Betriebliche Entscheidungen: Lehrbuch zur Einführung in die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie [6., unwesentl. veränd. Aufl. Reprint 2018] 9783486806960, 9783486256338

Die Einführung in das Gesamtgebiet gelingt hervorragend durch das Erarbeiten der Grundbegriffe, die problemorietierte En

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel 1. Begriffliche und Wissenschaftstheoretische Grundlagen
Kapitel 2. Das Entscheidungstheoretische Grundmodell
Kapitel 3. Auswirkungen Modellimmanenter und Verhaltenswissenschaftlicher Beschränkungen des Grundmodells
Kapitel 4. Auswirkungen von Ungewißheit und Dynamik auf Betriebliche Entscheidungen
Kapitel 5. Multipersonale Entscheidungen
Sachregister
Lösungen zu den Übungsaufgaben
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Betriebliche Entscheidungen: Lehrbuch zur Einführung in die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie [6., unwesentl. veränd. Aufl. Reprint 2018]
 9783486806960, 9783486256338

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Betriebliche Entscheidungen Lehrbuch zur Einführung in die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie

Von Professor

Dr. Egbert Kahle

6., unwesentlich veränderte Auflage

R. Oldenbourg Verlag München Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kahle, Egbert: Betriebliche Entscheidungen : Lehrbuch zur E i n f u h r u n g in die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie / von Egbert Kahle. - 6., unwes. veränd. Aufl. - München ; Wien : Oldenbourg, 2001 I S B N 3-486-25633-5

© 2001 Oldenbourg Wissenschaftsverlag G m b H Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: ( 0 8 9 ) 4 5 0 5 1 - 0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere f ü r Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Druck: Tutte Druckerei GmbH, Salzweg Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Binderei GmbH ISBN 3-486-25633-5

Inhaltsverzeichnis Vorwort Kapitel 1: Begriffliche und wissenschaftstheoretische Grundlagen 1.1. Inhalt und Umfang betrieblicher Entscheidungen 1.2. Theorie, Modell und Realität 1.3. Deskriptive und präskriptive Aufgaben einer betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie 1.4. Die Maßstäbe betrieblicher Entscheidungen Kapitel 2: Das entscheidungstheoretische Grundmodell 2.1. Der Modellrahmen 2.2. Die Phasen des Entscheidungsprozesses 2.3. Probleme der Alternativenbeschreibung Beschreibungsregeln und Erfassungsmodelle 2.4. Die Suche, Verarbeitung und Bewertung von Informationen 2.5. Verfahren der Alternativenbewertung Kapitel 3: Auswirkungen modellimmanenter und verhaltenswissenschaftlicher Beschränkungen des Grundmodells 3.1. Die Berücksichtigung von Interdependenzen der Modellelemente 3.2. Beziehungen zwischen Modellstruktur und Lösungsverfahren 3.3. Verhaltenswissenschaftlich begründete Einschränkungen des Grundmodells 3.4. Strategien zur Entscheidungsfindung in komplexen Entscheidungssituationen

7 9 9 16 24 26 39 39 41 47 63 71 83 83 90 98 108

Kapitel 4: Auswirkungen von Ungewißheit und Dynamik auf betriebliche Entscheidungen . 115 4.1. Die Formen der Ungewißheit-ihre Ursachen und ihre Erfassung 115 4.2. Entscheidungsregeln für Ungewißheitssituationen 123 4.3. Erscheinungsformen und Erfassungsmöglichkeiten zeitlicher Einflüsse bei Sicherheit 143 4.4. Die Erfassung und Steuerung stochastischer dynamischer Prozesse 153 Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen 5.1. Team, Gruppe, Kollektiv, Organisation - Die Bestimmung der Grundbegriffe kollektiver Entscheidungen 5.2. DasKommunikationsproblemundAnsätzeseinerorganisatorischenLösung 5.3. Grundsätze und Möglichkeiten der Bestimmung gemeinschaftlicher Entscheidungen 5.4. Die Berücksichtigung von Machtbeziehungen in multipersonalen Entscheidungsprozessen

159

200

Sachverzeichnis Lösungen zu den Übungsaufgaben

207 211

160 165 179

Vorwort Lehrbücher, die sich mit der Entscheidungstheorie und auch mit der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie beschäftigen, sind bereits in nicht zu kleiner Zahl vorhanden. Auf einige von ihnen, die zum Beispiel mit den Namen Gäfgen und Szyperski verknüpft sind, wird hier häufiger zurückgegriffen. Veranlassung, die Zahl der vorliegenden Lehrbücher auf diesem Gebiet um ein weiteres zu vermehren, fand der Verfasser in seinen Lehrveranstaltungen, in denen sich herausstellte, daß die angestrebte Kombination entscheidungslogischer und verhaltenswissenschaftlicher Ansätze nur mit einer deutlichen inhaltlichen Ausfüllung der verschiedenen Verfahrensweisen zu erreichen war. Für diese Erkenntnis und viele einzelne Anregungen ist der Autor den Teilnehmern an seinen Übungen zur Entscheidungstheorie sehr dankbar. Aus dieser Veranlassung ergab sich das Konzept des Lehrbuchs, Grundbegriffe zu erarbeiten, Modelle und Verfahrensweisen problemorientiert zu entwickeln und anzuwenden und dabei in das Gesamtgebiet einzuführen. Dem Charakter einer Einführung entsprechend sind daher die Zusammenhänge der Probleme und ihrer Elemente betont und Einzelheiten notwendigerweise oft verkürzt dargestellt worden. Es wird hier versucht, den Leser auch an die Darstellung und Lösung schwieriger entscheidungstheoretischer Fragestellungen heranzuführen, ohne den Anspruch zu stellen, daß er dazu vorher alle einfacheren Probleme völlig beherrscht. Es soll ihm Anregung zur differenzierten Weiterarbeit auf von ihm auszuwählenden Gebieten gegeben werden. Diesem Grundsatz der Auswahl und des Überblicks folgend ist auch die Literatur drastisch eingeschränkt worden; es sind nur die direkt zitierten und verwendeten Autoren aufgeführt worden. Zu fast jedem Problem gibt es eine Fülle weiterer Autoren und Literaturstellen, die aber in der hier aufgeführten Literatur in der Regel aufgefunden werden können. Die behandelten Fragestellungen beginnen mit den begrifflichen Voraussetzungen zu Entscheidung und Zielsetzung sowie einigen wissenschaftstheoretischen Grundüberlegungen. Die daran anschließende Darstellung des Grundmodells der Entscheidungen legt den Schwerpunkt auf die Verfahren der Alternativenbeschreibung, -gewinnung und -bewertung, wobei es besonders auf die Handhabbarkeit der Verfahren ankommt. Die Grenzen dieses Modells aus verhaltenswissenschaftlicher und modellimmanenter Sicht bilden den dritten Teil, wobei Interdependenzen, begrenzte Rationalität und Komplexität die wesentlichen Probleme darstellen. Von besonderer Bedeutung sind für betriebliche Entscheidungen des weiteren Ungewißheit und Dynamik; der isolierten und gemeinsamen Verarbeitung dieser Eigenschaften von Entscheidungen ist im vierten Teil Raum gegeben, während der fünfte Teil sich den verschiedenen Problemen der Beteiligung mehrerer Personen am Entscheidungsprozeß widmet, wobei die Stichworte Kommunikation, Organisation, Sozialwahlfunktion und Macht lauten. Der Verfasser dankt seinen früheren Kollegen Dr. H. Frotz (Illertissen) und Dr. R. J. Körte (Hamburg) für vielerlei Anregung und Unterstützung bei der Entwicklung dieses Konzepts. Ohne die zügige Schreibtätigkeit von Frau 1. Dake und Frau E. Möhle wäre die Arbeit noch längst nicht fertig, wofür ihnen Dank gebührt. Egbert Kahle

Vorwort zur 4. Auflage In den 15 Jahren seit dem Erscheinen der ersten Auflage haben sich in der Arbeit mit dem Buch und in der Entwicklung der Theorie multikriterieller Entscheidungen so erhebliche Veränderungen ergeben, daß gegenüber dieser ersten und den beiden Folgeauflagen einige inhaltliche Änderungen und Ergänzungen erforderlich wurden. Ich danke für wesentliche Anteile an der Erarbeitung dieser Änderungen meinen beiden Wissenschaftlichen Assistentinnen Frau Dr. Ruth Paschka und Frau Dr. Marion Schulze, die ihre vielfaltigen Erfahrungen in der Lehre und die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten in dieses Lehrbuch eingebracht haben. Egbert Kahle

Vorwort zu 6. Auflage Seit Erscheinen der fünften Auflage sind erst zwei Jahre vergangen. Aufgrund dieser erfreulichen Nachfrage und der bewährten Konzeption konnte ich mich für diese Auflage auf eine kritische Durchsicht des Lehrbuches beschränken. Egbert Kahle

Kapitel 1: Begriffliche und wissenschaftstheoretische Grundlagen 1.1. Inhalt und Umfang betrieblicher Entscheidungen Als betriebliche Entscheidungen sind aus der Gesamtmenge aller Entscheidungen diejenigen als Teilmenge auszusondern, die von Betrieben oder Betriebsangehörigen für den Betrieb getroffen werden. Sowohl der Begriff des „Betriebes" als auch der Begriff „Entscheidung" bedürfen dazu einer Abgrenzung. Als elementare Betriebe bezeichnet R. B. Schmidt alle geschlossenen Wirtschaftseinheiten, die selbständig wirtschaften (Schmidt, S.40). Da diese Abgrenzung der umgangssprachlichen Vorstellung insoweit entgegensteht, als der dabei einbezogene Haushalt üblicherweise als Gegensatz zum Betrieb angesehen wird, soll hier eine engere Begriffsfassung für zweckmäßig gehalten werden. Es sollen nur diejenigen geschlossenen selbständig wirtschaftenden Einheiten als Betriebe angesehen werden, die Leistungen erstellen und an andere Wirtschaftseinheiten abzugeben in der Lage sind. Die Art der Leistungserstellung sowie die Form und der Umfang der Leistungsabgabe können dabei starke Unterschiede aufweisen. (Eisfeld S.9, Kilthau S.24, Linhardt, S. 47, S. 65). Bei dieser Abgrenzung ist zu beachten, daß die Träger dieses Betriebsprozesses Menschen sind, deren Verhalten nicht zwingend auf den Betriebsprozeß gerichtet ist, sondern auf andere Dinge; die mit diesen anderen Dingen verbundenen Verhaltensweisen sind dann nicht betrieblich orientiert. Bei der Beurteilung realer Vorgänge dürfte die Charakterisierung einer Verhaltensweise unter diesem Aspekt nicht immer ganz einfach sein. Das macht eine relativ allgemeine Betrachtung des Entscheidungsbegriffs notwendig. Die Abgrenzung des Begriffs der Entscheidung wird nicht so sehr durch die Vielfalt der vorhandenen Begriffsausprägungen erschwert, sondern durch die Tatsache, daß auf Grund seiner allgemeinen umgangssprachlichen Verwendung die meisten Autoren sich eine explizite Definition ersparen. Die Auffassungen darüber, welche Begriffselemente den Begriff der Entscheidung konstituieren, können daher nur durch allgemeine, oft nur implizit aufgeführte Bedingungen charakterisiert werden oder durch spezielle Eigenschaften ausgedrückt werden, die dem Entscheidungsbegriff dann zur Unterscheidung beigegeben werden. Die allgemeine Eigenschaft der Entscheidung besteht darin, daß ein Wahlakt zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten vorliegen muß, die als Alternativen bezeichnet werden. Die Handlungsmöglichkeiten können aus einem Tun oder Unterlassen bestehen und werden durch eine Veränderung der Situation beschrieben, die im Entscheidungszeitpunkt vorliegt, d.h. entweder das Tun oder das Unterlassen führen zu einer Veränderung der Situation oder beide mit unterschiedlichem Ergebnis. Führen zwei Handlungsmöglichkeiten zu keiner Situationsveränderung oder zur gleichen Veränderung, dann liegt keine Entscheidung vor. Der Wahlakt zwischen den Alternativen setzt ein Entscheidungssubjekt, den Entscheidungsträger, voraus. Ein solcher Entscheidungsträger kann aus einem Individuum oder einem Kollektiv bestehen; die verschiedenen Formen solcher kollektiven Entscheidungsträger können Auswirkungen auf die Entscheidung haben.

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Kapitel 1: Grundlagen

Die unterschiedlichen Auffassungen vom Begriff „Entscheidung" können in der Betrachtung des Wahlaktes selbst, in der Abgrenzung des Entscheidungsträgers und/oder in der Umweltbeschreibung des Entscheidungsträgers, durch die seine Entscheidungssituation beschrieben wird, zum Ausdruck kommen. Wenn trotz der Problematik, die in einer klassifizierenden Einteilung komplexer Begriffszusammenhänge liegt, versucht wird, Kriterien zur Einteilung der verschiedenen Begriffsabgrenzungen zu entwickeln, dann bieten sich die Eigenschaften des Wahlaktes bzw. seines Trägers auf der einen und der Umweltsituation auf der anderen Seite an. Die Eigenschaften des Wahlaktes sind zu unterteilen nach dem Ergebnis, dem Träger und dem Prozeß, wobei die Rationalität, die Bewußtheit und die Zahl der Entscheidungsträger im Vordergrund stehen. Die Situation ist nach Beschaffenheit und Dimension der Daten zu unterscheiden, wobei Sicherheit und Eindeutigkeit der Daten zu hinterfragen und zeitliche und sachliche Differenzen anderseits zu beachten sind. Werden diese Kriterien zur Klassifikation verwendet, so ergibt sich das Schema aus Abbildung 1 (Kahle, 1973 S. 19). Entscheidung

I

I

Situation

Wahlakt Ergebnis

I

Träger

Beschaffenheit

Prozeß

Dimension

_ Zahl

Rationalität

I

I

nicht notwendig rational (1)

subjektiv rational

obindijektiv vidual rational

begrupwußt penbezogen

(2)

(3)

(5)

Abb. 1

I

Sicherheit

^

(4)

(6)

Zahl

I

zeitlich

sachlich

ungewiß zwei- mehr- stagewiß wertig wertig tisch

dyna- Ziel misch

Mittel

(7)

(12)

(14)

(8)

(9)

(10)

(11)

(13)

Schema der Entscheidungsmerkmale und ihrer Beziehungen

Den vierzehn verschiedenen Ausprägungen des Entscheidungsbegriffs lassen sich Autoren zuordnen, die den Entscheidungsbegriff in entsprechender Weise verwenden, wobei zum Teil Kombinationen von Kriterien zur Charakterisierung der verwendeten Begriffe notwendig sind und einige Autoren sich in dieser Weise gar nicht klassifizieren lassen. (Kahle, 1973 S. 1 9 - 2 1 ) . Bei der Würdigung entscheidungstheoretischer Aussagen ist wegen der großen Spannweite begrifflicher Festlegungen das jeweils zugrundegelegte Begriffskonzept zu beachten. Die Festlegung des Begriffsinhalts von betrieblichen Entscheidungen ist vor allem von den weiteren, jeweils untersuchten betrieblichen Tatbeständen wie etwa Produktion, Absatz, Finanzierung oder Organisation abhängig sowie von der Reichweite und Detailliertheit der angestrebten Untersuchung und vom wissenschaftstheoretischen Grundansatz des Untersuchenden. Eine Begriffsabgrenzung, die neben dem Wahlakt die Rationalität der Entscheidung, die Bewußtheit und die Selbstverpflichtung zur Realisierung der Entscheidung als konstitutiv ansieht (Szyperskif Winand S.3/4), faßt die unterschiedlichen Begriffe als A k zentuierungen eines einheitlichen Begriffs auf. Dabei kommt der Schaffung des Alternativenraumes besondere Bedeutung zu; ihr wird hier bei den Beschreibungsmöglichkeiten von Alternativen der entsprechende Platz gegeben. Die Beiträge zur Schaffung des Alternativenraumes werden für einzelne betriebliche Probleme und Entscheidun-

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Kapitel 1: Grundlagen

gen von den jeweiligen betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen geleistet, indem sie Kausalzusammenhänge darstellen und Informationen liefern. Die für den Entscheidungsbegriff konstitutive Rationalität bedeutet, daß der Entscheidungsträger seine Wahl so trifft, daß sie an einem Wertsystem ausgerichtet ist. Je nachdem, ob das Wertsystem vom Entscheidungsträger selbst festgelegt oder ihm vorgegeben ist, wird zwischen formaler und substantieller Rationalität unterschieden (Gäfgen, S.26). Wenn dieser Wahlakt von einem Beobachter nachvollzogen werden kann, handelt es sich um objektive Rationalität, wenn dagegen auf Grund mangelhafter Information oder Informationsverarbeitung der Entscheidungsträger nur glaubt, rational zu handeln, dann ist diese Rationalität subjektiv ( G ä f g e n , S. 33). Die Kombination der nur idealtypisch vorhandenen Gegensatzpaare von Rationalität ergeben die in Abbildung 2 aufgeführten Fälle von Rationalität.

Abb. 2

Rationalität

formal

substantiell

objektiv

Fall 1

Fall 2

subjektiv

Fall 3

Fall 4

Verschiedene Ausprägungen von Rationalität

Die objektive formale Rationalität von Fall 1 bedeutet, daß der Entscheidungsträger seine Zielsetzung autonom festsetzen kann und daß er seine Wahl anhand dieser Zielsetzung nachvollziehbar trifft. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Autonomie der Zielsetzung durch den Sozialisationsprozeß des Entscheidungsträgers und andere Faktoren begrenzt wird, diese Grenzen sind aber faktischer und nicht definitorischer Art. Der Fall 1 ist der Fall, der in der Entscheidungstheorie am häufigsten zugrundegelegt wird. Der Fall 2 einer objektiven substantiellen Rationalität setzt voraus, daß es objektiv richtige Ziele oder Werthaltungen gibt. Das läßt sich für ein Individuum jedoch nicht verbindlich feststellen, wenngleich durch soziale Prozesse eine gewisse Normierung der Werte angestrebt und erreicht wird. Bei der Betrachtung eines kollektiven Entscheidungsprozesses wird hingegen die Frage nach der gemeinsamen Zielsetzung bedeutsam (vgl. Gäfgen, S.27; s.u. S. 159). Die meisten Entscheidungsvorschläge und Alternativendarstellungen betriebswirtschaftlicher Teildisziplinen gehen von einer objektiven, substantiellen Rationalität in der Form des Erwerbsstrebens bzw. der Gewinnmaximierung aus (Gutenberg, S.464 ff). Die subjektive formale Rationalität von Fall 3 ist Gegenstand entscheidungstheoretischer Betrachtung, wenn die Unvollkommenheit der Information und ihrer Verarbeitung einbezogen werden. Bei der Erklärung realer betrieblicher Entscheidungen wird dieser Fall häufig zu berücksichtigen sein. Die Vorgabe einer Zielsetzung als Norm auf der einen Seite und die Akzeptanz individuellen Irrens auf der anderen Seite wie sie Fall 4 beinhaltet, ist keine geeignete Grundlage für eine Betrachtung individueller Entscheidungen. Werden anderseits kollektive Entscheidungen mit einer gemeinsamen, verbindlichen Wertordnung betrachtet, dann kann die individuelle Fehlinterpretation trotzdem subjektiv rational sein. In dieser Situation bietet Fall 4 die Grundlage für eine theoretische Erklärung des Entscheidungsverhaltens. Problematischer als die Zugrundelegung der Rationalität in einer der vier Ausprä-

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Kapitel 1: Grundlagen

gungen sind für den Entscheidungsbegriff die Voraussetzungen der Bewußtheit und der Selbstverpflichtung. Die Einbeziehung der Bewußtheit des Wahlaktes erfolgt aus einer psychologischen Betrachtungsweise der Entscheidung (Szyperski/Winand, S.4; Thomae, S. 20), in der das Verhalten in Entscheidungssituationen von anderen Verhaltensformen abgegrenzt werden soll. Habitualisierte Wahlakte werden damit nicht als Entscheidungen angesehen. Das bedeutet, daß der gleiche Wahlakt in einer gleichartigen Entscheidungssituation und mit den gleichen Zielen beim ersten Mal eine Entscheidung ist und nach einigen Wiederholungen, durch die eine Gewöhnung erfolgte, keine Entscheidung mehr sein wird. Diese Betrachtung erscheint, vor allem auch im Zusammenwirken von Menschen mit Maschinen in Entscheidungsprozessen und mit der Möglichkeit der Programmierung von Auswahlregeln (Entscheidungsregeln) zu eng. Wenn die Bewußtheitsprämisse konstitutiv für den Entscheidungsbegriff sein soll, dann muß für das Phänomen nicht bewußter rationaler Wahlakte ein neuer Begriff festgelegt werden. Die erstmalige rationale Wahl in einer bestimmten Folge von Entscheidungssituationen impliziert jedoch das Bewußtsein über diese Tatsache; von daher wird hier die Bewußtheit als in der Rationalität enthalten angesehen. In ähnlicher Weise ist die Selbstverpflichtung des Entscheidungsträgers zur Entscheidungsdurchsetzung zu sehen. In der Beschreibung der Alternativen wurde festgelegt (s.o. S. 9), daß die Alternativen sich dadurch unterscheiden, daß ihre Konsequenzen in wenigstens einem Element unterschiedliche Wirkungen auf die Situation des Entscheidungsträgers haben. Dabei ist impliziert, daß mit der Wahl der Alternative diese auch in Wirkung gesetzt wird. Wenn das nicht der Fall ist, liegt insoweit auch keine Alternative vor, weil keine Konsequenz wirksam wird. Die In-Wirkung-Setzung ist insoweit definitorisch impliziert und muß nicht konstitutiv besonders angenommen werden. Diese Überlegung wäre dann zu modifizieren, wenn als Oberbegriff der Entscheidung das Problemlösen angesehen würde, das sich als die Bestimmung von Lösungen für reale oder hypothetische Probleme betrachten läßt. Auch hier besteht ein Alternativenraum bzw. ist er zu generieren, aus dem anhand von Werten (Kriterien) eine Auswahl zu treffen ist. In diesem Fall wäre die Selbstverpflichtung zur Durchsetzung der Entscheidung bei allen Problemen ein konstitutives Merkmal gegenüber rein hypothetischen „Gedankenspielereien". Ein anderes, wesentliches Element des Entscheidungsbegriffs ist seine Prozeßhaftigkeit; der rationale Wahlakt ist kein punktuelles Ereignis, sondern ein Prozeß, in dem Informationssuche und -auswertung, Alternativengenerierung, -beschreibung und -beurteilung und Zielsetzung stattfinden können. Dieser Prozeß kann von sehr unterschiedlicher Reichweite und Dauer sein, was durch die anzuwendenden Handlungsund Bewertungsregeln bestimmt wird; die Handlungs- und Bewertungsregeln können sich auf Ziele, Mittel und Informationen beziehen. Systeme solcher Handlungs- und Bewertungsregeln sollen als Strategien bezeichnet werden {Kahle, 1973, S.89) (zu anderen Strategiebegriffen: Kahle, 1973, S.84; Lücke, S. 2285f.). Die betriebliche Entscheidung als Prozeß wird vor allem bei komplexeren Entscheidungssituationen und bei multi-personalen Entscheidungsträgern bedeutsam. Die betrieblichen Entscheidungen lassen sich nach den betrieblichen Funktionsbereichen (Beschaffungs-, Produktions-, Absatzentscheidungen), nach den Objektbereichen (Personal-, Finanz-, Investitionsentscheidungen), nach der Führungsebene (Führungsentscheidungen, Aktionsentscheidungen), nach der Fristigkeit und einer Reihe weiterer Kriterien einteilen. Daneben lassen sich Typen des Entscheidungsverhaltens unterscheiden, die situations- und personenabhängig sind:

Kapitel 1: Grundlagen

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• reaktives • situatives • kreatives • konstitutives • teleologisch-novatives Entscheidungsverhalten {Kahle, 1973, S.96) „Ein reaktives Entscheidungsverhalten ist dadurch gekennzeichnet, daß die objektiv vorhandene Wahlmöglichkeit subjektiv gar nicht als solche erkannt wird, sondern daß der Entscheidungsanlaß — die Erkenntnis der Entscheidungssituation — zu einer determinierten Reaktion führt" {Kahle, 1973, S.96). Solche Entscheidungen, denen es an der Bewußtheit fehlen kann, werden auch als Quasi-Entscheidungen {Bisani S. 738) oder sogar als Nicht-Entscheidungen {Witte 1964, S. 112) bezeichnet; sie sind im allgemeinen programmierbar, d.h. man kann sie generellen Regelungen (dazu: Gutenberg, S. 232 ff.) unterwerfen. Die dazu erforderliche Sicherheit der Daten bedingt, daß dieses Entscheidungsverhalten kurzfristigen Charakter hat und auf ständigen Wiederholungen der Entscheidungssituation beruht. „Das situative Entscheidungsverhalten ist dem reaktiven hinsichtlich der Wiederholung und Kurzfristigkeit der entscheidungsrelevanten Elemente gleich, unterscheidet sich davon jedoch durch die Aufhebung der Homogenitätsbedingung; der Entscheidungsträger prüft die Information der Situation mit Hilfe von Auswahl- und Erwartungsbildungsstrategien auf die Entscheidungsrelevanz der Elemente hin; auf die von ihm als entscheidungsrelevant erkannten Elemente wendet er die ihm zur Verfügung stehenden Strategien an, wobei auch in diesem zweiten Bestandteil eine Erwartungsbildung, und zwar über die Wirksamkeit der Strategien aufgrund der vorliegenden Informationen, stattfinden kann. Dabei ist insbesondere auch die Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeitskalkülen zu denken. Wesentlich an diesem Typ des Entscheidungsverhaltens ist, daß die Entscheidungssituation vom Entscheidungsträger nur verarbeitet, aber nicht strukturell verändert wird." {Kahle, 1973, S.98). Eine Programmierung situativer Entscheidungsstrategien ist möglich, setzt aber das Vorhandensein von Abfragemöglichkeiten mit Verzweigungen voraus. Das situative Entscheidungsverhalten ist auf Situationen mit geringer Interdependenz zu anderen Situationen beschränkt. Wenn eine Entscheidungssituation vorliegt, die den Entscheidungsträger nötigt, über seinen Bestand an Handlungs- und Bewertungsregeln hinaus neue Strategien zu entwickeln, dann wird kreatives Entscheidungsverhalten von ihm verlangt. Der Entscheidungsträger muß neue Alternativen entwickeln oder bisherige Bewertungsmaßstäbe durch neue ersetzen; er kann auch seine Erwartungen über das Eintreten zukünftiger Ereignisse revidieren. Zu allen diesen Entwicklungen sind Umstrukturierungen der bisherigen Denkinhalte erforderlich. Ein solches, geistig mühevolles kreatives Entscheidungsverhalten ist seltener, als wünschenswert wäre; an seine Stelle treten oft vereinfachende Verhaltensweisen {Kirsch, 1978, S. 1 1 - 1 5 ; s. unten S. 108). Die bisher genannten Typen des Entscheidungsverhalten setzten ein System von Handlungs- und Entscheidungsregeln voraus. Wenn dieses System verändert werden soll und diese Änderung ebenfalls auf Grund rationaler Wahlakte erfolgen soll, dann muß es ein System von Handlungs- und Bewertungsregeln über die Änderung geben, d.h. Strategien zur Beschreibung und Bestimmung von Strategien; solche Strategien höherer Ordnung sollen als Meta-Strategien bezeichnet werden. Als konstitutives Ent-

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Kapitel 1: Grundlagen

scheidungsverhalten ist dann die Anwendung von Meta-Strategien zu bezeichnen, wobei mehrstufige Strategien nicht auszuschließen sind. Mit konstitutivem Entscheidungsverhalten werden die Regeln festgelegt, nach denen der Entscheidungsprozeß abläuft. Derartige Meta-Strategien sind im Regelfall langfristiger und umfassender Art; auch sie können durch Gewohnheit akzeptiert werden und nur in Grenzen bewußt sein (Riedl, S.75). Während die vier vorstehend aufgeführten Typen des Entscheidungsverhaltens gemeinsam dadurch charakterisiert sind, daß der Entscheidungsanlaß von der Umwelt der Entscheidungssituation — ausgeht, ist das teleologisch-novative Entscheidungsverhalten dadurch bestimmt, daß der Entscheidungsträger von sich aus nach einer Veränderung der Situation sucht, um sie seinen Vorstellungen anzupassen. (Es ist zu betonen, daß das Entscheidungsverhalten, nicht die Betrachtungsweise teleologisch ist. Zur teleologischen Betrachtungsweise vgl. Englis, 1930, S.24ff.; Englis 1933, S.67). D a s t e leologisch-novative Entscheidungsverhalten ist notwendig mit kreativen und konstitutiven Verhaltensweisen des Entscheidens verknüpft, weil nur dadurch die erstrebte Situationstransformation bewirkt werden kann. Es ist nur unter dem Aspekt der Unsicherheit und der zeitlichen Entwicklung von Umwelt und Entscheidungsträger vorstellbar, bei stationärem Zustand unter Sicherheit würde mit einer Entscheidung ein Optimum erreicht. Erst die Tatsache, daß Fehlentscheidungen möglich sind, daß die Umwelt neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet und daß der Mensch neue Ziele oder Zielerreichungsgrade anstrebt (Kahle, 1971, S.631; Hamel, S. 30ff.), macht diesen Verhaltenstyp notwendig. Eine gänzlich andere Ordnung betrieblicher Entscheidungen nach ihrem Inhalt führt zu folgender Einteilung: „ · Entscheidungen über Aktionen (Was ist zu tun?) • Entscheidungen über Entscheidungsregeln (Welche Regel soll in bestimmter Entscheidungssituation angewendet werden?). • Entscheidungen über Entscheidungsstrukturen (Wie soll das Entscheidungssystem organisiert werden?)." (Szyperski/Winand, S.2) Dabei werden die Aktionsentscheidungen in hierarchischer Sicht überwiegend der Ausführungsebene, die Regel- und Strukturentscheidungen vor allem der Managementebene zugerechnet. Die Abgrenzung der betrieblichen Entscheidungen als Gegenstand einer betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie von anderen Entscheidungen und anderen betrieblichen Phänomenen läßt sich in Modifizierung eines Schemas von Chmielewicz (Chmielewicz, S. 176) wie in Abbildung 3 gezeigt darstellen. Aus Abbildung 3 wird ersichtlich, daß die Analyse betrieblicher Entscheidungen nicht auf die Betriebswirtschaftslehre beschränkt bleibt, wenn sie auch dort, wie Feld 1/1 ausweist, zentral angesiedelt ist. Die benachbarten Disziplinen setzen sich auf ihre Weise mit betrieblichen Entscheidungen auseinander und ihre Ergebnisse sind entsprechend zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von nicht-betrieblichen Entscheidungen und Phänomenen, die nicht Entscheidungen sind, die aber Gegenstand betriebswirtschaftlicher Forschung sein können oder müssen. Die Gleichartigkeit menschlichen Verhaltens in verschiedenen Entscheidungssituationen ermöglicht es, Ergebnisse aus anderen Disziplinen oder über andere Forschungsobjekte zu transferieren bzw. einen Transfer zu versuchen. Die Erkenntnisse über Zusammenhänge im Bereich der Nicht-Entscheidungen ermöglichen es, die Kon-

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Kapitel 1: Grundlagen 1 \Forschungsöbjekt Forschung^ disziplin

2

3

4

Entscheidungen

NichtEntscheidungen

Betriebliche

Volkswirtschaftliche

1 Betriebswirtschaftslehre

ζ. B. Verfahren der Investitionsrechnung

Auswirkungen Beurteilung der von Investitions- Vorteilhaftigkeit lenkungsmaßverschiedener nahmen Bildungszweige

Kapazitätserweiterungseffekt

2 Volkswirtschaftslehre

Investitionsverhalten von Unternehmen

Cost-BenefitAnalyse öffentl. Investitionen

fiskalische Wirkung von Verteidigungs ausgaben

Input-OutputDarstellung einer Volkswirtschaft

3 Soziologie

Auswirkungen von Investitionen auf Arbeiter

Soziale Auswirkungen von Strukturhilfen

Soziale komponenten der Berufswahl

Gruppenkohäsion

4 Psychologie

Motive für Investitionen

Psychologische Untersuchung von Präferenzen

Ärger als dynamisches Problem

Sprache und Denken

Abb. 3

andere

Betriebliche Entscheidungen im Gefüge benachbarter Disziplinen und Objekte

Sequenzen v o n A l t e r n a t i v e n deutlicher oder zutreffender zu beschreiben oder n e u e A l ternativen zu finden.

Übungsaufgaben: 1. Nennen Sie 2. Beschreiben 3. Grenzen Sie betrieblichen

die konstitutiven Elemente des Begriffs ,,Entscheidung." Sie die verschiedenen Formen von Rationalität. von anderen Entscheidungen betriebliche Entscheidungen Phänomenen ab. Geben Sie Beispiele an.

und

anderen

Literatur: Bisani, F.; Die Bedeutung der Rechtsform für unternehmerische Entscheidungen, in: Der Betrieb 25. Jg. 1972, S. 737ff. Chmielewicz, K.; Forschungskonzeptionen der Wirtschaftswissenschaft, 2. Auflage, Stuttgart 1979. Eisfeld, D.; Betrieb, Firma, Unternehmung, in: Fettel, J . - L i n h a r d t , H. (Hrsg.), Der Betrieb in der Unternehmung, Stuttgart 1963, S. Iff. Englis, K.; Begründung der Teleologie als Form empirischen Erkennens, Brünn - Prag - Leipzig Wien 1930. Englis, K.; Teleologische Theorie der Staatswirtschaft, Brünn 1933. Gäfgen, G.; Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 3. Auflage, Tübingen 1974. Gutenberg, E.; Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Erster Band, Die Produktion, 22. Auflage, Berlin - Heidelberg - New York 1976.

16

Kapitel 1: Grundlagen

Hamel, W.; Zieländerungen im Entscheidungsprozeß, Tübingen 1974. Kahle, E.; Zielplanung durch Anspruchsanpassung, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Jg. 23 1971, S. 623 ff. Kahle, E.; Betriebswirtschaftliches Problemlösungsverhalten, Wiesbaden 1973. Kilthau,M. ·, Die Systemindifferenz des Betriebes, in: Fettel, J.-Linhardt, H. (Hrsg.), D e r Betrieb in der Unternehmung, Stuttgart 1963, S . 2 1 f f . Kirsch, W.; Die Handhabung von Entscheidungsproblemen, München 1978. Linhardt, H.; Weder Begriffsrigorismus noch Begriffsanarchismus in der Objektbestimmung, in: Fettel, J.-Linhardt, H. (Hrsg.) Der Betrieb in der Unternehmung, Stuttgart 1963, S . 2 7 f f . Lücke, W.; Bilanzstrategie und Bilanztaktik, in: D e r Betrieb, 22. Jg. 1969, S. 2285 ff. Riedl, R.; Biologie der Erkenntnis, Berlin - Hamburg 1980. Schmidt, R.-B.; Wirtschaftslehre der Unternehmung, Band 1, Grundlagen und Zielsetzung, 2. Auflage, Stuttgart 1976.

Szyperski, Ν .-Winand, U.; Entscheidungstheorie, Stuttgart 1974. Thomae, H.; Der Mensch in der Entscheidung, München 1960. Witte, E.; Analyse der Entscheidung, in: Grochla, E. (Hrsg.) Organisation und Rechnungswesen Festschrift für E. Kosiol, Berlin 1964, S. 101 ff.

1.2. Theorie, Modell und Realität Als Theorien werden im allgemeinen „ m e h r o d e r weniger komplexe Systeme allgemein e r Aussagen kognitiven C h a r a k t e r s " bezeichnet, „die dazu verwendet w e r d e n können, Erscheinungen u n s e r e r realen Welt zu erklären" {Albert 1964, S. 19). N e b e n diesem Verständnis von T h e o r i e werden häufig auch Teile von Aussagensystemen oder die G e s a m t h e i t aller möglichen Aussagensysteme im Gegensatz zur Praxis als T h e o r i e bezeichnet (Chmielewicz, S. 162). G r u n d l a g e n d e r T h e o r i e sind nomologische H y p o t h e s e n , die als „ I m m e r - und überall - wenn - d a n n A u s s a g e n " (Albert 1964, S. 25) bezeichnet werden k ö n n e n . A u s diesen H y p o t h e s e n w e r d e n auf d e m Wege logischer Implikation und unter E i n f ü h r u n g von R a n d b e d i n g u n g e n b e s o n d e r e Sätze deduziert, die zur E r k l ä r u n g von Vorfällen o d e r zur Prognose dienen (Popper, 1969, S. 32, Schmidt, S . 2 4 f . ) : An eine Theorie werd e n vor allem zwei Forderungen gestellt, die der Falsifizierbarkeit und die d e r Realitätsnähe (Popper, 1964, S. 105; Popper, 1969, S. 14). ( Z u r Verifizierung und Falsifizier u n g als M e t h o d e n d e r Gültigkeitsprüfung von Theorien vgl. Chmielewicz, S. lOOff.). D i e Falsifizierbarkeit hat zwei Aspekte, nämlich den d e r Art und Weise, wie die Falsifizierbarkeit erreicht werden kann und den, daß sie intersubjektiv ü b e r p r ü f b a r sein m u ß . Dazu bedarf es jedoch einer sprachlichen Abbildung der T h e o r i e und zwar in einer Weise, die bewirkt, daß die Zeichen dieser Sprache und das von ihnen Bezeichnete bei den verschiedenen Sendern und E m p f ä n g e r n von Zeichen auch verstanden werden. O d e r anders: D e n k e n und Wirklichkeit sind durch Worte miteinander verbunden, was von Wittgenstein b e s o n d e r s deutlich ausgedrückt wird: „1.2. 3. 3.1. 3.2.2. 3.3.

Die Welt zerfällt in Tatsachen D a s logische Bild der Tatsachen ist der G e d a n k e Im Satz drückt sich der G e d a n k e sinnlich w a h r n e h m b a r aus D e r N a m e vertritt im Satz den G e g e n s t a n d Nur der Satz h a t Sinn; nur im Z u s a m m e n h a n g des Satzes hat der N a m e Bedeutung

Kapitel 1: Grundlagen

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4. 4.0.1.

Der Gedanke ist der sinnvolle Satz Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit. Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, wie wir es uns denken 4.0.2.4. Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist. Man versteht ihn, wenn man seine Bestandteile versteht." (Wittgenstein) Wenn die Bedeutungen von Worten subjektiv festgelegt sind, dabei aber intersubjektiv verschieden selektiert wurde, dann ergeben sich Verständigungsprobleme zwischen den Beteiligten. Die Bedeutungsselektion ist für den Aufbau und die Gestaltung unabdingbar {Albert 1966, S. 190), sie ist einerseits bereits bei den Beobachtungen, die zur Ermittlung von Hypothesen benötigt werden, in Form von vorwissenschaftlichen Erwartungen wirksam (Popper 1964, S. 91), sie ist andererseits Bestandteil jeder wirksamen Kommunikation (s. u. S. 162) und Medium zur Übertragung von Information und Macht (Luhmann, S.5ff.). Die vorwissenschaftlichen Erwartungen, die als Grundlage der Hypothesenbildung dienen, sind dem Falsifizierbarkeitskriterium nicht unterworfen. Die Falsifizierbarkeit soll direkt gegeben sein, d. h. die Theorie soll durch Konfrontation der abgeleiteten Sätze oder der Hypothesen und Randbedingungen mit empirischen Gegebenheiten scheitern können. Eine Theorie gilt dann als relativ verifiziert, wenn entgegenstehende Aussagen zwar denkbar sind, aber alle Möglichkeiten der Falsifizierung sich bisher als ungenügend erwiesen haben (Popper 1969, S.53). Diese Möglichkeit ist für die Hypothesen in der Wirtschaftswissenschaft nicht immer gegeben; es bleibt dann nur der Weg der indirekten Verifizierung, wobei die Eigenschaft von Theorien angewendet wird, daß aus einer oder mehreren generellen empirischen Hypothesen mit unterschiedlichen Anwendungsbedingungen unterschiedliche Sätze abgeleitet werden können. Ausgehend von einem abgeleiteten verifizierten Satz wird auf die Hypothese zurückgeleitet und von da aus mit anderen Anwendungsbedingungen die zu konstruierende Theorie aufgebaut. Bei der Falsifizierung oder Verifizierung von Hypothesen kann und wird oft auf gesicherte Erkenntnisse aus anderen Wissenschaften zurückgegriffen werden (Grunberg, S. 149). Ein Problem liegt dabei in der Kompetenz des Forschers auf den Gebieten anderer Wissenschaften, um beurteilen zu können wie gesichert das übernommene Wissen ist (Chmielewicz, S. 26). Dabei ist vor allem zu beachten, daß es sehr unterschiedliche Formen des Wissensfortschritts gibt, den assimilierenden, den akkumulierenden und den revolutionären oder fundamentalkritischen (Kirsch 1978, S.60f.; vgl. auch Chmielewicz, S. 134 ff.). Der erste erweitert das Wissen in einem gegebenen Kontext, der zweite kann zusätzlich den Kontext ausweiten oder verschieben, während der dritte das bisherige Wissen in einem Kontext oder seine Gültigkeit für einen Kontext in Frage stellt. Das heißt, eine Theorie soll durch einen Falsifizierungsversuch einen Wissensfortschritt in einer der drei Arten bringen; dabei ist zu beachten, daß es ein menschliches Bedürfnis ist, kognitive Konsistenz zu erzielen, d.h. Zweifel zu meiden (Schanz, S.53), so daß revolutionärer Wissensfortschritt selten ist (Kirsch, S.63). Oft werden mögliche fundamentalkritische Erkenntnisse geleugnet oder uminterpretiert, um ein einmal gewonnenes Erkenntnissystem (Weltbild) zu erhalten. Die Notwendigkeit der Vermittelbarkeit von Hypothesen über die Realität für ihre Verifizierung erfordert eine Abbildung der Realität. Derartige Abbildungen werden als Modelle bezeichnet, von denen sowohl reale als auch formale Gegebenheiten abgeleitet werden können und die sich bei der Abbildung ebenfalls alternativ realer oder formaler Elemente bedienen können. Das führt zu vier Klassen von Modellen, die in Abbildung 4 nach Szyperski aufgeführt sind (Szyperski/Winand, S. 19).

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Kapitel 1: Grundlagen

Realphänomen

Abbildung durch

Realphänomen

Aussagen- und Sprachelemente Abb. 4

Abbildung von Aussagen- und Sprachelemente

11 ikonische Modelle

12 konstruktive Modelle

21 symbolische Modelle

22 adoptive Modelle

Klassifikation von Modellen

In der Theorie betrieblicher Entscheidungen sind vor allem die symbolischen Modelle, die reale Probleme in Zeichensystemen abbilden, und die konstruktiven Modelle, die Aussagen über Entscheidungen in die Realität überführen, von Bedeutung. Symbolische Modelle können als die eigentlichen Entscheidungsmodelle bezeichnet werden, da sie die kognitive Bewältigung von Entscheidungssituationen unterstützen. Die konstruktiven Modelle sollen dagegen Instrumente zum Aufbau von Entscheidungssystemen bieten, wobei die adoptiven Modelle die entsprechende kognitive Unterstützung leisten sollen (Szyperski/ Winand S. 19). Die adoptiven Modelle lassen sich als symbolische Modelle höherer Ordnung begreifen. Symbolische Modelle werden häufig in der Weise axiomatisiert, daß mathematische Methoden auf sie angewendet werden können. Wegen der formalen Ähnlichkeit von axiomatisierten Theorien und formalen Kalkülmodellen kommt es häufig zu einer im wissenschaftstheoretischen Sinne unzulässigen Identifizierung von Modell und Theorie (Cassel, S. 164ff.). Ein Modell läßt sich als ein „formales Gerüst einer möglichen oder vorhandenen Theorie" (Albert, S.28) bezeichnen, wobei damit die symbolischen oder formalen Modelle gemeint sind. Wenn von Eigenschaften eines Modells gesprochen wird, so sind im Regelfall die eines formalen symbolischen oder Kalkülmodells (Gäfgen, S.83) gemeint. Ein solches Modell ist ein „System von Sätzen, das aus Axiomen abgeleitet wird; es unterliegt den Bedingungen der Konsistenz der Aussagen, der Unabhängigkeit der Axiome sowie der Notwendigkeit und des Hinreichens der Implikationen. Der wesentliche Unterschied zur Theorie besteht darin, daß die Ausgangssätze und Randbedingungen eines Modells gedankliche Konstrukte und keine empirischen Hypothesen sind. Diese Abgrenzung von Theorie und Modell wird durch die Tatsache eingeschränkt, daß in die Theorien auf dem Wege der Sprache und über die in den Hypothesen enthaltenen Erwartungen ebenfalls gedankliche Konstrukte eingehen." (Kahle, S. 11/12). Weiterhin sind Modelle, die nicht eine reine Gedankenspielerei darstellen, als Modelle einer Theorie mit dieser durch die Isomorphie der Problemstruktur verbunden (Kosiol, S. 321). Derartige Theorienmodelle können empirischen Gehalt haben, müssen es aber nicht; sie tragen im allgemeinen zur Erstellung von Theorien bei. Modelle sind neben ihrer Einteilung nach logischer und empirischer Gültigkeit auch nach ihrem Verwendungszweck zu unterscheiden. Modelle können zur Erklärung, zur Verifikation und zur Entscheidungsvorbereitung verwendet werden (Angermann, S. 15). Ein weiterer Anwendungszweck kann die Sammlung und Darstellung von Informationen sein, diese Modelle werden Erfassungsmodelle genannt (Grochla, S. 384). Die Unterscheidung der Modelle nach ihrem Verwendungszweck stellt unterschiedliche Anforderungen an ihren empirischen Gehalt. Erklärungsmodelle sollen denkmög-

Kapitel 1: Grundlagen

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liehe Zusammenhänge darstellen und die logischen Verknüpfungen zwischen relativ willkürlichen Prämissen und den sich daraus ergebenden Aussagen herstellen; hier ist, wenn es sich um Theorienmodelle handeln soll, die Isomorphie von Problemstrukturen erforderlich. Wird ein solches Erklärungsmodell mit empirischen Daten oder R a n d b e dingungen ausgestattet, so wird es zu einem Verifikationsmodell und erhält den Charakter einer Theorie; die im Modell angenommenen Prämissen werden falsifizierbar. D a s Entscheidungsmodell ist in dieser wissenschaftstheoretischen Abgrenzung nicht ohne weiteres einzuordnen, da es d e m pragmatischen Zweck der Entscheidungsfindung und nicht der Theorienbildung oder -Verifizierung dienen soll. U m seinen Zweck zu erfüllen, muß es jedoch unter den Einschränkungen der Ungewißheit der Zukunft und der Ungenauigkeit der Datenermittlung die Eigenschaften einer Theorie erfüllen. Die Hypothesen eines Entscheidungsmodells sollten relativ verifiziert und die Daten gesichert sein, damit die Aussagen des Entscheidungsmodells ihren Zweck der Anweisung zu sinnvollem Verhalten erfüllen können. In ähnlicher Weise sind die Erfassungsmodelle hinsichtlich ihrer empirischen Basis einzuschätzen, da die mit ihnen betriebene Informationssammlung der Verifikation u n d / o d e r der Entscheidungsvorbereitung dienen soll. Sie müssen dementsprechend ebenso empirisch tauglich sein, wie die Modelle, in denen die Informationen verwertet werden sollen. Die Probleme, die mit den Modellen u n d / o d e r Theorien erfaßt, erklärt, gehandhabt und gelöst werden sollen, können wohl-definiert oder schlecht-definiert sein. „Eine Entscheidungsaufgabe ist wohl-definiert, wenn an Hand der Aufgabenstellung auf methodische Weise" (d.h. intersubjektiv nachprüfbar und in festgelegter Folge operationaler Schritte) „entschieden werden kann, wann eine vorgeschlagene Alternative als Lösung zu akzeptieren ist" (Klein, S.35). A u s dieser Definition wird ersichtlich, daß ein schlecht-definiertes Verifikationsmodell im allgemeinen seinen Zweck verfehlen wird. Die wohl-definierten Entscheidungsaufgaben lassen sich in vollständig formulierte und unvollständig formulierte unterteilen. Z u r Kennzeichnung vollständig formulierter Entscheidungsaufgaben werden folgende drei Kriterien genannt: „(1) Die Aufgabenstellung kann mittels numerischer Ausdrücke in Form von Skalaren oder Vektorgrößen formuliert werden. (2) Die Ziele der Aufgabenstellung sind - im Sinne des Minsky-Kriteriums „Wohl-definiert" (well defined). Das bedeutet, es gibt ein systematisches Verfahren mit dem festgestellt werden kann, ob eine vorgeschlagene Lösung annehmbar ist. (3) Es sind Rechen verfahren (Algorithmen) bekannt, deren Anwendung zulässig (feasible) ist, so daß die Lösung ermittelt u n d in Form von numerischen Ausdrükken tatsächlich angegeben werden kann. Die Anwendung eines Rechenverfahrens wird als zulässig bezeichnet, wenn es praktisch ausführbar ist (insbesondere im Hinblick auf die Zeit, die zur Ausführung erforderlich ist) und die Kosten seiner Anwendung wirtschaftlich sinnvoll sind." (Klein, S.32) D a ein Algorithmus auch dann eingesetzt werden kann, wenn ein Problem nicht in numerischer Form abgebildet ist, hat das Vorliegen eines zulässigen Algorithmus zentrale Bedeutung für die Vollständigkeit der Aufgabenformulierung. Ein Algorithmus ist wie folgt bestimmt: „Ein Algorithmus ist jede Prozedur, die sich auf die Berechnung einer ganzzahligen Funktion auf einer entsprechenden Turingmaschine zurückführen läßt. Eine Entscheidungsmethode, bestehend aus einer endlichen Anzahl von Regeln

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Kapitel 1: Grundlagen (Verfahrensvorschriften) zur Lösung von Entscheidungsaufgaben, ist ein Algorithmus, wenn:

(a) die Regeln intersubjektivierbar eindeutig formuliert und tatsächlich ausführbar sind (Determiniertheit des Algorithmus), (b) das Verfahren gemäß den Regeln nach endlich vielen Schritten abbricht (Endlichkeit des Algorithmus), (c) das Verfahren zur Lösung einer ganzen Klasse D von Entscheidungsaufgaben geeignet ist, und D (der Definitionsbereich des Algorithmus) erschöpfend definiert werden kann (Allgemeinheit des Algorithmus) und (d) nach Anwendung des Verfahrens auf eine beliebige Aufgabe aus D und Abbruch gemäß den Regeln entweder die gesuchte Lösung angegeben werden kann oder die Nichtexistenz einer Lösung erwiesen ist (Lösungsgarantie des Algorithmus)." {Klein, S.33) Die Lösbarkeit von Problemen durch Algorithmen hängt von der Komplexität der Probleme und von den Entwicklungen der Mathematik, der Unternehmensforschung und der Elektronischen Datenverarbeitung ab. Die Komplexität realer betrieblicher Entscheidungsprobleme, insbesondere der Unternehmensführung, die Dynamik betrieblicher Prozesse, die Berücksichtigung von Ungewißheit und Evolution der Umwelt läßt erwarten, daß es viele Probleme gibt, für die keine zulässige Algorithmen entwikkelt wurden oder werden können. Die Probleme, für die im gegenwärtigen Zeitpunkt kein zulässiger Algorithmus bekannt ist, werden als unvollständig formuliert bezeichnet {Klein, S.34). Unvollständig formuliert sind alle schlecht-definierten Entscheidungsaufgaben, weil bei ihnen folgende Erscheinungen vorliegen: „(1) Wesentliche Elemente der Aufgabenstellung sind unbekannt oder entziehen sich einer genauen Erfassung (insbesondere in Form numerischer Ausdrücke). (2) Das Lösungskriterium ist nicht eindeutig formuliert. Dadurch wird es möglich, daß subjektive, nicht nachprüfbare Wertungen (häufig von Vorgesetzten) darüber entscheiden, ob eine Lösung vorliegt. (3) Ein erheblicher Teil des Entscheidungsprozesses beschäftigt sich nicht mit der Suche nach Lösungen, sondern mit der Suche nach Fragen, deren Beantwortung zur Konkretisierung des Problems beitragen könnte." {Klein, S.34) Unter den dritten Fall ist auch die Erscheinung zu subsumieren, daß bei der Suche nach Lösungen, d.h. nach Alternativen und ihrer Bedeutung das ursprünglich formulierte Problem verändert wird, sei es, weil das ursprüngliche Problem unlösbar scheint, sei es, weil neue Probleme dringlicher werden oder sei es, weil neue Erkenntnisse über das Problem vorliegen. Dem gegenüber sind wohl—definierte, aber unvollständig formulierte Entscheidungsaufgaben dadurch gekennzeichnet, daß die Aufgabenstellung eindeutig formuliert ist, daß aber ein zulässiger Algorithmus zum Erreichen der möglichen Lösung fehlt. Dieses Fehlen kann auf der mathematischen Unlösbarkeit des Problems oder in technischen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Umsetzung dieser Lösung beruhen. Zur Lösung unvollständig formulierter Entscheidungsaufgaben werden heuristische Entscheidungsmethoden eingesetzt {Klein, S. 35), die in verkürzter Formulierung als Heuristiken bezeichnet werden. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie - wenn auch ohne Lösungsgarantie — erfahrungsgemäß bei ähnlichen Problemen zu guten oder brauchbaren Lösungen geführt haben.

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Kapitel 1: Grundlagen

Bei wohl-definierten, unvollständig formulierten Entscheidungsaufgaben besteht die Aufgabe der Heuristik darin, in angemessener oder vorgegebener Zeit zu einer brauchbaren Lösung zu kommen. Ein typisches Beispiel für die Anwendung von Heuristiken dieser Art ist das Problem der Ablaufplanung, bei der an Stelle von nicht vorhandenen analytischen Lösungen Heuristiken angewendet werden (Krycha, S.212ff.). Die Wirtschaftlichkeit der Problemlösung steht bei der Analyse von Investitionsrechnungsverfahren im Vordergrund, für die zwar analytische Lösungen existieren, die aber durch Heuristiken schneller und billiger gelöst werden; dabei steht die Abweichung der heuristischen Lösung von der optimalen im Zentrum der Betrachtung (Kruschwitz/Fischer, S.395). Bei schlecht - definierten Entscheidungsaufgaben können sich die Heuristiken auch auf die Problemformulierung, die Gewinnung von Ziel- und Alternativeninformationen oder auf das Auswertungsverfahren beziehen. Ihnen wird bei der Berücksichtigung von Beschränkungen der Rationalität und bei der Strategiegewinnung weitere Aufmerksamkeit (s.u. S. 145ff., 162ff.) gewidmet werden müssen. Die Kriterien (a) (Determiniertheit), (b) (Endlichkeit) und (c) (Allgemeinheit) der Definition des Algorithmus werden auch von heuristischen Entscheidungsmethoden erfüllt. Heuristische Lösungsverfahren sind damit - genau wie Algorithmen - in Form eines Programms, das den Prozeß der Entscheidungsfindung festlegt, beschreibbar. Ein Programm ist wie folgt definiert: „Ein Programm ist eine endliche Folge von Befehlen in symbolischer Darstellung, die bestimmte informationsverarbeitende Operationen und deren Aufeinanderfolge in eindeutiger Weise beschreiben". (Dellmann, S. 13/14)

Entscheidungsarten traditionelle

Entscheidungstechniken moderne

Programmiert:

1. Gewohnheit

Routinemäßige, repetitive Entscheidungen

2. Büroroutine standardisierte Arbeitsverfahren

Die Organisation entwickelt spezielle Verfahren zu ihrer Bearbeitung

3. Organisationsstruktur: Allgemeine Erwartungen

Nichtprogrammiert:

1. Urteil, Intuition und Kreativität

Einmalige, komplizierte neuartige politische Entscheidungen

2. Faustregeln

Mit Hilfe allgemeiner Problemlösungsverfahren gehandhabt Abb. 5

1. Operations Research: Mathematische Analyse Modelle Simulation durch Computer 2. Elektronische Datenverarbeitung

Ein System von Unterzielen Klar definierte Informationskanäle

3. Auswahl und Ausbildung von Führungskräften

Heuristische Problemlösungstechniken angewandt auf: a) Ausbildung von Menschen im Treffen von Entscheidungen b) Entwicklung heuristischer Computerprogramme

Zuordnung von Entscheidungsarten und Entscheidungstechniken

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Kapitel 1: Grundlagen

In Abhängigkeit von der Möglichkeit, die Entscheidungen zu programmieren lassen sich verschiedene klassische und moderne Entscheidungstechniken den Entscheidungsarten zuordnen. In schematischer Übersicht ist eine solche Gegenüberstellung in Abbildung 5 (Simon, S. 8) wiedergegeben. Der Zusammenhang von Theorie, Modell und Realität, wie er in der vorgenommenen Abgrenzung von Theorie und Modellen ersichtlich wurde, kommt auf drei verschiedenen Ebenen der Betrachtung zur Geltung, die als drei „Welten" bezeichnet werden (Kirsch, S. 108; Popper 1973, S. 174). Es gibt die Welt der physischen Erscheinungen, in der Handlungen wirksam werden, sie wird als Welt I bezeichnet. Es gibt dann eine Menge von Produkten menschlichen Geistes: Ideen, Symbole und die Sprache, die zum Teil die Welt I abbilden können, die aber auch losgelöst davon existieren können. Diese Welt der Symbole wird als Welt III bezeichnet. Daneben gibt es eine Vielzahl psychischer Phänomene und Prozesse, Gefühle, Erlebnisse, Motive, Ängste, die mit Erscheinungen der Welt I und/oder III in Beziehung stehen können. Die Welt der psychischen Erscheinungen wird als Welt II bezeichnet (Kirsch S. 109). Die Phänomene, die in diesen drei Welten vorkommen, sind zwar eigenständig, aber auf vielerlei Weise miteinander verbunden. Handlungen und physische Vorgänge können sowohl Denkvorgänge (Welt III) als auch Erlebnisse (Welt II) auslösen; dadurch kann bewirkt werden, daß bestimmte Denkinhalte mit bestimmten Gefühlen verknüpft werden (Kahle, S. 34). Modelle und Theorien betriebswirtschaftlicher Entscheidungsprobleme beziehen sich vor allem auf den Zusammenhang von Welt I und Welt III; dabei dürfen aber die Interdependenzen zur Welt II und die Erkenntnisse von Entscheidungen der Welten I und III nicht übersehen werden.

Übungsaufgaben: 1. Geben Sie an, welchen Anforderungen eine Theorie genügen muß. 2. Welcher der nachfolgenden Sätze kann keine Theorie sein? Begründen Sie Ihre Antwort. a) In Göttingen studieren mehr Studenten als in ganz Niedersachsen. b) Alle Aktiengesellschaften machen Gewinn. c) Matrix-Organisation ist effizienter als Sparten-Organisation. d) Gewinnmaximierung ist verwerflich. e) Es gibt keine Gewinnmaximierung. 3. Nennen und beschreiben Sie die verschiedenen Formen des Wissensfortschritts. 4. Was unterscheidet ein symbolisches von einem adoptiven Modell? 5. Stellen Sie eine Verbindung von Theorie und Modell her. Klären Sie, ob bestimmte Arten von Modellen dafür besonders in Frage kommen. 6. Charakterisieren Sie verschiedene Modelle nach ihrem Verwendungszweck. 7. Wann ist eine Entscheidungsaufgabe als vollständig formuliert anzusehen? 8. Wodurch ist ein Algorithmus gekennzeichnet? 9. Welche der nachfolgend aufgeführten bekannten betriebswirtschaftlichen Problemstellungen können typischer Weise als vollständig-formuliert, als wohl-definiert und als schlecht-definiert angesehen werden? Begründen Sie Ihre Zuordnung. a) Rundreiseprobleme (Auslieferung von Waren, Abholung von Material oder Personal). b) Maschinenbelegungsplanung c) Produktionsprogrammplanung

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Kapitel 1: Grundlagen d) Investitionsplanung (Planung von Investitionsprogrammen vollständiger Finanzpläne). e) Einführung neuer Produkte f ) Bestimmung des Werbebudgets g) Personaleinsatzplanung h) Führungsausbildung und -förderung i) Bestimmung von Führungsgrundsätzen k) Festlegung von Bestellstrategien 10. Wodurch sind Heuristiken gekennzeichnet?

auf der

Grundlage

Literatur: Albert, H.; Probleme der Theoriebildung, in: Albert, H. (Hrsg.), Theorie und Realität, Tübingen 1964, S. 3 ff. Albert, H.; Wertfreiheit als methodisches Prinzip, in: Topitzsch, E. (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften, 3. Auflage, Köln - Berlin 1966, S. 181 ff. Angermann, Α.; Entscheidungsmodelle, Frankfurt/M. 1963. Cassel, D.; Methodologische Systeme der Wirtschaftswissenschaft, Diss. Marburg 1968. Chmielewicz, K.; Forschungskonzeptionen der Wirtschaftswissenschaft, 2. Auflage, Stuttgart 1979. Dellmann, K.; Entscheidungsmodelle für die Serienfertigung, Opladen 1975. Gäfgen, G.; Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 3. Auflage, Tübingen 1974. Grunberg, E.; Notes on the Verifiability of Economic Laws, in: Albert, H. (Hrsg.), Theorie und Realität, Tübingen 1964, S. 137 ff. Kahle, E.; Betriebswirtschaftliches Problemlösungsverhalten, Wiesbaden 1973. Kirsch, W.; Organisatorische Führungssysteme, München 1976. Kirsch, W.; Die Handhabung von Entscheidungsproblemen, München 1978. Klein, K.H.; Heuristische Entscheidungsmodelle, Wiesbaden 1971. Kosiol, E.; Modellanalyse als Grundlage unternehmerischer Entscheidungen, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, NF 13, 1961, S. 318 ff. Kruschwitz, L.-Fischer, J.; Die Planung des Kapitalbudgets mit Hilfe von Kapitalnachfrage - und Kapitalangebotskurven, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Jg. 32 1980, S. 393 ff. Krycha, Th.; Analytische und heuristische Verfahren zur Planung des Produktionsablaufes, Diss. Göttingen 1969. Luhmann, N.; Macht, Stuttgart 1975. Popper, K. R.; Naturgesetze und theoretische Systeme, in: Albert, H. (Hrsg.) Theorie und Realität, Tübingen 1964, S.87ff. Popper, K.R.; Logik der Forschung, 3. Auflage, Tübingen 1969. Popper, K.R.; Objektive Erkenntnis - ein evolutionärer Entwurf, Hamburg 1973. Schanz, G.; Verhalten in Wirtschaftsorganisationen, München 1978. Schmidt, R.B.; Wirtschaftslehre der Unternehmung, Band 1, Grundlagen und Zielsetzung, 2. Auflage, Stuttgart 1976. Simon, H.A.; Perspektiven der Automation für Entscheider, Quickborn 1966. Szyperski, N.-Winand, U.; Entscheidungstheorie, Stuttgart 1974. Wittgenstein, L.; Tractatus logico - philosophicus, Frankfurt 1966.

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Kapitel 1: Grundlagen

1.3. Deskriptive und präskriptive Aufgaben einer betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie Eigenschaft einer Theorie ist es, daß sie in der Lage sein soll, Erscheinungen der Realität erklären zu können. Diese Eigenschaft darf aber nicht in dem Sinne einschränkend verstanden werden, daß es die alleinige Aufgabe einer Entscheidungstheorie sei, darzustellen, wie Entscheidungen von Individuen oder G r u p p e n Zustandekommen und daß eine betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie dabei nur die entsprechenden Wirtschaftseinheiten in ihren wirtschaftlichen Entscheidungen betrachtet. E i n e vollständige Theorie der betrieblichen Entscheidungen muß nicht nur die Entscheidungsprozesse beschreiben und erklären, die tatsächlich ablaufen, sondern auch diejenigen, die bei den gegebenen Bedingungen und Verhaltensweisen ablaufen könnten. I m Sinne einer reinen Wissenschaft ist zwar die Erkenntnis über den Istzustand der Realität interessant, aber ebenso auch die Erkenntnis über mögliche andere Zustände und über die Bedingungen ihres Eintretens. Damit werden auch Gestaltungsmöglichkeiten denkbar, d . h . in der „Welt III" entwickelt, aber auch realisierbar, d . h . für die Welt I möglich gemacht. Die Betriebswirtschaftslehre verfolgt neben dem theoretischen Wissenschaftsziel der Erkenntnis auch ein pragmatisches, das darin besteht, die betrieblichen Handlungsweisen u n d Entscheidungen in Hinblick auf die jeweils angestrebte Zielerreichung zu verbessern {Schmidt, S.23ff.). Betriebswirtschaftslehre und damit auch die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie sind angewandte Wissenschaften in dem Sinne, daß sie Empfehlungen über Änderungen des Istzustandes zur besseren Erreichung der von den Entscheidungsträgern angestrebten Ziele ausspricht. Diese Vorgehensweise wird als präskriptiv bezeichnet und ist deutlich von einer normativen Vorgehensweise zu trennen. Eine normative Theorie würde auch die anzustrebenden Ziele vorgeben und damit im Gegensatz zur formalen Rationalität einer präskriptiven Theorie eine substantielle Rationalität als objektive Rationalität postulieren. Die Ziele des Entscheidungsträgers können diesem von der Wissenschaft nicht vorgegeben werden. Das heißt nicht, daß die Entstehung, der Wandel und die Bedeutung von Zielen für betriebliche Entscheidungen nicht untersucht und dargestellt wird. Die Betrachtung der Ziele ist ein wesentliches Teilgebiet der Entscheidungstheorie. Z u m einen lassen sich, wie noch eingehend zu diskutieren sein wird, Ziele hierarchisch ordnen und damit Unterziele als Mittel für die Erreichung höherer Ziele einbeziehen. Z u m anderen lassen die Prozesse der Zielvariation sich nur bedingt von den Entscheidungsprozessen selbst trennen. U n d schließlich lassen sich von außerbetrieblichen u n d / o d e r außerwirtschaftlichen, ζ. B. gesellschaftlichen oder politischen Standpunkten aus die Konsequenzen bestimmter verfolgter Ziele aufzeigen ohne den wissenschaftlichen Anspruch auf theoretisch-angewandte Betrachtung zu verlassen. Gegenüber dieser präskriptiven Aufgabe ist in aktuellen Veröffentlichungen zur Entscheidungstheorie oder mit entscheidungstheoretischen Bezug eine verstärkte Betonung der deskriptiven Aufgabe der Entscheidungstheorie bzw. der Betriebswirtschaftslehre erkennbar (Kirsch 1978, S.Iii., Schanz, S. 11). Das ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß ein Teil der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie vor der Einbeziehung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse sehr realitätsfern war; so fern, d a ß er oft den Charakter einer Theorie verlor und nur noch aus Kalkülmodellen oder Theoriemodellen bestand. Diese Realitätsferne lag meistens in den angenommenen Randbedingungen, die sehr spezifisch festgelegt wurden, seltener in den Basissät-

Kapitel 1: Grundlagen

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zen. Mit dem Verlust der Erklärungsfähigkeit ging ein Verlust an Anwendbarkeit dieser Erklärungsmodelle für die Gestaltung brauchbarer Entscheidungsmodelle einher. Häufig bedurfte es zur Anwendbarmachung der Modelle eines langen Umsetzungsprozesses, bei dem die Modellaussagen bis zur Unkenntlichkeit modifiziert werden mußten oder bei aller Gültigkeit inhaltsleer waren. Die Erkenntnis begrenzter menschlicher Rationalität und Informationsverarbeitungskapazität und das Vorhandensein unterschiedlicher Bedürfnisse und Motive mit wechselnder Bedeutung für das menschliche Handeln je nach dem Grade ihrer Erfüllung und viele weitere Ergebnisse psychologischer, soziologischer und politologischer Forschungen auf behavioristischer Basis machten es erforderlich, daß die Entscheidungstheorie ihre Grundlagen überarbeiten mußte. Die Empfehlungen einer betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie müssen nicht nur objektiv richtig sein, sie müssen dem Adressaten der Empfehlung auch subjektiv möglich und eingängig sein, sonst ist die Empfehlung nicht wirksam und damit nicht sinnvoll. Um präskriptiv wirksam zu werden, bedarf es also realisierbarer Handlungsempfehlungen. Die Beschreibung tatsächlichen Verhaltens allein ist aber auch nicht präskriptiv und auch nicht sinnvoller als die Empfehlung unrealisierbarer Handlungsweisen. Die Beschreibung vorhandener Entscheidungsformen und ihrer Bedingungen ist Voraussetzung für eine präskriptive Entscheidungstheorie, nicht aber ihr Inhalt. Eine Beschränkung auf derartige deskriptive Aspekte und ihre Umsetzung in Empfehlungen würde zu Aussagen folgender Art führen: „Macht nur weiter so wie bisher", „Macht, was alle anderen tun"! oder „Macht, was euch gefällt!" Die damit verbundene Rationalität des Handelns würde keinen der bisher betrachteten Fälle von Rationalität (s.o. S. 1 lf.) ausmachen, sondern der Praxeologie entsprechen, die besagt, daß menschliches Handeln rational ist, weil es von Menschen betrieben wird (L. von Mises nach Gäfgen, S.28f.). Die Beschreibung des Entscheidungsverhaltens und seiner Bedingungen muß im Rahmen einer präskriptiv gedachten betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie demnach in der Weise vollständig sein, daß nicht nur ausgeübte, gewohnte Verhaltensweisen dargestellt werden, sondern andere innerhalb der Bedingungen mögliche. Die Entscheidungstheorie muß des weiteren die Modelle und Verfahren zur Entscheidungsfindung daraufhin untersuchen, ob und wo sie geeignet sind, in Entscheidungsprozessen zur Entlastung, Beschleunigung, Absicherung oder sonstigen Verbesserung des Entscheidungsverhaltens eingesetzt zu werden. Dabei sind sowohl Nutzen- als auch Kostenkriterien zur Messung der Verbesserung einzusetzen (Knolmeyer, S.60). Schließlich kann von ihr erwartet werden, daß sie Empfehlungen darüber abgibt, welche Verhaltensweisen — die typischer- oder untypischerweise vorkommen — in besonderem Maße oder in besonderer Weise die Rationalität des Entscheidungsprozesses behindern. Die Existenz von Beschränkungen der Rationalität bedeutet nicht einen Verzicht auf Streben nach Rationalität. Die Tatsache, daß die subjektiven Ziele des Entscheidungsträgers in der Regel seine Verhaltensweisen stärker beeinflussen als von außen an ihn herangetragene „objektive" Vernunftgründe, ändert weder etwas an der formalen Rationalität seines Verhaltens noch an seinem Streben nach geeigneteren Verhaltensweisen noch an der Aufgabe der Entscheidungstheorie, nach solchen Verhaltensweisen zu suchen. Eine Entscheidungstheorie, die sich darauf beschränken würde, nur die unvollkommenen Verhaltensweisen der einzelnen, individuellen oder kollektiven Entscheidungsträger zu beschreiben, verliert den Charakter einer angewandten Wissenschaft. Eine Entscheidungstheorie, deren Annahmen über menschliches Verhalten unrealistisch sind, ist keine Theorie.

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Kapitel 1: Grundlagen

Übungsaufgaben: 1. Nennen Sie die Aufgaben einer betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie. 2. Welcher der beiden nachfolgenden Sätze fällt in das Aufgabengebiet einer präskriptiven Entscheidungstheorie. a) „Die Unternehmung muß nach Gewinnmaximierung streben." b) „Eine nach Gewinnmaximierung strebende Einproduktunternehmung muß die Produktmenge herstellen, bei der die Grenzkosten dem Grenzerlös gleich sind." 3. Begründen Sie, warum die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie verhaltenswissenschaftliche Grundlagen benötigt.

Literatur: Gäfgen, G.; Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 3. Auflage, Tübingen 1974. Kirsch, W.; D i e Handhabung von Entscheidungsproblemen, München 1978. Knolmayer, G.; Zur Berücksichtigung mehrerer Zielsetzungen bei der Evaluation betriebswirtschaftlicher Entscheidungsmodelle, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 50. Jg. 1980, S. 5 9 f f . Schanz, G.; Verhalten in Wirtschaftsorganisationen, München 1978. Schmidt, R . B . ; Wirtschaftslehre der Unternehmung, Band 1, Grundlage und Zielsetzung, 2. Auflage, Stuttgart 1976.

1.4. Die Maßstäbe betrieblicher Entscheidungen Zum Begriff der Entscheidung als einem rationalen Wahlakt gehört als konstituierendes Merkmal das Vorhandensein von Ziel Vorstellungen beim Entscheidungsträger, ohne daß diese näher spezifiziert werden. Die Zielvorstellungen dienen als Ordnungsgesichtspunkte für die Konsequenzen, die sich aus den im Entscheidungsproblem enthaltenen Alternativen ergeben. Für dieses Merkmal einer Entscheidung werden verschiedene Begriffe verwendet, die unterschiedlichen Umfang haben und die in ihrer unterschiedlichen Reichweite Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Entscheidung und Zielsetzung aufweisen. Für die Maßstäbe, an Hand derer Entscheidungen getroffen werden, sind folgende Bezeichnungen üblich: • • • • • •

Zielvorstellungen (Heinen, S.29; Koch, S.404f.) Zielsetzung {Heinen, S.23) Zielsystem (Eichhorn, S.211 ff.; Gäfgen, S. 26; Hartfiel, S. 50, Heinen, S.24) Zielfunktion (Menges, S. 101 ff.) Zweck (Engels, S. 45; Luhmann, S. 36ff.) Motivation (Angermann, S.26; Thomae, S. 17, 23, 37)

Wenn die verschiedenen Begriffsfassungen nicht nur willkürlich differenziert sind, dann ist zu vermuten, daß in ihnen jeweils verschiedene Aspekte des Zielbegriffs in den Vordergrund rücken, wobei die übrigen Aspekte nur in den Hintergrund treten ohne aufgegeben zu werden. Die hauptsächlichsten Aspekte sind dabei die Operationalität und die Dimension der Ziele sowie die Bedeutung des Entscheidungsträgers im Beziehungszusammenhang Entscheidung, Situation und Entscheidungsträger bei der Entstehung und Veränderung von Zielen. Das bedeutet, daß bei impliziter Berücksichti-

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gung aller Aspekte und Betonung des einzelnen Schwerpunktes die Begriffsabgrenzung unbestimmt wäre und die darauf aufbauenden Aussagen inhaltsleer bleiben müßten. Deshalb soll hier eine hinsichtlich der genannten Aspekte möglichst neutrale Begriffsbestimmung vorgenommen werden, die unter den verschiedenen Verwendungen konstant bleibt und mit den anderen Definitionen weitgehend kompatibel ist. Als Zielvorstellung oder kürzer gefaßt, als Ziel, wird ein angestrebter Sachverhalt bezeichnet (Schmidt-Sudhoff, S. 16). Wird die Entscheidungsfindung im Wege einer Situationsanalyse betrieben, dann läßt sich das Ziel als Endsituation beschreiben. Die gegebene Ausgangssituation und die Endsituation sind durch eine Zahl unterscheidbarer Elemente gekennzeichnet; diese Elemente sind in ihrer Ausprägung der jeweiligen Situation zugeordnet. E s hängt von der W a h r n e h m u n g des Entscheidungsträgers ab, welche Elemente f ü r ihn die Situation charakterisieren. Damit ein Entscheidungsproblem vorliegt, muß die Endsituation von der Ausgangssituation in wenigstens einer Ausprägung eines Merkmals differieren. D a geordnete Mengen von Elementen als Systeme bezeichnet werden (Beer, S. 24), wird es als zweckmäßig angesehen, die Menge der Elemente der Endsituation als Zielsystem zu bezeichnen. Damit die Ausgangssituation zur Endsituation wird, müssen einige (wenigstens eine) Ausprägungen von Elementen verändert werden. Diejenigen Elemente, die von einer solchen Transformation betroffen sind, sollen als Zielvariable bezeichnet werden. Welche E l e m e n t e als Zielvariable angesehen werden, hängt davon ab, wie der Entscheidungsträger die erstrebte Endsituation sieht und welche Unterschiede zwischen den Elementen der Ausgangs- und der Endsituation für ihn fühlbar sind. Dabei können Fühlbarkeitsschwellen auftreten, die erst bei einer Überschreitung eines Mindestunterschieds diesen e r k e n n b a r werden lassen (Krelle, S. 12). Es können also nur die Elemente des Zielsystems zu Zielvariablen werden, die von der Entscheidung beeinflußt werden können; sie können als die entscheidungsrelevanten Elemente des Zielsystems bezeichnet werden (Kahle 1973, S. 53). E s ist zu betonen, daß der Begriff der Zielvariablen damit alle E l e m e n t e des intendierten Sachverhalts umfaßt, die bei der Transformation beeinflußt werden können; er ist damit weiter als die sonst übliche Verwendung von Zielvariablen. Die Zielvariablenbildung ist als Prozeß in der Welt II und III angesiedelt und Einflüssen der Invariantenbildung bei Wahrnehmung und Informationsverarbeitung unterworfen (Kahle 1973, S. 35), die nachfolgend zu berücksichtigen sind (s.u. S. 109ff.). Diese Einflüsse werden bei der Zielauswahl für Entscheidungsmodelle sichtbar. Die Auswahl von Zielvariablen aus den Elementen eines angestrebten Sachverhalts als entscheidungsrelevante Größen sagt noch nichts darüber aus, in welcher Weise sie mit dem Entscheidungsproblem in Beziehung treten sollen. Diese Beziehung wird bei einer realen Zielbestimmung im allgemeinen zugleich mit der Variablenauswahl festgelegt w e r d e n ; zur deutlicheren Herausarbeitung dieser Beziehung und zur Präzision der begrifflichen Grundlagen soll sie hier gesondert beschrieben werden. Es ist festzulegen, in welcher Weise sich die Elemente der Ausgangssituation als Zielvariablen in Elemente der Endsituation zu entwickeln haben. Diese Verhaltensvorgabe für die Zielvariablen soll Zielvorschrift genannt werden (Schwarze, S . 4 6 f f . ; Zschocke, S. 101/102). Sie drückt sich entweder in Form von Veränderungsrichtungen für die Zielvariable aus, deren A u s m a ß unbeschränkt ist, oder in der Angabe von Grenzen, die nicht überschritten werden sollen; als Sonderfall der Begrenzung kann die Vorgabe eines Festwertes angesehen werden, der gleichzeitig als O b e r - und als Untergrenze vorgegeben wird. Dieser Begriff der Zielvorschrift umfaßt damit sowohl den Bereich der Maximierungsund Minimierungsbestrebung als auch die Beschränkungen oder Nebenbedingungen,

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die man als Ziele mit fixiertem Erreichungsniveau bezeichnen kann. (Kahle 1973, S. 54; Meyhak, S. 115). Die begriffliche Trennung von Zielvariablen und Zielvorschrift, die zusammen die Zielfunktion ausmachen, erleichtert es, die Zielvorschriften für einzelne oder mehrere Zielvariable zu variieren, wenn das zweckmäßig erscheint, ohne die Zielvariable selbst zu verändern. Zur vollständigen und operationalen Festlegung einer Zielfunktion bedarf es neben Zielvariabler und Zielvorschrift noch des zeitlichen Bezugs für diese beiden Größen (Theiss, S. 11 f.). Unter der Voraussetzung, daß der Transformationsprozeß der Ausgangssituation in die Endsituation Zeit benötigt und daß dieser Zeitverbrauch sehr unterschiedlich sein kann, gehen von dem zeitlichen Bezug unterschiedliche Einflüsse auf die Zielfunktion aus. Der Zeitbezug hat in diesem Zusammenhang im wesentlichen zwei Aspekte, die in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur dadurch abgegrenzt werden, daß einerseits eine mögliche Veränderung der Situation über die Zeit untersucht wird und daß andererseits die Betrachtungsweise der Situation die Zeit in unterschiedlicher Weise berücksichtigt. Der erste Fall ist durch das Gegensatzpaar stationär - evolutorisch, der zweite durch die Begriffe Statik - komparative Statik - Dynamik geprägt (Ott, S.9ff.; Schams, S.50; Schneider, S.264ff.) (s.u. S.140 ff.). Eine Zielfunktion muß also Hinweise darauf enthalten, ob und in welcher Weise zeitliche Einflüsse aus dem Transformationsprozeß selbst (endogen) oder von außen her (exogen) auf Zielvariable und/oder Zielvorschrift wirken. Die möglichen Zusammenhänge sind in Abbildung 6 dargestellt (Kahle 1973, S.57). Sie werden in der Betriebswirtschaftslehre in sehr unterschiedlichem Umfang berücksichtigt. Zielvariable

I

mehrere

I

begrenzte Zielvorschrift

variable Zielvorschrift

ohne

keine variable Zielvorschrift endogen

eine variable Ziel Vorschrift exogen

mehrere variable Zielvorschriften • Ziel Vorstellungen

Zeitbezug Abb. 6

Schema der Kombinationsmöglichkeiten von Zielaspekten

Von den Kombinationsmöglichkeiten seien einige exemplarisch näher dargestellt: Ein häufig vorkommender Typ von Modellen ist der mit einer Zielvariablen, unbegrenzter Zielvorschrift und ohne Zeitbezug, wie er beispielsweise im Gewinnmaximierungsmodell der Preis- und Kostentheorie zu sehen ist. Der Gewinn als Zielvariable ist von der Entscheidungsgröße Produktmenge χ direkt über eine Gewinnfunktion G = f (x) abhängig. Alle Einflüsse, die von der Entscheidungsgröße χ ausgehen, werden entweder in die als bekannt vorausgesetzten Teilfunktionen von Umsatz

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U = U (χ) und Kosten Κ = Κ (χ) aggregiert oder als vernachlässigbar angesehen; die Erzielung des Gewinns kostet keine Zeit und ändert sich im Betrachtungszeitraum auch nicht. Für U (x) und Κ (χ) sind dabei verschiedene Kombinationen von Einflußgrößen und daraus resultierende Verläufe möglich. Diese Modelle sind keine Entscheidungsmodelle, da sie keine reale Entscheidung verbessern helfen und Erklärungsmodelle nur in der Hinsicht, daß sie erklären, in welcher Weise Optimierungsüberlegungen wirken, nicht aber darin, daß sie das Handeln von Betrieben erklären. Demgegenüber sind Modelle, die nur eine Zielvariable aufweisen und in denen die Zeit ein wesentlicher Bestandteil des Transformationsprozesses ist, für bestimmte Arten von Problemen als Entscheidungsmodelle anwendbar. Das gilt beispielsweise für die verschiedenen Verfahren der Netzplantechnik (Kompenhans, S.29ff.; Miller, S.42ff. ·, Rosenkranz, S. 124 ff.), bei denen die Zeit selber Zielvariable ist. Ein ausdrücklicher Zeitbezug findet sich auch bei Verfahren der Ablaufplanung (Dellmann, S.22; Kahle 1980, S. 158); dabei ist aber zu beachten, daß häufig mehrere Zielvariable bei diesem Problem auftauchen, was als „Dilemma der Ablaufplanung" (Gutenberg, S.216) bezeichnet wird. Diese Problemstellung leitet dann bereits zu den Fällen des Vorliegens mehrerer Zielvariabler unter Berücksichtigung der Zeit über. Eine weitere Art von Modellen, die eine Zielvariable unter Beachtung der Zeit untersuchen, sind die als „dynamisch bezeichneten Verfahren der Investititonsrechnung" {Lücke, S. 180). In ihnen werden die auf unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Daten über die Alternativen durch verschiedene Rechenverfahren vergleichbar gemacht (s.u. S.142). Die Modelle mit nur einer Zielvariablen können bei realen Entscheidungsproblemen nur begrenzte Wirkung haben, da sie die komplexen Zusammenhänge stark vereinfa? chen. Sie können aber Grundstrukturen möglicher Lösungen erkennbar machen. Bei Vorliegen mehrerer Zielvariabler, wovon in der Regel auszugehen ist, können verschiedene Beziehungen zwischen den Zielvariablen bestehen. Es lassen sich folgende fünf Grundbeziehungen unterscheiden, für die jeweils noch weitere Differenzierungen vorgenommen werden können: (Gäfgen, S. 122). • Zielidentität • Zielkomplementarität • Zielneutralität (Zielindifferenz) • Zielkonkurrenz • Zielantinomie Bei Zielidentität wird die gleiche Zielvariable durch verschiedene Worte ausgedrückt; sie ist für einen einzelnen Entscheidungsträger nur durch unklare Begriffsbildung erklärbar, bei mehreren Entscheidungsträgern wird sie unter Umständen durch unterschiedliche Begriffsbildungen zeitweilig nicht erkannt. Sie ist entscheidungstheoretisch unproblematisch. Auf der entgegengesetzten Seite des Spektrums liegt die Zielantinomie; hier schließt die Erreichung der einen Zielvariable die der anderen aus; beispielsweise Gewinn als Zielvariable Z , und Verlust als Zielvariable Z 2 . Für einen einzelnen Entscheidungsträger liegt hier ein logischer Widerspruch vor, wenn beide Zielvariablen mit der gleichen Zielvorschrift versehen werden; andererseits wäre wieder Zielidentität gegeben, wenn beide Zielvariablen mit gegenläufigen Zielvorschriften ausgestattet wären: Min Z 2 ! = Max Z , !

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Eine Zielantinomie zwischen verschiedenen Entscheidungsträgern ist zwar denkbar, schließt aber eine für beide erträgliche Lösung des Problems aus. Ein typischer Fall dafür liegt vor, wenn zwei Personen um eine Stelle konkurrieren, die nur einmal besetzt werden kann und sie selber darüber entscheiden sollen, wer sie bekommt. Eine Lösung ist nur durch eine Neu-Definition des Problems mit Erweiterung des Zielsystems denkbar, bei dem die Antinomie in Zieikonkurrenz überführt werden kann. Zielneutralität oder Zielindifferenz bedeutet, daß die Verbesserung der Zielerreichung der einen Zielvariable ohne Wirkung auf den Grad der Zielerfüllung der anderen Zielvariablen ist. Wenn das für den gesamten Entscheidungsraum, d. h. für alle vorhandenen Wahlmöglichkeiten gilt, dann liegt kein gemeinsames Entscheidungsproblem vor, sondern zwei oder mehr, die auf Grund mangelnder Unterscheidung nur zusammen formuliert wurden. Wenn beispielsweise von 16 Alternativen 5 den Erreichungsgrad einer Zielvariablen Z t , 4 den von Z 2 und 6 den von Z , jeweils ausschließlich beeinflussen, dann können die drei Entscheidungsprobleme jeweils für ihre Zielvariable allein gelöst werden. Unter diesem Aspekt lassen sich große Entscheidungsprobleme, d. h. solche mit vielen Alternativen und Zielvariablen auf eine handhabbare Größe reduzieren. Es ist jedoch zu beachten, daß die Zielbeziehungen über die Ausprägung von Alternativen veränderlich sein können. Zielkonkurrenz als eine der verbleibenden beiden typischen Zielbeziehungen liegt dann vor, wenn die Steigerung des Erfüllungsgrades einer Zielvariablen nur durch Senkung des ErfüUungsgrades einer anderen erreicht werden kann. Die Verbindung zwischen den Zielvariablen kann funktionsmäßig gegeben sein, z.B. wenn beim Autofahren die Zielvariablen hohe Geschwindigkeit und niedrige Kosten lauten und die Steigerung der Geschwindigkeit über steigenden Verbrauch von Treibstoff zu steigenden Kosten führt; sie kann aber auch durch gemeinsame Beschränkungen im Bestand der zur Realisierung von Alternativen benötigten Ressourcen bestehen, wenn beispielsweise mehrere Produktarten produziert werden und die Zielvariablen Umsatz und Gewinn maximiert werden sollen und die als konstant angesehenen Preise der Produkte eine andere Rangordnung haben (z.B. Pi > p 2 > p 3 ) als die Deckungsbeiträge (d B 3 > de2>d B 3 ); bei beschränkten Kapazitäten kann dann eine Umsatzmehrung nurdurch Gewinnverzicht oder umgekehrt Gewinnmehrung durch Umsatzverzicht bewirkt werden. Bei funktionsmäßiger Verknüpfung wird auch von funktionalen Interdependenzen und im anderen Fall von restriktiven Interdependenzen gesprochen {Lücke, S. 133) (s.u. S. 83ff., insbes. S. 85). Bei Zielkomplementarität trägt im Gegensatz zur Zielkonkurrenz die Steigerung des Erfüllungsgrades einer Zielvariablen auch zur Steigerung des Erfüllungsgrades einer anderen Zielvariablen bei. Das ist bei den Zielvariablen Gewinn und Umsatz bei konstanten Preisen und Stückkosten dann der Fall, wenn keine Kapazitätsbeschränkungen vorliegen. Die Zielbeziehungen Konkurrenz, Komplementarität und Indifferenz sind den Zielvariablen nicht unbegrenzt zu eigen; häufig sind stattdessen Wechsel der Zielbeziehungen zu finden. Die Ursache dafür liegt darin, daß die verschiedenen Zielvariable hinsichtlich ihres Erfüllungsgrades in unterschiedlicher Weise von den Alternativen abhängig sind. Das sei an den bereits genannten Zielvariablen Gewinn und Umsatz exemplarisch dargestellt: Im einfachen Ein-Produkt-Fall eines Monopolisten gilt typischerweise folgende Preis-Absatz-Funktion: p = a —bx. Daraus ergibt sich der Umsatz U = p x = ax - b x 2 . Im einfachsten Fall sei von variablen Stückkosten kv ausgegangen, die über

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die gesamte Produktion gleich bleiben. Außerdem gibt es noch Fixkosten Kf. Die Alternativen sind die verschiedenen Produktmengen x. Der Gewinn G ergibt sich aus Umsatz minus Kosten. G = U - Κ = ax - bx 2 - k v · χ - Kf. Beide Zielvariablen sind mit der Zielvorschrift Maximierung ausgestattet. Für die Zielbeziehungen ergibt sich folgende Situation, die in Abbildung 7 veranschaulicht ist: Für 0 < χ < χ omax Zielkomplementarität Für x Graax < χ < Xumax Zielkonkurrenz Für x U m a x < x Zielkomplementarität Bis zum Gewinnmaximum trägt Umsatzmehrung zur Gewinnmehrung bei (und vice versa), nach Überschreiten des Gewinnmaximums kann Umsatzmehrung nur durch Gewinnverzicht erreicht werden; jenseits des Umsatzmaximums bringt eine Reduzierung der Produktmenge wieder Gewinnmehrung und Umsatzmehrung zugleich.

Abb.7

D e r Wechsel von Zielkomplementarität und Zielkonkurrenz

Für den Fall des Konkurrenzmarktes, d.h. bei konstanten Produktpreisen läßt sich im Ein - Produkt - Fall ein ähnliches Bild mit ähnlicher Aussage bei intensitätsmäßiger Anpassung der Produktmenge (Kahle 1980, S.46) und der entsprechenden Kostenfunktion ableiten; es erfolgt aber nur ein Wechsel der Zielbeziehung, wie Abbildung 8 zeigt. Im Mehr—Produkt - Fall am Konkurrenzmarkt gelten'bei unbeschränkten Kapazitäten folgende Zielbeziehungen: Pi - k vi > 0 : Zielkomplementarität Pi - k v i = 0: Zielneutralität Ps — k vi < 0 : Zielkonkurrenz Im Falle des Monopolisten ist der Preis durch den Grenzumsatz zu ersetzen. Bei beschränkten Kapazitäten liegt hingegen Zielkomplementarität nur dann vor, wenn die Ordnung der Preise gleich der Ordnung der Deckungsbeiträge ist: Pi > P2 > P3 und ( P i - k v i ) > (p 2 - k v 2 ) > ( p 3 - k v 3 ) .

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U U Κ G

X Abb. 8

Der Umschlag von Zielkomplementarität in Zielkonkurrenz

Das wird im allgemeinen aber nicht der Fall sein, so daß hier in der Regel Zielkonkurrenz gegeben ist. Bei der exemplarischen Behandlung der Zielvariablen waren den verschiedenen Zielvariablen jeweils Extremierungsvorschriften als Zielvorschriften zugeordnet worden. Das ist aber nur einer von drei möglichen Fällen der Zuordnung von Zielvorschriften in einem mehrere Variable umfassenden Zielsystem. Es sind nach Abbildung 6 drei Möglichkeiten der Zuordnung zu betrachten: a) Alle Zielvariablen haben einen begrenzten Erreichungsgrad b) eine Zielvariable hat eine variable Zielvorschrift, alle anderen sind begrenzt; c) mehrere Zielvariable haben eine variable Zielvorschrift. Ein Zielsystem, das nur begrenzte Erreichungsgrade vorgibt, ist praktisch selten und auch für eine Lösung eines Entscheidungsproblems nur bedingt geeignet; dabei ist davon auszugehen, daß es sich bei den Begrenzungen um Ober- oder Untergrenzen und nicht um Festwerte handelt. Ein solches Zielsystem führt nur zufällig zu einer eindeutigen Lösung des Wahlproblems; es beschreibt im allgemeinen einen Lösungsraum der keine, eine oder viele Lösungen enthalten kann. Die Konstruktion eines solchen Zulässigkeitsraumes kann jedoch als Teil eines Entscheidungsprozesses zweckmäßig sein, weil hier die Verträglichkeit der Zielvorstellungen untereinander und mit der Situation des Entscheidungsträgers häufig besser festgestellt werden kann, da die Zahl der zu vergleichenden Elemente geringer ist (Komplexitätsreduzierung). Die mangelnde Eindeutigkeit der Lösung im Fall a) führt zu der weiten Verbreitung des Falls b), bei dem eine - besonders wichtige - Zielvariable mit unbegrenztem Erreichungsgrad versehen wird, alle anderen mit begrenzten Werten. Diese Vorgaben für Zielvariable können technisch bedingt sein, wie beispielsweise verfügbare Produktionskapazitäten und ihre Produktionskoeffizienten oder auf Wünschen des Entscheidungsträgers hinsichtlich der Gestaltung der Alternativen beruhen (Heinen, S.54f.). Sie werden häufig als Nebenbedingungen oder Restriktionen bezeichnet und die Zielvariable mit unbegrenzter Zielvorschrift wird als Zielfunktion angesehen (Bloech, S. 36, Dantzig, S. 40). Bei dieser Zuordnung von Zielvorschriften ist zu bedenken, daß die Wirkungsweise der begrenzten Zielvorschriften derart ist, daß erst alle Nebenbe-

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dingungen erfüllt sein müssen, bevor die - im allgemeinen wichtigste - unbegrenzte Zielvorschrift überhaupt wirksam werden kann. Eine sehr rigide Formulierung von Nebenbedingungen kann auf diese Weise die Erreichung der hauptsächlichen Zielvariablen beeinträchtigen oder verhindern; im letzteren Fall müßten die Nebenbedingungen gelockert werden. Eine solche Vorgehensweise führt zu den Zielsystemen, in denen mehrere oder alle Zielvariable mit unbegrenzten Zielvorschriften ausgestattet sind; sie behandelt die Veränderbarkeit der Zielvorschriften nur sukzessiv. Zielsysteme aus mehreren Zielvariablen mit unbegrenzter Zielvorschrift, die auch als „multivariable Zielfunktion im engeren Sinne" (Heinen, S. 54) bezeichnet werden, weisen das Problem der Zielgewichtung auf: Die Bedeutung der einzelnen Zielvariablen in ihrer jeweiligen Ausprägung muß innerhalb des Zielsystems festgelegt werden. Wenn nur eine Zielvariable mit unbegrenzter Zielvorschrift versehen ist, wird diese Bedeutung durch die Formulierung gleichrangiger Nebenbedingungen bestimmt. Bei der Zielgewichtung sind folgende Aspekte zu beachten: a) Die Zielvariablen weisen unterschiedliche Dimensionen auf; die Veränderung um eine Einheit in verschiedenen Dimensionen kann unterschiedliche Wirkung haben. b) Die Bedeutung der Zielvariablen kann mit dem Grad ihrer Erreichung (Ausprägung) variieren. c) Auch bei gleichen Dimensionen können Veränderungen unterschiedliche Bedeutung haben. d) Die Bedeutung von Zielvariablen kann im Zeitablauf veränderlich sein (evolutionär und/oder dynamisch) e) Die Ausprägungen von Ziel variablen können nur schwellen weise fühlbar sein. Die Aspekte seien exemplarisch verdeutlicht: Die Zielvariablen Eigenkapitalrentabilität in % und Gewinn in DM sind nach (a) nicht vergleichbar. Aber auch eine Veränderung des Marktanteils um 1 % und der Eigenkapitalrentabilität um 1 % haben unterschiedliche Bedeutung (c). Bis zur Erzielung einer bestimmten Liquiditätssituation, bei der Illiquidität vermieden wird, ist die Liquidität im allgemeinen wichtiger als alles andere, danach werden andere Ziele bedeutsamer (b). Die Vorstellungen über eine angemessene Rentabilität wachsen mit den erreichten Ergebnissen der Vergangenheit (d), Gewinn wird in ganzen Millionen DM gemessen, Marktanteil in V 4 % Unterschieden wahrgenommen. Diese verschiedenen Aspekte bestimmen das Aggregationsproblem, das zur Lösung der anstehenden Entscheidungsprobleme mit einem Kriterium vorweg gelöst werden muß. Es bedarf eines Systems von Prioritäts- und/oder Bewertungsregeln, a n h a n d derer die Ausprägungen in ein Gesamtkriterium eingehen. Die Vorgehensweise wird im Einzelnen unter den Verfahren des Multiple Criteria Decision Making ( M C D M ) S. 187ff. dargestellt und kritisch analysiert. Nachfolgend werden die a m häufigsten verwendeten einfacheren Ansätze kurz vorgestellt. Eine einfache Prioritätsregel besteht darin, die Zielvariablen ihrer Bedeutung nach zu ordnen und dann zuerst nur nach der wichtigsten Zielvariablen zu wählen (lexikographische Ordnung); erst wenn diese allein keine eindeutige Wahl erlaubt, wird die zweitwichtigste Zielvariable mit zur Auswahl herangezogen und so fort {Dinkelbach, S. 22). Diese Prioritätsregel vernachlässigt aber die Wirkungen von Aspekt (b) und (d); sie stellt (e) in den Vordergrund. Eine solche Vorgehensweise würde beispielsweise dazu führen, daß eine Alternative, die zu 1,01 Mill. DM Gewinn in einem Jahr führt, gegenüber einer mit 1,0 Mill. DM Gewinn vorgezogen würde, obwohl die erforderliche Kapazität für die zweite Alternative nur 70 % der ersten wäre und außerdem das mögli-

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che Verlustrisiko der ersten Alternative vielleicht 2 Mill. DM und das der zweiten nur 0,5 Mill. D M beträgt. Derartige reine Dominanzregeln sind bei Entscheidungsproblemen also nur bedingt brauchbar; für die Erfassung und Speicherung von Daten sind sie hingegen gut geeignet, weil sie ein sicheres und schnelles Wiederauffinden ermöglichen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die verschiedenen Zielvariablen zu gewichten und d a n n - im allgemeinen additiv, aber auch multiplikativ - zu verknüpfen (Dinkelbach, S. 23,159; Körte, S. 228). Dabei ist neben der Gewichtung auch die zahlenmäßige Ausprägung bedeutsam; ob beispielsweise negative Werte oder der Wert 0 für zulässig gehalten werden; der Wert 0 bei einer Zielvariablen führt einer multiplikativen Verk n ü p f u n g zu einem Gesamtwert 0. Negative Werte haben sowohl bei additiver als auch bei multiplikativer Verknüpfung problematische Ergebnisse zur Folge. Die Ansätze zur Lösung dieser Bewertungsproblematik werden in Abschnitt 2.5. näher behandelt (s.u. S. 72ff.). Ein weiterer spezieller Fall multivariabler Zielfunktion liegt vor, wenn im Zielsystem sowohl mehrere Zielvariable mit unbegrenzter Zielvorschrift als auch solche mit begrenzter Zielvorschrift existieren. Dieser Fall kann mit Hilfe eines oder mehrerer Lagrange'scher Multiplikatoren in Bezug auf die mit begrenzter Zielvorschriften versehenen Zielvariablen erfaßt und auf diese Weise mit Hilfe der Differentialrechnung ein Optimum für die mit unbegrenzter Zielvorschrift versehenen Zielvariablen bestimmt werden. (Zur Methode vgl.: Demaria, S.777f.; Henderson, S. 157f.; Samuelson, S.60ff.). Die Vorgehensweise ist wie folgt: Für zwei Zielvariable Z j und Z 2 bestehe die Vorschrift Z j —> Max! und Z 2 —> Max! Z ; und Z 2 sind Funktionswerte Zj(x) und Z 2 (x) in Abhängigkeit von der Entscheidungsgröße χ zugeordnet. Außerdem seien und Z 2 mit einer Zielvariablen Z 3 wie folgt verbunden Z j Η" 32 Z2 — Es wird folgende zu maximierende Funktion aufgebaut: Ζ = Ζ , (χ) + Z 2 (χ) - λ (Z 3 - a , Z, - a 2 Z 2 ) -» Max! In (Z 3 λ (Z 3 Wert

dieser Funktion ist λ = 0 wenn (Z 3 - aiZ1 - a 2 Z 2 > 0) und λ > 0 = wenn a , Z , - a 2 Z 2 = 0). Auf diese Weise ist gewährleistet, daß der Gesamtausdruck - a]Z] - a 2 Z 2 ) immer den Wert 0 annimmt und daher die Zielfunktion in ihrem nicht verändert.

Zur Ermittlung des Optimums wird Ζ nach Z 2 und Α partiell differenziert. Damit ist die notwendige Bedingung für ein Optimum gegeben. Die Prüfung der zweiten Ableitung ergibt dann die hinreichende Bedingung f ü r das Vorliegen eines Maximums. Wenn mehrere Zielvariable mit beschränkter Zielvorschrift vorliegen, führt die Auflösung des Systems der partiellen Ableitungen in die Nichtlineare Programmierung über (Fromm, S.60). Neben diesen formalen Dimensionen der Zielvariablen, die relativ allgemein analysiert werden können, sind noch die materiellen Ausprägungen typischer betrieblicher Zielsysteme zu betrachten. Ihre Ermittlung ist Aufgabe einer empirischen Zielforschung (Heinen, S. 30 ff.), die immer wieder von neuem ansetzen muß, da auf Grund der Evolution im betrieblichen Bereich und in seiner Umwelt die Dringlichkeit von Zielvariablen sich verändert und neue Zielvariable auftauchen können. Da es keine verbindlichen Ziele im Rahmen einer präskriptiven Entscheidungstheorie geben kann (s.o. S. 24), können die Ergebnisse der empirischen Zielforschung nur zu Befunden eines als

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typisch anzusehenden Verhaltens führen. Das ist für die Entscheidungstheorie deshalb wichtig, weil ihre Empfehlungen bei Unterstellung atypischer Ziele an der Realität vorbeigehen würden. Als wichtige Zielvariable haben sich ergeben (Heinen, S.38): • • • • • • • •

Gewinn Soziale Verantwortung gegenüber der Belegschaft Unabhängigkeit Marktanteil Sicherheit Wachstum Prestige Kundenpflege.

Je nach der betrieblichen Situation und den Erfahrungen und Vorstellungen der Entscheidungsträger werden weitere Zielvariable hinzutreten. Die Zielsetzungen des Entscheidungsträgers, die typischerweise multidimensional und multivariabel sind, unterliegen in besonderem Maße den subjektiven Einflüssen des Individuums; bei ihnen müssen daher die aus verhaltenswissenschaftlichen Untersuchungen bekannten Einschränkungen menschlicher Rationalität besonders berücksichtigt werden. Bevor diese Einschränkungen detailliert betrachtet werden, soll das an rationalem Verhalten orientierte Grundmodell der Entscheidungstheorie dargestellt werden.

Übungsaufgaben: 1. Eine Situation sei durch die Elemente e,, e2, e3, e4 und e5 in den Ausprägungen (4, 14, 10, 3, 7) beschrieben; d.h.ei = 4; e2 = 14 usw. Eine erwünschte Situation wird beschrieben durch (6, 12, 10, 3, 10). Welche der Elemente sind Zielvariable? 2. Ein Entscheidungsträger soll über die Wahl zwischen den Alternativen A L, A2, A3 und A 4 entscheiden, die Einfluß auf die Ausprägung des Elements e3 in Aufgabe 1 haben. Liegt hier ein rational zu lösendes Entscheidungsproblem vor? Begründen Sie Ihre Antwort. 3. Nennen Sie unterschiedliche Formen von Zielvorschriften. 4. Aus welchen Elementen besteht eine Zielfunktion? 5. Geben Sie ein Beispiel für eine monovariable dynamische Zielfunktion an. 6. Nennen und beschreiben Sie die verschiedenen möglichen Beziehungen zwischen Zielvariablen. 7. Welche Zielbeziehung liegt vor, wenn ein Entscheidungsträger erklärt: „Ich will keinen Profit, sondern nur etwas Gewinn"? 8. Ein Entscheidungsproblem soll von zwei Entscheidungsträgern gelöst werden. Für den einen ist die Vermeidung von Verlusten, für den anderen die Erzielung von Gewinnen wichtig. Welche Zielbeziehung liegt vor? 9. Wodurch kann ein Wechsel der Zielbeziehungen im Alternativenraum bedingt sein? Erläutern Sie Ihre Antwort an einem Beispiel. 10. Ein Betrieb hat sich folgende Ziele für 1981 gesetzt: Wenigstens 10 Millionen DM Umsatz; mindestens 5% Eigenkapitalrentabilität; höchstens zehn neue Mitarbeiter einstellen. Welche formalen Probleme wirft diese Zielsetzung auf?

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11. Ein Betrieb, der die Zielvariablen Kapazitätsnutzung, Umsatz, Kosten und Liquidität hat, formuliert folgendes Zielsystem für ein Jahr: Kapazitätsnutzung 90% Umsatz 20 Mill. DM Kassenbestand immer >100000 DM Kosten —*MinA Welche Probleme können für die Erreichung der Ziele auftreten? 12. Welche Probleme treten bei der Zusammenfassung und Gewichtung von Zielen auf? 13. Beschreiben Sie verschiedene Möglichkeiten zum Aufbau multivariabler Zielfunktionen.

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Kapitel 1: Grundlagen

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Ott, Α. E.; Einführung in die dynamische Wirtschaftstheorie, Göttingen 1963. Rosenkranz, F.; Netzwerktechnik und wirtschaftliche Anwendung, Meisenheim/Glan 1968. Samuelson, P . A . ; Foundations of Economic Analysis, Seventh Printing, Cambridge Massachusetts 1963. Schams, E.; Komparative Statik, in: Zeitschrift f ü r Nationalökonomie, Band 2, 1931, S.27ff. Schmidt-Sudhoff, U.; Unternehmerziele und unternehmerisches Zielsystem, Wiesbaden 1967. Schneider, E.; Einführung in die Wirtschaftstheorie, Band II, 13. Auflage, Tübingen 1972. Schwarze, J.; Stochastische Ansätze in der Theorie der Unternehmung, Diss. Göttingen 1967. Theiss, H.; Zur Bildung und Variation des Zielausmaßes der Unternehmung, Ein Beitrag zur Theorie der Unternehmerziele, Diss. München 1969. Thomae, H.; Einführung, in: Thomae, H. (Hrsg.), Die Motivation menschlichen Handelns, 3. Auflage, Köln - Berlin 1966, S. 13ff. Zschocke, D.; Die Behandlung von Entscheidungsproblemen mit Hilfe des dynamischen Programmierens, in: Unternehmensforschung, Band 8, 1964, S. 101 ff.

Kapitel 2: Das entscheidungstheoretische Grundmodell 2.1. Der Modellrahmen Die verschiedenen Möglichkeiten der Abbildung der Realität in Modellen und ihrer theoretischen Durchdringung (s.o. S. 16ff.) haben bei der Analyse betrieblicher Entscheidungen ihren Niederschlag in einem Grundmodell gefunden, das die Struktur von betrieblichen Entscheidungen ausdrückt und das für die Berücksichtigung der verschiedenen Aspekte dieser Entscheidungen zu modifizieren ist. Diese Modifikationen beziehen sich vor allem auf die Begrenztheit der Rationalität mit ihren verschiedenen Ursachen und Wirkungen, auf die Unsicherheit der Daten und ihre Erfassung sowie auf die Veränderungen der Daten im Zeitablauf. Ausgehend von den konstitutiven Elementen einer Entscheidung ist das Grundmodell durch folgende Darstellung zu beschreiben „(1) Der Entscheidungsträger hat eine Zielvorstellung. (2) E r verfügt über verschiedene Alternativen, mit denen er auf seine Umwelt einwirken kann. Die Alternativen schließen einander aus. (3) Zwischen den Handlungsalternativen und den Umweltveränderungen bestehen bestimmte Zusammenhänge. (4) Die Konsequenzen (Umweltveränderungen) können anhand der Zielvorstellung in eine relativ vollständige Ordnungsrelation gebracht werden. (5) Der Entscheidungsträger ist in der Lage, diese Ordnungsrelation aufzustellen und alle verfügbaren Alternativen zu prüfen." {Kahle, S. 23/24). Die Inhalte dieser Modellbeschreibung lassen erkennen, daß es sich um ein geschlossenes Modell formaler und objektiver Rationalität handelt. Die Formalität der Rationalität resultiert aus der Unbestimmtheit der Zielvorstellungen; die verschiedenen Ausprägungen von Zielvorstellungen wurden bereits behandelt (s. o. S. 28 ff.). Die Objektivität besteht darin, daß die objektiven Inhalte der Sätze (2), (3) und (4) auf den Entscheidungsträger übertragen werden. Bevor im Abschnitt 3 (s.u. S. 83 ff.) auf die Problematik dieser Übertragung näher einzugehen ist, sind die Inhalte dieser objektiven Bedingungen des Grundmodells näher zu betrachten. Als ein wesentlicher Aspekt des Grundmodells, der in den Elementen nicht ohne weiteres erkennbar ist, muß dabei die Prozeßhaftigkeit der Entscheidung gesehen werden. Der Entscheidungsprozeß besteht aus verschiedenen Phasen, in denen die Elemente in unterschiedlicher Weise wirksam und bedeutsam werden. Der Prozeß der Entscheidung und seine Phasen sind daher voranzustellen. Die Beschreibung und Untersuchung konkreter Alternativen von bestimmten betrieblichen Entscheidungsproblemen ist nicht die Aufgabe der Entscheidungstheorie, sondern der jeweiligen betriebswirtschaftlichen Fachgebiete. Die Entscheidungstheorie muß sich jedoch mit den Erscheinungsformen von Alternativen, mit ihren Erfassungsmöglichkeiten für die Modellformulierung und Problemlösung und mit den Zusammenhängen von Alternativenbeschreibung und Problemlösung auseinandersetzen. So sind die Entscheidungsmodelle beispielsweise danach zu unterscheiden, ob die Elemente der Alternativen diskret oder stetig definiert sind. Bei diskreter Formulierung

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Kapitel 2: Das Grundmodell

steht oft nur eine eng begrenzte Zahl von Alternativen zur Verfügung, während bei Vorliegen stetiger G r ö ß e n unendlich viele Ausprägungen existieren, die im allgemeinen durch eine Funktion ausgedrückt werden. Ein anderes bedeutsames Problem der Alternativenbeschreibung ist die Zahl der Dimensionen, in denen die Beschreibung erfolgt und ein weiteres die Berücksichtigung von Bedingungen für das Eintreten bestimmter Ereignisse. Ein besonderes Problem wirft dann die Beziehung zwischen den Alternativen und d e m Entscheidungsträger auf, die durch den Begriff Informationsgewinnung und -Verarbeitung zu charakterisieren ist. Die Berücksichtigung unterschiedlichen Informationsstandes geht zwar ü b e r den Ansatz im geschlossenen Modell hinaus, sie ist aber f ü r die Darstellung von Entscheidungsprozessen unabdingbar. Unter Informationen wird dabei zweckorientiertes Wissen verstanden (Wittmann, S. 14); dieses Wissen kann sich auf die Alternativen, aber auch auf die Ziele, auf die Bewertungsregeln, auf Darstellungsverfahren und auf die Informationsgewinnung und -Verarbeitung selbst beziehen. D e r Informationsstand kann durch den Informationsgrad ausgedrückt werden, der sich ergibt aus: vorhandene Information . T r = Intormationsgrad notwendige Information D i e Unvollkommenheit der Information kann unterschiedliche Ursachen haben («

Oi

— u->

&

— -Ι-

οί — ci 04 — Max! a u Xi + a 1 2 x 2 + . . . + a l n x „ g b, a 2i x, + a 2 2 x 2 + . . . + a 2 n xn g b 2 a

ml X1 + am2 x 2 + • · · +

*i, X2, . . . , x n

^ 0

Die Variablen X; werden auch als Aktivitäten bezeichnet, deren Durchführung den Verbrauch der Bestandsgrößen bj in Höhe von a^ beansprucht. Die abschließende

94

Kapitel 3: Beschränkungen

Nichtnegativitätsbedingung für alle Xj besagt, daß keine Aktivität negative Werte annehmen darf, es würde sonst beispielsweise als optimal empfohlen, um von einem gewinnträchtigen Gut mehr produzieren zu können, von einem weniger gewinnträchtigen negative Mengen zu erzeugen, was unsinnig wäre. Das wichtigste Verfahren zur Lösung eines Linearen Programms ist die Simplex-Methode. Ihre Darstellung ist den entsprechenden Lehrbüchern zu entnehmen (Haupt-Lohse, S. 121 ff.; Miiller-Merbach, S. 88 ff.). Für die Lösung von realistischen Entscheidungsproblemen ist der Einsatz von EDV-Anlagen unerläßlich, für die Standardprogramme existieren. Die anderen aufgeführten Formen der Mathematischen Programmierung heben entweder die Linearität der Beziehungen zwischen den Variablen auf (Nichtlineare Programmierung) oder die Unabhängigkeit der Variablen (Dynamische Programmierung) oder die Bestimmtheit der Koeffizienten und/oder Bestandsgrößen (Stochastische Programmierung). Die Lösbarkeit bei diesen Formen der Programmierung ist zum Teil auf bestimmte Modellstrukturen beschränkt. Die hervorzuhebende Eigenschaft des Mathematischen Programmierens ist die Festlegung von deutlichen Beziehungen zwischen vielen Variablen, die durch den „Gleichungssystem"-Ansatz dann simultan berücksichtigt werden können. Die Verbindung der verschiedenen Beziehungen geschieht im Lösungsverfahren. Diesem Ansatz entgegengesetzt ist eine andere, in den Wirtschaftswissenschaften verbreitete Methode, die Differentialrechnung, die auch Marginalanalyse genannt wird (Müller, S. 123). Der Normalfall der Marginalanalyse geht davon aus, daß alle Beziehungen der Variablen untereinander in einer Funktion ausgedrückt werden können. Der Spezialfall, bei dem dann zusätzliche Beschränkungen berücksichtigt werden, wird nachfolgend behandelt. Um die verschiedenen Einflußgrößen in den Beziehungen der Variablen, die beim Mathematischen Programmieren durch das Nebeneinander verschiedener „Gleichungen" dargestellt wurden, in einer Funktion ausdrücken zu können, müssen nichtlineare Funktionen verwendet werden. Für die Beziehung zwischen einer abhängigen Größe y und einer unabhängigen Größe χ kann in allgemeiner Weise geschrieben werden y = ax" + bx"" 1 + . . .+ zx°. Hierin sind η ganzzahlige oder auch nicht-ganzzahlige Potenzen und a, b , . . ., ζ Koeffizienten, die durch Modellprämissen oder empirische Befunde festgesetzt werden müssen. Wenn beispielsweise die Beziehung von Gewinn G und Produktmenge χ durch folgende Modellprämissen beschrieben wird: Gewinn G = Umsatz U - Kosten Κ Umsatz = Preis ρ • Menge χ Preis ρ = a - b x (lineare Preis-Absatz-Funktion eines Monopolisten) Kosten = c + d χ (c = Fixkosten; d = variable Kosten pro Stück) Dann gilt G = (a - bx) χ - (c + dx) = -bx2 + (a-d) x-c. Das Optimum — im Beispiel ein Maximum - wird durch Differentiation nach der oder den unabhängigen Variablen ermittelt. Dabei können sich mehrere Optima ergeben. Die Optimumbestimmung wird schwierig und in ihrer Aussage auch problematisch, wenn mehrere Variable in der Funktion interdependent berücksichtigt werden sollen. Wenn beispielsweise die Größe y von zwei unabhängigen Größen X! und x 2 in folgender Weise abhängt:: y = a x j — bx, x 2 + cx 2 , dann ergibt die Differentiation nach x t

Kapitel 3: Beschränkungen

dxj

95

= 2ax, — bx 2

und nach x2 dx 2

= 2CX2 —

BX!.

Ein Optimum existiert nur, wenn gilt 2 axj — bx 2 = 0 und 2 cx 2 — bx, = 0 . Das Hauptproblem dieses Lösungsverfahrens und damit auch der Modelle, bei denen es eingesetzt werden kann, ist die Voraussetzung der Stetigkeit und Differenzierbarkeit der Funktion über den gesamten Wertebereich der Variablen. Bei einer großen Zahl von Einflußgrößen zwischen den Variablen wird es auch schwierig sein, diese in einer Funktion angemessen auszudrücken. Wenn jedoch einige Einflußgrößen dominant sind, dann ist dieses Verfahren bei der Berücksichtigung nicht-linearer Beziehungen umfassender in seinen Anwendungsmöglichkeiten als die Verfahren der Nichtlinearen Programmierung. Eine mögliche Verbindung zwischen beiden Verfahren stellt die Methode der Lagrange-MuItipIikatoren (Demaria, S. 777ff.;Everett, S. 399ff.; Churchmann-ArnoffAckoff, S. 242 f.) dar, bei der die marginalanalytische Maximierung bzw. Minimierung einer nicht-linearen Funktion unter einer linearen Nebenbedingung erfolgt. Das sei an einem Beispiel für zwei Variable dargestellt: Die Stückkostenfunktionen für zwei Produkte, deren Produktionsmengen mit x, und x 2 festgelegt werden sollen, lauten: kX] =

^ χ, — 5x, + 40

kx2 = ^ x ! - 3 x

2

+ 37.

Für die Produktion wird ein Material benötigt von dem nur 100 kg zur Verfügung stehen; Produkt 1 verbraucht 4 kg pro Stück und Produkt 2 benötigt 5 kg pro Stück. Es gilt also folgende Beschränkung 4 X] + 5 x 2 < 100. Es wird nun ein Faktor λ definiert, der folgende Werte annimmt: 1 = 0, wenn 4 Xj + 5 x 2 < 100 λ > 0, wenn 4 x, + 5 x 2 = 100. Die Kostenfunktion des Betriebes lautet unter Vernachlässigung von Fixkosten Κ = ~ xj - 5x, + ^ xj - 3x 2 + 77. An diese Kostenfunktion kann die Beschränkung in Gleichungsform multipliziert mit A substraktiv angehängt werden, ohne den Wert der Kostenfunktion zu verändern: Κ = - xf - 5x, + 4 - x | - 3x 2 + 77 - 1(100 - 4x, - 5x 2 )

96

Kapitel 3: Beschränkungen

Entweder ist λ = 0 oder der Wert in der Klammer nimmt diesen Wert an. Die Lösung erfolgt durch Differentiation nach x,, x2 undA. Es ergeben sich die Optimumbedingungen | Xj - 5 + 4λ

= 0

und

- X 2 - 3 + 5A =0. 6 100 — 4x! — 5X2 = 0 Es muß nun ein Wert für λ durch Probieren gefunden werden, der eine Lösung für alle Bedingungen darstellt. In diesem Fall ergibt sich λ = 0,165. Die Mengen betragen dann x, = 8,68 und x 2 = 13,05. Es zeigt sich, daß Produkt 2 erheblich zu reduzieren ist, während Produkt 1 nur wenig einbüßt, λ selbst gibt an, um wieviel die Kosten gesenkt werden können, wenn die Beschränkung um eine Einheit erhöht wird. Wenn mehrere Beschränkungen eingeführt werden, ist eine Lösung nur noch mit Hilfe der Nichtlinearen Programmierung möglich. Die verschiedenen Verfahren seien hinsichtlich der Linearität und der Berücksichtigung von Beschränkungen in Abbildung 29 schematisch eingeordnet. linear

nicht linear

ohne Beschränkung

Break-even-Analyse

Marginalanalyse

eine Beschränkung

optimale Geltungszahl

LagrangeMultiplikatoren

mehrere Beschränkungen

LP

NLP

Abb. 29 Schema der Beziehungen linearer und nichtlinearer Modelle mit und ohne Beschränkungen

Aus Abbildung 29 wird ersichtlich, daß es innerhalb eines Problemfeldes je nach der Ausprägung der Problemstruktur sinnvoll sein kann, unterschiedliche Lösungsverfahren für inhaltlich artverwandte Probleme einzusetzen. Im Bereich der Planung des Produktionsprogramms war lange Zeit, ausgehend von preispolitischen Überlegungen die marginalanalytische Betrachtung und Modellbildung vorherrschend (Gutenberg, S. 186-320). Andererseits hat bereits seit 1930 Schmalenbach das Problem von der Kapazitätsseite her über die relativen Deckungsbeiträge zu lösen versucht (Schmalenbach, S. 150ff.). Entscheidungskriterium war ohne Vorliegen einer Beschränkung der Grenzkostensatz, mit einer Beschränkung der Grenzpreissatz; beide Sätze zusammen bildeten den Betriebssatz. Für die Behandlung mehrerer Beschränkungen fehlten damals die mathematischen Lösungsverfahren, die uns heute zur Verfügung stehen. Die Einordnung differenzierter Vorgehensweisen in diesem Problemfeld ist in Abbildung 30 aufgeführt, wobei unterschiedliche marktliche Bedingungen berücksichtigt werden (Kilger, S. 80). Ähnliche Zusammenhänge zwischen der Entwicklung geeigneter Lösungsverfahren und der Wahl bestimmter Modellstrukturen zur Abbildung von Entscheidungsproble-

97

Kapitel 3: Beschränkungen

^ ^ ^ ^ Abgrenzung des Entscheidungsfeldes

Anzahl Engpässe Kein Engpaß

Ein Engpaß

Mehrere Engpässe

Gegebene Absatzmengen bei konstantem Einsatz des absatzpolitischen Instrumentariums

Steuerung mit Hilfe minimaler Grenzkosten

Steuerung mit Hilfe von Verfahrensabweichungen pro Einheit der Engpaßbelastung

Steuerung mit Hilfe simultaner Kostenminimierungsansätze

Gegebene Absatzhöchstmengen bei konstantem Einsatz des absatzpolitischen Instrumentariums

Steuerung mit Hilfe von Grenzgewinnen pro Produkteinheit

Steuerung mit Hilfe von Grenzgewinnen pro Einheit der Engpaßbelastung

Steuerung mit Hilfe simultaner Gewinnmaximierungsansätze

Gegebene Preisabsatzund Werbewirkungsfunktionen

Steuerung mit Hilfe von Grenzgewinnen pro Produkteinheit

Steuerung mit Hilfe von Grenzgewinnen pro Einheit der Engpaßbelastung

Steuerung mit Hilfe simultaner Gewinnmaximierungsansätze

Abb. 30

Überblick über die Entscheidungskriterien und -modelle der kurzfristigen Produktionsund Absatzplanung

m e n ließen sich, w e n n auch nicht so deutlich wie im V e r h ä l t n i s von M a t h e m a t i s c h e r P r o g r a m m i e r u n g u n d M a r g i n a l a n a l y s e , a u c h bei a n d e r e n V e r f a h r e n a u f z e i g e n .

Übungsaufgaben: 1. Ein Problem läßt sich nur teilweise quantitativ abbilden; wesentliche Teile lassen sich nur verbal beschreiben. Welche Möglichkeiten gibt es? 2. Welche Beiträge können mathematische Modelle bei betriebswirtschaftlichen Problemen bieten? 3. Welche Fehler können bei der A ufStellung und Lösung eines mathematisch formulierten Modells auftreten? 4. Beschreiben Sie die Vorteile und Probleme einer problemorientierten und einer modellorientierten Vorgehensweise bei einer Problemlösung mit mathematischen Modellen. 5. Zeigen Sie den Zusammenhang von Modellstruktur und Lösungsverfahren an einem Beispiel der Anwendung der Differentialrechnung und der Linearen Programmierung auf inhaltliche verwandte Probleme.

Literatur: Angermann, Α.; Betriebsführung und Operations Research, Frankfurt 1963. Churchmann, C.W. - Ackoff, R.L. - Arnoff, E. L.; Operations Research (Deutsche Übersetzung), Wien 1961. Demaria, G.; On the Optimum Scale of Public Services According to the Method of the Lagrange

98

Kapitel 3: Beschränkungen

Multipliers, in: Bagiotti, T. (Hrsg.), Essays in Honour of Marco Fanno, vol. II, Investigations in Economic Theory and Methodology, Padova 1966, S. 7 7 7 ff. Everett III, H.; Generalized Lagrange Multiplier Method for Solving Problems of Optimum Allocation of Resources, in: Operations Research, vol. 11, 1963, S. 3 9 9 f f . Gutenberg, E.; Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Band 2, Der Absatz, 15. Auflage Berlin - Heidelberg - N e w York 1976. Haupt, P. - Lohse, D.; Grundlagen und Anwendung der Linearen Optimierung, Essen 1975. Heckhausen, H.; Motivation der Ausspruchsniveausetzung, in: Thomae, H., D i e Motivation menschlichen Handelns, Berlin 1965, S. 231 ff. Kilger, W.; Optimale Produktions- und Absatzplanung, Opladen 1973. Kirsch, W.; Die Handhabung von Entscheidungsproblemen, München 1978. Kosiol, E.; Modellanalyse als Grundlage unternehmerischer Entscheidungen, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, Neue Folge Jg. 13, 1961, S. 3 1 8 f f . Müller, J. H.; Marginalanalyse, in: von Beckerath, E. u. a. (Hrsg.) Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 7. Band, Stuttgart - Tübingen - Göttingen 1961, S. 1 2 I f f . Müller-Merbach, H.; Operations Research, 2. Auflage München 1971. Peters, S.; Mathematische Verfahren als Hilfsmittel der Organisation, in: Linnert, P. (Hrsg.), Handbuch Organisation, Gernsbach 1975, S. 525 ff. Schmalenbach, E.; Kostenrechnung und Preispolitik, 8. Auflage Köln - Opladen 1963.

3.3. Verhaltenswissenschaftlich begründete Einschränkungen des Grundmodells Als konstitutives Element der betrieblichen Entscheidung wurde die Rationalität des Wahlaktes vorausgesetzt (s.o.S.lOf.). Dabei war diese Rationalität auf die Mittelentscheidung bezogen, d. h. auf die Wahl einer Alternative für die Erreichung eines Ziels, nicht aber auf die Entscheidung über das Ziel, die in einer betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie nur als Datum angesehen werden kann. Die Betrachtung der verschiedenen Bewertungsmöglichkeiten und abgestuften Ordnungsrelationen (s.o. S. 73ff.) hat ergeben, daß die im Grundmodell implizierte objektive formale Rationalität auf Schwierigkeiten in der Abbildung in einer konsistenten und transitiven Ordnung stößt. Ein wesentlicher, empirisch beobachtbarer Faktor sind in diesem Zusammenhang Fühlbarkeitsschwellen, die für verschiedene Wahrnehmungssinne gesetzmäßig fixiert sind (Hofstätter, S. 237f.). Dabei wird unterschieden zwischen der absoluten Schwelle, die den Punkt angibt, an dem überhaupt eine Empfindung ausgelöst wird und der Unterschiedsschwelle, die die Unterschiede von Reizen bemerken läßt. Letztere ist hier von Bedeutung. Entsprechende Schwellenwerte, die bei der Alternativenbewertung wirksam werden, lassen sich auch für die Verarbeitung der Wahrnehmung im Denkprozeß nachweisen (Kahle 1973, S. 30ff.). Die Wahrnehmungen und dementsprechend die Konsequenzen von Alternativen werden klassifiziert und in einer Klasse, der sie einmal zugeordnet wurden, festgehalten. Über diese Schwierigkeiten der Ableitung von Ordnungsbeziehungen bei unterstellter Rationalität hinaus tritt als zweites Problem auf, daß die auf Grund der Rationalitätshypothese abgeleiteten Verhaltensweisen und das tatsächliche Unternehmerver-

Kapitel 3: Beschränkungen

99

halten nicht das Maß an Ubereinstimmung aufweisen, das erforderlich ist, um die Hypothese akzeptieren zu können. Das Fehlen dieser Übereinstimmung läßt darauf schließen, daß die vollständige Ordnung aller Alternativen nicht als Prämisse unternehmerischer Rationalität angesehen werden kann (Heinen, S. 83). Andererseits ist daraus nicht zu schließen, daß der Entscheidungsträger irrational handele (Albach, S. 125). Rationalität drückt sich nur nicht so theoretisch vollkommen aus. Dieses unvollkommen realisierte (und vielleicht auch unvollkommen angestrebte) Rationalverhalten wird „intendedly rational" (Simon, 1957, S. 196) oder Prinzip der begrenzten Rationalität (Simon, 1957, S. 198) genannt. Die Aufgabe der Prämisse vollständiger Rationalität zugunsten einer begrenzten Rationalität steht in enger Wechselwirkung mit der Berücksichtigung der eingeschränkten Informationsverarbeitungskapazität des Menschen (s. o.S. 63). Es kann unterstellt werden, daß der Entscheidungsträger weder in der Lage ist, alle Informationen, die zur Lösung des Entscheidungsproblems erforderlich sind, zu beschaffen noch sie im Rahmen der Alternativenbeschreibung und -bewertung zu verarbeiten. Da andererseits nicht davon ausgegangen werden kann, daß der Entscheidungsträger irrational handeln will, muß für eine realistische Entscheidungstheorie untersucht werden, in welcher Weise Entscheidungsträger mit der Unvollkommenheit ihrer Information und ihrer Rationalität fertig werden. Es ist demnach nachzuvollziehen, welche Arten von Modellen betriebswirtschaftliche Entscheidungsträger verwenden, welche Erwartungen sie bezüglich der Alternativen und Konsequenzen entwickeln und mit welchen Präferenzregeln sie ihre Vorstellungen ordnen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die Ausbildung von Entscheidungsträgern diese in denotativer und konnotativer Hinsicht beeinflußt, d.h. daß die Auseinandersetzung mit bestimmten Entscheidungstechniken und/oder betriebswirtschaftlichen Fragestellungen die Fähigkeit des Entscheidungsträgers zur Problemlösung und seine Einstellung zu den Problemen verändert. Ein Ansatz zur Konstruktion eines solchen Verhaltensmodells besteht in der Hypothese, daß der Entscheidungsträger hinsichtlich der Zielerfüllung ein Anspruchsniveau festlegt und daß er Alternativen suche, die dieses Anspruchsniveau erfüllen (Simon, 1955, S. 103 ff.). Diese Hypothese, daß der Unternehmer nur nach Befriedigung seiner Ansprüche strebe, ist teilweise abgelehnt worden (Gutenberg, S. 4), andererseits ist sie zu einem Erklärungsmodell betriebswirtschaftlichen Entscheidungsverhaltens weiterentwickelt worden. Die Grundvoraussetzung ist dabei, daß neben dem Begriff des Anspruchsniveaus (Hoppe, S. Iff.) auch die Erkenntnisse über deren Bildung und Veränderung aus der Psychologie (Dembo, S. Iff.; Lewin et alii, S. 333ff.) in die Betriebswirtschaftslehre übertragen werden. Diese Erkenntnisse sind um organisationstheoretische und informationstheoretische Ansätze zu erweitern, um ein betriebswirtschaftliches Handlungsmodell aufzubauen. Das Anspruchsniveau stellt eine aktuelle Ausprägung einer Zielvariablen, das Aktionsziel in einer bestimmten Situation dar, die sich auf Grund von Erfahrungen über die bisherige Zielerreichung ergibt (Frank, S. 119). Die Zielstruktur, innerhalb derer das Anspruchsniveau angesiedelt ist, reicht von einem Idealziel - bei einfachen Aufgaben mit nur einer Zielvariablen meistens eine Maximallösung - bis zu einem Niveau, das auch unter widrigsten Umständen durchsetzbar ist (Lewin etalii, S. 335); dieses Minimalniveau kann sich in Verzicht auf Leistung ausdrücken (Hoppe, S. 10). Das Aktionsziel liegt zwischen den beiden Extremen, sein Platz wird durch die vorherige Durchführung und die Erwartungsbildungsregeln bestimmt.

100

Kapitel 3: Beschränkungen

Zwischen Idealziel, vorheriger Durchführung, erwarteter Durchführung, Aktionsziel und neuer Durchführung bestehen Abweichungen oder Diskrepanzen; bei dem fiktiven homo oeconomicus existieren solche Abweichungen nicht. Wenn die neue Durchführung mindestens das Aktionsziel erreicht oder es überschreitet, werden Erfolgsgefühle ausgelöst, im anderen Fall Mißerfolgsgefühle. Diese Gefühle führen zu Korrekturen der Anspruchsniveausetzung, die in Zielbildungsregeln erfaßt werden können. Dabei sind unterschiedliche Grundhaltungen gegenüber Erfolg und Mißerfolg zu unterscheiden: • Realanpassung (man will das Ziel realistisch schätzen) • Streben nach Leistung (man erstrebt eine hohe Leistung) • Mißerfolgsmeidung (man gibt das Ziel so an oder setzt es so, daß möglichst keine Mißerfolge eintreten können) {Heckhausen, S. 234f.). Zur Erklärung des Zustandekommens der Anspruchsniveauverschiebung wurde der Begriff der Valenz eingeführt (Lewin et alii, S. 360), der die psychische Anziehungskraft eines Erfolges bzw. die Abstoßkraft eines Mißerfolges ausdrücken soll. Es werden verschiedene Niveaus der Durchführung einer Aktivität bedacht und das Erfolgsgefühl bei Erreichung dieses Niveaus und das Mißerfolgsgefühl bei Nichterreichung antizipiert und mit einer Maßzahl versehen. Das Erfolgsgefühl ist mit einer positiven Valenz V (Erf) und das Mißerfolgsgefühl mit einer negativen Valenz V (Miß) verbunden, die zusammen die Valenz des Niveaus V (N) ergeben: V ( N ) = V ( E r f ) + V(Miß). Die Niveaus werden der Schwierigkeit nach geordnet; „zu leichte" Niveaus lösen keine Erfolgsgefühle aus, „zu schwere" keine Mißerfolgsgefühle und bleiben außer Ansatz; sie stellen kein Ziel für den Entscheidungsträger dar. Aus der Gesamtbreite der Aktionsmöglichkeiten wird also nur ein Ausschnitt betrachtet. Die Valenzreihen für Erfolg und Mißerfolg müssen nicht umgekehrt proportional sein, aber jede der Reihen stellt eine starke Ordnung dar; d. h. das Erfolgsgefühl bei Überwinden eines größeren Schwierigkeitsniveaus ist größer als bei Überwinden einer kleineren Schwierigkeit. Die tatsächliche Zielerreichung, d.h. das Niveau, das bei realer Durchführung erreicht wird, ist vorher nicht bekannt; es wird geschätzt. Der Erreichbarkeit der einzelnen Schwierigkeitsstufen werden Wahrscheinlichkeiten zugeordnet, mit denen die Valenzen gewichtet werden. Das Anspruchsniveau wird dort liegen, wo die gewogene Valenz ihr Maximum hat. Die Vorgehensweise sei an dem Beispiel von Abbildung 31 (Lewin et alii, S. 363) verdeutlicht. Es bedeuten: w + die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs w~ die Wahrscheinlichkeit des Mißerfolgs fe„ die vorherige Zielerreichung (sie muß nicht auf dem 6 0 - 4 0 Wahrscheinlichkeitsniveau liegen) fe, die erwartete Zielerreichung; sie bestimmt das 5 0 - 5 0 Niveau. Dieses Erklärungsmodell für das Zustandekommen und die Verschiebung von Anspruchsniveaus ist noch zu ergänzen um Lernprozesse, durch die die Zuordnung der Wahrscheinlichkeiten zur Zielerreichung verändert werden kann. Das bedeutet für die Bildung von Anspruchsniveaus, daß bei Wiederholung eines Prozesses (der Situationen) sich unterschiedliche Anspruchsniveaus bilden können, weil sich die Handlungsbzw. Zielstruktur verändert hat. Bei der Verschiebung von Anspruchsniveaus ist nicht jeder Einzelerfolg oder -mißerfolg wirksam, sondern erst eine Reihe von Erfolgen oder

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Kapitel 3: Beschränkungen

1

2

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Ziel

V(Erf)

V(Miß)

w+

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3-5

6+ 7

15 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

10 10 10 10 10 9 7 6 5 3 2 1 0 0 0

0 0 0 0 0 0 - 1 - 2 - 3 - 5 - 7 - 9 -10 -10 -10

0 0 0 5 10 25 40 50 60 75 90 95 100 100 100

100 100 100 95 90 75 60 50 40 25 10 5 0 0 0

0 0 0 50 100 225 280 300 300 225 180 95 0 0 0

0 0 0 0 0 0 - 60 -100 -120 -125 - 70 - 45 0 0 0

0 0 0 50 100 225 220 200 180 100 110 50 0 0 0

an fe, fe 0

Ziel: z.B. Umsatz, ausgedrückt in Mill. D M ; 12 und darüber ist so viel, daß ein Erreichen zwar als sehr gut ( = 1 0 ) empfunden wird; ein Nichterreichen aber nicht enttäuscht. Abb. 31 Anspruchsniveaubildung durch Valenzen

Mißerfolgen löst derartige Reaktionen aus {Hoppe, S. 15). Wie viele Elemente eine solche Reihe haben muß, läßt sich nicht allgemein festlegen. Das bedeutet für das Rationalverhalten eines Entscheidungsträgers, daß nur nachhaltige und deutliche Datenänderungen die Zielsetzung oder die Entscheidung beeinflussen. Auch läßt sich daraus erklären, aus welchen Gründen Anspruchsniveaus gar nicht zustande kommen: Immer dann, wenn eine vergleichbare vorausgegangene Handlung fehlt, an der das Ziel gemessen werden kann oder wenn die Handlungsmöglichkeiten außerhalb des Vollzugsbereichs liegen, d.h. „zu leicht" oder „zu schwer" sind. Dieser Ansatz wurde verknüpft mit einer multivariablen Zielfunktion, indem zuerst eine Ergebnismatrix der Alternativen hinsichtlich verschiedener Zielvariabler aufgestellt wurde; diese als Einflußschema bezeichnete Ergebnismatrix kann Zahlenwerte oder auch nur Einflußtendenzen enthalten (Sauermann—Selten, S. 582). Die Zielvariablen werden entsprechend dem Phänomen der Fühlbarkeitsschwellen nur in diskreten Größen gemessen, so daß bei beliebigem Maßstab immer eine ganzzahlige Lösung betrachtet wird. Des weiteren wird unterstellt, daß für jede Kombination von diskreten Zielausprägungen angegeben werden kann, in welcher Richtung die Zielelemente aufeinander einwirken. Diese Einwirkung wird in Präferenzenregeln ausgedrückt, die sich bei zwei Zielelementen wie in Abbildung 32 graphisch darstellen lassen (Sauermann — Selten, S. 584). Die Vorgehensweise ist wie folgt zu beschreiben: In das Koordinatenkreuz wird ein Gitter gelegt, dessen Rastermaß durch die Fühlbarkeitsschwellen der Zielvariablen bestimmt wird; so kann beispielsweise Rentabilität in V 4 % und Umsatz in Mill. D M das Rastermaß sein. Für jeden Schnittpunkt des Gitters wird durch Pfeile angegeben, in welche Richtung im Falle von Anpassungsnotwendigkeiten sich die Zielelemente bewegen; für jeden Punkt existieren zwei Pfeile.

Kapitel 3: Beschränkungen

102

Abb. 32

Schema der Anspruchsanpassung für zwei Zielvariable

Dieses Präferenzenfeld — bei einer Zielfunktion mit η Variablen ein Präferenzenhyperraum - wird überdeckt mit einem Feld, in das das bisherige Anspruchsniveau und die erwartete Zielerreichung eingetragen werden. D e r gestrichelte Linienzug in Abbildung 32 gibt an, auf welchem Wege ein neues Anspruchsniveau erreicht wird (Kahle 1971, S. 631 f.). In den Präferenzregeln drückt sich ein Wechsel der Zielvorschriften aus, der dazu führen kann, daß bestimmte Zielvariable in einigen Situationen in Nebenbedingungen (mit begrenzter Zielvorschrift) und in anderen Zielfunktionen im engeren Sinne (mit unbegrenzter Zielvorschrift) auftauchen. Die Weiterführung des A n satzes der Anspruchsanpassung führt dann zu Problemen mit mehrfacher Zielsetzung und zur Zielprogrammierung (Kahle 1971, S. 634f.). Die Präferenzregeln können sich auf G r u n d von Lernprozessen im Zeitablauf verändern; bei unveränderten Präferenzregeln führt die Folge von Anspruchsanpassungen auch zu einer maximalen Zielerreichung, wie nachstehendes Beispiel zeigt; die Anspruchsanpassungstheorie hält aber die Möglichkeit anderer Entwicklungen offen. Ein Entscheidungsträger sieht zwei Zielvariable als wichtig an, Rentabilität und U m satz; die für ihn relevanten Schwellen sind bei der Rentabilität 0,5 % und beim Umsatz 0,5 Mill. D M . E r steht vor folgendem Problem {Kahle 1971, S. 641): Es existieren die vier Alternativen Investition, Preissenkung, Werbemittelerhöhung und Materialverbrauchssenkung; für jede Alternative ist eine bestimmte Ausgangsgröße (das ,Ist' der Vorperiode) gegeben; die Alternativen bestehen in prozentualen Veränderungen der Ausgangsgrößen; in einer Periode ist jeweils nur eine Alternative realisierbar; die Auswahl von Alternativen in nachfolgenden Perioden wirkt kumulativ bis zur Höchstgrenze, deren Erreichung die Alternativen von der weiteren Auswahl ausschließt.

(

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Investition 4 Preis" Werbung"1" Material"

Ό 0 0 10

10 10 10 10

20 20 20 20

30 30 30 30

40 40 40 40,

Diesen Alternativen seien eindeutig önd deterministisch Konsequenzen mit gleicher kumulativer Wirkung zugeordnet

103

Kapitel 3: B e s c h r ä n k u n g e n

Rentabilitätszuwachs in /

'0 0

+1 +2

Umsatzzuwachs in Mill. DM | 0

+1

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+2

+2 +4

0

+3 +2

+4 +1

+2

+3

-2

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Das letzte Anspruchsniveau lag bei 6 % und 20 Mill. DM; die tatsächliche Zielerreichung bei 5,5% und 21 Mill. D M ; davor wurden ebenfalls 5,5% und 19 Mill. D M erreicht. Das Schema der Präferenzen ist in Abbildung 33 wiedergegeben. Rentabilität

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22 Abb. 33 lität

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30 Mill. DM

Willkürlich a n g e n o m m e n e Präferenzregeln für die Zielvariablen U m s a t z und Rentabi-

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Kapitel 3: Beschränkungen

Das Anspruchsniveau AN, soll sich für beide Zielvariablen nach der Regel bilden: AN, = AN,_ , 4- (Zielerreichung in t - 1 - Zielerreichung in t - 2 ) . Es ergibt sich folgendes Anspruchsniveau: A N „ Rentabilität: 6 % + ( 5 , 5 % - 5 , 5 % ) = 6 % AN,, Umsatz: 20 Mill. DM + (21 Mill. D M - 19 Mill. D M ) = 22 Mill. D M Die Entscheidung fällt z.B. nach der Auswahlregel: „Suche in den Konsequenzmatrizen spaltenweise nach einer Alternative ay, die das Anspruchsniveau bezogen auf die letzte Zielerreichung mindestens abdeckt." Konkret bedeutet das: Rentabilitätszuwachs V2 % Umsatzzuwachs 1 Mill. D M . Die Alternative a 1 2 (Investition von 10%) erfüllt beide Anspruchsniveaus und wird gewählt. U n t e r der A n n a h m e , daß die Konsequenzmatrizen sicher eintreffen, ist die Zielerreichung im Zeitpunkt t: Rentabilität 6 , 5 % ; Umsatz 22 Mill. D M . Hierdurch wird das nächste Anspruchsniveau bestimmt: A N t + 1 , Rentabilität = 6 % + ( 6 , 5 % - 5 , 5 % ) = 7 , 0 % A N t + 1 , Umsatz = 22 Mill. D M + (22 Mill. - 2 1 Mill. D M ) = 23 Mill. D M Die Auswahlregel führt zur Wahl von a 3 2 (Werbung um 1 0 % erhöhen). Das neue E r gebnis lautet: Rentabilität 7 % ; Umsatz 23 Mill. D M . Es folgt: AN, + 2 , Rentabilität = 7 % + ( 7 % - 6 , 5 ) = 7 , 5 % A N t + 2 , Umsatz = 23 Mill. D M + (23 Mill. - 2 2 Mill. D M ) = 24 Mill. D M Es k o m m t nun Alternative a 2 3 zur Anwendung mit einem Ergebnis von 9 % Rentabilität und 27 Mill. D M Umsatz. Daraus leiten sich in der vierten Periode die Anspruchsniveaus wie folgt ab: A N , + 3, Rentabilität = 7 , 5 % + ( 9 % - 7 % ) = 9 , 5 % AN, + 3, Umsatz = 24 Mill. D M + (27 M i l l - 2 3 Mill. D M ) = 28 Mill. D M Für dieses Anspruchsniveau ist nach Ausführung von 1 0 % Investitionssteigerung, 2 0 % Preisnachlaß und 1 0 % Werbungssteigerung keine Alternative vorhanden, die gleichzeitig beide Zielvariable entsprechend d e m Anspruchsniveau erreichen läßt. Nun k o m m e n die Präferenzregeln erstmalig zum Zug. Das Präferenzschema gibt an, daß in diesem Fall dem Umsatzzuwachs Vorrang zu geben ist, wenn das ohne Rentabilitätsverlust geschehen kann. D a s Anspruchsniveau A N , + 3 Rentabilität ist zu reduzieren auf 9 %. F ü r die Berechnung von AN, + 4 wird aber auf das nicht reduzierte Niveau zurückgegriffen. Eine solche M a ß n a h m e liegt in Alternative a 3 4 (Werbungssteigerung auf 3 0 % e r h ö h e n ) vor. Die neue Realisierung liegt bei 9 , 5 % und 29 Mill. D M . Umsatz. D a r a u s ergibt sich ein Anspruchsniveau von An, + 4, Rentabilität = 9 , 5 % + (9,0% - 9 % ) = 9 , 5 % A N t + 4 , Umsatz = 28 Mill. D M (28 Mill. - 27 Mill. D M ) = 29 Mill. D M Für dieses Niveau gibt es ebenfalls keine gleichzeitige Realisierung; es ist erneut in das Präferenzschema zu gehen. Ein Umsatzmehr ist ohne Rentabilitätseinbuße nicht zu erzielen. Es ist nach dem Präferenzschema noch zu prüfen, ob eine Anpassung zu einer besseren Rentabilität möglich und wünschenswert ist; sie ist hier nicht gegeben, so daß

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das Verbleiben im statusquo die beste Alternative in t + 4 darstellt. Der Handlungsspielraum ist durch die Abfolge der Alternativen a 1 2 , a 3 2 , a 2 3 , a 3 4 ausgeschöpft. Die G e samtwirkung beträgt im Beispiel 3,5 % Rentabilitätszuwachs und 7 Mill. DM. Umsatzzuwachs. Bei einer simultanen Betrachtung wären auch andere Gesamtergebnisse denkbar, z.B. a, 2 ; a 2 3 ; a 3 3 und a 4 s mit einer Gesamtwirkung von 5 % Rentabilitätszuwachs und 5,5 Mill. DM. Umsatzzuwachs. Die Verknüpfung von Anpassungs-, Präferenz- und Auswahlregeln erklärt den Weg durch die Alternativenmenge und läßt Raum für Datenänderungen und Lernprozesse. Die Anspruchsanpassung ergibt eine Tendenz zur Rationalität, die auf Grund der ständigen Veränderungen des Datenfeldes und der gewählten Regeln nie vollständig erreicht wird. Eine andere, deskriptive Darstellung beschränkt-rationaler Entscheidungsprozesse liegt in der Theorie des „Durchwursteins" (Lindblom 1959, S. 79 ff.; Kirsch 1971, S. 89) vor. Darin wird der vollständige Alternativenvergleich auf der Basis einer umfassenden, allgemeingültigen Präferenzordnung für nicht praktikabel gehalten. Stattdessen wird vorgeschlagen, immer dann Entscheidungen zu fällen, wenn sich unterschiedliche Konsequenzen für Teilprobleme ergeben und diese an den jeweiligen Ergebnissen zu messen. Dem üblichen rational-vollständigen Vorgehen wird ein sukzessiver begrenzter Vergleichsprozeß gegenübergestellt. Die Gegensätze lauten im Original „by root" — ,,by branch" beziehungsweise „rational-comprehensive method" — „successive limited comparisons" (Lindblom 1959, S. 80/81). Die erste bedeutsame Eigenschaft dieses zweiten Verfahrens besteht darin, daß die Ziele nicht außerhalb des Entscheidungs- und/oder Informationsprozesses formuliert und dann als Maßstab für die Alternativen verwendet werden, sondern, daß die Auswahl der Ziele sich in der Auswahl von Strategien verdeutlicht. Die Probleme der Lösung von Zielkonflikten, der Zielgewichtung und der Zielverschiebung werden damit zwar nicht aufgehoben, aber bedeutungslos, weil sich in der Strategiewahl das höhere Gewicht des jeweiligen Teilziels klar ausdrückt, ohne eine andere Gewichtung zu einem anderen Zeitpunkt oder in einer anderen Situation auszuschließen. Damit wird die Bildung von Zielhierachien oder von Zweck-Mittel-Ketten überflüssig und es werden Diskussionen über weit entfernt liegende, nie erreichbare Ziele vermieden. Andererseits entfällt damit auch die klare Entscheidung anhand eines Kriteriums, an dem die Richtigkeit oder Optimalität einer Wahl gemessen werden kann. Bei der Inkrementalanalyse ist die Strategie richtig, die von allen Entscheidungsträgern bzw. von ihrer Mehrheit akzeptiert wird (Lindblom 1959, S. 83/84). Dieses Vorgehen scheint auf den ersten Blick eine zu einfache Lösung des Problems zu sein, aber es verkürzt nur den andernfalls notwendigen Weg zum Ausgleich der Ziele, der viel schwieriger zu erreichen ist. Gibt es keine konkurrierenden Ziele, so liegt die Übereinstimmung in jedem Fall vor; gibt es andererseits Zielkonflikte, dann bedarf es bei rational-vollständigem Vorgehen zum Auffinden einer gemeinsamen optimalen oder „guten" Lösung einer Übereinstimmung über die Gewichtung der Ziele und ihre Rangfolge. Eine Zustimmung zu einer Alternative kann aber unter ganz verschiedenen Zielen richtig sein; der Entscheidungsprozeß wird also nur erschwert und aufgebläht, wenn Übereinkünfte auf der Zielebene statt auf der Alternativenebene gefunden werden müssen, weil Ziele mit mehr emotionaler Beiladung ausgestattet sind als Alternativen. Kritisch zu betrachten ist bei dieser Art der Entscheidung, daß die unterschiedlichen Machtpositionen der Entscheidungsträger in die Entscheidungsfindung eingehen, ohne explizit herausgearbeitet zu werden. Solche Machtpositionen existieren jedoch und haben auch ihre Bedeutung für Entscheidungen (s.u.S. 187 ff.). Die Inkremental-

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Kapitel 3: Beschränkungen

analyse hebt nur auf das Ergebnis der Entscheidungsfindung ab, nicht aber auf den Prozeß und kann daher solche Positionen nicht einbeziehen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt des sukzessiv-begrenzten Vergleichsprozesses ist seine bewußte Unvollständigkeit. Bei der Entscheidungsfindung „von Grund auf" wird versucht, alle Einflußgrößen vollständig zu erfassen; das ist nur bei einfachen Problemen möglich, bei komplexeren sind notwendigerweise Vereinfachungen vorzunehmen, deren bedeutsamste im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften die „ceteris paribus"Klausel ist. An die Stelle des Anspruches der Vollständigkeit tritt bei der sukzessiven begrenzten Vergleichsmethode die Forderung nach Relevanz und Realitätsnähe der in den Vergleich einzubringenden Größen. Die Erkenntnis, daß bei der vielschichtigen Interdependenz der Faktoren ein großer Teil von ihnen vernachlässigt werden muß, führt zu der Folgerung, daß die Größen, die betrachtet werden, auch für die Problemstellung bedeutsam sein und reale Wirkungen haben müssen. Die Berücksichtigung aller relevanten Größen des Entscheidungsfeldes soll außerdem dadurch gesichert werden, daß die Interessierten und Betroffenen sich dafür einsetzen (Lindblom 1959, S. 85). Das setzt bestimmte Strukturen des Entscheidungsfeldes in organisatorischer Hinsicht voraus, die bei der Würdigung dieses Verfahrens zu berücksichtigen sind. Vor allem können die Kreise der Interessierten, der Betroffenen und der Entscheidungsträger voneinander abweichen. Die verschiedenen Beiträge und Ansätze der Beteiligten werden durch die Beschlußfassung miteinander verbunden. Die betonte Unvollständigkeit der Entscheidung und ihrer Grundlagen kann aber auch dazu führen, daß nicht genügend Nachdruck auf eine gründliche Entscheidungsvorbereitung oder auf eine richtige Analyse des Problems gelegt wird, weil Fehler durch andere Teilentscheidungen korrigiert werden können (Dror, S. 155). Ein weiteres wichtiges Element dieses Ansatzes ist die Betonung der Entscheidungsfindung als eines andauernden Prozesses, der auf stetige Veränderung und damit Verbesserung der Situation gerichtet ist. Diese auf den Weg des Entscheidungsprozesses gerichtete Betrachtungsweise bewirkt eine hohe Flexibilität der Entscheidungen, da die Wirksamkeit von Strategien zur Lösung von Problemen immer wieder neu überprüft wird und da die Bindung an eine Entscheidung immer nur bis zur nächsten Entscheidung gilt. Damit wird zugleich auch der Unsicherheit der Informationen verstärkt Rechnung getragen, da diese Informationen im Entscheidungsprozeß mit erarbeitet und immer wieder überprüft werden, so daß ihre Unsicherheit zwar weiterhin existent, aber für den Entscheidungsprozeß nicht mehr so bedeutsam ist. Diese Methode des begrenzten sukzessiven Vergleichs ist nicht für betriebswirtschaftliche, sondern für administrativ-politische Entscheidungen als üblich und brauchbar dargestellt worden (Lindblom 1959, S. 79). Das Vorgehen, vermittels einer schrittweisen simultanen Ziel- und Alternativenformulierung eine Entscheidung zu fällen, basiert auf einigen Prämissen, deren Gültigkeit nicht immer gegeben sein muß und aus denen die Risiken dieser Vorgehensweise erkennbar werden. Die impliziten Prämissen dieses Vorgehens sind vor allem die sachliche und zeitliche Kontinuität der verschiedenen Teilentscheidungen und der Entscheidungssituationen, aus denen die alternativen Strategien abgeleitet werden {Dror, S. 154; Lindblom 1964, S. 157), die Existenz akzeptabler Lösungen im Bereich dieser Strategien und ein auf Übereinkunft gerichtetes Verhalten der Entscheidungsträger. Wenn die sachliche und/oder zeitliche Kontinuität nicht gegeben ist, dann ist die Möglichkeit zur Bildung lokaler Strategien der Alternativensuche nicht gegeben, so daß die verschiedenen Entscheidungsträger nur über unzusammenhängende Teilin-

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formationen verfügen, die keine Lösung erkennen lassen. Wenn zwar der Bereich der Alternativen überschaubar ist, aber keine Lösung des anstehenden Problems in diesem Bereich liegt, Iäßt sich mit dieser Methode keine Lösung finden. Wenn andererseits die Entscheidungsträger nicht nach Übereinkunft streben, dann gibt es entweder keine Lösung oder je nach den Machtpositionen eine oktroyierte Lösung. Ein weiterer, damit verbundener Nachteil des „Durchwursteins" besteht in der Rechtfertigung von Trägheit und Ideenlosigkeit (Dror, S. 155). Im Interesse der Durchsetzbarkeit werden leichte Lösungen besseren, weiter gesteckten Lösungen vorgezogen; damit werden Innovationen gehemmt und die Notwendigkeit von Innovationen verkannt oder verschleiert. Das „Durchwursteln" kann also als eine reale Verhaltenskategorie von Menschen in Entscheidungsprozessen angesehen werden, sie kann aber nicht als ausschließliche und zu empfehlende Verhaltensweise bei betrieblichen Entscheidungen gelten. Zu erkennen, daß die Rationalität betrieblicher Entscheidungen begrenzt sein muß, kann nicht bedeuten, diese Grenze weit nach unten zu setzen und zu akzeptieren; diese Grenzen müssen stattdessen ausgeweitet oder abgebaut werden.

Übungsaufgaben: 1. Stellen Sie Folgen der begrenzten Rationalität menschlichen Etscheidungsverhaltens dar. 2. Nennen Sie Motive, die die Setzung von Anspruchsniveaus beeinflussen. 3. Erläutern Sie die Bedeutung von Valenzen in der Theorie der Anspruchsanpassung. 4. Erklären Sie, warum Präferenzregeln nur bei multivariablen Zielfunktionen erforderlich sind. 5. Beschreiben Sie die wesentlichen Grundzüge der Theorie des „Durchwursteins". 6. Stellen Sie einige gemeinsame Eigenschaften der Anspruchsanpassungstheorie und der Theorie des „Durchwursteins" dar.

Literatur: Albach H.; Wirtschaftlichkeitsrechnung bei unsicheren Erwartungen, Köln-Opladen 1959. Dembo, T.; D e r Ärger als dynamisches Problem, in: Psychologische Forschung, Band 15 1931, S. I f f . Dror, Y.; Muddling Through - „Science" or Inertia, in: Public Administration Review, vol. X X I V 3 / 1 9 6 4 , S. 153ff. Frank, J . D . ; Individual differences in certain aspects of the level of aspiration, in: American Journal of Psychology, vol. 47 1953, S. 1 1 9 f f . Gutenberg, E.; Über einige Fragen der neueren Betriebswirtschaftslehre, in: Zeitschrift für B e triebswirtschaft, Jg. 36 1966, Ergänzungsheft, S. Iff. Heckhausen, H.; Motivation der Anspruchsniveausetzung, in: Thomae, H. (Hrsg.), D i e Motivation menschlichen Handelns, Berlin 1965, S. 231 ff. Heinen, E.; D a s Zielsystem der Unternehmung - Grundlagen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen, Wiesbaden 1966. Hofstätter, P . R . ; Quantitative Methoden der Psychologie, München 1966. Hoppe, F.; Erfolg und Mißerfolg, in: Psychologische Forschung, Band 14 1931, S. I f f .

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Kahle, E.; Zielplanung durch Anspruchsanpassung, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Jg. 23 1971, S. 623ff. Kahle, E.; Betriebswirtschaftliches Problemlösungsverhalten, Wiesbaden 1973. Kirsch, W.; Entscheidungsprozesse, Band I, Wiesbaden 1970. Lewin, K. - Dembo, T. - Festinger, J . - S e a r s , P. S. (Lewin et alii)·, Level of Aspiration, in: Hunt, J. M. (Hrsg.), Personality and the Behavior Disorders, New York 1941, S. 333ff. Lindblom, Ch. E.; The Science of Muddling Through, in: Public Administration Review, vol. XIX 2/1959, S. 79 ff. Lindblom, Ch. E.; Contexts for Change and Strategy: A Reply, in: Public Administration Review, vol. XXIV 3/1964, S. 157ff. Sauermann, Η. - Selten, R.; Anspruchsanpassungstheorie der Unternehmung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 118, 1962, S. 577ff. Simon, H . A . ; A Behavioral Model of Rational Choice, in: The Quarterly Journal of Economics, vol LXIX 1955, S. 99ff. Simon, Η. Α.; Models of Man, New York - London 1957.

3.4. Strategien zur Entscheidungsfindung in komplexen Entscheidungssituationen Die Einschränkungen der Rationalitätshypothese, die unter anderem durch Anspruchsanpassung und „Durchwursteln" gekennzeichnet sind, lassen erkennen, daß Entscheidungsfindung nicht ausschließlich durch symbolische Modelle erklärt werden kann, sondern daß auch psychische Phänomene zu berücksichtigen sind. Es ist nicht zu übersehen, daß bewußte Entscheidungen oder Problemlösungen relativ selten sind (Kirsch 1978, S. 6). Eine Möglichkeit zur Entwicklung derartiger Modelle ist im Informationsverarbeitungsansatz (IV-Ansatz) zu sehen, der darin besteht, die verschiedenen Beiträge und Erklärungselemente über menschliches Informationsverhalten mit Computerprogrammen zu erfassen und zu simulieren, um auf diese Weise die Vorgänge beim Problemlösen nachzuvollziehen (Kirsch 1978, S. 17ff.). Dabei hat sich der Begriff des Problemlösens als zu eng herausgestellt, weil mit Lösung das Auffinden einer zieladäquaten Alternative impliziert ist. Eine derartige „befriedigende" oder „gute" oder sogar „optimale" Lösung ist für den Entscheidungsträger aber häufig nicht vorhanden, sei es, daß sie objektiv nicht existiert, sei es, daß er sie subjektiv nicht erkennen kann oder sei es, daß er sich gar nicht vorstellen kann, wie eine Lösung des Problems überhaupt aussehen könnte. Das gilt in besonderem Maße f ü r komplexe Entscheidungssituationen. Demgegenüber rufen einfach strukturierte Entscheidungssituationen, in denen optimale Lösungen bekannt sind, gar kein psychisches Entscheidungsproblem hervor; sie können mit reaktivem oder situativem Entscheidungsverhalten erledigt werden. Für die Menge der Verhaltensmöglichkeiten, mit denen ein Entscheidungsträger auf eine Entscheidungssituation reagieren kann und unter denen eine Problemlösung sein kann, hat sich die Bezeichnung Problemhandhabung als zutreffender herausgestellt (Kirsch, S. 9f.). Solche Möglichkeiten der Problemhandhabung bestehen in der Reduzierung des Anspruchsniveaus hinsichtlich der Qualität und des Umfangs der „Lö-

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sung", die dann nur eine Teillösung des eigentlichen Problems ist oder in der bewußten Beschränkung auf einen einzelnen Schritt in der Problembewältigung, von dem man hofft, daß er die mögliche Problemlösung leichter erkennen läßt und/oder der Beginn eines Lösungsweges ist. Derartige Schwierigkeiten treten beispielsweise auch bei der Alternativenbewertung auf, wenn die verfügbaren Kriterien nicht ausreichen, die Alternativen zu vergleichen, d. h. die Ordnung unvollständig ist oder wenn die Umsetzung des Problems in Vergleichskriterien dem Entscheidungsträger nicht gelingt. Für die Entwicklung von Strategien zur Handhabung komplexer Entscheidungssituation sind auf Grund der Bedingungen begrenzter Rationalität und weiterer typischer Verhaltensweisen von Menschen bei der Problemhandhabung einige Verhaltensannahmen zu treffen. Eine solcher Verhaltensannahmen ist auf das SOR-Paradigma (Kirsch 1978, S. 19f.), zurückzuführen, das besagt, daß der Mensch Stimuli (S) in seinem Organismus (O) zu Reaktionen (R) verarbeitet. Die Stimuli können sich sowohl auf Alternativen als auch auf Ziele beziehen, so daß alle Typen von Entscheidungsverhalten durch diese Verhaltensannahme abgedeckt sind. Da der Mensch ständig irgendwelchen Stimuli ausgesetzt ist, stellt dieses Paradigma einen sehr allgemeinen Ansatz dar, der ein konkretes Verhalten nicht erklären kann; es macht aber die Erklärung des Entscheidungsverhaltens möglich, ohne die subjektive Bewußtseinslage des Entscheidungsträgers im Einzelfall analysieren zu müssen, weil Stimulus, Reaktion und Verarbeitungsprozeß objektivierbar sind. Ein für die Aufnahme von Stimuli oder Reizen wichtiges Phänomen, das das Informationsverhalten wesentlich prägt, ist das der lateralen Inhibition (Kahle 1973, S. 30 ff.; Klaus, S. 50f.). Es besteht in der Unterdrückung von Einzelwahrnehmungen, die im Gesamtbild von Wahrnehmungen schwächer vorhanden sind als andere; Ursache dafür sind die chemoelektrischen Vorgänge bei der Übermittlung von Reizen im Nervensystem. Die Unterdrückung schwächerer Wahrnehmungen erfolgt dadurch, daß die Wahrnehmungen redundant übermittelt werden und nur solche als gültig angenommen werden, die stochastisch bestätigt werden {Riedl, S. 58 f., 67f.). Dadurch wird eine Trennung von „wesentlichen" und „unwesentlichen" Wahrnehmungen auf der Grundlage eines solchen stochastischen Bildes durchgeführt (Vester, S. 35). Dieser Abstraktionsprozeß setzt sich auf begrifflicher und sprachlicher Ebene fort (Kahle 1973, S. 34 f.) und hat von dort Rückwirkungen auf die Wahrnehmungsverarbeitung. Schon wenige, für ein zutreffendes Bild noch nicht ausreichende Wahrnehmungen lösen die Erwartung eines bestimmten Bildes aus; diese Erwartung eines Bildes steuert nunmehr den Abstraktionsprozeß der lateralen Inhibition, so daß nur Wahrnehmungen, die das erwartete Bild bestätigen, für zutreffend gehalten werden. Die Wahrnehmung komplexer, abstrakter Sachverhalte, wie sie es betriebswirtschaftliche Entscheidungssituationen im allgemeinen sind, erfolgt mit Hilfe der Sprache. Diese aber ist durch Sprachgewohnheit und Konsensus der Beteiligten fixiert und legt durch ihre Fixierungen fest, was der Einzelne als unterschiedlich und was er als identisch bezeichnen und damit wahrnehmen kann. Davon sind sowohl die denotativen Möglichkeiten in der „Welt III" als auch die konnotativen Zuladungen der Begriffe im emotional-psychischen Bereich der „Welt II" betroffen. Diese Tendenz zur Eindeutigkeit in der Wahrnehmung und sprachlichen Abbildung von Sachverhalten wirkt sich auch in der Einstellung des Entscheidungsträgers zur Entscheidungssituation aus (Kirsch 1978, S. 10—15): • Entscheidungsprobleme werden nach Möglichkeit geleugnet; auftretende Abweichungen werden gerechtfertigt; Informationssuche wird vor allem zur Rechtfertigung vorhandener Informationen durchgeführt.

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• Angewandt auf einen Entscheidungsprozeß aus vielen Teilentscheidungen bedeutet das, daß bereits getroffene Teilentscheidungen nach Möglichkeit nicht mehr in Frage gestellt werden; die Selbstverpflichtung des Entscheidungsträgers erfolgt schrittweise oder schleichend (creeping commitment). • Entsprechend der Theorie des „Durchwursteins" legt der Entscheidungsträger keine weitgesteckten Ziele aus, die anzustreben sind, sondern er versucht drängende Mißstände abzubauen, wobei die Mängelbehebung durch lokale Strategien angestrebt wird und gegebenenfalls durch Senkung des Anspruchniveaus hinsichtlich Mängelfreiheit erreicht wird. • Bei der Suche nach Lösungen werden häufig sehr einfach strukturierte heuristische Regeln angewendet, die den Alternativenraum erheblich einschränken. Diese Regeln können sich auch auf die Vorgehensweise beziehen, indem festgelegt wird, ob eine lokale oder eine generelle Strategie bevorzugt wird und wie diese angesetzt wird. Diese starke Problemreduktion auf Kernprobleme oder Teilprobleme ist auch in der Informationsaufnahme und -Verarbeitung zu erkennen, die oft weit unter der verfügbaren und/oder objektiv erforderlichen Information liegt. An Stelle von Informationsbeschaffung wird häufig stattdessen versucht, die Umwelt entsprechend den Alternativen und vorhandenen Informationen zu manipulieren. • Schließlich wird nach Auffinden zulässiger Alternativen nicht weitergesucht, sondern nur noch diese vorhandene Lösung verteidigt und es wird unter Umständen das ursprünglich formulierte Problem modifiziert, wenn sich für ein derart modifiziertes Problem eine Lösung abzeichnet, nicht aber für das ursprüngliche Problem. Ein weiterer Aspekt des Entscheidungsverhaltens, der für die Art und Weise der Komplexitätsreduktion bedeutsam ist und einige der vorstehenden typischen Eigenschaften der Problemhandhabung mit erklärt, ist die Unterscheidung von Kurzzeit- und Langzeitgedächnis, die ganz verschiedene Aufgaben wahrnehmen (Kirsch, S. 20f.). Das Langzeitgedächnis dient der Aufbewahrung aller Informationen, die der Mensch im Laufe der Zeit wahrnimmt. Je nach ihrer Bedeutsamkeit und Wiederauffrischung fallen sie dem Vergessen anheim, aber nur sehr allmählich; im Vergleich mit einem Computer läßt sich das Langzeitgedächnis als externer Speicher ansehen. Das Kurzzeitgedächnis stellt dann den Kernspeicher dar, in der die aktuell verfügbaren Informationen zur Lösung anstehender Probleme eingesetzt werden. Das bedeutet, daß Informationen, die im Langzeitgedächnis vorhanden sind, nicht notwendig zur Problemlösung im Kurzzeitgedächnis herangezogen werden. Es müssen Zugriffsketten gebildet werden, die das ermöglichen; bei der Problemlösung wird häufig statt der Bildung von Zugriffsketten mit dem gerade aktuellen Informationsstand gearbeitet. Die Leistungsfähigkeit von Problemlösern und Problemlösungsprozessen wird in erheblichem Maß davon beeinflußt, ob und inwieweit es gelingt, das Langzeitgedächnis des Entscheidungsträgers durch geeignete Zugriffsketten für die Problemhandhabung einzusetzen. Dabei bestehen Wechselwirkungen zwischen Nutzungshäufigkeit von Informationsbeständen, der Qualität der aus ihnen abgeleiteten Entscheidungen und der Verläßlichkeit der Informationen. Eine Information, die zu einer erfolgreichen Entscheidung geführt hat, gewinnt an heuristischer Kraft (Klein, S. 40); sie wird daher eher nachgefragt und durch häufigen Einsatz differenziert und bestätigt. Aus den vorangestellten typischen Eigenschaften menschlicher Problemhandhabung sind nun Eigenschaften erfolgversprechender Strategien für komplexe Entscheidungssituationen abzuleiten. Als komplex sollen solche Entscheidungssituationen bezeichnet werden, deren Elemente: Alternativen, Konsequenzen und/oder Bewertungen durch

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Zielvariable nicht in einem geschlossenen Erklärungszusammenhang vollständig wiedergegeben werden können, d. h. bei denen mittelbare Interdependenzen vorliegen, die nicht in einem Modell erfaßt werden können. Dabei sollen hier nicht die grundsätzlichen Beziehungen und Probleme von Situationskomplexität und Komplexität des Entscheidungsträgers (Kirsch 1978, S. 141 ff.) untersucht werden, sondern nur einige Ansatzpunkte für eine problemadäquate Komplexitätsreduktion dargestellt werden. Der erste Ansatzpunkt besteht in der Ableitung und Abgrenzung von Entscheidungsproblemen aus der Fülle der Anregungen und Stimuli, die insgesamt auf den Entscheidungsträger einwirken. Der zweite liegt in der Bestimmung der für das abgegrenzte Problem wichtigen Umweltelemente und ihrer Einflußgrößen und der dritte in der Erarbeitung eines Losungsverfahrens oder allgemeiner eines Handhabungsstils, der die Unvollkommenheit des Ergebnisses bewußt werden läßt. Der erste Ansatzpunkt läßt sich durch den Begriff der strategischen Lücke (Frotz, S. 89), der zweite durch die begrenzenden Faktoren (Barnard, S. 170) und der dritte durch das Steuerungselement des promotiven Faktors (Frotz, S. 105) charakterisieren. Das Konzept der strategischen Lücke geht davon aus, daß es zur Ableitung von Strategien erforderlich ist, aus der Gesamtheit des Unternehmensgeschehens Teilbereiche auszusondern, für die sich konkrete Entscheidungsprobleme abgrenzen lassen; zum Vorliegen eines Entscheidungsproblems gehört dabei auch, daß noch keine Lösung des Problems in seiner abgegrenzten Fassung existiert. Die Festlegung eines solchen Teilbereiches hängt von den Zielvariablen des Entscheidungsträgers und seinen Erwartungen über die zukünftige Erfüllung dieser Variablen ab, wobei eine wesentliche Komponente dieser Erwartung die bisherige Zielerreichung ist. Abweichungen zwischen erwarteter und erwünschter Zielerreichung werden nur oberhalb bestimmter Fühlbarkeitsschwellen als bedeutsam angesehen. Der Prozeß der Festlegung einer solchen strategischen Lücke läßt sich allgemein durch das Flußdiagramm von Abbildung 34 (Frotz, S. 92) darstellen. Dabei wird sehr deutlich, daß eine Vielzahl von Anregungen oder Problemen durch Übergehen, Umformulierung oder Lösung nach „bewährtem Muster" gehandhabt werden, bevor sie überhaupt als Entscheidungsprobleme erkannt werden. Das Konzept der strategischen Lücke kann auf die darin liegenden Fehlerquellen betrieblicher Entscheidungen aufmerksam machen. Darüber hinaus kann dieses Konzept unter Hinzuziehung geeigneter Informationen als Verfahren zur Suche nach wichtigen Entscheidungsproblemen eingesetzt werden; d. h. der in Abbildung 34 dargestellte Ablauf kann von der Unternehmensleitung bewußt vorangetrieben werden, um immer neue strategische Lücken zu finden. Als Hilfsmittel für den Entscheidungsträger bieten sich dabei Checklisten von strategischen Faktoren an, aus denen mögliche strategische Lücken erkennbar werden. Eine Liste solcher strategischer Faktoren umfaßt beispielsweise (Steiner, S. 254f.) die Bereiche Allgemeines Management Finanzen Marketing Entwicklung und Fertigungsverfahren Produkte Personal Material mit jeweils fünf bis fünfzehn Teilaspekten wie Stärkere Verwendung quantitativer Planungshilfsmittel bei der Entscheidung auf höchster Management-Ebene oder im mittleren Management

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Kapitel 3:

Beschränkungen

S T A R T )

Aufgabenstellung

Ausgangsläge klar?

1

\

nein

)a

Untersuchung der hypothetischen Normalentwicklung der Unternehmung ja

^

Informationen ausreichend?

1

nein

.

ja

Abweichungsanalyse

Formulierung der STRATEGISCHEN LÜCKE

Abb. 3 4

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nein

Prozeß der Bestimmung der strategischen Lücke

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Kapitel 3: Beschränkungen

113

oder Fähigkeit zur Maximierung des Aktienwertes oder Verbesserung der Qualitätskontrolle und so fort. Eine strategische Lücke wird sich im allgemeinen auf G r u n d der Interdependenzen der Alternativen und Konsequenzen auf mehrere Zielvariable beziehen. Sie wird im wesentlichen dadurch charakterisiert sein, daß alternative Maßnahmenkataloge vorhanden und/oder Zielabweichungen größeren Ausmaßes fühlbar sind. Die sofortige, unproblematische Überwindung der strategischen Lücken wird durch die begrenzenden Faktoren verhindert, die nach Barrieren und Schranken zu differenzieren sind (Frotz, S. 108). Barrieren sind solche Faktoren, deren h e m m e n d e r Einfluß überwunden werden kann, während als Schranken diejenigen Faktoren bezeichnet werden, die bei der Situationsbeschreibung als unüberwindbar angesehen werden (Witte, S. 6). Diese Einteilung ist subjektiv aus der Sicht des Entscheidungsträgers zu sehen und kann im Zeitablauf, sei es durch Lernprozesse oder sei es aufgrund von Ä n d e r u n gen der Situation, z.B. Wachstum der Zahl von Nachfragern oder Änderung gesetzlicher Vorschriften, Wandlungen unterworfen sein. Sie dient der Vereinfachung d e s Entscheidungsprozesses, weil f ü r die Entwicklung von Lösungswegen nur die Überwindung von Barrieren in Frage k o m m t ; andererseits muß bei „unlösbaren P r o b l e m e n " untersucht werden, ob nicht fälschlicherweise Barrieren für Schranken gehalten werden. Die Definition von Barrieren und Schranken bewirkt, daß die Vielzahl der Einflußgrößen der Entscheidungssituation quantitativ und in zeitlicher Hinsicht auf die relevanten Größen beschränkt wird und damit den Möglichkeiten menschlicher Informationsverarbeitungskapazität näher kommt. Andererseits verhindert das Konzept der begrenzenden Faktoren, daß willkürliche Informationsauswahl getroffen wird bzw. daß irrelevante Einflußgrößen einbezogen werden u n d relevante außer Betracht bleiben. Sollte nur eine Barriere in der strategischen Lücke stehen, dann ist das Entscheidungsproblem verfahrensmäßig gelöst. Es sind nur noch Informationssuchstrategien (s.o.S. 66ff.) zur Überwindung der Barriere einzusetzen. Die Komplexität von Entscheidungssituationen findet aber gerade darin ihren Niederschlag, daß der Problemlösungsraum, den die strategische Lücke eröffnet, durch mehrere Barrieren verstellt ist; abgesehen davon, daß er von vielen Schranken eingefaßt und bestimmt wird. Es ist festzulegen, bei welcher der Barrieren die Überwindung angestrebt werden soll, d.h. in welcher Richtung die Problemlösung angestrebt werden soll. Mit dieser Festlegung werden unter Umständen eine Reihe von Folgeentscheidungen beeinflußt, so daß sie als Setzung eines promotiven Faktors {Frotz, S. 109) bezeichnet werden kann, da sie den Fortschritt des Entscheidungsprozesses bestimmt. Die Kriterien, nach denen sich diese Festlegung richtet, lassen sich nach Dringlichkeit und Schwierigkeit unterscheiden {Frotz, S. 112f.). Die Dringlichkeit der Überwindung einer Barriere kann sowohl durch das Gewicht der betroffenen Zielvariablen als auch durch den erwarteten Beitrag der Überwindung zur Zielerreichung gegeben sein, so daß nach diesen beiden Einflußgrößen zu differenzieren ist. D a s bedeutet, daß die möglichen Zielbeiträge einer Barrierenüberwindung nach einem vom Entscheidungsträger festzulegenden Bewertungssystem zu ordnen wären. Die Zielvariablen könnten lexikographisch geordnet sein, dann würde der Zielbeitrag nur bei gleichgeordneten Zielvariablen die Festlegung des promotiven Faktors bestimmen; es lassen sich aber auch Gewichtungsfaktoren für die Zielvariablen vorstellen, mit denen die Zielbeiträge gewogen werden. Die Beurteilung der Schwierigkeit der Überwindung einer Barriere ist eine Erwartungsgröße des E n t -

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Kapitel 3: Beschränkungen

scheidungsträgers und wird von seinen Erfahrungen bei der Bewältigung ähnlicher Probleme bestimmt. Vor allem die Beurteilung der Schwierigkeit der Überwindung einer Barriere wird sich während des Prozesses der Lösungssuche verändern, je nachdem wie groß die tatsächlichen Schwierigkeiten sind. Die Wirkung der Dringlichkeits- und Schwierigkeitsfaktoren auf die Festlegung des promotiven Faktors läßt sich über das Konzept der Anspruchsanpassung erklären: „Zu leichte" Barrieren können aus der Betrachtung ausgeschlossen werden, sie sind nicht wirksam. „Zu schwere" Barrieren wirken als Schranken. Die Dringlichkeitaus Gewicht und Zielbeitrag ermittelt - ließe sich in einer Wertzahl ausdrücken, die zusammen mit der Schwierigkeit eine Valenz der Barrierenwahl ausmacht. Wenn nach Festlegung des promotiven Faktors die Überwindung der festgelegten Barriere erfolgt ist, dann kann auf dem so gewonnenen Erkenntnisstand die strategische Lücke überprüft und/oder ein neuer promotiver Faktor gesetzt werden. Wenn sich andererseits ergibt, daß die Uberwindung der Barriere erheblich schwieriger ist als erwartet, kann entweder eine andere Barriere für weitere Überwindungsanstrengungen festgelegt werden oder die strategische Lücke ist auf dem Wege einer Anspruchsanpassung neu zu bestimmen.

Übungsaufgaben: 1. Stellen Sie die wichtigsten Elemente menschlichen Problemhandhabens dar. 2. In welcher Weise kann eine sinnvolle Reduzierung von Problemkomplexität erfolgen? 3. Nennen Sie mögliche Ursachen eingeschränkter Informationssuche und Entscheidungsvorbereitung. 4. Welche Möglichkeiten bietet das Konzept der strategischen Lücke zur Handhabung komplexer Probleme? 5. In welcher Weise ist beim Setzen eines promotiven Faktors ein Anspruchsanpassungsverhalten angemessen?

Literatur: Barnard, Ch.; Die Führung großer Organisationen, Essen 1970. Frotz, H.; D e r Bestimmungsprozeß von Wachstumsstrategien in Unternehmungen, Zürich Frankfurt - Thun 1976. Kahle, E.; Betriebswirtschaftliches Problemlösungsverhalten, Wiesbaden 1973. Kirsch, W.; D i e Handhabung von Entscheidungsproblemen, München 1978. Klaus, G.; Kybernetik und Erkenntnistheorie, Berlin 1967. Klein, K.H.; Heuristische Entscheidungsmodelle, Wiesbaden 1971. Riedl, R.; Biologie der Erkenntnis, Berlin - Hamburg 1980. Steiner, G. Α . ; Top Management Planning, Toronto 1969. Vester, F.; Neuland des D e n k e n s , Stuttgart 1980. Witte, E.; Organisation für Innovationsentscheidungen, Göttingen 1973.

Kapitel 4: Auswirkungen von Ungewißheit und Dynamik auf betriebliche Entscheidungen. An verschiedensten Stellen der voranstehenden Abschnitte ist hervorgehoben worden, daß betriebliche Entscheidungssituationen häufig durch Ungewißheit hinsichtlich der Alternativen, Konsequenzen oder Bewertungen oder durch zeitliche oder sachliche Interdependenzen gekennzeichnet sind. Die Ursachen dafür sind verschiedenster Art; Ungewißheit und Dynamik sind wesentliche Bestimmungsgriinde der Komplexität von Entscheidungssituationen. Entsprechend der als typisch erkannten Tendenz menschlichen und betrieblichen Entscheidungsverhaltens, Komplexität zu reduzieren, um die Probleme durch vereinfachte Handlungen besser „lösen" zu können, wurde hier zuerst das Grundmodell der Entscheidung ünter Vernachlässigung von Ungewißheit und Dynamik behandelt. Es sind nunmehr die Auswirkungen der verschiedenen Formen der Ungewißheit und der Dynamik auf betriebliche Entscheidungen und die Möglichkeiten ihrer Einbeziehung in die Entscheidungsprozesse und die sie abbildenden Modelle zu untersuchen. Dabei wird am Ende die Verbindung beider Einflußgrößen bei der Steuerung von betrieblichen Tatbeständen und Entscheidungen stehen.

4.1. Die Formen der Ungewißheit, ihre Ursachen und ihre Erfassung. Ungewißheit bedeutet in allgemeiner Form, daß die Beziehung zwischen Handlungsmöglichkeit und der zugehörigen Konsequenz in irgendeiner Weise unbestimmt ist. Diese Unbestimmtheit kann unterschiedliches Ausmaß annehmen und unterschiedliche Ursachen haben. Das unterschiedliche Ausmaß der Ungewißheit hängt von der Wiederholbarkeit der Entscheidungssituation, den objektiven Ursachen der Ungewißheit und dem Verhältnis von objektiver und subjektiver Information des Entscheidungsträgers ab. Obwohl keine Situation - wissenschaftstheoretisch gesehen - völlig identisch wiederholbar ist, sollen hier wiederholbare und einmalige Entscheidungen als voneinander unterscheidbar angesehen werden, wenn vom Einzelfall hinreichend abstrahiert wird. Bei den Ursachen der Ungewißheit sind der Datenbestand und die Regeln der Datenverarbeitung zu unterscheiden. Der Datenbestand kann lückenhaft oder fehlerhaft sein und zwar objektiv oder subjektiv. Das heißt, es gibt Daten, die zwar verfügbar sind, die aber dem Entscheidungsträger nicht vorliegen; zum anderen kann es Daten geben, die überhaupt nicht beschaffbar sind, weil der Stand der Wissenschaft oder Erfahrung auf diesem Gebiet nicht ausreicht. Außerdem können Fehler bei der Erfassung, Übermittlung und Speicherung von Daten auftreten, die möglicherweise durch Widersprüche zwischen einzelnen, korrelierenden Datenbeständen erkannt werden, aber nicht korrigiert werden können. Auf Grund der lückenhaften und fehlerhaften Datenbe-

116

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

stände und der begrenzten menschlichen Fähigkeit zur Informationsauswertung sind auch einige Regeln der Datenverarbeitung unvollständig und lückenhaft. Das bedeutet, daß in einigen Fällen vollständige und richtige Datenbestände vorliegen, es aber an geeigneten Verfahren ihrer Auswertung fehlt oder diese dem Entscheidungsträger nicht zur Verfügung stehen. Andererseits kann es auch Fälle geben, in denen die Verknüpfungen von Möglichkeiten und Konsequenzen in ihrer logischen Struktur bekannt sind, aber die Randbedingungen zur konkreten „Wenn — dann — Aussage" im Datenbestand nicht exakt genug angegeben sind. Es wird auch Fälle geben, in denen sowohl Datenbestand als auch Auswertungsverfahren unzureichend sind und auch solche, in denen beide Elemente den Anforderungen des Problems genügen. Ausgehend von diesen datenbestands- und -verarbeitungsbezogenen Unterschieden der Ungewißheitsursachen und der Wiederholbarkeit der Entscheidungen können in Anlehnung an Abbildung 14 (s.o.S. 5 1 ; Gäfgen, S. 108) Typen von Vorgehensweisen zur Erfassung und Behandlung von Ungewißheit gebildet werden, die sich durch den Unsicherheitsgrad der angewandten Modelle unterscheiden ( G ä f g e n , S. 134), der abgestuft lautet: • • • • • •

Sicherheit Quasi-Sicherheit Risiko Unsicherheit rationale Indeterminiertheit Ignoranz (anders: Schneeweiß, S. 12).

Sicherheit liegt vor, wenn sowohl der Datenbestand als auch die Verfahren der Auswertung vollständig und zutreffend sind. Alle Elemente des Entscheidungsraums, die zur Beurteilung notwendig sind, können in ihren Eigenschaften und Verknüpfungen exakt und eindeutig angegeben werden. In diesem Fall braucht die Frage der Wiederholbarkeit der Entscheidung nicht untersucht zu werden, da für jede Entscheidungssituation die volle Information unterstellt wird, unabhängig davon, ob die Situationen identisch sind oder nicht. Solche Situationen sind vor allem bei naturgesetzlichen und technischen Zusammenhängen gegeben, obwohl es auch dort zum Teil Gesetzmäßigkeiten quasisicherer Art gibt. Ob es bei betrieblichen Entscheidungen überhaupt Sicherheit gibt, hängt allein von der Fühlbarkeitsschwelle des Entscheidungsträgers bzw. des Beobachters in Bezug darauf ab, welche Konsequenzen als unterschiedlich angesehen werden beziehungsweise innerhalb welcher Toleranzen von Ausprägungen der Zielvariablen Konsequenzen für identisch gehalten werden (vgl. auch Riedl, S. 70ff.). Insofern ist der Übergang zu den Fällen der Entscheidung bei Quasi-Sicherheit fließend. Diese Fälle sind hinsichtlich des Datenbestandes und der Auswertungsmöglichkeiten dadurch charakterisiert, daß nicht alle relevanten Daten vorhanden sind oder verarbeitet werden, so daß an Stelle einer eindeutigen Beziehung zwischen Handlungsmöglichkeit und Konsequenz eine mehrdeutige Beziehung tritt. Andererseits ist der Informationsstand hinreichend, um stochastische Beziehungen zu ermöglichen, d.h. es sind umfangreiche Datenbestände vorhanden, die mit Wahrscheinlichkeiten behaftete Beziehungen auftreten lassen. Für Entscheidungen bei Quasi-Sicherheit ist weiterhin eine notwendige Voraussetzung, daß die Entscheidungssituation beziehungsweise der Zusammenhang von Handlungsmöglichkeit und Konsequenz repetierbar ist. Ein typisches Beispiel einer solchen Entscheidungssituation bei Quasi-Sicherheit ist der Zusammenhang von Leistung (Ausbringung pro Zeiteinheit) und Ausschuß. Die

Tagesproduktion

Ausschuß in Stück

Häufigkeit

100 Stück

0

20

200 Stück

0 1 2 3 4 5

10 20 30 20 10 0

300 Stück

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9

2 8 10 20 25 20 11 6 3 0

400 Stück

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

0 0 0 2 10 28 40 25 13 6 1 0

500 Stück

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

0 0 0 0 0 1 4 12 21 28 40 27 22 13 7 5 0

118

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

entsprechenden Daten liegen in solchen Fällen als Produktionsstatistik vor; auszuwerten sind sie mit statistischen Verfahren und produktions- und kostentheoretischen Überlegungen. Es seien die auf S. 117 aufgeführten Daten für 520 Produktionstage vorhanden. Daraus ergeben sich folgende durchschnittlichen Ausschußanteile: Tagesproduktion 100 200 300 400 500

Ausschußanteil 0% 1 % 1,3% 1,538% 2,04% Die ausschußabhängigen Kosten für 200 Stück steigen dann gegenüber einer Menge von 100 Stück um 1 %, für 300 Stück um 1,3 % usw. Mit diesem Kostenbetrag kann die Entscheidung über die Tagesproduktionsmenge in Abhängigkeit von den Kosten getroffen werden: Wenn genügend Tage mit der angegebenen Menge gearbeitet wird, ergibt sich im Durchschnitt der ermittelte Ausschußanteil; die Entscheidung ist verläßlich, die Ungewißheit in Quasi-Sicherheit überführt. An diesem Beispiel kann der Übergang zu Entscheidungssituationen mit Risiko deutlich gemacht werden: Wenn die vorliegenden Daten nicht für eine wiederholbare Entscheidung, d.h. für eine größere Zahl von Situationen ausgewertet werden sollen, sondern für eine Einzelentscheidung, dann entsteht keine Quasi-Sicherheit. In dem vorstehenden Beispiel wäre es auch möglich, die Planung des Materialbedarfs für jeden Tag an diese Daten zu knüpfen. Der tatsächliche Bedarf für einen bestimmten Tag wäre dann aus der Tagesproduktion unter Berücksichtigung des Ausschusses und seiner Schwankungen abzuleiten. Von einem bestimmten Material sollen für ein Stück 2 kg benötigt werden, die Tagesproduktion wird mit 500 Stück geplant. Der Materialbedarf liegt dann auf Grund der Streuung der Ausschußquote zwischen 505 · 2 = 1.010 kg und 5 1 5 - 2 = 1.030 kg, wenn sonst keine Abweichungsursachen existieren. Der wahrscheinlichste Wert ist zwar 1.020 kg, aber welcher Wert tatsächlich eintreten wird, ist nicht vorhersagbar; dieses Risiko bleibt in der Situation enthalten; ihm m u ß mit anderen M a ß n a h m e n , z.B. Bevorratung, begegnet werden. Allgemein läßt sich die Entscheidungssituation bei Risiko dadurch kennzeichnen, daß auf Grund von Erfahrungen, die objektiv-statistisch abgesichert oder nur subjektiver Art sein können, zwischen den Handlungsmöglichkeiten und Konsequenzen mehrdeutige Beziehungen der Art hergestellt werden können, daß unterschiedlichen Konsequenzen bestimmte Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können und daß die Entscheidung selbst einmalig in der Weise ist, daß das der Wahrscheinlichkeitsverteilung innewohnende Streuungsmaß nicht durch Wiederholbarkeit vernachlässigbar ist. Bei dieser Entscheidungssituation mit Risiko ist es unerheblich für die Erfassung und Verarbeitung der Ungewißheit, ob die zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeiten objektiver oder subjektiver Art sind; hinsichtlich des Vertrauens in die Gültigkeit der Daten sind dabei allerdings Unterschiede erkennbar. Subjektive Wahrscheinlichkeiten sind häufig gröber gerastert als objektive Wahrscheinlichkeiten, für die oft stetige Verteilungen vorliegen und bei objektiven Wahrscheinlichkeiten ist die Gültigkeit der Daten vorausgesetzt, während bei subjektiven Wahrscheinlichkeiten oft ein zweistufiger Prozeß vorliegt, bei dem die Wahrscheinlichkeit der Gültigkeit der Wahrscheinlichkeiten mit einbezogen wird. Dieser zweistufige Prozeß kann aber zu einem einzigen Wahrscheinlichkeitsmaß zusammengefaßt werden. Mit dem Eintreten der Entscheidungs-

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

119

konsequenzen werden die angenommenen Wahrscheinlichkeiten bestätigt oder widerlegt und führen somit zu einer Absicherung oder Veränderung der Wahrscheinlichkeiten (Riedl, S. 53 ff.). Die Frage nach dem Zustandekommen von Wahrscheinlichkeiten führt zu den Entscheidungssituationen bei Unsicherheit. Während die Situation bei Quasi-Sicherheit und Risiko dadurch gekennzeichnet ist, daß die mehrdeutige Menge möglicher Handlungskonsequenzen durch Wahrscheinlichkeiten strukturiert werden kann, sind bei Unsicherheit die Datenbestände so unzureichend, daß solche Angaben nicht gemacht werden können. Zu diesem Fall gehört auch immer die Einmaligkeit der Entscheidung als Situationsvoraussetzung. Die Unzulänglichkeit der Daten kann darin bestehen, daß zwar ein Bereich möglicher Konsequenzen abgesteckt werden kann, daß aber innerhalb dieses Bereichs keine einzelnen Konsequenzen mit Wahrscheinlichkeiten ausgezeichnet werden können. Solche Situationen liegen beispielsweise vor, wenn auf Grund technischer Bedingungen etwa die Ausschußquote nach oben begrenzt ist, aber das tatsächliche Ausschußverhalten einer neuen Maschine mit einem völlig neuen Verfahren noch nicht bekannt ist. Dieser Fall eines abgegrenzten Konsequenzenraumes ohne Wahrscheinlichkeiten, d. h. das Vorliegen schwacher Information (Gäfgen, S. 132), soll hier als Unsicherheit bezeichnet werden; für die anderen möglichen Fälle gibt es geeignete Bezeichnungen. So können die Konsequenzen der Handlungsmöglichkeiten des Entscheidungsträgers von den Handlungen anderer Subjekte abhängen, deren Handeln rational bestimmt ist. In diesem Fall liegen zwar keine Wahrscheinlichkeiten vor, doch der Konsequenzenraum ist mehrdeutig und unbestimmt, aber analytischer Untersuchung zugänglich. Wegen der Prämisse rationalen Handelns des „Gegenspielers", der auch aus mehreren anderen Entscheidungsträgern bestehen kann, wird dieser Fall rationale Indeterminiertheit genannt. Auch hier ist die Voraussetzung der Einmaligkeit der Entscheidungssituation impliziert, weil bei Wiederholungen Erfahrungen gemacht werden, die zu Wahrscheinlichkeiten führen. Andererseits ist auch die Rationalitätsprämisse unabdingbar, weil andernfalls keine systematische Analyse möglich wäre; es läge dann wieder Unsicherheit vor. Der äußerste Fall von Unvollständigkeit von Datenbestand und -auswertung liegt vor, wenn keine Vorstellungen über die Konsequenzen des Handels existieren; es ist dann Ignoranz gegeben. In diesem Fall, in dem keine Vorstellung über den Bereich möglicher Konsequenzen des Handelns besteht, ist eine rationale Sachentscheidung nicht möglich (Gäfgen, S. 133). Die möglichen rational orientierten Reaktionsmöglichkeiten des Entscheidungsträgers auf eine derartige Situation bestehen entweder in einer Informationsentscheidung darüber, ob und in welcher Richtung Ansätze zur Beseitigung der Ignoranz erfolgen sollen oder im Zurückgreifen auf Meta-Entscheidungen für diesen Typ von Entscheidungssituationen, die in der Vorgabe von Zufallsmechanismen für den Wahlakt bestehen, d.h. die Entscheidung wird durch „Losen" oder „Würfeln" festgelegt. Ein anderer Ausweg aus einer solchen Ignoranzsituation könnte in einer Erweiterung des Variablenfeldes bestehen; wenn sich die Ignoranz nur auf wichtige Variable bezieht, könnten Informationen über unwichtigere Variable zur Differenzierung der Konsequenzen herangezogen werden. Damit wird jedoch nur eine scheinbare Rationalität bewirkt, weil die Einführung dieser unwichtigen Variablen erst nachträglich erfolgt und bei den bedeutsamen Variablen die Konsequenzen nicht bekannt sind und auch nicht bekannt werden. Der Fall der Ignoranz darf jedoch als sehr selten vorkommend betrachtet werden, da Menschen im Regelfall Erfahrungen — wenn auch eventuell sehr unvollkommene - mit ähnlich gelagerten Situationen haben und sich auch bei deutlichen Situationsunterschieden über Analogien und andere konsi-

120

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

stenzfördernde Informationsverarbeitungsmaßnahmen Vorstellungen von den Konsequenzen ihres Handelns machen; damit ist nicht impliziert, daß diese Vorstellungen richtig sind, aber der Entscheidungsträger ist dann nicht ignorant gegenüber seiner Entscheidungssituation. Die Erfassung der verschiedenen Formen ungewisser Entscheidungssituationen von Ignoranz kann dabei abgesehen werden, — muß berücksichtigen, daß die Konsequenzen der Handlungsmöglichkeiten des Entscheidungsträgers mehrdeutig sind; in diesem Punkt sind Quasi-Sicherheit, Risiko, rationale Indeterminiertheit und Unsicherheit gleich. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Formen ungewisser Entscheidungssituationen liegt in den Einflußgrößen, von denen die Konsequenzen abhängig sind, und in den Entscheidungsregeln, die in den jeweiligen Situationen anwendbar sind. Bei der Darstellung der Konsequenzen sind gegenüber der Matrix-Darstellung aus Abbildung 15 (s.o. S. 52) mehr Dimensionen erforderlich. Die Darstellung der Konsequenzen für Τ Zielvariable machte bereits eine nT-dimensionale Vektordarstellung erforderlich. Nun wird jede dieser Ausprägungen noch von einer bestimmten Anzahl Umweltkonstellationen abhängig. Bei m verschiedenen Umweltkonstellationen werden dann I n - m-Dimensionen des Ergebnisvektors einzuführen sein mit 1 = 1, 2 , . . . , T, m = 1,2, . . . , m, η = 1,2,..., η. Für eine übersichtliche Darstellung in Matrixform, bei der diese! · m-Dimensionen flächig erfaßt werden, muß eine Ordnung der Dimensionskategorien vorgenommen werden. Es sind entweder für die Zielvariablen die Konsequenzen bei den jeweiligen Umweltkonstallationen abzubilden oder es können für jede Umweltkonstellationen die verschiedenen Ausprägungen der Zielvariablen zusammen dargestellt werden. Die Ergebnismatrix aus Abbildung 15 wird entweder zu Abbildung 35 {Klein, S. 58) oder zu Abbildung 36 erweitert ( G ä f g e n , S. 288). Ziel\ variable Alternativen

Abb. 35

'

... Z,

Z2

Umweltkonstellation

U,

u2

...ua 12·· kl Im

A, A2

KILL

A„

kni ι k nl 2 · • knlm

^211 k 2 1 2 .·

Im

U,

u 2 . • Uffi

u,

u2 - U

A

k 1 21kl 22 •

• ki2m k 22 i k222 • • k22m

km k 112• · • ^lliS ^211 k212• · · ^21(5

k„21 k n 2 2 ·

\c K

• · • knlm

Ergebnismatrix für η Alternativen, Τ Zielvariable und m Umweltkonstellationen

N

U,

U2

Zielvariable Z! Z 2 .. Z,

z,

z2

AI A2

KL 11 KJ12 ·· kill ^211 K 2 I2·· ki 11

kl 21

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k 22 I k 2 22 · • k 2 2 .

klml ... klml k2mi · • ·^2ιη1

A.

k n ll k nl 2

kn21 kn22 · • k„2i

knmt ·· • krml

\ Umwelt konstellation Alternative

Abb. 36

Z,

k«LL

• UM . • z,

Z,

... Z,

Ergebnismatrix für η Alternativen, m Umweltkonstellationen und Τ Zielvariable

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

121

Die Abbildungen 35 und 36 unterscheiden sich in ihrem Gesamtinhalt nicht voneinander, sondern nur in der Struktur der Zusammenfassung nach Zielvariablen und Umweltkonstellationen. Für die Fälle der Unsicherheit, d. h. des Fehlens von Wahrscheinlichkeiten für die Umweltkonstellationen und der rationalen Indeterminiertheit ist die ungewisse Entscheidungssituation damit vollständig erfaßt, bei Risikosituationen sind die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Umweltkonstellationen zusätzlich anzugeben. Die Unterschiede in der Struktur der Ergebnismatrix werden bei den verschiedenen Möglichkeiten der Verarbeitung der Ergebnismatrix zu einer Entscheidung mit Hilfe von Entscheidungsregeln oder Entscheidungsmodellen bedeutsam. Die Form der Ergebnismatrix gemäß Abbildung 35 zielt auf eine Aufspaltung der Matrix f ü r die einzelnen Zielvariablen ab, wobei diese als voneinander unabhängig anzusehen sind (Klein, S. 58 f.). Die typische Darstellung von Ungewißheitssituationen bezieht sich immer nur auf eine Zielvariable (Menges, S. 42ff., S. 86\Szyperski- Winand, S. 42ff.), folgt damit also letztlich der Vorgehensweise aus Abbildung 35. Der Verarbeitungsprozeß der Ergebnismatrix verläuft zweistufig; in der ersten Stufe wird die Ungewißheit absorbiert und in der zweiten die Ziele aufeinander abgestimmt. Demgegenüber weist die Darstellung gemäß Abbildung 36 auf Möglichkeiten zur Verdichtung des Entscheidungsfeldes ( G ä f g e n , S. 351 ff.) hin, bei denen die Ergebnismatrix nach verschiedenen Kriterien um Zeilen oder Spalten gekürzt wird. Auf diese Weise wird häufig eine so drastische Verkleinerung der Zahl zu vergleichender Konsequenzen erreicht, daß die Entscheidung sofort möglich ist. Andernfalls ist für die weitere Behandlung der Ungewißheitssituation auf die Darstellung gemäß Abbildung 35 überzugehen.

Übungsaufgaben: 1. Beschreiben Sie die verschiedenen Ursachen der Ungewißheit. 2. Welche Bedeutung hat die Wiederholbarkeit einer Entscheidung für die Beurteilung der Ungewißheitssituation? 3. Erläutern Sie die Unterschiede von Risikosituation, rationaler Indeterminiertheit und Unsicherheit. 4. Eine große Unternehmung agiert auf einem Absatzmarkt auf dem außer ihr noch ein großer Anbieter existiert, daneben gibt es noch eine Zahl kleiner Anbieter. Die Aktionsmöglichkeiten in preispolitischer Sicht seien für zwei Produkte folgendermaßen: Beide Preise konstant lassen Beide Preise etwas (ca. 3%) erhöhen Preis vom Produkt 1 konstant lassen, Produkt 2 um 10% erhöhen. Preis vom Produkt 2 konstant lassen, Produkt 1 um 10% erhöhen Beide Preise um 10% erhöhen. Die Produkte haben etwa das gleiche Absatzvolumen, den gleichen Kostenbetrag und die gleiche Produktionsbeanspruchung. Die Kleinanbieter haben sich in der Vergangenheit immer als Preisfolger der betrachteten Unternehmung verhalten. Der andere Großanbieter hat in 80% aller Fälle gleichgerichtet gehandelt, in 20Ψο der Fälle aber bei drastischen Preiserhöhungen nicht mitgemacht. Welcher Fall von Ungewißheitssituation liegt vor? Ist für die Beurteilung wichtig, ob eine einzelne Preisentscheidung für den nächsten Monat getroffen wird oder ob eine langfristige Preispolitik festgelegt wird? 5. Ändert sich der Charakter der Ungewißheitssituation, wenn die Unternehmung in

122

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

Aufgabe 4. statt über die Preispolitik über die Einführung eines in den letzten Jahren neu entwickelten Produkts zu entscheiden hat? 6. Die Alternativen in Aufgabe 4. haben Konsequenzen auf den Gewinn, auf die Marktstellung der Unternehmung und auf die Beschäftigung. Stellen Sie eine Ergebnismatrixfür die Zielvariablen Gewinn, Marktanteil und Beschäftigung unter Berücksichtigung der Ungewißheit auf. 7. Welche Maßnahmen können im Fall einer Entscheidungssituation bei Ignoranz getroffen werden? 8. Erläutern Sie, inwiefern der Fall der Ignoranz atypisch für betriebliche Entscheidungen ist. 9. In einem Betrieb wurden von einem Produkt in den letzten 20 Wochen folgende Mengen verkauft: Woche

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Menge

50

20

30

70

60

30

30

50

60

40

Woche

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

Menge

80

80

20

60

50

30

60

40

80

60

Charakterisieren Sie die Entscheidung über die einzelnen Bestellmengen (es soll alle 4 Wochen in festem Rhythmus bestellt werden) hinsichtlich ihrer Ungewißheitssituation. Inwiefern unterscheidet sie sich von der Entscheidung über die für die Kalkulation zugrundezulegende durchschnittliche Absatzmenge? 10. Ein Betrieb Α steht vor einer Investitionsentscheidung, die durch drei Alternativen ausgedrückt werden kann: Keine Investition Kleine Investition Große Investition Die Wirkung der Investition auf die Ertragslage der Unternehmung hängt von den Investitionsentscheidungen der Konkurrenz Β ab. Deren Handlungsmöglichkeiten sind: Keine Investition Investition in gleiche Richtung Investition in andere Richtung Konsequenzen: Es ergeben sich folgende Wenn beide nicht investieren, bleibt alles unverändert; wenn Α investiert und Β nicht, erhöhen sich die Absatzmöglichkeiten für Α entsprechend dem Investitionsumfang; wenn Α und Β in die gleiche Richtung investieren, bleibt die Absatzchance unverändert, aber die A ufwendungen sind höher. Wenn Α und Β in unterschiedliche Richtung investieren, verbessern sich die Absatzchancen für Α erheblich. Wenn Β in die Richtung investiert, in die Α investieren könnte und Α nicht investiert, wird Α absatzmäßig zurückgedrängt. Stellen Sie die Situation in einer Ergebnismatrix dar. Literatur: Gäfgen, G.; Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 3. Auflage Tübingen 1974. Klein, H . K . ; Heuristische Entscheidungsmodelle, Wiesbaden 1971. Menges, G.; Grundmodelle wirtschaftlicher Entscheidungen, Köln - Opladen 1969. Riedl, R.; Biologie der Erkenntnis, Berlin - Hamburg 1980. Schneeweiß, H.; Entscheidungskriterien bei Risiko, Berlin - Heidelberg - N e w York 1967. Szyperski, N. - Winand, U.; Entscheidungstheorie, Stuttgart 1974.

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

123

4.2. Entscheidungsregeln für Ungewißheitssituationen Die Ungewißheitssituationen stellen durch die Vielfalt der mehrdeutigen Ausprägungen von Konsequenzen den Entscheidungsträger vor erhebliche Verarbeitungsprobleme, die bei den verschiedenen Formen der Ungewißheit unterschiedlicher Art sind und mit differenzierten Entscheidungsregeln gehandhabt werden können. Außer den Entscheidungsregeln im eigentlichen Sinne sind noch Anwendungsbedingungen und begleitende oder ergänzende Maßnahmen zur Reaktion auf Ungewißheit einzubeziehen. Die Behandlung der Formen der Ungewißheit geschieht in der Reihenfolge ihrer Abgrenzung und Erfassung im vorigen Abschnitt. Entscheidungen bei Quasi-Sicherheit sind durch das Vorliegen von objektiven Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten der verschiedenen Umweltkonstellationen sowie die Wiederholbarkeit der Entscheidung gekennzeichnet. Die Entscheidungsregeln betreffen in diesem Fall in erster Linie die Überprüfung der Gültigkeit der Voraussetzungen und die Anwendung statistischer Gesetzmäßigkeiten und Methoden zur Ermittlung eindeutiger Konsequenzen und die Angabe ihrer möglichen Fehlerbreite. Die Überprüfung der Gültigkeit des Vorliegens von Quasi-Sicherheit bezieht sich auf die tatsächliche Existenz der objektiven Wahrscheinlichkeiten der Konsequenzen und den Grad an Objektivität der ihnen beizumessen ist; bei allen statistisch begründeten Aussagen steht immer die grundsätzliche Problematik an, ob die in der Vergangenheit gesammelten Daten Gültigkeit für die Zukunft haben oder ob irgendwelche grundlegenden Verschiebungen eingetreten sind. Hinsichtlich der Wiederholbarkeit und des Geltungsbereichs der zugrundeliegenden Daten muß weiterhin gelten, daß eine genügend große Zahl von Bezugsgrößen vorliegt ( G ä f g e n , S. 291); eine einmalige Wiederholung der Entscheidung kann die statistische Ausgleichswirkung auf die Ungewißheit nicht erreichen. Da die Zahl möglicher Wiederholungen, d.h. die Größe der zugrundeliegenden statistischen Masse, jedoch endlich ist, muß auch der Umfang der Konsequenzen beachtet werden. Eine Konsequenz, die den Entscheidungsträger aus dem Entscheidungsprozeß wirft (Konkurs, Tod usw.), verhindert die Wiederholbarkeit absolut; solche Konsequenzen können nicht unter Quasi-Sicherheit abgehandelt werden. Aber auch eine große negative Konsequenz, die innerhalb der Zahl möglicher Wiederholungen nicht ausgeglichen werden kann, verhindert eine Betrachtung unter Quasi-Sicherheit; hier ist die Grenze aber als relative Größe gegeben und eventuell veränderlich. Innerhalb der Anwendungsbedingungen der Quasi-Sicherheit kann die Konsequenzenmatrix nach Abbildung 35 verdichtet werden, indem der auf die vorliegende Verteilung der Wahrscheinlichkeiten anzuwendende Mittelwert errechnet wird. Dieser Mittelwert stellt dann eine einwertige Größe der Konsequenz in Bezug auf die betrachtete Zielvariable dar. Bei der am häufigsten zu unterstellenden Normalverteilung ist als Mittelwert das gewogene arithmetische Mittel zu bestimmen, d.h. die einzelnen Konsequenzen werden mit ihren Wahrscheinlichkeiten — deren Summe mit eins anzusetzen ist - multipliziert und diese Werte aufaddiert: m k„l= Σ knlm-Wm m= 1 mit den Wahrscheinlichkeiten wm (m = 1 , 2 , , , , , m) und m Σ

wm = i

124

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

Diese Konsequenzen können dann, wie in Abbildung 15 erfaßt und darauffolgend dargestellt, verarbeitet werden. Die gewonnene Einwertigkeit und damit Eindeutigkeit der Konsequenzdarstellung wird aber durch die Endlichkeit des betrachteten Entscheidungsfeldes eingeschränkt. Der Mittelwert ist streng genommen nur bei unendlichem Entscheidungsfeld ein eindeutiges Abbild aller Konsequenzen; bei einem endlichen Entscheidungsfeld, das als „Stichprobe" aus dem unendlichen Feld aller Möglichkeiten anzusehen ist, besteht eine Abweichung zwischen dem „theoretischen" Mittelwert und dem des Entscheidungsfeldes (Kreyszig, S. 182ff.); je größer das betrachtete Entscheidungsfeld, d.h. die Stichprobe ist, um so kleiner wird bei gegebener Wahrscheinlichkeitsverteilung dieses Konfidenzintervall; von der Unterschreitung einer bestimmten Größe an wird es nicht mehr als Intervall, sondern als Punkt zu betrachten sein. Solange die Obergrenze des Konfidenzintervalls für den Entscheidungsträger eine von der Untergrenze des Konfidenzintervalls unterscheidbare Konsequenz darstellt, ist die Entscheidungssituation bezüglich der betrachteten Zielvariablen nicht einwertig, sondern mehrwertig, wenn auch in einem erheblich kleineren Intervall als dem der ursprünglichen Wahrscheinlichkeitsverteilung. Für das Beispiel aus dem vorigen Abschnitt (s.o.S. 117) stellt sich die Situation bei Quasi-Sicherheit wie folgt d a r : Tagesproduktion 100 200 300 400 500

Ausschußanteil (Mittelwert) 0% 1,0% 1,3% 1,538 2,04%

Streuung 0 0,5774 0,5616 0,2928 0,4297

Stichprobenumfang 20 90 105 125 180

Das Konfidenzintervall ergibt sich in Abhängigkeit vom gewünschten Sicherheitsgrad der Aussage aus folgenden Beziehungen (Kreyszig, S. 184): Konfidenzintervall

= Mittelwert ± mögliche Abweichung

. . . ,· , . , •, Vertrauensfaktor • Streuunge Mögliche Abweichung = —— V Stichprobenumfang Der Vertrauensfaktor ist abhängig vom gewünschten Sicherheitsgrad der Aussage: Wenn bei einer Normalverteilung mit 99 % Sicherheit der tatsächliche Wert im Konfidenzintervall liegen soll, dann ist der Vertrauensfaktor mit 2,576 anzusetzen; bei 95 % Sicherheit mit 1,96. Hier soll mit 99 % Sicherheit gerechnet werden. Wenn für die nächsten 520 Tage mit einer gleichen anteiligen Häufigkeit der Tagesproduktionen gerechnet wird wie in der Vergangenheit, d a n n ergeben sich folgende Grenzwerte (gerundet) für die zu erwartenden Ausschußanteile. Tagesproduktion 100 200 300 400 500

Ausschußanteil Obergrenze 0 1,16 1,44 1,51 2,08

Ausschußanteil Untergrenze 0 0,84 1,29 1,42 1,92

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

125

Wenn die Kosten pro Stück ohne Berücksichtigung des Ausschusses 10 D M betragen, ergibt sich folgende Kostenfunktion: TagesProduktion 100 200 300 400 500

Erwartetes Kostenmaximum 1000— 2032,— 3039,60 4064,— 5104,—

Erwarteter Kostenmittelwert 1000,— 2020,— 3040,— 5100,— 5100,—

Erwartetes Kostenminimum 1000,2016,80 3038,70 4056,80 5096 —

Für die unterstellte Häufigkeit der Wiederholungen läßt sich die Abweichung für so gering ansehen, daß mit dem erwarteten Kostenmittelwert gerechnet werden kann. Der Übergang von der Quasi-sicheren Entscheidung zur Entscheidung unter Risiko ist dadurch gekennzeichnet, daß hinsichtlich der Wiederholbarkeit der Entscheidung so starke Einschränkungen zu machen sind, daß eine hinreichende Verdichtung des Konsequenzenfeldes auf den Mittelwert hin nicht möglich ist. Dabei können verschiedene Teilbereiche des Konsequenzenfeldes mit unterschiedlicher Ungewißheit behaftet sein, wie das vorstehende Beispiel deutlich macht: Bei einer Tagesproduktion von 100 tritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Ausschuß auf; der Mittelwert von 0% ist mit der Streuung 0 behaftet; für diesen Wert ist eine Verdichtung auf eine Größe auch für einmalige Entscheidungen möglich. Bei den anderen Werten hingegen lassen sich für einmalige Entscheidungen keine klaren Konsequenzen ableiten; eine Streuung von 0,575% bei einem Mittelwert von 1 % bedeutet, daß mit 95 %-iger Sicherheit nur gesagt werden kann, daß der Ausschußprozentsatz nicht über 2,115 % sein kann; unter 0 % kann er andererseits auch nicht sinken. Die Fälle einer kleinen Zahl von Wiederholungen bei Vorliegen von Wahrscheinlichkeiten lassen sich je nach Ausprägung der Ungewißheitseigenschaften Mittelwert und Streuung mit Strategien der Quasi-Sicherheit oder des Risikos bei einmaliger Entscheidung behandeln. Nachfolgend wird bei Risiko daher auf einmalige Entscheidung abgestellt. In diesem Fall müssen in die Betrachtung neben dem Wert der Konsequenzen das Ausmaß des Risikos und die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit im Verhältnis zur Einschätzung der Konsequenzen explizit einbezogen werden. Dabei können verschiedene Maßnahmen der Ungewißheitsreduzierung zum Einsatz kommen, die sich auf einzelne der drei Elemente oder auf sie gemeinsam beziehen. Eine Maßnahme zur Ungewißheitsreduzierung, die sich auf die Einschätzung allein der Wahrscheinlichkeiten bezieht, ist das Vernachlässigen kleiner Wahrscheinlichkeiten ( G ä f g e n , S. 352 f.). Diese Vorgehensweise ist eine graduelle Verschärfung einer sowieso bei menschlicher Informationsverarbeitung vorzunehmenden Wahrscheinlichkeitseinschätzung. Genau genommen gibt es nämlich überhaupt keine Sicherheit, weil alle empirischen Gesetzlichkeiten nur stochastischen Charakter haben (Riedl, S. 39ff.). Grundsätzlich könnte ein Würfel, statt auf eine seiner sechs Seiten zu fallen, auch davonfliegen, wenn alle Moleküle sich zufällig in die gleiche Richtung bewegen; die Wahrscheinlichkeit dieses Zufalls ist aber so gering, daß wir „mit Sicherheit" davon ausgehen können, daß im Bereich unserer Lebenserfahrung der Würfel immer auf eine der Seiten fallen wird (Riedl, S. 75). Die Grenzziehung, bei welcher Zahl für die Wahrscheinlichkeit seines Eintretens ein Ereignis für hinreichend unwahrscheinlich gehalten wird, um ausgeschlossen zu

126

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

werden, ist subjektiv vorzunehmen und Lernprozessen unterworfen {Riedl, S. 56f.). Die Beurteilung kann auch nicht von der Wahrscheinlichkeit allein abhängig gemacht werden; der Umfang der Konsequenzen, vor allem bei negativen Größen, ist dabei zu berücksichtigen. Konsequenzen mit extremen Charakter, die ζ. B. das Überleben des Entscheidungsträgers in Frage stellen, haben oft nur geringe Wahrscheinlichkeiten, sie wären sonst schon bei der Alternativenaufstellung ausgelassen worden. Derartige Katastrophenmöglichkeiten, wobei die Tatsache, daß eine Konsequenz als katastrophal empfunden wird, von der Situation des Entscheidungsträgers abhängt, können vorab ermittelt und die Alternativen ausgeschieden werden. Damit wird die Konsequenzenmatrix über das Element der Alternativen verkleinert. Bei dieser Reduktion der Ergebnismatrix wird davon ausgegangen, daß nur effiziente Alternativen betrachtet werden; wenn das nicht von vornherein gegeben ist, wird vor der Prüfung auf katastrophale Ergebnisse noch eine Dominanzprüfung durchgeführt, bei der dominierte Alternativen ausgeschlossen werden, d.h. solche, die in allen Konsequenzen gleich und in wenigstens einer Konsequenz schlechter sind als eine andere Alternative. Die Situationsabhängigkeit der Konsequenzenbewertung wird bei einem Vermögensverlust durch die Vermögens- und Einkommenssituation des Entscheidungsträgers (Bernoulli, S. 29) beschrieben. Dabei können Einschätzung der Wahrscheinlichkeit und Katastropheneinschätzung in Wechselwirkung stehen, wie folgendes Beispiel zeigt: Es stehen 4 Alternativen A ! — A 4 zur Wahl, die in jeweils 2 Konsequenzen K, und K 2 gemessen werden. Die Konsequenzen treten in 4 unterschiedlich wahrscheinlichen Zuständen U j — U 4 auf. Der Sachverhalt ist in der Konsequenzmatrix von Abbildung 37 dargestellt.

u, Wahrscheinlichkeit

0,3 K,

Abb. 37

K2

U2

u3

u4

0,5

0,1999

0,0001

K[

K,

K,

K2

K,

K2

A,

200

9

400

6

100

3

-10000

6

A2

400

3

300

5

-1000

7

- 2000

7

A3

300

4

400

5

200

8

-

100

7

Ai

100

5

200

7

300

4

0

2

Konsequenzmatrix für unterschiedlich wahrscheinliche Konsequenzen

Die vorliegende Konsequenzmatrix kann nach dem Grundsatz der Vernachlässigung kleiner Wahrscheinlichkeiten um den Umweltzustand U 4 verkürzt werden, wenn ein Wert von K, von - 10000 für den Entscheidungsträger nicht katastrophal ist, wenn er beispielsweise über einen Bestand an Einheiten von Κ, in Höhe von 20 000 verfügt. Die Verteilung der Ausprägungen von K 2 läßt keine Vermutung zu, daß einer der Werte katastrophal sein könnte; es mag sich dabei um die Zahl an Lieferanten für das Hauptma-

127

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

terial der in einem Betrieb erstellten P r o d u k t e handeln, während Κ , den Gewinn repräsentieren soll. Andererseits würde ein Empfinden von K j = - 10000 als Katastrophe dazu führen, die Konsequenzmatrix um die Alternative A, zu verringern, diese Alternative also auszuschließen ; denn obwohl die Wahrscheinlichkeit mit 0,0001 recht gering ist, - sie entspricht etwa der des fünfmaligen Würfeins der 6 hintereinander — wird es kaum jemanden geben, der eine solche Möglichkeit in Betracht zieht, wenn nichtkatastrophale Möglichkeiten existieren. Wenn aber das Katastrophenniveau für den Entscheidungsträger bei — 2000 liegt, wäre auch Alternative A 2 auszuschließen und wenn jeder negative Wert von Κ, katastrophal wäre auch A 3 . Im letzteren Fall wäre das Entscheidungsproblem gelöst, weil nur eine Alternative sich als zulässig erwiesen hätte. Wenn beispielsweise das Katastrophenniveau des Entscheidungsträgers f ü r K] bei - 1000 und für K 2 bei 100 (im Beispiel nicht relevant) liegt und er Wahrscheinlichkeiten von unter 0,0002 f ü r vernachlässigbar hält, ergibt sich die reduzierte Konsequenzmatrix aus Abbildung 38. Dabei wird die Summe der verbleibenden Wahrscheinlichkeiten auf 1 readjustiert.

Zustand

Wahrscheinlichkeit

U,

U2

U3

0,3

0,5

0,2

Konsequenz

K,

K2

Κ,

K2

K,

K2

A3 A4

300 100

4 5

400 200

5 7

200 300

8 4

Abb. 38 Reduzierte und hinsichtlich der Wahrscheinlichkeiten korrigierte Konsequenzmatrix aus Abbildung 37

Eine andere, auf die Konsequenzen bezogene M e t h o d e der Ungewißheitsreduzierung besteht in der Vorgabe von Sicherheitsmargen in Bezug auf als wünschenswert angesehene Ausprägungen der Konsequenzen ( G ä f g e n , S. 356). Wenn etwa eine Zahl von 5 für Konsequenz K 2 in Abbildung 37 für wünschenswert gehalten wird, dann kann eine Sicherheitsmarge von 3 als äußerster zulässiger Wert angesehen werden. In diesem Fall würden A , und A 2 ausgeschieden, weil f ü r sie der gewünschte Wert nicht innerhalb der Sicherheitsmargen erreicht werden kann; A 3 liegt mit (k 2 , U 3 ) = 8 und A 4 mit (k 2 , U 4 ) = 2 gerade auf der Grenze der Sicherheitsmarge; bei der reduzierten Konsequenzmatrix (Abbildung 38) ist (k 2 , U 4 ) wegen zu geringer Wahrscheinlichkeit entfallen. Auf die reduzierte Konsequenzmatrix sind zur weiteren Behandlung der Ungewißheitssituation Regeln anzuwenden, in denen die Einschätzungen der Konsequenzen mit den Einschätzungen der Ungewißheit verbunden werden. Die dabei anzuwendende Grundüberlegung beruht auf dem Grundsatz, daß die Ausprägungen der Konsequenzen zwar intersubjektiv (objektiv) als gleich wahrgenommen werden, daß aber die damit verbundene Vorteilsvorstellung intersubjektiv verschieden sein kann; sie kann so-

128

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

gar bei Wiederholungen variieren. Die grundsätzlichen Überlegungen dazu, bezogen auf ein Kriterium, stammen von Bernoulli (Bernoulli, S. 39ff.). Die Vorteilhaftigkeit einer risikobehafteten Konsequenz, ihr „moralischer Wert" (Bernoulli, S. 23) oder ihre „Ophelimität" ( G ä f g e n , S. 367) wird in erster Linie von der relativen Änderung des betroffenen Kriteriums beeinflußt, die von der betrachteten Alternative im günstigsten und im ungünstigsten Fall ausgeht. Eine weitere Einflußgröße ist die individuelle Risikoneigung in Bezug auf die betrachtete Zielvariable, das betrachtete Kriterium; in den unterschiedlichen Risikoeinschätzungen verschiedener Zielvariabler und ihrer Ausprägungen kommen die Präferenzen des Entscheidungsträgers in Bezug auf die Gewißheit und die Ausprägung bestimmter Konsequenzen zum Ausdruck. Derartige Präferenzen lassen sich nicht empfehlen, sondern nur darstellen; in einer präskriptiven Entscheidungstheorie läßt sich nur feststellen, daß ein Entscheidungsträger ihm bekannte unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten berücksichtigen sollte und daß es für ihn nicht gleichgültig sein kann, aus welcher Ausgangssituation heraus die Veränderung durch die Konsequenzen der Alternativen wirksam wird. Hinzu kommt, daß die verschiedenen Formen der Entscheidungsmaximen bei Ungewißheit ( G ä f g e n , S. 363 ff.) sich im allgemeinen nur auf eine Zielvariable beziehen. Bei einer multivariablen Konsequenzmatrix, wie sie hier zugrunde gelegt ist, können die Risikopräferenzen von Zielvariable zu Zielvariable unterschiedlich sein. Da eine rationale Lösung des Problems nicht vorgeschlagen werden kann, werden am Beispiel der reduzierten Konsequenzmatrix aus Abbildung 38 einige häufig vorzufindende Entscheidungsmaximen vorgestellt. Dabei ist als wesentliche Prämisse das Ausscheiden von Katastrophenmöglichkeiten zu beachten. Bei der Verwendung der mathematischen Erwartung für K, ergäbe sich A 3 > A 4 wegen 330 > 190 (A 3 bringt mehr Gewinn) und für K 2 mit optimaler Ausprägung 5 ebenso A 3 > A 4 wegen 5,3 — 5 < 5,8 — 5 (A 3 liegt näher an 5). Die Zahlenwerte ergeben sich aus 3

X kljiwi i= 1

3

bzw.

Σ k 2ji w i i= 1

Wenn stattdessen der moralische Wert, die Ophelimität, verwendet wird, so sind Nutzenfunktionen der Konsequenzausprägungen aufzustellen; dabei ist denkbar, daß es gelingt, die verschiedenen Dimensionen der Konsequenzen in eine einheitliche Nutzenskala, etwa ein Punktesystem, zu übertragen; auf Grund des Ausschlusses von Katastrophenmöglichkeiten und geringen Wahrscheinlichkeiten erscheint dieses Vorgehen als zulässig. Wenn eine solche Vereinheitlichung nicht gefunden werden kann, müssen die Konsequenzen einzeln hinsichtlich der Ungewißheit aufgearbeitet werden und es muß anschließend eine Prioritätsregelung erfolgen.

129

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik Es seien folgende Nutzenskalen angenommen

Ausprägung Κ,

0

100

200

300

400

Nutzen

0

10

15

18

20

Ausprägung K 2

1

2

3

4

5

Nutzen

0

1

3

6

10

Ausprägung K 2

6

7

8

9

10

Nutzen

6

3

1

0

0

Abb. 39 Nutzenskalen zu den Konsequenzen in Abbildung 38 D e r erwartete Nutzen der Alternativen beträgt in diesem Fall für A 3 N A 3 = 0,3 · (18 + 6) + 0 , 5 ( 2 0 + 10) + 0,2 (15 + 1 ) = 25,4 und für A 4 N A 4 = 0 , 3 ( 1 0 + 10) + 0,5 (15 + 3) + 0,2 (18 + 6) = 19,8 Die Alternative A 3 wäre vorzuziehen. D a der gewogene Mittelwert der Konsequenzen, sei es in der ursprünglichen Ausprägung oder als Nutzengröße, die Tendenz hat, starke Schwankungen der Ausprägungen bei einzelnen Ausprägungen abzugleichen, wird häufig als zusätzliches Maß der Ungewißheit die Streuung in die Entscheidungsregeln eingearbeitet (Menges, S. 210; Schneeweiß, S. 51 f.; Szyperski-Winand, S. 54); es hat sich eingebürgert, die Anwendung des Erwartungswertes als/;-Prinzip und die von Erwartungswert« und Streuunga als (μ, a)-Prinzip zu bezeichnen. Bei Anwendung des (μ, a)-Prinzips auf Kriterium K, der Konsequenzmatrix aus Abbildung 38 ergeben sich folgende Werte: A 3 : μ = 330; σ = 78 A 4 : μ = 190; a = 70 In diesem Beispiel liegtμ Α 4 beiμ Α 3 —1,79 σ Α 3 , d.h. d a ß mit 92%iger Sicherheit die Konsequenzen für K j bei A 4 schlechter sind als bei A 3 und daher A 3 vorzuziehen ist. D a s (μ, σ ) - Ρ η η ζ ί ρ kann in vier Fällen angewendet werden • Bei gleichem μ gibt das kleinere σ den Ausschlag. • Bei gleichem σ gibt das größere μ den Ausschlag. • Bei divergierenden μ und σ ist ein Vertrauensfaktor ω vorzugeben und zu prüfen, o b μ Α ί -α> · σ Αί > μ Α ί + wenn ja, dann ist A j vorzuziehen. D e r Vertrauensfaktor wird vom gewünschten Sicherheitsgrad bestimmt (s.o.S. 124). • Bei divergierenden μ und σ ist unter Verwendung des Vertrauensfaktors zu prüfen, ob μ Μ - ωσΜ >μΑί + , - ωσΜ + α und ob μ Μ > μ Α ί + ,; in diesem Falle ist A j vorzuziehen, weil der Mittelwert größer ist und im Konfidenzintervall die Alternative Ai nie schlechter sein wird als A ; +

130

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

Ohne übergreifende Nutzenfunktionen wird die Entscheidungsfindung schwierig, wenn auch die Zielvariable K 2 nach dem (μ, σ (-Prinzip bewertet wird. Die zugehörigen W e r t e lauten hier: A A

3:^K2 = 5'3; 4 : μΚ2 = 5>8;

σ Κ 2 = 1,42 σ Κ 2 = 1,25.

Die Entscheidung würde hier auf den vierten Fall des Prinzips zurückgreifen, d a bei einem gewünschten Wert von K 2 = 5 die Alternative A 3 sowohl hinsichtlich μ als auch f ü r σ bei 0 < ω < 1,1 besser liegt als A 4 . Eine Reihe anderer und zusätzlicher Verteilungsmaße zur Verfeinerung der Entscheidungsregel sind vorstellbar (Schneeweiß, S. 55ff.). Statt weiterer Verteilungsmaße sollen hier zwei andere mögliche Entscheidungsregeln vorgestellt werden, die vor allem auf die Wahrscheinlichkeit d e r Konsequenzen eingehen. Eine Regel besteht in der Verwendung der Konsequenzen, denen die höchste Einzelwahrscheinlichkeit zukommt. Im Beispiel von Abbildung 38 wäre das U 2 mit K,A3 = 400; K 1 A 4 = 200 und K2A3 = 5; K2A4 = 7. Die Entscheidung für A 3 wäre in diesem Fall sofort möglich, da für beide Konsequenzen A 3 überlegen ist. Eine übergreifende Nutzenvorstellung wäre hier entbehrlich. Diese Entscheidungsregel wird vor allem dann bei Risiko-Situationen zweckmäßig sein, wenn die Bildung der Wahrscheinlichkeiten f ü r ähnlich gelagerte Situationen in die Betrachtung einbezogen wird. Wenn nämlich die am wahrscheinlichsten erwartete Umweltsituation U 2 nicht eintrifft, sondern beispielsweise U , , dann werden sich, je nach U m f a n g der bisherigen Erfahrungen mit dem Problem, die Wahrscheinlichkeiten für eine spätere ähnliche Entscheidung z.B. verändern auf Zustand

U,

U2

U3

Wahrscheinlichkeit

0,5

0,3

0,2

Für die einzelne, nicht wiederholbare Entscheidung bleibt aber ein erhebliches Risiko offen. U m dieses zu verringern kann stattdessen mit kumulierten Mindestwahrscheinlichkeiten gearbeitet werden. Die Vorgehensweise besteht darin, die Konsequenzen ihrer H ö h e nach zu ordnen; wenn die betrachteten Umweltsituationen alle Möglichkeiten abdecken - was für den Fall des Risikos unterstellt ist - , dann muß für jede Alternative die kleinste Ausprägung mit der Wahrscheinlichkeit 1 mit Sicherheit erwartet werden. D e r Entscheidungsträger setzt sich ein erwünschtes Wahrscheinlichkeitsniveau, unterhalb dessen das Risiko einer Abweichung ihm zu groß wird, und wählt die Alternative, bei der die Konsequenz bei dem gewünschten Niveau die höchste Ausprägung hat. Wenn das erwünschte Wahrscheinlichkeitsniveau des Entscheidungsträgers 0,8 ist, dann bedeutet das für die Konsequenz K j aus Abbildung 38: K, : K2 :

A3 A4 A3 A4

= 300 = 100 = 4 = 7

(Differenz zu 5 : 1 ) (Differenz zu 5 : 2 )

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

131

Vorzuziehen wäre auch hier A 3 . Die Werte ergeben sich aus folgender Berechnung K,: Mit Sicherheit: Nächste Ausprägung:

A3 A4 A3 A4

= = = =

200 100 300 200

Wahrscheinlichkeitsniveau der nächsten Ausprägung: A 3 : 1 - 0 , 2 = 0,8 A 4 : 1 - 0 , 3 = 0,7 Das Wahrscheinlichkeitsniveau für A 4 ist zu gering, also ist mit dem Sicherheitsniveau zu rechnen K 2 : Mit Sicherheit: Nächste Ausprägung

A3 A4 A, A4

= = = =

8 7 4 4

Die Wahrscheinlichkeitsniveaus sind: A 3 = 1 - 0 , 2 = 0,8 A 4 = 1 - 0 , 5 = 0,5. Die Methode der kumulierten Wahrscheinlichkeiten mit Setzung eines Wahrscheinlichkeitsniveaus eignet sich vor allem bei einer größeren Zahl zu vergleichender Umweltzustände mit gering ausgeprägten Verteilungsmerkmalen. Im Falle gegenläufiger Tendenzen bei einzelnen Zielvariablen wird durch die Setzung der Wahrscheinlichkeitsniveaus häufig das Entscheidungsfeld stark eingegrenzt, so daß die Entscheidung erleichtert wird. In der Höhe der Setzung eines solchen Wahrscheinlichkeitsniveaus wird auch die Risikobereitschaft des Entscheidungsträgers deutlich: Ein Pessimist wird mit dem Sicherheitsniveau 1 rechnen; er legt für jede Alternative die ungünstigste Konsequenz zugrunde. Das bedeutet aber, daß er faktisch die Grundlage der Wahrscheinlichkeitsüberlegungen verläßt und davon ausgeht, daß die Umwelt von einer ihm feindlich gesonnenen Stelle aus gelenkt wird. Je weiter das Wahrscheinlichkeitsniveau gesenkt wird, desto näher liegt die Risikobereitschaft des Entscheidungsträgers bei der desjenigen, der die größte Einzelwahrscheinlichkeit für seine Entscheidung zugrunde legt. Ein Unterschreiten dieser maximalen Einzelwahrscheinlichkeit bei der Setzung des Wahrscheinlichkeitsniveaus stellt einen durch die Prämissen des Falls nicht gedeckten Optimismus dar. Die Entscheidungsregeln für Risikosituationen, die vor allem durch eine Einengung des Konsequenzenraumes oder durch die Gestaltung von Äquivalenzbeziehungen zwischen bestimmten Ausprägungen unterschiedlich wahrscheinlicher Konsequenzen beschrieben sind, können unter bestimmten Umständen auch auf Entscheidungssituationen bei Unsicherheit übertragen werden. Diese sind neben der Einmaligkeit der Einzelentscheidung dadurch gekennzeichnet, daß die Ausprägungen der Konsequenzen jeder Alternative beschrieben werden können, daß aber den zugrundeliegenden Umweltsituationen keine Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können. Die Situation kann in zwei verschiedene andere Ungewißheitssituationen überführt werden und zwar entweder in die Risikosituation oder in die der rationalen Indeterminiertheit. Bei statischer Betrachtung der Situation läßt sich aus dem Fehlen von bestimmten Wahrscheinlichkeiten folgern, daß alle Konsequenzen gleich wahrscheinlich sein müs-

132

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

sen, weil keine wahrscheinlicher als eine andere sei (Sinn, S. 32f.). Aus diesem als LAPLACE-Kriterium oder Kriterium des unzureichenden Grundes (Schneeweiß, S. 24) bezeichneten Grundsatz kann gefolgert werden, daß die Einzelwahrscheinlichkeit für eine Ausprägung aus einer Anzahl η Ausprägungen den Wert 1 annimmt. Es ist ersichtlich, daß auf diese Situation die Verdichtungsregeln der Vernachlässigung kleiner Wahrscheinlichkeiten und die Entscheidungsregel der Verwendung der größten Wahrscheinlichkeit keine Anwendung finden können. Die übrigen Entscheidungsregeln können jedoch angewendet werden, wobei das (w)-Prinzip sich zur LAPLACE-Regel (Schneeweiß, S. 21) vereinfacht, weil eine Gewichtung der Konsequenzausprägungen durch die Wahrscheinlichkeiten entbehrlich ist. Für das Beispiel von Abbildung 38 bedeutet das: Σ k 3 j l = 900; m=1

Σ k 4 j l = 600; m=1

A3}A4

Σ k3j2= m= 1

Σ k4j2= m= 1

A4}A3

17;

16;

Es wird die Summe aller Ausprägungen gebildet, die höchste Summe gibt den Ausschlag. Die Problematik einer solchen Regel bei Vorliegen mehrerer Zielvariablen wird deutlich. Wenn auf die nicht — reduzierte Konsequenzenmatrix von Abbildung 37 zurückgegriffen wird, ist eine andere Anwendungsmöglichkeit ersichtlich: Σ k-iji = — 9300 m=1 Σ k 2 j l = — 2300 i=l

m= 1

4

Σ k 3ji = m= 1

800

4

Σ k 44jj i = m= 1

600

Alternativen mit hohem Verlustrisiko werden in einem Zuge mit der Wahlentscheidung ausgeschieden, wenn keine gleich hohen Gewinnchancen bestehen. Damit wird aber auch die Problematik einer solchen Regel deutlich; wenn beispielsweise zwei Alternativen hinsichtlich einer Konsequenz durch die in Abbildung 40 enthaltenen Werte beschrieben werden, dann sind U,

u2

U3

u4

U5

U„

U7

U8

A,

10100

100

100

100

100

100

100

-10000

A2

100

100

100

100

100

100

100

0

Abb. 40

Konsequenzmatrix für 2 Alternativen und acht Umweltzustände

bei Anwendung der LAPLACE-Regel A , und A 2 indifferent, obwohl bei A 2 im Gegensatz zu A , keinerlei Verlustrisiko vorliegt. Das bedeutet, daß auch im Falle von Unsicherheit Katastrophenmöglichkeiten ausgeschieden werden sollten.

133

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

Eine andere Möglichkeit wäre auch hier die Anwendung des (μ, a)-Prinzips in seiner ersten Fassung. /"Al = HA2 = 8 7 > 5 σ Α 1 = 5025 οΑϊ ~ 33 Die Entscheidung läge hier deutlich bei A 2 . Eine Entscheidungsregel, die ohne Berücksichtigung eines rational handelnden Gegenspielers auf Ungewißheitssituationen angewendet werden kann, ist die SAVAGE-NIEHANS-Regel (Schneeweiß, S.21), bei der das nachträgliche Bedauern minimiert werden soll. Ausgehend von der höchstmöglichen Konsequenzausprägung für jede Umweltsituation wird der Betrag des Bedauerns ermittelt, der bei Wahl einer anderen Alternative festzustellen ist. Für die Konsequenzmatrix aus Abbildung 37 ergibt sich unter Vernachlässigung der Wahrscheinlichkeiten folgende Matrix des Bedauerns:

u2

U,

K2

K,

0

-1

-

-2

-100

-100

-1

-300

0

K,

K2

A,

-200

-4

A2

0

A3 A4 Abb. 41

K,

U4

U3

K2

K2

K,

200

-1

-10000

0

-1300

-1

-

2000

0

0

-

100

-2

-

100

-200

-2

0

0

0

0 -1 1 -2

Matrix des Bedauerns für die Konsequenzmatrix aus Abbildung 37 (mit K 2 o p l = 5).

Daraus ergeben sich die Vektoren maximalen Bedauerns für -100001 K, =

I I

2 1°0°0°

I

und

K2 = |

300 Das Minimum des maximalen Bedauerns liegt für K j bei A 3 , für K 2 bei A 3 und A 4 , so d a ß nach dieser Regel A 3 eindeutig gewählt werden kann. Für die Auswertung der Bedauernsmatrix kann zusätzlich noch die Minimierung des Gesamtbedauerns und die Trefferquote herangezogen werden; die Minimierung des Gesamtbedauerns entspricht dabei im Ergebnis der Laplace-Regel. Zwei weitere hier anwendbare Regeln sind die H U R W I C Z und die H O D G E S - L E H M A N N - R e g e l , die wegen des Bezugs aus die MINIMAX-Regel aber erst nach den spieltheoretischen Ansätzen vorgestellt werden. Die zuletzt aufgeführte Entscheidungsregel verzichtet auf eine wahrscheinlichkeitsbezogene Interpretation der Unsicherheitssituation. Wenn die Ungewißheitssituation entsprechend der Definition als eine einmalige Entscheidung angesehen wird, d. h. eine Entscheidung, deren direkte Konsequenzen nicht durch eine Risikokonsolidierung (Gäfgen, S. 292) ausgeglichen werden können, dem Entscheidungsträger aber andererseits die Möglichkeit des Lernens unterstellt wird, so daß die Entscheidungssituation als Teil eines dynamischen Informationsverarbeitungsprozesses anzusehen ist (vgl. Riedl,

134

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

S. 41 ff.), dann läßt sich daraus folgern, daß der Entscheidungsträger bei Fehlen von Wahrscheinlichkeiten die Situation entweder als zufallsgesteuert oder als kausal- oder zweckgesteuert ansehen kann. Im ersten Fall gilt das Prinzip des unzureichenden Grundes, im anderen Fall besteht bei betrieblichen Entscheidungen die berechtigte Annahme, daß die Kausal- oder Zwecksteuerung der Umweltsituationen von anderen Entscheidungsträgern bewirkt wird; damit wäre die Unsicherheit in die rationale Indeterminiertheit überführt. Ein dritter Weg bestände darin, die Definition der Entscheidungssituation auszuweiten, um das Fehlen von Wahrscheinlichkeiten durch die Wahrscheinlichkeitsverteilung bei ähnlichen Situationen zu ersetzen. Ein derartiges Verhalten ist bei der Handhabung von Entscheidungen oft zu beobachten (Kirsch, S. 61) und in vielen Situationen auch sinnvoll {Riedl, S. 70f.); wenn die erweiterte Situation nicht zutrifft, ergeben sich aus der Erfahrung dann aber Anhaltspunkte für die engere Entscheidungssituation und die ihr innewohnenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Für den Fall einmaliger Entscheidung bei Kenntnis des Bereichs möglicher Konsequenzen der Alternativen, aber ohne Wahrscheinlichkeitsangaben für die einzelnen Umweltzustände, ist gemäß Fall 2 davon auszugehen, daß die Umweltzustände von einem Gegenspieler gesteuert werden, der aus einem oder mehreren Entscheidungsträgern bestehen kann. Wenn der Gegenspieler, auch in diffuser Form, nicht erkennbar ist, dann gilt die LAPLACE-Regel des unzureichenden Grundes. Wenn aber die Umweltzustände von einem Gegenspieler gesteuert werden, dann ist es vernünftig anzunehmen, daß dieser Gegenspieler ebenso vernünftig handelt oder zu handeln bestrebt ist, wie der betrachtete Entscheidungsträger selbst. Bei allen Beschränkungen, denen das rationale Wahlhandeln unterliegt, kann davon ausgegangen werden, daß die Rationalität, so weit sie Entscheidungsträger und Gegenspieler möglich ist, auch realisiert wird. Die Unbestimmtheit der Entscheidungssituation wird durch diese Rationalitätsprämisse zum Teil aufhebbar, weswegen dieser Fall als rationale Indeterminiertheit bezeichnet wird. Die Entscheidungssituation ist in diesem Fall dadurch zu beschreiben, daß der Entscheidungsträger und sein Gegenspieler gleichzeitig und unabhängig aus den ihnen möglichen Alternativen je eine auswählen; die Wahl erfolgt unter Berücksichtigung der Wahlmöglichkeiten des anderen und der unterstellten Rationalität. Das Charakteristikum der Gleichzeitigkeit der Wahl ist erforderlich, um die Unbestimmtheit für beide Seiten aufrecht zu erhalten. Wenn es die Möglichkeit des Abwartens gibt, dann stellt sie eine weitere Alternative dar, der ebenfalls Konsequenzen zuzuordnen sind, da derjenige, der abwartet, dem anderen einen Vorsprung einräumt. Die Betrachtungsweise ist statisch, d. h. jede Alternative wird als abgeschlossen betrachtet und die Konsequenzen als endgültig angesehen. Die Darstellung und Lösung derartiger Situationen rationaler Indeterminiertheit erfolgt in der Theorie der Spiele; dabei ist die Zahl der beteiligten Entscheidungsträger und Gegenspieler nicht unbedingt festgelegt und das Ergebnis für den einen braucht nicht das negative Komplement für den anderen zu sein. Alle derartigen Spiele lassen sich aber auf den einfachsten Fall des Zweipersonen-NullsummenSpiels zurückführen (v. Neumann - Morgenstern, S. 47f.). Die Anwendung der Spieltheorie setzt die Aufteilung der Konsequenzmatrix nach Abbildung 37 in die Teilmatrizen für einzelne Zielvariable und die für sie geltenden Konsequenzen voraus; die Konsequenzen der Alternativen werden nur in einer Zielvariablen ausgedrückt. Bei einer solchen univariablen Konsequenzmatrix können die Ergebniswerte als Zahlungen angesehen werden, die beim Zweipersonen-Nullsummenspiel für den Gegenspieler das umgekehrte Vorzeichen tragen (Angermann, S. 283). Ein Nicht-Nullsummenspiel

135

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

kann durch die Einführung eines fiktiven dritten Spielers, der die Differenz der Ergebnisse von Entscheidungsträger und Gegenspieler trägt, in ein Nullsummenspiel verwandelt werden. Bei betrieblichen Entscheidungen unter Berücksichtigung des Verhaltens von Konkurrenten ist dieser Dritte z.B. der Markt. Ein Zweipersonen-Nullsummenspiel kann durch die in Abbildung 42 dargestellte Konsequenzmatrix abgebildet werden. Dabei sind die Umweltsituationen durch G! bis G 5 gekennzeichnet, um deutlich zu machen, daß sie von der Wahlentscheidung des Gegenspielers abhängen. Als Strategie werden dann die Prinzipien bezeichnet, nach denen der Entscheidungsträger seine Wahl trifft (v. Neumann — Morgenstern, S. 49). GegenX^spieler

G,

G2

G3

G4

G5

Min.

scheidungsträgei^v

Abb. 42

A,

40

20

-10

-30

-60

- 60

A2

20

10

0

10

20

0

A3

-100

-50

0

50

100

-100

A4

30

0

-30

-60

60

- 60

A5

40

60

40

-40

- 40

Max.

40

60

50

100

0

Konsequenzmatrix für ein Zweipersonen-Nullsummenspiel

Es hat sich erwiesen, daß die inhaltliche Struktur des Spiels, d.h. die Verteilung der Konsequenzen in der Konsequenzmatrix, bestimmte Strategien als rational erscheinen läßt. Wenn die Konsequenzmatrix einen Sattelpunkt (oder Paß) hat, d.h. einen Punkt, an dem der höchste Wert für das „Tal" gleich dem niedrigsten Wert für die „Berge" ist, dann bietet sich die ausschließliche Anwendung der Minimax-Regel an; ihre Anwendung läßt zugleich die Existenz eines Sattelpunkts erkennen. Sie besteht darin, daß für die Alternativen des Entscheidungsträgers die minimalen Werte aufgesucht werden, d. h. die Zeilenminima bestimmt werden; aus ihnen wählt der Entscheidungsträger den maximalen Wert als Grundlage seiner Entscheidung aus. Im Beispiel von Abbildung 42 sind die Zeilenminima ( - 6 0 ; 0; - 1 0 0 ; - 6 0 ; - 4 0 ) ; wenn der Entscheidungsträger die Alternative A 2 wählt (Maximum Minimorum), kann er nicht mehr als 0 Geldeinheiten verlieren, d.h. er wird ohne Verlust davonkommen. Dem Gegenspieler wird ein gleichartiges Denken unterstellt; für ihn sind die positiven Werte in Abbildung 42 Verluste und die negativen Gewinne. Für ihn werden dementsprechend die Spaltenmaxima gebildet: (40; 60; 0; 50; 100). Wenn er seine Alternative G 3 wählt, wird ihm kein Verlust entstehen. Die Alternativenkombination A 2 , G 3 , die durch das Maximum der Zeilenminima und das Minimum des Spaltenmaxima bestimmt ist, stellt den Sattelpunkt dieses Spiels dar. Der Wert ist hier gerade 0. Für beide Seiten gibt es keine bessere Alternative, weil jeder dann, wenn ihn der andere in seiner Absicht durchschaut, einen höheren Verlust machen würde und bei einer anderen Strategie des anderen und Festhalten an der eigenen sich besser stellt

136

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

als bei dem Wert 0. Je nach Datenstruktur kann der Wert des Spiels, d.h. die Zahlung im Sattelpunkt kleiner oder größer Null sein; ein solches Spiel ist aber für einen der beiden dann ein reines Verlustgeschäft. X.

Gege'nspicier Ent-\. scheidungsträger\

Abb. 43

G2

G,

G4

G3

G5

AI

60

-30

50

10

40

Α2

-20

80

-30

50

-70

A3

30

40

-60

-20

50

A4

-30

50

60

A5

20

^tt)

30

10 70

-30

Konsequenzmatrix für ein Zweipersonen-Nullsummenspiel ohne Sattelpunkt

Häufiger als Spiele mit Sattelpunkt, bei denen die reine Minimax-Strategie gespielt werden kann, sind Konsequenzmatrizen, die keinen Sattelpunkt enthalten. Eine solche Matrix ist in Abbildung 43 wiedergegeben. Die zugehörigen Zeilenminima sind durch ( - 3 0 ; - 7 0 ; - 6 0 ; - 4 0 ; - 4 0 ) und deren Maximum mit - 3 0 für A a gegeben. Die Spaltenmaxima lauten (60; 80; 60; 70; 50) mit ihrem Minimum bei 50. Die Alternativenkombination würde lauten A j G 5 ; bei dieser Wahl durch Α würde G besser daran tun G 2 zu wählen, bei welcher Wahl Α allerdings besser daran täte A 2 zu wählen, in welchen Fall G jedoch besser G 5 wählen würde. Dieser Kreis von „Wenn - Dann"-Überlegungen läßt sich noch erheblich fortsetzen (Kahle, 1973, S. 127). Die anzuwendenden Strategien bestehen in diesem Fall aus einer Mischung von Wahlentscheidungen. Das Mischungsverhältnis kann für je zwei Alternativen für Α und G durch eine einfache Mischungsrechnung ermittelt werden. Wenn beispielsweise die in Abbildung 44 dargestellte Konsequenzmatrix gilt, ist wie folgt zu verfahren (Angermann, S. 291). Gegenspieler G,

G2

Min.

A,

5

2

2

A2

1

3

1

Max

5

3

En tschei"" dungsträger

Abb. 44

-

Konsequenzmatrix für ein Zweipersonen-Nullsummenspiel mit 2 Alternativen je Spieler

Es werden die Differenzen der Werte für die einzelnen Konsequenzen gebildet und die Ergebniswerte überkreuz mit ihnen multipliziert; es ist Dn = 5- 2 = 3 D12 = 3 — 1 = 2

D21 = 5 — 1 = 4 D22 = 3 — 2 = 1

137

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

Α hat seine Strategien im Verhältnis 2 A] zu 3 A 2 zu mischen, während G I G , mit 4 G 2 ZU mischen hat, um optimal zu verfahren. Der Wert des Spiels ist dann: 5- 2 + 2- 3 + 1 · 1 + 4 - 3 2 + 3+ 4+1

=

2 9 10

= 2 9

D.h. Α wird bei Anwendung der Strategien durch beide im Durchschnitt 2,9 gewinnen. Jeder, der von seinem Mischungsverhältnis abweicht, stellt sich auf Dauer schlechter (Angermann, S. 291 f.). Für die Einzelentscheidung ist damit aber keine endgültige Lösung gefunden, weil die Strategienmischung erst bei mehreren Wiederholungen Wirkung zeigt. Wenn im Fall von Abbildung 44 beide die häufigste Alternative der Mischung wählen, landen sie bei A 2 , G 2 mit dem Wert 3, der sehr nahe bei dem durchschnittlichen Wert des Spiels liegt. Bei mehr als zwei wirksamen Alternativen für einen der beiden Spieler ist die optimale Mischung der relevanten Alternativen durch das Verfahren der Linearen Programmierung zu bestimmen, wobei der Ansatz aus der Sicht des Entscheidungsträgers folgendermaßen aussieht (Angermann, S. 297ff.): i i Ikijri = i=1

v

Σ r i => i= 1

1

V = max!

Dabei sind k^ die Werte der Konsequenzmatrix und η die mit dem Spielwert gewichteten Häufigkeiten der Alternativenwahl. Von größerer Bedeutung als gemischte Strategien bei Nullsummenspielen sind Spiele mit variablem Ergebnis, die in einfacher Form auch als „Gefangenen-Dilemma" bezeichnet werden. Bei diesen Situationen m u ß in Frage gestellt werden, ob die A n n a h m e streng kompetitiven Verhaltens bei Vorliegen eines Gegenspielers gerechtfertigt ist: Gefangener 1

Gestehen

Leugnen

Gestehen

6 Jahre / 6 Jahre

10 Jahre / 0 Jahre

Leugnen

0 Jahre / 10 Jahre

3 Wochen / 3 Wochen

Gefangener 2

Abb. 45 Gefangenen-Dilemma. Der erste Wert gilt für Gefangenen 1, der zweite für Gefangenen 2.

Im Gefangenen-Dilemma in Abb. 45 werden zwei Gefangene eines Raubüberfalls beschuldigt; wenn einer gesteht und als Kronzeuge auftritt, bleibt er straffrei, der andere erhält 10 Jahre; gestehen beide werden sie milder bestraft mit je 6 Jahren; wenn beide leugnen, kann man ihnen nur wegen Waffenbesitzes drei Wochen Strafe geben. Wenn sie hier nach dem Minimax-Prinzip entscheiden, gestehen beide und kommen so auf das kollektiv schlechteste Ergebnis. Eine solche Situation ist bei Investitionsüberlegungen oder Marketingmaßnahmen häufig gegeben, in denen die Auswirkungen auf den Gewinn durchaus f ü r beide Seiten realistisch - wenn man es mit einem Gegenspieler oder einer Koalition von Gegenspielern mit einheitlicher Strategie zu tun hat. Eine solche Situation kann wie in Abb. 46 beschrieben aussehen, wenn der Entscheider (E) vier Handlungsmöglichkeiten (Strategien) A, B, C und D hat und die Gegenseite (G) die Handlungsmöglich-

138

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

keiten I, II, III und IV. Die Zahl der Handlungsmöglichkeiten auf beiden Seiten m u ß nicht gleich sein. A

Β

C

D

I

(4/14)

(6/6)

(-3/9)

(7/-7)

II

(1/1)

(12/-8)

(4/-2)

(-7/1)

III

(10/8)

(-7/8)

(3/1)

(7/2)

IV

(-8/3)

(4/-4)

(-61-6)

(-3/-5)

G_

-

^

Abb. 46 Typische Situation eines Spiels mit variablem Ergebnis. Der erste Wert gilt für E, der zweite für G.

Bei Anwendung der Minimax-Regel liegt bei C/IV ein Sattelpunkt; die Beteiligten würden die kollektiv schlechteste Lösung wählen, obwohl es viele andere Lösungen gibt. Die kollektiv beste Lösung wäre A/I; hier wäre aber ein Ausgleich zwischen Ε und G erforderlich, der in vielen Fällen schwierig zu bestimmen und zu überprüfen ist. Eine gute, weil kollektiv und individuell zufriedenstellende Lösung wäre B/I, weil hier ein hohes Gesamtergebnis erzielt wird und kein Ausgleich erforderlich ist. Die Lösung A/II könnte unter dem Aspekt „friedliche Koexistenz" Zustandekommen; beide gewinnen wenig und gleichmäßig. Allgemein läßt sich f ü r solche Situationen feststellen, d a ß die Gesamtsituation analysiert werden m u ß und daß im allgemeinen die Frage der Zulässigkeit von Absprachen - ζ. B. kartellrechtlich verbotene Preisabsprachen - geprüft und die Problematik der Einhaltung dieser Absprachen berücksichtigt werden muß. Lösungen mit einem hohen gleichmäßigen Gewinn für beide können als „ausgezeichnete" Lösungen angesehen werden, da sie pareto-optimal und ohne Absprachenotwendigkeit sind. D a s Minimax-Prinzip als Grundstrategie bei Entscheidungssituationen mit streng kompetitivem Charakter und einem rationalen Gegenspieler wird bei einigen anderen Prinzipien modifiziert, bei denen eine Ungewißheitssituation mit teilweise kompetitivem Charakter vorliegt. Der bei Existenz eines tatsächlichen Gegenspielers gerechtfertigte Pessimismus der Minimax-Regel wird bei der HURWICZ-Regel durch einen Optimismusparameter A h modifiziert {Schneeweiß, S. 21); das jeweilige Zeilenminimum wird mit A h , jedes Zeilenmaximum der Konsequenzmatrix mit 1-λΗ multipliziert; die Auswahl erfolgt nach der höchsten Summe aus beiden; f ü r λ Η = 1 liegt der Pessimismus der Minimax-Regel, fürA H = 0 vollkommener Optimismus vor. Für das Zahlenbeispiel von Abbildung 43 ergibt sich bei λΗ = 0,4: KA1 KA2 KA3 K A4 KA5

= = = = =

0,6 0,6 0,6 0,-6 0,6

• (-30) · ( - 70) · (-60) · (-40) · (-40)

+ + + + +

0,4 0,4 0,4 0,4 0,4

· 60 · 80 · 50 · 50 • 70

= 6 = -10 = -16 = - 4 = 4

Damit wäre A , die günstigste Alternative bei dem festgesetzten Optimismusparameter. Eine ähnliche Mischung aus Pessimismus und Vertrauen in die Prognose stellt die H O D G E S - L E H M A N N - R e g e l dar; für sie ist der Ausgangspunkt der Betrachtung je-

139

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

doch eine Risiko- oder Ungewißheitssituation. In ihr werden Erwartungswert der Konsequenzen und Risiko der schlechtesten Konsequenzausprägung durch einen Vertrauensparameter λL verknüpft (Schneeweiß, S. 21). Da eine Ungewißheitssituation als Risikosituation mit gleichen Wahrscheinlichkeiten p k für die U k Umweltkonstellationen zu interpretieren ist, kann die HODGES-LEHMANN-Regel allgemein folgendermaßen beschrieben werden: Zum Erwartungswert der Konsequenzen multipliziert mit AL wird der mit 1— XL multiplizierte schlechteste Wert der Konsequenzausprägungen addiert. Der größte dieser Werte bestimmt die Auswahl der Alternative. Für die Konsequenzmatrix aus Abbildung 43 ergeben sich für XL = 0,6 folgende Werte K A1 = 0,6(60 • 0 , 2 - 3 0 · 0,2 + 50 • 0,2 + 10 0,2 + 40 • 0,2) • - 3 0 = 3,6 K A2 = 0 , 6 ( - 4 + 16— 6 + 1 0 - 14) + 0,4- - 7 0 = K A3 = 0,6(6 + 8 - 1 2 - 4 + 1 0 ) + 0,4 - 6 0 = K A4 = 0 , 6 ( - 6 + 1 0 + 1 2 - 8 + 2) + 0,4 - 4 0 = K A5 = 0 , 6 ( 4 - 8 + 6 + 1 4 - 6 ) + 0,4 · - 4 0 =

+ 0,4 -26,8 -19,2 -10 -10

Die günstigste Alternative ist auch hier A , mit deutlichem Vorsprung. Die Darstellung der verschiedenen Entscheidungsregeln hat gezeigt, daß die Lösung multivariabler Entscheidungssituationen unter Ungewißheit nur schrittweise erfolgen kann. Für Entscheidungen unter Risiko können nur in eingeschränktem Maße klare Verhaltensempfehlungen gegeben werden; eine spieltheoretische Lösung solcher Situationen ist nur bei Verdichtung oder Beschränkung des Problems auf eine Zielvariable möglich; außerdem sind einschränkende Verhaltensannahmen zu machen. Der Fall der Ignoranz ist hier nicht weiter zu behandeln, weil er nur über Maßnahmen der Informationsbeschaffung oder eine Neuformulierung des Problems zu handhaben ist. Die damit zusammenhängenden Probleme sind bereits weiter oben dargestellt worden (s.o.S. 43ff.; S. 65 ff.). Übungsaufgaben: 1. Nennen Sie die Bedingungen, unter denen eine Entscheidung bei Ungewißheit als Entscheidung bei Quasi-Sicherheit behandelt werden kann. 2. Welche Entscheidungsregel ist bei Entscheidungen unter Quasi-Sicherheit anzuwenden? Begründen Sie ihre Antwort. 3. Für die Herstellung eines Produktes sind folgende Angaben für die Beziehungen zwischen Materialverbrauch und Produktionsmenge ermittelt worden (Die Ursprungsdaten seien bereits auf Mittelwert und Streuung ausgewertet): Produktionsmenge (Stück/Woche)

durchschnittlicher Materialverbrauch (kg/Stück)

Streuung

60 80 100 120 140 160

15 12 11 13 16 20

3 2 2 3 4 6

Bezugsgrößen (Häufigkeit der Produktionsmenge)

(kg/Stück) 40 SO 40 60 60 50

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

140

a) Die Produktionsplanung für das kommende Jahr schätzt eine durchschnittliche Produktion von 140 Stück/Woche. Mit welchem Verbrauch pro Woche ist höchstens zu rechnen, wenn mit 95% Sicherheit gerechnet werden soll. b) Mit welchen Stückkosten ist zu rechnen, wenn 1 kg Material 2 DM kostet? Wie sicher ist der angesetzte Betrag bezogen auf das Jahr. 4. In welcher Weise verändert sich die Entscheidungssituation aus Aufgabe 3, wenn die Lagermenge für eine bestimmte Woche festgelegt werden soll? 5. Wie groß ist die bereitzuhaltende Menge an Material, wenn für eine Woche eine Produktion von 160 Stück geplant wird und mit 99,9% Wahrscheinlichkeit eine Fehlmenge ausgeschlossen werden soll? 6. Eine Entscheidungssituation sei durch folgende Konsequenzmatrix dargestellt: Zustände

Ui

U2

u3

U4

Wahrscheinlichkeiten

0,0001

0,0999

0,3

0,4

Alternativen

Κ,

Κ 2 κ.

Kl

κ.

Κι

Κ,

κ2

κ,

κ2

1000 800 2000 500 1000 10000 600 1500

6 4 5 7 2 3

0 0 400 -800 200 -600 300 -400

3 2 0 4 5 4 2 2

-400 -420 100 300 -500 800 -500 800

2 1 2 3 6 2 1 3

-1000 -1100 -4000 0 -1000 -5000 -1500 - 500

0 0 0 2 2 3 3

Ar

A2 A3 Α4

A,

A„ A 7 Α»

5 S

κ2

7 5 3 6 3 200 0 400 4 0 8

too 80 200 800 600

200 160 -200 900 0 400 -400 -100

8 6 2 5 4 2 3 6

ν6

0,1999

0,0001

5

a) Welche Alternative dominiert eine andere in Bezug auf Κ b) Welche Alternative dominiert eine andere in Bezug auf K2? c) Welche Alternativen sind vernachlässigbar: Die, für die a) oder b) gelten oder die, für die a) und b) gelten? Begründen Sie Ihre Antwort. d) Welche Alternativen sind nach den Konsequenzen einer Katastrophenmöglichkeit auszuschalten, wenn ein Verlust von Κ] = -2000 oder K2 = —10 für den Entscheidungsträger den Ruin bedeutet? e) Welche Umweltzustände sind nach Berücksichtigung von d) als vernachlässigbar wegen zu geringer Wahrscheinlichkeiten anzusehen? f ) Stellen Sie die reduzierte, korrigierte Konsequenzmatrix unter Berücksichtigung von c) bis e) auf. 7. Wie verändert sich die Entscheidungssituation aus Aufgabe 6), wenn eine Unsicherheitssituation vorliegt, d.h. die Wahrscheinlichkeiten entfallen? Welche Entscheidungsregeln sind nun anzuwenden? 8. Der Nutzen der Konsequenzen aus Aufgabe 6) ergibt sich unter Berücksichtigung der Beschränkung aus 6 d) wie folgt: Nutzen von Kl = —10 4- V4 krj Nutzen von K2 = —100+5 k2j a) Welche Alternative aus Aufgabe 6) weist für den Fall fehlender Wahrscheinlichkeiten den größten Nutzen auf? b) Welche Probleme weisen die hier unterstellten Nutzenfunktionen auf? 9. Welche Entscheidung ist für den Fall aus Aufgabe 6) bei der Vorgabe eines Sicherheitsniveaus von 0,5 zu fällen?

141

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

10. Die Entscheidung eines Entscheidungsträgers über ein Projekt hängt von den gleichzeitig zu treffenden Entscheidungen der Konkurrenz ab. Die Situation sei durch Wirkungen auf den Marktanteil beschrieben, der sich für den Entscheidungsträger so viel positiv verändert wie für die Konkurrenz negativ und umgekehrt. Dem Entscheidungsträger stehen 4 Alternativen, der Konkurrenz fünf Gegenalternativen mit folgenden Konsequenzen zur Auswahl: Gegenspieler Entscheidungsträger Αχ

A2 Ai

Gi

G2

c3

G4

G5

0 2 -6 4

4 0 -4 0

6 -2 0 -2

2 4 2

-4 6 4 -2

-4

a) Welche Entscheidungsregel ist anzuwenden? b) Welche Strategie ist zu verfolgen? 11. Welches Entscheidungskriterium kommt in Frage, wenn die Situation in 10) nicht eindeutig durch einen Gegenspieler bestimmt ist, sondern möglicherweise vom Zufall oder von einem Gegenspieler. 12. Auf einem Markt kämpfen zwei Großanbieter um Marktanteile und Gewinn; die übrigen Anbieter seien vernachlässigbar. Die Konkurrenten haben beide folgende Strategiemöglichkeiten: - Preissenkung - Preiserhöhung mit Werbekampagne - Verstärkung des Direktmarketing - Neuentwicklung von Produkten Bezüglich des Marktanteils ergeben sich folgende Ergebnisse aus Sicht von A: PSA ΡΕΑ VDA NPA PSB 0 -6 -3 3 2 VDB 3 -6 0 NPB -3 1 -2 0 PEB -1 6 0 6 Bezüglich des Gewinns ergeben sich folgende Ergebnisse, wobei der erste Wert für Α, der zweite für Β gilt: ΡΕΑ VDA NPA PSA -10/-12 -2/2 PSB 21-6 4/-4 PEB 71-3 2/5 6/-1 515 VDB 31-3 4/2 4/1 III NPB -3/5 8/8 -215 1/3 a) Warum sind die beiden Tabellen unterschiedlich? b) Wählen Sie eine Strategie für die Marktanteilsmaximierung. c) Welche Strategie empfehlen Sie für die Gewinnmaximierung? d) Gibt es eine sinnvolle gemeinsame Lösung? 13. Eine Unternehmung steht an einem Markt einem gewichtigen Konkurrenten gegenüber (alle anderen Marktteilnehmer seien vernachlässigbar). Die Unternehmung hat verschiedene Handlungsmöglichkeiten, die sich auf den Marktanteil und den Gewinn auswirken. Die Wirkung der Handlungsmöglichkeiten hängt auch vom Verhalten des Konkurrenten ab, dessen Handlungsmöglichkeiten bekannt sind. Die Handlungsmöglichkeiten sind für beide: Preiserhöhung (ΡΕ), Preissenkung (PS),

142

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik Kapazitätserweiterung auf den Marktanteil

(KE), Intensivierung der Werbung (IW). Die sind aus Sicht der Unternehmung wie folgt zu

Auswirkungen beschreiben:

PEK

PSK

KEK

IWK

PEU

0

-10

- 8

- 4

PSU

10

KEU

8

IWU

4

-

0

2

- 1

2

0

- 3

1

3

0

Die Gewinnaussichten stellen sich für die Beteiligten wie folgt dar, wobei der Wert für die betrachtete Unternehmung und der zweite für den Konkurrenten PEK PEU

12/12

PSU

21-3

KEU IWU a) b)

-3/3 4/3

PSK

KEK

IWK

-3/1

31-3

5/7

-81-8

21-4

2/2

- 4 / - 4

1/-1

-1/2 m

-2/2

erste gilt.

-21-2

Stellen Sie fest, ob es für die Marktanteilsmaximierung und die Gewinnmaximierung eindeutige Lösungen gibt. Erörtern Sie, welche Arten von konfliktären oder kooperativen Strategien in der Gewinnmaximierung möglich und sinnvoll sind.

Literatur: Angermann, Α.; Entscheidungsmodelle, Frankfurt/M. 1963. Bernoulli, D.; Versuch einer neuen Theorie der Wertbestimmung von Glücksfällen, übersetzt und erläutert von A. Pringsheim, Leipzig 1896. Gäfgen, G.; Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 3. Auflage Tübingen 1974. Kahle, E.; Betriebswirtschaftliches Problemlösungsverhalten, Wiesbaden 1973. Kirsch, W.; Die H a n d h a b u n g von Entscheidungsproblemen, München 1978. Kreyszig, E.; Statistische Methoden und ihre Anwendungen, 4. Auflage Göttingen 1973. Menges, G.; Grundmodelle wirtschaftlicher Entscheidungen, Köln-Opladen 1969. von Neumann, J. - Morgenstern, O.; Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten, Würzburg 1961. Riedl, R.; Biologie der Erkenntnis, Berlin-Hamburg 1980. Schneeweiß, H.; Entscheidungskriterien bei Risiko, Berlin-Heidelberg-New York 1967. Sinn, H.; ökonomische Entscheidungen bei Unsicherheit, Tübingen 1980. Szyperski, N. - Winand, U.; Entscheidungstheorie, Stuttgart 1974.

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

143

4.3. Erscheinungsformen und Erfassungsmöglichkeiten zeitlicher Einflüsse bei Sicherheit In der bisherigen Behandlung der Entscheidungsprobleme ist die zeitliche Entwicklung in der Weise vernachlässigt worden, daß Zeit zwar als existent angesehen wurde, Wirkungen des zeitlichen Ablaufs von Entscheidungs- und Handlungsprozessen jedoch nicht berücksichtigt wurden. Bei der nun folgenden Berücksichtigung solcher zeitlicher Wirkungen sind unterschiedliche Wirkungsweisen und Ansätze zur Erfassung zu beachten. Die Berücksichtigung zeitlicher Wirkung erfolgt unabhängig davon in jedem Fall durch die ausdrückliche Angabe eines Zeitbezugs, im allgemeinen durch einen Zeitindex der Art: xt. Die Wirkungsweisen können — bezogen auf die Entscheidungssituation und ihre Elemente - endogener oder exogener Art sein. Bei exogener Wirkung sind bestimmten Alternativen und Umweltkonstellationen unterschiedliche Konsequenzen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zugeordnet oder es gelten zu bestimmten Zeitpunkten nur bestimmte Umweltzustände oder nur bestimmte Alternativen. Bei der Betrachtung derartiger exogen bestimmter Veränderungsmöglichkeiten von Daten sind zwei Fälle zu unterscheiden: a) Die Daten verändern sich. b) Die Daten verändern sich nicht. Im ersten Fall wird von einem evolutorischen Verhalten der Daten, d. h. der Alternativen, Umweltzustände und Konsequenzen, und im zweiten Fall von einem stationären gesprochen (Ott, S. 10; Schneider, E., S. 263). Bei einem stationären Verhalten der Daten kann von einer Angabe eines Zeitbezugs abgesehen werden, weil die Daten in allen Zeitpunkten gleich sind. Das bedeutet, daß die Nichtangabe eines Zeitbezugs implizit die Prämisse unveränderter Daten in sich trägt. Evolutorische Verläufe von Daten, d. h. unterschiedliche Ausprägungen von Konsequenzen in unterschiedlichen Zeitpunkten, unterschiedliche Umweltzustände zu unterschiedlichen Zeitpunkten, aber auch unterschiedliche Strategien und Präferenzen zu verschiedenen Zeitpunkten können auf verschiedene Weise erfaßt und verarbeitet werden. Dabei ist die Unterscheidung nach endogener oder exogener Betrachtung der Gründe der Entwicklung von Bedeutung. Werden in die Betrachtung eines ökonomischen Tatbestandes nur Variable einbezogen, die sich auf den gleichen Zeitpunkt beziehen, wird von einer statischen Analyse gesprochen. Sind andererseits die Variablen eines Zeitpunkts funktional mit Variablen eines anderen Zeitpunkts verknüpft, d.h. besteht eine intertemporal-kausale Beziehung, dann wird von dynamischer Betrachtungsweise gesprochen (Ott, S. 11; Schneider, E., S. 265 f.). Dynamische Beziehungen im Entscheidungsprozeß können nicht ohne weiteres in die bisher verwendete Darstellung von Alternative, Umweltzustand und Konsequenzen durch eine Konsequenzmatrix eingearbeitet werden. Eine typische dynamische Beziehung zwischen Alternative, Umwelt und Konsequenz könnte so aussehen: U l l + 1 = U , ( A j t , U I t I Zkt) K l t + 2 = K ! ( U l t + ι, A j t , Aj, +

1?

K ] t + ], K l t )

Das bedeutet, daß der Umweltzustand U ] der Folgeperiode t + 1 von der jetzt zu wählenden Alternative A j t , dem jetzt geltenden Umweltzustand und einer möglichen anderen Einflußgröße Z k in ihrem derzeitigen Zustand abhängt. Die Konsequenz im Zeitpunkt t + 2 des Handelns in t und t + 1 hängt dann von dem vorher abgeleiteten Um-

144

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

weltzustand, den Handlungen in t und t + 1 und den Ausprägungen der Konsequenz K , in t und t + 1 ab. Erst die Ergebnisse einer solchen Analyse könnten dann in die Konsequenzmatrix eingetragen werden. In den dynamischen Beziehungen können auch Funktionen der Art K u + ^ K ^ K j , , U l t > U 2 t ) oder V l t + 1 = U1(Klt, U2t+1) auftreten, d. h. daß sie verschiedene Zielvariable und Umweltzustände zu verschiedenen Zeitpunkten miteinander verknüpfen. Die ermittelten Werte gelten jeweils nur für einen Zeitpunkt; die Konsequenzmatrix muß dann in jedem Zeitpunkt auf den jeweiligen Stand gebracht werden. Aus der getroffenen Definition für Statik läßt sich feststellen, daß sie für den Fall der Betrachtung einer Beziehung zwischen zwei oder mehr Elementen sich nur auf einen stationären Zustand der Elemente beziehen kann. Es ist demgegenüber aber auch vorstellbar, die Beziehungen zwischen verschiedenen Elementen der Entscheidung statisch zu betrachten, aber bei unterschiedlichen, d.h. sich im Zeitablauf verändernden Daten. Eine solche Betrachtung unterschiedlicher Entscheidungssituationen und Entscheidungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten kann als komparative Statik (Schams, S. 27ff.) bezeichnet werden. Die komparativ-statische Analyse kann bei der Untersuchung von Entscheidungstatbeständen vor allem dazu dienen, Entscheidungsverhalten, das bei rein statischer Analyse widersprüchlich erscheint, durch die Existenz im Zeitablauf veränderlicher Präferenzen, Strategien oder Konsequenzen zu erklären, ohne das Zustandekommen dieser Veränderungen zugleich erklären zu müssen. Wenn diese Veränderungen im Zusammenhang des Entscheidungsprozesses erklärt werden sollen, z.B. durch Lernprozesse, durch Sättigungsphänomene usw., dann ist eine dynamische Betrachtung erforderlich. Dynamische Beziehungen sind der Regelfall wirtschaftlicher Betätigung; die Bestände zu bestimmten Zeitpunkten sind das Ergebnis zeitlich vorgelagerter Aktivitäten. So ist etwa der Lagerbestand zu einem Zeitpunkt das Ergebnis aus dem Abgang durch Verkauf und Schwund, dem Zugang aus Produktion und dem Anfangsbestand des Lagers (Stöppler, S. 8); gleichartige Modelle lassen sich in der Finanzplanung usw. finden. Bei genügender Wiederholung und genügendem Gleichmaß der Vorgänge kann auf die Beachtung der Dynamik verzichtet werden. D a die Behandlung dynamischer Beziehungen aufwendig und schwierig ist, werden oft Näherungsverfahren zur Lösung eingesetzt, denen nicht ohne weiteres anzusehen ist, daß sie zur Lösung dynamischer Beziehungen dienen. Ein typischer Fall sind die Verfahren der Investitionsrechnung, die sich der Diskontierung bedienen, um Einzahlungen und Auszahlungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vergleichbar zu machen. Wenn der Barwert der Einzahlungen t C e 0 aus Σ e,q"' und der der Auszahlungen 1= ι τ C a 0 mit Σ a,q~' ermittelt wird, t= ι wobei e, und at die Ein- bzw. Auszahlungen zum Zeitpunkt t und q der Zinsfaktor ist, dann ist eine intertemporal-kausale Beziehung nicht ohne weiteres erkennbar, so daß an der Bezeichnung „dynamischer Verfahren" der Investitionsrechnung (Lücke, S. 180) zu zweifeln wäre. Wird aber berücksichtigt, daß dieses Vorgehen nur eine Näherungslösung zu der genauen Verrechnung der jeweiligen Soll- und Habenzinsen auf die

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

145

jeweiligen Finanzdefizite und -Überschüsse ist und daß diese Überschüsse und Defizite sich unter Berücksichtigung der Einzahlungen aus dynamischen Beziehungen ergeben (Kruschwitz, S. 47; S. 63), dann tragen die dynamischen Verfahren der Investitionsrechnung ihren Namen zu Recht. Dynamische Beziehungen beherrschen aber ebenso weitreichend die menschliche Informationsverarbeitung von der Wahrnehmung bis zur Strategienbildung (Riedl, S. 46ff., S. 59). Die positive Erfahrung mit einer Hypothese verstärkt sie, die negative schwächt sie ab, wobei die Abschwächung je nach Formulierung der Hypothese in einer Verminderung von Wahrscheinlichkeiten oder in ihrer Falsifikation bestehen kann. Entscheidungsregeln werden nach ihrer heuristischen Kraft als Strategien gewählt; die heuristische Kraft wird aus der Erfahrung in vergleichbaren Situationen beurteilt (s.o.S. 110). Derartige Heuristiken sind selbst bei so klar definierten Entscheidungsaufgaben wie dem Schachspiel notwendig und werden nach ihrem Erfolg und Mißerfolg subjektiv immer wieder verändert gewichtet (Newell-Shaw-Simon, S. 320ff.). Die Darstellung und Behandlung dynamischer Beziehungen in den Wirtschaftswissenschaften kann auf unterschiedliche Weise erfolgen, Notwendigkeit und Vorgehensweise sind in der Literatur eingehend erörtert worden (Ott, S. 15 ff. und die dort aufgeführte Literatur). Bei der Betrachtung des Zeitablaufs kann die Zeit als stetige oder als diskontinuierliche Größe gesehen werden. Wenn ein stetiger Zeitablauf und eine stetige Entwicklung der untersuchten Größen unterstellt wird, dann bietet sich zur Erfassung und Auswertung der Beziehungen die Integralrechnung als geeignetes Instrument an. Für die Betrachtung betrieblicher Entscheidungsprozesse, die aus Teilaktivitäten und Teilzusammenhängen bestehen, bietet sich demgegenüber die diskontinuierliche Betrachtung an, wobei die Zeit in Abschnitte unterteilt wird, die mit dem allgemeinen Begriff Periode bezeichnet werden. Dabei ist davon auszugehen, daß aus Gründen der Vergleichbarkeit der Größen und der Eindeutigkeit der Bezeichnung die Perioden gleich lang sein sollen, d. h. der zeitliche Abstand zwischen Beginn und Ende einer Periode immer gleich lang sein soll (Ott, S. 28, S. 32). Daß für bestimmte Zwecke auch einmal unterschiedlich lange Perioden definiert werden können, zeigt die Geschichtswissenschaft, die Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit als Perioden der Urgeschichte sowie Mittelalter und Neuzeit als weitere Perioden nennt und mit ihnen inhaltliche Aussagen verbindet, obwohl die Zeitdauer der Perioden unterschiedlich ist. Eine weitere, plausible Prämisse für die Periodenlänge ist ihre Nichtnegativität; sie wird für die nachfolgende analytische Handhabung dynamischer Probleme in expliziter Form benötigt (Ott, S. 32). Die Untersuchung dynamischer Beziehungen bei diskontinuierlicher Zeitbetrachtung kann mit Hilfe von Differenzengleichungen erfolgen; die dabei verwendeten Begriffe und Konventionen entsprechen weitgehend denen der Differentialrechnung (Ott, S. 34). (Die nachfolgende Darstellung lehnt sich an die Darstellung von Ott an). Eine gewöhnliche Differenzengleichung ist eine Gleichung, die eine Variable y als Funktion mit einer oder mehrerer ihrer Differenzen verknüpft oder auch mit der Zeit t selbst. Als Differenz wird für die Werte y, mit t = 1 , 2 , . . . die Größe zly, bezeichnet, die folgende Werte annehmen kann: = yi-yD Ay x = y 2 - y j Δ y2 = y 3 - y 2 dyt = yt+i-y,

146

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

Diese Differenz zweier aufeinander folgender Werte für yt wird als erste Differenz bezeichnet (Ott, S. 32 f.). In entsprechender Form kann die zweite Differenz Δ 2yt ermittelt werden aus = A2yt

Ayl+l-Ayt

und die dritte Differenz Δ 3yt aus A 2 y l + \—A2yi = zl 3 y t und so fort. Eine gewöhnliche Differenzgleichung ist dann beispielsweise (Ott, S. 34): a0 • z l y t + a 1 y t = 0 . Gegenüber der gewöhnlichen Differenzengleichung ist die partielle Differenzengleichung zu unterscheiden, die mehrere Variable zeitlich und funktional miteinander verknüpfen kann. Differenzengleichungen können nach den Grad der einbezogenen Differenz, nach dem Kriterium der Linearität und der Konstanz der Koeffizienten unterteilt werden (Ott, S. 36). Differenzengleichungen können erster, zweiter bis n-ter Ordnung sein, sie können linear oder nichtlinear sein, wobei sich die Linearität auf die Funktionsverknüpfungen bezieht, d.h. die Differenzen gehen nur einfach und nicht in irgendeiner Weise potenziert in die Gleichung ein. Die Variabilität oder Konstanz der Koeffizienten ist in Abhängigkeit von der Zeit t zu sehen; die Koeffizienten a 0 und a j in der obigen exemplarischen Gleichung sind entweder in Zahlenwerte umzusetzen oder selber von der Zeit abhängig, z.B.:

a 0 = 4;

a, = | t .

Zur Verdeutlichung seien verschiedene Möglichkeiten der Kombination dieser Eigenschaften von Differenzengleichungen exemplarisch dargestellt: • Lineare Differenzengleichung erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten ~ Ay, + 4y ( = 0 • Nichtlineare Differenzengleichung erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten ^yt)

2

+ 3y, = 0

• Lineare Differenzengleichung dritter Ordnung mit konstanten Koeffizienten — y.+2 + - y.+ i + y . = o • Lineare Differenzengleichung erster Ordnung mit variablen Koeffizienten 2y.-i + | t - y , = 0 Für die weitere Betrachtung ist noch die Unterscheidung nach vollständigen und homogenen Differenzengleichungen (Meschkowski, S. 12) zu berücksichtigen. Eine Differenzengleichung gilt als vollständig oder inhomogen, wenn sie außer den Werten yt mit t = 1 , 2 , . . . oder zly, in den verschiedenen Ordnungen noch eine unabhängige Größe f (t) enthält, d.h. wenn geschrieben werden kann:

147

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

aQ y t -i + a j y, - f(t) = 0 oder a 0 yt_ ] + a j yt = f(t). Für f(t) = 0 ist die Differenzengleichung homogen (Meschkowski, S.12). Differenzengleichungen haben für die Behandlung dynamischer Entscheidungsprobleme besondere Bedeutung, weil sie, insbesondere im Fall linearer Gleichungen, analytischen Lösungen zugänglich sind und weil diese Lösungen für Funktionen möglich sind, die durch lineare Diffentialgleichungen nicht erreicht werden können {Meschkowski, S. 13). Als Lösung einer Differenzengleichung wird eine Funktion F(t) bezeichnet, durch die jeder Wert der Differenzengleichung für beliebiges t erfüllt wird {Ott, S. 38). Dabei sind spezielle und generelle Lösungen zu unterscheiden; die speziellen Lösungen gelten für zahlenmäßig festgelegte Anfangswerte und sind Bestandteile der Gesamtheit aller Lösungen, die durch die generelle Lösung ausgedrückt wird. Das sei an einem Beispiel einer homogenen linearen Differenzengleichung erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten verdeutlicht (nachfolgend wird die Charakterisierung linear und mit konstanten Koeffizienten weggelassen, weil dieser Fall im Vordergrund steht und am typischsten ist): y, - 2 y,_ ] = 0 oder yt = 2y t _,. Für einen beliebigen Anfangswert, z.B. y0 = 3 ergibt sich folgende Wertreihe: t yt

0 3

1 6

2 12

3 24

4 48

5 96

oder allgemein y, = 3 • 2'. Für ein anderes y 0 , z.B. y0 = 12 ergibt sich die Reihe t yt

0 12

1 24

2 48

3 96

4 192

5 384

...

und die Funktion yt = 12 · 2*. Die generelle Lösung für einen beliebigen Wert C für y0 lautet dann {Ott, S. 38): y, = C · 2*. Die Entwicklung der Lösung entspricht der Ermittlung des Kapitalwerts in der Zinseszinsrechnung. Aus der allgemeinen Gleichung a 0 y> + a j y,_ ! = 0 wird y, = a - y t _ ,

mit

a= -

a

^ o

entwickelt. Es ergibt sich die Wertereihe Yt = a y,_ j y,+ , = a y, = a 2 y t _ , y t +2 = a y t + 1 = a 3 y t _] y t + n = a yt + n _ , = a n + I y t _ , . Für y t _ j wird y„ gesetzt. Es ergibt sich yt + n = ay n = a n + 1 y 0 und y, = y c a '{Ott, S. 39/40) als spezielle Lösung und y, = C · a' als generelle Lösung. Der Verlauf von y über die Zeit t wird demnach von zwei Größen bestimmt, von C und a; letzteres ist dabei bedeutsamer und es können sechs Fälle auftreten:

148

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

1. 2. 3. 4. 5. 6. -

a > 1 a = 1 1> α > Ο Ο >α > - 1 a = —1 1 >α

Die Fälle 1—6 sind in den Abbildungen 45 a bis f dargestellt (Ott, S. 41 f.). Der Multiplikator C in yt = C · a' gibt den Startpunkt für den Verlauf von y, und durch sein Vorzeichen im Fall 1 auch die Richtung des Verlaufs an. Vor allem bei den schwingenden Verläufen der Fälle 3 bis 5 ist es vorstellbar, daß die Schwingung nicht um den Wert Null, sondern um einen anderen Wert herum verläuft. Ein solcher Verlauf ist typischerweise durch eine inhomogene Differenzengleichung erster Ordnung abzubilden, die dann beispielsweise lautet: y, = a · Dabei gilt a = - ^ a0

yt_j

und

+ b (a Φ 0, b Φ 0). b= - ^ . a0

Aus dem Berechnungsschema y, = a y t _ , + b Yt+1 = ay, + b = a 2 y,_, + ab + b yt + n + a " " ' y t - i + b (an + a n "

1

+ . . . + an~n)

und entsprechend y, = a'y0 + b(a'" 1 + a< "

2

+ . . . + a°),

worin der Klammerausdruck durch die Summenformel V a' =

für

a> 1

1 ' Υ a' = - — - für ,-ο 1 " a

a 1

- ) a' + — f ü r 1 - a)/ 1- a

und

a < 1.

Die allgemeine Lösung lautet demzufolge y, = C a1 y, = Ca'H

— a- 1 1—a

für

a > 1

für

a 1. Monotones Ansteigen von a'.

Ο

1

_i

2

ι

3

Ι-

t

Abb. 47a

t

Abb. 47b

Fall 2. a = 1. a* ist immer gleich 1, also stationärer Verlauf von a'.

Ο Fall 3. a'.

_i

1

ι

2

ι

3

ΐ-

1 > a > 0. Monotones Sinken von

Fall 4. 0 > a > - 1 . Gedämpfte Schwingungen von a'.

+2

0

1 2

3 t

Abb. 47c

0

1 ι 2 -3-1" t "



+ 1 0 - 1 -

Fall 5. a = - 1 . Gleichbleibende Schwingungen von a'.

2.



Abb. 47d

a1 + 2'· · + 1 0

0

1

2

3

t

- 1 -

Fall 6. - 1 > a . Zunehmende Schwingungen von a'.

2.

--

Abb. 47e

+ 2'

+ ίο

3

t

- 1 Abb. 47 Verschiedene Verläufe für a1 bei den sechs Fällen für a

- 2

Abb. 47f

150

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

Von den Differenzengleichungen höherer Ordnung seien hier nur die homogenen Differenzengleichungen zweiter Ordnung aufgeführt; sie können exemplarisch durch yt + a y t _ , + by t _ 2 = 0 dargestellt werden {Ott, S. 60). Bei gegebenen Anfangswerten für y0 und y , lassen sich die Funktionswerte für y, tabellarisch aufstellen. Eine Funktion Ä', die yt erklärt, müßte folgende Hilfsgleichung erfüllen: λ1 + a A ' " 1 + b A'" 2 = 0, was sich durch Einsetzen von λ' in die Ausgangsgleichung ergibt. Der Wert für Λ ergibt sich aus der Normalform für die Lösung einer quadratischen Gleichung, nachdem die Gleichung durch λl~2 dividiert wurde (Ott, S. 61): X2 + al + b = 0

Die speziellen Lösungen für yt lauten y, = λ , ' und y. = A2'. Die allgemeine Lösung ist durch eine Linearkombination beider mit den Koeffizienten C, und C 2 gegeben, wobei die Koeffizienten sich aus den Werten λ\,λΎ, yD und y, ergeben (Ott, S. 62): y, = Cj + C 2 · λ\. y0 = C, + C 2 y, = ClXl +C2X2 c = ^ 2 y 0 - yt 1

c

2

λ2-λ, =

yi ^z-K

Anwendungsbeispiele lassen sich neben der Konjunktur- und Wachstumstheorie vor allem in der Finanzmathematik und in der Lagerhaltungstheorie finden (Goldberg, S. 130ff.). Bei der Analyse intertemporal-kausaler Verknüpfungen durch Differenzengleichungen sind Entscheidungen über Alternativen nur indirekt enthalten. Sie können in der Weise eingebracht werden, daß beispielsweise der maximale Wert yt in Abhängigkeit von verschiedenen, entscheidungsbedingten Größen y0 und/oder a zu bestimmen ist oder daß für ein gewünschtes yt der notwendige Wert y0 bei gegebenen a zu ermitteln ist. Die Differenzengleichungen und ihre Lösung sind nur ein Teil des Prozesses der Entscheidungsfindung. Eine explizite Berücksichtigung von Entscheidungen während des Entscheidungsprozesses ist demgegenüber beim Dynamischen Programmieren (Bellman 1957) zu finden, das zwar bei dynamischen Entscheidungen bei Unsicherheit, die im folgenden Abschnitt zu behandeln sind (s.o.S. 150 ff.), von größerer Bedeutung ist (Bellman 1961), das aber auch für den hier zu behandelnden deterministischen Fall dynamischer Entscheidungen anwendbar ist. Außer den Zuständen der Umwelt im jeweiligen Zeit-

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

151

punkt gibt es in jedem Zeitpunkt die Möglichkeit zur Wahl der Alternative A it aus der Zahl der Alternativen A i t . Die Zeitpunkte werden als Stufen des Entscheidungsprozesses angesehen; von der Definition äquidistanter Zeitpunkte kann abgesehen werden. Der Zustand einer Stufe t kann durch eine oder mehrere Zustandsvariable Z k t beschrieben werden; im allgemeinen wird nur eine Zustandsvariable Z t betrachtet. Der Gesamtprozeß ist dann für einen Zeitpunkt t beschrieben durch Z, = (Z 0 , X], Z j , x 2 ,. . . Z t _ i, x t ). Diese sehr umfassende Prozeßbeschreibung wird durch die Beschränkung auf Prozesse mit Markoff-Eigenschaft vereinfacht, die besagt, daß für jedes Z t hinreichend gelten soll (Menges, S. 151): Z t = Ζ (Z,_ ,, x t ). Alle vorangegangenen Z t _ n und x t - n + i sind in Z,^ , enthalten. Das bedeutet, daß eine lineare Differenzenbeziehung zugrundegelegt wird, die um die Entscheidungsgröße bereichert ist. Wenn eine Folge von Entscheidungen, genannt Politik, (x,, x 2 , . . .x~t) festgelegt ist, dann kann Z, aus Z 0 erklärt werden. Im Regelfall ist von Beschränkungen für die zu bewirkenden Variablen auszugehen; es werden nur solche Politiken betrachtet, die zulässig sind, d. h. innerhalb der gegebenen Beschränkungen liegen {Menges, S. 152). Die wesentliche Eigenschaft des Dynamischen Programmierens besteht im Optimalitätsprinzip (Fundamentalprinzip), das besagt {Bellman 1957, S. 83): Eine optimale Politik hat die Eigenschaft, daß unabhängig von Anfangszustand und Anfangsentscheidung die verbleibenden Entscheidungen eine optimale Politik ermöglichen müssen im Vergleich zu dem Zustand, der sich aus der ersten Entscheidung ergibt. Dadurch, daß der Übergang von einer Stufe, d. h. einem Zeitpunkt, zu einem anderen nur durch Z t _ , und x, bestimmt wird, ist es möglich, den Entscheidungsprozeß vom Ende her zu lösen. Das Entscheidungsproblem wird in seine Stufen dekomponiert {Menges, S. 154) und nach Ermittlung der notwendigen Werte für alle Stufen vom Ende her aus dem so gefundenen Anfangswert die richtigen Entscheidungen abgeleitet. Die Zahl der Schrittfolge ist bei dieser Vorgehensweise sehr groß und es muß bei deterministischen dynamischen Problemen gefragt werden, ob diese Form der Dekomposition zweckmäßig ist oder ob versucht werden sollte, die Verknüpfungen durch analytische Funktionen zu erfassen oder eine Lösung über Differenzengleichungen anzustreben. Dynamische Modelle mit mehr als drei Variablen und konstanten Koeffizienten oder mit nichtlinearen Beziehungen sind nicht generell vorhersagbar; sie weisen oft Teilbereiche mit vorhersagbaren Ergebnissen und andere Teilbereiche mit „Turbulenzen" auf. Ihre Analyse erfolgt mit Hilfe der ,,Chaos"-Theorie {Briggs/Peat, S. 80ff.).

Übungsaufgaben: 1. Geben Sie an, aufweiche verschiedene Weise die Zeit auf den Entscheidungsprozeß einwirken kann. 2. Wodurch unterscheidet sich das Begriffspaar stationär — evolutorisch von dem Begriffspaar statisch — dynamisch? 3. Charakterisieren Sie die nachfolgend aufgeführten Beziehungen und Aussagen hinsichtlich ihres Zeitbezugs: α) Ρt = at-btx t b) pt = e , _ , - f c x , _ i

152

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

c) Die Unternehmung hat 1960 mit 50 Mill. DM Umsatz 5 Mill. DM Gewinn gemacht, 1970 mit 100 Mill. Umsatz 6 Mill. DM Gewinn erzielt und 1980 mit 150 Mill. DM Umsatz keinen Gewinn gemacht. d) Die Differenz der jährlichen Gewinne wird immer kleiner. e) yt = 4. Was ist komparative Statik? 5. Unter welchen Bedingungen können Investitionsrechnungen als dynamisch bezeichnet werden? 6. Geben Sie für die Werte Za, Z b Z 2 und Z 3 die erste, zweite und dritte Differenz an. 7. Gegeben sei folgende Beziehung zwischen den Alternativen At der Jahre t und t + 1: At+1 = 1,1 At A0 wird mit 100 angegeben; wie groß ist A l0? 8. Geben Sie ein Beispiel für eine Nichtlineare Differenzengleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten an. 9. Der Umsatz des Jahres t ergibt sich aus dem des Vorjahres nach folgender Gesetzmäßigkeit Vi = —0,9 t/t-! Beschreiben Sie den Umsatz verlauf. Wie lautet die allgemeine Lösung der Gleichung? 10. Der Umsatz des Jahres t steigt mit der Zeit und sch wankt um den Trend mit einer gewissen Gesetzmäßigkeit. Der durchschnittliche Zuwachs pro Jahr sei 5%, die Schwankung A) gleichbleibend Β) wachsend C) schrumpfend. Geben Sie eine Differenzengleichung für die Beschreibung dieses Sachverhalts an. 11. Geben Sie die wichtigsten Prämissen und das Fundamentalprinzip des Dynamischen Programmierens an.

Literatur: Bellman, R.; Dynamic Programming, Princeton N . J . 1957. Bellman, R.; Adaptive control processes. A guidance tour, Princeton N.J. 1962. Briggs, J. - Peat, F.D.; Die Entdeckung des Chaos, 2. Aufl. München 1993. Goldberg, S.; Differenzengleichungen und ihre Anwendung in Wirtschaftswissenschaft, Psychologie und Soziologie, München - Wien 1968. Kruschwitz, L.; Investitionsrechnung, Berlin - N e w York, 5. Aufl. 1993. Lücke, W. (Hrsg.); Investitionslexikon, München 1975. Menges, G.; Grundmodelle wirtschaftlicher Entscheidungen, Köln-Opladen 1969. Meschkowski, H.; Differenzengleichungen, Göttingen 1959. Newell, A.-Shaw, J. C.-Simon, Η. Α.; Chess - Playing Programs and the Problem of Complexity, in: IBM Journal of Research and Development, vol. 2 1958, S. 3 2 0 f f . Ott, Α . Ε.; Einführung in die dynamische Wirtschaftstheorie, Göttingen 1963. Riedl, R.; Biologie der Erkenntnis, Berlin-Hamburg 1980. Schams, E.; Komparative Statik, in: Zeitschrift für Nationalökonomie, Band 2 1931 S. 2 7 f f . Schneider, E.; Einführung in die Wirtschaftstheorie, Band II, 11. Auflage Tübingen 1967. Stöppler, S. (Hrsg.); Dynamische ökonomische Systeme, Wiesbaden 1979.

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

153

4.4. Die Erfassung und Steuerung stochastischer dynamischer Prozesse In der Gesamtmenge betrieblicher Entscheidungen wird es viele geben, die als Einzelentscheidungen oder Teilentscheidungen für einzelne Bereiche und Probleme einer statischen Analyse mit mehr oder minder starker Berücksichtigung der Ungewißheit gefällt werden können, und andere, die bei dynamischer Betrachtung mit hinreichend sicheren Daten abgestützt sind, so daß eine deterministische Sicht der Entscheidung zulässig erscheint. Eine solche Determinisierung theoretisch ungewisser Größen ist auf Grund des begrenzten Erfahrungs- und Anwendungsbereichs zulässig (Riedl, S. 59). Es gibt aber über diese Teilmengen hinaus Entscheidungssituationen, die von Ungewißheit und Dynamik gekennzeichnet sind; sie werden um so bedeutsamer, je größer der betrachtete Entscheidungsbereich wird, je komplexer die Strukturen des Entscheidungsproblems sind und je länger die Wirkungen der Entscheidungen anhalten. Hinsichtlich der Ungewißheit dieser Entscheidungssituationen ist davon auszugehen, daß Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf die Variablen und/oder ihre Verknüpfungen vorliegen, die dem Entscheidungsträger bekannt sind. Die Fälle der Ignoranz, rationalen Indeterminiertheit und Unsicherheit können auf Grund der Dynamik der Betrachtung außer Ansatz bleiben, weil die Dynamik sich auch auf die Ungewißheit bezieht und zwar in der Weise, daß die vorhandenen oder fehlenden Erkenntnisse über die Wahrscheinlichkeiten des Eintretens bestimmter Konsequenzen durch die Erfahrungen im Entscheidungsprozeß korrigiert und ergänzt werden. Die Entscheidungssituation kann also in diesem Fall als dynamisch-stochastisch bezeichnet werden. Die Erfassung und Handhabung von dynamisch-stochastischen Entscheidungssituationen, in denen im Regelfall nicht einzelne Variable, sondern Systeme von Variablen wirksam sind, erfolgt mit Hilfe der Kontrolltheorie (Chow, S. 15), der darin enthaltene Begriff Kontrolle als Übersetzung des englischen Wortes „Control", wird richtigerweise meistens als Steuerung bezeichnet (Stöppler, S. 89). Ein stochastisch-dynamisches Entscheidungsmodell kann auf dreierlei Weise entwickelt werden: 1) Ein deterministisches dynamisches Entscheidungsmodell wird um stochastische Größen erweitert. 2) In ein stochastisches statisches Modell werden dynamische Verknüpfungen eingeführt. 3) Ein stochastisch-dynamischer Ablauf (Prozeß) wird mit Entscheidungsgrößen versehen. Die erste Vorgehensweise kann in Anknüpfung an das voranstehende Kapitel erfolgen, indem in einer inhomogenen Differenzengleichung, beispielsweise einer linearen Differenzengleichung erster Ordnung der Art y, = ay,_! + b die Größe b als zufallsgestreut anzusehen ist oder zusätzlich zu b eine weitere zufallsgestreute Größe, z.B. u (t) einbezogen wird (Chow, S. 12, 40): y, = ay t _ , + b + u (t). Bei der zweiten Vorgehensweise wird die Unterstellung von Wahrscheinlichkeiten und die Analyse ihrer Verteilungs- und Strukturparameter um zeit- und zufallsabhängige Entscheidungsregeln ergänzt. Es kann beispielsweise bei der Planung von Nah-

154

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

rungsmittelbereitstellung für eine Bevölkerung von Geburts- und Sterberaten ausgegangen werden, die unabhängig von der jeweiligen Bevölkerungszahl sind, dann genügt eine statische Analyse oder die Geburts- und Sterberaten sind positiv oder negativ mit der Bevölkerungszahl korreliert, dann ist eine stochastisch-dynamische Betrachtung erforderlich {Eigen-Winkler, S. 42f.; S. 110f.). Die dritte Vorgehensweise geht von der Analyse eines ökonomischen Systems aus. Wenn diese Analyse zeigt, daß das System stochastisch-dynamische Prozesse aufweist und diese Prozesse in entsprechenden Funktionsbeziehungen abgebildet sind, dann kann nach Ansatzpunkten für eine Steuerung dieses Prozesses auf bestimmte angestrebte Systemzustände hin gesucht werden; diese Ansatzpunkte sind dann die Entscheidungsvariablen (Chow, S. 15; Stöppler, S. 3f.). Diese letztgenannte Vorgehensweise ist vor allem auf volkswirtschaftliche Problemstellungen angewendet worden. Bei betrieblichen Entscheidungen ließe sich die Entwicklung stochastisch-dynamischer Entscheidungsmodelle in den verschiedenen Vorgehensweisen exemplarisch wie folgt aufzeigen: Ein Bestellmengenmodell arbeitet mit Bedarfsgrößen der Vergangenheit, die bekannt sind und leitet daraus über ein dynamisches Modell die aktuelle Bestellung ab: Bestellmenge, = Bestellmenge, _ ί ( 1 + Bestellmenge, _ t \ V Bestellmenge, _ 2 / Diese Beziehung berücksichtigt die Zufallsschwankungen der einzelnen Perioden nicht; es wird eine Konstante C und ein zeitabhängiger Zufallswert u(t) einbezogen, so daß die Bestellmenge M, nun beispielsweise lautet:

M

'

4

M

1

+

f

e

)

)

+

2

·

Die zweite Vorgehensweise läge vor, wenn ursprünglich von einem gegebenen Jahresbedarf mit einer Streuung ausgegangen würde und die Bestellmenge für diesen Bedarf nach der Optimalformel ermittelt würde (Kahle, S. 105 f.). Eine Dynamisierung eines solchen Ansatzes aus der Erkenntnis heraus, daß der Gesamtbedarf ex ante nicht bekannt ist und die Bedarfsmengen der Teilperioden dynamisch miteinander verknüpft sind, würde beispielsweise zu der obigen Bestellmengenberechnung M t führen können. Die dritte Vorgehensweise besteht darin, daß die Vermutung des dynamisch-stochastischen Charakters eines Entscheidungs- oder Planungsproblems zu seiner entsprechenden Analyse und dann zum Aufbau eines dynamisch-stochastischen Steuerungsoder Planungssystems führt (Flubacher-Kyriakakis, S. 51 Iff.). Dabei kommt der Früherkennung des Einflusses von Störgrößen besondere Bedeutung zu. Unabhängig davon, wie die stochastisch-dynamischen Entscheidungsmodelle inhaltlich abgeleitet werden, ist der Lösungsansatz in seinem Grundprinzip einheitlich, wobei unterschiedliche Fälle hinsichtlich der auftretenden Differenzengleichungen und Unsicherheiten vorkommen. Im Vordergrund stehen lineare Modelle (Stöppler, S. 4), obwohl auch nicht-lineare Modelle in allgemeiner Form diskutiert werden. Die Lösung nicht-linearer Modelle erfolgt aber im Regelfall über eine Linearisierung (Chow, S. 298), so daß eine Betrachtung der linearen Modelle ausreichend erscheint. Dabei können hier nur Grundzüge des Lösungsansatzes dargestellt werden. Das Grundprinzip besteht vor allem in der Zerlegung des Problems in einen dynamisch-deterministischen Teil, wie er im vorangegangenen Abschnitt behandelt wurde,

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

155

und einen eingeschränkten dynamisch-stochastischen Teil (Chow, S. 156), der als schwach stationär bezeichnet werden kann {Merz, S. 48). Wenn beispielsweise durch die Maßnahmen g; eine Wirkung auf die Zielvariablen x kt über die Umweltzustände y u _ ι und die zugehörigen Koeffizienten Gi erzielt werden kann und die allgemeine Entwicklung der Umweltzustände yt durch eine stochastischdynamische Gleichung der Art yit = A,ylt _ , + C,x kt + b, + u lt mit bi als festem Koeffizienten und u lt als zeitabhängiger Zufallsgröße dargestellt werden kann, dann ergibt sich die Steuerungsfunktion, die es zu optimieren gilt zu y, = (A + CG)y,_, + (b + C g ) + u„ wobei die Symbole y, A, C, G, v, u t als Vektoren der 1 Ausprägungen der verschiedenen Variablen anzusehen sind (Chow, S. 150f.). Häufig wird sich die Optimierung auf eine Variable beschränken. Die Bestimmungsgleichung wird in den deterministischen Teil yt = A, ,y,_ ] + C, x t + b, und den stochastischen Teil y*t = A t y*,_ ι + C, x*t + ut

aufgeteilt (Chow, S. 156). Darin wird durch y, der Pfad der „ungestörten" Entwicklung und durch y* die Abweichung von diesem Pfad ausgedrückt. Für y* = 0 wäre die Politik gi zu bestimmen, für die yt den gewünschten Wert erreicht; wenn y* Φ 0 ist, dann muß die Abweichung vom geplanten Weg der Entwicklung minimiert werden. Die Lösung des deterministischen Steuerungsproblems kann über die bereits angesprochenen Ansätze (s.o.S. 144 ff.) hinaus mit Hilfe von Lagrange-Multiplikatoren erzielt werden (Chow, S. 1 5 7 - 1 6 0 ) . Dieses Verfahren kann auf die Optimierung des stochastischen Problems ausgeweitet werden {Chow, S. 163 f.). Voraussetzung dafür ist jedoch die spektraltheoretische Analyse des als schwach stationär bezeichneten stochastischen Teils des Modells; die letztgenannte Eigenschaft besagt, daß der Erwartungswert der Modellvariablen über die Zeit konstant sein soll {Merz, S. 48). Die Analyse kann hinsichtlich der Zeit erfolgen {Chow, S. 38 ff.), oder hinsichtlich der Frequenz von Zyklen {Chow, S. 65 ff.); dabei ist impliziert, daß durch die im Zeitablauf auftretenden Zufallsgrößen Zyklen verursacht werden. Im Rahmen der Zeitanalyse in der Spektraltheorie wird die Autokorrelation der Gesamtschwingung einer betrachteten Größe untersucht, d.h. die Prognostizierbarkeit der Variablenausprägungen aus ihrer zeitlichen Entwicklung heraus. Wenn sich die Gesamtschwingung der Variablen aus mehreren Teilschwingungen zusammensetzt, dann kann die Wirkung der einzelnen Schwingungen mit Hilfe der Frequenzanalyse bestimmt werden; dabei wird die Funktion der betrachteten Variablen mit Hilfe einer Summe von Sinus- und Kosinus-Termen dargestellt {Merz, S. 49). Voraussetzung für die Optimierung der Abweichung ist also die spektralanalytische Untersuchung der Unsicherheit der vorliegenden dynamischen Beziehung, die in der Bestimmung der Spektralverteilungsfunktion und, im Falle der Differenzierbarkeit, der Spektraldichtefunktion für die zufallsabhängige Größe y* besteht {Chow, S. 52f., 66f.; Merz, S. 49f.). Bei diskreten Prozessen beträgt die dabei erfaßbare minimale Frequenzdauer 2 Perioden {Merz, S. 53).

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Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

Wenn das betrachtete dynamisch-stochastische Entscheidungsmodell mehrere Zielvariable xk enthält, dann müssen neben den Autokorrelationen der Unsicherheiten der einzelnen Variablen über die Zeit auch die Auswirkungen der Zufallsgrößen auf die Verknüpfungen der Variablen untersucht werden, was mit Hilfe der Kreuzspektralanalyse geschieht (Merz, S. 57). Eine solche Kreuzspektralanalyse ist auch bei der Steuerung einer univariablen Differenzengleichung zweiter Ordnung erforderlich, weil die Wurzeln der „charakteristischen Gleichung" (Ott, S. 61) zwei verschiedene Werte annehmen können und hinsichtlich der Unsicherheit als zwei Variable zu behandeln sind (Chow, S. 70). Bei zwei Variablen ergeben sich vier Kovarianzfolgen, nämlich zwei Autokovarianzfolgen und zwei Kreuzkovarianzfolgen, die das Schwingungsverhalten der Variablen beschreiben, wobei diese über eine Normierung in Korrelationsfolgen umgerechnet werden können (Merz, S. 57). Die Auswertung dieser Korrelationsfolgen vermittels der verschiedenen Größen der Kreuzspektralanalyse (Chow, S. 72 f., 82 ff.), ergibt Aussagen über das Verhalten der Größen (Merz, S. 64); • mit welcher Phasenverschiebung Schwingungen entsprechender Frequenz bei den Variablen auftreten • wie eine Variable in ihren Bewegungskomponenten verändert werden muß, um die Bewegungskomponenten der anderen Variablen zu erhalten (Gain) • die Kohärenz zwischen den Bewegungskomponenten der Variablen. Das Schwingungsverhalten der Variablen kann entweder aus den numerischen Werten der bisherigen Werte für die Variablen über Schätzungen ermittelt werden (Merz, S. 65) oder aus den Eigenwerten der Differenzengleichungen beziehungsweise aus der kanonischen Form der Lösungswerte für eine lineare Differenzengleichung analytisch bestimmt werden (Chow, S. 26 und 88f.). Auf Grund der Ergebnisse der Spektral- und Kreuzspektralanalyse kann wegen der Bekanntheit der Schwingungen nunmehr die Optimierung der stochastisch-dynamischen Entscheidung vorgenommen werden (Chow, S. 166). Dabei kann nachgewiesen werden, daß bei Vorliegen von mehr oder ebensoviel Eingriffsvariablen G; im Verhältnis zu den Zielvariablen ein Pfad für y, angegeben werden kann, der exakt erreicht wird (Chow, S. 169). Während dieser Ansatz von einer simultanen Lösung des stochastisch-dynamischen Entscheidungsproblems ausgeht, läßt er sich gleichzeitig auch verwenden, die Überführung des Problems in eine Lösung durch das Dynamische Programmieren aufzuzeigen. Der simultane Ansatz ist für längere Zeitfolgen und mehrere Variable kaum handhabbar, aber er erlaubt eine Interpretation der Optimalität des Dynamischen Programmierens, das für den Fall stochastisch-dynamischer Entscheidungsprobleme geeignet erscheint. Die analytische Bestimmung aller Eingriffsgrößen g; bzw. der zugehörigen Zielvariablen xt für alle t = 1, 2 , . . . , Τ wird aufgelöst in die Optimierung von x, für den jeweiligen Zeitpunkt. Dabei wird von der Bestimmungsgleichung Yt = A t y,_ ι + Ctx, + bt + ut ausgegangen. Bei der Optimierung von x, für t = Τ wird die Verbindung zu t — 1 über die Bestimmungsgleichung einbezogen, d.h. eine optimale Lösung in t = Τ hat die Auswirkung bzw. Voraussetzung in t — 1 bereits einbezogen. Nach der Optimierung von xt für t = Τ kann dann einen Zeitpunkt zurückgegangen werden und die nächste Zeitstufe optimiert werden; es erfolgen Τ Optimierungen (Chow, S. 178); das Ergebnis stimmt mit dem Ergebnis einer simultanen Lösung überein (Chow, S. 179). Für deterministi-

Kapitel 4: Ungewißheit und Dynamik

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sehe Probleme kann das sehr leicht am Beispiel gezeigt werden (Menges, S. 155). Die für das Optimalitätsprinzip von Bellmann erforderliche Markoff-Eigenschaft wird durch die Linearität und die erste Ordnung der verwendeten Differenzengleichung hergestellt. Die voranstehenden Überlegungen können noch durch das Auftreten von Beobachtungsfehlern, d. h. durch Unsicherheit bezüglich der Koeffizienten in der stochastischen Differenzengleichung erweitert werden. Derartige Fehler in der Koeffizientenbestimmung, d.h. ihrer Schätzung, können durch Einführung des KALMAN-Filters (Chow, S. 186), d. h. eines Maßes für die Sicherheit der Schätzungen {Fischer, S. 184) berechnet werden. Die Verfahren der Spektralanalyse zur Abschätzung der Unsicherheit über die Zeit und zur optimalen Steuerung der zeitabhängigen Entscheidungsvariablen sind in ihrer Geltung auf normalverteilte Zufallsereignisse beschränkt. Bei anderen Zufallsverteilungen kann die Berücksichtigung der Unsicherheit bei dynamischen Entscheidungsproblemen entweder über die Vorgabe von Sicherheitsmargen für die Konsequenzen in den einzelnen Zeitpunkten oder über die Simulation der Zufallsgrößen (Koller, S. 55 ff.) erfolgen, deren Werte dann in die deterministische Funktion einbezogen werden, oder die Ergebniswerte der Funktionen yt werden für den Planungszeitraum insgesamt simuliert. Übungsaufgaben: 1. Geben Sie an, unter welchen Bedingungen besonders häufig mit dynamisch-stochastischen Entscheidungssituationen zu rechnen ist. 2. Erläutern Sie die verschiedenen Formen der Ableitung stochastisch-dynamischer Entscheidungsmodelle aus einfacheren Modellen. Geben Sie Beispiele an. 3. Welche Lösungsmöglichkeit besteht für die Optimierung stochastisch-dynamischer Entscheidungsmodelle? Nennen Sie die Voraussetzungen und zeigen Sie die Grundzüge der Lösung auf. Literatur: Chow, G . C . ; Analysis and Control of Dynamic Economic Systems, N e w York—London-Sydn e y - T o r o n t o 1975. Eigen, M. - Winkler, R.; Das Spiel - Naturgesetze steuern den Zufall, München—Zürich 1975. Fischer, Th.; Anwendung der linearen Filtertheorie zur Reduktion der Unsicherheit bei dynamischen Modellen, in: Stöppler, S. (Hrsg.) Dynamische Ökonomische Systeme, Wiesbaden 1978, S. 179 ff. Flubacher, P. - Kyriakakis, A . A . ; Dynamische Finanzplanung - immer wichtiger, in: Industrielle Organisation, Band 49 1980, Heft II, S. 51 I f f . Kahle, E.; Produktion - Lehrbuch zur Planung der Produktion und Materialbereitstellung, München 1980. Koller, H.; Simulation und Planspieltechnik, Wiesbaden 1969. Merz, J.; Prognosegüte und Spektraleigenschaften ökonomischer Modelle, in: Stöppler, S. (Hrsg.), Dynamische ökonomische Systeme, Wiesbaden 1979, S. 3 I f f . Riedl, R.; Biologie der Erkenntnis, Berlin-Hamburg 1980. Stöppler, S. (Hrsg.): Dynamische ökonomische Systeme, Wiesbaden 1979.

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen Bei der Betrachtung betrieblicher Entscheidungen ist in den voranstehenden Abschnitten davon ausgegangen worden, daß die Entscheidungen von einem Entscheidungsträger getroffen werden. Das bedeutet, daß die Tatsache der Mitwirkung mehrerer Personen am Entscheidungsprozeß wenn schon nicht übersehen, so doch in ihrer Wirkung auf die Entscheidungen vernachlässigt wurde. Betriebliche Entscheidungen und ihre Umsetzung in Handlungen und Konsequenzen setzen aber - vom Ein-Mann-Betrieb abgesehen - die Mitwirkung mehrerer Personen am Entscheidungsprozeß, der auch die Ausführung mit umfassen kann (s.o.S. 43, Abbildung 10), voraus. Die Untersuchungen zum Informationsverhalten (s. o. S. 64 ff.) und zu den verhaltenswissenschaftlichen Einschränkungen des Rationalverhaltens (s.o. S. 98 ff.), ganz besonders in komplexen Entscheidungssituationen (s. o. S. 108 ff.), haben gezeigt, daß individuelle Unterschiede sowohl in den Zielsetzungen von Personen als auch in den Informationen, über die sie verfügen, und in deren Verarbeitung bestehen können. Zieldifferenzen nein

ja

nein

wie unipersonal

Fall 2

ja

Fall 1

Fall 3

Informationsdifferenzen

Abb. 48

Schema der K o m b i n a t i o n e n möglicher Ziel- und Informationsdifferenzen

Von den Fällen in Abbildung 48, die verschiedene Kombinationen von Zielund/oder Informationsdifferenzen bilden, sind nachfolgend nur die Fälle 1 und 3 wichtig. Der Fall 2 mit Zieldifferenzen ohne Informationsdifferenzen ist kaum vorstellbar, weil die unterschiedliche Zielsetzung auf Grund der definitionsgemäßen Zielgerichtetheit der Informationen eine unterschiedliche Information auch bei gleichem Datenbestand bedeutet. Wenn zwei Personen unterschiedliche Ziele verfolgen, werden im Regelfall unterschiedliche Daten für sie Informationscharakter haben, auch wenn unter Umständen erhebliche Teile der beiderseitigen Informationen deckungsgleich sind. Das Fehlen interindividueller Informations- und Zieldifferenzen kennzeichnet die unipersonale Betrachtung der voranstehenden Abschnitte. Für den Fall 1 aus Abbildung 48 besteht nachfolgend die Aufgabe darin, die Informationsdifferenzen bzw. ihre Auswirkungen so zu steuern, daß die Erreichung des gemeinsamen Ziels der Entscheidungsträger möglichst wenig beeinflußt wird. Für den Fall 3 stehen mehrere Möglichkeiten zur Handhabung des Problems zur Auswahl. Wenn die Entscheidungsträger zwar unterschiedliche Individualziele verfolgen, sich aber gemeinsame, d. h. hier, betriebliche Ziele setzen wollen, dann sind Verfahren zur Amalgamation der Individualziele zu entwickeln. Wenn diese Amalgamation gelungen ist, liegt wieder Fall 1 vor; es bestehen aber Interdependenzen zwischen Zielen und Informationsdifferenzen, die Berücksichtigung finden müssen. Wenn dieser Wille zur Gemeinsamkeit hingegen nicht besteht, dann ist zu prüfen, welche Verhaltensweisen anwendbar sind; dabei ist ein Sonderproblem, daß die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Zielvorstellungen in beiden Unterfällen zu Fall 3 nicht gleichmäßig verteilt sind.

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Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

Der Aufzählung dieser Fälle folgt die Gliederung dieses Abschnitts, wobei eine Behandlung der Grundbegriffe multipersonaler oder kollektiver Entscheidungen vorausgestellt wird.

5.1. Team, Gruppe, Kollektiv, Organisation — Die Bestimmung der Grundbegriffe kollektiver Entscheidungen. Als multipersonale oder kollektive Entscheidungen könnten alle diejenigen Entscheidungen bezeichnet werden, bei denen die Konsequenzen, die einer von einem Entscheidungsträger gewählten Alternative zuzuordnen sind, von der Entscheidung wenigstens eines anderen Entscheidungsträgers abhängen ( G ä f g e n , S. 176); als Entscheidungsträger sind dabei Personen anzusehen. Unter dieser Definition wäre auch die Preissetzungsentscheidung eines Monopolisten eine kollektive Entscheidung, weil er die Entscheidung der Nachfrager hinsichtlich ihres Kaufverhaltens bei einem bestimmten Preis antizipiert; entsprechendes gälte für das Oligopol, bei dem außer dem Nachfrageverhalten auch das Verhalten der Konkurrenz antizipativ in die Entscheidung des jeweils betrachteten Entscheidungsträgers einflösse. Letztlich wäre jede Umweltsituation, die von Menschen in irgendeiner Weise beeinflußbar ist, so zu interpretieren, daß eine multipersonale Entscheidungssituation vorläge. Auf Grund der generellen Interdependenz aller Handlungen der verschiedenen Entscheidungsträger ergäbe sich als Konsequenz, daß alle Entscheidungen multipersonale Entscheidungen wären. Das Adjektiv multipersonal oder auch kollektiv würde dann den Umfang des Begriffs der Entscheidung nicht einengen. Es kann für eine präskriptiv oder normativ orientierte Anwendung trotzdem nützlich sein, so vorzugehen, wenn daraus eine Norm etwa der Art: „Beachte, daß alle Deine Entscheidungen auch andere Menschen betreffen können" abgeleitet werden soll. Dem kann hier nicht gefolgt werden, weil der Begriff „multipersonale Entscheidungen" als Gegensatz zu „unipersonalen Entscheidungen" verstanden werden soll, die zusammen die Gesamtheit der Entscheidungen ausmachen. Unipersonale Entscheidungen sind solche, bei denen eine Person die Aktivitäten des Entscheidungsprozesses, insbesondere die der Entschlußfassung, durchführt, auch wenn sie die Handlungen anderer Personen dabei antizipiert und einbezieht. Multipersonale Entscheidungen sind dann dadurch zu charakterisieren, daß mehr als eine Person an den Aktivitäten eines (einzigen) Entscheidungsprozesses beteiligt ist, wobei sowohl die Entschlußphase als auch andere Phasen berücksichtigt werden können. Dementsprechend liegt keine multipersonale Entscheidung vor, wenn zwei Entscheidungsträger zu einer Entscheidung kommen, wobei die Ergebnisse sich aufeinander beziehen. Wenn ein Verkäufer beschließt, ein Gut zum Preis ρ j zu verkaufen und ein Käufer beschließt dieses Gut zum Preis p, zu kaufen, dann liegen zwei korrespondierende Entscheidungen vor, die zu einem Besitzwechsel des Guts führen; fällt eine der Entscheidungen anders aus, kommt kein Besitzwechsel zustande. Bei solchen aufeinander bezogenen Entscheidungsprozessen können zwischenzeitliche Informationsprozesse vorkommen oder alle Informationen können, wie im Fall rationaler Indeterminiertheit (s.o.S. 134 ff.) vorher gegeben sein. Ebenso liegt kein multipersonaler Entscheidungsprozeß vor, wenn zwei (oder mehr) Entscheidungsträger durch parallel verlaufende Entscheidungsprozesse zu gleicharti-

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Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

gen Entscheidungen kommen, sofem die Parallelität nicht beabsichtigt ist. Wenn beispielsweise viele Nachfrager auf die Erhöhung eines Preises mit Verringerung der Nachfrage bzw. Verzicht auf den Kauf des entsprechenden Gutes reagieren, liegen nur gleichartige unipersonale Entscheidungen vor. Wenn aber jemand dazu aufruft, durch ein solches Verhalten den Verkäufer zu einer Revision der Preissetzung zu veranlassen, dann verbindet die Bewußtheit bzw. Absicht der Parallelität der einzelnen Entscheidungsprozesse diese zu einem multipersonalen Entscheidungsprozeß. Daran wird ersichtlich, daß die Beobachtbarkeit der Unterschiede zwischen unipersonalen und multipersonalen Entscheidungen nicht immer gegeben ist. Es wird weiterhin erkennbar, daß die Bezeichnung einer Situation als unipersonale oder multipersonale Entscheidungssituation nicht konstant bleiben muß, wenn beispielsweise die einzelnen Entscheidungsträger unipersonaler Entscheidungsprozesse sich entschließen, das Problem multipersonal zu lösen oder wenn in einem multipersonalen Entscheidungsprozeß jemand plötzlich „auf eigene Faust" entscheidet. Zur Erläuterung sei ein Beispiel gegeben: In einem Betrieb sind zwei Stellen zu vergeben; die Stellen sind je mit einem Monatsgehalt zwischen 4 0 0 0 , - D M und 5 0 0 0 , - DM dotiert; wenn nur ein Bewerber für die Stelle existiert, ist die Betriebsleitung bereit, bis 5 0 0 0 , - D M zu zahlen, damit er die Stelle annimmt. Wenn mehrere Bewerber da sind, wird versucht werden, mit den 4000,— DM auszukommen. Im Betrieb gebe es gerade 2 potentielle Bewerber, die beide Stellen besetzen könnten; ihnen ist gegenüber außerbetrieblichen Bewerbungen Vorrang zu geben, so daß die Betrachtung auf beide beschränkt werden kann. Bei isolierter, d.h. unipersonaler Betrachtung stellt sich die Situation für beide Bewerber wie folgt dar: Wenn sich beide um die gleiche Stelle bewerben, wird ein Gehalt von 4000,- D M bezahlt werden; wenn dann beide sich auf nur eine Stelle bewerben, besteht für jeden eine Wahrscheinlichkeit von 0,5 diese Stelle zu bekommen. Wenn sich beide um beide Stellen bewerben, wird jeder mit Sicherheit eine Stelle bekommen. Wenn jeder sich um eine andere Stelle bewirbt, dann wird jeder die umworbene Stelle und ein Gehalt von 5000,- D M bekommen. Die Situation kann für einen Bewerber als Entscheidungsmatrix dargestellt werden (Abbildung 49); im Verhältnis zum Mitbewerber liegt kein Null-Summen Spiel vor. Bewerbung des anderen Bewerbung" des Entscheidungsträgers

Stelle 1

Stelle 2

beide Stellen

Stelle 1

2000,—

5000 —

4000,—

Stelle 2

5000,—

2000 —

4000,—

beide Stellen

4000 —

4000 —

4000,—

Abb. 4 9

Entscheidungsmatrix für eine Bewerbungssituation

Bei Verhalten nach rationaler Inderterminiertheit wird der Entscheidungsträger sich um beide Stellen bewerben; da die Matrix für beide gleich aussieht werden beide entsprechend handeln. Unter der naheliegenden Voraussetzung, daß beide Bewerber möglichst hohe Gehälter anstreben, könnten sie sich aber auf ein bestimmtes Verhalten

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Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

einigen und sich jeder nur um eine, wenn auch unterschiedliche Stelle bewerben; sie würden dann jeder 1000,- D M mehr bekommen. In diesem Fall ist aus der unipersonalen Entscheidung, die die möglichen Verhaltensweisen des jeweils anderen einbezieht, ein multipersonaler Entscheidungsprozeß geworden, der im vorgestellten Beispiel auch ohne weitere Zielprobleme ist; es gibt eventuell Informationsprobleme, ζ. B. den anderen ausfindig zu machen und ihn von der Lauterkeit der eigenen Motive zu überzeugen. Ein Zielproblem tritt auf, wenn die Stellen unterschiedlich dotiert sind; es muß dann geklärt werden, welcher der Bewerber die günstigere und wer die ungünstigere übernimmt. Wenn beispielsweise in Abwandlung der Situation nach Abbildung 49 die Stelle 1 mit 3 0 0 0 , - bis 4 0 0 0 , - DM dotiert ist und Stelle 2 mit 4 0 0 0 , - bis 5 0 0 0 , - D M und wenn die Wahrscheinlichkeit der Besetzung der Stelle 1 mit dem, der sich nur um diese bewirbt, gegenüber dem, der sich um beide bewirbt mit 0,9 und bei Stelle 2 mit 0,8 angesetzt wird, dann ergibt sich die in Abbildung 50 dargestellte Situation 2. Bewerber

Stelle 1

Stelle 2

beide Stellen

Stelle 1

1500,

4000,—

2700,—

Stelle 2

5000,—

2000,—

3200,—

beide Stellen

4800,—

4000 —

3500,—

1. Bewerber

Abb. 50

E n t s c h e i d u n g s m a t r i x bei ungleicher Stellendotierung mit zwei Bewerbern

Der Wert der ersten Zeile, letzte Spalte von Abbildung 50 ergibt sich nach folgender Berechnung: Für Stelle 1 liegen 2 Bewerbungen vor, die Dotierung wird auf die Untergrenze gedrückt: 3 0 0 0 , - DM. Bewerber 1 kann damit rechnen, daß er die Stelle bekommt (w = 0,9), es könnte auch sein, daß der andere sie bekommt, dann geht er leer aus: 3000 0,9 + 0,1 • 0 = 2700. Umgekehrt sieht es in der dritten Zeile, erste Spalte aus. Der Bewerber um beide Stellen kann damit rechnen (w = 0,9), daß er Stelle 2 mit hoher Dotierung bekommt; er muß aber auch bedenken, daß ihm Stelle 1 mit geringer Dotierung angetragen wird (w = 0,1). Daraus folgt: 5000 • 0,9 + 3000 • 0,1 = 4800. Die übrigen Werte ergeben sich entsprechend. Bei Anwendung der Minimax-Regel ohne multipersonale Entscheidung werden beide sich wieder um beide Stellen bemühen. Der Spielwert von 3 5 0 0 , - DM stellt die Untergrenze für die sich anschließenden Prozesse der Verhandlung dar, bei denen beide sich nur bessern können. Damit ist der Bereich für Verhandlungs- und Konfliktstrategien abgegrenzt. Die Personenmehrheiten, die an einem multipersonalen Entscheidungsprozeß beteiligt sind, wobei der Umfang der Teilnahme und die Deutlichkeit der Bewußtheit der Teilnahme sehr unterschiedlich sein kann, werden mit unterschiedlichen Bezeichnungen belegt, wobei Gruppe, Kollektiv, Organisation und Team ( G ä f g e n , S. 176, 184, 187) gebräuchlich sind. Umgangssprachlich werden sich kaum deutliche Unterschiede in der Verwendung finden lassen; für die fachsprachliche Begriffsabgrenzung lassen sich jedoch Unterschiede herausarbeiten. Gruppenbeziehungen sind in eingehender Form innerhalb soziologischer und sozialpsychologischer Forschung untersucht worden (Homans, S. 29f.). Als Gruppe wird dabei eine Menge von Personen angesehen, die in einem gegebenen Zeitraum häufig miteinander Umgang haben; die Zahl der Personen, die eine solche Primärgruppe (Cooley, S. 23) ausmachen, darf einen Wert nicht überschreiten, der es erlaubt, daß jede der beteiligten Personen mit einer der anderen unmittelbar in Kontakt treten

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

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kann. Das bedeutet, daß Beziehungen von Personen, die nur mittelbar erfolgen oder nur flüchtiger Art sind, keine Gruppe in diesem Sinne aus den Personen machen. Andere Beziehungen, die ebenfalls nicht in die Primärgruppe gehören, aber auf ihr beruhen, sind zwischen Gruppen oder Angehörigen verschiedener Gruppen denkbar. Die Primärgruppe oder „kleine Gruppe" {Homans, S. 29) ist das Basiselement der Untersuchung sozialer, d.h. multipersonaler Beziehungen. Der Begriff der Gruppe soll sich hier daher — dem Sprachgebrauch des Faches Soziologie folgend - ohne weitere Beifügungen auf die kleine Gruppe oder Primärgruppe beziehen. Als Gruppenentscheidungen sollen dementsprechend solche Entscheidungen angesehen werden, die von den Beteiligten in wenigstens teilweise gemeinsamer Kommunikation von Angesicht zu Angesicht erarbeitet werden. Es ist einzusehen, daß der Begriff der Gruppe in anderen Zusammenhängen auch andere Mengen von Personen zum Inhalt haben kann, so etwa bei Betriebsratswahlen die Unterscheidung in die Gruppe der Arbeiter und die Gruppe der Angestellten oder bei der Bezahlung die Einteilung in Lohn- oder Gehaltsgruppen. Während die Gruppe sich durch die Direktheit und Häufigkeit ihrer internen Beziehungen als System von anderen Systemen und Elementen abhebt, ist als Kollektiv eine Personenmehrheit zu verstehen, die wie ein Entscheidungsträger eine Alternative wählen soll, die für die zugehörigen Personen verbindlich ist, d.h. die Angehörigen des Kollektivs sind an die Entscheidung gebunden, sei es, daß über einen gemeinsamen Fonds an Gütern verfügt wurde oder daß eine andere für alle wirksame Maßnahme getroffen wurde ( G ä f g e n , S. 184). Das Hauptproblem der so abgegrenzten kollektiven Entscheidung ist die Amalgamation der unterschiedlichen Zielvorstellungen beziehungsweise Alternativenbewertungen, d.h. die Schaffung einer gemeinsamen Zielvorstellung aus den verschiedenen Individualzielen; die Vereinheitlichung der Zielvorstellungen kann sowohl inhaltlicher Art sein, indem bestimmte Zielinhalte geordnet oder vermischt werden, als auch formale Züge tragen, indem bestimmte Mechanismen der Vereinheitlichung, z.B. der Abstimmung mit Mehrheitsentscheidung vereinbart werden. J e nach der Intensität der Vereinheitlichung kann von Schlichtungsgemeinschaften, Koalitionen und Entscheidungsgemeinschaften gesprochen werden ( G ä f g e n , S. 1 8 2 - 1 8 6 ) ; die Schlichtungsgemeinschaft weist die geringste und die Entscheidungsgemeinschaft die höchste Verbindlichkeit auf. Das Zustandekommen einheitlicher Zielvorstellungen wird durch die Theorie der Sozialwahlfunktionen zu erklären versucht. Wenn die an einer kollektiven Entscheidung Beteiligten hinsichtlich der relevanten Zielvariablen keine Unterschiede aufweisen — sie können natürlich in anderen Angelegenheiten noch ganz andere Ziele verfolgen — dann wird von einem Team gesprochen (Marschak, S. 189). Entscheidungsprobleme können innerhalb eines Teams nur auf Grund von Informationsunterschieden auftreten, die durch Kommunikation überwunden werden können bzw. sollen. Derartige Informationsunterschiede können auch Teilziele bezüglich des gemeinsamen angestrebten Gesamtziels, vor allem bei komplexeren Entscheidungsproblemen, betreffen, wenn die einzelnen Teammitglieder auf Grund unterschiedlicher Kenntnisse und Erfahrungen unterschiedliche Wege zur Erreichung des Gesamtziels beschreiten wollen. Voraussetzung einer optimalen Teamentscheidung ist die Optimierung der Kommunikationsstruktur innerhalb des Teams. Es ist einsichtig, daß derartige Informationsunterschiede auch bei der kollektiven Entscheidung unter divergierenden Zielen auftreten können. Unter Umständen können gerade unterschiedliche Informationen erst die unterschiedliche Gewichtung von Zielen verursachen und umgekehrt können unterschiedliche Zielvariablen zu einer

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Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

Veränderung der Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen führen. Das Kommunikationsproblem tritt beim Problem der Amalgamation von Zielvorstellungen zum Teil überlappend und zum Teil verstärkend auf; darüber hinaus können Informationen und ihre Übermittlung bei der Durchsetzung bestimmter Zielvorstellungen im Rahmen des Amalgamationsprozesses instrumentell eingesetzt werden. Der Begriff des Teams stellt für den Fall, daß das Team Entscheidungen zu fällen hat, eine Teilmenge des Entscheidungskollektivs dar. Demgegenüber weisen die Begriffe Gruppe und Entscheidungskollektiv nur teilweise Überschneidungen auf. Ein Entscheidungskollektiv kann so groß sein oder so sporadisch aktiv sein, daß es keine Gruppe darstellt, z.B. die Wählerschaft bei fast allen Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen, aber auch bei Betriebsratswahlen. Andererseits können Gruppen im Rahmen betrieblicher Entscheidungsprozesse mitwirken, ohne daß sie ein Entscheidungskollektiv bilden. In vielen Fällen betrieblicher Entscheidungen wird aber der Entscheidungsprozeß oder Teile des Prozesses von einer Gruppe in der Weise getragen werden, daß sie eine Entscheidung fällen muß und daß der Prozeß der Entscheidungsfindung im Rahmen von Gruppenbeziehungen abläuft. Bei der Amalgamation von Zielvorstellungen wie bei Interaktionen innerhalb von Gruppen werden Erwartungen der Beteiligten an andere Beteiligte gebildet. Wenn diese Erwartungen von allen Beteiligten in mehr oder weniger starkem Maße geteilt werden, entwickeln sie sich zu Normen der Gruppe: Die Gruppe erhält eine Organisation. In dem Moment, in dem die Akzeptanz bestimmter Normen über die Zugehörigkeit zur Gruppe entscheidet, wird die Organisation formal (Luhmann, S. 27 ff., S. 38). Die Gruppe selbst kann in einem Systemzusammenhang weiterer Gruppen stehen, zwischen denen ebenfalls Normen entstehen oder geschaffen werden. Darüberhinaus besteht die Möglichkeit, zur Durchsetzung betrieblicher Ziele Normen zu setzen, deren Legitimität nicht aus der Gruppenbeziehung, sondern aus wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen resultiert. Eine solche instrumentell geplante Organisation kann mit ihren Normen den Normen der Gruppen entgegenstehen, sie beeinflussen oder sie sogar verstärken. Organisation als Vorgabe von Erwartungen an die Beteiligten eines multipersonalen Entscheidungsprozesses hat demzufolge zwei Aspekte und Ableitungszusammenhänge: Sie ergibt sich aus den Verfahrensweisen, Einstellungen und Erfahrungen der Beteiligten und auch aus den gesellschaftlich legitimierten und wirtschaftlich sinnvollen Setzungen und Regelungen, die sich aus den Zielen des Gesamtbetriebs ableiten lassen. Eine Komponente allein kann die Organisation multipersonaler Entscheidungsprozesse weder erklären noch sinnvoll gestalten.

Übungsaufgaben: 1. Welche Elemente bestimmen den Unterschied unipersonaler und multipersonaler Entscheidungen? 2. Zwei Personen gehen gemeinsam essen. Jeder sucht sich etwas auf der Speisekarte aus. Beide wählen das gleiche. Liegt eine multipersonale Entscheidung vor? Verändert sich die Situation, wenn sie beschließen ein gemeinsames Gericht,, Großer Fleischteller für 2" zu nehmen? 3. Wann ist von einer Gruppe als Teilnehmer am Entscheidungsprozeß zu sprechen? 4. Wodurch unterscheiden sich Entscheidungskollektiv und Team? 5. In welchem Zusammenhang steht die Gruppe mit der Organisation betrieblicher Entscheidungsprozesse?

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Literatur: Cooley, C.H.; Social Organization, New York 1909. Gäfgen, G.; Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 3. Auflage Tübingen 1974. Homans, G.C.; Theorie der sozialen Gruppe, 2. Auflage, Köln-Opladen 1965. Luhmann, N.; Funktion und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964. Marschak,i.\Towards an Economic Theory of Organization and Information, in: Thrall, R. Μ. Coombs C . H . - Davis, R. E., Decision Processes, 2. printing New York - London 1957, S. 187 ff.

5.2 Das Kommunikationsproblem und Ansätze seiner organisatorischen Lösung Bei d e r A b g r e n z u n g d e r verschiedenen B e g r i f f e m u l t i p e r s o n a l e r E n t s c h e i d u n g e n w u r d e deutlich, d a ß bei Vorliegen eines T e a m s I n f o r m a t i o n s d i f f e r e n z e n zwischen den T e a m a n g e h ö r i g e n b e s t e h e n k ö n n e n , die d u r c h K o m m u n i k a t i o n zu ü b e r w i n d e n sind; a n d e r e r s e i t s weisen E n t s c h e i d u n g s k o l l e k t i v e n e b e n d e r P r o b l e m a t i k d e r Z i e l d i f f e r e n zen auch das K o m m u n i k a t i o n s p r o b l e m auf. E s erscheint d a h e r z w e c k m ä ß i g , zuerst das Kommunikationsproblem ohne die aus d e n individuellen Zielen resultierenden Probleme zu b e h a n d e l n u n d anschließend die A m a l g a m a t i o n d e r individuellen Z i e l e u n t e r E i n b e z i e h u n g k o m m u n i k a t i v e r A s p e k t e zu u n t e r s u c h e n ; d a b e i ist zu b e t o n e n , d a ß ein Teil der betrieblichen Kommunikation d e r Ausrichtung des H a n d e l n s d e r B e t r i e b s a n gehörigen an den Zielen des Betriebes dient (Coenenberg, S. 17; Bartram, S. 2 3 ) . U n t e r d e r V o r a u s s e t z u n g einer ü b e r e i n s t i m m e n d e n Z i e l s e t z u n g bei d e n Mitgliedern eines E n t s c h e i d u n g s k o l l e k t i v s kann d a v o n a u s g e g a n g e n w e r d e n , daß die f ü r d e n E n t s c h e i d u n g s p r o z e ß erforderlichen Informationen auf G r u n d individueller Wissens- u n d E r f a h r u n g s u n t e r s c h i e d e sowie d u r c h die u n t e r s c h i e d l i c h e n Möglichkeiten u n d B e d i n gungen d e r I n f o r m a t i o n s a u f n a h m e bei einer arbeitsteiligen wirtschaftlichen B e t ä t i g u n g unterschiedlich auf d i e Angehörigen des T e a m s verteilt sind. F ü r eine o p t i m a l e E n t scheidung ist eine zweckentsprechende Umverteilung des e r f o r d e r l i c h e n Wissens durch K o m m u n i k a t i o n e r f o r d e r l i c h . Die L i t e r a t u r z u r b e t r i e b l i c h e n K o m m u n i k a t i o n b e trachtet die K o m m u n i k a t i o n als ein r e g e l u n g s b e d ü r f t i g e s P h ä n o m e n , das ein B e s t a n d teil d e r f o r m a l e n B e t r i e b s o r g a n i s a t i o n ist, w o b e i die O r g a n i s a t i o n ein I n s t r u m e n t zur E r r e i c h u n g der b e t r i e b l i c h e n Ziele ist (Bartram, S. 2 7 ff.; Coenenberg, S. 78 \Drumm, S. 16; Gäfgen, S. 193). D a O r g a n i s a t i o n hier als G e f ü g e von V e r h a l t e n s e r w a r t u n g e n vers t a n d e n wird ( s . o . S . 1 6 0 ) , das sowohl f o r m a l e r als auch i n f o r m a l e r A r t sein k a n n u n d das gestaltungsfähig f ü r b e s t i m m t e Z w e c k e ist, das a b e r a u c h eigenen G e s e t z m ä ß i g k e i ten folgt, ist d e m e n t s p r e c h e n d K o m m u n i k a t i o n als eines d e r wesentlichen E l e m e n t e dieses G e f ü g e s a n z u s e h e n . D a s b e d e u t e t , d a ß K o m m u n i k a t i o n regelungsfähig ist, a b e r auch w i e d e r n u r in d e n G r e n z e n , die d u r c h die ihr i n n e w o h n e n d e n E i g e n a r t e n u n d d u r c h die organisatorischen A b l ä u f e gesetzt sind. W e n n das nicht b e a c h t e t wird, k ö n nen die R e g e l u n g e n d e r K o m m u n i k a t i o n , die von e i n e m O r g a n i s a t o r v o r g e g e b e n w e r d e n ( G ä f g e n , S. 163) u n d die tatsächlichen K o m m u n i k a t i o n s v o r g ä n g e e r h e b l i c h v o n einander abweichen. D i e I n f o r m a t i o n s t h e o r i e , die sich mit d e n G r u n d l a g e n d e r K o m m u n i k a t i o n b e s c h ä f tigt ( W a c k e r , S. 4 4 f . ) , u n t e r s u c h t ü b e r w i e g e n d a b g e g r e n z t e S t r u k t u r e n u n d M e n g e n von Beteiligten, die es ermöglichen, diese als eine G r u p p e a n z u s e h e n . D i e A b l e i t u n g

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Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

von Kommunikationsgrundsätzen für komplexe Strukturen von Aufgaben, Personen und Gruppen, wie sie die Betriebsorganisation darstellt, muß die Steigerung der Komplexität gegenüber den erhobenen Ergebnissen aus der Gruppenforschung berücksichtigen; dazu kommt noch, daß die Organisation nach verschiedenen zweckbezogenen Prinzipien (Kosiol, S. 49) orientiert ist, die sich nicht ohne weiteres aus dem Kommunikationszusammenhang ableiten lassen. Ausgehend von der Definition, daß Information zweckbezogenes Wissen ist (s.o.S. 63) und daß Kommunikation die Übermittlung von Information ist, wobei der Prozeßcharakter dieses Vorgangs betont wird (Bartram, S. 44; Coenenberg, S. 36), lassen sich die wichtigsten Merkmale der Kommunikation herausarbeiten: • Kommunikation hat einen Zweck. Im Rahmen betrieblicher Entscheidungen kann dieser Zweck sich auf die Auslösung eines Entscheidungsprozesses, auf die Alternativenfindung und -darstellung, auf die Bewertung, die Entschlußfassung, die Realisierung und/oder die Kontrolle beziehen (Bartram, S. 47). Wenn das betrachtete Team als Gruppe angesehen wird, dann hat die Kommunikation den Zweck, die Gruppenmitglieder über die Verhaltenserwartungen der anderen zu unterrichten und die Reaktionen und Gegenreaktionen darauf; ohne Kommunikation ist soziales Handeln kaum möglich. Dabei ist zu beachten, daß im Rahmen sozialer Beziehungen Kommunikation auch Selbstzweck sein kann; um soziale Beziehungen aufzubauen — „ins Gespräch zu kommen" —, werden Informationen ausgetauscht, die relativ unbedeutend sind. • Zur Kommunikation gehören wenigstens ein Sender und ein Empfänger. Ein Sender gibt Zeichen ab, die die Information zum Inhalt haben; Kommunikation ist nur möglich, wenn irgendjemand diese Zeichen so aufzufassen in der Lage ist, daß die Information verstanden wird; die Auffassung von Zeichen und ihre Umsetzung in die gesendete Information macht den Empfänger aus. Dabei muß die Information nicht vollständig und unverändert bleiben; wesentlich ist, daß die Strukturen der gemeinsamen Zeicheninterpretation von Sender und Empfänger gleich sind (Coenenberg, S. 26). Je exklusiver der gemeinsame Zeichenvorrat ist, um so weniger Zeichen werden benötigt, um eine Information zu übermitteln. Die Zeichen müssen nicht notwendig verbal-symbolischer Art sein, es können ζ. B. auch Farbsignale (Ampelschaltung rot, gelb, grün) oder Bewegungen sein; selbst das geringfügige Heben einer Augenbraue kann beispielsweise die Bedeutung haben: „Vorsicht, da hört jemand mit" oder „was uns beiden der (Vorgesetzte) da erzählen will, wissen wir doch längst". Sender und Empfänger sind im allgemeinen bestimmt, müssen es aber nicht sein; Empfänger müssen nur potentiell existieren. Der Sender kann eine Information abgeben, ohne zu wissen, welcher der potentiellen Empfänger sie aufnehmen wird; er kann sie an einen oder an mehrere Empfänger richten. Umgekehrt kann ein Empfänger eine Information bzw. die aus Zeichen bestehende Nachricht aufnehmen, ohne zu wissen, wer der Sender ist. Die Tatsache der Nachricht garantiert ihm die Existenz eines Senders. • Kommunikation benötigt einen Kommunikationsweg (Bartram, S. 5 4 i i . \ D r u m m , S. 66ff.) oder Übertragungskanal (Coenenberg, S. 26). In Abhängigkeit von der Art der Zeichen, mit denen die Informationen übertragen werden, bedarf es eines Übertragungsmittels zwischen Sender und Empfänger. Typisch für viele Formen der Kommunikation ist es, daß das Übertragungsmittel eine gegenseitige Nutzung als Sende- und Empfangskanal erlaubt, d.h. daß der Empfänger damit auch senden kann und der Sender auch empfangen; diese Nutzung kann gleichzeitig möglich sein oder auch abwechselnd. Übertragungsmittel mit nur einer Richtung sind beispielsweise Radio, Fernsehen oder Bücher und Zeitschriften; beidseitig offen, aber nur

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

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abwechselnd benutzbar sind Wechselsprechanlagen oder ein Schriftwechsel; beidseitig ständig offen ist das persönliche Gespräch oder das Telefongespräch. Die Wahl des Übertragungsmittels wird besonders wichtig, wenn mehrere Empfänger und auch Sender an einem Kommunikationsprozeß teilnehmen. Die Wahl des Übertragungsmittels beschränkt die Möglichkeiten der simultanen Beteiligung und macht die Festlegung von Reihenfolgen in der Kommunikation nötig; aus diesen Festlegungen ergeben sich Kommunikationsstrukturen (Coenenberg, S. 89; Drumm, S. 74fF.). Die neuen Informationstechnologien eröffnen hier neue Wege. • Kommunikation benötigt Zeit. Der Prozeß der Übermittlung von Informationen mit der dazwischengeschalteten Umwandlung in Signale und deren Rückwandlung sowie die Informationsaufnahme bedürfen einer gewissen Zeit, die unterschiedlich groß sein mag, die aber niemals unendlich klein ist. Daraus ergeben sich Kapazitätsprobleme hinsichtlich der Nutzung von Übertragungskanälen und hinsichtlich der Beanspruchung von Informationsempfängern; es ist davon auszugehen, daß diese andere Hauptaufgaben haben, zu deren Erfüllung die Information notwendig ist; der Informationsempfang selbst ist aber nur Hilfsmittel dafür. • Kommunikation ist Störungen unterworfen (Coenenberg, S. 43 ff.). Auf dem Wege vom Sender zum Empfänger können bei der Umwandlung und Rückwandlung der Zeichen Fehler entstehen oder es können Störungen in der Übertragung vorkommen. Neben diesen technischen Störungen gibt es semantische Störungen, die darauf beruhen, daß Sender und Empfänger nicht über einen identischen, sondern nur über einen ähnlichen Vorrat an Zeicheninterpretationen verfügen. Diese Störungen sind in Abbildung 51 aufgeführt (Coenenberg, S. 44). Darüberhinaus ist zu beachten, daß bei der Aufnahme von Informationen Auswahlprozesse und Strukturierungen stattfinden, die eine objektiv richtig übermittelte Information verändern (Coenenberg, S. 67f.; Kahle, S. 30ff.).

Abb. 51

Störungen im Kommunikationsprozeß

Die Möglichkeit des Auftretens von Störungen im Kommunikationsprozeß macht es erforderlich, Informationen redundant zu übermitteln, d. h. mehr Zeichen zu verwenden, als unbedingt erforderlich sind, damit bei Fortfall oder Verfälschung einiger Zeichen auf Grund von Störungen die Information erkennbar bleibt. Andere Möglichkeiten zur Vermeidung störungsbedingter Fehler der Informationsübermittlung sind Wiederholungen der Sendung, wodurch dann eine falsche Information widerlegt werden kann, oder Rückkopplungen, bei denen der Empfänger den Informationsempfang inhaltlich in irgendeiner Weise bestätigt; dazu ist in der Regel ein gegenseitiger Übertragungskanal erforderlich. Kommunikation hat dann erfolgreich stattgefunden, wenn der Sender beim Empfanger ein erwartetes Verhalten auslöst.

168

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

A u s diesen G r u n d ü b e r l e g u n g e n zu den Eigenschaften der K o m m u n i k a t i o n bei betrieblichen Entscheidungsprozessen sind Aussagen ü b e r die Notwendigkeit und die Möglichkeiten der Gestaltung der Kommunikation in einem T e a m abzuleiten. V o r a u s setzungsgemäß stimmten die Mitglieder des T e a m s hinsichtlich der Zielsetzung ü b e r ein; es könnte daher vernünftig erscheinen, d e m einzelnen Teamangehörigen Art, Inhalt, Dauer, Zeitpunkt und Weg der Kommunikation zu überlassen, damit er sich die ihm erforderlich erscheinenden Informationen entsprechend seinem Beitrag zum E n t scheidungsprozeß h e r a n h o l e n kann. D a b e i wird jedoch bereits übersehen, daß die räumliche Anordnung der Teammitglieder u n d die technische Ausstattung mit b e stimmten Übertragungsmöglichkeiten im allgemeinen nicht vom einzelnen Entscheidungsträger am multipersonalen Entscheidungsprozeß bestimmt werden und auch nicht bestimmt werden können. Die Zweckmäßigkeit einer solchen ungeordneten Kommunikation innerhalb d e r räumlich-technischen Bedingungen wird weiterhin dadurch in Frage gestellt, daß d e r einzelne T e a m a n g e h ö r i g e eventuell nicht weiß, wer ü b e r die erforderliche Information verfügt, d a ß der anzusprechende I n f o r m a n t g e r a d e mit j e m a n d anderes kommuniziert, etwas Wichtiges zu erledigen hat oder abwesend ist o d e r daß ihn Informationen gar nicht o d e r verzerrt erreichen. U m den Zeitaufwand f ü r alle Beteiligten und die Störanfälligkeiten zu reduzieren, wird es d e m n a c h zweckmäßig sein, Regeln f ü r die Abwicklung der K o m m u n i k a t i o n aufzustellen. Solche Regeln k ö n nen sich im T e a m , wenn es eine G r u p p e darstellt, als Verhaltenserwartungen bilden o d e r sie k ö n n e n d e m T e a m von außerhalb gegeben werden, z . B . bei der Bildung des T e a m s von denen, die das T e a m zusammenstellen. Die Regeln können sich auf die Auswahl von Übertragungsmitteln, die Z u o r d n u n g bestimmter I n f o r m a t i o n s a r t e n zu bestimmten Übertragungsmitteln und Kommunikationswegen, die K o m m u n i k a t i o n s wege selbst und auf die Verbindlichkeit der Regeln beziehen. Hinsichtlich d e r Verbindlichkeit von Kommunikationsregeln lassen sich drei G r u p pen bilden. Es gibt Regeln, die den Ablauf der Kommunikation für den Normalfall regeln, z . B . Einhaltung von bestimmten Zeiten, F o r m e n , Übertragungsmitteln, deren gelegentliche, durch Ausnahmesituationen b e g r ü n d e t e Verletzung aber zu keinen Sanktionen f ü h r t ; erst eine wiederholte u n d / o d e r u n b e g r ü n d e t e Verletzung würde zu B e a n standungen führen. E i n e andere G r u p p e von Kommunikationsregeln gilt für den Normalablauf, aber ihre Verletzung führt sofort zu Sanktionen. Z u r ersten G r u p p e gehört beispielsweise der Grundsatz, niemanden im Privatbereich zu dienstlichen K o m m u n i kationen zu veranlassen, zur zweiten G r u p p e der Schutz von D a t e n vor u n b e f u g t e r Weitergabe oder die Vorschrift, sich bei Beendigung einer Krankheit wieder gesund zu melden. E i n e dritte G r u p p e von Kommunikationsregeln gilt nur in Ausnahmefällen, wenn die normalerweise ablaufende K o m m u n i k a t i o n nicht funktioniert. Solche A u s n a h m e k o m m u n i k a t i o n s r e g e l n sind beispielsweise Beschwerdemöglichkeiten, Schlichtungsinstanzen, aber auch Notdienste und die für sie geltenden Regeln, so etwa die N o t r u f n u m m e r n für Unfall- und Brandsituationen. Bei den K o m m u n i k a t i o n s w e g e n hat sich bereits in E x p e r i m e n t e n mit relativ kleinen G r u p p e n gezeigt, daß verschiedene Formen von Kommunikationswegen, Kommunikationsstrukturen genannt, unterschiedliche Konsequenzen auf die vermittelte Information und den Entscheidungsprozeß haben ( D r u m m , S. 77). Die Ü b e r t r a g b a r k e i t dieser Ergebnisse auf die größeren und komplexeren Strukturen der K o m m u n i k a t i o n im b e trieblichen Entscheidungsprozeß ist dabei nicht unumstritten. D i e Kommunikationswege lassen sich in verschiedenen Arten von Graphen abbilden; Voraussetzung f ü r die Darstellung jedes Kommunikationsprozesses ist, daß er in einem G r a p h e n erfaßt werden kann. Kommunikation, die in zwei verschiedenen Graphen abgebildet ist, drückt zwei unabhängige Kommunikationsprozesse aus. Als wesentliche F o r m e n sind Serial,

169

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

Radial, Zirkular und Plenar zu unterscheiden (Drumm, S. 79 und 90). Als besonders wichtiges Merkmal, in dem sich die verschiedenen Kommunikationsstrukturen unterscheiden, ist das graphentheoretische P h ä n o m e n der Artikulation anzusehen, das eine Beziehung zwischen zwei Punkten eines Graphen beschreibt, deren Fortfall den Graphen in zwei Teile spalten würde (vgl. Abbildung 52) c

Abb. 52

F

c

F

Artikulation: Der Fortfall der Beziehung DF zerlegt den Graphen

Ein Serial hat - bei gerichteter Betrachtung - einen Anfangs- und einen Endpunkt; bei ungerichteter Betrachtung hat es zwei E n d e n ; jedes dazwischenliegende Element hat nur zwei Beziehungen aufzuweisen; jede der Beziehungen ist eine Artikulation. Seriale können relativ viel Information aufnehmen und übertragen; ihre Nachteile sind niedrige Übertragungsgeschwindigkeiten über die Gesamtstrecke mit steigender Zahl der Elemente und die Anfälligkeit gegen Störungen, weil der Prozeß an jeder Stelle abbrechen kann und Fehler nicht durch Rückkopplung oder redundante Übermittlung erkannt werden; ein typisches Beispiel ist das Kinderspiel „Stille Post", bei d e m ein willkürlich gewähltes Wort von O h r zu O h r geflüstert wird und im allgemeinen völlig entstellt am E n d e ankommt. Seriale eignen sich dagegen bei der Übertragung schriftlich fixierter Informationen und bei der Kommunikation im Z u s a m m e n h a n g mit realen Arbeitsvorgängen. Wenn Seriale von der Mitte her gerichtet werden, liegt eine Mischform mit dem Radial vor (vgl. Abbildung 53). Die K o m m u n i k a t i o n s s t r u k t u r e n 53 b) u n d 53 c) sind bis auf die Richtung gleich; wenn Α als erster Sender anzusehen ist, d a n n gehen in A b b i l d u n g 53c) gleichzeitig zwei K o m m u n i k a t i o n e n von ihm aus, aber keine bei ihm ein. Α Ο

Β Ο

C Ο a)

C

Abb. 53

Kommunikation in Serialen

D Ο

Ε Ο

Α

170

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

Ein Radial liegt vor, wenn ein Kommunikationselement mit allen anderen in direkter Beziehung steht und diese untereinander nur über das zentrale Element verbunden sind, das damit zum Artikulationspunkt für das ganze System wird (Drumm S. 80). Mit steigender Zahl der Elemente wird die Belastung des Zentralpunktes mit Kommunikation sehr hoch; so lange dadurch aber keine Störungen oder Verzögerungen bewirkt werden, geht die Kommunikation im Gesamtsystem sehr schnell vor sich; die peripheren Elemente sind von Kommunikation entlastet, das zentrale Element verfügt über einen Überblick über die im Gesamtsystem verteilte Information. Werden mehrere Radiale miteinander und/oder mit Serialen verschachtelt, so entsteht eine Struktur, die als Baum bezeichnet wird und die als Abbild einer hierarchischen Organisationsstruktur angesehen werden kann (Drumm, S. 80/81) (vgl. Abbildung 54). A

Einstufiges Radial

Abb. 54

M e h r s t u f i g e s Radial

Verschiedene Radiale

Die Belastung des Zentralpunktes mit Kommunikationsaufgaben bei radialer Anordnung war der Ausgangspunkt der organisationstheoretischen Überlegungen zur Leitungsspanne und Ansatzpunkt zur Entlastung des als Vorgesetzten bezeichneten Zentralelements durch Stäbe (Bartram, S. 133; Graicunas, S. 183; Urwick, S. 51). Als Weiterentwicklung der Seriale können Zirkulare angesehen werden; in ihnen gibt es keinen Anfangspunkt und keinen Endpunkt und auch keine Artikulation; wenn eine Beziehung zwischen Elementen eines Zirkulars entfällt, entsteht ein Serial. Die Übertragungsdauer für Informationen zwischen entfernt liegenden Punkten steigt auch hier mit der Zahl der Elemente; es bleibt jedoch eine Rückkopplungsmöglichkeit zur Kontrolle der Richtigkeit von Informationen (Drumm, S. 86). Zirkulare können bei betrieblichen Entscheidungsprozessen zur Abstimmung divergierender Bewertungen angewendet werden oder auch bei der Suche nach Informationen (s.o.S. 67). Wenn alle Elemente mit allen anderen verbunden sind, dann liegt ein Plenar oder vollständiger Graph vor. Es gibt darin weder einen zentralen noch einen Artikulationspunkt. Da jedes Element mit jedem anderen direkt verbunden ist, liegt eine hohe Übertragungsgeschwindigkeit vor. Bereits bei wenigen Elementen tritt jedoch das Risiko einer Systemiiberlastung auf, wenn Zeitpunkt oder Reihenfolge der Kommunikationsa u f n a h m e nicht geregelt werden (Drumm, S. 87). Die graphenanalytische Betrachtung von Kommunikationsstrukturen kann auch zur Konfliktprognose verwendet werden (Uhde). Bei zufallsverteilter Kommunikationsaufnahme kommt es zu Staus oder zu gleichzeitigem Empfang verschiedener Kommunikationen bei einem Empfänger, wobei eine oder mehrere Informationen sehr wahrscheinlich verstümmelt oder vernichtet werden.

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

Abb. 55

171

Zirkular und Plenar mit sechs Elementen

Es sind eine Vielzahl von Experimenten durchgeführt worden, um dieVorteilhaftigkeit bestimmter Kommunikationsstrukturen zu bestimmen (vgl. die bei Drumm, S. 77 aufgeführte Literatur); dabei haben sich - bei einiger Vergröberung der Einzelergebnisse - vor allem Störanfälligkeiten bei indirekten Wegen und deren schwierige Korrektur bei Beschränkung auf reine Formen wie Serial oder Radial gezeigt; andererseits ist zu erkennen, daß Plenare bei komplexen Aufgaben schneller eine Lösung finden, wobei diese Aussage nur für geringe Zahlen von Elementen abgesichert ist; größere Plenare weisen die Tendenz auf, Substrukturen zu bilden. Bei großen Systemen ist ein vollständiges Plenar kaum zu realisieren. Weiterhin hat sich gezeigt, daß die Schwierigkeit der Aufgabe, Art und Umfang der Information und das Übertragungsmittel die Zahl der Kommunikationsakte und damit die Belastung einzelner oder aller Elmente erheblich beeinflussen. Bei einfachen Aufgaben und semantisch eindeutigen Informationen führt das Radial zu schnellen Ergebnissen, während bei komplexeren Aufgaben oder bei unklaren Informationen, die Rückfragen erfordern, Plenare günstiger sind, weil der direkte Kontakt zwischen Elementen, die bei Teilaufgaben kooperieren, schnellere Beseitigung von Fehlern erlaubt bzw. die umfangreiche Information nur einmal weiterzugeben ist. Dabei kann unter Umständen zwischen einer Anregungsinformation und der Planungs- oder Ausführungsinformation unterschieden werden, indem zuerst eine radiale Struktur vorliegt, bei der ein Zentralelement die Verteilung von Aufgaben anregt und festlegt und im weiteren Verlauf von Planung und Ausführung die Elemente des Kommunikationsprozesses mit den ihnen bekanntgemachten, relevanten anderen Elementen zusammenarbeiten. Von Bedeutung ist sicher auch die Wahl des Übertragungsmittels; während beim gesprochenen Wort häufig Rückfragen erforderlich sind, andererseits aber viele Empfänger gleichzeitig erreicht werden können und damit eine radiale oder plenare Struktur naheliegt, eignet sich das geschriebenen Wort für seriale oder zirkuläre Kommunikationswege, wobei umfangreichere, schwierigere und/oder differenziertere Informationen weitergegeben werden können als beim gesprochenen Wort oder gar bei einfachen Handzeichen oder Signalen. Die meisten Untersuchungen gingen von einer gleichmäßigen oder zufallsabhängigen Verteilung der Informationen im Kommunikationssystem aus {Drumm, S. 78). Für die Abbildung und Gestaltung von Kommunikationsbeziehungen in einem Team muß darüber hinaus die Möglichkeit einer systematischen, d. h. durch unterschiedliche Aufgaben oder Positionen bedingten Informationsdifferenz berücksichtigt werden. Außerdem ist die Zahl der Teammitglieder nicht auf den Umfang einer „kleinen G r u p p e "

172

Kapitel 5: Multipersonale E n t s c h e i d u n g e n

oder E l e m e n t a r g r u p p e zu beschränken, womit auch mehrstufige Kommunikationsstrukturen einzubeziehen sind. Die Beurteilung der Kommunikationsstrukturen muß vom Ziel des Teams, von seiner Aufgabe her, erfolgen; zur Quantifizierung des Zielbeitrags der Kommunikation sind verschiedene Hilfskriterien wie • • • • •

Übertragungsgeschwindigkeit Übertragungsgenauigkeit oder Übertragungskosten der Kommunikation und Stabilität und Elastizität der Struktur

vorgeschlagen worden (Drumm, S. 93 ff.). Je nachdem, ob die Richtigkeit der Information oder ihre zeitliche Verfügbarkeit wichtiger ist, welchen Wert sie überhaupt für die anstehende Entscheidung hat und wie wichtig der Beitrag eines Elementes f ü r das System und die Erhaltung des Systems für das Element ist, haben die Kriterien ein unterschiedliches Gewicht, so daß sich kein generelles Beurteilungskonzept von Hilfskriterien entwickeln läßt, sondern nur ein System von Einflußgrößen und Hilfskriterien existiert, das d e m jeweiligen Zweck anzupassen ist. Nachfolgend seien einige Typen von Teams exemplarisch abgegrenzt und ihre möglichen Kommunikationsstrukturen untersucht, wobei als Abgrenzungskriterien Schwierigkeit und Neuartigkeit der Aufgabe, G r ö ß e des T e a m s und Gleichmäßigkeit der Informationsverteilung dienen sollen; bei zweistufiger Ausprägung jedes der drei Kriterien ergeben sich acht Typen, die in Abbildung 56 a u f g e f ü h r t sind. Typ 1 in A b b i l d u n g 56 entspricht weitestgehend dem Konzept, das bei vielen Experimenten zur Kommunikationsforschung zugrundegelegen hat. Die geringe G r ö ß e der G r u p p e erlaubt eine einstufige Lösung des Systems, die geringe Schwierigkeit der Aufgabe erfordert keine komplexe Information; damit bietet sich bei der Gleichmäßigkeit der Information eine radiale Struktur an. G r ö ß e der G r u p p e G l e i c h m a ß der Information

ungleich Routine

Schwierigkeit Neuartigkeit der Aufgabe Typ Abb. 56

1

2

3

4

neu

5

K l a s s i f i k a t i o n v o n K o m m u n i k a t i o n s t y p e n mit drei Kriterien

Ist die Aufgabe bei sonst gleichen Bedingungen schwierig, bzw. so neuartig, daß die Schwierigkeit nicht beurteilt werden kann, dann liegt Typ 2 vor. Z u r Klärung des Informationsbeitrages, den die einzelnen Teilnehmer zur Problemlösung beitragen können, bietet sich hier eine plenare Struktur an. D i e Problemlösung kann dann unter U m ständen in zirkularer Form erfolgen, indem nacheinander jeder einen Beitrag leistet. Wenn sich andererseits herausstellt oder von vornherein feststeht, daß die Informationen ungleich verteilt sind, d . h . Typ 4 vorliegt, dann wird der Teilnehmer mit dem höchsten Informationsstand eine radiale Stellung einnehmen (Kahle/Achtenhagen, S. 627; Drumm, S. 84), wobei die Häufigkeit der Kommunikation mit ihm und über ihn höher ist als die zwischen den übrigen, ohne die Kommunikation zwischen diesen auszuschließen. D e r höhere Informationsstand kann sich dabei auf spezielle Gebiete des ausstehenden Problems oder auf allgemeine Problemlösungstechniken beziehen.

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

173

Bei Routineproblemen mit ungleicher Informationsverteilung in kleinen Gruppen, d.h. bei Typ 3 kann sich die für Typ 4 herausgestellte Struktur noch verstärken. Es kann aber auch passieren, daß dieser zentrale Teilnehmer über so viele Informationen verfügt, daß er das Entscheidungsproblem alleine lösen kann; er gibt die Lösung dann nur weiter und kann das eventuell in einem Serial tun, um sich von Kommunikation zu entlasten oder er überläßt bzw. überträgt die zentrale Kommunikationsstellung einem anderen und konzentriert sich auf die Problemlösung; diese Form ist graphisch in Abbildung 57 dargestellt; dabei ist der Teilnehmer mit vielen Informationen durch • , die übrigen durch Ο bezeichnet.

Ο

a)

b)

Normalfall für Typ 3 und 4

Sonderfälle für Typ 3 Abb. 57

N o r m a l f a l l für Typ 3 und 4 und Sonderfälle für Typ 3

Die Frage nach der Realisierung der einen oder anderen Lösung in Abbildung 57 hängt vor allem von der formal-organisatorischen Stellung des Teilnehmers mit viel Information und mit der Verteilung der übrigen Aufgaben zusammen. Wenn die formale Organisation zum Beispiel den Fall b) vorsieht, dann wird sich wahrscheinlich Fall c) hinsichtlich der Kommunikation realisieren. Wenn aber keine formale Organisation vorgesehen ist (Fall a) oder wenn in der formalen Organisation Fall e) vorgesehen ist, d.h. der Informationsbesitzer einem Nicht-Informierten unterstellt ist, dann wird sich eher Fall d) als Kommunikationsstruktur herausstellen; dabei sind in Abbildung 57 b) bis e) die Über- und Nebenordnungen als hierarchische Positionen aufzufassen, während 57 a) ohne eine solche Ebeneneinteilung zu sehen ist. Bei größeren Gruppen tritt das Problem der Substrukturierung auf; es sind Kombinationen von Kommunikationsstrukturen anzuwenden, weil die Nachteile der Reinformen in allen Fällen zu groß werden; Seriale und Zirkulare sind zu langsam, Radiale störanfällig und überlastet, Plenare verbrauchen insgesamt zu viel Zeit für Kommunikation. Bei der Betrachtung der Kommunikationsstruktur in großen Teams ist zu beachten, daß diese nicht nur nach kommunikativen, sondern auch nach anderen Kriterien zu strukturieren d. h. zu organisieren sind. Die gemeinsame Zielerreichung und

174

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

Aufgabenerfüllung eines großen Teams erfordert eine Zerlegung der Gesamtaufgaben in Teilaufgaben, die in einem sinnvoll geordneten Verhältnis zueinander stehen müssen. Nur ein Teil dieser Aufgaben wird durch die Kommunikationsanforderungen bestimmt; vor allem sind die Analysemerkmale Verrichtung, Objekt, Rang, Phase und Zweck sowie die Synthesemerkmale Person, Sache (Verrichtung und Objekt), formale Zentralisation, Mittel, Raum und Zeitzu berücksichtigen(Kosiol, S. 49ff. und S. 82). Die Zusammenfassung von Teilaufgaben zu Stellen und Stellenmehrheiten (Abteilungen) erfolgt sowohl unter Beachtung einer systematischen Aufbaustruktur als auch eines zweckmäßigen Arbeitsablaufs; dabei sind eine Vielzahl von Prinzipien zu beachten, die nicht so sehr einzeln, sondern in ihrem Zusammenhang wirksam sind (Kosiol, S. 241). Die dadurch gestaltete Organisation kann in zweierlei Hinsicht als formal bezeichnet werden: Sie beruht auf formalisierten, abstrahierten Kriterien und ihre Beachtung ist Grundlage für die Mitgliedschaft in dieser Organisation. Daneben gibt es eine Vielzahl informaler Beziehungen, die von dieser formalen Organisation nicht erfaßt werden. Bezüglich des Kommunikationssystems für einen betrieblichen Entscheidungsprozeß mit einheitlicher Zielsetzung ergeben sich aus der Existenz einer formalen Organisation einige Bedingungen. Bei der Stellenbildung und Strukturierung von Betriebsaufbau und Betriebsablauf werden unter anderem auch Entscheidungen an bestimmten Stellen zentralisiert; das bedeutet, daß nicht alle Angehörige des Betriebes Mitglieder des Teams sein müssen. Weiterhin werden im Rahmen der Aufgabenverteilung auch Aufgaben der Informationsaufnahme und -Verarbeitung einzelnen Stellen zugeordnet, wodurch eine ungleiche Informationsverteilung formal festgelegt ist, so daß die Typen 5 und 6 aus Abbildung 57 vernachlässigt werden können. Schließlich werden durch die Festlegung von Leitungs-, Stabs- und Kollegienzusammenhängen bestimmte Arten von Informationen für bestimmte Strukturzusammenhänge festgelegt (Bartram, S. 74f.), was als formale Kommunikation bezeichnet wird (Coenenberg, S. 82ff.); diese Informationsarten sind durch Begriffe wie Weisung (Information von oben), Beratung (Information nach oben), Mitteilung usw. abgegrenzt. Kommunikationsstruktur, Struktur des Betriebsaufbaus und Struktur des Betriebsablaufs können trotz aller Abhängigkeit zwischen ihnen als eigenständige Probleme angesehen und gelöst werden. Das bedeutet, daß auch bei gegebener Leitungsstruktur und gegebenem Arbeitsablauf Kommunikationsprobleme entstehen können, für die zweckentsprechende Kommunikationsstrukturen zu ermitteln sind. Wenn das Kommunikationssystem sich ausschließlich am Leitungssystem orientieren würde, d. h. nur aus Radialen konstruiert wäre, hätte das in einem mehrstufigen System zur Folge, daß die Leitungsstellen überwiegend der Informationsweitergabe dienen müßten und eigenständige Sach- und Leitungsaufgaben nicht oder nur begrenzt wahrnehmen könnten. Die Kommunikationswege würden sehr lang und störanfällig wie Abbildung 58 zeigt. Vor allem die oberen Führungsstellen wären überlastet und der Weg von Α, Η, I, Κ zu L, Μ, N, G würde sechs Kommunikationsschritte umfassen (hierzu und zum folgenden: Drumm, S. 46). Wenn das Kommunikationssystem andererseits dem Arbeitsablauf folgen würde, dann ergäbe sich eine seriale Kommunikation, bei der die Leitungsstellen gar nicht beteiligt sind. Das bedeutet, daß das einzelne Teammitglied seine Information über eine große Zahl anderer weitergibt, bis sie den Richtigen erreicht. Wenn das Beispiel aus Abbildung 58 aufgefüllt wird, ergeben sich bereits 64 Stellen auf der untersten Ebene, davon 60 in anderen Abteilungen; dabei ist die Abteilung mit 4 Stellen relativ klein. Bei

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

175

D

Abb. 58

Ausschnitt aus einer Kommunikationsstruktur, die einem Linienleitungssystem folgt

einer rein serialen Kommunikation auf jeder Ebene würde die Information bis zu 63 Schritte durchlaufen, bis sie den Richtigen erreicht bzw. eine Anfrage müßte entsprechend oft gestellt werden, bis sie denjenigen erreicht, der die richtige Antwort weiß. Für den Typ 7 der möglichen Situationen, bei denen die Aufgabe Routinecharakter hat, die Informationen jedoch ungleichmäßig in der großen Gruppe gestreut sind, dürften die Sender bzw. Empfänger der wichtigen Information bekannt sein. Es bietet sich demnach an, feste direkte Kommunikationswege zwischen diesen Informationsträgern zu installieren, unabhängig von Leitungsaufbau und Arbeitsablauf. Diese festen Kommunikationswege sind nach Informationsart, Dauer, Umfang und Übertragungsmittel in die Stellenbeschreibung, d.h. die Darstellung der Stellenaufgabe aufzunehmen; einer gesonderten Information des Vorgesetzten und höherer Leitungsinstanzen über die Tatsache oder den Inhalt der Kommunikation bedarf es im Einzelfall dann nicht (Coenenberg, S. 84). Die Kommunikationsstruktur, die sich dabei herausbildet, kann sowohl serialer als auch radialer Art in Bezug auf die beteiligten Informationsbesitzer sein; wenn auch zwischen ihnen der Informationsstand unterschiedlich ist, wird kaum Anlaß für eine zentrale Position sein; dabei sind aber die Rangpositionen der Informationsträger zu beachten, wie es im Zusammenhang mit Abbildung 57 geschehen ist. Darüberhinaus können die Beteiligten einer solchen festen Kommunikationsstruktur zu bestimmten Informationen zu Zentralpunkten weiterer Radiale werden, indem sie die Information weiterverteilen oder Zusatzinformationen einholen. Zur Veranschaulichung dient Abbildung 59. In dem in Abbildung 59 dargestellten Beispiel sollen die mit • bezeichneten Elementen über die erforderliche Information verfügen. Hierin nimmt Α gegenüber allen anderen eine zentrale Stellung ein, wobei Β und C Zwischenzentren sind. Von D über E, F, G nach Η soll zusätzlich eine seriale Verkettung laufen, die durch Strich-Punkte markiert ist. Von diesen geht auf ihre Abteilung und den Vorgesetzten eine durch Punktierung dargestellte radial orientierte Folgeinformation aus. Bei Typ 8 der Kommunikationssituation kann mit festen Strukturen auf Grund der Neuartigkeit und Schwierigkeit der Probleme nicht gearbeitet werden. Bei der im Beispiel von Abbildung 59 gegebenen Organisationsstruktur und Informationsverteilung hängt die Entwicklung einer Kommunikationsstruktur davon ab, wer den Informationsbedarf auslöst und inwieweit er einige oder alle Träger der gesuchten Informatio-

176

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

nikationssituation

nen kennt. Wenn beispielsweise Α den Informationsbedarf entdeckt, wird er wahrscheinlich seine ranggleichen Kollegen I und Κ befragen, ob in ihrem Bereich die erforderlichen Informationen existieren; die Tatsache, daß in seinem Bereich Informationsträger F existiert, wird ihm bekannt sein; ob er ihn direkt oder auf dem Dienstweg anspricht, kann offen bleiben; zweckmäßig wird eine direkte Kommunikation unter Benachrichtigung des direkten Vorgesetzten ü b e r die Tatsache und ggf. den Inhalt der Kommunikation sein (Coenenberg, S. 111; Bartram, S. 156ff.). Wenn Β und C ausfindig gemacht sind, werden entweder diese D und Ε bzw. G und Η über ihre Kollegen herbeiholen, oder I bzw. Κ sorgen für diese Bereitstellung. Es ergeben sich die in Abbildung 60 dargestellten Kommunikationswege f ü r die Einleitung des K o m m u n i k a tionsprozesses. Ο J

Abb. 6 0

Α

κ

Schema der Kommunikation für eine dreistufige Organisation bei Typ 8 der K o m munikationssituation

177

Kapitel 5: Multipersonale Entscheidungen

ε =1 •S § Ε ε 2C οε 5

*

/"Λ

oö C Ρ 0>

οο G 3 .C 0>

3 i c/5

χ»


CS CL, m τ Ρί >> >> χ >1

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CS CU χ ο

%

C-4 CO

CS '— I

CL χ

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CS % CO >>

ο

on

Τ3 Τ3
• m a x !

U„ = 80/190xi + 60/190x2 + 50/190x3

-> m a x !

An = l / 3 x , + 1/3x2 + 1/3X3

max!

A d d n = 715/570X[ + 598/570x2 + 397/570x3

-> m a x !

o d e r , d a n u r die Steigung dieser F u n k t i o n wichtig ist: Add„ = 715x, + 598x2 + 397x3

max!

e) b r a u c h b a r e r K o m p r o m i ß : P u n k t 2 F o r m a l e r A n s a t z der M i n i m i e r u n g der relativen A b w e i c h u n g e n v o m O p t i malwert: min (rel. A b w . Z F C = ! rel. A b w . ZFV = ! rel. A b w . ZF A min ((fG o p , - f G ) / f G o p t = ! ( f U o p l - f U ) / f U o p l = ! (fA o p l - f A ) / f A ü p , ) )

15. a) A u s g a n g s t a b l e a u 5 3 1 0 0

"2 3 4 0 1 0

*3 2 6 0 0 1

-80 -30 4 -66

-60 -20 6 -16

-40 -25 8 -15

I

yMi

ym y. yb y=

ZF„ ZF„ ZF S ZF^

M2 0 1 0 0 0

χ.

1 0 0 0 0

0 0 1 0 0

Xb 0 0 0 1 0

"c 0 0 0 0f 1

0 0 0 0

0 0 0 0

0 0 0 0

0 0 0 0

0 0 Ol Oj

X

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X

b 2000 400 3600 1200 200 200 300 400 0 -5000 ο 0

min f

258

Lösungen zu den Übungsaufgaben

1. I t e r a t i o n *2

«ι 0 0 1 0 0 0 0 0 0

yMi yM2 "l yb yc ZFu ZF 0 ZF S ZFadd

x3 2 6

3

4 0 1 0 -60

X

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0

0

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0

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1000

0

o[

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1

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0 0 0 0 0

0 0 0 0

8

χ, -5

0

0

-25

6 -16

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0

1

-20

X

80 30

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X«! 0

o l

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l| 0 0 0

400 16000

0 |

13200

1000 -800

2. I t e r a t i o n 0 0 1 0 0 0 0 0 0

y. ZFu ZF 0 ZF S ZF^d

x3 2 6 0 0 1 -40 -25 8 -15

x

Xi

yMi yuc χ.

2 0 0 0 1 0 0 0 0 0

X

M1 1 0 0 0 0 0 0 0 0

X

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X

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-3 -4 0 1 0 60 20 -6 16

Μ Ol o l

0 1) Ol °s o |

b 100 1800 200 300 400 34000 7000 -2600 18000

Τ

3. I t e r a t i o n *1

Xj y*a

Xi X2 yc

ZFu ZF 0 ZF S ZF>dd

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0 0 1 0 0 0 0 0 0

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1 0 0 0 0 0 0 0 0

X]

X2

x3

0

0

1

0

0

0

1

0

0

1

0

X

1/2 -3 0 0 -1/2 20 25/2 -4 15/2

χ.

M2

0 1 0 0 0 0 0 0 0

-5/2 12 1 0 5/2 -20 -65/2 16 57/2

Xb -3/2 5 0 1 3/2 0 -35/2 6 -13/2

*c| Ol 0 o |

1| Ol o | o l

b

50 1500 200 300 350 36000 8250 -3000 18750

4. I t e r a t i o n

x3 x.

L *2

0

yc

0

0

0

0

0

0

ZF U ZF 0 ZF S ZFadd

0

0

0

0

0

0

0

0

0

X

M1

-1/8 -1/4 1/4 0

1/8 15 35/8 0

117/8

X

M2

5/24 1/12 -1/12 0

-5/24 20/12 65/24 -16/12 57/24

0

1 0 0 0 0

0 0 0

Xb -11/24 5/12 -5/12 1 11/24 25/3 -95/24 -8/12 -441/24

Μ

ol °1

o j

11 Ol Ol

°s o|

b

725/2 125 75 300 75/2 38500 24625/2 -5000 30375/2

Lösungen zu den Übungsaufgaben

259

5. I t e r a t i o n "3 x.

Xl 0 0

Xi

1

X2 0 0 0 1 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0

*2

"b ZFu ZF(; ZFs ZFadj

x3 1

0 0 0 0 0 0 0 0

X

X

0 -3/22 3/22 -3/11 3/11 140/11 60/11

0 -7/66 7/66 5/11 -5/11 60/11 10/11 -18/11 157/11

M1

M2

1/11

51/11

X, 0 1 0 0 0 0 0 0 0

Xb 0 0 0 0 1

0 0 0 0

Xc 1 -10/11 10/11 -24/11 24/11 -200/11 95/11 16/11 441/11

b

400 1000/11 1200/11 2400/11 900/11 416000/11 139000/11 -54400/11 183600/11

max ! max !

A u f s t e l l u n g der E c k p u n k t e ( g e r u n d e t auf 2 Stellen) xl

x2 x3 ZFG ZFU ZFS ZFadd ZFG - Prozent ZFU - Prozent ZFS - Prozent Summe G&S Summe G-S (%)

A

Β

0 0 0 0 0

200 0 0 1000 16000 -800 13200 7,91 41,56 84,00 91,91 133,47

0

0 0 0 100 100 100

C 200 300 0 7000 34000 -2600 18000 55,40 88,31 48,00 103,40 191,71

D

Ε

200 300 50 8850 36000 -3000 18750 70,04 93,51 40,00 110,04

75 300 362,5 12312,5

F 109,09 218,18 400 12636,36

37818,18 ^»945,45

38500

-5000 15187,5 97,44 100 0 97,44 197,44

203,55

16690,91

100 98,23 1,09 101,09

199.32

b) A u s g a n g s t a b l e a u X2 3 4 0

X.

5 3

yMi yM2 va yb

1

0 0 4 -80 -30 4

ys

ZF„ ZFo ZFs

x3

1

2 6 0 0

0 6 -60 -20 6

8 -40 -25 8

Xmi 1

XM2 0

X.

0 0 0 0 0 0 0 0

1

0 1

1

0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0

1

Xc 0 0 0 0

0 0 0 0 0

1

Xsl 0 0 0 0 0

0 0 0 0

0 0 0

0

Xb 0 0 0

1

b

2000 3600 200 300 400 2000 0 -5000 0

400 1200 200