213 108 95MB
German Pages 328 Year 1982
Linguistische Arbeiten
115
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Werner Zillig
Bewerten Sprechakttypen der bewertenden Rede
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Zillig, Werner Bewerten : Sprechakttypen der bewertenden Rede / Werner Zillig. Tübingen : Niemeyer, 1982. (Linguistische Arbeiten ; 115) NE:GT ISBN 3-484-30115-5
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982 D6 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: fotokop Wilhelm Weihert KG, Darmstadt.
VORWORT
Die vorliegende Arbeit ist die gekürzte Fassung einer Untersuchung, die im Februar 1981 vcn der Philosophischen Fakultät der Universität Münster als Dissertation angenonmen worden ist. Für die vielerlei Hilfen, die mir während der Abfassung dieser Arbeit durch Kollegen zuteil geworden sind, habe ich zu danken, wcbei dieser Dank nicht zuletzt Wilhelm Franke, Manfred Kehrt und Eckard Rolf gilt, die mir bei der Korrekturlesung der vorliegenden Schlußfassung noch einmal zur Seite gestanden haben; für alle Fehler, die trotz ihrer Bemühungen möglicherweise dennoch im Typoskript verblieben sind, bin ich natürlich selbst verantwortlich. Meinen besonderen Dank möchte ich aussprechen: Herrn Professor Franz Hundsnurscher, der diese Arbeit in der Zeit ihrer Entstehung durch Rat und Kritik gefördert hat, sowie Herrn Professor Jan Goossens, der es übernommen hatte, das Zweitgutachten zu erstellen. Monster, im Januar 1982
Werner Zillig
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
V
1.
DER AUFBAU DES ANALYSESCHEMAS
1
1. 1 1.2
1.5.1 1.5.2
Verben als 'Namen von Sprechakten1 2 Die verba dicendi und die Klassifikation der Äußerungsberichte 5 Das Verhältnis von Äußerungsbericht und illokutionärem Akt .. 11 Rekonstruktion vs. Konstruktion von Sprechakttypen 21 Äußerungsberichte 21 Rekonstruktion des Analyseausschnitts 22 Die Konstruktion des Bewertungsschenas 29 Das Bewertungsschema und die Regelbeschreibung nach J.R. Searle 34 Die Searleschen Sprechaktregeln für Bewerten 34 Kritik der Regelfonrulierung nach Searle 37
1.6
Bewerten in explizit perfonrativen Bonrein
2.
PHILOSOPHISCHE UND SPRACHWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGEN IM
1.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.5
UMFELD DER BEWERTUNGEN
2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2
Konzepte innerhalb der Metaethik Kognitivistische Theorien Etnotivistische Theorien Die Behandlung von Bewertungen innerhalb der Sprachwissenschaft Sprach- und Semantiktheorie Gramratik, Lexikologie und Stilistik
39
45
45 48 57 63 63 69
VIII 3.
B E W E R T E N UND SEINE UNTERMUSTER
3.1
Die vier Gruppen bewertender Berichte und die diesen Gruppen entsprechenden Sprechakttypen
3.2
85
86
Die Gliederung der Grundmuster BEWERTEN, BEWERTUNGSBEWERrEN und SPRECHAKTBEWERTEN
88
3.2.1
Das Grundnuster BEWERTEN
88
3.2.2
Das Grundnuster BEWERTUNGSBEWERTEN
99
3.2.3
Das Grundnuster SPRECHAKTBEWERTEN
1O2
3.3
Die impliziten Bewertungen
1O5
3.4
BEWERTUNGEN, BEWERKINGSBEWERTÜNGEN und SPRECHAKTBEWERTUNGEN innerhalb des Analyseausschnitts
4.
109
EINZELANALYSEN DER SPRECHAKTTYPEN INNERHALB DES ANALYSEAUSSCHNITTS
115
4.1
MEINUNGSÄUSSERN (NEG)
115
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4
Beispiele Diskussion Bedingungen des Sprechaktvollzugs Äußerungsformen Exkurs über Äußerungsformen
115 116 126 129 129
4.2
KLAGEN
151
4.2.1
Beispiele
151
4.2.2
Diskussion
151
4.2.3 4.2.4 4.2.5
Bedingungen des Sprechaktvollzugs Äußerungsformen Die Sprechakttypen KLAGEN und JAMMEN. Ein Beispiel für ein Grundlagenproblem innerhalb der Sprechakttheorie
156 159 167
4.3
MEINUNGSÄUSSERN (POS)
169
4.3.1
Beispiele
169
4.3.2
Diskussion
170
4.3.3
Bedingungen des Sprechaktvollzugs
4.3.4
Äußerungsformen
176
4.4
LOBEN und TADELN
179
4.4.1
Beispiele
;
174
179
IX
4.4.2 4.4.3 4.4.4
Diskussion Bedingungen des Sprechaktvollzugs Äußerungsformen
18O 184 186
4.5 4.5.1
BEWERTUNGSBEWERTUNGEN NEGATIV-^EGATIVBEWERnJNGEN
188 189
4.5.1.1
Beispiele
189
4.5.1.2
Diskussion
189
4.5.1.3 4.5.1.4
Bedingungen des Sprechaktvollzugs Äußerungsformen
195 2O3
4.5.2
POSIl^V-NEGATIVBEWERrUNGEN
212
4.5.2.1 4.5.2.2 4.5.2.3 4.5.2.4
Beispiele Diskussion Bedingungen des Sprechaktvollzugs Äußerungsformen
212 213 215 219
4.6
SPRECHAKTBEWERTUNGEN
4.6.1 4.6.2 4.6.3 4.6.4
Beispiele Diskussion Bedingungen des Sprechaktvollzugs ftußerungsformen
5.
B E W E R T U N G E N
5.1
Die Bedeutung des Wortes Wert
222
UND WERTE
1
222 223 226 232
24O
24O
5.2 5.3 5.3.1
Der Terminus 'Wert Die Dimensionen der Werte Allgemeine Gliederung
243 252 252
5.3.2
Die Inhaltsstruktur der BEWERTUNGEN
265
5.4
Die beim BEWERTEN sprachlicher Handlungen relevanten Werte .. 270
6.
ZUSAMENFASSUNG UND AUSBLICK
LITERATUR
298
3O9
1.
DER AUFBAU DES ANALYSESCHEMAS
In der vorliegenden Arbeit geht es darum, einen festgelegten Ausschnitt aus der Msnge aller bewertenden Sprechakte zu analysieren. Die Sprechakte in diesem Ausschnitt können vorläufig als ' Bewertungen sprachlicher Handlungen und Gewohnheiten1 bezeichnet werden. Die Analyse wird sich vor allem mit den Bedingungen, unter denen diese Sprechakte mittels bestimmter Äußerungen vollzogen werden können, beschäftigen und dabei gleichzeitig eine Beschreibung der syntaktischen und der semantischen Struktur der entsprechenden Äußerungsformen des Deutschen zu geben versuchen. Im vorliegenden ersten Kapitel sollen zunächst die wichtigsten theoretischen Prämissen und das Analyseschema der Untersuchung umrissen werden. Dabei wird gleichzeitig das Sprechaktkonzept, wie es gegenwärtig innerhalb der Philosophie und der Linguistik vorliegt, diskutiert und, wo es notwendig erscheint, unter Angabe von Gründen und mit Blick auf die Analyse von Bewertungen modifiziert werden. Das zweite Kapitel gibt einen Überblick über die bisherigen sprachphilosophischen und linguistischen Forschungen im Bereich des wertenden Sprechens. Probleme einer allgemeinen Theorie des Bewertens und Beurteilens, wie sie vor allem im fünften Kapitel behandelt werden, sind hier vorformuliert und in ihren wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang gestellt. Das dritte und das vierte Kapitel der Arbeit sind konkreten Beschreibungsaufgaben gewidmet. Während im dritten Kapitel die Strukturierung der bewertenden Rede in einem generellen Überblick entwickelt wird, werden im vierten Kapitel die Untermuster eines vorher festgelegten Teilbereichs auf die Bedingungen des Sprechaktvollzugs und auf die für den Sprechaktvollzug geeigneten Äußerungsformen des Deutschen hin analysiert. Das fünfte Kapitel entwickelt sodann ein Modell der den Bewertungen zugrundeliegenden semantischen Struktur. Mit Hilfe dieses Modells ist es möglich, eine Reihe von Schwierigkeiten, wie sie im Zusammenhang der Frage nach der Wahrheitsfähigkeit von Bewertungen auftreten, durchschaubar zu machen, und es ist auf diese Weise auch möglich, einen Ansatz für die Analyse von Bewertungsdialogen vorzustellen. Insbesondere die Frage, wie und bis zu welchem Punkt inhaltlich divergierende Bewertungen begründet werden können, wird hier beantwortet. Das abschließende sechste Kapitel ist als Zusammenfassung so
konzipiert, daß es aus sich heraus, ohne die Kenntnis des Gesamtihhalts der Arbeit verstanden werden kann. Derjenige Leser, der sich zunächst einen detaillierteren Überblick über die Methodik und die Ergebnisse dieser Untersuchung verschaffen möchte, sei auf diese Zusamnenfassung verwiesen. Der allgemeine Sprechaktbegriff, so wie er im weiteren Verlauf der Arbeit verwendet wird, muß nach zwei Richtungen hin abgegrenzt werden. Er ist einerseits nicht identisch mit dem Begriff des Sprechakts, wie er von Bühler und Nehring entwickelt worden ist; es geht hier also nicht um eine zeichentheoretische Fragestellung. Auf der anderen Seite bildet zwar die Sprechakttheorie Austins und Searles den Hintergrund der Arbeit; dieses theoretische Konzept soll aber, vor allem in der Diskussion des Zusammenhangs von Sprechakten, Verben und A'ußerungsberichten, verändert und der linguistischen Aufgabenstellung angepaßt werden. 1.1
Verben als 'Namen von Sprechakten1
Austin hat in seiner Untersuchung zur Theorie der Sprechakte diejenigen Verben, die Namen von illokutionären Akten sind, von denen unterschieden, die perlokutionäre Akte bezeichnen. Für Austin sind illokutionäre Akte konventionell bestiimit; er unterscheidet Verben nach ihrem Vorkamen in Formeln wie Für Bühler ist der Sprechakt oder die Sprechhandlung im Vollzug des aktuellen Sprechens gegeben. Der Sprechakt steht im Gegensatz zum abstrakten 'Sprachgebilde 1 . Bühler folgt damit der Saussurschen Dichotomie von langue und parole. (Vgl. Bühler 1934;1965, bes. 53f.) Auch Nehring, dessen Forderung, "daß an die Stelle einer Klassifikation von S ä t z e n der Versuch einer Klassifikation von S p r e c h a k t e n in ihrer Gänze treten müßte" (Nehring 1963:213), an eine Forderung Austins erinnert, derzufolge der 'Gesamtsprechakt in der Gesamtsituation1 analysiert werden müsse (Austin 1962;1976:148), geht es um diese Dichtomie. Die Forderung nach der Analyse von Sprechakten steht am Ende von Nehrings Untersuchung als Aufgabenstellung für spätere Forschungen. Sie ist in der Untersuchung selbst nur in Ansätzen erfüllt. - Insgesamt gesehen kommt die 'deutsche Sprechakttheorie1 zwar häufig in die unmittelbare Nähe der späteren Aufgabenstellungen Austins, sie widmet dann allerdings ihr Hauptaugenmerk immer dem Zeichen und nicht der Funktion des (Satz-)Zeichens. So meint E. Otto (1951;1965:122/23): "Wer von dieser oder jener Sprache spricht, wird sich dessen bewußt sein, daß sich Sprache nur in Wörterbüchern und Grammatiken verzeichnet, auch in literarischen Erzeugnissen niedergeschlagen hat, eine Art fossilen Daseins fristet, daß aber die Wirklichkeit nur die S p r e c h h a n d l u n g ist, angefangen vom einsamen Selbstgespräch bis hin zur gesamten Gesprächslage im Ganzen des sinnenden, schaffenden und handelnden Menschen. ... Es [gibt] auch Gesetzlichkeiten des 'Handelns'; denn auch Sprechen ist eine Art des Handelns." Eine Untersuchung der Wirkung des Sprechens und der Voraussetzungen dieser Wirkung hat auch E. Otto nicht vorgenommen.
(1) I n d e m er gesagt hat, "'Der Stadtneurotiker' ist ein hervorragender Film", hat er ihm den Film empfohlen. (2) D a d u r c h , d a ß e r gesagt hat, "'Der Stadtneurotiker' i s t e i n hervorragender Film", hat er ihn veranlaßt, seine Verabredung abzusagen und ins Kino zu gehen.
Die Verbindung mit indem gibt in (1) die konventionalisierte Folge einer Äußerung an; wenn jemand sagt: (3) Woody Aliens 'Stadtneurotiker 1 ist
ein hervorragender Film.
so empfiehlt er damit den fraglichen Film. Hingegen gibt es keinerlei Konvention, derzufolge (3) grundsätzlich die Aufforderung beinhaltet, eine Verabredung abzusagen und ins Kino zu gehen. Die Entscheidung des Hörers ist zwar durch (3) ausgelöst und die Absage der Verabredung ist eine F o l g e der Äußerung, sie ist jedoch nicht das unmittelbare, konventionell an die Äußerung gebundene E r g e b n i s . Für Austin ist (3) der Vollzug eines illokutionären Aktes 'Qrpfehlen', nicht aber der Vollzug eines illokutionären 2 Aktes 'Ins Kino schicken' o.a. Betrachtet man (1) und (2) nun unter der Fragestellung, welche alltagssprachliche, nicht sprachphilosophische oder linguistische Redeweise hinter dieser Terminologie steht, so gilt zunächst die Feststellung, daß Sprecher im Alltag derartige Äußerungen nicht tun werden; beide Äußerungen entsprechen den sprachlichen Gepflogenheiten der Analytischen Philosophie, sie sind n i c h t 'normale Sprache1. Hingegen sind (4) - (9) durchaus gebräuchlich:3 (4) Ich habe heute den Fritz getroffen und ihm den 'Stadtneurotiker' empfohlen. (5) Hans hat mir heute empfohlen, in den 'Stadtneurotiker' zu gehen. (6) Hans hat gesagt. Woody Aliens 'Stadtneurotiker 1 sei ein hervorragender Film. (7)
Ich habe heute nachmittag den Hans getroffen; der war unheimlich begeistert von dem 'Stadtneurotiker 1 .
(8) Ich habe heute den Hans getroffen, und der hat mir gleich gesagt: "Im Cinema läuft der 'Stadtneurotiker'. Da mußt du unbedingt rein!" (9) Hans hat gesagt, der 'Stadtneurotiker' sei ein hervorragender Film.
Äußerungen wie (4) - (9) sollen im folgenden Ä u ß e r u n g s b e r i c h t e heißen. Mit Äußerungsberichten bezieht sich ein Sprecher auf 2
Vgl. bes. die 9. und lo. Vorlesung von Austin (1962;1976:123ff.).
3
Zur Unterscheidung von Ergebnis und Folge einer Handlung vgl. auch Keller 1977:loff.
das, was er, der Sprecher selbst, zu einem anderen gesagt hat (vgl. ( 4 ) ) , was ein anderer zu ihm gesagt hat (wie in ( 5 ) ) , oder aber es berichtet ein Drit4 ter von einer Unterhaltung zwischen zwei anderen Sprechern (so in (6)). Äußerungsberichte können als wörtliche Wiedergabe einer Äußerung in direkter oder in indirekter Rede ((8) und ( 9 ) ) , in bestürmten Fällen auch als Berichte über emotionale Zustände, die ein Sprecher ausgedrückt hat, gegeben werden. Häufig wird im Äußerungsbericht auch einfach mitgeteilt, welche 'Wirkung' die Äußerung hatte, sei es, daß (wie in (6)) das konventionelle Ergebnis anstelle der Äußerung mitgeteilt wird, sei es, daß von einer mehr oder weniger zufälligen Folge der Äußerung berichtet wird: (lo) Ich habe Fritz dazu gebracht, seine Verabredung mit Karl abzusagen und ins Kino zu gehen.
Austins philosophische Betrachtungsweise der illokutionären Akte und der perlokutionären Folgen dieser Akte geht, so kann man schlußfolgern, auf eine bestiitmte Klasse von Sprechakten zurück, nämlich auf die Äußerungsberichte. Die Verben, die als Namen der illokutionären Akte fungieren, sind diejenigen Verben, die in Äußerungsberichten vorkommen. Damit bleibt zu fragen, ob nicht auch andere Klassen von Äußerungsberichten (und damit andere Klassen von Verben) neben den 'Illokutions-1 und den 'Perlokutionsberichten1 aufgefunden werden können. Aufschluß über diese Frage soll eine Analyse einiger weiterer Äußerungsberichte bringen. Diese Einteilung entspricht der Unterscheidung von 1staccount bei Shaffer (1968:14ff.).
und 3rd-person
Diese Zitatberichte sind, in Verbindung mit affektierter Betonung, eine eigene sprachliche Handlung, auf die in einer nächsten Stufe mit einem Äußerungsbericht Hans hat Fritz nachgeäfft Bezug genommen werden kann. (Vgl. dazu die Beschreibung der Klasse der Modus-Berichte unter (vii), S. l O f . ) Austin verwendet den Begriff 'Bericht' oder 'fiußerungsbericht' nicht in systematischer Weise. E. von Savigny hat allerdings in die deutsche Übersetzung von Austin 1962;1976 einen Abschnitt eingefügt, in dem mehrfach auch die Bedeutung der Berichte betont wird (vgl. Austin 1962;1972: 1 3 6 f f . ) . Da 'Bericht' aber auch hier nicht als Terminus eingeführt wird, werden die Probleme der Rückführbarkeit der Berichte auf alltagssprachliche Äußerungen nicht weiter diskutiert. - Für die linguistische Problemstellung hat Hundsnurscher (1975:187ff.) auf 'verwendungssinn-anzeigende Sprachmittel 1 hingewiesen; zu diesen gehören auch die Äußerungsberichte. Deimer (1975:35f.) hat im Anschluß an Zwicky (1971) angenommen, daß es 'satisfactory reports' gibt, die sich von der bloßen Interpretation des Hörers unterscheiden. Diese Auffassung wird hier zunächst nicht übernommen; es wird vielmehr davon ausgegangen, daß j e d e r Bericht, der nicht bloß die Äußerung eines Sprechers als Zitat wiedergibt, eine interpretative Leistung des Berichtenden enthält.
1.2
Die verba dicendi und die Klassifikation der Äußerungsberichte
Die nachfolgenden Äußerungsberichte und somit die Verben und verbalen Ausdrücke sind mit der Unterscheidung 'illokutionär/perlokutionär' allein nicht erfaßbar. (11) Ich habe Fritz heute gesagt, daß der 'Stadtneurotiker' nicht im Cinema, sondern im Apollo läuft. (12) Hans hat Fritz gegenüber behauptet, daß der 'Stadtneurotiker' nicht im Cinema, sondern im Apollo läuft. (13) Hans war irrtümlich der Meinung, daß der 'Stadtneurotiker 1 im Apollo läuft. (14) Hans hat Fritz schwer beleidigt, als er sagte, daß Fritz wie Woody Allen aussieht. (15) Veronika hat geschrien, Fritz brauche gar nicht erst wiederzukommen. (16) Der Richter verdonnerte Fritz wegen Trunkenheit am Steuer zu einem halben Jahr Gefängnis. (17) Veronika hat Fritz die Bitte, mit ihm ins Kino zu gehen, abgeschlagen. (18) Fritz hat darauf bestanden, daß Veronika mit ihm ins Kino geht. (19) Fritz und Veronika haben miteinander gestritten, weil Fritz unbedingt ins Kino gehen wollte. (20) Frau Mayer tratschte im Treppenhaus darüber, daß Fritz in Untersuchungshaft sitzt.
Für (11) kann man davon ausgehen, daß es die Intention des Sprechers war, seinen Gesprächspartner zu informieren, daß der Film in einem anderen als dem erwarteten Kino läuft. Während ein Bericht, der das Verb informieren enthält, also etwa ( l l a ) Ich habe Fritz informiert, daß der 'Stadtneurotiker 1 nicht im Cinema, sondern im Apollo läuft.
Unter verbalen Ausdrücken sollen diejenigen 'Erweiterungen des verbalen Aussagekerns' (J. Erben) verstanden werden, die im Äußerungsbericht eine Bedeutungseinheit bilden und sich dadurch vom verburo simplex unterscheiden. (Vgl. hierzu J. Verschuerens Differenzierung von einfachen Verben und komplexen Redewendungen. Letztere werden von Verschueren (1979:38) als 'verbials 1 eingeführt.) - Eine Stellungnahme abgeben ist also ein verbaler Ausdruck, der sich vom Verbum etw. abgeben dadurch unterscheidet, daß das Verb innerhalb des Ausdrucks eine besondere Funktion übernimmt. Helbig/Buscha (1972;1979:74) behandeln derartige Verben als 'Funktionsverben 1 . Funktionsverben sind dadurch gekennzeichnet, daß sie "vorwiegend oder ausschließlich eine grammatisch-syntaktische Funktion ausüben und ihre Bedeutung weitgehend oder vollständig eingebüßt haben". (Eine Liste der Funktionsverben des Deutschen ebd., 7 5 f f . - Zur Bedeutung der stilistischen Varianten vgl. Sandig 1978:15ff.)
jedoch bereits die Wahrheit der betreffenden Mitteilung präsupponiert, muß dieses für (11) nicht itmer gelten. (12) relativiert die Mitteilung in ihrem möglichen Wahrheitsgehalt. (13) legt dar, daß es zwar die Absicht des Sprechers war, eine wahrheitsgemäße Mitteilung zu machen, daß diese Mitteilung aber dennoch nicht der Wahrheit entsprach. Bei (14) ist von der Folge einer Äußerung die Rede; dabei bleibt allerdings unklar, ob es in der Absicht des Sprechers lag, mit dem Vergleich, den er angestellt hat, einen Hörer zu beleidigen, oder ob der Sprecher, was durchaus denkbar wäre, dem Hörer ein Konpliment machen wollte. Mit schreien wird in (15) die Art und Weise, wie etwas gesagt wurde, wiedergegeben; über die Intention des Sprechers oder über die Folgen, die seine Äußerung hatte, ist damit nichts ausgesagt. Da eine Bitte nur abgeschlagen werden kann, wenn sie vorher geäußert worden ist, verweist der verbale Ausdruck eine Bitte abschlagen auf den Ort des Sprechakts in der Sequenz (vgl. (17)). Der Äußerungsbericht (16) gibt mit seinem Verb verdonnern an, daß der Bericht selbst in einer nicht-offiziellen, vertraulichen Situation gegeben worden ist; der Sprecher bringt durch die Verwendung dieses Verbs zum Ausdruck, daß er in nicht-ernsthafter Weise über das Urteil berichtet. Der Bericht (18) macht deutlich, daß bestürmte Verben und verbale Ausdrücke nicht auf den zweiten, sondern auf den dritten oder einen späteren Zug innerhalb der Dialogsequenz Bezug nehmen. Für auf einer Sache Jbestehen gilt, daß eine Aufforderung und eine Weigerung vorangegangen sind. (19) faßt eine Sprechaktsequenz eines bestimmten, inhaltlich wie formal als eine Auseinandersetzung erkennbaren Dialogs zusammen. Schließlich ist (2o) von der Art, daß mit dem Bericht nicht nur mitgeteilt wird, welcher Sprechakt oder welche Sequenz realisiert worden ist; der Berichtende bringt damit zum Ausdruck, daß er die Weitergabe einer bestirtirtten Information, die ohne sachlichen Grund gegeben wird, für überflüssig und deshalb für negativ hält. In einer genaueren Beschreibung der Berichte lassen sich so sieben Berichtstypen aufstellen. (i) I n t e n t i o n s b e r i c h t e : In Intentionsberichten teilt derjenige, der sich in einer zurückliegenden Situation geäußert hat, mit, was er mit einer Äußerung bei einem Hörer erreichen wollte. Voraussetzung aller Intentionsberichte ist deshalb, daß derjenige, der berichtet, mit dem, von dessen Äußerung Mitteilung gemacht wird, identisch ist. Umgekehrt sichert diese Identität jedoch nicht, daß es sich bei einem Bericht um einen Intentionsbericht handelt. Ein Sprecher, der davon erzählt, daß er mit einem anderen Streit hatte, sagt damit noch nicht, daß es seine Absicht war, mit dem Gesprächspartner zu streiten. Intentionsberichte sagen auch nichts über Erfolg
oder Mißerfolg beim Vollzug eines Sprechakts aus. Ein Beispiel für einen Intentionsbericht ist ( 4 ) , wo auf die Absicht eines Sprechers, eine Empfehlung auszusprechen, referiert wird. (ii) I n t e r p r e t a t i o n s b e r i c h t e : Mit Interpretationsberichten teilt ein Hörer einer Äußerung mit,als was er diese Äußerung verstanden hat. Nur der Hörer, nicht aber der Sprecher kann Interpretationsberichte abgeben, wobei wieder nicht gilt, daß jeder Bericht eines Hörers ein Interpretationsbericht ist. Wie (5) zeigt, sind beim erfolgreichen Vollzug des Sprechakts die Benennungen des Sprechakts identisch mit dem Intentionsbericht. Das Beispiel (6) macht deutlich, daß nicht nur der Hörer, an den eine Äußerung gerichtet war, einen Interpretationsbericht abgeben kann, sondern auch ein Hörer, der nur Beobachter war. Besondere Beachtung verdienen die Interpretationsberichte, in denen der Beobachter vom Vollzug eines anderen Sprechakts berichtet, als es der, dem die Äußerung galt, in seinem Bericht tut. So kann z.B. ein Betroffener sagen, daß ihm mit einer Äußerung ein Vorwurf gemacht worden sei, während ein unabhängiger Beobachter lediglich berichtet, daß der Sprecher über ein Unglück geklagt habe. Hier zeigen sich in aller Deutlichkeit die Grenzen der Konventionalität bei der Bestimmung von Äußerungen im Hinblick auf die Sprechaktcharakteristik. (iii) E r g e b n i s b e r i c h t e : In Ergebnisberichten geht es weder um die Intention des Sprechers noch um die Interpretation des Hörers. Im Ergebnisbericht gibt der Berichtende lediglich wieder, welche unmittelbare Wirkung eine Äußerung hatte. Soweit das Ergebnis aus dem Verstehen des Äußerungsinhalts resultiert," sind Ergebnisberichte den Interpretationsberichten logisch nachgeordnet.'° Die Äußerung bewirkt das Ergebnis erst dann, wenn sie vom Hörer interpretiert worden ist. Wie die Beispiele weiter zeigen, lassen sich mehrere Arten von Ergebnissen unterscheiden. Die erste und wichtigste besteht in der Information des Hörers: Eine Äußerung hat zum Ergebnis, daß der Hörer etwas weiß, was er vorher nicht wußte. Ergebnis einer Äußerung kann aber auch ein Gefühl sein, das durch die Äußerung beim Hörer hervorgerufen wird. Es kann in der Absicht des Sprechers gelegen haben, dieses Gefühl zu erzeugen; das Gefühl kann aber auch gegen die oder unabhängig von 8
Im Deutschen sind Intentionsberichte und Ergebnisberichte (vgl. unter ( i i i ) ) zwar im Falle des erfolgreichen Vollzugs eines Sprechakts identisch - Ich habe ihn gewarnt sagt sowohl, daß der Sprecher beabsichtigte, eine Warnung auszusprechen, wie auch, daß der Hörer als Ergebnis des Sprechakts gewarnt w a r -, der Intentionsbericht kann aber auch im Falle des Mißerfolgs gegeben werden. (Ich ha.be ihn gewarnt, aber er hat wohl geglaubt, daß ich nur einen Scherz mache.) Häufig werden Intentionsberichte im Falle des Mißerfolgs allerdings mit dem Modalverb wollen gebildet ( z . B . Ich wollte ihn warnen, aber er hat nicht auf mich gehört].
9
Ergebnisberichte sind u . U . vom Verstehen einer Äußerung unabhängig. Wenn berichtet wird, d a ß e i n Sprecher einen Hörer e r s c h r e c k t hat, als er ihn im Dunkeln unvermutet ansprach, so ist das Erschrecken des Hörers in der Regel nicht vom Verstehen des Äußerungsinhalts abhängig.
10
Für die Intentionsberichte gilt dies nicht, da die Übereinstimmung zwischen Intention und Interpretation nicht immer gesichert ist. (Vgl. ( 1 4 ) , wo der Hörer eine Äußerung als Beleidigung empfindet. Hier zeigt sich, daß die Zusammenhänge zwischen Bewertungen und Interpretationen eng sind und der weiteren Analyse bedürfen.)
8
der Intention des Sprechers als Ergebnis der Äußerung auftreten. Die Frage, was als Ergebnis und was alg Folge einer Äußerung gelten soll, läßt sich bereits hier dahingehend beantworten, daß als Ergebnis nur Wissen und Gefühl aufgefaßt werden sollen. Von diesen Ergebnissen im engeren Sinn können die im weiteren Sinn getrennt werden. Letztere sind zeitlich unmittelbar auf die Äußerung folgende, von dieser Äußerung verursachte Reaktionen eines Hörers, oder anders gesagt: Es handelt sich bei den Ergebnissen im weiteren Sinn um nach außen hin sichtbar werdende Zeichen des Wissens und des Gefühls.11 (iv) F o l g e b e r i c h t e : Die genaue Bestimmung des Folgeberichts steht vor zwei Schwierigkeiten. Zum einen muß die Grenze zwischen Ergebnis und Folge einer Äußerung festgelegt werden, zum anderen geht es darum, die Grenze der Folge k e t t e zu bestimmen. Da ein Bericht über ein Ereignis nur solange als gleichzeitiger Bericht über eine Äußerung verstanden werden kann, wie die Äußerung Ursache des Ereignisses ist, könnt der Lösung der zweiten Frage im Rahmen einer handlungstheoretisch fundierten Sprechakttheorie besondere Bedeutung zu. (Vgl. Heringer 1974a:28ff.) Wenn Hans einen Film empfiehlt, Fritz aufgrund dieser Empfehlung eine Verabredung absagt, anschließend wegen seiner häufigen Kinobesuche mit Veronika in Streit gerät, wütend allein ins Kino geht, sich nach dem Ende des Films betrinkt und im alkoholisierten Zustand einen Unfall verursacht, für den er später zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt wird, so ist die Frage offen, welche Handlung und welches Ereignis innerhalb dieser Folgekette als durch die Empfehlung von Hans verursacht angenommen werden kann. Es soll hier nicht darum gehen, diese Frage als eine philosophisch-grundsätzliche abzuhandeln, sondern nur darum, eine Antwort innerhalb einer Theorie sprachlichen Handelns zu skizzieren. Diese Einschränkung beinhaltet, daß es lediglich um die Klärung der Frage geht, was unter den Sprachbenutzern als Folge g i l t . Dies kann festgestellt werden, wenn konkrete Anlaß-Folge-Beziehungen in das allgemeine Schema p ist geschehen, weil q eingesetzt werden, p ist eine Handlungs- bzw. Ereignisvariable, g hingegen eine Variable für den potentiellen Grund des Folgeereignisses oder der Folgehandlung. Für die genannten Beispiele entstehen so hypothetische Folgebeziehungen der Art Fritz hat beschlossen ins Kino zu gehen, weil Hans ihm den Film empfohlen hat. Diese These wird, würde sie in einer alltäglichen Situation als Behauptung aufgestellt, durchaus akzeptiert werden, wohingegen Fritz hat seine Verabredung mit Karl abgesagt, weil Hans ihm den Film empfohlen hat nicht mehr akzeptiert werden muß. Zwei Gründe spielen dabei eine Rolle: Zwischen die Empfehlung des Films und das Absagen der Verabredung tritt der E n t s c h l u ß des Adressaten der Empfehlung, die Verabredung abzusagen. Außerdem impliziert eine derartige Folgerungsbeziehung, daß die Empfehlung a l l e i n entscheidend war für die Folge. So ist es also unwahrscheinlich, daß ES ist zum Streit zwischen Fritz und Veronika gekommen, weil Hans Fritz den Film 11
Soweit es sich bei fiußerungsberichten um die Berichte von Beobachtern handelt, sind alle Ergebnisse, die genannt werden, solche im weiteren Sinn. Nur der Hörer selbst kann von seinem Wissen oder seinem Gefühl unmittelbar Kenntnis haben. - Mit der Frage, inwieweit wir berechtigt sind, vom Wahrgenommenen auf Gefühle zu schließen, hat sich Austin in seinem Aufsatz 'Fremdseelisches' (Other Minds') auseinandergesetzt. Wichtig im Zusammenhang mit Bewertungen sind Austins Hinweise darauf, "daß Gefühl auf ganz eigenartige Weise mit der Äußerung verbunden ist" (Austin 1946; 1975:93). Alle Fragen um die Wahrheit von Bewertungen stehen vor dem Problem, klären zu müssen, ob Bewertungen dann 'wahr* genannt werden sollen, wenn die bewertete Sache bestimmte Eigenschaften hat, oder ob die Voraussetzung ist, daß der Sprecher angesichts der Sache etwas Bestimmtes fühlt.
empfohlen hat noch als gültig hingenommen wird. 12 Genauere Hinweise zu der Frage, was von Sprechern noch als Folge bzw. schon nicht mehr als Folge von Sprechakten angesehen wird, müßte eine empirische Studie erbringen. Zum Aufbau des theoretischen Rahmens der Bewertungsanalyse genügt es festzuhalten, daß einerseits im Alltag keine scharfe Grenze zwischen Folge und Nicht-menrFolge eines Sprechakts gezogen wird und daß andererseits die Unterscheidung zwischen Ergebnis und Folge einer sprachlichen Handlung durch eine Prüfung des zeitlichen Abstands zwischen Sprechakt und Ergebnis bzw. Folge festgelegt werden kann.^3 (v) S e q u e n z b e r i c h t e : In den Berichten (17) , (18) und (19) wird, auf verschiedene Weise, der Ort einer Äußerung innerhalb einer Sprechaktsequenz näher bestinntt bzw. eine Sequenz unabhängig von einzelnen in ihr vorkommenden Äußerungen bezeichnet. Eine Bitte abschlagen in (17) steht hier exemplarisch für Repliken, also für die Sprechakte, die auf einen vorausgegangenen anderen Sprechakt regelhaft folgen.14 Auf einen Sonderfall innerhalb der Klasse der Repliken weist (18) hin; hier wird nicht auf den zweiten, sondern auf den dritten Zug (oder einen der folgenden Züge) innerhalb eines Dialogs referiert. Nachdem ein Sprecher einen anderen aufgefordert hat, etwas zu tun, und der Angesprochene sich geweigert hat, der Aufforderung nachzukonroen, besteht der, der die Aufforderung ausgesprochen hat, auf deren Erfüllung.^ Schließlich faßt der Äußerungsbericht (19) eine Sequenz unter 12
Die abnehmende Wahrscheinlichkeit rührt daher, daß in der Alltagslogik für derartige Folgebeziehungen immer ein 'Potentialis-Filter' eingebaut wird, der die Möglichkeit des - für Handlungen gesprochen - 'Er-hätte-es-auch -anders-machen-Könnens' mit berücksichtigt. Dieser Filter wird additiv aufgebaut, d.h. je größer die Möglichkeit des Andershandelns wird, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, daß eine p-Handlung, selbst wenn sie ohne die q-Handlung nicht vollzogen worden wäre, als Folge verstanden wird.
13
Die Schwierigkeiten der Grenzziehung zwischen illokutionärem und perlokutionärem Akt (vgl. Schlieben-Lange 1 9 7 5 : 3 4 f f . ) sind also u . a . aus der unscharfen Grenze, die in der Alltagssprache zwischen Folge und Nichtmehr-Folge gezogen ist, erklärbar.
14
Andere Repliken sind beispielsweise Auskunft geben, eine Anschuldigung zurückweisen und einen Rat geben. Repliken, die von einem Sprecher initial eingesetzt werden, verletzten u . U . bestehende konversationelle Gepflogenheiten; wird ein Rat gegeben, ohne daß eine Frage vorausging, so wird dies als Aufdringlichkeit gewertet (vgl. Hindelang 1977:34), wer sagt, daß er unschuldig ist, ohne vorher beschuldigt worden zu sein, lenkt Verdacht auf sich, etc. - Zu den grundsätzlichen Problemen der .sog. 'spezifischen' und 'nichtspezifischen reaktiven Sprechakte' vgl. Franke 1981.
15
Ein Sprecher kann natürlich nicht nur auf der Ausführung einer Handlung, zu der er aufgefordert hat, bestehen; stellt er fest, daß das und das der Fall sei und wird diese Feststellung von einem anderen angezweifelt, so kann der Behauptende mit oder ohne Begründung auf dem Gesagten beharren. Bei einer Antwort kann diese als unzureichend zurückgewiesen und eine genauere oder klarere Formulierung verlangt werden. Im übrigen scheinen auch viele Berichte und initiale Sprechakte von der zu erwartenden Replik bestimmt zu sein. Eine Behauptung ist von einer Aussage auch darin zu unterscheiden, daß der Sprecher oder der Beobachter bereits bei der Formulierung der Aussage den Widerspruch erwartet und die Aussage entsprechend formuliert.
10
der Sairnelbenennung des Streits 'resümierend1 zusannen. Nicht der Ort eines einzelnen Sprechakts in der Sequenz, sondern die Sequenz insgesamt wird in der Zusammenfassung zum Gegenstand des Berichts. Damit können innerhalb der Sequenzberichte vor allem zwei Untergruppen angenommen werden: diejenigen Berichte, die einen Sprechakt relativ zu vorausgehenden bzw. nachfolgenden anderen bestirnten, und Berichte, die Sprechaktsequenzen insgesamt bezeichnen.1' (vi) B e r i c h t e , d i e e i n W e r t u r t e i l d e s B e r i c h t e r s t a t t e r s b e i n h 1a l t e n : Unter diese Berichten, die im folgenden kurz 'Urteilsberichte genannt werden, sollen diejenigen Äußerungsberichte gefaßt werden, die durch die Situation, in der sich der Berichtende befindet, und n i c h t durch Merkmale des berichteten Sprechakts selbst modifiziert werden. Betrachtet man (16) , wo berichtet wird, daß Fritz zu einem halben Jahr Gefängnis 'verdonnert' worden ist, so stellt man fest, daß der Unterschied zwischen den Verben verdonnern und verurteilen im Bericht keine Eigenschaften des Gerichtsverfahrens bzw. der bei der Urteilsverkündung verwendeten Äußerung bezeichnet; vielmehr wird ein Bericht wie (16) in einer nicht-offiziellen Berichtssituation gegeben. Eine eigene, im Rahmen der Bewertungsanalyse wichtige Gruppe von Urteilsberichten bilden die unten unter der Bezeichnung BEWEKrUNGSBEWERTUNGEN eingeführten Sprechakttypen. Unter diesen Begriff sollen alle Urteilsberichte fallen, in denen der Berichtende seinerseits einen bewertenden Sprechakt vorniimt. In (2o) wird durch das Verb tratschen zum Ausdruck gebracht, daß der Berichterstatter die überflüssige Weitergabe einer Information über negative Eigenschaften, Handlungen usw. eines Dritten negativ bewertet. (vii) M o d u s b e r i c h t e : Äußerungsberichte, in denen vor allem mitgeteilt wird, w i e beim Vollzug eines Sprechakts gesprochen wurde, werden Modusberichte genannt. Diejenigen der Modusberichte, die nur die Art des Sprechens bezeichnen, sind für die Sprechakttheorie nicht von Wichtigkeit; im Rahmen des Analyseansatzes Austins und Searles würden die entsprechenden Verben keine Namen illokutionärer oder perlokutionärer Akte sein, sondern lediglich den lokutionären Akt spezifizieren. Dieser Typ der Modusberichte enthält Verben wie schreien, brüllen, flüstern, stottern, nuscheln usw. Modusberichte bilden in der Regel jedoch mit anderen Berichtstypen, vor allem mit Urteilsberichten, Mischklassen. Man kann davon ausgehen, daß Äußerungen, auf die Berichte wie (2o) zurückgehen, nicht allein aufgrund inhaltlicher Kriterien negativ bewertet werden, sondern daß der Tonfall der Äußerung eine maßgebliche Rolle für die Einstufung der Äußerung durch den Berichtenden spielt. Deutlicher wird dies noch in Berichten,1 in denen davon gesprochen wird, daß jemand1 auf einen anderen 'geschimpft oder daß einer einen anderen 'gehänselt hat. Viele Bewertungen haben, ebenso wie Bitten, Befehle, Warnungen und andere Sprechakte, ihre eigene Into16
Zu den 'Sprachmitteln des Resümierens 1 vgl. Hundsnurscher 1975:194f.
17
Auch innerhalb der resümierenden Berichte ließen sich noch weitere Unterscheidungen treffen; so werden manchmal nicht nur Äußerungen im Dialog, sondern auch mehrere gleichartige Sprechakte ein und desselben Sprechers zusammengefaßt. Wenn ein Sprecher einen anderen c h a r a kt e r i s i e r t , werden mehrere bewertende und/oder beschreibende Aussagen über Eigenschaften gemacht, die der Charakterisierte nach Meinung des Sprechers besitzt. Da die Klassifikation der Äußerungsberichte hier nur als Vorbereitung der Analyse von Bewertungen vorgenommen wird, genügt jedoch die Einteilung der Sequenzberichte in zugbestimmende und resümierende.
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nation, die bei der Erschließung der illokutionären Rolle einer Äußerung mit herangezogen wird. Darüber hinaus zeigt der freundliche, böse oder wütende Gesichtsausdruck, welche Einstellung ein Sprecher zum Ausdruck bringen will.^ ° Die sprechakttheoretische Analyse kann nicht die Intonation oder gar den gesamten visuell beim Vollzug eines Sprechakts wahrnehmbaren Ausdruck mit darstellen; das zu tun, wäre Aufgabe der linguistischen Intonationsforschung und der interdisziplinären Arbeit zwischen Linguistik und Wahrnehmungs- bzw. Ausdruckspsychologie. Hier geht es lediglich darum, einerseits darauf hinzuweisen,1 daß mit Äußerungsberichten immer auf die schwer faßbare 'Gesamtsituation , also auch auf die gesamte Wahrnehmungsbreite Bezug genommen wird, und andererseits zu betonen, daß die Bewertung sprachlicher Äußerungen in der realen Sprechsituation auch andere als sprachliche Faktoren zur Urteilsbildung heranzieht. 1.3
Das Verhältnis von Äußerungsbericht und illokutionärem Akt
Mit der Feststellung, daß die Klassifikation der 'Sprechaktverben1 des Deutschen mit der Klassifikation der im Deutschen möglichen Äußerungsberichte im Zusammenhang steht, wurde im vorausgehenden Abschnitt implizit die These vertreten, daß eine Klassifikation von Sprechakten stets auf der Untersuchung der Äußerungsberichte aufbauen muß. Diese implizite Behauptung soll nun näher erläutert und in einem ersten Überblicksschema festgehalten werden. In 1.1 sind die Äußerungsberichte zunächst daraufhin analysiert worden, wer den Bericht gibt. Es wurde festgestellt, daß derjenige, der sich geäußert hat, der, an den die Äußerung gerichtet war, und auch ein unabhängiger Beobachter von einer Äußerung berichten können. Es zeigte sich, daß das, was ein Sprecher gesagt hat, als Zitat, in indirekter Rede, als Bericht über den emotionalen Zustand von Sprecher oder Hörer und direkt als Bericht über das kommunikative Ziel des Sprechers wiedergegeben werden kann. Die sich (in 1.2) anschließende genauere Einteilung der Äußerungsberichte hatte offengelassen, in welchem Verhältnis Äußerungsberichte und deren Verben zum realisierten Sprechakt stehen. Die Unterschiede zwischen Intentionsberichten und Interpretationsberichten haben zunächst nur den Verdacht bestätigt, daß eine Äußerung nicht einfach nur als der Vollzug eines einzigen Sprechakts verstanden werden darf. Dabei ist es kein Einwand, daß Berichte wie 18
Werden normalerweise mit einem bestimmten Sprechakt verbundene Indikatoren der illokutionären Rolle nicht realisiert, besteht also eine Diskrepanz zwischen Äußerungsinhalt und Indikatoren, so wird dies in Berichten meist gesondert hervorgehoben: Frau Mayer hat, o b w o h l
12 (14a) Hans hatte nicht die Absicht, Fritz zu beleidigen.
geläufig sind. In (14a) wird, auch wenn dies nicht ausdrücklich betont ist, von einer erschlossenen Absicht gesprochen. Verdeutlicht wird dies durch
(14b) Ich
denke vermute bin sicher glaube
daß Hans nicht die Absicht hatte,
Fritz zu beleidigen.
Interpretationsberichte dieser Form sind, wie (14c) zeigt, Intentionsberichte umformbar:
n i c h t
in
* ( 1 4 c ) Ich glaube nicht, daß ich die Absicht hatte, Fritz zu beleidigen.
Derartige Umformungen sind zumindest dort, wo sich der Sprecher nicht auf mangelndes Erinnerungsvermögen beruft, nicht möglich, weil bei Berichten davon ausgegangen wird, daß die Sprecher selbst über ihre Absichten Bescheid wissen. Umgekehrt können Interpretationsberichte nicht vom Sprecher einer Äußerung, sondern nur vom Hörer oder vom Beobachter gegeben werden. Andere Kotnbinationsmöglichkeiten zwischen den in 1.1 und 1.2 ermittelten Berichtstypen müssen hier nicht geprüft werden; es genügt, darauf hinzuweisen, daß, wie am Beispiel der Modusberichte deutlich wurde, Überschneidungen möglich sind. Die bisherigen Berichtstypen sollen in das Schema, das die Verbindung von Äußerungs- und Berichtssituation zeigt, mit folgenden Bezeichnungen eingehen: Derjenige, der einen Bericht gibt, ist Berichterstatter oder Subjekt des Berichts. Der, dem ein Äußerungsbericht gegeben wird, heißt Berichtsempfänger oder Adressat des Berichts. Je nachdem, ob ein Bericht in wörtlicher oder in indirekter Rede oder aber über die Benennung des emotionalen Zustands eines Sprechers gegeben wird, werden unterschiedliche Berichtsformen realisiert. Die Unterschiede zwischen Intentions-, Interpretations-, Ergebnisberichten usw. werden als Unterschiede der Berichtsart bezeichnet. Der Sprecher der Äußerung, von der berichtet wird, ist das Subjekt der Äußerung, der Hörer, an den die Äußerung gerichtet war, der Adressat, ein weiterer Hörer, der nicht Adressat war, Beobachter der Äußerung. 19 Das
19
sie an Fritz kein gutes Haar gelassen hat, doch immerzu freundlich gelächelt. Manche Äußerungsmodi sind freilich so stark an die Inhalte gebunden, daß die Form den Charakter der Äußerungen entscheidend mit bestimmt. So werden z . B . Berichte wie Mit freundlichem Lächeln stritt Fritz mit Veronika darüber, ob sie ins Kino gehen sollten kaum jemals vorkommen. Mit der Bezeichnung 'Subjekt 1 wird der Ausdruck von Iwin (197O;1975:42f.)
13
nachfolgende Schema faßt die bisherigen Festlegungen zusanmen und gibt die Abkürzungen an, die für die an der Äußerungs- und der Berichtssituation Beteiligten gewählt werden. B E R I C H T S S I T U A T I O N
Berichterstatter
Bericht
A1
fr·
BER
l
Berichtsempfanget B'
l
Ä U S S E R U N G S S I T U A T I O N
Subjekt der Äuß.
Äußerung
Adressat der Äuß.
AUS
Beobachter der Äuß.
Berichter- l l statter A ' : l ^ Berichtsformen: Zitatbericht Ber. in ind. Rede Zustandsbericht
Berichtsarten: Intentionsbericht Interpretationsbericht Ergebnisbericht Folgebericht Sequenzbericht Urteilsbericht Modusbericht
Schema 1: Äußerungs- und Berichtssituation Subjekt des Berichts kann sowohl das Subjekt wie auch der Adressat oder der Beobachter der Äußerung sein. Jeder Berichterstatter kann alle Berichtsarten realisieren mit der Ausnahme, daß Intentionsberichte nur dann geäußert werden können, wenn A 1 gleich A ist, und daß Interpretationsberichte nur von B oder C kennen können. Es ist nun wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Berichtssituation von der Äußerungssituation lediglich für die Analyse streng unterschieden wird. In übernommen. Der Begriff des Subjekts bezeichnet dabei nicht das grammatische Subjekt innerhalb des bei der Äußerung verwendeten Satzes, sondern die Person, die sich äußert. Analog gilt dies auch für das Subjekt des Berichts.
14
tatsächlich stattfindenden Gesprächen ist jede Berichtssituation zugleich selbst Äußerungssituation, auf die gegebenenfalls mit einem anderen Bericht referiert werden kann. Im Mittelpunkt des Analyseansatzes steht deshalb nicht die abstrakte Unterscheidung zwischen illokutionären/perlokutionären oder performativen/konstativen
V e r b e n
als Namen von Sprechakten,
sondern die Unterscheidung -von
B e r i c h t e n
als Sprechakten, die zu
anderen Sprechakten in einer besonderen, regelhaften Beziehung stehen. Daraus folgt, daß nicht, wie Austin meinte, eine Klassifikation von ca. 103 Sprechaktverben verläßlich Aufschluß über die Sprechakte z.B. des Deutschen bringt (vgl. Austin 1962;1976:15o). Austins Versuch in diese Richtung kann, soweit er überhaupt gelingt, nur deshalb erfolgreich sein, weil der Klassifizierende, sei er Philosoph oder Linguist, bereits eine intuitive Vorstellung über das Vorkommen der Verben in Berichten und explizit performativen Forms In ° hat. Den Gedanken, demzufolge die Gliederung von Wortarten abhängig ist von der Gliederung des Vorkommens der Wörter in Sprechakten, hat Austin für die Adjektive und hier besonders für gut programmatisch verkündet (vgl. Austin 1962;1976:163f.) Die Überlegung, daß die Gliederung der verba dicendi nur über eine Gliederung der Sprechakte, in denen diese vorkommen, gelingen kann, entspricht damit Austins eigenen Grundsätzen. Die Rückführung der Verben auf die Äußerungsberichte ist nichts anderes als die konsequente Anwendung von Austins eigenen Maximen auch an einer Stelle, an der Austin selbst nicht konsequent
ist.
Es bleibt die Schwierigkeit, die in der Sprechakttheorie bisher dadurch gelöst wird, daß man sich, nach dem Vorbild Searles, auf 'klare Fälle1 beschränkt; gemeint ist das Verhältnis von 'Verbum als Teil des Berichts1 und dem 'Namen des illokutionären Akts 1 , wobei letzterer als Terminus verstanden wird. Die damit verbundenen Probleme lassen sich am Beispiel des auch von Searle analysierten Verbs resp. Sprechakts versprechen verdeutlichen. In performativer Stellung wird versprechen in Äußerungen wie (21) und (22) verwendet: ( 2 1 ) Ich verspreche dir, daß ich in der nächsten Woche mit ins Kino gehe. ( 2 2 ) Ich verspreche dir, wenn du heute schon wieder ins Kino gehst, dann schließ' ich hinter dir die Tür von innen ab, und du kannst sehen, wo du heute nacht bleibst.
2o
Zum Vorkommen von bewerten in explizit performativen Formeln vgl. unten, S. 3 9 f f .
15 Während (21) versprechen als Hinweis auf ein (betontes/ausdrückliches) Versprechen enthält, ist
(22) trotz des gleichen 'performativen Vorspanns1 eine
Drohung. Die Folgerung, die aus derartigen Beispielen gezogen werden kann, lautet: Das Vorkommen eines bestürmten Verbs in einer explizit performativen Formel ist allein noch kein hinreichender Grund, um auf den Vollzug eines illokutionären Akts dieses Typs zu schließen. Der Unterschied zeigt sich im Äußerungsbericht. (22a) ist kein korrekter Bericht der Äußerung (22). *(22a) Ich habe Fritz versprochen, daß ich ihn aussperre, wenn er schon wieder ins Kino geht. Der zutreffende Intentionsbericht lautet: (22b) Ich habe Fritz klargemacht, daß ich ihn aussperre, wenn er schon wieder ins Kino geht. In diesem ersten Punkt erweisen sich, wie man sieht, die Äußerungsberichte noch als mögliches Korrektiv bei problematischen performativen Formeln. Nur wenn das performative Verb als Indikator der illokutionären Rolle mit dem Verb im Bericht übereinstimmt, ist der Fall unproblematisch. In anderen Fällen 'bricht1 das Verb des Berichts das des perf ormativen Vorspanns. Der Vorzug des Äußerungsberichts im Hinblick auf das Anzeigen der illokutionären Rolle einer Äußerung findet seine Grenze im Status der Berichte. Äußerungsberichte sind selbst immer Sprechakte in kommunikativer Funktion; nur als solche werden sie verwendet. Kein Sprecher, der von einer Äußerung berichtet, tut dies, um einem Linguisten die Arbeit zu erleichtern oder gar abzunehmen. Interessen der Sprechakttheorie, in Sonderheit das Interesse an einer Klassifikation von Sprechakten und an der Erstellung einer Sprechakttaxcnctnie, sind autonome wissenschaftliche Zielsetzungen. Nehmen wir die nachfolgenden Beispiele (23) und (24), so zeigt sich, daß der Bereich, in dem ein Bericht mit bewerten korrekte Hinweise auf den Sprech21 akttyp BEWERTEN gibt, begrenzt ist. (23)
Hans hat mir gegenüber den 'Stadtneurotiker' sehr positiv bewertet.
(24)
Der Richter bewertete den Hinweis von Fritz, er habe sich vor dem Unfall in gereizter Stimmung befunden, nicht als Milderungsgrund.
Bei (23) erscheint es zunächst zweifelhaft, ob bei Anlegen strenger Maßstäbe überhaupt ein Äußerungsbericht vorliegt. Vermutlich wählt ein Berichterstatter keine derartig Offizielle1 Äußerung, um über eine alltägliche Empfehlung 21
Nachfolgend werden Sprechaktbezeichnungen, wenn es sich um die Bezeichnungen für Sprechakt t y p e n handelt, in Kapitälchen geschrieben.
16
zu berichten. Selbst aber unterstellt, daß (23) ein möglicher Bericht ist, so ist damit noch nichts darüber ausgesagt, ob (3) eine EMPFEHLUNG und damit gleichzeitig eine BEWERTUNG war oder nicht, noch ist klar, ob EMPFEHLUNGEN generell BEWERTUNGEN sind. (24) gibt keine Entscheidungshilfe in der Frage, ob die Feststellung, die ein Richter kraft seines Amtes zu treffen hat, innerhalb der Sprechakttaxonomie als BEWERTUNG eingestuft werden soll oder nicht. Insgesamt läßt sich die Frage nach dem Verhältnis von Verb, Äußerungsbericht und illokutionärem Akt mit folgender zusammenfassenden Feststellung beantworten: Der Zweck des Äußerungsberichts ist es nicht, Klarheit über die illokutionäre Rolle einer zeitlich zurückliegenden Äußerung zu geben. Äußerungsberichte haben einen praktischen Zweck, nämlich den, den Berichtsenpfänger zu informieren. Fragen nach illokutionären Rollen/Akten sind innerhalb der Sprechakttheorie sinnvoll; mit derartigen Fragen wird ein theoretischer Zweck verfolgt. Es werden vom Berichterstatter keine Hinweise auf die Stellung eines 'Sprechakts gleichen Namens1 innerhalb einer Taxonomie der Sprechakte gegeben; dies selbst dann nicht, wenn die Untersuchung von Berichten zeigen sollte, daß diese Hilfen bei der Aufstellung einer Taxonomie geben können. Für die sprechakttheoretische Analyse der Bewertungen bleiben damit folgende Fragen zur Beantwortung offen: (i) Wenn rfc^s Verb bewerten und Hp»r Bericht, in dem dieses Verb vorkamt, nicht mit dem illokutionären Akt Bewerten identifiziert werden dürfen, worin bestehen dann die Unterschiede zwischen Berichten über sprachliche Handlungen und illokutionären Akten? (ii) Gibt es Geneinsamkeiten zwischen Verb und Bericht auf der einen und dem illokutionären Akt auf der anderen Seite? Wenn ja: Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und unter welchen Voraussetzungen innerhalb der Theorie dürfen sie angenommen werden? (iii) In welcher Form soll der illokutionäre Akt Bewerten beschrieben werden? (iv) Unter welchen Voraussetzungen und unter Berücksichtigung welcher Einschränkungen kann die Beschreibung des illokutionären Akts Bewerten als eine semantische Analyse des Verbs bewerten verstanden werden? (v) Gibt es illokutionäre Akte im Bereich der Bewertungen, denen kein entsprechendes Verb gegenübersteht? Ist es u.U. sogar sinnvoll anzunehmen, daß es illokutionäre Akte gibt, denen kein Äußerungsbericht entspricht? (vi) Wie sind die Unternuster des Sprechakttyps BEWERTEN aufzufinden und wie können sie in ihrer Verbindung zum übergeordneten Sprechakt beschrieben werden? (vii) Wie sind der Sprechakttyp BtMEKTEN und seine Unternuster von anderen Sprechakttypen, etwa BESCHREIBEN oder AUFFORDERN unterschieden?
17
Hie diese Fragen beantwortet werden können, muß noch geklärt werden, was, nachdem das Konzept der Äußerungsberichte von der Verb-Klassifikation abweicht, unter illokutionären Akten nunmehr verstanden werden soll. Austin (1962; l976:99/1oo) hat gesagt: 22 I explained the performance of an act in this ... sense as the performance of an 'illocutionary' act, i.e. performance of an act i n saying something as opposed to performance of an act o f saying something; I call the act performed an 'illocution' and shall refer to the doctrine of the different types of function of language here in question as the doctrine of 'illocutionary forces'.
Damit unterscheidet Austin zwischen dem, was g e s a g t wird und dem, was ausgedrückt oder g e m e i n t
ist.
Das Herstellen der Verbindung zwi-
schen der Lokution als einer lautlich-syntaktischen, analytischen Einheit und den illokutionären 'Kräften 1 , die eine Lokution als Fähigkeit zum Spielen bestimmter illokutionärer Rollen in sich trägt, zeigt, daß der Begriff des illokutionären Aktes keine völlig geschlossene Einheit der Analyse bildet. Austin scheint, indem er den Vollzug illokutionärer Akte im Gegensatz zum Vollzug perlokutionärer Akte für konventionell erklärt, die Einheit erhalten zu wollen. Diese Auffassung kann zwar in einer abstrakten, nur über Beispiele mit dem wirklichen Sprechen verbundenen philosophischen Sprechakttheorie als Postulat aufrechterhalten werden; gerade die linguistische Sprechaktanalyse von Bewertungen aber verdeutlicht, daß die Unterscheidung nach dem Berichterstatter der Äußerungsberichte auch auf die Charakterisierung der illokutionären Rolle einer Äußerung Einfluß hat. Diesen Einfluß soll das Analysekonzept für Bewertungen, das in diesem Kapitel noch zu entwerfen sein wird, erkennen lassen. Zunächst jedoch zu einigen weiteren begrifflichen Unterscheidungen. Bisher sind vor allem die Berichts- und die Äußerungssituation einander gegenübergestellt worden. Offen ist damit noch, wodurch es dem Adressaten oder dem Beobachter der Äußerungssituation ermöglicht wird, eine Äußerung, in der keine explizit performative Formel enthalten ist, 22
so zu verstehen,
Austin hat im vorausgehenden Abschnitt noch einmal klargestellt, daß man bestimmte Wörter oder Lokutionen in verschiedenen Rollen sehen kann. Eine Frage, als das syntaktisch definierte Gebilde 'Fragesatz' verstanden, kann die Rolle eines Geschmacksurteils haben (Haben Sie gesehen, was für einen Anzug Müller wieder anhat?) oder eine Aufforderung beinhalten (Können Sie nicht lesen?) usw.
18
daß er weiß, als was die Äußerung gemeint ist.
Neben den bereits (in 1.2,
(vii)) erwähnten Indikatoren der Intonation und der Gestik spielen offensichtlich allgemeine situative Faktoren eine Rolle. Eine Äußerung wie Das war sehr gut! kann z.B. in der Regel nur dann als ein Lob aufgefaßt werden, wenn A ein Vorgesetzter von B ist. Stehen sich A und B gleichberechtigt gegenüber, so wird man davon ausgehen, daß es sich um eine 'anerkennende Äußerung1 handelt. Wenn A ein Untergebener von B ist, wird man vermuten, daß er B schmeicheln wollte. Die Faktoren der Situation, die dazu führen, daß eine Äußerung als Vollzug eines bestimmten bewertenden Sprechakts interpretiert werden kann, werden unter 3.3 spezifiziert. Die begrifflichen Voraussetzungen der Analyse können hingegen bereits hier eingeführt werden. Beim Aufbau des Analyseschemas werden die Situation, der Situationstyp und die Situationsbeschreibung auseinanderzuhalten sein. Gehen wir zur Erläuterung dieser Begriffe von einer Situation aus, in der A (Hans) B (Fritz) getroffen hat. A und B sind gut miteinander bekannt. Während der kurzen Unterhaltung empfiehlt A mit (3) dem Adressaten, den genannten Film zu besuchen. Bei der Beschreibung von Situationen, wie sie soeben knapp versucht worden ist,
besteht die Gefahr, daß die B e s c h r e i b u n g
der Situation
mit der Situation selbst oder mit dem Situationstyp verwechselt wird. Was unter Situation, Situationsbeschreibung und Situationstyp verstanden werden soll, ergibt sich am Beispiel der genannten Empfehlung auf folgende Weise: Die Äußerungs s i t u a t i o n besteht aus all dem, was zu einem bestimmten Zeitpunkt, an dem eine Äußerung gemacht wird, der Fall ist.
Eine Situations-
beschreibung besteht demgegenüber aus der Menge der wahren Sätze, mit der eine Situation beschrieben werden kann. Situationsbeschreibungen als solche besitzen allerdings noch kein selektierendes Kriterium; alles was zum Zeitpunkt der Äußerung von einem Situationsbeobachter gewußt wird oder wahrgenommen werden kann, kann Gegenstand eines situationsbeschreibenden Satzes sein. Wenn die Personen Hans und Fritz sich in einem Cafe getroffen haben, gehört vielleicht eine Dame am Nebentisch ebenso zur Situation wie andere zufällige Begebenheiten und Ereignisse. Bei Zugrundelegung dieses Situationsbegriffs müßte jede Situationsbeschreibung aus unendlich vielen Sätzen bestehen. Ein derart weiter Situationsbegriff ist aber für die Sprechaktbeschreibung weder praktikabel noch notwendig, denn manche Sätze der Situationsbeschreibung sind für das Verständnis von (3) als Empfehlung relevant, andere nicht. So ist es für das Empfehlen eines Films in der Regel irrelevant, ob der Adressat Kaffee oder Tee trinkt oder welche Farbe sein Anzug
19
hat. Hingegen ist es möglicherweise wichtig, daß A für B eine Person ist, von der B eine Empfehlung anniimtt, weil er glaubt, sich auf das Urteil von A verlassen zu können. Damit kann als Beschreibung eines Situations t y p s eine festgelegte Menge situationsbeschreibender Sätze verstanden werden. Eine konkrete Situation gehört genau dann zu einem Situationstyp, wenn gilt, daß die situationsbeschreibenden Sätze, die den Situationstyp bilden, durch die Situation erfüllt sind, wenn also jeder der Sätze auf die Situation zutrifft. Eine der Definition des Situationstyps ähnliche Festlegung muß auch für den Begriff der Äußerung getroffen werden. Eine konkrete Äußerung in einer konkreten Situation ist eine einmalige, unwiederholbare Hervorbringung einer Lautkette. In diesem Sinne können Äußerungen nicht Gegenstand der linguistischen Untersuchung sein, weil sie keine Verallgemeinerungen zulassen. Verallgemeinerbare, in Form von Regeln faßbare Eigenschaften ergeben sich erst dann, wenn konkrete Äußerungen einem ihnen entsprechenden Typ, ihrer Ä u ß e r u n g s f o r m , zugeordnet werden. Äußerungsformen werden dabei verstanden als syntaktisch und semantisch beschreibbare Einheiten der Sprache, die - und darin unterscheiden sich Äußerungsformen von Sätzen in ihrer Funktion innerhalb von Situationstypen untersucht werden. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind also diejenigen Äußerungsformen des Deutschen, die in einem bestimmten, anzugebenden Situationstyp als Bewertungen aufgefaßt werden können. Die Beziehung zwischen Äußerungsform und Situationstyp, die somit untersucht werden wird, ist von der R e g e l , die einen konkreten Sprecher die in der Situation angemessene Äußerung wählen läßt, zu unterscheiden. Auch dazu eine terminologische Festlegung, die den Unterschied kennzeichnet: Ein Sprecher wählt die für die Ausführung einer von ihm selbst intendierten sprachlichen Handlung adäquate Äußerung aufgrund unbewußten Wissens um die Regel, die der Ausführung der Handlung zugrundeliegt. Unbewußt wird das Wissen des Sprechers dann genannt, wenn er zwar die Handlungsausführung beherrscht, aber sie nicht selbst explizit formulieren kann. Kennzeichen der Regelbeherrschung 24 ist vor allem, daß ein Handelnder erkennt, wann eine Regelverletzung vorliegt. 23
Die Eingrenzung des allgemeinen Analysebereichs wird unter 1.4.2. vorgenommen.
24
Mit der Regelbeherrschung ist gleichzeitig die 'kommunikative Kompetenz 1 definiert: Kommunikativ kompetent ist ein Sprecher genau dann, wenn er die sprachlichen Handlungen einer Sprache, hier also des Deutschen, vollziehen kann, weil er die zum Vollzug notwendigen Regeln beherrscht, und
20
Die explizite Formulierung derjenigen Regeln, die eine Äußerungsform bei Vorliegen eines entsprechenden Situationstyps zum Sprechakt machen, ist Aufgabe der Sprechakttheorie; oder präziser gesagt: Die Sprechakttheorie legt die Regelfornulierung mit einer bestimnten Zahl von Regelsätzen fest und beschreibt damit den jeweiligen Sprechakttyp. Während also Sprechakte konkret in Situationen mittels Äußerungen realisiert werden, sind die Sprechakttypen die invarianten Muster, die durch Regelsätze beschrieben werden. Das nachfolgende Schema 2 faßt die eingeführten Terms des Analysemodells in abkürzender Schreibweise noch einmal zusanrnen. Die konkreten Sprecher A und B werden innerhalb des Modells zu den idealen, kcmrunikativ kompetenten Sprechern Sp1 und Sp_, der Situationstyp wird mit ST, die Situationsbeschreibung mit SB abgekürzt. SB besteht aus einer Menge situationsbeschreibender Sätze s.,i bis sn , ST aus einer Untermenge von SB, s. bis s,. . Zur Unterscheidüng von den konkreten Äußerungen (AUS) werden die Äußerungsformen mit ÄUSS abgekürzt. Die Beschreibung eines Sprechakttyps SAT besteht damit aus einer Anzahl von Äußerungsformen ÄUSS. - ÄUSS , die auf einen Situationstyp bezogen sind.
spn Tn
SB:
s1, S , ...,
s ;
ST:
s. , s., ...,
sk;
*·
.—
ÄUSS.·
n
.
,
fc
"
ÄUSS1
Äuss2 • •
Äussn l
SAT
Schema 2: Äußerungsformen, Situations- und Sprechakttyp wenn er gleichzeitig Äußerungen als Vollzug intendierter sprachlicher Handlungen interpretieren kann. Bei der Bewertung sprachlicher Äußerungen wird es sich zeigen, daß die aktive (Sprecher-) Kompetenz und die passive (Hörer-) Kompetenz divergieren können, so daß ein Sprecher, der den perlokutionären Effekt des Beeindruckens eines Hörers erreichen will, vom Hörer unter Umständen als Angeber eingestuft wird usw. 25
Eine Zusammenfassung der Unterschiede zwischen Regel und Regelbeschreibung gibt Heringer 1974b.
21
1.4
Rekonstruktion vs. Konstruktion von Sprechakttypen
Die erste der zum Verhältnis von Äußerungsbericht und Verb entwickelten Fragen (vgl. oben, S. 16) läßt sich nun mit Hilfe von begrifflichen Unterscheidungen beantworten: Ein Bericht, in dem das Verb bewerten benutzt wird, um auf eine zurückliegende sprachliche Handlung zu referieren, wird aufgrund der kcmnunikativen Kompetenz des Berichterstatters zur Information eines in der Äußerungssituation nicht anwesenden Adressaten B' gegeben. BEWERTEN als Name eines illokutionären Aktes bezieht sich inner auf den Sprechaktt y p . Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Systematisierung illokutionärer Akte auch dort, wo die Taxonomie vorgeblich allein durch 'Ordnen von Verb-Listen1 erstellt wird, nur aufgrund intuitiver Einpassung der Verben in Berichte bzw. durch das gedanklich-vorstellungsmäßige Durchspielen von Äußerungssituationen erreicht wird. Dieses intuitive Ordnungsverfahren soll nachfolgend methodisch begründet verwendet werden. Das bedeutet, daß, ausgehend von einer Liste von Äußerungsberichten, diejenigen der für die Äußerungssituation relevanten Größen festgestellt werden, die in den Berichten genannt werden. Dieser Teil der Analyse bildet die r e k o n s t r u k t i v e P h a s e der Arbeit. Die so festgestellten Terme sollen sodann nach noch genauer anzugebenden Kombinationsvorschriften miteinander verkettet werden. Der SAT BEWERTEN wird in der zweiten, der k o n s t r u k t i v e n P h a s e bestürmt. Auch die Einschränkung des Analysebereichs wird in dieser Weise konstruiert werden. Mit einem bewußt eng gefaßten Beispielkorpus aus Äußerungsberichten kann die Methode der Rekonstruktion und der Konstruktion vorgreifend so demonstriert werden, daß damit zugleich der Analysebereich abgesteckt wird. 1.4.1 Äußerungsberichte Alle Äußerungsberichte folgen den für die Berichtssituation aufgestellten Prinzipien; bei jeder der nachfolgenden Äußerungen kann A1 als Subjekt und B' als Adressat des Berichts gedacht werden. A1 und B1 werden nicht gesondert notiert. Sind für das Verständnis der Berichtssituationen weitere Informationen notwendig, so werden diese bei der Rekonstruktion des Analyseausschnitts (unter 1.4.2) gegeben. (25)
Der Betriebsrat sprach Koslowski seine Anerkennung dafür aus, daß er in dem Kündigungsverfahren bis zum Ende standhaft geblieben war.
22 (26)
Das Publikum applaudierte frenetisch, als Neil Diamond sich verabschiedete .
(27a) Die Jury bewertete die Arbeiten der jungen Architekten nach strengen Maßstäben. (27b) Der Zweitkorrektor bewertete Georgs Abituraufsatz mit 'mangelhaft 1 . (27c) Fachleute im Außenministerium bewerten diese Äußerung des Kreml als Eingeständnis der Schwäche. (28)
Mein Anwalt empfahl mir, vorerst keine weiteren Schritte zu unternehmen.
(29)
Auch gegenüber unseren Gästen prahlte Horst mit seinem Erfolg bei Frauen.
(30)
Mein Vater schätzte vor allem lange Wanderungen in der Lüneburger Heide.
1.4.2 Rekonstruktion des Analyseausschnitts Anhand der Äußerungsberichte (25) bis (3o) kann zunächst einmal geprüft werden, wie die bereits bekannten Kategorien, nämlich Subjekt und Adressat der Äußerung, weiter untergliedert werden können. Bei den Subjekten benennen (25), (26), (27a) und (27c) mehrere Personen bzw. eine Personengruppe. Dabei kann jeder der Beteiligten die Bewertung als einzelner abgeben; so z.B. (27a) und (27c). Die Bewertung kann aber auch im Zuge eines Beschlußfas2fi sungsverfahrens zustande gekonmen sein. Letzteres ist für das Beispiel (25) denkbar. Beziehen sich Berichte auf mehrere Subjekte oder eine Gruppe von Subjekten, so können die Beteiligten als 'kollektives Subjekt' aufgefaßt werden. Wird die Bewertung eines kollektiven Subjekts im Rahmen einer Beschlußfassung entschieden, so muß nicht jede der das Subjekt bildenden Einzelpersonen die Bewertung teilen; es genügt, wenn sich eine in einer Verfahrensordnung vorgesehene Mehrheit für eine Bewertung findet. In diesem Fall ist auch zwischen dem (kollektiven) Subjekt der Bewertung und dem 'Sprecher', der die Bewertung ausdrückt, zu unterscheiden. Sonderformen kollektiver Subjekte können außerdem für Institutionen, Vereine, Interessengemeinschaften usw. dadurch gebildet werden, daß ein Gremium, das nicht 26
Dies gilt vor allem auch bei Bewertungsverfahren, bei denen die Auffindungsprozedur soweit vorgegeben ist, daß die schließliche 'Note' ohne eine sprachliche Auseinandersetzung zustande kommt. Der Bericht Er erhielt die Traumnote 5,95 weist nicht auf ein bewertendes Subjekt hin; er informiert lediglich über das Ergebnis einer formalen Prozedur.
23
alle Mitglieder umfaßt, ernannt und ermächtigt wird, Bewertungen und Stellungnahmen für das gesamte Kollektiv abzugeben. Wird eine Einzelperson durch eine Institution ermächtigt, so wird diese Person als 'Amtsinhaber' aufgefaßt und als ein besonderes individuelles Subjekt eingestuft. In der weiteren Analyse wird davon ausgegangen, daß der Vollzug von Sprechakten e i n i n d i v i d u e l l e s S u b j e k t voraussetzt, d a nur individuelle Subjekte die Fähigkeit besitzen, im Sprechakt eine Intention auszudrücken. Aus demselben Grund werden zwar Amtsinhaber berücksichtigt, nicht jedoch Sprecher von kollektiven Subjekten. Amtsinhaber können in Ausübung ihres Amtes sprechen oder handeln; ein Beispiel hierfür ist, sieht man einmal von der Frage ab, ob es sich um den Bericht über einen vollgültigen Sprechakt handelt, der Bericht (27b) . In den Fällen, in denen ein Amtsinhaber außerhalb seines ihm kraft seines Amtes zustehenden Bereichs bewertet, entstehen Abstufungen und Sonderforroen von BEWERTUNGEN, die genauer zu untersuchen wären. Nicht mit den Subjekten, die als Inhaber eines Amtes spezielle Formen des BEWERTENS vornehmen können, sind die 'Experten1 identisch, die wegen einer besonderen Qualifikation oder Befähigung eine BEWERTUNG aussprechen; zwar haben, zumindest tendenziell, in institutionell durchorganisierten Gesellschaftsformen Amtsinhaber auch in der Regel besondere Kenntnisse und Fähigkeiten, doch werden nicht alle Fachleute in den verschiedenen Gebieten Teile von Institutionen sein. Für die vorgestellten Berichte darf (28) als Beispiel für einen Bericht über eine 'Expertenbewertung1 gelten. Sind individuelle Subjekte weder Amtsinhaber noch Experten, so werden sie als "private Subjekte' bezeichnet. Der Analysebereich umfaßt, was die Subjekte von BEWERTUNGEN anbelangt, zunächst die privaten Subjekte. Lediglich um Unterschiede zu den privaten Subjekten demonstrieren zu können, werden auch die BEWERTUNGEN von Experten und Amtsinhabern in einzelnen Fällen herangezogen. In vieler Hinsicht parallel zu der Einteilung der Subjekte kann die Klassifikation der Adressaten einer Äußerung vorgenonmen werden. Auch hier zeigt sich zunächst, daß mehrere Personen zusammen einen 'kollektiven Adressaten' bilden können. Innerhalb der Gruppe der kollektiven Adressaten lassen sich nun allerdings einige Unterschiede zu den kollektiven Subjekten 27
Die Klassifikation der Subjekte von Bewertungen ist, zusammen mit den Klassifikationen der Adressaten, Objekte und der Mittel, am Beginn des Abschnitts 3.4 (S. H O f J in einem Ubersichtsschema zusammengefaßt.
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festmachen; diese Unterschiede haben ihre Gründe im Status von Subjekt und Adressat in der Sprechakttheorie; d.h. die Unterschiedlichkeit ist zunächst nicht auf Adressaten von Bewertungen beschränkt. Nennt man in einem ersten Schritt dann einen Adressaten kollektiv, wenn ein und dieselbe Äußerung an mehrere Einzelpersonen gerichtet ist, so sind die Äußerungen 'potentiell adressiert', die nicht für eine bekannte und feststehende Zahl von Personen bestimmt sind, sondern für jeden, der die 28 Äußerung verniimtt. 'Mehrfach adressiert1 sind demgegenüber die Äußerungen, die für die Mitglieder einer Adressatengruppe bestimmt sind. Mehrfach adressierte Äußerungen sind damit typisch für Sprechakte, die gegenüber einer eingeschränkten Zahl von Hörern vollzogen werden. 'Mehrfach-gleich adressiert1 sind dabei die Äußerungen dann, wenn damit für jeden Adressaten der gleiche Sprechakt realisiert wird, wenn also etwa ein Versprechen für jedes Mitglied der Adressatengruppe als Versprechen bestürmt ist. Soll hingegen ein Versprechen eines Beistehens in einer Notsituation für einen Adressaten (oder eine Adressatengruppe) gelten, während es für einen anderen (eine andere Gruppe) eine Drohung darstellt, so ist die Äußerung 'mehr29 fach-verschieden adressiert'. Die mehrfach-verschieden adressierten Äußerungen sind selbst entweder solche, die 'getrennt-adressiert1 oder solche, die 'zeugenadressiert' sind. Die soeben beschriebene Situation, in der die Äußerung für den einen Adressaten eine Drohung, für den anderen ein Versprechen zur Hilfeleistung ist, ist ein Beispiel getrennter Adressiertheit. Geht man demgegenüber davon aus, daß in (25) davon berichtet wird, daß ein Arbeiter in Anwesenheit seiner Kollegen geehrt wird, so gilt die Äußerung nur
28
Potentielle Adressierungen können eingeschränkt öder uneingeschränkt adressiert sein. Die Äußerung Dies ist die unfähigste Regierung seit dem letzten Krieg ist, auf einer Wahlveranstaltung auf die Gegenpartei gemünzt, für jeden bestimmt, der die Äußerung hört und somit uneingeschränkt-potentiell. Hingegen ist die Äußerung eingeschränkt-potentiell adressiert, wenn sie von der Regierungspartei in einer parteiinternen Diskussion zum Zwecke der Selbstkritik geäußert wird; nur die Parteifreunde, nicht die Gegner oder die allgemeine Öffentlichkeit soll die Äußerung erreichen.
29
Der Begriff der mehrfach adressierten Äußerung ist damit weiter als bei Wunderlich (1972;1975a:36f.) gefaßt. Wunderlich sieht eine Äußerung dann als mehrfach adressiert an, wenn mit der Äußerung "gleichzeitig zwei oder mehr verschiedene Sprechhandlungen" ausgeführt werden (ebd., 3 7 ) . Dies entspricht innerhalb der vorliegenden Systematisierung der mehrfach-verschiedenen Adressierung.
25
als Anerkennung der Leistung dieses Arbeiters; sie wird jedoch vor Zeugen geäußert. Den kollektiven Adressaten stehen die 'individuellen Adressaten" gegenüber. Ein Beispiel für einen Bericht, der auf einen individuellen Adressaten schließen läßt, ist (28); das Subjekt des Berichts war Adressat der Äußerung. Es bleibt anzumerken, daß die Unterscheidung in Amtsinhaber, Experten und private Adressaten, in Analogie zu dem über die Subjekte der Bewertungen Gesagten, beachtet werden muß. Auch bei den Adressaten soll die Analyse in der Hauptsache auf private Adressaten beschränkt werden. Eine weitere Grenze der Untersuchung ist im Bereich der O b j e k t e von BEWERTUNGEN zu ziehen. Die allgemeinste Voraussetzung dafür, daß ein beliebiger Gegenstand zum Objekt einer BEWERTUNG werden kann, liegt in seiner Bindung an menschliche Interessen. Nur in den Fällen, in denen, aus welchen Gründen auch inner, Subjekte daran interessiert sind, daß ein Objekt von einer bestimmten Beschaffenheit ist, den.
kann eine BEWERTUNG vorgenomnen wer-
In einer ersten Gliederung des Bereichs möglicher Objekte können
zunächst materielle Gegenstände, Sachverhalte/Ereignisse und Personen unterschieden werden. Alle drei Gruppen können als 'reale Objekte' oder als 'Substrate' bewertet werden. Real werden Objekte dann genannt, wenn sie materialiter vorhanden sind, Substrate, wenn sie, losgelöst vom konkreten Fall, als Kategorie Gegenstand der BEWERTUNG sind. Beispiel für den letztgenannten Fall ist das Objekt, wie es der Bericht (3o) gibt (lange Wanderungen in der Lüneburger Heide,) für reale Objekte kann (27b) ein Beispiel geben (Georgs Abituraufsatz). (25) macht nun auf eine Schwierigkeit aufmerksam; die Frage ist, ob hier eine Person (Koslowski ) , die Handlung einer Person (widerstand in einem Kündigungsverfahren) oder die Eigenschaft einer Handlung, also eine Handlungs w e i s e (standhaftigkeit des Widerstands) bewertet wird (vgl. Iwin 197o;1975:43ff.). Im folgenden werden diese Objekt-Kategorien so behandelt, daß Handlungen als eigenständige Objekte verstanden werden, während die Eigenschaften von Handlungen keine eigenen Objekte der BEWERTUNG darstellen. 30
In fiußerungsberichten wird manchmal auf die Zeugenadressiertheit einer Äußerung durch Hinzufügen von in Anwesenheit von X oder vor X gesondert hingewiesen. In einer Taxonomie der Bewertungen kommen zeugenadressierte Bewertungen vor allem als EHRUNGEN und als HERABSETZUNGEN vor.
31
Nachdem die Relation, die "Eigenschaften von Gegenständen im Verhältnis zu Interessen" (Morris 1938:1972:95) angibt, als 'Wert' bestimmt werden kann, müssen die verschiedenen Formen des Interesses dort analysiert werden, wo die verschiedenen Werttypen dargestellt werden.
26
Später wird, wenn eine Eigenschaft einer Handlung formal als das Objekt der Bewertung auftritt, davon gesprochen, daß die Handlung in einem bestürmten 'Aspekt1 bewertet wird, d.h. man kann keine Eigenschaft einer Handlung bewerten, ohne gleichzeitig die Handlung einer BEWERTUNG zu unterziehen. Dies gilt auch für Gegenstände, Sachverhalte und Ereignisse. Auch diese werden positiv oder negativ bewertet, wenn man eine oder mehrere ihrer Eigenschaften positiv oder negativ bewertet. Die Handlungen als Objekte von BEWERTUNGEN können ihrerseits praktische oder symbolische Handlungen sein. Unter einer praktischen Handlung wird die materiale Veränderung eines gegebenen Zustands durch 'körperlichen Einsatz1 i.w.S. verstanden, wenn die Veränderung gemäß dem Vorsatz des Agenten vollzogen wird. Symbolische Handlungen hingegen setzen das Vorhandensein eines Zeichens voraus, das eine Verständigung möglich macht, in seiner Bedeutung also zwischen zwei Agenten hinreichend genau festgelegt ist. Die symbolischen Handlungen umfassen sowohl die Verwendung bleibender materieller Zeichen (Wegweiser etc.) wie auch den Einsatz von körperlichen Zeichen (Gesten). Hier bleibt zu beachten, daß in Berichten die Art des Zeichens häufig hinter seine Funktion bzw. das Ergebnis zurücktritt. (Der Bericht Hans ist mir heute nachmittag vielleicht auf die Nerven gegangen sagt nichts darüber aus, welche Art von Handlung(en) Objekt des Berichts ist.) In dem Ausschnitt aus der Menge aller BEWERTUNGEN, der im einzelnen analysiert werden wird, soll die dritte Kategorie von symbolischen Handlungen, die der sprachlichen Handlungen, Gegenstand der BEWERTUNGEN sein. Mit dieser Festlegung ist noch nichts über die Frage gesagt, ob sprachliche Handlungen direkt bewertet werden, ob ein Gefühl, das durch diese Handlungen hervorgerufen wurde, oder ob die Relation zwischen der Handlung und dem Gefühl das Objekt bildet. Diese Frage soll erst durch die Analyse selbst geklärt werden. Die Ableitung von Objekt-Kategorien aus Berichten kann an dieser Stelle abgebrochen werden, da sprachliche Handlungen nicht nur als Objekt der BEWERTUNG in der Analyse auftauchen, sondern auch M i t t e l der BEWERTUNG sein können. Auch im Bereich der Mittel von BEWERTUNGEN zeigt sich, daß allgemein symbolische Handlungen verwendet werden können, um eine BEWERTUNG auszudrücken. Das Publikum, dem eine Vorstellung oder eine Rede gefallen hat, drückt dies durch Händeklatschen aus (26); hat die Vorstellung nicht gefallen, so wird das Mißfallen durch Pfeifen zum Ausdruck gebracht. Unter eine schriftliche Arbeit die Zahl '5' zu schreiben, bedeutet unter bestürmten Umständen, die Arbeit zu benoten (27b). In Spielen mit festem
27
Reglement kann sowohl die Leistung ähnlich wie bei schulischen Leistungen durch Zahlen symbolisiert werden (vgl. die Zahlentafeln beim Eislauf), als auch ein Regelverstoß angezeigt werden (Abseitspfiff, gelbe und rote Karte beim Fußball). Ein indirektes Mittel der BEWERTUNG liegt dort vor, wo ein Handelnder durch den (wiederholten) Vollzug einer Handlung zu erkennen gibt, daß er diese Handlung einer alternativen anderen vorzieht (vgl. (3o)). 32 Systematisiert man die Mittel der BEWERTUNG, so nehmen die Handlungen zunächst eine Sonderstellung ein; während alle anderen Mittel allein zu dem Zweck eingesetzt werden, einem Adressaten mitzuteilen, wie ein Objekt bewertet wird, ist der bewertete Akt ein Nebenprodukt der Handlung selbst. Wie schon bei den Objekten so kann auch bei den Mitteln die Kategorie der symbolischen Handlungen von der der praktischen Handlungen geschieden werden. Die nicht-sprachlichen symbolischen Handlungen können, wie bereits an Beispielen gezeigt, im Rahmen von institutionell festgeschriebenen Regelkorpora vorgesehen sein; eine Reihe bewertender Gesten (etwa, in familiären Situationen, mit der Hand über den Bauch streichen als Zeichen, daß das Essen sehr gut war) ist demgegenüber konventionalisiert, d.h. ohne ausdrückliche Festlegung so eingebürgert. Was die sprachlichen Mittel des Bewertens angeht - sie allein sollen weiter untersucht werden -, so kann auch hier zwischen Äußerungsformen, die in den Verfahrensvorschriften institutioneller Ehrungen bzw. Degradierungen festgeschrieben sind, und den Äußerungsformen, die in der Sprache konventionell vorgesehen sind, um private BEWERTUNGEN vorzunehmen, unterschieden werden. Private wie auch institutionelle sprachliche Mittel kennen mündlich und schriftlich eingesetzt werden. 32
Eine Handlung zu vollziehen bedeutet deshalb vom Standpunkt der handlungstheoretischen Analyse aus, eine Entscheidung auf der Basis einer Bewertung zu treffen; bei freiwilligen Handlungen gilt, daß der Agent den Zustand, den er durch den Vollzug der Handlung herbeizuführen sucht, dem Zustand, der ohne die Handlung besteht bzw. eintritt, vorzieht. (Vgl. Wegener 1976:97f.) Bei Coulmas (1977:145) wird mit der Annahme von 'perlokutionären Akten als Einheiten des Diskurses' postuliert, daß es "die Funktion aller im direkten (i.e. face-to-face) Diskurs als Interaktionsbeiträge geäußerten Sätze ist, eine Präferenz hinsichtlich möglicher Welten zum Ausdruck zu bringen". - Eine derartige Auffassung hat allerdings zur Konsequenz, daß der Begriff der Bewertung in seinem Umfang stark ausgedehnt wird, was einer Schwächung der Bemühungen um die Präzisierung des Handlungsbegriffs gleichkommt. Um dies zu vermeiden, kann zwischen Präferenz und positiver Bewertung unterschieden werden. Jede freiwillige Handlung setzt voraus, daß der Handelnde den angestrebten Zustand präferiert; davon, daß er ihn positiv bewertet, wird nur dann gesprochen, wenn die Entscheidung mit einem bewußten Abwägen von Vor- und Nachteilen einhergeht.
28
Alle in Verfahrensvorschriften festgeschriebenen bewertenden Äußerungsformen werden im folgenden als 'Formeln1 bezeichnet; wenn von hier an von Äußerungsformen gesprochen wird, so wird darunter die Menge der konventionell, nicht institutionell vorhandenen Mittel zur BEWERTUNG verstanden. Obwohl die alltagssprachlichen BEWERTUNGEN häufig als längere, satzübergreifende Gesprächsbeiträge vorkommen, sollen nur solche Äußerungsformen untersucht werden, die für sich geronnen und ohne Bezugnahme auf vorhergehende oder nachfolgende Äußerungen als BEWERTUNGEN verstanden werden können; d.h. die Äußerungsformen sind, unter syntaktischen Gesichtspunkten gesehen, als Sätze und nicht als Texte zu analysieren. Satzübergreifende Gesprächsteile werden bei der Untersuchung der Dialogstrukturen zu berücksichtigen sein. Faßt man nun die Subjekt-, die Adressaten- und die Objektposition sowie die als Mittel eingegrenzten Terme zusammen, so läßt sich der Bereich der Analyse zusammenfassend wie folgt bestürmen: Untersucht werden BEWERTUNGEN, die von einem individuellen und privaten Subjekt gegenüber einem individuellen und privaten Adressaten mittels einer Äußerung gemacht werden, wenn das Objekt der BEWERTUNG einzelne oder mehrere sprachliche Handlungen eines individuellen Sprechers oder aber sprachliche Gewohnheiten und Eigenheiten dieses Sprechers sind. Das bedeutet, daß insbesondere alle institutionellen BEWERTUNGEN, wie sie in Zeugnissen oder in offiziellen Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht werden, nicht in die Analyse miteinbezogen werden. Institutionelle BEWERTUNGEN können nach dem bisher rekonstruierten Analyseschema alle die BEWERTUNGEN genannt werden, deren Subjekt Amtsinhaber oder Sprecher einer Institution ist, wenn die hierfür vorgesehene Formel angewendet wird und der Adressat in den Zuständigkeitsbereich des Subjekts fällt. Geht man von erfolgreich vollzogenen BEWERTUNGEN aus, so ist ein bisher nicht erwähntes Kennzeichen institutioneller BEWERTUNGEN, daß sie Folgen haben, die in den Verfahrensvorschriften festgelegt sind und gegen die wiederum nur im Rahmen verfahrensmäßig festgelegter Schritte Einspruch erhoben werden kann. Institutionelle BEWERTUNGEN, die diesen Bedingungen genügen, stellen 'TatSachenentscheidungen1 dar, die institutionelle Fakten schaffen. 34 Alle insti33
Dies bedeutet, daß z.B. ein Richter nur dann einen Angeklagten verurteilen oder freisprechen kann, wenn er dem Verfahren des Angeklagten vorsitzt.
34
Damit rücken die institutionellen Bewertungen in die Nähe der performativen Äußerungen, wie sie von Austin allgemein und in Abhebung zu den konstativen festgelegt worden sind. Wie die performativen Äußerungen sind
29
tutionellen Bewertungen, die den so formulierten Bedingungen genügen, werden im weiteren Verlauf der Untersuchung 'Urteile' genannt.
1.4.3 Die Konstruktion des Bewertungsschemas Die Einschränkung des Analyseausschnitts war, methodisch gesehen, bereits Teil eines vorläufig noch informellen, konstruktiven Verfahrens; dieses bestand darin, jeweils nur einen Teil aller mit Hilfe der Bewertungsberichte rekonstruierbaren Subjekte, Adressaten, Objekte und Mittel zum Gegenstand der Analyse zu erklären. Der Unterschied zwischen dem konstruktiven und dem rekonstruktiven Teil der Erstellung des Analyseschemas ist damit wie folgt zu bestürmen: Die Rekonstruktion hatte aus Äußerungsberichten wiederholt vorkommende Teile herausgenommen und daraufhin untersucht, ob diese als Terme des zu konstruierenden Analyseschemas verwendet werden können. Anschließend wurden einige Teilmengen der so gefundenen Terme weiter aufgegliedert. Die in der Konstruktionsphase miteinander verketteten Terme bestimmen das Verhältnis von Verb und SAT. Würde der SAT rekonstruktiv festgelegt, so müßte jede Äußerung als BEWERTUNG gelten, auf die sich A* mit einem Bericht, in dem bewerten enthalten ist, bezieht. Die (21a) zugrundeliegende Äußerung wäre, würde dieses Verfahren streng gehandhabt, eine BEWERTUNG, und es gäbe keine theoretisch befriedigende Möglichkeit, den SAT BEWERTUNG von - im Fall von (27'a) - INTERPRETIEREN zu unterscheiden. Erst die Konstruktion erlaubt die Auflösung des Dilemmas der Rekonstruktion. Allerdings ist damit ein für die linguistische Analyse beträchtliches Opfer verbunden. Die Konstruktion des SAT BEWERTEN kann nicht als semantische Analyse des Verbs bewerten gelten. Es ist allerdings klar, daß mit dem konstruktiven Teil des Verfahrens ein Ausschnitt der Gesamtbedeutung des Verbs erfaßt wird. institutionelle Bewertungen weder wahr noch falsch; institutionelle BEWERTUNGEN beschreiben auch nicht den Wert oder Unwert einer Sache (eines Ereignisses/einer Handlung e t c . ) , sie s c h a f f e n ihn, indem sie ihn feststellen. (Vgl. dazu Austin 1 9 6 2 ; 1 9 7 6 : 4 f f . ) 35
Die begriffliche Unterscheidung von 'Bewertung' und 'Urteil 1 gilt nicht für die Darstellung bisheriger Forschungen unter 2 . , da in der metaethischen Diskussion Bewertung, Wertung, (ethische) Behauptung, Urteil usw. gewöhnlich nicht unterschieden werden.
36
Auch die Klassifikation innerhalb der Rekonstruktionsphase ist, streng genommen, bereits konstruktiv. Aus Gründen der Vereinfachung wurde diese 'Konstruktion in der Rekonstruktion' nicht eigens entwickelt.
30
Die Frage, in welchem Umfang die Analyse des Sprechakttyps zugleich eine semantische Analyse der Verbbedeutung ist, soll zunächst zurückgestellt und erst dann beantwortet werden, wenn die Analyse selbst der Argumentation ein breiteres empirisches Material zur Verfügung stellt. Der Gegensatz zwischen Rekonstruktion und Konstruktion des SAT BEWERTEN besteht jedenfalls, faßt man die bisher angeführten Argumente zusammen, darin, daß die Rekonstruktion die Frage beantworten müßte, was eine Bewertung im Deutschen i s t ; die Konstruktion hingegen beschränkt sich darauf zu sagen, was gemäß dem vorgeschlagenen analytischen Rahmen als BEWERTUNG g e l t e n soll. Mit dieser Beschränkung wird eine völlige Beliebigkeit in der Festlegung des SAT natürlich nicht angestrebt. Daß sich die Konstruktion nicht zu weit von der Verwendung des Verbs in Bericht und performativer Wendung entfernt, gewährleistet die Gewinnung der Terme des Konstrukts aus den Berichten. Da bisher nur die für die Einschränkung des Analysebereichs notwendigen Terme rekonstruiert wurden, sollen nun noch die allgemeinen, nicht einschränkenden Teile des Analyseschemas festgelegt werden. Dabei wird zunächst deutlich, daß eine Anzahl von Berichten Auskunft darüber gibt, ob A eine positive oder eine negative BEWERTUNG abgegeben hat. In (25), (26), (29) und (3o) wird von einer positiven, in (27b) von einer negativen BEWERTUNG berichtet. (27a) läßt offen, ob die BEWERTUNG negativ oder positiv war und gibt nur an, daß 'strenge Maßstäbe1 angelegt wurden. Die W e r t t y p e n 'positiv1 und 'negativ1 müssen mit den der BEWERTUNG zugrunde liegenden Maßstäben verbunden werden. In der Konstruktion wird diejenige Größe, die den konkreten positiven oder negativen BEWERTUNGEN insofern zugrundeliegt, als 37 sich die Sprecher an diesem "Ideal1 orientierten. W e r t genannt. Dabei wird davon ausgegangen werden, daß jede Äußerung, durch die ausgedrückt wird, daß ein Objekt in einer bestimmten Hinsicht positiv ist, mit der Feststellung identisch ist, daß das Objekt einem Wert entspricht; zu sagen, dag Objekt sei negativ, wird gleichgesetzt mit der Feststellung, daß das Objekt dem Wert nicht entspricht. Im Analyseschema wird damit ein Wert, wenn er im Sprechakt zum Maßstab einer aktuellen Bewertung wird, zum 'Kriterium der BEWERTUNG'. Damit ist deutlich gemacht, daß im Analyseschema jede BEWERTUNG positiv oder negativ im Hinblick auf einen zu bestimmenden Wert ist; dies auch dann, 37 Vgl. dazu das 5. Kapitel, wo eine Diskussion des Terminus 'Wert 1 und daran anschließend eine Festlegung des Begriffsinhalts vorgenommen wird.
31 wenn der Wert erst und ausschließlich beim Vollzug des Sprechakts konstatiert werden kann. Diese Feststellung ist deshalb von Wichtigkeit, weil in einigen Untennustern von BEWERTEN der zugrundeliegende Wert gleichzeitig mit der Bewertung festgelegt wird. Aus einer Äußerung wie Dieser Film ist sehr spannend ergibt sich beispielsweise nicht nur, daß der fragliche Film positiv im Aspekt ' Unterhaltungswert ' bewertet wird; A behauptet damit gleichzeitig, daß ein Film, wenn er wie dieser Film ist,
den Wert erfüllt.
38
Damit hat das vollständige Beschreibungsscheina des SAT BEWERTEN die Form > Sp2/(Sp3) —»
M± / B1 ...
Bn
Hier ist in abgekürzter Schreibung noch einmal dargestellt, daß Sp1 ein Ob-
jekt O. positiv oder negativ im Aspekt w bewertet; 39 Sp- bewertet 0. gegenüber dem Adressaten Sp_ und möglicherweise vor dem Beobachter Sp.,, indem er sich des konventionellen Mittels M. bedient. Die BEWERTUNG kommt zustande, wenn die Bedingungen B,, bis B erfüllt sind. Da es innerhalb der linguistischen Analyse vor allem darauf ankcnnt, diese allgemeine Form nach dem (sprachlichen) Mittel hin aufzulösen und weil Sp~ als notwendige Bedingung des Sprechaktvollzugs angesehen werden, kann (i) zu (ii) umgewandelt werden:
s
(ii) Sp. BEWEKT O -^
1
^ —>
ÄUSS / B . ... B
ÄUSS steht hier, wie oben bereits angemerkt, für die möglichen Äußerungsformen. Die allgemeine Kategorie des Objekts der Bewertung ist durch eine spezifizierte Kategorie O ersetzt; O steht gemäß der Beschränkung, wie sie S
S
oben vorgenommen worden ist, für eine Äußerung oder eine sprachliche Gewohnheit eines Sprechers, wobei eine genauere Analyse der Kategorie O noch ausS
steht; die Bestimmung möglicher Klassen von Objekten wird in 3.3 vorgenommen. Innerhalb bisher vorliegender Versuche, eine Sprechakttheorie auf der Grundlage einer allgemeinen, auch nichtsprachliche Handlungen umfassenden Handlungstheorie zu entwickeln, ist vor allem der Status der Konjunktion indem 38
Aus dieser Form der Wertfestsetzung im Akt des Bewertens läßt sich, wie später zu zeigen sein wird, ableiten, daß zumindest einige Untermuster von BEWERTEN aus formalen Gründen i m m e r eine Übereinstimmung von Äußerungsinhalt und Sachverhalt herstellen.
39
Eine Bestimmung der hier nicht berücksichtigten indifferenten BEWERTUNG wird in dem Abschnitt 5.3.2 gegeben werden..
32
diskutiert worden (vgl. Heringer 1974a:43ff. und Hindelang 1978a:45ff.). Dabei wurde diejenige Lesart von indem, die den Begleitumstand einer Handlung angibt und durch während ersetzbar ist, ausgegrenzt. (Beispiel: indem/während er fortwährend auf sie einredete, öffnete er die Tür,) Die verbleibende Mittel-Relation zerfällt ihrerseits in eine kausale und eine konventionelle Variante. Kausal ist die mit indem ausgedrückte Ursache eines Ereignisses dann, wenn das im konjunktionalen Nebensatz repräsentierte Mittel das Ergebnis als naturgesetzliche Folge hat. Zertrümmert jemand eine Fensterscheibe dadurch, daß er einen Stein dagegen wirft, so zerbricht die Scheibe aufgrund der Bewegungsenergie des Wurfgeschosses, dessen Härte, wegen der Sprödigkeit des Glases usw. Anders, wenn ein Autofahrer einen ihm entgegenkonrenden Fahrer durch Betätigen der Lichthupe oder durch Händbewegungen auf eine Radarfalle aufmerksam macht. Das Ergebnis dieser Handlung - der Fahrer ist gewarnt - kommt zustande, weil das Betätigen der Lichthupe, eventuell verbunden mit Handbewegungen, als Zeichen der Warnung g i l t . Die in (i) und (ii) durch den Pfeil dargestellte Verbindung zwischen SAT BEWERTEN und dem Mittel ist in dieser Weise als konventionell zu interpretieren. Diese Verwendung der indem-Relation ist in der Literatur bereits ausführlich dargestellt worden, so daß sich weitergehende Problematisierungen an dieser Stelle erübrigen. Auf eine Schwierigkeit, die bei der Analyse von Bewertungen sprachlicher Äußerungen immer wieder auftritt, soll jedoch schon hier hingewiesen werden. Schränkt man, wie vorgesehen, die Mittel auf sprachliche Äußerungen ein, so kann die I n t e r p r e t a t i o n der Äußerung, die Objekt der BEWERTUNG ist, der Intention eines Sprechers zuwiderlaufen. Mit der Bemerkung, daß B wie Woody Allen aussieht, kann A die Absicht verbunden haben, B ein Kompliment zu machen, während B den Vergleich als eine Beleidigung auffaßt. 4o Die Interpretation scheint also der BEWERTUNG vorauszugehen, d.h. damit ein Sprechakt positiv oder negativ bewertet werden kann, muß er bereits in der Interpretation einem SAT zugeordnet sein. Wie der Zusammenhang zwischen BEWERTUNG und Interpretation genauer aussieht, wird noch zu zeigen sein. Was die Äußerungsformen selbst anbelangt, so kann die Analyse nur solche 4o
Vgl. oben, Beispiel ( 1 4 ) . Das Beispiel zeigt, daß nur eine umfassende Kenntnis geltender Normen und Werte den Sprecher davor bewahrt, bei der Aufstellung von Begründungen und Analogien fehl zu gehen. Er muß also wissen, wie der Adressat, der in einer Bewertung mit einer Person verglichen wird, diese Person einschätzt.
33
Formen berücksichtigen, die in festgelegtem Kontext konventionell als eine Bewertung gelten. Es ist ein Kennzeichen der alltäglichen Kommunikation, daß Sp- Äußerungen auf ihren bewertenden Gehalt 'absucht'; dies vor allem dort, wo Sp. als Vorgesetzter, Experte oder als Teil der Einheit 'Publikum'
auftritt. Dabei werden viele Äußerungen als 'Andeutungen' interpretierbar, die eine Bewertung verschlüsselt enthalten.
41
Die Möglichkeit, mittels An-
deutungen zu bewerten, kann hier, da es nur um konventionelle Äußerungsformen geht, nicht eigens behandelt werden. Mit der Konventionalität der Äußerungsformen erklärt sich auch, warum in (ii) auf eine gesonderte Notierung von Sp» bzw. Sp., verzichtet werden konnte. Die BEWERTUNGEN, die Gegenstand der Analyse sind, werden für Sp„
und
Sp. als solche in den konventionel-
len Äußerungsformen erkennbar. Adressaten- und Beobachterperspektive stimmen überein. In allen Fällen, in denen durch die Subjekt-Adressat-Beziehung der Charakter des Sprechakts bestimmt ist, entsteht eine 'Bedingung', unter der ein Untermuster von BEWERTEN nur vollzogen werden kann. Die Beziehung zwischen Sp1 und Sp„ kann als Teil der situativen Bedingungen notiert werden. Die Untermuster von BEWERTEN sollen im 3. Kapitel der Arbeit durch sukzessive Spezifizierung der Terms des Grundschemas (ii) gebildet werden. Hierbei besteht die Hauptschwierigkeit darin, daß eine beliebige Verbindung spezifizierter Terme zu einer hohen Zahl von Untermustern führen muß, die in sich noch nicht gegliedert sind. Deshalb müssen zu Verbindungen Tennachsen gesucht werden, an denen entlang die spezifizierten Einzelterme variiert werden. Da bei der Festlegung dieser Achsen darauf geachtet wird, daß die Gliederung der hauptsächlich in Bewertungsberichten vorkommenden Verben des Deutschen Berücksichtigung findet, wird auf diese Weise einerseits eine Gliederung des 'Wortfeldes bewerten' erreicht; andererseits wird die Reihung der Termachsen zugleich die Hierarchie der für die Gliederung der Untermuster relevanten Unterscheidungen zeigen. Es wird sich also beispielsweise herausstellen, daß bei negativen BEWERTUNGEN zunächst wichtig ist, ob Sp_ für das Objekt Verantwortung trägt oder nicht, daß anschließend gefragt werden muß, in welchem Autoritätsverhältnis Sprecher und Hörer zueinander stehen, und daß zu überprüfen ist, 41
was
negativ bewertet wird.
Solche Formen der Verschlüsselung hängen eng mit dem Bewertungs-Tabu zusammen, das in allen Situationen, in denen gleichberechtigte Personen aufeinandertreffen, gilt. Bewertungs-Tabus gibt es dabei nicht allein im Hinblick auf den Adressaten (Gefahr der Beleidigung, der Schmeichelei oder der Lobhudelei), sondern auch, was den Sprecher selbst anbetrifft (Eigenlob, Selbstbemitleidung, Selbstbezichtigung u s w . ) .
34
1.5
Das Bewertungsschema und die Regelbeschreibung nach J.R. Searle
Mit der Rekonstruktion der Tenne des Beschreibungsschemas aus Äußerungsberichten und mit der expliziten Trennung von Term-Rekonstruktion und Scherra-Konstruktion entsteht die Frage, ob sich flgs so gefundene Bewertungsschema in die Searleschen Regeltypen umschreiben läßt. Diese Frage ist am einfachsten anhand eines Versuchs zu diskutieren, diese Umschreibung vorzunehmen und die nicht-trivialen Regeln zu formulieren.
1.5.1 Die Searleschen Sprechaktregeln für Bewerten Unter nicht-trivialen Regeln werden die Einleitungsregel, die Regel des propositionalen Gehalts, die Aufrichtigkeitsregel und die wesentliche Regel Searles verstanden. Als E i n l e i t u n g s r e g e l faßt Searle, formuliert man seine Absicht allgemein, eine Regel dann auf, wenn diese die für den Vollzug des Sprechakts notwendigen Voraussetzungen festlegt; vor allem gewährleistet die Einleitungsregel, daß der Sprechakt nicht überflüssig und das mit Vollzug des Sprechakts Geforderte nicht unmöglich ist. Überflüssig ist ein Sprechakt dann, wenn das, was durch ihn erreicht werden soll, ohnehin, d.h. ohne daß der Sprechakt vollzogen wird, eintritt. Die Schwierigkeit bei der Formulierung dieser Regel ergibt sich daraus, daß Searle nicht klärt, ob die Regel vom Standpunkt des Sprechers, des Hörers oder des Beobachters formuliert wird. Betrachtet man etwa den ersten Teil der Einleitungsregel, die Searle für Auffordern formuliert, H ist in der Lage A zu tun. S glaubt, daß H in der Lage ist, A zu tun.42 42
Searle 1969;1971:loo (Es steht S für 'Sprecher 1 , H für 'Hörer 1 und A für 'Akt 1 oder •Handlung 1 ). - An diesem wie an anderen Beispielen zeigt sich im übrigen, daß Searle keine strenge Trennung zwischen Bedingungen und Regeln kennt. Dies wird im folgenden noch anhand anderer Beispiele zu zeigen sein. Der Begriff der E i n l e i t u n g s r e g e l beinhaltet offensichtlich den Versuch, der Schwierigkeit einer Unterscheidung von Bedingung und Regel Rechnung zu tragen: Es sollten Voraussetzungen geklärt werden, die bei einem Sprechakt erfüllt sein müssen. Da Voraussetzungen allerdings nicht vollzogen werden, sondern nur erfüllt oder nicht erfüllt sein können, kann es hier Regelmäßigkeiten, aber keine Regeln im strengen Sinn geben. Regeln sind nur dort angemessen zu formulieren, wo es darum geht, daß eine Handlung gemäß der Regel vollzogen wird; alle Voraussetzungen von Handlungen können in Bedingungssätzen und nur in diesen beschrieben werden.
35
so ist unklar, warum, damit eine Aufforderung ausgesprochen werden kann, H faktisch in der Lage sein muß, A zu tun. Offensichtlich kann A eine Aufforderung auch aussprechen, wenn H nicht in der Lage ist, A zu tun, S aber von der Unfähigkeit nicht weiß. 43 Die Analyse der Äußerungsberichte hat gezeigt, daß der Standpunkt des Berichterstatters immer in den Bericht mit eingeht. Formuliert man deshalb unter Berücksichtigung des soeben Diskutierten die Einleitungsregel für BEWERTEN, so lautet diese: 1. Es ist für H nicht klar, wie S zu O steht. 2. S will, daß H weiß, wie er, S, zu 0 steht. Vergleicht man diese Regel mit dem allgemeinen Bewertungsschema, so zeigt sich, daß sie dort als eine der Bedingungen zu formulieren ist, unter denen eine gegebene Äußerung überhaupt als Bewertung gelten kann. Da Searle zwischen Bedingungen und Regeln (zumindest formaliter) unterscheidet, stellt sich die Frage, ob der Begriff der Bedingung im allgemeinen Bewertungsschema anders als bei Searle verwendet ist oder ob Searles Regelformulierung nur eine umformulierte Bedingung ist. Diese Frage soll, da sie Searles Regelbegriff insgesamt betrifft, solange zurückgestellt werden, bis auch die übrigen Regeln entwickelt sind. Als 'Regel des propositionalen Gehalts1 gibt Searle jeweils an, wie die Proposition eines Sprechakts mit dem Zeitpunkt des Vollzugs der dort angeführten Handlung verbunden ist. Für DANKEN gilt, daß die Proposition einen vergangenen Akt A von H enthält, bei RATEN handelt es sich um einen zukünftigen Akt, bei WARNEN um ein zukünftiges Ereignis oder einen zukünftigen Zustand E usw. In der Regel für BEGLÜCKWÜNSCHEN macht Searle insofern eine Ausnahme, als er hier die Beziehung zwischen dem Inhalt der Proposition und dem Hörer erfaßt; es geht um "irgendein Ereignis, irgendeine Handlung usw., 43
Der Grund für diese Formulierung Searles liegt vermutlich in Austins Kategorisierung der 'Unglücksfälle' beim Sprechaktvollzug. (Vgl. Austin 1962;1976:14ff.) Austin hat unter die Gruppe der 'Versager 1 alle die Fehler beim Sprechaktvollzug gefaßt, die das Zustandekommen einer sprachlichen Handlung von vornherein verhindern. Austins Beispiele zeigen, daß Versager nur vorkommen können, wo i n s t i t u t i o n e l l e Akte (Heirat; Schiffstaufe e t c . ) vollzogen werden. Für diese Fälle wäre Searles Formulierung korrekt; Befehle, versteht man sie als institutionalisierte Aufforderungen mit Sanktionsdrohung im Falle der Nichtausführung, kommen rechtsverbindlich nur dort zustande, wo der Befehlsempfänger in der Lage ist, den Befehl auszuführen. Da Befehle aber nur als eines der Untermuster von Auffordern gelten können, ist die Searlesche Einleitungsregel nicht zutreffend.
36
die H betrifft" (Searle 1969;1971:1o6). Diese Formulierung ist sicherlich die am wenigsten befriedigende, denn daß H von dem Ereignis 'betroffen' sein muß bzw. daß erwartet werden kann, daß er 'betroffen1 sein wird, gilt auch für RATEN, WARNEN oder DROHEN. Berücksichtigt man trotz dieser Unklarheit die Beziehung zwischen dem, was in der Proposition dargestellt ist, und dem Hörer zusätzlich zur zeitlichen Festlegung, so gibt es im Falle von BEWERTEN keine zeitliche Festlegung; bewertet werden kann Vergangenes, Gegenwärtiges oder Zukünftiges. Die allgemeine 'Betroffenheit' von S, H oder einer dritten Person durch das Objekt der Bewertung muß zwar vorhanden sein, da dies jedoch in der 'wesentlichen Regel' berücksichtigt wird, bleibt für die Regel des propositionalen Gehalts keine sinnvolle Beschränkung; sie lautet demnach: Jede Proposition oder propositionale Funktion p. Diese Regel muß, da sie keine Beschränkung formuliert, im allgemeinen Bewertungsschema nicht berücksichtigt werden. Es bleibt allerdings zu beachten, daß bei einigen Untermustern von BEWIRKTEN Beschränkungen gegeben sind. So kann bei einem Lob oder einem Tadel immer nur eine vergangene Handlung gemeint sein. Gestaltete sich die Formulierung der Einleitungsregel und der Regel des propositionalen Gehalts deshalb so schwierig, weil nicht sicher geklärt werden kann, was für Searle die allgemeine Charakteristik dieser Regel t y p e n ist, so ist die Kritik bei der sogenannten Aufrichtigkeitsregel grundsätzlicher Natur; die Trennung von Äußerungs- und Berichtssituation, wie sie oben vorgenommen worden ist, gibt das Mittel dazu an die Hand. Ist ein Sprecher in einer Situation, in der die übrigen Bedingungen für den Vollzug eines Sprechakts gegeben sind, so führt die Realisierung einer konventionell zum Vollzug des Sprechakts vorgesehenen Äußerung dazu, daß auf den Sprechakt mit einem Bericht referiert werden kann, der das Verb enthält, das den 'Namen' des Sprechakts angibt. Anders ausgedrückt: Die Aufrichtigkeitsregel, so wie sie von Searle aufgestellt wird, sucht ein psychologisch-itoralisches Faktum als für den Vollzug des Sprechakts gültige Regel zu formulieren. Die psychologisch-moralische Frage der Aufrichtigkeit kann aber nicht Gegenstand der linguistischen Untersuchung sein. Die Aufrichtigkeitsregel muß deshalb so umfannuliert werden, daß sie ein für den Hörer bzw. den Adressaten feststellbares Merkmal des Sprechakts bezeichnet. Für BEWERTEN lautet sie dann: Weder in der Situation noch in der Äußerung von S gibt es Hinweise darauf, daß S das, was er sagt, nicht ernst meint.
37
Diese Regel könnte, um zum Ausdruck zu bringen, daß sie keine psychologische oder moralische Komponente erfaßt, 'Ernsthaftigkeitsregel' genannt werden. Im Falle einer Bewertung wird durch sie festgelegt, daß S tatsächlich eine Bewertung ausspricht und nicht etwa einen Scherz macht usw. Bei Untermustern wie LOBEN oder BEGLÜCKWÜNSCHEN sichert die Ernsthaftigkeitsregel insbesondere, daß ein ironisches Lob oder ein ironisch gemeinter Glückwunsch von den analogen ernsthaften Sprechakten geschieden werden kann. Auch die Ernsthaftigkeitsregel muß, auf das allgemeine Schema übertragen, als Bedingungssatz notiert werden. In der 'wesentlichen Regel* legt Searle fest, als was ein Sprechakt 'gilt1. Die Kurzanalysen einzelner Sprechakte, die Searle vorgelegt hat, zeigen, daß unter der wesentlichen Regel eine mehr oder weniger geschickte, mit "gilt als' eingeleitete Paraphrasierung der wesentlichen Merkmale des jeweiligen Sprechakts gefaßt ist. Sucht man für BEWERTEN nach einer entsprechenden Lösung, so könnte diese lauten: Die Äußerung von S gilt als Ausdruck der Überzeugung, daß das Objekt der Bewertung im Interesse/nicht im Interesse von X ist. X kann hierbei eine einzelne Person (S,H oder ein Dritter), aber auch eine Gruppe von Personen sein. Bei kategorischen Bewertungen, also bei Bewertungen,
die nicht durch Beschränkung auf ein reales Objekt bestürmt sind, son-
dern Substrate zum Gegenstand haben, ist X jeder, der von dem Objekt 'betroffen' ist.
1.5.2
Kritik der Regelformulierung nach Searle
Bereits bei der Aufstellung der Sprechaktregeln für BEWERTEN wurde mehrfach Kritik an den Regeltypen Searles geübt. Diese Kritik läßt sich in vier Punkten zusanroenfassen: (i) Searle führt an keiner Stelle aus, wie bei der Formulierung der einzelnen Regeltypen allgemein zu verfahren ist; d.h. es ergeben sich aus den vorhandenen Beispielanalysen Searles keine klaren, verbindlichen Anweisungen für die Aufstellung der Regeln anderer Sprechakttypen. (ii) Die inhaltliche Unterscheidbarkeit der Regeln ist ungenügend; die Regeln enthalten häufig kaum mehr, als vage Umformulierungen ein und derselben Aussage.44 44
Hierfür nur ein Beispiel: Searle formuliert den ersten Teil der Einleitungsregel für Warnen als 'S hat Grund zu glauben, daß E eintreten wird und nicht in H ' s Interesse ist'. Die wesentliche Regel besagt dann: 'Gilt
38
(iii) Die Formulierungen sind unpräzise. Dieses Problem wurde bei der Aufstellung der Regeln für HtWtKl'EN deutlich. Die unzureichende Präzision bei der Regelformulierung ist zu einem erheblichen Teil die Folge der von Searle stillschweigend eingehaltenen Auflage, die Sprechaktbezeichnung selbst in der Regelformulierung nicht zu verwenden. Hierfür ein Beispiel: Die wesentliche Regel für FRAGEN lautet bei Searle: Gilt als der Versuch, H eine Antwort zu entlocken. (Searle 1969;1971:1o2) Fragen sind im Normalfall natürlich k e i n e Versuche, jemandem eine Antwort zu 'entlocken1. Dies läßt sich wiederum durch Vergleich mit den Berichtsarten zeigen, denn Berichte darüber, daß A dem B eine Antwort entlocken wollte, müssen der Mischklasse aus Intentions- und Sequenzbericht zugeschlagen werden. Durch geschicktes Nachfragen (Sequenzbezug) hat A seine Absicht verwirklichen wollen (Intentionsbezug), die erwünschte Information von B zu erhalten. (iv) Es ist nicht befriedigend geklärt, was die Sprechaktregeln Searles von den Bedingungen des Sprechaktvollzug unterscheidet. Dieser Kritikpunkt ist der zweifellos wichtigste, denn er verlangt die Klärung der Frage, wie eine Regel formuliert werden muß, wenn sie - im Unterschied zu den Bedingungen, die nur die Voraussetzungen des Sprechaktvollzugs angeben - explizieren will, welchen gemeinsamen Handlungsschemata Sprecher bei sprachlichen Handlungen intuitiv folgen. Searle hat bekanntlich in seiner Einteilung der Sprechaktregeln die sogenannten regulativen von den konstitutiven Regeln unterschieden. (Vgl. dazu Kap. 2.5 in Searle 1969;1971:54ff.) Searle geht davon aus, daß erstere "die Form von Imperativen haben oder sich als solche paraphrasieren lassen" (ebd., 55) , während letztere "die Grundlagen für Verhaltensspezifikationen [bilden], die ohne das Vorhandensein solcher Regeln nicht möglich wäre" (ebd.,58) und 1 4 in der Form 'X gilt als im Kontext C geschrieben werden können. -> Die 'wesentliche Regel1 wird von Searle als konstitutive Regel verstanden; ihre Form macht das deutlich. Die übrigen Regeln aber werden nicht, wie zu erwarten, nach den Maßgaben für regulative Regeln geschrieben; vielmehr entstehen sie aus Umfornulierung der mit ihnen korrespondierenden Bedingungen, ohne daß deshalb aber, wie Searle behauptet, der Status der Bedingungen grundsätzlich geändert würde. Auch hierzu ein Beispiel: Der erste Teil der Einleitungsregel für die Verwendung des Mittels V, des Indikators für Versprechen, besteht darin, daß V nur geäußert werden darf, "wenn der Zuhörer H S 1 Ausführung von A der Unterlassung von A vorziehen würde und wenn S glaubt, H würde S' Ausführung von A der Unterlassung von A vorziehen" (ebd.,97). Dies aber ist ganz offensichtlich nichts anderes als eine Bedingung für den korrekten Vollzug als Versicherung des Inhalts, daß E nicht in H ' s Interesse ist 1 . (Vgl. Searle 1969;1971:Io4) Die erste 'Regel 1 , die eigentlich eine Bedingung für Warnungen festlegt, ist in der wesentlichen Regel lediglich mit dem 'gilt-als'-Vorspann versehen. Sinnvoller wäre es gewesen, in der Einleitungsregel festzulegen, daß Warnungen nur dort ausgesprochen werden, wo S das Ereignis usw. E von H fernhalten will. Die Erfahrung lehrt, daß es nicht immer klug ist zu warnen. - Weiterhin sagt Searle (in Punkt 2. der Einleitungsregel), daß es weder für S noch für H offensichtlich sein darf, daß E eintreten wird. Diese Regel ist in einem Teil sicherlich falsch; natürlich kann S auch warnen, wenn für ihn vollkommen klar ist, daß E eintreten wird. 45
Regulative Regeln dienen häufig "als Grundlage für die Bewertung von Verhaltensweisen" (Searle 1969;1971:58). Darauf wird später, im Zusammenhang mit der Aufstellung der Werte, noch einmal näher einzugehen sein.
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eines Versprechens und der Verwendung der möglichen Indikatoren. (Vgl. dazu auch die Formulierung der entsprechenden Bedingung bei Searle (1969; 1971:97) .) Die Kritik an den Sprechaktregeln Searles läßt sich dahin zusaimenfassen, daß ein Teil der Regeln (nämlich die Einleitungsregel und die Regel des propositionalen Gehalts) in Formulierung und Funktion Bedingungen für den Vollzug des jeweiligen Sprechakts darstellen. Der Status der Aufrichtigkeitsregel ist schwer festzulegen; sie hat entweder normativen Charakter
, was bedeu-
ten würde, daß sie für die Sprechakt b e s c h r e i b u n g entfällt, oder aber sie wird als für die Beschreibung relevant erachtet; dann muß freilich angegeben werden, welche Folge die Nichtbeachtung der Aufrichtigkeitsregel nach sich zieht.
1.6
Bewerten in explizit performativen Formeln
Zum Abschluß dieses Einführungskapitels soll nun noch diskutiert werden, in welchen explizit performativen Formeln des Deutschen das Verb bewerten auftaucht. Dabei wird der Begriff der explizit performativen Formel (EPF) weiter gefaßt werden als bei Austin, der ihn nur für die Fälle reserviert, in denen der Sprecher selbst mit Hilfe der EPF explizit macht, welchen Sprechakt er 47 vollziehen will. Nachfolgend wird jener Teil einer Äußerung als explizit performativ verstanden, in dem bewerten sich auf einen Sprechakt bezieht, ohne daß die Gesamtäußerung selbst ein Bericht ist. Insbesondere werden auch Aufforderungen und Fragen berücksichtigt. Betrachten wir zunächst die folgenden Äußerungen: (31) Ich bewerte es als durchaus positiv, daß sich unsere Gesprächspartner nun endlich dazu durchringen konnten, ihre bisher so starre Haltung aufzugeben. (32) Herr Zeuge, Sie sollen hier nicht bewerten, wie der Angeklagte gefahren ist; Sie sollen ganz einfach beschreiben, was sie gesehen haben. (33) Herr Bundeskanzler, wie bewerten Sie die jüngsten Vorfälle an der deutsch-deutschen Grenze?
46
Die Aufrichtigkeitsregel würde dann für jeden beliebigen Sprechakt X besagen: 'Verwende die für X-en vorgesehenen sprachlichen Mittel n u r , wenn du wirklich X-en willst. 1
47
Vgl. Austin 1962;1976:53ff. - Die Erweiterung des B e g r i f f s des performativen Verbs entspricht der Kritik, die Hare in 'Meaning and Speech Acts' (Hare 197o) an der Sprechakttheorie Austins geübt hat (vgl. vor allem ebd., S . 7 f f . ) .
40 (34) Wir können das alles erst bewerten, wenn die Einzelheiten sorgfältig geprüft sind. (35) Wir bewerten dieses Verhalten der Arbeitgeber als eine unnötige Herausforderung der Gewerkschaften.
Keines der aufgeführten Beispiele enthält bewerten innerhalb einer 'klassischen' EPF, lind es ist zweifelhaft, ob bewerten im Deutschen überhaupt in dieser Funktion vorkommen kann. Äußerungen wie (36) Ich bewerte (hiermit) das Verhalten des Angeklagten; es ist hörig und verletzt die Würde des Gerichts.
unge-
sind weder in institutionellen noch - mit entsprechender Veränderung - in privaten Kontexten geläufig. Es gibt Grund dafür anzunehmen, daß dies daran liegt, daß die EPF, anders als Austin meinte, nicht oder nicht in erster Linie den Charakter des mit einer Äußerung zu vollziehenden Sprechakts angibt, sondern dazu dient, die Verbindlichkeit des Sprechakts zu erhöhen. Es ist auffallend, daß Austins explizit performative Wendungen dort auftreten, wo es sich als wichtig erweist, daß mögliche spätere Berufungen auf die Unklarheit einer Äußerung bzw. Berufung auf eine andere Interpretation vermieden werden. Weiterhin geht es häufig darum, daß mit der EPF die Feierlichkeit und die Ausdrücklichkeit einer Äußerung im institutionellen Rahmen e r h ö h t wird. Dabei wird deutlich, daß Berichte über Äußerungen mit vorangestellter EPF dann, wenn die Äußerung nicht als Formel im vorgesehenen institutionellen Kontext vorgekommen ist, entweder über Adverbien wie ausdrücklich oder durch die Wahl geeigneter Verben die Sonderstellung des Sprechakts anzeigen.48 (37a) Fritz hat Hans a u s d r ü c k l i c h Kino gehen wird.
versprochen, daß er ins
(37b) Fritz hat Veronika gegenüber b e t e u e r t , daß er nur noch einmal in der Woche ins Kino gehen wolle.
Wird bewerten, wie in (31), mit als verbunden, so ist die Ähnlichkeit mit der herkömmlichen EPF am größten; dennoch kann auch hier nicht einfach davon ausgegangen werden, daß das Verb ein Indikator des Sprechakts ist. Zwei Gründe vor allem sprechen dagegen: Zum einen steht bewerten in einer Reihe mit 48
Baumgärtners Untersuchung der 'Lexikalischen Systeme möglicher Performative' (Baumgärtner 1977) berücksichtigt diese Gesichtspunkte nur ungenügend. Baumgärtners Analyse von tadeln operiert mit Beispielen wie Ich tadle (dich dafür), daß du die Bank gesprengt hast. Bleibt zu fragen, ob im Deutschen ein Tadel auf diese Weise ausgesprochen wird und, falls dies möglich ist, welcher Grad der Institutionalisierung vorausgesetzt ist
41
äußerungskonnentierenden Wendungen, die in der nachfolgenden Analyse bewertender Sprecäiakte als 'Subjektivitätsformeln1 bezeichnet werden. Diese Sub— jektivitätsformeln haben alle die Aufgabe, zu verdeutlichen, daß es bei einer Äußerung um die Darlegung einer privaten Meinung eines Sprechers geht. Das Deutsche kennt neben bewerten mit oder ohne a2s eine ganze Reihe unterschiedlicher Subjektivitätsformeln: (38)
Ich finde, es ist durchaus positiv, daß er zurückgetreten
ist.
(39a) Ich glaube, es ist durchaus positiv, daß ... (39b) Ich glaube, daß es durchaus positiv ist, | Meinung j (4oa) Ich bin der < Auffassung f — (_ Überzeugung J (4ob) Meiner (41)
daß ...
daß es durchaus positiv ist,
·£ _, *· nach ist j Auffassung j
es durchaus positiv, daß
daß
...
...
In meinen Augen ist es durchaus positiv zu werten, daß ...
Diese und ähnliche Formeln sollen im Zusanmenhang mit dem gewählten Analyseausschnitt sowohl in syntaktischer Hinsicht wie auch auf ihre Funktion für die Gesamtäußerung hin untersucht werden. Dies kann allerdings erst geschehen, wenn klar ist,
was es mit der 'Subjektivität' von Bewertungen auf
sich hat. Hier genügt es einstweilen festzuhalten, daß es Unterschiede zwischen EPFn im herkömmlichen Sinne und Subjektivitätsformeln gibt. 49 Von Aufforderungen, deren Inhalt darin besteht, daß B aufgefordert wird, eine Bewertung oder Meinungsäußerung abzugeben, sind Äußerungen wie (32) zu unterscheiden. In (32) wird der Sprecher aufgefordert, keine Bewertung, sondern eine Beschreibung des Sachverhalts vorzunehmen. Es zeigt sich hier, daß die Bewertungen von den Beschreibungen vor allem in bestinmten Situationen, in denen es darauf ankommt, daß nur 'der Sachverhalt als solcher'
dar-
gestellt wird, geschieden werden; andererseits weist die Aufforderung in (32) noch einmal darauf hin, daß die Grenzen zwischen Beschreibung und Bewertung von Sprechern häufig nicht genau erkannt werden. Auch für ein didaktisches Programm des Bewertens ergibt sich damit die Aufgabe, die Eigentümlichkeiten und Regeln der Bewertungen erkennbar zu machen. Der Inhalt von (34) zeigt schließlich, daß Bewertungen als von (beschreibbaren) Fakten abhängig gesehen werden. Damit stellt sich der sprechakttheoretischen Analyse die Aufgabe, herauszufinden, ob sich Bewertungen auf Beschreibungen reduzieren lassen. Die EPF in (34) gibt bereits einen Hinweis: 49
Zum B e g r i f f des Aufforderungsinhalts vgl. Hindelang 1978a:3off.
42
Eine ausdrückliche Zurückstellung einer Bewertung bis zum Bekanntsein relevanter Fakten ist nur für solche Situationen anzunehmen, in denen Bewertungen zum einen nicht in unmittelbarer Kenntnis eines Objekts vollzogen werden und in denen andererseits der offizielle Charakter der Bewertung gewahrt werden soll. Betrachtet man die soeben diskutierten Fragen noch einmal im Zusanmenhang, so können folgende Punkte festgehalten werden: (i) Die Austinsche Form der EPF ist für die linguistische Fragestellung nur bedingt anwendbar, da sie (a) nicht der Benennung des zu vollziehenden Sprechakts dient, sondern seiner Verstärkung bzw. der Klärung der Sprecher-Hörer-Beziehung und (b) häufig bei INTERPRETATIONEN vorkommt, einem Sprechakttyp, dessen Gemeinsamkeiten und Grenzen gegenüber den BEWERTUNGEN erst noch im einzelnen überprüft werden müssen, (ii) Die EPF in der Formulierung Austins verleitet den Linguisten leicht dazu, daß auch solchen Äußerungen performative Formeln vorangestellt werden, die im täglichen Sprachgebrauch kaum je solche Formeln haben. Dies bedeutet einen für die linguistische Analyse gewichtigen Einwand: Die Äußerungen werden unter der Hand durch die Terminologie der Theorie verändert und entsprechen so nicht mehr denen, die in der zu untersuchenden Sprache tatsächlich gebraucht werden, (iii) Bei Bewertungen sind die EPFn mit bewerten in aller Regel ihrer Funktion nach Subjektivitätsformeln, d.h. der Vorspann der Äußerung dient nicht der Benennung des Sprechakts. Aufgabe des Vorspanns ist es vielmehr, vor allem in Hinblick auf die Sprechaktsequenz den Grad der 'Verteidigungsbereitschaft' zu signalisieren, (iv) Fragt jemand danach, wie ein anderer eine Sache bewertet, so ist davon auszugehen, daß es sich um die Aufforderung zur Abgabe einer (mehr oder weniger) offiziellen Stellungnahme handelt. Damit sind Aufforderungen zu Stellungnahmen an einem äußeren Kennzeichen auszumachen. Faßt man das, was in diesem den Analyserahmen absteckenden Einleitungskapitel dargestellt worden ist, zusammen, so können zunächst die Antworten auf die oben (S. 16) gestellten Fragen formuliert werden. Anschließend werden die methodischen Vorannahmen der Analyse von Bewertungen noch einmal knapp dargestellt. Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Verb bewerten, so wie es vor allem in Äußerungsberichten gebraucht wird, und dem SAT BEWERTEN sind von der hier entworfenen Methode her gesehen nur indirekt gegeben. Eine Gemeinsamkeit wird formal dadurch hergestellt, daß Terme der Analysesprache aus Äußerungsberichten abgeleitet und zu einem allgemeinen Analyseschema verbunden wurden. Ob
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diese Konstruktion des Analyseschemas als die 'semantische Beschreibung1 des Verbs bewerten bzw. dann, wenn die Tenne des allgemeinen Schemas zu Untermustern ausspezifiziert worden sind, als die Beschreibung anderer 'Verben des Bewertens* aufgefaßt werden kann, ist abhängig davon, inwieweit die Termachsen der Konstruktion der Muster mit den semantischen Strukturen der Verben koordiniert werden können. Das Verbum bewerten seinerseits ist jedenfalls als Teil von Berichten, Aufforderungen usw. Teil einer konminikativen Handlung und als solcher kein Term der linguistischen Analyse. Die Kritik Austins an der Auffassung, daß es nur konstative Äußerungen gebe, ist damit auf die Sprechakttheorie selbst angewendet; die Kritik lautet nun: In der Sprechakttheorie werden dadurch, daß Verben als 'Namen von Sprechakten' angesehen werden, eine Reihe von unzulässigen Vermengungen zwischen der Sprache der Beschreibung der Sprechakte und der Sprache der Äußerungsebene vorgenommen. Der SAT BEWERTEN ist in der Konstruktion zusammengesetzt aus der Beschreibung eines Situationstyps ST und der in ST zum Vollzug eines Sprechakts dieses Typs geeigneten Äußerungsformen ÄUSS. bis ÄUSS . Die Verbindung untergeordneter Muster zu übergeordneten Mustern wird dadurch hergestellt, daß jedes Untermuster die Spezifikation der Terms des übergeordneten Musters enthält. Die Frage, ob es Untermuster gibt, denen kein Verb entspricht, kann erst dann entschieden werden, wenn die Untermuster konstruiert und mit den in Frage könnenden Verben verglichen werden. Die Konstruktion des Schemas und die darin enthaltene große Zahl der möglichen konstruktiven Kombinationen legt allerdings die Vermutung nahe, daß einer großen Zahl möglicher, d.h. konstruierbarer Untermuster kein einzelnes Verb entspricht. Die Aufgabe der nachfolgenden Analyse wird es damit vor allem sein, (i) herauszuarbeiten, welche Unterschiede und eventuell welche Gemeinsamkeiten zwischen dem Sprechakttyp BEWEBTEN und anderen grundlegenden Sprechakttypen (wie BESCHREIBEN, AUFFORDERN usw.) bestehen. Diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten sollen mittels des allgemeinen Bewertungsschemas beschrieben werden. Daneben geht es (ii) darum, festzustellen, welche Untermuster sich bei der Spezifikation der Terme des Bewertungsschemas ergeben und worin die Übereinstimmungen zwischen Verben in Berichten und konstruierten Untermustern bestehen. An dem festgelegten Analyseausschnitt soll (iii) sodann untersucht werden, mittels welcher Äußerungsformen welche Muster im Deutschen realisiert werden können. Eine ganze Reihe von Fragen kann allerdings bei einer Beschränkung auf
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singuläre Xußerungsformen nicht sinnvoll gestellt und beantwortet werden, da einige Eigenarten bewertender Sprechakte erst in der Sprechaktsequenz offenbar werden. Deshalb müßte die Analyse der Sprechakttypen und der Äußerungsformen durch eine Untersuchung von Sequenzen, innerhalb derer Bewertungen zentral sind, ergänzt werden. Eine derartige Untersuchung würde allerdings den Rahmen des hier Möglichen sprengen; sie muß deshalb späteren Forschungen vorbehalten bleiben. Die Fragenkomplexe (i) bis (iii) werden im 4. Kapitel der Arbeit, die Probleme der Bewertungsdialoge im abschließenden 6. Kapitel behandelt werden. Vorher werden, in dem nun folgenden Kapitel, die bisherigen Forschungen im Umfeld der Bewertungen systennatisch dargestellt. Dies geschieht einerseits, um bereits vorhandene Forschungsergebnisse im weiteren Verlauf der Arbeit berücksichtigen zu können, andererseits sollen die bisherigen Untersuchungen mit der Analyse des Sprechakttyps BEWERTEN und seiner Untermuster verglichen werden, um die Frage nach der eigenständigen Leistung der sprechakttheoretischen Methode am dann vorhandenen Beispielmaterial zu beantworten.
2.
PHILOSOPHISCHE UND SPRACHWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGEN IM UMFELD DER BEWERTUNGEN
Untersuchungen, die in der Philosophie zur Problematik des Bewertens angestellt worden sind, werden im ersten Teil der nachfolgenden Literaturübersicht insoweit berücksichtigt, als sie von der Analyse des bewertenden Sprechens ausgehen. Dabei geht es vor allem um die sogenannte Metaethik, die "eine Neubegründung der Ethik durch eine Analyse der moralischen Sprache" (Pieper 1971:144) anstrebt. Gefragt werden soll, ob sich die wichtigsten Fragestellungen und Antworten der Metaethik auf linguistische Fragestellungen übertragen lassen und ob sich daraus Hinweise für eine mögliche Klassifikation bewertender Sprechakte ergeben. Anschließend werden sprachwissenschaftliche Ansätze der Gliederung bewertender Ausdrücke (Substantive, Adjektive, Verben) dargestellt. Die zentrale Frage lautet hier: Kann es eine theoretisch fundierte Semantik von 'Wert-Wörtern1 geben? Bei der Beantwortung dieser Frage wird auf die im vorausgehenden Kapitel entworfene methodische Konzeption zurückgegriffen.
2.1
Konzepte innerhalb der Metaethik
Hatte die Ethik traditionell die Frage gestellt, was als 'moralisch gut' und was als 'moralisch verwarflieh1 angesehen werden muß, so beschäftigt sich die Ethik innerhalb der analytischen Philosophie vornehmlich mit der Frage, welches die eigentliche Bedeutung der moralischen Ausdrücke ist und welche Gesetzmäßigkeiten den ethischen Diskurs bestürmen. Diese Metaethik der analytischen Philosophie sieht von allen normativen Stellungnahmen ab; ihre Normen, so man sie als solche bezeichnen will, sind formaler, nicht inhaltlicher Natur, denn es geht vor allem darum, "Regeln für einen korrekten moralischen Sprachgebrauch" (Pieper 1971:145) aufzustellen. Derartige Diskursregeln sollen es gestatten, daß bei Auseinandersetzungen über die moralische Einstufung einer bestimmten Handlung eine Einigung erzielt werden kann. Wenn es prinzipiell unmöglich ist, in derartigen Auseinandersetzungen im rationalen Diskurs zu einer Einigung zu kommen, so sollte l
Die Eigenschaften von 'moralischen Werten 1 sowie ihre Stellung in einer Gesamtsystematik der Werte werden in Abschnitt 5.3.1 näher diskutiert.
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die Analyse der moralischen Sprache zeigen, warum dies unmöglich ist. Die grundlegenden Probleme der metaethischen Diskussion lassen sich so in vier Punkten zusammenfassen: (i) Die Diskussion nimmt ihren Ausgang bei der Frage, ob die moralischen Eigenschaften von Handlungen definiert werden können; die damit verknüpfte Frage (ii) nach der moralischen Erkenntnisweise hat zwei getrennte Komponenten, (iia) Wenn jemand sagt, eine Handlung sei gut (gerecht, rechtschaffen; böse, verwerflich etc.), so ist offen, ob er zu dieser Aussage kommt, weil die so eingestufte Handlung eine besondere Eigenschaft besitzt. Dies scheint bei sittlichen Eigenschaften nicht in gleicher Weise klar zu sein wie bei empirischen, 'körperlichen' Eigenschaften, so daß anschließend (iib) untersucht werden muß, mit welcher Art von Sinnesorgan und aufgrund welcher Fähigkeiten moralische Eigenschaften wahrgenommen werden. Von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob man (iii) der Meinung ist, daß sich Behauptungen über die moralische Qualität einer Handlung wie Behauptungen über empirische Eigenschaften als wahrheitsfähige Aussagen verstehen lassen. Die Nähe dieser drei Punkte zu linguistischen Problemen ist offenkundig. Ein letzter, originär philosophischer Streitpunkt sei um der Vollständigkeit willen angeführt: (iv) Metaethiker haben gefragt, ob die in verschiedenen moralischen Aussagen enthaltenen impliziten Behauptungen, ein Handelnder hätte auch anders handeln können, wenn er nur gewollt hätte erst damit ergibt sich die moralische Verantwortlichkeit des Agenten - zu Recht bestehen. (Vgl. dazu Aiken 1962;1965:75ff.) Die Gliederung der verschiedenen flieorien innerhalb der Metaethik wird in der Regel mit Blick auf den zweiten der hier genannten Schwerpunkte vorgenoimen. Die 'kognitiven Theorien1 gehen davon aus, daß die moralischen Eigenschaften von Handlungen objektiv bestehen und deshalb von Urteilenden als Eigenschaften der Handlungen selbst auch erkannt werden können, über die Art und Weise, wie dieser Erkenntnisprozeß sich vollzieht, besteht allerdings unter den Anhängern kognitiver Theorien keine Einigkeit. Während die sogenannten Naturalisten behaupten, moralische Eigenschaften seien auf empirische reduzierbar, was zur Folge hat, Haft normative Aussagen aus deskriptiven entweder direkt abgeleitet werden können oder aber den gleichen Status wie deskriptive Aussagen haben, behaupten die Intultionisten, daß eine Rückführung der moralischen auf die empirischen Eigenschaften nicht möglich ist. Nach ihrer Meinung werden moralische Eigenschaften in einem Akt intuitiven Erkennens, der sich von dem empirischen Erkenntnisakt grundsätzlich unter2 scheidet, wahrgenommen. Moralische Urteile lassen sich deshalb auch nicht auf deskriptive rückführen, sondern bilden eine eigene Klasse von Aussagen. Einige Logiker können insofern zu den Kognitivisten gezählt werden, als sie 2
Die Begriffe 'Intuition 1 und 'intuitiv' müssen als Tennini verstanden werden. Intuitionisten meinen nicht, daß moralische Eigenschaften 'irgendwie' erkannt werden, wie es die Alltagsverwendung der Begriffe nahelegt; für sie ist die Intuition eine dem Sehen und Hören vergleichbare Wahrnehmungsinstanz.
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die Erkennbarkeit moralischer Eigenschaften voraussetzen, um dann die Gesetzmäßigkeiten zwischen bestimmten deontischen Satzklassen zu untersuchen. Sie hoffen, die 'Wahrheit moralischer Aussagen1 dadurch nachweisen zu können, daß sie deren Systematik durchschaubar machen. Die 'Emotivisten1, wie die Vertreter nicht-kognitiver Theorien häufig genannt werden, bestreiten, daß die moralischen Urteile, wie Bewertungen überhaupt, auf irgendeine der genannten Arten rational begründbar sind. Sie glauben vielmehr, daß moralische Urteile auf der Grundlage von Gefühlen gefällt werden, so daß eine Diskussion über die Wahrheit dieser Urteile sinnvoll nicht geführt werden kann. Emotional begründete Einstellungen sind keine Erkenntnisakte. Urteile, so folgert man, haben auch gar nicht die Aufgabe, die Wahrheit eines Sachverhalts zu behaupten. In der anschließenden Frage, welche Funktion Werturteile haben, werden verschiedene Antworten gegeben. Drei Richtungen der Antwort lassen sich unterscheiden. Eine Gruppe von Metaethikern glaubt, daß mit Urteilen Gefühle und Einstellungen zum Ausdruck gebracht werden, andere gehen davon aus, daß in erster Linie Gefühle und Einstellungen beim Adressaten hervorgerufen bzw. geändert werden sollen, und schließlich wird angenommen, daß sowohl der Ausdruck wie die Hervorrufung von Gefühlen mit Bewertungen erreicht werden soll. Es fragt sich nun, welche Konsequenzen die linguistische Analyse bewertender Sprechakte aus den skizzierten Positionen der analytischen Ethik ziehen kann, wenn es um die Analyse und die Klassifikation bewertender Sprechakte geht. Vor die Entscheidung gestellt, die Diskussion um linguistische Konsequenzen entweder anhand einer viele Einzelautoren berücksichtigenden Literaturübersicht oder aber mit Hilfe der ausführlicheren Darstellung einiger weniger herausragender Vertreter der Metaethik zu führen, wird die zweite der beiden Möglichkeiten vorgezogen. Dies vor allem deshalb, weil bereits eine 4 Reihe von Zusammenfassungen aus der jüngsten Vergangenheit vorliegen. 3
Es wird in der Literatur häufig übersehen oder doch zumindest nicht gesondert darauf hingewiesen, daß formale Analyseansätze insofern eine Zwischenstellung zwischen dem kognitiven und dem nicht-kognitiven Lager einnehmen, als sie 'gesetzte Normen' voraussetzen und diese Normen nicht mehr auf ihre Rechtfertigbarkeit hin untersuchen. Überprüft wird also nicht die Rechtmäßigkeit eines Urteils an sich, sondern nur, ob sich das Urteil aus vorhandenen Normen ableiten läßt. Da auf diese Weise Normen den unangreifbaren Status deskriptiver Sätze erhalten, spart die Bewertungslogik den Grundlagenstreit zwischen Kognitivisten und Emotivisten aus. Erst dort, wo die Argumentation im Normfindungsprozeß erörtert wird, um eine rationale Entscheidung herbeizuführen, wird die deontische Logik und die mit ihr verwandte allgemeine Bewertungslogik eine kognitive Theorie.
4
Eine sehr knappe Übersicht gibt Pieper 1972; dieser Übersicht liegt die
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2.1.1 Kognitivistische Theorien C.I. L e w i s , der als Vertreter der naturalistischen Auffassung innerhalb der kognitivistischen Theorien hier behandelt wird, sagt in 'An Analysis of Knowledge and Valuation* programnatisch: Evaluations are a form of empirical knowledge, not fundamentally different in what determines their truth or falsity, and what determines their validity or justification, from other kinds of empirical knowledge. ... Predictions of a goodness or badness which will be disclosed in experience under certain circumstances and on particular occasions, are either true or false, and are capable of verification in the same manner as other terminating judgements, which predict accrual of other qualities than value. (Lewis 1946;1971:365)
Lewis rechtfertigt diese Auffassung zunächst mit einer Untersuchung des praktischen Handelns; er könnt dabei zu dem Schluß, daß keine Handlung wirklich gerechtfertigt wäre, wenn mit der Rechtfertigung nicht zum Ausdruck gebracht werden könnte, daß eine Handlung besser als die alternativen anderen ist. Dabei ist die 'Weisheit', die ein Urteil erst möglich macht, eine Kategorie der Erkenntnis, nämlich der Erkenntnis des Wichtigen und Wertvollen.5 Diese Wert-Erkenntnis ist, analog der 'gewöhnlichen' empirischen Erkenntnis, auf Basis-Werte rückführbar; die Basis-Werte entsprechen den Maßstäben, die nötig sind, damit deskriptive Aussagen möglich werden. Lewis sieht drei Haupttypen: Das direkt erfahrene Gute oder Schlechte ('directly experienced goodness or badness') ist das, was jemand bei unmittelbarer Wahrnehmung eines Objektes als gut oder schlecht empfindet. Dieser direkt erfahrene Wert ist eine objektive Eigenschaft und, wie Lewis sagt, vergleichbar der Tatsache, daß ein Teller rund ist. Die Kategorie der direkt erfahrenen Werte ist die grundlegendste der drei Gruppen, denn: "Without the experience of felt value and disvalue,. evaluations in general would have no meaning." (Lewis 1946; 1971:375) In Fällen der direkt wahrgenommenen Qualität eines Objekts gibt es keinen Irrtum, es sei denn, der Irrtum läge in der Wahl der sprachlichen Mittel begründet, mittels derer das Wahrgenommene ausgedrückt wird. Freilich stellt das Wissen um das eigene Gefühl keine Kenntnis ('knowledge') in dem Sammelbesprechung der Verf. (Pieper 1971) zugrunde, in der die wichtigsten Werke der Metaethik dargestellt und vom Standpunkt der traditionellen, normativen Ethik aus kritisiert werden. Vor allem Fragen der Grenzziehung zwischen normativer und analytischer Ethik behandelt McCloskey 1969, der auch einen Überblick über die wichtigsten Basiswerte der Ethik gibt (ebd., 163ff.). Kritisch mit der 'moralischen Enthaltsamkeit 1 der Metaethik setzt sich Frankena 1975 auseinander. Hauptfragen der Metaethik sind bei Grewendorf/Meggle 1974a zusammengestellt; die Verf. geben hier auch einen Bericht über die historische Entwicklung der Diskussion innerhalb der Metaethik. Das Verhältnis zwischen analytischer Philosophie im allgemeinen und der analytischen Ethik diskutiert Savigny 197o am Beispiel der philosophischen Methode G.E. Moores. Schließlich hat Iwin (197O;1975) die formalen Aspekte der analytischen Ethik einer Überprüfung unterzogen. Lewis hält diese Form des Wissens für die vielleicht wichtigste überhaupt, nicht nur für den Bewertenden selbst, sondern auch für dessen soziale Beziehungen: "At least half of the world's avoidable troubles are created by those who do not know what they want and persue what would not satisfy them if they had it." (Lewis 1946;1971:372/73)
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Sinne dar, wie Lewis diesen Begriff gebraucht. Die zweite Form der Bewertung, die Urteile begrenzt ('evaluations which are terminating judgements'), liegt dann vor, wenn Bewertungen einer Voraussage zugrundeliegen oder zugrundeliegen können; Lewis' Beispiel: 'Wenn ich dieses rotglühende Metall da anfasse, so werde ich Schmerz empfinden.' Hier liegt eine Form der Erkenntnis vor, denn diese Urteile können mit dem Vollzug einer Handlung verifiziert oder falsifiziert werden. Davon wiederum sind, drittens, Bewertungen zu unterscheiden, die Urteile nicht begrenzen. Hierbei wird mit der Bewertung die objektive Eigenschaft 'wertvoll für irgendetwas1 (Objekt, Zustand, Arten von Objekten etc.) behauptet, das Urteil ist jedoch zu keiner Zeit entschieden oder vollständig verifiziert. Eine Bestätigung derartiger Urteile liegt in der Fallzu-Fall-Verifizierung in Urteilen der zweiten Art. Daß bei Bewertungen keine Gefühle im Spiel sein müssen, sucht Lewis mit Beispielen wie dem folgenden nachzuweisen: Ein Urteil darüber, ob jemands Nachbar ein guter Musiker ist, wird dadurch positiv entschieden, daß dieser Nachbar schwierige Passagen aus Musikwerken spielt, und dieses Urteil ist gänzlich unabhängig davon, ob der Zuhörer das Werk nun mag, so daß ihn das virtuose Spiel erfreut, oder ob er es nicht mag. Ja selbst wenn der möglicherweise unfreiwillig zuhörende Nachbar durch das Spiel im Nachdenken gestört und deshalb ärgerlich ist, bleibt das Urteil bestehen. Von Wert-Prädikaten der bisher behandelten Art, die stets eine empirische Aussage festschreiben, sind Aussagen wie 'Das Angenehme ist das Gute' zu unterscheiden. Derartige Behauptungen sind für Lewis a priori wahr oder falsch, d.h. sie repräsentieren analytische Sätze, vergleichbar dem Satz 'Härte ist bestürmt als Widerstand bei plötzlichem Stoß' etc. Der Satz, demzufolge das Angenehme das Gute ist, kann, falls er wahr ist, durch die semantische Analyse seiner Teile als wahr bewiesen werden. Daß, unabhängig von dieser semantischen Analyse, in der realen Bewertungssituation Bewertungen inner etwas mit Gefühlen zu tun haben, ist für Lewis eine triviale Wahrheit und vergleichbar der Tatsache, daß auch die Bedeutung von hart, aus einem psychologischen Blickwinkel gesehen, mit dem Fühlen von Härte verbunden ist. Was nun weiter die Bewertung einer Sache angeht, so kann die Bewertung auf intrinsische oder aber auf extrinsische Werte zurückgehen. Intrinsische Werte liegen vor, wenn das Objekt an sich gut ist, extrinsische, wenn die Qualität des Objekts dadurch bedingt wird, daß das Objekt sich als ein Mittel zur Erreichung eines als positiv eingestuften Ziels eignet. In der Tatsache, daß Wertprädikate auf intrinsische oder auf extrinsische Werte rückführbar sind, liegt der Unterschied zu deskriptiven Prädikaten; Maßstäbe sind nicht intrinsisch oder extrinsisch. Alle extrinsischen Werte können auf intrinsische insofern zurückgeführt werden, als feststeht, that the final end by reference to which all values are to be appraised, is the end of some possible good life: that the goodness ascribable to objects is, therefore, some possible contribution of them to a life which would be found good in the living of it. (Lewis 1946;1971:395. Vgl. auch ebd., 4 8 6 f f . )
Innerhalb der Klasse der extrinsischen Werte wird nun eine weitere Unterscheidung vorgenommen. Wenn man anniimtt, daß extrinsische Werte in der allgemeinen Form ist (extrinsisch) wertvoll für B' geschrieben werden können, so ist es möglich, daß B selbst intrinsisch wertvoll ist; dies ist aber nicht notwendig der Fall. Eine Waffe kann z.B. für die Durchführung eines Verbrechens besonders gut geeignet und damit extrinsisch wertvoll für eine verwerfliche Handlung sein. Lewis schränkt den Gebrauch des Terminus 'extrinsisch wertvoll1 auf die Fälle ein, in denen B intrinsisch wertvoll ist; in allen anderen Fällen ist A instrumentell wertvoll im Hinblick auf B. Dabei ist der
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Begriff des Instrumenten (oder aufgrund seiner Nützlichkeit) Wertvollen die umfassendere Kategorie, d.h. alle extrinsischen Werte sind auch instrumenteile Werte, aber extrinsische Werte liegen nur dann vor, wenn der Zweck intrinsisch wertvoll ist. In der Frage, welcher Nutzen aus der nun referierten Analyse für die Klassifikation bewertender Sprechakte zu ziehen ist, ergibt sich eine doppelte Antwort: Die Klassifikation der Werte in intrinsische, extrinsische und instrumentelle ist nützlich vor allem, wenn es um die semantischen Probleme alltagssprachlicher Ausdrücke wie z.B. ein guter Mord geht; hier legt die Unterscheidung nahe, danach zu fragen, ob gut auf eine extrinsische oder nur auf eine instrumentelle Wertung zurückgeht. In der Terminologie der Komponentialanalyse gesprochen: Es muß in der Gruppe der Mittel-zum-ZweckWerte nicht nur das Merkmal [± wertvoll] angesetzt werden, es muß auch gefragt werden, ob der bewertende Ausdruck insgesamt eine intrinsische Wertung ist oder ob er, für den Fall, daß es sich um eine instrumentelle Wertung handelt, extrinsisch ist oder nicht. Mit der Einführung der instrumentellen Wertung verschwinden die Probleme, die sich sonst aus dem Zusammentreffen der Merkmale [+ positiv] beim Nomen und [- positiv] beim Attribut ergeben. In der Unterscheidung von intrinsischen und extrinsischen Warten, so wie sie Lewis vornimmt, liegt allerdings auch das linguistische Defizit des Ansatzes. Die Sprechaktanalyse kann bei der Feststellung, daß Wertungen eine Form der empirischen Erkenntnis repräsentieren und daß Wert-Prädikationen wahr oder falsch sind und verifiziert bzw. falsifiziert werden können, nicht stehenbleiben. Eine Beschränkung auf den aus dem sprachlichen Kontext, aus dem Dialog oder dem Gespräch herausgelösten Sprechakt Bewerten bringt die Frage, wie es um die 'Alltags-Verifikation1 von divergierenden Bewertungen steht, überhaupt nicht ins Blickfeld. Lewis' Dichotomie ist nicht aus Alltagsdialogen hergeleitet uncl ist auf diese Dialoge nicht anwendbar; die Behauptung der Verifizierbarkeit ist im Hinblick auf die gesprochene Sprache ein Postulat, von dem nicht bekannt ist, wie es eingelöst werden soll. Nur dort, wo intrinsische und extrinsische Werte aus verschiedenen 'Begründungsformen1 für Bewertungen abgeleitet werden, kann eine Erklärung der Frage gegeben werden, vor der die naturalistische These versagt: Wie kommt es, daß zwei Sprecher auf ein und dasselbe Objekt verschiedene, einander ausschließende Prädikate anwenden können? Die Einführung intrinsischer und extrinsischer Werte über verschiedene Begründungen, wie sie von Wright vorgeschlagen hat, kann hier entscheidend weiterhelfen, (Vgl. dazu unten, S. 252ff.) Ansätze einer Taxonomie von Bewertungen sind mit der bloßen Unterscheidung der Wertungstypen noch nicht erreicht; Lewis' Analyse macht deutlich, warum eine derartige Gliederung innerhalb der Metaethik nicht vorgenommen wird: Metaethische Untersuchungen sind beschränkt auf einen einzigen Sprechakttyp, der die Taxonomie nicht zu fordern scheint; sie beschäftigen sich mit moralischen Urteilen über entweder konkrete Handlungen ('Daß A seinem Bruder, der unverschuldet in Not geraten war, Geld geschenkt hat, war moralisch wertvoll.') oder über Handlungskategorien ('Einem, der unverschuldet in Not geraten ist, zu helfen, ist moralisch wertvoll'). Die Situation, in der diese Urteile gefällt werden, wird nicht näher bestimmt. Nur über die Annahme verschiedener Situationstypen aber läßt sich sagen, welche Ziele mit Bewertungen verfolgt werden. Insofern könnte hier die linguistische Einteilung der Bewertungssituationen der metaethischen Diskussion neue Impulse vermitteln. G.E. M o o r e ist der wohl bekannteste Intuitionist unter den Metaethikern. Seine Antwort auf die Frage, was die den 'guten1 Gegenständen, Ereignissen, Handlungen etc. gemeinsame Eigenschaft ist, hat er im Laufe der Zeit mehrfach abgeändert. (Vgl. Wisser 197o, bes. 331 f.) Da es hier nicht darum geht, diese Veränderungen nachzuzeichnen, sondern darum, die Grundposition des Intuitionismus zu entwerfen, werden lediglich die inhaltlichen
51 Schwerpunkte der 'Principia Ethica1 dargestellt. Moore wendet sich mit seinen Überlegungen in erster Linie gegen den Naturalisms. Vergleicht man die naturalistische Position in der Metaethik mit der intuitionistischen Auffassung Moores, so zeigt sich zunächst, daß beide Richtungen in der Frage der Erkennbarkeit von Werteigenschaften übereinstiimen. Naturalistisch sind nun nach Moore solche ethischen Theorien, nach denen das einzige Gut in einer bestimmten Eigenschaft von Dingen besteht, die in der Zeit existieren, wobei vorausgesetzt wird, daß 'gut' selbst im Hinblick auf eine solche Eigenschaft definiert werden kann. (Moore 19o3;197o:79) Ethische Theorien wie Hedonisnus und Utilitarisnus, die das Gute auf Annehmlichkeit und Lust bzw. auf die Nützlichkeit als empirisch angebbare Eigenschaften zurückführen wollen, sind spezielle Ausformungen des allgemeinen Naturalismus. Während Moore mit den Naturalisten die Erkennbarkeit von Werteigenschaften postuliert, aber der Meinung ist, daß diese Eigenschaften nicht auf deskriptive reduzierbar sind, stimmt er mit den metaphysischen Ethikern darin überein, "daß nicht alles, was i s t , ein 'natürlicher Gegenstand1 ist ... und daß unser Wissen nicht auf Dinge beschränkt ist, die wir berühren, sehen und fühlen können" (Moore 19o3;197o:164); nichtsdestoweniger muß nach Moore auch der metaphysische Standpunkt verworfen werden, da seine Antworten "keinerlei logischen Einfluß auf die Beantwortung der ethischen Grundfrage 'Was ist an sich gut?1 haben kann" (Moore 19o3;197o:2o1). Damit nun das, was einen Gegenstand oder eine Handlung zu einem guten Gegenstand und zu einer guten Handlung werden läßt, der Erkenntnis zugänglich sein kann, ohne zugleich eine empirische Eigenschaft zu repräsentieren, muß Moore zwei Kategorien einfuhren, die dies ermöglichen. Auf der einen Seite fragt er, von welcher Art die Eigenschaften positiv bewerteter Gegenstände sind. Daneben ist offen, auf welche Weise und mit welchem 'Sinnesorgan' man von der positiven (und natürlich auch von der negativen) Eigenschaft eines Bewertungsgegenstand Kenntnis erhält. Steht man nicht auf dem Boden des von Moore entworfenen Erkenntnisverfahrens, so wird man sagen, daß Moore es ablehnt, anzugeben, was die Eigenschaft 'gut1 bedeutet, weil für ihn "gut gut ist und sonst nichts" (Moore 19o3;197o:2o7). Die Eigenschaft 'gut' ist undefinierbar.6 Steht man hingegen auf der Seite des Mooreschen Systems der Werterkenntnis, so ist dies nur scheinbar ein Rückzug, denn die Erkenntnis des Guten gründet sich auf die Intuition und zwar so, d a ß d a s ... Urteil allein d u r c h s i c h s e l b s t evident oder wahr ist; daß es keine Ableitung von einem anderen Urteil außer ihm s e l b s t ist. ... W i r dürfen also d i e Intuition nicht s o aufVgl. dazu auch M. Scheler (1916;1954:36), der darauf hinweist, "daß uns, suchen wir uns ... 'gemeinsamer Eigenschaften' [von bewerteten Gegenständen] zu bemächtigen, im Grunde n i c h t s in der Hand bleibt". Auch Scheler stellt fest: "Werte ... sind also nicht definierbar." Linguistisch gesehen handelt es sich hier um ein doppeltes Problem: Zum einen geht es um die Schwierigkeit der Auffindung von etwas Bezeichnetem im Objekt. Eine Lösung müßte hier im Rahmen einer Perzeptionstheorie, die die generelle Beziehung zwischen Eigenschaften und Eigenschaftsbenennungen erläutert, erstellt werden. Auf der anderen Seite geht es um eine spezifische Frage der Kollokation: Wie ist es zu erklären, daß bestimmte Adjektive in Verbindung mit unterschiedlichen Substantiven auch Unterschiedliches bedeuten? (Die zuletzt genannte Frage wird später, in der Diskussion der sogenannten 'synkategorematischen Adjektive 1 , einer Lösung zugeführt werden.)
52 fassen, als ob sie eine Alternative zu Vernunftgründen böte. Nichts kann G r ü n d e ersetzen, wo es um die Wahrheit von Urteilen geht. Die Intuition kann nur einen Grund liefern, warum man ein Urteil für wahr h ä l t ; das allerdings muß sie dann tun, wenn ein Urteil evident ist, wenn es faktisch keine Gründe gibt, die seine Wahrheit beweisen. (Moore 19o3;197o:2o5-2o7)
Zur Erläuterung der Wahrnehnungsproblematik hat Moore ein Beispiel gewählt, das zeigen soll, daß etwas, obwohl es deutlich wahrgencnmen werden kann, doch nicht durch etwas anderes definierbar ist. Ein gelber Gegenstand kann nur erkannt werden, die Farbe ist nicht irgendwie 'definiert'. Keine Beschreibung von Farbe oder Gegenstand legt fest, was unter der Bedeutung von gelb zu verstehen ist. Alle Versuche des Naturalismus, die Bedeutung moralischer Ausdrücke mittels empirischer Sätze zu definieren, sieht Moore in Analogie zu diesem Beispiel: Wer versucht, die Bedeutung von gut oder eines anderen Wertprädikats auf empirische Eigenschaften eines Gegenstands zu reduzieren, unterliegt nach seiner Meinung dem 'naturalistischen Fehlschluß1 (naturalistic fallacy) und ähnelt dem, der glaubt, er habe die Bedeutung von gelb definiert, wenn er gelbe Gegenstände beschrieben hat. (Vgl. dazu auch Nakhnikian 1965.) Tritt man den Thesen Moores nicht mit dem vergleichsweise abstrakten Interesse des Philosophen, der die Frage nach der Definierbarkeit stellt, gegenüber, sondern fragt man nach den linguistischen Grundlagen des Philosophenstreits, so fällt hier vor allem auf, daß auch Moore ein Problem inner wieder benennt, ohne es ernsthaft in seine Argumentation mit einzubeziehen; gemeint ist das Problem der faktischen Uneinigkeit von Sprechern, die moralische (oder sonstige) Sachverhalte bewerten. Moore sieht zwar durchaus, "daß manchmal, wenn ich von einer Handlung behaupte, sie sei falsch, und jemand anders von Ihr behauptet, sie sei richtig, eine wirkliche Meinungsverschiedenheit zwischen uns besteht" (Moore 1912;1975:67). Dennoch geht er davon aus, daß moralische Urteile objektiv genannt werden müssen. Von linguistischer Seite ist es nur konsequent zu fragen, welcher Objektivitätsbegriff da eingeführt wird und was dieser Begriff im faktischen Streit zur Klärung der Ursachen des Streits oder zu seiner Entscheidung beiträgt. Moore hat, wenn er von der Objektivität moralischer Urteile spricht, nicht eine Diskurs-Wahrheit im Sinn, also eine Wahrheit, für die die Begründung und Begründbarkeit in der Argumentation ausschlaggebend sind, sondern er stützt sich konsequent auf die unmittelbare Evidenz als Kriterium der Objektivität. Seine Auffassung von der Erkennbarkeit der wahren Urteile ist vom emotivistischen Standpunkt nur darin unterschieden, daß er einen anderen Erkenntnisbegriff einführt, der nicht auf die Übereinstininung im Diskurs gestützt ist. (Vgl. Moore 1912; 1975:72) Für Moore sind somit zwei Dinge klar, die eine linguistische Analyse der Bewertungen, wollte sie Moores Ansatz sich zum Vorbild nehmen, akzeptieren müßte: (i) Die auf die Intuition gestützte Evidenz ist ein Mittel objektiver Erkenntnis, (ii) Urteile, die sich auf Evidenz berufen können, sind wahrheitsfähig.' Für die Analyse von Bewertungen, die sich vor allem auf die Tatsache der divergierenden Urteile bei ein und demselben Objekt stützt, entsteht so eine Lücke, die Moore nicht füllt. Wenn durch Evidenz, wie Moore sagt, " n i c h t der Grund, warum es [das Urteil] wahr ist" gegeben wird, sondern wenn so die Überzeugung, "daß es absolut keinen Grund hat" (Moore 19o3;197o:2o5), zum Ausdruck kommt, so heißt das nur, daß über Urteile nicht argumentiert werden kann. Damit bleiben zwei Positionen innerhalb der Untersuchung bewertender Diese Auffassung haben Emotivisten wie J.A. Ayer später vor allem angeg r i f f e n . (Vgl. Ayer 1935 ,· 197o: 145f f . }
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Sprechakte möglich: Einmal diejenige, die ihren Ausgangspunkt bei der Frage nimmt, wie über bewertende Aussagen Auseinandersetzungen geführt werden, und andererseits die, die nach der Berechtigung dieser Argumentation fragt. Oder anders gesagt: Es müßte, ehe Moores Intuitionismus überhaupt Grundlage der Analyse werden könnte, geklärt sein, ob die faktischen Sprachgepflogenheiten des Alltags letzte Instanz der Kritik sein sollen oder nicht. Zur Klärung dieser Frage aber ist es unabdingbar notwendig, die Struktur von Bewertungsdialogen und hier vor allem von Dialogen, in denen die Bewertungen der beteiligten Sprecher inhaltlich unterschiedlich sind, zu analysieren. Moores intuitionistische Ethik wird dabei mit folgender Argumentationslinie konfrontiert sein: (i) Es gibt Situationen, in denen ein Sprecher die Behauptung aufstellt, eine Handlung (allgemein: ein Objekt) sei positiv (gut; nützlich; etc.) (ii) Ein anderer Sprecher ist von der Wahrheit der gegensätzlichen Behauptung überzeugt, (iii) Es ist im Verlauf einer Diskussion nicht feststellbar, daß einer der Sprecher deshalb unrecht hat, weil er bestimmte, von beiden Sprechern als vorhanden angesehene Merkmale der Handlung (des Objekts) übersehen hat. (iv) Die Argumentation der Sprecher erbringt keine Einigung. Aus einer solchen Situation ergeben sich für Moores Theorie zwei Konsequenzen, die beide gleichermaßen unannehmbar erscheinen: Entweder man geht davon aus, daß die Intuition eines der beiden Sprecher trügt, daß also eine 'intuitionistische Sinnestäuschung1 vorliegt. Hier müßte prinzipiell offenbleiben, welcher der beiden Sprecher die Wahrheit sagt. Oder aber es werden für Bewertungen zwei (oder mehrere) Bewertungs1Wahrheiten1 zugelassen, d.h. die Behauptungen der Sprecher sind, da sie auf Intuition beruhen, beide zutreffend. Damit ist dann aber der herkömmliche Gebrauch des Wortes Wahrheit, demzufolge zwei Behauptungen, wenn sie sich widersprechen, nicht zugleich wahr sein können, außer acht gelassen. Der Intuitionismus scheitert somit vor allem an solchen Bewertungsdialogen, in denen seine Theorie der Werterkenntnis zu unauflösbaren Aporien führt. Kurt B a i e r, dessen 'rationale Grundlegung der Ethik1 nachfolgend als ein Beispiel für die logische Rekonstruktion der Bedeutung bewertender Aussagen stehen soll, geht von der seiner Meinung nach unbestreitbaren Tatsache aus, "daß wir oft wissen, ob eine Handlungsweise recht oder unrecht ist, obwohl wir es allem Anschein nach durch keinen unserer Sinne erkennen können" (Baier 1958;1974:7); er folgert, "daß Ethik im Vergleich zu den Naturwissenschaften ein primitives, veraltetes und ungenaues Unternehmen" (ebd., 12) ist. In seinem daraus resultierenden Bestreben, den Status der Ethik in Richtung auf Exaktheit und Uberprüfbarkeit zu verbessern, stellt Baier zunächst die vier Gruppen von ethischen Theorien auf, die seiner Meinung nach grundlegend verschiedene Antworten auf die Frage 'Woher wissen wir, was Hae Richtige ist?1 geben: (i) Gesetz-Theorien sind nach Baier alle die Theorien, die den Ursprung des Wissens um das Richtige auf eine mit Sanktionen drohende Autorität zurückführen. Die Autorität des Gesetzgebers erläßt Vorschriften, die zu befolgen sind. Danach wären also Aussagen über die moralische Verwerflichkeit einer Handlung umzuformen in solche, die den Verstoß Vgl. Alexy (1978:25), der davon ausgeht, daß der Intuitionismus im Ergebnis der Analyse vor denselben Schwierigkeiten wie der Subjektivismus steht: Wenn jeder Sprecher von sich behaupten darf, daß das, was er intuitiv als gut oder schlecht erkannt hat, damit auch gut oder schlecht i s t, so verbleiben am Ende doch wieder unterschiedliche Urteile gleichberechtigt nebeneinander.
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gegen ein vom Gesetzgeber erlassenes Gesetz konstatieren. Gegen die GesetzTheorien wendet Baier ein, daß zumindest bestürmte grundlegende moralische Normen jeder Veränderung durch Autoritäten widerstehen. Die intuitionistischen Theorien - Baier nennt sie (ii) Moralische-Fakten-Theorien - die einen von den Sinnesorganen unabhängigen 'moralischen Sinn1 postulieren, durch den dann der positive oder negative Wert einer Handlung erkannt wird, lehnt Baier ab, weil seiner Ansicht nach die Verantwortlichkeit des Handelnden, das unverzichtbare Kriterium des moralischen Urteils, nicht aufrechtzuerhalten ist. Derjenige, der keine oder nicht genügend 'moralische Intuition' besitzt, kann gar nicht wissen, daß er etwas moralisch Verwerfliches tut oder getan hat. Unter (iii) Reaktionstheorien faßt Baier diejenigen Theorien zusanmen, die das Wissen um das Richtige und das Falsche als unmittelbare Reaktion von Betroffenen angesichts einer Handlung sehen. Hier spricht sich Baier gegen den in diesem Ansatz enthaltenen Relativismus aus; sein Einwand: Die verurteilende oder billigende Reaktion ist kein oder zumindest kein ausreichendes Kriterium moralischer Wertungen. Bei (iv) enotiven Theorien sind Theorien der Einwirkung und imperativistische Theorien unterscheidbar. Erstere, als deren Hauptvertreter Charles L. Stevenson genannt wird, stehen überhaupt nicht vor epistenologischen Problemen, weil die Beeinflussung die ethische Frage des 'Was ist gut?' außer acht läßt.9 Gegen die iitperativistischen Theorien führt Baier an, daß sie nicht zwischen dem Inhalt einer Aussage und deren Wirkung unterscheiden. Selbst wenn die Wirkung eines Urteils der eines Befehls oder einer Aufforderung vergleichbar ist, ist der Inhalt davon unabhängig und muß deshalb auch gesondert analysiert werden. Gegen alle vier Theorien entwickelt Baier sein Konzept der Beweisbarkeit von Bewertungen, das einfach darauf hinaus läuft , d a ß e i n e E i n i g u n g ü b e r d i e z u v e r w e n d e n d e n K r i t e r i e n voraus^· g e s e t z t , Werturteile in genau derselben Weise empirisch verifiziert werden können wie nicht wertende Vergleiche und Einschätzungen. (Baier 1958;1974:77) l o
Allerdings müssen Werturteile nicht nur verifiziert, sondern auch 'gesichert' werden. Die Sicherung der Urteile umfaßt zwei Formen der Begründung: Einmal wird im Dialog getestet, ob die postulierte moralische Regel Gültigkeit besitzt, zum anderen sollen die linguistischen Regeln des Urteilens überprüft werden.1^ 9
Nach Stevenson sind ethische Urteile in jeweils äquivalente Satzpaare umzuformen; 'Diese Handlung ist gut' kann übersetzt werden in 'Ich billige diese Handlung' und in 'Billige auch du diese Handlung'. Der erste abgeleitete Satz ist eine Aussage über den emotionellen Zustand des Urteilenden, die nur vom Urteilenden selbst als wahr erkannt werden kann. Die Imperativ-Komponente zeigt, nach Stevenson, daß bei Bewertungen mittels Angabe von Gründen argumentiert werden muß; die Begründungen selbst sind deskriptive Aussagen. Eine gelungene Begründung bewirkt eine Einstellungsveränderung beim Adressaten. (Vgl. Stevenson 1944;1972) Wie noch zu zeigen sein wird, haben Vertreter einer 'Wissenschaftlichen Philosophie' wie Hans Reichenbach auf das Argument, daß Bewertungen verkappte Imperative seien, ihr Plädoyer für einen Ausschluß der Ethik aus der geforderten Wissenschaftlichen Philosophie gegründet.
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H.D. Aiken (1962;1965:Io2) merkt dazu an: "Kurt Baier ... although he ... holds that moral judgements are essentially guides to conduct, he pulls and hauls in order to show that by his definitions moral appraisals are also empirically verifiable and, hence, that they may be regarded as objective statements."
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Der Nutzen von Baiers 'moralischem Standpunkt' für die linguistische Analyse liegt vor allem in dem Nachweis, daß Bewertungen nur bei Berücksichtigung satzübergreifender Argumentationsstrukturen korrekt beschrieben werden können; die Analyse singulärer fiußerungsformen des Bewertens muß so immer auch die Einbettung der Einzeläußerung in den möglichen Dialog im Auge behalten. Baiers Verdienst ist es, auf die Begründung als dem für Bewertungen zentralen Ergänzungssprechakt hingewiesen zu haben. Die Frage, ob Bewertungen, wie Baier und Toulmin angenommen haben, wirklich analog den deskriptiven Aussagen verifiziert werden können, wenn eine zusätzliche Sicherung erfolgt, müßte freilich anhand konkreter Dialoge noch näher untersucht werden. Schon jetzt ist klar, daß für die Beanbuortung dieser Frage entscheidend wichtig ist, was in der Alltagsargumentation als Beweis gilt. Die Überlegungen Baiers und Toulmins zur Begründung von Urteilen werden im 5. Kapitel wieder aufgenommen werden. Im Gegensatz zu Baier, der die Logik moralischer Aussagen und Argumentationen informell darzustellen sucht, geht die Normenlogik daran, nach dem Vorbild der Aussagenlogik die Gesetzmäßigkeiten der Sollens- und Verpflichtungssätze in einem Kalkül zu notieren, der die formale Ableitung bzw. den Beweis neuer Sätze ermöglicht. Aus der Vielzahl der deontisch-logischen Notationssystemel 2 wird hier die Normenlogik G.H. von W r i g h t s ausgewählt. Zunächst bleibt zu fragen, wie sich Gebot, Erlaubnis und Verbot zu Bewertungen verhalten. Welche spezifischen Ähnlichkeiten und Verbindungen rechtfertigen es, die genannten Satzarten im vorliegenden Zusammenhang zu behandeln? Die Antwort ergibt sich aus dem allgemeinen Beschreibungsschema. In 1.4.3.ist festgelegt worden, daß jede positive Bewertung mit der Feststellung, daß das Objekt der Bewertung einem Wert entspricht, identisch ist. Der Terminus 'Wert' seinerseits impliziert, daß das Objekt nach der Auffassung des Subjekts der Bewertung einem vorgestellten Ideal entsprechen sollte. Jeder Wert ist dadurch charakterisiert, daß er nach Meinung dessen, der den Wert vertritt, in Wahlsituationen realisiert werden sollte. Damit kann die Analyse von Sollen-Sätzen dazu verwendet werden, die grundlegenden Merkmale von Werten zu bestinmen. Nach von Wright müssen zwei Arten deontischer Logik unterschieden werden: In der deontischen Logik des Sein-sollen-Typus werden allgemeine Sachverhalte oder Zustände behandelt, in der Logik vom Tun-sollen-Typus hingegen Handlungen. Die Variablen p und q stehen im ersten Fall für Handlungsverben, im anderen Fall für sachverhalts- oder zustandsbeschreibende Sätze. (Vgl. Wright 1974;1977:12oP Von Wright diskutiert, da er von der Grundlage einer 11
Baier geht hier auf Toulmin zurück, der ebenfalls die Begründungsmöglichkeit von Urteilen untersuchte und vor allem herausstellte, daß die Argumentation, in der Urteile begründet werden sollen, abhängig ist vom Bezugssystem der jeweils bestehenden Normen, wobei die Normen ihrerseits als verdichtete Erfahrungen verstanden werden (vgl. Toulmin 195o).
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Einen Überblick über die historische Entwicklung und die inhaltlichen Grundzüge der deontischen Systeme gibt Kalinowski 1971,-1972.
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Die hier gewählte Formulierung entspricht der von Wrights. Streng genommen geht es allerdings bei der Logik vom Sein-sollen-Typus nicht um Verben, sondern um Aussagen mit substantivierten Handlungsverben wie Rauchen ist verboten. Beim Tun-sollen-Typus werden diese Allgemeinaussagen auf die benannten Einzelfälle eingeschränkt; es geht also um Sätze der Art Hans ist es verboten zu rauchen. Die Unterscheidung von Sein-sollenund Tun-sollen-Normen entspricht damit der oben vorgenommenen Trennung von realen Objekten der Bewertung und Substraten.
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allgemeinen Handlungslogik aus argumentiert , eine deontische Logik des Tunsollen-Typus. Dabei geht es zunächst darum, die logischen Zusammenhänge zwischen einer gebotenen, einer erlaubten und einer verbotenen Handlung formal zu charakterisieren. Die deontischen Qperatoren O (Gebot) , P (Erlaubnis) und V (Verbot) geben den deontischen Status einer Handlung an; mit ihrer Hilfe lassen sich die nachfolgenden logischen Gesetze aufstellen: (1) Vp -* -^Pp (2) Op ·* Vp (3) Op + Es bedeutet (1) , daß, wenn eine Handlung p verboten ist, sie nicht erlaubt ist, (2) , daß die gebotene Handlung p nicht verboten ist, und (3) , daß das Gebot, p zu tun, dann und nur dann besteht, wenn die Unterlassung von p verboten ist. (3) kann ungekehrt formuliert werden als (4) Vp + und besagt dann, daß ein Verbot von p dem Gebot der Unterlassung entspricht. Diese Äjuivalenzbeziehung legt von Wright in der Definition (5) Vp =
fest, und er kann so, da nun der V-Operator mit Hilfe des O-Operators und des Negationszeichens ausdrückbar ist, eine Reihe von Erweiterungen durch Ersetzung vornehmen. So läßt sich nun (1) ausdrücken als (6) ·\ > ^Pp so daß formal nachgewiesen ist, daß aus der Verpflichtung, p zu unterlassen, folgt, daß nicht die Erlaubnis besteht, p zu tun. Die weiteren Ableitungsschritte müssen hier nicht im einzelnen diskutiert werden; lediglich auf die Frage, ob aus (7) %Vp ->- Pp und (2) sich logisch (8) M)^ -»· Pp ergibt, soll noch eingegangen werden. Hier kann von Wright zeigen, daß die Gültigkeit der Ableitung von der Geschlossenheit des Normensystems abhängt. Bei offenen Normensystemen gibt es Handlungen, die weder verboten noch geboten noch erlaubt sind - die Handlungen besitzen also keinen 'deontischen Status1.14 Über (8) ist so ein schwacher und ein starker Erlaubnis-Operator definierbar. Die schwache Erlaubnis impliziert, daß (8) gilt. Bei Vorliegen des starken Erlaubnisbegriffs muß (8) nicht notwendig gelten.^ Aus dem Nachweis, daß mit der Annahme der schwachen Erlaubnis große praktische Schwierigkeiten verbunden sind,^ ergibt sich allerdings, daß der Erlaubnis14
Auch hierfür finden sich bei den Bewertungen direkte Parallelen. Ein Objekt der Bewertung kann für A wertmäßig indifferent sein, weil es für A keinen Wert gibt, der die Grundlage der Bewertung bildet, oder aber, weil sich die positiven und die negativen Aspekte die Waage halten.
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Vgl. dazu die Festlegung der starken und schwachen Indifferenz bei Iwin (197o;1975:152ff.)
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So kann von Wright (1974;1977:129) zeigen, daß die schwache Erlaubnis einem Handelnden bei erlaubten Handlungsalternativen nicht die Möglichkeit läßt, eine mit Sicherheit erlaubte Handlung auszuführen; der Handelnde läuft prinzipiell Gefahr, eine nicht erlaubte Handlung auszuführen.
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begriff, der alltäglichen Interaktionen zugrunde liegt, der starken Erlaubnis der deontischen Logik entspricht. Die starke Erlaubnis läßt es zu, daß festgelegt werden kann, was eine 'geschlossene normative Ordnung1 in der deontischen Logik ist. Das Nonnensystem, das geschlossen ist, droht nur dann mit keiner Sanktion, wenn alle im System festgelegtön Verpflichtungen von einem Handelnden erfüllt worden sind. Von Wrights Begriff der geschlossenen normativen Ordnung hat, wie sich zeigen wird, eine direkte Entsprechung im Bereich der einer Bewertung zugrundeliegenden Werte. Da der im Rahmen des vorliegenden Analyseschemas festgelegte Wertbegriff beinhaltet, daß ein Objekt in mindestens einem Aspekt positiv ist, muß, wenn das Objekt als vollkonroen positiv eingestuft wird, ein in Analogie zum Wrightschen Normensystem geschlossenes Wertsystem vorliegen. Daneben kann, in Entsprechung zur deontischen Logik, eine allgemeine Bestimmung der Bedeutung von wertenden Äußerungen der Alltagssprache vorgenommen werden. 17 Ehe dies möglich ist, muß allerdings geklärt sein, in welchem Verhältnis Ausdrücke des Kalküls zu Äußerungen in der natürlichen Sprache stehen, d.h. es muß entschieden werden, welche der beiden Ausdruckklassen beim Auftreten von Widersprüchen als wahrheitsdefinit relativ zur anderen Klasse gelten soll. Da dies ein Problem der gesamten Beschreibung ist, wird seine Diskussion solange zurückgestellt, bis die übrigen metaethischen Grundsatzpositionen vorgestellt sind. 2.1.2 Emotivistische Theorien Die emotivistischen Theorien der Metaethik sind, historisch wie inhaltlich, nur dann zutreffend einzuordnen, wenn man die Auffassungen der sogenannten Wissenschaftlichen Philosophie berücksichtigt. Nachdem die Frage nach den spezifischen Merkmalen wertender Aussagen "in früheren Zeiten schon deshalb nicht so gestellt wurde, weil der natürliche Wertplatonismus der alltäglichen Weltorientierung das Entscheidungsproblem durch sprachliche Fusion von Werten und Tatsachen auf die Erkenntnisebene zu transponieren pflegt" (Albert 1968;1975), so daß es als nahezu selbstverständlich erschien, Werturteile kognitiv zu interpretieren, haben die den Erkenntnisnormen der Naturwissenschaften verpflichteten Philosophen des Wiener Kreises und ihre Nachfolger den Unterschied zwischen Wert- und Tatsachenaussagen betont und theoretisch begründet. Eine der klarsten und verständlichsten Darstellungen hat Hans R e i c h e n b a c h gegeben. Reichenbachs Kernthese: "Die moderne Analyse der Erkenntnis macht eine kognitive Ethik unmöglich" (Reichenbach 1951;1977:31o). Die Richtigkeit der These kann nach Meinung Reichenbachs gezeigt werden, wenn (i) über die Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätzen, (ii) über die Aufgaben der Logik bei der Ableitung moralischer Urteile aus grundlegenderen Urteilen und (iii) über die logische Struktur von Befehlssätzen im allgemeinen wie über moralische Direktiven im besonderen Klarheit besteht. Mit der Entdeckung, daß es keine kognitiven synthetischen Sätze apriori gibt, sondern daß alle Sätze entweder empirisch sind und damit von Erkenntnis V o r a u s s e t z u n g e n abhängen^" oder 17
Vgl. dazu die Beschreibung der Bedeutungsstruktur von Bewertungen in 5 . 3 . 2 .
18
Reichenbach macht dies an der Entwicklung der Raumvorstellung deutlich: "Die Entwicklung der Geometrie hat uns ... gezeigt, ... daß es keine Einsicht in die Natur des Raumes gibt, sondern daß verschiedene Raumformen möglich sind und infolgedessen geometrische Beweise nur wenn-dann-Aussagen, nämlich Beziehungen zwischen Axiomen und Lehrsätzen, l i e f e r n . " ( E b d . , 3 1 1 )
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aber logisch wahr, dann aber inhaltlich 'leer1 sind, ist die Konsequenz verbunden, daß auch in der Ethik nur aus bereits anerkannten Prämissen gültige andere Sätze abgeleitet werden können. Die Logik liefert keine Begründung der letzten Urteile: Die Axiome selbst sind nicht mehr ableitbar und auch nicht selbstevident. Dieser erste Teil der Begründung ist für eine linguistische Analyse nur mittelbar relevant;19 hingegen enthält die Analyse der 'moralischen Sätze1 eine direkte Anleitung der Beschreibung alltäglicher Bewertungen. Reichenbach unterscheidet streng zwischen Aussagen, die die Eigenschaft 'wahr1/ 'falsch' haben, und Anweisungen, Befehlen, Wünschen usw. Letztere haben zwar einen Sinn, dieser ist jedoch,im Gegensatz zum 'kognitiven Sinn1 der Aussagen, ein 'instrumenteller Sinn", der sich darin ausdrückt, daß mit jeder entsprechenden Äußerung der Sprecher die Sprache als Instrument zur Verwirklichung seines Willens einsetzt. Zwei grundlegende Möglichkeiten sind dabei zu unterscheiden: Eine Aufforderung usw. besitzt eine "implikative Bedeutung1, wenn sie ein Sprecher äußert, um damit zu erreichen, daß ein Adressat etwas tut/unterläßt, was indirekt den Zielen des Adressaten entspricht. Hier ist die Verpflichtung, die aus der Aufforderung sich ergibt, eine logische, keine moralische. Wenn dagegen ein 'subjektiver Imperativ' ausgedrückt wird, "enthalten ethische Direktiven eine unabtrennbare Bezugnahme auf den Sprecher und sind der Ausdruck seiner Willensentscheidung" (Reichenbach 1951; 1977:323). Damit ist z.B. ein Satz wie Lügen ist unmoralisch eine 'pseudoobjektive Redeweise', die in Wirklichkeit die Einstellung bzw. einen Wunsch des Sprechers zum Ausdruck bringt. Reichenbach geht deshalb davon aus, daß die bewertenden Äußerungen, was die ihnen zugeordneten Denotate anbelangt, den 'reflexiven Zeichen1 entsprechen.2o Als solche haben sie keine vom Sprecher unabhängigen Denotate, sondern sie wechseln diese mit dem jeweiligen Sprecher. Damit hat, folgt man Reichenbach, die Analyse bewertender Äußerungen drei grundsätzliche Voraussetzungen zu beachten: Bewertungen können (i) auf Imperative zurückgeführt werden. Bewertungen haben entweder (iia) implikative Bedeutung oder aber (iib) reflexive Bedeutung. Im Falle der inplikativen Bedeutung muß die Analyse, da die Werte, von denen der bewertende Sprechakt abhängig ist, als feststehend präsupponiert werden, (iiia) die Schritte der Ableitung untersuchen; die Wissenschaftszweige, die dies zu untersuchen haben, sind auf der Seite der Philosophie die Wertlogik, Im Bereich der Linguistik die Dialog- oder Gesprächsanalyse, die sich mit den Formen des Begründens von Bewertungen auseinanderzusetzen hat. Bewertungen mit reflexiver Bedeutung stellen Willensentscheidungen des Sprechers dar; deshalb muß (iiib) die linguistische ebenso wie die formallogische Analyse deutlich machen, daß zwar (Zur Kritik der Annahme ethischer Axiome vgl. Reichenbach 1951;1977: 462ff.). 19
Sich der Meinung Reichenbachs anzuschließen bedeutet, und darin besteht diese mittelbare Relevanz: da die ersten und grundlegenden Prinzipien der Wertung keine Erkenntnisakte, sondern Setzungen der Sprecher sind, kann keine rationale Kritik mehr geübt werden. Wohl aber können die Dialoganalysen zeigen, welche Fehler in Ableitungs- und Folgerungsprozeduren zu welchen Mißverständnissen führen, bzw. darlegen, wie eine formal korrekte Auseinandersetzung geführt werden müßte.
20
Während Zeichen gewöhnlich auch dann, wenn sie von verschiedenen Individuen und bei unterschiedlichen Gelegenheiten gebraucht werden, dasselbe Denotat haben, ändert sich das Denotat reflexiver Zeichen mit dem Benutzer bzw. dem Zeitpunkt der Anwendung. (Vgl. dazu Reichenbach 1947;1966:
59 21 die kognitiven Korrelate der Bewertung mit reflexiver Bedeutung durch die Psychologie verifiziert oder falsifiziert werden können, daß aber die bewertenden Äußerungen selbst ebensowenig wie Aufforderungen, Wunsch- oder Befehlssätze wahr oder falsch sind. Alfred Jules A y e r, der hier als Vertreter des Emotivisnus innerhalb der Metaethik vorgestellt wird, argumentiert ganz auf der Linie des logischen Positivismus. Sein Ziel ist es, nachzuweisen, daß die Metaphysik durch "eine pseudowissenschaftliche Verdoppelung der empirischen Welt" (Pieper 1973:4o) u.a. Werte als Wesenheiten postuliert und dadurch zu falschen Schlüssen kommt. Das Mittel, mit dem Ayer diesen Nachweis führen will, ist die Unterscheidung der möglichen Sätze in wissenschaftlich sinnvolle und wissenschaftlich nicht sinnvolle. Kriterium eines wissenschaftlich sinnvollen Satzes ist, daß "die durch ihn ausgedrückte Proposition ... entweder analytisch oder empirisch verifizierbar ist" (Ayer 1935;197o:1o). Werturteile sind für Ayer Beispiele für Sätze, die wissenschaftlich nicht sinnvoll sind, weil "der Ausdruck eines Werturteils keine Proposition ist" (ebd., 31). Wenn Werturteile keine Proposition enthalten, so ist zu fragen, als was sie aufgefaßt werden sollen. Auf diese Frage gibt es für Ayer keine einheitliche Antwort, weil es in der Ethik vier verschiedene Klassen von Äußerungen gibt. Es gibt (i) Propositionen, die Definitionen ethischer Begriffe geben oder ein Urteil über die Möglichkeit oder Berechtigung solcher Definitionen fällen, (ii) Beschreibungen moralischer Erfahrungen und der Ursache dieser Erfahrungen, (iii) Ermahnungen zu richtigem Handeln und (iv) die ethischen Urteile im eigentlichen Sinn. Die letzten drei Äußerungstypen haben nach Meinung Ayers in der wissenschaftlichen Ethik keinen Platz. Allein die erste Kategorie kann Gegenstand der Wissenschaft sein. Ayer geht nun der Frage nach, ob ethische Begriffe auf nichtethische reduziert werden können. Diese Reduktion hält er prinzipiell für möglich, meint aber, daß sie mit den "Konventionen unserer wirklichen Sprache" (Ayer 1935;197o:139) nicht übereinstimmt, weil dort Sätze über psychologische oder sonstige empirische Tatsachen nicht als ethische Aussagen verstanden werden. Als einen Sonderfall, der wegen des Vorkomnens ein und desselben Wortes in doppelter Funktion leicht zu Verwechslungen führt, behandelt Ayer in diesem Zusammenhang Äußerungen der allgemeinen Form X ist falsch. Falsch kann hier einerseits in deskriptiver, andererseits in normativer Funktion eingesetzt werden. Als normatives Symbol drückt falsch nicht aus, daß im empirischen Sinn eine Eigenschaft besitzt, die so zu bezeichnen ist. Sätze dieser Art können deshalb auch nicht bewiesen werden, auch nicht - und hier wendet sich Ayer gegen Moores Intuitionismus - durch eine eigens für diesen Fall konstru251ff. Reichenbach teilt hier die 'token-reflexive-words 1 in solche der Person (ich; du; wir) und solche der Raum-Zeit-Punkte (jetzt; gestern; hier; etc.); dazu auch McMahon 1976: 6 1 f f . ) 21
Äußerungen wie Lügen ist unmoralisch implizieren einerseits Wünsche oder Befehle (Jch möchte nicht, daß du lügst./ Lüge nicht!), andererseits die Einstellung des Sprechers, die sich in Form einer indikativischen Aussage wiedergeben läßt (Der Sprecher hat die Empfindung, daß Lügen unmoralisch ist.). Die letztgenannte Form der aus Wertungen ableitbaren Sätze steht, in Reichenbachs Terminologie, für die kognitiven Korrelate reflexiver Wertungen; es handelt sich um Aussagen, die prinzipiell als wahr oder falsch bewiesen werden können. Ähnlich argumentiert Carnap (1928;1961), der 'Werterlebnisse1 ähnlich den 'Wahrnehmungserlebnissen 1 sich aus Sinnesdaten konstituierend versteht. Dabei geht Carnap allerdings insofern weiter als Reichenbach, als für ihn "der Wert ... nicht selbst erlebnishaft oder psychisch [ist], sondern ... unabhängig vom Erlebtwerden [besteht]" (ebd.,2o3)
60 ierte 'besondere Erkenntnisweise'. Die intuitionistische Erkenntnis erfüllt das allgemeine Kriterium wissenschaftlichen Erkennens nicht, weil es keine Entscheidungsverfahren gibt, wenn mehrere Urteilende aufgrund ihrer Intuition zu unterschiedlichen Urteilen gelangen.22 Der Ausweg aus dem so entstehenden Dilemma liegt, so meint Ayer, an der Stelle, wo erkennbar wird, daß ethische Begriffe 'Pseudobegriffe' sind; dies aber ist deshalb so, weil "das Vorhandensein eines ethischen Symbols in einer Proposition ... ihrem tatsächlichen Inhalt nichts hinzu[fügt]" (Ayer 1935;197o:141). Es war Unrecht, daß er ihn getötet hat sagt demzufolge nicht mehr aus als Er hat ihn getötet.23 Das moralische Urteil ist lediglich ein in Worte gefaßter Verweis auf die Gefühle des Sprechers, was in der Tatsache zum Ausdruck kommt, daß das Urteil allein durch den Tonfall (bzw. durch ein Ausrufezeichen) ebenfalls ausgedrückt werden kann. Neben der Aufgabe, die Empfindungen des Sprechers auszudrücken, gehört es zu derartigen Urteilen, daß sie Empfindungen beim Sprecher hervorrufen sollen. 2 4 weder der Ausdruck noch das Auslösen eines Gefühls kann jedoch das Kennzeichen einer Proposition, nämlich wahr oder falsch zu sein, besitzen. Wenn zwei Sprecher sich über moralische Urteile streiten, so ist dieser Streit verfehlt, weil keiner von beiden überhaupt eine Proposition behauptet.25 Ayers Auffassung impliziert zweifellos einige auch für die Sprechaktanalyse zentrale Thesen. Die erste dieser Thesen lautet: Echte Werturteile (im Sinne Ayers) sind keine Aussagen über die Gegenstände, die beurteilt werden, sondern über die Gefühle, die durch die Objekte im Sprecher hervorgerufen werden. 22
Diese Auffassung hat bereits Moritz Schlick, dem sich Ayer im übrigen verpflichtet weiß (vgl. Ayer 1935;197o:38), in seinem Aufsatz 'Gibt es intuitive Erkenntnis? 1 vertreten: "Zum Erkennen gehören zwei Glieder: etwas, das erkannt wird, u n d dasjenige, a l s d a s e s erkannt wird" (Schlick 1913: 4 7 7 ) . Zur Verwirrung trägt ohne Zweifel bei, daß Bewertungen diese Forderung formal zu erfüllen scheinen; es wird die Behauptung aufgestellt, daß das Objekt der Bewertung einer bestimmten Objektklasse zugehört.
23
Ayers eigenes Beispiel Du tatest Unrecht, als du das Geld stahlst (vgl. Ayer 1935;197o:141) ist insofern nicht gut gewählt, als das Verbum stehlen als eine Gebrauchsbedingung die Unrechtmäßigkeit bei der Handlung des Wegnehmens enthält. Hier wird also dem Inhalt deshalb nichts mehr hinzugefügt, weil die Bewertung bereits mit dem Verb ausgedrückt ist.
24
Diese Doppelfunktion der 'emotiven Bedeutung1 haben bereits Ogden und Richards (1923;1974:146ff.) hervorgehoben.
25
Hier verfängt allerdings Ayers erwähntes Argument vom "tatsächlichen Sprachgebrauch' und wendet sich gegen ihn: denn ohne Zweifel kommt es vor, daß über moralische Urteile und sonstige Bewertungen gestritten wird. Ayer scheint dies auch ausdrücklich anzuerkennen. Zwar versucht er zu zeigen, daß sich dabei "der Disput nicht wirklich um eine Wertfrage, sondern um eine Tatsachenfrage" (Ayer 1935;197o:146) dreht, nämlich um die Frage, ob der Gesprächspartner die für die Beurteilung relevanten F a k t e n berücksichtigt hat. Dieses Argument kann aber nicht mehr dort gelten, wo die Kontrahenten nebeneinander stehend ein und dieselbe Handlung, die sich soeben vor ihren Augen abgespielt hat, beurteilen - es sei denn, man läßt die Auffassung zu, daß beide auch in dieser Situation 'Verschiedenes1 gesehen haben. Damit aber würde Ayers empiristische Position von ihrer perzeptionellen Implikation her angreifbar, denn dann wäre offensichtlich die Wahrnehmung nicht mehr eine verläßliche Grundlage des Urteils über Wahres und Falsches.
61
Bewertungen sind deshalb - formal gesehen - Relationen zwischen dem Objekt der Bewertiong und dem Gefühl des Sprechers. Da aber allein der Sprecher selbst seine Gefühle wirklich kennt, sind Urteile nicht intersubjektiv überprüfbar. Äußerungen der Form X ist gut/schlecht müßten demnach als ein verkürzter Ausdruck von X ruft in mir ein positives/negatives Gefühl hervor verstanden werden. Die dem Urteil zugrundeliegenden Emotionen können verschiedene Gefühlsbereiche betreffen: Dankbarkeit, Pflichtgefühl, Loyalität wären ebenso in Gefühlen verankert wie Scham, Schuldgefühl und Sinn für Schönes.26 Offen ist allerdings, welche logische Qualität unter diesen Voraussetzungen alltagssprachliche Argumente zur Begründung von Bewertungen besitzen oder besitzen können. Da Ayer sich in erster Linie mit philosophischen Positionen auseinandersetzt, gibt er in diesem Punkt keine klare Antwort. Sein Hinweis, daß die alltagssprachlichen Auseinandersetzungen nicht als Streit über Urteile selbst, sondern als Streit über Fakten, die zu den Urteilen führen, aufgefaßt werden müssen, gibt keine Entscheidungshilfe in der Frage nach dem Status alltagssprachlicher Argumente: Sind auch noch Argumentationsformen, die in der Auseinandersetzung um divergierende Bewertungen zu keiner Einigung führen, Maßstab der Analyse? Anders gefragt: Ist die Alltagssprache unhintergehbares Vorbild der logischen Analyse, oder kann die logische und die lin- 1 guistische Analyse Fehler aufdecken und Ratschläge für das "bessere Bewerten geben? Diese Fragen bleiben bei Ayer unbeantwortet. Die linguistische Sprechaktanalyse muß entscheiden, ob Ayers 'emotive Reduktion' der Bewertungen überncmnen werden kann, wobei gleichzeitig mitbedacht werden muß, welche Auswirkung eine Entscheidung in die eine oder die andere Richtung vor allem für die Dialoganalyse hat. Hier wird ein Defizit der metaethischen Diskussion insgesamt sichtbar: Obwohl es einer der Grundsätze dieser Diskussion ist, Schwierigkeiten und Probleme der Ethik durch Analyse der bei der Formulierung ethischer Urteile und Normen verwendeten Sprache aufzulösen, wird nicht deutlich gemacht, welches der Maßstab sein soll, an dem die Richtigkeit eines Analyseergebnisses gemessen werden soll. Das zuletzt genannte Defizit der Metaethik, die Unklarheiten in der Maßstabfindung, kann an die Spitze einer kritischen Zusammenfassung gestellt werden. Drei Positionen sind, blickt man auf das bisher Dargestellte, denkbar. Die erste besteht in der Annahme, daß die alltäglichen Sprach- und Urteilsgewohnheiten unhintergehbares Vorbild sind. Die Ergebnisse jeder Sprachanalyse im fraglichen Bereich wären dann an diesem Vorbild zu messen, und nur dort, wo es gelingt, die Strukturen des faktischen Sprachgebrauchs nachzuzeichnen und dabei zu mit der alltagssprachlichen Gewohnheit übereinstimmenden Ergebnissen zu können, läge ein Erfolg vor. Die zweite der möglichen Antworten bestünde in der Hiese, daß in der Alltagskonnunikation bei der Formulierung von Nonnen und bei der Ableitung von Urteilen aus vorhandenen Normsätzen manchmal korrekt, manchmal aber auch nicht korrekt vorgegangen wird. Hier wäre die formale Rekonstruktion einer Wertlogik der Maßstab, an dem das faktische Sprechen zu messen ist. Die dritte Möglichkeit besteht schließlich 26
Eine Systematisierung der Gefühle hat später W.F. Aiston (1969) vorgenommen. Aiston diskutiert auch die Schwierigkeiten, die sich bei der Abgrenzung der einzelnen Gefühle ergeben.
62
darin, die Bewertungen als eine Form des Sprechens anzusehen, die, aufgrund einer Unzulänglichkeit der Alltagssprache, Mißverständnisse notwendig hervorbringt. Diese dritte Antwort ist mit der zweiten darin verwandt, daß sie die Analyseergebnisse als Maßstab ninnrt; sie geht allerdings insofern über die zweite Antwort hinaus, als sie a l l e Urteile über moralische Fragen strukturgleich mit Befehlen und Aufforderungen sieht. Eng verknüpft mit den drei genannten Antworten sind die Fragen um die Erkennbarkeit bzw. die Faktizität von Werten. Auch hier müßte in der soeben beschriebenen Weise zunächst festgestellt werden, ob Sprecher bei Urteilen normalerweise davon ausgehen, Haft sie den Wert einer Sache eindeutig erkannt haben, oder ob diese Annahme nicht gemacht wird. Dies setzt voraus, daß geklärt ist, anhand welcher Kriterien dies festzustellen ist. Sodann müßte entschieden werden, ob diese Annahmen gegenüber der Analyse präskriptiven Charakter haben oder nicht. Beide Fragenkomplexe wurden in der Metaethik, soweit an den behandelten Beispielen ersichtlich wurde, nicht ausreichend diskutiert und deshalb auch nicht klar beantwortet. Der Grund hierfür ist - und damit wird der, von der Seite der linguistischen Analyse her gesehen, entscheidende Kritikpunkt formuliert - , daß, trotz der Programmatik der Metaethik, derzufolge ethische Probleme durch die Analyse der Urteile über ethische Fragen, also durch Sprachanalyse, geklärt werden sollen, das untersuchte Material in seinem Umfang gering ist. Weder sind die moralischen Urteile in einer Taxonomie geglie27 dert , noch wird die Frage der Beweisbarkeit der Urteile an Dialogen behandelt, in denen Sprecher versuchen, Bewertungen und Urteile, denen von einem Adressaten widersprochen wurde, zu begründen. So besteht die Hoffnung, daß eine linguistische Analyse, die auf Sprachmaterial größeren Umfangs gestützt ist, einige der umstrittenen Fragen der Metaethik wenn schon nicht beantworten, so doch präzisieren und der Beantwortung näher bringen kann.
27
Es ist ein Unterschied zu machen zwischen einer Klassifikation der Werte, wie sie beispielsweise bei C.I. Lewis (1946;1971) in Ansätzen entwickelt ist, und der Klassifikation von Urteilen bzw. von Bewertungen. Eine Taxonomie der Werte eröffnet zwar die Möglichkeit auch einer Gliederung der Urteile; diese Gliederung ist jedoch keineswegs die einzig mögliche; sie kann und muß jedoch durch eine große Zahl anderer Faktoren, wie etwa durch die Einbeziehung der Relation Subjekt bzw. Adressat - Objekt der Bewertung ergänzt werden.
63
2.2
Die Behandlung von Bewertungen innerhalb der Sprachwissenschaft
Die Sprachwissenschaft befaßt sich traditionell auf drei Ebenen mit Bewertungen: (i) In der Sprachphilosophie, zu der hier auch die Semantiktheorie gezählt werden soll, (ii) in konkreten Untersuchungen sprachlicher Ausdrücke, wie (iia) 'wertender Adjektive1, 'wertender Substantive' und 'Verben des Bewertens'. Von diesen Untersuchungen auf der ttarphem- bzw. der Lexemebene sind andere zu unterscheiden, die sich (üb) vor allem im Umfeld der 'funktionalen Granmatik1 mit den Aufgaben der Sätze in Äaßerungssituationen befassen. Während Grammatiken, die den Satzbauplänen des Deutschen nur mit morphologisch-syntaktischen Fragestellungen gegenübertreten, zwischen beschreibenden und bewertenden Sätzen so lange keinen Unterschied machen, als beide Satztypen in der Gestalt des Aussagesatzes auftreten, erfaßt die Iheorie der funktionalen Grammatik auch hier den Unterschied. Als eine Verbindung zwischen (iia) und (iib) in einem Sonderbereich kann die Untersuchung (iic) beleidigender Äußerungen oder (iid) von Euphemismen verstanden werden; letztere wurden allerdings auch als einzelne Lexeme analysiert; sie stehen so mit (iie) Untersuchungen von Schimpfwörtern auf einer Stufe. Ist die allgemeine Frage, die unter (ii) gestellt wird, die, ob ein sprachlicher Ausdruck als bewertend einzustufen ist, so fragt (iii) die Stilistik, wie ein gegebener Ausdruck bewertet wird. Ob ein Wort oder ein Ausdruck der Umgangssprache, der Vulgärsprache oder der 'gehobenen Sprache* zugerechnet wird, ist eine Bewertung, die durch die Stilistik entschieden werden soll. Auch Festlegungen wie 'veraltet1 oder "Modewort1 gehören hierher. Die vorliegende Untersuchung macht es sich nicht zur Aufgabe, unter Zuhilfenahme einer neuen Analysemethode die drei genannten Gebiete für das Deutsche zu untersuchen. Was jedoch gezeigt werden soll, ist die Tatsache, daß das unter 1. entwickelte Modell die Fragestellungen aller drei Ebenen zu integrieren vermag. Vorher jedoch zu den Inhalten der bisherigen Forschungen auf den genannten Gebieten. 2.2.1 Sprach- und Semantiktheorie Seit K.O. E r d m a n n den Versuch gemacht hat, ein System des 'Nebensinns und Gefühlswertes der Wörter' (so der Titel des 4. Abschnitts von Erdmann 191o; 1966) aufzustellen, sind in der Sprachwissenschaft zwei eng beieinander liegende Forschungsrichtungen etabliert. In der einen geht es darum, die im Gebrauch vieler Wörter 'mitschwingenden1 1 Gefühlsmcinente darzustellen, in der anderen werden sogenannte 'Wertwörter nach verschiedenen Gesichtspunkten gesammelt und geordnet. Das erstgenannte Gebiet ist Teil der Semantiktheorie, das zweite kann als ein Teil der Lexikologie aufgefaßt werden.
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Erdmann hatte an Wörtern dreierlei unterschieden, nämlich den begrifflichen Inhalt, den Nebensinn und den Gefühlswert (oder Stimtnungsgehalt). Mit der Unterscheidung zwischen Inhalt und Nebensinn wird das Denotat eines Wortes dem 'Vorstellungswert der Namen1 gegenübergestellt.2^ Der Gefühlswert eines Wortes hat "mit den objektiven Merkmalen des begrifflichen Inhalts nichts zu tun" (Erdmann 191o;1966:11o) ,29 vielmehr wird hier durch die Verwendung eines bestürmten Wortes die Stimmung oder die Einstellung des Sprechers ausgedrückt. Im Anschluß an Erdmann weist S p e r b e r darauf hin, daß die Sprache "dem Sprechenden nicht nur ein Mittel zur V e r s t ä n d i g u n g mit ändern Individuen, sondern in mindestens ebenso hohem Grade ein Mittel zur A f f e k t ä u ß e r u n g " (Sperber 192o;1965:37) ist. Sperber geht insofern über Erdmanns Ansatz hinaus, als er nicht allein Substantive, Adjektive oder Verben als 'Affektträger1 versteht, sondern beispielsweise auch bei Präpositionen der Meinung ist, daß auch sie "in bestinmten Zusammenhängen Träger von Gefühlstönen werden" (ebd., 43). Diese starke Betonung der Gefühlskomponente innerhalb der Sprache rückt Sperber in die Nähe der 'effektiven Linguistik1 von Charles Bally und J. Vendryes. Bally geht davon aus, daß die Bedeutung j e d e r Aussage von emotiven Komponenten mit bestimmt wird.3° Damit ist gleichzeitig gefordert, daß sich die Linguistik nicht auf Analysen auf der Ebene der langue beschränke, sondern auch, in einer linguistischen Stilistik, die Mittel erforschen solle, welche es Sprechern ermöglichen, emotionale Einstellungen auszudrücken. Vendryes sieht Sprache aufgeteilt auf drei Ebenen: ... On ne parle pas seulement pour formuler des idees. On parle aussi pour agir sur ses semblables et pour exprimer sä propre sensibilite. C'est-ä-dire qu'en prenant comme base, suivant l'enseignement de l'ecole, la triple distinction de l'intelligence, de la volente et de la sensibilite, il y a lieu de distinguer du langage logique le langage actif et le langage affectif. (Vendryes 1921:162)
Festzuhalten bleibt hier, daß Vendryes mit seiner Unterscheidung eines logischintellektuellen, eines Willens- und eines Gefühlsbereichs indirekt auch auf drei umfassende Sprechakttypen hinweist: Sprecher machen Aussagen, um andere Sprecher über gewisse Sachverhalte zu informieren, um die anderen Sprecher dazu zu bringen, etwas zu tun und um gegenüber anderen eigene Gefühle und Einstellungen auszudrücken. ,Charles E. O s g o o d hat in verschiedenen Arbeiten den Versuch gemacht, 28
Mit Friedrich II. von Preußen und der Alte Fritz - so Erdmanns Beispiel ist ein und dieselbe Person gemeint; der mit der Nennung der beiden Bezeichnungen jeweils aktualisierte Nebensinn ist verschieden. Weil jeder der beiden Namen "eine andere Seite dieser Person in den Vordergrund des Bewußtseins hebt" (Erdmann 191o;1966:1 7 ) , haben sie nach Erdmann unterschiedliche Bedeutung.
29
Vgl. allerdings Ludwig (1978:258), der davon ausgeht, daß "auch die allgemein als Wertungskomponente postulierten Bedeutungselemente begrifflicher Natur sind".
30
Bally (1935;1951:151/52) vertritt die Auffassung: "Notre pensee occille entre la perception et l'emotion par eile nous comprenons ou nous sentons ... La pensee est orientee vers l'un ou l'autre des _ses poles, sans jamais les atteindre completement".
31
Nähere Einzelheiten zur nachfolgend referierten Methode in Osgood/Suci/ Tannenbaum 1957;1971. Die Messung der 'affektiven Wortbedeutung 1 wurde
65
die Bedeutung von Wörtern mit eupirisch-quantifizierenden Methoden festzustellen. Osgood unterschied innerhalb dieser Arbeiten u.a. zwischen einer denotativen und einer konnotativen Bedeutung von Wörtern; erstere ist bestinmt durch die Relation Objekt - Zeichen, die letztere durch die beim Hörer durch das Wort assoziierten, effektiven Einstellungen (vgl. Osgood/May/ Miron 1975:393ff.). Eine Klasse von Wortbedeutungen wird dadurch erfaßt, daß den Testpersonen siebengradige Skalen vorgelegt werden, die Werte von -3 bis 0 bzw. von 0 bis +3 umfassen. Die Testpersonen tragen auf den Skalen ein, an welcher Stelle sie das getestete Wort zwischen den polaren Begriffen an den Enden der Skala einordnen würden. Faktorenanalysen, die auf der Grundlage dieser Erhebungen durchgeführt wurden, ergaben, daß die Wörter im Bereich ihrer konnotativen Bedeutung durch drei weitgehend voneinander unabhängige Eigenschaftstypen bestimmt sind, nämlich durch wertende Eigenschaften wie gut - schlecht, sanft - grob, durch solche der Stärke (stark - schwach,· breit - schmal) und schließlich der Aktivität (mächtig - ohnmächtig; aktiv passiv). Die Kurven, die dann entstehen, wenn die jeweiligen Durchschnittswerte auf den Skalen miteinander verbunden werden, zeigen nach Osgood in ihrer Annäherung bzw. in ihrem Unterschied den Grad der Bedeutungsähnlichkeit an. Die Kritiker dieser sogenannten 'Technik des semantischen Differentials1 haben vor allem zweierlei iirmer wieder gegen Osgood angeführt: (i) Isolierte Wörter lassen eine genaue Bedeutungsanalyse nicht zu, weil ein wesentlicher Teil der Bedeutung durch den Kontext, in dem das Wort auftritt, mit bestimmt ist. (Das einfachste Beispiel sind hier Homonyme, deren denotative Bedeutung überhaupt erst durch den Kontext festgelegt wird.) (ii) Die Schlüsselbegriffe des Differentials sind ihrerseits unscharf; ob ein Wort eher die Assoziation 'gut1 oder deren Gegenpol 'schlecht' auslöst, hängt auch von der Bedeutungszuschreibung der Wörter gut und schlecht und damit zugleich von persönlichen Erfahrungen, Einschätzungen und Assoziationen der Testpersonen ab. Daß darüber hinaus Adjektive wie gut prinzipiell im sprachlichen Kontext analysiert werden müssen,11 hat J.J. K a t z in seinem Aufsatz 'Semantic Theory and the Meaning of 'Good ·*2 theoretisch begründet. Katz' These: "... The meaning of 'good' cannot stand alone as a complete concept" (ebd., 781)^· . Bei der Diskussion dieser These geht es zunächst um Sätze der Form Art-N-istgut, um Sätze also, in denen gut als ein 'adjektivischer Modifikator' eines Nomens fungiert. In der Schreibweise der indizierten Klammerung: « ( ->Art
(
-VNP
(((Preeent
WAux
(3 1 )
'^WprädVs
Hier gibt die Klammerung die syntaktische Information, daß gut als Modifikator mit Osgood/May/Miron 1975 vorgenommen; dabei unternahmen die Autoren den Versuch, einen 'Atlas der effektiven Bedeutung 1 zu erstellen (vgl. ebd., 191ff.) . 32
Dieser Aufsatz stellt den Versuch dar, mittels linguistischer Methoden der Bedeutungsbeschreibung das 'philosophisch schwierige 1 Wort gut so zu analysieren, daß Antworten auf einige traditionelle philosophische Fragen gegeben werden können. Dabei geht Katz davon aus, daß in der Philosophie "difficulties result from relying on one or another inadequate conception of what constitutes a description of the meaning of a word" (Katz 1964:739)
33
Katz nennt alle in ihrer Bedeutung unselbständigen Wörter 'synkategorematisch'. (Zur Kritik dieses Begriffs durch Williams (1975) vgl. unten, S. 68.)
66
des als Nomen kategorisierten Wortes oder der entsprechenden Wortfolge auftritt. Über die Projektionsregel werden dann gut und ^ac zugeordnete Nomen verbunden. Der Erfolg dieser Art der Beschreibung mißt sich nun zuerst an der Frage, ob die Theorie semantisch anomale von semantisch nicht anomalen Sätzen zu scheiden imstande ist. Sie müßte, nach Katz, den semantisch nicht anomalen Satz Diese Rasierklinge ist gut von dem anomalen Satz Dieses Sandkorn ist gut trennen. Um dies zu erreichen, wird zunächst eine Unterscheidung in zwei Klassen von Nomina vorgenommen: Alle Nomina, die in Art-N-ist-gut einen semantisch wohlgeformten Satz entstehen lassen, sind in einer bestimmten Hinsicht gleich, was formal dadurch gekennzeichnet wird, daß diese Nomina für den Lexikoneintrag mit einem ' semantischen Merkmal der Bewertung1 dieser Form versehen werden: (Eval: ( ) ) . In die Leerstelle innerhalb der inneren Klammer wird ein 'Standard der Bewertung" eingetragen. Die Standards sind ihrerseits abhängig von anderen semantischen Merkmalen. Hier eine unvollständige Liste dieser semantischen Merkmale und der ihnen zugeordneten Standards: Semantisches Merkmal
Standard
Beispiele
(Kunstprodukt)
normaler Gebrauch 5 Die Analyse der Bewertungs-V e r b e n stützt sich nicht auf die Verwendungsweise in der Äußerung und der Äußerungssituation, sondern darauf, wovon in einer Berichtssituation, bei der das Verb Verwendung findet, inhaltlich die Rede ist. Bei Charles F i l i m o r e s Gliederung und Beschreibung der 'Verben des Urteilens1 muß deshalb gefragt werden, ob die semantische Beschreibung der Verben Hilfen beim Aufbau einer Sprechakttaxoncniie geben kann. Filiitore entwickelt seine semantische Beschreibung einiger englischer Verben des Urteilens ausgehend von der Diskussion der Rolle der Präsuppositionen für Bedeutungskonzepte so, daß er die R o l l e n s t r u k t u r der Verben festlegt. Dabei nimmt er für das Analyseschema an, daß der Sprecher der folgenden Äußerung Adressat einer Äußerung des Sprechers 'John' war: John beschuldigte den Abgeordneten, den ich unterstützt habe, geheimer Sympathien für den Kommunismus. Die Äußerung des Sprechers 'John1 könnte z.B. gelautet haben: Dein Abgeordneter kann ja seine Sympathien für Kommunisten nur schwer verbergen. Die der Analyse zugrundeliegende Situation ist nachfolgend in einem Schema rekonstruiert.
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Lokutionäre Quelle: 'John beschuldigte den Abgeordneten..."
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ERGEBNISKRITISIEREN
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BEANSTANDEN
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MEINUNGS USSERN (POS)
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H
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ω
H » U S u 0
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+
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| LÜGEN VERDREHEN ZUNAHETRETEN SICH-AUFSPIELEN j AUFHETZEN | INTRIGIEREN
+
+ +1
+]
Schema 15: Sprechakttypen im Analysebereich Die Gruppe der SPRECHAKTEEWERTUNOIJ hat zudem die Eigenschaft, daß sie prinzipiell interpretationsabhängig ist; d.h. daß auch solche Akte, die innerhalb der intentionsorientierten Sprechakttheorie, wie sie Austin und Searle vorgeschlagen haben, nicht mehr berücksichtigt werden können, auftreten und beschrieben werden müssen. Da nur auf diese Weise BEM2CTUNGSBEWEKTUNGEN und SPRBCHAKTBEWERTUN(2IN von dem Beschreibungsschema mit erfaßt werden, wird das an dem Verhältnis von Berichts- und Äußerungssituation orientierte BerichtDenotat-Modell vorgezogen.
4.
EINZELANALYSEN DER SPRECHAKTTYPEN INNERHALB DES ANALYSEAUSSCHNITTS
Die nachfolgenden Abschnitte, die die Untersuchung der im Analyseausschnitt liegenden Sprechakttypen beinhalten, sind nach einer einheitlichen Gliederung aufgebaut. Sie enthalten in ihrem ersten Teil jeweils einige konkrete Beispiele, die als für den zu analysierenden Typ zentral angesehen werden können. Im zweiten Teil wird eine allgemeine Diskussion anhand dieser Beispiele geführt. Innerhalb dieser Diskussion werden teilweise auch abweichende Fälle konstruiert, anhand derer die Bedingungen des Sprechaktvollzugs herausgearbeitet werden können. Im dritten Teil geht es um die allgemeine Formulierung der Bedingungen des Sprechaktvollzugs. Der vierte Teil enthält die Beschreibung der zum Vollzug des Sprechakttyps geeigneten Äußerungsformen. Sollten besondere Probleme auftreten, so werden diese in einem abschließenden fünften Teil abgehandelt.
4.1
MEINUNGSÄUSSERN (NEG)
4.1.1 Beispiele Beispiel 1: Sp.. und Sp- verlassen einen Saal, in dem sie soeben einen Vortrag gehört haben. ^ (1) Das war ja wohl das Letzte! (2) Also ich finde, daß Wunderbaum auch nichts Neues erzählt hat. (3) Das war nichts besonderes, finde ich. (4) Das war alles ziemlich wirr, was Wunderbaura gesagt hat. (5) Wir hätten doch zuhause bleiben sollen. (6) Mein Gott war das langweilig! (7) Also in meinen Augen ist Wunderbaums Ansatz völlig verfehlt. (8) Dieser Vortrag war ohne Zweifel das Produkt einer einzigen Nacht. (9) War das nicht völlig unverständlich? (10) Dieser Vortrag war ja wohl etwas (zu) kurz.
Beispiel 2: Sp.. hat Sp« darüber informiert, daß ein gemeinsamer Bekannter (Fritz) Streit mit einem Kollegen (Hans) hatte. (11)
Das war nicht sehr klug von Fritz, sich ausgerechnet mit dem Hans anzulegen.
116 (12)
Der Fritz ist doch wirklich ein alter Streithammel!
(13)
Das war ja nun wirklich nicht nötig, daß die beiden sich auch noch in die Haare kriegen.
(14)
Warum kann der Fritz bloß nie sein Maul halten?!
(15)
Ich finde, der Fritz wird immer unausstehlicher.
Beispiel 3: Sp1 über ein Gespräch, das er mit einem Kollegen geführt hat. (Völlig 1 ("überflüssiges* 4 ziemlich J· ^belangloses l gänzlich l [unnützes
(16)
Das war ein
(17)
Alles in allem ist bei unserer Unterhaltung nichts herausgekommen.
Gespräch.
Beispiel 4: In einer Unterhaltung über einen Freund von Sp_ (Hans) (18)
Wenn du es genau wissen willst: Ich halte Hans für einen Schwätzer.
(19) Dem seine ganze Art geht mir schon lange auf die Nerven. (20) Wenn der seine langweiligen Witze erzählt, könnte ich davonlaufen. (21) Der versteht es immer, einem das Wort im Munde herumzudrehen. (22)
Der ist
doch unfähig, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren.
(23)
Gestern abend bei Müllers hat sich der Hans wieder einmal völlig danebenbenommen.
(24)
So wie der dahergeredet hat, glaube ich fast, daß er ein Kommunist ist.
(25)
Ich kann Leute nicht ausstehen, die bei jeder Gelegenheit andere schlechtmachen.
4.1.2 Diskussion MEINUNGSÄUSSERN (NEG) war bei der allgemeinen Gliederung des Grundnusters BEWERTEN1 als der Sprechakttyp eingeführt worden, der ein Objekt dem Werttyp 'negativ zuordnet; der Sprecher hat beim Vollzug von MEINUNGSÄUSSERN (NEG) ein geringes Maß an Verteidigungsbereitschaft; dies ist vor allem dadurch begründet, daß Sp-j keinen Sprechakt des Typs VERANTWDRTLIcaiMACHEN und auch keinen Vorwurf realisiert. Darüber hinaus ist MEINUNGSÄUSSERN (NEG) ein in sich komplex strukturiertes Muster, und es ist vor allem die Aufgabe der Einzelanalyse, diese komplexe Strukturierung aufzuzeigen. Die weitere Gliederung von MEINUNGSÄUSSERN (NEG) kann über Festlegungen der Relation Subjekt Adressat - Objekt, über die Analyse der möglichen Objekte im Analysebereich und durch die Bestürmung der Aspekte, in denen diese Objekte negativ bewertet werden, erfolgen. Zunächst zur Beziehung, die zwischen Subjekt, Adressat und Objekt besteht. Die Beispiele geben folgende Hinweise: Im Beispiel 1 haben, wenn keine weiteren Hinweise auf die Situation vorliegen, Sp-| und Sp2 eine 'neutrale Beziehung' zum Objekt (dem soeben gehörten Vortrag). Diese neutrale Beziehung Es spielt hier keine Rolle, ob als Objekt der Bewertung der Vortragende, der Vortrag selbst oder eine Eigenheit des Vortrage, z . B . der Ansatz, der in dem Vortrag entwickelt wurde (vgl. ( 7 ) ) , zu gelten hat. Die Fragen des
117
kann in zweifacher Hinsicht aufgehoben sein: (i) Wenn die sprachliche Handlung, die zur Bewertung ansteht, von Sp-| oder Sp2 (mit) vollzogen wurde (vgl. Beispiel 3) und (ii) wenn Sp-j oder Sp2 mit dem Handelnden in einer besonderen Beziehung (Freundschaft, Verwandtschaft, Lehrer-Schüler-Verhältnis usw.) stehen (vgl. Beispiel 4). Schema 16 zeigt im Überblick die möglichen Konstellationen:2
/u "·· . Spj-
Sp2
Schema 16: Beziehung zwischen den Sprechern und zwischen den Sprechern und dem Objekt der BEWERTUNG Selbst wenn man vernachlässigt, daß 0 auch von mehreren Sprechern verantwortet werden kann3, so ergibt sich eine sehr umfängliche Liste möglicher Bedingungskombinationen.'* Diese müssen hier nicht im einzelnen geprüft werden; es genügt, wenn gezeigt wird, daß (i) bei Vorliegen bestimmter Bedingungskonstellationen MEINUNGSÄUSSERUNGEN (NEG) im Deutschen nicht vollzogen werden und daß (ii) MEINUNGSÄUSSERN (NEG) durch andere Äußerungsformen realisiert wird, wenn gewisse unten näher zu erläuternde situative Bedingungen gegeben sind. Dabei wird von folgenden Voraussetzungen ausgegangen: Die zu bewertende Handlung kann von Sp·] Sp2 und Spß vollzogen worden sein. Wenn ein Sprecher die Handlung vollzogen hat, so ist er gleichzeitig dafür verantwortlich; d.h. es sind solche Fälle ausgeschlossen, in denen der Sprecher im Auftrag eines anderen handelte oder eine rituell festgelegte sprachliche Handlung vollzogen hat. Die Sprecher können wechselseitig miteinander befreundet sein, sie können einander fremd sein oder der eine kann der Vorgesetzte des anderen sein. Zusammenhangs von Person, sprachlicher Handlung, Eigenschaften der Person usw. werden unten, bei der Gliederung der möglichen Aspekte, behandelt. Die Doppelpfeile geben an, wer die sprachliche Handlung, die Objekt der Bewertung ist, vollzogen hat. Die gepunktete Linie steht für die persönliche Beziehung zwischen den Aktanden. Spj ist, wie in der Eingrenzung des Analysebereichs bereits angemerkt wurde, in der Bewertungssituation nicht anwesend. Vgl. Beispiel 3; innerhalb dieses Beispiels geht es darum, daß Os von Spj und Sp-j verantwortet wird. Denkbar sind auch Bewertungen über sprachliche Handlungen zwischen Spj und Sp2· Vgl. hierzu Äußerungen wie Jetzt finde ich es ganz schön blöd, daß wir uns gestern vor allen Leuten so herumgestritten haben. Die hohe Zahl der möglichen Kombinationen resultiert vor allem daraus, daß dann, wenn es um eine Äußerung von Sp3 geht, die Beziehung zwischen allen drei Sprechern berücksichtigt werden muß. Für die formale Auflistung aller Möglichkeiten ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Relationen 'ist befreundet mit' und 'ist fremd gegenüber' symmetrisch sind, während die Relation 'ist Vorgesetzter von' asymmetrisch ist; die konverse Relation lautet 'ist Untergebener von'. Daraus folgt, daß die ersten beiden Relationen für je zwei Aktanden immer gleich angenommen
118 Anhand der Beispiele aus 4.1.1 kann nun eine Situation überprüft werden, in der, bei beliebiger Beziehung zwischen Sp-| und Sp2» die Handlung in Objektposition von Sp-j vollzogen wurde. Gemäß der in 1.4.3 eingeführten Notationsweise geht es um Bewertungssituationen,die (26) entsprechen:6 (26)
Sp,
l
MEINUNGSÄUSSERN O
s
NEG
w
1>
ÄUSS / Sp,
1
=> O
s
Prüft man, ob Sp1 hier mit den gegebenen Äußerungsformen eine BEWERTUNG von O vornehmen kann, so ergibt sich folgendes Bild: (1) ist nicht möglich. Auch die veränderte Fassung von (2), in der das Personalpronomen an die Stelle des Namens tritt, (2a)
Also ich finde, daß ich auch nichts Neues erzählt habe.
ist nicht denkbar. Eine Äußerung, die (3) entspricht, ist auf den ersten Blick (3a): (3a)
Ich bin beim Publikum nicht besonders angekommen, finde ich.
Hier muß allerdings beachtet werden, daß Sp.. nicht O BEWERTET, sondern Vermutungen darüber anstellt, wie Os von einem kollektiven Adressaten aufgenommen wurde. (3a) ist also keine Äußerungsform, die (26) erfüllt. (4a)
Das war alles ziemlich wirr, was ich gesagt habe. Q
ist ebenfalls generell unzulässig. Die Liste der Abweichungen läßt sich fortsetzen. (7a)
Ich halte meinen Ansatz für völlig verfehlt,
ist ebenso unzulässig wie (18a)
Wenn du es genau wissen willst: Ich halte mich für einen Schwätzer.
Daß die Äußerungs f o r m e n manchmal vordergründig zum Vollzug eines Musters geeignet zu sein scheinen, obwohl sich bei näherem Hinsehen erweist, daß eine andere sprachliche Handlung vollzogen wird, zeigt (19a): (19a) In solchen Situationen gehe ich mir immer selbst auf die Nerven. Diese Äußerungsform ist von der abweichenden und daher nicht möglichen Form (19b) Meine ganze Art geht mir schon lange auf die Nerven. werden können, während sich bei der dritten eine einfache Möglichkeit ergibt, daß z.B. Sp. Vorgesetzter von Sp2 oder umgekehrt Sp2 Vorgesetzter von Spj sein kann. In (26) wie auch in den entsprechenden nachfolgenden Darstellungen soll für die Notation von ÄUSS gelten, daß Og Objekt der mit der Äußerungsform ausgedrückten BEWERTUNG ist. Wenn (1) unter der angegebenen Bedingung geäußert wird, so kann die Äußerungsform Teil einer komplexen Äußerung innerhalb des Vollzugs von JAMMERN sein. Auch dies ist allerdings nur vorstellbar, wenn Spj Gründe anführt, die erklären, warum sein Vortrag mißlungen ist. (Das war ja wohl das letzte! Dauernd habe ich mich in meinem Konzept verheddert, weil ich so furchtbar nervös war.) Dies gilt nicht, wenn Os über einen längeren Zeitraum zurückliegt (Was ich damals vorgetragen habe, war alles ziemlich wirr.) Die Probleme des Zeitpunkts von Os relativ zur Bewertung und die Rolle, die diese Beziehung in Hinblick auf die Zuordnung zum Sprechakttyp spielt, wird bei der Diskussion der Objektkategorisierung mit behandelt.
119
zu unterscheiden. (19a) ist nicht nach dem Muster MEINUNGSÄUSSERN (NEG); vielmehr gibt Sp·) einen Hinweis darauf, wie er sich in bestimmten Situationen fühlt. Derartige 'Einstellungsinforniationen1 sind vor allem bei der Analyse von Bewertungsdialogen zu beachten. Es zeigt sich dort, daß Einstellungsinformationen den Informationen, die allein eine Aussage über das Objekt beinhalten, gegenüberstehen. (Vgl. Zillig 1979:99ff.) Die bisherigen Beispiele haben gezeigt, daß dort, wo die Bedingung 'Sp1 = Os' gegeben ist, MEINUNGSÄUSSERN (NEG) nicht möglich ist. Was Bewertungssituationen, die durch (27) oder (28) (27)
Sp1 MEINUNGSÄUSSERN O
NEG
* ÄUSS / Sp
=> O
(28)
Sp
NEG
»·
=> O
MEINUNGSÄUSSERN O
ÄUSS / Sp
bestimmt sind, angeht, so muß (27) daraufhin überprüft werden, ob und wann unter diesen Bedingungen ein 'Vorwurf1 realisiert wird bzw. welcher Sprechakttyp vorliegt, wenn die Beziehung zwischen den Sprechern nicht gleichberechtigt ist. Bei (28) muß vor allem die Beziehung zwischen Sp2 und Sp, geprüft werden. Zunächst kann gezeigt werden, daß die Rolle einer Äußerung sich verändert, wenn (27) gilt. Geht man bei Beispiel 4 davon aus, daß eine Handlung oder Handlungsweise von Sp2 bewertet wird, so entsprechen dem die nachfolgenden Äußerungen: (18b) Wenn du es genau wissen willst: Ich halte dich für einen Schwätzer. (19c) Deine ganze Art geht mir schon lange auf die Nerven. (2oa) Wenn du deine langweiligen Witze erzählst, könnte ich davonlaufen. (21a) Du verstehst es (doch) immer, einem das Wort im Munde herumzudrehen.
Mit diesen Äußerungen wird nicht MEINUNGSÄUSSERN (NEG) vollzogen. Die Äußerungen stellen, wenn vorausgesetzt wird, daß Sp-| und Sp2 gleichberechtigt sind, Vorwürfe gegen Sp2 dar. Ist Sp^ Vorgesetzter von Sp2, so muß unterschieden werden zwischen Situationen, in denen O unter die Zuständigkeit von Sp1 fällt,und solchen Situationen, in denen diessnicht der Fall ist. Ist Sp-| zuständig, so ist die Äußerung eine Realisation des Musters VERHALTENSKRITISIEREN. Wenn ein Vorgesetzter einem Schalterbeamten, der sich mit einem Bekannten während seiner Dienstzeit unterhält, während andere Kunden darauf warten bedient zu werden, mit (16a)
Das war ein völlig überflüssiges Gespräch.
gegenübertritt, so ist (16a) also keine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG), sondern eine VERHALTENSKRITIK. Äußert ein Vorgesetzter außerhalb einer institutionell vorgegebenen Situation (16a), so handelt er zwar nicht nach dem Muster VERHALTENSKRITISIEREN und kann deshalb auch keine Sanktionen mit seiner Äußerung verbinden; da die Meinung, die sich der Vorgesetzte bildet, aber auch hier in das bestehende Dienstverhältnis hineinwirkt, kann auch dann, wenn die bewertete Situation nicht im Zuständigkeitsbereich von Sp, liegt, nicht davon ausgegangen werden, daß es sich um MEINUNGSÄUSSERN (NEG) handelt. Dort, wo Sp2 mit Sp3 freundschaftlich oder verwandtschaftlich verbunden ist, gilt mit Einschränkungen das, was für (27) gesagt wurde: Zwar kann Spi den SAT MEINUNGSÄUSSERN (NEG) vollziehen; bei bestimmten Äußerungsformen, die eine Meinung hart und in abfälliger Form ausdrücken, hat aber Sp2 a seiner freundschaftlichen Verbindung mit Sp^ 'Stellvertreterfunktion1 . Sp2 in Beispiel 1 die Ehefrau von Sp3 ist, so sind die Äußerungen (1) -
120
in verschiedenen Graden unangemessen. Lediglich (1o) ist wohl, da es sich um eine moderate Form der Kritik handelt, noch zulässig. Es wird hier also deutlich, daß bei der Wahl der Äußerungsformen für MEINUNGSÄUSSERN (NEG) anstelle von (28) mit der Zusatzbedingung, daß Sp2 mit Sp3 freundschaftlich verbunden ist, andere, weniger 'harte' Formen gewählt werden; andernfalls werden derartige Äußerungen von den Adressaten als unangemessen eingestuft. Abschließend sollen zwei situative Konstellationen, die beide Spezialfälle von (28) sind, diskutiert werden. Es sei (i) Sp3 Vorgesetzter von Sp^ und Sp2 bzw. (ii) Sp2 Vorgesetzter von Sp^ und Spß. Bei der Konstellation (i) ist MEINUNGSÄUSSERN (NEG) grundsätzlich möglich; die Härte der Bewertung ist allerdings an Zusatzbedingungen gebunden; nur in den Fällen, in denen Spi und Sp2 freundschaftlich miteinander verbunden sind, kann offen gesprochen werden, d.h. es sind auch 'harte Formulierungen' wie (1), (4), (12), (15) oder (18) denkbar. Ansonsten können nur 'moderate Formulierungen1 gewählt werden. Bei dem unter (ii) bestürmten Situationstyp ist MEINUNGSSUSSERN (NEG) nicht möglich. Jede Äußerung, die innerhalb anderer Situationstypen dieses Muster realisiert, wird unter diesen Voraussetzungen zu einer BEWERTUNGSBEWEPTUNG des Typs SCHMÄHEND Nur moderate Formulierungen können hier als MEINUNGSÄUSSERUNGEN (NEG) gelten. Wenn also Sp-| bei Vorliegen des Situationstyps (ii) beispielsweise (24) äußert, so ist dies unter keinen Umständen nach dem Master MEINUNGSÄUSSERN (NEG). Die Auswahl der besprochenen Situationstypen nun noch einmal in einer Übersicht, in der folgende Abkürzungen zur Notation der Situationstypen verwendet werden: 'R^ (Sp-|, Sp2>' steht für 'Sp-| ist mit Sp2 befreundet1, ^ (Sp-|, Sp2) steht für *Sp-| ist in normaler, gleichberechtigter Beziehung zu Sp2* und Ry (Sp1f Sp2) für 'Spi ist Vorgesetzter von Sp2i für andere Sprecherkombinationen gelten die Relationskonstanten Rf, R^ und Ry in Entsprechung. Verwandtschaftliche Beziehungen werden unter die Relation 'ist befreundet mit', das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler in einer pädagogischen Situation unter die Relation 'ist Vorgesetzter von' subsumiert. SAT MEINUNGSÄUSSERN (NEG) Situative Bedingungen
Vollzug des Sprechakttyps
Sp
Nicht möglich.
=>
O
Nicht möglich. Äußerungsformen, die unter anderen Bedingungen eine MEINUNGSSUSSERUNG (NEG) realisieren, werden zu VORWÜRFEN. Nicht möglich. Äußerungsformen, die unter anderen Bedingungen eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) sind, werden zu Realisationen des Musters VERHALTENSKRITISIEREN. (Gehört Os nicht zum Zuständigkeitsbereich von Spi, so muß die Äußerung als die Realisation eines eigenen Musters zwischen Es wird hier also offenkundig, daß BEWERTUNGSBEWERTUNGEN nicht von einer willkürlichen Deutung abhängig sind; es lassen sich Bedingungen angeben, unter denen BEWERTUNGEN zu einem der Untermuster des Grundmusters BEWERTUNGSBEWERTEN werden.
121 MEINUNGSÄUSSERN (NEC) und VERHALTENSKRITISIEREN angesehen werden.) 3
3
Sp
=>
°s;
R
=>
O ; R
f
(SP
Möglich bei moderaten Äußerungsformen, nicht möglich bei abfälligen Äußerungen (Sp2 hat Stellvertreterfunktion für Sp 3 f.
2'
(Sp , Sp )
v
3
Möglich.
2
Moderate Äußerungsformen. Alle Äußerungsformen möglich. (Offene MEINUNGSÄUSSERUNG ( N E G ) ' ) . Sp
.i
·
S
; R
V
(Sp , Sp ) ; / -_
^
->
^\
Bei moderaten Formulierungen möglich. Nicht möglich bei o f f e n e n , harten Äußerungen. (Mit letzteren wird SCHMÄHEN realisiert.) lo
Mit der vorliegenden ersten Situationsanalyse ist gleichzeitig eine Frage beantwortet, die unter 1.3 gestellt und dort noch nicht beantwortet werden konnte (Vgl. S. 16, Frage (v)): Es zeigt sich, daß Untermieter, denen keine Verben oder verbalen Ausdrücke entsprechen, konstruierbar sind. Derartige Untermuster sollen 'konstruierte Untermuster' heißen. Ein Untermuster ist genau dann ein konstruiertes Untermuster, wenn sich zeigen läßt, daß es einen Situationstyp ST. und einen Situationstyp ST« gibt, so daß bei ST. eine gegebene Äußerungsform einen bestürmten Sprechakttyp realisiert, der in ST- nicht realisiert wird (er ist entweder in ST2 generell nicht möglich; oder die Äußerung ist eine Handlung eines anderen Typs), und wenn gleichzeitig kein Verb und kein verbaler Ausdruck vorhanden sind, die diesen Unterschied innerhalb von Äußerungsberichten bezeichnen. Konstruierte Untermuster werden, da für sie keine Verben oder verbalen Ausdrücke zur Verfügung stehen, direkt mit der Beschreibung des Situationstyps und einer allgemeinen Beschreibung der Äußerungsformen dargestellt. Im weiteren Verlauf der Diskussion der Beispiele muß nun die Frage beantwortet werden, wie die Objektkategorie 'sprachliche Handlung1 genauer gefaßt werden kann und in welchen Aspekten Objekte in diesem Bereich bewertet werden. Dabei ergeben sich zunächst einige Abgrenzungsschwierigkeiten. Betrachtet man die Beispiele unter 4.1.1, so zeigt sich, daß diese Schwierigkeiten vor allem darin begründet sind, daß bei der Bewertung sprachlichen Handelns verschiedene Objektbezeichnungen vorkauten. Einerseits werden Textsorten (Beispiel 1: der Vortrag; Beispiel 3: ein Gespräch), Interaktionsformen (Beispiel 2: Streit), Sprecher insgesamt (Beispiel 4 (18) oder die sprachlichen Gewohnheiten und Gepflogenheiten von Sprechern (Beispiel 4 (21)) bewertet. Sinnvoll erscheint diese Einteilung: Es kann grundsätzlich zwischen solchen Bewertungen, die Sprecher als Personen, und anderen, die Sprechen als Mittel des Vollzugs sprachlicher Handlungen zum Gegenstand haben, unterschieden werden. Bei der BEWERTUNG eines Sprechers werden einzelne Erfahrungen verallgemeinert zu BEWERTUNGEN über die Persönlichkeit; ein Beispiel ist hier (24), wo aus dem, was der Sprecher im Gespräch für wichtig befindet, Rückschlüsse auf persönliche Einstellunlo
Hier würde also eine Äußerung wie Er ist ein wenig zu zimperlich unter das Muster fallen, wohingegen Er ist ein absolut unausstehlicher Kerl als SCHMÄHUNG zu gelten hätte.
122
gen gezogen werden. Daneben kann der Sprecher mit seinen sprachlichen Gewohnheiten und (Un-)Fähigkeiten (Dispositionen) oder mit einmaligem Verhalten Gegenstand der BEWERTUNG sein.11 Die Objekte innerhalb der Kategorie 'Sprechen1 umfassen Textsorten und Interaktionsformen, Sprechakte und 'Einheiten1 (Wort, Begriff, Name, Bezeichnung usw.). Auch hier gilt für alle Objekte, daß sie als reale Objekte (wie in (18)) und als Substrate (wie in (29)) (29)
Vorträge über Sprechakttheorie sind in der Regel langweilig.
vorkommen können. Wichtig/was die Äußerungsformen für MEINUNGSÄUSSEFN (NEG) und für andere BEWERTUNGEN angeht, ist dabei, daß bei BEWERTUNGEN die Objekte nicht genau eingegrenzt werden, d.h. es werden BEWERTUNGEN über ein aktuelles Verhalten eines Sprechers zu solchen über die Gesamtpersönlichkeit. Umgekehrt ist jede BEWERTUNG im Bereich 'Sprechen', wenn es sich nur um reale Objekte handelt, inner zugleich eine BEWERTUNG der Person des Sprechers. So kann z.B. (4) in der Äußerungssituation durch (4a) Wunderbaum ist ein Wirrkopf. ersetzt werden. Darauf, daß bei aktuellem Verhalten und bei Objekten im Bereich 'Sprechen1 der Zeitpunkt des Verhaltens oder des Vollzugs eines Sprechakts usw. sich auf die Struktur der Äußerungsform auswirkt, ist bereits hingewiesen worden. Die Regelhaftigkeit der Veränderung resultiert aus der Tatsache, daß der Sprecher mit der Äußerungsform die Referenz auf Os sichern muß; der Adressat muß wissen, was der Sprecher überhaupt bewerten will. ( 1 ) , (3) , ( 4 ) , (5) , (6) , (9) und (16) nennen Os in der Äußerungsform nicht explizit. Damit der Vollzug des Sprechakts gelingt, muß gesichert sein, daß Sp2 erkennt, was Os ist. Dies kann einerseits dadurch ermöglicht sein, daß sich Spi auf ein Objekt bezieht, das zeitlich unmittelbar vorher aufgetreten ist (deiktische Referenzsicherung) oder dadurch, daß durch sprachliche Mittel sichergestellt wird, daß Sp2 weiß, was Os ist. Vergleicht man die Äußerungsformen (3O) - (33): (30) Quatsch!
11
(31)
Das ist doch Quatsch!
(32)
Ich finde, das, was Wunderbaum bei seinem Vortrag in Julien gesagt hat, ist großer Quatsch.
(33)
Wunderbaum hat bei seinem Vortrag in Jülich die Auffassung vertreten, daß die Bundesrepublik solange keine Kernkraftwerke mehr bauen sollte, bis die Frage der Entsorgung vollständig geklärt ist. Das ist doch aber großer Quatsch!
Diese Unterscheidung, die sich auf Ryles Einteilung der 'Dispositions- 1 und der 'Episodenwörter' stützt (vgl. Ryle 1949;1969, bes. 1 5 3 f f . ) , berücksichtigt die Tatsache, daß aus den Verhaltensweisen, die ein Sprecher gewöhnlich an den Tag legt, Rückschlüsse auf C h a r a k t e r e i g e n s c h a f t e n gezogen werden: Ein Sprecher, der Bitten in der Regel erf ü l l t , gilt als hilfsbereit usw. - Im Deutschen gibt es im Hinblick auf Dispositionen und Episoden drei Klassen von Wörtern: (i) solche, die nur Dispositionen bezeichnen (intelligent; Test: war zu diesem Zeitpunkt intelligent ist u n s i n n i g . ) , (ii) solche, die nur Episodeneigenschaften bezeichnen (wütend; Test: A ist ein wütender Mensch ist unsinnig.) und (iii) solche, die beiden Klassen angehören (zerstreut/ es kann in beiden Test-Rahmen a u f t r e t e n . ) .
123
so ist 0 in verschiedenem Umfang innerhalb der Äußerungsform explizit gemacht. Die Interjektion (3o) enthält keinen Hinweis auf 0 , (31) enthält nur die Pro-Form das als deiktisches Element. In beiden Fällen muß O zeitlich unmittelbar vorausgegangen sein; dies kann entweder direkt (Sp.. uftcl Sp2 hören gerade einen Vortrag, in dem Sp3 eine These vertritt, die Sp. mit (3o) oder (31) kommentiert) oder kontextuell (Sp_ hat vorher selbst die These aufgestellt oder die These berichtet) geschehen seln.^ Die direkte Einführung von O kann damit, wie die Beispiele zeigen, mit einem Hinweis, der das Wissen von Sp2 aktiviert, vorgenormen werden, oder aber Sp.. kann selbst hinreichend genau erklären, worauf sich die BEWERTUNG bezieht, so daß Vorwissen unnötig wird. Bei (32) muß Sp2 wissen, was Sp3 (Wunderbaum) in seinem Vortrag gesagt hat; es genügt der Hinweis das, was Hunderbaum in seinem Vortrag in Jülich gesagt hat, um O zu sichern.^ Bei (33) wird die Sicherung von O dadurch vorgenomnen, daß Os in einem Bericht eingeführt wird. Dann erst erfolgt die BEWERTUNG. In (3o) - (33) ist 0 also in verschiedenen Stufen der Direktheit gegeben. Es ist eine der Aufgabln bei der Beschreibung der Äußerungsformen, allgemein darzustellen, wie sich die unterschiedlichen Möglichkeiten der Sicherung der Objekte der Bewertung ergeben. Bisherige Forschungen haben gezeigt, daß Adjektive wie gut synkategorematisch sind; ihre Bedeutung ändert sich mit dem Nomen, auf das sie bezogen sind. (Vgl. dazu oben, S. 65ff.) Wenn nurmehr der Frage nachgegangen wird, in welchen 'Aspekten' O 5 bewertet wird, muß wegen der Synkategorematizität zweierlei beachtet werden: (i) Die Feststellung der Aspekte der Bewertung kann nur in Verbindung mit den jeweiligen Objektkategorien erfolgen, und (ii) es muß geklärt werden, wie mehrere Aspekte in ein und derselben Äußerungsform angesprochen werden. Zunächst zum Zusammenhang zwischen Objektkategorie und Aspekt. Einige Äußerungsformen als Beispiele: (34a)
Das war ja vielleicht ein langweiliger Vortrag.
*(34b) Das war ja vielleicht eine langweilige Bemerkung. (34c)
Das war ja vielleicht eine taktlose Bemerkung.
?(34d) Das war ja vielleicht ein taktloser Vortrag. (35a)
Das ist
eine ziemlich fadenscheinige Erklärung.
?(35b) Das ist eine ziemlich fadenscheinige Frage.
(35c) Das ist eine ziemlich unverschämte Frage. ?(35d) Das ist eine ziemlich unverschämte Erklärung. Sprachliche Handlungen werden im Deutschen in verschiedenen Aspekten bewertet; 12
Alle Fälle, in denen Objekte der BEWERTUNG kontextuell gegeben sind, verweisen auf den Aufgabenbereich der Analyse von Bewertungsdialogen. Hier muß geklärt werden, in welcher Weise Sprecher auf bereits eingeführte Objekte Bezug nehmen.
13
Die Äußerungsform Das, was Munderbaum bei seinem Vortrag in Jülich gesagt hat, war großer Quatsch kann auch als OBJEKTFESTSTELLUNG eingesetzt werden, falls Sp O nicht kennt. Während bei MEINUNGSÄUSSERN die Bedingung gilt, daß Sp undSSp O kennen, kann also eine OBJEKTFESTSTELLUNG auch dann vollzogen werden, wenn Sp_ keine Gegenmeinung formulieren kann, da nur Sp O kennt. OBJEKTFESTSTELLUNGEN nehmen eine Zwischenstellung zwischen BEWERTE^ und BESCHREIBEN ein. (Vgl. dazu Zillig 1979:loof.)
124
das gilt auch für die übrigen Objekte im Analysebereich. Die Beispiele verdeutlichen, daß die Kollokabilität zwischen Adjektiv und Nomen zu beachten ist: (34a), (34c), (35a) und (35c) können häufig vor, (34b) , (34d), (35b) und (35d) sind ungebräuchlich und erscheinen in verschiedenen Graden anormal.14 Immer ist der Grund der, daß die Objekte in anderen Aspekten bewertet werden. Darauf, daß mehrere Aspekte in ein und derselben Äußerung mit einer einzigen Attribuierung erfaßt werden, wurde bereits in der Kritik der Katzschen Analyse von gut hingewiesen. (Vgl. S. 93ff.) Die Zusammenfassung mehrerer Aspekte in einem Attribut oder einer Prädikation ist einer der Gründe dafür, daß Bewertungen, anders als Beschreibungen, nicht als wahr oder falsch nachgewiesen werden können. Die Folgen, die sich aus der Zusammenfassung mehrerer Aspekte ergeben, werden bei der Unterscheidung von BEWERTUNGEN und BESCHREIBUNGEN im einzelnen erörtert. Hier genügt es, wenn darauf hingewiesen wird, daß keine 1:1-Zuordnung zwischen Adjektiv und Aspekt vorgenommen werden darf. In welchen Aspekten können nun bei MEINUNGSÄUSSERN (NEG) die Objekte bewertet werden? Die Antwort auf diese Frage kann in Analogie zu der Unterscheidung von lokutionärem, illokutionärem und perlokutionärem Akt beim Sprechaktvollzug gegeben werden. (Vgl. hierzu die Bestimmung der Werte unter 5.4.) Bewertet werden können die Form einer Äußerung, die Handlung, die durch die Äußerung vollzogen wird, und die Folgen, die aus der Handlung resultieren. Außerdem kann, entsprechend der Proposition, der Inhalt der Aspekt sein, in dem die Handlung bewertet wird. Dazu kommen einige Ergänzungen, die aus dem Zusammenwirken mehrerer Aspekte entstehen und Adäquatheitsaspekte (Form-Inhalt; Inhalt-Sachverhalt; Form-Situation; Inhalt-Situation) bilden. Die Aspekte, die die Folgen betreffen, beziehen sich entweder auf den N u t z e n (für den Sprecher und/oder den Hörer oder ein unabhängiges Ziel, das mit einer sprachlichen Handlung erreicht werden soll) oder auf Empfindungen des Hörers. Da alle BEWERTUNGEN, die die Persönlichkeit betreffen, als Verallgemeinerungen von BEWERTUNGEN über das Verhalten oder das Sprechen zu verstehen sind, gibt es, was die bewertenden Aussagen über die Persönlichkeit anbelangt, keine eigenen Aspekte. Die nachfolgende Übersicht ergänzt die bereits genannten Aspekte an einzelnen Stellen, ordnet sie den Objekten zu und gibt Beispiel. Aspekt
Objekt
Beispiel
Sprechweise
'Einheiten'
Er hat eine undeutliche Diktion.
Stil
'Einheiten'
Das war eine sehr ungeschickte Formulierung.
Grammatizität
'Einheiten'
Das ist kein richtiger Satz.
Form
14
Bei (34b) kann davon ausgegangen werden, daß, geht man von einem transformationeilen Sprachmodell aus, Selektionsrestriktionen verletzt sind. (Für Bemerkung muß das Merkmal [- von längerer Dauer] eingetragen werden, das die Verbindung mit langweilig blockiert.) Damit ist (34b) semantisch anormal. Die übrigen Äußerungsformen sind lediglich stilistisch abweichend. (34d) wird besser wiedergegeben mit Das war ja ziemlich taktlos von dem Munderbaum, diesen Vortrag ausgerechnet jetzt/hier/vor diesem Publikum zu halten; für (35b) steht besser Das sind ja ziemlich fadenscheinige Gründe, die ihn veranlassen, diese Frage zu stellen, für (35d) Das ist doch unverschämt von ihm, dich mit einer derartigen Erklärung abspeisen zu vollen.
125
Aspekt
Objekt
Beispiel
Inhalt
Sprechakte (Proposition)
Das ist eine schlimme Nachricht.
Textsorten
Das war eine etwas verworrene Rede.
Sprechakte
Seine Aussage ist nicht recht verständlich.
'Einheiten'
"Gerechtigkeit 1 ist da ein fürchterlich nichtssagendes Wort.
Inhalt - Sachverhalt
Sprechakte
Diese Behauptung ist erstunken und erlogen!
Inhalt - Stil
'Einheiten'
"Scheiße" ist ein vulgäres Wort.
Inhalt - Situation
Sprechakte
Das ist eine sehr unpassende Frage in diesem Augenblick!
Sprechakte
Das war ein völlig sinnloser Befehl.
Adäquatheit Form - Inhalt
Folgen Nutzen
Da hat dir Hans, wie ich finde, einen schlechten Rat gegeben.
hervorgerufene Gefühle/ Empfindungen
Verhalten
Sein unsicheres Auftreten hat ihm sehr geschadet.
Textsorten
Das war eine sehr unergiebige Diskussion.
Verhalten
Gregors Benehmen war mehr als peinlich!
'Einheiten'
Diese Bezeichnung ist beleidigend.
Sprechakte
Diese Forderung ist empörend.
Es bleibt festzustellen, welche Objekte in welchen Aspekten bei MEINUNGSÄUSSERN (NEC) und den anderen Sprechakttypen bewertet werden können. Faßt man die Diskussion der Beispiele nunmehr zusanmen, so läßt sich sagen, daß die möglichen Beziehungen zwischen Subjekt, Adressat, Handelndem und Objekt in einigen Konstellationen typisch für MEINUNGSHUSSEEN (NEG) sind, daß bei anderen bestimmte Äußerungsformen nur gewählt werden kennen und daß schließlich bei wieder anderen Konstellationen MEINUNGSÄDSSERN (NEG) überhaupt nicht vollzogen werden kann. Diese Festlegungen müssen in die Formulierung der allgemeinen Bedingungen mit eingehen. Die Diskussion der möglichen Objekte im Bereich 'sprachliches Handeln' hat ergeben, daß BEWERTUNGEN von Verhalten, Textsorten, 'Einheiten* und Sprechakten häufig zu BEWERTUNGEN über den Sprecher verallgemeinert werden. Außerdem wurde hier festgestellt, daß bei Objekten im Bereich des Verhaltens und des Sprechens die Zeitspanne, die zwischen der BEWERTUNG und dem Objekt der BEWERTUNG liegt, wichtig wird und daß die Kenntnis,
126
die Sp_ von Os hat oder nicht hat, für die Sprechaktklassifikation entscheidend ist. Die Kenntnis des Objekts miß bei der Formulierung der Bedingungen, der zeitliche Abstand bei der Erklärung einiger granmatischer Phänomene und bei der Beschreibung der Äußerungsformen berücksichtigt werden. Die Frage, in welchen Aspekten die Objekte des Analysebereichs bewertet werden, hat ergeben, daß Form, Inhalt und Folgen, weiterhin Adäquatheit von Form und Inhalt, Inhalt und Sachverhalt, Inhalt und Stil sowie von Inhalt und Situation mögliche Aspekte sind, auf die sich Sp1 mit BEWERTUNGEN beziehen kann. 4.1.3 Bedingungen des Sprechaktvollzugs Bei der Formulierung der allgemeinen Bedingungen des Vollzugs von MEINUNGSÄUSSERN (NEG) sollen zuerst diejenigen Bedingungen festgelegt werden, unter denen es keine Einschränkungen im Hinblick auf die Äußerungsformen gibt. Es müssen also bei diesem Situationstyp, der nur 'klare Fälle1 von MEINUNGSÄUSSERN (NEG) zuläßt, keine Sonderbedingungen eingeführt werden, die sicherstellen, daß die korrekten Äußerungsformen gewählt werden. Unter diesen Voraussetzungen gilt: Eine BEWERTONG ist dann eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG), wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:15 B l
a. Sp
teilt Sp
eine Proposition p mit.
b. Mit p referiert Sp
auf ein Objekt des Analysebereichs.
c. Gleichzeitig prädiziert Sp , daß das Objekt einem oder mehreren Werten nicht entspricht. d. Es sind alle Objekte des Analysebereichs und alle mit den Objekten kompatiblen Aspekte der Bewertung möglich. B 2 B 3
Sp u n d Sp kennen das Objekt in den in der Bewertung ausgedrückten Aspekten. a. Für das Objekt ist b. Sp
und Sp
c. Weder Sp
Sp
verantwortlich.
stehen in freundschaftlichem Verhältnis zueinander. noch Sp
sind mit Sp
freundschaftlich verbunden.
Die Bedingungen unter B 1 a. - c. gelten allgemein für NEXaTTV-BEWERTUlsfGEN; sie legen fest, daß dag Objekt der Bewertung in einem oder mehreren Aspekten einem Wert nicht entspricht. B 1 d. bestimmt, daß Sp.. alle Objekte in allen diesen Objekten zuordnenbaren Aspekten bewerten kann, wenn er nach MEINUNGSÄUSSERN (NEG) handelt. B 2 enthält die Bedingung, daß nicht nur Sp.. das Objekt der Bewertung kennt. Die Präzisierung, derzufolge Sp.. und Sp2 das Objekt 15
Für die nachfolgenden Analysen von NEGATIVBEWERTUNGEN gilt allgemein, daß jeweils unterschiedliche Werte als nicht erfüllt angesehen werden können, was u . a . auch die Ausbildung verschiedener Antonyme für 'gut 1 erklärt. (Vgl. Sparshott 1 9 5 8 : 1 9 7 f f . )
127
in den relevanten, mit der Bewertung angesprochenen Aspekten kennen müssen, verhindert, daß beispielsweise eine Äußerung wie (37) Wunderbaums Gestik während des Vertrags war sehr affektiert. als Vollzug von MEINUNGSÄUSSERN (NEG) gilt, wenn Sp_ den Vortrag nur durch eine Rundfunkübertragung miterlebt hat. In einem solchen Fall wären also ( 2 ) , ( 4 ) , (6), (7) etc. Äußerungen, durch die eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NBG) ausdrückbar ist, weil Sp_ ja den Inhalt und den Aufbau des Vortrags kennt; (37) aber bleibt ausgeschlossen. B 3 wird vor allem dort wichtig, wo innerhalb eines Bewertungsdialogs BEWERTUNGEN abgegeben werden; nur wenn B 2 zutrifft, hat Sp~ die Möglichkeit, gleichberechtigt Stellung zu beziehen. B 3 sichert, daß alle Äußerungsformen, die für MEINUNGSÄUSSERN (NEG) in Frage konmen, von Sp1 verwendet werden können. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Sp1 und Sp_ (B 3 b.) gestattet es Sp1/ auch "harte Formulierungen' zu wählen. Da er mit Sp., nicht freundschaftlich verbunden ist, kann er seine Meinung offen sagen, ohne Sp, 'hinter dessen Rücken1 zu schaden; weil Sp_ nicht mit Sp., freundschaftlich verbunden ist, nimmt Sp„ keine Stellvertreterfunktion ein, die Sp1 zwingen würde, nur moderate Formulierungen zu wählen. Wenn eine der Bedingungen B 3 a. - c. eingeschränkt wird, so müssen 'Sonderbedingungen1 erfüllt werden, damit MEINUNGSÄUSSERN (NEG) vollzogen werden kann. B 1 und B 2 sind 'Kernbedingungen1, die überhaupt nicht außer Kraft treten können, ohne daß eine gegebene Äußerungsform eine andere illokutionäre Rolle als MEINUNGSÄUSSERN (NEG) einnimtnt. Für B 3 a. kann stehen: 3 a) a. Für das Objekt ist
Sp
verantwortlich.
In diesem Fall ist der Umfang der möglichen Äußerungsformen eingeschränkt und es entstehen, in Abhängigkeit von B 3 b., zwei konstruierte Untentuster von MEINUNGSÄUSSERN (NEG): Bleibt B 3 b. gültig, so sind moderate Äußerungen möglich; MEINUNGSÄUSSERN (NEG) tritt hier als FREUNDSCHAFTLICHE KRITIK auf. Bei 3 a) b. Sp und Sp„ stehen in normalem Verhältnis zueinander. werden moderate Äußerungen als KRITISCHE MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) verstanden. Alle nicht-moderaten Äußerungen führen dazu, daß die Beziehung zwischen Sp1 und Sp2 belastet wird;16 es geht nicht mehr um eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG), sondern Sp1 realisiert den SAT VORWERFEN. Für VORWERFEN ist bereits darauf 16
Zu den Auswirkungen von Bewertungen auf den Beziehungsaspekt vgl. Zillig 1977:314ff.
128
hingewiesen worden, daß es die Bedingungen, die für BEWERTUNGEN aufgestellt worden sind, nicht erfüllt. Einige Variationen von B 3 c. sind bereits bei der Diskussion der Beispiele erörtert worden. Wenn für B 3 c. bei Geltung von B 3 a. B 3 a) c. Sp„ ist
mit Sp., freundschaftlich verbunden.
steht, so können, da Sp_ Stellvertreterfunktion hat, nur moderate Äußerungsformen gewählt werden. Auch hier gilt, wie schon bei 3 a) a., daß urikonziliante, harte Äußerungen nicht MEINUNGSÄUSSEKN (NEG) , sondern MDKWERFEN realisieren. Wird hingegen, wiederum bei Gültigkeit von B 3 a., B 3 c. in B 3 b) c. Sp
ist
Vorgesetzter von Sp
und Sp .
umgewandelt, so sind, wenn B 3 b. gültig bleibt, MEINUNGSfiUSSEKUNGEN (NEG) in vollem Umfang möglich. Gilt hingegen B 3 a) b., so sind nur moderate Äußerungen möglich, wobei auch hier zu beachten bleibt, daß zunehmende Offenheit in der MEINUNGSÄUSSERUNG das Vertrauensverhältnis zwischen Sp und Sp_ zu steigern vermag. Die Situationstypen, für die B 3 a. gilt, müssen nun noch mit B 3 c) c. Sp ist Vorgesetzter von Sp und Sp . ergänzt werden. Auch hier sind, wie bereits in der Diskussion der Beispiele dargestellt wurde, nur moderate Äußerungen möglich. Ernsthaft kritische Äußerungen verletzen das Solidaritätsgebot und führen dazu, daß Sp.. Sp3 gegenüber dem Vorgesetzten Sp2 SCHMÄHT. Die Bedingungen, unter denen MEINUNGSÄUSSERN (NEG) vollzogen wird, zeigen insgesamt, daß die Rolle der Äußerungsformen vor allem von der p e r s o n e l l e n K o n s t e l l a t i o n in der Bewertungssituation abhängig ist und daß dabei die 'Härte' der Äußerungen eine wichtige Rolle spielt. Bei der Beschreibung der Äußerungsformen muß deshalb auch geklärt werden, in welcher Weise sich harte, unkonziliante Formen von moderaten Formen unterscheiden. 17
Vgl. oben, S. 9 3 f . Damit unterscheidet sich die hier vorgetragene und begründete Auffassung von der Haefeles, der (in Haefele 1979:97) davon ausgeht, daß u.a. auch Vorwerfen, Beschuldigen, Warnen und Drohen zu den Bewertungen zählen. Gemäß dem hier entwickelten Analysemodell werden die beiden erstgenannten Sprechakttypen nicht zu den Bewertungen gezählt, weil eine grundlegende Bedingung, nämlich das Vorhandensein der Bewertungskompetenz, nicht erfüllt ist. Die beiden letztgenannten Spreehakttypen sind, in dem oben präzisierten Sinn, implizite Bewertungen.
129
4.1.4 Äußerungsforroen In 2.2.2 ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Äußerungsformen, mit denen im Deutschen bewertet wird, deshalb nicht allein nach morphologischsyntaktischen Kriterien bestimmt werden können, weil sich Bewertungen syntaktisch von Beschreibungen nicht unterscheiden, weil bewertende Sprechakte mit sehr unterschiedlichen Formen realisiert werden und weil nahezu alle Äußerungen in irgendeinem Aspekt ihrer Verwendung 'wertend1 sein können. Aus ebendiesen Gründen werden in Grammatiken Bewertungen nicht als eigene Satztypen aufgeführt, sondern, wegen der syntaktischen und morphologischen Gleichheit mit Beschreibungen, Berichten, Hinweisen, Informationen etc., zusammen mit diesen sprachlichen Handlungen bei den Aussage- oder Urteilssätzen behandelt. Einzelne Phänomene, die den 'emotiven Charakter1 oder den 'affektiven Ausdruck1 der Satzverwendung anzeigen, werden daneben bei Aufforderungs-, Wunsch- oder Fragesätzen gesondert behandelt. Sucht man unter diesen Umständen nach den Äußerungsformen, durch die ein Sprechakttyp wie MEINUNGSÄUSSERN (NBG) vollzogen werden kann, so müssen vorher einige grundlegende Fragen, die traditionell innerhalb der Sprechakttheorie diskutiert werden, für den vorliegenden Zusammenhang neu überdacht werden. In dem nachfolgenden Exkurs wird die Frage diskutiert, wie sich Äußerungsformen von BEWERTUNGEN beschreiben lassen, und es wird auch gezeigt, wo die Grenzen der Zuordenbarkeit von Äußerungsform und Sprechakttyp liegen. Exkurs über Äußerungsformen Bei der Entwicklung des Analyseschemas für BEWERTUNGEN waren Äußerungsformen als syntaktisch und semantisch beschreibbare Einheiten der Sprache eingeführt worden, die, im Unterschied zu Sätzen, in ihrer Funktion innerhalb von Situationstypen untersucht werden. Darüber hinaus war angenommen worden, daß es bei allen im Analysebereich liegenden Sprechakttypen konventionell als BEWERTUNGEN geltende, singuläre Äußerungsformen gibt; diese sollten so beschrieben werden, daß die Regelhaftigkeiten bei der Wahl der Äußerungsformen erkennbar werden. Die Frage ist also, welche Eigenschaften Äußerungen haben müssen, damit sie beim Vorliegen eines bestimmten Situationstyps als Mittel des Vollzugs eines bestimmten Sprechakttyps erkennbar werden. Bereits bei der Untersuchung der Grammatiken und der vorliegenden Analysen von 'Wert-Wörtern1 hat sich nun allerdings gezeigt, daß es "eine verwirrende Vielfalt von Arten des Bewertens" (Sandig 1979:146) gibt, und es ist
130
bislang noch nicht klar, was beschrieben werden muß, wenn eine Äußerungsform auf ihre Eignung zum Vollzug einer Bewertung hin analysiert wird. Das Ziel dieses Exkurses ist die Diskussion und Beantwortung dieser Frage. Herausgefunden werden soll, aufgrund welcher Eigenschaften Sätze zu Mitteln werden, mit denen sprachliche Handlungen vollzogen werden können. Nach der Behandlung dieser allgemeinen Frage wird dann im besonderen zu zeigen sein, daß die Beschreibung der für BEWERTUNGEN geeigneten Äußerungsformen mit Problemen verbunden ist, wie sie bei der Bestiitirung der Äußerungsformen anderer Sprechakttypen nicht auftreten. Die Frage nach den sprechakt-indizierenden Mitteln legt es zunächst einmal nahe, eine Liste jener sprachlichen Mittel und Ebenen aufzustellen, durch die der Sprechakt, der mit einer Äußerung vollzogen werden soll, angezeigt wird. Mindestens sechs Bereiche lassen sich hier unterscheiden, nämlich der Bereich (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi)
der des der der der des
Syntax explizit-performativen Vorspanns verwendeten Lexeme Partikeln Intonation äußerungsbegleitenden Verhaltens (Gestik; Mimik; Körperhaltung).
Darauf, daß die letzten beiden Bereiche nicht Gegenstand der vorliegenden 1R Untersuchung sind, ist bereits hingewiesen worden. Es bleibt zu prüfen, in welchem der Bereiche (i) - (iv) Äußerungen so modifiziert werden können, daß sie zu Realisationen von Untermustern des SAT BEWERTEN werden. "Die charakteristische granmatische Form des illokutionären Aktes ist der vollständige Satz", sagt Searle (1969;1971:42), und er fügt hinzu, daß ein solcher vollständiger Satz im Grenzfall aus einem einzigen Wort bestehen könne. Diese knappe Feststellung wurde in der bisherigen Diskussion innerhalb der Sprechakttheorie zunächst so verstanden, daß syntaktische Korrelate für die einzelnen Sprechakttypen gesucht wurden. 19 Ein solcher Ansatzpunkt lag 18
Bei der Beschreibung der Sußerungsformen des SAT KLAGEN (in Abschnitt 4 . 2 . 4 , wird allerdings wegen der besonderen Rolle, die die Intonation beim Vollzug dieses Sprechakttyps spielt, auf einige Besonderheiten der 'Klage-Intonation' eingegangen werden.
19
Dies ist damit erklärbar, daß zunächst der Versuch gemacht wurde, die sprechakttheoretischen Grundannahmen an modifizierte transformationelie Modelle zu binden. Bekannte Beispiele für diesen Versuch waren die Postulierung von Hypersätzen durch J.M. Sadock und die performative Analyse,
131
auch deshalb nahe, weil in den Sprachen, die in diesem Zusanmenhang zur Beispiel-Gewinnung herangezogen wurden, für grundlegende sprachliche Handlungen (Aussagen, Informieren, Behaupten; Fragen, Bitten; Auffordern, Befehlen; usw.) auch eigene syntaktische Formen in Gestalt von Aussage-, Frageund Befehlssätzen vorhanden sind. Eine besondere Richtung, die nicht allein auf syntaktische Eigenschaften von Sätzen bzw. Äußerungen abhob, war die Untersuchung des sogenannten 1 illocutionary act potential1 (vgl. Alston 1963;197 :147, Grewendorf 1972: 166 und Searle 1975:75f.), bei der es darum ging zu fragen, welche Sprechakte mit einer gegebenen Äußerung vollzogen werden können, wenn die entsprechenden situativen Bedingungen erfüllt sind. Diese Analysen waren deshalb von großem Interesse auch für die Linguistik, weil sich hier zeigte, daß die Äußerungen nicht allein bestürmen, welcher illokutionäre Akt im jeweilig konkreten Fall vollzogen wurde. Äußerungen wie (38)
Ich komme morgen.
(39)
Hans ist ein guter Gastgeber.
(40) Jochen ist ein hinterhältiger Bursche.
könnten unterschiedliche sprachliche Handlungen realisieren: Vfenn Sp1 wünscht, daß Sp2 kommt, ist (38) eine ZUSAGE oder ein VERSPRECHEN; wenn das Kannen unerwünscht ist oder sogar eine Gefahr für Sp_ beinhaltet, kann die Äußerung (38) eine VORAUSSAGE einer nicht erwünschten Handlung oder eine DROHUNG sein. (39) kann, wenn es lediglich allgemein um die Frage geht, wer in einem Bekanntenkreis ein guter und wer ein schlechter Gastgeber ist, eine bloße MEINUNGSÄUSSERUNG (POS) sein; (39) kann allerdings auch wenn es darum geht, ob z.B. eine bestimmte Party besucht werden soll oder nicht, eine (indirekte) AUFFORDERUNG bzw. die BEGRÜNDUNG für einen Vorschlag sein. (4o) ist, in einer Unterhaltung über nicht anwesende Bekannte, eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG); in einer Situation, in der Sp~ die fragliche Person (Jochen) nicht kennt, aber demnächst mit ihr in Verhandlungen treten wird, kann (4o) eine WARNUNG sein. Diesem Analysestandpunkt, der nach den Sprechakttypen fragt, die sich mit einer gegebenen Äußerungsform vollziehen lassen, steht ein anderer gegenüber, der die jeweiligen Sprechakttypen als gegeben annimmt und sodann herauszufinden die Ross in On Declarative Sentences' vorgenommen hat. (Eine Zusammenfassung derartiger Entwicklungen gibt Grewendorf 1972; vgl. bes. den Abschnitt 'Syntaktische Form und illokutionäre Rolle 1 , ebd., 1 7 4 f f . )
132
sucht, welche A'ußerungsformen zum Vollzug gewählt werden können. Die Konstruktion des Analyseschemas hat bereits deutlich gemacht, daß hier von diesem zweiten Analysestandpunkt ausgegangen wird. Mit dieser Feststellung sind allerdings nicht alle Fragen, die im Zusammenhang mit den fiußerungsformen der Untermuster von BEWERTEN auftauchen, geklärt. Es gibt vielmehr einige Besonderheiten der Beschreibung, die bei BEWERTUNGEN ins Blickfeld rücken, während sie bei anderen Sprechakttypen nicht in der Weise zum Problem werden. Insgesamt drei Themenbereiche sind dabei betroffen, nämlich (i) die sogenannte Theorie der indirekten Sprechakte, (ii) die Unterscheidung von lexikalisch und syntaktisch bestimmten Realisierungsformen und (iii) die Abgrenzung zwischen sprechakt- und dialogbezogenen Funktionen. Zum Problem des indirekten Sprechaktvollzugs hat Searle in seinem Aufsatz 'Indirect Speech Acts' ausgeführt: The simplest cases of meaning are those in which the speaker utters a sentence and means exactly and literally what he says. ... But notoriously, not all cases of meaning are this simple: In hints, insinuations, irony, and metaphor - to mention a few examples the speaker's utterance meaning and the sentence meaning come apart in various ways. (Searle 1975:59)
Es geht nun nicht darum, die mit dieser Theorie aufgeworfene Gesamtproblematik zu erörtern. (Eine Zusammenfassung der Diskussion der indirekten Sprechakte gibt Auwera 1979.) Vor allem die Frage, ob es sinnvoll ist, aus alltäglichen Redewendungen wie Ich meine das ganz wörtlich oder wörtlich genommen bedeutet das, daß ... einen sprachphilosophischen bzw. sprachwissenschaftlichen Terminus der 'wörtlichen Bedeutung1 herzuleiten, kann nicht diskutiert werden. Festgehalten aber werden muß der folgende Gedanke: Auch BEWERTUNGEN können in unterschiedlicher Weise "indirekt1 ausgedrückt werden. Wenn es darum geht, die Äußerungsformen, die zum Vollzug der einzelnen Sprechakttypen geeignet sind, festzulegen, müssen vorweg die indirekten Formen des BEWERTENS bekannt sein, und es muß klar sein, welche dieser indirekten Arten des Musters BEWERTEN 2o
Die Implikationen beider Ansätze sind bei Hindelang 1979 diskutiert. Hindelang unterscheidet insgesamt drei Modelle einer linguistischen Sprechakttheorie: Das formorientierte Modell "geht aus von einem leicht abgrenzbaren grammatischen, morphologischen oder lexikalischen Phänomen" (ebd., 21o) und fragt, welche Inhaltskategorien zugeordnet werden können. Der semantikorientierte Ansatz geht demgegenüber von der Frage aus, mit welchen sprachlichen Mitteln ein bestimmter Inhalt ausgedrückt werden kann. Schließlich wird beim illokutionsorientierten Ansatz der Frage nachgegangen, durch welche Inhaltskategorien ein gegebener Sprechakttyp vollzogen wird und welches die dafür vorgesehenen Ausdrucksmittel sind.
133
Berücksichtigung finden können und welche nicht. Ehe die indirekten Formen des BEWERTENS umrissen werden, muß darauf hingewiesen werden, daß ein Problem, das Searle im Zusammenhang mit seiner Theorie der indirekten Sprechakte behandelt hat, bei konsequenter Unterscheidung von 'Sprechakt1 und 'Satz1 überhaupt nicht entsteht. Searle schreibt: The point is that, as is always the case with indirection, he [gemeint ist der Sprecher] means not only what he says but something more as well. What is added in the indirect cases is not any additional or different SENTENCE meaning, but additional SPEAKER meaning. ... In every one of these cases, the speaker issues a directiv BY WAY OF asking a question or making a statement. (Searle 1975:7o)
Es zeigt sich hier, daß Searle durch eine Vermengung der Begriffe 'Fragesatz' und 'Fragehandlung' zu der Behauptung kommt, AUFFORDERUNGEN könnten mittels FRAGEN realisiert werden. Hier muß die korrekte Formulierung lauten: Der Sprecher realisiert die AUFFORDERUNG durch einen Frage s a t z, und dies ist keine Fragehandlung. Es wird so lediglich noch einmal ins Blickfeld gerückt, daß die Satzformen nicht in jedem Fall direkt mit einem Sprechakttyp korres21 pondieren. Auch dann, wenn man ausschließt, daß Satzformen und Sprechakttypen begrifflich nicht hinreichend unterschieden werden, bleiben dennoch unterschiedliche Arten der Indirektheit bei BEWERTUNGEN möglich. So kann (41) Das war eine sehr präzise Aussage.
eine ironische Form der NEGATIVBEWERTUNG sein, wenn für den Adressaten der Äußerung klar ist, daß Sp1 mit (41) sagen will, die fragliche Aussage sei vage und unpräzise. In einem anderen Sinn indirekt ist eine Kritik, wenn Sp. zu Sp_ nach einem Vortrag von Sp_ sagt: (42) Ich glaube, Sie hätten den Mittelteil Ihres Referats noch straffen können.
Sp1 kann mit (42) zum Ausdruck bringen, daß er den Vortrag deshalb für schlecht gehalten hat, weil er zu lang war. Eine Formulierung wie (42) kann also der 21
Die Kritik an der unzulässigen Zusammenfassung von Satz und sprachlicher Handlung hat Hindelang (1978a:149ff.) entwickelt. - Die Probleme der indirekten Sprechakte wurden bei Ehrich/Saile (1972) aufgezeigt. (Der Begriff des impliziten Sprechakts, wie ihn Ehrich/Saile (ebd., 259f.) vorgeschlagen haben, stimmt dabei nicht mit dem überein, was oben (vgl. 1O5 f f . ) als 'implizite Bewertung' eingeführt werden ist. Bei Ehrich/Saile sind Sprechakte dann implizit, wenn mit ein und derselben Äußerung zwei getrennte Sprechakttypen realisiert werden. - Dazu auch Zimmermann/Müller 1977:245.)
134
Versuch sein, die Kritik vorsichtig zu formulieren, um dem Kritisierten nicht zu nahe zu treten. Dies ist jedoch nicht klar, denn (42) kann auch, als eine Art irrealer Ratschlag, tatsächlich nur bedeuten, daß Sp., an einer bestürmten Stelle etwas zu weitschweifig in seinen Ausführungen war. 22 Während (41) und (42) konventionelle Äußerungen sind, mit denen der Sprecher 'indirekt' eine Meinung mitteilen kann, ist (43) Das erinnert mich an die Reden, die Müller immer gehalten hat.
nur zu verstehen, wenn Sp~ weiß, wer Müller ist, und wenn er erkennt, auf welchen Aspekt der Reden dieser Person sich Sp1 bezieht. Eine Äußerung wie (43) kann ein Hinweis darauf sein, daß Sp., und die Person, von der die Rede ist, die gleichen Auffassungen vertreten haben, wobei keine Wertung involviert ist; (43) kann aber auch eine nur dem Eingeweihten verständliche MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) sein. Hier wird die indirekte Art der BEWERTUNG also dadurch erreicht, daß nur der, der die Vergleichsbasis des Sprechers kennt, weiß, was Sp. meint. Die bisher angeführten drei Arten des indirekten Sprechaktvollzugs, die ironische BEWERTUNG, der irreale Ratschlag und die Bezugnahme auf eine nicht allgemein bekannte Vergleichsgröße, können im folgenden bei der Diskussion der möglichen Äußerungsformen nicht behandelt werden. Das gilt auch für diejenigen Formsn, die, vermittelt über einen 'vorgetäuschten Sprechakt', Untermuster von BEWERTEN realisieren. Wenn als eine Äußerung wie (44)
Was, das hast
d u
ganz alleine gemacht?
eine Möglichkeit darstellt, gegenüber einem Kind ein LOB auszudrücken, so kann das ebensowenig im einzelnen diskutiert werden wie etwa die Möglichkeiten, durch Aufforderungen wie (45)
Könnten Sie sich vielleicht mal etwas gesitteter benehmen?
einen TADEL vorzunehmen. Die vielfältigen Formen des POSITIV- und des NEGATIVBEWERTENS, die durch den Vollzug anderer Sprechakte indirekt bewertend sind, können nur mit einer eigenen Untersuchung der denkbaren Arten des impliziten Bewertens erfaßt werden. Mit der damit vorgenommenen negativen Ausgrenzung derjenigen indirekten 22
Das heißt allerdings, daß mit Äußerungsformen wie Er hätte x-en sollen (statt zu z-ten) eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) ausgedrückt werden kann. Insofern ist jede Äußerung, mit denen Sp zum Ausdruck bringt, daß Sp oder Sp eine Handlung statt einer anderen hätten ausführen sollen, immer eine NEGATIVBEWERTUNG der ausgeführten Handlung.
135
BEWERTUNGEN, die nicht behandelt werden sollen, ist noch nicht geklärt, welche semantisch-syntaktischen Eigenschaften diejenigen Äußerungen haben müssen, die zentraler Gegenstand der Analyse sind. Diese Festlegung kann nicht auf einer einzigen Ebene vorgenoninen werden. Es sind wiederum drei gesondert zu behandelnde Themenbereiche, die beachtet werden müssen. Zunächst muß (i) gefragt werden, welche syntaktischen Eigenschaften die Äußerungsformen der BEWERTUNGEN haben; sodann ist (ii) offen, welche den bewertenden Charakter der Äußerung bedingenden Lexeme an welcher Stelle des syntaktischen Gefüges auftreten können; und schließlich bleibt (iii) zu fragen, welche systematischen Ergänzungen z.B. durch Partikeln auftreten. Die zuletzt genannte Frage, die die Arten der Ergänzungen betrifft, legt zugleich eine Vorgehensweise bei der Untersuchung der ersten beiden Punkte fest: Es wird hier von G r u n d f o r m e n ausgegangen werden, die nicht nach den im Deutschen möglichen Ergänzungen generell fragen, sondern lediglich solche Erweiterungen der angenommenen Grundform berücksichtigen, die im Zusammenhang mit den zu untersuchenden Sprechakttypen funktional sind. Die Beispiele für MEINUNGSÄUSSERN (NEG) unter 4.1.1 enthalten eine Reihe von Äußerungen mit nichtfunktionalen Erweiterungen. So ist beispielsweise der Nebensatz was Wunderbaum gesagt hat in (4) für die Diskussion der Äußerungsformen irrelevant, da derartige Erweiterungen durch Nebensätze keine Funktion für den Sprechaktvollzug haben. über die funktionalen Ergänzungen wird bei der Behandlung der Ebene (iii) gesondert gesprochen werden. Zunächst geht es darum, zu bestimmen, welches die Grundformen für BEWERTUNGEN sind. Es gilt: Als Grundformen werden A u s s a g e f o r m e n des Deutschen behandelt. Diese sind in zwei Gruppen geschieden: Den einfachen oder positiven Aussageformen stehen die vergleichenden Formen gegenüber. Der Unterschied zwischen positiven und vergleichenden Aussageformen läßt sich am besten anhand von Aussagesätzen mit der Kopula sein und einem prädikativisch gebrauchten Adjektiv bzw. einem Prädikatsnomen zeigen. (46)
Die Ansprache von Müller war
gut.
soll als Beispiel für eine positive oder einfache Aussageform stehen, wohingegen (47) - (49) vergleichende Aussageformen sind. (47)
Die Ansprache von Müller war besser als die Ansprache von Meyer.
(48)
Die Ansprache von Müller war die beste.
(49)
Die Ansprache von Müller war genauso schlecht wie die von Meyer.
136
Hinzu kennen solche Vergleiche, bei denen nicht die eine Sache mit der Qualität einer anderen verglichen wird, sondern bei denen das Objekt dadurch bewertet wird, daß es mit einem 'paradigmatischen Objekt* in Beziehung gesetzt wird. Wenn Sp1 sagt (50) Müllers Ansprache glich der Sportpalast-Rede von Goebbels.
so vergleicht er das zu bewertende Objekt (Müllers Ansprache) mit einem anderen, das die Funktion des Wert-Paradigmas hat. Wert-Paradigmata sind dabei solche Objekte, über deren Qualität innerhalb einer Sprachgemeinschaft oder einer Sprecher-Gruppe Einigkeit besteht. Für (5o) würde also etwa gelten, daß Sp ein Wissen von Sp_ voraussetzt; dieses Wissen würde beinhalten, daß das paradigmatische Objekt (die Sportpalast-Rede von Goebbels) nicht ein auf Sachargumente, sondern ein auf das Hervorrufen von emotionalen und nationalistischen Reaktionen der Zuhörer abzielender Vortrag vor. Die Grundthese, die mit den Aussageformen verbunden ist, besagt, daß auch andere Äußerungen, bei denen BEWERTUNGEN z.B. attributiv oder durch eine Apposition ausgedrückt werden, in derartige prädikativische Aussagen umgeformt und sodann als Aussageformen weiter analysiert werden können. (51) Die gute Ansprache von Müller hat allen Anwesenden die Augen geöffnet. (52) Müllers Beitrag zu dieser Veranstaltung, eine gute Ansprache zu Beginn, war ungefähr 3o Minuten lang.
sind also insofern BEWERTUNGEN, als in beiden Äußerungen die einfache, prädikative Aussageform Müllers Ansprache war gut enthalten ist. 23 (51) und (52) enthalten BEWERTUNGEN, sie realisieren aber nicht das Muster BEWERTEN. Will man die in den Äußerungen enthaltenen BEWERTUNGEN untersuchen, so müssen zuerst die darin enthaltenen Grundformen festgestellt werden; diese können dann, als eigenständige Äußerungsformen, zum Gegenstand der Analyse gemacht werden. Nachdem die Grundformen des Musters mswEKTtii als Aussageformen bestinittt sind, ist in einem nächsten Schritt zu fragen, welche Wortarten in dem syntaktischen Gefüge der Aussageformen bewirken, daß es sich bei einer gegebenen Aussage um eine BEWERTUNG und nicht um eine BESCHREIBUNG handelt. Es gibt offensichtlich im Deutschen in jeder der Hauptwortarten Lexeme, die geeignet sind, eine BEWERTUNG auszudrücken. Diese zeigen die Beispiele (53) - (55). 23
Diese Auffassung entspricht der Behandlung der attributiven Adjektive in Grammatiken, in denen das attributive Adjektiv und das attributive Adverb "prinzipiell aus der gleichen Prädikation - dem sein-Satz" (Heibig/ Buscha 1972,-1979:52o) abgeleitet werden.
137 (53) Müller h a t
g e f a s e l t .
(54) Müller h a t
w i r r
geredet.
(55) Müllers Diskussionsbeitrag w a r Q u a t s e h . Verben (z.B. faseln,· quatschen; spinnen),
Substantive (Quatsch, Unsinn;
Stuß)
vor allem aber Adjektive bzw. Adverbien (wirr,· gut; schlecht; dumm; blöd; ausgezeichnet) bestirnten, ob die Aussageform eine BESCHREIBUNG oder eine BEWERTUNG eines gegebenen Objekts darstellt.
24 Bei BEWERTUNGEN können auch mehrere der
entsprechenden Lexeme zusaniren vorkamen: (56) Müller hat wirr gefaselt. (57) Müller hat wirren Quatsch geredet. Es ist nicht der Sinn dieses Exkurses, alle Satzmodelle des Deutschen im einzelnen aufzuführen und die Prädikate durch die entsprechenden Lexeme zu besetzen. Die syntaktische Beschreibung deutscher Aussagesätze ist in den vorhandenen Grammatiken geleistet (vgl. z.B. Duden 1959;1973:478ff. und HelMg/Buscha 1972;1979:548ff.), und die Gliederung des Gesamtwortschatzes an 'Wert-Wörtern1 wäre nur im Rahmen einer eigenen Untersuchung möglich.
Eine derartige Unter-
suchung muß allerdings, wie in 2.2.2 am Beispiel der Adjektive gezeigt wurde,
24
BESCHREIBEN und BEWERTEN sind nicht die einzigen Funktionen der Aussageformen; wie in 5.2 gezeigt wird, umfaßt die Klassifikation der Aussagen daneben noch INTERPRETATIONEN und KLASSIFIKATIONEN, wobei zu beachten ist, daß vor allem zwischen BEWERTEN und INTERPRETIEREN funktionale Gemeinsamkeiten bestehen.
25
Die beiden großen, nach inhaltlichen Gesichtspunkten gliedernden Wörterbücher des Deutschen, der 'Deutsche Wortschatz' von Wehrle/Eggers (1942; 1967) und der 'Deutsche Wortschatz nach Sachgruppen' von Dornseiff(1933; 1959), sind hier nur in Ansätzen brauchbar. Bei Wehrle/Eggers sind vor allem die Großgruppen "Gebiet des Wollens 1 und 'Gefühlsleben' einschlägig, in dem Wörterbuch von Dornseiff finden sich die entsprechenden Eintragungen in erster Linie in den Hauptabteilungen 'Wollen und Handeln', "Fühlen, Affekte, Charaktereigenschaften', 'Kunst' und 'Recht, E t h i k 1 . Die theoretischen Grundlagen beider Wörterbücher lassen aber eine eindeutige Zuordnung von 'Wert-Wörtern' zu geschlossenen Gruppe nicht zu. So verweist etwa Dornseiff unter dem Register-Stichwort gut auch in die Gruppen "Geruch" (wohlriechend; aromatisch), Geschmack (munden; Aroma), 'Zustimmung' (gut; schön, bravo), 'Milde' (gut angeschrieben sein; freundlich) und "Reichtum 1 (gut dran/fein heraus sein). - Die Schwierigkeit bei der Ausgliederung der 'Wert-Wörter' hat ihren Grund in der Tatsache, daß die genannten Wörterbücher vor allem nach denotativen/deskriptiven Gesichtspunkten gliedern. Da ein Großteil der Lexeme jedoch neben denotativen Merkmalen auch Merkmale der Bevorzugung und der Einschätzung trägt, werden die entsprechenden Lexeme über die denotativen Gruppen verteilt.
138
von einer Analyse der Funktion der Lexeme und damit von einer Beschreibung des SAT BEWERTEN und seiner Untennuster ausgehen. Die zentrale Aufgabe bei der Bestimmung der Äußerungsformen von BEWERTEN gegenüber anderen Sprechakttypen läßt sich damit zusammenfassend so formulieren: Es gibt, wie eingangs dieses Exkurses dargestellt, unterschiedliche sprechakt-indizierende Kittel. Bei Sprechakttypen, die eigene, auf der Ebene der Syntax angesiedelte Indikatoren besitzen, läßt sich eine Liste der syntaktischen Varianten der möglichen Äußerungsformen aufstellen. Das ist beim SAT BEWERTEN nur bedingt möglich, weil hier die Sprechakt-Charakteristik grundsätzlich nur aus der Beziehung zwischen Situationstyp, Satzform und den in der Prädikation einer Äußerung auftretenden Lexemen resultiert; hier ist eine Untersuchung des Wortschatzes, der in einem vorgegebenen syntaktischem Rahmen im Falle von BEWERTEN also in Aussageformen - den entsprechenden Typ einer sprachlichen Handlung bedingt, notwendig. Im Falle des SAT BEWERTEN kann eine Gliederung der Äußerungsformen unter diesen Voraussetzungen dadurch erreicht werden, daß zweierlei getan wird: Es wird angegeben, welches die Objekte sein können, auf die sich Sprecher mit einem bestürmten Untermuster von BEWERTEN beziehen, und es werden die Werte bestimmt, auf deren Erfüllung oder Nichterfüllung bei der Realisierung der Untermuster die Sprecher Bezug nehmen. Hinzu könnt, daß geklärt werden muß, wann Interjektionen und elliptische Formen an die Stelle vollständiger Aussageformen treten können. Bei der funktionalen Ergänzung der Grundform sind vor allem affektivische Abtönungspartikeln, Gradpartikeln und Zeitadverbien bedeutsam. Diese funktionalen Ergänzungen der Grundform sollen bei der Beschreibung der Äußerungsformen Berücksichtigung finden. 26
Die begriffliche Unterscheidung von Interjektionen, Ausrufen, Ausrufesätzen und Ellipsen ist in den Grammatiken nicht einheitlich. In der Regel werden Interjektionen nicht als 'eigentliche Aussagen 1 verstanden (vgl. Erben 1958; 1 9 7 2 : 3 1 2 ) . Dennoch können sie "eigenständige, 'zwischengeworfene 1 Äußerungen ... der Überraschung oder des Schmerzes, der Lust oder des Widerwillens" sein (ebd., 188). Ihrer Funktion nach werden die Interjektionen ohnehin als 'Satzäquivalente' aufgefaßt (vgl. Helbig/Buscha 1972;1979:469f.). Der Begriff der Interjektion wird innerhalb der vorliegenden Arbeit nur auf jene dem Ausdruck von Emotionen dienenden Einzellaute (li!/Oh!/Au!/Ah!) beschränkt, die in spontanen Ausrufen vorkommen. Die Ausrufe sind demgegenüber entweder verkürzte Sätze (Blöde Frage! für den Satz Das ist (vielleicht) eine blöde Frage!) oder vollständige, durch die Intonation und Lautstärke hervorgehobene Sätze; letztere können die syntaktische Struktur der Aussageformen beibehalten (Das ist eine blöde Frage!) oder mit Spitzenstellung des Verbs bzw. der Kopula gebildet werden (Ist das eine blöde Frage!).
139
Es bleibt damit zu klären, welches der Unterschied zwischen den sprechaktund den dialogbezogenen Funktionen von Äußerungen ist. Die Analyse von Dialogen zeigt, daß jene Äußerung, die den Zug eines Sprechers innerhalb eines Dialogs bildet, durch drei Eigenschaften bestimnt ist, nämlich durch den Ort der Äußerung in der Sequenz, durch die Funktion, die die Äußerung unabhängig von der Sequenz hat, und durch den Sequenzbezug. (Vgl. Zillig 1979:1o2) BEWERTUNGEN werden häufig mit einer besonderen Sequenzfunktion gebraucht. So kann in (58)
Sp : Kommst du mit ins Kino?
(59)
Sp : Blöde Frage!
die Äußerung (59) die Funktion haben, die mit (58) gestellte Frage zu bejahen. (59) hat in diesem Fall die Bedeutung von Diese Frage ist doch
überflüssig;
natürlich komme ich mit. Ein Vorschlag wie
(60) Wir könnten heute abend mal wieder ins Kino gehen. wird durch die Replik von Sp~ in (61) (61) Das ist
eine gute Idee!
nicht nur positiv BEWERTET, sie wird zugleich akzeptiert. Bei den initialen Äußerungen und ihren Repliken, für die (58) - (61) Beispiele sind, tritt die Sequenzfunktion der Repliken so stark in den Vordergrund, daß nur noch bedingt davon ausgegangen werden kann, daß die initiale Äußerung BEWERTET wird. Die Äußerung (59) ist eine konventionelle Möglichkeit, eine Frage zu bejahen und gleichzeitig darauf hinzuweisen, daß die Frage als überflüssig betrachtet wird. (61) ist eine ebenso konventionelle Form des nachdrücklichen Akzeptierens eines Vorschlags. Weil hier die Funktion von BEWERTUNGEN entscheidend ist, muß die Untersuchung der Wirkung derartiger Äußerungen innerhalb der 28 Dialoganalyse vorgenommen werden. 27
Davon, daß die Replik nur noch bedingt eine BEWERTUNG ist, kann deshalb gesprochen werden, weil ein Berichterstatter sagen kann Er hat den Vorschlag akzeptiert; er kann allerdings auch sagen A fand, daß das eine gute Idee ist. Der Unterschied zwischen den beiden Berichten besteht darin, daß im ersten Fall nur die Zustimmung von Sp zum Ausdruck gebracht wird, während im zweiten Fall die positive BEWERTUNG mit dargestellt ist.
28
Vgl. dazu Hundsnurscher 198o. Hundsnurscher entwickelt hier das Konzept einer Dialoggrammatik, indem er Dialoge als "regelhafte Verknüpfungen von Sprechakten" (ebd., 92) auffaßt und zunächst ein allgemeines Schema eines von einem dialogeröffnenden Sprechakt ausgehenden Dialogs entwirft. Als erster Gegenzug steht es Sp dabei generell o f f e n , auf den initialen Sprechakt mit 'positivem 1 oder 'negativem Bescheid' zu reagieren. Diese Antworten können in vielen Fällen mit bewertenden Äußerungen gegeben werden.
140 Der Vollständigkeit halber muß noch darauf hingewiesen werden, daß auch deskriptive Aussagen häufig insofern BEWERTUNGEN zu enthalten scheinen, als der Adressat der Äußerung weiß, welche Eigenschaften) ein gegebenes Objekt haben
s o l l t e ; der Adressat kann deshalb folgern, daß ein Objekt, das
eine bestimmte 'deskriptive Eigenschaft1 hat, positiv oder negativ ist. Sagt etwa Sp, (62)
Müller zitiert ausschließlich Bücher, die vor mehr als zehn Jahren erschienen sind.
und weiß Sp2/ daß es für die Qualität einer Arbeit davon abhängt, daß neueste Forschungsliteratur berücksichtigt wird, so ist (63)
(62) gleichbedeutend mit
Die Bücher, die Müller zitiert, sind veraltet.
Derartige Äußerungen, die BEWERTUNGEN insofern implizieren, als aus der Kenntnis des deskriptiven Sachverhalts eine Qualität erschlossen werden kann, lassen keine generalisierenden Analysen zu. Schlüsse dieser Form setzen stets voraus, daß dem Adressaten bekannt ist, welche Eigenschaften das beschriebene Objekt haben muß, um als positiv zu gelten. Eine /»nalyse solcher Schlüsse muß also immer mit einer Untersuchung der materialen Eigenschaften und Standards von Objekten einhergehen. Damit sind die Realisationsmöglichkeiten von BEWERTUNGEN bestimmt und können in einem Uberblickschema (S. 141) zusammenfassend dargestellt werden. Es zeigt sich, daß eine Beschreibung der Äußerungsformen von U-BEWERTUNGEN zweierlei beinhaltet: Es müssen zum einen die Aussageformen und ihre möglichen funktionalen Ergänzungen dargestellt werden; zum anderen geht es um die Bestimmung der Wertbereiche von Objekten. Nachdem nunmehr der Exkurs, der allgemein die Fragen der für BEWERTUNGEN relevanten Äußerungsformen behandelte, abgeschlossen ist, können die Äußerungsformen des SAT MEINUNGSÄUSSEFN (NEG) bestimmt werden. Gemäß den in dem Exkurs entwickelten Forderungen geschieht dies in der Weise, daß zunächst die Grundformen bestimmt werden. Hierauf geht es um die funktionalen Ergänzungen dieser Grundformen. Abschließend wird dann eine Liste der Möglichkeiten, MEINUNGSÄUSSERUNGEN (NEG) in moderater Form auszudrücken, aufgestellt. Die Struktur der einfachen Aussageformen kann in dieser Weise entwickelt werden: 29 29
Die folgenden Strukturbeschreibungen geben, in der Art der Formationsregeln der Generativen Transformationsgrammatik, an, durch welches Element
141
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oder durch welche Elemente die Ausgangselemente sukzessive ersetzt werden k nnen. Die Pfeile zeigen also, da das Element links des Pfeils durch das (die) Element(e) rechts des Pfeils zu ersetzen sind. Die Elemente in den geschweiften Klammern sind dabei jeweils als Alternativen zu verstehen.
142
(i)
ÄUSS
O
+
s
Pro Art
(ii)
0
Präd
eval-
dem def
Art. indef Eigenname
Kop
(iii)
Präd
eval-
N E
eval-
E
eval-
evalV
(iv)
+
+
E 'eval-
eval-
Adj
eval-
+ N
E r l ä u t e r u n g : Die Ableitungen sind wie folgt zu interpretieren: Eine Grundform ÄUSS des Musters MEINUNGSÄUSSERN (NEG) besteht gemäß Regel (i) aus einer Bezeichnung für das Objekt der MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) und einem Prädikatsteil. Das Prädikat ist evaluativ und bringt zum Ausdruck, daß das Objekt in einem oder in mehreren Aspekten negativ ist. Gemäß Regel (ii) kann die Objektbezeichnung durch eine demonstrative Pro-Form, durch ein Nomen mit bestimmtem oder unbestimmtem Artikel oder durch einen Eigennamen dargestellt werden. (Hier sind lediglich die Möglichkeiten aufgeführt, die beim Vollzug des Sprechakts zu differenzierten, noch näher zu bestimmenden Varianten führen. Nach Regel (iii) kann der Prädikatsteil durch die Kopula sein und ein Ergänzungselement, durch ein evaluatives Verb oder durch ein Vollverb mit entsprechendem Ergänzungselement realisiert werden. Als Ergänzungselemente kommen nach Regel (iv) evaluative Prädikatsnomina oder evaluative Adjektive mit neutralen Nomina bzw. Adverbien in Frage.
An dieser Stelle muß darauf hingewiesen werden, daß die Einführung von 'eval' innerhalb des Prädikatsteils nicht gegen den in 2.2.3 aufgestellten Grundsatz der Ablehnung des Begriffs 'Wert-Adjektiv' verstößt. Alle Elemente, die innerhalb der Regeln (i) - (iv) als negativ bewertend eingeführt worden sind, sind
143
dies nur unter der Voraussetzung, daß die Bedingungen des Sprechaktvollzugs erfüllt sind. Anders ausgedrückt: Begriffe wie 'Wert-Adjektiv1 werden hier als pragmatische, nicht als semantische Termini interpretiert. Wertend sind Lexeme nicht aufgrund einer Bedeutungskomponente, sondern aufgrund ihrer Funktion innerhalb der Äußerungsform. Es ist nun zu überprüfen, welches die Bedingungen für die in den Ableitungsregeln angeführten Varianten sind. Die Objektbenennungen zeigen, daß vier verschiedene Benennungsmöglichkeiten bestehen. (64)
Das ist
schlecht.
(65)
Die Rede ist schlecht.
(66)
Eine Rede ist
(67)
Müller ist
schlecht.
ein böser Mensch.
Die verschiedenen O -Varianten sind mit situativen Konstellationen regelhaft verbunden. Nur in den Fällen, in denen Sp1 und Sp_ ein unmittelbar wahrgenonmenes Objekt bewerten, kann ein Demonstrativum wie in (64) eingesetzt werden. In allen anderen Fällen muß durch die Einführung einer die Referenz sichernden Bezeichnung gewährleistet werden, daß Sp„£, weiß, worauf sich Sp1\ mit 0 S bezieht. In (65) ist mit die Rede eine solche Beziehung gegeben. Reicht sie nicht hin, um Sp£,9 zu sagen, worauf sich die MEINUNGSAtJSSERUNG (NEG) bezieht, so muß OS genauer bestimmt werden. Die Mittel, mit denen dies geschieht, sollen im folgenden a l s ' r e f e r e n z s i c h e r n d e
E r w e i t e r u n g e n '
bezeichnet werden. Solche referenzsichernde Erweiterungen sind im Deutschen z.B. Relativsätze und Attribute.
("gestrige Rede von Müller (68) Die l^r:r^_":xr,:r_":":t_... Rede, die Müller gehalten hat.l war schiecht. Durch die Verwendung von bestimmten und unbestimmten Artikeln werden MEINUNGSÄUSSERUNGEN (NEG) bei konkreten Objekten und bei Substraten unterschieden. (65) ist also eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG), die eine ganz bestimmte Rede meint, während (66) eine Aussage über Reden im allgemeinen beinhaltet. 3o Die verschiedenen Möglichkeiten der Prädikation wurden bereits mit den im Exkurs angeführten Beispielen (53) - (57) erläutert. Bei MEINUNGSfiUSSERN (NEG) hat der Sprecher entsprechend (iii) und (iv) die Möglichkeit, die Kopula sein 3o
Diese Regulärität gilt im Deutschen allerdings nicht absolut. Auch bei einer Bestimmung mit dem bestimmten Artikel kann O als Substrat auftreten. Vgl. etwa Die sonntägliche Predigt ist ein Segen für die ganze Woche; hier kann die Objektbenennung sinngleich mit eine sonntägliche Predigt oder jede sonntägliche Predigt verwendet werden.
144
durch Ergänzungseleroente im Prädikativ zum Ausdruck einer MEINUNGSÄUSSERLING (NEG) zu machen, wobei Substantive im Nominativ und Adjektive bzw. Partizipien das Ergänzungselement bilden können. Für die anderen Möglichkeiten des Ausdrucks von MEINUNGSAXTSSERN (NEG), den Vollverben, die eine negative BEWERTUNG beinhalten, und den Vollverben, die durch ein Ergänzungselement negativ bewertend sind, wurden mit (54), (56) und (57) Beispiele angeführt. Nachzutragen bleibt, daß die Auswahl bei der Realisation von Präd ,_ von dem zur Verfügung stehenden lexikalischen Material abhängt; d.h. die Äußerungsformen des SAT MEINUNGSÄUSSEEN müssen stets im Zusammenhang mit den Werten gesehen werden, deren Nicht-Erfüllung ausgedrückt wird, und es muß gefragt werden, welche Lexeme zum Ausdruck dieser Nicht32 Erfüllung gegeben sind. Die von den Aussageformen abgeleiteten verkürzten Aussageformen können nur in solchen Situationen angewendet werden, in denen das Objekt entweder unmittelbar im Wahrnehmungsbereich liegt oder durch den dialogischen Kontext eingeführt ist. Ausrufe treten als elliptische Sätze auf, bei denen das prädikativische Adjektiv bzw. das Prädikatsnomen isoliert wird: (69)
Peinlich!
(70) Unverschämt! (71) Geschwätz! (72) Schwätzer!
31
Daneben besteht noch in einigen Fällen die Möglichkeit, eine Ergänzung durch eine Präposition + Substantiv vorzunehmen (Diese Frage ist von Bedeutung/von Wichtigkeit). Dabei werden jedoch zum Ausdruck von MEINUNGSÄUSSERN (NEG) in der Regel negierte POSITIVBEWERTUNGEN herangezogen. (Diese Frage ist nicht von Bedeutung). (Zur grammatischen Beschreibung des Prädikatsteils Helbig/Buscha 1972;1979:476ff.)
32
Vgl. dazu den Abschnitt 5.4, wo den bei der BEWERTUNG sprachlicher Äußerungen relevanten Werten jeweils Äußerungsbeispiele zugeordnet werden.
33
Vgl. beispielsweise: Sp : Ich mache den Topf auf und er ist voller Blut. Sp : li! - Es bleibt scnwierig zu entscheiden, ob derartige effektive Kundgaben der Betroffenheit als MEINUNGSÄUSSERUNGEN eingestuft werden können. Beachtet werden muß jedoch, daß zwischen Interjektionen als dem unmittelbaren sprachlichen Ausdruck der emotionalen Betroffenheit und der einer BEWERTUNG zugrundeliegenden emotiven Einstellung Beziehungen bestehen. Dies zeigt sich auch daran, daß den Interjektionen vollständige Aussageformen entsprechen: li! - Das ist ekelhaft./Oh! - Das ist erstaunlich. /Das ist schön./Vh! - Das ist schrecklich/erschreckend.
Derartige verkürzte Aussagefornen können durch Einleitungen ergänzt sein: (73)
145 34
Wie peinlich!
(74) Was für ein Quatsch!
Die Grundformen im Komparativ und im Superlativ sind insofern vergleichbar, als in beiden ein gegebenes Objekt OS1 mit einem oder mehreren Objekten OS2 (OS3, — / O 5n ) in Beziehung gesetzt wird. (75) Müllers Rede war schlechter als die von Meyer. ._,. ..,, , (76) Mullers Rede war
J d i e schlechteste T < l· ^am schlechtesten J
. ,, . (von a l l e n ) .
(77) Müllers Rede war genauso schlecht wie die von Meyer.
Bei Aussageformen im Superlativ (vgl. (76)) muß die Vergleichsgruppe der Objekte nicht genannt werden. Sp kann in der Regel voraussetzen, daß Sp_ 36 weiß, welche Objekte die Vergleichsgruppe bilden. Nachdem die Grundformen von MEINUNGSÄUSSERN (NEG) bestimmt sind, sollen nun die wichtigsten funktionalen Ergänzungen dieser Grundformen behandelt werden. Bei MEINUNGSÄUSSERN (NEG) sind vor allem die Gradpartikeln durchaus, ganz, höchst, sehr, überaus, viel, weitaus, ziemlich und die affektivischen Abtönungs34
Hier ist bei bestimmten Adjektiven die Verwendung substantivierter Formen gebräuchlich (So was Affektiertes! Vgl. auch die Nominalisierungen in Formen wie So was von Affektiertheit!)
35
Zu den verschiedenen Möglichkeiten superlativischer Ausdrucksformen die Zusammenfassung in der Duden-Grammatik ( 1 9 5 9 ; 1 9 7 3 : 2 6 3 f . )
36
Auf die Probleme der Logik komparativer Wertungen geht Iwin (197o;1975:26o f f . ) ein. Wichtig ist hier, daß ein Beschreibungsmodell, das BEWERTEN als eine Zuordnung eines Objekts zu einem oder mehreren Werten versteht, gewisse traditionelle logische Ableitungen nicht akzeptieren kann. Man kann also nicht, wie dies Davidson/Mc Kinsey/Suppes (1955) getan haben, besser-alsBewertungen von einem einfachen Präferenzkalkül herleiten, in dem P (A, B) bedeutet, daß jemand A gegenüber B vorzieht. Ein Modell, das die Aspekte von BEWERTUNGEN berücksichtigt, kann zeigen, daß n i c h t notwendig gilt P (A, B) & P (B, C) *· P (A, C) . Nimmt man an, daß A sich in die bewertungsrelevanten Aspekte a, b und c, B in b, c, d sowie C in c, d, e zerlegen läßt, so müßte die Implikation P ( ( a , b, c), (b, c, d ) ) & P (b, c, d) (c, d, e ) ) + P ( (a, b, c ) , (c, d, e ) ) Gültigkeit besitzen. Wenn man nun davon ausgeht, daß es jeweils 'präferenzrelevante Aspekte 1 gibt, die eine Bevorzugung begründen, so kann A wegen a gegenüber B und B gegenüber C wegen b vorgezogen werden. Da in diesen Präferenzrelationen e nicht vorkommt, kann C wegen e gegenüber A den Vorzug erhalten. Ähnlich läßt sich argumentieren, wenn man jeweils die Aspekte in der Gesamtkombination betrachtet; auch hier würde die Veränderung in e i n e m Aspekt bereits zur Änderung des Werts des Gesamtobjekts führen.
vgl.
146
partikeln doch und ja von Bedeutung.
37
Hinzu können die Fälle, in denen mit
zu angezeigt wird, daß ein Objekt negativ ist, weil es eine Eigenschaft im Übermaß besitzt oder das Maß des noch Akzeptierbaren überschritten hat. ganz sehr (78) Der Vortrag war« überaus ziemlich
schlecht.
(79) Der Vortrag von Muller war 4 . weitaus Meyer. L (80) Der Vortrag von Müller war 4 l weitaus
(81) Der Vortrag war
fja T 4 doch L [ j a dochj
r schlechter als der von J > der schlechteste. J
schlecht.
(82) Der Vortrag war zu schlecht. (83) Der Vortrag war zu lang. (84) Der Vortrag von Müller war ja doch sehr viel schlechter als der von Meyer.
Die Beispiele (78) - (84) enthalten nur solche Äußerungen, die gebräuchlich sind. Es zeigt sich dabei, daß die Partikeln nicht in allen Grundformen in gleicher Weise eingesetzt werden können und daß die Regel der Verteilung nur zum Teil offensichtlich ist. *(85) Der Vortrag war weitaus schlecht. *(86) Der Vortrag von Müller war ziemlich schlechter als der von Meyer. *(87a)Der Vortrag war völlig schlecht. (87b)Der Vortrag war völlig uninteressant.
Die Partikeln, die in (78) im Positiv, in (79) im Komparativ und in (80) im Superlativ eingesetzt werden können, sind, mit Ausnahme von weitaus, das in (79) und in (80) stehen kann, auf diese Formen verteilt und können nicht in den jeweils anderen stehen. Einen Sonderfall stellt völlig dar; es tritt in 37
Zur Bestimmung der 'Partikeln als illokutive Indikatoren 1 vgl. Heibig 1977. Heibig stellt hier fest, "daß die als semantisch bezeichneten Beschreibungselemente [der denotativen Semantik] in Wahrheit schon pragmatisch-kommunikative Faktoren einbezogen haben" (ebd., 33). (Zur Verteilung der Partikeln im Aussagesatz, der Entscheidungsfrage, der Ergänzungsfrage und dem Aufforderungssatz vgl. ebd., 3 6 f . , zur Rolle der Partikel doch, die in Aussagensätzen eine Bestätigung ausdrückt, "die der Sprecher auf den Hörer zu übertragen versucht, der dadurch die gleiche Einstellung wie der Sprecher zu dem Gesagten einnehmen soll", ebd., 39.)
147
eine Beziehung zum Objekt der BEWERTUNG u n d zum Prädikativ, wobei die Re•30 gel der Verteilung von beiden Elementen mit bestimmt ist. Durchaus in nicht negierten Formen wie (78) ist eine seltene stilistische Variante der Aussage Der Vortrag war (doch) sehr schlecht. Normalerweise wird durchaus nur in negierten Formen wie (88) Der Vortrag war durchaus nicht gut.
gebraucht. Hier hat die Partikel durchaus die Funktion, eine Äußerung wie (87) in einen Gegensatz zu einer anderen MEINUNGSÄUSSERUNG zu stellen, mit der Sp2 vorher behauptet hatte, daß der Vortrag gut gewesen sei. Diese Funktion hat auch doch in Formen wie (81). Bei Verwendung dieser Partikel zeigt der Sprecher an, daß er mit seiner Äußerung auf eine andere, gegenteilige Meinung Bezug nimmt. D.h. Äußerungsformen mit doch und auch ja doch sind in initialen Äußerungen gebräuchlich. Beide Partikeln können auch in Kombination mit Gradpartikeln vorkonmen. (84) zeigt eine der möglichen Verbindungen. Zu in Äußerungen wie (82) und (83) gibt an, daß das Objekt für einen bestimmten Zweck nicht genügend ist. Dabei können drei unterschiedliche Funktionen unterschieden werden: In (82) gibt zu an, daß eine Grenze der Abweichung von den einen guten Vortrag bestimmenden Werten überschritten ist. Zu schlecht sagt hier nichts über die absolute Bedeutung des Objekts aus. Ein Objekt kann gut und dennoch "zu schlecht für den Zweck X1 sein. Während zu in (82) eine Grundform ergänzt, die eine NEGATIVBEWERrUNG ist, modifiziert es in (83) eine deskriptive Aussage. Hier kann zu eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) dadurch kennzeichnen, daß eine Abweichung von meßbaren Eigenschaften auch eine Nicht-Er39 füllung von Werten beinhalten kann. In seiner dritten Funktion kann zu eine 38
Die Regel der möglichen Verteilung der Partikeln stellt ein umfangreiches Problem dar, das eine eigene Erforschung der pragmatischen und semantischen Funktion dieser Ergänzungen erforderlich machen würde. Das Beispiel völlig zeigt die Kompliziertheit der Verteilung exemplarisch: (87a) ist keine akzeptable Form, während (87b) korrekt ist. Daß dies nicht allein eine Frage der Semantik des prädikativen Adjektivs ist, zeigen Beispiele wie Die Marmelade ist völlig schlecht (- verdorben) und Müller ist völlig unehrlich. Bei schlecht kann hier eine Steigerung durch völlig vorgenommen werden, bei unehrlich ist dies, im Gegensatz zu uninteressant, nicht möglich.
39
Hier liegt also eine Folgerungsbeziehung zwischen einer deskriptiven und einer evaluativen Aussage vor, wie sie bereits in dem Exkurs über die Äußerungsformen beschrieben worden ist. Die Logik derartiger Folgerungsbeziehungen wird im 5. Kapitel näher untersucht. Dort wird sich zeigen, daß die Implikationen als unterschiedliche Arten von Begründungen einer BEWERTUNG verstanden werden müssen.
148
Äußerung, die in ihrer Grundform eine POSITIVBEWEKTUNG ist,
in eine NEGATIV-
BEWERTUNG verwandeln: (89)
Hans ist
zu eloquent.
besagt, daß eine Abweichung von dem Wert 'Beredsamkeit' dadurch gegeben ist, daß die Person, die Objekt der MEINUNfGSÄUSSEIOSfG ist, in übertriebener Weise diesen Wert erfüllt. Bereits in dem allgemeinen Beschreibungsschema des 1. Kapitels ist festgelegt worden, daß BEWERTUNGEN als Aussagen verstanden werden sollen, in denen einem Objekt ein Wert zu- oder abgesprochen wird. Frage- und Imperativformen legen nicht direkt Eigenschaften fest, sondern sie enthalten Präsuppositionen, die als BEWERTUNGEN aufgefaßt werden können. So ist (90) Kannst du nicht endlich mal für fünf Minuten den Mund halten?
eine Frageform, durch die eine Aufforderung realisiert wird. Die AUFFORDERUNG selbst präsupponiert, daß Sp_ 2 zu lange und zu viel redet; dies wird negativ 4o bewertet. AUFFORDERUNGEN, die implizite BEWERTUNGEN enthalten, sollen hier nicht untersucht werden. Es bleiben jedoch zwei Äußerungsformen, die keine indirekten AUFFORDERUNGEN enthalten, sondern in erster Linie zum Ausdruck von MEINUNGSA'USSERUNGEN (NEG) verwendet werden; sie sollen deshalb neben den Aussageformen angeführt werden. (91)
Kann der nicht endlich mal für fünf Minuten den Mund halten?
(92)
Der
J ,, L l sollte
doch endlich mal für fünf Minuten den Mund halten!
Äußerungen wie (91) und (92) sind im Deutschen Formen, mit denen Sp1 eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) ausdrücken kann, indem er gegenüber Sp« zum Ausdruck bringt, daß Sp., besser etwas tun (oder unterlassen) sollte; sie sind keine AUFFORDERUNGEN, weil nicht Sp„ Adressat des Wunsches ist. 41 40
Formales Kennzeichen aller Äußerungsformen, die mit der AUFFORDERUNG einen VORWURF verbinden, ist die Einleitungsformel Kannst du nicht endlich mal ..., in der die Partikel endlich von besonderer Bedeutung ist: Kannst du nicht mal ist sowohl für BITTEN (Kannst du nicht mal nachsehen, warum der Hund so fürchterlich heult?) als auch für AUFFORDERUNGEN mit implizitem VORWURF (vgl. ( 9 o ) ) geeignet. Die traditionelle Kennzeichnung von endlich als einem Temporaladverb, durch das "Umstände der Zeit bezeichnet" werden (Duden 1959; 1973 : 3o6) , entspricht nicht dem vorliegenden Funktionszusammenhang. Es zeigt sich, daß Partikeln in Berichten eine ganz andere Rolle als in anderen Sprechakten spielen.
41
Welke (1965:Io3) hat darauf hingewiesen, daß sollen häufig in Sätzen vorkommt, die "keine dialogische, sondern eine monologische Funktion" haben. (91) ist so als eine Äußerung des 'inneren Monologs' zu verstehen, die auch dialogisch eingesetzt werden kann.
149
Aussageformen und die indirekten Formen, die mit (91) und (92) eingeführt sind, können durch Subjektivitätsformeln ergänzt werden. Die Subjektivitätsformeln treten vor oder hinter die Grundformen: (93)
Das war schlecht, finde
ich.
(94)
Ich finde, das war schlecht.
(95)
Ich finde, der Vortrag war schlecht.
Daneben können Subjektivitätsformeln so eingesetzt werden, daß sie Berichte über die Empfindungen, die bei Wahrnehmung des Objekts aufgetreten sind, ausdrücken. (96)
Ich fand den Vortrag schlecht.
(97)
leb fand den Vortrag von Müller besser als den von Meyer.
Damit bleibt abschließend zu klären, wie im Deutschen MEINUNGSÄUSSERN (NEG) durch 'moderate Äußerungen* vollzogen werden kann. In 4.1.2 hatte sich gezeigt, daß in bestimmten situativen Konstellationen die Meinung vorsichtig formuliert wird, um den Hörer nicht zu kränken, um keine Taktlosigkeit zu begehen und um die Beziehung Sprecher - Hörer nicht zu belasten. Zieht man alle Möglichkeiten heran, durch die MEINUNGSÄUSSEEN (NEG) in zurückhaltender Weise durchgeführt wird, so sind es nicht allein Kennzeichen der Äußerungsform, die berücksichtigt werden müssen. Sp, kann (i) von einer zu erwartenden POSITIVBEWERrUNG absehen und so auf indirekte Weise zum Ausdruck bringen, daß er OS negativ bewertet. (ii) durch eine gemäßigte POSITIVBEWERrUNG, ein 'halbherziges Lob', eine indirekte NEGATIVBEWEKTUNG ausdrücken, wenn klar ist, daß im Falle einer ernstgemeinten POSITIVBEWERrUNG diese emphatischer vorgetragen worden wäre (iii) MEINUNGSÄUSSERN (NEG) innerhalb einer komplexen Äußerungsform, in der er zunächst die Vorzüge von O hervorgehoben hat, als Einschränkung der POSmVBEWEKTUNG formulieren (iv) die Subjektivität seiner eigenen Sicht der Dinge betonen und damit klarlegen, daß er sich bewußt ist, daß m a n selbstverständlich auch anderer Meinung sein kann (v) die MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) in einem Verbesserungsvorschlag implizit ausdrücken, wobei die Form des Ratschlags hilft, die Gefahr für die Beziehung zwischen Sp1 und Sp_ abzuwenden (vi) die MEINUNGSÄUSSERUNGEN (NEG) anderer zitieren oder sagen, welchen Eindruck O5 vermutlich auf andere gemacht hat bzw. macht (vii) Äußerungsformsn, durch die POSITIVBEWERrUNGEN ausgedrückt werden, auf spezifische Weise negieren. Einige Beispiele in der Reihenfolge der angeführten Möglichkeiten; für ein Absehen von einer zu erwartenden POSITIVBEWERTUNG kann dabei kein Beispiel ge-
150 geben werden, da eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) hier nur im Gesprächsverlauf sichtbar wird. (75)
Wenn man berücksichtigt, daß es seine erste Ansprache vor einem größeren Publikum war, so war das schon ganz ordentlich.
(76)
Also insgesamt hat mir das Referat sehr gut gefallen, nur der Mittelteil war ein wenig langatmig.
(77)
Für meinen Geschmack ist seine Redeweise zu gekünstelt. Aber bitte - das ist nur meine Meinung, andere lieben vielleicht gerade dieses Theatralische.
(78)
An seiner Stelle würde ich den Mittelteil des Referats noch viel stärker straffen.
(79a)
Also Erika hat der Vortrag nicht gefallen.
(79b)
Ich nehme an, daß sich die meisten Zuhörer eher gelangweilt haben.
(8oa)
Ausgerechnet gegenüber Herrn Müller diese alte Geschichte wieder aufzuwärmen, war nicht sehr fair.
(8ob)
Diese These war ja nicht gerade sehr einleuchtend.
(8oc)
Sein Benehmen war ja nicht besonders zuvorkommend.
Eine andere Möglichkeit, MEINUNGSÄUSSERN (NEG) in zurückhaltender Weise vorzunehmen, miß deshalb gesondert aufgeführt werden, weil dabei überhaupt keine BEWERTUNGEN vorgenonmen werden. Sp1 beschreibt vielmehr 0 so, daß Sp_ nahegelegt wird, die NEGATIVBEWERTUNG des geschilderten Sachverhalts selbst vorzunehmen. Wenn Sp. (12) (S. 116) durch (12a)
Am Anfang des Jahres hat sich Fritz mit Hans gestritten, dann anschließend ist er mit Egon und schließlich noch mit Christoph aneinandergeraten.^2
ersetzt, so kann Sp_ erschließen, daß (12) gilt, ohne daß Sp1 dies eigens ausdrücken muß. Die wichtigsten Eigenschaften der für den Vollzug von MEINUNGSÄUSSERN (NEG) geeigneten Äußerungsformen lassen sich damit wie folgt zusaninenfassen: (i) In dem Kernbereich sind die für MEINUNGSÄUSSERN (NEG) verwendeten Äußerungen Aussageformen, die sich syntaktisch nicht von den für deskriptive Sprechakte eingesetzten Formen unterscheiden. Lediglich die häufige Verwendung von affektivischen Partikeln und Gradpartikeln stellt eine Eigenheit der Äußerungsformen bei MEINUNGSÄUSSERN (NEG) dar. Die syntaktische Gleichartigkeit der Äußerungsformen von BESCHREIBEN und BEWERTEN (hier MEINUNGSÄUSSERN (NEG)) fordert 42
Diese Form, die MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) indirekt auszudrücken, indem man es dem Hörer überläßt, den entsprechenden Schluß zu ziehen, ist dem Zitatbericht verwandt: Verzichtet der Berichterstatter bei Zitatberichten darauf, eine Äußerung als Vollzug eines Sprechakts selbst zu interpretieren, so läßt er hier den Hörer aus der Beschreibung ebenfalls selbst auf eine Bewertung schließen.
151 eine Lösung der Frage, worin die in der Prädikation geleistete Zuordnung eines Objekts zu Maßstäben (bei BESCHREIBEN) und Werten (bei BEWERTEN) sich unterscheidet. (ii) Die Aussageformen sind durch Subjektivitätsformeln ergänzbar. (iii) Interjektionen und Ausrufe unterliegen, ebenso wie Aussageformen, bei denen Os durch Pro^gu gegeben ist, der Bedingung der unmittelbaren Zuordenbarkeit. Unmittelbare Zuordenbarkeit zu 0 kann dadurch gegeben sein, daß Os im Wahrnehmungsbereich von Sp. und Sp~ war und unmittelbar vorausgegangen ist, oder dadurch, daß OS kontextuell eingeführt wurde. (iv) Komperativische und superlativische Formen, die insgesamt als Vergleiche aufgefaßt werden können, sind abgeleitete Aussageformen; auch sie verlangen die Lösung des unter (i) genannten Zuordnungsproblems. (v) Mit der Gradpartikel zu können sonst beschreibende Formen in Formen für MEINUNGSÄUSSERN (NEG) umgewandelt werden; sie bezeichnen Arten der Inadäquatheit von O . Bei bewertenden Formen können POSITIVBEWEETUNGEN (NEG) in Formen für MEINUN&XUSSERN (NEG) umgewandelt werden und bezeichnen dort Ubsrtreibungen. (vi) Bei den indirekten Frage- und Imperativformen muß zunächst beachtet werden, daß sie in der Regel Frage- bzw. Aufforderungshandlungen realisieren, die lediglich implizit bewertend sind. In bestimmten Fällen äußert Sp1 gegenüber Sp2 jedoch derartige Formen so, als ob er sie direkt an Sp3 richtete. Nur hier soll davon gesprochen werden, daß Frage- und Imperativformen als indirekte Formen für MEINUNGSÄUSSERN (NEG) verwendet werden. (vii) Um MEINUNGSAtJSSERN (NEG) durch moderate Formen zu vollziehen, stehen Sp. insgesamt sieben verschiedene Möglichkeiten zu Gebote. Nur zwei dieser Möglichkeiten werden durch Veränderung der Äußerungsform (restriktive/adversative Konjunktion bzw. Negation einer POSITIVBEWERTUNG) realisiert. 4.2
KLAGEN
4.2.1 Beispiele Beispiel 1: Mutter (Sp1) zu einer Freundin (Sp_) über ihren Sohn. (1) Schon seit über drei Jahren haben wir nicht mehr vernünftig miteinander gesprochen. (2) Er ist
nicht mehr offen wie früher, sagt nie,
wenn ihn etwas bedrückt.
(3) Wir haben es schon mit guten und mit bösen Worten versucht, aber mit dem Jungen ist nicht mehr zu reden. (4) Seit er mit diesem Klaus herumzieht, ist er ein ganz anderer geworden: Immer nur freche, patzige Antworten, wenn ich ihn etwas frage. (5) In der Klasse blödelt er herum, spielt den Clown und merkt nicht, daß ihn keiner für voll nimmt.
Beispiel 2: Eine Frau (SpJ zu einer Freundin (SpJ über ihren Ehemann. (6) Bei der geringsten Kleinigkeit schreit er los und gebärdet sich wie ein Irrer. (7) Wenn er wenigstens gegenüber den Kindern nicht immer nur mürrisch und abweisend wäre!
152 (8)
Seine ständige Fragerei, wo ich am Nachmittag war, wie ich mich fühle und alles das, das geht mir einfach auf die Nerven.
(9)
Ich finde einfach nicht die richtigen Worte, um ihm klarzumachen, was ich meine.
(10) Weißt du, er ist will.
einfach unfähig zu verstehen, was ich ihm sagen
Beispiel 3: Ein Angestellter (SpJ zu seiner Ehefrau (Sp_) über seinen Chef. (11) Man kann ihm einfach nichts recht machen. (12)
Wenn er nur einmal präzise sagen würde, was eigentlich zu machen ist!
(13)
Jedesmal schanzt er
(14)
Seine dauernden Vorwürfe machen jeden im Büro fertig.
m i r
die langweiligsten Arbeiten zu.
Beispiel 4: Sp, zu einem Freund (Sp 2 >. (15)
Ich kann mich bei Vorträgen in letzter Zeit immer schlechter konzentrieren.
(16) Ich finde einfach nie die richtigen Worte um zu sagen, was ich meine. (17)
4.2.2
Ich weiß ja, daß ich mich vor dem Untersuchungsrichter selbst um Kopf und Kragen geredet habe.
Diskussion
Der SAT KLAGEN war bei der Aufstellung der allgemeinen Gliederung als jener Typ von NEGATIVBEWERTUNGEN eingeführt worden, bei dem Sp. selbst von den Auswirkungen des negativ bewerteten O s betroffen ist und - un Unterschied zu VORWERFEN und VE3iANTWORTLICHMACHEN - Sp_ weder Schuld anlasten kann 1noch anlasten will. Ziel von Sp.. ist es, sich gegenüber Sp_ 'auszusprechen . Von Sp2 erwartet Sp.. nicht aktuelle Hilfe oder Ratschläge, sondern in erster Linie Verständnis und u.U. Trost oder Aufmunterung. (Zu den Möglichkeiten des Tröstens vgl. S. 108f., Fußn. 37.) Eine weitere Gliederung des Musters KLAGEN kann nun dadurch vorgenonmen werden, daß gefragt wird, welches die Ursache der KLAGE und damit das Objekt dieser Form des BEWERTENS ist. Allgemein können drei Gruppen unterschieden werden: 43 (i) Physische und psychische Leiden (ii) Schicksalsschläge (iii) Folgen von Handlungen/Handlungsweisen a) Folgen einzelner Handlungen b) Gewohnheiten c) Unfähigkeiten und Charaktereigenschaften. 43
Die Gebrauchsbedingungen des Verbs klagen gestatten es, daß in Berichten auch dann davon gesprochen wird, daß Sp geklagt hat, wenn dieser in ruhigem Ton und ohne erkennbare Anzeichen des Leidens darstellt, daß er Schmer zen hat. Dies bedeutet, daß in solchen Berichten nicht die Intention des
153
Nachdem im vorgegebenen Analysebereich (i) und (ii) ausgeklammert werden, bedeutet dies, daß Sp1 über Einstellungen, Gewohnheiten, Dispositionen und Verhalten bzw. Handlungen von Sp, klagen kann. Betrachtet man die Beispiele, so zeigt sich folgendes Bild: Sp. klagt in (1) über Störungen im kommunikativen Bereich zwischen sich und Sp.,. Die Störung kann von Sp, ausgehen, ohne daß dies zu einem Zuschreiben von Schuld führt; Sp1 kann vielmehr annehmen, daß Sp., nicht anders handeln kann. Diese Annahme kann in (2) zugrunde liegen. Bei (4) und (5) wird Sp, in unterschiedlicher Weise Schuld zugesprochen: O in (4) betrifft die Beziehung zwischen Sp. und Sp3, (5) das Verhalten von Sp, in einem bestimmten Bereich von Öffentlichkeit, der Schulklasse. (6) und (7) haben Charaktereigenschaften bzw. von Charaktereigenschaften abhängige Verhaltensweisen zum Gegenstand. Bei (1o) betrifft die KLAGE wiederum Störungen im kommunikativen Ablauf, allerdings wird hier, im Unterschied etwa zu ( 4 ) , der Grund für die Störung in einer Unfähigkeit von Sp, und nicht in Charaktereigenschaften (Jähzorn, Verschlossenheit) gesehen. (11) und (14) zeigen, daß die Trennung zwischen Gewohnheiten und Charaktereigenschaften in bestimtiten Fällen schwierig ist: Die Charaktereigenschaft des Vorgesetzten, der nicht zufriedenzustellen ist, führt z.B. zu der Gewohnheit, Handlungen von Untergebenen zu kritisieren. (12) hat als Objekt die mangelnde Genauigkeit bei der Formulierung von Anordnungen, (13) thematisiert, über die Aussage, die eine Gewohnheit von Sp, zum Gegenstand hat, das ungerechte Verhalten des Vorgesetzten. Die Beispiele (15) und (16) sind KLAGEN über psychische Voraussetzungen des Sprechens in einer institutionellen Situation (Konzentrationsfähigkeit) und über mangelnde Ausdrucksfähigkeit, das 'Finden der rechten Worte*. Schließlich zeigt (17), daß Sp.. auch über die Folgen einer aktuellen Fehlleistung klagen kann; die eigene Ungeschicklichkeit oder Unachtsamkeit hat die Position in einem Gerichtsverfahren verschlechtert. Sucht man nun die möglichen Objekte von KLAGEN zu generalisieren, so fällt zunächst auf, daß in den weitaus meisten Beispielen Sp. über etwas klagt, das über längere Zeit andauert. Ihren Ausdruck findet diese Tatsache in dem häufigen Auftreten von Zeitadverbien in den Äußerungsformen, sowie in Angaben über die zeitliche Dauer des beklagten Zustande (schon seit über drei Jahren; nie; immer; ständige Fragerei; jedesmal, dauernd). Ergänzt werden kann dies durch den Hinweis, daß Einstellungen, Gewohnheiten und Dispositionen bereits bei der Festlegung der möglichen Objekte von BEWERTUNGEN so bestimmt worden sind, daß es sich dabei um Verallgemeinerungen von Einzelerfahrungen handelt. Dies bedeutet, daß bereits durch die Semantik der Bezeichnungen für diese Kategorien von Objekten die zeitliche Dauer des Objekts gegeben ist. Bei dem einzigen Beispiel, bei dem Sp1 über ein einmaliges eigenes Fehlverhalten klagt ( 1 7 ) , muß davon ausgegangen werden, daß Sp1 vor allem über die Folgen der Ungeschicklichkeit klagt. Auch hier also betrifft die KLAGE einen länger andauernden Zustand; Sp. erwartet, daß er aufgrund seiner Aussage zu einer größeren Strafe verurteilt wird. Eine weitere Voraussetzung für KLAGEN betrifft die Möglichkeit, sich dem Zustand, der Anlaß der KLAGE ist, zu entziehen: Normalerweise wird Sp den Umgang mit Menschen, deren Gewohnheiten, Dispositionen oder Einstellungen er mißbilligt, einschränken oder ganz meiden. Die Beispiele zeigen, daß bei allen KLAGEN Sp1 nicht die Möglichkeit hat, sich ohne weiteres von Sp., zurückzuziehen. Drei Gründe sind es vor allem, die dies unmöglich machen. Der erste Grund ist Sprechers, sondern der propositionale Gehalt der Mitteilung für die Auswahl des Berichtsverbs verantwortlich ist. klagte über Schmerzen im rechten Knie wird so formuliert, weil die Mitteilung des Schmerzes generell gestattet, klagen zu verwenden.
154
mehr oder weniger trivial: Wenn Sp1 über eigene Unfähigkeiten oder aktuelle1 Fehlleistungen klagt, gibt es keinen 'Abbruch der Beziehung zu sich selbst . Die beiden anderen Gründe stehen in Zusantnenhang mit familiären oder beruflichen Bindungen. Führt Sp1 über einen Vorgesetzten Klage, so kommt hinzu, daß es keine oder nur eingeschränkte Mäglichkeiten gibt, durch Vorwürfe gegenüber Sp, die Situation zu verändern. Vor allem bei KLAGEN über Verständigungsschwierigkeiten im familiären Bereich kann hinzukommen, daß es sich um eine Störung handelt, deren Ursache Sp..1 nicht eindeutig lokalisieren kann (vgl. ( 1 ) ) . In der Übersicht lassen sich wiederum einige zentrale situative Bedingungen überprüfen. SAT KLAGEN Situative Bedingungen
sP
Vollzug des SAT
* o
Möglich, wenn O eine Disposition ist, die Sp. meint nicht ändern zu können, oder wenn O eine Handlung in der Vergangenheit ist, die gewichtige negative Folgen für Sp hat. Nur möglich, wenn Sp eine "Störung* kritisiert und Sp,, keine Schuld anlastet. Sonst nicht möglich, da in jedem anderen Fall Sp einen VORWURF realisiert.
; R
Möglich. (Die KLAGE enthält u.U. eine Aufforderungskomponente: Sp soll Sp 'ins Gewissen reden 1 .)
(Sp
Sp )
Möglich. Nicht möglich. (Sp hat die Möglichkeit, sich von Sp zurückzuziehen.)
; R
Nicht möglich. (Sp hat die Möglichkeit, Sp zurechtzuweisen oder anderweitig O zu verändern.) s Möglich. (Ist R als ist befreundet mit zu interpretieren, so will Sp seine freundschaftliche Beziehung zu Sp3 trotz des beklagten Zustands nicht aufgeben. Bei der Interpretation ist verwandt mit kann Sp die gegebene Bindung nicht ohne weiteres lösen.) Nicht möglich. ('Klagt' Sp bei Vorliegen dieser Konstellation über Sp_, so ist dies nach dem Muster BEKLAGEN; der SAT enthält eine Aufforderungskomponente, derzufolge Sp aufgerufen ist, gegen Sp_ Maßnahmen zu ergreifen.)
Legt man fest, in welchen Aspekten Sp.. O bewertet, wenn er über O klagt, so zeigt sich folgendes Bild:
155 Objekt
Beispiel
Nutzen/
Einstellungen
Unser Gregor ist Kommunist.
hervorgerufene Gefühle/Empfindungen
Gewohnheiten
Meiner Frau kann ich nichts anvertrauen, ohne daß es nach zwei Tagen alle ihre Freundinnen wissen.
Dispositionen
Ich bin einfach nicht so beredt wie Hans-Joachim.
Verhalten
Gregors Benehmen war eine Katastrophe für uns alle.
Kommunikative Verhältnisse
Wir verstehen uns schon seit Jahren nicht mehr.
Aspekt Folgen
Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß BEWERTUNGEN nicht nur einen einzigen Aspekt eines Objekts betreffen können. So sind auch bei KLAGEN verschiedene Aspekte angesprochen. Der für den SAT KLAGEN entscheidene Aspekt betrifft jedoch die Folgen für Sp... Dies läßt sich noch einmal an folgenden Beispielen zeigen: (18a)
Wir verstehen uns schon seit Jahren nicht mehr.
(18b) Sie verstehen sich schon seit Jahren nicht mehr. (19a)
Mein Chef ist kann.
halt einer von denen, denen man es nie recht machen
(19b)
Sein Chef ist kann.
halt einer von denen, denen man es nie recht machen
(2oa)
Ich war bei dem Vorstellungsgespräch so nervös, daß ich alles vermasselt habe.
(2ob)
Er war bei dem Vorstellungsgespräch so nervös, daß er alles vermasselt hat.
Bei (18a), (19a) und (2oa) handelt Sp. nach dem Muster KLAGEN; er spricht dabei von Situationen, in denen er, Sp.,, direkt von dem negativ bewerteten Objekt so betroffen ist, daß Ihm Schaden (Nutzen-Aspekt) oder Leid44 (Empfindungs-Aspekte) zugefügt wird. (18b), (19b) und (2ob) sind in der Regel Informationen, die Sp, Sp_ zukamen läßt. Sp.1 handelt hier n i c h t nach dem Muster KLAGEN. (Vgl. clazu die Bestimmung der OBJEKTINTORMATION in Zillig 1979:1oo.) An dieser Stelle muß nun noch zu einem Problem Stellung genommen werden: Bei vielen Äußerungsformen liegt es nahe zu fragen, ob tatsächlich eine BEWERTUNG vorgenonmen wird oder ob Sp.. nicht vielmehr dadurch klagt, daß er eine BESCHREIBUNG einer Situation, einer Verhaltensweise, einer Disposition usw. gibt. Die Formen (1) - (5) beschreiben, so könnte man annehmen, wie sich Sp, gewöhnlich verhält. Bei einer Äußerung wie (2a)
Unser Jürgen ist
nicht mehr so offen wie früher.
ist anhand der Äußerungsform nicht zu entscheiden, ob es um eine BEWERTUNG oder um eine BESCHREIBUNG einer bestehenden Situation geht. Das Prädikat ist nicht 44
Diese Einschränkung muß gemacht werden, weil, wie sich zeigen läßt, daß
155
offen kann dazu verwendet werden, eine Person negativ zu bewerten, es kann aber auch herangezogen werden, um einen Adressaten, der eine Person nicht kennt, über deren Charaktereigenschaften zu informieren. Entscheidend ist also das Ziel, das mit der Äußerung verfolgt wird. Bei der Analyse der Werte im 5. Kapitel wird sich zeigen, daß die Definition der Maßstabe und der Werte, also die Definition jener Kategorien, von denen es athängt, ob eine Prädikation als deskriptiv oder als evaluativ aufzufassen ist, von der Bestimmung des Ziels sprachlicher Handlungen abhängig ist.
4.2.3
Bedingungen des Sprechaktvollzugs
Wie bei MEINUNGSA'USSEKN (NEG) so sollen auch für KLAGEN die Bedingungen eines zentralen Situationstyps formuliert werden, von dessen paradigmatischer Funktion aus sodann die Variationen der einzelnen allgemeinen Bedingungen überprüft werden. Eine BEWERTUNG ist demnach genau dann eine KLAGE, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: B l
a. Sp
teilt Sp
eine Proposition p mit.
b. Mit p referiert Sp
auf ein Objekt des Analysebereichs.
c. Gleichzeitig prädiziert Sp , daß das Objekt einem Wert im Aspekt 'Nutzen' und/oder 'Empfinden 1 nicht entspricht. d. Objekt ist eine Einstellung, eine Gewohnheit oder eine Disposition von Sp . Geht es um das Verhalten von Sp.,, so hat dieses Verhalten Folgen, die über längere Zeit fortdauern. B 2
B 3
Sp und Sp kennen das Objekt in den in der BEWERTUNG ausgedrückten Aspekten. a. Sp und Sp einander.
stehen in normalem/freundschaftlichem Verhältnis zu-
b. Sp ist mit Sp freundschaftlich verbunden (verwandt) oder Sp. ist Vorgesetzter von Sp . c. Sp steht mit Sp in normaler oder in freundschaftlicher Beziehung, d . h . Sp i s t n i c h t Vorgesetzter v o n Sp_. d. Sp ist von der Tatsache, daß das Objekt in den angeführten Aspekten negativ ist, persönlich betroffen und kann sich, aufgrund von B 3 b . , nicht ohne weiteres von Sp... zurückziehen. B 4
a. Sp hat das Bedürfnis, Sp mitzuteilen, daß er, Sp , von dem Obj e R t in den angeführten Aspekten negativ betroffen ist. b. Der durch p ausgedrückte Schaden für Sp fertigt sein.
läßt die KLAGE gerecht-
Sp auch dann klagen kann, wenn er selbst nur mittelbar betroffen ist. So kann (19b) als KLAGE geäußert werden, wenn Sp von einem Freund oder Verwandten spricht. (Eine Mutter klagt z . B . darüber, daß ihr Sohn von seinem Vorgesetzten schlecht behandelt wird.)
157
Diskutiert man die Bedingungen in der vorgegebenen Reihenfolge, so fällt zunächst auf, daß, während B 1 a. und b. gegenüber MEINUNGSÄUSSERN (NEE) gleich geblieben sind, B 1 c. eingeschränkt ist. Die Begründung für diese Festlegung wurde in der vorausgehenden Diskussion gegeben. Zwar kann das Objekt mehreren Werten nicht entsprechen, entscheidend für die Realisierung von KLAGEN bleibt aber die Nichtentsprechung der Vierte, die unter 'Folge1 eingeführt wurden. Diese Bedingung ist mit B 1 d. verbunden: Nur bestimmte Objekte sind Gegenstand der KLAGE. Die Einschränkung der möglichen Objekte gegenüber MEINUNGSÄUSSERN (NEG) liegt darin begründet, daß der Schaden, über den Sp- klagt, über längere Zeit andauert. Bei B 2 ist zu fragen, ob diese Bedingung konstitutiv für KLAGEN ist oder ob der SAT KLAGEN nicht auch dann vollzogen werden kann, wenn B 2 a)
Sp kennt das Objekt nicht (oder er kennt es nicht in den Aspekten, in denen es von Sp bewertet w i r d ) .
gilt. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu prüfen, wie die semantische Beschreibung des Verbs klagen aussehen muß, d.h. es muß überprüft werden, ob Berichte mit klagen auch dann möglich sind, wenn Sp_ das Objekt bzw. den Aspekt nicht kennt. Die Frage ist ohne Einschränkung zu bejahen: Ein Berichterstatter kann auch dann, wenn der Adressat der Äußerung das Objekt nicht oder nicht in dem in Frage stehenden Aspekt kennt, mit einem Bericht auf die Äußerungssituation Bezug nehmen, der klagen enthält. Bei den Äußerungen (1), ( 6 ) , (14) kann der Berichterstatter also beispielsweise mit ( 2 1 ) Frau Moltke hat darüber geklagt, daß sie sich schon seit längerem nicht mehr mit ihrem Sohn versteht. (22)
Helga hat geklagt, daß ihr Mann immer so jähzornig ist.
(23)
Fritz hat darüber geklagt, daß sein Chef das ganze Büro tyrannisiert.
einen Äußerungsbericht geben, wenn Sp_ als der Adressat des Berichts das, worüber Sp1 spricht, nicht weiß. Es scheint sinnvoll, diese von der Verwendung des Verbs zu rekonstruierende Bedingung für die Beschreibung des Sprechakttyps mit zu übernehmen, so daß, je nachdem ob B 2 oder B 2 a) gilt, verschiedene konstruierte Untermieter von KLAGEN entstehen. 45 45
Sequenzanalysen zeigen, daß derartige konstruierte Untermuster vor allem unterschiedliche Möglichkeiten der Reaktion von Seiten des Adressaten bedingen. Ist z . B . B 2 erfüllt, so kann Sp_ seine Teilnahme und Anerkennung der KLAGE dadurch ausdrücken, daß er eine gleiche Einschätzung der Lage zu erkennen gibt (Ja, das ist mir auch aufgefallen.). Bei B 2 a) ist diestReaktion nicht möglich.
158
B 3 a. kennt nur die Ausnahmen B 3 a) a. Das Objekt ist Disposition von Sp oder ein Verhalten von Sp , dessen negative Folgen fortwirken.^ und
B 3 b) a. Objekt sind die kommunikativen Verhältnisse zwischen Sp und Sp .
B 3 a) a. und B 3 b) a. bestürmen die KLAGEN, in denen Sp. keinen irrpliziten Vorwurf formuliert; d.h. jede Äußerung, die unter der Voraussetzung einer der beiden Bedingungen formuliert wird, ist gegenüber Sp., kein VDRWURF, sondern ebenfalls eine Form der KLAGE. B 3 d. und B 4 a. sind Kernbedingungen des SAT KLAGEN; sie können nicht verändert werden, ohne daß der Vollzug des Sprechakttyps unmöglich wird. B 4 b. ist
eine der Bedingungen, die KLAGEN von JAMMERN unterscheiden. Die
Annahme von B 4 b. muß allerdings in jedem Fall interpretiert werden. Der Bedingungssatz B 4 b. kann also im konkreten Fall nicht einfach als erfüllt oder nicht erfüllt erkannt werden. Hieraus resultieren grundlegende Schwierigkeiten der Beschreibung des Sprechakttyps; sie sollen unter 4.2.5 eigens diskutiert werden. B 4 a., die Bedingung, in der das Ziel des Sprechers formuliert ist,
hat
vor allem die Aufgabe, KLAGEN von Sprechakttypen mit Aufforderungskomponente zu unterscheiden. Sp. sucht bei Sp_ nicht um Hilfe zur Veränderung des beklagten Zustands nach; weder will er, daß Sp_ ihm in direkter Weise hilft, den Zu47 stand zu verändern, noch fragt er Sp» um einen Rat zur Abhilfe. Auch hier also zeigt sich, daß BEWERTUNGEN nicht allein als Mittel der Durchführung von EMPFEHLEN oder ABRATEN zu beschreiben sind.
46
In einer Diskussion dieser Bedingung hat G. Hindelang vorgeschlagen, das hier entstehende Muster SELBSTVORWURF zu nennen. Mit dieser Bezeichnung würde allerdings die Gültigkeit von B 4 a. in Frage gestellt: Gemäß dieser Bedingung geht es Sp^ n i c h t darum, sich selbst im Beisein von Sp2 Vorwürfe zu machen. Obwohl also SELBSTVORWÜRFE und das durch B 3 a. bestimmte konstruierte Untermuster von KLAGEN Gemeinsamkeiten aufweisen, scheint es doch sinnvoll, die Unterschiede zu betonen und SELBSTVORWÜRFE als eine Variante von VORWERFEN gesondert zu behandeln.
47
Dies heißt nicht, daß Sp nicht mit RATEN antworten kann. In Beispiel 2 sind Reaktionen wie Also an deiner Stelle würde ich ja doch überlegen, ob eine Trennung nicht besser wäre durchaus möglich.
159
4.2.4 Äußerungsformen Bedingt durch das Ziel, daß Sp1 mit dem SAT KLAGEN verfolgt, haben die fiußerungsformen, mit denen dieser Sprechakttyp vollzogen wird, die Gemeinsamkeit, daß es sich um Aussageformen handelt, die den Zustand darstellen, von dem Sp1 persönlich negativ betroffen ist. Bei diesen Aussageformen müssen nun, wie schon bei MEINUNGSÄUSSEHN (NBG), neben den syntaktischen auch lexikalisch-semantische Gesichtspunkte mit berücksichtigt werden. Wie dies aussehen muß, wird klar, wenn man die bisherigen Beispiele in ihrer allgemeinen Form betrachtet: Es handelt sich um Mitteilungen, in denen Sp. sagt immer gewöhnlich meistens sehr oft jedesmal, wenn ständig
- daß Sp.,
x-t
bzw.
f „i.
l
- daß Sp_ ^ ganz selten > l kaum jemals J
x-t
- daß Sp-. häufig ohne Grund x-t - daß Sp
unfähig ist
zu x-en.
Während im ersten Fall Sp1 eine Handlungsgewohnheit beklagt und dazu auf solche Verben zurückgreifen muß, die, in die allgemeine Form eingesetzt, eine aktive Handlungsweise zum Ausdruck bringen, von der Sp.. wünscht, daß Sp, sie unterläßt, wird im zweiten Fall zum Ausdruck gebracht, daß Sp, eine erwünschte Handlungsweise unterläßt. Hierbei bleibt zu beachten, daß die syntaktischen Formen keine Hinweise auf inhaltliche Kategorien enthalten. (24) - (26) können auch durch (27) - (29) ausgedrückt werden. (24)
Jedesmal, wenn Fritz Ärger im Büro gehabt hat, an den Kindern aus.
(25)
Ständig fängt Fritz wegen irgendeiner Lapalie Streit mit meiner Mutter an.
(26)
Er kann sich einfach nicht hinsetzen und mir zuhören.
(27)
Fritz kann nie, wenn er Ärger im Büro gehabt hat, ten und am Abend freundlich zu den Kindern sein.
(28)
Fritz ist einfach unfähig, über irgendeine Dummheit, die meine Mutter sagt, hinwegzusehen.
(29)
Er ist
ständig gehetzt und nervös.
läßt er den Ärger
einfach abschal-
16O
An diesen Beispielen wird ersichtlich, daß die gleiche KLAGE durch unterschiedliche Prädikate ausgedrückt werden kann; läßt jedesmal seinen Ärger an den Kindern aus, fängt ständig Streit an, kann nicht zuhören sind äquivalent mit ist nie freundlich zu den Kindern, ist unfähig, über eine Dummheit hinwegzusehen und ist ständig gehetzt und nervös. (29) zeigt zudem, daß ÄUßerungsformen, die die Unfähigkeit eines Handelnden über die Formen A kann nicht/nie x-en bzw. über A x-t ständig ausdrücken, durch A ist (Adj) ersetzt werden können, wodurch dann die ständige Handlungsweise zu einer Erklärung über eine Eigenschaft des Betreffenden, über den Klage geführt wird, umgewandelt wird. Das neben der Verwendung der bereits erwähnten Zeitadverbien wichtigste Kennzeichen der Äußerungsformen ist damit die semantische Charakteristik der Prädikate, also die Semantik der die Prädikation bildenden Verben und Adjektive. Es ist nun zu fragen, ob dann, wenn in einer A'ußerungsform die Dauer oder die Regelmäßigkeit einer Verhaltensweise angeführt wird und wenn die in 4.2.3 beschriebenen situativen Bedingungen erfüllt sind, jedes Prädikat von A'ußerungsformen für MEINUNGSA'USSERN (NEG) auch für KLAGEN eingesetzt werden kann. Ein Vergleich der in dem Exkurs über die Äußerungsformen entwickelten Grundformen und ihrer Ableitungen mit den für KLAGEN gebräuchlichen Formen ergibt dieses Bild: Die abgeleiteten Aussageformen und die indirekten Formen können zunächst vernachlässigt werden; dies einerseits, weil Interjektionen und Ellipsen in der KLAGE-Situation, wie sie hier analysiert wird, nicht eingesetzt werden können,
andererseits, weil Komparative und Superlative nicht
bei KLAGEN verwendet werden. Auch die als indirekt bezeichneten Formen kommen beim Vollzug von KLAGEN nicht vor. Die Aussageformen müssen also solche Prädikate enthalten, die unter Berücksichtigung des für den Sprecher gültigen Wertsystems Handlungsweisen bezeichnen, durch die dem Sprecher entweder geschadet wird oder durch die seine Gefühle verletzt werden. Daß die Bedeutung der Prädikate der KLAGE-Formen nicht genügt, um die Geeignetheit der Äußerungsformen zu bestimmen, ist eine wichtige Erkenntnis dieses Abschnitts. Offensichtlich wird mit KLAGEN die Verletzung eines 48
f ü r
Eine wichtige KLAGE-Situation, die damit unberücksichtigt bleibt, ist diejenige, in der Sp gegenüber Sp„ im B e i s e i n von Sp klagt. (Sp : Siehst du, Mutter, so macht er das immer wieder!). Hier treten gesprächstaktische Gesichtspunkte in den Vordergrund. Sp_ wird aufgefordert, zugunsten von Sp. zu intervenieren und Sp zurechtzuweisen, Sp. wird auf der anderen Seite vor dem Adressaten Sp? aufgefordert, sich zu verteidigen und zu dem Vorwurf von Sp (mehrfach-verschieden adressierte Äußerung!) Stellung zu nehmen.
161
den
S p r e c h e r
gültigen Werts angegeben. Zieht man die Beispiele
aus 4.2.1 heran, so können die Werte in einer vorläufigen Formulierung so 49 gefaßt werden: W l
Man sollte, wenn man verwandt ist, manchmal ernsthaft miteinander sprechen.
W 2
Man sollte o f f e n miteinander sprechen und sagen, wenn einen etwas bedrückt.
W 3
Kinder sollten Argumenten und Ratschlägen der Eltern zugänglich sein.
W 4
Auf Fragen sollte man nicht frech antworten.
W 5
Man sollte nicht so reden, daß man von niemandem für voll genommen wird.
W 6
Man sollte nicht wegen geringer Anlässe zornig reagieren.
H 7
Väter sollten gegenüber ihren Kindern nicht abweisend reagieren.
W 8
Man sollte nicht andere durch ständiges Fragen nach ihrem Tun belästigen.
W 9
Man sollte die richtigen Worte finden, um einem anderen das erklären zu können, was man meint.
W lo Man sollte fähig sein, anderen zuzuhören und sie zu verstehen. W 11 Man sollte das Tun anderer nicht ständig kritisieren. W 12 Vorgesetzte sollten A u f t r ä g e , die sie ihren Angestellten geben, präzise formulieren. W 13 Vorgesetzte sollten bei der Vergabe von Aufträgen darauf achten, nicht immer den gleichen Angestellten die langweilen Arbeiten a u f zutragen. W 14 Vorgesetzte sollten ihren Angestellten nicht ständig Vorwürfe machen. W 15 Als Vortragender sollte man sich so konzentrieren können, daß man imstande ist, einen guten Vortrag zu halten. W 16 Man sollte den Mut haben, um gegenüber Vorgesetzten das auszusprechen, was einen stört. W 17 Man sollte durch Aussagen vor Gericht nicht sich selbst schaden.
Nur unter Voraussetzung, daß die Werte W 1 - W 17 Gültigkeit haben, stellen die jeweiligen Äußerungen eine KLAGE dar. Dies wird vor allem klar, wenn nicht Werte formuliert werden, die innerhalb einer Gesellschaft mehr oder weniger allgemein anerkannt sind, wie dies bei den bisher aufgestellten Werten der Fall ist. Die Äußerung 49
Die Werte W l bis W 17 liegen den mit gleicher Z i f f e r bezeichneten Äußerungen zugrunde. Die Werte sind nicht systematisiert; eine systematische Darstellung der möglichen Werte im Analysebereich wird unter 5.3 und 5.4 gegeben.
162 (30) Unser Gregor redet wie ein Kommunist.
kann als solche nicht als KLAGE verstanden werden. Erst wenn klar ist, daß für Sp1 der Wert W 3o Man sollte kein Kommunist sein.
Gültigkeit hat, wird die in (3o) ausgedrückte Prädikation als Teil einer KLAGE verständlich. Da nun nicht davon ausgegangen werden kann, daß Sp_ inner schon genau weiß, welcher Wert für Sp1 gilt, erhält bei KLAGEN ein Indikator der illokutionären Rolle besonderes Gewicht: die Intonation. Die Eigenheiten der Intonationsverläufe bei KLAGEN können hier nicht eigens behandelt werden. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, daß die besondere Intonation der KLAGE-Äußerungen bei Zitatberichten eigens mitgeteilt werden kann: (31) "Seine Vorwürfe machen jeden im Büro fertig", sagte Fritz klagend. (32)
"Seine Vorwürfe machen jeden im Büro fertig", sagte Fritz in klagendem Ton.
(33)
"Seine Vorwürfe machen jeden im Büro fertig", sagte Fritz mit klagender Stimme.
Es kann nun nicht behauptet werden, daß derartige Zitatberichte von einem Berichterstatter normalerweise dazu verwendet werden, um zu sagen, daß jemand geklagt hat; Berichte wie (31) - (33) können als Probe dienen: Sind solche Berichte möglich, so weist dies auf die Rolle der Intonation als Indikator der Sprechakttypen hin. Ein Vergleich mit anderen Berichten zeigt dies: *(34) "Das war ja wohl das letzte", sagte er meinend. *(35) "Würden Sie bitte mitkommen!" sagte er auffordernd. *(36) "Ich komme morgen", sagte er versprechend. (37)
"Ich werde morgen kommen", sagte er drohend.
Diese Zitatberichte zeigen ein unterschiedliches Maß der Angemessenheit: (37) ist ein geläufiger Bericht. Daran zeigt sich, daß bei DROHUNGEN ebenfalls eine eigene Intonation als Indikator der illokutionären Rolle auftritt; der Sprecher hat so ein Mittel, um zu zeigen, daß die neutrale Äußerungsform ich werde morgen kommen als eine Drohung zu verstehen ist. (34) und (36) sind nicht möglich; dies ist ein Hinweis darauf, daß für MEINUNGSSüSSERUNGEN und VERSPRECHUNGEN keine eigene Intonation angencrmen werden kann. Bei (35) ist dies weniger deutlich; man kann aber auch hier davon ausgehen, daß die Partizip-Form auffordernd nicht in gleicher Weise gebraucht wird. Für das Muster KLAGEN hat sich gezeigt, daß bei den Äußerungen nicht allein syntaktische und semantische Eigenschaften
163
im Verein mit den situativen Bedingungen dazu führen, daß der Adressat einer Äußerung deren illokutionäre Rolle erkennt. Auch die Intonation trägt dazu bei, daß Äußerungen als Realisationen des Musters KLAGEN verstanden werden. Mit diesen wenigen Beispielen ist die Untersuchung der Rolle von Intonation, Lautstärke, Stininfuhrung usw. anzeigenden Adverbien lediglich angedeutet. Offenbar geworden ist, daß mittels der 'Adverbial-Probe1 überprüft werden kann, ob bei einem gegebenen Sprechakttyp Momente der Intonation eine illokutionsanzeigende Rolle spielen. Für das Muster KLAGEN kann dies bejaht werden, wobei gleichzeitig ein Hinweis gegeben ist, daß bei den für KLAGEN bereitstehenden Äußerungsformen nicht syntaktische und semantische Eigenschaften allein genügen, um die Erkennung der Formen als KLAGEN zu gewährleisten. Bevor eine abschließende allgemeine Darstellung der Äußerungsformen des KIAGENS gegeben wird, ist noch auf die Frage einzugehen, ob KLAGEN, wie MEINUNGSÄUSSERN (NEG), durch Äußerungsformen realisiert werden kann, die Subjektivitätsformeln enthalten. Beispiele wie (38) und (39) (38)
Mit Fritz kann man nie ein vernünftiges Wort reden, finde ich.
(39)
Ich finde, daß Fritz ständig furchtbar launisch
ist.
zeigen, daß für KLAGEN keine Subjektivitätsformeln verwendet werden können. Eine Erklärung hierfür liegt in der Tatsache, daß mit Subjektivitätsformeln eine distanzierte Haltung des Sprechers gegenüber seinem eigenen Urteil angezeigt wird. Dem Adressaten soll bei Äußerungen mit Subjektivitätsformeln signalisiert werden, daß der Sprecher nicht seine eigene Einstellung als verbindlich behauptet, sondern Sp» das Recht einräumt, eine gegenteilige Meinung zu vertreten. Diese Distanzierung ist mit dem SAT KLAGEN unvereinbar, da hier der Sprecher von dem, wovon er berichtet, unmittelbar selbst betroffen ist. 5o KLAGEN haben so neben der bewertenden eine informierende Komponente. Wird diese informierende Komponente relativiert, so entfällt eine der für KLAGEN konstitutiven Bedingungen. Bei der Beschreibung der Äußerungsfonnen des Musters KLAGEN kann nun wieder von einer Ergänzung der Grundformen ausgegangen werden. Dabei müssen die unterschiedlichen Inhalte der KLAGEN den Ausgangspunkt bilden, weil diese un5o
Die Information ist hier eine Kombination aus EINSTELLUNGS- und OBJEKTINFORMATION (vgl. Zillig 1979:loof.): Sp informiert Sp2 einerseits über eigene Einstellungen und Gefühle, andererseits gibt er auch an, wie ein Sprecher Sp.. normalerweise oder in bestimmten Situationen reagiert. Aus diesem Grund können auch deskriptive Äußerungen über Folgerungsbeziehungen als Realisationen des SAT KLAGEN auftreten.
164
terschiedlichen Inhalte auch zu verschiedenen Realisationen des Sprechakttyps führen. Es ergeben sich so sieben unterschiedliche Typen des SAT KLAGEN: KLAGEN über (i) ein Tun von Sp, (ii) eine Unterlassung von Sp, (iii) eine Unfähigkeit von Sp., (iv)
eine Eigenschaft von Sp,
(v) eine Folge einer Handlung von Sp, (vi)
eine Folge einer Handlung des Sprechers selbst (Handlung von Sp.)
(vii) einen Zustand; ohne Schuldfeststellung. Dabei ergibt sich im einzelnen diese Gliederung: (i) Bei der Beschreibung der Äußerungsform ist die Aussageform zunächst nach Referenz und Prädikation aufzuteilen. Sp.. referiert auf Sp,, und er prädiziert in der Grundform, was Sp, tut. Referenz
Prädikation
Fritz
schreit herum.
Bei dieser Grundform muß, wenn sie für KLAGEN einsetzbar sein soll, die Prädikation, durch die Sp, als Referenzobjekt in einem der genannten Aspekte negativ bewertet wird, erweitert werden; Sp. bringt zum Ausdruck, daß Sp, in seiner Handlung einem bestehenden Wert nicht entspricht. Damit ist allerdings die Grundform noch keine für KLAGEN geeignete Äußerungsform. Hinzukamen muß die Ergänzung durch ein Zeitadverb, das entweder an den Satzanfang (40) Ständig schreit Fritz herum. oder an die Stelle nach dem Verb (41) Fritz schreit ständig herum. . . , 51 treten kann. Eine andere Möglichkeit der Ergänzung zeigt (42): ( 4 2 ) Jedesmal, wenn ich Geld von ihm verlange, schreit Fritz herum.
Hierbei wird im eingeschobenen Nebensatz ausgedrückt, daß der genannte Anlaß keinen rechtfertigenden Grund für die in der Prädikation ausgedrückte Handlung darstellt.52 Ebenso verhält es sich mit Äußerungsfonten wie 51
Hier zeigt sich, daß Eigenheiten der Wortstellung nicht als 'fakultativ' aufgefaßt werden können: (4o) und ( 4 1 ) werden innerhalb der Sprechaktsequenz in verschiedener Weise eingesetzt: Die Äußerungsform mit der Spitzenstellung des Adverbs wird bevorzugt dann gebraucht, wenn Sp einer vorangegangenen Äußerung von Sp„ widerspricht (Sp : Fritz ist doch ein netter Kerl. - Sp : Ach was! Ständig schreit er herum.). Eine weitere Möglichkeit ergibt sich, wenn die Äußerung innerhalb einer komplexen Äußerung vorkommt (Ich weiß nicht mehr, was mit Fritz los ist. Ständig schreit er herum.)
52
In Fällen, in denen der Sprecher darüber klagt, daß Sp eine mögliche Handlungsalternative nicht realisiert, bleibt der Anlaß häufig unausgesprochen. (Vgl. ( 1 3 ) )
165 (43) Bei der geringsten Kleinigkeit schreit Fritz herum. (44) Oft schreit Fritz ohne jeden Grund herum.
Eine erweiterte Grundform wie (41) kann schließlich nominalisiert werden und an die Subjektposition einer Aussageform treten, deren Prädikat über die Folgen für den Sprecher informiert: (45) Sein ständiges Herumschreien macht mich völlig fertig. Die Prädikation beinhaltet hier die Folge des Verhaltens für Sp1 oder andere (vgl. ( 1 4 ) ) . In Formen, in denen die nominalisierte Grundform das Subjekt einer Aussageform bildet, wird der Prädikatteil durch bestirrmte Modaladverbien ergänzt. (Vgl. Kolde 197o:124) (ii) KLAGEN über Unterlassungen von Sp., haben negierte Aussageformen als Grundform. (46)
Fritz redet nicht mit mir.
Dabei beinhaltet das einfache, nicht-negierte Prädikat das, was als Normalzustand angesehen wird. Die Negation wird, analog zu den KLAGEN über das Tun von Sp3/ durch indurative Zeitadverbien umgeformt; erst dadurch wird die Grundform zu einer geeigneten Äußerungsform: (47) Fritz redet nie mit mir. (48)
Nie redet Fritz mit mir.
Es kommen zwei weitere Ergänzungsmöglichkeiten hinzu; die eine, syntaktisch bedingte, ergänzt das Prädikat über Modaladverbien, (49) Nie redet Fritz -l ° ffe " . . [ mit mir. l freundlich l die andere gibt eine genauere zeitliche Spezifizierung. (50) Fritz redet nie freundlich mit mir, wenn ich mich kaputt fühle. Verlangt die Grundform eine Ergänzung durch ein Objekt, so wird dieses häufig durch einen Relativsatz ausgedrückt: (51) Fritz sagt mir nie präzise, was ich zu tun habe.
(iii) Bei KLAGEN über Unfähigkeiten von Sp^ bringt Sp1 zum Ausdruck, daß Sp., das, worüber Klage geführt wird, nicht bewußt (absichtlich oder aus Nachlässigkeit) nicht tut; Sp vertritt vielmehr die Auffassung, daß Sp., 'nicht anders kann'.53 Die Grundform ist 53
Diese Unterscheidung ist, über die Auswirkung auf die A'ußerungsformen hinaus, auch insofern von Wichtigkeit, als dann, wenn Sp über eine Unfähigkeit von Sp KLAGT, keine Aufforderungskomponente involviert ist. Während KLAGEN über Tun oder Unterlassung dann, wenn die Äußerung gegenüber Sp.. getan wird, einen VORWURF bedeutet, der eine implizite Aufforderung enthält CDU redest nie freundlich mit mir, wenn ich mich einmal kaputt fühle Implizite Aufforderung: Rede freundlich mit mir, wenn ich mich kaputt fühle.). KLAGEN sind damit, in der Terminologie Austins, Sprechakte, die zwischen Verdiktiven, Expositiven und Behabitiven anzusiedeln sind. Sie gehören nicht einer dieser drei Gruppen in klarer Weise an. (Austin klassifiziert to complain nicht innerhalb seiner Verblisten. (Vgl. Austin 1962;1976:153ff.)) Die Bestimmung der Behabitive bei Austin zeigt allerdings, daß Austin bereits die klassifikatorischen Schwierigkeiten gesehen hat, wenn er schreibt: "There [bei den Behabitiven] are obvious connexions with both stating or
166 (52)
Fritz ist unfähig.
Sie wird zu einer für KLAGEN geeigneten Äußerungsform erweitert, indem einfach/ halt einfach oder wirklich als Modaladverbien zwischen Kopula und prädikatives Adjektiv treten. (53)
Fritz ist
einfach - halt einfach « unfähig. wirklich
Auch Adverbien und Phrasen, die das hohe Maß der Unfähigkeit von Sp3 ausdrükken, sind möglich: (54)
Fritz ist
vollständig völlig J- unfähig, in jeder Hinsicht
In einem nächsten Schritt gibt die Erweiterung der Grundform mittels Infinitivkonstruktion an, in welcher Hinsicht Sp, unfähig ist: ,,-.-, . . . _ (55) Fritz ist einfach
außerstande l _ . 4 ..... . , präzise zu sagen, was er l nicht imstande J
eigentlich will.
(iv) Bereits bei der Bestinnung der Objekt-Kategorien wurde darauf verwiesen, daß aus den Sprechakten, die ein Sprecher bevorzugt initial oder reaktiv vollzieht, auf Dispositionen des Sprechers geschlossen wird. (Ein Sprecher, der auf Fragen häufig bewußt falsche Antworten gibt, ist ein 'Lügner1, einer, der bei Aufforderungen nach Ausreden sucht, gilt als 'Drückeberger'; usw.) Berücksichtigt man dies, so kann die folgende Gruppe von Äußerungsformen nicht als zu einem Untermuster von KLAGEN gehörig angesehen werden; vielmehr handelt es sich um eine Klasse von Realisierungsformen, die dann, wenn es um die Charakterisierung des Sprechakttyps geht, zu den bisherigen Gruppen (i) (iii) gezählt werden muß. Der Unterschied zu (iii) besteht darin, daß Sp1 hier davon ausgeht, daß Sp., anders sein bzw. handeln k ö n n t e , wenn er dies nur wollte. Die Grundform wird entweder durch Kopula und ein prädikatives Mjektiv/Prädikatsnomen (56)
Fritz ist verschlossen.
(57)
Fritz ist ein Miesepeter.
oder durch Negation einer Prädikation gebildet, die eine positive Eigenschaft enthält: (58)
Fritz ist nicht offen.
Die Grundformen werden analog zu (i) und (ii) zu Äußerungsformen für KLAGEN erweitert: (59)
Fritz ist immer (so) verschlossen.
(60)
Fritz ist nie freundlich zu den Kindern.
(61)
Diese dauernde Unfreundlichkeit von Fritz macht die Kinder noch ganz krank.
describing what our feelings are and expressing, in the sense of venting our feelings, though behavitives are distinct from both of these."
167
(v) Bei den KLAGEN über Folgen einer Handlung von Sp_ geben die Äußerungsformen keine Hinweise auf den Sprechakt-Charakter der Äußerung. Sp. informiert Sp_ hier mit einer komplexen Äußerung über die Handlung und ihre Folgen für Sp^/Sp-. Daß es sich um eine KLAGE handelt, erschließt der Adressat aus den für den Sprechakttyp konstitutiven Bedingungen. (62)
Fritz hat sich gegenüber seinem Chef sehr ungeschickt benommen. Ich glaube nicht, daß er jetzt noch eine Chance hat, Filialstellenleiter zu werden.
(vi) Auch bei KLAGEN über eine von dem Sprecher selbst vorgenonrene Handlung wird Sp2 durch die Äußerung über Handlungsfolgen informiert, so daß zwischen den Formen eines Musters INFORMIEREN und den Äußerungsformen für KLAGEN kein syntaktisch-morphologischer Unterschied auszumachen ist. Ob also eine Äußerung wie (63)
Durch diese blöde Antwort habe ich mir alle meine Chancen vermasselt.
eine KLAGE realisiert, maß aus den paralinguistischen Merkmalen der Äußerung und aus der Kenntnis der Bedingungen erschlossen werden. (vii) Die Grundformen des KLAGENS über Zustände ist von den bisher behandelten Äußerungsformen dadurch unterschieden, daß Sp nicht auf Sp, (wie in (i) (v)) oder auf sich selbst (wie in (vi)) referiert, sondern auf sich selbst und auf Sp,. (64)
Wir verstehen uns nicht.
(65)
Fritz und ich streiten.
(66)
Wir sprechen nicht miteinander.
Während also die bisherigen Äußerungsformen durch Unterschiede bei der Prädikation gekennzeichnet waren, zeichnen sich die Äußerungsformen hier durch eine eigene Referenzform aus. Sie wird entweder durch das Personalpronomen 1. Pers. Pl. oder durch die Nennung des Eigennamens von Sp., in Verbindung mit dem Personalpronomen 1. Pers. Sing, gebildet. Die Grundformen werden in der bereits dargelegten Weise ergänzt. (67)
W i r verstehen u n s ü b e r h a u p t
(68)
Fritz u n d i c h streiten
(69)
W i r sprechen
n i e
(70) J e d e s m a l ,
nicht.
s t ä n d i g .
vernünftig miteinander.
w e n n
eine Anschaffung ansteht, streiten w i r
uns.
4.2.5 Die Sprechakttypen KLAGEN und JAMMERN. Ein Beispiel für ein Grundlagenproblem innerhalb der Sprechakttheorie Bei der Klassifikation der Äußerungsberichte in 1.2 waren u.a. Intentions-, Ergebnis-, Interpretations- und Urteilsberichte unterschieden worden. Die verschiedenen Berichtsarten gestatteten es, in Verbindung mit einem Modell der Äußerungs- und Berichtssituation, den Einfluß der Sprecherintention, der Wirkung beim Hörer und der Situation des Berichterstatters als Faktoren er-
168
kennbar zu machen, die für die Wahl unterschiedlicher Berichtsverben verantwortlich sind. Hieraus ergab sich in der Konsequenz, daß die Sprechakttypen nicht, wie meist in der bisherigen Diskussion zur Sprechakttheorie, als Ausdruck der Intention eines Sprechers aufgefaßt wurden; es wurde vielmehr die Interpretation des Hörers bzw. des Berichterstatters zum wesentlichsten Bestandteil des Beschreibungsmodells. Damit wird gleichzeitig eine geläufige Annahme, derzufolge eine Äußerung in einer Äußerungssituation als Realisierung
e i n e r
bestimmten sprachlichen Handlung verstanden wird, aufgegeben.
Vor allem die Situationsberichte zeigen, daß der semantische Gehalt der in ihnen vorkommenden Verben von der Intention des Sprechers ebenso abhängig
ist,
wie von der Situation, in der sich der Hörer/Berichterstatter befindet. Auf diese Überlegungen ging schließlich auch die Annahme der BEWERTUNGSBEWERTUNGEN zurück, die in der modellhaften Nachkonstruktion der Berichte über Bewertungen den Situationsberichten entsprechen. In den bisherigen Analysen zeigte sich, daß BEWERTUNGSBEWEKTUNGEN nicht nur die Interpretation des Berichterstatters reflektieren, sondern auch an Bedingungen gebunden sind: Eine nicht-moderate Äußerungsform, die unter der Bedingung, daß Sp_ in neutraler Beziehung zu Sp-j steht, noch als eine MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) gelten kann, wird dann, wenn Sp2 Vorgesetzter von Speine SCHMÄHUNG.
(Vgl. S. 209ff.)
ist,
Bei der Bestimmung der situativen Bedingungen
für KLAGEN wurde die Bedingung B 4 b. so formuliert, daß die Interpretation dieser Bedingung überhaupt erst entscheidbar werden läßt, ob KLAGEN vorliegt, oder ob, bei B 4 b) b., eine Äußerung nach dem Muster JAMMERN ist.
Anders ge-
sagt: 'Der durch p ausgedrückte Schaden läßt KLAGEN gerechtfertigt erscheinen1 enthält selbst eine Bewertung, die in der konkreten Berichtssituation vom Berichterstatter vorgenommen wird. Auch diese Bewertung unterliegt den für BEWERTEN kennzeichnenden Grundsätzen: Sprecher, die verschiedenen Werten anhängen, werden ein und dieselbe Äußerung als Klagen o d e r
als Jammern bezeich-
nen. Zunächst muß beachtet werden, daß Bedingungen wie B 4 b. prinzipiell nicht so formuliert werden können, daß eine eindeutige Interpretation gesichert
ist.
D.h. daß selbst dann, wenn Linguisten B 4 b. als Bedingung anerkennen, noch nicht entschieden ist,
ob konkrete Beispieläußerungen als KLAGEN oder JAMMERN
klassifiziert werden. Es ergibt sich so ein Grundlagenproblem für jede Sprechaktbeschreibung. Allgemein gesagt besteht dieses Problem darin, daß die Bedingungen selbst noch interpretiert werden müssen. Wenn die Bedingungen des Sprechaktvollzugs
169
nur wiederum so formuliert werden können, daß sie selbst eine Bewertung enthalten, so bleiben die grundsätzlichen Schwierigkeiten, die sich mit der Verifikation von BEWERTUNGEN ergeben, erhalten. (Vgl. Zillig 1979:1o7f.) Da Prädikationen als Zuordnungen zu Werten verstanden werden, bleiben Unterschiede innerhalb dieser Zuordnung bei der Interpretation der Bedingungen bestehen. Vor allem in der Wahrnehmungs- und Identifikationsleistung des Sprechers sowie in dem Unterschied zwischen interessenbeeinflußten und nichtinteressenbeeinflußten Aussagen sind die Gründe dafür zu sehen, daß die Zuordnung zu einem Wert unterschiedlich vorgenommen wird. Auch die Unterscheidung der SAT KLAGEN und JAMMERN erfolgt in ihrem Kern über die Zuordnung zu einem Wert. Es ist nicht möglich, diese Zuordnung zu objektivieren und allein mit definitorischen Mitteln in einer Bedingung zu formulieren. Die Unterscheidbarkeit der Sprechakttypen ist abhängig von einer den Sprechern gemeinsamen Lebensform, die eine gleiche Interpretation einer Bedingung wie B 4 b. gewährleistet. 4.3
MEINUNGSÄUSSEEN (POS)
4.3.1
Beispiele
Beispiel 1: Sp. und Sp,, verlassen einen Saal, in dem sie soeben einen Vortrag gehört haben. (1) Das war ja wirklich interessant. (2)
Das war einmal ein wirklich ausgezeichneter Vortrag.
(3) Wunderbaum hat hier ja wirklich ganz neue Ideen vorgetragen.
Beispiel 2: Sp. und Sp_ unterhalten sich über einen gemeinsamen Bekannten, Sp3 (Hans). (4)
Ich finde, Hans ist
ein sehr angenehmer Gesprächspartner.
(5) Hans hat mir die Funktion der Kraftwerke (6) Hans ist
sehr gut e r k l ä r t .
der aufrichtigste Mensch, den ich kenne.
Beispiel 3: Sp. zu Sp~ über ein Gespräch, das er, Sp., mit einem Kollegen geführt hat. (7) Das war ein
äußerst sehr ungemein
nützliches offenes l· gutes l
Gespräch.
(8) Wir hatten eine überaus angenehme Unterhaltung.
170
4.3.2
Diskussion
MEINUNGSÄUSSERN (POS) kann in wesentlichen Punkten analog zu dem SAT MEINUNGSÄUSSERN (NEG) beschrieben werden. Zu beachten bleibt, daß die unterschiedlichen Wertskalen (Positiv-Negativ-Skala und Normal-Negativ-Skala) einige grundlegende Unterschiede bedingen. Auf diese Unterschiede muß gesondert eingegangen werden. Die in den verschiedenen Wertskalen begründeten Fragen lassen sich ergänzen durch die Feststellung, daß MEINUNGSÄUSSERN (NEG) häufiger ist als MEINUNGSÄUSSERN (POS). Hier ist zu überlegen, ob die unterschiedlichen WertSkalen hierfür eine Ursache sind, oder ob die Asyimetrie der Wertskalen auf die Häufigkeitsunterschiede der beiden Sprechakttypen zurückzuführen ist. MEINUNGSÄUSSERN (POS) ist dadurch charakterisiert, daß Sp.. gegenüber Spin einer nicht-institutionellen Situation sagt, daß er das zu bewertende OBjekt in einem oder in mehreren Aspekten als einem Wert entsprechend einstuft. Die Prädikationen umfassen dabei, je nach prädikativem Adjektiv oder Prädikatsnomen, unterschiedlich viele der für ein Objekt relevanten Aspekte. Daß ein 54 Vortrag als ausgezeichnet eingestuft wird (vgl. (2)) umfaßt also in der Regel sowohl, daß er als interessant angesehen wird, wie auch, daß in ihm neue Ideen vorgetragen werden. 55 Auch bei MEINUNGSÄUSSERN (POS) ist, wie bei MEINUNGSÄUSSERN (NEG), der Grad der Verteidigungsbereitschaft gering. Die mögliche Relativierung durch die Subjektivitätsformel in (4) weist darauf hin, daß Sp.. bereit ist, im Widerspruchsfall auch die andere Meinung gelten zu lassen. Der unproblematische Fall in der Beziehung zwischen den Sprechern und dem Objekt ist auch bei MEINUNGSÄUSSERN (POS) dann gegeben, wenn weder Sp.. noch Sp_ in einer direkten Beziehung zum Objekt stehen. Bei Beispiel 1 ist eine Voraussetzung für MEINUNGSÄUSSERN (POS), daß weder Sp.. noch Sp_ mit dem Vortragenden identisch sind. In beiden möglichen Fällen ergeben sich allerdings Unterschiede. Ist Sp. der Vortragende, so werden Äußerungen wie (2) durch konventionelle BeschränKungen verhindert. Äußerungen dieser Art würden als SELBST54
Abweichungen werden meist durch Zwar-aber-Konstruktionen vorgetragen: Der Vortrag war zwar ausgezeichnet, aber er hat doch keine wirklich neuen Ideen enthalten. Die semantische Wohlgeformtheit ähnlicher Äußerungen kann in einem Test verwendet werden, um zu überprüfen, inwieweit Eigenschaften einander ausschließen. (Vgl. Hundsnurscher 197o;1971:52f.). Wie das angeführte Beispiel zeigt, kann aus derartigen Äußerungen auch die individuelle Wertskala eines Sprechers rekonstruiert werden; wird eine solche Äußerung von einem Sprecher verwendet bzw. akzeptiert, so gibt der Sprecher zu erkennen, daß ausgezeichnet als Prädikat zu Vortrag nicht unbedingt das Prädikat enthält neue Ideen impliziert.
55
Hier ergibt sich wiederum das Problem, das in der Literaturübersicht unter dem Stichwort der 'Synkategorematizität der Bewertungs-Adjektive' behandelt worden ist: Die Merkmale eines 'ausgezeichneten Vortrage1 ergeben sich aus den Werten, die für Vorträge angenommen werden. Da innerhalb der Objektklasse 'Vortrag' mehrere Subklassen angenommen werden können, die jeweils eigene Werte besitzen, können Prädikate wie war/ist gut oder war/ist ausgezeichnet stets nur als Aussage darüber verstanden werden, daß das Objekt der BEWERTUNG die für diese Objektklasse gültigen Werte in (sehr) hohem Maße erfüllt. Während so bei einem wissenschaftlichen Vortrag die Originalität der Ideen einen Wert darstellt, ist dies bei anderen Vortrags-Arten, wie z.B. bei Festvorträgen, nicht notwendig ein Wert.
171
DOB zu klassifizieren sein, wobei SELBSTIßB, wegen der bestehenden Beschränkungen, zu den BEWERTUNGSBEWERTUNGEN gerechnet werden kann und in die Nähe des SAT ANGEBEN rückt. Ist Sp2 der Vortragende, so hängt die weitere Charakterisierung von den Beziehungen zwischen Sp1 und Sp„ ab: Der Fall, daß Sp. Vorgesetzter von Sp~ ist, scheidet aus, da hier die'^eziehung die Charakteristik des Sprechakts verändert; eine Äußerung wie (1) ist keine MEINUNGSÄUSSERUNG (POS), sondern ein DOB. Auch bei neutraler und freundschaftlicher Beziehung ist eine solche Äußerung nicht eine Realisierung von MEINUNGSÄUSSERN (POS), sondern eine 'anerkennende Äußerung1. Ist Sp_ Vorgesetzter von Sp.., nnirnt so sind Äußerungen dieser Art aus zwei Gründen nicfit nicnt möglich: Einerseits nii Sp- eine Bewertungskonpetenz wahr, die ihm nicht zusteht, andererseits sind solche POSITIVBEWERTUNGEN, vor allem wenn sie emphatisch formuliert werden, nach dem Muster SCHMEICHEIN. Ist Sps bzw. eine Handlung oder eine Eigenschaft von Sp., Gegenstand einer POSrnVBEWERTÜNG, so ist MEINUNGSÄUSSERN (POS) dann gegeben, wenn Sp-und Spin neutraler Beziehung zu Sp3 stehen. Dies ist, wie bei MEINUNGSÄUSSERN (NEGT, die Voraussetzung dafür, daß mit der MEINUNGSÄUSSERUNG keine sekundären Interessen, die mit MEINUNGSÄUSSERN (POS) unvereinbar sind, verfolgt werden. Die Möglichkeiten, durch Äußerungen, die eine positive Bewertung ausdrücken, derartig sekundäre Interessen zu verfolgen, sind vielfältig. Ist Sp3 Freund oder Verwandter von Sp_, so hat Sp- Stellvertreterfunktion, und es gilt deshalb das, was oben für den Fall gesagt wurde, in dem Sp2 selbst Vortragender war. Ist Sp1 Vorgesetzter von Sp2 und Sp3, so sind POSfriVBEWERTUNGEN von Sp- so, daß Sp1 Sp3 gegenüber Sp2 als Vorbild hinstellt.56 Zusammenfassend läßt sich damit sagen, daß der SAT MEINUNGSÄUSSERN (POS), wie schon MEINUNGSÄUSSERN (NEG) , durch eine neutrale oder freundschaftliche Beziehung zwischen Sp1 und Sp_ bestimmt ist. Das Objekt der BEWERTUNG ist eine Einstellung, Gewohnheit, Disposition usw. von Sp,. Die Beziehung zwischen Sp /Sp2 und Sp, ist neutral. Abweichende Bedingungen führen dazu, daß mit den BEWERTUNGEN sekundäre Interessen verbunden sind, die mit dem SAT MEINUNGSÄUSSERN (POS) nicht vereinbar sind. Das folgende Schema stellt wiederum nur einige wenige dieser Abweichungen dar und zeigt in der Übersicht, welches die Veränderungen sind. SAT MEINUNGSÄUSSERN (POS) Vollzug des SAT
Situative Bedingungen
Nicht möglich. (Entsprechende Äußerungen zählen zum Muster SELBSTLOB.) Sp
R
n
(Sp
l'
Sp
2>
Nicht möglich. (In einem solchen Fall äußert Sp. gegenüber Sp Anerkennung, Bewunderung usw.) Nicht möglich. (Äußerungsformen, die unter anderen Bedingungen nach MEINUNGS-
56
Das Muster, das bei Annahme der Konstellation ' R (Sp , Sp ) & R (Sp , Sp-J ' konstruiert wird, läßt sich nicht mit einer intuitiv klar verstandlichen Bezeichnung versehen, da es im Deutschen kein Berichtsverb gibt. Bevorzugt werden in solchen Fällen Ergebnisberichte gewählt, um auszudrücken, daß Sp Sp positiv bewertet hat (Der Aufsichtsratsvorsitzende hat sich v o n Hüllers kenntnisreichem Vortrag sehr b e i n d r u c k t gez e i g t).
172 ÄUSSERN (POS) sind, werden zu Realisationen des Musters LOBEN. Gehört O nicht in den Zuständigkeitsbereich von Sp , so entsteht ein konstruiertes Untermuster, das zwischen MEINUNGSÄUSSERN (POS) und LOBEN liegt.) Sp3
Möglich bei moderaten Äußerungsformen; nicht möglich bei überschwenglich positiven Bewertungen. (Sp hat Stellvertreterfunktion .)
(Sp 2 ,
=>
Os; Rf
=>
O s ; RV (Sp 3 ,
Möglich. Möglich.
SP
?
Alle Äußerungsformen möglich.
R
Alle Äußerungsformen möglich. (Klarste Form von MEINUNGSÄUSSERN (POS). Sp ist nicht gezwungen, sekundäre Interessen zu beachten. Offene MEINUNGSÄUSSERUNG (POS)')
; R
(Sp 2 ,
Möglich. (Es ist jedoch denkbar, daß mit der Äußerung sekundäre Interessen verwirklicht werden sollen; unter der Bedingung 'R,. (Sp , Sp ) ' liegt es nahe, daß Sp das Ziel anstrebt, Sp für Sp einzunehmen usw.)
Eine weitere, bisher noch nicht behandelte Schwierigkeit liegt in der Frage, ob die Aspekte, in denen die Objekte bewertet werden, bei beiden Sprechakttypen gleich sind. Die Beispiele geben hier nur einen kleinen Ausschnitt aus den bisher gefundenen Möglichkeiten wieder. Es zeigt sich, daß Textsorten z.B. in dem Aspekt des Hervorrufens bestiimrter Empfindungen bewertet werden (vgl. ( 1 ) ) , Sprechakte werden nach der Adäguatheit von Form und Inhalt positiv bewertet, wenn etwa eine Erklärung als 'sehr gut1 bewertet wird (vgl. (5)), Sprecher können, durch eine Verallgemeinerung der Inhalt-Sachverhalt-Adäquatheit in dem Aspekt 'Aufrichtigkeit1 bewertet werden (vgl. (6)) und Textsorten können nach den Folgen im Nutzen- und im Empfindungs-Aspekt positiv eingestuft werden (vgl. (7) und ( 8 ) ) . Durch die vorgegebenen Objekte und Aspekte in den angeführten Beispielen sind allerdings noch nicht alle Möglichkeiten überprüft. Um die Frage zu beantworten, ob Objekte und Aspekte der Bewertung bei MEINUNGSÄUSSERN (POS) v o l l s t ä n d i g analog zu MEINUNGSÄUSSERN (NEG) gesehen werden können, ist es sinnvoll, entsprechende Beispielsätze zusätzlich zu den bisherigen Beispielen zu prüfen. (9)
Fritz hat eine sehr deutliche Diktion.
(10) Das war eine sehr treffende Formulierung. (11)
Das ist ein richtiger Satz.
(12)
Das ist eine gute Nachricht für uns.
( 1 3 ) Das war eine klar gegliederte Rede. (14) (15)
Seine Aussage ist 'Gerechtigkeit
1
klar zu verstehen.
ist ein sehr aussagekräftiges Wort.
173
(16)
Diese Behauptung ist
in jeder Hinsicht zutreffend.
"Antlitz
1
(18a)
Das ist
eine sehr passende Frage in diesem Augenblick.
(18b)
berechtigte Das ist eine sehr · gute wichtige
(19)
Das war ein sehr kluger Befehl.
(17)
ist ein sehr feierliches Wort.
Frage.
(20) Da hat dir Hans, wie ich finde, einen sehr guten Rat gegeben. (21)
Sein überaus sicheres Auftreten hat ihm sehr genützt.
(22)
Das war eine sehr fruchtbare Diskussion.
(23)
Gregors Benehmen war völlig korrekt.
( 2 4 ) Diese Bezeichnung ist ehrend. (25)
Diese Forderung ist
gerechtfertigt.
Die Beispiele zeigen, daß die Asymmetrie, die bei den Wertskalen besteht, auch auf die Möglichkeiten der Realisierung von MEINUNGSÄUSSERN (POS) einwirkt. Eine ganze Reihe von Objekten, bei denen eine 7negative Bewertung geläufig ist, werden weniger häufig positiv bewertet.^ Andere Objekte werden in bestirtmten Aspekten grundsätzlich nicht positiv bewertet, weil die Tatsache, daß das Objekt in einem bestiitinten Aspekt korrekt ist, als Normalfall vorausgesetzt und nicht gesondert erwähnt wird. Gewöhnlich führt es nicht zu einem SAT MEINUNGSÄUSSERN (POS), wenn ein Sprecher eine klare Aussprache hat (vgl. ( 9 ) ) , wenn der Sprecher richtige Sätze bildet (vgl. (11)),58 gut zu verstehen ist (vgl. (14)) oder sich gemäß den geltenden Konventionen verhält (vgl. (23)59). Bei einigen Beispielen sind die Kollokationen zwischen dem Prädikatsnomen und dem diesem Nomen zugeordneten Adjektiv ungebräuchlich; dies gilt für (15) und (24). Auch (18a) wird nicht zur Realisierung von MEINUNGSÄUSSERN (POS) ein57
Für Beispiele wie ( 1 3 ) , ( 1 6 ) , ( 1 9 ) , (2o) und ( 2 2 ) lassen sich zwar situative Kontexte finden, in denen derartige Äußerungen sinnvoll sind; es ist jedoch für den kommunikativ kompetenten Sprecher erkennbar, daß derartige MEINUNGSÄUSSERUNGEN weitaus seltener vorkommen als ihre negativen Entsprechungen .
58
Dieses Beispiel ist geeignet zu zeigen, daß die Erwartung, die Sprecher aufgrund ihres Wissens um die 'normalen Fähigkeiten 1 von Sprechern haben, das Wertsystem in seinen unterschiedlichen Skalen bestimmt. Eine Äußerung wie Das ist ein völlig richtiger deutscher Satz kann in einer Situation, in der ein des Deutschen unkundiger Sprecher diese Sprache lernt, durchaus vorkommen und als MEINUNGSÄUSSERN (POS) interpretiert werden. In der Regel wird diese Äußerung allerdings als didaktisches Mittel eingesetzt: Es handelt sich dann nicht um MEINUNGSÄUSSERN (POS), sondern um den SAT LOBEN. Auf die Parallelen zwischen den Zielen von Bewertungen und denen von Lehrsituationen wird im 6. Kapitel eingegangen.
59
Daß eine Äußerung wie ( 2 3 ) dennoch geläufig ist, liegt daran, daß derartige Äußerungen als R e p l i k e n b e i MEINUNGSÄUSSERN (NEG) vorkommen, wenn Sp? widerspricht: (Sp.: Also, wie Gregor sich auf der Party bei Elfriedc benommen hat - einfach schlimm. - Sp„: Was hast du denn? Gregors Benehmen war (doch) völlig korrekt.)
174 gesetzt; die Äußerungsform ist möglich, wenn der Sprecher ironisch bestätigt, daß die Frage, die Sp., gestellt hat, unpassend war. Es bleiben die Äußerungen, die zwar eine Stellungnahme des Sprechers ausdrücken, ohne daß sie deshalb zum Vollzug des SAT MEDJUNGSÄUSSEHN (POS) geeignet wären: Eine gerechtfertigte Forderung (vgl. (25)) ist, wie (23), Ausdruck der Auffassung, daß eine Forderung nicht gegen geltende Gepflogenheiten verstößt und also n i c h t negativ bewertet werden kann. (21) wird eingesetzt, um Sp- eine sogenannte OBJEKTINPORMATION zu geben. Da OBJEaCTINFORMAnONEN im Dialog eingesetzt werden, wenn Sp~ das Objekt der Bewertung nicht oder nicht in den fraglichen Aspekten kennt,Tcann eine solche Äußerung nicht zur Realisierung des Musters MEINUNGSÄUSSEHN (POS) gebraucht werden. Klare MEBOJGSÄUSSERUNGEN (POS) sind demnach nur die Äußerungen (1o) und (12); möglich sind (13), (16), (19), (2o) und (22), und es ergibt sich so bei der Festlegung der Objekte und Aspekte dieser Überblick: Aspekt
Objekt
Form 'Einheiten 1
Stil Inhalt
Sprechakte (Proposition)
Adäquatheit Form - Inhalt
Textsorten
Inhalt - Sachverhalt
Sprechakte
Folgen Nutzen
Sprechakte Textsorten
4.3.3 Bedingungen des Sprechaktvollzugs Eine BEWERTUNG ist dann eine MEINUNGSÄUSSERUNG (POS), wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: B l
a. Sp
teilt Sp
eine Proposition p mit.
b. Mit p referiert Sp
auf ein Objekt des Analysebereichs.
c. Gleichzeitig prädiziert Sp., daß das Objekt einem oder mehreren Werten entspricht. d. Es sind die unter 4 . 3 . 2 angegebenen Objekte und Aspekte möglich. B 2
B 3
Sp u n d Sp? kennen das Objekt in den in der Bewertung ausgedruckten Aspekten. a. Für das Objekt ist b. Sp
und Sp
Sp, verantwortlich.
stehen in freundschaftlichem Verhältnis zueinander.
c. Weder Sp. noch Sp„ sind mit Sp l
d. Sp
ist
£.
,5
freundschaftlich verbunden.
von dem Objekt nicht persönlich betroffen.
175
Die allgemeinen Bedingungen des Sprechaktvollzugs konnten bisher mit Ausnahme von B 1 c. und B 1 d. wie die Bedingungen für MEINUNGSÄUSSERN (NBG) formuliert werden. Die Unterschiede, die sich bei der Formulierung der Sonderbedingungen ergeben, resultieren aus den unterschiedlichen Folgen von MEINUNGSÄUSSERN (NEG) und MEINUNGSÄUSSERN (POS) auf die Beziehung zwischen den Sprechern. Die Bedingung B 3 a) a. Für das Objekt ist
Sp„ verantwortlich.
ergibt das konstruierte Untermuster ANERKENNENDE ÄUSSERUNG, wenn B 3 b. gültig bleibt oder wenn B 3 a) b. Sp. und Sp gegeben ist.
stehen in normalem Verhältnis zueinander,
Die Möglichkeit, die sich bei
B 3 b) b. Sp
ist
Untergebener von Sp_.
eröffnet, daß nämlich die Äußerung nach dem Muster SCHMEICHEIU ist,
bleibt
bei B 3 a) b. nicht. Unter einer bestimmten Bedingungskonstellation hatte sich bei der Analyse von MEINUNGSÄUSSERN (NEG) ergeben, daß Sp1 gegenüber Sp2 den SAT VORWERFEN vollzieht. Bei MEINUNGSÄUSSERN (POS) entsteht kein dem VORWURF paralleles Untermuster. Wenn 3 a) a. erfüllt ist und wenn B 3 d. zu B 3 a) d. Sp. ist
von dem Objekt persönlich betroffen.
verändert wird, so ist eine POSITIVBEWERTUNG ein Ausdruck von 'Dank und Anerkennung' . Ob derartige Äußerungen aber einem Muster DANKEN zugerechnet werden können, ließe sich erst nach einer Analyse dieses Sprechakttyps entscheiden; eine solche Analyse kann hier nicht geleistet werden. Bei einer Ersetzung von B 3 c durch B 3 a) c. Sp_ ist mit Sp., freundschaftlich verbunden.
und gleichzeitiger Gültigkeit von B 3 a. treten die Beschränkungen in den Äußerungsformen auf, die bereits in der Diskussion der Beispiele erörtert worden sind. Sp_ hat Stellvertreterfunktion. Im Unterschied zu MEINUNGSÄUSSERN (NEG) kann Sp1 bei MEINUNGSÄUSSEEN (POS) alle für den Sprechakttyp in Frage 60
Die Einsatzmöglichkeiten von Äußerungen in dieser Konstellation und ihre 'illokutionäre Wirkung 1 , beides ist abhängig von sozialen Determinanten, die nicht im Sprachsystem konventionell festgelegt sind. Ob Sp sich gegenüber Sp mit Du bist ein angenehmer Gesprächspartner äußern kann, hängt von den in den Sprechergruppen herrschenden Gepflogenheiten ab.
176
körnenden Möglichkeiten ausschöpfen, da die Beziehung zu Sp_ durch MEINUNGSÄUSSERN (POS) nicht belastet wird. Bei Vorliegen der Bedingung B 3 b) c. Sp
ist
Vorgesetzter von Sp
und Sp .
ist, wenn B 3 a. und B 3 b. gültig sind, MEINUNGSÄUSSERN (POS) zwar im vollem Umfang möglich, die für MEINUNGSÄUSSERN (NEG) kennzeichnende Herstellung eines größeren Vertrauensverhältnisses zwischen Sp1 und Sp_ wird hier allerdings nicht erreicht. Die Erklärung für diesen Unterschied liegt in der Tatsache, daß MEINUNGSÄUSSERN (NEG) bei B 3 b) c. dadurch einen 'Solidarisierungseffekt1 zwischen Sp1 und Sp„ hat, daß Sp.. Sp~ gegenüber nicht nur seine Meinung kundtut, sondern damit gleichzeitig Sp_ ins V e r t r a u e n z i e h t . Da Sp? die Möglichkeit hat, Sp, die Meinung von Sp1 mitzuteilen und so die Stellung von Sp1 gegenüber Sp, zu gefährden, zeigt Sp- durch eine negative Meinungsäußerung über Sp , daß er Sp Vertrauen entgegenbringt. Diese Wirkung auf J £· der Beziehungsebene wird durch MEINUNGSÄUSSERN (POS) nicht erreicht, da Sp.. keine Sanktionen zu gegenwärtigen hat, wenn Sp, von Sp_ über die Meinung von Sp in Kenntnis gesetzt wird. Bei der Bedingung B 3 c) c. Sp
ist
Vorgesetzter von Sp
und Sp .
kann Sp1 den SAT MEINUNGSÄUSSERN (POS) vollziehen. Da Sp_ hier jedoch auch sekundäre Interessen verfolgen kann (Sp.. kann etwa die Absicht haben, Sp., aus 'strategischen Gründen" gegenüber Sp„ zu unterstützen), muß sichergestellt sein, daß Sp1 keine sekundären Interessen mit seiner POSiriVBEWEKTUNG verfolgt. Nur dort, wo dies nicht der Fall ist,
ist die Äußerung unter B 3 c) c. eine
MEINUNGSÄUSSERUNG (POS).
4.3.4
Äußerungsformen
Bei der Darstellung der Äußerungsformen des SAT MEINUNGSÄUSSERN (POS) ergeben sich in vieler Hinsicht Parallelen zu den Äußerungsformen des Typs MEINUNGSÄUSSERN (NEG); dennoch müssen einige grundlegende Unterschiede beachtet wer-
den. (26) Der Vortrag
f war ] \ . \ hervorragend. (ist)
(27) Bernd hat gut vorgetragen. (28) Bernd hat einen guten Vortrag gehalten.
177 (29)
Bernd hat interessante Einzelheiten vorgetragen.
(30) Bernd hat die Probleme präzise umrissen. ,,..
(31)
Sie 1/hatten 1 [wir /(führten J
... P"ch-
ein gutes Ges
(26) - (31) als Beispiele für Grundformen des SAT MEINUNGSÄUSSERN (POS) zeigen, daß bei gleicher syntaktischer Struktur der Äußerungen die lexikalischen Veränderungen in den Prädikaten den Sprechakttyp verändern (vgl. Der Vortrag war miserabel./Bernd hat miserabel vorgetragen./Bernd hat einen miserablen Vortrag gehalten. Usw.)· Wiederum tritt O entweder in Subjektposition mit prädikativer S
Form oder als Objekt des Satzes in attributiven Formen auf. Der zentrale Unterschied zwischen den Äußerungsformen von MEINUNGSÄUSSERN (NBG) und MEINUNGSÄUSSERN (POS) besteht darin, daß es im Deutschen keine Prädikate für MEINUNGSÄUSSERN (NEG) gibt, die
nur
ein Verb enthalten. D.h. es gibt im Deutschen
keine Entsprechung von Äußerungsformen wie Bernd hat gefaselt, bei denen das Verb faseln bereits die MEINUNGSÄUSSERUNG (NEG) bestürmt, wenn es um MEINUNGSÄUSSERN (POS) geht. Auch bei der Ergänzung der Grundformen durch Gradpartikeln zeigen sich Unterschiede zwischen den Äußerungsformen der SAT MEINUNGSÄUSSERN (NEG) und MEINUNGSÄUSSERN (POS). Während die affektivischen Partikeln in Entsprechung möglich sind,
1 (32) Bernds Vortrag war ^lf:a ;,„„», doch Jf (wirklich) hervorragend. (33)
Bernd hat
J .
, . l l ja dochJ
die Probleme (wirklich) präzise umrissen.
lassen sich bei den Gradpartikeln drei Gruppen unterscheiden. Die erste Gruppe enthält die Partikeln, die auch bei MEINUNGSÄUSSERN (POS) geläufig sind; es handelt sich hier vor allem um die Partikeln sehr und überaus. (34) Bernds Vortrag war ja wirklich ^ ->
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interessant.
(35) Bernd hat ja die Probleme
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