Beweisverwertungsverbote: Grundlagen und Kasuistik – internationale Bezüge – ausgewählte Probleme [1 ed.] 9783428533930, 9783428133932

Im Lichte der aktuellen Diskussion um die Beweisverwertungsverbote beschäftigt sich der Autor nach einer Grundlegung und

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Beweisverwertungsverbote: Grundlagen und Kasuistik – internationale Bezüge – ausgewählte Probleme [1 ed.]
 9783428533930, 9783428133932

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Schriften zum Prozessrecht Band 220

Beweisverwertungsverbote Grundlagen und Kasuistik – internationale Bezüge – ausgewählte Probleme

Von Kai Ambos

Duncker & Humblot · Berlin

KAI AMBOS

Beweisverwertungsverbote

Schriften zum Prozessrecht Band 220

Beweisverwertungsverbote Grundlagen und Kasuistik – internationale Bezüge – ausgewählte Probleme

Von Kai Ambos

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-13393-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

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Vorwort Den strafprozessualen Beweisverwertungsverboten ist in jüngster Zeit erhöhte Aufmerksamkeit zuteil geworden. Sie bildeten einen Themenblock beim 67. DJT im September 2008 in Erfurt und haben in zahlreichen aktuellen Verfahren, vor allem den Liechtensteiner und Schweizer Steueraffären, Bedeutung erlangt. Die sparsamen gesetzlichen Regelungen und die Vielgestaltigkeit der möglichen Anwendungsfälle erschweren voraussehbare Lösungen und eröffnen ein nahezu uferloses Forschungsfeld. Das Ziel dieses kleinen Buchs kann es daher auch nicht sein, alle im Zusammenhang mit Beweisverwertungsverboten auftretenden Einzelprobleme erschöpfend zu behandeln. Vielmehr soll es zunächst darum gehen, sich der Grundlagen zu vergewissern und einen Überblick zu verschaffen (Erstes Kapitel), um sodann einige aktuelle Probleme mit internationalem Bezug zu diskutieren und Lösungen vorzuschlagen (Zweites Kapitel). Ich danke meinem (ehem.) Mitarbeiter, Herrn RA Nils Meyer-Abich, für wertvolle Hilfe bei der Vorbereitung einiger Teile des Textes. Ich danke meinen studentischen Mitarbeitern Szymon Swiderski und Nathalie Bilz für die Hilfe bei der Erstellung von Abkürzungs-, Literatur- und Sachverzeichnis sowie der Vereinheitlichung der Zitierweise. Dem Verlag sei für die Veröffentlichung gedankt. Göttingen, im Juni 2010

Kai Ambos

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Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Grundlagen und Kasuistik I. Einführung: Theoretischer und historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Begriffsklärung und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 III. Geschriebene Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. § 136a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b) Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 c) Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 d) List oder Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Telekommunikationsüberwachung und „Lauschangriff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Weitere geschriebene Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Begründungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Beispiele unselbständiger Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Fehlende Belehrung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Fehlerhafte Belehrung von Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsberechtigten (§§ 52 – 55) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 c) Rechtswidrige Durchführung von Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 aa) Verstoß gegen Beschlagnahmeverbot (§ 97 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 bb) Rechtswidrige körperliche Untersuchung (§ 81a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 cc) Rechtswidrige Überwachung der Telekommunikation (§§ 100a, b, g, h) . 61 dd) Rechtswidrige Wohnungsdurchsuchung (§§ 102 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 ee) Heimliche Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (1) Nemo-tenetur-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (2) Umgehung von Belehrungspflichten (§§ 136, 163a)? . . . . . . . . . . . . . 68 3. Beispiele selbständiger Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

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Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Art. 36 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) 74 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Kompensation eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 WÜK . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Beweisverwertungsverbote in der grenzüberschreitenden Beweisrechtshilfe . . . . 81 a) Ordnungsgemäße Beweisrechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Völkerrechtliche Verstöße im Rahmen nicht ordnungsgemäßer Beweisrechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 aa) Der Fall Schreiber als Beispiel eines Dissens über einen Spezialitätsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (1) Der Spezialitätsvorbehalt im Rechtshilfeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 86 (2) Nachträgliches Verwertungsverbot bei Leistungsstörungen im Rechtshilfeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (a) Art. 48, 49 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVÜ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (b) Individualinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (c) Abwägung der jeweiligen Interessen im Einzelfall . . . . . . . . . . . . 93 bb) Weitere völkerrechtlich begründete Verwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Explizite oder implizite Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (2) Umgehung des Rechtshilfewegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (3) Gemeinschaftsrechtliches Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . 99 (4) Verletzung von Individualinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (a) Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (b) Verletzung des allgemeinen Fairnessgebots (Art. 6 EMRK) . . . . . 102 II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private unter besonderer Berücksichtigung der Fälle Liechtenstein und Siemens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Der Fall Liechtenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) (Straf-)Rechtswidrigkeit der Beschaffung der Daten durch eine Privatperson . 112 b) (Straf-)Rechtswidrigkeit des staatlichen Vorgehens bei der Beschaffung und Weitergabe der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) (Straf-)Rechtswidrigkeit des Ankaufes durch den BND und/oder die Finanzbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Rechtswidrigkeit der innerstaatlichen Weitergabe der Daten . . . . . . . . . . 118

Inhaltsverzeichnis

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c) Verwertbarkeit der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Folgen der (Straf-)Rechtswidrigkeit der privaten Beschaffung . . . . . . . . . 121 bb) Folgen der (Straf-)Rechtswidrigkeit des staatlichen Ankaufs und der Weitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (1) Zwingendes Verwertungsverbot aufgrund Völkerrechtsverstoßes? . . . 122 (2) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Der Fall Siemens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Die Fernwirkungslehre im US-Recht und ihre Übertragung auf das deutsche Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Fernwirkung im US-amerikanischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Grundlagen und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Einschränkungen der Fernwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 aa) Unabhängig vom Verstoß erlangte Beweise – Die Independent-sourceAusnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Berücksichtigung hypothetischer Erfolgsursachen – „inevitable discovery exception“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 cc) Abgeschwächte Kausalität zwischen Beweismittel und Verstoß – „purged taint“ oder „attenuated connection“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 dd) Weitere Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (1) Nach Art des Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (2) Standing rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (3) Zeuge als Frucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Fernwirkung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

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Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. abl. Abl. (EU) Abl. EG Abs. Abt. a.E. AEUV AE-ZVR a.F. AG allg. allg. A. Alt. Am.Crim.L.Rev. Am.J.Crim.L. Angekl. Anm. AO ARHG Art. ASP-E AT Aufl. BAK Bd. BDSG Beschl. BGBl. BGE BGH BGHR BGHSt BJ BND BNDG BT-Drucks. BVerfG

andere/r Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Amtsblatt der EU Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Absatz Abteilung am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Teil des Lissabonner Vertrags) Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte alte(r) Fassung Amtsgericht; Aktiengesellschaft allgemeine(r) allgemeine Ansicht Alternative American Criminal Law Review American Journal of Criminal Law Angeklagte(n) Anmerkung Abgabenordnung (österreichisches) Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz Artikel Entwurf des Mannheimer Arbeitskreises Strafprozessrecht und Polizeirecht Allgemeiner Teil Auflage Blutalkoholkonzentration Band Bundesdatenschutzgesetz Beschluss Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Bundesamt für Justiz (Schweiz) Bundesnachrichtendienst Bundesnachrichtendienst-Gesetz Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht

Abkürzungsverzeichnis 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

BVerfGE BVerfSchG BVV B.Y.U.J.Pub.L. bzgl. BZRG bzw. ca. Cal.L.Rev. CPP dens. ders. d. h. dies. diff. Diss. DJT dt. ebd. EG EGMR EGV Emory L.J. EMRK Entsch. Erl. Erw. et al. etc. EU EuGH EuGRZ Eur. Ct. H. R. EU-RhÜbk EuRhÜbk (EUeR) evtl. EWG f. FACP FAZ ff. FGO Fischer Fn. FS

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Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsschutzgesetz Beweisverwertungsverbot Brigham University Journal of Public Law bezüglich Bundeszentralregistergesetz beziehungsweise circa California Law Review Codice di Procedura Penale (Italien) denselben derselbe das heißt dieselbe(n) differenzierend Dissertation Deutscher Juristentag deutsch(en) ebenda Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften Emory Law Journal Europäische Menschenrechtskonvention (Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) Entscheidung Erläuterung(en) Erwägung et alii (und andere) et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift European Court of Human Rights Series A: Judgments & Decisions Übereinkommen von 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Europäisches Übereinkommen von 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende Foreign Corrupt Practicies Act Frankfurter Allgemeiner Zeitung fortfolgende Finanzgerichtsordnung Fischer, Strafgesetzbuch, 57. Aufl. 2010 Fußnote Festschrift

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G 10 GA gem. GesE GG gg. ggf. grdl. grds. GrS Grützner/Pötz/ Kreß-Bearbeiter GSSt GVG H. Herv. HK-Bearbeiter h.L. h.M. HRRS Hrsg. Hs. ICC I.C.J. Idaho L.Rev. i.E. i. e.S. IGH Ind.L.J. insbes. InsolvenzO insow. Iowa L.Rev. IPbpR IRG IRSG i.S. i.S.d. IStGH-Statut i.S.v. i.V. i.V.m. JA J.Crim.L.C.& P.S. JICJ JR Jura JuS

Abkürzungsverzeichnis Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz v. 13. 8. 1968 Goltdammers Archiv für Strafrecht gemäß Gesetzentwurf Grundgesetz gegen gegebenfalls grundlegend grundsätzlich BGH Großer Senat Heinrich Grützner/Paul-Günter Pötz/Claus Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., 15. Lfg., April 2010 Großer Senat in Strafsachen Gerichtsverfassungsgesetz Heft Hervorhebung Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2009 herrschende/r Lehre herrschende/r Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung Strafrecht Herausgeber Halbsatz International Criminal Court International Court of Justice Idaho Law Review im Ergebnis im engeren Sinne Internationaler Gerichtshof Indiana Law Journal insbesondere Insolvenzordnung insoweit Iowa Law Review International Pakt über bürgerliche und politische Recht Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Schweizer Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen im Sinne im Sinne des Rom/Römisches Statut des Internationaler Strafgerichtshof im Sinne von in Verbindung in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Journal of Criminal Law, Criminology and Police Science Journal of International Criminal Justice (international) Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung

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JZ Kap. KK-Bearbeiter

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Juristenzeitung Kapitel Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung – Bearbeiter, 6. Aufl., 2008 KMR-StPO Kleinknecht/Müller/Reitberger, Kommentar zur Strafprozessordnung, Loseblattausgabe, Hrsg. Heintschel- Heinegg. Köln 1990 krit. kritisch L. Ed. United States Supreme Court Reports, Lawyers Edition LG Landgericht LGT Liechtenstein Global Trust li. Sp. linke Spalte Lit. Literatur lit. littera (Buchstabe) LJIL Leiden Journal of International Law LR- Bearbeiter, StPO Löwe,Ewald/Rosenberg,Werner/Erb, Volker-Bearbeiter, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 26. Aufl., Berlin 2006 ff. m. mit MDR Monatsschrift für Deutsches Recht Meyer-Goßner, StPO Kommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, 52. Aufl., München 2009 Mich.L.Rev. Michigan Law Review Mio. Million(en) m.w.N. mit weiteren Nachweisen NdsRpfl. Niedersächsische Rechtspflege Nds. SOG Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Neuaufl. Neuauflage NJW Neue Juristische Wochenschrift No. number (Nummer) nöeP nicht öffentlich ermittelnde Person(en) Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-RR Neue Zeitschrift für Strafrecht, Rechtsprechungs-Report NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht NZZ Neue Züricher Zeitung o. oben o. g. oben genannt/e/r/s OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung OLG Oberlandesgericht öStPO österreichische StPO o.W. ohne Weiteres p. page para. paragraph (Absatz) P.C.I.J. Permanent Court of International Justice R. Rex/Regina Rb Rahmenbeschluss (EU) re. Sp. rechte Spalte

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RG RJD Rn. Rspr. S. s. s.a. SchlHOLG Schönke/SchröderBearbeiter scil. S.Ct. SDÜ SEC SIS SJZ SK-Bearbeiter, StPO s. o. sog. So.Tex.L.J. SSW-StGB/ Bearbeiter StA StGB StIGH StPO str. StraFo StRR stRspr. StV s.u. THC TKÜ u. u. a. U.Chi.L.Rev. U-Haft UK U.Miami L.Rev. UN UN Doc. UN-FolterÜbk unkrit. Urt.

Abkürzungsverzeichnis Reichsgericht Reports of Judgments and Decisions; Entscheidungssammlung des EGMR Randnummer Rechtsprechung Seite siehe siehe auch Schleswig-Holsteinisches OLG Schönke,Adolf/Schröder,Horst, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006 scilicet (lat. = das heißt, das bedeutet) Supreme Court Reporter (USA) Schengener Durchführungsübereinkommen U.S. Securities and Exchange Commission Schengener Informationssystem Süddeutsche Juristenzeitung Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung, Loseblattausgabe, Hrsg. Rudolphi,Hans. Frankfurt/Main 1986 ff. siehe oben sogenannte/r/n South Texas Law Journal Satzger, Helmut/ Schmitt, Bertram/Widmaier, Gunter, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 1. Aufl., Köln 2009 Staatsanwaltschaft Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozessordnung streitig Strafverteidiger Forum StrafRechtsReport – Arbeitszeitschrift für das gesamte Strafrecht ständige Rechtsprechung Strafverteidiger siehe unten Tetrahydrocannabinol Telekommunikationsüberwachung und; unten unter anderem University of Chicago Law Review Untersuchungshaft United Kingdom University of Miami Law Review United Nations (Vereinte Nationen) United Nations Document(s) Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UNO) unkritisch(en) Urteil

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US U.S. USA u. U. UWG v. VBR VE Verf. Verh. vgl. VölkerR Vorb. VRR VwVfG Wistra w. N. WÜK WVÜ z. B. Zhg. Ziff. ZIS zit. ZJS ZStW z. T. zusf. zust. zutr.

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United States United States oder United States Reports United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika) unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom, versus Verfahrens- und Beweisregeln Verdeckter Ermittler Verfasser Verhandlungen vergleiche Völkerrecht Vorbemerkung Verkehrsrechtsreport Verwaltungsverfahrensgesetz Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht weitere Nachweise Wiener Konsularrechtsübereinkommen (Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen) Wiener Vertragsrechtsübereinkommen (Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge) zum Beispiel Zusammenhang Ziffer Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil zusammenfassend zustimmend zutreffend

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Erstes Kapitel

Grundlagen und Kasuistik I. Einführung: Theoretischer und historischer Hintergrund Vor über 100 Jahren prägte Ernst Beling in seiner Tübinger Antrittsrede den Begriff des „Beweisverbots“1 und wollte damit zum Ausdruck bringen, dass der strafprozessualen Wahrheitserforschung aufgrund gegenläufiger kollektiver und individueller Interessen Grenzen gesetzt sind.2 Die Bestimmung dieser Grenzen hängt nun ganz grundsätzlich davon ab, welche Stellung die Rechtsordnung dem Einzelnen gegenüber der Staatsgewalt einräumt.3 In einer rechtsstaatlichen Ordnung findet diese Stellung ihren vornehmsten Ausdruck in den verfassungs- und menschenrechtlich verbürgten Grundrechten, vor allem der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit.4 In einer solchen Ordnung gibt es Bereiche, die der rechtsstaatliche Gesetzgeber vor staatlichen Eingriffen schützt und in denen demzufolge eine Aufklärung mit strafprozessualen Mitteln unzulässig und verboten ist.5 Der Be-

1 Beling, Beweisverbote, 1903, u. a. zit. von KK-Senge, StPO, 2008, vor § 48 Rn. 20; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 21. Früher aber schon Bennecke/Beling, Lehrbuch des Dt. ReichsStrafprozessrechts, 1900, § 83.3, S. 327 f. Krit. zur (unkrit.) Berufung auf Beling Rogall, JZ 2008, 819 li. Sp., weil sich dieser später flexibler gezeigt hätte. Für eine moderne Definition des Begriffs nun Chao, Beweisverbote, 2009, S. 15: „… Regeln, die die Daten- oder Informationsverwendung, die Beweiserhebung, die Beweisführung und die Beweisverwertung … beschränken“. Zur historischen Entwicklung in Deutschland Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 13 ff. 2 Vgl. auch Henkel, Strafverfahrensrecht, 1968, S. 271, wonach „die Gründe für die Annahme von Beweisverboten in der Rücksicht auf anderweitige Interessen [liegt], welche mit dem Wahrheitserfordernisinteresse kollidieren, ihm gegenüber als vorrangig angesehen werden“; Otto, GA 1970, 289. 3 Vgl. Otto, GA 1970, 289 (291) unter Bezugnahme auf Beling. 4 Vgl. schon Beling, Beweisverbote, 1903, S. 37: „Allseitig einverstanden wird man darüber sein, dass auch der Strafprozess die Menschenwürde achten muss, und dass daher ein unlöslicher Konflikt zwischen Menschenwürde und Strafprozessinteresse zu einem Beweisverbot führen muss. (…) Aber auch von der Menschenwürde abgesehen wird die moderne Anschauung – und sicher mit Recht – darauf bestehen, dass jedem seine Persönlichkeitssphäre vor Staatszugriff sichergestellt werde, auch im Strafprozess.“ (Herv. im Original). Vgl. auch Rogall, ZStW 91 (1979), 9; Eisenberg, Beweisrecht, 2008, Teil 1, Kap. 3, Rn. 330; Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 880. 5 Rogall, ZStW 91 (1979), 6; Beulke, Jura 2008, 654.

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

schuldigte ist aktives Subjekt und nicht nur bloßes Objekt des Strafverfahrens,6 die Freiheit seiner Willensentschließung und -betätigung ist unantastbar und unverfügbar, sie darf in keiner Weise beeinträchtigt oder gar manipuliert werden.7 Die Manipulation des freien Willens des Beschuldigten, etwa durch Drohung, Zwang, Täuschung oder ein ähnliches Mittel, muss verboten und dieses Verbot auch entsprechend sanktioniert sein;8 und zwar nicht erst im Haupt-, sondern schon im staatsanwaltschaftlichen geleiteten9 Vorverfahren.10 Beweisverbote haben also eine individuelle und kollektive Komponente: Sie dienen zum einen der Sicherung der Individualrechte,11 wobei sie den Beschuldigten vor rechtswidrig erlangten Belastungsbeweisen – ganz im Sinne von Belastungsverboten – bewahren, der Entlastung dienende Erkenntnisse aber wegen des Schuldgrundsatzes grundsätzlich12 immer verwertbar (und damit disponibel) bleiben müssen;13 zum anderen dienen sie – kollektive Komponente – der rechtsstaatlichen Integrität,14 insbesondere durch die Verwirklichung eines fairen Verfahrens.15 Dies hat 1961 – lange nach Beling – auch der US-amerikanische Supreme Court anerkannt, indem er die Ausschlussregel („exclusionary rule“) 6 Grdl. Murmann, GA 2004, 65 ff.; vgl. auch Kelker, ZStW 118 (2006), 389 (420 f.); Chao, Beweisverbote, 2009, S. 54. 7 Eberhard Schmidt, SJZ 1949, 450. 8 LR-Gleß, StPO, 2007, § 136a Rn. 1. 9 Zur staatsanwaltschaftlichen Leitungs- und Kontrollbefugnis im Ermittlungsverfahren mit Blick auf Verwertungsverbote jüngst BGH NStZ 2009, 648 f. 10 Zu einer entsprechenden „Frühwirkung“ (schon bei Anfangsverdacht) Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 320 ff. Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 285 versteht darunter allerdings eine Fernwirkung bezogen auf andere Strafverfahren und spricht ansonsten – bei Wirkung des Verwertungsverbots schon im Ermittlungsverfahren – von „Vorwirkung“ (ebd., S. 282); dazu auch u. Fn. 41 sowie – im Zusammenhang mit der Fernwirkung – u. Fn. 789. 11 So ursprünglich insbesondere Rogall, ZStW 91 (1979), 1 (16 ff.); vgl. auch mit verfassungsrechtlicher Betonung Chao, Beweisverbote, 2009, S. 53 ff., 77, 79 f., 81 ff., 100. 12 Das mag man bei absoluten Beweisverwertungsverboten wie dem bei Folter anders sehen, vgl. dazu Ambos, StV 2009, 156; a.A. (bei Menschenwürdeverletzungen) Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 187 ff. m.w.N. 13 Grdl. Roxin/Schäfer/Widmaier, StV 2006, 655 (656, 659, 660); auch Roxin, NStZ 2007, 616 (618); i.E. zust. Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 112 ff. (114); Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 124 ff., 185 ff.; Jäger, GA 2008, 498 (keine Begünstigungsverbote); Rogall, JZ 2008, 830 li. Sp.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 28 (zumindest Dispositionsbefugnis des Beschuldigten); krit. Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 302 ff. Zur str. Frage der Verwertung gemischter (teils belastender, teils entlastender) Erkenntnisse Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 185 ff. m.w.N. 14 Dazu auch Schmidt, Lehrkommentar, Bd. II, 1970, § 136a Rn. 21 mit seiner Lehre von der sittlichen Überlegenheit des Staates, aus der die Forderung nach einem „reinen“, justizförmigen Verfahren folgt (ebd., Bd. I, Rn. 40, 44, 49). In diese Richtung geht auch Fezers Lehre von der staatlichen Selbstbeschränkungsfunktion (Grundfragen, 1995, S. 20 ff.). Vgl. aus funktionaler Sicht mit Blick auf Normgeltung und strafprozessuale Normbestätigung mit rechtsstaatlichen Mitteln Lesch, FS Volk, 2009, S. 316 ff. (319), 320. Vgl. auch Chao, Beweisverbote, 2009, S. 63 ff., 78, 79 f., 97 f., 101. 15 Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 454; Finger, JA 2006, 529 (530); Chao, Beweisverbote, 2009, S. 74 ff.

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– das Äquivalent zur Lehre der Beweisverwertungsverbote16 – als den „Imperativ gerichtlicher Integrität“ („the imperative of judicial integrity“)17 bezeichnet hat. Daraus wurde dann später der Grundsatz „moralischer Integrität“ („moral integrity“) des Strafverfahrens.18 Das daraus entstehende Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an einer funktionsfähigen Strafrechtspflege mit dem Ziel der Aufklärung von Straftaten einerseits und dem Schutz der beschriebenen (Grund-)Rechte des Beschuldigten andererseits19 führt zu schwierigen Abwägungsentscheidungen, die selten beide Seiten – die Strafverfolger und die Strafverteidiger – vollkommen zufrieden stellen. Dieses Spannungsverhältnis lässt sich auch mit dem Gegensatz von materieller Gerechtigkeit (Verwirklichung des Strafanspruchs) und Verfahrensgerechtigkeit (Sicherung der Beschuldigtenrechte) beschreiben.20 Übersetzt in die Terminologie der modernen („funktionalen“) Strafzwecklehre kann man von dem Dilemma einer doppelten Normstabilisierungsfunktion sprechen: Der Staat hat nicht nur die strafrechtlichen Normen durch effektive Strafverfolgung, sondern eben auch die Grundrechte der Beschuldigten durch Anerkennung und vor allem Anwendung von Beweisverwertungsverboten bei Grundrechtsverletzungen zu stabilisieren.21 Dass damit zugleich – gleichsam negativ generalpräventiv22 – eine gewisse Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden einhergeht, kann man zwar aufgrund grundsätzlicher Bedenken gegen die Disziplinierungsfunktion von Beweisverboten (Schwächung des gesell-

16 Genau genommen handelt es sich bei den exclusionary rules um Beweiseinführungsverbote, weil die Beweise schon gar nicht in die Hauptverhandlung eingeführt werden sollen (vgl. Chao, Beweisverbote, 2009, S. 25). 17 Mapp v. Ohio, 367 U.S., 659; s. Dressler, Criminal procedure, 2002, S. 381; zur Entwicklung im common law auch Thaman, FS Eser, 2005, S. 1046 f.; näher u. 2. Kap. III. 2. a). 18 Roberts/Zuckermann, Criminal Evidence, 2004, S. 151 (157 ff.). 19 BVerfGE 44, 353, 374. 20 Vgl. Amelung, FS Roxin, 2001, S. 1259 (1279); Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 128 (s.a. u. zu Jägers Ansicht bei Fn. 212); Chao, Beweisverbote, 2009, S. 4. – Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass Beweisverbote auch der materiellen Gerechtigkeit insoweit dienen, als sie auch unzuverlässige Beweise ausschließen, vgl. u. Fn. 56. Auch darf nicht übersehen werden, dass mit der Anerkennung der Subjektsstellung des Beschuldigten im rechtsstaatlichen Strafverfahren dieser zu der Befriedigung des kollektiven Strafverfolgungsinteresses aktiv beitragen soll; das oben angesprochene Spannungsverhältnis wird damit zumindest abgeschwächt, wenn nicht gar aufgelöst (so Lesch, FS Volk, 2009, S. 312, 315, für den damit jeglicher Abwägungslehre die Grundlage entzogen ist). 21 So die (neuere) „normative Fehlerfolgenlehre“ Rogalls, FS Hanack, 1999, S. 293 (300 ff.) m.w.N.; krit. Amelung, FS Roxin, 2001, S. 1259 (1273 ff.); Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 109 f.; zu generalpräventiven Ansätzen schon Dencker, Verwertungsverbote, 1977, S. 59 ff.; Müssig, GA 1999, 119 (130 f.); Arloth, GA 2006, 258 (259). 22 Vgl. auch Otto, GA 1970, 289 (290) unter Verweis auf das schon in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorgebrachte Argument der Abschreckung der Staatsorgane vor weiteren Rechtsbrüchen.

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

schaftlichen Strafanspruchs, Disziplinierung als Aufgabe des administrativen Disziplinarrechts) beklagen,23 aber nicht leugnen.24 Im deutschen Recht, konkret der StPO von 1877, wurde die Subjektsstellung des Beschuldigten zunächst als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, weshalb auf eine Kodifizierung verzichtet wurde.25 Aufgrund der Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Strafrecht, vor allem seiner Missachtung der Willensentschließungsfreiheit des Einzelnen,26 wurde jedoch schnell deutlich, dass eine gesetzliche Regelung zur Sicherung der Willensfreiheit und damit zum Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden notwendig ist. Zudem ergab sich aufgrund des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts, u. a. der Erfindung des „Lügendetektors“27 und der „Narkoanalyse“, die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen im Hinblick auf die der neuen Technik durch die Willensfreiheit eventuell gezogenen Grenzen.28 So wurde am 12. September 1950 u. a. § 136a als zentrale Norm zur Stärkung der Beschuldigtenrechte und 23

Vgl. etwa Dencker, Verwertungsverbote, 1977, S. 55 ff. (vgl. aber auch S. 79 mit Fn. 250); Amelung, FS Roxin, 2001, S. 1259 (1263); überzeugender die konkretere Kritik von Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 70 f.; abl. auch Hellmann, Strafprozessrecht, 2006, Rn. 83 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 60; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 70 f.; Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 167 ff., 292; ders., JR 2009, 11. In diesem Sinne auch der Beschluss 2 d) der Abt. Strafrecht des 67. DJT in Erfurt 2008, wonach Ziel einer Fortentwicklung und Verbesserung der Beweisverbote nicht die Aufrechterhaltung der Normtreue der Strafverfolgungsbehörden sein soll (42 Stimmen dafür, 31 dagegen, 5 Enthaltungen). Positiv gesehen wird diese Disziplinierungsfunktion vom US-Supreme Court seit Mapp v. Ohio, s. Dressler, Criminal procedure, 2002, S. 381 f.; s.a. näher u. 2. Kap. III. 2. a) bei Fn. 799. 24 Zutreffender Verweis auf die Folgen für die Polizeiausbildung bei Arloth, GA 2006, 258 (259); auch Prittwitz, StV 2008, 486 (494); ders., StV 2009, 442; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C. 57 f. („aktueller denn je“); aus normativ-funktionaler Sicht Lesch, FS Volk, 2009, S. 321; vgl. auch Mende, Grenzen, 2001, S. 184 ff. (186); Chao, Beweisverbote, 2009, S. 87 ff. (91: „gewichtige Argumente“), 107; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 420 und passim; Gaede, JR 2009, 499 f. Mitunter klingt der Disziplinierungsgedanke auch in der Rspr. an, z. B. BGHSt. 51, 285, 296 f. („Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Ermittlungsrichter einfacher und möglicherweise erfolgsversprechender zu gestalten“); BGH NStZ 2007, 601; NJW 2007, 2269. Demgegenüber ist die Feststellung von Otto, GA 1970, 289 (292, 301), dass Beweisverbote „kein geeignetes Mittel zur Disziplinierung der Strafverfolgungsorgane“ seien, eine bloße Behauptung, die eines Nachweises bedürfte. 25 Schmidt, Lehrkommentar, Bd. II, 1970, § 136 a Erl. 1 – 4 Rn. 1; Peters, Strafprozeß, 1985, § 41 Abs. 2, S.1. 26 Vgl. BGHSt. 1, 387: „Die Vorschrift verdankt ihr Dasein den schmerzlichen Erfahrungen einer Zeit, die diese Achtung vor der freien Entschließung eines Menschen, auf dem der Verdacht einer strafbaren Handlung ruht, vielfach verletzte. Sie verbietet deshalb ausdrücklich, die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung durch Anwendung bestimmter Mittel zu beeinträchtigen, die jene Entschlussfreiheit bedrohen.“ 27 Zur Unzulässigkeit im deutschen Strafverfahren, insbes. hinsichtlich einer etwaigen Beeinträchtigung der Willensentschließung und -betätigung i.S.d. § 136a s. kontrovers BGH 5, 332 und BGH 44, 308. Zur (Un)Vereinbarkeit mit § 136a vgl. auch Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 901; Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 220 f.; ders., GA 2008, 492; Stübinger, ZIS 2008, 554. Eingehend zur historischen Entwicklung und dem aktuellen Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur s. Stübinger, ZIS 2008, 540 ff., 544 ff. 28 LR-Gleß, StPO, 2007, § 136 a Rn. 2.

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der Rechtsstaatlichkeit in die Strafprozessordnung eingeführt. Damit fand – fast 50 Jahre nach Belings bahnbrechenden Überlegungen – die These der fundamentalen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Bedeutung der Thematik der Beweisverbote auch ihre gesetzliche Bestätigung.29

II. Begriffsklärung und Systematik Die deutsche h.M. unterscheidet – unter dem Oberbegriff „Beweisverbote“ – zwischen Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten.30 Jene regeln bzw. begrenzen die Art und Weise der Erlangung von Beweisen, diese die gerichtliche Nutzung schon erhobener Beweise.31 Innerhalb der Beweiserhebungsverbote wird zwischen Beweisthemen-, Beweismittel- und Beweismethodenverboten unterschieden.32 Beweisthemenverbote untersagen es, über bestimmte Tatsachen („Themen“) Beweis zu erheben, etwa über schon aus dem Bundeszentralregister gelöschte Vorstrafen (§ 51 BZRG).33 Demgegenüber verbieten Beweismittelverbote, sich eines bestimmten Beweismittels zu bedienen, etwa eines Zeugen, der von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat (vgl. §§ 52 ff. StPO34).35 Beweismethodenverbote untersagen eine bestimmte Art und Weise der Beweiserhebung, etwa eine verbotene Vernehmung nach § 136a. Nach einer weiteren Differenzierung soll noch zwischen absoluten und relativen Beweiserhebungsverboten unterschieden werden. 29 Vgl. auch LR-Gleß, StPO, 2007, § 136 a Rn. 2; Eisenberg, Beweisrecht, 2008, Teil 1, Kap. 3, Rn. 329, 625. 30 Vgl. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 1 ff.; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 455; Hellmann, Strafprozessrecht, 2006, Rn. 780 ff.; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 27; ders., FS Stöckel, 2010, S. 264; eingehend Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 156 ff., 288; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 239 ff., 243 ff. Zur Berechtigung der Unterscheidung Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 133 ff. Für die weitere Kategorie der „Beweisregelungen“ Otto, GA 1970, 289 (292 f.); ebenso Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 26 mwN, 126; Haller/Conzen, Strafverfahren, 2008, Rn. 548. Das ausländische kontinentaleuropäische Recht vollzieht diese Unterscheidung weitgehend nach, vgl. z. B. für Portugal De Sousa Mendes, in: Palma, 2004, S. 134 ff., 141 ff. 31 Finger, JA 2006, 529 (530); Haller/Conzen, Strafverfahren, 2008, Rn. 549. Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 133 will genauer von einem „Tatsachenverwertungsverbot“ sprechen, weil man tatsächlich den Schluss aus den aus der Beweiserhebung stammenden Tatsachen verbieten will; in der Sache ebenso Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 25 („Selbstbeschränkungen prozessualer Tatsachenfeststellung“), C 26 („Tatsachenverwertungsverbote“). 32 Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 1 ff.; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 455; Hellmann, Strafprozessrecht, 2006, Rn. 780; krit. Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 28 ff.; Rogall, JZ 2008, 821 f. („heuristisch ohne Wert“); Chao, Beweisverbote, 2009, S. 22 f.; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 35. Die Differenzierung geht auf das Gutachten von Peters auf dem 46. DJT 1966 in Essen zurück (Beweisverbote im Strafprozess, in: Verhandlungen zum 46. DJT, 1967, Bd. I, Teil 3 A, S. 91, 94). Ebenso De Sousa Mendes, in: Palma, 2004, S. 134 ff. 33 Dazu jüngst BGH NStZ 2006, 587. 34 Alle Vorschriften ohne Bezeichnung beziehen sich auf die StPO. 35 Wenn man mit Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 882 ff. (889) davon ausgeht, dass alle Beweisthemenverbote zugleich Beweismittelverbote sind, ist jener Begriff verzichtbar.

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

Während diese generell gelten, schränken jene die Beweiserhebung nur insofern („relativ“) ein, als nur bestimmte Personen befugt sind, eine Beweiserhebung anzuordnen oder durchzuführen und bezüglich anderer Personen eben ein Beweiserhebungsverbot besteht.36 Das gilt bei nahezu allen Zwangsmaßnahmen, die (grundsätzlich) nur vom Richter angeordnet werden dürfen. Die vorgenommene Systematisierung dient vor allem der Klarstellung, sie bringt aber auch – entgegen einer weitverbreiteten Meinung37 – einen zumindest doppelten Erkenntnisgewinn: Zunächst ergibt sich aus der Unterscheidung zwischen Beweiserhebungsverbot und -verwertungsverbot, dass – anders als etwa im italienischen Recht38 – aus jenem nicht automatisch dieses folgt.39 Gleichwohl erscheint es zu weitgehend, mit Jäger40 von einem Abstraktions- bzw. Trennungsprinzip zu sprechen, denn damit würde – entsprechend der zivilrechtlichen Unterscheidung zwischen Ver36 Beling, Beweisverbote, 1903, S. 3; Strate, JZ 1989, 176 m.w.N. Krit. wegen der darin liegenden Abwertung Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 30 f., 126, der sie den Beweismethodenverboten zuordnen will. 37 Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 3; Hellmann, Strafprozessrecht, 2006, Rn. 780; Finger, JA 2006, 529 (530); grds. krit. Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 264 („babylonische Begriffsverwirrung“). 38 Vgl. Art. 191 CPP („Prove illegittimamente acquisite“), wonach jede rechtswidrige Beweiserhebung einem Verwertungsverbot unterfällt und dies in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu berücksichtigen ist: Abs. 1: „Le prove acquisite in violazione dei divieti stabiliti dalla legge non possono essere utilizzate.“ Abs. 2: „Linutilizzabilita e rilevabile anche di ufficio in ogni stato e grado del procedimento.“ 39 Vgl. Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 457: „Nicht jede fehlerhafte Beweiserhebung führt zur Unverwertbarkeit des erlangten Beweismittels.“ Vgl. auch Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 19; Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2010, § 23 Rn. 11; Arloth, GA 2006, 258; Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 135; Kühne, GA 2008, 370; Prittwitz, StV 2008, 488; Finger, JA 2006, 531; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C. 34 ff.; Rogall, JZ 2008, 822 (Verhaltensund Sanktionsnorm), 825 li.Sp., 826 li. Sp.; Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 147 ff., 211 f., 290 f.; ders., JR 2009, 10 („Konnexitätsproblem“); Chao, Beweisverbote, 2009, S. 108, 150; aus Strafverteidigersicht Neuhaus, StV 2010, 48 f.; aus der Rspr.: BVerfG NJW 2000, 3557; NStZ 2007, 159 (160); NJW 2009, 3225 (Rn. 15, 16); BGHSt. 44, 243 [249]; BGH NJW 2007, 2269 (2271) = StV 2007, 337, 338 li. Sp.; BGH StV 2009, 675 (= NJW 2009, 348 = NStZ 2010, 44), 677 (wonach dies auch bzgl. Verwendungsregelungen und –beschränkungen gilt, (Fn. 47); OLG Hamm NStZ 2007, 355; OLG Hamburg StV 2008, 454, 456 li. Sp.; OLG Köln NStZ 2009, 406, 407 re. Sp.; OLG Karlsruhe StV 2009, 516 re. Sp.; OLG Hamm StV 2009, 459, 461 re. Sp.; ebenso aus portugiesischer Sicht De Sousa Mendes, in: Palma, 2004, S. 142 f., der freilich selbst aus einer rechtswidrigen Beweiserhebung ein Verwertungsverbot folgern will (S. 141 f.). Krit. Schwabenbauer, NJW 2009, 3208, für den „alles verboten (ist), was nicht ausdrücklich erlaubt ist.“; i. E. ebenso Lesch, FS Volk, 2009, S. 319 aus dem Gedanken der Integrität des Rechtsstaates (schon o. Fn. 14) heraus, „der die Verbindlichkeit seiner Normen absolut und unmissverständlich selbst ernst nimmt … Daraus folgt zwingend, dass Beweismittel, die durch den Rechtsbruch der Strafverfolgungsorgane gewonnen werden, generell präkludiert sind.“ 40 Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 137 f.; ders., GA 2008, 485; dagegen Jahn, DJT Gutachten, 2008, C. 36 und Rogall, JZ 2008, 822 mit Fn. 89; gegen Jahn wiederum Jäger, GA 2008, 485 mit Fn. 75.

II. Begriffsklärung und Sytematik 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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pflichtungs- und Erfüllungsgeschäft – eine zu strikte Trennung zwischen Beweiserhebung und -verwertung insinuiert und die durchaus vorhandene Abhängigkeit dieser von jener vollkommen geleugnet.41 Wie dem auch sei, ob tatsächlich ein Verwertungsverbot vorliegt, ergibt sich entweder – bei den geschriebenen Beweisverwertungsverboten (dazu III.) – aus dem Gesetz oder – bei den ungeschriebenen Verwertungsverboten (IV.) – aus der Lehre von den Beweisverwertungsverboten.42 Eine (weitgehend unumstrittene) Erkenntnis dieser Lehre ist die (weitere) Unterscheidung zwischen unselbständigen und selbständigen Beweisverwertungsverboten. Jene sind die Folge der Verletzung eines Beweiserhebungsverbots, diese beruhen auf einer eigenständigen (verfassungsrechtlichen) Rechtsverletzung.43 Die Anerkennung selbständiger Beweisverwertungsverbote schließlich ist eine weitere Konsequenz der Unterscheidung zwischen Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot, denn nur unter dieser Voraussetzung lässt sich die Beweisverwertung unabhängig von einem Erhebungsverbot – eben selbständig – begründen.44 Die vom Gesetzgeber seit Ende des 20. Jahrhunderts, insbesondere aus Gründen des Datenschutzes45 nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts,46 eingeführten Verwendungsverbote47 stellen hingegegen keine eigenständige dritte Kategorie – neben Er-

41 Zur inneren Abhängigkeit von Erhebungs- und Verwertungsverbot mit Blick auf die „Vorwirkung“ des Verwertungs- auf das Erhebungsverbot Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 86 f.; ders., FS Stöckel, 2010, S. 282; zust. Rogall, JZ 2008, 822 mit Fn. 89; ähnlich Finger, JA 2006, 531 („Indizwirkung“); Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 220; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 458; Arloth, GA 2006, 258 (260); tendenziell auch Rössner, Probleme, 2007, S. 75 f. 42 In der Sache ähnlich die von Thaman, FS Eser, 2005, S. 1042 ff. aus rechtsvergleichender Sicht vorgenommene Unterscheidung zwischen absolut geltenden Verwertungsverboten und solchen, die dem Richter einen weiten Ermessensspielraum lassen. 43 BGHSt. 28, 122, 124; Rogall, ZStW 91 (1979), 1 (3); ihm folgend Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 23; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 4 f.; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 457; Meyer-Mews, JuS 2004, 39; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 51 ff.; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 32, 37 f.; ders., FS Stöckel, 2010, S. 264 f.; Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 184; Jäger, GA 2008, 484; ähnlich De Sousa Mendes, in: Palma, 2004, S. 142 ff.; krit. aber Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 21 mit Fn. 2; auch Chao, Beweisverbote, 2009, S. 105, 107. 44 Arloth, GA 2006, 258. 45 Vgl. § 3 Abs. 5 BDSG: „Nutzen ist jede Verwendung personenbezogener Daten, soweit es sich nicht um Verarbeitung handelt.“ Zum datenschutzrechtlichen Bezug auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 245 f., 253 f.; Singelnstein, ZStW 120 (2008), 865 („ob und unter welchen Voraussetzungen erhobene Daten zu welchen (anderen) Zwecken genutzt werden dürfen.“, Herv. K.A.). 46 BVerfGE 65, 1. 47 Die Kategorie wird aus dem Verb „verwenden“ in einschlägigen Regelungen (z. B. §§ 81a Abs. 3, 100 d Abs. 6) hergeleitet, vgl. Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 32 f. Vgl. auch Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 161 ff.; Schlothauer, FS Fezer, 2008, S. 269; ausführlich Singelnstein, ZStW 120 (2008), 854 ff., 865 ff. m.w.N. in Fn. 55, der auf die „erhebliche strafprozessuale Bedeutung“ der Vielzahl der in der StPO enthaltenen Verwendungsregelungen hinweist (ebd., 854, 865 ff., 883). Zu den Ursprüngen Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 251 ff.

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

hebungs- und Verwertungsverboten – dar.48 Eine Untersuchung der Gesetzgebung49 und Rechtsprechung50 zeigt vielmehr, dass es sich um absolute Verwertungsverbote, allerdings mitunter mit Fernwirkung,51 handelt. Nach alledem ist es offensichtlich, dass die Beweisverbote mit dem Untersuchungsgrundsatz (§§ 155 Abs. 2,160 Abs. 2, 244 Abs. 2) kollidieren. Als Beweiserhebungsverbote begrenzen sie die Aufklärungstätigkeit der Ermittlungsbehörden, als Beweisverwertungsverbote hindern sie das Gericht an einer umfassenden Beweiswürdigung.52 Sie bewirken, dass „die Wahrheit lückenhaft bleibt und fiktive Züge trägt“53 und dies begründet nach Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung ihren Ausnahmecharakter.54 Andererseits bestätigen sie, dass die (prozessuale) Wahrheit, in den berühmten Worten des BGH, nicht „um jeden Preis“ erforscht werden darf,55 sondern auf die eingangs genannten individuellen Interessen Bedacht zu nehmen ist. Zugleich dienen sie jedoch auch dem Schutz der Wahrheitsfindung, weil sie die Verwertung unvollständiger, mittelbarer oder verzerrter Informationen unterbinden.56 Dies wird besonders deutlich am Beispiel des § 136a (dazu sogleich III. 1.).

48 Eingehend Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 245 ff. (273 ff.). A.A. Eisenberg, Beweisrecht, 2008, Teil 1, Kap. 3, Rn. 335 und vor allem Singelnstein, ZStW 120 (2008), 865, wonach Verwendungsregelungen sich in Abgrenzung zu Verwertungsverboten auf die Frage beziehen, „ob und unter welchen Voraussetzungen erhobene Daten zu welchen (anderen) Zwecken genutzt werden dürfen.“ 49 Vgl. nur § 160a Abs. 1 S. 2 („nicht verwendet“) versus II S. 3 („Verwertung“). Weitere Beispiele bei Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 265 ff. Zu den neu gefassten Verwendungsregeln der §§ 161 Abs. 2 und 477 Abs. 2 s.a. u. 2. nach Fn. 119. 50 Vgl. etwa BGH NStZ 1998, 426, 427 (Unverwertbarkeit von Zufallserkenntnissen aus einer Telefonüberwachung bei Nichtkatalogtaten, obwohl § 100b Abs. 5 a.F. von „verwenden“ sprach). Nach BGH StV 2009, 675 (= NJW 2009, 348 = NStZ 2010, 44), 677 gelten auch insoweit die Grundsätze zu den sog. relativen Verwertungsverboten (o. Fn. 39 und Haupttext); a.A. Singelnstein, ZStW 120 (2008), 887 ff. Weitere Beispiele aus der Rspr. bei Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 255 ff. 51 Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 8. Insoweit ähneln sie strukturell den Ausschlussregeln des common law (o. Fn. 16), denn der Beweis soll schon a limine nicht zugelassen werden. 52 Arloth, GA 2006, 258; auch Senge, a.a.O. Rn. 22, 27; krit. Beulke, Jura 2008, 665. 53 Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 6. 54 Jüngst BGH NJW 2007, 2269 (2271); OLG Hamburg StV 2008, 456 li Sp.; OLG Hamm StV 2009, 567 (569). 55 BGHSt. 14, 358, 365; 31, 304, 309; 38, 214, 220. Dazu auch jüngst Hassemer, ZStW 121 (2009), 835 f. 56 Amelung, FS Roxin, 2001, S. 1259 (1263); vgl. auch Chao, Beweisverbote, 2009, S. 91 ff., 100 („Instrument zur Sicherung der legitimen Wahrheitsfindung“). Insoweit besteht auch kein Antagonismus zwischen Verwertungsverboten und Wahrheitsfindung (zutr. Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 25; Beulke, Jura 2008, 666; vgl. ähnlich Lesch, o. Fn. 20). Zum völkerstrafprozessualem Kriterium der Zuverlässigkeit eines Beweises vgl. insoweit Ambos, StV 2009, 152.

III. Geschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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III. Geschriebene Beweisverwertungsverbote Es ist allgemein anerkannt, dass die Annahme eines Beweisverwertungsverbots nicht – bloß formal – von dessen ausdrücklicher Kodifizierung abhängt,57 sondern vielmehr material nach dem Geltungsgrund der verletzten Prozessnorm und im Hinblick auf die in Rede stehenden, der Sachverhaltsaufklärung zuwiderlaufenden Interessen zu bestimmen ist. Wäre es anders, würde man also eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung des Verbots der Beweisverwertung – ein geschriebenes Beweisverwertungsverbot – fordern, wäre die kriminalpolitische und strafprozessdogmatische Diskussion schnell am Ende, denn die gesetzlichen Verbotsregelungen sind (relativ) eindeutig und überschaubar.58 1. § 136a a) Allgemeines Klassisch ist die Formulierung in § 136a Abs. 3: „Aussagen, die unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommen sind, dürfen auch dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt.“ Die Unverfügbarkeit der Vorschrift ist jedenfalls aus generalpräventiven Überlegungen geboten, denn wenn die Verletzung des Verbots ohne prozessuale Folgen bliebe, gäbe es wenig Grund, die Norm zu befolgen.59 Es handelt sich um ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot, denn es ist die Folge des in § 136a Abs. 1 angeordneten Beweiserhebungsverbots bezüglich bestimmter verbotener Vernehmungsmethoden, die die „Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung“ beeinträchtigen, wobei freilich auch insoweit die Verwertung entlastender Erkenntnisse aus den o.g. Gründen60 grundsätzlich möglich sein muss.61 Das Problem der Vorschrift liegt weniger in der Folge – dem 57

Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 457. Zu geschriebenen Verwertungsverboten in der (neuen) öStPO s. Schmoller, GA 2009, 524 ff. 59 Insoweit zust. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 24. Zu § 166 öStPO neu Schmoller, GA 2009, 526 f. 60 Vgl. Fn. 13 und Haupttext. 61 Zu einer teleologischen Restriktion der Vorschrift insoweit Roxin/Schäfer/Widmaier, StV 2006, 656. S. dazu jüngst BGH StV 2009, 113 (krit. Roxin, ebd., 113 ff.), wonach das erkennende Gericht zwar nicht aufgrund der aus § 244 StPO folgenden Aufklärungspflicht zu der ihm gem. § 136a Abs. 3 S. 2 StPO untersagten Sachaufklärung verpflichtet ist, jedoch – möglicherweise – „Fälle denkbar sind, in denen entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes aus übergeordneten verfassungs- oder menschenrechtlichen Prinzipien die Verwertung derartiger Erkenntnisse dennoch in Betracht kommen könnte“. Derartiges wird aber „allenfalls dann in Erwägung zu ziehen sein“, wenn der Angeklagte erstens „unmißverständlich zu verstehen gibt, dass er auf den ihm durch § 136 a Abs. 3 S. 2 StPO gewährten individuellen Schutz verzichtet“ und zweitens „aufzeigt, daß ihm eine effektive Verteidigung ohne die Verwertung des an sich gesperrten Beweisstoffes verwehrt ist und daher die ihm durch § 136 a Abs. 3 S. 2 StPO auch objektiv im Allgemeininteresse garantierten Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens im Wege einer Güterabwägung hinter seinen ebenfalls vom Rechtsstaatsprinzip umfaßten Anspruch auf eine wirksame Verteidigung […] zurücktreten müssen.“ 58

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

Beweisverwertungsverbot – als vielmehr in der genauen Bestimmung derjenigen Vernehmungsmethoden, welche als verboten zu gelten haben. Auch die jüngste Diskussion in den USA über die noch zulässige Intensität bzw. „Robustheit“ der Vernehmungsmethoden von Terrorismusverdächtigen macht das deutlich.62 Die in Abs. 1 aufgeführten Vernehmungsmethoden (Misshandlung, Ermüdung, Quälerei etc., sog. „Verhör dritten Grades“) sind jedenfalls nicht abschließend;63 entscheidend ist, ob diese oder andere „Vernehmungstechniken“ die Willensfreiheit beeinträchtigen. Im Hinblick auf (die Androhung von) Folter hat das BVerfG jüngst gesagt, dass damit „die Vernehmungsperson zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung ihres verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruch“ gemacht und „grundlegende Voraussetzungen der individuellen und sozialen Existenz des Menschen“ zerstört werden.64 Eine auf einer solchen Missachtung beruhende Aussage könne nicht als Beweismittel verwendet werden. Es sei aber möglich, die ordnungsgemäß in der Hauptverhandlung zustande gekommene Aussage des Angeklagten zur Grundlage einer Verurteilung zu machen, wenn dieser qualifiziert belehrt,65 also auch über die Unverwertbarkeit seiner früheren Aussage aufgeklärt worden sei.66 Somit ist eine Grundrechtsverletzung im Ergebnis ausgeschlossen, wenn das von den Fachgerichten angenommene Beweisverwertungsverbot den in der unzulässigen Beweiserhebung liegenden Verfahrensverstoß bereits vollständig ausgeglichen hat. Man darf dabei nicht übersehen, dass es bei dem Beweisverwertungsverbot des § 136a nicht nur – rein idealistisch – um den Schutz der Menschenwürde des Beschuldigten, sondern auch den Wahrheitsgehalt der Aussage geht, wissen wir doch, dass genötigte Beschuldigte eher durch die Aussicht auf ein Ende des Schmerzes als die Liebe zur Wahrheit motiviert sind.67 Mit Blick auf § 136a Abs. 1 S. 2 (Anwendung nur zulässigen Zwangs) ist umstritten, ob schon die Rechtswidrigkeit und damit Unzulässigkeit der Zwangsmaßnahme, etwa der rechtswidrigen U-Haft, die in diesem Rahmen gemachten Aussagen unverwertbar macht. Nach Ansicht des BGH ist dies nicht – automatisch – der Fall, vielmehr nur dann, wenn der Zwang „gezielt als Mittel zur Herbeiführung einer Aussage“ angewendet worden ist.68 Dieses Intentionalitätskriterium folgt jedoch weder aus dem 62

Vgl. Danner, Torture and Truth: America, Abu Ghraib and the War on Terror, 2004; Langbein, Torture and the Law of Proof, 2006 (Nachdruck), S. IX, XI. 63 KK-Diemer, StPO, 2008, § 136a Rn. 9; zu den Fallgruppen Volk, StPO, 2008, § 9 Rn. 14 f. 64 BVerfG 2 BvR 1249/04 vom 14.12.2004 (Kurzfass. in NJW 2005, 656, Fall des Frankfurter Polizeipräsidenten), Rn. 7. 65 BVerfG, o. Fn. 64, Rn. 3. 66 Zur qualifizierten Belehrung vgl. etwa Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 136 Rn. 9; Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 27; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 33; zur staatsanwaltschaftlichen Kontrollfunktion insoweit BGH NStZ 2009, 648 = StV 2010, 3. Vgl. auch u. Fn. 264 f. mit Haupttext. 67 Vgl. auch Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 890. Dies hat schon Beccaria, Verbrechen, 1764, S. 33 f. erkannt. 68 BGH NJW 1995, 2933, 2936 = StV 1996, 73 (76).

III. Geschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Wortlaut noch aus dem systematischen Zusammenhang von § 136a Abs. 1 S. 2;69 vielmehr führt bereits die objektive Unzulässigkeit des Zwangs zu einem Verwertungsverbot, denn dann darf nach dem eindeutigen Wortlaut des S. 2 dieser Zwang nicht angewendet werden und die unter seinem Eindruck gemachte Aussage stellt eine Verletzung des Schweigerechts dar, die durch ein Verwertungsverbot kompensiert werden muss.70 b) Absprachen § 136a ist auch der „prozessuale Prüfstein“ für ein aufgrund einer formellen Absprache abgegebenes Geständnis71, freilich auf der verfassungsrechtlichen Grundlage des Schweigerechts im Sinne des Nemo-tenetur-Grundsatzes.72 Die Kehrseite des Geständnisses des Angeklagten ist in der Regel eine Strafmilderung und gegebenenfalls eine Verfahrensabkürzung. Das die Prozessakteure verbindende Ziel ist die einvernehmliche und zügige Beendigung des Verfahrens. Trotz der erheblichen Bedenken gegen die Absprachenpraxis in der Literatur,73 hat sie der BGH bekanntlich grundsätzlich für zulässig erachtet und sich bemüht, ihre Zulässigkeit an bestimmte Bedingungen zu knüpfen.74 Der Gesetzgeber ist der Aufforderung des Großen Strafsenats vom 3. März 200575 inzwischen nachgekommen und hat die Absprachenpraxis als „Verständigung“ legalisiert (insbesondere § 257c StPO).76 Der BGH hat explizit betont, dass auch im Rahmen einer formellen Absprache die Bereitschaft zu einem Geständnis nicht durch die durch § 136a verbotenen Methoden erzwungen werden darf.77 Ein aufgrund einer solchen Absprache abgegebenes Geständnis ist daher ohne weiteres unverwertbar. Im Rahmen von Absprachen erhält § 136a Abs. 1 S. 3 2. Alt. eine besondere Relevanz, kann doch durch das „Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils“ ein erheblicher Druck auf den Angeklagten ausgeübt werden, sich in der Ver69

Bung, StV 2008, 495 (496 f.). Bung, StV 2008, 495 (498). 71 Kuckein, FS Meyer-Goßner, 2001, S. 63, (69). 72 s. Kölbel, NStZ 2003, 234 ff.; zu nemo tenetur in diesem Zusammenhang auch Eidam, Selbstbelastungsfreiheit, 2007, S. 235 ff.; Verrel, Selbstbelastungsfreiheit, 2001, S. 51 f. Vgl. auch u. III. 1. d), IV. 2. a) und c) ee) (1). 73 Einen Überblick über die im Hinblick auf formelle Prozessabsprachen generell bestehenden Bedenken findet sich z. B. bei Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 748 und Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 394a. Vgl. etwa auch Hassemer, JuS 1989, 890 ff.; Lie Lien, GA 2006, 129 ff.; Rönnau, Wistra 1998, 49 ff.; zur Zulässigkeit und Grenzen z. B. KMR-Lesch, StPO, 1999, § 136 a Rn. 39. 74 Grundlegend BGHSt. 43, 195 = NStZ 1998, 31; s. insgesamt auch: Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 747 ff.; Volk, StPO, 2008, § 30. 75 BGHSt. 50, 40 = NJW 2005, 1440. 76 Vgl. ausführlich Niemöller/Schlothauer/Weider, Verständigung, 2010; auch Ambos/ Ziehn, in: Radtke/Hohmann, StPO, im Erscheinen. 77 Vgl. BGHSt. 43, 195 (204) = NStZ 1998, 31 (33); s.a. Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 748.1. 70

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

nehmung kooperativ zu zeigen. Die durch § 136a geschützte Willensfreiheit ist davon ebenso wie bei den anderen in § 136a genannten Vernehmungsmethoden berührt. Gleichwohl wird mitunter argumentiert, dass der im Rahmen einer Absprache erzeugte Druck zur Geständnisablegung nicht die für einen Verstoß gegen die Aussagefreiheit i.S.v. § 136a notwendige Stärke erreicht.78 Wie bei den oben angesprochenen „robusteren“ Vernehmungsmethoden liegt damit auch hier das Problem darin, die Grenze zwischen einem zulässigen Anreiz für ein Geständnis und einer unzulässigen Beeinflussung der Willensfreiheit möglichst genau zu bestimmen. Eine unzulässige Beeinflussung liegt jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut schon vor, wenn die Absprache einen „gesetzlich nicht vorgesehenen“ Vorteil beinhaltet. Ein unzulässiges – weil gesetzeswidriges – Versprechen liegt z. B. vor, wenn dem Angeklagten als Gegenleistung für sein Geständnis bewusst eine unzutreffende (aber für ihn vorteilhafte) rechtliche Bewertung der Tat zugesichert wird.79 Die Grenze ist auch überschritten, wenn die „Sanktionsschere“ zwischen der zu erwartenden und der durch die in der Absprache in Aussicht gestellten Strafe so groß ist, dass darin eine unzulässige Beeinflussung der Willensfreiheit zu sehen ist.80 Dementsprechend liegt in der Erklärung der Staatsanwaltschaft, sie werde, wenn der Angeklagte ein Geständnis ablege, 3 Jahre und 6 Monate, ansonsten aber 6 – 7 Jahre Freiheitsentzug beantragen, entweder ein Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils oder aber die Androhung einer schuldunangemessen hohen und damit unzulässigen Strafe.81 Hingegen soll allein das In-Aussicht-Stellen einer milderen (aber noch schuldangemessenen) Strafe für den Fall eines Geständnisses nach der Rechtsprechung noch kein solches Versprechen darstellen.82 78

s. z. B. Volk, StPO, 2008, § 30 Rn. 3. BGH NStZ 2007, 655 (657) dort als Beispiel genannt. 80 Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 748.1, der darüber hinaus darauf hinweist, dass dadurch auch die Zuverlässigkeit eines Geständnisses erheblich beinträchtigt würde; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 395a. 81 BGH NStZ 2005, 393 = StV 2005, 201: „Denn ein so gravierender Unterschied in den Schlussanträgen wäre mit der strafmildernden Wirkung eines Geständnisses nicht mehr erklärbar und als unzulässiges Druckmittel zur Erwirkung eines verfahrensverkürzenden Geständnisses zu werten“; ebenso BGH NStZ 2008, 170 (171) bei einer Differenz von 312 Jahren im Fall eines Geständnisses und 7 – 8 Jahren ohne Geständnis; s.a. Volk, StPO, 2008, § 9 Rn. 15 mit weiteren Beispielen. 82 BGHSt. 43, 195 (204) = NStZ 1998, 31 (33); BGH NStZ 2007, 655 (657). Eine solche, wie vom BGH hier vorgenommene Differenzierung ist nicht unproblematisch, denn „[J]edem Angebot einer milderen Strafe ist immanent, dass die Strafe ohne Geständnis höher ausfallen wird.“ (s. Schmitt, GA 2001, 411 (422)); s.a. Kölbel, NStZ 2003, 232, 235, der „auch dem Minderungsangebot eine Eingriffswertigkeit“ zuweisen will und zutreffend feststellt: „Gleichgültig ob sie mit einer Vergünstigung oder einer Schlechterstellung operiert, erschwert in beiden Fällen eine ,Sanktionsschere den Grundrechtsgebrauch, weil sich der Grundrechtsträger bei Nichtwahrnehmung seiner Rechte besser gestellt sieht.“ Weigend, JZ 1990, 774 (778) weist ebenfalls darauf hin, dass jedes Angebot einer milderen Strafe implizit eine Drohung beinhaltet. Kritisch auch Eidam, Selbstbelastungsfreiheit, 2007, S. 245 f.; im Prinzip ebenso Verrel, Selbstbelastungsfreiheit, 2001, der aber auch feststellt, dass der Nemo-tenetur-Grundsatz durch das „Aushandeln von Strafrabatten“ nicht berührt ist, „[s]olange eine allgemeine 79

III. Geschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Im Zusammenhang mit formellen Absprachen kann sich auch die Frage stellen, ob bezüglich eines absprachegemäßen („vorgeleisteten“) Geständnisses ein Verwertungsverbot entsteht, wenn sich später – nach Abgabe des Geständnisses – herausstellt, dass die Absprache gescheitert ist. Bei einer bewussten Täuschung des Angeklagten über die Wirksamkeit der Absprache liegt eine verbotene Vernehmungsmethode i.S.d. § 136a Abs. 1 vor, so dass das Geständnis unverwertbar ist, vorausgesetzt, dass die Täuschung ursächlich für dieses war.83 Wie aber ist zu verfahren, wenn sich z. B. der Vertreter der Staatsanwaltschaft nach Abgabe des Geständnisses nicht mehr an die Absprache gebunden fühlt, weil der Angeklagte erklärt, er könne nicht verbindlich zusagen, dass er das Urteil akzeptieren werde?84 Die Rechtsprechung ist im Falle solcher „unbewusst“ fehlgeschlagener Absprachen nicht einheitlich. So hat der BGH im Falle eines Dissenses zwischen Angeklagtem und Staatsanwaltschaft ein Verwertungsverbot bezüglich des Geständnisses, dass der Angeklagte mit Blick auch auf außerhalb des gegenständlichen Verfahrens anhängiger Taten abgegeben hatte, als Kompensation für Verstöße gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens als angemessen erachtet.85 Hingegen entschied der BGH in einem anderen Fall (in dem die Absprache daran scheiterte, dass diese unzulässigerweise ohne die Einbeziehung der Staatsanwaltschaft erfolgt war), dass kein Vertrauenstatbestand dahingehend bestünde, dass die – notwendigerweise unverbindliche – Zusage eingehalten oder aber das Geständnis nicht verwertet werden könne, da die Absprache „außerhalb des in BGHSt 43, 195 beschriebenen Verlaufs“ erfolgt sei.86 Dies ist aus zwei Gründen wenig überzeugend. Zum einen ist zu überlegen, ob das Verhalten des Gerichts nicht als Täuschung i.S.d. § 136a Abs. 1 zu werten ist.87 Zum anderen trägt der Angeklagte nach dieser Ansicht das gesamte Risiko eines Fehlschlages, obwohl ihm, jedenfalls wenn er unverteidigt oder unzureichend verteidigt ist, die für die Gültigkeit einer Absprache aufgestellten Voraussetzungen – anders als dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft – nicht bekannt sein dürften.88 Der Gesetzgeber hat nun in Übung bzw. sogar ausdrückliche gesetzliche Vorgaben bestehen, Geständnisse bzw. ein Schuldeingeständnis implizierendes Wiedergutmachungsverhalten zu honorieren“, da „sich der Druck auf die Einlassungsfreiheit [dann] auch ohne eine regelrechte Vereinbarung von Leistung und Gegenleistung“ entfalte (S. 52 f.). 83 Vgl. Kuckein, FS Meyer-Goßner, 2001, S. 70 f.; Kuckein/Pfister, BGH-FS (2000), S. 641 (652) unter Verweis auf BVerfG NStZ 1987, 419. 84 BGH NStZ 2008, 416, wo die Frage der Verwertbarkeit des Geständnisses aber offen gelassen wird. 85 BGH NJW 1996, 3018 = BGH 42, 191, 194. In diesem Sinne auch Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 74 auf der Grundlage seiner Beweisbefugnislehre (dazu u. Fn. 221 und Text). 86 BGH StV 2003, 481. 87 So Schlothauer, StV 2003, 481 ff. mit der Begründung, dass der Grundsatz, dass nur eine bewusste Entstellung der Wahrheit ein Verwertungsverbot nach sich ziehe, für Rechtsfragen nicht gelte. Vielmehr habe der Beschuldigte einen Anspruch auf die Richtigkeit von Rechtsauskünften, insbesondere gegenüber dem erkennenden Gericht (482 f.); zustimmend Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 748.1 unter Fn. 25. 88 Ähnlich Schlothauer, StV 2003, 482. Für ein Verwertungsverbot auch Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 748.1; Kölbel, NStZ 2003, 232, 236 f., der das Verwertungsverbot als eine

30 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

§ 257c Abs. 4 entschieden, dass ein Geständnis nicht mehr verwertet werden darf, wenn die Bindung des Gerichts an die „Verständigung“ aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen entfällt.89 c) Adressaten § 136a bezweckt den Schutz der Willensentschließung und -betätigung „des Beschuldigten“, ist aber auch auf Zeugen und Sachverständige anwendbar (§§ 69 Abs. 3 S. 72). Da es um eine „Vernehmung“90 im Ermittlungsverfahren geht, sind die Strafverfolgungsbehörden, insbesondere die Polizei, der vorrangige Adressat der Vorschrift.91 Sie dürfen die verbotenen Vernehmungsmethoden weder selbst noch durch andere vornehmen lassen.92 Die Verbringung von Beschuldigten in Staaten mit weniger strengen Gesetzen und Praktiken unterbricht den Zurechnungszusammenhang grundsätzlich nicht, denn § 136a ist Bestandteil eines rechtsstaatlichen Mindeststandards,93 dessen Verletzung – unabhängig vom Ort der Beweiserhebung94 – eine Verwertung solcher Beweise durch Gerichte eines Rechtsstaates wie Deutschland unmöglich macht.95 Das ergibt sich auch aus einer Parallele zur Rechtslage bei Abschiebung oder Auslieferung einer Person durch einen EMRK-Vertragsstaat in menschenrechtsverletztende Drittstaaten, sind doch die dort begangenen EMRK-Verletzungen jenem zuzurechnen.96 Auf die Frage, inwieweit auch Private, die nicht von den Strafverfolgungsbehörden gezielt zur Beweisermittlung eingesetzt

Folgenbeseitigung dafür ansieht, dass der Staat – im Falle des Scheiterns der Absprache – ohne legitimen Grund auf die Willensfreiheit des Angeklagten Einfluss genommen und so eine unzulässige Informationslage hergestellt hat; Beulke/Witzigmann, StV 2009, 397; a.A. wohl Kuckein, FS Meyer-Goßner, 2001, S. 71, allerdings mit dem Hinweis, dass die Verurteilung wegen der notwenigen kritischen Würdigung eines durch eine Absprache zustande gekommenen Geständnisses regelmäßig nicht allein auf dieses gestützt werden könne. 89 Für Fortwirkung des Verwertungsverbots insoweit Schlothauer/Weider, StV 2009, 605 li. Sp. 90 Nach BGH (Grosser Senat) 42, 139, 145 gehört zum „Begriff der Vernehmung im Sinne der Strafprozeßordnung (…), dass der Vernehmende der Auskunftsperson (…) in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr Auskunft (eine ,Aussage) verlangt“ (Verweis auf BGHSt 40, 211, 213 und w.N.). Dazu auch schon Otto, GA 1970, 289 (299). 91 Oldenburg, NJW 1953, 1237. 92 Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 136 a Rn. 2. 93 Zu diesem Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 122 ff. 94 Grds. zur Verwertbarkeit im Ausland erhobener Beweise Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 83 ff., 142 ff. 95 Ebenso OLG Hamburg NJW 2005, 2326 f., Leitsatz 3 für eine Anwendung von § 136a analog auf ausländische Beweiserhebung, „sofern die Erkenntnisse, um deren Verwertung es geht, unter besonders krassem Verstoß gegen die Menschenwürde zu Stande gekommen sind.“ Zum Ganzen Ambos, StV 2009, 151 (158 ff.). 96 Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 10 Rn. 62, 81 ff. Zu EMRK und IPbpR als Bestandteil des genannten Mindeststandards vgl. Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 123 ff.

III. Geschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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werden, oder ausländische Hoheitsträger in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen können, wird zurückzukommen sein.97 d) List oder Täuschung Problematisch sind auch Fälle, in denen der Beschuldigte durch List oder Täuschung zur Mitwirkung am Strafverfahren bzw. an seiner Überführung veranlasst wird. Paradigmatisch sind die „Hörfallenfälle“: Die Polizei arrangiert ein entlarvendes Telefongespräch zwischen dem Beschuldigten und einem Dritten (V-Mann, Zeuge etc.) und nimmt es auf. Vergleichbar ist der „Lockspitzelfall“,98 bei dem dem Beschuldigten ein Informant in die Zelle gelegt wird und dieser ihn – polizeilich instruiert – zu einem Geständnis bringt, dass dann später durch Vernehmung des Informanten in die Hauptverhandlung eingeführt werden soll. Obwohl hier immer eine Täuschung i.S.v. § 136a (analog) vorzuliegen scheint – das impliziert schon der Begriff „Hörfalle“ –, lässt die Rechtsprechung eine Verwertung zu und führt dabei zahlreiche Argumente ins Feld.99 Zum einen bezwecke die Belehrungspflicht des § 136 nur ein „Gegengewicht“ zu der mit amtlicher Autorität vorgenommenen Vernehmung und ein solches Gegengewicht sei beim Handeln von Privaten nicht notwendig.100 Zum anderen müsse der Begriff der Täuschung in § 136a eng ausgelegt werden und danach liege eine Täuschung in diesen Fällen nicht vor.101 Schließlich verbiete die StPO kein verdecktes oder heimliches Vorgehen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens.102 Der Nemo-tenetur-Grundsatz schütze vor dem Zwang zur Mitwirkung am Strafverfahren, aber nicht vor einem Irrtum über das Schweigerecht, auch wenn dieser Irrtum staatlich veranlasst sei.103 Zwar bestünden durchaus rechtsstaatliche Grenzen beim Einsatz von Privatpersonen zur Verbrechensbekämpfung – so sei etwa die gezielte Anbahnung eines Liebesverhältnisses zur Erlangung von Informationen verboten („Romeo-Fälle“)104 –, doch müsse letztlich eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vorgenommen werden, wobei insbesondere die Art und Intensität der staatlichen Veranlassung und die Schwere der in Rede stehenden Verbrechen zu berücksichtigen seien.105 Im Ergebnis entscheidet der BGH wie folgt: „Hat eine Privatperson auf Veranlassung der Ermittlungsbehörden mit dem Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht ein auf die Erlangung von Angaben zum Untersu97

2. Kap. II. 1. BGHSt. 34, 362. 99 Grdl. BGHSt. (Großer Senat) 42, 139; krit. Volk, StPO, 2008, § 9 Rn. 19 ff. 100 BGHSt. 42, 139, 145 ff.; früher schon Otto, GA 1970, 289 (295); ebenso Finger, JA 2006, 529 (536). 101 BGHSt. 42, 149; für enge Auslegung teilweise auch die Lit. vgl. Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 228 m.w.N. 102 BGHSt. 42, 149 ff. 103 BGHSt. 42, 151, 153. Vgl. näher u. IV. 2. c) ee) (1) mit Fn. 347 ff. und Haupttext. 104 BGHSt. 42, 154 f. 105 BGHSt. 42, 155 ff. s. dazu u. Fn. 187. 98

32 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik chungsgegenstand gerichtetes Gespräch geführt, so darf der Inhalt des Gesprächs im Zeugenbeweis jedenfalls dann verwertet werden, wenn es um die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung geht, und die Erforschung des Sachverhalts unter Einsatz anderer Ermittlungsbehörden erheblich weniger erfolgsversprechend oder wesentlich erschwert gewesen wäre.“106

Der BGH hat allerdings in einem anderen Fall ein Verwertungsverbot angenommen, weil eine Inhaftierte in der U-Haft eingesetzt wurde, um als „Wahrsagerin“ den Mitinhaftierten, u. a. durch das Versprechen eines milden Urteils, ein schriftliches Geständnis zu entlocken.107 Schon dem genannten „Lockspitzelfall“ lässt sich der allgemeine Grundsatz entnehmen, dass bei einer über die Heimlichkeit der Ausforschung hinausgehenden Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten ein Verwertungsverbot in Betracht kommt. Der Unterschied zu den (normalen) Hörfallenfällen besteht nämlich darin, dass sich der Beschuldigte zusätzlich in einer Zwangssituation (U-Haft!) befindet und er damit freiheitswidrig zum bloßen Objekt des Verfahrens wird108 und darin auch objektivrechtlich eine Fairnessverletzung zu sehen ist.109 Wird mit dem Lockspitzel sogar zur Tat provoziert, ist mit dem EGMR von einem „ab initio und endgültig“ unfairem Verfahren auszugehen110 und daraus ein umfassendes Beweisverwertungsverbot abzuleiten.111 Bei der sog. „Stimmenfalle“ schließlich – für einen Stimmenvergleich wird die Stimme des Beschuldigten heimlich aufgenommen – führt die darin liegende (strafbare) Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Vertraulichkeit des Worts, § 201 StGB) zu einem Verwertungsverbot.112 106

BGHSt. 42, 139 (Leitsatz). s. dazu auch DJT Beschluss (Fn. 24), 12 c) bb), wonach Erkenntnisse aus Ermittlungen von Privatpersonen auch verwertbar sein sollen, wenn diese mit rechtswidrigen Mitteln erlangt worden sind; der entsprechende Vorschlag, der die Unverwertbarkeit in derartigen Fällen vorsah, wurde mit 24:28 Stimmen (9 Enthaltungen) abgelehnt. 107 BGHSt. 44, 129. 108 Vgl. Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 184, 186 u. passim; auch Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 904.1; Finger, JA 2006, 529 (537); Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 227; i.E. ebenso Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 222. 109 In diesem Sinne nimmt BGH NStZ 2009, 519 einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens mit der Folge eines Verwertungsverbotes bei heimlichem Abhören von Gesprächen in der U-Haft an. Zust. und grds. für ein Verwertungsverbot aus Art. 6 EMRK bei selbstbelastenden Äußerungen aufgrund staatlicher Täuschung Gaede, JR 2009, 496 ff. Krit. zu dieser Entscheidung Hauck, NStZ 2010, 17 ff. (20 ff.), der dem BGH vorwirft, den EMRK Prüfungsmaßstab, aus dem sich in casu kein Gesamtfairnessverletzung ergebe, nicht berücksichtigt zu haben. 110 Teixera de Castro v. Portugal, Urt. v. 9. 6. 1998, para. 39; krit. zum „Zweckmäßigkeitsansatz“ des BGH bei der Tatprovokation Wolter, FS BGH, 2000, S. 963 ( 979 ff.); zum Fairnessgebot aufgrund Art. 6 EMRK insoweit näher u. 2. Kap. I. 2. b) bb) (4) (b). 111 Vgl. schon Ambos, NStZ 2002, 628 (632) m.w.N.; i.E. ebenso Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 207 ff. m.w.N.; ders., GA 2008, 488. 112 BGHSt. 34, 39; Joerden, JuS 1993, 927 (928); i.E. ebenso Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 174 ff., 190 f.; a.A. Finger, JA 2006, 529 (538), mit dem allerdings erstaunlichen Argument, dass man heutzutage nicht mehr auf die Vertraulichkeit des Telefonats vertrauen könne, da „zahlreiche Telefongeräte mit Mithöreinrichtungen und entsprechenden Aufzeich-

III. Geschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Insgesamt ist diese Rechtsprechung inkonsequent und inkonsistent. Bei einer Hörfalle wird ein Tatverdächtiger, ggf. schon Beschuldigter, zu einer Selbstbelastung veranlasst und befindet sich im Irrtum über den Vernehmungscharakter des Gesprächs; er wird also getäuscht.113 Deshalb ist – unabhängig vom Vorliegen einer förmlichen Vernehmung und eines evtl. Zurechnungszusammenhangs zwischen dem Handeln des Privaten und den Strafverfolgungsbehörden114 –, § 136a jedenfalls entsprechend anzuwenden und die Verwertung hat zu unterbleiben. Ein Zurechnungszusammenhang ist jedenfalls zu bejahen, wenn der Private bewusst angesetzt oder eingesetzt wurde,115 um dem Beschuldigten eine Aussage oder ein Geständnis zu entlocken. Selbst wenn man eine Täuschung verneint, kommt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 136 (analog, wenn man eine „Vernehmung“ ablehnt) mit der Folge eines Verwertungsverbots in Betracht, denn § 136 schützt auch vor der (staatlich veranlassten) irrtumsbedingten Selbstbelastung.116 Schließlich ist das enge Verständnis des BGH vom Schutzbereich des Nemo-tenetur-Grundsatzes nicht mit der Rechtsprechung des EGMR vereinbar.117 Darauf wird im Rahmen der Diskussion heimlicher Ermittlungen zurückzukommen sein [sub IV. 2. c) ee) (1)].

2. Telekommunikationsüberwachung und „Lauschangriff“ Im Hinblick auf Erkenntnisse, die unerwartet bzw. zufällig aus der Telekommunikationsüberwachung („TKÜ“) erlangt werden (sog. Zufallsfunde),118 enthielt nungsgeräten ausgestattet sind.“ Der Grundrechtsschutz ist aber doch nicht vom Stand der Technik oder dem tatsächlichen Eingriffsumfang (hier: Abhören) abhängig! 113 I. E. ebenso Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 169 ff. mit (schwieriger) Abgrenzung zur erlaubten List; HK-GS-Jäger, 2008, Vorb. zu §§ 136a Rn. 22 f.; Jäger, GA 2008, 488 f. (fairnesswidrige Tatsachenerzeugung); auch Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 896; Otto, GA 1970, 289 (296 ff.). 114 Auf den Zurechnungszusammenhang kann es auch nicht ankommen, wenn durch die Maßnahme in den unverletzbaren Intimbereich des Beschuldigten eingegriffen wird (Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 480; näher u. IV. 3.). 115 Die Lit. neigt dazu, an den Zurechnungszusammenhang (zu) hohe Anforderungen zu stellen, vgl. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 36 („angesetzt“); Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 480a („im gezielten Auftrag“), 481 g („gezielt …. unterlaufen“, konkreter „Ausforschungsauftrag“); s. dazu das vom EMRK im Fall Allan v. GB im Rahmen des Nemo-teneturGrundsatzes aufgestellte Zurechnungskriterium [u. IV. 2. c) ee)]. 116 Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 30; ders., NStZ-Sonderheft 2009, 44 („rechtsstaatswidrige Umgehung des § 136“); Beulke, Strafprozessrecht, 20108, Rn. 481 g; i. E. ebenso Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 184, der § 136 ein Gebot staatlicher Vernehmung entnimmt und dieses verletzt sieht; auch Gaede, JR 2009, 496 ff. mit Blick auf Art. 6 EMRK; krit. zur Rspr. auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 41. Näher dazu u. IV. 2. c) ee) (2). 117 U. IV. 2. c) ee) (1) bei Fn. 352 ff. 118 Zur Verwertung im Rahmen einer Beschlagnahme jüngst BGH NStZ 2009, 517 (518); BVerfG NJW 2009, 3225 (Rn. 17); krit. Schwabenbauer, NJW 2009, 3210 (für regelmäßige Verneinung der Verhältnismäßigkeit bei Zufallsfunden). Instruktiv zum Begriff Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 95 f.

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

§ 100b Abs. 5 a.F. eine Regel, die der (bisherigen) Rechtsprechung119 folgte und darauf abstellte, ob diese Erkenntnisse zur Aufklärung einer Katalogtat benötigt werden. Diese Regel findet sich nun in modifizierter Form in § 477 Abs. 2 S. 2, wonach durch Überwachungsmaßnahmen erlangte Daten ohne Einwilligung des Betroffenen „in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden [dürfen], zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen.“ Entsprechend stellt § 161 Abs. 2 (bei fehlender Einwilligung) die Verwendung von „nach anderen Gesetzen“ erlangten personenbezogenen Daten unter den Vorbehalt der zulässigen Erhebung „nach diesem Gesetz“. Zu prüfen ist also in beiden Fällen – ganz im Sinne der Lehre vom hypothetischen Ermittlungsverlauf120 –, ob die Maßnahme auch nach der StPO hätte angeordnet werden dürfen, wobei es bei § 477 Abs. 2 um die Verwendung „in anderen Strafverfahren“ und bei § 161 Abs. 2 um „nach anderen Gesetzen“ erlangte Daten geht.121 Damit ist eine Verwertung unzulässig, wenn Nichtkatalogstraftaten aufgeklärt werden sollen oder die Anordnung von vorneherein materiell rechtswidrig war [dazu u. IV. 2. c) cc)].122 Die Rechtsprechung weicht diese strenge Lesart des Gesetzes aber auf. Zum einen soll eine Verwertung von Erkenntnissen auch bezüglich Nichtkatalogtaten zulässig sein, sofern diese im unmittelbaren oder engen (prozessualen) Zusammenhang mit einer Katalogtat stehen.123 Zum anderen soll ein Verwertungsverbot es nicht ausschließen, dass aufgrund der zufällig erlangten Erkenntnisse weiter ermittelt wird und dabei andere Beweismittel gewonnen werden (sog. Spurenansatz),124 dem Verwertungsverbot wird also keine Fernwirkung beigemessen.125 Das ist bedenklich, denn wenn man die Verwertung rechtswidrig erlangter Erkenntnisse für weitere Er-

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BGH 26, 298, 303; 31, 296, 301. U. Fn. 241 und Haupttext. 121 Vgl. Knierim, StV 2008, 601 f.; instruktiv Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 318 ff. 122 Insoweit auch BGH NStZ 2003, 499 (noch zu § 100b Abs. 5). Zulässig soll die Verwertung aber dann sein, wenn sich zwischen der Durchführung der Maßnahme und der Anordnung der Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse die Anordnungsvoraussetzungen geändert haben. Entscheidend sei insofern die Rechtslage im Zeitpunkt des Antrags auf Verwendung, nicht jene zum Zeitpunkt der Aufzeichnung der Daten (BGH NStZ 2009, 224 = StV 2009, 398). 123 BGH NStZ 1998, 426; OLG Düsseldorf NStZ 2001, 657. Nach Ansicht von BVerfG NJW 2005, 2766 verfassungsrechtlich unbedenklich; strenger aber wohl LG Münster, StV 2008, 460: Zufallserkenntnisse gg. dritte Personen nur verwertbar, wenn sie sich auf Katalogtaten beziehen. Vgl. auch Allgayer, NStZ 2006, 604 m.w.N. 124 Vgl. auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 60, 64. 125 BGHSt. 27, 355, 358; 32, 68, 70; ebenso BVerfG NJW 2005, 2766; restriktiver OLG Karlsruhe NJW 2004, 2687. Ebenso Allgayer, NStZ 2006, 604 ff. (608) m.w.N., der nur dann eine Verwendung als Ermittlungsansatz verbieten will, wenn ein allgemeines Verwendungsverbot (nicht nur Verwertungsverbot im Hinblick auf das Beweismittel) besteht. Nach den obigen Ausführungen (o. Fn. 47 ff.) trägt die Differenzierung zwischen „Verwendung“ und „Verwertung“ aber nicht. Zu einer evtl. Fernwirkung – neben der Frühwirkung (o. Fn. 124) – auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 323 f.; vgl. auch u. Fn. 920 und Haupttext. 120

III. Geschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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mittlungen erlaubt, wird die Missachtung der (materiellen) Voraussetzungen der TKÜ geradezu provoziert.126 Im Hinblick auf die Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten (§ 100 g) beschränkte der alte § 100 h Abs. 3 die Verwendung in anderen Strafverfahren ebenfalls auf Erkenntnisse, die zur Aufklärung von Katalogstraftaten (§ 100 g Abs. 1 S. 1) dienen; auch dies folgt nun aus (dem gerade genannten) § 477 Abs. 2 S. 2.127 Bezüglich des sog. „Lauschangriffs“ muss man zwischen dem Abhören in Wohnungen (sog großer Lauschangriff, §§ 100c, d)128 und außerhalb von Wohnungen (kleiner Lauschangriff, § 100 f) unterscheiden. Die aus dem kleinen Lauschangriff gewonnenen Informationen dürfen in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung von Katalogtaten i.S.v. § 100a verwendet werden (§ 477 Abs. 2).129 Hinsichtlich des großen Lauschangriffs hat das Bundesverfassungsgericht die früheren Regelungen wegen Verstoßes gegen Art. 13 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG teilweise für verfassungswidrig erklärt und u. a. einen absoluten Schutz des „Kernbereichs privater Lebensgestaltung“ und ein entsprechendes Verwertungsverbot gefordert.130 In Umsetzung dieses Urteils hat der Gesetzgeber131 den genannten Kernbereich ausdrücklich von der Überwachung ausgenommen (§ 100c Abs. 4 S. 1: Erhebungsverbot). Entsprechende Überwachungsmaßnahmen sind unverzüglich zu unterbrechen (§ 100c Abs. 5 S. 1), die entsprechenden Aufzeichnungen unverzüglich zu löschen (§ 100c Abs. 5 S. 2) und entsprechende Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden (§ 100c Abs. 5 S. 3: Verwertungsverbot), jedenfalls soweit sie durch eine Kernbereichsverletzung erlangt wurden.132 In Anlehnung an eine weitere verfassungsgerichtliche Entscheidung, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung durch die präventive Telekommunikationsüberwachung gemäß § 33a Abs. 1 Nds.SOG als verletzt und deshalb diese Vor-

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Krit. auch Volk, StPO, 2008, § 10 Rn. 47; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 476. § 477 Abs. 2 fasst in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zu § 100a die früheren Einzelregelungen zusammen (Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 477, Rn. 5; BT-Drucks. 16/5846, S. 66). 128 Zur tatsächlichen Seite Meyer-Wieck, Lauschangriff, 2005. Danach wird wohl weder hemmungslos gelauscht noch ist es dort, wo es getan wird, besonders erfolgreich (vgl. auch Heghmanns, GA 2006, 826). 129 Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 100 f Rn. 21, § 477 Rn. 5 ff; s. o. Fn. 127. 130 BVerfG 109, 279 = NJW 2004, 999; zust. Volk, StPO, 2008, § 10 Rn. 51. Vgl. näher u. IV. 3. bei Fn. 386 ff. 131 „Gesetz zur Umsetzung des Urteils des BVerfG“, BGBl. 2005 I S. 1841, mit Neufassung der §§ 100c-f StPO. 132 Vgl. BGH StV 2009, 675 (= NJW 2009, 348 = NStZ 2010, 44), 678, wonach die in casu durch eine akustische Wohnraumüberwachung aufgrund polizeirechtlicher Ermächtigung erhobenen Daten bei Mitgliedern einer (ausländischen) terroristischen Vereinigung (Al Qaida) als verwertbar angesehen wurden, weil schon ein Verstoß gegen das Erhebungsverbot des § 100c Abs. 4 S. 1 nicht „ersichtlich“ und ebenso wenig die Verwertung kernbereichsrelevanter Gesprächsteile gerügt worden sei. 127

36 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

schrift als mit Art. 10 GG unvereinbar ansieht,133 sieht nun § 100a Abs. 4 bei Eingriffen in diesen Bereich ein Beweiserhebungs- und absolutes Beweisverwertungsverbot vor; evtl. Aufzeichnungen sind unverzüglich zu löschen.134

3. Weitere geschriebene Beweisverwertungsverbote Daneben gibt es noch weitere explizite Beweisverwertungsverbote, insbesondere: Beschränkung der Verwendung entnommener Blutproben oder sonstiger Körperzellen auf das zugrunde liegende Strafverfahren (§ 81a Abs. 3); körperliche Untersuchung und Blutproben von Minderjährigen dürfen nur bei Einwilligung des gesetzlichen Vertreters im späteren Strafverfahren verwertet werden (§ 81c Abs. 3 S. 5); beschränkte Verwendung durch maschinellen Abgleich erlangter personenbezogener Daten „in anderen Strafverfahren“ (§ 98b Abs. 3 S. 3 alt, jetzt § 477 Abs. 2); keine Verwendung von bei einem Arzt „bei Gelegenheit einer Durchsuchung“ (§ 108 Abs. 1) gefundenen Gegenstände, die einen Schwangerschaftsabbruch betreffen, in einem Strafverfahren wegen dieser Tat gegen die Patientin (§ 108 Abs. 2); Verwendung der durch den Einsatz eines verdeckten Ermittlers erlangten personenbezogenen Informationen in anderen Strafverfahren nur bezüglich Katalogtaten des § 110a Abs. 1 (§ 110e alt, jetzt § 477 Abs. 2 S. 2, 3). keine Verwertung des Geständnisses bei Entfallen der Bindung des Gerichts an „Verständigung“ (§ 257c Abs. 4). Besondere Erwähnung verdient § 252, wonach ein Zeugnisverweigerungsberechtigter [§§ 52 – 53a, dazu IV. 2. b)] von seinem Recht erst in der Hauptverhandlung Gebrauch machen darf mit der Folge, dass seine frühere, im Rahmen einer Vernehmung gemachte135 Aussage – jedenfalls wenn sie den Angeklagten belastet136 – nicht „ver133

BVerfGE 113, 348 (375 ff., 390 ff.). Die Änderung geht auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ vom 18.4.2007 (BT-Drucks. 16/ 5846; s.u. Fn. 288) zurück. Die genannte Richtlinie (Abl. EU L 105/54 v. 13.4.2006) betrifft die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden. Krit. zu dem GesE Wolter, GA 2007, 195 ff., der aufgrund der verfassungsrechtlichen Rspr. zum Kernbereich die Verankerung des Menschenwürdeschutzes in dem Gesetz für geboten hält. Vgl. auch Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 33 f.; Knierim, StV 2008, 603 f. – Zur (höchst kontroversen) Frage, ob der verdeckte Eingriff in ein informationstechnisches System mittels einer sog. Quellen-TKÜ von § 100a gedeckt ist instruktiv (und verneinend) Vogel/ Brodowski, StV 2009, 633 ff. (zu OLG Hamburg, StV 2009, 630 ff.). 135 Bekundungen gegenüber Privatpersonen sowie spontane und freiwillige Äußerungen ggü. Amtspersonen sind von § 252 nicht erfasst und deshalb ohne Weiteres verwertbar (BGH 134

III. Geschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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lesen“ werden darf.137 Es handelt sich, jedenfalls was die Verlesung der früheren Aussage angeht, um ein geschriebenes Verwertungsverbot, das zudem selbständig ist, weil es unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung (Vernehmung im Ermittlungsverfahren) existiert.138 Die h.M. sieht freilich nicht nur die Verlesung der früheren Aussage als gehindert an, sondern auch deren Verwertung im weiteren Sinne, insbesondere durch Vernehmung der früheren Vernehmungsperson,139 wobei insoweit allerdings str. ist, ob nicht zumindest – bei richterlicher Vernehmung des Zeugen (§ 162) – der Ermittlungsrichter gehört werden darf. Die Rechtsprechung bejaht dies, wenn der Zeuge ordnungsgemäß belehrt worden ist und führt als Argument u. a. die höhere Qualität der richterlichen gegenüber der staatsanwaltschaftlichen oder polizeilichen Vernehmung an.140 Das überzeugt aber nicht und ist widersprüchlich. Wenn man auf die Aussage des Zeugen aus dem Ermittlungsverfahren nicht verzichten will, kann man § 252 nur streng i.S. eines bloßen Verlesungsverbots141 auslegen, nicht aber Qualitätsunterschiede von Beschuldigtenvernehmungen unterstellen, die heute – in Bezug auf die Vernehmungsperson (jedenfalls im deutschen Strafverfahren) – weder normativ142 und noch weniger in der Praxis existieren.143 Wenn die NStZ 2008, 585). s. dazu auch OLG Saarbrücken, NStZ 2008, 585 ff. mit Anmerkung Mitsch, NStZ 2009, 287 ff. 136 Versteht man Verwertungsverbote als Belastungsverbote (Fn. 13 und Haupttext), so sind entlastende Zeugenaussagen von § 252 a limine nicht erfasst (Roxin/Schäfer/Widmaier, StV 2006, 660; a.A. BVerfGE 57, 250, 275). 137 Eingehend m.w.N. Volk, StPO, 2008, § 27 Rn. 8 ff. 138 Übersehen von Finger, JA 2006, 529 (533 f.), der es als ungeschriebenes unselbständiges Verwertungsverbot einordnet. Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 268, spricht von einem „Zweiterhebungsverbot“.Wie hier nun Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 209; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C. 36. 139 Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 419. Vgl. auch jüngst BGH NStZ 2007, 353: Verwertungsverbot auch bezüglich der gegenüber einem Sachverständigen durch den Opferzeugen geäußerten Zusatztatsachen. 140 BGHSt. 2, 99, 106 ff.; 21, 218, 219; 49, 72, 77; BGH NStZ 2007, 652; vgl. Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 465. 141 Konsequent Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 270. 142 Früher war eine Belehrungspflicht nur für die richterliche Vernehmung im Ermittlungsverfahren vorgeschrieben, heute gilt sie aber auch für die polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Vernehmung (§§ 161a Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 5). Die Differenzierung zwischen nicht-richterlicher und richterlicher Vernehmung in § 251 Abs. 1, 2 und die Privilegierung der richterlichen Vernehmung in § 254 ist – jedenfalls im Hinblick auf den gleich ausgebildeten und in manchen Bundesländern „rotierenden“ Staatsanwalt – nur eine gesetzliche Fiktion und tut in unserem Zusammenhang nichts zur Sache. 143 Krit. auch Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 420 allerdings für ein umfassendes Verwertungsverbot; Jäger Beweisverwertung, 2003, S. 270 f; Eisenberg, Beweisrecht, 2008, Teil 1, Kap. 3, Rn. 1288 (die größere Neutralität des Richters könne nicht mit seiner Stellung begründet werden, denn „die Zuverlässigkeit einer Vernehmung“ hänge „mehr von der Befähigung der Amtsperson als von deren prozessualer Stellung“ ab); Jahn, DJT Gutachten, 2008, C. 36; a.A. aber Lesch, JA 1995, 691 (695 f.) sowie Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 945. („Richter von seiner strafprozessualen Funktion, wie auch seiner psychologischen Position her als Mittler gegenläufiger Interessenvertretung von Staatsanwalt und Verteidiger“ und deshalb

38 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

Rechtsprechung es zudem gestattet,144 dass der richterlichen Vernehmungsperson ihr Vernehmungsprotokoll als Gedächtnisstütze gemäß § 253 vorgehalten werden darf und dies sogar, wenn es lediglich einen pauschalen Verweis auf das staatsanwaltschaftliche oder polizeiliche Vernehmungsprotokoll enthält145 – womit dieses ebenfalls durch Vorhalt in die Hauptverhandlung eingeführt wird!146 –, so untergräbt dies die Differenzierung zwischen richterlicher und nicht-richterlicher Vernehmung und stellt eine eklatante Umgehung von § 252 dar,147 jedenfalls wenn man darin mit der h.M. mehr als ein bloßes Verlesungsverbot sieht. Letztlich geht es auch hier um eine Güterabwägung zwischen dem Interesse an der Strafverfolgung und dem Schutz des Zeugen,148 wobei man nicht übersehen darf, dass die Inanspruchnahme von § 252 häufig, insbesondere in Verfahren wegen sexueller Taten gegen Kinder, auf Druck gegenüber dem (Opfer)Zeugen zurückzuführen ist149 und es sich bei diesen Zeugen häufig um den oder die Hauptbelastungszeugen handelt. Umstritten ist auch die Verzichtbarkeit bzw. Disponibilität von § 252. Nach Ansicht der Rechtsprechung ist die Verlesung der früheren Aussage oder die Vernehmung der früheren (auch nichtrichterlichen) Verhörsperson unproblematisch möglich, wenn der zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge auf sein Recht aus § 252 verzichtet,150 wobei allerdings eine solche Verzichtserklärung nur wirksam sein soll, wenn sie eindeutig und der Zeuge sich darüber im Klaren ist, dass ohne seine Zustimmung die in Rede stehende Vernehmung nicht verwertbar ist.151 Dieser Ansicht kann man aber kaum zustimmen, wenn man den Zweck des § 252 nicht nur in der Anerkennung überwiegender verwandschaftlicher Bindungen des Zeugen, sondern auch darin sieht, allgemein ein faires Verfahren dadurch zu gewährleisten,152 dass die Aussage eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung von der Verteidigung nicht vernommen werden kann, auch nicht anderweitig eingeführt werden kann. Ein Verzicht auf

„am wenigsten dem Verdacht ausgesetzt …, unter Verkürzung prozessualer Rechte anderer die Ermittlungen zu forcieren.“) 144 BGH NJW 2000, 1580; StV 2001, 386. 145 Zum Beispiel in folgender Form: „Der Beschuldigte macht seine Angaben bei der Polizei/Staatsanwaltschaft zum Inhalt der heutigen Vernehmung“, vgl. auch Finger, JA 2006, 529 (534 mit Fn. 41). 146 KK-Diemer, StPO, 2008, § 252 Rn. 25. 147 Zutreffend Finger, JA 2006, 529 (534). 148 Vgl. auch BGHSt. 45, 342. 149 Vgl. Rössner, Probleme, 2007, S. 78 f.; früher schon Otto, GA 1970, 289 (295), der deshalb die Zulässigkeit der Verlesung der früheren Vernehmung in Jugendschutzsachen fordert (296). 150 BGH NStZ 2007, 712 (713); BGHSt. 45, 203 (205) = NJW 2000, 596 (596) bzgl. der Vernehmung eines Sachverständigen; SK-StPO-Velten, 2009, § 252 Rn. 22; Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 943.3. 151 BGH NStZ 2007, 712 (713); BGH StV 2007, 401 (402). 152 Zur ähnlichen Diskussion bei § 55 s. u. Fn. 184 f. und Text.

III. Geschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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§ 252 kann demnach mit Blick auf die frühere Aussage nur zulässig sein, wenn dieser Zeuge zu dieser dann eingeführten Aussage direkt vernommen werden kann.153 Problematisch ist auch die Zulässigkeit der Verlesung der Niederschrift einer früheren Vernehmung in der Hauptverhandlung. Aus dem Unmittelbarkeitsgrundsatz in seiner Ausgestaltung in § 250 scheint insoweit eindeutig der Vorrang des Personalbeweises vor dem Sachbeweis zu folgen (§ 250 S. 2.), selbst wenn der vernommene Zeuge sich mit der Verlesung einverstanden erklärt. In diesem Sinne entschied sich der 4. Senat des BGH auch gegen eine Verlesung, weil der Unmittelbarkeitsgrundsatz durch eine Freigabeerklärung nicht eingeschränkt werden könne.154 Das darin liegende Spannungsverhältnis zwischen gerichtlicher Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) und Unmittelbarkeit zeigt sich auch, wenn ein Zeuge sich auf sein (umfassendes) Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 beruft und deshalb nicht in der Hauptverhandlung vernommen werden kann. In dieser Konstellation wird diskutiert, ob eine Verlesung auf § 251 Abs. 1 Nr. 2 gestützt werden kann, weil „der Zeuge (…) aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann“. Insoweit ist allerdings strittig, welche Hindernisse durch diese Vorschrift erfasst werden sollen. Die wohl h.M. hält § 251 Abs. 1 Nr. 2 nur bei tatsächlichen, nicht aber rechtlichen Vernehmungshindernissen für anwendbar155, so dass die frühere Aussage bei Berufung auf ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht nicht in Betracht käme.156 Im Falle eines sich auf § 55 berufenden Zeugens stellte der 2. Senat des BGH insoweit fest, dass schon der Wortlaut des § 251 Abs. 1 Nr. 2 die Annahme eines Hindernisses verbiete, denn ein solcher Zeuge könne ja, mindestens zu seiner Person, vernommen werden. Auch spreche die Gesetzgebungsgeschichte für ein solches strenges Verständnis des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, denn Ausnahmen wären eben nur in den eng umgrenzten Fällen des § 251 vorgesehen worden. Schließlich sei es ein Wertungswiderspruch, wenn nichtrichterliche Vernehmungsprotokolle und schriftliche Erklärungen von Zeugen unter weniger strengen Voraussetzungen verlesen werden könnten als – eigentlich als zuverlässiger geltende – richterliche Protokolle.157 Dieser Argumentation lässt sich freilich die Pflicht zu gerichtlicher Aufklärung (§ 244 Abs. 2) entgegenhalten. Sieht man die §§ 250 ff. mit Murmann158 als Ausprägung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 erscheint die Unterscheidung zwischen tatsächlichen und rechtlichen Vernehmungshindernissen nicht überzeugend159, denn sie läuft auf eine erhebliche Einschränkung der Wahrheitsermittlung hinaus.160 Vor diesem Hintergrund kann man § 251 Abs. 1 Nr. 2 (sinnvoll) nur dahingehend verstehen, dass sich die Vorschrift auf die Möglichkeit der Durchführung einer Vernehmung zur Sache bezieht und eine bloße Vernehmung zur Person schon deshalb nicht ausreichend sein kann, weil sie keine Erkenntnisse im Hinblick auf die Sachaufklärung bringt.161 Der vom BGH angesprochene Wertungswiderspruch bzgl. richterlicher und nichtrichterlicher Vernehmung ist im Übrigen im Gesetz (seit 2004) selbst angelegt, denn mit der Aufnahme des Wörtchens „auch“ in Abs. 2 der Vorschrift hat der Gesetzgeber einer 153

Vgl. auch Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 215 m.w.N. BGH StV 2008, 170 = NStZ 2008, 293. 155 s. Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 251 Rn. 11; Volk, StPO, 2008, § 27 Rn. 4; Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 931. 156 BGH StV 2007, 564 (565) zu § 55; BGH NStZ 2008, 293 (294) zu § 52. 157 BGH StV 2007, 564 (566). 158 Murmann, StV 2008, 339 ff. (zu den genannten Urteile des 2. und 4. Senats). 159 s. zu diesem Gedanken auch Meyer, Urkundenbeweis, 1999, S. 143 ff. 160 Murmann, StV 2008, 341. 161 Murmann, StV 2008, 340. 154

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Gleichbehandlung der in Abs. 1 erfassten nichtrichterlichen und der in Abs. 2 erfassten richterlichen Vernehmungen das Wort geredet. Der Verweis auf den Willen des historischen Gesetzgebers bleibt aber insoweit ein schlagendes Argument für ein strenges Verständnis der Unmittelbarkeit als dieser sich in den in Abs. 1 und 2 des § 251 aufgeführten Beispiele (Tod, Krankheit, Gebrechlichkeit) niedergeschlagen hat.162 Müsste § 250 tatsächlich in Abhängigkeit von § 244 Abs. 2 ausgelegt werden,163 würde die Verlesbarkeit immer schon dann zulässig sein, wenn ein Personalbeweis ganz oder teilweise nicht möglich ist.164 Das widerspricht aber der Regel-Ausnahme-Systematik der §§ 250, 251 und der überragenden Bedeutung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes für ein rechtsstaatliches und faires Strafverfahren. Selbst wenn man konzediert, dass § 250 in der gerichtlichen Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 wurzelt,165 so spricht das nicht gegen weitere, § 250 immanente Ziele, insbesondere eben die Sicherung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes.166 Zu beachten ist auch, dass nur ein eigenständiges Verständnis des Unmittelbarkeitsgrundsatzes dem aus Art. 6 EMRK folgenden Grundsatz der Waffengleichheit167 und vor allem dem Konfrontationsrecht des Art. 6 Abs. 3 (d) EMRK ausreichend Rechnung trägt.168 Im Ergebnis ist deshalb eine teleologische Ausweitung bzw. eine analoge Anwendung des § 251 bei Auskunftsverweigerung aufgrund § 55169 abzulehnen.

§ 160a Abs. 1 S. 2 sieht nun ein „Verwendungsverbot“ bei das Zeugnisverweigerungsrecht von Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordneten verletzenden Ermittlungsmaßnahmen vor; für andere Berufsgeheimnisträger hängt ein evtl. Verwendungsverbot von der Verhältnismäßigkeit und Bedeutung der in Rede stehenden Straftat ab (§ 160a Abs. 2 S. 3).170 Vereinzelt existieren auch in Sondergesetzen Beweisverwertungsverbote, etwa §§ 51 BZRG, 393 Abs. 2 AO, 97 Abs. 1 S. 3 InsolvenzO und §§ 4 ff. Stasi-Unterlagen-Gesetz. Nach Art. 13 Abs. 5 S. 2 GG sind Erkenntnisse, die aufgrund des Einsatzes technischer Mittel in Wohnungen erlangt worden sind, grundsätzlich nur bei vorheriger richterlicher Anordnung verwertbar [zur Wohnungsdurchsuchung s.a. IV. 2. c) dd)].

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1. Begründungsversuche Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote bedürfen einer materialen Begründung, weil sie nicht auf einer gesetzlichen Vorschrift beruhen. Die Suche nach dieser 162

s. zur Entstehungsgeschichte Mitsch, JZ 1992, 174 (180 f.); Dölling, NStZ 1988, 6, (9). s. hierzu auch Meyer, Urkundenbeweis, 1999, S. 136, 138; Mitsch, JZ 1992, 174, 177. 164 s. für letzte Konstellation BGH StV 2007, 567 wo allerdings ein tatsächliches Hindernis für die Vernehmung bestand. 165 Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 914. 166 s. hierzu Langkeit/Cramer, StV 1996, 230 (233). 167 Vgl. Ambos, ZStW 115 (2003), 583, 592 ff. 168 Cornelius, NStZ 2008, 244 (248). 169 So Mitsch, JZ 1992, 174, 178. 170 Vgl. näher Knierim, StV 2008, 604 f.; HK-Zöller, § 160a Rn. 11. 163

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Begründung wirft uns auf die schon eingangs aufgeworfene Frage nach dem Zweck von Beweisverboten zurück und hat schon Beling zu der Forderung einer prinzipiellen Regelung veranlasst.171 Diese ist jedoch bis heute nicht gefunden worden, vielmehr besteht Übereinstimmung – neben der schon erwähnten Differenzierung zwischen Beweiserhebung und -verwertung172 – nur in der Feststellung, dass es bisher nicht gelungen ist, die Beweis(verwertungs)verbote auf einen einzigen Grundgedanken zurückzuführen.173 Im Übrigen streiten verschiedene Theorien174 um die richtige Lösung des zugrunde liegenden Abwägungskonflikts, ohne freilich für sich genommen den unterschiedlichen Ebenen des Problems ausreichend gerecht zu werden175 sowie Anwendungseinfachheit und Rechtssicherheit zu gewährleisten.176 Die (früher) von der Rechtsprechung vertretene Rechtskreistheorie greift schon deshalb zu kurz, weil sie anhand eines Sonderproblems (Verletzung der Belehrungspflicht gemäß § 55 Abs. 2) entwickelt worden ist und allein darauf abstellt, ob „die Verletzung den Rechtskreis des Beschwerdeführers wesentlich berührt, oder ob die 171

Beling, Beweisverbote, 1903, Vorwort: „Täusche ich mich nicht, so ist die Lehre von den Beweisverboten, die bisher nirgends ex professo behandelt ist, noch bedeutender Fortentwicklung fähig. (…) Die Zukunft wird sich die Aufgabe nicht entziehen können, an Stelle der bisherigen Kasuistik eine principielle Regelung zu suchen. (…).“ 172 Vgl. o. II. bei Fn. 30 ff. 173 Gründliche Untersuchung der Lit. bei Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 69 ff. mit der Schlussfolgerung, dass es bisher nicht gelungen ist, „eine überzeugende Begründung der Verwertungsverbote“ zu liefern (auch HK-GS-Jäger, 2008, Vorb. zu §§ 133 ff., Rn. 13); jüngst auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 31 ff. (39 f.); i.E. ebenso Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 8, 13; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 457; Hellmann, Strafprozessrecht, 2006, Rn. 782; Arloth, GA 2006, 258, 261; Singelnstein, FS Eisenberg, 2009, S. 643; Lesch, FS Volk, 2009, S. 312; Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 262 f. Antikritik nun von Rogall, JZ 2008, 819, der die Beweisverbotslehre „zu den am besten aufgearbeiteten Rechtsfragen“ zählt; gegen ihn aber schon mit einer Vielzahl offener Fragen Löffelmann, JR 2009, 10. 174 HK-GS-Jäger, 2008, Vorb. zu §§ 133 ff., Rn. 17 ff. unterscheidet etwa zwischen den sog. Funktionslehren, die anhand der Funktionen von Verwertungsverboten auf deren Vorliegen schließen wollen und die den normativen Schutzzwecklehren, die „Voraussetzungen und Inhalt von Verwertungsverboten aus dem persönlichen Schutzzweck der Erhebungsnorm“ abzuleiten versuchen, gegenüberzustellen seien. Ferner unterscheidet er die auf das Vorliegen von Revisionsgründen abzielenden revisionsrechtlichen Lehren von den öffentlich-rechtlichen Lehren, die mit Informationsbeherrschungsrechten argumentieren, um dann zu den herrschenden Abwägungslehren zu kommen. Jäger, GA 2008, 474 ff. unterscheidet hingegen zwischen verfahrensgeneralisierenden, verfahrenskonkretisierenden und Ganzheitslehren. Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 70 ff. führt die von ihm identifizierten neun (!) Lehren auf die Funktions- und Schutzzwecklehren zurück. 175 Umfassend und krit. zu den vertretenen Theorien Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 51 ff.; krit. zu seiner Darstellung Rogall, JZ 2008, 820, 823 f. Zum Teil wird auch vertreten, dass jeder bei der Beweiserhebung erfolgte Gesetzesverstoß angesichts des § 337 StPO bei einem Beruhen die Revisibilität und damit ein Beweisverwertungsverbot zur Folge habe (vgl. Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 909 ff. m.w.N.). Dem folgen die h.M. und die Rechtsprechung jedoch nicht (Singelnstein, FS Eisenberg, 2009, S. 644 mit Fn. 4 m.w.N.). 176 Löffelmann, JR 2009, 12 mit Fn. 27; vgl. auch seine grdl. Kritik: Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 70 ff., 97 f.

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Verletzung nur von untergeordneter oder sogar gar keiner Bedeutung für diesen ist“.177 Abgesehen von der Unbestimmtheit dieser Formel impliziert sie eine Beschränkung der Verfahrensrechte des Angeklagten auf wesentliche Rechte, obwohl er doch einen Anspruch auf ein generell justizförmiges Verfahren – unabhängig von direkter Betroffenheit – besitzt178 und überdies nicht nur die Verletzung seines Rechtskreises zu einem Verwertungsverbot führen kann.179 Schließlich vermag die „Rechtskreisberührung“ nichts über deren Folge mit Blick auf die Beweisverwertung auszusagen.180 Die Lehre vom Schutzzweck der Norm fragt, ob Sinn und Zweck einer verletzten Verfahrensvorschrift ein Verwertungsverbot gebieten.181 Sie setzt zunächst voraus, dass überhaupt eine Norm (ein Beweiserhebungsverbot) existiert, auf deren Schutzzweck abgestellt werden kann.182 Existiert eine solche Norm und wurde sie verletzt, so stellt sich die Frage, ob ihr Zweck gerade darin besteht, das verbotswidrig erlangte Beweisergebnis von der Beweisverwertung auszuschließen, etwa weil durch diese eine Vertiefung der Rechtsverletzung eintritt.183 Methodisch ergibt sich also das Problem, ob allein aus dem Schutzzweck einer Beweiserhebungsvorschrift auf die Folge der Verwertbarkeit oder Unverwertbarkeit geschlossen werden kann.184 Das ist eine Wertungsfrage, die die Schutzzwecklehre nicht beantwortet. Beispielhaft: Wird der Zeuge Z, der Angehöriger des Angeklagten ist, nicht über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt (§ 55 Abs. 2), so stellt sich die Frage, ob § 55 Abs. 2 alleine dem Schutz des Zeugen vor Selbstbelastung und der Belastung von Angehörigen dient (und damit kein Verwertungsverbot seiner Aussage im Hinblick auf den Angeklagten

177 BGHSt. 11, 213, 215; krit. inzwischen BGHSt. 19, 325, 332; 38, 214, 219 f.; 42, 73, 77; krit. auch Hauf, NStZ 1993, 457; Dencker, StV 1995, 232; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 9; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 459; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 39 ff.; diff. Rogall, JZ 2008, 823; Chao, Beweisverbote, 2009, S. 118 ff.; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 276 ff. (Grundaussage richtig, aber keine eigene Theorie). 178 Fezer, JuS 1978, 325 (327); Geppert, Jura 1988, 305 (313); Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 20; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 9; Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 207 (im Zhg. mit § 55); Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 24. Zutr. krit. zum Konzept der „bloßen“ Ordnungsvorschriften Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 42 ff.; Rogall, JZ 2008, 823 re. Sp. 179 Sondern auch der des Zeugen, vgl. §§ 69 Abs. 3, 72 StPO, vgl. Jäger, GA 2008, 476. 180 Zum Vorwurf der Zirkularität der Rechtskreistheorie insoweit Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 140. 181 Vgl. Beulke, ZStW 103 (1991), 657 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 25; zust. jüngst etwa Arloth, GA 2006, 259 (260); zu den unterschiedlichen Spielarten Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 54 ff. 182 Vgl. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 10. 183 Vgl. Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 219 m.w.N.; auch Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2010, § 23 Rn. 14 f. Für eine eigenständige Schadensvertiefungslehre Grünwald, JZ 1966, 490; grdl. krit. Amelung, Informationsbeherrschungsrechte, 1990, S. 45; zust. Jäger, GA 2008, 476. 184 Vgl. Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 219 m.w.N.; krit. insoweit Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 57; Jäger, GA 2008, 476.

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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eintritt)185 oder auch den Schutz des Angeklagten vor eventuell falschen Aussagen des Zeugen bezweckt (und damit ein Verwertungsverbot begründet).186 Schon die Schutzzwecklehre macht deutlich, dass es im Kern um eine Abwägung zwischen dem staatlichen Strafverfolgungs- und Wahrheitsinteresse einerseits und dem Individualinteresse des Bürgers andererseits geht. Sie trifft sich damit mit der herrschenden Abwägungslehre, die die abzuwägenden Interessen weiter konkretisiert, indem sie – unter Einbeziehung der Schutzzwecklehre – auf die Schwere des Tatvorwurfs und das Gewicht des Verfahrensverstoßes abstellt: „Die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot ist aufgrund einer umfassenden Abwägung zu treffen. Bei ihr fällt das Gewicht des Verfahrensverstoßes sowie seine Bedeutung für die rechtlich geschützte Sphäre des Betroffenen ebenso ins Gewicht wie die Erwägung, daß die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden muss. Andererseits ist auch zu bedenken, daß Verwertungsverbote die Möglichkeiten der Wahrheitsforschung beeinträchtigen und dass der Staat nach der Rechtsprechung des BVerfG von Verfassungs wegen eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten hat, ohne die Gerechtigkeit nicht verwirklicht werden kann. Dient die Verfahrensvorschrift, die verletzt worden ist, nicht oder nicht in erster Linie dem Beschuldigten, so liegt ein Verwertungsverbot fern; ein Beispiel ist der Verstoß gegen § 52 Abs. 2 StPO. Anderererseits liegt ein Verwertungsverbot nahe, wenn die verletzte Verfahrenvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten oder Angeklagten im Strafverfahren zu sichern.“187

Rechtssicherheit bringt diese – auf Einzelfallgerechtigkeit zielende – Lehre freilich ebenso wenig wie sie den Anspruch einer theoretischen Fundierung erhebt.188 Jäger189 hat in einer gründlichen Untersuchung der BGH-Rechtsprechung nachgewiesen, dass der BGH „ohne erkennbares System zwischen Schutzzweck- und Ab185 So h.M. (aufgrund Rechtskreistheorie), vgl. Volk, StPO, 2008, § 21 Rn. 15 f., § 28 Rn. 19; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 464 beide m.w.N. 186 So etwa Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 36; auch Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 73; tendenziell auch, aber für Verringerung des Beweiswerts über Beweiswürdigungslösung (dazu u. Fn. 611) Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 48. 187 BGHSt. 38, 214, 219 f.; 47, 172, 173; StV 2007, 337, 338 li. Sp.; BVerfG NStZ 2007, 159, 160 f.; NJW 2009, 3225 (Rn. 16); OLG Hamm NStZ 2007, 355, 356 re. Sp.; zusf. auch Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 11; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 45 f.; ders., FS Stöckel, 2010, S. 265 ff.; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 280 ff.; krit. Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 219 f. S. dazu auch die (pragmatischen) DJT-Beschlüsse (Fn. 24): Während das Bedürfnis der gesetzgeberischen Normierung eines Gesamtkonzeptes der Beweisverbote („Allgemeiner Teil der Beweisverbote“) verneint wurde (mit 58:9 Stimmen bei 5 Enthaltungen, Nr. 3. a) [dagegen auch Rogall, JZ 2008, 830 re. Sp.], findet die Abwägungslehre breite Zustimmung (54:16, 6 Enthaltungen, Nr 5. b), c)). 188 Krit. insoweit auch Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 59 f. (auch unter Bezugnahme auf das Kernbereichsmodell Wolters); Fezer, NStZ 2003, 625, 629; Lesch, FS Volk, 2009, S. 312 („irrationale Abwägungswillkür“), der im Übrigen mit der Auflösung des propagierten Spannungsverhältnisses der Abwägungslehre die Grundlage entzogen sieht (s. schon o. Fn. 20); Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 10 („kafkaesk“; s. aber u. Fn. 226); Neuhaus, StV 2010, 49 f. 189 Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 4 ff. (67); HK-GS-Jäger, 2008, Vorb. zu §§ 133 ff., Rn. 14 f.

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wägungslehre hin und her schwankt“, wobei er bei Vernehmungsfehlern oder Zwangsmaßnahmen mit vernehmungsrechtlicher Schutzrichtung zur Schutzzwecklehre und bei den sonstigen Zwangsmaßnahmen zur Abwägungslehre tendiert. Jahn sieht eine „Inflation der Abwägungsparameter“ und einen Rückgriff auf den einen oder anderen „je nach Lage der Dinge“ ohne „eingehendere Begründung.“190 Für Löffelmann weicht die Rechtsprechung einer materiellen Güterabwägung tatsächlich aus und ersetzt diese mit dem stereotypen Hinweis, dass die Strafprozessordnung nicht eine Wahrheitserforschung um jeden Preis gebiete.191 Letztlich verfolgt die Rechtsprechung einen ganzheitlichen (Vielfaktoren-)Ansatz, mit dem unterschiedliche Gesichtspunkte für die Entscheidung über ein Verwertungsverbot berücksichtigt werden.192 An die Stelle der Abwägungslehre ist heute vielfach eine vor allem von Rogall entwickelte normative Fehlerfolgenlehre getreten, die freilich von ihrem Begründer nicht als bloße Abwägungslehre, sondern als in sich geschlossene Lehre zur Formulierung „fallspezifischer Vorrangregeln …, die zu einer Präferenzaussage in Bezug auf das Eingreifen eines Verwertungsverbots führen“, verstanden wird.193 Von der traditionellen Abwägungslehre sucht sich dieser Ansatz, ausgehend von einer expliziten Einordnung der Problematik in den normativen Gesamtzusammenhang (des Strafprozesses), dadurch abzusetzen, dass die Entscheidungsfaktoren reduziert und präzisiert werden sollen.194 Weniger soll dabei die individualschützende Perspektive (als gegen das staatliche Strafverfolgungsinteresse zu wägende Position) im Zentrum stehen195, sondern vielmehr der „Systemschutz“196, zu dessen Zweck eine „Fehlerfolgenbegrenzung“ vorzunehmen sei.197 Maßgebliche Gesichtspunkte für das Eingreifen eines Beweisverbots seien dann die Schwere des Verfahrensfehlers, die durch diesen verursachte Interessenverletzung und die „Notwendigkeit einer prozessualen Feh190

Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 47 f.; auch ders., FS Stöckel, 2010, S. 270. Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 96 f., der im Übrigen Fallgruppen aufgrund der Rspr. bildet (S. 51 ff.). 192 Jäger, GA 2008, 478 f. spricht insoweit von „Ganzheitstheorien“, Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 45 ff. von einem „Vielfaktorenmodell“; gg. ihn sehr krit. Rogall, JZ 2008, 820 re. Sp., 823 f. Nach Bradley, GA 1985, 99 hat die abwägende „Methode“ in Deutschland US-Juristen bereits zu der Annahme verleitet, dass es in Deutschland keine Beweisverbote gebe. 193 Rogall, JZ 2008, 824. 194 Rogall, FS Hanack, 1999, S. 294; ders., JZ 1996, 954; vgl. hierzu auch Dallmeyer, Beweisführung, 2008, S. 116 u. 157. Vgl. zu Rogalls anfänglicher Konzeption, die in den im Folgenden zitierten Beiträgen weiterentwickelt worden ist, Rogall, ZStW 91 (1979), 31 ff. 195 Rogall, FS Hanack, 1999, S. 303 f.; ders., JZ 2008, 818 (824 li. Sp.) gegen Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 59, dem er insoweit ein Missverstehen vorwirft. Zur Relativierung des Aspekts des Individualschutzes auch Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 118 f. 196 Rogall, FS Hanack, 1999, S. 294 f., 303 f.; ders., JZ 2008, 818 (824 li. Sp.). 197 Rogall, FS Hanack, 1999, S. 304 ff.; vgl. weiter ders., FS Grünwald, 1999, S. 546 f. u., in: Höpfel/Huber (Hrsg.), Beweisverbote, 1999, S. 141: „Fehlerbegrenzung durch Wiederholung des Beweisaktes ist … kosten- und ressourcenintensiv. Auch das bedarf unter systemischen Gesichtspunkten der Beachtung, denn für eine solche Wiederholung gibt es keinen Grund, wenn der Fehler ,verzeihlich und von seinen Auswirkungen her marginal war.“ 191

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lerkorrektur in Gestalt gerade eines Verwertungsverbots“.198 Pitsch hat diese Lehre jüngst weiterentwickelt, indem er fünf Gruppen von Fehlerkategorien und drei Gruppen von Fehlerfolgen gebildet hat.199 Tendenziell kann nun zwar eine derartige Begrenzung von Entscheidungskriterien zu einer Erhöhung der Rechtssicherheit führen200, indes ist nicht zu übersehen, dass die von Rogall genannten Entscheidungsgesichtspunkte sämtlich auf gehobenem Abstraktionsniveau siedeln und daher je für sich der Ausfüllung bedürfen:201 so kann man bereits das Gewicht eines Verfahrensfehlers schwerlich ohne vorherige Verständigung über den diesbezüglich anzulegenden Maßstab diskutieren und die Formulierung „Notwendigkeit einer prozessualen Fehlerkorrektur in Gestalt gerade eines Verwertungsverbots“ scheint eher das Grundproblem der Beweisverwertungsverbote zu umschreiben als ein operables Kriterium zur Feststellung eines Verwertungsverbots anzubieten. Man mag sich nun darauf zurückziehen, dass der Vorwurf des Fehlens von Metaregeln202 gleichwohl deshalb ungerechtfertigt sei, weil diese doch gerade in dem Prozess der Bewertung des Verfahrensfehlers hervorgebracht würden (!)203, doch dürfte auch diese besondere Sicht auf die Dinge nichts daran ändern, dass man (innerhalb oder außerhalb dieses Kontrollprozesses) das Gewicht oder die Bedeutung von Verfahrensverstößen und die Notwendigkeit der Fehlerkorrektur durch ein Verwertungsverbot nicht ermessen kann, ohne der Sache nach auf den Schutzzweck der verletzten Verfahrensregel abzustellen.204 Auch Pitschs Weiterentwicklung kann nicht überzeugen. Sie leidet zunächst darunter, dass sich seine Fehlerkategorien nicht genau abgrenzen lassen205 und zudem durch eine Subjektivierung (vorsätzliches/unvorsätzliches Handeln des Ermittlungsorgan) weitere Abgrenzungsprobleme und Komplikationen auftreten. Insgesamt scheint das von ihm vorge198 Rogall, JZ 2008, 818 (824 re. Sp.); ders., in: Höpfel/Huber (Hrsg.), Beweisverbote, 1999, S. 143 ff.; ders., JZ 1996, 944 (954) („Notwendigkeit einer Verwertungssperre nach Maßstäben der Rechts- und Verfassungsordnung unter Berücksichtigung des Strafverfolgungsinteresses [,Strafbedürftigkeit]“; vgl. weiter Rogall, in: Wolter (Hrsg.), Theorie, 1995, S. 157, wo neben „Fehlerschwere“ und „Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des verletzten (verfassungsrechtlich abgesicherten) Interesses“ noch das „obwaltende[] Strafverfolgungsinteresse[]“ als Entscheidungsgesichtspunkt aufgeführt wird; ebenso in: FS Grünwald, 1999, S. 546. Vgl. zu Rogalls zunehmend restriktiver Tendenz hinsichtlich der Berücksichtigung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 59. 199 Pitsch, Beweisverbote, 2009, S.81, 415 ff. 200 Dallmeyer, Beweisführung, 2008, S. 116; skeptischer Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 59 m. Fn. 238 u. Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 109 f. 201 Krit. auch Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 123 („viel zu vage“); vgl. ferner Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 61 m.w.N. u. mit dem differenzierenden Hinweis, dass weniger die von Rogall für konkrete Fallgruppen vertretenen Ergebnisse (vgl. insow. insbes. Rogall, in: Höpfel/ Huber, Beweisverbote, 1999, S. 144 ff.; ders., JZ 1996, 944 [954 f.]) kritikwürdig seien, „sondern vielmehr die mit der Methodik erzielbaren Ergebnisse“. 202 Erhoben von Jahn, DJT Gutachten, 2008, C49. 203 So Rogall, JZ 2008, 818 (824 re. Sp.). 204 Zuspitzend Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 110 („alter Wein in neuen Schläuchen“). 205 Wie er selbst zugibt: Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 416.

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legte Schema auch keineswegs leichter handhabbar und vor allem beruhen seine Entscheidungen für oder gegen eine Verwertung letztlich (auch) auf Abwägungen.206 Jäger will mit einer „beweisgegenständlichen Verwertungsverbotslehre“ an die „beweisgegenständliche Schutzfunktion der Erhebungsnorm“ anknüpfen.207 Eine Durchbrechung des Abstraktionsprinzips208 und damit ein Verwertungsverbot komme dann in Betracht, „wenn der Sinn der Erhebungsnorm darin besteht, der Beweisführung einen bestimmten Beweisgegenstand zu entziehen.“209 Die Verwertung richte sich also nach dem „gegenständlichen Schutzzweck der Norm“, dem „gegenständlichen Schutzumfang des Erhebungsverbots“, sie knüpfe an den „durch die Erhebung erlangten Beweisgegenstand“ an.210 Notwendig sei eine „Fehleridentität im Sinne eines gegenständlichen Doppelmangels“, es müsse also der Umfang des sekundären Verwertungsverbots dem primären Erhebungsverbot entsprechen.211 Entscheidend sei nicht der persönliche Schutzbereich der Erhebungsnorm, sondern ihr gegenständlicher Schutzbereich.212 Der Ausgleich zwischen materieller und Verfahrensgerechtigkeit müsse durch praktische Konkordanz, in concreto durch eine Einstellung per Prozessurteil, hergestellt werden, um ein inhaltliches (materielles) Fehlurteil (per Sachurteil) bei bloß (formellen) Verfahrensfehlern zu vermeiden.213 Die Lehre vom Informationsbeherrschungsanspruch214 gründet Verwertungsverbote in erster Linie auf einen sekundären Restitutionsanspruch, der dem Informationsberechtigten aufgrund der Verletzung seines primären Informationsbeherrschungsanspruchs zusteht, aus diesem gleichsam aufgrund „Logik und Gerechtigkeit“ folge.215 Gehe es bei dem Restitutionsanspruch um die Beseitigung informationellen 206

Das entspricht übrigens seiner allgemeinen Position, u. Fn. 226. Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 139 ff. und passim; HK-GS-Jäger, 2008, Vorb. zu §§ 133 ff., Rn. 23 ff.; Jäger, GA 2008, 484 ff. (zwischen kausalen und abstrakten Beweisgegenstandsverboten unterscheidend). 208 Vgl. schon o. Fn. 40 und Text. 209 Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 139; ders., GA 2008, 485. 210 Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 139; ders., GA 2008, 485. 211 Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 139, 167; ders., GA 2008, 485. 212 Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 140: nicht „wem die Erhebungsnorm ein Recht einräumt“, sondern „welchen gegenständlichen Schutzbereich“ sie „absteckt“. 213 Vgl. näher Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 255 ff., 281; auch Jäger, GA 2008, 498 f. 214 Grdl. Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozess, 1990; ders., NJW 1991, 2534 ff.; modifizierend ders., FS Roxin, 2001, S. 1259 ff. Ihm folgend etwa Müssig, GA 1999, 133; Chao, Beweisverbote, 2009, S. 82 ff. und passim. 215 Amelung, FS Roxin, 2001, S. 1258, (1265). – Ausgehend von dieser „informationsrechtlichen Wende“ (Singelnstein, FS Eisenberg, 2009, S. 644 mit Fn. 12 unter Bezugnahme auf Amelung, FS Roxin, 2001, S. 1276 f. und Effer-Uhe, Jura 2008, 335, 338) betrachtet auch Singelnstein die Problematik der ungeschriebenen, insbesondere unselbständigen Beweisverbote im Lichte des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG (Singelnstein, FS Eisenberg, 2009, S. 645 ff.). Demnach fehle es einer mittels einer rechtswidrigen Beweiserhebung verursachten Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechtes an einer rechtfertigenden Rechtsgrundlage. Eine Verwertung der so er207

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Erfolgsunrechts durch Unverwertbarkeit der rechtswidrig erlangten bzw. beschafften Informationen, werde informationelles Handlungsunrecht in Form menschenrechtswidriger Ermittlungen, die nicht notwendigerweise einen informationellen Verletzungserfolg herbeiführen, mit Hilfe des Gedankens der staatlichen Legitimation zum Strafen erfasst. Diese verwirke der Staat, wenn er nicht einen bestimmten ethischen (menschenrechtlichen) Mindeststandard einhalte.216 Ungeachtet der an dieser Lehre geäußerten Kritik,217 kann sie häufig ergänzend in Fällen herangezogen werden, in denen in einem Verfahrensverstoß ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Angeklagten liegt218 und deshalb diesem – als alleine Verfügungsberechtigtem über die in Rede stehenden Informationen – die Letztentscheidung über die Verwertung überlassen werden sollte. Ein absolutes, inflexibles Verwertungsverbot, etwa im Hinblick auf Tagebuchaufzeichnungen, führt insoweit nicht immer zu einem angemessenen Ergebnis, weil es dem entgegenstehenden Willen des Angeklagten möglicherweise nicht Rechnung trägt.219 Schließlich ist es das Verdienst dieser Lehre die Bedeutung von Informationen als Gegenstand prozessualer Beweise in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt zu haben.220 Mit der nun von Jahn vorgelegten Beweisbefugnislehre soll das Recht der Beweisverwertung verfassungsrechtlich abgesichert und konkretisiert werden.221 Die nach dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt notwendige Ermächtigungsgrundlage zur Einführung entscheidungserheblicher Beweismittel, also zur Verwertung, sei in § 244 Abs. 2 enthalten;222 der Untersuchungsgrundsatz müsse jedoch auf der langten Beweise bedeute eine Vertiefung dieser Grundrechtsverletzung. Angesichts des dem Betroffenen insofern zustehenden grundrechtlichen Abwehr- und Unterlassungsanspruchs folge hieraus – bei fehlender Einwilligung – grundsätzlich die Unverwertbarkeit des Beweises. Wenn freilich Singelnstein prüfen will, „ob eine Verwertung trotz rechtswidriger Beweiserhebung ausnahmsweise in Betracht kommt“ (ebd., 655), so läuft das im Ergebnis auch auf eine – von ihm grundsätzlich abgelehnte – einzelfallbezogene Abwägung hinaus (so auch ebd., 666). 216 Zusf. Amelung, FS Roxin, 2001, S. 1258, (1260 ff). 217 Grdl. Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 100 ff., 140 f.; ders., GA 2008, 477; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 66; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 27 sowie die Nachweise bei Amelung, FS Roxin, 2001, S. 1258, (1259 mit Fn. 3). 218 Wobei allerdings diese Lehre schon vor Entdeckung des Verfassungsrechts auf informationelle Selbstbestimmung entdeckt und damit davon unabhängig entwickelt wurde (vgl. Amelung, FS Roxin, 2001, S. 1258, (1265) mit Fn. 25). 219 Vgl. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 12. 220 In diesem Sinne auch Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 104. 221 Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 66 ff., 127; ders., FS Stöckel, 2010, S. 270 f. Für eine dezidiert verfassungsrechtliche Begründung auch Hassemer, ZStW 121 (2009), 833 mit Fn. 1 sowie Chao, Beweisverbote, 2009, S. 41 ff., der eine dreistufige Prüfung vorschlägt (109 ff., 144): (1) Feststellung einer staatlichen Rechtsverletzung (S. 111 ff.), (2) Zurechnungszusammenhang zwischen dieser und der Beweisgewinnung, abzulehnen etwa bei Zufallsfunden (S. 132 ff.; die Abgrenzung zu (1) ist mitunter diffus) und (3) Interessenabwägung mit Blick auf Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens (S. 140 ff.), dazu u. Fn. 226. 222 Krit. Rogall, JZ 2008, 825. Nach Dallmeyer, Beweisführung, 2008, S. 37 ff. (43 f.), 54, 91 ff. (94), auf den sich Jahn, DJT Gutachten, 2008, z. B. C 68 mit Fn. 289 bezieht, ergibt sich

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

Rechtsfolgenseite – in Übereinstimmung mit dem Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 2 Hs. 2 GG) – einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen werden. Die Beweisverwertung müsse also stets geeignet, erforderlich und angemessen sein, wobei auf der Stufe der Angemessenheit die Menschenwürde- und Wesenhaltsgarantie (Art. 1 Abs. 1, 19 Abs. 2, 79 Abs. 3 GG) zu einer qualitativen Grenze der Beweisverwertung werden sollen. Freilich kann auch diese Lehre keinen abschließenden Katalog von Verwertungsverboten präsentieren, sondern muss im Einzelfall „durch Auslegung der jeweiligen Norm eigenständig“ bestimmen, was „im Rahmen einzelner Grundrechte zum Gewährleistungsinhalt der Menschenwürdegarantie gehört.“223 Im Zuge dieser Konkretisierung auf einfachgesetzlicher Ebene wird also auch diese Lehre nicht umhinkommen, Wertungen und Abwägungen, etwa mit Blick auf den Schutzzweck der einschlägigen Vorschriften, vorzunehmen.224 Sie tut damit genau das, was sie den anderen Lehren vorwirft. Immerhin stellt diese Lehre aber die grundrechtliche, an der Verfahrensfairness orientierte Perspektive gegenüber rein quantitativen Ansätzen in den Vordergrund. Zusammenfassend ergibt sich, dass letztlich allen Entscheidungen eine – übrigens auch gesetzlich anerkannte225 – Abwägung zwischen Strafverfolgungs- und Beschuldigteninteressen zugrunde liegt,226 wobei allerdings die Abwägungslehre zur Vermeidung des Eindrucks von Beliebigkeit227 mit Hilfe der anderen Lehren, vor allem der

diese Ermächtigung aus der jeweiligen Erhebungsnorm; dann muss aber jede rechtswidrige Beweiserhebung – entgegen dem allgemeinen Trennungsgrundsatz (o. Fn. 39 ff.) – zu einem Verwertungsverbot führen. 223 So Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 72 selbst. Kritisch Beulke, Jura 2008, 656; Rogall, JZ 2008, 821. 224 Krit. auch Rogall, JZ 2008, 821; krit. mit Blick auf die Parallele zu den Schutzzwecklehren Jäger, GA 2008, 478. 225 Vgl. § 160a Abs. 2: Verhältnismäßigkeitsprüfung; wenn keine Straftat von erheblicher Bedeutung in der Regel kein Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses. 226 Vgl. auch Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 23 („Interessenlagen“); ähnlich Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 30; Hellmann, Strafprozessrecht, 2006, Rn. 784; Arloth, GA 2006, 258 (260). So auch Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 79 bzgl. selbständiger Verwertungsverbote, wobei er allerdings die Wechselwirkungslehre im Rahmen seiner Befugnislehre anwenden will. Auch Chao, Beweisverbote, 2009, stellt mit seinem grundrechtlichen Ansatz im Ergebnis auf eine Abwägung zwischen Menschenrechtsschutz und Wahrheitsfindung/effektive Strafverfolgung ab (S. 108, 109); auf seiner dritten Prüfungsstufe (zu den ersten beiden s. o. Fn. 221) macht er die Verwertung letztlich von einer Abwägung und der Verhältnismäßigkeit der Verwertung mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens abhängig (S. 140 ff., 143 ff.); dies entspricht auch der Rechtslage in seinem Heimatland Taiwan (S. 175 ff., 238). Auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, hält die Abwägung für „alternativlos“ (S. 82, 291, 294 f.), will sie aber durch eine normative Fehlerfolgenlehre im Sinne Rogalls (o. Fn. 193 ff. und Haupttext) konkretisieren (S. 81 f., 295 f., 415 ff.). s.a. die Kritik zu Singelnstein in Fn. 215. 227 Krit. insoweit Arloth, GA 2006, 258 (260); Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2010, § 23 Rn. 17; Löffelmann, JR 2009, 12 („undurchdringlich“, „mangelnde Prognostizierbarkeit“).

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Schutzzweck- und Befugnislehre, konkretisiert werden sollte.228 Diese Lehren führen in der Regel nicht zu anderen Ergebnissen.229 Die „richtige“ Entscheidung hat von Fall zu Fall zu erfolgen, eine gewisse Kasuistik ist also kaum vermeidbar.230 Die Abwägung muss aus tatrichterlicher Sicht vorgenommen werden, denn der Tatrichter hat in der Hauptverhandlung zu entscheiden, ob er den Verfahrensverstoß noch heilen kann oder unwiederbringlich ein Verwertungsverbot anzunehmen hat.231 Dabei nimmt die gesetzgeberische Entscheidung für ein Beweiserhebungsverbot eben – ganz im Sinne des o.g. Trennungsgrundsatzes232 – die Abwägung nicht vorweg. Zwar kann der Norminhalt der Beweiserhebungsvorschriften im Sinne der schon oben erwähnten Indizwirkung für die Frage der Beweisverwertung relevant werden,233 doch wird sich daraus selten ein eindeutiges Ergebnis ergeben, handelt es sich doch um Beweiserhebungs- und nicht Beweisverwertungsvorschriften. Andernfalls würde in allen Fällen unselbständiger Beweisverwertungsverbote die Verwertung a limine wegen des Gesetzesverstoßes ausgeschlossen sein und das öffentliche Strafverfolgungsinteresse faktisch desavouiert. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass einem auf Wahrheitserforschung gerichteten, von Untersuchungsgrundsatz (§§ 155 Abs. 2, 160 Abs. 2, 244 Abs. 2) und freier Beweiswürdigung (§ 261 StPO) geprägten (reformiert) inquisitorischen Strafverfahren wie dem deutschen234 eine Verwertungsbefugnis immanent ist; diese stellt also die Regel dar, Verwertungsverbote bedürfen als Ausnahme einer genauen Begründung.235 Als allgemeine Richtlinie wird man in diesem Sinne ein Verwertungsverbot grundsätzlich annehmen können, wenn es sich um einen besonders gravierenden Gesetzesverstoß gegen die Menschenwürde236 und fundamentale menschenrechtliche Stan228 In diesem Sinne auch Beulke, Jura 2008, 653, 656, wenn er für eine systematische Vorgehensweise bei der Anwendung der genannten Ansätze plädiert, indem zunächst – wenn kein geschriebenes Verwertungsverbot existiert, aber ein Verstoß gegen ein Erhebungsverbot vorliegt – die Schutzzwecklehre zur Anwendung kommen solle und nur dann subsidiär auf die Abwägungslehre zurückzugreifen sei, wenn eine Beweismittelbeschränkung sich unmittelbar aus der Verfassung ergebe; denn nur so könne man „der vom Gesetzgeber de facto geschaffenen hierarchischen Struktur im Bereich der Beweisverwertungsverbote“ gerecht werden. 229 Symptomatisch insoweit die konkrete Anwendung der Jägerschen Lehre, Beweisverwertung, 2003, S. 143 ff. oder auch die von Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 73 f. gelieferte Kasuistik; s.a. Einzelnachweise schon o. und in den folgenden Fn. 230 So in der Sache auch die von Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 106 ff., als Abwägungsund Kombinationstheorien zusammengefassten Ansichten. 231 Vgl. Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 217; auch Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 165 f., 211; relativierend Rogall, JZ 2008, 822 li. Sp. 232 O. Fn. 39 ff. und Haupttext. 233 Im Sinne der schon o. Fn. 41 erwähnten Abhängigkeit bzw. Indizwirkung. 234 Zur Einordnung aus rechtshistorischer Sicht Ambos, Jura 2008, 593. 235 Vgl. jüngst BVerfG NJW 2009, 3225 (Rn. 16); auch Rogall, JZ 2008, 822 f. (bzgl. freier Beweiswürdigung). 236 Dazu auch Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 193 ff., 212 f., 289 f. Weiter entnimmt er seine „normativen Grenzen der Wahrheitserforschung“ dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Interessen Betroffener (ebd., S. 214 ff., 290, 292).

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dards237 handelt und/oder sich der Verstoß als gezielte oder bewusste Missachtung von Verfahrensvorschriften darstellt. Denn dann gebietet der Anspruch auf ein faires Verfahren238 und auch die – in diesem Fall notwendige – (generalpräventive) Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden die Nicht-Verwertung.239 Das Fairnessgebot erweist sich gerade aus rechtsvergleicher und supranationaler Sicht, wie noch näher zu zeigen sein wird,240 als übergreifender Leitgesichtspunkt der Entscheidung für oder gegen die Verwertung. Der Einwand, dass man das Beweismittel auch rechtmäßig hätte erlangen können (sog. hypothetischer Ermittlungsverlauf),241 ändert an der Unverwertbarkeit nichts, denn die Verfahrensverletzung kann damit nicht rückgängig gemacht werden, zumal die genauen Voraussetzungen der Lehre vom hypothetischen Ermittlungsverlaufs nicht geklärt sind242 und sich der Ermittlungsverlauf kaum verlässlich voraussagen lässt.243 Auch führt dieser Einwand zu einer bodenlosen Relativierung und letztlich Aufgabe der strafprozessualen Befugnisnormen, wird ihnen

237 Vgl. u. Fn. 637 f. Zu dem insoweit auch relevanten „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ vgl. schon o. Fn. 130 und u. Fn. 386 mit jeweiligem Haupttext. 238 Dazu als selbständiges Verwertungsverbot Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 80 f. 239 Im Ergebnis ebenso Hellmann, Strafprozessrecht, 2006, Rn. 78; Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2010, § 23 Rn. 10; auch Finger, JA 2006, 529 (535); Beulke, Jura 2008, 662 (bzgl. bewusster Umgehung von § 52). 240 Vgl. insbesondere 2. Kap. I. 2. b) bb) (4) (bb). 241 Dafür die Rspr., s. z. B. BGHSt. 31, 304, 306; 36, 119 (= NStZ 1989, 375, „Fall Weimar“: zulässige Verwertung der bei einer rechtswidrigen Hausdurchsuchung erlangten Beweismittel, wenn jederzeit ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss hätte erlassen werden können); 44, 243, 250; NStZ 2007, 601, 603; vgl. auch OLG Celle, NStZ 1989, 385; teilweise dafür die Lit.: Rogall, NStZ 1988, 385, 391 f.; Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 910.1; Arloth, GA 2006, 259 (260 f); Schneider, NStZ-Sonderheft 2009, 46 f.; Chao, Beweisverbote, 2009, S. 138 ff.; krit. hingegen Dencker, Verwertungsverbote, 1977, S. 80 ff.; Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 141 ff., 217; Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 230 f., 234; ders., GA 2008, 497; Jahn/ Dallmeyer, NStZ 2005, 297 ff.; Jahn, DJT-Gutachten, 2008, 74 ff.; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 285 ff.; auch Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 21; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 14; diff. Beulke, ZStW 103 (1991), 657 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 26 (Grenze § 338); zusf. zum Meinungsstand Beulke, Jura 2008, 659 ff. 242 Strittig ist insbesondere, welche Anforderungen an die Hypothesenbildung zu stellen sind. Der BGH (BGHSt. 32, 68, 71; 34, 362; NStZ 1989, 375, 376) lässt die Möglichkeit einer rechtmäßigen Erlangung ausreichen, in der Literatur wird überwiegend eine (Höchst-)Wahrscheinlichkeit (Schlüchter, JR 1984, 520; Wolter, NStZ 1984, 277; Rogall, NStZ 1988, 393 [„in den bisherigen Ermittlungen angelegt“, „höchstwahrscheinlich“]; Reichert-Hammer, JuS 1989, 450; Beulke, ZStW 103 (1991), 670 f. [„auf den konkreten Ermittlungsverlauf bezogene Urteilswahrscheinlichkeit“]; Schneider, NStZ-Sonderheft 2009, 47 m.w.N. in Fn. 6 [konkret-hohe Wahrscheinlichkeit]) oder gar Sicherheit (Grünwald, StV 1987, 472) gefordert. Nach ReichertHammer, JuS 1989, 450 mit Fn. 53 muss sich die Hypothese außerdem auf das konkrete Beweismittel und nicht die Überführungsmöglichkeit beziehen. Für Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 74 ff., 127 fehlt es an einer Rechtsgrundlage (vgl. aber §§ 100d Abs. 5 Nr. 1, 477 Abs. 2 S. 2 StPO, dazu schon o. bei Fn. 121; insoweit zu Recht krit. Rogall, JZ 2008, 825 re. Sp.). 243 Vgl. die grdl. Kritik von Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 74 ff., 127; auch Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 912, wonach dies kaum thematisiert werde.

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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damit doch – gleichsam im Sinne einer „folgenlosen Dogmatik“244 – jegliche Wirkung genommen. Es ist deshalb zu begrüssen, dass der 5. Strafsenat des BGH immerhin im Zusammenhang mit einer gröblichen, objektiv willkürlichen (bzw. der damit gleichzustellenden bewussten)245 Verkennung des Richtervorbehalts (bei §§ 102 ff.) von einem Verwertungsverbot ungeachtet eines möglichen hypothetischen Ermittlungsverlaufs ausgeht, weil durch den Rekurs auf dieses Hilfsargument die gesetzliche Voraussetzung „stets unterlaufen“ und „der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Ermittlungsrichter einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten (…). Damit würde ein wesentliches Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen.“246

2. Beispiele unselbständiger Beweisverwertungsverbote a) Fehlende Belehrung des Beschuldigten Der Grundsatz, dass der Beschuldigte nicht gezwungen werden darf, an seiner Überführung mitzuwirken – „nemo tenetur se ipsum accusare“ –, also zu schweigen, ist verfassungsrechtlich (Art. 1 I, 20 III GG)247 und menschenrechtlich (Art. 6 EMRK)248 verankert; er ist – in gewisser Weise – die Kehrseite der in Art. 6 (2) EMRK verankerten Unschuldsvermutung.249 Das Schweigen des Beschuldigten darf also grundsätzlich nicht zu seinen Lasten verwertet werden.250 Der Beschuldigte 244 Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 908.3. Eingehend hierzu Wohlers, FS Fezer, 2008, S. 311 ff. (316) vor einer Reduktion des Anspruchs auf ein faires Verfahren zu einem Anspruch auf ein „hypothetisch faires Verfahren“ warnend. 245 Die vom Senat vorgenommene Gleichstellung ergibt sich schon aus dem in NStZ 2007, 601 abgedruckten Leitsatz und insbesondere aus S. 603, para. 15: „bewusst ignoriert oder gleichgewichtig gröblich missachtet…“ (Herv. K.A.). Vgl. auch Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 123: subjektiver Begriff der Willkürlichkeit. 246 BGH NJW 2007, 2269, 2273 = NStZ 2007, 601, 603; folgend OLG Hamburg StV 2008, 457; krit. Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 120 ff.; Schneider, NStZ-Sonderheft 2009, 47 ff., der insbesondere die Gleichstellung von grob willkürlichen und bewussten Verstößen kritisiert (51 f.) und bei Gesetzesverletzungen unterhalb der „Vorsatzschwelle“ hypothetische Ermittlungsverläufe berücksichtigen will (52). Zu §§ 102 ff. in diesem Zusammenhang näher u. 2. c) dd) bei Fn. 332. 247 Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 467. 248 Saunders v. United Kingdom, Eur. Ct. H.R. Application no. 19187/91,17.12.1996, para. 68 f.; EGMR StV 2006, 617, 620 ff. 249 Meyer-Ladewig, EMRK, 2006, Art. 6 Rn. 52. s. mit Blick auf die Internationalen Straftribunale auch: Ambos, Leiden J. Int. L. 15 (2002), 155 (156 f.). 250 Zur str. Verwertung des teilweisen Schweigens des Beschuldigten Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 192 f. m.w.N. Zur Rolle des Nemo-tenetur-Grundsatzes bei zuvor im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens getätigten Aussagen eingehend Schlot-

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ist entsprechend zu belehren (§ 136 Abs. 1 S. 2) und zwar grundsätzlich auch, wenn davon auszugehen ist, dass er sein Schweigerecht kennt oder mit einem Verteidiger erschienen ist.251 Die Belehrungspflicht setzt also zunächst die Beschuldigteneigenschaft voraus; diese verlangt – subjektiv – den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde, der sich – objektiv – in einem Willensakt, etwa der förmlichen Vernehmung252 als Beschuldigter,253 manifestiert haben muss („gemischt subjektiv-objektive Beschuldigtentheorie“).254 Fehlt es an diesem Willensakt und stellt sich das Verhalten der Ermittlungsbehörden nach außen (objektiv) gleichwohl als Ermittlungsmaßnahme auf der Grundlage eines Anfangsverdachts dar, erscheint das Unterbleiben des Willensakts also als willkürlich, ist mit Blick auf die Sicherung der Beschuldigtenrechte gleichwohl von einer Beschuldigteneigenschaft auszugehen.255 Spontanäußerungen und Aussagen im Rahmen einer informatorischen Befragung sind allerdings grundsätzlich nicht von § 136 erfasst;256 eine Verwertung solcher Aussagen ist demnach auch zulässig, sofern die Belehrungspflichten nicht gezielt umgangen wurden, um den Betroffenen zu einer Selbstbelastung zu verleiten.257 Die unterbliebene Belehrung führt zu einem Verwertungsverbot.258 Ein solches ergibt sich auch bei unterbliebener Belehrung bezüglich des Rechts zur Verteidigerkonsultation (§§ 136 Abs. 1 S. 2, 137), nicht aber wenn die Polizei es (nur) unterlässt, den – an sich über das Konsultationsrecht informierten – Beschuldigten darauf hinzuwei-

hauer, FS Fezer, 2008, S. 267 ff. Ähnlich wie bei der Problematik der Verwertbarkeit von im Ausland erlangten Beweisen (dazu u. 2. Kap. I. 2.) kommt es insofern darauf an, an welcher Verfahrensordnung sich eine Rechtmäßigkeitsprüfung der Beweiserhebung zu messen hat (vgl. Schlothauer, FS Fezer, 2008, S. 280 ff; Keller, FS Fezer, 2008, S. 231 f.). 251 BGHSt. 38, 214, 220 = NJW 1992, 1463 (1465); BGHSt 47, 172, 173. Diese Rspr. ist von der Miranda-Rspr. des U.S. Supreme Court beeinflusst, dazu u. Fn. 875. 252 Zu diesem Begriff schon Fn. 90. 253 Bei der Vernehmung des Verdächtigen als Zeuge bedarf es keiner Belehrung (BGH NStZ 2007, 653, 654). 254 Vgl. BGH NStZ 2007, 653 f.; dazu Roxin, JR 2008, 16 ff.; auch BGH NStZ 2009, 702 (auf Stärke des Tatverdachts und Verhalten des Beamten abstellend). 255 BGH NStZ 2007, 653 ( „… auch Eingriffsmaßnahmen, die an einen Tatverdacht anknüpfen, begründen grundsätzlich die Beschuldigteneigenschaft des von der Maßnahme betroffenen Verdächtigen, weil sie regelmäßig darauf abzielen, gegen diesen wegen einer Straftat vorzugehen; so liegt die Beschuldigtenstellung des Verdächtigen auf der Hand, wenn eine Durchsuchung nach § 102 StPO dazu dient, für seine Überführung geeignete Beweismittel zu gewinnen.“), 654; BGH 38, 214, 228 = NJW 1992, 1463 (1466); auch Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 199. 256 Vgl. Volk, StPO, 2008, § 9 Rn. 11; Finger, JA 2006, 529 (534) m.w.N. 257 BGH StV 2010, 4 (5). 258 BGHSt 38, 214 = NJW 1992, 1463; BGH NStZ 2007, 653; OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 283 (284); Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 221; Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 24, 29; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 31; Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 910; Meyer-Mews, JuS 2004, 39 (40); Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 201; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 73; i.E. auch Jäger, GA 2008, 485 f.

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sen, dass seine Mittellosigkeit die Verteidigerkonsultation nicht ausschließt.259 Schließlich entsteht auch ein Verwertungsverbot bei unterbliebener Belehrung in der Hauptverhandlung (§ 243 Abs. 4 S.1).260 Für § 136a Abs. 3 bedeutet dies, dass das dort explizit angeordnete Beweisverwertungsverbot (s. schon o. III. 1.) mit einem Erst-Recht-Schluss begründet werden kann, denn wenn schon bei fehlender Belehrung über das Schweigerecht ein Verwertungsverbot eintritt, so muss dies erst recht gelten, wenn der Beschuldigte mit den verbotenen Methoden des § 136a Abs. 1 zur Aussage gezwungen wird.

Das Verwertungsverbot erfährt aber zahlreiche Ausnahmen. So soll die Aussage verwertbar sein, wenn der Beschuldigte sein Schweigerecht (sicher) gekannt hat,261 der Verteidiger der Verwertung zustimmt oder ihr – bis zum Zeitpunkt der Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung (§ 257) – nicht widerspricht (Widerspruchslösung)262 oder der Fehler dadurch geheilt wird, dass die Belehrung nachgeholt und mit der Vernehmung von vorne begonnen wird;263 wird der Beschuldigte bei der nachfolgenden (zweiten) Vernehmung nicht „qualifiziert“ belehrt,264 so soll daraus nicht automatisch ein Verwertungsverbot bezüglich der dort gemachten Aussagen folgen, die Verwertbarkeit vielmehr von einer Abwägung und insbesondere davon abhängen, ob der Betreffende nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung davon ausgegangen ist, von seinen früheren Angaben nicht mehr abrücken zu können.265 259 BGH StV 2006, 566 und 567; vgl. auch Finger, JA 2006, 529 (535) m.w.N.; krit. insoweit Neuhaus, StV 2010, 48 ff., für den das Recht auf Anwaltskonsultation „der siamesische Zwilling des Schweigerechts“ (51) ist, weshalb auch die insoweit unterlassene Belehrung (insbesondere hinsichtlich Pflichtverteidigerbestellung) zu einem Verwertungsverbot führen müsse; in diesem Sinne auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 37 f. 260 Vgl. Finger, JA 2006, 529 (534 f.). 261 BGHSt 38, 214 (224) = BGH NJW 1992, 1463 (1465); BGHSt 47, 172, 173. Wie zutreffend von Mitsch, NStZ 2008, 49 ff. herausgearbeitet, ist diese Ansicht aber kaum mit BGH NStZ 2007, 653 vereinbar, denn dort (vgl schon o. Fn. 253 ff.) hat der 1. Senat ausgeführt, dass „alleine die Belehrung des Angeklagten dahingehend, bei der Polizei überhaupt nichts sagen zu müssen, und gem. §§ 55 Abs. 2, 163a Abs. 5 StPO dahingehend jedenfalls keine Angaben machen zu müssen, die ihn belasten könnten, (…) in aller Regel die gebotene Belehrung über das vollumfängliche Aussageverweigerungsrecht nicht ersetzen“ kann. 262 BGH, BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 11; BGHSt 50, 206 [215 f.] = NJW 2005, 3295 = NStZ 2005, 700; BGHSt 51, 1 = NJW 2006, 1361 = NStZ 2006, 402; OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 283; offenlassend nun BGH NJW 2007, 2269 (2273). Nach BGH NStZ 2007, 719, soll es ausreichen, wenn der Widerspruch im Urteil beschieden wird. Ein Zwischenbescheid zur Frage der Verwertbarkeit sei auch unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens nicht notwendig. Zum Widerspruch gegen die (weitere) Verwertung einer zunächst freiwilligen Speichelprobe BGH NStZ 2010, 157 f. Zur Genese der Widerspruchslösung in der Rspr. des RG Weßlau, StV 2010, 42 f. 263 Vgl. Volk, StPO, 2008, § 9 Rn. 11. 264 Zur qualifizierten Belehrung (bzgl. der Unverwertbarkeit der in der ersten Vernehmung ohne Belehrung gemachten Aussagen) schon o. Fn. 66. Insoweit auch für einen Erst-rechtSchluss bzgl. § 136a Neuhaus, StV 2010, 46. 265 Daneben sei auf das Gewicht des Verfahrensverstoßes (bewußte Umgehung?) und das Sachaufklärungsinteresse abzustellen, vgl. BGH NStZ 2009, 281 und NStZ 2009, 702 = StV

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Auch die Missachtung oder Umgehung des Schweigerechts des (belehrten) Beschuldigten, indem dieser etwa immer wieder zur Sache befragt wird, obwohl er (weitere) Aussagen von der Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger abhängig machen wollte, führt nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot der so erlangten Aussagen, jedenfalls dann nicht, wenn der Beschuldigte freiwillig mit den Ermittlungsbeamten gesprochen hat und nicht i.S.v. § 136a getäuscht worden ist.266 Die Verteidigerausnahme bzw. Widerspruchslösung ist allerdings bedenklich, denn wenn das Schweigerecht und die Belehrung darüber auch Ausdruck des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist, so kann nur der Berechtigte selbst, also der Beschuldigte oder Angeklagte, darauf verzichten, nicht aber an seiner Stelle der Verteidiger. Ein noch grundlegenderer Einwand gegen die Widerspruchslösung ist, dass es in einem rechtsstaatlich-fairen Verfahren, gerade wenn es inquisitorisch-richtergeleitet ausgestaltet ist, nicht vorrangig die Aufgabe des Verteidigers,267 sondern der Staatsanwaltschaft (als Hüterin des Gesetzes) und des Gerichts (aufgrund seiner Fürsorgepflicht) ist, Verfahrensfehler zu heilen. Letztlich obliegt es den Organen des Rechtsstaats die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens sicherzustellen.268 Schließlich entfällt auch das Hauptargument für die Widerspruchlösung, wenn man entlastende Beweise immer für verwertbar erklärt,269 denn die Verwertung der dann nur noch übrig bleibende belastenden Beweise geht immer zu Lasten des Angeklagten, ihr braucht also nicht ausdrücklich widersprochen zu werden.270

Das Verwertungsverbot gilt nicht zugunsten Dritter. Wenn etwa ein Verfahren gegen einen ohne Belehrung vernommenen Beschuldigten (B) eingestellt wird und dessen Vernehmung dann in einem anderen Verfahren gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 – weil B verstorben ist und damit nicht als Zeuge vernommen werden kann – verlesen 2010, 1; auch BGH StV 2010, 4 im Anschluss an BGH NStZ 2008, 49 = StV 2007, 450; ebenso OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 283 = StV 2010, 5). Für ein generelles Verwertungsverbot (auch) der nachfolgenden Aussage die h.L., vgl. Roxin, JR 2008, 18 f.; ders., HRRS 2009, 186 ff.; Grasnick, NStZ 2010, 158 (159); krit. zum BGH auch Neuhaus, StV 2010, 50 f. insbesondere mit dem Hinweis, dass eine bewußte Umgehung kaum beweisbar sei. 266 BGH NJW 2006, 1008, 1009 f., wo der BGH die Frage zwar offen lassen konnte, aber obiter von einer „zutreffenden Einschätzung der Verwertbarkeit“ ausgegangen ist (1010). Die Entscheidung kann nur einzelfallbezogen getroffen werden, das Landgericht hat in casu das von ihm festgestellte Verhalten der Ermittlungsbeamten schon nicht für beanstandenswert gehalten (LG Göttingen, Beschluss v. 19.4.2004, 6 Ks 7/03). Ähnlich BGH NStZ 2009, 702 (703: keine bewusste Umgehung der Belehrungspflicht, Angeklagter nicht zur Aussage gedrängt). 267 Nur wenn man den Verteidiger als Organ der Rechtspflege ansieht, wird man ihn überhaupt in die Pflicht nehmen können, als blossen Interessenvertreter seines Mandanten aber nicht (vgl. zu dieser Unterscheidung Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 150 ff. m.w.N.). 268 Vgl. schon Roxin, FS Hanack, 1999, S. 1, 21 f; ders., (Fn. 38), § 24 Rn. 25; ders., NStZ 2007,618; zust. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 22; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 34; Prittwitz, StV 2008, 492 ff.; krit. zur Widerspruchslösung auch Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 203; Weigend, StV 2008, 39 f., 43; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 111 f., 128; ders., FS Stöckel, 2010, S. 275 f., der für eine Zustimmungslösung plädiert (§ 244 Abs. 2 S. 2 neu), die von der strafrechtlichen Abteilung des DJT (o. Fn. 24) angenommen wurde (40:23:7); Rogall, JZ 2008, 830 li. Sp. (aber gegen Zustimmungslösung); Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 283 ff. (285). 269 Vgl. schon o. Fn. 13 und Haupttext. 270 Roxin, NStZ 2007, 618.

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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werden soll, so wirkt das ursprünglich zugunsten B entstandene Verwertungsverbot nicht zugunsten des oder der in dem anderen Verfahren angeklagten Personen. Die Vernehmung Bs kann also per Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden.271 Die Vereitelung von Anwesenheitsrechten bei der richterlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren (§§ 168c Abs. 2, 168d Abs. 1) soll nach Ansicht der Rechtsprechung nur zu einer Minderung des Beweiswerts führen272 und das (fehlerhafte) richterliche Vernehmungsprotokoll gemäß § 251 Abs. 2 in die Hauptverhandlung eingeführt werden können.273 Andererseits soll aber der Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht des § 168c Abs. 5 ein Verwertungsverbot (allerdings nur zugunsten des vernommenen Beschuldigten)274 zur Folge haben.275 Das ist widersprüchlich. In beiden Fällen verliert der Beschuldigte seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 EMRK) und kann auf das Beweisergebnis keinen Einfluss nehmen. Das spricht auch in beiden Fällen für ein Verwertungsverbot.276 b) Fehlerhafte Belehrung von Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsberechtigten (§§ 52 – 55) Die Aussage des über sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht belehrten (§ 52 Abs. 3) Angehörigen ist grundsätzlich unverwertbar, d. h. sie darf weder verlesen noch durch die Vernehmung der Verhörsperson rekonstruiert werden. Das folgt aus 271 Vgl. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 23; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 468; krit. Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 26; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 32 (Justizförmigkeit des Verfahrens!); Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 333 ff.; zur Verletzung des Anwesenheitsrechts gemäß § 168c s. sogleich Fn. 274. 272 BGHSt 46, 93. 273 BGH StV 1997, 512: wenn der Angeklagte auf die andere Bewertung des Protokolls hingewiesen wird; dagegen AK-Achenbach, 1988, § 168c Rn. 18; krit. auch Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 26. 274 BGH NStZ 2009, 345 = StV 2010, 9 (kein Verwertungsverbot hinsichtlich eines Mitbeschuldigten); krit. Fezer, NStZ 2009, 524 (evtl. „Drittwirkung“ oder „Wirkungserstreckung“ des Verwertungsverbots); Gleß, NStZ 2010, 98, 100 (Erstreckung auf alle Mitangeklagten aus Fairnessgründen); Weßlau, StV 2010, 41 (43 f.), die die restriktive Position des BGH auf eine Tendenz zur Subjektivierung des Beweisrechts zurückführt. 275 Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 168c Rn. 6; BGH NStZ 2009, 345 Rn. 11 fragt aber, ob das – Parallele zu § 136 (o. Fn. 261) – nicht gelten soll, wenn der Vernommene ohnehin seine Rechte kannte (krit. Gleß, NStZ 2010, 98). Unterbleibt die Ladung des Beschuldigten zum Termin, kann darin keine konkludente Entschließung des Ermittlungsrichters gesehen werden, dass die Ladung des Beschuldigten den Ermittlungserfolg gefährde und damit gem. § 268c Abs. 5 S. 2 zu unterbleiben habe. Vielmehr sind die Gründe für eine solche Entscheidung aktenkundig zu machen (SchlHOLG, StV 2008, 401). 276 Ebenso i.E. Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 221; Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 31; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 42; Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 910; Meyer-Mews, JuS 2004, 39 (41); Finger, JA 2006, 529 (535); auch Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 194 ff. (196); ders., GA 2008, 487 (zu Abs. 5).

56 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

dem Schutzzweck des § 52, nämlich die familiäre Verbundenheit nicht zu gefährden.277 Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob dem Gericht zum Zeitpunkt der Zeugenvernehmung die Angehörigeneigenschaft des Vernommenen bekannt war oder nicht;278 ggf. muss der Zeuge ergänzend dahingehend belehrt werden, dass er mit dem Angeklagten (noch) verwandt oder verschwägert ist.279 Eine Verwertung ist aber aus zwei Gründen möglich: Zum einen nach dem Tod des Zeugen;280 zum anderen wenn der Zeuge ausgesagt hat, obwohl er sein Zeugnisverweigerungsrecht gekannt hat, denn dann kommt es nicht auf die unterlassene Belehrung an.281 Bei Vertrauenspersonen, bei denen regelmäßig von der Kenntnis des Zeugnisverweigerungsrechts (§ 53) auszugehen ist, kommt ein Verfahrenverstoß nur in Betracht, wenn das Gericht (Fürsorgepflicht!) eine Vertrauensperson, die glaubt aussagen zu müssen, nicht belehrt oder wenn es ihr irrigerweise mitteilt, sie sei von der Schweigepflicht entbunden und deshalb zur Aussage verpflichtet (§ 53 Abs. 2). Und nur in diesen Fällen kommen unstrittig auch Verwertungsverbote in Betracht.282 Sagt die Vertrauensperson trotz Kenntnis ihres Zeugnisverweigerungsrechts aus, führt dies nach h.M. nicht zu einem Verwertungsverbot, weil sie nur ein Zeugnisverweigerungsrecht, aber keine Pflicht zur Zeugnisverweigerung habe.283 Dies weckt Bedenken im Hinblick auf das durch eine solche Aussage gestörte Vertrauensverhältnis zwischen Vertrauensperson und Angeklagtem (Mandant, Patient etc.), das ja zudem strafrechtlich geschützt ist (§ 203 StGB: Verletzung von Privatgeheimnissen).284 Sieht 277

Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 32; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 43; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 15; i.E. ebenso Jäger, GA 2008, 486, aber mit anderer Begründung (Schutz vor konfliktbehafteten Aussagen). Zu beachten ist freilich, dass es für eine Belehrung nach § 52 Abs. 2 S. 1 schon genügen kann, wenn der Zeuge auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen wird (BGH NStZ 2006, 647 f). 278 BGHSt 14, 159, 160. 279 BGH NStZ 2006, 647 f. 280 BGHSt 22, 35; a.A. Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 32; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 43; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 15; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 461; i.E. ebenso Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 146. 281 Vgl. BGHSt 38, 214, 225; 40, 336, 339; BGH NStZ 1990, 549 f.; NStZ–RR 2004, 212; zust. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 43. 282 Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 16; i.E. ebenso Jäger, GA 2008, 486 f. 283 BGHSt 9, 59, 62; 15, 200, 202; 18, 146, 147; zust. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 17; Hellmann, Strafprozessrecht, 2006, Rn. 29; Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2010, § 23 Rn. 20; Finger, JA 2006, 529 (533). 284 In diesem Sinne ist es ebenfalls bedenklich, wenn dem ehemaligen Mandanten eines Strafverteidigers ein Zeugnis bzw. Auskunftsverweigerunsgrecht hinsichtlich der mit dem Verteidiger geführten Gespräche nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nicht zustehen soll (so OLG Koblenz, NStZ-RR 2008, 283 f. und BVerfG, Beschluss vom 28.1.2008 – 2 Bvr 112/ 08 mit kritischer Besprechung Bosbach, NStZ 2009, 177 ff.; ausführlich zu weiteren, neben den Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten der §§ 52, 55 bestehenden, ungeschriebenen Verwertungsverboten s. Bosbach, ebd., 177 m.w.N. aus der Rechtsprechung in Fn. 3; ders., Ungeschriebene strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte im Bereich der Rechtsberatung, 2008, S. 20 ff.).

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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man den Schutzzweck des § 53 (auch) darin, dieses Vertrauensverhältnis – parallel zur materiellrechtlichen Lage – prozessual abzusichern, so lässt sich argumentieren, dass sich aus der materiellen Rechtswidrigkeit der Aussage deren prozessuale Unverwertbarkeit ergibt.285 Umgekehrt wird der Schutzzweck bei der Zeugenaussage ohne Genehmigung gemäß § 54 herangezogen, um ein Verwertungsverbot abzulehnen, eben weil der Zweck der Vorschrift – Wahrung des Dienstgeheimnisses – ohnehin schon unwiederbringlich vereitelt ist.286 Der oben genannte Gesetzentwurf287 sah ursprünglich – in einem neuen § 53b – bei sämtlichen verdeckten und offenen Ermittlungsmaßnahmen, die einen Geistlichen, Verteidiger oder Abgeordneten (§ 53 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4) betreffen, ein Beweiserhebungs- und absolutes Beweisverwertungsverbot vor; bezüglich der sonstigen Vertrauenspersonen (§ 53 Abs. 1 Nr. 3, 3a, 3b, 5) wurde ein relatives Beweisverwertungsverbot (Verhältnismäßigkeitsprüfung) vorgeschlagen. Angehörige (§ 52) sollten nicht geschützt werden.288

Schon oben wurde darauf hingewiesen,289 dass die fehlende Belehrung des Auskunftsverweigerungsberechtigten gemäß § 55 nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen soll, weil, so die traditionelle Ansicht des BGH, der Rechtskreis des Angeklagten durch den Verstoß nicht berührt werde.290 Sieht man durch § 55 freilich auch das Interesse des Angeklagten an einer „konfliktfreien, wahrheitsgemäßen Zeugenaussage“ geschützt,291 so lässt sich auch hier ein Beweisverwertungsverbot begründen. In jedem Fall entsteht ein Beweisverwertungsverbot, wenn der Zeuge zum Beschuldigten wird und in der späteren Hauptverhandlung der Verwertung widerspricht,292 denn dann gilt das zur fehlenden Belehrung des Beschuldigten gerade Gesagte [o. a)].

285

So Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 462 m.w.N. Vgl. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 18; Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2010, § 23 Rn. 21; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 47; Finger, JA 2006, 529 (533); a.A. Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 223. 287 Fn. 134. 288 Die genannten Beweisverwertungsverbote hinsichtlich der Berufsgeheimnisträger haben in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages und somit im letztlich verabschiedeten Gesetz keine Berücksichtigung gefunden (vgl. BT-Drucks. 16/6979; BGBl. 2007 I, 3198). Vgl. zu dem GesE Wolter, GA 2007, 184 ff., der selbst – unter Bezugnahme auf den Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte (AE-ZVR, 1992 – 1996) und den Entwurf des Mannheimer Arbeitskreises Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP-E, 2002) – weitergehende Beweisverwertungsverbote vorschlägt (187 ff., 190 ff.) und „ein Zeugnisverweigerungsrecht u. a. zum Schutz des Kernbereichts privater Lebensgestaltung“ (dazu III. 2. bei Fn. 130) für bedenkenswert hält (199). 289 III. 2. a) bei Fn. 185 f. 290 BGHSt (Grosser Senat) 11, S. 213, 215; Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 55 Rn. 17. 291 Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 36; diff. Jäger, GA 2008, 487 (Verwertungsverbot bzgl. den Beschuldigten betreffende historische Tat). 292 BGH NZV 2001, 527; OLG Celle NStZ 2002, 386; Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 55 Rn. 17; SK-Rogall, StPO, 2008, Vor § 133 Rn. 188; Finger, JA 2006, 529 (533). 286

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

c) Rechtswidrige Durchführung von Zwangsmaßnahmen aa) Verstoß gegen Beschlagnahmeverbot (§ 97 Abs. 1) Das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 ergänzt die Zeugnisverweigerungsrechte der §§ 52, 53, 53a. Seine Verletzung muss folgerichtig zu einem Beweisverwertungsverbot führen,293 jedenfalls solange sich die dem Verbot unterliegenden Gegenstände bei Zeugen befinden. Befinden sie sich bei Beschuldigten oder ist der Zeugnisverweigerungsberechtigte selbst Beschuldigter, gilt das Verwertungsverbot nicht.294 bb) Rechtswidrige körperliche Untersuchung (§ 81a) Abgesehen von dem geschriebenen Beweisverwertungsverbot des § 81a Abs. 3 im Hinblick auf eine zweckwidrige Verwendung,295 kommt ein ungeschriebenes und unselbständiges Verwertungsverbot – bei entsprechendem Widerspruch gegen die Verwertung in der Hauptverhandlung296 – in Betracht, wenn die körperliche Untersuchung (insbesondere Blutprobe) nicht von einem Arzt durchgeführt oder von einer unzuständigen Person angeordnet wird (insoweit handelt es sich um ein relatives Beweiserhebungsverbot). Die ganz h.M. hat dies jedoch herkömmlicherweise abgelehnt, weil einerseits § 81a nur vor gesundheitlichen Schäden bewahren solle und die Strafbarkeit des Verhaltens (§§ 223, 239 StGB) diesen Schutzzweck schon sicherstelle, andererseits aber ein Verstoß gegen § 81a den Beweiswert nicht mindere.297 Der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung lassen sich insoweit nun strengere Anforderungen entnehmen. Zunächst hat das BVerfG betont, dass bei § 81a – ebenso wie bei Wohnungsdurchsuchungen [dazu u. dd)] und freiheitsentziehenden Maßnahmen – eine effektive nachträgliche gerichtliche Kontrolle staatsanwaltschaftlicher Eilan-

293 KK-Nack, StPO, 2008, § 97 Rn. 9; Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 221; Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 34; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 46; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 20; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 463; Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 910. 294 BGHSt 25, 168, 170 f.; Pfeiffer, Strafprozessordnung, 2005, § 97 Rn. 1; i.E. ebenso Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 203. 295 Zum geschriebenen Verwertungsverbot in § 123 Abs. 6, 7 öStPO Schmoller, GA 2009, 524 f. 296 OLG Hamm, StV 2009, 462, 463 li. Sp.: „spezifizierte Begründung des Widerspruchs, in der zumindest in groben Zügen die Gesichtspunkte anzugeben sind, unter denen der Angekl. das Beweismittel für unverwertbar hält.“ Zur Widerspruchslösung schon o. Fn. 262 f. 297 BGHSt 24, 125, 128; OLG Karlsruhe StV 2005, 376; zust. Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 222; Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 37; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 25, 49; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 27; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 477 (mit allerdings fragwürdiger Begründung, wenn er sagt, dass mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht zu rechnen sei); i.E. ebenso Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 910.1; Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 196 ff.; ders., GA 2008, 487 f.; Brocke/Herb, NStZ 2009, 675 f.

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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ordnungen gewährleistet sein muss;298 es hat damit das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Richtervorbehalt und staatsanwaltschaftlicher (oder polizeilicher) Eilkompetenz bekräftigt. Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs (insbesondere Beweisverlust aufgrund Abbau des Alkohols im Blut) bestehe auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssten daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Die – die Eilkompetenz begründende – Gefährdung des Untersuchungserfolgs müsse mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren seien, sofern die Dringlichkeit nicht evident sei.299 Der BGH hat im Zusammenhang mit § 102 ff.– unter Bezugnahme auf diese Verfassungsrechtsprechung – erklärt, dass jedenfalls eine bewusste Mißachtung oder grobe Verkennung des Richtervorbehalts nicht sanktionslos bleiben dürfe;300 die (obergerichtliche) Rechtsprechung hat dies auf § 81a übertragen,301 freilich auch um ein Verwertungsverbot bei Fehlen der genannten Voraussetzungen abzulehnen.302 Mit Roxin lässt sich der BGH-Entscheidung sogar der allgemeine Grundsatz entnehmen, dass der Staat aus bewussten Rechtsbrüchen seiner Amtsträger in keinem Fall Nutzen ziehen darf und deshalb in diesen Fällen, zu dem eben auch die grobe Mißachtung des Richtervorbehalts gehört, immer ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen sei.303 Bei besonders schweren Rechtsverletzungen (z. B. bewusster oder absichtlicher Verstoß gegen § 81a oder Durchführung mit illegalen Mitteln) ist letztlich ein Verstoß gegen BVerfG NJW 2007, 1345 f. = StV 2007, 281 f. BVerfG NJW 2007, 1346 u. a. unter Verweis auf BVerfGE 103, 142 (155 f., 160); ihm folgend etwa OLG Köln NStZ 2009, 406 (407); OLG Karlsruhe, StV 2009, 516. 300 BGH NJW 2007, 2269, 2272 = NStZ 2007, 601, 603 = StV 2007, 337 (338 f.); dazu u. Fn. 332 f. und Text. 301 BGH NStZ 2009, 406; OLG Stuttgart, NStZ 2008, 238; OLG Hamburg, StV 2008, 454 (456 f.); OLG Köln NStZ 2009, 406; OLG Bamberg, NStZ 2009, 408; OLG Karlsruhe, StV 2009, 516; OLG Celle, StV 2009, 518 (evident fehlerhafte Beurteilung; vgl. auch StV 2009, 685 und 2010, 14); OLG Dresden, NStZ 2009, 526 = StV 2009, 458; OLG Hamm, StV 2009, 459; SchlHOLG, StV 2010, 13 (pauschale Anordnung durch Polizei bei Fahren unter Rauschmitteleinfluss); OLG Oldenburg, StV 2010, 14 (keine Hinzuziehung eines Richters wegen innerdienstlicher Weisung!); LG Itzehoe, StV 2008, 457 (458 f.); LG Flensburg, StV 2008, 459 f.; AG Plön, StV 2009, 687. Krit. zu der früheren Rspr. Prittwitz, StV 2008, 486 (487 ff.), der kritisiert, dass sie dem BGH den „schuldigen Gehorsam“ verweigere (494). Zu der Übertragung auf den Richtervorbehalt des § 81a vgl. Amelung, NStZ 2001, 337 (342). Zur neueren Rechtsprechung, insbes. mit Blick auf das anwaltliche Vorgehen in diesen Fällen s.a. Burhoff, VRR 2009, 207 (http://www.burhoff.de/asp_vrr/ausgabeninhalte/55beitrag.asp); für eine restriktive Linie Brocke/Herb, NStZ 2009, 675 f. 302 Exemplarisch BVerfG NJW 2009, 3225 (Rn. 17 ff.: kein Verwertungverbot, weil Überwiegen des öffentliches Interesses an Strafverfolgung und Wahrheitsermittlung); OLG Köln, NStZ 2009, 406 (407 re Sp.: kein Verwertungsverbot, weil keine willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug und kein besonders schwerer Verstoß); OLG Karlsruhe, StV 2009, 516 (Verwertungsverbot „nur“ unter diesen Voraussetzungen, in casu abgelehnt). 303 Roxin, NStZ 2007, 616, 617 (unter Fortführung seiner früheren Ansicht in NStZ 1989, 376); bzgl. § 81a ebenso Prittwitz, StV 2008, 491 f., 494. 298 299

60 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

den Fairnessgrundsatz anzunehmen304 und daraus kann sich ein Verwertungsverbot ergeben.305 Für § 81a folgt aus alldem, dass bei fehlender Begründung und Dokumentation der Inanspruchnahme der Eilkompetenz in der Ermittlungsakte in der Regel ein grober Verstoß gegen den Richtervorbehalt und damit ein Verwertungsverbot anzunehmen ist.306 Die genannte Rechtsprechung307 hat zwar zunächst nur in einem Fall ein Verwertungsverbot angenommen,308 doch ist sie gleichwohl den vom BGH zum Richtervorbehalt zu § 102 ff. aufgestellten Grundsätzen gefolgt. Beispielhaft sei insoweit auf eine Entscheidung des OLG Stuttgart309 als erste obergerichtliche Entscheidung nach der BGH-Entscheidung eingegangen. Zwar wies das OLG die Beschwerde des Betroffenen gegen die Verwertung des Ergebnisses der von einem Polizeibeamten im Wege der Eilkompetenz angeordneten Blutentnahme zurück, obwohl „eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung (…) nicht vorlag.“310 Doch wurde dies damit begründet, dass die Anordnung der Blutentnahme durch den Polizeibeamten, in casu, weder bewusst fehlerhaft noch objektiv willkürlich erfolgte, sondern auf der „irrtümlichen Fehleinschätzung“ beruhte, dass ein Zuwarten durch den raschen Abbau des Betäubungsmittels im Körper des Betroffenen zu einem Beweismittelverlust führen würde (was nach dem vom Gericht festgestellten Sachverhalt freilich nicht der Fall gewesen wäre).311 Der Senat hielt die Eilanordnung also zwar für rechtswidrig, wollte daran aber mangels bewusster Fehlerhaftigkeit und Willkür kein Verwertungsverbot knüpfen. Dem hat sich jüngst auch der BGH ange-

304 BGHSt 24, 125, 131; zur Unverwertbarkeit eines heimlichen aufgenommenen Ehegattengesprächs in der U-Haft wegen der darin liegenden Fairnessverletzung BGH NStZ 2009, 519; restriktiv jüngst (wieder) BVerfG NJW 2009, 3225 (Rn. 23 m.w.N.: Fairnessverletzung nur, „wenn eine Gesamtschau … ergibt, dass rechtsstaatliche zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde“). Der strengen BGH Rspr. zust. Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 37; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 49; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 27; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 477; vgl. auch Finger, JA 2006, 529 (536) mit Hinweis (Fn. 75 f.) auf die besonders problematischen Fälle der Entnahme von Körperflüssigkeit, Einsatz von Brechmitteln und eines Katheters; zu Jalloh v. Germany insoweit u. 2. Kap. I. 2. b) bb) (4) (b) bei Fn. 619 ff.; dort auch allg. zum Fairnessgebot. 305 Vgl. insoweit auch BGH NJW 2007, 2271 unter Bezugnahme auf BGHSt 24, 125 (131). 306 Vgl. auch Prittwitz, StV 2008, 492. Zu den Anforderungen an die Begründung einer Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 S. 2) wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei § 81a s. OLG Dresden, StV 2009, 571. 307 O. Fn. 301. 308 LG Flensburg StV 2008, 459, aber schon wenig später zurückgenommen (StV 2008, 459 f.). s. nun aber OLG Hamm, StV 2009, 459 = VRR 2009, 188 = StRR 2009, 192; OLG Dresden, NStZ 2009, 526 = StV 2009, 458; OLG Celle, StV 2009, 685; KG, Beschluß v. 1.7.2009 1 Ss204/09 (s.a. die Nachweise o. Fn. 301); Burhoff, VRR 2009, 207 m.w.N. 309 OLG Stuttgart, NStZ 2008, 238. 310 Ebd. Anlass für die im Rahmen einer Verkehrskontrolle angeordnete Blutentnahme war der durch einen Drogenvortest verstärkte Verdacht, dass der Betroffene das Kraftfahrzeug führte, obwohl er unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln (THC-haltiges Cannabis, Amphetamine und Kokain) stand. Dieser Verdacht wurde durch das Ergebnis des Bluttestes bestätigt. 311 OLG Stuttgart, NStZ 2008, 239.

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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schlossen.312 Immerhin wies das OLG Stuttgart aber, obiter, darauf hin, dass die vorstehend entwickelte Argumentation in den häufig vorkommenden Fällen von Alkoholfahrten kaum zur Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots führen könne, weil die Nachweisbarkeit der BAK durch Rückrechnung allgemein bekannt sei und der Notwendigkeit der unverzüglichen Anordnung und Durchführung der Blutentnahme grundsätzlich entgegenstehe.313 Dass damit „Legionen von Polizeibeamten in den letzten Jahrzehnten ihre Kompetenzen überschritten hätten und die mit den Verfahren anschließend befassten Strafgerichte dies nicht erkannt“ hätten314 ändert an der Bedenklichkeit dieser Praxis nichts und lässt die Notwendigkeit eines Verwertungsverbot nur noch deutlicher hervortreten. Insoweit sei in Erinnerung gerufen, dass sich das BVerfG auch bei der Wohnungsdurchsuchung genötigt sah, einer Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden ein Ende zu setzen, „die man ohne Übertreibung als einen mehr als 100 Jahre lang praktizierten Rechtsbruch bezeichnen kann.“315

cc) Rechtswidrige Überwachung der Telekommunikation (§§ 100a, b, g, h) Neben dem geschriebenen Verwertungsverbot (o. III.2.) kommt eine Unverwertbarkeit der aus der Überwachung der Telekommunikation gewonnenen Erkenntnisse in Betracht, wenn die materiellen Voraussetzungen der Anordnung missachtet wurden, also etwa kein Verdacht einer Katalogtat gegeben war, das Subsidiaritätsprinzip ignoriert wurde oder die Überwachung in sonstiger Weise rechtswidrig war, insbesondere weil Verteidigergespräche entgegen § 148316 überwacht wurden.317 Da insoweit jedoch ein Beurteilungsspielraum besteht, will die Rechtsprechung nur bei objektiver Willkür oder grober Fehlbeurteilung ein Verwertungsverbot anerkennen.318 Außerdem soll das Nicht-Vorliegen einer Katalogtat heilbar sein, wenn sich zugleich ein anderer Verdacht auf eine Katalogtat gerichtet hat.319 Verstöße gegen die formellen Voraussetzungen (§§ 100b, 101) der Anordnung begründen kein Verwertungsverbot, außer es fehlt von vorneherein an einer richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Anordnung (§ 100b),320 denn dann liegt ein schwerer Fehler i.S.v. § 44

312 BGH NStZ 2009, 406, 407: Verwertungsverbot insbesondere bei „willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers …“ 313 OLG Stuttgart, NStZ 2008, 239. 314 So krit. Götz, Anm. NStZ 2008, 239. 315 Amelung, NStZ 2001, 337. 316 Zur Verwertbarkeit von Beweismitteln trotz § 148, wenn der Verteidiger selbst Beschuldigter ist BGH NStZ 2009, 517; zust. Gössel, NStZ 2010, 288. 317 Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 475; Volk, StPO, 2008, § 10 Rn. 46. 318 BGHSt 41, 30, 34; 47, 362, 366; zust. Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 39; dazu auch Bernsmann, NStZ 1995, 512; Küpper, JR 1996, 214; Schlothauer, StV 2003, S. 208; strenger für ein Verwertungsverbot insoweit Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 205 f., da er „beweisgegenstandsbezogene Beschränkungen“ in dem Erhebungsverbot ausmacht; krit. auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 36 Rn. 11. 319 BGHSt 48, 240. Krit. Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 475 m.w.N. in Fn. 58 f. 320 Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 475 m.w.N.

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

VwVfG vor.321 Der Verwertung muss in der Hauptverhandlung widersprochen werden (Widerspruchslösung).322 Bei einer an sich rechtmäßig angeordneten TKÜ kann es zur Aufzeichnung von Raum- und Hintergrundgesprächen kommen, die bei einem allgemeinsprachlichen Verständnis jedoch nicht unter den Begriff der „Telekommunikation“ fallen und deshalb unverwertbar sein müssen.323 Das hat der BGH auch schon 1983 für den Begriff des „Fernmeldeverkehrs“ (§ 100a a.F.) anerkannt324 und es hat – entgegen späterer Rechtsprechung325 – nach wie vor auch für den Begriff der „Telekommunikation“ im geltenden § 100a Gültigkeit. Denn Raum- und Hintergrundgespräche werden nicht durch eine Fernmelde- oder Telekommunikationseinrichtung vermittelt und gehören deshalb auch nicht zu dem von § 100a (alte oder neue Fassung) geregelten Bereich.326 Eine darüber hinausgehende, extensive Auslegung des Begriffs „Telekommunikation“ verwandelt § 100a in eine umfassende „Zugriffsbefugnis auf alle durch Verwendung der Telekommunkationstechnologie entstandenen Datenbestände“327 und das (mobile) Telefon zu einem „hoch sensiblem Mikrophon“, das den großen Lauschangriff i.S.v. §§ 100c, d328 überflüssig macht.329 dd) Rechtswidrige Wohnungsdurchsuchung (§§ 102 ff.) Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG, s. schon o. III.3. a.E.) und der – schon erwähnten330 – strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Eilkompetenz („Gefahr im Verzug“) zur Anordnung der Wohnungsdurchsuchung (§ 105 Abs. 1 S. 1),331 stellt sich die Frage, ob die fehlerhafte Inanspruchnahme der Eilkompetenz zu einem Verwertungsverbot der im Rahmen der Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel 321

Zu dieser verwaltungsrechtlichen Parallele Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 238. BGH NJW 2006, 1361; dazu schon krit. Fn. 262 f. und Text. 323 Vgl. Prittwitz, StV 2009, 437 m.w.N.; auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 36 Rn. 19. 324 BGHSt. 31, 296. 325 BGH NStZ 2003, 668 = StV 2003, 370; BGH StV 2009, 398 (kein Verwertungsverbot bei „Hintergrundgeräusche[n] bzw. Hintergrundunterhaltunge[n]“); vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 1995, 975. 326 Vgl. zutreffend BGHSt. 31 296 (297): „Nicht umfaßt wird von dem Wort ,Fernmeldverkehr … eine Unterhaltung, die ohne Inanspruchnahme einer Fernsprecheinrichtung im häuslichen Bereich stattfindet.“ Ebenso Prittwitz, StV 2009, 441. 327 Weßlau, StV 2003, 483. 328 Vgl. schon o. III. 2. bei Fn. 128 ff. 329 In diesem Sinne Prittwitz, StV 2009, 437. 330 O. bb) bei Fn. 298 f. 331 BVerfG NStZ 2001, 382; so auch BGH NJW 2007, 2269, 2272 (s. o. Fn. 300). Die Ermittlungsbehörden dürfen daher mit dem Antrag auf richterliche Anordnung auch nicht solange warten, bis Gefahr im Verzug vorliegt (BVerfG StV 2003, 206). 322

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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führt. Dies ist jedenfalls bei einer bewussten Missachtung oder groben Verkennung der Voraussetzungen des Richtervorbehalts zu bejahen.332 Insoweit sind insbesondere – ganz im Sinne des schon oben aufgestellten Grundsatzes333 – die bewusste Umgehung des Richtervorbehaltes, die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug sowie die willkürliche Verletzung des Anwesenheitsrechts als schwerwiegende Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz anzuerkennen;334 auch eine grobe Mißachtung des Richtervorbehalts durch die Justizverwaltung durch Unterlassen der Einrichtung eines (nächtlichen) richterlichen Bereitschaftsdienstes kann zu einem Verwertungsverbot führen.335 Die Notwendigkeit der Annahme eines Verwertungsverbots folgt in diesen Fällen aus der erwähnten verfassungsrechtlich anerkannten Bedeutung des Richtervorbehalts, denn dieser ist „für das durch rechtsstaatliche Grundsätze geprägte Ermittlungsverfahren so wesentlich, dass jedenfalls grobe Verstöße nicht sanktionslos gelassen werden dürfen.“336 Es wäre „für die Rechtsgemeinschaft und ihre Vorstellung vom Recht unerträglich, könnte der verfassungsrechtlich abgesicherte Schutz der Wohnung samt Richtervorbehalt stets folgenlos selbst willkürlich ausgehebelt werden.“337 Insoweit kann also eine Verwertung auch nicht mit dem Rückgriff auf das Argument des hypothetischen Ermittlungsverlaufs gerettet werden.338 Die Verwertbarkeit ist von Amts wegen – unabhängig von der Nutzung der Rechtsschutzmöglichkeit nach § 98 Abs. 2.S. 2 – zu prüfen.339 Fehlt es bei einer fehlerhaften Inanspruchnahme der Eilkompetenz von vornherein an einer gültigen Durchsuchungsanordnung, liegt ein nachträglicher Wegfall vor, wenn die ursprünglich erteilte Anordnung sechs Monate nach Erlass noch nicht vollzogen wurde.340 Für ein Verwertungsverbot spricht in diesen Fällen die Bedeutung des Wohnungsgrundrechts,341 dagegen die entsprechende Anwendung der Grundsätze zur Telekommunikationsüberwachung [o. cc)], wonach nur ein materieller Verstoß ein Verwertungsverbot begründet.342 332 BGH NJW 2007, 2269 = StV 2007, 337, 339 = NStZ 2007, 601 (603). Vgl. auch OLG Hamm NStZ 2007, 355. Grds. für Verwertungsverbot auch Roxin, NStZ 2007, 617; Jäger, GA 2008, 488; Hüls, ZIS 2009, 164 f.; krit. Schneider, NStZ-Sonderheft 2009, 47 ff., dazu schon o. Fn. 244. 333 O. Fn. 304 und Haupttext. 334 BGH NJW 2007, 2271 f.; OLG Köln, StV 2010, 14 (ausreichende Zeit zur Einholung einer richterlichen Anordnung); AG Bremen, StV 2008, 588 (Anwesenheitsrecht); AG Hamburg-St.Georg, StV 2008, 630 (fehlende richterliche Anordnung, keine Gefahr im Verzug). 335 OLG Hamm, StV 2009, 567 (570 f.) = NStZ 2010, 165 mit krit. Anm. von Kühlewein. 336 BGH NJW 2007, 2272. 337 BGH NJW 2007, 2272. 338 Vgl. schon o. Fn. 241 ff. (246) und Haupttext. 339 BGH NStZ 2009, 648 = StV 2009, 675 (dort nur Leitsatz). 340 Nach BVerfG NJW 1997, 2165 verliert die Anordnung ab diesem Zeitpunkt ihre Gültigkeit. 341 Dafür AG Braunschweig, StV 2001, 394 f.; Finger, JA 2006, 529 (536). 342 In diesem Sinne BGHSt 41, 30, 34, wonach ein Verwertungsverbot nur bei objektiver Willkür oder grober Fehlbeurteilung eingreifen soll; ebenso BGH StV 2003, 3 f.; tendenziell

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

ee) Heimliche Ermittlungen Die Rechtslage ist in diesem Bereich (besonders) unklar, weil die StPO nur für verdeckte Ermittler (VE), also verdeckt ermittelnde Polizeibeamte (§ 110a Abs. 2), Regeln enthält (§§ 110a ff.), u. a. das schon genannte Verwertungsverbot im Hinblick auf andere Strafverfahren (§ 477 Abs. 2 S. 2); im Hinblick auf andere heimlich ermittelnde Personen (Informanten, V-Leute, nicht öffentlich ermittelnde Personen – nöeP) kommt nur § 163 Abs. 1 S. 2 als unspezifische Rechtsgrundlage in Betracht.343 Wegen der Heimlichkeit sind heimliche Ermittlungen mit Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation [o. cc)] vergleichbar, so dass die dort genannten Regeln entsprechend anwendbar sind. Ein Verwertungsverbot kommt damit – im Hinblick auf VE – bei Fehlen der materiellen Voraussetzungen oder der richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Zustimmung in Betracht.344 Allerdings sollen die in den ersten drei Tagen gewonnenen Beweismittel verwertbar sein, weil die staatsanwaltschaftliche Zustimmung „binnen drei Werktagen“ herbeigeführt werden kann (§ 110b Abs. 1); doch auch wenn die gemäß § 110b Abs. 2 notwendige nachträgliche gerichtliche Zustimmung „binnen drei Werktagen“ nicht eingeholt oder verweigert wird, sollen die in den ersten drei Tagen erlangten Beweismittel verwertbar sein.345 Ein Verwertungsverbot ist anzunehmen, wenn sich andere staatliche Ermittlungsper-

auch Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 203 f. Wie schon der EGMR (StV 2001, 201; StV 2008, 475; Park, StV 2009, 276) und das BVerfG (StV 1994, 465) in Fällen des Haftprüfungs- bzw. -beschwerdeverfahrens bei Untersuchungshaft hat das BVerfG (NStZ 2007, 274) auch für den Fall einer Beschwerde gegen eine bereits beendete Durchsuchung entschieden, dass die Beschwerdeentscheidung nur auf der Grundlage solcher Tatsachen und Beweismittel ergehen dürfe, über die der Beschwerdeführer vorher sachgerecht unterrichtet wurde und zu denen er sich äußern konnte. Auch Geheimhaltungsinteressen rechtfertigen eine Entscheidung auf der Grundlage eines dem Beschuldigten nicht zugänglichen Akteninhalts nicht (zu Maßnahmen der Telekommunikationüberwachung in diesem Sinne s. BVerfG, NStZ-RR 2008, 16). Da das Recht auf Akteneinsicht auf dem Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) und des fairen Verfahrens (Art. 20 III i.V.m. Art. 2 I GG) beruht, diese Rechte grundsätzlich aber bei allen Zwangsmaßnahmen spätestens im Rechtsschutzverfahren betroffen sind, muss dies grundsätzlich für alle strafprozessualen Maßnahmen gelten (eingehend Park, StV 2009, 276 ff.). 343 Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 110a Rn. 4, § 163 Rn. 34a. 344 BGHSt 42, 103; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 481a; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 30; Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 910; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 53. – Eine Unverwertbarkeit ist darüber hinaus auch dann anzunehmen, wenn einem Beschuldigten, der sich im Rahmen der polizeilichen Vernehmung auf sein Schweigerecht berufen hat, unter dem Einsatz eines VE und der Ausnutzung eines von diesem geschaffenen Vertrauensverhältnisses selbstbelastende Äußerungen entlockt werden (BGH, StV 2005, 225 f.). Hat der Beschuldigte sein Schweigerecht geltend gemacht und wird nun unter Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer selbstbelastenden Aussage gedrängt, so ist dieses Einwirken auf die Entscheidungsfreiheit durch ein funktional einer Vernehmung gleichstehendes Verhalten als verfahrensrechtlich unzulässig anzusehen (ebd.; BGHSt. 52, 11 f. = StV 2007, 509; EGMR, StV 2003, 257, 259; bestätigend jüngst BGH, NStZ 2009, 343 f.). 345 BGHSt 41, 64, 66; zust. Beulke/Rogat, JR 1996, 520; Rogall, JZ 1996, 260.

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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sonen, die keine VE sind, den Zutritt zu fremden Wohnungen erschleichen, weil sie damit das Erfordernis der gerichtlichen Anordnung in § 110b Abs. 2 Nr. 2 umgehen.346 Das Vorgehen heimlich ermittelnder Personen muss sich auch an den rechtsstaatlichen Garantien des Schweigerechts und anderer Verfahrensvorschriften der StPO (vor allem §§ 136, 136a) messen lassen, so dass sich bei einem Verstoß auch daraus ein Beweisverwertungsverbot ergeben kann. (1) Nemo-tenetur-Grundsatz Sind die heimlichen Ermittlungsmaßnahmen (auch) darauf ausgerichtet, selbstbelastende Äußerungen des Beschuldigten zu erlangen, kann hierin ein Verstoß gegen den – schon mehrfach erwähnten347 – Nemo-tenetur-Grundsatz liegen. Allerdings nahm der große Strafsenat des BGH in seiner „Hörfallen-Entscheidung“348 Maßnahmen, die ihren Schwerpunkt nicht im Zwang sondern in der Heimlichkeit der Ausforschung haben, vom Schutzbereich des Nemo-tenetur-Grundsatzes aus, wobei er freilich einräumt, dass ein solches Vorgehen in bestimmten problematischen Konstellationen (z.B: Lockspitzelfälle, Romeo-Fälle) einem Verstoß gegen den Grundsatz „nahe kommen“ könnte.349 Wenn durch den Grundsatz nur die Freiheit vom Zwang zur Aussage, nicht aber vor staatlich veranlasster Selbstbelastung (Irrtum) gewährleistet werden solle,350 seien (informelle) Gespräche mit verdeckten Ermittlern oder privaten Helfern der Strafverfolgungsbehörden davon nicht erfasst, denn in diesen Fällen könne sich der Tatverdächtige keinem Zwang ausgesetzt sehen.351 Nach der Rechtsprechung des EGMR ist der Schutzbereich des Grundsatzes aber nicht auf diese Fälle beschränkt.352 Vielmehr werde der Grundsatz auch dadurch unterlau346 Offen lassend BGH NStZ 1997, 449; für Verwertungsverbot Roxin, StV 1998, 43 (45); Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 206 f. 347 Vgl. vor allem o. III. 1. d) mit Fn. 103 und IV. 2. a) mit Fn. 246 f. 348 s. zu dieser Entscheidung bereits o. III. 1. d) bei Fn. 99. 349 BGHSt 42, 139 (156) = NJW 1996, 2940 (2943). 350 Zum str. Schutzbereich vgl. Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 79 f. m.w.N. 351 BGHSt 42, 152 f. = NJW 1996 (2943 f.). s. aber zum Beispiel privater Ermittlungen im Fall Siemens, u. 2. Kap. II. 3. 352 EGMR, Allan v. UK, Urteil v. 5.11.2002, para. 50: „While the right to silence and the privilege against self-incrimination are primarily designed to protect against improper compulsion by the authorities and the obtaining of evidence through methods of coercion or oppression in defiance of the will of the accused, the scope of the right is not confined to cases where duress has been brought to bear on the accused or where the will of the accused has been directly overborne in some way.“ In diesem Fall (deutsch in StV 2003, 257) hatte die Polizei gezielt einen zur Zusammenarbeit bereiten Mithäftling in die Zelle des sich wegen Mordverdachtes in Untersuchungshaft befindenden Beschwerdeführer gelegt. Dieser hatte den Auftrag erhalten, dem Beschwerdeführer Informationen über seine Beteiligung an dem Mordfall zu entlocken. Die Anweisung diesbezüglich lautete „to push him for what you can“ (para. 13). Die spätere Zeugenaussage dieses Informanten über die vom Beschwerdeführer ihm gegenüber (angeblich) gemachten Angaben über dessen Anwesenheit am Tatort, wurde im Prozess gegen den Beschwerdeführer verwendet.

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fen („undermined“), dass die Ermittlungsbehörden dem Tatverdächtigen mittels Täuschung Geständnisse oder andere Aussagen entlocken, die sie in einer normalen Vernehmung nicht erlangt hätten.353 Ob das Schweigerecht des Art. 6 EMRK durch dieses Vorgehen letztlich verletzt ist, hängt nach Ansicht des EGMR allerdings von den Umständen des Einzelfalles ab. In Anlehnung an eine Entscheidung des kanadischen Supreme Court354 stellt der Gerichtshof insoweit auf zwei Aspekte ab, nämlich ob „the informer was acting as an agent of the State at the time the accused made the statement“ und ob „it was the informer who caused the accused to make the statement.“ Ersteres hänge davon ab, „whether the exchange between the accused and the informer would have taken place, and in the form and manner in which it did, but for the intervention of the authorities.“ Bei letzterem komme es darauf an, „whether the conversation between him and the accused was the functional equivalent of an interrogation, as well as on the nature of the relationship between the informer and the accused.“355

Im Ergebnis hat der EGMR damit – aus gutem Grund – den Schutz vor zwangsweiser Selbstbelastung durch den Schutz vor einer Umgehung der Selbstbelastungsfreiheit durch ein dem Staat zurechenbares Aushorchen des Beschuldigten durch einen Informanten ergänzt. Dieser Schutz greift jedenfalls dann, wenn in dem Gespräch zwischen dem Beschuldigten und dem Informanten – entweder aufgrund der besonderen Beziehung zwischen diesem und dem Beschuldigten oder durch sonstige Umstände der Befragung – ein solcher Druck auf den Beschuldigten ausgeübt wird, dass eine Offenbarung gegenüber dem Informanten wahrscheinlich wird. Die Entscheidungsfreiheit des Beschuldigten muss also nicht völlig aufgehoben worden sein.356 Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung stellte nun auch der 3. Senat des BGH in einem Fall, in dem ein VE den Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hatte, unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage gedrängt und ihm so in einer vernehmungsähnlichen Befragung Angaben zum Tatgeschehen entlockt hatte, einen Verstoß gegen den Nemo-teneturGrundsatz fest und hielt die so erlangten Angaben für unverwertbar.357 Der Senat sah – 353 EGMR, o. Fn. 352, para. 50: „use subterfuge to elicit, from the suspect, confessions or other statements of an incriminatory nature, which they were unable to obtain during such questioning …“ (Herv. K.A.). 354 Supreme Court of Canada, Judgment 21. Juni 1990, R. v. Hebert in [1990] 2 Supreme Court Reports 151. 355 EGMR, o. Fn. 352, para. 51 (Herv. K.A.). 356 Vgl. Gaede, StV 2003, 257 (261), der im Weiteren die allgemeine Leitlinie aufstellt, dass von einem „Veranlassen“ der selbstbelastenden Äußerung des Beschuldigten i.S.d. EGMR gesprochen werden kann, wenn der Informant durch die Ausnutzung eines nicht unerheblichen persönlichen oder aus den Umständen folgenden Grundes auf die Offenbarung hinarbeitet. Denn hier realisiere sich nicht mehr das allgemeine Risiko, dass sich ein Gesprächspartner der Polizei offenbare, sondern die besonderen Ermittlungsmaßnahmen des Staates. Zu dieser Entscheidung des EGMR ebenfalls Esser, JR 2004, 98 ff.; zust. auch HK-GS-Jäger, 2008, Vorb. zu §§ 133 ff., Rn. 49; krit. zu dieser Rspr. Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 93 f. („undifferenziert“, „überspannt“). 357 BGH NJW 2007, 3138 (Leitsatz) = NStZ 2007, 714 = JZ 2008, 258.

IV. Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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vor dem Hintergrund der Entscheidung des EGMR – auch Anlass zu der Prüfung, „ob an der – anscheinend restriktiveren – Bestimmung der Reichweite des Nemo-teneturPrinzips durch den Großen Senat für Strafsachen festgehalten werden kann“, wich aber in seiner konkreten Entscheidung davon nicht ab.358 Denn in casu seien schon die in der „Hörfallen-Entscheidung“ abgesteckten rechtsstaatlichen Grenzen einer vernehmungsähnlichen Befragung ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht überschritten.359 Ist dem Senat im Ergebnis zwar zuzustimmen, so bleibt damit doch die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung hinter der des EGMR zurück,360 weil sie sich durch die Konstruktion eines (nicht ausreichenden Zwang darstellenden) „Beinahverstoßes“361 gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz den Weg für eine Güterabwägung offen hält,362 während der EGMR auch in den Fällen der durch Täuschung erlangten Aussage einen Verstoß annimmt, der nie durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt werden kann.363 Trotz dieses Befundes bestreitet Rogall die Unvereinbarkeit der Rechtssprechung des EGMR mit der des BGH, denn es sei nicht anzunehmen, dass der EGMR dem Grundsatz mit der Freiheit von Irrtum einen Inhalt habe geben wollen, der sich entstehungsgeschichtlich nicht rechtfertigen lasse. Letztlich habe auch im Fall Allan v. GB – ebenso wie in dem vom 3. Senat entschiedenen Fall – eine Zwangslage bestanden. Nur für diesen Fall habe der EGMR eine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit festgestellt und dies sei mit der Judikatur des BGH, u. a. BGHSt 44, 129, vereinbar. Der Unterschied liege daher weniger in der Reichweite des Schutzbereiches, als in einem unterschiedlichen Verständnis des Zwangsbegriffs. Dieser dürfe aber nicht all zu eng ausgelegt und – entgegen dem EGMR – etwa nicht auf das „Entlocken“ von Informationen erstreckt werden.364 An dieser Ansicht ist zwar richtig, dass auch der EGMR nicht jedes „heimBGH NJW 2007, 3140 = NStZ 2007, 715. In den Entscheidungsgründen bezog sich der Senat dementsprechend auch auf den Umstand, dass die Befragung während eines Hafturlaubes des sich zu dieser Zeit bereits in anderer Sache in Haft befindenden Angeklagten erfolgte. Weiterhin stellte er heraus, dass der in der Haft hergestellte Kontakt zwischen dem VE und dem Angeklagten der einzige Kontakt des Angeklagten außerhalb der Haftanstalt war und dieser daher, um Haftlockerungen zu erhalten, auf die Mitwirkung des VE angewiesen war. Er führte diesbezüglich aus, dass der Verstoß unter diesen Umständen umso schwerer wiege, da die „Strafverfolgungsbehörden gezielt die besonderen Belastungen der Haftsituation ausnutzten, um ihm Täterwissen zu entlocken“ und die Entscheidungsfreiheit des Angeklagten durch die Gesamtumstände in so hohem Maße eingeschränkt gewesen wäre, dass seine Situation, „der besonderen Zwangssituation eines Untersuchungshäftlings nahekam, dem ein Polizeispitzel in die Zelle gelegt wird.“ Dies gelte insbesondere auch, weil sich der VE nicht darauf beschränkt habe, „das ihm vom Angeklagten entgegengebrachte Vertrauen für Fragen auszunutzen, sondern diesen massiv“ dazu gedrängt habe Angaben zu machen (BGH NJW 2007, 3141 f. = NStZ 2007, 715 f.). 360 Vgl. auch Gaede, StV 2003, 262; Roxin, NStZ-Sonderheft 2009, 43 f., 46. 361 Verrel, Selbstbelastungsfreiheit, 2001, S. 156. 362 Vgl. auch Rogall, NStZ 2008, 112; krit zum Vorgehen des Großen Senats auch Roxin, NStZ 1997, 18 (20 f.). 363 Vgl. EGMR, Saunders v. UK, Urteil vom 17.12.1996, para. 74: „The public interest cannot be invoked to justify the use of answers compulsorily obtained in a non-judicial investigation to incriminate the accused during the trial proceedings.“ 364 Rogall, NStZ 2008, 112 f. 358 359

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liche“, staatlich veranlasste Gespräch durch einen Informanten für die Verletzung des Art. 6 EMRK für ausreichend erachtete, sondern für einen Verstoß verlangt, dass ein „psychologischer Druck“ – sei es durch eine bestehende Nähebeziehung oder durch die Art der Befragung – auf den Beschuldigten ausgeübt wurde, der die Freiwilligkeit der gemachten Angaben in Frage stellt.365 Letztlich stellt der EGMR damit aber eben nicht mehr auf die „Modalität des Einwirkens auf die Selbstbelastungsfreiheit“ als Abgrenzungskriterium ab, sondern zutreffend auf das Ausmaß der Beeinträchtigung der grundrechtlichen Sphäre des Betroffenen.366 Das charakteristische Merkmal eines jeden Aushorchens – auch innerhalb einer Zelle – bleibt die Täuschung. Wenn aber feststeht, dass auch ein – eher täuschendes, als zwangsweises – Vorgehen der Ermittlungsbeamten die durch Art. 6 EMRK geschützte Sphäre erheblich beeinträchtigen kann, so erscheint es folgerichtig (in Übereinstimmung mit dem EGMR367), den Schutzbereich des Nemotenetur-Grundsatzes entsprechend – auf Verhaltensweisen jenseits unmittelbaren Zwangs – zu erweitern,368 statt von Täuschung geprägte Sachverhalte zu solchen des Zwangs umzudeuten.

Im Ergebnis stellt die „Hörfalle“ – als staatlich veranlasste, verdeckte Befragung und Bedrängung eines Beschuldigten zur Entlockung belastender Aussagen – damit eine Umgehung von § 136369 sowie eine Verletzung des Nemo-tenetur-Grundsatzes dar und ist (deshalb) mit dem Fairnessgebot des Art. 6 EMRK unvereinbar.370 Dies muss ein Verwertungsverbot zur Folge haben. (2) Umgehung von Belehrungspflichten (§§ 136, 163a)? Sollten VE und andere heimlich ermittelnden Personen tatsächlich Vernehmungen371 durchführen, stellt sich weiterhin die Frage der Belehrung, deren Vornahme natürlich in der Praxis nicht in Frage kommt, weil sie die Entdeckung des verdeckten Ermittlers bedeuten würde. Selbst bei einer gezielten vernehmungsähnlichen Befragung des Beschuldigten schließt die Rechtsprechung eine Umgehung der Belehrungspflichten aus §§ 163a, 136 aus, weil deren Ziel – „den Beschuldigten vor der irrigen Annahme eines möglicherweise aufgrund des amtlichen Charakters einer Befragung empfundenen Aussagezwangs zu schützen“ – durch eine informelle Befra-

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EGMR, Allan v. GB, para. 52. Duttge, JZ 2008, 262. 367 In diesem Sinne verstehen den EGMR u. a. auch Eidam, Selbstbelastungsfreiheit, 2007, S. 65 ff.; Gaede, StV 2003, 262; Meyer-Mews, NJW 2007, 3138 (3143); Esser, JR 2004, 107; Renzikowski, JR 2008, 160 (165). 368 Hierfür Duttge, JZ 2008, 262, der durch „eine Anleihe an die materiellrechtliche Problematik der Abgrenzung zwischen ,drohungsverstärkter Täuschung und ,täuschungsverstärkter Drohung“ auch die bislang nicht klar vollzogene Trennung zwischen Zwang und Täuschung (im Rahmen des § 136a) zu ermöglichen sucht (S. 263); s. für die Einbeziehung der Irrtumsfreiheit auch Bosch, JA 2007, 903 (905); Roxin, NStZ 1995, 465 (466); dagegen: Verrel, Selbstbelastungsfreiheit, 2001, S. 278; wohl auch Mitsch, Jura 2008, 211 (214 f), wenn er dem 3. Senat vorwirft mit der in seiner Entscheidung vorgenommenen beschuldigtenfreundlichen Begrenzung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen „überzogen“ zu haben. 369 So schon o. III. 1. d) bei Fn. 116 sowie sogleich u. (2). 370 Vgl. jüngst Roxin, NStZ-Sonderheft 2009, 44 ff. (46). 371 Zum Vernehmungsbegriff schon o. bei Fn. 256. 366

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gung mangels subjektiv empfundenen Zwangs nicht umgangen werden könne.372 Dem liegt natürlich das gerade kritisierte enge Verständnis des Nemo-tenetur-Grundsatzes zugrunde. Ein Verstoß gegen etwaige Belehrungspflichten soll auch nicht ohne weiteres zu einem Verwertungsverbot führen, sondern nur bei gezielter bzw. bewusster Umgehung, wenn also die heimlich ermittelnde Person gerade aus diesem Grund auf einen Verdächtigen angesetzt wurde.373 So lässt es die Rechtsprechung etwa zu, den V-Mann als Zeugen (vom Hörensagen) über seine Unterhaltung mit einer zeugnisverweigerungsberechtigten Person in der Hauptverhandlung zu vernehmen.374 Heimlich ermittelnde Personen dürfen sich aber jedenfalls nicht über die Verbote des § 136a hinwegsetzen.375 Allerdings ergibt sich auch hier aus einer Zusammenschau mit den §§ 110a ff., dass das in § 136a enthaltende Täuschungsverbot (ob analog oder direkt) im Rahmen heimlicher Ermittlungen nur eingeschränkt anwendbar sein kann. § 110a Abs. 2 erlaubt dem VE, über seine Identität zu täuschen. Wollte man schon in dieser vom Gesetzgeber explizit erlaubten (Identitäts-)Täuschung eine „verbotene“ Täuschung i.S.d. § 136a erblicken, würde man sich in Widerspruch zur Gesetzeslage setzen.376 Dass das Täuschungsverbot auch im Rahmen heimlicher Ermittlungen aber nicht völlig außer Kraft gesetzt ist, zeigt sich bereits in § 110c S. 2. Dort wird festgestellt, dass das Einverständnis des Wohnungsinhabers zum Betreten einer Wohnung nicht durch eine über die Benutzung der Legende hinausgehende Täuschung (wie z. B. das Ausgeben als Beamter oder als „Gasmann“377) erlangt werden darf. Aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber diesen speziellen Fall ausdrücklich geregelt hat, kann aber nicht geschlossen werden, dass in allen anderen Fällen jede Art von Täuschung gestattet ist.378 Vielmehr liegt es nahe, dass der Gesetzgeber hier eine explizite Regelung mit Blick auf Art. 13 GG für notwendig erachtet hat, ohne das Täuschungsverbot des § 136a im Rahmen heimlicher Ermittlungen auf diesen Fall beschränken zu wollen.379 Muss man nach dem oben zum Nemo-tenetur-Grundsatz Ge372

BGHSt 42, 139 (147 f.) = NJW 1996, (2941 f.); s. zu dieser Entscheidung schon o. Fn.

351. 373 Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 481d, f; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 33; s. zum Umgehungsgedanken Wolter, FS BGH, 2000, S. 972 ff. 374 BGHSt 40, 211, 216; zust. Finger, JA 2006, 529 (536); kritisch Wolter, FS BGH, 2000, S. 969 ff. 375 Vgl. schon o. III. 1. a) sowie Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 481e; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 34; ähnlich Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 178 ff. mit grds. Bejahung einer Täuschung i.S.v. § 136a. 376 Vgl. Rogall, NStZ 2008, 111; Duttge, JZ 2008, 262. 377 Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 110 c Rn. 1. 378 Vgl. aber Rogall, NStZ 2008, 111 der außerhalb dieser Einschränkung die Suspendierung des Täuschungsverbotes annimmt, jedenfalls soweit es sich nicht gleichzeitig um Täuschungen handelt, die bei einer offenen Vernehmung nach § 136a verboten wären (S. 113). 379 Vgl. auch Duttge, JZ 2008, der unter Verallgemeinerung der in § 110c Abs. 2 S. 2 getroffenen Grenzziehung eine verbotene Täuschung i.S.d. § 136a immer dann annehmen will, wenn sich der VE nicht auf die Täuschung über seine wahre Identität beschränkt, „sondern die

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

sagten380 davon ausgehen, dass auch Täuschungen dazu geeignet sein können, in erheblichem Maße auf die Willensfreiheit des Beschuldigten einzuwirken, so kann der Feststellung des BGH, dass heimliche Befragungen des Beschuldigten nicht mit den anderen in § 136a genannten Methoden vergleichbar seien,381 nicht gefolgt werden. Zu prüfen ist vielmehr immer, ob eine noch erlaubte List der Ermittlungsbehörden vorliegt oder die Grenze zu einer verbotenen Täuschung i.S.v. § 136a überschritten wurde. In Anlehnung an die vom EGMR aufgestellten Kriterien kann man eine verbotene Täuschung insoweit annehmen, wenn die Täuschung – über die Verdeckung der Ermittlungsabsicht hinaus – gerade darauf abzielt und dazu geeignet ist, die Hemmschwelle des Beschuldigten zur Preisgabe von selbstbelastenden Information zu überwinden, der Aussagebereitschaft des Beschuldigten also „nachgeholfen“ wird.382 3. Beispiele selbständiger Beweisverwertungsverbote Bei selbständigen Verwertungsverboten geht es um einen Eingriff in ein Recht, dass – unabhängig von der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der zugrunde liegenden Beweiserhebung – das Strafverfolgungsinteresse zurücktreten lässt. Ein solches Recht lässt sich nur aus den Grundrechten, insbesondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, herleiten. Deshalb kann man auch von verfassungsrechtlichen Verwertungsverboten sprechen.383 Liegen solche vor, tritt auch eine „Vorwirkung“384 im Hinblick auf die Beweiserhebung ein; auch sie ist als (verfassungs-)rechtswidrig zu betrachten.385 Nach der vom BVerfG386 begründeten Sphärentheorie ist zwischen dem Sozialbereich (1. Sphäre), der schlichten Privatsphäre (2. Sphäre) und der Intimsphäre (3. Sphäre) zu unterscheiden. Während Eingriffe in diese – als unantastbarem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung – immer zu einem Verwertungsverbot führen, besteht in der ersten Sphäre kein Verwertungsverbot und ist bei der zweiten Sphäre eine Verhältnismäßigkeitsprüfung mit besonderer Betonung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse) vorzunehmen.387 Die Sphärentheorie hat teilweise Aussagebereitschaft des Observierten durch weitere (zum führen der Legende nicht notwendigen) Täuschungen bestärkt oder erst hervorruft, mithin bei der Entschließung des Verdächtigen zur Preisgabe selbstbelastender Informationen ,nachhilft.“ (264). 380 Vgl. vorheriger Abschnitt (1) bei Fn. 353, 363. 381 BGHSt 42, 139 (149) = NJW 1996, 2942. 382 Duttge, JZ 2008, 264. 383 Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 215. 384 Zu diesem Begriff auch – im Zusammenhang mit der Fernwirkung – u. Fn. 790. 385 Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 216. 386 BVerfGE 34, 238, 245 ff.; 109, 279. 387 Vgl. auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 55 ff.; Chao, Beweisverbote, 2009, S. 60 ff.; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 296 ff.; zum Schutz der Privat-

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gesetzlichen Niederschlag gefunden, etwa in der neuen Regelung zum großen Lauschangriff (§ 100c, d);388 ohne eine solche gesetzliche Konkretisierung bietet sie aber keine sicheren Abgrenzungskriterien.389 Sie begünstigt eine ergebnisorientierte Zuordnung der Eingriffsmaßnahme zu eine der genannten Sphären, je nachdem ob man eine Verwertbarkeit bejahen oder ablehnen will.390 Überdies ist ihr der BGH ursprünglich nicht gefolgt, sondern hat fallabhängige Abwägungen auch bei die Intimsphäre betreffenden Eingriffe vorgenommen.391 Ähnlich wird in der Literatur ein absolutes Verwertungsverbot wegen bloßen Intimschutzes mit Blick auf den Sozialbezug strafrechtlich relevanter Inhalte, etwa eines Tagebuchs, abgelehnt.392 Die darin zum Ausdruck kommende Beliebigkeit zeigt sich gerade auch in den Tagebuchfällen. Hier wird von Fall zu Fall entschieden, obwohl man meinen könnte, dass Tagebuchaufzeichnungen per se zum Intimbereich gehören und damit eine Verwertbarkeit ausgeschlossen ist. So wurde etwa die Heranziehung eines Tagebuchs zur Verurteilung wegen Meineids abgelehnt,393 zur Verurteilung eines mehrmaligen Frauenmörders, der seine Tötungsgelüste seinem Tagebuch anvertraut hat, aber bejaht.394 In beiden Fällen wurde das Ergebnis über eine an sich überzeugende Abwägung im Rahmen der zweiten Sphäre begründet, doch liegt das Problem in der Zuordnung beider Fälle zu der gleichen Sphäre. Denn jedenfalls die Feststellung einer schweren seelischen Abartigkeit wie Tötungsgelüste zählt zum Intimbereich und wird nicht dadurch zu schlichter Privatsphäre, dass diese internen Gelüste auch externalisiert werden.395 Im Widerspruch dazu steht es schließlich auch, wenn der BGH das im Krankenhauszimmer geführte Selbstgespräch des Beschuldigten dem Intimbereich (erstmals!) zuordnet und dessen heimliche Aufzeichnung wegen Verstoßes gegen Art. 13 I i.V.m. Art. 1 I, 2 I GG für unverwertbar erklärt.396 Denn auch in diesem Fall handelt es sich – wie im Tagebuchfall – um die Externalisierung innerster Gedanken und Gefühle mit dem einzigen Unterschied – abgesehen von der zusätzlichen Verletzung von Art. 13 GG (Abhören im Krankenhauszimmer!)397 –, dass diese Gedanken beim Tagebuch schriftlich fixiert und beim Selbstgespräch nur mündlich geäußert werden. Die unterschiedliche Form ändert aber am Inhalt sphäre mittels eines Verwertungsverbots aus rechtsvergleichender Sicht Thaman, FS Eser, 2005, S. 1045 ff. 388 Vgl. o. III. 2. Fn. 130 ff. und Haupttext. 389 Krit. auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 56. 390 Krit. auch Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 39; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 83 f. 391 Vgl. Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 216 f. m.w.N. 392 Vgl. Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 216 f.; ders., GA 2008, 491; zur Parallele zur Beichte vgl. Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 201 ff. 393 BGHSt 19, 325. 394 BGHSt 34, 397; nach BVerfGE 80, 367 verfassungsgemäß (4:4 Entscheidung!). 395 Ebenso Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 39; Finger, JA 2006, 529 (537); krit. auch Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 218; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 84; Jäger, GA 2008, 484. 396 BGHSt 50, 206 = NJW 2005, 3295. 397 Dies betont Jäger, GA 2008, 491.

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1. Kap.: Grundlagen und Kasuistik

nichts und deshalb kann die unterschiedliche rechtliche Beurteilung – dort nur schlichte Privatsphäre und Verwertbarkeit, hier Intimbereich und keine Verwertbarkeit – auch nicht überzeugen.398

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Krit. auch Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 219; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 56; a.A. Finger, JA 2006, 529 (537).

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Zweites Kapitel

Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht Die Einwirkung völkerrechtlicher Normen auf das nationale Prozessrecht setzt zunächst voraus, dass diese Normen für Deutschland verbindlich und unmittelbar anwendbar sind. Die innerstaatliche Verbindlichkeit ergibt sich bei völkerrechtlichen Verträgen aus der gesetzgeberischen Transformation aufgrund Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG und bei Völkergewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen aus Art. 25 GG. Die unmittelbare Anwendbarkeit („self-execution“) hängt von der Bestimmtheit der betreffenden Norm ab und ist durch Auslegung zu ermitteln.399 Freilich besteht in der deutschen Strafverfahrenspraxis und -lehre keine Einigkeit, wie mit Völkerrechtsverstößen umzugehen ist.400 Im völkerrechtlichen Außenverhältnis begründet die Verletzung einer völkerrechtlich verbindlichen Norm die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des betreffenden Staates. Der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH) hat schon 1928 im berühmten Chorzow-Fall festgestellt, „that the breach of an engagement involves an obligation to make reparation in an adequate form.“401 Der Ausgleich müsse dabei so beschaffen sein, dass er – soweit möglich –, „wipe-out all the consequences of the illegal act and re-establish the situation which would, in all probability, have existed if that act had not been committed.“402 Es soll also der status quo ex ante wieder hergestellt werden, der Verletzte soll soweit wie möglich so gestellt werden, als wäre die Rechtsverletzung nicht geschehen.403 Welches Mittel dafür geeignet ist, hängt vom Einzelfall und vom Zweck der verletzten Norm ab. Schützt die verletzte Norm auch subjektive Rechte des Betroffenen, kommen auch Ausgleichsmaßnahmen im

Vgl. jüngst BVerfG NStZ 2007, 159 (160) = StV 2008, 1 (2) m.w.N. Weigend, FS Lüderssen, 2002, S. 463 (474 f.) mit Beispielen; zum Umgang mit Verstößen gegen Art. 6 EMRK s.a. Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 10 Rn. 15 ff. 401 StIGH, Factory at Chorzow, Jurisdiction, 1927, P.C.I.J., Series A, No. 9, S. 21. (VölkerR I 90 – 03 A, 1). 402 StIGH, o. Fn. 401, S. 47. 403 Zu Art und Umfang der Wiedergutmachung s. Ipsen-Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, 2004, § 41 Rn. 64 ff. (66) und Kimminich/Hobe, Völkerrecht, 2008, S. 243; Herdegen, Völkerrecht, 2009, § 60 Rn. 1 ff. (S.405). 399 400

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

Rahmen des gegen den Betroffenen geführten Strafverfahrens in Betracht,404 u. U. auch ein Beweisverwertungsverbot.405

1. Art. 36 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) a) Allgemeines Art. 36 Abs. 1 (Verkehr mit Angehörigen des Entsendestaats) des – für Deutschland verbindlichen – Wiener Konsularrechtsübereinkommens406 lautet: „(1) Um die Wahrnehmung konsularischer Aufgaben in Bezug auf Angehörige des Entsendestaats zu erleichtern, gilt folgendes: a) […] b) die zuständigen Behörden des Empfangsstaats haben die konsularische Vertretung des Entsendestaats auf Verlangen des Betroffenen unverzüglich zu unterrichten, wenn in deren Konsularbezirk ein Angehöriger dieses Staates festgenommen, in Straf- oder Untersuchungshaft genommen oder ihm anderweitig die Freiheit entzogen ist. Jede von dem Betroffenen an die konsularische Vertretung gerichtete Mitteilung haben die genannten Behörden ebenfalls unverzüglich weiterzuleiten. Diese Behörden haben den Betroffenen unverzüglich über seine Rechte auf Grund dieser Bestimmung zu unterrichten; […] (2) Die in Abs. 1 genannten Rechte sind nach Maßgabe der Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften des Empfangsstaats auszuüben; hierbei wird jedoch vorausgesetzt, dass diese Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften es ermöglichen müssen, die Zwecke vollständig zu verwirklichen, für welche die in diesem Artikel vorgesehenen Rechte eingeräumt werden.“407

Art. 36 Abs. 1 (b) gewährt nach Ansicht des Internationalen Gerichtshofs (IGH) einem festgenommenen ausländischen Beschuldigten ein subjektives Recht auf konsularische Unterstützung bei der effektiven Wahrnehmung der eigenen Verteidigungsrechte und verpflichtet die Behörden des Empfangs- bzw. Festnahmestaates insoweit zu einer Belehrung.408 Da die mit diesem Recht verfolgten Zwecke vollständig 404

s. Weigend, FS Lüderssen, 2002, S. 469. Weigend, FS Lüderssen, 2002, S. 475; s.a. Kreß, GA 2004, 691, der aber darauf hinweist, dass das aus dem Schadensersatzrecht stammende Restitutionsgebot nicht ohne weiteres auf das (straf-)gerichtliche Verfahren übertragbar ist. Vielmehr seien hier die Eigenheiten eines solchen Verfahrens zu berücksichtigen (S. 705). 406 BGBl. 1969 II S. 1585. 407 Herv.d.Verf. 408 IGH, LaGrand Case (Germany v. United States of America), Judgement of 27. 6. 2001, I.C.J. Reports 2001, para. 77, 90 (deutsch in EuGRZ 2001, 287 und JZ 2002, 91); bestätigt von IGH, Avena and other Mexican nationals (Mexico v. United States of America), Judgement of 31. 3. 2004, I.C.J. Reports 2004, para. 85 ff. (88), 112, 121; beide Urteile abrufbar unter Der IGH hat in LaGrand, para. 78, 126 aber – entgegen dem deutschen Vortrag – Art. 36 I WÜK nicht als Menschenrecht angesehen; offenlassend BVerfG NStZ 2007, 159 (159 f.) = NJW 2007, 499 = StV 2008, 1. 405

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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zu verwirklichen seien (vgl. Art. 36 Abs. 2), müsse auch eine Rügemöglichkeit im Strafverfahren bestehen.409 Dieser subjektiv rechtliche Ansatz des IGH setzt das ursprüngliche Verständnis des BGH, wonach Art. 36 WÜK „nur“ das „Verschwindenlassen“ von Staatsangehörigen des Entsenderstaates verhindern solle,410 für das deutsche Strafverfahrensrecht außer Kraft, denn die Art. 36 durch den IGH gegebene Auslegung ist maßgebliches deutsches Recht und insoweit auch von deutschen Gerichten zu beachten.411 Im Ergebnis ist Art. 36 als eine Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren zu sehen.412 Müssen sich damit die Strafgerichte mit den möglichen Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 36 auseinandersetzen,413 so ist die Art dieser Folgen weder völkernoch verfassungsrechtlich vorgezeichnet. Der IGH stellte lediglich fest, „that the review and reconsideration […] should be effective. […] in cases where the individuals concerned have been subjected to prolonged detention or convicted and sentenced to severe penalties, […] it would be incumbent upon […][the state] to allow the review and reconsideration of the conviction and sentence by taking account of the violation of the rights set forth in the Convention.“414 Der Staat muß also eine effektive Überprüfung in einem justizförmigen Verfahren ermöglichen, eine Lösung im Gnadenwege reicht nicht aus.415 Das Ziel einer solchen Überprüfung müsse dabei sein „to ascertaining whether in each case the violation of Article 36 committed by the competent authorities caused actual prejudice to the defendant in the process of administration of criminal justice.“416 Auch für das Bundesverfassungsgericht sind die Rechtsfolgen „verfassungsrechtlich nicht festgelegt“, sondern vom BGH zu bestimmen.417

409

LaGrand (o. Fn. 408), para. 90; Simma, FS Tomuschat, 2006, S. 423 (432); zust. Schomburg/Schuster, NStZ 2008, 594. 410 So noch BGH StV 2003, 57. 411 Vgl. BVerfG NStZ 2007, 159 (160). Vgl. auch Kreß, GA 2007, 296 (304); Weigend, StV 2008, 39 f.; Paulus/Müller, StV 2009, 495 (496). – Anders aber der U.S. Supreme Court in der Sache Sanchez-Llamas v. Oregton, 126 S.Ct. 2669 (2006), wo der IGH Auslegung zwar eine „respectful consideration“ (i.S.v. Breard, 118 S.Ct. 1352) zugestanden wurde, aber im Ergebnis eben keine verpflichtende Wirkung (S. 2683). 412 BVerfG NStZ 2007, 159 (160) = StV 2008, 1 (2); vgl. auch Paulus/Müller, StV 2009, 495. 413 s. IGH, Avena (Fn. 408), para. 131. 414 IGH, LaGrand (Fn. 408), para. 125. In Avena präzisierte das Gericht diese Anforderungen dahingehend, „that what is crucial in the review and reconsideration process is the existence of a procedure which guarantees that full weight is given to the violation of the rights set forth in the Vienna Convention, whatever may be the actual outcome of such review and reconsideration.“ (IGH, Avena, Fn. 408, para. 138; Herv. d. Verf.). 415 IGH, Avena (Fn. 408), para. 128 ff. Vgl. Paulus/Müller, StV 2009, 497 f.; zu den damit verbundenen revisionsrechtlichen Fragen vgl. Weigend, FS Lüderssen, 2002, S. 476 f.; Kreß, GA 2004, 303 ff. 416 IGH, Avena (Fn. 408), para 121. 417 BVerfG NStZ 2007, 160.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

b) Kompensation eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 WÜK Wie wir gesehen haben, hat die Rechtsprechung des IGH und des BVerfG die Frage der konkreten Rechtsfolge – über die gerichtliche Überprüfbarkeit hinaus – offen gelassen. Der IGH hat dies trotz der Ansicht Mexikos, der Belehrungsausfall müsse „as an aspect of restitutio in integrum“ immer ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen, getan.418 Das BVerfG hat die Frage eines Beweisverwertungsverbots durch Verweis auf die Abwägungslehre in der Sache in das Ermessen der Tatsacheninstanz gestellt.419 Der 1. Senat des BGH hat diese Möglichkeit offengelassen,420 der 3. und 5. Senat des BGH sie jedoch verworfen.421 Im Ergebnis ist dieser zuletzt genannten Ansicht aus mehreren Gründen im Grundsatz zuzustimmen.422 Zunächst knüpft Art. 36 WÜK die Belehrungspflicht nicht an den Zeitpunkt des Beginns der Vernehmung, sondern an den Zeitpunkt der Festnahme. Eine der Festnahme vorausgehende Beschuldigtenvernehmung fällt damit nicht in den Schutzbereich der Vorschrift.423 Ab dem Zeitpunkt der Festnahme haben die Behörden des Festnahmestaates „den Betroffenen unverzüglich über seine Rechte auf Grund dieser Bestimmung zu unterrichten“,424 doch bedeutet dies nach Ansicht des IGH nicht „unmittelbar“ nach der Festnahme,425 wobei allerdings erst nach 40 Stunden zu spät sein soll.426 Auch zwingt Art. 36 WÜK den Festnahmestaat nicht, mit der Vernehmung abzuwarten, bis die Kontaktaufnahme zwischen dem Beschuldigten und dem verständigten Konsulat erfolgt ist. Nur wenn dies der Fall wäre, könnte der ggf. über das Konsulat vermittelte Verteidiger Einfluss auf das Aussageverhalten des Beschuldigten nehmen. Die Vor418

IGH, Avena, para 126 f. Mexico vertrat die Ansicht, dass der IGH die USA wegen einer „exclusionary rule as a general principle of law“ zum Ausschluss der vor der Belehrung nach Art. 36 WÜK erfolgten Aussagen verpflichten könne. Ablehnend auch Kreß, GA 2004, 706, mit dem Hinweis, dass Art. 69 VII IStGH-Statut nicht einmal die Verletzung anerkannter Menschenrechte mit einem kategorischen Beweisverwertungsverbot belegt. 419 BVerfG NStZ 2007, 160 f. 420 BGHSt 52, 38 = NJW 2007, 3587. 421 BGHSt 52, 48 (54 f.) = NJW 2008, 307 (309) und BGHSt 52, 110 (114 ff.) = NJW 2008, 1090 (1091 f.). 422 I. E. ebenso Schomburg/Schuster, NStZ 2008, 595; für ein Verwertungsverbot aber T. Walter, JR 2007, 99 (102); Gaede, JZ 2008, 416 (423); Deiters, ZJS 2008, S. 214 f.; tendenziell auch Paulus/Müller, StV 2009, 499 f. mit eingehender Kritik am BGH, der den Schutzgehalt von Art. 36 WÜK verkenne; offenlassend Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 36. 423 IGH, Avena (Fn. 408) para. 87 („cannot be interpreted to signify that the provision of such information must necessarily precede any interrogation, so that the commencement of interrogation before the information is given would be a breach of Article 36“); zust. BVerfG NStZ 2007, 161. 424 Herv.d.Verf. 425 Vgl. IGH, Avena (Fn. 408), para. 85 („(…) neither the terms of the Convention as normally understood, nor its object and purpose, suggest that without delay is to be understood as immediately upon arrest and before interrogation“). 426 IGH, Avena (Fn. 408), para. 89. Weigend, StV 2008, 40 schlägt 24 Stunden nach der Inhaftierung vor.

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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schrift kann also nicht den Zweck haben, den beschuldigten Ausländer in der Vernehmungssituation vor einer selbstbelastenden Einlassung zu schützen.427 Schließlich ist festzustellen, dass Art. 36 WÜK den Festnahmestaat lediglich dazu verpflichtet, den Kontakt des Beschuldigten zu seinem Konsulat herzustellen und ihm damit die Aussicht auf konsularische Unterstützung zu verschaffen. Art. 36 selbst verpflichtet das Konsulat aber nicht zum Tätigwerden, eine solche Pflicht folgt allenfalls aus diplomatischem Schutzrecht.428 Nach alldem kommt Art. 36 WÜK nur „mittelbare Relevanz“ für die Stellung des ausländischen Beschuldigten im Strafverfahren zu429 und die dort unterlassene Belehrung ist insoweit nicht mit der – ein Verwertungsverbot begründenden430 – bei § 136 StPO zu vergleichen.431 Ein Verstoß gegen Art. 36 I WÜK wiegt damit wesentlich weniger schwer als ein Verstoß gegen § 136,432 weshalb auch eine so drastische Rechtsfolge wie ein generelles Verwertungsverbot abzulehnen ist.433 An diesem Ergebnis ändert sich auch dadurch nichts, dass ein Verstoß gegen Art. 36 I WÜK – neben der individuellen Rechtsverletzung – auch eine völkerrechtliche Vertragsverletzung darstellt. Denn eine solche „kollektive“ Verletzung zieht mit der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit eine auf einer völlig anderen Ebene liegende Rechtsfolge nach sich. Im Übrigen kann man – auch wenn man die Annahme eines Verwertungsverbots für die „effektivste Form“, der völkerrechtlichen Norm des Art. 36 WÜK angemessene Geltung zu verleihen, hält434 – nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass alleine schon „das Eigengewicht des völkerrechtlichen Verstoßes“ ausreicht, um im Wege einer Abwägung zur generellen Unverwertbarkeit einer solchen Aussage zu gelangen.435 Wenn danach also der Schutzzweck von Art. 36 grundsätzlich gegen ein Beweisverwertungsverbot spricht, so sind doch Situationen denkbar, in denen der Belehrungsausfall kausal für die selbstbelastende Aussage des Beschuldigten geworden 427

s. Kreß, GA 2004, 296 (304); ebenso Weigend, StV 2008, 40. Vgl. Verdross/Simma, Völkerrecht, 1984, §§ 1226 ff., 1300 ff.; Doehring, Völkerrecht, 2004, Rn 82 ff., 858, 868 ff. 429 Weigend, StV 2008, 42. 430 Vgl. 1. Kap. IV. 2. a) bei Fn. 258. 431 BVerfG NStZ 2007, 161; BGH NJW 2008, 1092; so auch Weigend, StV 2008, 42 f. Deshalb kommt entgegen S. Walter, HRRS 2004, 126 ff. auch eine Aufnahme der Belehrungspflicht aus Art. 36 WÜK in § 136 nicht in Betracht. 432 Ähnlich Kreß, GA 2004, 707 („deutlich geringere verfahrensrechtliche Dignität“); Weigend, StV 2008, S. 42. 433 Vgl. auch Weigend, StV 2008, 42 dort insbes. Fn. 51, der eine schwache Gewichtung des Verstoßes auch durch den Umstand gestützt sieht, dass der IGH, Avena, para. 122 f. dem Verlangen Mexikos als Form der „restitutio in integrum“, das Verfahren auf den status quo ante zurückzusetzen, d. h. alle ab der Festnahme erfolgten Verfahrensschritte als ungeschehen zu betrachten, nicht gefolgt ist. 434 So Paulus, StV 2003, 57. 435 Kreß, GA 2004, 305. 428

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

sein kann.436 Dies wäre etwa anzunehmen, wenn das auf Verlangen des Beschuldigten informierte Konsulat ihm vor der relevanten Vernehmung einen Verteidiger vermittelt und dieser ihn von der selbstbelastenden Aussage abgehalten hätte.437 In einer solchen – allerdings praktisch schwer nachweisbaren – Situation könnte völkerrechtliche Wiedergutmachung nur durch die Herstellung des status quo ante, also durch die Nicht-Verwertung der nun einmal in der Welt befindlichen Aussage des Beschuldigten, geleistet werden.438 Nach Velten439 und im Anschluss daran Deiters440 könne sich die unterlassene Belehrung auch anderweitig für den Beschuldigten belastend auswirken. Diene Art. 36 WÜK – wie vom BGH ursprünglich angenommen – (auch) dazu, das Verschwinden ausländischer Gefangener zu verhindern, so folge daraus, dass sich der Beschuldigte bereits durch die Inhaftierung „subjektiv einem verstärkten Druck“ ausgesetzt sehen könne441 und dies, gekoppelt mit der Furcht vor dem Verschwinden, könne auch die Aussagefreiheit massiv beeinträchtigen.442 Durch die Belehrung könne der Festnahmestaat die Befolgung internationaler Rechtsstandards deutlich machen und damit dem (ausländischen) Inhaftierten seine Furcht nehmen. Bei nicht im Inland lebenden Ausländern komme deshalb ein Beweisverwertungsverbot beim Vorliegen einer „ausländerspezifischen Hilflosigkeit“ sowie dann in Betracht, „wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der im Inland nicht heimische Ausländer sich möglicherweise aus Sorge vor staatlichem Unrecht einem verstärkten Kooperationsdruck ausgesetzt sah.“443 Wird man nicht bestreiten können, dass eine Situation „ausländerspezifischer Hilflosigkeit“ Einfluss auf das Aussageverhalten haben kann, so wäre doch vor Annahme eines Verwertungsverbots zunächst der Nachweis zu erbringen, dass eine evtl. belastende Aussage auf die Haftsituation zurückzuführen war.444 Zudem könnte dieses Verwertungsverbot – im Sinne der vorgetragenen Argumentation – nur gegenüber den besonders hilflosen, nicht im Festnahmestaat aufenthältigen Ausländern eingreifen, es setzt also eine Unterscheidung – zwischen diesen und „echten“ Ausländern – voraus, die sich Art. 36 nicht entnehmen lässt.

Lehnt man ein Verwertungsverbot ab, kommt als Kompensation für den Verstoß gegen Art. 36 WÜK grundsätzlich ein Strafabschlag, eine Geldentschädigung oder eine bloße revisionsrechtliche Kontrolle in Betracht. Die vom 1. Strafsenat des 436

Zur Frage der Beweislast s. Kreß, GA 2004, 305 f. Weigend, StV 2008, S. 43. 438 Vgl. Weigend, FS Lüderssen, 2002, S. 468, 475; Kreß, GA 2004, 305; Paulus/Müller, StV 2009, 499 (in diesem Fall „streiten gewichtige völkerrechtliche Gründe für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots“), 500 („gute Gründe für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots“). 439 Velten, ZJS 2008, 76 (79). 440 Deiters, ZJS 2008, 212 (215). 441 Deiters, ZJS 2008, 215. 442 Velten, ZJS 2008, 79, die daher die Begründung eines Beweisverwertungsverbots entweder direkt über Art. 36 WÜK oder auch über § 136 StPO für möglich hält; in diesem Fall allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Belehrung bzw. ggf. das Eingreifen des Konsulats Einfluss auf das Aussageverhalten des Angeklagten gehabt hätte. 443 Deiters, ZJS 2008, 215; zu einer solchen ausländerspezifischen Hilflosigkeit auch Paulus/Müller, StV 2009, 499 f. 444 Auf den entsprechenden Kausalitätsnachweis will Deiters, ZJS 2008, 215 verzichten. 437

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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BGH vorgeschlagene Widerspruchslösung445 wird hingegen den vom IGH aufgestellten Anforderungen nicht gerecht, denn sie macht die gerichtliche Überprüfung (Revision) von der Rüge der unterbliebenen Belehrung in der Hauptverhandlung abhängig, belastet also – ähnlich wie die US-amerikanische procedural default rule446 – den Angeklagten mit einer Mitwirkungshandlung, obwohl er selbst Opfer der staatlichen Rechtsverletzung geworden ist.447 Ein Widerspruch gegen die unterbliebene Belehrung kann auch deshalb nicht gefordert werden, weil er nach zutreffender – auch hier vertretener – Ansicht nicht zu einem Verwertungsverbot führt und somit ins Leere ginge.448 Abgesehen davon kann der Belehrungsausfall dazu führen, dass der Festgenommene überhaupt keinen Verteidiger hat, der die Verletzung geltend machen und einer evtl. Verwertung widersprechen könnte.449 Im Übrigen sollte ein „genereller“ Widerspruch ausreichen, um die Diskonformität des Angeklagten mit der Verwertung des Beweismittels deutlich zu machen.450

Demgegenüber will der 5. Senat die – vom Großen Senat für die Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen an Stelle der bisherigen Strafzumessungslösung eingeführten451 – sog. „Anrechungs- oder Vollstreckungslösung“ anwenden.452 Den danach zu gewährenden Vollstreckungsrabatt hielt der Senat wenigstens für die Fälle geboten, in denen der Angeklagte eine erhebliche Strafe erhalten hat und die Belehrung nach Art. 36 WÜK nicht alsbald nachgeholt worden ist. Die bloße Feststellung des Verstoßes reiche insoweit in der Regel nicht aus. Der Senat berief sich dabei ausdrücklich auf die Kompensationspraxis des EGMR bei Verstößen gegen den in Art. 6 EMRK verorteten Beschleunigungsgrundsatz,453 ließ allerdings offen, ob ein solches Vorgehen auch in Fällen „geringerer Schwere“ geboten ist. Allerdings erwog er für diese Fälle die Kompensation durch die Gewährung einer finanziellen Entschädigung in analoger Anwendung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen oder durch Kostennachlass.454 Demgegenüber hat der 3. Senat des BGH die Anwendung der Vollstreckungslösung in diesen Fällen abgelehnt.455 Insoweit komme nur eine Revision gemäß §§ 337, 338, 353, 354 StPO in Betracht, wenn das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruhe. Es sei „dem Staat verwehrt, 445

BGHSt 52, 38 (41 ff.). Dazu in anderem Zusammenhang schon o. bei Fn. 262. Dazu Paulus/Müller, StV 2009, 497. 447 Zu Recht krit. Paulus/Müller, StV 2009, 498. Allgemein krit. zur Widerspruchslösung schon 1. Kap. IV. 2. a) mit Fn. 262, 268 ff. 448 Vgl. Weigend, StV 2008, 43; i.E. auch BGH NJW 2008, 1091. 449 Vgl. Kreß, GA 2004, 306. 450 Vgl. Velten, ZJS 2008, S. 83; in diesem Sinne auch BGH NJW 2008, 308 f. 451 BGH GrS, Beschl. v. 17.01.2008 – GSSt 1/07 = NJW 2008, 234; dazu krit. Scheffler, ZIS 2008, 269 ff. 452 BGHSt 52, 48 (55 ff.) = NJW 2008, 307, 309; zust. Schomburg/Schuster, NStZ 2008, 596 f. Zur Vollstreckungslösung eingehend Keiser, GA 2008, 686 ff. 453 Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 10 Rn. 15. 454 BGHSt 52, 48 (58) = BGH NJW 2008, 310 (i.E. offen lassend). 455 BGHSt 52, 110 (118). 446

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

dem Angeklagten Verfahrensverstöße, die sich auf das Urteil ausgewirkt haben, durch einen Vollstreckungsrabatt gewissermaßen „abzuhandeln“; denn dies würde auf die Dauer zu einer nicht hinnehmbaren Relativierung des Verfahrensrechts führen.“456 Tatsächlich besteht das Problem der Vollstreckungslösung darin, dass sie für andere Fälle als die Kompensation einer erheblichen Verfahrensverzögerung nur schwer begründbar ist. Denn während in diesem Fall ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verfahrensfehler und der Kompensation insoweit besteht, als ihnen der zeitliche Aspekt gemeinsam ist, fehlt es an einem solchen Zusammenhang bei einer autonomen fair trial Verletzung.457 Gaede macht insoweit zutreffend geltend, dass „das Recht auf Verfahrensbeschleunigung und das Recht auf ein faires Verfahren, das die effektive Verteidigungsteilhabe vor und bezüglich der Urteilsfindung garantiert, … in erster Linie eigenständige und sachlich verschiedene Rechte“ sind. Bei einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren müsse „eine verletzungsverhindernde Heilung bzw. ein Nachteilsausgleich im Verfahren selbst erfolgen, damit dann das Urteil und seine Rechtsfolgen tatsächlich auf ein faires Verfahren gestützt werden können.“458 Auch wird mit der Vollstreckungslösung die vom IGH geforderte effektive gerichtliche Überprüfung gerade nicht vorgenommen.459 Prozessdogmatisch kann die Vollstreckungslösung also nicht überzeugen.460 Als Kompensation bleibt damit nur eine finanzielle Entschädigung,461 konsequenter wäre jedoch mit Blick auf die völker- und verfassungsrechtlichen Vorgaben die Schaffung eines absoluten Revisionsgrundes in § 338 StPO462 und eines Wiederaufnahmegrundes.463 456

BGHSt 52, 110 (118); zust. Kraatz, JR 2008, 189 (194). Vgl. auch Weigend, StV 2008, 44 („auf ganz unterschiedlichen Feldern“, „schlicht nichts miteinander zu tun“); Scheffler, ZIS 2008, 278; s. auch Deiters, ZJS 2008, 214 f., wonach etwas anderes nur im adversatorischen Strafprozess gelten könne, wenn man die ratio des Art. 36 WÜK auch darin erblicken wollte, „dass dem Beschuldigten ein vom Konsulat vermittelter engagierter Verteidiger beigeordnet wird, der frühzeitig auf eine für den Beschuldigten günstige Absprache hinwirkt.“ (unter Verweis auf Kreß, GA 2004, 307). 458 Gaede, JZ 2008, 416 (423) (Herv. im Orginal). Vgl. auch Walter, JR 2007, der darauf hinweist, dass „ die Strafe […] die Schuld des Verurteilten abgelten und idealerweise präventive Wirkungen entfalten [soll], aber nicht den Staat für ein besonders ordnungsgemäßes Verfahren belohnen soll.“ Allerdings will er eine Kompensation über eine Strafmilderung ausnahmsweise zulassen, wenn der Beschuldigte anderenfalls überhaupt keine Kompensation für den Rechtsverstoß erfahren würde, weil er sich nicht zur Sache eingelassen hat (S. 102). 459 Krit. insoweit Paulus/Müller, StV 2009, 500 ff., für die im Übrigen die Bestimmung der bereits vollstreckten Strafe an „Willkür grenzt“ (501, 502). 460 Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vollstreckungslösung hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundatz und dem Resozialisierungsgebot sowie konkreten Vorschlägen entsprechender Gesetzesänderungen s. Keiser, GA 2008, 691 ff. 461 Vgl. Weigend, StV 2008, 44. Zur Begründung eines öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs bei Nicht-Anwendbarkeit der Vollstreckungslösung vgl. auch Volkmer, NStZ 2008, 608 (609 ff.). 462 In diesem Sinne auch Paulus/Müller, StV 2009, 498. 463 Kreß, GA 2007, 307 f.; Paulus, StV 2003, 60, zur Wiederaufnahme mit Verweis auf den Pakelli-Beschluss des BVerfG (= EuGRZ 1987, S.203); Weigend, FS Lüderssen, 2002, S. 470 ff. 457

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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2. Beweisverwertungsverbote in der grenzüberschreitenden Beweisrechtshilfe Mangels eines einheitlichen supranationalen europäischen Beweisrechts464 findet die grenzüberschreitende Beweisermittlung auch im europäischen Raum im Wesentlichen465 weiterhin im Rahmen der Rechtshilfe statt. Beweisverwertungsverbote können sich dabei sowohl aus der – für die Frage der Verwertung maßgeblichen466 – Rechtsordnung des ersuchenden Staates als auch aus übergeordneten völkerrechtlichen Grundsätzen ergeben. Während die ordnungsgemäß, also im Einklang mit den völkerrechtlichen und innerstaatlichen Vorschriften, durchgeführte Rechtshilfe in der Regel keine Verwertungsprobleme aufwirft [sub a)], können die im Rahmen der nicht ordnungsgemäß durchgeführten Rechtshilfe begangenen Völkerrechtsverstöße zu Verwertungsverboten führen [sub b)]. a) Ordnungsgemäße Beweisrechtshilfe Nach dem Grundsatz locus regit actum ist hinsichtlich der Rechtshilfehandlung das Recht des ersuchten Staates maßgeblich.467 Dementsprechend sagt Art. 3 Abs. 1 EuRhÜbk, dass der ersuchte Staat das Ersuchen „in der in seinen Rechtsvorschriften vorgesehenen Form“ erledigen kann.468 Tut er dies nicht, verstößt er also und StV 2008, S. 44, der die Frage aufwirft, ob die Forderung nach Reversibilität des Völkerrechtsverstoßes mangels Auslegungsspielraum im Nationalen Recht gangbar ist (s. dort auch Fn. 82). 464 Zu Grundsätzen für einen grenzüberschreitenden Beweistransfer grdl. Gleß, Beweisrechtsgrundsätze, 2006, S. 411 ff. (zu ihrer Lehre zusf. Ambos, GA 2008, 586 ff.); Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 255 ff. (264 ff.). 465 Vgl. aber zur „Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten“ den auf dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung (krit. Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 12 Rn. 57a, 58, 60, 65 f., § 13 Rn. 28) beruhenden Rahmenbeschluss 2008/978/JI des Rates vom 18.12.2008 (Abl. EU 30.12.2008, L 350/72); krit. dazu Zeder, ÖJZ, 2009, 992 ff.; Roger, GA 2010, 27 ff. Darüber hinausgehend nun das Grünbuch der Kommission zur „Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat“, 11.11.2009, KOM (2009) 624 endgültig. Es ist aber gerade in Deutschland sehr krit. aufgenommen worden, vgl. die zusf. Stellungnahme der Bundesregierung vom 26.2.2010, abrufbar mit zahlreichen anderen Stellungnahmen unter http://ec.europa.eu/justice_home/news/consulting_public/news_consulting_0004_en.htm (zuletzt konsultiert am 6.5.2010). Krit. auch Schünemann/Roger, ZIS 2010, 92 ff. 466 Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 96, 127; Böse, ZStW 114 (2002), 149, 152, 180; Gleß, JR 2008, 321; Beulke, Jura 2008, 663; Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 228. 467 Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 29, 105; ders., StV 2008, 396, 398; Böse, ZStW 114 (2002), 148, 150; Heger, ZIS 2007, 552 f.; Gleß, JR 2008, 317, 319; krit. zur dt. Rspr. insoweit Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 110 ff., 135 ff. 468 Europäisches Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen, www.conventions.coe.int/Treaty/Commun/QueVoulezVous.asp?NT=030&CM=8&DF=13/ 12/2005&CL=GER (BGBl. 1964 II, 1389, 1386; 1976 II, 1799; 1982 I, 2071): „Rechtshilfeersuchen in einer Strafsache, die ihm von den Justizbehörden des ersuchenden Staates zugehen und die Vornahme von Untersuchungshandlungen oder die Übermittlung von Beweisstücken,

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

gegen sein innerstaatliches Recht (etwa Leistung durch unzuständige Behörde oder eigenmächtig ohne Rechtshilfeersuchen), so greift der schon oben genannte Grundsatz469 ein, dass es für die Verwertung entscheidend auf die Rechtsordnung des ersuchenden Staates ankommt (denn schließlich sollen die erhobenen Beweise ja dort und nicht im ersuchten Staat verwendet werden). Die Rechtshilfe ist also akzessorisch zum Strafverfahren des ersuchenden Staates.470 Ein Verstoß im ersuchten Staat kann allenfalls ein Anknüpfungspunkt für ein Verwertungsverbot im ersuchenden Staat darstellen.471 Nur insoweit lässt sich eine Parallele zur Dogmatik der unselbständigen Verwertungsverbote ziehen, denn der ausländische Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung gibt immerhin Anlaß über die Verwertung im ersuchenden Staat nachzudenken.472 Führt der ersuchte Staat die Rechtshilfe ordnungsgemäß durch, so müssen die so erlangten Beweismittel – nach der locus-regit-actum-Regel – im ersuchenden Staat auch grundsätzlich verwertbar sein,473 jedenfalls wenn sie nach dessen Rechtsordnung nicht rechtswidrig erhoben wurden. Dieser Fall sog. „gekreuzter Beweiserhebungsregeln“474 kann grundsätzlich hinsichtlich aller Ermittlungsmaßnahmen zur Beweiserhebung auftreten, wenn deren Voraussetzungen in den betreffenden Staaten divergieren. Beispielhaft seien – aus der Sicht Deutschlands als ersuchendem Staat – folgende Fälle erwähnt: die Belehrung des Beschuldigten über Schweigerecht und Verteidigerkonsultation wird im ersuchten Staat nicht in Übereinstimmung mit § 136 StPO vorgenommen;475 Zeugnisverweigerungsrechte bleiben hinter § 52 Akten oder Schriftstücken zum Gegenstand haben, läßt der ersuchte Staat in der in seinen Rechtsvorschriften vorgesehenen Form erledigen.“ 469 O. Fn. 466 und Haupttext. 470 Böse, ZStW 114 (2002), 154, 181; auch Heger, ZIS 2007, 552. 471 Vgl. insoweit Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 97 ff. (121), der weiter danach differenziert, ob die durch den ersuchten Staat verletzte Vorschrift des eigenen innerstaatlichen Rechts im ersuchenden Staat eine Entsprechung hat oder nicht. In diesem Fall sei die Verwertbarkeit im ersuchten Staat hypothetisch zu prüfen. Strenger noch Böse, ZStW 114 (2002), 152, 180 m.w.N.: Verstoß gegen ausländisches Recht ganz „ohne Bedeutung“. Ganz anders wiederum Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 148 ff., für den eine als rechtswidrig qualifizierte Erhebung und ein entsprechendes Verwertungsverbot im ersuchten Staat (höheres ausländisches Schutzniveau) nicht einfach übergangen werden kann. 472 In diesem Sinne auch Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 97 ff. 473 So die h.M., vgl. RG 11, 391, 394 f.; BGH NStZ-RR, 2002, 67; BGH NStZ 2000, 547; Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf, Rechtshilfe, 2003, Rn. 174, 236 mit Fn. 119 m.w.N.; Böse, ZStW 114 (2002), 148, 150 mit Fn. 6 mit zahlreichen Nachweisen; Gleß, JR 2008, 317, 320 mit Fn. 38 m.w.N. Etwas anderes gilt aber dann, wenn den jeweiligen Rechtshilfevorschriften entsprechend, eine Zeugin im Ausland durch den beauftragten deutschen Richter nach deutschem Recht vernommen wird; dann haben die Vorschriften der StPO zu gelten (BGH NStZ 1996, 609 f.). 474 Zum Begriff Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 122, 148. 475 Vgl. Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 204 ff., 214 ff.; Keller, FS Fezer, 2008, S. 228; zu Schweigerecht auch Böse, ZStW 114 (2002), 169 ff. Für Fezer, Beweisvertwertungsverbote, 1995, S. 20 ff; ders., Strafprozeßrecht, 1995, S. 16, 29 ff., ist insoweit entscheidend, ob § 136

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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StPO zurück;476 das Geständnis wird vor einer ausländischen Vernehmungsperson abgelegt, die nicht den Status eines Richters i.S.v. § 254 StPO besitzt;477 die Datenerhebung erfolgt im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung, die nach deutschem Recht nicht hätte angeordnet werden dürfen.478 Nimmt man den Locus-regitactum-Grundsatz ernst, so kann nicht jegliche Abweichung vom Recht des (ersuchenden) Verwertungsstaats zu einem Verwertungsverbot führen, denn dies würde den Grundsatz und damit jegliche Beweisrechtshilfe praktisch unwirksam machen. Ein Verwertungsverbot kommt also nur bei einem Verstoß gegen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze (sog. ordre public479) und grundlegende (auch völkerrechtlich) anerkannte Verfahrensgarantien des Verwertungsstaates in Betracht.480 Ebenso wird man bei dem – davon zu unterscheidenden – Fall, dass die deutschen Strafverfolgungsorgane ihrer Pflicht zur Hinwirkung auf die Einhaltung des deutschen Verfahrensrechts481 nicht ausreichend nachkommen, verfahren müssen, denn auch in diesem Fall lässt sich ein Verwertungsverbot nur bei einem gewichtigen Verstoß begründen.482 Ist andererseits die Einwirkung auf den ersuchten Staat so intensiv, dass man von einer Steuerung der Beweiserhebung durch den ersuchenden Staat ausgehen kann, so muß die – unter Umständen nach dem Recht des ersuchenden Staats rechtswidrige – Beweiserhebung diesem auch zugerechnet werden.483 StPO rein individualschützend zu verstehen ist oder der Norm auch ein objektivrechtlich selbstbeschränkender Charakter hinsichtlich der Wahrheitsfindung und des Verwertungsinteresses des Staates zuerkannt wird. 476 Vgl. Böse, ZStW 114 (2002), 163 f.; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 187 ff. 477 Dazu Keller, FS Fezer, 2008, S. 227 f., 235 ff.; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 199 f.; BGHSt 7, 15; BGH NStZ 1985, 376; zum Parallelproblem bei § 251 Böse, ZStW 114 (2002), 156 ff.; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 163 ff. 478 Eingehend Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 229 ff.; auch Böse, ZStW 114 (2002), 159 ff.; Gleß, JR 2008, 317, 320 mit Fn. 30 ff. m.w.N. 479 Vgl. § 73 IRG. 480 RG GA 47, 1900, 164; BGH NStZ 1985, 376; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 122 ff. (133 f.); Keller, FS Fezer, 2008, S. 229; Gleß, JR 2008, 317, 320 f.; Beulke, Jura 2008, 663 f.; auch Böse, ZStW 114 (2002), 151, 154, der freilich die Verwertbarkeit umfassend nach den „einfach-gesetzlichen Wertungen der StPO“ beurteilen will (155). Beispiele für solche schwerwiegenden Verstöße sind: Mißachtung des Rechtsgedankens des § 252 StPO (BGH NStZ 1992, 394); keine Belehrung i.S.v. § 136 StPO (a.A. BGH Beschluß v. 14.2.2001 – 3 StR 438/00, auszugsweise in NStZ-RR 2002, 65, 67: fehlende Belehrung bei Rechtshilfevernehmung im Ausland gemäß Art. 3 I EuRhÜbK begründet kein Verwertungsverbot); Mißachtung des Frageund Konfrontationsrecht i.S.v. Art. 6 Abs. 3 (d) EMRK (vgl. Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 185 f., 253). 481 Zu dieser Pflicht BGHSt 35, 82, 83 f. = NStZ 1988, 563; 42, 86, 91. Vgl. auch Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 86, 89, 93 f. ,119; ders., StV 2008, 396, 398; Gleß, JR 2008, 317, 320. 482 In diesem Sinne (wohl) auch Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 119 ff. (121), wenn er nur von einen „Anknüpfungspunkt“ für ein Verwertungsverbot ausgeht. Strenger insoweit Gleß, JR 2008, 317, 320; Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 226, die generell von einem Verwertungsverbot ausgehen. 483 Überzeugend Keller, FS Fezer, 2008, S. 238 ff. Es ist in diesem Sinne auch unbestritten, dass deutsche Behörden die (ersuchten) ausländischen Behörden nicht zu einer i.S.d. StPO

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

Im Ergebnis wird also der Grundsatz locus regit actum mit Blick auf wesentliche Rechtsgrundsätze von dem des forum regit actum – der (ersuchende) Gerichtsstaat bestimmt die Handlung484 –verdrängt. Dem trägt auch Art. 4 Abs. 1 EU-RhÜbK485 (und Art. 12 Rahmenbeschluss Europäische Beweisordnung!486) Rechnung, denn danach muss sich der ersuchte Staat an die im ersuchenden (Mitglieds-)Staat geltenden Form- und Verfahrensvorschriften halten, wenn der ersuchende Staat diese ausdrücklich mitgeteilt hat und sie wiederum nicht den eigenen „Grundprinzipien des Rechts“ widersprechen.487 Die Vorschriften des Forumstaats beanspruchen also danach schon zum Zeitpunkt der Beweiserhebung Gültigkeit. Inhaltlich geht es – in Übereinstimmung mit den menschenrechtlichen Vorgaben – um eine faire Beweisführung488 in Übereinstimmung mit den grundlegende rechtsstaatlichen Wertungen des Forumstaats. Die Art und Weise der Beweiserhebung im ersuchten Staat beeinflusst die Verwertbarkeit nur mittelbar in den Fällen, in denen schon dort ein Verstoß gegen das innerstaatliche Recht oder das Völkerrecht stattgefunden hat. Auf diesen Fall wird sogleich [sub b)] zurückzukommen sein. Verstößt der ersuchte Staat gegen sein innerstaatliches Recht, so stellt dies lediglich einen Anknüpfungspunkt für ein Verwertungsverbot dar. Aber auch bei der hier diskutierten ordnungsgemäßen Rechtshilfe stellt die Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung nur ein schwaches Indiz für die tatsächliche Verwertbarkeit im Forumstaat dar, denn letztlich kommt es eben auf seine Wertungen, jedenfalls mit Blick auf wesentliche Rechtsgrundsätze, an. Die hierzulande gebräuchliche Differenzierung zwischen selbständigen und unselbständigen Verwertungsverboten hat in der grenzüberschreitenden Beweisrechtshilfe damit nur insoweit eine Bedeutung, als eine fehlerhafte Beweiserhebung ein bloßes Indiz für ein (unselbständiges) Verwertungsverbot und eine fehlerfreie Beweiserhebung ein solches für die Verwertung darstellt. Letztlich beruht die Entscheidung des Forumstaats auf selbständigen Verwertungsverboten, weil sie unabhängig von der

verbotenen Beweiserhebung veranlassen oder sich diese zurechenbar zu Eigen machen dürfen (LR-Gleß, StPO, 2007, § 136a Rn. 72; Meyer-Goßner, StPO, 2009, Rn. 3). 484 Vgl. Heger, ZIS 2007, 553 f.; Schuster, StV 2008, 398; Gleß, JR 2008, 317, 319. 485 Rechtsakt des Rates der EU vom 29. Mai 2000 über die Erstellung des Übereinkommens – gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (2000/C 197/01), ABl. EG C 197/5 v. 12.7.2000. Dazu Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 12 Rn. 21 mit Fn. 116 f. m.w.N.; Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf, Rechtshilfe, 2003, S. 153. 486 Vgl. o. Fn. 465; dazu Roger, GA 2010, 36. 487 Dazu BGH StV 2007, 627; Schuster, StV 2008, 398; s.a. Schlothauer, FS Fezer, 2008, S. 281 mit Fn. 62; Beulke, Jura 2008, 663. 488 Vgl. auch Gleß, JR 2008, 321, die überdies – auf der Grundlage ihrer Habilitationsschrift (Gleß, Beweisrechtsgrundsätze, 2006; dazu Ambos, GA 2008, 586 ff.) – auf die Zuverlässigkeit der Beweisführung abstellen will.

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Beweiserhebung getroffen wird.489 Ein einheitliches Verwertungsregime, das Beweiserhebung und -verwertung nach dem gleichen Recht behandelt, wäre freilich nur erreichbar, wenn sich, wie von Art. 4 I EU-RhÜbk vorgesehen, die Beweiserhebung im ersuchten Staat nicht nach dessen Recht, sondern dem des ersuchenden Staats bestimmen würde. Wer diese Lösung wegen der damit verbundenen Fremd(prozess)rechtsanwendung des ersuchten Staates für nicht praktikabel hält, kann nur für die gegenseitige Zulassung von Beweismitteln auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung plädieren.490 b) Völkerrechtliche Verstöße im Rahmen nicht ordnungsgemäßer Beweisrechtshilfe Beweisverwertungsverbote kommen eher in Betracht, wenn die Rechtshilfe nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde, insbesondere bei Mißachtung der völkerrechtlichen Vorgaben (völkervertragliches Rechtshilferecht).491 Bevor wir uns diesen völkerrechtlich begründeten Verwertungsverboten zuwenden [sub bb)], soll zunächst der Fall Schreiber als aktuelles Beispiel eines zwischenstaatlichen Dissens über einen Spezialitätsvorbehalt untersucht werden.492 aa) Der Fall Schreiber als Beispiel eines Dissens über einen Spezialitätsvorbehalt Im Rahmen eines Waffengeschäftes zwischen dem Thyssen Konzern und saudiarabischen Käufern wurden Schmiergelder gezahlt, die von dem Waffenhändler Karlheinz Schreiber zum Teil auf Konten in der Schweiz verwaltet wurden. Die in der Folge wegen Untreue und Steuerhinterziehung geführten Strafverfahren führten zu einem Streit über die Verwertung der von der Schweiz im Zuge der Rechtshilfe an Deutschland ausgehändigten Bankdaten. Anlass für die Auseinandersetzung war der Verdacht, die von der Schweiz der Staatsanwaltschaft Augsburg im Jahre 1999 gelieferten Kontounterlagen seien von den deutschen Gerichten auch zur Verfolgung von Straftaten verwendet worden, die aus Schweizer Sicht nicht rechtshilfefähig sind. Aufgrund des ursprünglich mitgeteilten Sachverhaltes hatten die Schweizer Behörden dem Rechtshilfeersuchen der Augsburger Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des Abgabebetrugs entsprochen und die Unterlagen mit dem Hinweis übersandt, dass die Daten nicht auch zur Verfolgung einer Steuerhinterziehung verwendet werden dürfen (allgemeiner Spezia489 Vgl. auch Gleß, JR 2008, 321 den Vorrang der Verwertungssituation betonend; Keller, FS Fezer, 2008, S. 228 f., 231 die Relativierung der Unterscheidung zwischen selbständigen und unselbständigen Verwertungsverboten betonend. 490 Das wäre die EU-Linie, vgl. Gleß, Beweisrechtsgrundsätze, S. 153 ff.; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 255 ff. 491 Vgl. Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf, Rechtshilfe, 2003, S. 154, Rn. 237. 492 Nach Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf, Rechtshilfe, 2003, S. 154, Rn. 237 mit Fn. 125 m.w.N. sogar für den Fall, dass sich die Beweise zugunsten des Beschuldigten auswirken würden.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

litätsvorbehalt). Als den Schweizer Behörden später weitere Informationen zur Kenntnis gelangten, wurde die Einordnung des Sachverhalts als Abgabebetrug jedoch zweifelhaft. Am 18. Dezember 2002 lehnte das schweizerische Bundesamt für Justiz (BJ) ein Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf mit der Begründung ab, dass (nach neuen Erkenntnisstand) kein Abgabenbetrug, sondern nur Steuerdelikte in Betracht kommen. Im November 2006 teilte das BJ mit, dass die übersandten Daten im Strafverfahren gegen den Angeklagten Schreiber nicht verwendet werden dürften.493 Die Staatsanwaltschaft Augsburg habe in ihrem Ersuchen wesentliche Umstände des Falles verschwiegen. Bei Zugrundelegung der später bekannt gewordenen Umstände, wäre die Rechtshilfe gar nicht geleistet worden, weil sich die Tat aus Sicht der Schweiz danach nicht als Abgabebetrug darstelle, sondern allenfalls als Steuerhinterziehung, welche nach dem schweizer Recht nicht rechtshilfefähig ist. In seinem Beschluss vom 10. Januar 2007 hielt der BGH die Feststellungen der Vorinstanz dennoch aufrecht, obwohl diese auch auf den von der Schweiz gelieferten Daten beruhten. Dies führte zu erheblichen Spannungen zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik. Im März 2008 nahm das Schweizer BJ die Vorwürfe jedoch zurück. Es teilte nach der Berücksichtigung zusätzlicher Unterlagen mit, dass sich der Verdacht, die Rechtshilfe an Deutschland sei zu Unrecht erfolgt, letztlich als unzutreffend erwiesen habe.494

Unabhängig von der (diplomatischen) Beilegung des konkreten Streits, bleiben die aufgeworfenen Rechtsfragen umstritten. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die Übermittlung der Bankdaten von vorneherein unter einem Spezialitätsvorbehalt stand495 oder die Schweizer Behörden – wie vom BGH angenommen496 – nachträglich ein Verwertungsverbot ausgesprochen haben (bzw. die Bewilligung der Rechtshilfe nachträglich „widerrufen“ wurde bzw. werden sollte) und ob dies überhaupt zulässig ist.497 (1) Der Spezialitätsvorbehalt im Rechtshilfeverfahren Rechtsgrundlage für den Rechtshilfeverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz ist das EuRhÜbk.498 Die Schweiz hat von der Vorbehaltsmöglichkeit des Art. 5 I (a) EuRhÜbk Gebrauch gemacht und leistet demnach nur unter der Bedingung beiderseitiger Strafbarkeit Rechtshilfe (s.a. Art. 64 Abs. 1 Schweizer Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen – IRSG499). Damit soll vermieden wer493 Wörtlich heißt es: „Wir bitten Sie darum, sämtliche Vorkehrungen zu treffen, damit die von der Schweiz übersandten Beweismittel in keiner Weise zur Beurteilung des oben erwähnten Sachverhalts verwendet werden.“ (zit. nach Lagodny, NStZ 2007, 347). 494 Die Darstellung des Sachverhalts beruht auf folgenden Quellen: NZZ vom 30.03.2008; Süddeutsche Zeitung vom 01.04.2008; Spiegel 20.07.2007; s.a. Lagodny, NStZ 2007, 346 ff. 495 So Lagodny, NStZ 2007, 347: „Die Bewilligung wurde nicht widerrufen; vielmehr wurde ein von Anfang an gemachter Spezialitätsvorbehalt aufgrund nachträglich von Deutschland erlangten notwendigen Informationen aktiviert.“ 496 BGH NStZ 2007, 345 = NJW 2007, 853. 497 Vgl. auch Gleß/Eymann, StV 2008, 318 ff. 498 S.o. Fn. 468. In Deutschland ist das EuRhÜbk am 1.1.1977 in Kraft getreten, in der Schweiz am 20.3.1967. 499 Abrufbar unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/3/351.1.de.pdf.

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den, dass der ersuchte Staat an der strafrechtlichen Verfolgung eines Verhaltens mitwirkt, das nach den eigenen Wertvorstellungen als nicht strafwürdig betrachtet wird.500 Um das Vorliegen gegenseitiger Strafbarkeit festzustellen, ist es erforderlich, dass der ersuchte Staat über das dem Rechtshilfeersuchen zugrundeliegende Strafverfahren informiert wird.501 Dabei kann freilich keine völlig lückenlose Sachverhaltsdarstellung verlangt werden, denn Sinn und Zweck der Rechtshilfe besteht ja gerade in der Klärung bislang unklar gebliebener Aspekte des Sachverhalts.502 Die Überprüfung der gegenseitigen Strafbarkeit birgt dabei insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität wegen der unterschiedlichen Deliktstrukturen nicht selten erhebliche Schwierigkeiten.503 Stellt sich bei der Prüfung des mitgeteilten Sachverhalts etwa heraus, dass die angeforderten Beweismittel auch zur Verfolgung solcher Taten geeignet sind, für die das Kriterium der gegenseitigen Strafbarkeit nicht erfüllt ist, kann der ersuchte Staat bei der Übermittlung der Daten eine Zweckbindung durch einen Spezialitätsvorbehalt aussprechen, um so sicherzustellen, dass die nationalen Rechtsgrundsätze nicht unterlaufen werden.504 Ein solcher Spezialitätsvorbehalt hat zur Folge, dass die geleistete Rechtshilfe im ersuchenden Staat grundsätzlich 500 Popp, Rechtshilfe, 2001, Rn. 216 mit Beispielen; Schädel, Rechtshilfe, 2005, S. 154 (ab S. 152 ff. mit einer Darstellung der weiteren Begründungsansätze in der Literatur); zum Ursprung und zur Frage der Notwendigkeit des Prinzips der gegenseitigen Strafbarkeit s. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner-Lagodny, Rechtshilfe, 2006, IRG § 3 Rn. 2. 501 Dementsprechend bestimmt z. B. Art. 28 IRSG [Form und den Inhalt von Ersuchen] in Abs. 3: „Für die rechtliche Beurteilung der Tat sind beizufügen: a. eine kurze Darstellung des wesentlichen Sachverhalts, ausgenommen bei Zustellungsersuchen; b. der Wortlaut der am Tatort anwendbaren Vorschriften, ausgenommen bei Rechtshilfeersuchen nach dem dritten Teil dieses Gesetzes.“ (http://www.gesetze.ch/sr/351.1/ 351.1_008.htm). Dabei prüft gem. Art. 80p Abs. 3 IRSG das Bundesamt, inwieweit die Antwort des ersuchenden Staates den Auflagen genügt. 502 BGE 1 A. 171, 2002, Urteil vom 23.12.2002, Erw. 2.1: „Das Rechtshilfeersuchen muss eine kurze Darstellung des wesentlichen Sachverhaltes enthalten (Art. 14 Ziff. 2 EUeR). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts werden an die Begründung eines Rechtshilfebegehrens keine strengen Anforderungen gestellt. Von den Behörden des ersuchenden Staates kann nicht verlangt werden, dass sie den Sachverhalt, der Gegenstand ihrer Strafuntersuchung bildet, lückenlos und völlig widerspruchsfrei darstellen. Das wäre mit dem Sinn und Zweck des Rechtshilfeverfahrens unvereinbar, ersucht doch ein Staat einen andern gerade deswegen um Mithilfe, damit er die bisher im Dunkeln gebliebenen Punkte aufgrund von Unterlagen, die sich im ersuchten Staat befinden, klären kann. Es reicht daher unter dem Gesichtspunkt des hier maßgebenden EUeR aus, wenn die Angaben im Rechtshilfeersuchen, sowie in dessen Ergänzungen und Beilagen den schweizerischen Behörden ermöglichen, zu prüfen, ob und allenfalls in welchem Umfang dem Begehren entsprochen werden muss, oder ob ein Verweigerungsgrund vorliegt.“; s.a. BGE 116 I b 96 ff., Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. März 1990 (S. 103). 503 Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 28. 504 Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 28 f., 136 ff.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

nur in dem bei der Übersendung der Daten abgesteckten Rahmen verwendet werden darf.505 Damit wird insoweit auch dem Interesse des ersuchenden Staates Rechnung getragen, als ohne den Vorbehalt die völlige Ablehnung der Rechtshilfe droht.506 In Deutschland erhält eine solche zwischenstaatliche Bedingung ihre innerstaatliche Bindungswirkung über § 72 IRG;507 dadurch werden alle deutschen Organe an die vereinbarte Bedingung gebunden.508 So kann durch den Spezialitätsvorbehalt die Verwendung der Beweismittel z. B. auf die Verfolgung bestimmter Straftaten oder Personen beschränkt werden oder auch festgelegt werden, dass die Beweismittel nur zu Gunsten des Angeklagten verwandt werden dürfen.509 Im Rahmen dieses Vorbehalts ist das Beweismittel als nicht existent zu betrachten.510 Begrifflich handelt es sich deshalb um ein (selbständiges511) völkerrechtlich begründetes Beweisverwertungsverbot.512 Mitunter ist ein Spezialitätsvorbehalt auch direkt in völkerrechtlichen Abkommen enthalten.513

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Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 28; Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, 2001, Vor § 1 IRG; s.a. Gleß/Eymann, StV 2008, 320. 506 Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 135. 507 Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner-Schomburg/Hackner, Rechtshilfe, 2006, IRG § 72 Rn. 1; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 135; Böse, ZStW 114 (2002), 148, 172; eine vergleichbare Regelung findet sich z. B. im schweizer Recht in § 30 Abs. 3 IRSG, s. hierzu Popp, Rechtshilfe, 2001, Rn. 325 und im österreichischen Recht in § 4 ARHG. 508 Gleß/Eymann, StV 2008, 320; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Rechtshilfe, 2006, IRG § 72 Rn. 9; Nagel, Beweisaufnahme, 1988, S. 315. Für eine nach § 72 IRG innerstaatlich wirksame Bedingung bedarf es einer ausdrücklichen Äußerung des ersuchten Staates, die gegebenenfalls ausgelegt werden kann bzw. muss (Böse, ZStW 114 (2002), 174). 509 Auch in anderen Fällen wird sich ein erklärter Vorbehalt in der Regel zu Gunsten des Angeklagten auswirken. Die Bindung greift aber gleichermaßen, wenn die Nichtverwertung für den Angeklagten nachteilig ist (Grützner/Pötz/Kreß-Vogler, 1992, IRG § 72 Rn. 3 in Fn. 3). Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 136, dort Fn. 512) weist insoweit zurecht darauf hin, dass der Vorbehalt in einem solchen Fall – um ein faires Verfahren zu gewährleisten – bei der abschließenden Würdigung des Beweisergebnisses ebenso zu berücksichtigen ist, wie dies bei einer völligen Verweigerung der Rechtshilfe erforderlich gewesen wäre (hierzu BGH NJW 2004, 1259 ff., Fall Motassadeq). 510 Grützner/Pötz/Kreß-Vogler/Walter, 1992, § 72 Rn. 7. s. o. Fn. 508. 511 Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 141 zu § 72 IRG. 512 Böse, ZStW 114 (2002), 150, 172; Linke, ZStW (1984), 580 (590); Nagel, Beweisaufnahme, 1988, S. 314; Vogler, GA 1986, 195 (200); Schädel, Rechtshilfe, 2005, S. 164 f. und S. 167 (im Interesse des Staates und Individualinteressen); Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 118, 135; BGHSt. 27, 266, 268; 34, 334, 341; NStZ 1999, 363. 513 So sieht etwa Art. 50 Abs. 3 SDÜ einen Spezialitätsvorbehalt bezüglich der Rechtshilfe in Zoll- und Verbrauchssteuersachen vor; eine Verwendung zu anderen Zwecken ist untersagt und kann nur durch Zustimmung der ersuchten Vertragspartei durchbrochen werden (vgl. Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 140; Böse, ZStW 114 (2002), 173). Spezialitätsvorbehalte existieren darüber hinaus auch in den Rechtshilfevereinbarungen zur Telekommunikationsüberwachung (dazu Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 140).

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Von dieser Möglichkeit wird im Rahmen der Beweisrechtshilfe häufig von der Schweiz (und etwa auch von Liechtenstein, dazu u. II.2.) Gebrauch gemacht,514 und zwar gerade um die Verwendung der übermittelten Informationen in Verfahren wegen Steuerhinterziehung zu verhindern.515 Wie weit der Spezialitätsvorbehalt reicht, kann dabei nur der Bedingung selbst entnommen werden.516 Ist unklar, ob überhaupt eine Bedingung gestellt wurde, ist dies ebenfalls durch Auslegung zu ermitteln.517 Der Vorbehalt muss aber grundsätzlich vor bzw. mit der Übersendung der Beweismittel ausdrücklich erklärt werden; ansonsten kann er keine Wirkung entfalten.518 Gegen die Annahme jede Leistung von Rechtshilfe erfolge unter der konkludenten Erklärung, dass die Beweise nur für bewilligungsfähige Delikte verwendet werden dürften, die Geltung des Spezialitätsgrundsatzes also eine dem Rechtshilfeverkehr immanente Bedingung sei, die der ersuchte Staat nicht ausdrücklich geltend machen müsse,519 spricht, dass es dem ersuchenden Staat nicht zumutbar ist, vor jeder Verwendung der erlangten Daten zu überprüfen, ob der ersuchte Staat nach Maßgabe seiner materiellen Rechtshilfevoraussetzungen auch für diese Verfahren Rechtshilfe bewilligt hätte.520 (2) Nachträgliches Verwertungsverbot bei Leistungsstörungen im Rechtshilfeverfahren Ist ein Spezialitätsvorbehalt erklärt und besteht über seinen Umfang und Inhalt Einigkeit, findet die Rechtshilfe in diesem (beschränkten) Rahmen statt.521 Kommt es allerdings zu Störungen nach Leistung der Rechtshilfe, etwa wenn sich nachträglich die Sachverhaltsgrundlage als unvollständig oder fehlerhaft darstellt, so stellt sich die Frage, ob die Rechtshilfe an die neue Sachlage angepasst werden kann, etwa durch 514

Nagel, Beweisaufnahme, 1988, S. 132, 315. Der Spezialitätsvorbehalt dient somit etwa grundsätzlich der Achtung des Prinzips der beiderseitigen Strafbarkeit, in concreto aber auch dazu, dass in der Schweiz besonders geschützte Bankgeheimnis (vgl. Art. 13 Schweizerische Bundesverfassung, http://www.admin. ch/ch/d/sr/101/a13.html; Art. 47 Bankengesetz, http://www.admin.ch/ch/d/sr/952_0/a47.html) im ersuchenden Staat durchzusetzen, da dieses allgemein nur im Strafverfahren durchbrochen werden kann, s. Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 136 f. Mit § 67 Abs. 1 IRSG hat der schweizerische Gesetzgeber die Verpflichtung der schweizerischen Behörden normiert, einen solchen Spezialitätsvorbehalt auszusprechen (s. Nagel, Beweisaufnahme, 1988, S. 132; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 137). 516 Nagel, Beweisaufnahme, 1988, S. 130/316. 517 Gleß/Eymann, StV 2008, 320. 518 BGHSt 31, 51 (zur Auslieferung); Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 138; Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, 1988, S. 129 und 316; Grützner/Pötz-Vogler/Walter, 1992, IRG § 72 IRG, Rn. 7; Böse, ZStW 114 (2002), 174 f.; Linke, ZStW (1984), 591. 519 In diesem Sinne Vogler, GA 1986, 195 (199 f.). 520 Böse, ZStW 114 (2002), 173 f.; i.E. ebenso Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 138 f. 521 Vgl. Habenicht, Wistra 1982, 220; Linke, NStZ 1982, 419; ders., ZStW 96 (1984), 580, 590 ff.; Nagel, Beweisaufnahme, 1988, S. 129 f, 315 f.; BGH 34, 334, 341; ein Verstoß ist revisibel (Nagel, Beweisaufnahme, 1988, S. 317 m.w.N.). 515

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

eine nachträglich erklärte Beschränkung der Verwendung der gelieferten Informationen. Mangels gesetzlicher oder vertraglicher Regelung ist die Anerkennung einer solchen Möglichkeit bisher abgelehnt worden.522 Zunächst sprechen Gründe der Rechtssicherheit dagegen, denn wenn zwischen dem ersuchenden und ersuchten Staat ein völkerrechtlicher (Rechtshilfe-)Vertrag zustande kommt,523 so kommt dessen Auflösung oder gar einseitige Änderung – pacta sunt servanda – nur für die Zukunft524 und unter engen Voraussetzungen in Betracht [dazu sub a)].525 Zur Durchsetzung eines (behaupteten) Vorbehaltes oder bei Täuschung stehen einem Staat (nur) die klassischen Mittel des Völkerrechts wie Repressalie und Retorsion zur Verfügung.526 Aus Sicht des ersuchenden Staates würde ein nachträglich ausgesprochenes Verwertungsverbot die einmalig getroffene Entscheidung über die Rechtshilfefähigkeit des Ersuchens im Nachhinein revidieren und ihm damit möglicherweise die Grundlage für ein zu führendes oder sogar bereits geführtes Strafverfahren entziehen.527 Gerade in unserem Fall erweckt diese rigorose Ansicht jedoch Bedenken. Denn im Fall eines – aufgrund eines (bewusst oder unbewusst) fälschlich oder lückenhaft mitgeteilten Sachverhaltes – nicht oder nur unzureichend erklärten Spezialitätsvorbehaltes würde der Rechtshilfekonflikt einseitig zu Gunsten des ersuchenden Staats aufgelöst, des Staats also, der durch sein (vermeintlich) unvollständiges Ersuchen den Konflikt erst herbeigeführt hat. Es droht insofern aber nicht nur eine partielle „Ohnmacht vom ersuchten Staat“, sondern auch des betroffenen Individuums,528 zu dessen Lasten die gelieferte Information verwendet wird. Auch kann die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Strafsachen bzw. das Rechtshilferecht im Allgemeinen Schaden nehmen, wenn ersuchte Staaten eine einmal unter diesen Umständen getroffene Entscheidung nicht mehr nachträglich korregieren können.529 Es ist also zu prüfen, ob sich ein nachträgliches Verwertungsverbot nicht doch aus den Vorschriften des Völ522 Grützner/Pötz/Kreß-Vogler/Walter, 1992, IRG § 72 Rn. 7; Böse, ZStW 114 (2002), 150, 176; Gleß/Eymann, StV 2008, 321; Linke, ZStW (1984), 591; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 138 (Erklärung vor Leistung der Rechtshilfe). Vgl. auch (bzgl. des deutsch-französischen Auslieferungsvertrags) BGHSt 31, 51 = NJW 1982, 1954 (1955), wo u. a. auf die Ansicht der Bundesregierung, wonach „eine Auslieferungsbewilligung (…) nach völkerrechtlichen Grundsätzen nicht nachträglich eingeschränkt werden“ könne, und den Gedanken der Rechtssicherheit verwiesen wird. Zu einer möglichen Rechtskraft der Entscheidung über die Gewährung der Rechtshilfe Popp, Rechtshilfe, 2001, Rn. 518 ff. 523 Sog. Vertragstheorie, dazu Grützner/Pötz/Kreß-Vogler/Walter , 1992, IRG § 72 Rn. 7 mit Fn. 5: „Im Ersuchen liegt ein fallbezogenes Vertragsangebot, in der Erledigung die fallbezogene Vertragsannahme und Erfüllung.“; ebenso Böse, ZStW 114 (2002), 150, 172; offen gelassen (für das Auslieferungsverfahren) in BGHSt 31, 51, 54 = NJW 1982, 1954 und (für das sonstige Rechtshilfeverfahren) in BGH NStZ 2007, 346. 524 Popp, Rechtshilfe, 2001, Rn. 529. 525 Ipsen-Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, 2004, § 15 Rn. 2. 526 Gleß/Eymann, StV 2008, 321 unter Verweis auf Popp, Rechtshilfe, 2001, Rn. 529. 527 Vgl. Gleß/Eymann, StV 2008, 322. 528 Gleß/Eymann, StV 2008, 319. 529 Vgl. Lagodny, NStZ 2007, 347; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 135.

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kervertragsrechts [sub (a)] oder aus etwaigen Rechten des betroffenen Individuums ergeben kann [sub (b)], bevor dann die notwendige Abwägung vorgenommen wird [sub (c)]. (a) Art. 48, 49 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVÜ) Geht man davon aus, dass die Rechtshilfebeziehung vertraglicher Natur ist, so müsste der ersuchte Staat die Ungültigkeit des Rechtshilfevertrags geltend machen, um sich so seiner Rechtshilfeverpflichtung entledigen und Restitutionsansprüche geltend machen zu können. Die Restitution könnte dann in dem (nachträglichen) Verwertungsverbot bestehen.530 Die Ungültigkeit des Vertrags könnte sich hier aus Art. 48 oder 49 WVÜ ergeben, wenn man (mit der ursprünglichen Schweizer Ansicht) davon ausgeht, dass die Leistung der Rechtshilfe auf einem Irrtum beruhte (Art. 48) oder durch eine Täuschung (Art. 49531) des ersuchenden Staats (hier Deutschland) veranlasst wurde; damit wäre der Vertrag als ex tunc ungültig zu betrachten.532 Die auf den Vertrag gestützten Handlungen wären rückabzuwickeln, in casu also die im Wege der Rechtshilfe geleisteten Informationen zurückzugewähren, denn es ist „soweit wie möglich die Lage wiederherzustellen, die bestanden hätte, wenn die Handlungen nicht vorgenommen worden wären“ (Art. 69 Abs. 2 a) WVÜ). Als ein „minus“ zu dieser vollständigen Rückabwicklung des Vertrags könnte der ersuchte Staat ein nachträgliches Verwertungsverbot erklären533 oder man nimmt einen nachträglichen Spezialitätsvorbehalt an.534 Inwieweit man dieses Vorgehen vorliegend für vertretbar hält, hängt von einer Abwägung ab [dazu sub (c)]. 530 Vgl. auch BGH NStZ 2007, 346, für den diese Frage von den zuständigen Gerichten des ersuchenden Staates (in casu also Deutschland) zu prüfen ist. Der Gedanke der Restitution findet sich vereinzelt auch in der Literatur: s. Schultz, Auslieferungsrecht, 1953, S. 254, Fn. 178, der jedoch eine Pflicht des ersuchenden Staates zur Rücklieferung des Ausgelieferten auch bei irrtümlicher Bewilligung ausschließt, dabei aber offen lässt, ob eine solche besteht, wenn die Behörden des ersuchenden Staates die Auslieferung arglistig veranlasst haben; Grützner/Plötz/ Kress, 1992, IRG § 72 Rn. 7 („Vom ersuchten Staat mit Rückwirkung ausgesprochene Beschränkungen können deswegen nur in Ausnahmefällen Geltung beanspruchen“). Heine, FS von Büren, 2009, S. 933, will den völkerrechtlichen Restitutionsanspruch in einem umfassenden Sinne verstanden wissen und darin auch Beweisverwertungsverbote einschließen. 531 Die deutsche Fassung von Art. 49 WVÜ spricht von Betrug, gemeint ist jedoch eine Täuschung, vgl. Ipsen-Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, 2004, § 15 Rn. 25; darauf Bezug nehmend BGH NStZ 2007, 346. 532 Ipsen-Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, 2004, § 15 Rn. 12. 533 Gleß/Eymann, StV 2008, 321. 534 Die Existenz des sog. Nachtragsersuchens (dazu Schomburg/Lagodny/Gleß/HacknerSchomburg/Hackner, Rechtshilfe, 2006, IRG § 72 Rn. 12 b) zeigt, dass ein nachträgliche Spezialitätsvorbehalt nicht völlig systemfremd ist. Zwar bezieht sich ein Nachtragsersuchen im Gegensatz zum Spezialitätsvorbehalt nicht direkt auf die Verwertung in dem der Rechtshilfe zugrundeliegenden Verfahren, sondern auf weitere Tatvorwürfe oder Beschuldigte und insofern nur auf die nachträglich erweiterte Verwendung, die Ähnlichkeit liegt aber in seiner Nachträglichkeit.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

(b) Individualinteressen Die Berücksichtigung von Individualrechten auch in der zwischenstaatlichen Rechtshilfe entspricht der Entwicklung des Völkerrechts535 von einer zweidimensionalen, staatszentrierten536 zu einer dreidimensionalen, das betroffene Individuum einbeziehenden Sichtweise, die sich vor allem durch den Einfluss der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und Völkerstrafrechts immer mehr durchgesetzt hat.537 Für das Rechtshilferecht bedeutet das, dass neben den Interessen der Vertragstaaten auch die des betroffenen Individuums zu beachten sind; seine eigenständige Rechtsposition ist mittlerweile weitgehend anerkannt.538 Dementsprechend geht auch die Rechtsprechung davon aus, dass völkerrechtliche Vereinbarungen auf diesem Gebiet zumindest als „völkerrechtlicher Reflex“ die Rechtsstellung des Individuums zu seinen Gunsten beeinflussen können539 bzw. deren Verletzung zu einem (revisiblen) Beweisverwertungsverbot führen kann.540 Die Berücksichtigung von Individualinteressen in der Rechtshilfe zeigt sich gerade auch daran, dass ein Spezialitätsvorbehalt oft zum Schutz des Verfolgten erklärt 535 Allg. zu Individualrechten in diesem Zusammenhang s. Ziegenhahn, Menschenrechte, 2002; Hofmann, Grundrechte, 1994; Eser/Lagodny/Blakesley, International Cooperation, 2002. 536 Vgl. Ziegenhahn, Menschenrechte, 2002, S. 227 mit Fn. 20 ff. m.w.N. 537 Vgl. Hobe/Kimminich, Völkerrecht, 2008, S. 166 ff.; Ipsen-Epping, Völkerrecht, 2004, § 7; Ipsen-Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 48; Herdegen, Völkerrecht, 2009, § 12 (S. 101 ff); Fassbender, EuGRZ 2003, 11 f.; zur „völkerrechtlichen Subjektwerdung“ des Einzelnen im Völkerstrafrecht Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 10. s. a. die Diskussion von Art. 36 WÜK o. I. 538 Schädel, Rechtshilfe, 2005, S. 31 ff.; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Rechtshilfe, 2006, Einleitung Rn. 84, 90; Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, Rechtshilfe, 2003, Rn. 50; Vogler, ZStW 105 (1993), 3 ff.; Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, 1997; Gleß, JR 2008, 317, 325; Gleß/Eymann, StV 2008, 322; Heine, FS von Büren, 2009, S. 932; vgl. auch schon Jescheck, ZStW 66 (1954), S. 534. Ausführlich und differenzierend zwischen den verschiedenen (inner- und fremdstaatlichen sowie völkerrechtlichen) Rechtskreisen, aus denen sich subjektive Rechte des Individuums im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr ergeben können Ziegenhahn, Menschenrechte, 2002, S. 225 ff. 539 BGH 34, 334, 343 f. = NJW 1987, 2168 (2172): „Die darüber hinausgehende Benutzung als unmittelbares Beweismittel entgegen dem ausdrücklich erklärten Willen des ersuchten Staates wäre eine völkerrechtliche Vertragsverletzung, die er und seine Organe zu unterlassen haben. Das gilt auch für die Gerichte. Auf die Unterlassung hat ein Beschuldigter zwar keinen individualrechtlichen Anspruch. Sie kann sich aber als völkerrechtlicher Reflex zu seinen Gunsten auswirken, wenn er der Tat nur deshalb nicht überführt werden kann, weil andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen.“ Vgl. auch BGHSt. 34, 256 = NJW 1988, 655 = StV 1987, 211, = NStZ 1987, 414; BGH NJW 2001, 2102, 2106; BGHSt 37, 30, 33 f. 540 BGH NJW 2001, 2102, 2106; BVerfG NJW 2007, 499, 501; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 136 m.w.N. Inwieweit dies der Fall ist hängt freilich von der Ausgestaltung der jeweiligen Bedingung bzw. dem jeweils zugrundeliegenden Vertragsgesetz ab (Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 136 ff., 141). Demgegenüber soll sich diese Reflexwirkung aber nicht aus jeder staatlichen Souveränitätsverletzung ergeben, da nicht jedem völkerrechtlichen Vertrag per se eine individualrechtsschützende Komponente zu entnehmen sei (BGHSt 30, 347, 349 f.; 37, 30, 32; BVerfG NJW 1986, 1427; NStZ 1986, 468).

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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wird.541 Andererseits soll nur er auf seine Geltung verzichten können.542 Im schweizerischen Recht kann der Betroffene die Erklärung eines solchen Spezialitätsvorbehaltes sogar begehren und die Verletzung eines solchen Vorbehaltes vor Gericht rügen.543 Die an die Rechtshilfe geknüpften Bedingungen dienen häufig dazu, dem Verfolgten den durch die Rechtsordnung des ersuchten Staates gewährten Schutz auch im ersuchenden Staat zu erhalten.544 Das betroffene Individuum ist somit auch im Rahmen der sog. „kleinen Rechtshilfe“545 nicht bloßes Objekt der Staaten, sondern steht – im Sinne der dreidimensionalen Sichtweise – als „gleichrangig teilnehmendes Rechtssubjekt“ neben diesen.546 (c) Abwägung der jeweiligen Interessen im Einzelfall Die Entscheidung im Einzelfall hat aufgrund einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Interessen zu ergehen.547 Dabei ist – neben den Interessen des betroffenen Individuums – zu berücksichtigen, ob dem ersuchten oder ersuchenden Staat die größere Verantwortung für die Rechtshilfestörung zukommt und wie schwerwiegend der Verstoß ist.548 Ferner ist der Stand des Strafverfahrens, in dem 541

Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 135 f. Nach BGHSt 31, 51 beschränke der Spezialitätsgrundsatz die Strafverfolgung nicht, „wenn die Vertragsparteien bei der Auslieferung eines Verfolgten an die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer jahrelangen Auslieferungspraxis übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass der Grundsatz im konkreten Fall wegen des Einverständnisses des Verfolgten mit seiner Übergabe an die deutschen Behörden nicht gelte“. (Herv.d.Verf.). 543 BGE 125 II, 258 ff.; BGE 126 IV, 42 E. 3b); vgl. auch Gleß/Eymann, StV 2008, 322 m.w.N. 544 Böse, ZStW 114 (2002), 150, 180; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 118. Dieser Schutz obliegt dem ersuchten Staat auch über den Abschluss des Rechtshilferverfahrens hinaus (Böse, ZStW 114 (2002), 181). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass „die Frage [welche Interessen das Individuum im Rechtshilfeverfahren künftig als eigene Rechte den Interessen der beteiligten Staaten entgegen stellen kann] […] in Zukunft immer mehr eine Frage des zwischenstaatlichen Verfahrensrechts werden [wird], das – etwa durch die Bindung an die EMRK – bestimmte Verfahrensrechte gewährleisten muß.“ (Gleß/Eymann, StV 2008, 322; s. dazu auch Ziegenhahn, Menschenrechte, 2002, S. 219, 221; Schädel, Rechtshilfe, 2005, S. 174 m.w.N.; Scheller, Ermächtigungsgrundlagen, 1997, S. 204 ff., 217 ff.). – Vgl. zu der umstrittenen Frage, inwieweit der Grundsatz beidseitiger Strafbarkeit auch individuelle Rechtspositionen schützen will oder ob insoweit die grundsätzliche Beachtlichkeit Grund- und menschenrechtlicher Vorschriften bei hoheitlichen Handlungen im Rechtshilfeverfahren ein solches Bedürfnis nicht entstehen lässt, Schädel, Rechtshilfe, 2005, S. 155 f. m.w.N. in Fn. 676 ff.; s.a. Parisi, in: Eser/ Lagodny/Blakesley, 2002, S. 291, 323. 545 Sonstige Rechtshilfe oder Rechtshilfe i. e.S. i.S.v. §§ 59 ff. IRG (im Gegensatz zur Auslieferung/Einlieferung, Vollstreckungshilfe und Übertragung der Strafverfolgung), vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Rechtshilfe, 2006, Einleitung Rn. 46 und ebd., Lagodny, IRG § 59 Rn. 9. 546 Heine, FS von Büren, 2009, S. 932. 547 Vgl. Gleß/Eymann, StV 2008, 322; Schädel, Rechtshilfe, 2005, S. 73, Popp, Rechtshilfe, 2001, S. 12; vgl. auch Ziegenhahn, Menschenrechte, 2002, S. 218. 548 Der IGH stellte in Avena (Fn. 408), para 119 ergänzend zu den Ausführungen im Chorzow-Fall fest: „What constitutes reparation in an adequate form clearly varies depending 542

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

die übermittelten Informationen verwendet werden sollen, zu beachten. Während bis zum Abschluss des Rechtshilfeverfahrens der ersuchte Staat noch die Verfahrensherrschaft besitzt und demnach seine Interesse oder die des Verfolgten ohne Weiteres berücksichtigen kann, der ersuchende Staat demnach nur geringen Vertrauensschutz genießt, hat dieser nach Abschluss des Rechtshilfeverfahrens eine schützenswertere Rechtsposition erlangt. Etwaige nachträgliche Einwände des ersuchten Staates hat der ersuchende Staat noch im Rahmen der Urteilsfindung – vor Abschluss der Tatsacheninstanzen – zu berücksichtigen, denn zu diesem Zeitpunkt ist das Vertrauen auf die Verwertbarkeit der angebrachten Beweismittel zwar bereits gefestigt, etwaigen nachträglichen Veränderungen kann aber noch im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung,549 etwa durch Anerkennung eines Beweisverwertungsverbots,550 unproblematisch Rechnung getragen werden. Diese verfahrensbezogene Sichtweise entspricht auch der Wertung des BGH, wonach ein nachträgliches Verwertungsverbot nach (teil-)rechtskräftigem Abschluss der Beweisaufnahme „ins Leere“ geht, da „keine Verwertung der Beweismittel mehr stattfindet und die im ersten Rechtsgang erfolgte Verwertung keiner Überprüfung unterzogen werden darf.“551 Gleichwohl kann es auch insoweit – unter Berücksichtigung der Verantwortlichkeit für die fehlerhafte Rechtshilfe und der Interessen der Beteiligten – unter Umständen sinnvoll sein, von dem ersuchenden Staat eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu verlangen.552 Dies gilt insbesondere dann, wenn der ersuchte Staat schon bei Leistung der Rechtshilfe einen allgemeinen (Spezialitäts-)Vorbehalt erklärt hat und diesen späupon the concrete circumstances sourroundig each case and the precise nature and scope of the injury, since the question has to be examined from the viewpoint of what is the reparation in an adequate form that corresponds to the injury.“ (Herv. d. Verf.). 549 In der es auch in einem Verfahren ohne Auslandsbezug nicht selten nicht nur um die Frage einer nachträglichen Beurteilung eines bestehenden Verwertungsverbotes, sondern auch um die Feststellung eines nachträglichen Entstehens eines Verwertungsverbotes – etwa durch eine Verlobung im Rahmen des § 52 StPO – geht. 550 Zu einem Beweisverwertungsverbot aufgrund völkerrechtswidrigen Verhaltens im Zusammenhang mit Art. 36 WÜK s. schon o. I. 1. b). Der österreichische OGH hat ein Beweisverwertungsverbot im Falle eines aufgrund des Prinzips gegenseitiger Strafbarkeit erklärten Spezialvorbehaltes aus (einem Verstoß gegen) eben dieses Prinzip abgeleitet (Linke, ZStW 96 (1984), 580, 591). Zur prozessualen Durchsetzbarkeit s. Gleß/Eymann, StV 2008, 323. 551 BGH NStZ 2007 S. 346: Zu der rechtlichen Umsetzbarkeit einer möglichen Rechtskraftdurchbrechung führte der Senat zunächst aus, dass eine Durchbrechung der Teilrechtskraft auch über eine Anwendung des § 359 nicht in Betracht komme, da ein nachträglich ausgesprochenes Verwertungsverbot schon keine neue Tatsache i.S. des § 359 Nr. 5 sei. Vielmehr handele es sich hierbei um eine von der Vorschrift nicht erfasste „Rechtstatsache“. Im Anschluss erwog der Senat allerdings „ob in Fällen mit internationaler Berührung dann ausnahmsweise eine Durchbrechung der Teilrechtskraft und der aus § 353 Abs. 2 StPO folgenden Bindungswirkung in Betracht kommt, wenn anderweitig die Einhaltung völkerrechtlicher Vereinbarungen nicht gewährleistet ist.“ Im Ergebnis konnte der Senat einen Völkerrrechtsverstoß allerdings nicht feststellen. 552 Vgl. Gleß/Eymann, StV 2008, 323 mit a.A. in Fn. 58. Ein solcher Wiederaufnahmegrund unmittelbar aus dem Völkerrecht wurde in der Literatur im Rahmen des oben behandelten Verstoß gegen des Art. 36 WÜK diskutiert, o. Fn. 463 und Haupttext.

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ter – aufgrund der Kenntnisnahme neuer oder zusätzlicher Tatsachen – konkretisiert oder ergänzt.553 Vom Inhalt der Abwägungsentscheidung zu unterscheiden ist die Frage, wer die Entscheidung zu treffen hat. Zunächst obliegt es dem ersuchten Staat, über das Ob und Wie der Rechtshilfe zu entscheiden; der ersuchende Staat ist an diese Entscheidung gebunden.554 Bestehen Zweifel hinsichtlich des Umfangs einer aus einer etwaigen Bedingung folgenden Verwertungsbeschränkung, können diese durch Nachfragen des ersuchenden Staats ausgeräumt werden;555 gegebenenfalls muss der Inhalt der Bedingung durch Auslegung ermittelt werden.556 Nach Abschluss des Rechtshilfeverfahrens – also nach Leistung oder endgültiger Ablehnung der Rechtshilfe – wird der ersuchende Staat – ganz im Sinne der oben genannten Verfahrensstadien – zum Herr des Verfahrens und darf damit auch über die Wirkung nachträglicher Vorbehalte oder Erklärungen des ersuchten Staates befinden.557 Natürlich liegt darin eine Überprüfung ausländischer Hoheitsakte,558 doch liegt diese im Bereich der Rechtshilfe in der Natur der Sache, wie sich ja etwa schon daran zeigt, dass der ersuchende Staat auch über die Verwertung der vom ersuchten Staat erhobenen Beweise entscheiden muß.559 Im Übrigen wird das zuständige Gericht des ersuchenden Staates das Zustandekommen und die Umstände der Rechtshilfe genau zu prüfen haben. Wenn etwa, wie hier von der Schweiz vorgebracht, die Rechtshilfe an dem Mangel einer unvollständigen Sachverhaltsgrundlage leidet, so wird man dem ersuchten Staat das Recht einer nachträglichen Klarstellung, die auch in die Erklärung eines Vorbehalts münden

553 In diesem Sinne auch Lagodny, NStZ 2007, 348: „… den angebrachten Spezialitätsvorbehalt bei Vorliegen für ihn neuer Tatsachen entsprechend anzupassen und zu konkretisieren.“ (Herv. im Original) 554 Nagel, Beweisaufnahme, 1988, S. 316; Linke, ZStW (1984), 580, 591 Fn. 3. 555 Nagel, Beweisaufnahme, 1988, S. 316; Linke, ZStW (1984), 580, 591 (Fn. 3). 556 s. o. Fn. 508. 557 So zutreffend BGH NStZ 2007, 345 (346): „Ob ein solcher Grund [für die Lösung der völkerrechtlichen Bindung nach Art. 48 ff. WVÜ] besteht, haben die Justizorgane des ersuchenden Staates eigenverantwortlich zu prüfen. Insoweit gilt keine dem Spezialitätsvorbehalt (§ 72 IRG) entsprechende Bindung an die Entscheidung des ersuchten Staates, weil das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen ist. (…) Jedenfalls wenn es um die Frage der Verwertung nach geleisteter Rechtshilfe oder gar der Durchbrechung der Rechtskraft geht, muss das Gericht des ersuchenden Staates, das über die Verwertung des Beweismittels erneut entscheiden soll, auch die sachliche Berechtigung eines späteren Widerrufs der Rechtshilfebewilligung überprüfen.“ 558 Dies erkennt BGH NStZ 2007, 346 selbst an. Lagodny, NStZ 2007, 348 spricht insoweit von einer „Verantwortlichkeitsusurpation,“ die nicht mehr mit den Grundsätzen eines „international-arbeitsteiligen Strafverfahrens vereinbar sei. 559 Vgl. BGH NStZ 1994, 595 m.w.N.; Gleß, FS Grünwald, 1999, S. 207 f.; LR-Gleß, StPO, 2007, § 136a Rn. 72; Gösel, FS Hanack, 1999, S. 289. S.a. Daamen, Verwertbarkeit, 2004, S. 27 ff.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

kann, nicht absprechen können560 – und zwar auch und gerade aus den zu berücksichtigenden Individualinteressen des Betroffenen. bb) Weitere völkerrechtlich begründete Verwertungsverbote Natürlich kann sich ein Verwertungsverbot auch aus einer (ausdrücklich) vereinbarten Regelung eines völkerrechtlichen Vertrages ergeben,561 doch finden sich kaum (explizite oder implizite) Regelungen und zwar auch nicht im sonst detaillierten europäischen Rechtshilferecht [sub (1)]. Deshalb können Verwertungsverbote nur aus allgemeinen völker- oder europarechtlichen Grundsätzen abgeleitet werden [sub (2) – (4)]. (1) Explizite oder implizite Regelungen Gemäß Art. 39 Abs. 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ)562 ist die strafprozessuale Verwertung von Beweismitteln, die im Rahmen des polizeilichen Informationsaustausches gewonnen wurden, in einem ausländischen Verfahren nur mit Zustimmung der zuständigen Justizbehörde des die Beweise übermittelnden Staates erlaubt; ein Verwertungsverbot soll insofern auch unabhängig von einem Widerspruchs dieses Staates gegen die Verwertung bestehen.563 Eine entsprechende Regelung hinsichtlich der Rechtshilfe in Steuersachen enthält Art. 50 Abs. 3 SDÜ.564 Die ratio dieser Regelungen besteht darin, die Verwertung der unter Umgehung des ordentlichen Rechtshilfewegs [dazu sogleich (2)] gewonnenen Beweise von einer Zustimmung des betroffenen Territorialstaates abhängig zu machen, um dadurch gleichsam die Souveränitätsverletzung zu heilen. Eine andere Konstellation betrifft das Tätigwerden der eigenen Hoheitsträger im Ausland, u. a. auch zur Beweisbeschaffung. Insofern regelt Art. 40 Abs. 1 SDÜ, dass Beamte eines Schengen-Staates Verdächtige auch grenzüberschreitend in einem anderen Schengen-Staat observieren können, wenn vorher im Wege der Rechtshilfe eine 560 Krit. insoweit Lagodny, NStZ 2007, 347 ff., der unter Hinweis auf Art. 46 WVÜ bemängelt, dass eine völkerrechtliche Pflicht wie die zur Einhaltung der Spezialität durch einen Staat nicht dadurch beseitigt werden kann, dass dieser unter Hinweis auf Gründe des innerstaatlichen Rechts und dessen Prozessdogmatik die Erfüllung dieser Pflicht zu umgehen sucht. Vgl. bezogen auf Rechtsverstöße ausländischer Behörden bei der Bewilligung auch Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 118, 138. 561 Vgl. auch Böse, ZStW 114 (2002), 150, 175, 181. 562 Zu Entstehung und strafrechtlichem Inhalt des SDÜ vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 12 Rn. 29 a ff. 563 Vgl. Böse, ZStW 114 (2002), 175; s.a. Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf, Rechtshilfe, 2003, S. 153 Rn. 236; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 140. 564 Ergänzend regeln die Art. 102 ff., 126 ff. SDÜ bei Zweckentfremdung von im Schengener Informationssystem (SIS, dazu Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 12 Rn. 36a; Schuster, Verwertbarkeit, 2006, S. 47) gespeicherten Daten die Abhängigkeit der Nutzung von der Zustimmung der übermittelnden Vertragspartei.

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Zustimmung eingeholt wird. Gem. Abs. 2 ist eine solche Observation jedoch auch ohne Zustimmung bei besonderer Dringlichkeit und Verdacht einer besonders schweren Straftat i.S.v. Abs. 7 zulässig, wobei dies dem Gebietsstaat mitzuteilen ist und dieser innerhalb von 5 Stunden nach Grenzübertritt zustimmen kann.565 Obwohl die observierenden Beamten gem. Art. 40 Abs. 3 lit. e, f SDÜ weder befugt sind, Wohnungen oder nichtöffentliche Grundstücke zu betreten, noch die zu observierende Person anzuhalten oder festzunehmen, kann die Observation neben der Herstelllung von Foto- und Videoaufnahmen auch die Kenntnisnahme von spontanen Erklärungen von Zeugen oder die Entgegennahme von Urkunden etc. beinhalten.566 Hinsichtlich der Verwertbarkeit der so erlangten Beweise ergibt sich bereits aus Art. 40 Abs. 1 S. 2 SDÜ, dass der Gebietsstaat seine Zustimmung zu der Maßnahme mit Auflagen verbinden kann. Wird eine Zustimmung weder vorher eingeholt noch unverzüglich nach Beginn der Maßnahme erteilt, so sollen die erlangten Beweismittel einem umfassenden Verwertungsverbot unterliegen; begründet wird dies auch hier mit dem aus der Verletzung staatlicher Souveränität folgenden völkerrechtlichen Restitutionsgebot.567 Etwas anderes gilt aber, wenn der Gebietsstaat der Maßnahme zustimmt, sich jedoch nicht explizit zu einer Verwertung der so erlangten Beiweismittel äußert. In diesem Fall kann der Entsendestaat die mit Zustimmung des Gebietsstaates erlangten Beweismittel in einem nachfolgenden Strafverfahren verwerten.568 Insbesondere soll der Gebietsstaat insoweit auch mangels eines entsprechenden Verfügungsrechtes keine nachträgliche Beschränkung der Verwertbarkeit aussprechen können.569 Hier wird der Unterschied zu Art. 39 SDÜ deutlich, der in Abs. 2 eben die Nutzung der erlangten polizeilichen Informationen in einem explizites Zustimmungsvorbehalt unterstellt.570 Weitere völkerrechtliche Regelungen zur Verwertung von im Ausland erhobenen Beweisen finden sich darüber hinaus in Art. 13 Abs. 7 und 8, Abs. 10, Art. 23 EURhÜbK571 sowie in Art. 14, 18, 19 Abs. 7 und 23 Abs. 3 S. 2 EU-Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit in Zollsachen (sog. Neapel II).572 Der BGH hat bei einem Verstoß gegen Art. 4 EU-RhÜbK ein Verwertungsverbot anerkannt.573 565

Dazu auch Böse, ZStW 114 (2002), 176 ff. Würz, Schengener Durchführungsabkommen, 1997, S. 82. 567 So Böse, ZStW 114 (2002), 177; Tiedemann, FS Bockelmann, 1979, S. 819, 826 f. 568 Dazu Böse, ZStW 114 (2002), 178 f. 569 Dies ergibt sich auch nicht aus Art 40 Abs. 3 lit. g SDÜ, wonach der Entsendestaat verpflichtet ist, Bericht über den Ablauf und das Ergebnis der erfolgten Observation zu erstatten, denn insofern wird eben nur eine Berichterstattungspflicht normiert (Böse, ZStW 114 (2002), 179). 570 Böse, ZStW 114 (2002), 179; auch Gleß, NStZ 2000, 57, 61. 571 Vgl. schon o. Fn. 485; dazu Gleß, JR 2008, 318 mit Fn. 14 ff. 572 ABl. EG C 24 v. 23.1.1998, 1. Während gem. Art. 19 Abs. 7 des Übereinkommens Informationen, die bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Bediensteten gewonnen werden, vorbehaltlich etwaiger Bedingungen durch die zuständigen Behörden des Ge566

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

(2) Umgehung des Rechtshilfewegs Ungeachtet bestehender Regelungen stellt sich die Frage nach einem Beweisverwertungsverbot in solchen Fällen, in denen Beweise entweder eigenmächtig auf ausländischem Hoheitsgebiet erhoben574 oder auf anderem Wege unter vorsätzlicher Umgehung des vorgesehenen Rechtshilfeverfahrens erlangt werden (zum „Fall Liechtenstein“ insoweit u. II. 2). Die in der Umgehung liegende Souveränitätsverletzung des betroffenen Territorialstaats stellt ein völkerrechtliches Delikt dar,575 das nur durch ein Verwertungsverbot wiedergutgemacht werden kann,576 wenn der verletzte Territorialstaat den Verstoß durch seine Zustimmung nicht nachträglich heilt. So soll eine (finale) Umgehung des Rechtshilfeweges jedenfalls dann zu einem Verwertungsverbot führen, wenn der betroffene Staat der Verwertung widerspricht und nach dem Rechtshilfeabkommen zu einer solchen Weigerung auch berechtigt war.577 Dies folgt auch aus den oben dargestellten Regelungen der Art. 39 Abs. 2 und 50 Abs. 3 SDÜ, denn auch insoweit liegt die Verwertung durch die Erteilung oder Ablehnung der Zustimmung in der Hand des betroffenen Staates. So ist ein Verwertungsverbot vom BGH etwa dann bejaht worden, wenn der Verwertung von Polizeiakten, die ein (unzuständiger) Polizeibeamter außerhalb eines geregelten Rechtshilfeverfahrens übermittelt hat, durch die zuständige (ausländische) Behörde widersprochen wurde.578 bietsstaates verwertet werden können, bestimmt Art. 23 Abs. 3 S. 2, dass bei den im Rahmen von grenzüberschreitenden Ermittlungen von Zollbeamten erlangten Beweismitteln diese ohne Zustimmung des Gebietsstaates nur im Rahmen der Verfolgung der Taten zulässig sind, wegen derer einem grenzüberschreitenden Einsatz zugestimmt worden ist; im Übrigen ist die zuständige Behörde des ersuchten Gebietsstaates befugt, nach eigenem Recht Bedingungen hinsichtlich ihrer Verwertung zu formulieren (dazu Gleß, NStZ 2000, 57, 60; dies., JR 2008, 318; Böse, ZStW 114 (2002), 179). 573 BGH StV 2007, 627: Unverwertbarkeit einer ausländischen (französischen) richterlichen Vernehmungsniederschrift wegen unterbliebener Benachrichtigung des Verteidigers, die nach deutschem Recht – als das maßgebliche Recht des ersuchenden Staates (Art. 4 Abs. 1 EURhÜbk, o. Fn. 487 und Haupttext) – notwendig gewesen wäre (§ 168c StPO). 574 Dazu Gleß, JR 2008, 322. 575 Zum Begriff des völkerrechtlichen Delikts („internationally wrongful act“) vgl. Art. 2, 3 Resolution 56/83 v. 12.12.2001 der UN-Generalversammlung zum Recht der Staatenverantwortlichkeit (Dok. A/RES/56/83, 28 January 2002). 576 Die Restitutionspflicht folgt aus Art. 35 der genannten Resolution 56/83: „Ein für eine völkerrechtswidrige Handlung verantwortlicher Staat ist verpflichtet, Restitution zu leisten, das heißt den vor der Begehung der Handlung herrschenden Zustand wiederherzustellen, sofern und soweit die Restitution a) nicht tatsächlich unmöglich ist; b) nicht mit einer Belastung verbunden ist, die außer allem Verhältnis zu dem Nutzen steht, der durch Restitution anstelle von Schadenersatz entsteht.“ Vgl. auch Heine, FS von Büren, 2009, S. 933; für ein Verwertungsverbot bei Täuschung aufgrund fair-trial Verletzung Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 338, aber unter Vermengung der völker- und individualrechtlichen Ebene. 577 Vgl. BGHSt. 34, 343 f.; 37, 30, 32; 43, 334, 343 f.; Gleß, JR 2008, 323; zust. Heine, FS von Büren, 2009, S. 932 f.; Riegel, eucrim 2009, 105; s. dem Grunde nach auch o. BGH NStZ 2007, 346. 578 BGH NJW 1987, 2168 (2171): „Wenn das Europäische Rechtshilfeübereinkommen andere als die darin vorgesehenen Formen der Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungs-

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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(3) Gemeinschaftsrechtliches Beweisverwertungsverbot Gem. Art. 234 EGV, nun Art. 267 AEUV, entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Wege der Vorabentscheidung u. a. über die Auslegung des EG-Vertrages und die Handlungen von Gemeinschaftsorganen und somit über die Anwendung des gesamten primären und sekundären Gemeinschaftsrechts.579 Der darin zum Ausdruck kommende Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts580 zwingt zu einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen (Straf-)Rechts.581 Diese Verpflichtung erstreckt sich auch auf das innerstaatliche Verfahrensrecht.582 Wenn insofern die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung die Anwendung einer nationalen Beweisgewinnungsvorschrift verbietet, so muss es zu einem (gemeinschaftsrechtlichen) Beweisverwertungsverbot – nicht nur einer Minderung des Beweiswerts583 – führen, wenn in einem nationalen Strafverfahren doch von dieser Vorschrift Gebrauch gemacht wird.584 (4) Verletzung von Individualinteressen Die bisher in diesem Abschnitt genannten Beispiele für Verwertungsverbote beruhen in erster Linie auf Verstößen gegen die Souveränität des durch die jeweiligen Beweiserhebungen betroffenen Staates. Verwertungsverbote können sich aber auch – im Einklag mit der schon oben angeführten dreidimensionalen Sichtweise585 – aus völkerrechtlich geschützten Individualinteressen ergeben. Insoweit kann zunächst auf spezifische Verwertungsverbote im Recht der internationalen Strafgerichtshöfe bei der Verletzung fundamentaler Menschenrechte hingewiesen werden.586 Der im behörden auch nicht ausschließt, es den Unterzeichnerstaaten also unbenommen ist, einander – wie hier geschehen – ,außervertraglich Rechtshilfe zu leisten, so müssen die vertraglichen Bestimmungen des Übereinkommens zwischen ihnen doch eingehalten werden, sobald eine Seite es allgemein oder im Einzelfall mit Wirkung ex nunc verlangt.“ 579 Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 11 Rn. 40 mit Fn. 239 f. m.w.N. 580 Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 11 Rn. 37 ff. 581 EuGH, Von Colson v. Kamann v. Land Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 10.04.1989; weitere Nachweise bei Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 11 Rn. 42 mit Fn. 247. 582 Vgl. Hecker, Europäisches Strafrecht, 2007, § 10 Rn. 10 ff.; Gercke, StV 2004, 678 f. 583 So der BGH im Zusammenhang mit Art. 6 EMRK. u. Fn. 611 und Haupttext. 584 Vgl. – zu EuGH JZ 1998, 1068 (Verstoß gegen Mitteilungspflichten aufgrund Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28.3.1983 bzgl. Alkoholmeter ohne Auswirkung auf Beweisverwertung im Strafverfahren) – Satzger, StV 1999, 132 (133: „Verwertungsverbote infolge eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht durchaus im Bereich des Möglichen“); ferner implizit Kühne, JZ 1998, 1070 f., der darauf hinweist, dass der EuGH (in Rs. C-194/94, CIA Security International, para. 14, 47, 54) aus einem Verstoß gegen die Mitteilungspflichten aufgrund derselben Richtlinie die Unanwendbarkeit der betreffenden technischen Vorschriften abgeleitet hat; Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 11 Rn. 42; gegen ein Verwertungsverbot wegen der fehlenden Strafrechtskompetenz der Gemeinschaft Gärditz, Wistra 1999, 293 (295 f.). 585 s. o. 2. b) aa) (2) (b) bei Fn. 537. 586 Diesbezügliche Regelungen finden sich etwa in Art. 69 Abs. 7 IStGH-Statut sowie Regel 95 VBR der Ad-hoc-Tribunale (dazu Schrotz, Individualrechtsverletzungen, 2006, S. 259 ff.).

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

folgenden diskutierte Fall der Folter ist vielleicht insoweit das klarste Beispiel eines Verwertungsverbots aufgrund völkerrechtlich geschützter Individualinteressen [sub (a)]; darüber hinaus können auch aus dem allgemeinen Fairnessgrundsatz Verwertungsverbote folgen [sub (b)]. (a) Folter Das Verbot der Verwertung von durch Folter erlangten Beweisen ergibt sich – unabhängig von der Frage, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen § 136a StPO entsprechende Anwendung auf rechtswidrig im Ausland erlangte Beweise findet587 – aus Art. 15 UN-Anti-Folter Übereinkommen.588 Dieses Übereinkommen ist als unmittelbar geltendes deutsches Recht (Art. 59 GG) von den deutschen Gerichten zu beachten. Im Übrigen ist der gem. Art. 25 GG in der Bundesrepublik einzuhaltende völkerrechtliche Mindeststandard und der bereits mehrfach angesprochene ordre public, insbesondere die Menschenwürdegarantie des Art. 1 GG, auch hinsichtlich des Handelns ausländischer Staatsorgane bei der Erhebung von Beweismitteln, die in deutschen Strafverfahren verwertet werden sollen, einzuhalten und damit durch deutsche Gerichte zu überprüfen.589 Globalisierte, arbeitsteilige Strafverfolgung darf nicht zu einer Umgehung rechtsstaatlicher Mindeststandards führen, vielmehr müssen diese Standards ebenso grenzüberschreitend gelten wie Ermittlungen und Strafverfolgung stattfinden. Ein Staat, der von solcher grenzüberschreitender Strafverfolgung profitieren will, kann sich seiner rechtsstaatlichen Verpflichtungen nicht dadurch entledigen: er muss entweder dafür Sorge tragen, dass die Beweisgewinnung im Erhebungsstaat rechtsstaatlich abläuft oder der Verwertung rechtsstaatswidrig erhobener Beweise Grenzen setzen.590 Gemäß Art. 15 des Abkommens dürfen „Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, daß die Aussage gemacht wurde.“ Als Folter definiert Art. 1 „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden …“591 Da dieses Verwertungsverbot an anderer Stelle schon ausführlich begrün-

Zur (absolut verbotenen) Verwertbarkeit von durch Folter erlangten Beweisen vor den internationalen Strafgerichtshöfen s. Ambos, StV 2009, 151, 152 ff. 587 Dazu LR-Gleß, StPO, 2007, § 136a Rn. 79 mit Fn. 348; Ambos, StV 2009, 158 mit Fn. 110 f. m.w.N. – Zur Anwendung von § 136a auf Private s. u. Abs. 2 S.1. 588 BVerfG NJW 1994, 2883 = NStZ 1994, 492; BVerfGE, EuGRZ 1996, 328; BVerfG NJW 2004, 1858; OLG Hamburg NJW 2005, 2328; LR-Gleß, StPO, 2007, § 136a Rn. 79; Gleß, JR 2008, 325; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner-Lagodny, Rechtshilfe, 2006, IRG § 73 Rn. 90a. 589 Eingehend und mwN Talmon, FS Graf Vitzthum, 2008, S. 75 (91 ff.). 590 In diesem Sinne auch Gleß, JR 2008, 325. 591 Zu den Problemen dieser Definition im Hinblick Schmerzzufügungen unterhalb der Folterschwelle s. Ambos, J.Intl Crim. Just. 6 (2008), 261 (265 ff.) m.w.N.

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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det wurde592 und unten sogleich auf Art. 3 EMRK eingegangen wird,593 soll hier nur das praktisch besonders relevante Problem von Beweislast und -maßstab angesprochen werden.594 Der Angeklagte kann einen solchen Beweis – im Wege des Freibeweisverfahrens – nur führen, wenn er selbst das Opfer der Folter war und entsprechende physische oder psychische Spuren davongetragen hat. Da dies nur selten der Fall sein wird, kann man von ihm nicht mehr verlangen als auf die mögliche Folter bei der Beweisbeschaffung hinzuweisen und dafür plausible Gründe anzuführen (etwa dass die betreffende Beweise aus gerichtsbekannten Folterländern stammen). Zweifel müssen insoweit – in analoger Anwendung des (im Rahmen des Freibeweises eigentlich nicht geltenden) in Dubio-pro-reo-Grundsatzes595 – zugunsten des Angeklagten wirken. Die darin liegende Beweislastverschiebung entspricht auch der Auslegung von Art. 15 UN-FolterÜbk durch den UN-Folterausschuss, wonach diese Vorschrift die Staaten zu untersuchen verpflichtet, ob die ihren Gerichten als Beweis angebotenen Aussagen unter Folter entstanden sind.596 In diesem Sinne hat auch der EGMR – bezüglich einer behaupteten Tatprovokation durch die Strafverfolgungsbehörden – jüngst eine Beweislastumkehr angenommen, so dass es bei einer durch den Angeklagten plausibel behaupteten Tatprovokation Sache des beklagten Staates ist, diese positiv zu widerlegen.597 Die Frage des Beweismaßstabes hängt mit der der Beweislast zusammen. Insoweit stellt sich die Frage, was zur Annahme eines Verwertungsverbots bewiesen werden muss: Ist der Beweis eines realen Risikos oder einer hohen Wahrscheinlichkeit zur Annahme von Folter ausreichend oder muss diese vollkommen zur Überzeugung des Gerichts (jenseits vernünftiger Zweifel) bewiesen werden? Bedenkt man die praktischen Schwierigkeiten, den Beweis der Folter zu erbringen, und die verheerenden Auswirkungen, die schon der leiseste Verdacht der Folter auf die Integrität eines Strafverfahrens haben, so wird man nicht mehr als den Beweis des realen, ernsthaften Risikos der Folter zur Annahme eines Verwertungsverbots verlangen dürfen.

592 Ambos, StV 2009, 151 ff.; vgl. auch Jäger, GA 2008, 481, 489 f.; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 130 ff. 593 U. (b) bei Fn. 619 ff. 594 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Ambos, StV 2009, 160 f.; ebenso in der Sache nun Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 132, 150 ff.; Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 277 f. 595 Vgl. Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 277 m.w.N. 596 P.E. v. France, Complaint. No. 193/2001, UN Doc. A/58/44, S. 150 (para. 6.3.); G.K. v. Switzerland, Complaint. No. 219/2002, ebd., S. 185 (para. 6.10). 597 EGMR, Urteil v. 5.2.2008 – Nr. 74420/01 (Ramanauskas v. Litauen), HRRS 2008 Nr. 200, § 70.; EGMR, HRRS 2008, Nr. 70, §§ 60 f. Dazu Gaede/Buermeyer, HRRS 2008, 279, 281 f., 286 f.; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 153 ff., 307 f. Zur Rechtsprechung des EGMR hinsichtlich der Annahme einer Beweislastumkehr bzw. sonstiger Erleichterungen insbesondere bei Folter s.a. LR-Gleß, StPO, 2007, § 136a Rn. 72 mit Fn. 317 m.w.N. Vgl. insofern auch BGH NStZ-RR 2007, 80, 81 = StV 2007, 65.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

(b) Verletzung des allgemeinen Fairnessgebots (Art. 6 EMRK) Die EMRK enthält kein ausdrückliches Beweisverwertungsverbot. Ein solches kann sich grundsätzlich allenfalls als Folge einer Verletzung des – inzwischen auch von der deutschen Rechtsprechung anerkannten598 – allgemeinen Fairnessgrundsatzes des Art. 6 EMRK, nicht aber – abgesehen von Art. 3 EMRK (dazu sogleich) – als direkte Folge einer Konventionsverletzung ergeben.599 Die Feststellung einer solchen Verletzung setzt wiederum die vom EGMR vorgenommene Gesamtbetrachtung voraus, es ist also unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Verfahrens, der Art und Qualität des Verstoßes, evtl. Wiedergutmachungsleistungen etc. zu prüfen, ob der konkrete Konventionsverstoß das Verfahren insgesamt unfair gemacht hat.600 So kommt etwa eine Verletzung von Art. 6 EMRK aufgrund einer konventionswidrig gewonnenen Zeugenaussage überhaupt nur in Betracht, wenn die Verurteilung ausschließlich oder zu einem entscheidenden Teil auf dieser Zeugenaussage beruht hat und nicht auf weitere, rechtmäßig erlangte Beweismittel gestützt werden kann.601 Eine Verletzung von Art. 6 EMRK aufgrund unzulässiger Beweiserhebung kann insofern durch eine möglichst breite beweisrechtliche Absicherung der Verurteilung verhindert werden.602 Bei unter Verletzung nationaler Vorschriften erlangten Beweisen nimmt der EGMR – entgegen einiger Stimmen in der Literatur603 – nicht automatisch einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK an und schließt demzufolge ihre Verwertung auch nicht generell aus, wenn das Verfahren im Übrigen grundsätzlich als fair anzusehen ist.604 Wird man dem noch insoweit zustimmen können, als der ge598

Vgl. 1. Kap. IV. 2. c) bb) bei Fn. 304. Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 51; Lubig/Sprenger, ZIS 2008, 439; auch Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 98; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 121; Hauck, NStZ 2010, 20 f.; zur parallelen fairnesswidrigen Tatsachenerzeugung vgl. Jäger, GA 2008, 488. 600 StRspr.: EGMR Imbrioscia v. Schweiz, Urt. v. 24.11.1993 – No. 13972/88, ÖJZ 1994, 517 (518), para. 38; Plissier u. Sassi v. Frankreich, Urt. v. 25.3.1999 – No. 25444/94, NJW 1999, 3545 (3545 f.), para. 46; näher Ambos, ZStW 115 (2003), 583 (611 ff.); ders., § 10 Rn. 34 f.; Schroeder, GA 2003, 293 ff.; Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 42 ff., 51 f., 59, 323 ff.; Jäger, GA 2008, 480; HK-GS-Jäger, 2008, Vorb. zu §§ 133 ff., Rn. 45; krit. Gleß, NJW 2001, 3606 (3607); Kühne/Nash, JZ 2000, 996 (997 f); Rzepka, Fairness, 2000, S. 102 ff.; Vogel/Matt, StV 2007, 206 (211); Walther, GA 2003, 204 (218); ebenso BVerfG NJW 2009, 3225, o. Fn. 304; BGH NStZ 2009, 581 (zu Art. 6 (3)(d) EMRK). – Zur Auflösung der (deutschen) Differenzierung zwischen Erhebung und Verwertung von Beweisen und dementsprechend selbständigen und unselbständigen Beweisverboten durch die Gesamtbetrachtungslehre vgl. Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 60 f. 601 EGMR Doorson v. Niederlande, a.a.O., para. 76 („a conviction should not be based either solely or to a decisive extent on anonymous statements“); vgl. auch Haas v. Deutschland, Entsch. v. 17.11.2005 – No. 73047/01, NStZ 2007, 103 (105 f.) m. Anm. Esser; Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 52. 602 Eingehend Ambos, ZStW 115 (2003), 583 (612 ff.) m.w.N. 603 Nachweise bei Lubig/Sprenger, ZIS 2008, 436 f. mit Fn. 30 ff. 604 EGMR, Schenk v. Schweiz, Urteil v. 12.7.1988, § 46; Pllisier und Sassi v. Frankreich, Urteil v. 25.03.1999, § 45; Mantonvanelli v. Frankreich, Urteil v. 18.03.1997, § 34; Parris v. Zypern, Entsch. v. 04.07.2002. Dazu auch Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 54 ff. 599

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meineuropäische Fairnessstandard des Art. 6 nicht durch nationale (Beweis-)Vorschriften präjudiziert sein kann, denn schließlich geht es ja um Schaffung eines europaweiten und insoweit supranationalen Standards,605 so ist es weniger überzeugend, wenn der EGMR die in der Sache gleiche Ansicht auch bei einem unmittelbaren Verstoß gegen Konventionsrechte vertritt, soll doch auch insoweit das endgültige Verdikt der Unfairness des Verfahrens von der besagten Gesamtbetrachtung abhängen.606 Der Gerichtshof ist also überaus „flexibel“: Einerseits gewährt er dem nationalen Gesetzgeber beim Beweisrecht ohnehin einen weiten Beurteilungsspielraum und will selbst nur eine Missbrauchskontrolle ausüben.607 Diese Selbstbeschränkung („self restraint“) wird mitunter als Verweigerung der Entwicklung allgemeiner Beweisverwertungsverbote kritisiert bzw. (miß)verstanden.608 Andererseits können konventionswidrig erlangte Beweise grundsätzlich, wenn auch nur mit sehr großer Vorsicht („extreme care“), verwertet werden.609 Der strengeren Ansicht, wonach die Verwertung von konventionswidrig erlangten Beweisen mit dem Gebot der Fairness per se unvereinbar ist und deshalb a limine unzulässig sein muss,610 wird damit eindeutig eine Absage erteilt. Weder folgt aus einer konventionswidrigen Beweiserhebung automatisch eine Verletzung von Art. 6 EMRK noch (daraus) ein Vewertungsverbot. In der Sache entspricht die Gesamtbetrachtungslehre damit in diesem Zusammenhang der vom BGH praktizierten Beweiswürdigungslösung, mit der, etwa bei einer Verletzung des in Art. 6 Abs. 3 (d) garantierten Fragerechts im Ermittlungsverfahren, eine Minderung des Beweiswerts des so gewonnenen Vernehmungsergebnisses an die Stelle eines Verwertungsverbots gesetzt wird;611 wird man darüber streiten können, 605

Vgl. auch Lubig/Sprenger, ZIS 2008, 438. Vgl. jüngst Bykov v. Russia, Urteil v. 10.3.2009, Beschwerde Nr. 4378/02; krit. dazu Jung, GA 2009, 651 ff. Kontrovers diskutiert wird gleichwohl auch innerhalb des Gerichts anhand welcher Kriterien eine Abwägung im Einzelfall zu erfolgen habe (vgl. die Sondervoten zu EGMR, Urt. v. 17.12.1996 – 19187/91, Saunders v. Vereinigtes Königreich, RJD 1996, VI. und Sondervotum zu EGMR, Urt. v. 11.07.2006 – 54810/00, Jalloh v. Deutschland, NJW 2006, 3117). 607 Vgl. Art. 41, 46 I EMRK; EGMR S.N. v. Schweden, Urt. v. 2.7.2002 – No. 34209/96, RJD 2002-V, para. 44; Beulke, Jura 2008, 653, 663; Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 44. 608 Lubig/Sprenger, ZIS 2008, 136. Es ist allerdings zu beachten, dass die auf nationaler Ebene erfolgte Beweisverwertung vom EGMR einer Überprüfung hinsichtlich etwaiger Konventionsverstöße unterzogen wird (Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 50; HK-GS-Jäger, 2008, Vorb. zu §§ 133 ff., Rn. 44). 609 EGMR Doorson v. Niederlande, Urt. v. 26.3.1996 – No. 20524/92, ÖJZ 1996, 715 (717), para. 76; S.N. v. Schweden (o. Fn. 607), para. 53; Schwenn, StraFo 2008, 225. Zu konventionsrechtlichen Beweisverboten bei einschlägigen Ermittlungstätigkeiten und Auswirkungen auf das deutsche Recht s. eingehend Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 67 – 391. 610 Vgl. Lubig/Sprenger, ZIS 2008, 437 m.w.N; Gaede, JR 2009, 498 ff.; tendenziell auch Jung, GA 2009, 655 mit Blick auf prozedurale Gerechtigkeit. 611 BGHSt. 46, 93 (103 ff.) = NJW 2000, 3505 (3509 f.); fortgeführt durch BGH NStZ 2007, 166 (167); zust. Schwaben, NStZ 2002, 288 (292 f.); Detter, NStZ 2003, 1 (6, 9); Rogall, JZ 2008, 829; krit. Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 105 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 39, wegen der möglichen Voraus-Determinierung aufgrund des Perseveranz606

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

ob eine bloße Beweisminderung immer ausreichend ist – die überwiegende Literatur plädiert grundsätzlich für ein Verwertungsverbot612 –, so ist jede beweisrechtliche Lösung aus dogmatischer Sicht jedenfalls überzeugender als die in diesem Zusammenhang systemwidrige Strafzumessungslösung.613 Sieht der EGMR jedoch ein Verfahren aufgrund einer Verletzung der in Art. 6 EMRK gewährten Rechte als insgesamt unfair an, etwa bei einer staatlich erfolgten Tatprovokation sogar „von Anfang an“ („right from the outset“),614 so kann die aus der Konventionsverletzung folgende staatliche Restitutionspflicht nur in einem Verzicht auf die rechtswidrig erlangten Beweismittel in Form eines Beweisverwertungsverbots bestehen:615 „(…) the public interest cannot justify the use of evidence obtained as a result of police incitement, as to do so would expose the accused to the risk of being definitively deprived of a fair trial from the outset. (…) for the trial to be fair within the meaning of Article 6 § 1 of the Convention, all evidence obtained as a result of police incitement must be excluded.“616

Im Fall der staatlichen Tatprovokation wird man sogar sagen müssen, dass sich das Verwertungsverbot auf die Beweisaufnahme über die (historische) Tat insgesamt zu erstrecken hat, denn diese gesamte Tat wurde staatlich veranlasst.617 Bezüglich des in Art. 3 EMRK enthaltenen Folterverbots hat der EGMR eine Ausnahme von seiner Regel gemacht, wonach ein Verwertungsverbot allenfalls aus Art. 6 EMRK, nie jedoch direkt aus einer anderen Konventionsverletzung abgeleitet werden

Effekts; zu den Konsequenzen für die Ermittlungsbehörden Franke, GA 2002, 573 (577 f.). Jüngst für eine Gesamtbetrachtung bei gleichzeitiger Kompensation durch Beweiswürdigung BGH NStZ 2009, 581. 612 Ambos, NStZ 2003, 14 (17); Fezer, JZ 2001, 363 f.; Gleß, NJW 2001, 3606 f.; Kunert, NStZ 2001, 217 f.; Schlothauer, StV 2001, 127 (130 f.); krit. auch Walther, GA 2003, 204 (218 f.). 613 Zutr. Kritik bei Gleß, JR 2008, 325 m.w.N. in Fn. 118 f. Zu Strafzumessungs- und Vollstreckungslösung im Zhg. mit Art. 36 WÜK s. schon o. Fn. 451 f. und Text. 614 So im leading case Teixeira de Castro v. Portugal, Urt. v. 9.6.1998 – No. 25829/94, NStZ 1999, 47. 615 Teixeira de Castro (o. Fn. 614), para. 35 f., 39, m. Anm. Kempf, StV 1999, 128; Kinzig, StV 1999, 288; Roxin, JZ 2000, 369; Sommer, NStZ 1999, 48; vgl. auch Ambos, NStZ 2002, 628 (632). Für ein prinzipielles Verwertungsverbot aus Art. 6 aufgrund Waffengleichheit und Gesetzmäßigkeit des Verfahrens Gaede, JR 2009, 498 ff. (500, 501). 616 EGMR (Große Kammer), Urteil vom 5. Februar 2008 – Nr. 74420/01, Ramanauskas v. Litauen, HRRS 2008, Nr. 200, para. 54, 60. s. a. EGMR, Urteil v. 15. Dezember 2005 – 53203/ 99, Vanyan v. Russland, para. 46 – 47; s.a. Gaede/Buermeyer, HRRS 2008, 279, 281, 285 f. mit Fn. 59 m.w.N. 617 HK-GS-Jäger, 2008, Vorb. zu §§ 133 ff., Rn. 46 m.w.N.; für ein Verwertungsverbot aus Art. 6 bei einer staatlich veranlassten Selbstbelastung aufgrund Täuschung generell Gaede, JR 2009, 496 ff.

I. Die völkerrechtliche Einwirkung auf das nationale Prozessrecht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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kann.618 In Jalloh vs. Deutschland bestätigt der Gerichtshof zwar diesen Grundsatz,619 in dieser und der nachfolgenden Rechtsprechung differenziert er aber nach der Art des Verstoßes – „echte“ Folter oder „nur“ eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung620 –, der Art des erlangten Beweismittels – z. B. Geständnis oder körperlicher Gegenstand – und danach, ob dieses direkt oder indirekt aus der verbotenen Behandlung herrührt.621 Nur das direkt unter Folter im engeren Sinne erlangte Beweismittel führt automatisch zur Annahme eines unfairen Verfahrens i.S.d. Art. 6 EMRK;622 nur eine besonders schwere Verletzung – etwa die Erlangung eines Geständnisses durch Folter – sei geeignet, das betreffende Verfahren an sich und ohne Weiteres insgesamt unfair zu machen.623 Das in Art. 3 EMRK enthaltene absolute Folterverbot führt also bei Übertreten der Schwelle von einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung zu einer „echten“ Folter zu einem absoluten Verwertungsverbot.624 Zusammenfassend kann man damit feststellen, dass der EGMR die Frage der Beweisverwertung mittels einer Abwägung im Einzelfall unter Hinzuziehung der Gesamtbetrachtungslehre entscheidet. Lediglich im Fall eines durch Folter erlangten Geständnisses nimmt der Gerichtshof, letztlich aufgrund der Schwere des Verstoßes, ein insgesamt unfaires Verfahren und damit ein direktes Verwertungsverbot an. Die vom Schrifttum geäußerte Kritik,625 wonach der EGMR sich so der Entwicklung einer allgemeinen Lehre zu den Beweisvertwertungsverboten verweigere, ist angesichts der bekannten Nachteile einer einzelfallbezogenen Abwägung zwar nachvollziehbar,

618 Zur Übertragung auf weitere Menschenrechtsverletzungen, insbesondere Art. 8 EMRK s. Gaede, JR 2009, 498 ff. Zur insoweit relevanten Differenzierung zwischen Gesamtrechtsverstoß und (fairnessrelevanter) Teilrechtsverletzung Hauck, NStZ 2010, 20 f. 619 Jalloh v. Deutschland, Urt. v. 11.7.2006, StV 2006, 617, para. 95; dazu eingehend Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 155 ff.; auch Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 212 ff.; ders., GA 2008, 489; krit. Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 94 ff.; zu Jalloh und dem deutschen Strafverfahrensrecht Safferling, Jura 2008, 100 ff. 620 Zur Problematik der Folterdefinition s. Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 68 ff sowie schon o. Fn. 591. 621 Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 60, 77 ff. (77) m.w.N. zur Rspr. 622 Jalloh v. Deutschland (o. Fn. 619), §§ 99, 107; Harutyunyan v. Armenien, Urt. v. 28.06.2007, § 66. Zur Verwertung von aufgrund einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK erlangten Geständnissen s. EGMR, Göcmen v. Türkei, Urteil v. 17.10.2006, para. 74 ff.; Gäfgen v. Deutschland, Urt. v. 30.6.2008 – No. 22978/05 (NStZ 2008, 699), para. 99. 623 Gäfgen v. Deutschland (o. Fn. 622), para. 97 ff. Im konkreten Fall bejahte der EGMR jedoch „nur“ eine unmenschliche Behandlung (para. 70) und verneinte – mit Blick auf die innerstaatlich erfolgte Wiedergutmachung in Form der Strafverfolgung des Polizeibeamten – eine Verletzung von Art. 6 (para. 102 ff.). 624 Vgl. Ambos, StV 2009, 156 ff. mit Fn. 88 ff. 625 s. Lubig/Sprenger, ZIS 2008, 436; Jäger, GA 2008, 481 ff. (kasuistisch, unvorhersehbar); Gaede, JR 2009, 494 ff.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

leidet aber an der fehlenden Alternative einer vollends überzeugenden Theorie der Beweisverwertungsverbote.626

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private unter besonderer Berücksichtigung der Fälle Liechtenstein und Siemens 1. Einführung Wenn Private strafrechtliche Ermittlungen betreiben, so ist zunächst zu klären, ob sie aus eigener Initiative, also ganz ohne staatliches Zutun, tätig werden oder ob sie von staatlichen Behörden gezielt zur Vornahme einer konkreten Ermittlungstätigkeit – u. U. sogar mit dem Ziel einer Umgehung der bestehenden Vorschriften – beauftragt oder in sonstiger Weise engagiert worden sind.627 In diesem Fall einer staatlich veranlassten Ermittlungstätigkeit Privater ist deren Verhalten ohne Weiteres dem Staat zuzurechnen,628 so dass auch die gesetzlichen Regelungen zur Beweiserhebung und -verwertung grundsätzlich anwendbar sind.629 In dem problematischeren Fall privater Ermittlungen ohne amtlichen Auftrag ist der Zurechnungszusammenhang hingegen grundsätzlich unterbrochen,630 weshalb eine „persönliche“ Drittwirkung der einschlägigen Vorschriften und damit ein Beweisverwertungsverbot grundsätzlich abzulehnen ist.631 In diesem Sinne geht die ganz überwiegende Meinung in Literatur und Rechtssprechung davon aus, dass die eigenständig durch Private beschafften Beweise, auch bei rechtswidrigem Vorgehen,632 grundsätzlich verwertbar sind.633 Formal 626

s. dazu bereits o. 1. Kap. IV. 1. Vgl. Bienert, Private Ermittlungen, 1997, S. 24 f., 131 ff.; Mende, Grenzen, 2001, S. 31, 63 ff.; auch Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 123 ff., 171 ff. 628 Zum Erfordernis des bei den Hörfallen- und U-Haft-Fällen entwickelten Zurechnungszusammenhangs vgl. schon o. 1. Kap. III. 1. c) bei Fn. 93 und d) bei Fn. 115 ff. 629 Vgl. Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2010, § 23 Rn. 33 m.w.N.; Beulke, Jura 2008, 662; Rogall, ZStW 91 (1979), 41; Mende, Grenzen, 2001, S. 179; Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 222, 224; Godenzi, GA 2008, 503 f. 630 Zum Zusammenhang zwischen Zurechnung und Grundrechtsdogmatik Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 183 ff.; dies., GA 2008, 505 f. 631 Grdl. Bockemühl, Private Ermittlungen, 1996; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 136a Rn. 3; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 478; Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2010, § 23 Rn. 33. 632 Bei rechtmäßigem Vorgehen stellt sich ohnehin kein Problem, zutreffend Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 170 f., 192 mit dem zutreffenden Hinweis, dass selbst die „schlichte Zivilrechtswidrigkeit“ des privaten Handelns keine erga omnes Wirkung i.S. eines Verwertungsverbots haben kann. Andererseits folgt aber eben aus der (Straf-)Rechtswidrigkeit der Beweisbeschaffung – auch bei Privaten – nicht automatisch ein Verwertungsverbot (ebd., S. 193 f.). Vgl. auch Godenzi, GA 2008, 514 f. 633 Meyer/Goßner (Fn. 66), § 136a Rn. 3; Gössel, Strafverfahrensrecht, 1977, S. 192 m.w.N.; Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 43; Roxin/Schünemann, Strafver627

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und vordergründig lässt sich dies auch damit begründen, dass der Private nicht Adressat der Strafverfahrensordnung ist und somit auch nicht an die durch sie aufgestellten Regeln gebunden sein kann.634 Natürlich muss es jedoch auch insoweit – und zwar unabhängig von einem etwaigen Zurechnungszusammenhang – Grenzen der Verwertung geben.635 Sie lassen sich vor allem menschenrechtlich begründen. Man stelle sich etwa den Fall vor, dass der vom Opfer oder seinen Angehörigen engagierte Privatdetektiv so lange auf den Beschuldigten einschlägt, bis er gesteht. Da eine solche „Beweiserhebung“ von einem Rechtsstaat nicht geduldet werden kann, wird vielfach die Anwendung von § 136a analog zugunsten des malträtierten Beschuldigten gefordert,636 jedenfalls bei einem Verstoß gegen die Menschenwürde637 oder einem extrem menschenrechtswidrigen Verhalten.638 Das steht im Einklang mit der allgemeinen materialen Fundierung fahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 65; Kleinknecht, NJW 1966, 1537 (1543); Beulke, Jura 2008, 661; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 660, 662; Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 275; Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 279; vgl. auch den (ablehnenden) DJT-Beschluss u. Fn. 656; (krit.) zur uneinheitlichen Rspr. und Lit. Mende, Grenzen, 2001, S. 161 ff. (169), 170 ff. (174 ff.); Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 144 ff. (auch zur Schweiz, wo die Rspr. eine hypothetische Prüfung und Abwägung vornimmt, zusf. S. 147); Pawlik, JZ 2010, 698. 634 s. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 35; Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2010, § 23 Rn. 33. Vgl. auch Dencker, Verwertungsverbote, 1977, S. 98; Störmer, Verwertungsverbote, 1992 , S. 117; Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 186 ff., 236; Rogall, JZ 2008, 828 li. Sp. Krit. Mende, Grenzen, 2001, S. 201 ff.; Trüg/Habetha, NStZ 2008, 488. 635 Die die von der h.M. gemachten Ausnahmen von der grundsätzlichen Verwertbarkeit lassen sich in drei Fallgruppen einteilen: (1) bei einem eklatanten Verstoß gegen Art. 1 GG (Menschenwürde- bzw. krasse Menschenrechtsverletzungen), (2) wegen Verletzung der Intimsphäre (Tagebuchfälle) und (3) bei Zurechnung zum staatlichen Handeln wegen bewusster, finaler Umgehung der gesetzlichen Beweiserhebungsvorschriften (instruktiv Beulke, Jura 2008, 661 f.; auch Trüg/Habetha, NStZ 2008, 488); zur Schweiz Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 144 ff. (147). 636 In diesem Sinne wohl auch Volk, StPO, 2008, § 9 Rn. 17, sowie Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 102 f. („horizontale Drittwirkung“), 127; ders., FS Stöckel, 2010, S. 280; OLG Hamburg, NJW 2005, 2329. s.a. Kleinknecht, NJW 1966, 1537 (1534); Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 904.1, 904.2; Rogall, ZStW 91 (1979), 41 f. (bei Verstoß gegen Nemo-teneturGrundsatz); ders., JZ 2008, 828 re. Sp sieht insoweit „valide Zurechnungsgründe“, auf die Zurechnung kommt es aber nicht an; aus teleologischer Sicht Mende, Grenzen, 2001, S. 220 ff. Krit. Bienert, Private Ermittlungen, 1997, S. 50 f., 99 f.; krit. zu Analogie und mittelbarer Grundrechtswirkung insoweit Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 188 ff., 201 ff. (214 ff.), 236, 237; dies., GA 2008, 506 f.; für Verwertung Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 223. 637 Otto, GA 1970, 289 (299); KK-Senge, StPO, 2008, Vor § 48 Rn. 52; Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 479; Finger, JA 2006, 529 (537); Amelung, Informationsbeherrschungsrechte, 1990, S. 64; OLG Celle, NJW 1985, 640, 641 m.w.N.; Talmon, FS Graf Vitzthum, 2008, S.83; Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 280, 281. 638 Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 48; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 65; Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2010, § 23 Rn. 35; auch Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 223; Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 136a Rn. 3; Rogall, JZ 2008, 828 f.; Chao, Beweisverbote, 2009, S. 125, 127; den Diskussionsstand zusf. Bienert, Private Ermittlungen, 1997, S. 43 ff., 106 ff., die allerdings selbst krit. ist (S. 57 u. passim); krit. auch Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 223 ff.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

ungeschriebener Verwertungsverbote.639 Die Einführung solcher Beweise würde sich überdies als (neue, wiederholte) Rechtsverletzung darstellen.640 Dogmatisch lassen sich diese Grenzen mit der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates begründen, insbesondere mit der Pflicht, ein rechtsstaatliches Strafverfahren ohne grundrechtswidrige Übergriffe dieser Art, seien sie von staatlicher oder privater Seite veranlasst, zu garantieren.641 Darüber hinaus lässt sich argumentieren, dass private Ermittlungen generell mit dem an staatlicher Verfahrenshoheit orientierten Leitbild der StPO unvereinbar sind,642 denn ein Staat, der auf privat beschaffte Beweise angewiesen ist, macht sich und sein Strafverfahren langfristig selbst überflüssig und gibt sein ius puniendi auf. Lässt man also die private Beschaffung von Beweisen grundsätzlich zu, so müssen diese Beweise an der staatlichen Rechtsordnung gemessen werden und den dort vorgesehenen Verwertungsregeln unterliegen643 – ohne dass freilich, wie auch nach den allgemeinen Grundsätzen,644 jede rechtswidrige private Beweisbeschaffung gleichsam automatisch ein Verwertungsverbot zur Folge hätte.645 Wird mit der Schutzpflichtthese grundsätzlich an das staatliche Unterlassen angeknüpft,646 handelt der Staat seiner Schutzpflicht aktiv zuwider, wenn er sich die privat beschafften Beweise zu Nutze macht,647 sei es weil die staatlichen Ermittlungen er-

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s. o. 1. Kap. IV. 1. bei Fn. 237. Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 35; vgl. BGHSt 14, 358 ff; s.a. Bienert, Private Ermittlungen, 1997, S. 31; Trüg/Habetha, NStZ 2008, 488 („perpetuiert“); Rogall, JZ 2008, 828 re. Sp. 641 In diesem Sinne für die staatliche Pflicht zum Schutz der Grundrechte als Anknüpfungspunkt für ein Beweisverwertungsverbot Hassemer/Matussek, Opfer, 1996, S. 77 f.; Rogall, ZStW 91 (1979), 41; Sydow, Lehre von den ,Beweisverboten, 1967, S. 109 ff.; Bockemühl, Private Ermittlungen, 1996, S. 125; für eine individualrechtsbezogene Begründung in diesem Sinne Mende, Grenzen, 2001, S. 192 ff. (195); krit. Bienert, Private Ermittlungen, 1997, S. 58; allg. krit. dazu und zu sonstigen grundrechtlichen Begründungsversuchen Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 183 ff., 199 ff. (216 ff.), 235 f.; dies., GA 2008, 510 ff. 642 So Hassemer/Matussek, Opfer, 1996, S. 82 ff.; ähnlich zum staatlichen Gewaltmonopol und dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG als verfassungsrechtliche Schranke privater Ermittlungen sowie zu den strafprozessual-strukturellen Grenzen Mende, Grenzen, 2001, S. 77 f., 125 ff., 198, 212 ff. 643 Vgl. Jahn, Beilage NJW H.12/2008, S. 13 (15); ders., DJT Gutachten, 2008, C 103 und JuS 2000, 441 (444); Sydow, Lehre von den ,Beweisverboten, 1967, S. 80 f. 644 Vgl. schon o. 1. Kap. II. bei Fn. 39 f. 645 Vgl. Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 170 ff., 234, 333; Jäger, GA 2008, 493; Rogall, JZ 2008, 828 re. Sp. 646 Zur Haftungsbegründung aus Ingerenz wegen des Gewährenlassens der Privatermittler und legislativen Unterlassens Mende, Grenzen, 2001, S. 206 ff., 211 f.; krit. Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 182 ff., 235. 647 Rogall, ZStW 91 (1979), 41 (Nichtverwertung als Erfüllung eines Verfassungsgebots, weshalb rechtswidrige Beweiserlangung durch Private ebenso zu behandeln sei wie die durch Hoheitsträger); Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 222, 223; krit. insoweit zur These der Beweismittelübernahme Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 177 ff., 198 f., 234 f.; zust. Rogall, JZ 2008, 828 li. Sp. (der sich damit aber in Widerspruch zu seiner gerade zitierten Ansicht aus 1979 setzt!). 640

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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folglos geblieben sind,648 oder weil sich diese „mittelbare“ Nutzung649 einfach anbietet. Es kommt dabei nicht darauf an, ob sich der Staat die Beweise aktiv aneignet oder der Private sie eigeninitiativ und freiwillig zur Verfügung stellt,650 zumal dies in der Praxis – s. den Liechtenstein-Fall (u. II. 2.) – häufig kaum zu unterscheiden sein wird. Entscheidend ist allein, dass die privat beschafften Beweise in das Strafverfahren eingeführt werden, also in diesem Sinne der Staat die private Beweisbeschaffung ausnutzt. Spätestens damit wird der einmal unterbrochene Zurechnungszusammenhang wieder hergestellt,651 der Staat wird zum „Hehler“ der bemakelten (wenn rechtswidrig beschafften) Beweismittel652 und muss sich – im Sinne der Lehre vom hypothetischen Ermittlungsverlauf653 – fragen lassen, ob die Beweise staatlicherseits hätten erhoben und eben auch verwertet werden dürfen.654 Geht man von einer solchen Rückanbindung an den staatlichen Hoheitsbereich aus, wird dann freilich – methodisch gesehen – ein eventuelles (selbständiges) Verwertungsverbot nicht von dem Unrecht des privaten Beschaffungsakts sondern von dem eigenständigen staatlichen Unrecht mit Blick auf die staatliche Grundrechts- und Rechtsstaatsbindung ausgelöst; es wird 648

Kelnhofer/Krug, StV 2008, 662 m.w.N. Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 904.1; zur mittelbaren Relevanz des privaten Unrechts (bei gleichzeitiger Betonung der Selbständigkeit eines evtl. Verwertungsverbots) auch Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 230 ff., 238. 650 Für diese Unterscheidung Godenzi, GA 2008, 504, 505, die die fehlerhafte staatliche Aneignung privat beschaffter Beweise sogar mit der staatlichen Beteiligung an der Beweisbeschaffung gleichstellen will. 651 s. zu den vom EGMR im Fall Allan v. GB aufgestellten Zurechnungskriterien 1. Kap. IV. 2. c) ee) (1) nach Fn. 354; auch EGMR, M.M. v. Netherlands, Urt. v. 08.04.2003, para. 38 ff. = StV 2004, S. 1 ff., in dem der EGMR betont, dass der Staat seinen Verpflichtungen aus der EMRK nicht durch Einschaltung Privater umgehen darf (para. 40); zu diesem Urteil Gaede, StV 2004, 46 ff. Freilich sind in der deutschen Lehre die Kriterien, nach denen privates Handeln den staatlichen Behörden zugerechnet werden kann, umstritten, s. z. B. Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 101; Beulke, Jura 2008, 662. 652 Die Hehlerthese geht auf Schmidt-Leichner, Verh. 46. DJT, Bd. II, 1967, F 139 zurück. Vgl. auch Mende, Grenzen, 2001, S. 204 ff.; krit. wegen den darin liegenden „materiellrechtliche[n] Deformationen des Strafverfahrensrechts“ und der „faktische[n] Aufgabe der staatlichen Strafverfolgungshoheit“ Godenzi, GA 2008, 507 ff.; dies., Beweisbeschaffung, 2008, S. 194 ff.; krit. auch Jäger, GA 2008, 493. 653 Vgl. o. Fn. 120, 241. 654 Vgl. auch Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 239 ff. (328 ff.); dies., GA 2008, 512 ff., die allerdings einen grundlegenden Unterschied zu der, bisher im Zusammenhang mit staatlicher Beweiserhebung angewendeten Lehre vom hypothetischen Ermittlungsverlauf (krit. o. Fn. 241 ff. und Haupttext) sieht und deshalb im vorliegenden Zusammenhang privater Beweisbeschaffung von einer „Hypothese rechtswidriger staatlicher Beweiserhebung“ auf einer neuen Grundlage ausgeht. Hätte der Staat danach die Beweise (auch) nur rechtswidrig erlangen können, wäre ein Verwertungsverbot die Folge (287 ff., 333). Damit setzt sie sich aber zu dem – auch von ihr anerkannten (S. 170 ff., 234, 333) – Grundsatz in Widerspruch, dass die rechtswidrige (private) Beweiserhebung als solche das Verwertungsverbot nicht auslösen kann (o. Fn. 645). Außerdem muss sie einräumen, dass es (selbständige verfassungsrechtliche) Verwertungsverbote unabhängig von der Art der Beweiserhebung geben kann und verweist insoweit auf die den Intimbereich betreffenden Tagebuchfälle (ebd., S. 321 ff., 330). 649

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

also an den staatlichen Verwertungsakt zur Begründung eines evtl. Verwertungsverbots angeknüpft.655 Die völkerrechtliche Menschenrechtsordnung und die staatliche Grundrechtsordnung repräsentieren die grundsätzlich unverfügbare, abwägungsfeste Grenze des strafprozessualen Normensystems, vor der auch Private Halt machen müssen, wie immer man dies dogmatisch begründen mag. Inhaltlich stellt das allgemeine Fairnessgebot, mit dem die Verwertung deliktisch erlangter Beweismittel – durch wen auch immer – nur selten vereinbar sein dürfte, den leitenden Gesichtspunkt des strafprozessualen Normensystems dar.656 Insoweit kommt es entscheidend – in Übereinstimmung mit der Gesamtbetrachtungslehre des EGMR657 – darauf an, ob die Verwertung das Verfahren insgesamt unfair machen würde.658 Die Gesamtfairnessprüfung macht deutlich, dass die Entscheidung für ein Verwertungsverbot auch in diesen Fällen – trotz aller dogmatischen Begründungsversuche – letztlich das Ergebnis eines Abwägungsprozesses ist.659 Ziel der Verwertungsentscheidung muss – im Einklang mit Sinn und Zweck von Beweisverwertungsverboten – die Wahrung der rechtsstaatlichen Integrität im Allgemeinen und die des Strafverfahrens im Besonderen sein.660 Denn wie bei der transnationalen Beweisbeschaffung durch ausländische Hoheitsträger so steht auch bei der Beweisbeschaffung Privater und deren nachfolgender Verwertung in einem nationalen Strafverfahren die Integrität des nationalen Strafjustizsystems bei krassen Menschenrechtsverletzungen auf dem Spiel.661 Der Unterschied zwischen ausländischem hoheitlichen und privaten Handeln mag darin liegen, dass in jenem Fall eben hoheitlicher Zwang ausgeübt 655

Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 181 f., 251 ff.; dies., GA 2008, 501, 504. Vgl. auch Chao, Beweisverbote, 2009, S. 124 f., der aber die menschenrechtliche Grenze mit der Zurechnungsbegründung aufgrund des staatlichen Verwertungsakts vermischt. 656 Vgl. auch Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 224. Zur Bedeutung des fairen Verfahren s.a. die DJT-Beschlüsse (Fn. 24) Nr. 1 b) (stärkere Beachtung der verfassungsrechtlichen Grundlagen des fairen Verfahrens, 42:23:11) sowie 9 b) (33:17:15), wonach ein Verwertungsverbot auch anzuerkennen ist, „wenn andernfalls die Grundsätze des fairen Verfahrens“ verletzt würden. Allerdings soll die Verletzung dieser Grundsätze nicht die durch Privatpersonen gewonnenen Erkenntnisse unverwertbar machen (entsprechender Antrag 12 b) mit 25:35:4 abgelehnt). 657 Vgl. schon o. Fn. 600 und Haupttext. 658 Vgl. Warnking, Beweisverbote, 2008, S. 270 ff. mit Nachweisen der einschlägigen Rspr. Sie kritisiert freilich, dass der EGMR insoweit das Gewicht der bei der Beweisgewinnung verletzten Konventionsnorm (etwa Art. 8) zu wenig berücksichtigt; vgl. auch Godenzi, Beweisbeschaffung, 2008, S. 161 ff. (164); dies., GA 2008, 501 f.; Jäger, GA 2008, 493. 659 I. E. ebenso Bienert, Private Ermittlungen, 1997, S. 184 u. passim; zur Rspr. Mende, Grenzen, 2001, S. 177, der jedoch selbst jegliche Abwägung als unscharf und ungeeignet ablehnt (S. 217 f.). 660 Bienert, Private Ermittlungen, 1997, S. 98, 175 ff. u. passim will auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens abstellen; das ist aber unbestimmter als das Kriterium der rechtsstaatlichen Integrität und außerdem kommt es auch ihr auf die „Integrität des Urteils“ an (S. 179). Für „normative Integrität der Beweismittel“ Mende, Grenzen, 2001, S. 208. 661 Vgl. schon Ambos, StV 2009, 158; auch Beulke, Jura 2008, 662; Keller, FS Grünwald, 1999, S. 273 f.; Mende, Grenzen, 2001, S. 209 ff.; OLG Hamburg, NJW 2005, 2329.

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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wird662 und er deshalb mit dem privaten Handeln nicht gleichgesetzt werden kann;663 dies ändert aber nichts daran, dass für beide Formen der Beweisbeschaffung die gleichen menschenrechtlichen Grenzen wie bei nationalem hoheitlichen Tätigwerden beachtet werden müssen. Vor diesem Hintergrund können wir uns nun den Fällen Liechtenstein und Siemens zuwenden. In beiden Fällen geht es neben der bereits oben angesprochenen Frage nach einem völkerrechtlich begründeten Beweisverwertungsverbot infolge der Umgehung des vorgesehenen Rechtshilfeweges auch um die Folgen einer (rechtswidrigen) Beweisbeschaffung durch Private bzw. deren Vergleichbarkeit mit einem derartigen Vorgehen durch ausländische Hoheitsträger. 2. Der Fall Liechtenstein Nach den verfügbaren Informationen könnte sich der Fall Liechtenstein folgendermaßen zugetragen haben:664 Einem bis zum Jahr 2000 bei dem liechtensteinischen Finanzunternehmen Liechtenstein Global Trust (LGT) beschäftigten Mitarbeiter K gelang es – vermutlich noch während seiner dortigen Tätigkeit – Bankkundendaten zu kopieren. Darunter waren auch etliche Daten deutscher Bankkunden, welche Anhaltspunkte für Steuerstraftaten enthielten. Nachdem K wegen versuchter Erpressung seiner ehemaligen Arbeitgeberin in Liechtenstein zu einer Haftstrafe verurteilt worden war, trat er im Jahre 2006 mit diesen Daten oder einem Teil davon u. a. an den Bundesnachrichtendienst (BND) heran. Nach der Lieferung einiger „Stichproben“ an den BND und an die vom BND zwischenzeitlich informierten Finanzbehörden, erwarb der BND die Daten-DVD mit den brisanten Bankkundendaten zum Kaufpreis von ca. 4,2 Mio. Euro. Nach der Auswertung der Daten durch die Finanzbehörden und Einschaltung der Staatsanwaltschaft kam es zu einer Serie von Hausdurchsuchungen im Rahmen steuerstrafrechtlicher Ermittlungsverfahren. Der genaue Ablauf des Geschäfts, insbesondere des „Datenkaufs“, ist allerdings nicht völlig geklärt. Teilweise wird angenommen, der Ankauf der Daten erfolgte – nach der Weiterleitung der Ersthinweise durch den BND an die deutschen Steuerbehörden – direkt durch die Steuerbehörden.665 Auch der Ort des „Geschäfts“ ist nicht bekannt.

662

Vgl. Keller, FS Fezer, 2008, S. 236 mit Fn. 26 m.w.N. In diesem Sinne auch LR-Gleß, StPO, 2007, § 136a Rn. 72, die deshalb für eine direkte Anwendung des § 136a plädiert; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Rechtshilfe, 2006, Einleitung Rn. 105 ff.; OLG Frankfurt, NStZ 1988, 425; Eisenberg, Beweisrecht, 2008, Teil 1, Kap. 3, Rn. 355; Böse, ZStW 114 (2002), 153. 664 Vgl. Kölbel, NStZ 2008, 241; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 661, 662; Sieber, NJW 2008, 881 f.; ders., FAZ 31.3.2008; Heine, FS von Büren, 2009, S. 920; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 338 f.; Spatscheck, FS Volk, 2009, S. 773 f.; Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 260 f. – Zur ähnlichen „Batliner-Affäre“ aus dem Jahre 1997 Göres/Kleinert, NJW 2008, 1356. – Zum parallelen Fall des Datenkaufs in der Schweiz aus Anfang 2010 s. aus rechtlicher Sicht konträr Lüderssen und Ambos, FAZ, 11.2.2010, 6; Ambos, DATEV Magazin 2/2010, 42 ff.; Ignor/Jahn, JuS 2010, 390 ff.; gg. Lüderssen Küchenhoff und Giesen, FAZ, 20.2.2010, 6 (Leserbriefe). 665 s. z. B. Kölbel, NStZ 2008, 241. 663

112 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

Aus strafprozessualer Sicht stellt sich die Frage, ob die in die Hände der deutschen Ermittlungsbehörden gelangten Bankdaten in einem Strafprozess gegen die Kunden der LGT verwendet werden dürfen.666 Insoweit ist zunächst die (rechtswidrige) Beschaffung der Daten durch den K [sub a)] und sodann der Ankauf und die Weitergabe durch den BND, insbesondere die damit zusammenhängende (völkerrechtswidrige) Umgehung des ordentlichen Rechtshilfeverfahrens, zu untersuchen [sub b)], bevor schließlich auf dieser Grundlage die Konsequenzen für die Verwertbarkeit zu ziehen sind [sub c)]. a) (Straf-)Rechtswidrigkeit der Beschaffung der Daten durch eine Privatperson K wurde wegen der Beschaffung der Daten in Liechtenstein wegen Verletzung bzw. Auskundschaftung von Betriebsgeheimnissen gem. §§ 122, 123 und 124 Abs. 2 StGB-Liechtenstein667 sowie wegen Datendiebstahls gem. § 131a StGBLiechtenstein verurteilt.668 Nach dem – für die Verwertung maßgeblichem669 – deutschen Recht kommt eine Strafbarkeit wegen des Sichverschaffens und Verwertens/ Mitteilens von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UWG, wegen des Ausspähens von Daten gem. § 202a StGB sowie wegen Abrufen/sich Verschaffen von Daten gemäß §§ 43 Abs. 2 Nr. 3, 44 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) in Betracht. Hinsichtlich § 17 Abs. 2 Nr. 1, 2 UWG hat K aus Eigennutz ein fremdes Geschäftsgeheimnis, das er sich durch Herstellung einer verkörperten Wiedergabe zunächst unbefugt verschafft hat (Nr. 1), sodann – durch den Verkauf an den BND – unbefugt (dazu sogleich) verwertet und einem Dritten mitgeteilt (Nr. 2).670 Ob er zur Zeit der Weitergabe der Bankdaten noch Mitarbeiter der

666 Eine Stellungnahme auch zu den steuerrechtlichen Aspekten des Falles findet sich bei Göres/Kleinert, NJW 2008, 1353 ff. In dem in diesem Zusammenhang wohl prominentesten und bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren gegen Klaus Zumwinkel kam es aufgrund seines Geständnisses auf die Klärung dieser Frage nicht an (LG Bochum, Urteil v. 26.01.2009 – 12 Kls 350 Js 1/08). 667 Abrufbar unter < www.gesetze.li/get_pdf.jsp?PDF=1988037.pdf.>. 668 Kelnhofer/Krug, StV 2008, 661; vgl. auch Schünemann, NStZ 2008, 308; Bruns, StraFo 2008, 189, 190; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 340. – Der Datenankauf in dem parallelen Schweizer Fall ist insbesondere nach Art. 273 (Wirtschaftlicher Nachrichtendienst) und Art. 143 (unbefugte Datenbeschaffung, „Datendiebstahl“) sowie nach Art. 47 Bankengesetz (Bankgeheimnisverletzung) und Art. 162 StGB (Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses) strafbar; näher Ostendorf, ZIS 2010, 302 f. 669 O. Fn. 466 und Haupttext. 670 Abs. 2 Nr. 2 verdrängt also Nr. 1 im Wege der Konsumtion oder mitbestraften Nachtat, deshalb kann man nur von einer Strafbarkeit nach Abs. 2 Nr. 2 ausgehen, so Schünemann, NStZ 2008, 308 (unbefugte Mitteilung); Sieber, NJW 2008, 881 f. (unbefugte Verwertung); Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 340 (allerdings ohne genaue Prüfung); Spernath, NStZ 2010, 308; für beide Tatalternativen Kelnhofer/Krug, StV 2008, 661; nur für Nr. 1 unter Außerachtlassung des Verkaufs Trüg/Habetha, NJW 2008, 888. Angesichts des Auslandsbezugs kommt auch ein besonders schwerer Fall gemäß § 17 Abs. 4 Nr. 2 UWG in Betracht.

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Bank war, ist unerheblich, weil auch ein ausgeschiedener Beschäftigter Täter sein kann.671 Hinsichtlich § 202a StGB muss davon ausgegangen werden, dass nicht jeder Mitarbeiter der LGT Zugriff auf alle Daten der Firma hat – diese also nicht für ihn bestimmt waren – und dass die Daten darüber hinaus gegen unbefugten Zugriff besonders gesichert waren.672 § 44 Abs. 1 BDSG macht das gemäß § 43 Abs. 2 Nr. 3 als Ordnungswidrigkeit verbotene unbefugte Abrufen oder Verschaffen von personenbezogenen Daten zu einer Straftat, wenn sie gegen Entgelt oder mit Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht erfolgt. Täter kann gem. § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 2 Abs. 4 jedermann sein. Hier ist davon auszugehen, dass K sich die Daten im eigenen Interesse unbefugt verschafft und mit Bereicherungsabsicht weitergegeben hat.673

Fraglich ist aber, ob die Datenverschaffung und nachfolgende Verwertung/Mitteilung (i.S.v. § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG) unbefugt erfolgt ist. Hieran fehlt es „vor allem“ in den Fällen des rechtfertigenden Notstands.674 Dessen Anwendbarkeit ist freilich in casu von zahlreichen Autoren verworfen worden, weil § 34 StGB kein allgemeines „Unrechtsverhinderungsrecht“ darstelle.675 Das ist aber nicht überzeugend.676 Denn § 34 liegt der allgemeine Gedanke einer Abwägung und des überwiegenden Interesses zugrunde, der jedenfalls dann fruchtbar gemacht werden kann, wenn damit nicht vorrangige strafprozessuale Ermächtigungsgrundlagen umgangen werden.677 Nimmt man nun eine Abwägung vor, so ist es – auf der Eingriffsseite – schon fragwürdig, ob die von den Banken geltend gemachten Rechtsgüter (Schutz ihrer Kundendaten, Bankgeheimnis) hier überhaupt Schutz verdienen. Wenn (ausländische) Banken sich faktisch an Steuerhinterziehung beteiligen, ist es dann nicht gerechtfertigt, zur Wiederherstellung gesellschaftlicher Steuersolidarität in ihre Rechte einzugreifen? Zu berücksichtigen ist auch, dass die Mitteilung der Daten hier nicht allein der Strafverfolgung (§ 370 AO), sondern – es kommt zu Selbstanzeigen – auch präventiv dem Schutz des deutschen Steueraufkommens dient.678 Nicht umsonst wird von einigen sogar ein „Recht zur Strafanzeige“ („whistleblowing“!) propagiert. Wird man ein solches Recht wegen dessen Konturenlosigkeit zwar ablehnen müssen, so verstärkt seine Diskussion in unserem Zusammenhang doch das Erhaltungsinteresse (Schutz des deutschen Fiskus) im Rahmen von § 34 StGB. Zuletzt ist noch zu bedenken, dass 671

Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Baumbach-Köhler, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 2010, § 17 Rn. 49. 672 Vgl. Kelnhofer/Krug, StV 2008, 661. 673 Vgl. auch Kelnhofer/Krug, StV 2008, 661 f. Krit. Giesen, FAZ, 20.2.2010, 6, für den die Übermittlung zur Strafverfolgung grds. erforderlich und damit nicht unbefugt ist. 674 Rengier, in: Fezer, Lauterkeitsrecht, 2010, § 17 UWG, Rn. 47. Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 341 übersieht die Rechtfertigungsproblematik völlig. 675 Vgl. Sieber, NJW 2008, 884; ebenso Trüg/Habetha, NJW 2008, 890; Schünemann, NStZ 2008, 308; SSW-StGB/Rosenau, 2009, § 32 Rn. 5; Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 271; Ostendorf, ZIS 2010, 304 mit Fn. 25 (der aber die Rechtswidrigkeit der Verwertung direkt verneint); Spernath, NStZ 2010, 308. 676 Vgl. schon Ambos, FAZ, 11.2.2010, 6. 677 Dazu u. b) aa) bei Fn. 704. 678 Vgl. auch Sieber, NJW 2008, 884. Dann kommt auch nach Rengier, in: Fezer, Lauterkeitsrecht, 2010, § 17 UWG, Rn. 47 die Anwendung von § 34 (eher) in Betracht.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

der Informant in einem Strafverfahren kein Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen könnte;679 müsste er sich aber als Zeuge ohnehin offenbaren,680 so sollte ihm die Mitteilung in Form einer „Anzeige“ – als Offenbarung in einem weiteren Sinne – ebenfalls gestattet sein. Objektiv lässt sich also durchaus ein überwiegendes Interesse zur Rechtfertigung der Datenweitergabe begründen.681 In subjektiver Hinsicht ist allerdings problematisch, dass der Verkäufer primär finanziell („Belohnung“) und nicht durch die Abwendung von Schaden vom deutschen Steuerfiskus motiviert sein dürfte.682 Selbst wenn man die in Kenntnis der Rechtfertigungs-/Notstandslage ausreichen lassen würde, wäre fraglich, ob man von einer solchen ausgehen kann. b) (Straf-)Rechtswidrigkeit des staatlichen Vorgehens bei der Beschaffung und Weitergabe der Daten Die Bedenken hinsichtlich der staatlichen Beschaffung der Daten von K richten sich auf deren Ankauf durch den BND und/oder die Finanzbehörden [sub aa)] sowie ihre Weitergabe an die Finanzbehörden [sub bb)]. Die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts ergibt sich aus den §§ 3, 9 StGB, denn man kann davon ausgehen, dass wenigstens Teilakte des tatbestandsmäßigen Verhaltens – als Inlandsteilnahme (§ 9 Abs. 2)683 – in Deutschland verwirklicht wurden.684 Im Übrigen kommt es ohnehin für die Verwertung der Informationen auf das deutsche Recht als das des Forumstaats an.685 aa) (Straf-)Rechtswidrigkeit des Ankaufes durch den BND und/oder die Finanzbehörden Insoweit ist zwischen der völkerrechtlichen und strafrechtlichen Bewertung zu unterscheiden. Bezüglich jener liegt in dem Ankauf der Daten eine Umgehung der zwischenstaatlichen Rechtshilfe. Liechtenstein ist zwar Mitglied des EuRhÜbk, aber mangels Beitritt zu dem entsprechenden Zusatzprotokoll gem. Art. 2 a) EuRhÜbk nicht zur Zusammenarbeit in fiskalischen Angelegenheiten verpflichtet. Wegen eines streng verstandenen Bankgeheimnisses wird bei steuerrechtlichen Verfahren

679

Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 2009, § 53 Rn. 3; auch Ostendorf, ZIS 2010, 304. Für Notstandsrechtfertigung der Mitteilung in diesem Fall Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. Nebengesetze, 2005, § 17 UWG, Rn. 24. Zweifelnd zur Zeugenstellung aber Ignor/ Jahn, JuS 2010, 392. 681 A.A. Ignor/Jahn, JuS 2010, 392, die allerdings rein quanitativ nach der Höhe des Steuergewinns fragen; auch Spernath, NStZ 2010, 308. 682 Ebenso Ignor/Jahn, JuS 2010, 392. 683 Vgl. Schrönke/Schröder-Eser, StGB, 2006, § 9 Rn. 14; Ambos, Internationales Strafrecht, 2008, § 1 Rn. 17. 684 Sieber, NJW 2008, 883 f. (allerdings zweifelnd wegen der Übergabe von Probedaten in Straßburg); Heine, FS von Büren, 2009, S. 921; Ignor/Jahn, JuS 2010, 392 f. 685 O. Fn. 466 und Haupttext. 680

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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nicht einmal „kleine Rechtshilfe“686 geleistet.687 Insoweit ist in dem Ankauf eine völkerrechtswidrige Umgehung des bestehenden Rechtshilfeverhältnisses zu sehen.688 Hinsichtlich der Strafbarkeit des Ankaufs scheidet zunächst – entgegen vielfacher Behauptung in den Massenmedien689 – eine (staatliche) Hehlerei gem. § 259 StGB aus, weil die Bankdaten keine Sache i.S.d. Vorschrift sind. Lediglich der Datenträger (scil. die CD-ROM) wäre hier als taugliches Tatobjekt in Betracht gekommen;690 über dessen Herkunft ist jedoch nichts bekannt, insbesondere liegen keine Anhaltspunkte für einen deliktischen Erwerb vor.691 In dem Ankauf der Daten durch den BND kann aber eine Anstiftung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG (Verwertung/Mitteilung), § 26 Abs. 1 StGB liegen:692 Als K an den BND herantrat und die Daten zum Kauf anbot, hat er sich zunächst lediglich – ohne Zutun der deutschen Behörden – zur Weitergabe der Daten erboten, war also (wohl) zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest entschlossen; in der Zusage der (geforderten) „Belohnung“ durch den BND lag der entscheidende Anstoß zur Tatbegehung und damit kann diese als Anstiftungshandlung gewertet werden.693 Wer eine Anstiftung verneint, muss jedenfalls in dem Ankauf der Daten ein Hilfeleisten im Sinne einer Beihilfe zu der rechtswidrigen Tat des Informanten gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG, § 27 StGB sehen.694 Darüber hinaus ist auch an eine Begünstigung gemäß

686

Zum Begriff schon o. Fn. 545. Vgl. Beulke, Jura 2008, 664; Heine, FS von Büren, 2009, S. 919. Eine Verbesserung der Rechtshilfe wird nach dem Beitritt Liechtensteins zum Schengen- und Dublin-Abkommen sowie nach Abschluss des Betrugsbekämpfungsabkommen mit der EU am 27.6.2008 erwartet, denn insoweit würde die Rechtshilfe grundsätzlich auch auf den Bereich der Fiskaldelikte ausgedehnt (vgl. Heine, FS von Büren, 2009, S. 939). 688 Vgl. Heine, FS von Büren, 2009, S. 927 („offensichtlich völkerrechtswidrig“); Schünemann, NStZ 2008, 307; Lüderssen, Unrecht, 1992, S. 2; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 666; Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 273; kritisch auch Beulke, Jura 2008, 664; vgl. auch BGH 34, 334, 341 ff. 689 So etwa Focus vom 19.02.2008 „Liechtenstein droht Deutschland“. 690 Schönke/Schröder-Stree, StGB, 2006, § 259 Rn. 5. 691 I. E. ebenso Sieber, NJW 2008, 883; Trüg/Habetha, NJW 2008, 887 f.; Göres/Kleinert, NJW 2008, 1357; Heine, FS von Büren, 2009, S. 920; Ostendorf, ZIS 2010, 303; Kühne, GA 2010, 276; offenlassend Schünemann, NStZ 2008, 308 (genauer „Lebensweg der CD nicht bekannt“). 692 So schon Schünemann, NStZ 2008, 308; ders., GA 2008, 314 (329); gegen ihn Ostendorf, ZIS 2010, 304 f.; dagegen auch Kühne, GA 2010, 277; für Anstiftung Spernath, NStZ 2010, 309. Kelnhofer/Krug, StV 2008, 664, nehmen insoweit sogar eine täterschaftliche Verwirklichung des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG durch den BND an; dies ist aber nur möglich, wenn in dem Verhalten des K nur ein Verschaffen i.S.v. Nr. 1 (o. Fn. 670) gesehen wird. 693 Vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht, 2009, Rn. 569; Schrönke/Schröder-Cramer/Heine, StGB, 2006, § 26 Rn. 7; LG Göttingen NdsRpfl. 52, 191. 694 So Sieber, NJW 2008, 883 (der allerdings zwischen der Erlangung von Ersthinweisen und Datenproben durch den BND und dem Ankauf der eigentlichen Daten durch die Steuerbehörden mit Unterstützung des BND differenziert); für Beihilfe auch Trüg/Habetha, NJW 2008, 889; Heine, FS von Büren, 2009, S. 921; Spatscheck, FS Volk, 2009, S. 780; Lüderssen, 687

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

§ 257 Abs. 1 StGB als nachtäterschaftliches Hilfeleisten der deutschen Behörden zu denken,695 wobei allerdings der Zweck des Ankaufs nicht in der Restitutionsvereitelung liegt.696 Hinsichtlich des Tätigwerdens des BND zur Gewinnung von Erkenntnissen, „die von aussen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind“ (§ 1 Abs. 2 S. 1 BND-Gesetz),697 käme als spezieller Rechtfertigungsgrund zwar grundsätzlich § 3 S. 1 BND-Gesetz i.V.m. § 8 Abs. 2 S. 1 BVerfSchG in Frage. Danach darf der BND „Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung anwenden“. In einem solchen Fall wird auch der käufliche Erwerb von illegalen Informationen im Zusammenhang mit der Verhinderung von Terrorismus und Geldwäsche698 für zulässig gehalten,699 so dass es insoweit darauf ankommt, ob der BND zur Aufklärung transnationaler Geldwäscheaktivitäten gehandelt hat. Doch selbst wenn man davon ausgeht und damit dem Tätigwerden des BND die besagte außen- oder sicherheitspolitische Bedeutung zumisst,700 durfte der BND die Daten nicht zu Strafverfolgungszwecken weiterleiten [dazu sogleich bb)].701

FAZ 11.2.2010, 6; LG Bochum HRRS 2009, Nr. 1111, Rn. 40; dagegen Ostendorf, ZIS 2010, 304 (mangels rechtswidriger Haupttat). 695 Vgl. dazu Trüg/Habetha, NJW 2008, 888 f.; dies., NStZ 2008, 489; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 662 f.; Ostendorf, ZIS 2010, 303 f.; Lüderssen, FAZ 11.2.2010, 6; LG Bochum HRRS 2009, Nr. 1111. Inwieweit darüber hinaus auch eine Untreue gemäß § 266 StGB sowie § 44 Abs. 1, § 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG (Verarbeitung der Daten) vorliegen – so Kelnhofer/Krug, StV 2008, 663 f.; Lüderssen, FAZ 11.2.2010, 6; Ignor/Jahn, JuS 2010, 393; Kühne, GA 2010, 277 ff.; gg. § 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG, da nicht unbefugt Ostendorf, ZIS 2010, 305 – kann hier dahinstehen. Gegen § 140 zutreffend Ostendorf, ZIS 2010, 304. Göres/Kleinert, NJW 2008, 1357 verneinen eine Strafbarkeit, weil sie § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG, §§ 26/27 StGB sowie § 257 StGB übersehen (abwegig hingegen der Hinweis auf §§ 202a, 26 StGB). 696 Zutreffend Ostendorf, ZIS 2010, 304; i.E. auch Spernath, NStZ 2010, 309. 697 § 1 Abs. 2 S. 1 BND-Gesetz lautet: „Der Bundesnachrichtendienst sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen und wertet sie aus.“ (Herv.d.Verf.) 698 Mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz hat der BND die Befugnis erhalten, im Einzelfall den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr im Zusammenhang mit der Geldwäsche zu überwachen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die außen- und sicherheitspolitischen Belange vorliegen, vgl. § 2a BNDG i.V. mit § 8a Abs. 2 BVerfSchG und § 5 Abs. 1 S. 3 G 10 Gesetz; dazu Sieber, NJW 2008, 882; Göres/Kleinert, NJW 2008, 1356 f. 699 Göres/Kleinert, NJW 2008, 1356; letztlich bejahend auch Heine, FS von Büren, 2009, S. 923. 700 Dafür tendenziell Sieber, NJW 2008, 882 (deshalb rechtmäßiges Verhalten hinsichtlich der ersten Kontaktaufnahme mit K); Göres/Kleinert, NJW 2008, 1356 f.; Heine, FS von Büren, 2009, S. 922 („Anhaltspunkte“); zweifelnd Schünemann, NStZ 2008, 307 mit Fn. 23 (Hauptzweck Ermittlung von Steuerstraftätern); Kelnhofer/Krug, StV 2008, 665; Trüg/Habetha, NJW 2008, 889 f. 701 Heine, FS von Büren, 2009, S. 923.

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Auch die spezifisch steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbefugnisse der §§ 399 Abs. 1, 400 AO i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 161a, 163 Abs. 1 StPO rechtfertigen den Ankauf der Daten nicht. Zwar ermöglichen diese Vorschriften eine Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen unter Aufhebung des Zeugnisverweigerungsrechts gegenüber den Steuerbehörden, aber nur wenn der Informant als Zeuge vernommen wird oder in sonstiger Weise freiwillig kooperiert, nicht hingegen wenn er dazu durch eine – in der StPO nicht vorgesehene – „Belohnung“ veranlasst wird.702 Der Rückgriff auf den Auffangrechtfertigungsgrund des § 34703 scheidet nach der wohl überwiegenden Ansicht aus, weil die Art und Weise der strafprozessualen Informationsbeschaffung in der StPO und anderen Gesetzen abschließend geregelt ist.704 Das ist aber nicht überzeugend, denn bei dem staatlichen Datenankauf handelt es sich gerade um einen – bisher nicht geregelten – Sonderfall, der – eben solange es an einer gesetztlichen Spezialregelung fehlt705 – nur durch einen Rückgriff auf § 34 angemessen gelöst werden kann. Insofern gelten dann die oben angestellten Überlegungen,706 wobei aber in subjektiver Hinsicht davon ausgegangen werden kann, dass der staatliche Käufer (auch) mit der Absicht handelt, (weiteren) Schaden vom deutschen Fiskus abzuwenden. Was nun die Annahme eines Verbotsirrtums in Form eines Erlaubnisirrtums (Irrtum über den rechtlichen Umfang der Rechtfertigung) angeht, so wird dessen Unvermeidbarkeit hinsichtlich der speziellen Ermächtigungsgrundlagen überwiegend abgelehnt,707 weil an staatliche (Ermittlungs-)Behörden besonders strenge Anforderungen zu stellen seien und bei einem solchen klandestinen Vorgehen doch – bei gebo-

702 Überzeugend Sieber, NJW 2008, 884 f. (der grundsätzliche Vorrang strafprozessualer Ermittlungsbefugnisse, insbesondere im Bereich der Geheimschutztatbestände gegenüber den einschlägigen strafrechtlichen Verboten, gelte hier wegen des „Mehr“ – Bezahlung der Behörden – nicht); zust. Beulke, Jura 2008, 664; Heine, FS von Büren, 2009, S. 925; i. E. ebenso Trüg/Habetha, NJW 2008, 890; Ignor/Jahn, JuS 2010, 393; a.A. Kölbel, NStZ 2008, 243, wonach der „staatliche Beweiserhebungsanteil“ gar nicht rechtswidrig gewesen ist, weil die Steuerbehörden gem. §§ 399 Abs. 1, 404 AO i.V.m. §§ 161 Abs. 2, 163 Abs. 1 StPO befugt sind, steuerstrafrechtliches Material (ggf. auch ausländischen Ursprungs) entgegenzunehmen; auch die „finanzielle Stimulierung“ bedürfte keiner speziellen Eingriffsgrundlage. Allg. zur Kollision von materiellem Geheimnisschutz und prozessualer Offenbarungspflicht Sieber, FS Roxin, 2001, S. 1113 (1130 f.). 703 Zur grds. Anwendbarkeit auf hoheitliches Handeln Schrönke/Schröder-Lenckner/Perron, StGB, 2006, § 34 Rn. 7. 704 Sieber, NJW 2008, 885; Trüg/Habetha, NJW 2008, 890; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 665 f.; Heine, FS von Büren, 2009, S. 929; knapp Schünemann, NStZ 2008, 308; Ignor/Jahn, JuS 2010, 393 f.; Lüderssen, FAZ 11.2.2010; krit. gegen ihn insoweit Küchenhoff, FAZ, 20.2.2010, 6. Allg. zum Vorrang öffentlich-rechtlicher Sondervorschriften Schönke/SchröderLenckner/Perron, StGB, 2006, § 34 Rn. 7; Fischer, StGB, 2010, § 34 Rn. 24. 705 Für eine solche deshalb im Zusammenhang mit dem Schweizer Fall Rath, TAZ, 3.2.2010, 1. 706 O. bei Fn. 676. 707 So Schünemann, NStZ 2008, 309; Trüg/Habetha, NStZ 2008, 490.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

tener Gewissensanspannung708 – wenigstens Zweifel an der Rechtmäßigkeit hätten aufkommen müssen. Mangels Klärung dieser Zweifel durch Einholung weiterer Auskünfte709 müsse dieser Irrtum dann aber als vermeidbar beurteilt werden.710 Das lässt sich hören, aber es darf doch nicht übersehen werden, dass es sich, wie die kontroverse literarische Diskussion eindrücklich zeigt, um ein ganz neuartiges und umstrittenes Problem handelt,711 womit durchaus begründeter Anlaß besteht, über einen Erlaubnisirrtum nachzudenken. Lässt man zudem, wie hier vertreten, den Rückgriff auf § 34 zu, so befindet man sich in dem Bereich einer hochnormativen Abwägungsentscheidung, über deren Ausgang man durchaus geteilter Meinung sein und sich damit auch leicht irren kann. bb) Rechtswidrigkeit der innerstaatlichen Weitergabe der Daten Zunächst ist auch darin – in logischer Fortsetzung der Bewertung des Ankaufs712 – eine völkerrechtswidrige Umgehung des Rechtshilfeverhältnis zwischen Liechtenstein und Deutschland zu sehen.713 Im innerstaatlichen Verhältnis zwischen Geheimdiensten (hier BND) und Strafverfolgungsbehörden (hier Steuerfahnung) liegt in der Weiterleitung der Daten eine Verletzung des Grundsatzes der informationellen Gewaltenteilung. Nach dem insoweit geltenden Trennungsgebot ist zwischen präventiver Gefahrenabwehr (durch Geheimdienste) und repressiver Strafverfolgung nicht nur formell (organisatorisch), sondern auch materiell (funktional) im Hinblick auf die Informationsübermittlung zu trennen.714 Eine Datenübermittlung bedarf deshalb einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage. Insoweit kommt grundsätzlich § 9 Abs. 1 BND-Gesetz in Betracht, der dem BND die Weitergabe von Informationen „an inländische öffentliche Stellen“ „zur Erfüllung seiner Aufgaben“ oder zum „Zwecke der öffentlicher Sicherheit“ erlaubt. Die Aufgabe des BND ist der Schutz deutscher außen- und sicherheitspolitischer Belange (§ 1 Abs. 2 S. 1 BND-Gesetz715), darunter kann man die Weitergabe von Informationen zu Steuerdelikten nach der obigen Argumentation allenfalls subsumieren, wenn es dabei um die Verhinderung transnationaler Geldwäscheaktivitäten geht. Ob die Weitergabe zum Zwecke der öffentlichen Sicherheit erlaubt war, hängt davon ab, ob man diesen Begriff weit im polizeirechtlichen Sinne oder eng im geheimdienstlichen Sinne – wiederum mit Blick auf die außen- und sicherheits708

Vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 2010, § 17 Rn. 8. Vgl. Schrönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, 2006, § 17 Rn. 18. 710 Schünemann, NStZ 2008, 309; Ignor/Jahn, JuS 2010, 394. 711 Vgl. Sieber, NJW 2008, 885. 712 O. Fn. 688. 713 Vgl. Heine, FS von Büren, 2009, S. 929 („glatter Bruch des Rechtshilfeverhältnisses“); Spatscheck, FS Volk, 2009, S. 781 f. 714 Schünemann, NStZ 2008, 306; allg. Roggan/Bergemann, NJW 2007, 876. 715 Vgl. schon o. Fn. 697. 709

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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politische Aufgabenzuweisung in § 1 Abs. 2 BND-Gesetz – versteht.716 Letztlich hängt die Entscheidung für oder gegen eine Ermächtigung aufgrund § 9 Abs. 1 BND-Gesetz damit davon ab, ob man die Weitergabe der Daten durch den BND als von seiner außen- und sicherheitspolitischen Befugnis i.S.v. § 1 Abs. 2 BND-Gesetz gedeckt sieht. Insoweit lässt sich den Wertungen des – vorliegend nicht unmittelbar anwendbaren – G 10 Gesetzes immerhin die Beschränkung auf Staatsschutzdelikte, terroristische und andere schwere Delikte entnehmen, ohne dass bloße Steuerdelikte genannt werden;717 es käme also auch insoweit darauf an, ob man hier von schwerer Kriminalität im Sinne der genannten transnationalen Geldwäscheaktivitäten ausgehen muß. Andererseits ist im Verhältnis zwischen BND und Strafverfolgungsbehörden (die letztlich die Informationen von den Finanzbehörden erhalten haben) konkretisierend718 auch § 9 Abs. 3 BND-Gesetz i.V.m. § 20 BVerfSchG zu beachten, wonach der BND (wie das Bundesamt für Verfassungsschutz) den Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaften und Polizeien) nur Informationen übermitteln kann, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist.“ (§ 20 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG). Dazu zählen die in §§ 74a und 120 GVG genannten Straftaten sowie „sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen“, dass sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung (Artikel 73 Nr. 10 b) GG) oder die auswärtigen Belange der Bundesrepublik (Art. 73 Nr. 10 c) GG) richten (§ 20 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG). Eine solche staatsschutzrechtliche Zielrichtung wird man nun aber in der Weitergabe der Daten, selbst bei Annahme transnationaler Geldwäscheaktivitäten, kaum entnehmen können. Eine Ausnahme vom Trennungsgebot scheidet demnach (wohl) aus.719 Auch das Recht der Amtsthilfe trägt die Weitergabe der Daten grundsätzlich nicht, denn die §§ 112, 114 AO können nicht zum Zwecke der Erweiterung oder Umgehung der gesetzlichen Eingriffsbefugnisse der ersuchenden Behörde (hier Finanzbehörde) herangezogen werden.720 Die ersuchte Behörde (BND) darf keine Amtshilfe leisten, wenn sie dazu „aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist“ (§ 112 Abs. 2 AO) und 716

Für eine enge Auslegung Kelnhofer/Krug, StV 2008, 665. Für eine weite Auslegung Sieber, NJW 2008, 882, der aber im Ergebnis u. a. wegen des informationellen Selbstbestimmungsrechts und mit Blick auf das G 10 Gesetz für „restriktivere Übermittlungsbefugnisse“ plädiert. 717 Vgl. Sieber, NJW 2008, 882. 718 Das Verhältnis von § 9 Abs. 1 und 3 BNDG ist umstritten: Sieber, NJW 2008, 882 hält Abs. 3 nicht für abschließend; Schünemann, NStZ 2008, 307 f. will daraus folgern, dass nur eine Übermittlungsbefugnis bei Staatsschutzdelikten bestehe. 719 I. E. ebenso Heine, FS von Büren, 2009, S. 925; Schünemann, NStZ 2008, 308; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 665; Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 273 (der aber die diffizile Prüfung der Rechtsgrundlagen unterlässt); wohl auch Sieber, NJW 2008, 882, 886, der aber die Weitergabe der ersten Hinweise für „gut begründbar“ hält (886). 720 Vgl. Sieber, NJW 2008, 885; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 665; Heine, FS von Büren, 2009, S. 924.

120 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

sie muss sich, was die Zulässigkeit der Maßnahme angeht, an das für die ersuchende Behörde geltende Recht halten.721 Amtshilfe darf deshalb nicht dazu mißbraucht werden, der ersuchenden Behörde von der ersuchten Behörde Informationen zu verschaffen, die sie selbst auf legalem Wege nicht hätte erlangen können. Auch die Anzeigepflicht des § 116 AO, wonach die Gerichte und sonstigen Behörden verpflichtet sind, „Tatsachen, die sie dienstlich erfahren und die auf eine Steuerstraftat schließen lassen“, den Finanzbehörden mitzuteilen, hilft in unserem Zusammenhang nicht weiter. Zwar ist der BND auch eine Behörde i.S.v. § 116, doch sind seine Befugnisse in der jüngeren und spezielleren Vorschrift des § 9 (Abs. 3) BNDG, wie gerade dargelegt, ausdrücklich auf die Übermittlung von staatsschutzrelevanten Informationen beschränkt. Diese Vorschrift regelt damit die Ausnahmen vom Trennungsgebot abschließend.722 Selbst wenn man § 116 AO neben § 9 BNDG für anwendbar hält,723 scheitert seine Anwendung in casu an den hier aufgezeigten völker- und strafrechtlichen Grenzen.724 c) Verwertbarkeit der Daten Hinsichtlich der Folgen des (straf-)rechtswidrigen Ankaufs und der Weiterleitung der Daten an die Strafverfolgungsbehörden wird für eine uneingeschränkte Verwertbarkeit725 oder ein umfassendes Verwertungsverbot plädiert726 oder nach der Schwere der in Rede stehenden Steuerstraftaten differenziert.727 Diese Meinungsvielfalt er721

Sieber, NJW 2008, 885; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 665. I. E. ebenso Heine, FS von Büren, 2009, S. 924 f.; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 665; Spatscheck, FS Volk, 2009, S. 778 f. 723 So Sieber, NJW 2008, 883, der § 116 AO neben § 9 BNDG für anwendbar hält, aber (auch) beide Normen im Lichte von Verhältnismäßigkeit und informationeller Gewaltentrennung auf „noch näher zu bestimmende schwere Kriminalität“ beschränken will. Kölbel, NStZ 2008, 243 sieht beide Vorschriften (allerdings bezieht er sich nur auf Abs. 1 von § 9 BNDG) in einem Ergänzungsverhältnis das die Informationsmöglichkeiten des BND erweitere. 724 Schünemann, NStZ 2008, 307. 725 Kölbel, NStZ 2008, 244 (von Rechtmäßigkeit des Ankaufs ausgehend); LG Bochum, NStZ 2010, 351 (kein zurechenbarer Völkerrechtsverstoß). 726 Schünemann, NStZ 2008, 309; Trüg/Habetha, NStZ 2008, 490; dies., NJW 2008, 890 (da vorsätzliche, zielgerichtete Straftatbegehung); Bruns, StraFo 2008, 191; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 343 (aufgrund Abwägung); Spatscheck, FS Volk, 2009, S. 785 (wg. BND); Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 269 ff. (274), 281, der auf der Grundlage seiner Beweisbefugnislehre (o. 1. Kap. IV. 1. mit Fn. 221) einen Verstoß gegen den Wesensgehalt (Art 19 II GG) des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sieht und zwar schon wegen einer fehlenden Rechtsgrundlage für die Zahlung einer (so hohen) Belohnung (ebd, S. 272 f.); ebenso Ignor/Jahn, JuS 2010, 340 f.; für Unverwertbarkeit aus einer analogen Anwendung von § 136a Abs. 1 S. 3 StPO (Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehen Vorteils) Ostendorf, ZIS 2010, 307 f. (dazu krit. u. Fn. 743 f. und Haupttext); auch Kühne, GA 2010, 282 (grober Verstoß); Pawlik, JZ 2010, 700 ff., hält eine Unverwertbarkeit (vor allem) wegen der (kollektiven) „Selbstachtung der Rechtsgemeinschaft“ für „vertretbar“, aber nicht „zwingend geboten“. 727 Insoweit für eine Verwertung der „Probedaten“ und generell bei Verdacht schwerer Steuerkriminalität Sieber, NJW 2008, 886; Beulke, Jura 2008, 665; hinsichtlich des Schweizer Falls (o. Fn. 663) für Verwertung auch Ambos, DATEV Magazin 2/2010, 44. 722

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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klärt sich vorliegend aus der nicht gesicherten Tatsachengrundlage728, der rechtlichen Prüfung und den unterschiedlichen Beurteilungen der Rechtmäßigkeit des Verhaltens der beteiligten staatlichen Behörden. Darin kommt freilich auch die Unsicherheit bei ungeschriebenen Verwertungsverboten und der weitverbreitete Dezisionismus bei der Entscheidung über ein Verwertungsverbot zum Ausdruck.729 Im Sinne der oben [b)] vorgenommenen Differenzierung kann aber immerhin zwischen den Folgen der (Straf-)Rechtswidrigkeit der privaten Beschaffung und den Folgen der (Straf-) Rechtswidrigkeit des staatlichen Ankaufs und der Weitergabe unterschieden werden. aa) Folgen der (Straf-)Rechtswidrigkeit der privaten Beschaffung Nach der oben (1.) vorgenommenen Differenzierung zwischen staatlich veranlasACHTUNGREtem und autonomem privaten Handeln kommt grundsätzlich nur bei jenem die Anwendung der prozessualen Verwertungsregeln in Betracht, während bei rein privatem Tätigwerden, wie es hier vorliegt,730 grundsätzlich eine Verwertung zulässig ist.731 Die insoweit angenommenen menschen- und grundrechtlichen Grenzen der Verwertung privater Beweise kommen hier offensichtlich nicht zum Tragen, denn für die dafür notwendigen gravierenden Verletzungen liegen keine Anhaltspunkte vor.732 Die Tatsache der privaten (rechtswidrigen) Beschaffung der Daten alleine kann also ein Verwertungsverbot nicht begründen. bb) Folgen der (Straf-)Rechtswidrigkeit des staatlichen Ankaufs und der Weitergabe Durch den staatlichen Ankauf und die nachfolgenden Handlungen wurde der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Handeln des K und dem staatlichen Handeln der Bundesrepublik durch ihre Organe hergestellt.733 Das Verhalten des K ist demnach auch der Bundesrepublik zuzurechnen und die allgemeinen Verwertungsregeln finden Anwendung.734 Da sich ein zwingendes Verwertungsverbot nicht ohne weiteres begründen lässt [sub (1)], muss eine Abwägung vorgenommen werden [(2)].

728

Vgl. auch Sieber, NJW 2008, 886. Die Anwendbarkeit der allg. Grundsätze folgt aus § 385 Abs. 1 AO, vgl. Ignor/Jahn, JuS 2010, 394 mwN in Fn. 42. 730 Tendenziell ebenso Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 280. 731 s. o. Fn. 633. 732 Ebenso Sieber, NJW 2008, 886; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 660, 662; Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 281; für den Schweizer Fall (o. Fn. 664) Ambos, DATEV Magazin 2/2010, 44; auch Ostendorf, ZIS 2010, 306. 733 Zum Zurechungszusammenhang schon o. 1., insbesondere bei Fn. 651. 734 Ebenso Sieber, NJW 2008, 886; Heine, FS von Büren, 2009, S. 931 = HRRS 2009, 544. 729

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

(1) Zwingendes Verwertungsverbot aufgrund Völkerrechtsverstoßes? Bei einer gezielten Umgehung des Rechtshilfeweges ist nach den obigen Ausführungen735 ein Verwertungsverbot zur völkerrechtlichen Wiedergutmachung anzunehmen.736 In casu wird sich aber eine solche gezielte Umgehung – im Sinne eines bewussten bzw. objektiv willkürlichen Bruchs737 des Völkerrechts – kaum begründen lassen.738 Ferner kommt ein Verwertungsverbot bei Verletzung grundlegender völkerrechtlicher Individualinteressen, insbesondere dem allgemeinen Fairnessgebot, in Betracht.739 In diesem Sinne wird argumentiert, dass das liechtensteinische Bank(kunden)geheimnis als „nationales Informationsbeherrschungsrecht“740 im Lichte des Rechtshilfe- und Völkerrechts zu einem „subjektiven Recht des einzelnen Betroffenen“ erstarke und als solches ein zwingendes Verwertungsverbot zur Folge habe.741 Es ist aber sehr fraglich, ob das Bankgeheimnis mit den in unserem Zusammenhang völkerrechtlich anerkannten Individualrechten (Folter, Fairnessgrundsatz!) auf eine Stufe gestellt werden kann. Dies ließe sich allenfalls bejahen, wenn die angekauften Daten Informationen zur grundrechtlich geschützen Intimsphäre der Betroffenen enthalten; dann ließe sich ein Verwertungsverbot auch verfassungsrechtlich begründen.742 Dies ist hier aber, soweit ersichtlich, nicht der Fall und gegen eine Aufwertung des Bankgeheimnisses zu einem Informationsbeherrschungsrecht menschen- oder grundrechtlichen Rangs spricht schon, dass es ja nur zugunsten einer sehr kleinen Zahl von Personen wirkt, nämlich nur zugunsten derer, die über ein so großes Vermö735

s. o. I. 2. b) bb) (2). I. E. ebenso im vorliegenden Fall Heine, FS von Büren, 2009, S. 932; Trüg/Habetha, NJW 2008, 890; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 666 f. – Eine Pflicht zur Zurückweisung des Beweismittels ergibt sich nach Heine, FS von Büren, 2009, S. 932 darüber hinaus aus dem Grundsatz rechtshilfefreundlichen Verhaltens, dem „Gebot der Beachtung staatlicher Souveränität“ sowie aus dem an die Strafverfolgungsbehörden gerichteten Verbot der bezahlten Erlangung von Beweismitteln durch die Begehung von Straftaten; letzteres ergebe sich jedenfalls im Rahmen einer Abwägung mit supranationalem Recht. 737 Zu dieser Parallele zur dt. Rspr. im Zusammenhang mit § 81a und mit §§ 102 ff. StPO (o. 1. Kap. IV. 2. c) bb) mit Fn. 300 ff. und dd) mit Fn. 332 ff.) vgl. auch Trüg/Habetha, NStZ 2008, 490. 738 In diesem Sinne auch Beulke, Jura 2008, 664 f.; Jahn, FS Stöckel, 2010, S. 267 (der aber dann doch, S. 273 f., darauf ein Verwertungsverbot stützen will!); gg. Verwertungsverbot auch LG Bochum HRRS 2009, Nr. 1112; Pawlik, JZ 2010, 694 f.; a.A. Trüg/Habetha, NJW 2008, 890; wohl auch Heine, FS von Büren, 2009, S. 927 („offensichtlich völkerrechtswidrig“), 929 („glatter Bruch“). – Zu einem völkerrechtlich begründeten Verwertungsverbot wegen Umgehung des Verbots der Sachaufklärung (§ 117 AO) bei Geldzahlungen der Finanzbehörden an Ausländer zur Erlangung steuerrelevanter Informationen Göres/Kleinert, NJW 2008, 1357 m.w.N. in Fn. 51. 739 Vgl. o. I. 2. b) bb) (4). 740 Zu dieser von Amelung begründeten Lehre s. schon o. Fn. 214 und Haupttext. 741 Heine, FS von Büren, 2009, S. 932 f. 742 Vgl. schon o. Fn. 635; auch Göres/Kleinert, NJW 2008, 1357; dafür aber Jahn, FS Stöckel, 2010, wie o. Fn. 726 zitiert; Kühne, GA 2010, 284; Spernath, NStZ 2010, 310. 736

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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gen verfügen, dass sich der Weg nach Liechtenstein (oder ein anderes Steuerparadies) lohnt. Der Schutz solch elitärer Rechte aber ist ganz gewiß nicht der vorrangige Zweck des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes. Die analoge Anwendung von § 136a Abs. 1 S. 3 StPO („Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehen Vorteils“) kann ein Verwertungsverbot ebenfalls nicht begründen.743 Auch wenn man in dem Kaufpreisangebot einen solchen Vorteil sieht,744 fehlt es für eine Analogie an einer planwidrigen Regelungslücke mit vergleichbarer Interessenlage.745 Der Datenkauf stellt keine sog. ,vernehmungsähnliche Situatione dar, in der in Einzelfällen eine analoge Anwendung des § 136a StPO angenommen wurde.746 Typisch für diese Fälle ist nämlich, dass der Beschuldigte ,heimlich ausgehorcht wird. Das ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich hier um eine anderweitige Beschaffung von Beweismaterial, bei der § 136a auch keine analoge Anwendung finden kann. Zwar hat hier auch ein gewisser Informationsaustausch zwischen einem Zeugen (Bankmitarbeiter) und der Ermittlungsbehörde stattgefunden, jedoch in Form eines Geschäftes. Zentraler Gegenstand dieses Geschäftes war nicht, eine Aussage des Zeugen zu bekommen (dies ist jedoch gewöhnlich bei einer Vernehmung das Ziel), sondern an ein anderes Beweismittel, nämlich die Bankdaten, zu gelangen. Das ergibt sich auch aus der Schutzrichtung des § 136a StPO, nämlich die Freiheit der Willensentschließung zu schützen747: vorliegend wandte sich der Bankmitarbeiter in völliger Autonomie an die Ermittlungsbehörden, war somit bereits zur Abgabe der Beweismittel entschlossen, wollte jedoch hierfür einen Gegenwert erhalten. Sieht man in dem Datenkauf eine Fairnessverletzung,748 so würde auch insoweit damit nicht automatisch das – ja nachfolgende (!) – Strafverfahren insgesamt unfair werden. (2) Abwägung Letztlich sind die für und gegen eine Verwertung sprechenden Aspekte also gegeneinander abzuwägen. Für eine Verwertung werden insoweit angesichts der Vielzahl steuerrechtlicher Taten und Täter sowie der Gesamtschadenshöhe insbesondere fi-

743

Hinweis schon bei Sieber, NJW 2008, 884 mit Fn. 31 in Zusammenhang mit Beihilfestrafbarkeit; explizit dafür nun Ostendorf, ZIS 2010, 307 f. 744 Typischerweise sind Fallgestaltungen erfasst, in denen dem zu Vernehmenden Zugeständnisse gemacht werden, um diesen zu seiner Aussage zu bewegen, beispielsweise durch das Versprechen von Strafmilderungen, Straffreiheit, Freilassungen etc. (LR-Gleß, § 136a Rn. 61 f.). 745 Vgl. z. B. Bydlinski, Methodenlehre, 1991, S. 472 ff. 746 Vgl. etwa BGH NStZ 1995, 409, 410 („Hörfalle“) oder BGHSt 34, 363 (Angaben gegenüber Mithäftling, der Informant der Polizei ist); dazu schon o. 1. Kap. III. 1. d) bei Fn. 98. Vgl. auch LR-Gleß, § 136a Rn. 15 m.w.N. in Fn. 57; HK-Lemke, § 136a Rn. 5. 747 SK-Rogall, §136a Rn. 24; HK-Lemke, § 136a Rn. 2. 748 Vgl. Ostendorf, ZIS 2010, 307 f., der aber die beiden Fragen – Verletzung von § 136a Abs. 1 S. 3 und Fairnessverletzung – zu vermischen scheint.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

nanz- und kriminalpolitische Erwägungen vorgebracht.749 Gegen eine Verwertung wird die Schwere des mit der Beweisbeschaffung begangenen (strafrechtlichen) Unrechts geltend gemacht.750 Im Übrigen wird unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH zur rechtswidrigen Telekommunikationsüberwachung751 argumentiert, dass eine Verwertung zu unterbleiben habe, wenn wesentliche Anordnungsvoraussetzungen fehlen bzw. die Anlaßtat nicht ausreichend schwer sei. Dies könne auf den vorliegenden Fall übertragen werden, da es an einer strafprozessualen Ermächtigungsnorm vollkommen fehle und somit ein Verwertungsverbot gemäß §§ 100a Abs. 4 S. 2, 100 b Abs. 5 S. 3, 100d Abs. 5 SPO analog anzunehmen sei.752 Zieht man schließlich eine Parallele zu der Rechtsprechung zu einer bewussten Mißachtung von Beweiserhebungsverboten im Zusammenhang mit §§ 81a, 102 ff. StPO753 und entwickelt daraus den allgemeinen Grundsatz, dass ein bewusster staatlicher Rechtsbruch immer zu einem Beweisverwertungsverbot führen muss,754 dann ist letztlich die Bewertung des staatlichen Verhaltens in casu entscheidend. Sieht man darin eine gezielte Begehung von Straftaten zur Beweisbeschaffung, so liegt darin in der Tat ein Wertungswiderspruch – „Aufklärung möglicher Straftaten durch [die] Begehung von Straftaten“755 –, der, will der Staat den Anspruch der Integrität und Legitimität seines Strafverfahrenssystems nicht vollständig aufgeben, ein Verwertungsverbot zur Folge haben muss.756 Es ist allerdings zweifelhaft, ob man in casu von einer gezielten staatlichen Straftatbegehung wird ausgehen können.757 Jedenfalls ist kaum zu erwarten, dass die Rechtsprechung diese zugespitzte Wertung angesichts der öffentlichen Erwartung an die effektive Verfolgung von „großkopferten“ Steuersündern und den in Rede stehenden Schaden für den deutschen Fiskus nachvollziehen wird. Nach alldem erscheint es überzeugend, eine Verwertung mit der Schwere der Steuerstraftaten – im Sinne der oben erwähnten differenzierten Lösung758 – zuzulassen.759 Schließlich werden auch die Beweise, die mittelbar aufgrund der angekauften Daten – durch daraus resultierende Ermittlungsmaßnahmen – erlangt wurden, mangels der

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Beulke, Jura 2008, 664; vgl. auch Trüg/Habetha, NStZ 2008, 490; zur Schwere des Delikts Ostendorf, ZIS 2010, 306; krit. Schünemann, NStZ 2008, 308. 750 Trüg/Habetha, NStZ 2008, 490; Beulke, Jura 2008, 664; im Prinzip auch Sieber, NJW 2008, 886, der es nach dem bislang bekannten Sachverhalt allerdings als fraglich ansieht, ob die Ermittlungsbehörden sich tatsächlich bewusst rechtswidrig verhalten haben. 751 Vgl. schon o. 1. Kap. III. 2. 752 Schünemann, NStZ 2008, 309; Trüg/Habetha, NStZ 2008, 490; Heine, FS von Büren, 2009, S. 934; dagegen Ostendorf, ZIS 2010, 305 f. (kein grundrechtsrelevanter Verstoß). 753 Vgl. gerade o. Fn. 737 mit Verweis nach oben. 754 Roxin, NStZ 2007, 617. 755 Trüg/Habetha, NStZ 2008, 490. 756 Trüg/Habetha, NStZ 2008, 490; Bruns, StraFo 2008, 191; Heine, FS von Büren, 2009, S. 934 („Tu-quoque-Grundsatz“); Kühne, GA 2010, 282, 285. 757 Dagegen auch Ostendorf, ZIS 2010, 307. 758 O. Fn. 727. 759 Vgl. auch Beulke, Jura 2008, 653, 664 f.

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Anerkennung eines Fernwirkungsverbots (dazu näher III.) verwertet werden dürfen.760 3. Der Fall Siemens Einen besonderen Fall privater Beweisbeschaffung stellen die infolge der Korruptionsvorwürfe gegen das Siemens-Unternehmen privat geführten internen Ermittlungen dar.761 Aufgrund der verfügbaren vorläufigen Angaben ergibt sich folgender Sachverhalt:762 Aufgrund von Ermittlungen durch verschiedene Staatsanwaltschaften in Italien, Österreich, der Schweiz und Deutschland sah sich das Unternehmen Korruptionsvorwürfen ausgesetzt.763 Nachdem die U.S. Securities and Exchange Commission (SEC)764 von Korruptionsermittlungen bei der an der New Yorker Börse notierten Siemens-AG Kenntnis erlangt hatte, leitete diese ein eigenes Verfahren ein.765 In diesem Zusammenhang766 beauftragte Siemens eine weltweit tätige – und auch von der SEC geschätzte – Anwaltskanzlei mit internen Ermittlungen, wobei die für diese Aufgabe zusammengestellten Teams u. a. von ehemaligen U.S.-Staatsanwälten geleitet wurden.767 Nach Sichtung der bestehenden Daten- und Urkundsbeständen wurden als Interviews bezeichnete Gespräche mit den Mitarbeitern geführt, deren Ergebnisse sowohl an Siemens und – mündlich – an die SEC, als auch – wohl informell und unaufgefordert – an die deutschen Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet wurden.768 Die Mitarbeiter wurden im Rahmen der sog. In-

760 Zutreffender Hinweis von Beulke, Jura 2008, 665; diff. Sieber, NJW 2008, 886; für Fernwirkung Schünemann, NStZ 2008, 309 f., weil es nur so möglich sei „den Rechtsstaat in integrum zu restituieren.“ 761 Das Beispiel Siemens stellt aber – insbesondere hinsichtlich der Tätigkeit privat beauftragter Anwälte – keinen Einzelfall dar (vgl. Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 mit Fn. 2 ff.), was u. a. auch die rechtswidrigen gegen Mitarbeiter gerichteten Überwachungsmaßnahmen bei Lidl, der Deutschen Telekom AG und der Deutschen Bahn AG zeigen (vgl. Knierim, StV 2009, 324 f.). Zu Begriff, Umfang, Einordnung und rechtlichen Grenzen interner Ermittlungen eingehend Knierim, StV 2009, 326 ff. 762 Nach Jahn, StV 2009, 41 f. 763 Knierim, StV 2009, 324. 764 Zu Aufgaben und Charakter der SEC s. Jahn, StV 2009, 41. 765 Neben der SEC kann freilich auch das US-Justizministerium eigene Ermittlungen im Rahmen des „Foreign Corrupt Practices Act“ vornehmen (FACP; Pub. L. No. 95 – 23, 91 Stat. 1494). Dieses Gesetz gilt u. a. für alle Unternehmen, deren Wertpapiere in den USA notiert sind oder die aus anderen Gründen der SEC Bericht zu erstatten haben, sowie für ausländische Unternehmen oder Privatpersonen, deren Handlungen auf dem Territorium der USA als Förderung von Korruptionszahlungen anzusehen sind; bei Verstößen drohen Geld- und Haftstrafen (vertiefend Partsch, Foreign Corrupt Practice Act, 2007). 766 Wegen der in den USA bestehenden Unternehmensstrafbarkeit (Jahn, StV 2009, 41) veranlassen betroffene Unternehmen u. a. wegen erwarteter Strafnachlässe häufig eigene Ermittlungen zur Aufklärung der erhobenen Vorwürfe (vgl. Partsch, Foreign Corrupt Practice Act, 2007, S. 58, 82). 767 Dabei ist zu beachten, dass Ermittlungen in derartigen Fällen in der Regel umfassend auch zur Aufklärung etwaiger weiterer Vestöße oder illegaler Praktiken geführt werden (Wastl/ Litzka/Pusch, NStZ 2009, 69). 768 Jahn, StV 2009, 42; Watzl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 69; Knierim, StV 2009, 325.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

terviews darüber belehrt, dass eine strafzumessungsrelevante Kooperation des Unternehmens769 nur im Falle einer umfassenden Preisgabe der geschützten Informationen gegenüber den staatlichen Stellen erfolgen könne.770 Darüber hinaus lancierte der Siemens-Vorstand mittels eines Rundschreibens ein verlängertes „Amnestieangebot“, mit dem denjenigen Mitarbeitern, die ihre relevanten Kenntnisse freiwillig, wahrheitsgemäß und umfassend darlegten, zugesichert wird, keine Schadensersatzansprüche zu erheben und das Beschäftigungsverhältnis nicht einseitig zu lösen; für den Fall einer unzureichenden Kooperation wurden demgegenüber entsprechende Nachteile in Aussicht gestellt.771

Auch bei diesem Sachverhalt kann aus völkerrechtlicher Sicht in den grenzüberschreitenden privaten Ermittlungen zunächst eine Umgehung der Rechtshilfebeziehungen, hier zwischen den USA und Deutschland, gesehen werden.772 Ob daraus ein Verwertungsverbot folgt, hängt nach den oben entwickelten Grundsätzen773 davon ab, ob der Rechtshilfeweg gezielt umgangen wurde; das lässt sich ohne weitere Sachverhaltskenntnis nur schwer beurteilen.774 Ferner liegt in den durch Vertrauensanwälte der SEC geführten Ermittlungen auf deutschem Hoheitsgebiet jedenfalls eine mittelbare Verletzung der Souveränität Deutschlands.775 Abgesehen von dem unterschiedlichen Souveränitätsverständnis zwischen den USA und Deutschland bei der Beweisbeschaffung im Rahmen der „pre-trial discovery“776 setzt sich das Souveränitätsargument allerdings angesichts der Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, die eine private Ermittlungstätigkeit auf ausländischem Hoheitsgebiet im Fall multinationaler Unternehmen wie Siemens praktisch zwangsläufig mit sich bringt, dem Vorwurf einer gewissen Rückwärtsgewandheit aus. Tatsächlich geht es auch weniger um dieses heute – auch in vielen anderen Bereichen – überholte Konzept, als vielmehr um die staatliche Kontrolle strafrechtlicher Ermittlungen im Sinne des oben erwähnten Leitbilds staatlicher Verfahrenshoheit.777 Eine vollkommene Verdrängung der staatlichen durch private Ermittlungen im Sinne einer Herausforderung des Ermittlungsmonopols der Staatsanwaltschaft778 wäre mit diesem Leitbild sicherlich unvereinbar. Aus individualrechtlicher Sicht gilt auch hier der Grundsatz, dass Beweise, die von eigeninitiativ handelnden Privaten beschafft werden, als verwertbar anzusehen sind,

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s. o. Fn. 766. Vertiefend Jahn, StV 2009, 42. Vgl. Jahn, StV 2009, 42. Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 71 f. s. o. I. 2. b) bb) (2). Dafür Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 74. Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 72. Vgl. Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 72 m.w.N. O. Fn. 642 und Haupttext. Vgl. Jahn, StV 2009, 43, 45 f.

II. Die Beweisbeschaffung durch eigeninitiativ handelnde Private 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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wenn nicht die menschenrechtlichen Grenzen missachtet werden (o. II. 1.).779 Diese Grenzen gelten nach der hier vertretenen Ansicht780 unabhängig von einem Zurechnungszusammenhang zwischen privaten und staatlichen Handeln, wobei freilich ein solcher in casu ohnehin kaum konstruierbar ist: Obgleich das SEC, also eine staatliche Behörde, berechtigt wäre, eigene Ermittlungen durchzuführen und die von Siemens beauftragten Anwälte somit gleichsam stellvertretend oder vorauseilend eine hoheitliche Ermittlungstätigkeit ausüben (eben um Ermittlungen des SEC zu verhindern), sind doch die internen Unternehmensermittlungen nicht direkt staatlich veranlasst, so dass eine irgendwie geartete Zurechnung zur SEC ausscheidet.781 Gleichwohl ist aber zu berücksichtigen, dass es sich um in Umfang und Systematik staatsähnliche private Ermittlungen handelt, die einer besonderen rechtsstaatlichen Aufsicht unterliegen müssen. Es wäre in der Tat bedenklich, wenn es in einer solchen Ermittlungssituation, die einerseits durch mangelnde Transparenz und fehlende Objektivität der Ermittlungspersonen geprägt ist782 und in der andererseits der durch die privaten Ermittlungspersonen ausgeübte Druck angesichts der Förmlichkeit der Befragungsprozedur, der Professionalität der befragenden Personen (teilweise ehemalige Staatsanwälte) und des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses der staatlichen Vernehmungssituation nicht wesentlich nachzustehen scheint, keinerlei Bindung an die staatliche Verfahrensordnung und an die Grundrechte geben soll. So stellt sich insbesondere die Frage, ob angesichts der geforderten „Kooperation“ noch von einer freiwilligen Selbstbelastung gesprochen werden kann oder nicht vielmehr in der Sache ein krasser Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz vorliegt,783 der unter bestimmten Umständen784 auch zu einem Verwertungsverbot bei Ermittlungen Privater führen kann: entweder aufgrund der – hier abgelehnten785 – staatlichen Veranlassung dieser Ermittlungen;786 oder aus sich heraus aufgrund seiner menschen- und grundrechtlichen Bedeutung im Sinne der entsprechenden Grenzen bei Ermittlungen Pri779 Knierim, StV 2009, 330 hält insoweit ein Verwertungsverbot bei Verstößen gegen „den Kernbereich der Grundrechte (Menschenrechte) oder gegen elementare Rechtsstaatsprinzipien“ bei verbotenen heimlichen Ermittlungen des Arbeitgebers für möglich. 780 Vgl. o. Fn. 635 und Haupttext. 781 Jahn, StV 2009, 45; a.A. Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 71, die allerdings zwischen der Frage der Zurechnung und der davon unabhängigen Anwendung menschenrechtlicher Mindeststandards nicht ausreichend differenzieren. – Eine Zurechenbarkeit könnte auch mit dem Argument bejaht werden, dass angesichts der genannten Stellvertreterfunktion der privaten Ermittler gegenüber den staatlichen Ermittlungsbehörden eine arbeitsteilige Nutzung der gewonnenen Ergebnisse durch die Strafverfolgungsbehörden zu erwarten sei, also die staatlichen Strafverfolgungsbehörden das private Tätigwerden bewußt ausnutzen (vgl. Keller, FS Grünwald, 1999, S. 276 ff.). 782 Dazu Knierim, StV 2009, 325 f., 329. 783 So Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 70 f., 74. 784 Vgl. schon o. 1. Kap. IV. 2. a) mit Fn. 258 (Verwertungsverbot bei fehlender Belehrung über Schweigerecht) und IV. 2. c) ee) (1) mit Fn. 356, 357 (Ausübung von Druck als Verstoß gegen nemo tenetur, Verwertungsverbot). 785 Vgl. o. Fn. 781 und Haupttext. 786 So Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 71 (schon o. Fn. 781).

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

vater; oder in Verbindung mit einem Verstoß gegen § 136a Abs. 2 S. 3 StPO wegen einer bewussten Täuschung über eine Aussagepflicht oder die sonstige Anwendung unzulässiger Vernehmungsmethoden.787

III. Die Fernwirkungslehre im US-Recht und ihre Übertragung auf das deutsche Strafverfahren 1. Vorbemerkung Bei der Fernwirkung geht es um die Frage, ob ein ein unmittelbares Beweismittel sperrendes Verwertungsverbot auch bezüglich mittelbarer (fernliegenderer) Beweismittel eine Sperrwirkung entfaltet. Die Fernwirkung setzt also ein Verwertungsverbot bezüglich eines unmittelbaren Beweismittels voraus, es geht um dessen Reichweite („in die Ferne wirken“) mit Blick auf den mittelbaren Beweis als Objekt eines eventuellen Verwertungsverbots. Fernwirkung und mittelbarer Beweis sind daher korrespondierende Begriffe.788 Beispielhaft: Soll neben dem durch Folter (§ 136a) erzwungenen Geständnis (unmittelbares Beweismittel) auch die aufgrund des Geständnisses gefundene Tatwaffe (mittelbares Beweismittel) unverwertbar sein? Soll neben der Aussage (unmittelbares Beweismittel) des nicht belehrten, zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen (§ 52) auch die aufgrund der Aussage gefundene Urkunde (mittelbares Beweismittel) nicht verwertet werden dürfen? Demgegenüber geht es bei der Fortwirkung um die Weiterwirkung der das Verwertungsverbot begründenden Umstände bei demselben Beweismittel.789 Beispielhaft: Fortwirkung einer verbotenen Vernehmungsmethode auf ein (erneut) abgegebenes Geständnis.790 Die Fortwirkung

787 Dazu Jahn, StV 2009, 45, 46. – Zur Verneinung eines Verstoßes gegen nemo tenetur aber bei Strafbefreiung (§§ 371, 368 Abs. 3 AO) BGH NStZ 2009, 508 (509 f.). 788 Instruktiv Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 89. 789 Zur Unterscheidung Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 112; Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 230. Bei der Fortwirkung ist ein Verwertungsverbot anzunehmen, sofern ihr nicht durch eine qualifizierte Belehrung ein Ende gesetzt wird (ebd.; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 91; ders., FS Stöckel, 2010, S. 282 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 61; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 331 ff.; zur qualifizierten Belehrung schon o. Fn. 65 f. und Haupttext). – Zur „Vorwirkung“ des Verwertungs- auf das Erhebungsverbot vgl. Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 84 ff.; ders., FS Stöckel, 2010, S. 282; zu dem Begriff schon o. Fn. 10 und 41. 790 Die psychologische Situation wird treffend in U.S. v. Bayer, 331 U.S. 532, 540 (1947) beschrieben: „Of course, after an accused has once let the cat out of the bag by confessing … he is never thereafter free of the psychological and practical disadvantages of having confessed. He can never get the cat back in the bag. The secret is out for good. In such a sense, a later confession always may be looked upon as fruit of the first.“ (zust. State v. Smith, 834 S.W. 2d 915, 919, Supreme Court of Tennessee, 1992).

III. Fernwirkungslehre im US-Recht und das deutsche Strafverfahren 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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ist eine „Quasi-Fernwirkung“,791 weil es – wie bei der Fernwirkung – um die zeitliche Reichweite eines Verwertungsverbots geht. In Deutschland stehen sich neben einigen vermittelnden Ansichten vor allem die extremen Positionen der eine Fernwirkung grundsätzlich bejahenden Literatur und der ablehnenden Rechtsprechung gegenüber (dazu u. 3.). Dabei wird von den Befürwortern einer Fernwirkung immer wieder auf die im anglo-amerikanischen Rechtskreis verbreitete fruit of the poisonous tree doctrine792 Bezug genommen, als ob diese Lehre den Ausschluss jedes „vergifteten“ (mittelbaren) Beweismittels propagieren würde. Das dem nicht so ist,793 wird im Folgenden zu zeigen sein, um dann auf dieser Grundlage eine rechtsvergleichend abgestützte Lösung vorschlagen zu können. 2. Fernwirkung im US-amerikanischen Recht a) Grundlagen und Anwendungsbereich In den USA sind Beweisverbote als „Ausschlussregeln“ („exclusionary rules“) durch die Rechtsprechung des Supreme Court bereits seit 1887794 anerkannt.795 Sie werden grundsätzlich bei (polizeilichen) Verstößen gegen die in den verschiedenen Zusätzen zur US-amerikanischen Verfassung (amendments) enthaltenen Grundrechte angenommen,796 insbesondere des Amendment IV (Schutz vor rechtswidriger Festnahme, Beschlagnahme und Durchsuchungen), V (u. a. Schutz vor Doppelverfolgung und Selbstbelastung), VI (Recht auf zügiges, öffentliches und faires Verfahren, insbesondere Beistand eines Verteidigers) und XIVAbs. 1 (Entziehung von Leben, Frei791 LR-Gössel, StPO, 2006, Bd. 1, Einleitung, Abschnitt L, Rn. 107 ff.; ähnlich Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 105 („Unterfall der Fernwirkung“). 792 Der Begriff geht auf Justice Frankfurter in Nardone v. U.S., 308 U.S. 338 (1939), 341 zurück; zur Entstehung auch La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999, S. 345; Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1069. Vgl. auch schon Beling, Beweisverbote, 1903, S. 25 (im Zusammenhang mit dem früheren § 251 und heutigen § 252): „Folglich ist die frühere Aussage, die der Zeuge erstattet hat, eine verbotene Frucht, von der das Gericht nicht essen darf.“ Zur biblischen Parallele (1. Buch Mose, Kapitel 2, Vers 16, 17 und Kapitel 3, Vers 6, 7) Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 7. 793 Zu Recht krit. auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 11, 94, 373, 413 f. (keine „Allesoder Nichts-Lösung“). 794 Hopt v. Utah, 110 U.S. 574 (1884), 581 f. (exclusion von hearsay evidence), 583 f. (zu Zulassung und Ausschluß von Beweisen), 587 f. (Ausschluß von Zeugen); zur Geltung in den Bundesgerichten dann Weeks v. U.S., 232 U.S. 383, 398 (1914) sowie in den Einzelstaaten Mapp v. Ohio, 367 U.S. 643, 660 (1961). 795 Vgl. schon o. erstes Kap. I. mit Fn. 17; ferner Mergner, Fernwirkung, 2005, S. 70. Dazu auch Schmid, Strafverfahren, 1993, S. 118; Herrmann, FS Jescheck, 1985, S. 1297 ff.; Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000), 239 mit Fn. 4 m.w.N.; zur Entwicklung Oaks, Chic.L.Rev. 37 (1970), 665, 667 ff. Zur Kritik Harris, StV 1991, 314 m.w.N.; Schmid, a.a.O., 1993, S. 120 mit Fn. 87; Herrmann, FS Jescheck, 1985, S. 1301 mit Fn. 55 m.w.N. 796 Harris, StV 1991, 313 f.; Mergner, Fernwirkung, 2005, S. 72; Kamisar/La Fave/Israel/ King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 886.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

heit, Eigentum nur aufgrund fairen Verfahrens).797 Ferner kommen Ausschlussregeln auch bei Verletzungen des Landesrechts in Betracht.798 Als materiale Begründung der exclusionary rules ist jedoch seit jeher die notwendige Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden angeführt worden: Durch den Ausschluss des rechtswidrig erlangten Beweismittels sollen künftige Verstöße vermieden, die Strafverfolgungsbehörden also zu gesetzeskonformem Vorgehen angehalten bzw. von gesetzeswidrigem Verhalten abgeschreckt werden.799 Freilich hat der Supreme Court, im Einklang mit den genannten Amendments der US-Verfassung, in diesem Zusammenhang auch die Integrität des Strafverfahrens und die Rechte des Einzelnen betont.800 Im Jahre 1920, in Silverthorne Lumber v. U.S.,801 hat der Supreme Court erstmals die Auffassung vertreten, dass der Ausschluss eines Beweismittels nicht nur zu seinem direkten Verwertungsverbot sondern zu einem umfassenden Verwendungsverbot, das auch die Früchte dieses rechtswidrigen Beweismittels erfasse, führen müsse: „The essence of a provision forbidding the acquisition of evidence in a certain way is that not merely evidence so acquired shall not be used before the Court but that it shall not be used at all.“802

Grundsätzlich erweitert die fruit doctrine also den Anwendungsbereich der exclusionary rule in dem Sinne, dass jedes Beweismittel – gegenständlich oder nicht803 –, das sich auf den Verstoß, durch den das ursprüngliche Beweismittel erlangt wurde (den „vergifteten Baum“), zurückführen lässt – als Frucht dieses vergifteten 797

Mergner, Fernwirkung, 2005, S. 72. Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 581 („may derive from a constitutional, statutory, or judicial source“). 799 Tehan v. U.S., ex. rel. Shott, 382 U.S. 406, 413 (1966): Disziplinierung als „single and distinct purpose“ der Beweisverbote; vgl. auch Nix v. Williams, 467 U.S. 431, 442 – 43 (1984). Vgl. auch Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 586 ff., 650; Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 151 ff.; Bradley, GA 1985, 99, 101; Harris, StV 1991, 313 f. m.w.N. in Fn. 5 ff., 11; Bloom, Am.J.Crim.L. 20 (1992), 79; Mergner, Fernwirkung, 2005, S. 74 f.; Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2006), 1082 ff.; Alschuler, Iowa L.Rev. 93 (2007/2008), 1750 f. nennt dieses Verständnis „instrumental“ und kritisiert insoweit den Begriff Abschreckung. – Zum Disziplinierungsgedanken auch schon o. 1. Kap. I. mit Fn. 22 f. 800 Mapp v. Ohio, o. Fn. 775, 658 f.; Terry v. Ohio, 392 U.S. 1, 12 (1968); jüngst Hudson v. Michigan, 126 S.Ct 2159, 2165, 2168 (2006). Vgl. Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1748 ff., der insoweit zwischen „rights“ und „instrumental justificationes“ unterscheidet (1748 ff.); auch Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2006), 1063, 1067 ff., 1085 mit Fn. 158 m.w.N.; dazu auch Herrmann, FS Jescheck, 1985, S. 1298 f. mit Fn. 40 m.w.N.; Oaks, U.Chi.L.Rev. 37 (1970) , 668 ff. Vgl. auch schon 1. Kap. I. mit Fn. 23. 801 Silverthorne Lumber Co. v. U.S., 251 U.S. 385 (1920). 802 Ebd., 392. Vgl. auch Harris, StV 1991, 315; Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 615, 616; Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1067 ff.; zur historischen Entwicklung Killian, Idaho L.Rev. 18 (1981), 154 ff.; Rogall, in: Wolter, 1995, S. 132; Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 589 ff. 803 Wong Sun v. U.S., 371 U.S. 471 (1963) hat erstmals anerkannt, dass „verbal evidence which derives so immediately“ von einer rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahme „is no less the ,fruit of official illegality than the more common tangible fruits of the unwarranted intrusion“ (S. 485), z. B. aufgefundene Tatmittel (in casu Betäubungsmittel). 798

III. Fernwirkungslehre im US-Recht und das deutsche Strafverfahren 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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Baums –, nicht verwertet werden darf.804 Dabei hat sich die Doktrin zunächst im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Amendment IVentwickelt805, wurde dann aber auf weitere Schutzbereiche verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Art ausgedehnt.806 Allerdings ist die Beziehung zwischen dem unmittelbar und mittelbar erlangten Beweismittel, also, um im Bild zu bleiben, zwischen Baum und Frucht nicht immer einfach zu bestimmen.807 Insbesondere ist sehr umstritten, wie weit die Wirkung der ursprünglich rechtswidrigen Beweisbeschaffung (das Gift des Baums) mit Blick auf die derivative Beweiserlangung (die Frucht oder Früchte) reichen kann.808 Unabhängig von der Frage des insoweit notwendigen Kausalzusammenhangs oder Nexus zwischen primärem und sekundärem (oder tertiärem etc.) Beweismittel, können sich Einschränkungen der Fernwirkung auch aus der Art des in Rede stehenden Primärverstoßes ergeben, führt doch auch nach der Fernwirkungslehre nicht jeder – noch so geringfügige – Verstoß automatisch zum Ausschluss des infolgedessen erlangten Beweismittels [vgl. u. b) dd) (1)]. Schon damit zeigt sich, dass die Fernwirkung keineswegs unbeschränkt und absolut gilt. Die im Folgenden behandelnden Ausnahmen und Einschränkungen vervollständigen das Bild. b) Einschränkungen der Fernwirkung aa) Unabhängig vom Verstoß erlangte Beweise – Die Independent-source-Ausnahme Das Fernwirkungsverbot wurde schon durch die oben genannten grundlegende Entscheidung in Silverthorne Lumber eingeschränkt.809 Danach soll nämlich eine Verwertung des sekundären Beweismittels zulässig sein, wenn es sich (auch) auf eine andere, vom bemakelten Primärbeweismittel unabhängige Quelle (independent source) zurückführen lässt:

804 805

Killian, Idaho L.Rev. 18 (1981), 151, 153. So noch Maguire, J.Crim.L.C.& P.S. 55, 1964, 307 f.; Jones, So.Tex.L.J. 9 (1966 – 1967),

17 ff. 806 Mergner, Fernwirkung, 2005, S. 72; Rogall, in: Wolter, 1995, S. 132; Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1096 (unter Bezugnahme auf Nix v. Williams); Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 581 ff.; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 375. 807 Vgl. Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 581 („difficult … to determine whether derivative evidence … is fruit of the poisonous tree“). 808 Zum Unterschied zwischen „first“ und „second, and remoter generation derivative evidence“ vgl. etwa Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1061 f., nach dem es eine offene Frage ist, wie weit die Fernwirkung reicht. Für die „verwirrende“ (confusion) Situation werden auch die vom Supreme Court entwickelten Ausnahmen verantwortlich gemacht (Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000), 240 mit Fn. 10 m.w.N.). 809 Vgl. Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000), 240 mit Fn. 13; Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2006), 1073.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

„Of course this does not mean that the facts thus obtained [durch eine rechtswidrige Ermittlungsmaßnahme, K.A.] become sacred and inaccessible. If knowledge of them is gained from an independent source they may be proved like any others …“810

Denn in diesem Fall fehlt es von vorneherein an jeglichem Kausalzusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Primärbeweismittel und dem verwendeten Sekundärbeweismittel, beruht dieses doch auf einer anderen Quelle: „It is one thing to say that officers shall gain no advantage from violating the individuals rights; it is quite another to declare that such a violation shall put him beyond the laws reach even if his guilt can be proved by evidence that has been obtained lawfully.“811

Die Independent-source-Ausnahme leuchtet ohne Weiteres ein, wenn die unabhängige Quelle schon vor der rechtswidrigen Ermittlungshandlung existiert hat und den Ermittlungsbehörden bekannt war.812 So lag es im Fall State v. OBremski,813 wo ein 14-jähriges Mädchen bei einer rechtswidrigen Durchsuchung der Wohnung des eines Sexualverbrechens Verdächtigen gefunden wurde, die Verurteilung aber auf dem Geständnis des Mädchens beruhte und dessen Verbleib der Polizei schon vor der Durchsuchung durch Informationen eines Polizeispitzels bekannt geworden war. Umstritten sind aber die Fälle, in denen die Polizei die unabhängige Information erst nach der rechtswidrigen Ermittlungshandlung erhält. Dann stellt sich die Frage, ob es sich tatsächlich um eine unabhängige Quelle handelt oder nicht vielmehr die spätere Information auf der primären rechtswidrigen Ermittlungsbehandlung beruht und deshalb unverwertbar sein muss.814 So haben in U.S. v. Bacall815 U.S. Zollbeamte rechtswidrig Inventargegenstände des Beschuldigten beschlagnahmt und aufgrunddessen französische Zollbeamte um Ermittlungen gebeten. Diese führten zur recht810

Silverthorne (Fn. 801), 392. s. a. Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 622 ff.; Erdmann, Garantien, 1969, S. 202; McCormick, On Evidence, 1992, S. 313 ff.; Schmid, Strafverfahren, 1993, S. 120; 348 ff.; Kamisar/Israel/LaFave/King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 888; Saltzburg, American Criminal Procedure, 2007, S. 358 ff.; Harris, StV 1991, 316 ff.; SK-StPO-Rogall, 2004, § 136a, Rn. 96, ders., NStZ 1988, 385 (392); ders., in: Wolter, 1995, S. 132 mit Fn. 139 f.; Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1800; Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 624 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 397 ff. 811 Sutton v. U.S., 267 F. 2d 271 (4th Circuit 1959), 272; vgl. auch Burke v. U.S., 328 F. 2d 399 (1st Cir. 1964); Segura v. U.S., 468 U.S. 796, 104 S. Ct. 3380 (1984). Zum fehlenden Kausalzusammenhang auch Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1795; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 378. 812 Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 626: „When the independent source exists, and it is known prior to the police illegality , then a stronger case for admission is presented.“ Vgl. auch La Fave/ Israel/ King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 349. 813 70 Wash.2d 425, 423 P.2d 530 (1967); für einen weiteren Fall dieser Art s. Harris, StV 1991, 316 mit Fn. 37. 814 Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 626 („prevent the independent source requirement from becoming an illusory source requirement“); Harris, StV 1991, 316 re. Sp. 815 443 F. 2d 1050 (9th Circuit 1971).

III. Fernwirkungslehre im US-Recht und das deutsche Strafverfahren 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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mäßigen Beschlagnahme von Briefen und Schecks, die den Beschuldigten belasteten. Der Appeals Court bejahte zwar die Kausalität der primären (rechtswidrigen) für die sekundäre (rechtmäßige) Ermittlungsmaßnahme, stellte aber genauer darauf ab, ob die französischen Behörden gerade und spezifisch durch die US-amerikanische Ermittlungsmaßnahme auf die Briefe und Schecks gestoßen wurden: „The question to be answered is not whether the (…) letters and checks would have been discovered in the absence of the seizure. It is, rather, whether anything seized or any leads gained from the seizure tended significantly to direct the foreign investigation toward those specific letters and checks – whether the Customs officers had after seizure a substantially greater reason to seek those specific items than they had had before the seizure.“816

Das Gericht verneinte diesen spezifischen Zusammenhang und bejahte deshalb die Verwertbarkeit. Anders lagen die Dinge in U.S. v. Murray:817 Die Polizei nahm ordnungsgemäß zwei Verdächtige fest und fand Betäubungsmittel in ihrem Auto. Sie betrat dann – ohne Durchsuchungsbefehl – das Lagerhaus der zwei Verdächtigen und sah dort große Pakete. Aufgrund dieser Entdeckung beantragte sie einen Durchsuchungsbefehl und beschlagnahmte die Pakete, die Betäubungsmittel enthielten. Das Berufungsgericht wendete die Independent-source-Ausnahme an und bejahte infolgedessen die Verwertbarkeit des Funds. Der Supreme Court verwies den Fall zur weiteren Aufklärung zurück und wollte eine Verwertung qua Anwendung der Independent-source-Ausnahme davon abhängig machen, ob es sich bei dem Fund tatsächlich um eine „echte unabhängige Quelle“ gehandelt hatte, die nicht durch die primäre rechtswidrige Hausdurchsuchung „veranlasst“ worden war: „The ultimate question, therefore, is whether the search pursuant to warrant was in fact a genuinely independent source of the information and tangible evidence at issue here. This would not have been the case if the agents decision to seek the warrant was prompted by what they had seen during the initial entry, or if information obtained during that entry was presented to the Magistrate and affected his decision to issue the warrant.“818

Das Problem einer nachträglichen „unabhängigen Quelle“ liegt offensichtlich darin, dass sich ihre Abhängigkeit von der primären rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahme kaum mit Sicherheit ausschließen lässt. Die Verwertbarkeit hängt also letztlich von den Anforderungen an den Kausalzusammenhang ab. Lässt man die conditio sine qua non bzw. but for Kausalität genügen, so wird der Kausalzusammenhang in der Regel zu bejahen,819 also die Verwertbarkeit zu verneinen sein. Beispielhaft: In Murray kann das rechtswidrige Betreteten des Lagerhauses nicht hinweggedacht werden, ohne das die Folge – die Beantragung eines Durchsuchungsbefehls zur Beschlagnahme der entdeckten Drogenpakete – entfiele. Legt man einen strengeren Maßstab i.S. einer Fokusierung oder einer bestimmten Vorgabe der Ermittlungen aufgrund der 816

Ebd., 1057. 487 U.S. 533 (1988). 818 Ebd., 542. 819 Vgl. auch U.S. v. Bacall (o. Fn. 796), 1057 („illegal seizure was a but for cause of the foreign investigation“). 817

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

primären Maßnahme an, mag man die Kausalität, wie der Appeals Court in U.S. v. Bacall, verneinen und die Unabhängigkeit der sekundären Quelle bejahen. Das Problem dieser Lösung liegt freilich darin, dass damit die Polizei zu zunächst rechtswidrigen Ermittlungen zur Informationsbeschaffung ermutigt wird, da deren (primäre) Rechtswidrigkeit durch die (sekundäre) rechtmäßige Beweiserhebung geheilt wird.820 bb) Berücksichtigung hypothetischer Erfolgsursachen – „inevitable discovery exception“ Die Frage der Anforderungen an die Kausalbeziehung zwischen Verstoß und (derivativ) erlangtem Beweismittel gewinnt an Komplexität, wenn die zu berücksichtigenden Faktoren nicht historischer Natur sind, sondern im Rahmen einer Prognoseentscheidung, eventuell unter Heranziehung historischer Tatsachen und diesbezüglicher Erfahrungswerte, hypothetisch zu bestimmen sind. Dies ist der Fall bei der sog. inevitable discovery-Ausnahme,821 die in der Sache die independent source-Ausnahme auch auf Beweismittel erstreckt, die zwar tatsächlich (noch) nicht auf eine vom ursprünglichen Verstoß unabhängige Quelle kausal rückführbar sind, bei denen jedoch im Sinne der Berücksichtigung eines hypothetischen Ermittlungsverlaufs davon ausgegangen werden kann, dass sie ebenfalls auf rechtmäßigem Weg aufgefunden bzw. erlangt worden wäre.822 Beispielhaft: Der Beschuldigte gibt im Rahmen einer ohne Anwalt durchgeführten und damit rechtswidrigen Vernehmung den Fundort der Leiche des Tatopfers preis, diese wäre aber ohnehin einige Stunden später gefunden worden, da die polizeilichen Suchtrupps sich schon auf den Fundort zu beweg820 In diesem Sinne krit. Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 625 („initial illegality can be covered up later by legal police work“). Krit. auch La Fave/Israel/ King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 350 f. 821 Nix v. Williams 467 U.S. 440 (1984); krit. Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000), 241 ff. Diese Doktrin wurde schon lange vor Nix angewendet. Nach Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 137 hat sie ihren Ausgangspunkt in Silverthorne (o. Fn. 801). Nach Bloom, Am.J.Crim.L. 20 (1992), 82 mit Fn. 19 geht der Begriff „inevitable discovery“ auf die Entscheidung U.S. ex rel. Owens v. Twomey, F.2d 858, 865 f. (7. Cir. 1974) zurück. s. allg. zur Inevitable-discovery-Ausnahme auch Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 627 ff.; Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 625 ff.; Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 137 ff.; Bloom, Am.J.Crim.L. 20 (1992), 79 ff.; Golden, B.Y.U.J.Pub.L. 97 (1998 – 1999), 97 ff.; Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2006), 1072 ff.; Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1804 ff.; La Fave/ Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 351 ff.; Kamisar/Israel/LaFave/King/ Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 896 ff., 902 ff.; Rogall, in: Wolter, 1995, S. 133 mit Fn. 141 f. m.w.N. 822 Die inevitable discovery doctrine ist deshalb als „extrapolation“ bzw. „extension“ der Independent-source-Ausnahme anzusehen (Murray, o. Fn. 798, 539; Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2006), 1072; La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 351 f.) und wird dementsprechend auch als hypothetical independent source-Ausnahme (Alschuler, Iowa L. Rev. 93 [2008], 1800 m.w.N.) bzw. „hypothetical clean path doctrine“ (vgl. Fahl, JuS 1996, 1018 li. Sp.; Beulke, ZStW 103 (1991), 667) bezeichnet (vgl. auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 401, 409). Zur Bedeutung der Rechtmäßigkeit der unabhängigen, alternativen Beweismittelsuche s. Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2006), 1087 ff. Zur funktionellen Äquivalenz s.u. Fn. 850.

III. Fernwirkungslehre im US-Recht und das deutsche Strafverfahren 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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ten und ihre Suche nur wegen der Aussage des Beschuldigten vorzeitig abgebrochen haben.823 Dieser Ausnahme liegt also der Gedanke zugrunde, dass die Ermittlungsbehörden so gestellt werden sollen, als wäre es zu der Rechtsverletzung gar nicht gekommen; wenn dann (gleichwohl) der Beweis gefunden worden wäre, ist er auch verwertbar.824 Diese Ausnahme ist damit zwar der Independent-source-Ausnahme strukturell ähnlich, doch anders als bei dieser beruht das Beweismittel nur hypothetisch, nicht aber tatsächlich auf einer rechtmäßigen Ermittlungsmaßnahme.825 Lässt sich überzeugend darlegen, dass das Beweismittel auch auf anderem (rechtmäßigem) Weg erlangt worden wäre, fehlt es auch an der Kausalität zwischen der rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahme und der sekundären Beweiserlangung, denn jene ist gerade keine conditio sine qua non (but for Bedingung) dieser. So gesehen sind die Inevitable-discovery-Ausnahmen und die conditio sine qua non Kausalität also die gleichen Seiten derselben Medaille.826 Lässt man allerdings zur Bejahung des Kausalzusammenhangs jegliche Erleichterung der Beweisbeschaffung durch die primäre rechtswidrige Ermittlungsmaßnahme, etwa im Sinne einer „contributory causation“,827 ausreichen, so führt dies zu einer grundsätzlichen Ablehnung der inevitable discovery doctrine, weil das unvermeidliche Auffinden der Beweise grundsätzlich nichts an der so verstandenen Kausalität der primären Ermittlungsmaßnahme ändert.828 Wenn die den hypothetischen Ermittlungsverlauf begründenden Ermittlungen, wie in dem obigen Beispiel, schon vor der rechtswidrigen Maßnahme in Gang gesetzt wurden, erscheint das hypothetische Auffinden des Beweismittels leichter begründ-

823

So der Sachverhalt in Nix v. Williams, 467 U.S. 431, 435 ff., 448 ff. (1984); dazu Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2006), 1074 mit Fn. 68; Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 130 ff.; Fahl, JuS 1996, 1018 li. Sp. 824 Vgl. Nix v. Williams, 467 U.S. 431, 432 („the interest of society in deterring unlawful police conduct and the public interest in having juries receive all probative evidence of a crime are properly balanced by putting the police in the same, not a worse, position than they would have been in if no police error or misconduct had occurred.“); 443 („analysis ensures that the prosecution is not put in a worse position simply because of some earlier police error or misconduct.“). Vgl. auch Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2006), 1074 mit Fn. 70, 74 („status quo ante rationale“); Murray, o. Fn. 817, 538 – 43; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 409. Krit. zum „no worse off principle“ mit Blick auf die Abschreckungswirkung Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 158 ff. 825 Vgl. Justice Brennan, in Nix v. Williams, 467 U.S. 459. („… the evidence sought to be introduced at trial has not actually been obtained from an independent source, but rather would have been discovered as a matter of course if independent investigations were allowed to proceed.“) 826 Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1809. 827 Dazu u. Fn. 869 und Haupttext. 828 Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1814 will die inevitable discovery deshalb auf Fälle beschränken, in denen ein Privater oder ein anderes staatliches Organ als das rechtswidrig Handelnde die rechtswidrig erlangten Beweise rechtmäßig entdeckt hätte. Weiter will er die Verwertung von „publicly available information“ auch bei rechtswidrigem Handeln der Ermittlungsbehörden zulassen (1815).

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

bar als wenn diese Ermittlungen erst danach einsetzen.829 Deshalb ist die vorherige Einleitung solcher erfolgsträchtiger Ermittlungen mitunter zur Voraussetzung der Verwertbarkeit gemacht worden (sog. active pursuit-Erfordernis),830 wobei es allerdings im Einzelfall schwierig sein kann, den tatsächlichen Beginn der Ermittlungen zu bestimmen.831 Die Problematik lässt sich insbesondere an Fällen im Zusammenhang mit dem Richtervorbehalt des Amendment IV (Festnahme, Beschlagnahme und Durchsuchungen) deutlich machen. Wenn insoweit die Polizei, wie etwa in U.S. vs. Griffin,832 zunächst eine Hausdurchsuchung ohne richterliche Anordnung durchführt, sich aber schon vorher oder jedenfalls zeitgleich um die Anordnung bemüht und diese auch noch während der Hausdurchsuchung erhält, so kann man zwar darin einen active pursuit sehen und insoweit argumentieren, dass die Beweise auch im Rahmen einer rechtmäßigen Durchsuchung hätten gefunden werden können.833 Doch wird damit die traditionelle Rechtsprechung zum grundsätzlichen Ausschluss von im Rahmen einer rechtswidrigen Durchsuchung erlangten Beweisen konterkariert und einer polizeilichen Umgehung des Richtervorbehalts das Wort geredet.834 Das gilt insbesondere dann, wenn man eine Verwertung auch zulässt, wenn die Polizei sich noch gar nicht um die richterliche Anordnung bemüht hat, sondern diese nur hätte erlangen können. Denn aus welchem Grund sollte die Polizei sich die Mühe machen, eine richterliche Anordnung zu beschaffen, wenn sie später nur behaupten muss, dass sie eine solche ja hätte erhalten können?835 In diesem Fall ergibt sich die Notwendigkeit eines Verwertungsverbots also aus der Aufrechterhaltung der Abschreckungswirkung der exclusionary rule.836 Es ist eben nicht ausreichend, dass die Polizei die Beweise hätte rechtmäßig erlangen können („could have“), sondern es ist notwendig, dass sie als Folge des hypothetischen Ermittlungsverlaufs auch tatsächlich entdeckt worden 829

La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 357 m.w.N. s. etwa U.S. v. Brooking, 614 F.2d 1037, 1042 (5. Circuit 1980); U.S. v. Satterfield, 743 F.2d 827, 845 f. (11. Cir.1984). Zur „active pursuit doctrine“ krit. Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000), 243 ff., 247 ff.; Golden, B.Y.U.J.Pub.L. 97 (1998 – 1999), 119 ff. m.w.N.; Bloom, Am.J.Crim.L. 20 (1992), 98 ff. m.w.N.); Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1811 ff. 831 Krit. Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1812. 832 502 F. 2d 959 (6th Cir. 1974). 833 La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 356. 834 Vgl. Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1808 („incompatibility of the inevitable discovery doctrine … and the Courts traditional treatment of warrantless searches.“); früher schon Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 606 f. („incentive for police to search unlawfully with the hope that the suspect will incriminate himself , and the pressure inherent in the search makes such a result more probable …“). 835 In diesem Sinne krit. Bloom, Am.J.Crim.L. 20 (1992), 95, 102 f.; Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1807 („no incentive to obtain warrants“); La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 354; Harris, StV 1991, 317. 836 Nix v. Williams, 467 U.S. 438, 445 f., zweifelt allerdings daran, dass der Ausschluss ohnehin entdeckter Beweise eine Abschreckungswirkung habe („… when an officer is aware that the evidence will inevitably be discovered, he will try to avoid engaging in any questionable practice. In that situation, there will be little to gain from taking any dubious shortcuts to obtain the evidence.“). Krit. Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 166 ff. 830

III. Fernwirkungslehre im US-Recht und das deutsche Strafverfahren 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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wären („would have been discovered“).837 Mit Blick auf den Richtervorbehalt folgt daraus, dass die Ermittlungsbehörden nachweisen müssen, dass sie eine richterliche Anordnung beantragt haben und auch erhalten hätten.838 Die darüber hinausgehende Forderung eines gutgläubigen Handelns der Polizeibeamten839 ist vom Supreme Court aber abgelehnt worden, weil er den Nachweis der Gutgläubigkeit für zu schwierig hält und in dem Erfordernis eine zu große Benachteiligung der Ermittlungsbehörden erblickt.840 Eine Verwertbarkeit ist ferner dann bejaht worden, wenn die Beweise auf jeden Fall im Rahmen von Routineermittlungen (insbesondere im Rahmen einer Kontrolle des Lagerbestands, „inventory search“)841 oder aufgrund von von der rechtswidrigen Beweiserhebung unabhängigen Umständen (sog. „independence circumstances test“) entdeckt worden wären.842 Insoweit zeigt sich die strukturelle Ähnlichkeit zur Independent-source-Ausnahme,843 geht es doch um Fälle, in denen, ähnlich wie in Murray,844 die Polizei die Beweise auch auf rechtmäßigem, von der rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahme unabhängigem Weg erlangt hätte, wobei allerdings insoweit eine entsprechende hypothetische Feststellung durch das Gericht getroffen 837

Nix v. Williams, 467 U.S. 438, 444. Vgl. auch Kamisar/Israel/LaFave/King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 900; Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000/2001), 262. 838 s. die Unterscheidung zwischen „warrantless searches followed by a warrant“ and „not followed by a warrant“ bei Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000/2001), 273 ff., 275 ff. Im letzteren Fall sei die Inevitable-discovery-Ausnahme nicht anwendbar. 839 La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 354 m.w.N. aus der (früheren) Rechtsprechung in Fn. 50 f.; Kamisar/Israel/LaFave/King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 888 m.w.N. Zur sog. „good faith exception“ als Ausnahme der exclusionary rule eingehend (krit.) Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 94 ff. m.w.N. vor allem in Fn. 57; auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 381. Krit. zur (weiteren) Subjektivierung durch das Kriterium der „purposefulness“ Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 647 ff. m.w.N. 840 Nix v. Williams, 467 U.S., 445 (1984); Kamisar/Israel/LaFave/King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 888, 896; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 410; krit. wegen der mangelnden Bestimmtheit auch schon Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 583 f. 841 La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 355 mwN. Krit. Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1813, der auch in diesen Fällen die Gefahr einer „invitation to shortcuts“ sieht. 842 U.S. v. Boatwright, 822 F.2d 862, 864 f. (9th Cir. 1987): ausreichend „that the fact or likelihood that makes the discovery inevitable arise from circumstances other than those disclosed by the illegal search itself“; vgl. auch Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000/2001), 261 ff.; La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 357. 843 Aus dieser folgt auch die Anwendung auf primäre Beweismittel: Die rechtswidrige erlangte Aussage des Beschuldigten oder die im Rahmen einer rechtswidrigen Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel sind ebenso verwertbar wie die sich daraus ergebenden sekundären Beweismittel (z. B. die Leiche des Opfers), wenn sie auch auf rechtmäßigem Weg entdeckt worden wären (vgl. Kamisar/Israel/LaFave/King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 899 m.w.N.; Golden, B.Y.U.J.Pub.L. 97 (1998 – 1999), 102 ff.; Bloom, Am.J.Crim.L. 20 (1992), 87 ff.). 844 O. Fn. 817.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

werden muss.845 Überdies ist zu beachten, dass der Independent-circumstances-Test als Alternative zur Active-pursuit-Doktrin vorgeschlagen worden ist, weil diese als zu formal und wenig hilfreich mit Blick auf (Fourth) Amendment Verletzungen empfunden wird.846 Die konsequente Betonung der Unvermeidbarkeit („inevitability“) der Entdeckung der Beweise führe zu einer sinnvolleren Einschränkung.847 Hinsichtlich des Beweismaßstabs hat der Supreme Court einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab („preponderance of evidence“) angelegt, wobei allerdings insoweit nicht spekuliert werden dürfe, sondern auf der Grundlage historischer, verifizierbarer Tatsachen (!)848 entschieden werden müsse.849 Andere Stimmen wollen, die „inevitability“ der alternativen Beweisentdeckung betonend, einen strengeren Maßstab anlegen, nämlich eine erhöhte Beweislast des Staates, der nur durch „klare und überzeugende Beweise“, dass das betreffende Beweismittel tatsächlich aufgefunden worden wäre, entsprochen werden könne.850 Wie dem auch sei, die Kritik gegen die Inevitable-discovery-Ausnahme richtet sich weniger gegen die Ausnahme als solche851 als vielmehr gegen ihre widersprüchliche und unklare Anwendung.852

845

Zum Unterschied zwischen den beiden Tests Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000/2001), 262 in Fn. 111. 846 Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000/2001), 246, 261 ff. (265: „inevitability may be legitimately established in the absence of active pursuit, and … the independent circumstances test permit[s] courts the necessary flexibility …“), 270 („provides only negligible additional safeguarding of Fourth Amendment rights“), 272 („unnecessary as an additional safeguard to the warrant requirement“), 275 ff.; krit. auch Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1813. 847 Vgl. Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000/2001), 261 ff. 848 Zu Recht krit. Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000/2001), 261 f., weil es doch um eine hypothetische Prüfung gehe. 849 „inevitable discovery involves no speculative elements but focuses on demonstrated historical facts capable of ready verification or impeachment …“ (Nix v. Williams, 467 U.S., at 444 (1984)). 850 So Richter Brennan in Nix v. Williams, 467 U.S., 459 („… heightened burden of proof before it is allowed to use such evidence. … To ensure that this hypothetical finding is narrowly confined to circumstances that are functionally equivalent to an independent source, and to protect fully the fundamental rights served by the exclusionary rule, I would require clear and convincing evidence …“; zust. Richter Marshall). Für höhere Anforderungen („certainty“) auch Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 172 ff.; Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1808. 851 Sogar Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 179 erkennen an, dass die Ausnahme nicht „wrong in principle“ sei. 852 La Fave, Search and seizure, 2007, S. 243 f.; zust. Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000/2001), 278; krit. auch Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 179 („unbelievably broad“); Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 627 f.; Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2005/2006), 1075 f.

III. Fernwirkungslehre im US-Recht und das deutsche Strafverfahren 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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cc) Abgeschwächte Kausalität zwischen Beweismittel und Verstoß – „purged taint“ oder „attenuated connection“ In Nardone v. U.S. hat der Supreme Court zwar einen Kausalzusammenhang zwischen der (rechtswidrigen) Ermittlungsmaßnahme und dem erlangten Beweis angenommen, eine Fernwirkung jedoch gleichwohl abgelehnt, wenn dieser Zusammenhang durch weitere hinzutretende Faktoren erheblich vermindert und dadurch so „abgeschwächt“ oder „dünn“ werde, dass der Makel sich auflöse, also die erlangten Beweismittel vernünftigerweise nicht mehr mit ihm in Verbindung gebracht werden könnten: „Sophisticated argument may prove a causal connection between information obtained ACHTUNGREthrough illict wire-tapping and the Governments proof. As a matter of good sense, however, such connection may have become so attenuated as to dissipate the taint.“853

Ähnlich hat der Court Jahre später in Wong Sun v. U.S.854 für eine Ablehnung der Fernwirkung plädiert, wenn die Erlangung des Beweises nicht überwiegend kausal auf den polizeilichen Verstoß zurückzuführen sei oder, positiv ausgedrückt, auf Mitteln beruhe, die von dem primären Makel als ausreichend gereinigt erschienen: „means sufficiently distinguishable to be purged of the primary taint“.855 Beispielhaft:856 Während ein Geständnis, dass durch den nach einer rechtswidrigen Wohnungsdurchsuchung festgenommenen Beschuldigten abgelegt wird, als Frucht des verbotenen Baums (rechtswidrige Wohnungsdurchsuchung) ausgeschlossen ist, ist ein weiteres Geständnis eines aufgrund des ersten Geständnisses festgenommenen weiteren Beschuldigten, der dieses nach seiner vorläufigen Freilassung nach einigen Tagen aus freien Stücken abgibt, verwertbar.857 Denn die „connection between the arrest and the statement has become so attenuated as to dissipate the taint.“858 Es kommt also auch insoweit entscheidend auf die Freiwilligkeit des Aussagenden an, wobei

853 Nardone v. U.S., 308 U.S. 341, (1939); dazu Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 641 ff.; Bain/ Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 616; Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 140 ff. (die darin eine Weiterentwicklung der independent source doctrine aus Silverthorne sehen, 143); Hessler, Mich.L.Rev. 99 (2000), 240. 854 Wong Sun v. U.S., 371 U.S. 471 (1963); dazu Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 146 ff.; Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1071 ff. 855 Wong Sun v. U.S., 371 U.S. 471, 488 (1963). 856 Wong Sun nachgebildet, vgl. Erdmann, Garantien, 1969, S. 203 f. 857 Vgl. Harris, StV 1991, 315. Eine hinreichende Abschwächung des Kausalzusammenhangs und damit eine Verwertbarkeit des Beweismittels wurde auch in folgendem Fall angenommen: die Nachbarin des rechtswidrig festgenommenen Beschuldigten machte anlässlich der Frage, ob sie sich um die Haustiere des Beschuldigten kümmern könne, Angaben zu einer möglichen weiteren Straftat, so dass es zu einer (erneuten) Hausdurchsuchung kam, bei der belastendes Material hinsichtlich des neuen Tatvorwurfs gefunden wurde; die rechtswidrige Festnahme wurde als letztlich nicht mehr als kausal für diesen Beweismittelfund angesehen (U.S. v. Williams, zitiert nach Bain/ Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 620 mit Fn. 22). 858 Wong Sun v. U.S., 371 U.S. 471, 491.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

freilich ziemlich unklar bleibt, unter welchen Voraussetzungen von einer solchen ausgegangen werden kann.859 Anders als bei der independent source-Ausnahme kommt es jedenfalls bei der attenuation doctrine nicht auf eine alternative rechtmäßige Beschaffung des bemakelten („tainted“) Beweismittels aufgrund einer unabhängigen Quelle, sondern auf den Grad des Kausalzusammenhangs zwischen der rechtswidrigen Handlung und dem Beweismittel an.860 Entscheidend ist also nicht die „but for causality“, sondern inwieweit die Kausalbeziehung sich aufgrund weiterer hinzutretender Faktoren abgeschwächt („attenuated“) hat; mit anderen Worten ist entscheidend, welche Rolle der Verstoß im Zusammenhang mit anderen Faktoren tatsächlich für das Erlangen des Beweismittels gespielt hat, inwieweit dieses also noch als durch den Verstoß erlangt angesehen werden kann.861 Genau genommen erfasst der Attenuation-Ansatz aber die Independent-source-Ausnahme insofern, als bei Beweiserlangung durch eine unabhängige Quelle der Kausalzusammenhang nicht nur abgeschwächt, sondern sogar unterbrochen ist.862 Es geht also im Ausgangspunkt in beiden Fällen um Kausallehren, wobei jedoch die attenuation doctrine zu einer Normativierung im Sinne einer Zurechnungslehre führt.863 Hat der Supreme Court in früheren Entscheidungen noch einen Kausalzusammenhang i.S.d. Conditio-sine-qua-non-Formel („but for test“) zur Bejahung eines Verwertungsverbots ausreichen lassen,864 wurde dies in Wong Sun abgelehnt865 und in Hudson v. Michigan entschieden, dass 859 Zur Freiwilligkeit als entscheidendem Kriterium auch Maguire, J.Crim.L.C.& P.S. 55, 1964, 317 ff.; für eine Art qualifizierte Belehrung als Voraussetzung der Verwertbarkeit eines (weiteren) Geständnisses Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 611 ff. (617 ff.); zur (freiwilligen) Zustimmung zum (damit rechtmäßigen) Eintreten von Ermittlungsbeamten in das Hotelzimmer als Voraussetzung der Verwertbarkeit der dort entdeckten Beweise People v. Bostic, 148 P. 3d 250, 253 ff. (Colorado Court of Appeals 2006); s.a. State v. Garcia, u. Fn. 864. Krit. zur unterschiedlichen Behandlung der beiden Angeklagten in Wong Sun und zur ungenauen Bestimmung der „voluntariness“ Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 148 f.; zum Ganzen auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 385 f. 860 Zur attenuation doctrine s. Bain/ Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977) , 617 ff.; Bloom, Am.J.Crim.L. 20 (1992), 80 f.; eingehend m.w.N. Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 641 ff. 861 Vgl. Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2006), 1073 mit Fn. 62; s.a. Rogall, in: Wolter, 1995, S. 133 mit Fn. 145 m.w.N.; vgl. auch BGH 35, 32 (34). 862 Die „attenuation doctrine“ ist also weiter als die independent source-Ausnahme (vgl. Nardone v. U.S., 308 U.S. 338, 341 (1939); Kamisar/Israel/LaFave/King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 887, 900 f.) und wird in Ergänzung zu dieser zum Teil als „attenuated connection“ bezeichnet (vgl. La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 347). Zum Kausalzusammenhang zwischen erster und späterer Generationen von Beweismitteln, insbesondere unter Berücksichtigung der von der (damaligen) Rechtsprechung zugrundegelegten Maßstäbe s. bereits Maguire, J.Crim.L.C.& P.S. 55, 1964, 310 ff. 863 Rogall, in: Wolter, 1995, S. 133 spricht von einer „normativen Zerschlagung“ des Kausalzusammenhangs; das Normative betonend auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 402. 864 Vgl. Mapp v. Ohio, o. Fn. 794, 655 („all evidence obtained by searches and seizures in violation of the constitution“); U.S. v. Peltier, 422 U.S. 531 (1975) 539 („gained as a result of“). Zust. Maguire, J.Crim.L.C.& P.S. 55, 1964, 313 ff.; Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 597, 585, 650 („deterrence-causation“); dazu auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 393 f.

III. Fernwirkungslehre im US-Recht und das deutsche Strafverfahren 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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der Kausalzusammenhang nur eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung eines Verwertungsverbots sei.866 In casu war eine polizeiliche Durchsuchung rechtswidrig, weil die Polizeibeamten sich nicht durch Anklopfen oder auf andere Weise angekündigt haben („knockand-announce requirement“); das Gericht hielt die Verwertung aber für zulässig, weil die Nichtankündigung ohnehin nicht kausal für die Erlangung der Beweismittel gewesen sei.867 Nach Alschuler stellt sich in diesem Fall die Frage, inwieweit die Nicht-Ankündigung zwar nicht sine qua non für die Beweiserlangung – diese wäre auch mit Ankündigung erfolgt –, wohl aber für die (rechtswidrige) Präsenz in den Räumlichkeiten als Voraussetzung für den Beweismittelfund anzusehen ist.868 Im Ergebnis schlägt er einen stärker normativen Kausalitätsmaßstab im Sinne einer „contributory causation“ vor, wonach es ausreichen soll, „whether the constitutional violation facilitated the discovery of this evidence.“869 Sei dies zu bejahen, so seien die erlangten Beweise unverwertbar. Dies entspreche der überwiegenden Rechtsprechung des Supreme Court (1817), während die in Hudson v. U.S. postulierte „but for causality“ eine Ausnahme sei.870 Allerdings ist eine solche Normativierung des Kausalitätsmaßstabs schon früher abgelehnt worden, weil damit zu viele Beweise von der Fernwirkung erfasst würden.871

Der eigentliche Zweck der „Abschwächungs-These“ besteht offensichtlich in einer Lockerung des Fernwirkungsdogmas. Letzlich wird eine kasuistische Abwägung zwischen präventiver Disziplinierung und öffentlichem Interesse an der Strafverfolgung ermöglicht: „In a problem such as that before us now, two opposing concerns must be harmonized: on the one hand, the stern enforcement of the criminal law; on the other, protection of that realm of privacy left free by Constitution and laws but capable of infringement either through zeal or design.“872

865

Vgl. Wong Sun v. U.S., 487 f. (nicht alle Beweise „,fruit of the poisonous tree simply because it would not have come to light but for the illegal action of the police.“). Dazu auch La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 346; Kamisar/Israel/LaFave/King/ Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 888. 866 Hudson v. Michigan, o. Fn. 800, 2164. („… exclusion may not be premised on the mere fact that a constitutional violation was a but-for cause of obtaining evidence. Our cases show that but-for causality is only a necessary, not a sufficient, condition for suppression.“) 867 Ebd. („In this case, of course, the constitutional violation of an illegal manner of entry was not a but-for cause of obtaining the evidence. Whether that preliminary misstep had occurred or not, the police would have executed the warrant they had obtained, and would have discovered the gun and drugs inside the house.“ – Herv. im Original) Die Entscheidung ist mit 5:4 Stimmen ergangen, nach der Ansicht der Mindermeinung hat die Mehrheit die inevitable doctrine mißverstanden. Krit. auch LaFave, Search and seizure, 2007, S. 24 ff. 868 Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1745. 869 Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1745, 1775 ff. (1776). 870 Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1746, 1748, 1778 ff. 871 Vgl. Maguire, J.Crim.L.C.& P.S. 55, 1964, 311 ff. 872 Nardone, 308 U.S. at 340. Vgl. auch La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 347 f.; Harris, StV 1991, 315 mit Fn. 25; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 402 ff., 407.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

Die Lehre ist aber zu Recht als unbestimmt kritisiert worden,873 die Verwertungsentscheidung hängt letztlich von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.874 Beispielhaft: bis zum Jahre 1975 hat die Rechtsprechung vertreten, dass die Belehrung i.S.d. Miranda warnings875 ausreiche, um den Kausalzusammenhang zwischen der rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahme und einem späteren Geständnis i.S.d. attenuation doctrine abzuschwächen.876 In Brown v. Illinois877 hat der Supreme Court dann klargestellt, dass dies die Abschreckungsfunktion der exclusionary rule mit Blick auf das IV. Amendment (in casu: rechtswidrige Festnahme) gefährden878 und ihre Wirkung erheblich verwässern würde,879 denn die Polizei würde zu rechtswidrigen Festnahmen geradezu ermutigt, wenn sie die so erlangten Beweise durch eine bloße Belehrung verwertbar machen könne.880 Dies erinnert an die Argumentation

873 Vgl. La Fave/Israel/King (Fn. 853), S. 347 („rather uncertain exactly what lower courts were expected to look for …“), 348 („judges may bring widely different perspectives“); Powell J., zust. Votum in Brown v. Illinois, 422 U.S. 590, at 609: „question of attenuation inevitably is largely a matter of degree“. 874 Brown v. Illinois, 422 U.S. 590, at 603 („facts of each case“); Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 619 („facts of each case must be examined“), 620 („dependent upon the particular facts of each case“); Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 403, 408. 875 Die sog. Miranda Rules umfassen vier Rechte, nämlich (1) das Recht zu Schweigen, (2) die Belehrung, dass jede Aussage gegen den Verdächtigen verwendet werden kann sowie (3) das Recht auf Anwesenheit und (4) ggf. Finanzierung eines Anwalts: „Prior to any questioning, the person must be warned that he has a right to remain silent, that any statement he does make may be used as evidence against him, and that he has a right to the presence of an attorney, either retained or appointed.“ (Miranda v. Arizona, 384 U.S. 436 (1966), 443; s.a. 471). Instruktiv dazu Fahl, JuS 1996, 1014. Krit. zur unklaren Abgrenzung zwischen reinen Verfahrensvorschriften („prophylactic rights“) und verfassungsmäßigen Rechten („constitutional rights“) i.S.d. Amendments Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1082 ff. 876 s. z. B. State v. LaRosa, 112 R.I. 571, 313 A. 2d 375 (1974), 575. („We are persuaded that an illegal arrest does not render a subsequent confession inadmissible per se, but that confessions may be admitted after the accused has been advised of his constitutional rights, and has knowingly and voluntarily executed a waiver of said rights.“) 877 Brown v. Illinois, 422 U.S. 590. Vgl. dazu auch Kamisar/Israel/LaFave/King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 888 f. 878 Brown v. Illinois, 422 U.S. 590, 601. („Miranda warnings, and the exclusion of a confession made without them, do not alone sufficiently deter a Fourth Amendment violation.“) 879 Brown v. Illinois, 422 U.S. 590, 602. („If Miranda warnings, by themselves, were held to attenuate the taint of an unconstitutional arrest, regardless of how wanton and purposeful the Fourth Amendment violation, the effect of the exclusionary rule would be substantially diluted.“) 880 Brown v. Illinois, 422 U.S. 590, 602 f. („Arrests made without warrant or without probACHTUNGREable cause, for questioning or investigation, would be encouraged by the knowledge that evidence derived therefrom could well be made admissible at trial by the simple expendent of giving Miranda warnings. Any incentive to avoid Fourth Amendment violations would be eviscerated by making the warnings, in effect, a cure-all, and the constitutional guarantee against unlawful searches and seizures could be said to be reduced to a form of words.“) Im Ergebnis zust. La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 347; Wasserstrom/Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 154 f.; Harris, StV 1991, 315; Thaman, FS Eser,

III. Fernwirkungslehre im US-Recht und das deutsche Strafverfahren 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

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im Zusammenhang mit der Heilung von Amendment IV-Verletzungen durch die Inevitable-discovery-Ausnahme.881 Zugleich hat der Brown Court aber klargestellt, dass die Beachtung der Miranda warnings nur einer von vielen zu beachtenden Faktoren zur Feststellung eines etwaigen Verwertungsverbots sei.882 So wurde denn auch jüngst entschieden, dass bei einer Verletzung der Miranda-rules nur das primär auf der mangelnden Belehrung beruhende Geständnis, nicht aber mittelbar (derivativ) erlangte Beweismittel (etwa die aufgrund des Geständnisses aufgefundene Tatwaffe) unverwertbar sein sollen.883 Daneben komme es auf die zeitliche Nähe zwischen dem Verstoß und der Erlangung des Beweismittels, die Art (Zweck und Flagranz) des polizeilichen Verstoßes (dazu sogleich u.), die Freiwilligkeit des Aussagenden und evtl. Begleitumstände, etwa die freiwillige Rückkehr zur Polizei wie in Wong Sun, an.884 Dabei ist die Voraussetzung der Annahme einer Fernwirkung und damit der Unverwertbarkeit immer – im Sinne der Disziplinierungsfunktion der Verwertungsverbote – deren mögliche Abschreckungswirkung mit Blick auf das Verhalten der Ermittlungsbehörden.885 War deren rechtswidriges Verhalten auf die Erlangung des späteren Beweises im

2005, S. 1050; Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1816 f.; ähnlich krit. auch schon Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 603 f., 619, 620. 881 O. Fn. 835. 882 In diesem Sinne auch Dunaway v. New York, 442 U.S. 200 (1979) (keine Abschwächung, weil kurze Zeit zwischen rechtswidriger Festnahme und Geständnis); Taylor v. Alabama, 457 U.S. 687 (1982) (knappe 5:4 Entscheidung, dass Geständnis als verbotene Frucht rechtswidriger Festnahme unverwertbar sei, obwohl sechs Stunden seit Festnahme vergangen waren, der Betroffene dreimal belehrt worden war und vor dem Geständnis mit seiner Freundin und seinem Nachbarn gesprochen hat; die vier dissenting judges sahen deshalb das Geständnis nicht als „proximately caused by his illegal arrest“ an, sondern als „product of a decision based both on knowledge of his constitutional rights and on the discussion with this friends“, ebd., 700). Anders entschied der Supreme Court, denn auch in Rawlings vs. Kenntucky, 448 U.S. 98 (1980), dass eine Abschwächung mit der Folge der Zulässigkeit der Verwertung vorliege, weil die (rechtswidrige) Festnahme in einer „congenial atmosphere“ stattgefunden habe (ebd., 99) und sich die – kurz danach abgegebenen – Aussagen des Betroffenen nicht als Produkt dieser Festnahme, sondern als „apparently spontaneous reactions“ darstellten (ebd., 108); im Übrigen erreiche das polizeiliche Vorgehen nicht „the level of conscious or flagrant misconduct requiring prophylactic exclusion of petitioners statements.“ (ebd., 110) 883 Vgl. U.S. v. Patane, 542 U.S. 630 (2004); vgl. auch State v. Garcia, 152 P.3d 645, 653 (Idaho Court of Appeals, 2006): Verwertbarkeit der bei der Durchsuchung des PKW des Angeklagten gefundenen Drogen trotz fehlender Miranda warnings, weil Zustimmung zur Durchsuchung „voluntary and not the product of police coercion.“ Vgl. auch Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1803 m.w.N.; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 383 f. Einschränkend auch schon Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1099. („not … all second-generation derivative evidence … automatically … inadmissible. Only evidence that comes from police exploitation or police illegality should be inadmissible.“) 884 Brown v. Illinois, 422 U.S. 590, 603 f.; Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977) , 619 f.; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 404 ff. Zum Kriterium der Freiwilligkeit auch schon o. Fn. 859. 885 Vgl. zusf. La Fave/Israel/King, Criminal Procedure Vol. 3, 1999/2007, S. 348.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

Sinne einer „motivating force“ gerichtet, muss ein Verwertungsverbot eingreifen, um ihnen in Zukunft diese Motivation zu nehmen.886 dd) Weitere Einschränkungen (1) Nach Art des Verstoßes Unabhängig von der für die bisher genannten Ausnahmen relevanten Fragen des Kausalzusammenhangs zwischen rechtswidriger Beweiserhebung und (darauf beruhender) Beweisverwertung wird auch nach der Art des Verstoßes differenziert.887 Grundsätzlich soll danach nicht jeder Verstoß automatisch zum Ausschluss jedes weiteren, mittelbar erlangten Beweismittels führen, sondern eine solche Fernwirkung nur bei besonders schweren Verstößen gegen Verfassungsrechte, nicht gegen bloß „technische“ Regeln (Formvorschriften) eintreten.888 Die Verletzung einer Verfahrensvorschrift, die lediglich die Art und Weise der Vornahme einer Ermittlungsmaßnahme regelt oder die der Wahrung von Verfassungsgarantien dient, hat ein anderes Gewicht als die Verletzung der Verfassungsgarantie selbst. Beispielhaft: Im Hinblick auf eine Hausdurchsuchung ist es im Hinblick auf die Rechte des Betroffenen ein wesentlicher Unterschied, ob die Durchführung der Durchsuchung nur formell rechtswidrig war (etwa weil nicht vorher angeklopft worden war) oder ob sie mangels Vorliegen der materiellen Voraussetzungen überhaupt nicht hätte durchgeführt werden dürfen.889 (2) Standing rule Die standing rule schränkt die Fernwirkung ein, wenn der sie geltend machende Angeklagte nicht selbst Adressat der primären rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahme war, sondern diese sich gegen einen Dritten gerichtet hat.890 Nach Jones v. U.S. 886

Ohne Autor, U.Pa.L.Rev. 115 (1967) 1136, 1148 f. Vgl. Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1099 („character of the police impropriety“); Harris, StV 1991, 313. 888 Vgl. etwa Tucker v. U.S., 417 U.S. 439: nur Verletzung einer „prophylactic rule“ (Miranda Belehrung bzgl. Recht auf Verteidiger, o. Fn. 875) zum Schutz des (eigentlichen) verfassungsmäßigen Rechts auf Verteidiger, das der Angeklagte kannte; dazu Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1075 f. Auch Oregon v. Elstad, 470 U.S. 298 (1985), 308: Test ist, ob „constitutional privilege“ oder „prophylactic standard“ verletzt (dazu Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/ 87), 1079 f., 1098); Wong Sun, 485: Fernwirkung „to enforce the basic constitutional policies“ (dazu Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1073). Diff. in diesem Sinne auch Richter Powell in Brown v. Illinois, 422 U.S. 590, 610 f., wonach bei einer „flagrantly abusive violation of Fourth Amendment rights“ ein Verwertungsverbot angenommen werden müsse, nicht aber bei bloßen „technical violations“, etwa gutgläubiges Handeln bei Festnahme auf der Grundlage eines erst später für rechtswidrig erklärten Haftbefehls. Vgl. auch Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 583; Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1803 mit Fn. 297. 889 Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1756 ff. 890 Vgl. Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2005/2006), 1070; Kamisar/Israel/LaFave/King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 902 f.; Rogall, JZ 1996, 949; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 376 ff. 887

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hat der Angeklagte in diesem Fall kein standing, weil er nicht derjenige ist, gegen den sich die Ermittlungsmaßnahme gerichtet hat.891 Das ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, dass die Geltendmachung der exclusionary rule die Innehabung einer eigenen Rechtsposition, die durch den Verstoß verletzt worden ist, vorraussetzt. Die betreffende Person muss also ein „primary right to object to the tree itself“ haben.892 Die Rechtsprechung verneint die Fernwirkung zugunsten des Angeklagten aufgrund dieser Regel sogar, wenn die Ermittlungsbehörden absichtlich rechtswidrig Beweise von Dritten im Rahmen einer sog. „third-party search“ erheben.893 Dies ist zu Recht kritisiert worden, denn damit wird die Polizei gerade dazu ermutigt, rechtswidrig Beweise bei den Verdächtigen nahestehenden Dritten zu erheben.894 (3) Zeuge als Frucht Ein Zeuge ist Frucht des verbotenen Baums, wenn seine Entdeckung das Resultat rechtswidrigen Ermittlungshandelns ist. Beispielhaft: Die Polizei führt eine rechtswidrige Hausdurchsuchung durch und stößt dabei auf die Namen möglicher Zeugen, die auch tatsächlich später vernommen werden.895 Die strikte Anwendung der fruit doctrine würde zu einem Ausschluss der späteren Zeugenaussage führen, doch hat die Rechtsprechung in solchen Fällen häufig versucht, einen verlässlichen Zeugenbeweis zu verwerten, sei es weil ein Ausschluss mit Blick auf die Disziplinierung bzw. Abschreckung der Ermittlungsbehörden für nicht erforderlich gehalten wurde oder der Kausalzusammenhang zwischen der ursprünglichen Rechtsverletzung und der Aussage im Sinne der oben genannten Ausnahmen [bb), cc)] als fehlend oder doch abgeschwächt erachtet wurde.896 Mit Blick auf das oben genannte Beispiel ließe sich etwa argumentieren, dass der Zeuge ohnehin im Laufe der Ermittlungen (rechtmäßig) gefunden worden wäre oder die ursprüngliche Rechtswidrigkeit durch die freiwillige Aussage des Zeugen überwunden worden wäre. In U.S. v. Ceccolini897 ist die Möglichkeit einer freien Entscheidung des Zeugen als entscheidender Unterschied zum Urkundsbeweis angesehen worden: „The greater the willingness of the witness to freely testify, the greater the likelihood that he or she will be discovered by legal means and, concomitantly, the smaller the incentive to conduct an illegal search to discover the witness. Witnesses are not like guns or documents which remain hidden from view until one turns over a sofa or opens a filing cabinet. Witnesses can, 891

Jones v. U.S., 362 U.S. 257 (1960), 261; ebenso Alderman v. U.S., 394 U.S. 165 (1969). Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 594. 893 Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2005/2006), 1071. 894 Vgl. Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2005/2006), 1072 m.w.N.; krit. auch zur Verbindung der standing rule mit der Inevitable-discovery-Ausnahme ebd., 1076 ff. (Diskussion der insoweit sich widersprechenden Entscheidungen des First and Seventh Circuit); krit. auch schon Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 649 f. 895 Vgl. Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 629; Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 621. 896 Vgl. Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 630 f.; Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 621 ff. 897 435 U.S. 268, 98 S. Ct. 1054, 55 L. Ed. 2d 268 (1978); dazu Kamisar/Israel/LaFave/ King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 895 f. 892

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and often do, come forward and offer evidence entirely of their own volition. And evaluated properly, the degree of free will necessary to dissipate the taint will very likely be found more often in the case of live-witness testimony than other kinds of evidence. The time, place and manner of the initial questioning of the witness may be such that any statements are truly the product of detached reflection and a desire to be cooperative on the part of the witness. And the illegality which led to the discovery of the witness very often will not play any meaningful part in the witness willingness to testify.“898

In diesem Zusammenhang verdient auch – als grundsätzliche Ausnahme der exclusionary rule und damit auch von der fruit doctrine – Erwähnung, dass rechtswidrig erlangte Beweismittel zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Zeugen (der zugleich Angeklagter sein kann) verwertet werden dürfen.899 c) Zwischenergebnis Schon diese kursorischen Ausführungen zeigen, dass die grundsätzliche Erweiterung der exclusionary rule auf mittelbar erlangte Beweise durch die fruit of the poisonous tree doctrine durch zahlreiche Ausnahmen, die im Kern auf einer Unterbrechung oder Abschwächung des Kausalzusammenhangs zwischen rechtswidrigem Primärbeweis und mittelbarem Sekundärbeweis beruhen, durchlöchert ist.900 Der Grundsatz der Fernwirkung führt also nicht zu einem generellen Ausschluss mittelbarer Beweise;901 vielmehr handelt es sich dabei um nicht mehr als eine Vermutung der Unverwertbarkeit, die durch die zahlreichen genannten Ausnahmen (leicht) widerlegbar ist. 3. Fernwirkung im deutschen Recht Abgesehen von dem wenig ergiebigen rein begrifflichen Streit, ob die mittelbare Verwertung eines rechtswidrig erlangten Primärbeweismittels, etwa der i.S.v. § 136a rechtswidrig erlangten Aussage, durch Einführung eines (darauf beruhenden) Sekundärbeweismittels, etwa des aufgrund dieser Aussage gefundenen Tatmittels, überhaupt eine Verwertung i.S.d. Gesetzes darstellt,902 hängt die Entscheidung für oder gegen die Fernwirkungslehre in der Sache davon ab, welchen Zweck man mit Verwertungsverboten verfolgt bzw. wie man die jeweiligen Zwecke gewichtet. So hat die 898 435 U.S. 268, 276 f. Zur Sonderbehandlung von „live testimony“ krit Bain/ Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 632 f.; dagegen noch Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 624. 899 Vgl. Bain/Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 636 ff.; Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 630 ff.; zu weiteren Einschränkungen bei sonstigen Ermittlungsmaßnahmen ebd., 636 ff. 900 Vgl. Beulke, ZStW 103 (1991), 667. 901 Vgl. Harris, StV 1991, 316; irreführend Otto, GA 1970, 302, der bei einer Übertragung in das deutsche Recht auf die Notwendigkeit von Ausnahmen hinweist, obwohl diese doch, wie oben gezeigt, schon bestehen. 902 Vgl. dazu Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 92 mit zutreffender Bejahung einer Verwertung, weil es alleine auf die Einbringung des (rechtswidrig) erlangten Wissens in das Verfahren ankommt („Verwertung heißt Einbringung von Wissen in das Verfahren“). Früher in diesem Sinne schon Henkel, Strafverfahrensrecht, 1968, S. 271.

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Rechtsprechung und ein Teil der Lehre bisher an der überkommenen Ansicht einer grundsätzlichen903 Ablehnung der Fernwirkung aus Gründen der Effizienz des Strafverfahrens (drohende „Lahmlegung“) und der Wahrheitsfindung festgehalten,904 während die (wohl) herrschende Lehre die Fernwirkung mit Blick auf die Justizförmigkeit des Verfahrens und die Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden bejaht.905 Wie auch sonst, so erscheint jedoch auch hier ein starres Entweder-Oder der Vielfältigkeit der in der Praxis auftretenden Fälle nicht gerecht zu werden, vielmehr spricht vieles für eine fallbezogene Abwägung im Sinne der schon oben genannten906 Abwägungslehre.907 Die Fernwirkung ist dabei wesentlich von der „Sachlage

903 Ausnahme BGHSt 29, 244, 247: Anerkennung von Fernwirkung bzgl. einer Verletzung von § 7 Abs. 3 (jetzt § 6 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 7 Abs. 6) des Gesetzes zu Art. 10 GG (G 10 Gesetz) im Bezug auf Nicht-Katalogtaten; vgl. auch LG Hannover, StV 1986, 521, 522; LG Stuttgart, NStZ 1985, 568, 569; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 2009, Einl., Rn. 57; Sieber, NJW 2008, 886. Vgl. ferner bei Kernbereichsverletzungen §§ 160a Abs. 1 S. 2, 100a Abs. 4 S. 2; dazu Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 63. 904 BGHSt 27, 355, 358; 32, 68, 71; 34, 362, 364; 35, 32, 34 sowie BGH JZ 1987, 936 mit Anm. Fezer; BGH NJW 2006, 1361 (drohende „Lahmlegung des Strafprozesses“); BVerfG NStZ 2006, 46; OLG Oldenburg, NJW 1955, 683; OLG Stuttgart, NJW 1973, 1941; OLG Hamburg, MDR 1976, 601; zusf. Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 311 ff.; i.E. ebenso Dallinger, SJZ 1950, 734; Baumann, GA 1959, 33 (41 f.); Kleinknecht, NJW 1966, 1537 (1544) mit Fn. 74 m.w.N.; Peters, Strafprozeß, 1985, S. 337 f.; Ranft, FS Spendel, 1992, S. 719 (735); Lesch, Strafprozessrecht, 2001, § 3 Rn. 170 (s. aber folgende Fn.!); Füllkrug, MDR 1989, 122 mit Fn. 35; Rogall, JZ 1996, 948 mit Fn. 64; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 60, 64 („Spurenansatz“). Vgl. in diesem Sinne auch die eine Fernwirkung weitgehend ablehnenden bzw. die mittelbare Nutzung (etwa zur Begründung eines Anfangsverdachts) ausdrücklich bejahenden DJT Beschlüsse (Fn. 24) 7 a), 8 a) und b) (mit 65:1 Stimme, 11 Enthaltungen bzw. 39:31:5). Bejahend auch zur transnationalen Verwertung bei Rechtswidrigkeit der Beweiserhebung im ersuchten Staat (Beschluss 16 a), 35:13:5). Zur (verneinten) Fernwirkung bei einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK in der Rspr. des EGMR s. Warnking, Beweisverbote, 2009, S. 60, 85 ff. 905 Dencker, Verwertungsverbote, 1977, S. 79 f.; Spendel, Beweisverbote im Strafprozeß, NJW 1966, 1102 (1105) mit Fn. 22 m.w.N.; ders., JuS 1964, 471; Maiwald, JuS 1978, 384 f.; Fezer, Grundfragen, 1995, S. 224; ders., JZ 1987, 939 mit Fn. 18; Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 47 m.w.N.; Kühne, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 912; Volk, StPO, 2008, § 28 Rn. 43; Haffke, GA 1973, 65, 80; Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 92 ff.; Lesch, FS Volk, 2009, S. 320 f. auf der Grundlage seiner an Beschuldigtenrechten und rechtsstaatlichen Integrität orientierten funktionalen Rekonstruktion der Beweisverbote (vgl. schon o. Fn. 14, 20, 39) und unter Anerkennung der Disziplinierungsfunktion; i.E. auch Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 482, der auf den Schutzbereich der verletzten Prozeßnorm abstellt sowie Amelung, FS Roxin, 2001, S. 1259 (1262) aufgrund seiner Lehre von den Informationsbeherrschungsrechten. Weitere Nachweise bei Füllkrug, MDR 1989, 122 mit Fn. 34; Rogall, JZ 1996, 948 mit Fn. 63; Mergner, Fernwirkung, 2005, S. 46, Fn. 66; Kramer, Jura 1988, 520, 524 mit Fn. 42; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 314 ff. (der selbst differenzierend abwägen will, S. 316). Jüngst Schlothauer/Weider, StV 2009, 605 li. Sp. für Fernwirkung beim Verwertungsverbot eines im Rahmen einer Verständigung abgegebenen Geständnisses (§ 257c Abs. 4 S. 3), „wenn die Verantwortung für den Wegfall der Bindungswirkung ausschl. in der Sphäre der Justiz liegt.“ Auch Volkmer, NStZ 2010, 319 wegen fehlender Rechtsgrundlage für Vorratsdatenspeicherung. 906 1. Kap. IV. 1. bei Fn. 187.

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2. Kap.: Aktuelle Probleme mit internationalem Bezug

und der Art des Verstoßes“ – insbesondere hinsichtlich der Art der Beweiserhebung, der Schwere des Verstoßes und des Tatvorwurfs – abhängig;908 sie ist – im Sinne der Rechtsprechung des EGMR909 – bei einem menschenrechtlichen Verstoß, der das Verfahren als Ganzes unfair macht, zu bejahen.910 Im Übrigen kann die Verhältnismäßigkeit nur durch eine Abwägung im Einzelfall gewahrt werden.911 In diese Richtung argumentiert auch Jäger, wenn er bei grundsätzlicher Anerkennung des Fernwirkungsverbots für normative Einschränkungen plädiert, sofern sich die fehlerhafte Beweiserhebung auf die (mittelbare) Beweislage überhaupt nicht ausgewirkt hat, der Zurechnungszusammenhang zwischen verbotenem Erhebungsakt und mittelbarem Beweis also ausgeschlossen ist.912 Auch Jahn will fallbezogen – ganz im Sinne seiner Befugnislehre913 – nach der Wirkung des Verstoßes differenzieren und bei Verletzungen der Menschenwürde stets Fernwirkung annehmen.914 Für Löffelmann kommt es nicht auf Konnexität, sondern allein darauf an, ob die Verwertbarkeit „dem verfassungsrechtlichen Maßstab widerstreitender Interessen genügt.915

Im Übrigen wird auch in der deutschen Diskussion die Zulässigkeit einer Verwertung mit dem fehlenden oder abgeschwächten Kausalzusammenhang zwischen dem ursprünglichen Rechtsverstoß und dem mittelbaren Beweismittel – ganz im Sinne der

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Dafür auch KK-Senge, StPO, 2008, Vor § 48 Rn. 45 ff.; KK-Diemer, StPO, 2008, § 136a Rn. 42; LR-Gleß, StPO, 2007, § 136a Rn. 66; Maiwald, JuS 1978, 384 f.; Joerden, JuS 1978, 931; Füllkrug, MDR 1989, 122 f.; Rogall, JZ 1997, 944, 948; Hellmann, Strafprozessrecht, 2006, Rn. 484; Murmann, Strafprozessrecht, 2008, Rn. 233; Haller/Conzen, Strafverfahren, 2008, Rn. 574; Heine, FS von Büren, 2009, S. 937 f. = HRRS 2009, 546 f. Zur dogmatischen Begründung der Abwägungslehre in diesem Zusammenhang Mergner, Fernwirkung, 2005, S. 84 ff. 908 Eingehend zu den Kriterien Mergner, Fernwirkung, 2005, S. 135 ff.; vgl. auch Sieber, NJW 2008, 886 mit Fn. 42 f.; Rogall, JZ 2008, 827 („keine abstrakte Festlegung möglich“; „bei bewußten und schweren Rechtsverletzungen […] Verbotsfernwirkung naheliegend“); Joerden, JuS 1993, 931; Füllkrug, MDR 1989, 122 f. m.w.N., der sich dafür ausspricht etwa bei Folter „zweifelsfrei“ eine Fernwirkung anzunehmen; Rogall, JZ 1996, 948 f.; ders. SK-StPO- Rogall, 2004, § 136a Rn. 94 ff m.w.N.; Neuhaus, NJW 1990, 1221 f.; Kramer, Jura 1988, 524 f. (jedenfalls bei gezielten Verfahrensverstößen). 909 Vgl. o. 2. Kap. I. 2. b) bb) (4) (b). 910 Das folgt auch aus dem Gäfgen Urteil (o. Fn. 622) bezüglich der aufgrund des erzwungenen Geständnisses aufgefundenen (mittelbaren) Beweismittel, s. para. 105 („starke Vermutung, dass die Verwertung von Beweismitteln, die als fruit eines Geständnisses gewonnen wurden, das mit Art. 3 verletztenden Mitteln abgepresst wurde, ein Verfahren in derselben Weise insgesamt unfair macht, wie die Verwertung des abgepressten Geständnisses selbst.“). s. a. para. 108, wo darauf hingewiesen wird, dass das LG auch die infolge des abgepressten Geständnisses gemachten Aussagen ausgeschlossen hat. 911 Vgl. Maiwald, JuS 1978, 384 f.; Wolter, NStZ 1984, 276; Joerden, JuS 1993, 931; Nachweise bei Mergner, Fernwirkung, 2005, S. 46, Fn. 68. 912 Jäger, Beweisverwertung, 2003, S. 226 ff.; ders., GA 2008, 494. 913 O. 1. Kap. IV. 1. bei Fn. 221 und Haupttext. 914 Jahn, DJT Gutachten, 2008, C 94 f., 127; ders., FS Stöckel, 2010, S. 284 f. 915 Löffelmann, Grenzen, 2008, S. 221 lehnt die Fernwirkung aus normlogischen Gründen im Ansatz als verfehlt ab.

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US-amerikanischen Attenuation-Doktrin [o. 2. b) cc)] – begründet.916 Positiv gewendet kommt eine verwertungshindernde Fernwirkung damit nur in Betracht, wenn das mittelbar erlangte Beweismittel ausschließlich auf der rechtswidrigen Erlangung des unmittelbaren Beweismittels beruht,917 insoweit also eine Beweiseinheit im Sinne einer normativen Beweisidentität besteht.918 Anders ausgedrückt muss der mittelbare Beweis als das Ergebnis einer zielgerichteten und bewußten Ermittlungstätigkeit in der Erhebung des Primärbeweises angelegt sein.919 Damit sind jedenfalls Beweismittel verwertbar, die bloß zufällig aufgefunden werden (echte Zufallsfunde).920 Ebenso ist eine Verwertbarkeit zu bejahen, wenn das Beweismittel ohnehin (auch rechtmäßig) – Lehre vom hypothetischen Ermittlungsverlauf921 – erlangt worden wären.922 So soll etwa – entsprechend den Ausnahmen bezüglich der Verwertbarkeit einer Aussage des Beschuldigten bei unterbliebener Belehrung923 und ganz im Sinne der USamerikanischen „Zeuge als Frucht“-Lehre [o. 2. b) dd) (3)] – die Aussage eines Zeugen, der erst durch rechtswidrige Ermittlungsmaßnahmen ermittelt wurde, nicht durch Fernwirkung unverwertbar werden, wenn er freiwillig zur Polizei zurückkehrt, um eine Aussage abzugeben.924 In diesem Sinne ist also eine Fernwirkung abzulehnen, wenn der (mittelbare) Beweis von der ursprünglichen rechtswidrigen Beweiser-

916 Insoweit zu fehlender (echter) Fernwirkung bei bloßer „Beweisberührung“ Jäger, GA 2008, 495 f.; ähnlich zur abgeschwächten Kausalität Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 93. 917 So schon Dencker, Verwertungsverbote, 1977, S. 80; auch Reichert-Hammer, JuS 1989, 450; Jäger, GA 2008, 494; i.E. ebenso Müssig, GA 1999, 119, 137, der auf der Grundlage der Amelungschen Lehre der Informationsbeherrschung bei einem „Eingriff in Informationsverfügungsrechte“ grundsätzlich von einem „informationelle[n] Folgenbeseitigungsanspruch“ ausgeht, der – bei Vorliegen des entsprechenden Zurechnungszusammenhangs – auch mittelbare Beweise erfasst. Zur äquivalenztheoretischen Kausalität als Mindestvoraussetzung Pitsch, Beweisverbote 2009, S. 89 f. 918 Jäger, GA 2008, 496; zust. Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 90 ff. 919 Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 90 („ermittlungstechnische Lenkungsfunktion“). 920 Vgl. Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 92, 95 ff. mit überzeugender Differenzierung zwischen echten und unechten Zufallsfunden: Während jene tatsächlich zufällig entdeckt werden (98), sind diese das Ergebnis zielgerichteter Ermittlungsarbeit und unterfallen damit grundsätzlich der Fernwirkung (101 f., 325 ff.; zur besonderen Relevanz im Steuerstrafrecht ebd., S. 327 ff.). Zum Begriff der Zufallsfunde auch schon o. Fn. 118. 921 Zu dieser Lehre vgl. schon 1. Kap. IV. 1. bei Fn. 241. 922 Fezer, Strafprozessrecht, 1995, S. 224; Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998, § 24 Rn. 47; tendenziell auch Beulke, Strafprozessrecht, 2010, Rn. 483. Vgl. auch BGHSt 32, 68; Joerden, JuS 1993, 931; Füllkrug, MDR 1989, 123; Wolter, NStZ 1984, 277; Rogall, JZ 1996, 949 mit Fn. 69; krit. Dencker, Verwertungsverbote, 1977, S. 81 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 62; Jäger, GA 2008, 494 f. rechtfertigt die – von ihm sonst abgelehnte – Lehre vom hypothetischen Ermittlungsverlauf im Rahmen der Fernwirkung damit, dass es insoweit um (mittelbare) Beweismittel gehe, die zum Zeitpunkt des Erhebungsfehlers bereits „verwertbar existent“ sind, etwa die Leiche des Tatopfers. 923 Vgl. o. 1. Kap. IV. 2. a) bei Fn. 261 ff. 924 BGHSt 32, 68, 70 f.; 34, 362, 364; in diesem Sinne auch Jäger, GA 2008, 494; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 92.

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hebung ganz unbeeinflusst ist925 und damit letztlich auf einem eigenständigen Erkenntnisvorgang beruht. Genau genommen liegt hier eine Fernwirkung schon begrifflich nicht vor, da das erlangte Beweisergebnis kausalgesetzlich nicht mit dem Verfahrensverstoß verbunden ist.926 Umstritten ist freilich auch insoweit, wie ganz generell bei der Lehre vom hypothetischen Ermittlungsverlauf, welche Anforderungen an die Hypothesenbildung zu stellen sind.927

4. Ergebnis a) Die grundsätzlichen Positionen des deutschen und US-amerikanischen Rechts haben viel mit der theoretischen Konstruktion und Begründung der Beweisverwertungsverbote (o. I.) zu tun, womit wir uns wieder am Ausgangspunkt unserer Überlegungen befinden. Sieht man den Hauptzweck der Verwertungsverbote in einer Disziplinierungsfunktion der Ermittlungsbehörden, so spricht viel für die Anerkennung einer Fernwirkung, denn wie anders sollte man die Strafverfolgungsbehörden, insbesondere die Polizei, von der rechtswidrigen Beweiserhebung abhalten als durch die konsequente (unmittelbare und mittelbare) Anordnung der Unverwertbarkeit der so erlangten Beweise. Das Disziplinierungsargument wiederum lässt sich nicht a limine wegen der andersartigen Verfahrensstruktur des angloamerikanischen Parteiverfahrens als systemwidrig verwerfen,928 denn auch in einem inquisitorischen oder instruktorischen Akkusationsverfahrens deutscher Prägung mit einer objektiven Staatsanwaltschaft agiert jedenfalls die Polizei mit Überführungstendenz und dies verleitet sie häufig zur Außerkraftsetzung der Beschuldigtenrechte. Deshalb wird der Disziplinierungsgedanke zurecht auch in der deutschen Diskussion anerkannt.929 Der Disziplinierungszweck setzt aber nicht notwendig einen Kausal- oder Zurechnungszusammenhang zwischen der rechtswidrigen primären Ermittlungsmaßnahme und dem mittelbaren Beweis voraus. Denn die Notwendigkeit der Disziplinierung ergibt sich primär aus dem rechtswidrigen Handeln der Polizei, unabhängig davon, ob dieses Handeln kausal für die spätere Beweisgewinnung war.930 b) Im Übrigen lässt sich die Fernwirkung auch aus der Justizförmigkeit des Verfahrens begründen, denn ein auf einer rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahme beruhender Beweis ist bemakelt und schadet insoweit der Integrität des Strafverfahrens. Er kann 925

Vgl. BGH 27, 355, 358; vgl. auch BGHSt 35, 32, 34. Vgl. Rogall, JZ 1996, 944, 948. 927 Vgl. insoweit schon 1. Kap. IV. 1. mit Fn. 242. Die dort zitierte Lit. folgt tendenziell dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab des US Supreme Court, vgl. o. Fn. 848 ff. und Haupttext. 928 So aber Kleinknecht, NJW 1966, 1544; ders., NJW 1964, 2185; Kramer, Jura 1988, 524 mit Fn. 46; Kelnhofer/Krug, StV 2008, 667; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2009, § 24 Rn. 60. 929 s. schon 1. Kap. I. mit Fn. 23 f.; in diesem Zusammenhang s. Maiwald, JuS 1978, 384; Dencker, Verwertungsverbote, 1977, S. 79 mit Fn. 250; Reichert-Hammer, JuS 1989, 450. 930 Vgl. Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1752: keine Kausalität bei rein instrumenteller Sichtweise der exclusionary rule. 926

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auch das Verdikt eines insgesamt unfairen Verfahrens begründen. Dies alles gilt allerdings nur, wenn der mittelbare Beweis tatsächlich auf der primären Ermittlungsmaßnahme beruht. Es kommt also auf den Kausalzusammenhang zwischen der primären und den nachfolgenden Maßnahmen an und dieser kann, wie die US-amerikanische Diskussion zeigt, unterbrochen oder erheblich abgeschwächt sein. c) Blickt man hinter die vordergründige Bejahung des Fernwirkungsverbots in den USA und seine Ablehnung in Deutschland wird schnell deutlich, dass die Gemeinsamkeiten beider Systeme das Trennende überwiegen.931 Wenn auch die US-Praxis zeigt, dass die Angst vor einem „Lahmlegen des Verfahrens“932 unbegründet ist,933 so führt doch das Interesse an einer effizienten Strafverfolgung auch in den USA zu einer erheblichen Einschränkung der Fernwirkung durch die dargestellten Ausnahmen. Was bleibt sind nur wenige Fälle, die auch in Deutschland aus verfassungsoder menschenrechtlichen Überlegungen zu einem Verwertungsverbot qua Fernwirkung führen könnten. d) In beiden Systemen wird überdies aufgrund einer Einzelfallabwägung entschieden, denn nur so glaubt man – durchaus nachvollziehbar – allzu schematischen Lösungen, die den Besonderheiten des Einzelfalls nicht gerecht werden, vermeiden zu können. Dabei geht es auch im US-amerikanischen Strafverfahren um eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer funktionierenden Strafrechtspflege einerseits und der Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden und dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen andererseits.934 Auch die US-Rechtsprechung sieht in dem aus der Fernwirkungslehre folgenden Beweismittelverlust ein „Handikap“ für die Strafverfolgung, das nur durch „an over-riding public policy expressed in the Constitution or the law of the land“ gerechtfertigt werden könne;935 im Übrigen werden seit jeher die „sozialen Kosten“ der Ausschlussregel betont.936 Die Lösung über eine Abwägung entspricht dem pragmatischen, fallbezogenen Ansatz des US-amerikanischen Verfahrensrechts.937 Im Rahmen der Ab931 Zur gemeinsamen Grundidee des Ausschlusses verfassungswidrig erlangter Beweise auch Bradley, GA 1985, 111. 932 O. Fn. 904. 933 So auch Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 414. 934 Vgl. schon Nardone, wie zitiert o. Fn. 872 und Haupttext. Vgl. Auch Bain/ Kelly, U.Miami L.Rev. 31 (1977), 636; Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1069 f.; Giddings, Iowa L. Rev. 91 (2006), 1068 f., 1075; Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1775; Pitsch, Beweisverbote, 2009, S. 390 ff. 935 Nardone, 308 U.S., 338, 340; vgl. auch Brown v. Illinois, 422 U.S.(1975), 590 mit konkreten Abwägungsfaktoren; dazu Kamisar/Israel/LaFave/King/Kerr, Basic Criminal Procedure, 2008, S. 889. 936 Vgl. aus der Rspr. etwa Hudson v. Michigan, 2160 f. und passim; krit. Wasserstrom/ Mertens, Am.Crim.L.Rev. 22 (1984), 88 f. m.w.N.; vgl. auch schon Pitler, Cal.L.Rev. 56 (1968), 587 f. („absolute immunity from prosecution is too high a price to pay to deter illegal police conduct.“) 937 Pointiert Nardone, 308 U.S. 338, 342 („The civilized conduct of criminal trials cannot be confined within mechanical rules. … Such a system as ours must, within the limits here

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wägung spielt neben den Grundrechten des Einzelnen insbesondere die Aufrechterhaltung der Wirkung der Ausschlussregel, gerade auch mit Blick auf die Disziplinierung der Ermittlungsbehörden, eine wichtige Rolle. Deshalb hat der Supreme Court etwa der nachträglichen Belehrung i.S.d. Miranda warnings keine heilende Wirkung hinsichtlich des primären Rechtsverstoßes (rechtswidrige Festnahme) zugeschrieben, würde damit doch die „exclusionary rule“ erheblich verwässert.938 In casu hängt das Ergebnis der Abwägung also von den einzustellenden Faktoren ab: Für einen Ausschluss des Beweismittels spricht etwa die Schwere der Rechtsverletzung [o. 2. b) dd) (1)] und die Notwendigkeit einer Disziplierung der Ermittlungsbehörden, gegen einen Ausschluss das durch die Schwere des Tatvorwurfs begründete Interesse an der Strafverfolgung.939

indicated, rely on the learning, good sense, fairness and courage of federal trial judges.“). s. a. Bransdorfer, Ind.L.J. 62 (1986/87), 1070: „reasonable approach to criminal procedure“ (Herv. im Original). 938 Vgl. schon o. Fn. 875 ff. und Haupttext. 939 Vgl. Alschuler, Iowa L. Rev. 93 (2008), 1747, 1754 ff. m.w.N., 1765 ff.

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Sachverzeichnis Absprachen 27 ff. Abwägungslehre 43 f., 48, 76, 147 Ankauf – von Daten 111 ff. Attenuated connection 139 ff., 148, 150 Aufzeichnung – bei Überwachungsmaßnahmen 35 f., 62 – im Tagebuch 47, 71 – von Selbstgesprächen des Beschuldigten 71 Aushorchen des Beschuldigten 66, 68, 123 Ausschlussregel 18, 129, 130, 136, 142, 145 ff. Bankgeheimnis 122 Belehrung – bzgl. Konsulat 74 ff. – der Auskunftsverweigerungsberechtigten 42, 55 ff., 128 – der Vertrauenspersonen 56 – des Beschuldigten 51 ff. – fehlerhafte ~ 55 – ordnungsgemäße ~ 37 – qualifizierte ~ 26, 53 Belehrungspflicht 31, 33, 41, 52, 76 – Umgehung 68, 69 Beschuldigter 52 Beweisbeschaffung 96, 101, 110 f., 131, 135, 140 – durch Private 106 ff. 120 ff. Beweiserhebung 21 f., 26, 30, 34,37, 41 f.,46, 49, 70, 102 f., 106 f.,134, 137, 144, 148 ff. – ausländischer Staatsorgane 82 ff., 100 Beweiserhebungsverbot 21 ff., 42, 49, 58, 124 Beweisrechtshilfe, internationale 81 ff. – Verfahren 86, 89, 94 f., 98, 112 Beweisverwertung 23, 42, 47 ff. Beweisverwertungsverbot 21 ff., 81 ff. – absolutes 24, 36, 57, 71, 105 – gemeinschaftsrechtliches 99 – geschriebenes 23, 25 ff., 36 ff., 58, 61 – relatives 57 f.

– selbstständiges 58, 70 ff., 84, 88, 109 – ungeschriebene 23, 25, 40 ff., 58 ff., 108, 120 – unselbstständiges 25 ff., 49, 51 ff., 58, 82, 84 – völkerrechtlich begründetes 85, 88, 96, 111 Contributory causation 135, 141 Disziplinierungsfunktion – (von) Beweisverboten 19, 143 – (der) Strafverfolgungsbehörden 19, 50, 129, 141, 145, 147, 150 f. Europäische Menschenrechtskonvention 30 – Art. 3 101 f., 104 f., 122 – Art. 6 – Anspruch rechtliches Gehör 55 – Beschleunigungsgrundsatz 79 – Fairnessgebot, allgemeines 50, 68, 100, 102 ff., 110, 122 f. – Fragerecht 103 – Gesamtbetrachtungslehre 103, 105, 110 – Grundsatz der Waffengleichheit 40 – Konfrontationsrecht 40 – Schweigerecht 51, 66 ff. – Unschuldsvermutung 51 Exclusionary rule siehe Ausschlussregel Fairness(gebot) 50, 68, 100, 102 ff., 110, 122 f. Fairnessverletzung 32,50, 60, 63, 68, 123 Fehlerfolgenlehre, normative 44 Fernwirkung 24, 34, 128 – attenuated connection 139 ff. – Fruit doctrine 145 f., 129 ff., 139 – im deutschen Recht 146 ff. – im US-Recht 129 ff., 150 ff. – independent source 131 ff., 140 – inevitable discovery 134 ff. – purged taint 139 ff., 150

Sachverzeichnis 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

– standing rule 144 Folter 26, 100 ff., 122, 128

Nemo-tenetur-Grundsatz 27, 31, 33, 51, 65 ff., 127

Gesamtbetrachtungslehre (EGMR) 103, 105, 110 Geständnis – aufgrund formeller Absprache 27 – mittels Täuschung 35, 36 – vor ausländischer Vernehmungsperson 83 Grundrechte 17, 19, 26, 48, 68, 70, 122, 127, 129, 151 – allgemeines Persönlichkeitsrecht 32, 70, 71,122 – Menschenwürde 17, 26, 48, 49, 100, 107, 148 – Unverletzlichkeit der Wohnung 62 ff.

Ordre-public 83, 100

Heimliche Ermittlungen 31 ff., 64 ff. , 116, 123 Hörfalle 31 ff., 65 ff. Hypothetischer Ermittlungsverlauf 34, 50, 109 Independent-source Ausnahme 131 ff., 137, 140 Individualinteresse 18, 43, 92, 96, 99 f., 122, 126, 130, 132 Inevitable discovery exception 134 ff. Integrität – des Strafverfahrens 19, 101, 124, 130, 150 – gerichtliche 19 – rechtsstaatliche 18, 110 Kausalität 77, 149 – abgeschwächte 139 ff. 146, 150 – zwischen rechtswidrigen Primärbeweis und mittelbaren Sekundärbeweis 131 ff., 144, 150 Lauschangriff 35, 62, 71 Liechtenstein 111 List 31, 70 Lockspitzel 31 Locus-regit-actum Grundsatz 81 ff. Mittelbarer Beweis 124, 128 ff., 143 ff.

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Qualifizierte Belehrung siehe Belehrung Rechtshilfe siehe Beweisrechtshilfe Rechtskreistheorie 41 Richtervorbehalt 22, 40, 51, 59 ff., 136 f. Schutzpflicht des Staates 108 Schweigerecht des Beschuldigten 27, 31, 51 ff., 65 f. Siemens 124 ff. Spezialitätsvorbehalt 85 ff. Standing rule 144 f. Stimmenfalle 32 Strafzwecklehre 19, 83 Täuschung 18, 29, 31 ff., 54, 67 ff., 90 f., 127 Telekommunikation 62 – Überwachung 33 ff., 61 ff., 83, 123 Unmittelbarkeitsgrundsatz 39 f. Untersuchungsgrundsatz 24 Verdeckte Ermittler 36, 64 f., 68 Vernehmung 21, 30 f., 33, 53 – der Verhörsperson 37 f., 55 – des ausländischen Beschuldigten 76 ff. – des (dtsch.) Beschuldigten – des Informanten 31, 117 – des Richters 37 – des Zeugen 36 ff., 56, 145 – durch ausländische Vernehmungsperson 83 – durch Ermittlungsbehörden 30 f., 37, 52 ff., 134 – durch heimlich ermittelnde Personen 66, 68 – durch Richter 55 Vernehmungsähnliche Situation 66 f., 68, 123, 127 Vernehmungsmethoden, verbotene 20, 25 f., 28, 30, 53, 70, 127 Verteidiger 19, 40, 52 ff., 61, 76, 78 f., 82, 129 Vorwirkung 70

172 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Sachverzeichnis

Widerspruchslösung 53 f., 62, 79 Wiener Konsularrechtsübereinkommen 74 ff., 91 Willensentschließungsfreiheit 18, 20, 25 f., 28, 30, 70, 123

Zeugnisverweigerungsberechtigter 36, 38, 55, 58, 69, 82, 113, 128 Zeugnisverweigerungsrecht 21, 39 f., 55 f., 58, 116 Zwang 18, 26 f., 31 f., 65 ff., 110 Zwangsmaßnahmen 22, 26, 44, 58 ff., 65