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German Pages 254 [256] Year 1975
MH
Karl-Heinz Weimann
Bibliotheksgeschichte Lehrbuch zur Entwicklung und Topographie des Bibliothekswesens
Verlag Dokumentation München
CIP-Kurztitelaufnahme Weimann,
der Deutschen Bibliothek:
Karl-Heinz
Bibliotheksgeschichte : Lehrbuch z. Entwicklung u. Topographie d. Bibliothekswesens. ISBN 3-7940-3179-2
© 1975 by Verlag Dokumentation Saur KG, München Gesamtherstellung: Graph. Werkstätten Kösel, Kempten/Allgäu Gesamtgestaltung: Günter Stöberlein, München Printed in West Germany ISBN 3-7940-3179-2
Vorwort Der hier vorgelegte Überblick über die Geschichte des Bibliothekswesens hat dreifache Zielsetzung. In erster Linie Lehrbuch, wendet er sich als Ausbildungshilfe an angehende Bibliothekare, die Studierenden der Bibliotheksakademien und Bibliotheksschulen. Er soll aber auch in den Bibliotheken als Nachschlagewerk dienen können. Und schließlich ist er als Kulturgeschichte des Bibliothekswesens auch für den Kulturhistoriker und Wissenschaftshistoriker gedacht. Die Entwicklung der Bibliotheken und des Bibliothekswesens wird in den Zusammenhang des gesamten Informationswesens gestellt, aber auch als Teilaspekt der gesellschaftlichen Entwicklung aufgefaßt und deshalb in enger Verbindung mit der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Geschichte dargestellt. Für ein handliches Lehrbuch der Bibliotheksgeschichte mußte der Gesamtumfang des Faches abgedeckt, aber andererseits auch manches Detail übergangen und der Stoff auf das Wesentliche konzentriert werden. Dem Nachschlagewerkcharakter tragen Zusatzinformationen Rechnung (Zahlenmaterial, Namensformen, Hinweise auf weitere Bibliotheken usw.), die nicht zum eigentlichen Lehrbuchstoff gehören. Der Plan zum vorliegenden Lehrbuch und ausführliche Vorarbeiten ergaben sich aus langjähriger Tätigkeit des Verfassers als Dozent für Bibliotheksgeschichte. Zahlreichen Bibliotheken und Bibliothekaren ist für bereitwillige Unterstützung und Auskunft zu danken, ohne daß sie alle im einzelnen genannt werden können. Besondere Anregung verdankt der Verfasser seinen verehrten Kollegen Dr. Emanuele Casamassima (Direktor der Biblioteca Nazionale Centrale, Florenz, i. R.), Dr. Rudolf Grieser (Direktor der niedersächsichen Staatsarchive, Hannover, i. R.), Dr. Laurenz Strebl (vom österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Wien), Dr. Wilhelm Totok (Direktor der Niedersächsischen Landesbibliothek, Hannover) und Dr. Hans-Oskar Weber (Direktor der Universitätsbibliothek Clausthal). Dank gilt auch dem Verlag für verständnisvolle Förderung der Arbeit. Hannover, Mai 197J
Karl-Heinz Weimann
Inhaltsverzeichnis Vorwort A . Frühestes Informationswesen
j 13
(Frühschriftliches und vorschriftliches Informationswesen / Vorschriftliche Zeichenkommunikation / Sprache) B. Altertum
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Bi.
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Vorderorientalisdies Informations- und Bibliothekswesen
Β i.i.
Zeitsituation (Frühe Staaten: Ägypten, Babylonien-Assyrien / Wirtschaft, Technik / Gesellschaft / Kultur, Wissenschaft) Β 1.2. Informations-und Bibliothekswesen (Schriftlichkeit: objektivierte Datenspeicherung / Keilschrift, Tonziegel / Hieroglyphenschrift, Papyrus / Phönizische Buchstabenschrift / Schrifttexte / Dokumentensammelstellen / Gebäude, Bestände, Aufstellung / Personal / Bestandsaufbau: Schriftenproduktion, Erwerbung / Erschließung, Katalogisierung / Benutzung) Β 1.3. Einzelne Dokumentensammelstellen
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(Allgemeines / Ägypten / Assyrien: Ninive) Β 2.
Indisches und chinesisches Informations-und Bibliothekswesen
Β 3. Β 3.1.
Griechisch-römisches I n f o r m a t i o n s - u n d Bibliothekswesen Zeitsituation (Frühe europäische Kulturen / Griechisch-hellenistische Staaten / Römischhellenistischer Staat / Gesellschaft / Wirtschaft,Tedinik / Kulturwissenschaft) Β 3.2. Informations-und Bibliothekswesen (Schrift, Datenträger / Bibliotheken / Bestände, Gebäude, Aufstellung / Bibliothekspersonal / Bibliothekstheorie / Bestandsaufbau: Buchproduktion, Erwerbung / Erschließung, Katalogisierung / Benutzung) Β 3.3. Einzelne Bibliotheken (Athen / Alexandrien / Pergamon / Rom / Konstantinopel)
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C . Mittelalter
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Ci. Zeitsituation C i . i . Auflösung der »Alten Welt« (Staat / Wirtschaft, Gesellschaft / Kultur, Wissenschaft) C 1.2. Byzantinischer Bereich (Staat, Wirtschaft, Gesellschaft / Kultur, Wissenschaft) C 1.3. Arabischer Bereich (Staat, Wirtschaft, Gesellschaft / Kultur, Wissenschaft) C 1.4. Europäischer Bereidi (Staat / Gesellschaft / Wirtschaft, Technik / Kultur, Wissenschaft: Frühzeit, Karolinger- und Ottonenzeit, Hohenstauferzeit, Spätmittelalter)
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8 C2.
Inhaltsverzeichnis Informations-und Bibliothekswesen (Allgemeines / Schrift / Datenträger, Buchformen / Bibliotheken, Bibliothekstypen / Bestände, Bestandsumfang / Räumlichkeiten, Gebäude, Aufstellung / Bibliothekspersonal / Bibliothekstheorie / Bestandsaufbau: Buchproduktion, Erwerbung / Erschließung, Katalogisierung / Benutzung)
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C3. Einzelne Bibliotheken C 3 . 1 . Byzantinischer Bereich (Konstantinopel / Provinzen / Byzantinischer Bibliothekseinfluß in Italien und Rußland) C 3 . 2 . Arabischer Bereich (Bagdad, Kairo usw.) C 3.3. Europäischer Bereich (Frühe Kloster- und Bistumsbibliotheken in Italien / Klosterbibliotheken der irisch-sdiottischen Müsion / Kloster- und Bistumsbibliotheken in England / in Frankreich / in Deutschland und Mitteleuropa / Landesherrliche Privatbibliotheken / Spätmittelalterliche Universitäten)
45 45
D . Neuzeit (Zeitsituation; Informations- und Bibliothekswesen)
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Di. D u .
Zeitalter der Renaissance: i j . - 1 6 . Jh. Zeitsituation (Ablösung des Mittelalters / Staat / Gesellschaft / Wirtschaft, Technik / Humanismus, Renaissancekultur / Reformation, Gegenreformation / Entdeckungen, Erfindungen / Wissenschaft, Universitäten) D 1.2. Informations-und Buchwesen (Buchdruck / Schrift / Datenträger, Buchform, Bucheinband / Schriftengattungen / Buchhandel, Verlagswesen / Bibliographie) D 1.3. Bibliothekswesen: Allgemeines (Allgemeines / Bibliothekstypen / Wichtige Einzelbibliotheken / Bestände, Bestandsumfang / Räumlichkeiten, Gebäude / Aufbewahrung, Aufstellung / Bibliothekspersonal) D 1.4. Bibliotheksverwaltung, Bibliotheksbetriebswesen (Bestandsaufbau, Erwerbung / Erschließung, Katalogisierung / Benutzung) D 2. Zeitalter des Barock, der A u f k l ä r u n g , des Absolutismus: 17.—18. J h .
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D 2 . 1 . Zeitsituation (Allgemeines / Staat / Gesellschaft / Wirtschaft, Technik / Barockkultur / A u f klärung / Wissenschaft: Allgemeines / Universitäten,Hochschulen / Forschung) D 2.2. Informations- und Buchwesen (Buchdruck / Datenträger, Bucheinband / Schriftengattungen / Buchhandel, Verlagswesen / Bibliographie) D 2.3. Bibliothekswesen: Allgemeines (Allgemeines / Bibliothekstypen / Wichtige Einzelbibliotheken / Bestände, Bestandsumfang / Räumlichkeiten, Gebäude, Aufstellung / Innerbetriebliche Gliederung: Abteilungen / Bibliothekspersonal / Bibliothekstheorie) D 2.4. Bibliotheksverwaltung, Bibliotheksbetriebswesen (Bestandsaufbau, Erwerbung / Erschließung, Katalogisierung / Benutzung)
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D3. Industriezeitalter: 1 9 . - 2 0 . J h . D 3 . 1 . Zeitsituation
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Inhaltsverzeichnis (Allgemeines / Staat / Gesellschaft / Wirtschaft, Technik / Liberalismus, Sozialismus / Kultur und Geistesleben im Industriezeitalter / Wissenschaft: Allgemeines / Universitäten, Hochschulen / Forschung) D 3.2. Informations-und Buchwesen (Informationswesen / Buchdruck / Datenträger, Medien, Bucheinband / Schriftengattungen / Buchhandel, Verlagswesen, Medienvertrieb / Bibliographie / Dokumentation / Informationswissenschaft) D 3.3. Informations-und Bibliothekswesen: Allgemeines (Allgemeines / Bibliothekstypen / Wichtige Einzelbibliotheken / Bestände, Bestandsumfang / Bibliotheksbau: Räumlichkeiten, Gebäude / Aufbewahrung, Aufstellung / Bibliothekstechnik / Innerbetriebliche Gliederung: Abteilungen / Bibliothekszusammenarbeit: Gemeinschaftsunternehmungen, Bibliotheksnetze / Bibliothekspersonal / Bibliotheksausbildung / Bibliothekstheorie, Bibliothekswissenschaft) D 3.4. BibliotheksVerwaltung, Bibliotheksbetriebswesen (Allgemeines / Bestandsaufbau, Erwerbung / Erschließung, Katalogisierung / Benutzung)
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IOO
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E. Neuzeit (Europäische Bibliotheken)
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Ε ι. Ε i.i.
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Ε 1.2.
Ε 1.3.
Ε 1.4.
Ε 1.5.
Ε 1.6. Ε ΐ·7·
Ε 1.8. Ε 1.9. Ei.10.
Mitteleuropa (Deutschsprachiges und niederländisches Europa) Allgemeines (Bibliothekswesen: Allgemeines / Hofbibliotheken, Staats- und Landesbibliotheken / Universitätsbibliotheken / Stadtbibliotheken / Bibliothekszusammenarbeit / Bibliothekswesen in der Bundesrepublik Deutschland / Gemeinschaftsunternehmungen im gesamten deutschen Sprachgebiet) Hansestädte, Schleswig-Holstein, Niedersachsen (Allgemeines / Hansestädte, Schleswig-Holstein: Bibliotheken / Hamburg usw. / Niedersadisen: Bibliotheken / Hannover; Braunschweig, Wolfenbüttel; Göttingen usw.) Nordrhein-Westfalen (Allgemeines / Nordrhein-Westfalen: Bibliotheken / Köln, Bonn; Düsseldorf; Bochum, Essen, Dortmund usw.) Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland (Allgemeines / Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland: Bibliotheken / Frankfurt am Main; Mainz, Wiesbaden usw.) Baden-Württemberg (Allgemeines / Baden-Württemberg: Bibliotheken / Stuttgart; Heidelberg, Mannheim usw.) Bayern (Allgemeines / Bayern: Bibliotheken / München; Nürnberg, Erlangen usw.) Berlin, D D R (Preußen, Sachsen) (Allgemeines / Preußisdies Bibliothekswesen / Berlin / D D R : Bibliotheken / Leipzig; Dresden; Halle usw.) Österreich (Allgemeines / Österreich: Bibliotheken / Wien; Graz usw.) Schweiz (Allgemeines / Schweiz: Bibliotheken / Bern; Basel; Zürich usw.) Elsaß
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Inhaltsverzeichnis
Ε ι . ι ι . Benelux (Allgemeines / Benelux: Bibliothekswesen / Niederlande: Bibliotheken / Den Haag, Leiden, Delft; Amsterdam usw. / Belgien, Luxemburg: Bibliotheken)
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Ε 2.
Ostmitteleuropa (Allgemeines / Ostmitteleuropa: Bibliothekswesen / Polen: Bibliotheken / Warschau usw. / Tschechoslowakei: Bibliotheken / Prag usw. / Ungarn: Bibliotheken / Budapest usw.)
16 t
Ε 3.
Skandinavisches Europa (Allgemeines / Skandinavisches Europa: Bibliothekswesen / Dänemark: Bibliotheken / Kopenhagen usw. / Schweden: Bibliotheken / Stockholm usw. / Norwegen: Bibliotheken / Finnland: Bibliotheken)
168
Ε 4.
Britisches Europa (Allgemeines / Britisches Europa: Bibliothekswesen / England: Bibliotheken / London; York, Boston Spa; Oxford; Cambridge; Liverpool, Manchester usw. / Schottland: Bibliotheken / Edinburgh usw. / Wales: Bibliotheken / Irland: Bibliotheken)
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Ε j.
Französisches Europa (Allgemeines / Französisches Europa: Bibliothekswesen / Paris / Frankreich, Nord: Bibliotheken / Straßburg usw. / Frankreich, Süd: Bibliotheken / Lyon usw. / Belgien: Bibliotheken / Brüssel usw. / Schweiz: Bibliotheken / Genf) Italienisches Europa (Allgemeines / Italienisches Europa: Bibliothekswesen / Oberitalien, Toskana: Bibliotheken / Florenz; Mailand; Bologna; Venedig usw. / Mittelitalien, Süditalien: Bibliotheken / Rom usw.)
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Ε 6.
189
Ε 7.
Spanisches und portugiesisches Europa (Allgemeines / Spanien, Portugal: Bibliotheken / Madrid, El Escorial usw.)
198
Ε 8.
Südosteuropa (Allgemeines / Südosteuropa: Bibliotheken)
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F . Neuzeit (Sowjetische Bibliotheken)
202
F1.
Allgemeines (Allgemeines / Bibliothekswesen: Allgemeines / Bibliothekstypen / Bibliotheksnetze / Bibliothekszusammenarbeit, Gemeinschaflsunternehmungen)
202
F 2.
Rußland (Allgemeines / Europäisches Rußland: Bibliotheken / Moskau; Leningrad usw. / Sibirien, Ferner Osten: Bibliotheken)
206
F3.
Ukraine, Weißrußland (Allgemeines / Ukraine, Weißrußland: Bibliotheken / Kiev usw.)
211
F4.
Baltikum (Allgemeines / Baltikum: Bibliotheken)
213
F 5.
Kaukasien (Allgemeines / Kaukasien: Bibliotheken)
214
F 6.
Zentralasien (Allgemeines / Zentralasien: Bibliotheken)
21 j
Inhaltsverzeichnis
ιχ
G. Neuzeit (Nordamerikanische Bibliotheken)
216
G1.
216
Allgemeines (Allgemeines / Bibliothekswesen: Allgemeines / Bibliothekstypen / Bibliotheksbetriebswesen, Bibliothekszusammenarbeit)
G 2.
USA: Nordosten (Neu-England, »Mittelatlantik«)
219
(Allgemeines / USA, Nordosten: Bibliotheken / Washington; New York; Boston, Cambridge-Mass.; New Haven-Conn. usw.)
G 3.
USA: Mittelwesten (Große Seen)
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G4.
USA: Süden
226
G5.
USA: Westen
226
G 6.
Kanada
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(Allgemeines / USA, Mittelwesten: Bibliotheken / Chicago usw.) (Allgemeines / USA, Süden: Bibliotheken)
(Allgemeines / USA, Westen: Bibliotheken) (Allgemeines / Kanada: Bibliotheken)
H. Neuzeit (Bibliotheken in andern Weltteilen)
229
(Allgemeines / Australien / Lateinamerika / Afrika, südlich der Sahara / Vorderer Orient, Nordafrika / Indien / Ostasien)
Bibliographie
232
(Darstellungen / Lexika / Adreßbüdier / Bildbände / Bibliographien / Zeitschriften)
Register
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Α. Frühestes Informationswesen Frühscbriftliches und vorschriftlicbes Informationswesen. - Die Geschichte des Bibliothekswesens reicht zeitlich weiter zurück als die Geschichte der Bibliotheken. Schon in der Früh- und Vorantike, noch vor der Herausbildung eigentlicher Bibliotheken, entfaltet sich bibliothekarische Tätigkeit innerhalb von allgemeinen Sammelstellen für schriftliche Überlieferung jeglicher Art. Voraus liegt eine lange mündliche Tradition der Wissensüberlieferung und Informationsvermittlung, vorschriftlich, in jeder Hinsicht vorbibliothekarisch, aber dennoch bereits voll dem Informationswesen zugehörig. Vorschriftliche Zeichenkommunikation. - Menschliches Zusammenleben vollzieht sich von allem Anfang an vermittels kollektiver Kommunikation, durch wechselseitigen Austausch von Zeichen. In primitivsten Verhältnissen werden Zeichen, symbolisch, gestisch oder lautlich, nur in aktuellen Situationen produziert und ausgetauscht. Erfahrungsspeicherung ist daher zunächst nur in begrenztem Ausmaß möglich. Die allmähliche Herausbildung gemeinschaftlicher Zeichensysteme, die regelmäßige, gleichartige, kollektive Zeichenkommunikation festigt die entstehenden frühen Gesellschaftsgebilde und hält sie zusammen. Sprache. — Das wichtigste zwischenmenschliche Kommunikationssystem wird die Sprache, ein Zeichensystem auf lautlicher Grundlage. Sprache ist das eigentliche Gedächtnis der Menschheit. In ihr werden Erfahrungen nicht nur momentan ausgedrückt, sondern als Begriffe dauerhaft konserviert, für späteren Rückgriff bereitgehalten. Das Wort, dem flüchtigen Begriff als Kennmarke und Repräsentativzeichen beigegeben, macht ihn permanent nachvollziehbar. Das Wort konstituiert den Begriff dadurch erst recht eigentlich als Element bleibender, wiederholbarer Weltorientierung.
Β. Altertum Β ι. Vorderorientalisches Informationsund Bibliothekswesen Β i.i.
Zeitsituation
Frühe Staaten: Ägypten, Babylonien-Assyrien. - Das erste, frühe »Bibliothekswesen" entwickelt sich in den ersten, frühen Staaten: im Vorderen Orient. Ägypten und Mesopotamien stehen zeitlich am Anfang. Auch noch vor China und lange vor Europa. Der ägyptische Staat wird schon im 5. Jahrtausend v. Chr. greifbar. Anfangs als lockere Union mehrerer Kleinstaaten im Norden und im Süden, zusammengehalten durch jeweilige Hegemonialstaaten. Allmählich entsteht ein Einheitsstaat. Seine Unabhängigkeit, Integrität und immer erneute Großmachtstellung kann er (mit geringen Unterbrechungen) bis in die Mitte des letzten Jahrtausends v. Chr. halten. - Mesopotamien tritt staatlich etwas später in Erscheinung als Ägypten. Auch ist seine Geschichte politisch wechselvoller. Lange ebenfalls eine Union mehrerer Einzelstaaten, jedoch mit häufig wechselnder Vorherrschaft verschiedener, einander ablösender Stadtstaaten bzw. Stadtvölker. Um 3000 v. Chr. die Sumerer (Kernlandschaft: Sumer); dann semitische Völkerschaften: vor 2300 v. Chr. die Akkader (Hauptstadt: Akkad), um 2000 v. Chr. und auf lange Zeit die Babylonier (Hauptstadt: Babylon), schließlich ab 900 v. Chr. die Assyrer (Hauptstädte: Assur und Ninive). — Einige weitere frühe Staatenbildungen des Vorderen Orients dürfen nicht unerwähnt bleiben: das Reich der indogermanischen Hethiter in Kleinasien (heutige Osttürkei), der kleine Staat der Israeliten (ungefähr im heutigen Israel), die maritimen Stadtstaaten der Phönizier (an der syrisch-libanesischen Mittelmeerküste), nebst dem im gleichen Bereich gelegenen Handelsstaat Ugarit (südlich der heutigen syrisch-türkischen Grenze). - Zwischen 600 und joo v. Chr. werden alle vorderorientalischen Staaten von den Medern und Persern überrannt und verbleiben dem Perserreich einverleibt bis zur griechischen Eroberung durch Alexander den Großen. Damit endet dieser mehrtausendjährige, im einzelnen natürlich sehr vielgestaltige Entwicklungsabschnitt der orientalischen Weltzivilisation. Wirtschaft, Technik. - Die staatliche, wirtschaftliche und kulturelle Leistung der frühen Orientalen in Ägypten und Mesopotamien kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Hier zuerst in der Menschheitsgeschichte erfolgt die Überwindung der steinzeitlichen Lebensweise. Anderwärts wurde sie länger beibehalten. In einigen abgelegenen Gegenden Afrikas, Ozeaniens und Innerbrasiliens dauerte sie bis fast in die heutige Gegenwart fort. Ägypten und Mesopotamien aber leiten die Ablösung der Steinzeit bereits im 4., in Ansätzen schon im 5. Jahrtausend v. Chr.
Vorderer Orient
15
ein. Dabei ist die Entdeckung der Metalle nur eine unter vielen Errungenschaften. Metalle (Kupfer, dann legiert Bronze, schließlich Eisen) wurden bald auch von andern Völkerschaften übernommen. Aber zuerst hier im Vorderen Orient, und auf längere Zeit nur hier, entsteht eine differenzierte frühe Technologie. Eine Fülle verschiedenartiger Werkzeuge, Geräte, Waffen entwickelt sich. Die Fertigungsmethoden verbessern sich. Neue Produktionszweige werden erschlossen; auch solche, die über die Befriedigung des Lebensnotwendigen hinausgehen: Kunsthandwerk, Schmuck, Kosmetik usw. Erste größere Verkehrs- und Transportmittel werden geschaffen: von Tieren gezogene Räderfahrzeuge und Flußschiffe. Die Bautechnik macht beachtliche Fortschritte gegenüber der Holz- und Pfahlbauweise der Steinzeit. Zwar bleiben die privaten Wohnbauten des Volkes noch dürftig. Doch für öffentliche Gebäude setzt nun der Steinbau ein: Tempel, Paläste, Grabpyramiden, Befestigungsmauern. Die ersten Stadtsiedlungen entstehen. - Im ganzen bietet der Vordere Orient die ersten historischen Beispiele einer organisierten „Volkswirtschaft«, jedenfalls in Ansätzen als organisierte Gemeinschaftswirtschaft, mit einem bereits hohen Grad von Arbeitsteilung. Erster Anlaß dazu waren vermutlich die alljährlichen Frühjahrsüberschwemmungen der großen Flüsse, die eine extrem fruchtbare Schlammdecke zurückließen. Der Bau von Schutzdämmen, Staubecken und Berieselungskanälen zu ihrer Ausnutzung wird allmählich als agrarwirtschaftliche Notwendigkeit erkannt, kann aber nur durch organisierte Gemeinschaftsarbeit geleistet werden. Gesellschaft. — Die organisatorische Bewältigung der Probleme einer gesamtheitlichen Wirtschaft im Stromgebiet des Nil bzw. des Euphrat und Tigris erfordert und schafft eine gegliederte Gesellschaft und läßt die Uferanliegerstaaten in Ägypten und Mesopotamien entstehen. Die Organisierung der Gemeinschaftsarbeiten und die Lenkung der Gemeinschaftsangelegenheiten fällt nach und nach einer sich herausbildenden Führungsschicht zu: zivile und technische Verwalter und Planer; militärische Führer; Priester als »Universalintellektuelle« für die religiösen und alle theoretisch-wissenschaftlichen Belange. An der Staatsspitze autokratische Herrscher mit unbegrenzter Machtbefugnis und in dynastischer Erblichkeit. Das breite Volk ohne Boden- und Wirtschaftseigentum, mit gewissen, doch sehr geringen Rechten, ohne Anteil an der Regierung. Neben die große Schicht der Ackerbauern treten in zunehmendem Maße Handwerker verschiedener Spezialisierung. Die soziale Gruppe der Sklaven ist lange Zeit nur von relativ geringem Umfang, spielt aber im letzten vorchristlichen Jahrtausend eine erhebliche Rolle. Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, daß es ökonomisch zweckmäßiger ist, Kriegsgefangene nicht zu töten, sondern als billige Arbeitskräfte auszubeuten. Die Assyrer übernehmen ganze Völkerschaften in die Sklaverei. Sklavenarbeit wird zu einer wesentlichen Wirtschaftsgrundlage für das ganze Altertum, auch durch die griechisch-römische Antike. Kultur, Wissenschaft. - Parallel zu der bedeutenden wirtschaftlichen Entwicklung verläuft eine frühe kulturelle und erste wissenschaftliche Entfaltung. Noch allerdings dominiert die Religion absolut. Sie greift in viele Lebensbereiche ein, oft
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Altertum
mit kultischen Begleitriten. Staat und Religion sind so stark verzahnt, daß der Herrscher zugleich oberster Priester und Stellvertreter des obersten Gottes ist. In den Händen der Priesterkaste liegt die Leitung und Ausübung vieler Staatsgeschäfte und die Wahrnehmung aller wissenschaftlichen Belange. Die vorderorientalischen Religionen haben sich von der magisch-dämonischen Stufe der Steinzeit gelöst, in Ägypten und Mesopotamien eine naturbezogene Phase des Polytheismus erreicht, in Israel sogar einen frühen Durchbruch zum Monotheismus erlebt. Philosophie, im späteren griechischen Sinne, kann sich daneben noch kaum entwickeln und nur tastende Anfänge zeitigen. Jedoch entstehen gegenüber der bisherigen Steinzeitsituation jetzt erste weltliche Wissenschaften: eine gut entwickelte Mathematik, mit praktischen Anwendungsgebieten bei der Erntezählung, der Geometrie mit Landvermessung und Baustatik, der Astronomie mit Sternbahnberechnung, Zeitmessung und Kalendereinrichtung; ferner Medizin, als entwickeltere Heilkunst und Anatomie, Ansätze zur Chemie, sowie eine auf erste fixierte Rechtsnormen zusteuernde Jurisprudenz.
Β 1.2. Informations-
und
Bibliothekswesen
Schriftlichkeit, objektivierte Datenspeicherung. - Die Entfaltung der frühen Wissenschaften führt zu ständiger Komplizierung und Vermehrung des Gedächtnisstoffes. Sprache mit ihrer kontinuierlichen Konservierung von Daten und Fakten in Begriffen war zum ersten Instrument der Wissensspeicherung geworden (vgl. oben S. 13). Die Herausbildung einer eigenen intellektuellen Berufsgruppe, vertreten durch den Priesterstand, bietet eine zusätzliche Lösung zur leichteren Bewältigung des Problems der Wissensspeicherung: nämlich den Weg arbeitsteiliger Spezialisierung. Bei weiterer Wissens- und Informationszunahme reicht das alles allmählich nicht mehr aus. Neue Methoden und Hilfsmittel zur Datenspeicherung werden erforderlich, ja unabweislich: Symbole, Bildzeichen, Schriftzeichen, die außerhalb des Menschen, losgelöst von seiner zufälligen Gedächtniskapazität, den Begriffen, den Worten, den Texten Dauer verleihen. Schrift als in sich geschlossenes System entsteht. Ein sekundäres Zeichensystem für ein primäres Zeichensystem: Schriftzeichen für Sprachzeichen. - Die Mesopotamier und Ägypter haben mit der Erfindung der Schrift den wichtigsten Beitrag in der gesamten Geschichte des menschlichen Informationswesens geleistet. Den entscheidenden Durchbruch von der subjektiven (oder doch immer noch gruppensubjektiven, gedächtnisabhängigen) zur objektiven Datenspeicherung. Alle weiteren Schriften, alle weiteren Schreibmaterialien, bis hin zur schnellen elektronischen Abrufbarkeit magnetischer Zeichenschriften, sind nur noch Modifikationen und Perfektionierungen dieses entscheidenden ersten Übergangs von der innermenschlichen zur außermenschlichen Datenspeicherung. Keilschrift, Tonziegel. - Das erste in sich geschlossene Schriftsystem der Menschheit ist die mesopotamische Keilschrift. Ihre Entwicklung beginnt gegen 3000 v. Chr. mit dem frühen mesopotamischen Hegemonialvolk der Sumerer. Am Anfang
Vorderer Orient
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stehen Wirtschaftsaufzeichnungen mit Bildzeichen f ü r die verwalteten Produkte und Strichzeichen f ü r deren Quantitäten. Eine erste Bilderschrift und ein erstes Zahlensystem. Diese Bilderschrift ist zunächst eine »Ideenschrift«, d. h. komplexe Bildsymbole stehen f ü r komplexe Gesamtinhalte (ζ. B. f ü r Art u n d Verwertung der Produkte, Qualitäten, Lagerung, Wiederausgabe usw.). In längerer Entwicklung kommt es zur Vereinfachung und Stilisierung der Zeichenformen, zur Reduzierung der Zeichenzahl, zur Fixierung der Zeichen auf feste Begriffe, und somit schließlich zur Einzelbegriffsschrift, zur »Wortschrift« und »Silbenschrift«. Weitere Rationalisierung f ü h r t zur phonetischen Lautschrift. Die Akkader übernehmen diese sumerische Schrift f ü r ihre eigene Sprache, ebenso später die Babylonier und Assyrer, zuletzt noch die Perser. Mit der bedeutungsmäßigen geht die formale Rationalisierung einher und f ü h r t allmählich zu bloßen Strichkombinationen. Die Stridie, einseitig keilförmig verstärkt, werden in feuchten Ton eingedrückt: mit einem eckigen (verkantet gehaltenen) Griffel. Diese Schriftträger aus Ton treten in verschiedenen Formen a u f : Tafeln, Zylinder, Kegel. Als normale Dokumentenform überwiegt mit Abstand die Tontafel. Hieroglyphenschrift, Papyrus. - Die ägyptische Hieroglyphenschrift wird kaum später als die mesopotamische Keilschrift greifbar. Auch sie hat sich von der Bilderschrift, als Ideenschrift, zur Wort- u n d Lautschrift entwickelt. In ihrem lange vorherrschenden System stehen Reste der Ideen- und Wortzeichen neben Laut- und Buchstabenzeichen. Die ägyptische Hieroglyphenschrift wird nicht eingeprägt, sondern geschrieben: auf schmiegsames Material. Papyrus, der hauptsächliche Beschreibstoff, ist ein Verarbeitungsprodukt aus dem Stengelmark der Papyruspflanze. Das zugehörige Schreibzeug - zugespitztes Binsen- oder Schilfrohr (später auch ein zugespitzter Griffel) - dient zum Schreiben mit Farbtinte, die f ü r den jeweiligen Schreibvorgang aus Trockenpulver bereitet wird. Die normale Form des PapyrusBeschreibstoffs ist die Buchrolle. Für kürzere Dokumente in der einfachen Länge der zurechtgeschnittenen und lagenweise übereinandergeklebten Papyrusmarkstreifen. Durch Aneinanderkleben dieser »Grundeinheiten« entstehen lange Bahnen f ü r größere Schriftwerke, f ü r ganze Bücher. Gegenüber der Tonziegel-Schreibweise enthält die Papyrus-Schreibweise alles Zukunftweisende: handliche Farbschreibstifte, schmiegsame Blätter, Erweiterungsfähigkeit zur vollen Buchform. Phönizische Buchstabenschrift. - Die konsequente Ausbildung und Anwendung der Buchstabenschrift findet sich zuerst bei den Phöniziern. In Ansätzen neben der Hieroglyphenschrift schon von Anbeginn der ägyptischen Überlieferung bezeugt, später auch im Keilschriftenbereich, erreicht die Buchstabenschrift den entscheidenden Durchbruch und einen nachhaltigen Ausbreitungsanstoß in der phönizischen Konsonanten-Lautschrift des 2. Jahrtausends v. Chr. Von ihr leiten sich die hebräische und die arabische Schrift her. Aus ihr entwickelt sich das griechische Alphabet, das neben den Konsonanten auch Vokale kennt. Über die griechische reicht ihr Einfluß auf die daraus abgeleitete lateinische Schrift. Auch das altgermanische Runenalphabet führt, über Zwischenstufen, seine H e r k u n f t auf diesen gemeinsamen Stammbaum zurück. Die späteren slawisch-kyrillischen Schriftzeichen
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Altertum
entstehen durch direkte Weitergabe und Ergänzung der griechischen. Angesichts dieser breiten und anhaltenden Wirkungsgeschichte kann man von einem Weltbeitrag der Phönizier zum Schriftwesen sprechen. Schrifttexte. - Inhaltlich stehen am Anfang des vorderorientalischen Schriftwesens jene oben erwähnten einfachen Wirtschaftstexte, Verwaltungspapiere und Zahlennotierungen (zur Ernte, zur Feldvermessung, zu Lagerbeständen u. ä.). Dazu kommen in Ägypten und Mesopotamien allmählich weitere Arten von Staatspapieren, Vereinbarungen, auswärtigen Verträgen, ferner Wortkonkordanzen als Frühstufe von Wörterbüchern. Auch die vormals mündlich überlieferten Sprachtextgattungen werden jetzt aufgezeichnet: kultische Texte, Beschwörungsformeln, Lehr- und Merkgedichte, historische und genealogische Aufzählungsstücke, Götterund Heldensagen. Sie werden ergänzt durch breitere Formen zeitgeschichtlicher Annalen, durch mythologische und religionsphilosophische Darstellungen, durch erste erzählende Kunstwerke, Märchen, Reisebeschreibungen und Liebesdichtungen. Dokumentensammelstellen. - Das immer reichere Auftreten von Schrifttexten, Akten und Literatur, macht feste Sammelplätze erforderlich: erste allgemeine, noch undifferenzierte Dokumentensammelstellen, die gleichzeitig und ungeschieden die Funktionen von Archiven, Bibliotheken, kultischen Sammlungen und frühen Informationszentren wahrnehmen. Meist sind sie den Tempeln angegliedert und anfangs mit ihnen identisch. Diese Tempel, zunächst rein kultische Institutionen, weiten sich funktionell allmählich zu Gesamtinstituten des geistigen Lebens aus: sie sind Tempel, Wissenschaftsinstitut, Forschungsanstalt, Intellektuellen-Lehrstätte, Schreibkanzlei (auch als Staatskanzlei und Wirtschaftskanzlei), Dokumentensammelstelle (Archiv, Bibliothek, Museum) - alles in einem. Gebäude, Bestände, Aufstellung. - Solche Gesamtinstitute sind auch räumlich den Tempeln angeschlossen, also schon in festen Gebäuden untergebracht (in ägyptischen Steinbauten, mesopotamischen Ziegelbauten). Die eigentliche Dokumentensammelstelle kommt dabei gewöhnlich mit einer oder einigen wenigen Kammern aus. Denn die Bestände sind zahlenmäßig noch gering. Selbst die größeren zusammenhängenden Funde von Tonziegel-Sammelstellen kommen über einige tausend Objekte kaum hinaus. Die Tonziegel scheinen auf Brettern, in hölzernen Regalen oder in Kisten aufbewahrt worden zu sein; ähnlich die Papyrusrollen in Regalen (liegend übereinandergeschichtet), in Kisten oder auch in Tonkrügen. Personal. - Von besonderem Bibliothekspersonal kann man in diesen frühen Zeiten noch nicht reden. Die Funktionen des Kultusverwalters, Wissensträgers und Informationsvermittlers sind noch nicht geschieden. Anfangs gehören sie ein und derselben Person zu, dem Priester als »Universalintellektuellen«. Später differenziert sich der Priesterstand: bestimmte Priester werden für bestimmte Funktionen zuständig; aber sie bleiben doch alle dem gleichen Institut, dem Tempel, zugehörig und üben weiterhin auch kultische Funktionen aus. Neben die priesterlichen Gelehrten, als Wissensträger und Dokumentenverwahrer, tritt die gut ausgebildete Berufsgruppe der Tempelschreiber und die Dienstgruppe der Tempeldiener.
Vorderer Orient
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Bestandsaufbau (Scbriftenproduktion, Erwerbung). - Der Dokumentenherstellung dient vorab die eigene Schreibwerkstätte des Gesamtinstituts. Hierbei handelt es sich selten um eigentliche Buchproduktion (durch Abschreiben von Texten), sondern meist um Anlage von Akten, Vertragsdokumenten und anderen Originalproduktionen. Von auswärts kann diplomatische Korrespondenz zugehen. Beutezugänge bei Kriegszügen spielen nur eine geringe Rolle, weil sie inhaltlich für die Eroberer nicht relevant und somit nicht attraktiv sind. Erschließung, Katalogisierung. - Katalogisierung oder vergleichbare inhaltliche Erschließung fehlen meist vollständig. Gegen Ende der assyrischen Epoche finden sich erste Vorstufen und Ansätze zur Erschließung: in Schlußschriften auf den Tontafeln selbst, die (wie Jahrtausende später die Titelblätter) Angaben zu Werk, Inhalt, Herkunft, Anfertigung und sonstigen Besonderheiten enthalten. Bei »Sammelwerken«, die sich über mehrere Tontafeln hinziehen, fixiert eine Stückzählung auf den Einzelstücken den Zusammenhang und die Reihenfolge. Eine inventarartige Tafel- und Serienübersicht gibt zusätzliche Gesamtstückangaben. Das sind schon nicht mehr nur Ordnungsarbeiten, sondern bereits erste Ordnungsfixierungen die späteren »Benutzern« den Gebrauch erleichtern sollen. Benutzung. — Die Benutzung unterliegt noch völliger Exklusivität. Primär schon wegen des fast universellen Analphabetentums und der weitgehenden Rechtlosigkeit der breitesten Bevölkerungsschichten. Aber auch wegen des kultischen Charakters und der daraus abgeleiteten Heiligkeit des Tempel-Gesamtinstituts. Und nicht zuletzt wegen des dienstlichen Geheimhalteinteresses für den archivalischadministrativen Anteil der Dokumentensammlung. Außer den Priestern, als Wissensträgern, und den Schreibern können nur die Herrscher und leitenden weltlichen Verwaltungsbeamten Zutritt zu den Sammlungen gehabt haben.
Β I.J. Einzelne
Dokumentensammelstellen
Einzelne Dokumentensammelstellen: Allgemeines. — Tempel-Gesamtinstitute als Dokumentensammelstellen sind vorwiegend in den Hauptzentren des politischen Lebens bezeugt. Vereinzelt finden sich Hinweise auf Dokumentensammelstellen in der Literaturüberlieferung. In einer Reihe von Fällen haben aber archäologische Ausgrabungen zuverlässige Fakten ans Licht gefördert. Vor allem in Ägypten und Mesopotamien. Aber audi sonst im Vorderen Orient. Interessant besonders im Hethiterreich (in der heutigen Osttürkei, mit der alten Hauptstadt Hattusa = Chattuscha, beim heutigen Ort Boghazköi) und in der Handelsmetropole Ugarit (an der syrischen Küste, südlich der heutigen syrisch-türkischen Grenze), weil hier die Dokumentensammelstellen schon im 2. Jahrtausend v. Chr. größere Literaturund Bibliotheksbestände neben den Archivbeständen beherbergen. Ägypten: Amarna. - Für Ägypten ist die Sammlung von Amarna (Achet-Aton, beim heutigen Tell-el-Amarna, Mittelägypten) berühmt geworden: in der politischen und kultischen Hauptstadtgründung des bekannten Königs und Religions-
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Altertum
reformers Amenophis IV. (Echnaton, Achanjati, im 14. Jh. v. Chr.), Gemahls der nicht weniger bekannten Königin Nophretete. Die Residenzstadt blieb nach neuerlichem Religionsumschwung unbesiedelt und bot daher bei ihrer Wiederauffindung einen relativ unberührten, unveränderten Zustand. Als Teilbestand der Dokumentensammelstelle haben einige hundert aufgefundene Keilschrift-Tontafeln (!) aus zeitgenössischer diplomatischer Korrespondenz zu gelten. Assyrien: Ninive. - Der größte und wichtigste Tontafelfund des gesamten vorderorientalischen Altertums stammt aus Ninive, der letzten assyrischen Hauptstadt, kurz vor dem Untergang des Assyrerreichs. Hier handelt es sich um die früheste bisher bekannt gewordene Bibliothek der Welt. Sie ist nicht mehr mit einem Tempel zum Gesamtinstitut verbunden, sondern dem königlichen Palast eingegliedert: die Palastbibliothek des Assyrerkönigs Assurbanipal (gest. ca. 627/626 v. Chr.). Zugleich Regierungsbibliothek (und somit auch erste »Behördenbibliothek«) und Staatsarchiv, aber auch in großem Umfang Sammelstelle für »Literatur« im eigentlichen Sinne. Assurbanipal hat alle literarischen und mündlichen Zeugnisse assyrischer und anderer mesopotamischer Dichtung und Legende sammeln und in »authentischen« Belegtexten niederschreiben lassen. Der zutagegeförderte Bestand von 20 000 Tontafeln weist einen in der Weltinformationsgeschichte bis dahin unbekannten und unerhörten Rekordumfang auf. Hier zuerst in der Welt finden sich auch die oben erwähnten Tafel- und Serienübersichten, frühe Inventare und Katalogvorläufer. Ihr Vorhandensein läßt sich aus der Größe des Bestands unschwer erklären: die erste Bibliothek der Welt mit erstem frühen Großbestand erfordert auch die ersten »Katalogmaßnahmen« der Welt. Die Palastbibliothek des Assurbanipal zu Ninive bezeichnet den Höhepunkt und Ausklang des vorderorientalischen Informations- und Bibliothekswesens.
Β 2. Indisches und chinesisches Informations- und Bibliothekswesen Ausbreitung des Schriftwesens. - Die wirtschaftlichen, staatlichen und kulturellen Errungenschaften des Vorderen Orients breiten sich ζ. T. bald, ζ. T. auch sehr langsam und ungleichartig über andere Regionen aus. Die Übernahme der Schrift führt nur mancherorts zur Entstehung von Aktenwesen und Literatur. Zurückgebliebenere Völkerschaften machen nur geringfügigen Gebrauch von der Schrift: zu Kurznachrichten, Inschriften, Widmungs- und Beschwörungsformeln. Vielerlei Arten von Schriftzeichen und Schreibmaterialien kommen auf: Eingravierungen in Stein oder Metall, Einritzungen in Holz, Aufmalung der Schriftzeichen auf Leder, Rinde oder Pflanzenblätter. Am zügigsten entfaltet sich das Schriftwesen, wenn ein ausgeprägtes, gut durchorganisiertes Staatswesen die kontinuierliche gesellschaftliche Grundlage dafür bietet. Das geschieht zunächst in Indien und China, dann auch in Griechenland und Rom.
Indien, China
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Indien. — In Indien entwickelt sich eine der frühesten Hochkulturen der Welt. Auch hier zuerst in den großen Flußregionen: am Indus und später am Ganges. Die Induskultur entfaltet sich schon zwischen dem 4. und 2. Jahrtausend v. Chr. und zeigt manche Ähnlichkeit mit der mesopotamischen Kultur. Kontakte zwischen beiden sind durch Bodenfunde erwiesen. Die Induskultur wird zunächst von vorindogermanischen Drawida-Völkerschaften getragen. Später wachsen die einwandernden, zunächst primitiveren, Indogermanen langsam in diese Kultur hinein und führen sie weiter. Das Schriftwesen, schon in der vor-indogermanischen Zeit ausgeprägt, lebt auch in der indogermanischen Zeit wieder auf. Die älteste erhaltene Handschrift stammt aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. Mit frühen Dokumentensammelstellen - in Städten und an Herrscherresidenzen - kann gerechnet werden. Eigenständige Bibliotheken kristallisieren sich nur langsam heraus und sind nicht vor der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. bezeugt. Einen Weltbeitrag leistet das indische Schriftwesen mit seinen Zahlzeichen, die als erste das Positionssystem aufweisen, d. h. die logische Anordnung der Ziffern nach dem Stellenwert, unter Heranziehung des Zahlbegriffs »O« (»null«). Das indische Zahlensystem wird später unter der Kennmarke »arabische Zahlen« von Europa und der Welt übernommen. China. - Die ausdauerndste unter den frühen Hochkulturen ist die chinesische. Zwar nicht die älteste, aber unter den frühen die einzige, die bis heute fortgelebt hat, - mit manchen Unterbrechungen und Veränderungen, aber doch im ganzen kontinuierlich. Sie wird im 2. Jahrtausend v. Chr. greifbar, tritt also später ans Licht als die vorderorientalische, entwickelt sich selbständig und weitgehend unabhängig von ihr, scheint aber doch manche Anstöße durch Ausstrahlungen der vorderorientalischen Zivilisation empfangen zu haben. Auch in China nehmen Staat und Gesellschaft ihren Ausgang von den großen Flußsystemen: zunächst im Norden am Hwangho, dann auch am Jangtse. Der sich allmählich herausbildende chinesische Gesamtstaat hat, wie die chinesische Kultur, bis heute fortgedauert. Sehr früh entsteht der führende Stand der Beamten, die zugleich Gelehrte und anfangs alleinige Träger des Schriftwesens sind. Die aus der Bilderschrift entstandene Begriffszeichenschrift des 2. Jahrtausends v. Chr. hat sich im ganzen bis heute erhalten, ohne eine Fortentwicklung zur Lautschrift zu vollführen. Mit dieser Begriffsschrift entsteht schon sehr früh ein reiches Dokumentenwesen, das sich bei der Hochblüte der Philosophie im 1. Jahrtausend v. Chr. zu einer verzweigten Literatur ausweitet. Im Verlaufe des 1. Jahrtausends v. Chr. bilden sich auch erste Büchersammlungen heraus. Gegen Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. entfaltet sich im Auftrage der chinesischen Kaiser eine amtliche, zentrale und systematische Büchersammeltätigkeit, unter der Leitung hauptamtlicher Bibliothekare. Die Erfindung des Papiers, ca. 100 v. Chr., repräsentiert einen chinesischen Weltbeitrag zum Buchwesen. Auch der Buchdruck ist eine chinesische Erfindung. Eine Entwicklung in mehreren Etappen. Schon im 2. Jahrhundert n. Chr. werden kritische Mustertextausgaben der Klassiker auf Steintafeln erstellt, mit der Möglichkeit, Abklatschdrucke davon herstellen zu lassen. Eine spätere Vervielfältigungsart (seit
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Altertum
600 η. Chr.) sind Holzdruckplatten dieser Klassikertexte. Im Laufe des Mittelalters setzt sich der Holzdruck in China als gängige Repromethode durch: verschiedenartige Texte, auch Prachtausgaben und sogar Zeitungen sind bezeugt und erhalten. Mit solchen Beiträgen zum Buch- und Bibliothekswesen setzt China frühe Maßstäbe, denen die Europäer erst viel später entsprechen können. Dennoch hat das antike europäische, d. h. griechisch-römische Bibliothekswesen dem chinesischen auch manches voraus.
Β 3· Griechisch-römisches Informationsund Bibliothekswesen Β J.I.
Zeitsituation
Frühe europäische Kulturen. - Die europäische Hochkultur entwickelt sich später als die vorderorientalische und indische, etwa gleichzeitig mit der chinesischen. A m frühesten im vor-indogermanischen Griechenland: schon im 2. Jahrtausend v. Chr. auf Kreta, den ägäischen Inseln und dem Peloponnes (»ägäische« bzw. »helladische« Kultur), mit Beziehungen zum vorderorientalischen Kulturkreis. Die einwandernden indogermanischen Griechen wachsen in diese Kultur hinein, übernehmen sie und entwickeln sie im 1. Jahrtausend v. Chr. stürmisch weiter. Ins 1. Jahrtausend v. Chr. fällt auch die Kulturentfaltung der Etrusker und danach der Römer. Die übrigen Europäer - Kelten, Germanen, Slawen - benötigen längere »Anlaufzeiten«. Sie übernehmen ziemlich bald die bronzezeitlichen und eisenzeitlichen Errungenschaften, aber ihre Teilhabe an der (von den Griechen und Römern entwickelten) europäischen Hochkultur gelingt erst im Laufe des Mittelalters und nach einschneidenden Rückschlägen. Griechisch-hellenistische Staaten. - Die griechischen Staaten am Schluß des 2. und bis in die Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. sind Stadtstaaten: kleinere Territorien mit einer zentralen Hauptstadt, der eigentlichen Trägerin der Stadtkultur. Die Bildung eines Gesamtstaates gelingt den Griechen nicht, doch besteht wirtschaftliche und kulturelle Verflochtenheit des gesamten griechischen Staatensystems. Eine A r t »Ersatzreich« schafft sich Sparta durch eine erzwungene Konföderation auf dem Peloponnes. Athen strebt als »prima inter pares« Ähnliches im Attischen Seebund an, dessen Machtbereich sich über die ägäischen Inseln bis zu den Griechenstädten der kleinasiatischen Küste erstreckt. Wirtschaftlich und kulturell wird Athen auf lange die griechische Vormacht. Die staatliche Einigung kommt schließlich von außen, durch das nördliche nur teil-hellenisierte Königreich Makedonien, das die übrigen griechischen Stadtstaaten in eine Konföderation einverleibt: durch Eroberung, Unterwerfung oder Zwangsbündnis. Der zweite Herrscher in diesem neuen Staatssystem ist Alexander der Große, der durch die Niederwerfung Persiens
Griechisch-römische Antike
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seinem Reich den ganzen vorderen Orient hinzufügt. Nach seinem Tod entstehen mehrere Einzelstaaten, die aber in engem Zusammenhang bleiben, rege Wirtschaftsbeziehungen unterhalten und durch die griechische Kultur und griechische Verkehrssprache der Oberschicht zusammengehalten werden. In dem so entstandenen Staatensystem, den »hellenistischen« Staaten, ragen einige Schwerpunkte heraus: Ägypten, Griechenland, Syrien (mit Mesopotamien) und Pergamon (Pergamenisches Reich in Kleinasien). Römisch-hellenistischer Staat. - Die Römer treten politisch und kulturell später auf als die Griechen. Anfangs ist Rom ein bescheidener Stadtstaat im etruskischen Einflußbereich. Die Beseitigung des Königtums (Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr.) scheint mit der Abschüttelung der Etruskerherrschaft zeitlich zu koinzidieren. Sehr langsam steigt die Republik Rom zur Vorherrschaft in Mittel- und Süditalien auf, das sie zu einer Konföderation zusammenfaßt, mit sehr diffizilem Kräftegleichgewicht und sehr differenzierten Rechten und Pflichten. Nach dem 2. Punischen Krieg wird Rom zur Weltmacht. Im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. erobert es den gesamten Mittelmeerraum: ganz Westeuropa (außer Germanien), Nordafrika, Griechenland und den Balkan, sowie die alten vorderorientalischen, nunmehr hellenistischen Kulturstaaten. Das römische Weltreich ist kein Einheitsstaat, sondern ein großer Macht-, Wirtschafts- und Verwaltungsraum mit differenzierter Rechtsstruktur. Neben Rom und dem italischen Zentralgebiet gibt es allenthalben römische Ansiedlungskolonien, strikt-römisch verwaltete Kolonialprovinzen, autonome Protektorate und konföderierte Gemeinwesen im Zwangs- oder Interessenbündnis. Der Großstaat, später in zwei Reichshälften geteilt, bleibt bis zur Mitte des 1. Jahrtausends n. Chr. bestehen und zerfällt erst in der Völkerwanderungszeit. Gesellschaft. - Die gesellschaftlichen Strukturen und Formationen der Antike differieren stark nach Zeit und Raum. Gewisse allgemeine Entwicklungszüge sind aber doch charakteristisch. Bei den Griechen (und mit großer zeitlicher Phasenverschiebung auch bei den Römern) folgt auf die Ablösung der alten Königtümer eine Phase aristokratischer Vorherrschaft, in der jedoch auch dem breiten Volk gewisse Rechte gesichert sind. Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zum vorderorientalischen Gesellschaftssystem, das nur den unbeschränkten Absolutismus des Herrschers und die völlige Abhängigkeit der Bevölkerung kannte. Bei den Griechen (und entsprechend später bei den Römern) kommt es allmählich, unter ζ. T. heftigen Klassenkämpfen, zu größerer Teilhabe des Gesamtvolkes an der Staatsmacht. Perfektionierte, fast überspitzte Ausprägung erfährt das demokratische Prinzip vorübergehend in Athen. In den hellenistischen Staaten mischen sich die griechische und Teile der alten orientalischen Oberschichten zu einer neuen Führungsschicht unter gemäßigt-monarchischer Regierungsform und unter Belassung der alten einheimischen Bevölkerungen in rechtlich und wirtschaftlich minderer Situation. Die spätere Entwicklung im römischen Weltreich zeigt gewisse Analogien zur hellenistischen Gesellschaftsstruktur. Im 3. Jahrhundert n. Chr. kommt es zum einheitlichen römischen Bürgerrecht für alle freien Bürger auch der Kolonialprovinzen und Protektorate. Diese Entwicklung darf nicht darüber hinwegtäu-
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sehen, daß dem größeren Teil der Einwohnerschaft gleiches Recht vorenthalten bleibt. Viele der Nicht-Römer, wie vorher der Nicht-Griechen, haben kein freies Bürgerrecht und erhalten es auch jetzt nicht (bildeten doch selbst in der Athener »Musterdemokratie« die freien Bürger nur eine Minderheit). - Zu den markantesten Zügen der antiken Gesellschaft gehört der große Prozentsatz an Sklaven. Kannte schon der Vordere Orient Sklaven, so spielte doch dort Teil-Zwangsarbeit deportierter und unterworfener Völkerschaften und sogar des eigenen Volkes eine große Rolle. Jetzt, in der griechisch-hellenistisch-römischen Antike, ist Sklavenarbeit der vorwiegende Wirtschaftsfaktor, von dem in allen Wirtschaftszweigen Gebrauch gemacht wird. Sklaverei wird in solchem Ausmaß system-immanent, daß der Begriff »Sklavenhaltergesellschaft« die gesellschaftliche Situation ziemlich angemessen kennzeichnet. Wirtschaft, Technik. - In Wirtschaft und Technik stehen die Griechen lange hinter dem Vorderen Orient zurück, holen ihn aber allmählich ein. In der hellenistischen Staatenwelt kommt es zu fruchtbarer gegenseitiger Beeinflussung und zur allmählichen Synthese des Könnens und Potentials beider Zivilisationen. Die technologische und wirtschaftliche Entwicklung nimmt in der hellenistischen Gesamt-Zivilisation einen stürmischen Aufstieg. Die Römer, viel später auf dem Plan, öffnen sich im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. dieser hellenistischen Zivilisation, wachsen in sie hinein und haben an ihrer weiteren Entwicklung tätigen Anteil. Die antike, griechisch-hellenistisch-römische Zivilisation erreicht in Wirtschaft und Technologie eine bis dahin in der Menschheitsgeschichte zu keiner Zeit und in keiner Region gekannte Höhe. Ausgeprägte architektonische Leistungen, solide Steinbauten und faszinierende Inneneinrichtungen, Fußboden-Warmluftzentralheizungen, kilometerlange Wasserleitungen und effektive Kanalisationssysteme, wissenschaftlich fundierte Produktionsmethoden in der Groß-Landwirtschaft, im Bergwerks- und Manufakturwesen, voll ausgebauter Fernhandel, mit solidem Straßennetz, Schiffahrt und Transportwesen, gut funktionierendes Finanz- und Bankwesen, Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe mit einer Vielzahl von Spezialberufen, - das alles sind die Errungenschaften einer ausgeprägten Stadtzivilisation, mit zahlreichen Großstädten von hunderttausend und mehr Einwohnern und der Millionenstadt Rom als Metropole. Das hohe Niveau dieser Zivilisation, mit dem Ende der Antike rückläufig, wird erst in der europäischen Neuzeit wieder erreicht und überholt. Kultur, Wissenschaft. - Dem Aufschwung der antiken Zivilisation entspricht ein paralleler Aufschwung der Wissenschaften. Zum ersten Mal in der Menschheitsentwicklung löst sich die Wissenschaft deutlich von religiöser und kultischer Bindung. Eine ernsthafte, selbständige wissenschaftliche Methodik bildet sich heraus: zunächst in spekulativer Rationalität, dann mit experimenteller Empirie und Beobachtung und schließlich in systematischer Erforschung. Die Entwicklung führt von früher Rezeption der vorderorientalischen Kenntnisse, über die Ausbildung einer eigenständigen griechischen Philosophie und Naturphilosophie, zur Entfaltung der Einzelwissenschaften in der Zeit des Aristoteles (4. Jahrhundert v. Chr.).
Griechisch-römische Antike In der anschließenden hellenistischen Epoche und, nach dem Hineinwachsen der Römer in den Hellenismus, durch die ganze Antike hindurch entwickeln sich die Einzelwissenschaften zu immer größerer Spezialisierung und immer detaillierterem Kenntnisstand: Mathematik, Physik, Astronomie, Anfänge der Chemie und Alchimie, Botanik und Zoologie, Geographie und Kartographie, eine kritische Geschichtswissenschaft, Linguistik, Literaturwissenschaft und Textphilologie, um nur die wichtigsten Fächer zu nennen. Daneben treten die angewandten Wissenschaften: Medizin und Pharmazie, eine verfeinerte Jurisprudenz, Verwaltungslehre, die Anwendung der theoretischen Wissenschaften auf Landwirtschaft und Technik. Vom 4. Jh. v. Chr. ab bilden sich Zentren der Forschung und vor allem der Lehre, an denen viele dieser Fachgebiete betrieben werden: Philosophenschulen als Akademien und Universalhochschulen, aber auch Fachhochschulen. In der griechischrömischen Antike sind sie weithin verweltlicht und von der im Vorderen Orient üblichen Tempelzugehörigkeit emanzipiert. Wenn sie überhaupt zu einem Tempelbereich in Beziehung stehen, dann hat das ζ. T. traditionelle, ζ. T. juristisch-organisatorische Gründe, ist aber ohne wissenschaftsimmanente Notwendigkeit und ohne funktionale Bedeutung. - Zu allen oben genannten Fachgebieten entsteht allmählich eine reiche wissenschaftliche Literatur, begleitet von allgemeinen enzyklopädischen Bestrebungen. - Auch die schöne Literatur und Dichtung intensiviert und differenziert sich. Sie entwickelt neue, wesentliche, bis heute gepflegte Schriftengattungen. In der Lyrik entstehen zahlreiche Gedichttypen in verschiedenartigen Versmodellen. Die Erzählkunst wird erst von den Griechen und Römern voll ausgebaut, im Epos wie im Prosaroman. Bühnenwerke, Schauspiele, Tragödien, Komödien werden entwickelt, als Buchwerke und in reicher Theaterkultur. Kurz, das wissenschaftliche und dichterische Schriftwesen gewinnt einen bis dahin ungekannten Umfang und eine bis dahin unerhörte Vielfalt.
Β 3.2. Informations- und
Bibliothekswesen
Schrift, Datenträger (Papyrus, Pergament). - Dem reich entwickelten, voll ausgebildeten Schriftwesen der griechisch-römischen Antike entspricht ein ebenso voll entwickeltes Bibliothekswesen. In der Frühzeit allerdings ähneln die Verhältnisse noch denen im Vorderen Orient. Schrift und Beschreibstoffe der griechisch-römischen Antike sind denn auch direkt aus dem Vorderen Orient entlehnt. Daß sich das griechische Alphabet aus der phönizischen Schrift ableitet, ist schon der antiken griechischen Überlieferung bewußt. Die Ähnlichkeit der lateinischen Schrift mit der griechischen wiederum ist augenfällig, die Entwicklung der ersteren aus der letzteren erwiesen. - Der Hauptbeschreibstoff der griechisch-hellenistisch-römischen Antike wird der Papyrus, den Ägyptern abgesehen und aus Ägypten importiert. Später kommt daneben das Pergament in Gebrauch: in größerem Umfang zuerst für die Bibliothek in der kleinasiatischen Stadt Pergamon (von der sich auch der Name Pergament ableitet). Dieser Beschreibstoff, haltbarer als Papyrus, aus Tierhaut gewonnen wie Leder, aber anders verarbeitet, setzt sich gegen Ende der
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Altertum
Antike ziemlich allgemein durch. - Die normale Buchform, in der diese Beschreibstoffe verwendet werden, ist die Buchrolle: wie schon im alten Ägypten, und dem Papyrus angemessen. Die Pergamentrolle jedoch bewährt sich nicht, sondern wird gegen Ende der Antike durch den Pergamentkodex ersetzt. Mit der Kodexform entwickelt die Antike noch vor ihrem Ausklang jene neue Buchform, die sich durch Mittelalter und Neuzeit bis heute als die normale erhalten hat, die »Bandform«. Bibliotheken. - Am Anfang des später so reich entwickelten antiken Bibliothekswesens gibt es auch in Europa undifferenzierte Dokumentensammelstellen, wie im Vorderen Orient. Später bilden sich in Griechenland eigentliche Bibliotheken heraus, d. h. Büchersammlungen für die wissenschaftliche und schöne Literatur, getrennt von der Sammlung der Archivalien und den Bedürfnissen eines Tempels. Diese Entwicklung setzt in Griechenland später ein als im Orient, wo die erste eigentliche Bibliothek im 7. Jahrhundert v. Chr. nachweisbar wird: die des Assyrerkönigs Assurbanipal (gest. 627/626 v. Chr., vgl. oben S. 20). Von ersten Privatbüdiersammlungen griechischer Machthaber (ζ. B. des athenischen Diktators Peisistratos, gest. 528/527 v. Chr.) wird erst für das 6. Jahrhundert v. Chr. berichtet, und zwar erst in nachträglicher (vielleicht legendärer) Berichterstattung. Mit dem 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. werden aber größere eigenständige Bibliotheken greifbar. Ihre großartige Entwicklung, die Blüte des griechischen Bibliothekswesens, fällt schon in die hellenistische Zeit. Dies ist die erste wirklich bedeutende Epoche der Bibliotheksgeschichte der Menschheit. Die Schaffung der Bibliothek als eigenständiger Einrichtung, im heute noch üblichen Sinne, ist der genuine Beitrag der Griechen zum Weltbibliothekswesen. Die Römer schließen sich dem griechisch-hellenistischen Bibliothekswesen im Laufe des 1. Jahrhunderts v. Chr. an. Von da an besteht ein gemeinsames hellenistisch-römisches Bibliothekswesen, in den Grenzen des Römischen Weltreichs, bis zum Ende der Antike. - Typologisch entstehen im Laufe der hellenistisch-römischen Entwicklung mehrere Bibliotheksarten: die Bibliothek an einem wissenschaftlichen Gesamtinstitut (zugleich Forschungsanstalt und Lehranstalt als Universalhochschule, mit Museum und Bibliothek, ζ. B. das berühmte Museion in Alexandrien); die Bibliothek einer Fachhochschule (ζ. B. für Medizin); die öffentliche wissenschaftliche Bibliothek (als selbständige Bibliothek mit Eigenfunktion, nicht nur in Symbiose mit einer Hochschule oder einem Gesamtinstitut, dafür evtl. in lockerer Verbindung zu einem öffentlichen Versammlungszentrum, Forum oder einem Tempelbereich). - Die Zahl der Bibliotheken wächst allmählich mehr und mehr. Im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. gibt es in jeder größeren Stadt Bibliotheken. Bestände, Gebäude, Aufstellung. — Die Buchbestände, anfangs geringer als im Vorderen Orient, nehmen bald stark zu, erreichen in der hellenistischen Zeit eine beachtliche Größenordnung und halten diesen Standard durch mehrere Jahrhunderte der hellenistisch beeinflußten römischen Kaiserzeit. Bibliotheken mit vielen Tausenden von Buchrollen sind die Norm. Hunderttausende von Buchrollen bezeichnen die Spitzenklasse, selbst eine halbe Million und mehr (wie in Alexandrien) werden gemeldet. - Solche Büchermassen machen angemessene Räumlich-
Griechisch-römische Antike
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keiten erforderlich. Kleinere Bibliotheken, besonders wenn sie andern Institutionen angeschlossen sind (Akademien u. ä.), mögen in Zimmern oder Sälen des Institutionsgebäudes unterkommen. Großbibliotheken benötigen eigene Gebäude. Archäologische Ausgrabungen haben Bibliotheksgebäude mit einem Hauptsaal zutage gefördert (ζ. B. in Ephesus). An den repräsentativen Arbeitssaal können sich mehrere nebeneinanderliegende zusätzliche Magazinräume anschließen. Dazu kann ferner eine vorgebaute Säulenhalle gehören, wohl als Wandelhalle, als Diskussionsund Begegnungszentrum (ζ. B. Pergamon, Königliche Bibliothek). Auch andere Gebäudetypen kommen vor, ζ. B. eine Gebäudegruppe mit parallelen seitlichen Büchergebäuden neben einer zentralen Säulenhalle (Rom, Trajansbibliothek). - Die Buchrollen lagern in Holzkisten, Tonkrügen, auch schon in hölzernen Regalen oder Schränken (meist an den Wänden oder in Wandnischen), aufeinander gestapelt und durch heraushängende Kennzettel leichter auffindbar gemacht. Bei größeren Buchbeständen können die Bücherkisten oder Regale nach Fachgruppen angeordnet sein. Darüber hinaus gliedern römische Großbibliotheken meist in zwei Sprachabteilungen: je eine griechische und lateinische. — Von der ursprünglichen Bücherkiste leitet sich übrigens auch die Bezeichnung »Bibliothek« ab: zu griechisch »bxblos«, »biblion« — Buch, »theke« = Kiste. Der Plural (»bibliothekai« = Bücherkisten) steht zunächst als Bezeichnung für die ganze Büchersammlung. Später bildet sich die noch heute übliche Kollektivbezeichnung im Singular heraus. Bibliothekspersonal. - Große Bibliotheken stehen gewöhnlich unter der Leitung von Gelehrten, die als Forscher die Bibliothek auch auswerten, als Wissenschaftler die Bucherfordernisse zu bestimmen vermögen und als Verwalter den Bestandsaufbau und den Benutzungsbetrieb dirigieren. Ihnen zur Seite stehen weitere Bibliothekare als Bibliotheksverwalter, ζ. T. ebenfalls Wissenschaftler. Das Mittelund Unterpersonal umfaßt Schreiber (auch für die Bucheigenproduktion), Gehilfen, Bibliotheksdiener, Buchpfleger. - Die soziologische Struktur der Bibliotheksberufe ist heterogen. Die Bibliotheksleiter haben eine sozial sehr hohe Stellung und genießen großes Ansehen. Ihre Position ist so attraktiv, daß selbst bedeutende Gelehrte eine Berufung nicht ausschlagen. Andererseits versehen viele Mitarbeiter den Dienst als Sklaven: nicht nur als Diener, auch als Schreiber sind sie begehrt und weitgehend verwendet. Bibliothekstheorie. - Angesichts der Zunahme der Bibliotheken an Zahl und Größe und der komplizierter werdenden Bibliotheksbetriebsverhältnisse entsteht in der Hoch- und Spätantike eine regelrechte Bibliothekstheorie. Auch bibliothekstheoretische Schriften sind bezeugt, allerdings mit dem Untergang der Antike verloren gegangen. Aus Zitaten weiß man von einer bibliothekswissenschaftlichen Schrift des M. Terentius Varro (»De bibliothecis«, Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr., offensichtlich nach griechischer Vorlage). In der Architekturschrift des M. Vitruvius Pollio (»De architectura«, Anfang des 1. Jahrhunderts n. Chr.) findet sich ein Abschnitt zu Bibliotheksbau und -einrichtung. Bezeugt sind auch Dienstanweisungen für die recht spezialisierten Arbeitsgänge hoch- und spätantiker Großbibliotheken, in lateinischen Bezeichnungen: »comparäre« (Beschaffen, Erwerben durch
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Kauf oder Eigenabschrift), »supplere« (Ergänzen von Textlücken unvollständiger Werke), »dispönere« (Ordnen, Eingliedern der Neuzugänge in den Bestand), »digirere« (Erschließen, Inventarisieren, evtl. Katalogisieren, Ausfertigen des TitelKennzettels), »glutinäre« (Bekleben, Binden, depotgerechtes Vorpräparieren der Buchrolle, auch Restaurieren), »publicäre« (Zur-Verfügung-Stellen für den öffentlichen Benutzungsbetrieb), »requlrere« (Ausheben des Buches aus dem Depot), »adpönere« (Aushändigen an den Leser, auch Reponieren des Buches nach dem Benutzungsvorgang). Alles in allem ein ziemlich modern klingendes Spektrum bibliothekarischer und bibliothekstechnischer Tätigkeiten, aber schon aus den ersten Jahrhunderten n. Chr. Bestandsaufbau (Buchproduktion, Erwerbung). - Die Buchproduktion beruht in der Antike ausschließlich auf dem Abschreiben von Handschriften. Deshalb unterhalten große Bibliotheken zur Ergänzung ihrer Bestände hauseigene Schreibstuben, ζ. T. mit zahlreichen Schreibern. Der Ankauf von Handschriften aus dem Buchhandel oder über gewerbsmäßige Schreibunternehmen spielt in der antiken Akzession eine wesentlich geringere Rolle als die Handschriften-Eigenproduktion. Übrigens ist auch ein bibliothekseigener Handschriftenhandel (Dublettenhandel, Kopienhandel) und Handschriftentausch bezeugt. Die Akzessionsart des Geschenkzugangs kennt neben Einzelgeschenk und Vermächtnis (Erbschaft, Hinterlassenschaft) auch die Übernahme von Kriegsbeute. - Erwerbungsziel beim Bestandsaufbau der antiken Großbibliotheken ist der Besitz der relevanten Universalliteratur oder, bei spezieller Aufgabenstellung, der einschlägigen Fachliteratur. Es geht nicht etwa um die Ansammlung von Kuriositäten und Zufälligkeiten. Erschließung, Katalogisierung. - Der Erschließung dienen zunächst, wie bereits im Vorderen Orient, buchinterne Hinweise: Schlußschriften am Ende der Buchrollen mit Angaben über Inhalt, Werktitel, Verfasser; auch Herstellungsvermerke; evtl. Verklammerungsvermerke zur Festlegung der Zusammengehörigkeit mehrerer Buchrollen eines größeren Werkes. Dazu kommt als Novum der griechisch-römischen Antike die Außenbeschriftung der Buchrollen durch heraushängende Kennzettel, Titelzettel (lat. »titulus«), der Sache nach ein Vorläufer unserer Buchrückenbeschriftung. Bei systematischer Aufstellung bzw. »Auflagerung« der Bestände können Hinweistafeln (gr. »pinakes« = Tafeln) an den Regalen, Schränken oder Kisten die einzelnen Fachgruppen bezeichnen. Vorläufer unserer Kataloge sind Inventare, evtl. (der entsprechenden Aufstellung folgend) bereits systematisch, sachkatalogartig angelegt. Die systematische Vollständigkeitsliste einer Großbibliothek kann, wenn sie durch biographische Angaben und durch Inhaltshinweise ergänzt wird, schon die Funktion eines exemplarischen Literaturverzeichnisses annehmen, ein Bibliographie-Vorläufer, ja eine Literaturgeschichte (so die »Pinakes« des Kallimachos in Alexandrien). Benutzung. - Die Benutzung der Bibliotheken ist anfangs exklusiv, liberalisiert sich aber allmählich. Zu den Lesern gehören an staatlichen wissenschaftlichen Bibliotheken Amtsträger jeder Art, Regenten, Höflinge, republikanische Verwaltungsbeamte, Priester, Forscher, auch freie Interessenten und Bürger, evtl. Schreib-
Griechisch-römische Antike
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sklaven im Auftrag ihrer Herren; an den Hochschulbibliotheken vor allem Lehrer, Dozenten und Studenten der eigenen Hochschule, als Gastleser auch auswärtige Forscher und sonstige eigens zugelassene Interessenten. - Unter den Benutzungsformen dominiert fast ausschließlich die Präsenzbenutzung in den Bibliotheksräumen, oft nur für den funktional bestimmten eigenen Benutzerkreis, aber auch für eine breitere Benutzungsöffentlichkeit der örtlichen Bildungsschicht. Ortsleihe und Fernleihe sind als ständige Einrichtungen noch unbekannt (und im Handschriftenzeitalter zurecht ausgeschlossen). Aber in fallweisen Einzelausnahmen kommen sie durchaus vor, (ζ. B. bei der Darleihung von Vorlagehandschriften für die Kopienherstellung in anderen Bibliotheken).
Β j.j. Einzelne
Bibliotheken
Athen. - Die frühesten wissenschaftlichen Bibliotheken der griechisch-römischen Antike entstehen in Athen, im 4. Jh. v. Chr., in der Epoche der sich spezialisierenden Einzelwissenschaften und der sich herausbildenden Philosophen-Hochschulen. Die von Piaton gegründete »Akademie* muß eine wissenschaftliche Büchersammlung besessen haben. Für die von Aristoteles begründete ·»Peripatetische Hochschule«r (gr. »peripatos« = Wandelhalle, Säulenhalle; gegr. 334 v. Chr.) ist sie vielfältig bezeugt. Aristoteles stellt seine eigene Privatbibliothek für die Hochschule zur Verfügung. Sie wird damit die erste bekannte Hochschulbibliothek der Welt. Durch juristische Regelung bleibt sie jedoch Privatbesitz auch der späteren jeweiligen Leiter der Hochschule, gehört nicht dieser selbst. Diese privat-öffentliche Rechtsstellung entspricht dem bibliotheksgeschichtlichen Ubergangscharakter der Epoche. Der Gedanke einer wissenschaftlichen Gemeinschaftsbibliothek setzt sich erst allmählich durch. Die Tätigkeit der Aristoteles-Hochschulbibliothek für die Literaturversorgung und Textedition läßt sich durch zweieinhalb Jahrhunderte verfolgen. Schließlich wird sie Kriegsbeute römischer Eroberer: der römische Staatsmann Sulla macht ihre Reste 84 v. Chr. zum Grundstock einer der ersten römischen Privatbibliotheken. — In späterer Zeit ragt unter den Büchersammlungen Athens die vom römischen Kaiser Hadrian gegründete Bibliothek der neueren Stoa-Hochschule heraus (gegr. 1 3 1 / 1 3 2 n. Chr.). Alexandrien. - Die bedeutendste, größte und einflußreichste Bibliothek der gesamten Antike wird die Bibliothek des Museion in Alexandrien. Bei der Errichtung der hellenistischen Nachfolgestaaten nach dem Tode Alexanders des Großen wird das neugegründete Alexandrien Hauptstadt des Nachfolgestaates Ägypten. Schon der erste Regent, Ptolemäus I., ein Feldherr Alexanders, der später den Königstitel annimmt, gründet eine Philosophenschule (vor 280 v. Chr.) nach dem Muster der Athener Peripatos-Hochschule des Aristoteles. Aristoteles seinesteils hatte als Prinzenerzieher Alexanders zum höfischen Kreis gehört wie Ptolemäus. Der Nachfolger des Aristoteles an der Athener Hochschule, Theophrast von Eresos, vermittelt die Berufung führender Wissenschaftler für die neue Alexandriner MuseionHochschule. Anders als in Athen ist die Hochschule in Alexandrien eine staatliche
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Altertum
Einrichtung, und dies gilt auch für die mitgegründete Bibliothek. Den vollen Betrieb nehmen Hochschule und Bibliothek erst unter dem nächsten Regenten, Ptolemäus II., auf. Daher gilt in der Überlieferung bisweilen dieser als der eigentliche Gründer. Die Bibliothek wird gleich zu Anfang durch großzügige Ankaufspolitik mit einem guten Bestand ausgestattet. Einkaufsagenten bereisen fremde Städte. Eigene emsige Kopiertätigkeit entfaltet sich. Ζ. T. greift man zu extremen Maßnahmen der Bestandsvermehrung: Beschlagnahme von Buchfrachten; Buchabgaben als Landegebühr im Hafen von Alexandrien; Einbehaltung entliehener Vorlagehandschriften (so bei dem Skandalfall der Athener Staatshandschrift der Werke der attischen Dramatiker, die einbehalten und an deren Statt eine Kopie zurückgesandt wird). Zahlreiche Gelehrte arbeiten im Laufe der Zeit an dieser Bibliothek: als Leiter, als Bibliothekare, als wissenschaftliche Mitarbeiter (u. a. Zenodotos, der Begründer der Textkritik, und Eratosthenes, der »Vater der Geographie«), Und die Bibliothek selbst wird allmählich zum literarischen Zentrum der alten Welt, mit einem kompletten Musterbestand der universellen Literatur, mit vielen Doppelstücken zum Mehrfachgebrauch, mit eigener Herausgebertätigkeit und der Aufgabenstellung einer vorbildlichen Textkritik bei der Erarbeitung von korrekten, authentischen Textausgaben wichtiger Autoren. Von hier aus gehen Kopiehandschriften der authentischen Versionen in alle Welt: im Handel mit Dubletten und mit Eigenabschriften in fremdem Auftrag, in der Zur-Verfügung-Stellung korrekter Vorlagehandsdiriften nach auswärts, aber auch im eigenen Hause für hierher reisende Kopisten aus andern Bibliotheken. Die systematische Aufstellung des Buchbestandes soll zwölf Hauptgruppen umfaßt haben: sechs literarische, fünf wissenschaftliche und eine Gruppe Varia. Aufgrund dieses Bestandes und nach dieser Einteilung fertigt der griechische Gelehrte und Schriftsteller Kallimachos sein berühmtes Literaturverzeichnis, die »Pinakes« (vor 240 v. Chr.). Der Bestand soll schon ziemlich bald 400 000 Buchrollen betragen haben. Auf 700 000 Rollen wird er beziffert, als die Museion-Bibliothek in der Mitte des 1. Jh. v. Chr. untergeht: offenbar ein Opfer des Brandes bei der Belagerung Alexandriens durch Caesar (47 v. Chr.). — Das Museion selbst bleibt weiterhin die führende Hochschule der alten Welt. Die Buchversorgung wird aber nunmehr durch eine zweite, schon lange vorhandene alexandrinische Bibliothek übernommen: die Serapeion-Bibliothek. Das Serapeion ist ein Tempelheiligtum, das von Ptolemäus I. (wohl gegen 312 v. Chr.) für die ägyptischen Bevölkerungsteile der neugegründeten, stark griechisch besiedelten Stadt Alexandrien ins Leben gerufen wird. Der Serapis-Kult, einer kombinierten hellenistisch-ägyptischen Landesgottheit gewidmet, soll die altägyptische Bevölkerung mit dem neuen Regime verbinden. Der später errichtete Pracht-Tempel, der ebenfalls erst unter Ptolemäus II. zu voller Bedeutung gelangt, erhält, ägyptischem Brauch gemäß, eine Tempelbibliothek, die zugleich der hellenistischen Kulturpropaganda dient und deshalb über einen zunehmenden Bestand an griechisch-hellenistischen Werken verfügt. Nach dem Untergang der alten Museion-Bibliothek fällt die Rolle der wissenschaftlichen Hauptbibliothek Alexandriens an die Serapeion-Bibliothek, die auch der Museion-Hochschule voll zur Verfügung steht und ihre neue Funktion mehrere Jahrhunderte lang weiter erfüllt,
Griechisch-römische Antike
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jedenfalls bis 391 n. Chr. In diesem Jahr der zweiten, endgültigen Einführung des Christentums als Staatsreligion übernimmt der christliche Patriarch von Alexandrien die Tempel der bisherigen Religionen für die christliche Kirche. Es kommt dabei zu Straßenkämpfen. Augenzeugenberichte schweigen über die Bibliothek; aber kurz darauf wird sie als verwahrlost, der Bestand als vernichtet bezeugt. Eine durch mehr als ein halbes Jahrtausend vorbildliche Bibliotheksepoche ist zu Ende gegangen. Pergamon. - Keine Bibliotheksstadt der antiken Welt kann sich mit Alexandrien messen. Einige wenige rücken bibliothekarisch immerhin wenigstens in die Nähe alexandrinischer Maßstäbe. Dazu gehört Pergamon, Hauptstadt eines hellenistischen Mittelstaates an der kleinasiatischen (heute türkischen) Westküste. In jeder Hinsicht kleiner dimensioniert als Alexandrien mit Ägypten. Politisch und bibliothekarisch erst später auf dem Plan. Immerhin durch die Gunst der Verhältnisse, durch geschickte Außenpolitik und effektive Verwaltung wohlhabend und einflußreich, regiert von bibliotheksfreundlichen Herrschern. Die Bibliothek, offenbar nach 200 v. Chr. begründet (die genaue zeitliche Zuordnung ist kontrovers), erlangt bald Bedeutung. Sie verkörpert unter den frühen Bibliotheken den Typus einer öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek am besten. Einem Tempelbezirk angeschlossen, steht sie auch der Hochschule zur Verfügung und vertritt gleichzeitig die Belange einer königlichen Bibliothek, einer öffentlichen Staatsbibliothek. Die älteren Großbibliotheken (Ninive, Athen, Alexandrien) setzten den Akzent auf jeweils einen Teilbereich dieser Funktionen. Spätere Bibliotheken in Rom werden diesem Typus der Mehrfachfunktion folgen. Auch das Bibliotheksgebäude von Pergamon, in der 1. Hälfte des 2. Jh. v. Chr. errichtet, hat offensichtlich späteren Bauten als Vorbild gedient: mehrere Magazinräume, ein Repräsentationsraum, eine vorgelagerte Säulenhalle (mit einer Frontlänge von 70 m!). Durch archäologische Ausgrabungen (Ende des 19. Jh.) zutagegefördert, ist es zu einer bibliotheksbaugeschichtlichen Hauptquelle geworden. Furore gemacht hat die Königliche Bibliothek zu Pergamon vor allem mit der Einführung des Pergaments als normalem, durchgängig benutztem Schreibmaterial. Antike Quellen nennen als Grund für diese Entwicklung eine rivalitätsdiktierte ägyptische Papyrus-Ausfuhrsperre. Dieser Hinweis mag in das Reich der Legende gehören. Wirtschaftliche Gründe mögen statt dessen vorwiegen: Kostenfragen, Devisenprobleme, eine alte Regionaltradition des Schreibleders als Vorläufer des Pergaments, usw. Tatsache bleibt, daß von Pergamon jene Entwicklung ausgeht, die das Pergament zum Hauptbeschreibstoff der Spätantike und des Mittelalters gemacht hat. Ein einschneidender Weltbeitrag zum Informations- und Bibliothekswesen. Die Königliche Bibliothek von Pergamon bleibt viele Jahrhunderte hindurch funktionsfähig. Dazu trägt die geschickte Bündnispolitik mit Rom bei, die den Staat Pergamon zuletzt zwar in ein römisches Protektorat verwandelt, ihm aber Autonomie beläßt und die Folgen einer offenen Kollision erspart, die für die Bibliotheken von Athen und Alexandrien verhängnisvoll wurden. - Erwähnt werden muß auch die von Kaiser Hadrian im 2. Jh. n. Chr. gegründete Bibliothek der Medizinischen Vachhochschule am Askle-
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Altertum
pios-Heiligtum bei Pergamon, eine der ersten größeren Fachbibliotheken der Welt, auch sie archäologisch erschlossen. Rom. — Rom tritt als Bibliotheksstadt erst spät hervor. Es ist schon Welthauptstadt, als ihm noch immer öffentliche Bibliotheken fehlen. Caesar trägt sich mit dem Plan, eine öffentliche wissenschaftliche Bibliothek, nach alexandrinischem Vorbild, in Rom zu gründen. Er leitet vorbereitende Schritte ein, aber sein plötzlicher, gewaltsamer Tod verhindert die Durchführung. Erst seine Parteigänger erfüllen das Vermächtnis. Fünf Jahre nach Caesars Tod gründet ein Mitstreiter, der spätere Konsul und Schriftsteller C. Asinius Pollio, die erste öffentliche Bibliothek in Rom (39 v. Chr.) und läßt die Bestände im Atrium Libertatis (einem Amtsgebäude unmittelbar beim Forum) aufstellen. - Ein Jahrzehnt später erfolgt die Gründung des Apollo-Tempels auf dem Palatin-Hügel durch Augustus (28 v.Chr.), verbunden mit einer Bibliothek, die auf Jahrzehnte die größte in Rom bleibt. Gebäudereste sind noch heute erhalten: zwei Bibliotheksabteilungen (je eine für lateinische und griechische Bücher), beiderseits des Vorhofeingangs am großen Säulenumgang. - Andere Bibliotheken kommen hinzu, noch von Augustus selbst, dann von Tiberius und Späteren ins Leben gerufen, teils mit Tempeln und Versammlungshallen in den Foren, teils mit Thermen verbunden. Insgesamt kennt die Überlieferung zuletzt 28 öffentliche Bibliotheken in Rom. - Die größte und wichtigste wissenschaftliche Staatsbibliothek wird später die Trajans-Bibliothek (Bibliotheca Ulpia), von Kaiser Trajan (Μ. Ulpius Traianus) zusammen mit dem Trajans-Forum unterhalb des Kapitols geschaffen ( 1 1 3 v. Chr.). Auch hier zwei Bibliotheksgebäude für die beiden Bibliotheksabteilungen (lateinisch und griechisch, wie bei der ApolloTempel-Bibliothek des Augustus), in Resten noch heute erhalten beiderseits der Trajans-Säule, seitlich flankiert von der Trajans-Basilika. Der ganze Komplex wird unter Trajans Nachfolger, Kaiser Hadrian, vollendet. Ganz in der Nähe ist offenbar auch die von Hadrian im Zuge seiner Hochschulgründungspolitik (vgl. oben Athen, Pergamon) eingerichtete große römische Hochschule anzusetzen, so daß die Trajans-Bibliothek deren Literaturversorgung gleichzeitig mit übernehmen konnte. Konstantinopel. - Nach der Verlegung der Reichshauptstadtfunktion von Rom nach Konstantinopel (dem alten Byzanz) wird dort die Kaiserliche Bibliothek gegründet (ca. 356 n. Chr.). Sie gewinnt in der Spätantike schnell an Bedeutung, wird später die wichtigste Bibliothek des Mittelalters (vgl. ausführlich unten S. 4 j ff.) und spannt in ihrer elfhundertjährigen Geschichte den Bogen von der ausgehenden Antike über das gesamte Mittelalter bis hin zur beginnenden Neuzeit.
C. Mittelalter C ι. Zeitsituation C i.i.
Auflösung
der »Alten
Welt*
Staat. - Das Bibliothekswesen des Mittelalters bietet ein verändertes Bild gegenüber dem der Antike. Ausdruck veränderter Verhältnisse in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Hervorstechendstes Merkmal der Veränderung ist der Verlust der jahrhundertelangen politischen und kulturellen Einheit im Römischen Weltreich. Die »Völkerwanderung«, der Einbruch der Germanen und Araber im 4. bis 7. Jh. n. Chr., bereitet der römischen Herrschaft im größten Teil des alten Reiches ein Ende. Seine Nachfolge treten drei neue, von einander abgesonderte politische und kulturelle Großräume an: Byzanz, d. h. das griechische Reich von Konstantinopel als Fortsetzung von »Ostrom«; der Okzident, d. h. das germanisch-romanische West- und Mitteleuropa der Nach-Völkerwanderungszeit; der arabische Bereich in Vorderasien und Nordafrika. Wirtschaft, Gesellschaft. - Weitere wichtige Veränderungen kommen hinzu. Ihre Entwicklung erstreckt sich durch einen längeren Übergangszeitraum und beginnt noch in der Spätantike. Die Stagnation der Großwirtschaft, des Fernhandels und Finanzwesens, der Rückgriff auf Methoden der Naturalwirtschaft, all das setzt bereits im 3. Jh. n. Chr. ein. Wirtschaftsreformen gegen Ende des 3. und zu Anfang des 4. Jh. n. Chr. (insbesondere unter den Kaisern Diokletian und Konstantin) überwinden die Auswüchse privater Kapitalwirtschaft mit den Mitteln der Zwangsund Planwirtschaft, legen aber auch den Grund zum späteren Feudalismus durch Einführung von Berufsdienstverpfliditung, Wohnsitzzwang und Ablieferungssoll. Aus freien Bürgern werden Staatsdienstverpflichtete. Andererseits geht die Bedeutung des Sklaveneinsatzes zurück, weil es jetzt rentabler wird, Sklaven freizulassen und als dienstverpflichtete Pächter mit Zwangswohnsitz und Zwangsablieferung auf Kleinparzellen in eigener Regie arbeiten zu lassen. Schließlich trägt auch zur Ausbildung des Feudalsystems bei, daß Inhaber militärischer und dann auch administrativer Ämter ζ. T. nicht mehr finanziell besoldet werden, sondern Pfründengüter erhalten, die sie von Dienstverpflichteten, Zwangspächtern oder Wehrbauern bewirtschaften lassen. Kultur, Wissenschaft. — Auch die Herrschaft des Monotheismus in der mittelalterlichen Welt (Christentum, Islam) bahnt sich bereits in der Antike an. Der alte Polytheismus war unglaubwürdig geworden. Mehrere monotheistische Kulte breiten sich vom Vorderen Orient auch unter den westlichen Reichsvölkern aus. Einige dieser Kulte werden sogar von Kaisern amtlich als Religionen eingeführt, aber von
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Mittelalter
andern Kaisern jeweils wieder als unrömische Entartung abgeschafft. Auch das Christentum ist zunächst nur einer dieser vorderorientalischen Kulte: eingeführt von Kaiser Konstantin, wieder abgeschafft von Kaiser Julian. Aber gerade dieses Christentum wird zum zweiten Mal als Staatsreligion eingeführt und setzt sich durch. Einmal etabliert, drängt es die antike Philosophie und Wissenschaft zurück, löscht sie in weiten Bereichen völlig aus, bis hin zur Schließung von weltlichen antiken Hochschulen und zur Vernichtung »heidnischer« Bücher. Andererseits übernimmt die christliche Dogmatik vieles aus der antiken Philosophie und rettet es auf diese Weise ins Mittelalter hinüber.
C 1.2. Byzantinischer Bereich Staat, Wirtschaft, Gesellschaft. - Das Byzantinische Reich führt als einziger mittelalterlicher Nachfolgestaat die antike Tradition in ungebrochener Kontinuität weiter. Allerdings mit den in der Spätantike angebahnten einschneidenden Veränderungen. Byzanz ist ein feudaler Obrigkeitsstaat und ein christlicher Kulturstaat. Aus dem oströmischen Reich hervorgegangen, mit Territorialschwerpunkten in Kleinasien (heutige Türkei), auf dem Balkan, eine Zeitlang auch in Unteritalien, bleibt das Byzantinische Reich durch viele Jahrhunderte Träger des universalstaatlichen Gedankens, militärisch und wirtschaftlich eine Großmacht ersten Ranges. Lange Zeit behält es den intakten Beamtenapparat der alten Zentralverwaltung, der erst allmählich seinesteils einer Regionalisierung und Feudalisierung (auch auf der oberen Verwaltungsebene) unterliegt. - Führend bleibt Byzanz in der Kontinuität der alten Stadtzivilisation, die allerdings zuletzt nurmehr auf die Hauptstadt selbst beschränkt ist, auf Konstantinopel, das Vorbild einer glänzenden Weltmetropole auch im Hochmittelalter, mit dem Mehrfachen der Einwohnerzahlen gleichzeitiger westeuropäischer Städte. Byzanz bleibt im Besitz des technischen und wirtschaftlichen Könnens der Antike, das es vereinzelt sogar weiterentwickelt. Erst nach 1200 geht die führende Stellung von Byzanz zurück. Es wird vorübergehend Opfer der (eigentlich verbündeten) westeuropäischen Kreuzheere, gerät dann in wirtschaftliche Abhängigkeit von den oberitalienischen Seestädten und wird schließlich im 14. und 15. Jh. von den Türken überrannt. Zuletzt fällt die Hauptstadt Konstantinopel 1453, schon in der beginnenden Neuzeit. Einige Randgebiete und Inseln werden noch längere Zeit von venezianischen Flotten geschützt und als venezianische Protektorate weitergeführt. Kultur, Wissenschaft. - Byzanz steht auf der Scheitelhöhe mittelalterlicher Kultur. Allerdings mit den Abstrichen gegenüber dem antiken Niveau, die mit der Einführung des Christentums in der Spätantike eingetreten waren. Andererseits mit dem Zusatz der christlichen Dogmatik und Theologie als Grundlagenwissenschaften. Im übrigen bei der Wissenschaftspflege mit dem eigentümlichen mittelalterlichen Verharren auf einer verfestigten, erstarrten Tradition, mit nur geringer Fortentwicklung, mit dem Akzent auf dem Bewahren des Überkommenen, dem erschließenden Kommentieren, dem enzyklopädischen Aufbereiten. Kommentare, Enzyklopädien,
Zeitsituation
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Lexiken gehören neben Abschriften älterer Quellenwerke auch zu den Hauptgattungen wissenschaftlicher Literatur. Als Wissenschafts- und Verkehrssprache, auch für die andern Völkerschaften des Einflußbereichs, dient durchgängig das Griechische, obwohl der byzantinische Staat sich als Reich der »Romäer« versteht. Die antiken Hochschulen werden nach und nach geschlossen oder christlich umfunktioniert. Aber die Traditionskette der Wissenschaft und der Wissenschaftler reißt nie ab. Aus neuen, christlich bestimmten Fachhochschulen kann sogar im io. Jh. in Konstantinopel eine erste Universität geschaffen werden, lange vor ähnlichen Gründungen in Westeuropa. - Vom 13. Jh. ab kommt es zur Wiedererschließung und Wiederbelebung vergessener kultureller Errungenschaften der Antike im Rahmen einer »Vor-Renaissance«, zu neuen Forschungsimpulsen, zur Weiterentwicklung der Wissenschaften, sogar der lange vernachlässigten Naturwissenschaften.
C j . j . Arabischer
Bereich
Staat, Wirtschaft, Gesellschaft. - Die arabische Invasion erfolgt später als die germanische. Im 7. Jh. erobern die Araber die vorderorientalischen und nordafrikanischen Provinzen des Römischen Reichs (Mesopotamien, Syrien, Israel, Ägypten und das übrige Nordafrika, später auch Spanien) und fügen auch das unabhängige Persien ihrem Machtbereich ein. Ihr anfängliches Großreich teilt sich bald in ein System mehrerer arabischer Einzelstaaten. Besondere Schwerpunkte sind Mesopotamien-Syrien, Ägypten und Spanien. - Anders als bei den Germanen, erfolgt ihre Invasion aus der Ausgangsposition einer bereits vorhandenen, wenn auch bescheidenen Stadtzivilisation in einzelnen Gegenden (Mekka, Medina und andere arabische Städte, alle außerhalb des Römerreichs, sind bezeugt). Diese Situation setzt die Araber in den Stand, die römisch-hellenistische Zivilisation (die der ihren überlegen ist) zu verstehen und, wenigstens in wichtigen Teilbereichen, zu übernehmen. Nach kurzfristigem Rückschlag kommt es zur langfristigen Rezeption der antiken Zivilisation und Technik, zu einer echten Aneignung. Sie lernen auch von den zivilisatorischen Leistungen des eroberten Perserreiches. Und sie übernehmen weithin Griechen und Perser in leitende Verwaltungs- und Wirtschaftspositionen. Sie bringen Großwirtschaft und Fernhandel wieder in Gang und stützen sich dabei wieder stärker auf die vormalige, nie ganz unterbrochene Sklavenhalterwirtschaft. Vor allem zeigen sie sich dem Städtebau und der Stadtversorgung gewachsen. Bagdad ζ. B., eine arabische Neugründung, zählt zeitweilig über 100 000 Einwohner (während im mittelalterlichen Westeuropa auch die größeren Städte nur einige tausend Einwohner auf weisen). In den Hauptstädten und Großstädten entfaltet sich eine neue Großstadtzivilisation und führt zu allmählicher Weiterentwicklung. Kultur, Wissenschaft. — Als rührig erweisen sich die Araber auch im kulturellen Bereich. Ihre Religiosität besitzt großen Impetus. Anders als die Germanen, haben sie einen eigenen Monotheismus »anzubieten« und können so ihre Religion auch den Unterworfenen aufzwingen. Da der Islam Lehren des Christentums in sich aufge-
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Mittelalter
nommen hat (das Alte und Neue Testament sind heilige Bücher neben dem Koran, Moses und Jesus sind Propheten neben Mohammed), wird es den Unterworfenen leichter, die neue Religion anzunehmen, ohne eigene Uberzeugungen ganz aufgeben zu müssen. - Mit der Religion übernehmen die Unterworfenen auch die arabische Sprache dieser Religion: die Vorderorientalen und Nordafrikaner werden sprachlich Araber; selbst die Perser benutzen das Arabische immerhin als Sprache des geistigen Lebens und der Wissenschaft. - Die eigentliche weltgeschichtliche Leistung der Araber im Mittelalter ist die Weiterführung der Wissenschaften. Sie übersetzen die Werke der griechisch-hellenistischen Autoren. Sie entwickeln eigenständige Forschungsimpulse. In den Wissenschaften lassen sie die Antike hinter sich zurück und erzielen Fortschritte in der Philosophie, der Astronomie, in der Medizin und in andern Naturwissenschaften. Viele internationale Fachausdrücke sind seitdem arabisch, auch in den modernen europäischen Sprachen. Die ursprünglich indischen Ziffern, die die Araber benutzen und die vom Westen übernommen werden, heißen nach ihnen »arabische Zahlen«. Ganze Wissensgebiete tragen arabische Bezeichnungen, weil sie von den Arabern entwickelt bzw. entscheidend ausgebaut werden; so ζ. B. »Algebra«, »Alchimie«, »Chemie«. Die wissenschaftlichen Leistungen der Araber setzen auch ein gut funktionierendes Ausbildungs- und Buchwesen voraus. Der arabisch-islamische Weltkreis ist die eigentliche wissenschaftliche Führungsmacht des Mittelalters.
C 1.4. Europäischer Bereich Staat. - Die germanische Völkerwanderung vollzieht sich vom 4. bis zum 6. Jh. n. Chr. Germanische Stämme erobern dabei alle westlichen Provinzen des Römischen Reiches. Doch kommt es nicht zur Bildung eines umfassenden Großreichs. Ihre Invasionen sind unkoordinierte Einzelunternehmungen, die zur Gründung von separaten £inzelstaaten führen. Einige dieser Staatsgründungen sind kurzlebig, andere erweisen sidi als dauerhaft. — Unter ihnen steigt das Frankenreich (im nördlichen Frankreich, nordwestlichen Deutschland, den Benelux-Gebieten) zum dominierenden Machtfaktor auf, der schließlich alle kontinentaleuropäischen Germanenstaaten zu einem Großreich zusammenfaßt: von Nordspanien (Reste des Westgotenreiches) und Norditalien (Langobardenreich) bis nach Österreich und Niedersachsen. Die Übernahme der Kaiserwürde durch Karl den Großen (800) bedeutet Wiederanknüpfung an die spätantiken Traditionen Westroms. Hier hat die westeuropäische Staaten- und Kulturgemeinschaft eine ihrer Wurzeln: das »Abendland«, der »Okzident«. Diese Zusammengehörigkeit bleibt durch Mittelalter und Neuzeit erhalten, trotz bald einsetzender Reichsteilungen und trotz sich bald herausbildender Sprachdifferenzierung in einen romanischen und einen germanischen Anteil Europas. Zu diesem Phänomen des Okzidents steuern auch die Angelsachsen und Iro-Schotten das ihre bei, und die germanischen Skandinavier, die Polen und Ungarn treten später hinzu. Ein gemeinsames Großreich (wie im byzantinischen Osten während des ganzen Mittelalters und wie im Westen während der Herrschaft der
Zeitsituation
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frühen Karolinger) entsteht allerdings nicht mehr, sondern nur ein System von Einzelstaaten mit vielen Gemeinsamkeiten und Berührungspunkten, aber auch mit immer wiederkehrenden Spannungen und Kriegen. - Das letztere gilt weitgehend auch für den inneren Zustand des »Römischen Reichs Deutscher Nation«, der europäischen Großmacht des Mittelalters, bei der seit Otto dem Großen (962) die Kaiserwürde verbleibt. Sie umfaßt alle deutschsprachigen und niederländischsprachigen Stammesländer, aber auch Norditalien, den Osten des französischen Sprachgebiets (Ostfrankreich, Belgien, Schweiz), sowie die Gebiete der Tschechen und der allmählich eingedeutschten Westslawen im späteren Mittel- und Ostdeutschland. Die Vormachtstellung dieses Römisch-deutsdien Reiches bleibt durch das ganze Mittelalter hindurch ungebrochen. Erst im ausgehenden Spätmittelalter und in der beginnenden Neuzeit steigen weitere europäische Staaten zum Großmachtniveau auf. Gesellschaft. - Typische Gesellschaftsform des europäischen Mittelalters ist das Feudalsystem. Es beruht auf der Naturalwirtschaft sowie auf der Erblichkeit und Regionalisierung aller Amtsfunktionen in Verwaltung und Militärwesen. Statt einer Zentralverwaltung mit Beamtenapparat und statt eines zentralen Militärkommandos mit Garnisonarmee gibt es erbliche Regionalherrscher, die ihre Region in eigener Regie verwalten und ihre eigene Regionalmiliz gegebenenfalls zur »Heeresfolge« aufbieten und zur Verfügung stellen. Theoretisch sind die Regionalherrscher nur »Hintersassen«, Vasallen des Inhabers der Zentralgewalt, denen die Macht nur »verliehen« ist (entsprechend der deutschen Bezeichnung »Lehnswesen«). Praktisch werden sie allmählich zu ziemlich eigenständigen Landesfürsten. Das Feudalsystem besteht aus einer Hierarchie erblicher Ämter, Rechte und Pflichten, die sich nach unten fortsetzt über Grafen, Barone und Ritter bis hinunter zu den lehnsabhängigen Bauern (mit Zwangswohnsitz, Dienstverpflichtung, Ablieferungssoll, doch nicht ohne eigene Bodenrechte). - Anders als in der Antike, entfällt die Sklaverei jetzt völlig. Doch fehlt auch ein freies Bürgertum durch lange Jahrhunderte fast vollständig. Erst im Hoch- und Spätmittelalter entsteht ein solches im Zuge des wiederaufkommenden Städtewesens, und auch dann nur mit relativ geringem Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung. - Es darf andererseits nicht übersehen werden, daß sich im europäischen Spätmittelalter, besonders im Römisch-deutschen Reich, auch erste autonome Stadtrepubliken bilden (oberitalienische Städte, deutsche freie Reichsstädte), und daß sich sogar erste demokratische Bauernrepubliken formieren (Schweiz). Zeitstilistisch untypisch, sind dies doch frühe Vorboten künftiger Entwicklung. Wirtschaft, Technik. - Wirtschaft und Zivilisation sinken im Okzident nach der Völkerwanderung auf einen extremen Tiefpunkt. Entgegen der Zivilisations-Kontinuität von B y z a n z und der Zivilisations-Rezeption der Araber, kommt es nach der germanischen Invasion zum Zivilisations-Abbruch und -Zusammenbruch. Den Germanen fehlt die arabische Voraussetzung einer bereits vor der Invasion vorhandenen eigenen Stadtzivilisation. Sie verstehen die antike Stadtzivilisation nicht genügend. Sie können das bei der Eroberung Vorgefundene nicht nutzen, nicht funk-
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Mittelalter
tionsfähig erhalten; sie sind nicht in der Lage, Zerstörtes wieder aufzubauen und in Gang zu bringen. Die antiken Aquädukte und Wasserleitungen verfallen, die Kanalisation wird unbrauchbar, die Fußbodenzentralheizung wird unbenutzbar, Theater, Thermen, Versammlungszentren veröden. Die Fähigkeit, Steinhäuser zu bauen, geht weithin verloren; Holzbauten und Fachwerkbauten treten vielfach an ihre Stelle, öffentliche Großbauten werden erst im weiteren Verlauf des Mittelalters wieder häufiger errichtet. - Die Einwohnerzahlen der Städte sinken drastisch. Die antike Millionenstadt Rom zählt im 5. Jh. n. Chr. nur noch 250000 Einwohner, im 6. Jh. nur noch 40 000. Man ermißt den Zivilisationsverfall beim Vergleich der Plätzezahlen antiker Theater (das Kolosseum in Rom hatte 50000 Plätze, das Amphitheater in Trier 20 000) mit den Einwohnerzahlen mittelalterlicher Städte in Westeuropa, die fast durchgängig nur einige tausend Bewohner aufweisen. Selbst die größten Städte des Hochmittelalters, wie Rom und Köln, zählen nur 20 000 Einwohner. - Großwirtschaft, Fernhandel und Fernverkehr kommen zum Erliegen. Die Stadtwirtschaft wird durch ländliche Kleinwirtschaft abgelöst, mit parzelliertem Einzelanbau auch dort, wo sich größerer Grundbesitz erhalten hat. Die städtische Großmanufaktur verschwindet und überläßt ihren Platz einem Kleinhandwerk, das sich erst allmählich, langsam und nur in Teilbereichen entwickelt. Die Erholung und neuerliche Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft erfolgt nur über längere Zeiträume, mit energischeren Anstrengungen erst in der Zeit der Karolinger und Ottonen (8.-10. Jh.) und dann in zügigerem Aufstieg bis zur Hohenstaufenzeit (12., 13. Jh.), mit einem Netz von Burgen, Klöstern und allmählich ansehnlicheren Städten. Nicht vor dem Spätmittelalter erreicht Westeuropa wirtschaftlich und zivilisatorisch den Anschluß an das Niveau der byzantinisch-antiken Welt. Erst mit der beginnenden Neuzeit ist der Stand der Antike in vielen Bereichen eingeholt und vereinzelt überholt. Zuletzt ist die Leistung der Europäer dennoch nicht gering zu veranschlagen. Aus der bescheidenen Anfangsposition der Nach-Völkerwanderungs-Zeit müssen sie sich emporarbeiten, und sie durchmessen dabei eine längere und somit auch imponierendere Entwicklungsstrecke als die Byzantiner und selbst die Araber. Aber ihr tatsächlicher Zivilisationsstand bleibt doch durch lange Jahrhunderte jeweils relativ unterentwickelt. Kultur, Wissenschaft: Frühzeit. - Die Entwicklung der Kultur im engeren Sinne nimmt im mittelalterlichen Westeuropa einen parallelen Verlauf zu dem der Gesamtzivilisation und der Wirtschaft. Nach der Völkerwanderung kommt es zum Zusammenbruch der antiken Kultur, zum weitgehenden Untergang der antiken Kunst und Literatur, der Wissenschaften und des Buchwesens. Was an Rudimenten antiker Kultur und Bildung erhalten bleibt, verdankt man teils dem Zufall, teils dem gezielten Wirken einzelner. Es ist natürlich, daß dabei erste Impulse von Italien, dem westlichen Zentrum der Antike, ausgehen. Aber auch in andern ehemaligen Provinzen des Römerreiches üben Reste des antiken Erbes Einfluß aus. Trotz des generellen Rückgangs in allen Details der antiken Zivilisation, Kultur und Wissenschaft, werden doch gewisse allgemeine Grundzüge der bisherigen Kultur allmählich auf die neuen Herren übertragen. Die Germanen, Sieger der Völkerwanderung,
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übernehmen die monotheistische Religion der besiegten Römer. Und mit der christlichen Religion übernehmen sie auch die lateinische Schrift, ja sogar die lateinische Sprache. Sie werden selbst Romanen (wie die Franken und Langobarden) oder sie benutzen doch das Latein wenigstens als Sprache der Wissenschaft, der Religion, der Verwaltung. Hier zeigt sich ein spektakulärer Unterschied zur Situation der Araber. Die Araber, ebenfalls Völkerwanderungssieger, haben genügend kulturelles Eigengewicht, um ihrerseits Religion, Schrift, Sprache und Wissenschaftsrichtung in den eroberten römischen Gebieten zu bestimmen. — In Westeuropa ist die vermittelnde Rolle der Kirche und vor allem der Klöster bei der frühen kulturellen Weichenstellung unübersehbar. Daß das Schriftwesen als solches nicht abreißt, ist ein besonderes Verdienst der Kirche. Dieselbe christliche Kirche, die anfangs zur Demontage antiken Kulturguts mit beigetragen hatte, wird allmählich zur Hauptstütze der Tradierung von Wissen und Gelehrsamkeit. Zunächst in noch geringem Umfang, später weiter ausgreifend. Die Klöster werden Oasen der Schreibtradition in den Zeiten universellen Analphabetentums. In den ersten beiden Jahrhunderten nach der Völkerwanderung spielen besonders italienische und irisch-schottische Klöster und deren Missionseinsatz eine maßgebende Rolle. Kultur, Wissenschaft: Karolinger- und Ottonenzeit. - Die entstehende neue »abendländische« Kultur bleibt noch lange Zeit von bescheidenem Zuschnitt. Karl der Große ζ. B. erläßt eine Verordnung, die die Kenntnis des Schreibens und Lesens für Kleriker verbindlich macht. Daß eine solche Verordnung notwendig wird, spricht für sich selbst, ohne Kommentar. Daß nur Kleriker betroffen sind, darf nicht verwundern. Im weltlichen Adel (und erst recht im übrigen breiten Volk) herrscht allgemeines Analphabetentum. Selbst der Kaiser, Karl der Große, ist Analphabet und lernt erst nachträglich, als erwachsener Mann, schreiben und lesen. Bei ihm finden sich erste Ansätze landesherrlicher Förderung der Gelehrsamkeit, der Literatur und des Buchwesens. Er fördert zahlreiche Klostergründungen. Er protegiert einige ausgewählte »Wissenschaftsklöster« und einzelne Gelehrte von Rang. Er ermutigt einen kleinen Kreis von frühen Literaten, verstreut über Klöster und Bischofssitze, ruft sie gelegentlich an seine wechselnden Hofhaltungen zusammen. Seitdem kommt es zu langsamer, aber stetiger Weiterentwicklung der Wissenschaften und der Literatur. Verstärkt seit der Ottonenzeit. Nicht ohne Widerspruch seitens asketischer Religionsbewegungen. Nicht ohne Rückschläge. Aber doch nicht aufzuhalten und mit immer zunehmendem Elan. Getragen von wissenschaftsfreundlichen Orden, besonders von den Benediktinern. Die Leistungen der Mönche, der Klöster, der Orden, überhaupt der katholischen Kirche für die Wiederaufbringung, Ausbreitung und Intensivierung der europäischen Kultur kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Kultur, Wissenschaft: Hohenstauferzeit, Spätmittelalter. - Weitere neue Orden entstehen im Laufe des Mittelalters. Manche spielen eine wichtige Rolle für die Ausbreitung der Wissenschaften und des Buchwesens, darunter (nach anfänglicher Zurückhaltung) ζ. B. der Franziskanerorden (gegr. nach 1208) und der Dominikanerorden (gegr. 1216). Unter Anteilnahme von Gelehrten aus diesen neuen Orden
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Mittelalter
erweitert sich das theologische Wissen, vertieft sich und wird philosophisch ergänzt. Der gesamte Wissensfundus des Mittelalters wird schließlich zusammengefaßt und tradiert von der neuen Wissenschaftsrichtung der Scholastik. - Zu der geistlichen Kulturträgerschicht tritt allmählich auch eine weltliche hinzu. Voll ausgeprägt in der verfeinerten Ritterkultur der Hohenstauferzeit. Jetzt entsteht zuerst wieder eine weltliche Literatur, mit weltlicher Thematik, mit weltlichen Lesern bzw. Zuhörern, mit weltlichen Autoren (Troubadours, Minnesänger, höfische Epiker). Das Spätmittelalter bringt dann die neuerliche Herausbildung und Verselbständigung der weltlichen Wissenschaften, mit der Gründung erster Universitäten (ab 1200 in den romanischen Ländern und England, nach 1300 auch in Mitteleuropa) und mit der Heraufkunft einer ersten bürgerlichen Bildungsschicht als Trägerin der Universitäts-Wissenschaften und dann auch einer weltlich-bürgerlichen Literatur.
C 2. Informations- und Bibliothekswesen Allgemeines. - Das Buch- und Bibliothekswesen des Mittelalters präsentiert sich ziemlich heterogen, analog den differierenden kulturellen und zivilisatorischen Bedingungen der drei post-antiken Nachfolgebereiche. Der byzantinische Bereich führt, entsprechend der allgemeinen Kulturkontinuität, das spätantike Bibliothekswesen ohne große Veränderungen und Erschütterungen weiter. Der arabische Bereich eignet sich, gemäß seiner Kulturrezeption und Kulturprogression, das Erbe des antiken Buch- und Bibliothekswesens ziemlich bald an und wird zum Motor der Weiterentwicklung. Im westeuropäischen Bereich kommt es, parallel dem generellen Kulturzusammenbruch, zum vollständigen Kollaps des Bibliothekswesens nach der Völkerwanderung, mit nur sehr langsamer, schleichender Rekonvaleszenz und einem alarmierenden Rückstand und Nachholbedarf bis ins Spätmittelalter hinein. Schrift. - In den Nachfolgegebieten des alten Römerreiches übernehmen während des Mittelalters drei Hauptschriften die Führungsrolle. Im byzantinischen Bereich: die griechische Schrift; mit dem Nebeneinfluß der kyrillischen Derivatschrift bei den byzantinischen Balkanslawen und bei den für die byzantinische Kultur erschlossenen Ostslawen. Im arabisch-islamischen Bereich: die arabische Schrift; auch für andere Sprachen (ζ. B. für das Persische) als Schreibschrift adaptiert. Im westeuropäischen Bereich: die lateinische Schrift; anfangs, in den primitiven, diskontinuierlichen Nach-Völkerwanderungs-Jahrhunderten, mit der Besonderheit der geographischen Aufsplitterung in zahlreiche separate Nachfolgeschriften; dann, von der Karolingerzeit ab, wieder mit einer universellen abendländischen Gemeinschaftsschrift, in verschiedenen zeitlichen Abfolgestufen (karolingisdie Minuskel; gotisdie Sdiriftstufen, u. a. Textura). Datenträger, Buchformen (Pergament, Papier, Kodex). - Hauptbeschreibstoff des Mittelalters wird das Pergament. Es hatte schon in der ausgehenden Spätantike den
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vormals herrschenden Papyrus generell abgelöst. Nur vereinzelt wird noch Papyrus weiterbenutzt. - War die Buchrolle für den schmiegsameren Papyrus die passende Buchform, so macht das sprödere, sperrigere Pergament eine andere, ihm angemessenere Buchform erforderlich, den Kodex. Die Kodexform, Bandform, wird zur typischen Buchform des Mittelalters. Die Auswechslung der Buchformen und Beschreibstoffe ist so durchgreifend, daß die Bestände ganzer Bibliotheken umgeschrieben werden. Hierzu liegt ζ. B. der Augenzeugenbericht des hl. Hieronymus (des bekannten Bibelübersetzers) vor: als Benutzer der frühchristlich-kirchlichen Bibliothek von Caesarea (nördlich von Tel Aviv in Israel) bezeugt er im 4. Jh. die dortige Großaktion zur Überschreibung der Gesamtbestände aus alten Papyrusrollen in neue Pergamentkodices. - Im Frühmittelalter, als viele nichtchristliche Handschriften inhaltlich überholt scheinen, kommt für einige Zeit die Gepflogenheit auf, Althandschriften abzukratzen und so einen billigen Beschreibstoff für Neutexte zu gewinnen. Diese Zweitbeschriftungs-Handschriften heißen Palimpseste. Bald taucht auch ein anderer billiger Beschreibstoff auf: das Papier. Zunächst bei den Arabern, die diese chinesische Erfindung schon im Frühmittelalter, im 8. Jh., über zentralasiatische Zwischenvermittlung kennenlernen. Bis zum 10. Jh. breitet sich das Papier über den gesamten arabischen Kulturbereich aus und wird im Hochmittelalter zu dessen dominierendem Schriftträger. Von den Arabern übernehmen die Byzantiner den neuen Beschreibstoff und seine Produktion im 1 1 . Jh. In Westeuropa taucht er im 12. Jh. als Importware auf. Die erste westeuropäische Papiermühle (außerhalb der arabisch-spanischen Gebiete) ist 1276 in Mittelitalien bezeugt (in Fabriano, westlich von Ancona), die erste deutsche 1389/90 bei Nürnberg. Als Buchform bleibt beim Papier wie beim Pergament der Kodex üblich. Regeltypus des Kodexeinbandes sind zwei Holzdeckel, je einer vorn und hinten, zum Normalgebrauch mit grobem Leder überzogen. Für repräsentative Zwecke können die Deckel gelegentlich auch mit Edelmetall und Edelsteinen verkleidet sein (Kleinodienband). Nur die Araber, angesichts ihres Vorsprungs bei der Papierherstellung, verfügen schon frühzeitig über Pappdeckel-Einbände statt derHolzdeckel-Einbände. Sie beziehen die feineren Pappeinbände bereits mit zarteren Lederarten und benutzen leuchtend-bunte Lederfärbung und Goldprägung lange vor den Westeuropäern (bei denen der Holzdeckel mit grobem Lederüberzug bis in die Renaissance vorherrschend bleibt). Bibliotheken, Bibliothekstypen. - Unterscheidet sich das Mittelalter bei den Datenträgern (Beschreibstoffen, Buch- und Einbandformen) grundlegend von der Antike, so sind die epochalen Gegensätze bei den Bibliothekstypen weniger groß. Fast alle antiken Bibliothekstypen finden sich auch im Mittelalter wieder, wenn auch mit anderem Prozentanteil am gesamten Bibliothekswesen und mit anderer Akzentuierung. Lediglich in Westeuropa fehlen die antiken Bibliothekstypen lange Zeit fast vollständig. - Den Typus der großen öffentlichen Staatsbibliothek (evtl. mit gleichzeitiger Zuständigkeit für die Literaturversorgung einer Hochschule) verkörpert die Kaiserliche Bibliothek in Konstantinopel völlig ungebrochen von der Antike bis zum Ende des Mittelalters. Die arabischen Hofbibliotheken verkörpern
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diesen Typus nur bedingt. A n jeweils wechselnde Dynastien gebunden, sind sie kurzlebiger (einige Jahrzehnte, allenfalls Jahrhunderte), und sie »ressortieren« nicht beim Staat, sondern bei Hofe, bei der Dynastie, aber sie fungieren dennoch nicht nur als Hofbibliotheken, sondern auch als wissenschaftliche Forschungsbibliotheken. Im europäischen Bereich fehlt dieser Bibliothekstypus völlig. Gelegentlich finden sich allerdings Privatbibliotheken der Herrscher, ganz an die Person des Eigentümers gebunden und deshalb nach dessen Tode wieder zerstreut. - Der Typus der Hochschulbibliothek ragt aus der Antike in das Byzantinische Reich hinein. Nach Unterbrechung der Tradition durch Schließung »heidnischer« Hochschulen, nach deren Umfunktionierung bzw. nach Gründung neuer christlicher oder islamischer Hochschulen lebt auch der Typus der Hochschulbibliothek im byzantinischen und arabischen Bereich bald wieder auf. Im europäischen Bereich dagegen fehlt er (wie die Hochschulen selbst) bis ins Hochmittelalter hinein. - Der Typus der Universitätsbibliothek als Zentralbibliothek fehlt merkwürdigerweise fast dem gesamten Mittelalter: Byzantinern, Arabern und Europäern gleichermaßen. Bei der Zusammenlegung und Umorganisierung von Einzelhochschulen zu Universitäten (mit mehreren Fachgebieten und Fakultäten) im byzantinischen und arabischen Bereich (ab 10. Jh.) stützen sich diese neuen »Gesamthochschulen« auf die vorhandenen Staats- und Hofbibliotheken. Die späteren europäischen Universitäten (ab 1 3 . Jh.), die ja keine Staatsbibliotheken vorfinden, verfügen meist nur über kleine Einzel-Kollegiums-Bibliotheken. - Ein mittelalterlicher Haupttypus ist die geistliche Bibliothek, vor allem die Klosterbibliothek. Auch islamische Klosterbibliotheken kommen vor. Aber die prominenteste Rolle spielen die christlichen Klosterbibliotheken im byzantinischen und europäischen Bereich. In Europa ist die Klosterbibliothek auf Jahrhunderte der vorherrschende, ja fast der einzige Bibliothekstyp. Übrigens hatte sich die Klosterbibliothek schon in der Spätantike als kirchlicher, nichtstaatlicher Bibliothekstyp herausgebildet. Im Grundsatz steht die Klosterbibliothek dem archaischen Typus der vorderorientalischen und frühantiken Tempelbibliothek nahe: auch sie ist Teil einer Tempelanlage, einer geistlichen Institution. - Andere Formen geistlicher Bibliotheken sind im christlichen Bereich von Byzanz und Europa die Bistumsbibliotheken, im islamisch-arabischen Bereich die sehr verbreiteten Moscheebibliotheken. Die Büchereien der Koranschulen (Medresen), oft mit Moscheen verbunden, kommen für mittelalterliche Verhältnisse ungewöhnlich zahlreich vor: Damaskus soll ζ. B. IJO, Kairo 75 Koranschulen besessen haben. Bei kleinem Einzelumfang entfalten sie durch ihre Häufigkeit doch eine beachtliche Breitenwirkung. Bestände, Bestandsumfang. - Im byzantinischen und arabischen Bereich entsprechen die mittelalterlichen Bestandszahlen denen der Antike. 100 000 Bände in der Kaiserlichen Bibliothek von Konstantinopel sind ein ziemlich angemessenes Kodexäquivalent zu den 500 000 bis 700 000 Buchrollen des Museion im antiken Alexandrien. Man kann davon ausgehen, daß ein Kodex den Inhalt von sieben bis neun Buchrollen faßt. Ein Kodexbestand kann deshalb bei gleichem Buchinhalt kleiner sein als ein Buchrollenbestand. Mit Bestandsangaben von 100 000 bis 200 000 Bän-
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den halten auch die Hofbibliotheken von Bagdad und Kairo das von Konstantinopel markierte Niveau. Die spätmittelalterliche Bestandsmeldung von 400 000 Bänden der arabischen Hofbibliothek zu Cordoba (Arabisch-Spanien) mag kritische Skepsis herausfordern; man darf aber nicht vergessen, daß sich inzwischen die Papierverwendung im arabischen Bereich generell durchgesetzt hat und daß deshalb die verfügbare Menge wohlfeiler Bücher stark zunimmt. Jedenfalls sind von zahlreichen Bibliotheken Durchschnittszahlen von Zehntausenden von Bänden überliefert. - Die Bestandszahlen der mittelalterlichen Bibliotheken Westeuropas fallen dagegen kraß ab. Auf Jahrhunderte, bis zum Spätmittelalter hin, verfügen die mittleren und größeren Klosterbibliotheken nur über je einige hundert Bände: im 9. Jh. ζ. B. Bobbio (Norditalien) 700 Bände, Lorsch (Westdeutschland) 590; im 12. Jh. ζ. B. Cluny (Ostfrankreich) 600 Bände, Durham (Nordengland, Kathedralbibliothek) 600. Selbst die größte Klosterbibliothek des deutschen Mittelalters, St. Gallen (Schweiz), besitzt im 12. Jh. nur ca. 1000 Bände, die Päpstliche Bibliothek in Avignon im 14. Jh. nur ca. 2000 Bände. Die meisten kleineren Klöster aber verfügen nur über wenige Dutzende von Büchern. Räumlichkeiten, Gebäude; Aufstellung. - Art und Größe der Räumlichkeiten hängen vom Bestandsumfang ab. Die byzantinisch-arabischen Großbibliotheken haben ζ. T. selbständige Gebäude, ζ. T. sind sie in eigenen Flügeln der Paläste untergebracht. Mittlere Bibliotheken mit Zehntausenden von Bänden finden in den Räumen der zugehörigen Institution ihren Platz. Kleinbibliotheken (islamische Koranschulbibliotheken, christliche Klosterbibliotheken) kommen gewöhnlich in einem einzigen Raum unter. In manchen Klöstern liegt der Bücherraum neben oder über der Schreibstube. - Der Aufbewahrung der Bücher dienen Schränke, seltener Regale, gelegentlich auch einfache Bücherkisten. Alle gewöhnlich an den Wänden der Räume placiert. Im ausgehenden Mittelalter, zuerst vereinzelt im 13. Jh., taucht in Westeuropa das »Pultsystem« auf, das dann nach 1400 und in der ganzen Renaissancezeit zur prominentesten Aufstellungsform wird (Näheres vgl. unten S. 68). - Inhaltlich, gliederungsmäßig erfolgt die Aufstellung der Bücher oft systematisch; in byzantinisch-arabischen Großbibliotheken schrankgruppenweise, ja zimmerweise nach Fächern getrennt; in Kleinbibliotheken nur nach groben Hauptgruppen geordnet (ζ. B. geistliche und weltliche Bücher, liturgische und dogmatische Schriften, u. ä.) oder nach sonstigen Gesichtspunkten zusammengestellt. Bibliothekspersonal. - Die byzantinischen und arabischen Großbibliotheken haben einen spezialisierten und gegliederten Mitarbeiterstab, wie die großen Bibliotheken der Antike. Sie stehen unter der Leitung von Wissenschaftlern, oft namhaften Gelehrten. Die Bibliothekare sind ζ. T. Fachwissenschaftler verschiedener Fächer, ζ. T. Verwalter. Als Mitarbeiter finden sich Schreiber, Bibliotheksdiener, und für die Handschriftenproduktion besondere Schönschreiber, Illustratoren, Vergolder, Buchbinder. Mittlere und kleinere Bibliotheken kommen mit einigen wenigen oder auch nur einem Bibliothekssachverständigen aus. Die europäischen Klosterbibliotheken werden häufig von einem Pater nur nebenamtlich geleitet. Ist er zugleich Leiter der Schreibstube, so kann man die zum Abschreiben eingeteilten Mönche mit zu seinem
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Personal rechnen. Die frühen Kollegienbibliotheken mittelalterlicher Universitäten im europäischen Bereich werden nebenamtlich von Dozenten oder Studenten verwaltet. Bibliothekstheorie. - Trotz des gut ausgebauten Bibliothekswesens im byzantinischarabischen Bereich sind bibliothekstheoretische Schriften aus dem Mittelalter kaum überliefert. Es finden sich allerdings Bibliotheksinstruktionen und Dienstanweisungen, Berichte, einschlägige Literaturzitate und Briefstellen. Auch in einige enzyklopädische Sammelwerke, die das Wissen der Zeit kompendienhaft zusammenfassen, sind Angaben zum Bibliothekswesen eingeflossen. Eine frühe europäische Belegstelle dieser Art findet sich in dem enzyklopädischen Sammelwerk »Etymologiae« des westgotisch-spanischen Gelehrten und Bischofs Isidor von Sevilla (7. Jh.): einige wenige Seiten zum Bibliotheks- und Buchwesen allgemein und zur Entwicklung früher Büchersammlungen. Bestandsaufbau (Buchproduktion, Erwerbung). - Wie in der Antike, beruht die Buchproduktion im Mittelalter ausschließlich auf dem Abschreiben von Handschriften. Deshalb unterhalten viele Bibliotheken eigene Schreibstuben. In den europäischen Klosterbibliotheken heißen sie »scriptorium«. - Im byzantinischen und arabischen Bereich entwickeln sich früh auch Lohn-Schreibwerkstätten. Europa folgt mit dieser Einrichtung erst ganz spät, im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. - Der gewerbliche Buchhandel spielt im byzantinischen und arabischen Bereich früh eine größere Rolle als in der Antike. Er floriert besonders nach der Einbürgerung des Papiers im arabischen Bereich. Für die Stadt Bagdad allein werden zeitweilig 100 Buchhändler gemeldet. In Westeuropa fehlt der gewerbliche Buchhandel durch viele Jahrhunderte gänzlich (von vereinzelten Gelegenheits-Buchverkäufen abgesehen). — Die arabische Einrichtung des Mietbuchhandels (entgeltliche Leihbüchereien) wird im europäischen Bereich nur langsam heimisch. Westeuropa kennt einen Spezialfall dieser Buchhandelssparte im Spätmittelalter: die »stationarii«, an den frühen Universitäten zugelassen, aber privatwirtschaftlich tätig, betreiben Mietbuchhandel mit Mustertextbüchern für den Vorlesungsbetrieb und offerieren überdies teilweise auch einen vorteilhaften Schreibauftragsdienst. Bei der Bucherwerbung seitens der Bibliotheken spielen der Buchhandel und der entgeltliche Schreibauftragsdienst nur im byzantinischen und vor allem im arabischen Bereich eine Rolle. - Aber auch die dortigen Bibliotheken stützen sich stark auf die Eigenproduktion der hauseigenen Schreibwerkstätten. Die europäischen Bibliotheken kennen fast nur diesen Zugang durch Eigenproduktion. — Einen wichtigen Anteil hat daneben der Geschenkzugang: Schenkungen von Privatbibliotheken und Nachlässen im arabischen und byzantinischen Bereich; im europäischen Bereich Zuweisungen von Buchgrundausstattungen aus Mutterklöstern für Tochterklöster bei Neugründungen, oder auch nur fromme Stiftungen von Einzelbänden. Auch der Buchtausch spielt eine gewisse Rolle. Erschließung, Katalogisierung. - Die größeren byzantinischen und arabischen Bibliotheken erfordern von Anfang an Kataloge zu ihrer Erschließung. Der Katalog, systematisch nach Fachgruppen oder nach Titeln und Verfassern geordnet, wird
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gewöhnlich in Bandform geführt. Kataloge in zehn, zwanzig und mehr Bänden werden bezeugt (so ζ . B. 44 Katalogbände für die arabische Hofbibliothek in Cordoba). - Demgegenüber genügen für die europäischen Klosterbibliotheken kleine Inventare. Sie aber werden von früher Zeit an geführt und bezeugt. Manche sind erhalten. Ihre Anordnung wechselt: nach groben Fachgruppen, nach der alphabetischen Reihenfolge der Verfasser, der Werktitel oder besonderer Stichworte. Benutzung. — Z u den Benutzern gehören im byzantinischen und arabischen Bereich, wie in der Antike, Amtsträger jeder Art, Regenten, Höflinge, Verwaltungsbeamte, Wissenschaftler, an den Hochschulen auch Professoren und Studenten, in den arabischen Koranschulen auch breitere religiöse Leserschichten. - In Westeuropa beschränkt sich die Benutzung jahrhundertelang nur auf Geistliche: Mönche, Nonnen, Priester. Die andern oben genannten Leserschichten fehlen lange Zeit entweder ganz oder gehören mit einem großen Teil ihrer Mitglieder dem Analphabetentum an. Im Spätmittelalter treten auch in Europa Professoren und Studenten als Universitätsleser hinzu. - Die normale Benutzungsform ist im Mittelalter, wie in der Antike, die Präsenzbenutzung: im Bibliotheksraum selbst oder allenfalls in den übrigen Räumlichkeiten der zugehörigen Institution (ζ. B. tageweise Mitnahmeerlaubnis für Bücher aus dem Klosterbibliothekszimmer auf die Mönchszellen, aus der Kollegienbibliothek in die Studien- und Wohnräume des Kollegs). Der hohe materielle Wert der Handschriften, bedingt durch den Herstellungsaufwand, erlaubt keinen liberaleren Ausleihmodus. - W o Ausleihfälle außer Hauses vorkommen, geschehen sie nicht im Rahmen einer »institutionalisierten« Ortsleihe oder Fernleihe, sondern gelten als Einzelausnahmen für begründete Sonderfälle (ζ. B. Vorlagehandschriften für Abschriftenanfertigung). Mitunter erfolgt die Ausleihgenehmigung nur nach vorheriger Pfandhinterlegung im Erstattungswert.
C 3. Einzelne Bibliotheken C J.I. Byzantinischer Bereich Konstantinopel: Kaiserliche Bibliothek. - Die Kaiserliche Bibliothek in Konstantinopel ist die wichtigste Bibliothek des Mittelalters und eine der wichtigsten Bibliotheken der gesamten Weltbibliotheksgeschichte überhaupt. Im Mittelalter gehört sie zu den bestandsgrößten Bibliotheken und ist unter diesen die ausdauerndste. Bald nach der Erhebung der Stadt Byzanz zur neuen römischen Reichshauptstadt Konstantinopel durch Kaiser Konstantin I. (330 n. Chr.) entsteht der Plan zur Gründung einer öffentlichen wissenschaftlichen Staatsbibliothek. In den Anlaufjahren bis zu Konstantins Tod kommt wohl nur ein erster kleiner Grundstock zusammen. Konstantins jüngerer Sohn und zweiter Nachfolger, Kaiser Constantius, gründet die Kaiserliche Bibliothek offiziell um 356 n. Chr. Die neue Bibliothek verfügt gleichermaßen über lateinische und griechische Buchbestände (wie die Kai-
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serbibliotheken der alten Hauptstadt Rom) und sammelt die wichtigeren Werke der antiken Wissenschaften und schönen Literatur. Große Förderung und Bestandserweiterung erfährt die Bibliothek unter dem folgenden Kaiser, Julian I., dem »Philosophen auf dem Kaiserthron«. Er (der das Christentum als Staatsreligion wieder abschafft, daher der Beiname »Apostata«) überweist u. a. seine eigene Privatbibliothek und private Büchersammlungen und Nachlässe anderer Philosophen und Gelehrten an die Kaiserliche Bibliothek. E r scheint auch den Bau eines selbständigen Bibliotheksgebäudes veranlaßt zu haben. Julians Nachfolger, Kaiser Valens (der bei Beginn der Völkerwanderung im Westgotenfeldzug von 378 fällt), sorgt ebenfalls für kräftige Bestandsvermehrung und stellt die Organisation der Bibliothek auf eine solide Grundlage. Eine Bibliotheksinstruktion regelt die Geschäftsverteilung und normiert die Arbeitsgänge (vgl. dazu oben S. 27 f.). Feste Stellen für ausreichendes Verwaltungspersonal und Schreibpersonal (d. h. Buchherstellungspersonal) werden auf dem Verordnungswege eingerichtet: sieben hauptamtliche Bibliothekare (antiquarii) und ein größerer Mitarbeiterstab mit Unterpersonal (condicionales). Unter Kaiser Theodosius I. (der 391/392 das abgeschaffte Christentum erneut als Staatsreligion einführt) beziffert sich der Buchbestand der Kaiserlichen Bibliothek bereits auf 100 000 Bände. Seitdem stellt die christlichtheologische Grundlagenliteratur einen großen Anteil am Gesamtbestand. Nach der Gründung einer philosophischen und einer juristischen Hochschule in Konstantinopel übernimmt die Kaiserliche Bibliothek im 5. Jh. auch die Literaturversorgung dieser Hochschulen (die nur geringe eigene Buchbestände besitzen) und pflegt die entsprechenden Sammelgebiete angemessen (Philosophie auf christlicher Grundlage, Philologie, Naturwissenschaften, Jura). Die große Rechtskodifikation Kaiser Justinians I. im 6. Jh. stützt sich auf die Bestände der Kaiserlichen Bibliothek, die ihrerseits von da ab noch ausgeprägter auch zur Regierungs- und Behördenbibliothek wird. Nach mancherlei wechselvollen Schicksalen übernimmt die Kaiserliche Bibliothek im 10. Jh. auch noch die zusätzliche Funktion einer Universitäts-Zentralbibliothek für die von Kaiser Konstantin Porphyrogennetos durch Zusammenlegung von Einzelhochschulen geschaffene erste Voll-Universität der Welt. Die Entwicklungslinie der Kaiserlichen Bibliothek weist allerdings nicht nur diese scheinbar gradlinige Leistungsbilanz auf, sondern wird auch von Rückschlägen gezeichnet. So meldet eine Quellenangabe zu einer schweren Brandkatastrophe gegen Ende des 5. Jh. den Verlust von nicht weniger als 120 000 Bänden (allerdings auch den schnellen Wiederaufbau und zügige, effektive Lückenergänzung). Im 8. Jh., während einer »Durststrecke« der byzantinischen Kulturentwicklung, sinkt auch das Niveau der Kaiserlichen Bibliothek beträchtlich. Im 13. Jh. kommt es zu einer einschneidenden Zäsur, als die Hauptstadt Konstantinopel auf ein halbes Jahrhundert unter westeuropäische Besatzungsherrschaft gerät und die byzantinischen Kaiser in einer Ausweichhauptstadt (Nicäa) eine vorübergehende Gegenbibliothek einrichten (die nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit mit den Resten der eigentlichen Hauptbibliothek in Konstantinopel vereinigt wird). Die Kaiserliche Bibliothek kann aber alle diese Widrigkeiten »verkraften« und bis zuletzt ihre Position in der Weltspitzenklasse der mittelalterlichen Bibliotheken
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halten. Zur byzantinischen Vorrenaissance des 14. und 15. Jh. leistet sie mit ihren Quellengrundlagen einen entscheidenden Beitrag. Mit der türkischen Eroberung Konstantinopels und dem Untergang des Byzantinischen Reichs endet 1453 auch die Geschichte der Kaiserlichen Bibliothek. Ihre Bestände werden teils vernichtet, teils als Beute zerstreut oder verkauft. Konstantinopel: Weitere Bibliotheken. - Die andern Bibliotheken der Hauptstadt Konstantinopel stehen in ihrer Bedeutung im Schatten der Kaiserlichen Bibliothek. - Die Hochschulen (Philosophische und Juristische Hochschule) besitzen nur kleinere eigene Büchersammlungen und sind für die Literaturversorgung weithin auf die Kaiserliche Bibliothek angewiesen. Nach der Neubelebung der Studien und Hochschulen seit der zweiten Hälfte des 9. Jh. und nach dem organisatorischen Zusammenschluß der Einzelhochschulen zur gesamtheitlichen Universität im 10. Jh. übt die Kaiserliche Bibliothek die Funktion der Zentralbibliothek aus. Jedoch bestehen Einzelbüchersammlungen der Fakultäten daneben weiter. Im Laufe des Hochmittelalters entwickeln sich die Fakultätsbibliotheken zu rechtlich verankerten festen Einrichtungen, mit Regelung ihrer Aufgabenstellung, ihres Personals und Geschäftsgangs. - Unter den geistlichen Bibliotheken nimmt die Patriarchatsbibliothek den prominentesten Platz ein. Die herausgehobene Amtsstellung des Patriarchen von Konstantinopel als des Oberhaupts der gesamten byzantinischen Reichskirche bestimmt auch den Zuschnitt seiner Amtsbibliothek, die die Bedeutung und Größe normaler Bistumsbibliotheken übertrifft. Die Patriarchatsbibliothek übernimmt auch die Literaturversorgung der allmählich entstehenden Patriarchatshochschule, einer Ausbildungsstätte für den höheren theologischen und administrativen Kirchendienst. - Die bedeutendste Klosterbibliothek ist die des Studios-Klosters (so genannt nach einem Würdenträger dieses Namens), vor den Toren von Konstantinopel. Das Studios-Kloster wird zum bibliothekarischen Musterkloster des byzantinischen Bereichs, weil von ihm im 8. Jh. eine bibliotheksfreundliche Klosterreform ausgeht. Byzantinische Bibliotheken in den Provinzen. - In den großen Städten des Byzantinischen Reichs setzt sich die antike Bildungstradition der staatlichen öffentlichen Bibliotheken lange Zeit fort. Allmählich tritt mancherorts (nicht überall) ein Niedergang ein, ζ. T. in »innerer Eintrocknung« durch den Kulturrückgang im 8. Jh., ζ. T. durch äußere Zerstörungen und Eroberungen. Die mittelalterlichen Geschicke mancher bedeutenden antiken Bibliotheken sind gar nicht mehr bekannt. Das gilt ζ. B. auch für die berühmte Bibliotheksstadt Pergamon (die noch im 12. Jh. als wichtiges Zentrum eine neue Befestigungsanlage erhält und erst im 14. Jh. von den Türken erobert wird). — Verhältnismäßig früh verschwinden allerdings manche Hochschulbibliotheken, im Zuge der Aufhebung »heidnischer« (und also in christlicher Zeit ideologisch nicht mehr tragbarer) Hochschulen. Selbst die berühmte Hochschule von Athen fällt J29 als unchristlich einer Auflösungsverordnung Kaiser Justinians zum Opfer. - Im gleichen Maße, wie die Bedeutung der staatlichen öffentlichen Bibliotheken und der Hochschulbibliotheken in den Provinzen zurückgeht, nimmt die Bedeutung der Klosterbibliotheken zu. Anfangs waren die
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Klosterbibliotheken oft wenig ergiebig. Vom Standpunkt des byzantinischen Bibliothekswesens aus brauchten sie es auch nicht zu sein. Nach dem Kulturrückgang im 8. Jh. setzt eine Klosterreform ein, die funktionsfähige Bibliotheken für alle Klöster obligatorisch macht. Die spätere Kulturerholung im Hoch- und Spätmittelalter bleibt bibliotheksmäßig auf die Hauptstadt Konstantinopel beschränkt (vgl. oben). In den Provinzen dominieren seitdem die Klosterbibliotheken als wichtigster Bibliothekstyp. Berühmt sind die Klöster auf dem Berge Athos (an der nordgriechischen Küste), die vieles von ihren Bibliotheksbeständen durch die Stürme der Zeiten und über die türkische Herrschaft hin bis in unsere Gegenwart gerettet haben. Byzantinischer Bibliothekseinfluß in Italien und Rußland. - Das Byzantinische Reich ist die führende christliche Kulturmacht des Mittelalters. Darum geht sein expansiver Kultureinfluß, auch Einfluß im Buch- und Bibliothekswesen, über die Reichsgrenzen hinaus. Er gelangt auch in den germanisch-romanischen Machtbereich des mittelalterlichen Okzidents. Vor allem macht er sich aber außerhalb dieses Machtbereichs fühlbar. - In Südostitalien, das längere Zeit Staatsbestandteil und später Einflußgebiet von Byzanz ist, entstehen wichtige byzantinische Klöster mit einer von der westeuropäischen abweichenden Handschriftenkultur. Im Nordosten Italiens wird Venedig zum Bollwerk der byzantinischen Kultur im mittelalterlichen Europa. Obwohl dem lateinischen Westen und der katholisch-päpstlichen Kirche angeschlossen, zeigt Venedig in seiner Kunst wie in seinem Buchwesen mancherlei byzantinische Züge. - Rußland, das sich im 9. Jh. aus unabhängigen ostslawischen Stämmen zu einem losen Staatenverband formiert und Ende des 10. Jh. das Christentum übernimmt, öffnet sich ebenfalls der byzantinischen Kultur und schließt sich ihrer Richtung an: in der Kunst, in der Schrift, in der orthodoxen Religion. Natürlich zunächst mit bescheidenen Anfängen. Das entstehende russische Buch- und Bibliothekswesen nimmt im 1 1 . und 12. Jh. die byzantinischen geistlichen Bibliotheken zum Vorbild. Wichtige frühe Kloster- und Kathedralbibliotheken finden sich u. a. in Kiev und Novgorod. Zur Herausbildung anderer Bibliothekstypen kommt es nicht mehr, denn schon in der Mitte des 13. Jh. beginnt mit dem Tataren-Einbruch und der Tataren-Oberherrschaft die lange Periode der Stagnation der altrussischen Kultur- und Zivilisationsansätze.
C 3.2. Arabischer Bereich Wichtige arabische Bibliotheken. - Im Bibliothekswesen des Mittelalters liegt der arabische Bereich, gemeinsam mit dem byzantinischen, in Führung vor dem westeuropäischen. Jedoch ist die Entwicklungskurve des arabischen Bibliothekswesens umgekehrt proportional zu der des byzantinischen Bibliothekswesens. Am Anfang verfügen die Byzantiner über zahlreiche und wohlausgebaute Bibliotheken; allmählich verengt sich aber ihre Führungsposition und beschränkt sich schließlich auf Konstantinopel, das in einzigartiger Höhe und Kontinuität die Führung behält. Bei den Arabern hingegen läuft das Bibliothekswesen nur langsam an, entwickelt sich aber allmählich überreich und verfügt schließlich über die zahlreichsten und
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umfänglichsten Bibliotheken des Mittelalters. Allerdings sind gerade die größten arabischen Bibliotheken, die Hof- und Palastbibliotheken, kurzlebiger, weil an bestimmte Dynastien gebunden. Das arabische Bibliothekswesen besitzt Kontinuität nur als Ganzes, nicht in seinen einzelnen Gliedern. - Einige der großen Hof- und Palastbibliotheken sind auch für die Hochschulen mit zuständig und ragen durch besondere Leistungen für Wissenschaft und Forschung heraus. Dazu gehört vor allem die Hofbibliothek der Abbasiden-Dynastie in Bagdad, die im 8. und 9. Jh., besonders unter den Kalifen Härün ar-Raschid und Al-Ma'mün, floriert und der in ihrer Blütezeit ein Bestand von mehreren hunderttausend Bänden zugeschrieben wird. Sie ist das eigentliche Zentrum der Sammlung, Übersetzung und Aufbereitung der antiken wissenschaftlichen Literatur, sowohl der griechisch-lateinischen wie der persisch-sassanidischen Überlieferung. Die wissenschaftlich-kulturelle Vormachtstellung Bagdads bleibt bis ins 1 1 . Jh. hinein erhalten, später getragen von andern großen Bibliotheken. Zeitweilig werden dreißig öffentliche wissenschaftliche Bibliotheken gezählt. - Nächst Bagdad nimmt Kairo den wichtigsten Platz in der arabischen Wissenschaft und im arabischen Bibliothekswesen ein. Herausgehobenes Bibliothekszentrum ist die Hofbibliothek der Fatimiden-Dynastie im 10. und 1 1 . Jh., deren Bestände sich auf 100000 bis 200000 Bände belaufen. Ziemlich gleichzeitig mit dieser Hofbibliothek wird in Kairo die Al-Azhar-Hochschule gegründet, die sich, bei mancherlei Veränderungen, bis in die Gegenwart erhalten hat und die (nach dem Untergang der byzantinischen Universität von Konstantinopel) die älteste noch heute bestehende Universität der Welt ist. - Besonders reich blüht das Bibliothekswesen in Arabisch-Spanien auf, mit über 70 öffentlichen Bibliotheken, darunter die Hofbibliothek der Omajjaden-Dynastie in Cordoba im 9. und 10. Jh. (mit einem Höchstbestand von mehreren hunderttausend Bänden) und weitere Palastbibliotheken u. a. in Toledo und Granada.
C j.j. Europäischer
Bereich
Allgemeines. - Das westeuropäische Mittelalter kennt nur kleinere Bibliotheken in der Größenordnung von einigen hundert, ganz selten tausend, meist sogar nur einigen Dutzend Bänden. Großbibliotheken (100000 Bände) und Mittelbibliotheken (einige zehntausend Bände), wie sie im byzantinischen und arabischen Mittelalter vorkommen, fehlen dem westeuropäischen Mittelalter ganz. Doch sind einige dieser westeuropäischen Bibliotheken trotz ihrer quantitativen Kleinheit von exemplarischer Bedeutung für die Gesamtentwicklung des europäischen Bibliothekswesens und dürfen deshalb in der Einzelberichterstattung nicht ganz fehlen. Auch erscheint das europäische Bibliothekswesen nur relativ klein im Vergleich mit dem byzantinischen und arabischen Bibliothekswesen. Für sich gesehen, ist das Fazit des westeuropäischen Buchwesens im Mittelalter keineswegs unbedeutend; sind doch sehr ansehnliche Bestände an mittelalterlichen Handschriften in den Bibliotheken Westeuropas bis heute überliefert.
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Mittelalter
Frühe Kloster- und Bistumsbibliotheken in Italien. - Am Anfang des sich formierenden abendländischen Bibliothekswesens heben sich zwei italienische Klosterbibliotheken heraus, denen in jener Ubergangsepoche von der Spätantike zur Völkerwanderungszeit richtungweisende Signalwirkung zukommt: Monte Cassino und Vivarium. Monte Cassino (im südlichen Mittelitalien), 529 n. Chr. vom hl. Benedikt von Nursia gegründet, wird später das Mutterkloster des Benediktinerordens. Anfangs kein Hort des wissenschaftlichen Buchwesens, sondern ein Zufluchtsort der Weltabkehr, motiviert aus der Resignation gegenüber der Gotenherrschaft, dem Zusammenbruch der antiken Zivilisation und Gesellschaft. Trotz bewußten Verzichts auf wissenschaftliche Literatur wird aber wenigstens ein kleiner Fundus erbaulicher Bücher geführt und ihre Lesung sogar vorgeschrieben. Diese erste Verankerung des Buchwesens im Kloster Monte Cassino gewinnt später größere Bedeutung und schlägt sich vom 7. Jh. an in einem ausgesprochen wissenschaftlichen Buchwesen nieder. Im Laufe der Zeiten wird der Benediktinerorden mit seinen vielen Gliedklöstern zu dem, was er bis heute geblieben ist: zum Hauptträger klösterlicher Wissenschaftspflege und klösterlichen Bibliothekswesens. - Der Benediktinerorden eifert darin einem Vorbild nach, das von Benedikt bei der Gründung gar nicht beabsichtigt ist, das aber von einem Zeitgenossen in Süditalien aufgerichtet wird: von Cassiodor im Kloster Vivarium. Cassiodor, Gelehrter und Staatsmann, durch seine Herkunft aus der römischen Großgrundbesitzerschicht der antiken Kultur eng verbunden, gehört zu jenem römischen Flügel, der versucht, durch Kollaboration mit dem Gotenregime die antike Zivilisation zu retten. Er wird leitender Verwaltungsbeamter unter Theoderich. Er plant, mit dessen Hilfe in Rom eine neue öffentliche wissenschaftliche Bibliothek nach klassisch-antikem Vorbild ins Leben zu rufen. Theoderichs Tod und die anschließenden Wirren der langjährigen gotisch-oströmischen Kriege lassen diesen Plan scheitern. So gründet Cassiodor 540 n. Chr. auf seinen Landgütern in Kalabrien (Südwestitalien) das Kloster Vivarium, mit der ausdrücklichen Zielsetzung der Sammlung (und damit Rettung) der antiken wissenschaftlichen Literatur. Fernab von den widrigen Weltläufen, im Schutze der Kirche und der geographischen Abgeschiedenheit, hofft er, sein Ziel zu erreichen. Er erreicht es zum Teil. Als das Kloster nach einigen Jahrzehnten wieder eingeht, kann wenigstens einiges an wissenschaftlicher Literatur an andere inzwischen entstandene klösterliche Büchersammlungen weitergegeben werden. - Hauptträger der Weiterführung von Vivariums Literatur- und Handschriftentraditionen wird das irisch-schottische Missionskloster Bobbio. Im 7. Jh. vom hl. Columban gegründet, soll es den durch die Gotenkriege und den Langobardeneinbruch weiter verschärften Kulturabstieg punktuell auffangen und die Initialzündung zu einer Reaktivierung des Buchwesens im neu entstandenen Langobardenreich geben. Deshalb erfolgt die Standortwahl auch unweit der neuen Langobardenhauptstadt Pavia. Durch das Zusammentreffen der nach-antiken Cassiodor-Traditionen mit den zukunftsträchtigen Impulsen des irisch-schottischen Schriftwesens gewinnt Bobbio Vorbildwirkung in Norditalien. - Wichtig in Norditalien wird auch die Bistumsbibliothek (Biblioteca capitolare) zu Verona. Ohne spektakuläre Anfänge, bietet sie doch ein Beispiel ungewöhnlicher Bibliothekskontinuität. Aus Bücherbe-
Einzelne Bibliotheken ständen der frühen Bistumszeit hervorgegangen, gewinnt die Sammlung mit dem Bistum an Bedeutung in der Spätantike und in der ostgotischen Residenzzeit Theoderichs. Sie enthält datierte Handschriften aus der eigenen Schreibwerkstatt des 6. Jh. und vieler späterer Jahrhunderte. N a c h wechselvollen Schicksalen übt sie bis in unsere Zeit ihre Funktionen aus und ist somit die älteste heute bestehende Bibliothek der Welt. - Die prominenteste kirchliche Büchersammlung des mittelalterlichen Italien wird die kleine päpstliche Bibliothek in Rom. Erste päpstliche Bücherbestände finden sich schon in der Antike. So wird bereits im 3. Jh. n. Chr. der hl. Laurentius, römischer Diakon und später Märtyrer, als nebenamtlicher Verwalter einer päpstlichen Büchersammlung genannt. Er gilt übrigens auch als katholischer Schutzheiliger der Bibliothekare (Heiligenkalendertag: 10. August). N a c h Erhebung des Christentums zur Staatsreligion wird die päpstliche Büchersammlung offiziell im Lateranpalast, dem neuen päpstlichen Amtssitz, untergebracht (4. Jh.), anfangs mit dem Archiv vereinigt, allmählich unabhängig geführt. Die Funktionen der Lateranbibliothek erlöschen im 14. Jh. mit der zeitweiligen Verlegung der Papstresidenz nach Avignon. Klosterbibliotheken der irisch-schottischen Mission. - Z u den formenden Kräften des neu beginnenden westeuropäischen Bibliothekswesens gehören neben den frühen italienischen auch die irischen und schottischen Klosterbibliotheken. Die Iren und Schotten, die nicht dem Römischen Reich eingegliedert waren, hatten dennoch zeitig und aus eigenem Antrieb den christlichen Monotheismus übernommen und mit ihm auch manche Errungenschaften der antiken Kultur. Natürlich blieb ihr Kulturniveau geringer als das des Römischen Reiches. Aber mit dem Untergang der römischen Kultur wird das irisch-schottische Kulturniveau relativ aufgewertet. Vor allem haben sie inzwischen eine beachtliche Höhe der Schriftkultur und des Handschriftenwesens erreicht. Sie entfalten eine emsige Abschreibtätigkeit in zahlreichen Klöstern, von denen manche berühmt werden, ζ . B. Armagh, das irische Hauptkloster (in Nordirland, gegr. 432), und einige andere (u. a. Keils in Irland, Iona in Schottland). N a c h dem Untergang Westroms pflegen sie weiterhin Kulturbeziehungen zum byzantinischen Ostrom, schließen sich aber doch der päpstlichen Westkirche an. - Gegenüber Westeuropa sind jetzt sie die kulturell Gebenden. Sie entsenden Missionare in die Nach-Völkerwanderungs-Gebiete. In den verschiedensten Gegenden gründen sie Klöster als christliche Kulturzellen: in England, in Frankreich, in Deutschland, selbst im alten antiken Traditionsland Italien. Allenthalben werden diese irisch-schottischen Klosterneugründungen zu ersten Ansatzund Kristallisationspunkten des langsam wieder aufkommenden westeuropäischen Buch- und Schriftwesen. U . a. in England: Y o r k , Durham, Jarrow; in Frankreich: Luxeuil, Corbie; in Deutschland: St. Gallen, Würzburg; in Italien: Bobbio. Kloster- und Bistumsbibliotheken in England. - England steht unter allen germanischen Nach-Völkerwanderungs-Reichen am stärksten unter irisch-schottischem Kultureinfluß. Deshalb erscheint es auch kulturell relativ früh auf dem Plan, ist bald selbst zur Außenmission befähigt, die es besonders in Mitteleuropa betreibt. - Auch das Buch- und Bibliothekswesen Englands kommt früh in Gang. Wichtige Zentren
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frühen Schriftwesens und früher Wissenschaftspflege sind die Kathedralbibliotheken von Canterbury (gegr. 6. Jh.), York (gegr. 7. Jh.) und Durham (Nordengland), das im 10. Jh. die Traditionsnachfolge des alten benachbarten Wissenschaftsklosters Jarrow (gegr. 7. Jh.) übernimmt. Kloster- und Bistumsbibliotheken in Frankreich. - Frankreich hat für das mittelalterliche Klosterwesen große Bedeutung. Zunächst später auf dem Plan als England, geht es bald vor diesem in Führung. Viele Neuerungen, neue Bewegungen, neue Orden nehmen, durch das ganze Mittelalter hin, von Frankreich ihren Ausgang. - Mit einem vereinzelten Traditionskloster reicht es bis in die Antike zurück. Bei Tours entsteht bereits 372 das Kloster Marmoutier (heute in das Stadtgebiet Tours eingemeindet) und überlebt von der Zeit des hl. Martin bis ins Mittelalter hin. Im 8. und 9. Jh. wird Tours (Bischofssitz und Kloster) Zentrum der »karolingischen Renaissance«, berühmt durch sein Buchwesen und seine Handschriftenproduktion. Hier wirkt der angelsächsische Bischof und Abt Alcuin von York, der berühmteste europäische Gelehrte seiner Zeit und Kulturberater Karls des Großen. Andere wichtige Klöster sind die irisch-schottischen Gründungen Luxeuil (Lothringen, gegr. 6. Jh.) und Corbie (östlich von Amiens, gegr. 7. Jh.). Unter den Reformklöstern verdienen Erwähnung: Cluny (nördlich von Lyon, gegr. 10. Jh.), von dem die strenge »Cluniazensische« Religionsbewegung ausgeht; Citeaux (südlich von Dijon, gegr. 1 1 . Jh.), Gründungskloster und Zentrale des Zisterzienserordens; Premontre (nordwestlich von Reims, gegr. 12. Jh.), Gründungskloster und Zentrale des Prämonstratenserordens. Dazu kommen einige bedeutende Klöster in und bei Paris und die Kathedralbibliotheken von Reims, Rouen, Chartres und Lyon. Kloster- und Bistumsbibliotheken in Deutschland und Mitteleuropa. - Auch im mittelalterlichen Deutschland entstehen einige der frühesten Klostergründungen durch die irisch-schottische und, etwas später, durch die angelsächsische Mission, andere direkt unter römisch-päpstlichem Einfluß. Größere Neugründungswellen der Karolingerzeit und dann der Ottonen- und Salierzeit überziehen ganz Mitteleuropa mit einem dichten Netz klösterlicher Niederlassungen, die allmählich auch für das Buchwesen ertragreich werden. - Unter allen Klöstern des alten Deutschland heben sich zwei von besonderer Wichtigkeit heraus: St. Gallen und Fulda. St. Gallen (in der Schweiz), vom hl. Gallus 613 im Zuge der irischen Mission gegründet, wird bald zum Vorort der Studien und Wissenschaften, des Schrift- und Buchwesens, ein Zentrum der Handschriftenproduktion, nicht nur im Abschreiben und Überliefern älterer Werke, sondern auch unter Beteiligung von Verfassern neuer Originalwerke. Hier entstehen auch die ersten wissenschaftlichen Werke in althochdeutscher Sprache (ζ. B. im 1 1 . Jh. von Notker Labeo Teutonicus). Mit einem Buchbestand von 1000 Bänden besitzt St. Gallen im Hochmittelalter die größte Klosterbibliothek des ganzen damaligen Deutschland. In der Neuzeit erhält die Bibliothek einen prächtigen Barocklesesaal, der heute, nach der Säkularisierung, als Buchmuseum zugänglich ist. - Fulda steht St. Gallen an Bedeutung kaum nach. Im Rahmen der angelsächsischen Mission 744 vom hl. Bonifatius gegründet, wird es in der Karolingerzeit ein Hauptzentrum der Wissenschaften (bedeutendster Ge-
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lehrter: Hrabanus Maurus), der religiösen Dichtung (audi in der Muttersprache) und des Buchwesens. Es bleibt durch Jahrhunderte bedeutend, zuletzt als Reichsabtei und Fürstbistum. Nach der Säkularisation (Anfang des 19. Jh.) wird die Buchtradition von der kurz vorher gegründeten kleinen Fuldaer Landesbibliothek weitergeführt. - In die vorderste Reihe der Klöster des deutschen Mittelalters gehört auch St. Peter in Salzburg, obwohl im Buchwesen mit deutlichem Abstand hinter St. Gallen und Fulda. Um 700 vom hl. Rupertus gegründet (die Gründungszahl »582«, die St. Peter zum ältesten Kloster Altdeutschlands machen würde, ist kontrovers), wird es zum Hauptort des direkten römisch-päpstlichen Einflusses in Deutschland und zum »vornehmsten Kloster nördlich der Alpen«. Die gesamte weitere Entwicklung Salzburgs muß von diesem Benediktinerkloster aus gesehen werden: Bistum und Erzbistum Salzburg sind Seitentriebe von St. Peter. Im Verlauf des Mittelalters wird der mächtige Fürsterzbischof von Salzburg zum Primas von Deutschland und Salzburg schließlich zum glanzvollen »deutschen Rom«. Aus der Studienanstalt des Klosters St. Peter geht im 17. Jh. die Benediktineruniversität Salzburg hervor, die Vorläuferin der jetzigen Staatsuniversität. Abtei und Stiftsbibliothek St. Peter aber bestehen noch heute als kultureller Aktivposten der Salzburger Kirchenprovinz. - Neben diesen drei prominentesten sind zahlreiche weitere Klöster auf dem Gebiete des Buchwesens und der Wissenschaftspflege von Bedeutung, u. a.: Corvey (in Westfalen, gegr. 9. Jh.), Wissenschaftszentrum und wichtigste Klosterbibliothek Altsachsens, in der Ottonenzeit mit engsten Beziehungen zum sächsischen Kaiserhaus, nach der Säkularisation (19. Jh.) Sitz einer noch heute vorhandenen privaten Adelsbibliothek; Reichenau (in Südbaden, bei Konstanz, gegr. 8. Jh.), eines der hervorragendsten Zentren mittelalterlicher Handschriftenproduktion und Buchmalerei, heute säkularisiert; Beuron (in Südwürttemberg, gegr. I i . Jh.), im Mittelalter von durchschnittlicher Bedeutung, heute eine der international führenden buch- und handschriftenkundlichen Forschungsstätten; Melk (Niederösterreich, gegr. 9./10. Jh.), allmählich zum Hauptort der österreichischen Benediktiner aufgestiegen, später mit dem schönsten barocken Klosterbau des ganzen deutschen Sprachgebietes und bis heute weitergeführter prächtiger Bibliothek; Admont (in der Steiermark, gegr. 1 1 . Jh.), zunächst nicht über das Mittelmaß hinausragend, später mit bedeutender Bibliothek, für die in der Barockzeit der größte und schönste Klosterbibliothekssaal ganz Mitteleuropas erbaut wird, noch heute in vollem Betrieb. - (Ergänzungsinformation: Weitere Klosterbibliotheksorte des deutschen Sprachgebiets, teils im Mittelalter bedeutend, teils erst später wichtig: Norddeutschland: Hildesheim, Gandersheim, Essen-Werden; - Rheinland, Hessen, Bayerisch-Franken: Köln, Mainz, Trier, Maria Laach, Lorsch, Würzburg, Bamberg; - Baden-Württemberg, Bayerisch-Schwaben, Elsaß, Schweiz: Schussenried, Ottobeuren, Murbach, Einsiedeln; - Altbayern, Österreich: Regensburg, Tegernsee, Ettal, Mondsee, St. Florian, Kremsmünster, Göttweig, Klosterneuburg, Wien, Millstatt, Vorau). Landesherrliche Privatbibliotheken in Europa. - Die Büchersammlungen europäischer Herrscher des Mittelalters bleiben rein personengebundene Privatbiblio-
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theken. Entwicklung zu länger erhaltenen Schloßbibliotheken findet nicht statt. Prominente landesherrliche Büchersammler sind u. a.: Kaiser Karl der Große (768 bis 814), Kaiser Karl der Kahle (840/843-877, im Westfrankenreich), Kaiser Otto III. (983-1002, in Deutschland), Kaiser Friedrich II. (1212-1250, in Sizilien), König Ludwig der Heilige von Frankreich (1226-1270). Spätmittelalterliche Universitäten in Europa. - Die ersten europäischen Universitäten im Spätmittelalter haben noch keine zentralen Universitätsbibliotheken, sondern nur kleine Einzelsammlungen der Kollegien oder Fakultäten. Dabei entwickeln sich die einzelnen Kollegien vor allem innerhalb der (vorbereitenden, philosophisch-naturwissenschaftlichen) »Artisten-Fakultät«. Eine dieser Kollegienbibliotheken wird gewöhnlich die spätere zentrale Universitätsbibliothek. Die Bibliotheken der andern alten Fakultäten, d. h. der berufsbildenden »Schulen« für Theologen, Mediziner und Juristen bleiben häufig Fakultäts-Fachbibliotheken. Frühe europäische Universitäten Ende des 12. und im 13. Jh. sind u. a.: in Italien: Bologna (die erste europäische Universität, Hochschule ab 1100, Privileg 1 1 $8); Padua, Neapel; in Frankreich: Paris (Hochschule ab 1150, Privileg 1200), Montpellier, Toulouse; in Spanien: Salamanca; in England: Oxford, Cambridge. Im 14. Jh. kommen auch in Mitteleuropa erste Universitäten hinzu: Prag; Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt; Krakau, Budapest.
D. Neuzeit (Zeitsituation, Informationsund Bibliothekswesen) D ι. Zeitalter der Renaissance (15. /16. Jh.) D I.I. Zeitsituation Ablösung des Mittelalters. - Mit der Renaissance beginnt ein neuer Großabschnitt der Weltgeschichte und auch der Bibliotheksgeschichte: die Neuzeit. Jahrhundertealte Verhältnisse, Strukturen und Gegebenheiten werden jetzt abgelöst und durch Neues ersetzt. Die Welt und vor allem Europa gewinnt ein neues, modernes Profil. Das hervorstechendste Resultat aller dieser Veränderungen besteht zweifellos darin, daß jetzt, mit dem Beginn der Neuzeit, Europa an die Spitze der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Welt tritt. - Die beiden andern großen Macht- und Kulturbereiche des Mittelalters, der byzantinische und der arabische Bereich (die gemeinsam mit dem westeuropäischen Bereich die Nachfolge der Antike angetreten und das ganze Mittelalter hindurch eine bedeutende Rolle gespielt hatten, vgl. oben S. 34 ff.) fallen jetzt wirtschaftlich und zivilisatorisch zurück. Politisch fallen sie ganz aus. Infolge der türkischen Eroberungen des 15. und 16. Jahrhunderts verschwinden sie von der politischen Landkarte. - Damit fällt die kulturelle und zivilisatorische Führung scheinbar automatisch an Europa. Aber es ist nicht nur eine relative Aufwertung Europas durch den Ausfall der bisherigen, traditionellen Kulturmächte. Sondern Europa, das im Mittelalter lange Zeit ausgesprochen unterentwickelt blieb, hatte sich allmählich langsam »emporarbeiten« können und war ab ca. 1200 näher an das byzantinisch-arabische Höhenniveau herangerückt. Mit der Renaissance gewinnt Europa vollen Anschluß an das arabisch-byzantinische Niveau, holt auch die antike Kultur und Zivilisation auf vielen Gebieten wieder ein und läßt mit manchen Neuerungen die Antike bereits hinter sich zurück. - Diese Entwicklung ist ein längerer Prozeß, kein plötzlicher abrupter Durchbruch. Deshalb gibt es auch keine feste Zeitgrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit, sondern eine längere Ubergangsphase. Es ist auch keine eigentliche Tendenzwende. Sondern vieles, was der Renaissance ihr deutliches Gepräge gibt, war schon in der mittelalterlichen Entwicklung angelegt. Das Entscheidende in dieser Übergangsphase vom Spätmittelalter zur Renaissance ist das zunehmend beschleunigte, massierte und auf fast allen Gebieten greifbare Auftreten der neuen Phänomene, die einen echten Wandel der Atmosphäre und der realen Gesamt-
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situation herbeiführen. Als Hilfsrichtwert mag die zeitliche Begrenzung von 1400 bis 1600 für die Renaissance gelten. Manches wird schon früher sichtbar, zumal in Italien, später in Mitteleuropa und Frankreich. Bis 1500 hat sich die Renaissance weithin durchgesetzt; nur vereinzelte mittelalterliche Züge bleiben bis zum Ende der Renaissancezeit erhalten. Staat. - In Europa tritt jetzt die Konzeption des einzelstaatlichen Nebeneinander an die Stelle der universalstaatlichen Idee des mittelalterlichen Kaisertums. An sich hat es Einzelstaaten in Europa auch das ganze Mittelalter hindurch gegeben. Aber ideologisch hatte die Universalstaatsidee weitergewirkt, und machtpolitisch hatte das Römisch-deutsche Reich die unstreitige Hegemonie lange halten können. - Erst im Spätmittelalter gewannen auch andere europäische Einzelstaaten stärker an Profil und in der Renaissance ist ihre Eigenständigkeit und Ebenbürtigkeit unbestritten. Das Römisch-deutsche Reich ist nur noch eine unter mehreren europäischen Großmächten. Auch im Reich selbst verliert die Oberhoheit des Kaisers an Realität: die deutschen und italienischen Einzelstaaten des Reiches gewinnen echte Teilsouveränität. Die überragende Macht, die der Kaiser dennoch weiterhin ausübt, wächst ihm als dem bedeutendsten Territorialfürsten aus seinen Eigenstaaten zu. Das Haus Habsburg, das auf Jahrhunderte die römisch-deutsche Kaiserwürde innehat, vereinigt unter seiner direkten Herrschaft neben Österreich zahlreiche weitere landesherrliche Gebiete innerhalb und außerhalb des Reiches (davon Spanien mit Nebenländern unter einer habsburgischen Zweitdynastie). - Neben Deutschland rückt Frankreich zur wichtigen Großmacht auf, ferner Spanien, das jetzt sein volles Staatsgebiet auf der iberischen Halbinsel einnimmt. Italien, weiterhin geteilt (in den zum Reich gehörenden Norden und den an Spanien gefallenen Süden), wird zur kulturellen Vormacht Europas. - Im Zuge der neuen Entdeckungen greift Europa jetzt auch nach Übersee aus; vorab mit spanischen und portugiesischen, aber auch mit französischen und englischen Kolonien in Amerika und Südasien. Ein früher Ansatz zur späteren europäischen Durchdringung weitester Teile der Welt. Gesellschaft. — Im gesellschaftlichen Bereich bringt die Neuzeit die Auflösung und schließliche Uberwindung des Feudalsystems, der typisch mittelalterlichen Gesellschaftsform. Das Feudal- oder Lehnswesen beruhte auf der Naturalwirtschaft und brachte die Erblichkeit und Regionalisierung vieler Amtsfunktionen in Verwaltung und Militärwesen mit sich. In der frühen Neuzeit verfallen die Grundlagen und Grundprinzipien dieser Gesellschaftsordnung. Der graduelle Übergang von der alten Naturalwirtschaft zur neuen Finanzwirtschaft macht die Naturalvergütung der Amtsleistung durch Grundbesitz und Pfründen überflüssig. Der Landesherr kann somit Staatsdiener, Verwaltungsträger, Militärführer und Landsknechte direkt in eigener Regie einstellen und besolden, ohne auf die regionalen Erb-Lehnsherren und deren Lehnsmannen angewiesen zu sein. So entsteht allmählich wieder eine Zentral Verwaltung. Dabei verliert der Adel keineswegs seine Vorrechte; nur sind diese Rechte nunmehr keine Vergütung für entsprechende Pflichten, sondern reine Privilegien. Desgleichen verliert der Adel keineswegs den Zugang zu den leitenden
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Ämtern; nur erfolgt die Ämterbesetzung nicht mehr durch Erbämteranspruch, sondern nach dem Selektionsprinzip des Landesherrn aufgrund jeweiliger Ernennung. Als Entwicklungsprozeß ist diese Ablösung des Feudalismus langwierig und findet erst nach der Renaissancezeit, im Zeitalter des Absolutismus, ihren Abschluß. - Bei diesem Ablösungsprozeß ist noch eine zweite Komponente von Bedeutung: der Aufstieg des Bürgertums. Schon im europäischen Spätmittelalter hatte das Stadtbürgertum eine größere Rolle zu spielen begonnen. Mit der gut entwickelten Stadtzivilisation der Renaissance wird das Bürgertum ein wirtschaftlicher Machtfaktor ersten Ranges. Patrizier und Stadtnobilität stehen dem Landadel wirtschaftlich in nichts nach: Kaufherren, Reeder, Bergwerksbesitzer, Bankiers. Manche von ihnen machen große Politik (ζ. B. das Augsburger Bankhaus Fugger bei der Kaiserwahl Karls V.) oder rücken in oberste Ränge ein (ζ. B. das Florentiner Bankhaus Medici mit dem Erwerb der erblichen Herzogs- und Großherzogswürde der Toskana). Aber auch breitere Bürgerschichten, Handwerker in Gilden und Zünften, nehmen am Wohlstand und an der Wirtschaftsmacht teil. Auch der immer wichtiger werdende Wissenschafts- und Universitätsbetrieb liegt überwiegend in den Händen der Bürger. - Zahlenmäßig allerdings repräsentiert das Bürgertum (wie bisher der Adel) auch jetzt noch immer einen kleinen prozentualen Anteil an der Gesamtbevölkerung. Die große Masse der Bevölkerung verbleibt weiterhin auf der untersten Stufe der Feudalhierarchie in der Stellung abhängiger Lehnsbauern, und somit in drückenden wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, die wiederholt zu Sozialkämpfen und Bauernunruhen führen. Wirtschaft, Technik. - Die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung im Spätmittelalter und vor allem in der Renaissance ist ein Kernpunkt und Hauptstimulans der Gesamtentwicklung. Bleibt auch in der Landwirtschaft vieles beim alten, so tritt doch die Stadtwirtschaft und Stadtzivilisation machtvoll hervor. Die Finanzwirtschaft löst weithin die Naturalwirtschaft ab und profiliert sich so weit, daß man von einer ersten Phase des Frühkapitalismus sprechen kann. Das Entstehen der großen Bankhäuser ist symptomatisch für das neue Wirtschaftsklima, aber nur eine Komponente neben andern: dem unendlich vervielfältigten Gewerbefleiß, der verzweigten Arbeitsteilung, der Fülle von verfeinerten und spezialisierten Einzelberufen in Handwerk, Gewerbe und Handel, dem in Ansätzen wieder aufkommenden Großmanufakturwesen, den von den Städten aus dirigierten Außenaktivitäten wie Fernhandel, Ferntransport, Bergwerkswesen usw. Zu allem diesen kommt ein großartiger Aufschwung der Technik mit neuen Erfindungen, Entdeckungen, Wiederentdeckungen. Obwohl die europäischen Renaissancestädte noch nicht die Bevölkerungszahlen antiker Großstädte erreichen, rücken sie doch in Bautechnik und innerer Ausgestaltung wieder in deren Nähe. Und es entsteht allmählich ein neues urbanes Lebensgefühl, das bewußt an die Antike anknüpft. Humanismus, Renaissancekultur. - Auch in Kultur, Wissenschaften und Künsten knüpft Europa jetzt bewußt an die Antike an. Die neue literarische und wissenschaftliche Geistesrichtung des Humanismus bedeutet die Wiederbelebung der Antike und die enge Verbundenheit mit ihrer Geisteshaltung. Vorstufen dieser Ent-
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w i c k l u n g setzen bereits im H o c h - und Spätmittelalter ein: durch die Berührung der Westeuropäer mit den B y z a n t i n e r n und A r a b e r n w ä h r e n d der K r e u z z ü g e , aber auch durch K o n t a k t e in Sizilien und bei der europäischen R ü c k g e w i n n u n g des arabischen Spanien. Ü b e r Spanien und Sizilien dringen arabische Übersetzungen bisher unbekannter antiker T e x t e seit dem 12. Jh. nach Europa. Ü b e r den direkten W e g Konstantinopel-Italien folgen weitere griechische W e r k e . In den letzten Jahrzehnten v o r der türkischen Eroberung Konstantinopels, a b 1400, intensivieren sich die byzantinisch-italienischen Beziehungen immer mehr. D e r Humanismus w i r d z u r v o r w i e g e n d e n Zeitströmung in Italien und ergreift später auch das übrige Europa. E r erobert die Universitäten in Oberitalien u n d beeinflußt ihren Wissenschaftsbetrieb. E r befruchtet die Philologie, die Texteditionen des frühen Buchdrucks. E r beflügelt die Philosophie z u neuen D e n k g e b ä u d e n und f ü h r t z u r endgültigen T r e n nung v o n G l a u b e n und Wissen. E r ermutigt eigenständige Forschung und inspiriert die G r ü n d u n g kultureller Z i r k e l und Gesellschaften. E r f ü h r t z u r rührigen Fahndung nach klassisch-antiken T e x t e n und H a n d s c h r i f t e n auch in E u r o p a (ζ. B. in den Klosterbibliotheken) u n d z u großen Handschriftentransaktionen nach dem U n t e r g a n g des byzantinischen Reichs und der Zerstreuung seiner Bibliotheksschätze: durch Bergung geretteter und geflüchteter H a n d s c h r i f t e n ; durch G r o ß e i n k ä u f e über heimliche S c h w a r z m a r k t k a n ä l e (Beutebestände) u n d in o f f e n e m H a n d schriftenhandel; durch D o n a t i o n e n byzantinischer Emigranten in Italien. -
Der
»Humanismus«, als literarischer und wissenschaftlicher Teilbereich der gesamten Renaissance-Bewegung, w i r d durch parallele E n t w i c k l u n g e n in andern Lebensbereichen ergänzt, besonders auf den Gebieten der K ü n s t e und der A r c h i t e k t u r (»Renaissance« im engeren Sinne). — D e r R ü c k g r i f f auf die A n t i k e ist f ü r Renaissance und Humanismus keine historisierende R ü c k w e n d u n g oder gar romantische N o stalgie, sondern eher eine progressive, jedenfalls eine g a n z sachliche H a l t u n g : die H i n w e n d u n g z u r fortgeschritteneren K u l t u r - u n d Zivilisationsstufe der A n t i k e , deren Leistung höchsten Respekt einflößt, die als überlegen erkannt und deren W i e dergewinnung als n o t w e n d i g empfunden w i r d . - D a s V o r d r i n g e n des Humanismus und der Renaissance bedeutet die geistige A b l ö s u n g des Mittelalters, den Beginn der E m a n z i p a t i o n des kulturellen, wissenschaftlichen und künstlerischen Lebens v o n der sakral-klerikalen B i n d u n g an die mittelalterliche K i r c h e . Eine A r t genereller V e r w e l t l i c h u n g , Säkularisierung des Lebens.
Reformation,
Gegenreformation.
- D i e Säkularisierung v o r allem des geistigen L e -
bens vollzieht sich in einem jahrhundertelangen P r o z e ß . D i e A u t o r i t ä t der K i r c h e w i r d zuerst in der Renaissance, durch den Humanismus in Frage gestellt. Sie w i r d auch innerhalb der christlichen Religion selbst in Frage gestellt: durch die R e f o r mation. U n d schon durch deren hoch- und spätmittelalterliche V o r l ä u f e r b e w e g u n gen in Frankreich (Albigenser, Waldenser), in E n g l a n d ( W y c l i f f e ) , in Mitteleuropa (Hus). - D i e R e f o r m a t i o n des 16. Jh., in den gleichen L ä n d e r n sowie in N o r d e u r o p a (Luther, Z w i n g l i , C a l v i n ) , verändert die abendländische Kirchensituation gegenüber dem Mittelalter grundlegend. A n f ä n g l i c h nur eine B e w e g u n g innerkirchlicher Erneuerung, f ü h r t sie z u r äußeren Kirchenspaltung, z u r A b k e h r v o n der gemeinsa-
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men kirchlichen Universalgewalt, zur dauernden Etablierung einer Pluralität paralleler, heterogener Einzelkirchen. Ideell gelangt die Reformation, ähnlich dem Humanismus (allerdings auf andern Wegen und mit anderer Zielsetzung als dieser), zur Ablösung der bisherigen Autorität und zum Rückgriff auf Quellen und Wahrheiten aus der Zeit vor dem Mittelalter. Für die Zukunft stellt sie die Weichen zur Emanzipierung und Individualisierung des geistigen Lebens. Sie leistet auch der Säkularisierung Vorschub: in ihrem eigenen geographischen Machtbereich nicht zuletzt durch Aufhebung der Klöster, der Klosterbibliotheken, der Klosterschulen und -studienanstalten, nebst der späteren Aufwertung oder Neugründung entsprechender nichtkirchlicher, städtischer, staatlicher Einrichtungen. — Am Rande müssen auch die kleineren reformatorischen Gruppen (Wiedertäufer u. ä.) erwähnt werden, vor allem mit ihrem Einfluß auf die politische, demokratische und soziale Ideenbildung. - Auch auf die alte, angeschlagene, aber sich wieder regenerierende römische Kirche wirkt die Reformation belebend: durch Stimulierung von geistigen Ab Wehrkräften, von kulturellen Gegenmaßnahmen, von echten eigenen Reformen innerhalb der katholischen Kirche selbst. Neben der Reformation bestimmt auch die Gegenreformation vom letzten Drittel des 16. Jh. ab die kulturelle Szenerie Europas durchaus aktiv und initiativ. - Reformation und Gegenreformation nehmen sich übrigens auch des Schulwesens an. Städtische Schulen (unter kirchlicher Schulaufsicht) treten neben die Klosterschulen. In den reformatorischen Gebieten ersetzen sie diese und nehmen einen besonderen Aufschwung, an dem gegen Ende der Renaissancezeit in den katholischen Territorien auch die neuen Jesuitenschulen teilhaben. Noch überwiegt das Analphabetentum in ganz Europa; aber der Bildungsstand steigt an Intensität und Verbreitung beträchtlich. Entdeckungen, Erfindungen. — Das Bild der beginnenden Neuzeit wäre nicht vollständig ohne einen Seitenblick auf die Entdeckungen und Erfindungen des i$. und 16. Jh. Prägen auch Humanismus und Reformation ganz vorwiegend den geistigen Habitus des Renaissance-Zeitalters, so ist es doch das Phänomen der Entdeckungen und Erfindungen, das am weitesten in die Zukunft weist. Vorab als Prinzip und Methode. Aber auch faktisch durch das bereits im i j . und 16. Jh. Gefundene: die Entdeckung Amerikas (Columbus) und des Seewegs nach Indien; der Nachweis der Erdumlaufbahn um die Sonne (Kopernikus), die Auffindung zahlreicher weiterer neuer Fakten in Naturwissenschaften und Medizin (Paracelsus, Vesal), die Entwicklung und Erfindung neuer Technologien und Mechanismen (Erfindung des Schießpulvers, der Uhr, des Kompasses usw.). Dies alles trägt zu grundlegenden Veränderungen in vielen Lebensbereichen bei. Wissenschaft, Universitäten. - Manche dieser Entdeckungen und Erfindungen spielen sich innerhalb des Rahmens der bisherigen, etablierten Wissenschaften ab; andere vollziehen sich außerhalb dieses Rahmens und bilden erste Kristallisationspunkte zu neuen, sich formierenden Wissenschaften. Sie geben Anlaß zur Herausbildung eines ersten kritischen Forschungsbewußtseins anstelle der mittelalterlichen Autoritätenhinnahme und Autoritätenabstützung. Forschung wird dabei zunächst eine Angelegenheit außerhalb der Universitäten. - Auch die Universitäten haben
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Teil an den Wissenschaften, aber überwiegend an der Lehre, weniger an der Forschung, und nur auf bestimmten, herkömmlich überlieferten Fachgebieten. Vor allem in den Hauptfächern Jura, Medizin und Theologie. Ferner in den vorbereitenden geistes- und naturwissenschaftlichen Fächern der »Artistenfakultät«, d. h. in den sieben »Freien Künsten« (»Artes liberales«), die bereits in der Spätantike etabliert waren und seit dem Spätmittelalter an den Universitäten in zwei Zügen zu je drei (»Trivium«) und vier (»Quadrivium«) Fächern zusammengefaßt werden: Grammatik (Sprachwissenschaft), Rhetorik (Redekunst, Poetik, Literatur), Logik (Philosophie); Arithmetik (Mathematik), Geometrie, Musik, Astronomie (zugleich Astrologie). Einige weitere Wissenschaften sind bei den vorgenannten Hauptfächern als Anhängsel mit angesiedelt (ζ. B. Botanik, Pharmazie, Ethik, Geschichte). - Als Gliedeinheiten der Universitäten stehen auch jetzt, wie im ausgehenden Mittelalter, neben den fachwissenschaftlich abgegrenzten Fakultäten die Kollegien, Kolleghäuser: d. h. kombinierte Wohn- und Studienheime für Studenten, oft nach Herkunftsregionen, nicht nach Studienfächern abgeteilt. Fachliche Institute und Seminare (wie in späteren Jahrhunderten üblich) sind noch weithin unbekannt. - Waren die frühesten europäischen Universitäten im Spätmittelalter ζ. T. aus Kathedralschulen hervorgegangen (Paris) oder durch Zusammenlegung mit neuen Fachhochschulen entstanden (Jura, Medizin), so werden nun mehr und mehr neue Volluniversitäten direkt gegründet, mit den vier genannten Fakultäten und gewöhnlich unter der Bezeichnung »Studium generale« (noch nicht »Universität«). Auch diese direkten staatlichen, seltener städtischen, Neugründungen erhalten noch lange Zeit eine päpstliche Bestätigung, werden aber seit der Reformation von päpstlicher Mitwirkung unabhängig (zuerst Marburg).
D 1.2. Informations- und Buchwesen Buchdruck. - Die Erfindung des Buchdrucks leitet die Neuzeit auf dem Gebiet des Informations- und Buchwesens ein. - Das Bedürfnis nach mehr Büchern hatte sich schon im Spätmittelalter bemerkbar gemacht. Die Errichtung von gewerbsmäßigen Schreibwerkstätten für den Schreibauftragsdienst stellt in der Übergangszeit vom Spätmittelalter zur Renaissance einen ersten Versuch zur Steigerung der Buchproduktion dar. - Anfang des 15. Jh. kommt in Europa, zuerst in den Niederlanden, der Holztafeldruck auf, eine in Ostasien schon länger bekannte Methode der Vielfachherstellung von Büchern. Mit eingefärbten Holzschnitt-Tafeln, die neben Bildern auch Texte enthalten, werden Blockbücher hergestellt. - Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern führt die Rationalisierung um mehrere Schritte gleichzeitig weiter. Der wichtigste Schritt: seine Lettern sind Einzeltypen (also eigentlich Einzelstempel), somit beweglich und in immer neuen Zusammensetzungen wiederverwendbar. Ein zweiter Schritt: seine Typen sind aus Metall (statt aus Holz), somit haltbarer, und vor allem arbeitssparend im Seriengußverfahren hergestellt, durch ein von ihm eigens dafür entwickeltes Gießinstrument. Und noch ein dritter Schritt: er führt die Druckpresse ein, so daß die
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schwarze Farbe vom eingefärbten Druckstock (Drucksatz) auf das Papier nicht durch Anreibung der Papierrückseite übertragen zu werden braucht (wie beim Blockbuch), sondern sofort und gleichmäßig durch den starken Druck der Presse. Manches an Gutenbergs Neuerungen hat frühere Vorstufen: isoliert benutzte Einzelstempel, auch Metalleinzelstempel, Metallguß aus Gußformen. Neu ist der Gedanke, Einzelstempel zum Drucksatz zusammenzusetzen, neu sind das Gießinstrument und die Verbindung dieser Metallverfahren mit dem Pressenabdruck. Gutenberg entwickelt seine gebündelte Rationalisierung der Buchherstellung offenbar schon ab 1440 in Straßburg, aber erst um 1450 gelingt ihm der große Durchbruch, in seiner Heimatstadt Mainz. Sein Hauptwerk wird die berühmte 42zeilige Bibel (»B 42«, ca. 1452-1455). - Die neue Buchdruckerkunst breitet sich rasch aus. Zunächst mit weiteren Werkstätten in Deutschland, den Niederlanden, dem übrigen Mitteleuropa, bald auch in Oberitalien und Frankreich. Bis 1500 entstehen Druckereien in ganz Westeuropa, niedergelassen in rund 260 Städten, darunter als Hauptzentren: Mainz, Straßburg, Basel, Augsburg, Nürnberg, Köln, Leipzig; Venedig, Florenz, Mailand, Rom; Paris, Lyon; außer diesen auch Wien, Lübeck, Antwerpen, Prag, Krakau, London. Nach der Inkunabelzeit (1450-1500) vervielfältigt sich die Zahl der Druckereien im 16. Jh. bis zum Ende der Renaissance auf einige Tausend. - Nächst Gutenberg gehören zu den berühmtesten Druckern Johann Fust (Gutenbergs finanzieller Teilhaber) und Peter Schöffer (Gutenbergs handwerklicher Mitarbeiter), die gemeinsam die zweite Druckerei der Welt gründen, ebenfalls in Mainz; sodann vor allem die Humanistendrucker Johann Froben und Johann Amerbach in Basel, Aldus Manutius (Manucci) in Venedig und Henricus Stephanus (Estienne) in Paris. Anton Koberger in Nürnberg baut den ersten Druckerei-Großbetrieb auf: in seiner Glanzzeit verfügt er über 24 Druckpressen und einen Personalstand von 100 Mitarbeitern. Internationale Firmen sind auch die Druckhäuser Giunta (Venedig, Florenz, Lyon, mit Zweigstellen in mehreren weiteren Ländern) und Plantin-Moretus (Antwerpen). Auswirkungen des Buchdrucks. - Die Erfindung der Druckkunst ist die durchgreifendste Neuerung im Buchwesen, nicht nur gegenüber dem Mittelalter, sondern sogar gegenüber der Antike. Ihre Auswirkungen können nicht hoch genug veranschlagt werden. Eine Folge der Stadtzivilisation, provoziert durch den vermehrten Bedarf, ermöglicht durch das neue technische Potential, wird der Buchdruck seinesteils zur Voraussetzung des schnellen Vordringens von Humanismus und Reformation, zum Hauptvehikel der neuen Wissenschaften, aber auch der sich ausbreitenden Allgemeinbildung. Jetzt erst, durch das schnell verfügbare Buch, gewinnt der Fortschritt in den Wissenschaften, aber auch in den philosophischen, religiösen, politischen und sozialen Ideen eine zunehmende Beschleunigung. Jetzt, durch das massenhaft und wohlfeil verfügbare Buch, wird die Exklusivität der geistigen Welt aufgebrochen und die Teilhabe an ihr auf eine breitere Basis gestellt. Auch im Bibliothekswesen werden viele Neuerungen durch den Buchdruck und die damit verbundene Massenproduktion des Buches veranlaßt, ja erzwungen. Die Menge der zwischen 1450 und 1600 gedruckten Bücher nimmt in der Tat revolutionierende
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Ausmaße an: die Zahl der Ausgaben von Büchern und Kleinschriften (darin enthalten natürlich auch verschiedene Auflagen und Bearbeitungen des gleichen Werkes) wird auf ca. i o o o o o geschätzt. Die Auflagenhöhe schwankt anfänglich zwischen 200 und 400, kann später aber auch 1000 Exemplare überschreiten. Schrift. - Die Schrift des europäischen Buchdrucks orientiert sich an den Buchschriften der Handschriftenzeit. Aus der mittelalterlichen gotischen Buchschrift (Textura, vgl. oben S. 40) leitet sich die Fraktur der europäischen Drucker ab. Zunächst auch für lateinische Texte, später rückläufig, nurmehr für volkssprachliche Drucke, zuletzt noch lange im deutschen Sprachgebiet als »deutsche Schrift« üblich (erst Mitte des 20. Jh. offiziell abgeschafft, daneben aber in ganz Europa als archaisierende Sonderschrift, ζ. B. für Zeitungstitel u. ä., weiterbenutzt). - Die Antiqua der italienischen Humanisten-Handschriften dringt über Italien in den europäischen Buchdruck ein und setzt sich als »lateinische Schrift« allmählich in ganz Europa durch, in späteren Jahrhunderten natürlich mit gewissen neuen Formvarianten. - Neben den Buchschriften bleiben auch Schreibschriften in Gebrauch: für alle außerhalb des Buchdrucks anfallenden Schreibvorgänge, auch für das zunächst noch neben dem Buchdruck weiterbestehende Handschriftenwesen, das erst Mitte des 16. Jh. ausläuft. Datenträger, Buchform, Bucheinband. - Hauptbeschreibstoff der Neuzeit wird das Papier. Bei den Arabern hatte es schon seit dem Hochmittelalter das vorher beherrschende Pergament abgelöst. In Europa taucht es erst im Spätmittelalter auf und setzt sich zwischen 1400 und 14JO ganz durch. Für den Buchdruck wird es das fast ausschließliche Bedruckmaterial. Pergament, an den Rohstoff Tierhaut gebunden, wäre nicht nur zu teuer gewesen, sondern hätte auch nicht unbegrenzt zur Verfügung gestanden. Das Papier aber, fast unbegrenzt produzierbar, ermöglicht nicht weniger als der Buchdruck selbst die wohlfeile Massenherstellung des Buches in der Neuzeit. - Die äußere Anlage des Buches lehnt sich in der Inkunabelzeit (d. h. in der frühen Druckzeit zwischen 1450 und 1500) noch stark an den Handschriftenhabitus an. Titelbätter und Seitenzählung fehlen, dafür erscheint meist am Schluß, wie in den Handschriften, die Schlußschrift mit Angaben zu Verfasser, Werktitel, Drucker, Druckort und Druckjahr. Erst gegen i j o o bürgert sich das Titelblatt ein, das die Angaben der Schlußschrift nunmehr auf der ersten Buchseite bringt und dadurch handlicher zugänglich macht. Ersatz für die noch fehlende Seitenzählung bietet lange Zeit die Bogenlagenzählung, die bis heute in Gebrauch geblieben ist, aber allmählich zusätzlich durch die Seitenzählung ergänzt und später in die Rolle einer Zweitzählung verwiesen wird. - Als Buchform bleibt beim Papier, wie vorher beim Pergament, der Kodex üblich. In Mittel- und Nordeuropa wiegt auch in der Renaissancezeit noch der Kodexeinband mit Holzdeckeln vor, überzogen mit grobem Leder und oft mit Plattenstempel-Blindprägung. Für den Gebrauchsband setzt sich Pergamentüberzug durch. In Italien und Frankreich dringt schon zur Renaissancezeit der gefällige arabische Einbandtyp ein: mit leichteren Pappdeckeln anstelle der Holzdeckel, überzogen von zarteren Lederarten, mit leuchtend-bunten Färbungen und arabesken Ornamenten in Gold- und Bunt-
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prägung. Diese feinere Einbandart setzt sich erst im Barock überall durch; in der Renaissance ist sie noch nicht zeitstilistisch typisch, sondern avantgardistisch. Der bekannteste Förderer dieser modernen Einbandkunst ist der französische Bibliophile Jean Grolier, für den u. a. die venezianische Druckwerkstatt des Aldus Manutius Einbände fertigt. Schriftengattungen. - In der Renaissance sind Monographien die wichtigsten Schriftengattungen: Originaltexte, Kommentare, wissenschaftliche Darstellungen, Werke der schönen Literatur; im Laufe des 16. Jh. auch schon Lexiken und natürlich Wörterbücher. Daneben Kleinschriften, Pamphlete, Flugblätter, die mit aktuellen Meldungen und aktueller Polemik ζ. T. den inhaltlichen Bereich späterer Zeitungen vorwegnehmen. Periodische Schriften, Zeitschriften u. ä., fehlen noch völlig. Buchhandel, Verlagswesen. - Die starke Ausweitung der Buchproduktion ruft auch einen ausgedehnten Buchhandel ins Leben. Im Mittelalter hatte er in Westeuropa fast ganz gefehlt, war in bescheidenen Ansätzen erst im Spätmittelalter als Mietbuchhandel im Zusammenhang mit dem Universitätsbetrieb hervorgetreten (vgl. oben S. 44) und entwickelt sich weiter in Verbindung mit den gewerbsmäßigen Lohn-Schreibwerkstätten. Diese Verbindung von Buchproduktion und Buchhandel überträgt sich von den Schreibwerkstätten auf die Druckwerkstätten. Die frühen Drucker sind zugleich ihre eigenen Verleger und Buchhändler (Drucker-Verleger). Im Zuge des weiteren Anwachsens der Buchproduktion kommt es allmählich zur Arbeitsteilung zwischen Druckern und Verlegern. Drucker bleiben als Handwerker und Werkstattbesitzer die eigentlichen Produzenten. Verleger werden die Unternehmer des Publikationswesens: als gelehrte Herausgeber der Texteditionen, aber auch als kapitalkräftige Financiers, die Geld in die Bücher investieren und es bis zum endgültigen Buchverkauf vorstrecken, vorlegen (daher die Bezeichnung »Verleger« im Sinne von Geldausleger). Sind die Drucker anfangs zugleich Verleger, so bleiben die Verleger lange Zeit zugleich Buchhändler, die ihrerseits Reisevertreter (»Buchführer«) auf Messen, Märkte und zu den Bibliothekskunden ausschicken. Allmählich entwickelt sich daneben ein eigentlicher Buchhandel, dessen Akzent nicht auf der Literaturpublizierung, sondern auf der Literaturverbreitung liegt. Doch steht dieser Buchhandel während der gesamten Renaissancezeit und bis tief in die Barockzeit mit dem Verlagswesen in engster Verbindung: verlagseigene Auslieferungslager; mit der auswärtigen Lagerhaltung beauftragte Partnerverlage; schließlich regelrechte (aber noch immer verlagsgebundene) Buchläden, die das ganze Jahr über offen halten. - Besondere Messeorte werden, wie in andern Handelsbranchen, auch im Buchhandel üblich. Frankfurt am Main entwickelt sich im 16. Jh. zur ersten und wichtigsten internationalen Messestadt. Hier entstehen Verlags-Lagerhaltungen und gegen Ende des 16. Jh. die ersten Buchläden. In Frankfurt nimmt audi die Kaiserliche Bücherkommission ihren Sitz, die die Funktion einer Zensurbehörde ausübt, das kaiserliche Druckprivileg erteilt (das sowohl die Druckgenehmigung als auch den Schutz vor Nachdruck beinhaltet) und ab 1569 auch das Belegexemplar für die Kaiserliche Bibliothek entgegennimmt. Ebenfalls in Frankfurt erscheinen ab 1564 die ersten Buch-Messkataloge der Welt (vgl. unten,
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nächster Absatz). Später kommen neben Frankfurt auch andere Buchmesseorte auf (ζ. B. Leipzig), gewinnen aber erst nach der Renaissance an Bedeutung. Bibliographie. - Der Wunsch, Überblick über die bisher erschienen Druckausgaben zu bekommen, regt schon bald die Druckschriftenverzeichnung an. Erste Bibliographien entstehen. Vorläufer von Bibliographien gab es schon lange: Bibliothekskataloge (die nur den zufälligen Bestand einer Sammlung verzeichnen) und Werkverzeichnisse (die die Werke von Autoren zusammenstellen, unabhängig vom tatsächlich vorliegenden Bestand). An diese Traditionen knüpft die erste gedruckte Vorläuferbibliographie an: der »Liber de scriptoribus ecclesiasticis« (Basel 1494), ein theologisches Autoren- und Werkverzeichnis, verfaßt von dem rheinischen Theologen und Polyhistor Johannes Trithemius (zuletzt Abt in Würzburg). Die erste Universalbibliographie der Welt, ein Verzeichnis aller Drucke aller Fächer und aller Länder (in lateinischer, griechischer und hebräischer Sprache) für das erste Jahrhundert der Buchdruckerkunst, erscheint Mitte des 16. Jh.: die »Bibliotheca universalis« (Zürich 1545—1555), bearbeitet von dem Schweizer Naturwissenschaftler und Polyhistor Conrad Gesner. Mit dieser Leistung ist die Bibliographie als Kategorie für alle Zeiten begründet. Kurz darauf kommen auch erste vage Vorstufen einer laufenden Bücherverzeichnung auf: in Form der Buchhandelskataloge der Frankfurter Buchmesse (Messkataloge), die ab 1564 die jeweils auf der Messe feilgehaltenen (und meist neu erschienenen) Bücher auflisten.
D 1.3. Bibliothekswesen:
Allgemeines
Allgemeines. - In der Renaissance verändert sich das europäische Bibliothekswesen grundlegend gegenüber allen voraufgegangenen Jahrhunderten des Mittelalters. Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Wandlungen der Zeit, die Ausbreitung der Stadtzivilisation, das Aufkommen neuer Kultur- und Bildungsschichten, die Ausbildung neuer Wissenschaften, die sprunghafte Zunahme der Buchproduktion durch Buchdruck und Papierverwendung, das alles wirkt sich auf die Bibliotheken aus, auf ihre Stellung, ihre Größe, ihre Benutzung und Organisation. - Das europäische Bibliothekswesen gewinnt jetzt den Anschluß an das Niveau des byzantinisch-arabischen Bibliothekswesens des Mittelalters (vgl. oben S. 41 ff.), übernimmt dessen Errungenschaften und setzt sich, auf der Woge der Erfindung des Buchdrucks, an die Spitze der Entwicklung (an der die Byzantiner und Araber nach der türkischen Eroberung nicht mehr teilnehmen können). Bis hin zur Barockzeit ist auch das Bibliotheksniveau der Antike nicht nur eingeholt, sondern überholt. - Als führende Bibliotheksregionen der europäischen Renaissance qualifizieren sich Italien, Deutschland, ganz Mitteleuropa und Frankreich. Bibliothekstypen: Allgemeines. - Jetzt gewinnt Europa die Vielfalt der Bibliothekstypen zurück, die ihm nach dem Ende der Antike verloren gegangen war. Neben die während des Mittelalters vorherrschenden geistlichen Bibliotheken (Klosterbibliotheken, Kathedralbibliotheken) schieben sich jetzt auch weltliche Biblio-
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thekstypen: Hofbibliotheken, Stadtbibliotheken, Universitätsbibliotheken, Schulbüchereien. Die weltlichen Bibliothekstypen treten sehr schnell ganz in den Vordergrund und übernehmen die führende Rolle im Bibliothekswesen, die sie bis heute spielen. Die Klosterbibliotheken treten nicht nur zurück, weithin stagnieren sie erschreckend, in den Reformationsterritorien verschwinden sie ganz. Erst durch die Gegenreformation, am Schluß der Renaissancezeit und dann in der Barockzeit, erleben auch die Klosterbibliotheken eine neue Blüte. Bibliothekstypen: Hofbibliotheken. - Zum wichtigsten Bibliothekstyp erheben sich die Hofbibliotheken, die vereinzelt im ι j . Jh., häufiger im 16. Jh. entstehen. Ihrer Herkunft nach gehören sie zu den privaten Adels-Büchersammlungen, wie sie schon im Spätmittelalter da und dort zusammengetragen werden. Aber es sind Adelsbibliotheken höchstrangiger Eigentümer, eben der Landesherren, die sich gerade jetzt aus der ausgewogenen Feudalhierarchie lösen und im Barock eine absolute Stellung einnehmen werden. In der Renaissance sind sie auf dem Wege dazu. Und mit ihnen ihre Bibliotheken, die aus einer Privatangelegenheit allmählich zu einer Angelegenheit der Hofhaltung und des ganzen Staates werden. Somit gewinnen sie an Dauer, ihre Kurzlebigkeit und Zufälligkeit hört auf, sie werden zu festen Einrichtungen institutionalisiert, mit festeii Funktionen und festem Benutzerkreis. Verschiedene Entwicklungsstufen machen die meisten von ihnen durch: aus der an Privatinteressen gebundenen fürstlichen Büchersammlung zur Schloßbibliothek, dann auch zur Regierungsbibliothek (also zugleich einer Art Behördenbibliothek), schließlich zur Hofbibliothek im eigentlichen Sinne, zur wissenschaftlichen Universalbibliothek, ζ. T. schon mit einer gewissen (noch exklusiven) öffentlichen Benutzung. Typologisch führt von ihnen die Entwicklungslinie zu den Staats-, Landes- und Nationalbibliotheken des 20. Jh. Diese spätere Entwicklungsstufe einer öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek wird ganz vereinzelt schon in der Renaissance vorweggenommen: ζ. B. in den oberitalienischen Stadtrepubliken Florenz und Venedig (die zugleich Zentren der Flächenstaaten Toskana und Venezien sind). Hier handelt es sich um öffentliche wissenschaftliche Bibliotheken von Anfang an. Sie beruhen auf privaten Stiftungen, mit der Zweckbestimmung öffentlicher Benutzung, unterhalten von der öffentlichen Hand. Bibliothekstypen: Stadtbibliotheken. - Auch die Stadtbibliotheken verdanken ihre Entstehung den gesellschaftlichen Veränderungen des Spätmittelalters und der Renaissance: dem Aufstieg des Stadtbürgertums. Die frühesten Stadtbibliotheken des 1 j . und 16. Jh. sind Behördenbibliotheken des Stadtrats. Deshalb tragen sie auch die Bezeichnung »Ratsbibliothek«. Wie die Hofbibliotheken, weiten sich auch die Stadtbibliotheken inhaltlich allmählich zu wissenschaftlichen Universalbibliotheken aus, ζ. T. ebenfalls mit einer gewissen (noch exklusiven) öffentlichen Benutzung. Deshalb ändern sie später auch ihre Bezeichnung in »Stadtbibliothek«. Juristisch und vom Unterhaltsträger her gesehen, sind die Stadtbibliotheken von Anfang an Gründungen der »öffentlichen Hand«, haben sich also nicht (wie die Hofbibliotheken) aus ursprünglichen Privatbibliotheken entwickelt. Im ganzen spielen die Stadtbibliotheken in der Renaissance jedoch eine bescheidenere Rolle als
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die Hofbibliotheken. Am ehesten entwickeln sie sich in politisch eigenständigen Stadtstaaten, besonders in den deutschen Freien Reichsstädten (ζ. B. Nürnberg, Straßburg). Auch im Bereich des städtischen Bibliothekswesens kommen private Stiftungen mit der Zweckbestimmung öffentlicher Benutzung vor. Solche Stiftungen, obwohl für die Stadt gedacht, können auch von einer Kirche verwaltet werden. Auch im Zuge der Reformation wird die Gründung öffentlicher »Librareyen« (»Bücherhäuser«) den Städten empfohlen (Luther: »Sendbrief an die Ratsherren aller Städte deutschen Lands«, 1524). Bibliothekstypen: Universitätsbibliotheken. - Die Büchersammlungen der Universitäten sind in der Renaissance wie im Spätmittelalter noch sehr bescheiden und meist an die Kollegien und Fakultäten gebunden. Doch entstehen jetzt mancherorts auch erste zentrale Universitätsbibliotheken. Teils durch Zusammenlegung der universitären Einzelsammlungen, teils durch Aufstieg einzelner Kollegienbibliotheken zum Status der Gesamtbibliothek, dann auch gleich bei Gründung neuer Universitäten. In vielen Fällen fehlt es jedoch bis zur Barockzeit an solchen Zentralbibliotheken, und in der Renaissance sind sie fast durchweg von magerem Zuschnitt. Nur vereinzelt spielen auch Universitätsbibliotheken bereits eine bedeutende Rolle, wie ζ. B. die Universitätsbibliothek in Paris. Bibliothekstypen: Sonstige Bibliotheken. - Die reiche Palette moderner Spezialbibliotheken fehlt in der Renaissancezeit noch völlig. Neben den Klosterbibliotheken können jedoch anfangs gewisse Kollegienbibliotheken oder Fakultätsbibliotheken der Universitäten als Spezialbibliotheken angesehen werden, desgleichen die Ratsbibliotheken in ihrer Eigenschaft als Behördenbibliotheken. - Daneben kommen vielerorts jetzt auch Schulbibliotheken auf. Ein kleiner, aber in der Breitenwirkung wichtiger Bibliothekstyp. Gefördert parallel zu den Schulneugründungen im Gefolge der Reformation und später auch durch den Jesuitenorden. Wichtige Einzelbibliotheken. — Zu den wichtigsten Hof- und Schloßbibliotheken der europäischen Renaissance gehören u. a.: die Kaiserliche Bibliothek in Wien, die kurfürstlichen und herzoglichen Bibliotheken in Heidelberg (Kurfürsten von der Pfalz), München (Herzöge von Bayern), Dresden (Kurfürsten von Sachsen), Wolfenbüttel (Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel); die Königliche Bibliothek in Budapest (Corvinus-Bibliothek); die Königliche Bibliothek in Paris (anfangs auf den Schlössern Blois und Fontainebleau), die Biblioth£que de Bourgogne in Brüssel; die Königliche Bibliothek im Klosterschloß Escorial (nordwestlich von Madrid). Die frühesten Bibliotheken dieser Art treten in Italien schon im I J . Jh. auf, verkörpern den Typus aber nicht ganz rein. In Florenz (Biblioteca Marciana und Biblioteca Laurenziana) und Venedig (Biblioteca Marciana) handelt es sich nicht um Hofbibliotheken, sondern um öffentliche wissenschaftliche Bibliotheken (aufgrund privater Stiftungen); in Rom ist die Vatikanische Bibliothek zwar Hofbibliothek der Päpste, aber zugleich oberste geistliche Bibliothek der katholischen Kirche (also eine Kombination von Hof- und Kathedralbibliothek). - Die frühesten Gründungen europäischer Stadtbibliotheken fallen noch ins ausgehende 14. Jh.: die Ratsbibliotheken der Freien Reichsstädte Nürnberg und Regensburg. Zu den
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wichtigsten Rats- und Stadtbibliotheken der europäischen Renaissance gehören die in Hamburg, Frankfurt, Straßburg und Augsburg. - Die wichtigsten Universitäten (keineswegs immer Universitätsbibliotheken!) der europäischen Renaissance sind die schon im Spätmittelalter vorhandenen (vgl. oben S. 54). In Italien gewinnen in der Renaissancezeit einige weitere, noch vor 1400 gegründete Universitäten jetzt größere Bedeutung: Florenz, Ferrara, Pavia, Rom. Dazu kommen nach 1400 zahlreiche neue Universitäten in allen bisherigen europäischen Universitätsländern, sowie erstmalig auch in Skandinavien (Kopenhagen, Uppsala). Im deutschen Sprachgebiet gehören zu den Universitätsneugründungen zwischen 1400 und 1600 u. a.: Leipzig, Wittenberg, Basel, Freiburg, Ingolstadt (ferner Frankfurt/Oder, Greifswald, Mainz, Rostock, Tübingen). Einige sind ausgesprochene Reformationsgründungen: Marburg, Jena (ferner: Helmstedt, Königsberg). Gegen Ende der Renaissancezeit entstehen auch die ersten Gegenreformationsgründungen: Würzburg, Graz. Bestände, Bestandsumfang. - Der Bestandsumfang der europäischen Bibliotheken nimmt in der Renaissance stark zu. Und die aufsteigende Wachstumskurve setzt sich durch alle weiteren Jahrhunderte bis heute fort. Eine Folge der ständig steigenden Buchproduktion, technisch ermöglicht durch Buchdruck und Papierverwendung, aber auch »angeheizt« durch die immer steigende Zahl von für den Druck bestimmten Schriften, angespornt durch die fortwährende Ausweitung und Intensivierung der Wissenschaften und der Literatur allgemein, nicht zuletzt auch provoziert durch das Aufkommen immer neuer Leserschichten, durch die ständig vermehrte Buchnachfrage. - Lagen die Bestandszahlen der größeren europäischen Bibliotheken im Mittelalter bei einigen hundert Bänden, für die Spitzenklasse bei über tausend Bänden (vgl. oben S. 43), so steigen sie in der Renaissance für die größeren Bibliotheken auf einige tausend Bände, für die Spitzenklasse auf einige zehntausend. D. h. bis zum Ende der Epoche (ca. 1600) drückt sich die Vermehrungsrate durch Anhängen einer Null an die entsprechenden mittelalterlichen Zahlen aus. - Nach dieser Faustregel kann man für die jeweils nächsten zwei Jahrhunderte ebenfalls je eine weitere Null an die entsprechenden Zahlen anhängen: vom 17. bis zum Ende des 18. Jh. erreicht der Bestandsumfang der größeren Bibliotheken Zehntausende von Bänden, in der Spitzenklasse Hunderttausende; vom 19. bis ins 20. Jh. zählt der Bestandsumfang der größeren Bibliotheken Hunderttausende von Bänden, in der Spitzenklasse Millionen. - Diese ständige Zunahme des Bestandsumfangs gibt Anlaß zu sehr vielen Veränderungen im europäischen Bibliothekswesen der gesamten Neuzeit. Räumlichkeiten, Gebäude. — Schon in der Renaissance macht der größere Bestandsumfang größere Räumlichkeiten erforderlich. Kamen die Büchersammlungen des europäischen Mittelalters gewöhnlich in einem einzelnen Zimmer unter, so benötigen die größeren Renaissancebibliotheken mehrere Bücherzimmer oder einen Büchersaal. Bereits vorhandene Säle in Palästen oder Klöstern werden jetzt für die Bibliotheksaufstellung genutzt. Bisweilen werden aber auch neue Säle von vornherein für den Bibliothekszweck konzipiert und in Seitenflügeln angebaut oder als
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Obergeschosse aufgestockt. Am berühmtesten: der Bibliothekssaal der Biblioteca Laurenziana in Florenz, von Michelangelo in einem Seitenflügel des Klosters San Lorenzo neu erbaut. - Eigene separate Bibliotheksgebäude sind noch kein aus dem Bestandsumfang ableitbares Erfordernis der Renaissance-Epoche. Dennoch kommt es schon während der Renaissance, sogar im beginnenden i $ . Jh., zu vereinzelten, ausnahmehaften Vorläuferbauten im Kleinformat: noch immer nur ein einzelnes Zimmer (wie in den mittelalterlichen Klosterbibliotheken), evtl. zwei Zimmer übereinander, aber jetzt als separates Bauwerk errichtet, abgesetzt vom Hauptgebäude der bücherbesitzenden Institution. So ζ. B. die öffentliche Stiftungsbibliothek bei der Kirche St. Andreas zu Braunschweig, ein Backsteinbau von 1420, zwei Zimmer übereinander (Erdgeschoß, Obergeschoß), Abmessung 5 X 5 m. Aufbewahrung, Aufstellung. - Typische Aufstellungsform der Renaissancezeit wird das »Pultsystem«, das bereits im Spätmittelalter, zuerst in den Kollegienbibliotheken, aufgetaucht war. Es war aus Benutzungserfordernissen entstanden. Die mittelalterlichen Klosterbibliotheken kannten überwiegend das Bibliothekszimmer mit einem oder mehreren Bücherschränken; benutzt wurden die Bücher meist in den Mönchszellen. In den Kollegien dagegen wurden die Bücher im Bibliotheksraum selbst gelesen: also mußte er Arbeitsplätze haben. Mit diesen wurde die Aufbewahrung kombiniert. Im Bibliotheksraum standen mehrere Reihen von Arbeitspulten mit Bänken. Zur Sicherung (vor Diebstahl, aber auch vor Standortverstellung) waren die Bücher häufig an die Pulte angekettet (sogen, »libri catenati«), Diese Ausstattung setzt sich nach 1400 weithin durch, nicht nur in den Kollegienbibliotheken der Universitäten, sondern auch in Klosterbibliotheken, in öffentlich zugänglichen Stadt-, Kirchen- und Stiftungsbibliotheken. Zunehmender Bestandsumfang macht weiteren Ausbau der Pultkapazität notwendig. Zusätzliche Bretter unter dem oberen Lesebrett nehmen weitere Bände am gleichen Arbeitsplatz auf (das berühmteste Beispiel dieses Typus: Michelangelos oben erwähnter Saal der Biblioteca Laurenziana zu Florenz). In England geschieht die Erweiterung der Fassungskraft auch durch Aufstocken des Arbeitspults mit einer Art Oberregal zur Aufnahme weiterer Bücher (sogen. »Gestellsystem«, engl. »stall«-System). Dadurch gewinnt der Bibliotheksraum allerdings magazinähnliches Aussehen, wird zu einer Art frühem Freihandmagazin. - Soll der Lesesaaleindruck des Bibliotheksraums gewahrt bleiben, dann dürfen die Arbeitspulte nicht beliebig aufgestockt, sondern müssen im Gegenteil entfrachtet werden. So kommt es zur Trennung von Aufbewahrung und Benutzung, wenn auch zunächst noch im gleichen Raum: Aufbewahrung an den Wänden, in hohen Regalen oder Schränken; Benutzung in der freien Saalmitte, an Arbeitstischen für die Leser. Für Bibliotheksräume mit dieser neuen Entflechtung von Aufbewahrung und Benutzung hat sich die Bezeichnung »Saalbibliothek« eingebürgert (zum Unterschied von »Pultbibliothek«). Eine nicht ganz logische Bezeichnung, denn auch Pultbibliotheken können Saalgröße haben. Dieser Typus des Wandregal-Lesesaals setzt sich allgemein erst im Barock durch, kommt aber schon vor 1600 mit einzelnen avantgardistischen Beispielen auf (ζ. B. Schloßbibliothek Escorial und Vatikanische Bibliothek). - Die innere Gliederung der
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Buchaufstellung erfolgt in der Renaissance meist systematisch nach Fachgebieten, oft kombiniert mit einer Einteilung nach Formatgruppen; gelegentlich nach Autoren oder gar in strikter Reihenfolge der Buchgröße. Bibliothekspersonal. - Auch in der Renaissance, wie im vorangegangenen Mittelalter, werden die meisten europäischen Bibliotheken nur nebenamtlich betreut: Universitäts- und Kollegienbibliotheken von Dozenten und Studenten; Klosterbibliotheken von Mönchen; Stadt- und Ratsbibliotheken von städtischen Amtspersonen; kleinere Hofbibliotheken von Mitgliedern des Hofstaates. - Doch die großen Hofbibliotheken erhalten jetzt hauptamtliche Mitarbeiter. Zum ersten Mal in Europa seit der Antike. Zum hauptamtlichen Personal gehören u. a.: ein Bibliothekar als Bibliotheksleiter; evtl. weitere bibliothekarische Mitarbeiter als Bibliothekssekretäre, auch sie sprachkundig und in den Studien erfahren; vereinzelt auch ein Buchbinder oder Diener. Zu den ersten hauptamtlichen Bibliothekaren in Europa gehören: Bartolomeo Piatina (Rom, Vatikanische Bibliothek), Guillaume Bud£ (Budaeus, an der Biblioth^que du Roi in Fontainebleau, der späteren Königlichen Bibliothek zu Paris) und Hugo Blotius (Wien, Kaiserliche Bibliothek). Eine besondere Fachausbildung ist für das Bibliothekspersonal noch nicht vorgesehen, doch werden hinreichende Vorkenntnisse erwartet. Auch stellt bereits Blotius Qualifikationsforderungen für den bibliothekarischen Beruf auf: wissenschaftliche, sprachliche, buchbezogene und moralische Anforderungen. Er formuliert auch soziale Ansprüche für den Berufsstand des Bibliothekars, jedenfalls für den Leiter einer Hofbibliothek: rangmäßige und besoldungsmäßige Einstufung bei den leitenden Hof- und Staatsbeamten, sowie Erhebung in den Adelsstand (analog der Erhebung der vatikanischen Bibliotheksleiter in den Kardinalsrang). Diese Forderungen setzen sich allerdings erst im Zeitalter des Barock und Absolutismus durch. D 1.4. Bibliotheksverwaltung,
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Bestandsaufbau (Erwerbung): Allgemeines. - Buchzugang und Bucherwerbung ändern sich in der Renaissance grundlegend gegenüber dem Mittelalter. Hauptursache aller durchgreifenden Veränderungen ist der Buchdruck, als neue Produktionsweise der Massenproduktion und der Serienproduktion. Durch die Massenproduktion sinkt der Buchpreis allmählich so stark, daß die Buchherstellung im Handschriftenverfahren unrentabel wird. Damit werden auch die (im Mittelalter üblichen) bibliothekseigenen Schreibstuben unrentabel. Es kommt, für alle Zukunft, zur Trennung von Buchproduktion und Buchsammlung, zur Arbeitsteilung zwischen Druckerei und Verlag auf der einen Seite und Bibliothek auf der andern. Bestandsaufbau: Kaufzugang. - Somit wird der Buchkauf zur wichtigsten Akzessionsart der Neuzeit. Natürlich unterliegen die Formen des Buchkaufs mancherlei Veränderungen in der Entwicklung von der Renaissance bis heute. So spielt ζ. B. der gezielte Kauf und der kontinuierliche Kauf in der Renaissance eine geringere Rolle. Häufig sind Ankäufe geschlossener Büchersammlungen aus Privathand. Aber das entspricht bis zu einem gewissen Grade den Bedürfnissen jener Gründerzeit, in
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der erst einmal durch Übernahme geschlossener Sammlungen ein Grundstock zusammengebracht werden muß, ehe man daran gehen kann, ihn kontinuierlich zu ergänzen (ein Initialaufbau mit Reprints oder jederzeit greifbaren Neuauflagen bleibt ja dieser Epoche noch versagt). - Das Geld zum Buchkauf wird dabei gewöhnlich von Fall zu Fall bewilligt, statt daß, wie heute, ein fester jährlicher Kaufbetrag im voraus zur Verfügung steht. Eine bemerkenswerte Ausnahme macht dabei die Vatikanische Bibliothek, die schon in der Renaissance (ab 1475) über einen festen Vorausbetrag für den Buchkauf verfügt. Es handelt sich noch nicht um einen festen Etat (das Haushalts- und Etatswesen kommt erst im Zeitalter des Absolutismus mit der zentralen Finanzverwaltung auf), sondern um eine jeweils wechselnde, aber doch voraus verfügbare und verplanbare Geldsumme. Bestandsaufbau: Pflichtzugang. - Als völliges N o v u m entsteht in der Renaissance der Buchzugang durch Pflichtexemplar. Erst die Serienproduktion des Buchdrucks gibt dieser Einrichtung ihre Grundlage. Die Handschrift war stets ein einmaliges, singuläres Werkstück; von ihr konnte man kein Belegexemplar nehmen. Die gedruckte Buchausgabe mit bestimmter Auflagenhöhe macht ein Belegexemplar möglich, ja wünschenswert. — A b 1535 überweisen die Baseler Drucker, auf Anregung der Druckerdynastie Amerbach, freiwillige Belegexemplare geschenkweise an die Universitätsbibliothek Basel. Dies ist die erste Belegexemplarregelung der Welt. Ein Jahr später, 1536, verfügt König Franz I. von Frankreich die kostenlose Pflichtablieferung je eines Belegexemplars aller Druckerzeugnisse Frankreichs an seine Schloßbibliothek Blois (mit der gleichzeitigen Schloßbibliothek Fontainebleau Vorläufer der Königlichen Bibliothek zu Paris). Es ist die erste Pflichtexemplarregelung der Welt. Dies Pflichtexemplar dient als Zensurexemplar für die Erteilung des Druckprivilegs, damit zugleich als archiviertes Belegexemplar für den Nachdruckschutz, es dient aber nicht zuletzt auch der Bestandsvermehrung der Königlichen Bibliothek. In Deutschland zieht die Kaiserliche Bücherkommission in Frankfurt am Main ähnliche Belegexemplare ein, die sie ab 1569 der Kaiserlichen Bibliothek zu Wien überweist. Diese frühen Renaissancebeispiele finden im 17. und 18. Jh. in vielen weiteren Ländern, Regionen, Städten Nachahmung. Bestandsaufbau: Andere Zugangsarten. - Daneben spielen die schon von früheren Zeiten her geläufigen Zugangsarten Geschenk und Tausch eine Rolle. Der Geschenkzugang nimmt sogar an Bedeutung zu, da jetzt, durch den Buchdruck, mehr und größere Privatbüchersammlungen bestehen und also auch häufiger als bisher an Bibliotheken der öffentlichen H a n d vermacht werden können. Viele Bibliotheken erhalten auf diesem Wege reichen Bestandszuwachs. Manche Stadtbibliothek oder Kollegienbibliothek verdankt solcher Stiftung ihre Gründung. - Auch der jetzt häufiger werdende Zugang durch Kriegsbeute (»Raubzugang«) reduziert sich, juristisch gesehen, auf einen Geschenkzugang: denn der erbeutende Militärbefehlshaber oder Potentat überweist (also »schenkt«) die Kriegsbeute an seine Hofbibliothek oder eine andere ihm nahestehende Bibliothek. Erschließung, Katalogisierung. - A u f dem Gebiet der Bucherschließung kommt es (anders als bei der Bucherwerbung) zu keinen spektakulären Neuerungen in der
Bibliotheksbetriebswesen
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Renaissance. Schon während des ganzen Mittelalters hatte es auch in Europa Inventare gegeben. Mit Inventaren behilft man sich auch jetzt, etwas verbessert und natürlich umfangreicher, entsprechend den vermehrten Buchbeständen. Das Buchinventar soll vor allem den Besitzstand verzeichnen und oft auch die Aufstellungsreihenfolge aktenkundig machen. Es ist ein Standortverzeichnis, das häufig, der grobsystematischen Aufstellung nach Fachgruppen folgend, zugleich wie ein grobsystematischer Gruppenkatalog angelegt wird. - Bucherschließung im modernen Sinne gehört noch nicht zur Aufgabenstellung des Katalogs. Noch genügt, bei der Uberschaubarkeit der Bestandsmenge, die systematische Aufstellung selbst. Sie leistet die Erschließung. Sie macht die Bücher auffindbar. Sie ermöglicht Informierung über weitere (benachbarte) Literatur zum gleichen Thema. Benutzung. — In der Renaissance weiten sich Benutzungsfrequenz und Benutzungsvolumen der europäischen Bibliotheken gegenüber dem Mittelalter beträchtlich aus. Auch erstehen weitere neue Benutzerschichten. Im europäischen Mittelalter hatte sich die Benutzung jahrhundertelang nur auf geistliche Leser beschränkt (Mönche, Nonnen, Priester). Im Spätmittelalter rückten erste weltliche Benutzerschichten neben die geistlichen: Professoren und Studenten, als Leser an den Universitätsund Kollegienbibliotheken. Dazu kommen nun in der Renaissance als Benutzer der Schloß-, Hof-, Rats- und Stadtbibliotheken Amtsträger jeder Art: Regenten, Höflinge, Verwaltungsbeamte; ferner in gewissem Umfang auch freie Interessenten, Gelehrte, Bürger. Allerdings bleiben die Benutzerschichten im ganzen noch immer exklusiv, nicht zuletzt schon wegen des noch immer ganz überwiegenden Analphabetentums. Auch sind die Öffnungszeiten und Benutzungsformen, gemessen an modernen Maßstäben, sehr eingeengt. — Die normale Benutzungsform bleibt audi weiterhin, wie schon in Mittelalter und Antike, die Präsenzbenutzung in der Bibliothek selbst. Soweit die Benutzung öffentlich wird, sorgt die oben erwähnte Ankettung der Bücher (vgl. S. 68) für Sicherheit. Ausleihfälle außer Hauses (am gleichen Ort bzw. nach auswärts) kommen vor, bleiben aber weiterhin Ausnahmen, gelegentlich abgesichert durch Pfandhinterlegung.
D 2. Zeitalter des Barock, der Aufklärung, des Absolutismus (17. /18. Jh.) D 2.1.
Zeitsituation
Allgemeines. - Das Zeitalter des Barock, der Aufklärung und des Absolutismus bringt in zweihundertjähriger Entwicklung die Vorbereitung und den schließlichen Durchbruch zur modernen Gesellschaft, Wirtschaft und Zivilisation des Industriezeitalters. Nach Zeitabschnitten, Regionen, Strömungen und Gegenströmungen recht unterschiedlich und vielgestaltig, bilden das 17. und 18. Jh. im ganzen doch eine Einheit in der Entwicklung von der Renaissance zur Moderne. - Gegenüber
Barock, Aufklärung beiden ist die Barock- und Aufklärungsepoche (ca. 1600-1800) zeitlich nicht abrupt abgegrenzt, sondern mit ihnen durch Übergangsphasen kontinuierlich verbunden. Manche Züge der Renaissance laufen erst mit dem Dreißigjährigen Krieg aus, während erste Anfänge der Barockentwicklung schon vor 1600 einsetzen. Ähnlich beginnen manche Frühstufen des technisch-industriellen Zeitalters schon in der 2. Hälfte des 18. ]h., mit der Französischen Revolution (1789) werden auch die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Zeitenwende manifest, aber erst nach dem Wiener Kongreß ( 1 8 1 5 ) setzt sich das neue Zeitalter endgültig durch. Staat. - Die staatlich-territoriale Situation Europas in der Renaissance bleibt auch während des 17. und 18. Jh. im ganzen erhalten, trotz mancher Veränderungen im einzelnen. Europa behält die in der Renaissance errungene Führungsstellung in der Welt. Der im Mittelalter so bedeutende byzantinische und arabische Macht- und Kulturbereich bleibt weiterhin, wie in der Renaissance, ausgeschaltet und fest im Griff der türkischen Herrschaft. In zähen, lang anhaltenden Abwehrkämpfen gelingt es aber, Europa vor einem ähnlichen Zugriff der übermächtigen türkischen Expansion zu bewahren und die Gefahr schließlich ganz niederzuringen. Andererseits greift jetzt auth Europa seinesteils in der überseeischen Welt aus und gründet bzw. festigt mehrere konkurrierende Kolonialreiche (Spanien und Portugal schon in der Renaissance, dazu jetzt bedeutender England, Frankreich und die Niederlande). - Innerhalb Europas bleiben die beiden bisherigen Vormächte, das Römischdeutsche Reich und Frankreich, weiterhin führend. Frankreich steigt jedoch zur eigentlichen europäischen Spitzenposition auf. Deutschlands Bedeutung dagegen beruht nicht mehr auf dem Gesamtreich (das sich mehr und mehr partikularisiert), sondern wird vom Kaiser durch die Großmachtstellung der habsburgischen Erblande (Eigengebiete innerhalb und außerhalb des Reiches) getragen. Daneben erhebt sich Brandenburg nach seiner dynastischen Verbindung mit (Ost-)Preußen zur zweiten deutschen Großmacht. Einige weitere europäische Staaten gewinnen ebenfalls Großmachtstatus: vor allem und überragend Großbritannien; ferner zeitweilig die Niederlande, Schweden und Polen. Spanien verliert an Bedeutung, bleibt aber als Kolonialmacht erhalten. Jenseits des alten Okzident, kulturell unter dem nachwirkenden Einfluß von Byzanz, tritt als Novum jetzt auch Rußland mit Großmachtrang in die europäische Politik ein. Es hatte sich noch vor 1600 von der langen Tatarenherrschaft befreien können und öffnet sich nach 1700 der europäischen Zivilisation. - Das Zeitalter des Absolutismus, der uneingeschränkten, aber aufgeklärt-rationalistischen Fürstenherrschaft, bringt in den europäischen Ländern eine rationale, straff organisierte Staatsverwaltung mit administrativem Zentralismus, klarer Ressorteinteilung, solider ökonomischer Fundierung (vgl. dazu Kameralismus und Merkantilismus, S. 73) und sorgfältig ausgebautem Beamtenapparat. Schöpfer und Meister des europäischen Absolutismus sind vor allem die Staatsmänner Mazarin, Colbert und später Kaunitz. Zum Symbol absolutistischer Fürstenmacht wird König Ludwig X I V . von Frankreich. Gesellschaft. - Als dominierende Staatsform überwindet der Absolutismus endgültig das mittelalterliche Feudalsystem, die Mitherrschaft der Adelshierarchie.
Zeitsituation
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Alle Macht liegt jetzt bei der feudalen Spitze, bei den souveränen Landesfürsten, bzw. leitet sich von ihnen ab. Der politisch entmachtete Adel genießt allerdings weiterhin faktische Bevorzugung bei der Besetzung der neuen H o f - und Staatsämter und behält seine wirtschaftlichen Privilegien im Großgrundbesitz. Im Laufe des 18. Jh. beginnt jedoch auch diese wirtschaftliche Vormachtstellung des Adels abzubröckeln. Zunächst durch die landesherrlich verfügte Aufhebung der Leibeigenschaft bzw. Beschneidung der Grundherrschaftsrechte in mehreren europäischen Ländern (denen im 19. Jh. die übrigen folgen). Dann aber vor allem durch die sich anbahnende ökonomische Akzentverlagerung von der Agrarwirtschaft zur industriellen Wirtschaft, die dem aufsteigenden Bürgertum zugute kommt. Diese Akzentverlagerung hat auch politische Folgen, findet einen ersten Niederschlag im englischen Parlamentarismus des 18. Jh. (Anfänge bereits seit der »Glorious Revolution«, 1688) und kommt zu gewaltsamer Entladung in der Französischen Revolution (1789). Wirtschaft, Technik. - Grundlage dieser gesellschaftlichen Veränderungen und allgemeinen Machtverlagerungen ist der weitere Aufstieg und Ausbau der Stadtwirtschaft und Stadtzivilisation. Der Einsatz der Naturwissenschaften im Dienst von Technik und Wirtschaft, die theoretische Fundierung und Meliorierung in vielen Wirtschaftszweigen, der schon vielfältige Einsatz von Maschinen und die Anwendung immer neuer Verfahren - das alles bewirkt einen bis dahin in der Menschheitsgeschichte ungekannten technischen und wirtschaftlichen Fortschritt. Die Entwicklung führt vom bereits hohen Niveau der Renaissancewirtschaft zur Schwelle des Industriezeitalters, vom Frühkapitalismus zum Großkapitalismus, mit durchgängigem Ausbau des Großmanufakturwesens, des Bergwerks- und Verkehrswesen, des Handels- und Bankwesens. Es kommt zur ökonomischen Verbindung von Landesherren und Besitzbürgertum, zu gemeinsamen Aktionen bei den großen Bankunternehmungen, bei den halb privaten, halb staatlichen Kolonial- und Fernhandelsgesellschaften, bei der dirigistischen Förderung und Abstützung relevanter Einzelbranchen im Rahmen staatlicher Wirtschaftsplanung, bei der obrigkeitlichen Lenkung und Koordinierung der Gesamtwirtschaft (einschließlich der Privatwirtschaft) im Rahmen des staatlichen Merkantilismus, sowie schließlich bei der staatlichen ökonomischen Eigenverwaltung mit Domänenwesen, Steuer-, Finanz- und Haushaltswesen im Rahmen des Kameralismus. Barockkultur. - Die Verzweigtheit, Komplizierung, Verfeinerung in Wirtschaft, Technik und selbst in der Staatsverwaltung findet sich auch im kulturellen Leben wieder. Der aus der vermehrten Produktion fließende größere Wohlstand und Reichtum erhöht den tatsächlichen Lebensstandard der Oberschichten außerordentlich (wenn auch weithin noch immer auf Kosten der Unterschichten). Weit verbreitete Prachtentfaltung, vom genuinen Zug ins Grandiose bis zur hohlen Prunksucht, kennzeichnet den gesamten Lebensstil in Barock und Rokoko, die Sitten, die Kleidung, die Haartracht, die Feste, die Theater-, Opern-, Ballett- und Konzertaufführungen, vor allem aber die Bauten. Überdimensionierte Residenzschlösser und verspielte Sommerpaläste der Souveräne, Stadtpalais und Landsitze des hohen
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Barock, Aufklärung
Adels, elegante Wohngebäude der städtischen Oberschicht, Repräsentationsgebäude für Regierungen und Ämter, für Gerichtshöfe, Leibgarden und Arsenale, für H o f theater, Hofbibliotheken und Hofsammlungen, für Kirchenleitungen, Klöster und Kollegien. Die Bauten, in Architektur und Einrichtung, prägen mehr als alles andere das äußere Bild des Barock und Rokoko. Aber die übrigen Künste, Malerei, Bildhauerei, Literatur und besonders Musik, blühen ebenfalls auf und bezeugen den gleichen Zeitstil. Fürstliches, staatliches, adeliges, bürgerliches, kirchliches (vor allem gegenreformatorisches) Mäzenatentum wetteifern miteinander in der Förderung aller Künste und der Verfeinerung aller Lebensformen. Aufklärung. - Das 17. und 18. Jh. wird die zentrale Epoche für die Herausbildung des modernen wissenschaftlichen Denkens und der modernen kritischen Geisteshaltung. Der Humanismus hatte noch den Anschluß an die Antike gesucht; und schon das war gegenüber dem europäischen Mittelalter eine bedeutende Vorwärtsentwicklung gewesen. Inzwischen haben neue Forschungen und Entdeckungen die Wissenschaften weiter vorangetrieben, damit zugleich aber auch viele frühere Irrtümer und Lücken aufgedeckt. Als Konsequenz stellt sich allmählich Zweifel am bisher Überlieferten ein, vorsichtige Zurückhaltung gegenüber dem von alters her ungeprüft Übernommenen und Akzeptierten. Aus dieser Ausgangsposition entwickelt sich die Aufklärungsphilosophie, die die generelle kritische Überprüfung aller Wissensinhalte zur allein verläßlichen wissenschaftlichen Methode erhebt. Die Vernunft wird zur alleinigen Instanz für die Überwachung der Wahrheitsfindung durch die Denkarbeit des kritischen Verstandes (Rationalismus) und die Erhärtung im Experiment (Empirismus). Nach frühen Ansätzen schon in der Renaissance, erfolgt der Durchbruch zum neuen Denkmuster der kritischen Wissenschaftsmethode mit Descartes. In der weiteren Herausbildung, Vervollkommnung und Verbreitung der Aufklärungsphilosophie folgen Spinoza, Locke, Leibniz, Hume, Voltaire und Kant. - Die tatsächlichen Fortschritte in den Wissenschaften geben der Aufklärungsbewegung die Überzeugung von der Möglichkeit menschlichen Fortschritts schlechthin und auf allen Lebensgebieten. In optimistischem Schwung greift die Aufklärung schließlich aktiv in alle Lebensgebiete ein. In ihrer Religionsphilosophie durchleuchtet sie die theologische Dogmatik und führt die Religion auf einige wenige »vernünftige« Grundwahrheiten und auf einen ethischen Kern zurück. Gleichzeitig verbindet sie damit die Forderung nach Toleranz und leistet weiterer Säkularisierung des öffentlichen Lebens Vorschub. Auch das Naturrecht wird jetzt wieder aufgenommen, neu ausgestaltet und aus ihm der Gedanke der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz abgeleitet. Im Staatswesen sieht die naturrechtliche Konzeption der Aufklärung eine durch Gesellschaftsvertrag geschaffene Gemeinschaft gleichberechtigter und an sich freier Menschen (Hobbes: mit absolutistischer Spitze; Locke: mit konstitutioneller Gewaltenteilung; Rousseau: mit demokratischer Gewaltenteilhabe). Damit wird die spätere Ablösung feudaler Privilegien und des landesfürstlichen Herrschaftsanspruchs bereits theoretisch vorbereitet. Aufgeklärte Herrscher (ζ. B. König Friedrich II. von Preußen, Kaiser Joseph II.) suchen die Rechtfertigung ihrer Herrschaft schon jetzt in der Betonung
Zeitsituation
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aktiver Förderung des Wohls ihrer Untertanen. Merkantilismus und Kameralismus des 18. Jh. nehmen von der Aufklärung ebenso ihren Ausgang wie Liberalismus und Sozialismus des 19. und 20. Jh. - Zunächst gewinnen die Ideen der Aufklärung jedoch nur beschränkten Einfluß, nur in gewissen Gesellschaftsschichten und Kulturzentren. Es gilt, breitere Schichten der Gebildeten »aufzuklären«. In diesem Sinne wirken die Schriften der Popularphilosophen, die aufklärerischen Wochenzeitschriften, die neuen Zeitungen und die Konversationslexiken. Höhepunkt dieser Bestrebungen wird die Repräsentativzusammenfassung der Resultate der Aufklärung durch die Enzyklopädie von Diderot und D'Alembert (»Encyclop^die, ou Dictionnaire raisonne des sciences, des arts et des metiers«, 1751-80). - Auf Breitenwirkung zielen die Aufklärer in der Volksbildung, im Schulwesen. In den meisten europäischen Städten gibt es jetzt Schulen, teils als Lateinschulen, teils als akademische Gymnasien mit einer Anschlußstufe zur Universitätsausbildung (Baccalaureat). Unter dem Einfluß der Volksbildungsbestrebungen der Aufklärung entstehen nun in manchen Ländern auch Grundschulen für das breite Volk. Auch sie zunächst vorwiegend in den Städten, noch kaum auf dem Lande. Aber in Verbindung mit der Einführung der Schulpflicht, ζ. T. sogar schon im 17. Jh., häufiger im 18. Jh., werden sie, bei aller Anfangsunzulänglichkeit, doch zu einer Bastion gegen das Analphabetentum in Europa. Wissenschaft (Allgemeines). - Im 17. und 18. Jh. nehmen die Wissenschaften einen Aufschwung wie in keiner andern Zeit zuvor, in der Vielzahl und Beschleunigung neuer Entdeckungen und Erfindungen, in der Vertiefung und Systematisierung der Kenntnisse, in der Herausbildung neuer Wissenschaftszweige. Vor allem die N a turwissenschaften gewinnen jetzt ihre moderne Gestalt und werden zum führenden und tragenden Wissenschaftsbereich (Kepler, Galilei, Boyle, Huygens, Newton, Linni). Die moderne Physik formiert sich und gewinnt über die bisherige Mechanik hinaus ihre wesentlichsten Teildisziplinen hinzu. Die alte Alchimie mausert sich zur modernen Chemie. Die Astronomie erhärtet endgültig das heliozentrische Weltsystem und wird damit zu einer ganz neuen Wissenschaft. Die Geologie entsteht erst jetzt recht eigentlich. Botanik und Zoologie verwandeln einen fast unübersehbaren Berg von Einzelwissen in die moderne Pflanzen- und Tiersystematik. In allen Naturwissenschaften bilden kritische Prüfung, exakte Messung und experimenteller Beweis die neuen Erkenntnismaßstäbe. Die Erfindung bahnbrechender neuer Instrumente (ζ. B. Fernrohr, Mikroskop, Thermometer) machen viele neue Entdekkungen überhaupt erst möglich. Die neu entwickelte höhere Mathematik wird zur weiteren Grundlage des naturwissenschaftlichen Fortschritts (Newton, Leibniz). Der Fortschritt der Naturwissenschaften stimuliert seinesteils die Fortschritte in Medizin und Technik (einschließlich Bergbau, Manufakturwesen, Kriegstechnik). Manche »angewandten« und mehr praktischen Fachgebiete treten jetzt zuerst in ihr wissenschaftliches Stadium: Landwirtschaftswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Staats- und Verwaltungswissenschaft, mit dem neuen Merkantilismus und Kameralismus. Die Geographie gewinnt aufgrund der Reiseexpeditionen, Entdeckungen und Messungen ein völlig neues Gesicht, das vorab die Kartographie (Atlanten!)
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Barock, Aufklärung
auf solide Grundlagen stellt. Die Geschichtswissenschaft erhält neue Fundierung durch die Begründung der auch für das Archiv- und Bibliothekswesen wichtigen Fächer Schriftkunde und Urkundenlehre, sowie durch die neue Quellenforschung (Mabillon, Montfaucon, Muratori, Leibniz). In der Philologie gilt jetzt, nach der »klassischen« Phase des Humanismus, ein größeres Interesse auch den modernen Einzelsprachen und Einzelliteraturen (Gründung von Gesellschaften zur Sprachpflege und Literaturförderung). Im Zusammenhang mit der von der Aufklärung angestrebten Breitenwirkung durch Volksbildung erwirbt auch die Pädagogik den Charakter einer Wissenschaft. Universitäten, Hochschulen. - Auch die Universitäten machen im 17. und 18. Jh. Fortschritte, aber in merklich geringerem Maße als die Wissenschaften selbst. In der Hauptsache bleiben die Universitäten auch weiterhin Stätten der Lehre, weniger der Forschung. Die Forschung, die ja auch früher an den Universitäten keine vorrangige Rolle spielte und sich überhaupt erst seit der Renaissance so stark intensivierte, hat sich weithin außerhalb der Universitäten angesiedelt (vgl. unten S. 76 f.). Das liegt nicht zuletzt auch daran, daß viele der neu entstehenden Wissenschaftszweige zunächst noch gar nicht an den Universitäten als Lehrfächer vertreten sind. Allmählich dringen aber die neuen Forschungsergebnisse in die etablierten Universitätsfächer ein, und an manchen Universitäten werden neue Lehrfächer und Professuren eingerichtet, besonders in den Naturwissenschaften, aber auch für Kameralistik u. ä. - Auch die technischen Fächer können nicht länger unberücksichtigt bleiben, sodaß jetzt technische Studienanstalten entstehen, teils spezialisiert (für Bauwesen, Bergwesen usw.), teils polytechnisch eingestellt (Prag, Petersburg, Braunschweig), aber generell noch ohne Universitätsrang. - Erwähnung verdienen die Jesuitenkollegien, mit und ohne Universitätsrang, die, besonders im 17. Jh., an zahlreichen Orten einen modernen Studienbetrieb ermöglichen, allerdings mit katholisch-kirchlichen Akzenten. - Modellcharakter gewinnen im 18. Jh. die neu gegründeten Aufklärungsuniversitäten, die von vornherein die Naturwissenschaften und andere neue Fächer besser berücksichtigen, sich bewußt auf gute Bibliotheken stützen und auch die Forschung stärker in den Universitätsbetrieb hereinnehmen (Halle). Vereinzelt wird sogar durch Parallelgründung einer wissenschaftlichen Gesellschaft neben der Universität die Forschung bereits am Universitätsort institutionalisiert, wenn auch noch nicht in die Universität integriert (Göttingen). Forschung (Hofämter, Gesellschaften, Forschungsakademien). - Weithin vollzieht sich aber die wissenschaftliche Forschung noch immer außerhalb der Universitäten, wie in der Renaissancezeit. Häufig wird sie von Privatpersonen getragen, in ihrem eigenen Berufs- oder Studiengebiet oder auch in andern Nebengebieten. Allmählich erscheint eine Organisierung und Institutionalisierung der Forschung wünschenswert. So ziehen die Fürstenhöfe die Forschung an sich: durch Vergabe von Sinekuren (Titularämtern mit geringfügigen Dienstanforderungen, aber hinreichenden Einkünften, also praktisch Stipendien) an Privatwissenschaftler; und durch Verlagerung der Forschung auf die Inhaber von Hofämtern. Im Zusammenhang mit dem Absolutismus entstehen neben den alten Hofhaltungsämtern (Hofmar-
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schall, Truchseß usw.) und den neuen administrativen Hofämtern auch wissenschaftliche Hofämter: ζ . B. Hofmathematicus (im weiteren Sinne Hofnaturwissenschaftler), Hofastronom, Leibarzt (dem als Hofphysicus auch das sich herausbildende staatliche Gesundheitswesen untersteht), Hofapotheker, Hofhistoriograph (zugleich Landeshistoriker), Hofprediger, Hofbeichtvater, Hofbibliothekar, H o f archivar usw. Viele Inhaber dieser wissenschaftlichen Hofämter werden zu frühen staatlichen Forschungsbeauftragten. - Forschungskoordinierung wird auch durch erste Zusammenschlüsse von Forschern zu wissenschaftlichen Gesellschaften gefördert. Vorstufen dazu hatte schon die Renaissance erlebt. Ζ . B. der Humanistenkreis im Florenz des 15. Jh. unter dem Protektorat der Medici (»Academia Platonica«); und die italienische Sprach- und Literaturgesellschaft Accademia della Crusca, ebenfalls zu Florenz (gegr. 1582), die ähnlichen Gesellschaften im barocken Deutschland und Frankreich zum Vorbild wurde: Fruchtbringende Gesellschaft zu Weimar (gegr. 1613) und Acadimie Franjaise zu Paris (gegr. 1635). In diesen Zusammenhang gehört zunächst auch die Accademia dei Lincei zu Rom (gegr. 1603, später zur allgemeinwissenschaftlichen Akademie ausgeweitet). Wichtiger für die Forschung werden die naturwissenschaftlichen Gesellschaften: als älteste noch heute bestehende die »Leopoldina« (gegr. τ6$ζ in Schweinfurt, 1687 durch Kaiser Leopold I. bestätigt als Academia Caesareo-Leopoldina naturae curiosorum, lange mit wechselndem Sitz am Wohnort des jeweiligen Präsidenten, schließlich endgültig in Halle, Deutsche Akademie der Naturforscher), als bedeutendste die Royal Society zu London (Royal Society for promoting natural knowledge, gegr. 1660, königliche Bestätigung 1662) und die Acadimie des Sciences zu Paris (gegr. 1666). - Eine neue, noch heute gültige Konzeption zur Institutionalisierung wissenschaftlicher Forschung als Daueraufgabe stammt von Leibniz: die Integrierung aller Wissenschaftsbereiche in eine Forschungs-Gesamtakademie. Leibniz gründet die erste Akademie dieses neuen Typs in Berlin und wird deren erster Präsident: die heutige Akademie der D D R (gegr. 1700 als Brandenburgische Sozietät der Wissenschaften, später Preußische, dann Deutsche Akademie der Wissenschaften). Zwei weitere derartige Akademien plant Leibniz für Wien (dort aber erst im 19. Jh. zustandegekommen) und für Petersburg (gegr. 1725, die heutige Sowjetische Akademie der Wissenschaften in Moskau und Leningrad). N o c h im 18. Jh. entstehen mehrere weitere Akademien dieser neuen Art, im 19. und 20. Jh. folgen alle Kulturstaaten diesem Beispiel.
D 2.2. Informations- und Buchwesen Buchdruck. - Der Buchdruck hatte das Buchwesen der Renaissance revolutioniert. Sein stimulierender Einfluß auf das gesamte geistige und politische Leben hält auch im 17. und 18. Jh. an, ja nimmt noch zu. Die Zahl der Druckereien vervielfacht sich. Fast jede europäische Stadt verfügt jetzt über Druckereien, und auch in andern Weltteilen breitet sich der Buchdruck aus. Die Menge der gedruckten Bücher und Buchausgaben nimmt lawinenartig zu. - Dagegen bleibt die Technik des
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Barock, Aufklärung
Buchdrucks, trotz mancher Verbesserungen, im ganzen die gleiche wie in der Renaissance, auf der von Gutenberg erarbeiteten handwerklichen Ebene. Durchgreifende Veränderungen wird erst das Maschinenzeitalter bringen (nach 1800). Datenträger, Bucheinband. - Das Papier, schon im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit durchgesetzt, bleibt weiterhin Hauptdatenträger und fast ausschließliches Bedruckmaterial des Buchdrucks. - Mit der Kontinuität des Schriftträgers, des Papiers, bleibt auch die Kontinuität der Buchform, des Kodex, erhalten. Beim Bucheinband setzen sich jetzt die weicheren und zarteren Formen durch: Holzdeckel, grobes Leder oder Pergament verschwinden zugunsten von Pappdeckel und feinem Lederüberzug. Beim bibliophilen Einband wird die PlattenstempelBlindprägung abgelöst durch zarte Ornamente in Bunt- oder Goldprägung, auf buntem Leder in leuchtenden Farben. Nach arabesken Vorstufen schon in der italienischen und französischen Renaissance, kommt diese Stilrichtung jetzt im Barock und Rokoko zu höchster Blüte und phantasievollster Mannigfaltigkeit. In keiner andern Epoche der Einbandgeschichte ist höchste Buchkunst zugleich so weit verbreitet gewesen. Schriftengattungen. - Wie das geistige Leben und die Wissenschaften, so differenzieren und spezialisieren sich im 17. und 18. Jh. auch die Schriftengattungen mehr und mehr. Außer Originaltexten und Kommentaren erscheinen jetzt immer häufiger auch Abhandlungen, Thesenschriften, Dissertationen, Lehrbücher, Handbücher, Enzyklopädien, Lexiken, Wörterbücher, Gesetzestexte, Urkundenwerke, Tafelwerke, Statistiken und viele andere Arten mehr. Dazu kommen die Werke der schönen Literatur, jetzt zunehmend auch in den Nationalsprachen. — Neben diese sich herauskristallisierenden Schriftengattungen des herkömmlichen Monographientyps tritt als einschneidende und prinzipielle Neuschöpfung des 17. und 18. Jh. der T y p des Periodikums: Zeitung und Zeitschrift. - Die Zeitung will einem allgemeinen Publikum in regelmäßigen Intervallen allgemeine und politische Nachrichten bringen. Vorläufer schon im 16. Jh. waren Flugblätter, dann die zur Frankfurter Buchmesse neben den Messkatalogen ausgegebenen Neuigkeitsberichte (Messrelationen, ab 1588) und bald auch Monatsblätter. Die Kontinuität dieser Entwicklungslinie mit Progression der Erscheinungshäufigkeit führt im 17. Jh. zu den eigentlichen Wochen- und Tageszeitungen. Die beiden ersten Wochenzeitungen der Welt sind der »Aviso« aus Wolfenbüttel und die »Relation« aus Straßburg (beide ab 1609 überliefert, vielleicht beide aber schon um einige Jahrgänge älter). Innerhalb weniger Jahrzehnte erfolgen ähnliche Zeitungsgründungen in zahlreichen andern Städten Europas. - In der zweiten Hälfte des 17. Jh. macht sich auch die Wissenschaft die schnelle und regelmäßige Publikationsform des Periodikums zunutze. Als erste wissenschaftliche Zeitschriften der Welt erscheinen in Paris das »Journal des savants« und in London die »Philosophical Transactions« (beide 1665), gefolgt von den »Acta eruditorum« in Leipzig (1682). Neben diese universalwissenschaftlichen Blätter treten bald auch die ersten Fachzeitschriften für einzelne Wissenschaftsbereiche. Bis zum Ende des 18. Jh. entstehen solche Fachzeitschriften für fast alle Wissensgebiete. - Im Zusammenhang mit den Bestrebungen der Aufklärung
Buchwesen
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kommen bald nach 1700 auch allgemeine und volksbildende Zeitschriften auf (»moralische Wochenschriften«), zunächst in England (»Tatler«, »Spectator«), bald darauf auch allenthalben anderwärts in Europa. Buchhandel, Verlagswesen. - Die »Drucker-Verleger« der Inkunabelzeit vereinigten die Arbeitsbereiche der Buchproduktion und des Buchhandels im gleichen Betrieb. Der bald einsetzende Prozeß der Trennung von Druck und Verlag ist mit dem Ende der Renaissancezeit im wesentlichen abgeschlossen. Die weitere Arbeitsteilung zwischen Verlag und Einzelbuchhandel entwickelt sich erst allmählich. Zunächst liegt auch die Buchverbreitung noch beim Verlag. - Doch ändern sich die Vertriebsmethoden. Die Branche der reisenden Buchhändler (»Buchführer« in Deutschland meist Verlagsagenten, »Colporteurs« in Frankreich staatlich konzessioniert und in eigener Regie) verliert an Bedeutung. In den Vordergrund tritt jetzt das ortsfeste Ladengeschäft. Jedoch selten in der Regie selbständiger Buchhändler, sondern meist als verlagseigene Buchläden oder vielmehr Buchauslieferungslager, die auch noch keineswegs durchgehend geöffnet sind. Manche dieser »VerlegerSortimenter« unterhalten mehrere Buchauslieferungslager: am eigenen Verlagsort, am Buchmesseort und evtl. in verschiedenen weiteren Zentralstädten des In- und Auslands. - Häufiger, weil kostensparend, ist die partnerschaftliche Deponierung des eigenen Buchsortiments bei den Verlagsbuchhandlungen auswärtiger Verleger, zum Zweck des dortigen Verkaufs. Die Abrechnung der Verlage über die im gegenseitigen Auftrag verkauften Bücher geschieht jeweils auf der Buchmesse. Und zwar gewöhnlich nicht in bar und nach Buchpreis, sondern im Austausch Druckbogen gegen Druckbogen (sogen. »Change«-System, »changieren« = austauschen). - So wandelt sich die Buchmesse von der ursprünglichen Warenverkaufsmesse zur informativen Mustermesse und zur Verrechnungstagung. Neben die Frankfurter schiebt sich im 17. Jh. gleichbedeutend die Leipziger Buchmesse, die im 18. Jh. dominierend wird, während die Frankfurter Buchmesse ihre Bedeutung schließlich völlig verliert (nicht zuletzt aus Gründen größerer Zensurtoleranz und Geschäftsliberalität in Leipzig). Eine solche Buchmesse neuen Typs als zentrale ClearingStelle der Buchverrechnung ist vor allem für Staaten mit dezentralisiertem Verlagswesen nützlich. Staaten mit zentralisiertem Verlagswesen (wie Frankreich mit Paris, selbst England mit London) bedürfen keines besonderen Messeortes. Ihr zentraler Verlagsort ist zugleich die zentrale Clearing-Stelle. Bibliographie. — Die allmählich unübersehbare Menge von Publikationen aller Art macht Bibliographien noch unentbehrlicher als in der Renaissance. Aber ein neuer Versuch zur Gesamtverzeichnung aller Drucke (im Sinne von Gesneirs »Bibliotheca universalis«) bleibt stecken und muß angesichts der erdrückenden Materialfülle scheitern. - Auch hier erfolgt zunehmende Spezialisierung. Neben die Repertorien für große Fachgebiete treten immer zahlreichere Einzelbibliographien zu Teilbereichen in sachlicher, regionaler oder zeitlicher Begrenzung. - Schließlich werden die Bibliographien selbst so zahlreich, daß eine Übersicht über sie erforderlich scheint. Die erste Bibliographie der Bibliographien verfaßt der französische Jesuitenpater Philippe Labbi: »Bibliotheca bibliothecarum« (Paris 1664). Eine regelmäßige, lau-
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Barock, Aufklärung
fende, vollständige Titelverzeichnung empfiehlt Leibniz in einer Eingabe an Kaiser Leopold I., doch kommt sie aus Finanzgründen noch nicht zustande. Diese Lücke •wird aber teilweise von den neuen wissenschaftlichen Zeitschriften ausgefüllt, die wichtige Neuerscheinungen anzeigen und besprechen. D 2.j. Bibliothekswesen:
Allgemeines
Allgemeines. — Das europäische Bibliothekswesen macht im 17. und 18. Jh. große Fortschritte. Doch kommt es nicht mehr zu einem so spektakulären Umbruch und Einschnitt wie in der Bibliotheksentwicklung vom europäischen Mittelalter zur Renaissance. Jetzt handelt es sich um die Kontinuität einer soliden, zügigen Aufwärtsentwicklung. Die neuen weltlichen Bibliothekstypen der Renaissancezeit konsolidieren sich im Barock und werden durch die Aufklärung in den Dienst des wissenschaftlichen und auch des technischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritts genommen. Für die neuen Forschungsresultate, die neuen Informationsdaten, fixiert in den zahlreichen neuen Büchern, erschlossen durch die neuen Bibliographien, werden die Bibliotheken zu Sammelzentren und damit zu Stützpunkten der weiteren Forschung und des hier zuerst koordinierbaren Informationswesens. Bibliothekstypen: Hofbibliotheken; öffentliche wissenschaftliche Bibliotheken. Die Hofbibliotheken, schon in der Renaissance der wichtigste Bibliothekstyp, erreichen im Barock und Absolutismus ihre höchste Blüte und gelangen in ihrer Entwicklung vor allen andern Bibliothekstypen zu dominierender Präponderanz. Sie befinden sich in Harmonie mit der gesellschaftlichen und politischen Struktur des absolutistischen Zeitalters, das in allen Bereichen ganz auf den Hof und auf die Person der Landesherrn zugespitzt ist. Repräsentationsbedürfnis und Prestigestreben prägen weithin den äußeren Habitus der Hofbibliotheken, in der Größe der Sammlungen, dem Prunk der Räume, dem Luxus und der Bibliophilie der Einbandkunst. - Es wäre aber falsch, die Hofbibliotheken einseitig als höfisches Ornament und Dekor aufzufassen. Die Hofbibliotheken sind zugleich effektive Einrichtungen der Staatsräson. Als Regierungsbibliotheken sind sie Informationszentren des administrativen Apparates. Und für die am Hof zentrierte bzw. mit ihm kooperierende wissenschaftliche Forschung (vgl. oben S. 76 f.) bieten sie das unentbehrliche Arbeitsinstrument. Durch relativ starken Einsatz finanzieller Mittel und oft auch aufgrund »allerhöchster« Förderung sind die Hofbibliotheken die größten, bestandsreichsten Bibliotheken dieser Epoche. Viele wesentliche Neuerungen des Bibliothekswesens im 17. und 18. Jh. gehen von diesem Bibliothekstyp aus: feste Erwerbungsetats, ausreichendes hauptamtliches Personal, sinnvoll gegliederte Abteilungsstrukturierung, eigenständige Bibliotheksgebäude. Die meisten Hofbibliotheken erhalten jetzt auch das Pflichtexemplarrecht (»dipot l£gal«). Oft werden ihnen weitere Hof dienststeilen angeschlossen: die Hofbuchbinderei, das Hofkupferstecheramt, bisweilen auch die zentrale Zensurstelle, das Hofhistoriographenamt (Landesgeschichtliches Institut) und dieHofsammlungen (Bilder, Kunstgegenstände, Münzen, Kuriositäten usw.). Haben die angeschlossenen Sammlungen Umfang und
Bibliothekswesen
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Charakter eines Museums oder wird eine Forschungsstelle angeschlossen, so entsteht ein regelrechtes »Gesamtinstitut« (Mailand, London). - Im Laufe des 18. Jh. tritt bei vielen Hofbibliotheken eine Modifizierung vom reinen Hofinstitut zur öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek ein, mit (noch eingeschränkter) Gebrauchsöffentlichkeit auch außerhalb der Hofkreise. Übrigens werden auch im 17. und 18. Jh., wie schon in der Renaissancezeit, vereinzelt Großbibliotheken bzw. Gesamtinstitute von vornherein als öffentliche wissenschaftliche Bibliotheken gegründet (ζ. B. Biblioteca Ambrosiana, Mailand; Biblioth^que Mazarine, Paris; Britisches Museum, London). Bibliothekstypen: Stadtbibliotheken; öffentliche Bibliotheken. - Wie alle andern Bibliothekstypen im Zeitalter des Absolutismus, stehen auch die Stadtbibliotheken im Schatten der Hofbibliotheken. Die älteren Stadtbibliotheken, vor allem in Deutschland (mit dem politischen Hintergrund der Freien Reichsstädte, vgl. S. 6 j f.), seltener auch in Frankreich, streben, in kleinerem Maßstab, dem Vorbild der H o f bibliotheken nach. Wie diese aus Regierungs- und Schloßbibliotheken zu allgemeinwissenschaftlichen Hofbibliotheken, so wandeln sich die Büchersammlungen der Städte aus Behörden- und Ratsbibliotheken zu allgemeinwissenschaftlichen Stadtbibliotheken. Aber gerade diese an sich erfreuliche Wissenschaftlichkeit der Buchbestände, überdies weithin gebunden an die lateinische Wissenschaftssprache, schließt breitere Schichten der Stadtbevölkerung fast automatisch von der Nutzung der Stadtbibliotheken aus. Neben diesen werden somit öffentliche nichtwissenschaftliche Bibliotheken erforderlich, oder auch solche, die beiden Bedarfsebenen gleichzeitig Rechnung tragen. - Zugespitzt stellt sich diese Problematik in England und vor allem in den englischen Kolonien Nordamerikas. Hier war von Seiten der öffentlichen Hand besonders wenig für ein kommunales Bibliothekswesen getan worden. Darum entstehen gerade hier Selbsthilfeorganisationen: die »Subscription Libraries«, d. h. Lesegesellschaften bzw. Leseklubs, die auf der finanziellen Grundlage regelmäßiger Mitgliedsbeiträge Buchbestände zur Verfügung der Mitglieder anschaffen (früh ζ. B. in Boston, Philadelphia). Bewährt in den amerikanischen Kolonien, wird dies System im 18. Jh. auch im britischen Mutterland (früh ζ. B. in Liverpool) und nach dessen Vorbild auch vielerorts in Kontinentaleuropa übernommen. Nicht zuletzt unter dem Einfluß der Aufklärung und ihrer Volksbildungsbestrebungen. - Die Unzulänglichkeit der kommunalen Buchversorgung entdecken im 18. Jh. auch kommerzielle Unternehmen. Sie versuchen, diese »Marktlücke« mit privatwirtschaftlichen Methoden zu schließen. Mietbuchhandlungen (Leihbüchereien) und Lesezirkel entstehen in vielen europäischen Städten. In manchen Großstädten werden auch Kaffeehäuser so etwas wie öffentliche Lesehallen (ζ. B. in Wien, Hamburg, London, Paris), vor allem durch Auslage von Zeitungen und Zeitschriften, aber gelegentlich auch durch beschleunigte Buchbeschaffung (Eilsubskriptionsdienst auf Buchnovitäten). Bibliothekstypen: Universitätsbibliotheken, Hochschulbibliotheken. — Die Universitätsbibliotheken, schon in der Renaissance von wesentlich bescheidenerem Zuschnitt als die Hofbibliotheken, nehmen im Zeitalter des Absolutismus an deren
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Barock, Aufklärung
stürmischer Aufwärtsentwicklung nicht teil, sondern bleiben von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mit immer größer werdendem Abstand zurück. Im ganzen bieten die Universitätsbibliotheken ein deplorables Bild. Manche verfallen in völlige Stagnation. Doch gibt es auch einige positive Züge im universitären Bibliothekswesen des 17. und 18. Jh. Der Trend zur Errichtung von zentralen Universitätsbibliotheken (neben den Kollegienbibliotheken oder an deren Stelle), schon in der Renaissance wirksam, kommt jetzt zum Abschluß und setzt sich überall durch. Ferner wird es jetzt selbstverständlich, zentrale Universitätsbibliotheken bei jeder Universitäts-Neugründung gleich mitzuerrichten. Auch entstehen jetzt, zusammen mit den ersten Fach-Hochschulen der angewandten Naturwissenschaften (Technik, Bergbau, Veterinärmedizin) die ersten, noch bescheidenen Fach-Hochschulbibliotheken. - Vereinzelte europäische Universitätsbibliotheken erreichen übrigens auch das Höhenniveau der zeitgenössischen Hofbibliotheken: als große, gut ausgebaute Studienbibliotheken (Paris, Leiden), als Aufklärungsbibliotheken mit soliden Buchbeständen auch in den Naturwissenschaften und mit moderner Bibliotheksregie (Halle, vor allem Göttingen), als Pflichtexemplarbibliotheken (Leipzig), als öffentliche wissenschaftliche Bibliotheken (Oxford). Allerdings sind dies nur die großen Ausnahmen, die sich von der zeittypischen Mediokrität nur allzu grell abheben. Bibliothekstypen: Sonstige Bibliotheken. - Jetzt gewinnen auch die Spezialbibliotheken einen festen Platz im Bibliothekswesen. Im Laufe des 18. Jh. entstehen vielerorts Behördenbibliotheken, noch klein an Bestand, aber deutlich profiliert, fachbezogen, praxisorientiert. Durch den Strukturwandel der Hof- und Stadtbibliotheken (die nun nicht mehr in erster Linie Regierungs- und Ratsbibliotheken sind) und vor allem durdi den Ausbau und die Differenzierung der Verwaltung wird die Schaffung von eigenständigen Behördenbibliotheken dringlich; ζ. B. für Staatskanzleien, Finanz- und Domänenverwaltungen, Rentkammern, Stadtmagistrate, Justizbehörden und Obergerichte, Militärverwaltungen und Armeeoberkommandos. - Zu den Spezialbibliotheken des 18. Jh. gehören auch die Bibliotheken mancher Fachinstitute an den Universitäten (neben den neuen Zentralbibliotheken) und an den neu gegründeten Fach-Hochschulen für Ingenieure, Architekten, Bergwissenschaftler, Tierärzte, Armeeoffiziere u. ä. - Wo die Fachbibliotheken von der öffentlichen Hand nicht oder nicht ausreichend gefördert werden, entstehen im 18. Jh. Fach-Lesegesellschaften als Selbsthilfeeinrichtungen, analog den öffentlichen Lesegesellschaften (vgl. oben S. 81) organisiert, oft zugleich allgemein als Berufs- oder Fachvereinigungen (Advokatenvereinigungen usw.), besonders häufig mit juristischem, aber auch mit medizinischem und technischem Buchbestand, finanziert durch die Mitgliederbeiträge. - Unter den älteren Arten von Sonderbibliotheken erleben die Klosterbibliotheken ζ. T. eine neue Blüte, besonders unter dem Einfluß der Gegenreformation. Die Schulbibliotheken, in der Renaissance bereits mancherorts ins Leben gerufen und durch Reformation und Gegenreformation (Jesuiten) gefördert, nehmen unter dem Einfluß der Aufklärung an Zahl stark zu. Wichtige Einzelbibliotheken. — Zu den bedeutendsten europäischen Hof-, Stadtund Universitätsbibliotheken gehören weiterhin die schon in der Renaissancezeit
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vorhandenen (vgl. oben S. 66 f.). Wichtige Neugründungen bei den Hofbibliotheken sind: die kurfürstlichen und herzoglichen Bibliotheken in Berlin (Kurfürsten von Brandenburg, spätere Könige von Preußen), Hannover (Kurfürsten von Hannover, später zugleich Könige von Großbritannien), Mannheim (Ersatzgründung für die ehemalige Heidelberger Hofbibliothek der Kurfürsten von der Pfalz), Stuttgart (Herzöge von Württemberg); die Königlichen Bibliotheken in Kopenhagen und Stockholm; die Königliche Bibliothek in Madrid; die Kaiserliche Bibliothek in Petersburg. Von vornherein als öffentliche wissenschaftliche Bibliotheken werden gegründet: die Biblioteca Ambrosiana in Mailand (kirchenorientierte Stiftungsbibliothek) und die Biblioth^que Mazarine in Paris (Stiftungsbibliothek); später die Biblioteca Magliabechiana in Florenz (staatliche und Stiftungsbibliothek, heute Nationalzentralbibliothek), die Biblioteca Brera in Mailand (heutige Staatsbibliothek); die Bibliothek des Britischen Museums (staatliche und Stiftungsbibliothek, heute Teil der British Library); die Bibliothek der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Petersburg. - An den älteren Universitäten spielen jetzt eine hervorragende Rolle die Universitätsbibliotheken in: Paris (seit dem Mittelalter), Oxford (seit dem Mittelalter, im 17. Jh. reorganisiert) und Leiden (seit der Renaissance). Dazu kommen jetzt neue Universitäten mit Universitätsbibliotheken in allen Ländern Europas sowie erstmalig auch vereinzelt in Nordamerika und Rußland. Im deutschen Sprachgebiet gehören zu den Universitätsneugründungen zwischen 1600 und 1800 die Gegenreformations-Universitäten in Salzburg und Innsbruck (die sich den erst jetzt richtig zur Geltung kommenden älteren Gegenreformations-Universitäten in Würzburg und Graz zur Seite stellen). Protestantische Gründungen sind die Universitäten in Straßburg, Kiel und Gießen. Bibliotheksmäßig wichtige Aufklärungsuniversitäten sind: Halle, Göttingen und Erlangen. Bestände, Bestandsumfang. - Unter den Beständen der europäischen Bibliotheken nehmen jetzt die Druckschriften mit Abstand die wichtigste Stelle ein. Handschriften treten völlig in den Hintergrund und beginnen eine museale Rolle zu spielen. Daneben gehören aber auch andere Sammelobjekte zu den Bibliotheksbeständen: Landkarten (neben Atlanten), Bilder (Kupferstiche, Porträts, Städteansichten), Münzen, Sachgegenstände (u. a. Globen). - Im Laufe der Barock- und Aufklärungsepoche verzehnfachen sich die Bestandszahlen an Druckschriften, verglichen mit denen der Vorepoche. Lagen die Bestandszahlen der großen europäischen Bibliotheken in der Renaissance bei einigen tausend Bänden, für die Spitzenklasse bei einigen zehntausend, so klettern sie bis zum Ende des 18. Jh. für die größeren Bibliotheken auf mehrere zehntausend, in der Spitzenklasse auf hunderttausend, ja gelegentlich mehrere hunderttausend Bände. Räumlichkeiten, Gebäude, Aufstellung. — Der stark vergrößerte Bestandsumfang führt jetzt zum ersten Mal seit der Antike wieder zu selbständigen großen Bibliotheksgebäuden in Europa (zuerst in Wolfenbüttel 1723 und Wien 1726/27). Schon die Renaissance hatte, ebenfalls unter dem Druck des Bestandszuwachses, die Ausweitung der Bibliotheksdomizile von der Zimmergröße zur Saalgröße erlebt. Jetzt, im Zeitalter des Barock und der Aufklärung, haben alle größeren Bibliotheken
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Saalgröße erreicht, und viele sind zur Wandregalaufstellung übergegangen (vgl. oben S. 68), ζ. T. mit Emporen (Galerien), die auch das Wandobergeschoß als weiteren Stellraum ausnutzen. - Dieser Typ der Saalbibliothek, mit Wandregalen und Galerien, wird auch in das neu aufkommende selbständige Bibliotheksgebäude übernommen, das eigentlich nur ein ins Riesenhafte, auf Hausgröße, erweiterter Bibliothekssaal ist. Er erfüllt bis zu 90 % des Gesamtgebäudes und wird evtl. durch einige kleinere Nebenräume ergänzt: Extrazimmer für Handschriften und andere Zimelien, Büro für den Bibliotheksleiter, Raum für die Buchbinderwerkstatt. Alle andern Raumbedürfnisse werden vom Zentralsaal abgedeckt: Aufbewahrung des gesamten Druckschriftenbestands im Bereich der Regalwände und Galerien; Lesezone im Mittelteil des Saals; Raumanteil für die Bearbeitung (Arbeitstische der Bibliothekare). Der weitläufige Mittelbereich des Bibliothekssaals entspricht zugleich dem barocken Repräsentationsbedürfnis. Die sparsame Aufstellung von Leseplätzen oder lockere Placierung von Vitrinen, Globen und andern Schaustücken schafft eine gewollte Leere und damit ein Gefühl von Weite. Das barocke Raumgefühl wird durch großperspektivischen Durchblick auf die oft prunkvoll ausgestalteten Bücherwände wirkungsvoll untermalt. - Von den Varianten des Saaltyps verdient besonderes Interesse der »Wandnischen«-Typ, der in England entwickelt wird. Bei diesem Typ werden von den Regalwänden in regelmäßigen Abständen Querregale rechtwinklig in Richtung auf die Saalmitte gezogen. Dadurch entstehen Arbeitsnischen, die als Vorläufer der heutigen »Carrels« aufgefaßt werden können und den Lesern, aber auch den Bibliothekaren individuelle Arbeitsplätze schaffen (bedeutendstes Beispiel: Cambridge, Bibliothek des Trinity College). - Die Aufstellung der Bestände erfolgt, wie bisher, überwiegend systematisch, seltener alphabetisch oder nach Größe. Ein frühes Beispiel mechanischer Numerus-currens-Aufstellung (Mailand) bleibt isoliert und ohne Nachfolge. Innerbetriebliche Gliederung (Abteilungen). - Das zunehmende Größenwachstum der Bibliotheken macht allmählich organisatorische Gliederungsmaßnahmen erforderlich. Erste Ansätze zur Abteilungsbildung finden sich schon in der Renaissance. So gliedert die Vatikanische Bibliothek schon vor 1500 ihre Bestände in drei Sprachabteilungen (lateinische, griechische, hebräische Bücher), für deren Betreuung je ein sprachkompetenter Bibliothekar tätig wird (vergleichbar ζ. B. der orientalischen Abteilung mancher modernen europäischen Großbibliotheken). - Im 17. Jh. kommt die Gliederung auch nach Sammelobjekten auf: jetzt werden Handschriftenbände allgemein von den Druckschriften abgetrennt. In konsequenter Weiterbildung dieser Entwicklung erhebt im 18. Jh. die Königliche Bibliothek zu Paris die objektbezogene Abteilungsgliederung zum Organisationsprinzip. Sie schafft vier Abteilungen mit jeweils eigenen Beständen, eigenen Räumen, eigenen Katalogen und eigenem Spezialpersonal: für Druckschriften, Handschriften, Münzen und Bilder (Kupferstiche). - Eine arbeitsbereichorientierte Abteilungsstruktur (etwa im Sinne der modernen Akzession, Titelaufnahme u. ä.) ist zwar noch nicht ausgegliedert, zeigt sich aber doch in Ansätzen. Schon bei der Gliederung nach Sprachabteilungen und Sammelobjektabteilungen erhalten bestimmte Personen oder Personen-
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gruppen fest umrissene Arbeitszuständigkeiten in den Einzelabteilungen. Sodann entstehen aber auch erste spezielle Betriebsabteilungen durch Angliederung der Buchbinderei, der Kupferstecherei usw. - Im weiteren Sinne gehören auch die nichtbibliothekarischen Sonderabteilungen der Gesamtinstitute hierher (Zensurstelle, Forschungsstelle u. ä.). Bibliothekspersonal. - Zur Ausgliederung von Einzelabteilungen und zur Angliederung von Sonderabteilungen kommt es nur bei den Großbibliotheken, d. h. im 17. und 18. Jh. nur bei den Hofbibliotheken und gleichartigen öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken. Bei ihnen erfolgt deshalb auch eine stärkere zahlenmäßige Vermehrung und strukturelle Differenzierung des hauptamtlichen Bibliothekspersonals. Neben dem Leiter der Bibliothek (der meist den Titel »Bibliothekar« oder »Präfekt« führt) und evtl. einem stellvertretenden Leiter, gibt es mehrere weitere Bibliothekare (»Bibliothekssekretäre«), ferner Schreibkräfte und Bibliotheksdiener. Zum Personal gehören auch die Mitarbeiter der Sonderabteilungen und Werkstätten. Sind mit der Hofbibliothek oder öffentlichen wissenschaftlichen Großbibliothek andere Sammlungen, Museen oder Forschungsstellen verbunden, so gehören auch die Museumsbeamten bzw. Wissenschaftler zum Personal. Nur selten übernehmen die Wissenschaftler in solchem Fall bei der Buchanschaffung auch Referentenfunktion (Mailand). - Andere Bibliothekstypen müssen meist mit wenigem, nebenamtlichem Personal auskommen. Die Universitätsbibliotheken stehen noch generell unter der nebenamtlichen Leitung eines Professors, der den Bibliotheksbetrieb mit studentischen Hilfskräften abwickelt oder bestenfalls über einen hauptamtlichen Mitarbeiter verfügt. - Eine besondere bibliothekarische Berufsausbildung ist in dieser Epoche noch nicht üblich. Es gilt das Prinzip der beruflichen Einarbeitung, jedoch mit der Voraussetzung eines abgeschlossenen Universitätsstudiums sowie guter literarischer und allgemeinwissenschaftlicher Kenntnisse. Im 18. Jh. werden gelegentlich auch Eignungsprüfungen, evtl. im Wettbewerb mehrerer Kandidaten, zur Gewährleistung guter Qualifikation vor die Berufung vorgeschaltet. Seit Ende des 18. Jh. sind Befähigungsnachweise für Bibliothekare im staatlichen österreichischen Bibliothekswesen amtlich vorgeschrieben. - Die Berufung als Bibliotheksleiter erhalten meist renommierte Wissenschaftler, bereits ausgewiesen als erfolgreiche Privatwissenschaftler oder Universitätsprofessoren. Gegenüber einer Universitätsprofessur bietet das Amt des Präfekten einer Hofbibliothek den finanziellen Anreiz und das Sozialprestige einer Hofcharge, meist im Minister- bzw. Generalsrang (an der Vatikanischen Bibliothek im Kardinalsrang), mit dem Titel einer Exzellenz, häufig verbunden mit der Erhebung in den Adelsstand. Bibliothekstheorie. - Das hochdifferenzierte europäische Bibliothekswesen des Barock und der Aufklärung läßt, zum ersten Mal seit der Antike, wieder eine eigene Bibliothekstheorie entstehen. Nach vereinzelten frühen theoretischen Ansätzen der Renaissancezeit, veröffentlicht Anfang des 17. Jh. Gabriel N a u d i (später Leiter der Biblioth&que Mazarine in Paris) die erste, programmatische bibliothekstheoretische Schrift: »Advis pour dresser une biblioth^que« (1627; »Advis«: ältere Form für »avis« = Vorschlag, Gutachten, Mitteilung). In diesem schmalen, aber epoche-
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machenden Bändchen fordert er vor allem Planmäßigkeit beim Aufbau einer Bibliothek, gezielte Anschaffung aller wichtigen Schriften, universell aus allen Wissensgebieten und unter Einbeziehung auch ideologisch abweichender Richtungen (ζ. B. ketzerischer oder auf dem Index stehender naturwissenschaftlicher Schriften). Für den sorgsam ausgewählten Bestand empfiehlt er feste Ordnung der Aufstellung, zusätzliche Erschließung durch Kataloge (systematischer Sachkatalog, alphabetischer Verfasserkatalog) und Öffentlichkeit der Benutzung, d. h. freien Zugang für alle Interessenten zum Präsenz-Lesesaal (noch keine Regelausleihe). - Der zweite frühe Bibliothekstheoretiker ist Gottfried Wilhelm Leibniz (damals hauptamtlich Leiter der Hofbibliothek in Hannover und zugleich nebenamtlich der Hofbibliothek in Wolfenbüttel). Er formuliert seine bibliothekstheoretischen Prinzipien in Denkschriften und Eingaben an seine Landesherren sowie in seinem wissenschaftlichen Briefwechsel. Er knüpft vollinhaltlich an Naud£ an, bringt aber zahlreiche Ergänzungen und Erweiterungen. Die wissenschaftliche Bibliothek definiert er als allgemeine Schatzkammer des menschlichen Geistes. Alle originären Gedanken sollen in ihr als in einem Gedächtnis der Menschheit festgehalten werden. Deshalb muß sie die relevanten Schriften aller Wissensgebiete sammeln, gleichmäßig gestreut und ständig ergänzt durch die laufenden Neuerscheinungen. Für diese (über Naude hinausweisende) Anschaffungspolitik der Erwerbung der »Kernwerke« in »proportionierlicher Kontinuation« fordert Leibniz als finanzielle Grundlage einen festen jährlichen Anschaffungsetat. Der solchermaßen laufend ergänzte, aber auch durchforstete Bestand (bloße Zahlenfülle oder Ansammlung von Raritäten gehört nicht zu den Zielvorstellungen) soll im Sinne von N a u d i in feste Ordnung und Aufstellung gebracht und durch Kataloge erschlossen werden. Für die Benutzung proklamiert Leibniz, über N a u d i hinaus, den T y p der modernen öffentlichen wissenschaftlichen Gebrauchsbibliothek: nicht allein mit Gebrauchsöffentlichkeit für alle Interessenten und vollem Zugang zum Präsenz-Lesesaal, sondern vor allem mit einer (bis dahin fehlenden) liberalen Ausleihe außer Hauses. Aber auch für die (bis dahin meist nur teilzeitliche) Präsenzbenutzung sieht Leibniz materielle Verbesserungen vor: generelle tägliche Öffnung, lange Öffnungszeiten, Öffnung auch im Winter (mit entsprechenden Vorkehrungen für Heizung und Beleuchtung). Im 18. Jh. werden die bibliothekstheoretischen Erwägungen und Untersuchungen weitergeführt und schließlich mit den Fächern Buchkunde, Bibliotheksgeschichte und Bibliographie durch Michael Denis in Wien zur Bibliothekswissenschaft zusammengefaßt. Ebenfalls in Wien und gegen Ende des 18. Jh. bringt Franz Stephan Rautenstrauch, amtlich beauftragter österreichischer Bibliothekspolitiker, viele der bisher erarbeiteten bibliothekstheoretischen Neuerungen in den Aufbau des nunmehr gesamtstaatlich zentralisierten österreichischen Bibliothekswesens ein. - Beachtung verdient auch die frühe programmatische Forderung nach Errichtung von öffentlichen Büchereien für breitere Volksschichten in allen größeren Gemeinden, die der schottische Geistliche James Kirkwood.noch Ende des 17. Jh. erhebt und bibliothekstheoretisch unterbaut (in mehreren Schriften, u. a. »Overture for Founding and Maintaining of Bibliotecks in every Paroch throughout the Kingdom«, 1699, bezogen auf Schottland, aber von allgemeiner Bedeutung).
Bibliotheksbetriebswesen D 2.4. Bibliotheksverwaltung,
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Bestandsaufbau (Erwerbung): Allgemeines. - Durch die Vervielfachung der Buchproduktion, die Differenzierung der Schriftengattungen, die Ausweitung der Wissenschaften und unter dem Einfluß der Aufklärung und der Bibliothekstheoretiker verändern sich im 18. Jh. allmählich Inhalte und Methoden der Bucherwerbung. Allerdings kommt es nicht mehr zu einem solchen Umbruch wie in der Renaissancezeit gegenüber dem Mittelalter durch Erfindung des Buchdrucks. Es handelt sich jetzt mehr um Akzentverlagerungen und Nuancenverschiebungen. Inhaltlich erhalten die neue Philosophie, die Naturwissenschaften, selbst Technik und Kameralistik größeren Anteil am Bestand. Methodisch tritt jetzt die gezielte, fächermäßig ausgewogene, an den Neuerscheinungen orientierte, kontinuierliche Buchanschaffung in den Vordergrund und löst die Zufallsanschaffung nach Neigung und die fallweise Übernahme von Privatbibliotheken weithin ab. Bestandsaufbau: Kaufzugang. - Grundlage gezielter, kontinuierlicher Anschaffungspolitik wird der feste jährliche Bibliotheksetat: ein kontinuierlich für regelmäßige Zeiträume jeweils im voraus zur Verfügung stehender und verplanbarer fester Anschaffungsbetrag. — Schon die Renaissance hatte einzelne avantgardistische Versuche mit Anschaffungs-Vorausbeträgen erlebt (vgl. oben S. 70). Doch ließ die damalige Struktur des Finanzwesens feste Etats generell noch nicht zu: die Staatseinnahmen verblieben noch unzentralisiert bei den einnehmenden Kassen (Steuerkassen, Zollkassen, Monopolverwaltungskassen, Bergwerkskassen, Domänenkassen usw.); die Staatsausgaben wurden in Einzelposten jeweils von Fall zu Fall einzelnen Einnahmekassen zur Auszahlung zugeteilt (mit starken Risiken, bedingt durch fluktuierenden Kassenstand). Erst als die europäischen Staaten im Laufe des 17. und 18. Jh. zu zentralisierter Finanzverwaltung übergehen (mit zentraler Einnahmen- und Ausgabenplanung sowie gesamtstaatlicher Deckungsfähigkeit aller Einnahmen und Ausgaben) wird der Etat (Budget, Haushalt) zur festen Einrichtung für alle Zweige der Staatsverwaltung. Von da an datiert auch das Zeitalter fester Bibliotheksetats in Europa. Bestandsaufbau: Andere Zugangsarten. - Der Zugang durch Pflichtexemplare oder Belegexemplare, vereinzelt bereits in der Renaissance eingeführt, wird im 17. und 18. Jh. häufiger üblich. Die Einziehung der Exemplare erfolgt meist durch die staatlichen Zensur- und Privilegstellen, mit anschließender Weitergabe an die entsprechende Depotbibliothek, in der Regel an die Hofbibliotheken und großen öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken, bisweilen auch an Universitätsbibliotheken und Stadtbibliotheken. Im damaligen Deutschland entstehen jetzt (neben dem älteren Belegexemplar der Frankfurter Bücherkommission für die Kaiserliche Bibliothek in Wien) auch Pflichtexemplarrechte in den Einzelstaaten: zuerst in Österreich (Kaiserliche Bibliothek in Wien, ab 1608) und in Sachsen (Universitätsbibliothek Leipzig, ab 1615). - Neben dem Kauf- und Pflichtzugang nimmt der Tausch- und Geschenkzugang nur einen geringen prozentualen Anteil am Gesamtzuwachs ein, spielt aber eine gewisse Rolle. - Der Zugang durch Kriegsbeute und
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Barock, Aufklärung
Konfiskation gewinnt im 17. und 18. Jh. zeitweilig sehr große Ausmaße: so ζ. B. im Dreißigjährigen Krieg (u. a. Schwedenbeute) und am Schluß des 18. Jh. durch die große Säkularisationswelle mit der Aufhebung des Jesuitenordens (1773) und der Auflösung von einigen tausend Klöstern anderer Orden (österreichische Gesamtlande 1782, Frankreich 1789, Bayern 1803), insgesamt mit einem Eigentumswechsel von mehreren Millionen Bänden. Erschließung, Katalogisierung. - Der ständig steigende Bestandsumfang der Bibliotheken macht im 17. und 18. Jh. die katalogmäßige Erschließung zu einem aktuellen Anliegen. In der Renaissance hatte für viele Bibliotheken noch die bloße grobsystematische Aufstellung der Bücher zum Zurechtfinden genügt. Kataloge waren zwar trotzdem meist schon vorhanden, hatten aber praktisch Inventarfunktion. Oft waren sie, der Buchaufstellung folgend, zugleich Standortkatalog und grobsystematischer Fachgruppenkatalog. Ohne einschneidende Veränderungen wird diese Form des standortbezogenen Sachkatalogs in die neue Epoche übernommen, umfangmäßig erweitert, neuen Gliederungsprinzipien angepaßt und für viele große Bibliotheken jetzt als hauptsächliches Erschließungsinstrument (nicht mehr nur als Inventar) eingesetzt. Allmählich verfeinern sich die grobsystematischen Sachkataloge zu »echten« feingegliederten systematischen Katalogen (vorbildlich: Göttingen, Mitte des 18. Jh.). - Vereinzelt kommen auch schon erste Schlagwortkataloge (alphabetische Sachkataloge) vor. Alphabetische Verfasserkataloge oder wenigstens alphabetische Verfasserregister zu den systematischen Katalogen finden sich bereits häufig. - Die Bibliothekstheoretiker des 17. Jh. befassen sich ausführlich mit dem Katalogproblem. Neben dem systematischen Sachkatalog und dem alphabetischen Verfasserkatalog (die alle Theoretiker befürworten) werden mehrere Ergänzungskataloge empfohlen bzw. geschaffen (gegliedert nach Wirkenszeit, geographischer Herkunft und Religionszugehörigkeit der Autoren oder zeitlichem und geographischem Bezug der Buchinhalte). - Rein äußerlich wird der Katalog normalerweise in Buchform angelegt. Für große Bibliotheken umfaßt er viele Bände und erscheint jetzt häufig in gedruckter Form. Der Zettelkatalog fehlt zunächst noch ganz und tritt dann zuerst in einer Obergangsform auf: noch nicht in Kapsel- oder Karteiform, sondern in Albumform (nach Art moderner Postkarten-Einsteckalben; zuerst in Hannover, Anfang des 18. Jh.). Bis zum Ende der Epoche gibt es auch erste Anläufe zur modernen Form des Zettelkatalogs (Wien: Universitätsbibliothek; Paris: Zentralnachweis des Revolutions-Beschlagnahmegutes). - Signaturen fehlen noch weithin, werden aber im Laufe der Epoche an manchen Bibliotheken und mit verschiedenen Varianten eingeführt: ζ. B. als Individualsignaturen für alle Einzelbücher (Mailand), als enge feinsystematische Signaturen nach den engsten Fachstellen der Katalogsystematik (Göttingen) oder auch nur als grobe Gruppensignaturen. Benutzung. - Im Zeitalter des Barock und der Aufklärung treten neue Leserschichten zu den bisherigen hinzu. Auch die bisherigen Leserschichten vergrößern sich zahlenmäßig (Verwaltungsbeamte, Höflinge, Wissenschaftler, Professoren, Studenten). Aber die Intensivierung des Bildungswesens unter dem Einfluß der Aufklä-
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rung, die partielle Einführung der Schulpflicht, die Entstehung von Lesegesellschaften und die gelegentliche Gründung öffentlicher Büchereien läßt breitere Schichten des Bildungsbürgertums, ja des Handwerkerstandes zu echten Leserschichten aufsteigen. - Bei den wissenschaftlichen Bibliotheken jedoch bleibt die Benutzung auch im Barock noch weithin exklusiv. Aber es bahnt sich mit einigen und allmählich zahlreicheren Ausnahmen ein deutlicher Trend zu größerer Benutzungsfreundlichkeit an. Bald nach 1600 führen einige avantgardistische Musterbibliotheken benutzungspositive Regelungen ein: generellen Zugang für alle wissenschaftlich Interessierten und Qualifizierten, häufige Ö f f n u n g mit langen Öffnungszeiten (Mailand, Oxford). Die Bibliothekstheoretiker versuchen, diesen Verbesserungen allgemeine Anerkennung zu verschaffen. Tatsächlich übernehmen bis zum Ende der Epoche etliche Hofbibliotheken die Funktionen einer öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek. Das kann sich auch in programmatischer Umbenennung ausdrücken (ζ. B. »Königliche öffentliche Bibliothek«, 1720 in Hannover). Auch einige Stadtbibliotheken ziehen entsprechend nach. — N o c h sind diese Benutzungsverbesserungen aber nicht allgemein. V o r allem gibt es fast nirgends eine institutionalisierte öffentliche Ausleihe außer Hauses, d. h. einen Ausleihanspruch seitens der Leser. Eine singuläre und epochemachende Ausnahme bildet die Universitätsbibliothek Göttingen, die Mitte des 18. Jh. für alle eingeschriebenen Leser (auch Studenten) die regelrechte Ortsausleihe einführt. - Für die Fernleihe fehlt ein solches Vorbild in dieser Zeit. Sie bleibt weiterhin auf Einzelfälle beschränkt, erhebt sich nicht zu einer regulären Einrichtung. A u f s Ganze gesehen, wird im 17. und 18. Jh. noch kein Durchbruch zur generellen Benutzungsöffentlichkeit erzielt. Aber der Gedanke der öffentlichen und liberalen Benutzung wird als Zielvorstellung ins Bewußtsein gehoben. Ein Wandel des Bibliotheksbewußtseins bahnt sich an, der im 19. und 20. Jh. zur modernen Gebrauchsbibliothek führen wird.
D 3. Industriezeitalter (19./20. Jh.) D 3.1.
Zeitsituation
Allgemeines. - Die Entwicklung und Ausbildung der modernen Industriegesellschaft bringt auf allen Lebensgebieten tiefgreifende Veränderungen. Dennoch ist es kein völliger Umbruch, sondern viele der neuen Strukturen, Bedingungen und Zuständlidikeiten sind durch die wissenschaftliche, technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des 17. und 18. Jh. vorbereitet worden und innerhalb der alten Gesellschaft herangereift. Zwischen die alte und die neue Epoche schiebt sich eine Übergangsperiode von der französischen Revolution bis zur Biedermeierzeit. Von da an gewinnt die moderne Industriewelt jene Gestalt, die uns, bei aller ständigen Weiterbildung und Modifizierung, in den Grundzügen bis heute vertraut geblieben ist, und die durch den immer stärkeren Einsatz technischer Hilfsmittel
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die menschlichen Möglichkeiten (und auch Risiken) vervielfacht und bis in gigantische Ausmaße gesteigert hat. Staat. — A u f dem staatlichen Sektor bedeutet die Französische Revolution (1789) einen Wendepunkt. Sie leitet über zu einer im 19. Jh. noch langsamen, im 20. Jh. beschleunigten Entwicklung der Volksteilhabe an der Staatsmacht, in vielen Fällen verbunden mit dem Übergang zur republikanischen Staatsform, in Fällen beibehaltener Monarchie begleitet von deren Umwandlung zu konstitutioneller Rechtsstaatlichkeit. - Für das System der europäischen Staatenwelt endet die alte Epoche mit dem Verschwinden des alten Römischen Reiches Deutscher Nation (1806), das durch viele Jahrhunderte (zuletzt nur noch ideell, nicht mehr realpolitisch) das Prinzip innereuropäischer Supranationalität repräsentiert hatte. Die schon seit längerer Zeit vordringende nationalstaatliche Idee erfährt jetzt ihre konsequente Zuspitzung und beherrscht die innereuropäische Politik im 19. und in der ersten H ä l f t e des 20. Jh. In dieser Zeit entstehen mehr als ein Dutzend neuer europäischer Nationalstaaten. - Die heftigen Interessenkämpfe der europäischen Großmächte münden Mitte des 20. Jh. in die machtpolitische Erschöpfung des alten Europa, das die politische Führungsrolle in der Welt ziemlich abrupt an die beiden neuen Supermächte Nordamerika (USA) und Rußland (Sowjetunion) abgeben muß. Diese Entwicklung, ζ . T. eine Folge der einzelstaatlichen Zersplitterung und des Mangels an Solidarität innerhalb Europas, schärft das europäische Zusammengehörigkeitsbewußtsein und führt zu energischen europäischen Einigungsbestrebungen (Europäische Gemeinschaft). - Die außereuropäischen Gebiete und Völkerschaften, in der vorigen Epoche nur zum Teil erschlossen, erlangen ab 1800 zunehmende Bedeutung. Mit weiten vormaligen Kolonialgebieten gewinnt der europäisierte Staat der U S A die territoriale Grundlage seiner Großmachtstellung. Ähnlich verstärkt das europäische Rußland sein Großmachtgewicht durch riesige Kolonialgebiete in Nord- und Zentralasien (die, weithin schon in der Vorepoche erworben, im 19. Jh. erschlossen und in der sowjetischen Ä r a bundesstaatlich integriert werden). Der westeuropäische (einzelstaatliche) Kolonialismus, schon aus der Vorepoche überkommen, potenziert sich im 19. bis zum A n f a n g des 20. Jh. zu einem weltweiten, weltaufteilenden Kolonialimperialismus, der erst Mitte des 20. Jh. abbricht. Er hinterläßt, neben den Folgen wirtschaftlicher Ausbeutung, auch einiges an technischen und zivilisatorischen Errungenschaften, das den neuen, meist unterentwickelten Staaten als Ausbaugrundlage dient. - Eine Sonderstellung nimmt Ostasien ein, das im 20. Jh. machtpolitisch (China) und ζ. T. auch wirtschaftlich (Japan) Großmachtstellung gewinnt. Gesellschaft. — Auch soziologisch bedeutet die Französische Revolution ein Signal: die Ablösung der alten Feudalmächte durch das aufstrebende Bürgertum. Die politische Macht des Adels hatte schon der absolutistische Fürstenstaat gebrochen. Im Industriezeitalter verliert der Adel auch die wirtschaftliche Vormacht, die jetzt an das Bürgertum übergeht. Die gesellschaftlichen Adelsvorrechte werden im 19. Jh. eingeengt und gehen im 20. Jh. mit der Aufhebung des Adels in den Republiken ganz unter. - Neben das Bürgertum, als Träger der wirtschaftlichen Kapital- und
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Finanzmacht, schiebt sich mit zunehmendem Umfang und Gewicht die Arbeiterschaft. In der industriellen Ausbauphase des 19. Jh. rücksichtslos ausgebeutet und ζ. T. verelendet, erkämpft sie sich, in ζ. T. heftigen Sozialkämpfen und unter aktiver Führung der Gewerkschaften, allmählich bessere Bedingungen. Im Laufe des 20. Jh. wächst die Arbeiterschaft in den Industriestaaten mit andern Berufsgruppen zu einer relativ homogenen Arbeitnehmerschaft zusammen, die in der modernen Industriegesellschaft die zahlenmäßig bedeutendste Gruppe bildet. - Das Bauerntum, in der Vorepoche noch die volkreichste Schicht, geht zahlenmäßig extrem zurück. Die Abwanderung aus den Agrarberufen in die Industrieberufe, vom Lande in die industriellen Ballungszentren, läßt den Anteil der ländlichen Bevölkerung in den Industriestaaten im Laufe der Epoche von 80-90 % auf 10-20 °/o zurücksinken (jedoch bei gleichzeitiger Steigerung der Agrarproduktion infolge intensiven Maschineneinsatzes). - Eine weitere einschneidende Veränderung gegenüber jahrhundertealten Verhältnissen bedeutet die Emanzipation der Frau, mit gravierenden rechtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und berufsstrukturellen Konsequenzen. Wirtschaft, Technik. - ökonomischer Zentralbereich wird im 19. und 20. Jh. die Industriewirtschaft. Die Technisierung greift aber auch auf alle andern Wirtschaftszweige über. Grundlage dieser Entwicklung, die sich schon in der Vorepoche anbahnt, wird der generelle und durchgängige Einsatz von Maschinen auf allen Wirtschaftsgebieten. Eine zweite, nicht weniger wesentliche Grundlage wird die Erschließung neuer Großenergiequellen (Kohle, Erdöl, Großwasserkraft, Kernenergie und sekundär Dampfkraft, Elektrizität und Gas). Erst die Kombination des modernen Energiewesens mit dem modernen Maschinenwesen schafft die technologischen Voraussetzungen für die industrielle Großproduktion der Gegenwart. - Der systematische Einsatz der Wissenschaft im Dienst von Technik und Wirtschaft, die laufende Auswertung neuer Erfindungen und planmäßiger Forschungen, eine ständige Rationalisierung und Spezialisierung, die Vervollkommnung und Verfeinerung der Fertigungsabläufe, die Anwendung immer effektiverer Methoden und differenzierterer Organisationsformen, schließlich die Automation und elektronische Steuerung - das alles führt zu einer Industriekapazität und -Produktivität, die auf vielen Gebieten Produktionssteigerungen enormen, bisher unvorstellbaren Ausmaßes erzielt, die die Etablierung immer neuer Produktions- und Wirtschaftszweige ermöglicht und die auch außerhalb der eigentlichen Produktionsbereiche durchgreifende Veränderungen bringt (Verkehrswesen, Telekommunikation usw.). - Das technische Zeitalter prägt die moderne Großstadtzivilisation, bewirkt die Urbanisierung ausgedehnter Ballungsräume und führt sogar zu einer gewissen Verstädterung auch der ländlichen Gebiete. Liberalismus, Sozialismus. - Die großen wirtschaftlichen Veränderungen des Industriezeitalters und die durch sie aufgeworfenen Probleme finden von Anfang an ihren Niederschlag in neuen nationalökonomischen Theorien. Am einflußreichsten sind Liberalismus und Sozialismus auf diesem Gebiet hervorgetreten. Beide haben ihre Wurzeln in der Aufklärung. - Der Liberalismus proklamiert die »freie Wirt-
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schaft« (Adam Smith, noch Ende des 18. Jh.). Der privatwirtschaftliche freie Wettbewerb, mit seinem Instrumentarium von Konkurrenzdruck und Koppelung des Unternehmerprofits an das beste und preisgünstigste Leistungsangebot, soll bedarfsorientierte Versorgung und größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzen für die Gesamtgesellschaft gewährleisten. - Unter Hintansetzung des gesellschaftlichen Nutzens überspitzt der Liberalextremismus des 19. Jh. (»Manchestertum«) das private Profitstreben. Der Neo-Liberalismus des 20. Jh. findet durch neuerliche Sozialorientierung wieder zu ausgewogenerer Wirtschaftspolitik (»Soziale Marktwirtschaft«), - Der Sozialismus gewinnt Profil in der Auseinandersetzung mit dem Manchestertum des 19. Jh. und fordert die Vergesellschaftung des Wirtschaftseigentums, u. a. aus prinzipiellen Gründen: die fortschreitende Arbeitsteilung ersetzt den individuellen durch einen kollektiven Arbeitsprozeß; analog soll sich die bisherige individuelle in eine angepaßt kollektive Eigentumsstruktur umwandeln (Karl Marx). Marx analysiert auch den fortschreitenden Trend zur Kapitalkonzentration (Großbetriebe, Wirtschaftsketten), der im Endstadium zur Monopolbildung führen muß und damit zur Aufhebung der regulativen Automatik des Smithschen Wirtschaftswettbewerbs. Dies ist für Marx der Zeitpunkt zur Umwandlung des wirtschaftlichen Privateigentums in Gemeinschaftseigentum. - Zwei nach-marxsche Richtungen des 20. Jh. orientieren sich vorab an der Gegenwart. Revisionismus und Leninismus. Der Revisionismus versucht durch Sozialgesetzgebung, Tarifpolitik und Gewerkschaftskampf einen angemessenen Anteil am Bruttosozialprodukt für die Arbeitnehmerschaft zu sichern und durch staatliche Kontrollen der Monopolbildung entgegenzuwirken. - Der Leninismus proklamiert die möglichst baldige Vergesellschaftung (Verstaatlichung) des Wirtschaftseigentums (in industriell zurückgebliebenen Ländern sogar noch vor dem vollen Ausbau der Industrialisierung: Rußland 1917). - Auch in andern Bereichen des öffentlichen Lebens macht sich der Einfluß von Liberalismus und Sozialismus im 19. und 20. Jh. fühlbar. Der Liberalismus wird zur treibenden Kraft bei der Ablösung der absoluten Monarchie und aller feudalstaatlichen Überbleibsel sowie bei der Durchsetzung der Menschenrechte, der staatsbürgerlichen Freiheiten und des Verfassungs- und Rechtsstaats. Der Sozialismus fördert die Entstehung des Sozialstaats und die allgemeine Demokratisierung. Kultur und Geistesleben im Industriezeitalter. - Kennzeichnend für das Geistesleben im Industriezeitalter ist, neben der Weiterentwicklung zu immer größerer Differenziertheit, die immens erweiterte und verbreiterte Kulturteilhabe aller gesellschaftlichen Schichten. - Zu dieser Entwicklung trägt der Ausbau der Volksbildung und des Schulwesens wesentlich bei. Nach den energischen Anstrengungen der Aufklärungszeit gilt jetzt die allgemeine Schulpflicht in allen Industriestaaten. Das Analphabetentum, jahrtausendelang symptomatisch für die Bevölkerungsmajoritäten, ist in den Industriestaaten erstmals vollständig überwunden. Ein Anschlußund Aufbau-Schulsystem auf allen Ebenen und Sektoren mündet in die allgemeine Volksbildung, Fortbildung und Erwachsenenbildung, mit Volkshochschulen und unter wesentlicher Einbeziehung öffentlicher Büchereien. - Für weite Bevölkerungs-
Zeitsituation
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schichten schaffen erst die sozialpolitischen Errungenschaften des 20. Jh. die Voraussetzungen zu größeren, intensiveren Kulturkontakten: Massenwohlstand, Verringerung der physischen Arbeitslast (durch massiven Maschineneinsatz), Vergrößerung der disponiblen Freizeit (vom Zehn- und Zwölf-Stunden-Arbeitstag des 19. Jh. zum Acht-Stunden-Arbeitstag des 20. Jh.). - Durch vermehrten Einsatz materieller und finanzieller Mittel der öffentlichen Hand verbreitert und vervielfacht sich das Angebot kultureller Möglichkeiten. In allen größeren Städten der Industriewelt entstehen im 19. und 20. Jh. öffentliche, staatliche, städtische, private Theater, Konzerthallen, Museen, Büchereien, Kulturzentren. - Und deren Einfluß ergänzen, überlagern und vervielfachen im 20. Jh. die publizistischen und audiovisuellen Mittel der modernen Massenmedien: die Presselawine der Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierten; die audio-visuelle Allgegenwärtigkeit von Film, Rundfunk und Fernsehen; die Wiederholbarkeit der Bild- und Tonkonserven von Dia, Schallplatte und Tonband (die jedes Stück von jedem Kulturteilnehmer an jedem Ort zu jeder Zeit reproduzierbar machen). - Die Inhalte der modernen Massenkultur, gegenüber der exklusiven Preziosität im 17. und 18. Jh. weithin versachlicht und entfeinert, sind gleichzeitig von der grandiosen Vielfalt eines atomisierten Pluralismus und der manipulierten Gleichschaltung zur Massenuniformität geprägt. Wissenschaft (Allgemeines). - Das Industriezeitalter wird das eigentliche Wissenschaftszeitalter schlechthin. Hatten das 17. und 18. Jh. den Durchbruch und die Formierung vieler moderner Wissenschaften gebracht (vgl. oben S. 75 f.), so erleben das 19. und 20. Jh. volle Auffaltung und stürmische Höhenentwicklung auf allen Wissenschaftsgebieten und die Verwissenschaftlichung fast aller Lebensbereiche. Die Naturwissenschaften, schon in der Vorepoche die eigentliche Triebkraft der wissenschaftlichen Vorwärtsentwicklung und der Verfeinerung der Forschungsmethoden, gehen jetzt vollends in Führung und rücken ins Zentrum aller wissenschaftlichen Bestrebungen. Ihre Übertragung auf Technik, Industrie, Landwirtschaft und Medizin (»angewandte Wissenschaften«) bildet die Grundlage der modernen Zivilisation des Industriezeitalters und wird die folgenreichste Leistung in der bisherigen Wissenschaftsgeschichte. - Die daraus resultierenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen stimulieren die Ausbildung der Wirtschaftsund Betriebswissenschaften, der Soziologie, Politologie, Psychologie und Pädagogik. Auch die konventionellen Geisteswissenschaften erfahren tiefgreifende Umgestaltung, mit der Etablierung eines ganzen Spektrums neuer Spezialwissenschaften (ζ. B. für die historischen und philologischen Fächer, für die allgemeine Linguistik und Literaturwissenschaft und für alle Einzelsprachen und -literaturen, für die Künste, die Kulturanthropologie). - Unübersehbar ist der Trend zu ständig fortschreitender Spezialisierung, die andererseits interdisziplinäre Fächer ins Leben ruft. - Zur Etablierung der Wissenschaften gehören jetzt auch feste organisatorische Formen: Lehrstühle an den Universitäten, Forschungsinstitute, Forschungs- und Förderungsgesellschaften, berufsständische Interessenvertretungen, Kongreßveranstaltungen, Fachzeitschriften und Fachbibliographien, Publikationsreihen u. ä.
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Industriezeitalter
Universitäten, Hochschulen. - Wilhelm v. Humboldt entwickelt Anfang des 19. Jh. eine neue Universitätskonzeption, nach der die Forschung voll in die Universität integriert und zu deren festem und dauerndem Arbeitsauftrag erhoben wird. Auch in früheren Epochen fand an den Universitäten Forschung statt. Aber doch nur am Rande, nebenher. Der eigentliche Universitätszweck bestimmte sich durch die Lehre. Erst an den Aufklärungsuniversitäten gewinnt Forschung größere Bedeutung. Von ihnen führt die Entwicklungslinie zu Humboldts Mustergründung der Berliner Universität (1810), deren doppelten Arbeitsauftrag Lehre und Forschung gleichgewichtig bilden. Im 19. und bis ins 20. Jh. hinein übt die Humboldtsche Universitätskonzeption starken Einfluß auf das Universitätswesen vieler Kulturstaaten aus. - Inhalte und Strukturen von Lehre und Forschung passen sich im 19. und 20. Jh. weitgehend dem tatsächlichen Wissenschaftsstand an. Das bedeutet starke Vermehrung und Differenzierung der Lehrfächer und Institute, Umverteilung in neue ausgeweitete Fakultäten (19. Jh.) und zahlreiche Einzel-Fachbereiche (20. Jh.). Nach frühen Ansätzen der Vorepoche entstehen jetzt in allen Industriestaaten auch zahlreiche Technische und andere Spezialhochschulen. In manchen Ländern ausgebaut zu Volluniversitäten (mit nicht-technischen neben den technischen Fachbereichen), in andern als Spezialuniversitäten weitergeführt. - Kennzeichnend für den immens gestiegenen Bedarf der Industriegesellschaft an höchstqualifizierten Arbeitskräften sind die starke Zunahme der Universitäten und die Vervielfachung der Studentenzahlen. Forschung. - Forschung wird im Industriezeitalter zur zentralen Aktivität des gesamten Wissenschaftsbetriebes. Die Organisierung, Koordinierung und Institutionalisierung der Forschung durch Forschungsakademien (Akademien der Wissenschaften), im Barock- und Aufklärungszeitalter zuerst entwickelt, setzt sich jetzt in allen Industrieländern durch. Im Kern eine wissenschaftliche Gesellschaft, als Gremium führender Fachwissenschaftler der wichtigen Disziplinen, werden die Akademien der Wissenschaften ergänzt durch ζ. T. zahlreiches hauptamtliches Forschungspersonal und eine Kette von spezialisierten Forschungsinstituten, die vielfach der Akademie, als Dachorganisation, direkt angeschlossen sind, aber auch in autonomer Institutsorganisation neben und parallel zu den Akademien bestehen können (ζ. B. die deutsche Max-Planck-Gesellschaft). - Neben den Akademien der Wissenschaften, als den eigentlichen Forschungszentralen, nehmen die Universitäten und Hochschulen jetzt einen wichtigen Platz im Forschungswesen des 19. und 20. Jh. ein (vgl. oben). - Zunehmend vorrangige Bedeutung gewinnt auch die Industrieforschung, geleistet in den wirtschaftseigenen Forschungsstätten der Großbetriebe, häufig in vertraglicher Partnerschaft mit Hochschulinstituten. — Der materielle, finanzielle und personelle Einsatz zur Förderung von Wissenschaft und Forschung erreicht im 20. Jh. Rekordzahlen. Um 1920 sind, in allen Kulturstaaten zusammengenommen, rd. 100 000 Personen im Dienst von Wissenschaft und Forschung tätig (Wissenschaftler und Hilfspersonal); um 1970 hat deren Zahl insgesamt Millionenvolumen erreicht.
Informationswesen
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D 3.2. Informations- unnd Buchwesen Informationswesen. - Der gewaltige Aufstieg der Wissenschaften, der Technik und Wirtschaft im Industriezeitalter, der lawinenartige Anstieg der Forschungen und Publikationen, die Verzehn-, ja Verhundertfachung der Zahl der Autoren und Leser, der Kultur- und Zivilisationsteilnehmer, die unübersehbare Flut von Informationsdaten aller Art - das alles läßt die bisherigen Formen der Informationsbewältigung, Informationsverbreitung und Informationserschließung unzulänglich werden. Die Anforderungen der durch die allgemeine Verwissenschaftlichung und den allgemeinen Maschineneinsatz hervorgerufenen Situation kann auch das Buchund Bibliothekswesen nur durch eigene Verwissenschaftlichung und durch eigenen Maschineneinsatz meistern. - Die erste Phase der »Industrialisierung« auch des Buch- und Bibliothekswesens ist im 19. Jh. die Mechanisierung der Buchherstellung, die aber ihrerseits zum erneuten Anstieg der Publikationszahlen mit beiträgt. Eine weitere Phase bedeutet das Emporwachsen der Publizistik, des Zeitungs- und Zeitschriftenwesens, der Massenpresse. Auf dem Forschungssektor läuft parallel dazu die allmähliche Verlagerung der Publizierung der Forschungsergebnisse von den Monographien weg in die wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätze. - Der Einsatz der außerdrucklichen Massenmedien (Rundfunk, Fernsehen) im Dienst genereller Informationsverbreitung, die Entwicklung der Telekommunikation für Zwekke individueller Informationsübermittlung (Telegraph, Telefon, Funk), die Einbeziehung neuer Medien und die Anwendung neuer Methoden bei der Informationsspeidierung, -erschließung und -abrufung (audio-visuelle Medien, EDV, Dokumentation) lassen das herkömmliche Buch- und Bibliothekswesen mit andern neuen Zweigen der Informationsbewältigung zum allgemeinen Informations- und Kommunikationswesen zusammenwachsen. Buchdruck. - Die Industrialisierung der Buchproduktion setzt Anfang des 19. Jh. ein. Nach verschiedenen Neuerungen und Rationalisierungen schon vor 1800, erfolgt die durchgreifende Umstellung mit der Erfindung der Zylinderdruckpresse durch Friedrich König 1 8 1 1 / 1 2 . König entwickelt seine Konstruktion später zur Schnelldruckpresse mit ständig rotierenden Zylindern. Von hier führt die Weiterentwicklung zur Rotationsmaschine, bei der die Zylinder nicht nur das Papier heranführen und gegen den Drucksatz pressen, sondern bei der auch die Druckform ihrerseits auf einen weiteren rotierenden Zylinder aufmontiert ist. Die erste funktionsfähige Rotationsmaschine (von Augustus Applegath, 1846) leistet bereits mehrere tausend Abdrucke pro Stunde. Im 20. Jh. erreichen Papierrollen-Rotationsanlagen Stundenleistungen von joooo Abdrucken. - Parallel zur Mechanisierung der Abdruckverfahren läuft auch die Mechanisierung der Typenherstellung und der Erstellung des Drucksatzes. Das Gutenbergsche Handgießinstrument für MetallLettern wird Mitte des 19. Jh. durch Gießmaschinen abgelöst. Die Entwicklung von Setzmaschinen erfolgt in mehreren Anläufen ebenfalls im 19. Jh. Die Setzmaschine löst den alten Gutenbergschen Handsatz ab, bei dem die Einzeltypen von Hand zum Drucktext zusammengesetzt wurden. Schließlich kommt es zur Kombination
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Industriezeitalter
von Schriftsatz und Schriftguß: der Deutschamerikaner Ottmar Mergenthaler konstruiert 1883/86 die Zeilen-Setz-und-Gieß-Masdiine (»Linotype«), Bei Betätigung der jeweiligen Buchstabentaste wird nicht mehr die Buchstabenletter, sondern die entsprechende Buchstabengießform gesetzt; bei Abschluß jeder voll gesetzten Gießformenzeile erfolgt Gesamtguß der Letternzeile. Als Abwandlung der Linotype-Maschine entsteht später die Einzelbuchstaben-Setz-und-Gieß-Maschine (»Monotype«). Linotype und Monotype werden die bestimmenden Setzverfahren auch im 20. Jh. Die für die Zylinderrundung der Rotationsmaschine erforderlichen gebogenen Druckformen können durch Vermittlung von flexiblen Abklatschmatrizen nachgegossen werden. - Weitere Rationalisierung bringt der Offset-Druck. Aus dem älteren Flachdruck (Steindruck) abgeleitet, erspart er die erhabenen Metalltypen und damit den sperrigen Materialaufwand und den Arbeitsgang des Gießens. Auf eine dünne, flexible Metallfolie wird das Druckbild einer bereits vorhandenen Druckvorlage fotomechanisch übertragen. Die Folie ist so vorpräpariert, daß nur die für den Druck bestimmten Stellen und Linien Druckfarbe annehmen, die dann im Rotationsverfahren, unter Zwischenschaltung eines übertragenden Gummizylinders, auf das Papier abgedruckt wird. Der Offset-Druck, in der zweiten Hälfte des 19. Jh. entwickelt, hat sich erst im 20. Jh. neben Linotype und Monotype durchgesetzt. Er eignet sich besonders für das Nachdruckwesen (Reprints). - Nach verschiedenen Versuchen wird in der zweiten Hälfte des 20. Jh. auch die Lichtsetzmaschine praktisch voll verwendbar. Sie arbeitet mit einem Lichtstrahl und einer beweglichen Verschlußscheibe, die auf Tastendruck jeweils bestimmte, in sie eingearbeitete, buchstabenförmige Lichtöffnungen freigibt und damit diese Buchstaben durch Belichtungswirkung auf Film überträgt. Der im Lichtsatz erstellte Filmtext eignet sich als Druckvorlage für die weitere fotomechanische Übernahme auf Offset-Folien. - Beschleunigung des Setzvorgangs, sowohl für Linotype als auch für Lichtsatz, bringt in der zweiten Hälfte des 20. Jh. auch die Anwendung von elektronischer Steuerung. In Kombination mit dem Lichtsatz können dabei Satzleistungen von über 100000 Buchstaben pro Stunde erzielt werden. Datenträger (Medien), Bucheinband. - Hauptdatenträger, vor allem für das gedruckte Buch, bleibt weiterhin wie seit Jahrhunderten das Papier. Aber auch die Papierproduktion wird jetzt industrialisiert. Die erste funktionsfähige Papiermaschine konstruiert Louis Robert 1799 in Paris. Sie mechanisiert das bisherige PapierHandschöpfverfahren und ersetzt die bisherige Einzelblattherstellung durch die Papierbahnenherstellung. Spätere Papiermaschinen beziehen auch die Arbeitsgänge der Papierweiterbehandlung in die Mechanisierung mit ein. Schließlich wandelt sich die Papierherstellung im 20. Jh. zu einem vollmechanisierten Fließbandprozeß, mit Spitzenproduktionsleistungen von bis zu 8000 kg pro Stunde. Die Rohstoffgrundlage der Papierherstellung erfährt kräftige Erweiterung durch Erschließung neuer Arbeitsstoffe (Holz, entholzte Zellulose, Stroh, Altpapier, Kunstfasern). Hauptbuchform bleibt weiterhin die Kodexform, nunmehr seit anderthalb Jahrtausenden dominierend. Im Zuge der Industrialisierung wird jedoch der bisherige
Informationswesen
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handwerkliche £inzeleinband weitgehend durch den maschinell gefertigten Serieneinband ersetzt, besonders bei Verlagseinbänden. Der Handeinband bleibt bedeutend nur im bibliophilen Bereich der Einbandkunst und behauptet seine Position auch bei der Sicherung broschierter, aber intensiv benutzter Gebrauchsbücher (Bibliotheksbestand, Lesesaalbestand). Im übrigen setzt sich der Maschineneinband durch. Dabei werden Buchdeckel und Buchrücken maschinell in Serie hergestellt, geprägt, bedruckt. Materialgrundlage bleibt der bisherige Pappdeckel. Im Überzug weicht das früher verwendete Leder jetzt neuen Stoffen: Leinen, Papier, Kunststoff-Folie. Auch Voll-Kunststoff-Einbände (Plastik) werden häufig verwendet. Die Mechanisierung und Rationalisierung ergreift vor allem die Bindearbeiten selbst. Neue Maschinen (ζ. B. Heftmaschine) und neue Verfahren (ζ. B. LumbeckKlebebindung) werden eingesetzt. Schließlich führt die Entwicklung im 20. Jh. zum Fließbandbetrieb, bei dem alle Arbeitsvorgänge (vom Zusammentragen der Bogenlagen über die Buchblockbearbeitung bis zum Einbandanbringen) maschinell nacheinandergeschaltet werden. Die größten Anlagen dieser Art erzielen Spitzenproduktionsleistungen von 2000 fertigen Einbänden pro Stunde. - Neben dem Papier und Papierbuch dienen im 20. Jh. auch andere Medien als Datenträger. Zunächst nur sekundär zu Kopierzwecken von primären Vorlagen, ζ. B. vom primären gedruckten Buch auf sekundären Mikrofilm (oder, noch mehr verkleinert, auf Mikrofiche). Aber auch selbst primär, ζ. B. bei serienmäßigen Mikrofilmausgaben von nicht im Druck erscheinenden Dissertationen. Und ganz losgelöst von allem Buchmäßigen bei den übrigen audio-visuellen Medien: eigenständige Filme (Lehrfilme, Dokumentarfilme), Dias, Schallplatten, Tonbänder. Zu den neuen Medien gehören schließlich auch die abstrakt verschlüsselten Magnetplatten- und Magnetbandaufzeichnungen für die elektronische Datenverarbeitung. Schriftengattungen. - Der bereits im 18. Jh. vorhandene Trend zur Differenzierung und Vermehrung der Schriftengattungen nimmt im 19. und 20. Jh. weiter zu, jedoch im Rahmen der beiden überkommenen Hauptgruppen: Einzelwerke (Monographien, Lexika, Nachschlagewerke usw.) und Periodika. Beim periodischen Schrifttum gewinnen Wachstum und Spezialisierung größte Ausmaße. Schon bis 1800 hatte es für fast alle Fachgebiete wissenschaftliche Zeitschriften und in fast allen größeren Orten Zeitungen gegeben. Aus den zahlreichen werden jetzt zahllose Tages- und Wochenzeitungen, in der Massenpresse mit Millionenauflagen. Nicht weniger imposant ist die Entwicklung des wissenschaftlichen Zeitschriftenwesens, mit Fachzeitschriften für alle Teilbereiche und Spezialthemen, und auf manchen Fachgebieten mit vielen tausenden von Einzelzeitschriften. - Das Prinzip der Periodizität beeinflußt über Zeitungen und Zeitschriften hinaus auch andere Arten von Publikationen: Adreßbücher, Telefonbücher, Personenverzeichnisse (Zeitgenossenverzeichnisse), Vorlesungsverzeichnisse, Kongreßschriften, Akademieschriften (Sitzungsberichte), Parlamentsberichte, Gesetzblätter, Behörden- und Firmenberichte (Reports), Statistiken, Bibliographien, Fortschrittsberichte, Verkaufsprospekte usw. - Das in der Periodizität enthaltene Prinzip der Kontinuität greift auch auf monographische Publikationsformen über: in der Zusammenfassung zu Serien
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Industriezeitalter
(Fachreihen, Verlegerserien, Reihen von Hochschulschriften, von Industrienormen und Standards, von Instituts- und Firmenveröffentlichungen usw.), aber auch in verschiedenen Neben- und Sonderformen (Nachtragsjahrbücher zu Lexiken, auswechselbare Ergänzungslieferungen zu Loseblattsammlungen u. ä.). Buchhandel, Verlagswesen, Medienvertrieb. - Das 19. und 20. Jh. bringen auch für Buchhandel und Verlagswesen starkes Wachstum und weitere Differenzierung. Eine Folge der im Industriezeitalter enorm gestiegenen Buchproduktion. Jetzt erfolgt auch generell die arbeitsteilige Trennung von Verlag und Einzelbuchhandel, die sich bis zum Ende der Vorepoche noch weithin in gemeinsamer Regie befanden (»Verleger-Sortimenter«, vgl. oben S. 79). - Selbständige Sortimentsbuchhandlungen in eigenen Ladengeschäften, mit durchgehender Öffnungszeit und eigener Lagerhaltung der gängigen Buchauswahl, entstehen jetzt allerorts. Daneben etabliert sich der Zwischenbuchhandel, besonders der Großhandel der Barsortimenter, der Lagerreserven einer relevanten Buchauswahl aller wichtigen Verlage unterhält und den Sortiments-Einzelhändlern kostensparende Nachbestellungen aus einer Hand (statt von vielen verschiedenen Verlagen) ermöglicht. Andere Buchhandelsspezialformen sind der Versandbuchhandel (wichtig bei Auslandsimport und -export), der Antiquariatsbuchhandel (der sich für Alt- und Gebrauchtbücher neben dem normalen Lagersortiment entwickelt). - Für den Vertrieb der neuen Medien (Schallplatten, Tonbänder, Filme, Dias) entstehen zusätzliche Spezialgeschäfte, ζ. B. Musikalien- und Schallplattenhandlungen. Ζ. T. vertreiben auch die normalen Sortiments-Buchhandlungen die neuen Medien in eigenen Sonderabteilungen. Bibliographie. - Die starke Zunahme der Buchproduktion und der Publikationen aller Art macht eine zunehmende Intensivierung und Differenzierung der bibliographischen Erschließung erforderlich. Entsprechend der immer weiteren Spezialisierung der Wissenschaften entstehen Fachbibliographien jetzt in größter Zahl und in feinster Spezialisierung für alle Fachbereiche und jegliche Spezialthematik. Die Allgemeinbibliographien für alle Fächer, schon in der vorigen Epoche nicht mehr auf internationaler Ebene praktikabel, werden im 19. Jh. ganz auf die nationale Ebene umgestellt. Sie beschränken sich damit auf einen Ausschnitt der Gesamtbuchproduktion: wie die Fachbibliographien auf ein einzelnes Fach, so die Nationalbibliographien auf eine einzelne Sprache oder Region. Durch diese realistische Beschränkung bleiben die Allgemeinbibliographien als Gattung lebensfähig. In Kombination mit dem Prinzip der Periodizität werden sie sogar zur Basis der gesamten bibliographischen Arbeit. Die erste periodische Nationalbibliographie der Welt entsteht um 1800 in Frankreich: die heutige »Bibliographie de la France« (Buchhandels-Vorläuferbibliographie 1/97-1810: »Journal typographique et bibliographique«; offizielle Nationalbibliographie ab 1 8 1 1 : »Bibliographie de L'Empire franfais«). Diesem französischen Vorbild folgen im 19. und 20. Jh. fast alle Industriestaaten bzw. Kultur- und Sprachnationen der Welt mit eigenen periodischen Nationalbibliographien. - Das Prinzip der Periodizität, d. h. der regelmäßigen, schnellen und aktuellen Berichterstattung, war schon von den Wissenschafts- und Literaturzeitschriften des 17. und 18. Jh. bei ihren Rezensionen und Buchanzeigen
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praktiziert worden. Jetzt findet es universelle Anwendung, nicht nur bei den Nationalbibliographien, sondern noch mehr bei den Fachbibliographien, bei den Referateblättern und bei den Spezialbibliographien für einzelne Schriftengattungen (Bibliographien von Dissertationen, von amtlichen Druckschriften, von Zeitschriften, von Kongreßschriften usw.). Dokumentation. - Im Laufe des 20. Jh. läßt das oben erwähnte Auftreten neuer Medien und Publikationsformen auch deren Verzeichnung wünschenswert erscheinen. Deren »Dokumentation« tritt zusätzlich neben die bisherige bibliographische Verzeichnung der Bücher und Zeitschriften. - Der immer schnellere Fortschritt der Wissenschaften und die immer schneller zunehmende Menge der Publikationen erzeugen in der zweiten Hälfte des 20. Jh. eine Art »Informations-Explosion«: die Gesamtzahl aller Publikationen (Monographien, andere selbständige Einzelveröffentlichungen, Zeitschriftenartikel und sonstige Beiträge zu Sammelveröffentlichungen) überschreitet, in der ganzen Welt zusammengenommen, jährlich nunmehr die Millionengrenze. Dieser »Herausforderung« versucht die Publikationserschließung mit neuen Methoden zu begegnen: engste Spezialisierung und Parzellierung der Verzeichnungsbereiche; kleinste Zeitstufen und somit schnellste Berichterstattung; Abdruck von Bibliographien in Karteiform mit kurzfristigen Nachlegelieferungen; einzelthemenbezogene Auswertungsdienste im Informationsabonnement; intensivierte Referatedienste; konventionelle und automatische Übersetzungsdienste; vor allem aber Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) zur maschinellen Verzeichnung und Erschließung von Publikationsformen jeglicher Art. - Diese umfassenderen, beschleunigteren und tiefer aufschließenden Verzeichnungs- und Informierungsmethoden bilden in der zweiten Hälfte des 20. Jh. das Arbeitsfeld der »Dokumentation«. Anfangs in Abgrenzung gegenüber der herkömmlichen Bibliographie und dem konventionellen Katalogwesen der Bibliotheken. Doch mit zunehmender Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung auch im Bereich der Bibliographie (ζ. B. »Index medicus«, »Deutsche Bibliographie«) und der Bibliothekskataloge verwischt sich diese Abgrenzung. Dokumentation, Bibliographie und Bibliothekskatalogwesen gehen im gemeinsamen Informationswesen auf, deren »Erschließungssektor« sie bilden. Informationswissenschaft. — In der zweiten Hälfte des 20. Jh. entsteht eine umfassende Informationswissenschaft. Zunächst im Anschluß an die theoretische Grundlegung des Dokumentationswesens. Dann auch im Rückgriff auf die schon viel länger vorhandene bibliographische Theorie und in Berührung und starker Gemeinsamkeit mit der Bibliothekswissenschaft und Bibliothekstheorie. Wesentlichen Anteil haben ferner Soziologie, Psychologie, allgemeine Linguistik, Mathematik und mathematische Logik, aber auch Technik und Kybernetik. - Mit dem Rüstzeug dieser Wissenschaften untersucht die Informationswissenschaft Grundlagen, Bedingungen und Funktionen der Information, ihre Inhalte, Formen und Strukturen, ihre Fixierung (Zeichen, Sprache, Schrift, Druck, Medien) und Verbreitung (Informationsfluß). - Neben diesen primären Bereich der Informationssubstanz stellt die Informationswissenschaft einen zweiten Untersuchungsgegenstand: Informations-
Industriezeitalter
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Sammlung (in Bibliotheken, Mediotheken, Bildstellen, Archiven usw.) und Informationserschließung (durch Bibliothekskataloge, Bibliographien, Auskunftsstellen, Dokumentationsstellen, Datenbanken usw.). In diesem Bereich des Sammeins und Erschließens betont die Informationswissenschaft neuerdings stärker die übergreifenden Gemeinsamkeiten von Bibliothekswesen, Bibliographie und Dokumentation (weithin gleiche Informationsnutzer, weitgehend gleiche Erschließungsziele, ζ. T. gleiche Erschließungsmethoden und Erschließungsformalien: gleiche Titelaufnahmen, gleiche Klassifikationsprinzipien, gleiche Einordnungsgesichtspunkte usw.). D J.J. Informations- und Bibliothekswesen:
Allgemeines
Allgemeines. - Als Teilbereich des gesamten Informationswesens nimmt auch das Bibliothekswesen an dessen allgemeiner Entwicklung im Industriezeitalter teil. Gegenüber der vorangegangenen Epoche wandeln sich Aufgaben und Funktionen der Bibliotheken im 19. und 20. Jh. entsprechend den veränderten Verhältnissen und Bedürfnissen der Industriegesellschaft. Anders als in der Vorepoche stehen die Bibliotheken jetzt, vor allem im 20. Jh., der gesamten Gesellschaft zur Verfügung, auf allen Ebenen, von der wissenschaftlichen Forschung bis zur breiten Sachinformation und Volksbildung. Das bedeutet generelle (volle oder eingeschränkte) öffentliche Zugänglichkeit, weitere Spezialisierung und vor allem starke zahlenmäßige Zunahme der Bibliotheken. Die immer weitergehende Arbeitsteilung und Differenziertheit des Bibliothekswesens zieht als Ausgleich allmählich auch stärkere Koordinierung und Kooperation auf allen Ebenen nach sich. - Die Industrialisierung der Buchproduktion im 19. Jh. und die »Informations-Explosion« im 20. Jh. verändern auch Größenordnung und Arbeitsweise der einzelnen Bibliothek. Das schnelle Anwachsen der Bibliotheken erfordert neue Bibliotheksgebäude, neue Gliederungs-, Ausstattungs- und Aufstellungsprinzipien, neue Erschließungsmethoden und Betriebsverfahren. Die moderne Technik des Maschinenzeitalters zieht auch in die Bibliotheken ein. - In längerem Umwandlungsprozeß passen sich die aus der Vorepoche überkommenen Bibliothekstypen (Hofbibliotheken, Stadtbibliotheken, Universitätsbibliotheken) den neuen Erfordernissen an, gewinnen neue Dimensionen und übernehmen neue Funktionen. Bibliothekstypen: öffentliche wissenschaftliche Zentralbibliotheken (National-, Staats-, Landesbibliotheken). - Die Hofbibliotheken, schon im 18. Jh. in einem Wandlungsprozeß zu öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken mit zentraler Aufgabenstellung begriffen (vgl. oben S. 80 f.), wachsen im Industriezeitalter vollends in diese neuen Aufgaben hinein. Alle Länder schaffen sich jetzt nationale Bibliotheks- und Informationszentren (Nationalbibliotheken, Staatsbibliotheken). Bei bundesstaatlicher bzw. autonom-regionaler Gliederung schaffen sie sich entsprechende regionale Zentren auch für die Einzelstaaten bzw. Einzelregionen (Staatsbibliotheken, Landesbibliotheken). Das geschieht häufig durch Umwandlung der ehemaligen Hofbibliotheken, soweit vorhanden; oder durch Umfunktionierung anderer Bibliotheken bzw. durch völlige Neugründung, wo sie fehlen. - Die Auf-
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gabenstellung der neuen Zentralbibliotheken gliedert sich in mehrere Bereiche: umfassende bzw. repräsentative Sammlung und Bereitstellung der relevanten internationalen wissenschaftlichen Literatur (schon bei den alten Hofbibliotheken die wichtigste überkommene Aufgabe, jetzt auch zur Ergänzung der Bestände der kleineren Bibliotheken des Landes bzw. der Region); Sammlung der gesamten Literatur des Landes bzw. Region (wie bei den alten Hofbibliotheken auch jetzt meist Pflichtexemplare aus dem Land und alle landeskundliche Literatur über das Land) und deren Verzeichnung (Nationalbibliographie bzw. regionale landeskundliche Bibliographie); schließlich einige weitere zentrale und gesamtheitliche Aufgaben, ζ. B. Führung von Zentralkatalogen, Leitfunktionen bei der Fernleihe, zentraler Auskunftsdienst, evtl. auch zentrale Restaurierung, zentrale Bibliothekarausbildung und zentrale methodische Anleitung. - Im Modellfall werden alle oder die meisten dieser Funktionen von der einzigen Zentralbibliothek ausgeübt, öfters verteilen sich die Aufgabenbereiche aber auf zwei oder mehrere Zentralbibliotheken: eine Nationalbibliothek im engeren Sinne sammelt und verzeichnet die nationale Literatur, eine zweite Staatsbibliothek sammelt die internationale relevante wissenschaftliche Literatur. Weitere Varianten kommen vor, modifiziert durch die Zuordnung der Landes- und Regionalbibliotheken. Wie die Funktionen, so überschneiden sich auch die Bezeichnungen »Nationalbibliothek« und »Staatsbibliothek« in wechselnder Begriffsbezogenheit. Auch für die Zentralbibliotheken der Einzelländer bzw. Einzelregionen (Landesbibliotheken) gelten oft ebenfalls wechselnd die Bezeichnungen »Nationalbibliothek« (Großbritannien, Italien) oder »Staatsbibliothek« (USA, Sowjetunion). Bibliothekstypen: öffentliche Bibliotheken (Stadtbibliotheken, Public Libraries, Büchereien). - Die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse im Industriezeitalter, das Aufkommen breitester Leserschichten aufgrund der endgültigen Überwindung des Analphabetentums und der universellen Einführung der Schulpflicht, die gestiegenen Bildungs- und Ausbildungsanforderungen, der Fortbildungsbedarf in allen Branchen, aber auch der mit der Verwissenschaftlichung vieler Lebensbereiche einsetzende breitere wissenschaftliche Informationsbedarf, schließlich überhaupt die Zunahme der Städte an Zahl und Größe - dies alles erfordert, ja erzwingt ein gut ausgebautes kommunales Bibliothekswesen. Es entwickelt sich in drei Modellschüben: rein wissenschaftliche Stadtbibliotheken; daneben als Ergänzung nichtwissenschaftliche allgemeinbildende Volksbüchereien; und schließlich ein kommunales Einheitsbibliothekswesen mit kombiniertem wissenschaftlichem und allgemeinbildendem Buchbestand. - Vor 1800 gab es nur in wenigen Ländern kommunale Bibliotheken für den wissenschaftlichen Bedarf: mit langer Tradition in Mitteleuropa; in Frankreich später entwickelt und weniger zahlreich, aber nach der Französischen Revolution in allen größeren Städten gegründet und mit beschlagnahmtem wissenschaftlichem Buchbestand aufgestockt; in Mitteleuropa wie in Frankreich während des 19. Jh. weiter ausgebaut. - Allgemeinbildende und allgemein informierende Büchereien in kommunaler Regie fehlten vor 1800 fast ganz. Kirchliche Büchereien, Schulbüchereien und vor allem Büchereien privater Lese-
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gesellschaften füllten ersatzweise diese Lücke des Bibliothekswesens. So bleibt es auch noch weit ins 19. Jh. hinein. - Der Typus der kombinierten wissenschaftlichen und allgemeinbildenden Stadtbibliothek (Public Library, öffentliche Bibliothek) geht Mitte des 19. Jh. von Großbritannien, den U S A und Skandinavien aus. In diesen Ländern fehlten bis dahin weithin auch wissenschaftliche Stadtbibliotheken (anders als in Mitteleuropa und Frankreich). Als man sich Mitte des 19. Jh. zu deren Gründung anschickt, ist die Zeit reif auch für kommunale allgemeinbildende Büchereien. So werden jetzt kommunale Einheitsbibliotheken gegründet, mit einem kombinierten wissenschaftlichen und allgemeinbildenden Buchbestand zur Versorgung aller Bevölkerungsschichten. Der eigentliche Durchbruch erfolgt in den angelsächsischen Ländern mit landeseinheitlichen Büchereigesetzen: zuerst 1849 für den amerikanischen Staat New Hampshire, dann 1850 für ganz England, 1851 für Massachusetts, bald auch für andere Staaten und Gebiete. Diese Gesetze gestatten den Städten, bestimmte Steuern zur laufenden Finanzierung öffentlicher Büchereien zu verwenden. Trotz dieses gesetzgeberischen Fanals kommt die tatsächliche Gründung von Public Libraries zunächst nur langsam in Gang (zufrühest in Boston, Liverpool, Manchester, Birmingham), beschleunigt sich aber allmählich. Bis 1900 entstehen viele Hunderte von kommunalen öffentlichen Bibliotheken in den angelsächsisch-skandinavischen Ländern. - Die Länder mit alt-überkommenem wissenschaftlichem Stadtbibliothekswesen folgen diesem Beispiel erst wesentlich später. In Mitteleuropa bleibt das allgemeinbildende Büchereiwesen bis Ende des 19. Jh. auf die private Initiative von Lesegesellschaften und Bildungsvereinen angewiesen (liberale Volksbildungsvereine, sozialistische Arbeiterbildungsvereine, kirchliche Büchereivereine). Ende des 19. Jh. erfolgt deren schrittweise Ablösung durch kommunale Einrichtungen (Bücherhallen, Volksbüchereien, in rivalisierenden Richtungen, teils im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Stadtbibliotheken). Erst Mitte des 20. Jh. schwenkt das mitteleuropäische kommunale Bibliothekswesen auf das angelsächsisch-skandinavische Vorbild ein, das auch in Frankreich einen gewissen Einfluß erlangt und in der Sowjetunion nach der Revolution zur Orientierung für den Neuaufbau dient (dort ein ausgeprägtes Einheitsbüchereiwesen, in konsequentem Netzverbund und unter ergänzendem Einbezug von Gewerkschaftsbüchereien). - Für die Entwicklung im 20. Jh. sind öffentliche Büchereinetze kennzeichnend: in großen Städten (urbanes Bibliothekssystem) mit Zweigbüchereien; auf dem Lande mit Fahrbüchereien; in manchen Staaten in regionalem Verbund mit Büchereizentren (Bezirksbibliotheken, Bezirksbüchereistellen), die methodische Hilfen geben und Fernleihergänzungsbestände bieten oder vermitteln. - Die Tätigkeit des kommunalen öffentlichen Büchereiwesens geht im 20. Jh. vielfach über die reine Literaturversorgung und Informationsvermittlung weit hinaus und ist mit mannigfachen Veranstaltungen (Vorträge, Konzerte, Filmvorführungen, Ausstellungen, Jugendveranstaltungen, Schulungen, Abendkurse usw.) zu einem wesentlichen Faktor des gesamten kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Lebens geworden.
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Bibliothekstypen: Universitätsbibliotheken, Hochschulbibliotheken. - Auch die Entwicklung der Universitätsbibliotheken führt im Industriezeitalter zu einschneidenden Veränderungen. Z w a r tragen einige konstante, stabilisierende Faktoren zur Kontinuität der Entwicklung bei: die bloße Existenz jahrhundertealter Universitätsbibliotheken mit überkommenen Beständen und Traditionen; die Konstanz gleicher Leser- und Benutzerschichten; die Analogie der Funktionen einer Lehrund Studienbibliothek. Aber andere Faktoren wirken modifizierend: die Veränderungen des akademischen Unterrichts und der Studienmethoden; die Einbeziehung der Forschung neben der Lehre in die feste Aufgabenstellung der Universitäten; die Spezialisierung und Intensivierung der Wissenschaften; die Vervielfachung des Publikationsausstoßes; der steigende Bedarf an Akademikern mit der Konsequenz steigender Studentenzahlen; die aktivere Förderung der Universitäten durch Staat und Gesellschaft. Das alles führt zu einem enormen quantitativen und qualitativen Ausbau der Universitätsbibliotheken, die jetzt erst zu wirklichen Studien- und Forschungsbibliotheken werden. Erreichten im 17. und 18. Jh. nur einige wenige Universitätsbibliotheken das Niveau der Hofbibliotheken (ζ. B. in Paris, Oxford, Göttingen) und waren die meisten Universitätsbibliotheken völlig unzulänglich ausgestattet und extrem zurückgeblieben (vgl. oben S. 81 f.), so nehmen sie jetzt einen kaum vorhersehbaren Aufschwung und rücken ζ. T. bestandsmäßig wie niveaumäßig in die Nähe der großen National- bzw. Staatsbibliotheken. - Die Spezialisierung der Wissenschaften führt mit dem immer weiteren Ausbau von Spezialhochschulen neben den Universitäten auch zum großzügigen Ausbau der entsprechenden Hochschulbibliotheken. - Innerhalb der Universitäten selbst läßt die Spezialisierung der Wissenschaften neben den zentralen Universitätsbibliotheken zahlreiche Instituts-, Seminar- und Fakultätsbibliotheken entstehen, die im Laufe des 20. Jh. mit den Zentralbibliotheken zu integrierten universitären Bibliothekssystemen, ζ. T. sogar zu kooperativen interuniversitären Bibliotheksnetzen zusammengefaßt werden. Diese Koordinierungstendenzen gehen zufrühest von den USA und der Sowjetunion aus.
Bibliothekstypen: Spezialbibliotheken, Behördenbibliotheken, sonstige Bibliotheken. - Im Industriezeitalter werden auch die Spezialbibliotheken zu einem vollgültigen Haupttypus und integrierenden Bestandteil des gesamten Bibliothekswesens. Schon im 18. Jh. hatten sie einen regulären Platz gewonnen und waren vielfältig und vielerorts in Erscheinung getreten. Jetzt werden sie durchgängig, überall und für alle nur denkbaren Bereiche eingesetzt und in Anspruch genommen. - Zu den Spezialbibliotheken rechnen auch die Bibliotheken der Spezial- und Fachhochschulen, die Fakultäts- und Institutsbibliotheken der Universitäten als Fachbibliotheken für den Studien- und Forschungsbetrieb ihrer jeweiligen Fachgebiete. Vor allem aber gehören hierher die Spezialbibliotheken für die reine Forsdiungsund Informationsarbeit: bei den Forschungsinstituten der Akademien der Wissenschaften, bei allen zentralen, nationalen und regionalen Forschungsinstituten auf allen Wissenschaftsgebieten und bei den Archiven und Museen. - Im Laufe des 20. Jh. erweist es sich als notwendig, auch nationale zentrale Spezialbibliotheken
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für bestimmte Fachgebiete aufzubauen. Zumal für die Fächer der angewandten Naturwissenschaften und der Wirtschaftsproduktion (Technik, Medizin, Landwirtschaft, Wirtschaft), bei denen die »Informations-Explosion« sich besonders stark auswirkt und die von den traditionellen Staats- bzw. Nationalbibliotheken nicht hinlänglich abgedeckt werden. - Neben den Spezialbibliotheken für Forschung und Lehre spielen die Behördenbibliotheken für alle Zweige der staatlichen, kommunalen und technischen Verwaltung eine kaum geringere Rolle: Ministerialbibliotheken für alle Fachressorts, administrative Finanz-, Eisenbahn-, Post-, Bau-, Medizinal-, Landwirtschafts-, Militärbibliotheken usw. Den Behördenbibliotheken verwandt sind die Parlamentsbibliotheken, die Gerichtsbibliotheken und die Bibliotheken der Industrie- und Handelskammern, Landwirtschaftskammern, Ärztekammern und ähnlicher Selbstverwaltungseinriditungen. — Nur partiell Fachbibliotheken, dienen die Partei- und Gewerkschaftsbibliotheken und -büchereien ebenfalls der Verwaltungs- und Forschungsarbeit, oft aber auch der allgemeinen Informations- und Propagandatätigkeit. Erwähnt werden müssen auch die kirchlichen Bibliotheken, die weiter bestehenden Klosterbibliotheken, die überall wirksamen Schulbibliotheken, fachliche Vereins- und Gesellschaftsbibliotheken, Firmenbibliotheken und größere Privatbibliotheken. Wichtige Einzelbibliotheken. - Die Gesamtzahl aller Bibliotheken und Büchereien erreicht in der zweiten Hälfte des 20. Jh. in den großen Bibliotheksräumen Europa, U S A und Sowjetunion jeweils ein bis mehrere hunderttausende. - Für die wichtigsten Einzelbibliotheken des Industriezeitalters vgl. die Abschnitte E, F und G (vgl. unten S. 1 1 8 ff.). Die beiden größten Bibliotheken der Welt werden in der zweiten Hälfte des 20. Jh. die Library of Congress in Washington und die Lenin-Bibliothek in Moskau. Zu den Bibliotheken mit sehr großen und zugleich den kostbarsten Buchbeständen, sowie mit überragenden Beständen an andern Sammelobjekten gehören die National- und Staatsbibliotheken in Paris, London, Wien, Berlin (die Gesamtheit beider Staatsbibliotheken), München, Florenz, Leningrad. Die bedeutendsten Handschriftenbibliotheken der Welt sind die National- und Staatsbibliotheken in Paris, Wien, München, sowie die Vatikanische Bibliothek in Rom. Bestände, Bestandsumfang. - Vom Ende des 18. bis zur Mitte des 20. Jh. verzehnfachen sich die durchschnittlichen Bestandszahlen an Druckschriften in den Bibliotheken. Zählten damals die größeren Bibliotheken viele Zehntausende von Bänden, die Bibliotheken der Spitzenklasse hunderttausend bis mehrere hunderttausend Bände, so steigen die Buchbestände jetzt für die größeren Bibliotheken auf den Durchschnitt von vielen hunderttausend, für die Bibliotheken der Spitzenklasse auf mehrere Millionen Bände. Die »Informations-Explosion« läßt in der zweiten Hälfte des 20. Jh. immer mehr Bibliotheken die Millionen-Bestandsgrenze überschreiten. Einige allergrößte Bibliotheken erreichen Bestandszahlen von 10, ja 20 Millionen Bänden. - Ein Vergleich der Bestandszahlen des 20. mit denen des 18. und auch 19. Jh. muß allerdings auch bestandsstrukturelle Veränderungen und modifizierte Zählmethoden berücksichtigen: manche Buchtitel werden jetzt in Doppel- und Mehrfachexemplaren gesammelt (Lehrbuchsammlungen der Univer-
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sitätsbibliotheken, »gestaffelte« Exemplare der öffentlichen Büchereien, evtl. auch Zweifach-Pflichtexemplare zur Archivierung und zur Ausleihe); in manchen Ländern zählen die Zeitschriften nicht nach Jahresbänden, sondern nach Einzelheften (soweit diese Einzelzählung aufweisen, ζ. B. in der Sowjetunion). - Außer den Druckschriften gehören auch zahlreiche andere Sammelobjekte zum Bibliotheksbestand: Handschriften (als museale, kostbare Altbestände, aber auch als neue Autographenbestände), Bilder (alte Stiche, Städteansichten, Porträts, Fotos, Dias), Landkarten, Filme, Schallplatten, Tonbänder, evtl. auch Münzen, Globen und andere Sachgegenstände. Auch die Sonderbestände erreichen in der Bibliotheksspitzenklasse im 20. Jh. einen Umfang von Hunderttausenden (Autographen, Landkarten, Schallplatten), ja Millionen von Objekten (Patentschriften, Bilder, Fotos). Bibliotheksbau (Räumlichkeiten, Gebäude): Allgemeines. - Der enorme Bestandszuwachs macht im Industriezeitalter eigene Bibliotheksgebäude für alle großen Bibliotheken selbstverständlich. Auch kommt es zur räumlichen Trennung von Aufbewahrung, Benutzung und Bearbeitung. Noch im 18. Jh. hatte der barocke Bibliothekssaal allen diesen Funktionen gleichzeitig gedient. Im 19. Jh. überschreiten die Bestandsmassen die Unterbringungsmöglichkeiten innerhalb der Lesesäle und machen eigene, mit Regalen eng bestellte Aufbewahrungsmagazine erforderlich. Auch für Bearbeitung, Verwaltung und technische Werkstätten werden eigene Räume seit der Mitte des 19. Jh. häufiger und im 20. Jh. funktionsgerecht ausgebaut und placiert. - Die deutlich dreigliedrige Baukonzeption der ersten Hälfte des 20. Jh. (Aufbewahrung, Bearbeitung, Benutzung) wird in der zweiten Hälfte des 20. Jh. durch größere Flexibilität abgelöst und durch weitere Raumgruppen ergänzt: Katalogzentren, Erfrischungsräume, Vortrags-, Diskussions-, Vorführungs-, Film-, Musik-, Ausstellungsräume usw. Bibliotheksbau: Lesesäle. - Der in der Vorepoche multifunktionale Bibliothekssaal behält jetzt nurmehr die Funktion eines Arbeits- und Lesesaals. Das Konzept des barocken Oberlicht-Kuppelsaals (Wolfenbüttel, Wien) wird zunächst auch bei den neuen funktionsgliedernden Bibliotheksbauten als Bauvorbild für den Hauptlesesaal aufgenommen, etwas abgewandelt, zentral placiert und konzentrisch eingerichtet. So besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jh. und bis zum Anfang des 20. Jh. bei Großneubauten für National- und Staatsbibliotheken (zuerst London 18J7, dann Paris, Washington, Berlin). Daneben hält sich auch der FlachdeckenLesesaal und wird im 20. Jh. zum vorherrschenden Lesesaaltyp, ζ. T. mit neuartigen Oberbeleuchtungen. - Die zunehmende Spezialisierung der Wissenschaften, die Gliederung der Bibliotheken in Fach- und Sonderabteilungen, aber auch die ständig steigenden Leserzahlen lassen allmählich mehrere Lesesäle üblich werden (nebeneinander, in Hochhäusern auch übereinander): Fachlesesäle für einzelne Wissenschaftsfächer; Bibliographiensäle (häufig kombiniert mit Katalogsälen); Speziallesesäle für besondere Sammelobjekte (Handschriften-Lesesaal, Zeitschriften-Lesesaal, Landkarten-Lesesaal, Mikrofilm-Lesesaal) oder für besondere Benutzergruppen (Gelehrten- und Dozenten-Lesesaal, Kinder-Lesesaal bei Bibliotheken mit Kinder-
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buchabteilungen, Raucher-Leseraum, Arbeitsgruppen-Leseraum usw.); daneben auch £inzelkabinen (Studienkabinen, schalldichte Schreibmaschinenkabinen, TonAbhörkabinen, Carrels in Freihandmagazinen u. ä.). Bibliotheksbau: Magazin. - Magazine, jetzt durch die Zugangslawine erzwungen, sind nicht ganz neu. Gewisse kleinere Sonderaufbewahrungsräume neben dem zentralen Bibliothekssaal hatte es auch früher schon manchmal gegeben, ζ. B . f ü r besondere Kostbarkeiten, gelegentlich auch bei Raumnot als Aushilfsspeicher. Jetzt aber entwickelt sich das Magazin bei den Großbibliotheken zu einem Hauptbestandteil des Bibliotheksgebäudes, zu dessen flächenmäßig größtem Anteil, mit ständiger regulärer Lagerung des überwiegenden Buchbestandes. Bereits Anfang des 19. Jh. theoretisch propagiert (Leopoldo Deila Santa), werden separate Bücheraufbewahrungsräume zusätzlich zum Lesesaal ab Mitte des 19. J h . in Bibliotheksneubauten von vornherein mit eingebaut: zuerst f ü r die Königliche Bibliothek in München (1843, hier über 70 Aufbewahrungsräume, noch mit Wandregalen); dann f ü r die Bibliothfcque Ste. Genevifeve in Paris (1850, dort bereits ein Einzeigeschoß mit Querregalen). - Den Durchbruch zum modernen Großmagazin leistet Antonio Panizzi beim Um- und Erweiterungsbau der Bibliothek des Britischen Museums in London ( 1 8 5 4 - 5 7 ) . U m einen zentralen Lesesaal legen sich die Magazinräumlichkeiten, mit einschneidenden Neuerungen bei der Magazinausstattung: Metallkonstruktion; durchgängige Regalaufstellung in engem Achsabstand (zur besseren Raumausnutzung); mit niedriger Geschoßhöhe (um Regalleitern unnötig zu machen) und mit Zwischenrosten als Geschoßfußböden. Diese Magazinausstattung setzt sich als prinzipielles Vorbild f ü r den weiteren Magazinbau durch. Spätere Neuerungen sind nur Modifikationen: Betonfußböden nach Einführung der Stahlbetonbauweise; statt konzentrischer Magazine (um den Lesesaalbereich) eigene Magazingebäude bzw. Magazinflügel, auch als Magazintürme (zuerst N e w Haven, 1928) oder Tiefmagazine (zuerst Oxford, 1940). Aufbewahrung, Aufstellung. - Die Bücheraufbewahrung in Regalen, die in der Vorepoche andere Aufbewahrungsarten ablöste (Schränke, Pulte), wird im Industriezeitalter beibehalten und vervollkommnet. V o r allem durch Verstellbarkeit der Regalböden (entsprechend den wechselnden Buchformaten). Kernstück der Neuerung sind Lochreihen der Regalseitenwände, in denen verstellbare, herausnehmbare Stifte als Regalbodenträger ruhen (zuerst in London 1852, »Panizzi-Stifte«). An wechselnder Stelle der Lochreihe eingeschoben und auf Hoch- oder Tiefstellung gedreht, regulieren die Panizzi-Stifte die Höhenlage der Regalböden. Eine spätere Weiterentwicklung ersetzt Panizzi-Stifte und Lochreihen durch Regalbodenhaken und Zahnleisten (zuerst in Straßburg 1889: »Lipman-Regale«), - Die Buchaufstellung differenziert sich mit der baulichen Funktionentrennung von Lesesaal und Magazin. Im Lesesaal, mit seinem an Ort und Stelle benutzten Bestand an Nachschlagewerken, wird meist die systematische Aufstellung beibehalten, »leserfreundlich«, altbewährt und mancherorts leicht modifiziert (Grobsystematik ohne weitere Feingliederung; alphabetische Sachanordnung bei Ländern, Orten, Personen usw.). - Beim Magazinbestand setzen sich unkomplizierte Aufstellungsprinzipien durch.
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Anfang des 19. Jh., noch vor dem eigentlichen Magazinbau, aber unter dem Druck riesiger, plötzlich zugehender Bestandsmassen, deren systematische Gliederung arbeitsmäßig nicht durchführbar ist, führt die Kgl. Bibliothek in München die Aufstellung nach großen Buchgruppen ein (ca. 200, ohne weitere systematische Untergliederung). Später setzt sich beim Magazinbestand weithin die mechanische, völlig ungegliederte Aufstellung nach Zugang durch (Numerus currens): noch unkomplizierter, aber nicht mehr ohne Katalog zugänglich, mit von Bibliothek zu Bibliothek wechselnden Varianten (Gesamt-Numerus-currens, Fachgruppen-Numerus-currens, Jahres-Numerus-currens usw.). Nur selten kommt alphabetische Aufstellung im Magazin vor. - Bei der Handschriftenaufbewahrung bürgert sich neben der systematischen Aufstellung häufig die Gliederung nach Sprachen oder Zeiten ein (mittelalterliche Handschriften, neuzeitliche Autographen); bei geschlossen zugehenden Bestandsgruppen (Klosterhandsdiriften, Gelehrtennachlässe) audi die Gliederung nach der Herkunft (Provenienzaufstellung, zuerst in München, Mitte des 19. Jh.). Bibliothekstechnik. - Das technische Zeitalter bringt auch den Bibliotheken die Technisierung. Kulminierend im vollmechanisierten Bibliotheksbau des 20. Jh. Mit elektrischer Beleuchtung, Zentralheizung, automatischer Belüftung und Luftbefeuchtung, häufig mit Vollklimatisierung. Mechanische Förderanlagen lösen alle Transportprobleme des Massenzugangs und der Massenbenutzung: Fahrstuhl, Lastenaufzug, Transportband, Kastenförderanlage usw. Moderne Kommunikationssysteme erleichtern alle Kontakte, Bestellungen, den gesamten Informationsfluß: Telefon, Telex, Hausrohrpost, Gegensprechanlage, Personenrufanlage (für Funksuchkontakte innerhalb des Gebäudes), Ziffernabrufanlage (für Lesernummern am Ausleihschalter) usw. Buchbearbeitung, Katalogisierung, Geschäftsabwicklung können sich auf einen vielfältigen Maschinenpark stützen: Büromaschinen (Schreibmaschinen, Rechenmaschinen, Vervielfältigungsmaschinen, Adressiermaschinen, Frankiermaschinen, Paketschnürmaschinen etc.), Buchbindermaschinen (Schneidemaschinen, Heftmaschinen, Lumbeckmaschinen, Prägemaschinen usf.), Reprogeräte (Film- und Reprokameras, Entwicklungs-, Vergrößerungs-, Kopier- und Eintaschungsgeräte, Fotokopie- und Xeroxapparate usw.), Druckmaschinen (ζ. B. Offset-Kleindruckmaschinen). Der Benutzungsdienst verfügt über Lesegeräte (für Mikrofilme, Mikrofiches, Dias), Abhöranlagen (für Schallplatten, Tonbänder), Sendeanlagen für audio-visuelle Medien (ζ. B. zur Fernsendung eines Lehrfilmprogramms aus der Bildzentrale einer Universitätsbibliothek in einen beliebigen Universitätshörsaal). Die Ausleihverbuchung geschieht bisweilen durch Fotoverbuchungsgeräte. Schließlich dringt auch die elektronische Datenverarbeitung (EDV) in der zweiten Hälfte des 20. Jh. auf vielen konventionellen Bibliotheksbereichen vor; zunächst in Einzel versuchen, allmählich häufiger: Computer für die Katalogerstellung, für die Ausleihverbuchung, für die Zugangsbearbeitung. Innerbetriebliche Gliederung (Abteilungen). - Das Industriezeitalter, mit seiner hochentwickelten Spezialisierung und Arbeitsteilung in allen Wirtschaftszweigen trägt Spezialisierung und Arbeitsteilung auch in die Bibliotheken. Massenzugang
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und Massenbenutzung, die damit verbundene Massierung der Bibliotheksaufgaben und des dafür erforderlichen Bibliothekspersonals führen zur arbeitsteiligen Gliederung in Bibliotheks-Betriebsabteilungen: Zugangsbereich (mehrere Dienststellen für die verschiedenen Erwerbungsarten und verschiedene Schriftengattungen); Katalogbereich (mehrere Dienststellen für Titelaufnahme und Führung der verschiedenen Kataloge); Benutzungsbereich (mehrere Leihstellen für die verschiedenen Ausleihebenen, Lesesaaldienste, Auskunftsdienst); Bewahrungsbereich (Magazindienst, Einbandstelle); technische Dienste (Hausbuchbinderei, Restaurierungswerkstatt, Reprostelle, Fotostelle, Druckerei, Poststelle, Fahrdienst). Diese fünf Bereiche werden in europäischen Bibliotheken oft zu drei Betriebsabteilungen zusammengefaßt: Zugangsabteilung (Akzession), Katalogabteilung, Benutzungsabteilung (einschl. Magazin und technische Dienste); in amerikanischen Bibliotheken meist etwas anders gegliedert: Processing-Department (Zugangsstellen, Titelaufnahme, Einbandstelle), Reference-Department (Kataloge, Bibliographien, Lesesäle, Auskunft), Circulation-Department (Leihstellen, Magazin, Reprodienste). - Neben diese Betriebsabteilungen treten an Großbibliotheken die Bestandsabteilungen für andere Sammelobjekte als Druckschriften; vereinzelt schon in der Vorepoche herausgebildet, jetzt mit eigenen Lesesälen, eigenem Personal, eigenem Bearbeitungsdienst. Vor allem die Handschriftenabteilung. Daneben oder mit ihr kombiniert, die Abteilung für kostbare und seltene Bücher (Buchmuseum, Inkunabelsammlung, Einbandsammlung, Sammlung von bibliophilen Werken). Ferner die Bildsammlung, Kartensammlung, Musiksammlung, sowie Kulturkreis-Sammlungen: ζ. B. orientalische Abteilung, Ostasienabteilung. - Daneben entwickeln sich vielerorts weitere Sondersammlungen: Abteilungen für besondere Spezialbestände, Forschungs- und Editionsabteilungen, bibliographische Abteilungen (Nationalbibliographie, Sonderbibliographien), Zentralkatalog, Bibliotheksschule, Veranstaltungsabteilungen (Öffentlichkeitsarbeit, Ausstellungen, Vorträge, Benutzerschulung) und natürlich die allgemeine Verwaltungsabteilung mit der Direktion. Bibliothekszusammenarbeit, Gemeinschaftsunternehmungen, Bibliotheksnetze. Spezialisierung und Arbeitsteilung prägen im Industriezeitalter die Einzelbibliotheken ebenso wie das Bibliothekswesen insgesamt, mit seinen verschiedenen Bibliothekstypen für die verschiedenartigsten Benutzungsanforderungen und Spezialaufgaben. Zur Wahrung der funktionalen Einheit bei aller Vielgestaltigkeit des Bibliothekswesens werden im 19. und 20. Jh. umfassende Kooperation und Koordination erforderlich. An gelegentlicher Zusammenarbeit einzelner Bibliotheken hatte es auch in früheren Epochen nie gefehlt. Jetzt aber wird die Bibliothekszusammenarbeit zur ständigen Einrichtung erhoben. — An der Basis des Bibliothekswesens entstehen örtliche Bibliotheksketten. Den angloamerikanischen Public Libraries werden allmählich Zweigbüchereien beigegeben (zufrühest in Boston, 1870), die mit der jeweiligen Hauptbibliothek ein städtisches Bibliothekssystem bilden. Ebenfalls zuerst in den U S A treten Instituts- und Fakultätsbibliotheken einzelner Universitäten mit der zentralen Universitätsbibliothek zu einem universitären Bibliothekssystem zusammen. Dies Prinzip des Urbanen bzw. universitären Bibliothekssystems gewinnt
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im weiteren Verlauf des 20. Jh. auch in andern Ländern an Boden, u. a. in Skandinavien, konsequent in der Sowjetunion, erst später und langsamer in Mitteleuropa. - Die örtliche wird bald durch regionale und gesamtstaatliche Zusammenarbeit ergänzt. Noch im Laufe des 19. Jh. kommt es in einigen Ländern zu zentraler Regelung gewisser gemeinsamer Bibliotheksangelegenheiten (institutionalisierte Fernleihe, gemeinsame Katalogregeln, zentraler Katalogkartendruck usw.). Alle derartigen, von Land zu Land verschieden weit entwickelten Gemeinschaftsunternehmungen werden Ende des 19. bis Anfang des 20. Jh. im preußischen Bibliothekswesen zusammengefaßt, auf einander abgestimmt, ergänzt und zu einem ersten gesamtstaatlichen Kooperationssystem wissenschaftlicher Bibliotheken ausgebaut (zunächst für die preußischen Universitätsbibliotheken mit der Königlichen Bibliothek zu Berlin als Koordinierungszentrale, vgl. S. 138 ff.). Das erste voll ausgebaute, rational durchgeplante gesamtstaatliche System von Bibliotheksnetzen führt im 20. Jh. die Sowjetunion ein: eine Zusammenfassung von Einzelbibliotheken bzw. örtlichen Bibliothekssystemen zu abgestuften regionalen und gesamtstaatlichen Bibliotheksnetzen, jeweils gegliedert in Einzelnetze nach Bibliothekstypen und Bibliotheksfunktionen (vgl. unten S. 205). - Im 20. Jh. wird die nationale durch internationale Bibliothekszusammenarbeit überdacht und ergänzt, getragen von der International Federation of Library Associations (IFLA, Dachorganisation der Bibliothekar- und Bibliothekenverbände, gegr. 1927), in Kooperation mit der Fidiration Internationale de Documentation (FID, 1937 reorganisiert aus dem 1895 gegründeten Institut International de Bibliographie), gefördert vom Völkerbund, dann von der Kulturorganisation der Vereinten Nationen ( U N E S C O , gegr. 1945/46). Bibliothekspersonal. - Die starke Zunahme der Bibliotheksaufgaben, der Benutzungsfrequenz und des Bestandsumfangs kann arbeitsmäßig nur durch starke Vermehrung des Bibliothekspersonals aufgefangen werden. Im 20. Jh. haben große Bibliotheken hundert und mehrere hundert Mitarbeiter. Die größten Bibliotheken der Welt verfügen über einen Personalstand von mehreren tausend Mitarbeitern. Hauptamtliches Bibliothekspersonal wird bei allen Bibliothekstypen selbstverständlich. Im Zuge dieser Personalausweitung entsteht, zum ersten Mal in der Weltbibliotheksgeschichte, ein eigenständiger bibliothekarischer Berufsstand mit fest umrissenem Berufsbild und besonderer Fachausbildung. - In vielen Ländern bleibt für die Bibliothekare neben der Bibliotheksfachausbildung ein Studienabschluß in andern wissenschaftlichen Fächern üblich; eine moderne Adaptation des Typus des Gelehrtenbibliothekars früherer Jahrhunderte. In manchen Ländern wird die Berufsgruppe des wissenschaftlichen Bibliothekars ergänzt durch eine zweite bibliothekarische Berufsgruppe mit etwas vereinfachtem Ausbildungsgang (»DiplomBibliothekar«), Ein anderes Modell sieht den Bibliothekar überwiegend als Betriebsbibliothekar, aber in voller fachlicher Kompetenz und Ranghöhe, und stellt ihm für spezielle Wissenschaftsfächer Fachspezialisten zur Seite. Daneben gibt es in manchen Ländern bibliothekarische Berufsgruppen für allgemeinbildende Bibliotheken und für Spezialbibliotheken. - Neben den Bibliothekaren, unter ihrer An-
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leitung, aber mit weitgehend selbständiger Tätigkeit, bildet sich in vielen Ländern die Berufsgruppe der Bibliotheksfachkräfte heraus (Bibliotheksassistenten, Bibliotheksfacharbeiter u. ä.). Sie gehören mit den Bibliothekaren zu den bibliotheksspezifischen Berufsgruppen. Aber auch einige andere Fachberufe finden in den Bibliotheken Verwendung: Buchbinder, Restauratoren, Fotolaboranten, Maschinentechniker, Kraftfahrer, Büro- und Verwaltungsfachkräfte usw. Schließlich auch angelernte Kräfte für die verschiedenartigsten Arbeitsaufgaben. - In Großbibliotheken mit Sonderabteilungen (Spezialsammlungen, Forschungs- und Editionsstellen, bibliographische Abteilungen usw.) kommen weitere Fachwissenschaftler und Spezialisten hinzu. Bibliotheksausbildung. - Die bibliotheksspezifische Ausbildung kommt im 19. Jh. schrittweise in Gang. Die Vorepoche stellte zwar bereits bibliothekarische Qualifikationsanforderungen, kannte auch vereinzelt bereits Eignungsprüfungen, aber begnügte sich doch mit der Aneignung bibliothekarischer Fachkenntnisse durch bloße Einarbeitung nach Amtsübernahme. Anfang des 19. Jh. wird die Forderung nach bibliothekarischer Ausbildung vor der eigentlichen Amtsausübung erhoben (Schrettinger). Ab Mitte des 19. Jh. dient die neu eröffnete Ecole des Chartes (1821), das Pariser Handschriften- und Urkunden-Lehrinstitut, der Ausbildung nicht nur der Archivare, sondern, in bezug auf das Handschriftenwesen, auch der Bibliothekare (1847). Im letzten Drittel des 19. Jh. erfolgt die Einführung von offiziellen Bibliothekarprüfungen: zuerst in Frankreich (1879), dann in Großbritannien (1885) und später auch anderwärts (ζ. B. in Preußen 1893). Theoretische Ausbildungseinrichtungen werden geschaffen: Errichtung einer Professur für »Bibliothekshilfswissenschaften« an der Universität Göttingen (Dziatzko, 1886), Bibliothekskurse an der Columbia University in New York (Dewey, 1887), Gründung einer Bibliotheksschule an der Staatsbibliothek in Albany im Staat N e w York (Dewey, 1889). Im 20. Jh. setzt sich eine geregelte Bibliothekarausbildung in allen Industriestaaten durch; überall mit obligatorischem Bibliothekspraktikum und fast überall mit Studium an einer Bibliotheksschule bzw. einem Bibliotheks-Lehrinstitut mit Universitäts-, Hochschul- oder Fachhochschulrang, mit festem Curriculum und ordentlicher Abschlußprüfung. - Im 20. Jh. führen einige Länder auch für die Bibliotheksfachkräfte (Bibliotheksassistenten, Bibliotheksfacharbeiter) eine geregelte und obligatorische Fachausbildung mit Fachprüfung ein. Bibliothekstheorie, Bibliothekswissenschaft. - Die Bibliothekstheorie hatte sich nach jahrhundertelanger Pause im 17. und 18. Jh. zum ersten Mal wieder stärker entfaltet, eine erste Bestandsaufnahme vorgenommen, wichtige Neuerungen angeregt und bereits in einer Anzahl beachtenswerter Publikationen veröffentlicht. Bis Ende des 18. Jh. hat sich die Bibliothekstheorie zu einer eigenständigen Bibliothekslehre, ja Bibliothekswissenschaft entwickelt. Jetzt wird auch der Terminus »Bibliothekswissenschaft« zuerst geprägt (Schrettinger 1807, gedruckt 1808). Das neue Fachgebiet präsentiert sich mit einer Reihe zusammenfassender und grundsätzlicher Schriften und Lehrbücher dieser Gründergeneration der Bibliothekswissenschaf tier: nach Michael Denis, in Wien noch am Ende der Vorepoche (vgl.
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III
oben S. 86), nun Martin Schrettinger in München (»Lehrbuch der Bibliothek-Wissenschaft«, in Heften 1808-29, zusammengefaßt als »Handbuch der BibliothekWissenschaft«, 1834; u. a. allgemeine Bibliothekslehre, Katalogkunde, »Einrichtungslehre«); Friedrich Adolf Ebert in Dresden (»Ober öffentliche Bibliotheken«, 1 8 1 1 ; »Die Bildung des Bibliothekars«, 1820; theoretische Einleitung zum »Allgemeinen bibliographischen Lexikon«, 1 8 2 1 - 3 0 ; u. a. Allgemeines zum Buch- und Bibliothekswesen, Bibliotheksverwaltungslehre und Bibliothekarqualifikation); Christian Molbech in Kopenhagen (»Om offentlige Biblioteker, Bibliotekarer og det man hat kaldet Biblioteksvidenskab«, 1828 als Zeitschriftenveröffentlichung, in Buchform 1829 als 2. Aufl.; deutsch 1833 unter dem Titel »Über Bibliothekswissenschaft, oder Einrichtung und Verwaltung öffentlicher Bibliotheken«), Ergänzend gehört hierher auch der italienische Architekt Leopoldo Deila Santa (»Deila construzione e del regolamento di una pubblica universale biblioteca«, 18 16, zu Bibliotheksbau und Bibliotheksausstattung). - Von der Mitte des 19. Jh. an ist das Bibliotheksfach fest etabliert, wenn auch seine eigentliche Wissenschaftlichkeit noch eine Weile umstritten bleibt. Es entwickelt sich aber im ganzen wie andere moderne Wissenschaftsfächer, unter Teilnahme von Forschern, Praktikern und Dozenten in allen Kulturstaaten, in vielfältiger Spezialisierung von Einzeldisziplinen und Randgebieten. Auch der übliche wissenschaftliche Publikationsapparat entsteht: neben Monographien bald auch Bibliothekszeitschriften (zufrühest das in Leipzig gegründete »Serapeum«, 1840 ff.), Bibliographien, Statistiken, Adreßbücher usw. Dazu Bibliothekskongresse (zufrühest in New York, 1853). Mit der Bibliotheksprofessur an der Universität Göttingen (Karl Dziatzko, 1886) und den Bibliothekskursen an der Columbia University in New York (Melvil Dewey, 1887) tritt die Bibliothekswissenschaft auch als Universitätsfach auf. - Das 20. Jh. faßt die inzwischen emporgewucherte Vielfalt des Bibliothekswissens in großen Enzyklopädien zusammen: zuerst im skandinavischen »Handbog i bibliotekskundskab« (begründet von Svend Dahl in Kopenhagen, 1. Aufl. schon 1 9 1 2 , mehrere weitere Aufl. bis 1957-60); dann ähnlich im »Handbuch der Bibliothekswissenschaft« (bearbeitet in der Obhut des Berliner Bibliothekswissenschaftlichen Instituts, unter der Herausgeberschaft von Fritz Milkau, 1 9 3 1 - 3 3 , später nochmals 1952-65); schließlich in Lexikonform mit der »Encyclopedia of Library and Information Science« (von einer internationalen Arbeitsgruppe, unter der Herausgeberschaft von Allan Kent und Harold Lancour, 1968 ff.) und im »Lexikon des Bibliothekswesens« (unter der Herausgeberschaft von Horst Kunze und Gotthard Rückl, 1. Aufl. 1969). - Neben die vielfältige Einzelforschung tritt zunehmend auch die Hintergrund-, Struktur- und Funktionsforschung. Zentren der Bibliothekswissenschaft sind neben den Ausbildungseinrichtungen (Bibliotheksschulen, Bibliotheks-Lehrinstitute) auch besondere Institute für Bibliotheksforschung und Bibliothekstechnik. Organisatorische Einrichtungen, Bibliothekenverbände und Bibliothekarvereinigungen, sowie deren Kommissionen, Kongresse und Publikationsorgane, nehmen sich ebenfalls bibliothekswissenschaftlicher Fragen an und unterstützen beratend auch die Bibliotheksplanung. Die ersten Bibliotheksvereinigungen entstehen schon in der zweiten Hälfte des 19. Jh.: zuerst in den U S A (American
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Industriezeitalter
Library Association, 1876) und in Großbritannien (Library Association of the United Kingdom, 1877); andere Länder folgen später nach (in Mitteleuropa: österreichischer Verein für Bibliothekswesen 1896, Verein Schweizerischer Bibliothekare 1897, Verein deutscher Bibliothekare 1900). - In der zweiten Hälfte des 20. Jh. vollzieht sich die Verbindung der Bibliothekswissenschaft mit der gesamten Informationswissenschaft. D 3.4. Bibliotheksverwaltung,
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Allgemeines. - Die starken Veränderungen der Arbeitsbedingungen gegenüber der Vorepoche führen im Industriezeitalter auch zur Veränderung der Arbeitsweise. Die Vervielfachung der Buchproduktion, des Buchzugangs, des Bestandsumfangs, der Leserzahlen und der Benutzungsfrequenz, die entsprechende Zunahme des Arbeitsanfalls und des zu seiner Bewältigung erforderlichen Bibliothekspersonals, der wachsende Informationsbedarf, die »Informations-Explosion« und die vergrößerte Erschließungsintensität, die Komplizierung durch neue Medien, die weitere Spezialisierung der Wissenschaften, die innerbetriebliche Gliederung der Bibliotheken und die zunehmende Technisierung der Bibliotheksarbeit - das alles führt zu einer prinzipiellen Veränderung der Bibliotheksbetriebssituation. Die Großbibliothek wird zum Großbetrieb. Zu einem staatlichen bzw. kommunalen Dienstleistungsbetrieb, geführt nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Gehören die Bibliotheken mit den Inhalten der von ihnen verwahrten Bücher, Medien und Dokumente in den Bereich der Wissenschaften und der Literatur, sind sie mit deren Erschließung, mit Katalogen, Bibliographien und Dokumentation, in den Gesamtbereich des Informationswesens einbezogen, so wächst ihre Betriebsorganisation im Industriezeitalter in den Anwendungsbereich der Betriebswirtschaft hinein. Bestandsaufbau (Erwerbung): Allgemeines. - Der Buchzugang an den Bibliotheken vervielfacht sich im Industriezeitalter, vollzieht sich aber im ganzen nach den bereits in der Aufklärungszeit erarbeiteten Prinzipien. Aufgrund der Forderungen der Bibliothekstheoretiker des 17. Jh. erfolgte im 18. Jh. die Weichenstellung für eine systematische, umfassende, gleichmäßige und kontinuierliche Buchanschaffung (vgl. oben S. 86 f.). Diese Erwerbungsprinzipien setzen sich jetzt überall durch, orientiert an den Buchneuerscheinungen, dem Leserbedarf und der Aufgabenstellung der Bibliotheken. Der Anschaffungszuschnitt wird auf die spezifischen Funktionen der jeweiligen Bibliothek abgestimmt: modifiziert und gestuft für die öffentlichen wissenschaftlichen Zentralbibliotheken auf nationaler und regionaler Ebene (National-, Staats-, Landesbibliotheken); für die öffentlichen Bibliotheken und Büchereien der Städte; für die Universitäts- und Hochschulbibliotheken; und für die unterschiedlichsten Spezialbibliotheken. - Die Anschaffungsauswahl treffen im allgemeinen Fachwissenschaftler: an großen Bibliotheken oft ein Gremium von Fachreferenten, wissenschaftlichen Bibliothekaren; an Institutionsbibliotheken häufig wissenschaftliche Mitarbeiter der betreffenden Institutionen (Professoren und Hochschuldozenten, Behördendezernenten, Fachwissenschaftler von Forschungs-
Bibliotheksbetriebswesen
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Instituten u. ä.). Für kleinere Büchereien bzw. Büchereinetze kann kollektive Anschaffungsorientierung durch Sammellektorate, Empfehlungslisten oder BestandsMustersammlungen erfolgen. - Eine Gemeinschaftsunternehmung der Buchanschaffung sind die Sondersammelgebiets-Regelungen. Die Schwierigkeit, angesichts der ständigen Zunahme der Buchproduktion, die internationale wissenschaftliche Literatur einigermaßen vollständig zu sammeln, führt trotz großer Zunahme des Bestandsumfangs zu einer relativen Abnahme der Bestandsdichte und -Vollständigkeit an der Einzelbibliothek. Als Ausweg aus dieser Schwierigkeit bietet sich die Verteilung der Erwerbungsaufgaben auf mehrere wissenschaftliche Bibliotheken eines Landes. Dabei wird je eine bestimmte wissenschaftliche Bibliothek für die vollständige Bucherwerbung in bestimmten Wissenschaftsfächern planmäßig zuständig. Dieser Gedanke wird im 19. Jh. zuerst in Deutschland entwickelt (Robert v. Mohl, 1869) und im 20. Jh. in mehreren Ländern durchgeführt (erster Anlauf in Preußen 1910, gesamtheitlich ausgebaut in Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren, gleichzeitig auch in Österreich, Frankreich, Schweden, später auch anderwärts). A u f der gleichen Linie, aber als andere Variante, liegt die Errichtung nationaler Fachzentralbibliotheken im weiteren Verlauf des 20. Jh. - Eine weitere Gemeinschaftsunternehmung sind die zentralisierten Sammel-Beschaffungseinrichtungen, die die U S A und die Sowjetunion in der zweiten Hälfte des 20. Jh. beispielgebend einführen. Bestandsaufbau: Zugangsarten. - Die verschiedenen Zugangsarten der Vorepoche werden im Industriezeitalter weitergeführt. Der Kaufzugang bleibt die Haupterwerbungsart. Feste Anschaffungsetats bilden jetzt überall die selbstverständliche und solide Grundlage ausgewogener und kontinuierlicher Buchanschaffung. - Der Pflichtzugang hat sich mit Pflicht- oder Belegexemplaren fast überall durchgesetzt und wird präzise gehandhabt, mit dem Ziel möglichst lückenloser Archivierung des jeweils regional einschlägigen Schrifttums. - Der Tauschzugang legt die frühere Zufälligkeit (ζ. B. fallweiser Dublettentausch) ab und wird zu einem geregelten Verbundsystem fester Tauschbeziehungen ausgebaut. Dabei werden bestimmte offizielle und offiziöse Publikationen, auch Serien und Zeitschriften, »graue« und schwer beschaffbare Literatur regelmäßig und verläßlich beschafft und mit einer großen Zahl fester Tauschpartner planmäßig ausgetauscht. Für bestimmte Bereiche kommt es auch zur Institutionalisierung des Schriftentauschs: ζ. B. Rahmenregelungen zum Austausch von Dissertationen und amtlichen Druckschriften, ζ . T. auch zentralisierter Dublettentausch. - Auch der Geschenkzugang spielt eine gewisse Rolle. Bestandsauf bau: Betriebsorganisation. — Im Rahmen der innerbetrieblichen A b teilungsgliederung bildet sich im 19. und 20. Jh. eine eigene Erwerbungsabteilung (»Akzession«) für die Abwicklung der Erwerbungsgeschäfte heraus. A n großen Bibliotheken weiter untergliedert nach den Zugangsarten: in eine Kaufakzession, Pflichtakzession, Tausch- und Geschenkakzession; o f t mit weiteren Teilakzessionen für bestimmte Schriftengattungen bzw. Erscheinungsweisen: Zeitschriftenstelle (zur laufenden Kontrolle der abonnierten Zeitschriften und andern Periodica,
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in allen Zugangsarten), Fortsetzungsstelle (zur laufenden Kontrolle der abonnierten mehrbändigen Werke und Serienwerke, ebenfalls in allen Zugangsarten), Dissertationsstelle (für den Dissertationenaustausch in beiden Richtungen, oft gekoppelt mit der Dissertationenkatalogisierung). - Die betriebliche Abwicklung der vielfältigen Erwerbungsgeschäfte erfordert im Industriezeitalter nicht nur ein starkes Personalaufgebot, sondern auch die Anwendung betriebswirtschaftlicher Methoden und den Einsatz moderner Büro- und Verbuchungsgeräte. - Neben die Akzessionstätigkeit innerhalb der einzelnen Bibliotheken treten im 20. Jh. auch externe Erwerbungsaktivitäten: ζ. B. Außenstellen einer Großbibliothek in den Beschaffungsländern, die die laufend erscheinende relevante Literatur an Ort und Stelle, ζ. T. anhand der dortigen Nationalbibliographien, beschaffen (praktiziert ζ. B. von der Library of Congress in Washington, vgl. S. 221 f.). Solche Außenstellen können auch für mehrere weitere Bibliotheken zugleich tätig werden. Auch private Buchhandelsorganisationen und Agenturen bieten summarische Zulieferung aus bestimmten Ländern nach gestaffelten Modellprogrammen. Erschließung, Katalogisierung: Katalogarten, Katalogformen. - Hauptkatalog der Vorepodie war der systematische Katalog, häufig zugleidi in der Funktion eines Standortverzeichnisses und vielfach ergänzt durch ein alphabetisches Verfasserregister. Aus dem ergänzenden Verfasserregister entwickelt sich allmählich der selbständige alphabetische Verfasserkatalog (»Alphabetischer Katalog«), der im 19. und 20. Jh. zum eigentlichen Hauptkatalog wird und alle selbständig erschienenen Schriften nach Verfassernamen oder Sachtiteln alphabetisch verzeichnet. - Neben ihm gibt es auch jetzt, wie in der Vorepoche, den systematischen K a talog, aber allein in Sachkatalogfunktion. Unter zahlreichen neuen und einflußreichen Systematikmodellen f ü r Einzelbibliotheken oder Bibliotheksgruppen ragt die Dezimalklassifikation durch besonderen internationalen Einfluß heraus. In den U S A von Melvil Dewey entwickelt und auf amerikanische Verhältnisse zugeschnitten (1876), wird sie später für internationale Anwendbarkeit umgearbeitet (Otlet und Lafontaine in Brüssel, 1907). Neben dem systematischen Katalog gewinnt jetzt auch der Schlagwortkatalog im Sachkatalogbereich große Verbreitung. Eine Kombination von alphabetischem Verfasserkatalog und Schlagwort-Sachkatalog führt Charles A. Cutter mit seinem »Dictionary Catalogue« ein (»Kreuzkatalog«, Boston 1876). - Da die Buchaufstellung jetzt weder dem alphabetischen noch dem systematischen Katalog entspricht, sondern nur durch Signaturen nachgewiesen wird, erscheint zur ordentlichen Fixierung ein zusätzlicher Standortkatalog nützlich, der den Buchbestand in Standortreihenfolge verzeichnet. - Ferner treten häufig Sonderkataloge für Sonderbestände hinzu (Zeitschriften, Landkarten, Musikalien, Schallplatten, Handschriften, sachliche Sondersammlungen u. a.). Die normale Katalogform, in der Vorepoche überwiegend der Bandkatalog (Katalog in Buchform), wird im Laufe des 19. und 20. Jh. der Zettelkatalog mit Titelzetteln bzw. Titelkarten in Kapseln oder Karteien. In der zweiten Hälfte des 20. Jh. entstehen erste EDV-Kataloge mit Magnetbandverzeichnung (erste Versuche in den U S A , voll durdigeführt zufrühest in Bochum 1964, bedeutend in
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Washington 1966/69), deren Klartextausdrucke wieder Bandform haben. Konventionell gedruckte Kataloge erscheinen nur noch für einige Großbibliotheken (London, Paris, Washington). Katalogisierung: Betriebsorganisation, Katalogregeln. - Im Rahmen der innerbetrieblichen Abteilungsgliederung bildet sich im 19. und 20. Jh. eine eigene Katalogabteilung heraus, an großen Bibliotheken in mehrere Unterabteilungen gegliedert. Für die Führung der verschiedenen Kataloge (alphabetischer Verfasserkatalog, Sachkatalog, Sonderkataloge) können sie evtl. zugleich mit dem Auskunftsdienst (»Reference Department«) gekoppelt sein. Die Erstellung der eigentlichen Titelaufnahmen besorgt eine zentrale Dienststelle der Katalogabteilung, die ausgesprochen den Bearbeitungsdiensten zugehört (»Processing Department«) und in manchen Bibliotheken mit der Akzession enger zusammenarbeitet. - Die Titelaufnahmen, auf Katalogkarten vervielfältigt, dienen der Weiterführung aller K a taloge der Bibliothek. Für die einheitliche Gestaltung der Titelaufnahmen sorgen jetzt feste, schriftlich fixierte, ja gedruckt kodifizierte Katalogregeln: zufrühest in Frankreich (Vorläuferregeln für die zentrale Verzeichnung des Revolutions-Beschlagnahmegutes, 1791), dann in London (91 »Rules« von Panizzi, 1841) und München (1850). - Allmählich setzen sich auch gesamtstaatliche Katalogregeln durch: zuerst wiederum in Frankreich (Delisle, 1890), dann in Preußen (1899). Das Prinzip der Uberstaatlichkeit von Katalogregeln entsteht mit der Übernahme der preußischen Kataloginstruktionen durch fast ganz Deutschland, Österreich, zeitweilig auch Rußland und durch die gemeinsamen angloamerikanischen Katalogregeln (1908). Beide Regelwerke normen nicht nur die Titelaufnahme, sondern fixieren auch die Reihenfolge der Titelordnung im alphabetischen Katalog. Dabei gewinnt die unkomplizierte mechanische Wortfolge der angloamerikanischen K a talogregeln allmählich breite internationale Anerkennung gegenüber der komplizierteren wortgrammatischen Reihenfolge der preußischen Instruktionen (endgültig durchgesetzt auf der IFLA-Katalogkonferenz in Paris, 1961). Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Titelaufnahmeregeln für Kataloge und Bibliographien, auch von den Informationswissenschaftlern und Dokumentaren befürwortet (Aleksandr I. Michajlov in »Osnovy informatiki«, Moskau 1968), finden ihren Niederschlag in der »International Standard Bibliographie Description« (Kopenhagen 1969). Katalogisierung: Zentrale Katalogisierung, Gesamtkataloge. - Die Existenz fester, einheitlicher Katalogregeln ermöglicht auch zentrale Katalogisierung, d. h. zentrale Erstellung der Titelaufnahmen, für mehrere Bibliotheken eines Netzes oder Landes: mit ausgedruckten Listen ausschneidbarer Titelaufnahmen (für die Universität Cambridge 1 8 6 1 ) und bald auch mit ausgedruckten Katalogkarten, d. h. Zetteldrucken (Washington 1901, Berlin 1909). - Einheitliche Katalogregeln ermöglichen auch die Anlage von Gesamtkatalogen (Zentralkatalogen), die die Buchbestände mehrerer Bibliotheken eines Netzes oder Landes für Auskunfts- und Fernleihzwecke kollektiv erfassen. Nach vereinzelten frühen Anläufen (für spätmittelalterliche Klosterbibliotheken in England im 15. Jh. und für das französische Revolutions-Beschlagnahmegut zu Ende des 18. Jh.) entstehen im 19. und 20. Jh.
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zahlreiche Gesamtkataloge, meist in Zettelkatalogform, aber auch als gedruckte periodische Zugangskataloge (Schweden seit 1887, Preußen seit 1892) und als gedruckte retrospektive Gesamtkataloge aller Bestände (Preußen 1 9 3 i f f . , U S A 1968 ff.). Benutzung. - Erst im 19. und 20. Jh. entsteht die eigentliche Gebrauchsbibliothek. Die Benutzung rückt jetzt in den Mittelpunkt aller Bibliotheksaktivitäten. Ursache dafür sind die tiefgreifenden Veränderungen auf allen Lebensgebieten. Die allgemeine Ausbreitung der Volksbildung, die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht, die endgültige Überwindung des Analphabetentums lassen im Industriezeitalter die Gesamtbevölkerung der Industriestaaten, mit allen Gesellschaftsschichten, zu potentiellen Lesern der Bibliotheken werden. Und die Zahl der qualifizierten Leser, besonders der wissenschaftlichen Bibliotheksbenutzer, vervielfacht sich ebenfalls im Zuge der Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche. Den breit gestreuten Leserinteressen, den gestuften Wissenschafts-, Bildungs- und Literaturanforderungen entspricht das gestaffelte Bibliothekswesen mit seinen verschiedenen Bibliothekstypen. Das Prinzip der Benutzungsfreundlichkeit, der Bedarfsorientiertheit und Bedarfsdeckung wird zur Leitlinie der Bibliothekspolitik. Universell setzt sich das Prinzip der Benutzungsöffentlichkeit durch. Uneingeschränkt bei den öffentlichen Bibliotheken, auch bei den öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken; eingeschränkt nur bei den institutionsgebundenen Bibliotheken bzw. Spezialbibliotheken, aus institutionsbezogenen oder funktionsspezifischen Gründen, aber in dem begrenzteren Rahmen doch nicht im Widerspruch zur Benutzungsöffentlichkeit. - Neben die aus der Vorepoche überkommene Präsenzbenutzung innerhalb der Bibliothek tritt im Industriezeitalter weithin die Ausleihe. Gegenüber dem 18. Jh. wird sie jetzt zur allgemeinen Einrichtung und zur Hauptbenutzungsart. Nur Institutsbibliotheken und Spezialbibliotheken sowie einige Nationalbibliotheken behalten die alte obligatorische Präsenzbenutzung generell bei. Sonst bleibt obligatorische Präsenzbenutzung lediglich auf Lesesaalbestände (Nachschlagewerke, Quellenwerke u. ä.) und auf besonders wertvolle und alte Werke beschränkt. Andererseits steht ausreichende Lesesaalkapazität für die Arbeit innerhalb der Bibliothek und für die Benutzung auch von Magazinbeständen in den Lesesälen zur Verfügung. Bei einigen Bibliothekstypen, und in manchen Ländern besonders gefördert, öffnet sich das Magazin dem unmittelbaren Leserzugriff (Freihandaufstellung). Lange, ganztägige Öffnungszeiten werden allgemein üblich (besonders großzügig in den U S A und in der Sowjetunion). - Die Benutzung am Ort (Lesesaalbenutzung, Ortsausleihe) findet jetzt ihre ständige Ergänzung in der Fernleihe. In vereinzelten Fällen seit eh und je üblich, erhebt sie sich im 19. und 20. Jh. zu einer dauernden Einrichtung, institutionalisiert, mit festen, rechtsgültigen Formalien und internationalem Anwendungsbereich. Gegenüber der früheren Zufallsfernleihe vollzieht sich die Institutionalisierung zu einer ständigen Fernleihe im frühen 19. Jh., zunächst 1816 zwischen den beiden württembergischen Bibliotheksorten Stuttgart (Königliche Bibliothek) und Tübingen (Universitätsbibliothek). Es folgen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. in größerem Rahmen: Italien (1879), Österreich (1883), Frank-
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reich (1886) und Preußen (1890/93, ausgedehnt auf das Deutsche Reich 1924). Eine internationale Fernleihregelung besteht seit 1936 und wird in der Folge von den Einzelstaaten als verbindlich akzeptiert (in Deutschland ζ. B. 1937). - Zum Benutzungs-Service des 20. Jh. gehört auch der Kopierdienst (Fotokopien, Verfilmung usw.), das Veranstaltungsangebot (besonders bei den öffentlichen Bibliotheken), die Benutzerschulung (auf der Benutzerforschung basierende Anleitung zur Bibliotheksbenutzung) und der Auskunftsdienst (örtlich und zentralisiert, ζ. T. als aktive Informationsvermittlung). - Ziel aller differenziert ausgebauten Benutzungsdienste ist es, jedes· benötigte Buch zu jeder Zeit, an jedem Ort, für jeden Informationsteilnehmer schnell zur Verfügung zu stellen: eine umfassende Literatur- und Informationsversorgung im Dienste der Entwicklung des wissenschaftlichen, kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens.
Ε. Neuzeit (Europäische Bibliotheken) Ε ι. Mitteleuropa (Deutschsprachiges und niederländisches Europa) Ε I.I. Allgemeines Bibliothekswesen: Allgemeines. - Mitteleuropa hat die gesamte Neuzeit hindurch bestimmenden Anteil an der europäischen Bibliotheksentwicklung. Durch die Erfindung der Buchdruckerkunst gewinnt Mitteleuropa gleich zu Beginn der Neuzeit eine zentrale Position im Buch- und Bibliothekswesen, die es durch sein wirtschaftliches und politisches Gewicht halten kann. Gut ausgebaute, auf der jeweiligen Höhe des gesamteuropäischen Niveaus rangierende Bibliotheken kennzeichnen das mitteleuropäische Bibliothekswesen durch alle Jahrhunderte der Neuzeit. - Nicht weniger bezeichnend ist für das Bibliothekswesen im deutschen Sprachgebiet und in ganz Mitteleuropa seine ausgeprägte Vielgestaltigkeit. Eine Folge der föderativen Gliederung des alten Römisch-deutschen Reichs (bis 1806), die sich auch in Norditalien bemerkbar macht, in der Kulturautonomie von Einzelländern fortlebt (so in Österreich-Ungarn, im Bismarckschen Deutschen Reich und später in der Bundesrepublik Deutschland) und die Ausgliederung und politische Unabhängigkeit mehrerer deutschsprachiger Einzelstaaten gefördert hat. - Das deutsche Bibliothekswesen weist durch alle Jahrhunderte der Neuzeit eine gewisse internationale Verflochtenheit auf; lange vor der internationalen Bibliothekszusammenarbeit des 20. Jh. Auch dies ζ. T. eine Auswirkung des alten Römisch-deutschen Reichs und seines supranationalen Charakters (Union des deutschen Sprachgebiets, der Benelux-Gebiete, der Tschechei, Norditaliens), aber auch der Einfluß jahrhundertelanger Personalunionen deutscher Einzelterritorien mit auswärtigen Nachbarstaaten (Österreich, Holstein, Kursachsen, Kurhannover, Kurbrandenburg). Hofbibliotheken, Staats- und Landesbibliotheken. - Die Hofbibliotheken, durch Jahrhunderte der wichtigste europäische Bibliothekstyp, entstehen in Deutschland ζ . T. bereits in der Renaissance (wie in Italien und Frankreich), ζ. T. im BarockZeitalter. Der föderative Charakter des Römisch-deutschen Reichs führt zu einer Vielzahl von Hofbibliotheken in den Haupt- und Residenzstädten aller wichtigen Einzelterritorien. Größe, politische und wirtschaftliche Macht der Einzelländer bestimmen den Zuschnitt der Hofbibliotheken, unter denen die der Kurfürstentümer und späteren Königreiche an Bedeutung hervorragen. Die Kaiserliche Bi-
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bliothek in Wien bleibt durch alle Jahrhunderte, bis ins 19. Jh. hinein, die größte Bibliothek des deutschen Sprachgebiets. An zweiter Stelle stehen nacheinander die Hofbibliotheken in Heidelberg (16. Jh.), Wolfenbüttel (17. Jh.), Dresden (18. Jh.), München (Anfang des 19. Jh.), das dann bald an die erste Stelle vorrückt und diese Ende des 19. Jh. an Berlin überläßt. Das Zeitalter des kontinentaleuropäischen Absolutismus (17. und 18. Jh.) wird die Blütezeit der Hofbibliotheken auch in Deutschland. Im Industriezeitalter übernehmen mehrere alte Hofbibliotheken die Funktionen einer öffentlichen wissenschaftlichen Zentralbibliothek (National-, Staats-, Landesbibliothek) in den deutschsprachigen souveränen Einzelstaaten bzw. den autonomen Bundesländern. Wo alte Hofbibliotheken fehlen, üben Neugründungen (ζ. B. Bern) oder andere Bibliothekstypen (ζ. B. Hamburg) die Zentralfunktion aus. Das System einer Pluralität von Staats- und Landesbibliotheken vergleicht sich in manchem den Verhältnissen in Italien (ebenfalls mit alten Traditionen) und in Großbritannien (mit Neugründungen im Industriezeitalter). Es steht im Gegensatz zum Bibliothekszentralismus Frankreichs (der dessen politischem Zentralismus entspricht). Universitätsbibliotheken. - Universitäten bestehen in Mitteleuropa seit dem 14. Jh. (ein Jahrhundert später als in den romanischen Ländern und in England). Zunächst mit kleinen Kollegienbibliotheken, später mit zentralen Universitätsbibliotheken, (ζ. T. noch vor Beginn der Renaissance, spätestens seit dem Barock). Fast überall bleiben die Universitätsbibliotheken bis nach 1800 von geringem Zuschnitt. Vorbild für ein besseres Niveau werden im 18. Jh. die Bibliotheken der neuen Aufklärungsuniversitäten (Halle, Göttingen). Im 19. und 20. Jh. nehmen die mitteleuropäischen Universitätsbibliotheken eine generelle Aufwärtsentwicklung, schieben sich neben, ζ. T. vor die Landesbibliotheken und werden zu Hauptstützpunkten der wissenschaftlichen Literaturversorgung. Stadtbibliotheken. - Stadtbibliotheken entstehen in Mitteleuropa früher als in den meisten andern Ländern. Vielfach schon in der Renaissance (zunächst als Ratsbibliotheken, d. h. Behördenbibliotheken). Als Folge der politischen und wirtschaftlichen Emanzipation der Städte, besonders der Freien Reichsstädte als autonomer Stadtrepubliken, erreichen im 17. und 18. Jh. einige wissenschaftliche Stadtbibliotheken bereits ein beachtliches Niveau. Dieser Vorsprung Mitteleuropas führt jedoch im Industriezeitalter zu einer Zweigleisigkeit des kommunalen Bibliothekswesens: mit allgemeinbildenden »Volksbüchereien« neben und ζ. T. im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Stadtbibliotheken. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. wird diese Zweigleisigkeit allmählich abgebaut und durch sinnvolle Koordinierung und organisatorische Zusammenführung beider Sparten des kommunalen Bibliothekswesens abgelöst. Damit schwenkt das mitteleuropäische kommunale Bibliothekswesen schließlich auf die von den angelsächsisch-skandinavischen Public Libraries schon im 19. Jh. angebahnte und im 20. Jh. auch anderwärts übernommene Entwicklungsrichtung ein. Bibliothekszusammenarbeit. — Zentrale Einrichtungen und Gemeinschaftsunternehmungen entwickeln sich im mitteleuropäischen Bibliothekswesen, wie anderwärts,
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erst im späteren 19. und im 20. Jh. Zu dieser Zeit ist der gemeinsame staatlich-politische Rahmen Mitteleuropas bereits entfallen. So entstehen mehrere parallele Bibliothekssysteme. Mit frühen Ansätzen in Österreich (ζ. B. gesamtstaatliche Fernleihe 1883) und dann durchgreifend und mit vielen Einrichtungen gebündelt im wilhelminischen Preußen (vgl. S. 138 f.). Die Errungenschaften des preußischen Bibliotheksorganismus setzen sich in der Weimarer Zeit im gesamten Deutschen Reich, ζ. T. auch in Österreich, durch. Die Teilung des Deutschen Reichs nach dem 2. Weltkrieg führt zu getrennten Bibliothekssystemen in der D D R (vgl. unten S. 144 f.) und der Bundesrepublik Deutschland. Bibliothekswesen in der Bundesrepublik Deutschland. - In der zweiten Hälfte des 20. Jh. bietet die Bundesrepublik Deutschland (60 Millionen Einwohner) den Entwicklungsrahmen für das Bibliothekswesen mehrerer deutscher Einzelländer (von der Bevölkerungsgröße europäischer Mittelstaaten) mit unterschiedlicher und ζ. T. sehr langer eigener Bibliothekstradition. Im Grundsatz regional gegliedert, ist das Bibliothekswesen der Bundesrepublik Deutschland durch enge Kooperation und Koordination doch zu einem einheitlichen Bibliothekssystem zusammengefaßt. Die obere Spitze des Bibliothekssystems bilden mehrere Zentralbibliotheken: die Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Westberlin und die Bayerische Staatsbibliothek in München als bestandsstärkste Zentren der internationalen Literatur; die Deutsche Bibliothek in Frankfurt am Main als Archivbibliothek für das deutschsprachige Schrifttum; die vier zentralen Fachbibliotheken für Wirtschaft (Kiel), Technik (Hannover), Landwirtschaft (Bonn) und Medizin (Köln). Mehrere Gemeinschaftsunternehmungen werden von ihnen getragen bzw. geleitet (besonders von der Staatsbibliothek in Westberlin). Andere Gemeinsdiaftsunternehmungen sind regional gegliedert (sechs Bibliotheksregionen in der Bundesrepublik, dazu die Bibliotheksregion Westberlin). - Die Einheit des gesamten Bibliothekswesens, der wissenschaftlichen und der allgemeinen öffentlichen Bibliotheken, wird durch den neuen »Bibliotheksplan 1973« (Entwurf eines umfassenden Bibliotheksnetzes für die Bundesrepublik Deutschland) vorbereitet. Eine einheitliche Dachorganisation faßt alle Bibliothekstypen (wissenschaftliche Bibliotheken, öffentliche Büchereien, Spezialbibliotheken) zusammen: der Deutsche Bibliotheksverband (»DBV«, gegr. 1973, Sitz: Westberlin). Das Sondersammelgebietsprogramm der wissenschaftlichen Bibliotheken erhält bundesweite Abstimmung und finanziellen Rückhalt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (»DFG«, gegr. 1951, Sitz Bonn-Bad Godesberg). Weitere Zentraleinrichtungen stehen ergänzend zur Verfügung, so die Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik (methodisches Zentrum bei der Staatsbibliothek in Westberlin) und die »Einkaufszentrale« in Reutlingen (»EKZ«, gegr. 1947, zur vereinfachten Bucherwerbung für kleinere Büchereien und zur genossenschaftlichen Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen des Bibliotheksbedarfs). - Bei der Einführung der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) in das Bibliothekswesen hält die Bundesrepublik Deutschland die zweite Stelle in der Welt (nächst den USA). Seit dem 2. Weltkrieg haben die meisten größeren und viele kleine Bibliotheken der Bundesrepublik Neubauten erhalten.
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Gemeinschaftsunternehmungen im gesamten deutschen Sprachgebiet. - Entsprechend der Sprach- und Kultureinheit des deutschen Sprachgebiets, entwickeln sich auch gewisse Gesamteinrichtungen des ganzen deutschsprachigen Buch- und Bibliothekswesens. So die gemeinschaftliche Archivierung und Verzeichnung des deutschsprachigen Schrifttums in der Deutschen Bücherei zu Leipzig und, nach dem 2. Weltkrieg, parallel dazu auch in der Deutschen Bibliothek zu Frankfurt am Main: »Deutsche Nationalbibliographie« und »Deutsche Bibliographie«, mit entsprechender Abstimmung zur österreichischen und schweizerischen Bibliographie. Desgleichen die gemeinsamen Katalogisierungsregeln: vor dem 2. Weltkrieg durch die Übernahme der preußischen Kataloginstruktionen für das gesamte Deutsche Reich und Österreich; nach dem 2. Weltkrieg durch internationale Angleichung und Ergänzung der Regeln auf gesamt-deutschsprachiger Ebene (Regeln für die alphabetische Katalogisierung, »RAK«).
Ε 1.2. Hansestädte, Schleswig-Holstein,
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Allgemeines. - Die Länder des nordwestdeutschen Raums haben sich in jahrhundertelanger Eigenentwicklung profiliert. Holstein und Schleswig (letzteres bis 18 66 außerhalb des Reichs und des Deutschen Bundes) werden durch lange Personalunion mit Dänemark geprägt (1460-1864). Vorübergehend dem preußischen Staat einverleibt, bilden sie nach dem 2. Weltkrieg das Bundesland Schleswig-Holstein. - Niedersachsen umfaßt vorab die altwelfischen Erblande Hannover und Braunschweig-Wolfenbüttel, dazu einige weitere Gebietsteile. Das Kurfürstentum, später Königreich, Hannover gewinnt durch die Erbnachfolge des Hauses Hannover in Großbritannien und die anschließende britisch-hannoversche Personalunion ( 1 7 1 4 bis 1837) zusätzliche Bedeutung. Später einige Zeit preußisch (1866-1945), wird es nach dem 2. Weltkrieg zum Kerngebiet des Bundeslandes Niedersachsen. - Die Hansestädte Hamburg und Bremen bleiben, aufgrund ihres wirtschaftlichen Gewichts, als Stadtstaaten erhalten, als Anfang des 19. Jh. die meisten andern deutschen Stadtrepubliken ihre Eigenständigkeit verlieren. Hansestädte, Schleswig-Holstein: Bibliotheken. - Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein bilden innerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine eigene Bibliotheksregion (Gesamtbevölkerungszahl: $ Millionen; annähernd die Dänemarks). Historisch kommt es, infolge der frühen und langen Personalunion zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark, nicht zur Gründung einer holsteinischen Hofbibliothek in Kiel neben der dänischen Hofbibliothek in Kopenhagen (gegr. 1665). In Kiel übernimmt die Universitätsbibliothek (gegr. ebenfalls 1665, gleichzeitig mit der Universität) von Anfang an gewisse Landesbibliotheksfunktionen neben der vollen Literaturversorgung der Universität (die heutige Kieler Landesbibliothek, eine preußische Gründung, beschränkt sich auf die Funktion eines landeskundlichen Instituts). Im 20. Jh. entwickelt sich die Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel zur größten Wirtschaftsbibliothek der Welt und wird zur Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften in der Bundesrepublik Deutsch-
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land (1966). - Die wissenschaftlichen Stadtbibliotheken der Region sind alt und bedeutend: Hamburg (vgl. unten), Bremen (gegr. 1660) und Lübeck (gegr. 1616/22). Erst im 20. Jh. entstehen auch in den Hansestädten eigene Universitäten, die sich bibliothekarisch auf die Stadtbibliotheken stützen: Hamburg (vgl. unten), Bremen (Universität gegr. 1964, Stadtbibliothek später ganz eingegliedert); dazu eine Medizinische Hochschule in Lübeck. - Sitz des gemeinsamen »norddeutschen« Zentralkatalogs und der gemeinsamen Bibliothekarausbildung ist Hamburg. Hamburg. - Hamburg, die größte Stadt der Bundesrepublik, durch viele Jahrhunderte von hervorragender wirtschaftlicher Bedeutung als Handelsstadt und Seehafen, schafft sich bereits in der Renaissance eine Stadtbibliothek: 1479 auf Stiftungsgrundlage als Ratsbibliothek, ab 1529 im Zusammenhang mit der Reformation statutenmäßig von stärkerer Aktivität. Ende des 17. Jh. erhält sie das städtische Pflichtexemplarrecht und gehört bestandsmäßig jahrhundertelang zu den großen Stadtbibliotheken, seit dem 18. Jh. in der Größenordnung von Hof- und Landesbibliotheken der jeweiligen Epoche. Nach der Gründung der Universität Hamburg (1919) übernimmt die Stadtbibliothek zusätzlich die Funktion einer Universitätsbibliothek, unter dem neuen Namen »Staats- und Universitätsbibliothek«. Nach dem 2. Weltkrieg wird sie unter dem Direktorat von Hermann Tiemann zur Zentrale der »norddeutschen« Bibliotheksregion (Zentralkatalog, zunächst auch Bibliothekarausbildung, die später auf eine besondere Fachhochschule übergeht). Niedersachsen: Bibliotheken. - Niedersachsen bildet eine eigene Bibliotheksregion (Gesamtbevölkerungszahl: 7 Millionen; annäherend die Österreichs). - In der Renaissance und im Zeitalter des Absolutismus entstehen hier mehrere weifische Schloßbibliotheken, die später ζ. T. zusammengeführt werden und unter denen sich die beiden Hofbibliotheken in Wolfenbüttel (vgl. unten) und Hannover (vgl. unten) herausheben. - Mehrere ältere Universitäten werden um 1800 aufgehoben, darunter die jahrhundertelang bedeutende Universität Helmstedt. Zunächst bleibt nur die Universität Göttingen (vgl. unten), eine wichtige Gründung des 18. Jh., erhalten. In der zweiten Hälfte des 20. Jh. werden die relativ früh gegründeten Technischen Hochschulen des Landes zu Technischen Universitäten ausgebaut: Braunschweig (vgl. unten), Hannover (vgl. unten) und Clausthal (gegr. 1775, lange Zeit Bergakademie). Dazu kommen die neuen Universitäten Oldenburg und Osnabrück (beide seit 1970 in der Aufbauphase). - Aufgrund seiner besonderen Bibliotheksstruktur hat Niedersachsen seine zentralen Bibliothekseinrichtungen auf drei Bibliotheksorte spartenweise verteilt: Göttingen, Hannover, Wolfenbüttel. Hannover. — Hannover gewinnt durch die abgestimmte Zusammenarbeit mehrerer Einzelbibliotheken seine Bedeutung als bestandsgrößter Bibliotheksort Niedersachsens. - Die Niedersächsische Landesbibliothek, 1665 als Hofbibliothek in der Landeshauptstadt Hannover gegründet, geht auf ältere weifische Bücherbestände aus Schloß Celle zurück. Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz betreibt als hauptamtlicher Leiter durch vier Jahrzehnte (1676-1716) den kontinuierlichen Ausbau der Bibliothek. Das Anwachsen des Bestandes macht schließlich den Neubau eines Sammlungsgebäudes für Archiv und Bibliothek erforderlich (1719 be-
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zogen). In Hannover konzipiert Leibniz seine bahnbrechenden Ideen zur Bibliothekstheorie und Bibliotheksreform (vgl. oben S. 86). Von Hannover aus versieht er nebenamtliche Funktionen in Wolfenbüttel (Bibliothek) und Berlin (Akademie der Wissenschaften), aber auch in Wien (Reidishofrat) und Petersburg (Wissenschaftsberater). Er macht die Hannoversche Bibliothek zugleich zum Sitz eines landesgeschichtlichen Instituts (Hofhistoriographenamt, heute fortgesetzt mit der Redaktion der niedersächsischen Bibliographie). Nach der Eröffnung des neuen Gebäudes erhält die bisherige Hofbibliothek den für die damalige Zeit programmatischen Namen »Königliche öffentliche Bibliothek« (1720). In den 1720er Jahren entsteht hier der erste Zettelkatalog der Welt (»Catalogue perpetuus«, nach Art eines Einsteckalbums, noch nicht in Karteiform). Besondere Förderung erfährt die Bibliothek unter König Georg II. von Großbritannien-Hannover (der sich auch in Göttingen, London und New York als bibliotheksfreundlich erweist). Ab Mitte des 18. Jh. bleibt die Bibliothek zurück, erreicht zwar bei einer Zählung 1802 den Bestand von 130 000 Werken, wird aber erst im 19. Jh. unter dem Direktorat von Georg Heinrich Pertz reorganisiert (der hier, zugleich als Hofhistoriograph, die Quellensammlung »Monumenta Germaniae historica« ediert). In der preußischen Zeit (ab 1866) bis zur Stagnation vernachlässigt, wird sie nach dem 2. Weltkrieg als »Niedersächsische Landesbibliothek« wieder zügig ausgebaut und mit einem Teil der niedersächsischen Bibliotheks-Zentralfunktionen betraut (u. a. Bibliotheksschule, gesamtniedersächsisches Pflichtexemplar). - Die Technische Universität Hannover (gegr. 1831), lange Zeit Technische Hochschule, erhält in der zweiten Hälfte des 20. Jh. die weiteren üblichen Universitätsfakultäten und wird für Medizin bzw. Veterinärmedizin durch besondere Hodischulen ergänzt (gegr. 1964 bzw. 1778). In Kooperation, ja Integration mit der Bibliothek der Technischen Universität entsteht hier 1959 die erste zentrale Fachbibliothek der Bundesrepublik: die Technische Informationsbibliothek, eine der bedeutendsten technischen Bibliotheken der Welt. - Die Stadtbibliothek Hannover, sehr früh gegründet (1440), erhält 1931 bei ihrem Neubau den ersten Bibliotheksturm Europas. Nach dem 2. Weltkrieg baut sie mit zahlreichen Zweigstellen ein urbanes Bibliothekssystem paradigmatisch auf, im Sinne angelsächsisch-skandinavischer Public Libraries. Braunschweig, Wolfenbüttel. — Braunschweig und Wolfenbüttel, benachbart im gleichen Ballungsraum gelegen, jedes zeitweilig Hauptstadt des Herzogtums Braunschweig· Wolfenbüttel (des heutigen Bezirks Braunschweig), sind historisch und bibliotheksmäßig eng verknüpft. - Die landesherrliche Büchersammlung in Wolfenbüttel gewinnt 1572 mit dem Erlaß einer Liberey-Ordnung den Status einer Hofbibliothek. Später wieder aufgehoben und mit ihrem Bestand in die Universitätsbibliothek Helmstedt überführt, wird sie 1644 zum zweiten Mal gegründet, als Herzog August der Jüngere seine Privatsammlung von Schloß Hitzacker (dort seit 1604) nach Wolfenbüttel verlegt. Gelehrter und Bibliophile, betreut der Herzog seine Büchersammlung auch in bibliothekarischer Hinsicht persönlich. Sie gelangt schnell zu höchster Blüte und rangiert in der Barockzeit unmittelbar hinter der Kaiserlichen Bibliothek zu Wien als zweitgrößte Bibliothek Deutschlands (Zählung
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von 1661: 1 1 6 000 Werke). Unter Herzog Anton Ulrich, dem barocken Romanautor, erhält Leibniz von Hannover aus die bibliothekarische Oberleitung der Wolfenbütteler Hofbibliothek. Die Hauptfrucht seiner Tätigkeit wird, neben guter Bestandsvermehrung und einem alphabetischen Katalog, der Bau des ersten selbständigen großen Bibliotheksgebäudes in Europa seit der Antike (1706-10, bezogen 1723): mit hausfüllendem ovalen Mittelkuppelsaal, Galerien und Oberlicht (Ausführung in Anlehnung an eine Rotunden-Bauform des italienischen Architekten Palladio; Baumeister: Hermann Korb). Ein unmittelbares Vorbild für mehrere spätere Bibliotheksbauten, u. a. in Wien und Weimar. Im weiteren 18. Jh., unter dem Direktorat des Dichters Gotthold E. Lessing, hält die Wolfenbütteler Hofbibliothek ihr Niveau und erlangt im 19. Jh., mit andern Beständen aus der aufgelösten Universität Helmstedt, auch ihre eigenen frühen Altbestände zurück. Der in Holz aufgeführte Leibniz-Bau muß im späten 19. Jh. durch einen neuen Steinbau ersetzt werden, den der Schriftsteller Erhart Kästner als Bibliotheksdirektor nach dem 2. Weltkrieg in ein kostbares Buchmuseum umwandelt. Heute gehört die »Herzog-August-Bibliothek« zu den wichtigsten Quellenbibliotheken für das europäische Buchwesen des 15. bis 18. Jh. und übt entsprechende zusätzliche Zentralfunktionen innerhalb des niedersächsischen Bibliothekswesens aus (u. a. zentrale Handschriftenkatalogisierung, zentrale Restaurierung, Sammelauftrag für bibliophile Werke). - Die Technische Universität Braunschweig, 1745 als Polytechnikum gegründet, gehört zu ältesten technischen Lehranstalten der Welt (nach denen zu Prag und Petersburg). Noch im 18. Jh. um einige nicht-technische, aber ebenfalls neuartige Lehrfächer erweitert (ζ. B. Kameralistik), fungiert sie im 19. Jh. als Technische Hochschule und wird in der zweiten Hälfte des 20. Jh. zur Universität ausgebaut, ihre Bibliothek zur Universitätsbibliothek. Göttingen. - Die Universität Göttingen ist eine Schöpfung der Aufklärung (1734): als Muster einer Aufklärungsuniversität geplant, mit Berücksichtigung audi der im 18. Jh. neuen Wissenschaftsfächer und Akzent auf den Naturwissenschaften, neben der altüberkommenen Form der Lehruniversität auch als Forschungsuniversität gedacht und durch Parallelgründung einer Akademie der Wissenschaften (1751) entsprechend eingerichtet. Als Basis des Forschungs- und Lehrbetriebs und als Informationszentrale wird zuerst die Universitätsbibliothek gegründet (1735), dann die Universität selbst aufgebaut (1736/37). Die Konzeption geht auf den kurhannoverschen Premierminister Gerlach Adolf v. Münchhausen zurück, unter Heranziehung der Leibnizschen Anregungen zu Bestandsaufbau und Benutzungsöffentlichkeit, aber auch unter Beachtung englischer Vorbilder (Universitätsbibliothek Oxford) in dieser Zeit der britisch-hannoverschen Personalunion, während der Regierung König Georgs II. Unter den ersten beiden (noch nebenamtlichen) Bibliotheksleitern, den Professoren Johann Matthias Gesner und Christian Gottlob Heyne, entwickelt sich die Universitätsbibliothek Göttingen zur ersten modernen Gebrauchsbibliothek Europas. Ein hoher laufender Etat ermöglicht ausreichende, gleichmäßig gestreute, kontinuierliche Buchanschaffung in allen wichtigeren Wissenschaftsfächern. Der wissenschaftliche Buchbestand erreicht schnell das Niveau
Mitteleuropa der führenden Hofbibliotheken der Zeit und übertrifft sie an Aktualität (1800 bereits 150000 Bände). Eine liberale Benutzungsregelung macht die Buchausleihe zu einer normalen Einrichtung und gestattet die gleichzeitige Entleihung mehrerer Bücher selbst an Studenten. Auf dem Gebiet des Katalogwesens und der Buchaufstellung führt der Bibliothekar Jeremias David Reuss die Ableitung der Standortsignatur aus dem Systematischen Katalog ein: die Bücher werden engen Systemstellen zugeordnet und erhalten deren Notation (d. h. deren Katalog-Seitennummer, später Individualsignatur) auch als Standortbezeichnung. Alle diese Neuerungen und Errungenschaften werden modellhaft für andere Bibliotheken, besonders für die Universitätsbibliotheken des 19. Jh. Auch in der preußischen Zeit großzügig weitergeführt, erhält die Universität Göttingen 1886 die erste bibliothekswissenschaftliche Professur der Welt, besetzt mit Karl Dziatzko, der gleichzeitig die Leitung der Bibliothek übernimmt. Nach dem 2. Weltkrieg die größte Universitätsbibliothek der Bundesrepublik Deutschland, in Niedersachsen die größte Einzelbibliothek, wird sie als »Staats- und Universitätsbibliothek« mit der Führung des niedersächsischen Zentralkatalogs betraut und damit zur niedersächsischen Fernleihzentrale.
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Nordrhein-Westfalen
Allgemeines. - Das Bundesland Nordrhein-Westfalen, nach dem 2. Weltkrieg gegründet, geht auf zwei ursprünglich getrennte Gebietsteile zurück (den altfränkisch-rheinischen und altsächsisch-westfälischen); beide seit dem Spätmittelalter in zahlreiche Einzelterritorien zersplittert, der größte Gebietsanteil im Besitz mehrerer geistlicher Fürstentümer. Politischer Schwerpunkt bleibt bis in die napoleonische Zeit das geistliche Kurfürstentum und Fürsterzbistum Kurköln, mit Regierungssitz in Bonn und unter Ausschluß der Freien Reichsstadt Köln. Kennzeichnend für die politische Situation (und nicht ohne Rückwirkung auf das Bibliothekswesen) ist das jahrhundertelange Fehlen weltlicher Groß- oder wenigstens Mittelstaaten. Einige der weltlichen Teilterritorien gehören lange Zeit zu zwei auswärtigen Kurfürstentümern: zu Kurbrandenburg (Preußen) und zur Kurpfalz. Unter ihnen nimmt das kurpfälzische Herzogtum Berg mit der Hauptstadt Düsseldorf eine gewisse politische Position ein. - Nach dem Abbruch aller politischen Kontinuität im napoleonischen Zeitalter, fallen Rheinland und Westfalen auf dem Wiener Kongreß (1815) als Ganzes an Preußen. Die rheinisch-westfälische Gemeinsamkeit, schon jahrhundertelang durch ausgedehnte kurkölnische Gebietsanteile in Westfalen vorbereitet, vollendet sich im 19. und 20. Jh. mit dem Ausbau des gemeinsamen Ruhrgebiets zum größten Industrierevier Deutschlands. - Nach dem 2. Weltkrieg wird Nordrhein-Westfalen das einwohnerstärkste, wirtschaftlich bedeutendste und reichste Land der Bundesrepublik Deutschland, mit Düsseldorf als Landeshauptstadt. Zusätzliches Gewicht erhält die Region durch die Erhebung Bonns zur Bundeshauptstadt. Köln, mit Bonn im gleichen Ballungsraum eng benachbart, übernimmt dabei in Symbiose einen Teil der Bundeshauptstadtfunktionen.
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Nordrhein-Westfalen: Bibliotheken. - Nordrhein-Westfalen bildet innerhalb der Bundesrepublik eine eigene Bibliotheksregion (Gesamtbevölkerungszahl: 17 Millionen; annähernd die der DDR). - Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit durch reichen geistlichen Buchbesitz ausgezeichnet (zahlreiche bedeutende Kloster- und Bistumsbibliotheken), fehlt der Region die kontinuierliche Buchtradition großer weltlicher Residenzen mit den Hofbibliotheken regierender Dynastien. Deshalb kann weder das heutige Bundesland auf eine Kontinuität der Bibliothekszentrale zurückgreifen, noch konnte bei Abbruch der alten geistlichen Bibliothekstradition im napoleonischen Zeitalter die Verstreuung des geistlichen Buchbesitzes verhindert werden. - Audi die Kontinuität des Universitätswesens bricht im napoleonischen Zeitalter mit der Schließung sämtlicher alter Universitäten ab (darunter auch Köln). Der preußische Neubeginn bringt im 19. Jh. als einzige Universität Bonn (vgl. unten) und später die Technische Hochschule Aachen (gegr. 1870). Im 20. Jh. kommt es zu einer Reihe von Universitäts-Neugründungen und -Wiedergründungen: Münster (schon 1 7 8 0 - 1 8 1 8 als Universität vorhanden, die Universitätsbibliothek unter anderm Namen weitergeführt und nach der Wiedergründung der Universität, 1903, erneut in die alten Funktionen eingewiesen); Köln (vgl. unten); Düsseldorf (vgl. unten); mit einer gewissen Zusammengehörigkeit Bochum, Essen, Dortmund (vgl. unten); schließlich Bielefeld (gegr. 1966), ein viel beachtetes Beispiel eines organisdi auf einander abgestimmten universitären Bibliothekssystems. - Die wirtschaftliche Entwicklung des Industriezeitalters führt im RheinRuhr-Revier zu einer in Mitteleuropa einmaligen Konzentration von Industriegroßstädten, die alle im 19. bzw. 20. Jh. gut ausgestattete Stadtbibliotheken entwickeln: ζ. T. mit integriertem urbanem Büchereisystem; insgesamt mit vorbildlicher Bibliothekskoordination, gemeinsamer Anscliaffungsschwerpunktverteilung (urbane »Sondersammelgebiete«), mit interurbanem Leihverkehr usw. Hierzu gehören u. a. die Stadtbibliotheken in Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Duisburg, Wuppertal. - Als reichstes Bundesland verfügt Nordrhein-Westfalen heute über ein sehr gut ausgebautes und breit gestaffeltes Bibliothekswesen, mit Köln als Zentrale. Köln, Bonn. — Köln, zweitausendjährige Rheinmetropole, im Mittelalter lange Zeit die größte Stadt Deutschlands, wirtschaftlich und politisch mächtige Freie Reichsstadt, heute die größte Stadt von Nordrhein-Westfalen, ist Mitteleuropas älteste Hochschulstadt. Ca. 1248 eröffnet hier die Dominikanerhochschule den Lehrbetrieb. Ihr Niveau wird signalisiert durch Wissenschaftlernamen wie Albertus Magnus, Thomas von Aquino, Duns Scotus, Meister Eckhart. Die anschließende Universität Köln (ab 1388) bleibt aber bibliotheksmäßig unbedeutend (wie die meisten älteren Universitätsbibliotheken). Vom französischen Revolutionsregime geschlossen (1798), wird die Universität erst 1 9 1 9 durch Oberbürgermeister Konrad Adenauer (den späteren Bundeskanzler) wieder eröffnet. Die alte Stadtbibliothek (ab 1602, die auch Buchbestände aus Universitätsbesitz übernommen hatte) wird nach der Universitätsneugründung mit andern Kölner Bibliotheken zur »Universitäts- und Stadtbibliothek« zusammengelegt (1920), nach dem 2. Weltkrieg unter dem Direktorat von Rudolf Juchhoff großzügig ausgebaut und mit den Zentralfunktionen
Mitteleuropa
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des nordrhein-westfälischen Bibliothekswesens betraut (Zentralkatalog; enge Kooperation mit dem Bibliothekar-Lehrinstitut). Integriert in die medizinische Fakultätsbibliothek, entsteht hier 1968 die bundesdeutsche Zentralbibliothek der Medizin, die mit dem zentralen medizinischen Dokumentationsinstitut (DIMDI), ebenfalls in Köln, zusammenarbeitet. - Bonn erhält 1818 die neue preußische Universität, die praktisch an die Stelle der kurz zuvor geschlossenen Kölner Universität tritt, in dem funktionslos gewordenen Bonner Residenzschloß der Kölner Kurfürsten unterkommt, einige ältere Büchersammlungen als Grundstock übernehmen kann und vom preußischen Staat entschieden ausgebaut und gefördert wird. Durch Aufstockung einer Teilbibliothek der Universität Bonn entsteht hier auf Bundesebene die Zentralbibliothek der Landbauwissenschaft (1962). - Nach dem 2. Weltkrieg bringt der Ausbau Bonns zur Bundeshauptstadt die Gründung einer Reihe von Ministerial- und Verwaltungsbibliotheken und der Bundestagsbibliothek. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) nimmt nach dem 2. Weltkrieg in Bonn ihren Sitz und fördert über ihr Bibliotheksreferat bundesweite Projekte des deutschen Bibliothekswesens (darunter das Sondersammelgebietssystem auf Bundesebene). Düsseldorf. - Düsseldorf, Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen und Wirtschaftshauptstadt des Ruhrgebiets, erhält 1965 eine Universität, die mit großem Elan ausgebaut wird und zu deren Gründungsmitgift eine ältere mittelgroße Landesbibliothek (gegr. 1770, zugleich Stadtbibliothek) und die Medizinische Akademie (gegr. 1907) gehören. - Düsseldorf ist auch Sitz der Rheinisch-westfälischen Akademie der Wissenschaften (gegr. 1950). Bochum, Essen, Dortmund. — Die drei unmittelbar aneinander grenzenden Ruhrgroßstädte Essen, Bochum und Dortmund bilden zusammen den industriellen Kern des Ruhrgebiets. Hier werden nach dem 2. Weltkrieg industrienahe Universitäten geschaffen, die sich durch Arbeitsrichtung und geographische Nähe ergänzen: in Bochum eine Volluniversität (gegr. 1961), deren Universitätsbibliothek ab 1964 unter dem Direktorat von Günther Pflug als erste Bibliothek Europas die maschinelle Katalogisierung im EDV-Verfahren aufnimmt und zuerst in der Welt voll durchführt; in Essen eine medizinische Außenfakultät der Universität Bochum; und in Dortmund eine technisch betonte Universität (gegr. 1966), neben deren Universitätsbibliothek die dortige Stadt- und Landesbibliothek (gegr. 1907) zusätzlich ins Gewicht fällt.
Ε 1-4. Hessen, Rheinland-Pfalz,
Saarland
Allgemeines. - Die alten fränkischen Gebiete am Mittelrhein bilden heute die Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. Links- und rechtsrheinisch nehmen sie eine sehr unterschiedliche geschichtliche Entwicklung. - Linksrheinisch, im heutigen Rheinland-Pfalz, dominieren durch viele Jahrhunderte die beiden geistlichen Kurfürstentümer und Fürsterzbistümer Kurmainz und Kurtrier. Ihre
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politische Kontinuität bricht (wie die des nördlicheren Kurköln) in der napoleonischen Zeit jäh ab. Alle linksrheinischen Gebiete (einschließlich des linksrheinischen Anteils der Kurpfalz) fallen in den Revolutionskriegen an Frankreich. Auf dem Wiener Kongreß ( 1 8 1 5 ) gehen sie als abrundende Außenbezirke an einige andere deutsche Staaten über (u. a. Kurtrier an Preußen, die linksrheinischen Pfalzgebiete an Bayern). Erst nach dem 2. Weltkrieg gewinnen die mittleren Rheinlande ihre staatliche Identität im Bundesland Rheinland-Pfalz zurück, mit Mainz als Landeshauptstadt. - Das Saarland entsteht in seiner jetzigen Form als industrieorientierte Schöpfung der französischen Besatzungsmacht nach dem 1. und erneut nach dem 2. Weltkrieg. - Hessen, großflächiges Territorium zwischen Rhein und Thüringen, im Verlauf der neueren Geschichte in mehrere Teillinien der gleichen Dynastie zersplittert, hält doch stärker seine staatliche Kontinuität: ununterbrochen in der Linie Hessen-Darmstadt; mit preußischem Zwischenspiel für die Teillinie Hessen-Kassel (in der preußischen Provinz »Hessen-Nassau«, ab 1866). Nach dem 2. Weltkrieg schließen sich alle Landesteile zum Bundesland Hessen zusammen, mit Wiesbaden als neuer Hauptstadt. Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland: Bibliotheken. - Die politisch-territoriale Entwicklung dieser Gebiete prägt nachhaltig die Bibliotheksentwicklung. - In den kulturgesättigten linksrheinischen Kurfürstentümern sind Universitäten sdion relativ früh auf dem Plan: im 15. Jh. Mainz (vgl. unten) und Trier (gegr. 1473). Unter dem französischen Revolutionsregime werden sie aufgehoben (1798), ihre Universitätsbibliotheken später in Stadtbibliotheken umgewandelt. Auch nach dem Wiener Kongreß bleiben die Universitäten geschlossen und können erst durch das neue Bundesland Rheinland-Pfalz wieder errichtet werden: Mainz (vgl. unten), Trier (1970). Auch das Saarland schafft sich eine Universität in seiner Hauptstadt Saarbrücken (1948). Die Diskontinuität des mittelrheinischen Bibliothekswesens sowie das Fehlen alter H o f - und Landesbibliotheken aus den vormals geistlichen Territorien führt nach dem 2. Weltkrieg zur Übertragung der bibliothekarischen Zentralaufgaben auf die Zentren benachbarter Bibliotheksregionen (Frankfurt, Köln, Stuttgart). - Das hessische Bibliothekswesen nimmt im Vergleich zum linksrheinischen eine kontinuierliche Entwicklung. Alte Hofbibliotheken verteilen sich auf die alten Teilhauptstädte: die Hofbibliothek in Kassel (gegr. 1580), zeitweilig bedeutend, wird im 2. Weltkrieg mit wertvollen Beständen fast völlig vernichtet und später mit der Kasseler Stadtbibliothek (Murhardsche Bibliothek) zusammengefaßt; die Hofbibliothek in Darmstadt (schon vor 1567 vorhanden), durch mehrere Jahrhunderte bis heute von ansehnlichem Zuschnitt, wird nach dem 2. Weltkrieg mit der Bibliothek der Technischen Hochschule zusammengelegt; nur die spätere, kleinere nassauische Landesbibliothek in Wiesbaden (vgl. unten) bleibt eigenständig erhalten. - Später als in den linksrheinischen Gebieten entstehen in Hessen Universitäten: unter dem Einfluß der Reformation in Marburg (erste Neugründung einer Reformationsuniversität überhaupt, gegr. 1527, von Anfang an mit zentraler Universitätsbibliothek aus aufgelösten Klosterbibliotheksbeständen) und später in Gieße η (gegr. 1607). Im Industriezeitalter folgt in Darmstadt eine Technische
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Hochschule (gegr. 1836) und eine weitere Universität in Frankfurt am Main (vgl. unten). - Hessen bildet innerhalb der Bundesrepublik eine eigene Bibliotheksregion (Gesamtbevölkerungszahl: $,5 Millionen; mit Rheinland-Pfalz und Saarland zusammen umfaßt der Bibliotheksraum eine Gesamtbevölkerungszahl von 10 Millionen, in der Größenordnung Belgiens). Die Zentralfunktionen der hessischen Bibliotheksregion liegen bei der Stadtbibliothek Frankfurt (vgl. unten). Frankfurt am Main. - Die alte Handelsmetropole und Freie Reichsstadt Frankfurt am Main, bis zum Ende des Römisch-deutschen Reichs Kaiserkrönungsstadt, heute Finanzzentrum Deutschlands und Buchmessestadt (16.-18.Jh., erneut 20. Jh.), gewinnt als Bibliotheksort erst spät Gewicht. Die Frankfurter Ratsbibliothek (gegr. 1511), 1668 durch Zusammenlegung mit mehreren weiteren Büchersammlungen zur Stadtbibliothek umorganisiert, erlangt erst im 19. Jh. wirkliche Bedeutung. Nach der Gründung der Universität Frankfurt (1914), weitet sich ihre Funktion zur »Stadt- und Universitätsbibliothek«, in Fusion bzw. organisatorischer Vereinigung mit mehreren andern Frankfurter Bibliotheken: darunter die Senckenbergische Bibliothek (gegr. 1763 als Stiftungsbibliothek), heute eine der bedeutendsten naturwissenschaftlich-medizinischen Bibliotheken Deutschlands; und die Rothschildsche Bibliothek (aus dem Besitz der bekannten Frankfurter Bankiersfamilie), an der Christian W. Berghoeffer als Bibliothekar seit Ende des 19. Jh. den Frankfurter Sammelkatalog erstellt (erster deutscher Regionalkatalog). Nach dem 2. Weltkrieg wird die Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt unter dem Direktorat von Hanns W. Eppelsheimer zur Zentrale der hessischen Bibliotheksregion (Zentralkatalog, Bibliotheksschule). - Ebenfalls nach dem 2. Weltkrieg gründet der Börsenverein der deutschen Buchhändler in Frankfurt die Deutsche Bibliothek (1947), als Archivbibliothek zur Sammlung und Verzeichnung des deutschsprachigen Schrifttums. Anfangs als reines Gegenstück zur Leipziger Deutschen Bücherei gedacht (und entsprechend politisch motiviert), gewinnt die Bibliothek, unter Eppelsheimer als erstem Direktor, schnell eine feste Position, erhält bald neben den deutschen audi die österreichischen und schweizerischen Belegexemplare und wächst im Zuge der sich herausbildenden offiziellen Koexistenz von Bundesrepublik und D D R allmählich auch in die zusätzliche Rolle einer bundesdeutschen Nationalbibliothek hinein. Dementsprechend erhält sie schließlich den Status einer Bundesanstalt und das bundesdeutsche Pflichtexemplarrecht (beides 1969). Das Einzugsgebiet ihres Pflichtexemplarrechts umfaßt 65 °/o der deutschsprachigen Bevölkerung Mitteleuropas (60 Millionen Einwohner) und erbringt 61 °/o der deutschsprachigen Buchproduktion (Vergleichszahlen für die jährliche deutschsprachige Buchproduktion nach Buchhandelstiteln: Bundesrepublik Deutschland: 61 °/o; D D R : 15 °/o; Schweiz: 13 °/o; Österreich: 10 °/o; Sonstige: 1 °/o). Die von der Deutschen Bibliothek bearbeitete »Deutsche Bibliographie« verzeichnet jedoch das gesamte deutschsprachige Schrifttum (in den zusammenfassenden Zeitstufen) und wird seit 1966 unter Kurt Köster (dem späteren Generaldirektor) und Rudolf Blum als erste Nationalbibliographie der Welt im EDV-Verfahren erstellt. Die Bibliothek arbeitet dabei mit zwei in Frankfurt ansässigen Facheinrichtungen zusammen: dem Institut für Doku-
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mentationswesen (gegr. 1961) und der Zentralstelle für maschinelle Dokumentation (gegr. 1964). Mainz, Wiesbaden. - Die beiden Landeshauptstädte Mainz (Rheinland-Pfalz) und Wiesbaden (Hessen) liegen sich beiderseits des Rheins direkt gegenüber, verbunden durch die Rheinbrücken. Die Einwohner des gemeinsamen Ballungsraums nutzen die Bibliotheken beider Städte wie Bibliotheken eines einzigen Ortes. Und die Bibliotheken beider Orte sind dem gleichen Zentralkatalog (Frankfurt), der gleichen Bibliotheksregion angeschlossen. - Die Universität befindet sich in Mainz (gegr. 1477). Mit dem Ende des Staates Kurmainz in napoleonischer Zeit wird sie geschlossen und mit der Gründung des Bundeslandes Rheinland-Pfalz wieder eröffnet (1946). Sie erhält eine neue Universitätsbibliothek. - Die alte Universitätsbibliothek, nach Schließung der Universität in eine Stadtbibliothek umgewandelt (1804) und gleichzeitig französische Depotstelle für Altbuchbestände aufgelöster Klosterbibliotheken, gehört im 19. Jh. zu den großen deutschen Stadtbibliotheken. In den 1920er Jahren entwickelt Hanns W. Eppelsheimer hier die nach ihm benannte Sachkatalogmethode (Kombination von systematischer Gliederung der Großgruppen und Schlagwortgliederung der Feingruppen). - Als Entstehungsort der Buchdruckerkunst, baut die Stadt Mainz im 20. Jh. das Gutenberg-Museum zu einem zentralen Buch- und Buchdruck-Museum großzügig aus. - In Wiesbaden ergänzt die Hessische Landesbibliothek (gegr. 1813) das Bibliotheksensemble dieses Doppelstadt-Bereichs. - Seit dem 2. Weltkrieg ist Mainz auch Sitz der Akademie der Wissenschaften und der Literatur (gegr. 1949).
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Baden-Württemberg
Allgemeines. — Im Gebiet des heutigen Landes Baden-Württemberg gab es jahrhundertelang, vom Mittelalter bis zur napoleonischen Zeit, eine ganze Reihe von Einzelterritorien, unter denen sich neben Württemberg auch die Kurpfalz und Vorderösterreich herausheben. - Die Kurpfalz, aus altfränkischen Landen hervorgegangen, ist auf ein halbes Jahrtausend das dominierende Land im deutschen Südwesten. Ende des 18. Jh. durch Erbgang mit Bayern vereinigt, wird sie in der napoleonischen Zeit aufgeteilt. Ihr Kernland mit den Hauptstädten Heidelberg und Mannheim fällt an Baden. - Vorderösterreich umfaßt, ebenfalls auf ein halbes Jahrtausend, die althabsburgischen Erblande: ursprünglich auch die Schweizer Waldstädte, dann aber den Breisgau, den Sundgau und weitere Gebiete in Schwaben und am Bodensee. In der napoleonischen Zeit wird das Land aufgeteilt, der Breisgauer Anteil fällt mit der Hauptstadt Freiburg an Baden. - Baden, lange Zeit von kleinerem Zuschnitt, mit den Schwerpunkten um Baden-Baden und Karlsruhe, erlangt erst durch die Übernahme der kurpfälzischen und habsburgischen Gebietsanteile in der napoleonischen Zeit seine nachmalige Bedeutung. - Ebenfalls in der napoleonischen Zeit, nach dem Ausfall der Kurpfalz als Machtfaktor, rückt Württemberg (schon lange von einer gewissen Bedeutung) zur Vormacht im deutschen Südwesten auf und erlangt den Status eines Königreichs. - Nach dem 2. Weltkrieg
Mitteleuropa schließen sich Württemberg und Baden zum Bundesland Baden-Württemberg zusammen, mit der Hauptstadt Stuttgart. Baden-Württemberg: Bibliotheken. — Innerhalb der Bundesrepublik bildet BadenWürttemberg eine eigene Bibliotheksregion (Gesamtbevölkerungszahl: 9 Millionen; etwas größer als die Schwedens), mit Stuttgart als Zentrale. - Die Bibliotheksgeschichte dieser Region spiegelt ziemlich genau die politisch-territoriale Entwicklung. Relativ bedeutende Hofbibliotheken entstehen in den Hauptstädten der großen Territorien. Zuerst und von höchstem Rang in der Kurpfalz: Heidelberg und später Mannheim (vgl. beide unten). Relativ spät in Württemberg: Stuttgart (vgl. unten). Früher, aber zunächst kleiner und verstreut, in Baden: im 16. Jh. mit mehreren Schloßbibliotheken, die nach der Gründung der neuen Hauptstadt Karlsruhe ( 1 7 1 j ) nach und nach dorthin zusammengezogen werden. Erst zu Beginn des 19. Jh. erlangt die Karlsruher Hofbibliothek wirkliche Bedeutung, nach dem Gebietszuwachs des Landes und der Säkularisation geistlichen Buchbesitzes. — Die Universitäten der größeren Territorien gehören zu den frühen Gründungen in Deutschland. In der Kurpfalz noch im Mittelalter: Heidelberg (vgl. unten); in Vorderösterreich und Württemberg im 1 j . Jh.: Freiburg (gegr. 1457) und Tübingen (gegr. 1477). Freiburg kommt im 18. Jh. zu großem Buchzuwachs aus aufgelösten Jesuitenkollegien und Klosterbibliotheken, im Rahmen der entsprechenden gesamtösterreichischen Aktionen (Maria Theresia, Josef II.). In Tübingen ragt im 19. Jh. Robert v. Mohl als (nebenamtlicher) Bibliotheksleiter hervor und konzipiert hier den Gedanken der Errichtung von Sondersammelgebieten. Beide Universitätsbibliotheken gehören im 20. Jh. zu den wichtigen Büchersammlungen des deutschen Sprachgebiets. - Im Industriezeitalter gründen die beiden Länder Württemberg und Baden je eine Technische Hochschule in den Hauptstädten Stuttgart (vgl. unten) und Karlsruhe (1825). Die Karlsruher Technische Hochschule hat von Anfang an und überhaupt als erste in Deutschland Universitätsrang (einige ältere Gründungen, ζ. B. in Braunschweig und Berlin, waren zunächst nur Polytechnikum und erhielten erst später Universitätsrang). In der zweiten Hälfte des 20. Jh. werden beide Technische Hochschulen, in Stuttgart und Karlsruhe, zu Volluniversitäten ausgebaut. - Dazu entstehen jetzt weitere Universitäten: Konstanz (gegr. 1966, hier zum ersten Mal in Deutschland mit voll integriertem universitärem Bibliothekssystem), Mannheim (vgl. unten) und Ulm (gegr. 1967, nur mit medizinisch-naturwissenschaftlichen Fächern). - Im ganzen erfreut sich das badenwürttembergische Bibliothekswesen besonderer Ausgewogenheit und solidester wirtschaftlicher Fundierung, die nicht zuletzt auf der Finanzkraft einer der wirtschaftsstärksten Regionen des ganzen deutschen Sprachgebiets beruht. Stuttgart. - Die Württembergische Landesbibliothek entsteht erst im 18. Jh., relativ spät, in der Zeit des allgemeinen Funktionswandels der Hofbibliotheken zu Landesbibliotheken. Durch Herzog Karl Eugen, den württembergischen Hauptvertreter des aufgeklärten Absolutismus, gegründet, aus verschiedenen kleineren Büchersammlungen (Behördenbibliotheken, Privatbibliotheken) 176$ in Ludwigsburg bei Stuttgart zusammengezogen, wird die neue Bibliothek 1776 in Stuttgart er-
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öffnet, nicht als Hofbibliothek, sondern gleich von Anfang an als »Herzogliche öffentliche Bibliothek«. Der Herzog betreibt den Ausbau der Bibliothek mit größtem Nachdruck, so daß sie bei Ende seiner Regierungszeit bereits einen Bestand von ioo ooo Bänden erreicht. Im Zusammenhang mit den Gebietsumschichtungen der napoleonischen Zeit und der Säkularisierung geistlichen Buchbesitzes (1803-06) erhält die Bibliothek umfangreichen und wertvollsten Buchzuwachs. Durch das ganze 19. Jh. wächst die Königliche öffentliche Bibliothek relativ beständig. Im 2. Weltkrieg schwer getroffen (Vernichtung des halben Bestands, mehr als eine halbe Million Bände), kann sie anschließend unter dem Direktorat von Wilhelm Hoffmann wieder voll hergestellt und auf den alten Bestandsumfang gebracht werden. Sie übernimmt die Zentralfunktionen der Bibliotheksregion Baden-Württemberg (Zentralkatalog, Kooperation bei der theoretischen Bibliothekarausbildung). - Die Universität Stuttgart (gegr. 1829), lange Zeit Technische Hochschule, im 20. Jh. als Volluniversität ausgebaut, wird durch die landwirtschaftliche Universität in Stuttgart-Hohenheim (gegr. 1818) ergänzt. - Erwähnung verdient auch das Deutsche Literatur-Ardiiv im nördlichen Stuttgarter Nachbarort Marbach (gegr. 195 j als zentrale Sammelstelle für Dichternachlässe, nebst Literaturbibliothek, in Anlehnung an das ältere Schiller-Nationalmuseum). Heidelberg, Mannheim. — Im Spätmittelalter und in der Renaissance Hauptstadt eines der gewichtigsten deutschen Länder, rückt die kurpfälzische Residenz Heidelberg früh zu einer Spitzenposition im deutschen Wissenschafts- und Bibliothekswesen auf. Die Universität Heidelberg (gegr. 1386) ist, nach Wien, die Zweitälteste im deutschen Sprachgebiet. Bald mit einer eigenen Büchersammlung versehen, wird ihr in der Renaissance auch die Mitbenutzung der Heidelberger Schloßbibliothek gewährt. - Auch die Schloßbibliothek Heidelberg entsteht relativ früh. Schon im i j . Jh. bezeugt, wird sie im 16. Jh., nächst der Kaiserlichen Bibliothek in Wien, die zweitgrößte deutsche Hofbibliothek und die bedeutendste deutsche Reformationsbibliothek. In der Mitte des 16. Jh. genießt sie die besondere Förderung des bibliophilen Kurfürsten Ottheinrich und erhält dessen berühmte Prachteinbände (»Ottheinrichs-Bände«). Jetzt fungiert die Hofbibliothek fast schon als Landesbibliothek, mit den Beständen der Universitätsbibliothek zusammen in der Universitätskirche öffentlich aufgestellt und für den »gemeinen Nutz« bestimmt. Im Dreißigjährigen Krieg bricht die Entwicklung der »Bibliotheca Palatina« jäh ab. Von bayerischen Truppen als Kriegsbeute konfisziert, gelangt der wertvollere Teil der Bibliothek schließlich in den Besitz der Vatikanischen Bibliothek zu Rom. Nur ein Teilbestand verbleibt in Heidelberg, jetzt ganz in die Universitätsbibliothek integriert. Die wertvollsten altdeutschen Handschriften kehren nach dem Wiener Kongreß aus dem vatikanischen Bestandsanteil nach Heidelberg zurück. - Die in Heidelberg abgebrochene Hofbibliothekstradition lebt nach der Kriegszerstörung Heidelbergs (Ende des 17. Jh.) und der Verlegung der pfälzischen Residenz in das eng benachbarte Mannheim (Anfang des 18. Jh.), dort wieder auf. Die neue Mannheimer Hofbibliothek nimmt im weiteren 18. Jh. einen kometenhaften Aufstieg. Aber schließlich bricht die Entwicklung wiederum jäh ab. Durch die Erbvereinigung
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Kurbayerns und der Kurpfalz, die anschließende Verlegung der Gesamtresidenz nach München und die nachfolgende napoleonische Aufteilung der Pfalz entfallen die Grundlagen für eine Hofbibliothek in Mannheim. Die Bibliothek wird nach München überführt und geht in der dortigen Hofbibliothek auf. — Im neuen BadenWürttemberg die zweitgrößte Stadt (nächst Stuttgart), mit Heidelberg, der linksrheinischen Industriestadt Ludwigshafen und andern Nachbarorten zu einem ausgeprägten Ballungsraum vereinigt, erhält Mannheim im 20. Jh. eine Universität (gegr. 1907 als Handelshochschule, zeitweilig Außenfakultät der Universität Heidelberg, 1967 eigene Universität). - Im Großraum Mannheim-Heidelberg hat auch die Heidelberger Akademie der Wissenschaften (gegr. 1909) ihren Sitz. Ε i.6. Bayern Allgemeines. - Bayern ragt blockhaft durch die Geschichte, mit einer sonst im deutschen Sprachgebiet seltenen Kontinuität. Es bewahrt die Hauptgebiete des alten Stammesherzogtums aus der Karolingerzeit und den vollen Gebietsstand des späteren mittelalterlichen Territorialherzogtums ohne Unterbrechung und ohne wesentliche Einbuße bis in die heutige Gegenwart. Erbteilungen zu Einzellinien werden durch spätere Zusammenschlüsse wieder aufgehoben. Ausgegliederte Freie Reichsstädte und geistliche Territorien fallen später wieder an den bayerischen Staat zurück. Schon lange Kurfürstentum, steigt Bayern in der napoleonischen Zeit zum Königreich auf und verdoppelt seinen Gebietsumfang im Norden und Westen: es erwirbt Bayerisch-Franken und Bayerisch-Schwaben (zusammen mehrere alte Fürstbistümer, das Hohenzollernsche Ansbach-Bayreuth, die Reichsstädte Nürnberg und Augsburg), sowie für längere Zeit auch Teile der Pfalz. Bis auf die Pfalz, kann Bayern auch alle Neugebiete, ebenso wie die Altgebiete, über die Weltkriege hinweg erhalten und in den Freistaat Bayern einbringen. Bayern: Bibliotheken. - Der gradlinige Verlauf der bayerischen Geschichte schafft Kontinuität und Tradition. Auch im Bibliothekswesen. Die bayerische Hofbibliothek in München (vgl. unten), schon in der Renaissance gegründet, behauptet durch die Jahrhunderte einen soliden Rang und erreicht im Industriezeitalter Weltniveau. Die altbayerische Landesuniversität aus dem 15. Jh. ist heute, ebenfalls in München (vgl. unten), die größte in der Bundesrepublik. Die mittelalterlichen Klosterbibliotheken erleben hier im 17. und 18. Jh. nochmals eine besondere Blütezeit. Sie üben ζ. T. noch heute bedeutende kulturelle Funktionen aus; zu einem andern, größeren Teil sind sie zwar aufgehoben, aber ihre Bücherschätze konnten im Land erhalten und in staatlichen Sammelstellen gesichert werden. - Nach jahrhundertelanger beständiger, aber ruhig-saturierter Entwicklung fallen im napoleonischen Zeitalter mit den fränkisch-schwäbischen Neugebieten mehrere weitere Hofbibliotheken, Bistumsbibliotheken und Universitäten an Bayern. Von den übernommenen Universitäten können im Königreich Bayern nur zwei weitergeführt werden: die protestantische Universität Erlangen (vgl. unten); und die katholische Universität Würzburg (gegr. 1582), die erste und wichtigste Gegenreformationsuniversität,
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mit relativ gut ausgebauter Universitätsbibliothek schon in fürstbischöflicher Zeit und unter bayerischer Verwaltung weiterhin nachhaltig gefördert. - Die Buchbestände der weiteren, nunmehr aufgehobenen Universitäten, ebenso der nunmehr funktionslos gewordenen Residenzbibliotheken ehemaliger Einzelterritorien, die geistlichen Bibliotheken der aufgehobenen Reichsabteien und zahlreicher anderer aufgelassener Klöster (besonders seit dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803), säkularisiert, konfisziert, bilden zusammen einen Buchfundus von mehreren hunderttausend Bänden. Sie bringen das bayerische Bibliothekswesen in Fluß. Sie drängen Bayern in die Avantgarde des deutschen Bibliothekswesens. Sie geben Anlaß zu einer ganzen Reihe bahnbrechender Neuerungen im Bibliotheksbetrieb (vgl. dazu unten bei der Bayerischen Staatsbibliothek). Durch sie stimuliert, entwickelt sich hier ein früher Ansatz zu einem staatlichen Bibliotheksnetz. Noch keineswegs mit voller funktionaler Interdependenz und Kooperation. Aber doch ein staatlich geordnetes Nebeneinander gleichmäßig gestreuter Stützpunktbibliotheken in den Verwaltungsbezirken (»Kreisbibliotheken«, später »Landesbibliotheken« bzw. »Staatliche Bibliotheken« benannt). Von ihnen werden die gewaltigen Altbuchbestände ζ. T. übernommen und für die Literaturversorgung des Landes zur Verfügung gestellt. Allerdings erfolgt ihre zureichende Ausstattung für den tatsächlichen Regionalbedarf erst im 20. Jh. Bei diesen Einzelbibliotheken des bayerischen Regionalnetzes handelt es sich teils um vormalige Hofbibliotheken, teils um ehemalige Universitätsbibliotheken. Aber auch die Stadtbibliotheken der ehemaligen Freien Reichsstädte werden einbezogen: teils bilden sie den Grundstock der neuen staatlichen Bibliotheken: so in Regensburg (wo die frühere Stadtbibliothek bereits 1396 bezeugt ist); teils bleiben sie als Stadtbibliothek weiterbestehen, aber auf Staatsbeteiligung umgestellt: so die Stadtbibliothek Augsburg (gegr. 1 J 3 7 ) . Auch die Stadtbibliothek Nürnberg (vgl. unten) wird in die staatliche Planung einbezogen, geht aber wieder in städtische Trägerschaft zurück. - Nach dem 2. Weltkrieg gründet der Freistaat Bayern zusätzliche neue Universitäten: ini?egensburg (1962), mit integriertem universitären Bibliothekssystem, sowie in Augsburg (1970), Bayreuth und Passau (beide seit 1971 bzw. 1972 in der Aufbauphase). - Bayern bildet innerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine eigene Bibliotheksregion (Gesamtbevölkerungszahl: 10,5 Millionen; größer als die Belgiens), mit München als Zentrale. Kennzeichnend für die »Bibliothekslandschaft« Bayern ist die Bipolarität von Gewordenem und Geplantem, von Zentralisierung und regionaler Distribution, von Tradition und Fortschritt. München: Bayerische Staatsbibliothek. - Die Münchner Hofbibliothek wird 1558 durch Herzog Albrecht V. von Bayern, aus dem Hause Wittelsbach, gegründet. Einige angekaufte Privatbüchersammlungen zeitgenössischer Gelehrter und Bibliophiler schaffen einen soliden Grundstock. Die Bibliothek gehört von Anfang an zu den bedeutenderen deutschen Hofbibliotheken. - Anfang des 19. Jh. wird sie von mehreren Wellen sturmflutartigen Bestandszuwachses an die vorderste Stelle des deutschen Bibliothekswesens getragen: riesige Büchermassen aus aufgelassenen Klöstern im Rahmen der Säkularisation (1802, dann 1803/06); reiche Spitzenbestände
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aus Hof-, Universitäts- und Stadtbibliotheken der Neugebiete im Zuge der bayerischen Gebietsvergrößerungen; der Hauptteil der bedeutenden kurpfälzischen H o f bibliothek aus Mannheim (vgl. S. 1 3 2 f.) bei der Aufteilung der Pfalz (1803/04). Um die Vereinnahmung aller dieser Bestände macht sich, zunächst als Beschlagnahmebeauftragter, dann als Bibliotheksleiter, Johann Christoph Freiherr v. Aretin verdient. Auf seine Initiative geht auch die im Zusammenhang mit diesem Bücherzustrom erfolgte Errichtung des bayerischen Regionalbibliotheksnetzes zurück. Die Hofbibliothek verfügt nach dem Abschluß der Ubernahmeaktionen über ca. 300000 Bände Druckschriften und ca. 20000 Handschriften. Ein für die damalige Zeit ungewöhnlich großes Bestandsvolumen. - Der Massencharakter dieser Bestände, die Plötzlichkeit ihres heterogenen Zugangs, die Notwendigkeit ihrer baldigen Ordnung, Integrierung und Erschließung, das Problem ihrer angemessenen Unterbringung, - das alles zwingt die auf Aretin folgende Amtsgeneration von Bibliothekaren zu neuen Arbeitsansätzen und neuen Betriebsmethoden. Zwei Anläufe der Zusammenordnung und Katalogisierung der Bestände scheitern (u. a. der konventionelle Versuch einer feinsystematischen Aufstellung nach Göttinger Muster). Abhilfe schafft Martin Schrettinger, der jetzt die Koppelung von Fachsystematik und Buchaufstellung aufgibt und den Gesamtbestand nach ca. 200 groben Fach- und Buchgruppen, ohne Feinuntergliederung, zusammenordnet. Innerhalb weniger Jahre kann er die Gruppenaufstellung und die Fertigung eines zugehörigen alphabetischen Katalogs durchziehen. Von jetzt ab wird der alphabetische Katalog (und nicht mehr der Sachkatalog) der Hauptkatalog moderner Bibliotheken. Auch bei der Sachkatalogisierung, wie bei der Aufstellung, löst sich Schrettinger von der Systematik, empfiehlt und beginnt einen Schlagwortkatalog des Gesamtbestandes. - Das Problem der Handschriftenordnung und -erschließung löst Andreas Schmeller. Auch er trennt sidi vom systematischen Ordnungsprinzip und übernimmt stattdessen aus dem Archivwesen das dort eingebürgerte »Provenienzprinzip«. Die Handschriften werden (allerdings innerhalb großer Sprachabteilungen) im Bestandszusammenhang ihrer Herkunftsbibliotheken belassen, nach Herkunftsgruppen geordnet und katalogisiert. Dabei können Katalogvorarbeiten der ehemaligen Klosterbibliotheken genutzt und deren Bestandstradition gewahrt werden. - Für eine großzügige Unterbringung der riesigen Bestände sorgt Philipp Lichtenthaler (Direktor 1826-55). Die Ausbauplanung König Ludwigs I. von Bayern für seine Residenzstadt München ermöglicht die Errichtung eines für die damalige Zeit gewaltigen Bibliotheksneubaus von 150 Meter Frontlänge (Bauzeit: 1 8 3 2 - 4 3 ; Architekt: Friedrich von Gärtner). Als erster Bibliotheksbau der Neuzeit verfügt er (im Sinne des Bibliotheksbautheoretikers Deila Santa) von vornherein, neben einem besonderen Lesesaal, über zahlreiche Bücheraufbewahrungsräume: 78 Bücherräume mit Wandregalen (noch nicht mit den später üblichen Magazinquerregalen). Ein zukunftweisender Ansatz, bald anderwärts aufgegriffen und zum modernen Magazinprinzip überleitend. - In dieser Zeit ändert sich auch der verwaltungsrechtliche Status der alten Hofbibliothek. Schon Aretin hatte sie aus der Hofzugehörigkeit gelöst und der Verwaltung der Akademie der Wissenschaften unterstellen lassen. Lichtenthaler löst sie auch aus dem Verband der Akademie und erhebt sie zu einer
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selbständigen Behörde (1832), der »Königlichen Hof- und Staatsbibliothek«. - Als Mitarbeiter der Bibliothek entwickelt Schrettinger hier eine moderne Bibliotheksverwaltungslehre für die Bereiche Aufstellung und Katalogisierung. Seine Prinzipien und seine Terminologie für den alphabetischen Katalog gehen auch in die offiziellen Münchner Katalogregeln ein und beeinflussen später gewisse Partien der preußischen Kataloginstruktionen. Schrettinger prägt als erster das Wort »Bibliothekswissenschaft«, das auch im Titel seines Lehrbuchs der Bibliothekslehre erscheint. Seine Forderung nach einem bibliothekarischen Fachberuf mit besonderer Fachausbildung führt immerhin zur Abhaltung von Eignungsprüfungen (Einstellungsprüfungen) für Bibliothekare in München und später zur Fixierung eines Qualifikationskanons (1864). - Die Münchner Staatsbibliothek kann ihr hohes Niveau bis heute durchhalten, obwohl sie die Führungsposition bei der Weiterentwicklung des Bibliothekswesens in der zweiten Hälfte des 19. Jh. an Berlin verliert. In der Weimarer Republik wird die Bayerische Staatsbibliothek unter Hans Schnorr v. Carolsfeld zum Mittelpunkt des bayerischen Bibliothekswesens und kann nach dem 2. Weltkrieg unter Gustav Hofmann (Generaldirektor 1948-66) großzügig ausgebaut werden. Sie ist der Sitz aller Zentralunternehmungen des bayerischen Bibliothekswesens (Zentralkatalog, zentraler Fernleihdienst, Bayerische Bibliotheksschule usw.), die durch die Generaldirektion der bayerischen Bibliotheken zusammengefaßt werden. Die Bayerische Staatsbibliothek ist heute die größte Bibliothek der Bundesrepublik Deutschland (3,5 Millionen Bände), eine der größten Handschriftenbibliotheken der Welt und verfügt über mehrere Sondersammlungen von internationalem Niveau (Inkunabelsammlung mit 20 000 Inkunabeln, Musiksammlung, Kartensammlung, Osteuropasammlung, Orientalische Sammlung). München: Weitere Bibliotheken. - Die altbayerische Landesuniversität, im 15. Jh. in Ingolstadt gegr. (1472), früh ein Zentrum des Humanismus, während der Auseinandersetzungen des Reformationszeitalters eine Hochburg der beginnenden Gegenreformation, zur Aufklärungszeit in den Hintergrund getreten, wird in napoleonischer Zeit aus Ingolstadt abgezogen und, nach weiterer Zwischenunterkunft, 1826 in die Landeshauptstadt München verlegt. Hier fügt sie sich in den Rahmen der hauptstädtischen Kulturplanung König Ludwigs I. Die Universität München ist heute die größte der Bundesrepublik, und auch ihre Universitätsbibliothek hat Gewicht. - Zum Münchner Bibliotheksensemble gehören ferner die Bibliothek der Technischen Universität (gegr. 1868); die Stadtbibliothek (gegr. 1843), Zentrum eines verzweigten städtischen Büchereisystems; sowie mehrere große Spezialbibliotheken (u. a. Bibliothek des Deutschen Museums, Bibliothek des Deutschen Patentamts) und Behördenbibliotheken. - München ist auch Sitz der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, sowie der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft (Dachorganisation bundesdeutscher Forschungsinstitute). Nürnberg, Erlangen. - Die Freie Reichsstadt Nürnberg, in der Renaissancezeit Handelsmetropole und Humanistenzentrum, beherbergt in ihren Mauern die älteste deutsche Rats- und Stadtbibliothek (bereits 1370 urkundlich erwähnt) und gründet auch eine eigene reichsstädtische Universität (1623), in dem zu ihrem Territorium
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gehörigen Vorort Altdorf. - Im eng benachbarten Erlangen schaffen sich später die Hohenzollernlande Ansbach-Bayreuth ebenfalls eine Universität (gegr. 1743): ganz im Stil der Aufklärung, angelehnt an die Vorbilder Halle und Göttingen, von Anfang an mit hinlänglicher Einbeziehung der modernen Naturwissenschaften und mit relativ gut ausgebauter Universitätsbibliothek. Nach der Eingliederung Frankens in das Königreich Bayern erhält die Universitätsbibliothek Erlangen die Buchbestände der jetzt aufgehobenen Universität Altdorf und der vormaligen Hohenzollern-Hofbibliothek Ansbach. - Im Industriezeitalter entwickelt sich Nürnberg zur bedeutendsten Industriestadt Bayerns und zum Zentrum eines ausgedehnten Ballungsraums (der u. a. auch Erlangen und die Industriestadt Fürth einschließt). Jetzt greift die Erlanger Universität nach Nürnberg zurück und wird zur Doppeluniversität »Erlangen-Nürnberg«, unter Einbeziehung einer Nürnberger Wirtschaftshochschule (gegr. 1919) als Fakultät und mit Neugründung einer auf den Industriegroßraum Nürnberg bezogenen Technischen Fakultät (eine bemerkenswerte Umkehrung der gewöhnlichen Entwicklungsrichtung, in der sich Technische Hochschulen um nicht-technische Fakultäten erweitern).
Ε I.J. Berlin, DDR (Preußen, Sachsen) Allgemeines. - Die heutige D D R umfaßt gebietsmäßig das historische Sachsen und die Kerngebiete von Preußen, nebst einigen kleineren Territorien. - Sachsen spielt vom Spätmittelalter, über die Renaissance und Reformation, bis zum 18. Jh. politisch, wirtschaftlich und kulturell eine vorrangige Rolle. Sein Staatsgebiet, erst auf dem Wiener Kongreß stark verkleinert, hat vorher den doppelten Umfang und reicht nach Norden bis in die Nähe von Potsdam und Frankfurt an der Oder. Dazu kommen mehrere Nebenlinien des gleichen Herrscherhauses Wettin in Thüringen, darunter Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Coburg-Gotha. Von 1697 bis 1763 ist Kursachsen mit dem Königreich Polen in Personalunion verbunden. Es spielt in der Zeit Augusts des Starken eine europäische Rolle und erreicht in der napoleonischen Zeit den Status eines Königreichs. Das nach der napoleonischen Zeit wesentlich reduzierte Sachsen gewinnt im späteren 19. und 20. Jh. erneut Gewicht als eines der Hauptindustrieländer des deutschen Sprachraums. - »Preußen« betritt die Szene historischer Prominenz erst viel später als Sachsen. Ausgangsland ist zunächst die Mark Brandenburg; schon im Spätmittelalter Kurfürstentum, aber durch die Ungunst der wirtschaftlichen Verhältnisse ohne weitreichenden Einfluß. Erst als im 17. Jh. Ostpreußen durch dynastische Erbschaft an die kurbrandenburgischen Hohenzollern fällt, ergibt sich eine solidere Basis. Friedrich Wilhelm, der »Große Kurfürst«, leitet den spektakulären Aufstieg Brandenburg-Preußens zur europäischen Großmacht ein: er erwirbt Hinterpommern und Kerngebiete der späteren »Provinz Sachsen« (Magdeburg, Halle). Als Konsequenz der erweiterten Machtposition avanciert Preußen 1701 zum Status eines Königtums. Das bezieht sich zunächst eigentlich nur auf Ostpreußen (»Herzogtum Preußen«, damals außerhalb des Römisch-deutschen Reichs). Bald wachsen aber die einzelnen Landesteile
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aus der bloßen Personalunion Brandenburg-Preußens zum Gesamtstaat des Königreichs Preußen zusammen. Resultat einer zielstrebigen absolutistischen Zentralpolitik und einer vorbildlichen Verwaltungsleistung auf aufklärerisch-kameralistischer Grundlage. In den folgenden 200 Jahren dehnt sich Preußen über fast ganz Norddeutschland aus: Schlesien und Westpreußen unter Friedrich I I . ; Rheinland und Westfalen (wo schon vorher kleinere preußische Exklaven bestanden), Posen und Vorpommern, sowie die Nordhälfte des Königreichs Sachsen auf dem Wiener Kongreß; Schleswig-Holstein, Hannover, Hessen-Nassau durch Bismarck. Mit dem Besitz des Ruhrgebiets, des oberschlesischen und des mitteldeutschen Industriereviers wird Preußen zum wichtigsten Industrieland im deutschen Sprachraum. Nach Herausdrängung Österreichs aus dem Deutschen Bund (1866) und Gründung des Bismarckschen Deutschen Reichs ( 1 8 7 1 ) erreicht Preußen den Zenit seiner Entwicklung: mit Bindung des Kaisertums an das Haus Hohenzollern und Sitz der deutschen Zentralregierung in der preußischen Hauptstadt Berlin. - Zwei Generationen später verschwindet Preußen von der Landkarte. Aus der Erbmasse gehen zwei Provinzen an die D D R über (Brandenburg und die »Provinz Sachsen«, sowie ein Rest von Pommern); fünf westliche Provinzen werden Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland; die übrigen Provinzen gehen im Osten verloren. - Berlin, als ehemalige deutsche Hauptstadt, besitzt zunächst Viermächte-Status. Nach der Teilung Deutschlands erhält West-Berlin enge wirtschaftliche, verwaltungsmäßige und kulturelle Bindungen an die Bundesrepublik; Ost-Berlin übernimmt die Funktion einer Hauptstadt der D D R (beides zunächst nicht unangefochten, erst durch den Berlin-Vertrag von 1972 allseitig sanktioniert). - Die D D R (1949 aus der vormaligen Sowjetischen Besatzungszone als »Deutsche Demokratische Republik« hervorgegangen) ist unter Aufgabe von Einzelländern zu einem Einheitsstaat geworden. Trotz Berlin als Hauptstadt und Wirtschaftszentrum, basiert die D D R wirtschaftlich weitgehend auf den sächsisch-mitteldeutschen Industriegebieten (Ballungsräume Halle-Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Dresden). Die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung lehnt sich vielfach an sowjetische Vorbilder an. Preußisches Bibliothekswesen. - Das preußische Bibliothekswesen entwickelt sich später und langsamer als das sächsische. Im 19. Jh. erreicht es internationale Bedeutung. Nicht nur in seinen Einzelbibliotheken, sondern vor allem als integrierter, gesamtheitlicher Bibliotheksorganismus. Auswärtige Ansätze zur Bildung von Bibliotheksnetzen werden aufgegriffen. Bibliothekarische Gemeinschaftsunternehmungen, im Laufe des 19. Jh. schon in manchen andern Ländern für jeweils bestimmte Arbeitsbereiche eingeführt, werden jetzt insgesamt und generell ins preußische Bibliothekswesen übernommen und Ende des 19. bis Anfang des 20. Jh. zu einer gesamtpreußischen Bibliothekskooperation und -koordination ausgebaut. Einen ersten voll funktionierenden Bibliotheksorganismus (wenn auch zunächst nur für das wissenschaftliche Bibliothekswesen) geschaffen zu haben, ist der eigentliche Beitrag Preußens zur Weltbibliotheksentwicklung. Planung und Durchführung des Gesamtprogramms leistet Friedrich Althoff (von 1882 bis 1907 leitender Ministerialbeamter im preußischen Kultusministerium). Die eingeleiteten Maßnah-
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men betreffen vor allem die Bereiche der Katalogisierung, Erschließung und Benutzung, für die die Königliche Bibliothek zu Berlin die Betriebszentrale wird (Einzelheiten vgl. unten bei Berlin). Wesentliche Voraussetzung für die Durchführung des Programms bildet, neben der zentralen Lenkung der Bibliotheksangelegenheiten im preußischen Kultusministerium, eine den Bedürfnissen der Industriegesellschaft angemessene finanzielle Ausstattung und die offizielle Schaffung des bibliothekarischen Fachberufs mit Laufbahnregelung, Ausbildung und Fachprüfung (Laufbahnregelung für wissenschaftliche Bibliothekare 1899, ergänzt 1909 durch einen »mittleren« Dienst, aus dem sich später die Diplom-Bibliothekar-Laufbahn entwickelt). Partnerbibliotheken der Königlichen Bibliothek zu Berlin (»Nr. 1«) sind zunächst die preußischen Universitätsbibliotheken: in Breslau (»Nr. 2«), Halle (3), Marburg (4), Bonn (5), Münster (6), Göttingen (7), Kiel (8), Greifswald (9), Königsberg (10), Berlin (11). Später treten die Bibliotheken der preußischen Technischen Hochschulen hinzu. Der Anschluß weiterer, auch außerpreußischer Bibliotheken, weitet den preußischen Bibliotheksorganismus in Teilbereichen zu einem gesamtdeutschen Bibliothekssystem. Berlin: Königliche Bibliothek; Staatsbibliotheken. - Die Hofbibliothek zu Berlin wird 1659 durch Friedrich Wilhelm, den »Großen Kurfürsten«, gegründet, 1661 eröffnet. Als Bestandsgrundlage dient die ältere Privatbüchersammlung der Hohenzollern im Berliner Schloß. Die Kurfürstliche Bibliothek hat einen guten Start, wird aber unter dem »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm I. aufs äußerste vernachlässigt. Auch König Friedrich II., der der Königlichen Bibliothek persönliches Interesse entgegenbringt, kann sie erst gegen Ende seiner Regierungszeit fördern und für sie ein erstes eigenes Bibliotheksgebäude errichten (1774-80, die sogen. »Kommode«). Kurz vor 1800 beläuft sich der Bestand der Königlichen Bibliothek auf ca. 150000 Bände. Im Zusammenhang mit der preußischen Universitätsreform im napoleonischen Zeitalter überträgt ihr Wilhelm v. Humboldt (als Kulturdezernent im preußischen Innenministerium) auch die zusätzliche Aufgabe der Literaturversorgung für die neu gegründete Berliner Universität (die erst später eine eigene Universitätsbibliothek erhält). - In der wilhelminischen Zeit wird die Königliche Bibliothek auf Initiative Althoffs (vgl. vorigen Absatz) Zentralstelle des preußischen Bibliothekswesens. Das neugeschaffene Amt eines Generaldirektors der Bibliothek bekleidet in der »Ära Althoff« (1882-1907) August Wilmanns (1886-1905), anschließend Adolf v. Harnack (1905-21). Unter ihrer Amtsführung entsteht das System von Gemeinschaftsunternehmungen der preußischen Bibliotheken: gemeinsame Katalogregeln (»Instruktionen für die alphabetischen Kataloge der preußischen Bibliotheken«, 1899, in Anlehnung an Dziatzkos Regelwerk für die Universität Breslau und unter maßgeblicher Beteiligung von Milkau); die »Berliner Titeldrucke« (zunächst ab 1892 Zugangsverzeichnis der Königlichen Bibliothek, dann ab 1898 auf der Grundlage der einheitlichen Katalogregeln ausgebaut zu einer laufenden Veröffentlichung der Neuerwerbungen der Königlichen Bibliothek und der preußischen Universitätsbibliotheken); damit verbunden die Lieferung von Titelkarten (d. h. Katalogkarten einer zentralisierten Titelaufnahme); als Ergän-
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zung der laufend veröffentlichten »Titeldrucke« der retrospektive »Preußische Gesamtkatalog« (eine zentrale Verzeichnung der Bestände der Königlichen Bibliothek und der preußischen Universitätsbibliotheken, seit 1899 in Berlin unter Milkaus Leitung bearbeitet, später auf weitere Bibliotheken ausgedehnt, ab 1931 publiziert); der preußische Fernleihverkehr (1892 im Probelauf mit den Universitätsbibliotheken Göttingen und Marburg, ab 1893 mit Beteiligung aller preußischen Universitätsbibliotheken und der Königlichen Bibliothek als Zentrale, später auf die Unterlagen des Preußischen Gesamtkatalogs gestützt und schließlich 1924 zum »Deutschen Leihverkehr« erweitert); das zentrale »Auskunftsbüro der deutschen Bibliotheken« (gegr. 1905 mit Sitz an der Königlichen Bibliothek, ebenfalls auf den Preußischen Gesamtkatalog gestützt); dazu mehrere bibliographische Ergänzungsunternehmen für besondere Schriftengattungen (seit Ende der 1880er Jahre die Jahresverzeichnisse für deutsche Hochschulschriften und für deutsche Schulschriften, seit 1904 die Arbeit am internationalen »Gesamtkatalog der Wiegendrucke«, 1914 das Gesamt-Zeitschriften-Verzeichnis »GZV«), Auch innerbetrieblich wird die Königliche Bibliothek unter Wilmanns reorganisiert, der Erwerbungsetat durchgreifend erhöht und ein angesichts des rapiden Bestandswachstums dringend erforderlicher Neubau unter Harnack 1914 fertiggestellt: ein monumentaler Großbau an der Prachtstraße »Unter den Linden«, in Anlehnung an Vorbilder aus London und Washington, mit zentralem Kuppellesesaal, Nebenlesesälen und modernen Magazinen. - In der Weimarer Republik entwickelt sich die nunmehrige »Preußische Staatsbibliothek« auch zu einem Zentrum der Bibliothekswissenschaft. Fritz Milkau, selbst zeitweilig Generaldirektor der Staatsbibliothek ( 1 9 2 1 - 2 J ) , gründet in Berlin das Bibliothekswissenschaftliche Institut (1928, im Rahmen der Universität Berlin, in Kooperation mit der Staatsbibliothek und erstellt das »Handbuch der Bibliothekswissenschaft« (erarbeitet von einem Autorenkollektiv unter seiner Herausgeberschaft, ab 1 9 3 1 ) . In der Zeit vor dem 2. Weltkrieg erweitert sich die Aufgabenstellung der Preußischen Staatsbibliothek auf die Reichsebene (Generaldirektor Hugo A. Krüß). - Während des 2. Weltkriegs evakuiert die Staatsbibliothek prophylaktisch ihre Bestände an mehrere Auslagerungsorte. Nach Kriegsende bergen die Besatzungsmächte die in ihren Besatzungszonen aufgefundenen Bestände zonenweise getrennt. Nach der Auflösung Preußens und der Teilung Deutschlands kommt es auch zur Teilung der Preußischen Staatsbibliothek: in die »Deutsche Staatsbibliothek« mit den Beständen aus der Sowjetischen Besatzungszone und die »Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz« mit den Beständen aus den westlichen Besatzungszonen (dabei bestehen zwei gegensätzliche Rechtsstandpunkte: 1. der Gesamtbestand der Bibliothek gehört der D D R , weil sich in Ost-Berlin der alte Standort befand; 2. der Bestand der Bibliothek, als einer Zentraleinrichtung für alle preußischen Provinzen, gehört anteilig allen, auch den westlichen, Nachfolgeländern). Die Teilung bringt beiden Teilbibliotheken große Anlaufschwierigkeiten. Beide gewinnen aber erneut internationale Bedeutung. - Die Deutsche Staatsbibliothek in Ost-Berlin findet nach dem Wiederaufbau der ersten Nachkriegsjahre ihren Reorganisator in Horst Kunze (Hauptdirektor, dann Generaldirektor seit 1950). Er löst mehrere Aufgabenbereiche nebeneinander. Er baut
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Organisation und Bestände wieder voll auf. Er paßt die Bibliothek den Erfordernissen der neuen politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit voll an. Er transformiert die bisherigen Zentraleinrichtungen des preußischen Bibliothekswesens für die neuen Zentralbelange des Bibliothekswesens der D D R . Eine Reihe von zentralen Institutionen erhalten ihren Sitz an der Staatsbibliothek und stehen mit ihr in enger Kooperation: u. a. das Methodische Zentrum für wissenschaftliche Bibliotheken; eine Bibliotheksschule; und das Institut für Bibliothekswissenschaft und wissenschaftliche Information (im Universitätsrahmen, für die Ausbildung wissenschaftlicher Bibliothekare). Die Deutsche Staatsbibliothek ist die größte internationale Bibliothek der D D R (ca. 3 Millionen Bände in Ost-Berlin) und verfügt über mehrere bedeutende Spezialsammlungen (neben der Handschriftenabteilung die Inkunabel-, Musik- und Kartenabteilung, sowie die Orientalische Abteilung und eine besondere Dokumentationsabteilung für das Kinder- und Jugendbuch). - Die Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wird nach Kriegsende zunächst provisorisch in Marburg, Hessen, zusammengezogen (»Westdeutsche Bibliothek«) und später eingegliedert in die neu geschaffene »Stiftung Preußischer Kulturbesitz« in West-Berlin (Nachfolgeverwaltung der zentralen preußischen Kultursammlungen: Museen, Zentralinstitute, Staatsbibliothek, Geheimes Staatsarchiv). Der Neubau für die Staatsbibliothek in West-Berlin wird das größte Bibliotheksgebäude Mitteleuropas (im Bau seit 1967, in zentraler Lage im neuen West-Berliner Kulturviertel nahe beim Potsdamer Platz, in Fußgängerentfernung vom Ost-Berliner Stadtviertel »Unter den Linden«). Die etappenweise Verlegung der Bibliotheksbestände nach West-Berlin ist z. Zt. im Gang; mehrere Abteilungen haben ihre Arbeit hier bereits aufgenommen. Die »Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz« verfügt über den größeren Anteil des Druckschriftenbestands der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek und über den Hauptteil des Handschriftenbestands. In Abstimmung mit mehreren andern Zentralbibliotheken bildet sie die letzte Instanz des bundesdeutschen Bibliothekswesens (gemeinsam mit der Bayerischen Staatsbibliothek, der Deutschen Bibliothek und den vier nationalen Fachbibliotheken in Bonn, Hannover, Kiel und Köln). Die zentrale »Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik« ist mit ihr organisatorisch verbunden. Sie gehört zu den größten Bibliotheken des deutschen Sprachgebiets (2,5 Millionen Bände) und verfügt außer der Handschriftenabteilung über mehrere weitere Spezialabteilungen von internationaler Bedeutung (und mit Bestandszahlen von jeweils Hunderttausenden von Objekten: Musik- und Kartenabteilung, Osteuropa-, Orient- und Ostasienabteilung, Bildarchiv). Berlin (West; Land Berlin): Weitere Bibliotheken. - Vor dem 2. Weltkrieg hatten sich die meisten größeren Berliner Bibliotheken im zentralen Bezirk »Berlin-Mitte« befunden und waren bei der Sektorenaufteilung Berlins nach 1945 mit diesem an den Sowjetsektor gefallen. Um die so entstandene »Bibliothekslücke« West-Berlins zu beheben, stiften die USA eine großzügig ausgebaute, moderne Public Library für den Gebrauch der Westberliner: die Amerika-Gedenkbibliothek (gegr. 1951, eröffnet 1954), zugleich als wissenschaftliches Bibliothekszentrum und als Oberbau für
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die Stadtbezirksbüchereien. - Auch die Freie Universität Berlin, westliches Gegenstück zu der nun nicht mehr zugänglichen Ost-Berliner Humboldt-Universität, wird mit materieller amerikanischer Hilfe gegründet (1948) und ergänzt die alte Berliner Technische Hochschule (gegr. 1879, vorher Bauakademie ab 1799), die hier nach dem 2. Weltkrieg als erste in Deutschland zur Technischen Universität voll ausgebaut wird. - West-Berlin ist auch Sitz des Deutschen Bibliotheksverbands (Sachverband der bundesdeutschen wissenschaftlichen und allgemeinen öffentlichen Bibliotheken und Büchereien, mit einer koordinierenden Arbeitsstelle). - In Bindung an das Bibliothekswesen der Bundesrepublik Deutschland bildet West-Berlin eine eigene Bibliotheksregion (Gesamtbevölkerungszahl: 2 Millionen). Ihre Zentraleinrichtungen (Zentralkatalog, Bibliothekarausbildung im Rahmen der Freien Universität) stehen in Kooperation mit der Universitätsbibliothek der Freien Universität. Berlin (Ost; Hauptstadt der DDR): Weitere Bibliotheken. - Berlin wird erst in der napoleonischen Zeit Universitätsstadt: mit der Gründung der Humboldt-Universität (1809/10). Wilhelm v. Humboldt, damals preußischer Wissenschaftsorganisator, konzipiert sie als erste »Forschungsuniversität«. Die meisten älteren Universitäten waren vorwiegend Einrichtungen der Lehre. Die Forschung vollzog sich weithin außerhalb der Universitäten. Erst die Aufklärungsuniversitäten (wie Halle und Göttingen) bezogen Forschung stärker in den Universitätsbetrieb ein. Humboldt vollendet diese Entwicklungslinie mit seiner Konzeption von Lehre und Forschung als institutionalisierter Doppelfunktion der modernen Universität. Die Literaturversorgung der neuen Universität übernimmt anfangs die Berliner Königliche Bibliothek (vgl. oben). Erst später erhält sie eine eigene Universitätsbibliothek (1831). Von Anfang an in der Hauptstadt Preußens bedeutend, ist die HumboldtUniversität auch heute die größte Universität der DDR. - Neben der Staatsbibliothek und der Universitätsbibliothek verfügt Ost-Berlin über ein ganzes Ensemble weiterer Bibliotheken, unter denen die Berliner Stadtbibliothek (gegr. 1900) besonders herausragt, und zu dem auch mehrere Zentralbibliotheken (Pädagogische Zentralbibliothek, Zentralbibliothek für Landwirtschaft), Behördenbibliotheken u. ä. gehören. - In Ost-Berlin finden sich die meisten Zentraleinrichtungen des Bibliotheks- und Dokumentationswesens der DDR: neben der Deutschen Staatsbibliothek und den im Zusammenhang mit ihr bereits oben genannten (vgl. oben) auch das Zentralinstitut für Bibliothekswesen (wissenschaftlich-methodisches Zentrum für die allgemeinen öffentlichen Bibliotheken), das Zentralinstitut für Information und Dokumentation und der Bibliotheksverband der DDR. - OstBerlin ist auch Sitz der Akademie der Wissenschaften der D D R (gegr. 1700). DDR: Bibliotheken. - Die Hauptstadt Berlin ist das Hauptzentrum des Bibliothekswesens der DDR. Außerhalb Berlins besitzt die »Bibliothekslandschaft« der D D R ihre Intensivgebiete jedoch im obersächsischen Raum (Sachsen, Thüringen, Südteil von Sachsen-Anhalt). Deckungsgleich mit der wirtschaftlichen Basis der Republik, mit einer Kette von Industrierevieren, mit dem Schwerpunkt des Bevölkerungsgefälles. Hier liegt auch der historische Schwerpunkt der Bibliotheksent-
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wicklung, parallel zur frühen Wirtschafts- und Kulturblüte Sachsens in Renaissance und Barock. Hier entstehen mehrere frühe Hofbibliotheken von Bedeutung. Die Schloßbibliothek Friedrichs des Weisen, des Reformationskurfürsten, in Wittenberg (gegr. 1 5 1 2 ) steht schon zu Anfang der Universität Wittenberg zur Verfügung und wird durch Luther das erste Buchzentrum der Reformation. Später wird die Bibliothek aus dynastischen Gründen nach Jena verlegt und geht in der dortigen Universitätsbibliothek auf. - Die Hofbibliothek in Dresden (vgl. unten) erreicht europäische Bedeutung. - Aus der Barockzeit stammen die Hofbibliotheken in Gotha (gegr. 1647, mit reichen Altbeständen, heute als Forschungsbibliothek weitergeführt) und Weimar (gegr. 1691). Die Weimarer Hofbibliothek erlangt zeitig Bedeutung, erhält im 18. J h . eines der frühen selbständigen Bibliotheksgebäude der Neuzeit (ein Palais-Umbau, mit zentralem Kuppelsaal nach Wolfenbütteler Muster). Zeitweilig wird Goethe als Weimarischer Minister ihr oberster Chef. E r liefert hier eines der frühesten Vorläuferbeispiele für Magazinanwendung (durch Einbeziehung eines benachbarten Befestigungsturms in einen Erweiterungsanbau). Nach dem 1. Weltkrieg wird die Großherzogliche Bibliothek zur Thüringischen Landesbibliothek, in der D D R - Ä r a zur »Zentralbibliothek der deutschen Klassik« im Rahmen der »Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur« in Weimar. - Bereits im Spätmittelalter und in der Renaissance entstehen im obersächsischen Raum auch mehrere Universitäten: kurz nach 1400 in Leipzig (vgl. unten); noch davor in Erfurt (gegr. 1392, später berühmte Humanistenuniversität, in der napoleonischen Zeit geschlossen, die ehemalige Universitätsbibliothek unabhängig weitergeführt, die akademische Tradition nach dem 2. Weltkrieg durch Neugründung einer Medizinischen Akademie wieder aufgenommen); in der Renaissance Wittenberg (gegr. 1502, Hochburg der Reformation, Anfang des 19. J h . als Universität geschlossen); und Jena (gegr. i j j 8 , mit besonderer Blütezeit während der deutschen Klassik). - Frühe Universitäten gründen auch die Küstenherzogtümer Mecklenburg und Pommern: in Rostock ( 1 4 1 9 , von größerem Gewicht erst im Zusammenhang mit dem Ausbau Rostocks als Industrie- und Seehafenzentrum im Norden der D D R ) und in Greifswald (gegr. 1456 als pommersche Universität, von Mitte des 17. bis Anfang des 19. J h . schwedisch, danach preußisch, mit entsprechend wechselnden Bibliothekseinflüssen). - Später als die übrigen Vorgängerterritorien der heutigen D D R erscheint Kurbrandenburg auf der kulturpolitischen Bühne: mit der Hofbibliothek in Berlin (vgl. oben) erst im Barockzeitalter und auf dem Universitätssektor zunächst mit einer kleinen Renaissance-Universität (in Frankfurt an der Oder, i j o 6 gegr., in der napoleonischen Zeit aufgehoben und für die Provinz Brandenburg durch die Universität Berlin ersetzt). Erst im 18. und 19. Jh., im Zuge der sich anbahnenden Großmachtstellung Preußens, gewinnt das preußische Universitätsund Bibliothekswesen allmählich Profil. K u r z vor 1700 entsteht in Halle (vgl. unten) die erste Aufklärungsuniversität, nach 1800 in Berlin (vgl. oben) die erste »Forschungsuniversität«. - Aber daneben behält Sachsen, auch im Industriezeitalter, eine Schlüsselposition; wirtschaftlich wie kulturpolitisch. Hier entsteht, noch vor 1800, die erste Bergakademie der Welt in Freiberg (gegr. 1765). Z u Beginn des
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19. Jh. folgt die Technische Hochschule Dresden (vgl. unten). - Die hier besonders früh einsetzende Industrialisierung läßt Sachsen auch zum Geburtsland des öffentlichen Büchereiwesens in Deutschland werden: hier gründet Karl Preusker die erste öffentliche »Bürgerbibliothek« in Großenhain (nordwestlich von Dresden, gegr. 1828 als Schulbibliothek, 1833 Stadtbibliothek), die bald vielerorts Vorbild ähnlicher bürgerlich-liberaler Gründungen wird. Aber neben andern Industrierevieren bleibt Sachsen ein bevorzugter Standort auch für die späteren Gründungswellen des öffentlichen Büchereiwesens in Deutschland. Die Bewegung der Arbeiterbildungsvereine, als Träger allgemeinbildender Büchereien, mündet mit ihrer Dachorganisation (dem Lassalleschen »Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein«, gegr. 1863 in Leipzig) direkt in die sozialistische Parteigründung (1875 in Gotha Zusammenschluß des Lassalleschen Vereins mit der von Bebel 1869 in Eisenach gegründeten »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei«), setzt sich fort in einer Kette von Arbeiterbüchereien, Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. (zentral verbunden über den Bildungsausschuß von SPD und Gewerkschaften, zuletzt als »Reichsausschuß für sozialistische Bildungsarbeit« in Berlin), und wird heute repräsentiert durch die Gewerkschaftsbibliotheken der D D R . Auch die Ende des 19. Jh. in Deutschland einsetzende »Bücherhallenbewegung«, die den allgemeinbildenden Aspekt der anglo-amerikanischen Public Libraries aufnimmt, steht bibliotheksgeschichtlich in der von Preusker ausgehenden Entwicklungslinie. - Auf der Ebene wissenschaftlicher Großbibliotheken entwickelt sich in dieser Zeit das preußische Bibliothekswesen zum preußischen Bibliotheksorganismus (vgl. S. 138 f.). In Sachsen erfolgt Anfang des 20. Jh. die Gründung der Deutschen Bücherei zu Leipzig (vgl. unten) als zentraler Archivbibliothek der deutschsprachigen Literatur. - Nach dem 2. Weltkrieg ergänzt die D D R ihr Forschungs- und Ausbildungspotential durch die Errichtung einer Reihe von technisch-naturwissenschaftlichen Einzelhochschulen: so u.a. in Magdeburg eine Technische Hochschule (gegr. 1953), ergänzt durch eine neue Medizinische Akademie und die alte Stadtbibliothek aus der Reformationszeit (gegr. 1 J 2 5 ) ; ferner in Karl-Marx-Stadt (vormals Chemnitz), im 20. Jh. Zentrum eines der wichtigsten deutschen Industrieballungsräume, ebenfalls eine Technische Hochschule (gegr. 1953). - Das Bibliothekswesen der D D R ist auf gesamtstaatlicher Ebene zentralisiert (Gesamtbevölkerungszahl des Bibliotheksgebiets: 17 Millionen; annähernd die des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen). Teilregionalisierung findet sich bei den sechs Zentralkatalogen (für jeweils ein bis drei Verwaltungsbezirke). Oberste Instanz des durch sie erleichterten Fernleihverkehrs ist die Deutsche Staatsbibliothek in Berlin. Fast alle andern Gemeinschaftseinrichtungen haben ebenfalls ihre Zentrale in Berlin (vgl. oben), einige auch in Leipzig. Die D D R leitet nach dem 2. Weltkrieg, früher als andere Staaten des deutschen Sprachgebiets, eine Reihe von durchgreifenden Neuerungen für das Bibliothekswesen ein. Darunter am wichtigsten die Überwindung der Trennung von wissenschaftlichen und allgemeinen öffentlichen Bibliotheken. Ferner der konsequente Aufbau von Bibliotheksnetzen. Als Regionalnetze in aufsteigender Kette, analog der Verwaltungsgliederung: Ortsbüchereien, Stadtbibliotheken, Kreisbibliotheken, Bezirksbibliotheken, mit der zentralen Staatsbibliothek als Spitze (wobei
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die Bezirksfunktionen von kleineren Landesbibliotheken bzw. von Stadtbibliotheken, entsprechend umgerüstet, übernommen werden); als Hochschulnetze, ebenfalls in aufsteigender Kette: Institutsbibliotheken, Fachbereichsbibliotheken, Universitätsbibliotheken der Einzelhochschulen, mit einer Spitzen-Universitätsbibliothek als methodisch anleitender Zentrale; als Fachnetze von Spezialbibliotheken gleicher Fachrichtung, wiederum in aufsteigender Kette und mit anleitender Zentrale. Das DDR-Bibliothekswesen lehnt sich beim Netzaufbau an sowjetische Vorbilder an, kann jedoch auch auf genuine Ansätze innerhalb der deutschen Bibliothekstradition zurückgreifen. Leipzig. - Leipzig, zweitgrößte Stadt der DDR, alte Handelsmetropole und jahrhundertelange Buchmessestadt, besitzt eine Universität seit dem Spätmittelalter (gegr. 1409). Deren Zentralbibliothek (aus dem 16. Jh.) erhält im 17. Jh. Pflichtexemplarrecht (1615, eines der frühesten Pflichtexemplarrechte überhaupt) und ist heute die größte Universitätsbibliothek des deutschen Sprachgebiets. - Vor dem 1. Weltkrieg gründet der Börsenverein der deutschen Buchhändler in Leipzig die Deutsche Bücherei (1912) als Archivbibliothek des deutschsprachigen Schrifttums. Der Standort Leipzig empfiehlt sich damals als Zentrum des deutschen Buchhandels. Die Deutsche Bücherei wächst während der Weimarer Republik etappenweise in die Funktionen eines bibliographischen Zentrums (Deutsche Nationalbibliographie, zusammenfassende Zeitstufen, Nebenserien, Hochschulschriftenverzeichnis etc.) und wird schließlich in eine staatliche Einrichtung umgewandelt. Durch drei Jahrzehnte leitet Heinrich Uhlendahl (Direktor, später Generaldirektor, 1924-54) die Bibliothek in ihren entscheidenden Entwicklungsphasen mit Konsequenz und diplomatischem Gespür. Der Zusatzname »Deutsche Nationalbibliothek« bezeichnet die Deutsche Bücherei im weiteren Sinne als Nationalbibliothek der deutschen Sprachnation, deren Schrifttum sie in (teils freiwilligen) Belegexemplaren erhält und verzeichnet: Buchhandelspublikationen (die gesamte deutschsprachige Buchproduktion verteilt sich prozentual, jährlich nach Buchhandelstiteln, folgendermaßen: Bundesrepublik Deutschland: 6 1 % ; DDR: 1 5 % ; Schweiz: 1 3 % ; Österreich: 1 0 % ; Sonstige: i°/o; ferner Dissertationen, amtliche Druckschriften, Veröffentlichungen von Firmen, Gesellschaften, Institutionen und andere »graue« Literatur. Im engeren Sinne ist die Deutsche Bücherei auch Nationalbibliothek der DDR, in deren Staatsgebiet sie das Pflichtexemplarrecht besitzt. Der Bestand der Deutschen Bücherei beläuft sich in den 1970er Jahren auf ca. 5,5 Millionen Einheiten. Als Sonderabteilung ist das Deutsche Buch- und Schriftmuseum (gegr. 1884) der Deutschen Bücherei eingegliedert. - Leipzig ist auch Sitz der Sächsischen Akademie der Wissenschaften (gegr. 1846). Dresden. — Die alte sächsische Haupt- und Residenzstadt Dresden, eine der schönsten Städte Mitteleuropas (»Elbflorenz«), seit dem Barock Kultur- und Kunstzentrum von hohen Graden, im 19. und 20. Jh. lebendige Weltstadt und zugleich Mittelpunkt eines bedeutenden industriellen Ballungsraums, gehört auch zu den bedeutenderen europäischen Bibliotheksstandorten. - Die Hofbibliothek geht auf eine private Büchersammlung des regierenden Hauses Wettin zurück (15$6 in Dresden
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als Sammlung bezeugt, zwischendurch kurzfristig in einem auswärtigen Sommerschloß, seit 1587 dauernd in der Dresdner Residenz). Aus der ersten bibliophilen Phase stammen die berühmten Einbände des Hofbuchbinders Jakob Krause (Renaissance-Einbände, unter Vorwegnahme barocker Stilelemente und mit orientalischer Ornamentik). Im Zeitalter der sächsisch-polnischen Personalunion (18. Jh.), unter König August dem Starken von Sachsen-Polen und seinem Nachfolger Friedrich August II., gewinnt die Dresdner Hofbibliothek größere Bedeutung und wird schließlich auf einige Zeit zur zweitgrößten Bibliothek Deutschlands (nächst der Kaiserlichen Bibliothek in Wien), vor allem durch die Übernahme zweier riesiger Feudalbibliotheken (Sammlungen der Grafen Brühl und Bünau). In dieser Zeit liegt die Leitung der Hofbibliothek bei Johann Michael Francke, der die Einzelsammlungen integriert und dabei seine, schon vorher entwickelte, Aufstellungssystematik einführt. Sie zeichnet sich durch besondere Berücksichtigung der historisch-topographischen Komponente neben der reinen Fächergliederung aus (eine Errungenschaft, deren Einfluß bis zu den raum-zeitlichen Anhängezahlen der modernen Dezimalklassifikation fortdauert). Ende des 18. Jh. übersiedelt die Bibliothek aus ihrem bisherigen Domizil, dem Dresdner Zwinger, in das Japanische Palais, das dem neuen Zweck baulich angepaßt wird. Friedrich Adolf Ebert, in der ersten Hälfte des 19. Jh. Bibliothekar, später Leiter der nunmehrigen »Königlichen öffentlichen Bibliothek« zu Dresden tritt hier mit einigen innerbetrieblichen Neuerungen und vor allem mit bibliothekswissenschaftlichen und bibliographischen Werken hervor (»Über öffentliche Bibliotheken«, »Die Bildung des Bibliothekars«, »Allgemeines bibliographisches Lexikon«), Die volle Öffnung zur modernen Gebrauchsbibliothek erfolgt gegen Ende des Königreichs und in der Weimarer Zeit. An der nunmehrigen »Sächsischen Landesbibliothek« wird unter dem Direktorat von Martin Bollert eine für das gesamte Bibliothekswesen originelle Neuerung eingeführt: die Filialenkette von »Vermittlungsstellen« (Stadtbibliothek, Behördenbüros, Buchhandlungen), die als »nebenamtliche« Außenstellen in allen Stadtteilen die Bücherausgabe und -annahme vermitteln. Unter Bollert entsteht auch der Dresdner Fachgruppenkatalog. Trotz stärkster Kriegsschäden kann die Sächsische Landesbibliothek bedeutende Altbestände über den 2. Weltkrieg retten und ihre hervorragende Stellung zurückgewinnen. Nach der Auflösung des Landes Sachsen fallen ihr innerhalb des Bibliothekswesens der DDR mehrere wissenschaftliche, regionale und überregionale Funktionsbereiche zu: örtlich die Literaturversorgung der ausgebauten Technischen Universität und anderer Hochschulen mit Forschungs- und Grundlagenliteratur; regional für die bevölkerungsintensiven industriellen Ballungsräume im Süden der D D R die Funktion einer zweiten Staatsbibliothek; überregional die Funktion einer internationalen Forschungs- und Quellenbibliothek der älteren europäischen Literatur. Als logische Konsequenz dieser mehrere Ebenen gleichzeitig umfassenden Funktionenbündelung wird die Dresdner Landesbibliothek nicht im universitären oder bezirklichen, sondern im gesamtstaatlichen (nationalen) Rahmen geführt. - Die Technische Hochschule Dresden (gegr. 1828, zunächst als Polytechnikum) weitet sich nach dem 2. Weltkrieg zur Technischen Universität, ergänzt durch mehrere weitere Hochschulen (u. a. eine Medizinische Akademie).
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Als Universitäts- und Hochschulort gehört Dresden, nach Umfang, Niveau und Studentenzahlen, zur mitteleuropäischen Spitzenklasse. Halle. - Noch ganz im obersächsischen Raum gelegen, aber lange Zeit Nebenresidenz des Fürstbistums Magdeburg, fällt Halle mit diesem im 17. Jh. an Kurbrandenburg. Die 1694 errichtete kurbrandenburgische Universität Halle wird bald zu einem Zentrum der Frühaufklärung und vereinigt in ihrer Konzeption bereits alle Züge der typischen Aufklärungsuniversität: rationalistische Tendenzen, bessere Repräsentation der Naturwissenschaften, Hereinnahme gewisser Forschungsaktivitäten, von Anfang an zentrale Universitätsbibliothek (ergänzt durch mehrere Stiftungsbibliotheken von Rang). Halle bleibt im 18. Jh. ein Mittelpunkt des deutschen Geisteslebens. Nach der Aufhebung der vormals sächsischen Universität Wittenberg durch den preußischen Staat, am Schluß des napoleonischen Zeitalters, übernimmt die Universität Halle die Fortführung auch der Wittenberger Traditionen (»Universität Halle-Wittenberg«), die Universitätsbibliothek Halle übernimmt den Hauptteil der Bestände der Wittenberger Universitätsbibliothek. Im Rahmen der Reformen des preußischen Bibliothekswesens in der zweiten Hälfte des 19. Jh. erhält Halle den ersten Universitätsbibliotheks-Neubau mit voll ausgebautem Magazin (1878-80) und wirkt damit beispielgebend. Otto Hartwig, Hallenser Bibliotheksdirektor in dieser Zeit, Berater Althoffs beim Ausbau des preußischen Bibliotheksorganismus, begründet das Fachorgan »Zentralblatt für Bibliothekswesen« (1884) und entwickelt für die Universitätsbibliothek Halle eine neuartige, viel beachtete Sachkatalogsystematik (Reihung der Geistes- und Naturwissenschaften). - Die stürmische Entwicklung des mitteldeutschen Industriegebiets in der zweiten Hälfte des 19. Jh. und im 20. Jh. eröffnet auch für Halle neue Perspektiven. Die Stadt wird administratives Zentrum des Wirtschaftsraums. Die Universitätsbibliothek Halle erhält gewisse Landesbibliotheks- und Zentralfunktionen für die Nachfolgebezirke von Sachsen-Anhalt. Die Universität Halle wird nach der technischen Seite hin ergänzt durch die südlich benachbarte Technische Hochschule Merseburg-Leuna (gegr. 1954), mit chemisch-technologischem Schwerpunkt, in direkter Nachbarschaft zu den weltbekannten Leuna-Chemie-Werken (lange Zeit Zentrum der synthetischen Benzinherstellung, heute Schwerpunkt der chemischen Industrie der DDR), ein Musterbeispiel produktionsorientierter Standortwahl im Hochschulwesen. - Halle ist auch Sitz der »Deutschen Akademie der Naturforscher, Leopoldina« (gegr. 1652 in Schweinfurt, bestätigt 1687 durch Kaiser Leopold I., seit dem 19. Jh. ständig in Halle).
Ε 1.8. Österreich Allgemeines. - Von allen Ländern des deutschen Sprachgebiets hat Österreich die am meisten international verzweigte und international relevante Geschichte. Die Habsburger, die ihm auch ihre alemannischen Stammlande zuführen (Vorderösterreich an Oberrhein und Bodensee, anfangs auch in der Nordschweiz), verschaffen Österreich die Führungsposition im deutschen Sprachgebiet während der
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Jahrhunderte ihres römisch-deutschen Kaisertums. Durch die habsburgische Großmachtpolitik tritt Österreich auch in enge und dauernde Verbindung zu zahlreichen weiteren Gebieten und Völkern Europas. - Von der Renaissance bis zum Anfang des 20. Jh. bilden die Tschechoslowakei, Ungarn und das nördliche Jugoslawien konstituierende Bestandteile des traditionellen »Altösterreich«. Zu Altösterreich im engeren Sinne gehören dabei das Königreich Böhmen mit den Nebenländern Mähren und Schlesien (zunächst ganz, später der Süden als »Österreichisch-Schlesien«), sowie das Herzogtum Krain (Kerngebiet des heutigen jugoslawischen Bundeslandes Slowenien); alle außerdem Mitgliedländer im Römisch-deutschen Reich, später im Deutschen Bund und im »cisleithanischen« Reichsteil Österreich-Ungarns. In etwas distanzierterem Unionsstatus befindet sich der Großstaat Ungarn mit allen seinen Nebenländern: anfangs, in der Zeit der türkischen Invasion, nur Westungarn, später ganz Ungarn nebst Siebenbürgen; voll integriert gehört dazu auch die Slowakei (»Oberungarn«) und separat angeschlossen das Königreich Kroatien. Neben diesen langfristigen altösterreichischen Hauptgebieten stehen mehrere weitere Länder in Verbindung mit Österreich: in der Renaissancezeit kurzfristig Spanien, bald unter einer habsburgischen Zweitdynastie wieder von Österreich gelöst; ebenfalls in der Renaissancezeit die Benelux-Gebiete, auch sie längere Zeit im Besitz der spanischen Habsburger, im 18. Jh. jedoch als »österreichische Niederlande« (Belgien und Luxemburg) erneut mit Österreich verbunden; einige größere Gebietsteile Norditaliens, besonders die Lombardei, später zeitweilig auch Venetien und in dessen Gefolge die gesamte jugoslawische Adriaküste (Dalmatien); schließlich durch die polnische Teilung auch Galizien (Südpolen, Westukraine) und im Zusammenhang damit auch die Bukowina (Westukraine). - Im 18. Jh. bemüht sich die österreichische Zentralregierung unter Einfluß der Aufklärung und mit dem Instrumentarium des Absolutismus und Merkantilismus, das heterogene Länderkonglomerat zu einem einheitlichen und effektiven Wirtschaftsraum zu entwickeln und schließlich, am Vorabend der Französischen Revolution, in einen geschlossenen Einheitsstaat umzuwandeln (Kaiser Joseph II.). - Nach den Erschütterungen der napoleonischen Ära, mit der Auflösung des Römisch-deutschen Reichs (1806), gelingt es dem Fürsten Metternich auf dem Wiener Kongreß (1815), die österreichische Vormachtstellung in Deutschland (Deutscher Bund) und Italien, sowie die Integrität des österreichischen Gebietsstands (außer den jetzt verlorenen österreichischen Niederlanden und Vorderösterreich) wieder herzustellen. Aber im Laufe des 19. Jh. gerät Österreich, bis dahin deutsche Führungsmacht und europäische Großmacht, in Gegensatz zu den Zeitverhältnissen. Die seit Metternich beibehaltene reaktionäre Gesellschaftspolitik verhindert die Anpassung an die Erfordernisse des Industriezeitalters. Dem Prinzip des Vielvölkerstaats steht der Zeitgeist des Nationalismus entgegen. - Dennoch weist die österreichische Bilanz auch im 19. und im beginnenden 20. Jh. positive, ja progressive Faktoren aus. Es entsteht ein großer, leistungsfähiger Wirtschaftsraum (statt einer Gruppe ökonomisch ineffektiver Kleingebiete). Allmählich kommt es auch zur Kulturautonomie und für einige Kronländer zu einer ausgesprochen progressiven Sprachenpolitik. Schließlich entwickelt Österreich Konzepte für eine Synthese des nationalen und supranationalen
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Staatsgefüges. Schon Metternich (im Gegensatz zu seiner reaktionären Gesellschaftspolitik) regt weitsichtig eine kulturelle und administrative Regionalisierung des österreichischen Gesamtstaats an, kann sich aber damals damit nicht durchsetzen. Der Staatsdualismus Österreich-Ungarns (Kaiser Franz Joseph) ist ein Schritt in diese Richtung. Vor dem 1 . Weltkrieg reifen Pläne f ü r einen autonombundesstaatlichen Umbau Österreichs heran (»trialistischer« Staatsgedanke des Thronfolgers Franz Ferdinand; supranationale Konzeption des späteren Kanzlers und Bundespräsidenten K a r l Renner auf föderativ-nationaler und demokratischer Grundlage). Dem zeitgenössischen Verständnis voraus, entstehen hier frühe Modellvorstellungen, die später beim Umbau des zaristischen Rußland zum sowjetischen Bundesstaat und beim Zusammenschluß der europäischen Gemeinschaft aktuelle Wirksamkeit erhalten. - Bevor Österreich seine europäische Erbschaft in ein neues Europa einbringen kann, verfällt es einer abrupten Demontage und verliert seine jahrhundertelange Doppelbindung in zwei Etappen: die staatsrechtliche Verbindung mit den übrigen Ländern des deutschen Sprachgebiets (abgebrochen durch Bismarcks Auflösung des Deutschen Bundes, 1866); und die staatliche Verbindung mit mehreren europäischen Nachbarvölkern und -territorien (abgebrochen durch die Folgen des 1. Weltkriegs, 1 9 1 8 / 1 9 ) . - Trotz der einschneidenden Veränderungen im Laufe seiner Geschichte, zeigt Österreich in seinen Kerngebieten eine bemerkenswerte historische Kontinuität. Fast alle Einzelterritorien seines gegenwärtigen Staatsgebiets (mit Ausnahme des Salzburger Landes) gehören schon seit dem späten Mittelalter zu Österreich. Diese Konstanz der Entwicklung führt zu einer stark ausgeprägten politischen und kulturellen Profilierung Österreichs. Österreich: Bibliotheken. - Weitläufigkeit und Weiträumigkeit der Geschichte Österreichs geben auch seiner Bibliotheksentwicklung eine europäische Dimension von großer Komplexität. Imponierende Schwerpunkte können gesetzt, internationale Aktionen koordinierend durchgeführt und aktuelle Neuerungen zügig aufgenommen werden. Glanzvoller und zugleich effektiver Mittelpunkt des österreichischen Bibliothekswesens ist die Kaiserliche Bibliothek in Wien (vgl. unten). - Universitäten werden im heutigen österreichischen Staatsgebiet relativ frühzeitig ins Leben gerufen: Wien (vgl. unten) als älteste Universität des deutschen Sprachgebiets überhaupt; in der Renaissancezeit Graz (vgl. unten); und in der Barockzeit Innsbruck (gegr. 1669). In den Zusammenhang des altösterreichischen Universitätswesens gehören auch die Universitäten Prag (für Böhmen und Mähren) und Freiburg (für Vorderösterreich). Die Universität Salzburg (gegr. 1623), zunächst für das staatlich selbständige Fürsterzbistum Salzburg, wird in der napoleonischen Zeit geschlossen (nur als theologische Hochschule, die Bibliothek als Studienbibliothek weitergeführt) und erst 1962 als Universität wiedererrichtet. — In Österreich behalten auch die Klöster noch lange kulturellen Einfluß und erleben in der Gegenreformation eine neue Blütezeit (17. und 18. Jh.). Jetzt entstehen zahlreiche prachtvolle Barock-Bibliothekssäle f ü r Klosterbibliotheken. Besonderen Einfluß erlangt während der Gegenreformation in Österreich der Jesuitenorden, der f ü r seine zahlreichen Schulen und Studienkollegien gut ausgestattete Bibliotheken einrich-
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tet. - Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jh. löst die Aufklärung in Österreich den Gegenreformationseinfluß ab. Eingeleitet im Laufe der Regierungszeit der Kaiserin Maria Theresia, politisch getragen vom Staatskanzler Fürsten Kaunitz und unter dem besonderen Einfluß ihres kulturpolitischen Beraters, des Niederländers Gerhard Freiherr van Swieten (Reorganisator des österreichischen Medizinal-, Universitäts- und Wissenschaftswesens, zugleich Leiter der Kaiserlichen Bibliothek). Die 1770er und 1780er Jahre markieren die Kulmination der Aufklärung in Österreich, unter Joseph II., zunächst als Mitregent seiner Mutter Maria Theresia, dann selbst als »Aufklärungskaiser«. - Die zahlreichen Erneuerungs-, Rationalisierungs- und Zentralisierungsmaßnahmen der österreichischen Aufklärung im josephinischen Zeitalter greifen auch auf das Bibliothekswesen über. Jetzt und hier wird zum ersten Mal in der Welt eine gesamtstaatliche Zentralisierung des Bibliothekswesens im großen Maßstab geschaffen. Ein zusätzlich auslösendes Moment bildet die päpstlicherseits erfolgte Aufhebung des Jesuitenordens (1773) und einige Jahre später die Aufhebung von über 1000 Klöstern verschiedener anderer Orden in den österreichischen Gesamtlanden durch Kaiser Joseph II. (ab 1782), mit der Übernahme riesiger Buchbestände in Staatseigentum. Schon bald nach der ersten Aufhebungswelle erfolgt in Österreich, in den 1770er und Anfang der 1780er Jahre, auf der Grundlage der Buchbestandsübernahme, die Aufstockung bestehender bzw. Retablierung und Neugründung bisher fehlender staatlicher Bibliotheken. Dabei werden zunächst die Universitätsbibliotheken bedacht: Wien, Graz, Innsbruck, Freiburg, Prag, Lemberg (im neu erworbenen Galizien, mit Universitätsneugründung), Budapest (mit Hierherverlegung einer Provinzuniversität), Agram (in Kroatien, zunächst Vorläuferhochschule der späteren Universität). Die Planung bezieht sich jedoch nicht nur auf die Universitätsbibliotheken, sondern sieht für jedes Kronland eine regionale wissenschaftliche Bibliothek vor. In den Kronländern ohne Universitätsbibliotheken werden deshalb regionale öffentliche Studienbibliotheken gegründet: u. a. in Linz (für Oberösterreich), Klagenfurt (für Kärnten), Laibach (für Krain), Olmütz (für Mähren, zeitweilig in Zusammenhang mit einer dortigen Universität), Mailand (innerhalb der Lombardei zusätzlich zur Universitätsbibliothek Pavia). - Die so entstandene Vielzahl von staatlichen Einzelbibliotheken wird zu einem zentralen Bibliotheksgefüge zusammengeschlossen. Ein für alle Kronländer zentral zuständiger Bibliotheksreferent wird berufen: der Kulturpolitiker Franz Stephan Rautenstrauch (van Swietens Nachfolger als Reorganisator des österreichischen Universitäts- und Wissenschaftswesens, ursprünglich Benediktinerabt, später Universitätsprofessor, zeitweilig Direktor der Universitätsbibliothek Wien). Er erläßt 1778 die erste gesamtstaatliche Bibliotheksinstruktion der Welt, verbindlich für alle staatlichen Bibliotheken in den österreichischen Kronländern, und wird damit zum Schöpfer der ersten zentralisierten Bibliothekenkette der Welt. Noch kein kooperativer Bibliotheksorganismus (wie 100 Jahre später in Preußen unter Althoff). Aber immerhin ein koordiniertes Nebeneinander regionsbezogener Stützpunktbibliotheken, mit parallel geschalteter Arbeitsweise. Rautenstrauchs zentrale Bibliotheksinstruktion regelt zunächst die generelle öffentliche Zugänglichkeit der staatlichen Bibliotheken (auch der Universitätsbibliotheken);
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die überall vereinheitlichten täglichen Öffnungszeiten für die Präsenzbenutzung; sowie gewisse (noch beschränkte) Ausleihmodalitäten und die Ausleihfristen. Die Instruktion führt ferner zum ersten Mal in der Welt den alphabetischen Zettelkatalog als ständigen Hauptkatalog ein (in Weiterführung der Hannoverschen Vorstufe des Zettel-Album-Katalogs) und sieht auch durchgängig hauptamtliches Bibliothekspersonal für alle staatlichen Bibliotheken vor. Diese Regelung, in einer späteren Verordnung (1784) erneut bestätigt, wird durch den Einbau von Bibliothekarstellen in die Bibliotheksetats (auch der Universitätsbibliotheken) erhärtet und durch die Einführung von Befähigungsnachweisen und Eignungsprüfungen flankiert. - Auf dieses vehemente Crescendo der österreichischen »BibliotheksAufklärung« folgt im 19. Jh. zunächst eine Periode der Konsolidierung und des ruhigen Ausbaus. Mitte des 19. Jh. fällt mit dem Landesteil Krakau auch dessen Universität an Österreich. In den 1870er Jahren werden mehrere weitere Universitäten in bisher ausgesparten Kronländern errichtet (so in Czernowitz in der Bukowina; in Klausenburg, d. h. heute Cluj, in Siebenbürgen; in Agram, anstelle der bisherigen Rechtsakademie). Jetzt werden auch, im Zeichen des Industriezeitalters, technische Ausbildungsstätten geschaffen, meist zunächst als Polytechnika, später angehoben auf den Status einer Technischen Hochschule: zufrühest in Prag (gegr. 1707, die älteste heute bestehende technische Lehranstalt der Welt, 1806 Polytechnikum, später Technische Hochschule), dann in Graz und Wien (vgl. beide unten), in Budapest und schließlich in Brünn. Auch die Montanistische Hochschule (Bergbauhochschule) in Leoben (Steiermark, gegr. 1840) gehört in diesen Zusammenhang. - Die staatliche Umgliederung Österreichs zur Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie (1867) bleibt nicht ohne Rückwirkungen auf das Bibliothekswesen. Der fast hundertjährige österreichische Bibliothekszentralismus teilt sich nunmehr in zwei separate Bibliotheksbereiche (mit den Universitätsbibliotheken Wien und Budapest als Zentralen). Die jetzt auch anderwärts einsetzende Entwicklung zum kooperativen Bibliotheksorganismus führt in Österreich auf einigen Gebieten zu besonders frühen Gemeinschaftsunternehmungen. Als einer der ersten Staaten der Welt errichtet Österreich 1883 die gesamtstaatliche Fernleihe. Der 1898 veröffentlichte österreichische Zeitschriftengesamtkatalog ist der erste der Welt (»Generalkatalog der laufenden periodischen Druckschriften«), Relativ früh entsteht auch der bibliothekarische Fachverband: »österreichischer Verein für Bibliothekswesen« (1896). - Nach dem 1. Weltkrieg treten an die Stelle von österreich-Ungarn dessen souveräne Nachfolgestaaten mit entsprechenden Bibliothekssystemen (zum Bibliothekswesen Ostmitteleuropas und Südosteuropas vgl. unten S. 161 ff., 200 f.). Auch das heutige deutschsprachige Österreich bildet ein besonderes, in sich geschlossenes Bibliotheksgebiet (Gesamtbevölkerungszahl: 7,j Millionen; etwas größer als die Niedersachsens, kleiner als die Baden-Württembergs). Das österreichische Bibliothekswesen steht für gewisse übergreifende Bereiche in gesamtdeutschsprachigem Kontakt (Katalogregeln, Nationalbibliographie), bildet aber für alle nationalen Gemeinschaftsunternehmungen einen eigenständigen österreichischen Bibliotheksorganismus, mit der österreichischen Nationalbibliothek in Wien (der vormaligen Kaiserlichen Bibliothek) als Zentrale.
Europa Wien: österreichische Nationalbibliothek. - Eine private Büchersammlung der Habsburger ist in Wien schon während des Spätmittelalters bezeugt (nachweisbarer Handschriftenbesitz scheint für 1368 auf). Unter mehreren bibliophilen habsburgischen Herrschern ragt vor allem Kaiser Maximilian I. heraus. Mehrere Schloßbibliotheken der Habsburger entstehen im Laufe der Zeit in Nebenresidenzen, u. a. in Wiener Neustadt, Innsbruck (nebst Schloß Ambras bei Innsbruck), Graz und Prag. In den nächsten beiden Jahrhunderten werden die wichtigeren Bestandsanteile aller dieser Außenbibliotheken des Erzhauses nach Wien überführt. Ζ. T. schon in der 1. Hälfte des 16. Jh. durch Ferdinand I., unter dem die Wiener Bibliothek als festumrissene Einrichtung in Erscheinung tritt. - In der 2. Hälfte des 16. Jh. erfolgt zum ersten Mal die Berufung eines hauptamtlichen Bibliotheksleiters. Hugo Blotius, ein gebürtiger Niederländer, ist zugleich der erste hauptamtliche Bibliothekar des damaligen Deutschland überhaupt und einer der ersten in der Welt. Unter seiner Amtsführung (1575-1608) wandelt sich die Fürstenbibliothek zur Hofbibliothek und bleibt die größte Bibliothek im gesamten deutschen Sprachgebiet bis ins 19. Jh. hinein. Blotius widmet sich zunächst der Neuordnung und Katalogisierung der Bestände, erwirkt eine erste Benutzungsordnung (1580), die bereits eine gewisse Öffentlichkeit vorsieht (exklusive Präsenzbenutzung, Ausleihbenutzung nur mit kaiserlicher Sondergenehmigung). In einer Denkschrift (Consilium von 1579) erörtert Blotius auch die Qualifikationsvoraussetzungen des neu entstehenden bibliothekarischen Berufs und zählt dazu u. a. Sprachkenntnisse, wissenschaftliche Vorbildung, Unvoreingenommenheit, Arbeitseifer. Für die soziale Einstufung des Leiters einer Hofbibliothek fordert er die Rangstufe eines Kaiserlichen Rats (d. h. damals Ministerrang) und die Erhebung in den Adelsstand. In dieser Zeit erhält die Kaiserliche Bibliothek bereits regelmäßige Belegexemplare aus ganz Mitteleuropa, die die Kaiserliche Bücherkommission in Frankfurt am Main, im Zusammenhang mit der Erteilung des Kaiserlichen Privilegs, auf der Frankfurter Buchmesse einzieht und seit 1569 nach Wien überweist. 1608 wird die Ablieferungspflicht auch auf die nicht-kaiserlich privilegierten Bücher ausgedehnt und später auch für die österreichischen Kronländer direkt eingeführt. Unter Kaiser Leopold I. (2. Hälfte des 17. Jh.) erreicht die »Bibliotheca palatina Vindobonensis« ein glanzvolles Niveau (Bibliothekar in dieser Zeit: Peter Lambeck). - Für die schnell wachsende Hofbibliothek wird noch unter Leopold I. ein Neubauprojekt, im Zusammenhang mit der Kaiserlichen Hofburg, beschlossen, kann aber infolge der hereinbrechenden Türkenkriege erst eine Generation später, in der Regierungszeit Kaiser Karls VI., realisiert werden: ein Mitteloval, nach Art des zeitlich unmittelbar vorausgehenden Wolfenbütteler Bibliotheksneubaus, aber in vergrößerten Ausmaßen und beiderseits fortgesetzt durch je einen Lesesaal-Längsflügel. Der Wiener Neubau, eines der ersten selbständigen Bibliotheksgebäude der Neuzeit, 1 7 2 2 - 2 6 erbaut, beherbergt den schönsten und lange Zeit größten Lesesaal der Welt, den sog. »Prunksaal« (Fassungskraft der Wandregale und Emporen: 190000 Bände). Den Bauplan entwirft der bekannte Barockbaumeister Johann Bernhard Fischer v. Erlach. Nach der Eröffnung (1727) folgen bibliothekarische Reorganisationen und eine verstärkte Öffentlichkeit der Präsenzbenutzung. Es ist die Epoche,
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in der sich Forschung und Wissenschaft an den Fürstenhöfen, Hofbibliotheken und Forschungsakademien ansiedeln (während die Universitäten noch überwiegend als Lehranstalten gelten). Entsprechend dieser Konzeption wird die Kaiserliche Bibliothek unter ihrem neuen Chef, Gerhard Freiherr van Swieten (1745-77, Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia, Reorganisator des österreichischen Unterrichts- und Wissenschaftswesens) zentrale Wissenschafts- und Forschungsbibliothek für Wien und ganz Österreich. Mehrere andere Bibliotheken werden zu diesem Zweck der Kaiserlichen Bibliothek eingegliedert (u. a. die Universitätsbibliothek Wien, die Stadtbibliothek Wien und eine Reihe von Privatbibliotheken, darunter die schon vorher erworbene Sammlung des Prinzen Eugen von Savoyen). Der Personalstand der Bibliothek wird, für damalige Verhältnisse, großzügig ausgebaut (neben dem »Präfekten«, als Leiter, acht Bibliothekare, als Kustoden und Skriptoren sowie ein halbes Dutzend Hilfskräfte). Bei der Errichtung der zentralisierten österreichischen Bibliothekenkette in der Spätaufklärung (vgl. vorigen Absatz) steht auch die Kaiserliche Bibliothek nicht abseits. Sie führt mit den andern Bibliotheken gewisse gemeinsame Neuerungen ein (ζ. B. Öffnungszeiten, Zettelkatalog). Und bei der Buchbestandsübernahme nach den Klosteraufhebungen Kaiser Josephs II. erhält sie vor den andern Bibliotheken die Erstexemplare der relevanten Literatur und die Kostbarkeiten. Die riesige Übernahme- und Verteilungsaktion, geleitet von Gottfried Freiherr van Swieten (Präfekt der Kaiserlichen Bibliothek wie sein Vater), wird bald Vorbild für entsprechende Bestandsverlagerungen nach der Französischen Revolution und bei der Säkularisierung in Bayern. In Österreich wird diese Epoche fruchtbar für die sich formierende Bibliothekswissenschaft, als deren Exponent an der Kaiserlichen Bibliothek Michael Denis hervortritt (»Einleitung in die Bücherkunde«, 1777-78, u. a. Buchkunde und Bibliotheksgeschichte). In der napoleonischen Zeit gelingt es dem polnischen Grafen Joseph Maximilian Ossolinski (Mäzen und Begründer des polnischen Ossolineums) als Präfekt die Kaiserliche Bibliothek vor drohenden Bestandsverlusten zu bewahren. - Im 19. Jh. macht sich erneut zunehmende Raumnot geltend, die erst durch sukzessive Zuteilung weiterer Flügel der Hofburg (einer der größten Schloßanlagen der Welt) für Bibliothekszwecke überwunden werden kann (in mehreren Etappen, vom Ende des 19. bis zur zweiten Hälfte des 20. Jh.). Weitere Rationalisierung bedeutet die Umstellung auf mechanische Numerus-currens-Auf Stellung (1899, unter dem Direktorat von Josef v. Karabacek). In dieser Zeit ist die Kaiserliche Bibliothek zwar weiterhin Gesamtmittelpunkt des österreichisch-ungarischen Bibliothekswesens, wird aber bei der Einteilung der Doppelmonarchie in zwei separate Bibliothekssysteme (mit den Universitätsbibliotheken Wien und Budapest als Zentralen) »neutralisiert« und bleibt somit oberhalb der bibliothekarischen Einzelaufgaben und Gemeinschaftsunternehmungen in den beiden Reichsteilen. - Unter den veränderten Verhältnissen nach dem 1. Weltkrieg übernimmt die nunmehrige »Nationalbibliothek« die Funktionen einer Zentralbibliothek für den Bibliotheksorganismus der Republik Österreich. Die dafür notwendigen Reorganisationen leisten die Generaldirektoren Josef Bick (1923-38, wieder 1945-49) und Josef Stummvoll (1949-67). Die Nationalbibliothek wird jetzt in stärkerem Ausmaß Gebrauchsbibliothek, mit liberalisierter
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Ausleihe, zugleich Zentrale der Fernleihe und der Bibliothekarausbildung. Ihr Sammelauftrag schließt weiterhin die Literatur über die gesamten altösterreichischen Länder ein. Nach dem 2. Weltkrieg bearbeitet sie auch die neue »österreichische Bibliographie« und wird zum Zentrum weiterer bibliographischer Unternehmungen. Die österreichische Nationalbibliothek ist die reichste Bibliothek des deutschen Sprachgebiets, mit ihrem Druckschriftenbestand eine der Großbibliotheken (2 Millionen Bände) und von Weltniveau auch mit ihren Spezialsammlungen: je eine der größten Handschriften-, Papyrus- und Inkunabelsammlungen der Welt sowie einige weitere Sonderabteilungen (mit ζ. T. mehreren hunderttausend Objekten: Musiksammlung, Kartensammlung, Bildsammlung, Theatersammlung; ferner umfassende Bestände der Buchproduktion der vormals altösterreichischen Länder und Völker Europas). Wien: Weitere Bibliotheken. - Die Universität Wien ist die älteste Universität des deutschen Sprachgebiets (gegr. 1365). Eine kleine Bibliothek besteht von Anfang an, bleibt aber, wie die meisten älteren Universitätsbibliotheken Europas, bis ins 18. Jh. hinein unbedeutend, wird schließlich ganz aufgehoben (1756) und in die Kaiserliche Bibliothek eingegliedert (die damit ihresteils auch für die Literaturversorgung der Universität zuständig wird). Im Zusammenhang mit der Aufhebung der Jesuitenkollegien (1773) wird die Universitätsbibliothek aber bald neu errichtet (1775) und durch Franz Stephan Rautenstrauch als Initialdirektor beispielgebend in Gang gebracht (eröffnet 1777). Daraufhin zum zentralen Referenten für das gesamtösterreichische Bibliothekswesen berufen, konzipiert Rautenstrauch von hier aus den Aufbau der zentralisierten Bibliothekenkette für alle österreichischen Kronländer im Zuge der Spätaufklärung (in den 1770er und 1780er Jahren, vgl. oben S. i j o f . ) . Bei der Entwicklung eines kooperativen Bibliothekssystems in der zweiten Hälfte des 19. Jh. wird die Universitätsbibliothek Wien bibliothekarische Zentrale für die österreichische Reichshälfte der Doppelmonarchie. Von hier aus wird 1883 die österreichische Fernleihe ins Leben gerufen. Unter dem Direktorat von Ferdinand Grassauer entfalten sich Ende des 19. Jh. weitere zentrale Aktivitäten, u. a. entsteht jetzt als erster Zeitschriften-Gesamtkatalog der Welt der »Generalkatalog« für die Periodica in den Bibliotheken der österreichischen Reichshälfte (1898). Gleichzeitig erfolgen auch innerbetriebliche Reorganisationen. Die Universitätsbibliothek ist im 19. Jh. und in der ersten Hälfte des 20. Jh. die größte Universitätsbibliothek des gesamten deutschen Sprachgebiets. - An der Technischen Hochschule Wien (gegr. 1815, zunächst als Polytechnikum) entwickelt sich eine bedeutende Hochschulbibliothek, die im 20. Jh. die Rolle einer technischen Hauptbibliothek der Republik Österreich mit übernimmt. - Die Stadtbibliothek Wien entsteht schon im i j . Jh., wird aus einer Ratsbibliothek zu einer wissenschaftlichen Stadtbibliothek, bleibt aber im Schatten der Kaiserlichen Bibliothek und wird im 18. Jh. für diese aufgekauft und ihr eingegliedert. Im Industriezeitalter wird eine Neugründung der Stadtbibliothek erforderlich (1856), im 20. Jh. ergänzt durch ein Netz von Stadtteilbüchereien (50 Zweigbüchereien mit eigener Zentrale). - Daneben bestehen in Wien zahlreiche weitere wissenschaftliche und zentrale Bibliothe-
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ken (darunter die regional zuständige Niederösterreichische Landesbibliothek, die Bibliotheken von Gesellschaften, Forschungseinrichtungen, die Parlamentsbibliothek, Bibliotheken der Ministerien, voran die Administrative Bibliothek im Bundeskanzleramt). - Wien ist auch Sitz der österreichischen Akademie der Wissenschaften (gegr. 1847). Graz. - In ihrer Nebenresidenz Graz besitzen die Habsburger schon früh eine Schloßbibliothek, die, wiederholt erneuert, erst im 18. Jh. endgültig in die Kaiserliche Bibliothek zu Wien eingegliedert wird. Als Ersatz dafür stiftet Anfang des 19. Jh. Erzherzog Johann (der spätere, bei der Revolution von 1848 durch die Frankfurter Nationalversammlung gewählte deutsche Reichsverweser) die Steiermärkische Landesbibliothek (gegr. 1 8 1 1 ) , die einzige große Landesbibliothek in Österreich. - Die Universität Graz ist eine ausgesprochene Gegenreformationsgründung (1586), lange Zeit vom Jesuitenorden geleitet. Nach dessen Aufhebung (1773) wird die Bibliothek des Jesuitenkollegs verstaatlicht und bildet den Grundstock der modernen Universitätsbibliothek (eröffnet 1781). Um 1900 gehört hier Ferdinand Eichler (zuletzt als Direktor) zu jener Bibliothekargeneration, die die Bibliothekswissenschaft zum Universitätsfach erhebt. - Zum Grazer Wissenschaftsund Bibliotheksensemble gehört auch eine Technische Hochschule (gegr. 1 8 1 1 , zunächst als Polytechnikum) mit entsprechender Bibliothek.
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Allgemeines. — Als multinationales Land mit vier Sprachvölkern (deutsch, französisch, italienisch, rätoromanisch), von denen drei zugleich eigene Nachbarstaaten bilden, ist die Schweiz mit den benachbarten Sprachnationen kulturell aufs engste verflochten. Als souveräner Staat mit eigener Staatsnation entsteht sie erst relativ spät. Im Mittelalter gehört sie zum Römisch-deutschen Reich, zunächst mit Anteilen an zwei Großterritorien (Schwaben und Hochburgund), dann zersplittert in mehrere kleinere Territorien und Freie Reichsstädte. Die Schweizerische Eidgenossenschaft ist zunächst kein Territorium, sondern nur ein politisches Bündnis ländlicher Gemeinschaften gegen die habsburgische Oberherrschaft am Vierwaldstätter See (1291). Nach dem Beitritt mehrerer Reichsstädte im 14. und 15. Jh. (u. a. Zürich, Bern, Basel) entwickelt sich daraus ein Städtebund, zeittypisch wie mehrere andere Städtebünde des Spätmittelalters (ζ. B. der Rheinische Städtebund, der Schwäbische Bund, der Hansebund). Anders als die übrigen, entwickelt sich dieser Städtebund allmählich zu einem Flächenstaat und wächst schließlich aus dem Reich heraus: der Westfälische Frieden, 1648, bringt die staatsrechtliche Trennung der Schweiz vom übrigen Reich. Das Prinzip der Freiheit und Selbstverwaltung, teils aus bäuerlich-genossenschaftlicher Grundlage entwickelt, teils Traditionserbe der deutschen Freien Reichsstädte, wird hier auf Landesebene ausgebaut zum bundesstaatlich organisierten Volksstaat, jahrhundertelang vor vergleichbaren Demokratiemodellen in irgendeinem andern Land Europas. Früher als anderwärts gilt hier auch Meinungsfreiheit und Toleranz in politischer, religiöser und wissenschaftlicher
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Hinsicht. Als supranationaler Staat ist die Schweiz eine Region der Kulturbegegnung und Kultursynthese, ein Anreger und Katalysator der europäischen Gesamtkultur. - Schon im Mittelalter entfaltet sich hier eine bemerkenswerte Buchkultur. In der Renaissancezeit gewinnt die Schweiz eine Vormachtstellung im deutschen und europäischen Buchdruck (besonders Basel), und ist heute das relativ intensivste Buchproduktionsland Mitteleuropas, d. h. sie erzielt die höchste Pro-Kopf-Rate der mitteleuropäischen Buchproduktion. Schweiz: Bibliotheken. - Die Bibliotheksentwicklung wird von diesen allgemeinen Faktoren der politischen und kulturellen Entwicklung der Schweiz bestimmt. Auf die historische Schicht der alten und ζ. T. bedeutenden Klosterbibliotheken, deren Entwicklung weithin mit der Reformation abbricht, folgt in der Schweiz keine Periode der Feudal- und Hofbibliotheken. Das Fehlen jeglicher Monarchie (vom kleinen, bis 1848 preußischen Fürstentum Neuchätel abgesehen) schließt diese A r t der Entstehung späterer Staats- und Landesbibliotheken aus. Die heutige Schweizerische Landesbibliothek in Bern (vgl. unten) wird erst Ende des 19. Jh. ins Leben gerufen. Schon früher, in der ersten Hälfte des 19. Jh., entstehen mehrere Kantonsbibliotheken, werden aber später meist mit andern Bibliotheken (Stadt- oder Universitätsbibliotheken) zu Zentralbibliotheken zusammengelegt. Ein für das Schweizer Bibliothekswesen bezeichnender (bei der relativen Kleinheit der Kantonsverhältnisse rationeller) Z u g zu lokaler bzw. regionaler Bündelung von Funktionen. Auch die Entwicklung der Stadtbibliotheken und der Universitätsbibliotheken nimmt in der Schweiz einen vom übrigen Mitteleuropa unterschiedlichen Verlauf. Auch sie werden früh zu einer kombinierten Bibliotheksform mit Funktionenbündelung. Sie beginnen in der Renaissancezeit als Universitäts- bzw. Hochschulbibliotheken, werden später zugleich wissenschaftliche öffentliche Bibliotheken der jeweiligen Städte. Das gilt ζ . B. für Basel und Bern (vgl. beide unten). N u r w o alte Universitäten bzw. Hochschulen fehlen, entstehen statt dessen eigenständige Stadtbibliotheken. Ζ . B. in Zürich (vgl. unten) und Luxem (gegr. 1812, Bürgerbibliothek), jedoch im 20. Jh. mit den entsprechenden Kantonsbibliotheken zu Zentralbibliotheken vereinigt. - Heute verfügt die Schweiz über folgende Universitäten: im deutschen Sprachgebiet Basel, Bern, Zürich; im französischen Sprachgebiet Fribourg ( = Freiburg im Üchtland, mit französischer und deutscher Unterrichtssprache), Genf, Lausanne, Neuchätel. D a z u kommt eine Technische Hochschule in Zürich und neuerdings auch in Lausanne. - Infolge der soliden Wirtschaftsstärke der Schweiz (die den höchsten Lebensstandard in ganz Mitteleuropa besitzt) sind die Schweizer Bibliotheken durchgängig gut ausgestattet und dotiert. Die Schweiz bildet ein relativ dezentralisiertes Bibliotheksgebiet (Gesamtbevölkerungszahl: 6 Millionen; davon Schweizerdeutsch: 4 Millionen). Die Bibliotheken der französischen Schweiz müssen überdies auch im Zusammenhang mit dem Bibliothekswesen des übrigen französischen Sprachgebiets gesehen werden (Frankreich, Belgien; vgl. Einzelheiten zu den entsprechenden Schweizer Bibliotheken S. 188 f.). Initiativen zu Gemeinschaftsarbeiten der Schweizer Bibliotheken gehen wiederholt von der »Vereinigung Schweizerischer Bibliothekare« (gegr. 1897) aus. Die Durchfüh-
Mitteleuropa
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rung dieser Gemeinschaftsunternehmen liegt meist bei der Schweizerischen Landesbibliothek in Bern als bibliothekarischer Zentrale. Bern. - Die Schweizerische Landesbibliothek (mit der französischen Parallelbezeichnung »Bibliotheque Nationale Suisse«) wird 1895 in der Bundeshauptstadt Bern gegründet, als Archivbibliothek zur Sammlung und Verzeichnung des Schrifttums aus der Schweiz und über die Schweiz. Demgemäß bearbeitet sie die kombinierte Schweizerische landeskundliche und Nationalbibliographie (ab 1901), erhält Belegexemplare der Schweizer Verlage und betreut mehrere weitere bibliographische und Katalogunternehmen. Als Fernleihzentrale führt sie den Schweizerischen Gesamtkatalog. - Die Vorläuferhochschule der Universität Bern, die Theologische Akademie, wird schon in der Renaissance gegründet (1528), aber erst 1834 zur Volluniversität ausgebaut. Aus der Bibliothek der alten Theologischen Akademie entwickelt sich die öffentliche Stadtbibliothek, die ihrerseits durch Zusammenlegung mit andern Universitätsbüchersammlungen im 20. Jh. zur gemeinsamen Stadt- und Universitätsbibliothek Bern ausgeweitet wird. Basel. — Das Wirtschafts- und Industriezentrum Basel ist in der Renaissancezeit eine wichtige Reichsstadt (und zugleich »zugewandter« Ort der Schweizerischen Eidgenossenschaft), Hochburg des Humanismus, der Reformation und des deutschen Buchdrucks (Druckhäuser Amerbach, Froben, Oporinus usw.). Die Universität (gegr. 1460) verfügt von Anfang an über Buchbestände, aber erst im 16. Jh. entsteht daraus die öffentliche wissenschaftliche Zentralbibliothek, die für Stadt und Universität Basel gleichermaßen zuständig ist. Eine Konzeption der Basler Buchdrucker und Verleger, die seit 1535, auf Betreiben von Bonifatius Amerbach, freiwillige Belegexemplare an die Universitätsbibliothek überweisen. Diese erste Belegexemplarregelung der Welt erfolgt ein Jahr vor der Einführung des ersten Pflichtexemplarrechts der Welt in Frankreich. Die »öffentliche Bibliothek der Universität Basel«, auch heute für beide Bereiche zugleich zuständig, ist die größte Bibliothek der Schweiz und eine der größten Universitätsbibliotheken des deutschen Sprachgebiets. Zürich. - Als Handels- und Finanzmetropole ist Zürich die größte Stadt der Schweiz, zugleich ein altes geistiges Zentrum. Neben die Stadtbibliothek (gegr. 1629, Bürgerbibliothek) tritt zeitweilig auch eine Kantonsbibliothek (gegr. 1835). 1914 werden beide zur »Zentralbibliothek Zürich« vereinigt und durch mehrere weitere angegliederte Bibliotheken ergänzt. So entsteht eine der größten Bibliotheken der Schweiz (tatkräftig gefördert durch den Bibliotheksdirektor Hermann Escher), die zugleich für die Universität Zürich (gegr. 1833) mit zuständig ist. Die Bibliothek der »Eidgenössischen« (d. h. auf Bundesebene geführten) Technischen Hochschule Zürich ist gleichzeitig technische Zentralbibliothek der Schweiz.
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158 Ε ι.ίο.
Elsaß
Das Bibliothekswesen des zweisprachigen Elsaß, lange mit der deutschen Bibliotheksgeschichte verbunden, nimmt heute voll an der französischen Bibliotheksentwicklung teil (vgl. unten S. 186 f.).
Ε i.ii.
Benelux
Allgemeines. — Belgien (»Be«), die Niederlande (»Ne«) und Luxemburg (»Lux«), heute zusammenfassend nach den Anfangssilben ihrer Ländernamen benannt, bilden historisch und kulturell eine enge Gemeinschaft. Im Mittelalter eine Gruppe von Einzelterritorien innerhalb des Römisch-deutschen Reichs (mit überwiegend niederländischer, im Süden des heutigen Belgien auch französischer Sprachnationalität), werden sie im i j . Jh. durch die mächtigen Herzöge von Burgund (u. a. Karl der Kühne) zusammengefaßt, fallen Ende des 15. Jh. durch dynastische Heirat an die Habsburger und erleben wirtschaftlich und kulturell eine Blütezeit, mit dem Gewicht in den südlichen Landesteilen. Antwerpen ist in dieser Zeit die reichste Handelsstadt Europas und in der zweiten Hälfte des 16. Jh. auch Hauptort des europäischen Buchdrucks (u. a. Druckhaus Plantin-Moretus). - Der Übergang des Landes an Spanien bei der habsburgischen Erbteilung, Mitte des 16. Jh., führt zu Religions- und Verfassungskämpfen, in denen sich der Nordteil des Landes als unabhängige »Republik der Vereinigten Niederlande« konstituiert (1581), schließlich auch aus dem Römisch-Deutschen Reich staatsrechtlich ausscheidet (1648) und politisch zur Weltmacht aufsteigt. Auch wirtschaftlich und kulturell geht die Führung an die »Vereinigten Niederlande« über: Amsterdam löst Antwerpen als Handelshauptort ab; und auch das Zentrum des europäischen Buchhandels verlagert sich nordwärts (u.a. Verlag Elzevier in Leiden, zeitweilig zugleich in Amsterdam). Im ganzen 17. und 18. Jh. bleiben die Niederlande die europäische Hochburg freiheitlichen Geisteslebens und unvoreingenommener wissenschaftlicher Forschung. Die aufkommende Naturwissenschaft und Aufklärungsphilosophie können sich hier zuerst frei artikulieren. - Die Südgebiete, Belgien und Luxemburg, verbleiben in dieser Zeit im habsburgischen Machtbereich, zunächst als »Spanische«, später als »österreichische Niederlande«. Belgien scheidet erst 1794 aus dem Reichsverband aus und wird 1830 ein unabhängiger Staat. Luxemburg gehört zum Deutschen Bund bis zu dessen Auflösung durch Bismarck (1866). - Im 19. und 20. Jh. werden die Benelux-Länder eine der am intensivsten industrialisierten Wirtschaftszonen Europas. Benelux: Bibliothekswesen. — Die Niederlande und Belgien bilden zwei Bibliotheksgebiete von Größe und Struktur der übrigen mitteleuropäischen Bibliotheksregionen (Niederlande, Gesamtbevölkerungszahl: 12,5 Millionen; Belgien, Gesamtbevölkerungszahl: 9,5 Millionen; Vergleichszahlen: Bayern: 10,5 Millionen; Österreich: 7,5 Millionen). In jedem der beiden Bibliothekssysteme fungiert die jeweilige Königliche Bibliothek als Zentrale. Die Universitäten und Technischen Hochschulen
Mitteleuropa
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verfügen traditionell über zentrale Universitätsbibliotheken, ähnlich wie im übrigen Mitteleuropa. Gesamtmitteleuropäisch ist auch die alte Tradition wissenschaftlicher Stadtbibliotheken. Deren frühes Vorhandensein führt auch hier zum Aufbau eines besonderen öffentlichen Büchereiwesens, das aber, da mehrere der ehemaligen Stadtbibliotheken inzwischen Universitätsbibliotheken geworden sind, sich relativ schnell zum kommunalen Einheitsbibliothekswesen (Public Libraries) entwickelt. Niederlande: Bibliotheken. - In der gemeinsamen burgundisch-frühhabsburgischen Epoche liegt mit dem Kulturschwerpunkt auch der Bibliotheksschwerpunkt im Süden des Landes, im späteren Belgien. Nach der Teilung in die Nord- und Südniederlande entwickelt sich das Bibliothekswesen getrennt weiter. Der revolutionäre Elan führt in den unabhängigen nördlichen »Vereinigten Niederlanden« Ende des 16. Jh. zur Gründung mehrerer Bibliotheken: darunter die Universität Leiden (vgl. unten) mit wichtiger Universitätsbibliothek sowie die Stadtbibliotheken Utrecht (gegr. 1581), Amsterdam (vgl. unten) und Rotterdam (gegr. 1609, heute eine bedeutende wissenschaftliche Bibliothek, entsprechend dem Gewicht dieser Wirtschaftsmetropole an der Rheinmündung, mit dem größten Seehafen der Welt). Bei einigen späteren Universitätsgründungen werden die bereits vorhandenen Stadtbibliotheken als Universitätsbibliotheken übernommen, so in Utrecht (1636) und Amsterdam (vgl. unten). Jüngste Universitätsgründung ist Rotterdam (gegr. 1973). Unter den späteren Technischen Hochschulen gelangt die in Delft (vgl. unten) zu besonderer Wichtigkeit. Weitere Universitäten und Technische Hochschulen bestehen heute u. a. in Groningen, Nimwegen ( = Nijmegen) und Eindhoven. Die Zentralbibliothek des niederländischen Bibliothekswesens, die Königliche Bibliothek in Den Haag (vgl. unten), entsteht erst um 1800, hat aber ältere Vorläufer. Den Haag, Leiden, Delft. - Die Regierungshauptstadt Den Haag ( = 's Gravenhage) bildet heute mit den unmittelbaren Nachbarstädten Leiden und Delft einen Bibliotheksgroßraum in Südholland. - Der historische und internationale Bibliotheksschwerpunkt liegt in Leiden, dessen Universität, noch während der Revolutionskriege gegen Spanien von Wilhelm von Oranien gegründet (i$7j), gleich zu Anfang eine Universitätsbibliothek erhält. In den folgenden zwei Jahrhunderten niederländischer Weltgeltung wird die gut ausgebaute Universität und Bibliothek zu einem europäischen Wissenschaftszentrum, besonders in den Naturwissenschaften und für die Aufklärungsphilosophie. Die Universitätsbibliothek hält ihr hohes Niveau bis in die Gegenwart und ist auch die Haupt-Handschriftenbibliothek der Niederlande. - Im Industriezeitalter findet sie eine Ergänzung in der Technischen Hochschule des benachbarten Delft (gegr. 1842), deren Bibliothek im 20. Jh. Pionierarbeit bei der Technisierung des Bibliotheksbetriebs leistet. - Den Haag ist in der republikanischen Zeit (17. und 18. Jh.) Sitz der Erbstatthalter aus dem Hause Nassau-Oranien, die hier ihre private Büchersammlung unterhalten, zu der auch Altbestände aus den hessisch-nassauischen Stammburgen der Dynastie gehören. Im Zusammenhang mit den Umwälzungen zur Zeit der Französischen Revolution bildet die Sammlung die Grundlage der neu geschaffenen öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek (1798), die nach der Neuerrichtung des Landes als Königreich
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(auf dem Wiener Kongreß, 1 8 1 5 ) zur Königlichen Bibliothek (Koninklijke Bibliotheek) umgeformt wird und im 20. Jh. als Zentrale des niederländischen Bibliothekswesens fungiert (u. a. Zentralkatalog, Fernleihe). - Den Haag ist auch der Sitz der »Federation Internationale de Documentation (FID)«, der Zentralstelle der internationalen Dokumentationsarbeit und Dachorganisation der nationalen Dokumentationsverbände der Welt. Die Einrichtung wurde ursprünglich als »Institut International de Bibliographie (IIB)« in Brüssel von Paul Otlet und Henri Lafontaine gegründet (1895) und tritt zuerst mit der Überarbeitung der Deweyschen Dezimalklassifikation zur universellen Dezimalklassifikation hervor. Die bibliographische Koordinierungs- und Grundlagenarbeit weitet sich bald zur allgemeinen Informations- und Dokumentationstätigkeit. 1905 wird im Zusammenhang mit der Institutsarbeit zuerst der Begriff »Dokumentation« geprägt, 1931 das Institut selbst zum »Institut International de Documentation (HD)« umorganisiert und schließlich 1937 als »FID« von Brüssel nach Den Haag verlegt. Amsterdam. - Bald nach der Gewinnung der niederländischen Unabhängigkeit wird Amsterdam zum wirtschaftlichen und geistigen Mittelpunkt des Landes, im 17. Jh. europäisches Handels- und Finanzzentrum. Die wissenschaftliche Stadtbibliothek Amsterdam, noch während der Unabhängigkeitskriege gegründet (1578), erlangt bald Bedeutung. Nach der Errichtung einer städtischen Universität in Amsterdam (1877) wird die Stadtbibliothek zugleich Universitätsbibliothek. Im 20. Jh. tritt eine weitere Universität hinzu: die reformiert-konfessionelle »Freie Universität«. - Amsterdam besitzt eine Bibliotheksschule, einen bibliothekswissenschaftlichen Lehrstuhl an der städtischen Universität und ist ferner Sitz der Niederländischen Akademie der Wissenschaften. Belgien, Luxemburg: Bibliotheken. - In der gemeinsamen burgundisch-frühhabsburgischen Epoche der Benelux-Länder (15. und 16. Jh.) liegt das Schwergewicht des Bibliothekswesens im Süden, im späteren Belgien. In diese Zeit fällt die bibliophile Sammeltätigkeit der Burgunderherzöge, deren Einzelsammlungen später in Brüssel zu einer landesherrlichen Zentralbibliothek zusammengezogen werden (16. Jh., »Biblioth£que de Bourgogne«), In der burgundischen Zeit entsteht auch die älteste Universität der Benelux-Länder in Löwen (gegr. 1425, heute als kirchlich-katholische Universität wichtiges internationales Zentrum für philosophischtheologische Bibliographie, seit den 1970er Jahren durch französisch-sprachige Außenfakultäten einer Zweituniversität in Brüssel ergänzt). Ebenfalls auf die burgundische Zeit geht die Stadtbibliothek Antwerpen zurück (bezeugt ab ca. 1 joo als Ratsbibliothek, später zu einer bedeutenden Stadtbibliothek ausgebaut, heute durch eine Bibliotheksschule ergänzt). - Nach der Teilung der Benelux-Gebiete werden in den südlichen »Spanischen«, später »österreichischen Niederlanden« die überkommenen Bibliotheken weitergeführt. Im 19. und 20. Jh. erfolgen mehrere Universitätsneugründungen, darunter die flämischen Universitäten in Gent (gegr. 1 8 1 7 ) und in Antwerpen (Katholische Universität gegr. 18^2, Staatsuniversität gegr. 1965). Nach der Schaffung eines unabhängigen Belgien wird in Brüssel die alte Burgunderbibliothek mit andern Bibliotheken zur Königlichen Bibliothek
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zusammengelegt, die als Zentrale des belgischen Bibliothekswesens fungiert. - Die Bibliotheken des französisch-sprachigen Wallonien stehen in sprachbedingtem Zusammenhang mit dem Bibliothekswesen des übrigen französischen Sprachgebiets (Frankreich, Schweiz; vgl. Einzelheiten zu den entsprechenden belgischen Bibliotheken S. 188). - Die Biblioth^que Nationale in Luxemburg entsteht als solche erst im 19. Jh., aufgrund älterer Vorstufen (seit 1798).
Ε 2. Ostmitteleuropa Allgemeines. - Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn gehören zu den alten Kulturländern Europas. Daß sie im 20. Jh., nach dem 1. Weltkrieg, alle drei als »neue« unabhängige Staaten hervortreten, ist für sie nicht geschichtstypisch. Trotz vorübergehender Souveränitätseinbußen in der Neuzeit (Teilung Polens, vorher zeitweilig Teilung Ungarns) sind sie traditionsreiche Staaten, Königreiche schon im Mittelalter, Polen in der Neuzeit lange mit Großmachtstatus. Die jahrhundertelange Zugehörigkeit Böhmens zum Römisch-deutschen Reich und die Eingliederung Böhmens und Ungarns in den Habsburgerstaat hebt ihre Autonomie nie ganz auf. - Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn bilden, bei beträchtlichen Unterschieden im einzelnen, eine gemeinsame Zone osteuropäischer und westeuropäischer Kultursynthese und Kulturvermittlung. Trotz mancher osteuropäischer Züge dieser slawischen und ungarischen Gebiete (gegenüber dem übrigen germanisch-romanischen Westeuropa), haben sie doch vollen Anteil an der Gesamtentwicklung des europäischen Okzidents. Im Mittelalter stehen sie nicht (wie Osteuropa und Südosteuropa) im kulturellen Einflußvorfeld von Byzanz. Die Expansion der Tataren und Türken im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (die Rußland und den Balkan lange bindet) können sie bald zurückdrängen. Kulturell bilden sie einen integrierenden Bestandteil Westeuropas. Sie übernehmen die lateinische Schrift, das Christentum in seiner westlichen Gestalt (die katholische Kirche, später Einflüsse der Reformation und der Gegenreformation), die westlichen Verwaltungsstrukturen, das römische Recht, lange Zeit auch die lateinische Urkunden- und Wissenschaftssprache. In der Neuzeit tragen auch sie die Zeitströmungen des Humanismus, der Renaissance, des Barock und der Aufklärung. Sie nehmen teil an der europäischen Wissenschaftsentwicklung, Technisierung und Industrialisierung. Auch die Buchgeschichte entwickelt sich strukturell und chronologisch wie im übrigen Westeuropa. Der Buchdruck setzt hier, wie überall in Westeuropa, mit der Inkunabelzeit ein. Ostmitteleuropa: Bibliothekswesen. - Das ostmitteleuropäische Bibliothekswesen stimmt in seinen Entwicklungsphasen zu denen des übrigen Mitteleuropa. Universitäten (und mit ihnen erste Hochschulbüchersammlungen) entstehen hier, wie im deutschen Sprachgebiet, im 14. Jh.; ein Jahrhundert später als in den romanischen Ländern und in England (dort 13. Jh.), ein Jahrhundert früher als in Skandinavien
Europa (dort I J . Jh.). Landesherrliche Schloß- und Hofbibliotheken bilden sich auch hier in der Renaissance heraus. Technische Hochschulen (mit ersten technischen Bücherbeständen) werden bereits im 18. Jh. gegründet. Lediglich der Typus der Stadtbibliothek bleibt hier, im Vergleich zum westlichen Mitteleuropa, unterrepräsentiert. Um 1800 erzwingt die besondere staatliche Situation (das Fehlen eigener Dynastien und Hofhaltungen in Böhmen und Ungarn, die Teilung des Landes in Polen) bei der Bildung von Nationalbibliotheken andere Lösungen als den Rückgriff auf bisherige Hofbibliotheken. Ersatz bieten die Stiftungsbibliotheken reicher Mäzene oder die Errichtung von Nationalmuseen bzw. Landesmuseen mit angeschlossenen Bibliotheken (in loser Anlehnung an das Modell des Britischen Museums, ζ. T. ebenfalls auf Stiftungsgrundlage). - Nach dem 1. Weltkrieg übernehmen die nunmehr souveränen Staaten das Bibliothekserbe von den bisherigen Verwaltungen und entsprechen dem nationalen Nachholbedarf durch Neugründung von Universitäten und Stadtbibliotheken und durch die Erhebung von jeweils einer zentralen Nationalbibliothek. - Nach dem 2. Weltkrieg wird die in Gang befindliche Ergänzungsaktion durch die neuen sozialistischen Regierungen intensiviert und akzeleriert. Sie nehmen auch die überfällige Gesamtreorganisation vor: die Befriedigung des Nachholbedarfs an allgemeinbildenden Bibliotheken, in sowjetisch-amerikanischem Sinne die Umstrukturierung des universitären Bibliothekswesens (Zusammenfassung aller bibliothekarischen Einrichtungen an der Einzeluniversität bzw. Einzelhochschule), in Anlehnung an sowjetische Vorbilder die Herstellung der Einheit des gesamten Bibliothekswesens, vor allem aber die umfassende Errichtung von regionalen und nationalen Bibliotheksnetzen: für die allgemeinbildenden und regionalen Bibliotheken (in aufsteigender Ordnung analog der Gebietsgliederung); für die Universitäts- und Hochschulbibliotheken sowie für die verschiedenen Sparten der Forschungs- und Spezialbibliotheken (mit jeweils zentralen Unterstellungsverhältnissen). - Die Zentrale dieser Bibliotheksnetze liegt jeweils in der Landeshauptstadt, und zwar sowohl für das jeweilige Gesamtbibliothekswesen als auch für die typenmäßigen und fachlichen Einzelnetze. Polen (Gesamtbevölkerungszahl: 33 Millionen) und Ungarn (Gesamtbevölkerungszahl: 10,5 Millionen) bilden dabei je ein einheitliches Bibliotheksgebiet mit der Zentrale in Warschau bzw. Budapest. Die Tschechoslowakei zeigt, neben der Bibliothekszentralisierung im Gesamtstaat, regionale Doppelgliederung für das tschechische und slowakische Bundesland (Gesamtbevölkerungszahl: 14,5 Millionen; davon Tschechei: 10 Millionen; Slowakei: 4,5 Millionen), mit der Gesamtzentrale in Prag, einer Regionszentrale in Preßburg. Polen: Bibliotheken. - Noch im Spätmittelalter entsteht in der damaligen Hauptstadt Krakau· eine frühe Universität (1364), die Zweitälteste Mitteleuropas, wegen ihrer Reorganisation durch König Ladislaus Jagiello (1400) »Jagiellonische Universität« benannt. Die von Anfang an vorhandenen Kollegienbibliotheken werden später in die zentrale Universitätsbibliothek (»Jagiellonische Bibliothek«) eingegliedert, die an alten Kostbarkeiten und älterem Buchbestand reichste Bibliothek Polens. - Die Verlegung der Residenz nach Warschau, zu Ende der Renaissancezeit,
Ostmitteleuropa läßt es in Krakau nicht mehr zur Gründung einer Hofbibliothek kommen. Das System des Wahlkönigtums im 17. und 18. Jh. (anstelle des zuvor auch in Polen üblichen dynastischen Erbkönigtums) behindert die Umbildung einer Privatbüchersammlung der ständig wechselnden Herrscher zu einer dauernden Hofbibliothek auch in Warschau. So übernimmt schließlich eine große Warschauer Adelsbibliothek auf Stiftungsgrundlage die Nationalbibliotheksfunktion (vgl. unten). - Die Teilung Polens (1772/95) durch Österreich, Preußen und Rußland schafft eine neue Situation. Nur im österreichisch gewordenen Südpolen (Galizien) bleibt eine gewisse polnische Autonomie erhalten. Hier kann Karol Estreicher, Direktor der Jagiellonischen Bibliothek in Krakau zur Zeit von Kaiser Franz Joseph, seine bekannte Bibliographie des polnischen Schrifttums bearbeiten. Im russischen Landesteil (Zentralpolen) wird dagegen die dort vorhandene Warschauer Stiftungsbibliothek kassiert. Als Ersatz stiftet der polnische Graf Joseph Maximilian Ossolinski (der langjährige Direktor der Kaiserlichen Bibliothek in Wien) 1 8 1 7 die Ossolinski-Bibliothek in der neuen österreichisch-galizischen Hauptstadt Lemberg ( = Lwow, heute in der Sowjetukraine), später als »Ossolineum« Zentralinstitut der polnischen Nationalkultur. Ihrerseits gründen die Teilungsmächte neue Universitäten: österreichischerseits in Lemberg (1784), russischerseits in "Warschau (vgl. unten). - Die Wiederherstellung Polens nach dem 1. Weltkrieg und der zügige Ausbau nach dem 2. Weltkrieg führen zur Neugründung einer polnischen Nationalbibliothek in Warschau (vgl. unten), zur Errichtung mehrerer weiterer Universitäten, u. a. in Posen ( = polnisch Poznan, gegr. 1919) und zur Übernahme ehemaliger deutscher Einrichtungen in den Oder-Neiße-Gebieten: darunter in Danzig die alte Stadtbibliothek (gegr. 1596) und mehrere Hochschulen (Technische Hochschule, Medizinische Akademie, später polnischerseits ergänzt zu einem kompletten Universitäts-Ensemble) sowie in Breslau vor allem die Universität (gegr. 18x1). Die gleichzeitig mit der preußischen Universität gegründete Universitätsbibliothek Breslau hatte von Anfang an eine gute Bestandsausstattung durch Übernahme älterer Büchersammlungen. Die hier unter dem Direktorat von Karl Dziatzko (später Göttingen) in der zweiten Hälfte des 19. Jh. eingeführten Katalogregeln beeinflußten die preußischen Katalog-Instruktionen maßgeblich. Im 2. Weltkrieg stark dezimiert, wird die Universitätsbibliothek durch die polnische Verwaltung neu errichtet und durch funktionslos gewordene Einzelbibliotheken aus dem schlesischen Raum ergänzt (u. a. die 1645 gegründete Breslauer Stadtbibliothek). Breslau besitzt außerdem eine Technische Hochschule (1928 aus bereits vorhandenen technischen Lehranstalten geschaffen) und nach 1945 auch das »Ossolineum« (vgl. oben), das jetzt aus Lemberg hierher verlegt und als Außenstelle der Polnischen Akademie der Wissenschaften geführt wird. - (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten und Technische Hochschulen mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Kattowitz; L6dz; Lublin; Stettin; Thorn/Torun.) Warschau. - Erst nach der Herverlegung der polnischen Königsresidenz aus dem alten Krakau (1596) gewinnt Warschau als neue Hauptstadt nationale Bedeutung und wird unter dem König Johann Sobieski (dem westlichen Oberbefehlshaber
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gegen die Türkenbelagerung Wiens) und seinen sächsisch-polnischen Nachfolgern, besonders König August dem Starken, zu einer prachtvollen Barockhauptstadt ausgebaut. Aber nicht die Privatbüchersammlungen dieser Könige, sondern die Adelsbibliothek der Grafen Zaluski wird zur öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek des Landes. 1748 der polnischen Nation gestiftet, erhält die Zaluski-Bibliothek bald auch das nationale Pflichtexemplarrecht. Bei der polnischen Teilung wird die Bibliothek 1795 von der russischen Besatzungsmacht beschlagnahmt, nach Petersburg verlagert und für die dortige Kaiserliche Bibliothek verwendet. Im 20. Jh. erzwingt das wiedererstandene Polen 1921 die Rückgabe der Zaluski-Bibliothek, die in Warschau mit mehreren andern Bibliotheken zur neuen Nationalbibliothek zusammengefaßt wird (Biblioteka Narodowa, gegr. 1928). Im 2. Weltkrieg schwer getroffen, kann die Bibliothek nach 1945 großzügig wieder aufgebaut und zur polnischen Bibliothekszentrale ausgebaut werden (Fernleihzentrum, Nationalbibliographie, methodisches und bibliothekswissenschaftliches Zentrum). Die Universität Warschau, eine russische Gründung nach dem Wiener Kongreß (1817/18), im Zuge des russischen Universitätsprogramms Kaiser Alexanders I. zunächst als polnische Hochschule gedacht, erhält in der 2. Hälfte des 19. Jh. starke nationalrussische Akzente, wird aber im 20. Jh. mehrfach reorganisiert. Die Universitätsbibliothek Warschau ist heute anleitendes Zentrum aller Universitätsbibliotheken Polens. - Warschau besitzt mehrere weitere Hochschulen (u. a. eine Technische Hochschule), zentrale Fachbibliotheken und ist Sitz der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Tschechoslowakei: Bibliotheken. — Den beiden Bibliotheksregionen der heutigen Tschechoslowakei, dem tschechischen und slowakischen Bundesland, entspricht auch eine unterschiedliche historische Bibliotheksentwicklung. Böhmen und Mähren gehören ein Jahrtausend zum Römisch-deutschen Reich, zum Deutschen Bund und zur österreichischen Reichshälfte Österreich-Ungarns. Sie sind mit der westmitteleuropäischen Entwicklung eng verflochten. Aber sie sind doch auch durch alle Jahrhunderte autonome Länder, mit großer räumlicher Stabilität, mit unveränderten Landesgrenzen seit dem Hochmittelalter. Jahrhundertelang mit starker deutscher Bevölkerungsminorität, aber auch mit einer tschechischen Bevölkerungsmajorität, die das Land als Staatsvolk mit trägt. Anders in der Slowakei. Sie gehört vom I i . bis zum 20. Jh. zum Königreich Ungarn, jedoch nicht als autonomes Territorium, sondern aufgeteilt auf mehrere ungarische Verwaltungskomitate, ohne organisierten Volkszusammenhang. Aus dieser unterschiedlichen Situation ergibt sich auch eine unterschiedliche Bibliotheksgeschichte. Das tschechische Volk nimmt seit dem Hochmittelalter Anteil am jeweiligen Stadium des mitteleuropäischen Bibliotheks- und Universitätswesens, das slowakische Volk aber erst in allerjüngster Vergangenheit. - Böhmen verfügt schon im Spätmittelalter über eine Universität in Prag (vgl. unten): die älteste Mitteleuropas. Im 18. Jh. entsteht hier auch die älteste Technische Hochschule der Welt (vgl. unten). Unter den späteren Hochschulorten der Tschechei hebt sich besonders Brünn ( = Brno, in Mähren) heraus, mit einer Universität (gegr. 1919, die für ihre Universitätsbibliothek auf eine ältere
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Landesmuseums-Bibliothek von 1 8 1 8 zurückgreifen kann) und einer Technischen Hochschule (gegr. 1899). Prag erlebt auch mehrfach kaiserliche Schloßbibliotheken, später eine Art Landesbibliothek im Rahmen des Landesmuseums und schließlich im 20. Jh. eine Nationalbibliothek (vgl. unten). - Größere slowakische Bibliotheken fehlen bis ins 19. J h . Das Fehlen eines eigenen slowakischen Territoriums und einer eigenen Landeshauptstadt (Preßburg ist vom 16. bis 19. J h . ungarische Nebenhauptstadt) schließt selbst die Gründung eines slowakischen Landesmuseums aus. Eine private slowakische Kulturinstitution mit Museum und Bibliothek, auf Stiftungsgrundlage, füllt die Lücke: die »Matica Slovenska« (gegr. 1863) in der abgelegenen slowakischen Gebirgsstadt Martin ( = deutsch Sankt Martin, südwestlich der Hohen Tatra). Heute slowakische Nationalbibliothek, bearbeitet sie die slowakische Bibliographie. Die Universität Preßburg ( = Bratislava), eine ungarische Gründung vor dem 1. Weltkrieg ( 1 9 1 4 ) , wird 1 9 1 9 slowakische Hauptuniversität, in der nunmehrigen slowakischen Landeshauptstadt, ergänzt durch eine neu gegründete Technische Hochschule (1938). - Erwähnung verdient die f ü r mitteleuropäische Verhältnisse frühe staatliche Fürsorge f ü r das öffentliche Büchereiwesen durch ein Büchereigesetz von 1 9 1 9 , das nach anglo-amerikanischem Modell die Gemeinden als Büchereiträger verpflichtet. Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg bringt die Bibliotheksnetzbildung nach sowjetischem Modell. - (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Kaschau/KoSice; Olmütz/Olomouc). Prag. - Hauptstadt durch Mittelalter und Neuzeit, böhmische Königsresidenz, wiederholt Kaisermetropole des Römisch-deutschen Reichs, heute Bundeshauptstadt der Tschechoslowakei, ist Prag auch Hauptbibliotheksort des Landes. Unter den zahlreichen Bibliotheken dieses Zentrums hebt sich die Universitätsbibliothek der Karlsuniversität besonders heraus. Die Universität selbst wird schon 1348 in der damaligen Reichshauptstadt durch Kaiser K a r l I V . gegründet: die erste in Mitteleuropa. Schon Ende des 14. J h . ist die Bibliothek des Collegium Carolinum nachweisbar. Im 1 5 . J h . relativ am besten von allen mitteleuropäischen Universitätsbibliotheken ausgestattet, wird sie in der Zeit der beginnenden Gegenreformation durch eine leistungsfähige Jesuitenbibliothek im Collegium Clementinum ergänzt (15 56). Im Zuge der Studien- und Bibliotheksreform unter Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Joseph II. in den 1770er und 1780er Jahren durch verstaatlichte Ordensbibliotheken und angekaufte Adelssammlungen bestandsmäßig stark aufgestockt, übernimmt die Universitätsbibliothek Prag auch die Funktion einer öffentlichen Landesbibliothek f ü r das Königreich Böhmen und erhält das Pflichtexemplarrecht (1782). Während der Zeit der Parallelorganisierung in zwei sprachparitätische Teiluniversitäten ( 1 8 8 2 - 1 9 3 9 ) bleibt die zentrale Universitätsbibliothek eine beiden gemeinsame Einrichtung. Sie gehört auch im 19. und 20. J h . zu den großen Universitätsbibliotheken Europas. - Parallel zur Universitätsbibliothek laufen durch die Jahrhunderte wiederholte Ansätze zur Bildung einer H o f - und Staatsbibliothek, können sich aber nie konsequent durchsetzen. Schon der Universitätsgründer, Kaiser K a r l I V . (aus der Dynastie Luxemburg), legt im 14. Jh. eine
Europa humanistisch akzentuierte Schloßbibliothek an; doch ist damals die Zeit noch nicht reif f ü r die Permanenz einer Hofbibliothek. Auch die später hier residierenden habsburgischen Kaiser, so im 16. J h . Kaiser Ferdinand I. und Kaiser Rudolf II., besitzen kurzlebige Büchersammlungen auf der Prager Burg. Im 19. Jh. erhält das neue Nationalmuseum (gegr. 1 8 1 8 ) eine große Bibliothek zur böhmischen Landeskunde, -geschichte und -literatur, heute ergänzt durch die Außenstelle im Kloster Strahov am Hradschin mit dem Buchmuseum zur tschechischen Nationalliteratur. Die nach dem 1. Weltkrieg unabhängig gewordene Tschechoslowakei knüpft jedoch nicht bei diesen Ansätzen an, sondern schafft sich die überfällige Nationalbibliothek jetzt aus der Pflichtexemplarabteilung der Universitätsbibliothek. 1962 werden die Universitätsbibliothek, die Nationalbibliothek und mehrere weitere Bibliotheken (u. a. die große Slawische Bibliothek) als Hauptabteilungen zu einer zentralen Staatsbibliothek (Statni Knihovna) zusammengeschlossen, die eine Reihe von Zentralfunktionen ausübt, darunter auch die Herausgabe der tschechischen Nationalbibliographie. - Bemerkenswert ist die Technische Hochschule in Prag, die älteste der Welt, 1707 als Ingenieurschule gegründet, später als Polytechnikum (1806) und schließlich als Technische Hochschule (1863) reorganisiert. Ihre Bibliothek dient heute zugleich als nationale Fachbibliothek f ü r Technik. Prag verfügt über eine Reihe weiterer zentraler Bibliotheken und ist Sitz der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften. Ungarn: Bibliotheken. - Die Bibliotheksgeschichte Ungarns zeigt, im Gefolge seiner allgemeinen Geschichte, mehrere durchgreifende Umbrüche und Neuansätze. Im Spätmittelalter entstehen erste frühe Universitäten zu gleicher Zeit wie im übrigen Mitteleuropa, u. a. in Budapest (vgl. unten). Ebenfalls in der Hauptstadt Budapest folgt in der Frührenaissance die erste bedeutende Schloßbibliothek der ungarischen Könige (vgl. unten). — Anfang des 16. J h . bricht die türkische Invasion über diese frühe ungarische Bibliotheksschicht herein und bringt sie zum Erliegen. Die Habsburger, durch dynastische Erbschaft Nachfolger des letzten, im Abwehrkampf gegen die Türken gefallenen ungarischen Königs, können nur Westungarn und die zu Ungarn gehörige Slowakei (damals »Oberungarn«) halten. Hierher verlagert sich jetzt das politische und kulturelle Schwergewicht Ungarns. Preßburg ( = slowakisch Bratislava, ungarisch Pozsony) wird neue ungarische Landeshauptstadt und die kleine slowakische Stadt Trnava (== deutsch Tyrnau, ungarisch Nagyszombat, nordöstlich von Preßburg) wird Sitz der ungarischen Ausweich-Universität (1635 bis 1777). - Auch nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Ungarns (durch die Türkenkriege des Prinzen Eugen von Savoyen) bleibt der Schwerpunkt des Landes noch auf ein Jahrhundert in Westungarn. Erst dann gewinnt Budapest wieder sein volles Gewicht zurück, und es erfolgt dort die Wiedererrichtung von Universität und Nationalbibliothek (vgl. unten). Vom Ende des 18. bis zum Beginn des 20. J h . entstehen mehrere weitere Universitäten und Hochschulen, bewußt über die Weite des Landes verstreut, auch in Gebieten mit gemischtsprachiger Bevölkerung und in Randgebieten, u. a. in der ungarischen Nebenhauptstadt Preßburg und im siebenbürgischen Verwaltungs- und Kulturzentrum Klausenburg ( = unga-
Ostmitteleuropa
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risch Kolozsvar, rumänisch Cluj). - Die Abtrennung der fremdsprachigen, wie auch einiger ungarisch-sprachiger Landesteile nach dem 1. Weltkrieg bringt für Ungarn den Verlust von 60 °/o seines Staatsgebiets und fast allen Universitäts- und Hochschulorten, hinterläßt Budapest in der Position eines fast monopolhaften Kulturmittelpunkts und veranlaßt die Gründung mehrerer neuer Universitäten und Hochschulen in ungarischen Mittelstädten, die, gleichzeitig industrialisiert, zu Großstädten heranwachsen. - (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten und Technische Hochschulen mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Debrecen; Miskolc; Pecs; Szeged). Budapest. — Die Universität Budapest (gegr. 1389) gehört zu den frühen Gründungen Mitteleuropas, gewinnt aber zunächst keine große Bedeutung. Wichtigste Budapester Bibliothek der frühen Neuzeit wird die Schloßbibliothek des Königs Matthias Corvinus (2. Hälfte des IJ. Jh.), berühmt durch bibliophile Renaissance-Handschriften von besonderer Kostbarkeit (sogen. »Corvinen«). Beim Türkeneinbruch gehen die Budapester Bibliotheken unter. Die Handschriften der Schloßbibliothek werden teils vernichtet, teils verstreut und befinden sich in Einzelexemplaren bis heute in verschiedenen Bibliotheken Europas. - Nach der Zäsur der türkischen Herrschaft (16. bis Ende des 17. Jh.) und der nachfolgenden Regenerationsperiode entstehen die Budapester Kultureinrichtungen erneut. Im Rahmen der Studien- und Bibliotheksreform unter Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Joseph II. wird die ungarische Universität aus Trnava (in der Slowakei, vgl. vorigen Absatz) 1777 nach Budapest verlegt, nimmt hier zugleich die abgebrochene Tradition der AltBudapester Universität wieder auf und erhält eine großzügige Bibliotheksausstattung, aufgestockt durch säkularisierte Ordens-Buchbestände. Im 19. Jh. wird die Universitätsbibliothek Budapest die wissenschaftliche Hauptbibliothek Ungarns und ist heute die Leitbibliothek des ungarischen Universitätsbibliotheksnetzes. Die Nationalbibliothek (Orszagos Sz£ch£nyi Könivtar = Szichenyi-Nationalbibliothek) entsteht 1802 als Bestandteil der Stiftung des Ungarischen Nationalmuseums durch Graf Franz 5ζέΛέη7ΐ, erreicht durch weitere Stiftungen schnell große Bedeutung als ungarische Landesbibliothek und übernimmt die Funktionen einer Zentralbibliothek der ungarischen Nationalliteratur und Landeskultur (analog den ebenfalls Anfang des 19. Jh. in andern habsburgischen Kronländern geschaffenen Stiftungs- und Museumsbibliotheken für Galizien und Böhmen, vgl. S. 163, 166). Im neuen Ungarn nach den beiden Weltkriegen wird die Nationalbibliothek zur anleitenden Zentrale des ungarischen Bibliothekssystems, mit allen Zentralfunktionen und der Bearbeitung der ungarischen Nationalbibliographie. - Die Nationalbibliothek wird ergänzt durch die Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (gegr. 1826), die hier aufgrund älterer Stiftungen und umfassender Sammeltätigkeit als Staatsbibliothek für die internationale wissenschaftliche Literatur fungiert. - Budapest verfügt über eine Reihe weiterer großer Bibliotheken: u. a. die Parlamentsbibliothek (gegr. 1849, die hier traditionell eine relativ wichtigere Allgemeinbedeutung hat als Parlamentsbibliotheken vieler anderer Länder); die Stadtbibliothek (gegr. 1904, der in der Zweimillionen-Stadt Budapest, der
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Europa
größten Stadt Ostmitteleuropas, besondere Bedeutung z u k o m m t und die ein N e t z v o n j o Zweigbüchereien u n d 200 Ausleihvermittlungsstellen unterhält); mehrere Hochschulbibliotheken, darunter die der Technischen
Hochschule
(gegr. 1782, z u -
nächst P o l y t e c h n i k u m ) ; sowie Behörden- und Spezialbibliotheken, darunter mehrere zentrale Fachbibliotheken (u. a. f ü r T e c h n i k und L a n d w i r t s c h a f t ) .
Ε 3· Skandinavisches Europa Allgemeines.
- D i e Staatenbildung erfolgt in S k a n d i n a v i e n relativ spät und ist erst
im Hochmittelalter abgeschlossen: schon damals die drei Königreiche D ä n e m a r k , Schweden und N o r w e g e n . V o m 14. bis z u m 16. Jh. bilden sie eine gemeinsame staatliche U n i o n ( » K a l m a r e r Union«), mit der C h a n c e gemeinschaftlicher bundesstaatlicher Weiterentwicklung. D u r c h den Austritt Schwedens w i r d die U n i o n gesprengt und v o n A n f a n g des 16. bis A n f a n g des 19. Jh. durch ein dualistisches System v o n z w e i Staatsverbänden
ersetzt: D ä n e m a r k
(mit N o r w e g e n ,
Island,
Schleswig-Holstein) und Schweden (mit Finnland sowie zeitweilig auch mit baltischen und norddeutschen Küstengebieten). N a c h einem Wechsel der Bindungen im 19. Jh. (Finnland in Personalunion mit R u ß l a n d , N o r w e g e n in Personalunion mit Schweden), entsteht A n f a n g des 20. Jh. das heutige Vier-Staaten-System aus D ä n e mark, Schweden, N o r w e g e n und Finnland. - T r o t z merklicher Unterschiede im einzelnen, bilden die skandinavischen L ä n d e r einen relativ einheitlichen K u l t u r raum. D i e drei nordgermanischen Sprachen Dänisch, Schwedisch und N o r w e g i s c h bilden eine gemeinsame skandinavische Literatur, an der auch die Finnen (mit ihrer nicht-indogermanischen, dem Ungarischen v e r w a n d t e n uralischen Sprache) v o l l teilhaben. D i e R e f o r m a t i o n w i r d im 16. Jh. hier reibungsloser als anderwärts in E u r o p a eingeführt. D i e A u f k l ä r u n g hebt hier später an, setzt sich aber v o l l durch. D i e Industrialisierung, ebenfalls später entfaltet als e t w a in G r o ß b r i t a n n i e n oder M i t teleuropa, placiert S k a n d i n a v i e n heute an die obere M a r k e des europäischen L e bensstandards, schärft das gesellschaftliche Bewußtsein bis fast z u einer Synthese v o n Liberalismus und Sozialismus, f ü h r t z u vorbildlichen S o z i a l m a ß n a h m e n und zu dem relativ am intensivsten ausgebauten Bildungswesen Europas, auch unter v o l l e r Einbeziehung des Bibliothekswesens. Skandinavisches
Europa:
Bibliothekswesen.
- A u f die mittelalterliche Phase der
Klosterbibliotheken f o l g t auch in S k a n d i n a v i e n die G r ü n d u n g v o n ersten U n i v e r sitäten. Jedoch erst im 15. Jh., später als im übrigen E u r o p a u n d zunächst mit nur je einer Universität in D ä n e m a r k und Schweden. Erst im 17. Jh. erfolgen weitere Universitätsgründungen, und gleichzeitig k o m m t es z u r Etablierung der H o f b i b l i o theken in D ä n e m a r k und Schweden. I m Industriezeitalter e n t w i c k e l n sich die H o f bibliotheken z u Nationalbibliotheken. In den erst jetzt souverän gewordenen Staaten N o r w e g e n und Finnland übernimmt jeweils die Universitätsbibliothek der Landeshauptstadt zusätzlich die N a t i o n a l b i b l i o t h e k s f u n k t i o n . D i e skandinavischen U n i -
Skandinavisches Europa versitätsbibliotheken folgen im Industriezeitalter dem mitteleuropäischen Modell einer leistungsstarken Zentralbibliothek, deren Beziehungen zu den Fakultäts- und Institutsbibliotheken sich erst im späteren 20. Jh. auf ein universitäres Bibliothekssystem hin entwickeln. - Das öffentliche Büchereiwesen entsteht, wie in den USA und Großbritannien, im 19. Jh. In Norwegen gleichzeitig mit den anglo-amerikanischen Public Libraries. In Dänemark und Schweden zunächst in der Form von Vereins- und Stiftungsbibliotheken, aber auch hier nicht in der mitteleuropäischen Doppelgleisigkeit von wissenschaftlichen und allgemeinbildenden kommunalen Bibliotheken. Um 1900 schwenkt das skandinavische Büchereiwesen überall voll auf das anglo-amerikanische Modell der Public Libraries ein. Auch die Netzbildung setzt für die allgemeinen öffentlichen Bibliotheken schon vor dem 1. Weltkrieg ein: zunächst mit der Errichtung von Büchereizentralstellen, später in Form eines regionalen Bibliothekssystems in aufsteigender Ordnung analog der administrativen Gebietsgliederung und mit sinnvoller Einordnung in das gesamte Bildungs- und Ausbildungswesen. Bibliotheksgesetze verpflichten die Gemeinden als Büchereiträger und bieten auch staatlicherseits materiellen Rückhalt. - Die Einheit des wissenschaftlichen und allgemeinen öffentlichen Bibliothekswesens ist in ganz Skandinavien realisiert und wird in jedem der vier Bibliotheksländer in Form eines in sich geschlossenen nationalen Bibliothekssystems wirksam (Gesamtbevölkerungszahlen der vier Bibliotheksregionen: Schweden: 8 Millionen; Dänemark und Finnland: je 5 Millionen; Norwegen: 4 Millionen; Vergleichszahlen: Bayern: 10,5 Millionen). Die geringe Bevölkerungszahl der skandinavischen Einzelländer (geographischklimatisch bedingt) läßt den Zusammenschluß zu einer größeren, leistungsfähigen Bibliotheksgemeinschaft nützlich erscheinen. So kommt es zum gesamtskandinavischen Bibliotheksverbund, mit gemeinsamem Sondersammelgebietsprogramm (»Scandia«-Plan), gemeinsamer Fernleihe, gemeinsamen Bibliothekskonferenzen u. ä. Skandinavien gehört zu den relativ bestausgestatteten, leistungsstärksten Bibliotheksgebieten Europas, zugleich mit der intensivsten Lesequote nach ProKopf-Relation. Dänemark: Bibliotheken. — Zentrum des dänischen Bibliothekswesens ist Kopenhagen. Neben der Königlichen Bibliothek aus dem 17. Jh. (vgl. unten) steht hier die Universität aus dem I J . Jh. (vgl. unten), lange Zeit zuständig für ganz Dänemark und das sprachverwandte Norwegen, während für die deutschsprachigen Personalunions-Herzogtümer Schleswig und Holstein während der Barockzeit eine Zweituniversität in Kiel geschaffen wird (gegr. 1665, vgl. oben S. 121). Unter den Bibliotheksgründungen des Industriezeitalters ragt die Staatsbibliothek Ärhus heraus (gegründet 1897 als regionale öffentliche Bibliothek, seit 1928 gleichzeitig Universitätsbibliothek für die neue Universität Ärhus), heute Fernleih-Leitbibliothek und methodisches Zentrum für das gesamtstaatliche Netz der öffentlichen Büchereien Dänemarks. - (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Odense). Kopenhagen. - Zentrale des dänischen Bibliothekswesens ist die Königliche Bibliothek (Kongelige Bibliotek, gegr. 1665), die größte Bibliothek Skandinaviens, reich
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Europa
an alten Kostbarkeiten und an Buchbestand auch aus den früher mit Dänemark verbundenen Ländern Norwegen, Island und Schleswig-Holstein, f ü r die sie jahrhundertelang als Zentralbibliothek fungiert. Bibliothekarisch in allen Jahrhunderten auf der Höhe der Zeit, erhält die Königliche Bibliothek Pflichtexemplare bereits Ende des 17. Jh. (1697) und wird Ende des 18. Jh. zur öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek (1793). Sie entwickelt sich früh zum bibliothekswissenschaftlichen Zentrum: hier veröffentlicht der Bibliothekar Christian Molbech, kurz nach Schrettinger in München, seine Bibliothekslehre: »Om offentlige Bibliotheker, Bibliothekarer og det man hat kaldet Bibliotheksvidenskab« (1. A u f l . 1828); Christian Valter Bruun, Bibliotheksdirektor in der 2. H ä l f t e des 19. Jh., folgt mit seiner retrospektiven Nationalbibliographie »Bibliotheca Danica« (1877 f f . ) ; Svend Dahl, Reichsbibliothekar in der Mitte des 20. J h . gibt hier das nordische »Handbog i bibliotekskundskab« heraus (das er in 1. A u f l . schon 1 9 1 2 begründet). Die Königliche Bibliothek unterhält heute eine nationale Abteilung (als Nationalbibliothek), die auch bei der Bearbeitung der dänischen Nationalbibliographie mitwirkt, und eine internationale wissenschaftliche Abteilung (als Staatsbibliothek), mit Schwerpunkt auf den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Die Königliche Bibliothek steht im Bibliotheksverbund mit den andern staatlichen Großbibliotheken Kopenhagens. - Voran die alte Kopenhagener Universitätsbibliothek (gegr. 1482), die fast gleichzeitig mit der Universität (gegr. 1479) entsteht und unter dem Direktorat von Dahl 1943 zusammen mit der Königlichen Bibliothek unter die einheitliche Gesamtleitung eines Reichsbibliothekars (Generaldirektor) kommt. Seitdem gliedert sich die Universitätsbibliothek in eine naturwissenschaftliche Hauptabteilung (die zugleich als naturwissenschaftliche Staatsbibliothek fungiert) und eine Studienabteilung f ü r die übrigen Fachgebiete der Universität. — Die Technische Hochschule Kopenhagen (gegr. 1829) steuert mit ihrer Bibliothek (gegr. 1830) die technische Staatsbibliothek bei. - Kopenhagen verfügt daneben über weitere Hochschul- und Zentralbibliotheken, eine Stadtbibliothek und ist Sitz der Dänischen Akademie der Wissenschaften. Schweden: Bibliotheken. — Die schwedische Universität in Uppsala (gegr. 1477) ist die älteste in Skandinavien, verfügt jedoch zunächst nur über kleinere EinzelBüchersammlungen. Die Gründung der zentralen Universitätsbibliothek (1620) macht die alte königliche Nebenresidenz und kirchlich-erzbischöfliche Hauptstadt auf lange Zeit auch zum bibliothekarischen Hauptort Schwedens. Die stark geförderte Universitätsbibliothek Uppsala (u.a. Pflichtexemplare ab Ende des 17. Jh.) wird zur größten Universitätsbibliothek Skandinaviens und bis ins 20. Jh. hinein zur größten Bibliothek Schwedens. - Die ungefähr gleichzeitig entstandene Königliche Bibliothek in Stockholm (vgl. unten), heute Zentrale des schwedischen Bibliothekswesens, überholt die Universitätsbibliothek Uppsala bestandsmäßig erst im 20. J h . - Beide Bibliotheken werden während des Dreißigjährigen Krieges mit umfassenden Beutebeständen aus katholischen Bibliotheken Mitteleuropas (besonders Universitäts- und Schloßbibliotheken) hervorragend aufgestockt. Die groß angelegte Buchbeschlagnahmeaktion liefert in ihrer Planmäßigkeit einen biblio-
Skandinavisches Europa theksgeschichtlichen Modellfall für spätere ähnliche Beschlagnahmeaktionen (z.B. bei der Französischen Revolution, in den Napoleonischen Kriegen und im Zuge der Säkularisation geistlicher Bibliotheken in Österreich und Bayern, vor bzw. nach 1800). - Die bei der Beschlagnahmeaktion anfallenden Mehrfachexemplare (soweit sie nicht für die Adelsbibliotheken schwedischer Heerführer beansprucht werden) finden Verwendung bei der Erstausstattung bzw. Aufstockung einiger jetzt neu geschaffener Universitätsbibliotheken. Im Rahmen des schwedischen Aufstiegs zur Großmacht und der Errichtung des schwedischen Ostseeimperiums entsteht ein Kranz von peripheren Stützpunkt-Universitäten in den neu erworbenen Gebieten, staats- und kulturpolitisch sorgfältig geplant: in Finnland: Turku (— schwedisch Äbo, gegr. 1640); im Baltikum: Tartu ( = schwedisch Dorpat, gegr. 1632); in Pommern: Greifswald (schon früher vorhanden, aber 1648 für Schweden übernommen); und im neu eroberten, vormals dänischen Südschweden: Lund (gegr. 1666). Auch dies ein bibliotheksgeschichtlich früher Modellfall einer zentralen Bibliotheksplanung, wobei die einzelnen Universitätsbibliotheken aber nur parallel geschaltet sind. Noch nichts von einem Bibliotheksnetz, aber doch ein erster Ansatz in die Richtung späterer Bibliothekskoordinierung. - Nach dem Verlust des schwedischen Ostseeimperiums (18. Jh. bis Anfang des 19. Jh.) folgt im Laufe des 19. Jh. die Intensivierung des Bibliothekswesens im Innern und im 20. Jh. der großzügige Ausbau des modernen schwedischen Bibliothekswesens mit guter Ausstattung, hoher Leistungsfähigkeit und progressiver Struktur. Unter den Gründungen des Industriezeitalters ragen heraus: je eine Universität und Technische Hochschule in Stockholm (vgl. unten) und Göteborg (Technische Hochschule: gegr. 1829; Universität: gegr. 1954, mit Einbeziehung einer Vorläuferhochschule von 1891). Bedeutend ist das Netz der öffentlichen Büchereien, das sich auf die Mittelinstanz leistungs- und bestandsstarker zentraler Stadt- und Regionalbibliotheken stützen kann. - (Ergänzungsinformation : Weitere Universitäten mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Umeä; Außenuniversitäten außerdem in: Karlstad; Linköping; örebro; Växjö). Stockholm. - Die Königliche Bibliothek (Kungeliga Bibliotek), als Privat-Büchersammlung der Herrscher schon seit ca. 1600 greifbar, 1634 im Königlichen Schloß aufgestellt, wächst durch die Bestandszugänge im Dreißigjährigen Krieg schnell zu größerer Bedeutung. Nach wechselvoller Geschichte wird die Königliche Bibliothek im 19. und 20. Jh. zur Zentrale des schwedischen Bibliothekswesens, vor allem unter dem Reichsbibliothekar (Generaldirektor) Isak Collijn (1. Hälfte des 20. Jh.). Neben den üblichen Zentralaufgaben hat die Bibliothek mit einer angeschlossenen Sonderabteilung auch teil an der Bearbeitung der Nationalbibliographie. - Im Industriezeitalter wird Stockholm Hochschulstadt: Technische Hochschule (gegr. 1798/1826, zunächst als Polytechnikum); Universität (gegr. i960, unter Einbeziehung einer älteren Vorläuferhochschule von 1877); Medizinische Hochschule (Karolinska Institut, gegr. 1810); und weitere Hochschulen. Zu erwähnen ist die Stadtbibliothek, die mit ihrem Büchereinetz beispielgebend wirkt. Stockholm ist auch Sitz der Schwedischen Akademie der Wissenschaften.
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Europa
Norwegen: Bibliotheken. - Jahrhundertelang war für Norwegen Studien- und bibliotheksmäßig die Universität Kopenhagen mit zuständig. Erst vor dem Ende der dänisch-norwegischen Personalunion erhält Norwegen in Oslo ( = bis 1924 Christiania) eine erste eigene Universität (gegr. 1811). Sie gewinnt an Bedeutung, als Oslo während der anschließenden schwedisch-norwegischen Personalunion (1814-1905) Hauptstadt des autonomen Norwegen wird. Nach der Verselbständigung des voll souveränen Norwegen (vor dem 1. Weltkrieg) übernimmt die Universitätsbibliothek Oslo zusätzlich die Funktionen einer Nationalbibliothek, mit den wesentlichen Zentralaufgaben (einschließlich der Nationalbibliographie). Oslo ist auch Sitz der Norwegischen Akademie der Wissenschaften. - Das in Norwegen schon im 19. Jh. aufgebaute öffentliche Büchereiwesen präsentiert sich heute als gut ausgebautes und geschickt angepaßtes Netz: mit Zweigstellen, Fahrbüchereien und sogar Schiffsbüchereien zur Versorgung entlegener Fjorddistrikte. - (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten und Technische Hochschulen mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Bergen; Drontheim/Trondheim). Finnland: Bibliotheken. - Im Rahmen des schwedischen Universitätsprogramms der Barockzeit erhält Finnland in Turku ( = schwedisch Äbo) eine erste Universität (gegr. 1640). Nach dem Ende der Zugehörigkeit zu Schweden wird Finnland im Rahmen der russisch-finnischen Personalunion (1809-1917) ein autonomes Land, mit Helsinki als neuer Hauptstadt. Durch eine Brandkatastrophe in Turku vernichtet (1827), wird die Landesuniversität daraufhin in Helsinki neu aufgebaut (1828), die Universitätsbibliothek großzügig neu ausgestattet und zusätzlich mit dem gesamtrussischen Pflichtexemplarrecht bedacht (wodurch sie bis heute den größten russischen Buchbestand außerhalb der Sowjetunion aufweist). Nach der Verselbständigung des voll souveränen Finnland, gegen Ende des 1. Weltkriegs, übernimmt die Universitätsbibliothek Helsinki auch die Funktionen einer Nationalbibliothek mit allen Zentralaufgaben (einschließlich der Nationalbibliographie). Helsinki verfügt ferner über eine Technische Hochschule (gegr. 1849, zunächst als Polytechnikum), mehrere Zentralbibliotheken, eine gut ausgebaute Stadtbibliothek (gegr. i860) und ist Sitz der Finnischen Akademie der Wissenschaften. - Im 20. Jh. entstehen in Finnland mehrere weitere Universitäten, dabei erneut in Turku zwei Universitäten, je eine schwedische und eine finnische (gegr. 1918 bzw. 1921). Erwähnung verdient der entscheidende Beitrag Finnlands zur internationalen Entwicklung des modernen Bibliotheksbaus im 20. Jh., eingeleitet durch den finnischen Architekten Alvar Aalto mit dem Neubau der Stadtbibliothek zu Viborg (1930-3$; = finnisch Viipuri, heute in der Sowjetunion, = russisdi Vyborg). — (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten und Technische Hochschulen mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u.a. in: Joensuu; Jyväskylä; Oulu/Uleaborg; Tampere/ Tammerfors).
Britisches Europa
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Ε 4. Britisches Europa Allgemeines. - Als politisches Gesamtgebilde entsteht Großbritannien erst in der Neuzeit (»United Kingdom«). Voraus liegen die mittelalterlichen Teilgebiete und Einzelländer. Unter ihnen am bedeutendsten England, das bereits im Hochmittelalter Irland und Wales erobert. 1603 tritt auch Schottland hinzu: durch Erbnachfolge der schottischen Stuart-Könige in England. Die so entstandenen Personalunionen werden etappenweise in Realunionen umgewandelt (von Land zu Land zu jeweils verschiedenem Zeitpunkt, für Schottland 1707). Durch Erbnachfolge des Weifenhauses in Großbritannien steht auch das Land Hannover 1 7 1 4 - 1 8 3 7 in Personalunion mit England (wieder aufgehoben bei der weiblichen Erbfolge der Königin Viktoria). Im 20. Jh. scheidet auch der Hauptteil Irlands als Republik Irland aus dem Verband des »United Kingdom« aus. Die innerhalb des »United Kingdom« verbliebenen Länder sind rechtlich keine konstituierenden Bundesländer, die zusammen eine Gesamtunion bilden, sondern stehen als Kronländer, jedes für sich, in verschieden gestufter Bindung an die britische Krone (teils mit politischer Autonomie und eigener Landesregierung, teils mit eigener Regionalverwaltung bzw. Kulturautonomie). - Großbritannien steigt im Laufe der Neuzeit zur europäischen Großmacht und im 19. Jh. zur Weltmacht auf, mit dem damals und bis zur Mitte des 20. Jh. größten Kolonialreich der Welt. Seit dem 17. und besonders seit dem iB. Jh. größte See- und Handelsmacht Europas, wird Großbritannien im 19. Jh. der früheste und wichtigste europäische Industriestaat. - Parallel zu dieser Entwicklung wird es seit dem 17. und vor allem seit dem 18. Jh. zur Vormacht des europäischen Parlamentarismus, der bürgerlichen Freiheiten und im 19. Jh. des Wirtschaftsliberalismus, mit ergänzenden sozialpolitischen Fürsorgeeinrichtungen im 20. Jh. - Das britische Wissenschafts-, Forschungs- und Bildungswesen steht seit dem 17. Jh. in der vorderen Reihe der europäischen Entwicklung. Britisches Europa: Bibliothekswesen. - Die Breitenentwicklung des neuzeitlichen Bibliothekswesens setzt in Großbritannien historisch später ein als in Kontinentaleuropa. Vor dem Industriezeitalter gibt es in Großbritannien vergleichsweise nur wenige Universitäten (allerdings einige sehr frühe), so gut wie gar keine Stadtbibliotheken (außer der Vorstufe von Lesegesellschaften, »Subscription Libraries« im 18. Jh.) und keine Hofbibliotheken. - Für Hofbibliotheken ist allerdings wegen des gemeinsamen Königtums auch kein Bedarf in den Kronländern außerhalb Englands. Erst als im 19. und 20. Jh. die Schaffung von Regionalbibliotheken in Europa ansteht, schreitet Großbritannien, mangels umfunktionierbarer alter H o f bibliotheken, zur Neugründung von Landesbibliotheken (»National Libraries«): für Schottland, Wales und Irland. In England erübrigt sich eine eigene Landesbibliothek wegen der Existenz des Britischen Museums. Im ganzen stimmt das regionalisierte Großbritannien mit seinen Landesbibliotheken zum regionalisierten Deutschland, Italien usw., entgegen dem zentralisierten Frankreich. - Das universitäre und kommunale Bibliothekswesen Großbritanniens differiert vom kontinen-
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Europa
taleuropäischen. So behalten die älteren britischen Universitäten bis in die heutige Gegenwart die spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Kollegienstruktur bei (vor allem im Bereich der ehemaligen »Artistenfakultät«). Somit bleiben auch die einzelnen parallelen Kollegienbibliotheken bis heute intakt. Die zentrale Universitätsbibliothek entsteht hier nicht durch Zusammenlegung der Kollegienbibliotheken, sondern als Partnerbibliothek neben diesen oder aus einer von ihnen. Als wichtigste Folge dieser Entwicklung ergibt sich frühzeitig die Zweckmäßigkeit der Kooperation aller Bibliotheken des universitären Bibliothekssystems (auch wenn es nicht voll integriert ist). Die Fachbibliotheken der berufsbildenden Fakultäten (Fakultäts-, Instituts-, Seminarbibliotheken der Juristen, Mediziner, Theologen und später auch Naturwissenschaftler u.a.) fügen sich in das Ensemble des universitären Bibliothekssystems ein. Das unkoordinierte Nebeneinander von Zentralbibliothek und Institutsbibliotheken (wie es in Kontinentaleuropa im 19. und 20. Jh. zeitweilig zum Problem wird) tritt in Großbritannien, wie in den U S A , gar nicht erst auf. — Auch beim kommunalen Bibliothekswesen lange Zeit hinter Kontinentaleuropa zurückgeblieben, noch im 18. Jh. fast ohne Stadtbibliotheken, lenkt Großbritannien die verspäteten Nachholgründungen des 19. Jh. in die Richtung moderner Strukturerneuerung. Es gründet mit den Public Libraries Einheitsbibliotheken, die den neuen Bedürfnissen der Industriegesellschaft voll entsprechen: zur gleichzeitigen Literaturversorgung aller Bevölkerungsschichten, sowohl mit wissenschaftlicher als auch mit allgemeinbildender Literatur. Die Zweigleisigkeit des mitteleuropäischen kommunalen Bibliothekswesens (mit später gegründeten Volksbüchereien als Ergänzung zu den älteren wissenschaftlichen Stadtbibliotheken) wird durch die Einheitsstruktur der britischen wie nordamerikanischen Public Libraries von vornherein ausgeschaltet. - Die Public Libraries werden von Anbeginn ihrer Entwicklung staatlich gedeckt, obwohl kommunal betrieben. Rechtliche Voraussetzung und äußere Startmarkierung ist das staatliche Büchereigesetz von 1850 (»Public Library Act«), das zunächst für England gilt und später durch analoge Gesetze für die andern Kronländer ergänzt wird. Wie gleichzeitige Gesetze in nordamerikanischen Bundesländern, ermächtigt es die Gemeinden, besondere kommunale Steuern für die Gründung und laufende Unterhaltung kommunaler Bibliotheken zu erheben bzw. zu verwenden. Eine erweiterte Gesetzgebung des 20. Jh. (1919 bzw. 1964) ermöglicht zusätzlich die Errichtung von »County Libraries« (Distriktbibliotheken für die Literaturversorgung der ländlichen Bevölkerung bzw. als Bibliothekszentralen für die Gemeindebibliotheken der Counties) und schafft schließlich Zentralbibliotheken für größere Fernleihbereiche. Die so entstehende Netzbildung der Public Libraries, nach »unten« durch urbane Bibliothekssysteme mit Zweigbüchereien fortgesetzt, nach »oben« mit dem Fernleihdienst der nationalen Ebene (British Library) verbunden, leitet die Entwicklung eines gesamtstaatlichen britischen Bibliothekssystems ein. Ihm entsprechen beim britischen Universitätsbibliothekswesen die lokalen universitären Bibliothekssysteme und auch deren Teilnahme am nationalen Fernleihdienst. Als nationale Fernleihbibliothek und mit weiteren Gesamtunternehmungen wird die British Library zur Zentrale des britischen Bibliotheksgebiets (Gesamtbevölkerungszahl Großbritanniens, ohne die Republik Irland: 55 Millionen;
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England allein: 45,5 Millionen). Das britische Bibliothekswesen der Gegenwart steht nach Ausstattung, Leistung und Ausgewogenheit auf oberstem Weltniveau. England: Bibliotheken. - Flächengrößer und bevölkerungsstärker als alle übrigen britischen Kronländer zusammengenommen, ist England nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch bibliotheksmäßig die Führungsregion Großbritanniens. Die British Library, Nationalbibliothek mit den beiden Hauptabteilungen in London und Boston Spa (vgl. beide unten), fungiert als bibliothekarische Zentrale für England und ganz Großbritannien. - Auch die Public Libraries (aus dem 19. und 20. Jh.) häufen sich in England am zahlreichsten, besonders massiert in den Großstädten des mittelenglisch-nordwestenglischen Industriegebiets (»Midlands« und die beiden nördlich anschließenden Bezirke Lancashire and Yorkshire), mit Urbanen Bibliothekssystemen von ζ. T. Millionenbeständen. - Die Universitäten Englands entstehen überwiegend im 19. und 20. Jh. Nur mit zwei exzeptionellen hochmittelalterlichen Universitätsgründungen des 13. Jh., noch unter nach-normannischem Einfluß und in zeitlicher Parallele zu entsprechenden französischen Gründungen, prescht England ganz früh vor: Oxford und Cambridge (vgl. beide unten). Die nächsten englischen Universitätsgründungen folgen mehr als ein halbes Jahrtausend später: erst wieder im Industriezeitalter. In drei Wellen. Bei der ersten Welle Durham (die Universitätsgründung für Nordengland, 1832, am traditionsreichen Schauplatz altenglischer Frühkultur und spätmittelalterlicher College-Ansätze), London (vgl. unten) und mehrere Einzel-Colleges, medizinische Hochschulen und Polytechnika in verschiedenen mittelenglisch-nordwestenglischen Industrieorten. Die zweite Welle ab 1900 bis zum 1. Weltkrieg: mit Voll-Universitäten der neuen Industriegroßstädte, auch unter Einbeziehung und Weiterentwicklung der bisherigen Einzel-Colleges, technischen und medizinischen Hochschulen. So u. a. in Manchester, Liverpool (vgl. beide unten), Birmingham (Vorläufer-College gegr. 1874, Universität 1900), Leeds (Vorläufer-College gegr. 1 8 3 1 , Universität 1904), den vier heutigen Industriemetropolen, deren urbane Umland-Großräume (»Conurbations«) jeweils ein bis zwei Millionen Einwohner aufweisen. Die dritte UniversitätsGründungswelle, seit dem 2. Weltkrieg, überzieht England mit einem breit angelegten, kontinuierlichen Netz von Universitäten und Gesamthochschulen. Zu dieser jüngsten Schicht gehört u. a. die neue Universität von York (vgl. unten). - (Ergänzungsinformation : Weitere Universitäten mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Bath; Bradford/Yorkshire; Brighton; Bristol; Canterbury; Colchester/ Essex; Coventry; Exeter; Guildford/Surrey; Hull; Keele/Staffordshire; Leicester; Newcastle upon Tyne; Norwich; Nottingham; Reading/Berkshire; Salford/Lancashire; Sheffield; Southampton; Warwick). London: British Library. - Zentrale des britischen Bibliothekswesens und Nationalbibliothek ist seit 1972/73 die British Library in London und Boston Spa. Voraus liegen die jahrhundertelangen Entwicklungsetappen des Britischen Museums und der Königlichen Schloßbibliothek in London. - Nach ephemeren Privatbüchersammlungen mittelalterlicher englischer Könige, gewinnt die Büchersammlung der Dynastie Tudor seit der Regierung Heinrichs V I I I . , Anfang des 16. Jh., Kontinui-
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tat als Schloßbibliothek. Aber die unruhige britische Entwicklung der nächsten beiden Jahrhunderte verhindert, daß sie sich zur echten Hofbibliothek entwickelt (mehrere Dynastien und Teildynastien lösen einander ab, religiöse und politische Umwälzungen und Revolutionen setzen Zäsuren). Die Königliche Schloßbibliothek überdauert zwar alle diese Umwälzungen, erhält in der Cromwellschen Republik eine treuhänderische Verwaltung und unter dem anschließenden absolutistischen Stuart-Königtum sogar das Pflichtexemplarrecht. Aber erst nach der »Glorious Revolution« und unter dem Haus Hannover mit den sich konsolidierenden Verhältnissen des britischen Verfassungsstaats, stellt sich die Frage der Weiterentwicklung der »Old Royal Library« zur Königlichen Hofbibliothek und öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek. - Richard Bentley, nebenamtlicher Bibliotheksleiter der Schloßbibliothek ( 1 6 9 3 - 1 7 3 5 ) empfiehlt diese Weiterentwicklung, mit Bestandsausbau, Benutzungsöffentlichkeit und eigenem Bibliotheksneubau. Bentley setzt sich zwar mit diesen Plänen zunächst nicht durch. Aber bald nach seiner Amtszeit realisieren sie sich im Rahmen des neu gegründeten Britischen Museums. Ausgangspunkt bildet das testamentarische Vermächtnis von Sir Hans Sloane, weiland Präsident der Royal Society: seine musealen Sammlungen und seine umfangreiche Privatbibliothek gehen bei seinem Tod (1753) in das Eigentum der britischen Nation über. Parlament und König schaffen noch im gleichen Jahr ein Gesetz, das die Sammlung Sloane, ergänzt durch weitere Privatbibliotheken, zum »Britischen Museum« erhebt. Jetzt schießt auch König Georg II. von Großbritannien-Hannover (in dessen Regierungszeit die Amtszeit Bentleys noch hereingeragt hatte) die »Old Royal Library« dazu. Und auch die neue Bibliothek erhält das Pflichtexemplarrecht. 1759 werden Museum und Bibliothek eröffnet. - Eine Nationalbibliothek entsteht daraus allerdings erst ein Jahrhundert später, unter der Amtsführung von Sir Anthony Panizzi. Gebürtiger Italiener, Revolutionär in Italien, politischer Flüchtling in England, findet Antonio Panizzi schließlich im Britischen Museum eine Anstellung und steigt bald zum Leiter der Druckschriftenabteilung (1837), dann zum Bibliotheksleiter (Principal Librarian, 1856-66) empor. Durch eine Reihe einschneidender Maßnahmen reorganisiert er die Bibliothek gründlich. Vor allem durch umfassenden, systematischen und kontinuierlichen Bestandsausbau, auf der soliden Grundlage eines erst jetzt regelmäßigen und großzügigen Anschaffungsetats zur Erwerbung der relevanten internationalen Literatur. Ferner durch gezielte Lückenergänzung und durch strikte, kontrollierte Einziehung der Pflichtexemplare. Schließlich durch einheitliche Katalogisierung nach neu geschaffenen Katalogregeln (91 Cataloguing Rules von 1841, Ausgangsbasis für die späteren gemeinsamen anglo-amerikanischen Katalogregeln). Die wichtigste Maßnahme wird der Neubau, den Panizzi für die Bibliothek durchsetzen kann: ein konzentrischer Kuppel-Lesesaal (mit reichlichem Oberlicht, in Fortführung des Wolfenbütteler Modells), mit dem ersten Großmagazin der Welt, um den zentralen runden Lesesaal viereckig herumgebaut, in neuartiger Stahlkonstruktion, mit Zwischenrosten als Geschoßböden, mit niedriger Geschoßhöhe, engem Regalabstand und mit durch »Panizzi-Stifte« leicht höhenverstellbaren Regallegeböden. Nach den unmittelbar vorangegangenen ersten Magazinanläufen in München (Königliche
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Bibliothek) und Paris (Bibliothique Ste. Genevieve) gelingt mit dem Panizzi-Neubau in London (1854-57, Architekt: Sydney Smirke) nunmehr der prinzipielle Durchstoß zum modernen Magazin, das von da an für alle großen Bibliotheksbauten des 19. und 20. Jh. üblich wird. Als Panizzi in den Ruhestand tritt, hat die British Museum Library Weltniveau erreicht. - Aber es dauert nochmals ein volles Jahrhundert, ehe Großbritanniens größte Bibliothek auch zur Zentrale der britischen bibliothekarischen Gemeinschaftsunternehmungen wird. Im 20. Jh. entstehen zunächst weitere nationale Bibliothekseinrichtungen neben dem Britischen Museum. Erst das Nationalbibliotheksgesetz von 1972 fusioniert sie alle zur »British Library«. Nach erfolgter organisatorischer Zusammenlegung (1973/74) gliedert sich die British Library in drei Hauptabteilungen. 1. Hauptabteilung: »Reference Division« als Präsenzbibliothek in London, bestehend aus der bisherigen Bibliothek des Britischen Museums (aus dem sie jetzt ausgegliedert ist) mit mehreren Unterabteilungen (Druckschriftenabteilung, Handschriftenabteilung, Orientabteilung, andere Sammlungen), dazu als weitere Unterabteilung die »Science Reference Library« (ursprünglich die Bibliothek des britischen Patentamts, gegr. 1855, jetzt als Technik-Präsenzbibliothek); 2. Hauptabteilung: »Lending Division« als Fernleihzentrale und Versandbibliothek in Boston Spa, bestehend aus den beiden ehemaligen Fernleihbibliotheken »National Central Library« und »National Lending Library for Science and Technology« (Weiteres dazu vgl. unten, zweitnächster Absatz); 3. Hauptabteilung: »Bibliographie Service Division« in London, u. a. mit der Dienststelle für die »British National Bibliography«. Zu weiteren zentralen Unternehmen der British Library gehören die Titeldrucke, der Zentralkatalog, die Katalogdruck-Unternehmen und das »UK-MARC«-Unternehmen ( = United Kingdom Machine Readable Cataloguing) für die EDV-Magnetband-Ausgabe der Katalogdrucke. Bestandsmäßig gehört die British Library zu den bedeutendsten Bibliotheken der Welt (Bestandsumfang aller Teilbibliotheken: ca. 9 Millionen Bände). London: "Weitere Bibliotheken. - Der metropolitane Großraum »Greater London« (9 Millionen Einwohner) unterhält, entsprechend seiner Stadtbezirksgliederung, zahlreiche Public Libraries mit jeweils eigenen Urbanen Büchereisystemen. Die London Library (gegr. 1841) fungiert als wissenschaftliche Hauptbibliothek Londons (ist aber nicht deren Zentrale). - Die University of London entsteht 1836 als »Fernstudienuniversität« und akademisches Prüfungszentrum, wird bald durch mehrere Colleges und weitere Hochschulen ergänzt und wächst mit ihnen zur Volluniversität zusammen (1898). Zu ihrem Bereich gehören mehrere Bibliotheken, teils im universitären Bibliothekssystem, teils selbständige Stiftungs-, Hochschuloder Zentralbibliotheken (u. a. »University of London Library«, »University College Library«, »British Library of Political and Economical Science« der London School of Economics). - Als Hauptstadt ist London Sitz zahlreicher Regierungs-, Fach- und Zentralbibliotheken sowie der nationalen Forschungsakademien: Royal Society (Naturwissenschaften) und British Academy (Kulturwissenschaften). York, Boston Spa. - Historische Hauptstadt Nordenglands, im Mittelalter eines
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der bedeutendsten englischen Kulturzentren, erhält York in der frühen Neuzeit neben der akademischen Kathedralschule auch erste Colleges (ζ. B. St. William's College, gestiftet 1471), doch bleibt die Entwicklung zur Universität im 16. Jh. stecken. Erst das heutige York, Bezirkshauptstadt, Großstadt, Erzbischofsstadt, Musealstadt, erhält im Zuge der Universitätsgründungswellen des 20. Jh. eine eigene Universität (1963). - Überragende Bedeutung als nationales Bibliothekszentrum gewinnt der Raum York in der zweiten Hälfte des 20. Jh. durch die Errichtung der Zweigabteilung der British Library in Boston Spa (in Yorkshire, südwestlich von York, halbwegs nach Leeds). Die nationale Fernleihzentrale entsteht hier in zwei Etappen: durch sukzessive Transferierung zweier Schwerpunktbibliotheken aus London nach dem geographisch zentral gelegenen Boston Spa. Zunächst wird die »National Lending Library for Science and Technology« hier stationiert (gegr. 1957, Arbeitsaufnahme 1962), mit dem Schwerpunktbestand der vormaligen Londoner »Science Museum Library« (gegr. 1857). Ihr Gründer und Organisator, Donald J. Urquhart, konzipiert sie völlig unkonventionell als reine »Versandbibliothek«: ohne Kataloge (deshalb müssen die Bestellungen von den »Reference«-Abteilungen der für ihre Leser bestellenden Partnerbibliotheken bereits bibliographisch titelkorrekt vorpräpariert sein); ohne Signaturen, stattdessen alphabetisch auffindbar (aufgestellt nach Autorennamen; innerhalb derer, und bei Zeitschriften überhaupt, nach Sachtiteln); mit neuartigem Regaltypus zur Vereinfachung innerbetrieblicher Bestandsumstellung (an Gittergestelle anhängbare kurze Bücherkörbe, transportabel mitsamt den Büchern mittels einschlägiger Korbtransportwagen). - Im Rahmen der Errichtung der British Library (1972, vgl. oben, zweitvoriger Absatz) wird 1973 auch die bisherige nationale Fernleihzentrale aus London nach Boston Spa verlegt: die vormalige »National Central Library« (gegr. 1916), konzipiert als Zentralstelle der Fernleihvermittlung (mit britischem Zentralkatalog) und als Bibliothek des Fernleih-Ergänzungsbestands. Beide Bibliotheken zusammen bilden jetzt, in Boston Spa zur nationalen Fernleihzentrale und Versandbibliothek integriert, die »Lending Division« der British Library. Oxford. - Die Universität Oxford ist eine der ältesten und bedeutendsten der Welt. Ca. 1167/68 durch Abwanderung von Dozenten und Studenten aus der Universität Paris entstanden, erhält sie 1214 das päpstliche Universitätsprivileg als »Studium generale«. Bald entstehen mehrere College-Bibliotheken, und aufgrund von Donationen kommt schon im 14. und 15. Jh. eine kleine zentrale Universitätsbibliothek zusammen (später nach dem Haupt-Donator, einem königlichen Prinzen, Herzog Humphrey von Gloucester, »Duke Humfrey's Library« benannt, ca. 1480 in einem Bibliothekssaal nach dem Pultsystem aufgestellt). Im 16. Jh., während der Reformationswirren (u. a. mehrfacher Wechsel der Staatsreligion, jeweils mit »Bücherreinigung«), erleidet die Bibliothek starke Dezimierung. Aber 1602 wird sie durch die Stiftung eines Mäzens, Sir Thomas Bodley, erneuert, bestandsmäßig aufgestockt, zwar zunächst im alten Saal und alten Stil untergebracht (Pultsystem mit »Stall«Aufsätzen), aber epochemachend reorganisiert: als eine der ersten öffentlich zugänglichen Bibliotheken Europas, mit liberaler Lesesaal-Präsenzbenutzung. Sie er-
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hält auch das Belegexemplarrecht seitens der Stationers' Company (Buchhändlerund Verleger-Korporation) und wird so etwas wie eine Ersatz-Nationalbibliothek in der Zeit vor der Gründung des Britischen Museums. Das Universitäts-Studiengebäude, in dem der alte Bibliothekssaal untergebracht war, wird bald darauf baulich völlig erneuert, erhält Bibliotheksannexe und geht später ganz in den Besitz der Bibliothek über. Zum Bibliothekskomplex gehört auch der vorgelagerte Rotundenbau der »Radcliffe Camera« aus dem 18. Jh. als Lesesaalgebäude. Im 20. Jh. eine der größten Universitätsbibliotheken der Welt, erhält die Bodleiana zusätzlich ein benachbartes Drittgebäude mit großem Magazinhochbau, der durch sein von vornherein mitgeplantes Tiefmagazin (mit drei unterirdischen Magazingeschossen, 1937-40) bibliotheksbaugeschichtlich Einfluß gewinnt. Cambridge. - Auch die Universität Cambridge gehört zu den frühesten Universitäten in Europa (ca. 1209 durch Abwanderung von Dozenten und Studenten aus der Universität Oxford entstanden, erhält sie 1229 das päpstliche Universitätsprivileg). Auch hier spielen alte College-Bibliotheken bis heute eine Rolle. Bibliotheksbaugeschichtlich zeichnet sich der berühmte Bibliothekssaal des Baumeisters Christopher Wren für das Trinity College aus (1675-90), mit einer besonderen Variante des »Saaltyps«, dem »Wandnischen-Typ« (dabei ragen von den regalbestellten Saalwänden in regelmäßigen Abständen Querregale in die Saalmitte und bilden Arbeitsnischen, als eine Art Vorstufe der heutigen Carrels). Die zentrale Universitätsbibliothek, schon vor der Reformation bezeugt, erlangt erst in der späteren Neuzeit Bedeutung und zählt heute, ebenfalls mit dem nationalen Pflichtexemplarrecht ausgestattet, zu den wichtigsten Bibliotheken Großbritanniens. Liverpool, Manchester. — Im Zentrum des mittelenglisch-nordwestenglischen Industriegebiets gelegen und zu Großraumstädten (»Conurbations«) mit Millionenbevölkerung aufgestiegen, haben sich die beiden benachbarten Wirtschaftsmetropolen Liverpool und Manchester, der Welthafen und die Wirtschaftsverwaltungskapitale, auch zu Kulturzentren ersten Ranges entwickelt. Beide erhalten 1880 eine gemeinschaftliche Universität (»Victoria University«, unter Einbeziehung von Vorläuferinstitutionen in Liverpool, gegr. 1817, und Manchester, gegr. 18 51), die 1903 in die beiden separaten Universitäten Liverpool und Manchester aufgegliedert wird. Beide Städte verfügen auch über ein gut ausgebautes kommunales Bibliothekswesen, das nach frühen Vorläuferbibliotheken von Lesegesellschaften (in Liverpool schon im 18. Jh. beispielgebend), Mitte des 19. Jh. einsetzt. Unmittelbar nach dem ersten englischen Büchereigesetz von i8$o gründen Liverpool und Manchester die beiden ersten britischen Public Libraries (beide 1852), heute Zentralbibliotheken der beiden Urbanen Büchereisysteme. Edward Edwards, Berater beim Zustandekommen des Büchereigesetzes, Bibliothekstheoretiker und -historiker, wird der erste Leiter der Manchester Public Library. Erwähnung verdient auch die »John Rylands Library« in Manchester (gegr. 1899), eine Stiftungsbibliothek, u. a. mit dem besonderen Sammelauftrag für Buchkostbarkeiten. Schottland: Bibliotheken. - Das alte Schottland, vom französisch-anglonormannischen Einfluß unabhängig, erhält seine ersten Universitäten später als England,
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gleichzeitig mit denen des skandinavischen Nordeuropa: u. a. Glasgow (gegr. 1451), Aberdeen (gegr. 1494), Edinburgh (vgl. unten). Sie werden im Industriezeitalter durch weitere Universitätsneugründungen ergänzt. (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Dundee; St. Andrews; Stirling). - Im Bereich des öffentlichen Büchereiwesens leistet Schottland einen europäischen Pionierbeitrag. Der schottische Geistliche James Kirkwood fordert schon Ende des 17. Jh. mit mehreren programmatischen Schriften die Gründung öffentlicher Büchereien für alle Gemeinden Schottlands (u. a. »Overture for Founding and Maintaining of Bibliotecks in every Paroch throughout the Kingdom«, 1699). Er knüpft damit an die Tradition gelegentlich schon bestehender Kirchenbibliotheken an, doch jetzt überall durchgängig einzurichten und auf allgemeinen (nicht nur religiös-erbaulichen) Literaturbestand auszubauen. Tatsächlich entstehen im Schottland des 18. Jh. auch viele solcher Gemeindebüchereien, werden aber dann doch wieder rückläufig und schließlich ganz abgängig. Nach der Zwischenphase privater Lesegesellschaften (wie in England), kommt das eigentliche kommunale Büchereiwesen Schottlands erst mit den Public Libraries des Industriezeitalters in Gang. Auch hier urbane Bibliothekssysteme in den Großstädten, so in der Millionenstadt Glasgow (gegr. 1874) und in Edinburgh (vgl. unten), der Zentrale für die Bibliotheksregion Schottland (Gesamtbevölkerungszahl: 5,5 Millionen). Edinburgh. — Seit Ausgang der Renaissancezeit ohne ständige Hofhaltung, hat die schottische Hauptstadt Edinburgh auch keine Hofbibliothek. Für die Schaffung einer schottischen Landesbibliothek im Industriezeitalter greift man auf die alte Edinburgher Juristenbibliothek, die »Advocates' Library« (gegr. 1682), zurück, die im 18. Jh. zeitweilig durch den Philosophen David Hume als Bibliothekar geleitet wird, die sich dann im 19. Jh. zu einer De-facto-Landesbibliothek entwickelt und im 20. Jh. offiziell zur »National Library of Scotland«• avanciert (1925). — Daneben besteht hier das urbane Büdiereisystem der Edinburgh Public Library (gegr. 1890) und die alte Universität (gegr. 1583) mit ihrem universitären Bibliothekssystem. Wales: Bibliotheken. - Bibliothekszentrum des Kronlands Wales (Gesamtbevölkerungszahl: knapp 3 Millionen) ist die Kleinstadt Aberystwyth (an der mittleren Westküste von Wales) mit der »National Library of Wales« (gegr. 1907). - Die Gesamtuniversität für Wales hat ihren zentralen Sitz in der Landeshauptstadt Cardiff (Gesamtuniversität gegr. 1893; Teiluniversitäten u. a. in Aberystwyth und Swansea). Irland (Republik Irland, Kronland Nordirland): Bibliotheken. - Zentralbibliothek der Republik Irland (Gesamtbevölkerungszahl: 3 Millionen) ist die »National Library of Ireland« in der Landeshauptstadt Dublin (gegr. 1877). - Wichtige Universitäten sind u. a. die große, alte »Trinity-College«-Universität in Dublin (gegr. 1591), ferner die dortige Nationaluniversität (gegr. 1909, eine Gesamtuniversität mit Teiluniversität u. a. in Cork) und im Kronland Nordirland (Gesamtbevölkerungszahl: 1,5 Millionen) in dessen Hauptstadt Belfast (gegr. 1908). - (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten u. a. in: Londonderry).
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Ε 5. Französisches Europa Allgemeines. — Der französische Sprachraum gehört kulturell, politisch und wirtschaftlich zu den konstituierenden Kerngebieten des alten Europa. Der Staat Frankreich weist innerhalb Europas eine bemerkenswerte Geschlossenheit und historische Kontinuität auf. Direkt an das alte Frankenreich anknüpfend, besteht Frankreich in bruchloser Permanenz bis heute. Nach Rückschlägen im Hochmittelalter, kann es im Spätmittelalter und in der Neuzeit fast das gesamte französische Sprachgebiet in sein Territorium einbeziehen (außer den östlichen Randgebieten Belgien und Schweiz), seinen Großmachtstatus zurückgewinnen, zeitweilig die europäische Führungsrolle übernehmen und zu einer Wirtschafts- und schließlich Industriemacht ersten Ranges emporsteigen. Im 17. und 18. Jh. Vormacht des europäischen Absolutismus, wird Frankreich das Paradebeispiel des Staatszentralismus. Seit der Französischen Revolution (1789) Modellstaat der Verfassungsrepublik und der Bürgerund Menschenrechte, bleibt Frankreich dennoch ein Land extremer Zentralisiertheit. Das wirkt sich nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und zumal kulturell aus und führt zu einer in Europa einmaligen Überhöhung der Hauptstadt Paris (nebst der Hauptstadtregion) gegenüber dem bescheideneren Zurücktreten der Provinzen. Es manifestiert sich auch - positiv wie negativ - in der administrativen Gleichschaltung vieler provinzieller Einrichtungen und Unternehmungen. Jenseits dieser Administrations-Konformität ist Frankreich jedoch zugleich ein Land des ausgesprochenen Individualismus und Kreativismus. Es hat zu allen Hauptströmungen der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte wesentliche Beiträge geleistet. Französisches Europa: Bibliothekswesen. - Entsprechend der kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung Frankreichs, hält das französische Bibliothekswesen durch alle Epochen der Neuzeit ein hohes Niveau. Es begleitet alle Entwicklungsphasen der europäischen Bibliotheksgeschichte in aktiver und lebhafter Teilhabe und setzt mit allen europäischen Bibliothekstypen und bibliotheksbetrieblichen Neuerungen jeweils relativ frühzeitig ein. — Einige Universitäten Frankreichs gehören zu den frühesten Europas (12./13. Jh.), und in allen Jahrhunderten kommen weitere Universitäten hinzu. Frühzeitig erfolgt auch die Herausbildung von zentralen Universitätsbibliotheken anstelle der Kollegienbibliotheken. Eine Sonderentwicklung bringt die Französische Revolution durch die Auflösung der Universitätsbibliotheken und die Weiterführung des universitären Bibliothekswesens lediglich mit Fakultäts- und Institutsbibliotheken. Eine Tendenzwende in der zweiten Hälfte des 19. Jh. führt zur generellen Wiedergründung der zentralen Universitätsbibliotheken in ganz Frankreich auf dem Verordnungswege (1878/79). Dabei werden die bestehenden Fakultätsbibliotheken ζ. T. zusammengelegt, meist bilden sie jedoch fakultätsbezogene Abteilungsbibliotheken im universitären Bibliothekssystem (besonders für Jura, Naturwissenschaften, Medizin, Pharmazie neben der Humaniora-Sammlung der Hauptbibliothek). Eine neue Phase für das universitäre Bibliothekswesen bahnt sich mit der Universitätsreform der 1970er
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Jahre an: sie zerlegt die stark frequentierten Universitäten in mehrere parallele Teiluniversitäten mit Fachbereichen, ζ . T. auch mit Außenuniversitäten in Nachbarorten, doch jeweils administrativ zu einer Gesamtuniversität zusammengefaßt. Auch die Schloßbibliotheken der französischen Renaissance gehören zu den frühesten und bestausgestatteten Europas. Allerdings verhindert der zeitig einsetzende politische Zentralismus Frankreichs die Entwicklung von Hofbibliotheken außerhalb der Hauptstadt Paris. Die königlichen Schloßbibliotheken werden aus den Provinzen dorthin zur Königlichen Bibliothek zusammengezogen; und die Bibliothek der Burgunderherzöge vollzieht ihre weitere Entwicklung außerhalb Frankreichs (Brüssel). Die Umwandlung der ehemaligen Feudalterritorien in königliche Provinzen und deren Auflösung, auch als Verwaltungseinheiten, nach der Französischen Revolution, vollendet die Zentralstaatlichkeit Frankreichs und erklärt das völlige Fehlen von Landesbibliotheken (anders als etwa in Deutschland, Großbritannien, Italien und der Sowjetunion). - In der »Provinz« übernehmen praktisch die wissenschaftlichen Stadtbibliotheken die Literaturversorgung. Manche von ihnen stammen schon aus dem 17. und frühen 18. Jh. Weitere werden nach der Französischen Revolution geschaffen, als die Revolutionsregierung ganz Frankreich mit einem N e t z von öffentlich zugänglichen wissenschaftlichen Stadtbibliotheken überzieht, die sie mit Buchbeständen aus dem Revolutionsbeschlagnahmegut ausstattet und zu einer zentralisierten Bibliothekenkette unter staatlicher Oberaufsicht zusammenfaßt (heute »Bibliotheques municipales classees«). Mit ihren wertvollen Altbeständen und wissenschaftlichen Neubeständen ζ . T. den Universitätsbibliotheken überlegen, dienen diese »qualifizierten« Stadtbibliotheken auch als universitäre und regionale Ergänzungsbibliotheken. Das allgemeinbildende öffentliche Büchereiwesen tritt in Frankreich erst relativ spät hinzu und ist noch nicht zureichend entwickelt, erhält aber in der zweiten Hälfte des 20. Jh. Auftrieb durch die Gründung von öffentlichen Bezirks-Ausleihbibliotheken auf Departementsebene (»Bibliotheques centrales de pret«). - Als zentralisierter Staat erhält Frankreich auch früh eine zentrale Bibliotheksverwaltung. Sie wird manifest mit der Beschlagnahmeaktion der Kloster-, Universitäts-, Adels- und Emigrantenbibliotheken (ca. 7 Millionen Bände) durch die französische Revolutionsregierung (1789-92), mit der Bildung von Bücherdepots (»Dipots Ιίηέ^ΪΓεβ«) in allen Landesteilen, dem Versuch zur Erstellung eines ersten Gesamtkatalogs dieser nationalisierten Buchbestände (in Karteiform, nach einheitlichen Katalogregeln) und schließlich der Verteilung dieser Bestände auf die zentralen Bibliotheken in Paris und auf die Stadtbibliotheken ganz Frankreichs (1803). Bei aller Verschiedenheit im einzelnen, lehnt sich die Aktion im ganzen doch an Erfahrungen und Grundzüge der kurz zuvor erfolgten österreichischen Bibliotheksreform des 18. Jh. an. - Der Bibliothekszentralismus Frankreichs führt, parallel zur politischen und kulturellen Überbetonung der Hauptstadt Paris, auch zu ungleichgewichtiger Entwicklung des Bibliothekswesens, mit »kopflastiger« Überdimensionierung des Bibliotheksensembles der Hauptstadtregion, der gegenüber alle andern Regionen Frankreichs stark provinziell abfallen. Der Bibliothekszentralismus Frankreichs wird auch in wiederholten Gleichschaltungsmaßnahmen des 19. Jh. greifbar und gipfelt 1945 in der Errichtung der »Di-
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rection des Biblioth^ques de France et de la Lecture Publique«, der alle staatlichen Bibliotheken (einschließlich der D^partementsbibliotheken), aber auch die halbstaatlichen Stadtbibliotheken unterstehen, und die damit administrativ die Einheit des französischen Bibliothekswesens garantiert. Sie dirigiert in oberster Instanz alle Gemeinschaftsunternehmungen des Bibliotheksgebiets Frankreich (Gesamtbevölkerungszahl: 50 Millionen). Sie ist organisatorisch verzahnt mit der Generaldirektion der Bibliotheque Nationale zu Paris, die somit als Zentrale des französischen Bibliothekswesens fungiert. Paris: Bibliotheque Nationale. - Schon im Mittelalter besitzen französische Könige private Büchersammlungen. In der Renaissancezeit gewinnen zwei königliche Schloßbibliotheken besondere Bedeutung: Blois und Fontainebleau. In Schloß Blois, einer bevorzugten Loire-Residenz, wird um I J O O die königliche Hausbibliothek aufgestellt (angelegt schon seit ca. 1480, unter Einschluß weiterer von auswärts erworbener Fürstenbibliotheken). 1 5 1 8 gründet König Franz I. von Frankreich in Fontainebleau eine zweite Schloßbibliothek, mit deren Verwaltung er alsbald den Humanisten Guillaume Bud£ (Budaeus) als »maitre de librairie« hauptamtlich betraut. Die Bibliothek wird damit (neben der Vaticana in Rom) eine der frühesten hauptamtlich geleiteten Bibliotheken der europäischen Neuzeit. Mit mehreren Verordnungen von 1536/37 begründet König Franz I. auch das erste Pflichtexemplarrecht der Welt, zunächst für Blois (1536), im Zusammenhang mit der Erteilung des königlichen Druckprivilegs (Zensurgenehmigung und Nachdruckschutz). Mit der Verlegung der Schloßbibliothek von Blois nach Fontainebleau (1544), der Vereinigung beider Sammlungen zur »Bibliotheque du Roi« und der schließlichen Überführung der Gesamtbibliothek nach Paris (1567) entsteht die französische Hofbibliothek. - In der Barockzeit wird sie zu einer der reichsten und glänzendsten Hofbibliotheken Europas, großzügig gefördert durch König Ludwig X I V . und sorgfältig verwaltet unter der Oberaufsicht des Ministers Jean-Baptiste Colbert, zu dessen Ressort sie in der 2. Hälfte des 17. Jh. gehört. Eine neuerliche Blütezeit folgt mit dem Direktorat von Jean Paul Bignon ( 1 7 1 9 - 4 1 ) . Bignon verschafft der Bibliotheque du Roi 1720 eine geräumige Unterkunft in einem adaptierten Adelspalais (im Gebäudekomplex der ehemaligen Residenz des Premierministers Kardinal Mazarin, dem Kernstück auch des heutigen Bibliotheksdomizils). Nach Lösung des Raumproblems führt er die Benutzungsöffentlichkeit ein (1735), allerdings zunächst auf Gelehrte und ähnliche Interessenten beschränkt. Er reorganisiert den Gesamtbetrieb der Bibliothek und gliedert sie in mehrere Abteilungen, als objektbezogene Sammlungen: Druckschriftenabteilung, Handschriftenabteilung, Kupferstich- und Bildsammlung, Münzen- und Medaillensammlung. - Nach der Französischen Revolution (1789) wird die Bibliotheque du Roi zur »Bibliotheque Nationale« (1792). Sie erfährt aus dem Revolutionsbeschlagnahmegut französischer Kloster-, Adels- und Universitätsbibliotheken einen ungeheuren Bestandszuwachs an Handschriften und gedruckten Büchern (ca. 300 000 Bände). Die vom Bibliothekar Joseph van Praet geleitete Buchübernahmeaktion macht die Bibliotheque Nationale binnen weniger Jahre zur größten Bibliothek Europas. Im Zeitalter Napoleons I.
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fließen der Bibliothek weitere reiche Bücherschätze zu, die der Kaiser bei seinen Eroberungskriegen als Beute beschlagnahmt. Ein Teil der Beutezugänge wird nach Ende der napoleonischen Ära durch eine alliierte Bücherrückführungskommission in Paris (unter ihren Mitgliedern Jakob Grimm) wieder für die ausländischen Vorbesitzerbibliotheken in Anspruch genommen. - Dennoch bleibt die Bibliotheque Nationale zu Paris auch nach dem Wiener Kongreß die bestandsstärkste Bibliothek Europas. Andererseits belastet das Problem der Bestandsintegrierung, Unterbringung und einheitlichen Katalogisierung (in München bei vergleichbaren Verhältnissen innerhalb angemessener Zeit beispielgebend gelöst) hier mehr als ein halbes Jahrhundert den Bibliotheksbetrieb. Die Lösung dieser Schwierigkeiten erfolgt erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh.: unter dem Direktorat von Jules Taschereau (1852-74) und Leopold Delisle (seit 1871 Leiter der Handschriftenabteilung, Generaldirektor 1874-1905). Taschereau setzt die unabweislich gewordenen Raumerweiterungen und Ausbauten durch: auf dem erweiterten Gelände ihres bisherigen Domizils, nach dem Londoner Anbauvorbild Panizzis (Magazine, Stahlbauweise, Großlesesäle). Delisle leistet dann die innerbetrieblichen Reformen. Er schafft den längst überfälligen einheitlichen Katalog für alle Druckschriftenbestände (der seit den Revolutionszugängen fehlte), entwickelt einheitliche Katalogregeln dafür, beginnt die Druckausgabe dieses Catalogue ge^rale (1897) und läßt für die Neuzugänge Titeldrucke ausgeben (1874). Er führt die Numerus-currens-Aufstellung ein und reorganisiert den Geschäftsgang. Er stärkt die Beteiligung der Bibliotheque Nationale an den Gemeinschaftsunternehmungen des französischen Bibliothekswesens. Sie wirkt mit bei der Redaktion des französischen Handschriften-Gesamtkatalogs (ab 1885), bei der Nationalbibliographie (die Napoleon I. 1 8 1 1 als erste der Welt begründet hatte), bei der Ausbildung der Bibliothekare (für deren Vorbildung schon 1847, zuerst in der Welt, eine Qualifikationsregelung eingeführt worden war und denen traditionell ein Spezialausbildungsangebot an der Pariser Archiv- und Urkundenschule, Ecole des Chartes, offen stand) und bei den 1879 eingeführten Bibliothekarprüfungen. - Ihr Einfluß als Nationalbibliothek wird dezidiert und nachhaltig. Er kulminiert unter dem Generaldirektor Julien Cain (der auch das erste Speichermagazin Europas 1932-36 in Versailles erbaut) mit der Errichtung der »Direction des Bibliotheques de France et de la Lecture Publique« (1945, vgl. oben), die dem jeweiligen Generaldirektor der Bibliotheque Nationale umfassende Weisungsbefugnis über das gesamte französische Bibliothekswesen einräumt. Heute gehört die Bibliotheque Nationale zu den größten und zugleich kostbarsten Bibliotheken der Welt (7 Millionen Bände, reichste Bestände an Inkunabeln, Handschriften, Kupferstichen, Bildern, Landkarten, Münzen usw.). Paris: Weitere Bibliotheken. - Eine der bedeutendsten Bibliotheksstädte der Welt, beherbergt Paris eine stattliche Zahl weiterer Bibliotheken. Zu den nationalen Großbibliotheken gehört, neben der Bibliotheque Nationale (vgl. oben), u. a. die Bibliotheque Mazarine. In der Barockzeit durch Stiftung des Premierministers Kardinal Jules Mazarin gegründet (1643), v o n vornherein als öffentliche wissenschaftliche Bibliothek konzipiert, entwickelt sie der Bibliotheksreformer Gabriel
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Naude (der 1627 mit seiner bibliothekstheoretischen Schrift »Advis pour dresser une bibliotheque« hervorgetreten war) zu einer der frühen europäischen Bibliotheken mit liberaler Präsenzbenutzung (nach dem damals aktuellen Vorbild Mailands und Oxfords). Später als zusätzliche Staatsbibliothek weitergeführt, im 20. Jh. vorübergehend der Biblioth£que Nationale als Außenstelle angeschlossen, wird sie 1945 dem Institut de France, zusätzlich zu dessen eigener Bibliothek, eingegliedert (jenem Rahmenverband der französischen Akademien zu Paris, zu dem u. a. die Academie Franjaise und die Academie des Sciences gehören). - Eine andere Pariser Staatsbibliothek entsteht in der Zeit der Französischen Revolution aus zusammengelegten und verstaatlichten Privatbüchersammlungen und erhält, weil im Arsenalgebäude (Zeughaus) untergebracht, den Namen »Bibliotheque de /'Arsenal« (gegr. 1793, eröffnet 1797). Reich an Kostbarkeiten, mit Schwerpunkt auf den Humaniora, staatliche Ausleihbibliothek (im Gegensatz zum Präsenzcharakter der Bibliothfeque Nationale), ist sie heute die drittgrößte Bibliothek Frankreichs. - Eine weitere öffentliche wissenschaftliche Bibliothek, die Bibliotheque S(ain)te Genevieve, fußt auf alten Beständen des Pariser Klosters der hl. Genoveva. Im 17. Jh. durch reiche Bücherstiftung eines äbtlichen Mäzens zur wissenschaftlichen Studienbibliothek aufgestiegen (1624), im 18. Jh. öffentlich, wird sie nach der Revolution verstaatlicht ( 1 7 9 1 ) und als zusätzliche Staatsbibliothek weitergeführt. Ihr Neubau, Mitte des 19. Jh. (1843-50, Architekt: Henri Labrouste), erster Bibliotheksbau der Welt mit Stahlkonstruktion, wirkt epochemachend (und verfügt, nach München, auch bereits über einen frühen Magazinanteil). Im 20. Jh. wird die Bibliotl^que Ste. Genevi£ve, unter Beibehaltung ihres öffentlichen Charakters, den Pariser Universitätsbibliotheken als zentrale Ausleihbibliothek angegliedert. - Die Universität Paris, eine der ältesten Europas, geht aus der mittelalterlichen Kathedralschule hervor. Sie nimmt ab ca. 1 1 5 0 , neben hervorragenden Pariser Studienklöstern (Ste. Genevi£ve, St. Victor), die Hochschulausbildung auf, wird ab 1 1 8 0 durch andere Kollegien ergänzt und durch Privileg von 1200 mit diesen zur Universität (Studium generale) zusammengefaßt. Unter den später hinzugekommenen weiteren Kollegien ragt das 1253 von Robert de Sorbon (Sorbona) gestiftete und nach ihm benannte Kolleg heraus, dessen Kollegienbibliothek allmählich zur Hauptbibliothek der Universität anwächst. Im 14. Jh. gliedert sich die Sorbonne-Bibliothek in einen Kernbestand (wichtige Standardwerke, deshalb »Libraria magna«, Kettenbände zur Präsenzbenutzung) und einen umfangreicheren Studienbestand (weniger wichtige Werke, Doppelkopien, deshalb »Libraria parva«, mit Ausleihmöglichkeit gegen Pfandhinterlegung). Diese alte Traditionsbibliothek übersteht die Französische Revolution nur mit Teilbeständen. Aber eine jüngere Sorbonne-Studienbibliothek der Aufklärungszeit (gegr. 1765) setzt die Bibliothekskontinuität auch nach der Revolution fort, nimmt die Restbestände der älteren Sorbonne-Bibliothek auf und wird aus Revolutionsbeschlagnahmegut weiter aufgestockt. Diese moderne »Bibliotheque de la Sorbonne«, Universitätsbibliothek für Geistes- und Naturwissenschaften, bildet zusammen mit mehreren Fakultätsbibliotheken (für Jura, Medizin, Pharmazie), mit der Bibliotheque Ste. Genevieve (vgl. oben) und weiteren Fachbereichs· und Institutsbibliotheken das universitäre Bibliothekssystem der Pariser
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Gesamtuniversität (die seit 1971 aus mehreren parallelen Teiluniversitäten besteht). — Außer den Universitäten besitzt Paris eine Reihe weiterer Hochschulen, darunter mehrere, die zu den frühesten technischen Lehranstalten Europas zählen, u. a. die ßcole Nationale des Ponts et Chauss&s (Bauhochschule, gegr. 1747) und die ßcole Nationale Supirieure des Mines (Bergbauhochschule, gegr. 1783). — Als Hauptstadt eines zentralisierten Großstaates verfügt Paris über zahlreiche Spezial-, Zentral- und Behördenbibliotheken. - A u f internationaler Ebene ist es Sitz der U N E S C O (Wissenschafts-, Kultur- und Erziehungsorganisation der Vereinten Nationen). Frankreich (Nord): Bibliotheken. - Obwohl sorgfältig ausgestattet und nicht ohne Niveau, bleiben alle Bibliotheken des provinziellen Frankreich merklich unterhalb der bibliothekarischen Höhenmarke der Hauptstadtregion Paris. Besonders in Frankreichs Nordhälfte steht das Bibliothekswesen im Schlagschatten von Paris. Hier nehmen aber jüngst einige Universitäts-Neugründungen ältere Traditionen wieder auf: so in Ronen (gegr. 1966) und Tours (gegr. 1962). - Stärkeres Eigenprofil zeigen die Bibliotheksorte außerhalb der Kerngebiete Alt-Frankreichs, besonders im französischen Osten, der historisch lange Zeit mit dem Römisch-deutschen Reich verbunden war, der deshalb mitteleuropäische Einflüsse zeigt und kulturell in Zusammenhang mit den bis heute außerhalb Frankreichs verbliebenen französischsprachigen Gebieten Belgiens und der Schweiz steht. Hier finden sich alte Universitäten aus der Renaissancezeit mit heute wieder bedeutenden Universitätsbibliotheken, u. a. in Lille (gegr. 1562), der alten Hauptstadt Westflanderns, und Nancy (gegr. 1572), der alten Hauptstadt des Herzogtums Lothringen, die beide erst im 18. Jh. endgültig an Frankreich fallen. - Im Elsaß gewinnt die kulturelle Übergangszone ausgeprägte Ambivalenz. Lange Zeit deutschsprachig, heute zweisprachig, bis zum 17. Jh. politisch bei Deutschland, dann bei Frankreich, mit mehrfachem späteren Zugehörigkeitswechsel, im Süden ζ. T. mit historischer Bindung an die Schweiz, ist das Elsaß heute eine Landschaft deutsch-französischer Kultursynthese. Bibliotheksmäßig voll ins französische Bibliothekswesen integriert, tritt es doch mit seinem bedeutendsten Bibliotheksort Straßburg (vgl. unten) deutlich aus diesem Rahmen heraus. - (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Amiens; Angers; Besan9on; Brest; Caen; Compiegne; Dijon; Metz; Nantes; Orleans; Poitiers; Reims; Rennes; Valenciennes). Straßburg. - Die heutige Universität Straßburg geht auf die Initiative der deutschsprachigen Freien Reichsstadt zurück. Deren akademisches Ratsgymnasium (gegr. 1538, seit 1566 theologische Akademie) wird 1621 in eine Volluniversität umgewandelt. Die Straßburger Rats- und Stadtbibliothek (gegr. 1531) dient seitdem zugleich als Universitätsbibliothek. Auch nach der Übernahme der Stadt durch Frankreich bleiben die Universitätsverhältnisse zunächst unverändert, passen sich aber nach der Französischen Revolution der Entwicklung der übrigen französischen Universitäten an: Aufgabe der zentralen Universitätsbibliothek, Weiterführung mit einer Seminarbibliothek, in Symbiose mit einer neuen Stadtbibliothek (gegr.
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1765, die beide im Krieg 1870/71 Totalschaden erleiden). Nach 1871 baut die nun wieder zuständige deutsche Verwaltung aus kulturpolitischen Gründen, unter dem Direktorat von Karl August Barack, eine mustergültige Universitäts- und Landesbibliothek auf: mit großzügigem Bestandsausbau, repräsentativem Neubau (1889, architektonisch dem Reichstagsgebäude in Berlin ähnlich) und modernen Betriebseinrichtungen unter Verwendung von Neuerungen des Straßburger Kunstschlossers Robert Lipman (»Lipman-Regale«, mit rationellen Zahnleisten und leicht verstellbaren Eisenblechlegeböden; »Lipman-Kapseln« mit metallenen Rückenschließen für die Zettelkataloge). Auch die französische Verwaltung, ab 1919 wieder zuständig, bleibt auf dem Präferenzkurs für Straßburg, ja intensiviert ihn noch. Durch diesen deutsch-französischen Kulturwettstreit steigt die Universitätsbibliothek Straßburg zu einer europäischen Großbibliothek auf und ist, nach dem 2. Weltkrieg durch Ernest Wickersheimer reorganisiert, heute als »Biblioth£que Nationale et Universitaire« die zweitgrößte Bibliothek Frankreichs. Frankreich (Süd): Bibliotheken. - Die Südhälfte Frankreichs hat kulturell stärkeres Eigengewicht und Eigenbewußtsein gegenüber der nördlichen Zentralhauptstadt Paris. Alte historische, politische und kulturelle Verbindungen zu den romanischen Nachbarländern sind hier lebendig geblieben: über die Pyrenäen hinweg (Kulturzusammenhang der Gascogne und Langue d'oc mit dem spanischen Gebiet von Katalonien, Aragon und Navarra) und über die Alpen hinweg (Kulturzusammenhang der Provence, Dauphini und Französisch-Savoyens mit Oberitalien) und im gesamtmediterranen Bereich. - Hier entstehen, abgesehen von Paris, Frankreichs früheste Universitäten: Toulouse (gegr. 1229) und Montpellier (Vorläuferhochschule gegr. 1180, Universität gegr. 1289). Montpellier ist durch Mittelalter und frühe Neuzeit hindurch eine europäische Hochburg der medizinischen Studien, mit bedeutender Universitätsbibliothek, auch nach dem Rückschlag durch die Französische Revolution bald erneut reich ausgestattet. - Unter den übrigen Bibliotheksorten Südfrankreichs ragen heraus: Bordeaux mit Universität (gegr. 1441) und alter wissenschaftlicher Stadtbibliothek (gegr. 1736); Marseille, das heute mit mehreren Fakultäten an der benachbarten Gesamtuniversität Aix-en-Provence Anteil hat (gegr. 1409); und Lyon (vgl. unten). - (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Clermont-Ferrand; Grenoble; Nizza/Nice; St. Etienne; Toulon.) Lyon. - Wichtigster Bibliotheksort des französischen Südens ist Lyon, heute mit den Vororten des Umland-Großraums (»Agglomeration«) Millionenstadt, Zentrum des nächst Paris zweitgrößten industriellen Ballungsraums in Frankreich. Schon im Mittelalter unter den namhaften europäischen Buchorten (Klosterbibliotheken, Kathedralbibliothek), in der frühen Neuzeit Zweitzentrum des französischen Inkunabel- und Frühdrucks, ist Lyon heute außerhalb von Paris wichtigster Kultur- und Wissenschaftsmittelpunkt Frankreichs, mit großer staatlicher Universität (gegr. 1809), der ältesten veterinärmedizinischen Hochschule der Welt (gegr. 1762), mehreren weiteren Hochschulen (u. a. katholische Universität, Technische Hochschule), bedeutender wissenschaftlicher Stadtbibliothek (gegr. 1693) und Buchmuseum.
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Belgien (Wallonien): Bibliotheken. - Die Bibliotheken Walloniens, des französischsprachigen Belgien, bilden mit denen des übrigen Belgien eine Einheit und stimmen in Struktur und Habitus zum mitteleuropäisch orientierten Bibliothekswesen der gesamten Benelux-Region (vgl. Benelux, S. 158 f f . ; bes. Belgien). In der Zeit der habsburgischen Niederlande ist Lille Sitz einer wallonischen Universität (gegr. 1562). Nach dem Übergang der Stadt an Frankreich erfolgen neue wallonische Universitäts-Gründungen erst im 19. J h . : Lüttich ( = französisch Li£ge, gegr. 1817), Brüssel (vgl. unten) und einige kleinere (u. a. die Universitäten in Namur und Möns). Mit der Königlichen Bibliothek ist Brüssel Zentrale des belgischen und damit auch des wallonischen Bibliotheksgebiets (Gesamtbevölkerungszahl Belgiens: 9,5 Millionen; davon 4 Millionen französischsprachige Wallonen). Brüssel. - In die burgundische Epoche verfeinerter französisch-niederländischer Gemeinschaftskultur des 1 j . J h . fällt die bibliophile Sammeltätigkeit und Buchauftragsvergabe der Burgunderherzöge (bes. Philipps des Guten und Karls des Kühnen). Die Büchersammlungen aus mehreren Hofhaltungen (Dijon in der französischen Bourgogne und Gent in Flandern) werden später zusammengezogen, fallen durch Erbschaft an die Habsburger und bilden schließlich Mitte des 16. J h . den Grundstock für die durch König Philipp II. von Spanien in Brüssel, der neuen habsburgischen Statthalterhauptstadt, gegründeten »Bibliotheque de Bourgogne« (1J69). Nach der Konstituierung des unabhängigen Königreichs Belgien (1830) wird in der neuen Landeshauptstadt Brüssel die »Bibliotheque Royale* als Nationalbibliothek geschaffen (1837, niederländisch: »Koninklijke Bibliotheek«), unter Eingliederung mehrerer Bibliotheken (u. a. der alten »BibliothJque de Bourgogne« und nachträglich auch der Stadtbibliothek Brüssel). Großzügig gefördert, in der zweiten Hälfte des 20. Jh. unter dem Direktorat von Herman Liebaers reorganisiert, gehört sie heute zu den großen Bibliotheken Europas und übt zentrale Funktionen für das belgische Bibliothekswesen aus. - Als Hochschulstadt verfügt Brüssel über mehrere Universitäten und Hochschulen, darunter die Freie Universität (gegr. 1834, seit 1970 in zwei Teiluniversitäten, mit französischer und niederländischer Unterrichtssprache, gegliedert). - Die Verwaltungskapitale Brüssel, im Umland-Großraum (»Agglomeration«) heute eine zweisprachige Millionenstadt, Landeshauptstadt von Belgien, Benelux-Hauptstadt (Generalsekretariat der Benelux-Länder), EuropaHauptstadt (Kommission der Europäischen Gemeinschaft), ist Sitz zahlreicher Zentral- und Behördenbibliotheken sowie der belgischen Akademie der Wissenschaften. Schweiz (französische Schweiz): Bibliotheken. - Das Bibliothekswesen der französischen Schweiz bildet mit dem der übrigen Schweiz eine Einheit, teilt deren historische Entwicklung (vgl. Schweiz, S. 15 j f f . ) und ist mit seinen Zentraleinrichtungen und Gemeinschaftsunternehmen auf die Schweizerische Landesbibliothek (französisch: »Biblioth£que Nationale Suisse«) in Bern orientiert. - Es gibt regionale Kantons- und lokale Stadtbibliotheken. Ζ . T. sind sie aus den alten Hochschulbibliotheken hervorgegangen oder umgekehrt mit deren Aufgaben nachträglich betraut worden, entsprechend der auch sonst in der Schweiz üblichen Funktionen-
Französisches Europa bündelung der Bibliotheken. Universitäten der »Suisse romande« finden sich u. a. in: Lattsanne (als theologische Akademie gegr. 1537, Volluniversität 1890), Genf (vgl. unten), Neuchatel (gegr. 1838) und Fribourg ( = Freiburg im Üchtland, gegr. 1899, mit Französisch und Deutsch als Unterrichtssprachen). Genf. - Das Bibliotheks-Ensemble von Genf ( = französisch GenJve) hat internationalen Zuschnitt. Die Universität Genf, 1559 durch den Reformator Johannes Calvin als theologische Akademie gegründet, später zur Volluniversität weiterentwikkelt (1873), ist seit dem 16. Jh. internationales Zentrum der calvinistischen Theologie, ihre Bibliothek fungiert kombiniert als Universitätsbibliothek und öffentliche wissenschaftliche Bibliothek. - Als »protestantisches Rom« ist Genf Sitz der Zentralstellen mehrerer kirchlicher Weltorganisationen (des Reformierten Weltbundes, des Lutherischen Weltbundes, des ökumenischen Rats), als internationale Verwaltungskapitale ist es Sitz zahlreicher zwischenstaatlicher Einrichtungen und Weltorganisationen (der europäischen Außenstelle der Vereinten Nationen, des Internationalen Arbeitsamts, des internationalen Ausschusses des Roten Kreuzes, der Weltgesundheitsorganisation, der Meteorologischen Weltorganisation u. a. m.). Sie alle verfügen über ζ. T. bedeutende internationale Spezialbibliotheken, darunter die europäische Bibliothek der Vereinten Nationen, Bibliotheque des Nations Unies (gegr. 1920 als Völkerbundsbibliothek).
Ε 6. Italienisches Europa Allgemeines. - Das heutige Italien gewinnt seine staatliche Einheit erst im 19. Jh. Davor liegt ein Jahrtausend italienischer Dreiteilung. Die Nordhälfte Italiens, d. h. Oberitalien und die Toskana (mit Ausnahme Venedigs) gehört seit dem 10. Jh. zum supranationalen Römisch-deutschen Reich, dessen Geschicke es bis ins 18. Jh. teilt und von dem es auch die dort übliche Regionalgliederung in Einzelterritorien übernimmt. Die Südhälfte Italiens bildet ein eigenes Staatsgebilde mit wechselnder Herrschaftszugehörigkeit und steht schließlich auf ein halbes Jahrtausend (mit geringen Unterbrechungen) in enger Verbindung zu Spanien. Zwischen beide Hälften schiebt sich, ebenfalls auf ein Jahrtausend, der päpstliche Kirchenstaat. Durch die Zäsur des napoleonischen Zeitalters modifiziert, endet die Teilung Italiens erst Mitte des 19. Jh. Dem historisch gewachsenen Regionalprofil trägt der heutige Gesamtstaat Italien durch Regionalautonomie Rechnung. - Kulturell hat die italienische Nation ihre Einheit auch in den Jahrhunderten der politischen Zersplitterung gewahrt. Durch alle Jahrhunderte gehört Italien zu den kulturell bedeutendsten und fruchtbarsten Ländern Europas. Durch eigene genuine Leistung ebenso wie als Paradigma und Katalysator ein nicht wegzudenkendes Ingrediens europäischer Kulturentwicklung! - Durch seine »geographische Nähe« zur Antike und durch seine Nachbarlage zum byzantinischen und arabischen Kulturbereich des Mittelalters wird Italien vom 13. Jh. an zum kulturellen Vorbild und zur kulturellen
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Führungsmacht Europas. Es gründet die frühesten europäischen Universitäten (12./ 1 3 . Jh.), die ersten weltlichen wissenschaftlichen Bibliotheken (15./16. Jh.), literarische und wissenschaftliche Akademien. Mit Renaissance und Humanismus, dem Aufblühen der Künste und Wissenschaften und der Entfaltung der frühkapitalistischen Stadtwirtschaft setzt Italien im 1 4 . - 1 6 . Jh. das Signal zur Ablösung des Mittelalters und gibt in diesem Zeitalter die Initialzündung zum epochalen Aufschwung ganz Europas in der Neuzeit. Italienisches Europa: Bibliothekswesen. - Am allgemeinen Kulturaufschwung Italiens in Spätmittelalter und Renaissance partizipiert auch das italienische Bibliothekswesen. Die Hauptsparten des neuzeitlichen Bibliothekswesens werden zuerst in Italien, früher als im übrigen Europa, entwickelt. Hier liegen im Spätmittelalter die frühesten und anfangs die meisten Universitäten und Hochschulen Europas. Zunächst (wie überall in Europa) nur mit Kollegienbibliotheken. In der Renaissance gewinnen hier zuerst fürstliche Schloßbibliotheken Permanenz und werden zu Hofbibliotheken. Hier entstehen die frühesten öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken und die ersten Stadtbibliotheken. Italien initiiert mit der neuen europäischen Kultur der Renaissance und des Humanismus recht eigentlich das europäische Bibliothekswesen der Neuzeit. Und mit dem neuen Bibliothekswesen entwickelt es zuerst in Europa differenziertere Methoden der Bibliotheksverwaltung: Darbietung hinreichender Buchbestände auf allen Fachgebieten; Öffentlichkeit der Benutzung (wenn auch zunächst noch exklusiv und als Präsenzbenutzung); selbständige Unterbringung in Bibliothekssälen (zunächst nach dem Pultsystem, dann nach dem Saalsystem mit Wandschränken und Wandregalen); Anfänge zur Abteilungsgliederung bei größeren Bibliotheken; Vorstufen eines festen jährlichen Anschaffungsetats (Vorausfonds); hauptamtliches Bibliothekspersonal. Die Blüte des italienischen Bibliothekswesens dauert bis ins 18. Jh. - Ende des 18. Jh. erfolgt ein merklicher Abschwung des italienischen Bibliothekswesens, im 19. Jh. offene Stagnation und erst im 20. Jh. wieder ein langsamer Auftrieb. Die eigentliche Ursache der zeitweiligen und noch immer nicht ganz überwundenen Fortschrittsverlangsamung (und damit Zurückgebliebenheit) ist wirtschaftlicher Art. Die Wirtschaftsexpansion des Industriezeitalters setzt in Italien später ein als in den mittleren und nördlichen Breiten Europas. Und eigentlich nur in Norditalien (während Süditalien unterentwickelt bleibt). Unausgeglichene Sozialverhältnisse aggravieren die Situation. Die unzulängliche finanzielle Basis des Bibliothekswesens bedeutet: zu geringe Anschaffungsetats; zu langsames Anwachsen der neueren Bestände (und damit Überalterung der Gesamtbestände); unzureichende Personaldecke; mangelnde Technisierung und Mechanisierung des Bibliotheksbetriebs; zu wenig bedarfsorientierte Neubautätigkeit (und damit flagranter Raummangel). Trotz der angespannten Situation bleibt das italienische Bibliothekswesen bedeutend. Es liegt nicht mehr in Führung, aber im ganzen doch beim guten Durchschnitt. Und seine hervorragenden und breit gestreuten Altbestände behaupten nach wie vor die Weltspitze. - Unter den Bibliothekstypen dominiert die Regionalbibliothek. Die historische Vielfalt der italienischen Territorien schafft eine ebensolche Vielfalt an Hofbibliotheken und
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öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken in den Territorialhauptstädten. Im vereinten Italien (zweite H ä l f t e des 19. Jh., 20. Jh.) werden sie zu ebenso vielen Regionalbibliotheken. Sie unterstehen zwar, zentralisiert, gesamtstaatlicher Verwaltung und Trägerschaft, behalten aber ihren regionalen Wirkensbereich im Rahmen der aus den alten Territorien hervorgegangenen, administrativ und kulturell autonomen Regionen. Sie sind nach Allgemeinbedeutung und Bestandsvolumen die wichtigsten Bibliotheken Italiens. Die größten unter ihnen tragen die Bezeichnung »Biblioteca Nazionale«, die übrigen »Biblioteca governative« (staatliche Bibliothek). - Alt ist auch der T y p der wissenschaftlichen Stadtbibliothek, mit Gründungen bis zurück ins 1 5 . Jh., häufig aber aus dem 18. und 19. J h . Das allgemeinbildende öffentliche Büchereiwesen fehlt in Italien lange Zeit und läuft erst jüngst an. - Universitäre Bibliotheken entstehen, von Anfang an, mit den frühesten Universitäten: zunächst als Kollegienbibliotheken, später auch als Fakultätsbibliotheken. Die zentralen Universitätsbibliotheken bilden sich in Italien dagegen erst sehr viel später heraus: ζ. T. im 17., öfters im 18. Jh., und manche Universitäten haben bis heute keine zentrale Universitätsbibliothek. D a f ü r gibt es an den Universitäten zahlreiche, ζ. T. gut ausgestattete Instituts- und Fakultätsbibliotheken, jedoch häufig in unkoordiniertem Nebeneinander. - Obwohl urbane und universitäre Bibliothekssysteme und Netzbildungen nur in Ansätzen bestehen, übt die Generaldirektion der staatlichen Bibliotheken (Ministerialeinrichtung in Rom) auf nationaler Ebene einen effektiven Bibliotheksdirigismus aus, kontrolliert die Regional- und Universitätsbibliotheken und schafft den Rahmen f ü r Gemeinschaftsunternehmungen des italienischen Bibliothekswesens. Mit einer der avantgardistischen Gemeinschaftsunternehmungen des 19. J h . leistet das soeben staatlich geeinte Italien erneut einen genuinen Beitrag zur Weltbibliotheksentwicklung: mit der ersten im Rahmen eines Großstaates institutionalisierten Fernleihe der Welt, 1879. Hauptzentrale des Bibliotheksgebiets Italien (Gesamtbevölkerungszahl: 53 Millionen) ist die Nationalbibliothek in Florenz, Komplementärzentrale die Nationalbibliothek in Rom. Oberitalien, Toskana: Bibliotheken. - Wirtschaftliches, soziales, kulturelles und auch bibliotheksmäßiges Schwerpunktgebiet ist die Nordhälfte Italiens: Oberitalien mit Einschluß der Toskana. Hervorgegangen aus dem Langobardenreich, tritt das Gebiet (mit Ausschluß von Venedig) unter K a r l dem Großen in Personalunion zum Frankenreich und ist seit dem 10. Jh. ein konstituierendes Kerngebiet des Römischdeutschen Reichs. Die während des Spätmittelalters im ganzen Reich einsetzende Herausbildung von fürstlichen Einzelterritorien und Stadtrepubliken (Freien Reichsstädten) gilt auch f ü r Oberitalien und die Toskana. Deshalb zeigt auch die aufblühende Kulturentwicklung in Spätmittelalter und Renaissance hier ausgeprägte regionale Nuancierung. Auch die Bibliotheksentwicklung vollzieht sich regional und territorial. Die Hauptbibliotheken der alten Territorien sind noch heute die gewichtigsten Bibliotheken der autonomen Regionen. - Im ehemaligen Großherzogtum und der heutigen autonomen Region Toskana wird die Landeshauptstadt Florenz zum führenden Bibliotheksort auf nationaler Ebene (vgl. unten). - Die autonome Region Lombardei, Kernlandschaft des alten Langobarden-
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reichs, in der Neuzeit habsburgisches Herzogtum (»Mailand«), dann habsburgisches Königreich (»Lombardie«), von wirtschaftlicher Präponderanz während der gesamten Neuzeit, heute wichtigster industrieller Ballungsraum Italiens, hat seine Wissenschafts- und Bibliotheksschwerpunkte im überragenden Mailand (vgl. unten) und in der alten lombardischen Zweithauptstadt Pavia. Deren Universität, eine der berühmtesten Europas (gegr. 1361 durch Kaiser Karl IV., den Gründer auch der Prager Universität), erhält jedoch erst im 18. Jh. die zentrale Universitätsbibliothek, im Rahmen der gesamtösterreichischen, theresianisch-josephinischen Bibliotheksreform. - Die westlichen Regionen machen das alte Territorium SavoyenPiemont aus, das Anfang des 18. Jh., um weitere Territorien vermehrt, zum »Königreich Sardinien« avanciert und im 19. Jh. Kristallisationslandschaft der Einigung Italiens wird. Die Hauptstadt Turin, heute zweitgrößte Industriestadt Italiens, Millionenstadt, Westzentrum des sich von der Lombardei her fortsetzenden größten industriellen Ballungsraums Italiens, ist zugleich ein wichtiges Bibliotheksund Hochschulzentrum: mit Universität (gegr. 1405), Technischer Hochschule (gegr. 1859), weiteren Hochschulen und Nationalbibliothek (alte Hofbibliothek, gegr. 1720, die zugleich als zentrale Universitätsbibliothek dient). - Die autonome Region Emilia-Romagna (in der östlichen Hälfte der Po-Ebene) geht nicht auf ein einheitliches Großterritorium zurück, sondern setzt sich aus mehreren kleineren Gebietsteilen zusammen. Einige der ehemaligen Residenzstädte treten bibliotheksgeschichtlich mit angesehenen Hofbibliotheken hervor. Dazu gehört Ferrara, im 15. und 16. Jh. ein Hauptbrennpunkt der Renaissance und des Humanismus, mit zeitweilig bedeutender Universität (gegr. 1391) und, am »Musenhof« der Dynastie Este, mit brillanter Renaissance-Bibliothek. Bei der Verlegung der Este-Residenz nach Modena (1J98) wird auch die Hofbibliothek von Ferrara dorthin transferiert. Heute ist sie als »Biblioteca Estense« staatliche Bibliothek (jedoch nicht als »Biblioteca Nazionale« eingestuft). Unter den Universitäten der Region (zu denen auch die von Modena gehört) ragt die von Bologna, (vgl. unten) auf Weltebene heraus. Bedeutendstes Bibliothekszentrum im Nordosten ist "Venedig (vgl. unten). Durch das allmähliche territoriale Übergreifen der Republik Venedig auf das Festland (heutige autonome Region Venezien) wird im 1 5. Jh. auch Padua mit seiner alten Universität (gegr. 1222) in den venezianischen Macht- und Kulturbereich einbezogen, öffnet sich verstärkt dem in Venedig prädominierenden byzantinischen Kultureinfluß, steigt in der Renaissancezeit zum europäischen Zentrum der humanistischen und gräzistischen Studien auf und wird auch führend in der Medizin und den Naturwissenschaften, erhält aber erst im 17. Jh. seine zentrale Universitätsbibliothek. — (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten mit entsprechenden Bibliotheken bestehen u. a. in: Genua; Parma; Pisa; Siena; Trient/Trento; Triest. Weiterhin von besonderem Interesse: in Cesena die Biblioteca Communale Malatestiana, gegr. 1452, Stadtbibliothek mit erhaltenem Altbibliothekssaal im Pultsystem; in Verona die Biblioteca Capitolare, Bistumsbibliothek, seit der Spätantike durchgehend bis heute bestehende älteste Bibliothek der Welt, vgl. S. $0 f.).
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Florenz. - Florenz ist die Bibliothekshauptstadt Italiens. Die Hauptbibliothek von Florenz entsteht in vier Etappen, mit zwei anschließenden Zusammenlegungen. Sie existiert deshalb heute in zwei »Ausführungen«: als traditionsreichstes Buchmuseum der Welt und als zentrale Nationalbibliothek Italiens. - Ihre Anfänge reichen zurück in das Florenz des 15. Jh.: damals eine der mächtigsten Stadtrepubliken des Römisch-deutschen Reichs, Hauptfinanzmetropole Europas, eines der hervorragenden Zentren des Humanismus und der Frührenaissance. Hier sammelt der bibliophile Humanist Niccolo Niccoli eine private Handschriftenbibliothek, die er 1437 testamentarisch zum Gebrauch für die Gelehrten von Florenz bestimmt. Der ihm befreundete Cosimo de' Medici (Cosimo der Ältere, damals Haupt des Bankhauses Medici und republikanischer Stadtregent von Florenz) übernimmt die Unterbringung der Sammlung. Gerade in diese Zeit fällt ein exzeptionelles Ereignis: das Florentiner Konzil von 1439/40, das die Union der römisch-katholischen und der griechisch-orthodoxen Kirche beschließt. Die byzantinische Verhandlungsdelegation erscheint in Florenz mit Großaufgebot: an ihrer Spitze der byzantinische Kaiser (Johannes V I I I . Palaiologos) mit einem stattlichen Gefolge von Diplomaten, Kirchenfürsten und Gelehrten. Sie treffen in der westlichen Verhandlungsdelegation auf führende Humanisten (u. a. G. F. Poggio Bracciolini, päpstlicher Sekretär und bekannter Handschriftensammler; T. Parentucelli, kirchlicher Sekretär, später als Papst Nikolaus V. Erneuerer der Vatikanischen Bibliothek) und auf den Florentiner Humanistenkreis um Cosimo de' Medici. Der tägliche persönliche Umgang führt, am Rande der Verhandlungen, zu einer philosophisch-wissenschaftlichen Synthese und wirkt unmittelbar stimulierend und akzelerierend auf den italienischen Frühhumanismus. Aus Vortragszyklen und Symposien (u. a. mit den byzantinischen Gelehrten G. Gemistos Plethon und J . B. Bessarion, dem späteren Stifter der Bibliothek von Venedig) festigt sich der Florentiner Cosimo-Kreis zur »Platonischen Akademie« (gegr. 1440; wichtige Mitglieder später Poggio, als Kanzler von Florenz, und der Renaissancephilosoph M. Ficino). Sie wird die erste wissenschaftliche Gesellschaft Westeuropas. Jetzt wird auch das byzantinische Prinzip der öffentlichwissenschaftlichen Bibliothek auf die in Vorbereitung befindliche Florentiner Bibliothek übertragen. Cosimo läßt in den gerade angelaufenen Neubau des Dominikanerklosters San Marco zu Florenz 1441 einen öffentlichen Bibliothekssaal einbauen (Architekt: Michelozzo). Um weitere Bestände vermehrt, 1444 eröffnet, wird die Biblioteca Marciana die erste öffentliche wissenschaftliche Bibliothek Westeuropas seit der Antike (allerdings von noch exklusiver Präsenzöffentlichkeit). - Daneben besteht eine private Hausbibliothek der Medici. Schon Anfang des 15. Jh. bezeugt, wird sie Ende des Jahrhunderts unter Lorenzo il Magnifico (wie Cosimo Haupt des Bankhauses Medici und republikanischer Stadtregent von Florenz) großzügig erweitert und um zahlreiche griechische Handschriften bereichert, die nach dem Zusammenbruch von Byzanz über den »grauen Markt« durch reisende Agenten beschafft werden können. Ab ca. 1480 öffnet Lorenzo il Magnifico die Medici-Privatbibliothek den Florentiner Gelehrten zur Präsenzbenutzung und ζ. T. sogar zur Ausleihe. Nach verschiedenen Wechselfällen und Standortveränderungen schafft ihr Papst Clemens V I I . (ebenfalls aus dem Hause Medici) eine
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repräsentative Unterkunft: bei der Alt-Kathedrale San Lorenzo in Florenz läßt er nach Plänen von Michelangelo einen großen Bibliothekssaal errichten, den prächtigsten der Renaissancezeit (Rohbau 1523-34; Innenausstattung mit Pultsystem I J 7 1 abgeschlossen). Hier werden schließlich beide bisherigen Bibliotheken, die Markus-Bibliothek und die Medici-Hausbibliothek, zur Biblioteca Medicea-Laurenziana zusammengefaßt. Nach längerer Weiterentwicklung gewinnt sie, in diesen kostbaren Alträumen und mit ihrem kostbaren Altbestand, museale Züge und dient heute als Buchmuseum. - Inzwischen erbliche Herzöge und Großherzöge der Toskana, legen die Medici eine neue Schloßbibliothek an, die bis ins 18. Jh. zu einer normalen absolutistischen Hofbibliothek heranwächst: Biblioteca Palatina. Um 1700 wirkt hier der Historiker Antonio Magliabechi als Bibliothekar, der seine eigene reiche Privatbibliothek testamentarisch als öffentliche Bibliothek von Florenz bestimmt. Aber erst 1747 wird sie als »Biblioteca Magliabechiana« eröffnet, durch Kaiser Franz I. (der als neuer Großherzog von Toskana die Nachfolge des inzwischen ausgestorbenen Hauses Medici angetreten hat). Später erfolgt die Vereinigung der beiden »neuen« Florentiner Bibliotheken, der »Magliabechiana« (im Uffizienpalast) und der »Palatina« (im großherzoglichen Residenzschloß Palazzo Pitti): zunächst administrativ, schließlich auch räumlich. Sie bilden den gemeinsamen Grundstock der heutigen Nationalbibliothek, die seit der Aufrichtung des wiedervereinten Italien (i860) zur italienischen Zentralbibliothek wird. Die Reorganisation zur »Biblioteca Nazionale Centrale* leistet Desiderio Chilovi (Direktor 1885 bis 1905), der auch die italienischeNationalbibliographie begründet und den schwierigen Weg zum notwendigen Bibliotheksneubau ebnet, der kurz nach seiner Amtszeit begonnen werden kann. Unter dem Direktorat von Emanuele Casamassima erleidet die Bibliothek ungeheure Buchverwüstungen durch die Hochwasserkatastrophe von 1966. Casamassima kann nationale und internationale Hilfe tatkräftig mobilisieren, ein internationales Buchrestaurierungsinstitut gründen, die Bibliothek allgemein reorganisieren und ihre Funktionen als nationales Bibliothekszentrum Italiens voll wiederherstellen (Bestandsumfang: 4 Millionen Bände). - Florenz verfügt über mehrere weitere bedeutende Bibliotheken und ist Sitz einer alten Universität (gegr. 1321), sowie der literarisch-philologischen Accademia della Crusca (gegr. 1582, der ältesten heute bestehenden Akademie der Welt) und der toskanischen Akademie der Wissenschaften. Mailand. - Durch zwei Jahrtausende ist Mailand, bei äußerlich wechselnden Strukturen, die Metropole Oberitaliens und der heutigen Lombardei. Ζ. T. allein, ζ. T. im Verein mit andern Orten. In der frühen Neuzeit ζ. B. mit Pavia, wo auch die Renaissance-Schloßbibliothek der lombardischen Herzöge (Dynastien Visconti, dann Sforza) entsteht und schließlich Anfang des 16. Jh. als französische Kriegsbeute verloren geht. - Kurz darauf wird die Lombardei spanisch-habsburgisch (»Herzogtum Mailand«). Der italienische Humanismus weicht bald der spanischen Gegenreformation, die ihrerseits in der Lombardei unter dem hl. Carlo Borromeo (Erzbischof von Mailand und Hauptfigur beim Trienter Reformkonzil) ihren europäischen Höhepunkt erreicht. Den bibliothekarischen Höhepunkt findet die
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europäische Gegenreformation mit der Gründung der Biblioteca Ambrosiana (gegr. 1602, eröffnet 1609, benannt nach dem Mailänder Stadtheiligen): eine öffentliche wissenschaftliche Stiftungsbibliothek des Kardinals Federigo Borromeo (dem Neffen des hl. Carlo Borromeo, seinem Amtsnachfolger als Erzbischof von Mailand). Die neue Bibliothek soll die kirchlichen Lehren wie die innerkirchlichen Reformimpulse wissenschaftlich abstützen, aber auch allgemein der Wissenschaft dienen. Sie wird als Gesamtinstitut geführt: Bibliothek, Museum und Forschungsakademie. Mit einem Gelehrtengremium (»Doktorenkollegium«) zur Auswertung der Bestände, mit Forschungs- und Vorlesungsauftrag und zur Mitwirkung bei der Bestandsergänzung (ein erster Ansatz zum späteren bibliothekarischen Referentensystem). Neben andern Neuerungen führt sie auch die Numerus-currens-Aufstellung ein. Als liberale Präsenzbibliothek steht sie (zusammen mit der gleichzeitigen Bibliotheca Bodleiana in Oxford) am Anfang der europäischen Benutzungsliberalisierung. Sie gehört heute zu den bedeutenden Altbibliotheken Europas. - Das seit 1714 österreichisch-habsburgische Herzogtum Mailand gerät in der 2. Hälfte des 18. Jh. in den Einzugsbereich der Aufklärung und der gesamtösterreichischen Bibliotheksreform. 1770 gründet Kaiserin Maria Theresia die lombardische Regionalbibliothek, die im aufgehobenen »Brera«-Jesuitenkolleg untergebracht (1773, daher »BreraBibliothek«) und durch Säkularisationsgut und reiche naturwissenschaftliche Bestände aufgestockt wird. Sie ist heute die staatliche Hauptbibliothek von Mailand: Biblioteca Nazionale Braidense. - Im Industriezeitalter entwickelt sich Mailand zur größten Industriestadt und zur Wirtschafts- und Finanzmetropole ganz Italiens. Mit seinem Umland-Großraum ist Mailand überhaupt die volkreichste italienische Stadt. Jetzt erhält sie auch mehrere Universitäten und Hochschulen, darunter die staatliche Universität (gegr. 1923), eine katholische Universität (gegr. 1920/24) und eine Technische Hochschule (gegr. 1863). Mailand verfügt über zahlreiche weitere Bibliotheken, u. a. eine große wissenschaftliche Stadtbibliothek (gegr. 1890) und öffentliche Büchereien. Es ist Sitz der lombardischen Akademie der Wissenschaften. Bologna. — Die älteste Universität Europas entwickelt sich nicht aus einer Kathedralschule (wie in Paris und anderwärts), sondern geht auf rechtskundliche Kurse zurück. Schon vor 1100 werden sie in Bologna greifbar (erster Rechtslehrer: Irnerius, ab 1088). Bald nach 1100, vielleicht in Zusammenhang mit der Erhebung Bolognas zur Freien Stadt (1116), formiert sich daraus eine dauernde juristische Hochschule (1119). Sie erhält 1 1 y 8 durch Kaiser Friedrich Barbarossa das Universitätsprivileg (als »Studium generale«) und führt bald drei Fakultäten (Juristen, Mediziner, »Artisten«), Auf Jahrhunderte bleibt Bologna aber die europäische Hochburg der Jurisprudenz. Später kommen weitere Fakultäten hinzu, im Industriezeitalter auch für Technik. Heute zählt Bologna nicht nur zu den berühmtesten, sondern auch zu den großen Universitäten Europas (40 000 Studenten). Das universitäre Bibliothekswesen beginnt von Anfang an mit kleinen Kollegienbibliotheken, die aber lange hinter dem Leihbuchhandel (»Stationare«) zurückstehen. Erst im 17. Jh. bilden sich größere Fakultätsbibliotheken, und im 18. Jh. folgt die zentrale Universitätsbibliothek.
Europa Venedig. - In der frühen Neuzeit gehört Venedig zu den Hauptzentren des europäischen Buch- und Bibliothekswesens. Im Schutz seiner Insellage vom Römischdeutschen Reich unabhängig geblieben, deshalb kulturell durch Jahrhunderte an Byzanz angelehnt, wird die Republik Venedig im Spätmittelalter zur beherrschenden Seemacht im östlichen Mittelmeer. Nach dem Fall von Konstantinopel behauptet Venedig eine Reihe byzantinischer Außenposten (Zypern, Kreta, Peloponnes, Dalmatien) als Protektorate noch lange Zeit vor türkischem Zugriff. Es wird zu einem Exilzentrum der griechisch-byzantinischen Kultur. Hier ediert der Humanist und Drucker-Verleger Aldus Manutius (Manucci) die ersten griechischen Inkunabeldrucke der Welt. Hier stiftet der byzantinische Emigrant und Humanist Johannes Basilius Bessarion (Teilnehmer am Florentiner Unionskonzil von 1439/40, inzwischen westlicher Exil-Patriarch für Konstantinopel, Kardinal und Ehrenbürger von Venedig) seine reiche griechisch-lateinische Privatbibliothek als öffentliche Bibliothek für Venedig (1468): die Biblioteca Marciana (genannt nach dem Stadtheiligen von Venedig). Zunächst behelfsmäßig im Dogenpalast eröffnet, erhält sie im 16. Jh. ein großzügiges Saaldomizil in dem gegenüber dem Dogenpalast errichteten Prunkbau. Nach langer Geschichte und mannigfachen Veränderungen schließlich im Gesamtgebäude, nebst Zusatzeinbauten, untergebracht, gehört die »Biblioteca Nazionale Marciana« heute zu den berühmtesten Altbibliotheken der Welt. - Als venezianische Universität dient jahrhundertelang die von Padua. Erst jüngst erhält auch die Hauptstadt Venedig eine eigene Universität (gegr. 1969) unter Einbeziehung älterer Hochschulen und Institute. Mittelitalien, Siiditalien: Bibliotheken. - Zwischen der Nordhälfte und der Südhälfte Italiens besteht ein merkliches Wirtschafts- und Zivilisationsgefälle. Vor allem in der Industrialisierung bleiben Unteritalien, Sizilien und Sardinien eklatant unentwickelt (von einigen Ausnahmezentren abgesehen). Der insgesamt schmalere Lebenszuschnitt wirkt sich auch auf das Bibliothekswesen aus. Nur im universitären Bibliotheksbereich kann gesamtstaatlich Chancengleichheit angesteuert werden. Das kommunale Bibliothekswesen fällt, aus kommunalen Gründen, stärker zurück. Und dem regionalen Bibliothekswesen fehlt die Vielfalt des Nordens. Jahrhundertelang gibt es hier nur zwei zentralisierte Einheitsstaaten: den Kirchenstaat in Mittelitalien und das Königreich Neapel-Sizilien in Süditalien; und nur in den beiden (bzw. drei) Hauptstädten konzentriert sich das Bibliothekswesen. Den inzwischen auch in der Südhälfte Italiens gebildeten Regionen fehlt deshalb meist eine alte Regionalbibliothek, und neue Regionalbibliotheken sind nicht geschaffen worden. - Die beiden großen Bibliothekszentren sind in Mittelitalien Rom (vgl. unten) und in Unteritalien Neapel, die jahrhundertelange Südhauptstadt und heutige industrielle Millionenstadt, mit einer der ältesten Universitäten Europas (gegr. 1224 durch Kaiser Friedrich II., im Spätmittelalter wichtiges Kontaktzentrum zur damals überlegenen arabischen und sekundärantiken Wissenschaft) und mit mehreren Bibliotheken, darunter eine regionale Nationalbibliothek (ehemalige Königliche Bibliothek, Vorläufer aus dem 18. Jh., öffentlich 1804). - Neben Neapel hat im Süden auch noch die alte Zweithauptstadt Palermo Gewicht, ebenfalls mit einer
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regionalen Nationalbibliothek (gegr. 1782) und einer Universität (gegr. 1777). (Ergänzungsinformation: Weitere Universitäten mit entsprechenden Bibliotheken bestehen in Mittelitalien u. a. in: Camerino; L'Aquila; Macerato; Perugia; Urbino; - in Süditalien, einschließlich Sizilien: Bari; Catania; Lecce; Messina; Reggio di Calabria; - auf Sardinien: Cagliari; Sassari). Rom (Vatikanstadt). - In den Jahrhunderten des Kirchenstaats ist die wichtigste Bibliothek von Rom die päpstliche Büchersammlung. Im Mittelalter die Lateranbibliothek (vgl. oben S. j i ) , deren Tradition mit der Verlegung der Papstresidenz nach Avignon abbricht (1309). Nach der Retablierung Roms als regulärer Papstresidenz (1417) bildet sich im Vatikanpalast bald wieder eine kleine päpstliche Arbeitsbücherei. - Die Erneuerung der päpstlichen Bibliothek leistet der Humanist und bibliophile Handschriftensammler Tommaso Parentucelli (Teilnehmer am Florentiner Unionskonzil von 1439/40, das auch auf das humanistische Bibliothekswesen stimulierend gewirkt hatte, vgl. S. 193). 1447 als Nikolaus V. zum Papst gewählt, baut er die vorgefundene kleine päpstliche Sammlung energisch aus, fügt seine eigene Humanistenbibliothek hinzu, bewilligt reiche kuriale Finanzmittel für Ankäufe bzw. Abschreibtätigkeit und läßt nach dem Fall von Konstantinopel griechische Handschriften über den levantinischen »grauen Markt« aufkaufen. Er wird zum eigentlichen Gründer der Biblioteca Vaticana (ab 1450). Eine Generation später, unter dem Pontifikat von Sixtus IV. (dem Kunstmäzen und Erbauer der Sixtinischen Kapelle), hat die neue Bibliothek ihre erste Hochblütezeit: sie wird zur wichtigsten kirchlichen, höfischen und humanistischen Bibliothek Europas. Dieser Bestands- und Statusvorsprung sichert ihr auch einen Vorsprung in der frühen bibliotheksbetrieblichen Ausgestaltung. Papst Sixtus IV. beruft für sie 1475 den ersten hauptamtlichen Bibliotheksleiter Westeuropas seit der Antike: den Humanisten Bartholomäus Piatina (eigentlich Bartolomeo de Sacchi). Die Bibliothek wird jetzt in drei Abteilungen nach Sprachgruppen geteilt. Weiteres hauptamtliches Personal wird eingestellt und der Abteilungsgliederung angepaßt: je ein sprachkundiger Bibliothekssekretär für die lateinische, griechische und orientalische (hebräische) Abteilung. Die Unterbringung erfolgt in vier Räumen: drei Räume für die drei Sprachabteilungen, im Pultsystem; ein vierter als Separatraum für sekretierte Stücke und Kostbarkeiten. 147$ wird auch die öffentliche Zugänglichkeit eingeführt (allerdings wie zuvor in Florenz nur exklusive Präsenzbenutzung, mit fallweisen Ausleih-Sonderausnahmen). Ferner erhält Piatina ab 147$ einen festen jährlichen Vorausfonds zur Buchanschaffung: erstmalig in der Bibliotheksgeschichte, noch vor der allgemeinen Herausbildung des ordentlichen Etatswesens, aber doch in der frühkapitalistischen Ära und bei der gut organisierten päpstlichen Finanzverwaltung möglich und im Zeitalter des inzwischen angelaufenen Buchdrucks auch wünschenswert. Ein Jahrhundert später ist die Vatikanische Bibliothek bestandsmäßig so angewachsen, daß neue Methoden der Raumausnutzung (gegenüber dem alten Pultsystem) nötig werden. Sie erhält ein neues Domizil im eben aufgekommenen sogen. »Saalsystem«, d. h. mit Wandregalen bzw. hier mit Wandschränken (erbaut 1J87-89, Architekt: Domenico Fontana). Es ist der zweite Bi-
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bliothekssaal dieser Art in Europa (nach der spanischen Escorial-Bibliothek). Vorbild für die künftigen Barock- und Rokokobibliothekssäle. Im 16. und 17. Jh. wird die Vatikanische Bibliothek von andern europäischen Spitzenbibliotheken eingeholt und überholt, aber sie bleibt durch alle Jahrhunderte in der Gruppe der führenden Großbibliotheken. Im frühen 19. Jh. wirkt Kardinal Angelo Mai hier als Bibliothekar, der Begründer der Palimpsestforschung. Nach der Aufhebung des Kirchenstaats (1870) erlischt die Staatsbibliotheksfunktion, aber die »Biblioteca Apostolica Vaticana« bleibt die Hauptbibliothek der katholischen Kirche und wird im 20. Jh. unter Papst Pius X I . (der als Achille Ratti selbst ihr Bibliothekar gewesen war) zur bedeutendsten Handschriftenstudienbibliothek der Welt ausgebaut. — Der seit 1929 wieder souveräne kleine kirchliche Staat »Vatikanstadt« (Stadtsektor Roms um den Vatikanischen Palast nebst mehreren weiteren über ganz Rom verstreuten Exklaven) unterhält mehrere päpstliche Universitäten und Hochschulen, u. a. die Gregorianische Universität (ursprünglich Jesuitenuniversität, gegr. 1553/82) und die Lateranuniversität (gegr. 1824), sowie die päpstliche Akademie der Wissenschaften. Rom (Hauptstadt der Republik Italien). - Bibliothekswesen und Bildungseinrichtungen Roms sind in Mittelalter und Neuzeit bis 1870 einheitlich geistlich: ζ. T. kirchlich und staatlich (kirchenstaatlich), ζ. T. auf monastischer bzw. auf Stiftungsbasis. - Nach 1870 übernimmt das neue Italien viele Institutionen in weltliche Obhut: so wird die alte Universität von Rom (gegr. 1303), einschließlich der ihr seit langem als Universitätsbibliothek verbundenen Biblioteca Alessandrina (gegr. 1661/70) verstaatlicht; mehrere alte öffentliche wissenschaftliche Stiftungsbibliotheken übernehmen kommunale Funktionen (ζ. B. Biblioteca Angelica, gegr. 1605/14; Biblioteca Casanatense, gegr. 1698/1700). - Als staatsitalienischer Ersatz für die in ihrer Staatsbibliotheksfunktion jetzt ausgefallene Biblioteca Vaticana ensteht die »Biblioteca Nazionale Centrale Vittorio Emanuele II* (gegr. 1875/76), nächst der Hauptnationalbibliothek zu Florenz als zweite Nationalbibliothek Italiens konzipiert, Schwerpunktbibliothek für ausländische Literatur, jüngst in einem großzügigen Neubau untergebracht. - Rom verfügt ferner über eine Reihe von Spezialbibliotheken und ist Sitz der italienischen Akademie der Wissenschaften.
Ε γ. Spanisches und portugiesisches Europa Allgemeines. — Die Entwicklung von Spanien und Portugal erhält eine besondere Note durch die jahrhundertelange arabische Herrschaft über den größten Teil der iberischen Halbinsel (seit dem 8. Jh.). Deren europäische Rückgewinnung zieht sich bis in die Neuzeit (Ende des 15. Jh.) hin. Die Auseinandersetzung mit der überlegenen Kultur des arabischen Mittelalters befruchtet das geistige Leben der vom spanischen Nordrand nach Süden vordringenden Europäer. Das arabische Toledo
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spielt als rückgewonnener kastilischer Hauptort eine bedeutende Rolle bei der Rezeption der arabischen Wissenschaft und der arabisierten Texte antiker Autoren: deren lateinische Rückübersetzungen gewinnen Einfluß auf das gesamte Abendland. - Der arabisch-spanische Kulturkontakt führt auch zu zahlreichen spanischen und portugiesischen Universitätsgründungen im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. - Andererseits schärft die Auseinandersetzung mit dem Islam die militante Richtung des spanischen Christentums, das aus dieser Wurzel ganz natürlich in die Führungsrolle der europäischen Gegenreformation hineinwächst. - Darüber verkümmern manche für das übrige Europa typischen Zeitströmungen: der Humanismus und später die Aufklärung bleiben hier nur Randerscheinungen. Nach dem Verlust der Großmachtstellung (18. Jh.) und der südamerikanischen Kolonien (19. Jh.) bleiben Spanien und Portugal hinter der modernen europäischen Entwicklung zurück und finden nicht den vollen Anschluß an das Industriezeitalter. Spanien, Portugal: Bibliotheken. - Parallel zu dieser Allgemeinentwicklung verläuft auch die Entwicklung des spanisch-portugiesischen Bibliothekswesens. Neben die mittelalterlichen Klosterbibliotheken schieben sich relativ früh kleine universitäre Buchbestände der spätmittelalterlichen Universitäten. Unter den spanischportugiesischen Universitätsgründungen der Frühzeit heben sich heraus: in Nordspanien u. a. Salamanca (seit 1 1 3 4 Kathedralschule, Universität gegr. 1218/54) und Valladolid (gegr. 1346); in Portugal Lissabon (1290-1307, erneuert 1 9 1 1 ) und Coimbra (1307 von Lissabon nach hier verlegt); später wichtig: Barcelona (gegr. 14 $ o) und Madrid (vgl. unten). Allerdings fallen die frühen Universitäten bibliotheksmäßig nicht stark ins Gewicht (wie überall in Spätmittelalter und früher Neuzeit). - Dafür spielen aber gerade in Spanien und Portugal auch weiterhin die Klosterbibliotheken und vom 16. bis zum 18. Jh. auch die gut ausgestatteten, effektiven Bibliotheken der Jesuitenkollegien eine gewichtige Rolle, typische Schöpfungen der für Spanien bestimmenden Gegenreformation. - Danach bleibt das spanisch-portugiesische Bibliothekswesen hinter der europäischen Weiterentwicklung zurück und rangiert im Industriezeitalter an der unteren Marke des europäischen Durchschnitts: mit den Anschaffungsetats, dem Bestandsvolumen, der Personalausstattung, der Betriebstechnisierung, dem Benutzungsservice, der Netzbildung. Zentrale Universitätsbibliotheken bleiben in Spanien und Portugal (von Ausnahmen abgesehen) in ihrer Entwicklung gehemmt. Sie werden allerdings ergänzt durch ζ. T. alte und nicht unbedeutende Fakultäts- und Institutsbibliotheken, jedoch zunächst noch unvollkommen integriert. Auch die Entwicklung des kommunalen Bibliothekswesens bleibt zunächst noch eine Zukunftsaufgabe. Nur die Nationalbibliotheken stehen auf der Höhe der Zeit: in Madrid (vgl. unten) und Lissabon (gegr. 1796). Aber infolge der zentralistischen Staatsstruktur fehlen flankierende Regionalbibliotheken. Nur Barcelona, die Hauptstadt des lange Zeit selbständigen bzw. autonomen Katalanien, verfügt über eine leistungsfähige Regionalbibliothek: die Biblioteca de Cataluna (gegr. 1914, Bibliothekszentrum des Katalanentums). Als Weltstadt und bedeutendste Wirtschafts- und Industriemetropole Spaniens ist Barcelona überhaupt die neben Madrid vielseitigste spanische Bibliotheksstadt. -
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(Ergänzungsinformation: Gesamtbevölkerungszahl: Spanien 32 Millionen; Portugal: 9 Millionen. — Weitere Universitäten bestehen in Spanien u. a. in: Bilbao; C o r d o b a ; G r a n a d a ; M a l a g a ; Murcia; O v i e d o ; Pamplona; Santander; Santiago de Compostela; Sevilla; Valencia; Z a r a g o z a : - in Portugal: Oporto). Madrid, El Escorial. - Erst nach der Vereinigung der beiden vormaligen Königreiche Kastilien und A r a g o n zum gemeinsamen Staat Spanien wird im 16. Jh. Madrid dessen neue Hauptstadt. Im neuerbauten Klosterschloß El Escorial (nordöstlich v o n Madrid) schafft sich K ö n i g Philipp II. (Sohn Kaiser Karls V . ) seine eigentliche Residenz und gründet dort auch die Königliche Bibliothek (Real Biblioteca, i j 7 j ) : in Funktionseinheit v o n Hofbibliothek, Klosterbibliothek und wissenschaftlicher Gegenreformationsbibliothek. Sie erhält bei ihrer Gründung den ersten, damals beispielgebenden Bibliothekssaal im barocken Wandregalsystem (sogen. »Saalsystem«, in Ablösung des älteren »Pultsystems«; Architekt: Juan de Herrera). D o c h bleibt ihr die Weiterentwicklung zur öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek versagt, so daß sie heute nur als Buchmuseum geführt wird. - N a c h dem Aussterben der gegenreformatorischen spanischen Habsburger gründet der erste der nachfolgenden französisch-spanischen Bourbonenkönige (Philipp V . ) in Madrid eine öffentliche wissenschaftliche Bibliothek, die heutige Nationalbibliothek (Biblioteca Nacional, 1712). Sie entwickelt sich bis ins 20. Jh. z u einer der großen europäischen Büchersammlungen. - Als Weltstadt wird Madrid im Industriezeitalter auch zu einem Bibliotheksort v o n europäischer Dimension. Es besitzt mehrere Universitäten und Hochschulen, darunter eine staatliche Universität (gegr. i j o 8 in Alcald de Henares, nordöstlich v o n Madrid, 1836 nach Madrid verlegt) und eine Freie Universität (gegr. 1968), ferner mehrere Zentral- und Spezialbibliotheken. Es ist Sitz der spanischen Akademie der Wissenschaften.
Ε 8. Südosteuropa Allgemeines. — Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien und Griechenland entstehen in ihrer heutigen Staatlichkeit erst im 19. und 20. Jh. In den davor liegenden tausend Jahren differiert die geschichtliche Entwicklung Südosteuropas politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell erheblich v o n der des übrigen Europa. Quer durch Südosteuropa verläuft im ganzen Mittelalter die Grenzzone zwischen dem byzantinischen und westeuropäischen Einflußbereich. Ziemlich ähnlich (bei Abweichungen im einzelnen) verläuft in der Neuzeit die Grenzzone zwischen dem türkischen und westeuropäischen Machtbereich. - N u r der Nordwesten (Slowenien und Kroatien, weithin auch Dalmatien und Siebenbürgen) gehört durch Mittelalter und Neuzeit zum Okzident. D a s übrige Südosteuropa dagegen gehört im Mittelalter zum Byzantinischen Reich (so Griechenland, das sich sein Volkstum bis heute erhalten hat) b z w . lehnt sich in Ländern fremden Volkstums (Serben, Bulgaren) an
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die byzantinische Kultur an: mit griechisch-orthodoxer Religion, kyrillischer Schrift, byzantinischer Kunst. — In der frühen Neuzeit fallen fast alle byzantinisch beeinflußten Gebiete Südosteuropas der türkischen Invasion zum Opfer und können die türkische Oberherrschaft erst im 19. bzw. 20. Jh. abschütteln. In den dazwischenliegenden Jahrhunderten bleiben sie von der entscheidenden Weiterentwicklung der europäischen Neuzeit ausgeschlossen. Auch die Entwicklung des Buch- und Bibliothekswesens bleibt blockiert (in Bulgarien ζ. B. wird das erste Buch 1806 gedruckt, die erste bulgarische Zeitschrift erscheint 1878). Südosteuropa: Bibliotheken. - Nur wenige der älteren Klosterbibliotheken überstehen die türkischen Jahrhunderte bis heute. Die ersten staatlichen Bibliotheken und Universitäten werden nach der Erlangung territorialer Autonomie bzw. voller Souveränität erst im 19. Jh. gegründet. Nur die Landeshauptstädte entwickeln sich allmählich zu bedeutenden Bibliotheksorten, jeweils u. a. mit einer Nationalbibliothek und Universität: Belgrad (Serbische Nationalbibliothek, gegr. 1832; Universität, gegr. 1863); Bukarest (zentrale Staatsbibliothek, gegr. 1955; Bibliothek der Akademie der Wissenschaften, gegr. 1867, lange Zeit wissenschaftliche Hauptbibliothek des Landes; Universität, gegr. 1864); Sofia (Nationalbibliothek, gegr. 1878; Universität, gegr. 1888 als Hochschule, Volluniversität 1909); Athen (National· und Universitätsbibliothek, gegr. mit Vorläuferbibliothek 1828, ab 1834 in Athen; Universität 1837). - Nach dem 1. Weltkrieg fügt der Gebietserwerb aus der Erbmasse Österreich-Ungarns für Jugoslawien und Rumänien eine Reihe älterer Bibliotheken hinzu: u. a. die National- und Universitätsbibliotheken in der kroatischen Landeshauptstadt Agram ( = Zagreb; Vorläuferbibliothek des Jesuitenkollegiums gegr. 1606, Rechtshochschule 1776, Volluniversität 1874, nach dem 2. Weltkrieg als kroatische National- und Universitätsbibliothek) und in der slowenischen Landeshauptstadt Laibach (=Ljubljana; Vorläuferbibliothek des Jesuitenkollegiums gegr. 1595, Regionalbibliothek 1774, Universität 1919, nach dem 2. Weltkrieg als slowenische National- und Universitätsbibliothek). - Nach dem 2. Weltkrieg forcieren die nunmehr sozialistischen Staaten energisch den Ausbau des Bibliothekswesens: auf den Ebenen des universitären Bibliothekswesens (mit neuen Universitätsgründungen), des kommunalen Büchereiwesens und des regionalen Bibliothekswesens (Bezirksbibliotheken). Rumänien und Bulgarien übernehmen das sowjetische Modell strikt durchzentralisierter fachlicher und typenmäßiger Bibliotheksnetze; Jugoslawien kombiniert das sowjetische Netzprinzip mit dem westlichen Prinzip der Bibliothekskooperation bei Bibliotheksautonomie seiner Bundesländer. - (Ergänzungsinformation: Gesamtbevölkerungszahl: Jugoslawien und Rumänien je 20 Millionen; Bulgarien und Griechenland je 9 Millionen. - Weitere Universitäten mit entsprechenden Bibliotheken bestehen in Jugoslawien u. a. in: Νίϊί; Novi Sad; PriiStina; Rijeka; Sarajevo; Skopje; - in Rumänien: Brasov/Kronstadt, Cluj/Klausenburg; Craiova; Iasi/Jassy; Timisoara/Temesvar; - in Bulgarien: Plovdiv; - in Griechenland: Joannina; Patras; Saloniki).
F. Neuzeit (Sowjetische Bibliotheken) F i. Allgemeines Allgemeines. - Rußland, das osteuropäische Kerngebiet der Sowjetunion, wird im 9. Jh. als lockerer Staatsverband ostslawischer Stammesfürstentümer historisch greifbar. Dabei heben sich im altrussischen Gesamtstaat drei Hauptregionen heraus: die Südregion, mit Teilen der Ukraine und der Gesamthauptstadt Kiev; die Nordregion, mit ihrem Kernraum Novgorod; die Mittelregion, damals noch als östliche Randzone, mit dem relativ spät aufsteigenden Moskau. Wirtschaftsbeziehungen zum Byzantinischen Reich führen zum Anschluß an das griechisch-orthodoxe Christentum, mit der Übernahme der byzantinischen Kultur und Kunst und der kyrillischen Schrift. Ähnlich dem gleichzeitigen Westeuropa, steigt auch Altrußland im Hochmittelalter aus bescheidenen Anfängen langsam zu gehobenerem Kulturniveau auf. - Doch erliegt es im 13. Jh. der tatarischen Expansion, gerät auf Jahrhunderte in politische Abhängigkeit von der Tatarenherrschaft, erleidet einen empfindlichen Kulturrückschlag und anhaltende zivilisatorische Stagnation, mit dem Abbruch fast aller Wirtschafts- und Kulturbeziehungen zu Byzanz und Westeuropa. Nur der äußerste Westen Altrußlands entgeht diesem Schicksal (Novgorod, vor allem aber Weißrußland und die Westukraine im Staatsanschluß an Litauen und Polen). - Die Rückgewinnung der russischen Selbständigkeit geht von der Mittelregion aus. Hier steigt das Teilfürstentum Moskau im I J . Jh. zur Vormacht empor, einigt ganz Mittelrußland, erwirbt auch Novgorod mit Nordrußland und überwindet Mitte des 16. Jh., unter Zar Ivan dem Schrecklichen, die östlichen Tatarenstaaten (u. a. 1552 Eroberung der Tatarenhauptstadt Kazan). Damit wird der Weg nach Osten frei für die russische Kolonialherrschaft über Sibirien, die im Laufe des 17. Jh. bis an den Pazifischen Ozean vordringt. - Um 1700 ist die Ausgangsbasis für Großmachtpolitik nach Westen konsolidiert. Peter der Große eröffnet sie gegenüber Schweden, gewinnt dabei das nördliche Baltikum, gründet Petersburg im neuen Küstengebiet und verlegt dadurch den Reichsschwerpunkt nach Norden und Westen. Ende des 18. Jh. folgt der Erwerb der Ukraine, Weißrußlands und des restlichen Baltikums, in der napoleonischen Zeit die Angliederung Finnlands und Zentralpolens und im weiteren 19. Jh. die Abrundung des asiatischen Kolonialreichs durch Kaukasien und Zentralasien. Mit Ausnahme von Finnland und Polen, gehört der gesamte Gebietsstand auch heute zur Sowjetunion, jedoch in einen Bundesstaat umgewandelt. - Die Regierung Peters des Großen bedeutet nicht nur machtpolitisch, sondern auch wirtschafts- und kulturpolitisch eine energische
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Öffnung nach Westen. Das Ideengut der europäischen Aufklärung strömt im 18. J h . nach Rußland ein. Die Errungenschaften der westeuropäischen Zivilisation werden fast zu ungestüm übernommen: der zentralstaatliche Absolutismus mit seinem administrativen Instrumentarium; der Merkantilismus und Kameralismus mit Staats- und Planwirtschaft; die entwickelte Technik und Wissenschaft mit Forschungs- und Bildungseinrichtungen. - Dennoch bleibt vieles in dem riesigen Land und bei der Größe des Nachholbedarfs auf lange Zeit weiterhin unzulänglich und oberflächlich. Rußland erreicht zwar bis zum 1. Weltkrieg mit Einzelleistungen und in Schwerpunktbereichen ein ζ . T . beachtliches Niveau, bleibt aber in der Breitenentwicklung noch immer weit hinter Westeuropa zurück: wirtschaftlich und industriell unterentwickelt, unzulänglich nach Lebensstandard und allgemeiner Freiheitlichkeit, in Bildung und Ausbildung (u. a. 70 % Analphabeten). Revolutionäre Strömungen versuchen, eine progressive Entwicklung zu beschleunigen. Sie setzen sich nach der sozialistischen Oktoberrevolution von 1 9 1 7 durch. Der westeuropäische Marxismus, durch Lenin den russischen Verhältnissen angepaßt und mit einigen spezifisch altrussischen Relikten nachträglich angereichert, verändert die russische Szenerie vollständig. Innerhalb eines halben Jahrhunderts entwickelt sich die Sowjetunion zu einer bedeutenden Industriemacht. In straffer Planwirtschaft und mit gigantischen Investitionen, ζ. T. durch drastische Konsumbeschränkungen erkauft, werden ganze Industriezweige neu geschaffen, Großstädte »aus dem Boden gestampft«, in Schwerpunktbereichen internationale Produktionsrekorde erzielt. Als Voraussetzung und Folge zugleich vollzieht sich parallel dazu ein umfassender Ausbau des Volksbildungswesens und der Wissenschaftspflege. Das Analphabetentum wird in einer Generation vollständig überwunden, ein universales Schulsystem durchgängig aufgebaut, ein Netz von Universitäten und Hochschulen geschaffen (über 800 Hochschulen), das Forschungswesen vorrangig gefördert. Niemals zuvor in der Weltbildungsgeschichte ist in so kurzer Zeit so vieles f ü r so viele so umfassend geleistet worden. Bibliothekswesen: Allgemeines. — Das neuzeitliche Bibliothekswesen setzt in Rußland erst im 18. J h . ein. Zunächst nur in Petersburg und Moskau. Im 19. J h . mit einigen weiteren Bibliotheksorten. Doch im ganzen mit zu wenigen Bibliotheken, auf zu schmaler Basis und f ü r eine zu schmale Schicht von Gebildeten. - Der eigentliche Durchbruch zum modernen, breit gestreuten Bibliothekswesen erfolgt erst im 20. J h . : nach der Revolution, dem Abschluß des Bürgerkrieges und der Reorganisierung des alten Rußland zum neuen Bundesstaat Sowjetunion (1922). Jetzt läuft auch f ü r das Bibliothekswesen eine energische Aufbauphase an: mit der Gründung zahlloser neuer Bibliotheken, der Neuverteilung der Buchbestände (Beschlagnahmeaktionen ähnlich denen der österreichisch-bayerischen Säkularisation bzw. der Französischen Revolution), der Ankurbelung der Buchproduktion, der Neustrukturierung des Bibliothekswesens und einer vervielfachten Anzahl von Bibliotheksmitarbeitern. Lenin (eigentlich Vladimir I. Uljanov) greift wiederholt persönlich in die Bibliotheksentwicklung ein, die später von seiner Frau, Nadezda K . KrupskajaUljanova, als Mitarbeiterin in der staatlichen Kulturverwaltung, maßgeblich be-
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einflußt wird. Der Ausbau des Bibliothekswesens steht in engem Zusammenhang mit dem Ausbau der Volksbildung und des Schulwesens, dem Aufbau der Berufsund Erwachsenenbildung, der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Technik; mit der Industrialisierung und dem gezielten Wirtschaftsaufbau; aber auch mit der Akzentuierung der politischen Bildung, der Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins und der generellen parteilichen Ideologisierung. - Der sowjetische Aufbau hat den jahrhundertelangen Vorsprung der westlichen Welt noch nicht auf allen Gebieten einholen und internationales Niveau noch keineswegs überall erreichen können. Doch die mit kräftigen Impulsen gesetzten Schwerpunktbereiche haben sich inzwischen zu voller Höhe entfaltet. Dazu gehört auch das sowjetische Bibliothekswesen. Es hat sich, nach unvermeidbaren Anfangsimprovisationen, allmählich rundum konsolidiert und aufgrund der Schwerpunktförderung eine international führende Position gewonnen. Es zeichnet sich aus durch eine absolut und relativ hohe Zahl von Bibliotheken, durch überdurchschnittlich hohe Personalausstattung und großes Bestandsvolumen. (Sowjetische Bestandsangaben bieten übrigens gewöhnlich Gesamtzahlen, d. h. sie schließen neben den Bänden westlicher Zählung auch alle übrigen Bestandseinheiten mit ein: Landkarten, Bilddrucke, Patentschriften, evtl. Filme, Kopien usw.; ferner zählen sie Zeitschriften-Einzelhefte statt Zeitschriftenjahrgänge). Bibliothekstypen. - Das sowjetische Bibliothekswesen kennt alle auch anderwärts üblichen Bibliothekstypen. Doch gewinnt es seine ausgeprägte Typenstruktur aus dem Zusammenspiel einer zentralistischen, einer regionalisierenden, einer fachspezifischen und einer gesellschaftsbezogenen Komponente. - An der Spitze der Bibliothekshierarchie stehen auf Bundesebene (»Allunionsebene«) mehrere gesamtstaatliche Bibliotheken: die allgemeine Nationalbibliothek (Lenin-Bibliothek), eine Zentralbibliothek f ü r ausländische Literatur, eine oberste Forschungsbibliothek (Bibliothek der Akademie der Wissenschaften), sowie zentrale Fachbibliotheken (u. a. für die angewandten Naturwissenschaften). - Daneben scheint ein regionales, föderalistisches Element auf: mit den Staatsbibliotheken der einzelnen Bundesländer (»Unionsrepubliken«), Zwischen die Staatsbibliotheken der Bundesländer und die öffentlichen Büchereien der Basisstufe schieben sich durchgängig Regionalbibliotheken der territorialen Zwischeninstanzen: Gebietsbibliotheken (»Gebiet« = »Oblast«, Provinz, Verwaltungseinheit unterhalb der Landesebene) und Bezirksbibliotheken (Bezirk = »Rayon«, Verwaltungseinheit unterhalb der Gebietsebene). - Zum allgemeinbildenden öffentlichen Bibliothekswesen gehören die staatlichen Büchereien in den Städten und auf dem Lande (»Massenbibliotheken«). Eine Ergänzung des staatlichen allgemeinbildenden Bibliothekswesens bieten die Gewerkschaftsbüchereien, die häufig als Werkbüchereien in Betrieben oder als Kulturklubbüchereien in Freizeitheimen fungieren und auch in verkehrsfernen Gegenden tätig werden (auch sie zählen zu den »Massenbibliotheken«). Gut gestaffelte Bestände und Mehrfachexemplare sind für die größeren öffentlichen Büchereien ebenso bezeichnend wie aktive Leserberatung. - Die Universitäts- und Hochschulbibliotheken bilden generell universitäre Bibliothekssysteme, in Kooperation der Instituts-
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und Fachbereichsbibliotheken, zentriert um die zentrale Universitätsbibliothek (»Fundamentalbibliothek«). Neben die Volluniversitäten (für Kultur-, Gesellschafts- und Naturwissenschaften) treten außer Technischen Hochschulen durchgängig Medizinische Hochschulen, Landwirtschaftliche Hochschulen u. ä. - Die Forschung konzentriert sich an besonderen Forschungsinstitutionen (außerhalb der Hochschulen) mit entsprechenden Forschungsbibliotheken, vielfach als Außenstellen der Akademie der Wissenschaften angegliedert. Bibliotheksnetze. - Einheit und zugleich Pluralität des sowjetischen Bibliothekswesens finden ihren organisatorischen Ausdruck in der Bibliotheksnetzbildung. Auf der Basisstufe des Bibliothekswesens werden von vornherein lokale bzw. universitäre Bibliothekssysteme gebildet: Stadtbibliotheken mit Zweigbüchereien; ländliche Schwerpunktbibliotheken mit Gemeindebüchereien; Universitätsbibliotheken mit Institutsbibliotheken. Ausgangsleitbild wird dabei die von Lenin als vorbildlich herausgestellte amerikanische Bibliotheksstruktur. Doch ist die sowjetische Netzbildung inzwischen über die bloße Basisstufe hinausgewachsen zum gesamtstaatlichen Bibliotheksorganismus. - Die staatlichen Massenbibliotheken, d. h. die öffentlichen Büchereien in den Gemeinden, bilden ein regionales Bibliotheksnetz, mit den Bezirks-, Gebiets- und Staatsbibliotheken (Bundesländer) als jeweils nächsthöheren methodischen Zentren und Bestandsreserven. Gemeinde- und Bezirksbibliotheken repräsentieren dabei die allgemeinbildende Stufe des Regionalnetzes, Gebiets- und Staatsbibliotheken dessen wissenschaftliche Stufe. Oberste Leitbibliothek des gesamten Regionalnetzes ist die Lenin-Bibliothek. - Neben dem Regionalnetz bestehen weitere Bibliotheksnetze: im allgemeinbildenden Bereich das Netz der Gewerkschaftsbüchereien, im wissenschaftlichen Bereich die Netze der Universitäts- und Hochschulbibliotheken (Lehre) und der Akademiebibliotheken (Forschung; Bibliotheken an den Außeninstituten der Akademie der Wissenschaften). Ferner treten fachspezifische Netze der Spezialbibliotheken hinzu (technische, landwirtschaftliche, medizinische Bibliotheken u. ä.). - Für alle diese weiteren Netze sind ebenfalls jeweils oberste Leitbibliotheken zuständig. Doch bleiben neben dieser »vertikalen« Netzhierarchie und ihrer speziellen Fachanleitung auch »horizontale« Querschaltungen zur Lenin-Bibliothek (bzw. zu den Staats- und Gebietsbibliotheken) für die allgemeinbibliothekarischen Belange bestehen. - Das sowjetische Bibliothekssystem erweist sich somit als hoch differenzierter, wohl gegliederter und kunstvoll gewichteter Bibliotheksorganismus. Die ausgeprägte Konsequenz der Bibliotheksnetzbildung ist ein genuiner Beitrag des sowjetischen Bibliothekswesens zur Weltbibliotheksentwicklung und gewinnt spürbaren Einfluß auch auf das europäische Bibliothekswesen der 1960er und 1970er Jahre. Bibliothekszusammenarbeit, Gemeinschaftsunternehmungen. - Die Sowjetunion gehört zu den Ländern mit ausgesprochen intensiver Bibliothekskooperation. Die Zusammenarbeit innerhalb der Bibliotheksnetze und innerhalb des gesamten Bibliotheksorganismus erbringt zusätzliche Rationalisierungseffekte durch Anwendung genormter Kollektiveinrichtungen und -Unternehmungen, bei weitgehender Inanspruchnahme zentraler Arbeitsergebnisse seitens der Einzelbibliotheken. - Im
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übrigen übernimmt die Sowjetunion alle bereits früher und anderwärts entwickelten Gemeinschaftsunternehmungen: u. a. einheitliche Benutzungsprinzipien (denen sie, ebenfalls einheitlich, extrem lange, benutzerfreundliche Öffnungszeiten hinzufügt); Fernleihe auf gesamtstaatlicher Ebene (im Riesengebiet der Sowjetunion, als dem flächengrößten Staat der Welt, mit einer Gesamtbevölkerungszahl von 2 j o Millionen); einheitliche Katalogregeln (die die auch hier zeitweilig wirksamen preußischen Katalogeinflüsse abgelöst haben); einheitliche Klassifizierungsregeln für die Sachkatalogisierung (»Bibliothekarisch-bibliographische Klassifikation«); sowie mehrere Gesamtkatalog-Unternehmen. Die in sowjetischer Ä r a hervorragend organisierte bibliographische Berichterstattung tritt auf mehreren Ebenen ergänzend hinzu; jedoch überwiegend von Einrichtungen außerhalb des Bibliothekswesens getragen. V o r allem von der Unionsbücherkammer, die auf Bundesebene die Nationalbibliographie und andere Bibliographien herausgibt und durch Lieferung von Titeldrucken praktisch kollektive Katalogisierung ermöglicht. Neben diese Gemeinschaftskatalogisierung tritt partiell auch eine gemeinschaftliche Bucherwerbung: mit Pflichtexemplarzuteilung für zahlreiche Bibliotheken (neben Bibliotheken auf Bundesebene auch die Staatsbibliotheken auf Landesebene); mit Gemeinschaftssubskription auf bestimmte Verlagsprogramme; mit standardisierter Buchanschaffung für bestimmte Bibliothekstypen, ζ . T. über Kollektivauswahl und Kollektivzuweisung durch die Zentralstellen. In dem Trend zu kollektiver und standardisierter Bucherwerbung berührt sich die Bibliotheksbetriebsentwicklung der Sowjetunion mit der der U S A (wenn auch bei unterschiedlichen ökonomischen und politischen Ausgangspositionen, Abwicklungen und Zielvorstellungen).
F i . Rußland Allgemeines. - Das europäische Rußland bildet das eigentliche Kerngebiet der Sowjetunion und den historischen Ausgangspunkt der Reichsbildung. Seine Entwicklung in der Neuzeit bestimmt die Geschichte des Gesamtraums mit allen Nebenländern (vgl. dazu Näheres oben S. 202 f.). N a c h der Umwandlung des russischen Kaiserreichs in den sowjetischen Bundesstaat bilden die südlichen und westlichen Nationen eigene Bundesländer. Der Rest des Gesamtstaats (drei Viertel der Gesamtfläche, mehr als die H ä l f t e der Gesamtbevölkerung: 134 Millionen) bildet das Bundesland Rußland: von der Ostsee bis zum Pazifischen Ozean. Wirtschaftlich, politisch und siedlungsmäßig bleibt das europäische Rußland der Kernraum: mit den Nord- und Zentralgebieten Osteuropas und mehreren industriellen Schwerpunktregionen. - Das nach Osten anschließende Sibirien zählt nur mit seinem südlichen Drittel (die nördlichen zwei Drittel sind aus klimatischen Gründen fast unbewohnt): einer Zone entlang der erschließenden transsibirischen Eisenbahn in West- und Ostsibirien. — Im äußersten Osten, nach den unwirtlichen Weiten Jakutiens, die pazifische Fernostregion (in ihrem Südteil bis Mitte des 19. Jh. chine-
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sisch-mandschurisch). - Innerhalb des Bundeslands Rußland bestehen eine Reihe autonomer Gebiete und Länder anderer Nationalitäten (ζ. B. im Osten und Norden des europäischen Rußland und in Nordostasien). Europäisches Rußland: Bibliotheken. - Das ältere russische Buch- und Bibliothekswesen behält während der »Tatarenzeit« und bis ins 17. Jh. hinein weithin mittelalterliche Züge: eine stagnierende Weiterführung des geistlichen Bibliothekswesens (eine Schloßbibliothek Ivans des Schrecklichen im Moskauer Kreml hat nur episodenhaften Charakter). Auch der Buchdruck, seit Mitte des 16. Jh., kommt nur schleppend in Gang. Eine Wende bringt die von Zar Peter dem Großen gegründete Staatsdruckerei in Petersburg ( 1 7 1 1 ) . Aber erst im weiteren 18. Jh. setzt sich der Buchdruck in Rußland durch. - Erst im 18. Jh. setzt auch das neuzeitliche Bibliothekswesen in Rußland ein. Zunächst nur in Petersburg mit der Akademiebibliothek und später der Kaiserlichen Bibliothek (vgl. beide unten, Leningrad), dann auch in Moskau mit der ersten Universität (vgl. unten). - Größere Breite gewinnt das russische Bibliothekswesen durch die Bildungsreform Kaiser Alexanders I., Anfang des 19. Jh. Er schafft eine feste Wissenschafts- und Unterrichtsorganisation, unter der Verwaltung des neuen »Ministeriums für Volksaufklärung« (so die offizielle deutsche Amtsbezeichnung, gegr. 1802), und läßt in den nächsten zwei Jahrzehnten eine Welle von Gymnasial- und Universitätsgründungen folgen, jeweils mit entsprechenden Bibliotheken. Im europäischen Rußland treten neben die bisher einzige Universität Moskau nunmehr die neuen Universitäten in der Reichshauptstadt Petersburg (vgl. unten, Leningrad) und östlich in der ehemaligen Tatarenhauptstadt Kazan an der mittleren Wolga (gegr. 1804). Doch erfaßt das Programm auch die übrigen europäischen Reichsteile mit ersten Universitäten, insbesondere die Ukraine (Charkov) sowie die nichtrussischen autonomen Kronländer »Kongreßpolen« (Warschau), Finnland (Helsinki) und die baltischen Provinzen (Tartu). - In die zweite Hälfte des 19. Jh. fällt die Gründung zahlreicher regionaler und lokaler Bibliotheken, ζ. T. in privater Initiative als Lesegesellschaften oder Stiftungsbibliotheken, ζ. T. auch als Stadtbibliotheken. Einige von ihnen entwickeln sich im 20. Jh. zu bedeutenden Großbibliotheken, die in den Gebietshauptstädten als regionale »Gebietsbibliotheken« in staatliche Obhut genommen werden. In diese Gruppe gehört als ursprüngliche Stiftungsbibliothek auch die heutige Lenin-Bibliothek zu Moskau (vgl. unten). - Im Zuge der völligen Erneuerung des russischen Bibliothekswesens nach der Oktoberrevolution entstehen bedeutende Zentral- und Spezialbibliotheken in der neuen Bundeshauptstadt Moskau (vgl. unten), aber auch in Leningrad (vgl. unten). Unter den zahlreichen jetzt neu gegründeten Universitäten gewinnen einige im Zusammenhang mit der Industrialisierung und dem immensen Ausbau von Schwerpunktstädten besondere Bedeutung: so in der zentralrussischen Wirtschaftsmetropole Gorkij an der oberen Wolga (der alten Messestadt Niznij-Novgorod, Universität gegr. 1918, Technische Hochschule gegr. 1930); in den neuen Industriezentren der mittleren Wolga, zuerst in Saratov (WolgaSchwerpunktuniversität schon 1909 gegr., Technische Hochschule gegr. 1930), später auch in der neuen Millionenstadt Kuibysev (vormals Samara, Universität
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gegr. 1969, Technische Hochschule gegr. 1934); in mehreren Großstädten des überragenden Ural-Industriegebiets, darunter in der Millionenstadt Sverdlovsk (vormals Ekaterinburg, Universität gegr. 1920, Technische Hochschule gegr. 1920, Bergbauhochschule gegr. im 19. Jh.); und schließlich im südrussischen Industrierevier zu Rostov am Don (Univ. gegr. 1917). Moskau: Lenin-Bibliothek. - Die heutige Lenin-Bibliothek beginnt als Stiftungsbibliothek im Rahmen des Rumjancev-Museums. Aus dem Nachlaß des russischen Staatsmanns Graf Nikolaj P. Rumjancev 1828 in Petersburg gegründet, 1861 nach Moskau verlegt und 1862 dort eröffnet, gehört sie in der zweiten Hälfte des 19. Jh. zu der Gruppe neu entstehender öffentlicher wissenschaftlicher Bibliotheken der größeren Städte des russischen Kaiserreichs außerhalb der Reichshauptstadt Petersburg. Mit Pflichtexemplarrecht, Anteil am Museumsetat und reichen privaten Zuwendungen erreicht sie bis zum 1. Weltkrieg ein Bestandsvolumen von einer Million Bänden. - Nach der Oktoberrevolution und der Erhebung Moskaus zur Bundeshauptstadt der Sowjetunion überragend gefördert, entwickelt sie sich, als »Lenin-Staatsbibliothek« (seit 1925, »Gosudarstvennaja Biblioteka S.S.S.R. imeni V.l. Lenina«) zur größten Bibliothek der Sowjetunion und zur zweitgrößten Bibliothek der Welt (nach der Library of Congress in Washington). Unter Stalin erhält sie, im Anschluß an ihr bisheriges Domizil (Palais Paskov, unweit des Kreml), einen zusätzlichen Neubau, das größte Bibliotheksgebäude der Welt (1930 bis 1957; Architekten: Vladimir G. Gelfrejch/Helfreich und Vladimir A. Siuko). Mit dem neuen Bibliotheksgebäude verfügt sie über 22 Lesesäle, 2400 Lesesaalplätze und das größte Bibliotheksmagazin der Welt. In der innerbetrieblich entscheidenden Zeit der letzten Ausbaujahre und der Reorganisationsjahre nach Fertigstellung des Monumentalbaus liegt die Leitung der Bibliothek in den Händen des Chefbibliothekars Mark M. Klevenskij (unter der Spitzenamtsträgerschaft mehrerer, aufeinander folgender Generaldirektoren). - Die Lenin-Bibliothek ist die Zentralbibliothek der Sowjetunion auf Bundesebene: Zentrum der Fernleihe, Leitbibliothek des Netzes der öffentlichen wissenschaftlichen und der allgemeinbildenden öffentlichen Bibliotheken, generelles bibliothekswissenschaftliches, bibliothekstheoretisches und methodisches Zentrum des sowjetischen Bibliothekswesens. Sie erhält drei Pflichtexemplare (ein Belegstück als Archivbibliothek des sowjetischen Schrifttums, die andern als Benutzungsexemplare) und führt einen weit verzweigten internationalen Schriftentausch im Rahmen ihrer Akzession. Sie bearbeitet mehrere Bibliographien (jedoch nicht die sowjetische Nationalbibliographie) und eine Reihe von Katalogen. — Sie gliedert sich in mehrere Abteilungen und Sammlungen: u. a. die Bestände aus der Zeit vor der Revolution; PflichtexemplarArchivbestände auf Bundesebene (nach Bundesländern und Nationalitäten gegliedert, auch in gesonderten Katalogen erschlossen, unter Berücksichtigung der verschiedenen nationalen Schriftalphabete); die allgemeinen und ausländischen Benutzungsbestände (ebenfalls gesondert katalogisiert); die Abteilung für alte und kostbare Bücher; die Handschriften- und Autographensammlung; die Musikabteilung und andere Sondersammlungen (Landkarten, Ansichten, Postkarten, Mikro-
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filme usw.); ferner theoretische und technische Sonder- bzw. Zentralstellen (Abteilung für Buchpflege und Restaurierung, Methodisches Bibliothekszentrum, Abteilung für Bibliotheksbau und -einrichtung usw.). Der Gesamtbestand der LeninBibliothek umfaßt 25 Millionen Bestandseinheiten (Buchbände und andere Sammelobjekte). Moskau: Weitere Bibliotheken. - Das zentrale Bibliotheksensemble der Sowjetunion umfaßt auf Bundesebene neben der Lenin-Bibliothek mehrere weitere Bibliotheken in Moskau: vor allem die Staatsbibliothek für ausländische Literatur (gegr. 1921, die auch den Gesamtkatalog der ausländischen Literaturbestände innerhalb der Sowjetunion führt); die Fundamentalbibliothek der Gesellschaftswissenschaften (gegr. 1918, Bibliothek der Moskauer Abteilung der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, neben den Abteilungen in Leningrad und Novosibirsk); die Technische Staatsbibliothek (gegr. 1958) neben einer Polytechnischen Zentralbibliothek (gegr. 1864); die Zentralbibliothek für Landwirtschaft (gegr. 1930); und die Zentralbibliothek für Medizin (gegr. 1919). - Die Moskauer Universität wird im 18. Jh. als erste in Rußland auf Betreiben des (in Deutschland ausgebildeten) Naturwissenschaftlers Michail V. Lomonosov gegründet (1755), ihre Universitätsbibliothek (gegr. 1756) nach Göttinger Muster eingerichtet. Als »LomonosovUniversität« ist sie heute die größte Universität der Sowjetunion und eine der größten der Welt. Daneben bestehen in Moskau eine Ausländeruniversität (»Lumumba-Universität«, gegr. i960) und mehrere weitere Hochschulen (u. a. Technische Hochschule, gegr. 1832). - Als sowjetische Bundeshauptstadt und russische Landeshauptstadt verfügt Moskau auch über eine Reihe von zentralen Behördenbibliotheken und Spezialbibliotheken. - Eine Schlüsselstellung im gesamten sowjetischen Buchwesen nimmt die Unionsbücherkammer ein (»Vsesojuznaja Kniznaja Palata«, gegr. 1920, reorganisiert 193J). Über sie läuft die Zuteilung der Pflichtexemplare und ζ. T. auch die standardisierte Subskription. Sie ist das methodische Zentrum aller bibliographischen Aktivitäten und bearbeitet die gesamtsowjetische Nationalbibliographie. Auf der Verzeichnungsgrundlage der Nationalbibliographie liefert sie auch Titeldrucke, die zum Erscheinungstermin des jeweiligen Buches vorliegen. Damit wird die Bücherkammer auch zur Trägerin der Gemeinschaftskatalogisierung auf Bundesebene. - Eine ähnlich zentrale Rolle spielt im Bereich des gesamten sowjetischen Informations- und Dokumentationswesens das Institut für wissenschaftliche und technische Information (»Vsesojuznyj Institut Naucnoj i Techniceskoj Informacii« = V I N I T I , gegr. 1952). Als Außeninstitut der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften ist es methodisches und wissenschaftliches Zentrum des Informationswesens (zu dessen führenden Mitarbeitern u. a. Aleksandr I. Michajlov gehört) und leistet zentrale Erschließungsarbeit (u. a. Referateblätter, Übersetzungsdienste). Leningrad. - Am Beginn des neuzeitlichen Bibliothekswesens in Rußland steht nicht Moskau, sondern Petersburg ( = russisch St. Peterburg, jetzt Leningrad). Bald nach der Gründung der neuen Nordhauptstadt (gegr. 1703, Reichshauptstadt 1712) wird als erste öffentliche wissenschaftliche Bibliothek Rußlands die Bibliothek der
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Akademie der Wissenschaften gegründet. Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (Hofbibliothekar in Hannover und Gründer der Akademie der Wissenschaften in Berlin) unterbreitet Peter dem Großen in mehreren Denkschriften und Audienzen ein Wissenschaftsförderungsprogramm für Rußland (1711/12) und tritt als offizieller Berater nebenamtlich in den russischen Staatsdienst (1712 als »Geheimer Justizrat«). Sein Programm umfaßt u. a.: Gründung einer »Hauptbibliothek«, einer Akademie der Wissenschaften (nebst Universität), sowie weiterer Einrichtungen (Museum, Observatorium, Bergbauinstitut, Druckereien, Gymnasien). Die meisten Leibnizschen Programmpunkte werden in den nächsten Jahren realisiert. 1714 erfolgt die Gründung der wissenschaftlichen Bibliothek (zusammen mit dem Museum). Sie wird der bald darauf geschaffenen Akademie der Wissenschaften (gegr. 1724/25) angegliedert und bezieht mit dieser und dem Museum ein erstes Sammlungsgebäude am Nevaufer (»Kunstkamera«, 1718-25). Die Bibliothek ist auf ein Jahrhundert wissenschaftliche Hauptbibliothek von Rußland, wird im 19. Jh. in dieser Funktion von der Kaiserlichen Bibliothek abgelöst, bleibt aber bis heute eine wissenschaftliche Großbibliothek (seit 1783 Pflichtexemplarrecht) mit Millionenbestand. Sie ist Leitbibliothek für das Netz der Akademiebibliotheken (Moskau, Novosibirsk und Außeninstitute). - 1795 gründet Kaiserin Katharina II. die Kaiserliche Bibliothek zu Petersburg, mit dem Grundbestand der polnischen nationalen Zaluski-Bibliothek (1794 aus Warschau überführter Besatzungsbeutebestand, vgl. S. 164) und einigen weiteren Sammlungen (darunter die angekauften Privatbibliotheken von Voltaire und Diderot). Sie erhält einen später mehrfach erweiterten Prachtbau, wird im Rahmen der Bildungsreform Kaiser Alexanders I. dem Ministerium für Volksaufklärung unterstellt und ist als »Kaiserliche öffentliche Bibliothek« seit 1814 Hauptbibliothek des russischen wissenschaftlichen Bibliothekswesens. Mitte des 19. Jh. wird sie unter dem Direktorat von Baron Modest A. Korff (1849-61) reorganisiert. Er setzt eine drastische Erhöhung des Anschaffungsetats durch, erwirkt das Recht auf ein zweites Pflichtexemplar (beispielgebend für die spätere Lenin-Bibliothek in Moskau und die Library of Congress in Washington), steigert den Bestandsumfang während seiner Amtszeit von 640000 auf 950000 Bände, saniert die vorher unzulängliche Katalogisierung und schafft einen vorbildlichen Benutzungsservice, u. a. mit ausgiebigsten Öffnungszeiten (werktags 10 bis 2i Uhr, sonntags 1 2 - 1 5 Uhr, beispielgebend für das sowjetische Bibliothekswesen). Die Kaiserliche Bibliothek in Petersburg erhält auch fernerhin massive staatliche Schwerpunktförderung (ihr Erwerbungsetat ist vor dem 1. Weltkrieg höher als der der Königlichen Bibliothek zu Berlin), bekommt aber auch großzügige private Zuwendungen und überholt vor dem 1. Weltkrieg mit einem Bestand von 2 Millionen Bänden fast alle andern Bibliotheken Europas. In der sowjetischen Ära intensiviert sich die staatliche Fürsorge weiterhin. Neben der Lenin-Bibliothek in Moskau (als Bibliothekszentrale auf Bundesebene) bleibt die bisherige Kaiserliche Bibliothek, jetzige Saltykov-Scedrin-Staatsbibliothek (»Gosudarstvennaja Pubiiinaja Biblioteka imeni Μ. E. Saltykova-Siedrina«), die Bibliothekszentrale für das eigentliche Rußland, erhält auch eine Reihe von Funktionen auf Bundesebene und gehört als schätzereichste und bestandsmäßig zweitgrößte Bibliothek der
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Sowjetunion (Gesamtbestand: 17 Millionen Bestandseinheiten, d. h. Buchbände und andere Sammelobjekte) zu den bedeutendsten Bibliotheken der Welt. - Die Leningrader Universitätstradition reicht zurück bis in die Frühzeit der Petersburger Akademie der Wissenschaften, an der seit 1726 universitäre Kurse abgehalten werden. Die eigentliche Universität wird erst 1819 im Zuge der Bildungsreform Kaiser Alexanders I. gegründet (davor 1804 als Anfangsstufe schon eine Pädagogische Hochschule). - Noch weiter zurück reicht die Technische Hochschule, die Peter der Große 1708 in Petersburg gründet (als Ingenieurs-Polytechnikum, die Zweitälteste Einrichtung dieser Art in der Welt), gefolgt von der Petersburger Bergbauhochschule (gegr. 1773, einer der ältesten der Welt). - Heute verfügt die Weltstadt Leningrad über mehrere weitere Hochschulen und zahlreiche weitere Spezialbibliotheken. Sibirien, Ferner Osten: Bibliotheken. - Das neuzeitliche Bibliothekswesen beginnt in Sibirien im 19. Jh. mit der Erhebung der mittelsibirischen Stadt Tomsk zum kulturellen Vorort ganz Sibiriens (Universität gegr. 1888, Technische Hochschule gegr. 1895). Mit der Ausweitung des mittelsibirischen Industriereviers nach Süden (bis zum Kuznecker Bergbaubecken) und dessen Aufstieg im 20. Jh. zu einem der führenden Industrie- und Bergbaugebiete der Welt, verlagert sich auch der Kulturschwerpunkt Sibiriens nach Süden. Jetzt wird das südlichere Novosibirsk (erst Ende des 19. Jh. beim Bau der Transsibirischen Eisenbahn unter dem Namen NovoNikolaevsk gegr.) in raschem Aufstieg zur Millionenstadt die neue Metropole Sibiriens. Die Novosibirsker Trabantenstadt »Akademgorod« beherbergt die Sibirische Abteilung der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften (neben Leningrad und Moskau) mit Forschungsinstituten und großer Akademiebibliothek (gegr. 1959), eine Universität (gegr. 19j9), sowie mehrere Hochschulen. - Im ostsibirischen Schwerpunkt-Industriegebiet westlich vom Baikalsee (das Weltmaßstäbe setzt) wird die ehemalige Generalgouverneursresidenz und moderne Industriegroßstadt Irkutsk ebenfalls zu einem Wirtschafts- und Wissenschaftszentrum (Universität gegr. 1918, Technische Hochschule, Bergbauhochschule usw.). - Die sowjetischen Fernostgebiete, wirtschaftsgeographisch in Zusammenhang mit den Nachbarländern China, Korea und Japan, spielen ökonomisch und kulturell eine geringere Rolle, obwohl es an beachtlichen Bibliothekszentren nicht fehlt (u. a. Vladivostok mit Universität).
F 3. Ukraine, Weißrußland Allgemeines. - Weißrußland und die Ukraine bilden im Mittelalter konstituierende Bestandteile Altrußlands und nehmen an dessen Gesamtentwicklung voll teil. Von der über Altrußland hereinbrechenden Tatarenherrschaft können sie sich jedoch bald freimachen. Sie gewinnen im Rahmen des neuen Großfürstentums Litauen (d. h. Weißrußland mit dem heutigen Litauen, nebst großen Teilen der Ukraine)
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und in der Doppelmonarchie Polen-Litauen in Spätmittelalter und früher Neuzeit Anschluß an die westeuropäische Zivilisation. Im 17. Jh. fällt die Ostukraine (einschließlich Kiev) wieder an Rußland zurück. Erst bei den polnischen Teilungen, Ende des 18. Jh., folgen auch die Westukraine und Weißrußland. Die westlichsten Teile der Ukraine (Ostgalizien, Bukowina) gehören nach der Teilung Polens bis zum 1. Weltkrieg zu Österreich, nach dem 1. Weltkrieg wieder zu Polen und fallen erst Mitte des 20. Jh. an die Sowjetunion. - Während der langen Trennung vom übrigen Rußland haben sich die ukrainisch-weißrussischen Dialekte zu eigenständigen ostslawischen Sprachen entwickelt. Innerhalb der Sowjetunion bildet die Ukraine heute das zweitbedeutendste Bundesland (Gesamtbevölkerungszahl: 49 Millionen). Ukraine, Weißrußland: Bibliotheken. - Buch- und bibliotheksgeschichtlich ist die Ukraine früher auf dem Plan als das übrige Rußland. Hier zuerst setzt das mittelalterliche Klosterbibliothekswesen Altrußlands ein (Kiev). In der Ära der Doppelmonarchie Polen-Litauen verbreitet sich hier, unter polnisch-westlichem Einfluß, der Buchdruck schneller und nachhaltiger als im moskowitischen Rußland. Zu den frühen Druckorten gehören Lemberg (wo die von Zar Ivan dem Schrecklichen gegründete Moskauer Druckerei bald ein Exilrefugium findet, wo aber im 16. Jh. auch andere Druckereien bestehen) und Kiev. Auch das Hochschulwesen kommt während der polnisch-litauischen Ära in der Ukraine früher in Gang als in Rußland (im 17. Jh. bereits geistliche Hochschulen in Lemberg und Kiev). - Innerhalb des Kaiserreichs Rußland (das bei den polnischen Teilungen fast die gesamte Ukraine erhält) setzt das neuzeitliche Bibliothekswesen für die Ukraine im Rahmen der Bildungsreform Kaiser Alexanders I. ein. Zunächst mit der Universitätsgründung in Cbarkov (ukrainisch Charkiv; Universität gegr. 1804). Der Aufstieg Charkovs im 19. Jh. zum wichtigsten Industrieort der Ukraine, im 20. Jh. zur Millionenstadt und zum Vorort des gemeinsamen ukrainisch-südrussischen Industriereviers (Donec-Becken, mit Charkov und Rostov am Don als Eckpfeilern) läßt die Stadt auch zum ostukrainischen Kulturmittelpunkt mit mehreren Hochschulen und Bibliotheken werden (u. a. Technische Hochschule gegr. 1885). - Zum Hauptzentrum des ukrainischen Bibliothekswesens entwickelt sich jedoch die alte Landeshauptstadt Kiev (vgl. unten). - Unter den weiteren Universitäts- und Bibliotheksorten ragen heraus die ukrainische Haupthafenstadt Odessa (Universität gegr. 1 8 6 j ) und das mittelukrainische Industriezentrum Dnepropetrovsk (vormals Ekaterinoslav, heute Hauptort des Schwerpunkt-Industriegebiets im Dneprbogen; Universität gegr. 1918, ferner Technische Hochschule und Bergbauhochschule). - Nach dem Anschluß Ostgaliziens und der Bukowina kann die Sowjetunion auch zwei in altösterreichischer Zeit entstandene Universitätsorte übernehmen: Czernowitz ( = ukrainisch Cernovcy, die österreichische Verwaltungshauptstadt der Bukowina, Universität gegr. 187$) und vor allem Lemberg ( = ukrainisch Lviv, russisch Lvov, polnisch Lwow), die österreichische Verwaltungshauptstadt Galiziens. Der Lemberger Universität geht ein Jesuitenkolleg voraus (gegr. 1661). Nach der Auflösung des Jesuitenordens und dem Übergang Galiziens an Österreich gründet Kaiser Joseph II. die Universität Lemberg (1784) im Rahmen der gesamtösterreichischen
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Universitäts- und Bibliotheksreform und unter Einbeziehung der alten Jesuitenbibliothek. Die Universitätsbibliothek entwickelt sich zu einer Musterbibliothek innerhalb Österreich-Ungarns. In der österreichischen Zeit als polnisch-galizische Universität eingerichtet, nach dem 1. Weltkrieg vom neuen Polen so weitergeführt, wird sie nach dem 2. Weltkrieg zur ukrainischen Universität reorganisiert. - Im Vergleich mit dem ukrainischen Bibliothekswesen tritt das Bibliothekswesen der beiden die Ukraine flankierenden kleineren sowjetischen Bundesländer (Moldau und Weißrußland) an Bedeutung relativ zurück. In älterer Zeit fungiert die litauische Hauptstadt Wilna als Kulturmittelpunkt auch für Weißrußland. Das erst in sowjetischer Zeit zur Eigenstaatlichkeit aufsteigende Weißrußland (Gesamtbevölkerungszahl: 9,5 Millionen) schafft sich in seiner neuen Landeshauptstadt, der jetzigen Millionenstadt Minsk, auch ein Zentrum des eigenen Bibliothekswesens mit Staatsbibliothek (1926 durch Reorganisation älterer Bibliotheken geschaffen), Universität (gegr. 1921) und weiteren Hochschulen (u. a. Technische Hochschule gegr. 1933). Kiev. — Als mittelalterliche Hauptstadt Altrußlands und heutige Landeshauptstadt der Ukraine ist die Millionenstadt Kiev ( = ukrainisch Kijv) Zentralort des ukrainischen Bibliothekswesens. Unter den geistlichen Bibliotheken des Mittelalters ragt die Kathedralbibliothek hervor (1037 bei der Sophienkathedrale gegr.). - Aus der Ära der polnisch-litauischen Doppelmonarchie datiert die Gründung eines Priesterkollegs (1615), das nach der Rückkehr Kievs in den russischen Staatsverband beibehalten und von Peter dem Großen zur Theologischen Hochschule erhoben wird (1701). - Daneben tritt 1834 eine neuzeitliche Universität (durch Verlegung der vormaligen Universität Wilna nach Kiev, 1833), die heutige ukrainische Hauptuniversität. Später kommen weitere Hochschulen hinzu, teils noch in kaiserlicher Zeit (Technische Hochschule gegr. 1898), überwiegend in der sowjetischen Ära. Zentrale des ukrainischen Bibliothekswesens wird die ukrainische Staatsbibliothek (gegr. 1866 als öffentliche wissenschaftliche Bibliothek, unter Beteiligung privater Initiativen). Kiev ist auch Sitz der ukrainischen Akademie der Wissenschaften mit großer Akademie-Bibliothek.
F4. Baltikum Allgemeines. - Das Baltikum gehört seit dem Hochmittelalter zum westeuropäischen Kulturbereich: mit lateinischer Schrift, westlichem Christentum, westeuropäischer Baukunst usw. Politisch bildet es (mit Ausnahme von Litauen) lange Zeit den Herrschaftsbereich des Deutschen Ritterordens. Nach schwedischer bzw. polnischer Zwischenherrschaft fällt es im 18. Jh. etappenweise an Rußland, erhält ζ. T. schon damals Autonomie und gliedert sich heute in die sowjetischen Bundesländer Estland, Lettland und Litauen (Gesamtbevölkerung der drei Länder: 7 Millionen). Ostpreußen, das südlichste Ordensgebiet, seit dem 17. Jh. durch dynasti-
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sehen Erbgang in Union mit Brandenburg, später namengebend für den Gesamtstaat Preußen (ohne allerdings jemals dem Römisch-deutschen Reich oder dem Deutschen Bund anzugehören), wird schließlich dem Bismarckschen Deutschen Reich eingegliedert und fällt erst nach dem 2. Weltkrieg an die Sowjetunion (als Außengebiet des Bundeslandes Rußland). Baltikum: Bibliotheken. — Wichtigster Bibliotheksort des ganzen Baltikums ist dessen größte Stadt, die lettische Landeshauptstadt Riga, mit bedeutender Staatsbibliothek (gegr. 1919), Universität (gegr. 1919) und weiteren Hochschulen und Bibliotheken. - Im übrigen weist das Baltikum die drei ältesten Universitäten der heutigen Sowjetunion auf. Alle drei ursprünglich vorrussische Gründungen. Im heutigen Estland wird die Universität Tartu ( = schwedisch und deutsch Dorpat) im 17. Jh. von König Gustav Adolf im Rahmen des schwedischen Reichsuniversitätsprogramms gegründet (1632, vgl. S. 1 7 1 ) , nach der russischen Eroberung zunächst geschlossen (1710), im Rahmen der Bildungsreform Kaiser Alexanders I. jedoch nach Göttinger Muster erneuert (1802, deutschbaltische Hauptuniversität) und nach dem 1. Weltkrieg als estnische Landesuniversität weitergeführt. - Innerhalb der polnisch-litauischen Doppelmonarchie entsteht im 16. Jh. das Jesuitenkolleg zu Wilna ( = litauisch Vilnius, Kolleg gegr. 1578/79), wird im 17. Jh. zur Teiluniversität erhoben, nach den polnischen Teilungen im Rahmen der Bildungsreform Kaiser Alexanders I. zur Volluniversität ausgebaut (1803), jedoch nach der polnischen Revolution von 1830 geschlossen und nach Kiev verlegt (1833, vgl. oben S. 213), nach dem 1. Weltkrieg vom neuen polnischen Staat als polnische Universität in Wilna neu gegründet, nach dem 2. Weltkrieg innerhalb der Sowjetunion als litauische Landesuniversität weitergeführt. - Nach der Umwandlung des ostpreußischen Ordensgebiets in ein säkularisiertes Hohenzollern-Herzogtum gründet der erste Herzog 1544 eine Landesuniversität in der Hauptstadt Königsberg (heute = russisch Kaliningrad). Ihre Universitätsbibliothek (die zeitweilig der Philolosoph Immanuel Kant als nebenamtlicher Bibliothekar leitet) fungiert im brandenburgisch-preußischen Gesamtstaat als Staats- und Universitätsbibliothek, seit Anfang des 19. Jh. mit der alten Königsberger Schloßbibliothek vereinigt. Nach dem 2. Weltkrieg an die Sowjetunion gefallen, wird die deutsche Universität zunächst storniert, aber später als russische Universität erneuert (1967).
F 5. Kaukasien Allgemeines. - Armenier und Georgier gehören zu den ältesten Kulturvölkern der Welt. Schon in der Antike bezeugt, in Kontakt mit Griechen und Römern, seit der Spätantike in einer eigenen christlichen Kirche organisiert, seitdem auch mit eigener Schriftkultur, im Wandel der Geschichtsentwicklung teils in eigenständigen, teils in abhängigen Staatsgebilden, in politischen und kulturellen Wechselbeziehungen zu Byzanz, Persien, Arabien und der Türkei, seit dem 19. Jh. dem russischen Kai-
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serreich einverleibt (Vizekönigtum mit teilweiser Regionalautonomie), bilden beide Völker innerhalb der Sowjetunion die kaukasischen Bundesländer Armenien und Georgien ( = russisch »Grusinien«), an die sich südöstlich die kaspischen ölgebiete als drittes Bundesland anschließen (Gesamtbevölkerungszahl der drei Länder: 13 Millionen). Kaukasien: Bibliotheken. - Das alte, aber auch veraltete autochthone Bibliothekswesen Kaukasiens ragt bei wechselnder Geschichte bis ins 19. Jh. hinein. Mit der russischen Verwaltung des 19. Jh. ziehen auch Ansätze zum neuzeitlichen Bibliothekswesen in Kaukasien ein. Doch beginnt die Ära der modernen Gebrauchsbibliothek hier erst mit den zielgerichteten sowjetischen Reformen des 20. Jh. Die Hauptstädte der drei kaukasischen Bundesländer verfügen heute jeweils über eine Staatsbibliothek, Universität und weitere Hochschulen. So besonders die georgische Landeshauptstadt Tiflis ( = georgisch und russisch Tbilisi) mit der georgischen Staatsbibliothek (gegr. 1846 als öffentliche wissenschaftliche Bibliothek für das Vizekönigtum Kaukasien, 1920 reorganisiert zur Staatsbibliothek) und Universität (gegr. 1918); ähnlich die armenische Landeshauptstadt Erevan (Staatsbibliothek gegr. 1921 durch Zusammenlegung älterer Sammlungen, Universität gegr. 1920).
F 6. Zentralasien Allgemeines. - Zentralasien gehört zu den ältesten Frühzivilisationsgebieten der Erde. Im Laufe der Geschichte lösen hier zahlreiche Völkerschaften und Kulturen wellenweise einander ab. In Kontakt mit den Griechen und Indern der Antike, später unter dem Einfluß der chinesischen Kultur, gerät das Gebiet im Frühmittelalter unter arabische Herrschaft, wird buchgeschichtlich bedeutsam durch Vermittlung der aus China übernommenen Papierfabrikation an die Araber (Samarkand, 8. Jh.) und damit später auch an die Europäer, steigt zu einem Schwerpunktgebiet der islamischen Kultur auf, unterliegt weiteren Völker- und Herrschaftswechseln, wird schließlich in der zweiten Hälfte des 19. Jh. dem russischen Kaiserreich einverleibt und bildet innerhalb der Sowjetunion fünf Bundesländer (Gesamtbevölkerungszahl: 34 Millionen). Die berühmtesten altislamischen Kulturmittelpunkte Zentralasiens befinden sich im heutigen Usbekistan (u. a. Chiwa/Chvarizm/ Choresm; Buchara; Samarkand; Taschkent). Zentralasien: Bibliotheken. — Das ältere, aber allmählich antiquierte einheimische Bibliothekswesen dauert bis ins 19. Jh. fort. Der planmäßige Aufbau eines modernen Bibliothekswesens erfolgt erst im Rahmen der sowjetischen Bibliothekspolitik des 20. Jh. Die Hauptstädte der fünf zentralasiatischen Bundesländer besitzen jeweils Staatsbibliothek, Universität und weitere Hochschulen. Am wichtigsten wird unter ihnen Taschkent, die Landeshauptstadt von Usbekistan und einzige Millionenstadt Zentralasiens (Staatsbibliothek gegr. 1870, Universität gegr. 1920).
G. Neuzeit (Nordamerikanische Bibliotheken) G i. Allgemeines Allgemeines. - Der nordamerikanische Kontinent gewinnt erst relativ spät historische, politische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung. Doch setzt die Entwicklung zur Teilhabe an der europäischen Gesamt-Zivilisation schon vor der Gründung der beiden heutigen Großflächenstaaten U S A und Kanada ein. Zunächst kommt es zum vollständigen Kontinuitätsbruch gegenüber den altamerikanischen Verhältnissen und der alten einheimischen Bevölkerung. Nach punktueller Landnahme in der Renaissancezeit und im Frühbarock entstehen im weiteren 17. und 18. Jh. vier große Kolonialregionen europäischer Staaten: die britische AtlantikKüste, das französische Kanada, das französische Mississippi-Gebiet und die spanische Pazifik-Küste. - Die britischen Kolonien an der Atlantik-Küste erhalten allmählich eine gewisse Autonomie und kennen neben dem britischen Gouverneur jeweils bereits ein eigenes Regionalparlament. Auch wirtschaftlich und kulturell erstarkt, bilden sie die ursprünglichen »Vereinigten Staaten von Amerika« (USA), die 1776 ihre Unabhängigkeit von Großbritannien erklären und sie auch militärisch durchsetzen (Anerkennungsfriede 1783). - Bis Mitte des 19. Jh. können sie auch alle übrigen Gebiete bis zur Pazifik-Küste erwerben: die vormals französischen, inzwischen an Großbritannien gefallenen Mississippi-Ostgebiete gleich nach dem Friedensschluß (1783); bald darauf auch die riesigen Mississippi-Westgebiete, von den Großen Seen bis zur Mississippi-Mündung, durch Kaufvertrag mit Frankreich (1803); in den folgenden Jahrzehnten die vormals spanischen Gebiete im Südwesten und an der Pazifik-Küste (durch K a u f , Anschluß und Krieg). - Kanada, lange Zeit französisch, 1763 an Großbritannien gefallen, bleibt weiterhin britisch bis ins 20. Jh., jedoch allmählich mit dem Status eines autonomen Dominions, und wird schließlich in der Praxis ein voll souveräner Staat mit besonderer Bindung an Großbritannien. Das Land, im Norden äußerst dünn besiedelt (daher auch heute nur eine Gesamtbevölkerungszahl von 21 Millionen), macht im Süden die industrielle Entwicklung der U S A mit und behält neben dem englischen einen starken französischen Kulturanteil. - Die U S A , klimatisch günstiger gelegen als Kanada, entwickeln sich zu einem der bevölkerungsstärksten Länder (Gesamtbevölkerungszahl: 203 Millionen) und zum größten Industriestaat der Welt. Auf dem Wege dieser Entwicklung liegen im 19. Jh.: die innere Erschließung der neugewonnenen Westgebiete und deren allmähliche Erhebung zum Status von Bundesländern; die Industrialisierung der nördlichen Staaten (besonders der Neu-England-Staaten
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an der Atlantik-Küste mit New York und Boston, sowie der Mittelweststaaten an den Großen Seen mit Chicago); der Abspaltungsversuch der großagrarischen Südstaaten und deren endgültige Eingliederung in die Union (nebst Eliminierung ihrer sklavenhalterischen Gesellschaftsstruktur, 2. Hälfte des 19. Jh.); schließlich die Zuwanderung von vielen Millionen von Europäern, der Aufstieg der U S A zur Großmacht (ab Ende des 19. Jh.) und politisch und wirtschaftlich zur Weltmacht und Supermacht (Mitte des 20. Jh.). - Seit ihren revolutionären Ursprüngen in der Aufklärungszeit sind die U S A eine Vorbildmacht des Liberalismus: der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten, der demokratischen Volkssouveränität und republikanischen Staatsform (in Frontstellung gegen Monarchie, Feudalismus, Absolutismus und Diktatur); sowie des Prinzips der freien Wirtschaft und leistungsfähigen Privatinitiative (in Absage gegen die merkantilistische, später sozialistische Staatswirtschaft). Dabei auftretende Auswüchse und soziale Schäden einer überspitzt kapitalistischen Wirtschaftsform werden seit dem zweiten Drittel des 20. Jh. zögernd abgebaut. Parallel zu ihrem politischen, wirtschaftlichen und technischen Aufstieg, gehen die U S A im 20. Jh. auch wissenschaftlich in Führung und bauen ihr ßildungs-, Ausbildungs- und Fortbildungswesen großzügig aus, unter voller Einbeziehung des Bibliothekswesens. Bibliothekswesen: Allgemeines. - Entsprechend der Allgemeinentwicklung Nordamerikas setzt Bibliothekstätigkeit hier wesentlich später ein als in Europa: erste Ansätze im 17. und 18. Jh., Anläufe zu einer gezielten Entwicklung im Laufe des 19. Jh., Anschluß an das europäische Standardniveau bis 1900. Von da an gehört das nordamerikanische Bibliothekswesen zur Weltspitzenklasse und gewinnt in der zweiten Hälfte des 20. Jh. die Weltführungsposition. - Die nordamerikanischen Bibliotheken, in den U S A wie in Kanada, sind generell sehr gut ausgestattet. Sie verfügen über die reichsten materiellen und finanziellen Mittel, mit hohen Etatsansätzen und oft mit umfänglichen privaten Zuwendungen (wie überhaupt viele amerikanische Bibliotheken auf private Gründungen und Stiftungen zurückgehen). Sie haben die relativ umfassendsten Buchbestände im Weltmaßstab, mit großem Titelreichtum auch an ausländischen Werken und an im Rahmen des Reprintwesens nachbeschafften Altbeständen, sowie mit gestaffelten Mehrfachexemplaren bei der vielbenutzten Literatur. Ihre technische Ausstattung setzt Weltmaßstäbe: in zahllosen Neubauten, mit modernen Einrichtungen, Klimatisierung, Förderanlagen, Betriebsmaschinen aller Art, EDV-Einsatz auf allen Anwendungsgebieten. - Weil erst im Industriezeitalter voll entwickelt, kennt Nordamerika von Anfang an die Einheit des gesamten Bibliothekswesens. Die nordamerikanischen Bibliotheken halten ein hohes wissenschaftliches Niveau, stehen in enger Verbindung zu Praxis, Berufsausbildung und Fortbildung, und leisten auch Dienst bei der politischen, staatsbürgerlichen und kulturellen Bildung und Information. Die personelle Ausstattung der nordamerikanischen Bibliotheken übertrifft im 20. Jh. die der europäischen bedeutend, entsprechend den großzügigen materiellen und technischen Verhältnissen und dem Prinzip größerer Informationsaktivität. Das verstärkte Gewicht, das der personellen Seite des Bibliothekswesens beige-
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messen wird, führt hier schon 1876, zuerst in der Welt, zur Gründung eines Bibliothekarverbandes: der »American Library Association (ALA)« (der heute auch der kanadische Bibliothekarverband affiliiert ist). Bibliothekstypen. - Zur Nationalbibliothek der U S A entwickelt sich im Laufe des 19. Jh. die Library of Congress in Washington, im 20. Jh. ergänzt durch nationale Fachzentralbibliotheken. Auch Kanada erhält im 20. Jh. eine Nationalbibliothek. - Vorläufer der Universitätsbibliotheken entstehen schon während der Kolonialzeit: Büchersammlungen der frühen Colleges des 17. und 18. Jh. in den atlantischen Neu-England-Kolonien und im französischen Kanada. Im 19. und 20. Jh. werden zahllose Universitäten und Colleges gegründet (über 2000), von heterogenstem Umfang und Niveau. Das universitäre Bibliothekswesen folgt von Anfang an dem britischen Modell der administrativen und kooperativen Einheit von College-, Instituts- und Fakultätsbibliotheken mit einer zentralen Universitätsbibliothek. Die Funktionen der Regionalbibliotheken werden ζ. T. von den kommunalen Public Libraries der Großstädte mit wahrgenommen, oft aber durch »State Libraries« ausgeübt. Diese Staatsbibliotheken sind eigentlich Parlaments- bzw. Regierungsbibliotheken der Einzelstaaten. Sie wachsen aber im späteren 19. und 20. Jh. häufig in die Rolle von Landesbibliotheken hinein, teils mit einem vollen Sammelprogramm an wissenschaftlicher Literatur, teils nur mit dem Sammelauftrag für landeskundliche Literatur und evtl. regionale Belegexemplare. - Dem kommunalen Bibliothekswesen voraus gehen in den U S A , wie in Großbritannien, die Lesegesellschaften des 18. Jh. Die Public Libraries des 19. und 20. Jh. sind von Anfang an Einheitsbibliotheken, die (wie in Großbritannien und in Skandinavien) die bis dahin dort fehlenden wissenschaftlichen Stadtbibliotheken verspätet vertreten, zugleich aber auch für die im Industriezeitalter anstehenden allgemeinbildenden Büchereiaufgaben tätig werden und mit kombiniertem wissenschaftlichen und allgemeinbildenden Buchbestand die Literaturversorgung aller Bevölkerungsschichten übernehmen. Nach Vorstufen von Schulbezirksbibliotheken im frühen 19. Jh., treten die eigentlichen Public Libraries Mitte des 19. Jh. auf, angeregt durch landeseinheitliche Büchereigesetze amerikanischer Bundesländer, die die Städte ermächtigen, bestimmte kommunale Steuern zur laufenden Finanzierung öffentlicher Bibliotheken einzusetzen. Nach schleppender Anfangsentwicklung entstehen bis 1900 viele Hunderte von kommunalen öffentlichen Bibliotheken. Kennzeichnend für die amerikanische Public Library ist ihre Lesernähe, die Freihandzugänglichkeit, die aktive Informationstätigkeit und die erweiterte Funktion als Mediothek und allgemeiner Kulturklub. Der Typus der amerikanischen Public Library wird zum Modellfall der modernen Basisbibliothek im 20. Jh. - Die in Nordamerika zahlreichen Spezialbibliotheken und Industriebibliotheken entwickeln sich in neuester Zeit zu wichtigen arbeitsteiligen Zentren für Wissenschaft, Forschung, Bibliographie und Dokumentation. Bibliotheksbetriebswesen, Bibliothekszusammenarbeit. - Im 20. Jh. gehen viele Neuerungen des internationalen Bibliothekswesens von Nordamerika aus. Besonders die Mechanisierung und Technisierung des Bibliotheksbetriebs. Voran der
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EDV-Einsatz bei der Akzessionierung, Katalogisierung, Ausleihverbuchung und beim Informationsabruf. - Andererseits werden auch ältere Entwicklungsstufen beibehalten, jedoch in modernen Dienst genommen: ζ. B. die aufwendige und somit unrationelle systematische Aufstellung der Gesamtbestände, auch der Magazinbestände, in Public Libraries, Universitätsbibliotheken und sogar in der Library of Congress; heute jedoch begründet als Voraussetzung sinnvoller Freihandbenutzung. - Typisch für die Anschaffungsgepflogenheiten ist die Standardisierung von bestimmten Modellprogrammen bzw. »standing orders« auf ganze Literaturarten und Verlagsprogramme, oft per Dauerauftrag en bloc durch Partneragenturen und Buchhandlungen beschafft. Das kann auch zu standardisierter Kollektivbeschaffung für mehrere Bibliotheken führen, evtl. mit einer »großen« und »kleinen« Programm-Variante, und besonders durch gemeinsame Auslandsagenturen. - Auch die Katalogisierung erstrebt Rationalisierung durch kollektive Arbeitsbündelung für mehrere Bibliotheken, d. h. durch Inanspruchnahme von Fremdleistung. Auf dieser Linie liegt die zentrale Katalogisierung der Library of Congress (Titelkarten, Gesamtkataloge, EDV-Katalogbänder), aber auch die Gemeinschaftskatalogisierung im regionalen EDV-Verbund mit on-line-Abrufbarkeit. - Ohne die konsequente und perfektionierte Netzbildung aller Unterstellungsverhältnisse nach dem Modell des sowjetischen Bibliothekswesens anzustreben, erreichen die nordamerikanischen Bibliotheken doch trotz ihrer Dezentralisierung ein hohes Maß an Gemeinschaftsarbeit durch Kooperation und Koordinierung. Beginnend auf der Basisstufe mit dem universitären Bibliothekssystem der einzelnen Universitäten und dem Urbanen Bibliothekssystem der einzelnen Städte (Zweigbüchereien der Public Libraries), über den regionalen und nationalen Anschaffungs- und Katalogisierungsverbund, bis zum gemeinsamen nationalen Sondersammelgebietsplan (Farmington-Plan, mit Anschaffungsschlüsselung für die Literatur besonderer Sachgebiete und aus bestimmten Ländern), den gemeinsamen anglo-amerikanischen Katalogregeln und den nationalen Gesamtkatalogen.
G 2. USA: Nordosten (Neu-England, „Mittelatlantik") Allgemeines. - Der Nordosten der USA, d. h. die »New England States« und »Middle Atlantic States« (u. a. New York, Pennsylvania, Maryland) zwischen der nördlichen Atlantik-Küste und den großen Seen, bildet eine der drei wirtschaftlichen und bevölkerungsmäßigen Schwerpunktregionen der Union (neben dem »Mittelwesten« und Kalifornien) und mit der Bundeshauptstadt Washington, der Weltmetropole New York und den historischen Urstaaten (den alten »Yankee«-Staaten) die eigentliche politische und kulturelle Zentralregion Nordamerikas. USA (Nordosten): Bibliotheken. - Auch das amerikanische Bibliothekswesen zeigt im Nordosten der USA nicht nur seine historisch ältesten Schichten, sondern auch seine größte Konzentration und Massiertheit. - In der Hauptstadt Washington (vgl. unten) befinden sich die »Nationalbibliotheken«: die Library of Congress und
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die nationalen Fachzentralbibliotheken. - Die bedeutendste Regionalbibliothek ist die State Library in Albany, der Hauptstadt des Staates New York (gegründet 1818, heute mit Millionen-Buchbeständen), an der Melvil Dewey 1889 die erste Bibliotheksschule der Welt gründet. - In den alten nordamerikanischen Urstaaten liegen auch die ältesten Universitäten, anfangs kleinere Colleges: aus dem 17. Jh. Cambridge!Mass. (vgl. unten); aus dem 18. Jh. New Haven/Conn. (vgl. unten), Philadelphia!Ρa. (gegr. 1740), Princeton/N.J. (gegr. 1746), New York (vgl. unten), Providence!R.I. (gegr. 1764) und Pittsburgh!Pa. (gegr. 1787). Unter den später gegründeten Universitäten ragen die in Ithaca/N.Y. (Cornell University, gegr. 1865) und Baltimore!Md. (Johns Hopkins University, gegr. 1876) heraus. Sie alle sind heute große, angesehene, ζ. T. weltberühmte Universitäten, deren Bibliothekssysteme jeweils über Millionenbestände verfügen. Erwähnung verdient auch das College in Amherst!Mass. (gegr. 1821), an dessen Bibliothek Melvil Dewey in den 1870er Jahren als Bibliothekar wirkt und hier die Dezimalklassifikation (Dewey Decimal Classification) für systematische Kataloge entwickelt. - In den Neu-England-Kolonien des 18. Jh. entstehen als Vorläufer der späteren Public Libraries die ersten Bibliotheken von Lesegesellschaften (»Subscription Libraries«), Darunter besonders berühmt die in Philadelphia!Ρα. (»Library Company«, gegr. 1731 durch Benjamin Franklin) und Boston (vgl. unten). Auch die ersten gesamtstaatlichen Büchereigesetze des 19. Jh., die die Gemeinden zur Gründung von kommunalen Public Libraries anregen sollen, werden hier erlassen: zufrühest in den Neu-England-Staaten New Hampshire (1849) und Massachusetts (1851). Als erste Public Library entsteht daraufhin die in Boston (vgl. unten). Die größte Public Library ist die in New York (vgl. unten). Heute verfügen alle größeren Städte dieser Region über gut ausgebaute Public Libraries, in den Großstädten und Millionenstädten jeweils mit urbanem Bibliothekssystem (Zweigbüchereien) und ebenfalls mit Millionenbestand. Washington: Library of Congress. - Im Jahre 1800 wird Washington offiziell als neu gegründete Bundeshauptstadt der USA bezogen. Der Kongreß (das amerikanische Parlament mit den beiden Kammern Repräsentantenhaus und Senat) verfügt von Anfang an über eine kleine Amts-Büchersammlung (gegr. 1800, bei der Kongreßübersiedlung nach Washington). Die Library of Congress (LC) entwickelt sich in der ersten Hälfte des 19. Jh. langsam zu einer leistungsfähigen Parlamentsbibliothek, die mit einer besonderen rechtswissenschaftlichen Abteilung (»Law Library«) auch als juristische Spezialbibliothek, Regierungs- und Verwaltungsbibliothek dient und erste Ansätze zu Nationalbibliotheksfunktionen entwickelt (seit den 1840er Jahren Sammlung von Copyright-Belegstücken und Amtsdruckschriftentausch). - Parallel mit dem Aufstieg der USA zur Großmacht und zum modernen Industriestaat steigt die Library of Congress zur Nationalbibliothek der USA auf, unter Beibehaltung ihrer traditionellen Funktionen als Parlamentsbibliothek. Die Heranführung der Bibliothek bis an die Schwelle des Weltniveaus ist organisatorisch und bibliothekspolitisch das Lebenswerk von Ainsworth R. Spofford. Die mehr als dreißigjährige Dauer seines Direktorats (1864-97) gewährt Kontinuität
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für zielstrebige Reorganisation von Geschäftsgang und innerer Gliederung. Die Regelung für die Copyright-Belegexemplare wird erneuert, die Ablieferung auf je zwei Exemplare erhöht und gleichzeitig 1870 eine eigene Copyright-Dienststelle geschaffen, 1897 der Library of Congress voll angegliedert und diese damit als wirkliche Nationalbibliothek für die Sammlung der inneramerikanischen Literatur etabliert. Die Ausweitung des Sammelauftrags auch auf die relevante ausländische wissenschaftliche Literatur gibt der Library of Congress zugleich Staatsbibliotheksfunktionen. Spofford kann den Anschaffungsetat erhöhen, die Gesamtbestandszahl innerhalb seiner Amtszeit verzehnfachen (von 80 000 auf 800 000 Bände), die Mitarbeiterzahl verzwanzigfachen und die Leistungsfähigkeit der Library of Congress durch eine Reihe weiterer Maßnahmen erhöhen (u. a. Affiliierung der Forschungsbibliothek der Smithsonian Institution; Zentralisierung des Amtsdruckschriftentauschs, mit besonderer Tauschstelle). Als krönenden Abschluß seiner Tätigkeit setzt er einen riesigen Neubau durch: mit drei Millionen Bänden Fassungskraft damals von ungewöhnlicher Größe, äußerlich an die Architektur des Pariser Opernhauses angelehnt, jedoch mit Stahlmagazin und zentralem Kuppelsaal nach dem Panizzi-Modell der Bibliothek des Britischen Museums in London, und mit damals erstaunlicher Betriebstechnik. Nach Fertigstellung des Neubaus (1897) hinterläßt Spofford seinem Amtsnachfolger den großzügigen Rahmen für eine Weltbibliothek. - Herbert Putnam, der Nachfolger im Direktorat, füllt den Rahmen und macht die Library of Congress in vierzigjähriger Amtszeit (1899-1939) zur größten Bibliothek der Welt. Für die U S A wird sie jetzt zur wirklichen Nationalbibliothek mit einer Reihe von Zentralaufgaben: u. a. zentrale Katalogisierung mit Lieferung von Titeldrucken (1901), zentrale Fernleihreserve usw. Mit dem weiteren Ausbau der zentralen Leistungen in der zweiten Hälfte des 20. Jh. wird die Library of Congress, besonders unter dem Direktorat von Lawrence Q. Mumford, zum nationalen Informationszentrum. Der durch Zusatzbauten erweiterte, kompliziert gegliederte Großbetrieb, mit Tausenden von Mitarbeitern, unterhält neben den Benutzungseinrichtungen und Informations- und Dokumentationsstellen zahlreiche besondere Bestandsabteilungen: u. a. die Law-Library und Amtsdruckschriftensammlung als Parlamentsabteilung; die Americana-Sammlung als Nationalbibliothek; die ausländischen wissenschaftlichen Bestände mit Sonderabteilungen für slawische, orientalische, ostasiatische und afrikanische Bestände; eine Abteilung für seltene und kostbare Bücher; usw. Trotz des Prinzips der Präsenzbenutzung herrscht eine hohe Ausleih- und Fernleihfrequenz. Neben der Copyright-Abteilung (für die Beschaffung der Inlands-Belegexemplare) und den üblichen Erwerbungsabteilungen (Kauf, Tausch, Geschenk) besteht eine besondere »Overseas Operations Division«. Sie unterhält ständige Buchbeschaffungsagenturen in zahlreichen Ländern. Im Rahmen eines kollektiven Beschaffungsprogramms werden die ausländischen Bücher nicht nur für die Library of Congress, sondern für viele weitere Bibliotheken besorgt: per »Standing order« auf gesamte Verlagsproduktionen oder nach standardisierten Kaufmodellen. Die Agenturen (seit 1966, teils beauftragte Buchhändler, teils echte Außenbüros der Library of Congress) arbeiten im Rahmen des »National Program for Acquisitions and Cataloging (NPAC)« und kooperieren
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zugleich mit der »Shared Cataloging Division«, einer Katalog-Sonderabteilung der Library of Congress. Dabei werden in den Auslandsagenturen, anhand der dortigen Unterlagen, provisorische Titelaufnahmen angefertigt, gleichzeitig mit den beschafften Büchern an die Library of Congress geliefert und dort nach den angloamerikanischen Katalogregeln ergänzt. Nach dieser Vorkatalogisierung liefert die Library of Congress gedruckte Titelkarten wie zu allen Inlandsbüchern. Eine andere Sonderabteilung, » M A R C Editorial Division«, erstellt für alle Titelaufnahmen EDV-Versionen (seit 1966/69, nach dem Programm für »Machine Readable Cataloging«), die auf Magnetband verfügbar, lieferbar, überspielbar und abrufbar sind. Zum weiteren zentralen Katalog-Service gehört die mit den Titelkarten bzw. Magnetbändern lieferbare Muster-Sachkatalogisierung (nach Library-of-Congress-Systematik, Dezimalklassifikation und Schlagwort-Thesaurus); ferner die Herstellung der gedruckten Gesamtkataloge (u. a. »National Union Catalog« nebst Fortsetzungen, »New Serial Titles«). - Der Gesamtbestand der Library of Congress umfaßt heute 65 Millionen katalogisierte Sammelobjekte (darunter 16 Millionen Bände Druckschriften, und jeweils mehrere bis viele weitere Millionen von anderen Schriftengattungen und Medien, wie Autographen, Landkarten, Musikalien, Filme usw.). 'Washington: Weitere Bibliotheken. - Das gesamte Bibliothekssystem der U S A gipfelt auf der Bundesebene mit mehreren, fachlich einander ergänzenden Zentralbibliotheken. Neben der Library of Congress (vgl. oben), als Nationalbibliothek für Americana, als internationaler Staatsbibliothek für alle Humaniora und als juristisch-volkswirtschaftlicher Zentral- und Parlamentsbibliothek, haben sich weitere Nationalbibliotheken für die angewandten Naturwissenschaften entwickelt. Sie entstehen in der zweiten Hälfte des 20. Jh. aus bereits früher vorhandenen obersten Behördenbibliotheken. Die National Library of Medicine, im Vorort Bethesda/ Md. (bei Washington), ist die früheste und wird beispielgebend für die Entwicklung ähnlicher nationaler Fachzentralbibliotheken in andern Erdteilen. Sie beginnt als Militärsanitätsbibliothek (gegründet 1836, zunächst »Library of the Surgeon General's Office, U S Army«, dann »Army Medical Library« und schließlich »Armed Forces Medical Library«), wird in den 1950er Jahren Nationalbibliothek für Medizin und verzeichnet ihre umfassenden Zugänge in laufenden Katalogen, die zugleich als internationale medizinische Fachbibliographien fungieren (für Bücher: »Current Catalog«; für Zeitschriftenaufsätze: »Index medicus«, seit 1964 im E D V Verfahren erstellt, nach dem »Medical Literature and Retrieval System«, kurz als » M E D L A R S « bezeichnet, lieferbar in Druckausgabe und Magnetbandausgabe). Mit ihrem Millionenbestand ist die National Library of Medicine, neben der ähnlich bestandsreichen National Agricultural Library (eigentlich Behördenbibliothek des Landwirtschaftsministeriums in Washington und Beltsville/Md., bei Washington) die größte nationale Fachbibliothek der Welt. Der technisch-naturwissenschaftliche Fachbereich wird abgedeckt durch ein fachwissenschaftliches Nachweiszentrum innerhalb der Library of Congress, »National Referral Center for Science and Technology«, das die einschlägigen Dokumentationsstellen und Fachbibliothe-
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ken bundesweit nachweist (ζ. B. das Bibliothekssystem des »Massachusetts Institute of Technology« in Cambridge/Mass.). - Stadt und Großraum Washington (Metropolitan Area) verfügen über mehrere Universitäten, u. a. die George Washington University (gegr. 1821), und eine große Public Library mit urbanem Bibliothekssystem. - Washington ist ferner Sitz der nationalen und koordinierenden Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen: Smithsonian Institution (deren Forschungsbibliothek der Library of Congress affiliiert ist); National Academy of Sciences; National Academy of Engineering; National Research Council. New York. — Ursprünglich niederländische Kolonialgründung vom Anfang des 17. Jh. (»Nieuw Amsterdam«), fällt der Ort in der zweiten Hälfte des 17. Jh. an Großbritannien und entwickelt sich, unter dem neuen Namen »New York«, bis Mitte des 18. Jh. zu einem volkreichen kolonialen Wirtschafts- und Kulturzentrum (mit Schulen, Theater, Zeitungen usw.) und mit demokratisch-rechtsstaatlicher Stadtverfassung. Nach der Unabhängigkeit der U S A zeitweilig provisorische Bundeshauptstadt, wird New York im 19. Jh. zur größten Stadt Amerikas, im 20. Jh. zur größten Stadt der Welt (mit einem ausgedehnten, über die Stadtgrenzen weit hinausgreifenden Großraum, den Metropolitan Areas, zusammen 16 Millionen Einwohner) und zur führenden Finanz- und Wirtschaftsmetropole der Welt. - New York verfügt heute über mehrere Universitäten und Hochschulen, darunter die Columbia University, gegründet 1754 als »King's College« durch König Georg II. von Großbritannien-Hannover, 1787 »Columbia College«, heute eine der führenden Universitäten der Welt. Bibliotheksmäßig bald bedeutend, wird sie 1887 Schauplatz der ersten bibliothekswissenschaftlichen Universitätskurse der U S A (nur ein Jahr nach Dziatzkos Göttinger bibliothekswissenschaftlicher Professur), inauguriert durch Melvil Dewey als damaligem Bibliotheksdirektor. - Das allgemeine öffentliche Bibliothekswesen des Großraums New York ist in mehrere Einzelregionen mit jeweils eigenem metropolitanen bzw. Urbanen Bibliothekssystem gegliedert. Die zentrale New York Public Library, 1895 durch Zusammenlegung mehrerer älterer Einzelbibliotheken geschaffen, ist die größte Stadtbibliothek und Public Library der Welt und hat Rang, wissenschaftliche Bedeutung und Bestandsumfang einer Staatsbibliothek (Bestand 4 Millionen Bände, 10 Millionen andere Sammelobjekte). - Als Spezialbibliothek für ältere und kostbare Bücher, Rara und Handschriften, hat die Pierpont Morgan Library (gegr. 1924 als Stiftung des amerikanischen Bankiers John P. Morgan) internationalen Ruf. Ebenfalls internationale Bedeutung hat die Dag Hammarskjöld Library als Amtsbibliothek der Vereinten Nationen (gegr. 1946). - New York ist auch Sitz der Carnegie Corporation (der Kulturförderungsstiftung des aus Schottland stammenden amerikanischen Großindustriellen Andrew Carnegie), mit deren Hilfe u. a. mehr als anderthalbtausend Public Libraries gegründet wurden. Boston, Cambridge!Mass. — Die Landeshauptstadt von Massachusetts, Boston, ist die eigentliche Metropole der Neu-England-Staaten: frühe britische Gründung, relativ zeitig wirtschaftlich und kulturell entwickelt, mit mehreren Umlandstädten (darunter Cambridge/Mass.) zu einer Metropolitan Area von mehreren Millionen
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Einwohnern zusammengewachsen. - Das Bibliothekswesen beginnt in Boston im 18. Jh. mit frühen Lesegesellschaften. Auch die Kulturinstitution Athenaeum geht als ursprüngliche »Subscription Library« auf eine solche Lesegesellschaft zurück (gegr. 1807). An der Athenaeums-Bibliothek wirkt in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Charles Ammi Cutter als Bibliothekar und entwickelt hier das Prinzip des kombinierten Verfasser- und Schlagwortkatalogs (»Dictionary Catalogue«, 1876). - Mitte des 19. Jh. gründet die Stadt Boston die erste Public Library der Welt (1848 beschlossen, nach dem staatlichen Büchereigesetz für Massachusetts von 1851 offiziell 1852 gegründet, 1854 eröffnet). Sie wird zur Musterbibliothek für viele andere Public Libraries, erhält auch als erste der Welt eine Stadtteil-Zweigbücherei (1870) und ist heute als Zentrum eines verzweigten Urbanen Bibliothekssystems eine große wissenschaftliche Zentralbibliothek. - Boston ist auch Sitz der Massachusetts State Library (gegr. 1826) und mehrerer Hochschulen, darunter der Boston University (gegr. 1839). - Weltniveau halten die akademischen Einrichtungen des benachbarten Bostoner Großraum-Vororts Cambridge!Mass. Die Harvard University ist die älteste der U S A und heute die berühmteste. 1636 als College gegründet, erhält sie 1638 ihre College-Bibliothek aus dem testamentarisch vermachten Nachlaß des englischen Geistlichen John Harvard, dessen Namen sie seitdem trägt. Ihr universitäres Bibliothekssystem, in der ersten Hälfte des 20. Jh. unter dem Direktorat von Archibald C. Coolidge tatkräftig entwickelt, ist heute das größte, bestandsstärkste der Welt (Gesamtbestand: 9 Millionen Bände), mit über hundert Zweigbibliotheken, darunter als zentrale Universitätsbibliothek die große Widener Library ( 1 9 1 2 in ihrer jetzigen Form). - In Cambridge/Mass, befindet sich auch die bedeutendste Technische Universität der U S A , das Massachusetts Institute of Technology (gegr. 1861). New Haven/Conn. - Die Yale University wird 1701 als College an anderer Stelle in der damaligen Kolonie Connecticut gegründet, 1 7 1 6 nach New Haven/Conn. verlegt und dort in der 1. Hälfte des 18. Jh. durch frühe Mäzene buchmäßig aufgestockt (u. a. durch Elihu Yale, Gouverneur bei der ostindischen Kompanie, dessen Name dem College nachträglich verliehen wird). Sie gehört heute zu den traditionsreichsten und bedeutendsten Universitäten der U S A , mit einem verzweigten universitären Bibliothekssystem (Gesamtbestand: 6 Millionen Bände). Mit ihren Bibliotheksneubauten hat sie im 20. Jh. Epoche gemacht. Der gewaltige Neubau ihrer Zentralbibliothek, der »Sterling Memorial Library«, erhält den ersten Magazinturm der Welt (1928/30), ist allerdings, als »verspätetes 19. Jh.«, in neugotischem Stil und in den Formen einer englischen Kathedrale errichtet. Furore macht in der zweiten Hälfte des 20. Jh. auch der Neubau der Sonderbibliothek für kostbare und seltene Bücher, der »Beinecke Library« (1964; Architekt: Gordon Bunshaft): eine gelungene Kombination von modernster Beton-Stahl-Architektur mit konservativ-gepflegter Feierlichkeit, unter Verwendung selbst antiker Elemente. Die Fensterfronten, nicht aus Glas, sondern aus dünn geschliffenen Marmorplatten (nach Art spätantiker Alabasterfenster) schaffen Atmosphäre und zaubern die überhöhte Festlichkeit veritabler Buchzelebration.
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G 3. USA: Mittelwesten (Große Seen) Allgemeines. - Die zweite wirtschaftlich überragende Region der U S A ist der Mittlere Westen (»Middle West«), das Gebiet südlich der Großen Seen, u. a. mit den Staaten Illinois, Michigan, Ohio und Wisconsin. Geographisch und strukturell gehören zum Mittelwesten auch die westlichsten Gebietsteile der beiden Nordoststaaten New York und Pennsylvanien, Anrainergebiete der Großen Seen und zugleich Verbindungsregion auch zu Ostkanada. Der Mittelwesten gehört zu den intensivsten Industrie- und Zivilisationsgebieten der Welt, mit zahlreichen Großund Millionenstädten und mit hervorragenden Forschungs- und Bildungseinrichtungen. USA (Mittelwesten): Bibliotheken. - Uberragender Bibliotheksort des Mittelwestens ist Chicago (vgl. unten), mit einer Reihe von wissenschaftlichen und allgemeinen öffentlichen Bibliotheken. - Alle größeren Städte der Mittelwest-Region verfügen heute über gut ausgebaute Public Libraries, die Großstädte über urbane Bibliothekssysteme. - Die beiden mittelgroßen Universitätsstädte Ann Arbor!Mich. (mit der University of Michigan, gegr. 1 8 1 7 in Detroit, später hierher verlegt) und Urbanal III. (mit der University of Illinois, gegr. 1867) sind weltberühmt und ihre universitären Bibliothekssysteme verfügen jeweils über Mehrmillionen-Bestände. Unter den zahlreichen weiteren Universitäten der Region verdienen besondere Erwähnung die in: Detroit!Mich, (hier ursprünglich die jetzt in Ann Arbor befindliche Landesuniversität, später hier ein neues College gegr. 1868, Gesamtuniversität 1933); Madison/Wis. und Milwaukee/Wis. (beide Zweiguniversitäten der University of Wisconsin, gegr. 1848); Minneapolis!Minn. (gegr. 1 8 5 1 ) ; sowie im Staat Ohio CincinnatilO. (gegr. 1819, Volluniversität 1870), ClevelandlO. (gegr. 1826, Volluniversität 1967) und ColumbustO. Die Landeshauptstadt Columbus/O., mit den Bibliotheken mehrerer Hochschulen (u. a. State University, gegr. 1870) und der State Library of Ohio (gegr. 1817), hat jüngst als Zentrum eines elektronischen Katalogisierungsverbunds von sich reden gemacht. Eine Gruppe von Bibliotheken aus den amerikanischen Nordost- und Mittelwest-Staaten meldet die Titelaufnahmen ihrer individuell angeschafften Bücher an den zentralen Computer des Gemeinschaftskatalogs in Columbus/O. (»Ohio College Library Center«), Die jeweils erste Meldung eines neuen Titels wird in den Zentralcomputer eingearbeitet und danach auf Abruf allen andern Partnerbibliotheken, die das gleiche Buch später erwerben, automatisch übermittelt und im On-line-Verfahren in deren Einzelcomputer eingespeist. Chicago. - Erst im 19. Jh. entstanden, ist Chicago heute die zweitgrößte Stadt der U S A (Großraum mit 8 Millionen Einwohnern), eine der bedeutendsten Industriemetropolen der Welt und unstreitiges Zentrum des amerikanischen Mittelwestens. Parallel zu seiner gigantischen Wirtschaftsstellung auch kulturell emporgeschnellt, verfügt Chicago heute über mehrere Universitäten und Hochschulen, darunter die University of Chicago (gegr. 1857), ferner ein Zweigcampus der
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staatlichen University of Illinois (hier eröffnet 1965, mit Hauptsitz in Urbana/Ill., dort gegr. 1867, vgl. oben) und die Technische Universität (»Illinois Institute of Technology«, gegr. 1892, reorganisiert 1940). - Das Center for Research Libraries in Chicago, ursprünglich als Speicherbibliothek für die Mittelwestuniversitäten geschaffen (»Midwestern Interlibrary Center«, gegründet 1951), hat sich inzwischen funktional zu einer bundesweiten Fernleih- und Versandbibliothek weiterentwickelt. - Das Public-Library-System von Chicago gehört zu den größten der Welt und wird ergänzt durch eine Reihe wissenschaftlicher Spezialbibliotheken (u. a. Newberry Library, gegr. 1887, für Geschichte, Literatur, Handschriften, Rara; John Crerar Library, gegr. 1896, für Naturwissenschaften und Technik).
G 4. USA: Süden Allgemeines. - Der Südosten, d. h. die ursprünglich britischen Gebiete und Urstaaten an der atlantischen Küste, und der Mittlere Süden, d. h. die ursprünglich französischen Gebiete am unteren und mittleren Mississippi, sowie die vormals spanischen Gebiete Florida und Texas bilden den heutigen Süden der U S A . Im Verhältnis zu den beiden nördlichen Superregionen wesentlich geringer bevölkert (trotz bedeutender Großstädte), wesentlich weniger industrialisiert, weithin agrarisch und überhaupt wirtschaftlich extensiver genutzt. USA (Süden): Bibliotheken. - Auch als Bibliotheksregion erreicht der Süden der U S A nicht die Bedeutung des Nordostens bzw. des Mittelwestens. Dennoch fehlt es nicht an beachtlichen Universitäten und Bibliotheken: u. a. in New Orleans!La. (Universität gegr. als College 1834, Volluniversität 1884). - (Ergänzungsinformation: weitere Universitäten u. a. in: Chapel Hill/N. C . ; Austin/Tex.).
G 5. USA: Westen Allgemeines. - Die westliche H ä l f t e der U S A , weiter westlich des Mississippi bis zum Pazifik, ist relativ dünn besiedelt und wirtschaftlich extensiv genutzt. - Nur die Pazifikküste und ihr Hinterland bilden eine weitere Hauptregion der nordamerikanischen Zivilisation, in der zweiten H ä l f t e des 19. Jh. entwickelt, heute dicht besiedelt, durchindustrialisiert, mit bedeutenden Wissenschafts-, Forschungsund Bildungseinrichtungen. USA (Westen): Bibliotheken. - In Kalifornien heben sich zwei Bibliothekszentren heraus: San Francisco und Los Angeles. Beide bilden mit ihren Vororten und Nachbarstädten jeweils einen administrativen Großraum (Metropolitan Area) von mehreren Millionen Einwohnern. — Zum Großraum der kalifornischen Landes-
U S A : Westen
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hauptstadt San Francisco gehören auch die beiden benachbarten Universitätsstädte Palo Alto (im Süden) und Berkeley (im Osten). Letzteres ist zentraler Sitz der staatlichen »University of California« (gegr. 1868), die von hier aus mehrere Zweiguniversitäten in verschiedenen Städten Kaliforniens unterhält: u. a. in Berkeley selbst (eröffnet 1872) und im eigentlichen San Francisco (eröffnet 1873, vor allem mit Medizinischer Hochschule). Unabhängig von der kalifornischen Staatsuniversität besteht die weltberühmte Stanford University (gegr. 1885) auf einem Campus bei Palo Alto. - Los Angeles im Süden, zu dessen Großraum u. a. die Filmstadt H o l l y w o o d und die Hochschulstadt Pasadena (im Nordosten) gehören, hat sich zur drittgrößten Stadt der U S A (nach N e w Y o r k und Chicago) entwickelt. In Los Angeles befindet sich neben einer Regionaluniversität (»University of Southern California«, gegr. 1879) auch eine Zweiguniversität der gesamtstaatlichen Dachorganisation »University of California« (Campus eröffnet 1919, Hauptsitz in Berkeley bei San Francisco). D a z u kommt im benachbarten Pasadena eine wichtige Technische Universität (»California Institute of Technology«, gegr. 1891). - A n der pazifischen Nordwestküste, südlich der kanadischen Grenze, setzt die Universität Seattle/Wash. (gegr. 18 61) einen weiteren Bibliotheksakzent.
G 6. Kanada Allgemeines. — Historischer Ausgangspunkt und heutige Schwerpunktregion Kanadas sind die Gebiete am Lorenzstrom (Atlantiknähe) und am Nordufer der Großen Seen: die Bundesländer Quebec und Ontario. Wirtschaftlich und zivilisatorisch stimmt die Region zum Mittelwesten der U S A ; ihr Kultur- und Bildungswesen erhält jedoch eine besondere Note durch den starken französischen Bevölkerungsanteil im Staat Quebec (über 8 0 % , in manchen Städten über 9 0 % Frankokanadier). Neben den menschenleeren Gebieten im Norden und den dünn besiedelten Gebieten im Westen bildet sich nur noch an der kanadischen Pazifikküste, in Fortsetzung der US-Pazifikküste, eine zivilisatorisch intensive Region heraus. Kanada: Bibliotheken. - A u f Bundesebene werden Zentralaufgaben des kanadischen Bibliothekswesens durch mehrere Bibliotheken in der Bundeshauptstadt Ottawa wahrgenommen: vorab durch die junge National Library of Canada (gegr. 1953), die u. a. den kanadischen Gesamtkatalog führt und die kanadische Nationalbibliographie bearbeitet; sowie durch die Bibliothek des kanadischen Bundesparlaments (gegr. 1841) und die naturwissenschaftlich-technische National Science Library (gegr. 1927, als Bibliothek des National Research Conncil). — Die universitären Bibliothekssysteme und die Public Libraries ähneln strukturell denen der U S A . N u r die französischsprachigen Universitätsbibliotheken folgen dem europäisch-französischen Modell (stärkere Betonung der zentralen Universitätsbibliothek). - Vorstufen zum Universitätsbibliothekswesen setzen bereits während der französischen Kolonialzeit ein: so in Quebec die Bibliothek des dortigen Jesuiten-
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Nordamerika
kollegs (gegr. 1632). Heute verfügt die fast rein französischsprachige Stadt Quebec über eine große französische Universität (University Laval, gegr. 1852). Die wichtigsten kanadischen Universitäten befinden sich in der Handelsmetropole Toronto (gegr. 1827), in der Bundeshauptstadt Ottawa (gegr. 18 66, mit englischer und französischer Vorlesungssprache), in der überwiegend französischen Millionenstadt Montreal (mehrere Universitäten, darunter die englische McGill University, gegr. 1 8 2 1 , und die französische University de Montreal, gegr. 1876), sowie an der Pazifikküste in Vancouver (gegr. 1908).
Η. Neuzeit (Bibliotheken in anderen Weltteilen) Allgemeines. - Europa, Nordamerika und die Sowjetunion entwickeln und tragen gemeinsam das moderne Bibliothekswesen des Industriezeitalters. In andern Teilen der Welt bleibt das Bibliothekswesen vielfach hinter dem europäisch-nordamerikanisch-sowjetischen Niveau zurück. Vielfach befindet es sich in ausgesprochener Unterentwicklung oder in ersten Anfängen. N u r in wenigen Ländern hat es sich ebenfalls zu voller Höhe entfaltet. Australien. - Z u diesen Ländern gehören u. a. Australien und Neuseeland. Sie haben ein im vollen Sinne europäisches Bibliothekswesen in der britischen Dominionzeit entwickelt. Doch beschränkt es sich infolge der äußerst dünnen Besiedlung auf einige weit auseinander liegende Schwerpunktzentren. Unter ihnen ragen die Universitätsstädte Sydney und Melbourne (mit Universitäten und großen Public Libraries), die kleine australische Hauptstadt Canberra (Nationalbibliothek) und die neuseeländische Hauptstadt Wellington (Nationalbibliothek, Universität) heraus. Lateinamerika. — Im spanischen und portugiesischen Süd- und Mittelamerika setzt die Kolonialverwaltung früher als in den französischen und englischen Kolonien bemerkenswerte Bibliotheksimpulse. In Verbindung mit der Mission, der Tätigkeit des Jesuitenordens und dem allgemeinen kulturellen A u f b a u entstehen im 16. und 17. Jh. frühe Klosterbibliotheken, Jesuitenkollegien (mit Jesuitenbibliotheken) und erste Universitäten. A u f Stagnation im 18. Jh. folgen punktuell neue Impulse in den unabhängig gewordenen Staaten des 19. Jh. Doch findet Lateinamerika auch im 20. Jh. nicht den vollen Anschluß an das Industriezeitalter, bleibt wirtschaftlich, sozial, bildungsmäßig (noch immer weit verbreitetes Analphabetentum) und bibliotheksmäßig relativ unterentwickelt. Dennoch besteht eine Reihe bedeutender Einzelbibliotheken und Bibliothekszentren im 19. und 20. Jh., darunter die Nationalbibliotheken bzw. Universitäten in Buenos Aires, Rio de Janeiro, Santiago de Chile, Mexico City. Afrika (südlich der Sahara). - Schwarzafrika südlich der Sahara steht erst am A n f a n g der Bibliotheksentwicklung. Bis ins 19. Jh. hinein weithin unerschlossen und völlig unentwickelt, erhält es erste Anregungen in der ausgehenden Kolonialzeit des 20. Jh. und schafft, ζ . T. unter auswärtiger Anleitung, erste noch unzulängliche Ansätze künftigen Bibliotheksaufbaus. - N u r in der Südafrikanischen Union besteht ein, vorwiegend auf die weiße (englisch-niederländische) Bevölkerung ausgerichtetes, modernes Bibliothekswesen mit Schwerpunktbildung in den Großstädten Kapstadt, Johannesburg und Pretoria (hier die Staatsbibliothek von Südafrika, an der in der zweiten Hälfte des 20. Jh. der bekannte Bibliothekswissenschaftler Herman J. de Vleeschauwer wirkt).
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Andere Weltteile
Vorderer Orient, Nordafrika. - Der Vordere Orient und Nordafrika gehören zu den ältesten und berühmtesten Bibliotheksregionen der Welt: sowohl im Altertum (assyrisches, ägyptisches und hellenistisches Bibliothekswesen, vgl. S. 16 ff. bzw. 2 j ff.) als auch im Mittelalter (arabisches Bibliothekswesen, vgl. S. 40 ff.). - In der Neuzeit während der Jahrhunderte der türkischen Oberherrschaft rückläufig und vom europäischen Bibliothekswesen überholt, gewinnt das arabische Bibliothekswesen im späteren 19. und im 20. Jh. allmählich wieder Anschluß an die moderne Bibliotheksentwicklung. Vereinzelte alt-ehrwürdige Einrichtungen haben sich, jetzt modernisiert, aus dem arabischen Mittelalter bis ins 20. Jh. hinüberretten können, so die Al-Azhar-Universität in Kairo (gegr. 10. Jh.). Zentren des modernen Bibliothekswesens sind ebenfalls Kairo (Nationalbibliothek, moderne Universität), Alexandrien, Algier und Tunis. Dazu kommen die Hauptstädte der reichen arabischen ölstaaten mit ihren in den 1960er und 1970er Jahren ausgebauten Zentralbibliotheken und Universitäten (Bagdad im Irak; Kuwait City im Scheichtum Kuwait; Riyadh in Saudi-Arabien). - Auch der Iran modernisiert und expandiert sein ursprünglich bedeutendes, dann aber veraltetes und zurückgebliebenes islamisches Bibliothekswesen im Zusammenhang mit der »ölwelle« (besonders in der Hauptstadt Teheran). - Die Türkei, schon seit dem 1. Weltkrieg auf Reformkurs, hat in Ankara und Istanbul ( = Konstantinopel) ein modernes Bibliothekswesen aufgebaut. - Vollen Anschluß an das europäisch-amerikanische Bibliothekswesen erzielt Israel in seinen Bibliothekszentren, besonders in Jerusalem (National- und Universitätsbibliothek) . Indien. — Auch Indien hat eine alte Bibliothekstradition (vgl. S. 21), kann aber mittelalterliche Maßstäbe erst unter britischer Kolonialverwaltung im 19. und 20. Jh. überwinden. Die wichtigsten heutigen Großbibliotheken sind Gründungen der britischen Zeit, so im besonderen in den Millionenstädten Kalkutta (hier die indische Nationalbibliothek auf Bundesebene, ferner Universität), Delhi (als Bundeshauptstadt mit mehreren Zentralbibliotheken und Universität), Bombay (Universität) und Madras (Universität, an deren Universitätsbibliothek in der Mitte des 20. Jh. der bekannte Bibliothekswissenschaftler Shiyali R. Ranganathan wirkt). Ostasien. - Das frühe Buch- und Bibliothekswesen der Chinesen reicht im Altertum fast so weit zurück wie das der Assyrer und Ägypter, leistet einen bedeutenden Beitrag zur internationalen Entwicklung des Buchwesens (vgl. S. 21 f.) und hat die bis heute längste ununterbrochene Bibliothekstradition der Welt. Dennoch ist das Bibliothekswesen des alten kaiserlichen China allmählich von andern Völkern überholt und in eine Reliktsituation gedrängt worden. Ansätze zum modernen Bibliothekswesen beginnen in China erst nach der Revolution von 1 9 1 1 und der Gründung der Republik, verstärkt nach der Bürgerkriegsära und der Errichtung der Volksrepublik China (1949). Der Bibliotheksausbau orientiert sich an der sowjetischen Bibliotheksstruktur: mit Massenbibliotheken und Bibliotheksnetzbildung, aber auch im Ausbau wissenschaftlicher Bibliotheken. Wichtigste Bibliothekszentren sind Peking (Nationalbibliothek, mit der mittelalterlichen kaiserlichen
Andere Weltteile
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Biichersammlung, und Universität), Schanghai, Tientsin und Nanking. - Im Ausstrahlungsbereich der älteren chinesischen Kultur, erhält J a p a n während des Frühmittelalters erste Bibliotheken (seit dem 8. Jh.) und bleibt lange auf der Linie des älteren chinesischen Bibliothekswesens. In der zweiten H ä l f t e des 19. J h . öffnet sich Japan europäischen Einflüssen und steigt im 20. Jh. zu einer Industriemacht ersten Ranges empor. Parallel dazu entwickelt es stufenweise ein modernes Bildungs-, Wissenschafts- und Bibliothekswesen. Unter den zahlreichen bedeutenden Bibliotheksorten ragt neben der alten Universitäts- und modernen Millionenstadt Kioto vor allem die Weltstadt Tokio hervor: mit der National- und Parlamentsbibliothek (»National Diet Library«, einschließlich der eingegliederten älteren Kaiserlichen Bibliothek), mehreren Universitäten und Hochschulen, sowie zahlreichen Zentral- und Spezialbibliotheken. Japan verfügt heute über alle international üblichen Bibliothekstypen und insgesamt über eines der bestausgestatteten und modernst strukturierten Bibliothekssysteme der Welt, orientiert an nordamerikanischen und westeuropäischen Modellen. Der spektakuläre Aufstieg des japanischen Bibliothekswesens zeigt, wie sehr die moderne Bibliotheksentwicklung mit der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft in soziokulturellem Zusammenhang steht.
Bibliographie Darstellungen Handbuch der Bibliothekswissenschaft. Begr. von Fritz Milkau. Hrsg. von Georg Leyh. 2. Aufl. Bd. 3,1.2: Geschichte der Bibliotheken. Wiesbaden 1955-57. Handbuch des Büchereiwesens. Hrsg. von Johannes Langfeldt. Halbbd. 1.2. Wiesbaden 1965-73. [Darin Geschichte des Büchereiwesens: Halbbd. 1, S. $7-786.] Hessel, A l f r e d : Geschichte der Bibliotheken. Ein Überblick von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Göttingen 192$. 147 S. - [Dazu engl. Ausg.: Hessel, Alfred: A History of Libraries. Translated with supplementary material by Reuben Peiss. N e w York, London 195$. 198 S.] Johnson, Elmer D . : History of Libraries in the Western World. 2. ed. Metuchen, N . J . 1970. 521 S. Karstedt, Peter: Studien zur Soziologie der Bibliothek. 2. Aufl. Wiesbaden 1965. 152 S. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen. Bd. 1.) [Darin u. a. Abschnitte zur historischen und komparativen Soziologie des Bibliothekswesens.] Kirdmer, Joachim: Bibliothekswissenschaft. Buch- und Bibliothekswesen. 2. Aufl. Heidelberg 1953. [Darin bibliotheksgeschichtliche Abschnitte: S. 1 6 3 - 1 9 8 . ] Kluth, R o l f : Grundriß der Bibliothekslehre. Wiesbaden 1970. 372 S. [Darin u. a. Abschnitte zur komparativen Bibliotheksstrukturen- und Bibliothekssystemlehre und zur Bibliothekstypologie.] Mehl, Ernst, Kurt Hannemann: Deutsche Bibliotheksgeschidite. Berlin 1969. 1 1 0 Sp. [Selbständig erschienener und lieferbarer Separatdruck aus: Deutsdie Philologie im Aufriß, 2. Aufl., Berlin 1957, Neudruck Berlin 1969, Bd. 1 , Sp. 453-562.] Pongratz, Walter: Abriß der Bibliotheksgeschichte. Mit besonderer Berücksichtigung Österreichs. Wien 1969. 35 S. (Leitfäden zur Bibliotheksprüfung. H . 6.) Vorstius, Joris: Grundzüge der Bibliotheksgeschichte. Neu bearb. von Siegfried Joost. 6. Aufl. Wiesbaden 1969. 128 S.
Lexika Encyclopedia of Library and Information Science. Ed.: Allan Kent and Harold Lancour. Vol. 1 - . N e w Y o r k 1968. [Darin audi Abschnitte zum Bibliothekswesen und zur Bibliotheksgeschidite der Staaten, wichtiger Orte, einzelner Großbibliotheken.] Lexikon des Bibliothekswesens. Hrsg. von Horst Kunze und Gotthard Rückl [u. a.]. 2. Aufl. Bd. 1 - . Leipzig 1 9 7 4 . [Der abschließende Bd. 2 für 1975 angekündigt. Darin audi Abschnitte zur Bibliotheksgeschichte allgemein, zum Bibliothekswesen und zur Bibliotheksgesdiidite einzelner Staaten, sowie zu einzelnen bedeutenden Bibliothekaren.] Lexikon des Buchwesens. Hrsg. von Joachim Kirchner. Bd. 1 - 4 . Stuttgart 1952-56. [Bd. 1.2: Textteil, darin Abschnitte zum Bibliothekswesen und zur Bibliotheksgeschidite einzelner Staaten; Bd. 3.4: Bildteil, darin Abbildungen von Bibliotheken Bd. 4, S. 516-577.]
Bibliographie
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Adreßbücher The World of Learning. Ed. i f f . London 1947fr. fErscheint jährlich, verzeichnet neben Akademien der Wissenschaften, Universitäten, Archiven, Museen usw. auch die wissenschaftlichen Bibliotheken, nach Staaten geordnet.] International Library Directory. Α World Directory of Libraries. Ed. 1 f f . London 1963 f f . [Erscheint in mehrjährlichen Abständen.] Internationales Bibliotheks-Handbuch. World Guide to Libraries. 4. Ausg. T. 1.2. Pullach/ München 1974. (Handbuch der internationalen Dokumentation und Information. Bd. 8.) [Anfangs unter dem Titel: Internationales Bibliotheksadreßbuch. Erscheint in mehrjährlichen Abständen.] Minerva-Handbücher. 1. Abt.: Die Bibliotheken. Bd. 1 : Hans Praesent: Deutsches Reich; Bd. 2: Robert Teichl: Österreich; Bd. 3: Felix Burckhardt: Schweiz. Berlin, Leipzig 1929-34. Petzholdt, Julius: Adreßbuch der Bibliotheken Deutschlands, mit Einschluß von ÖsterreichUngarn und der Schweiz, j . Aufl. Dresden 1875. j26 S.
Bildbände Βaur-Heinhold, Margarete: Schöne alte Bibliotheken. Ein Buch vom Zauber ihrer Räume. München 1972. 295 S. Hobson, Anthony: Große Bibliotheken der alten und neuen Welt. Deutsche Ausg. München 1970. 320 S. [Englische Ausg. unter dem Titel: Great Libraries, London 1970.] Löschburg, Winfried: Alte Bibliotheken in Europa. Leipzig, Herrsching (Oberbayern) 1974. 140 S. Ein zusammenhängender Abschnitt von Bibliotheksabbildungen auch in Bd. 4 von: Lexikon des Buchwesens [vgl. oben].
Bibliographien Fachliteratur zum Buch- und Bibliothekswesen. International Bibliography of the Book Trade and Librarianship. 10. Ausg. T. 1.2. Pullach/München 1973. (Handbuch der internationalen Dokumentation und Information. Bd. 2.) [U. a. Abschnitte zur Bibliotheksgeschichte.] Έachbibliographischer Dienst. Bibliothekswesen. 1 ff. (1965 ff.). Berlin 19660. [Laufend, u. a. Angaben zur Bibliotheksgeschichte.] Library and Information Science Abstracts. Vol. i f f . London 1950ff. [Bis 1968 unter dem Titel: Library Science Abstracts. Vierteljährliches Referateblatt, Jahres-Sachregister. U.a. Angaben zur Bibliotheksgeschichte.] Library Literature. Chicago, [später] New York 19340. [Der erste Bd. für 1921-32; später laufend, in drei Stufen: drei- bzw. zweimonatlich; jährlich: mehrjährlich, meist in zusammenfassenden Dreijahresbänden. U. a. Angaben zur Bibliotheksgeschichte.] Literaturnachweise zur Bibliotheksgeschichte auch im Handbuch der Bibliothekswissenschaft; in E. D. Johnson's History of Libraries in the Western World; bei den einschlägigen Artikeln im Lexikon des Bibliothekswesens und in der Encyclopedia of Library and Information Science (vgl. alle vier oben).
^34
Bibliographie
Zeitsckriflen The Journal of Library History, Philosophy and Comparative Lihrarianship. Vol. ι ff. (i966fr.). Tallahassee/Fla. 1966 ff. Library History. Journal of the Library History Group of the Library Association. Vol. 1 ff. (1967-1969ff.). London i969ff. [Mehrere Einzelhefte bilden je einen Mehrjahresband.]
Register Hinweise
ä, ö, ü werden wie ae, oe, ue eingeordnet. - Ortsnamen auf »St.« werden unter »Sankt«, »Saint« eingeordnet. - Bei mehreren Stellenangaben wird die Hauptstelle durch Kursivsatz hervorgehoben. Abkürzungen
Β Hl. LB NB
= = = =
Bibliothek Heilig(er) Landesbibliothek Nationalbibliothek
Aachen 126 Aalto, Alvar 172 Abbasiden 49 Aberdeen 180 Aberystwyth 180 Abo s. Turku Absolutismus 71 f f . Abteilungen s. Bestandsabteilungen; s. Betriebsabteilungen; s. Sprachabteilungen Abteilungsgliederung 27, 84 f., 107 f., 183, 197 Achanjati s. Amenophis I V . Achet-Aton s. Amarna Adel 56, 73, 90 Adenauer, Konrad 126 Admont 53 Ägypten 14 ff., 23, 25, 3 j , 230 A f r i k a 229 f. Agram 150, i y i , 201 Aix-en-Provence 187 Akademie der Wissenschaften 76 f., 94,204 f. Akkader 14, 17 Akzession s. Bestandsauf bau; s. Erwerbungsabteilung Akzessorische Aufstellung s. Numeruscurrens-Aufstellung Albany 110,220 Albertus Magnus 126 Albigenser 58 Albrecht V., Herzog von Bayern 1 3 4 Alcala de Henares 200
s. SB Univ Wiss.
= = = =
siehe Staatsbibliothek Universität Wissenschaften
Alcuin von York-Tours 5 2 Aldus Manutius s. Manutius Alembert, Jean Le Rond d' 75 Alexander I., Kaiser von Rußland 164, 207, 210, 2 1 1 , 2 1 2 , 2 1 4 Alexander der Große 14, 22, 29 Alexandrien 26, 29 ff., 230 - Museion 29 f. - Serapeion 30 f. Algier 230 Allgemeinbibliographie 98 Allgemeinbildende Bibliotheken s. öffentliche Büchereien Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein 144 Al-Ma'mün 49 Alphabetischer Katalog s. Schlagwortkatalog; s. Verfasserkatalog Altdorf 1 3 7 Altertum 14 f f . Althoff, Friedrich 1 3 8 , 1 3 9 , 1 4 8 Amarna 19 Ambras 152 Amenophis IV., König von Ägypten 20 Amerbach, Johann (u. a.) 61, 70, 1 $7 American Library Association ( A L A ) 1 1 1 f., 218 Amerika s. Lateinamerika; s. Nordamerika; s. U S A Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg 216, 217 Amherst 220 Amiens 186
236 Amsterdam 158, 1 5 9 , 1 6 0 - A k a d e m i e der Wiss. 160 - S t a d t B 160 - U n i v 160 Amtsbibliotheken s. Behördenbibliotheken Angelsächsische Mission 52 A n g e r s 186 Anglo-amerikanische K a t a l o g r e g e l n 1 1 5 , 176, 219 A n k a r a 230 A n n A r b o r 225 A n s b a c h 137 A n s b a c h - B a y r e u t h (Land) 133 f f . A n s c h a f f u n g s. Bestandsaufbau A n t i k e s. A l t e r t u m A n t i q u a (Schrift) 62 Antiquariatsbuchhandel 98 A n t o n Ulrich, H e r z o g v o n BraunschweigW o l f e n b ü t t e l 124 A n t w e r p e n 61, 158, 160 A p p l e g a t h , Augustus 9J A q u i l a s. L ' A q u i l a Arabische Schrift 40 Arabische Zahlen 2 1 , 36 Arabischer ( K u l t u r - und Macht-)Bereich 3S //·. 40 f f ; 48 f ; $$, 58, 189, 196, 198 f., 214,215,230 Arbeiterbildungsvereine 102, 144 Arbeiterbüchereien 144 Arbeiterschaft 91 Arbeitnehmerschaft 91 Arbeitszeit 93 Archivbibliotheken 103 Aretin, Johann Christoph Frhr. ν. 13 j Argentinien s. Lateinamerika A r h u s 169 Aristoteles 29 A r m a g h 51 A r m a r i u m s. Schrank Armenien 214 f. Artes liberales 60 Asinius Pollio, C a i u s 32 Assurbanipal, K ö n i g v o n Assyrien 20 Assyrien 14 f f . , 230 A t h e n 22, 29, 47, 201 - A k a d e m i e 29 - N B 201 - Peripatetische Hochschule 29 - Stoa-Hochschule 29 - U n i v 201 A t h o s 48 Audio-visuelle Medien 93. 95, 97 A u f b e w a h r u n g 18, 27, 43, 68 f., 84, 106 A u f k l ä r u n g 71 f f . , 74 f .
Register Aufklärungsuniversitäten 76, 82, 1 1 9 , 124, 137. 147 A u f s t e l l u n g s. Buchaufstellung Augsburg 61,67,134 A u g u s t der Jüngere, H e r z o g v o n Braunschweig-Wolfenbüttel 123 A u g u s t der Starke, K ö n i g v o n Polen, K u r fürst v o n Sachsen 137, 146, 164 Augustus, C a i u s Julius Caesar Octavianus, Römischer Kaiser 32 A u s b i l d u n g s. Bibliotheksausbildung Auskunftsdienst 1 1 7 Ausleihe s. Fernleihe; s. Ortsleihe Austin 226 Australien 229 A v i g n o n 43, 51, 197 Babylonien 14 f f . Baden-Wüttemberg 53, 130 f f . B a g d a d 43, 49, 230 B a l t i k u m 168, 1 7 1 , 202, 213 f. Baltimore 220 Bamberg $3 B a n d s. K o d e x B a n d k a t a l o g 45, 88, 1 1 4 B a r a c k , K a r l A u g u s t 187 Barcelona 199 Bari 197 B a r o c k 71 f f . B a r o c k k u l t u r 73 f . Barsortimenter 98 Basel 7 0 , 1 5 6 , 1 - Buchdruck 61, 157 - U n i v ( ö f f e n t l . B der U n i v ) 67, i j j B a t h 175 B a y e r n 53, 128, 133 f f . B a y r e u t h 134 Bebel, August 144 Bedarfsorientiertheit 1 1 6 Begriffsschrift 17, 21 Behördenbibliotheken 20, 65, 66, 80, 82, 103 f., 1 1 9 Belegexemplare 70, 157 Belfast 180 Belgien i}8 f f . , 1 8 1 , 1 8 8 Belgrad 201 Benedikt v o n Nursia, H l . 50 Benediktinerorden 39, 50, 53 Benelux 148, i}8 f f . , 188 Bentley, R i c h a r d 176 Benutzer 19, 28 f., 45, 7 1 , 88, 1 1 6 Benutzerforschung 1 1 7 Benutzerschulung 1 1 7 Benutzung 19, 28 f., 45, 7 1 , 88 f., 1 1 6 f.
Register
237
Benutzungsabteilung IOS Benutzungsfreundlichkeit s. Liberale Benutzung Benutzungsöffentlichkeit 89, 1 1 6 Bergakademie s. Bergbauhochschule Bergbauhochschule 76, 82, 143 Bergen 172 Berghoeffer, Christian Wilhelm 129 Berkeley 227 Berlin
1 0 5 , i n , 1 1 5 , 137 ff., i39ff-> 1 4 3
144
Akademie der Wiss. 77, 142 Amerika-Gedenk-B 141 f. Bibliotheksverband der D D R 142 Deutscher Bibliotheksverband (DBV, nebst Arbeitsstelle) 142 - Pädagogische Zentrale 142 - Reichsausschuß für sozialistische Bildungsarbeit 144 - SB (Kgl.B, Deutsche SB, SB Preußischer Kulturbesitz) 83, 104, 119, 120, 139 ff. STADTB
169, 20J
- (Vorstufe) 134, 135, 150 Bibliotheksorganismus s. Bibliotheksnetz Bibliothekspersonal 18, 27, 43 f., 69, 8J, 109, 1 5 1 , 1 9 7
-
-
Bibliotheksbetriebswesen 69 ff., 87 ff., 1 1 2 ff. Bibliotheksgebäude 18, 26 f., 43 f., 67 f., 83 f., 1 0 5 , 1 2 4 , I J 2 Bibliotheksgesetz s. Büchereigesetz Bibliotheksnetz 108 f., 138 f., 144 f., 162,
142
- Technische Univ 142 - Univ (Freie Univ, Humboldt-Univ) 94, 142
- ZentralB für Landwirtschaft 142 - Zentralinstitut für Bibliothekswesen 142 - Zentralinstitut für Information und Dokumentation 142 Bern 156, 188 - LB 1 1 9 , iß6 - Stadt-u.UnivB 156 - Univ 156 Besan^on 186 Beschlagnahme 88, 134, 150, 170, 182, 203 Beschreibstoff s. Datenträger Bessarion, Johannes Basilius 193, 196 Bestände 18, 26 f., 42, 67, 83, 104 f. Bestandsabteilungen 84, 108, 183 Bestandsaufbau 19, 28, 44, 69 f., 87 f., 112, 1 1 3 f. Bethesda s. Washington Betriebsabteilungen 108 Betriebswesen s. Bibliotheksbetriebswesen Beuron 53 Beutezugang s. Kriegsbeute Bezirksbibliotheken 102, 174, 182, 204 f. Bezirksbüchereistellen 102 Bibliothek (Wortetymologie) 27 Bibliothekar 21, 27, 43, 69, 85, 109 Bibliothekarvereine 1 1 1 Bibliotheksausbildung 109, 110, 184 Bibliotheksbau s. Bibliotheksgebäude; s. Bibliothekssaal
Bibliotheksplan »1973« 120 Bibliotheksprüfung 8J, 110, 136, IJI, 184 Bibliothekssaal 67, 68 - s. auch Lesesaal Bibliotheksschule (Bibliothekar-Lehrinstitut)
110,220
Bibliothekssystem s. Bibliotheksnetz; s. Urbanes Bibliothekssystem; s. Universitäres Bibliothekssystem Bibliothekstechnik 107, i n Bibliothekstheorie 27 f., 44, 8$ f., 110 ff., 123, 136
- s. auch Bibliothekswissenschaft Bibliotheksturm 106, 123, 224 Bibliothekstypen 26, 41 f., 64 ff., 80 ff., 1 0 0 ff., 1 1 8 f., 1 6 1 f., 1 6 8 f., 1 7 3 f., 1 8 1 f., 1 9 0 f., 2 0 4 f., 2 1 8 Bibliotheksverbände 1 1 1 Bibliotheksverwaltung 69 ff., 87 ff., 1 1 2 f f . Bibliothekswissenschaft n o f . , 125, 136 - s. auch Bibliothekstheorie Bibliothekszeitschrift 1 1 1 Bibliothekszusammenarbeit 108 f., 119 f., 2 0 5 f., 2 1 8 f. - s. auch Bibliotheksnetz Bibliographie 28, 64, 79 f., 98 f. Bibliographiensaal 105 Bick, Josef 153 Bielefeld 126 Bignon, Jean Paul 183 Bilbao 200 Bilderschrift 16, 17 Bildstelle 100 Bildungsvereine 102 - s. auch Arbeiterbildungsvereine Bildungswesen s. Volksbildung Birmingham 102, Bismarck, Otto Fürst v. 149, 158 Bistumsbibliothek s. Kathedralbibliothek Blockbuch 60 B l o i s 66, 7 0 , 1 8 3
Blotius, Hugo 69, 152 Blum, Rudolf 129
Register Bobbio 43, ) o , j i Bochum 1 1 4 , 1 2 6 , 1 2 7 Bodley, Sir Thomas 178 Böhmen 148, 1 6 1 , 1 6 4 } } . Boghazköi 19 Bollert, Martin 146 Bologna (Univ, Juristische Hochschule) $4, 192. 1 9 5 Bombay 230 Bonifatius, Hl. 52 Bonn 120, 12 j , 1 2 6 f . - BundestagsB 127 - Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 120, 127 - Univ 127, 139 - ZentralB der Landbauwissenschaft 120,127 Bordeaux 187 Borromeo, Carlo (Hi.) 194,19$ Borromeo, Federigo 195 Boston 108, 114, 217, 220, 2 2 3 f . - Athenaeum 224 - Lesegesellschaft 81 - Public Library 102,224 - SB 224 - Univ 224 Boston Spa 175, 177 /. - British Library 1 7 $ - National Lending Library for Science and Technology 1 7 7 , 1 7 8 Boyle, Robert 75 Bracciolini s. Poggio Bracciolini Bradford 175 Brandenburg (Land) 125, 137 ff., 214 Brasilien s. Lateinamerika Brasov 201 Bratislava s. Preßburg Braunschweig 122, Z 2 j f . - St. Andreas 68 - Technische Univ 76, 1 2 4 Braunschweig-Wolfenbiittel (Land) 121 f f . Bremen 121, 122 Breslau 139,163 Brest 186 Brighton 175 Bristol 175 Britisches Europa s. Großbritannien; s. Irland Brno s. Brünn Brühl, Heinrich Graf v. 146 Brünn 164 f. Brüssel 114, 160, 182,188 - Akademie der Wiss. 188 - Institut International de Bibliographie 109, 1 6 0
- K g l . Β (Β de Bourgogne) 6 6 , 1 8 8 - Univ 188 Bruun, Valter 170 Buchanschaffung s. Bestandsaufbau Buchara 215 Buchaufbewahrung s. Aufbewahrung Buchaufstellung 18, 26 f., 43, 68 f., 83 f., 106 Buchbinder 69, 85, 110 Buchdruck 21, 60 ff., 77 f., 9 j f. Bucheinband 41, 62 f., 78, 96 f. Bucherwerbung s. Bestandsaufbau Buchform 25 f., 40 f., 62 f., 96 Buchführer 63, 79 Buchgruppenaufstellung 27, 107, 13 j Buchhandel 44, 63 f., 79, 98 Buchkauf s. Kaufzugang Buchmesse 63, 64, 78, 79, 129, 145 Buchmuseum 108 Buchproduktion 28,44, 9$ f. - s. auch Buchdruck Buchrolle 17, 26 Buchstabenschrift 17 f. Buchwesen 25 f., 40 f., 60 ff., 77 ff., 95 f f . Buchzugang s. Bestandsaufbau Budapest IJO, 151, 153, 162, 166, 1 6 7 f . - Akademie der Wiss. 167 - N B 167 - ParlamentsB 167 - SchloßB (B Corvina) 66,167 - StadtB 167 f. - Technische Hochschule 168 - Univ 54,167 Bude (Budaeus), Guillaume 69, 183 Büchereien s. Arbeiterbüchereien; s. Gewerkschaftsbüchereien ; s. Kirchliche Büchereien; s. öffentliche Büchereien Büchereigesetz 102, 169, 174, 218, 220, 224 Büchereizentren s. Bezirksbüchereien; s. Bezirksbüchereistellen Bücherhallen 102, 144 Bücherkiste 27 Büchermagazin s. Magazin Bücherschrank s. Schrank Buenos Aires 229 Bürgertum 57, 73, 90 f. Bukarest 201 Bukowina 148, 212 Bulgarien 200 f. Bundesrepublik Deutschland s. Deutschland, Bundesrepublik Bunshaft, Gordon 224 Burgund 158 ff., 188
Register Byzantinischer (Kultur- u. Macht-)Bereich 34 ff., 40 ff., 4) ff., j $ , $8, 189, 192, 193, 196, 200 f., 202, 2 1 4 Byzanz s. Konstantinopel Caen 186 Caesar, Caius Julius 30 Caesarea 41 Cagliari 197 Cain, Jules 184 Calvin(us), Johannes (Jean Cauvin) 58, 189 Cambridge/England 84, i i j , 17$, 779 - Trinity College 179 - Univ $4, /79 Cambridge/Massachusetts 220, 223 f. - Technische Univ 223, 224 - Univ (Harvard Univ, Widener Library) 224 Camerino 197 Canberra 229 Canterbury j 2 , 1 7 j Cardiff 180 Carnegie, Anrew 223 Carnegie Corporation 223 Carrel 84 Casamassima, Emanuele 194 Cassiodor(us) Flavius Magnus Aurelius 50 Catania 197 Celle 122 Cernovcy s. Czernowitz Cesena 192 Change-System 79 changieren 79 Chapel Hill 226 Charkov 207, 212 Chartres 52 Chattuscha s. Hattusa Chemnitz s. Karl-Marx-Stadt Chicago 21 γ, 22} f. - Center for Research Libraries (Midwestern Interlibrary Center) 226 - John Crerar Library 226 - Newberry Library 226 - Public Library 226 - Technische Univ 226 - Univ 22) f. Chile s. Lateinamerika Chilovi, Desiderio 194 China 21 f., 90, 21 j , 230 f. Chiwa 21 j Choresm s. Chiwa Christentum 34 - s. auch Kirche; s. auch Kloster; s. auch Orden
239 Chvarizm s. Chiwa Cincinnati 225 Circulation Department 108 Citeaux 52 Clausthal (Clausthal-Zellerfeld) 122 Clemens V I I . , Papst 193 f. Clermont-Ferrand 187 Cleveland 225 Cluj 1 5 1 , 166 f., 201 Cluny 43, 52 Coimbra 199 Colbert, Jean-Baptiste 7 2 , 1 8 3 Colchester 175 College Libraries s. Kollegienbibliotheken Collijn, Isak 1 7 1 Colporteurs 79 Columban, H l . j o Columbus, Christoph (Cristoforo Colombo) 59
Columbus (Ort) 225 Compiegne 186 Computer s. E D V Constantius, Römischer Kaiser 45 Coolidge, Archibald Cary 224 Copernicus s. Kopernikus Corbie 51, j 2 Cordoba 43, 49, 200 Cork 180 Corvey 53 Cosimo de'Medici 193 Coventry 17 j Craiova 201 Cromwell, Oliver 176 Cutter, Charles Ammi 1 1 4 , 224 Czernowitz i j 1 , 2 1 2 Dänemark 1 2 1 , 168 ff., 169 f. Dahl, Svend 1 1 1 , 170 D'Alembert s. Alembert Damaskus 42 Danzig 163 Darmstadt 128 f. Datenbank 100 Datenträger 16 f., 20 f., 25, 40 f., 62 f., 78, 96 f. D D R 120, 137 ff. De' Medici s. Medici Debrecen 167 Delft 159 f. Delhi 230 Delisle, Leopold i i j , 184 Delia Santa, Leopoldo 1 0 6 , 1 1 1 , 1 3 $ Den Haag 159 f. - F I D 109, 160
240 - K g l . B . 159 f. Denis, Michael 110,153 Depöts littiraires 182 Descartes (Cartesius), Rene 74 Detroit 225 Deutsche Demokratische Republik s. D D R Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) s. Bonn Deutsche Schrift 62 Deutscher Orden (Deutscher Ritterorden) 213 f. Deutsches Reich s. Deutschland Deutsches Sprachgebiet 118 ff. Deutschland J2f., 60 f., 77, 113, 1 1 7 , 1 1 8 ff. - s. auch D D R ; s. auch Deutschland, Bundesrepublik; s. auch Mitteleuropa; s. auch Römisch-deutsches Reich Deutschland, Bundesrepublik 1 1 8 , 1 2 0 ff., 138 Dewey, Melvil 110, i n , 114, 160, 220, 223 Dezimalklassifikation 114, 160, 220 Dictionary Catalogue s. Kreuzkatalog Diderot, Denis 75, 210 Dijon 186,188 Dissertationenstelle 114 Dnepropetrovsk 212 Dokumentation 95, 99, 100, 160 Dokumentationsstelle 100 Dokumentensammelstelle (Gesamtinstitut) 18, 19 f., 21, 26 Dominikanerorden 39 Dorpat s. Tartu Dortmund 126, 127 Dresden 138, 143, 144,14s ff. - LB (Kgl.B) 66, 119, 14} f. - Medizinische Akademie 146 - Technische Univ 146 f. Drontheim 172 Druck s. Buchdruck Drucker-Verleger 63 Druckpresse 60 f. Druckschriftenabteilung 84 Dublin 180 Düsseldorf i 2 j , 126, 127 - Akademie der Wiss. 127 - Univ 127 Duisburg 126 Dundee 180 Duns Scotus 126 Durham 43, JI, $2,17} Dziatzko, Karl 110, i n , 125, 139, 163, 223 Ebert, Friedrich Adolf i n , 146 Echnaton s. Amenophis IV.
Register Eckhart (Meister Eckhart) 126 Edinburgh 180 - NB (Advocates'Library) 180 - Public Library 180 - Univ 180 E D V 9$, 96, 97, 99, 107, 114, 127, 129, 177, 219, 222, 225 Edwards, Edward 179 Eichler, Ferdinand 1 j 5 Eignungsprüfung s. Bibliotheksprüfung Einband s. Bucheinband Eindhoven 159 Einheitsbibliotheken s. Public Libraries Einheitsbibliothekswesen ior, 144,162, 169, 205,217 Einsiedeln 53 Einzelbuchhandel 79, 98 Elektronische Datenverarbeitung s. E D V El Escorial s. Escorial Elsaß 53,158,786 Elzevier, Ludwig (u. a.) 158 Empirismus 74 Empore 84 England 51 f., 72, 77, 79, 102, 115, 173 ff., HS ff- s. auch Großbritannien Entdeckungen (frühe Neuzeit) 59 f. Enzyklopädie 75 Ephesus 27 Eppelsheimer, Hanns Wilhelm 129, 130 Eratosthenes 30 Erevan 215 Erfurt 54, 143 Erlangen 83, 133, j j 6 / . Erschließung 19, 28, 44 f., 70 f., 88, 114 ff. - s. auch Katalog Erwachsenenbildung 92 Erwerbung s. Bestandsaufbau Erwerbungsabteilung 108, 113 Erwerbungsetat 113 - (Vorstufe: Vorausbetrag) 70,197 Escher, Hermann 157 Escorial 66, 68, 200 Essen 126,127 Essen-Werden 53 Este 192 Estienne s. Stephanus Estland 213 f. Estreicher, Karol 163 Etat (Finanzwesen) 70, 113 Ettal 53 Eugen, Prinz von Savoyen 153, 166 Europa 22 ff., 36 ff., 40 ff., 49 ff., 55 ff., 72 ff., 90 ff., 118 ff.,
Register
241
Europäisches Rußland 207 ff. Exeter 17$ Fabriano 41 Fachbibliographie 98 Fachbibliotheken s. Spezialbibliotheken; s. Zentrale Fachbibliotheken Fachhochschule (Spezialhochschule) 25, 26, 60, 7 6 , 82, 94
Fachlesesaal 105 Fachreferent 85, 112, 19$ Fahrbüchereien 102 Fakultätsbibliotheken 66, 103 Farmington-Plan 219 Fatimiden 49 Federation Internationale de Documentation (FID) 109, 160 Ferdinand I., Römisch-deutscher Kaiser 152, 166
Ferner Osten s. Ostasien Fernleihe 29, 4J, 71, 89, 116 f., 1 JI, 191 Ferrara 67, 792 Feudalsystem 33, 34, 37, j6, 72 f., 90 Ficino, Marsilio 193 FID s. F£d£ration Internationale de Documentation Film 93, 97, 10 j Finnland 168 f f . , ij2, 202 Firmenbibliotheken 104 Fischer v. Erlach, Johann Bernhard 152 Flachdruck 96 Florenz
65, 68, 1 9 1 , 1 9 3 f .
-
Academia Platonica 77, 193 Accademia della Crusca 77, 194 Akademie der Wiss. 194 Β Laurenziana 66, 793 /. Β Marciana 66,193 f. Β Palatina 194 Buchdruck 61
-
N B (B M a g l i a b e c h i a n a )
83, 1 0 4 , 1 9 4
- Univ 67, 794 Förderanlagen 107 Fontainebleau
66, 6 9 , 7 0 , 1 8 J
Fontana, Domenico 197 Forschung 59, 76 f., 80, 94 Forschungsinstitut 94 Forschungsuniversität 142 Fortsetzungsstelle 114 Fotokopie 107 Fraktur 62 Francke, Johann Michael 146 Franken (Bayerisch-Franken) J3, 133 ff. Frankenreich 36, 181, 191 Frankfurt/Main
128,729/.
- Börsenverein der deutschen Buchhändler 129
-
Buchmesse 63 f., 79, 129 Deutsche Β 120, 121, 729 /. Institut für Dokumentationswesen 129 f. Kaiserliche Bücherkommission 63,70, 152 Rothschildsche Β 129 Senckenbergische Β 129 Stadt- u. UnivB (StadtB) 67,129 Univ 129 Zentralstelle für maschinelle Dokumentation 130 Frankfurt/Oder 67, 143 Franklin, Benjamin 220 Frankreich J2, 61, 72, 77, 98, 101, 110, 113, 11 J, 1 1 6 f., 1 2 6 , 1 5 6 , I J 8 , 1 6 1 , 1 8 1 f f . , 216, 227
Franz I., Römisch-deutscher Kaiser 194 Franz I., König von Frankreich 70, 183 Franz Ferdinand, Erzherzog von Österreich 149
Franz Joseph, Kaiser von Österreich 149, 163
Franziskanerorden 39 Französische Revolution 73, 89, 90, 181, 182 Französisches Sprachgebiet 181 f f . , 227 f. Freiberg 143 Freiburg/Breisgau 6 7 , 1 3 1 , 149, IJO Freiburg/Uchtland s. Fribourg Freie Künste s. Artes liberales Freie Reichsstädte s. Stadtrepubliken Freie Wirtschaft 91 f., 217 Freihandmagazin 68, 116, 219 Freiheit 92 Freizeit 93 Fribourg 156, 7S9 Friedrich I. Barbarossa, Römisch-deutscher Kaiser 19$ Friedrich II., Römisch-deutscher Kaiser $4, 196
Friedrich II., König von Preußen 74, 139 Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen 143 Friedrich August II., König von Polen, Kurfürst von Sachsen 146 Friedrich Wilhelm, der »Große Kurfürst« von Brandenburg
137,139
Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 139 Froben, Johann 61, 157 Frühkapitalismus 57 Fugger 57 Fulda 52 f. Fust, Johann 61
Register
242 Gärtner, Friedrich v. 135 Galerie s. Empore Galilei, Galileo 75 Galizien 1 4 8 , 1 6 3 , 2 1 2 f. Gallus, H l . j 2 Gandersheim $3 Gebäude s. Bibliotheksgebäude Gegenreformation $8 f., 66, 74, 82, 83, 149, 1 9 4 f., 1 9 9 Gegenreformations-Universitäten 83 Gelfrejch (Helfreich), Vladimir Georgievic 208
Gemeinschaftsunternehmungen 108 f., 1 1 9 f., I 2 I , 1 3 8 f., 2 0 5 f., 2 1 8 f. Gemistos Plethon, Georgios 193 Gen£ve s. Genf Genf if6, 189}. - Β des Nations Unies 189 - U n i v 189 Gent 160, 188 Genua 192 Georg II., König von Großbritannien-Hannover 123, 124, 176, 223 Georgien 214 f. Gerichtsbibliotheken 104 Gesamtinstitut 18, 19, 26, 81 Gesamtkatalog 115 Geschenkakzession (Abteilung) 113 Geschenkzugang 28, 44, 70, 87, 113 Gesellschaft (Sozialstruktur) I J , 23 f., 33, 34» 3 5 . 3 7 . $ 6 f . , 7 2 f . , 7 4 , 9 0 f .
Gesellschaft s. auch Wissenschaftliche Gesellschaft Gesetz s. Büchereigesetz Gesner, Conrad 64 Gesner, Johann Matthias 124 Gewerkschaften 91 Gewerkschaftsbüchereien 102, 104, 144, 2 0 4 f. Gießen 8 3 , 1 2 8 Gießinstrument (Buchdruck) 60 Gießmaschine (Buchdruck) 9 ; Giunta, Lucantonio (u. a.) 61 Glasgow 180 Glorious Revolution 7 3 , 1 7 6 Göteborg 171 Goethe, Johann Wolf gang 143 Göttingen 8 8 , 8 9 , 1 1 0 , I I I , 1 2 2 , 1 2 4 f., 1 4 0 - Akademie der Wiss 124 - U n i v (S. u. UnivB) 76, 82, 83, 103, 119, 124 f., 1 3 9 Göttweig J3 Gorkij 207 Goten 50
Gotha 143 Gotische Schrift(en) 40 G r a n a d a 49, 200 Grassauer, Ferdinand 154 Graz 149, i j o , 152, ZJJ ~
LB
IJJ
- SchloßB I J J - Technische Hochschule 1 j j - Univ 67, 8 3 , 1 Greifswald 67, 139, 143, 171 Grenoble 187 Griechenland 22 ff., 200 f. - s. auch Hellenistischer (Kultur-)Bereich Griechische Schrift 2 j , 40 Grimm, Jakob 184 Grolier, Jean 63 Groningen I J 9 Großbritannien 102, 108, 110, 112, 121, i73ff-> 216, 218, 229 - s. auch England; s. auch Schottland Großenhain 144 Großer Kurfürst s. Friedrich Wilhelm, der »Große Kurfürst« von Brandenburg Gruppenaufstellung s. Buchgruppenaufstellung Grusinien s. Georgien Guildford 17 j Gustav II. Adolf, König von Schweden 214 Gutenberg, Johann 60 f., 9J H a a g s. Den H a a g Habsburg j6, 72, 130, 147, 148, IJ2, I J J , I J 8 , I J 9 , 1 6 0 , 161, 166, 1 6 7 , 1 8 8 , 1 9 2 , 194. 195. 2 ° ° H a d r i a n , Publius Aelius, Römischer Kaiser 29. 31. 32 Halle 1 3 7 , 1 3 8 , 1 4 3 , 1 4 7 - Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina 77, 147 - Univ 76, 82, 83, 119, 139, 148 H a m b u r g 81, 1 2 1 , 1 2 2 - S. u. UnivB (StadtB) 67, 119, 122 - Univ 122 Handschriftenabteilung 84, 108 Hannover (Land) 12z ff., 138, 173, 176 H a n n o v e r 86, 88, 89, 122 f., 124 - LB (Kgl. B) 8 3 , ζ22 f. - Medizinische Hochschule 123 - StadtB 123 - Technische InformationsB 120, ζ23 - Technische Univ 123 - Tierärztliche Hochschule 123 Hansestädte ζ2z f., 1 j j H a r n a c k , Adolf v. 139, 140
Register Hartwig, Otto 147 Härün ar-Raschid 49 Harvard, John 224 Hattula 19 Hauptamtlicher Bibliothekar 69, 152, 183, 197 Heftmaschine 97 Heidelberg 1 3 0 , 1 3 1 , 1 3 2 f. - Akademie der Wiss. 133 - H o f B (SchloßB, Β Palatina) 66, 83, 119, 132 - Univ $4,132 Heinrich VIII., König von England 17$ Helfreich s. Gelfrejch Hellenistischer (Kultur-)Bereich 22 ff., 3J, 230
Helmstedt 67, 122, 124 Helsinki 172, 207 Herrera, Juan de 200 Hessen 52 f., 127 ff., 138 Hethiter 19 Heyne, Christian Gottlob 124 Hieroglyphenschrift 17 Hieronymus, Hl. 41 Hildesheim 53 Hitzacker 123 Hobbes, Thomas 74 Hochschulbibliotheken 26, 42, 81 f., 103, 204 f. Hochschulen 25, 26, 76, 94, 190, 203 Hofämter s. Wissenschaftliche Hofämter Hofbibliotheken 41 f., 65, 80 f., 100, 118 f., 162, 168, 182, 190 f. Hoffmann, Wilhelm 132 Hofmann, Gustav 136 Hohenstaufen 39 Hohenzollern 137, 138, 139, 214 Holstein s. Schleswig-Holstein Holztafeldruck 22, 60 Hrabanus Maurus 53 Hull 1 7 J Humanismus }7 ff-, 1J7, 190 f f . , 193 Humboldt, Wilhelm v. 94, 1 3 9 , 1 4 2 Hume, David 74, 180 Humphrey, Herzog von Gloucester 178 Hus, J a n 5 8 Huygens, Christiaan 75 Iasi 201 Ideenschrift 17 I F L A s. International Federation of Library Associations Illinois 225 f. Indien 21, 230
243 Indische Zahlen 21 Industrieforschung 94 Industriegesellschaft 89, 90 f. Industriezeitalter 89 f f . Informatik s. Informationswesen Informations-Explosion 99, 104 Informationswesen 9$ ff., 99 f. Informationswissenschaft 99 f. Ingolstadt 67, 136 Inkunabel 60 f., 62 Innsbruck 83, 149, 150, i $ 2 Institutsbibliotheken 103 International Federation of Library Associations (IFLA) 109 International Standard Bibliographie Description 115 Inventar 19, 20, 28, 45, 71, 88 Iona 51 Irak s. Mesopotamien Iran s. Persien Irisch-schottische Mission 39, 50, 51 f. Irkutsk 211 Irland 51, 173 ff., 180 Isidor von Sevilla, Bischof 44 Islam 35,199, 21 j Island 168, 170 Israel 14, 230 Istanbul s. Konstantinopel Italien 23 ff., 48, 50 f., 61, 6j, 77, 116, 148, '89 ffIthaca (Ort) 220 Ivan der Schreckliche (Ivan IV. Grosny), Zar von Rußland 202, 207 Jagiello s. Ladislaus Jagiello Japan 90, 231 Jarrow j i Jena 67,143 Jerusalem 230 Jesuitenkolleg 76, 149, 199, 229 Jesuitenorden 66, 82, 149, 150, 229 Jesuitenschule $9, 66 Joannina 201 Joensuu 172 Johann, Erzherzog von Österreich 155 Johann Sobieski, König von Polen 163 Johannes V I I I . Palaiologos, Byzantinischer Kaiser 193 Johannesburg 229 Joseph II., Römisch-deutscher Kaiser 74, 1 3 1 , 148, 1 5 0 , 1 5 3 , 165, 167, 192, 2 1 2
Juchhoff, Rudolf 126 Jugoslawien 148, 200 f. Julian I. Apostata, Römischer Kaiser 46
244 Justinian I., Römischer Kaiser 46,47 Jyväskylä 172 Kästner, Erhart 124 Kaffeehaus (als Lesehalle) 8x Kairo 4 2 , 4 3 , 4 9 , 2 3 0 - Al-Azhar-Univ 49, 230 - H o f B 49 - N B 230 - (Staatl.) Univ 230 Kalifornien 226 f. Kaliningrad s. Königsberg Kalkutta 230 Kallimachos 28, 30 Kameralismus 72, 73, 75 Kanada 2 1 6 { f . , 2 2 7 f . Kant, Immanuel 74, 214 Kapitalismus $7, 73, 91 f. Kapstadt 229 Karabaüek, Josef v. 153 Karl I. der Große, Römisch-fränkischer Kaiser 39, 54, 1 9 1 Karl II. der Kahle, Römisch-fränkischer Kaiser 54 Karl IV., Römisch-deutscher Kaiser i 6 j , 192 Karl V., Römisch-deutscher Kaiser 57, 200 Karl VI., Römisch-deutscher Kaiser 1 $1 Karl der Kühne, Herzog von Burgund 1 j8, 188 Karl Eugen, Herzog von Württemberg 1 3 1 Karl-Marx-Stadt 1 3 8 , 1 4 4 Karolinger 39 Karolingische Minuskel 40 Karlsruhe 1 3 1 Karlstad 1 7 1 Kartographie 75 Kaschau 165 Kassel 128 Katalog 44 f., 70 f., 1 1 4 f. Katalogabteilung 108, 1 1 5 Katalogisierung s. Erschließung Katalogregeln 1 1 j - s. auch Anglo-amerikanische Katalogregeln; s. auch Preußische Kataloginstruktionen; s. auch Regeln für die alphabetische Katalogisierung ( R A K ) Katalonien 187, 199 Katharina II., Kaiserin von Rußland 2 1 0 Kathedralbibliotheken 42, j o f f . Kathedralschule 60 Kattowitz 163 Kaufakzession (Abteilung) 1 1 3 Kaufzugang 28, 69 f., 87, 1 1 3
Register Kaukasien 202, 2 1 ; f . Kaunitz, Wenzel Anton Fürst von 72, 150 Kazan 202, 2 0 7 Keele 175 Keilschrift 16 f. Kellermagazin s. Tiefmagazin Keils J I Kent, Allan 1 1 1 Kepler, Johannes 75 Kettenband 68 Kiel 1 2 1 , 169 - Β des Instituts für Weltwirtschaft 120, 121 - LB 121 - Univ 83, 1 2 1 , 139 Kiev 48, 202, 212, 2 1 3 , 214 - Akademie der Wiss. 213 - KathedralB 213 - SB 213 - Technische Hochschule 213 - Univ 213 Kioto 231 Kirche s. Christentum; s. Kathedralbibliotheken; s. Kloster; s. Klosterbibliotheken; s. Orden Kirchenstaat 189, 196 f f . Kirchliche Büchereien 1 0 1 , 1 0 4 Kirchliche Büchereivereine 102 Kirkwood, James 86, 180 Klagenfurt 150 Klausenburg s. Cluj Klebebindung 97 Klevenskij, Mark Mitrofanovic 208 Kloster 39, J9, 134 f., 149, 150 Klosterbibliothek 42, j o //., $9, 66, 82, 104, 133, 134 f., 149, 150 Klosterneuburg 53 Koberger, Anton 61 Kodex 26, 40 f., 96 Köln (Kurfürstentum) s. Kurköln Köln I 2 j , Z 2 6 /., 128 - Bibliothekar-Lehrinstitut 127 - Buchdruck 61 - D I M D I 127 - Dominikanerhochschule 126 - KlosterB $3 - Univ $4,126 f . - Univ- u. StadtB (StadtB) 126 f. - ZentralB der Medizin 120, 127 König, Friedrich 95 Königsberg 67, 1 3 9 , 2 1 4 Köster, Kurt 129 Kolleg(ium) 42, 60 Kollegienbibliotheken 42, 66, 82, 1 1 9 , 174, 218
Register Kollektive Bucherwerbung 1 1 3 , 206, 219, 221 f. Kollektive Katalogisierung 1 1 5 , 206, 219, 222 Kolonien 56, 72, 90, 216, 229, 230 Kommunales Bibliothekswesen s. ö f f e n t liche Büchereien; s. Stadtbibliotheken Kommunikationswesen 95 Konfiskation s. Beschlagnahme Konstantin I. der Große, Römischer Kaiser 45
Konstantin Porphyrogennetos, Byzantinischer Kaiser 46 Konstantinopel 32, 34, 35, 4 1 , 42, 4} ff-, 58, 230 - Juristische Hochschule 46, 47 - Kaiserl. Β 32, 4} ff. - PatriarchatsB 47 - Philosophen-Hochschule 46, 47 - Studios-Kloster 47 - Univ 46, 4 j Konstanz 1 3 1 Kopenhagen 1 2 1 , 1 6 9 f., 172 - Akademie der Wiss. 170 - Kgl. Β 83, /09 /. - StadtB 170 - Technische Hochschule 170 - Univ 67, ιγο Kopernikus (Copernicus), Nikolaus $9 Kopierdienst 1 1 7 Kopiergerät 107 Korb, Hermann 124 K o r f f , Baron Modest Andreevii 2 1 0 Kosice s. Kaschau Krain s. Slowenien Krakau 54, 6 1 , i j i , 162 f. Krause, Jakob 146 Kremsmünster $3 Kreuzkatalog 1 1 4 , 2 2 4 Kriegsbeute 28, 70, 87 Kroatien 1 4 8 , 2 0 0 / . Krüß, Hugo Andreas 140 Krupskaja-Uljanova, N a d e i d a Konstantinovna 203 KuibySev 207 f . Kunze, Horst 1 1 1 , 1 4 0 Kurbayern s. Bayern Kurbrandenburg s. Brandenburg Kurhannover s. Hannover Kurköln 125 f f . Kurmainz 127 f f . K u r p f a l z s. P f a l z Kursachsen s. Sachsen Kurtrier 127 f f .
245 Kuwait City 230 Kybernetik 99 Kyrillische Schrift 40, 201 Labbe, Philippe 79 Labrouste, Henri 185 Ladislaus Jagiello, König von Polen-Litauen 162 Lafontaine, Henri 1 1 4 , 1 6 0 Laibach 150, 201 Lambeck, Peter 1 $2 Lancour, Harold 1 1 1 Landesbibliotheken 65, 100 f., 1 1 8 f., 173, 1 9 1 , 218 Langobarden 50, 1 9 1 L'Aquila 197 Lassalle, Ferdinand 144 Lateinamerika 199, 229 Lateinische Schrift 40, 62 Laurentius, H l . j 1 Lausanne 1 5 6 , 1 8 9 Lautschrift 1 7 Lecce 197 Leeds 1 7 j Lehnswesen s. Feudalsystem Leibniz, Gottfried Wilhelm 74, 75, 76, 77, 80, 86, 122 f., 124, 2 1 0 Leicester 175 Leiden 82, 83, 158, i j y Leihbücherei s. Mietbuchhandel Leipzig 78, 1 2 9 , 1 3 8 , 143, 1 4 4 , 1 4 s - Akademie der Wiss. 14 j - Börsenverein der deutschen Buchhändler 145 - Buchdruck 61 - Buchmesse 64, 79, 145 - Buchmuseum 14$ - Deutsche Bücherei 1 2 1 , 14$ - Univ 67, 82, 1 4 } Lektorat (für Bibliotheken) 1 1 3 Lemberg 1 jo, 163, 212 f. Lenin (Uljanov), Vladimir Ujii 92, 203, 20$ Leningrad 164, 202, 203, 207, 208, 209 ff. - Akademie der Wiss. 77, 83, 20p f., 2 1 1 - Bergbauhochschule 2 1 1 - SB (Kaiserl. B) 83, 104, 210 f. - Technische Hochschule 76, 211 - Univ 2 1 1 Leninismus 92 Leoben i j i Leopold I., Römisch-deutscher Kaiser 77, 80, 147, 152 Lesegesellschaften 8 1 , 82, 1 0 1 f., 1 7 3 , 218, 220
Register
246 Leser s. Benutzer Lesesaal 105, i j 2 - s. auch Bibliothekssaal Lessing, Gotthold Ephraim 124 Lettland 213 f. Lexikon 75 Libaers, Herman 188 Liberale Benutzung 89, n 6 , 12$, 178, 185, 19$ Liberalismus 91 f., 2 1 7 Lichtenthaler, Philipp 13$ Lichtsetzmaschine 96 Li£ge s. Lüttich Lille 186, 188 Linköping 1 7 1 Linn£, Carl v. 7 J Linotype 96 Linz i j o Lipman, Robert 187 Lipman-Kapsel 187 Lipman-Regal 106, 187 Lissabon 199 Litauen 202, 2 1 1 f f . , 213 f. Liverpool 175,179 - Lesegesellschaft 81, J79 - Public Library 102,779 - Univ 179 Ljubljana s. Laibach Locke, John 74 L0dz 163 Löwen 160 Lombardei 1 4 8 , 1 9 7 / / . Lomonosov, Michail Vasilevii 209 London 78, 79, 81, 10$, 106, I I J , 17} ff. - British Academy 177 - British Library (British Museum) 8 1 , 8 3 , 104»
*7Sff-
- Buchdruck 61 - London Library 177 - London School of Economics (British Library of Political and Economical Science) 177 - National Central Library 177, 178 - Public Libraries 177 - Royal Society 77, 177 - SchloßB (Old Royal Library) 175 f. - Univ (University College Library, University of London Library) 177 Londonderry 180 Lorenzo il Magnifico de' Medici 193 Lorsch 43, J3 Los Angeles 226, 227 Lublin 163 Ludwig I., König von Bayern 1 3 $ , 136
Ludwig I X . der Heilige, König von Frankreich $4 Ludwig X I V . , König von Frankreich 72, 183 Ludwigsburg 1 3 1 Lübeck
61,122
Lüttich 188 Lumbeck, Emil 97 Lund 1 7 1 Luther, Martin j8, 66 Luxemburg (Land) 148, 158 ff. Luxemburg 161 Luxeuil 51, 52 Luzern 156 Lvov s. Lemberg Lyon j 2 , 1 8 7 - Buchdruck 61, 187 - KlosterB J2 - StadtB 187 - Technische Hochschule 187 - Univ 187 Mabillon, Jean 76 Macerato 197 Madison 225 Madras 230 Madrid 199, 200 - Akademie der Wiss. 200 - N B (Kgl. B) 83, 200 - Univ 200 Mähren 148,164 f. Magazin 3 1 , 10$, 106, 135, 143, 176, I8J Magazinturm 106, 224 Magdeburg 137, 144 Mai, Angelo 198 Mailand 84, 85, 88, 89, 150, 1 9 2 , 1 9 4 f. - Akademie der Wiss. 195 - Β Ambrosiana 81, 8 3 , 1 9 } - Buchdruck 61 - N B (B Brera) 8 3 , 1 9 } - StadtB 195 - Technische Hochschule 195 - Univ 195 Mainz (Kurfürstentum) s. Kurmainz Mainz 128, z j ο - Akademie der Wiss. 130 - Buchdruck 61, 130 - Gutenberg-Museum 130 - KlosterB $3 - StadtB 130 - Univ 67, 1 30 Malaga 200 Manchester 175,179 - John Rylands Library 179
Register - Public Library 1 0 2 , 2 7 9 - Univ 179 Mannheim 130, 1 3 1 , 132 f., 135 - H o f B 83,132 f., 13 j - Univ 133 Manutius (Manucci), Aldus 61, 63, 196 Marbach 132 Marburg/Lahn 60, 67,128, 139, 140, 1 4 1 Maria Laach 53 Maria Theresia, Römisch-deutsche Kaiserin 1 3 1 , i j o , 16$, 1 6 7 , 1 9 2 , 19$ Marmoutier s. Tours-Marmoutier Marseille 187 Martin, Hl. 52 Martin (Ort) 16 j Marx, Karl 92 Marxismus 92, 203 Maschinen (im Bibliotheksbetrieb) 107 Massachusetts 102, 220, 224 Massenbüchereien (Massenbibliotheken) s. Gewerkschaftsbibliotheken; s. ö f f e n t liche Büchereien Massenmedien 93, 95 Matthias Corvinus, König von Ungarn 167 Maximilian I., Römisch-deutscher Kaiser Max-Planck-Gesellschaft 94, 136 Mazarin, Jules (Giulio Raimondo Mazzarino) 72, 183, 184 Mechanische Aufstellung s. Numeruscurrens-Aufstellung Mecklenburg 143 Medici $7, 77, 193, 194 Mediotheken 100 M E D L A R S 222 Medrese 42 Melbourne 229 Melk $3 Menschenrechte 92 Mergenthaler, Ottmar 96 Merkantilismus 72, 73, 7$ Merseburg (Merseburg-Leuna) 147 Mesopotamien 14 ff., 23, 3 j , 230 Messina 197 Messkatalog 63, 64, 78 Messrelation 78 Metternich, Klemens Wenzel Fürst v. 148, 149 Metz 186 Mexiko (Land) s. Lateinamerika Mexiko 229 Michajlov, Aleksandr Ivanovii 1 1 5 , 209 Michelangelo (Michelangelo Buonarotti) 68, 194
M7 Michelozzo (Michelozzo di Bartolommeo) 193 Mietbuchhandel 44, 81, 195 Mikrofiche 97 Mikrofilm 97 Militärbibliotheken 104 Milkau, Fritz m , 139, 140 Millstatt $3 Milwaukee 225 Ministerialbibliotheken 104 Minneapolis 225 Minsk 2 1 3 Miskolc 167 Mission s. Angelsächsische Mission; s. Irisch-schottische Mission Mittelalter 33 f f . Mitteleuropa j 2 f., 60 f., 1 0 1 , 1 1 2 , 1 1 8 f f . - s. auch Ostmitteleuropa Modellprogramm 1 1 4 , 2 1 9 Modena 192 Mohl, Robertv. 1 1 3 , 1 3 1 Molbech, Christian 1 1 1 , 1 7 0 Mondsee $3 Monographien 63, 78, 97 Monotype 96 Möns 188 Monte Cassino j o Montfaucon, Bernard de 76 Montpellier $4, ι8γ Montreal 228 Moralische Wochenschrift 78 Moretus, Balthasar 61, 158 Morgan, John Pierpont 223 Moscheebibliotheken 42 Moskau 202, 203, 207, 208 f., 210, 2 1 1 , 2 1 2 - Akademie der Wiss. (FundamentalB der Gesellschaftswissenschaften) 77, 209 - Buchdruck 207 - Lenin-B (Rumjancev-Museum) 104, 204, 20$, 208 f. - SchloßB 207 - SB für ausländische Literatur 209 - Technische Hochschule 209 - Technische SB 209 - Unionsbücherkammer 206, 209 - Univ 209 - V I N I T I 209 - ZentralB für Landwirtschaft 209 - ZentralB für Medizin 209 München 106, 107, i i j , 133, 134 ff. - Akademie der Wiss. 1 3 5 , 1 3 6 - Β des Deutschen Patentamts 136 - SB (Kgl. B) 66, 104, 1 1 9 , 120,134 ff. - StadtB 136
248 - Technische Univ 13 6 - Univ 136 Münchhausen, Gerlach Adolf v. 124 Münster 126, 139 Mumford, Lawrence Quincey 221 Muratori, Ludovico Antonio 76 Murbach 53 Murcia 200 Museumsbibliotheken 103 Nachdruck 96 Namur 188 Nancy 186 Nanking 231 Nantes 186 Napoleon I., Kaiser der Franzosen 153, 183 f. Nassau-Oranien s. Oranien Nationalbibliographie 98 Nationalbibliotheken 65, 100 f., 1 1 9 , 1 6 2 , 168, 173, 1 9 1 , 204 Nationale Fachbibliotheken s. Zentrale Fachbibliotheken Naturrecht 74 Naude, Gabriel 85 f., 184 f. Neapel 54,196 Neuchätel 15 6,18$ Neu-England 216, 2/9 ff. Neuseeland 229 Neuzeit $5 ff., 1 1 8 ff., 202 ff., 216 f f . New Hampshire 102, 220 New Haven 106, 220, 224 - Beinecke Library 224 - Yale Univ 224 N e w Orleans 226 New York 1 1 0 , 217, 220, 223 - Carnegie Corporation 223 - Dag Hammarskjöld Library (UNO) 223 - New York Public Library 223 - Pierpont Morgan Library 223 - Univ (Columbia Univ) 1 1 1 , 2 2 3 Newcastle upon Tyne 17 j Newton, Sir Isaac 75 Nicäa 4 6 Niccoli, Niccolo 193 Nice s. Nizza Niederländisches Sprachgebiet s. Belgien; s. Niederlande Niederlande 60 f., 72, j ; 8 //., 188 Niedersachsen $ 3 , 1 2 1 ff. Nijmegen s. Nimwegen Nikolaus V., Papst 1 9 3 , 1 9 7 Nimwegen i$9 Ninive 20
Register NiS 201 Niznij-Novgorod s. Gorkij Nizza 187 Nophretete, Königin von Ägypten 20 Nordamerika 90, 216 ff. Nordirland s. Irland Norditalien s. Oberitalien Nordrhein-Westfalen 5 3 , 1 2 } ff. Norwegen 168 ff., ij2 Norwich 175 Notker Labeo Teutonicus 52 Nottingham 175 Novgorod 48, 202 Novi Sad 201 Novosibirsk 209, 210, 211 Nürnberg 66, τj6 f. - Buchdruck 61 - Papierherstellung 41 - StadtB 66,136 - Univ (Altdorf, Erlangen-Nürnberg) 136 f. Numerus-currens-Auf Stellung 84, 107, 19
j
Oberitalien 148, 189 ff., 79/ ff. Odense 169 Oder-Neiße-Gebiete 163 Odessa 2 1 2 öffentliche Büchereien (öffentliche Bibliotheken 101 f., 144, 162, 168, 204 f. öffentliche wissenschaftliche Bibliotheken 26, 41 f., 65, 80 f., 100 f., 1 1 8 f., 162, 173, 182, 190 f., 193, 204, 218 Öffnungszeiten 7 1 , 89, 1 1 6 , 206, 2 1 0 örebro 1 7 1 Österreich J3, 1 1 3 , 1 1 6 , 118, 1 2 0 , 1 4 7 ff-, IJ8, 160, 1 6 1 , 163, 164, 166 f., 195, 201, 212, 213 österreichischer Verein für Bibliothekswesen 112,151 Österreich-Ungarn s. Österreich Offset-Druck 96 Oktoberrevolution (Russische Revolution) 203 Okzident 22 ff., 36 ff., 40 ff., 49 ff., j j ff., 72 ff., 90 ff., 202, 203, 212, 213 Oldenburg 122 Olmütz 150, 16 j Olomouc s. Olmütz Omajjaden 49 Oporinus, Johannes 157 Oporto 200 Oranien (Nassau-Oranien) 159 Orden s. Benediktinerorden; s. Deutscher Orden; s. Dominikanerorden; s. Franzis-
Register kanerorden; s. Jesuitenorden; s. Prämonstratenserorden; s. Zisterzienserorden Orleans 186 Ortsleihe 29, 4$, 71, 89, 116, 125 Oslo 172 Osnabrück 122 Ossolinski, Graf Joseph Maximilian 153, 163 Ostasien 21 f., 90, 2 1 1 , 230 f. Osteuropa 202 f f . Ostmitteleuropa 161 f f . Ostpreußen 137, 213 f. Otlet, Paul 1 1 4 , 1 6 0 O t t a w a 227, 228 Ottheinrich, Kurfürst von der P f a l z 132 O t t o III., Römisch-deutscher Kaiser 54 Ottobeuren 53 Ottonen 39 O u l u 172 O v i e d o 200 O x f o r d (Univ, Bodleian Library) 54, 82, 83, 89, 103, 106, 1 7 5 , 1 7 8 f. Padua J4, 792 Paläographie s. Schriftkunde Palastbibliothek s. Schloßbibliothek Palermo 196 f. Palimpsest 41, 198 Palladio, Andrea 124 Palo A l t o (Stanford Univ) 227 Pamplona 200 Panizzi, Sir Anthony (Antonio) 106, 115, 176 f. Panizzi-Stift 106, 176 Papier 21, 40 f., 62, 96, 215 Papyrus 17, 25 Paracelsus (ν. Hohenheim), Theophrastus 59 Parentucelli, Tommaso s. Nikolaus V . Paris 69, 78, 79, 81, 84, 8 j , 88, IOJ, 106, 11 j , 181, 1 8 2 , 1 8 3 ff. - A c a d i m i e Franjaise (Institut de France) 77. 185 - Academie des Sciences (Institut de France) 77. 185 - Β de L'Arsenal 18 j - Β Mazarine 8 ι , 83, 184 - Β Ste. Genevi£ve 185 - Buchdruck 61 - Ecole des Chartes 110, 184 - KathedralB 52, $4 - Kathedralschule 60, 185 - KlosterB (Ste. Genevieve, St. Victor u. a.) 52, 185 - N B (B du Roi) 66, 104, 183 f.
249 - U N E S C O 186 - U n i v (B de la Sorbonne) 54, 60, 66, 82, 83, 1 0 3 , 1 8 } f. Parlamentsbibliotheken 104, 218 Parma 192 Parteibibliotheken 104 Pasadena 227 Passau 134 Patentschriften IOJ Patras 201 P a v i a 67, 150, 792, 194 167 Peking 230 f. Pergament 25, 31, 40 f. Pergamon 23, 25, 27, 31 f., 47 - K g l . B 31 - Medizinische Hochschule (AsklepiosHeiligtum) 31 f. Periodikum 78 f., 97 Persien 14, 17, 230 Personal s. Bibliothekspersonal Pertz, Georg Heinrich 123 Perugia 197 Peter der Große, Z a r von Rußland 202, 207, 210, 211, 213 Petersburg s. Leningrad P f a l z 125, 727 //., 130 ff. Pflichtakzession (Abteilung) 113 Pflichtexemplar s. Pflichtzugang; s. auch Belegexemplar Pflichtzugang 70, 87, 113, 183, 210 Philadelphia 81, 220 Philipp II., K ö n i g von Spanien 188, 200 Philipp V., K ö n i g von Spanien 200 Philipp der Gute, H e r z o g von Burgund 188 Philosophenschule 2$ Phönizier 14, 17 f. Phönizische Schrift 17, 25 Pisa 192 Pittsburgh 220 Pius X I . , Papst 198 Plantin, Christoph 61, 158 Piatina Bartholomäus (Bartolomeo de Sacchi) 69. 197 Piaton 29 Plethon s. Gemistos Plethon P l o v d i v 201 Poggio Bracciolini, Gian Francesco 193 Poitiers 186 Polen 137, 146, 148, 161 ff., 162 ff., 202, 212, 213, 214 Pollio s. Asinius Pollio; s. Vitruvius Pollio Pommern 137, 138, 143, 171 Portugal 72, 798 ff., 229
2J0 Posen (Gebiet, Provinz) 138 Posen 163 Poznan s. Posen Prämonstratenserorden $2 Präsenzbenutzung 29, 4$, 7 1 , 1 1 6 Praet, Joseph van 183 Prag 149, i j o , 1 5 1 , 152, 162, 1 6 4 , 1 6 6 f. - Akademie der Wiss. 166 - Β des Nationalmuseums 166 - Buchdruck 61 - SchloßB 166 - SB (NB, U n i v B u. a.) 166 - Strahov-Buchmuseum 166 - Technische Hochschule 76, 166 - Univ J4, 1 6 j Premontre $2 Preßburg 162, 16), 1 6 6 Presse 93, 95, 97 Pretoria 229 Preusker, K a r l 144 Preußen 109, n o , 1 1 3 , I I J , 116, 1 1 7 , 120, I 2 J , 1 2 7 , 1 2 8 , 137 ff., 1 5 6 , 1 6 3 , 2 1 4 Preußische Kataloginstruktionen I I J , 1 2 1 , 139 Preußischer Kulturbesitz s. Stiftung Preußischer Kulturbesitz Princeton 220 Pristina 201 Processing Department 108, 1 1 j Provenienzaufstellung 107, 135 Providence 220 Ptolemäus I-, König von Ägypten 29, 30 Ptolemäus II., König von Ägypten 30 Public Libraries 101 f., 174, 218 Publizistik 93, 9$ Pultsystem 43, 68 Putnam, Herbert 221 Quadrivium 60 Quebec 227 f. Räumlichkeiten s. Bibliotheksgebäude R A K s. Regeln für die alphabetische Katalogisierung Ranganathan, Shiyali Ramamrita 230 Rationalismus 74 Ratsbibliotheken 65, 1 1 9 Ratti, Achille s. Pius X I . Raubzugang s. Kriegsbeute Rautenstrauch, Franz Stephan 86, 150, i $ 4 Reading (Ort) 17 j Rechtsstaat 92 Reference Department 108, 1 1 j Referent s. Fachreferent
Register Reformation 58 f., 66, 82 Regal 27, 28, 43, 68, 84, 106, 176 Regeln f ü r die alphabetische Katalogisierung (RAK) 121 Regensburg $ 3 , 6 6 , 1 3 4 Reggio di Calabria 197 Regierungsbibliotheken s. Behördenbibliotheken Regionalbibliotheken s. Bezirksbibliotheken; s. Landesbibliotheken Reichenau $3 Reims 52, 186 Reisebuchhandel 63, 79 Renaissance ßj ff., 190 f f . , 193 Renaissancekultur 57 f. Renner, K a r l 149 Rennes 186 Reprint 96 Reprogerät 107 Reuss, Jeremias D a v i d 125 Reutlingen ( E K Z ) 120 Revisionismus 92 Revolution s. Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg; s. Französische Revolution; s. Glorious Revolution; s. Oktoberrevolution Rezension 98 Rheinland 53, 138 Rheinland-Pfalz 127 f f . Riga 214 Rijeka 201 Rio de Janeiro 229 Riyadh 230 Robert, Louis 96 Römisch-deutsches Reich 37, j 6 , 72, 90, 1 1 8 , 148, 1 J 5 , 158, 161, 164, 165, 186, 189, 191, 193
Römisches Reich 23 f f . Rokoko 73 f. Rom (Weltreich) s. Römisches Reich R o m 2 7 , 32, 3 8 , J I , 6 8 , 6 9 , 7 0 , 8 4 , 1 3 2 , 1 9 1 , 1 9 7
- Akademie der Wiss. (Accademia dei Lincei) 77, 198 - Apollo-Tempel (B) 32 - Atrium libertatis (B) 32 - Β Alessandrina 198 - Β Angelica 198 - Β Casanatense 198 - Buchdruck 61 - LateranB J I , 197 - N B 198 - Philosophen-Hochschule 32 - Trajans-B (B Ulpia) 32
Register - Univ 6 7 , J9S - Vatikanische Β 66, 104, ι$γ f. Rostock 6 7 , 143 Rostov am D o n 208, 212 Rotationsmaschine 9 5 f. Rotterdam 159 Rouen J 2 , 186 Rousseau, Jean-Jacques 74 Rudolf II., Römisch-deutscher Kaiser 166 Rückl, Gotthard 111 Ruhrgebiet 125 f f . Rumänien 2 0 0 f. Rumjancev, Graf N i k o l a j Petrovii 208 Rupertus, H l . 53 Rußland 4 8 , 72, 90, 163, 164, 168, 202 ff., 206 ff. Saal s. Bibliothekssaal; s. Lesesaal Saalsystem 6 8 , 84, 197, 2 0 0 Saarbrücken 128 Saarland 127 f. Sacchi, Bartolomeo de s. Piatina Sachkatalog 88, 114 Sachsen 137 f f . Sachsen-Anhalt (Provinz Sachsen) 137 Säkularisierung 7 4 , 88, 134 f., 150, 182 f., St. (Saint) Andrews 180 St. (Saint) Etienne 187 Salamanca 54, 799 Salford 17 j Saloniki 2 0 1 Salzburg S3, 8 3 , 1 4 9 Samarkand 215 Sammlungsabteilungen s. Bestandsabteilungen San Francisco 2 2 6 f. St. (Sankt) Florian $3 St. (Sankt) Gallen 4 3 , 51, 52 Santa s. Deila Santa Santander 2 0 0 Santiago de Chile 2 2 9 Santiago de Compostela 2 0 0 Sarajevo 2 0 1 Saratov 2 0 7 Sardinien 192, 196, 197 Sassari 197 Savoyen 187, 192 Scandia-Plan 169 Schallplatte 97, 105 Schanghai 2 3 1 Schlagwortkatalog 88 Schlesien 138, 148, 163 Schleswig-Holstein 121 f., 138, 168, 169, 170
2JI Schloßbibliotheken $3 f., 65 Schlußschrift 19, 28 Schmeller, Andreas 13$ Schnelldruckpresse 95 Schnorr v. Carolsfeld, Hans 136 Schöffer, Peter 61 Scholastik 4 0 Schottische Mission s. Irisch-schottische Mission Schottland 51, 173 ff., 779/. Schrank 27, 4 3 , 68 Schreibauftragsdienst 4 4 , 6 0 Schreiber 27, 43 Schreibwerkstätte (Schreibstube) 19, 28, 4 4 , 60 Schrettinger, Martin 110, i n , 135, 136 Schrift 1 6 , 2 1 , 2 5 , 4 0 , 6 2 Schriftengattungen 18, 6 3 , 78 f., 9 7 f. Schriftkunde (Paläographie) 7 6 Schriftträger s. Datenträger Schulbibliotheken (Schulbüchereien) 66, 82, 101, 104, 218 Schulpflicht 7 j , 89, 92 Schulwesen 75, 92 Schussenried 53 Schwaben 53 - (Bayerisch-Schwaben) 133 f f . Schweden 113, 116, z68ff., 170 f., 202 Schweinfurt 7 7 , 147 Schweiz $2, 53, ISS ff-, 181, 188 f. Scriptorium s. Schreibwerkstätte Siuko, Vladimir Alekseevic 208 Seattle 2 2 7 Seminarbibliotheken 103 Setzmaschine 9$ Sevilla 2 0 0 Sforza 194 Sheffield 17$ Sibirien 202, 211 Siebenbürgen 148, 166, 2 0 0 f. Siena 192 Signaturen 114, 125 Silbenschrift 17 Sixtus IV., Papst 197 Sizilien 196, 197 Skandinavien 102, 109, 168 ff., 218 Sklaverei 1 5 , 2 4 , 3 3 Skopje 201 Sloane, Sir Hans 176 Slowakei 148, 164, 1 6 6 Slowenien 1 4 8 , 2 0 0 / . Smirke, Sidney 177 Smith, Adam 92 Sofia 201
2$2 Sondersammelgebiete 113, 127, 131, 169, 219 Sorbon (Sorbona), Robert de 18 j Sortimentsbuchhandel 98 Southampton 175 Sowjetunion 90, 109, 113, 116, 202 ff. Sozialismus 75, 91 f., 144, 203 Sozialstaat 92 Sozialstruktur s. Gesellschaft Spanien 3$, 49, 72, 148, IJ8, 188, 189, 194 f., 198 ff., 229 Speichermagazin (Außenmagazin) 184, 226 Spezialbibliotheken 66, 82, 103 f. Spinoza, Baruch (Benedictus) de 74 Spofford, Ainsworth Rand 220 f. Sprachabteilungen 27, 84, 197 Sprache 13 St. s. Saint; s. Sankt Staatsbibliotheken 41, 65, 100 f., 118 f., 204 f., 218 Stadtbibliotheken 6 j f., 81, 101 f., 119, 182, 191, 205 Stadtrepubliken 37,66, 81, 191 Städtisches Bibliothekssystem s. Urbanes Bibliothekssystem Stalin (DzugaSvili), Iosif Vissarionovic 208 stall-System 68 Standortkatalog (Standortverzeichnis) 71, 88, 114 Stationarii 44, 195 Steindruck 96 Stephanus, Henricus 61 Stettin 163 Stiftung Preußischer Kulturbesitz 140, 141 Stirling 180 Stockholm 170, 171 - Akademie der Wiss. 171 - Karolinska Institut (Medizinische Hochschule) 171 - Kgl.B 83, I7I - StadtB 171 - Technische Hochschule 171 - Univ 171 Straßburg 78, 186 f. - Buchdruck 61 - N.u.UnivB (StadtB) 66, 6 7 , 1 8 6 f. - Univ 83, 186 f. Stuart 173, 176 Studium generale s. Universiät Stummvoll, Josef 153 Stuttgart 116, 1 2 8 , 1 3 1 f. - LB(Kgl.B) 8 3 , 7 5 / / . - Univ 132 - (Stuttgart-Hohenheim), Univ 132
Register Subscription Library s. Lesegesellschaft Südafrikanische Union 229 Südamerika s. Lateinamerika Süditalien s. Unteritalien Südosteuropa 200 f. Sulla, Lucius Cornelius 29 Sumerer 14, 16 Sverdlovsk 208 Swansea 180 Swieten, Gerhard Frhr. van 150, 153 Swieten, Gottfried Frhr. van 1J3 Sydney 229 Syrien 23, 35 Systematischer Katalog 71, 88, 114 Szech£nyi, Graf Franz 167 Szeged 167 Tampere 172 Tartu 171, 207, 214 Taschereau, Jules 184 Taschkent 215 Tataren 202,211 Tauschakzession (Abteilung) 113 Tauschzugang 28, 44, 70, 87, 113 Tbilisi s. Tiflis Technik s. Bibliothekstechnik Technische Hochschule 76, 82, 94 Technische Hochschulbibliotheken 82 Tegernsee 53 Teheran 230 Telekommunikation 95 Tell-el-Amarna 19 Temesvar s. Timisoara Tempel 18, 26 Terentius Varro s. Varro Textura 40 Theoderich, Gotischer König 50, JI Theodosius I., Römischer Kaiser 46 Theophrast von Eresos 29 Thomas von Aquino 126 Thorn 163 Thüringen 137 f f . Tiefmagazin 106, 179 Tientsin 231 Tiflis 21} Timisoara 201 Titelaufnahme 11 j Titeldrucke 115 Titelzettel (titulus) 28 Tokio 231 Toleranz 74 Toledo 49, 198 f. Tomsk 211 Tonband 97, 105
Register
253
Tonziegel (Tontafel) 16 f. Toronto 228 Torun s. Thorn Toskana 189, 191 ff. Toulon 187 Toulouse J4, ι8γ Tours J2, 186 Tours-Marmoutier $2 Trajan (Traianus), Marcus Ulpius, Römischer Kaiser 32 Trient (Trento) 192 Trier (Kurfürstentum) s. Kurtrier Trier J 3 , 128 Triest 192 Trithemius, Johannes 64 Trivium 60 Trnava 166, 167 Tschechoslowakei 148,161 ff., 164 ff. Tudor 17 j Tübingen 67, 116, 131 Türkei JJ, 166, 167, 200 f., 214, 230 Tunis 230 Turin 192 Turku 171, 772 Turmmagazin s. Magazinturm Ugarit 14, 19 Uhlendahl, Heinrich 145 Ukraine 148, 202, 211 ff. Uljanova s. Krupskaja-Uljanova Ulm 1 3 1 Umea 171 UNESCO
109,186
Ungarn 148, 161 ff., 166 ff. United Nations (Organization) s. U N O Universitäres Bibliothekssystem 103, 108 f., 1 7 3 f., 2 0 4 f., 2 1 8 Universität 42, $4, $8, 59 f., 67, 76, 81 f., 94, 1 0 3 , 1 1 9 , 1 6 1 f., 1 6 8 f., 1 7 3 f., 1 8 1 f., 1 9 0 f., 2 0 3 , 2 1 8 Universitätsbibliotheken 42, 54, 66, 81 f., 1 0 3 , 1 1 9 , 1 6 1 f., 1 6 8 f., 1 7 4 , 1 8 1 f., 1 9 0 f., 2 0 4 f., 2 1 8 UNO 189, 223 Unteritalien 189 ff., 196 f. Uppsala 67, tyo Urbana 225 Urbanes Bibliothekssystem 102, 108 f., 174, 218, 224
Urbino 197 Urkundenlehre 76 Urquhart, Donald J . 178 U S A 9 0 , 1 0 2 , 1 0 8 , i n f.,
205,216 ff.
113, 114, 116,
Usbekistan 2 1 ; Utrecht 159 Växjö 171 Valencia 200 Valenciennes 186 Valens, Römischer Kaiser 46 Valladolid 199 Vancouver 228 Varro, Marcus Terentius 27 Vatikanstadt s. Rom Venedig 48, 65, 191, 192, 196 - Β Marciana (NB) 66,196 - Buchdruck 61, 196 - Univ 196 Venezien 148, 192, 196 Verein Deutscher Bibliothekare 1 1 2 Verein Schweizerischer Bibliothekare 1 1 2 , 156 Vereinigte Staaten von Amerika s. USA Vereinte Nationen s. U N O Verfasserkatalog
88,114
Verlagswesen 63 f., 79, 98 Verleger-Sortimenter 79 Verona 50, 192 Versandbuchhandel 98 Verwaltung s. Bibliotheksverwaltung Vesal(ius), Andreas 59 Viborg 172 Viktoria, Königin von Großbritannien 173 Vilnius s. Wilna Visconti 194 Vitruvius Pollio, Marcus 27 Vivarium 50 Vladivostok 211 Vleeschauwer, Herman Jean de 229 Völkerwanderung 33, 36 Volksbildung 7 j , 76, 88, 92, 102 Volksbildungsvereine 102 Volksbüchereien s. öffentliche Büchereien Voltaire (Franjois Marie Arouet) 74, 210 Vorau 53 Vorausbetrag s. Erwerbungsetat (Vorstufe) Vorderer Orient 14 ff., 23 ff., 230 Vorderösterreich 130 ff., 147 Vyborg s. Viborg Waldenser 58 Wales 173 ff., 180 Wallonien s. Belgien Warschau 162,163}., 207 - Akademie der Wiss. 164 - N B (Zaluski-B) 164, 210 - Technische Hochschule 164
Register
2J4 - Univ 164, 207 Warwick 175 Washington 10$, 114, 115, 219, 220 f f . - Library of Congress 104, 220 ff. - National Academy of Engineering 223 - National Academy of Sciences 223 - National Agricultural Library 222 - National Research Council 223 - Public Library 223 - Smithsonian Institution 221, 223 - Univ 223 - (Bethesda bei Washington), National Library of Medicine 222 Weimar (Zentrale der deutschen Klassik, LB) 77, 124,143 Weißrußland 202, 211 f f . Weifen 121, 122, 173, 176 Wellington 229 Werden s. Essen-Werden Westeuropa s. Okzident Westfalen $3, 138 Westpreußen 138 Wettin 137, 145 Wickersheimer, Ernest 187 Wiedertäufer 59 Wien 63, 69, 81, 83, 88, 124, 149, IJO, 151, '}*ff·. - Administrative Β im Bundeskanzleramt 155 - Akademie der Wiss. 77, 15 j - Buchdruck 61 - KlosterB 53 - N B (Kaiserl.B) 66, 70, 104, 118 f., ij2 f f . - StadtB 154 - Technische Hochschule 154 - Univ $4, i j 4 Wiener Neustadt 1 $2 Wiesbaden 128,130 Wilhelm von Oranien (Nassau-Oranien) 159 Wilmanns, August 139 Wilna 213,214 Wirtschaft 14 f., 24, 33, 34, 3 j, 37 f., $7, 73.91 Wissenschaft 15 f., 24 f., 33 f., 34 f., 35 f., 38 ff., j 9 f . , 75 ff., 93 f.
Wissenschaftliche Gesellschaft 76 f. Wissenschaftliche Hofämter 76 f. Wissenschaftlicher Referent s. Fachreferent Wittelsbach 133 f f . Wittenberg 67, 143, 147 Wochenzeitung 78 Wolfenbüttel (Herzog-August-B) 66, 78, 83, 86, 119, 122, 123 f. Wren, Sir Christopher 179 Württemberg $3,116, 130 f f . Würzburg $1, 53, 67, 83,133 f. Wuppertal 126 Wycliffe, John j8 Xerox 107 Yale, Elihu 224 Y o r k 51, j2, 175, 178 f. Zagreb s. Agram Zahlzeichen 21, 36 Zaluski, Graf Joseph Andreas (u. a.) 164 Zaragoza 200 Zeichenkommunikation 13 Zeichensystem 16 Zeitschrift 78 f., 93, 9$, 97 Zeitschriftenstelle 113 Zeitung 7$, 78, 93, 9$, 97 Zenodotos 30 Zentralasien 202, 215 ZentraleFachbibliotheken 113,218 Zentrale Katalogisierung s. Kollektive Katalogisierung Zentralkatalog 115 Zetteldrucke s. Titeldrucke Zettelkatalog 88, 114, 123, 151 Zisterzienserorden 52 Zürich 1 $6, 1 - Technische Hochschule 157 - Univ i j 7 - ZentralB 157 Zugangsabteilung s. Erwerbungsabteilung Zweigbücherei 102, 108, 224 Zwingli, Huldreich (Ulrich) j8 Zylinderdruckpresse 9 j
Walter Flemmer
Verlage in Bayern Geschichte und Geschichten M i t einem e i n f ü h r e n d e n K a p i t e l ü b e r die Frühgeschichte des bayerischen V e r l a g s wesens v o n F r i t z S d i m i t t - C a r l 1974. 493 Seiten. L e i n e n D M 4 8 , - . I S B N 3 - 7 9 4 0 - 3 4 1 8 - X
E i n e C h r o n i k des Entstehens u n d W a d i s e n s des V e r l a g s g e w e r b e s in B a y e r n , v o n d e n A n f ä n g e n bis in die G e g e n w a r t , in der die Bayerische L a n d e s h a u p t s t a d t V o r r a n g u n t e r den deutschen B ü d i e r s t ä d t e n g e w o n n e n hat. D e r einleitende T e i l des Buches ( v o n F r i t z S c h m i t t - C a r l ) b e h a n d e l t die E n t w i c k l u n g des V e r l a g s w e s e n s v o m h o h e n M i t t e l a l t e r bis ins 19. J a h r h u n d e r t : D a s V e r l a g s w e s e n in der Z e i t v o r d e m Buchdruck - D i e bayerischen V e r l a g s s t ä d t e der F r ü h d r u c k z e i t - N e u e b a y e rische V e r l a g s o r t e des 16. J a h r h u n d e r t s - D i e neuen V e r l a g s o r t e des 1 7 . J a h r h u n d e r t s - D i e A l t s t ä d t e des bayerischen V e r l a g s w e s e n s v o m 16. z u m 19. J a h r hundert. W a l t e r F l e m m e r , d e r die Geschichte der V e r l a g e i n B a y e r n v o n
1850 bis z u r
G e g e n w a r t v e r f o l g t , g i b t seiner A r b e i t auch einen journalistischen A s p e k t . I h m geht es d a r u m , seinen persönlichen E i n d r u c k v o n B u c h p r o g r a m m e n u n d den M e n schen, die sie schufen u n d v e r a n t w o r t e n , m i t z u t e i l e n , das I n d i v i d u e l l e a u f z u s p ü r e n u n d die N u a n c e n , die das Geschehen u n d die P r o g r a m m e der e i n z e l n e n V e r l a g s häuser bestimmen, a n z u d e u t e n . C h r o n o l o g i s c h unterteilt er seine A r b e i t in die A b s c h n i t t e . . . »bis z u r J a h r h u n d e r t w e n d e « , » . . . bis z u m D r i t t e n Reich«, » D a s D r i t t e Reich« u n d » D a s V e r l a g s w e s e n seit 194$« u n d o r d n e t die V e r l a g e nach i h r e m P r o g r a m m in Fach- u n d Sachbuchverlage, V e r l a g e f ü r T h e o l o g i e u n d religiöse L i t e r a t u r , K u n s t b u c h v e r l a g e , Schöne L i t e r a t u r , K i n d e r - u n d
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Verlag Dokumentation München
Arbeitsgemeinschaft der Kunstbibliotheken
The Association of Art Libraries Deutsche Kunstbibliotheken
- German Art Libraries
Berlin-Florenz-Köln-München-Nürnberg-Rom Redaktion: Horst-Johannes Tümmers. 1975. 101 Seiten. Linson D M 18,-. I S B N 3-7940-3424-4.
Meist aus besdieidenen Anfängen heraus haben sich die Kunstbibliotheken von Berlin, Florenz, Köln, München, Nürnberg und Rom zu großen Spezialbibliotheken entwickelt, die untereinander eng zusammenarbeiten. In der vorliegenden Veröffentlichung wird diese Entwicklung von verschiedenen Autoren dargestellt: Horst-Johannes Tümmers: Die Arbeitsgemeinschaft der Kunstbibliotheken Ekhart Berckenhagen: Die Kunstbibliothek Berlin Peter Tigler: Die Bibliothek des kunsthistorischen Instituts Florenz Albert Schug: Die Kunst- und Museumsbibliothek der Stadt Köln Thomas Lersch, Jürgen Zimmer: Die Bibliothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte München Elisabeth Rücker: Die Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg Ernst Guldan: Die Bibliotheca Hertziana Rom Anhang: Das Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur kunsthistorisdien Literaturversorgung. Die sechs deutschen Fachbiliotheken von Berlin, Florenz, Köln, München, Nürnberg und Rom haben sich vor etwa zehn Jahren zur Arbeitsgemeinschaft der Kunstbibliotheken ( A K B ) zusammengeschlossen. Allen sechs Instituten gemeinsam ist die Zugehörigkeit zu einer größeren kunsthistorischen Institution, deren Bedürfnissen sie gerecht werden sollen. Die Bibliotheken Berlin, Köln und Nürnberg sind eng mit ihren Museen verbunden, diejenigen von München, Florenz und Rom bilden wesentliche Bestandteile der dortigen Forschungsinstitute. Die Geschichte dieser Bibliotheken zeigt, wie ihr ursprünglich enger Kontakt - einerseits zum Museum, andererseits zum Forschungsinstitut - lockerer wird, und wie sie sich anschicken, selbständige Kunstbibliotheken zu werden. Durch planvollen A u f b a u und systematische Erschließung der Bestände, durch eine Gesamtkonzeption in bezug auf Bucherwerb und Auswertung haben diese Bibliotheken ihren Aktionsbereich so erweitert, daß sie nicht nur mit ihrem wissenschaftlichen Apparat den Mitarbeitern der Museen und Forschungsinstitute dienen, sondern auch den A n forderungen des fachlich interessierten Publikums entgegenkommen.
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Verlag Dokumentation München