jede Beziehungsbeziehung schließt ein weiterer Parasit an, die parasitären Strukturen beziehen sich aufeinander. So entsteht ein Bild des Sozialen, dessen Grundstruktur triadisch ist: Jedes Dreieck ist allerdings mit einem weiteren verbunden. »Mit Michel Serres [...] könnte man sogar vermuten, dass wir wirklich zu zweit sind nur in Anwesenheit des (eingeschlossenen oder ausgeschlossenen) Dritten.«31 Das bedeutet, dass jede Beziehung ständig gestört wird. Der Dritte bedeutet aber eine Störung, »die jedoch nicht als eine Unterbrechung einer gelingenden reinen Beziehung zwischen Zweien, sondern als ein notwendiges Element eines kommunizierenden Systems gedacht wird.«32 Der Dritte ist eine Störung mit stabilisierendem Charakter. Diese Stabilisierung angesichts einer Störung ist die Sinnstiftung. Mit der Figur des Dritten lässt sich die Sinnstiftung im Sozialen in ihrer Komplexität abbilden. Eine Dyade könnte theoretisch in einer Harmonie oder in einem Konflikt erstarren, nur eine ständige Präsenz eines eingeschlossenen bzw. ausgeschlossenen Dritten unterbricht diesen Zustand. Wenn zum Beispiel Vertrauen in einer Zweierbeziehung verletzt wird, scheint es von einem individualistischen Standpunkt unmöglich, diese Beziehung weiter zu führen. Es ist aber möglich und manchmal ratsam, einen Dritten zur Lösung eines Konflikts mit einzubeziehen. Dieser Dritte ist zunächst unparteiisch, so Luhmann (1984), jede Seite wird aber versuchen, ihn für sich zu gewinnen: »Die Instabilität der Ausgangslage, des reinen Widerspruchs, wird zum Teil, aber eben auf andere Weise, wiederhergestellt. Das einfache Umkehrungsverhältnis von Nutzen und Schaden wird modifiziert durch die Frage, unter welchen Bedingungen der Dritte zu gewinnen sein wird. Vom Gegner kann man nur Nachteiliges erwarten, so viel ist sicher; aber der Dritte kann über seinen Beitrag zum Konfliktsystem noch disponieren, und er kann, um Einfluss zu gewinnen, eine Weile im Unklaren lassen, unter welchen Bedingungen er sich 31 K. Röttgers: Autonomes und verführtes Subjekt, S. 73, Fußnote 7. 32 T. Bedorf: Dimensionen, S. 330. 146
DIE THEORIE DES ÖKONOMISCHEN ALS EIN TEIL DER SOZIALPHILOSOPHIE
in welchem Sinn entscheiden wird. Die Wiedereinführung von Erwartungssicherheit in den Konflikt schafft speziell für dieses System Strukturbildungsmöglichkeiten, neue Kontingenzen, neue Chancen der Selektion.«33
Der Dritte erhöht erst einmal die Unsicherheit: Er ist genauso eine »black box« wie ein Ich und ein Anderer, und es ist unklar, was von ihm zu erwarten ist. Es ist dann notwendig, nicht nur über den Anderen, sondern auch über den Dritten Erwartungserwartungen zu bilden und vielleicht auch über die Erwartungen des Anderen über den Dritten etc. Dies ist eine sehr komplexe Aufgabe, welche die Beteiligten einer Zweierbeziehung dazu zwingt, sich mit der neuen Lage auseinander zu setzen, zu kommunizieren und dadurch neue Möglichkeiten zu erschließen. Daraus wird ersichtlich, was mit der Behauptung gemeint wird, dass ein Dritter für eine soziale Beziehung konstitutiv ist. Er konstituiert eine Beziehung, indem er neue Instabilitäten schafft und Möglichkeiten ihrer vorläufigen Stabilisierung eröffnet. Er regelt eine Beziehung nicht von außen, sondern schafft Bedingungen für ihre Existenz. Der Dritte stellt hiermit ein notwendiges Element des Sinnprozessierens im Sozialen dar: Er reduziert einerseits die Komplexität, andererseits stellt er sie wieder her. Der Dritte leistet »die Wiedereinführung der Ungewissheit in die Mechanismen ihrer Absorption«34 und konstituiert hiermit das Soziale. Mit der Einführung des Dritten wird für den Bereich des Sozialen der Gedanke wiederholt, dass für das Existieren einer Beziehung, eines Systems eine Störung, eine Unterbrechung notwendig ist. »Das Zulassen des Parasitären heißt zuzulassen, dass nicht alles in Ordnung ist; denn es gibt kein System, das perfekt wäre [...] Überall gibt es Risse in der Ordnung, überall Ungleichgewichte, Disparitäten. Die Störung gehört zum System. Ja mehr noch, nur ein System mit Störung ist überhaupt ein System.«35
Oder in Worten von Serres: »Die Abweichung gehört zur Sache selbst, und vielleicht bringt sie diese erst hervor.«36 Bei jedem Gespräch, auch einem Dialog, so Serres, ist ein ausgeschlossener Dritter dabei, der als Hintergrundgeräusch oder direkte Unterbrechung das Gespräch stört und ermöglicht.
33 N. Luhmann: Soziale Systeme, S. 540. 34 D. Baecker: Organisation, S. 38. 35 K. Röttgers: Kategorien, S. 261. Dies ist die Übertragung auf das Soziale der kybernetischen Ideen wie »order from noise«. 36 Michel Serres: Der Parasit, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1981, S. 28. 147
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Mit Luhmann lässt sich resümieren: »Insofern lebt der Sinnprozess von Störungen, nährt sich von Unordnung, lässt sich durch Rauschen tragen und erfordert für alle technisch präzisierten, schematisierten Operationen ein ›ausgeschlossenes Drittes‹«37. Der Dritte setzt die Sinnstiftungsprozesse in Gang, ist ihr notwendiges Element. Die Idee der konstitutiven Funktion der Störung und der Ungewissheit ist für eine Wirtschaftstheorie, zumindest in ihrer traditionellen Ausprägung, nicht selbstverständlich. Störung ist in der klassischen Ökonomik keine Normalität, sondern eine unerwünschte Unterbrechung, die durch die Marktkräfte bekämpft wird. Störung ist ein Ausnahmezustand, der die lang andauernden Phasen der Stabilität unterbricht; tritt sie auf, wird ein Gleichgewicht dann aber zügig wieder hergestellt. So argumentierte Samuelson: »Positions of unstable equilibrium, even if they exist, are transient, not persistent states and hence on the crudest prohibility calculation would be observed less frequently than stable states.«38 Und er fügte hinzu: »How many times the reader had seen an egg standing upon its ends?«39 Wenn Wirtschaften allerdings als soziales Sinnprozessieren begriffen wird, ist der Verzicht auf die Vorstellung der Stabilität als Normalität notwendig. Dieser Gedanke ist schon in der systemtheoretisch orientierten Ökonomik zu finden: Wirtschaften kann sich nicht auf die stabile Lage eines Gleichgewichts orientieren, sondern braucht Störungen und Unordnung. In der Terminologie der Sozialphilosophie bedeutet diese Erkenntnis: Eine soziale wie auch eine wirtschaftliche Beziehung kann nur als eine Beziehungsbeziehung konzipiert werden, die dadurch aufrechterhalten wird, dass ein anwesender bzw. abwesender Dritter sie stört und ermöglicht. Der Dritte wird als eine beständige Unterbrechung gedacht, die zu den Transformationen der bestehenden Beziehungen und Ordnungen führt. Mit der dadurch entstehenden Komplexität wird in den Sinnstiftungsprozessen so umgegangen, dass Anschlüsse immer möglich sind. Der Dritte steht für keine radikale Störung: Als Parasit ist er daran interessiert, dass die Beziehungen, an die er andockt, weiter bestehen, also anschlussfähig bleiben. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es in der Wirtschaftstheorie schon Versuche gibt, mit der Figur des Dritten zu arbeiten; zum Beispiel wird ein Unternehmer als Dritter konzipiert. Solch ein Verständnis des Unternehmertums findet sich bei Roland Burt (1995) und Lars Immerthal (2007). 37 N. Luhmann: Soziale Systeme, S. 123. 38 Paul A. Samuelson: Foundations of Economic Analysis, Cambridge: Harvard University Press 1947, S. 5. 39 Ebd. 148
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Burt bezog sich explizit auf die Figur des Dritten bei Georg Simmel, obwohl sein Konzept des Unternehmertums sehr stark der parasitären Relation von Serres ähnelt: Ein Unternehmer verbindet nach Burt zwei Netzwerkteile, die voneinander profitieren können (»two non-redundant contacts«), und erzielt eben als Dritter von dieser neuen Verbindung seinen Gewinn. Der Unternehmer als Dritter ist »Tertius gaudens«: der Dritte, der profitiert40. Er spielt zwei Konkurrenten oder zwei Kunden zum eigenen Vorteil aus. Als Beispiel kann die Situation der Verhandlungen zwischen Verkäufer und Käufer dienen: Wenn es zwei oder mehr Interessenten für ein Produkt gibt, kann der Verkäufer sie gegeneinander so ausspielen, dass ein höherer Preis erreicht wird als bei einer Verhandlung mit nur einem Nachfrager.41 »The tertius plays conflicting demands and preferences against one another, building value from their disunion […] When you take the opportunity to be the tertius, you are an enterpreneur in the literal sense of the word – a person who generates profit from being between others.«42 Auch bei Immerthal ist der Unternehmer als Dritter »eine besondere Position innerhalb einer parasitären Kommunikationsstruktur«43, ein Transformationsraum in einem Netzwerk. Ein Unternehmer verfügt über besondere Verzweigungs- und Vernetzungskompetenzen, die ihm Möglichkeiten eröffnen, das Neue zu generieren, zu beobachten und zu kapitalisieren. Ein Unternehmer ist sowohl bei Immerthal als auch bei Baecker (1999) ein »Lückensucher«, der bei seinen Beobachtungen immer versucht, eine Lücke, eine unbesetzte Leerstelle in den bestehenden Beziehungen zu erkennen, um davon zu profitieren. Als ein anderes Beispiel für die Rolle des Dritten auf dem ökonomischen Bereich kann Luhmanns Konzeption des Geldes dienen (s. Abschnitt 6.5): Geld, und dies gilt für alle Symbole, ermöglicht eine wirtschaftliche Beziehung von Ego und Alter, indem es eine prinzipielle Differenz zwischen ihnen überbrückt. Es hält diese Beziehung auch aufrecht, ohne die Verschiedenheit der beiden Seiten aufzuheben. Für die vorliegende Arbeit ist es aber wichtig, nicht die einzelnen Möglichkeiten der Anwendung der Figur des Dritten in einer Wirtschaftstheorie zu eruieren, sondern auf die prinzipielle Rolle dieser Kategorie der Sozialphilosophie für die Theorie des Ökonomischen hinzuweisen. Die Kategorie des Dritten ermöglicht, Wirtschaften nicht bloß als eine Sonderform des sozialen Handelns zu bezeichnen, sondern auch 40 R. Burt benutzt hier eine Form des Dritten bei Simmel (vgl. G. Simmel: Soziologie, S. 82ff.). 41 Vgl. R. Burt: The Social Structure, S. 87. 42 Ebd., S. 90ff. 43 L. Immerthal: Unternehmer, S. 346. 149
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darüber zu theoretisieren. Sie erlaubt, eine soziale Beziehung nicht als eine isolierte Zweierrelation, sondern als eine Beziehungsbeziehung, als ein dynamisches Grundelement des Sozialen zu konzipieren, das die Reduktion und Aufbau der Komplexität gewährleistet. Eine Beziehungsbeziehung bietet sich dann als eine analytische Grundeinheit für die Theorie des Ökonomischen an, die Wirtschaften als soziales Sinnprozessieren begreift, die sich nicht an einen stabilen Zustand orientiert sowie Unterbrechungen und Störungen als Normalität in die Modelle einbaut. Eine Beziehungsbeziehung kann als Grundlage für die weitere Ausarbeitung des methodologischen Relationismus dienen, genauso wie ein Individuum Grundlage für den methodologischen Individualismus ist. Es muss aber angemerkt werden, dass mit der Kategorie des Dritten ein wichtiger Aspekt der Konzeption des Sozialen unberücksichtigt bleibt: Der Dritte erlaubt nicht, die Entstehung und Entwicklung des radikal Neuen, eine radikale Störung im Sozialen darzustellen. Diese Aufgabe erfüllt in der Sozialphilosophie die Kategorie des Fremden.
Die Kategorie des Fremden Mit der Kategorie des Fremden wird eine weitere Steigerung bei der Darstellung der sozialen Komplexität möglich: Wenn mit dem Dritten die bloße Gegenseitigkeit von Ego und Alter überstiegen wird, indem ihre Beziehung zueinander durch die Beziehung zu einem Dritten konstituiert wird, wird mit dem Fremden eine Position im Sozialen eingeführt, die mit der Position des Anderen und des Dritten nicht gleichzusetzen ist. Die Unterscheidung zwischen dem Fremden einerseits und dem Anderen und dem Dritten andererseits wurde in der sozialphilosophischen Tradition nicht immer vollzogen. Die Analyse verlief meistens wie zum Beispiel bei Georg Simmel (1968, »Exkurs über den Fremden«), Alfred Schütz (1972b, »Der Fremde«) oder Robert Park (1974) nach dem folgenden Schema: In eine etablierte geschlossene Gemeinschaft dringt ein Fremder ein, der von anderswo kommt. Zentral ist der Moment der Überschreitung einer Grenze, zuerst einmal einer räumlichen (staatlichen) Grenze. Die Situation wurde entweder wie bei Simmel von der Seite der aufnehmenden Gemeinschaft, die mit einem länger bleibenden Besucher oder Wanderer konfrontiert wird, oder wie bei Park und Schütz von der Seite des Fremden selbst, der Anpassungsschwierigkeiten hat, beschrieben. Der Fremde besitzt eine merkwürdige Stellung: Er ist »unter uns« und gleichzeitig ausgegrenzt. So schrieb Simmel:
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»Das Fremdsein ist [...] eine ganz positive Beziehung, eine besondere Wechselwirkungsform; die Bewohner des Sirius sind uns nicht eigentlich fremd [...], sondern sie existieren überhaupt nicht für uns, sie stehen jenseits von Fern und Nah. Der Fremde ist ein Element der Gruppe selbst, [...] ein Element, dessen immanente Gliedstellung zugleich ein Außerhalb und Gegenüber einschließt.«44
Trotzdem ist die Beziehung zwischen den Einheimischen und dem Fremden eine Form der Wechselwirkung: Den Fremden kann man nicht ignorieren, man wird von ihm beeinflusst. Dieser Einfluss ist deswegen prägnant, weil der Fremde die in der aufnehmenden Gesellschaft bestehenden Normen und Werte nicht teilt und daher die Ordnung stört. Er strebt aber an, so Schütz, die eigenen Normen und Werte so anzupassen, dass er sich integrieren kann. Es wird unterstellt, dass er sein Fremdsein, wenn auch mit Schwierigkeiten, überwinden kann. So verstanden ist der Fremde bloß ein ganz anderer Anderer: Dies ist aber eine Nivellierung der Kategorie des Fremden und mindert ihre Bedeutung im Wesentlichen. Es wird außerdem nicht die Frage gestellt, woher der Fremde überhaupt kommt und wie diese Figur konstituiert wird. Zentral ist zu erkennen, dass der Fremde nicht unbedingt für die bestehenden sozialen Beziehungen äußerlich ist. Der Fremde ist von dem Eigenen nicht getrennt zu denken: Waldenfels behauptet sogar, der Fremde und das Eigene wären gleich ursprünglich45. Der Fremde entsteht im Eigenen, so Röttgers (2002b), »in Prozessen der Enteignung und Entfremdung«46. Die eigene Sphäre wird durch die Konstruktion eines Fremden markiert. Sie wird definiert, indem überprüft wird, ob bei den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft bestimmte Merkmale vorhanden oder nicht vorhanden sind. Das Nichtvorhandensein dieser Merkmale als Negation eigener Möglichkeiten wird die Enteignung genannt. »Diese negierten Möglichkeiten werden aber nicht abstrakt nur negiert, sondern sie werden ausgegrenzt und jenseits der Grenze rekombiniert zur Figur des Fremden«47. Die das Fremde bestimmenden Merkmale werden gesellschaftlich vermittelt: Es sind häufig die Normen und Regeln, denen man in der eigenen Sphäre folgt. Eine andere Hautfarbe, eine fremde Sprache etc.
44 G. Simmel: Soziologie, S. 509. 45 Siehe die ausführliche Argumentation dazu in Bernhard Waldenfels: Das Zwischenreich des Dialogs: Sozialphilosophische Untersuchungen in Anschluss an Edmund Husserl, Den Haag: Nijhoff 1971. 46 K. Röttgers: Kategorien, S. 303. 47 Ebd., S. 305. 151
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sind oft bloß ein Grund zu unterstellen, dass den anerkannten Normen nicht gefolgt wird. Das Fremde entsteht im Eigenen, da die schon bestehenden Beziehungen und Strukturen der eigenen Sphäre in ständige Bewegungen und Verschiebungen inbegriffen sind. Diese Verschiebungen sind keine Resultate bewusster Akte, sondern Ergebnisse der Anwendungsprozesse der Normen und Regeln in der eigenen Sphäre selbst. So ist »der Fremde« von Albert Camus (1961) für die Gesellschaft nicht deswegen fremd, weil er dieser Gesellschaft von draußen zugestoßen ist, die Normen und Regeln nicht kennt etc., sondern weil er in seinem Verhalten von den Normen ständig abweicht, sie anders interpretiert und »verwendet«: Die Gesellschaft toleriert sein abweichendes Verhalten nicht und grenzt ihn zu der Figur des Fremden aus. Meursault ist letztlich derjenige, »der immer da war, aber – am Schluss des Romans – gehen muss.«48 Er symbolisiert Verschiebungen und Abweichungen, aus denen in einer scheinbar monolithischen eigenen Sphäre das Unbekannte, das Neue, i.e. das Fremde entsteht. Prozesse der Konstitution des Fremden haben viel mit einem Akt der nachträglichen Sinnstiftung gemeinsam: Das sind Prozesse der Auseinandersetzung mit den Überraschungen, mit den radikalen Störungen der Ordnung, die mit bekannten Regeln, Typisierungen etc. nicht zu erfassen sind, die in die bestehenden Schemata nicht passen. Mit der Figur des Fremden wird in dem Konzept des Sozialen eine radikale Unterbrechung zugelassen. Dieser Bruch kann nicht immer überbrückt werden; es sind nicht unbedingt weitere Anschlüsse möglich, obwohl nach ihnen gesucht wird: Die bestehende Ordnung wird hinterfragt, ihre eigentliche Möglichkeit wird angezweifelt, indem die Möglichkeit des Scheiterns in Aussicht gestellt wird, was aber gleichzeitig neue Wege des Sinns eröffnet. Es geht um die dekonstruktive Position im Sozialen: Das Fremde als radikaler Bruch, als Unsinn wird nicht mehr ausgeschlossen (ignoriert), sondern als produktiver und konstitutiver Bestandteil des Sinnprozesses erkannt. Dadurch wird jede Erfahrung, die man mit dem Fremden macht, ambivalent: Diese Erfahrung »erscheint als bedrohlich und verlockend zugleich [...] Bedrohlich ist sie, da das Fremde dem Eigenen Konkurrenz macht, es zu überwältigen droht; verlo-
48 Stephan Moebius: Simmel lesen: Moderne, dekonstruktive und postmoderne Lektüren der Soziologie von Georg Simmel, Stuttgart: ibidem 2002, S. 77. 152
DIE THEORIE DES ÖKONOMISCHEN ALS EIN TEIL DER SOZIALPHILOSOPHIE
ckend ist sie, da das Fremde Möglichkeiten wachruft, die durch die Ordnungen des eigenen Lebens mehr oder weniger ausgeschlossen sind«49.
Auf jeden Fall ist der Fremde nie der Sphäre des Eigenen gleichgültig: Er steht mit ihr in einer Wechselwirkung und repräsentiert in einer radikalen Form die Ungewissheit, die jeder Wechselwirkung als Grundeinheit des Sozialen inhärent ist. Der Fremde stiftet Unruhe, mit der umgegangen werden muss. Er stellt, so Waldenfels (1999), einen Anspruch, auf den geantwortet werden muss, und in dieser Responsivität bestehen die Wechselwirkungen mit dem Fremden. Im Umgang mit dem Fremden ist es notwendig, »von der Beunruhigung [...] auszugehen. Das Fremde wäre das, worauf wir antworten und zu antworten haben, was immer wir sagen und tun.«50 In den Prozessen der Konstitution des Fremden im Eigenen sowie in den Wechselwirkungen mit dem Fremden verknoten sich Sinn und Unsinn: Das Fremde als radikaler Bruch in der eigenen Sphäre stellt einen Unsinn dar, der mit Sinn ständig koexistiert. »Die Aufforderung des Fremden hat keinen Sinn, und sie folgt keiner Regel, vielmehr provoziert sie Sinn, indem sie vorhandene Sinnbezüge stört und Regelsysteme sprengt.«51 Unsinn setzt Sinn voraus und umgekehrt. Dies ist der Grund, warum alle Versuche, den Unsinn in Sinn zu »überführen«, die Kluft zwischen dem Eigenen und Fremden mit den bekannten Mitteln (wie Rationalität, kommunikative Vernunft etc.) zu schließen, das Fremde anzueignen, scheitern müssen. Trotzdem herrscht oft die Vorstellung, dass ein angemessener Umgang mit dem Fremden in der Aneignung, die »vielfach als Synonym für ›Erkennen‹, ›Erlernen‹ oder ›Befreiung‹ gebraucht wird«52, also in dem Verstehen besteht. Die verstehende Aneignung setzt sich zum Ziel, das Unbekannte auf das Bekannte (das Verständliche) zurückzuführen, in erprobte Schemata und Typisierungen einzuordnen und Ordnung wieder herzustellen. Sinnstiftung (als Übergang von Unsinn zu Sinn) wird dann als eine gewisse Normalisierung, Stabilisierung und Angleichung mit dem bereits Bekannten verstanden, als Bemühung, die Grenze zwischen dem Eigenen und Fremden so zu verschieben, dass das Fremde nicht mehr fremd ist und dem Bereich des Eigenen angehört.
49 Bernhard Waldenfels: Topographie des Fremden, 2. Aufl., Frankfurt/Main: Suhrkamp 1999, S. 44. 50 Ebd., S. 51. 51 Ebd., S. 52. 52 Ebd., S. 49. 153
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Diese Bemühungen der Aneignung des Fremden haben aber etwas Paradoxes an sich: Wenn der Fremde verstanden oder angeeignet ist, ist er gar nicht mehr fremd, er ist nicht mehr unbekannt, geheimnisvoll und verführerisch. Die Unruhe, die der Fremde stiftet, wäre samt seiner gesamten Existenz erloschen.53 Eine Aneignung des Fremden ist einfach unmöglich. Das Fremde als etwas radikal Neues, als eine Innovation »bewegt sich zwischen entstehenden und bestehenden Ordnungen. Der Übergang selber gehört weder der alten noch der neuen Ordnung an, weil jene nicht mehr, diese noch nicht gilt und eine übergreifende Ordnung, die den Übergang regeln würde, ausgeschlossen ist, wenn Ordnungen alternativ auftreten.«54
Dieser eigentümliche Zwischenstatus des Fremden schließt aus, dass es in das Bekannte transformiert wird: Es ist mit dem Bekannten verknotet, entsteht auch dort als eine Abweichung von den existierenden Mustern, als ihre Umformung, stellt einen Vorgriff in die Zukunft vom Standpunkt des Bestehenden dar, kann aber seine Übergangsposition nie loswerden. »Das Paradox der Innovation liegt darin, dass sie etwas voraussetzt, das sie erneuert. Sie bricht mit der Vergangenheit, indem sie sie fortsetzt, und setzt sie fort, indem sie den Gang der Dinge unterbricht.«55 Unsinn kann sich also vom Sinn nie endgültig lösen, lässt sich auch nie mit ihm angleichen. Für die Sinnstiftungsprozesse im Sozialen ist dies eine zentrale Erkenntnis: Die Sinnstiftung kann nicht nur als eine Einordnung der neuen Phänomene in die bestehenden Wissensstrukturen verstanden werden, als eine bloße Ordnungsfunktion, sondern eher als ein Oszillieren zwischen dem Bestehenden und dem Entstehenden, zwischen Sinn und Unsinn. Es geht bei der Sinnstiftung also nicht darum, Unsinn zu eliminieren, was auch unmöglich ist, da Unsinn mit Sinn verknotet ist, sondern um die Bewegung im Grenzbereich zwischen dem Eigenen und dem Fremden. »Der Sinn [...] ist stets der Unsinn, den man lässt«56, und Sinn-
53 Es würde zum »Verlust des Fremden« kommen: vgl. Kurt Röttgers: »Der Verlust des Fremden«, in: Kurt Röttgers/Peter Koslowski (Hg.), Transkulturelle Wertekonflikte: Theorie und wirtschaftsethische Praxis, Heidelberg: Physica Verlag 2002, S. 1-26. 54 B. Waldenfels: Stachel, S. 100. 55 Ebd., S. 96. 56 Odo Marquard: Apologie des Zufälligen, Stuttgart: Reclam 1986, S. 33. Es ist auch ein Grund für den Eindruck, dass immer mehr Neues entsteht. Nein, es wird immer mehr Neues konstruiert, immer mehr Unsinn zu Sinn gemacht oder für Sinn erklärt. Oder anders formuliert: Ein immer größerer Anteil von Unsinn wird zugelassen. 154
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stiftung ist hiermit eine Zulassung des Unsinns in den sinnhaften Strukturen. Eine Zulassung des Unsinns, ein Verzicht auf die Aneignung des Fremden erfordern eine andere Form des Umgangs mit dem Fremden als Verstehen: Den Fremden, so Waldenfels, kann man nicht verstehen, von ihm kann man aber Erfahrung machen. Bei Waldenfels wird die Fremderfahrung als »Form einer eigentümlichen Antwortlogik, die dem Fremden seine Ferne belässt«57, verstanden. Als Beispiel für diese Form kann erneut die Metapher dienen, die ein Sich-Anverwandeln an das Fremde darstellt, ohne dem Fremden seinen Übergangsstatus zu nehmen. Die Metapher ist eine Form der unstillbaren Vermittlung zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen Sinn und Unsinn. Sie greift auf das Bestehende zurück, wendet es aber auf eine unbekannte Art und Weise an. Sie stellt eine besondere Art des Tuns dar, indem das Eigene sich ein Stück entfremdet, ohne sich dem Fremden zu unterwerfen. Der Moment der Anwendung und des Tuns ist für jede Fremderfahrung zentral: Mit dem Neuen kann man nur umgehen, indem man mit ihm etwas tut: »es hilft [...] keine Wiedererinnerung, sondern nur das Tun selbst, ein versuchendes Tun, das buchstäblich kein Ziel hat.«58 Dieses Tun nannte Waldenfels »ein Zusammenwirken mit Fremdem«59. Im Sinn seiner Responsivitätsphilosophie geht es um eine produktive (performative) Form des Antwortens auf die Aufforderung des Fremden: »Berücksichtigen wir die Möglichkeit, dass im Antworten nicht bloß ein bereits existierender Sinn wiedergegeben, weitergegeben oder vervollständigt wird, sondern dass Sinn im Antworten selbst entsteht, so stoßen wir auf das Paradox einer kreativen Antwort, in der wir geben, was wir nicht haben.«60 Waldenfels hat den Umgang mit dem Fremden als einen performativen Prozess verstanden, wie er im Abschnitt 8.2 als Sinnstiftung im Sozialen, als »Konkreativität«, als »Mit-Schaffen« eines Werks, als Verfertigung der Gedanken im Gespräch diskutiert wurde. So erhalten die Gedanken der performativen Sinntheorie durch die sozialphilosophische Kategorie des Fremden eine unmittelbare Relevanz für den Bereich des Sozialen: In der Fremderfahrung wird ein Überschuss an Sinn geschaffen, der unser Reden (auch Antworten) immer übersteigt. Im Prinzip geht es bei dem Umgang mit dem Fremden um die in Bezug auf das Vertrauensproblem bereits beschriebene Situation der Parasozialität: Man findet sich einem unbekannten potenziellen Partner oder einem neuen Produkt gegenüber. In dieser Situation sind Voraussetzun57 58 59 60
B. Waldenfels: Topographie, S. 52. B. Waldenfels: Stachel, S. 97. Ebd., S. 64. B. Waldenfels: Topographie, S. 53. 155
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gen und Folgen des eigenen Handelns unbekannt; keine rationalen oder sonstigen Regeln können angewandt werden; es kann nicht entschieden werden. Trotzdem sieht man sich gezwungen zu handeln – zu antworten. Um in der Situation der Parasozialität zu handeln, gibt es keinen anderen Weg als eine Erfahrung von dem Fremden zu machen: Man stellt sich selbst auf eine bestimmte Art und Weise dar, fingiert eine Interaktion mit dem Fremden, tut so, als ob man die bestehende Situation mit ihm identisch definiert, wartet seine Reaktion ab, interpretiert sie, missversteht, da nur bekannte (eigene) Regeln benutzt werden, und antwortet wieder. In diesem »Zusammenspiel zwischen Frage und Antwort«61 kann aus einer parasozialen eine soziale Beziehung, eine Beziehungsbeziehung entstehen – dies kann aber auch scheitern. Der Umgang mit dem Fremden ist eine Sinnstiftung im Sozialen par excellence. Mit der Kategorie des Fremden lässt sich also eine Dynamik im Sozialen abbilden, die für das Konzipieren des Wirtschaftens als soziales Sinnprozessieren von erheblicher Relevanz ist. Einerseits wird das radikal Neue in dem Theoriedesign zugelassen, das nicht bloß als ein Zustand, ein neues Produkt etc. verstanden wird, sondern als ein Übergang zwischen dem Bekannten und Neuen, zwischen Sinn und Unsinn. Andererseits wird das Neue mit Hilfe der Kategorie des Fremden als soziales Phänomen konzipiert. Die Figur des Fremden fordert von der Wirtschaftstheorie einen Abschied vom Denken in stabilen Zuständen: Gleichgewicht ist zum Beispiel ein Zustand, in dem keine Veranlassung zur Veränderung besteht. Es ist allerdings vom Standpunkt der Sozialphilosophie nicht korrekt, das soziale und das wirtschaftliche Geschehen als eine Bewegung von einem Punkt der Stabilität zum nächsten zu konzipieren, als eine Kette stabiler Zustände (Gleichgewichte), weil es unmöglich ist, stabile Punkte auszumachen: In jedem Zustand finden Verschiebungen statt, es entsteht Unsinn im Sinn. In der Standardökonomik wird aber »die [...] Annahme, dass ein System ohne äußere Störungen sich ständig verändert und nicht zu einem Gleichgewicht und damit zu einer Stabilität gelangt, [...] ausgeklammert.«62 Diese Annahme soll vom Standpunkt der hier entwickelten Theorie des Ökonomischen aufgegeben werden. Außerdem fordert die Einsicht in die »Gleichberechtigung« von Sinn und Unsinn die Zulassung von Paradoxien in den Wirtschaftswissenschaften: »Statt Unsinn auszutreiben, sollte folglich das Bewusstsein für Paradoxien geschärft werden, also für den stets mitproduzierten Un61 B. Waldenfels: Stachel, S. 64. 62 Klaus Heinemann: »Zur Problematik von Gleichgewichtskonzepten in den Sozialwissenschaften«, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft 27 (1976), S. 327-341, hier S. 332. 156
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sinn.«63 Sinnstiftung bedeutet keine Entparadoxierung, sondern Umgang mit Paradoxien, in dem die letzten bestehen bleiben. Dieser Gedanke ist einer traditionellen, an einer eindeutigen (optimalen) Entscheidung orientierten Ökonomik prinzipiell fremd. Sie möchte Paradoxien auflösen, was aber per definitionem unmöglich ist: »Correcting errors and logical deficiencies does not actually resolve any paradoxes: it merely shows that no paradoxes existed in the first place«64; mit anderen Worten: Paradoxien sind immer paradox. Mit dem Konzipieren des Wirtschaftens als Sinnprozessieren geht auch die Erkenntnis einher, dass das ökonomische Leben das Leben mit Paradoxien und Dilemmata darstellt, mit den Problemen eben, die grundsätzlich nicht gelöst werden können. Zusammenfassend sei erwähnt, dass die Kategorien der Sozialphilosophie – der Dritte, der Fremde, die Beziehungsbeziehung – die Wege zur Erfüllung der am Schluss des ersten Teils der Arbeit formulierten Anforderung öffnen, über die Sinnstiftung im Sozialen in ihrer Komplexität und Dynamik zu theoretisieren. Mit Hilfe dieser Kategorien wird Sinnstiftung als ein sozialer, d.h. ein in den sozialen Beziehungen stattfindender Prozess verstanden, wobei er nur ausgehend von diesen Beziehungen und nicht von einer autonomen Einheit konzipiert werden kann. Die Figuren des Dritten und des Fremden lassen die sozialen Interdependenzen abbilden, die der Analyse des wirtschaftlichen Geschehens zugrunde gelegt werden müssen.
Die Zeitdimension der Sinnstiftung in der Ökonomik In diesem Kapitel soll die Frage analysiert werden, wie die Umstellung der Theorie des Ökonomischen auf Sinnprozessieren dem adäquaten Konzipieren der Ungewissheit beitragen kann. Bisher wurde zum Problem der Zeit in dieser Arbeit folgende Festgestellung getroffen: Traditionell wird Wirtschaften als rationales menschliches Handeln konzipiert, das unter den Gesichtspunkten von Prognose und Kontrolle untersucht wird. Zentral für das Erklären und Prognostizieren der ökonomischen Phänomene ist die Entscheidungssituation, in der sich ein autonomes Subjekt vor einer Wahl zwischen gegebenen Alternativen findet. In dieser Situation entscheidet sich das 63 K. Röttgers: Wirtschaftsphilosophie, S. 127. 64 William H. Starbuck: »Surmounting Our Human Limitations«, in: Robert E.Quinn/Kim S. Cameron (Hg.), Paradox and Transformation: Toward a Theory of Change in Organisation and Management, Cambridge, Massachusetts: Ballinger Publishing Company 1988, S. 66. 157
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Subjekt für die beste Alternative, d.h. auch: Es handelt rational, denn diese Entscheidung maximiert seinen Nutzen. Sinnstiftung wird in dieser Situation als ein nachträglicher Prozess der Rekonstruktion einer ZweckMittel-Relation verstanden, denn eine Entscheidungssituation, in der Zwecke und Mittel zu ihrer Erreichung eindeutig identifizierbar sind, kann als solche nur ex post definiert werden. Es ist prinzipiell unmöglich, solch eine Situation ex ante zu bestimmen, weil sich die bloßen Kenntnisse über die Vergangenheit und die Gegenwart dafür nicht eignen. Dies formulierte Baecker so: »Auf künftige Operationen lässt sich aus vergangenen und gegenwärtigen Operationen nur sehr bedingt schließen. Denn, das ist das Fatale, der Geschichte eignet in der Wirtschaft keine determinierende Bedeutung. Der Bruch mit der Vergangenheit wird täglich und stündlich erneuert. [...] Ständig sind im Grunde unentscheidbaren Situationen wie auch immer minimale Entscheidungen abzugewinnen, deren Konsequenzen tendenziell unabsehbar sind.«65
Die zukünftigen Zustände sind immer kontingent (sie »sind nicht ›real‹, sondern lediglich ›möglich‹«66). Prospektives soziales Handeln – und Wirtschaften ist so ein Handeln – geschieht unter Ungewissheit, wenn der Alternativenraum undefinierbar ist, weil man ständig nicht nur mit graduellen Veränderungen (Transformationen, die man prinzipiell erwarten kann, da sie nach den bekannten Regeln geschehen), sondern auch mit dem Eintritt des radikal Neuen (einer vorher unvorstellbaren, absolut unerwartbaren Alternative) rechnen muss. Die sozialen Beziehungen sind eine unauslöschbare und unberechenbare Quelle der Ungewissheit. Bei dieser Ungewissheit handelt es sich nicht um einen Mangel an Informationen, die helfen könnten, eine klare Entscheidungssituation doch herzustellen: Der Wirtschaftsakteur weiß angesichts der ständigen Immanenz des Neuen im Sozialen nicht, welches Wissen ihm fehlt, um rational handeln zu können. Er kann diesen Mangel an Wissen auch nicht durch die Zurechnung der objektiven oder subjektiven Wahrscheinlichkeiten den zukünftigen Zuständen überbrücken, weil unter anderem diese Zustände unbekannt sind. Es handelt sich beim Wirtschaften um Situationen unter prinzipieller Ungewissheit, die nicht in Situationen unter Unsicherheit oder Risiko transformiert werden können. Eine wirtschaftliche Theorie soll imstande sein, der radikalen Kontingenz des ökonomischen Handelns Rechnung zu tragen. Diesem Anspruch kann der Rational-choice-Ansatz nicht genügen, weil er in Situa65 D. Baecker: Information und Risiko, S. 200. 66 B. P. Priddat: Risiko, Ungewissheit und Neues, S. 109. 158
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tionen unter Ungewissheit versagt: Er kann kein zukunftorientiertes Handeln erfassen, da er ex post argumentiert. Aus diesem Grund kann eine rückblickende Wirtschaftstheorie keine zutreffenden Prognosen produzieren, obwohl dies einen ihrer zentralen Ansprüche darstellt. Es ist daher ein Konzept des sozialen Handelns notwendig, das ermöglicht, nicht nur über die nachträgliche Rekonstruktion der Handlungsgründe, sondern auch über die Gegenwart und die in ihr stattfindenden Vorgriffe in die Zukunft zu theoretisieren, also: über die »Appräsentation« des Vergangenen und des Zukünftigen gleichzeitig. Es geht um ein Konzept, das in seiner Zeitdimension ermöglicht, die Frage zu beantworten: »Wie wird das Mögliche zum Gegebenen?« So ein Konzept stellt Sinnstiftung dar. Bei Luhmann wurde Sinn mit Bezug auf Husserl als eine Appräsentation, eine »Mitvergegenwärtigung«67 von Vergangenheit und Zukunft konzipiert. Sinn ist nach Luhmann ein Verweisungszusammenhang zwischen dem Aktuellen und dem Möglichen: Im Lauf der Unterscheidungsoperationen ereignet sich Sinn, die Welt wird »zum Gegebenen«. »Der Augenblick – hier folgte Luhmann Husserl – ist das, was er ist, nur durch Retention und Protention, also durch Bezugnahme auf Vergangenes und Zukünftiges. Das Gegenwärtige ist präsent nur, indem es das Nichtgegenwärtige appräsentiert. Das Wirkliche ist real nur im Horizont der ausgeschlossenen Möglichkeiten, auf die es zugleich als Potentialitäten verweist [...] Sinn entsteht also durch die Anwesenheit dessen, was im jeweils Aktuellen abwesend und ausgeschlossen ist.«68
Durch diese ausgeschlossenen Möglichkeiten, durch einen ständigen Verweis auf sie wird die Gegenwart zum »blinden Fleck« jeder Beobachtung. Ein Wirtschaftsakteur wird nie adäquat beobachten und darüber entscheiden können, was gerade passiert. Trotzdem ist dies der zentrale Anspruch von jedem Wirtschaftenden: Er muss auf die Trends reagieren, die gerade entstehen, gleichzeitig Produkte entwickeln und herstellen, also in diesem »blinden Fleck« agieren. Die Ökonomik hat die Erfassung des »blinden Flecks« der Gegenwart als Problem bisher ignoriert. Sie hat nämlich als eine ex post argumentierende Wissenschaft kein Instrumentarium, die ausgeschlossenen Möglichkeiten zu berücksichtigen: Für sie sind Weltzustände immer »gegeben«, »real«, »wirklich«, was mit Hilfe bestimmter theoretischer Verfahren wie der Erwartungsbildung oder der Formulierung von 67 N. Luhmann: Einführung , S. 232. 68 S. Krämer: Sprache – Sprechakt – Kommunikation, S. 170. 159
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Handlungsentwürfen erreicht wird. Die Wirtschaftswissenschaftler analysieren im Rückblick, wie Akteure in der Vergangenheit mit der Zukunft umgegangen sind, z.B. welche Erwartungen sie bildeten, welche Ziele sie verfolgten. Sie analysieren, wie Akteure eine Situation konstruierten, die zu bestimmten Entscheidungen führte, so dass das Geschehen für das Resultat einer Optimierung (einer optimierenden Entscheidung) ausgegeben werden kann. Dadurch hat die Ökonomik das Mögliche (die Kontingenz) aus ihrer Sphäre ausgeschlossen: Im Rückblick sind alle Handlungsalternativen und ihre Folgen bekannt. So kann das Neue als Potenzialität in dem ökonomischen Theoriedesign nicht berücksichtigt werden, weil eben das, was beim Neuen gesucht wird, nicht »gegeben« sein kann. Wenn die Theorie des Ökonomischen von der Nutzenoptimierung auf die Sinnstiftung umstellt, eröffnet sich für sie die Möglichkeit, über die Gegenwart nicht als eine »gegebene« Vergangenheit, sondern als eine Appräsentation des Vergangenen und Zukünftigen zu theoretisieren. Hiermit gerät der »blinde Fleck« der Gegenwart in den Fokus der Überlegungen, wird zum zentralen Problem der Theorie. Die Gegenwart ist dann nicht »gegeben« und »wirklich«, sondern eine Appräsentation des bis jetzt ausgeschlossenen Möglichen. So bedeutet zum Beispiel schon bei Schütz die Sinnstiftung das Denken in modo futuri exacti, also eine Vorerinnerung, eine »Vergegenwärtigung« der Zukunft. Bei der Umstellung auf die Sinnstiftung wird die strenge Trennung zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen aufgegeben. Hiermit kann das Mögliche ein Bestandteil der ökonomischen Theorie werden: Dadurch »dass Sinn immer eine Appräsentation [...], eine Mitvergegenwärtigung von anderen Möglichkeiten in dem konkreten Akt erfordert«, wird erkannt: »Das Wirkliche und das Mögliche sind [...] nicht separate Sphären.«69 Das Mögliche entsteht (durch die Unterscheidungen) im Wirklichen, das Neue im Alten, das Fremde im Eigenen, der Unsinn im Sinn. Dabei ist das Mögliche nicht unbedingt bloß das Zukünftige, sondern kann auch auf die Vergangenheit bezogen werden: Die Möglichkeiten, die in der Vergangenheit nicht realisiert wurden, beeinflussen die gegenwärtigen Möglichkeiten genauso wie bestimmte in der Vergangenheit realisierten Varianten. Dazu gibt es genug Beispiele aus dem Wirtschaftsleben: So kann ein Unternehmen Verluste wegen der Nichtbeachtung von Trends erleiden, wie es im Fall von Leica war, als das Unternehmen die Entwicklung der Digitalfotografie zu lange missachtet hat. Oder ein Unternehmen versperrt sich nach umfangreichen Investiti-
69 N. Luhmann: Einführung , S. 232. 160
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onen aufgrund der hiermit verbundenen langjährigen Kapitalbindung weitere Investitionsmöglichkeiten in der Zukunft. Sinn erlaubt die Fokussierung auf den zentralen Moment des Wirtschaftens: Der Erfolg hängt beim Wirtschaften davon ab, wie gut Prozesse, die im »blinden Fleck« ablaufen, erkannt werden. »Business managers regularly extrapolate from the past to the future but often fail to recognize when conditions are beginning to change from poor to better or from better to worse. They tend to identify turning points only after the fact. If they were better at sensing imminent changes, the abrupt shifts in profitability that happen so often would never occur.«70
Obwohl dieses Erkennen der aktuell stattfindenden Veränderungen selten gelingt, ist es unglaublich, wie viel Kraft und Energie beim Wirtschaften auf die Ermöglichung dieses Erkennens verwendet wird. So sind die Bemühungen der Analysten und der Portfoliomanager auf den Finanzmärkten ausschließlich auf der rechtzeitigen Identifizierung der Wendepunkte in der Entwicklung der Firmen, in die investiert wird, konzentriert. Wenn es gelingt, die positiven oder negativen Veränderungen früher als »der Markt« zu erkennen, macht man Gewinne. Auch die Produzenten auf den Gütermärkten sind größtenteils damit beschäftigt, neue Trends als Anfänge der Geltung des aktuell entstehenden Neuen aufzuspüren, was nur bedingt gelingen kann, denn das Neue stellt an sich den absoluten »blinden Fleck« jeder Beobachtung dar, es kann im Moment seines Entstehens nur verkannt werden. Wichtig ist, dass die Umstellung auf die Sinnstiftung nicht nur erlaubt, den »blinden Fleck« der Gegenwart als Appräsentation in den Fokus der ökonomischen Theorie zu stellen, sondern auch über die dort verlaufenden sozialen Prozesse zu theoretisieren. So wurde Sinnstiftung im Lauf der Auseinandersetzungen mit den poststrukturalistischen, performativen und praxistheoretischen Sinnbegriffen als Kokreativität verstanden, in denen »die Zukunft«, »die Realität«, »das Gegebene« in einem gemeinsamen performativen Tun unintendiert entstehen. Sie entstehen in der Anwendung des Bestehenden als eine Art Bastelei, als Responsivität, eine unaufhörliche Vervollständigung der Gedanken und Gegenstände beim Reden und Tun. In diesem performativen jetzigen Tun erfolgt die Appräsentation des Vergangenen
70 Peter L. Bernstein: Against the Gods: the Remarkable Story of Risk, New York: John Wiley & Sons 1996, S. 221. Hervorhebungen – E.S. 161
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und Zukünftigen: Es geschieht etwas, während gehandelt, geredet, entschieden wird; es geschieht etwas, was die Bedingungen einer eigenen Geltung mitschafft. Dieser Moment der Sinnstiftung, nämlich die Fokussierung darauf, dass etwas im jetzigen Tun entsteht, spiegelt eine Besonderheit von Sinn wider, die ein enormes theoretisches Potenzial für die Ökonomik besitzt: Es wird möglich, die in dem »blinden Fleck« der Gegenwart stattfindenden Prozesse des gleichzeitigen Erzeugens und des Umgangs mit dem Erzeugten zu erfassen. Man kann mit Weick wiederholen: »To engage in sensemaking is to construct, filter, frame, create facticity.« Sinnstiftung ist keine bloße Orientierung in den Situationen mit Ungewissheit, verstanden als individueller Rückblick, sondern Aufbau und Reduktion der Komplexität, Konstruktion und Benennung, Erzeugen und Rezipieren der Realität im performativen praktischen Tun, ein Oszillieren zwischen dem Entstehenden und Bestehenden, zwischen Unsinn und Sinn.
Beispiele der Anwendung der sinnorientierten Theorie des Ökonomischen Jetzt soll an einigen Beispielen demonstriert werden, wie die zentralen Fragestellungen der Wirtschaftswissenschaften vom Standpunkt der hier vorgeschlagenen Theorie des Ökonomischen anders als in der Standardökonomik analysiert werden können. Es handelt sich dabei um die Probleme der Präferenzgenese und der Erklärung der Märkte sowie um zentrale Begriffe der ökonomischen Theorie wie »Entscheidung« und »Wandel«. Zum Schluss wird eine Beziehungsbeziehung »Produzent – Konsument – Ware« als Beispiel für eine elementare Analyseeinheit im Gütermarkt dargestellt.
Die Präferenzgenese Die in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagene Theorie des Ökonomischen erlaubt anders über die Genese der Präferenzen zu theoretisieren. Präferenzen sind keine bloße »Gegebenheiten«: Sie entstehen, während man handelt, wählt, Lösungen für Probleme sucht etc., also während man im Hier und Jetzt wirtschaftet. Wenn zum Beispiel ein Wirtschaftsakteur ein Geschäft betritt, um eine Armbanduhr zu kaufen, hat er oft gar keine Präferenzordnung. Er hat nur einige Aspekte im Kopf, auf die er beim Kauf achten wird:
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»Die Armbanduhren sind aus ›Aspekten‹ zusammengesetzt; darin ist die Gebrauchsfunktion ›Chronometer‹ nur ein Aspekt unter anderen [...] Andere Aspekte sind der Repräsentanz- oder Statuswert der Uhr, differenziert nach (a) Markennamen, (b) Edelmetallausstattung und (c) dem Design [...] Wenn nun der Käufer nicht auf einen dominanten Aspekt ausgerichtet ist (zum Beispiel nur auf eine bestimmte Marke etc.), hängt die effektive Entscheidung davon ab, was ihm tatsächlich vorgelegt wird.«71
Sogar wenn man beim Betreten des Ladens ganz bestimmte Alternativen im Kopf hat, kann diese Liste ständig durch den Akt des Vorlegens anderer Produkte verändert werden. Es können auch neue Aspekte in Betracht kommen, auf die man vor dem Beginn des Wahlakts nicht geachtet hat. Der potenzielle Käufer unterscheidet, kombiniert, vergleicht, betrachtet, tastet und kommuniziert (mit dem Verkäufer oder mit dem begleitenden Partner). »Erst eine aktuelle Komparation des aktuellen Angebotes ermöglicht einen Aspektenvergleich, der vorher, wegen seiner schillernden Komplexität, gar nicht stattfinden kann (oder zumindest nicht stattzufinden braucht). Der Käufer findet seine Präferenzen erst beim Entscheiden, da er einzelne Aspekte kannte, nicht aber die aktuellen Lösungen der Aspektenkombination, die ihm z.B. das Design vorführt.«72
Erst in einer Praktik des Kaufens, die unter anderem eine Praktik des Entscheidens ist, entstehen Alternativen und Präferenzen. Sie (auch die Alternative »nicht zu kaufen«) werden in der Konkreativität des Verkäufers und des Käufers geformt und vervollständigt. Wichtig ist dabei zu betonen, dass die neuen Alternativen und Präferenzen nicht unbedingt Resultat einer externen Störung wie »technischer Fortschritt«, »Marktinnovation« sind, sondern einer wirtschaftlichen Situation des Kaufens endogen sind: Sie entstehen in ihr selbst aus den ständigen Sinnverschiebungen im Gebrauch der Entscheidungs-, Vergleichs- und Kommunikationsregeln. Eine genauso wichtige Rolle für die Genese der Präferenzen spielen die Praktiken des Gebrauchs eines Produkts. Gebrauch kann mit de Certeau als eine besondere Art der Produktion dargestellt werden, als Bastelei, die sich einem Repertoire von Waren bedient und dabei neue Verbindungen zwischen ihnen und ihren Eigenschaften schafft, i.e. ihren Sinn verschiebt; dadurch können neue Bedürfnisse, Alternativen und Produkte entstehen. Die Waren sind »nicht mehr nur ausschließlich als 71 B. P. Priddat: Risiko, Ungewissheit und Neues, S. 120. 72 Ebd. 163
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Gegebenheiten zu betrachten«73, »nicht mehr die Grundlage unserer Berechnungen, sondern ein Wortschatz ihrer Praktiken«74: Entscheidend ist, was der Konsument mit den Waren und aus ihnen macht, wie er neue Funktionen und Anwendungsmöglichkeiten für sie entdeckt und wie in diesen Prozessen neue Alternativen ihres Gebrauchs und hiermit neue Präferenzen entstehen. Eigenschaften, die ein Konsument in den Prozessen des Gebrauchs modifiziert und die seine Präferenzen beeinflussen, sind nicht nur technischer, sondern auch sozialer Natur: Bestimmte Güter erlangen eine soziale Bedeutung und Symbolstatus, unter anderem weil sie von bestimmten Gruppen der Verbraucher in einer bestimmten Form oder eben anders benutzt werden. Prozesse der Entstehung der neuen Präferenzen in den sozialen Wechselwirkungen können mit Hilfe der Figur des Fremden analysiert werden: Einige Mitglieder einer sozialen Gruppe fangen zum Beispiel an, auf den Knien aufgeschlitzte Jeans zu tragen, was zu Beginn als fremd, als Unsinn auch für die Mitglieder derselben Gruppe erscheint. Dabei handelt es sich aber nur um eine andere Art und Weise, um eine andere Praktik Jeans zu tragen. Diese Praktik findet eine Verbreitung, weil sie in den Signifikationsprozessen, in denen sich Unsinn im Sozialen »normalisiert«, zu einem Symbol wird, als »cool«, »in« gilt etc. Das dadurch kreierte Produkt wird zu einer Entscheidungsalternative, die in die Präferenzordnung weiterer Konsumenten aufgenommen wird. Genauso wie der Sinn eines Buches bei der (Praktik einer) Lektüre modifiziert wird, so werden Präferenzen als zugelassener Unsinn in den sozialen »Signifikationspraktiken«75 des Gebrauchs kreiert. »Stille Produktion«76 der Verbraucher, wie de Certeau diese Prozesse der Entstehung neuer Waren und Bedürfnisse nannte, kann nur mit einem Sinnstiftungskonzept und nicht mit einem rationalen Modell beschrieben werden. Hier sind Iterationen, Metaphorisierungen, Kommunikationen, auch performative Akte der Kreation des Neuen im Spiel, die helfen, Bedürfnisse und Präferenzen als Momente der Appräsentation der Erfahrungen und Erwartungen im aktuellen Tun darzustellen.
Entscheidung und Unentscheidbarkeit In der traditionellen Ökonomik wird Entscheidung als Wahl zwischen gegebenen Alternativen nach einer Nutzenmaximierungsregel verstanden. Da aber Bedürfnisse und Präferenzen erst im Prozess des Entschei73 74 75 76
M. de Certeau: Kunst des Handelns, S. 79. Ebd., S. 80. Ebd., S. 21. Ebd., S. 26.
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BEISPIELE DER ANWENDUNG DER SINNORIENTIERTEN THEORIE
dens entstehen, muss man ständig mit dem Auftauchen der neuen Alternativen rechnen, also immer davon ausgehen, dass man sich in einer Situation echter Ungewissheit befindet, in welcher der Alternativenraum unbekannt ist. Streng genommen, ist eine Entscheidung, verstanden als Wahl zwischen gegebenen Alternativen nach einer bestimmten Regel, in einer solchen Situation unmöglich: »Präferenzen, Regeln und Normen sind nicht als (reiner) Ursprung eines Handelns in Anschlag zu bringen, das sie steuern und orientieren, sondern werden im Handeln, in Ansehung der Situation erst ergänzt/gefüllt/modifiziert/ersetzt, also: vollends konstituiert.«77 Alternativen genau wie Entscheidungsregeln sind in einer aktuellen Entscheidungssituation erst im Entstehen begriffen. Die Standardökonomik umgeht dieses Problem, indem sie, wie in den Ausführungen zur Zeitdimension der Sinnstiftung betont wurde, eine Entscheidung nachträglich formuliert. Sie liefert eine Begründung, warum so und nicht anders gehandelt wurde. Eine traditionelle ökonomische Entscheidung kann dann als Instrument und Resultat einer nachträglichen Sinnstiftung begriffen werden, als ein Erklärungsprinzip, das im Lauf der Post-hoc-Rationalisierungen konstruiert wird: »›Decisionmaking‹ is better understood as an explanatory principle created by decision theorists and researchers to help them make sense by providing plausible connections between different aspects of observed behaviour.«78 Das Geschehen wird nachträglich erklärt, indem ihm die Form von Entscheidungen verliehen wird: Es wird so interpretiert, »als ob eine Entscheidung getroffen worden wäre. Man macht sich auf die Suche danach, was dies für eine Entscheidung gewesen sein könnte. Das bedeutet, dass die Situation entscheidungsinterpretiert, nicht entscheidungsgeleitet ist.«79 Die Entscheidung kann nicht als Ursache einer Handlung betrachtet werden, sondern es ist oft umgekehrt: Es wird erst gehandelt, wobei Alternativen, Regeln etc. entstehen, und dann die Entscheidung formuliert. Schon dieses Argument macht die Position der Entscheidung als eines zentralen Erklärungskonstrukts der Ökonomik fraglich. Vertreter der Österreichischen Schule und anderer hermeneutisch orientierter Ausrichtungen überlassen das Konstruieren, das Entwerfen einer Entscheidungssituation den wirtschaftlichen Akteuren, die Alternativen imaginieren und zwischen diesen dann rational entscheiden. Das bedeutet: »Das Handlungssubjekt muss für jede ökonomische Entscheidung angeben können, auf welche Interpretation welcher Welt, dass
77 G. Ortmann: Regel und Ausnahme, S. 142. 78 Robert Chia: »The Concept of Decision: A Deconstructive Analysis«, in: Journal of Management Studies 31 (1994), S. 794. 79 K. E. Weick: Prozeß des Organisierens, S. 278. 165
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heißt welchen Alternativenraumes es sich bezieht.«80 Dies veranlasste zum Beispiel Priddat (1999) die Entscheidungsprozesse als zweistufige zu betrachten: Dem eigentlichen Entscheidungsakt, der mit Hilfe der traditionellen Nutzentheorie dargestellt werden kann, laufen interpretative Prozesse der Alternativengenerierung (d.h. der hermeneutischen Sinnstiftung) voraus, die eine Entscheidung eigentlich bestimmen.81 Entscheidung stellt so gesehen als ein trivialer Akt der Rational Choice den absoluten Endpunkt, »eine finale Fingerübung, ein Appendix an einem intensiven und komplexen Prozess der Alternativengenerierung«82, dar. Vor diesem Hintergrund besitzt sie eigentlich keine Erklärungskraft dafür, was in der Ökonomik geschieht. Außerdem soll angemerkt werden, dass, wie bereits dargestellt wurde, die Prozesse der Definition der Situation nicht in einem isolierten Bewusstsein der Individuen verlaufen, sondern in sozialen und kulturellen Kontexten, die unabschließbar sind. Ständig finden Sinnverschiebungen statt, die relevant werden können, so dass eine eindeutige Entscheidungssituation nicht formuliert werden kann. Es muss dem Moment des Entscheidens und der gleichzeitigen Entstehung der Präferenzen sowie der Regel in diesen Sinnverschiebungen Rechnung getragen werden. In dieser Situation kann die Standardökonomik von keiner Entscheidung reden: Eine Entscheidung ist unmöglich. Trotzdem wird auch in den Situationen mit Ungewissheit, die eigentlich die Mehrheit der ökonomischen Situationen darstellen, entschieden. Aus diesem Grund sollen im Rahmen der Theorie des Ökonomischen Überlegungen angestellt werden, ob der traditionelle ökonomische Begriff der Entscheidung – verstanden als eine Wahl zwischen gegebenen Alternativen – seine zentrale Stellung behalten kann oder modifiziert werden muss. In der Literatur finden sich schon einige Vorschläge, von Entscheidung als Wahl abzusehen und sie eher als »Bestimmung, Zuschreibung, Ernennung, Konstruktion«83 zu konzipieren. Besonders wegweisend erscheint in diesem Zusammenhang der Aufsatz von Chia (1994), in dem die Kreation der Alternativen, der Regeln, überhaupt der »Welt« im Moment der Entscheidung untersucht wird. Entscheidung ist nach Chia 80 B. P. Priddat: Kultur und Ökonomie, S. 199. 81 Vgl. Birger P. Priddat: »›Rational Choice‹ in multiplen Kontexten«, in: Sociologia internationalis, 37/1 (1999), S. 18ff. 82 Ebd., S. 17. 83 B. P. Priddat: Theoriegeschichte, S. 224. Siehe auch Andrew M. Pettigrew:, »Studing Deciding: An Exchange of Views between Mintzberg and Waters, Pettigrew and Butler«, in: Organization Studies 11 (1990), S. 1-16 und James G. March: Decisions and Organisations, Oxford: Blackwell 1988. 166
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ein Moment, in dem »ein Schnitt gemacht wird« (so ist auch der etymologische Ursprung des Wortes »Entscheiden«), oder besser, ein Ausschnitt – ein Ausschnitt aus der Realität. Durch diesen Schnitt wird das Gegebene von dem Nicht-Gegebenen unterschieden. »It is the creating of a primary distinction, a cleavage of an empty space, and an active insertion of a bounding frame. Making ›incisions‹, excising or cutting-out a part from the whole of our phenomenal experiences and then finally making that part ›stand for‹ the whole; this is the essential ontological character of decision-making.«84
Entscheidung wird nicht als Wahl, sondern als eine performative Tätigkeit der Weltkonstruktion, als eine Aktivität verstanden: »Things, events and social entities arise from ontological acts of decision.”85 So gesehen ist Entscheidung ein Moment der Sinnstiftung. So eine Interpretation einer Entscheidung ist mit der hier vorgeschlagenen Theorie des Ökonomischen kompatibel und liefert ein zusätzliches Argument, warum auf die Sinnstiftung umgestellt werden sollte. Da Entscheidungen in historischen, sozialen und kulturellen Kontexten stattfinden, die unabschließbar sind, was auch Chia mehrmals betonte, muss berücksichtigt werden, dass in den Entscheidungsprozessen selten eine eindeutige Situation produziert wird: Es herrscht Ungewissheit und macht die Unentscheidbarkeit zur Voraussetzung einer »echten« Entscheidung: »Nur die Fragen, die im Prinzip unentscheidbar sind, können wir entscheiden«86. Oder wie Ortmann schrieb: »Es ist gerade ein Mangel an Begründung, der uns eine Entscheidung abverlangt.«87 Es ist so, weil die Unentscheidbarkeit zwingt, die Entscheidungen zu suchen, die kein Resultat der inhärenten Logik der Situation sind, die von anderswo kommen. Es handelt sich um die Entscheidungen angesichts einer Paradoxie, einer Situation, in der Unsinn im Sinn entsteht. Ein Beispiel für diese Situation ist die schon mehrmals erwähnte Bastelei. Kann ein Kunde als Bastler entscheiden? Ein Ökonom würde eine solche Behauptung verneinen, weil ein Bastler seine Alternativen nicht kennt, er hat keine vorgegebenen Regeln, er weiß nicht einmal, was er optimieren soll. Ein Bastler kann mit anderen Worten nicht begründen, warum er etwas tut, d.h., er kann nicht entscheiden. Vom Standpunkt einer Theorie des Ökonomischen, die von der Nutzenoptimierung auf die sozialen Sinnprozesse umstellt, trifft ein Bastler 84 85 86 87
R. Chia: Concept of Decision, S. 800. Ebd., S. 796. Heinz von Foerster: KybernEthik, Berlin: Merve 1993b, S. 73. G. Ortmann: Als ob, S. 37. 167
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»echte« ökonomische Entscheidungen, die der inhärenten Logik der Situation nicht folgen: »In Situationen der Unentscheidbarkeit kann nur eine von außen kommende Entscheidung – eine Entscheidung, die jenseits der Logik des diskursiven Systems liegt – die Unentscheidbarkeit überwinden.«88 Die Entscheidungen der Bastler sind »echte« ökonomische Entscheidungen, weil man beim Wirtschaften immer im Zustand der Ungewissheit handelt, wenn nicht genug Wissen und Information da sind, wenn permanent etwas Neues (Unsinn im Sinn) entsteht, so dass eine formale Entscheidung unmöglich wird. In den Worten von Derrida heißt es: »Auch wenn man von der Hypothese ausgeht, dass die Zeit und die Überlegtheit, die Geduld des Wissens und die Meisterschaft unbegrenzt sind, ist die Entscheidung in ihrer Struktur endlich, so spät sie auch getroffen werden mag: dringliche, überstürzte Entscheidung, in der Nacht des Nicht-Wissens und der Nicht-Regelung.«89
Aus diesem Grund soll vielleicht nicht nur das Politische, sondern auch das Ökonomische als das »ensemble of decisions taken in an undecidable terrain«90 definiert werden. Die Unentscheidbarkeit entsteht, weil jede Entscheidung in dem »blinden Fleck« der Gegenwart getroffen wird, wenn die Vergangenheit von der Zukunft unterschieden wird, aber »die Entscheidung selbst ist weder etwas Vergangenes noch etwas Zukünftiges, und sie ist weder die eine noch die andere Seite der Alternative.«91 Jede Entscheidung wird »zwischen« den Alternativen (eine Oder-Entscheidung) getroffen – sie ist auch deswegen keine Wahl im direkten Sinne des Wortes. Luhmann schrieb: Es handelt sich »offensichtlich also nicht um eine oder die andere Seite der Alternative, sondern eben um dies ›oder‹ oder um dies ›zwischen‹. Aber was ist dies ›oder‹, was ist die Form der Alternativität? Sie selbst ist nicht möglicher Gegenstand der Wahl. Man kann sich nicht für das ›oder‹ entscheiden. Offenbar ist das ›oder‹, ist die Form der Alternativität aus dem Bereich möglichen Entschei88 U. Stäheli 2000a, S. 237. 89 J. Derrida 1991, S. 54. 90 Ernesto Laclau: »Power and Representation«, in: Mark Poster (Hg.), Politics, Theory, and Contemporary Culture, New York: Columbia University Press 1993, S. 295. 91 Niklas Luhmann: »Die Paradoxie des Entscheidens«, in: Friedrich Balke/Georg Schwering/Urs Stäheli (Hg.), Paradoxien der Entscheidung: Wahl/Selektion in Kunst, Literatur und Medien, Bielefeld: transcript 2004, S. 21. 168
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dens ausgeschlossen, obwohl (oder weil?) sie ihn konstituiert. Es handelt sich bei der Konstruktion von Alternativität also um den Einschluss des Ausgeschlossenen, um den ›Parasiten‹ im Sinne von Michel Serres.«92
Das Wiedereinschließen von diesem »Zwischen« bedeutet, die Unentscheidbarkeit und die Paradoxien zuzulassen, eine Entscheidung nicht als ein Annehmen von einer bestimmten Seite zu sehen, also nicht als Wahl. Es kann mit Luhmann eine »Umstellung von traditionellen Begründungsvorstellungen (Prinzipien, Gesetzmäßigkeiten) auf Paradoxien«93 gefordert werden, mit anderen Worten »die Entscheidungstheorie selbst von Prinzip auf Paradoxie umzustellen«94. Dadurch wird nicht die Ausweglosigkeit verherrlicht, sondern nach den Wegen des Umgangs mit Paradoxien gefragt. Der Schwerpunkt wird auf die Sinnstiftungsprozesse gelegt als Prozesse des Umgangs mit dem Fremden, Neuen und Paradoxen. Dabei wird nicht auf die Logik, sondern auf die Rhetorik zurückgegriffen, um die Aufmerksamkeit auf ungewohnte Meinungen zu lenken und sie zu kommunizieren95; es ereignet sich »ein Zusammenwirken mit Fremdem«96, das das Fremde und die Paradoxien bestehen lässt. Komplexität wird gleichzeitig auf- und abgebaut – es wird Sinn gestiftet, wo nicht entschieden werden kann, aber entschieden werden muss. Der Umgang mit Paradoxien erfolgt in dem »blinden Fleck« der Gegenwart. Die Fähigkeit des Sinns, die Vergangenheit und die Zukunft zu appräsentieren, diesen »blinden Fleck« in die Theorie einzuführen sowie den alternativen Entscheidungsbegriff dort zu integrieren, macht den Sinnbegriff zum zentralen Begriff des Wirtschaftlichen und verdrängt die traditionelle Entscheidung als Wahl von ihrer Schlüsselposition.
Der Markt als soziales Gebilde Auch für die Konzeption der Märkte im Rahmen der auf die Sinnstiftung orientierten Theorie des Ökonomischen ist der Moment der Appräsentation zentral: Am Beispiel des Konzeptes der Finanzmärkte von Knorr Cetina wurde bereits gezeigt, wie Märkte durch die hier und jetzt ablaufenden Handlungen und Beobachtungen, durch die aktuellen Abbildungen auf den Bildschirmen entstehen. Sie appräsentieren vergangene Erfahrungen sowie Erwartungen über die Zukunft im jetzigen performati92 93 94 95 96
Ebd., S. 19ff. Ebd., S. 42. Ebd., S. 45. Vgl. ebd., S. 23. B. Waldenfels: Stachel, S. 64. 169
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ven Handeln, in einer aktuellen Praxis. Als »Appräsentation«, als »Enactment« entziehen sich die Märkte einer Analyse der traditionellen Ökonomik: Das ist der Grund, warum die traditionellen Wirtschaftswissenschaften sich schwer tun, wenn sie ihren zentralen Begriff »Markt« analysieren müssen. Die hier vorgestellte Theorie des Ökonomischen erlaubt aber nicht nur die Märkte als ein Phänomen der »Appräsentation«, als »Enactment« zu untersuchen und darüber zu theoretisieren, sondern auch die Prozesse der Erzeugung von Marktbeziehungen zu analysieren, wie es Beckert in dem performativen Vertrauenskonzept ansatzweise vorschlug. Sinnkonzepte helfen zu erklären, wie angesichts der Unruhe im Sozialen, der ständigen Rotation, der Konfrontation mit dem Fremden Märkte und das Handeln dort trotzdem möglich sind: Vorübergehende Stabilisierung angesichts einer Störung ist die Sinnstiftung. Sinnkonzepte beschäftigen sich nicht mit den »gegebenen« Strukturen und Netzwerken, sondern mit den Übergängen – vom Alten zum Neuen, von der Parasozialität zur Sozialität. Und der Markt ist ein solcher Übergang. Dieses Verständnis vom Markt geht von den Wechselwirkungen, den Beziehungsbeziehungen aus. Es ermöglicht, den Markt als Gewebe der wirtschaftlichen Relationen von Anfang an zu konzipieren. Märkte werden performativ in den Beziehungsbeziehungen konstituiert, wenn die Wirtschaftsakteure Bezug aufeinander nehmen – in Form der Erwartungserwartungen, wie von der Systemtheorie konzipiert, aber auch durch die eigentlichen Ausführungen von Transaktionen, durch die Konversationen, durch das gemeinsame Erwarten und Beobachten (von den zum Beispiel regelmäßig veröffentlichten Marktdaten). Märkte entstehen, werden aufrechterhalten und zerstört durch die performativen Handlungen der Marktteilnehmer, die keine isolierten Handlungen sind; sie können nur mit Hilfe solcher Konzepte wie »Wir-Beziehung«, »Reaktionspräsenz«, »Responsivität«, »Reziprozität der Orientierungen« abgebildet werden. In diesen Konzepten wird das Moment der Wechselwirkung betont: Nichts kann von einer Seite einer Relation bestimmt und entschieden werden. Anbieter und Konsument, Vertrauensnehmer und Vertrauensgeber beteiligen sich aktiv an dem gleichzeitigen Entstehen und Zerstören der Beziehungen. Sie rotieren, ihre »Rollen« sind nicht festgelegt: So kann ein Konsument, wie später demonstriert wird, zu einem störenden Dritten, zu einem vertrauten Anderen oder zu einem beunruhigenden Fremden werden. Vor diesem Hintergrund ist ein Markt kein stabiles Konstrukt, sondern ein Gebilde, dem »Fragmente einer ent-
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BEISPIELE DER ANWENDUNG DER SINNORIENTIERTEN THEORIE
stehenden Sozialität, über deren Verfestigung noch nicht entschieden ist«97, zugrunde liegen.
Ein anderes Verständnis vom Wandel Auch das traditionelle wirtschaftstheoretische Verständnis des Wandels wird vom Standpunkt einer auf die Sinnstiftung orientierten Theorie des Ökonomischen in Frage gestellt. Dies wurde schon in den Abschnitten über den Dritten und den Fremden angesprochen: Die Ökonomik soll auf ihre Zustands- und Stabilitätsorientierung verzichten, auf die Vorstellung nämlich, dass sich die Wirtschaft überwiegend in einem Zustand des Gleichgewichts befindet und nur durch vereinzelte, externe und seltene Störungen für kurze Zeit aus diesem Zustand gebracht werden kann.98 Diese Störungen werden als Fehler betrachtet, die es zu korrigieren gilt. Nach der Korrektur findet sich die Ökonomie wieder in einem stabilen Zustand des Gleichgewichts. Der Wandel wird hiermit als eine Bewegung von Zustand zu Zustand konzipiert. Auf dieser Vorstellung basieren auch einige neuere ökonomische Modelle wie zum Beispiel der Ansatz des punktualistischen Wandels aus der Organisationstheorie. Er orientiert sich an der Theorie durchbrochener Gleichgewichte aus der Evolutionsbiologie, bleibt aber dem traditionellen Gedanken einer Bewegung von Zustand zu Zustand treu: »Über lange sogenannte ›Konvergenzphasen‹ hinweg befinden sich Organisationen in einem relativ stabilen Zustand. Es finden nur inkrementale Veränderungen statt, die die bestehende strategische Ausrichtung der Organisation festigen. Die Organisation erfährt ferner revolutionäre Veränderungen in seltenen und kurzen Perioden dramatischen, fundamentalen Wandels, die als Reorientierungs- oder Rekreationsphasen bezeichnet werden.«99
97 T. Bedorf: Dimensionen, S. 148. (Die Kursivierung im Original wurde nicht übernommen). 98 Vgl. dazu zum Beispiel Georg Schreyögg/Christian Noss: »Von der Episode zum fortwährenden Prozeß – Wege jenseits der Gleichgewichtslogik im Organisatorischen Wandel«, in: Georg Schreyögg/Peter Conrad (Hg.), Organisatorischer Wandel und Transformation, Wiesbaden: Gabler 2000, S. 40ff. Paradigmatisch ist für die Ökonomik das in dem Abschnitt 5.3.1 besprochene Arrow-Debreu-Modell eines kompetitiven Gleichgewichts. 99 Jürgen Deeg/Jürgen Weibler: »Organisationaler Wandel als konstruktive Destruktion«, in: Georg Schreyögg/Peter Conrad (Hg.), Organisatorischer Wandel und Transformation, Wiesbaden: Gabler 2000, S. 165. Vgl. auch G. Schreyögg/C. Noss: Von der Episode, S. 43ff. 171
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Transformation und das radikal Neue werden nur als seltene Unterbrechungen eines »relativ stabilen Zustandes« betrachtet. Auch wenn die Defizite eines auf ein Gleichgewicht orientierten Konzipierens von Wandel von der Wirtschaftstheorie längst erkannt wurden, konnte allerdings bis jetzt keine tragfähige Alternative gefunden werden, da der Begriff »Gleichgewicht« genauso wie der Begriff »Subjekt« das Theoretisieren im Ökonomischen vorbestimmt. Die zentrale theoretische Herausforderung, vor der die Ökonomik steht, ist das Denken der Beständigkeit des Wandels als Denken davon, was zwischen den Zuständen passiert.100 Es geht um das Endogenisieren von Wandel, um den Verzicht auf die Annahme, dass nur äußere Störungen den Gleichgewichtszustand verändern können. Der wirtschaftliche Wandel ist permanenter Natur. Die Wandelphasen sind keine Bindeglieder zwischen den stabilen Phasen, keine bloß kurzfristigen Anpassungen oder klar definierbaren Vorstufen zu den Momenten der Stabilität. Stabilität im Sinn der Fixiertheit aller Parameter gibt es einfach nicht: »Normales Leben« einer Firma – Kunden gewinnen, neue Produkte entwickeln, Werbung durchführen, auch sich selbst erfinden und kreieren, um konkurrenzfähig zu bleiben101 etc. – bedeutet Wandel. »Die Akteure können niemals hoffen, das Wandelproblem für eine längere Zeitperiode endgültig zu lösen und hierdurch eventuell auch zu beenden.«102 Am Beispiel der technologischen Entwicklung lässt sich zeigen, dass Wandelprozesse keinen klaren Anfang und kein klares Ende haben. »Die Implikationen der Technologie sind nicht vorfixiert, stattdessen sind sie in ihrer Grundperspektive offen. Ebenso wenig ist der Kontext der Endnutzer vorherbestimmt. Die Technologie kann auf unterschiedliche Weise genutzt werden […] Noch nicht einmal die Regeln der Bearbeitung sind vorgeformt, auch sie sind entwicklungsoffen. Diese Prozesse sind eher als eine Kettenreaktion vorzustellen, ein ständig voranschreitendes Unterfangen.«103
100 Vgl. Robert Chia/Haridimos Tsoukas »On Organisational Becoming: Rethinking Organizational Change«, in: Organization Science, 13/5 (2002),, S. 571. 101 D. Baecker (Organisation und Management, S. 199) betonte, »dass Wirtschaft und Unternehmen in jedem Moment neu erfunden werden müssen, weil nichts garantiert, dass es so bleibt, wie es ist. Die Arbeit muss laufend erfunden werden, ebenso der Kunde, das Kapital, der Markt und die Konkurrenz, weil man andernfalls riskiert, Dinge vorauszusetzen, die schon längst nicht vorausgesetzt werden können.« 102 G. Schreyögg/C. Noss: Von der Episode, S. 41. 103 Ebd. 172
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Die ökonomische Dynamik lässt sich eher mit solchen Metaphern wie Ströme, kontinuierliches Fließen beschreiben.104 Weick (1998) schrieb: »Wenn Sie sich vorstellen können, dass sich etwas zwischen zwei Punkten bewegt, und sich dann die zwei Punkte selbst als in Bewegung vorstellen – so sehen die Ströme in Organisationen in etwa aus«105, auch in der Ökonomik. Chia/Tsoukas (2002) wiesen darauf hin, dass traditionell solche Charakteristika des Wandels wie »fluidity, pervasiveness, open-endedness, and indivisibility«106 vernachlässigt werden. Mit anderen Worten, es soll Abschied genommen werden von der klassischen Vorstellung einer Wandelperiode oder eines Wandelprojekts. Überlappungen, Unabschließbarkeit, Interdependenzen der Wandelprozesse konfrontieren die Wirtschaftswissenschaften mit dem theoretischen Problem: Wie lässt sich ein ständiger Wandel endogenisieren? In den Worten von Chia/Tsoukas ist damit gemeint: Wie nähert man sich dem Wandel von innen an? Wie theoretisiert man über den Wandel als einen Strom und nicht als eine Bewegung von Punkt zu Punkt, als einen Spezialfall der Stabilität und Routine? Diese theoretischen Herausforderungen, den Wandel zu endogenisieren, sprengen den kategorialen Apparat der traditionellen Ökonomik. Darauf hat schon Schumpeter hingewiesen, als er sich mit dem Problem beschäftigte, wie eine statische, friktionslose und sich immer auf die gleiche Weise erneuernde Wirtschaft107 in ihrer Stasis dynamisiert werden kann, wie die Wandelprozesse sowie das Neue aus dem Dualismus befreit werden können, gleichzeitig jenseits und diesseits des ökonomischen Bereiches zu sein.108 Auch Chia/Tsoukas schrieben: »It is now realized, across scientific fields, that we are lacking the vocabulary to meaningfully talk about change as if change mattered – that is to treat change not as an epiphenomenon, as a mere curiosity or exception, but to acknowledge its centrality in the constitution of socio-economic life.«109 Diese Aussage gilt in vollem Umfang auch für die Wirtschaftswissenschaften. Die hier vorgestellte Theorie des Ökonomischen eröffnet Wege, den Wandel zu endogenisieren und darüber zu reden. Eine an die Sinnstif104 K. E. Weick: Prozeß des Organisierens, S. 64. 105 Ebd. 106 R. Chia/H. Tsoukas: On Organisational Becoming, S. 570. 107 Vgl. Joseph A. Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung: eine Untersuchung über Unternehmensgewinn, Kapital, Zins und den Konjunkturzyklus, 2., neubearb. Aufl., München: Duncker&Humblot 1926, S. 75ff. 108 Vgl. Caroline Gerschlager: Konturen der Entgrenzung, Marburg: Metropolis 1996, S. 112ff. 109 R. Chia/H. Tsoukas: On Organisational Becoming, S. 569. 173
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tung orientierte Theorie kann nicht von den stabilen Zuständen ausgehend argumentieren. Diese Theorie soll allerdings von den Versuchen der österreichischen Schule, den Wandel als eine von den Wirtschaftssubjekten intendierte Veränderung, als Resultat der Imaginationsleistungen darzustellen, abgegrenzt werden: Im ersten Teil der Arbeit wurde ausführlich dargelegt, warum Wandel genauso wie Präferenzen, der Markt und das Neue nicht als Ergebnis intendierter Sinnstiftung verstanden werden können. Viel versprechend ist in dieser Hinsicht der Sinnansatz von Luhmann, der eine innere Unruhe des Sinngeschehens konzipiert, die das System in Fluss hält und nicht von einem Subjekt ausgelöst wird: Die Vorstellung von der Unhaltbarkeit des Aktualisierungskerns des Sinns erlaubt, einen konstanten Wandel zu denken, der aber nicht das radikal Neue zulässt. Der poststrukturalistische Sinnbegriff ist an die Denkfigur der Iteration, die niemals eine reine Wiederholung ist, gebunden: Sinn ist ständigen Verschiebungen im Gebrauch ausgesetzt, er ist als ein stabiler Zustand nicht zu denken: Regeln, Artefakte, Worte, Produktion werden »in jedem besonderen Handeln nur in der Gestalt spezifischer Modalitäten [...] zur Geltung gebracht [...]: immer wieder anders.«110 Die Fokussierung auf diese Verschiebungen im Sprechen und Tun macht die performativen Theorien besonders hilfreich für das Konzipieren von Wandelprozessen. Auch Chia/Tsoukas haben das performative Modell des Wandels als viel versprechend betrachtet: »Change must be approached from within, as a performance enacted in time.«111 Die oben ausführlich besprochenen Prozesse der Präferenzgenese als performatives Geschehen lassen sich für das Verständnis des Wandelns generalisieren: Da im Sozialen ununterbrochen gehandelt, gesprochen, beobachtet, entschieden wird, finden die Sinnverschiebungen statt, die den Wandel als Transformation oder als Entstehung des radikal Neuen ausmachen. Gleichzeitig wird in diesem Tun, Sprechen, Beobachten und Entscheiden etwas erzeugt (zum Beispiel Markt), was dann in den performativen Akten immer wieder »enacted«, gestört und aufrechterhalten wird. Es geht dabei offensichtlich um keine Reihe von Zuständen, einzelnen Aktionen, sondern um ein »Fließen« des performativen Handelns und Sprechens, um ständige Veränderungen im Gebrauch der Gegenstände, der Regeln in den sozialen Praktiken.
110 Günther Ortmann: Organisation und Welterschließung: Dekonstruktionen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2003b, S. 104. 111 R. Chia/H. Tsoukas: On Organisational Becoming, S. 572. 174
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Die Sozialphilosophie bietet außerdem Kategorien an, um über den Wandel als genuin sozialen Prozess zu sprechen, was für das Wirtschaften, verstanden als soziales Handeln, von besonderer Bedeutung ist. Die Kategorien des Dritten und des Fremden erfordern, auf die Vorstellung der Stabilität als Normalität im Sozialen zu verzichten: Der Dritte stellt eine beständige Störung der sozialen Beziehungen dar; der Fremde steht für die Möglichkeit des radikal Neuen, das bei den Sinnverschiebungen als Unsinn im Sinn entsteht. Insbesondere ist der Moment der Gleichursprünglichkeit, der Koexistenz und daher der theoretischen Gleichberechtigung des Sinns und Unsinns, des Alten und des Neuen, der Ordnung und der Unordnung, des Eigenen und des Fremden für das Konzipieren des Wandels »von innen« wichtig. Wandel lässt sich aus dieser Perspektive nicht als Übergang von der Ordnung (Gleichgewicht) durch Unordnung (Störung) zu einer neuen langfristigen Ordnung (neues Gleichgewicht) verstehen, vom Neuen zum Gewohnten, sondern als Prozess der permanenten Entstehung des Unsinns im Sinn durch Verschiebungen und Störungen in den Beziehungsbeziehungen.
Beispiel: Eine Beziehungsbeziehung »Produzent – Konsument – Ware« Zum Schluss soll die Dreierbeziehung »Produzent – Konsument – Ware« als eine Beziehungsbeziehung, die für den Gütermarkt als eine elementare Analyseeinheit dienen kann, analysiert werden. An diesem Beispiel sollen die oben diskutierten Argumente zusammengeführt werden. Durch die Analyse dieser Beziehung kann deutlich gezeigt werden, wie unfruchtbar es ist, die Handlungen der Produzenten (die Angebotstheorie) und der Konsumenten (die Nachfragetheorie) getrennt zu untersuchen und dabei auf die isolierten Entscheidungen abzustellen wie in der bestehenden ökonomischen Theorie. Eine Analyse der Gütermärkte als »Treffpunkte« von Produzenten und Konsumenten, wo Preise und Mengen der angebotenen bzw. nachgefragten Waren ausgehandelt werden, greift zu kurz: Die Handlungen der Produzenten sind keine bloßen Restriktionen für die Konsumenten, die passiv eine angebotene (»gegebene«) Ware nachfragen. Bei den Untersuchungen der Gütermärkte soll von Anfang an von den Beziehungen in Anwesenheit/Abwesenheit des Dritten ausgegangen werden, wobei nicht vergessen werden darf, dass der Dritte ständig rotiert: Produzent, Konsument und Ware können abwechselnd als Dritter betrachtet werden; der Dritte ist letztlich nur eine Perspektive. Indem man die Beziehungsbeziehungen je nach der ge175
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wählten Perspektive analysiert, untersucht man soziale Prozesse der Entstehung der Präferenzen, der Märkte und des Neuen als Sinnstiftung. Wichtig ist auch zu betonen, dass eine Beziehungsbeziehung keine isolierte Einheit ist, sondern durch die unterschiedlich besetzten Positionen des Dritten in das Soziale eingewoben wird. So ist zum Beispiel die Dreierbeziehung »Produzent – Konsument – Ware« auch dadurch ein Element des sozialen Geschehens am Gütermarkt, weil Produzenten zueinander Beziehungen unterhalten, so dass diese Dreierbeziehung ohne weitere Beziehungsbeziehungen wie »Produzent – Produzent – Ware« sowie »Produzent – Produzent – Konsument« nicht analysiert werden kann. Auch Konsumenten unterhalten Beziehungen zueinander, so dass die Beziehungen »Konsument – Konsument – Ware« und »Konsument – Konsument – Produzent« ebenfalls von Bedeutung sind. Es ist also wichtig anzumerken, dass eine Beziehungsbeziehung nur bedingt und ausschließlich zu Zwecken der Untersuchung als eine Analyseeinheit bezeichnet werden kann, da die Elemente jeder Beziehungsbeziehung in Relation zu Elementen anderer Beziehungsbeziehungen stehen. Eine Beziehungsbeziehung stellt ein Analyseinstrument dar, das immer im Kontext der weiteren Beziehungen betrachtet werden muss. Außerdem soll darauf hingewiesen werden, dass die Position des Dritten auch deswegen nicht festgelegt ist, weil der Dritte zu dem Fremden und der Fremde zu dem Anderen werden kann. Auf diese Metamorphosen wird geachtet, wenn jetzt die Beziehungsbeziehung »Produzent – Konsument – Ware« und die Sinnstiftung in ihr untersucht werden. Konkret bedeutet der Verzicht auf die getrennte Analyse der Handlungen von Produzenten und Konsumenten die Einsicht in die Tatsache, dass ein Herstellungsakt des Produzenten bei weitem nicht so viel in der Wirtschaft bestimmt, wie die traditionellen Theorien es oft unterstellen. So beschäftigt sich eine zentrale Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften – die Betriebswirtschaftslehre – ausschließlich mit den Vorgängen und Entscheidungen in Betrieben. Obwohl natürlich auch dort von Kunden und Erzeugnissen die Rede ist, werden sie ausschließlich von der Perspektive der Produzenten (also Betriebe) analysiert. Ein Unternehmen (oder ein Unternehmer) wird als absoluter Ausgangspunkt des wirtschaftlichen Geschehens betrachtet. An mehreren Beispielen oben wurde bereits demonstriert, dass ein Unternehmer neue Bedürfnisse, Märkte oder Produkte nicht initiieren kann, also eine unternehmerische Idee und ihre Verwirklichung dafür nicht ausreichen. Ein Produzent kann durchaus als ein Fremder auftreten, wenn er etwas radikal Neues herstellt, zum Beispiel ein Mobiltelefon, wenn es bislang nur Festnetztelefone gab. Er stört dadurch die etab-
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lierte Kunden-Ware (Telefon)-Beziehung, hinterfragt grundsätzlich die Praxis des Telefonierens, aber dadurch entsteht noch kein neuer Sinn. Genauso wie im Fall der Schießaktionen von Niki de Saint Phalle wurde durch die bloße Fertigstellung eines mit Farbe und Spagetti und Eier gespickten Reliefs noch kein sinnvolles Objekt geschaffen: Ein solches Objekt ist eigentlich Unsinn. Das Hergestellte wird durch die Anwendung und die nachträgliche Interpretation dieser Anwendung zu einem sinnvollen Objekt; in den sozialen Signifikationsprozessen wird Unsinn als Sinn teilweise zugelassen. Im Fall der Herstellung einer neuen Ware existiert oft weder die Beziehung zu dem Kunden noch eine Ware als solche: Der unternehmerische Erfolg/Misserfolg wird dadurch bestimmt, ob eine Kundenbeziehung entsteht und ob ein hergestelltes Objekt zu einem Gut wird: »›Damit ein Ding zum Gute werde‹, muss nämlich erstens das (heutige oder zukünftige) Bedürfnis erkannt werden, und es muss zweitens erkannt werden, dass das Ding Eigenschaften besitzt, welche es für die Befriedigung dieses Bedürfnisses tauglich machen.«112 Kunden, Waren, Bedürfnisse und Markt sollen in den kreativen sozialen Sinngebungsprozessen noch erfunden, »erwirtschaftet« werden; sie entscheiden als (noch) abwesende Dritte – je nach der Perspektive – über den Erfolg eines Unternehmens. Die Aufgabe eines Unternehmers vor diesem Hintergrund besteht nicht nur darin, ein neues Produkt zu gestalten und herzustellen, sondern auch dieses Produkt in die sozialen Signifikationsprozesse zu stellen, d.h. die Aufmerksamkeit auf es zu ziehen, seine Anwendung zu provozieren, Sinnangebote zu machen, zum Beispiel in Form von Marken. Ein Produzent kann auch sein Gut für die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse anbieten, indem er im Markt Geschichten erzählt, in denen »das Gut als potentiell sinnaufwertendes Ereignis im Leben der Konsumenten«113 dargestellt wird. Ein Unternehmer bietet mit dem Gut die Teilhabe an den Geschichten, an den »Sprachspielen«, an den »linguistic communities«114, aber auch an bestimmten Praktiken, an Formen der Konsument-Ware-Beziehungen an. Dabei kann ein Unternehmer nur Vorschläge unterbreiten. Er kann eine Anwendung oder eine Bedeutung des von ihm hergestellten Produktes vorschlagen, z.B. mit einem Mobiltelefon zu telefonieren, es als Statussymbol, als Accessoire zu betrachten etc. Diese Vorschläge – und 112 Thilo Löwe: Wirtschaften als Erfahrung: Bausteine einer philosophischen Theorie gelingender Ökonomie, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1999, S. 99, mit Bezug auf Menger (1968). 113 B. P. Priddat: Kommunikative Steuerung , S. 343. 114 Vgl. B. P. Priddat: Moral , S. 184ff. 177
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jeder Unternehmer weiß es, da ca. 70 Prozent aller Innovationen fehlschlagen115 – müssen aber von den potenziellen oder existierenden Nutzern nicht übernommen werden. Es handelt sich hierbei um Prozesse, deren Resultat ein Unternehmer nicht intendieren kann, weil sie in der Ungewissheit des Sozialen ablaufen. Er kann nicht allein das Neue, das eigentlich nur ein Übergang von dem Alten zum Unbekannten ist, kreieren, sondern nur die Möglichkeiten dieses Übergangs mitgestalten. Bei der Gestaltung des Übergangs zum Neuen wird die rhetorische Kunst der Überzeugung zentral, auf die McCloskey hingewiesen hat. Es geht um die Anwendung der Metaphern, um die Kunst, auf sich selbst und das eigene Produkt aufmerksam zu machen, die Informationen als relevant erscheinen lassen, sich selbst als Partner darzustellen, obwohl man noch keiner ist. Es geht um die Kunst zu verführen, ohne den Anderen merken zu lassen, dass man es tut.116 Mit diesen Mitteln kann eine performative Fiktion einer schon bestehenden Beziehung erzeugt werden, damit eine reale Kundenbeziehung entsteht (enacted wird). Es handelt sich um die performative Selbstdarstellung eines Unternehmers, um »die konkrete Arbeit an der Erzeugung der Marktbeziehungen«, die sich jedem Zugriff der Rationalität entzieht und nur als soziale Sinnstiftung nachvollzogen werden kann. Unternehmer sind Figuren eines Übergangs, die in einen bestehenden sozialen und kulturellen Kontext eingebunden sind: Deswegen benutzen sie oft die im Markt schon bestehenden Beziehungen, vor allem zwischen den Kunden, um die eigene performative Selbstdarstellung aussagekräftig zu machen, indem sie wie Parasiten von diesen bestehenden Vertrauensbeziehungen profitieren. Sie haben nämlich gemerkt, dass die Effizienz der traditionellen Formen der Werbung, die als einseitige Ansprachen oder unpersönliche Events konzipiert sind, immer niedriger wird. Diese Art von Werbung wird ignoriert, nicht nur wegen
115 Eine genaue Prozentzahl lässt sich nicht feststellen: Sie ist stark branchenabhängig. So findet sich im »Handelsblatt« (Maike Telgheder: »Innovation treibt künftiges Wachstum«, in: Handelsblatt, Nr. 182 vom 20.9.2006, S. b01) einen Hinweis darauf, dass im Marktsegment der Konsumgüter derzeit 70 Prozent aller neuen Entwicklungen scheitern. Im neuesten Buch von Reinhold Bauer »Gescheiterte Innovationen – Fehlschläge und technologischer Wandel« wird eine noch höhere Zahl genannt: 85 Prozent (S. 10). Dabei betrachtet Bauer die Vernachlässigung der Nutzerbedürfnisse als einen der wichtigsten Gründe für das Scheitern der Innovationen. 116 Vgl. Kurt Röttgers: »Der Sophist«, in: Ralf Konersmann (Hg.), Das Leben denken – die Kultur denken, Band 1: Das Leben, Freiburg i. Br.: Karl Alber 2007, S. 145-175. 178
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der Übersättigung mit Informationen oder der Mehrdeutigkeit der Signale, sondern auch wegen der steigenden Unfähigkeit, die Verführung zu retouchieren. Um die Verführung zu verbergen, versuchen die Produzenten das Vertrauen, das in sozialen Gruppen schon besteht, für ihre Marketingbotschaften zu benutzen: Freunde, Familie, Kollegen, Nachbarn sind alle glaubwürdiger als jede Werbekampagne, weil man ihnen bereits vertraut. »In der Terminologie des Faches nennt sich das ›Virales‹ oder ›Epidemisches‹ Marketing [...] Märkte sind Gespräche – und die sind eine sehr persönliche Angelegenheit. Aber man kann Gesprächsstoff liefern. Da kursieren dann – ganz bewusst auf Amateurqualität getrimmte – Videoclips im Internet [...] Weil sie lustig sind oder irgendwie anders als die bekannte Werbung, mailen Benutzer den Clip an Freunde und Bekannte weiter [...] Der Aufmerksamkeitseffekt [...] liegt nicht in der Machart. Es ist der Sender, der glaubwürdige Mensch, der die Botschaft attraktiv macht. Beim Viral Marketing werden die Kunden zu Fürsprechern eines Produkts, das sie gut oder wenigstens originell finden‹.«117
Auch generell durch die Veröffentlichung der Kundenmeinungen, wie zum Beispiel Kundenrezensionen beim Internet-Buchhändler Amazon, wird die Kommunikation der Nutzer und Nachfrager miteinander unterstützt: Die Kunde-Kunde-Beziehungen, zu denen ein Produzent als Dritter auftritt, werden gepflegt und genutzt. Es sei noch einmal betont, dass durch die Bemühungen eines Produzenten, sich selbst als glaubwürdigen Partner sowie das hergestellte Produkt als Gut darzustellen, weder eine Vertrauensbeziehung etabliert wird noch eine Ware entsteht – hierdurch wird lediglich eine Handlungssequenz eröffnet, die dann vervollständigt werden muss. Dies geschieht in der Konkreativität der Produzenten und Konsumenten beim Übergang zum Neuen. An dem Entstehen des neuen Sinns sind die Konsumenten in der Phase des Gebrauchs aktiv beteiligt. Konsumenten setzen sich mit den Produkten auseinander und modifizieren die ursprünglichen, von dem Produzenten angebotenen Bedeutungs- und Anwendungsmöglichkeiten. Es geht um die »stille Produktion« im Sinn von de Certeau. In diesen Prozessen wird ein angebotenes Produkt als eine Ware definiert, bestimmte und vielleicht erst bei der Anwendung entstandene Bedürfnisse werden befriedigt. Auch die Weise der Konsumtion als Praktik wird erst in der Anwendung neu definiert: Wie kocht man, wie isst man etc. »Zwischen das rohe Fleisch und Messer-und-Gabel schiebt sich noch deren Gebrauchs117 Lotter, Wolf, »Nasenbären an der Front«, in: Brand Eins 4 (2006), S. 64ff. 179
DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
weise, die weder durch das Fleisch noch durch Messer und Gabel vollständig determiniert ist.«118 Kochen und Essmanieren sind Praktiken, die sich bei der Verarbeitung der Lebensmittel und bei der Anwendung der Bestecke in situ, im unmittelbaren Vollzug entwickeln. In der Anwendung wird ein unintendierter »Überschuss an Sinn« kreiert. So »gewinnt der Nutzer aus dem vielfältigen Gebrauch der Dinge neue Bedeutungen und Nützlichkeiten, die mit den vom Hersteller implizierten bzw. nahegelegten ›Gebrauchsanweisungen‹ nicht unbedingt identisch sind.«119 Die Sinnangebote der Unternehmer werden in den Gebrauchskontexten modifiziert. Durch die Tätigkeit des Benutzens als die »unmerkliche und listenreiche ›Beweglichkeit‹«120 entziehen sich die Konsumenten dem Zwang der Produzenten. Es finden sich in der Literatur mehrere Beispiele dafür, wie die Sinnangebote der Hersteller in den Anwendungsprozessen in das Gegenteil umgewandelt wurden: Wenn ein für junge Nutzer entwickeltes Automodell vorwiegend von Senioren nachgefragt oder ein Produkt zu anderen als ursprünglich vorgesehenen Zwecken benutzt wird (wie beispielsweise Mobiltelefone zum Versenden von Kurzmitteilungen). Nur unter Berücksichtigung dieser Prozesse kann verständlich gemacht werden, warum Marktteilnehmer überhaupt anfangen, ein neues Produkt nachzufragen. »Das Interesse an Dingen, die Nachfrage nach ihnen und ihre Verwendung entstehen als Funktion einer Vielfalt von sozialen Praktiken und Klassifikationen – weder als mysteriöse Folge der menschlichen Bedürfnisse noch als eine mechanische Antwort auf technisch-ökonomische Manipulationen eines industriellen Kernsystems. Nachfrage, Anwendung, Konsum und Nutzung sind eminent soziale, relationale und aktive Sachverhalte, nicht die passiven Anhängsel eines dominanten technisch-ökonomischen Systems mit Anschlusszwang.«121
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die hier skizzierte Sichtweise des Konsumentenverhaltens, bei dem aktiv mit Produkten umgegangen wird und es zu deren Umwandlungen kommt, an sich nicht neu ist. Schon in der Haushaltsproduktionstheorie von Gary Becker (z.B. 1993, Abschnitt 4.7) wurden Haushalte als Produzenten dargestellt, welche die am Markt gekauften Güter für die Produktion von nutzenstiftenden Aktivitäten gebrauchen. Die Gebrauchspraxis analysiert Be118 G. Ortmann: Organisation und Welterschließung, S. 196. 119 K. H. Hörning: Experten des Alltags, S. 80. 120 M. de Certeau: Kunst des Handelns, S. 86. 121 K. H. Hörning: Experten des Alltags, S. 83. 180
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cker allerdings als ein auf der Grenznutzentheorie und der Gleichgewichtstheorie basierendes Entscheidungsmodell der privaten Haushalte: Haushalte als Konsumenten können isoliert und rational über ihre Produktion entscheiden. In der vorliegenden Arbeit wird allerdings die Meinung vertreten, dass die Konsumenten als Bastler in den Gebrauchsprozessen nicht rational entscheiden, d.h. gemäß einer rationalen Regel wählen können, und dass sich die Praxis dieser »Logik des Entscheidens« prinzipiell entzieht: Es handelt sich nicht um die einseitigen Prozesse der Nutzenoptimierung, sondern um Entscheidungen, die eine Unentscheidbarkeit voraussetzen, um die Sinnstiftung im Sozialen. Wie in einem Herstellungsakt eines Unternehmers noch kein Sinn entsteht, genauso ist ein Anwendungsakt eines Konsumenten dafür nicht ausreichend. Es wäre nicht richtig, diesen Akt als eine absolute Quelle der Innovationen zu betrachten, wie einige Ansätze der Innovationstheorie (»demand pull«-Ansätze) es tun. Eine »unsinnige« Anwendung der Gegenstände führt nicht automatisch zur Entstehung von neuen Bedürfnissen, Praktiken oder Produkten. Die Konsumenten verfügen oft nicht über die technischen Möglichkeiten, ihre »unsinnigen« Wünsche zu realisieren, ihnen fehlt überhaupt das Wissen darüber, was realisierbar ist. Die oben beschriebene Ungewissheit im Sozialen bleibt, so dass kein Konsument das Entstehen einer Praktik oder eines Produkts intendieren kann. Voraussetzung hierfür ist eine Beziehungsbeziehung. Der Konsument als Dritter stört ständig die Produzent-Ware-Beziehung, konfrontiert sie mit immer neuen Anforderungen, Bedürfnissen, Sinnvorschlägen, lässt sie nicht verharren, öffnet dadurch neue Möglichkeiten. Diese Prozesse können allerdings so weit gehen, dass ein Konsument für Produzenten zu einem Fremden wird: Er stört radikal die bestehende Ordnung; der von ihm geschaffene Überschuss an Sinn erscheint als Unsinn, mit dem ein Produzent umgehen, i.e. auf den Anspruch der Konsumenten antworten muss. Die erfolgreichen Unternehmer gehen mit dem Konsumenten als Fremden so um, dass sie ihm seine Fremdheit lassen. Als Beispiel sei die Auseinandersetzung der Musikunternehmen mit Napster und anderen Peer-to-peer-Netzwerken (P2P) erwähnt: Die Konsumenten der Musikproduktion haben einander die Songs im Netz versandt; diese Praktik des Gebrauchs der Musikprodukte führte zur Entstehung der Musiktauschbörse Napster, die für die Musikindustrie, die ihr Business auf Copyrights und Verkauf von CDs basierte, etwas ganz Fremdes darstellte, was ihre Existenz bedrohte: Als Akt der Verteidigung, der auf die Aneignung (Bekämpfung) von diesem Fremden zielte, haben die Musikunternehmen rechtliche Schritte eingeleitet, was letztlich zu einer Schließung von Napster führte. Die neue Praktik des Peer-to-peer-Aus181
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tauschs wurde aber dadurch nicht aus der Welt geschaffen: Es entstanden mehrere alternative P2P-Programme. Apple sah im Gegenteil in diesem Fremden seine Geschäftschance und revolutionierte mit seinen Produkten wie iPod and iTunes den Markt.122 Apple ließ den Unsinn (das Neue) zu und stellte den Konsumenten Instrumente zur Verfügung für die Entwicklung ihrer Bastleraktivitäten, und so wirkte das Unternehmen mit dem Kunden als Fremden zusammen. Genauso bieten Ebay and Google Plattformen an, auf denen Konsumenten ihre eigenen Aktivitäten wie Suchen, Verkaufen etc. entwickeln können. Ebay and Google gehen mit den Konsumenten als Fremden so um, dass sie diese nicht bekämpfen, sondern sich für sie unentbehrlich machen. Die zentrale Rolle der Wechselwirkungen mit den Konsumenten als Dritten und Fremden wird immer mehr von den Produzenten erkannt. Der von den Konsumenten geschaffene Überschuss an Sinn wird von den Produzenten beobachtet: Ein Unternehmer als Dritter, als »Lückensucher« erschließt die in den Praktiken, in einer »Konsument-Ware-Beziehung« entstandenen Modifikationen des Sinns. Diese Modifikationen dienen als Quelle für unternehmerische Ideen, die den rekursiven sozialen Prozessen der Präferenzgenese, der Schaffung der Beziehungen etc. einen neuen Anstoß geben. Kein Produzent kann sich heute erlauben, Nutzerperspektiven und Gebrauchskontexte zu ignorieren. Man versucht sie bereits in die Planung und Entwicklung der neuen Produkte einzubeziehen. Traditionelle akzeptanzfördernde Maßnahmen und Verkaufsstrategien können fehlschlagen, wenn bei der Entwicklung die Anwendungskontexte für die Produkte ungenügend berücksichtigt wurden, Der Erfolg ist unabhängig davon, wie viel Kapital investiert wird. Er hängt von der Einbettung eines neuen Produkts in die sozialen Sinnstiftungsprozesse ab. Ein zentrales Instrument dieser Sinnstiftung sind Geschichten, die im Markt erzählt werden, und zwar nicht nur von den Unternehmen, sondern auch von den Verbrauchern: »The sensemaking process is revealed in the stories that consumers and producers tell each other in published media, such as industry newspapers and consumer magazines.«123 Das heißt, dass auch die Verbraucher über eine Stimme verfügen, die für die Produzenten immer bedeutender wird.
122 Vgl. Jerry Wind/Colin Crook »Changing Mental Models in an Uncontrollable World«, in: Financial Times, March 17 2006, Special Supplement: Mastering Uncertainty, S. 10. 123 José A. Rosa/Joseph F. Porac/Jelena Runser-Spanjol/Michael S. Saxon: »Sociocognitive Dynamics in a Product Market«, in: Journal of Marketing 63 (Special Issue) (1999), S. 64. Hervorhebung – E.S. 182
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Von der Seite der Unternehmen wird die Kommunikation mit den Verbrauchern gefördert und gesucht. Sie wollen erkennen, mit welchen Problemen die Konsumenten beim Verbrauch konfrontiert sind, um gezielt technische Lösungen hierfür zu entwickeln oder bereits bestehende Produkte zu verbessern: Auf den Anspruch des Konsumenten als Fremden wird geantwortet. Man beschränkt sich heutzutage nicht mehr nur darauf, die Wünsche der Kunden nachträglich aus den Verbraucherstatistiken oder Umfragen zu erfahren, sondern versucht sie zu antizipieren und in die Gegenwart zu appräsentieren. Die Unternehmen streben eine systematische und intensive Kooperation mit den Nutzern in einer möglichst frühen Phase der Entwicklung neuer Produkte an, also hier und jetzt. Sie können es sich nicht mehr leisten, die Verwendungskontexte nach dem Abschluss der Entwicklungsphase des neuen Produkts zu definieren. Kunden werden systematisch in der eigenen Umgebung sowie in den Laboren beobachtet, dabei wird nicht nur darauf geachtet, wie sie dargebotene Produkte gebrauchen, sondern auch auf die Körpersprache, Emotionen etc. Als Beispiel für dieses frühzeitige Einbeziehen der potenziellen Nutzer in den Innovationsprozess kann der Ansatz von Fokus Groups dienen: In den Gruppen von 6 bis 9 Teilnehmern wird die Meinung zu den Produkten, Dienstleistungen, Konzepten etc. erfragt, dabei dürfen die Teilnehmer eine natürliche Gruppendynamik entwickeln, d.h. miteinander reden, streiten etc. Das ist eine anerkannte Marketingmethode, nicht nur um Feedback für die schon bestehenden Produkte zu bekommen, sondern auch die Akzeptanz für die noch nicht im Markt eingeführten Innovationen im Voraus zu testen. Dabei geht es um nichts anderes als um die »Appräsentation« der Zukunft in den rekursiven Schleifen der Wechselwirkungen zwischen den Produzenten und Konsumenten: »Hypothetisch antizipierte Zukünfte werden gedanklich vorweggenommen und in den Prozess der Planung und Entwicklung eingespeist, um sie auf diese Weise Wirklichkeit werden zu lassen [...] Rekursives Innovationsmanagement ist zu verstehen als eine stufenweise wechselseitige Anpassung von Vision und Kontext und eine damit einhergehende schrittweise Optimierung des Produkts.«124
124 Monse, Kurt/Weyer, Johannes (1999), »Nutzerorientierung als Strategie der Kontextualisierung technischer Innovationen: Das Beispiel elektronischer Informationssysteme«, in: Dieter Sauer/Christa Lang (Hg.), Paradoxien der Innovation: Perspektiven sozialwissenschaftlicher Innovationsforschung, Frankfurt/Main [u.a.]: Campus, S. 98. 183
DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
Am Beispiel dieser Versuche des proaktiven Gestaltens der Innovationsprozesse lässt sich noch einmal die Bedeutung der »Appräsentation«, des sich ständig entziehenden »blinden Flecks« der Gegenwart für die Wirtschaftsteilnehmer betonen. Produzenten versuchen die Ungewissheit, die beim Gebrauch ihrer Erzeugnisse entsteht, durch die Befragungen und Beobachtungen der potenziellen Kunden zu reduzieren. Sie versuchen, den »blinden Fleck« der Echtzeit doch beobachtbar zu machen. Sie streben an, sich an der Konstitution des Fremden, des Unsinns im Sinn aktiv zu beteiligen. Sie wollen das Neue als Issue, als Trend nicht bloß nachträglich erkennen, sondern mitkonstituieren, was ihnen nur begrenzt gelingt: Das Neue lässt sich nicht ohne weiteres suchen oder intendieren. Die Konstitution von Trends ist ein anderes geeignetes Beispiel für die konkreativen sozialen Sinnstiftungsprozesse, die beim Wirtschaften eine zentrale Rolle spielen. »Trend ist das, was für einen Trend gehalten wird; Trend ist das, was als Trend bezeichnet wird«125, und dies wird in den interaktiven sinnstiftenden Prozessen (gegenseitiges Beobachten, Erzählen von Geschichten, Benennen von Unterscheidungen etc.) zwischen den Produzenten und Konsumenten in der Anwesenheit bzw. Abwesenheit einer Ware als Dritten bestimmt. In diesen Prozessen entstehen Märkte: »Märkte werden nicht erobert, sie werden geschaffen – unter anderem auch durch eine systematische und intensive Kooperation von Herstellern und Nutzern bei der Entwicklung neuer Produkte.«126 Märkte werden in den Beziehungsbeziehungen konstituiert, »enacted«: »Product markets become coherent as a result of consumers and producers making sense of each other’s behaviours.«127 Dabei sind Produzenten und Konsumenten »simultaneously market makers und market takers.«128 Dabei ist es wichtig, sich nicht zu sehr auf die Wechselwirkungen der Produzenten und Konsumenten zu konzentrieren: Das Konzept einer Beziehungsbeziehung vermeidet diesen Fehler, weil es die Berücksichtigung weiterer Perspektiven und Relationen erfordert. So darf man nicht die Rolle der Beziehungen eines Unternehmers zu den anderen Produzenten bei der Konstitution der Märkte vernachlässigen. Nach White (1981) entstehen Märkte nicht allein durch die Beobachtungen der Konsumenten, sondern vorwiegend durch die Beobach125 Liebl, Franz (2000), Der Schock des Neuen: Entstehung und Management von Issues und Trends, München: Gerling, S. 80. 126 Monse/Weyer 1999, S. 99. 127 J. A. Rosa/J. F. Porac/J. Runser-Spanjol/M. S. Saxon: Sociocognitive Dynamics, S. 64. 128 Ebd., S. 68. 184
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tungen der Konkurrenten und ihren Produkten. Diese Idee soll an dieser Stelle nicht weiter elaboriert werden, sondern als Hinweis dienen, dass ein weiterer Produzent als Dritter durchaus bei der Konstitution der einem Markt zugrunde liegenden Beziehungsbeziehungen von Bedeutung sein kann. In diesen Prozessen kommt dem Produkt selbst, das in Form von Ware an den Märkten angeboten wird, eine besondere Rolle zu: Das Produkt ist an den sozialen Praktiken beteiligt und konstitutiv für die Beziehungsbeziehungen am Markt, in denen Sinn entsteht. Die konstitutive Bedeutung der Artefakte für die wirtschaftlichen Prozesse ist eine weitere wichtige Erkenntnis, welche die Theorie des Ökonomischen gewinnt, wenn sie Sinnprozessieren zu ihrem zentralen Erklärungsprinzip macht. Die Beziehungen »Produzent – Ware« sowie »Konsument – Ware« als Subjekt-Objekt-Beziehungen im Sinn von Knorr Cetina (s. Abschnitt 9.2) werden durch Produkte als Ware im Wesentlichen konstituiert: Produkte signalisieren ständig eine eigene Unabgeschlossenheit, auf die geantwortet werden muss. Diese Unabgeschlossenheit ist den Produzenten immer bewusst, so dass sie den Research in den Forschungsabteilungen und Laboren fortsetzen, sogar wenn das Produkt schon eine Warenform angenommen hat, i.e. am Markt zwecks Befriedigung bestimmter Bedürfnisse angeboten wird. Die Entwicklungsabteilung von Motorola hat gleichzeitig 50 bis 100 neue Mobiltelefonmodelle in den unterschiedlichen Stadien der Fertigstellung in der Pipeline129 – so intensiv ist die Beziehung des Produzenten zum Produkt. Diese Beziehung entwickelt sich dabei nicht nur in der Forschung: Die Produktion selbst, genauso wie der spätere Gebrauch, verursacht Sinnverschiebungen und ist keine reine Wiederholung. Im Produktionsprozess selbst entstehen Veränderungen: Es erfolgt die Korrektur eines bei der Produktion unterlaufenden Fehlers, es wird ein Verbesserungsvorschlag, der während der Produktionsabläufe entstand, erprobt etc. Genauso wie Experten eine Beziehung zu ihren Wissensobjekten entwickeln, unterhalten Produzenten eine Beziehung zu ihren Produkten: Die Unabgeschlossenheit der Produkte zwingt sie ständig zu weiteren Untersuchungen, Entwicklungen und provoziert eine fortschreitende Beziehung. Vor diesem Hintergrund sollen die wirtschaftlichen Erzeugnisse wie folgt verstanden werden: »things that continually ›explode‹ and ›mutate‹ in something else, and that are much more defined by what they are not (but will, at some point, have become) than by what
129 Heuer, Steffan (2006), »Richtig verbunden«, in: Brand Eins, Heft 4, S. 25. 185
DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
they are.«130 Wenn man alleine die Entwicklung des Mobiltelefons von einem drahtlosen Telefonapparat zu einem modischen Accessoire, zu einem technischen Spielzeug, dann zu einem Fotoapparat und weiter zu einem Multi-Media-Gerät bedenkt, wird diese These klar: »Deswegen sprechen wir nicht von Handys, sondern von Geräten, die man früher als Mobiltelefone bezeichnete«, erläuterte der Chief Technology Officer von Motorola131. Ein sich in einer ständigen Entwicklung begriffenes Produkt »Handy« ist ein unentbehrlicher abwesender Dritter einer Produzent-Konsument-Beziehung, der sie ständig stört und konstituiert. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass vor dem Hintergrund dieser Überlegungen die Idee, dass die hergestellten Produkte nach der Fertigstellung weiter völlig losgelöst und unabhängig existieren, d.h., dass Wirtschaften ein reiner Herstellungsprozess ist, für die moderne Ökonomik nicht mehr haltbar ist. Erzeugnisse der modernen Wirtschaft haben den Charakter epistemischer Objekte, die durch ihre »Abwesenheit«, ihre Unabgeschlossenheit ständig einen Anspruch auf Antwort erheben, eine Beziehung zu den Produzenten provozieren und dadurch in einer ständigen Entwicklung begriffen sind, die sich nach dem Abschluss des Herstellungsprozesses fortsetzt. Dies gilt auch für die Beziehungen der Konsumenten zu den Produkten, von denen bereits mehrfach die Rede war. Auch für Konsumenten ist eine Ware nichts Fixiertes, fraglos Gegebenes, sondern eher ein Objekt zum weiteren Entwickeln, Untersuchen, Ausprobieren. Sie wird hergestellt, nicht um verbraucht zu werden, sondern als Objekt für die »Arbeit an der Arbeit«132, also Arbeit an den Verknüpfungen zu anderen Produkten, an den weiteren Anschlüssen, an der Lösung, aber vor allem an der Formulierung von Problemen. Dies wird in einer »KonsumentObjekt-Beziehung« in Anwesenheit bzw. Abwesenheit der Produzenten und anderer Konsumenten geschaffen. Dabei verfügt ein Erzeugnis als Objekt der »Arbeit an der Arbeit« nicht nur über technische, sondern auch symbolische Eigenschaften, die wichtige Impulse für die Etablierung einer Beziehung zum Konsumenten senden. Dies lässt sich besonders gut am Beispiel von Marken illustrieren, die von den Unternehmen als Sinnangebote im Rahmen ihrer Selbstdarstellung kreiert werden. So schrieb Hellmann (2005) mit Bezug auf den Ansatz von Susan Fournier: »Fournier zufolge gehen manche Verbraucher mit manchen Marken, die sie regelmäßig kaufen und gebrauchen, nämlich eine regelrechte Interaktion ein, 130 K. Knorr Cetina: Sociality with Objects, S. 15. 131 S.Heuer: Richtig verbunden, S. 28. 132 S. Abschnitt 4.5. 186
BEISPIELE DER ANWENDUNG DER SINNORIENTIERTEN THEORIE
in deren Verlauf diese Marken den Stellenwert eigenständiger ›Beziehungspartner‹ zugewiesen bekommen [...] Neu ist an diesem Ansatz, dass sich nach Aussagen der Verbraucher eine tatsächliche Interaktion mit einer Marke ergibt, die Marke also nicht bloß vermenschlicht wird, sondern sich im Laufe des täglichen Gebrauchs in eine Art imaginierte Bezugsperson für den täglichen Umgang verwandelt. Das Alltagsleben wird sozusagen mit einer Mehrzahl von Markenpersönlichkeiten bevölkert, die Halt geben, zur Verfügung stehen und eine besonders starke Sinnstiftung leisten.«133
Die Sinnangebote in Form von Marken werden in den Beziehungen von Konsumenten und Waren, also in sozialen Wechselspielen, modifiziert und entwickeln dadurch »ein echtes Eigenleben«134. In diesen Wechselspielen zwischen den Konsumenten und den personifizierten Produkten entwickeln sich Bedürfnisse, deren Befriedigung die besondere Intimität dieser Beziehungen unterstützen und weiter entwickeln sollen, z.B. das Bedürfnis – so die Werbung eines neuen Wohnanlagekonzepts »Garage auf der Etage« – mit dem eigenen Auto »ins Bett zu gehen«135: Jede Wohnung dieser Anlage verfügt über ein eigenes voll verglastes Zimmer für das Auto, wo es über die Nacht abgestellt werden kann, so dass man permanent »glänzende Aussichten« und »sanft lackierte Landschaften« genießen kann. Dadurch wird das Auto zu einem echten Familienmitglied, das nicht mehr lieblos auf der Straße oder in der Garage zurückgelassen wird. Eine besondere Nähe zu einer Marke oder einem Produkt fördert die Entwicklung der Beziehungen zu anderen Konsumenten, die eine »Konsument-Ware-Beziehung« weiter in das Soziale einweben. So führt eine erfolgreiche Marke zu der Entstehung einer ganzen Gemeinschaft der Konsumenten (»brand community«), die ein Beziehungsnetzwerk darstellt: also ein Netz der Konsument-Ware-Beziehungen in Anwesenheit/Abwesenheit anderer Konsumenten. Unternehmer profitieren von diesen Kundenbeziehungen zueinander, indem sie genau wie beim Viralen Marketing an den Beziehungen zwischen den Kunden parasitieren. Ihre Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsstrategien sind oft auf die Pflege der Beziehungen der Kunden zueinander gerichtet. Eine erfolgreiche Markenführung stellt nichts anderes dar als eine intensive Pflege dieser Beziehungen. 133 Kai-Uwe Hellmann: »Funktionen und Folgen von Brand Communities«, in: Münsteraner Diskussionsforum für Handel, Distribution, Netzwerkund Markenforschung, Westfälische Wilhelms-Universität Münster 2005, S. 60. 134 Ebd. 135 Dirk Engelhardt: »Garage auf der Etage«, in: Handelsblatt vom 22.9.2006, S. w06. 187
DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
Grundsätzlich ist die sinnstiftende Rolle der Relationen der Konsumenten zueinander (in Anwesenheit bzw. Abwesenheit eines Produkts) nicht zu vernachlässigen. Die Nachfrager und Anwender im Markt beobachten einander, stellen Vergleiche an, präsentieren sich auf eine bestimmte Art und Weise, streben nach Anerkennung und sozialem Status und tragen durch diese Wechselwirkungen der Konstitution der Bedürfnisse, der Märkte etc. bei. Die hier durchgeführten skizzenhaften Betrachtungen einer Beziehungsbeziehung »Produzent-Konsument-Ware« aus verschiedenen Perspektiven sollen illustrieren, wie eine Analyse von einer Beziehungsbeziehung ausgehend ablaufen könnte. Es fällt vor allem auf, wie viele Aspekte, die in ökonomischen Teildisziplinen wie Marketing, Innovationstheorie und Organisationstheorie schon anerkannt sind, auf diesem Weg den Eingang in das Theoriedesign einer Ökonomik finden konnten. Bis jetzt haben sich die Wirtschaftswissenschaften durch das Festhalten an ihren Grundannahmen und ihrer Methode gegen diesen Schritt gesperrt. Die Umstellung von Subjekt auf die Beziehungsbeziehung, von methodologischen Individualismus auf den methodologischen Relationismus, von der Nutzenoptimierung auf die Sinnstiftung erlauben die Probleme der Entstehung der Märkte, der Innovation, der Genese der Präferenzen und Bedürfnisse, des entfaltenden Charakters der Ware etc. nicht mehr auszuschließen, sondern als einen organischen Bestandteil einer auf die Sinnstiftung orientierten ökonomischen Theorie zu behandeln. Mit diesem Beispiel wurde gezeigt, dass Sinn in den Beziehungen entsteht, in den rekursiven Schleifen des Sozialen, in den »tastenden, iterativen Versuchen der Bestimmung jenes Unbestimmten während der Suche nach der Problemlösung, die also ebenso sehr als Lösungssuche wie als Problemkonstitution [...] aufzufassen ist.«136 Eine Sinnfigur scheint besonders geeignet zu sein, um das gleichzeitige Erzeugen und das Auseinandersetzen mit dem Erzeugten, Problemlösung und Problembestimmung, die Konstitution des Fremden und das »Anverwandeln an das Fremde«, die »Appräsentation« in den kulturellen und geschichtlichen Prozessen ohne Schöpfer zu denken. Sinn entsteht in den Beziehungsbeziehungen zwischen dem Konsumenten, dem Produzenten und der Ware, in den rekursiven Schleifen der gegenseitigen Entwicklung und Beeinflussung. Das ist eine Art des Mit-Schaffens, in dem jeder 136 Günther Ortmann: »Innovation als Paradoxieentfaltung – Eine Schlussbemerkung«, in: Dieter Sauer/Christa Lang (Hg.), Paradoxien der Innovation: Perspektiven sozialwissenschaftlicher Innovationsforschung, Frankfurt/Main: Campus 1999, S. 250ff. (Die Kursivierung im Original wurde nicht übernommen). 188
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Einzelne seinen subjektiven Sinn mit einem Produkt oder einer Handlung verbindet, aber sich gleichzeitig an die Anderen in den Beziehungsbeziehungen orientiert. So entsteht Sinn nicht in den einzelnen Akten des Sinnverbindens, sondern in den gegenseitigen Wechselwirkungen, was den Ansatz des methodologischen Relationismus besonders plausibel erscheinen lässt. Obwohl die Darstellung der Beziehungsbeziehung »Produzent-Konsument-Ware« bei dem Produzenten angefangen wurde, was eine Illusion eines zeitlichen Aufeinanderfolgens der Sinnstiftungsprozesse bei dem Produzenten und Konsumenten hervorruft, ist es wichtig, die Rekursivität der Beziehungsbeziehungen und den Entfaltungscharakter des Sinns in ihnen noch einmal zu betonen: Das Eintreten eines Unternehmers in den Markt darf nicht als absoluter Anfang, als ein Ursprung, als ein Kreationsmoment eines neuen Sinns betrachtet werden. Die neuen Produkte und Anwendungen entstehen in den Praxisschleifen der Produktion und des Konsums, als Reaktionen auf die Bemühungen und Erfolge bzw. Misserfolge der Konkurrenten sowie auf die im Gebrauch entstehenden Bedürfnisse bei den Konsumenten. Unternehmer versuchen ständig Sinn von dem Verhalten und Handeln der Konsumenten zu machen, behandeln dabei ihre Produkte als nie abgeschlossene Wissensobjekte, die in einer weiterentwickelten Form erneut den Markt betreten und so weiter.
Wirtschaften als praxis Mit der Umstellung auf die Sinnstiftung wird Wirtschaften als eine performative Praxis verstanden, in der nichts vorausgesetzt werden kann, sondern alles erschaffen – erwirtschaftet – und auf das gerade Entstehende ein Bezug genommen wird. Wirtschaften ist dann kein Herstellen (poiesis), das auf die Fertigstellung der Gegenstände gerichtet ist, die dann unabhängig existieren. Es ist vielmehr eine praxis, weil dort keine extern definierten Zwecke verfolgt werden, sondern etwas im Vollzug hervorgebracht wird: Erst im Prozess des Wirtschaftens selbst wird entdeckt, welche Gegenstände überhaupt Güter darstellen, welche Bedürfnisse befriedigt werden, wie die Präferenzen sich ordnen und welche Folgen mit jeder Handlungsalternative korrespondieren.137 Die hergestellten Güter lösen sich von dem Produzenten sowie von dem Konsumenten nicht ab, sie werden in der Forschung sowie im Gebrauch weiterentwickelt, sie provozieren und stiften eine Beziehung. Märkte
137 So ein Konzept des Wirtschaftens schlägt T. Löwe (Wirtschaften als Erfahrung, S. 98ff) vor. 189
DIMENSIONEN DER SINNSTIFTUNG IN DER ÖKONOMIK
sind Übergangsräume, die durch die Selbstdarstellung der Teilnehmer und ihre performativen Handlungen hervorgebracht werden. Wirtschaften ist »eine Arbeit an der Arbeit«. Es hat die Charakterzüge einer Kunst, die sich ereignet und nicht in das rationale Schema passt: »Die Ökonomie selbst jedoch bedient sich der Kunst und dementsprechend auch des Ereignisses, sobald es darum geht, die Normen und die bestehenden Zweckbestimmungen zu überspringen, um dann neue Verkettungen des Angebots und der Nachfrage zu erwecken (die Entwicklung der Formen, des ›Designs‹, der manchmal verfeinerten Bilder).«138
Wirtschaft ist damit beschäftigt, Ereignisse herzustellen, also etwas, »was sich nicht von der Kausalität beschränken lässt, was aus einem unbekannten ›Anderswo‹ kommt und eine neue Möglichkeit des Sinns eröffnet«139. Mit anderen Worten geht es um das unintendierte Hervorbringen im aktuellen Handeln und Sprechen von etwas, was nicht da war, aber gerade entsteht und auf was die Aufmerksamkeit gelenkt wird, was zur Geltung gelangen soll. Dies macht zum Beispiel Werbung, die »die Position affirmativer Kunst eingenommen hat.«140 Auch die prosperierende Beratungsbranche lebt davon, dass sie nicht die tatsächlich bestehenden Probleme löst, sondern erst einmal den Kunden neue schafft: »Man wartet nicht darauf, dass sich sachliche Probleme einstellen. Sondern man entwickelt ein Kommunikationspotential der Problemlösung und Problemidentifizierung, an das Anschluss suchen kann, wer damit etwas machen kann.«141 Analoges gilt auch für das Management von Unternehmen: »Es ist der Parasit der Probleme, die es schafft, indem es sie löst.«142 Im Wirtschaften als praxis werden Tätigkeiten ausgeübt, die »keinen Zweck verfolgen... und kein Resultat außerhalb ihrer selbst hinterlassen [...], deren volle Bedeutung sich vielmehr im Vollzug selbst erschöpft [...] der Vollzug ist das Bewirkte oder das Werk [...] nicht ein gegenständlichgreifbares Hergestelltes, sondern nur die Tätigkeit in ihrer Aktualität. Diese seine Aktualität liegt jenseits der Zweck-Mittel-Kategorie.«143
138 J. L. Nancy/E. Schweeger: Philosophische Salons, S. 73. 139 Ebd. 140 Ebd., S. 84ff. 141 D. Baecker: Organisation und Management, S. 66. 142 Ebd., S. 60. 143 H. Arendt: Vita activa, S. 201. 190
WIRTSCHAFTEN ALS PRAXIS
Dieser Vollzug, diese Aktualität als Schaffen und gleichzeitiges Bezugnehmen auf das Entstehende, als ob es schon Realität wäre, kann nur mit Hilfe der Sinnstiftungskonzepte theoretisch erfasst werden. Dieser »blinde Fleck« der traditionellen Wirtschaftstheorie kann als permanente Sinnverschiebung in der kreativen Praxis beschrieben werden, die das Wirtschaften als keinen geplanten Prozess, der unter ständiger Kontrolle »verwirklicht« wird, darstellbar macht. Eine performative Praxis ist mit Hilfe der traditionellen Instrumente der Rationalität nicht nachvollziehbar. Deswegen kann Ökonomik als Wissenschaft über Produktion und Konsumption, verstanden als performative Praktiken, auf keinen Fall eine apriorische Theorie einer bestimmten Art des menschlichen Handelns sein, der eine Entscheidungslogik zugrunde liegt: Das wirtschaftliche Geschehen ist eine logisch (rational) unaufholbare Praxis, die mit Hilfe der Sinnstiftungskonzepte theoretisch abgebildet werden kann. Diese Sicht des Wirtschaftens zwingt dazu, sich von der Idee zu verabschieden, dass das »Denken« in Form von Entscheidungen und Intentionen das ökonomische Handeln bestimmt und von dem Letzteren strikt getrennt werden kann. Die Umstellung der Theorie auf die in den performativen Praktiken ablaufende Sinnstiftung erfordert die Aufgabe des logozentrischen Zwei-Welten-Modells, in dem das Denken die Ursache des Handelns ist. Das Wirtschaften geschieht im Vollzug, während gehandelt, entschieden und geredet wird; im Vollzug, der die Intentionen unwirksam und Entscheidungen erst möglich macht.
Schlusswort In der vorliegenden Arbeit wurde argumentiert, dass die bestehende ökonomische Theorie, die auf dem Rationalitätsprinzip basiert, nicht imstande ist, über wesentliche Aspekte des wirtschaftlichen Geschehens zu theoretisieren. Beim Wirtschaften, verstanden als soziales Handeln unter Ungewissheit, werden nicht immer rationale Entscheidungen (im Sinne von Rational Choice) getroffen. Die Festlegung der traditionellen Ökonomik auf die Begriffe »Subjekt«, »Entscheidung«, »Gegebenheit«, »Gleichgewicht« etc. hindert sie an einer effektiven Untersuchung der wirtschaftlichen Prozesse, die genuin soziale Prozesse sind. Dieses Verständnis des Wirtschaftens als soziales Geschehen ist die erste zentrale These einer hier vorgestellten Theorie des Ökonomischen. Als alternativer Weg zur traditionellen Ökonomik wurde die Umstellung dieser Theorie auf die Sinnstiftungsprozesse vorgeschlagen. Die
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zweite These lautet: Beim Wirtschaften wird nicht der Nutzen maximiert, sondern Sinn gestiftet. Sinnstiftung ist ein unersetzbares Analyseinstrument, wenn etwas untersucht werden soll, was nicht »gegeben« ist (denn »gegeben« ist etwas nur nachträglich) und auch nicht in einem intentionalen Handeln »geschaffen« wird (denn im Sozialen kann nichts intendiert werden), sondern im aktuellen sozialen Tun – im Sprechen, im Gebrauch der Gegenstände, in den Entscheidungsprozessen – entsteht. Dieses soziale Tun kann nur als Gewebe der Beziehungen aufgefasst werden: Sinn bringt das relationale Denken mit sich. Er erlaubt auch, insbesondere mit Bezug auf die Kategorien der Sozialphilosophie, die Dynamik dieser Beziehungen zu untersuchen: sowohl ihre Entstehung im aktuellen Tun als auch die anschließend verlaufenden Signifikationsprozesse. Präferenzen, Märkte, Innovationen, Trends sind keine »gegebenen« Tatsachen, sondern in den sozialen Relationen entstehende und sich ständig verändernde Phänomene. Ihre Entwicklung kann nicht vorhergesagt oder kontrolliert werden, sie ist immer anders möglich, i.e. kontingent, und die Umstellung des Theoriedesigns auf Sinnstiftung, verstanden als Appräsentation, erlaubt der Theorie des Ökonomischen, über das Mögliche zu theoretisieren: Das Mögliche, das Neue, das Fremde, der Unsinn werden nicht mehr ausgeschlossen, sondern die Prozesse ihrer Entstehung in dem Gegebenen, in dem Alten, in dem Eigenen, im Sinn werden untersucht. Die ökonomischen Phänomene stellen dann Übergänge von dem Möglichen zum Gegebenen, vom Neuen zum Alten, von Unsinn zu Sinn dar. Die Ermöglichung des Theoretisierens über diese Übergänge, die traditionell einen »blinden Fleck« der rationalen ökonomischen Theorie bilden, ist ein besonderer Vorteil der hier vorgeschlagenen Umstellung auf die Sinnstiftung. Mit Hilfe der Kategorien der Sozialphilosophie – die Beziehungsbeziehung, der Dritte, der Fremde – wird es möglich, über das Wirtschaften als praxis und die Übergänge dort als soziale Phänomene zu theoretisieren: Sinnstiftung wird als komplexes und dynamisches Geschehen in den Beziehungsbeziehungen, die von den Dritten und den Fremden gestört oder stabilisiert werden, konzipiert. Diesen Prozessen liegen Wechselwirkungen, Relationen zugrunde, die dann die alternative ökonomische Methode bestimmen – methodologischer Relationismus. Dies sind die Überlegungen, die in der vorliegenden Arbeit auf der Ebene der Theorie des Ökonomischen durchgeführt wurden. Sie stellen eine Reflexion – vom Standpunkt einer Sozialphilosophie – über die heutzutage noch vorherrschende ökonomische Kerntheorie dar. Dabei gibt es durchaus Anknüpfungspunkte an die schon bestehenden kritischökonomischen Konzepte sowohl innerhalb der Wirtschaftswissenschaf192
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ten wie Spieltheorie, Netzwerkökonomie oder Neue Institutionenökonomik als auch in den der Ökonomik benachbarten Theoriegebieten wie Wirtschaftssoziologie. Diese Konzepte bieten ebenfalls alternative Herangehensweisen an die wirtschaftlichen Fragestellungen an und wurden in der vorliegenden Arbeit an den entsprechenden Stellen diskutiert; es soll jetzt abschließend Stellung zu den Bezügen des in der Arbeit vorgeschlagenen Ansatzes auf diese Konzepte genommen werden. Die neueren kritischen wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze – die Netzwerktheorien und auch die Institutionenökonomik und Spieltheorie – werden oft als eine Übergangsstufe zu einem neuen Paradigma in der Ökonomik angesehen: »Eine wachsende Zahl von Wirtschaftstheoretikern heutzutage verlässt die Welt des perfekten Wettbewerbs, der repräsentativen Wirtschaftssubjekte, der allgemeinen Gleichgewichte basierend auf dem Walrasianischen Konzept, der allgemeinen Interdependenz der Märkte und der vollkommenen Voraussicht als geeignete Annahmen, um die Entscheidungsprobleme der realen Umwelt zu erfassen. Sie suchen nach besseren Konzepten, um eine Wirtschaftstheorie zur Beschreibung der Koordination von Wirtschaftsaktivitäten zwischen heterogenen ökonomischen Agenten zu entwickeln […].«144
Mit anderen Worten erkennen die neuen ökonomischen Ansätze die Rolle der Beziehungen zwischen den Akteuren an, gehen aber bei der Analyse nicht von diesen Beziehungen, sondern nach wie vor von dem rationalen Akteur aus. Vor diesem Hintergrund kann behauptet werden, dass der Sinnstiftungsansatz, der in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagen wird, in die gleiche Richtung, aber weiter geht. Dies soll an einigen Beispielen erläutert werden. Die Spieltheorie beschäftigt sich mit interaktiven Entscheidungssituationen, in denen Wechselwirkungen der Entscheidungen und Handlungen der Akteure von zentraler Bedeutung sind. In den interdependenten (strategischen) Situationen der Spieltheorie hängt das Spielergebnis von den Entscheidungen aller Akteure ab, d.h. jeder Spieler ist dieser Interdependenz bewusst und stellt ständig Überlegungen über das Verhalten anderer Akteure an; dabei ist das Verhalten anderer nicht einfach gegeben, sondern beeinflussbar durch eigenes Verhalten. Die Wechselwirkungen zwischen den Akteuren werden hiermit als ein wesentliches Aspekt der Analyse betrachtet.
144 Georg Erber/Harald Hagemann: »Netzwerkökonomie«, in: Klaus F. Zimmermann (Hg.), Neue Entwicklungen in der Wirtschaftswissenschaft, Heidelberg: Physica-Verlag 2002, S. 282. 193
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Es ist interessant, dass der Dritte durchaus eine Rolle bei den spieltheoretischen Überklegungen spielt. So kann ein normales GefangenenDilemma-Spiel in ein kooperatives Spiel umgewandelt werden, wenn Spieler kommunizieren und eine Abmachung treffen können; dabei reicht nicht aus, wenn Spieler sich gegenseitig verpflichten (es besteht ein starker Anreiz, das Versprechen zu brechen; das Spiel bleibt nichtkooperativ); sie müssen sich über einen Dritten verpflichten, die unvorteilhafte Strategie zu spielen und damit das für alle beste Ergebnis zu sichern. Schon in diesem elementaren Spiel stabilisiert der Dritte eine soziale Beziehung. Nach jedem Spielablauf hat jeder Spieler ein Ergebnis (eine Auszahlung): Am Ende stellt sich ein spieltheoretisches Gleichgewicht ein. Die Spieltheorie räumt allerdings ein, dass es mehrere Gleichgewichte geben kann, oder gar keines. Bis hierhin verläuft die spieltheoretische Argumentation durchaus parallel zu den Überlegungen dieser Arbeit. Nur dann bleibt die Spieltheorie, wie im Kapitel 5.3.1 dieser Arbeit schon dargestellt wurde, bei dem rationalen Subjekt als Ausgangspunkt stehen: Sie geht davon aus, dass, obwohl Spieler unterschiedlich über die Charakteristika und Strategien der Mitspieler informiert sind (vollständige oder unvollständige Information), sie immer erwarten können, dass die Mitspieler rational entscheiden. Im Lauf der Arbeit wurde schon auf dieses Problem eingegangen: Wenn die Rationalitätsannahme bei allen Spielern gilt, können sie ziemlich genaue Erwartungen über ihre Ziele und Verhaltensregeln anderer bilden. Die Unsicherheit, die im Sozialen herrscht, wird hiermit ausgeschlossen: Im Fokus der spieltheoretischen Untersuchungen steht die Situation »doppelter Kontingenz«, wobei Akteure füreinander im Wesentlichen keine »black boxes« sind. Das macht das Ergebnis der sozialen Interaktion prinzipiell vorhersagbar. So ist Schach für die spieltheoretischen Akteure ein uninteressantes Spiel: »Da es keine Unsicherheiten über die strategischen Optionen des Gegenübers gibt und alle Züge exakt beobachtet werden können, weiß ein perfekt rationaler Spieler stets, wie sein Gegenüber auf jeden möglichen Zug reagieren wird. Mit anderen Worten, beide Spieler können bereits vor dem ersten Zug exakt voraussehen, wie sich das Spiel entwickeln und schließlich ausgehen wird.«145 Es handelt sich nicht um eine Beziehungsbeziehung, sondern um eine »mechanische« Reaktion auf das Verhalten anderer. Dies ist eine wesentliche Vereinfachung, mit der die vorliegende Arbeit nicht einver145 Axel Ockenfels: »Daten statt Dogmen«, in: Das Handelsblatt vom 16.4.2007, S. 13. 194
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standen ist. Es ist wichtig, die Analyse nicht nur von der Situation der individuellen Wahl auf die Interdependenzen der Akteure umzustellen, sondern auch die Unvorhersagbarkeit der gegenseitig abhängigen individuellen Kalküle im Fokus zu behalten, die Unvorhersagbarkeit, die eben durch diese Interdependenz verursacht wird. Es wäre sicherlich interessant, zu versuchen, eine Situation der Unentscheidbarkeit spieltheoretisch zu modellieren, in der eine Entscheidung »unmöglich« ist und dadurch eben erzwungen wird. Eine solche Situation soll grundlegend für die Untersuchung der strategischen wirtschaftlichen Situationen sein. Außerdem lässt die Spieltheorie das Subjekt im Zentrum ihrer Überlegungen: Sie sieht ihre zentrale Aufgabe für die Zukunft in der Verfeinerung der Theorie durch die empirischen Erkenntnisse, die in Laboren gewonnen werden. Die Spieltheorie erhöht hiermit die Bedeutung eines aufblühenden Zweiges der modernen Ökonomik – der empirischen Wirtschaftsforschung. In den Experimenten soll untersucht werden, welche Logik dem menschlichen Verhalten zugrunde liegt, wie Rationalität anders konzipiert werden kann, welche Erkenntnisse der Psychologie oder der Gehirnforschung für die Ökonomik relevant sind. Obwohl diese Überlegungen sicherlich interessant sind, wird vom Standpunkt der vorliegenden Arbeit bei diesen Bemühungen der wesentliche Aspekt verfehlt: Nicht ein neuer oder realistischerer »Menschentyp« als Alternative zu homo oeconomicus, sondern die Wechselwirkungen zwischen den Menschen sollen untersucht werden. Nicht die Ergebnisse des intentionalen Handelns, sondern die sozialen Phänomene als nicht-intendierte Resultate des menschlichen Zusammenspiels sollen Ausgangspunkt sein. Dabei sollen die Wechselwirkungen nicht als duale Beziehungen, sondern als Beziehungsbeziehungen in Anwesenheit/ Abwesenheit des Dritten konzipiert werden. Ähnliche Diskrepanzen lassen sich zwischen den Grundüberlegungen der Netzwerkökonomik und der vorliegenden Arbeit feststellen. Die Netzwerkökonomik geht davon aus, dass die ökonomischen Interdependenzen der Entscheidungsträger zum Verständnis der wirtschaftlichen Phänomene wesentlich beitragen können. Es handelt sich dabei nicht nur um Transaktionen, also Verbindungen, die über den Markt vermittelt werden, sondern auch um andere Formen der Verbindungen wie Verpflichtungen oder institutionelle Bindungen. Das ökonomische Netzwerk besteht allerdings für die Vertreter dieses Ökonomiezweiges aus Agenten, die als ökonomische Wirtschaftssubjekte im Sinne der traditionellen Theorie konzipiert werden: Sie besitzen eindeutig definierte Präferenzen und optimieren ihre Zielfunktion (mikroökonomische Fundierung). Die ökonomischen Verbindungen sind eher zweitrangig und dienen der Beschreibung der Interaktionen der 195
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Agenten miteinander.146 Diese Vorstellung von Netzwerken, die von ihren »Knoten«, den Agenten ausgeht, fällt hinter die Argumentation der vorliegenden Arbeit zurück. Auch die Darstellung der Netzwerke als stabile verfestigte Strukturen, auf die im Kapitel 11.1. hingewiesen wurde, entspricht nicht der Forderung des hier vorgestellten Ansatzes, die Wechselbeziehungen zwischen den ökonomischen Agenten als dynamische, einer ständigen Störung ausgesetzte Beziehungen zu konzipieren. Die Neue Institutionenökonomik fordert in der letzten Zeit allerdings radikalere Alternativen für die Wirtschaftstheorie. Einige ihre Vertreter verlangen einen Bruch mit dem neoklassischen Paradigma, der auch die Institutionenökonomik bis jetzt im Wesentlichen dominiert hat. Wenn eine Institution als Verhaltensregel, »eine Regel-eines-Spiels«147 definiert wird, ist es unmöglich, ihre Entstehung und Entwicklung als Resultat rationaler Handlungen einzelner Akteure zu erklären: Die private Befolgung einer Regel ist nicht möglich. Eine auf dem methodologischen Individualismus basierende Institutionenökonomik kann außerdem nicht erklären, warum Regeln überhaupt befolgt werden, wenn es vom Standpunkt der ökonomischen Effizienz oft vorteilhaft ist, sie zu verletzen.148 Es bleibt unterbeleuchtet, wie Regeln und hiermit auch Institutionen in Prozessen ihrer Anwendung modifiziert, »verschoben” und konstituiert werden. Douglass C. North, einer der Hauptvertreter der Neuen Institutionenökonomik, forderte deswegen eine Verabschiedung des neoklassischen Paradigmas: »The rationality assumption that has served economists and all the social scientists well for a limited range of issues in macroeconomic theory is a devastating shortcoming in dealing with most of the major issues confronting social scientists and policymakers, and it is a major stumbling block to the path of future economic progress.«149
Diese Meinung wird auch in der vorliegenden Arbeit vertreten: Um die Entstehung und Entwicklung der ökonomischen Phänomene, die genuin 146 Vgl. Georg Erber/Harald Hagemann: Netzwerkökonomie, S. 283. 147 Hella Engerer/Stefan Voigt: »Institutionen und Transformation – Mögliche Politikimpli-kationen der Neuen Institutionenökonomik«, in: Klaus F. Zimmermann (Hg.), Neue Entwicklungen in der Wirtschaftswissenschaft, Heidelberg: Physica-Verlag 2002, S. 155. 148 Vgl. dazu Kapitel 5.3.5. 149 Douglas C. North: »Understanding the Process of Economic Change«, in: Occasional Paper, 106, London: The Institute of Economic Affairs 1999, zitiert nach: Hella Engerer/Stefan Voigt: Institutionen und Transformation, S. 152. 196
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soziale Phänomene sind, zu verstehen, ist es notwendig, die Rationalitätsannahme und den methodologischen Individualismus aufzugeben. Als Alternativvorschläge können die hier ausgearbeiteten Denkfiguren der Sinnstiftung, des methodologischen Relationismus und des beständigen Wandels dienen. Diese Theorievorschläge benötigen sicherlich eine weitere gründliche Ausarbeitung, sie können aber durchaus als Grundlage für die Weiterentwicklung der hier angesprochenen kritisch-ökonomischen Ansätze dienen. Dafür soll allerdings ein Übergang von der Ebene der Reflexion über die Theorie zu einem konkreten Aufbau eines ökonomischen Kernkonzepts, das eine Alternative zu dem Mainstream-Modell der Mikroökonomik150 darstellen würde, erfolgen. Es soll auf der Ebene der ökonomischen Theorie untersucht werden, wie die im Rahmen dieser Arbeit vorgeschlagenen Alternativen einen Eingang in das Theoriedesign finden könnten. Diese Aufgabe teilt die vorliegende Arbeit mit der Wirtschaftssoziologie. Auch diese Teildisziplin, die davon ausgeht, dass Wirtschaften soziales Handeln ist, muss ihre Erkenntnisse auf die Ebene der ökonomischen Theorie transportieren. Dirk Baecker (2006) formulierte dies wie folgt: »Man legt großen Wert auf eine reichhaltige empirische Sozialforschung vor allem im Umkreis der Beschreibung von Tausch- und Marktphänomenen einerseits (Marktsoziologie) und Konflikten zwischen Arbeit und Kapital andererseits (Arbeits- und Industriesoziologie), bemüht sich jedoch nur selten darum, ein mögliches Paradigma der Wirtschaftssoziologie auch zur Formulierung einer eigenen Wirtschaftstheorie zu nutzen.«151
Mit anderen Worten ist es wichtig, nicht nur die theoretischen Erkenntnisse mit den empirischen Untersuchungen zu untermauern, sondern auch einen Beitrag zu der Begriffsbildung und Konzeptausarbeitung einer ökonomischen Theorie zu leisten. Wenn diese Theorie davon ausgeht, dass Wirtschaften soziales Handeln unter Unsicherheit ist, werden einige Konzepte und Denkfiguren der Sozial- und Kulturwissenschaften wie Metapher, Netzwerk, Kommunikation etc. keine Fremdkörper des Ökonomischen, die nur in den wirtschaftswissenschaftlichen Randdisziplinen auftauchen, mehr sein. Sie werden notwendige Elemente des Theoretisierens über das Wirtschaften. Es ist nicht auszuschließen, dass 150 Es handelt sich um die Alternative zu einem Mainstream, wie er in den grundlegenden Lehrbüchern von Samuelson (1948) und Varian (1991) dargestellt wurde. 151 Dirk Baecker: Wirtschaftssoziologie, Bielefeld: transcript, 2006, S. 37. 197
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dadurch eine Plattform geschaffen wird, auf der sogar die aktuellen Erkenntnisse der Randdisziplinen wie Marketing, Organisationstheorie oder Managementlehre ihren Eingang in eine einheitliche grundlegende Wirtschaftstheorie finden. Dies sind die wissenschaftlichen Herausforderungen, die am Ende dieser Arbeit formuliert werden muss. Diese Herausforderungen sind nicht leicht zu bewältigen, weil sie eine radikale Umstellung der Ökonomik verlangen, gegen die sie sich bekanntlich sperrt. Das wichtigste Problem, das in diesem Zusammenhang auftauchen wird, ist das Problem der Formalisierbarkeit: Eine Situation der subjektiven Wahl war und ist für eine mathematisierte Wirtschaftstheorie so bequem, weil jede Alternative als eine Zahl dargestellt werden kann; die Zahlen können miteinander verglichen werden, so dass eine Entscheidung für die beste Alternative folgen kann. Wie soll eine Beziehungsbeziehung in eine mathematische Formel gepackt werden? Wie lässt sich Wandel, verstanden als Strom zwischen den Punkten, formalisieren? Wird eine neue Theorie – wenn sie sich in keine mathematische Form einfügen lässt – imstande sein, quantitative Prognosen zu liefern? Ist es dann überhaupt eine Theorie, eine Wissenschaft? In Hinblick auf diese Fragen soll ausdrücklich betont werden, dass die hier vorgeschlagene und in Ansätzen angefangene Suche nicht als eine Bewegung der »Enttheoretisierung der Ökonomie«152 zu verstehen ist. Es geht um eine Theorie, die mit von der Neoklassik unterschiedlichen Prämissen arbeiten soll, weil sie den Untersuchungen prinzipiell ein anderes Wirtschaftsverständnis – Wirtschaften als soziales (und nicht ein individuelles) Handeln – zugrunde legt. Damit soll sie ein ganzes Stück der wirtschaftlichen Realität näher kommen. Ihre Unfähigkeit, präzise Prognosen zu liefern, soll nicht als Nachteil erachtet werden, da erstens auch die Standardökonomik oftmals dazu nicht imstande ist. Zweitens hat »kein Geringerer als Ronald Coase […] die Sache so formuliert: ›Faced with a choice between a theory which predicts well but gives us little insight into how the system works and one which gives us this insight but predicts badly, I would choose the later, and I am inclined to think that most economists would do the same.‹«153
152 Peter Ulrich: Transformation der ökonomischen Vernunft: Forschungsperspektiven der modernen Industriegesellschaft, Bern – Stuttgart – Wien: Paul Haupt 1993, S. 219. 153 G. Ortmann: Regel und Ausnahme, S. 258. 198
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Wenn die Ökonomik den hier im Rahmen der sozialphilosophischen Reflexionen des Ökonomischen vorgeschlagenen Wandel vollzieht, wenn sie einsieht, dass Sinn und Ökonomie eigentlich untrennbare Begriffe sind, wird sie wertvolle Einsichten in das Funktionieren des wirtschaftlichen Systems gewinnen und sich neue Wege des realitätsbezogenen Theoretisierens erschließen können. Zu der Frage der Formalisierbarkeit soll im Übrigen angemerkt werden, dass die Mathematik in ihrer Entwicklung nicht bei der elementaren Algebra, die den ökonomischen Modellen zugrunde liegt, stehen geblieben ist. Es müsste auch hier interdisziplinär geforscht werden, ob es nicht schon mathematische Ansätze gibt, die es erlauben, eine Relation auch formal zu einer analytischen Grundeinheit zu machen und Wandel als einen permanenten Strom abzubilden etc. Für diese Untersuchungen könnte die Ökonomik sich auch dem State of the art moderner Mathematik und Kybernetik anpassen. Dies sind aber die Ziele für weitere Forschungsprojekte. Die vorliegende Arbeit soll den Weg bereiten, Gedankengänge der Sozialphilosophie in die Ökonomik einzubringen und damit ihren Erkenntniswert zu steigern. Sie kann nur der Anfang sein einer immer weiter fortschreitenden Integration dieser beiden Geisteswissenschaften. Hieran zu arbeiten bleibt die Aufgabe für die Zukunft.
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Franz Kasper Krönig Die Ökonomisierung der Gesellschaft Systemtheoretische Perspektiven 2007, 164 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN: 978-3-89942-841-4
Andreas Pott Orte des Tourismus Eine raum- und gesellschaftstheoretische Untersuchung 2007, 328 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-763-9
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Johannes Angermüller Nach dem Strukturalismus Theoriediskurs und intellektuelles Feld in Frankreich 2007, 290 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-810-0
Anette Dietrich Weiße Weiblichkeiten Konstruktionen von »Rasse« und Geschlecht im deutschen Kolonialismus 2007, 430 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-807-0
Daniel Suber Die soziologische Kritik der philosophischen Vernunft Zum Verhältnis von Soziologie und Philosophie um 1900 2007, 524 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN: 978-3-89942-727-1
Susanne Krasmann, Jürgen Martschukat (Hg.) Rationalitäten der Gewalt Staatliche Neuordnungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert 2007, 294 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-680-9
Markus Holzinger Kontingenz in der Gegenwartsgesellschaft Dimensionen eines Leitbegriffs moderner Sozialtheorie 2007, 370 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-543-7
Jochen Dreher, Peter Stegmaier (Hg.) Zur Unüberwindbarkeit kultureller Differenz Grundlagentheoretische Reflexionen 2007, 302 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-477-5
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Sozialtheorie Sandra Petermann Rituale machen Räume Zum kollektiven Gedenken der Schlacht von Verdun und der Landung in der Normandie
Thomas Jung Die Seinsgebundenheit des Denkens Karl Mannheim und die Grundlegung einer Denksoziologie
2007, 364 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-750-9
2007, 324 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-636-6
Benjamin Jörissen Beobachtungen der Realität Die Frage nach der Wirklichkeit im Zeitalter der Neuen Medien
Ingrid Jungwirth Zum Identitätsdiskurs in den Sozialwissenschaften Eine postkolonial und queer informierte Kritik an George H. Mead, Erik H. Erikson und Erving Goffman
2007, 282 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-586-4
Susanne Krasmann, Michael Volkmer (Hg.) Michel Foucaults »Geschichte der Gouvernementalität« in den Sozialwissenschaften Internationale Beiträge 2007, 314 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-488-1
Hans-Joachim Lincke Doing Time Die zeitliche Ästhetik von Essen, Trinken und Lebensstilen 2007, 296 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-685-4
Nina Oelkers Aktivierung von Elternverantwortung Zur Aufgabenwahrnehmung in Jugendämtern nach dem neuen Kindschaftsrecht
2007, 410 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-571-0
Christine Matter »New World Horizon« Religion, Moderne und amerikanische Individualität 2007, 260 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-625-0
Petra Jacoby Kollektivierung der Phantasie? Künstlergruppen in der DDR zwischen Vereinnahmung und Erfindungsgabe 2007, 276 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-627-4
2007, 466 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-632-8
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