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German Pages [451] Year 2015
SCHRIFTENREIHE KOMMISSION FÜR PROVENIENZFORSCHUNG Hinweise zur Open Access-Ausgabe Band 6: Folgende Abbildungen dürfen aus rechtlichen Gründen in der Open Access-Version nicht zur Verfügung gestellt werden: S. 72 (Abb.2) S. 82 (Abb. 5) S. 144 (Abb. 4) S. 402 (Abb.1) S. 417 (Abb. 6) Für die Open Access-Ausgabe ist folgende Ergänzung des Bildnachweises zu beachten: Beitrag von Pia Schölnberger Abb. 3: Bundesdenkmalamt Wien, Archiv, Sign. Sicherstellungskartei, K. 60/4 Beitrag von Tessa Friederike Rosebrock Abb. 4: 209 SUP, 1044-011, in: Archives du Ministère de l’Europe et des Affaires étrangères – La Courneuve Abb. 5: 209 SUP, 1044-019, in: Archives du Ministère de l’Europe et des Affaires étrangères – La Courneuve Open Access-Publikation im Sinne der CC-BY-NC-ND 4.0
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Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 6 Herausgegeben von Eva Blimlinger und Heinz Schödl
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Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus Mythen – Hintergründe – Auswirkungen
Herausgegeben von Pia Schölnberger und Sabine Loitfellner
2016 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch das Bundeskanzleramt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildungen: Abbildung 1, 5: Fotos Bundesdenkmalamt, Wien Abbildung 2: Österreichisches Staatsarchiv Abbildung 3, 4: Saline Austria Vorsatz: Bergungsorte in den Reichsgauen Oberdonau, Niederdonau und Steiermark, Karte: Österreichisches Staatsarchiv Nachsatz: Bergungsorte in Wien, Karte: Wiener Stadt- und Landesarchiv Gestaltung: Susanne Uhlirz
© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Co.KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: wortstellerei Nikola Langreiter, Lustenau Einbandgestaltung: Leonhard Weidinger, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien Reproduktionen: Pixelstorm, Wien Druck und Bindung: Dimograf, Bielsko Biala Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20093-2
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Inhalt Vorwort
Pia Schölnberger und Sabine Loitfellner . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Editorial
Eva Blimlinger und Heinz Schödl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Im Gespräch mit den Monuments Men Hollywoods »ungewöhnliche Helden« aus Sicht der Provenienzforschung
Birgit Kirchmayr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 »Geheime« Bergungsorte: das Rothschildsche Jagdschloss Steinbach bei Göstling (Jagd), die Kartause Gaming (Schloss), das aufgelassene Stift Klosterneuburg (Stift) und das Salzbergwerk Lauffen bei Bad Ischl (Berg) Arbeitsalltag – Sicherheitsvorkehrungen – Rückbergungen
Susanne Hehenberger und Monika Löscher . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Vom »Führerbau« zum Central Collecting Point Verlagerung von Kunst- und Kulturgut am Beispiel München 1942–1949
Meike Hopp und Stephan Klingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Verlagerungs- und Bergungsaktionen in Italien im Zweiten Weltkrieg im Überblick Wissensstand und Problemfelder
Christian Fuhrmeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 »Die modernen Nibelungen salzen ihre Schätze ein« Altaussee als Bergungsort des Instituts für Denkmalpflege
Anneliese Schallmeiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 »Hier feiert der Luftschutz Orgien« Die Bergungsmaßnahmen der Graphischen Sammlung Albertina unter George Saiko
Pia Schölnberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
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Inhalt
»… da ihre Beschädigung keinen Verlust von unersetzlichen Kulturwerten darstellen würde« Bergungen und Kriegsverluste der akademischen Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg
René Schober . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 »Sonst verlor die Österreichische Galerie kein Kunstwerk ...« Bergung, »Entartete Kunst«, Fremddepot Versuch einer »anderen« Geschichte der Österreichischen Galerie 1938 bis 1945
Monika Mayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 »hiebei muß die Möglichkeit eines Luftangriffes und die Konservierungsfrage in gleicher Weise die Wahl bestimmen« Die Bergungsmaßnahmen des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien
Leonhard Weidinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 »Es konnte festgestellt werden, dass tatsächlich Verwüstungen und Plünderungen sowohl durch SS-Truppen als auch durch Russen und Landbewohner stattfanden«. Bergungen und Rückbergungen der Städtischen Sammlungen (Museen der Stadt Wien)
Gerhard Milchram und Michael Wladika . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 »Ein Bilderstapel lehnt auf dem anderen, eine Plastik drängt sich an der anderen.« Zu den Luftschutzmaßnahmen der Gemäldegalerie am Landesmuseum Joanneum Graz ab 1939
Karin Leitner-Ruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft Dresden im Zweiten Weltkrieg Notbetrieb, Bergung, »Sonderauftrag Linz« – und das Ende
Gilbert Lupfer und Christine Nagel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Rückführung geborgener Kunstgüter im zweifach besetzten Baden – amerikanische und französische Besatzungszone im Vergleich
Tessa Friederike Rosebrock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
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Inhalt
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Kriegsbergungen der großen Wiener Bibliotheken Die Nationalbibliothek Wien und die Universitätsbibliothek Wien
Murray G. Hall und Christina Köstner . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Raubgut für den Wiederaufbau Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken in Berlin
Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 »Transport der Teile ohne zu schneiden« Die Bergung des »Beethoven-Frieses« aus der Sammlung Lederer in Schloss Thürnthal
Christina Gschiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Verschollene Miniaturen aus der Czerninschen Gemäldegalerie Ausgelagert – gestohlen/verloren – wiedergefunden
Imma Walderdorff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Verboten und verborgen Lagerorte »Entarteter Kunst«
Meike Hoffmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Traces of Matisse’s »Odalisque au tambourin« during the Second World War
Emmanuelle Polack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433 436 Kurzbiografien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort Pia Schölnberger und Sabine Loitfellner
Was geschieht mit den Kunstsammlungen eines Landes, wenn Krieg droht? Welche Wege gehen Museen, Bibliotheken, Kirchen und andere sammelnde Institutionen, um ihre Kostbarkeiten vor den Auswirkungen der Kampfhandlungen und Kriegswirren zu schützen? Wie und durch wen werden diese Maßnahmen gesteuert und re glementiert? Welche Auswirkungen zeigen sie nach Kriegsende? Die Kommission für Provenienzforschung veranstaltete im November 2014 in Kooperation mit der Israe litischen Kultusgemeinde Wien eine zweitägige Konferenz, bei der diese und damit verknüpfte Fragestellungen hinsichtlich des Zweiten Weltkrieges unter dem Titel »Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus« verhandelt wurden. Im inter-institutionellen Austausch präsentierten Provenienzforscher_innen aus Österreich, Deutschland, Frankreich und Holland erste Forschungsergebnisse. Die vorliegende Publikation konzentriert sich nun schwerpunktmäßig auf die Maßnahmen auf dem Gebiet des ehemaligen »Großdeutschen Reiches« und richtet ihren F okus institutionengeschichtlich auf die Reaktionen der einzelnen Einrichtungen und M useen auf die von oberster Stelle angeordnete, geheimer Reichssache unterliegende Anordnung, Vorkehrungen für die Sicherung und Bergung von Kunst- und Kulturgütern zu treffen. Zudem werden der Umgang mit geborgenen Gütern in der unmittelbaren Nachkriegszeit sowie dessen Folgen und Relevanz für die heutige Provenienzforschung thematisiert. Vor allem institutionenbasierte Provenienzforschung kann die Bergungsmaß nahmen der jeweils beforschten Sammlung der NS-Zeit nicht ignorieren. Zieht man beispielsweise die Tätigkeit im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung in Österreich als Maßstab heran, so besteht die Kernaufgabe der dort tätigen Forscher_in nen darin, das Inventar der jeweiligen Sammlungen schwerpunktmäßig hinsichtlich der Jahre 1938 bis 1945 sowie der unmittelbaren Nachkriegszeit zu sichten, um eventuell bedenkliche Erwerbungen und Zugänge – jedoch auch die Abgänge – zu identifizieren. Nur so kann der Auftrag einer möglichst lückenlosen Erfassung der Provenienzen der Bestände umgesetzt werden. Zudem ist es notwendig, die Geschichte des jeweiligen Hauses in diesen Jahren umfassend aufzuarbeiten, um die Akteur_innen und deren Aktionsradien, Handlungen und mögliche Absichten im Rahmen der NS-Kunst(raub)politik historisch korrekt einordnen und bewerten zu können. Eine Reihe von Fällen, die in den letzten Jahren dem österreichischen Kunstrückgabebeirat
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10 Pia Schölnberger und Sabine Loitfellner vorgelegt wurden, war eng mit einer mitunter äußerst komplexen Geschichte der Bergung des in Rede stehenden Objektes verknüpft, wie beispielsweise die Geschehnisse um Sicherstellung, Bergung und Veräußerung des Beethoven-Frieses Gustav Klimts veranschaulichen. Gleichzeitig stellen die Bergungen an sich ein bis dato nur wenig untersuchtes Forschungsfeld dar.1 In der Haager Landkriegsordnung von 1899, der frühesten Kodifizierung völkergewohnheitsrechtlicher Verpflichtungen zur Mäßigung in Kriegen, wurde erstmals der Schutz von Kunstwerken sowie von diesen beherbergenden Gebäuden bei Kriegsund Besatzungshandlungen geregelt. Artikel 27 schrieb vor, dass »alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen werden« sollten, um bei Belagerungen und Beschießungen »die dem Gottesdienste, der Kunst, der Wissenschaft und der Wohltätigkeit gewidmeten Gebäude, die geschichtlichen Denkmäler, die Hospitäler und Sammelplätze für Kranke und Verwundete soviel wie möglich zu schonen«.2 Diese Einrichtungen sollten von den »Besatzern« gemäß Artikel 56 wie Privateigentum behandelt werden, und untersagt wurde deren Beschlagnahme, absichtliche Vernichtung oder Beschädigung sowie jene »von geschichtlichen Denkmälern oder von Werken der Kunst und Wissenschaft«.3 NS-Deutschland sollte sich in mehreren Punkten, unter anderem jenem hinsichtlich der Beschlagnahme von Kunstwerken in den besetzten Ländern, nicht an diese Verpflichtungen halten. So wurden die von den deutschen Besatzern erbeuteten Kunstwerke in nachfolgenden Bergungsaktionen riesigen Ausmaßes in unterschiedlichsten Unterbringungsorten vor dem jeweiligen Kriegsgegner als auch vor den drohenden Kriegsschäden in Sicherheit gebracht.4 Entziehungen und Beschlag1
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Siehe dazu beispielsweise die Monografie von Eva FRODL-KRAFT, Gefährdetes Erbe. Österreichs Denkmalschutz und Denkmalpflege 1918–1945 im Prisma der Zeitgeschichte (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 16), Wien 1997, in der sie – einst selbst als junge Kunsthistorikerin bei Bergungsarbeiten tätig – die österreichische Denkmalpflege vorrangig aus dem Blickwinkel der Bewahrung des österreichischen Kunst- und Kulturbesitzes darstellt. Im 1999 erschienenen, von Theodor BRÜCKLER herausgegebenen Sammelband Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 19), Wien-Köln-Weimar 1999, wird das Thema der Kunstbergungen mit dem NS-Kunstraub in Bezug gesetzt. Zur rechtlichen Seite des Kulturgüterschutzes hinsichtlich Beutekunst vgl. Thomas ARMBRUSTER, Rückerstattung der Nazi-Beute. Die Suche, Bergung und Restitution von Kulturgütern durch die westlichen Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 2008. 174. Übereinkommen vom 2. Juli 1899, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges (II. Übereinkommen der I. Haager Friedenskonferenz), RGBl. 174/1913, Art. 27. RGBl. 174/1913, Art. 56. Birgit Schwarz spricht von über 1.400 Bergungsdepots, die die Alliierten alleine in Deutschland fanden. 75 Prozent der hier deponierten Kulturgüter identifiziert sie als ausgelagertes Musealgut, den Rest – beinahe vier Millionen Gegenstände – als Raub- und Beutekunst der Nationalsozialisten. Birgit SCHWARZ, Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub, Darmstadt 2014, S. 270. Für Öster-
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Vorwort 11
nahmungen aus rassistischen und/oder politischen Gründen betrieb die nationalsozialistische Diktatur jedoch bekanntermaßen bereits Jahre vor Kriegsbeginn innerhalb der eigenen Reichsgrenzen, wobei dem sogenannten NS-Kunstraub eine bedeutende Rolle zukam. So ist der zentrale Forschungsgegenstand der Provenienzforschung untrennbar mit der Bergung beziehungsweise Verlagerung von Kunstgut verzahnt, wie beispielsweise die tausenden Erwerbungen für Adolf Hitlers in Linz geplantes »Führermuseum« durch dessen »Sonderbeauftragte«. Die »Mythen«, die der Untertitel des Sammelbandes andeutet, entstanden in diesem Dunstkreis, in Stollen der Altausseer Salzbergwerke im Salzkammergut, wo sich nach der Befreiung die »Monuments Men« in das US-amerikanische Helden-Narrativ einschrieben. Aufgrund der fast vollständigen Verlagerung von Kulturgütern aus ihren angestammten Standorten kam es an einigen Bergungsorten zu Kriegs- beziehungsweise kriegsbedingten Verlusten. Tauchen – wie im Buch eindrücklich beschrieben – einzelne verloren geglaubte Objekte in anderen Ländern wieder auf oder finden gar den Weg zurück in ihre ursprüngliche Sammlung, so rückt die Beforschung der Vorgänge vor Ort, während des »Geborgen-Seins« an einem der vielen Bergungsorte, in den F okus der Untersuchung. Das Ziel der Provenienzforschung besteht in der Erstellung einer widerspruchsfreien und vollständigen Provenienzkette für jedes Werk – von der Voll endung durch den Künstler / die Künstlerin bis zu seinem heutigen Standort. Zu wissen, welche Werke in welchem Zeitraum wohin ausgelagert, zwischendeponiert und wann beziehungsweise wie wieder zurückgebracht wurden, trägt maßgeblich zur Er reichung dieses Ziels bei. Die Bergung von Kunst- und Kulturgütern ist kein spezifisches Phänomen der Jahre 1939–1945, allerdings erfuhr sie erst während des Zweiten Weltkriegs – zumindest dem Bestreben nach – eine Professionalisierung und Systematisierung. Zu real war nun die Gefahr geworden, dass ein Bombenkrieg auch reichsdeutschen Boden erreichen würde. Viele europäische Städte hatten jedoch bereits während der Katastrophe des vergangenen großen Krieges durch den erstmaligen Einsatz von Bombern oder den Beschuss mit Fernartillerie schmerzliche Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht. So zerstörte eine österreichische Fliegerbombe 1915 Giambattista Tiepolos Fresko Flug des Marienhauses nach Loreto in der Chiesa degli Scalzi in Venedig beim misslungenen Versuch, den Bahnhof zu treffen.5 Aufgrund dieser Erfahrungen in Italien erfolgte bei-
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reich ist von einer Mindestanzahl von 250 Bergungsorten auszugehen. Dank an Leonhard Weidinger für diese Einschätzung. Vgl. Claudio FRANZINI, Venezia si difende 1915–1918. Immagini dall’Archivio Storico Fotografico della Fondazione Musei Civici di Venezia, Venezia 2014, Abb. 49–52.
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12 Pia Schölnberger und Sabine Loitfellner spielsweise eine ausgedehnte Aktion zur Bergung von Kunstwerken aus den frontnahen Gebieten Tirols. Der zuständige k.k. Landeskonservator ließ »Gegenstände von hervorragend künstlerischem oder historischem Werte« im Innsbrucker Landhaus beziehungsweise im Hinterland deponieren.6 Das Ausmaß der Zerstörung, Beschlagnahme, Verschleppung und Bergung, wie während des Nationalsozialismus nahezu flächendeckend ins Werk gesetzt, wurde in den Jahren 1914–1918 noch nicht erreicht. Das düstere Resümee, das ein Zeitungsartikel über die Vorkehrungen der Stadt Florenz angesichts der Angst vor feindlichen Fliegerangriffen im Jahr 1917 zog, hätte jedoch letztlich auch für ein beliebiges mitteleuropäisches Museum während des Zweiten Weltkriegs gezogen werden können: »Und der Fremde, der in den Galerien die weltberühmten Gemälde, sucht, ist enttäuscht, denn er steht vor leeren Wänden.«7
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Innsbrucker Nachrichten, 29.7.1916, S. 9. Mährisches Tagblatt, 16.6.1917, S. 6.
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Editorial Als die Kommission für Provenienzforschung im Jahr 2008 daran ging, den ersten Band einer Schriftenreihe zu konzipieren, wurden die Bundessammlungen aufgrund des Kunstrückgabegesetzes bereits seit zehn Jahren nach entzogenem Kulturgut beforscht. Der Sammelband …wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung stellte demnach ein vorläufiges Resümee einer historischen »Hilfswissenschaft« dar, deren Zielsetzung und Methoden vor 1998 allenfalls in kunsthistorischen Seminaren gestreift worden waren – freilich mit fundamental differenten Interessenslagen und Forschungsschwerpunkten. Als Herausgeberin beziehungsweise Herausgeber ebendieser Schriftenreihe der Kommission freuen wir uns nunmehr, bereits Band 6 begleiten zu dürfen, der als Tagungsband einer durch die Kommission für Provenienzforschung in Kooperation mit der Israelitischen Kultusgemeinde Wien im November 2014 organisierten Konferenz Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus die seinerzeitigen Beiträge in schriftlich ausgearbeiteter Form versammelt. Die Programmierung dieser Schriftenreihe und daher auch des vorliegenden Bandes aber steht in direktem Zusammenhang mit den jeweils aktuellen, durch die Mitglieder der Kommission für Provenienzforschung erarbeiteten Forschungsfragen und soll einer breiteren Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, am gewonnenen Wissen über Entziehungs- beziehungsweise Rückgabevorgänge teilzuhaben. Wie für Band 3 (Kunst sammeln, Kunst handeln) waren Mitarbeiter_innen der Kommission ebenso wie international tätige Forscher_innen eingeladen, aktuelle Ergebnisse, sowohl in Bezug auf einzelne sammelnde Institutionen als auch im Überblick zu präsentieren. Die beiden Tagungsbände verweisen daher auf eine wichtige Funktion der Kommission, deren Anspruch durchaus in der Organisation und Publikation des international zum Thema vorhandenen Wissens besteht. Die Bände 2 (schneidern und sammeln. Die Wiener Familie Rothberger) und 4 (Die verkaufte Malkunst. Jan Vermeers Gemälde im 20. Jahrhundert) begaben sich dagegen auf eine mikrohistorische, am Einzelfall interessierte und orientierte Ebene. Band 5 (Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung) hingegen referierte, darin Band 1 nicht unähnlich, den aktuellen Stand der Forschungen hinsichtlich konkreter Fälle der Kommission – mit einem Fokus sowohl auf die Zeit vor dem März 1938 als auch auf die Jahre der NS-Herrschaft.
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14 Eva Blimlinger und Heinz Schödl Der Beforschung des Kontextes der nationalsozialistischen Kunst(raub)politik, dem die durch die höchsten Parteistellen im Deutschen Reich angeordneten Bergungen zuzurechnen sind, widmen sich die Beiträge des vorliegenden Bandes. Eine nicht – unmittelbar – staatlich dekretierte Form von Bergung hat (beinahe auf den Tag genau) ein Jahr vor der Wiener Konferenz die öffentliche und politische Wahrnehmung von Provenienzforschung und Kunstrückgabe in der Bundesrepublik Deutschland stark beeinflusst: Am 3. November 2013 erschien im Magazin Focus ein Artikel zum später so bezeichneten Schwabinger Kunstfund (»Sammlung Gurlitt«). Die daraus folgenden Entwicklungen mit ihren typischerweise medial wie politisch hochsensibilisierten Implikationen erinnern an die Anfänge der institutionalisierten Provenienzforschung in Österreich, etwa im Zusammenhang mit der Beschlagnahme des Bildnis Wally aus der Leopold Museum Privatstiftung in New York im Jahr 1998. Die seit damals entstandenen Ressourcen an Wissen und die Entwicklung von Strukturen der Handhabung und Bewältigung auf musealer und ministerieller Ebene erleichtern und beschleunigen die Abwicklung komplexer Restitutionsfälle. In der Entwicklung und Ausarbeitung dieses wissenschaftlichen Umkreises der Provenienzforschung standen auch die Beiträge zur eingangs erwähnten Konferenz im Herbst 2014. Wie schon in ihrem Eröffnungsvortrag bei der Tagung bietet die Linzer Zeithistorikerin Birgit Kirchmayr Einblicke in ihre Gespräche mit ehemaligen Monuments Men, deren Aufgabe unter anderem die Sicherung der geborgenen Objekte nach Kriegsende sowie deren Rückführung war und sich freilich von Hollywoods »ungewöhnlichen Helden« stark unterschied. Die Bergungen auf dem Gebiet des ehemaligen Österreich nehmen die Provenienzforscherinnen des Kunsthistorischen Museums Wien Susanne Hehenberger und Monika Löscher in den Blick, indem sie den Arbeitsalltag, die strengen Sicherheitsvorkehrungen und die Organisation der Rückbergung der Objekte in den geheimen Bergungsorten Jagdschloss Steinbach bei Göstling aus dem früheren Eigentum der Familie Rothschild, in der Kartause Gaming, im (aufgelassenen) Stift Klosterneuburg sowie im Salzbergwerk Lauffen bei Bad Ischl skizzieren. Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte München ist mit Beiträgen dreier Expert_innen vertreten, wobei sich Meike Hopp und Stephan Klingen der Erforschung des Verbleibs jener Kulturgegenstände widmen, die bis Ende April 1945 im sogenannten »Führerbau« in München eingelagert gewesen waren. In seinem Überblick über die immensen Verlagerungs- und Bergungsaktionen in Italien plädiert Christian Fuhrmeister für eine künftig stärkere Fokussierung auf den Themenbereich Translokation von Kulturgut. Die detaillierte Auseinandersetzung mit der Situation einzelner Institutionen des Deutschen Reiches bildet den inhaltlichen Schwerpunkt des Sammelbandes. Die Ein-
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lagerung der beweglichen privaten wie kirchlichen Kulturgüter, für die das Institut für Denkmalpflege, die Vorgängerbehörde des heutigen Bundesdenkmalamtes, zuständig war, beforscht Anneliese Schallmeiner, die auch die Vorgänge im Salzbergwerk Altaussee, wo später die Bestände des sogenannten »Führermuseums« deponiert wurden, beleuchtet. Die Ko-Organisatorin der Tagung, Pia Schölnberger, widmet sich der Albertina, in welcher der Schriftsteller und Kunsthistoriker George Saiko für die Bergungsmaßnahmen verantwortlich zeichnete und mitunter im Widerspruch zur übergeordneten Behörde, der Reichsstatthalterei Wien, agierte. Auf unzureichende Bergungsmaßnahmen und die daraus resultierenden beträchtlichen kriegsbedingten Verluste macht René Schober mit Blick auf die Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien aufmerksam. Unwiederbringliche Verluste erlitt zwar die Österreichische Galerie Belvedere durch die Zerstörung der Fakultätsbilder Gustav Klimts, die Sammlung blieb aber durch die Totalbergung ihrer Bestände ansonsten fast vollständig erhalten, wie Monika Mayer herausgearbeitet hat. Unter dem Blickwinkel der Kriegshandlungen, insbesondere der Luftangriffe auf Wien, beschäftigt sich Leonhard Weidinger mit den Vorgängen im Staatlichen Kunstgewerbemuseum, dem heutigen MAK, und verweist vor allem auf Zerstörungen beziehungsweise Plünderungen an zahlreichen Bergungsorten nach dem Ende der Kampfhandlungen im Jahr 1945. Die herben Verluste, die die Museen der Stadt Wien zu verzeichnen hatten und für die neben der plündernden Roten Armee auch die Zivilbevölkerung sowie die abziehenden deutschen Truppen verantwortlich waren, sind das Thema von Gerhard Milchram und Michael Wladika. Die Luftschutzmaßnahmen der Gemäldegalerie am Landesmuseum Joanneum Graz beleuchtet Karin Leitner-Ruhe entlang der vielen verschiedenen Depots, die im Auftrag der steirischen Reichsstatthalterei von der Museumsleitung ausfindig gemacht werden mussten. Liegt der Schwerpunkt dieser institutionengeschichtlich angelegten Beiträge damit offenkundig auf Sammlungen auf dem Gebiet des heutigen Österreich, so präsentiert der Band auch Untersuchungsergebnisse zur Situation deutscher Museen. Dass sich die Bombardements der Stadt Dresden in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 nicht auch ebenso katastrophal auf die Kunstwerke der Staatlichen Sammlungen auswirkte, wie auf die Gebäude selbst, ist der Bergung dieser hervorragenden Bestände zu verdanken, wie Gilbert Lupfer und Christine Nagel schildern. Eine vollständige Erforschung von Bergungshandlungen muss stets auch die Rückführung der geborgenen Objekte mit einschließen, was eindrücklich anhand von Tessa Friederike Rosebrocks Beitrag gezeigt wird, die einen Vergleich der Vorgänge in der US-amerikanischen sowie der französischen Besatzungszone innerhalb des früheren deutschen Bundeslandes Baden vor allem an den jeweiligen Collecting Points vornimmt.
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16 Eva Blimlinger und Heinz Schödl Ebenfalls von Bergungsmaßnahmen erfasst waren auch Bibliotheken, wie Murray G. Hall und Christina Köstner-Pemsel anhand eines Vergleichs der Bergungsmaßnahmen der beiden größten Wiener Einrichtungen – der Österreichischen Nationalbibliothek sowie der Universitätsbibliothek – thematisieren, wohingegen Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß der Verwertung entzogener Bestände nach 1945 für die Kompensation bibliothekarischer Verluste während des Kriegs durch die »Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken« in Berlin nachgehen. Der Bergung von besonders bedeutenden Objekten oder Objektgruppen widmen sich abschließend vier Texte im Band. Christina Gschiel schildert die besonderen Herausforderungen, die mit der Sicherstellung und Bergung des ebenso filigranen wie großflächigen Beethoven-Frieses Gustav Klimts nach Schloss Thürnthal und dessen komplexer Rückbringung verbunden waren. Imma Walderdorff begibt sich auf die Spur verschollener Miniaturen aus der ehemaligen Czerninschen Gemäldegalerie, die während der kriegsbedingten Verlagerung gestohlen worden waren. Lagerorte der sogenannten Entarteten Kunst – von der bereits 1937 speziell dafür eingesetzten Beschlagnahmekommission als solche identifiziert – stehen im Fokus des Beitrags von Meike Hoffmann, die hierbei die Wege der zum Verkauf dieser Kunstwerke ins Ausland autorisierten Kunsthändler nachzeichnet. Den Abschluss bildet der Beitrag der französischen Forscherin Emmanuelle Polack, die sich der umfassenden Beschlagnahme- und Verlagerungsaktion des »Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg« im besetzten Frankreich exemplarisch anhand von Henri Matisses Gemälde Odalisque au tambourin aus dem Eigentum Paul Rosenbergs annähert. Obwohl sie keinen schriftlichen Niederschlag im vorliegenden Sammelband gefunden haben, seien an dieser Stelle ergänzend weitere Beiträge der Konferenz vom November 2014 erwähnt. Wiebke Krohn referierte zu den rechtlichen und historischen Aspekten des Kunst- und Kulturgüterschutzes, Birgit Schwarz zum Gau Oberdonau als einer der wichtigsten Drehscheiben des nationalsozialistischen Kunstraubes. Das Bergungspersonal des Instituts für Denkmalpflege untersuchte Lisa Frank auf Basis der – auch im Band abgedruckten – »Bergungsballade« des in Aussee tätigen Chemikers M aximilian Eder. Nicht weniger als 14 Bergungsorte zählte Claudia SporerHeis in ihrer Analyse der Bergung und Rückführung der Bestände des Innsbrucker Ferdinandeums. Annemarie Marck gab einen Einblick zu den Bergungsaktionen niederländischer Museen als Schutz vor Kriegsschäden und Beschlagnahme. Einen weiteren Beitrag zur Bibliotheksbergung lieferte Detlef Bockenkamm in seinem Referat über die Vorgänge in der heutigen Zentral- und Landesbibliothek Berlin.
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Editorial 17
Zu Beginn des Bandes noch eine editorische Notiz: Derzeit bestehen die beiden Auffassungen, arisieren beziehungsweise Arisierung entweder mit oder ohne Anführungszeichen zu schreiben. Jene, die die Schreibweise mit Anführungszeichen bevorzugen, führen ins Treffen, dass es hier um einen nationalsozialistischen Begriff gehe und dieser daher als Bestandteil der NS-Tätersprache entsprechend zu kennzeichnen sei. Jene, die sich für eine Schreibung ohne Anführungszeichen aussprechen, erachten die Verwendung von Anführungszeichen als Distanzierung und Infragestellung des Begriffs im Sinne einer modalisierenden Funktion. Die Herausgeber_innen haben den Autor_innen die Entscheidung darüber selbst überlassen, weshalb sich in diesem Band beide Schreibweisen finden. Die Konzeption und die Herausgabe eines Sammelbandes als publiziertes Ergebnis einer Tagung sind nur mit Engagement und Unterstützung vieler Beteiligter möglich. Zu danken ist dem Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien für die großzügige finanzielle Unterstützung, ohne welche Bücher wie das vorliegende nicht möglich wären, sowie der Israelitischen Kultusgemeinde für die Unterstützung der Tagung. Für sein Engagement und die umfassende Unterstützung danken wir Christoph Bazil, dem Leiter der Abteilung Denkmalschutz und Kunstrückgabeangelegenheiten im Bundeskanzleramt. Den Mitarbeiterinnen des Büros für Provenienzforschung sei für die umsichtige Mitarbeit bei der Durchführung der Tagung gedankt. Nikola Langreiter hat mit Geduld und Sachverstand für das Korrektorat gesorgt. Unser ganz besonderer Dank gilt zunächst den beiden Bandherausgeberinnen Sabine Loitfellner und Pia Schölnberger, die das bis dato kaum beachtete Thema Bergungen während des Zweiten Weltkrieges aufgegriffen, die Tagung organisiert und schließlich die editorische Arbeit des Sammelbandes durchgeführt haben. Susanne Uhlirz danken wir herzlich für die Erstellung der historischen Karten mit der Kennzeichnung der im Band vorkommenden Bergungsorte auf dem Gebiet des heutigen Österreich sowie in Wien, wie sie in Vor- und Nachsatz des Bandes abgedruckt sind. Und last but not least bedanken wir uns bei den Autorinnen und Autoren für ihre lesenswerten, fundierten und informativen Arbeiten. Eva Blimlinger Heinz Schödl Wien, im November 2015
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Im Gespräch mit den Monuments Men Hollywoods »ungewöhnliche Helden« aus Sicht der Provenienzforschung
Birgit Kirchmayr
Zum Einstieg: Ein Dokumentarfilm und ein Spielfilm
Es war für mich spannend und ein wenig nostalgisch zugleich, mich für diesen Beitrag mit der Geschichte der Monuments Men auseinanderzusetzen.1 Ich konnte damit ein Thema weiterführen, das bereits Teil meines ersten Forschungsprojektes als Historikerin gewesen war. Es ging dabei um die historische Recherche für den Dokumentarfilm Sonderauftrag Linz, der die Geschichte des geplanten, aber nie verwirklichten »Linzer Führermuseums« beleuchten sollte.2 Auslöser für dieses Filmprojekt war die »Mauerbachauktion« im Jahr 1996 gewesen, die viele offene Fragen rund um NS-Kunstraub und Restitution in Österreich an die Öffentlichkeit gebracht hatte.3 Die Idee des Films war es, Geschichten einzelner Gemälde und jene ihrer Eigentümer_innen parallel und durch die Zeit zu verfolgen. Drei Bilder wurden ausgewählt, ihre (ehemaligen) Eigentümer_innen interviewt, aber auch Personen, die institutionell mit dem »Sonderauftrag Linz« zu tun gehabt hatten. Für meine damaligen Recherchen bekam ich als eine der ersten Nutzer_innen Zugang zum Bestand »Restitutionsmaterialien« im Archiv des Bundesdenkmalamtes, eine »Provenienzforschungskommission« gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Eine 1
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Der vorliegende Beitrag basiert auf dem gleichnamigen Eröffnungsvortrag der Tagung Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus, der mündliche Vortragsstil wurde dabei im Wesentlichen beibehalten. Gedankt sei an dieser Stelle nochmals den Tagungsveranstalter_innen von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und der Kommission für Provenienzforschung beim Bundeskanzleramt, besonders den beiden Organisatorinnen Sabine Loitfellner und Pia Schölnberger für ihr großes Engagement. Sonderauftrag Linz, Österreich 1999, 94 min, Regie: Andreas Gruber, Historische Recherchen: Birgit Kirchmayr, Cultfilm Wien in Coproduktion mit dem ORF. Der Film wurde 1999 fertiggestellt und mit dem österreichischen Film- und Fernsehpreis Romy ausgezeichnet. Informationen unter http://www.cult film.at/de/index.php (22.2.2015). 1995 wurde ein Bestand von Kunst- und Kulturgütern, den die Republik Österreich in den 1950er Jahren vom amerikanischen Art Collecting Point München als hinsichtlich deren Provenienz unidentifizierte Restbestände erhalten hatte, der Israelitischen Kultusgemeinde Wien übergeben, die diesen 1996 vom Auktionshaus Christie’s zugunsten eines Fonds für Opfer des Holocaust versteigern ließ. Die Basis dafür bildete das »Bundesgesetz, mit dem das 2. Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz geändert wird« (BGBl. 515/1995).
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20 Birgit Kirchmayr rchivreise ins deutsche Bundesarchiv nach Koblenz erschloss weitere Bestände, unter A anderem jene der amerikanischen Kunstschutzeinheit Monuments, Fine Arts and Archives Section (MFA&A).4 Genau jene Einheit war es, deren Angehörige uns heute als Monuments Men bekannt sind. 1943 gegründet, sollte die MFA&A, bestehend aus Personen, die im Zivilberuf Kunsthistoriker, Restauratoren und Museumsfachleute waren, das Kriegsgeschehen in Europa begleiten und wichtige Kulturdenkmäler vor etwaiger Zerstörung schützen. Nach dem Kriegsende in Europa übernahmen die Fachleute der MFA&A die Sicherung und Rückführung der in zahlreichen Depots im Deutschen Reich eingelagerten (Raub-)Kunstbestände. Eine eigene Einheit, die Art Looting Investigation Unit (ALIU), war mit der Aufklärung des NS-Kunstraubs beschäftigt. Die Abschlussberichte der ALIU sind dementsprechend bedeutende Quellen. Auch zum »Sonderauftrag Linz« liegt ein solcher Bericht vor, der Consolidated Interrogation Report No. 4. Linz: Hitler’s Museum and Library, verfasst im Dezember 1945 von S. Lane Faison, Jr. Im Zuge meiner Recherchen für den Dokumentarfilm ließ sich ermitteln, dass der Autor als emeritierter Professor für Kunstgeschichte am Williamscollege in Williamstown, Massachusetts lebte. Die Filmproduktion ermöglichte die Reise in die USA, und so kam ich zu meinem ersten Gespräch mit einem Monuments Man, dem bald ein zweites folgen sollte. Über beide Interviews soll in Folge ausführlicher berichtet werden. Aber es soll hier nicht nur um Interviews, Archive und Dokumente gehen, sondern auch um Hollywood: Denn nicht der 1999 abgeschlossene Dokumentarfilm von Andreas Gruber und mir machte die Monuments Men berühmt, was neidlos zugegeben werden muss, sondern vielmehr der von Hollywoodstar George Clooney produzierte Spielfilm von 2014, der auf dem gleichnamigen Buch des amerikanischen Autors Robert Edsel basiert.5 Plötzlich waren sie in aller Munde, die Monuments Men, wahrgenommen von einer breiten Öffentlichkeit und nicht mehr nur von einem kleinen Kreis von Forscherinnen und Forschern, denen die Tätigkeit der Monuments Men mindestens seit den 1990ern besser bekannt war. Bei zahlreichen Tagungen zum Thema waren ehemalige Mitglieder der MFA&A als Teilnehmer anwesend – als Beispiel sei die große Konferenz Spoils of War genannt6 –, und es erschienen mehrere Bücher, in denen die 4 5
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Bundesarchiv Koblenz, Bestand B 323 (Treuhandverwaltung von Kulturgut). Robert M. EDSEL, Bret WITTER, Monuments Men – Allied Heroes, Nazi Thieves, and the Greatest Treasure Hunt in History, New York 2009 (Dt.: Monuments Men – die Jagd nach Hitlers Raubkunst, München 2014). Verfilmt unter der Regie von George Clooney mit dem Titel The Monuments Men, USA 2014, 118 min (Dt.: Monuments Men – Ungewöhnliche Helden). Elizabeth SIMPSON (Hg.), The Spoils of War. World War II and its Aftermath: The Loss, Reappearance and Recovery of Cultural Property, New York 1997.
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Tätigkeit der MFA&A ausführlich dokumentiert wurde.7 Edsel hat die Monuments Men somit nicht entdeckt, er und schließlich George Clooney beziehungsweise das Filmprojekt haben sie aber berühmt und »hollywoodtauglich« gemacht. Mir geht es in der folgenden Auseinandersetzung mit dem Film Monuments Men und seiner Geschichte nicht um einen »Faktencheck«. Film ist Film, und Wissenschaft ist Wissenschaft. Was also im Film im Einzelnen »falsch« und was »richtig« ist, ist nicht mein primäres Interesse. Was mich mehr interessiert, ist, welcher Narrative sich dieser Film bedient und wie viel Übereinstimmung sich diesbezüglich im Blick auf die »echten« Monuments Men und ihre Erzählungen findet. Und: Wie können wir dies aus Sicht der Provenienzforschung einordnen? Bevor ich mich hierzu den historischen Monuments Men und ihrer Bedeutung in einem heutigen Forschungskontext nähere, soll zu Beginn der Blick auf Hollywoods »ungewöhnliche Helden« geworfen werden. Hollywoods ungewöhnliche Helden
Die Grundvoraussetzungen für einen hollywoodtauglichen Film brachte die Geschichte der Monuments Men bereits mit, geht es doch um sagenhafte Kunstschätze, verborgene Depots, Geheimnisse, Nazis und tapfere (amerikanische) Soldaten. Ein zentrales stilistisches Mittel, das zur weiteren Filmtauglichkeit beitrug und bereits von Robert Edsel als Autor des Buches grundgelegt wurde, ist die Individualisierung der Geschichte. Das Lese- sowie später das Kinopublikum lernt die Gruppe der Monuments Officers nicht als anonyme Gruppe kennen, vielmehr fokussieren Buch und Film auf das konkrete Schicksal einzelner Soldaten: Officer George Stout, im Film ist er der tapfere und attraktive Frank Stokes (dargestellt von George Clooney); der jugendliche, aufgeweckte James Granger, dem MFA&A-Officer James Rorimer nachempfunden (dargestellt von Matt Damon); der smarte Engländer Donald Jeffries, in Wirklichkeit Ronald Balfour (dargestellt von Hugh Bonneville) etc.: Insgesamt sind es acht Soldaten, die wir mit ihren Geschichten und privaten Hintergründen im Lauf des Films immer besser kennen lernen.8 Neben der Individualisierung finden wir im Film eine pathetische Heroisierung dieser Individuen: Die »ungewöhnlichen Helden«, wie sie im deutschen Filmuntertitel genannt werden, halten stets zusammen. Sie setzen ihr Leben ein, und dies nicht 7 8
Vgl. u. a. Lynn H. NICHOLAS, The Rape of Europa. The Fate of Europe’s Treasures in the Third Reich and the Second World War, New York 1994. Im Buch Robert Edsels werden die realen Namen der Monuments Men beibehalten, im Film erhalten die Figuren fiktive Namen.
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Abbildung 1: Hollywoods ungewöhnliche Helden, von links: John Goodman als Sgt. Walter Garfield (Walker Hancock), Matt Damon als Lt. James Granger (James Rorimer), George Clooney als Lt. Frank Stokes (George Stout), Bob Balaban als Pvt. Preston Savitz (Lincoln Kirstein) und Bill Murray als Sgt. Rich Campbell (Robert K. Posey)
nur für Amerika, sondern für die gesamte Welt und deren geistiges und kulturelles Erbe. Sie sind in jeder Hinsicht hoch moralisch, wofür als kleines Beispiel eine Szene angeführt sei, in welcher der verheiratete Officer James Granger den Verführungskünsten der Französin Claire Simone (alias Rose Valland) heldenhaft widersteht. Als höchstes moralisches Prinzip gilt aber die Kameradschaft. Als Schlüsselszene fungiert dafür ein besonderes Ereignis, nämlich der Verlust eines Kameraden. Der Tod von Lieutenant Donald Jeffries, der beim Versuch, die Madonna von Brügge zu retten, ums Leben kommt,9 macht die Monuments Men zu einer Schicksalsgemeinschaft, die »für Donald« kämpft und es ihm schuldig ist, seinen Auftrag zu Ende zu bringen. Es handelt sich hierbei um ein klassisches soldatisches Heldenmotiv und -narrativ, das den Film auch weiterhin durchzieht, denn Zusammenhalt und Heldentum verstärken sich noch, als ein weiterer Kunstschutzoffizier sein Leben verliert, der Franzose Jean Claude Clermont. Diese Figur hat kein unmittelbares Vorbild beziehungsweise setzt sie sich aus verschiedenen biografischen Elementen realer Personen zusammen.10 Im Film ge9
Der englische MFA&A-Officer Ronald Balfour, Vorbild für Donald Jeffries, kam bei der Bergung einer Skulptur im März 1945 im belgischen Cleve ums Leben. 10 So gab es auch in der Realität einen Monuments Officer, der in Ausübung des Dienstes in einer ähnlichen Situation umkam. Es handelte sich dabei um Walter J. Huchthausen, Architekt und Angehöriger der 9. Armee. Vgl. die biografischen Angaben unter http://www.monumentsmenfoundation.org (3.3.2015).
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rät Officer Jean Claude Clermont in einen Schusswechsel zwischen den Fronten und stirbt anschließend in den Armen seines Kollegen Sergeant Walter Garfield alias Walter Hancock (dargestellt von John Goodman). Die emotionalisierende Sequenz endet in einer Ansprache von Frank Stokes alias George Stout an seine Männer, mit der Botschaft, der Tod der beiden Kameraden dürfe nicht sinnlos gewesen sein: »And now we owe it to them to finish the job.«11 Der Tod verstärkte somit in moralischer Hinsicht den bereits zuvor bestehenden Auftrag, und in der Definition dieses Auftrags ist das Hauptnarrativ des Films zu ver orten: dass es nämlich die in der Geschichte einzigartige Mission der Monuments Men sei, Kunstwerke zu schützen und zu retten, und zwar ausschließlich der Sache wegen und nicht, um Kriegsbeute nach Hause zu bringen. Besonders anschaulich ist dafür eine Szene, die in Paris angesiedelt ist und auf die hier kurz verwiesen werden soll. Die handelnden Personen sind der MFA&A-Officer James Granger (James Rorimer) und die französische Kunsthistorikerin Claire Simone. Sie ist Rose Valland nachempfun den, einer Kuratorin des Pariser Museums Jeu de Paume, die wertvolle Informationen über die im Kontext des »Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg« (ERR) geraubten Kunstwerke an die Résistance weiterleitete.12 Die Szene im Film zeigt die erste Begegnung der beiden, die von Matt Damon und Cate Blanchett dargestellt werden. Grangerbittet Simone um ihre Hilfe, sie reagiert verschlossen aggressiv und unterstellt dem Amerikaner das scheinbar Naheliegende: »So, how can I help you steal our stolen art?« Granger antwortet: »That’s not why I am here, I am here to help to get it back.« – »Yes, to fill your museum«, so Simone in diesem ersten Dialog zwischen den beiden.13 Erst nach und nach gewinnt Granger Simones Vertrauen, und sie zeigt ihm Depots mit gestohlenen Kunstwerken und Hausrat von Pariser Jüdinnen und Juden. Granger notiert eine auf der Rückseite eines Bildes angebrachte Adresse und bringt das Bild zurück in eine leere, augenscheinlich ausgeraubte Wohnung. Simone folgt ihm, wirft ihm Naivität vor, die Eigentümer_innen wären nicht mehr hier und würden auch nicht wiederkommen. Granger entgegnet: »My job is to find art and return it. This seems like a good place to start.«14 Ganz deutlich begegnet uns in diesem Dialog das Hauptnarrativ des Films: Die Monuments Men glauben an ihren Auftrag, und der lautet, Kunst retten und sie zurückgeben. Keine Kriegsbeute, kein eigener Profit, der Auftrag erfolgt ausschließlich im Dienste der Kunst und der Opfer, und das – so das 11 12 13 14
Monuments Men, USA 2014, Regie: George Clooney (DVD). Vgl. Rose VALLAND, Le Front de l’art. Défense des collections françaises 1939–1945, Paris 1961. Monuments Men 2014 (DVD). Monuments Men 2014 (DVD).
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Abbildung 2: »My job is to find art and return it«: Matt Damon als Lt. James Granger (James Rorimer) und Cate Blanchett als Claire Simone (Rose Valland)
Narrativ weiter – ist ein absolutes Novum in der Praxis von Kriegen, und das ist es, wofür die »ungewöhnlichen Helden« bereit sind, alles zu geben. Der Film endet schließlich mit dem Eintreffen der Monuments Men in Altaussee. Schnell entschlossen holen die Offiziere den Genter Altar und die Madonna von Brügge aus den Stollen. Und dies – und hier erinnert der Film an Produktionen aus der Zeit des Kalten Kriegs – bevor »die Russen« kommen, die als Kunstdiebe unbedingt davon abgehalten werden müssen, schneller als »die Amerikaner« bei den Stollen anzukommen. Rund um die Darstellung von Altaussee verliert der Film am meisten den Bezug zum historischen Hintergrund.15 Die »echten« Monuments Men und ihr Einsatz nach Kriegsende
Wir wenden uns damit vorerst von den Helden Hollywoods ab und den »echten« Monuments Men zu. Wenn man so will, endet der Film in Altaussee nämlich genau dort, wo es aus Sicht der Provenienzforschung erst interessant wird. 15 In Bezug auf allzu platte Darstellungsweisen und historische Unstimmigkeiten sei auch verwiesen auf die Filmkritik von Christian FUHRMEISTER, Hier menschelt es besonders wertvoll, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.2.2014, S. 38.
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Denn wie ging es weiter? Gingen die Monuments Men in die Stollen von Altaussee, entdeckten die Kunstwerke und fuhren wieder heim? Wie wir wissen, taten sie das nicht, und das ist der springende Punkt: Kunstschutz im Krieg – das gab es auch vor den Monuments Men. Zu Recht weist Christian Fuhrmeister in seiner Rezension zu Clooneys Film auf die Haager Landkriegsordnung von 1899 beziehungsweise 1907 hin, die auch einen Passus zum Schutz von Kulturgütern in bewaffneten Konflikten beinhaltete.16 Die Tätigkeit der alliierten Kunstschutzoffiziere im Zweiten Weltkrieg war somit nicht neu und außergewöhnlich. Nach Kriegsende geschah aber etwas, das tatsächlich als erst- und einmalig bezeichnet werden kann, nämlich die Weiterführung der Kunstschutz-Arbeit, die sich über den unmittelbaren Schutz vor Kriegseinwirkungen und die Bergung von Kunstwerken hinaus auch mit deren Identifizierung und Rückführung auseinandersetzte. Was geschah konkret in Altaussee, nachdem die amerikanischen Einheiten dort eingetroffen waren? Auf die Rettung der in den Bergwerksstollen eingelagerten Kunstwerke kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Fakt ist, eine seitens Gauleiter August Eigruber geplante Zerstörung konnte vereitelt werden, die amerikanischen Einheiten fanden die Kunstschätze unversehrt vor.17 Was dann geschah, waren der Abtransport, die Verlagerung an eine zentrale Sammelstelle und der Versuch der Aufklärung der Hintergründe. Für all das waren wieder die Monuments Men zuständig, denn die 1943 etablierte Kunstschutzeinheit wurde mit Kriegsende nicht etwa aufgelöst, sondern ganz im Gegenteil massiv vergrößert. Weitere Kunsthistoriker_innen und Konservator_innen – es gab auch Monuments Women18 – wurden der MFA&A zugeteilt sowie deutsche zivile Mitarbeiter_innen, die fortan in eigens eingerichteten Art Collecting Points für die sichere Einlagerung, Identifizierung und Rückführung zuständig waren. Einer jener Männer, die nach dem Kriegsende in Europa der MFA&A zugewiesen wurden, war Craig Hugh Smyth, Angehöriger der US-Navy und im zivilen Leben Kunsthistoriker mit Abschluss in Princeton. Smyth, damals dreißigjährig, erhielt 1945 16 Vgl. FUHRMEISTER 2014. 17 Zu den Vorgängen rund um die geplante Zerstörung und Rettung der Kunstwerke gibt es eine mittlerweile fast unüberschaubare Fülle von Literatur, verwiesen sei hier auf die Darstellung von Theodor BRÜCKLER, Gefährdung und Rettung der Kunstschätze: Versuch einer kritischen Rekonstruktion, in: Eva FRODL-KRAFT, Gefährdetes Erbe. Österreichs Denkmalschutz und Denkmalpflege 1918–1945 im Prisma der Zeitgeschichte, Wien-Köln-Weimar 1997, S. 363–383. Vgl. zum Bergungsort Altaussee auch den Beitrag von Anneliese SCHALLMEINER in diesem Band. 18 Beispielsweise die Kunsthistorikerin Edith A. Standen als Leiterin des Art Collecting Point Wiesbaden. Vgl. SIMPSON 1997, S. 122.
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26 Birgit Kirchmayr Abbildung 3: Craig Hugh Smyth (2. v. l.) vor dem Central Art Collecting Point in München 1945 (mit Mitarbeitern der MFA&A sowie Repräsentant_innen einzelner Länder für die Rückführung von Kunstgegenständen)
den Auftrag, in München einen Art Collecting Point einzurichten, in welchem das in Altaussee geborgene Kunstgut eingelagert und identifiziert werden sollte. Smyth hat wie viele andere Monuments Men später seine Erinnerungen veröffentlicht. Anlässlich einer Vorlesungsreihe an einer niederländischen Universität recherchierte er über seine eigenen Erlebnisse hinaus die Geschichte der MFA&A und legte dazu eine Publikation vor. In dem 1986 erschienenen Buch Repatriation of Art from the Collecting Point in Munich after World War II schrieb Smyth bezüglich seiner eigenen Beauftragung: »Stout and La Farge19 stressed to me that the Munich collecting point must serve both for immediate, safe storage and as a long-term repository and center for cataloguing loot.«20 Diese Aussage ist insofern interessant, als sie zeigt, dass die Verantwortlichen der Monuments, Fine Arts, and Archives Section zu diesem Zeitpunkt, also knapp nach Kriegsende, bereits auf eine längere Dauer ihres Einsatzes und auf einen langwierigen Katalogisierungs- und Identifizierungsprozess der Kunstgüter eingestellt waren. Was sie vorhatten, war nichts anderes als Provenienzforschung. Neben den üblichen Hilfsmitteln wie Werks- und Museumskatalogen griffen die Mitarbeiter_innen der MFA&A dafür auf alle verfügbaren Dokumente der nationalsozialistischen Bürokratie zurück, führten darüber hinaus Interviews und Verhöre mit am Kunstraub beteiligten Perso19 Louis Bancel La Farge war neben George Stout leitender MFA&A Officer. 20 Craig Hugh SMYTH, Repatriation of Art from the Collecting Point in Munich after World War II, Maarssen 1988, S. 28.
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Abbildung 4: S. Lane Faison, Jr., 1943 (vor Beginn seiner Tätigkeit in der Art Looting Investigation Unit des OSS)
nen. Zu diesem Zweck kam zu den Monuments, Fine Arts and Archives Officers, die dem Militär unterstellt waren, eine zweite Gruppe hinzu, die als Art Looting Investigation Unit bezeichnet wurde und dem Office of Strategic Services (OSS), also dem amerikanischen Geheimdienst, unterstand. Zu diesen Männern gehörte S. Lane Faison, Jr., der bereits erwähnte Verfasser des Consolidated Interrogation Report No. 4. Die Art Looting Investigation Unit war 1944 gegründet worden. Nach einer Vorbereitungszeit in Washington D. C. und London wurde Faison gemeinsam mit zwei Kollegen, James S. Plaut und Theodor Rousseau, im Juli 1945 nach Altaussee beordert. Die ALIU und die MFA&A sollten also in Folge die Zusammenhänge des NS-Kunstraubs aufklären und Restitutionsarbeit leisten. Im Gespräch mit den Monuments Men
Craig Hugh Smyth und S. Lane Faison standen 1998 dem eingangs erwähnten Dokumentarfilmprojekt für jene Interviews zur Verfügung, die im Folgenden im Mittelpunkt stehen sollen. In der hier vorgenommenen Darstellung geht es vor allem um eine vergleichende Perspektive hinsichtlich der im Film Monuments Men transportierten Narrative, aber auch um Aussagen, die mir aus Sicht der heutigen Provenienz- und Raubkunstforschung relevant erscheinen. Als Einstieg eine kurze Szene, in der S. Lane Faison seine damalige Funktion in der ALIU erläutert:
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28 Birgit Kirchmayr And perfectly some people in Washington and New York had a very bright idea, that there should be another little organisation of people who didn’t do anything but have 24 hours a day to ask questions, study documents and try to find out what happened. And that was known as the Art Looting Investigation Unit, ALIU, of the Office of Strategic Services. That sounds very elaborate, but it’s only three people in a house on the road between Bad Aussee and Altaussee, set up in May of 45.21
Dies ist ein wunderbares Beispiel dafür, was Oral History leisten kann: Nach dem Studium vieler Dokumente und Quellen lassen sich Tätigkeit und Organisationsstruktur der ALIU zwar nachvollziehen, die Praxis ihres Zustandekommens, ihres Arbeitens und Alltags in Altaussee wird mit dieser Erzählung aber wesentlich greifbarer. Methodisch betrachtet leistet die Oral History in diesem Zusammenhang auch einen wichtigen Beitrag zur Quellenkritik in Bezug auf die schriftlichen Dokumente der ALIU, indem sie deren Entstehungskontext erhellt. Die Art Looting Investigation Unit war entgegen ihrem »elaborierten« Titel, der vielleicht mehr verspricht, eine kleine Truppe mit beschränkten Mitteln. Weder verfügte sie über einen großen personellen Apparat, noch standen unbegrenzte Mittel zur Verfügung, und auch das geheimdienstliche Vorwissen in Bezug auf die NS-Kunstenteignungen war vermutlich geringer, als man annehmen könnte. Die Ergebnisse der ALIU sind vor diesem Hintergrund beeindruckend, ihre Schlussfolgerungen aber als fehlerlose Analysen zu verstehen oder davon auszugehen, die in wenigen Monaten verfassten Abschlussberichte müssten über eine Qualität von langjährigen Forschungsarbeiten verfügen, würde bedeuten, die Grundlagen der Quellenkritik zu ignorieren. Das direkte Ergebnis der investigativen Arbeit der ALIU waren mehrere Verhör berichte mit wichtigen Proponenten von NS-Kunstraub und Kunsthandel (Detailed Interrogation Reports) und drei zusammenfassende Hauptberichte (Consolidated Interrogation Reports) zu den Kunstraubaktivitäten Hermann Görings, zum »Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg« und zum »Linzer Kunstmuseum«.22 Auch in diesem Zusammenhang konnte die Oral History helfen, eine offene Frage zu beantworten, nämlich jene, wieso Faisons Bericht Consolidated Interrogation Report No. 4 heißt, wenn es doch nur drei Berichte gibt? In meinen Archivrecherchen hatte mich das einigermaßen beunruhigt: Hatte ich einen Report übersehen? Warum gab es Nummer eins, zwei und vier, aber keine drei? Im Gespräch mit S. Lane Faison erhielt ich eine Antwort: 21 Interview mit S. Lane Faison, Williamstown, 14.6.1998, durchgeführt von Birgit Kirchmayr und Andreas Gruber. 22 Vgl. http://www.archives.gov/research/holocaust/art/key-series-descriptions/key-series-descriptions-01. html (3.3.2015)
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Abbildung 5: S. Lane Faison 1998 in Williamstown, Massachusetts im Interview für den Dokumentarfilm »Sonderauftrag Linz«
Don’t ask me the Number three report, I don’t even know what it is, it doesn’t exist, so don’t worry, but I have Number four, they [Plaut and Roussau, Ergänzung der Verf.] are one, two, and I am four, and there is that wonderful mystery what is three. Il n’y a pas. So that’s the background.23
Streng genommen war S. Lane Faison als Mitglied der ALIU zunächst kein Monuments Man, also zumindest kein Angehöriger der MFA&A. Das wurde er erst 1950/51, als er, nachdem er wieder in seinem zivilen Beruf als Kunsthistoriker in den USA tätig war, beauftragt wurde, die Leitung des Central Art Collecting Point München zu übernehmen. War Craig Smyth als dessen erster Direktor mit der Aufbauphase befasst gewesen, war Faison nun als dessen letzter Direktor mit der Abwicklung der letzten ungeklärten Fälle und der Übergabe des Collecting Point an deutsche Behörden betraut. Faisons Erinnerungen an die damaligen Vorgänge, die sich kaum in schriftlichen Quellen spiegeln, sind speziell für Österreich und dessen spätere Restitutionspolitik relevant, betreffen sie doch die sogenannten Münchner Restbestände, die später als »Mauerbach bestand« in Österreich zu unrühmlicher Bekanntheit gelangten.24 Well, I am still worried about Austria. We liberated Austria, I never understood why because I remembered what happened in May [sic!] of 1938 and that didn’t look like an occupation to me. But that was official, we liberated Austria and so Austria was treated in the same way […] all the other nations were treated that were occupied. […] 23 Interview Faison. Offenbar war es geplant gewesen, einen zusammenfassenden Gesamtreport zu verfassen, was aber nicht umgesetzt wurde. 24 Die Münchner Restbestände wurden 1951 nach Österreich (Salzburg-Kleßheim) überstellt, später in der Kartause Mauerbach bei Wien gelagert. Mit den beiden Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetzen von 1969 und 1986 konnten für eine jeweils beschränkte Antragstellungsphase Ansprüche geltend gemacht werden, ansonsten wurden bis zur Auktion 1996 kaum Bemühungen unternommen, die Kunstwerke zu identifizieren oder restituieren. Vgl. dazu auch die Anmerkungen zur Mauerbachauktion am Beginn dieses Beitrags.
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30 Birgit Kirchmayr So I am under orders and everything that is identified as coming from Austria, goes back to Austria. […] then I discovered, and I’ve not been told, but I should have been because I think it was known by people who should have told me, I found it out in a very embarrassing way in the course of my one year in Munich, that anything leftover in the Munich Collecting Point that had not already been identified would go back to Austria because it was found there. The exact opposite of everything we said we were standing for! But there it was and now I was under orders to do that.25
In zahlreichen Auftritten und Interviews kam S. Lane Faison auf diese Geschichte zurück, bis an sein Lebensende schien es ihn geärgert zu haben, dass er der Anweisung Folge leisten musste, die Restbestände des Collecting Point nach Österreich zu überstellen.26 In Deutschland hatte er als Verantwortlicher dafür schlechte Presse bekommen,27 was aber wohl kaum der Grund war, warum Faison so lange mit dieser Entscheidung haderte. Vielmehr widersprach sie ganz offensichtlich seiner tief empfundenen Überzeugung vom Auftrag der Monuments Men – und diese deckt sich absolut mit jenem Narrativ, das eingangs für den Film zitiert wurde: Der Auftrag war, Kunst zu finden und zurückzugeben, und zwar wenn möglich an diejenigen, in deren Eigentum sie einstmals gestanden hatte, und nicht dorthin, wo sie gefunden wurde. Davon war S. Lane Faison tief überzeugt, und darauf war er auch nach Jahrzehnten noch stolz. I should remind you that the whole idea of this repatriation is exactly the opposite of what had been historical praxis for centuries – to the victor belong the spoils […]. The whole idea was to turn that upside down and for the first time in history and I really believe this is essentially an American invention, contribution, I am very proud of it.28
Ähnlich klingt Craig Hugh Smyths rückblickende Bewertung seines Einsatzes als MFA&A Offizier. Wie Faison verweist er auf die historische Besonderheit der Tätigkeit der Monuments Men. Im Interview wie auch in seinen publizierten Erinnerungen ist es ihm ein besonderes Anliegen, dabei auf die Bedeutung von George Stout zu hinzuweisen, dem der gesamte Einsatz und die Idee zum Auftrag der Monuments Men zu verdanken wären:
25 Interview Faison. 26 Vgl. u. a. S. Lane FAISON, Jr., Transfer of Custody to the Germans, in: SIMPSON 1997, S. 139–141. 27 Faison wurde in einem Zeitungsbeitrag in Anspielung auf den »Sonderauftrag Linz« beschuldigt, eine »Linzer Torte« gebacken zu haben. Vgl. FAISON 1997 sowie Interview Faison. 28 Interview Faison.
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Abbildung 6: Craig Hugh Smyth 1998 in New York im Interview für den Dokumentarfilm »Sonderauftrag Linz«
The first aim was to protect works of art and keep them from being stolen or hurt, second aim was to return, repatriate works of art that had been stolen from other countries during war time. […] This was a new idea and the whole concept originated with a man named George Stout, who was a conservator, belonging to the Fogg Museum at Harvard. Well, it came from this one individual. He is the man who thought it up. […] He was a man who would never say that he did anything, but he did. He was wonderful.29
Als erstem Leiter des Münchner Collecting Point war Craig Hugh Smyth eine enorme Verantwortung über Schutz und Rückführung von Tausenden Kunstwerken übertragen worden. In kürzester Zeit mussten Räumlichkeiten adaptiert und ein logistisches System zur Katalogisierung der einlangenden Objekte sowie geeignetes Personal gefunden werden. Seine Erzählung gibt Aufschluss darüber, dass viele Vorgänge, die rückblickend vielleicht auf ein lange vorbereitetes System schließen lassen könnten, in Wirklichkeit schnell improvisiert werden mussten. Auch das kann als hilfreiche Information hinsichtlich der Interpretation von Unterlagen und Entscheidungen des Collecting Point besonders der frühen Phase berücksichtigt werden. Smyth schilderte im Interview auch den konkreten Ablauf, wie Vertreter_innen der einzelnen Länder erste Besichtigungen des vorhandenen Kunstguts unternahmen. Dies galt auch für Österreich, wenn auch vorerst unter der Entscheidungshoheit von Mark Clark:30 Well, Austria was then occupied by allied forces under General Mark Clark and so as far as the Collecting Point was concerned General Clark was Austria. And he sent a representative from himself to the Collecting Point to find out what works of art were in the Collecting Point that did come from Austria and the effort was on his part to 29 Interview mit Craig Smyth, New York, 16./17.6.1998, durchgeführt von Birgit Kirchmayr und Andreas Gruber. 30 Mark Clark (1896–1984), General der US-Army, 1945–1947 US-Hochkommissar in Österreich.
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32 Birgit Kirchmayr begin returning works of art to Austria that really had moved during the war. But again it was a question always of documenting, no works of art could leave the Collecting Point for any other destination until the ownership was officially documented to make that possible.31
Und dies ergänzte Smyth um eine Feststellung, die für die Provenienzforschung wohl generell Gültigkeit hat: »The most famous [objects, Ergänzung der Verf.] were of course much simpler than others.«32 Resümee
Ich möchte damit zu einem Ende kommen, indem ich versuche, die beiden beschriebenen Stränge – den Blick auf die Hollywoodhelden und die »echten« – zusammenzuführen und zu resümieren. Hinsichtlich des Films war von zwei Hauptnarrativen die Rede: Eines davon war das Leitmotiv der soldatischen Kameradschaft, das ich eher als filmisches Stilmittel bezeichnen möchte, wie es auch in anderen »Kriegsfilmen« anzutreffen ist. In den Erinnerungen der Monuments Men spielt dieses Motiv kaum eine Rolle, was wohl auch daran liegt, dass das Gros der Monuments Officers im Nachkriegseinsatz war und nur wenige – so wie im Film – bereits das Kampfgeschehen begleitet haben. Das zweite Narrativ, das den Auftrag der Monuments Men als herausragende Mission in der Geschichte darstellt, findet sich hingegen auch in den Erinnerungen der MFA&A Officers, sowohl in der umfangreichen Memoirenliteratur als auch in den beiden Oral History-Interviews, die ich führen durfte. S. Lane Faisons Aussage »I am very proud of it«, durchaus in einer patriotischen Deutung, ist ein Grundmotiv, das sich von den Zeitzeugen der MFA&A zu deren Chronisten bis hin zu heutigen Autoren und Regisseuren wie Robert Edsel oder George Clooney fortsetzt. Die Gespräche mit den Monuments Men konnten nicht nur dabei helfen, Film narrative einer vergleichenden Prüfung zu unterziehen. Nicht zuletzt erlauben die Beschäftigung mit der Tätigkeit der MFA&A und die Befragung der Zeitzeugen auch folgende resümierende Feststellung: Die Tätigkeit der Alliierten im Rahmen der MFA&A, speziell die Errichtung und die Arbeit in den Collecting Points, muss als Beginn einer modernen Provenienzforschung verstanden werden. Geleistet wurde diese nicht allein von den alliierten Offizieren, sondern mit Hilfe zahlreicher deutscher und österreichischer Kunstsachverständiger, sei es von Denkmalbehörden oder Museen. Diese Tätigkeit und auch die dabei erworbenen Kenntnisse – inhaltlich wie 31 Interview Smyth. 32 Interview Smyth.
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Im Gespräch mit den Monuments Men 33
methodisch – erfuhren einen krassen Bruch mit dem Ende der Collecting Points und dem Abzug der Alliierten. Die denkbare Weiterführung – die Expertise war vorhanden – fand weder in Deutschland noch in Österreich statt. Erst Jahrzehnte später33 kam es zu einer neuerlichen politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit NS-Kunstenteignung und Restitution, wobei viele Kenntnisse und Informationen mühsam neu erworben werden mussten.
33 Für Österreich kann als Zeitpunkt dafür das Jahr 1998 mit Beschluss des Kunstrückgabegesetzes (BGBl. 181/1998) und der damit verbundenen Institutionalisierung von Provenienzforschung angegeben werden.
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»Geheime« Bergungsorte: das Rothschildsche Jagdschloss Steinbach bei Göstling (Jagd), die Kartause Gaming (Schloss), das aufgelassene Stift Klosterneuburg (Stift) und das Salzbergwerk Lauffen bei Bad Ischl (Berg) Arbeitsalltag – Sicherheitsvorkehrungen – Rückbergungen
Susanne Hehenberger und Monika Löscher
Mit den Bombardements im Abessinienkrieg (1935/36) und im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) wurde in Mitteleuropa die Bedrohung des modernen Luftkrieges nicht nur für die Zivilbevölkerung, sondern auch für Kunst- und Kulturgüter erkannt. 1934 erschien erstmalig die Zeitschrift Luftschutz, herausgegeben vom Österreichischen Luft- und Gasschutzverband.1 Im selben Jahr fanden die ersten Luftschutzübungen unter Leitung des Kommandos der Luftstreitkräfte2 statt.3 Alfred Stix, 1934 bis 1938 Erster Direktor des Kunsthistorischen Museums in Wien, war Direktionsmitglied der ersten Internationalen Museumsorganisation, des Office International des Musées.4 In dessen Sitzungen wurden Fragen des Luftschutzes spätestens seit 1936 immer eindringlicher diskutiert. Stix berichtete im Oktober desselben Jahres dem Unterrichtsministerium über eine Sitzung des Komitees in Paris, deren Ziel die Ausarbeitung der Grundlagen für eine Intervention zu Gunsten der bedrohten spanischen Kunstwerke war.5 Die Frühjahrstagung 1937 sollte ganz im Zeichen des Kunstschutzes stehen.6 Unmittelbar nach dem »Anschluss« wurde Stix zwar in den vorzeitigen Ruhestand geschickt, schrieb aber im Mai 1938 erneut in Sachen Kunstschutz an das Ministerium. Er vertrat die Ansicht, dass nur die »Deponierung der Kunstwerke in solchen Zufluchtsorten helfen 1 2
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Vgl. Der Luftschutz. Monatsschrift für Luftrüstung, Luftschutz und Luftfahrt 1 (1934). Zwar war durch den Friedensvertrag von St. Germain Österreich die Unterhaltung einer Luftwaffe untersagt, ab 1933 wurde diese jedoch trotzdem aufgebaut. Vgl. Martin PRIESCHL, Die Wiederaufrüstung Österreichs in der Ersten Republik, in: Truppendienst 317 (2010) 5, http://www.bundesheer.at/truppen dienst/ausgaben/artikel.php?id=1069 (8.6.2015). Vgl. Eduard KÜCHELER, Luftschutz in Österreich, in: Gasschutz und Luftschutz. Zeitschrift für das gesamte Gebiet des Gas- und Luftschutzes der Zivilbevölkerung 12 (1934) 6, S. 309–310. Vgl. Friedrich WAIDACHER, Handbuch der allgemeinen Museologie, Wien-Köln-Weimar 1993, S. 136. Während des Spanischen Bürgerkriegs wurden die wichtigsten Kunstwerke des Prado geborgen: http:// cultura.elpais.com/cultura/2010/03/30/actualidad/1269900009_850215.html (10.2.2015). KHM-Archiv, 377/VK/1936, Alfred Stix an das BMU, 31.10.1936.
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36 Susanne Hehenberger und Monika Löscher könne, die abseits von allen Lokalitäten liegen, die zu einem militärischen, vor allem also zu einem Luftangriff verleiten können«. In seinem beigelegten »Entwurf für eine Instruktion zum Schutze der Kunst- und Kulturhistorischen Museen« beschrieb Stix ausführlich die Gefahr durch Bomben und schlug als mögliche Bergungsorte (Land-) Schlösser vor, die zusätzlich durch eine internationale Konvention geschützt werden sollten.7 Zwar war Stix dann nicht mehr in die konkrete Vorbereitung und Durchführung der Bergungen involviert, doch konnte sein Nachfolger Fritz Dworschak,8 der im März 1938 zum kommissarischen Leiter ernannt wurde, auf Stix’ Überlegungen zurückgreifen.9 Von den mehr als 200 Kunst- und Kulturgutdepots, die während des Zweiten Weltkriegs auf dem Gebiet des heutigen Österreich eingerichtet wurden, verfügte das Kunsthistorische Museum neben den Bergungsräumen in der Wiener Innenstadt (2. Keller in der Neuen Burg, Keller- und Tiefparterreräume des Museums, Augustinerkeller, Postsparkassenamt, Reichsbank, Länderbank)10 über zehn weitere Depots an verschiedenen Orten. Als erste Bergungsorte außerhalb Wiens wurden das enteignete11 Rothschild-Jagdhaus in Steinbach bei Göstling (1939–1942) und die ehemalige Kartause Gaming (1939–1945) genutzt. Ab Herbst 1942 kam das vom Kunsthistorischen Museum verwaltete Stift Klosterneuburg hinzu. Als es galt, immer größere Bestände aus Wien auszulagern, wurden weitere Bergungsorte gemietet: in Hirschwang an der Rax die Villa des Großindustriellen Richard Schöller12 (Mai 1943),13 in Gresten im Bezirk Scheibbs der Gstettenhof von Leopold Pasching, Generaldirektor der Akalit AG14 7 8 9
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KHM-Archiv, 204/KL/38, Alfred Stix an das BMU [zu diesem Zeitpunkt eigentlich: Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten], 12.5.1938. Im Juli 1938 beantragte Fritz Dworschak die Aufnahme in die NSDAP, diese wurde zunächst abgelehnt, 1940 wurde er Parteimitglied, Mitglieds-Nr. 9,020.874. Vgl. ÖStA/AdR, Gauakt 562, Fritz Dworschak. Vgl. Herbert HAUPT, Jahre der Gefährdung. Das Kunsthistorische Museum 1938–1945, Wien 1995, S. 48; vgl. ders., Die Rolle des Kunsthistorischen Museums bei der Beschlagnahme, Bergung und Rückführung von Kunstgut in den Jahren 1938–1945, in: Theodor BRÜCKLER (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 19), Wien-Köln-Weimar 1999, S. 53–75, hier: S. 63–64. Vgl. HAUPT 1995, S. 50. Mit Vertrag vom 8. Mai 1939 war das gesamte österreichische Rothschild-Vermögen ins Eigentum des Deutschen Reichs übertragen worden. Vgl. Peter MELICHAR, Neuordnung im Bankenwesen. Die NSMaßnahmen und die Problematik der Restitution (= Veröffentlichungen der Historikerkommission 11), Wien-München 2004, S. 399–400. Vgl. den Eintrag in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 11, Wien 1999, S. 27–28. Vgl. KHM-Archiv, 87/ED/43, Hirschwang. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 21, fol. 8, Leopold Pasching an Ludwig Berg, 9.3.1945.
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(Herbst 1943), ebenfalls in Gresten das Schloss Stiebar von Otto Seefried, der mit einer Enkelin Kaiser Franz Josephs verheiratet war (Dezember 1943),15 das ehemalige habsburgische Jagdschloss Eckartsau, das den Reichsforsten unterstand (Ende 1943),16 in Gaaden im Bezirk Mödling das Schloss Zweieichen von Emmy Mautner Markhof, Witwe des Wiener Großindustriellen und Brauereibesitzers Georg Mautner Markhof (April 1943)17 und die Villa Weidhof bei Weidlingbach in Klosterneuburg von deren Schwägerin Martha Mautner Markhof (April 1943).18 In den letzten Kriegsmonaten spielte zudem das Salzbergwerk in Lauffen bei Bad Ischl eine zentrale Rolle.19 Kriegsvorbereitungen auf musealer Ebene
Bereits am 20. September 1938 ordnete Adolf Hitler an, dass für »Galerien, die wertvolle Kunstschätze aufwiesen, unverzüglich bombensichere Keller geschaffen« werden sollten. Dworschak berichtete dem Amt des Reichsstatthalters Anfang Februar 1939, dass wenige Tage zuvor ein Übereinkommen mit der Polizei getroffen worden sei, »demzufolge die Neue Burg aus dem Bereiche der Burghauptmannschaft ausgeschaltet und dem Unterzeichneten hinsichtlich der Luftschutzmaßnahmen als Luftschutzleiter des Kh. Museums unterstellt wurde«. Mit dem Umbau des gesamten doppelgeschoßigen Kellers der Neuen Burg sowie der Errichtung eines Schutzraumes im Kunsthistorischen Museum sei schon begonnen worden. Dworschak ersuchte, die auf ca. 15.000 Reichsmark geschätzten Ausgaben durch einen besonderen Kredit abzudecken. Im Frühsommer 1939 tauchten Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung für den Ausbau der Luftschutzkeller auf, sodass sich Dworschak zunächst an Albert Speer in Berlin mit der Bitte um Unterstützung wandte.20 Das Polizeipräsidium, Kommando der 15 16 17 18
Vgl. KHM-Archiv, 98/ED/43, Gresten. Vgl. KHM-Archiv, 96/ED/43, Eckartsau. Vgl. KHM-Archiv, 2/XIV/ED/45; BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 14, Gaaden, fol. 5r, 6r. Vgl. KHM-Archiv, 2/VII/ED/45, AV 2.1.1946; BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 84, Weidhof. 19 Vgl. KHM-Archiv, XIII 14, fol. 152, Liste der Bergungsorte des KHM, o. D.; BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 15, M. 5–7. Vgl. Katharina HAMMER, Glanz im Dunkel. Die Bergung von Kunstschätzen im Salzkammergut am Ende des 2. Weltkrieges, Altaussee ³1996; HAUPT 1995, S. 50–56; ders., 1999, S. 53–75; ders., Getroffen, doch nicht vernichtet. Das Kunsthistorische Museum im Kriegsjahr 1945. Eine Chronologie der Ereignisse in Bildern, Wien 2005, S. 16–39; ders., Der Glanz im Dunkel erlischt. Die Rückführung des Bergegutes aus den Salzbergwerken in Altaussee und Bad Ischl/Lauffen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in: Veronika HOFER (Hg.), Berg der Schätze. Die dramatische Rettung europäischer Kunst im Altausseer Salzbergwerk, Scharnstein 2006, S. 35–41. 20 Vgl. KHM-Archiv, 51/3/KL/39, Fritz Dworschak an Albert Speer, Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt, 2.6.1939.
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38 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Schutzpolizei, erklärte sich schließlich bereit, die Bergungen von Kunst- und Kulturgut zu unterstützen, und übermittelte einen Zement-Bezugsschein, da die Burghauptmannschaft nur einen Teil des erforderlichen Materials liefern konnte.21 Ende August schienen die Bergungsvorbereitungen kurzfristig zu stocken, denn Dworschak beschwerte sich im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, dass die geplanten Maßnahmen behindert würden: Versprochene Lastkraftwagen für den Bergungstransport seien nicht bewilligt und die für die Bewachung der Bergungsdepots bestimmten Museumswachmänner nicht freigestellt worden. Auch die Freigabe des Treibstoffes für die museumseigenen Fahrzeuge stünde noch aus.22 Dworschak wandte sich in der Folge an die Wehrersatzinspektion Gruppe K und ersuchte um Zuteilung von mindestens fünf Lastkraftwagen für mindestens zwei bis drei Wochen.23 Nach Weisung der Polizeidirektion Wien waren die Bestände der Museen in drei Gruppen zu unterteilen: Die wichtigsten Objekte (A) sollten sofort bei Aufruf des Luftschutzes in die Umgebung Wiens verbracht, jene der Gruppe B in Wien geborgen werden und jene der Gruppe C in den Sammlungen verbleiben.24 Parallel zu den Bergungsvorbereitungen wurden die Sicherheitsvorkehrungen im Museum verschärft: Ab 28. August 1939 mussten sich die Angestellten beim Verlassen des Hauses einer Leibesvisitation unterziehen.25 Die ersten Bergungstransporte nach Steinbach und Gaming
Am 31. August 1939 um 6:15 Uhr schickte Dworschak den ersten Transport mit A-Objekten des Kunsthistorischen Museums an den Bergungsort Jagd, wie das Jagdschloss Steinbach bei Göstling verklausuliert hieß.26 Für die rund 150 km bis zum Bergungsort in der Nähe von Waidhofen an der Ybbs wurden mehr als zehn Stunden benötigt: Erst um 16:30 Uhr wurde entladen. Noch am selben Tag kam ein zweiter Kastenwagen mit beschlagnahmten Bildern und kunstgewerblichen Gegenständen an. Das Jagdhaus Steinbach von Louis Rothschild27 war »dank des Entgegenkommens
21 Vgl. KHM-Archiv, 51/KL/39, Hauptmann der Schutzpolizei an das KHM, 17.7.1939. 22 Vgl. KHM-Archiv, 51/12/KL/39, Fritz Dworschak an Krüger, Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV, 26.8.1939. 23 Vgl. KHM-Archiv, 264/KL/39, Fritz Dworschak an die Wehrersatzinspektion Gruppe K, 28.8.1939. 24 Vgl. KHM-Archiv, 78/ED/42, Berichte über bisherige Erfahrungen, Bericht Dworschak (Konzept), o. D. 25 Vgl. KHM-Archiv, I 16, Fasz. 25, Direktion des KHM, o. D. 26 Vgl. KHM-Archiv, 78b/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 18.7.1942. 27 Vgl. KHM-Archiv, XIII 3, 285/KL/38, Fritz Dworschak an den Inspekteur der Sicherheitspolizei, 14.10.1938.
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Abbildung 1a und b: Das Rothschildsche Jagdschloss Steinbach bei Göstling
des Herrn Inspekteurs der Sicherheitspolizei« als Bergungsort sichergestellt worden.28 Steinbach war bereits auf einer Liste der in Betracht kommenden Bergungsorte vom 24. Juli 1939 erwähnt worden.29 Gelagert wurden dort zu etwa gleichen Teilen Sammlungsobjekte des Kunsthistorischen Museums und die wichtigsten Objekte des Zentraldepots für beschlagnahmte Sammlungen.30 Das seit Herbst 1938 bestehende Zentraldepot befand sich im ersten Stockwerk der Neuen Burg, vor allem in den burggartenseitigen Räumen. Es diente als Lager für jene Kunstsammlungen, die unmittelbar nach dem »Anschluss« ihren jüdischen Eigentümer_innen entzogen worden waren.31 Kurz darauf, am 1. September 1939, informierte Dworschak die Landesregierung von Niederdonau, dass das Kunsthistorische Museum mit der Führung der Luftschutzagenden für die Wiener staatlichen Sammlungen betraut worden sei. Er bat darum, Teile der Kartause Gaming32 für Bergungszwecke zur Verfügung zu stellen und das Wehrbezirkskommando Melk – Stift Melk war Eigentümer von Gaming – sowie den Landrat in Scheibbs von den Maßnahmen in Kenntnis zu setzen. Zu diesem Zeitpunkt waren die ersten Transporte teilweise 28 Vgl. KHM-Archiv, 51/11/KL/39, Fritz Dworschak an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV, 30.8.1939. 29 Vgl. KHM-Archiv, 245/KL/39, Fritz Dworschak an die Standortkommandantur, 24.7.1939. 30 Vgl. KHM-Archiv, 78b/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 18.7.1942. 31 Die administrative und wissenschaftliche Leitung des Zentraldepots lag 1938 bis 1940 beim Kunsthistorischen Museum und ging dann auf das Institut für Denkmalpflege über. 1941 wurde das Zentraldepot aufgelöst. Vgl. dazu HAUPT 1995, S. 16–20. 32 Das Kartäuserkloster Gaming war 1782 durch Joseph II. aufgehoben worden. Vgl. Walter HILDEBRAND, Kartause Gaming. Jubiläumsausstellung 900 Jahre Kartäuser-Orden 1084–1984, Gaming 1984.
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40 Susanne Hehenberger und Monika Löscher bereits verladen.33 Die rechtliche Grundlage für die Nutzung der Kartause Gaming als Bergungsort bildete das am 27. Juli 1938 erlassene Gesetz über die Unterbringung von öffentlichen Dienststellen, das dem Reichsstatthalter die Heranziehung von bebauten und unbebauten Grundstücken im Bedarfsfall erlaubte.34 Am 2. September 1939 wurde eine Besichtigung der Kartause unternommen, bei der unter anderem der Bürgermeister von Gaming sowie der Forstverwalter des Stiftes Melk anwesend waren. Die Räumlichkeiten wurden als ausreichend angesehen, und Friedrich Plattner, Staatssekretär im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten und Leiter der Abteilung IV (Erziehung, Kultus und Volksbildung), wurde sofort telefonisch informiert. Der erste Transport – bestehend aus Bildern der Österreichischen Galerie und des Barockmuseums – kam in Schloss, wie der Deckname von Gaming lautete, noch am selben Tage an.35 Am 6. September 1939 kamen der bereits erwähnte Friedrich Plattner und sein Mitarbeiter Oberregierungsrat Gottfried Hohenauer sowie Bergungsleiter Fritz Dworschak nach Gaming, um den Bergungsort zu inspizieren.36 Nachdem sich Plattner mit den getroffenen Maßnahmen einverstanden zeigte, wurde die Stift Melk gehörende Liegenschaft Schloss Gaming offiziell dem Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abteilung IV, zugewiesen.37 Die Kosten für die ersten Bergungstransporte nach Jagd und Schloss bezifferte Dworschak mit 7.000 Reichsmark, für zusätzliche Anschaffungen und persönliche Auslagen waren weitere 3.000 Reichsmark pro Monat erforderlich. Der Kostenanteil für die Bergungen aus den Beschlagnahmungen wurde aus den Mitteln der Gestapo, der Rest vom Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten bezahlt.38 Während in Steinbach ausschließlich Bestände des Zentraldepots und des Kunsthistorischen Museums 33 Vgl. KHM-Archiv, 245/4/KL/1939, Dworschak an die Landesregierung von Niederdonau, 1.9.1939. 34 GBlÖ Nr. 278/1938. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 15, Gaming, fol. 82, Friedrich Plattner an die Stiftsvorstehung Melk, 2.9.1939. Im März 1944 beantragte Dworschak eine jährliche Pauschalvergütung von 2.000 Reichsmark, da auch die anderen dort untergebrachten Stellen (Landwirtschaftsschule, Kindergarten usw.) Miete bezahlten. Stift Melk bot alternativ zur rückwirkenden Pauschale eine monatliche Mietzahlung an. Beginnend mit 1. April 1944 wurden monatlich 500 Reichsmark Miete an das Kammeramt des Stiftes Melk bezahlt. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 15, Gaming, fol. 71, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 10.3.1944, und fol. 65, AV Referat Z/GK, 9.6.1944. 35 Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 2.9.1939. 36 Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 6.9.1939. 37 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 15, Gaming, fol. 79, Bescheid des Reichsstatthalters, Abt. III, 13.9.1939. 38 Vgl. KHM-Archiv, 294/KL/39, Fritz Dworschak an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV, 19.9.1939.
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Abbildung 2a und b: Bildtransport nach Gaming und Bergung in der Kirche, vermutlich Herbst 1939. Bei dem Mann mit Stock handelt es sich um Ludwig Baldass, den damaligen Leiter der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums.
geborgen waren, diente Gaming als Bergungsort für Bestände aus mehreren Wiener Museen: Albertina (bis 1940), Kunstgewerbemuseum, Kunsthistorisches Museum, Liechtensteingalerie, Museum für Völkerkunde und Österreichische Galerie. Bergungsstellenleiter vor Ort war bis 1940 der Bibliothekar des Kunsthistorischen Museums Karl Ortner, NSDAP-Mitglied seit 1932. Ab 1940 übernahm der zuvor in der Verwaltung des Zentraldepots beschäftigte Kunsthistoriker Karl Pollhammer, ebenfalls NSDAP-Mitglied, diese Funktion.39 Am 22. September 1939 informierte Dworschak die Mitarbeiter_innen des Hauses, dass das Kunsthistorische Museum am 15. Oktober 1939 in »neuer Gestalt« wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde, zugleich verlautbarte er eine neue, mit 39 Vgl. WStLA, LGSt, VgVr 7326/48; KHM-Archiv, III 1338, PA Karl Pollhammer.
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42 Susanne Hehenberger und Monika Löscher 25. September in Kraft tretende Dienstordnung. Der Luftschutzdienst wurde nun in zwei je sechsstündige Turnusse geteilt. In den Sammlungen mit mehreren wissenschaftlichen Beamten musste jeweils ein Beamter im Hause anwesend sein.40 Die Wieder eröffnung des Hauses wurde auch von der Presse besprochen. Unter dem Titel »Schätze im richtigen Licht. Ringmuseum neugeordnet – wiedereröffnet« schrieb beispielsweise die Volks-Zeitung, dass die erstklassigen Objekte geborgen waren und nun eine Neuaufstellung erfolgte.41 Die Schau umfasste daher Objekte aus den Depots sowie kürzlich erworbene Bestände in Sonderausstellungen.42 Die Bergungsmaßnahmen an sich waren zu diesem Zeitpunkt kein Geheimnis, die genauen Bergungsorte dürften dagegen nur den involvierten Personen bekannt gewesen sein. Arbeitsalltag und Sicherheitsvorkehrungen
Mitte September wurden die Bergungsmitarbeiter_innen in Göstling »offiziell« eingeführt und nahmen auf Einladung des Bürgermeisters an einem Heimatabend teil.43 Die Dienstordnung für die Mitarbeiter_innen in den beiden Bergungsorten wurde von Dworschak am 7. September 1939 der Abteilung IV des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten zur Genehmigung vorgelegt, das »Kh. Museum ging dabei von dem Grundsatz aus, daß die Gesamtleitung des musealen Luftschutzes und der Bergungsarbeiten unserem Hause übertragen wurde«. Diese Dienstordnung sollte daher auch für die Mitarbeiter_innen aller anderen Wiener Museen an den Bergungsorten gelten.44 Sie wurde von Plattner genehmigt, offizieller Bergungsleiter war Fritz Dworschak, sein Vertreter Hans Demel, seit 1925 Direktor der Ägyptisch-orientalischen Sammlung. Der Hauptsitz des Bergungsdienstes war in Gaming; der leitende Beamte in Steinbach war jenem in Gaming unterstellt. Die Belegschaft an beiden Orten bestand zumindest offiziell aus je zwei wissenschaftlichen Beamten, einem Restaurator/einer Restauratorin, einer Kanzleikraft, einem Werkmeister, zwei Aufsehern und der nötigen Wachmannschaft. Für die Sauberkeit der Depots und der Wohnräume hatten die Aufseher und eine Scheuerfrau zu sorgen und nach den Weisungen des leitenden Beamten die jeweils nötigen Arbeiten zu leisten. Es bestand ununter40 Vgl. KHM-Archiv, I 16, Fasz. 25, Fritz Dworschak, 22.9.1939. 41 Volks-Zeitung, 14.10.1939, S. 7; vgl. auch Wiener Neueste Nachrichten, 14.10.1939, S. 6; Das kleine Blatt, 15.10.1939, S. 6. 42 Vgl. KHM-Archiv, I 16, 24, Rundschreiben von Fritz Dworschak, 11.10.1939. 43 Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 16.9.1939. 44 Vgl. KHM-Archiv, 245/3/KL/39, Fritz Dworschak an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV, 7.9.1939.
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Abbildung 3: Bergungsmitarbeiter pausieren in Steinbach
brochene Anwesenheitspflicht, die tägliche Dienstzeit dauerte von 8 bis 20 Uhr, die Wachmänner mussten auch Nachtdienst versehen. In der Freizeit war eine Entfernung vom Bergungsort nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des leitenden Beamten mit genau festzusetzender Zeitdauer und Ortsangabe gestattet. Der leitende Beamte war für die Überprüfung des täglichen Protokolls sowie für die Überwachung der Tätigkeit der Belegschaft verantwortlich und hatte Sorge für deren materiellen Bedürfnisse zu tragen. Als Hauptaufgabe oblag ihm die Kontrolle der Depots anhand der zu führenden und ständig zu überprüfenden Listen. Der zweite wissenschaftliche Beamte sollte als Vertretung des leitenden Beamten seinen Dienst versehen und war für die Abfassung der täglichen Protokolle zuständig.45 Beide teilten sich mit der Schreibkraft einen streng einzuhaltenden Präsenzdienst im Kanzleilokal. Aufgrund von Personalmangel wurde bereits 1940 die Stelle des zweiten wissenschaftlichen Beamten eingespart. Stattdessen führte nun jeweils ein Oberaufseher die eigentlichen Bergungsgeschäfte.46 Die Wachmänner unterstanden einem Postenführer.47
45 Vgl. KHM-Archiv, XIII 14, M. Dienstordnungen. 46 Vgl. KHM-Archiv, 78/KL/41, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 4.3.1941, Bericht für das zweite Halbjahr 1940. 47 Vgl. KHM-Archiv, XIII 14, M. Dienstordnungen.
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44 Susanne Hehenberger und Monika Löscher
Abbildung 4: Luftschutzbeauftragter Rudolf Noll und Bergungsleiter Fritz Dworschak (mit weißer Jacke)
Das zu führende Tagesprotokoll enthielt alle »irgendwie bemerkenswerten« Ereignisse. Die Temperaturen waren täglich zu messen, als zulässige Höchsttemperaturen waren in den Depoträumen 12 Grad, in den Schlafräumen 15 Grad und in den Aufenthaltsräumen 20 Grad vorgesehen.48 Alkoholkonsum und Rauchen waren strengstens verboten, die Kommunikation nach außen unterlag erheblichen Restriktionen: Dienstliche und private Briefpost war ausschließlich an das Museum zu senden, der fernmündliche Verkehr auf das Nötigste zu beschränken, Privatgespräche waren nur im Notfall zulässig. Dienstliche Besuche oder Transporte waren beim Bergungsleiter in Wien anzumelden. Der Eintritt in die Gebäude und Depots erforderte ebenfalls eine schriftliche Erlaubnis.49 Jede/r ständig an einem Bergungsort tätige Museumsmitarbeiter_in erhielt zusätzlich zum Gehalt eine Trennungszulage von täglich drei Reichsmark, später beantragte Dworschak die Anhebung dieser Zulage auf fünf Reichsmark.50 Nicht dauerhaft vor Ort, aber mit Passierscheinen für die beiden Bergungsorte Jagd und Schloss ausgestattet, waren im September 1939 neben einigen Sammlungsleitern 48 Vgl. KHM-Archiv, XIII 12, M. Erlässe, Rundschreiben, Richtlinien betr. Verwendung von Brennstoffen aller Art an den Bergungsorten, 24.10.1940. 49 Vgl. KHM-Archiv, XIII 14, M. Dienstordnungen. 50 Vgl. KHM-Archiv, 5/X/2/ED/44, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 30.11.1944.
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und Kuratoren des Kunsthistorischen Museums auch Wissenschafter aus anderen Mu seen: Aus dem Kunstgewerbemuseum Direktor Richard Ernst und Kurator Siegfried Troll, aus der Österreichischen Galerie Direktor Bruno Grimschitz sowie die Kuratoren Kurt Blauensteiner und Fritz Novotny, aus der Albertina Direktor Anton Reichel und der wissenschaftliche Angestellte Georg Saiko. Zutritt hatten auch die örtlichen Bürgermeister, der Mitarbeiter der Reichsstatthalterei Alois Albrecht sowie aus Niederösterreich Landrat Kunert und zwei Forstbeamte.51 Bereits nach den ersten Tagen der Bergung forderte Dworschak, die Wache in Gaming auf zwölf Mann zu erhöhen. Zudem erbat er die Ausrüstung der Wachmannschaften mit Karabinern und Bajonetten.52 Im Oktober 1939 versahen 15 Mann der Museumswache Dienst in den Bergungsorten Steinbach (fünf Mann) und Gaming (zehn Mann). Dworschak bat den Inspekteur der Sicherheitspolizei um die Bewilligung von Lebensmittelkarten für Schwerarbeiter für die Wachmannschaft.53 In einem weiteren Schreiben vom selben Tag, nun adressiert an einen Inspekteur Kristmann54 persönlich, betonte Dworschak nochmals, dass die Lebensmittelkarten für Schwer arbeiter eine Notwendigkeit seien, »zumal der militärisch organisierten und mit Gewehren ausgerüsteten Wache an ihren Dienstorten jede Möglichkeit genommen ist, sich Zubußen zu verschaffen«.55 Es galt strengste Verschwiegenheitspflicht, Verletzungen derselben und Nachlässigkeit im Dienst waren laut Dienstordnung als Sabotage zu werten. Doch die Bergungsorte konnten in der Praxis wohl nicht lange geheim gehalten werden, allein die zentrale Lage der Kartause Gaming direkt an der Straße war alles andere als dazu geeignet. Bereits am 19. September 1939 vermerkte das Protokoll, dass die Bergungsaktion der Kunstschätze allgemein bekannt sei.56 Dass im Juni 1940 in der Kartause Tanzszenen für einen Propagandafilm gedreht wurden, war für die Geheimhaltung des Bergungsortes ebenfalls nicht förderlich.57 Im Sommer 1940 zog eine Mädchenschule in die Räume des Straßen- und Verbindungstraktes in Schloss ein.58 51 52 53 54
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Vgl. KHM-Archiv, XIII 21, Passierscheine für Jagd und Schloss, September 1939. Vgl. KHM-Archiv, 245/5/KL/39, Fritz Dworschak an Gottfried Hohenauer, 11.9.1939. Vgl. KHM-Archiv, 300/3/KL/39, Fritz Dworschak an den Inspekteur der Sicherheitspolizei, 7.10.1939. Es handelt sich dabei vermutlich um Kurt Christmann (1907–1987), Mitarbeiter der Staatspolizeileitstelle Wien und Innsbruck. Vgl. Ernst KLEE, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer was war vor und nach 1945, Frankfurt am Main 42013, S. 93. Vgl. KHM-Archiv, 300/3/KL/39, Fritz Dworschak an Kristmann, 7.10.1939. Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 19.9.1939. Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 9.6.1940. Vgl. KHM-Archiv, XIII 12, M. Erlässe, Rundschreiben, Kühne an Fritz Dworschak, 30.6.1940.
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46 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Immer wieder kam es zu Verstößen gegen die Dienstordnung, insbesondere durch die Wachmänner. In einem undatierten Geheimbefehl an die Wache in Schloss hieß es, dass das Waffentragen außer Dienst strengstens verboten war. Zwar war ein Kino besuch in Gaming gestattet, allerdings kein Gasthausbesuch danach. Das Verbot wurde wohl wegen eines »unerfreulichen Vorfalls« ausgesprochen, »der sich in der Nacht vom Faschingsdienstag [1940] in einer Fabrikstaverne bei dem Bergungsort Schloß ereignet hat. Wachmann Ehn verletzte durch einen Schuss aus seinem Dienstrevolver einen allerdings als Raufbold bekannten Arbeiter, der in das Bezirksspital eingeliefert werden mußte«. Martin Ehn wurde daraufhin aus der Wache entfernt, auch sein Vater musste die Wache verlassen.59 Die konservatorischen Tätigkeiten an den Bergungsorten
Der Zustand der geborgenen Objekte wurde von den Restaurator_innen vor Ort regelmäßig kontrolliert, um Transport- und andere Schäden möglichst schnell zu beheben oder zumindest zu stabilisieren. So wurde zum Beispiel bei einem Kontrollgang in Steinbach am 22. Oktober 1939 auf zwei Gemälden60 Blasenbildung festgestellt, bei zwei von Alphonse Rothschild beschlagnahmten Bildern61 musste das Papier entfernt werden. Transportschäden wurden bei zwei von Louis Rothschild beschlagnahmten Bildern62 entdeckt.63 Am 7. Jänner 1940 sah der Restaurator Eduard Kneisel die in Steinbach deponierten Bilder der Gemäldegalerie und des Zentraldepots auf Schäden durch. Fünf Bilder des Kunsthistorischen Museums 64 wiesen durch den Transport Druckspuren auf. Kleinere Schäden (z. B. Kratzspuren) fanden sich bei weiteren 14 Gemälden (elf aus der Gemäldegalerie, drei aus dem Zentraldepot).65 Nicht nur den Gemälden galt die konservatorische Sorge, auch der Zustand der anderen Objekte wurde kontrolliert: Am 10. Februar 1941 öffnete Dworschak die in Steinbach deponierten Kisten 4 und 5 des Münzkabinetts, ordnete die durcheinander geratenen Laden und notierte: »Interes[s]ant ist der ganz verschieden aber meist hohe Grad der Oxidation einzelner Silberstücke.«66 Die notwendigen Maßnahmen konnten 59 60 61 62 63 64 65
Vgl. KHM Archiv, 6/1/KL/40, Bergungsbericht, 27.5.1940. GG 714 und LR (= Louis Rothschild) 30. AR (= Alphonse Rothschild) 845, AR 860. LR 21, LR 865. Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 22.10.1939. GG 47, GG 18, GG 32, GG 1145 und GG 1540. Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 7.1.1940. GG 1556, GG 1654, GG 1652, GG 1668, GG 1792, AR 5, GG 9, GG 10, GG 346, GG 737, GG 846, GG 889, LR 861 und LR 920. 66 Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 10.2.1941.
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»Geheime« Bergungsorte 47
nicht immer am Bergungsort durchgeführt werden: Als im Sommer 1941 Mottenbefall beim Gobelin Nr. CXVIII Beweinung Christi festgestellt wurde, ordnete Dworschak Ende Juli 1941 umgehend dessen Verbringung zur Restaurierung nach Wien an. Bereits am 16. August 1941 wurde die Tapisserie restauriert retourniert.67 Im August 1941 berichtete Restaurator Josef Hajsinek über Feuchtigkeitsschäden, die in Schloss und Jagd entstanden waren. In der Kirche der Kartause Gaming war durch die Tag und Nacht geöffneten Kuppelfenster die Feuchtigkeit angestiegen, auch in Raum 5 wurden erhöhte Feuchtigkeit und leichte Schimmelbildung an der Wand festgestellt. Hajsinek ordnete die Schließung der Fenster in der Nacht sowie an regnerischen und sonnenlosen Tagen an, alle in Raum 5 der Kartause untergebrachten Bilder sollten untersockelt, »mit starken Bauschen von der Wand entfernt und kleineren Bauschen durchlüftet werden«. Hajsinek kritisierte das sorglose Verhalten der vor Ort stationierten Wachen: »Die Klosettür in der Prälatur muss unter allen Umständen geschlossen bleiben. Eine Tafel, die daran erinnert, muss angebracht werden. Die Tür vom Wohnzimmer des Postenführers in das Refektorium und die Tür vom Refektorium hinaus zur Wache darf ebenfalls unter keinen Umständen durch Nachlässigkeit geöffnet bleiben. Auch dort soll eine entsprechende Tafel angebracht werden.« Auch in Steinbach sollte ein Hygrometer aufgestellt und die dort gelagerten Bilder durch Einschieben von Bauschen gelüftet werden.68 Die in Gaming ergriffenen Maßnahmen dürften erfolgreich verlaufen sein. Denn der Leiter der Gemäldegalerie Gert Adriani berichtete im Juni 1942 rückblickend, dass rund 900 Gemälde des Kunsthistorischen Museums, die in verschiedenen Räumen der Kartause in fortlaufend nummerierten Stößen verteilt worden waren, durch die günstigen klimatischen Bedingungen keine größeren Schäden erlitten hatten.69 Zu Gast in den Bergungsorten Steinbach und Gaming
Auch wenn die Bergungsorte strenger Geheimhaltung unterlagen, war insbesondere das ehemalige Rotschildsche Jagdschloss attraktiv für Besucher_innen, nicht nur weil in der Umgebung gejagt werden konnte. Auch für die dort eingelagerten Kunstwerke – sowohl des Zentraldepots als auch des Kunsthistorischen Museums, insbesondere der Schatzkammer – interessierten sich die Gäste. Im November 1939 nächtigten einige Personen, unter ihnen Walter Britsch, Reichstreuhänder für das Rothschild-Vermögen, Rechtsanwalt 67 Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 21.7.1941 und 16.8.1941. 68 Vgl. KHM-Archiv, XIII 21, Bericht Josef Hajsinek, 4.8.1941. 69 Vgl. KHM-Archiv, 78/12/ED/42, Gert Adriani an Fritz Dworschak, 1.6.1942.
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48 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Wilhelm Kilchert aus München von der Rothschildbank und August von Finck, der Geschäftsführer der Münchner Privatbank Merck, Finck & Co im Jagdhaus.70 Kilchert hatte bereits im Oktober 1939 zwei Tage in Steinbach verbracht, um in Anwesenheit von Reichsbankrat Gallas eine Bestandsaufnahme von Weinen und Silbergeschirr vorzunehmen sowie die enteigneten Gemälde von Louis und Alphonse Rothschild im Depot zu besichtigen.71 Erst um Mitternacht kamen die Gäste in einem »mehr als angeheiterten Zustand« an und hielten sich nicht an die Verdunkelungsmaßnahmen, wie im Protokoll am 3. November 1939 vermerkt wurde. Am nächsten Tag besichtigten sie die Depoträume.72 Privates und Berufliches schien sich zu vermengen, wenn Museumsleute, Beamte und Politiker – oft mit ihren Familien – kamen, sich die Zimelien73 zeigen ließen und mehrere Tage blieben. So verbrachte im April 1941 der Berliner Ministerialdirigent und Reichsdramaturg Rainer Schlösser74 mit Frau und Tochter einige Tage in Steinbach.75 Auch der Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach war öfters zu Besuch, Ende Mai 1941 kam er mit seiner Frau, den drei Kindern und einem Kindermädchen an. Bei dieser Gelegenheit besichtigte er die Krönungsinsignien.76 Den Sommer 1942 verbrachte der Schauspieler Horst Caspar in Schloss.77 Dieser war von 1942 bis 1944 am Wiener Burgtheater engagiert. Vermutlich kam er auf Einladung von Generalkulturreferent Walter Thomas, den er aus Bochum kannte. Beide waren in den 1930er Jahren im dortigen Stadttheater engagiert gewesen, Thomas als Chefdramaturg, stellvertretender Intendant und Spielleiter.78 Caspar galt zwar in der NS-Diktion als »Mischling zweiten Grades«, hatte aber eine Sondererlaubnis zum Arbeiten. So spielte er 1943 in Veit Harlans Propagandafilm Kolberg.79 70 Das Bankhaus S. M. von Rothschild & Söhne war im März 1938 unter kommissarische Verwaltung gestellt worden. Am 8. Juli 1938 übernahm die Münchner Privatbank Merck, Finck & Co die kommissarische Verwaltung. Am 31. Oktober 1939 soll laut dem deutschen Historiker Christopher Kopper das Bankhaus Rothschild an Merck, Finck & Co verkauft worden sein, was Peter Melichar allerdings bezweifelt. Vgl. MELICHAR 2004, S. 398; vgl. auch Felicitas KUNTH, Die Rothschild’schen Gemäldesammlungen in Wien, Wien-Köln-Weimar 2006, S. 84–85. 71 Vgl. KHM-Archiv, XIII 14, Protokoll, 18. und 19.10.1939. 72 Vgl. KHM-Archiv, XIII 14, Protokoll, 3. und 4.11.1939. 73 Zimelien sind besonders wertvolle Stücke. 74 Vgl. KLEE 2013, S. 540. 75 Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 4.4.1941. 76 Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 31.5.1941. 77 Vgl. Paul FECHTER (Hg.), Horst Caspar, Berlin 1955. 78 Vgl. Ernst KLEE, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2007, S. 613. 79 Vgl. Rolf GIESEN, Manfred HOBSCH, Hitlerjunge Quex, Jud Süß und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches. Dokumente und Materialien zum NS-Film, Berlin 2005.
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»Geheime« Bergungsorte 49
Erweiterte Bergungsmaßnahmen
Im Frühjahr 1942, zweieinhalb Jahre nach den ersten Bergungen, konnte Dworschak an das Generalreferat für Kunstförderung, Theater, Museen und Volksbildung (kurz: Referat Z/GK), berichten, dass die Objekte gut geborgen und keine Schäden aufgetreten seien. Die klimatischen Bedingungen an den Bergungsorten waren nicht mehr die Hauptsorge, sondern »die Menschen und das Material«, so Dworschak. Die Angestellten würden Ermüdungserscheinungen zeigen, »das sind menschlich gesehen begreifliche Erscheinungen, die sich aber nunmehr häufen und hie und da mit der Bereitwilligkeit zur einseitigen Kündigung verbunden« seien. Die Verpflegung – die Belegschaft in Jagd musste großteils von Wien aus versorgt werden – spielte ebenfalls eine Rolle. Die Bergungen könnten nur dann erfolgreich sein, wenn genügend gut geschultes Personal zur Verfügung stünde. So forderte er, Wachführer Friedrich Scherz von der Wehrmacht zurückzurufen, und ersuchte um Verlängerung der UK-Stellung des Bergungsleiters Pollhammer und des Restaurators Wilhelm Kainz.80 Im März 1942 wurde in Wien erstmals Fliegeralarm ausgelöst.81 Spätestens seit Mai waren alle Anzeichen einer neuen Phase der Bergungen gegeben.82 Aufgrund der befürchteten alliierten Luftangriffe auf Wien wurden seitens der Reichsstatthalterei am 13. Juli 1942 weitere Bergungsmaßnahmen angeordnet: Ludwig Berg vom Reichskulturreferat, einer neu eingerichteten Abteilung der Reichsstatthalterei, wurde Mitte 1942 mit der zentralen Leitung aller Bergungsmaßnahmen der Museen beauftragt und hatte damit die letzte Verantwortung inne. Berg war zuvor als Sachbearbeiter für Musealwesen im Referat Z/GK tätig83 und von Beginn an in die Bergungen involviert gewesen.84 Die Bergungsmaßnahmen sollten so weit gehen, dass die Museen, die bisher offen gehalten waren, weiterhin Ausstellungen zeigen konnten. Für die zahlreichen Umbergungen, die nun einsetzten, galt als Grundregel für die A- und B-Bergungen innerhalb und außerhalb Wiens weiterhin das Prinzip der Dezentralisierung, so »dass bei Zerstörung eines Depots kein Totalverlust einer Materie, des Gesamtbestandes e ines besonders bedeutenden Künstlers oder einer bestimmten Künstlergruppe, bezw. Epoche eintreten kann«. Weiters mussten die Museen mindestens vierteljährlich über den Stand der Bergungen berichten. Das Ende der erweiterten Bergung wurde mit 1. Sep-
80 81 82 83 84
Vgl. KHM-Archiv, 78/8/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 29.5.1942. Vgl. HAUPT 1995, S. 50. Vgl. KHM-Archiv, 78/7/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 29.5.1942. Vgl. KHM-Archiv, 78/7/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 29.5.1942. Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 5.11.1939.
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50 Susanne Hehenberger und Monika Löscher tember 1942 festgesetzt.85 Unmittelbar nach Bekanntwerden des Erlasses tagte die Direktorenkonferenz des Kunsthistorischen Museums, deren Ergebnisse Dworschak am 17. Juli 1942 festhielt.86 Als Vertreter ernannte er den Direktor der Antikensammlung Fritz Eichler, dem auch der Luftschutz übertragen wurde. Parallel dazu forderte Ministerialdirektor Alfred Eckmann von der Reichsstatthalterei dazu auf, die Bergungsmaßnahmen mit »tunlichster Beschleunigung« durchzuführen.87 Gert Adriani besprach mit Generalkulturreferent Walter Thomas in Gaming die neuen Bergungsmaßnahmen und stimmte mit diesem in der Ansicht überein, die »allerersten Qualitäten« in Schloss zu belassen. Adriani sprach sich strikt gegen eine zu starke Dezentralisierung aus.88 Ende August 1942 waren die meisten Objekte geborgen, mit dem verbleibenden Restbestand in den Ausstellungen wurde das Offenhalten des Museums gerechtfertigt. Einzig die Wagenburg galt als nicht ausreichend gesichert – der seit Jahren vorgetragene Wunsch, den sogenannten Englischen Reitstall als Bergungsort zu verwenden, wurde seitens der Wehrmacht abgewiesen.89 Ende August 1942 konnte das Kunsthistorische Museum folgende Orte für seine Bergungen verwenden: Steinbach, Gaming, das Luftschutzkellerdepot des Museums, das Kellerdepot der Neuen Burg, weitere Depots in den beiden Museumsgebäuden sowie die Reichsbank.90 Gemietet wurde ebenfalls der Tresor des Postsparkassenamtes auf der Dominikanerbastei, als jährliche Miete wurde der Betrag von 3.500 Reichsmark vereinbart.91 Die Räumung des Bergungsortes Steinbach
Aufgrund verschiedener Mängel musste Jagd im September 1942 aufgelassen werden. Die Entscheidung dazu fiel im Juli 1942,92 obwohl Dworschak noch festhielt, dass Steinbach der »idealste Bergungsort des Reiches« sei.93 Es sprachen allerdings zu viele Argumente gegen diesen abgeschiedenen Ort: Die Straße nach Steinbach konnte im
85 Vgl. KHM-Archiv, 78/19/ED/42, Geheimes Rundschreiben des Reichsstatthalters an die Museumsdirektoren, 13.7.1942. 86 Vgl. KHM-Archiv, 78/21/ED/42, Fritz Dworschak an die Sammlungsleiter, 17.7.1942. 87 Vgl. KHM-Archiv, 78/ED/42, Alfred Eckmann an Fritz Dworschak, 13.7.1942. 88 Vgl. KHM-Archiv, 78/ED/42, Gert Adriani an Fritz Dworschak, 23.7.1942. Vgl. KHM-Archiv, XIII 16, Tagesprotokoll, 19.7.1942. 89 Vgl. KHM-Archiv, 78/46/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 25.8.1942. 90 Vgl. KHM-Archiv, 78/1/ED/42, Verzeichnis der Bergungsstellen der Antikensammlung, 31.8.1942. 91 Vgl. KHM-Archiv, 78/22/ED/42, Alfred Eckmann an den Präsidenten des Postsparkassenamtes, 14.7.1942. 92 Vgl. KHM-Archiv, 78b/3/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 18.7.1942. 93 Vgl. KHM-Archiv, 78/ED/42, Fritz Dworschak an Gert Adriani, 27.7.1942.
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»Geheime« Bergungsorte 51
Winter nicht geräumt werden,94 Brennstoff wurde nicht rechtzeitig geliefert,95 und es war zu wenig Personal vorhanden.96 Die in Steinbach eingelagerten Bestände des Kunsthistorischen Museums wurden nach Gaming und Wien, die Objekte des Zen traldepots nach Wien und vor allem in das Reichskunstdepot Kremsmünster verbracht. Die Transporte fanden zwischen dem 21. und 24. September 1942 statt.97 Dass dabei Schäden an den Gemälden durch unsachgemäßen Umgang der Mitarbeiter der Speditionsfirma E. Bäuml und des Kunsthistorischen Museums entstanden seien, wie Franz Balke, Mitarbeiter des Instituts für Denkmalpflege, dem Referat Z/GK berichtet hatte, wies Dworschak im Dezember 1942 empört zurück.98 Den 49 Mitarbeiter_innen, die an der Räumung beteiligt waren, wurde »für außergewöhnliche Transportarbeiten« eine Extravergütung von jeweils 15 Reichsmark gewährt.99 Als Bergungsort für das Reichsarchiv – wie das Österreichische Staatsarchiv in der NS-Zeit hieß – blieb Steinbach aber weiterhin in Verwendung,100 und es wurde für weitere Bergungen – wenngleich nur im »äußersten Notfalle« – freigehalten.101 Stift Klosterneuburg
Für die zweite Bergungsphase besonders wichtig war das vormalige Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg. Im Juni 1941 wurde das am 30. April 1941 beschlagnahmte und am 4. März 1942 enteignete102 Stift mitsamt seiner Kunstsammlung der Verwaltung des Kunsthistorischen Museums unterstellt.103 Neben dem Altstift und der Schatzkammer unterstanden auch die Räume und Sammlungen im ersten und zweiten Stockwerk des Kaiserhofs Dworschaks Verantwortung, abgesehen von den Räumen, in denen Wehrmachtsoffiziere einquartiert waren. Diese Räume wurden ab Mitte Juni 1941 von der Museumswache bewacht,104 die ab 1942 auch die Außenbewachung des 94 Vgl. KHM-Archiv, 78/46/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 25.8.1942. 95 Vgl. KHM-Archiv, 78/8/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 29.5.1942. 96 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 4, fol. 127, AV Ludwig Berg, 13.7.1942. 97 Vgl. KHM-Archiv, XIII 15, Protokoll, 21.–24.9.1942. 98 Vgl. KHM-Archiv, 78b/17/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 12.12.1942. 99 Vgl. KHM-Archiv, 78/66/ED/42, Alfred Eckmann an Fritz Dworschak, 30.9.1942. 100 Vgl. KHM-Archiv, 2/IX/ED/45, Bergungsorte staatlicher Sammlungen und Museen und des Instituts für Denkmalpflege. 101 Vgl. KHM-Archiv, 78/ED/42, fol. 70, Baldur von Schirach an den Generalforstmeister, 25.10.1942. 102 Vgl. Robert RILL, Geschichte des Augustiner-Chorherrenstiftes Klosterneuburg 1938 bis 1945, WienSalzburg 1985, S. 81–83. 103 Vgl. KHM-Archiv, 150/KL/41, Aufnahmeschrift betreffend Übergabe bezw. Übernahme der Kunstsammlungen des Stiftes Klosterneuburg, 17.6.1941. 104 Vgl. KHM-Archiv, 160/KL/41, Fritz Dworschak an Oberstleutnant Huber, 18.6.1941.
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52 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Stifts vornahm.105 Am 1. November 1941 wurde eine Auswahl der Klosterneuburger Kunstsammlungen in den kaiserlichen Gemächern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Ausstellungsbereich im Stift wurde bis November 1943 sukzessive erweitert.106 Wie Dworschak dem Referat Z/GK am 25. Juli 1941 berichtete, erhoben verschiedene Seiten Anspruch auf die Nutzung der Räume des Stiftes: Das Luftgaukommando wollte eine Luftwaffenschule unterbringen. Der Bezirkshauptmann von Klosterneuburg und Vorsitzende der Weinbewertungskommission beanspruchte Zimmer im Stift. Das Postamt Klosterneuburg hoffte, seine Amtsleitung und das Krankenhaus Klosterneuburg Ärzt_innen im Stiftsbereich unterbringen zu können. Die im Altstift gelegene Volksschule benötigte mehr Raum, und die Pfarrgeistlichkeit verlangte die Verlegung der Pfarrkanzlei in die Registratur und die Benützung des im ersten Stock gelegenen Winterchores, was Dworschak merkbar widerstrebte.107 Er konnte einige Forderungen abwehren, doch musste er auch Zugeständnisse machen. Postamt und Weinbewertungskommission sollten keine Räume bekommen, und die Luftgauschule sollte, wie Dworschak schrieb, »wenn irgend möglich« andernorts untergebracht werden. Dem Klosterneuburger Spital kam er entgegen, doch mussten sich die ab August 1941 in zwei Räumen des Herzogenburger Stöckels untergebrachten Ärztinnen der Hausordnung unterwerfen und durften ihre Räume ausschließlich über die Bibliotheksstiege und unter Vorweisung eines Passierscheins betreten.108 Auch mit der im Stiftsbereich untergebrachten Versuchs- und Forschungsanstalt für Wein- und Obstbau musste sich Dworschak arrangieren.109 Ab September 1941 war zudem ein Reservelazarett im Stift untergebracht, das sich vorerst auf 80 Betten beschränkte,110 aber sukzessive mehr Räume beanspruchte.111 Für die Volks- sowie die Hauptschule gab Dworschak 1942 Räume zur Nutzung frei.112
105 Vgl. KHM-Archiv, 21/2/ED/42, Fritz Dworschak an den Kommissar des Stifts, 5.1.1942. 106 Vgl. HAUPT 1995, S. 46–47. 107 Vgl. KHM-Archiv, 151/3/KL/41, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 25.7.1941. 108 Vgl. KHM-Archiv, 165/KL/41, AV Fritz Dworschak, 8.8.1941; Hausordnung, o. D. 109 Vgl. KHM-Archiv, 38/15/ED/42, Fritz Dworschak an Fritz Zweigelt, 18.8.1942, und 38/17/ED/42, Fritz Zweigelt an Fritz Dworschak, 25.8.1942. 110 Vgl. KHM-Archiv, 160/KL/41, AV Fritz Dworschak, 30.9.1941. 111 Vgl. KHM-Archiv, 20/ED/42, Inanspruchnahme durch die Wehrmacht, 4.7.1942–23.12.1942. 112 Vgl. KHM-Archiv, 37b/ED/42, Erweiterung der im Stifte Klosterneuburg untergebrachten Volksschule.
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Abbildung 5: Plan der Bergungsstelle Klosterneuburg, April 1943
Die Einrichtung der Bergungsräume in Stift
Im April 1942 berichtete Dworschak, dass er im Erdgeschoss des Stiftes die Einrichtung von Bergungsräumen plane, wozu die »Sicherung von neun Fenstern gegen Splittergefahr mit eisernen Fensterläden nötig« sei.113 War vorerst von dreizehn Erd geschossräumen114 die Rede, so sollten später Kellerräume durch den Einbau von Mauern sowie Belüftungs- und Heizungsanlagen für die Bergung adaptiert werden.115 Ab Herbst 1942 wurde Klosterneuburg als Bergungsort mit dem Decknamen Stift, zunächst für die Umbergungen aus Steinbach, genutzt.116 Zu den Bergungsräumen im Stift Klosterneuburg hatten im Oktober 1942 nur ausgewählte Mitarbeiter_innen des Kunst- und des Naturhistorischen Museums Zutritt.117
113 Vgl. KHM-Archiv, 14/10/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 21.4.1942. 114 Vgl. KHM-Archiv, 19/ED/42, Plan, o. D. (Herbst 1942). 115 Vgl. Haupt 1995, S. 50. 116 Vgl. KHM-Archiv, 78/64/ED/42, Bericht, 7.10.1942. 117 Vgl. KHM-Archiv, 78/ED/42, Sperrberechtigung der Bergungsräume, Oktober 1942.
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54 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Deponiert wurden aus dem Kunsthistorischen Museum: Bestände der Bibliothek, der Schatzkammer, der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung, der Antikensammlung, des Münzkabinetts und der Plastiksammlung, außerdem Bestände des Naturhistorischen Museums, der Gemeinde Wien, des Kunstgewerbemuseums, der Kunstsammlungen und des Städtischen Museums Klosterneuburg, der Kunstsammlung Liechtenstein, des Schlossmuseums Berlin sowie des Heeresmuseums.118 Später kamen weitere, auch private Bergungen hinzu, wie zum Beispiel die Bibliothek des Kunsthistorikers Dagobert Frey,119 Objekte des Mobiliendepots, Matrikenbücher der Stiftspfarrkirche und Seidenstoffe der Firma C. A. Delius & Söhne.120 Die Leitung des Bergungsortes Klosterneuburg lag formal bei Fritz Dworschak, der häufig vor Ort war.121 Wichtig war Klosterneuburg für ihn als Numismatiker, denn im August 1942 wurde er mit dem Aufbau eines Münzkabinetts im Rahmen des geplanten »Führermuseums« in Linz beauftragt, dessen »Grundstock […] die Münzen- und Medaillensammlung des ehemaligen Chorherrenstiftes Klosterneuburg« bilden sollte sowie alle eingezogenen Münz- und Medaillensammlungen der »Alpen- und Donaureichsgaue«.122 Vor Ort verantwortlich waren der Kurator, ab Herbst 1943 kommissarische Leiter der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe Heinrich Klapsia und der Verwaltungsinspektor des Kunsthistorischen Museums Johann Waldum. Im März 1943 forderte Dworschak Material zur Verbesserung und zum Ausbau der Bergungsräume an, unter anderem Holz und Eisen, das dringend für einen Kessel der vorhandenen Zentralheizungsanlage benötigt wurde.123 Außerdem ersuchte Dworschak beim Reichsbauamt Wien Innere Stadt »alles Erforderliche zur Vermauerung der noch offenen restlichen 10 Fenster im Tiefgeschoß von Stift Klosterneuburg veranlassen zu wollen«, um zusätzliche Bergungsräume zu gewinnen.124 Bei einer Sitzung in Klosterneuburg, die unter Vorsitz des Generalkulturreferenten Walter Thomas am 14. April 1943 stattfand, teilte Dworschak den Anwesenden vertraulich mit, »daß in den tiefer gelegenen Räumen des Stiftes Bergungsgut der staatlichen Kunstsammlungen untergebracht werden konnte«.125 Wenig später meldete er 118 Vgl. KHM-Archiv, XIII 18, diverse Bergungslisten. 119 Vgl. KHM-Archiv, 31/KORR/45, Dagobert Frey an Fritz Dworschak, 15.11.1944 und 18.12.1944. 120 Vgl. KHM-Archiv, XIII 14, Umschlag Privates Bergungsgut. 121 Vgl. KHM-Archiv, 78/57/ED/42, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 9.9.1942. 122 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 13/1, M. 14, fol. 2, Abschrift eines Erlasses des Führers über die Errichtung eines Münzkabinetts in Linz (Donau), 30.9.1942. 123 Vgl. KHM-Archiv, 1/III/8/ED/43, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 1.3.1943. 124 Vgl. KHM-Archiv, 1/III/7/ED/43, Fritz Dworschak an das Reichsbauamt, 19.3.1943. 125 KHM-Archiv, 1/XI/8/ED/43, Niederschrift, 14.4.1943.
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dem Referat Z/GK, dass die Bergungsräume im Stift Klosterneuburg eingerichtet und »mit der Errichtung eines Bergungsortes ›Stift‹ vorgegangen werden kann«, der de facto zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem halben Jahr bestand.126 Weitere Bergungsorte und -maßnahmen
Anfang Juli 1943 kam es zu einem Treffen zwischen Baldur von Schirach und Gert Adriani, um weitere Bergungsmaßnahmen aufgrund der drohenden Luftangriffe zu besprechen. Die »Kriegsgalerie« im Kunsthistorischen Museum sollte aufgelöst und bis Mitte August 1943 geborgen werden.127 Nach dem großen Bombenangriff auf Wiener Neustadt am 13. August 1943 ordnete Schirach die sofortige »weitestgehende« Bergung aller Bestände und die vorläufige Schließung der Museen an.128 Der neue Bergungsort Hirschwang an der Rax sollte eine Entlastung für Schloss bringen, im Schloss Gaaden war die Unterbringung der Musikinstrumente angedacht.129 Nun kam eine Reihe von weiteren Bergungsorten dazu: Aus Schloss Schönbrunn und aus der Franzensburg wurden Bilder nach Hirschwang transportiert, die Gemäldegalerie begann mit der Neueinrichtung des Bergungsortes Gresten, weitere Gemälde wurden in den Bergungsräumen der Neuen Burg und des Augustinerkellers in der Wiener Innenstadt, der Postsparkasse Klosterneuburg und in Schloss untergebracht.130 Der Augustinerkeller wurde von der Albertina betreut.131 Ein neues Detail in der Bergung trat auf: Auch Mitarbeiter_innen erhielten nun die Möglichkeit, ihre Privatsachen zu bergen.132 Zum »Kulturluftschutz« ordnete das Institut für Denkmalpflege im September 1943 die Bereitstellung motorisierter Löschspritzen für einige besonders schützenswerte Gebäude, unter anderem Klosterneuburg, an.133 Im Stiftsbereich bestanden zu diesem Zeitpunkt vier Brandwachestellen.134
126 Vgl. KHM-Archiv, 1/III/10/ED/43, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 13.5.1943. 127 Vgl. KHM-Archiv, 17/29/ED/43, Gert Adriani an Fritz Dworschak, 7.7.1943. 128 Vgl. KHM-Archiv, 17/47/ED/42, Ludwig Berg an Fritz Dworschak, 20.8.1943. 129 Vgl. KHM-Archiv, 17/40/ED/42, Fritz Dworschak an Ludwig Berg, 7.8.1943. 130 Vgl. KHM-Archiv, 17/ED/43 Bergungsbericht Gert Adriani, 3.11.1943. 131 Vgl. KHM-Archiv 17/50/ED/43, Ludwig Berg an Fritz Dworschak, 3.9.1943. 132 Vgl. KHM-Archiv, 17/49/ED/43, Bericht Fritz Dworschak, 2.9.1943. 133 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 6/1, M. 35: Klosterneuburg. Neben Klosterneuburg standen auch der Stephansdom, die Karls- und die Peterskirche, das Palais Schwarzenberg und das Palais Liechtenstein, der Wiener Neustädter Dom, Stift Melk und der St. Pöltener Dom unter besonderem Schutz. 134 Vgl. KHM-Archiv, 1/VI/ED/43, Plan zur Verortung der Brandwachen.
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56 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Klosterneuburg bis zum Kriegsende
Im Herbst 1943 sprach sich Dworschak unter Hinweis auf das Bergungsgut sowie das Lazarett in Klosterneuburg gegen eine Beanspruchung der Räume im zweiten Stock des Kaisertrakts durch die Wehrmacht aus.135 Im Kreuzgang des Stiftes wurde auf Anweisung des für den Luftschutz verantwortlichen Polizeipräsidenten in Wien im Dezember 1943 eine Leichensammelstelle für einen etwaigen »Massenanfall von Leichen nach Fliegerangriffen« eingerichtet.136 Im Sommer 1944 wurde in den Weinkellern des Stiftes, zugänglich über den Kuchelhof, auch ein allgemeiner Luftschutzraum für die Bewohner_innen des Stifts eingerichtet. Der »alte Luftschutzraum im Kaiserhof« war »den Verwundeten und der im Luftschutzdienst eingeteilten Gefolgschaft vorbehalten«.137 Aufgrund der Räumung der Spitäler im Südosten des Reiches benötigte das im Stift untergebrachte Militärlazarett im Herbst 1944 zusätzlichen Raum.138 Da Klosterneuburg »als musealer Bergungsort und Ausweichstelle für Behörden« gewahrt werden sollte,139 wurden dem Spital im September 1944 anstelle weiterer Bereiche im Stift einige Räume in der Klosterneuburger Hauptschule zugestanden.140 Mit Fortdauern des Krieges entschied Dworschak, Umbergungen durchzuführen. Heinrich Klapsia nahm daran nicht mehr teil. Nach mehrmaliger UK-Stellung musste er Ende August 1944 zur Wehrmacht einrücken. Im Dezember 1944 schrieb er Dworschak per Feldpost: »Oft sind meine Gedanken bei unserem Haus, bei Ihrer Arbeit und bei allen, die einmal eine verschworene Gemeinschaft waren, mit unserem Haus zu stehen und zu fallen.«141 Dworschak antwortete im Februar 1945: »Unser liebes Klosterneuburg birgt nunmehr oft an die 300 Verwundete. Es steht ebenso wie unser Haus bis auf den Verlust einiger Fensterscheiben noch unberührt.«142 Einige Wochen später, am 12. März 1945, traf eine Bombe das Kunsthistorische Museum und beschädigte das Gebäude schwer, Heinrich Klapsia fiel am 17. April 1945, vier Tage nach der
135 Vgl. KHM-Archiv, 1/V/4/ED/43, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 15.9.1943. 136 Vgl. KHM-Archiv, 1/III/22/ED/43, Polizeipräsident in Wien an Fritz Dworschak, 15.12.1943, und 1/I/6/ED/44, Polizeipräsident in Wien an Fritz Dworschak, 2.2.1944. 137 Vgl. KHM-Archiv, 1/I/21/ED/44, Fritz Dworschak an die Bewohner des Stiftes Klosterneuburg, 25.7.1944. 138 Vgl. KHM-Archiv, 104/KORR/44, Fritz Dworschak an Wagner-Regenyi, 21.9.1944. 139 Vgl. KHM-Archiv, 1/V/2/ED/44, Referat Z/GK an Fritz Dworschak, 28.2.1944. 140 Vgl. KHM-Archiv, 1/V/4/ED/44, Fritz Dworschak an Referat Z/GK, 19.9.1944. 141 KHM-Archiv, 31/2/KORR/45, Heinrich Klapsia an Fritz Dworschak, 10.12.1944. 142 KHM-Archiv, 31/1/KORR/45, Fritz Dworschak an Heinrich Klapsia, 8.2.1945.
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»Geheime« Bergungsorte 57
Einnahme Wiens durch die Rote Armee, in der Nähe von St. Pölten.143 Die Zahl der in Stift geborgenen Objekte hatte sich zwar verkleinert, dennoch waren Ende März 1945 noch 1.595 Gemälde des Kunsthistorischen Museums in Klosterneuburg untergebracht, außerdem waren die wichtigsten Unterlagen und Inventare der Gemäldegalerie dorthin verbracht worden. Notwendige konservatorische »Sicherungen« wurden von Valerie Raschka vorgenommen, die unter Aufsicht Adrianis ausgebildet worden war und schon seit 1943 in Klosterneuburg wohnte.144 Noch am 4. April 1945 schrieb Dworschak an das Referat Z/GK, »dass die durch die Verhältnisse bedingten Umbergungen in vollem Gange« seien.145 Am 8. April 1945 trafen die ersten sowjetischen Truppen im Stift Klosterneuburg ein. »Die Stiftswache hat noch vor der ersten Berührung mit den russischen Truppen ihre Uniform abgelegt und ist ihnen in zivilen Anzügen entgegengetreten«, so der Museumswachmann Franz Winter. Er berichtete am 26. April 1945, dass die drei noch anwesenden Wachmänner sowie der Verwalter Franz Wiesinger und der Pfarrer Franz Roth die Truppen nicht vom Eindringen in die Bergungsräume abhalten konnten. Es sei viel geplündert worden, unter anderem in der Privatwohnung Dworschaks und in dessen Kellerräumen.146 Die letzten Kriegsmonate in Gaming
Im September 1944 sollte der Bergungsort Schloss geräumt werden, weil durch das ausgebaute Eisenwerk im nur zwei Kilometer entfernten Kienberg vermehrte Luftangriffe befürchtet wurden.147 Außerdem hatte die Wehrmacht einen Autoparkplatz für Verpflegungswagen der Luftwaffe im Park der Kartause geplant, und Dworschak befürchtete eine dauerhafte »Durchgangsstation«, die den Sicherheitsanforderungen eines Bergungsortes nicht mehr entsprach.148 Zwar fand der Räumungsvorschlag in der Reichsstatthalterei grundsätzliche Zustimmung, doch wurde er »infolge der herrschenden Not an Bergungsraum dahin abgeändert, daß die ganze Aktion in der Form einer Umbergung alles Wichtigen ehestens durchgeführt werden soll«.149 Der Auto143 Vgl. KHM-Archiv, III 826, PA Heinrich Klapsia. 144 Vgl. KHM-Archiv, 1/ED/45, Gert Adriani an Fritz Dworschak, 27.3.1945. 145 Vgl. KHM-Archiv, 1/V/ED/45, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 4.4.1945. 146 Vgl. KHM-Archiv, 1/V/3/ED/45, Bericht Franz Winter, 26.4.1945 und 1/VII/ED/45, Bericht Wilhelm Taferner. 147 Vgl. KHM-Archiv, 5/IX/1/ED/44, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 31.10.1944. 148 Vgl. KHM-Archiv, 5/IV/8/ED/44, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 27.9.1944. 149 Vgl. KHM-Archiv, 5/IV/9/ED/44, AV Karl Pollhammer, 30.9.1944.
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58 Susanne Hehenberger und Monika Löscher parkplatz wurde schließlich eingerichtet.150 Dass vieles aus den Bergungen des Kunsthistorischen Museums nach Wien zurückgebracht und von einer Bergung im »bereits stark belegte[n] Bergwerk Alt-Aussee« abgesehen wurde, rechtfertige Dworschak am 31. Oktober 1944 in einem Schreiben an das Referat Z/GK damit, »daß ein etwa notwendig werdender Abtransport aus Wien ungleich leichter zu bewerkstelligen sei« als aus Niederösterreich.151 Mit fortschreitendem Kriegsverlauf kam es auch unter den Bergungsmitarbeitern zu Einberufungen in die Wehrmacht, die Zahl der Wachmänner an den Bergungsorten musste in der Folge reduziert werden.152 Damit änderte sich das Sozialprofil der Wache radikal: Waren es zu Beginn der Bergungen fast ausschließlich ehemalige Mitglieder der »Österreichischen Legion«, also langjährige Nationalsozialisten im Alter zwischen 27 und 35 Jahren, so lag das Durchschnittsalter der Wachmänner 1943 mit 61 Jahren wesentlich höher.153 Beschwerden über diese Mitarbeiter häuften sich. Im November 1944 wandte sich der stellvertretende Wachführer und Betriebsobmann in Gaming, Hermann Drescher, hilfesuchend an Dworschak und beklagte, dass die Arbeitsdiszi plin einiger Wachmänner, vor allem von drei Pensionisten und von drei »Wehrbeschädigten« sehr zu wünschen übrig lasse. Sie würden unerlaubt den Dienst verlassen oder sich, wenn ihnen eine Einteilung nicht passt, krankschreiben lassen.154 Am 13. März 1945 schrieb der Bergungsleiter Karl Pollhammer an den stellvertretenden Direktor Hans Demel über Alois Grafeneder von der Museumswache, dass er »vor allem das nötige Kameradschaftsgefühl und jeden ehrlichen Einordnungswillen vermissen lässt«.155 Aber auch gegen Pollhammer wurden anonyme Vorwürfe erhoben, wie etwa, dass er sich unerlaubterweise Brennmaterial zu privaten Zwecken nehme und sich vor dem Kriegseinsatz drücke.156 Mit Bescheid vom 11. Jänner 1945 teilte der Reichsstatthalter einen Keller im Westtrakt der Kartause der Rüstungsinspektion XVII zur Einrichtung eines Forschungs
150 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 15, Gaming, fol. 51, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 30.1.1945. 151 Vgl. KHM-Archiv, 5/IX/1/ED/44, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 31.10.1944. 152 Vgl. KHM Archiv, 78/56/ED/42, Bergungsbericht Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 3.9.1942. 153 Vgl. Monika LÖSCHER, Susanne HEHENBERGER, Akteurinnen und Akteure im Kunsthistorischen Museum Wien. Personelle Kontinuitäten und Brüche 1933/34–1938–1945, in: Tanja BAENSCH, Kristina KRATZ-KESSEMEIER, Dorothee WIMMER (Hg.), Museen im Nationalsozialismus. Akteure – Orte – Politik (erscheint 2016). 154 Vgl. KHM-Archiv, 5/IV/ED/44, Hermann Drescher an Fritz Dworschak, 16.11.1944. 155 Vgl. KHM-Archiv, XIII 13, Karl Pollhammer an Hans Demel, 13.3.1945. 156 Vgl. KHM-Archiv, 2/III/ED/45, Karl Pollhammer an Fritz Dworschak, 20.2.1945.
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»Geheime« Bergungsorte 59
laboratoriums zu.157 Schließlich wurde Gaming ein Auffanglager für Flüchtlinge.158 Die Kreisleitung der NSDAP forderte für allfällige Flüchtlingsunterkünfte die Dachmansarden über dem Refektorium an,159 und es mussten Bergungsräume als Unterkünfte für Flüchtlinge freigemacht werden.160 In Gaming wurde ein Lazarett eingerichtet, zwei Bergungsräume und der Turnsaal mussten dafür geräumt werden. Das Bergungsgut wurde auf die restlichen Räume verteilt.161 Noch in den letzten Kriegstagen fanden Transporte von Gaming nach Lauffen statt. Am 24. April 1945 morgens ging ein Transport von 882 Bildern ab, der zwei Tage später in Bad Ischl ankam.162 Am 5. Mai beschlagnahmte ein General der Waffen-SS einige Bergungsräume in Gaming, unter anderem das Zimmer, in dem die Kanzlei untergebracht war, wo die Sekretärin Anny Schöpf ihren Dienst versah. Mit diesem Tag wurde die Amtstätigkeit eingestellt, und es gab keine Übersicht mehr, ob alle Bergungsgüter vorhanden waren.163 Einige Wochen später wurden die Bestände neu aufgenommen und Listen angefertigt.164 Sowjetische Truppen erreichten die Kartause am 23. Mai.165 Am 8. Juni 1945 zog der Großteil wieder ab,166 allerdings besichtigte eine »russische Kommission« am 28. Juli 1945 die Kartause und beschlagnahmte einige Räume. Die dort gelagerten Bergungsgüter wurden teils in den Prälatengang, teils in die Kirche und in das Refektorium gebracht.167 Am darauffolgenden Tag kam der sowjetische Stab mit etwa 1.000 Mann an und nahm in der Kartause Quartier.168 Am 31. Juli 1945 folgte schließlich der Befehl, sie innerhalb von 48 Stunden zu räumen, die Bergungsräume zu versiegeln und durch ein sowjetisches Kommando zu bewachen, was allerdings auch am 5. August 1945 noch nicht der Fall war.169 Am 13. August
157 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 15, Gaming, fol. 53, Bescheid des Reichsstatthalters in Niederdonau als Reichsverteidigungskommissar, 11.1.1945 (Abschrift). 158 Vgl. KHM-Archiv, XIII 12, M. Erlässe, Rundschreiben, Karl Pollhammer an Fritz Dworschak, 31.3.1945. 159 Vgl. KHM-Archiv, XIII 13, Protokoll, 31.3.1945. 160 Vgl. KHM-Archiv, XIII 13, Protokoll, 5.4.1945. 161 Vgl. KHM-Archiv, XIII 13, Protokoll, 2.4.1945. 162 Vgl. KHM-Archiv, XIII 14, fol. 39, Protokoll, 22.5.1945. 163 Vgl. KHM-Archiv, XIII 13, Protokoll, 5.5.1945. 164 Vgl. KHM-Archiv, XXX 13, Protokoll, 22.5.1945. 165 Vgl. KHM-Archiv, XIII 13, Protokoll, 23.5.1945. 166 Vgl. KHM-Archiv, XIII 13, Protokoll, 8.6.1945. 167 Vgl. KHM-Archiv, XIII 13, Protokoll, 28.7.1945. 168 Vgl. KHM-Archiv, XIII 13, Protokoll, 29.7.1945. 169 Vgl. KHM-Archiv, XIII 13, Protokoll, 5.8.1945. – An diesem Tag wurde zum letzten Mal Protokoll geführt.
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60 Susanne Hehenberger und Monika Löscher 1945 ging der erste Rücktransport nach Wien.170 Weitere Rücktransporte erfolgten von 15. bis 28. August 1945 durch die Bereitstellung von Fahrzeugen und personelle Unterstützung der sowjetischen Militärregierung. Insgesamt 90 Fuhren mit je zehn Militärwagen brachten Musealgut aus den Bergungsstellen Gaming, Gresten, Schönborn, Kirchstetten und Theiss zurück nach Wien.171 Letzte Bergungen: Lauffen 1944 und 1945
In der letzten Bergungsphase spielte das Salzbergwerk in Lauffen bei Bad Ischl eine große Rolle. Am 1. Februar 1943 schrieb Robert Hiecke, Ministerialdirigent im Reichs erziehungsministerium, an Robert Eigenberger, Professor an der Wiener Akademie der bildenden Künste, dass sein Sachbearbeiter Steinkohlen- und Steinsalzbergwerke in Nordwestdeutschland besucht hatte, um festzustellen, ob Bergwerke als Bergungsorte in Betracht kämen. Dieser kam hinsichtlich vieler Punkte zu einer günstigen Beurteilung, was aber noch fehlte, war eine klimatische Einschätzung, um die nun Eigenberger gebeten wurde. Knapp zwei Monate später lieferte dieser ein umfangreiches Gutachten ab, worin er betonte, dass er keine genaue Kenntnis der besonderen Bedingungen in Bergwerken hätte.172 Parallel dazu überprüften Herbert Seiberl, Leiter des Instituts für Denkmalpflege in Wien, und Franz Juraschek, Gaukonservator von Oberdonau, die Salzbergwerke der alpenländischen Salinen. Nachdem sie deren Generaldirektor Emmerich Pöchmüller im Frühjahr 1943 kontaktiert hatten, besichtigen sie erstmals im Frühsommer 1943 das Salzbergwerk Altaussee und fanden es zur Bergung geeignet.173 Während Aussee zunächst vor allem für kirchlichen und klösterlichen Besitz und erst in späterer Folge für Objekte des »Führermuseums« in Linz vorgesehen war, sollten später die Wiener Sammlungen im nahe gelegenen Lauffener Bergwerk ihre Kunst- und Kulturgegenstände deponieren. Über Weisung Hieckes fand im Spätherbst 1943 eine kommissionelle Besichtigung des Lauffener Stollens durch Ludwig Berg, Fritz Dworschak, Herbert Seiberl und Hermann Michel, Direktor der Abteilung Mineralogie im Naturhistorischen Museum, statt. Nach Abgabe eines Gutachtens durch Michel wurde der Stollen in Lauffen am 8. November 1944 für die Bergung der ersten Garnitur aus den Wiener Museen freigegeben, die Räume im Bergwerk konnte Gottfried Reimer, 170 Vgl. KHM-Archiv, XIII 14, fol. 84, Karl Pollhammer an August Loehr, 13.8.1945. 171 ÖStA/AdR, UKW, BMU, K. 131, Sign. 15, Z. 3756-II-3/45, Hans Pernter an Norbert (?) Bischoff, 3.9.1945. 172 Vgl. KHM-Archiv, 17/14/ED/43, Robert Hiecke an Robert Eigenberger, 1.2.1943, sowie Robert Eigenberger an Robert Hiecke, 9.3.1943. 173 Vgl. HAMMER 1996, S. 42–45.
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»Geheime« Bergungsorte 61
stellvertretender Leiter des »Sonderauftrags«, freigeben, da »alle alpenländische[n] Salinen über Weisung des Reichsfinanzministers für Bergungszwecke beschlagnahmt« waren.174 Dworschak informierte Reimer am 23. November 1944, dass er in den folgenden Wochen wegen der »Bergungsarbeiten im Ischler Salzbergwerk« häufiger und länger vor Ort sein werde.175 Auch eine Restaurierwerkstatt sollte in Ischl eingerichtet, die im Kaiser Franz Joseph-Erbstollen tätigen Wachleute und Aufseher sollten direkt in Lauffen, in der Pension Weißes Rössl, untergebracht werden.176 Am 30. November 1944 bestätigte Reimer, dass das Salzbergwerk für die Bergung der Wiener Kunstsammlungen sowie für die Liechtensteinische Gemäldegalerie freigegeben sei.177 Die Tagesberichte aus Lauffen setzen mit 9. Dezember 1944 ein. An diesem Tag fuhren die beiden Restauratoren Josef Hajsinek von Wien und Franz Sochor von Kremsmünster ab und kamen am späten Nachmittag in Bad Ischl an, wo sie in der Pension Engljähringer Quartier bezogen, das als Büro und später auch als Bergungsraum diente.178 Zu diesem Zeitpunkt waren die Bergungsräume noch nicht vor bereitet, und die Bergungsmannschaft bestand lediglich aus den beiden Restauratoren. Vor allem Holz wurde für das Auskleiden der Schächte benötigt, das abgesehen von den riesigen benötigten Mengen auch absolut trocken sein musste.179 Der erste Transport traf am 12. Dezember 1944 ein, die Schächte waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgekleidet.180 In den ersten Tagen der Bergung stellte das Kunsthistorische Museum nur neun Mitarbeiter, die die Kunstwerke in das Berginnere brachten.181 Nach und nach folgten weitere Transporte,182 fast alle Wiener Sammlungen verlagerten Bergungsgut nach Lauffen.183 Viktor Luithlen, Leiter der Sammlung alter Musikinstrumente, wurde im März 1945 zum Bergungsleiter ernannt184 und löste damit Gert Adriani ab, der im Februar 1945 erstklassiges Bergungsgut in einem Waggon übersehen und nach Wien zurückgeschickt hatte, weshalb er abberufen wurde.185 Luithlen blieb bis zur Auflösung 174 Vgl. KHM-Archiv, 73/ED/44, AV Fritz Dworschak, 13.11.1944. 175 Vgl. KHM-Archiv, I 103, 1–9, Fritz Dworschak an Gottfried Reimer, 23.11.1944. 176 Vgl. KHM-Archiv, 73/ED/44, Fritz Dworschak an das Referat Z/GK, 21.11.1944. 177 Vgl. KHM-Archiv, 73/ED/44, Gottfried Reimer an Fritz Dworschak, 30.11.1944. 178 Vgl. KHM-Archiv, XIII 20, Tagesbericht, 9.12.1944. 179 Vgl. KHM-Archiv, XIII 20, Tagesbericht, 11.12.1944. 180 Vgl. KHM-Archiv, XIII 20, Tagesbericht, 12.12.1944. 181 Vgl. KHM-Archiv, XIII 20, Passierscheine für das Salzbergwerk Lauffen, 8.12.1944–23.12.1944. 182 Vgl. KHM-Archiv, XIII 20, Tagesbericht, 15.12.1944. 183 Vgl. KHM Archiv, XIII 34, M. 3, Fremde Museen. 184 Vgl. KHM-Archiv, XIII 20, Bericht Viktor Luithlen, 17.2.1945–3.3.1945. 185 Vgl. HAUPT 1999, S. 53–75, hier: S. 69, sowie HAMMER 1996, S. 94–102.
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62 Susanne Hehenberger und Monika Löscher des Bergungsortes 1947 Bergungsleiter und sollte damit maßgeblich die Phase der Rückbergungen prägen. Im 1946 ausgefüllten Registrierungsfragebogen für ehemalige Nationalsozialisten führte er seine Mitgliedschaft beim Kolonialbund an, dem er »auf Dr. Ortners Drängen und aus Angst vor Klapsias Grimm« beigetreten sei, und beim Reichsbund Deutscher Beamten, wo ihn Klapsia ungefragt angemeldet hätte.186 Obwohl er NSDAP-Mitglied gewesen war, konnte er mit Verweis auf seinen Einsatz bei den Bergungen der Kunst- und Kulturgüter im Personalstand des Hauses verbleiben. So schrieb August Loehr, der Erste Direktor des Kunsthistorischen Museums nach Kriegsende im Juli 1947, als die letzten Rücktransporte erfolgten und Lauffen als Bergungsort aufgelöst wurde, an das Unterrichtsministerium, dass die Staatsverwaltung Luithlen ganz besonders zu Dank verpflichtet sei, und beantragte, »beim Herrn Bundespräsidenten die Befreiung des Herrn Dr. Luithlen von den Sühnefolgen zu erwirken«.187 Dieser blieb bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1966 Direktor der Sammlung alter Musikinstrumente. Am 4. Mai 1945 fanden die letzten Arbeiten im Stollen statt, der verschlossen und verschüttet wurde.188 Im Unterschied zum Bergwerk in Altaussee war in Lauffen nie die Gefahr einer vollkommenen Zerstörung gegeben.189 Am 13. Mai 1945 kamen USamerikanische Truppen in Lauffen an, die die Kontrolle über den Bergungsort übernahmen.190 Verantwortlich vor Ort war seitens der Abteilung Monuments, Fine Arts, and Archives der Architekt Robert Posey.191 Nachdem die Zugänge wieder freigemacht worden waren, fanden am 24. Mai 1945 erstmalig Kontrollen durch die Mitarbeiter des Kunsthistorischen Museums in den Schächten statt, bei einigen Bildern wurde Schimmelbildung festgestellt.192 Wenige Tage später wurde der Bergungsmannschaft seitens der US-Amerikaner die Einfahrt in den Stollen verwehrt, und die beiden Wachmänner Weinisch und Denk wurden am 31. Mai 1945 zum Verhör nach Bad Goisern geführt.193 Am 11. Juli 1945 erschien 186 Vgl. KHM-Archiv, XIII 14, fol. 118, Viktor Luithlen an Johann Waldum, 28.4.1946. 187 Vgl. KHM-Archiv, 2/I/ED/47, fol. 5, August Loehr an das BMU, 17.7.1947. 188 Vgl. KHM-Archiv, XIII 33, Dienst- und Arbeitsnachweis der Museumswachmänner Karl Weinisch und Rudolf Denk, 2.4.–1.10.1945, Eintrag 4.5.1945. 189 Zu den Vorgängen in Aussee vgl. auch HOFER 2006. 190 Vgl. KHM-Archiv, XIII 33, Dienst- und Arbeitsnachweis der Museumswachmänner Karl Weinisch und Rudolf Denk, 2.4.–1.10.1945, Eintrag 13.5.1945. 191 Vgl. http://www.monumentsmenfoundation.org/intl/de/the-heroes/the-monuments-men/posey-capt.robert-k. (12.2.2015). 192 Vgl. KHM-Archiv, XIII 33, Dienst- und Arbeitsnachweis der Museumswachmänner Karl Weinisch und Rudolf Denk, 2.4.–1.10.1945, Eintrag 24.5.1945. 193 Vgl. KHM-Archiv, XIII 33, Dienst- und Arbeitsnachweis der Museumswachmänner Karl Weinisch und Rudolf Denk, 2.4.–1.10.1945, Eintrag 28., 29. und 31.5.1945.
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»Geheime« Bergungsorte 63
Monuments Man Lieutenant Frederick Shrady194 in Ischl und kündigte an, dass die in der Pension Engljähringer gelagerten Objekte nach München in den Central Collecting Point gebracht werden würden.195 Dabei handelte es sich um Objekte, die, für den »Sonderauftrag Linz« bestimmt, noch am 27. April 1945 vom Salzbergwerk in Aussee nach Lauffen gebracht hätten werden sollen, infolge der Kriegsereignisse war es aber nicht mehr dazu gekommen, und die Gegenstände wurden in der Pension zwischengelagert, wo sie sich auch noch im Juli 1945 befanden.196 Feuchtigkeit und Schimmelbildung setzten diesen Objekten zu, die zwischenzeitlich im Rauchsalon in der Kaiservilla in Bad Ischl gelagert waren, ehe einige Bilder am 21. Juli 1945 abtransportiert wurden.197 Indes gingen die Instandhaltungen im Bergwerk weiter: Die Restauratoren Hajsinek und Sochor überprüften fortlaufend mit Hilfe der Aufseher und Wachmänner die im Bahnhof in Tiefbau II aufgestellten Bilder des Kunsthistorischen Museums. Jedes einzelne Gemälde wurde untersucht, gereinigt und fester in den Rahmen gesetzt. Bei den meisten Bildern wurden neue Leisten eingefügt.198 Erst gegen Ende Juli 1945 konnte Luithlen die Verbindung mit Wien wieder aufnehmen, und am 7. August erhielt der neue Direktor August Loehr Nachricht aus dem Bergungsort. Luithlen berichtete, dass in Lauffen alles in Ordnung sei und alle Objekte gut gelagert seien – mit Ausnahme eines verschollenen Bildes, eines Blumenstraußes von Jan Brueghel d. Ä. (GG 548), das später in einer Privatwohnung in München wieder auftauchte und nach einer längeren gerichtlichen Auseinandersetzung über ein Urteil des Bundesgerichthofs in Karlsruhe erst 1959 ins Kunsthistorische Museum zurückkam.199 Alle Bergungsmitarbeiter seien wohlauf in Lauffen. Luithlens Beziehungen zu den »so hilfreichen und liebenswürdigen amerikanischen Vorgesetzten«,200 die ihn in seiner Stellung als Bergungsleiter bestätigt hatten, seien ausgezeichnet.201 194 Vgl. http://www.monumentsmenfoundation.org/intl/de/the-heroes/the-monuments-men/shrady-lt.frederick-c. (12.2.2015). 195 Vgl. KHM-Archiv XIII 36, M. »Im Abstellraum Engljähringer eingelagerte Gegenstände«, Pro Memoria, Viktor Luithlen, 14.7.1945; vgl. auch XIII 33, Dienst- und Arbeitsnachweis der Museumswachmänner Karl Weinisch und Rudolf Denk, 2.4.–1.10.1945, Eintrag 12.7.1945. 196 Vgl. KHM-Archiv, XIII 36, M. »Im Abstellraum Engljähringer eingelagerten Gegenstände«, o. D. 197 Vgl. KHM-Archiv, XIII 33, Dienst- und Arbeitsnachweis der Museumswachmänner Karl Weinisch und Rudolf Denk, 2.4.–1.10.1945, Eintrag 19. und 21.7.1945. 198 Vgl. KHM-Archiv XIII 16, Protokoll Josef Hajsinek, Franz Sochor, 1.9.1945. 199 Vgl. KHM-Archiv, 94/VK/54, 25/GG/55, 12/GG/56, 28/GG/57; Vgl. auch BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 5a und K.16, M. 5. 200 Vgl. KHM-Archiv, 2/I/ED/45, M. Dr. Luithlen, Persönliches, Viktor Luithlen an August Loehr, 24.7.1945. 201 Vgl. KHM-Archiv, 2/I/ED/45, Zusammenfassung. Die Bedrohung der Bergungsgüter in Bad Ischl – Lauffen zur Zeit des Kriegsendes. Ihre Rettung und Bewahrung.
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64 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Zu Kriegsende waren in den verschiedenen Schächten in Lauffen acht Figuren, 728 Kisten, 278 Mappenkisten, 1.428 Bilder und 122 Gobelinsäcke aus den verschiedenen Wiener Museen gelagert.202 Der erste Rücktransport fand am 14. November 1945 statt: Insgesamt wurden 96 Bilder aus Lauffen herausgebracht, auf zwei Lastwagen verladen und zunächst nach Salzburg transportiert, wo sie mit den in den letzten Kriegstagen auf Anweisung Schirachs geraubten Kunstgütern,203 die in einem Depot in Kleßheim gelagert waren, zusammengeführt wurden. Am übernächsten Tag konnte schließlich mit der Verladung des gesamten Bestandes in einen bereit stehenden Eisenbahnwaggon begonnen werden, der am Abend dem »Mozart Zug« angeschlossen wurde und nach Wien ging. Aus dem Salzburger Depot wurden verladen: 32 Einzelbilder, sieben Bilderkisten mit 155 Bildern, 49 Gobelinsäcke, zwei Plastikkisten und schlussendlich 96 der ursprünglich 97 Bilder204 aus Lauffen.205 Nur wenige Tage später schrieb Luithlen an Loehr, dass laut Monuments Man Lieutenant Frederick Hartt206 weitere Transporte von Bergungsgut nach Wien von US-amerikanischer Seite vorläufig nicht beabsichtigt wären. Allerdings hatte die Saline mittlerweile ihre Salzproduktion wieder aufgenommen und reklamierte bisherige Bergungsräume für sich.207 Die weiteren Rücktransporte
Mit 24. Dezember 1945 wurde die amerikanische Bewachung in Lauffen abgezogen, am 8. Februar 1946 übertrugen die US-Amerikaner die Verwaltung der Kunstgüter an Österreich. Erst damit war laut Luithlen der Weg für die weiteren Rückbergungen frei, wobei auch Wünsche der Salinen berücksichtigt werden mussten, wie die Räumung des Werkes XII, was mit der Umbergung der Kunstgüter verbunden war. Bald folgten die Forderungen nach Räumung der Hauptbergungsstollen im Tiefbau II.208 202 Vgl. KHM-Archiv, XIII 34, Übersicht Transporte, Übersicht über das im Bergungsort vorhandene, 15.6.1945. 203 Vgl. auch HAUPT 1999, S. 70, und HAMMER 1996, S. 153–157. 204 Das Bild Lesender Mann, das damals noch Jan Vermeer zugeschrieben wurde, verblieb in Salzburg. Vgl. NARA, USACA, General Administrative Records, Receipts for Property Sent to CCP Munich: http:// www.fold3.com/image/298439310/ (12.2.2015) sowie KHM-Archiv, 2/I/ED/45, fol. 55, Viktor Luithlen an August Loehr, 24.11.1945. 205 Vgl. KHM-Archiv, 2/I/ED/45, Zusammenfassung. Die Bedrohung der Bergungsgüter in Bad Ischl – Lauffen zur Zeit des Kriegsendes. Ihre Rettung und Bewahrung und XIII 25, M. 3, Gemäldetransport Lauffen – Wien, 17.11.1945. 206 Vgl. http://www.monumentsmenfoundation.org/intl/de/the-heroes/the-monuments-men/frederick-hartt (11.6.2015). 207 Vgl. KHM-Archiv, 2/I/ED/45, fol. 55, Viktor Luithlen an August Loehr, 24.11.1945. 208 Vgl. KHM-Archiv, 2/1/ED/45, abschließender Bericht über die Bergung der Wiener Staatlichen Museen im Salzbergwerk Bad Ischl – Lauffen.
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»Geheime« Bergungsorte 65
Ende April 1946 fand in der Direktion des Kunsthistorischen Museums eine Sitzung statt, bei der die Fragen des drängenden Rücktransportes besprochen wurden. Anwesend waren seitens des Kunsthistorischen Museums der Erste Direktor August Loehr, Ludwig Baldass, Leiter der Gemäldegalerie, und Fritz Eichler sowie die Vertreter der einzelnen Häuser, die Bergungsgut in Lauffen hatten.209 Die US-Amerikaner hatten sich bereit erklärt, die Aufsicht über diese Transporte zu übernehmen. Die Vertreter der einzelnen Institutionen wurden gefragt, welche Objekte zurückgebracht werden könnten und welche innerhalb des Stollens umgestellt werden müssten.210 Im Juni 1946 schlug Luithlen eine Aufteilung der Kunst- und Kulturgüter in einzelneWaggons in Analogie zu den seinerzeitigen Transporten nach Bad Ischl vor. Seitens der US-amerikanischen Militärregierung wurde der Wunsch geäußert, möglichst viel Kunstgut auf einmal zu befördern, um Bewachung und Formalitäten zu erleichtern.211 Zu diesem Zeitpunkt waren im Bergungsort noch 726 Kisten, 278 Mappenkisten, 1.277 Gemälde, 122 Gobelinsäcke und acht Figuren vorhanden, vom Rücktransport ausgenommen worden waren vorher 199 Kisten und 251 Gemälde, deren Eigentümer_innen diese Objekte weiterhin im Bergungsort wissen wollten. In seinem ursprünglichen Konzept sah Luithlen fünf Transporte mit je zwei Waggons von August bis Dezember 1946 vor.212 Der erste Transport ging am 7. August 1946 ab: 153 Kisten mit Objekten der Nationalbibliothek, des Kunstgewerbemuseums sowie der Gemäldegalerie und der Plastiksammlung wurden nach Wien verbracht.213 Der zweite Transport folgte am 23. August und beinhaltete 154 Kisten mit Objekten der Nationalbibliothek, des Kunstgewerbemuseums, der Albertina, des Denkmalamtes, der Österreichischen Galerie sowie aus dem Kunsthistorischen Museum (Plastiksammlung, Antikensammlung, Ägyptische Sammlung und Gemäldegalerie).214 Im dritten Transport vom 27. September wurden insgesamt 278 Mappenkisten, 24 Kisten, 30 Gobelinsäcke und 225 Bilder nach Wien verbracht, die sich auf folgende Institutionen verteilten: Eich- und Ver209 Genannt wurden: Michel (NHM), Kaucic (BDA), Zvanowetz (BDA), Garzarolli (Albertina), Ernst (Kunstgewerbemuseum), Novotny (ÖG), Trenkler (NB), Beetzer (Völkerkunde), Poch (Akad. GG), Schiffmann (Amt für Eich- und Vermessungswesen), Massarik (Amt für Eich- und Vermessungswesen), Kanuer (geologische Bundesanstalt), Geran, Seidl, Bodenstein. Vgl. KHM-Archiv, XIII 36, Protokoll, 29.4.1946, fol. 1. 210 Vgl. KHM-Archiv, XIII 36, Protokoll, 29.4.1946, fol. 1–2. 211 Vgl. KHM-Archiv, XIII 36, Entwurf für Rücktransporte nach Wien, Juni 1946, fol. 1. 212 Vgl. KHM-Archiv, XIII 36, Entwurf für Rücktransporte nach Wien, Juni 1946, fol. 2, 4, 6. 213 Vgl. KHM-Archiv, XIII 37, Packliste des I. Transports. 214 Vgl. KHM-Archiv, XIII 37, Packliste des II. Transports.
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66 Susanne Hehenberger und Monika Löscher messungswesen, Geologische Bundesanstalt, Denkmalamt, Plastiksammlung, Gemäldegalerie und »verschiedene Besitzer«. Auf den Packlisten wurde vermerkt, welche Beschädigungen an den Bildern festzustellen waren (»starke Beschädigung mit Löchern, mit Loch, leichte Beschädigung«).215 Mit dem dritten Transport wurde auch das Nebendepot in der Kaiservilla aufgelassen.216 Im vierten Transport vom 21. November 1946 gingen Objekte retour an das Völkerkundemuseum, die Österreichische Galerie, das Kunstgewerbemuseum, und das Denkmalamt sowie die Antikensammlung, die Plastiksammlung und die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums.217 Damit war das meiste Bergungsgut abtransportiert, und das Wachpersonal konnte reduziert werden.218 Der fünfte Transport ging am 25. April 1947 nach Wien.219 Dieser letzte Transport war der einzige, der ausschließlich unter österreichischer Mitarbeit und Bewachung durchgeführt wurde. In Lauffen verblieben infolge einer Sonder vereinbarung von Hermann Michel mit dem Unterrichtsministerium und der Salinenverwaltung noch 253 Kisten des Naturhistorischen Museums. Die Holzeinbauten in den Hauptbergungsräumen im Tiefbau II wurden abmontiert und im Juni 1947 der Bergungsort Lauffen aufgelassen.220 Die Bergung in Lauffen war ohne größere Verluste beziehungsweise Beschädigungen vor sich gegangen. Einzig der Verlust von sieben Bildern für das Kunsthistorische Museum musste beklagt werden; sie gelten auch heute noch als verschollen. Diese Gemälde – es handelt sich dabei um eine Landschaft von Nicolaes Berchem (GG 623), Der Maler Jan Wildens von Anthonis van Dyck (GG 694), ein Weibliches Bildnis von Peter Paul Rubens (GG 711), von Maerten van Heemskerck Hoffnung (GG 1946) und Glaube (GG 1953), eine venezianische Deckenskizze (GG 6398) sowie eine Leihgabe – waren bei der Generalkontrolle am 26. April 1945 noch vorhanden gewesen.221 Es galt aber nicht nur die Kunst- und Kulturgüter, die in Lauffen gelagert waren, nach Wien zurückzubringen, sondern auch die zahlreichen anderen Bergungsorte zu 215 Vgl. KHM-Archiv, XIII 37, Packliste des III. Transports. 216 Vgl. KHM-Archiv, 2/1/ED/45, Abschließender Bericht über die Bergung der Wiener Staatlichen Museen im Salzbergwerk Bad Ischl – Lauffen. 217 Vgl. KHM-Archiv, XIII 37, Packliste des IV. Transports. 218 Vgl. KHM-Archiv, 2/1/ED/45, Abschließender Bericht über die Bergung der Wiener Staatlichen Museen im Salzbergwerk Bad Ischl – Lauffen. 219 Vgl. KHM-Archiv, XIII 37, Packliste des V. Transports. 220 Vgl. KHM-Archiv, 2/1/ED/45, Abschließender Bericht über die Bergung der Wiener Staatlichen Museen im Salzbergwerk Bad Ischl – Lauffen. 221 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 16, M. 5, Bericht Viktor Luithlen an August Loehr, Anfang Juli 1947.
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»Geheime« Bergungsorte 67
räumen. Bis 10. Dezember 1945 waren aus Klosterneuburg 24 Transporte (45 LKWs), aus Gaming zehn Transporte (18 LKWs), aus Gresten222 vier Transporte (17 LKWs), aus Gaaden vier Transporte (8 LKWs), aus Hirschwang zwei Transporte (9 LKWs), aus Eckartsau zwei Transporte (3 LKWs), aus Weidhof fünf Transporte (5 LKWs) und aus Lauffen der bereits erwähnte Transport im November 1945 (4 LKWs) abgegangen. Von den Transportmitteln wurden 53 von der Roten Armee, 28 von österreichischen Stellen, sechs von der britischen und vier von der US-amerikanischen Militärregierung zur Verfügung gestellt.223 Fazit
Die Sicherheitsvorkehrungen an den »geheimen« Bergungsorten dürften – gemessen an den geringen Objektbeschädigungen beziehungsweise -verlusten – im Großen und Ganzen ausreichend gewesen sein. Zwar ließ es sich an Orten, die von verschiedenen Institutionen für unterschiedliche Zwecke genutzt wurden, wie dies bei der ehemaligen Kartause Gaming und dem Stiftsareal in Klosterneuburg der Fall war, sicher nicht konsequent geheim halten, dass hier wertvolle Objekte geborgen waren, aber Diebstähle aus diesen beiden Bergungsdepots blieben aus. Die in den Dienstordnungen von 1939 festgelegten strengen Sicherheitsvorkehrungen konnten durch knapper werdendes Personal jedoch nicht dauerhaft aufrechterhalten werden. Besonders prekär waren die Umstände für die Bergungsmitarbeiter_innen in Gaming, Klosterneuburg und Lauffen in den letzten Kriegswochen. Probleme ergaben sich im Alltagsleben mit fortschreitendem Krieg dadurch, dass einerseits weniger Personal und materielle Ressourcen zur Verfügung standen, andererseits die täglichen Arbeitsanforderungen nicht geringer wurden. In den letzten Kriegsmonaten mussten an den Bergungsorten Flüchtlinge, in den Lazaretten in Gaming und Klosterneuburg zudem eine anwachsende Zahl an Verwundeten untergebracht werden. Trotz aller Schwierigkeiten nach dem Krieg war bereits Ende 1945 ein Großteil der an die Bergungsorte Gaming und Klosterneuburg verbrachten Kunst- und Kulturgüter wieder in Wien. Dass die Rücktransporte aus Lauffen länger dauerten, lag nicht nur an der größeren Entfernung von Wien. Das Kunsthistorische Museum war infolge von zehn Bombentreffern wenige Wochen vor Kriegsende schwer beschädigt. 1949 konnten erst sieben Säle wiedereröffnet werden, in denen eine gemischte Ausstellung mit Objekten 222 Der Bergungsort Gresten wurde bereits im Spätherbst 1945 aufgelöst. Vgl. BDA-Archiv, Restitutions materialien, K. 1, M. 21, fol. 1, AV Ludwig Berg, 22.1.1946. 223 KHM-Archiv, 2/XI/ED/45, von Mathilde Pfannl unterschriebene Liste, o. D.
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68 Susanne Hehenberger und Monika Löscher aus allen Sammlungen gezeigt wurde. Aufgrund der eingeschränkt nutzbaren Räume im Museum wurde nach Ausweichmöglichkeiten gesucht: Bereits im Spätherbst 1945 wurde eine Auswahl der bedeutendsten Bilder in der Hofburg gezeigt, ab Herbst 1946 eine repräsentative Schau von ausgewählten Kunstobjekten in europäischen und nordamerikanischen Großstädten organisiert.224 Zwischenzeitlich waren die Musealgüter bei idealen klimatischen Bedingungen im Salzbergwerk gut gelagert.
224 Vgl. KHM-Archiv, GG Korrespondenz 1949, Ernst Buschbeck an den Generaldirektor der Kunstmuseen (Alfred Stix), 30.5.1949; Herbert HAUPT, Das Kunsthistorische Museum. Die Geschichte des Hauses am Ring. Hundert Jahre im Spiegel historischer Ereignisse, Wien 1991, S. 198–199.
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Vom »Führerbau« zum Central Collecting Point Verlagerung von Kunst- und Kulturgut am Beispiel München 1942–1949
Meike Hopp und Stephan Klingen
On 29 April 1945, however, 723 items, including the SCHLOSS Collection (262 paintings), were still in the air raid shelters. On this date, the Americans were about to enter Munich, and the news reached REGER that an attempt would be made to blow up the Alt Aussee depository. REGER, who was the last civilian to leave the Führerbau, turned over the keys to a Captain von Xylander, in charge of the military unit occupying the Führerbau and the Verwaltungsbau. He then left in his automobile, in the hope of reaching Alt Aussee and doing what he could to prevent the destruction of the salt mine. He was stopped by an SS detachment some miles east of Munich, and his car was confiscated, but he managed to save many of his records of the collections. Reliable sources state that late on the 29th of April 1945 a crowd of civilians broke into the Führerbau and engaged in wholesale looting, including paintings in the air raid shelters. Some of those subsequently recovered, have been identified as belonging to the SCHLOSS collection. Further looting took place when troops of the 7th U. S. Army arrived on 30 April, and thereafter. Investigation is now proceeding to determine the details of this activity.1
Die Erforschung des Bestands an Kunst- und Kulturgegenständen, die sich bis zum 29. April 1945 in der Parteizentrale der NSDAP in München, dem sogenannten »Führerbau«, befanden, gehört aus mehreren Gründen zu den größeren Herausforderungen der Provenienzforschung.2 Doch warum beschäftigen wir uns im Rahmen des Projekts 1
2
Befragung von Hans Reger für den Consolidated Interrogation Report der Art Looting Investigation Unit (ALIU) des Office of Strategic Services (OSS) London (CIR), No. 4, S. 23, National Archives Washington (NARA) M1946, Ardelia Hall Collection, Munich Central Collecting Point, 1945–1951, Administrative records […], Roll 0139, www.footnotelibrary.com/image/283755444/ (1.4.2015). Der Architekt Hans Reger war bis April 1945 für die Verwaltung der im Münchner »Führerbau« verwahrten Kunst objekte zuständig. Vgl. Hanns Christian LÖHR, Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der »Sonderauftrag Linz«. Visionen, Verbrechen, Verluste, Berlin 2005, S. 94–95, sowie zuletzt Birgit SCHWARZ, Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub, Darmstadt 2014, S. 229–233. Die Plünderungen und Diebstähle im »Führerbau« München im April 1945 wurden bislang von der Forschung eher kursorisch behandelt, vgl. u. a. Iris LAUTERBACH, Austreibung der Dämonen. Das Parteizentrum der NSDAP nach 1945, in: Iris LAUTERBACH, Julian ROSEFELDT, Piero STEINLE (Hg.), Bürokratie und Kult. Das Parteizentrum der NSDAP am Königsplatz in München. Geschichte und Rezeption (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 10), München
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70 Meike Hopp und Stephan Klingen zum »Führerbaudiebstahl«3 insbesondere auch mit der Problematik von Verlagerung und Bergung von Kulturgut? Warum bildet die Auseinandersetzung mit dieser Problematik geradezu die Grundlage für das Projekt? Klar ist, dass sich die Dynamik der Translokationsprozesse von Kulturgut, die die nationalsozialistische Besatzungspolitik seit Kriegsbeginn charakterisiert hatte, ab Anfang 1943 noch einmal massiv verstärkte. Unter dem Eindruck der verlorenen Schlacht von Stalingrad, mit der Zunahme der alliierten Luftangriffe auf das Deutsche Reich und mit der Landung der Alliierten in Sizilien im Sommer 1943 wurden nun einerseits ortsfeste Kunstdenkmäler durch die Fotokampagne des sogenannten »Führerauftrags Monumentalmalerei«4 in Farbdiaaufnahmen dokumentiert und gleichzeitig in ungeahntem Maße bewegliche Kunstwerke in Klöster, Schlösser, Herrenhäuser, Kirchen, Salinen und Bergwerke ausgelagert. Dies betraf das Eigentum von staatlichen und kommunalen Museen ebenso wie Werke in Privatbesitz oder kürzlich erworbene oder geraubte Kunst- und Kulturgegenstände, vom »Sonderauftrag Linz« bis zu den Aktivitäten des »Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg« (ERR). Ungeachtet der immensen logistischen Schwierigkeiten in Bezug auf Transport kapazitäten, Kraftstoffe, die Gefährdungen des Straßen- und des Schienennetzes wurde eine unermessliche Zahl von Kunstwerken auf Reisen geschickt. Diese Transporte und Auslagerungen sind – wie die Zerstörungen, Verluste und Diebstähle – teils gut, teils gar nicht dokumentiert: Dies stellte eine große Herausforderung für die alliierten Kunstschutzoffiziere der Monuments, Fine Arts, and Archives Section (MFA&A) dar, die ab Juni 1945 die aus zahllosen Bergungsdepots und aus dem Privatbesitz der NSFunktionseliten stammenden Objekte im Central Collecting Point (CCP) München zusammenführten, dokumentierten, inventarisierten und in ihre Ursprungsländer zu restituieren suchten.
3 4
1995, S. 157–180, hier: S. 159–160; Birgit SCHWARZ, Hitlers Museum. Die Fotoalben »Gemäldegalerie Linz«. Dokumente zum »Führermuseum«, Wien-Köln-Weimar 2004, S. 90; LÖHR 2005, S. 85–87; Alexander KRAUSE, Arcisstraße 12: Palais Pringsheim – Führerbau – Amerika-Haus – Hochschule für Musik und Theater, München 2005, S. 57–59; Sabine RUDOLPH, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz. Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht (= Schriften zum Kulturgüterschutz), Berlin 2007, S. 61–62; Kathrin ISELT, »Sonderbeauftragter des Führers«. Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884–1969) (= Studien zur Kunst 20), Köln-Weimar-Wien 2010, S. 235 und 258. Vgl. www.zikg.eu/projekte/projekte-zi/fuehrerbau-diebstahl (1.4.2015). Vgl. Christian FUHRMEISTER, Stephan KLINGEN, Iris LAUTERBACH, Ralf PETERS (Hg.), »Führerauftrag Monumentalmalerei«. Eine Fotokampagne 1943–1945 (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 18), Köln-Weimar-Wien 2006. Vgl. hier besonders die Beiträge von Rolf SACHSSE, Frank PÜTZ und Ralf PETERS.
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Vom »Führerbau« zum Central Collecting Point 71
Abbildung 1: Das Frauenporträt Lorenzo di Credis aus der Pariser Sammlung Giorgini-Schiff wurde 1945 aus dem »Führerbau« in München gestohlen und ist bis heute verschollen.
Vor diesem Hintergrund mögen die Ereignisse rund um die Plünderungen im »Führerbau« am 29. und 30. April 1945 eher klein dimensioniert erscheinen, jedoch sind als Folge der Ereignisse immerhin bis heute mehrere Hundert teils hochkarätige Kunstwerke verschwunden (Abbildung 1). Was war geschehen in diesen letzten Tagen des Regimes? Um den spezifischen historischen Kontext verstehen, einordnen und bewerten zu können, ist die Berücksichtigung der politischen, sozialen und militärischen Situation in München im Frühjahr 1945 essenziell. Der Einnahme Münchens durch die USArmee waren verheerende Luftangriffe auf die Münchner Innenstadt im Februar und März vorausgegangen, die die Infrastruktur in der näheren und weiteren Umgebung des »Führerbaus« weitgehend zerstört hatten (der Luftangriff vom 25. Februar 1945 durch rund 1.500 US-amerikanische Bomber und Jäger galt vor allem dem nahegelegenen Haupt- und dem Ostbahnhof sowie der Münchner Innenstadt). Dazu kamen Plünderungen und die zeitgleich damit einsetzende Jagd auf die sogenannten »Goldfasane« – ranghohe NS-Funktionäre – durch die lokale Widerstandsbewegung der Freiheitsaktion
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72 Meike Hopp und Stephan Klingen Bayern (FAB) sowie schließlich die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945.5 Diese prekäre, eine Erosion des Machtgefüges anzeigende Situation kennzeichnet den Diebstahl im »Führerbau« ebenso wie die Plünderungen weiterer Hochburgen der NSDAP, etwa der »Reichssiedlung Rudolf Heß« in Pullach.6 Verschiedene Fotografien vermitteln einen plastischen Eindruck der insgesamt chaotischen Verhältnisse in der Stadt und Abbildung 2: Plünderung des Bürgerbräukellers, fotografiert von der US-amerikanischen Kriegsfotografin Lee Miller Anfang der Plünderungen, beispielsweiMai 1945 se des zerstörten Bürgerbräukellers durch die Bevölkerung 7 Münchens (Abbildung 2). Das Geschehen rund um die Parteizentrale in München ist offenbar nicht fotografisch überliefert. Die wenigen Aufnahmen der für die amerikanische und britische Vogue tätigen Kriegsberichterstatterin Lee Miller (1907–1977) von den Parteibauten am Königsplatz aus den ersten Maitagen lassen nichts von den wüsten Ereignissen ahnen, die Edgar Breitenbach (1903–1977), der aus Deutschland stammende Art Intelligence Officer am CCP München, 1949 im College Art Journal so resümiert: 5
6 7
Vgl. Ulrich SANDER, Mörderisches Finale. Naziverbrechen bei Kriegsende (= Neue Kleine Bibliothek 129), Köln 2008; Veronika DIEM, Die Freiheitsaktion Bayern. Ein Aufstand in der Endphase des NSRegimes (= Münchener Historische Studien 19), Kallmünz 2013. – Im Rahmen dieser späten lokalen Widerstandsbewegung wurden auch einige Schaltstellen von Verwaltung und Militär in München und Umgebung von den Aufständischen besetzt, offenbar jedoch nicht – so der derzeitige Wissensstand – der »Führerbau« selbst. Vgl. Susanne MEINL, Bodo HECHELHAMMER, Geheimobjekt Pullach. Von der NS-Mustersiedlung zur Zentrale des BND, Berlin 2014, S. 117–118. Diese Ereignisse sind u. a. schlaglichtartig dokumentiert in den Fotografien Lee Millers, http://www. leemiller.co.uk/ (1.4.2015). Vgl. auch die Berichte über die Einnahme von München durch die 42. Division, u. a. Hugh C. DALY, 42nd »Rainbow« Infantry Division. A combat history of World War II, Baton Rouge, L. A. 1946; Earl F. ZIEMKE, The U.S. Army in the Occupation of Germany 1944– 1946, Washington D. C. 1975, S. 250, online abrufbar unter http://cgsc.contentdm.oclc.org/cdm/ref/ collection/p4013coll8/id/3158 bzw. http://www.history.army.mil/books/wwii/occ-gy/ch14.htm#b1 (1.4.2015).
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Vom »Führerbau« zum Central Collecting Point 73
During the night preceding the occupation of Munich, after the SS guards protecting the Party building had fled, the people from the neighborhood, joined by DP’s began to loot the Nazi buildings around the Koenigsplatz. When all the food and liquor and much of the furniture had been carted off, the crowd stormed the air raid cellar of the Fuehrerbau, where about 500 paintings were stored, disregarding the piles of the Panzerfaust grenades over which they had to climb. By the end of the second day, when the looting was finally stopped, all the pictures were gone.8
Wieso war jedoch überhaupt, mitten in dem spätestens seit 1944 in höchstem Maße luftkriegsgefährdeten München, in den Bauten des Parteiforums der NSDAP am Königsplatz, eine solche große Anzahl von Kunstwerken deponiert? Edgar Breitenbach spricht hier von ca. 500, andere Berichte, etwa der bereits zitierte und auf einer Aussage des Münchner Architekten Hans Reger (1898–verm. 1979) beruhende Consolidated Interrogation Report (CIR) von 1945, nennen sogar die Zahl von 723 Kunstobjekten.9 Um dies zu verstehen, muss man die besondere Rolle in den Blick nehmen, die der Münchner »Führerbau« für die Organisation und die Abläufe bei der Umsetzung des »Sonderauftrags Linz« spielte – neben Dresden, Wien, Kremsmünster, Hohenfurth und zum Schluss Altaussee. Seit der Unterzeichnung des »Münchner Abkommens« im September 1938 war der Bau nach einigen Umbaumaßnahmen nur selten für repräsentative Zwecke genutzt worden und hatte seine geplante Bestimmung als Kongresszentrum eingebüßt. Das Gebäude verfügte aber über zahlreiche Räumlichkeiten, auch unterirdische.10 War in Dresden an der dortigen Gemäldegalerie ab 1938 die wissenschaftliche Zentrale unter der Leitung von Hans Posse (1879–1942) beziehungsweise ab Frühjahr 1943 von Hermann Voss (1884–1969) angesiedelt11 sowie die finanzielle Abwicklung der Ankäufe zentralisiert, so wurde von Wien aus die Verwaltung der dem »Führervorbehalt« unterliegenden in Österreich entzogenen Kunstwerke betrieben. Von Wien wurden ab Mai 1941 die Gemälde des »Sonderauftrags« aus dem Wiener »Zentral 8
Edgar BREITENBACH, Historical Survey of the Activities of the Intelligence Department, MFA&A Section, OMGB, 1946–1949, in: College Art Journal 9 (1949/50) 2, S. 192–198, hier: S. 194. 9 Vgl. NARA M1946, Ardelia Hall Collection: Munich Central Collecting Point, 1945–1951. Administrative records […], Roll: 0139, CIR, No. 4, S. 23, www.footnotelibrary.com/image/283755444/ (1.4.2015). 10 Vgl. Ulrike GRAMBITTER, Vom »Parteiheim« in der Brienner Straße zu den Monumentalbauten am »Königlichen Platz«. Das Parteizentrum der NSDAP am Königsplatz in München, in: LAUTERBACH, ROSEFELDT, STEINLE 1995, S. 61–88, hier: S. 77–79. 11 Vgl. zu Hans Posse und der Rolle der Gemäldegalerie Dresden als zentralem Bearbeitungsort für die »Sammlung Linz« zuletzt SCHWARZ 2014, S. 47–55, 83–87, 245–247. Zu Herman Voss grundlegend ISELT 2010.
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74 Meike Hopp und Stephan Klingen
Abbildung 3: Der »Führerbau« des Parteizentrums an der Arcisstraße München, Fotografie von 1938
depot« in der Hofburg nach Stift Kremsmünster ausgelagert; genauso wie die kunstgewerbliche Sammlung und die Münzen in das Stift Hohenfurth.12 Wenn in Dresden die wissenschaftliche Zentrale des Unternehmens angesiedelt war, so kann man den »Führerbau« seit 1939 durchaus als das logistische Zentrum des »Sonderauftrags« ansehen: Tatsache ist, dass – ungeachtet der sich zuspitzenden militärischen Situation – noch bis 1944 große Mengen von Kunstgegenständen teils für außerordentlich hohe Summen13 erworben und in den repräsentativen »Führerbau« am Parteiforum (Abbildung 3), dem Sitz des »Stabs des Stellvertreters des Führers« und der Parteikanzlei, verbracht wurden, da Adolf Hitler »alle Neuerwerbungen fortlaufend in München zu inspizieren« wünschte.14 Diese Erwerbungen des »Sonderauftrags« wurden anfangs über Dresden, später immer häufiger direkt aus den verschiedenen 12 SCHWARZ 2014, S. 231. 13 So wurden zwischen März und Ende Juni 1944 für Erwerbungen des »Sonderauftrags Linz« unglaubliche 30 Millionen Reichsmark ausgegeben, siehe Bundesarchiv Berlin (BArch Berlin) R 43 II/1653a Denkmalamt Wien – Ausgaben für Linz, Bl. 185–187, Schreiben von Hans Heinrich Lammers an Martin Bormann, 5.8.1944, so ISELT 2010, S. 279. 14 SCHWARZ 2004, S. 74.
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besetzten Ländern nach München geschickt, um – nach der Besichtigung durch Hitler – fotografiert und in ein Gesamtinventar, das im »Führerbau« von dem Architekten Hans Reger geführt wurde, aufgenommen zu werden.15 Von München aus wurden die Kunstwerke des »Sonderauftrags« anschließend in die eigentlichen Bergungsdepots transportiert. Das war zunächst das Stift Kremsmünster, in das bis November 1943 ca. 1.700 Werke von München ausgelagert wurden. Als Hitler das Stift im November 1943 unter Luftschutzgesichtspunkten nicht mehr sicher genug erschien16 – bezeichnenderweise wurde das Freskenprogramm von Kirche und Kloster in die Farbfotokampagne des sogenannten »Führerauftrags Monumentalmalerei« aufgenommen17 –, trat das Depot im Salzbergwerk Altaussee an dessen Stelle. Bis in den April 1945 wurden aus dem »Führerbau« hierhin nochmals gut 1.600 Gemälde geliefert. Ein Transport mit 137 Gemälden und weiterem Kulturgut verließ München noch am 13. April 1945,18 ein letzter Transport wahrscheinlich Ende April.19 Es ist richtig, den »Führerbau« nicht als Bergungsdepot im engeren Sinne zu bezeichnen. Seine Funktion war es vor allem, Kunstobjekte für die Besichtigung durch Hitler bereit zu halten, Anlieferungen aus den besetzten Ländern zu registrieren und eine fotografische Dokumentation der Objekte zu erstellen.20 Hierzu wurden Teile der vorhandenen baulichen Infrastruktur des eigentlich als Repräsentationsbau des Regimes geplanten und zunächst auch so genutzten Parteigebäudes den neuen Aufgaben entsprechend umfunktioniert. Für die Präsentation der neu für die Sammlungen des »Sonderauftrags« in München eingetroffenen Objekte bediente sich Hans Reger des großen neunachsigen, zentral auf der Ostseite des Gebäudes gelegenen Saals im zweiten Obergeschoss.21 Hier stand für die Hängung der Gemälde eine ca. 30 Meter lange und 4,5 Meter hohe durchgehende 15 Vgl. NARA M1947, Ardelia Hall Collection: Wiesbaden Central Collecting Point, 1945–1952. Textual records created at the Wiesbaden CCP include administrative files and monthly reports, Roll: 0062, Repositories: Führer-Bau, http://www.footnotelibrary.com/image/232019982/ (1.4.2015). 16 SCHWARZ 2014, S. 248–249. 17 Vgl. www.zi.fotothek.org/VZ/ort_index/Kremsmünster (1.4.2015). 18 Vgl. NARA M1946, Ardelia Hall Collection: Munich Central Collecting Point, 1945–1951. Administrative records […], Roll: 0139, Catalog ID: 3725274, CIR, No. 4, S. 23, www.footnotelibrary.com/ image/283755444/ (1.4.2015). 19 SCHWARZ 2014, S. 250. 20 Hierfür war in München der Fotograf Rudolf Himpsl zuständig, dem nach mehrfacher Ausbombung im Keller des »Führerbaus« ein eigenes Fotoatelier eingerichtet wurde. Zu Himpsl vgl. SCHWARZ 2004, S. 66; LÖHR 2005, S. 96–97. 21 Vgl. Eva von SECKENDORFF, Monumentalität und Gemütlichkeit. Die Interieurs der NSDAP-Bauten am Königsplatz, in: LAUTERBACH, ROSEFELDT, STEINLE 1995, S. 119–146, hier: S. 133 und bes. S. 142.
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76 Meike Hopp und Stephan Klingen Wandfläche zur Verfügung. Weder von diesen improvisierten Ausstellungen im »Führerbau« noch vom Raum selbst konnten bisher Fotografien nachgewiesen werden. Als luftschutzsichere Behelfsdepots zur vorübergehenden Deponierung des Kunstguts griff man auf die – eigentlich für den Schutz von Personen vorgesehenen – »Zellen« in der Bunkeranlage im Kellergeschoss auf der Westseite des »Führerbaus« an der Arcisstraße zurück. Die kleinteilig gegliederte Anlage dieser Räume mit Grundrissgrößen zwischen 8,5 und 21,5 Quadratmetern und einer beschränkten Zugangshöhe von maximal 2,20 Metern legte den Einlagerungen vor allem hinsichtlich der Größe deutliche Einschränkungen auf und verkomplizierte die Logistik des Unternehmens erheblich.22 Was aber war nun vor 70 Jahren in den Luftschutzzellen des Parteizentrums der NSDAP gelagert? Es ist in der jüngsten Forschung immer wieder darauf hingewiesen worden, dass eine sorgfältige Unterscheidung der verschiedenen Karteien, Inventare und Listen, insbesondere zwischen Hitlers Privatsammlung, dem »Sonderauftrag Linz«, aber auch zwischen dem sogenannten »Linz-Film« (ein Verzeichnis der Ankäufe für den »Führerauftrag Linz«, das noch bis zum 6. April 1945 geführt wurde) und den »Führerbau-Verzeichnissen« vorgenommen werden muss.23 Die Notwendigkeit für diese Differenzierung liegt auf der Hand. Darüber hinaus stellt sich sogar die Frage, ob die verwendeten Begriffe wie »Führerbau-Verzeichnis« oder gar »-Inventar« nicht grundsätzlich irreführend sind, weil sie den Eindruck eines vollständigen Bestandsverzeichnisses der Kunstwerke im »Führerbau« implizieren. Tatsächlich wurden dort nur die für den »Sonderauftrag Linz« bestimmten Objekte erfasst. Auch die von den Alliierten als »Fuehrerbau-Repositories« bezeichnete Liste mit dem Titel »Aufstellung über vorhandene Gemälde und sonstige Kunstgegenstände im Führer-Bau« umfasst ebenfalls nur die für den »Sonderauftrag« katalogisierten und fotografierten Objekte und auch nur 3.881 der insgesamt 3.935 für die Sammlung in Linz bestimmten Objekte.24 Damit handelt es sich hierbei also keineswegs um ein Gesamtverzeichnis dessen, was im »Führerbau« deponiert war.
22 Vgl. NARA M1946, Ardelia Hall Collection: Munich Central Collecting Point, 1945–1951, Administrative records […], Roll: 0150, Restitution Research Records, compiled 1945–1950, Reger, Hans: Transport Correspondence And Lists (July1943–March1944), www.footnotelibrary.com/image/283752261/ (1.4.2015). 23 Vgl. SCHWARZ 2004, S. 64; LÖHR 2005, S. 104–112; SCHWARZ 2014, S. 246–247. 24 Vgl. NARA M1947, Ardelia Hall Collection: Wiesbaden Central Collecting Point, 1945–1952. Textual records created at the Wiesbaden CCP include administrative files and monthly reports, Roll: 0062, Repositories: Führer-Bau, http://www.footnotelibrary.com/image/232019982/ (1.4.2015).
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Abbildung 4: Aufruf des CCP in der Zeitschrift »Heute. Die Amerikanisch-deutsche Illustrierte«, herausgegeben von der amerikanischen Militärregierung, München, 1. November 1948
Außerdem zeigt ein Abgleich der »Bestände« des »Führerbaus« mit den diversen Listen zu den ausgelagerten Kunstobjekten, dass die Aufzählungen sich vielfach massiv widersprechen, Summen divergieren und dass daher einige der bekannten Narrative zumindest teilweise in den Bereich der Mythen und Legenden gehören. Entgegen den auf der Aussage Regers beruhenden Angaben im CIR, zum Zeitpunkt der Plünderung am 29. April 1945 seien 723 Objekte, darunter 262 Gemälde der Sammlung von Adolphe Schloss, Paris, in den Luftschutzkellern des »Führerbaus« untergebracht gewesen, spricht ein Artikel in dem von der US-amerikanischen Militärregierung herausgegebenen Journal Heute vom 1. November 1948 von 650 gestohlenen Werken (Abbildung 4).25 Der namentlich nicht bekannte Autor des Artikels beruft sich bei seinen Angaben wiederum auf Edgar Breitenbach, der gemeinsam mit Officer Lt. Bernard Taper im Auftrag der MFA&A als eine Art »Sonderbeauftragter« für den sogenannten »second-generation loot« – also dem »Raub nach dem Raub« – fungierte.26 Ihrem 25 N. N., 650 wertvolle Gemälde verschwunden, in: Heute. Die Amerikanisch-deutsche Illustrierte, 1.11.1948, S. 27. 26 »But there was another kind of art looting that Edgar Breitenbach and I found ourselves investigating in our time that was quite a different story. It was what might be called second-generation loot or loot twice
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78 Meike Hopp und Stephan Klingen Team soll es mithilfe eines »feinmaschigen Netzes« bis Ende des Jahres 1948 gelungen sein, rund 200 der 650 gestohlenen Werke auf dem Schwarzmarkt wieder aufzuspüren und zurückzuholen.27 Nur ein Jahr später nannte Breitenbach in seinem oben zitierten Bericht für das College Art Journal jedoch nur mehr eine Zahl von 500 Gemälden, die Ende April im »Führerbau« eingelagert gewesen sein sollen – 150 weniger – als angeblich gestohlen. All diese Zahlen – so widersprüchlich sie sind – geistern bis heute durch die Forschung, ohne dass jemals gegengeprüft wurde, ob sie überhaupt stimmen können. Zumindest für den »Sonderauftrag Linz« liegen durch das »Führerbau-Verzeichnis«, den »Dresdner Katalog« und die Fotoalben Hitlers verlässliche Zahlen und sogar weitestgehend Abbildungen vor. Warum lässt sich demnach nicht einfach überprüfen, was im »Führerbau« lagerte, was abhanden kam beziehungsweise was ab Juni 1945 wiederaufgefunden und in den CCP (zurück-)gebracht wurde? Der eigentliche »Bestand« des Übergangs-Depots »Führerbau« ist aber tatsächlich nicht so leicht zu überblicken, eben weil dieser in der Regel nur als Zwischenlager genutzt – Kunstobjekte also permanent angeliefert und wieder abtransportiert wurden. Zudem kann man in Hinblick auf das »Depot Führerbau« von mindestens vier verschiedenen Komplexen sprechen, die dort kurz- oder langfristig deponiert waren: 1.) Die mobile Ausstattung der Räumlichkeiten des »Führerbaus« sowie frühe Ankäufe Hitlers und der Partei noch vor der offiziellen Etablierung des sogenannten »Sonderauftrags Linz« im Sommer 1939. Das Mobiliar des »Führerbaus« wurde bereits ab der Jahresmitte 1943 auf Anweisung der für die Parteibauten am Königsplatz zuständigen Architektin Gerdy Troost (1904–2003) in die »Führerinnenschule des BDM« nach Greifenberg ausgelagert,28 die Gemälde glaubte man jedoch in den Luftschutzkellern sicherer untergebracht, weshalb sie weitestgehend im »Führerbau« verblieben. removed – the result of random, often impulsive, whimsical or ignorant behavior – and almost always undocumented«. Bernard TAPER, Investigating Art Looting for the MFA&A, in: Elizabeth SIMPSON (Hg.), The Spoils of WAR. World War II and its Aftermath: The Loss, Reappearance, and Recovery of Cultural Property, New York 1997, S. 135–138, hier: S. 136. 27 Zu diesem Team gehörten auch Lt. Ray W. Hugoboom und »Mr. Jean Tatin, a French investigator, working with the CIC« (Counter Intelligence Corps), die im September 1945 einige der geplünderten Objekte aus der ehemaligen Sammlung Adolphe Schloss in Privatbesitz, u. a. in Landersdorf bei Erding, hatten aufspüren können. Vgl. NARA M1946, Ardelia Hall Collection: Munich Central Collecting Point, 1945–1951, Administrative records […], Roll: 0064, Restitution Claim Records, compiled 1945– 1951, Restitution Cases: General Correspondence-France Claims 1945, http://www.footnotelibrary.com/ image/270092270/ (1.4.2015). 28 Vgl. SECKENDORFF 1995, S. 145–146. Nach von Seckendorff wurde die Ausstattung der Büroräume des Leiters von Hitlers Privatkanzlei, Albert Bormann, auf dessen Geheiß im August 1943 auf Schloss Steinach bei Straubing verbracht.
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2.) Diejenigen Objekte, die für den »Sonderauftrag Linz« katalogisiert und fotografiert wurden und/oder bis zu deren Auslagerung in die Bergungsorte Kremsmünster (ab August 1941) beziehungsweise Altaussee (ab Mai 1944) in München zwischengelagert waren. Exemplarisch genannt seien hier die Gemälde von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto (1722–1780), Ansicht Münchens vom Gasteig, und von Antonio Zanchi (1631–1722), Frauenraub (Entführung der Helena). Das Gemälde Canalettos wurde 1937 vom Kunsthändler Karl Haberstock (1878–1956) zunächst offensichtlich für die Ausstattung des »Führerbaus« erworben,29 jedoch nachträglich in die Sammlung des geplanten Linzer »Führermuseums« eingegliedert: Es erhielt die Linz-Nr. 404. Dennoch verblieb es bis Mai 1945 im Luftschutzkeller des »Führerbaus« und wurde dort schließlich von den Alliierten aufgefunden und im August 1945 mit der Mü.-Nr. 7573 in die Kartei des CCP aufgenommen.30 Der Frauenraub von Antonio Zanchi im Format 2,8 x 2,25 Meter tauchte erst Jahre später, am 10. April 1952, wieder auf. Er erhielt eine dementsprechend hohe Mü.-Nr.: 50.064.31 Bei beiden Gemälden wurde auf den »Property-Cards« des CCP als Fundort beziehungsweise Depot die »Arcis straße« vermerkt. 3.) Das 262 Gemälde umfassende Teilkonvolut aus der bedeutenden, vor allem Werke der deutschen und niederländischer Malerei des 17. Jahrhunderts umfassenden Sammlung von Adolphe Schloss (1851–1910), die am 13. April 1943 von Vertretern der Behörden des Vichy-Regimes und deutschen SS-Offizieren in Tulle (Limousin, Zentralfrankreich) beschlagnahmt und nach Paris verbracht worden war. Es handelt sich lediglich um einen Teil der Kollektion Schloss, da die Museen des Louvre Objekte aus der beschlagnahmten Sammlung ausgesucht hatten, bevor die restlichen Gemälde schließlich am 27. November 1943 aus Paris nach München abtransportiert wurden.32 Doch obwohl seitens des »Sonderauftrags« bereits eine erste Vorauswahl von Objekten 29 Vgl. die Farbaufnahme von Hugo Jaeger, Führerbau München [wahrsch. Kaminzimmer], ca. 1938–1940, https://www.google.com/culturalinstitute/asset-viewer/hitler-jaeger-file/bgGMt_QUDubiNQ?hl=en (25.6.2015). Im Hintergrund: Bernardo Belotto (gen. Canaletto), Ansicht Münchens vom Gasteig, 1763/1780. 30 Vgl. die Karteikarte der Kontrollnummernkartei zur Mü.-Nr. 7573 bzw. Linz-Nr. 404 [Bundesarchiv Koblenz (BArch Koblenz) B323/616], http://www.dhm.de/datenbank/ccp/ (1.4.2015). 31 Vgl. die Karteikarte der Kontrollnummernkartei zur Mü.-Nr. 50064 bzw. Linz-Nr. 3291 [BArch Koblenz B323/646], http://www.dhm.de/datenbank/ccp/ (1.4.2015). 32 Verteilungslisten zur Sammlung Adolphe Schloss befinden sich u. a. in BArch Koblenz B323/56, B323/92 und B323/186; zur Beschlagnahme der Sammlung in Frankreich vgl. Marie HAMON-JUGNET, Collection Schloss. Œuvres spoliées pendant la deuxième guerre mondiale non restituées, 1943–1998, hg. v. Ministère des Affaires Etrangères, Direction des Archives et de la Documentation, Paris 1998. Siehe auch http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/sites/archives_diplo/schloss/collection.html (1.4.2015).
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80 Meike Hopp und Stephan Klingen aus der Sammlung Schloss für das »Führermuseum« vorgenommen worden war, hatte man bis Ende April 1945 noch immer keine endgültige Entscheidung darüber getroffen, welche der über 260 Gemälde zukünftig die Linzer Sammlung bereichern sollten. Dementsprechend waren die Gemälde bis auf weiteres im »Führerbau« verblieben. Auch hatten die einzelnen Gemälde der Sammlung Schloss keine separaten LinzNummern erhalten, sondern liefen zusammen als großes Konvolut unter der Linz-Nr. 3108.33 Hierunter befand sich unter anderen ein Gemälde Gerard Dous (1613–1675), darstellend die Mutter Rembrandts (Mü.-Nr. 48073), welches drei Jahre, nachdem man es aus dem »Führerbau« entwendet hatte, von einem anonymen Absender im Briefumschlag an den CCP München geschickt worden war.34 Etliche Gemälde der Sammlung Schloss, darunter zum Beispiel eine Winterlandschaft Jan van Goyens (1596–1656),35 gelten hingegen noch heute als verschollen. 4.) Schließlich befanden sich im »Führerbau« einige Objekte, die zu gesonderten Verwertungen bestimmt waren und/oder aus dem Besitz/Eigentum Dritter stammten; beispielsweise (Kommissions-)Ware aus dem Kunsthandel, die zunächst zur Ansicht beziehungsweise Auswahl im »Führerbau« lagerte, von deren Ankauf man zum Teil bereits abgesehen hatte oder die für anderweitige Zwecke reserviert werden sollte. Solche »Bestände« – etwa drei Gemälde der Galerie Friedrich Heinrich Zinckgraf in München, die laut einer Aufstellung von Februar 1945 zur »besonderen Verwendung« im »Führerbau« lagerten36 – sind nur schwer zu fassen, da sie nach derzeitigem Wissensstand nirgends vollständig dokumentiert wurden, sondern nur vereinzelt in Listen aufscheinen. Vor diesem Hintergrund kann eine Rekonstruktion der Objekte, die sich im April 1945 im »Führerbau« befunden haben, also nur anhand eines sukzessiven Abgleichs aller Bestands- sowie Verlustlisten, aber auch aller Einkaufs- und Transportlisten vorge33 Vgl. den Eintrag zur Linz-Nr. 3108 (keine Mü.-Nr.) unter http://www.dhm.de/datenbank/ccp/ (1.4.2015). 34 »Stolen from Führerbau/send in enveloppe [sic] without indication of the sender«, vgl. http://www.dhm. de/datenbank/ccp/ (1.4.2015); auf der dortigen Restitutions-Karteikarte fälschlicherweise als »Gerh. Don« vermerkt. 35 Vgl. u. a. BArch Koblenz B323/186, Verzeichnis der Gemälde aus Sammlung Schloß, April 1945 in München, Arcisstr. 12 gestohlen, fol. 88, Nr. 65; vgl. http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/sites/archives_diplo/ schloss/tableauxG/tableaux58.html?provenance=collection (1.4.2015). 36 Vgl. ein »Inventar« der in den »Zellen« im Führerbau verwahrten Objekte (Stand: 1. Februar 1945), NARA M1946 Ardelia Hall Collection, Munich Central Collecting Point, 1945–1951, Administrative records […], Roll: 0141, Restitution Research Records, compiled 1945–1950, Linz Museum: Lists and Reports 1945–1950, http://www.footnotelibrary.com/image/284006730/ (1.4.2015).
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nommen werden.37 Gerade der Abgleich mit den Listen der Transporte nach Altaussee erweist sich als aufschlussreich, liegt doch die Vermutung nahe, dass im »Führerbau« nur das zurückblieb, was erst spät hineingekommen war, also alles das, was noch Ende des Jahres 1944 beziehungsweise Anfang des Jahres 1945 für Linz angekauft worden war und aufgrund der Gefahr von Transportschäden durch Luftangriffe nicht mehr nach Altaussee abtransportiert werden konnte. Demnach müssten exakt die zuletzt eingegangenen Kunstwerke mit den höchsten Linz-Nummern im »Führerbau« verblieben sein. Dass dem aber nicht so war, lässt sich im Abgleich mit den Aufstellungen des Bergungsdepots Altaussee feststellen. In der Abfolge der Linz-Nummern finden sich immer wieder Lücken und Sprünge, die darauf hindeuten, dass dem Transport von Objekten nach Altaussee – ebenso wie dem Verbleib einzelner Objekte im »Führerbau« München – gezielte Entscheidungen zugrunde gelegen haben müssen. Nicht nur Objekte mit hohen Linz-Nummern, etwa das noch 1944 in Den Haag angekaufte Gemälde Pierre Jean Hellemans (1787–1845), Hohlweg und Staffage mit der Linz-Nr. 3700, sondern auch die bereits erwähnte Münchner Ansicht Canalettos mit der niedrigen Linz-Nr. 404 gehörten zu dem bis zuletzt im »Führerbau« München deponierten Konvolut an Kunstwerken. Eine andere, naheliegende Vermutung wäre, dass ausschließlich große Objekte – insbesondere Objekte mit Maßen über 1,40 Meter – im »Führerbau« verblieben, denn ab dieser Objektgröße wurden Einlagerungen im Bergwerk Altaussee kompliziert.38 Tatsächlich lagerte im »Führerbau« zwar eine Anzahl besonders großer Objekte, daneben gab es aber auch zahlreiche Objekte mit besonders kleinem Format, etwa das bei den Plünderungen abhanden gekommene, nur 23 x 17,5 cm große Stillleben mit Buch und Lederbeutel (Dudelsack) von Gerard Dou mit der Mü.-Nr. 3288.39 Zudem war im »Führerbau« die Einlagerung von Objekten mit der Größe des erwähnten Frauen raubs von Antonio Zanchi offenbar ebenfalls nicht unkompliziert, weshalb dieses Gemälde nicht in den tiefgelegenen, sicheren »Zellen« des Luftschutzkellers, sondern mit 37 Die Literatur und die elektronischen Ressourcen müssen jedenfalls systematisch abgeglichen werden, um Konkordanzen zu entwickeln und Daten zu ergänzen bzw. zu verifizieren. Betrachtet man beispielsweise die Datenbank »Cultural Plunder« (www.errproject.org), so werden bei der Suche nach »Sammlung Schloss« 336 Treffer angezeigt, bei der Suche nach »Führerbau« hingegen nur 75, obwohl dort nachweislich mindestens 200 Gemälde der Sammlung Schloss lagerten. 38 Vgl. NARA M1946, Ardelia Hall Collection: Munich Central Collecting Point, 1945–1951, Administrative records […], Roll: 0150, Restitution Research Records, compiled 1945–1950, Reger, Hans: Transport Correspondence And Lists (July1943–March1944), http://www.footnotelibrary.com/ image/283752248/ (1.4.2015). Siehe auch SCHWARZ 2014, S. 249. 39 Vgl. http://www.dhm.de/datenbank/ccp/ (1.4.2015).
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Abbildung 5: Auszug aus der Bestandsliste der »Zellen« des »Führerbaus« München von Hans Reger (Stand: 1. Februar 1945)
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eiteren Großformaten im darüber gelegenen Untergeschoss untergebracht wurde w (Abbildung 5). Fakt ist, dass sich also nach derzeitigem Kenntnisstand keine eindeutigen Kriterien erkennen lassen, wonach Objekte entweder im »Führerbau« verblieben oder aber in Depots nach Kremsmünster beziehungsweise Altaussee verbracht wurden. Wie viele Objekte im April 1945 also tatsächlich noch im »Führerbau« lagerten und den Plünderungen durch die Bevölkerung sowie durch das Wachpersonal oder Angehörige der amerikanischen Truppen ausgeliefert waren,40 scheint nicht nur für Edgar Breitenbach ein Rätsel gewesen zu sein. Bereits nach derzeitigem Stand des Projekts wird zunehmend deutlich, dass die Überlieferung unzureichend, lücken- beziehungsweise fehlerhaft, ja teilweise sogar missverständlich ist. Die Verfügbarkeit von grundlegenden Daten über Online-Ressourcen, etwa die sogenannten »Property-Cards« der CCP-Datenbank des Deutschen Historischen Museums Berlin (DHM), stellen dabei nicht nur einen wichtigen Zugewinn an Informationen dar, sie werfen ihrerseits neue Fragen auf und demonstrieren, wie wichtig die Überlieferung der unmittelbaren Nachkriegszeit ist. Vergleicht man beispielweise die Bestandslisten der »Zellen« des »Führerbaus« vom 1. Februar 1945 mit der CCP-Datenbank des DHM, ergeben sich Divergenzen, denn das oben erwähnte Gemälde Hellemans mit der Linz-Nr. 3700, das ebenfalls gestohlen wurde, ist nicht in der Bestandsliste der »Zellen« im »Führer bau« von Februar 1945 verzeichnet.41 Entsprechend unzuverlässig scheint demnach die summarische Endabrechnung über die einst in den »Zellen« gelagerten, aber »nicht gefundene[n] Objekte«.42 Nach den bisherigen Überprüfungen der im »Führer bau« gelagerten Werke kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass mindestens 752 Kunstwerke im »Führerbau« in der Arcisstraße aufgefunden oder in den folgenden Jahren dorthin (zurück-)verbracht wurden, da auf den »Property-Cards« dieser 40 Neben der Rekonstruktion des Personals im »Führerbau« sind, soweit möglich, auch die Wachmannschaften von SS und SD und die in München Ende April 1945 stationierten bzw. eingesetzten Einheiten der Wehrmacht, der SS, des SD und der Polizei zu eruieren, analog die amerikanischen Truppenspitzen, die im Laufe des 30. April in München einmarschierten und als unmittelbare Augenzeugen des geplünderten »Führerbaus« zu gelten haben. Freilich handelt es sich bei dem Diebstahl nicht um einen einmaligen Akt, sondern um ein Kontinuum, da sich auch Angehörige der amerikanischen Truppen bereicherten. 41 Vgl. NARA M1946 Ardelia Hall Collection, Munich Central Collecting Point, 1945–1951, Administrative records […], Roll: 0141, Restitution Research Records, compiled 1945–1950, Linz Museum: Lists and Reports 1945–1950, http://www.footnotelibrary.com/image/284006730/ (1.4.2015). 42 Vgl. NARA M1946 Ardelia Hall Collection, Munich Central Collecting Point, 1945–1951, Administrative records […], Roll: 0141, Restitution Research Records, compiled 1945–1950, Linz Museum: Lists and Reports 1945–1950, http://www.footnotelibrary.com/image/284006729/ (1.4.2015), hier kommt man inklusive Gemälde aus der Sammlung Schloss und abzüglich einiger wiederaufgetauchter Objekte auf 572 vermisste Kunstwerke, doch fehlen in der Abrechnung jegliche Hinweise auf das Schicksal der Bestände von »Zelle« 2, 5, 8 und 10–12.
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84 Meike Hopp und Stephan Klingen Objekte im CCP München nicht nur unter der Rubrik Depot konsequent die Arcis straße vermerkt ist, sondern diese Karten auch fortlaufend nummeriert wurden. Weitere gestohlene Gemälde aus dem »Führerbau«, die beispielsweise durch die Münchner Kriminalpolizei wieder aufgespürt werden konnten, wurden bei der Übergabe an den CCP München mit einer chronologisch vergebenen »Kriminalpolizei-Nummer« versehen – nach derzeitigem Stand können wir hier von mindestens 140 weiteren Objekten ausgehen. Addiert man schließlich die in Privatwohnungen in der direkten Nachbarschaft ebenso wie im Münchner Umland, etwa in Polling oder in Landersdorf bei Erding, aufgefundenen Kunstgegenstände hinzu, käme man summa summarum auf weit über 1.000 Kunstwerke, die im April 1945 im »Führerbau« gelagert haben müssen.43 Die eigentliche Herausforderung des Projekts zum »Führerbaudiebstahl« besteht also darin, dass hier nicht ein vorhandenes Konvolut erforscht wird, sondern dass ein Bestand, über dessen Zusammensetzung nur ungenaue, zum Teil widersprüchliche Angaben vorliegen, virtuell rekonstruiert werden muss. Dies bildet einen kate gorialen Unterschied zur Provenienzforschung an Museen und Sammlungen. Es bleibt abzuwarten, welche Erkenntnisse die laufenden Forschungen in vor allem deutschen, französischen und amerikanischen Archiven erbringen werden. Sinnvoll ist diese Grundlagenforschung freilich schon allein deshalb, weil aktuell noch immer 168 Werke der Sammlung Schloss von Interpol weltweit zur Fahndung ausgeschrieben sind.
43 Für die akribische Arbeit bei der listenmäßigen Erfassung dieser Bestände möchten wir ganz besonders unseren Projektmitarbeiterinnen Sophie Oeckl und Janine Schmitt danken.
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Verlagerungs- und Bergungsaktionen in Italien im Zweiten Weltkrieg im Überblick Wissensstand und Problemfelder
Christian Fuhrmeister
Bergungen von Kunst- und Kulturgut als Sicherungsmaßnahme vor Luftangriffen oder zum Schutz vor dem Zugriff von Bodentruppen, wie sie vor allem in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges häufig und an sehr vielen Orten innerhalb und außerhalb der Reichsgrenzen durchgeführt wurden, standen bis dato kaum im Fokus der Forschung. Erst die in jüngster Zeit, besonders in der letzten Dekade, außerordentlich dynamisch gewachsene Provenienzforschung hat diesem Themenbereich mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht. Es handelt sich um eine auch deshalb komplexe Materie, weil neben Kunstwerken und Kulturgut aus staatlichem, kommunalem oder kirchlichem Besitz auch Materialien aus Privatbesitz sowie von nationalsozialistischen Behörden, Institutionen und Organisationen kurz nach der sogenannten »Machtergreifung« entzogene, beschlagnahmte, geraubte, unter Ausübung von Druck, unter Ausnutzung der Besatzungsbedingungen oder schlicht »sichergestellte« Sammlungen in Bergungsorte wie Stollen, Schlösser, Landhäuser, Gutshöfe, Scheunen, Kirchen, Klöster und Stifte verbracht wurden. Dieses Spektrum muss indes noch um die von der Deutschen Wehrmacht und anderen Akteuren wie etwa der »Dienststelle ›Chef der Heeresmuseen‹« in den besetzten Ländern requirierten Objekte sowie um die teils ebenfalls in dieselben Bergungsorte ausgelagerten Warenlager von Händlern ergänzt werden. Weil all diese Kulturgüter aufgrund der hohen Dynamik des Kriegsgeschehens und der damit einhergehenden Veränderung der Sicherheitslage immer wieder erneut und mehrfach ausgelagert wurden, sollte der Forschungsaspekt »Translokation« (von Kulturgut) grundsätzlich stärker berücksichtigt werden, da Transporte und Verlagerungen als prägendes Charakteristikum gerade der Jahre von 1943 bis 1945 bezeichnet werden können. Das in dieser Hinsicht bestehende Desiderat wird auch daran deutlich, dass der vielfältigen Forschung zu erzwungenen Ortswechseln von Menschen – sei es Vertreibung, Flucht, Deportation, Emigration/Exil oder Umsiedlung – und zur systematischen Vernichtung ethnischer, »rassischer« und anderer Minderheiten meines Erachtens keine in Breite und Tiefe vergleichbare Literatur zur Dislokation von K ulturgütern gegenübersteht. Für diese Diagnose gibt es viele Gründe. Doch der
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86 Christian Fuhrmeister »konsequenteste Massenraubmord der modernen Geschichte« (Götz Aly)1 erfordert einen ganzheitlichen Blick, der nicht nur Täter_innen und Opfer sowie materielle Gewinne und Verluste berücksichtigt, sondern auch Strukturen, Bedingungen und Ziele von Transporten, Verbringungen, »Sicherstellungen«, Auslagerungen und Bergungen. Der weite Begriff »Kulturgut« erscheint mir dabei adäquat, weil die Diskussionen der letzten Jahre, auch und gerade in Reaktion auf den »Schwabinger Kunstfund«, die Aufmerksamkeit in verständlicher, aber fahrlässiger Weise auf das schmale Segment der Hochkunst gelenkt haben. Denn allein die sogenannte »M-Aktion« der »Dienststelle Westen«, mit der die in Frankreich, Belgien und den Niederlanden beschlagnahmten Möbel und anderen Haushaltsgegenstände abtransportiert wurden, führte zu der kaum vorstellbaren Menge von rund 27.000 Eisenbahnwaggons. Innerhalb der italienischen Angriffskriege (in Nordafrika, dem Balkan und Griechenland) gibt es indes – meines Wissens – keine Entsprechung, was die Dimensionen dieses nationalsozialistischen Raubs betrifft. Eingedenk des mindestens europaweiten Panoramas von zahllosen gleichzeitig stattfindenden Transporten, Verlagerungen und Bergungen kann meine kursorische Skizze nur einen winzigen Ausschnitt fokussieren. Die detaillierte Darlegung der Verlagerungen der zahlreichen (musealen) Objekte und der daran in den verschiedenen Stadien beteiligten Personen und Behörden in Italien würde zudem den Rahmen dieses Überblicks sprengen. Denn nicht nur die Museen in Neapel, Rom und Florenz transportierten Teile ihrer Bestände in Depots, sondern fast alle größeren italienischen Institutionen ergriffen solche Schutzmaßnahmen, darunter beispielsweise die Pinacoteca di Brera in Mailand.2 Es erscheint dabei als charakteristisch, dass es oft nicht bei einer einzigen Auslagerung blieb, sondern mehrere Verbringungen stattfanden (Abbildung 1). Tausende von Objekten aus Museen, Galerien, Kirchen und Klöstern in ganz Italien wurden spätestens ab 1939/1940 gezielt an sichere Orte verbracht, waren dort jedoch erneut unerwarteten Gefahren ausgesetzt und mussten abermals verlagert werden. Dies gilt ebenso für die Museen Roms wie für die verschiedenen florentinischen Museen. Weder Quellenlage noch Datenbanken oder die Forschungsliteratur gestatten derzeit eine systematische oder gar vollständige Visualisierung dieser zahllosen inner1 2
Götz ALY, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 42005, S. 318. Dazu ausführlicher Cecilia GHIBAUDI, Pinacoteca di Brera, Mailand 1943–1945. Die Schutzmaßnahmen der Soprintendenza alle Gallerie und ihr Verhältnis zum deutschen »Kunstschutz«, in: Christian FUHRMEISTER, Johannes GRIEBEL, Stephan KLINGEN, Ralf PETERS (Hg.), Kunsthistoriker im Krieg. Deutscher Militärischer Kunstschutz in Italien 1943–1945 (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 29), Köln 2012, S. 129–152.
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Abbildung 1: Schematische Darstellung der Transportwege der Gemälde »Sposalizio della Vergine« von Raffael und »Madonna e Santi con Federico da Montefeltro« von Piero della Francesca
italienischen Translokationsprozesse. Grundsätzlich dienten sowohl Schutzmaßnahmen vor Ort (z. B. Sandsäcke, Schutzwände, Ummauerungen, Ummantelungen) wie auch Aus- und Verlagerungen von Kulturgut zunächst und in erster Linie dem Schutz vor Luftangriffen. Für bewegliche Kulturgüter bedeutete dies konkret das Verlassen der etablierten Infrastruktur in den Städten, das heißt, das Schaffen von Distanz zu Produktionsstätten, Verkehrsstraßen, Logistikzentren und Industrieanlagen, die Verlagerung in die Provinz, in die Einöde, in Dorfkirchen, Bergklöster, Villen und Landschlösser. Diese Grundsatzentscheidung der Soprintendenze (regionale Denkmalschutz behörden), der Direzione Generale Antichità e Belle Arti (Generaldirektion der Schönen Künste), des Ministero della Pubblica Istruzione und des Ministero dell’Educazione Nazionale basierte auf der Annahme, dass im Krieg die größte Gefahr aus der Luft kommt, nämlich durch die Bombenabwürfe der Alliierten. Zahlreiche Rundschreiben und Dekrete wurden ab den frühen 1930er Jahren zu den Themen »Difesa del patrimonio artistico nazionale contro gli attacchi aerei in tempo di guerra« (Verteidigung des nationalen Kulturerbes gegen Luftangriffe in Kriegszeiten) und »Disposizioni fondamentali in
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Abbildung 2: Frontverläufe (rot) und Wechsel der Verwaltungshoheit (blau) zwischen Februar 1944 und August 1945
materia di protezione antiaerea« (Richtlinien im Bereich des Luftschutzes) verfasst, versandt und erlassen.3 Diese Anweisungen und Richtlinien bildeten die Grundlage für die vor Ort ergriffenen Schutz- und Auslagerungsmaßnahmen. Der 1942 von Marino Lazzari – seit 1938 Generaldirektor »delle Antichità e delle Belle Arti« – herausgegebene, nach Regionen gegliederte Rechenschaftsbericht »La protezione del patrimonio artistico nazionale dalle offese della guerra aerea« verkörpert die Perspektive des faschis3
Ausführlich dazu Barbara SCALA, In attesa del conflitto. Le opere di prevenzione del patrimonio monumentale italiano, in: Lorenzo de STEFANI con la collaborazione di Carlotta COCCOLI (Hg.), Guerra monumenti riconstruzione. Architetture e centri storici italiani nel secondo conflitto mondiale, Venezia 2011, S. 211–223, bes. S. 211–213; vgl. Carlotta COCCOLI, Die Denkmäler Italiens und der Krieg: Präventiver Schutz, Erste Hilfe und Instandsetzungen. Die Rolle der Monuments, Fine Arts and Archives Subcommission in Italien während des Zweiten Weltkrieges, in: FUHRMEISTER, GRIEBEL, KLINGEN, PETERS 2012, S. 75–92.
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tischen Eigenlobs über die getroffenen Schutzmaßnahmen in mustergültiger Weise: »a self-aggrandizement that smacked of propaganda […] with a triumphant tone [...] designed to show that the situation was under control«.4 In dem Moment, in dem im Sommer 1943 die ersten alliierten Einheiten auf Sizilien landen, als im Herbst 1943 das italienische Festland selbst zum Frontgebiet beziehungsweise zum Schlachtfeld wird, erweist sich diese hochgelobte Praxis der Auslagerung auf das Land als großer Fehler, denn sowohl die eigenen wie die deutschen und die alliierten Truppen folgen genuin militärischen Prioritäten und kümmern sich daher nicht um Schutzschilde an entlegenen und verlassenen Depotbauten, während das in der Regel zivile Aufsichtspersonal die Kampfzone längst verlassen hat. Diese Konstellation wird für die verantwortlichen italienischen Behörden durch die überaus große Dynamik des Kampfgeschehens (Abbildung 2) sowie durch die verschiedenen retardierenden und beschleunigenden Phasen des alliierten Vormarschs immer weniger kontrollierbar und, ab November 1943, auch für den deutschen militärischen Kunstschutz zum Problem. Mit dieser Situation – ein den Luftkrieg erwartender Staat wird in einen Landkrieg verwickelt und zugleich vom bisherigen Verbündeten und Achsenpartner besetzt – ist der Rahmen definiert, in dem Auslagerungen und Bergungen zwischen 1943 und 1945 stattfinden. Am Rande sei erwähnt, dass es ein »Italien« zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr gab. Das frühere Territorium des ehemaligen faschistischen Achsenpartners unterstand teils, im »Regno del Sud«, dem italienischen König, teils, in der »Repubblica Sociale Italiana«, formell weiterhin Benito Mussolini, tatsächlich aber dem deutschen Bevollmächtigen Rudolf Rahn, der eng mit dem Kommandierenden SS-General Karl Wolf kooperierte. Zugleich gab es, neben dem (noch) von Deutschland besetzten Gebiet, zwei Bereiche mit besonderem Status, die beiden Operations zonen Alpenvorland (Region Trentino-Südtirol mit Bozen) und Adriatisches Küstenland (Region F riaul-Julisch-Venetien mit Triest), die Obersten Kommissaren – und nicht der deutschen Militärverwaltung – unterstellt waren.5 4
5
Marta NEZZO, The Defence of Works of Art from Bombing in Italy during the Second World War, in: Claudia BALDOLI, Andrew KNAPP, Richard OVERY (Hg.), Bombing, States and Peoples in Western Europe 1940–1945, London 2011, S. 101–120, hier: S. 107–108. Michael WEDEKIND, Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1943 bis 1945. Die Operationszonen »Alpenvorland« und »Adriatisches Küstenland« (= Militärgeschichtliche Studien 38), München 2003; Michael WEDEKIND, Kunstschutz und Kunstraub im Zeichen von Expansionsstreben und Revanche: Nationalsozialistische Kulturpolitik in den Operationszonen »Alpenvorland« und »Adriatisches Küstenland« 1943–1945, in: FUHRMEISTER, GRIEBEL, KLINGEN, PETERS 2012, S. 153–171.
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90 Christian Fuhrmeister Die Alliierten, die mit dem Regno del Sud verbündet waren, standen also drei verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsstrukturen auf italienischem Boden gegenüber, was Implikationen für Zuständigkeiten und Weisungsbefugnisse hatte. So widersetzten sich mehrere Soprintendente der Weisung des Ministeriums, ihren Dienstsitz von Rom nach Padua zu verlagern, wurden deshalb dienstenthoben, waren aber – und fühlten sich auch so – weiterhin zuständig für die Betreuung der Depots im Bereich ihrer Soprintendenza. Das Ziel der Inspektoren und Soprintendente wie etwa Giulio Carlo Argan oder Emilio Lavagnino – der die Werke der Museen in Venedig, Mailand und Rom, die in die Marken ausgelagert worden waren, in den Vatikan überführte – lautete, die Bestände der Museen, Archive und Bibliotheken aus den Bergungsdepots zurück in die Städte oder in Zonen fernab der Kampfhandlungen zu verbringen. Dies war jedoch nicht nur wegen der fortgesetzten Luftangriffe, sondern vor allem wegen der fehlenden Lastkraftwagen und der nicht in ausreichender Menge für deren Betrieb zur Verfügung stehenden Kraftstoffe außerordentlich schwierig – was freilich in gleichem Maße für den deutschen militärischen Kunstschutz, ja ab Sommer 1944 selbst für die SS galt.6 Der Eindruck einer unübersichtlichen, komplexen, widersprüchlichen und teils völlig chaotischen Situation ist daher völlig zutreffend. Zu den weiteren Problemen einer Beschäftigung mit dieser Materie – man könnte auch sagen: zu den generellen hermeneutischen und methodischen Herausforderungen – zählen die nur selten reflektierten nationalen Perspektiven (der Forscher_innen). Dies verwundert nicht, weil, wissenschaftsgeschichtlich betrachtet, die Entstehung der akademischen Disziplin Kunstgeschichte stark mit der Funktion nationaler Sinnstiftung verbunden war. Diese nationalen Narrative sowie die Dynamik der jeweiligen nationalen Vergangenheitspolitik prägen bis heute den Blick auf Fragen des Kulturguttransfers in besonderem Maße. Hinzu kommt eine fragmentarische Quellenlage: Will man den zeitgenössischen Erfahrungshorizont von Bergungen und Auslagerungen rekonstruieren, müssen für jeden Einzelfall die Bestände zahlreicher nationaler und 6
Vgl. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin, R 61087, Bericht von Peter Scheibert vom 23.2.1944, S. 5: »Auch die Kunstschutzbeauftragten müssten wenigstens einen Topolino haben, denn effektive Arbeit ist ohne die Möglichkeit freier Beweglichkeit zu dauernder Kontrolle unmöglich.« – Selbst SS-Obergruppenführer Karl Wolff verweist in einem Funkspruch (»Dringend! Geh. Kdo.-Sache!«) an Reichsführer SS Heinrich Himmler auf den »Transportmangel«, der es verhindere, dass der »Führerbefehl« befolgt werde, demzufolge »Kunstschätze, die dem ital. Genius verdankt werden, in die offenen Städte Rom und Florenz« zurückgebracht werden sollten, »damit sie vor Bombenterror bewahrt und Europa erhalten bleiben«. Archiv Institut für Zeitgeschichte München, MA 332 (Korr. RFSS – HSSPF Italien), Aufnahme Nr. 656994-656996, Fernschreiben »DER HOECHSTE SS-U. POL. FUEHRER ITALIEN, GEZ.: WOLFF, SS-OBERGRUPPENFUEHRER UND GEN. DER WAFFEN-SS / TGB. NR. 5290/44 G, KDOS+« an Heinrich Himmler, 25.7.1944.
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internationaler Archive (beispielsweise in Rom, Koblenz und Washington) konsultiert werden, was aus pragmatischen Gründen meist unterbleibt. Schlaglichtartig seien dennoch drei Beispiele für Verlagerungs- und Bergungsaktionen in Italien skizziert. Neapel – Monte Cassino – Rom (– Carinhall)
Am 15. Februar 1944 wurde die mittelalterliche Benediktinerabtei Monte Cassino durch Bombenabwürfe von 229 US-amerikanischen Kampfflugzeugen bis auf die Grundmauern zerstört. Vorangegangen waren mehrere Angriffswellen der alliierten Infanterie auf die von den Deutschen stark befestigten Stellungen um die Stadt Cassino und den Berggipfel, einen wichtigen strategischen Punkt der sogenannten »GustavLinie«, der deutschen Verteidigungslinie rund 100 Kilometer (süd-)östlich von Rom. Zu den am 9./10. September 19437 in die Abtei ausgelagerten Archivalien, Kunst gegenständen und Möbeln aus Neapel zählten unter anderem Bestände des Museo Nazionale di Capodimonte, der (erst 1940 eingeweihten) Mostra Oltremare und der Biblioteca Nazionale. Das Archiv der Abtei selbst umfasste rund 80.000 Urkunden. Schon im Oktober 1943 beschlossen Angehörige der Panzer-Division »Hermann Göring« ohne »irgendwelche Sondierungen mit italienischen, vatikanischen oder deutschen Stellen […] den Abtransport des ›Nationaldenkmals‹ wie der neapolitanischen Sammlung in das Nachschublager der Division ›Hermann Göring‹ bei Spoleto, während dem Abt mitgeteilt wurde, die Bestände würden Mussolini übergeben.«8 Kein Geringerer als Walter Andreas Hofer, Direktor der Kunstsammlungen des Reichsmarschalls Göring, brach Mitte November 1943 im Depot der Division die versiegelten Kisten mit den Kunstschätzen des neapolitanischen Museums auf 9 – 15 der 187 Kisten wurden in den darauffolgenden Wochen nach Norden transportiert, 172 nach 7 8
9
Gladys E. HAMLIN, European Art Collections and the War, in: College Art Journal 5 (1946) 3, S. 219– 228, hier: S. 224. Lutz KLINKHAMMER, Die Abteilung »Kunstschutz« der Deutschen Militärverwaltung in Italien 1943–1945, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 72 (1992), S. 483–549, hier: S. 506. KLINKHAMMER 1992, S. 511; vgl. Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, Sequesterakten 1943–1954, Kunstschutz in Rom und Italien, 1943, »Bericht betreffend die Feststellung der durch die Division Hermann Göring aus der Abtei Monte Cassino geborgenen Bibliothek, Archivalien und Kunstwerke, Typoskript, 2 Seiten, datiert »Rom, den 4. November 1943«, »abgefasst für den erkrankten Ustf. Dr. Scheibert // [Durchschlag ohne Unterschrift] Referent des Deutschen Archäologischen Institus [sic] in Rom«, definitiv von Friedrich Wilhelm Deichmann, seit 1937 wissenschaftlicher Referent für Christliche Archäologie am DAI, verfasst. Zu diesem Zeitpunkt waren die »204 plombierten Kisten« in der Villa Colle Ferreto noch ebenso intakt wie die »680 Kisten der Biblioteca Nazionale Vittorio Emanuele zu Neapel, Luftschutzdepot aus Teano/Campanien«.
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Abbildung 3: Lastwagen der Division »Hermann Göring« auf der Piazza Venezia vor dem Palazzo Venezia (rechts, nicht im Bild) am 4. Januar 1944, im Hintergrund das Monumento Nazionale a Vittorio Emanuele II, besser bekannt als Vittoriano oder Altare della Patria
Rom.10 Letztere wurden am 4. Januar 1944 vor dem Palazzo Venezia in Rom in italienische Obhut übergeben (Abbildung 3). Zugleich intensivierte sich der parallel zu den militärischen Auseinandersetzungen stattfindende veritable Propagandakrieg in der Form, dass deutsche Zeitungen – nur einen Tag später – die unter US-amerikanischer Obhut im bereits eroberten Süditalien erfolgenden Rückbergungen und Rücktransporte als »systematischen Kunstraub« der »Dollarmillionäre« geißelten (Abbildung 4). Die 15 in Spoleto »abgezweigten« Kisten wurden im Salzbergwerk Altaussee eingelagert und später über den CCP an Italien restituiert.11 10 Vgl. James S. PLAUT, Hitler’s Capital. Loot for the Master Race, in: The Atlantic Monthly 178, 4 (1946), S. 73–78, hier: S. 75; Plaut, von November 1944 bis April 1946 Direktor der Art Looting Investigation Unit, OSS, spricht von »17 paintings and 4 priceless bronzes from the Naples Museum which had been seized by the Hermann Göring Panzer Division out of a convoy carrying these Italian national treasures from Monte Cassino to the Vatican in 1943, and presented by the Division to Göring at Carinhall«. 11 Siehe Datenbank zum »Central Collecting Point München« (http://www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ ccp.php): bei Suche nach »Division Göring« 135 Treffer, nach »Museo Nazionale« 47, nach »Spoleto« kein Treffer.
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Abbildung 4: Berliner Volks-Zeitung, 5. Januar 1944, Abendausgabe, Titelseite (obere Hälfte)
Florenz – Toscana (– Operationszone Alpenvorland)
Am 10. November 1943 schrieb Ludwig Heinrich Heydenreich (1903–1978), der von 1947 bis 1970 als Gründungsdirektor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München amtieren sollte, in seiner Funktion als kommissarischer Direktor12 des Kunsthistorischen Instituts in Florenz (KHI) als eine seiner ersten Amtshandlungen an »Hauptmann Dr. Poensgen beim Chef der Deutschen Heeresmuseen Wien«:13 12 Direktor Friedrich Kriegbaum war durch einen britischen Luftangriff auf Florenz am 25. September 1943 im Hause des österreichischen Kunsthistorikers Leo Planiscig getötet worden. Zu Planiscig siehe Monika LÖSCHER, Susanne HEHENBERGER, Provenienzforschung in der Kunstkammer, in: Neues Museum. Die österreichische Museumszeitschrift 13 (2013) 3/4, 15 Jahre Provenienzforschung, S. 18–25, hier: S. 18–19. 13 Zur Tätigkeit von Georg Poensgen (1898–1974) und Ernstotto Graf Solms zu Laubach (1890–1977) beim »Chef der Heeresmuseen« siehe jetzt Hartwig NIEMANN, Bernsteinzimmer oder Bernsteincabinett. Auf der Suche nach der Wahrheit. Eine analytisch-kritische Betrachtung über das Bernsteinkabinett Friedrich I. und das Bernsteinzimmer aus Zarskoje Selo. Tatsachen – Schicksale – Hypothesen – Hintergründe, Berlin 2012, S. 90–109. – Von mir nicht eingesehen wurde der Nachlass Poensgen in der Universitätsbibliothek Heidelberg, Signatur: Heid. Hs. 3996, im Umfang von rund zwei laufenden Metern. – Eine Identifizierung von »Dr. Herzberg« war mir nicht möglich. – Im Rahmen des Projekts Russische
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94 Christian Fuhrmeister Vor meiner Ankunft in Florenz hat der erste Assistent, Dr. Siebenhüner, das Institut vertretungsweise geleitet, und, da die allgemeine Lage vorübergehend äusserst bedrohlich erschien, auf Anraten und mit Unterstützung des (hier in der Nähe als Sonderführer eingesetzten) Prof. Paatz über den OB [Oberbefehlshaber] die militärische Hilfe für unsere Bergungsaktion angefordert. Diese Hilfe wurde uns sofort zugewiesen in Gestalt eines Sonderkommandos, das Ihrem Dienstbereich untersteht (Sf. Dr. Halm und Uffz. Dr. Herzberg).14
Die »Dienststelle ›Chef der Heeresmuseen‹« ist kaum erforscht. Bei dieser »Bergungsaktion« handelt es sich nicht, wie man annehmen könnte, um Schutz- und gegebenenfalls Auslagerungsmaßnahmen für die Bestände des KHI, sondern um nichts Geringeres als die »Sicherstellung des staatlich-italienischen Kunstgutes in Florenz und Toscana«, wie in einem nur mit »Direktor« unterzeichneten Brief vom 11. November »An den Ic des LI. Gebirgskorps« formuliert wird, der mit hoher Wahrscheinlichkeit von Heydenreich verfasst wurde.15 Derzeit ist nicht bekannt, worin die Aufgaben von Sonderführer Walter Paatz (1902–1978) und des Sonderkommandos von Peter Halm und »Dr. Herzberg« im Herbst 1943 bestanden haben könnten. Dies gilt in gleichem Maße für jene Maßnahme, für die die »Gruppe Sammeloffizier Sdf. Dr. Halm« im März und April 1944 die Fahrzeuge stellte, mit denen in die Provinzen Frosinone, Viterbo und Rom ausgelagerte oder dort gefährdete Werke nach Rom gebracht wurden.16 Wie umfangreich die Transportaufgaben in den Monaten Mai bis Juli 1944 waren, geht aus einer Liste hervor, die allein für »die wichtigsten Kunstschätze der Florentiner Sammlungen« insgesamt 16 gefährdete Bergungsdepots aufführt, für die jeweils bis zu 20 LKW-Ladungen als Transportraum für die Rückführung benötigt wurden, derweil Soprintendente Giovanni Poggi (1880–1961)17 nur einen einzigen »Rohoel-LKW« zur
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Museen im Zweiten Weltkrieg der Kulturstiftung der Länder haben Corinna Kuhr-Korolev und Ulrike Schmiegelt-Rietig umfangreiche Studien auch zur »Dienststelle ›Chef der Heeresmuseen‹« durchgeführt. Archiv des Kunsthistorischen Instituts Florenz – Max-Planck-Institut, KHI A I, 26 (Korr. 1941–44), M. P–Q, Brief Heydenreich vom 10.11.1943. Archiv des Kunsthistorischen Instituts Florenz – Max-Planck-Institut, Varia II, Praktischer Kunstschutz, Schreiben vom 11.11.1943: »Ich rate dringend an, den Sf. Paatz, am Sonnabend oder Sonntag nach Florenz zu entsenden, damit ich ihn zwecks genauer Informierung mit den zuständigen deutschen und italienischen Dienststellen (Dem deutschen Konsul und dem Soprintendenten der Staatl. Galerien in Toscana) zusammenbringen kann.« Vgl. Lutz KLINKHAMMER, »Kunstschutz«: L’azione concertata per la protezione delle opere d’arte a Roma nel Lazio nella prima fase dell’occupazione tedesca (1943/1944), in: Archivio della Società romana di storia patria 134 (2011), S. 193–237, hier: S. 212. Vgl. Elena LOMBARDI (Hg.), L’Archivio di Giovanni Poggi (1880–1961). Soprintendente alle Gallerie Fiorentine, Firenze 2011 (mit einem analytischen Inventar der Unterlagen im Polo Museale della Città di Firenze, Archivio Storico delle Gallerie Fiorentine, Bestand Giovanni Poggi).
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Verfügung hatte, der immer wieder von der Militärverwaltung beschlagnahmt zu werden drohte.18 Die Auslagerungen fanden statt, während – unabhängig vom Kampf der regulären Fronttruppen – exzessive Gewalt- und Racheakte, Überfälle, Attacken, Repressionen und Repressalien, Geiselerschießungen und Vergeltungsmaßnahmen das Land, die Dörfer und die Städte erschütterten: Faschisten und Antifaschisten sowie Wehrmacht und Partisanen lieferten einander erbitterte Kämpfe. Die Quellen aus dem Umfeld der Abteilung Kunstschutz berichten kaum jemals von diesen Vorgängen.19 Soprintendente Poggi hatte die Bestände der Florentiner Museen in mehrere Depots im Umland ausgelagert. Als die Alliierten sich näherten, wurden diese Depots größtenteils geräumt und – teilweise unter Beschuss – in verschiedene Notdepots nach Norden, bis in die Operationszone Alpenvorland, verbracht, wo sie indes dem Zugriff der italienischen Museumskuratoren so gut wie entzogen waren, wie Elena Franchi eindrücklich geschildert hat.20 Die nach dem Kriegsende in Italien organisierte Rückführung der Werke durch die alliierten Truppen nach Florenz trug fast den Charakter eines antiken Triumphzugs.21 Die beiden »Operationszonen«
Ein Überblick zu Translokationen von staatlichem Kulturgut in Italien im Zweiten Weltkrieg wäre nicht vollständig, würde man nicht den spezifischen Charakter der beiden Operationszonen als besondere Verwaltungsgebiete berücksichtigen. Die beiden Obersten Kommissare Franz Hofer (Alpenvorland) und Friedrich Rainer (Adriatisches Küstenland) erhielten ihre Weisungen direkt von Hitler. Der Auftrag, den der 18 Archiv des Kunsthistorischen Instituts Florenz – Max-Planck-Institut, Varia III, Kunstschutz, [Heydenreich:] »Aktennotiz betreffend Bergungsaktion im Raume der Soprintendenza Florenz«, mit Schilderung der vom 2. bis 5.6.1944 unternommenen Versuche, Lastkraftwagen zu organisieren, sowie einer nicht datierten Liste mit den 16 Depots. Noch am 25.7. werden in einer anderen Liste sieben »mutmasslich noch nicht abtransportierte Bergungsdepots« aufgeführt (Dicomano, Gagliano, Scarperia, Montegufoni, Montagnana, Poppiano, Oliveto), ebenfalls sieben in einer weiteren Liste vom 18.8.1944 (Dicomano, Scarperia, Gagliano, Poppi, Soci, Pratolino, Poggio a Caiano), jeweils mit kurzen Angaben über den Inhalt der Depots. 19 Ausführlicher zum »Kunstschutz« in Italien demnächst Christian FUHRMEISTER, Die Abteilung Kunstschutz in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936–1963, Köln-Weimar-Wien 2016 (im Erscheinen). 20 Elena FRANCHI, Vertrauen und Misstrauen: die schwierigen Beziehungen zwischen der italienischen Sozialrepublik und dem »Kunstschutz«. Einige umstrittene Fälle, in: FUHRMEISTER, GRIEBEL, KLINGEN, PETERS 2012, S. 111–128. 21 Vgl. Frederick HARTT, Florentine art under fire, Princeton 1949.
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96 Christian Fuhrmeister NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter von Kärnten und Salzburg, SS-Obergruppenführer Friedrich Rainer, dem Kunsthistoriker Walter Frodl im Herbst 1943 erteilte, bestand neben denkmalpflegerischen Aufgaben auch in der »Sicherung« des beweglichen und unbeweglichen Kunstbesitzes. Zur Erfüllung dieser Aufgabe versicherte sich Frodl der Mitarbeit von Erika Hanfstaengl (1912–2003), die bereits von Mai 1941 bis November 1942 unter seiner Leitung bei der »Kulturkommission« der Südtiroler Umsiedlungskommission gearbeitet hatte.22 Diese Kommission war bei der Amtlichen Deutschen Ein- und Rückwandererstelle (ADERSt) in Bozen angesiedelt, die ihrerseits direkt Reichsführer SS Heinrich Himmler als dem »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« unterstand. Laut einem Schreiben von Walter Frodl von 1960 bestand die kunstgeschichtliche Abteilung der Kulturkommission aus Josef Ringler, Oswald Trapp (1899–1988) und ihm selbst, wobei die Abteilung »als Assistentinnen die Damen Dr. E. Haniel (vereh. Lutterotti) und Dr. Erika Hanfstaengl beschäftigte«.23 Aufgabe von Erika Hanfstaengl, so Frodl, sei »die Kontrolle und Ergänzung des Südtiroler ›Dehio‹« sowie der Ausbau der kunsttopografischen Fotosammlung gewesen, doch: Über diese Arbeiten hinaus ist Frau Dr. Erika H. aber auch mit anderen Aufträgen bedacht worden, die dich [sic] aus der Tätigkeit der erwähnten Arbeitsgemeinschaft ergeben haben. Es handelte sich hiebei um Gutachten, Bewertungen von Kunstgegenständen oder um die Beratung und Kontrolle von Malern und Architekten, die Kopien von Malwerken oder Pläne von Baudenkmälern anfertigten.24
Welche Kunstgegenstände im Rahmen der Arbeit am Dehio »bewertet« werden mussten, sagt Frodl, der frühere Gaukonservator für Kärnten und Direktor des Kärntner Reichsgaumuseums in Klagenfurt, nicht; Michael Wedekind zufolge fotografierte sie 1942 auch »Kunstgegenstände in Laibacher Museen im Rahmen der Kulturkommission des ›SS-Ahnenerbes‹ beim Deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten für die Provinz Laibach.«25 22 Familienarchiv Hanfstaengl, München, Aufstellung für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Nachweisen für »Lücken« der Beschäftigungszeiten, 20.9.1974. – Zur Kulturkommission siehe Michael WEDEKIND, The Sword of Science. German Scholars and National Socialist Annexation Policy in Slovenia and Northern Italy, in: Ingo HAAR, Michael FAHLBUSCH (Hg.), German Scholars and ethnic cleansing, 1919–1945, New York 2005, S. 110–138, hier: S. 127–129, sowie Michael WEDEKIND, Kulturkommission des SS-»Ahnenerbes« in Südtirol, in: Ingo HAAR, Michael FAHLBUSCH (Hg., unter Mitarbeit von Matthias BERG), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München 2008, S. 356–367. 23 Familienarchiv Hanfstaengl, München, »Bestätigung« Walter Frodl, 29.12.1960, S. 1. 24 Familienarchiv Hanfstaengl, München, »Bestätigung« Walter Frodl, 29.12.1960, S. 2. 25 WEDEKIND 2012, S. 167, Anm. 5.
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Am 2. Oktober 1943 bat Frodl Erika Hanfstaengl, »die Erfahrungen, die Sie gelegentlich Ihrer Arbeit in den letzten Jahren in Südtirol erwerben konnten nun auch in den Dienst dieses mir erteilten Auftrages zu stellen«.26 Eva Frodl-Kraft beschreibt diesen Vorgang so: »Als am 12. September 1943 Hitler Südtirol und Oberitalien bis Verona den Gauleitern von Tirol und Kärnten überantwortete, wurde davon auch der Kunst- und Denkmalschutz betroffen.«27 Doch was bedeutete dies für Museen und private Sammlungen in den Operationszonen? Auch wenn zu Frauen als Akteurinnen im Zweiten Weltkrieg schon seit einiger Zeit intensiver geforscht wird,28 ist über die Rolle von Kunsthistorikerinnen wie Eva FrodlKraft (1916–2011), Ellen Haniel (1914–1970) und Erika Hanfstaengl (1912–2003) bislang nur wenig bekannt (im Unterschied etwa zu Rose Valland, Ardelia Hall29 oder Evelyn Tucker30). Zu Frodl-Kraft weiß man, dass sie an der Dokumentation der heterogenen im Bergwerk Altaussee eingelagerten Bestände beteiligt war. Als Assistentin von Josef Ringler in der Operationszone Alpenvorland nahm Haniel an verschiedenen Arbeiten im Zusammenhang mit den Südtiroler Bergungsdepots teil, etwa am 6. September 1944, als sie die beiden Tafeln Adam und Eva von Lucas Cranach von Bozen nach St. Leonhard brachte, als sie am 7. September einen Transport nach Campo Tures und Schloss Neumelans begleitete, dabei Werke und Listen kontrollierte sowie neue Listen anfertigte, oder als sie am 4. und 5. Oktober 1944 zusammen mit Leo Bruhns (1884–1957, seit 1934 Direktor der Bibliotheca Hertziana beziehungsweise des KWI für Kunstwissenschaft in Rom)31 und Josef Ringler die nach St. Leonhard ausgelagerten Werke in26 Familienarchiv Hanfstaengl, München, Walter Frodl an Erika Hanfstaengl, 2.10.1943, auch in Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA), MK 60502; das folgende Zitat ebenda. 27 Eva FRODL-KRAFT, Gefährdetes Erbe. Österreichs Denkmalschutz und Denkmalpflege 1918–1945 im Prisma der Zeitgeschichte (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 16), Wien 1997, S. 416. 28 Vgl. exemplarisch Wendy LOWER, Hitler’s Furies: German Women in the Nazi Killing Fields, BostonNew York 2013. 29 Victoria REED, Ardelia Hall. From Museum of Fine Arts to Monuments Woman, in: International Journal of Cultural Property 21 (2014), S. 79–93. 30 Anne ROTHFELD, Evelyn Tucker, an enforcer of restitution policy in US occupied Austria, in: Eva BLIMLINGER, Monika MAYER (Hg.), Kunst sammeln, Kunst handeln. Beiträge des Internationalen Symposiums in Wien (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 3), Wien 2012, S. 279– 287. 31 Vgl. Ralph-Miklas DOBLER, Leo Bruhns und die Bibliotheca Hertziana. Nationalsozialismus, Schlie ßung und Wiedereröffnung, in: Sybille EBERT-SCHIFFERER, unter Mitarbeit von Marieke von BERNSTORFF (Hg.), 100 Jahre Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte. Die Geschichte des Instituts 1913–2013, München 2013, S. 74–89.
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98 Christian Fuhrmeister ventarisierte.32 Beide, Haniel wie Hanfstaengl, waren vollständig in das administrative System der beiden Operationszonen integriert – Hanfstaengl sogar in leitender Position –, beide waren an dort vollzogenen Maßnahmen beteiligt, beide haben diese Tätigkeit nach Kriegsende nicht von sich aus thematisiert und sind offenbar auch zu keinem Zeitpunkt ausführlicher dazu befragt worden. Erika Hanfstaengl (wegen ihrer 1941 erfolgten Heirat mit Otto Grokenberger gelegentlich auch Hanfstaengl-Grokenberger genannt) war die engste Mitarbeiterin von Walter Frodl (1908–1994) in der Operationszone Adriatisches Küstenland. Ihr »Amtssitz« war das Museo civico in Udine. Frodl teilte ihr am 2. Oktober 1943 mit: »Der Auftrag vollzieht sich im Operationsgebiet der Wehrmacht und besitzt höchste Kriegswichtigkeit.«33 Der auf den 2. November 1943 datierte Dienstausweis von Erika Hanfstaengl hält fest, dass sie »mit der Durchführung von Inventarisationsarbeiten auf dem Gebiete des bewegl. und unbeweglichen Kunstbesitzes« beauftragt sei.34 Die Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Rahmen radikaler ad ministrativer Maßnahmen ist hierbei zu berücksichtigen; von dieser Situation ist noch im Rückblick sogar bei Frodl selbst etwas zu spüren, wenn er Hanfstaengl attestiert, sie habe ihm bei dieser nicht sehr angenehmen Aufgabe seit dem 1. November 1943 bis zum Kriegsende in einer Weise beigestanden, die an Hilfs- und Einsatzbereitschaft ihresgleichen sucht und wohl nur unter dem Blickwinkel der damals herrschenden Verhältnisse und tumultuarischen Ereignisse ganz gewürdigt werden kann. Da ich selbst infolge verschiedener anderer dienstlicher Beanspruchungen nicht ständig in Udine weilte, hat Frau Dr. Erika H. das Amt fast immer allein führen müssen […]. Die Tätigkeit war, wie es im Charakter der Aufgabe lag, weit gespannt und sie umfasste von den Maßnahmen der reinen Verwaltung mit ihren personellen und finanziellen Fragen, bis zur Durchführung von Bergungstransporten und ausgesprochenen Rettungsaktion, der Veranlassung von Schutzbauten, der Materialbeschaffung, der Sicherung oder Schätzung von Kunstgegenständen, auch rein wissenschaftliche Arbeiten, die – wie in Süd tirol – ihren Niederschlag wieder in der Schaffung einer umfangreichen Fotosammlung finden.35
32 Andrea CARLESI, La protezione del patrimonio artistico italiano nella RSI (1943–1945), Milano 2012, S. 117 (wie immer bei Carlesi ohne Quellennachweis). 33 Familienarchiv Hanfstaengl, München, Walter Frodl an Erika Hanfstaengl, 2.10.1943, auch in BayHStA, MK 60502. 34 Familienarchiv Hanfstaengl, München, Ausweis, von Walter Frodl in Klagenfurt am 2.11.1943 unterzeichnet. 35 Familienarchiv Hanfstaengl, München, »Bestätigung« Walter Frodl, 29.12.1960, S. 2.
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Tatsache ist, dass die in jüdischen Privatsammlungen der Operationszone beschlagnahmten Bücher zunächst in der Synagoge von Triest lagerten (»Eine vorsichtige Schätzung würde auf mehrere hunderttausend Bücher lauten.«36), von wo sie auf verschiedene Institutionen in Kärnten (vor allem nach Klagenfurt) und der übrigen »Ostmark« verteilt wurden. Auch weil Frodl »nur etwa alle 14 Tage nach Udine kommen konnte«,37 agierte Hanfstaengl dabei weitgehend autonom,38 zumal sie ab Ende Januar 1944 Frodls Aufgaben in der Dienststelle des Obersten Kommissars der Operations zone in Triest wahrnahm.39 John Bryan Ward-Perkins (1912–1981) nannte sie in seinem »Report on German Activities 1943–5 in the Operationszone Adriatisches Küstenland in the Field of Fine Arts, Libraries and Archives« vom 2. August 1945 schlicht »in FRODL’s continued absence, the operative figure«.40 Michael Wedekind hat den gegenwärtigen Sachstand kürzlich konzis zusammengefasst: Frodl und Hanfstaengl bildeten hier gewissermaßen die Nachhut der im »Adriatischen Küstenland« (nach ihrer offiziellen Auflösung im November 1943) weithin wieder reaktivierten Einsatzkräfte der SS-»Aktion Reinhard«. Dabei entschied insbesondere Hanfstaengl über den Verbleib der bei den Beschlagnahmeaktionen in jüdischen Wohnungen aufgefundenen Kunstwerke und Kunstgegenstände. Offiziell als Eigentum italienischer Staatsangehöriger aufgefasst (und damit anders eingestuft als das als »deutsches« Eigentum geltende jüdische »Umzugsgut« im Freihafen Triest), waren auf Anregung Frodls die von ihm und Erika Hanfstaengl aussortierten Kunstgegenstände aus dem Besitz ortsansässiger Juden im Allgemeinen den Museen des »Adriatischen Küstenlandes« zuzuweisen. So gingen beispielsweise Teile der Sammlungen von Mario Morpurgo (Brugnera, Villa Varda) und der Familie Pollitzer (Triest) an das Städtische 36 Murray G. HALL, Christina KÖSTNER, »… allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern …« Eine österreichische Institution in der NS-Zeit, Wien 2006, S. 450. 37 FRODL-KRAFT 1997, S. 419, Anm. 863. 38 Siehe HALL, KÖSTNER 2006, S. 436, mit Verweis auf Unterlagen im Archiv der Jüdischen Gemeinde Triest, darunter Brief Erika Hanfstaengl vom 2.8.1944; S. 437, mit Verweis auf BArch Berlin, R 58, Schreiben Erika Hanfstaengl an Obersten Kommissar Operationszone Adriatisches Küstenland vom 31.8.1944; S. 574, Anm. 1500, zu Brief von Erika Hanfstaengl an SS-Standartenführer Walter Bestmann, Kommandeur der SS-Junkerschule in Lendorf bei Klagenfurt, 12.12.1944. 39 August WALZL, L’Organizzazione dell’Amministrazione Civile nella Zona di Operazioni »Littorale Adriatico«, in: Storia Contemporanea in Friuli 24 (1993) XXIII, S. 9–42, hier: S. 30: »All’interno di questo ufficio il direttore del museo di Gau di Klagenfurt, dott. Frodl, fu inizialmente responsabile della tutela dei monumenti, poi sostituito a fine gennaio 1944 dal dott. Grokenberger-Hanfstaengl.« 40 British School Rome, War Damage Collection, Docs, Box E, John Bryan Ward-Perkins, Headquarters Allied Commission, APO 394, Subcommission for Monuments, Fine Arts & Archives: »Report on German Activities 1943–5 in the Operationszone Adriatisches Küstenland in the Field of Fine Arts, Libraries and Archives«, 2.8.1945, Typoskript, Bericht 12 Seiten und Verteilerliste sowie Appendix mit 20 Seiten, hier: Bericht, S. 2.
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100 Christian Fuhrmeister Museum der Adriastadt. Stücke aus den Sammlungen von Filippo Brunner (Isola Morosini), Oscar Luzzatto (Udine), Enrico Morpurgo (Udine, Palazzo Valvason) und des vormaligen Senators und Unterstaatssekretärs Baron Elio Morpurgo (Udine), der im April 1944 während der Deportation ins KZ Auschwitz erfror, wurden dem Städtischen Museum in Udine überlassen.41
Noch im Januar 1945 koordinierte Erika Hanfstaengl die Verteilung des in jüdischen Wohnungen in der Operationszone beschlagnahmten Kulturgutes. Hierzu zählten die in der Synagoge Triest – die sie als »Judentempel« bezeichnete42 – lagernden Bibliotheken. Fünf Monate später, im Juni 1945, wurde sie Kuratorin des CCP,43 1947 die erste Leiterin der Photothek des gerade eröffneten Zentralinstituts für Kunstgeschichte, später – nach Differenzen mit Heydenreich – Mitarbeiterin am Lenbachhaus München. Fazit
»Wir Europäer lesen einander immer weniger«, monierte kürzlich der Rechtshistoriker Michael Stolleis und forderte mehr Übersetzungen.44 Meines Erachtens wäre mehr Sprachkompetenz die bessere Lösung, weil nur so die allseits geforderte internationale Kooperation realisiert werden kann. Auch weil viele Akten in deutschen und italienischen Archiven zu unserem Thema der Verlagerungs- und Bergungsaktionen in Italien stets Schriftstücke in beiden Sprachen enthalten, ist eine verschränkende oder überkreuzende Zusammenarbeit vordringlich, gerade im Bereich der Provenienzforschung. Dies betrifft nicht nur Italien, sondern beispielsweise auch die größere Region Alpe Adria insgesamt.45 Doch wer beschäftigt sich in Italien mit Provenienzforschung, abseits des notorisch intransparenten nucleo Carabinieri und der Guardia di Finanzia? Es ist bislang außerordentlich schwierig – aber nicht unmöglich oder ausgeschlossen –,
41 WEDEKIND 2012, S. 156–157. 42 BArch Berlin, R 83 Adriatisches Küstenland, Erika Hanfstaengl an Paul Heigl, 12.1.1945: »Dr. Trenkler war vor einiger Zeit hier gewesen und hat im Judentempel die nötigen Maßnahmen getroffen, damit alles zum Abtransport bereit ist.« Zitiert nach HALL, KÖSTNER 2006, S. 575, Anm. 1513. 43 Dazu jetzt Iris LAUTERBACH, Der Central Collecting Point in München. Kunstschutz, Restitution, Neubeginn (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 34), MünchenBerlin 2015. 44 Michael STOLLEIS, Wir Europäer lesen einander immer weniger, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.10.2014, S. N 4. 45 Von 4. bis 6. März 2015 fand in der Villa Vigoni ein produktiver internationaler Workshop »Zwischen Kunst(geschichte) und Politik: Kulturguttransfer in der Region Alpe Adria im 20. Jahrhundert« statt. Die Region Alpe Adria ist zweifellos ein transnationales Forschungsdesiderat.
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in Italien Expert_innen zu lokalisieren, um in einen Diskurs zu Bergungen zu treten, beispielsweise zur Quellenlage oder zur Real- und Erinnerungsgeschichte. Die Bergungs- und Verlagerungsaktionen in Italien bedürfen jedenfalls (weiterhin) der ergebnisoffenen Grundlagenforschung. Damit würden die Voraussetzungen geschaffen werden, um die Auslagerungen und Bergungen der italienischen Museen wesentlich präziser darzulegen als hier angedeutet.
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»Die modernen Nibelungen salzen ihre Schätze ein« Altaussee als Bergungsort des Instituts für Denkmalpflege
Anneliese Schallmeiner
»Die Aktion von Alt-Aussee«1
Das Salzbergwerk in Altaussee, vor allem seine Geschichte als Bergungsort zahlreicher hochrangiger Kunst- und Kulturgüter während der NS-Zeit und danach, war in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand medialer Berichterstattung und einiger Publikationen.2 Besondere Beachtung fanden in diesem Kontext die Kunstschätze für das von Adolf Hitler geplante Kunstmuseum in Linz und die Rettung des Bergwerks in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Im Folgenden soll der Fokus auf die Bergungen durch das Institut für Denkmalpflege 3 gelegt werden, für die das Bergwerk ab dem Sommer 1943 vorgesehen war. Weitere zu bergende Bestände, wie beispielsweise die des »Sonderauftrages Linz«, der »Aktion Berta« oder des »Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg« (ERR), kamen erst später hinzu. Zur Vorgeschichte der Verantwortlichkeit
Die Denkmalbehörde spielte bei den Bergungen eine wesentliche Rolle. Von Anbeginn war sie in die Planungen hinsichtlich des Luftschutzes an Objekten und in die Durch1
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Vorab möchte ich mich sehr herzlich bei meiner Kollegin und Mitreferentin Lisa Frank bedanken, deren Rechercheergebnisse zum Umfeld der sogenannten »Bergungs-Ballade« in diesen Beitrag eingeflossen sind. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1a, unfoliiert, Bergungs-Ballade, Strophe 29. Als Beispiele: Konrad KRAMAR, Mission Michelangelo. Wie die Bergleute von Altaussee Hitlers Raubkunst vor der Vernichtung retteten, St. Pölten-Salzburg-Wien 2013; Robert M. EDSEL, Bret WITTER, Monuments Men. Die Jagd nach Hitlers Raubkunst, Salzburg 2009 (Vorlage für den gleichnamigen Film 2014); Veronika HOFER (Hg.), Berg der Schätze: die dramatische Rettung europäischer Kunst im Altausseer Salzbergwerk, o. O. 2006; Theodor BRÜCKLER, Gefährdung und Rettung der Kunstschätze im Altausseer Salzberg: Versuch einer kritischen Rekonstruktion, in: Eva FRODL-KRAFT, Gefährdetes Erbe. Österreichs Denkmalschutz und Denkmalpflege 1918–1945 im Prisma der Zeitgeschichte, WienKöln-Weimar 1997, S. 363–379; Katharina HAMMER, Glanz im Dunkel. Die Bergung von Kunstschätzen im Salzkammergut am Ende des 2. Weltkrieges, Altaussee 1996. Das heutige Bundesdenkmalamt hieß ab 1911 Staatsdenkmalamt, ab 1922 Bundesdenkmalamt, ab 1934 Zentralstelle für Denkmalschutz, ab September 1940 Institut für Denkmalpflege und wurde nach 1945 als Staatsdenkmalamt geführt, bis es 1946 als Bundesdenkmalamt neu gegründet wurde. Vgl. http://www.bda. at/bda/126/0/5780/ texte/Geschichte-der-Denkmalpflege-in-Oesterreich (4.3.2015).
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104 Anneliese Schallmeiner führung der Bergungsmaßnahmen eingebunden. Schon Ende September 1938 wies Herbert Seiberl4 das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten auf die »Möglichkeit unmittelbar bevorstehender kriegerischer Ereignisse« hin und schlug entsprechende Schutzmaßnahmen für die Sicherung unbeweglicher und die Bergung beweglicher Kunstwerke vor.5 Im Juli des folgenden Jahres fand eine Sitzung im Luftgaukommando XVII in der Elisabethstraße in Wien statt. Die Denkmalbehörde wurde für den Schutz der unbeweglichen Kunstwerke und des beweglichen privaten und kirchlichen Besitzes verantwortlich gemacht. Mit Vertretern der Sicherheitspolizei besprach man unter anderem die notwendigen Vorkehrungen wie die Beschaffung von Material zum Schutz ortsfester und beweglicher Kunstwerke sowie Lagerplätze und Transportmittel. Die meistgefährdeten Kulturbezirke identifizierte man dabei in Wien und Wiener Neustadt. Die Direktoren der staatlichen Sammlungen erhielten die Weisung, Bergungsräume zu errichten. Die Zentralstelle für Denkmalschutz wurde zur Kontaktstelle für öffentliche, private und kirchliche Institutionen, das Kunsthistorische Museum für die staatlichen Museen.6 Konkreter definiert wurde die Rolle der Denkmalbehörde in einem Erlass des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 24. August 1939, in dem ihr der Auftrag, Vorkehrungen für die Sicherung und Bergung von Kunstwerken gegen Luftangriffe zu treffen, erteilt wurde, wozu auch die Beantragung der Freistellung von Facharbeitern jener Firmen gehörte, die zur Bergung beweglicher 4
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Herbert Seiberl (1905–1952), Kunsthistoriker, Jurist und akademischer Maler, der ab 1936 als wissenschaftliche Hilfskraft in Verwendung der Denkmalbehörde gestanden hatte, stieg als illegales NSDAPMitglied (Nr. 6,200.962) nach dem »Anschluss« innerhalb kurzer Zeit zum Leiter der kunstgeschichtlichen Abteilung der Zentralstelle für Denkmalschutz und später zum Leiter des Instituts für Denkmalpflege auf. Nach dem Ende des Nationalsozialismus war er in einem Volksgerichtsverfahren wegen Verbrechen nach § 8, 10 und 11 Verbotsgesetz am Landesgericht für Strafsachen Linz angeklagt, wurde jedoch 1948 freigesprochen, nachdem einige Mitarbeiter_innen des Bundesdenkmalamtes zu seinen Gunsten ausgesagt hatten, er habe den nationalsozialistischen »Nürnberger Gesetzen« nicht entsprechende Personen in der Behörde beschäftigt. Nichtsdestotrotz hatte Seiberl laut eigenen Angaben bereits vor 1938 eine NS-Zelle in der Zentralstelle für Denkmalschutz organisiert. Nach Ende des Krieges verdiente er seinen Lebens unterhalt als Restaurator in der mit einer ehemaligen Mitarbeiterin, Hilde Schrader, gegründeten Restaurierwerkstätte Seiberl-Schrader in Bad Aussee. Vgl. OÖLA, Vg 8 Vr 6756/47; vgl. ÖStA/AdR, ZNSZ, Gaupersonalamt Wien, Gauakt Herbert Seiberl, Zl. 87.062, Kontrollschein, 9.5.1941; Personalfragebogen, 16.5.1938; BDA-Archiv, Personen, K. 33, M. Herbert Seiberl, Zl. 5560/1939, unfoliiert. BDA-Archiv, Historische Materialien, Bundesdenkmalamt allgemein, K. 17, Zl. 3317/1938, Herbert Seiberl an Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abteilung 4, 26.9.1938, Abschrift. Vgl. Theodor BRÜCKLER, Kunstschätze und Kulturgüter in Niederösterreich im Jahre 1945, in: Ernst BEZEMEK, Willibald ROSNER (Hg.), Niederösterreich 1945 – Südmähren 1945 (= Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischem Institut für Landeskunde 21), Wien 1996, S. 261–278, hier: S. 261. Vgl. BDA-Archiv, NS-Materialien, K. 2, Fasz. Kunstschutz, Zl. 2/Res/1939, Aktenvermerk Josef Zykan, o. D.
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und zum Schutz ortsfester Objekte unentbehrlich waren.7 Im Vorfeld der Bergungsmaßnahmen wurde ein »Alarmplan für den Kunstluftschutz« ausgearbeitet, laut dem die Angestellten der Zentralstelle in sechs Gruppen mit unterschiedlicher Verantwortung eingeteilt wurden. Der Plan kam nie zur Anwendung. Noch bevor eine direkte Gefährdung durch Luftangriffe gegeben war, leitete man die erste Bergungsphase ein und versuchte eine Bergung der schützenswürdigen Objekte vor Ort, im Gebäude selbst, oder verlagerte sie in angemietete Depots in unmittelbarer Umgebung.8 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich im März 1938 kam es zu zahlreichen Umstrukturierungen, als deren Folge die Zentralstelle für Denkmalschutz zu einer Abteilung des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten wurde. Ein Ergebnis der gezielten Zerschlagung territorialer und verwaltungsrecht licher Einheiten war unter anderem die Reduzierung der neun Bundesländer auf sieben Gaue und der damit verbundene Wegfall von Denkmalschutzbeauftragten. Das Bemühen, eine landesweite, zentral von Wien geleitete Denkmalpflege in der nunmehrigen »Ostmark« aufrecht erhalten zu können, wurde sukzessive untergraben.9 Eine Folge der sogenannten »Vergauung« war das neuorganisierte, unmittelbar dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) in Berlin unterstellte Institut für Denkmalpflege als zentrales technisch-wissenschaftliches Institut. Es bestand aus der Abteilung für geschichtliche Kulturdenkmale und jener für Bodenaltertümer. Die Geschäfte des Instituts wurden vom Leiter der Abteilung für geschichtliche Kulturdenkmale, Herbert Seiberl, hauptamtlich geführt, nebenamtlich war er Gaukonservator in den Reichsgauen Niederdonau und Wien, wo er in seiner Funktion als Sachbearbeiter beim Reichsstatthalter in Wien innerhalb des Generalreferates für Kunstförderung, Staatstheater, Museen und Volksbildung eingegliedert war.10 Die endgültige Verantwortung einzelner Dienststellen wurde bei einer Besprechung über die Bergungs- und Luftschutzmaßnahmen in Wien, die am 25. Juni 1942 im Kunsthistorischen Museum stattfand, festgelegt: Die oberste Zuständigkeit lag beim Reichsstatthalter, Baldur von Schirach. In Bergungsangelegenheiten waren ihm auch 7
Namentlich wurden hier Fachkräfte der Wiener Gerüstleihanstalt Heiland, der Zimmermannsfirma Wenzl Hartl sowie Mitarbeiter der Speditionsfirmen Schenker & Co. und Emil Bäuml (später Bartz) angeführt. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 27, M. 5, fol. 16, Herbert Seiberl an den Reichsarbeitsminister, 28.8.1939, Abschrift. 8 Vgl. BRÜCKLER 1996, S. 262. 9 Vgl. Theodor BRÜCKLER, Die »Verländerung« der Österreichischen Denkmalpflege in der NS-Zeit und die Gründung des Instituts für Denkmalpflege, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 44 (1990), S. 184–194, hier: S. 188. 10 ÖStA/AdR, BMU, Denkmalamt, 15B2, K. 97, Zl. 3755/M/41, Ludwig Berg, Aktenvermerk, 2.8.1941.
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106 Anneliese Schallmeiner die reichsunmittelbaren Institute sowie die Gemeinde Wien unterstellt. Schirachs Mitarbeiter im Generalreferat, Ludwig Berg,11 übernahm mit »Führerweisung« vom 5. Mai 1942 die zentrale Bergungsleitung. Bezüglich des privaten und kirchlichen Kunstgutes sowie des Luftschutzes an ortsfesten Denkmälern erfolgte eine Zusammenarbeit Bergs mit Gaukonservator Seiberl.12 Von Seiten der Denkmalbehörde wurden zahlreiche Rangordnungslisten der kirchlichen und profanen, ortsfesten und beweglichen Kunstdenkmale Wiens und Niederösterreichs erstellt. Oft abgewandelt, beinhalteten sie die Dringlichkeit der Schutzmaßnahmen (einmauern – zumauern – abnehmen und durch Kopie ersetzen – bergen) sowie die notwendigen Luftschutzbergungen außerhalb Wiens. Im Dezember 1943 wurde die Rangordnung des zu schützenden Kulturgutes obsolet, da nun auf Anordnung des »Führers« »das gesamte Kulturgut in Wien, das geborgen werden kann, geborgen wird«.13 Die Zentralisierung der dezentralisierten Kulturgüter
Von einer kurzen Kriegsdauer ausgehend, beschloss Fritz Dworschak als Bergungsleiter für die staatlichen Museen im Herbst 1939 unter dem Decknamen »Schloss« in der Kartause Gaming in Niederdonau einen gemeinsamen Bergungsort einzurichten. Zur Bergung gelangten unter anderem Objekte aus der Albertina, dem Kunsthistorischen Museum, der Österreichischen Galerie und dem Museum für Völkerkunde.14 In den Folgejahren jedoch stand die Dezentralisierung der Kunstgutbergung im Vordergrund.15 Die Depots wurden nach Kriterien wie unauffälliger Außenerscheinung und klimatischer Eignung ausgewählt. Sie sollten vor allem fernab von wichtigen Verkehrsverbindungen, militärischen Stützpunkten und Industrieanlagen gelegen sein. Aufgeteilt auf mehrere Bergungsorte, würde im Falle der Zerstörung eines Depots bei keiner Kunstgattung ein Totalverlust eintreten.16 11 Zu Ludwig Berg siehe den Beitrag von Pia SCHÖLNBERGER in diesem Band. 12 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 5/1, M. 1, fol. 43, Walter Thomas, Reichsstatthalterei in Wien, Aktenvermerk, 3.7.1942. 13 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 28, M. 5, unfoliiert, Generalreferat für Kunstförderung an Herbert Seiberl, 16.12.1943. 14 Zu Gaming siehe den Beitrag von Susanne HEHENBERGER und Monika LÖSCHER in diesem Band. 15 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 28, M. 1, unfoliiert, Ludwig Berg an Ing. Lübke, Beauftragter für den Luftschutz von Kunstwerken in Magdeburg-Anhalt, 29.8.1942, Abschrift. 16 Theodor BRÜCKLER, Kunstwerke zwischen Kunstraub und Kunstbergung 1938–1945, in: Theodor BRÜCKLER (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 19), Wien-Köln-Weimar 1999, S. 13–30, hier: S. 26.
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Anfang 1943 erging ein Schreiben von Robert Hiecke, Konservator der Kunstdenkmäler im REM in Berlin, in dem die Möglichkeiten einer Bergung in Steinkohle- und Steinsalzbergwerken in Nordwestdeutschland in Erwägung gezogen wurden, unter anderem auch an die Wiener Denkmalbehörde.17 Zu dieser Zeit sprach sich Herbert Seiberl noch gegen eine Nutzung von Salzbergwerken als Bergungsorte für Kulturgut aus. Eine besondere Gefährdung sah er für auf hartem Ölgrund gemalte Bilder des 19. Jahrhunderts. Die hohe Temperatur von 20 bis 25 Grad bei geringer Luftfeuchtigkeit führe dazu, dass sich die unelastischen Gründe von der Leinwand abreißen oder zumindest in Bewegung kommen würden. Von Salzbergwerken riet er ab, »soferne es sich nicht um Bergungsgut handelt, welches durch die in einem Salzbergwerk herrschenden Verhältnisse überhaupt nicht beschädigt werden kann, also um Gegenstände aus Papier, Keramiken und Gläser«.18 Noch befand er Kohlenbergwerke für Gemälde für geeigneter. Zeitgleich war jedoch Robert Eigenberger, Leiter des Instituts für Konservierung und Technologie an der Akademie der bildenden Künste Wien, von Hiecke in dieser Sache um eine Stellungnahme gebeten worden. Dieser wiederum attestierte – zögerlich –, dass »die Heranziehung von Salzbergwerken als Bergungsorte für bestimmte Gruppen von Kunstobjekten verhältnismässig am günstigsten erscheinen muss«.19 Unter strenger Geheimhaltung wurden in den darauffolgenden Monaten die Gaukonservatoren in die Überlegungen mit eingebunden. Der Grazer Walter Semetkowski20 berichtete etwa von zwei privaten Steinbrüchen in Winkl bei Kapfenberg. Nur einer würde jedoch den gewünschten Anforderungen gerecht werden: Er war stillgelegt und nicht einsehbar, verfügte über kleinere Höhlen, und die Möglichkeit der Zufahrt mit Lastkraftwägen war gegeben. Der Steinbruch wäre von der nahen Bahnstation Winkl in acht bis zehn Gehminuten zu erreichen.21 Etwa zur gleichen Zeit dürfte Seiberl durch den Gaukonservator in Oberdonau, Franz Juraschek,22 auf die 17 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 28, M. 5, unfoliiert, Robert Hiecke an Herbert Seiberl, 1.2.1943. 18 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 28, M. 5, unfoliiert, Herbert Seiberl an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Berlin, 3.2.1943, Abschrift. 19 UAAbKW, Zl. 303/1943, Bemerkungen zur Frage der Heranziehung von Bergwerken für die Bergung von Kunstgut, 9.3.1943. 20 Walter Semetkowski (1886–1965), Archäologe, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, war ab April 1940 Gaukonservator für die Steiermark. Vgl. Theodor BRÜCKLER, Ulrike NIMETH, Personenlexikon zur Österreichischen Denkmalpflege, Wien 2001, S. 253. 21 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 28, M. 5, unfoliiert, Gendarmerieposten Kapfenberg an Walter Semetkowski, 9.3.1943, Abschrift. 22 Franz Juraschek (1895–1959), Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, war seit 1939 Gaukonservator in Oberdonau. Vgl. BRÜCKLER, NIMETH 2001, S. 124–125.
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108 Anneliese Schallmeiner Bergungsmöglichkeiten in stillgelegten Bereichen des Salzberges von Altaussee aufmerksam gemacht worden sein. Juraschek brüstete sich im Jänner 1944 gegenüber August Eigruber, dem Gauleiter in Oberdonau, damit, dass der Vorschlag des Bergwerkes von ihm gekommen sei und die Umsetzung durch Seiberl stattgefunden habe.23 Im Juli 1943 informierte Seiberl in seiner Funktion als Leiter des Instituts für Denkmalpflege Robert Hiecke, dass er im Salzbergwerk von Aussee ein ausgezeichnetes Bergungsdepot vorgefunden habe.24 In Anbetracht der jüngsten Luftangriffe der Alliierten in Italien sehe er das Wiener Industriegebiet wie auch die rund um Wien angelegten Bergungsorte in Gefahr und beabsichtige darum, im Salzberg zu bergen:25 »Die Gefahr einer Sabotage ist offenbar nicht vorhanden, da nur einheimische Bergknappen in diesen Stollen einfahren. Unter ihnen gibt es keine Elemente, denen derartiges zuzutrauen wäre, es ist vielmehr anzunehmen, daß sie in der Behütung des dem Bergwerk anvertrauten Kunstgutes eine ehrende Aufgabe erblicken werden«, so Seiberl. Darüber hinaus ermöglichte ein Kontrollsystem die Registrierung jener Personen, die sich im Berg aufhielten.26 Noch im Dezember 1943, nach einer weiteren Begehung des Bergwerks mit dem Referenten des »Sonderauftrags«, Gottfried Reimer, und dem Institutsrestaurator Emmerich Bergthold, die schon in Hinblick auf eine mögliche Umbergung der Bestände des »Sonderauftrages« stattgefunden hatte, bekräftigte er sein Vertrauen in die Salinenmitarbeiter. Er glaube nicht, dass die »aus bäuerlichen Kreisen stammenden Bergarbeiter […] aus irregeleiteten politischen Vorstellungen heraus, Bosheitsakte am eingelagerten Kunstgut vornehmen würden«.27 Abgesehen von Personalangelegenheiten wurden in Hinblick auf die Bergungen die klimatischen Verhältnisse im Berg, Zufahrtsmöglichkeit und Lage, Transportmöglichkeiten zum Bergwerk, die Beschaffenheit der Räume und chemische Einwirkungen mitberücksichtigt. Ausschlaggebend für die jetzt positive Einschätzung von Salzbergwerken, also auch des Altausseer Werkes, waren unter anderem die Luftfeuchtigkeit von 60 bis 75 Prozent, die gute Durchlüftung und eine konstante Temperatur von
23 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1, fol. 33, Franz Juraschek an August Eigruber, 4.1.1944, Abschrift. 24 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1, fol. 54, Herbert Seiberl an Robert Hiecke, 17.7.1943, Abschrift. 25 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1, fol. 47, Herbert Seiberl an Robert Hiecke, 29.7.1943, Abschrift. 26 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 2, fol. 71, Bericht über die Besichtigung des Ausseer Salzberges am 17.7.1943 von Herbert Seiberl, 19.7.1943. 27 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 2, fol. 66–67, Gutachten von Herbert Seiberl, 18.12.1943, Abschrift.
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sechs bis acht Grad Celsius.28 Maximilian Eder29 als Chemiker des Instituts für Denkmalpflege warnte lediglich vor einem Ansteigen der Temperatur oder des Feuchtigkeitsgehalts, wie es feuchtes Holz bei der Verzimmerung der Räume hätte hervorrufen können.30 Förderlich war auch der Umstand, dass der Stollen nicht abwärts, sondern ansteigend in den Berg getrieben worden war, wie bei alpenländischen Salzbergwerken gängig, »um das Ersaufen der Stollen durch auftretende unterirdische Quellen zu verhüten«.31 Die Zufahrtsmöglichkeit zum Stollen war ebenfalls ein Argument für Aussee, allerdings mit der Einschränkung, dass diese im Winter bei Schnee oder Vereisung mit Lastkraftwagen nicht möglich sei.32 Die Sichtbarkeit des Bergwerks aus der Luft war durch die annähernd 2.000 Meter hohen Berge im Umkreis »weitgehend herabgemindert« und die von außen sichtbare Anlage »klein und unauffällig«.33 Als Nachteile führte Seiberl die durch die Stollen gegebene Größenbegrenzung von zwei Metern in der Höhe und 1,60 (unten) beziehungsweise 1,10 Metern (oben) in der Breite an, an der niedrigsten und engsten Stelle nur 1,75 Meter hoch und 75 Zen28 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 2, fol. 70, Bericht über die Besichtigung des Ausseer Salzberges am 17.7.1943 von Herbert Seiberl, 19.7.1943. Pöchmüller berichtet ebenfalls von einer gleichbleibenden Temperatur von rund sieben Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 74 bis 79 Prozent. Vgl. Emmerich PÖCHMÜLLER, Weltkunstschätze in Gefahr, Salzburg 1948, S. 23. 29 Maximilian Eder (1899–1978) war seit November 1942 als Chemiker beim Institut für Denkmalpflege angestellt. Ab Ende Juli 1943 führte er chemisch-physikalische Untersuchungen in Hinblick auf die geplante Bergung von Kunstobjekten im Salzbergwerk von Altaussee durch, im Juli 1944 erfolgte seine permanente Versetzung nach Altaussee. Eders Aufgabe war die kontinuierliche Überprüfung des eingelagerten Kunstgutes im Berg. Bis Ende 1945 untersuchte er etwa 4.000 Objekte, führte Klimakontrollen durch und war an den Einlagerungen der ankommenden Bergungstransporte beteiligt. Beschädigte Kunstwerke übergab er an die zuständigen Restauratoren. Während der Abwesenheit Herbert Seiberls war Eder dessen Vertreter am Bergungsort. Vgl. BDA-Archiv, Personen, K. 8, M. Maximilian Eder, fol. 20, Werkmiete Dienstvertrag, 21.10.1942; fol. 51–52, Maximilian Eder an Alfons Ivo Quiqueran, 14.12.1945. Eva FRODL-KRAFT, Gefährdetes Erbe. Österreichs Denkmalschutz und Denkmalpflege 1918–1945 im Prisma der Zeitgeschichte, Wien-Köln-Weimar 1997, S. 355. 30 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1a, unfoliiert, Gutachten Maximilian Eder, 20.7.1943. 31 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1, fol. 47, Herbert Seiberl an Robert Hiecke, 29.7.1943, Abschrift. 32 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1, fol. 43, Salinenverwaltung an Herbert Seiberl, 13.8.1943. Ab Jänner 1944 lagen bis zu fünf Meter Schnee. Damit war es unmöglich geworden, mit normalen Transportern auf den Berg zu kommen. Juraschek schlug vor, Raupenschlepper der Steyrwerke einzusetzen oder notfalls solche der Wehrmacht. »Ich erinnere mich des seltsamen Anblicks der Bäume entlang der Straße, die bis zu den Kronen im Schnee steckten [und] an die seekrank machenden Fahrten früh und abends auf dem offenen Raupenschlepper, durchnäßt vom Schneegestöber«. FRODL-KRAFT 1997, S. 346. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 5, fol. 44, Franz Juraschek, 4.1.1944, Bericht. 33 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 2, fol. 63, Gutachten von Herbert Seiberl, 18.12.1943, Abschrift.
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110 Anneliese Schallmeiner timeter breit.34 Dadurch musste man die Bergung auf Gegenstände beschränken, die eine gewisse Größe nicht überschritten.35 Eine weitere Befürchtung bezog sich auf »kleine Partikelchen des Gesteins«, die von der Raumdecke herabfallend die darunter liegenden Kunstgegenstände »mechanisch oder durch unmittelbare Berührung mit ihrem Salzgehalt« beschädigen hätten können.36 Daher war eine Verzimmerung der Räume notwendig. Besonderes Augenmerk wurde auf die Bedrohung durch die Lösung von Salz, also Chlor-Ionen gelegt, die bei hoher Luftfeuchtigkeit und Wärme »Einwirkungserscheinungen« hervorrufen hätten können.37 Aufgrund der jahrelangen Konstanz der Feuchtigkeits- und Temperaturverhältnisse in Aussee, so Eder, wäre mit Zerstörungen bei regelmäßiger Überprüfung jedoch nicht zu rechnen.38 Wie schon zuvor in seinem Gutachten vom Juli 1943 riet er im März 1944 erneut zu besonderer Vorsicht bei Metallplastiken und anderen Metallkunstgegenständen. Besondere Kostbarkeiten, wie beispielsweise der Tassilokelch aus Stift Kremsmünster, sollten seiner Ansicht nach allerdings nicht in Aussee gelagert werden, da das darin enthaltene Kupfer besonders korrosionsgefährdet sei.39 Seiberl sah die Eignung des Bergwerks auch dadurch bestätigt, dass »in der dort vorhandenen Kapelle […] seit dem Jahre 1934 einige gotische und barocke Holzplastiken mit Fassung, Ölbilder und Textilien aufbewahrt« wurden, »die sich in tadellosem Zustande befinden«. Er bat um einen vergoldeten Rokoko-Holzleuchter, der sich in der Kapelle befunden hatte, um »damit das nachträgliche Verhalten nach Rückbringung in normale Verhältnisse« von »seiner« Restaurierwerkstätte beobachten zu lassen. Er hatte bei seiner Besichtigung bereits ein geleimtes und mit Papier beklebtes hölzernes Beschriftungsschild sowie ein Stück Tannenreisig mitgenommen. Kränze aus Reisig und Blumen hätten sich »durch Jahre hindurch merkwürdig gut erhalten«.40 Das Ergebnis der von Eder durchgeführten 34 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 2, fol. 70, Bericht über die Besichtigung des Ausseer Salzberges am 17.7.1943 von Herbert Seiberl, 19.7.1943; fol. 64, Gutachten von Herbert Seiberl, 18.12.1943, Abschrift. 35 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 2, fol. 64, Gutachten von Herbert Seiberl, 18.12.1943, Abschrift. 36 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1, fol. 34, Herbert Seiberl an Robert Hiecke, 17.7.1943, Abschrift. 37 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1a, unfoliiert, Bergungs-Ballade; M. 2, fol. 69, Gutachten von Maximilian Eder, 20.7.1943. 38 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 2, fol. 69, Gutachten von Maximilian Eder, 20.7.1943. 39 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1a, unfoliiert, Gutachten von Maximlian Eder, 10.3.1944. 40 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1, Zl. 2286/46, fol. 54, Herbert Seiberl an Robert Hiecke, 17.7.1943, Abschrift. Ein Auszug des Berichts findet sich bei FRODL-KRAFT 1997, S. 512.
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ntersuchungen bestätigte die Eignung der Räume.41 Eduard Hütter,42 GaukonserU vator in Salzburg, schrieb noch im August 1944 als Reaktion auf die offensichtlich falsche Nachricht unbekannter Quelle, »die in den Salzbergwerken geborgenen Gemälde und Archivalien hätten durch die in diesen Bergwerken herrschende übergroße Trockenheit schwersten Schaden genommen, seien zerfallen und sogar wie Zunder«, dass sich an den »geborgenen Gegenständen […] nicht die geringsten Veränderungen gezeigt« hätten. Außerdem würde der Feuchtigkeitsgehalt der Luft im Bergwerk täglich gemessen und die geborgenen Objekte von einem Chemiker laufend kontrolliert. Seinen Bericht zu Gunsten der Salzbergwerke untermauerte er unter anderem mit dem Argument: »Es hat sich z. B. bei Archivbeständen, die im Weltkriege geborgen wurden und in den Bergwerken vergessen worden waren, gezeigt, daß bis zum heutigen Tage keine Schäden durch Veränderungen aufgetreten sind.«43 Anfang August 1943 setzte Robert Hiecke den Leiter der Denkmalbehörde als seinen Beauftragten vor Ort ein.44 Daraufhin konnte von Seiten des Instituts für Denkmalpflege und der Salinenverwaltung eine Vereinbarung über die »vorübergehende Einlagerung« von Kunstwerken in den Grubenräumen des Salzbergbaues Altaussee unterfertigt werden. Die Transportkosten würden vom Institut übernommen werden. Die Salinenverwaltung sorgte für die Abschließung der Räume, übernahm jedoch für die Sicherheit der Kunstwerke keine Haftung. Das Befahren der Grubenräume war dem Leiter des Instituts für Denkmalpflege oder dessen Beauftragten in Begleitung des Bergbaubetriebsleiters gestattet.45 Vorrangig wurden fortan Kunstgegenstände aus Gebieten geborgen, für welche in nächster Zeit mit einer erhöhten Gefährdung durch Fliegerangriffe zu rechnen war. Anfänglich befanden sich ausschließlich Kulturgüter aus dem Gau Niederdonau, wo Seiberl die nebenamtliche Funktion des Gaukonservators ausübte, in den Transporten. Fast könnte man vermuten, dass neben den von der Reichsstatthalterei als Bergungsdepots für die öffentlichen Wiener Sammlungen gemieteten Pfarrhöfen, Schlössern, 41 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1, fol. 45, Herbert Seiberl an Bergrat Otto Högler, 9.8.1943, Abschrift; vgl. BDA-Archiv, Personen, K. 8, M. Maximilian Eder, fol. 51. 42 Eduard Hütter (1880–1967), Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, war bereits seit 1913 für die Denkmalbehörde tätig. Vgl. BRÜCKLER, NIMETH 2001, S. 117. 43 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 2, fol. 13, Amtsbericht von Eduard Hütter, 26.8.1944. Gemeint waren während des Ersten Weltkriegs im Salzbergwerk Hallein geborgene und später darin vergessene Archivalien. 44 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1 fol. 46, REM an Otto Högler, 3.8.1943. 45 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 3, fol. 29, Einlagerungsvereinbarung zwischen dem Institut für Denkmalpflege und der Salinenverwaltung Bad Aussee, 20.8.1943.
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112 Anneliese Schallmeiner Klöstern und Speichern in Niederdonau keine geeigneten Bergungsimmobilien für Kulturgüter aus Niederdonau selbst vorhanden waren. Die Bergungstransporte mit beweglichen Objekten aus Wien, wo Seiberl ebenfalls nebenamtlich die Agenden des Gaukonservators wahrnahm, wurden nach wie vor entweder in Wiener Banktresorräumen, in Kellern vor Ort geborgen oder in auswärtige Bergungsdepots in Niederdonau dezentralisiert.46 Während Katharina Hammer die ersten Einlagerungen des Instituts für Denkmalpflege für Oktober/November 1943 annimmt,47 erfolgte der erste Transport von Wien nach Bad Aussee und der spätere Weitertransport in den Salzberg von Altaussee tatsächlich bereits am 25. und 26. August 1943. Für die Einlagerungen wurde ein Teil des stillgelegten Springerwerkes im sogenannten Steinberghorizont vorgesehen. Die ankommenden Kunstgegenstände wurden in zwei Bergungsbüchern verzeichnet, von denen ein Exemplar in Verwahrung der Denkmalbehörde stand, das andere wurde an die Salinenverwaltung übergeben. Der erste Transport beinhaltete neun Kisten aus dem Stadtmuseum Wiener Neustadt sowie unter anderem zwölf überlebensgroße Apostelstatuen von Lorenz Luchsperger, eine Christusfigur, zwei Altarbilder, den Streyffschen Ecce Homo aus dem dortigen Dom und die Verkündigungsgruppe, zu der Seiberl bemerkte: »In einem einzigen Falle musste wegen der Enge der Stollen und zwar beim Wr. Neustädter Verkündigungsengel ein kleines Stück einer weit vorstehenden Draperie abgenommen werden, eine Veränderung, die nach Rückbringung […] sehr leicht wieder behoben werden kann«.48 Acht Dompfeilerfiguren und die Verkündigungsgruppe waren von 24. Juni bis 15. Oktober 1939 Teil der Ausstellung Altdeutsche Kunst im Donauland im Kunsthistorischen Museum Wien gewesen.49 Nach Ende der Ausstellung wurden diese wie die Mehrzahl der gezeigten Objekte nicht mehr an ihren ursprünglichen Aufstellungsort zurückgebracht, sondern nach Schloss Ebreichsdorf und in anderen Depots in Niederdonau geborgen. Im August 1943 wurden sämtliche im Schloss eingelagerten Objekte entfernt, da der Bergungsort als nicht mehr sicher galt.50 Die Luchsperger-Statuen wurden zuerst nach Wien transportiert, wo sie zusammen mit den in Wiener Neustadt verbliebenen Objekten im Augustinerkeller gesammelt wurden, bevor ihre Bergung nach Aussee erfolgte.51 46 47 48 49 50 51
Bergungsphase 2. Vgl. BRÜCKLER 1996, S. 262. Vgl. HAMMER 1996, S. 283. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 3, fol. 27. Vgl. BDA-Archiv, NS-Materialien, K. 4, Fasz. Ausstellung Donauland. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 7, fol. 5, Notiz Herbert Seiberl, 2.9.1943. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 3, fol. 8, Rechnung Bergungstransport I der Speditionsfirma A. Bartz Ges. m. b. H., 30.10.1943.
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Der zweite Bergungstransport fand erst Mitte Oktober 1943 statt.52 Neben Steinfiguren aus der Kapuzinerkirche in Wiener Neustadt enthielt der Transport unter anderem den berühmten Corvinusbecher und die die Privilegien der Stadt bestätigende Bulle König Ferdinands I. Die Objekte wurden erneut zunächst in Wien mit anderen Bergungsgütern des Instituts für Denkmalpflege zusammengeführt. Von da an befanden sich auch im Zuge des nationalsozialistischen Kunstraubs sichergestellte und beschlagnahmte Kunstwerke unter den Bergungsgütern. Diese standen seit dem 18. Juli 1940 in Verwaltung und Verwahrung des Instituts für Denkmalpflege und waren vorerst in Depots der Denkmalbehörde gelagert.53 Seiberl entschied, zuerst Teile der sichergestellten Sammlung Serena Lederer in Altaussee zu bergen. Aus dem Institutsdepot in der Wollzeile54 im Wiener Stadtzentrum wurden vier Kisten mit Kunsthandwerk entnommen. Auch aus den vom Institut belegten Tresorräumen der Reichsbankhauptstelle Wien am Otto Wagner Platz, der heutigen Österreichischen Nationalbank, wurden wegen Auflösung und Rückgabe des Depots an die Reichsstatthalterei sämtliche darin verwahrte Kunstwerke der Sammlung Serena Lederer zur Umbergung bestimmt.55 Dem Bergungstransport angeschlossen wurden zwölf Kisten mit Bergungsgut der Bibliothek des Historischen Forschungsinstitutes des Reichsgaues Oberdonau in St. Florian, die sich zur Bergung in Verwahrung des Gaukonservators in Oberdonau, Franz Juraschek, befanden. Darin enthalten waren Handschriften und Codices der von den Nationalsozialisten aufgehobenen Stifte Kremsmünster, St. Florian, Wilhering und Hohenfurt.56 Anfang November expedierte man Kunstgegenstände aus der Kremser Piaristenkirche und dem Museum in Krems, den Altmanistab aus dem Stift Göttweig sowie Tafeln von Jörg Breu und Rueland Frühauf aus dem Stift Melk. Hinzu kamen acht Tafeln Albrecht Altdorfers, Werke des Schottenmeisters und Wolf Hubers aus dem Stift 52 Der zweite Transport wurde am 12. und am 13.10.1943 in Bad Aussee entladen und in den Stollen weitertransportiert. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 3, fol. 6, Rechnung Bergungstransport II der Speditionsfirma A. Bartz Ges. m. b. H, 30.10.1943. 53 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 8, M. 5, Zl. 1909/1940, fol. 6, Friedrich Plattner, Abwicklungsstelle Unterricht, 18.7.1940. 54 Es handelte sich um den Tresorraum in der ehemaligen Merkurbank, Wollzeile 1–3. Das Depot hatte die Reichsstatthalterei dem Institut für Denkmalpflege für die Lagerung der Glasfenster aus der Kirche Maria am Gestade und für die noch nicht an die Museen verteilten beschlagnahmten Bestände des Zentraldepots in der Neuen Burg zur Verfügung gestellt. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 7/1, M. 7a, fol. 152, Reichsstatthalterei an Leiter des Instituts für Denkmalpflege, 8.9.1942. 55 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 6/1, M. 58, unfoliiert, Waltraude Oberwalder, Institut für Denkmalpflege, 8.10.1943, Aktenvermerk. 56 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 3, fol. 16–20.
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114 Anneliese Schallmeiner
Abbildung 1: Emmerich Bergthold: Lageplan Salzberg Altaussee, 5. November 1943; Regaleinteilung
St. Florian (vgl. die Regaleinteilung des Lageplans, Abbildung 1).57 Erst zwei Monate später, am 8. Jänner 1944, gab es einen weiteren Bergungstransport des Instituts für Denkmalpflege. Dieser enthielt ausschließlich Gemälde aus den sichergestellten und entzogenen Sammlungen Fritz Mandl, Julius Priester, Paul Zsolnay und wieder Serena Lederer.58 Ab Februar war das Salzbergwerk auch Ziel sogenannter Privatbergungen.59 Bei der ersten Lieferung handelte es sich um Gegenstände aus den Wohnungen Herbert Seiberls und Emmerich Bergtholds.60 Bis Ende des Jahres 1944 waren Bergungen von Privatpersonen Teil des übrigen zu bergenden Gutes. Ab 1944 liefen die systematisch koordinierten Bergungen des Instituts für Denkmalpflege und einzelner Gaukonservatorate zeitgleich mit Umbergungen aus dem Stift Kremsmünster und den als chaotisch zu bezeichnenden, überhasteten Kulturgüter57 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 3, fol. 10–13. 58 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 5, fol. 43. 59 Anfang Jänner 1944 bestand die Möglichkeit, zur Bergung von Kunstgegenständen aus Privatbesitz die Hilfe der zuständigen Dienststelle des Reichsstatthalters in Wien in Anspruch zu nehmen. Die Objekte mussten bis 7. Februar 1944 bei einem staatlichen Museum angemeldet werden. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 30/2, M. 1, fol. 8. 60 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 5, fol. 32
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Abbildung 2: Szenen aus dem Springerwerk im Bergwerk Altaussee, ca. 1943
lieferungen aus dem sogenannten »Altreich« und aus Frankreich. In Wien wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 Transporte abgefertigt, die sowohl Kunstwerke aus den beschlagnahmten und sichergestellten Sammlungen aus den Institutsdepots als auch späte Ankäufe für das »Kunstmuseum Linz« im Dorotheum beinhalteten.61 Mitte November wurden mehrere Kisten und Möbel aus den Sammlungen Rudolf Gutmann, Alphonse Rothschild, Oskar Bondy aus den Institutsdepots Wollzeile, der Orangerie im Unteren Belvedere und dem Depot Bodenkreditanstalt in der Teinfaltstraße für einen Großtransport zusammengestellt. Zu diesem Zeitpunkt begann man auch die Bestände des Instituts für Denkmalpflege am Rennweg im dritten Wiener Gemeindebezirk zu bergen, darunter die Foto- und Plansammlung, eine Sammlung von Bildern Anton Schrödls, die vom Verein der Kunstfreunde in Verwahrung des Instituts gegeben worden waren, Teile des Fotolabors, Teile der Amtsbibliothek und Möbel einzelner Mitarbeiter_innen. Der letzte listenmäßig fassbare Transport wurde in Wien am 20. Februar 1944 abgefertigt. Er umfasste Teile der aus dem Bergungsdepot Pfarrhof in Gaweinstal/Niederdonau nach Wien rückgeborgenen Gemälde der Wiener Schottengalerie, drei Gemälde aus der Galerie Harrach und die restlichen Kisten der Institutsbibliothek. »Hier, geborgen im Schutz der Gnomen ruht das Konzentrat der Kunst«62
Fast zwei Monate nach dem ersten Bergungstransport des Instituts für Denkmalpflege nach Bad Aussee sprach Seiberl gegenüber Gottfried Reimer vom Salzberg in Altaussee als »von seinem sichersten Bergungsort«. 61 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 4, fol. 26–28, Pack- und Transportlisten. 62 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1a, unfoliiert, Bergungs-Ballade, Strophe 16.
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116 Anneliese Schallmeiner Das von mir im Salzberg eingerichtete, sehr umfangreiche Depot hat in erster Linie die Aufgabe, die kostbarsten ortsgebundenen Gegenstände aufzunehmen und ich würde dorthin sehr gerne auch einige, unter Ihrer Verwaltung stehenden Objekte, vor allem die Tafeln des Hohenfurter Meisters63 und den Tassilokelch64 verbringen. […] Ich bitte um Mitteilung, ob sie mit meinem Vorschlag einverstanden sind und ob sie allenfalls noch andere besonders wertvolle Gegenstände zur Verwahrung in diesem Depot bestimmen wollen.65
Reimer bekundete Interesse und beauftragte den Chefrestaurator des Kunsthistorischen Museums in Wien, Josef Hajsinek, als Fachmann für Gemäldekonservierung mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens.66 In der Folge setzte sich Reimer mit Helmut von Hummel, dem persönlichen Referenten Martin Bormanns, des Chefs der Parteikanzlei und Sekretärs des »Führers«, in Verbindung, um bei etwaig auftretenden »Naturkatastrophen« nicht die alleinige Verantwortung tragen zu müssen.67 Gegen Ende des Jahres 1943 zeichnete sich ab, dass die im Stift Kremsmünster gelagerten Objekte für das geplante »Führermuseum« an Ausweichstellen ausgelagert werden müssten. Die Umbergevorschläge lauteten: 1. für Gemälde das Springerwerk in Aussee, 2. für größere Gemälde und einen Teil des Mobiliars Schloss Thürnthal in Niederdonau, 3. für Kunstgewerbe und die wertvolleren Möbel Stift Hohenfurth im heutigen Vyšší Brod, das seit dem Münchner Abkommen zum Gau Oberdonau zählte, sowie 4. für das Münzkabinett, noch unter Vorbehalt, Schloss Fischlham in Oberdonau.68 63 Die Hohenfurter Tafeln (KG-Nr. 1392–1398) wurden von Herbert Seiberl tatsächlich ohne Bestätigung vor Juli 1944 abseits der laufenden Transporte nach Aussee verbracht. Vgl. KHM-Archiv, Bergung, Fasz. 4, XIII 104, M. Sochor, unfoliiert. 64 Der Tassilokelch befand sich – wie aus Eders Untersuchungsbericht zu Metallkunstgegenständen vom 10.3.1944 hervorgeht – mit Vortragkreuz und zwei Kerzenleuchtern in Sonderverwahrung. Vgl. BDAArchiv, Restitutionsmaterialien, K. 22/3, M. 5, fol. 9. 65 BArch Koblenz, B 323/106, Herbert Seiberl an Gottfried Reimer, 9.10.1943. 66 Auszug aus dem Berichte über die im Bergbaue X [Altaussee] im Jahre 1944 gemachten Beobachtungen und Erfahrungen. Der in Auftrag gegebene Bericht Josef Hajsineks wurde auszugsweise in Abschrift bei den Beratungen über die Eignung des Salzbergwerkes in Lauffen herangezogen. Vgl. BArch Koblenz, B323/108, unfoliiert, Gottfried Reimer an Fritz Dworschak, 21.10.1943, Abschrift; BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2/2, unfoliiert, Erklärung über die Eignung des Lauffener Berges als Bergungsort für Gemälde!, 24.3.1945. 67 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 10, M. 16, fol. 16v, Gottfried Reimer an Herbert Seiberl, 23.10.1943. 68 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22/3, M. 5, o. Zl., fol. 32, Bericht Franz Jurascheks: Denkmalschutz in Oberdonau, Luftschutz, Bergung von beweglichem Kunstgut, 4.1.1944, Zweite Besichtigung
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Gottfried Reimer war bei seinem Besuch in Bad Aussee vom 13. bis zum 16. Dezember 1943 nach wie vor unentschlossen, das Salzbergwerk Altaussee als Ausweichstelle anzunehmen. Er hielt an der Idee fest, die im Stift Kremsmünster lagernden Kulturgüter an Bergungsorte in Mitteldeutschland verbringen zu lassen. Im Laufe seines Aufenthalts konnte Reimer allerdings von der Eignung des Ausseer Bergwerks zur Bergung hochrangiger Kunstwerke überzeugt werden und wurde sogar zur »besten Stütze« der Idee.69 Der Auftrag zur raschen Umbergung erfolgte per Fernschreiben Adolf Hitlers vom 25. Dezember 1943. Die Kosten sollten durch die »Führerkanzlei« über den »Sonderbeauftragten für das Kunstmuseum in Linz« beglichen werden.70 Neben dem Springerwerk war auch die Kapelle des Bergwerkes für die Aufbewahrung des Transportgutes aus Kremsmünster vorgesehen.71 Zumindest ab diesem Zeitpunkt wurde die ursprüngliche Funktion des stillgelegten Bergwerksabschnittes als Bergungsort des Instituts für Denkmalpflege und einzelner Gaukonservatoren auf den »Sonderauftrag« und folgend auf zahlreiche Einlagerungen aus dem »Altreich« und aus Westeuropa ausgedehnt. Franz Juraschek war der Überzeugung, innerhalb kürzester Zeit mit nur fünf Möbelwägen über 2.000 für das »Linzer Kunstmuseum« bestimmte Gemälde von Kremsmünster nach Bad Aussee befördern zu können.72 Die ersten Waggons standen am 10. Jänner 1944 mit 295 Gemälden zum Abtransport nach Bad Aussee bereit und einen Tag später ein weiterer mit 199 Gemälden. Obwohl bis Anfang Februar schon 2.487 Bilder (Gemälde und Graphiken) laut Listen nach Aussee gebracht werden konnten, nahm diese Aktion letztlich beinahe sechs Monate in Anspruch. Zwischenzeitlich fanden die Umbergungen der großformatigen Gemälde, einiger beschädigter Bilder und kistenweise Kunstgewerbeobjekte von Stift Kremsmünster nach Schloss Thürnthal in Niederdonau statt.73 Erst nachdem die ersten Transporte von Kremsmünster nach Bad Aussee erfolgt waren, informierte Gottfried Reimer Ludwig Berg, dass er Herbert Seiberl als Leiter
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von Altaussee (Helmut von Hummel, Gottfried Reimer, Dr. Buchner/München, Herbert Seiberl, Franz Juraschek). BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22/3, M. 5, fol. 32, Bericht Franz Jurascheks: Denkmalschutz in Oberdonau, Luftschutz, Bergung von beweglichem Kunstgut, 4.1.1944. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22/3, M. 5, fol. 12, Franz Juraschek an Oberregierungsrat Walk in Linz, 19.2.1944. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1, fol. 38, Emmerich Pöchmüller an Herbert Seiberl, 28.12.1943. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22/3, M. 5, fol. 32, Bericht Franz Jurascheks: Denkmalschutz in Oberdonau, Luftschutz, Bergung von beweglichem Kunstgut, 4.1.1944. Archiv des KHM, Bergung, Fasz. 4, XIII 104, M. Sochor, Zusammenstellung des Abtransportes nach B. A. (Bad Aussee), Thth. (Thürnthal), H.fth. (Hohenfurth).
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118 Anneliese Schallmeiner des reichsunmittelbaren Instituts für Denkmalpflege und einige seiner wissenschaftlichen und technischen Mitarbeiter im engsten Einvernehmen mit Martin Bormann für diese Aktion heranziehen müsse. Im selben Schreiben gab Reimer bekannt, dass er Seiberl mit seiner ständigen Vertretung am neuen Ausweichsbergungsort beauftragt habe, und bat mit Verweis auf Seiberls Funktion als Gaukonservator für Wien dessen Abwesenheit für längere Zeit zu entschuldigen.74 In weiterer Folge wurde Seiberl von Bormann angewiesen, eine gemeinsame Dienststelle des »Führer-Sonderbeauftragten für das Kunstmuseum Linz« und des Wiener Instituts für Denkmalpflege in Bad Aussee zu errichten. Die Dienststelle sollte mit der Bahn leicht erreichbar und dem Salzberg so nahe wie möglich sein. Infolge Seiberls Vorschlag einigte man sich auf die unbenutzten Räumlichkeiten der im Juli 1943 beschlagnahmten Villa Bernina.75 Für den Generalkulturreferenten Hermann Stuppäck ließ sich die lang andauernde Tätigkeit Seiberls in Bad Aussee, die nur durch wenige kurze Aufenthalte in Wien unterbrochen war, nicht mit dessen Funktion als Gaukonservator vereinbaren. Seine Anwesenheit in Wien wäre vor allem für Maßnahmen nach Luftangriffen auf Wien unerlässlich. »Es wäre mir jedenfalls nicht möglich, die Verantwortung für die Folgen zu tragen[,] die sich aus einer dauernden Abwesenheit Dr. Seiberls ergeben würden. Ich nehme an, dass inzwischen die in Bad Aussee laufende Aktion […] so eingeführt ist, dass in Hinkunft fallweise Besuche Dr. Seiberls in Aussee zur gesicherten Fortführung […] ausreichen werden.«76 Mitte Mai 1944 setzten die Bergungstransporte vom sogenannten »Führerbau« in München nach Altaussee ein.77 Anlässlich dieser Einlagerungen, für die das Kammergrafenwerk vorgesehen war, beschloss man nun die Bilderbestände endgültig nach Formaten aufzustellen und die Mittelstellagen in den einzelnen Räumlichkeiten für Bilder sowie die seitlichen für anderweitiges Bergungsgut zu nutzen, was den Vorteil hatte, einen nochmaligen Transport der bereits eingebrachten Kunstwerke innerhalb des Bergwerks zu vermeiden und damit verbundene neue Gefahrenquellen auszuschließen.78 Mit den ersten sechs Lieferungen, die sich bis in den September 1944 hinzo-
74 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 7, fol. 37, Gottfried Reimer an Ludwig Berg, 31.1.1944, Abschrift. 75 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 8, fol. 15, Herbert Seiberl an den Landrat von Gmunden, 4.2.1943, Abschrift. Hierbei handelte es sich um die im Juli 1943 beschlagnahmte Villa von Susanne Paul. 76 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 7, fol. 36, Hermann Stuppäck an Gottfried Reimer, 8.3.1944, Abschrift. 77 Zum »Führerbau« siehe den Beitrag von Meike HOPP und Stephan KLINGEN in diesem Band. 78 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 4, fol. 43, Herbert Seiberl an Gottfried Reimer, 25.8.1944, Abschrift.
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gen, kamen weitere 1.210 Gemälde aus München hinzu. Die nachfolgenden Sammeltransporte umfassten Objekte aus verschiedenen Kunstsparten. Der letzte wurde am 23. April 1945 in München abgefertigt. Er beinhaltete diverse Bronze- und Marmorbüsten und den Rest der Alten Meister aus der Sammlung des »Führers«.79 Adolf Hitlers Bedenken bezüglich der Auswirkung des Lichtmangels auf die Farben der Gemälde im Bergwerk, und seinen Vorschlag, wie dem entgegenzusteuern wäre, hielt Herbert Seiberl in einem Schreiben an Gottfried Reimer fest: Der Wunsch des Führers, dass die Kunstwerke in bestimmten Zeitabschnitten aus dem Bergwerk herausgebracht werden, scheint mir undurchführbar zu sein, wenn die Anordnung sich tatsächlich auf alle Kunstwerke beziehen sollte. Da die Einbringung der Kunstgegenstände in Anbetracht ihrer grossen Anzahl mindestens 4 Monate in Anspruch nimmt, so wäre nicht daran zu denken, jedes Kunstwerk in wiederkehrenden Zeitabständen ans Tageslicht zu bringen.80
In die Hochphase der Bergungstätigkeit fällt die vom Chemiker des Instituts Maximilian Eder Anfang Mai 1944 verfasste »Bergungs-Ballade« (Transkription am Ende dieses Beitrags).81 In 47 Strophen schildert er seine Eindrücke rund um die Transporte von Kunstwerken und ihre Verbringung in den Berg sowie die Geselligkeit im Hotel Zur Post in Bad Aussee nach getaner Arbeit. Wesentlich für die Bergungsaktion waren die Mitarbeiter_innen der Denkmalbehörde, die sich teils zeitweise, teils auf Dauer in Bad Aussee aufhielten, um die Bergungsarbeiten und die eingelagerten Objekte zu betreuen. Sie werden in der Ballade oft humoristisch und fast verniedlicht dargestellt. Herbert Seiberl wird als »Entdecker der Idee«, Kunstwerke im Salzberg von Altaussee zu bergen, tituliert, als der er sich wohl gerne selbst gesehen hätte. Genau genommen würde diese Bezeichnung wohl eher dem Gaukonservator in Oberdonau, Franz Juraschek, zustehen, der jedoch in Eders Ballade unerwähnt bleibt. Neben schon genannten Personen aus der Denkmalbehörde, wie Seiberl und Eder selbst, wurden unter anderen die Kunsthistorikerinnen Alice Hoyos und Eva Kraft (später verheiratete Frodl-Kraft), die im Bergwerk hauptsächlich als Fotografin tätig war, die Fotografin
79 BArch Berlin, NS 6/413, 1.–11. Bergungstransport aus der Sammlung des Führers von München- Führerbau nach Altaussee. Von 17.5.1944 bis 23.4.1945 wurden 1.702 Sammlungsnummern gelistet, die für die Umbergung nach Altausse bestimmt waren. Eine Gesamtanzahl der zu bergenden Objekte kann auch hier nicht gegeben werden, da unter manchen Sammlungsnummern mehrere Gegenstände subsumiert waren. 80 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 2, fol. 51, Herbert Seiberl an Gottfried Reimer, 9.3.1944, Abschrift. 81 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 1a, unfoliiert, Bergungs-Ballade.
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120 Anneliese Schallmeiner Hilde Schrader, der Institutsrestaurator Emmerich Bergthold, der Referent des »Sonderauftrags« Gottfried Reimer und die Mitarbeiter der mit den Transporten beauftragten Speditionsfirma Bartz und des Bergwerkes mit Strophen bedacht. Der Salzberg als Sammeldepot. Kulturgüterschutz und Raubkunstumbergung aus dem Westen
Von Seiten der Reichskanzlei wurde für die Umbergung der Kunstwerke aus Stift Kremsmünster ins Salzkammergut strengste Geheimhaltung angeordnet. Eine Verwendung des Bergwerks durch andere Stellen – mit Ausnahme des Instituts für Denkmalpflege – sollte damit verhindert werden. Ohne Vorankündigung oder vorherige Absprache mit Bormann oder von Hummel trafen jedoch Bestände der Bibliotheken des Deutschen Archäologischen Instituts und der Hertziana aus Rom ein. Eine sofortige Einlagerung im Salzberg war erstens wetterbedingt nicht möglich, zweitens weigerte sich die Reichskanzlei, für die zusätzlichen Massen einen geeigneten Bergungsplatz im Berg zur Verfügung zu stellen, während gleichzeitig die Umbergungen aus Kremsmünster rasch abgewickelt werden sollten. Seiberl sah die Sache gelassener. Er wusste, dass mehr als genug Raum zur Disposition stand, da ja ursprünglich angedacht gewesen war, mehrere Gaukonservatoren der Donau- und Alpengaue in Altaussee bergen zu lassen. Bis ein geeigneter Raum im Salzberg gefunden wurde, lagerten die Bibliotheksbestände im Salzmagazin von Bad Aussee.82 Schon Ende Jänner 1944 wurde Herbert Seiberl von Helmut von Hummel bevollmächtigt, bei Eintreffen der ab März erwartetenTransporte des Raub- und Beutezuges »Aktion Berta« aus Paris diese zu übernehmen und notwendige Maßnahmen bezüglich der Bergung zu treffen.83 Unter einem verharmlosend-plumpen Decknamen versteckt, handelte es sich bei »Berta« um die systematische Plünderung zweier Wohnsitze des Bankiers Jean Baron Cassel van Doorn in Mont le mare und Cannes in Frankreich.84 Tausende Kunst-, Kultur- und Alltagsgegenstände wurden zeitgleich 82 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 5, fol. 29–31, Herbert Seiberl an Robert Hiecke, 3.5.1944, Abschrift. Für Bergungszwecke standen im Steinberghorizont das Helena von Sternbach-Werk, das Kaiser Franz Joseph-Werk, die Kapelle, die Mineralienkammer, das Monsberg-Werk, das Oberst Kammergrafen-Werk, das Probsten-Werk, das Wurmbrand-Werk und das Springer Steinsalz-Werk zur Verfügung. Die Gesamtfläche der ausgebauten Bergungsräume betrug in etwa 40.000 m2. Vgl. BDA, Materialien Brückler, Theodor BRÜCKLER, Zum Problem der Bergung, Gefährdung und Rettung der Kunstschätze im Salzbergwerk Altaussee (1943–1945). Vorgeschichte, Quellenkritik und Versuch einer chronologischen Rekonstruktion, teilweise unveröffentlichtes Typoskript, S. 1–62, hier: S. 15. 83 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 5, fol. 39, Vollmacht, 31.1.1944. 84 Vgl. Theodor BRÜCKLER, Schloß Thürntal als Kunstgut-Bergungsort während des Zweiten Welt-
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in Schloss Thürnthal und in Altaussee eingelagert. Im Zuge eines Umlagerungstransportes von Schloss Thürnthal mit zwanzig Kisten mit unverteilten Kunstgegenständen aus den b eschlagnahmten Sammlungen Louis und Alphonse Rothschild, Glasfenstern aus Maria am Gestade und Schloss Laxenburg im Juli gelangten weitere Möbel aus der »Aktion Berta« nach Aussee.85 Die Wägen wurden von Wachen des Sicherheitsdienstes (SD) begleitet, die auf Anordnung Reimers dazu angehalten waren, während der Dauerihres Aufenthaltes ausschließlich Zivilkleidung zu tragen. Auf keinen Fall sollte es zu einer Entladung kommen, bevor die vorgesehenen Bergungsräume bereit stünden. Zu einer nochmaligen Befassung bezüglich der Eignung des Salzbergwerkes als Kunstbergungsdepot kam es im Vorfeld der geplanten Umbergungen der Objekte des »Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg« (ERR) aus den Schlössern Neuschwanstein und Herrenchiemsee in Bayern. Diese waren ursprünglich für den »Sonderstab Bildende Kunst« des ERR vorgesehen, in dessen Kompetenzbereich unter anderem die Beschlagnahme von Kunst- und Kulturgütern aus jüdischem Eigentum in Frankreich und Belgien fiel. Es handelte sich hierbei um einen Bruchteil der in den Jahren 1941 bis 1944 von der »Dienststelle Rosenberg« geraubten Kunstgüter. Insgesamt wurden bei dem Raubzug mehr als 22.000 Objekte nach Deutschland verbracht, darunter Objekte aus den Privatsammlungen Maurice, Eugène und Eduard de Rothschild und David David-Weill.86 Mit den Einlieferungen von Möbeln, Bildern und Kunstgewerbe wurde ab Juni 1944 gerechnet.87 Der für die Konservierung der Kunstwerke vom ERR verpflichtete Restaurator Otto Klein machte nun »starke grundsätzliche Bedenken gegen die Unterbringung von Kunstwerken in jeder Art von Salzbergwerken« geltend. Vorsorglich wurden die Gemälde durch eine mit Colophonium präparierte Verpackung rückseitig und an den Rändern geschützt und die Vorderseiten mit einer entfernbaren Schutzfirnis überzogen.88 Im letzten Dreivierteljahr vor Übernahme des Salzberges durch die US-amerikanischen Truppen überschlugen sich die Ereignisse. Am 9. September 1944 kam ein seit dem Frühjahr erwarteter Transport aus München an. Dieser beinhaltete jedoch nicht Gemälde der Pinakotheken, sondern 70 Bilder aus der Schack-Galerie und den in zwei
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krieges, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich NF 63/64 (1997/1998), S. 205–224, hier: S. 214–215. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 4, fol. 46,Transportliste Thürntal – Aussee, 19.7.1944. Vgl. http://www.errproject.org/jeudepaume/about/err.php (17.7.2015). Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 5, fol. 5, Herbert Seiberl an Helmut von Hummel, 26.5.1944, Abschrift. BArch Berlin, NS 8/190, Alfred Rosenberg an Martin Bormann, 8.5.1944.
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122 Anneliese Schallmeiner Kisten verpackten Genter Altar, der zuvor in Schloss Neuschwanstein gelagert gewesen war.89 Für eine Sendung Möbel aus der ehemaligen Sammlung des deutsch-niederländischen Bankiers Fritz Mannheimer, die aus Stift Hohenfurth in Altaussee eintraf, musste Ende November Platz gefunden werden. Die mehr als 3.000 Objekte aus allen Kunstsparten umfassende Sammlung war über die »Dienststelle Kajetan Mühlmann« in Holland im Auftrag Adolf Hitlers angekauft, inventarisiert, von dem Kunsthistoriker Franz Kieslinger bewertet und in drei Katalogen 1941 abgedruckt worden.90 Einige Bilder aus Hitlers Berghof am Obersalzberg bei Berchtesgaden kamen ebenfalls im November 1944 in Bad Aussee an und wurden im dortigen Salzmagazin zwischengelagert, bevor sie im Dezember in den Salzberg gebracht werden konnten.91 Als Ende April 1945 durch die Platzierung von Sprengstoffkisten in mehreren Teilen des Bergwerks die Absicht Gauleiter August Eigrubers, das Bergungsdepot Altaussee zu sprengen, offensichtlich wurde, kam es zur letzten Umbergung, bevor die eingelagerten Objekte durch die US-amerikanischen Kunstschutzbeauftragten nach München in den Central Art Collecting Point ausgelagert wurden. Seiberl beschloss, mit einigen seiner Mitarbeiter_innen die aus seiner Sicht wertvollsten Kunst- und Kulturgüter zu retten. Die besten Stücke österreichischer Herkunft wurden aus dem Berg geholt, während die bedeutendsten ausländischen Kunstwerke innerhalb des Salzberges so verlagert wurden, dass sie im Fall einer Explosion dennoch geschützt wären.92 So lagerte nach der Übernahme des Bergungsdepots durch die US-Truppen ein Teil der durch das Institut für Denkmalpflege im Salzbergwerk deponierten Kunstwerke – wie die Dompfeiler figuren aus dem Wiener Neustädter Dom oder das Bergungsgut aus dem Museum der Piaristenkirche in Krems – in der Pfarr- und Spitalskirche in Bad Aussee.93 Jahre später schilderte Franz Juraschek: Mit Herbert Seiberl hatte er die Altdorfer Tafeln aus dem Stift St. Florian, gotische Tafelgemälde aus dem Neukloster in Wiener Neustadt aus dem Bergwerk entfernt und versucht, sie über den Pötschenpass Richtung Bad Ischl zu verbringen. Auch der Tassilokelch aus Stift Kremsmünster soll Teil dieser Aktion gewesen sein. 1951 gab Juraschek an, dass er die Tafelbilder nicht, den Kelch jedoch schon 89 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 4, fol. 41, Herbert Seiberl an Gottfried Reimer, 9.9.1944, Abschrift; FRODL-KRAFT 1997, S. 359. 90 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 12, Franz KIESLINGER, Mannheimer II, Wien 1941, S. 3–4. 91 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 4, fol. 22, Alice Hoyos an Karl Sieber, 16.11.1944, Abschrift. 92 DÖW, Nr. 3475, Gendarmerieposten Altaussee an Bundesministerium für Inneres, 26.2.1947, Abschrift. 93 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 27, M. 10, fol. 7.
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in Sicherheit bringen hatte können: »Nur der Tassilokelch selbst, den ich im Rucksack mitten durch die sich auflösende Ordnung glücklich hindurchrettete, konnte dem Pfarrer in Pettenbach (Kremsmünster Pfarre) zur Aufbewahrung übergeben werden. Er hat ihn – es war ein 70ig jähriger alter Herr – während der Tage des Einmarsches und der Unruhe in seinem Nachtkästchen eingestellt gehabt.«94 Am 3. Mai 1945 befahl der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, Ernst Kaltenbrunner, der sich schon im April 1945 nach Bad Aussee zurückgezogen hatte – dank der Entschlossenheit des Widerstandskämpfers Alois Raudaschl – im Beisein von Bergmeister Otto Högler den Abtransport der Bomben. Einen Tag später kam der Gegenbefehl Eigrubers, die Bomben sofort wieder in den Berg zurückzubringen, der jedoch nach einer heftigen telefonischen Auseinandersetzung Kaltenbrunners mit Eigruber wieder aufgehoben wurde. Die Kisten mit der berühmt gewordenen, orthografisch zweifelhaften Tarnaufschrift »Vorsicht Marmor – nicht stürtzen« verblieben außerhalb des Salzberges. Am 8. Mai 1945 wurde dieser von der 3. US-Armee unter General George Patton übernommen.95 Schlussbemerkung
Oftmals wurde versucht, anhand der im Zuge der Bergungen entstandenen Listen und Inventare die Einlagerungen quantitativ zu erfassen – ein problematisches und nach derzeitigem Forschungsstand schier unmögliches Unterfangen, bei dem unbrauchbare Zahlen zustande kommen.96 Zwar ist aus den historischen Quellen vermutlich der Großteil der geborgenen Objekte annähernd zu erfassen, doch ergibt sich eine Dunkelziffer durch in den Listen nicht angeführte, einzelnen Transporten beigegebene Objekte. Eine grobe Einschätzung beziehungsweise ein Überblick findet sich in einer von Herbert Seiberl oder Karl Sieber erstellten »Zusammenfassung der mir bekannten Einlagerungen im Salzbergwerk Altaussee«. Obwohl diese Auflistung von einem Zeitzeugen wahrscheinlich kurz nach dem Mai 1945 angefertigt wurde, vermerkte dieser 94 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 2, fol. 0, Franz Juraschek an Vernon Kennedy, 8.1.1951, Abschrift. Schon die Geschichte seiner Bergung, ebenfalls von Juraschek beschrieben, erscheint ungewöhnlich. Juraschek behauptete, der Tassilokelch wäre nur mit seinem Wissen und dem zweier weiterer Personen aus Sicherheitsgründen in Lauffen geborgen worden, während man allgemein dachte, er hätte sich im Salzbergwerk Aussee befunden. »Inzwischen aber ruht das unschätzbare Gefäß vom Jahre 777 unbeachtet hinter vielen hundert Stapeln von Archivalien in einer einfachen Kiste mit der Aufschrift ›Plansammlung‹ in einem ganz anderen Berge«. Franz JURASCHEK, Die Klosterdenkmale Oberösterreichs. Ihr Schicksal in und nach dem Kriege, in: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereins 92 (1947), S. 84–99, hier: S. 96. 95 Vgl. BRÜCKLER 1997, S. 376–379. 96 Vgl. BRÜCKLER o. D., S. 15–16.
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124 Anneliese Schallmeiner selbst, dass in der Liste eine große Anzahl an Kunstgütern, für die keine Einlagerungslisten vorliegen, unberücksichtigt geblieben sei.97 Stand Herbert Seiberl als Leiter der Zentralstelle für Denkmalschutz der gesamten Denkmalpflege der »Ostmark« vor, wurde im Zuge der Umwandlung der Zentralstelle in ein reichsunmittelbares Institut sein Einfluss auf die Länder stark beschnitten. Mit Aussee hatte er sich eine Möglichkeit geschaffen, sich wieder in die erste Reihe zu stellen. Nachdem er erkannt hatte, dass ihm für sein Institut und die Bergungen aus Niederdonau und Wien enorme Flächen zur Verfügung standen, verfolgte er schon nach kurzer Zeit das Ziel, Gottfried Reimer und Helmut von Hummel von seinem idealen Bergungsort zu überzeugen. Durch Einlagerungen wie die des Genter Altares, der Sammlung des »Führers« oder der Brügger Madonna von Michelangelo und die verhinderte Sprengung wurde und wird der Salzberg als Bergungsort bis heute mythisch überhöht wahrgenommen. Einlagerungen der Parteikanzlei Berlin mit vier Frequenzmaschinen, zwei Motoren, zwei unverpackten Apparaten oder der eine Posten Möbelstoffe von der Verwaltung Obersalzberg lassen ihn jedoch wiederum wie einen einfachen Bergungsort unter unzähligen anderen erscheinen.
97 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 22, M. 3, fol. 1–2, Auflistung der Einlagerungen, o. D.
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Bergungs-Ballade 1.
Wo behütet von den Gnomen Tief im Berg das Steinsalz ruht, Sieht man, dass seit vielen Wochen Sich andres als bisher tut.
2.
Durch den stillen Waldesfrieden Schwanken Elefanten gleich Hochbelad’ne Raupenschlepper Zu Bergrat Högler’s Marktbereich.
3.
Immer höher mit Gedröhne Stampfen sie den Berg hinauf »Wären wir nur schon glücklich oben« Sagen sich Wölfl und Frühauf.
4.
Angeklemmt mit Händ’ und Füssen Hocken auch noch Passagiere, Neben hinter, auf den Frachten, Zwei bis drei, auch manchmal viere.
5.
Was nur haben sie gefrachtet, Umsorgen es so muttergleich? Kostbare Bilder, Bronzen sind es: Die führen sie ins Gnomenreich!
6.
Oben am Berge angekommen, Steht skeptisch musternd Meister Kain Er zählt im Stillen schon die Stunden Wann die Aktion zu End’ wird sein.
7.
Nun geht’s los! Die Schar der Parker Regt sich, echtes Volk von Wien, Sanft und duldsam unter ihnen Werkt der »Pfarrer« Antonin.
8.
Nicht immer unter sich harmonisch Befördern sie die Schlepperlast Nun zum Zug der Grubenhunde Mit Humor doch – ohne Hast.
9. Erfreulich ist ihr Kunstverständnis Das sie nicht selten offenbaren
Für Bilder schön gemalter Frauen, Wenn diese schwach bekleidet waren.
10. Indes voll strikter Sachlichkeit Prüft, registriert Frau Doktor Krafft Und ist erfüllt von dem Probleme Wie sie die Bilder weiterschafft. 11. In der schmucken Knappentracht, Männlich energieerfüllt Sorgt sie, dass des Reiches Güter Sauber trocken eingehüllt. 12. Und behend auf die Maschine Schwingt Frau Doktor Krafft sich dann Auf dem Zug die Parker fluchen – Jeder tut eben, was er kann. 13. In den Stollen fahren nun die Hunde Bald umfängt uns kalte Nacht Jeder sorgt mit bangem Herzen Dass kein Bild zusammenkracht. 14. Und beim Scheine der Laternen Glitzert rings es mineralisch Flackern lange, schwarze Schatten, Kurzum: Dante – infernalisch. 15. Auf Erden gibt’s ja viel zu sehen Im Sonnenschein bei Tageslicht Schöne Bilder, Bronze-Figuren, Doch was unten, kennt ihr nicht! 16. Hier, geborgen im Schutz der Gnomen Ruht das Konzentrat der Kunst Chemiker und Kunstgelehrter Schützen es vor Salzesdunst. 17. »Wässerig« hat einst gehortet Alberich die Schätze sein Die modernen Nibelungen »Salzen« ihre Schätze ein.
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126 Anneliese Schallmeiner 18. Einfach schreibt sich dieses nieder Doch der Laie ahnt es nicht Welche Arbeit hier geleistet Im kalten Berg beim Grubenlicht.
27. So zum Beispiel muss ich sagen Förderlich auf diesem Wege Ist und bleibt ganz ohne Zweifel Das Institut für Denkmalpflege.
19. Wie die Hirne sich zermartern Wie die Muskeln spannen sich Und am schwersten fällt die Sache Doktor Reimer sicherlich.
28. Keiner ist hier ausgenommen, Ob alt ob jung, ob Mann ob Weiberl, Schaffen sie im Dienst der Sache, Angeführt von Doktor Seiberl.
20. Doch wie Siegfried einst gemeistert Das Problem den Schatz zu bergen »Gottfriedchen« gelingt’s nicht minder Im Salzberg unten bei den Zwergen.
29. Sozusagen »Salzbergsvater« Als Endecker der Idee Hat als Erster er begonnen Die Aktion von Alt-Aussee.
21. Keiner kennt wie er die Wege In der Stollen Labyrinth Selbst wo Meister Kain gezögert Sicher er zurecht sich find’t.
30. Zahlreich ist sein Dienstgefolge Das gleich Satelliten ihn Wechselweise stets begleitet Zwischen Bad Aussee und Wien.
22. Manchmal wandert er alleine Nur mit seinem Grubenlicht Und erprobt ob’s nicht am Ende Dem Chemiker an Mut gebricht.
31. Alle folgen sie gern dem Rufe Wenn es heisst: Auf nach Aussee Nur Frau Skoflek aus Marg’rethen Schmerzt dies: sie hat Heimatweh!
23. Lautlos schleicht er sich heran Dunkelt ab und rührt sich nicht Und erwartet dass der And’re Nun vor Schreck zusammenbricht.
32. Doch die schöne Gräfin Hoyos Und das blonde Fräulein Schrader Finden es am Berg entzückend Und in Wien bedeutend fader.
24. Oft auch führt er Komissionen [sic] Viele Stunden durch die Stollen Eifrig will er alles zeigen – Diese bald nach Hause wollen.
33. Selbst Herr Viehböck, meistens mürrisch Es zu schätzen sehr versteht Wenn auch ihm der Ruf gegolten Und es auf die Reise geht.
25. Ja, so ist es oft und meistens: Was dem Einen Zweck und Ziel, Geht dem Andern auf die Nerven Denn er versteht davon nicht viel. 26. Doch durchdrungen von Verständnis Und durchpulst vom festen Willen Sind die engsten Mitarbeiter Den hohen Auftrag zu erfüllen.
34. Auch die Herren Restauratoren Restaurieren sich selbst hier gut Andernteils bestehen noch Zweifel Was der Meister Berghold tut. 35. Denn es scheint dass dieser Künstler Sich ungern nur vom Flakturm trennt Denn als altem Weltkriegskämpfer Streitlust ihm im Busen brennt.
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36. Doch was wär’ die bunte Reihe Fehlte Dresden’s Schönheit uns Dass sie stets in unsrer Mitte Ist Herrn Doktor Reimers Wunsch.
42. Allgemach wird diese Gegend Eine Künstler-Kolonie Und es bildet sich ein Kampftrupp Gegen des Feindes Perfidie.
37. Wie ein zartes Alpenröslein Ultraviolet getönt Unentbehrlich für den Gottfried Wird von allen sie verwöhnt.
43. Wird einst aber wieder Frieden Und die Welt ist frei geworden Kriegen wir dann samt und sonders Jeder einen schönen Orden.
38. Wenn dann nach des Tages Arbeit Im Hotel »Zur Post« vereint Alle froh beisammen sitzen Gibt’s nichts Schön’res, wie mir scheint.
44. Dann erblicken all die Schätze Wiederum das Tageslicht Des Kenners Kunstsinn zu erfreuen Und Bergungsorte braucht man nicht.
39. Das Präsidium führt wie immer Liebenswürdig Doktor Reimer Und er sagt sich: Trotz der Lasten Nicht so schlecht lebt unsereiner.
45. Dann wird beendigt die Aktion Mit einem grossen Freudenfest Das soll so grandios verlaufen, Dass solches noch nicht dagewest.
40. Kommt dann später Doktor Seiberl Geistvoll witzig episch breit Könnte man sich rückversetzen In friedlichste Vergangenheit.
46. Dies Fest soll für mich Anlass sein Den Pegasus erneut zu spornen Bis dahin möge Glück uns bringen Die Tätigkeit der Schicksalsnornen
41. Wenn das Bild ich nunmehr runde Und überblicke das Geschehen Sag’ ich mir, von mir aus kann es Wochenlang noch fort so gehen.
47. Damit end’ ich die Ballade Von der Aktion bei Alt-Aussee Man verzeih’ des Dichters Freiheit: Gut gemeint war die Idee.
7. 5. 1944 Maximilian Eder Transkription: Lisa Frank, 29. Jänner 2009
Finis
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»Hier feiert der Luftschutz Orgien« Die Bergungsmaßnahmen der Graphischen Sammlung Albertina unter George Saiko
Pia Schölnberger
Die flächendeckenden Bergungen beziehungsweise Auslagerungen von Kunst- und Kulturgut während des Zweiten Weltkrieges unterlagen der Geheimhaltung. Dennoch wollte der für die Wiener Museen zuständige Reichsstatthalter Baldur von Schirach diese Vorgänge augenscheinlich für die Nachwelt festhalten lassen. Zu Beginn des Jahres 1944 erteilte er dem Wiener Maler und Architekten Oskar Laske anlässlich von dessen 70. Geburtstag den Auftrag, ein Kunstwerk mit dem Titel Bergungsort zu schaffen. Laske, dem zu diesem Zweck gestattet wurde, Beamte der Reichsstatthalterei auf einer Fahrt nach Schloss Schönborn1 zu begleiten, schilderte die Szenerie, die sich ihm dort bot, eindrücklich in seinem Tagebuch: In den prächtig, barock ausgestatteten Sälen ist nun ein drolliges Kunterbunt von Teilen des Donnerbrunnens, Incunabeln, Büchern, Büsten und Keramik aus allen Museen Wiens. Am besten wirkt es aber, dass die ausgestopften Viecher des naturhistor. Museums unter all dem stehen. Nashorne, Tiger, Affen, Schildkröten, Zebus, A dler und Tapiere [sic] durcheinand. Das sieht einfach herrlich aus, besonders da alle Tiere sorgsam in Packpapier eingewickelt sind, mit Spagat noch umwickelt. Die Schwänze kunstvollst um und um gewunden. War hier ein sonderbares Licht, das wirkt, wie originell auch an Farbe, kann man sich vorstellen. Da etwas Wein u Brötchen vorhanden waren, feierten wir bei einer Pause den Nachmittag und die traurigen Köpfe von einem Kamel und andere sahen über unsere Schultern gebeugt interessiert zu.2
Wie Laskes Aufzeichnungen nahelegen, waren in Schloss Schönborn Bestände des Naturhistorischen Museums, der Österreichischen Galerie oder des Kunstgewerbemuseums gelagert. Angesichts der dortigen Geschehnisse muss das in seinem daraufhin angefertigten Aquarell (Abbildung 1) zutage tretende Chaos bei aller Heiterkeit allerdings 1 2
Schloss Schönborn liegt südöstlich der Marktgemeinde Göllersdorf und nordöstlich der Stadt Stockerau im Bezirk Hollabrunn in Niederösterreich. Leben und Taten des Malers Oskar Laske, 2. Bd., Albertina, Inv. Nr. 35007/2/6–7. Dabei handelt es sich um tagebuchartige, mit zahlreichen Illustrationen versehene Aufzeichnungen in 14 Bänden, beginnend 1941 bis zum Todesjahr des Künstlers 1951. Vielen Dank an Cornelia Reiter für den Hinweis auf diese Quelle.
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Abbildung 1: Oskar Laskes Zeichnung »Bergungsort« (Deckfarbe, Bleistift), 1944 in Auftrag gegeben von Gauleiter Baldur von Schirach
als trauriger Vorbote für die massiven Verluste, vor allem von dort ebenfalls gelagerten Werken der Gemäldegalerie der Wiener Akademie der bildenden Künste, gelten.3 Wie Schirach als Auftraggeber die allzu ironische Umsetzung seines Auftrags fand, ist nicht bekannt. Er übergab das Bild jedenfalls umgehend der Graphischen Sammlung Albertina, deren umfangreiche Bestände zu diesem Zeitpunkt bereits fast vollständig ausgelagert waren. Zustände wie die von Laske in Schönborn mit Erstaunen beobachteten versuchte man an jenen Bergungsorten, an welchen die grafischen Werke der Albertina vor den Auswirkungen des Krieges in Sicherheit gebracht waren, tunlichst zu vermeiden – zumeist mit Erfolg.
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Vgl. dazu René SCHOBER in diesem Band. Darin weist der Autor jedoch nach, dass der Großteil der Werke nach der Befreiung wohl durch Plünderungen von Angehörigen der Roten Armee in Verlust geraten ist.
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Bergungsverantwortlichkeiten
Die Bergung der Sammlungsbestände der Albertina ist untrennbar mit einer – aus einem anderen Zusammenhang der österreichischen Kulturgeschichte bekannten – Person verknüpft, dem Schriftsteller George Saiko. In der Regel fungierten in den staatlichen Museen die Museumsdirektoren selbst als Bergungsverantwortliche für die ihnen anvertrauten Sammlungen, wobei sie zunächst dem Ersten Direktor des Kunsthistorischen Museums, Fritz Dworschak, unterstellt waren, der für die unversehrte Erhaltung der Kunstgüter an den Bergungsstellen verantwortlich war.4 Anstelle des von Krankheit gezeichneten kommissarischen Leiters Anton Reichel war in der Albertina allerdings de facto Saiko für die Bergungen zuständig. Kajetan Mühlmann, Staats sekretär für Kunst in der Landesregierung Arthur Seyß-Inquart, hatte den promovierten Kunsthistoriker im Februar 1939 als Ersatz für den als »Halbjude« in den Ruhestand versetzten langjährigen Kurator Benno Fleischmann an die Albertina geholt. Die Problematik der Auseinandersetzung mit Saikos Biografie liegt – wie so oft – in der Diskrepanz zwischen seinen eigenen Angaben nach 1945 und den zum Teil widersprüchlichen Informationen aus zeitgenössischen Quellen. So galt er jahrzehntelang als Verfolgter des NS-Regimes, da er 1938 Schreibverbot erhalten habe.5 Die Archivakten belegen jedoch, dass er aufgrund seiner »in geringfügigem Umfang erscheinenden« Veröffentlichungen von der Mitgliedschaft zur Reichsschrifttumskammer befreit wurde.6 Ebenso verhält es sich mit seiner angeblichen Widerstandstätigkeit, die ihn dazu gebracht habe, ein auf seinen eigenen Namen ausgestelltes Affidavit an einen verfolgten Freund weiterzugeben. Dies stellt sich jedoch angesichts der Tatsache, dass derartige Dokumente nicht übertragbar waren, als unmöglich heraus.7 Allerdings dürfte Saiko vor allem gegen Kriegsende auch Kontakte zur österreichischen Widerstandsbewegung geknüpft haben.8 Vor dem Hintergrund dieser schwer fassbaren Biografie ist auch der 4 5 6 7
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Archiv der Albertina, Zl. 886/1939, Friedrich Plattner, Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, an den kommissarischen Leiter der Graphischen Sammlung Albertina, 8.9.1939. So in einem Brief Saikos an den Limes Verlag vom 14. März 1950. George SAIKO, Sämtliche Werke in fünf Bänden, Bd. 5: Briefe, hg. v. Adolf HASLINGER, Salzburg-Wien 1992, S. 247. BArch Berlin, RKK 2101, Georg Saiko. Vgl. hierzu Pia SCHÖLNBERGER, Emil Geyer – Ein Sammler im Verborgenen, in: Eva BLIMLINGER, Heinz SCHÖDL (Hg.), Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 5), Wien-Köln-Weimar 2014, S. 135–160, hier: S. 137–138. Zu Saikos Rolle als für die Bergungen der Albertina verantwortlicher Mitarbeiter siehe außerdem Renate S. POSTHOFEN, Treibgut. Das vergessene Werk George Saikos (= Literatur und Leben 46), Wien-Köln-Weimar 1995, S. 69–74. So erhob neben Saiko nach 1945 nur noch der Widerstandskämpfer August Hermann Zeiz unter seinem Pseudonym Georg Fraser teilweise wortident dieselben Vorwürfe gegen Ludwig Berg. Vgl. WStLA, Volks-
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132 Pia Schölnberger Bericht über die Bergungshandlungen der Albertina zu lesen, den Saiko im Jahr 1947 dem Bundesministerium für Unterricht vorlegte.9 Dabei nahm er als einziger der mit den Bergungen betrauten Museumsleute eine eindeutige Gegenposition zu Dworschak sowie vor allem zum obersten Bergungsleiter in der Reichsstatthalterei in Wien, Ludwig Berg, ein, den er vor der Sonderkommission, die dessen politische Einstellung gegenüber der wiedererrichteten demokratischen Republik Österreich zu prüfen hatte, als »das typische Beispiel des ›Collaborateurs‹« bezeichnete.10 Bergungsmaßnahmen für die grafische Sammlung
Dass die Zeichen auf Sturm standen, zeigte sich bereits im Juli 1939, als die Albertina den streng vertraulichen Auftrag erhielt, »die Sammlungsgüter nach Tunlichkeit für den Fall eines Luftangriffes zu schützen, bezw. zu bergen«.11 Wenige Wochen später teilte der stellvertretende kommissarische Leiter, Heinrich Leporini, dem Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten mit, dass die wertvollsten Bestände (Kategorie A) bereits verpackt und für einen eventuellen Abtransport bereitgestellt wären. Auch die Objekte der Gruppe B waren für eine rasche Unterbringung im Luftschutzkeller der Albertina hergerichtet, wo die restlichen Bestände »im Falle eines längere Zeit dauernden Kriegszustandes« ebenfalls untergebracht werden könnten.12 Obwohl Dworschak mit Hinweis darauf, dass auch das British Museum in London geschlossen worden sei, für eine gänzliche Schließung der staatlichen Museen plädierte, blieben diese geöffnet, da Wien vorerst nicht von Angriffen bedroht schien. Die Anweisung lautete lediglich, »sukzessive Bergungen u. Verpackungen vorzunehmen, wobei nur einzelne Säle vorübergehend u. unauffällig zu schliessen wären«.13
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gericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Georg Fraser an die Staatsanwaltschaft der Republik Österreichs, 13.7.1945. ÖStA/AdR, BMU, 15B1, K. 142, Zl. 2416/47, George Saiko an das Bundesministerium für Unterricht, o. D. ÖStA/AdR, BMU, Personalakten, K. 3/11, Ludwig Berg, Sonderkommission erster Instanz beim Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, Senat Nr. 8, Zl. 365/46, Verhandlungsschrift über die mündliche Verhandlung vom 15.2.1946, Zeugenaussage George Saiko. Siehe hierzu weiter unten S. 141–142. Archiv der Albertina, Zl. 791/39, Anton Reichel an die Adalbert-Stifter-Gesellschaft, 25.7.1939. D arin gab er diesen Bergungsauftrag an Friedrich Speiser aus dem Vorstand der Gesellschaft weiter, deren Sammlungsbestände auch in der Albertina aufgestellt waren. Archiv der Albertina, Zl. 826/39, Heinrich Leporini an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, 28.8.1939. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/3, M. 10, Zl. 338.130/39, Handschriftliche Beifügung, Entwurfsschreiben Friedrich Plattners, 26.8.1939.
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Kurz nach Kriegsbeginn wies ein ministerieller Erlass die staatlichen Museen an, den Ausstellungsbetrieb entsprechend der durch die Bergungen eingeschränkten Möglichkeiten wiederaufzunehmen.14 Die Albertina reagierte darauf mit der ab 5. Oktober 1939 gezeigten Ausstellung Die großen Epochen der Handzeichnung. Werk und Wiedergabe, in der neben Originalzeichnungen »aus dem Bestande der ›nicht geborgenen‹ Kunstblätter« auch Faksimiles von Meisterwerken aus dem In- und Ausland gezeigt wurden15 – ein Ausstellungsformat, auf welches mit Fortdauer des Krieges häufiger zurückgegriffen werden sollte. Kurz nach der von Baldur von Schirach im Herbst 1943 angeordneten Totalbergung infolge der ersten Bombenangriffe auf das Gebiet des vormaligen Ö sterreich, kündigte Reichel etwa die Ausstellungen Meisterzeichnungen der Albertina in Facsimile, Meister der Graphik des 15.–17. Jahrhunderts in Facsimile sowie Handzeichnungen Hans Holbeins d. J. in Facsimile an.16 Zu dieser Zeit präsentierte man – neben Werken, die temporär den jeweiligen Bergungsorten entnommen wurden, – außerdem geliehene Werke lebender Künstler, wie von Walter Klemm, Oskar Laske oder Adolph Schinnerer, die im Laufe des Jahres 1944 in der Ausstellungsreihe DeutscheGraphiker der Gegenwart präsentiert wurden. Dem Risiko eines Bomben angriffs wollte man Originale aus hauseigenen Beständen nicht mehr aussetzen.17 Unwahrscheinlich allerdings ist, dass Laskes kurz zuvor an die Sammlung übergebenes Aquarell Bergungsort öffentlich gezeigt wurde. Unmittelbar nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Westpolen Anfang September 1939 wurde also die – von Seiten der involvierten Behörden so genannte – A-Garnitur in insgesamt 137 Kisten in die Kartause Gaming, einem ehemaligen Kloster der Kartäuser im niederösterreichischen Mostviertel, verbracht. Darunter fielen die bedeutendsten Werke der Sammlung, allen voran die Handzeichnungen Albrecht Dürers, jedoch auch Meisterwerke von Anthonis van Dyck, Rembrandt, Peter 14 Dieser Erlass war dahingehend formuliert, »den öffentlichen Museumsbetrieb, der infolge der notwendig gewordenen Bergungsmassnahmen fast durchwegs vorübergehend unterbrochen werden musste, in dem nach den Bergungen unter Heranziehung der Depotbestände noch möglichen Umfang, soweit noch nicht geschehen, bei gleichzeitiger Verlautbarung in der Tagespresse ehestens wieder aufzunehmen und die betreffenden Sammlungen für das Publikum zu den normalen Besuchsstunden offen zu halten«. Archiv der Albertina, Zl. 916/1939, Friedrich Plattner an den Leiter der Graphischen Sammlung Alber tina, 20.9.1939. 15 Archiv der Albertina, Zl. 916/39, Anton Reichel an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV, 4.10.1939. 16 Archiv der Albertina, Zl. 486/43, Anton Reichel an das Generalreferat der staatlichen Kunstverwaltung, 31.8.1943. 17 Vgl. Pia SCHÖLNBERGER, Ein »deutsches Kunstinstitut«. Die Albertina in der NS-Zeit, in: Neues Museum. Die österreichische Museumszeitschrift 13 (2013) 3/4, S. 10–17, hier: S. 15.
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134 Pia Schölnberger Paul Rubens, Raffael, Paolo Veronese oder Giovanni Battista Tiepolo. Neben französischen Handzeichnungen des 18. Jahrhunderts, wie von Jean-Honoré Fragonard oder François Boucher, fanden sich aber auch wenige Werke österreichischer Künstler des 19. Jahrhunderts wie Carl Schindlers oder Jakob und Rudolf von Alts in diesem Bergungsgut.18 Für George Saiko war Gaming – wie alle anderen über das Land verstreuten Depots – jedoch nicht sicher genug, da die Objekte nicht unter der Erde, sondern im Parterre und im Hauptstock gelagert wurden, während fast täglich Flugzeuge darüberflogen. Außerdem herrschte Platzmangel, und zur Aufrechterhaltung des Museumsbetriebs wurden immer wieder Blätter von dort benötigt. Dementsprechend veranlasste der zuständige Staatskommissar für Erziehung, Kultus und Volksbildung, Friedrich Plattner, nach nur wenigen Wochen die Verlegung der Albertina-Bestände zurück nach Wien. Hinsichtlich der Eignung des Bergungsorts Gaming musste letztlich auch Fritz Dworschak Jahre später bekanntgeben, dass sich in der Nähe mehrere größere Bombenabwürfe ereignet hatten und das nahegelegene Eisenwerk Kienberg »inzwischen im großen Stil ausgebaut und mit Hunderten von fremden Arbeitern besetzt« worden sei, weshalb ab 1942 größere Umbergungsmaßnahmen, teils zurück nach Wien, teils in andere auswärtige Bergungsorte, getätigt wurden. Dworschak räumte zudem ein, dass eine Unterbringung in geschützten Räumen unter der Erde grundsätzlich am sichersten sei.19 So wurden die Meisterwerke der Albertina bereits im Dezember 1939 nach Wien zurückgebracht und in einem Banknotentresor in der Reichsbankhauptstelle Wien, dem heutigen Nationalbankgebäude am Otto-Wagner-Platz, eingelagert. Zusätzlich zur Bestandsgruppe A nahm man, da der Raum groß genug war, auch jene mit der Klassifizierung B und C sowie die vollständige Holzstöcke-Sammlung hier auf. Damit waren nicht nur österreichische Handzeichnungen des 19. Jahrhunderts wie von M oritz Daffinger, Moritz von Schwind oder Josef Danhauser eingelagert, sondern auch bedeutender Franzosen wie Eugène Delacroix, Paul Cezanne oder Edgar Degas (B-Garnitur), zeitgenössische österreichische Grafik, beispielsweise von Albin Egger-Lienz, Alfred Kubin und vor allem die Zeichnungen Gustav Klimts (C-Garnitur) in Sicherheit gebracht.20 Gemeinsam mit diesen Beständen eingelagert wurden zudem äußerst emp18 Dazu kamen die besten Exemplare an Holzschnitten, Kupferstichen, Radierungen und Einblattdrucken sowie Klebebände mit Clair-obscur-Blättern und die wertvollsten Zimelien der Sammlungsbibliothek. Vgl. Archiv der Albertina, K. Bergungslisten mit Aushebungs- und Kontrollvermerk, Gruppe A–E. 19 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/3, M. 10b, Zl. 6024/b/44, Fritz Dworschak an den Reichsstatthalter in Wien, 31.10.1944. 20 Vgl. Archiv der Albertina, K. Bergungslisten mit Aushebungs- und Kontrollvermerk, Gruppe A–E.
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findliche Objekte aus dem Völkerkundemuseum, wie die Gastgeschenke des Montezuma, der Federprunkschild und die Kriegerstandarte aus der Zeit der Conquista und andere Gegenstände.21 Nach dem Krieg gab Saiko an, er selbst habe die Rückbringung der erstklassigen Sammlungsbestände aus Gaming an Dworschak vorbei erwirkt, da dieser es nicht zugelassen hätte, dass sie »seinem Machtbereich« entzogen würden;22 Dworschaks »Geltungsbedürfnis« habe »durch die politischen Verhältnisse eine ungeahnte Entfaltungsmöglichkeit gewonnen«.23 Die Akten sprechen jedoch eine andere Sprache – die Rücktransporte vom Dezember 1939 wurden in Wirklichkeit von Dworschak infolge ministeriellen Auftrags und damit völlig korrekt durchgeführt.24 Mitte 1942, als Wien zunehmend durch Luftangriffe gefährdet war, übertrug Reichserziehungsminister Bernhard Rust auf Anordnung Adolf Hitlers per Erlass den Gauleitern als obersten Parteifunktionären die Verantwortung für die Bergung der Kunstgüter. Da in Wien Baldur von Schirach neben der Reichsstatthalterei auch das Amt des Gauleiters innehatte, wurde er zum Leiter der Sicherung des Wiener Musealbesitzes.25 Mit der Durchführung der Maßnahmen der neu geschaffenen Abteilung »zur Durchführung der verschiedenen Luftschutzmaßnahmen auf kulturellem Gebiet« betraute er im Sommer 1942 den in der Reichsstatthalterei tätigen Juristen – und NSDAPAngehörigen – Ludwig Berg (Abbildung 2). Dessen Befugnisse reichten von der Suche nach geeigneten Bergungsorten und der Verbringung der Kunstwerke dorthin über Sicherungsmaßnahmen gegen Diebstahl und Brand bis zum Ausbau innerstädtischer Räumlichkeiten. Zuzustimmen ist George Saiko in seiner Einschätzung, dass diese Leitungsposition, die auch zu mehreren UK-Stellungen26 Ludwig Bergs führte, eine »politische Vertrauensposition von grösster Wichtigkeit« darstellte. 27 Die wichtigs21 Die Leitung des Museums für Völkerkunde erwirkte in der Folge einen eigenen Tresor für dessen gesamte Bergungsgüter gleich neben jenem der Albertina zu denselben Bedingungen. ÖStA/AdR, BMU, Bergungsaktion am Kulturgut, K. 31, Zl. IV-4b-6881/40, Friedrich Plattner an die Reichsbankhauptstelle Wien, z. H. Richard Buzzi, 17.2.1940. 22 WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Georg Saiko, Bericht an die Polizeidirektion Wien, 17.9.1945. 23 WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Georg Saiko, Bericht an die Polizeidirektion Wien, 17.9.1945. 24 Archiv der Albertina, K. Bergung 2. Weltkrieg, M. Luftschutzangelegenheiten 1939–1945. 25 Erlass des Reichserziehungsministers vom 27. Mai 1942, Zl. 4519/42 u. 5174/42, vgl. Katharina HAMMER, Glanz im Dunkel. Die Bergung von Kunstschätzen im Salzkammergut am Ende des 2. Weltkrieges, Wien 1986, S. 21. 26 Unabkömmlichstellung vom Dienst in der Deutschen Wehrmacht. 27 ÖStA/AdR, BMU, Personalakten, K. 3/11, Ludwig Berg, Sonderkommission erster Instanz beim Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, Senat Nr. 8, Zl. 365/46, Verhandlungsschrift über die mündliche Verhandlung vom 15.2.1946, Zeugenaussage George Saiko.
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136 Pia Schölnberger ten Entscheidungen wurden jedoch in Berlin oder jedenfalls von Baldur von Schirach getroffen, wobei das Schicksal von Kunstwerken, und hier vor allem von Gemälden, im Vordergrund stand. Weitaus geringeres Interesse zeigte man am Verbleib von Objekten aus naturwissenschaftlichen Museen.28 Plattners Einschätzung, »dass die unschätzbaren Kunstsammlungen der weltberühmten Albertina unter den zu schützenden Kunstgütern des Grossdeutschen Reiches mit an erster Stelle stehen«,29 gleichwie das Beharrungsvermögen George Saikos dürften jedoch das Ihre dazu beigetragen haben, dass auch die grafische Sammlung der Albertina entsprechend gesichert wurde. Ludwig Berg forcierte das Prinzip Abbildung 2: Ludwig Berg (1905–1952), Bergungsleiter in der Reichsstatthalterei der Dezentralisierung. Damit in Zusammenhang steht wohl die Entscheidung, einen Teil der A-Garnitur in den Haupttresorraum des ebenfalls im Wiener Stadtzentrum gelegenen ehemaligen Bankgebäudes Am Hof zu transferieren, das nun als Dependance der Reichsstatthalterei diente. Den Vorteil dieser Aufteilung sah Anton Reichel darin, »dass auch bei einem Totalverlust einer Bergungsstelle noch immer in den übrigen Depots die Hauptmeister so vertreten sind, dass die internationale Bedeutung der Albertina trotz des Verlustes gewahrt bleibt«.30 Die neu hinzukommende D-Garnitur, zu der wiederum mehrheitlich moderne österreichische Grafik wie von 28 BDA-Archiv, Historische Materialien, Personalakt Ludwig Berg, K. 2A, Zl. 2109/46, Bericht über die Bergungsmassnahmen 1938–1945, erstattet von Regierungsrat Dr. Ludwig Berg als seinerzeitiger Leiter der staatlichen Bergungsmassnahmen gemäss Erlass des Bundesministeriums für Unterricht vom 9.4.1946, Zl. 1974/II-3/46, S. 5, im Folgenden zitiert als: Ludwig Berg, Bericht über die Bergungsmassnahmen 1938–1945. 29 Archiv der Albertina, Zl. 734/39, Friedrich Plattner an die Dienststelle des Reichsarbeitsministerium in Wien, 15.6.1939. 30 Archiv der Albertina, 1944, M. Unprotokolliertes, Anton Reichel an das Generalreferat der staatlichen Kunstverwaltung, 13.12.1944.
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Oskar Kokoschka, Herbert Böckl sowie sämtliche Werke Egon Schieles, die restlichen Zeichnungen aller Schulen sowie Architekturzeichnungen und die wichtigsten Grafik-Klebebände zählten, wurde auf beide Depots aufgeteilt. Ludwig Berg rechtfertigte diese Einlagerungen in Wiener Innenstadttresoren mit konservatorischen Argumenten. Zudem wären sie – wie auch die Grafiken der Akademie der bildenden Künste sowie Edelsteine und Bergungsgüter aus Gold – auf dem Land nicht »vor Diebstahl und anderen allgemeinen Gefahren« geschützt.31 Zuvor hatten auch Reichsjustiz- und -innenminister per Erlass darauf hingewiesen, »ausdrücklich unterirdische Stahlkammern als bombensicheren Bergungsplatz für Schriftdenkmäler vorzugsweise« auszuwählen,32 worunter auch die grafische Sammlung fiel. Die verbliebenen Bestände – Reproduktionsgrafik, als weniger wichtig angesehene Blätter, die Fotosammlung sowie die Bibliothek – wurden in die Keller der Albertina transferiert. Ludwig Berg begründete die Belassung letzterer damit, dass dieser – so wie auch den Bibliotheken des Kunsthistorischen Museums und der Österreichischen Galerie – »nicht die einmalige Bedeutung« wie denen des Kunstgewerbe-, des Völkerkunde- sowie des Naturhistorischen Museums zukomme, die deshalb ausgelagert wurden.33 Die Erwartung, dass sich das Kriegsgeschehen bald auf das Gebiet des früheren Österreich verlagern würde, erklärt die Nervosität, mit der die Bergungshandlungen kurz zuvor vollzogen wurden. Anton Reichel berichtete im Juli 1943 dem in Italien weilenden Kustos der Albertina Bernhard Degenhart: »Hier feiert der Luftschutz Orgien, denn man ist für den Herbst sehr besorgt! Ich ›berge‹ noch, was ich kann.«34 Infolge des Luftangriffs auf die Wiener Neustädter Flugzeugwerke am 13. August 1943 ordnete Baldur von Schirach die »sofortige weitestgehende Bergung aller Bestände und vorläufige Schließung der Museen« an.35 Reichel beklagte sich in der Folge darüber, dass die Sammlungsbestände durch die Bergungen »praktisch unbenützbar« geworden seien, die »einzigen Lichtblicke« wären Ankäufe meist moderner Arbeiten.36 In weiterer Folge griff nun Degenhart selbst in die Bergungen ein und sprach sich aufgrund der herannahenden Front für eine Verlagerung der Bestände auf den ländlichen Raum aus. Er überzeugte Reichel davon, sich zumindest durch die Schein 31 BDA-Archiv, K. 5/1, M. 2, Zl. 7740/43, Ludwig Berg, Aktenvermerk, 3.12.1943. 32 Archiv der Albertina, Zl. 272/43, Ludwig Berg an den Direktor der Graphischen Sammlung Albertina, 29.1.1943. 33 BDA-Archiv, K. 5/1, M. 2, Zl. 4883/43, Ludwig Berg an Oberregierungsrat Dr. Felber, 4.9.1943. 34 Archiv der Albertina, M. Matisse, Zl. 502/43, Anton Reichel an Bernhard Degenhart, 10.7.1943. 35 Archiv der Albertina, Zl. 473/43, Ludwig Berg an den Direktor der Graphischen Sammlung Albertina, 20.8.1943. 36 Archiv der Albertina, Zl. 540/43, Anton Reichel an Bernhard Degenhart, 23.10.1943.
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138 Pia Schölnberger bergung von, wie es hieß, »irgendwelchem Bergungsgut«, Räumlichkeiten für den Fall zu sichern, dass die Wiener Bergungsdepots aufgrund der Luftangriffe zu unsicher werden sollten.37 Saiko schrieb nach dem Krieg diese Entscheidung Ludwig Berg zu, dessen Maßnahmen »bei aller Schlamperei von kaum zu überbietendem Dilettantismus« gewesen seien,38 da er zahlreiche Bergungen auf dem Land »inszeniert« habe, wo neben den Bomben vor allem Brand und Plünderung sowie Sabotage durch Fremdarbeiter drohten.39 Wie der Blick in die Quellen zeigt, hatte sich Berg allerdings mit wortgleichen Argumenten, wie Saiko sie später selbst anführte, gegen diese tatsächlich aber von dritter Seite »inszenierte« Bergung gewehrt und lediglich als Kompromiss Räumlichkeiten in der Burg Heidenreichstein und im Schloss Ernegg angeboten. 40 So wurden im Februar 1944 fünfzig Kassetten gemeinsam mit Büroteppichen der niederösterreichischen Statthalterei in Schloss Ernegg bei Steinakirchen am Forst in Niederösterreich geborgen. Entgegen Saikos Darstellung war Berg also mit ihm einer Meinung gewesen, und zwar dahingehend, dass die Albertina-Bestände in den Wiener Depots am sichersten aufgehoben wären – die Meinungsverschiedenheit bestand hingegen mit Bernhard Degenhart, der zu der Zeit selbst für das Museum tätig war. Der Behauptung nach dem Krieg, dass die betreffenden fünfzig Kassetten »durchaus nicht mit dem ersten Material« gefüllt gewesen wären,41 hält jedoch der Überprüfung mithilfe der erhaltenen Bergungslisten nicht stand. Dementsprechend dürften die dafür herangezogenen Werke der Kategorie A entnommen worden sein, wie die Künstlernamen Rembrandt, Hieronymus Bosch, Leonardo da Vinci oder Francisco de Goya andeuten.42 Das im Eigentum der Familie Auersperg stehende Schloss Ernegg erwies sich trotz isolierter, waldgedeckter Lage und der steingewölbten Aufbewahrungsräume tatsächlich als nur wenig geeignet. Saiko dramatisierte das Verhältnis zwischen Landesbehörden und Reichsstatthalterei zu einem »Kriegszustand«, der dazu führte, dass die 37 Archiv der Albertina, Zl. 540/43, Anton Reichel an das Generalreferat der staatlichen Kunstverwaltung, 5.11.1943. 38 WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Georg Saiko, Bericht an die Polizeidirektion Wien, 17.9.1945. 39 WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Georg Saiko, Bericht an die Polizeidirektion Wien, 17.9.1945. 40 ÖStA/AdR, BMU, 15B1, Zl. 2416/47, Beilage 1, fol. 0607v, Ludwig Berg an den Direktor der Graphischen Sammlung Albertina, 30.10.1943, Abschrift. Es handelte sich um die Wasserburg Heidenreichstein 17 Kilometer nordöstlich von Gmünd in Niederösterreich sowie um Schloss Ernegg in der Katastralgemeinde Ernegg der niederösterreichischen Marktgemeinde Steinakirchen am Forst in der Nähe von Ybbs. 41 WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Georg Saiko, Bericht an die Polizeidirektion Wien, 17.9.1945. 42 Archiv der Albertina, K. Bergungslisten mit Aushebungs- und Kontrollvermerk, Gruppe A–E.
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estimmungen aus Wien ignoriert beziehungsweise missachtet wurden. So erwirkte B die Landesbehörde die Einquartierung kinderreicher Bombengeschädigter aus dem »Altreich« sowie »ausländischer Arbeiter«.43 Das Rüstungszentrum im nahe gelegenen St. Pölten stellte als mögliches Bombenziel eine zusätzliche Bedrohung aus der Luft dar. Saiko bat Berg aufgrund wiederholter Bomben- und Benzinkanisterabwürfe in Ernegg um eine Verbringung der Kassetten zurück nach Wien – jedoch vergeblich. Sie sollten bis nach Kriegsende dort verbleiben. Berg habe Saiko gegenüber erklärt: »Ich kann die Sachen doch nicht den Russen entgegenführen«.44 Tatsächlich ereignete sich hier der einzige Kriegsverlust, den die Albertina zu beklagen hatte. Mit einem »messerartigen Gegenstand« wurde das Aquarell Nymphen von Frans van Mieris d. Ä. aus seiner Kartonage-Umrahmung herausgeschnitten. Nachforschungen nach dem entwendeten Blatt, dem keine besondere Bedeutung für die Sammlung zukam, hielt Saiko für wenig ergiebig, »da es sich um einen Vorgang durchziehender Soldateska« gehandelt habe.45 Mit der beständig größer werdenden Bombengefahr mussten einerseits die noch in Gaming gelagerten Bestände des Kunsthistorischen Museums, des Kunstgewerbemuseums sowie der Österreichischen Galerie mehrheitlich in unterirdische Tresorräume in Wien umgelagert werden. Der verbleibende Teil der Bestände wurde Ende 1944 auf Anweisung des Regierungspräsidenten und Vertreters des Reichsstatthalters in Wien, Hans Dellbrügge, in das Salzbergwerk Lauffen bei Bad Ischl verbracht,46 wo sie sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu jenen Objekten befanden, die unter »Führervorbehalt« fielen und seit Januar 1944 sukzessive im Altausseer Salzbergwerk eingelagert wurden. Ludwig Berg hatte sich zuvor gegen die Verbringung der Wiener Museumsbestände dorthin ausgesprochen. Nach dem Krieg erklärte er dies mit seiner Befürchtung, »nach dem Einmarsch alliierter Verbände zunächst in einen Topf mit den selbstverständlich zur Beschlagnahme kommenden […] Beständen geworfen zu werden«, die aus für das »Linzer Kunstmuseum« bestimmten sowie anderen »in ihrer Herkunft meist 43 ÖStA/AdR, BMU, 15B1, K. 142, Zl. 2416/47, George Saiko an das Bundesministerium für Unterricht, o. D., S. 5. 44 ÖStA/AdR, BMU, Personalakten, K. 3/11, Ludwig Berg, Sonderkommission erster Instanz beim Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, Senat Nr. 8, Zl. 365/46, Verhandlungsschrift über die mündliche Verhandlung vom 15.2.1946, Zeugenaussage George Saiko. 45 ÖStA/AdR, BMU, K. 174, 15 Museen in gen., Zl. 31015/46, George Saiko an die Direktion der staatlichen graphischen Sammlung Albertina, 4.9.1946. 46 ÖStA/AdR, BMU, Bergungsaktion am Kulturgut, K. 31, Fritz Dworschak an den Reichsstatthalter in Wien, Referat Z/GK, 5.12.1944.
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140 Pia Schölnberger anrüchige[n]« Objekten bestanden hätten.47 Dellbrügge habe jedoch in einer vertraulichen Unterredung mit ihm und Dworschak unter Hinweis darauf, sich dabei des Hochverrats schuldig zu machen, auf einer Bergung im Salzkammergut bestanden, da »andernfalls mit einer gewaltsamen und wahllosen Entführung durch die SS aus Wien gerechnet werden müsse«.48 Baldur von Schirach hatte jedoch eigene Pläne. Er strebte eine Verbringung ausgewählter Werke weiter nach Westen an, nach Kühtai in Tirol, wofür ihm Gauleiter Franz Hofer ein Jagdschloss in Aussicht gestellt hatte. Dabei handelte es sich jedoch viel eher um ein »in ein behäbiges Tiroler Gasthaus umgebautes Jagdschlösschen aus dem 17. Jahrhundert« in einem Schigebiet in 1.900 Metern Höhe, das insbesondere im Winter kaum erreichbar wäre.49 Für diese Verlegung waren auch die Zimelien der Albertina – knapp 400 besonders kostbare illustrierte Druckwerke vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart – vorgesehen. Im Januar 1944 wollte der an Schirachs Seite agierende Reichskulturreferent Hermann Stuppäck die in etwa 2.000 Blätter von ihren Kartons loslösen, verpacken und in zwei Handkoffern westwärts bringen lassen.50 Die Bergungsverantwortlichen hatten diesen Plan ausdrücklich abgelehnt, da Kühtai »alle Gefahren auch der Verschleppung durch Schirach in sich birgt, und waren einmütig in der Auffassung, dass es sich um einen frevelhaften Akt mit offenkundiger Verschleppungsabsicht Schirachs handle, dem zuvorzukommen sei«.51 Für Hermann Michel aus dem Naturhistorischen Museum Wien, der für die Lauffener Bergungen als Bergbausachverständiger wirkte, galt es »die abenteuerlichen Pläne Schirachs zu durchkreuzen, der die Kulturgüter als Deckung einer neuen Währung des 4. Reiches verwenden wollte und deshalb die Verbringung nach dem Westen auf die Insel Reichenau im Bodensee und teilweise nach Kühtai in Tirol betrieb«.52 Zwar konnte eine Verbringung von Werken aus der Albertina verhindert werden, allerdings wurden noch am 4. Mai 47 Ludwig Berg, Bericht über die Bergungsmassnahmen 1938–1945, S. 19v. 48 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 16, M. Lauffen I, Zl. 1534-II-3/46, Konrad Thomasberger, Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, Aktenvermerk, 12.2.1946. Vgl. auch die Aussage von Fritz Dworschak: WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Vernehmung des Beschuldigten Fritz Dworschak, 16.4.1946. 49 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 16, M. Lauffen I, Zl. 1534-II-3/46, Konrad Thomasberger, Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, Aktenvermerk, 12.2.1946. 50 Ludwig Berg, Bericht über die Bergungsmassnahmen 1938–1945, S. 21v. 51 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 16, M. Lauffen I, Zl. 1534-II-3/46, Konrad Thomasberger, Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, Aktenvermerk, 12.2.1946. 52 Das Naturhistorische Museum im Kriege, in: Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien 56 (1948), S. 1–17, hier: S. 5.
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zwei LKWs mit Kunstgut aus der Bergung Ischl-Lauffen »von deutschem Militär mit Waffengewalt entführt«, das bis auf eine Ausnahme mithilfe der kurz darauf eingezogenen Amerikaner zurückgebracht werden konnte.53 Einzig Saiko hatte eine Bergung in Tirol für möglich gehalten und dafür das Bergwerk Hall in Tirol, am besten aber eine Verlagerung in die Schweiz vorgeschlagen.54 Seine verschiedenen Erklärungsversuche, weshalb er Lauffen so vehement abgelehnt hatte, weichen nach 1945 jedoch stark voneinander ab. So gab er einerseits an, er habe einer dort in Bildung begriffenen Widerstandsgruppe keine Schwierigkeiten machen wollen,55 versicherte jedoch an anderer Stelle, dass er »die Sicherheit der AlbertinaBestände nicht von dem Erfolg einer in Lauffen – vielleicht [!] – zustande kommenden Widerstandsgruppe abhängig machen« habe wollen.56 Dieses Argument hatte im Volksgerichtsverfahren nach 1945 gegen Ludwig Berg und Fritz Dworschak jedoch kein Gewicht mehr – hier beklagte der als Zeuge geladene Saiko, dass »[d]ie wertvollsten Kunstwerke der Wiener Museen […] in die ›natürliche uneinnehmbare Alpen festung‹ gebracht und dort den Häuptlingen des Regimes zur Verfügung gehalten werden« sollten, »mit allen Konsequenzen eines solchen Planes, die bis in den dauernden Verlust für den oesterreichischen Staat einmünden«.57 Berg wiederum stellte es in seinem Bericht so dar, dass die Lauffener Bergung angesichts der Zerstörungsund Verschleppungsgefahr »die Gefährdung für das Kulturgut auf ein Mindestmass herabdrückte«.58 Die tatsächlichen Beweggründe sind heute nicht mehr rekonstruierbar. Fest steht, dass Berg die Einwände Saikos, der sich auch mit konservatorischen Argumenten zu widersetzen suchte, nicht gelten ließ – die Bergung in Lauffen hatte auch für die Albertina durchgeführt zu werden. Zumindest wurde Saiko die Auswahl der dorthin zu verbringenden Werke freigestellt, allerdings unter der Maßgabe, »daß selbstredend auch erstrangige Blätter enthalten sein müssen und die Zusammenstel53 WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Viktor Luithlen an August Loehr, Abschrift, 8.7.1945. 54 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 16, M. Lauffen I, Zl. 1534-II-3/46, Ludwig Berg, Aktenvermerk, 12.2.1946. 55 ÖStA/AdR, BMU, Personalakten, K. 3/11, Ludwig Berg, Sonderkommission erster Instanz beim Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, Senat Nr. 8, Zl. 365/46, Verhandlungsschrift über die mündliche Verhandlung vom 15.2.1946, Zeugenaussage GeorgeSaiko. Worin diese »Schwierigkeiten« bestanden hätten, ließ Saiko dabei jedoch offen. 56 ÖStA/AdR, BMU, 15B1, K. 142, Zl. 2416/47, George Saiko an das Bundesministerium für Unterricht, o. D., S. 8. 57 WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Georg Saiko, Bericht an die Polizeidirektion Wien, 17.9.1945. 58 Ludwig Berg, Bericht über die Bergungsmassnahmen 1938–1945, S. 4v.
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142 Pia Schölnberger lung so zu erfolgen hat, daß bei der Vorlage der Bergungslisten kein Verdacht bei Schirach und Stuppäck ausgelöst werde«, da beide sich wiederholt über die Bergung dieser Sammlung erkundigt hätten.59 Als Saiko dies abzuwehren versuchte, habe Berg gedroht, »es würde ihm sehr leid tun, aber wenn der Transport nicht versandbereit gemacht werde, würden eben ein paar ›schwarze Männer‹ in der Albertina auftauchen, ich wisse ja, was mir dann blühe«.60 Saiko fügte sich letztendlich und ließ fünfzig Konvolute, bestehend aus rund einem Drittel der A-Garnitur, abtransportieren und im Salzbergwerk Ischl-Lauffen, Tiefbau II, Stollen III einlagern. Eine weitere Versendung von Albertina-Beständen nach Lauffen ist nicht mehr zustande gekommen. Berg, der den Transport persönlich begleitet hatte, »um die sorgfältigste Einbringung und Lagerung dieser Bestände im Bergwerk zu überwachen«, zeigte sich nach dem Krieg überzeugt, »hiedurch die Albertina vor einem gewaltsamen Zugriff mit allen damit verbundenen Gefahren bewahrt zu haben«.61 Für Saiko wiederum war die Sammlung trotz dieser Verlagerung intakt geblieben. Die Albertina als Bergungsort
Wurden die Albertina-eigenen Bestände tunlichst aus dem Museum entfernt, zog man mit Fortgang des Krieges für weniger empfindliche Kunst den unter dem Museumsgebäude gelegenen Augustinerkeller als Bergungsort in Erwägung, in dem – wie heute auch – ein Restaurant betrieben wurde. Die Gemeinde Wien war auf der Suche nach einem mindestens 200 m2 großen Raum in einem öffentlichen Gebäude für die Bergung von Teilen der durch das NS-Regime beschlagnahmten Sammlung Lanckoronski. Es handelte sich dabei um die bedeutende Kunstsammlung des polnischen Staatsangehörigen Karl Graf Lanckoronski (1848–1939), die im Herbst 1939 aus dem Eigentum von dessen Sohn Anton gemäß »Verordnung über Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates« beschlagnahmt worden war. Dementsprechend fiel sie zwar in den Zuständigkeitsbereich der »Haupttreuhandstelle Ost« (HTO) Hermann Görings, der sich daran auch persönlich zu bereichern beabsichtigte. Hitler, der die Sammlung nach dem Krieg an Museen der Alpen- und Donaugaue übergeben wollte, wies den Reichsmarschall jedoch in die Schranken, in59 Ludwig Berg, Bericht über die Bergungsmassnahmen 1938–1945, S. 21r. 60 WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Georg Saiko, Bericht an die Polizeidirektion Wien, 17.9.1945. Möglicherweise bezog sich Berg mit seiner Angabe, er habe auf eine Bergung von Beständen der Albertina in Lauffen drängen müssen, auf diese Drohung. Ludwig Berg, Bericht über die Bergungsmassnahmen 1938–1945, S. 22v. 61 Ludwig Berg, Bericht über die Bergungsmassnahmen 1938–1945, S. 22v.
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Abbildung 3: Karteikarte aus der sogenannten Sicherstellungskartei der Zentralstelle für Denkmalschutz zu einem im Augustinerkeller geborgenen hellenistischen Marmor relief aus der Sammlung Lanckoronski
dem er sie unter »Führervorbehalt« stellte.62 Während die Gemälde unter anderem in Schloss Thürnthal in der niederösterreichischen Gemeinde Fels am Wagram geborgen wurden, war eine Unterbringung der Skulpturen dieser Sammlung im Gau Niederdonau nicht möglich beziehungsweise musste Gaming entlastet werden. Außerdem war es notwendig, die schwer zu transportierenden großen Plastiken aus dem Barockmuseum der Österreichischen Galerie ebenerdig unterzubringen. So rückte der Augustinerkeller ins Blickfeld, der kurzfristig auch für die Bergung von Gustav Klimts Beethoven-Fries aus der Sammlung Lederer sowie bis dato nur unzureichend geborgener Bestände des Naturhistorischen Museums im Gespräch war.63 »Für alle diese Bergungen wäre der im Komplex der staatlichen Hofburg unter dem Gebäude der Albertina liegende Augustinerkeller mit einer Belagsfläche von 1000 m2 geeignet, da er belüftet, beheizbar, eben zu erreichen ist, in einem staatlichen Gebäude steht und als bombensicher angesehen werden kann, weil er in den alten Befestigungen der Augustinerbastei mit ihren mehrfachen Wölbungen liegt«,64 so Ludwig Berg im Juni 1943. 62 Vgl. Kathrin ISELT, »Sonderbeauftragter des Führers«. Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884–1969) (= Studien zur Kunst 20), Köln-Weimar-Wien 2010, S. 241–250. 63 Zur Bergung des Beethoven-Frieses in Schloss Thürnthal siehe den Beitrag von Christina GSCHIEL in diesem Band. 64 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 6, M. 6, Zl. 4284/43, Ludwig Berg, Aktenvermerk, 8.6.1943.
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144 Pia Schölnberger Schirach stimmte einer Verwendung als Bergungsraum zu, nachdem auch Stuppäck erklärt hatte, dass die Staatliche Schlösserverwaltung im Einvernehmen mit der Leitung der Albertina und der Nationalbibliothek die Kündigung des Mietvertrages mit der Betriebsinhaberin befürworte, »weil die Art und Weise dieses Nachtbetriebes mit der Würde staatlicher Schlösser, zu denen die Albertina gehört, nicht vereinbar ist«.65 Unter der Aufsicht der Albertina als DepotverwalteAbbildung 4: Lee Miller, US-Army Leutnant Consuelo R. rin des neuen Bergungsraums beDoggett vor sechs der neun Musen Josef Kliebers in der Wiener herbergte der ebenerdige Teil des Kapuzinergruft, September 1945 Kellers neben den Steinplastiken 66 der Sammlung Lanckoronski unter anderem auch Teile der Antikensammlung des KHM, die Stephansfiguren der Städtischen Sammlungen, Plastiken der Österreichischen Galerie (darunter die Apotheosen von Karl VI. und des Prinzen Eugen von Savoyen) und weitere weniger feuchtigkeitsempfindliche Objekte wie die Marmorstatuen habsburgischer Herrscher von Paul und Peter Strudel aus dem Prunksaal der National bibliothek.67 Zudem wurden einige zu einem Führerrelief profilierte Marmorblöcke, die im E igentum der Schlösserverwaltung standen, in den Augustinerkeller gebracht. Unbekannt ist, was damit später geschehen ist. Die Statuen Apoll und die neun Musen von Josef Klieber, die sich auch heute im Musensaal der Albertina befinden, wurden allerdings in der Kapuzinergruft geborgen, wo sie die US-amerikanische Fotografin Lee Miller während ihres Wien-Aufenthalts wenige Monate nach der Befreiung, im Herbst 1945, fotografierte.68 65 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 6, M. 6, Zl. 3766/43, Hermann Stuppäck, Aktenvermerk für Baldur von Schirach, 13.4.1943. 66 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 6, M. 6, Zl. 6752/44, Bergungsliste der Sammlung Lanckoronski, Augustinerkeller Wien I. 67 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 6, M. 6, Zl. 5224/43, Ludwig Berg, Aktenvermerk, 3.8.1943. 68 Zur Vermengung von Millers Kriegs- bzw. Nachkriegsfotografie mit surrealistischen Reminiszenzen siehe Walter MOSER, Report from Vienna. Lee Millers Aufnahmen von Wien 1945, in: ders., Klaus Albrecht
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Wiewohl ebenfalls im Augustinerkeller eingelagerte private Gegenstände von Angestellten der Reichsstatthalterei während der Ereignisse gegen Kriegsende gestohlen wurden, überstanden die Kunstwerke die Bergung schadlos, so auch die Plastiken aus der Sammlung Lanckoronski. Gemeinsam mit anderen Sammlungsbestandteilen – Gemäldegalerie, Bibliothek, Einrichtungsgegenstände – wurden sie nach dem Krieg an ihren rechtmäßigen Eigentümer, Anton Lanckoronski, zurückgestellt. Jene Objekte, die dieser 1960 dem KHM überlassen musste, um eine Ausfuhrgenehmigung für die übrige Sammlung zu erhalten, wurden erst 1999, nach Inkrafttreten des Kunstrück gabegesetzes, restituiert.69 Zuweisungen durch das Bundesdenkmalamt 1963
Der Bombenschaden an der Albertina, der während des Luftangriffes auf Wien am 12. März 1945 entstanden war, schloss eine Rückbringung der geborgenen Kunstschätze unmittelbar nach Kriegsende aus, weshalb die Bergungsmaßnahmen aufrecht erhalten bleiben mussten. 1947 konnte schließlich ein Teilbestand des Bergungsgutes ins Museum rücküberführt werden. Nach der gänzlichen Auflassung des Depots in der Nationalbank mit Juni 1949 verlagerte man Teile der Sammlung für wenige Jahre in den Bergungsraum der ehemaligen Bodenkreditanstalt (nun Newag) in der Löwelstraße,70 wo sie – neben Beständen der Österreichischen Galerie sowie des Kunstgewerbemuseums – gemeinsam mit Objekten aus dem Bestand des »Linzer Kunstmuseums« aufbewahrt wurden. Vielfach unter Zwang verkauft an den »Sonderbeauftragten des Führers« oder durch »Arisierung« in diesen Bestand gekommen, waren diese Werke unter anderem in Altaussee eingelagert gewesen, bis der Großteil von ihnen ab 1946 über die Collecting Points wie jenem in München in ihre jeweiligen Herkunftsländer zurückgeschickt wurde. Ein kleinerer Teil verblieb in der Verwahrung des Bundes denkmalamtes in Wien, das einige dieser Objekte ebenfalls im Depot in der Löwelstraße unterbrachte, einen anderen Teil im Depot in der Salzburg Residenz. Im Juli 1962 wurden sie von der Republik Österreich als vermeintliches Verfallsgut übernommen und dem damaligen Bundesministerium für Unterricht ressortmäßig übergeben, von wo aus sie in die treuhändische Verwahrung der Museen, später ins Eigentum
SCHRÖDER (Hg.), Lee Miller, Ostfildern 2015, S. 124–137, hier: S. 132. Mein Dank gilt Walter Moser für diesbezügliche Hinweise. 69 Vgl. den Beschluss des Kunstrückgabebeirates vom 27.10.1999, http://www.provenienzforschung.gv.at/ index.aspx?ID=24&LID=1#L_P (29.4.2015). 70 ÖStA/AdR, BMU, 15B1, Kt. 142, Zl. 12651-II/6-49, Konrad Thomasberger, Aktenvermerk, 31.3.1949.
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146 Pia Schölnberger
Abbildung 5: Dienstausweis von George Saiko, ausgestellt am 28. Februar 1946
der Bundes kamen.71 Rund vierzig grafische Arbeiten aus diesem Bestand erhielt die Albertina. Darunter befand sich Adolf Menzels Rüstkammerphantasie, die 2014 an die Rechtsnachfolger_innen nach der in Theresienstadt umgekommenen Berliner Kunsthändlerwitwe Adele Pächter restituiert wurde.72 Wie und weshalb das Wissen um die Herkunft dieser Objekte, die jedoch nicht ausnahmslos als bedenklich im Sinne des österreichischen Kunstrückgabegesetzes einzustufen sind, nach Kriegsende verloren gegangen war, wird im Rahmen zukünftiger Forschungen näher zu ergründen sein. Dieser Themenkomplex legt jedenfalls die intensive Verwobenheit der Bergung von Kulturgut mit den Fragestellungen der Provenienzforschung offen.
71 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 13/1, M. 11, Zl. 5831/63 u. Zl. 2397/65. 72 Auch die Zeichnung Bildnis eines Herren Josef Kriehubers stammte aus diesem Bestand. Nach umfassenden Provenienzrecherchen konnte sie letztlich an die Rechtsnachfolger_innen nach Josef und Auguste Blauhorn, die 1939 aus Wien nach London geflohen waren, zurückgegeben werden. Siehe hierzu sowie zu Saikos möglicher Verstrickung in das Verschweigen des eigentlichen Eigentümers SCHÖLNBERGER 2014.
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Fazit
Auch als der Bombenkrieg längst auf vormals österreichischem Territorium angekommen war, zeigte sich George Saiko davon überzeugt, dass die Sammlung in den Innenstadttresoren am sichersten aufgehoben sein würde. Letztendlich lässt sich hinsichtlich der Albertina-eigenen Bergungen konstatieren, dass er wohl die richtigen Entscheidungen traf, da die Sammlung nur einen einzigen Verlust zu beklagen hatte. Chaotische Zustände, wie eingangs von Oskar Laske hinsichtlich Schloss Schönborns beschrieben, dürften für die Bestände der Albertina nicht geherrscht haben. Dass sie den Krieg weitgehend unbeschädigt überstanden, sollte Saiko jedoch nicht zum Vorteil gereichen. Den Direktionsposten, der ihm am 12. Mai 1945 von Staatssekretär Ernst Fischer übertragen worden war, konnte er nur wenige Tage lang halten. Aus dem Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten wurden ihm eher mangelhafte wissenschaftliche Qualitäten bescheinigt, und auch sein Charakter ließe »es nicht durchaus rätlich erscheinen, ihm die Leitung dieses Institutes anzuvertrauen und ihm damit die Gewalt über eine grössere Zahl von Beamten und Angestellten in die Hand zu geben«.73 Sein Dienstverhältnis wurde schließlich Ende des Jahres 1950 infolge eines von Direktor Otto Benesch gegen ihn angestrengten Ehrenbeleidigungsprozesses aufgelöst.74 Auch Saikos »Anwürfe (mehr oder weniger versteckt)«75 gegen Ludwig Berg zeitigten keinen Erfolg – sie wurden von der Sonderkommission erster Instanz, Senat Nr. 8 unter Vorsitz des wiedereingesetzten Ersten Direktors des KHM, August Loehr, abgewiesen. Wurde Bergs politische Belastung als »eine durchaus unbedeutende« klassifiziert, da er der NSDAP »unter Druck« beigetreten wäre,76 widmete man sich vor allem der Frage, »ob er in seiner Tätigkeit 73 ÖStA/AdR, BMU, 15B1, K. 142, Zl. 1916/45, Aktenvermerk, Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, 1.10.1945. 74 Saiko hatte die Anschuldigung erhoben, Direktor Benesch und seine Frau hätten von Geldern eines schwarzen Fonds (Spendenfonds der Albertina) eine private Reise nach London unternommen. Als Saiko Benesch als »Lump« beschimpfte, erhob dieser Klage wegen Ehrenbeleidigung. In der Folge wurde das Dienstverhältnis mit sofortiger Wirksamkeit aufgelöst, und Saiko verlor seinen Anspruch auf eine Abfertigung. Die fristlose Entlassung wurde jedoch infolge eines neuerlichen Prozesses Saikos gegen das Bundesministerium für Unterricht wieder aufgehoben. Archiv der Albertina, Personalakt George Saiko, Zl. 742/51, George Saiko an die Direktion der Albertina, 30.6.1951. 75 ÖStA/AdR, BMU, 15B1, K. 142, Zl. 2416/II-6/47, Konrad Thomasberger, Aktenvermerk, 13.6.1946 [recte: 1947]. 76 Berg hatte im Mai 1938, als er noch in Innsbruck beim Deutschen Nachrichtenbüro, der ehemaligen Amtlichen Nachrichtenstelle, tätig war, die Mitgliedschaft beantragt. NSDAP-Mitglied wurde er, bereits Mitarbeiter des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV (Kunstverwaltung), mit 1. November 1939. Vgl. ÖStA/AdR, ZNSZ, Gauakt Ludwig Berg, Zl. 246.289.
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148 Pia Schölnberger als zentraler Bergungsreferent eine Art Kollaboration für Ziele der Partei geleistet hat in dem Sinne, dass österreichisches u. besonders Wiener Kulturgut weggebracht und in der Alpenfeste oder ausserhalb Oesterreichs der unmittelbaren und ungehinderten Verfügung der obersten Parteiinstanzen unterstellt wurde«. Der Senat kam – nach Hinzuziehung der Fürsprachen von Bergungsverantwortlichen wie Richard Ernst (MAK), Robert Bleichsteiner (Völkerkundemuseum) oder auch Hermann Michel – zu dem Schluss, dass »zweifellos am Beginn der Bergungen weit überwiegende sachliche Motive des Schutzes der Musealobjekte allenthalben massgebend waren, während ebenso zweifellos bei Kriegsende das Bestreben oberster Parteiinstanzen, sich in den Besitz wertvoller Musealgüter zu setzen, zutage getreten und zu einem allerdings geringen Teile ins Werk gesetzt worden ist«. Zu Berg, der kurz nach Kriegsende wieder in Dienst gesetzt wurde, stellte der Senat fest, er habe die Verbringung der Kunstwerke außerhalb Österreichs verhindert und erwirkt, dass »die Verlagerung nur eines geringen Teiles der angeforderten Musealgüter in das Salzkammergut mit grossen Verzögerungen stattgefunden hat«.77 De facto stimmte dies mit Saikos Argumentationslinie überein. Dennoch wurde abschließend festgestellt, dass belastende Aussagen »wesentlich vom Gesichtskreis der einen Sammlung Albertina beherrscht« gewesen seien.78 Nicht nur in seinem Wirken an der Albertina blieb George Saiko bis zuletzt ein Außenseiter.
77 WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Erkenntnis der Sonderkommission I. Instanz beim Bundesministerium für Unterricht, 28.2.1946. 78 WStLA, Volksgericht, A1 – VgVr-Strafakten, VgVr 1929/46 (Berg und Dworschak), Erkenntnis der Sonderkommission I. Instanz beim Bundesministerium für Unterricht, 28.2.1946.
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»… da ihre Beschädigung keinen Verlust von unersetzlichen Kulturwerten darstellen würde« Bergungen und Kriegsverluste der akademischen Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg
René Schober
Im Frühjahr 2002 tauchte ein wertvolles niederländisches Gemälde aus dem 17. Jahrhundert bei einer Beutekunst-Ausstellung in Moskau aus dem vormaligen Bestand der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien1 wieder auf. Es war seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschollen gewesen und befand sich zum Zeitpunkt der Wiederentdeckung in russischem Privatbesitz. Wie war es dazu gekommen? Die Gemäldegalerie hat 1945 einen erheblichen Teil ihrer Sammlung verloren. Bei einem Gesamtbestand von beinahe 1.900 Werken im Jahr 1938 waren nach Kriegsende über 600 Objekte als kriegsbedingte Verluste zu verbuchen.2 Damit zählt sie zu den öffentlichen Wiener Kunstsammlungen mit den meisten Verlusten im Lauf und als Folge des Zweiten Weltkriegs. Sie wurde seit 1917 vom Kunsthistoriker und Restaurator Robert Eigenberger, zunächst als Kustos, ab 1922 als Direktor, geleitet (Abbildung 1).3 Nach eigenen Angaben seit 1934 für die illegale NSDAP in Österreich tätig und 1936 mit nachrichtendienstlichen Agenden betraut,4 konnte Eigenberger als sogenannter »Alter Kämpfer« seine Position als Galeriedirektor und Leiter der Fachschule für Konservierung und Technologie an der Wiener Akademie nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich nicht nur behalten, sondern ausbauen. Insbesondere seine Zuständigkeit für die Bergungsmaßnahmen der Gemäldegalerie und für die Luftschutzagenden der gesamten Akademie begründete im Herbst 1943 seine UK-Stellung.5 In diesen Funktionen war er für die wesentlichen Fragen und Ent1 2
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In den herangezogenen historischen Quellen auch akademische Gemäldegalerie genannt. Der Bestand der Gemäldegalerie gliederte sich 1938 in rund 1.300 Gemälde und etwa 600 Objekte – vorwiegend Skulpturen und Kunsthandwerkliches – aus dem Sonderbestand des Legats nach Johanna und August Albrecht-Hönigschmied. Dieses war der Gemäldegalerie 1934 testamentarisch vermacht und 1937 in eigens adaptierten Schausälen der Öffentlichkeit präsentiert worden. Vgl. Katalog der XII. Sonderausstellung. Aus dem Legat Johanna und August Ritter von Albrecht-Hönigschmied, Gemälde galerie der Akademie der bildenden Künste, Wien 1964, S. 6. Vgl. ÖStA/AdR, BMU, Personalakt Robert Eigenberger, Standesausweis, o. D. Vgl. ÖStA/AdR, BMU, Personalakt Robert Eigenberger, Lebenslauf, o. D. Vgl. UAAbKW, Geheimakten, UK-Karte von Robert Eigenberger, 6.10.1943.
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150 René Schober scheidungen bezüglich der kriegsbedingten Sicherung der Sammlungsbestände der Gemäldegalerie während des Zweiten Weltkriegs verantwortlich. Im Folgenden werden jene Ereignisse und Entscheidungen dargestellt, die schließlich zu der hohen Zahl von kriegsbedingten Verlusten führten. Bergungen
Die Bergung der Bestände der Gemäldegalerie während des Zweiten Weltkriegs verlief in vier aufeinanderfolgenden Phasen. Bereits im Juli Abbildung 1: Robert Eigenberger, um 1938 1939 wurde die zeitlich befristete Enthebung Robert Eigenbergers vom Militärdienst zum Schutz und Abtransport von Beständen der Gemäldegalerie im Mobilisierungsfall festgelegt.6 Die erste Bergungsphase begann aber erst wenige Tage vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Am 30. August 1939 erhielt der kommissarische Leiter der Akademie der bildenden Künste Wien, Alexander Popp,7 vom Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten den telefonisch erteilten Auftrag, den Bestand der Gemäldegalerie in die Kategorien A, B und C einzuteilen und die externe Bergung der Gruppe A vorzubereiten.8 Hintergrund des Auftrags war ein Erlass des Reichsministers der Luftfahrt und Oberbefehlshabers der Luftwaffe, Hermann Göring, vom 28. August 1939 über die Durchführung des Luftschutzes in Museen, Büchereien, Archiven und ähnlichen Kulturstätten. Darin heißt es unter Punkt 5: a) Kulturhistorisch bedeutende und schlechthin unersetzliche Kunstwerke. Für sie muß, soweit es ohne erheblichen Nachteil für die Kunstwerke möglich ist, die Verbringung in unbedingt sichere, nach Möglichkeit bomben- und feuersichere Räume, vorbereitet werden. […] 6 7
8
Vgl. UAAbKW, Akt 16-geheim/1939, Verwendungsanträge für den Mobilisierungsfall, 3.7.1939. Der Architekt Alexander Popp, seit 1924 an der Akademie der bildenden Künste Wien tätig, wurde am 15. März 1938 gemeinsam mit Ferdinand Andri und Karl Dachauer mit der kommissarischen Leitung der Akademie betraut. Der bisherige Rektor, Karl Sterrer, und der Prorektor, Clemens Holzmeister, wurden ihrer Ämter enthoben. Am 1. Juli 1941 wurde Popp zum Rektor der Akademie ernannt. Vgl. UAABkW, Personalakt Alexander Popp, Abschrift eines Schreibens von Hermann Stuppäck an Alexander Popp, 15.3.1938; Personalbuch ab 1875, Eintrag zu Alexander Popp; Personalakt Karl Sterrer, Personenstandesblatt, 28.10.1945; Personalakt Clemens Holzmeister, Personalstandestabelle, o. D. Vgl. UAAbKW, Akt 1024/1939, Abschrift eines Berichts von Alexander Popp an Gottfried Hohenauer, 30.8.1939.
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b) Werke der Kunst und Wissenschaft, die besonders wertvoll, aber nicht zu a) zu rechnen sind. Sie sind soweit es ohne erheblichen Nachteil für die Kunstwerke möglich ist, in den Luftschutzräumen der Anstalt unterzubringen. […] c) Alle übrigen Kulturgegenstände. Sie verbleiben in Räumen, in denen sie friedens mäßig untergebracht sind.9
Die Gemäldegalerie der Wiener Akademie dürfte aufgrund ihres vergleichsweise geringen Umfangs und ihrer Eingliederung in den Betrieb einer Kunstakademie zunächst außerhalb des Fokus der Bergungsvorbereitungen gestanden haben. So merkte Popp in seinem Bericht darüber an, »dass die Akademie von der ganzen Aktion weder schriftlich noch mündlich vorher verständigt wurde und auch unser Galeriedirektor der grundlegenden vorbereitenden Verhandlung im Laufe des Monates Juli nicht zugezogen war«.10 Dennoch waren am 30. August 1939 die Vorbereitungen getroffen, die Bestände in drei Kategorien eingeteilt, Kisten und Verpackungsmaterial bestellt und Kunstwerke der Kategorie A im Anatomiesaal im Kellergeschoß der Akademie zwischengelagert.11 Acht Tage später, am 7. September 1939, wurden schließlich 85 Werke der Gemäldegalerie in einen Kellerraum des Stifts Heiligenkreuz in Niederösterreich verlagert.12 Zu diesen Kategorie A-Werken zählten das Weltgerichts triptychon von Hieronymus Bosch, einige Venedig-Ansichten von Francesco Guardi, eine Lucretia von Lucas Cranach d. Ä., ein Bildnis einer jungen Frau von Rembrandt Harmensz. van Rijn, einige Peter Paul Rubens-Gemälde, von Sandro Botticelli die Madonna mit Kind und Engeln sowie Tarquinius und Lucretia von Tizian.13 Diese Verlagerung entsprach dem Wunsch der Galeriedirektion, »dass zur Sicherstellung des wertvollsten Kunstgutes der Abtransport aus Wien einer Lagerung im staatlichen Gebäude der Großstadt weit vorzuziehen wäre«.14 Die Auswahl des Bergungsorts erfolgte durch den kommissarischen Leiter der Zentralstelle für Denkmalschutz, Herbert Seiberl.15 Am 12. September 1939 war der als Kategorie B bezeichnete, 122 Werke 9 10 11 12 13 14 15
UAAbKW, Akt 741/1941, Abschrift der Richtlinien für die Durchführung des erweiterten Selbstschutzes im Luftschutz, Erlass Nr. 8310/39 von Hermann Göring, 28.8.1939. UAAbKW, Akt 1024/1939, Abschrift eines Berichts von Alexander Popp an Gottfried Hohenauer, 30.8.1939. Vgl. UAAbKW, Akt 1024/1939, Abschrift eines Berichts von Alexander Popp an Gottfried Hohenauer, 30.8.1939. Vgl. UAAbKW, Akt 1024/1939, Verzeichnis der in Stift Heiligenkreuz untergebrachten Bilder, 7.9.1939. Vgl. UAAbKW, Akt 1024/1939, Verzeichnis »A« der an erster Stelle in Sicherheit zu bringenden Kunstwerke, 30.8.1939; Verzeichnis der in Stift Heiligenkreuz untergebrachten Bilder, 7.9.1939. UAAbKW, Akt 1024/1939, Abschrift eines Berichts von Alexander Popp an Gottfried Hohenauer, 30.8.1939. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 76, Robert Eigenberger an den RStH in Wien, 14.8.1942.
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152 René Schober umfassende Bestand der G emäldegalerie zusammen mit fünf Kisten mit den wertvollsten grafischen Blättern der Bibliothek im Anatomiesaal der Akademie untergebracht worden.16 Dazu zählten Das ungleiche Paar von Lucas Cranach d. Ä. und zahlreiche Gemälde von niederländischen Malern des 17. Jahrhunderts.17 Die Bergungsmaßnahmen im Jahr 1939 berührten die öffentliche Zugänglichkeit der Ausstellungsräumlichkeiten nicht. Popp berichtete dazu dem Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, »dass auftragsgemäß die Sammlung trotz Entnahme der wertvollsten Bilder weiter öffentlich zugänglich bleibt, was jedoch mit Rücksicht auf die unbedeutende Zahl der Besucher kaum bemerkt werden dürfte«.18 Diese gegenüber einer übergeordneten Behörde geäußerte Einschätzung über die öffentliche Wahrnehmung der Schausammlung deutet auf eine Geringschätzung beziehungsweise Gleichgültigkeit gegenüber der Gemäldegalerie sowohl von Seiten der Akademieverwaltung als auch des Ministeriums hin. Eine Gleichgültigkeit, die sich im weiteren Verlauf fatal auswirken sollte. Die zweite Bergungsphase wurde am 9. Juni 1942 mit der Mitteilung von Josef Zykan vom nunmehrigen Institut für Denkmalpflege an Robert Eigenberger über einen Mäusebefall und über die Unterbringung sowjetischer Kriegsgefangener in Stift Heiligenkreuz eingeleitet.19 Im August 1942 unterbreitete Eigenberger der Reichsstatthalterei in Wien den Vorschlag, den »noch zu bergenden Teil der Sammelbestände der Akademie nach Heiligenkreuz zu schaffen und dafür wenigstens die Hälfte der kostbarsten Kunstwerke, die dort bereits deponiert sind, an einen anderen Bergungsort zu übertragen. Damit wäre eine Anhäufung des wertvollsten Kunstgutes an einer Stelle vermieden.«20
16 An der Akademie der bildenden Künste Wien gliedert sich der Bestand an Kunstwerken in Gemälde, Skulpturen, Gipsabgüsse und Kunsthandwerkliches, verwaltet und betreut von der Gemäldegalerie, sowie in Zeichnungen, Drucke und Fotografien, verwaltet und betreut vom Kupferstichkabinett. Bis 2002 war das Kupferstichkabinett der Bibliothek zugeordnet. In diesem Beitrag werden ausschließlich die Bergungen und Kriegsverluste der Gemäldegalerie behandelt. Vgl. UAAbKW, Akt 1050/1939, Entwurf eines Berichts von Alexander Popp an Gottfried Hohenauer, 12.9.1939; Akt 1024/1939, Verzeichnis der im Hörsaal für Anatomie in der AbKW untergebrachten Bilder, o. D. 17 Vgl. UAAbKW, Akt 1024/1939, Verzeichnis der im Hörsaal für Anatomie in der AbKW untergebrachten Bilder, o. D. 18 UAAbKW, Akt 1024/1939, Abschrift eines Berichts von Alexander Popp an Gottfried Hohenauer, 30.8.1939. 19 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 29, Zl. 41/Res/42, fol. 31, Abschrift eines Schreibens von Josef Zykan an Robert Eigenberger, 9.6.1942. 20 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 76a, Robert Eigenberger an den RStH in Wien, 14.8.1942.
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Hintergrund dafür war der Erlass des Reichsstatthalters Baldur von Schirach vom 13. Juli 1942, mit dem insbesondere eine dezentrale Bergung der Kategorie A- und B-Bestände gefordert wurde.21 In diesem Sinn schlug der kurz zuvor mit der Leitung der Bergungsmaßnahmen der Wiener Museen beauftragte Ludwig Berg als zweiten Bergungsort der Gemäldegalerie die Silberkammer der Wiener Creditanstalt/Wiener Bankverein in der Wiener Innenstadt vor.22 Anfang September 1942 wurden daher 46 Gemälde aus ihrer bisherigen Bergungsstätte in Stift Heiligenkreuz dorthin verlagert. An ihrer statt wurden 60 Gemälde und drei gotische Plastiken aus der sogenannten Kategorie B, deren überwiegender Teil bereits seit 1939 im Anatomiesaal der Akademie untergebracht war, nach Stift Heiligenkreuz gebracht.23 Entgegen anderslautender Empfehlungen des Instituts für Denkmalpflege und Ludwig Bergs rechtfertigte Eigenberger die Belassung eines Teils der Kategorie A-Werke in Heiligenkreuz damit, dass die konservatorischen Bedingungen dort ideal wären, von den sowjetischen Kriegsgefangenen keine Gefahr ausginge und die Aufteilung der wertvollsten Kunstwerke dem Prinzip der Dezentralisierung entspräche.24 Ludwig Berg akzeptierte schließlich Eigenbergers Entscheidung hinsichtlich der Weiterverwendung von Stift Heiligenkreuz als Bergungsdepot, nachdem dieser eine Bewachung der geborgenen Bestände durch den Leiter der Stiftssammlungen vereinbart hatte und auch das Luftgaukommando keine Einwände erhob.25 Damit befanden sich drei Jahre nach den ersten Bergungsmaßnahmen der Gemäldegalerie 102 Werke in Heiligenkreuz und 46 Gemälde in der Silberkammer in Wien. Eigenberger stellte im Zuge dieser Umlagerung in Aussicht, nach Möglichkeit 21 Vgl. UAAbKW, Akt 68-geheim/1942, Erlass des RStH in Wien, 13.7.1942. 22 Die Wiener Creditanstalt/Wiener Bankverein befand sich in der Schottengasse 6–8 im ersten Wiener Gemeindebezirk. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 77, Robert Eigenberger an den RStH in Wien, 14.8.1942. 23 Es existieren keine Transportlisten von den Bergungsmaßnahmen im Jahr 1942. Mit Hilfe eines Abgleichs der Liste von 1939 mit den Rücktransportlisten kann jedoch rekonstruiert werden, welche Werke 1942 nach Heiligenkreuz gebracht wurden. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 67a, Robert Eigenberger an Ludwig Berg, 14.9.1942; fol. 13, Rücktransportliste aus Stift Heiligenkreuz, 13.8.1945; fol. 6–9, Protokoll über die Rückführung des Bergungsguts, o. D.; UAAbKW, Akt 1024/1939, Verzeichnis der im Hörsaal für Anatomie in der AbKW untergebrachten Bilder, o. D.; Verzeichnis der in Stift Heiligenkreuz untergebrachten Bilder, 7.9.1939. 24 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 65, Robert Eigenberger an den RStH in Wien, 30.9.1942; fol. 74, Aktenvermerk des RStH in Wien, 14.8.1942; fol. 66, Aktenvermerk des RStH in Wien, 18.9.1942; BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 29, Zl. 41/Res/42, fol. 31, Abschrift eines Schreibens von Josef Zykan an Robert Eigenberger, 9.6.1942. 25 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 64–64a, Aktenvermerk Ludwig Bergs, 15.10.1942.
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154 René Schober künftig weitere der »wichtigsten der unbedeutenderen und weniger wertvollen Bilder und Kunstobjekte der akademischen Galerie« in die Silberkammer zu transportieren.26 Zu Kriegsende waren dort insgesamt 140 Kunstwerke eingelagert.27 Aufgrund der vergleichsweise geringen Anzahl an geborgenen Werken ist davon auszugehen, dass nach dieser zweiten Bergungsphase die Ausstellungsräumlichkeiten der Gemäldegalerie weiterhin geöffnet blieben. Dies legt jedenfalls die groß angelegte Ausstellung anlässlich des 250-jährigen Jubiläums der Wiener Akademie nahe, die zum Jahreswechsel 1942/43 in den Gebäuden des Künstlerhauses, der Secession und der Akademie gezeigt wurde. Im Rahmen dieser Ausstellung kuratierte Eigenberger eine historische Schau über das Kunstschaffen an der Akademie im Künstlerhaus.28 Die dabei gezeigten Werke der Gemäldegalerie waren bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht geborgen gewesen, und nur wenige wurden später als Kategorie C-Werke ausgelagert.29 Daraus ist zu schließen, dass Eigenberger künstlerischen Zeugnissen der Geschichte und Entwicklung der Akademie keinen hohen Stellenwert einräumte. Vermutlich hielt er es nicht für die Aufgabe der Gemäldegalerie, die Akademiegeschichte zu dokumentieren. Am 25. Mai und ein weiteres Mal am 14. Juli 1943 wurde die Akademie der bildenden Künste Wien von der Reichsstatthalterei in einem vertraulichen Schriftstück aufgefordert, »die Bergungsmaßnahmen mit allem Nachdruck so zu beschleunigen, dass womöglich auch drittrangige Bestände noch im Monate Juli geborgen werden«.30 Diese Aufforderung blieb ohne Folgen, obwohl kurze Zeit später, am 13. August 1943, mit dem ersten Luftangriff der Alliierten auf Wiener Neustadt die Gefährdung des Wiener Raums durch Bombenangriffe zunahm. Hintergrund für diese Verweigerungshaltung dürfte Eigenbergers Einstellung gegenüber den drittrangigen Beständen gewesen sein. Bereits im Rahmen der während der zweiten Bergungsphase abgehaltenen Besprechun26 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 67a, Robert Eigenberger an Ludwig Berg, 14.9.1942. 27 Es konnten keine Quellen ausfindig gemacht werden, wann diese zusätzlichen Werke in die Silberkammer transportiert wurden. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 10, Margarethe PochKalous an Hans Pernter, 1.10.1945. 28 Vgl. Katalog 1692–1942. 250 Jahre Akademie der bildenden Künste in Wien. Jubiläumsausstellung, Wien 1943, S. 12, 15–21. 29 Die Kunsthistorikerin Margarethe Poch-Kalous, seit 1941 an der Akademie der bildenden Künste Wien tätig, besorgte die Zusammenstellung des Ausstellungskatalogs. In einem Lebenslauf gab sie an, für diese Ausstellung Werke aus Bergungsorten nach Wien zurückgebracht zu haben. Da jedoch keines der im Katalog verzeichneten Werke der Gemäldegalerie zu diesem Zeitpunkt geborgen war, kann es sich dabei nur um Werke anderer Abteilungen gehandelt haben. Vgl. ÖStA/AdR, BMU, Personalakt Margarethe Poch-Kalous, Lebenslauf, 27.6.1945. 30 UAAbKW, Akt 775/1943, Alfred Eckmann an Alexander Popp, 14.7.1943; Akt 599/1943, Alfred Eckmann an Alexander Popp, 25.5.1943.
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gen mit der Reichsstatthalterei meinte er hinsichtlich der Kategorie C, dass diese »auch im [sic] oberen Stockwerken der Akad. verbleiben könnte, da ihre Beschädigung keinen Verlust von unersetzlichen Kulturwerten darstellen würde«.31 Diese Einstellung gegenüber einem großen Teil der Sammlungsbestände verwundert in Anbetracht seiner langjährigen Verbundenheit mit der Gemäldegalerie. Mögliche Erklärungsmodelle nehmen bei einer näheren Betrachtung der qualitativen Aufteilung der Bestände ihren Ausgangspunkt. Eigenberger hatte zu Kriegsbeginn den Bestand der Gemäldegalerie in 85 Werke der Kategorie A, 122 Werke der Kategorie B und die restlichen beinahe 1.700 Werke in Kategorie C eingeteilt. Den Großteil der Kategorie A- und B-Werke bildeten italienische und niederländische Gemälde des 16. und 17. Jahrhunderts, also sogenannte Alte Meister. Werke des 19. Jahrhunderts, solche von Künstlern aus dem deutschsprachigen Raum und Schüler- beziehungsweise Aufnahmearbeiten der Akademie waren der Kategorie C oder – wie Eigenberger sie später nennen sollte – den letztrangigen Werken zugeordnet. Diese Einteilung zeigt deutlich eine qualitative Bevorzugung von Kunstwerken der niederländischen und italienischen Renaissance und des Barock. Darin widerspiegelt sich eine bestimmte kunsthistorische Wertschätzung und Eigenbergers Forschungsinteresse.32 Bereits die Mitte der 1920er Jahre von ihm vorgenommene Neuaufstellung der Schausammlung der Gemäldegalerie hatte sich auf derartige Spitzenwerke der Sammlung beschränkt. Alle anderen Bestände wurden im Depot verwahrt.33 Ein weiterer Erklärungsansatz für Eigenbergers Geringschätzung eines großen Teils der Galeriebestände besteht in der Verlagerung seines Forschungsinteresses auf Fragen der Restaurierung und Konservierung. 1933 waren ihm neben seiner Funktion als Direktor der Gemäldegalerie der Restaurierkurs und ein Jahr später die Leitung der neugegründeten Fachschule für Konservierung und Technologie an der Wiener Akademie übertragen worden.34 Nachdem er im Juni 1945 im Zuge von Entnazifizierungsmaßnahmen kurzfristig seiner Ämter enthoben worden war, setzte er bereits 1946 seine Tätigkeit als Leiter der nunmehrigen Meisterschule für Konservierung 31 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 74, Aktenvermerk des RStH in Wien, 14.8.1942. 32 Eigenberger galt als Rubens-Experte. Ein Beleg dafür können seine spärlichen Publikationen sein, darunter: Robert EIGENBERGER, Ergänzungen zum Lebenswerke des Rubens und van Dyck in der akademischen Gemäldegalerie in Wien, Wien 1924 (Separatabdruck aus der Zeitschrift Belvedere); Robert EIGENBERGER, Peter Paul Rubens, Wien 1955. 33 Vgl. Robert EIGENBERGER, Die Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien. Textband, Wien-Leipzig 1927, S. XX; Heribert HUTTER, Der Galeriedirektor, in: Katalog der XXVII. Sonderausstellung. Dr. Robert Eigenberger Gedächtnisausstellung, Akademie der bildenden Künste in Wien, Wien 1980, S. 11–14, hier: S. 11. 34 Vgl. ÖStA/AdR, BMU, Personalakt Robert Eigenberger, Lebenslauf, o. D.; Standesausweis mit Laufbahn, 25.4.1955, S. 7.
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156 René Schober und Technologie, nicht aber als Direktor der Gemäldegalerie fort.35 Diese Maßnahme kann nicht als Sühnefolge des Verbotsgesetzes gewertet werden, da er in diesem Fall kaum die Leitung des Restaurierinstituts wiedererlangt hätte. Vielmehr stellt sie eine folgerichtige Konsequenz aus Eigenbergers Engagement für Belange der Restaurierung und Konservierung und seines während des Zweiten Weltkriegs offen zu Tage getretenen Desinteresses gegenüber der Gemäldegalerie dar. Im Dezember 1943 erging auf der Grundlage eines entsprechenden »Führerbefehls« die nochmalige Aufforderung an die Akademie, »dass auch alle letztrangigen Gemälde zu bergen sind«.36 Damit begann die dritte Bergungsphase der Gemäldegalerie. Rektor Popp forderte im Januar 1944 einen weiteren Bergungsraum mit einer Fläche von 24 m² an.37 Von den von Ludwig Berg vorgeschlagenen Räumlichkeiten in Schloss Weinern bei Waidhofen an der Thaya oder in Schloss Schönborn bei Mallebarn entschied sich Eigenberger für letzteres, da dieses näher bei Wien gelegen ist und damit regelmäßige Kontrollen ermöglichte.38 Anfang März 1944 war die Bergung von 362 Werken der akademischen Gemäldegalerie in Schloss Schönborn abgeschlossen.39 Bei diesem Bestand handelte es sich größtenteils um sogenannte Kategorie C-Werke.40 Neben Gemälden von italienischen, französischen und niederländischen Künstlern des 17. und 18. Jahrhunderts fällt ein hoher Anteil an deutschsprachigen Künstlern des 18. und 19. Jahrhunderts auf, darunter Werke von Johann Baptist Lampi d. J., Johann Martin Schmidt, Friedrich von Amerling, Heinrich Friedrich Füger, Friedrich Gauer35 Vgl. ÖStA/AdR, BMU, Personalakt Robert Eigenberger, Standesausweis mit Laufbahn, 25.4.1955, S. 5, 7–8; Abschrift des Dekrets des Ministerkomitees zur Säuberung der leitenden Stellen in Staat und Wirtschaft von Nazielementen zur Wiederaufnahme des Diensts von Robert Eigenberger, 30.10.1946. 36 UAAbKW, Akt 1293/1943, Alfred Eckmann an Alexander Popp, 16.12.1945. 37 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 43, Alexander Popp an den RStH in Wien, 4.1.1944. 38 Vgl. UAAbKW, Akt 26/1944, Ludwig Berg an Alexander Popp, 7.1.1944; BDA-Archiv, Restitutions materialien, K. 4/1, M. 1, fol. 35, Alexander Popp an den RStH in Wien, 12.1.1944. 39 Es existieren keine Transportlisten von den Bergungsmaßnahmen im Jahr 1944. Mit Hilfe der Rücktransport- und Verlustlisten kann jedoch rekonstruiert werden, welche Werke 1944 nach Schloss Schönborn gebracht wurden. Dabei wurden 269 Gemälde aus dem Hauptbestand und 93 Skulpturen und Kunsthandwerkliches aus dem Sonderbestand des Legats Albrecht-Hönigschmied geborgen. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 32, Aktenvermerk des RStH in Wien, 3.3.1944; Zl. 7215/47, Liste des verlorenen Bergungsguts in Schönborn-Mallebarn, 17.11.1947; fol. 3–4a, Liste der in Schloss Schönborn-Mallebarn nicht aufgefundenen Kunstgegenstände, o. D.; fol. 6–9, Protokoll über die Rückführung des Bergungsguts, o. D. 40 Es existiert keine Kategorie C-Liste der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien. Jedoch lassen sich von den nach Schloss Schönborn verbrachten Werken keine in der Kategorie A-Liste und nur neun Werke in der Kategorie B-Liste finden. Vgl. Anmerkung 39; UAAbKW, Akt 1024/1939, Verzeichnis der im Hörsaal für Anatomie in der AbKW untergebrachten Bilder, o. D.
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mann, Franz Defregger und Josef Danhauser.41 Mit der Bergung dieser 362 Werke verblieben aber entgegen dem genannten »Führerbefehl« etwa 1.300 Werke im Akademiegebäude. Im Rahmen dieser Bergungsphase dürfte es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Eigenberger und der Reichsstatthalterei gekommen sein. Ein von dem Beamten der Reichsstatthalterei, Konrad Thomasberger, verfasster und von Ludwig Berg unterzeichneter Aktenvermerk vom März 1944 liefert den entsprechenden Hinweis: »Die Vorkommnisse an der AK [Akademie] in Zusammenhang mit der Bergung sind ein neuer Beweis dafür, daß Eigenberger ein öder Schwätzer ist, der für die Funktion eines Rektors nicht in Betracht kommen kann.«42 Es bleibt aber unerwähnt, ob Eigenbergers Einstellung gegenüber den letztrangigen Gemälden und die dadurch bedingte Zurücklassung von zwei Dritteln der Bestände der Gemäldegalerie im Akademiegebäude oder andere Vorkommnisse diesen Aktenvermerk bedingten. Nach der dritten Bergungsphase dürften die Ausstellungsräume der Gemäldegalerie weiter geöffnet gewesen sein.43 Mangels eindeutiger Quellen ist zu vermuten, dass ihre endgültige Schließung erst im Rahmen der allgemeinen Stilllegung der Kunsthochschulen in Wien im Januar 1945 erfolgte.44 Die vierte und letzte Bergungsphase der Gemäldegalerie fällt in den Zeitraum um die Jahreswende 1944/1945. Im Dezember 1944 berichtete Robert Eigenberger dem Rektorat der Akademie, dass die großen staatlichen Kunstsammlungen planten, »die in möglicherweise bald schwer gefährdeten Bergungsorten untergebrachten Kunstobjekte an gesichertere Bergungsorte zu übertragen. […] Als Umbergungsorte wurden die Salzbergwerke in Alt-Aussee und in Laufen [sic] bei Ischl ausgewählt, wohin die wertvollsten und an den genannten Orten unterbringungsfähigen Kunstobjekte in Eisenbahntransportwagen, die an Nachtschnellzüge der Westbahn angehängt werden, ehestens gebracht werden sollen.«45 Eigenberger war ähnlich der Situation im Jahr 1939 nicht zu den Vorbereitungsverhandlungen hinzugezogen worden. Er war über die geschilderten Umbergungspläne auch nicht von Ludwig Berg persönlich, sondern vom 41 Vgl. Anmerkung 39. 42 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 32a, Aktenvermerk von Konrad Thomasberger, 6.3.1944. 43 Am 27. April 1944 wurde das Akademiegebäude wegen Ausbruchs von Scharlach für zwei Wochen geschlossen. In der Kundmachung dieser Schließung werden die Ausstellungräume – als ebenfalls von dieser Schließung betroffen – explizit erwähnt. Daraus ist zu schließen, dass die Ausstellungsräume im Frühjahr 1944 noch geöffnet waren. Vgl. UAAbKW, Akt 363/1944, Kundmachung der Schließung des Akademiehauptgebäudes, 27.4.1944. 44 Vgl. UAAbKW, Akt 60/1945, Abschrift des Erlasses des RStH in Wien zur Stilllegung der Kunsthochschulen in Wien, 19.1.1945. 45 UAAbKW, Akt 1028/1944, Robert Eigenberger an Alexander Popp, 14.12.1944.
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158 René Schober Direktor der Österreichischen Galerie, Bruno Grimschitz, informiert worden. Daher bat Eigenberger das Rektorat, hier eine Vermittlerrolle einzunehmen. 46 Möglicherweise hatte der vorhin geschilderte Disput zwischen Eigenberger und der Reichsstatthalterei im Frühjahr 1944 zu einer Verweigerungshaltung seitens Ludwig Bergs geführt. Am 18. Dezember 1944 forderte das Rektorat der Akademie nach Rücksprache mit der Reichsstatthalterei Eigenberger auf, die wertvollsten Werke gemeinsam mit der Österreichischen Galerie in das Salzbergwerk Altaussee zu überführen.47 In der Nacht von 16. auf 17. Februar 1945 wurden 45 Bilder der Gemäldegalerie allerdings nicht nach Altaussee, sondern in das Bergwerk Lauffen bei Bad Ischl verlagert, darunter Werke von Tizian, Lucas Cranach d. Ä., Rembrandt, Peter Paul Rubens, Anthonis van Dyck und Botticelli.48 40 dieser Gemälde waren seit 1939 im Stift Heiligenkreuz eingelagert gewesen und zählten zur Kategorie A.49 Die übrigen fünf Gemälde hatten sich bis dahin im Gebäude der Akademie befunden, eines davon seit 1939 gemeinsam mit den Kategorie B-Beständen im Anatomiesaal.50 Damit waren die Bergungsmaßnahmen der akademischen Gemäldegalerie während des Zweiten Weltkriegs abgeschlossen. Erstaunlicherweise blieben etwa 1.300 Werke im Akademiegebäude zurück, während 609 Werke und damit weniger als ein Drittel des Gesamtbestands in externen Bergungsorten untergebracht worden war. Eine Kombination von Geringschätzung und Gleichgültigkeit gegenüber der Gemäldegalerie sowie inkonsequenter Umsetzung der Bergungsvorschriften sowohl seitens der zuständigen Behörden als auch seitens der Galerieleitung waren dafür ausschlaggebend. So wurde Robert Eigenberger sowohl im Sommer 1939 als auch Ende 1944 nicht zu den vorbereitenden Bergungsverhandlungen hinzugezogen und sehr kurzfristig über die Bergungsmaßnahmen informiert. Die in Zusammenhang mit der ersten Bergungsphase überlieferte Äußerung der kommissarischen Leitung der Akademie über die geringe Besucheranzahl liefert ein weiteres Indiz für die mangelnde Wertschätzung 46 Vgl. UAAbKW, Akt 1028/1944, Robert Eigenberger an Alexander Popp, 14.12.1944. 47 Vgl. UAAbKW, Akt 1028/1944, Abschrift eines Schreibens von Josef Müllner an Robert Eigenberger, 18.12.1944. 48 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 16, M. 5, Zl. 720/46, fol. 21, Liste AbKW, o. D.; KHMArchiv, XIII 20, Bergungen Lauffen, Bericht von Victor Luithlen über die Zeit vom 17.2.–3.3.1945, 7.3.1945; XIII 34, fol. 48–49, Verzeichnis der wertvollsten Gemälde der Gemäldegalerie der AbKW zur Bergung in Lauffen, 7.3.1945. 49 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 16, M. 5, Zl. 720/46, fol. 21, Liste AbKW, o. D.; UAAbKW, Akt 1024/1939, Verzeichnis der in Stift Heiligenkreuz untergebrachten Bilder, 7.9.1939. 50 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 16, M. 5, Zl. 720/46, fol. 21, Liste AbKW, o. D.; UAAbKW, Akt 1024/1939, Verzeichnis der im Hörsaal für Anatomie in der AbKW untergebrachten Bilder, o. D.
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Abbildung 2: Ansicht der Akademie der bildenden Künste Wien; zerstörter Westtrakt als Folge des Bombentreffers vom 12. März 1945
sowohl der Akademie als auch des zuständigen Ministeriums gegenüber der Gemäldegalerie. Besonders deutlich wurde diese Haltung aber vor und während der dritten Bergungsphase, als sich Eigenberger 1943 zunächst weigerte, drittrangige Bestände auszulagern, um schließlich Anfang 1944 von den beinahe 1.700 im Akademiegebäude verbliebenen Werken nur 362 als vorwiegend dritt- beziehungsweise letztrangige Bestände nach Schloss Schönborn verbringen zu lassen. Dass Ludwig Berg und die Reichsstatthalterei trotz entgegengesetzter Anweisungen Hitlers und Schirachs diese Verweigerungshaltung akzeptierten, lässt staunen. Möglicherweise liegen die Gründe dafür in den Schwierigkeiten im Umgang mit Robert Eigenberger, dem geringen
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160 René Schober Umfang der Galeriebestände und einer damit zusammenhängenden fehlenden Wertschätzung derselben. Kriegsbedingte Verluste im Gebäude der Akademie
Während bis zum Winter 1944/45 etwa ein Drittel der Bestände der Gemäldegalerie in externen Bergungsorten in Niederösterreich und im Bergwerk Lauffen untergebracht war, blieben etwa 1.300 Werke in unzureichend geschützten Räumlichkeiten im Akademiegebäude im Zentrum von Wien zurück. Am 12. März 1945 erfolgte der schwerste Luftangriff der US-Army Air Force auf Wien, bei dem unter anderem die Wiener Staatsoper, das Kunsthistorische Museum und die Albertina schwer beschädigt wurden. Auch das Akademiegebäude wurde zur Mittagszeit von einer Fliegerbombe getroffen,51 die drei Stockwerke durchschlug und den gesamten Westtrakt zerstörte (Abbildung 2).52 Die Bekämpfung des daraufhin ausgebrochenen Feuers dauerte bis zum folgenden Tag.53 Ein Bericht der Akademie über den dabei entstandenen Schaden lautet folgendermaßen: Im ersten Stockwerk des Akademiegebäudes war im betroffenen Teil die Albrechtsche Kunstsammlung unserer Galierie [sic], die nur weniger wertvolle Objekte, die eingelangt waren, enthielt, und vom Galeriedirektor und seines Personales noch während des Brandes mit Lebensgefahr größtenteils gerettet und geborgen wurde in den bedeutensten [sic] Stunden. Ein Raub der Flammen wurden etwa 120 Inventarstücke der Schausammlung. Außerdem ist der Restbestand der Depot [sic] mit minderrangigen Bildern 200 an der Zahl verbrannt. 80 der wertvolleren Bilder konnten gerettet werden.54
Abgesehen von diesen Zahlen existieren keine Listen über die durch diesen Bombentreffer beschädigten oder zerstörten Kunstwerke. Es ist jedoch anzunehmen, dass die bis heute als Kriegsverluste verzeichneten Bestände abzüglich der Verluste in den ex51 Vgl. UAAbKW, Akt 169/1945, Entwurf eines Berichts von Herbert Dimmel, stellvertretender Rektor der AbKW, an das Kommando der Feuerschutz-Polizei, 13.3.1945. 52 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, Zl. 1363/47, Abschrift eines Schreibens an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, September 1945 (Abschrift vom 10.3.1947). Herzlichen Dank an Eva Schober für das Auffinden von Fotografien der Bombenschäden am Akademiegebäude. 53 Vgl. UAAbKW, Akt 169/1945, Entwurf eines Berichts von Herbert Dimmel an das Kommando der Feuerschutz-Polizei, 13.3.1945. 54 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, Zl. 1363/47, Abschrift eines Schreibens der ABkW an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, September 1945 (Abschrift vom 10.3.1947).
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Bergungen und Kriegsverluste der akademischen Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg 161
Abbildung 3: Das Gemälde »Landschaft« von Franz Scheyerer (Inv. Nr. GG-343) wurde beim Brand in Folge des Bombentreffers des Akademiegebäudes stark beschädigt.
ternen Bergungsorten größtenteils diesem Ereignis zuzuschreiben sind. Das bedeutet, dass als Folge dieses Bombentreffers 520 Werke zerstört wurden oder verschwunden sind. Darunter befanden sich neben vielen Kopien nach Alten Meistern auch Gemälde von Herman van Swanevelt, Heinrich Friedrich Füger, Franz Defregger, Paul Troger, David Teniers d. J. und Anthonis van Dyck.55 Damit war im Fall der Gemäldegalerie jene Katastrophe eingetreten, die eigentlich mit Hilfe von Bergungsmaßnahmen hätte abgewendet werden sollen. Beinahe die Hälfte der im Akademiegebäude zurückgebliebenen Kunstwerke wurde durch Kriegseinwirkungen zerstört (Abbildung 3).
55 Diese Verlustzahlen sind Ergebnis eines Abgleichs der Einträge zu Kriegsverlusten in der Sammlungs datenbank und dem Bestandskatalog der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien abzüglich der Verluste in den Bergungsorten. Unter den 520 Werken befanden sich 264 Gemälde aus dem Hauptbestand und 256 Skulpturen und Kunsthandwerkliches aus dem Sonderbestand des Legats Albrecht-Hönigschmied. Vgl. Renate TRNEK, Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien. Illustriertes Bestandsverzeichnis, Wien 1989.
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162 René Schober Die Kriegsendphase
Neben den Verlusten infolge des Bombentreffers wurden kurz vor Kriegsende in den Bergungsorten im Bergwerk Lauffen und in Schloss Schönborn Werke der Gemälde galerie unter dubiosen Umständen entnommen. Im Fall des Bergwerks Lauffen versuchte der Wiener Reichsstatthalter, Baldur von Schirach, angesichts der drohenden Kriegsniederlage öffentlichen Kunstbesitz zu verschleppen: Am 3. Mai 1945 ließ Generalkulturreferent Hermann Stuppäck im Auftrag Schirachs 184 Gemälde, 49 Säcke mit Tapisserien und zwei Kisten mit Kunstwerken des Kunsthistorischen Museums, der Österreichischen Galerie und der akademischen Gemäldegalerie aus dem Bergungsort Lauffen auf Lastwagen verladen.56 Bei den dabei entnommenen Werken der Gemälde galerie handelte es sich um zwei Rubens-Bilder und eines von Claude Lorrain.57 Sie wurden nach Tirol gebracht, wo sie schließlich im Juni 1945 in St. Johann von der US-Armee sichergestellt wurden.58 Am 10. Januar 1946 übernahm die Gemäldegalerie die drei verbrachten Werke wieder in ihre Obhut.59 Konnte der Verschleppungsversuch durch den Wiener Reichsstatthalter abgewehrt werden, verlief die Entnahme von Bergungsgut der Gemäldegalerie in Schloss Schönborn in den letzten Kriegstagen weniger glimpflich. Der vom Wiener Naturhistorischen Museum abgestellte Beauftragte für die Aufsicht über diesen Bergungsort, der Ornithologe Moriz Sassi, informierte Ludwig Berg bei einer Besichtigung Schönborns kurz nach Kriegsende darüber, dass am 4. Mai 1945 drei Mitglieder der Führer-GrenadierDivision der Deutschen Wehrmacht erschienen waren und »aus den Beständen der Akademiegalerie nach eigenem Gutdünken Bilder, Plastiken und 1 Bronze zur Umbergung aus dem frontnahen Gebiet (Kämpfe bei Kreuzenstein und Stockerau)« entnommen hatten.60 Den Befehl dafür erteilte der Kommandeur der Führer-GrenadierDivision, Generalmajor Hellmuth Mäder, auf Anordnung des Gauhauptmanns von Niederdonau, Josef Mayer.61 Sassi fertigte eine Liste der abtransportierten Werke an und ließ sich die Übergabe und den neuen Aufbewahrungsort in Schloss Mühlbach bei
56 Vgl. KHM-Archiv, XIII 34, fol. 48–49, Verzeichnis der wertvollsten Gemälde der Gemäldegalerie der AbKW zur Bergung in Lauffen, 7.3.1945; XIII 36, Protokoll über die Wegführung von 184 Bildern, o. D. 57 Vgl. KHM-Archiv, XIII 34, fol. 48–49, Verzeichnis der wertvollsten Gemälde der Gemäldegalerie der AbKW zur Bergung in Lauffen, 7.3.1945. 58 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 16, M. 5, fol. 156, Bericht von Hermann Michel, o. D. 59 Vgl. KHM-Archiv, XIII 36, Übernahmebestätigung, 10.1.1946. 60 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 19, Bericht von Ludwig Berg über die Fortführung von Beständen der Akademiegalerie durch die Führer-Grenadier-Division, 23.5.1945. 61 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 80, Übernahmeprotokoll, 4.5.1945.
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Bergungen und Kriegsverluste der akademischen Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg 163
Maissau vom befehlshabenden Offizier bestätigen.62 Die umgelagerten 55 Kunstwerke waren nach späteren Aussagen wenig bedeutende Gegenstände und zählten durchwegs zur Kategorie C.63 Warum genau diese Werke verlagert wurden, ist unbekannt. Möglicherweise sollten sie tatsächlich vor den nahen Kampfhandlungen in Sicherheit gebracht werden. Andererseits waren weder die Wiener Akademie noch Ludwig Berg als die für die Bergungen der Gemäldegalerie zuständigen Instanzen in diese Vorgänge eingeweiht. Erst drei Wochen später, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, wurden sie im Rahmen einer Kontrolle des Bergungsorts darüber in Kenntnis gesetzt. Weder der Kommandeur der Führer-Grenadier-Division noch der Gauhauptmann von Nieder donau, die den Befehl dafür gegeben hatten, waren für die Bergungsmaßnahmen der Wiener Akademie zuständig. Zudem spricht die Schilderung, dass die involvierten Wehrmachtssoldaten die abtransportierten Werke selbst ausgewählt hätten, nicht für eine professionelle Bergungsmaßnahme. Diese Erwägungen deuten entweder auf eine Plünderung oder zumindest auf eine dilettantische Bergungsaktion der Deutschen Wehrmacht hin. Wenige Tage nachdem Ludwig Berg und die Wiener Akademie von den Vorgängen in Schloss Schönborn beziehungsweise Mühlbach bei Maissau erfahren hatten, wurde Berg mit dem Vermerk »Sehr dringend! Verschleppungsgefahr im Verzuge!« darüber informiert,64 dass der Kaufmann Franz Johandl am 25. Mai 1945 beim Magistratischen Bezirksamt für den 4. und 5. Wiener Bezirk folgende Mitteilung gemacht hatte: »Mein Bruder Hans Johandl […] kam vorgestern von Mühlbach und teilte mir mit, dass im Verwalterhause des Schlosses Graf Gudenus die SS 10 bis 12 Kisten Kunstgegenstände eingelagert hat. Diese Kisten wurden im Kellerraum des Verwalterhauses eingelagert.«65 Zwar dürfte Johandl die Uniformen der Wehrmachtssoldaten mit denen der SS verwechselt haben, doch meldete er damit die Einlagerung des Bergungsguts der Gemäldegalerie in Schloss Mühlbach bei Maissau. Durch die Schilderungen von Moriz Sassi und Franz Johandl alarmiert, organisierte die Wiener
62 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 81–82, Verzeichnis, 4.5.1945; fol. 80, Übernahmeprotokoll, 4.5.1945. 63 Es handelte sich um 33 Gemälde sowie um 22 Skulpturen und Kunsthandwerkliches. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 19a, Bericht über die Fortführung von Beständen der Akademiegalerie durch die Führer-Grenadier-Division, 23.5.1945; K. 2, M. 66, fol. 81–82, Verzeichnis, 4.5.1945. 64 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 20, Abschrift eines Schreibens eines Wiener Bezirksamtsleiters an das Kulturamt der Stadt Wien, 25.5.1945. 65 Schloss Mühlbach bei Maissau befindet sich seit dem 19. Jahrhundert im Eigentum der Familie Gudenus. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 20, Abschrift der Aufnahmeschrift von Franz Johandl beim Magistratischen Bezirksamt für den 4./5. Bezirk, 25.5.1945; Aktennotiz von Karl Wagner, Direktor der Wiener Städtischen Sammlungen, 9.6.1945.
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164 René Schober Akademie eine Besichtigungsfahrt nach Schloss Mühlbach.66 Dadurch konnte die Mehrzahl der dorthin verlagerten Werke gesichert und an die Gemäldegalerie zurückgegeben werden. Von den 55 verbrachten Werken blieben jedoch sechs Gemälde und vier Skulpturen verschwunden.67 Kriegsbedingte Verluste in den Bergungsorten
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Bergungsorte besichtigt, etwaige Verluste festgestellt und die Rückführung des Bergungsguts organisiert. Der erste Rücktransport von Beständen der Gemäldegalerie fand am 27. Juni 1945 aus Schloss Schönborn statt.68 Bis September 1945 waren sämtliche in Schönborn, in Stift Heiligenkreuz und in Schloss Mühlbach greifbaren Werke, bis Ende 1945 die in der Silberkammer der Wiener Creditanstalt/Wiener Bankverein eingelagerten Beständeund Ende Mai 1946 jene aus dem Bergwerk Lauffen bei Bad Ischl an die Wiener Akademie zurückgebracht worden.69 In den meisten Fällen wurden diese Transporte von der interimistischen Leiterin der Gemäldegalerie, Margarethe Poch-Kalous,70 zum Teil gemeinsam mit der Sekretärin Margarete Müller-Jellinek, durchgeführt.71 Während die Depots in der Silberkammer der Wiener Creditanstalt/ Wiener Bankverein und im Bergwerk Lauffen bei Bad Ischl keine Fehlbestände aufwiesen, w aren in Stift Heiligenkreuz und insbesondere in Schloss Schönborn erhebliche Verluste zu verbuchen. Beim zweiten Rücktransport von Stift Heiligenkreuz am 66 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 26, Aktennotiz von Ludwig Berg, 1.6.1945. 67 Diese Verlustzahlen sind Ergebnis eines Abgleichs der Liste von den nach Mühlbach verbrachten Werken mit den als Kriegsverlusten in der Sammlungsdatenbank und dem Bestandsverzeichnis der Gemälde galerie der Akademie der bildenden Künste Wien gekennzeichneten Werken. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 81–82, Verzeichnis, 4.5.1945; TRNEK 1989. 68 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 60, Aktennotiz von Alfred Eckmann, 7.7.1945. 69 Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Ordner 1945–1949, Margarethe Poch-Kalous an das Polizeipräsidium Wien, 13.5.1946; Abschrift einer Mitteilung von Margarethe Poch-Kalous an Oberpolizeirat Klausner, 31.5.1946; BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 6–9, Protokoll über die Rückführung des Bergungsguts, o. D.; UAAbKW, Akt 706/1946, Margarethe Poch-Kalous an das BMU, 20.5.1946. 70 Die Kunsthistorikerin Margarethe Poch-Kalous war nach Eigenbergers Enthebung von sämtlichen Funktionen an der Wiener Akademie im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens am 9. August 1945 zur interimistischen Leiterin der Gemäldegalerie bestellt worden. Vgl. ÖStA/AdR, BMU, Personalakt Robert Eigenberger, Standesausweis mit Laufbahn, 25.4.1955, S. 5, 7; UAAbKW, Akt 453/1945, Abschrift eines Schreibens von Robert Eigenberger an das Rektorat der AbKW, 20.7.1945; Sergius Pauser an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, 1.8.1945; Personalbuch ab 1875, Eintrag zu Margarethe Kalous. 71 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 6–9, Protokoll über die Rückführung des Bergungsguts, o. D.; UAAbKW, Akt 943/1945, Reisekostenrechnung, 12.11.1945.
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Bergungen und Kriegsverluste der akademischen Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg 165
10. September 1945 wurden von zwei Stillleben der niederländischen Künstler_innen Rachel Ruysch (Abbildung 5) und Willem van Aelst nur noch die dazugehörigen Rahmen vorgefunden.72 Sie waren bereits im September 1939 in Stift Heiligenkreuz eingelagert worden und können damit zum Bestand der Kategorie A-Werke gezählt werden.73 Im Jahr 2002 sind beide Bilder in russischem Privateigentum wieder aufgetaucht. Daher liegt es im Bereich des Möglichen, dass sie zu Kriegsende von sowjetischen Kriegsgefangenen, die in Stift Heiligenkreuz untergebracht waren, entwendet worden waren. Bei einer Besichtigung der Bergungsdepots in Schloss Schönborn am 20. Mai 1945 stellte Ludwig Berg fest, dass der Bergungsort – mit Ausnahme der geschilderten Entnahmen der Deutschen Wehrmacht – unversehrt geblieben ist. Nur einzelne Kisten mit Werken der Wiener Städtischen Sammlungen und privatem Bergungsgut waren nach Bergs Einschätzung von Angehörigen der Roten Armee geplündert worden.74 Ende Juni 1945 quartierte sich eine Einheit der Roten Armee in Schloss Schönborn ein. Da aber das gesamte Schloss mit Ausnahme der Wirtschafts- und Kanzleiräume sowie der Privatwohnung des Eigentümers als Bergungsort genutzt wurde, mussten Räume frei gemacht werden.75 Moriz Sassi berichtete: »Der 28. d[es] M[onats] war ein schwarzer Tag; um ca. 9 h kamen Autos u. fremde Offiziere, ein Truppenkörper von Leipzig; nach Rundgang im ganzen Schloss u. in Einvernehmen mit Hollabrunn wurde dekretiert, dass fast alle Museumssachen im 1. St. in die gr. Bibliothek, in die Kirche u. auf den Boden umgelagert werden müssen.«76 Im Zuge der Umstrukturierung des Bergungsorts in eine Kaserne der Roten Armee konnte Sassi die bisherigen Standards nicht aufrechterhalten. So wurden Museumsbestände – darunter feuchteempfindliche Stopfpräparate des Naturhistorischen Museums – in Stallräume umgelagert, Bestände der Gemäldegalerie in eine Garage verbracht, gotische und barocke Kästen des Kunstgewerbemuseums von sowjetischen Soldaten zerlegt, Figuren des Donnerbrunnens in den Garten geschoben, Bergungsgüter chaotisch aufeinander gestapelt und Gemälde zur Ausschmückung von Offiziers- und Mannschaftsräumen
72 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 7, Protokoll über die Rückführung des Bergungsguts, o. D. 73 Vgl. UAAbKW, Akt 1024/1939, Verzeichnis der in Stift Heiligenkreuz untergebrachten Bilder, 7.9.1939. 74 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 73–74, Bericht von Ludwig Berg, 23.5.1945. 75 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2/1, M. 97, fol. 23, Liste der Bergungsorte im Gau Niederdonau, o. D.; K. 2, M. 66, fol. 69, Moriz Sassi an Ludwig Berg, 30.6.1945; fol. 70, Moriz Sassi an Ludwig Berg, 19.6.1945. 76 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 69, Moriz Sassi an Ludwig Berg, 30.6.1945.
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166 René Schober Abbildung 4: Das Gemälde »Allegorie der Malerei« von Pietro Cavaliere Liberi (Inv. Nr. GG-232) kam beschädigt aus dem Bergungsort Schloss Schönborn zurück. Hier ist es in einem Zwischenstadium der Restaurierung zu sehen.
herangezogen.77 Mit Hilfe von Kunstblättern aus dem Kunstgewerbemuseum hatten sich sowjetische Soldaten Lagerstätten errichtet, ein Waldmüller-Gemälde wurde zweigeteilt gefunden, in einer Schottergrube bei der Ortschaft Viendorf entdeckte man Gipsabgüsse, Bibliotheksbestände, Möbelfragmente und menschliche Überreste – vermutlich aus der anthropologischen Sammlung des Naturhistorischen Museums.78 Unter diesen chaotischen Umständen wurden zwischen Mitte August und Mitte 77 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 65, Alfred Eckmann an Hans Pernter, 14.7.1945; fol. 64, Richard Ernst an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, 15.7.1945; fol. 63, Moriz Sassi an Ludwig Berg, 28.7.1945; fol. 58, Moriz Sassi an Ludwig Berg, 11.8.1945. 78 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 57, Moriz Sassi an Ludwig Berg, 2.9.1945; Zl. 588/46, fol. 46, Aktennotiz, 13.2.1946.
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Bergungen und Kriegsverluste der akademischen Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg 167
ktober 1945 vom Bundesdenkmalamt Rücktransporte des Bergungsguts aus Schloss O Schönborn nach Wien organisiert.79 Dabei konnten neben den Verlusten anderer Museen die großen Fehlbestände der Gemäldegalerie festgestellt werden. Von den 30780 dorthin verbrachten Werken waren 108 verschwunden, darunter Werke von Friedrich von Amerling, Olga Wiesinger-Florian und Moritz von Schwind.81 Von den zurücktransportierten Werken befanden sich laut Poch-Kalous »mehr als ein Drittel in schwer beschädigtem Zustande« (Abbildung 4).82 Nach dem Abzug der Roten Armee aus Schloss Schönborn zu Pfingsten 1946 tauchte vereinzelt Bergungsgut im Schloss und seiner Umgebung auf.83 So wurde bereits am 12. Juni 1946 bei einem Bauern aus der Ortschaft Schönborn-Mallebarn das Gemälde Italienische Hirtenlandschaft von Johann Heinrich Roos aus dem Bestand der Gemäldegalerie entdeckt.84 Insgesamt hatte die Gemäldegalerie in den externen Bergungsorten 120 Werke und als Folge des Bombentreffers des Akademiegebäudes etwa 520 Werke verloren. 85 Bis heute befinden sich durch Kriegsereignisse beschädigte und weitgehend zerstörte Gemälde im Bestand der Gemäldegalerie (Abbildung 3). Das Schicksal der kriegsbedingten Verluste
Zwar waren die Bergungsmaßnahmen während des Zweiten Weltkriegs mit den Rücktransporten der Kunstwerke und der ab 1948 schrittweisen Wiedereröffnung der Ausstellungsräume abgeschlossen, doch sind deren Auswirkungen bis heute spürbar. 79 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 55, Aktennotiz, 5.9.1945; K. 2/1, M. 100, Fahrtenbuch der Rückbringung des Bergungsguts, 17.8.1945. 80 Anfang 1944 wurden 362 Werke der Gemäldegalerie in Schloss Schönborn geborgen. Davon sind jedoch jene 55 Werke abzuziehen, die am 4. Mai 1945 in das Schloss Mühlbach bei Maissau verbracht wurden. Vgl. Anmerkung 39 und 63. 81 Diese Verlustzahlen sind Ergebnis eines Abgleichs der Verlustlisten von Schloss Schönborn mit den als Kriegsverlusten in der Sammlungsdatenbank und dem Bestandsverzeichnis der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien gekennzeichneten Werken. Die Verluste gliedern sich in 58 Gemälde aus dem Hauptbestand und 50 Skulpturen und Kunsthandwerkliches aus dem Sonderbestand des Legats Albrecht-Hönigschmied. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 3–4a, Liste der in Schloss Schönborn-Mallebarn nicht aufgefundenen Kunstgegenstände, o. D.; Zl. 7215/47, Liste des verlorenen Bergungsguts in Schönborn-Mallebarn, 17.11.1947; TRNEK 1989. 82 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 10a, Margarethe Poch-Kalous an Hans Pernter, 1.10.1945. 83 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 41, Aktennotiz, 26.9.1946; fol. 17, Aktennotiz, 14.5.1947; fol. 12, Aktennotiz, 24.8.1949. 84 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, Zl. 2308/46, Aktennotiz, 2.7.1946. 85 Die Sammlung des Legats Albrecht-Hönigschmied erlitt derartig schwere Verluste, dass eine selbstständige Aufstellung wie im Jahr 1937 nicht mehr möglich war. Vgl. Anmerkung 2; AbKW, Gemäldegalerie, Ordner 1945–1949, Abschrift eines Schreibens von Ludwig Münz an Otto Benesch, 2.3.1949.
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168 René Schober Insbesondere das Schicksal der verschwundenen Werke führt immer wieder zur Beschäftigung mit diesem Thema. Hinsichtlich der Wege der verloren gegangenen Werke können größtenteils nur Spekulationen angestellt werden, doch bringen einzelne wiedergefundene Stücke etwas Licht in deren Verlustgeschichte. Abgesehen von dem in der unmittelbaren Nachkriegszeit bei einem Bauern nahe des Schlosses Schönborn wiedergefundenen Gemälde, kamen seit dem Ende der 1970er Jahre fünf Werke aus dem vormaligen Bestand der Gemäldegalerie wieder zum Vorschein. Zwei dieser wiederentdeckten Werke betreffen den sogenannten Mauerbach- Bestand. In dieser Kartause in Niederösterreich wurden 1966 Kunstgüter eingelagert, deren rechtmäßige Eigentümer_innen bis dahin nicht festgestellt worden waren und die teilweise mit dem nationalsozialistischen Kunstraub in Verbindung standen.86 Die Republik Österreich hatte sie nach dem Zweiten Weltkrieg schrittweise in treuhändige Verwahrung genommen und deren Betreuung dem Bundesdenkmalamt übertragen. Der Mauerbach-Bestand bildete eine heterogene Masse verschiedenster Herkunft, darunter unidentifiziertes Bergungsgut sowie Restbestände unterschiedlicher Depots und des Central Art Collecting Point in München. Letztere hatten die Alliierten der Republik Österreich 1955 in treuhändige Verwahrung übergeben.87 Mit dem Ziel der Restitution des Mauerbach-Bestands wurde 1969 das Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz erlassen. Dieses sah die Publikation einer Liste der in der Kartause Mauerbach eingelagerten Kunstgüter vor, nach der Personen Ansprüche auf die Herausgabe dieser Werke bei der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland bis Ende des Jahres 1972 anmelden konnten. Diese Liste wurde im Amtsblatt der Wiener Zeitung am 2. September 1969 publiziert. Darunter befand sich unter Nummer 379 der Eintrag: »Pynacker oder Wyck Th. zugeschrieben, Inneres einer Ruine mit Medizinverkäufer, Öl/Lwd., 43,2 x 36,8.«88 Ein Antragsteller machte daraufhin hinsichtlich dieses und anderer Bilder Restitutionsansprüche geltend. Mangels eindeutiger Beweise endete das Verfahren mit einem Vergleich, und dem Antragsteller wurde
86 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 29, M. 1b, Zl. 7280/66, fol. 35–36, Abschrift eines Schreibens des Bundesdenkmalamts an die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, 28.10.1966. 87 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 29/1, M. 4a, fol. 136, Schriftstück über Probleme im Zusammenhang mit der Durchführung des Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetzes, o. D.; Zl. 14/67, 421 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, 9.3.1967. 88 Liste mit einer Beschreibung des im Gewahrsam des Bundesdenkmalamtes befindlichen und in der Anlage zum Bundesgesetz vom 27. Juni 1969 (BGBl. Nr. 294 vom 14. August 1969) zahlenmäßig angeführten Kunst- und Kulturgutes, gemäß § 1 Abs. 2 dieses Bundesgesetzes, in: Amtsblatt zur Wiener Zeitung, 2.9.1969, S. 9–42, hier: S. 12.
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unter anderen die Nummer 379 aus dem Mauerbach-Bestand im August 1979 ausgefolgt.89 Kurze Zeit später wurde das Bild der Wiener Galerie Sanct Lucas verkauft. Diese entfernte die Doublierleinwand und entdeckte darunter den Eigentumsvermerk der Gemäldegalerie.90 Es handelte sich um das Gemälde Die Morraspieler von Thomas Wyck, das Anfang 1944 in Schloss Schönborn geborgen und nach Kriegsende als Verlust vermerkt worden war.91 Weshalb das Bild aus Schönborn nicht an die Gemäldegalerie zurücktransportiert wurde, ist unbekannt. Möglicherweise waren im Zuge der geschilderten Einquartierung einer Einheit der Roten Armee in Schloss Schönborn Bergungskisten aufgebrochen worden. Aufgrund des durch die Doublierleinwand verdeckten Eigentumsvermerks, der wohl fehlenden Zuordnung zu einer Bergungskiste und der chaotischen Zustände in diesem Bergungsort in der Nachkriegszeit wurde das Bild offenbar bei den Rücktransporten nicht als Eigentum der Gemäldegalerie erkannt. Daher wurde es Ende 1946 vom Bundesdenkmalamt gemeinsam mit 16 anderen Kunstgegenständen, deren Eigentümer_innen unbekannt waren, im Gebäude der ehemaligen Bodenkreditanstalt in der Löwelstraße im Zentrum Wiens eingelagert und schließlich im Herbst 1966 in die Kartause Mauerbach verbracht.92 Die Gemäldegalerie konnte es noch 1979 von der Galerie Sanct Lucas zurückkaufen und führt es seither wieder in ihrem Bestand.93 Im Mauerbach-Bestand befand sich allerdings noch ein weiteres Werk, das in der Sammlungsdatenbank und im Bestandskatalog der Gemäldegalerie als Kriegsverlust verzeichnet war.94 Nach Beendigung der Rückstellungsverfahren nach dem 2. Kunstund Kulturgutbereinigungsgesetz stellte sich 1994 die Frage nach dem Umgang mit den übrig gebliebenen Mauerbach-Beständen. Um dieses Konvolut an Kunstwerken endgültig aufzulösen, wurde im Oktober 1996 von Christie’s eine Versteigerung dieser Bestände organisiert, deren Erlös Opfern des Holocaust zugute kam. Im Katalog dieser sogenannten Mauerbach-Auktion befindet sich folgender Eintrag: »116, After Tiziano Vecellio, called Titian, The Martyrdom of Saint Peter, Martyrium des Heiligen Petrus, 89 Eine ausführliche Beschreibung dieses Verfahrens findet sich in: Otto FRITSCHER, Kontroversen um den »Mauerbach-Schatz«. Die Restitutionsverfahren von 1969 bis 1986, Wien 2012, S. 333–345. 90 Vgl. FRITSCHER 2012, S. 342. 91 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 3, Liste der in Schloss Schönborn-Mallebarn nicht aufgefundenen Kunstgegenstände, o. D.; Zl. 7215/47, Liste des verlorenen Bergungsguts in Schönborn-Mallebarn, 17.11.1947. 92 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 2, M. 66, fol. 5, Liste der von Schloss Schönborn in die Bodenkreditanstalt umgelagerten Gemälde, 20.12.1946; K. 7, M. 6, fol. 32, Liste der aus dem Depot Löwelstraße in die Kartause Mauerbach transportierten Kunstwerke, 25.10.1966. 93 Vgl. FRITSCHER 2012, S. 343. 94 Vgl. TRNEK 1989, S. 294.
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170 René Schober oil on canvas […] Provenance: Akademie der bildende [sic] Künste, Vienna, before 1945.«95 Dabei handelt es sich um eine Tizian-Kopie aus dem 17. Jahrhundert, die seit dem frühen 19. Jahrhundert zum Bestand der Gemäldegalerie gehört hatte. Da es keine Unterlagen über eine Verbringung des Gemäldes in einen externen Bergungsort gibt, ist davon auszugehen, dass es während des Zweiten Weltkriegs im Akademie gebäude verblieben ist. Bevor es im Mauerbach-Katalog auftauchte, wurde angenommen, dass das Bild beim Bombentreffer auf das Akademiegebäude zerstört worden war. Wie es schließlich, ohne Beschädigungen aufzuweisen, in den Mauerbach-Bestand gelangte, ist bis dato unbekannt. Die Provenienzangabe im Katalog zur MauerbachAuktion belegt, dass die Zugehörigkeit zur Sammlung der Gemäldegalerie bekannt gewesen ist, vermutlich aufgrund eines entsprechenden Eigentumsvermerks auf der Rückseite des Gemäldes. Umso mehr verwundert es daher, dass die Gemäldegalerie nicht darüber informiert und das Bild bei der Mauerbach-Auktion versteigert worden ist. Der Verbleib des Bilds ist heute unbekannt. Während die beiden geschilderten Fälle den Mauerbach-Bestand betreffen, kamen seit 1999 drei Bilder aus dem vormaligen Bestand der Gemäldegalerie in der Ukraine und in Russland wieder zum Vorschein. Ende Oktober 1999 informierte die Direktorin des Kunstmuseums der ukrainischen Stadt Charkow die Akademie darüber, dass sich eine Privatperson mit der Bitte um Klärung von Künstler und Datierung eines Gemäldes an ihre Institution gewandt hatte.96 Es handelte sich um das Bild Die büßende Magdalena von Andrea Vaccaro, das 1999 rückseitig noch den Eigentumsvermerk der Gemäldegalerie trug.97 Das Gemälde war Anfang 1944 in Schloss Schönborn eingelagert worden, verschwand aber im Zuge der Umstrukturierung des Schlosses in eine Kaserne der Roten Armee.98 Der Umstand, dass dieses Bild im Jahr 1999 in ukrainischem Privateigentum wieder auftauchte, legt nahe, dass es von einem Angehörigen 95 Katalog Mauerbach. Items Seized by the National Socialists to be Sold for the Benefit of the Victims of the Holocaust. Versteigerung der von den Nationalsozialisten konfiszierten Kunstwerke zugunsten der Opfer des Holocaust, MAK-Österreichisches Museum für angewandte Kunst, Christie’s, Wien 1996, S. 82. Herzlichen Dank an Leonhard Weidinger für den Hinweis. 96 Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Ordner »Bergung von Kunstgütern während des 2. Weltkrieges und deren Rückführung, Teil II«, Übersetzung eines Schreibens von W. W. Mysgina an das Rektorat der AbKW, 29.10.1999. 97 Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Ordner »Bergung von Kunstgütern während des 2. Weltkrieges und deren Rückführung, Teil II«, Übersetzung eines Schreibens von W. W. Mysgina an das Rektorat der AbKW, 29.10.1999. 98 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 3, Liste der in Schloss Schönborn-Mallebarn nicht aufgefundenen Kunstgegenstände, o. D.; Zl. 7215/47, Liste des verlorenen Bergungsguts in Schönborn-Mallebarn, 17.11.1947.
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Bergungen und Kriegsverluste der akademischen Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg 171
Abbildung 5: Rachel Ruysch, »Blumenstillleben« (Inv. Nr. GG-665), Archivaufnahme
der Roten Armee entwendet worden war. Trotz des Angebots einer Abschlagszahlung von Seiten der Gemäldegalerie ist es nicht gelungen, es zurückzukaufen.99 Kaum drei Jahre später, am 27. Mai 2002, fand in der All-Russia State Library for Foreign Literature in Moskau eine Konferenz zum Thema private Beutekunst statt. Dabei wurde im Rahmen der Ausstellung Private Collections and Personal Trophies unter anderen das Gemälde Blumenstillleben von Rachel Ruysch aus russischem Privateigentum gezeigt (Abbildung 5).100 Dieses Bild stammte ebenfalls aus den Beständen der Gemäldegalerie und war zusammen mit einem Stillleben von Willem van Aelst im
99 Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Ordner »Bergung von Kunstgütern während des 2. Weltkrieges und deren Rückführung, Teil II«, Kopie eines Schreibens von Renate Trnek an Rimma Ersingerich, 28.6.2001. 100 Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Ordner »Bergung von Kunstgütern während des 2. Weltkrieges und deren Rückführung, Teil II«, Lucian Simmons an Renate Trnek, 28.6.2002.
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172 René Schober Bergungsort in Stift Heiligenkreuz nicht mehr aufgefunden worden.101 Die Leiterin der Gemäldegalerie versuchte gemeinsam mit diversen Behörden über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren das Ruysch-Gemälde zurückzuführen, das mit einem Verkehrswert von 1 bis 1,5 Millionen Euro zu den wertvollsten kriegsbedingten Verlusten der Gemäldegalerie zählt.102 Der anonym gebliebene Eigentümer hatte zwar gegen Leistung einer Entschädigung die Bereitschaft zur Rückgabe versichert, doch konnte die diesbezügliche Erwartungshaltung in der Höhe etwa des halben Verkehrswerts von der Gemäldegalerie nicht erfüllt werden.103 Im März 2004 tauchte zudem das Gemäldevan Aelsts kurzfristig auf. Ein russischer Kunsthändler bot es gemeinsam mit dem Ruysch-Bild im Rahmen der Maastrichter Kunstmesse TEFAF der Wiener Galerie Sanct Lucas an, die das Angebot in Kenntnis der Provenienz der Bilder jedoch ablehnte.104 Im September desselben Jahres wurde das Gemälde von Ruysch in Moskau an eine Privatperson verkauft.105 Der Verbleib beider Gemälde ist seither unbekannt. Resümee
Die Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien hatte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs etwa 640 Werke und damit ein Drittel ihres Gesamtbestands verloren. Sie führte zwar selbst Bergungsmaßnahmen durch oder war an solchen beteiligt, doch ist in allen Bergungsphasen eine gewisse Gleichgültigkeit, mangelnde Wertschätzung und ein Desinteresse sowohl von Seiten der Akademie als auch von übergeordneten Behörden gegenüber einem Großteil der Sammlung festzustellen. Die Fehlbestände in den Bergungsorten in Stift Heiligenkreuz und in Schloss Schönborn sind auf die chaotischen Zustände zu Kriegsende und in der unmittelbaren Nachkriegszeit zurückzuführen und waren vermutlich kaum vermeidbar, doch sind die Ursachen für den weitaus größeren Teil der Verluste in Folge des Bombentreffers des Akademiegebäudes anders gelagert. Fehlende Einbeziehung zu Vorbereitungsverhandlungen, 101 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, Zl. 7215/47, Liste des verlorenen Bergungsguts aus Heiligenkreuz, 17.11.1947. 102 Stand 2004. Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Ordner »Bergung von Kunstgütern während des 2. Weltkrieges und deren Rückführung, Teil II«, Kopie eines Schreibens von Renate Trnek an Sigurd Höllinger, 26.11.2003; Renate Trnek an Martin Bailey, o. D. (Antwortschreiben auf ein E-Mail vom 8.4.2004). 103 Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Ordner »Bergung von Kunstgütern während des 2. Weltkrieges und deren Rückführung, Teil II«, Austroamb Moskau an Außenamt Wien, 9.9.2004. 104 Vgl. Martin BAILEY, Sophia KISHKOVSKY, Looted Viennese Old Masters on Sale in Moscow, in: The Art Newspaper 147 (2004), S. 1–3, hier: S. 1. 105 Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Ordner »Bergung von Kunstgütern während des 2. Weltkrieges und deren Rückführung, Teil II«, Gottfried Toman an Renate Trnek, 28.9.2004.
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Bergungen und Kriegsverluste der akademischen Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg 173
halbherzige Umsetzung von Bergungsvorschriften in Verbindung mit Eigenbergers Geringschätzung der Kategorie C- beziehungsweise seiner Meinung nach letztrangigen Werken führten zur Katastrophe. Während andernorts Museen leergeräumt waren und diese ihre Bestände zur Gänze geborgen hatten, verblieben im Fall der Gemäldegalerie zwei Drittel in unzureichend geschützten Räumlichkeiten im schwer bombengefährdeten Zentrum von Wien. Der enorm hohe Anteil an Kategorie C-Werken, gemessen sowohl am Gesamtbestand der Gemäldegalerie als auch bei den kriegsbedingten Verlusten, steht in Beziehung zu Eigenbergers Desinteresse an Kunstwerken, die nicht unter dem Begriff der Alten Meister subsumiert werden können. Besonders seine auf die letztrangigen Werke bezogene Aussage, dass »ihre Beschädigung keinen Verlust von unersetzlichen Kulturwerten darstellen würde«,106 veranschaulicht die Geisteshaltung, die schließlich die verheerenden Folgen des Bombentreffers des Akademiegebäudes zeitigte. Erstaunlich ist dabei das mangelnde Engagement der für die Bergungsmaßnahmen zuständigen Reichsstatthalterei, insbesondere von Ludwig Berg, das die Ver weigerungshaltung Eigenbergers erst ermöglichte. Die Gründe dafür dürften im geringen Stellenwert, welcher der Gemäldegalerie im Vergleich zu anderen großen Museen beigemessen wurde, und in den Schwierigkeiten im Umgang mit Robert Eigenberger liegen. Einschätzungen nachfolgender Galerieleitungen über die Qualität der ver lorenen Werke konterkarieren im Übrigen Eigenbergers Beurteilung. So meinte dessen Nachfolger Ludwig Münz im Jahr 1949: Leider befinden sich unter den verlorengegangenen und schwerst beschädigten Bildern Werke, deren Verlust unersetzlich ist, einerseits wegen ihrer bedeutenden Qualität, wie Rachel Ruysch, Willem van Aelst, Domenico Puligo, Maratta, Swanevelt, Bredael, Schidone, u. a., andererseits als historische Dokumente für die Entwicklung der österreichischen Malerei, wie Greipel, Ignaz Unterberger, Braun, Faistenberger, Caucig u. a. Von den meisten dieser Bilder sind nicht einmal Fotos oder andere Reproduktionen vorhanden, sodass der Verlust ein völliger ist.107
Die einzelnen Umstände in den Bergungsorten und im Akademiegebäude zum Zeitpunkt der Verluste lassen Rückschlüsse auf die Wege verloren gegangener Werke zu. Seither wiederaufgetauchte Werke bringen zudem etwas Licht in deren Schicksal, werfen jedoch – wie im Fall des Gemäldes, das bei der Mauerbach-Auktion verstei106 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, fol. 74, Aktenvermerk des RStH in Wien, 14.8.1942. 107 AbKW, Gemäldegalerie, Ordner 1945–1949, Abschrift eines Schreibens von Ludwig Münz an Otto Benesch, 2.3.1949. Der Kunsthistoriker Ludwig Münz wurde 1947 zum Direktor der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien bestellt und übte diese Funktion bis zu seinem Tod im Jahr 1957 aus. Vgl. UAAbKW, Personalbuch ab 1875, Eintrag zu Ludwig Münz.
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174 René Schober gert wurde – auch neue Fragen auf. Die Bandbreite der möglichen Verlustgeschichten reicht von der Zerstörung durch unmittelbare Kriegseinwirkungen, Diebstählen durch sowjetische Kriegsgefangene über Plünderungsversuche durch Angehörige der Deutschen Wehrmacht bis hin zu Zerstörung, unsachgemäßem Hantieren und Plünderungen durch Angehörige der Roten Armee sowie der Bevölkerung. In den meisten Fällen existieren jedoch keine Belege, sondern bestenfalls Indizien, um die Wege der verloren gegangenen Werke nachzuvollziehen. So mahnt das bei der Mauerbach-Auktion versteigerte Gemälde, bei dem vor Kenntnis dieser Versteigerung eine Zerstörung in Folge des Bombentreffers des Akademiegebäudes anzunehmen war, zur Vorsicht bei der Annahme von naheliegend erscheinenden Verlustgeschichten. Das Auftauchen von Werken im Privatbesitz in den letzten Jahrzehnten führte nur selten zur Rückführung derselben an die Gemäldegalerie, zeigt jedoch die Aktualität dieses Themenkomplexes bis in die unmittelbare Gegenwart. Auch künftig wird mit dem Auftauchen von verloren gegangenen Beständen aus öffentlichen Kunstsammlungen in Privatbesitz und im internationalen Kunsthandel zu rechnen sein, weshalb eine bislang kaum erfolgte Aufarbeitung der Bergungsmaßnahmen im Zweiten Weltkrieg und den damit verbundenen Folgen ein dringend zu bearbeitendes Forschungsdesiderat darstellt.
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»Sonst verlor die Österreichische Galerie kein Kunstwerk ...« Bergung, »Entartete Kunst«, Fremddepot Versuch einer »anderen« Geschichte der Österreichischen Galerie 1938 bis 1945*
Monika Mayer
Am 4. Mai 1945, wenige Tage nach der Konstituierung der provisorischen österreichischen Regierung unter Karl Renner, erschien in der Tageszeitung Neues Österreich unter dem Titel Raub und Zerstörung an Wiener Kunstbesitz ein Artikel, in dem das Schicksal der Wiener Museen in der NS-Zeit thematisiert wurde. Nicht nur »durch die kriegerischen Ereignisse«, sondern auch durch Bergungsmaßnahmen und »richtige Verschleppungen« habe »der repräsentative Kern der Wiener Kunstsammlungen Schweres zu erleiden gehabt«.1
Abbildung 1: Oberes Belvedere 1944
* 1
Gewidmet dem Andenken an Dr. Cornelia Reiter, der ich nicht nur wissenschaftlich so Vieles zu verdanken habe. Raub und Zerstörung an Wiener Kunstbesitz, in: Neues Österreich. Unabhängiges Wiener Tagblatt, 4.5.1945, S. 3.
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176 Monika Mayer Bruno Grimschitz,2 der Direktor der Österreichischen Galerie, gab in einer Stellungnahme die Verluste mit nur »3 Gemälden von untergeordnetem künstlerischem Wert« an und führte weiter aus: »Sonst verlor die Österreichische Galerie kein Kunstwerk, dagegen konnten in einer ungewöhnlich reichen und weitgehend den nationalsozialistischen Richtlinien ganz entgegengesetzten Erwerbungstätigkeit […] mehr als zweihundert Kunstwerke von Rang erworben werden.«3 Im Sinne einer »anderen« Geschichte der Österreichischen Galerie4 wird im Folgenden, ohne auf die Involvierung der österreichischen Museal- und Denkmalpflege bürokratie in den NS-Kunstraub einzugehen, ein Einblick in die Bergungs- und Luftschutzmaßnahmen des Museums in den Jahren 1938 bis 1945 versucht. Bereits wenige Tage nach dem »Anschluss« im März 1938 wurde die Moderne Galerie, die Sammlung der Kunst des 20. Jahrhunderts in der Orangerie des Unteren Belvedere, gesperrt. Empfohlen wurde die Magazinierung der Bestände in Hinblick auf eine Prüfung und Beschlagnahmung von Werken »entarteter Kunst«. Klaus Graf Baudissin, der kommissarische Leiter des Amtes für Volksbildung im Reichserziehungsministerium, hatte nach der Besichtigung des Museums die »vorbildliche Unterstützung« durch Bruno Grimschitz betont. Baudissin stellte fest, dass die »Bestände der Modernen Galerie […] nur wenige Werke ausgesprochener Verfallskunst [umfassen]. […] Es ist damit zu rechnen, dass ein Teil dieser Bestände beschlagnahmt wird, so wie dies im vorigen Jahr im engeren Deutschland schon planmäßig […] geschehen ist.«5 Ebenfalls zu entfernen seien Bilder jüdischer Künstler.
2
3
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Dr. Bruno Grimschitz (1892–1964), wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Galerie seit 1919, Leiter des Museums seit August 1938, Ernennung zum Direktor mit 1. Oktober 1939, wurde als ehemaliges NSDAP-Mitglied am 6. Oktober 1945 vom Dienstposten als Direktor enthoben und mit 31. Oktober 1947 in den dauernden Ruhestand versetzt. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 36/1945, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltung der Staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 9.5.1945. Siehe dazu Monika M AYER, Jenseits von Klimt. Zur Provenienzforschung in der Österreichischen Galerie Belvedere, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), »… wesentlich mehr Fälle als angenommen.« 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien-Köln-Weimar 2008, S. 93–106, hier: S. 94–95. Zur Geschichte des Museums in der NS-Zeit siehe Monika MAYER, Bruno Grimschitz und die Österreichische Galerie 1938–1945. Eine biographische Annäherung im Kontext der aktuellen Provenienzforschung, in: Gabriele ANDERL, Alexandra CARUSO (Hg.), NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen, Innsbruck 2005, S. 59–79. Österreichisches Staatsarchiv, AVA, BMU, 15B1, Albertina, Zl. 9349/1938, Klaus Graf Baudissin, Gutachten über den Befund der Modernen Galerie und der Österreichischen Galerie, 25.3.1938.
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Im Zuge der einsetzenden Bergungsmaßnahmen wurden Werke von Lovis Corinth, Oskar Kokoschka oder Egon Schiele, die im Deutschen Reich als »entartet« diffamiert waren, aber auch Gemälde Max Liebermanns in die Bergungsorte verbracht, wo sie den Krieg unbeschadet überstanden.6 In diesem Sinne wurde dem Kunsthändler Hildebrand Gurlitt7 im Juni 1941 mitgeteilt, »dass eine Abgabe von Werken Lieber manns nicht in Betracht kommt, weil eine Verfügung besteht, dass die Bestände der Modernen Galerie im ursprünglichen Umfange erhalten bleiben sollen«.8 Das Gebäude der Modernen Galerie wurde im Oktober 1939 der Zentralstelle für Denkmalschutz zur Aufbewahrung sichergestellter Kunstwerke zugewiesen.9 Noch vor Beginn der ersten Bergungstransporte im Spätsommer 1939 waren umfassende Luftschutzmaßnahmen zur Verhinderung von Gebäudeschäden in den Belvedere-Schlössern durchgeführt worden. Bruno Grimschitz berichtete Ende August 1939 unter anderem von der erfolgten Anschaffung von Feuerlöschgeräten wie Bottichen, Kübeln und Einstellspritzen, der Lagerung von Sandvorräten auf den Dachböden beider Schlösser und der Erwerbung von Gasmasken und Sanitätsmaterial für die Belegschaft. In den Dachräumen des Barockmuseums im Unteren Belvedere wurden vier Wasserleitungen eingebaut und rund 600 Sandsäcke zum Schutz der monumentalen Barockskulpturen hergestellt.10 Für die mit Kategorie I (»unersetzliche Kunstwerke, die im Kriegsfalle von Wien evakuiert werden«) und Kategorie II (»Kunstwerke, die aus der Österreichischen Galerie in die Kellerdepots der Neuen Hofburg überführt 6
Siehe dazu Maren GRÖNING, Fluchtpunkte der »entarteten Kunst« in Wien, in: ANDERL, CARUSO 2005, S. 80–89; Monika MAYER, Egon Schiele und das Belvedere. Versuch einer Sammlungs- und Rezeptionsgeschichte 1912–2003, in: Eva BLIMLINGER, Heinz SCHÖDL (Hg.), Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 5), Wien-Köln-Weimar 2014, S. 299–318, hier: S. 308–312. 7 Zur Person von Dr. Hildebrand Gurlitt (1895–1956) siehe Vanessa-Maria VOIGT, Kunsthändler und Sammler der Moderne im Nationalsozialismus. Die Sammlung Sprengel 1934 bis 1945, Berlin 2007, S. 130–155. Der aus Dresden stammende Kunsthistoriker war einer der vier vom Reichspropaganda ministerium mit der Verwertung beschlagnahmter Werke »entarteter Kunst« betrauten Kunsthändler. 8 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 250/1941, Schreiben Fritz Novotny an Hildebrand Gurlitt, 24.6.1941. 9 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 712/1939, Schreiben des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten an Bruno Grimschitz, 10.10.1939. – In der Orangerie des Unteren Belvedere sollten die »nach den ergangenen Anordnungen des Führers zu verwaltenden denkmalbehördlich sichergestellten Kunstbestände« untergebracht werden. Im Sinne des österreichischen Ausfuhrverbotsgesetzes von 1923 konnte durch die städtischen Behörden die Sicherstellung von Kunstgegenständen »wegen Gefahr einer verbotswidrigen Ausfuhr« erfolgen, was sich vor allem auf Ausfuhransuchen jüdischer Sammler_innen auswirkte, die ab März 1938 ihre Flucht ins Ausland vorbereiteten. 10 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 774/1939, Schreiben Bruno Grimschitz an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, 30.8.1939.
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178 Monika Mayer
Abbildung 2: Galerie des 19. Jahrhunderts, Werke der Kategorie I
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werden«) klassifizierten Objekte wurden Kisten hergestellt. Zur Finanzierung hatte Bruno Grimschitz im Juli 1939 um »die Flüssigmachung eines Kredites in der Höhe von 2.500 Reichsmark« angesucht.11 Die erste Bergungsphase der Wiener Museen wurde bereits vor Kriegsbeginn in die Wege geleitet.12 In einer Reihe von Sammeltransporten der wertvollsten Bestände wurden ab September 1939 Hauptwerke der Galerie des 19. Jahrhunderts und des Barockmuseums, als erste Garnitur klassifiziert (Kategorie I), in den Bergungsort mit dem Decknamen Schloss in der Kartause Gaming in Niederösterreich verbracht (Abbildung 2). Die zweite Garnitur (Kategorie II), »wertvolle, aber nicht unersetzbare Bestände«, verblieb in Kisten verpackt »in den durch Mauern und Gewölbe gesichertsten Teilen«13 im Oberen Belvedere, wo sie für einen eventuellen Abtransport bereitgestellt wurde. Die Bestände der Modernen Galerie, zum Großteil Werke lebender Künstler, wurden bis auf wenige wertvolle Gemälde unter anderen von Gustav Klimt14 und Egon Schiele in den Erdgeschossräumen eines doppeltgeschossigen Seitentraktes des Unteren Belvedere untergebracht. Ausgenommen von diesen frühen Bergungsmaßnahmen waren die großformatigen Gemälde von Hans Makart und Max Klinger, aber auch barocke Altarbilder, die in den jeweiligen Sammlungsräumen verblieben. Ein gravierendes Problem stellte der Schutz der monumentalen Skulpturen von Georg Raphael Donner, Franz Xaver Messerschmidt und Balthasar Permoser im Barockmuseum dar, »da das Schloss des Unteren Belvedere nur aus Erdgeschossräumen besteht und die Decken der Säle zum Teil an den sehr holzreichen Dachstühlen der Pavillons aufgehängt sind«. Bruno Grimschitz wies daher auf die große Gefahr hin, in der sich »die unersetzlichen Werke der österreichischen Barockplastik [befinden], die nur zu einem geringen Teil durch Abschirmung mit Holzgerüsten und Sandsäcken vermindert werden kann«.15
11 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 774/1939, Schreiben Bruno Grimschitz an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, 26.7.1939. 12 Siehe Herbert HAUPT, Jahre der Gefährdung. Das Kunsthistorische Museum 1938–1945, Wien 1995, S. 48–53. 13 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 138/1941, Schreiben Bruno Grimschitz an das Generalreferat für Kunstförderung, Staatstheater, Museen und Volksbildung, 7.4.1941. 14 Siehe dazu Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Konvolut Bergungsakten, undatiertes Künstlerverzeichnis mit dem handschriftlichen Vermerk »Kunstwerke der Gruppe I und II«. Angeführt sind drei Werke von Gustav Klimt: Die Allee, Der Kuss, Frau Fritza Riedler. Diese sind jeweils als Gruppe II kategorisiert. 15 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 138/1941, Schreiben Bruno Grimschitz an das Generalreferat für Kunstförderung, Staatstheater, Museen und Volksbildung, 7.4.1941.
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180 Monika Mayer Aufgrund der notwendigen Luftschutzmaßnahmen blieb das Barockmuseum von Juli 1939 bis Jänner 1940 beziehungsweise ab April 1941 geschlossen. Die von der Direktion mehrfach urgierte Anschaffung einer größeren Anzahl von Sandsäcken zum Schutz der Monumentalskulpturen wurde im Mai 1941 von der Reichsstatthalterei genehmigt. Die Kosten für 2.000 Stück »in der für diesen besonderen Zweck geeigneten festen und engmaschigen Qualität« sind als »Kreditüberschreitung zu verrechnen, da im Haushalt der Österreichischen Galerie für Bergungskosten keine Mittel eingesetzt sind«.16 Verstärkte Luftschutzmaßnahmen wurden seitens der Reichsstatthalterei insbesondere für die bis 1943 im Oberen Belvedere stattfindenden Sonderausstellungen forciert. Neben drei Ausstellungen von Neuerwerbungen in den Jahren 1940, 1941 und 1942 seien an dieser Stelle die Gedächtnisausstellungen Emil Jakob Schindler und Ferdinand Georg Waldmüller hervorgehoben. Letztere, die »in würdiger Form die neue, trotz des Krieges unerhört gesteigerte Erwerbungsarbeit der Österreichischen Galerie fort[setzt]«,17 war bei einer knapp zweimonatigen Laufzeit Anfang 1943 mit rund 40.000 Besucher_innen äußerst erfolgreich.18 Anlässlich der Ausstellung Bedeutender Gemälde aus Preußischen Schlössern 1941/42 wurde »sofort und fortlaufend ohne Rücksicht auf die jeweilige Luftgefahr verstärkter Luftschutzdienst« angeordnet, und zwar mit einem Beleg von 1 Mann im Unteren Belvedere als Beobachter und 5 Mann im Oberen Belvedere. Im Falle einer Luftgefahr sind die transportablen Bilder aus dem II. Stock, womöglich auch aus dem I. Stock sofort in das Erdgeschoss zu bringen. Damit erscheint die Brandgefahr vermindert. Gegen schwere Bomben ist eine Bergung im Oberen Belvedere nur beschränkt wirksam, die Österr. Galerie ist bekanntlich an das Luftwarnnetz angeschlossen.19
Aufgrund der notwendigen Einsparung von Brennstoffen verfügte die Reichsstatthalterei Ende Jänner 1942 die temporäre Sperre des Oberen Belvedere, von der neben den 16 Österreichisches Staatsarchiv, AdR, BMU, 15B1, K. 150, Zl. 2230/M/1941, Aktenvermerk der Reichsstatthalterei, 10.5.1941. 17 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 7/1943, Generalkulturreferent Walter Thomas, Typoskript der Eröffnungsrede vom 15. Jänner 1943. 18 Insgesamt verdoppelte sich die Besucher_innenzahl um mehr als die Hälfte gegenüber dem Jahre 1942 auf 119.154. Siehe Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 132/1944, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 16.5.1944, mit Jahresbericht 1943. 19 Österreichisches Staatsarchiv, AdR, BMU, 15B1, K. 150, Zl. 6507/1941, Aktenvermerk der Reichsstatthalterei, 9.11.1941.
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genannten Sonderausstellungen der Neuerwerbungen und der Gemälde aus Preußischen Schlössern auch die provisorische Aufstellung der Galerie des 19. Jahrhunderts betroffen war. Bruno Grimschitz berichtete, dass mit dem Koksvorrat von 13 Tonnen bei »sparsamster Heizung« das Museum bis Anfang März geöffnet bleiben könnte, und er hielt fest, dass »trotz der Sperrung […] getrachtet werden [muss], um die kostbarsten Kunstwerke […] vor Schädigungen zu bewahren, die Temperatur nicht unter +6 Grad fallen zu lassen«.20 Bereits am 22. Februar wurde das Museum wieder zugänglich gemacht – mit dem von der Reichsstatthalterei geforderten Hinweis für das Publikum, dass das Haus »zur Brennstoffersparnis mangelhaft beheizt« sei.21 Die angesprochene provisorische Aufstellung der Galerie des 19. Jahrhunderts bot in vier Räumen des Oberen Schlosses eine Auswahl von meist »zweitrangigen« Werken österreichischer, deutscher und französischer Künstler. Vertreten waren unter anderen Friedrich Amerling, Gustave Courbet, Theodor Hörmann, August Pettenkofen, Anton Romako, Carl Schuch, Wilhelm Trübner und Georg Ferdinand Waldmüller, aber auch Gustav Klimt mit den beiden Frühwerken Nach dem Regen und Bauernhaus.22 Angesichts der zunehmenden Gefahr durch Luftangriffe erfolgte im Sommer 1942 die Zuweisung eines weiteren Depotraumes in der Wiener Innenstadt am Tiefen Graben zur Vermeidung eines Totalverlustes von Sammlungsbeständen. Laut Anordnung der Reichsstatthalterei zur »Dezentralisation« sollten die wertvollen Objekte der Kategorien I und II in der Weise deponiert werden, dass in der Regel auch das Werk jedes einzelnen Künstlers, namentlich der bedeutend sten Meister, auf beide Bergungsplätze verteilt wird. Hiebei bitte ich auf die Sicherung des vornehmsten Sammlungsbestandes der Oesterr. Galerie, der österreichischen Malerei und Plastik, […] besonderes Augenmerk zu richten und österreichische Kunst einschliesslich der Moderne im Verhältnis zu Ihren sonstigen Beständen in stärkerem Masse zu bergen. Drittrangiges Kunstgut ist, soweit es nicht als österreichische Kunst für Ihre Galerie besondere Bedeutung hat, vorläufig zur Platzersparnis noch in dem ebenerdigen Raum des Oberen Belvedere zu belassen.23 20 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 87/1942, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 29.1.1942. 21 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 87/1942, Schreiben des Reichsstatthalters an Bruno Grimschitz, 21.2.1942. 22 Siehe dazu Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Konvolut Bergungsakten, undatiertes »Verzeichnis der in der Galerie verwahrten Bilder«. Präsentiert wurde die provisorische Sammlung in vier Räumen der 1924 eröffneten Galerie des neunzehnten Jahrhunderts (Krafft-Saal, Rebell-Saal und die Franzosen-Säle I und II) im 1. Stock des Oberen Belvedere. 23 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 262/1942, Schreiben der Reichsstatthalterei an Bruno Grimschitz, 13.7.1942.
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182 Monika Mayer Für wasserunempfindliche Plastiken wurde ergänzend der Tresor der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums zur Verfügung gestellt. Die Direktion der Österreichischen Galerie begrüßte die ermöglichte Zweiteilung der geborgenen Bestände »als eine der ihr unumgänglich erscheinenden Maßnahmen für die Sicherung der ihr anvertrauten Kunstwerke«. Dank des neuen Depots komme es zu der dringend erwünschten Vermehrung der zu bergenden Objekte, da sowohl besonders empfindliche, lange Transporte nicht vertragende Werke (wie barocke Kleinplastiken), als auch schwer ersetzbare Hauptwerke der Modernen Galerie in die Bergung einbezogen werden können. Andererseits ist das Wiener Depot von besonderer Wichtigkeit als Auffang- oder Abstellort der für die Ausstellungen im Belvedere benötigten Kunstwerke, die daher nur mehr während der unmittelbaren Ausstellungsdauer ohne besonderen Schutz zu bleiben haben.24
Mit 1. September 1942 konnte die Verbringung von Kunstwerken aus den drei Sammlungen des Museums in den Depotraum am Tiefen Graben abgeschlossen werden. Ein größerer Teil der Werke der Kategorie I aus dem Bergungsort Schloss wurde im Sinne der geforderten »Dezentralisation« nach Wien zurückgebracht. Ergänzend zu jenen Objekten der Kategorie II, die bis dato in Kisten verpackt im Belvedere aufbewahrt waren, wurden diverse Gemälde und Skulpturen aus dem Barockmuseum, »weil dieser Bau besonders luftgefährdet ist«,25 in das neue Depot verbracht. Insgesamt waren 475 Kunstwerke der Österreichischen Galerie geborgen, davon 150 in Schloss, 325 am Tiefen Graben in Wien. Entgegen dem geforderten Trennungsprinzip, dass »von den Werken der bedeutenden Künstler sich im allgemeinen je die Hälfte der Gesamtzahl in dem Wiener Bergungsraum, die andere Hälfte an dem Bergungsort ›Schloß‹ befindet«, waren »alle Gemälde von F. G. Waldmüller […] in dem Wiener Depot […], um für die in Vorbereitung befindliche Gedächtnisausstellung zum 150. Geburtstag Waldmüllers zur Verfügung zu stehen. Nach Schluss dieser Ausstellung wird eine Teilung dieser Gruppe von Bildern in dem angeführten Sinn vorgenommen werden.«26 Wie die anderen barocken Monumentalplastiken Franz Xaver Messerschmidts, Balthasar Ferdinand Molls und Balthasar Permosers wurden die Bleifiguren des Mehl24 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 314/1942, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 14.7.1942. 25 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 326/1942, Schreiben Fritz Novotny an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 6.9.1942. 26 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 326/1942, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 6.10.1942.
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marktbrunnens von Georg Raphael Donner im Marmorsaal des Unteren Belvedere belassen und mit Sandsäcken verkleidet, um gegen Bombensplitter oder Brandbomben gesichert zu sein. Um ein rasches Entzünden zu verhindern, wurde der Dachstuhl des Schlosses mit Intravan27 imprägniert. Erneut betonte Bruno Grimschitz, dass »ein Abtransport der überaus schweren Bleioriginale […] nur mit einer Gefährdung derselben durchführbar [wäre]. Sie könnten nur in ein ausserhalb Wiens gelegenes Lokal verbracht werden das ohne Stufen erreichbar wäre, da eine Höhendifferenz vor allem die Figur der Providentia in die schwerste Gefahr eines Umkippens und damit einer Zerstörung durch Verquetschen bringen würde.«28 Im Oberen Belvedere wurden die Originale des Makartsaales, darunter das riesige Gemälde Triumph der Ariadne, und Max Klingers Parisurteil, an ihren Standorten belassen, »um die Säle, in denen die Staatsakte stattfinden, für jeden Fall zur Verwendung bereit zu halten.«29 An dieser Stelle sei auf die hohe Effizienz und die sachgemäße Durchführung der Bergungstransporte hingewiesen. Für gewisse Meisterwerke des Museums von Waldmüller oder Klimt, aber auch der französischen Malerei fand ein regelrechter Bergungsverkehr zwischen Gaming und dem Belvedere statt; nicht zuletzt zur Bestückung der angesprochenen Sonderausstellungen, unter anderem für die Gustav Klimt-Retrospektive in der Secession 1943 (Abbildung 3). Bruno Grimschitz hob im Sommer 1942 den »vollkommen einwandfreien Zustand« der geborgenen Kunstwerke hervor und stellte »eine Generalrevision aller Bestände« anlässlich der Zuweisung des Wiener Depots in Aussicht: Die unterzeichnete Direktion hat in jedem Frühjahr und in jedem Herbst die Gemälde durch Restauratoren genau überprüfen lassen. […] Es konnten keinerlei durch die Ortsveränderung hervorgerufene Schäden bei den an sich vorzüglichem Erhaltungszustand [sic] befindlichen Objekten festgestellt werden. Auch die empfindlichsten Gemälde, die Originale französischer Meister des 19. Jahrhunderts […] haben sowohl durch den Transport als auch durch den jahrelangen Aufenthalt am Bergungsort »Schloß« keinerlei Veränderungen aufzuweisen.30
27 Intravan ist ein von der I. G. Farbenindustrie AG hergestelltes Flammenschutzmittel. 28 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 326/1942, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 6.10.1942. 29 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 326/1942, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 6.10.1942. 30 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 326/1942, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 14.7.1942.
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Abbildung 3: Bergungsakten 1942
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Aus konservatorischen Gründen wurden verschiedene Gemälde von Lovis Corinth, Claude Monet, Edvard Munch oder Carl Schuch im Bergungsort Schloss temporär »und zwar schubweise (weil ja vermutlich nicht genug Platz vorhanden ist, um sie alle gleichzeitig aufzustellen) je ungefähr zwei Wochen in irgendeinem Raum mit diffusem Tageslicht« aufgestellt.31 Bei einer im Juli 1944 durchgeführten Kontrolle der in Weinern geborgenen Gemälde, die sich »in unverändert guten Zustand« befanden, machte »ein mehr oder weniger starker Feuchtigkeitsbelag (der in diesem Stadium noch keine Beschädigung […] bedeutet)« die Verlagerung der betreffenden Werke in den 1. Stock des Schlosses notwendig.32 Im Zuge der Verschärfung des Luftkrieges und der damit notwendigen Intensivierung der Bergungsmaßnahmen kam es 1943/44 zur Überstellung hunderter Kunstwerke, darunter die massiven Bleifiguren des Donnerbrunnens, in zusätzliche Bergungsorte wie die Schlösser Immendorf, Kirchstetten, Schönborn oder Weinern in Niederösterreich beziehungsweise Ende 1944 in das Salzbergwerk Lauffen bei Bad Ischl. Durch die Reichsstatthalterei wurde die Direktion der Österreichischen Galerie aufgefordert, »soferne die Bergungsmaßnahmen an Ihrem Museum noch nicht den trotz Offenhaltung erzielbaren angestrebten Grad erreicht haben«, diese so rasch als möglich durchzuführen33 und womöglich auch drittrangige Bestände einzubeziehen. Der Reichsleiter hat verfügt, dass die Museen vorläufig weiterhin offen gehalten werden, wobei in den laufenden Ausstellungen entsprechend den vorgenommenen Bergungen im Allgemeinen verhältnismäßig nur geringwertiges Material zu belassen sein wird. In Sonderausstellungen können […] auch höherwertige Objekte bis auf weiteres enthalten sein, insoferne sie innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraumes geborgen werden können.34
Bruno Grimschitz referierte am 9. August 1943 über den aktuellen Stand der intensivierten und ausgeweiteten Bergungsarbeiten: »Alle Bergungsarbeiten, soweit sie vom Galeriepersonal bewältigt werden konnten, sind durchgeführt, oder gehen ihrem Ende entgegen. In den grossen Transporten, vor allem der Bildwerke ist die Direktion wegen
31 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 372/1941, Schreiben Fritz Novotny an Karl Pollhammer, Bergungsstelle Schloss, 6.7.1943. 32 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 181/1944, Schreiben Fritz Novotny an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 31.7.1944 33 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 199/1943, Schreiben der Reichsstatthalterei an Bruno Grimschitz, 25.5.1943. 34 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 252/1943, Schreiben der Reichsstatthalterei an Bruno Grimschitz, 14.7.1943.
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186 Monika Mayer der Wagen und des Personals von den Transportfirmen abhängig, doch wird ständig zur Durchführung der Bergungstransporte gedrängt.«35 Durch die Überstellung von 70 Bildwerken in Stein, Bronze, Blei, Terrakotta und Porzellan in das neu zugewiesene Depot des Augustinerkellers unter der Albertina-Rampe waren »die Hauptwerke der Modernen Galerie und die wichtigsten Bildwerke der Galerie des 19. Jahrhunderts gesichert«.36 Die großen barocken Altarbilder von Franz Anton Maulbertsch, Josef Ignaz Mildorfer und Paul Troger beziehungsweise Makarts Triumph der Ariadne und das Parisurteil von Max Klinger wurden abgespannt, gerollt, in Kisten verpackt und sollten mit weiteren im Depot Tiefer Graben gelagerten Gemälden mit einem Möbelwagen nach Schloss Weinern transportiert werden. Die großen Skulpturen des Barockmuseums standen, befreit von den Sandsackverkleidungen, zum Abtransport nach Schloss Schönborn (Providentia des Donnerbrunnens) und in das Depot unter der Albertina-Rampe (unter anderen die Apotheose Prinz Eugens von Balthasar Permoser und die Bleistandbilder Maria Theresia und Franz I. von Franz Xaver Messerschmidt) bereit. Die Österreichische Galerie blieb trotz der intensivierten Bergungsaktivitäten durch gehend geöffnet. In Folge des ersten alliierten Luftangriffs auf Wiener Neustadt am 13. August 194337 hatte Reichsstatthalter Baldur von Schirach die »vorläufige Schließung der Museen« und eine Urlaubssperre angeordnet: »Sobald die möglichen Bergungsmaßnahmen durchgeführt sind, und das Personal für die normalen Arbeiten wieder frei geworden ist, können die zunächst geschlossenen Museen ganz oder teilweise wieder eröffnet werden.«38 Mit Stichtag 11. September 1943 befanden sich insgesamt 935 Objekte (763 Gemälde, 170 Skulpturen, zwei Möbelstücke), inklusive einer geringen Anzahl von Kunstwerken aus Privatbesitz, an diversen Bergungsorten in Wien (Tiefer Graben, Augustinerkeller), Niederösterreich (Schlösser Immendorf, Kirchstetten, Schönborn, Weinern) und Kärnten (Schloss Hallegg). »Werke geringen Ranges, die wegen ihrer untergeordneten Bedeutung und um in den genannten Bergungsdepots nicht Raum
35 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 280/1943, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 9.8.1943. 36 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 280/1943, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 9.8.1943. 37 Mit den ersten Bombentreffern durch den Luftangriff auf die Wiener Neustädter Flugzeugwerke am 13. August 1943 wurde die dritte Phase der Bergungen ausgelöst. Infolge der Einsetzung Ludwig Bergs als Bergungsverantwortlichen war es in einer zweiten Phase ab Sommer 1942 zu massiven Umlagerungen gekommen. Siehe dazu HAUPT 1995, S. 50. 38 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 295/1943, Schreiben der Reichsstatthalterei an Bruno Grimschitz, 20.8.1943.
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wegzunehmen«, verblieben im Museum, wo sie teils in den Schauräumen ausgestellt, teils in den Depoträumen aufbewahrt wurden.39 Entsprechend dem Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 4. November 1943 betreffend die Hilfe von Museen zur Bergung hochwertigen Kunstgutes aus Privatbesitz40 wurden der Österreichischen Galerie aus Luftschutzgründen Kunstwerke zur Aufbewahrung beziehungsweise Sicherung übergeben. Entgegen der Anordnung, dass sich »diese staatliche Hilfe […] auf Gemälde und Plastiken bedeutender Meister bis 1900 und besonders hervorragendes Kunsthandwerk beschränken« müsse,41 befanden sich unter den durch das Amt des Reichsstatthalters geborgenen Kunstwerken Werke von Gustav Klimt, Albin Egger-Lienz, Egon Schiele und Oskar Kokoschka.42 Bereits im Sommer 1942 waren zwei Gemälde Emil Noldes, Das Meer III und Landschaft mit jungen Pferden in die »Obhut« des Museums übernommen und »in einem ihrer Bergungsdepots aufbewahrt« worden, »wo sie den gleichen Schutz geniessen wie die eigenen dort verwahrten Bestände der Oesterreichischen Galerie.«43 39 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 295/1943, Schreiben Fritz Novotny an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 11.9.1943. – Laut Novotny befanden sich »im Unteren Belvedere 134 Gemälde und 17 Skulpturen, im Oberen Gebäude 630 Gemälde und 30 Skulpturen, außerdem noch 25 Gemälde und eine Anzahl von Kisten mit Graphiken und Aquarellen aus dem Besitz des Museums in Kiel.« 40 Siehe Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 3/1944, Schreiben der Reichsstatthalterei an Bruno Grimschitz, 4.1.1944, mit Abschrift des Erlasses des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 4. November 1943, Zl. V d 1334/43 K (b), »Luftschutz für Kunstwerke«: »Soweit es sich um wertvollen Kunstbesitz handelt und der zur Verfügung stehende Bergungsraum die Möglichkeit dazu bietet, ohne dass die Interessen der betreffenden Museen beeinträchtigt werden, ist das Eingehen auf solche Anträge erwünscht. Insbesondere gilt dies für Kunstwerke, deren Verlust eine wesentliche Schädigung des nationalen Kunstbesitzes bedeuten würde. Sämtliche entstehenden Kosten müssen jedoch von den Eigentümern der Kunstwerke getragen werden.« 41 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 211/1944, undatierte Pressenotiz. 42 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 211/1944, undatierte Aufstellung mit der Angabe der Kunstwerke und der Namen der Besitzer_innen: »Bergung von Kunstwerken aus Privatbesitz durch das Amt des Reichsstatthalters in Wien«. – Unteren anderen sind angeführt die Klimt-Gemälde Danaë und Pallas Athene (Eigentümerin Maria Ast) und aus der Sammlung von Oberbaurat Heinrich Mayer Klimts Sonnenblumen und Die Familie, Kokoschkas Verkündigung sowie Stein an der Donau und ein Selbstbildnis Schieles. 43 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 373/1942, Schreiben Fritz Novotny an Emil Nolde, 13.8.1942. – Die Rückstellung erfolgte 1956: Fritz Novotny bestätigte, dass die beiden Gemälde »im Jahre 1942 vom Künstler selbst der Österreichischen Galerie nur zur Bergung wegen Luftangriffsgefahr übergeben wurden und seit damals in der Österreichischen Galerie deponiert geblieben sind.« Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 690/1956, Amtsbescheinigung Fritz Novotny an das Zollamt Wien, 24.11.1956. – Emil Nolde wurde mit Schreiben des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste Adolf Ziegler vom 23. August 1941 aus dieser ausgeschlossen. Im Zuge der Aktion
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188 Monika Mayer Einen besonderen Kraftakt stellte die Bergung der Bleifiguren des Donnerbrunnens dar.44 Nach der erfolgreichen Untersuchung der Tragfähigkeit des Bodens in der Sala terrena des Schlosses Schönborn45 durch das Reichsbauamt Wien, erteilte die Reichsstatthalterei im Dezember 1942 die Zustimmung für den Abtransport und verpflichtete sich, »für alle aus dieser Bergung in Schloss Schönborn entstehenden Schäden aufzukommen.«46 Die auf zwei Lastwagen verladenen vier Figuren vom Bassinrand (Enns, March, Traun und Ybbs) wurden Anfang Jänner 1943 ohne Beschädigung nach Göllersdorf verbracht. In zwei Transporten am 31. August und 1. September 1943 gelangte die Mittelgruppe (Providentia mit Bleisockel und vier Putten) »unversehrt« in die Orangerie des Schlosses, wo sie »im Überwinterungsraum der Lorbeerbäume, vor allen Winterunbilden geschützt, untergebracht« wurde.47 Den großen logistischen und personellen Aufwand belegt eine Anfrage zur Unterbringung und Verköstigung der bei dem Transport »beschäftigten Arbeiter (teils von der Transportfirma, teils Angestellte des Museums), die ein oder zwei Mal in Schönborn übernachten müssen.«48 Die Schönborn’sche Forst- und Güter-Direktion bestätigte, »6 Betten, wenn nötig auch 10 Strohsäcke oder sonstige primitive Lager zur Verfügung [zu] stellen. Leider sind wir nicht in der Lage die Betten, bzw. die Lager mit Bettwäsche zu versehen […]. Die Verköstigung dürfte aller Voraussicht nach im Gasthaus Wilfing […] möglich sein und werden eine Voranmeldung durchführen.«49 Entsprechend dem von der Reichsstatthalterei im Dezember 1943 übermittelten »Führerauftrag«, auch alle »letztrangigen Gemälde« zu bergen, womit »das gesamte
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Entartete Kunst 1937 wurden mehr als 1.000 Werke Noldes aus deutschen Museen beschlagnahmt. Siehe dazu Stephan KOJA, Eine »Vorstellung nur in Glut und Farbe«. Emil Noldes Ungemalte Bilder, in: Agnes HUSSLEIN-ARCO, Stephan KOJA (Hg.), Emil Nolde. In Glut und Farbe, Ausstellungskatalog Belvedere, Wien 2013, S. 223–235. Siehe dazu den Beitrag von Pia SCHÖLNBERGER in diesem Band, Abbildung 1. Das Anfang des 18. Jahrhunderts von Johann Lucas von Hildebrandt erbaute Schloss Schönborn befindet sich nördlich von Wien in der Marktgemeinde Göllersdorf, Bezirk Hollabrunn. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 569/1942, Schreiben der Reichsstatthalterei an Bruno Grimschitz, 8.12.1942. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 306/1943, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 1.9.1943. Die Rückführung der Brunnenfiguren erfolgte in vier Transporten im Sommer 1946 und war veranlasst »durch eine Meldung von der schweren Beschädigung einer der Statuen [Abknickung des herabhängenden Beines des Flussgottes Enns]«. Siehe Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 191/1946, Schreiben Fritz Novotny an das Bundesministerium für Unterricht, 13.7.1946. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 579/1942, Schreiben Fritz Novotny an den Verwalter des Schlosses Schönborn vom 17.8.1943. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 579/1942, Schreiben der SchönbornBuchheim’schen Forst- und Güter-Direktion an die Direktion der Österreichischen Galerie, 20.8.1943.
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Kulturgut in Wien, das geborgen werden kann, geborgen wird«,50 berichtete Direktor Grimschitz, dass 1.678 Kunstwerke an neun verschiedene Bergungsorte51 verbracht worden waren.52 Im Belvedere befand sich eine geringe Anzahl großformatiger Gemälde, die teils auf Walzen gerollt waren, teils noch abgespannt und gerollt werden mussten, um in Folge mit einem Bahntransport an den Bergungsort Weinern53 verbracht zu werden. Die verbleibenden 244 Objekte, »die zum größten Teil ohne jeden Kunstwert sind«,54 wurden in einem Erdgeschoßraum des Oberen Belvedere deponiert, dessen Fenster mit einer Splitterschutzmauer versehen wurden.55 Nicht geborgen werden konnten die sieben Nischenstatuen von Domenico Parodi in der Marmorgalerie des Unteren Belvedere56 und das Deckengemälde Francesco Solimenas im Goldkabinett im Oberen Schloss. Nach der aufgrund des »totalen Kriegseinsatzes« im August 1944 verfügten Schließung der Österreichischen Galerie57 erfolgte in einer neuerlichen Bergungsphase im Herbst 1944 die Rückführung von Musealbeständen aus Gaming58 und diversen niederösterreichischen Schlössern in verschiedene Wiener Tresorräume.59 Die Direktion 50 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 416/1943, Schreiben der Reichsstatthalterei an Bruno Grimschitz, 16.12.1943. 51 Wien: Tiefer Graben, Augustinerkeller, ehemalige Bodenkreditanstalt; Gaming, Schlösser Hallegg (Kärnten), Immendorf, Kirchstetten, Schönborn, Weinern. 52 Am 4. Jänner 1944 wurden »mit 3 Möbelwagen der Firma Kirchner 351 Gemälde, 3 Teppiche und 6 Läufer in das Schloß Weinern verbracht. Die Unterbringung wurde ohne Zwischenfall erledigt.« Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 416/1943, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 7.1.1944. 53 Der Bergungsort Schloss Weinern liegt in der Ortschaft Weinern in der Stadtgemeinde Groß-Siegharts im Bezirk Waidhofen an der Thaya in Niederösterreich. 54 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 111/1944, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 4.5.1944. – Im Oktober 1944 wurden die 244 Gemälde, ergänzt durch wertvollere Bestände der Bibliothek, in das Naturhistorische Museum in Wien verbracht. Siehe Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 253/1944, Schreiben Fritz Novotny an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 28.10.1944. 55 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 416/1943, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 31.12.1943. 56 Siehe dazu die Abbildung 6. 57 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 234/1944, Schreiben der Reichsstatthalterei an Bruno Grimschitz, 16.9.1944. »Die vom Reichsleiter auf Grund des angeordneten totalen Kriegseinsatzes bereits vor Wochenfrist verfügte Schließung der Museen für den allgemeinen Besuch ist nunmehr sofort durchzuführen. […] Entsprechend dem totalen Kriegseinsatz ist ferner der Gesamtbetrieb auf das zur Erhaltung der Sammlungen und Gebäude unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Dies gilt auch insbesondere hinsichtlich des wissenschaftlichen und Auskunftsdienstes.« 58 »Insgesamt 183 Gemälde des wertvollsten Bestandes« wurden in Räumen der ehemaligen Bodenkreditanstalt eingelagert. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 253/1944, Schreiben Fritz Novotny an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 28.10.1944. 59 Archiv des Bundesdenkmalamtes, Historische Materialien, Personalakt Ludwig Berg, K. 2A, Zl. 2109/1946,
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190 Monika Mayer begrüßte die »ungleich sicherere« Unterbringung der Bestände, »da sie in Tresors unter der Erde liegen, die selbst wieder durch mehrstöckige Bauten geschützt erscheinen, während sie in Gaming nicht tatsächlich luftschutzsicher […] disloziert waren.«60 Anfang des Jahres 1945 wurden in mehreren Transporten »gegen den Willen der Direktion über höhere Weisung«61 151 Gemälde in das Salzbergwerk Lauffen bei Bad Ischl verbracht.62 Im Oktober 1944 äußerte Bruno Grimschitz seine Besorgnis um die Gefährdung des Belvedere durch die weitgehende Nutzung des Oberen Schlosses und des vor der Südfront errichteten Luftschutzbunkers (Abbildung 4) durch die Zentrale Luftschutzpolizei-Befehlsstelle für den Reichsgau Wien.63 Grimschitz wies auf das »größte Risiko« bei Luftangriffen hin, »zumal das Schloss durch die Nähe zweier Bahnhöfe und des Arsenals, und seit längerer Zeit durch die Aufstellung einer Scheinwerferanlage wie durch den Bau des erwähnten Luftschutzbunkers ohnehin besonders gefährdet ist. […] Auch vom Standpunkte der Galerie erscheint es […] als äusserst bedenklich«, die gewünschten Adaptierungsarbeiten in Sammlungsräumen (Licht-, Telefon- und Klingelleitungen, Verdunkelungseinrichtungen, Aufstellung großer Öfen)64 durchzuführen, da »auch architektonisch wertvolle Teile der Innenräume in Mitleidenschaft gezogen würden.«65
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Ludwig BERG, Bericht über die Bergungsmaßnahmen 1938–1945, 17.6.1946, S. 4r. Eine Kopie wurde dankenswerter Weise von Pia Schölnberger zur Verfügung gestellt. »Als dann im Jahre 1944 die Gefahr von Kriegshandlungen auf dem Lande – über die Luftangriffe hinaus – ernstlich näherrückte, erschienen die vor Luftangriffen geborgenen Bestände auf dem Lande einer neuen, unkontrollierten Gefahr ausgesetzt.« Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 265/1944, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 3.11.1944. Zur Bergung von Musealbeständen in dem Salzburgwerk Lauffen siehe Pia SCHÖLNBERGERS Beitrag in diesem Band. Diese erfolgte auf Anweisung des Vertreters des Reichsstatthalters in Wien, Hans Dellbrügge. Dass die in vier Transporten im Jänner und Februar 1945 erfolgte Verbringung von 151 Bildern der Österreichischen Galerie »als Auswahl der erstrangigen Gemälde« »gegen den Willen der Direktion« erfolgte, lässt sich in den Quellen nicht nachweisen. Archiv des Bundesdenkmalamtes, Bergungsorte Oberösterreich, Lauffen I, K. 16, M. 5, fol. 173. Siehe dazu auch BERG, Bergungsbericht 1946, S. 20v. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 36/1945, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltung der Staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 9.5.1945. Siehe Hans und Gertrude AURENHAMMER, Das Belvedere in Wien. Bauwerk, Menschen, Geschichte, Wien 1971, S. 36. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 240/1944, Abschrift des Schreibens des Reichsstatthalters an den Polizeipräsidenten, 1.3.1944. »Zur Unterbringung von Geschäftszimmern und Schlafräumen für das Personal der Luftschutzabteilung stelle ich Ihnen das Obergeschoss im Hauptgebäude des Schlosses Belvedere und die im Dachboden befindlichen Mansardenzimmer zur Verfügung. Ich bitte, die Räume pfleglich zu behandeln […].« Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 240/1944, Schreiben Bruno Grimschitz an den Generalkulturreferenten Hermann Stuppäck, 2.10.1944.
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Abbildung 4: Oberes Belvedere 1943, Bau des Luftschutzbunkers66
Die Proteste der Museumsleitung verhallten ungehört. Wie befürchtet, wurde die Luftschutz-Befehlsstelle am 18. November 1944 als militärisch wichtiges Ziel angegriffen und der Westtrakt des Oberen Belvedere (Abbildung 1) und die Parkanlagen durch Bomben schwer getroffen. Dank der erfolgten »Totalbergung« der Galeriebestände war »ein Schaden an Musealgut nicht eingetreten.«67 Da infolge des weiteren Verbleibens der Polizei-Befehlsstelle im Bunker ein neuerlicher Angriff als konsequente Folge anzusehen ist, hat die […] Direktion im Laufe der letzten Wochen das Schloss bereits von allen Kunstwerken, von der Bibliothek und von dem Archiv der Österreichischen Galerie geräumt. Sie ist gezwungen, da der Dienst in dem schwer beschädigten Hause ohne Licht, Telephon und Wasser nicht fortzuführen ist, den amtlichen Dienst in die Albertina zu verlegen. Gleichzeitig wird […] um die Verlegung der Polizei-Befehlsstelle in einen anderen Bunker Wiens (gebeten), um die voraussichtliche völlige Zerstörung eines der Hauptwerke der deutschen Barockarchitektur zu vermeiden.68 66 Mein Kollege Stefan Lehner hat mich dankenswerterweise auf die Aufnahme hingewiesen. 67 Österreichisches Staatsarchiv, AdR, BMU, 15B1, K. 150, Zl. 6613/1944, Aktenvermerk der Reichsstatthalterei, 3.12.1944. 68 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 240/1944, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltungsstelle der staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 21.11.1944.
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Abbildung 5: Unteres Belvedere, Groteskensaal 1945
Die Befürchtungen sollten sich nach einem neuerlichen Bombenangriff auf das Obere und das Untere Belvedere im Februar 1945 bewahrheiten: Bomben rissen das Dach des Mittelpavillons und die Decke des Hauptsaales des Oberen Schlosses auf; zerstört wurde auch ein Eckpavillon des Unteren Belvedere. Zu Kriegsende boten die Schlossanlage und der Park ein Bild der Verwüstung (Abbildung 5).69 Abschließend komme ich auf die eingangs zitierte Stellungnahme von Bruno Grimschitz vom Mai 1945 zurück: Die von der Österreichischen Galerie durchgeführten Bergungen von Kunstwerken, mit allen unter den Kriegsverhältnissen nur möglichen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt, erlauben ohne jede komplizierte Nachforschung augenblicklich die Feststellung des Standortes jedes einzelnen Kunstwerkes.70 Der größte Teil des kostbars69 Siehe AURENHAMMER 1971, S. 36. 70 Siehe dazu Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 148/1945, Verzeichnis der Bergungsstellen, 16.8.1945. Mit Angaben über Anzahl (abgerundet) und Art der Objekte und eventuell notwen-
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»Sonst verlor die Österreichische Galerie kein Kunstwerk ...« 193
ten Kunstgutes wurde in den letzten Monaten von mehreren Bergungsorten auf dem flachen Lande wieder nach Wien verbracht und befindet sich ohne Minderung oder Schädigung in mehreren Wiener Tresors. Die gegen den Willen der Direktion über höhere Weisung71 in das Salzbergwerk Lauffen bei Ischl verbrachten Gemälde werden noch in diesem Bergwerk verwahrt. Drei Gemälde von untergeordnetem künstlerischem Wert, die zum Schmuck von Wohnräumen des ehemaligen Gauleiters Bürckel entlehnt wurden, konnten […] nicht zurückerhalten werden. […] Sonst verlor die Oesterreichische Galerie kein Kunstwerk.72
In Unkenntnis der bereits erfolgten Katastrophe in Schloss Immendorf ersuchte Bruno Grimschitz am 27. Mai 1945, die Fakultätsbilder von Gustav Klimt »möglichst bald nach Wien zurückzubringen«; »wegen des Umfanges der Gemälde […] würde unbedingt benötigt 1 geschlossener Transportwagen.«73 Kurz zuvor waren die in Schloss Immendorf gelagerten Gustav Klimt-Gemälde aus der Sammlung Lederer, die drei Fakultätsbilder Klimts und ein Gemälde Karl Wurzingers aus dem Bestand der Österreichischen Galerie durch abziehende SS-Mitglieder vernichtet worden.74 Der staatliche Bergungsleiter in der NS-Zeit Ludwig Berg75 stellte 1946 zu Recht fest, dass die Vernichtung der Klimt-Gemälde und von Objekten des Kunstgewerbemuseums
71 72 73 74
75
dige Transportmittel: Schloss Hallegg (Kärnten), 10 Gemälde; Schloss Immendorf, 4 Gemälde zerstört; Schloss Kirchstetten, 50 Gemälde, einige Möbel, Kisten mit Objekten aus Kiel (größerer Möbelwagen oder Möbelwagen mit Anhänger); Lauffen bei Ischl, 150 Gemälde (1 größerer Möbelwagen); Schloss Schönborn, 10 Gemälde bzw. Kleinplastiken, Donnerbrunnen, Kiste mit Schwinds Melusine (für Donnerbrunnen Spezialtransport); Schloss Weinern, 470 Gemälde, einige Möbel, Teppiche (3 größere Möbelwagen); Augustinerkeller, 130 Skulpturen (Marmor, Metall); Oberes Belvedere, 50 Gemälde, 20 Skulpturen; Ehem. Bodenkreditanstalt (Löwelstraße 20), 350 Gemälde, 6 Kisten Stifter-Museum; Postsparkasse, 70 Gemälde; Naturhistorisches Museum, 240 Gemälde; Tiefer Graben 2, 420 Gemälde bzw. Skulpturen (Blei, Terrakotta, Holz). – »Was Änderungen betrifft, so wurden im Lauf der letzten Wochen das Depot in der Neuen Hofburg geräumt und die dort aufbewahrt gewesenen Objekte an die Bergungsstelle Löwelstraße 20 verlagert.« Siehe dazu Anm. 61. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 36/1945, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltung der Staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen, 9.5.1945. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 148/1945, Schreiben Bruno Grimschitz an die Verwaltung der Staatlichen Theater, Kunstanstalten und Museen vom 27. 5.1945. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 107/1945, Schreiben Bruno Grimschitz an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, 12.9.1945. Siehe dazu Andreas LEHNE, Die Katastrophe von Immendorf, in: Gustav Klimt, Sonderband Belvedere, Wien 2007, S. 54–63; Theodor BRÜCKLER (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute, Wien-Köln-Weimar 1999, Quellendokumentation Immendorf, S. 224–227. Der Jurist Ludwig Berg (1905–1952) wurde als zuständiger Musealreferent bei dem Generalreferat für Kunstförderung in der Reichsstatthalterei in Wien 1942 mit der Leitung der staatlichen Bergungsmaßnahmen betraut. Zu seiner Tätigkeit siehe BERG, Bergungsbericht 1946.
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Abbildung 6: Unteres Belvedere, Marmorgalerie 1945
in Immendorf den »empfindlichsten Verlust an den Sammlungen der staatlichen Museen« bedeutete.76 In Beantwortung einer Anfrage des Unterrichtsministeriums zum Abschluss der Rückführungen des Musealgutes aus den niederösterreichischen Bergungsorten übermittelte der interimistische Leiter der Österreichischen Galerie Fritz Novotny77 im September 1946 eine Aufstellung jener Sammlungsobjekte des Museums, die »im Verlaufe der Kriegshandlungen verloren gingen.«78 Neben den 76 BERG, Bergungsbericht 1946, S. 23v. 77 Dr. Fritz Novotny (1903–1983) war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Galerie seit 1939, Ernennung zum Kustos 1942, 1945–1947 interimistischer Leiter, 1960–1968 Direktor. Bruno Grimschitz war trotz der Fürsprache von Alfred Stix, dem Leitenden Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen in Wien, per 6. Oktober 1945 als ehemaliges NSDAP-Mitglied von seinem Dienstposten als Direktor der Österreichischen Galerie enthoben worden: Stix hatte mit der Unabkömmlichkeit Grimschitz’ bei der Wiedererrichtung der Österreichischen Galerie und mit dessen Engagement zur Bewahrung »entarteter Kunst« argumentiert. Siehe dazu MAYER 2005, S. 70. 78 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 232/1946, Schreiben Fritz Novotny an das Bundesministerium für Unterricht, 2.9.1946.
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Immendorf-Verlusten wurden geringe Fehlbestände aus den Bergungsorten Schloss Kirchstetten79 und Schloss Weinern80 angeführt. Resümierend kann – Ludwig Berg folgend – festgehalten werden, dass dank der Totalbergung in den Museen schwerster Schaden an den Sammlungsbeständen auch der Österreichischen Galerie verhindert werden konnte.81
79 Von den angeführten sechs Gemälden aus Schloss Kirchstetten sind im Inventar des Museums tatsächlich nur drei Bilder von John Quincy Adams, Hans Frank und Rudolf Ribarz als Kriegsverluste geführt. 80 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Zl. 232/1946, Schreiben Fritz Novotny an das Bundesministerium für Unterricht, 2.9.1946. »Eine Anzahl von Teppichen und möglicherweise eine geringe Anzahl von minderwertigeren Bildern; eine diesbezügliche Feststellung könnte auch in diesem Falle erst nach einer neuerlichen Revision an Ort und Stelle getroffen werden.« 81 BERG, Bergungsbericht 1946, S. 7v.
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»hiebei muß die Möglichkeit eines Luftangriffes und die Konservierungsfrage in gleicher Weise die Wahl bestimmen« Die Bergungsmaßnahmen des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien
Leonhard Weidinger
Am 27. August 1939 brach Richard Ernst,1 der Direktor des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien, des heutigen MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst, seinen Urlaub ab. Er hatte erfahren, dass die Londoner und Amsterdamer Museen mit der Auslagerung ihrer Sammlungen begonnen hätten.2 Zwar waren im Kunstgewerbemuseum bereits in der ersten Augusthälfte Vorbereitungen für Bergungsmaßnahmen getroffen worden: Die Klassifizierung des Sammlungsguts in drei Kategorien, um die Prioritäten bezüglich der Bergungsreihenfolge zu definieren,3 war erfolgt, und es standen vorerst 35 Transportkisten und ein Lastwagen zur Verfügung.4 Darüber, dass der deutsche Überfall auf Polen – und damit der Beginn des Zweiten Weltkriegs – unmittelbar bevorstand, war Ernst aber offenbar bis zum 27. August nicht informiert. Nun allerdings beschloss er, die Bergungsmaßnahmen des Kunstgewerbemuseums umgehend weiterzuführen.
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Richard Ernst (1885–1955) war seit 1911 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, dem heutigen MAK, und 1932–1950 Direktor des Museums, das ab 1938 Staatliches Kunstgewerbemuseum in Wien und ab 1947 Österreichisches Museum für angewandte Kunst hieß. Vgl. Rainald FRANZ, Leonhard WEIDINGER, Die Direktion Richard Ernst. Vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie zum Österreichischen Museum für angewandte Kunst, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER. Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL- GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), WienKöln-Weimar 2009, S. 412–430. MAK-Archiv, Zl. 1213-1939 aus 542-1939, Richard Ernst an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, 28.8.1939. Zur Klassifizierung der Sammlungsobjekte nach dem Schema A, B und C, wie in anderen Museen üblich, wurden im MAK bisher keine Belege gefunden, obwohl die Bergungslisten ansonsten, soweit feststellbar, nahezu vollständig vorliegen. MAK-Archiv, Zl. 1124-1939 aus 542-1939, Richard Ernst an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, 15.8.1939.
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198 Leonhard Weidinger Der Beginn der Bergungen
So liefen für das Staatliche Kunstgewerbemuseum erst kurz nach Beginn des Krieges die ersten Bergungstransporte an. Am 4. September 1939 begleitete der Kustos Viktor Griessmaier5 einen Speditionslastwagen mit Anhänger in die ehemalige Kartause Gaming,6 die Bergungsstelle mit dem Decknamen »Schloss«, die unter der Verantwortung von Fritz Dworschak, dem nunmehrigen Leiter des Kunsthistorischen Museums, stand.7 In den folgenden Wochen wurden die wichtigsten Stücke aus allen Sammlungsbereichen des Kunstgewerbemuseums in rund 140 Bergungskisten nach Gaming gebracht: 53 39 66 362 275 49 8 40 30 192
Teppiche in 9 Kisten Tapisserieen [sic!] und Savonnerieen [sic!] in 22 Kisten und Ballen Textilien in 9 Kisten Keramiken (Majoliken, Fayencen, Porzellan) in 27 Kisten Glas und Glasmalerei in 19 Kisten Renaissancezinn in 3 Kisten Möbel in 4 Verschlägen und Kisten Bilder, Ostasien, in 4 Kisten Plastiken in 18 Kisten Antiken in 31 Kisten8
Von Beginn der Auslagerungen an waren die Verantwortlichen im Museum besorgt, ob die verschiedenen Objektgattungen in Gaming sachgemäß deponiert seien. Siegfried Troll,9 der Textilexperte des Kunstgewerbemuseums, kontrollierte im November 1939 in Gaming mehrfach Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit,10 und in den Jah-
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Viktor Griessmaier (1902–1989) war seit 1936 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am heutigen MAK tätig und 1959–1967 Direktor des Museums. 6 MAK-Archiv, Zl. 1223-1939 aus 542-1939, Bestätigungen für Viktor Griessmaier, ausgestellt von Richard Ernst, 4.9.1939. 7 MAK-Archiv, Zl. 1245-1939 aus 1245-1939, Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten an Richard Ernst, 8.9.1939. Vgl. auch den Beitrag von Susanne HEHENBERGER und Monika LÖSCHER in diesem Band. 8 MAK-Archiv, Zl. 348-1941 aus 348-1941, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, Generalreferat für Kunstförderung, Staatstheater, Museen und Volksbildung, 10.4.1941. 9 Siegfried Troll (1882–1965) war 1935–1949 als Vertragsbediensteter am heutigen MAK tätig. 10 MAK-Archiv, Zl. 1469-1939 aus 1245-1939, Korrespondenz zwischen Richard Ernst und Siegfried Troll, 15. u. 17.11.1939.
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Die Bergungsmaßnahmen des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien 199
ren 1940 und 1941 ließ Ernst immer wieder Kisten aus Gaming zurück ins Museum bringen, um den Zustand der Objekte zu überprüfen.11 Parallel dazu wurden die Luftschutzmaßnahmen in den Museumsgebäuden am Stubenring verstärkt, für die Kustos Ignaz Schlosser12 als Luftschutzbeauftragter verantwortlich war,13 sowie Helme, Schutzanzüge und Gasmasken angeschafft.14 Obwohl der Krieg zunächst günstig für das Deutsche Reich verlief, blieb Direktor Ernst vorsichtig. Zwar wurde im Herbst 1940 das Staatliche Kunstgewerbemuseum, das seit Kriegsbeginn geschlossen gewesen war, wieder geöffnet, doch ließ Ernst gleich nach dem Angriff der Deutschen Wehrmacht auf Jugoslawien am 6. April 1941 weitere Bestände in 141 Kisten nach Gaming bringen.15 Im Zuge dieser Transporte stellte sich heraus, dass Bergungsgut des Kunstgewerbemuseums in der Kartause Gaming verlagert worden war, um bisherige Depoträume als Wohnräume zu nutzen. Gobelins waren nun unsachgemäß gelagert, die Beheizung war ungünstig für die Objekte, und unberechtigte Personen hatten Zugang zu den Bergungsräumen. Dadurch bestand erhöhte Feuergefahr, wie sich auch an einem Brand zeigte, der rechtzeitig gelöscht werden konnte.16 Über all diese Vorgänge war das Kunstgewerbemuseum nicht informiert worden, worüber sich Ernst bei der Direktion des Kunsthistorischen Museums beschwerte.17 Dass sich die Kartause Gaming als Bergungsstelle nicht optimal eignete, war auch
11 MAK-Archiv, Zl. 464-1940 aus 57-1940, Richard Ernst an die Leitung des Bergungsdienstes im Kunsthistorischen Museum (KHM) und an den leitenden Bergungsbeamten im Bergungsort »Schloss«, 7.6.1940; Zl. 478-1940 aus 57-1940, detto, 10.6.1940; Zl. 39-1941 aus 39-1941, Richard Ernst an Fritz Dworschak, 14.1.1941; Zl. 348-1941 aus 348-1941, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, Generalreferat für Kunstförderung, Staatstheater, Museen und Volksbildung, 10.4.1941; Zl. 758-1941 aus 555-1941, Ignaz Schlosser an Fritz Dworschak, 12.8.1941; Zl. 770-1941 aus 555-1941, Aktenvermerk Richard Ernst, 18.8.1941; Zl. 1052-1941 aus 555-1941, ausgefülltes Formular zum Rückruf von acht Teppichen des Kunstgewerbemuseums aus dem Bergungsort »Schloss«, 30.10.1941. 12 Ignaz Schlosser (1893–1970) war seit 1926 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am heutigen MAK tätig und 1951–1959 Direktor des Hauses. 13 MAK-Archiv, Zl. 1211-1939 aus 1211-1939, Richard Ernst an das Polizeirevier Wien I., Wollzeile 39, 28.8.1939. 14 Vgl. u. a. MAK-Archiv, Zl. 529-1941 aus 529-1941, Meldung von Ignaz Schlosser an die Polizeibetreuungsdienststelle, 5.6.1941. 15 MAK-Archiv, Zl. 348-1941 aus 348-1941, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, Generalreferat für Kunstförderung, Staatstheater, Museen und Volksbildung, 10.4.1941. 16 Zu diesem Brand in der Kartause Gaming am 11. Februar 1941 vgl. Herbert HAUPT, Die Rolle des Kunsthistorischen Museums bei der Beschlagnahme, Bergung und Rückführung von Kunstgut in den Jahren 1938–1945, in: Theodor BRÜCKLER (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 19), Wien-Köln-Weimar 1999, S. 53–75, hier: S. 65. 17 MAK-Archiv, Zl. 404-1941 aus 404-1941, Richard Ernst an die Direktion des KHM, 24.4.1941.
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200 Leonhard Weidinger im Kunsthistorischen Museum bekannt.18 Allerdings bot sich vorerst kein alternativer Auslagerungsort für die Objekte des Kunstgewerbemuseums. Die sukzessive Ausweitung der Bergungsmaßnahmen 1942–1944
Im Museum selbst wurden nun weitere Auswirkungen des Krieges spürbar. Ende November 1941 wurde Ignaz Schlosser zur Wehrmacht einberufen, und Richard Ernst hatte an seiner Stelle die Funktion des Betriebs-Luftschutzleiters zu übernehmen. Als sein Stellvertreter wurde der wissenschaftliche Mitarbeiter Ernst Garger19 ernannt.20 In der Nacht vom 25. auf den 26. März 1942 wurde in Wien zum ersten Mal Fliegeralarm ausgelöst,21 ein Luftangriff blieb aber aus. Nach wie vor lag Wien außerhalb der Reichweite der alliierten Bomber. Zwei Nächte darauf erfolgte allerdings ein schwerer Luftangriff auf Lübeck. Erstmals hatte die Royal Air Force eine Stadt als Ziel ausgewählt, die zwar ohne große militärische oder industrielle Bedeutung war, aber ein Zentrum mit einem hohen Anteil an Häusern in leicht brennbarer Holzfachwerkbauweise besaß, das durch kombinierte Abwürfe von Spreng- und Brandbomben schwer beschädigt wurde.22 Dieser Angriff und zwei weitere ähnlich schwere Bombardements Rostocks im April 194223 – und nicht der folgenlose Alarm von Wien – bewirkten, dass in Berlin auf ministerieller Ebene an Konzepten zur Ausweitung der Bergungsmaßnahmen gearbeitet wurde, die dann auch die Wiener Museen betreffen sollten. Am 31. März 1942 war Direktor Ernst noch mitgeteilt worden, der zuständige Generalreferent beim Reichsstatthalter habe entschieden, »dass trotz des zweimaligen Fliegeralarms in Wien in der vergangenen Woche vorläufig keinerlei Anlass zu erhöhten Bergungen besteht und solche erst im Falle eines tatsächlichen Angriffes zu erfolgen 18 Vgl. den Beitrag von Susanne HEHENBERGER und Monika LÖSCHER in diesem Band. 19 Ernst Garger (1893–1948) war 1936–1944 wissenschaftlicher Mitarbeiter am heutigen MAK. 20 MAK-Archiv, Zl. 1186-1941 aus 1144-1941, Reichsstatthalter, Generalreferat für Kunstförderung, Staatstheater, Museen und Volksbildung an Ernst, 26.11.1941. 21 Vgl. Herbert HAUPT, Jahre der Gefährdung. Das Kunsthistorische Museum 1938–1945, Wien 1995, S. 50; ders. 1999, S. 65. Haupts Zeitangabe für den ersten Fliegeralarm in Wien ist »März 1942«. Laut der Zeitung Das Kleine Blatt erfolgte der Alarm in der Nacht vom 25. auf den 26. März 1942. Vgl. Das Kleine Blatt, 27.3.1942, S. 3. 22 Am 14. Februar 1942 gab das britische Luftfahrtministerium die »Area Bombing Directive« heraus, die der Royal Air Force Luftangriffe gegen das Deutsche Reich ohne Einschränkungen erlaubte. Bombardements sollten nun auch die Moral der Zivilbevölkerung treffen. Vgl. Frederick TAYLOR, Strategische Bedeutung des alliierten Bombenkrieges. Der Umgang mit dem Verhängnis, in: Lothar FRITZE, Thomas WIDERA (Hg.), Alliierter Bombenkrieg. Das Beispiel Dresden (= Berichte und Studien, Hannah Arendt-Institut für Totalitarismusforschung 5), Göttingen 2005, S. 33–55, hier: S. 42. 23 Die Luftangriffe auf Rostock erfolgten in den Nächten vom 23. auf den 24. und vom 26. auf den 27. April 1942.
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Die Bergungsmaßnahmen des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien 201
hätten«,24 und erneut am 18. April 1942, »dass das museale Gut vorläufig im jetzigen Bergungszustand belassen werden soll«.25 Am 12. Mai 1942 gab der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung einen Erlass heraus, der mit einer sechs seitigen Aufstellung die Maßnahmen zur Intensivierung des Luftschutzes für Kunstwerke definierte.26 Während der zweite Abschnitt des Papiers den Schutz von ortsfesten Objekten vor allem durch Ummauerung erläuterte, befasste sich der erste Teil mit beweglichen Kunstgegenständen.27 In den Vorgaben für die Bergungen flossen offensichtlich die konkreten Erfahrungen aus dem verstärkten Einsatz von Brandbomben bei den alliierten Luftangriffen ein. Es ging nun nicht mehr nur um die heraus ragenden Objekte in den Museen, sondern um eine umfassende Sicherung der Bestände. Dies bedeutete wiederum einen erhöhten Raumbedarf: Vielfach wird man genötigt sein, abseits gelegene kleinere Ortschaften und Bauanlagen (z. B. Schlösser), die geeignete Unterkunft bieten, zur Unterbringung in Anspruch zu nehmen. Zu berücksichtigen ist, dass bei umfangreichen Beständen schon eine Verteilung auf mehrere Stellen die Aussicht auf Bewahrung wenigstens mehr oder minder grosser Teile des Gesamtbestandes gewährt. Bei der Auswahl der Bergungsstätten sind folgende Gesichtspunkte zu beachten: a. Das Gebäude oder die Anlagen, in denen die Kunstwerke untergebracht werden sollen, darf in seiner äusseren Erscheinung nicht kasernenähnlich sein. b. Es darf nicht in unmittelbarer Nähe stark luftgefährdeter oder besonders brandempfindlicher Anlagen oder Betriebe liegen. c. Es muss ausserhalb grosser Städte liegen, wobei die Luftgefährdung der Städte und ihres Umkreises, sowie die örtlichen Verhältnisse für die Entfernung von der Stadt massgebend sind.28
24 MAK-Archiv, Zl. 439-1942 aus 439-1942, Reichsstatthalter, Generalreferat für Kunstförderung, Staatstheater, Museen und Volksbildung an Richard Ernst, 31.3.1942. 25 MAK-Archiv, Zl. 558-1942 aus 439-1942, Reichsstatthalter, Generalreferat für Kunstförderung, Staatstheater, Museen und Volksbildung an Richard Ernst, 18.4.1942. 26 MAK-Archiv, Z. 687-1942 aus 687-1942, Beilage zum Schreiben des Reichsstatthalters an Richard Ernst, 4.6.1942. 27 In dieser Aufstellung wird der Begriff »Bergung« für die Unterbringung von Kunstwerken in bombensicheren Räumen verwendet; die Gebäude, die dazu dienten, wurden als »Bergungsstätten« bezeichnet. Dass unter »Bergung« bisweilen jedoch nicht die Auslagerung, sondern der Rücktransport aus den Aus lagerungsstätten zurück in die Museen verstanden wird, ist offenbar auf eine Wandlung der Begriffsbedeutung nach 1945 in einigen Teilen Deutschlands, insbesondere in Berlin, zurückzuführen. 28 MAK-Archiv, Z. 687-1942 aus 687-1942, Beilage zum Schreiben des Reichsstatthalters an Richard Ernst, 4.6.1942, S. 2.
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202 Leonhard Weidinger Die Umsetzung dieser Vorgaben wurde in der Folge auch in Wien vorangetrieben. Die Leitung der Bergungsmaßnahmen an den staatlichen Museen in Wien wurde an Ludwig Berg, Sachbearbeiter für Museen im Generalreferat, übertragen.29 Richard Ernst berichtete der Reichsstatthalterei im Juli 1942, dass in der Kartause Gaming 99 Kisten und Ballen30 aus dem Staatlichen Kunstgewerbemuseum geborgen seien. Er ersuchte darum, das Bergungsgut näher beim Museum, also in der Umgebung von Wien oder in Wien, einzulagern, um die wissenschaftliche Bearbeitung und Erschließung der Objekte zu erleichtern. Zur Festlegung der Bergungsstellen betonte Ernst: »hiebei muß die Möglichkeit eines Luftangriffes und die Konservierungsfrage in gleicher Weise die Wahl bestimmen«.31 Bezüglich des insgesamt benötigten Platzes hielt er fest: Es wird daher um die Zuweisung geeigneter Bergungsstellen mit Raumbedarf von mindestens 500 qm gebeten. Die Errechnung ergibt sich aus folgender Aufstellung: Raumbedarf: Auf »Schloß« geborgen . . . 99 Kisten . . . . . . . . . . . . . . . . 80 m2 dzt. am Stubenring . . . . . 26 “ . . . . . . . . . . . . . . . . 35 m2 Weiterer Bedarf: Für Glas und Porzellan ) “ Ostasien ) 70 Kisten, 61x67x93 . . . . . . . . . 60 m2 “ Bibliothek ) Teppiche . . . . . 10 Kisten zwischen 203 und 450 cm Länge . . 9 m2 Möbel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 m2 Sonstiges Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 m2 32
Nicht einmal ein Monat später begann das Staatliche Kunstgewerbemuseum mit der Belegung neuer Bergungsorte. In einer Aufstellung für den Reichsstatthalter legte Direktor Ernst dar, welche Objektgattungen er im August 1942 auf die einzelnen Bergungsstellen zu verteilen plante: Nach Schloss Schönborn sollten in fünf ebenerdige Räume Gotik-, Renaissance- und Barockschränke sowie die Tafeln von David Roentgen gebracht werden, »für die ein Stiegentransport vermieden werden muss«. Fünf Räume im ersten Stock des Schlosses Sonnberg erachtete Ernst als »[k]limatisch günstig für empfindliche und überempfindliche Objekte: Intarsien, intarsierte Möbel, Ebenistenarbeiten, Objekte mit farbigen Fassungen, italienische Renaissancemöbel«. Drei
29 MAK-Archiv, Z. 840-1942 aus 687-1942, Reichsstatthalter an die Direktoren der staatlichen Museen, 13.7.1942. 30 Große Textilien waren zum Teil nicht in Kisten verpackt, sondern zu Ballen verschnürt worden. 31 MAK-Archiv, Zl. 823-1942 aus 687-1942, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 14.7.1942. 32 MAK-Archiv, Zl. 823-1942 aus 687-1942, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 14.7.1942.
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Die Bergungsmaßnahmen des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien 203
Abbildung 1: Bergungskisten im Depot des MAK im Flakturm im Wiener Arenbergpark, aufgenommen am 12. Dezember 2012
Räume im Schloss Sierndorf sah er für »leicht transportable Barockmöbel und Möbel der Biedermeierzeit« vor. Im zweiten Kellergeschoss der Reichsbank am Otto-WagnerPlatz im 9. Bezirk von Wien sollte Keramik in Kisten verpackt gelagert werden, in der alten Creditanstalt am Tiefen Graben 2 Teppiche, Textilien und Glas und in zehn Panzerschränken im Wiener Giro- und Kassenverein in der Rockhgasse 4 »Goldschmiedearbeiten, Metallarbeiten, Email, Ornamentstiche, Holzschnitte, Bücher, Inventare, Orient und Ostasien«.33 Die Einlagerung von Objekten des Kunstgewerbemuseums in den Räumen in der Creditanstalt verzögerte sich allerdings, da hier die Österreichische Galerie noch Gerüste für ihre Bilder einbauen ließ.34 Im als zusätzliche Bergungsstelle zugewiesenen Tresorraum der Landwirtschaftlichen Krankenkasse für Wien und Niederdonau in der Seitzergasse 2–4 deponierte das Kunstgewerbemuseum am 23. September 1942 einen Renaissancetisch und fünf Kisten mit Teppichen und Savonnerien.35 Anfang Oktober 1942 stellte Ernst fest: Die erste Qualität ist durchwegs in Sicherheit, die zweite grösstenteils. Zurückbehalten ist bisher nur so viel, dass nicht nur die Offenhaltung des Museums möglich, sondern auch sein Besuch immerhin lohnend ist. Das impliziert, dass im Falle der Verschärfung 33 MAK-Archiv, Zl. 900-1942 aus 687-1942, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 3.8.1942. 34 MAK-Archiv, Zl. 912-1942 aus 687-1942, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 5.8.1942. 35 MAK-Archiv, Zl. 1116-1942 aus 687-1942, Ludwig Berg an Richard Ernst, 28.9.1942; Bergungsliste Seitzergasse.
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204 Leonhard Weidinger der Luftlage allerdings nicht unerhebliche zusätzliche Bergungen vorgenommen werden müssen.36
Bereits im September 1942 waren daher zwei Bergungsräume im Schloss Waidhofen an der Thaya genehmigt worden,37 und kurz vor Weihnachten 1942 ging ein Bergungstransport mit kleineren Möbeln aus dem Kunstgewerbemuseum nach Kirchstetten.38 Der Winter 1942/1943 brachte eine wesentliche Wendung des Kriegsverlaufs. Mit den deutschen Niederlagen von El Alamein39 und Stalingrad40 begann die Rückeroberung der von der Deutschen Wehrmacht und ihren Verbündeten besetzten Gebiete durch die Alliierten. Um die Verluste an Gefallenen, Verwundeten und in Kriegsgefangenschaft Geratenen auszugleichen, stieg die Zahl der Einziehungen zur Wehrmacht auch im Staatlichen Kunstgewerbemuseum. Als einziger wissenschaftlicher Mitarbeiter war Direktor Ernst aufgrund seines Alters – er wurde am 1. Februar 1943 58 Jahre alt – nicht mehr wehrpflichtig. Wegen der abwesenden Mitarbeiter wurden auch die regelmäßigen Kon trollen des geborgenen Museumsgutes zusehends schwieriger, wobei sich zudem die Zahl der Bergungsstellen weiter erhöhte. So standen seit Jänner 1943 allen staatlichen Museen, dem Reichsarchiv und der Nationalbibliothek in den Kellern der Neuen Burg in der Wiener Innenstadt zusätzliche Bergungsräume zur Verfügung, die durch den Einbau einer Heizungs- und Belüftungsanlage nutzbar gemacht worden waren.41 Eine Herausforderung bei der Suche nach geeigneten Bergungsorten stellten für das Kunstgewerbemuseum vor allem seine größeren Möbelstücke dar. Den Plan, im Schloss Kirchstetten große italienische Renaissancemöbel einzulagern, musste Ernst im November 1942 fallen lassen, da sich die Zugänge zu den Räumen als zu schmal erwiesen.42 Über 50 größere Möbelstücke konnten im Dezember 1942 in Schloss Schönborn eingelagert werden.43 Am 26. Februar 1943 wurden, wie schon länger geplant, 17 Objekte aus der Möbelsammlung des Kunstgewerbemuseums in Waidhofen 36 37 38 39 40 41
42 43
MAK-Archiv, Zl. 1129-1942 aus 687-1942, Aktenvermerk von Richard Ernst, 6.10.1942. MAK-Archiv, Zl. 1039-1942 aus 984-1942, Ludwig Berg an Richard Ernst, 9.9.1942. MAK-Archiv, Zl. 1418-1942 aus 1418-1942, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 28.12.1942. Mit dem Sieg in der zweiten Schlacht von El Alamein (23. Oktober bis 4. November 1942) stoppten britische Truppen endgültig den Vormarsch des Deutschen Afrikakorps. Am 2. Februar 1943 endete mit der Kapitulation der letzten Verbände der Sechsten Armee nach über fünf Monaten die Schlacht um Stalingrad. MAK-Archiv, Zl. 1069-1942 aus 1069-1942, Reichsstatthalter an Richard Ernst, 17.9.1942; Zl. 14161942 aus 1069-1942, Reichsstatthalter an Richard Ernst, 23.12.1942; Zl. 21-1943 aus 21-1943, Reichsstatthalter an die Direktoren des Reichsarchivs, der Nationalbibliothek und der staatlichen Museen sowie den Leiter der Verwaltung der staatlichen Schlösser, 5.1.1943. MAK-Archiv, Zl. 1270-1942 aus 1193-1942, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 18.11.1942. MAK-Archiv, Bergungsliste Schönborn I.
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an der Thaya im Schloss von Philipp Gudenus geborgen.44 Im Mai 1943 wurde dem Kunstgewerbemuseum Schloss Weinern als Bergungsstelle zugewiesen,45 in dem über den Sommer vor allem zahlreiche Sitzmöbel eingelagert wurden. Doch auch Objekte aus den anderen Sammlungsbereichen – Glas, Keramik, Textil- und Metallarbeiten und Ostasiatika – wurden sukzessive in schon bestehende Bergungsstellen ausgelagert, zu denen ab März 1943 das Stift Klosterneuburg kam,46 das dem Kunsthistorischen Museumzugeordnet war.47 Nicht nur die Sammlungsstücke wurden nun geborgen: Im März 1943 wurden im Kunstgewerbemuseum selbst zwei von der Ersten Österreichischen Sparkasse leihweise zur Verfügung gestellte feuersichere Panzerkassenschränke aufgestellt, in denen die Inventarbücher des Museums gelagert wurden.48 Auch die Bestände der Bibliothek sollten auf Weisung des Reichsstatthalters vom 25. Mai 1943 rasch geborgen werden.49 Dafür war zuerst Schloss Krumbach in der Buckligen Welt vorgesehen,50 allerdings erfolgte die Bergung der Bücher und Kunstblätter des Kunstgewerbemuseums schließlich ab August 1943 im Gut Zweieichen in Gaaden bei Mödling.51 Großformatige Bände und Kassetten mit Handzeichnungen wurden erst später – im Februar 1944 – in Schloss Schönborn geborgen.52 Am 13. August 1943 endete die Zeit der Alpen- und Donaugaue als »Reichsluftschutzkeller«, als die US-amerikanischen Luftstreitkräfte von Benghazi in Nordafrika aus den ersten Angriff gegen ein Ziel auf ehemals österreichischem Staatsgebiet, die Messerschmitt-Flugzeugwerke in Wiener Neustadt, flogen.53 Am selben Tag wurde von Reichsstatthalter Baldur von Schirach die »sofortige weitestgehende Bergung aller
44 45 46 47 48 49 50 51
52 53
MAK-Archiv, Zl. 252-1943 aus 252-1943, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 4.3.1943. MAK-Archiv, Zl. 454-1943 aus 454-1943, Ludwig Berg an Richard Ernst, 5.5.1943. MAK-Archiv, Zl. 306-1943 aus 306-1943, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 18.3.1943. Vgl. den Beitrag von Susanne HEHENBERGER und Monika LÖSCHER in diesem Band. MAK-Archiv, Zl. 252-1943 aus 252-1943, Reichsstatthalter an die Erste Österreichische Sparkasse, 17.3.1943, Abschrift. MAK-Archiv, Zl. 531-1943 aus 530-1943, Reichsstatthalter an Richard Ernst, 25.5.1943. MAK-Archiv, Zl. 655-1943 aus 530-1943, Ludwig Berg an Richard Ernst, 3.7.1943. MAK-Archiv, Zl. 765-1943 aus 763-1943, Ludwig Berg an Richard Ernst, 10.8.1943; Zl. 763-1943 aus 763-1943, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 17.8.1943; Zl. 986-1943 aus 530-1943, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 27.10.1943. Eine detaillierte Aufstellung der Bergungsmaßnahmen betreffend die Bibliothek und Kunstblättersammlung in Zweieichen, Gaaden, beinhaltet: MAK-Archiv, Zl. 142-1944 aus 44-1944, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 24.2.1944. MAK-Archiv, Zl. 214-1944 aus 44-1944, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 25.3.1944. Thomas ALBRICH, Luftkrieg über der Alpenfestung 1943–1945. Der Gau Tirol-Vorarlberg und die Operationszone Alpenvorland, Innsbruck 2014, S. 215.
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206 Leonhard Weidinger Bestände und vorläufige Schließung der Museen angeordnet«.54 Dass nicht nur Objekte, sondern auch Museumsarbeiten an die Bergungsstellen ausgelagert wurden, zeigte sich unter anderem darin, dass es an einer Bergungsstelle sogar zu »Neuerwerbungen« des Kunstgewerbemuseums kam. Am 26. August 1943 wurden im Schloss Waidhofen an der Thaya 21 Möbel aus der ehemaligen Sammlung Alphonse Rothschild und ein Schreibtisch aus der ehemaligen Sammlung Louis Rothschild als »Zuweisungen aus den Restbeständen« in die Inventare des Kunstgewerbemuseums aufgenommen.55 Die weitere Intensivierung der Bergungsmaßnahmen erforderte zusätzliche Räumlichkeiten. So wurden ab Anfang September 1943 im Keller der Postsparkasse an der Dominikanerbastei vor allem kleinere Metallobjekte aus dem Kunstgewerbemuseum geborgen,56 und Ende November 1943 erfolgte der erste Transport des Kunstgewerbemuseums nach Immendorf.57 Mit dem Schloss Immendorf, das Ende des 19. Jahrhunderts umgebaut worden war, stand ein Gebäude zur Verfügung, in dem es große, trockene Räume und entsprechend großzügige Zugänge gab. Bereits 1942 waren hier für einige Monate Stücke aus der Sammlung Lanckoronksi deponiert.58 Ab März 1943 wurden Objekte der Sammlung Lederer und der Österreichischen Galerie, darunter die Fakultätsbilder und andere Gemälde von Gustav Klimt, nach Immendorf gebracht.59 Im November und Dezember 1943 lagerte das Kunstgewerbemuseum im Schloss in 27 Verschlägen das Laxenburger Zimmer 60 ein, dazu kamen zehn Tafeln einer Kassettendecke aus dem frühen 16. Jahrhundert, zahlreiche Holzmodeln und Druckstöcke, diverse ostasiatische und islamische Objekte, frühneuzeitliches Kunsthandwerk, über fünfzig Möbelstücke, Ledertapeten, zwölf Teppiche und das Möchlinger Grab, ein in Form einer gotischen Kirche geschnitzter hölzerner Schrein aus dem 15. Jahrhundert. Zudem wurden in Immendorf auch Objekte aus Privateigentum geborgen. Zum einen waren dies acht Bilder und ein Teppich der Familie Troll,61 zum anderen vier 54 55 56 57 58
MAK-Archiv, Zl. 787-1943 aus 530-1943, Ludwig Berg an Richard Ernst, 20.8.1943. MAK-Hauptinventar rot, HIR 30204–30225; MAK-Spezialinventar Holz, H 1907–1928. MAK-Archiv, Bergungslisten Dominikanerbastei I–III. MAK-Archiv, Zl. 1094-1943 aus 1094-1943, Spedition Kirchner an Richard Ernst, 22.11.1943. Die Objekte aus der Sammlung Lanckoronski wurden am 29. September 1943 nach Thürnthal umgelagert. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, Immendorf, fol. 91. Vgl. dazu und zu den weiteren Ereignissen in Immendorf auch den Beitrag von Christina GSCHIEL in diesem Band. 59 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, Immendorf, fol. 91. 60 Das Laxenburger Zimmer bestand aus einer kompletten Raumvertäfelung für Boden, Wände und Decke. In die den Themen »Musik«, »Fischerei«, »Jagd« und »Gärtnerei« zugeordneten vier Wände waren entsprechende Ölgemälde integriert. 61 Wahrscheinlich handelte es sich um die Familie von Siegfried Troll, dem Textilexperten des Kunstgewerbemuseums.
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Abbildung 2: Zeichnung des Möchlinger Grabes von A. Janotta, in: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild, Band 8: Kärnten und Krain, Wien 1891
Teppiche, die einer Ella Seitner62 gehörten. Die erste Anfrage, Stücke einer privaten Sammlung in bombensicheren Unterständen unterzubringen, hatte das Staatliche Kunstgewerbemuseum bereits im Juli 1938 – also über ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs – erreicht, und zwar von Eduard von der Heydt,63 der zu dieser Zeit dem Museum zahlreiche Ostasiatika aus seiner Sammlung als Leihgaben überlassen hatte.64 Private Sammlungen wurden allerdings erst ab 1943 zur Bergung übernommen, und auch nur dann, wenn sie von entsprechender kultureller Bedeutung waren, so zumindest die offizielle Begründung. In der Praxis wurde sehr wohl in einigen Fällen 62 Zu Ella Seitner scheint in den Akten des MAK außer einem nicht mehr vorhandenen Akt aus dem Jahr 1938 (Zl. 1386-1938 aus 1295-1938) nur Korrespondenz im Zusammenhang mit der Bergung ihres Privateigentums auf. Näheres zur Person Ella Seitner konnte nicht bis dato nicht eruiert werden. 63 Eduard von der Heydt (1882–1964) war ein deutsch-schweizerischer Bankier und Kunstsammler. 64 MAK-Archiv, Zl. 670-1938 aus 670-1938, Eduard von der Heydt an Richard Ernst, 12.7.1938. Von der Heydt zog seine Leihgaben einige Monate später zurück, MAK-Archiv, Zl. 1259-1938 aus 1259-1938, Eduard von der Heydt an Richard Ernst, 25.11.1938.
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208 Leonhard Weidinger auch privater Hausrat geborgen. Für Ernst Böhm,65 der das Staatliche Kunstgewerbe museum testamentarisch als Erben seiner Silbersammlung eingesetzt hatte, wurden nicht nur die Silberobjekte, sondern auch Einrichtungsgegenstände eingelagert.66 Ebenso erhielten Mitarbeiter_innen des Museums die Gelegenheit, Privateigentum in Bergungsstellen zu deponieren.67 Immer noch war der Raumbedarf für die Bergungsmaßnahmen nicht gedeckt. Das ehemals habsburgische Jagdschloss Eckartsau durfte das Kunstgewerbemuseum ab Dezember 1943 als Bergungsstelle nutzen.68 Hier wurden vor allem Textilien, Gläser, Keramiken und kleinere Möbel aus den Sammlungen des Museums untergebracht.69 Noch zwei weitere Schlösser in Niederdonau wurden dem Kunstgewerbemuseum als Bergungsstellen zur Verfügung gestellt: ab März 1944 Dobersberg70 und ab April Niederleis.71 Parallel dazu wurde die Auslagerung in die bereits bestehenden Bergungsstellen in Wien und Niederdonau fortgesetzt. Ernst informierte den Reichsstatthalter am 2. Mai 1944, dass die Schausammlungen zu mehr als 99 Prozent sowie die Bibliothek und die grafisch-kunstgewerbliche Sammlung zur Gänze geborgen seien. Die Bergung der Studiensammlungen und Depotbestände sei für die bedeutenderen Teile bereits erfolgt: »90 % der Restbestände können als geborgen gelten (Hausbergung).«72 Jene Objekte, die nicht ausgelagert werden konnten, wurden im Keller des Kunstgewerbemuseums untergebracht. Die Luftangriffe auf Wien und das Näherrücken der Front 1944–1945
Dass die Bergungsmaßnahmen so weit fortgeschritten waren, war notwendig: Am 17. März 1944 wurde erstmals das Stadtgebiet von Wien bombardiert, und bis Kriegsende sollten mehr als 50 weitere Luftangriffe folgen. Beim Luftangriff am 10. September 1944 wurden an den Gebäuden des Kunstgewerbemuseums 68 Glasscheiben zerschlagen und die Ziegeldächer beschädigt. Die frühere Zentrale der Creditanstalt am 65 Ernst Böhm (1871–1944) war seit 1904 als technischer Leiter einer Papierfabrik im badischen Gernsbach tätig gewesen. In den 1930er Jahren baute er eine rund 60 Objekte umfassende Silbersammlung auf, die er dem Staatlichen Kunstgewerbemuseum in Wien testamentarisch vermachte. 66 MAK-Archiv, Zl. 201-1944 aus 18-1944, Richard Ernst an Ernst Böhm, 21.3.1944. 67 MAK-Archiv, Zl. 766-1943 aus 766-1943, Richard Ernst an die Gefolgschaftsmitglieder, 20.8.1943; Hauptakt 18-1944. 68 MAK-Archiv, Zl. 1151-1943 aus 530-1943, Richard Ernst an das Forstamt Eckartsau, 30.12.1943. 69 MAK-Archiv, Bergungslisten Eckartsau I-V. 70 MAK-Archiv, Zl. 214-1944 aus 1-1944, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 25.3.1944. 71 MAK-Archiv, Zl. 292-1944 aus 1-1944, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 2.5.1944. 72 MAK-Archiv, Zl. 292-1944 aus 1-1944, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 2.5.1944.
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Tiefen Graben wurde von Bomben getroffen, der Zugang zur Bergungsstelle im Keller war verschüttet und musste freigeräumt werden, die Decken und Mauern hielten aber stand.73 Durch den Luftangriff am 17. Oktober 1944 wurden im Staatlichen Kunstgewerbemuseum vor allem Fensterscheiben beschädigt,74 durch jenen am 5. November 1944 nahm das Museum schwereren Schaden: Das Tor und alle großen Saalfenster sowie das halbe Glasdach wurden zerstört, zahlreiche Dachziegel waren zerbrochen.75 Durch den Bombenangriff vom 15. Jänner 1945 wurden die bisher erfolgten provisorischen Reparaturmaßnahmen stark in Mitleidenschaft gezogen, und das Hauptgebäude am Stubenring wurde weiter beschädigt.76 Der schwerste Luftangriff auf Wien am 12. März 1945, bei dem die Albertina, die Staatsoper und zahlreiche andere Gebäude massiv beschädigt wurden, betraf das Kunstgewerbemuseum nur wenig.77 Durch die näher rückende Front ergab sich für die musealen Sammlungen eine zusätzliche Gefahr. Die Bergungsstellen, in denen das Kulturgut lagerte, waren zum Schutz vor Luftangriffen eingerichtet worden. Gegen die Auswirkungen eines Landkriegs, wie er nun drohte, boten vor allem die Bergungsstellen in Niederdonau kaum Sicherheit. Zudem machte die Aufteilung der Sammlungen auf viele kleinere Depots Rückholungen beziehungsweise Umlagerungen schwierig. Trotzdem – und obwohl es an Personal, Fahrzeugen und Treibstoff mangelte – wurde ab dem Spätherbst 1944 versucht, Bergungsstellen in Niederdonau zumindest teilweise zu räumen und die Objekte entweder in Keller in Wien oder in die neu eingerichtete Bergungsstelle im Salzbergwerk Lauffen bei Bad Ischl umzulagern.78 Am 14. Dezember 1944 schickte das Staatliche Kunstgewerbemuseum den ersten Transport mit Bergungsgut nach Lauffen,79 doch war Ernst offenbar nicht sicher, ob das Salzbergwerk als Depot geeignet war, und stellte eine entsprechende Anfrage an Robert Eigenberger80 vom Institut für Konservierung und Technologie an der Akademie der bildenden Künste. Dieser teilte Ernst am 27. Dezember 1944 mit, dass im Salzbergwerk von erhöhter Luftfeuchtigkeit auszugehen sei. Das bedeute für alle Werkstoffe, die darauf mit Volumsbewegungen reagieren würden, die Gefahr chemischer Abbauprozesse oder rascher fortschreitender
73 74 75 76 77 78 79 80
MAK-Archiv, Zl. 688-1944 aus 688-1944, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 10.9.1944. MAK-Archiv, Zl. 811-1944 aus 811-1944, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 4.11.1944. MAK-Archiv, Zl. 806-1944 aus 811-1944, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 5.11.1944. MAK-Archiv, Zl. 40-1945 aus 26-1945, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 18.1.1945. Zu diesem Luftangriff liegt im MAK-Archiv keine Schadensmeldung an den Reichsstatthalter auf. Vgl. den Beitrag von Susanne HEHENBERGER und Monika LÖSCHER in diesem Band. MAK-Archiv, Zl. 4-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an das KHM, 4.1.1945; Bergungsliste Lauffen. Zu Robert Eigenberger (1890–1979) vgl. den Beitrag von René SCHOBER in diesem Band.
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210 Leonhard Weidinger Alterung.81 Trotz dieser Warnung, die sich vor allem auf organische Materialien wie Holz und Stoff bezog, gingen im Februar 1945 noch weitere Transporte des Kunstgewerbemuseums, die auch Textilien beinhalteten, nach Lauffen.82 Die konservatorischen Zweifel wogen offenbar weniger schwer als das Bestreben, die Objekte vor der nahenden Front in Sicherheit zu bringen. Aus Schloss Eckartsau, nur rund 15 Kilometer von der slowakischen Grenze und rund 20 Kilometer von Bratislava entfernt, verlagerte das Staatliche Kunstgewerbemuseum noch am 25./26. März 1945 Objekte in die Keller der Neuen Burg in Wien.83 Der Versuch, Ende März 40 Bergungskisten und drei Ledertapeten aus Immendorf nach Wien zurückzuholen, blieb erfolglos.84 Das Ende des Krieges 1945
Am 29. März 1945 überschritt die Rote Armee bei Klostermarienberg im Kreis Oberpullendorf die Grenze des Deutschen Reichs, eroberte in der folgenden Woche den südöstlichen Teil des Gaus Niederdonau und erreichte am 3. April 1945 Baden bei Wien. Die sowjetischen Truppen teilten sich nun auf, um Wien sowohl von Westen als auch von Süden her anzugreifen. Am 6. April begann der Häuserkampf im Stadtgebiet, am 13. April war Wien unter Kontrolle der Roten Armee. Die deutschen Truppen, vor allem Verbände der Waffen-SS, zogen sich über die Donau nach Nordwesten zurück. Eine Woche später verlief die Front nördlich der Donau vom Bisamberg in Wien über Ernstbrunn bis Laa an der Thaya. Ab nun rückten die Sowjets nur mehr langsam vor. Von den Bergungsstellen des Kunstgewerbemuseums lagen in den letzten zweieinhalb Wochen des Zweiten Weltkriegs Eckartsau, Gaaden, Kirchstetten, Klosterneuburg, Niederleis und jene in Wien bereits in von der Roten Armee kontrollierten Regionen. Immendorf, Schönborn, Sierndorf und Sonnberg befanden sich noch in umkämpftem Gebiet. Im Schloss Immendorf waren deutsche Verbände stationiert, die am 8. Mai 1945 gegen Mittag abzogen. Wenige Stunden später rückte die Rote Armee in Immendorf ein und begann, das Schloss und die zugehörigen Gebäude zu besetzen. Gegen 18 Uhr 81 MAK-Archiv, Zl. 6-1945 aus 4-1945, Robert Eigenberger an Richard Ernst, 27.12.1944. 82 MAK-Archiv, Zl. 77-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an das KHM, 2.2.1945; Bergungslisten Lauffen II und Lauffen III. 83 MAK-Archiv, Zl. 186-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an den Reichsstatthalter, 27.3.1945. 84 MAK-Archiv, Zl. 188-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an die Schlossverwaltung Immendorf, 29.3.1945. In der beiliegenden Auflistung sind die Nummern der Bergungskisten angeführt. Über die Bergungslisten konnte ermittelt werden, dass die in diesen Kisten gelagerten Objekte heute als in Immendorf verloren geführt werden. Damit ist davon auszugehen, dass die geplante Rückholung nicht erfolgte.
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Abbildung 3: Der Reichsgau Niederdonau vom 29. März 1945 bis zum 8. Mai 1945 im Fünf-TagesAbstand. Die braunen Flächen stellen die unter Kontrolle von NS-Deutschland befindlichen Gebiete dar, die blauen Punkte bezeichnen staatliche Bergungsstellen.
brach im südwestlichen Turm des Schlosses ein Brand aus, der sich rasch ausbreitete. Die sowjetischen Soldaten flüchteten aus dem Bereich des brennenden Gebäudes. Am Morgen des 9. Mai 1945 schien der Brand vorerst erloschen zu sein. Allerdings flammte in der Früh des 10. oder 11. Mai 1945 im zweiten Stock des Schlosses erneut Feuer auf, das auf die Räume im ersten Stock und im Parterre übergriff. Bis zum nächs-
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212 Leonhard Weidinger
Abbildung 4: Luftaufnahme des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien und der Hochschule für angewandte Kunst, aufgenommen am 10. Mai 1945. Im südwestlichen Teil des Museumsgebäudes (unten links) sind die Schäden im Bereich des Lesesaals und eines Ausstellungsraums an der Ringseite zu erkennen.
ten Tag war das ganze Gebäude ausgebrannt. Versuche, den Brand zu löschen und Kunstgegenstände zu sichern, waren erfolglos geblieben.85 Nur zwei Teppiche konnten 85 Der früheste in den Archiven des MAK und des BDA aufliegende Bericht zum Brand des Schlosses Immendorf stammt von Adelheid Freudenthal, der Tochter des Schlosseigentümers Rudolf Freudenthal, und wurde am 7. August 1945 verfasst. Allerdings war Adelheid Freudenthal zu Kriegsende selbst nicht in Immendorf. Vgl. MAK-Archiv, Zl. 431-1945 aus 4-1945; BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, Immendorf, fol. 76. In den 1950er Jahren wurden die Reste des Schlosses großteils abgetragen, heute ist nur mehr ein Rest der Fundamente und des Stiegenaufgangs im Park erkennbar. Die Berichte zum Brand des Schlosses Immendorf legen nahe, dass die Bergungsstelle von deutschen Truppen – wahrscheinlich
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Die Bergungsmaßnahmen des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien 213
gerettet werden.86 Alle anderen eingelagerten Objekte, darunter das Möchlinger Grab und die Klimt-Gemälde,87 verbrannten offenbar.88 In Wien hatten fast alle Museumsgebäude Schäden durch die Luftangriffe und die Kämpfe im April 1945 davongetragen. Wie auch bei den anderen Häusern waren die Schäden an den Gebäuden des Staatlichen Kunstgewerbemuseums notdürftig repariert, Fensterscheiben durch Holzplatten ersetzt, Dächer provisorisch gedeckt worden. Es war also nur bedingt möglich, Bergungsgut unmittelbar nach Kriegsende zurückzuholen, da kaum Räume zur Verfügung standen, die sowohl klimatisch als auch sicherheitstechnisch für die Lagerung von Kunstgegenständen nur einigermaßen geeignet waren. Auch deshalb begannen bereits am 16. April 1945 die Mitarbeiter_innen des Museums mit den Aufräumungs- und Wiederherstellungsarbeiten.89 Direktor Ernst versuchte nach dem Ende der Kämpfe, einen ersten Überblick über die Lage an den Bergungsstellen zu erhalten. Bezüglich der Depots in Wien, aber auch jener in Zweieichen90 und Sierndorf91 gelang rasch eine Kontaktaufnahme mit Personen vor Ort, in vielen anderen Fällen war dies nicht möglich. Noch am 24. Mai 1945 war Ernst offenbar nicht darüber informiert, dass das Schloss Immendorf abgebrannt
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SS-Verbänden – bewusst zerstört worden war, um zu verhindern, dass die dort gelagerten Kunstgegenstände der Roten Armee in die Hände fallen. Ein endgültiger Beleg dafür existiert nicht. Es gibt keinerlei Hinweise, dass sowjetische Soldaten für den Brand verantwortlich gewesen wären, allerdings Gerüchte in der Gegend um Immendorf, das Schloss könnte von Einheimischen in Brand gesteckt worden sein. Eine detaillierte wissenschaftliche Aufarbeitung der Bergungsstelle Immendorf liegt bisher noch nicht vor. Es handelte sich um einen Täbris- und einen Kirman-Teppich aus der Privatbergung für Ella Seitner, die im Leihgaben-Inventar des Kunstgewerbemuseums als LHG 347 b und c verzeichnet waren. Seit dem Werkverzeichnis »Gustav Klimt« von 1967 von Fritz Novotny und Johannes Dobai werden 14 Gemälde Klimts als in Immendorf verbrannt geführt, so auch in den Werkverzeichnissen von Alfred Weidinger von 2007 und von Tobias Natter von 2013. In keiner der Publikationen wird auf die Quellefür diese Informationen verwiesen. Die entsprechenden Bergungslisten zu Immendorf im Archiv des Bundesdenkmalamts nennen allerdings nur elf Gemälde. Die bei Novotny/Dobai zusätzlich angeführten Bilder Gastein, Malcesine und Zug der Toten finden sich in diesen Listen nicht. Bemerkenswert im Bericht Adelheid Freudenthals vom 7. August 1945 ist die Passage: »Während der zwei Tage, die zwischen den beiden Bränden lagen, haben natürlich wie wohl überall ausländische Arbeiter und sonstige Leute geplündert, sodass eine ganz kleine Hoffnung besteht, noch einige Sachen wieder zu finden, aber ich glaube kaum, dass diese Leute Interesse an Bildern und Teppichen hatten, sondern mehr an Gebrauchsgegenständen, die sie in unserem Haushalt fanden.« Allerdings gibt es bisher keine Belege, dass es zwischen den beiden Bränden tatsächlich zu Plünderungen kam und dass in Immendorf eingelagerte Objekte später wieder aufgetaucht wären. MAK-Archiv, Zl. 12-1949 aus 12-1949, Richard Ernst an das Bundesministerium für Unterricht, 5.1.1949, beiliegender Bericht »3 Jahre Wiederaufbau«. MAK-Archiv, Zl. 216-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an das Kulturamt und an die Kunstverwaltung, 2.5.1945; Zl. 248-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an die Staatliche Kunstverwaltung, 19.5.1945. MAK-Archiv, Zl. 249-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an die Staatliche Kunstverwaltung, 19.5.1945.
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214 Leonhard Weidinger war, da er den Rücktransport dort geborgener Objekte urgierte.92 Nahezu alle Bergungsstellen des Kunstgewerbemuseums hatten die Kampfhandlungen zu Kriegsende unbeschadet überstanden. Die Zerstörungen beziehungsweise Beschädigungen an den Objekten entstanden erst durch die Nachwirkungen des Krieges. Auch der Brand von Immendorf war nicht durch Kampfhandlungen ausgelöst worden. In vielen Bergungsstellen kam es zu Plünderungen durch Soldaten, Einheimische, durchziehende Flüchtlinge, befreite Zwangsarbeiter_innen etc. Teilweise wurden, wie in Schloss Schönborn,93 Räume als Quartiere für Soldaten requiriert oder es wurden Möbel von der Roten Armee aus den Bergungsstellen, zum Beispiel aus Schloss Weinern, übernommen, um damit Wohnungen des Generalstabs einzurichten.94 Zu den Ereignissen an der Bergungsstelle Sonnberg sandte Ernst am 27. Okober 1945 einen Bericht an die Kunstsektion beim Staatsamt für Volksaufklärung, Unterricht und Erziehung:95 Schädigung an Einrichtung und Bergungsgut habe sich erst im Verlauf der Einquartierungen ergeben; für die Einquartierung sei auf Befehl der Kommandantur das Schloss ausgeräumt worden; anfänglich geschah diese Räumung in einigermassen sorglicher Art: unter Befehl eines offenbar in Kunstsachen kundigen Leutnants wurden Möbel aussortiert und zum Abtransport bereitgestellt; später erfolgten ungeordnete Ausräumungen aus den oberen Stockwerken; einiges wurde in die niedriger gelegenen Räume umgelagert, das meiste jedoch aus den oberen Stockwerken direkt aus den Fenstern in den Hof und in den Garten zu wüsten Haufen zusammengeworfen. Versperrte Kasten und Laden wurden von den Soldaten aufgebrochen, Möbelteile, Schranktüren und Rückwände von Kasten zu Pritschen verarbeitet oder zu Nachtkästchen hergerichtet. Scharnier, Angeln und Beschläge wurden ohneweiters ausgebrochen und zu anderem verwendet. Die Trümmerhaufen der Schloss-einrichtung und hinausgeworfene Bergungsobjekte seien von der Dorfbevölkerung eifrig durchstöbert worden […].96
Nur die Hälfte der 60 in Sonnberg eingelagerten Objekte, fast alles Möbelstücke, konnte 1945 beziehungsweise 1946 wieder ins Kunstgewerbemuseum zurückgebracht werden. Von diesen waren einige schwer beschädigt oder – wie die Wiege der Kaiserin
92 MAK-Archiv, Zl. 259-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an die Staatliche Kunstverwaltung, 24.5.1945. 93 MAK-Archiv, Zl. 324-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an das Staatsamt für Inneres, 4.7.1945. 94 MAK-Archiv, Zl. 323-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Erziehung und Unterricht, Kunstsektion, 4.7.1945. 95 Ernst bezog sich dabei auf die Erzählung eines Einwohners von Sonnberg. Laut MAK-Archiv, Zl. 7831945 aus 4-1945, Gedächtnisprotokoll Siegfried Troll, 25.10.1945, handelte es sich dabei um den Kaufmann Karl Kellner. 96 MAK-Archiv, Zl. 761-1944 aus 4-1945, Richard Ernst an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung, Kunstsektion, 27.10.1945.
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Die Bergungsmaßnahmen des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien 215
Maria Theresia – nur mehr in Teilen vorhanden.97 Die 30 Objekte, die in Sonnberg nicht mehr auffindbar waren, wurden als Kriegsverluste abgeschrieben.98 Die Rückbergungen 1945–1949
Für die Rücktransporte aus den Bergungsstellen, die bereits ab Mai 1945 in die Wege geleitet wurden, waren vor allem Genehmigungen der Sowjets notwendig – sowie deren Unterstützung in Form von Autos und Treibstoff, denn in den ersten vier Monaten nach der Befreiung Wiens war die Stadt ausschließlich von der Roten Armee besetzt. Auch nachdem die Westalliierten am 1. September 1945 ihre Besatzungszonen in Wien übernahmen und die Innere Stadt zur interalliierten Zone geworden war, blieb ein gutes Verhältnis mit den Sowjets wichtig, da die meisten Bergungsstellen im sowjetisch besetzten Niederösterreich lagen. Und die Rote Armee war durchaus bereit, zu helfen, auch wenn die Verantwortlichen im Museum an den Formen der Unterstützung Kritik übten. So hielt Direktor Ernst am 21. August 1945 fest: »Die plötzlich einsetzende Beihilfe des [sowjetischen] Militärs ist zweifellos als großzügige Hilfe gedacht; in der Durchführung jedoch werden durch das Zupacken von Soldatenhänden, die auf anderes geschult sind, empfindliche Kunstwerke zerstört oder beschädigt, deren Schutz und Erhaltung die Aktion gewidmet ist.« Ernst ersuchte daher die Kunstsektion im Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung, bei der Roten Armee zu erwirken, dass der Rücktransport nur durch Museumspersonal erfolgen solle und die Depots bis zur Räumung vor fremdem Zugriff, auch von Soldaten, zu sichern seien. Zudem bat er um Erstellung eines Rückführungsplans für alle Museen unter Einbeziehung von deren Direktoren.99 Dieser Bitte wurde Folge geleistet, denn Ernst wurde umgehend von August Loehr, dem leitenden Direktor der staatlichen Kunstsammlungen in Wien, für den 29. August zur Vorbesprechung eines Bergungsplanes ins Kunsthistorische Museum eingeladen.100 Trotz der sowjetischen Unterstützung101 und der Bemühungen der Wiener Verantwortlichen um stärkere Koordination verliefen die Rückholungen auch in der Folge 97 MAK digital collection, HIR 25409, H 1498. 98 So tauchte ein Lehnstuhl aus dem MAK (HIR 25988, H 1620), der in Sonnberg geborgen worden war und seit 1945 als Kriegsverlust galt, 2013 im Kunsthandel auf. Vgl. die Artikel von Olga KRON STEINER: http://derstandard.at/1373512479741/Erhebliche-Maengel-einer-Expertisierung und http:// derstandard.at/1373513120038/Mak-Kriegsverluste-Verwahrt-und-doch-verloren (26.7.2015). 99 MAK-Archiv, Zl. 448-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung, Kunstsektion, Bergungsleitung, 21.8.1945. 100 MAK-Archiv, Zl. 564-1945 aus 4-1945, August Loehr an Richard Ernst, 25.8.1945. 101 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 933-1945 aus 4-1945, TASS-Artikel »Wiener Kunstschätze kehren zurück«, Wiener Kurier, 5.12.1945.
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216 Leonhard Weidinger nicht reibungsfrei, wie Berichte von Absagen ganzer Fahrten, Änderungen der Zielorte beziehungsweise des zu transportierenden Gutes sowie Schwierigkeiten bei der Freigabe der Objekte vor Ort belegen.102 Im Zuge der Fahrten zu den Bergungsstellen wurden immer wieder bereits verloren geglaubte Objekte aufgefunden, wie Ernst dem Staatsdenkmalamt am 31. Oktober 1945 berichtete: »Bei den letzten Rückführungen von Eckartsau war noch festgestellt worden, dass sich in einem Lichthof und in einem der Stiegenhäuser des Schlosses unter Geweihhaufen in einem wüsten Durcheinander Möbel und Möbelteile des Kunstgewerbemuseums befinden.« Am 30. Oktober 1945 wurden zehn weitere Objekte, eine Kiste mit 21 Kostümbildern, fünf Rahmen sowie ein Konvolut Textilien gefunden.103 Die ersten Bergungsstellen des Kunstgewerbemuseums konnten noch 1945 geräumt und für aufgelöst erklärt werden. Jedoch dauerte es bis Jänner 1949, bis der Rücktransport aller geborgenen Kunstwerke des Museums abgeschlossen war.104 Eine Sonderrolle nahm dabei die Bergungsstelle Löwelstraße in der Wiener Innenstadt ein. Sie war vom Staatlichen Kunstgewerbemuseum während des Kriegs nicht genutzt worden,105 sondern diente erst ab 1945 als Depot für jene Objekte, die aus anderen Bergungsstellen abtransportiert werden mussten und im Museum selbst aufgrund der Kriegsschäden noch keinen sicheren Platz fanden. Schließlich waren die Wiederinstandsetzungen an den Museumsgebäuden abgeschlossen, wie Direktor Richard Ernst unter dem Titel »3 Jahre Wiederaufbau« dem Bundesministerium für Unterricht am 5. Jänner 1949 berichtete. Zu den Rückbergungen hielt er in diesem Report fest: Das Museum hat 1945 in 40 Rücktransporten seine Möbelsammlung zurückgeführt; an verpackten Kunstgegenständen: 1945 496 Kisten Sammlungsobjekte; 1946: 384 Kisten, 1947: 237 Kisten, 1948: 123 Kisten, insgesamt 110.000 Sammlungsobjekte in 30 Transporten; ferner die Museumsbibliothek in 27 Transporten.106 102 U. a. MAK-Archiv, Zl. 676-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an Philipp Gudenus, 3.10.1945; Zl. 7271945 aus 4-1945, Richard Ernst an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung, Kunstsektion, 18.10.1945; Zl. 803-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an den Bürgermeister von Sierndorf, 12.11.1945. 103 MAK-Archiv, Zl. 775-1945 aus 4-1945, Richard Ernst an den Präsidenten des Staatsdenkmalamtes, 31.10.1945. 104 Der späteste Beleg für einen Rücktransport ins Museum betraf Porzellane, die im Jänner 1949 aus der Bergungsstelle Löwelstraße ins Museum gebracht wurden. 105 In der Bergungsstelle Löwelstraße war im Februar 1944 die Privatsammlung von Siegfried Troll, Textilfachmann des Staatlichen Kunstgewerbemuseums, eingelagert worden. 106 MAK-Archiv, Zl. 12-1949 aus 12-1949, Richard Ernst an das Bundesministerium für Unterricht, 5.1.1949, beiliegender Bericht »3 Jahre Wiederaufbau«.
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Die Bergungsmaßnahmen des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien 217
Am 31. März 1949 wurde das mittlerweile in Österreichisches Museum für angewandte Kunst umbenannte Haus wiedereröffnet und beging zugleich seine 85-Jahr-Feier, nachdem das 75-jährige Jubiläum unter dem Eindruck des Kriegsbeginns 1939 kaum wahrgenommen worden war. Resümee
Abschließend sei festgehalten, dass das definierte Ziel der Bergungsmaßnahmen, Kulturgut vor Beschädigung und Zerstörung durch Luftangriffe zu schützen, für Sammlungsobjekte, Bibliothek und Kunstblätter des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien nahezu vollständig erreicht wurde. Erst die Folgen des Kriegsendes in den Wochen nach dem 8. Mai 1945 führten zum Verlust von über 1.500 Objekten aus den Sammlungen des Museums, also von rund eineinhalb Prozent des damaligen Sammlungsbestands.107 Ob jene Stücke, die im Zuge der Rückbergungen in den Inventaren des Museums als fehlend vermerkt wurden, tatsächlich zerstört wurden oder ob sie an den Bergungsorten oder während des Transports abhanden kamen, ist in den meisten Fällen ungeklärt. Im Archiv des MAK findet sich kein Hinweis, dass seit 1949 jemals versucht worden wäre, zu überprüfen, warum diese Objekte nicht zurückgebracht wurden und was mit ihnen geschehen ist. Erst jetzt wird begonnen, mit Hilfe der Sammlungsdatenbank und der digitalisierten Bergungslisten diesen Komplex sukzessive aufzuarbeiten.
107 In der MAK digital collection, der Sammlungsdatenbank des MAK, sollen diese Objekte daher nicht als »Kriegsverluste«, sondern als »kriegsbedingte Verluste« bezeichnet werden.
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»Es konnte festgestellt werden, dass tatsächlich Verwüstungen und Plünderungen sowohl durch SS-Truppen als auch durch Russen und Landbewohner stattfanden« Bergungen und Rückbergungen der Städtischen Sammlungen (Museen der Stadt Wien)
Gerhard Milchram und Michael Wl adika
Vor 70 Jahren, mit Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 und in der unmittelbaren Nachkriegszeit, mussten die Museen der Stadt Wien bedeutende Verluste an Sammlungsobjekten verzeichnen, die ab 1943 in Niederösterreich geborgen worden waren. Für die Plünderungen waren – wie bereits im Titel angeführt – nicht nur Sow jetsoldaten verantwortlich, sondern auch abziehende deutsche Truppen sowie die Zivilbevölkerung. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich am 13. März 1938 brachte auch für die damaligen Städtischen Sammlungen1 personelle und verwaltungsrechtliche Veränderungen mit sich. Der 1885 geborene und seit 1936 amtierende Direktor Oskar Katann zeigte unverhohlen, dass er dem neuen System nur wenig Sympathie entgegenzubringen vermochte, was an einzelnen Aktionen deutlich wird: So »vergaß« er – wenn er nur irgendwie konnte – den »Deutschen Gruß« in amtlichen Schreiben und strich zuweilen auch diese neue Höflichkeitsformel in den Konzepten seiner Mitarbeiter mit Tintenblei durch.2 Auch die Wendung »Durch Führertat und Volkeswillen eingefügt in den Kranz der deutschen Städte hat die Verwaltung unserer Heimatstadt Wien die Absicht« strich er mit rotem Stift ersatzlos.3 Als Katann vom 1
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Ursprünglich waren unter der Bezeichnung »Städtische Sammlungen« drei städtische Kulturabteilungen zusammengefasst: Das Wiener Stadtarchiv, das 1863 von der Registratur getrennt worden war, die 1856 gegründete Wiener Stadtbibliothek und das 1887 gegründete Historische Museum. Nach der Abtrennung des Archivs 1889 blieben nur mehr Bibliothek und Museum als Doppelinstitut Städtische Sammlungen im Neuen Rathaus vereint. Wilhelm DEUTSCHMANN, Die Städtischen Sammlungen in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, in: Studien zur Wiener Geschichte (= Jahrbuch des Vereines für Geschichte der Stadt Wien 55), Wien 1999, S. 31–48, hier: S. 31. Siehe Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), K. 1938, Zl. 745/38 und 786/38, Direktion der Städtischen Sammlungen an Marie Glossy, 6.5.1938; Direktion der Städtischen Sammlungen an Friedrich Schuhmann, 17.5.1938; DEUTSCHMANN 1999, S. 37. Zitat in: Christian MERTENS, Die Wiener Stadtbibliothek 1938–1956, in: Julia DANIELCZYK, Sylvia MATTL-WURM, Christian MERTENS (Hg.), Das Gedächtnis der Stadt. 150 Jahre Wienbibliothek im Rathaus, Wien-München 2006, S. 171–220, hier: S. 173.
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220 Gerhard Milchram und Michael Wladika Magistratsdirektor den Auftrag erhielt, gemeinsam mit »Gruppenführer Heydrich von der deutschen Staatspolizei« die Sammlung Alphonse und Nathaniel Rothschild zu »inventieren und in die Treuhandverwaltung der Stadt Wien zu übernehmen«, entschlug er sich der Aufgabe mit dem Argument, dass »an Arbeit und Kosten in erster Linie die Interessen des Landes Österreich berührt [werden], da der Stadt Wien kaum eine Anwartschaft auf den wertvollen Kunstbesitz erwachsen dürfte«.4 Mit 1. Dezember 1938 versetzte die Stadtverwaltung Katann schließlich in den dauernden Ruhestand. Sein provisorischer, mit 27. Juni 1939 definitiver Nachfolger wurde Karl Wagner,5 der das Haus bis 1949 leiten sollte. Wagner (1881–1958) war als promovierter Philosoph seit 1912 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum tätig. Der deutschnationale Burschenschafter dürfte prominente Förderer gehabt haben, denn er trat zwar der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und dem Reichsbund der Deutschen Beamten (RDB) bei, wurde aber Direktor des Hauses, ohne NSDAP-Anwärter beziehungsweise Parteimitglied zu sein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verdankte Wagner dieser Tatsache auch den Verbleib als Direktor.6 Mit der Eingliederung des Museums in die Reichskammer der bildenden Künste im Sommer 1938 zeichnete sich bereits ein Ende der mehr als 50 Jahre andauernden organisatorischen Einheit der Städtischen Sammlungen ab. Gestützt auf das sogenannte »Ostmarkgesetz« vom 14. April 1939 vereinigte Josef Bürckel alsbald in seiner Person das Amt des »Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich« und das eines Führers des Reichsgaues Wien sowohl in der Gemeindewie in der staatlichen Verwaltung. 1939 erfolgte die Neuorganisation des Magistrats mit einer neuen Geschäftseinteilung: Die Angelegenheiten des bereits am 22. September 1938 in Vorbereitung auf den Aufbau von »Groß-Wien« geschaffenen Kulturamtes (Gruppe VIII) übernahm der bisherige Vizebürgermeister Hanns Blaschke als »Bei geordneter« (vergleichbar mit einem heutigen Stadtrat).7 Die Städtischen Sammlungen waren in dieser Einteilung der Hauptabteilung HA III »Kulturelle Angelegenheiten« unterstellt und wurden im Oktober 1939 getrennt – die formale Trennung erfolgte am 5. Dezember 1939. Die Wiener Stadtbibliothek wurde zur Abteilung III/3 (ab 1941 D 5), das Historische Museum – das noch weiterhin die Bezeichnung »Städtische 4 5 6 7
Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), K. 1938, Zl. 521/38, Direktor der Städtischen Sammlungen, Oskar Katann, an den Wiener Bürgermeister, 23.3.1938. DEUTSCHMANN 1999, S. 37. Dieter J. HECHT, Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Städtischen Sammlungen während der NSZeit, ungedrucktes Manuskript, o. J. Gerhard BOTZ, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung 1938/39, Wien 31988, S. 438–441.
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Bergungen und Rückbergungen der Städtischen Sammlungen (Museen der Stadt Wien) 221
Sammlungen« führte – wurde zur Abteilung III/4 (ab 1941 D 6). Beide Kulturinstitute erhielten eigene Direktionen, wobei Karl Wagner Museumsdirektor wurde.8 In der NS-Zeit bestand das Historische Museum aus vier Abteilungen im Neuen Rathaus: Den Steindenkmälern, der Malerei, den kulturgeschichtlichen Exponaten, zu denen auch die Dichterzimmer gehörten, und der Waffensammlung; weiters aus mehreren Außenstellen in ganz Wien, nämlich dem Schubert Museum, der Villa Wertheimstein, dem Römischen Museum, dem Haydn Museum und dem Uhrenmuseum, die zusammen mit den Abteilungen im Neuen Rathaus eben unter dem Namen »Städtische Sammlungen« firmierten.9 Seit 1941 wurden zusätzlich das Figarohaus in der Domgasse und die Beethoven-Gedenkstätte auf der Mölkerbastei geführt. 1942 erwarb die Stadt Wien auch das Schubert-Sterbehaus in der Kettenbrückengasse.10 Die Bergungen der Museumsbestände
Am 15. April 1941 erstattete Direktor Karl Wagner dem Beigeordneten Hanns Blaschke Bericht über die »im Sinne des Luftschutzes durchgeführten Bergungsmaßnahmen für die wertvollsten Objekte der Städtischen Sammlungen«. Laut dieser Denkschrift befürchtete man sofort nach Ausbruch des Krieges gegen Polen im September 1939 für Wien Luftangriffe. Die Zentralstelle für Denkmalschutz11 arbeitete »Richtlinien« aus, »nach denen der Schutz der Museumswerte den einzelnen Direktionen der betreffenden Institute überlassen wurde«. Für die Städtischen Sammlungen bedeutete dies wegen ihrer »ungünstigen Unterbringung im Rathause, einem politisch wichtigen Verwaltungszentrum«, dass sie »bei Bombenangriffen höchst gefährdet schienen«. Nachdem die »Verbringung der zu bergenden Schaustücke in die Keller des Rathauses nicht genügend Schutz« versprach, hielt man außerhalb der Stadt, »abseits des Verkehrs«, Umschau nach einer Unterbringungsmöglichkeit. Die Wahl fiel auf die Kartause Mauerbach, die praktischerweise im Eigentum der Stadt Wien stand. Da die weitere »Abwicklung des Krieges in Polen und im Westen« das Gefahrenmoment für Wien einstweilen als »sehr gering« erscheinen ließ, beschloss die Direktion, von e iner Bergung, die im Herbst 1939 bereits vorbereitet war, wieder Abstand zu nehmen. Mit dem Ein8
Felix CZEIKE, Peter CZENDES, Die Geschichte der Magistratsabteilungen der Stadt Wien 1902–1970 (= Wiener Schriften 33), Wien-München 1971, S. 63–64 und S. 119. 9 DEUTSCHMANN 1999, S. 34. 10 Dieter J. HECHT, Bewegte Geschichte. Bergungen und Rückbergungen von Kunstgegenständen, ungedrucktes Manuskript, o. J., S. 1. 11 Das Bundesdenkmalamt wurde 1934 in Zentralstelle für Denkmalschutz umbenannt und trug ab 1940 die Bezeichnung Institut für Denkmalpflege. Nach 1945 lautete die Bezeichnung wieder Bundesdenkmalamt.
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222 Gerhard Milchram und Michael Wladika marsch deutscher Truppen in Jugoslawien im April 1941 änderte sich die Situation jedoch: »Nun aber hat die neue kriegerische Verwicklung mit Südslawien Wien wieder in eine größere Nähe des Kriegsgebietes gebracht, weshalb es eilig geraten schien, […] die vorbereiteten Maßnahmen zu treffen […] Gemälde, Waffen, Plastiken, Glasfenster und sonst historisch unersetzliche Gegenstände, […] wurden am 11. April d. J. mit einem großen Transport […] in die […] Räume der ehemaligen Kartause gebracht«.12 Nur wenige Tage, bevor dieser Bericht verfasst wurde, gingen also rund 200 Museumsobjekte der »1. Garnitur« und zwei Kisten wertvoller Handschriften und Noten der Stadtbibliothek in einem ersten Transport nach Mauerbach.13 Wagner fügte seinen Ausführungen hinzu, dass »all diese Maßnahmen getroffen werden konnten, ohne den Ausstellungsund Museumsbetrieb im Mindesten zu beeinträchtigen. Für die aus der Schaustellung zurückgezogenen Gegenstände wurde weniger wertvoller Ersatz beschafft«. Im August 1942 richtete Direktor Wagner eine Anfrage an den Leiter des Institutes für Denkmalpflege, Herbert Seiberl, ob ihm dieser geeignete, nämlich trockene und versperrbare Räume für die Unterbringung von Kunst- und Musealgegenständen nennen beziehungsweise zur Verfügung stellen könne. Wie sich herausstellte, hatten die Städtischen Sammlungen »trotz zahlreicher Bemühungen und Anfragen« außer Mauerbach kein anderes Objekt finden können. Nichtsdestotrotz stellte Wagner eine Art Kriterienkatalog zusammen. Er wünschte drei bis vier Bergungsplätze »möglichst verstreut und an unauffälligen Stellen«: »Ausgeschlossen sind Kirchenräume oder solche, die in der Nähe militärischer Objekte wie Munitionsdepots, Kasernen oder kriegswirtschaftlicher Betriebe liegen. Am besten geeignet wären nicht zu weitläufige und zu auffällige Gebäude.«14 Wagner, der um Bekanntgabe einer Liste und um Mitteilung, wann eine Besichtigung der Bergungsorte erfolgen könne, ersucht hatte, wurde von Seiberl an den vom Reichsstatthalter im Sommer 1942 bestellten Bergungsleiter, Oberregierungsrat Ludwig Berg im Generalreferat für Kunstförderung, Theater, Museen und Volksbildung, verwiesen.15 Am 7. September 1942 wurden den Städtischen Sammlungen und dem Gemeindearchiv ein »Zimmer im Schloss Waidhofen a. d. Thaya des Grafen 12 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), K. 1941, Zl. 503/41, Direktion der Städtischen Sammlungen, Karl Wagner, an den Leiter der Hauptabteilung Kulturelle Angelegenheiten, Beigeordneter Ing. Hanns Blaschke, 15.4.1941. 13 HECHT, Bergungen, o. J., S. 1. 14 ÖStA/AdR, BMfU, K. 98, 15B1, BDA 1940–1946, Zl. 8080-II/3-46, Der Leiter der Städtischen Sammlungen, Direktor Wagner, an das Institut für Denkmalpflege, 1.8.1942. 15 ÖStA/AdR, BMfU, K. 98, 15B1, BDA 1940–1946, Zl. 8080-II/3-46, Der Leiter des Institutes für Denkmalpflege, Herbert Seiberl, an die Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien, Städtische Sammlungen, 7.8.1942.
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Bergungen und Rückbergungen der Städtischen Sammlungen (Museen der Stadt Wien) 223
Philipp Heinrich Gudenus (Eckzimmer, etwa 40 m²) und ein Raum im Schloss Kirch stetten bei Laa a. d. Thaya zur Verfügung« gestellt, wohin im November 1942 Bilder beziehungsweise eine Kiste des Heimatmuseums Hernals und eine Kiste des Römermuseums verbracht wurden. Die Einlagerung geschah im vorherigen Einvernehmen mit Berg, dem auch eine Liste der Objekte auszufolgen war.16 Im Mai 1943 besichtigte Alexander Ortel von den Städtischen Sammlungen Schloss Schönborn bei Göllersdorf in Niederösterreich und erbat Räume für Bergungszwecke.17 Der Luftangriff auf Wiener Neustadt am 13. August 1943 hatte mittelbar auch für die Städtischen Sammlungen im Neuen Wiener Rathaus Folgen: Zwei Tage später, am 15. August 1943, wurde das Museum auf Kriegsdauer geschlossen, und die eigentlichen Bergungen, die dann zur vordringlichsten Aufgabe der Museumsleute wurden, setzten unverzüglich ein. Die Vorbereitungen hatten ja bereits im Sommer 1942 begonnen; im Mai 1943 hatte man »Richtpreise für Bergungskisten« eingeholt, und im Juli 1943 waren schließlich die Planungen zur Verlagerung der Objekte ins End stadium gekommen.18 Insgesamt waren im Inventar der Städtischen Sammlungen im Jahre 1943 etwas über 73.000 Objekte eingetragen, die nun geborgen werden mussten, wobei der ursprüngliche Raumbedarf längst nicht ausreichte, sodass bis zum Frühjahr 1945 in insgesamt 16 verschiedene Orte »Nieder-Donaus« ausgelagert wurde. Neben den bereits erwähnten Schlössern Waidhofen an der Thaya und Kirchstetten bei Laa an der Thaya kamen noch Schloss Stixenstein bei Ternitz, Schloss Thalheim in der Nähe von Böheimkirchen, Schloss Wald bei St. Pölten, Schloss Purgstall, Schloss Schönborn, Schloss Seefeld bei Kadolz/Mailberg, Schloss Glaswein bei Ernstbrunn, der Pfarrhof in Pulkau, Schloss Niederleis, das Wasserschloss Laudon, der Pfarrhof in Klein-Engersdorf, das Kloster in Kienberg-Gaming und Grusbach (heute Tschechische Republik) hinzu. Im Dezember 1943 sah man sich wegen der zusätzlichen Bergungen von Kunstwerken und Sammlungen aus Privatbesitz außerdem gezwungen, auch von Bergungsmöglichkeiten im Wiener Stadtbereich Gebrauch zu machen. So kamen die Bergungsdepots Hofburg, Teinfaltstraße 8, Augustinerkeller und Augustinerkirche hinzu.19 16 ÖStA/AdR, BMfU, K. 98, 15B1, BDA 1940–1946, Zl. 8080-II/3-46, Aktenvermerk Ludwig Berg, 7.9.1942. 17 ÖStA/AdR, BMfU, K. 98, 15B1, BDA 1940–1946, Zl. 8080-II/3-46, Aktenvermerk Ludwig Berg, 17.5.1943. 18 Wilhelm DEUTSCHMANN, Ein Überblick zur Geschichte des Historischen Museums der Stadt Wien, in: Hundert Jahre Historisches Museum der Stadt Wien. Katalog zur 106. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien vom 21. Mai bis 30. August 1987, Wien 1987, S. 24. 19 Auflistung der Bergungsorte in: DEUTSCHMANN 1999, S. 47 und Anm. 113.
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224 Gerhard Milchram und Michael Wladika
Abbildung 1: Liste der Bergungsorte der Städtischen Sammlungen mit Beschreibung, 1943/44
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226 Gerhard Milchram und Michael Wladika Während sich für die Wiener Stadtbibliothek jede Bergungsfahrt belegen lässt,20 stehen für die Städtischen Sammlungen nur einzelne Schriftstücke zur Verfügung, aus denen die Transportkapazität ermessen werden kann. Treibstoff war im Dezember 1943 bereits streng rationiert worden, weswegen für die Transporte per LKW nicht nur um die Zuteilung angesucht, sondern auch gleich eine Begründung mitgeliefert werden musste. So geht aus einem Schreiben der Städtischen Sammlungen an Ludwig Berg vom 6. Jänner 1944 hervor, dass diese im Monat Dezember 1943 jeweils eine Fahrt nach Schönborn und Purgstall sowie jeweils drei Fahrten nach Seefeld und innerhalb »GroßWiens« durchgeführt hatten und der Treibstoff »bis auf wenige Liter« verbraucht war. Für den Monat Jänner 1944 waren 15 Fahrten nach Purgstall (je 265 km), zehn Fahrten nach Seefeld (je 160 km) und acht Fahrten nach Grusbach (je 250 km) vorgesehen, was insgesamt einer Strecke von 8.000 km entsprach. Die Städtischen Sammlungen beantragten dafür die Beschaffung der nicht unerheblichen Menge von 3.600 Liter Benzin und 60 Liter Öl. Da die Bergungen entsprechend dem »Führerauftrag raschest durchzuführen« seien und die »Überwachung des Bergungsgutes durch Organe der Städtischen Sammlungen während des Transports nicht möglich wäre«, sei eine Beförderung mit der Bahn »untunlich«.21 Diesem Antrag wurde auch entsprochen. Von den niederösterreichischen Bergungsorten wurden für das Museum Listen mit Beschreibungen der Orte angelegt. Diese enthielten die Eigentümer_innen der jeweiligen Bergeräumlichkeiten, mit denen Mietverträge zu nicht unerheblichen Konditionen abgeschlossen worden waren, eine detaillierte Beschreibung des Anreiseweges mit öffentlichen Verkehrsmitteln, eine Beschreibung der Lage, einen Überblick über die Art der geborgenen Objekte sowie der Bewachung des Ortes. Dabei fällt auf, dass nur bei zwei Bergungsorten Wachen erwähnt wurden. Einerseits im Schloss Stixenstein,22 welches darüber hinaus im Eigentum der Stadt Wien stand, wo Forstpersonal zur Bewachung abgestellt war, und andererseits in der Kartause Kienberg-Gaming, wo zwölf Mann der Wach-und Schließgesellschaft ihren Dienst versahen. Sie standen zwar unter der Aufsicht von Karl Pollhammer, einem Kustos der Städtischen Sammlungen, der sogar in der Kartause wohnte, wurden jedoch vom Kunsthistorischen Museum beschäftigt, welches den Bergungsort ebenfalls nutzte. Alle anderen Orte blieben offensichtlich ohne Bewachung.23
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Vgl. dazu MERTENS 2006, S. 187. ÖStA/AdR, BMfU, Kt. 131, 15, Zl. D2-1572/42, Städtische Sammlungen an Ludwig Berg, 6.1.1944. Das Schloss (auch Burg) Stixenstein liegt in der Gemeinde Ternitz, Niederösterreich. Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), K. Bergungsorte I u. II, Kistenverzeichnis.
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»Groß-Wien« und die Wiener Bezirksmuseen
Probleme bezüglich der Bergung und Rückführung der Objekte bereiten bis heute jene Heimat- und Stadtmuseen, die durch die Schaffung von »Groß-Wien« im Oktober 1938 in den Zuständigkeitsbereich der Städtischen Sammlungen gelangten, sowie die einzelnen Bezirksmuseen. Durch die Eingemeindung wurden die vorher zu Niederösterreich gehörenden Regional-, Heimat- und Vereinsmuseen dem Kulturamt des Reichsgaues Wien beziehungsweise den Städtischen Sammlungen unterstellt. Betroffen waren davon vor allem die Museen in Mödling, Perchtoldsdorf, Mauer, Schwechat, Fischamend und Klosterneuburg. In einem Runderlass der Wiener Magistratsdirektion vom 8. Dezember 1938 wurden die Bezirkshauptmannschaften der »neu einverleibten Gemeinden« darüber hinaus aufgefordert, Verzeichnisse über die in den Ämtern oder gemeindeeigenen Häusern vorhandenen Gegenstände von geschichtlichem und kunstgeschichtlichem Wert anzulegen und den Städtischen Sammlungen anzuzeigen, damit diese die Besichtigung und weitere Verfügungen – »allenfalls Abtransport« – veranlassen konnten.24 Für die Filiale der Städtischen Sammlungen, das Bezirksmuseum Mödling, sind beispielsweise Bergungen in dieselben Bergungsorte dokumentiert, nämlich in die Schlösser Schönborn (Bergung am 9. November 1943), Thalheim (7. Juni 1944), Seefeld (11. Juli 1944), Kirchstetten (5. Oktober 1944), Wald (11. Oktober 1944) sowie in das Depot Deutschordenskirche in der Wiener Innenstadt.25 Das Kriegsende 1945 in den Bergungsorten Enzersfeld, Niederleis und Pulkau anhand von Pfarrchroniken sowie im Bergungsort Stixenstein
Die Rote Armee steckte sich nach der Einnahme Wiens am 13. April 1945 ein neues Ziel, nämlich in möglichst breiter Front über das Marchfeld und das Wein- und Waldviertel die tschechische Grenze zu erreichen.26 Auch in jenen Orten, wo sich Bergungsgut der Städtischen Sammlungen befand, stießen die sowjetischen Truppen zum Teil auf verbissenen Widerstand der Deutschen Wehrmacht, und es kam zu heftigen Kämpfen. 24 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), Zl. 1735/38, M. Musealgegenstände aus den einverleibten Gemeinden, Magistratsdirektion Wien an die Direktion der Städtischen Sammlungen und die Bezirkshauptmannschaften 14. und 21.–26., 8.12.1938. 25 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), Zl. R 970/68, M. Heimatmuseum Mödling, Bergungsunterlagen 1943/1944. 26 Manfried RAUCHENSTEINER, Der Krieg in Österreich ‘45, Wien 1995, S. 206.
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228 Gerhard Milchram und Michael Wladika In Enzersfeld, einer kleinen Marktgemeinde nördlich von Korneuburg, waren, wie aus der örtlichen Pfarrchronik hervorgeht, im Pfarrhof neben Möbeln aus dem Schottenstift auch etliche Kisten mit Uhren aus dem Uhrenmuseum untergebracht. Der Chronist, Pfarrprovisor Anton Reich, schilderte die Anspannung in der Bevölkerung vor den kommenden Ereignissen rund um das Osterfest, das am 1. April begangen wurde. Um den 10. und 11. April begannen die Kampfhandlungen: Die deutschen Truppen hatten sich auf die Burg Kreuzenstein zurückgezogen, die sowjetischen Truppen kamen von der Brünnerstraße hinauf, als das Feuer von beiden Seiten eröffnet wurde. Der Nachbarort Hagenbrunn, der mitten im Kampfgeschehen lag, wurde dabei schwer verwüstet. Fünf Männer aus Enzersfeld wurden durch Granatsplitter getötet. Am 14. April 1945 marschierten die ersten sowjetischen Soldaten durch den Ort. Pfarrprovisor Reich beschrieb ihr Zusammentreffen mit der Zivilbevölkerung bis auf »einige rühmliche Ausnahmen, zu denen vor allem die kämpfenden Truppen gehörten«, als »grauenhaft«: »Alles wurde geplündert, Uhren und Schmuck weggenommen, auch Betten, Wäsche und Kleider, die Leute aus den Häusern hinausgejagt, das Vieh einfach geschlachtet, viele Frauen wurden vergewaltigt, bisweilen auch Greisinnen und kaum der Schule entwachsene Mädchen, manchmal sogar Kinder. Manche wurden umgebracht, meist durch Erschießen.«27 Viele Bewohner_innen suchten Zuflucht im Pfarrhof. Anton Reich zitierte nun ab dem 25. April aus dem Tagebuch des Pfarrers, der wiederum schilderte, wie an diesem Tag zwei Sowjetsoldaten in den Pfarrhof drangen und auf der Suche nach Uhren die Einrichtung zerstörten. Der Schwester des Pfarrers, die vergewaltigt wurde, gelang es trotzdem, einen Major zu holen, der die beiden Soldaten abführte. Am 26. April teilten Offiziere dem Pfarrer mit, dass der Stab im Pfarrhof einquartiert werde und er den Hof verlassen müsse. Als er nach vierzehn Tagen wieder in die Kirche durfte, war diese schwer verwüstet worden. Im Pfarrhof wurde nach der Rückkehr eine heillose Unordnung angetroffen. Viele Möbel waren in einem Raum zusammengestapelt, manche waren verschwunden. Matriken und andere pfarrliche Bücher waren hinausgeworfen worden und mussten aus Kot und Schmutz wieder mühsam hervorgesucht werden, Messgewänder waren verschleppt worden und wurden erst später, aber nur teilweise, von den Leuten gefunden und wieder zurückgebracht.28 In Niederleis, im Bezirk Mistelbach, wurde laut dem Gedenkbuch der Pfarre am 16. April 1945 ein Gottesdienst abgehalten, an dem auch die einquartierten deut27 Chronik der Pfarre Enzersfeld, Jänner bis 31. Mai 1945, S. 475–476. 28 Chronik der Pfarre Enzersfeld, Jänner bis 31. Mai 1945, S. 475–476.
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Abbildung 2: Schloss Niederleis
schen Soldaten teilnahmen. Der Ortsgruppenleiter, der angedroht hatte, den Ort bei Unterlassung des Widerstandes von der SS in Brand stecken zu lassen, flüchtete nun Richtung Gmünd und mahnte die Bewohner_innen, es ihm gleichzutun. Die meisten blieben jedoch und harrten in den Kellern aus. In der Nacht vom 19. auf den 20. April drangen sowjetische Truppen aus der Richtung von Helfens, Pürstendorf und Grafensulz von Süden her in den Ort ein. Eine der ersten Maßnahmen der Sowjets bestand darin, dass Radioapparate, Telefone, Fahnen, Jagdgewehre und andere Schusswaffen unter Androhung der Todesstrafe abgegeben werden mussten. Über zehn Tage lang quartierten sich im Pfarrhof die Kommandanten ein. Danach schilderte der Chronist ähnliche Zustände wie in Engersdorf: »Die Kleiderschränke waren arg geplündert, ebenso der Weinkeller, sodass kein Tropfen Opferwein vorhanden war. Einige Tische und sämtliche Tisch- und Bettdecken sowie Vorhänge verschwanden. Die Pfarrkanzlei war zur Nähstube eingerichtet worden, sämtliche Akten derselben sowie die aus dem großen Archivkasten waren durcheinander geworfen und beschmutzt.« Große Verluste waren im Schüttkasten der Pfarre zu verzeichnen: »Die Wiener Straßenbahn hatte hunderte Ballen Monturstoffe und Zugehör wegen der Bombengefahr […] eingelagert. Das ganze äußerst wertvolle Depot samt den eingelagerten Teppichen, Messinstrumenten, Kunstgegenständen, Bauplänen und wertvollen
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230 Gerhard Milchram und Michael Wladika Papieren wurde von den Russen ausgeräumt und mit Lastkraftwagen weggeführt.«29 Das Schloss Niederleis mit seiner wertvollen Einrichtung und den Antiquitäten, wo auch unter anderem die Objekte der Städtischen Sammlungen geborgen worden waren, blieb jedoch vor Plünderungen und Zerstörungen verschont. Es war dies dem aus Schlesien geflohenen Schwager des Schlossherren, Franz Xaver Schaffgotsch (1890– 1979), zu verdanken, der im Ersten Weltkrieg mehrere Jahre in der Sowjetunion als Kriegsgefangener verbracht hatte und daher die russische Sprache beherrschte, was den Soldaten anscheinend imponierte. Zur raschen Wiederherstellung der Ordnung wurde statt dem NS-Bürgermeister, der sich verborgen hielt, der aus Niederleis gebürtige und pensionierte Wiener Straßenbahnbeamte Rudolf Fickl von der Roten Armee als Bürgermeister eingesetzt.30 Im Pfarrhof von Pulkau im nördlichen Weinviertel im Bezirk Hollabrunn wurden unter anderem Musikinstrumente aus der entzogenen Sammlung Strauß-Meyszner, die den Nachlass von Johann Strauß Sohn beinhaltet, aus den Beständen der Städtischen Sammlungen eingelagert. Der Verfasser der Pfarrchronik berichtete von zahlreichen Tieffliegerangriffen, vor allem auf Züge im Pulkauer Bahnhof, und von endlosen Flüchtlingszügen aus Schlesien. Flüchtlinge ebenso wie Verwundete aus geräumten Lazaretten wurden im Pfarrhof untergebracht. Nach dem Fall von Wien forderte das Oberkommando der 8. Deutschen Armee den Hof an und quartierte eine Kompaniestärke mit 120 Soldaten ein. Der Chronist schilderte, dass in den Nebenräumen der Pfarre ungeheure Fleisch- und Proviantmengen eingelagert wurden. Am Vormittag des 7. Mai 1945, einen Tag vor Kriegsende, zog das Oberkommando plötzlich ab; in der Nacht erschienen die ersten Sowjets mit Flüchtlingen aus Laa an der Thaya und belegten ihrerseits den Pfarrhof. Der Tross mit rund 300 Pferden folgte im Morgengrauen. Die Panzerspitzen wurden mit rot-weiß-roten Fahnen und Blumensträußen begrüßt. Trotz der Gesamtkapitulation der Deutschen Wehrmacht am 7. Mai war am 8. Mai noch überall Geschützdonner zu hören gewesen. Dann folgten Berichte über Übergriffe von Sowjetsoldaten: Während der zweiten Nachtwache, die abwechselnd der Mesner, Pfarrer, Kaplan und ein ukrainischer Priester hielten, erschienen zwei sowjetische Soldaten und forderten Uhren. Bald bot der Ort ein Bild der Verwüstung: »Viele Leute sind Bettler, des Letzten beraubt.«31 Die Keller wurden aufgebrochen und der Wein weggeführt. Der älteste Mann im Ort wurde angeschossen und starb drei Tage später. Im Pfarrhof wurden der Kutscher und seine Braut ebenfalls angeschossen, wobei die 29 Gedenkbuch der Pfarre Niederleis über die Jahre 1843 ff., S. 198–201. 30 Gedenkbuch der Pfarre Niederleis über die Jahre 1843 ff., S. 198–201. 31 Pfarrchronik Pulkau, Bd. 1945, S. 10–13.
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Abbildung 3: Pfarrhof Pulkau
Frau getötet wurde. Der mutmaßliche Mörder, ein Sowjetsoldat, wurde von den sowjetischen Militärbehörden abgeholt und in Eggenburg verurteilt.32 Schloss Stixenstein, eine mittelalterliche Burganlage aus dem 12. Jahrhundert im südlichen Niederösterreich in der Nähe von Ternitz, befand sich im Eigentum der Gemeinde Wien.33 Das war der Grund, warum Stixenstein der Ort mit der größten Vielfalt an Objekten war: Das Parterre war mit Möbeln, Klavieren, Bildern, Kisten mit Waffen und Messgerät, die Kapelle des Schlosses mit Büsten, Glasfenstern, Porzellan und Bildern belegt. Im zweiten Stock fanden sich Rüstungen, Bilder, Truhen, Miniaturen, Porzellan und Kisten der Stadtbibliothek, und im Beamtentrakt des Schlosses wurden schließlich Möbel, Waffen, Tartschen, Fahnen, Trommeln und Gobelins eingelagert. Am Ostermontag, dem 2. April 1945, war die Rote Armee bis Sieding, dem Ort nahe dem Schloss Stixenstein im Tal der Sierning, durchgebrochen. Leutnant Willi Gemmer berichtete in seinem Tagebuch, wie er von der »Kampfgruppe Keitel« den Auftrag zu einem »Himmelfahrtskommando« erhielt: Er sollte mit 170 Mann die noch sichere Stellung am Ödenhof verlassen und die Sowjets bei Sieding angreifen, um das 32 Pfarrchronik Pulkau, Bd. 1945, S. 10–13. 33 http://www.wehrbauten.at/noe/niederoesterreich.html?/noe/stixenstein/stixenstein.html (15.4.2015).
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232 Gerhard Milchram und Michael Wladika Tal der Sierning zu befreien und so den Zufahrtsweg nach Puchberg am Schneeberg freizubekommen. Gemmers Plan sah vor, die Truppe vom Westen über die Berge zu führen und die Sowjets bei einem gleichzeitigen Angriff vom Osten im Tal einzukesseln. Am Morgen des 8. April wurden die Männer von ortskundigen Jägern knapp vor Sieding geführt, wo sie den Angriff begannen. Aus Gemmers Bericht geht hervor, dass sich in Schloss Stixenstein bereits 300 bis 400 sowjetische Soldaten gesammelt hatten. Das Schloss, das einem hohen NS-Funktionär als Wohnsitz gedient hatte, war von den Kampftruppen zuvor »eingenommen« worden. Bei dem deutschen Überraschungsangriff, der 13 Stunden hin und her wogte, fielen 20 deutsche und zehn sowjetische Soldaten. Zahlreiche Häuser wurden schwer beschädigt, eine Brücke wurde von der Waffen-SS gesprengt, und an den Waldkulturen entstand großer Sachschaden. Das vorgesehene Angriffsziel wurde zwar kurzfristig erreicht, konnte aber den Vormarsch der Befreier nicht aufhalten. Nach einem neuerlichen Vorstoß der sowjetischen Armee am Abend war man wieder auf den Ausgangspositionen zurück. Leutnant Gemmer wurde bei diesem unsinnigen Kampf schwer verwundet.34 Einige Tage später war das Gebiet endgültig befreit. Die Rückbergungen der Museumsbestände
Bei Kriegsende waren die Städtischen Sammlungen nahezu vollständig geräumt und von anderen Ämtern besetzt. Das Römische Museum und das Heimatmuseum Floridsdorf waren zerstört, sämtliche andere Museen nicht benutzbar.35 Schon drei M onate nach den letzten Kampfhandlungen, im Juli 1945, war jedoch einer Rede im Gemeinderat zu entnehmen, dass die Rückbergungen, die Grundlage zur Herstellung des ordent lichen Museumsbetriebes, in vollem Gange waren.36 Es erschien auch nicht ratsam, die Bestände länger in den Bergungsorten zu belassen, denn es mehrten sich die amtlichen und privaten Mitteilungen, dass die örtlichen Kommandos der Roten Armee – alle Bergungsorte der Städtischen Sammlungen lagen nun in der sowjetischen Zone – das Musealgut nicht in allen Fällen sorgsam behandeln würden. So würden die Soldaten Gegenstände nach Gutdünken zum Teil außerhalb der Bergungsorte unsachgemäß umlagern, zum Teil auch als Beutegut wegführen. Deshalb erging im Juli 1945 von österreichischer Seite, nämlich vom Sektionschef im Unterrichtsministerium, 34 Friedrich BRETTNER, Die letzten Kämpfe des II. Weltkrieges im südlichen Niederösterreich. Kriegsschule Wiener Neustadt – Kampfgruppe Keitel – Kampfgruppe 356. Infanteriedivision, Gloggnitz 1999, S. 169–185. 35 HECHT, Bergungen, o. J., S. 13. 36 DEUTSCHMANN 1987, S. 24.
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dem ehemaligen Unterrichtsminister Hans Pernter, der Auftrag an den Legationsrat in der Staatskanzlei (Auswärtige Angelegenheiten), Norbert Bischoff, die »Hilfe und Mitwirkung der Roten Armee für den Schutz und die Rückbringung der Musealgüter anzusprechen, die vor allem in der Bestellung von Transportmitteln und in der Betrauung eines höheren Offiziers aus dem Stab des Marschalls Konjiew mit diesen Agenden bestehen müsste«.37 Die Städtischen Sammlungen waren bei den Rückbergungen aber zunächst von den österreichischen Behörden abhängig. Diese dekretierten: »Über Befehl des Landes gendarmeriekommandos vom 20. Juni 1945, E Nr. 424 Adj. wurden sämtliche Dienststellen des Landesgendarmeriekommandobereiches streng vertraulich angewiesen, die im Lande Niederösterreich verschleppten Kunstgüter […] auszuforschen, und unter auffällige Bewachung der Gendarmeriepostenkommandanten zu stellen.«38 Bevor es aber überhaupt zu Rücktransporten kam, mussten sich die Museumsbediensteten in den Bergungsorten mit Genehmigung der Roten Armee und mithilfe der Gendarmerie ein Bild davon machen, was überhaupt noch vorhanden war. Plünderungen und Zerstörungen
In den Bergungsorten der Städtischen Sammlungen war es verschiedentlich zu Plünderungen und Zerstörungen von Museumsgegenständen gekommen. Daran waren nicht nur Sowjetsoldaten beteiligt, bereits aus den oben zitierten Pfarrchroniken geht hervor, wie sehr sich auch die Zivilbevölkerung an ungeschützten Objekten verging. So schilderte Pfarrprovisor Anton Reich, dass einige Bewohner in Enzersfeld, die vor den Kampfhandlungen geflüchtet waren, bei ihrer Rückkehr eine böse Überraschung erlebten: »Kisten und Kästen waren leer. Was die russischen Soldaten noch übriggelassen hatten, stahlen die Daheimgebliebenen, welche vielfach den Eigentumsbegriff missachteten und sich selber schadlos hielten, ohne Rücksicht auf den lieben Nächsten.«39 In der Pfarrchronik von Pulkau hieß es dazu am 17. Mai 1945 lapidar: »Die Plünderungen gehen weiter, leider sind auch Einheimische dabei.«40
37 ÖStA/AdR, BMfU, K. 131, 15, Zl. 2263-II-3/45, Sektionschef Hans Pernter an die Staatskanzlei (Auswärtige Angelegenheiten), Legationsrat Norbert Bischoff, 18.7.1945, fol. 3. 38 Zitat in: HECHT, Bergungen, o. J., S. 5. Der Aktenteil »ÖStA/AdR, BMfVS, K. 116, Zl. 31805-3/46, Landesgendarmeriekommandant an Staatsamt für Inneres, 17.8.1945« ist im Österreichischen Staatsarchiv, Archiv der Republik, nicht mehr auffindbar und dürfte verreiht worden sein. 39 Chronik der Pfarre Enzersfeld, Jänner bis 31. Mai 1945, S. 479. 40 Pfarrchronik Pulkau, Bd. 1945, S. 12.
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234 Gerhard Milchram und Michael Wladika Einen eindrucksvollen Bericht lieferte das BDA in einem vertraulichen Beiblatt an das Bundesministerium für Unterricht vom 2. Mai 1946, in dem von seltsamen Geschäften die Rede war: »Es sind auch viele Gebrauchs- und Kunstgegenstände, die von den Soldaten in Schlössern und Stiften als Beutegut an sich gebracht worden sind, an die Bevölkerung im Tausch gegen Wein und Schnäpse abgegeben oder mehrmals an diese verschenkt worden, sodass sich ein Teil der abhanden gekommenen Gegenstände bei der Bevölkerung in der Nähe der Beraubungsstätten finden wird.« Von einem sofortigen Einschreiten wurde jedoch abgeraten: Das Einsetzen der Gendarmerie zur Zustandebringung der bei der Zivilbevölkerung befindlichen geraubten Gegenstände wäre zweckmäßiger auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, weil eine solche Aktion leicht zu unliebsamen Auseinandersetzungen mit russischen Soldaten führen könnte […] Es erscheint zweckmäßig, im gegenwärtigen Zeitpunkt nur auf diskretem Weg festzustellen, wo sich solche Gegenstände befinden, um sie im gegebenen Zeitpunkt erfassen zu können.41
In Schloss Thalheim bei Böheimkirchen waren zunächst vor der Sowjetarmee flüchtendeDeutsche durchgezogen und hatten Kulturgut gestohlen. Später wurde im Schloss von der Roten Armee ein Lazarett eingerichtet, und Sowjetsoldaten warfen alle hierher verlagerten Objekte in einen Geräteschuppen. Auf den Lederbänden von Prachtausgaben, die hinter Wagen und Ackergerät in einem Winkel lagen, hatten Mäuse ihre Nester gebaut, und am Rande von Senkgruben lagen Teile einer Flugblattsammlung aus dem Jahre 1809.42 Am 7. Mai 1945 wurden die Städtischen Sammlungen von Plünderungen in Thalheim unterrichtet, die auch die vom Museum eingelagerten Kunstgegenstände betreffen würden: »Es konnte festgestellt werden, dass tatsächlich Verwüstungen und Plünderungen sowohl durch SS-Truppen als auch durch Russen und Landbewohner stattfanden«, schilderte Direktor Wagner die Situation und richtete einen Appell an den amtsführenden Stadtrat Viktor Matejka, in dem er ihn um den sofortigen Rücktransport und die Bereitstellung von Kraftfahrzeugen ersuchte.43
41 ÖStA/AdR, BMfU, K. 131, 15, Zl. 8573/1946, Staatsdenkmalamt, Otto Demus, an das Bundesministerium für Unterricht, Konrad Thomasberger, 2.5.1946, Beiblatt zu dem Verzeichnis über die Beraubungen der Schlösser und Bergungsorte in Niederösterreich. 42 Karl GLADT, Die Wiener Stadtbibliothek 1939–1945, in: Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 69, 31.8.1955, S. 4. 43 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), Bestand Bergungen/Rückbergungen/Kriegsverluste, K. 4, Kriegsverluste 2, Gemeindeverwaltung Wien, Verwaltungsgruppe 11 – Kultur und Bildungswesen, Abt. D 6 – Städtische Sammlungen, Direktor Karl Wagner, an den amtsführenden Stadtrat Viktor Matejka, 15.5.1945.
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Am 2. August 1945 fuhr der wissenschaftliche Bedienstete Karl Pfob von der Stadt bibliothek mit Alexander Ortel von den Städtischen Sammlungen nach Schloss Stixenstein, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Pfob erstattete einen umfangreichen Bericht an den 1945 wieder eingesetzten Direktor Katann: »Fast alle Kisten und sonstigen Behältnisse sind geöffnet und ihr Inhalt meist verstreut. Gegenstände der Bibliothek und des Museums liegen kunterbunt durcheinander, ein sehr großer Teil ist beschädigt. Die Unordnung ist dermaßen groß, dass es schon einer schweren Arbeit bedurfte, die Räume überhaupt betretbar zu machen. Ein Abtransport aus dem gegenwärtigen Zustand heraus, ist, ohne weitere Schäden zu verursachen, nicht möglich.« Außerhalb des Schlosses erwartete sie ein noch schlimmerer Zustand des Musealgutes: »Ein großer Teil dessen, was in den Räumen untergebracht war, wurde zum Fenster hinaus auf den Steilhang des Schlossberges geworfen und liegt dort, schwer zugänglich, zwischen den Bäumen und dem dichten Unterholz seit einer nicht näher bekannten Frist allen Witterungseinflüssen ausgesetzt.« Da das Betreten des Steilhanges in »gewöhnlicher Stadtkleidung« nicht möglich sei und eine »gewisse bergsteigerische Übung« erfordere, wurden ein »Schutzanzug, grobgenagelte Schuhe, ein Sicherheitsgürtel und eine Fangleine« verlangt.44 Aus einer Schilderung von Karl Gladt, einem jüngeren Mitarbeiter der Stadtbibliothek, geht hervor, dass in einem Baum am Schlossberg wochenlang ein Bild Ferdinand Waldmüllers gehangen sei. Unter Buschwerk hätten sich Teile von Rüstungen, Büchern und Manuskripten gefunden, darunter auch Franz Schuberts eigenhändige Niederschrift der Oper Die Freunde von Salamanca. Andere Handschriften hätten unter faulendem Stroh im Schlosshof gelegen, unter anderem ein Beethoven-Manuskript. 45 Auch häuften sich Berichte, wonach Sowjetsoldaten Möbelstücke zum Heizen verwenden und wertvolle Handschriften als Unterzündmaterial missbrauchen würden.46 Am 4. September 1945 berichtete der Gendarmerieposten in Ternitz an das Landesgendarmeriekommando für Niederösterreich: Am 3. September fuhr im Schloss Stixenstein ein Lastkraftwagen besetzt mit 11 schwer bewaffneten russischen Soldaten vor und begehrte Einlass in das Schloss, das zu diesem Zeitpunkt von einem Hilfsgendarm bewacht wurde. Dieser wurde gezwungen die Schlüssel zu den Kunstgütern herauszugeben […]. In den Räumlichkeiten, wo die 44 Wienbibliothek im Rathaus (WBR), HA, Abt. IX/2, Zl. 190/1945, Bericht Karl Pfob an Direktor Oskar Katann, 3.8.1945. 45 GLADT 1955, S. 4. 46 Heinz SCHÖNY, Erinnerungen an die Rückbergungen nach dem Krieg, in: Hundert Jahre Historisches Museum der Stadt Wien. Katalog der 106. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 21. Mai bis 30. August 1987, Wien 1987, S. 86–87, hier: S. 87.
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Abbildung 4: Übernahmebestätigung von Oberleutnant Fedulov für 23 Bilder der Städtischen Sammlungen
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Kunstgüter eingelagert sind, angelangt, wurden die bereits wiederholt geordneten und vermachten Bretterverschläge von den russischen Soldaten ausgerissen, sie nahmen was ihnen besonders gefiel, zerschlugen natürlich dreimal soviel als sie mitgenommen haben, bis endlich um 13 Uhr 40 nach Verladung, der auf der beigeschlossenen Bestätigung aufscheinenden, mit Nummern versehenen Kunststücken, sie das Schloss verlassen haben.47
Für die 20 Gemälde, die als Ausschmückung des sowjetischen Offizierskasinos in Neunkirchen dienen sollten, wurde von dem für die Aktion verantwortlichen Offizier allerdings eine Bestätigung ausgestellt. Dieser Fall wurde vom Landesgendarmeriekommando mit dem Vermerk »streng vertraulich« an die Landesamtsdirektion weitergeleitet, und es wurde gebeten, die Angelegenheit mit der Landeskommandantur zu besprechen und die Rückführung der Kunstgüter auf raschestem Wege zu erwirken. In weiterer Folge intervenierten die Städtischen Sammlungen beim Wiener Bürgermeister Theodor Körner, der sich daraufhin an die Sektion der Alliierten Kommission wandte. Einem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft in Neunkirchen vom 5. September ist zu entnehmen, dass die Bilder zur Abholung freigegeben worden wären, es sich die sowjetischen Verantwortlichen aber dann doch noch einmal überlegt und beschieden hätten, dass man die Bilder zwar zurückgeben werde, diese aber für die Dauer des Bestandes des Offizierskasinos in Neunkirchen verbleiben würden. Den Städtischen Sammlungen gelang es nur, ein einziges Gemälde, und zwar Die Entsatzschlacht von Wien 1683 von Jan Wyck, für eine angebliche Ausstellung über Jan Sobieski freizubekommen, das auch tatsächlich am 3. September 1946 abgeholt werden konnte. Bei den übrigen Gemälden half ein Trick, wie Alexander Ortel Direktor Wagner über einen Vorschlag von Hofrat Konrad Thomasberger von der Kulturverwaltung des Bundes berichten konnte: »als in anderen Fällen bewährtes Mittel, zu den Originalen zu kommen«, empfehle sich »die Anschaffung von einer entsprechenden Anzahl von Reproduktionen, die dann, gefällig gerahmt, mitgenommen werden sollten, um sie gegen die Originale, auf die die Besatzungstruppen oft keinen Wert legen und deren Wert sie oft auch nicht verstehen, gegen diese Reproduktionen auszutauschen«.48 Die Gemälde wurden im März 1947 tatsächlich freigegeben.49 47 NÖLA, Landesregierung ab 1945, K. 210/LA I/2 – 1946, Sicherheitsberichte 1945–1955, Zl. 1, Alliierte Kontrollkommission Sektion Russland, Fasz. 104, Beschlagnahme von Kunstschätzen, Schloss Stixenstein, Februar 1946. 48 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), Zl. 492/45, Alexander Ortel an Karl Wagner, 22.5.1946. 49 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), Zl. 492/45, Erklärung Karl Wagner für Ale xander Ortel, 15.3.1947.
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Abbildung 5a: Sowjetische Kommandantur in Neunkirchen, 1945
Abbildung 5b: Sowjetischer Friedhof in Neunkirchen, 2013
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Die Transporte
Obwohl die Mehrheit der Objekte bis 1947 wieder in die Städtischen Sammlungen gelangte, dauerten die Rückholungen über fünf Jahre. Jene Personen, die mit dem anfänglichen Sortieren und später mit dem Abtransport der Gegenstände betraut waren, standen oft vor enormen Schwierigkeiten. Dieter J. Hecht hat insgesamt 169 Rückbergungen gezählt. Zumeist waren fast doppelt so viele Fahrten wie bei den Bergungen in der NS-Zeit nötig, was Hecht vor allem auf die geringen Transportkapazitäten der Nachkriegszeit zurückführt.50 Dem BDA stand ab Juni 1946 ein Drei-Tonnen-LKW für den Einsatz der Rückbergungen zur Verfügung, welcher der Behörde aus dem Büro der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) zugewiesen wurde. Das Bundesministerium für Unterricht dürfte wenig erfreut gewesen sein, als das BDA um eine Zuteilung des rationierten Benzins über 1.500 Liter ansuchte, da der LKW rund 35 Liter je 100 km (!) benötigen würde.51 Im Bereich der Stadt Wien behalf man sich mit dem dezimierten Fuhrpark der Magistratsabteilung 48.52 Derart umfangreiche Rückbergungen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes wären aber ohne die Hilfe der Alliierten nicht möglich gewesen, die LKWs und vor allem Benzin zur Verfügung stellten. Einen sehr guten Einblick in die Rückbergungen liefert ein Rückbergungstagebuch von Heinz Schöny (1912–2005), das er selbst in Auszügen im Katalog zum 100-jährigen Bestehen der Museen der Stadt Wien publiziert hat. Er war als junger Museumsbeamter für insgesamt sechs Fahrten eingesetzt gewesen.53 Diese Fahrten, so Schöny, waren vor allem bei den unteren Rängen sehr beliebt, weil sich damit sogenannte »Hamsterungen« in einer Zeit allgemeiner Lebensmittelknappheit verbinden ließen. Man sei in Gebiete gekommen, »wo noch etwas zu holen war«, was für den Augenblick wichtiger erschien als ein Möbelstück oder ein paar Bilder mehr. Es habe »Spezialisten« gegeben, die es vermochten, die wenigen Akademiker von den Fahrten mehr oder weniger auszuschalten.54 Seine erste Fahrt führte Heinz Schöny am 8. Oktober 1945 nach Schloss Niederleis, 50 HECHT, Bergungen, o. J., S. 5. 51 ÖStA/AdR, BMfU, K. 98, 15B1, BDA 1940–1946, Zl. 2184/46, Staatsdenkmalamt, Josef Zykan, an das Bundesministerium für Unterricht, Konrad Thomasberger, 25.6.1946. 52 ÖStA/AdR, BMfU, K. 98, 15B1, BDA 1940–1946, Zl. 42524-II-6/46, Bundesministerium für Unterricht, Konrad Thomasberger, Aktenvermerk, 9.12.1946. 53 Heinz Schöny war von 1941 bis 1945 bei der Wehrmacht. Am 27. August 1945 wurde er von den Städtischen Sammlungen angestellt. Ab 1952 war er Kustos im Museum und avancierte 1968 zum Stellvertreter des Direktors. 1977 wurde er pensioniert. HECHT, Bergungen, o. J., S. 8; vgl. SCHÖNY 1987, S. 86–87. 54 SCHÖNY 1987, S. 87.
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240 Gerhard Milchram und Michael Wladika von wo er die dort geborgenen Glasluster aus Laxenburg und die Glasfenster Koloman Mosers von der Kirche am Steinhof abholte. Die Unversehrtheit der Gegenstände führte er auf die Russischkenntnisse des bereits erwähnten Franz Xaver Schaffgotsch zurück. Bei einer späteren Fahrt habe Schaffgotsch Schöny bewirtet und ihm Kartoffeln und Eier mitgegeben, was diesem wie ein Weihnachtsgeschenk vorgekommen sei. Am 11. Oktober 1945 kam Schöny in das zuvor heftig umkämpfte Sierningtal mit dem Schloss Stixenstein. Auch er schilderte den »verheerenden Zustand«, in welchem sich das Gebäude befand: Die Bewacher waren vor den Truppen geflohen, diese hatten alles erbrochen, die Kisten aufgerissen und ihren Inhalt verstreut, man »watete« knietief in Holzwolle, worunter man bei jedem Tritt zersplittertes Glas spürte, viele Gemälde waren gestohlen (auch von Einheimischen, wie glaubhaft versichert wurde), im Hof war ein großer Haufen von Papier und anderen missachteten Materialien.55
Da der sowjetische LKW-Fahrer am Abend gedrängt habe, habe Schöny nur Möbel und große Bilder aufladen lassen können und viele wertvolle Kleinkunstwerke wie Miniaturen und Schmuck liegen lassen müssen: »Dass man bei mehr Zeit viel mehr hätte retten können, wurde mir klar, als ich aus dem ›Misthaufen‹ im Hof ein mir auffällig scheinendes Blatt Papier zog und mitnahm, das sich dann als Brief Beethovens an Grillparzer herausstellte.«56 Immerhin habe er an diesem Tag den Hauptbestand der Sammlung Strauß-Meyszner bergen können. Nachdem der Rücktransport von Möbeln und Büchern aus dem Schloss Laudon in Hadersdorf-Weidlingau »klaglos verlaufen« sei, führte die vierte Fahrt Schöny am 7. November 1945 nach Klein- Engersdorf am Bisamberg. Von den acht Kisten aus dem Uhrenmuseum, die auch in der oben zitieren Pfarrchronik Erwähnung fanden, habe er im Pfarrhaus nur mehr fünf Kisten bergen können, die übrigen drei seien verschwunden gewesen. Ähnlich sei es Schöny in der zweiten Bergungsstätte von Uhren, dem Schloss Schönborn, ergangen, wo vor allem die Hälfte der Uhrensammlung Marie Ebner-Eschenbachs »neue Liebhaber« gefunden hätte. Auch sei die einzige Totenmaske von Erzherzog Carl zerschlagen worden, vielleicht aus Enttäuschung, dass man nichts Verwertbares gefunden hatte. Die sechste und letzte Fahrt führte Schöny laut seinem Bericht in den Pfarrhof nach Pulkau, wo im Pfarrhaus die Musikinstrumente der Kapelle von Johann Strauß verwahrt worden waren: »Bis auf Strauß’ eigene Geige war alles noch da.«57 55 SCHÖNY 1987, S. 87. 56 SCHÖNY 1987, S. 87 57 SCHÖNY 1987, S. 87.
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Bergungen und Rückbergungen der Städtischen Sammlungen (Museen der Stadt Wien) 241
Schönys Schilderungen decken sich mit jenen von Karl Gladt von der Stadtbibliothek, der vor allem über die Schwierigkeiten bei den Rückfahrten nach Wien berichtete. Manövrierende sowjetische Einheiten hätten die LKWs öfters aufgehalten und Anstalten gemacht, das Transportgut abzuladen und den Fahrer zu einer Verfrachtung in ihrem Auftrag zu bestimmen. Auch seien die zur Verfügung gestellten Fahrzeuge häufig so »abgebraucht« gewesen, dass die Motoren stundenlang ausgefallen seien und erst mühsame Reparaturen auf der Landstraße nötig gewesen wären. Außerdem hätte im Herbst 1945 die »schlechte« Jahreszeit begonnen, und viele LKWs seien im Schnee stecken geblieben. So seien viele Transporte erst im Morgengrauen im Rathaus angekommen.58 Schöny berichtete wiederum, was mit den Ladungen der Wagen passierte, die über Nacht im Hof oder gar auf der Straße standen: »Da kam es schon vor, dass am nächsten Tag das eine oder andere Stück fehlte!«59 Die Verluste
Laut Dieter J. Hecht, der die einzelnen Verlustlisten durchgesehen hat, gab es in Glaswein, Purgstall, Seefeld und Wald »Verluste«, in Kirchstetten, Schönborn und Stixenstein »große Verluste«, und in Thalheim war fast alles verloren. Keine beziehungsweise geringe Verluste dürfte es in Hadersdorf-Weidlingau, in Niederleis, in Pulkau, in Waidhofen, in Klein-Engersdorf, in Kienberg-Gaming, in der Hofburg und in der Creditanstalt gegeben haben.60 Es ist verwunderlich, dass trotz der oben geschilderten Plünderungen und Verwüstungen in den Bergungsorten der allergrößte Teil der Bestände doch wieder geborgen werden konnte. Eine Ausnahme stellen die Uhren dar, die wegen ihrer Kleinheit und Beliebtheit bei den sowjetischen Soldaten in großer Stückzahl gestohlen wurden. Das Uhrenmuseum hatte insgesamt den Verlust von 1.651 Uhren und von 985 Uhrwerken ohne Gehäuse zu beklagen. In diesem Zusammenhang müssen die Bemühungen des Direktors des Uhrenmuseums, Rudolf Kaftan, Erwähnung finden, der so mancher Uhr monatelang »hinterherreiste«. So schrieb er 1947 in einem Brief: »Ganz gegen meinen Willen mussten die wertvollsten Uhren verpackt und in Schlösser verschickt werden, woselbst sie dann, ehe ein Feind ins Land kam, gestohlen und verschleppt wurden […]. Eines von 58 GLADT 1955, S. 5. 59 SCHÖNY 1987, S. 87. 60 HECHT, Bergungen, o. J., S. 13.
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242 Gerhard Milchram und Michael Wladika
Abbildung 6: Schloss Seefeld
XI Kistchen, in denen sich die schönsten Taschenuhren befanden, fand ich aufgrund einer anonymen Mitteilung in Schladming.«61 In Rohrmoos bei Schladming konnte Kaftan auch Uhren entgegennehmen, welche von August Hölzel, einem inzwischen aufgrund des Verbotsgesetzes entlassenen Mitarbeiters der Stadtbibliothek, auf eigene Faust mit anderen Museumsgegenständen dorthin verbracht worden waren. Wie aus einem Auszug aus seinen Tagesnotizen hervorgeht, hatte er die Objekte, die aus den Bergungsorten Seefeld und Grusbach stammten, in den letzten Kriegstagen aus Schutzgründen entnommen, nachdem er sich auf einer Kontrollfahrt von Plünderungen durch Wehrmachtssoldaten und Einheimische überzeugen konnte. Hölzel schilderte einen abenteuerlichen Transport Richtung Westen, der am 7. Mai 1945 in Schladming endete, wo ihm am Hauptplatz noch ein PKW mit Objekten gestohlen wurde. Während eines Zwischenstopps in einer Schuhfabrik, bei dem Hölzel erfolglos versuchte, Gauleiter Hugo Jury zu erreichen, musste er sich von einem SS-Offizier sagen lassen: »Was sind sie für ein ulkiger Kauz! Da geht eine Welt zugrunde und Sie ereifern sich so wegen des alten Krimskrams! Sind Sie doch froh, dass Sie unbeschwert Ihre Haut in Sicherheit bringen können!«62 61 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), Uhrenmuseum, Rudolf Kaftan an Dr. Stöger, Eisenerz, 22.1.1947. 62 WBR, HA, Abt. IX/2, Zl. 260/1945, August Hölzel, Kurze Übersicht über die Tage, während derer
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Bergungen und Rückbergungen der Städtischen Sammlungen (Museen der Stadt Wien) 243
Die Rückführung von geborgenen Gütern an Private sowie an die Bezirksmuseen
Einen Sonderfall stellten jene bereits erwähnten Bergungen dar, welche die Städtischen Sammlungen für über 300 Privatpersonen und museumsfremde Dienststellen durchgeführt hatten. Zu denjenigen, die ihren Besitz in den Bergungsorten der Städtischen Sammlungen geschützt wissen wollten, zählten der ehemalige Vorstand der Militärkanzlei des Thronfolgers Franz Ferdinand, Karl Bardolff, der Bibliothekar, Kunsthistoriker und Kunstkritiker Hans Ankwicz-Kleehoven, der Begründer der Pratersammlung Hans Pemmer und der Komponist Richard Strauß.63 Das Schicksal der privaten Kunstobjekte glich jenem der Städtischen Sammlungen; viele Objekte wurden gestohlen oder zerstört: Beispielsweise wurden die Möbel und Einrichtungsgegenstände, die Bardolff den Städtischen Sammlungen im Februar 1944 zur Bergung übergeben hatte und die in den Schlössern Schönborn und Thalheim gelagert waren, bis auf wenige Reste völlig zerstört.64 Für die Verwahrung und den Transport verrechnete die Direktion der Magistratsabteilung 10/Museen der Stadt Wien, wie die Museen nach der neuen Geschäftsverteilung 1946 mit der Amtsbezeichnung nun hießen, nach 1945 die angefallenen Kosten. Häufig aber schlug sie einen wie schon bei der Rückstellung von jüdischen Kunst- und Kulturgütern bekannten »Kuhhandel« vor. So schrieb der ab 1949 amtierende Direktor Franz Glück an Johanna Munsch, die den damaligen Städtischen Sammlungen Porträtbilder ihrer Familie übergeben hatte: Bei einer notwendig gewordenen Durchsicht sämtlicher Bergungsakten wurde festgestellt, dass […] der Akt Ihrer Bergung in Beziehung Abtragung der Transport- und Bergungskosten noch unerledigt ist. Wir […] würden vorschlagen, als Ersatz der von uns tatsächlich geleisteten Transport- und Bergungskosten einen Gegenstand aus Ihrem Besitze, der sich in den Bestand des Historischen Museums der Stadt Wien einfügen lässt, zu widmen.65
»Überglücklich, wieder im Besitz unserer Bilder zu sein«, schenkte Johanna Munsch dem Museum daraufhin das Porträt von Angelo Trentin, Porträtmalerin Hermine
ich mit der Seefelder Kunstangelegenheit beschäftigt war (Auszug aus meinen Tagesnotizen), fünfseitiges maschinschriftliches Manuskript, 21. April bis 8. Mai 1945. 63 DEUTSCHMANN 1999, S. 48. 64 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. Erledigte Bergungs- und Sicherstellungsakten A–J, M. Bardolff, R 480/1945, RA Friedrich Werner an die MA 10, 21.2.1957. 65 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), K. 1947, Zl. 462/1947, MA 10, Franz Glück an Johanna Munsch, 15.9.1949.
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244 Gerhard Milchram und Michael Wladika Munsch, wofür Glück seinen »wärmsten Dank« aussprach.66 Genauso widmete der Künstler Emmerich Schaffran dem Museum drei seiner Gemälde über geplante »Reichsautobahn«-Brücken »als Dank für die Bergung seiner Werke«.67 Ob dieses Geschenk im Abgleich mit Bergungskosten erfolgt ist, konnte nicht festgestellt werden. Bei einem Gemälde von Friedrich Gauermann aus dem Eigentum von Oberbaurat Paul Weeger, welches die Direktion bereits aus den geborgenen Gegenständen ausgesucht hatte, stieß diese jedoch auf unerwarteten Widerstand. Auf die Weigerung Weegers, das Bild herauszugeben, und auf seine schriftlich eingebrachte Frage, »Warum sollte es aber nicht angängig sein, die Kosten bar zu bezahlen«, antwortete Direktor Karl Wagner am 7. November 1947: Eine andere Abtragung der aufgelaufenen und von uns verausgabten Kosten ist aus internen Gründen schwer möglich […] Es wird Ihnen im Hinblick auf die Vollständigkeit Ihres geborgenen Kunstgutes bestimmt nicht schwer fallen, den Städtischen Sammlungen entgegenzukommen, da wir leider auch Bergungen hatten, bei denen bis zu 70 % einerseits durch Kriegshandlungen zerstört, andererseits durch die Nachkriegsverhältnisse unauffindbar wurden.68
Doch Weeger zeigte sich unbeugsam: »Unverständlich ist es mir, wieso die Begleichung nur durch Überlassung eines bestimmten Bildes möglich sein soll […] Ich überweise Ihnen 200 S mit denen die Bergungskosten wohl reichlich gedeckt sind. Ferner ersuche ich Sie, dem Abtransport der Bilder keine Schwierigkeiten mehr entgegenzustellen.«69 »Dubiosa«
Kurator Poe von den Museen der Stadt Wien definierte in einer Gedächtnisnotiz vom 15. Februar 1960, was unter den sogenannten »Dubiosa« beziehungsweise »dubiosen Objekten« zu verstehen war. Es handelte sich dabei um vom Historischen Museum der Stadt Wien aufbewahrte Objekte, die aus der während des letzten Krieges zum Teil überhastet und planlos durchgeführten Bergungsaktion 66 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), K. 1947, Zl. 462/1947, MA 10, Franz Glück an Johanna Munsch, 4.1.1950. 67 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), K. 1947, Zl. 1354/1947, MA 10, Aktenvermerk Direktor Karl Wagner, 6.11.1947. 68 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), K. 1947, Zl. 1142/1947, MA 10, Karl Wagner an DI Paul Weeger, 7.11.1947. 69 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), K. 1947, Zl. 1142/1947, Paul Weeger an die Direktion der MA 10, 20.11.1947.
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Bergungen und Rückbergungen der Städtischen Sammlungen (Museen der Stadt Wien) 245
(Bergung von privatem Kunstbesitz) stammen und den ursprünglichen Besitzern nicht zurückgegeben werden konnten, weil diese nicht mehr feststellbar sind. Es mögen sich darunter auch Objekte befinden, die bei der Rückführung geborgener Kunstwerke nach Kriegsende zufällig aus irgendwelchen Bergungsorten mitgenommen worden sind. Schließlich ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass einzelne Objekte Eigentum des Museums sind, als solches aber mangels seinerzeitiger Inventarisierung nicht identifiziert werden können.70
Laut der Gedächtnisnotiz handelte es sich dabei um 683 Posten eines Verzeichnisses, welches sich heute nicht mehr in den Akten befindet. Die Objekte befanden sich aus Platzgründen in einem Depot in der Karajangasse. Nach einer Sichtung, die im Oktober 1959 durchgeführt worden war, wurde ein kleinerer Teil, nämlich fast ausschließlich Gemälde, katalogisiert, wobei »außer der normalen Beschreibung alle Merkmale festgehalten wurden, die auf frühere Besitzer hinweisen könnten«. Das in einem Heft geführte Verzeichnis enthält jedoch auch dezidierte Eigentümervermerke wie »aus dem Nachlass (Carl) Moll« oder »Nachlasswidmung Max Milenkovich-Morold«, aber auch »Sicherstellung von Kulturamt Dr. Jäger«.71 Davon wurde wieder ein geringer Teil, nämlich 25 Objekte, »bei den Durchsichten […] als geeignet befunden, den Sammlungen des Historischen Museums einverleibt zu werden«. Auch von diesen Objekten liegt ein Verzeichnis mit den dazugehörigen Inventarnummern vor.72 Nur einen Tag nach dem Verfassen der Gedächtnisnotiz, am 16. Februar 1960, wandte sich Direktor Franz Glück an Otto Demus, den Präsidenten des BDA, und übermittelte ihm eine Liste mit 125 Kunstgegenständen mit dem Ersuchen, »die darin enthaltenen Angaben mit den d[ort]a[mtlichen] Verlust- und Suchanzeigen zu vergleichen«. Glück teilte Demus auch seine Absicht mit, die 15 Jahre nach Kriegsende nicht abgeholten »Dubiosa« aus Platzgründen in einer öffentlichen Versteigerung im Dorotheum »abzustoßen«. Zuvor wolle er jedoch versuchen, »wenigstens in einzelnen Fällen den rechtmäßigen Eigentümer zu ermitteln«.73 Demus machte Glück in seinem Antwortschreiben vom 26. März 1960 auf einen Aktenbestand des Reichsstatt70 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. 128/60 »Dubiosa«, Gedächtnisnotiz Dr. Poe, 15.2.1960, S. 1. 71 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. 128/60 »Dubiosa«, Gedächtnisnotiz Dr. Poe, 15.2.1960, Anlage 2. 72 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. 128/60 »Dubiosa«, Gedächtnisnotiz Dr. Poe, 15.2.1960, Anlage 3, Verzeichnis der aus dem Bestand sogen. »Dubiosa« zwecks Inventarisierung ausgewählten Objekte. 73 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. 128/60 »Dubiosa«, Museen der Stadt Wien, Franz Glück, an das BDA, Otto Demus, 16.2.1960.
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246 Gerhard Milchram und Michael Wladika halters in Wien aufmerksam, der sich im Bundesministerium für Unterricht befand und der Anmeldungen von Verlustträger_innen beinhaltete. Er habe die Liste auch dorthin übermittelt, was sich aber später als ergebnislos erwies. Demus ersuchte Glück auch, mit einer Verwertung der Objekte zuzuwarten, bis die Nachforschungsarbeiten im BDA abgeschlossen seien.74 Nach Abschluss der Prüfung im Dezember 1960 übermittelte er ihm zum Abgleich zwei Verlustträgerlisten und teilte ihm über Weisung des Bundesministeriums für Unterricht mit, dass »gegen ihre Versteigerung aller Gegenstände unter weiterer Haftung der Stadt Wien […] keine von Dienststellen des Bundes wahrzunehmenden Bedenken bestehen«.75 In einigen wenigen Fällen waren die nochmaligen Ordnungsarbeiten in den Depots von Erfolg gekrönt, und Eigentümer_innen konnten zumeist durch Rückseitenvermerke an den Gemälden ausgeforscht werden. Sie wurden angeschrieben, ob sie das jeweilige Objekt beanspruchen würden. Glück vergaß auch hier nicht, als Ersatz für die Kosten auf Widmungen hinzuweisen.76 Der Großteil der Gegenstände wurde im Februar 1963 im Dorotheum versteigert, wobei für die Stadt Wien ein Nettoerlös von ATS 141.907,40 erzielt werden konnte,77 was nach heutigem Umrechnungskurs rund € 57.000,– entspricht. Vier Bilder, die im Dorotheum keine Käufer fanden, wurden im Oktober 1964 im Auktionshaus Karl & Faber in München versteigert.78 Unter den sogenannten »Dubiosa« fanden sich keine »arisierten« Objekte. Die Rückführungen an die Bezirksmuseen
Nach der Wiedererlangung der Selbstständigkeit der einzelnen Gemeinden bedurfte es zum Teil erst expliziter Anfragen mittels Suchlisten an die Museen der Stadt Wien, um eine Rückführung der Objekte auszulösen. Für die Gegenstände galt dasselbe wie für jene aus privaten Bergungen, wie das Beispiel Heimatmuseum Mödling zeigt, auf dessen Suchanfrage Direktor Glück im März 1956 folgendermaßen antwortete:
74 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. 128/60 »Dubiosa«, BDA, Otto Demus, an die Museen der Stadt Wien, Franz Glück, 26.3.1960. 75 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. 128/60 »Dubiosa«, BDA, Otto Demus, an die Museen der Stadt Wien, Franz Glück, 23.12.1960. 76 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. 128/60 »Dubiosa«, Museen der Stadt Wien, Franz Glück, an Anton Poschacher, 3.10.1961. 77 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. 128/60 »Dubiosa«, Dorotheum an die Museen der Stadt Wien, 22.5.1963. 78 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. 128/60 »Dubiosa«, Museen der Stadt Wien, Franz Glück, an das Kunst- und Literatur Antiquariat Karl & Faber, München, 18.11.1964.
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Leider muss ich sagen, dass der Erfolg meiner Nachforschungen sehr gering ist. Wir besitzen wirklich vermutlich gar nichts von dem, was Sie erwähnen und es muss eben hingenommen werden, dass diese Objekte in den Jahren 1944/45 zum Teil zerstört und zum Teil verschleppt wurden. Daran trägt ja das Museum der Stadt Wien keine Schuld, vor allem seine jetzige Leitung. Dass alles, was Sie hier erwähnen, nicht von der Stadt Wien im Jahre 1945 geborgen wurde, ist doch klar, sonst hätten Sie es schon zurück […].79
Trotzdem fanden sich immer wieder Restbestände bei »Ordnungsarbeiten« im Depot, wie im Jahr 1965 Beleuchtungskörper, die an das Heimatmuseum Mödling zurückgegeben werden konnten.80 Die Arbeit wurde sicherlich dadurch erschwert, dass es kein spezifiziertes Verzeichnis der rückgeführten Gegenstände gab. Dies sollte sich vor allem insofern als negativ herausstellen, als das Heimatmuseum Brunn am Gebirge seine Objekte zurückforderte, welche das Museum seinerzeit nach Mödling abgegeben hatte. Direktor Glück wies jedoch jegliche Schuld zurück: »Die Erstellung eines Verzeichnisses wäre Sache des Bezirksmuseumsvereines Mödling, und zwar nach abgeschlossener Durchsicht der seinerzeit übergebenen ungeordneten und zum Teil verwüsteten Bestände«.81 Ebenfalls nicht ganz friktionsfrei verliefen die Abmachungen zwischen den Museen der Stadt Wien und dem Heimatmuseum Mödling, für einzelne, in die Bestände passende Objekte gegenseitige Leihverträge abzuschließen.82 Einen Teil der Objekte übergaben die Museen der Stadt Wien an das Niederösterreichische Landesarchiv, wie beispielsweise die Objekte des Schwechater Schützenvereines im Jahre 1963. Ebenfalls erst 1964 wurden zwei Tischglocken aus dem 19. Jahrhundert in den Depots aufgefunden und an Perchtoldsdorf zurückgegeben.83 Epilog
Verwüstungen und Plünderungen durch Soldaten der Deutschen Wehrmacht sowie der Roten Armee als auch durch die Bevölkerung in den Bergungsorten waren gang 79 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), Zl. R 970/68, M. Heimatmuseum Mödling, Museen der Stadt Wien, Direktor Franz Glück, an den Bezirksmuseumsverein Mödling, Dr. Pamperl, 12.3.1956. 80 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), Zl. R 970/68, M. Heimatmuseum Mödling, Museen der Stadt Wien, Franz Glück, an den Museumsverein Mödling, 13.10.1965. 81 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), Zl. R 970/68, M. Heimatmuseum Mödling, Museen der Stadt Wien, Direktor Glück, an den Bürgermeister der Marktgemeinde Brunn am Gebirge, 12.3.1962. 82 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), Zl. R 970/68, M. Heimatmuseum Mödling, Museen der Stadt Wien, Direktor Glück, an den Bezirksmuseumsverein Mödling, 23.12.1968. 83 HECHT, Bergungen, o. J., S. 4.
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248 Gerhard Milchram und Michael Wladika und gäbe. Umgekehrt gab es beeindruckende Fälle von Ehrlichkeit, wie Wilhelm Deutschmann in seinem Aufsatz anführte: Ein Mann aus Oberternitz brachte 1956 ein dem Museum gehörendes Gemälde von Waldmüller in das Historische Museum der Stadt Wien und ließ sich nur den Preis der Bahnkarte ersetzen.84 Diese Fälle blieben aber rare Ausnahmen, so wie der Bürgermeister von Wimpassing im Juli 1949 einen Teller aus dem Brahms-Nachlass an die Museen der Stadt Wien mit der lapidaren Bemerkung schickte: »Mitfolgendes Museumsstück wurde hier gefunden und wird als dorthin gehörig übersendet.«85 Direktor Glück bedankte sich für das »kleine Objekt« und bemerkte dazu Folgendes: Wir möchten die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, auch Ihnen mitzuteilen, dass wir in Ihrer Gegend, vor allem in dem Bergungsort Schloss Stixenstein, einen erschreckend hohen Verlust von Gegenständen unseres Museums erlitten haben […]. Es b esteht der begründete Verdacht, dass zahlreiche solche Museumsgegenstände sich erkannt und unerkannt noch im weiten Umkreis des Bergungsortes befinden. Wenn Sie also auch künftig auf diesen Umstand bedacht sein wollen, werden Sie uns zu weiterem Dank verbinden.86
Von den ca. 73.000 Objekten wurden viele als »Kriegsverluste« aus den Inventar büchern der Städtischen Sammlungen ausgeschieden. Aufgrund der nie zusammengefassten verschiedenen Listen dieser Verluste ist es schwierig, eine Anzahl der tatsächlich verlorenen Objekte anzugeben. Nach der im Zuge dieses Aufsatzes durchgeführten Recherchen, die auf Basis der vorhandenen »Kriegsverlustlisten« durchgeführt wurden, fehlen rund 2.200 Objekte, dazu kommen etwa 1.600 Uhren und 980 Uhrwerke ohne Gehäuse aus der Uhrensammlung. 44 Objekte wären aufgrund von Rückstellungsverfahren zu restituieren gewesen. Bei einer 1951 durchgeführten Inventur waren aber weitaus mehr Objekte nicht an ihren Standorten aufzufinden. Die tatsächlichen Verluste müssen daher um einiges höher gewesen sein, sind aber derzeit nicht eindeutig als »Kriegsverlust« einzuordnen. Einer vorsichtigen Schätzung zufolge dürfte es sich dabei zusätzlich um 1.000 bis 1.500 Objekte handeln. Eine vertiefte weitere Aufarbeitung der Bergungsakten wäre daher wünschenswert.
84 DEUTSCHMANN 1987, S. 24. 85 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. Stixenstein, Gemeindeamt Wimpassing, Bürgermeister Karl Schwarz, an die Städtischen Sammlungen, 23.7.1949. 86 Museen der Stadt Wien (Städtische Sammlungen, MA 10), M. Stixenstein, Zl. 1200/49, Museen der Stadt Wien, Franz Glück, an den Bürgermeister der Gemeinde Wimpassing, Karl Schwarz, 29.7.1949.
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»Ein Bilderstapel lehnt auf dem anderen, eine Plastik drängt sich an der anderen.« Zu den Luftschutzmaßnahmen der Gemäldegalerie am Landesmuseum Joanneum Graz ab 1939*
Karin Leitner-Ruhe
Zu Personen und Struktur der Gemäldegalerie
Für die Organisation der Bergungen während des Zweiten Weltkrieges in der Abteilung Gemäldegalerie und Kupferstichkabinett war Karl Garzarolli-Thurnlackh die hauptverantwortliche Person. Ab 1939 waren Hans Riehl und ab 1941 Leo Bokh, beide Kunsthistoriker, seine Mitarbeiter und dementsprechend mit den Aufgaben der Bergungsmaßnahmen betraut. Bevor die sogenannte Landesbildergalerie, die im 19. Jahrhundert gegründete Gemälde- und Skulpturensammlung des Landesmuseums Joanneum, 1941 in Alte und Neue Galerie geteilt wurde, war Karl Garzarolli-Thurnlackh seit 1923 deren Leiter gewesen. Von März 1939 bis Ende Februar 1940 war er aus politischen Gründen suspendiert.1 Nach seiner Wiedereinstellung und der Teilung *
1
Der schriftliche Beitrag weicht insofern vom Vortrag beim Symposium im Herbst 2014 ab, als ich mich auf die Vorgänge in der Gemäldegalerie konzentriere. Sandra Brugger hat sich bei ihrer 2011 abgeschlossenen Dissertation in einem umfangreichen Kapitel den Luftschutzmaßnahmen der zahlreichen Abteilungen im Joanneum gewidmet; Sandra BRUGGER, Das steirische Landesmuseum Joanneum 1939–1945, unveröff. Diss. Graz 2011, S. 133–178. Sie zitiert hauptsächlich Archivalien aus dem Steiermärkischen Landesarchiv. In den einzelnen Museumsabteilungen im Universalmuseum Joanneum liegen weitere Akten aus dieser Zeit, die zum Großteil noch nicht ausgewertet wurden. – Allgemein zum Joanneum während der NS-Zeit siehe auch: Karin LEITNER-RUHE, Gudrun DANZER, Monika BINDER-KRIEGLSTEIN (Hg.), Restitutionsbericht 1999–2010, Universalmuseum Joanneum Graz, Graz 2010. StLA, Neuaktenabteilung, L. Reg. 370 G 18/1942, Personalakt Garzarolli-Thurnlackh, Zl. 164 ex 1939: Der Sekretär Wilfried Teppner meldete am 28. März 1939 der Abteilung II der Landeshauptmannschaft Steiermark, »dass Reg. Rat Dr. Garzarolli [...] aus dem Dienste entlassen wurde. […] Die Entlassung erfolgte auf Grund des § 4, Abs. 1, der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938, RGBl I S 607. Gleichzeitig melde ich, dass ich die Leitung der Landesgemäldegalerie und des Kupferstichkabinettes bis zu einer allfälligen Neubesetzung übernommen habe.« – Genauere Angaben zu Garzarolli-Thurnlackhs Amtsenthebung und aus der Zeit des Nationalsozialismus können nicht gemacht werden, da laut einem eingelegten Zettel im Personalakt Garzarolli-Thurnlackhs »der Vorakt wie alle übrigen Personal- und Beiakten am 4. oder 5. April 1945 über Auftrag des damaligen Reichsstatthalters verbrannt wurden.« StLA, Neuaktenabteilung L.Reg. 371/I/P1/1947, Abschrift einer Zeugenaussage von Karl Garzarolli-Thurnlakh, von der Rechtsanwaltskanzlei Heinrich Mitter, Graz, an
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250 Karin Leitner-Ruhe der Landesbildergalerie leitete er die Alte Galerie, 1945/46 auch die Kulturhistorische Sammlung. 1946 ging er nach Wien und übernahm dort kurzzeitig die Leitung der Albertina sowie ein Jahr später jene der Österreichischen Galerie Belvedere.2 Vor und während des Nationalsozialismus war er auch als gerichtlich beeideter Sachverständiger für allgemeine Kunst in Graz eingetragen.3 Leo Bokh war seit August 1941 Mitarbeiter Garzarolli-Thurnlackhs an der Landesbildergalerie. Seine politische Einstellung wandelte sich je nach politischem System. So äußerte er sich vor 1938 durchaus negativ über den Nationalsozialismus, änderte seine Einstellung jedoch mit dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich, vermutlich, um die Chancen auf ein Arbeitsverhältnis zu erhöhen – was letztendlich auch gelang. Sein kunsthistorischer Schwerpunkt lag auf der Barockgalerie. Am 1. März 1946 folgte er Garzarolli-Thurnlackh als Leiter der Alten Galerie und blieb bis 1956 in dieser Funktion. Nach 1945 war er hauptsächlich mit den Rückstellungen arisierter Kunst- und Kulturgüter betraut. 1956 wurde er nach einem zweiten Disziplinarverfahren – vermutlich wegen Manipulation des Inventars – vom Dienst suspendiert, seine Bezüge wurden verringert und er wurde sechs Jahre später in den Ruhestand versetzt.4 Hans Riehl wurde am 20. Mai 1939 als wissenschaftlicher Assistent in der Landesbildergalerie angestellt. Er hatte die Trennung dieser Abteilung in eine Alte und eine Neue Galerie forciert, übernahm ab 1941 die Leitung der Neuen Galerie und bekleidete das Amt bis zu seiner Pensionierung Ende 1956. Hans Riehl war – wie seine Frau Hanna Riehl – NSDAP-Mitglied, wurde aber nach 1945 als Minderbelasteter das Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Abt. 6, am 15. Februar 1951 übermittelt: »Ich war von Ende März 1939 bis Anfang März 194[0] nach § 4 Abs 1 des Beamtenbereinigungsgesetzes fristlos aus dem Dienst entlassen gewesen, da man mir zum Vorwurf machte, aus Anlass der Beschlagnahme des Admonter Gutsbesitzes nicht [sic] dem Abte gegen den Staat kosperiert [sic] zu haben. Ich habe damals mit dem Landeskonservator lediglich ein Protokoll über die Unzukömmlichkeit, die ich in Admont von Seiten der NS Verwaltung vorfand, abgefasst und eine Abschrift dieses Protokolles gleichfalls mit Zustimmung des Landeskonservators dem Abt übergeben, damit er sich und sein Kloster vor weiterer Schädigung durch Einspruch gegen diese Zustände bewahren könne. Das wurde mir als Staatsverrat ausgelegt.« 2 Walter HÖFLECHNER, Die Kunstgeschichte an der Universität Graz, in: Walter HÖFLECHNER, Götz POCHAT (Hg.), 100 Jahre Kunstgeschichte an der Universität Graz (= Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz 26), Graz 1992, S. 137–138; Kurt WOISETSCHLÄGER, Karl GarzarolliThurnlackh zum Gedenken, in: Jahresbericht 1993, Steiermärkisches Landesmuseum Joanneum NF 23 (1994), S. 125–130. 3 Vgl. StLA, Adressenbuch der Landeshauptstadt Graz 1936 (S. 570), 1937 (S. 668), 1938 (S. 663) und 1943/44 (S. 564). 4 StLA, L. Reg., Personalstandesblatt, 2. Ablf., Leo Bokh. Genaueres zu seiner Person bei: Herbert LIPSKY, Kunst einer dunklen Zeit. Die bildende Kunst in der Steiermark zur Zeit des Nationalsozialismus. Ein Handbuch, Graz 2010, S. 103–105.
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Zu den Luftschutzmaßnahmen der Gemäldegalerie am Landesmuseum Joanneum Graz ab 1939 251
eingestuft. Er agierte ganz im Sinne der nationalsozialistischen Kulturpolitik und war während der NS-Zeit mit den Aufgaben eines Museumspflegers betraut.5 Den Abteilungen direkt vorgesetzt war die Direktion des Landesmuseums Joanneum. Diese Stelle war von 1938 bis 1945 mit Wilfried Teppner besetzt, der seit 1932 Leiter der Abteilung für Bergbau, Geologie und Technik am Joanneum war.6 Der Direktor spielte jedoch keine wichtige Rolle. Er agierte vielfach als Informationsvermittler zwischen den ihm unterstellten Abteilungsleitern und der ihm übergeordneten Stelle der Reichsstatthalterei und hat bis auf wenige Ausnahmen keine Entscheidungen getroffen. So umging gerade Karl Garzarolli-Thurnlackh oft den Dienstweg und wandte sich mit seiner Korrespondenz direkt an die nächsthöhere Stelle, die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei. Diese gehörte zur Abteilung II der Zentralen Verwaltung der Staatlichen Verwaltung des Reichsgaues Steiermark mit den Bereichen Erziehung, Volksbildung, Kultur- und Gemeinschaftspflege unter der Führung von Josef Papesch.7 Die Unterabteilung II d war zuständig für die Kultur- und Gemeinschafts pflege, betreute damit das sogenannte niedere Schulwesen, Musikschulen, Theater, Kino, das Landesmuseum, Kunst und Künstler, den Denkmal- und Naturschutz und vieles mehr; sie wurde von Kurt Pokorny geleitet. Erlässe und Richtlinien von Seiten der Reichsstatthalterei
Die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei war die hauptverantwortliche Stelle für die Luftschutzmaßnahmen. Sie übermittelte die Vorgaben der Reichsstatthalterei an das Museum. An die Unterabteilung II d erfolgten viele Meldungen teils direkt vom Abteilungsleiter, wie zahlreiche Briefe von Karl Garzarolli-Thurnlackh an Kurt Pokorny zeigen, teils von der Museumsdirektion. Anlässlich zahlreicher Bombenschäden an Kulturgütern durch Fliegerangriffe auf deutsche Städte erreichte die Gauleiter beziehungsweise Reichsstatthalter im Mai 1942 ein Rundschreiben der Reichskanzlei, mit dem sie aufgefordert wurden, »sämtliche Kulturwerke ihrer Gaue bomben- und brandsicher« unterzubringen. Der »Führer« er-
5
StLA, L.Reg. Personalstandesblatt, 2. Ablf., Dr. Dr. Hans Riehl. Eine ausführliche Darstellung der Person Hans Riehl siehe bei: LIPSKY 2010, S. 95–99. 6 Vgl. LIPSKY 2010, S. 102–103. 7 Vgl. LIPSKY 2010, S. 85–91. Neben seiner Ernennung zum Regierungsdirektor 1940 war Papesch Präsident des Musikvereins, Obmann des Heimatschutzverbandes, Mitglied des Theaterbeirats, Leiter des Kulturamtes der Stadt Graz und Präsident des Pressevereins. Er spielte eine wesentliche Rolle im Kulturleben der Steiermark während der NS-Zeit und wehrte sich immer wieder gegen Einflussnahmen aus Wien und Berlin.
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252 Karin Leitner-Ruhe klärte die Gauleiter als für die notwendigen Maßnahmen voll verantwortlich.8 Diese hatten regelmäßig über die Maßnahmen und die örtliche Entwicklung zu berichten. So erging nach Rücksprache mit Museumsdirektor Teppner eine erste Stellungnahme Papeschs an den steirischen Gauleiter und Reichsstatthalter Siegfried Uiberreither am 8. Mai 1942.9 Darin berichtete er, dass »die wertvollen Handschriften, Inkunabeln, Wiegendrucke, Bilder, Stiche usw. schon seit längerer Zeit aus Graz weggebracht sind«. Der Direktor des Museums habe beschlossen, nur übergroße und ersetzbare natur wissenschaftliche Objekte im Haus zu belassen.10 Für die verschiedenen Luftschutzmaßnahmen wurde im Haushaltsplan ein eigener Kredit eingerichtet. Darüber wurden Transporte, Überstundenentlohnungen, Verpflegung, Materialien wie Schwarzpapier etc. sowie Ausgaben für Fotografien abgerechnet, wobei die Rechnungen direkt von Garzarolli-Thurnlackh oder Teppner an die Unterabteilung II d weitergeleitet wurden.11 Regelmäßig wurden Berichte über Depotbereisungen an Pokorny geschickt, auch hier in Umgehung des Dienstweges vom Abteilungsleiter direkt an die Kulturabteilung. Dabei hielt Garzarolli-Thurnlackh unter anderem eine »durchschnittlich schwere Ermüdung der Oberflächen durch unausgesetzte Bewegung, sei es am Transport, sei es durch die Angewöhnungsnotwendigkeit an die neue Umgebung« fest. Der Bestand leide trotz allergrößter Umsicht, und es sei eine »eingehende, anhaltende Pflege« vor Ort notwendig.12 Im November 1942 erteilte Garzarolli-Thurnlackh – laut seiner Formulierung – im Sinne des »Führererlasses« den Auftrag, alle in den luftschutzsicheren Depots außerhalb von Graz deponierten Bilder und Plastiken (insgesamt 850 Objekte), beginnend mit den rund 200 geplanten Reproduktionen im Bergungsort Gutenberg bei Weiz, abzulichten.13 Für die Aufnahmen im Bergungsort Aflenz wurde der Fotograf A lexander 8 9
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StLA, Joanneum, Landesmuseum, K. 53, H. 225, Luftschutzmaßnahmen, Anhang zu Zl. 42/10-42. Zu seiner Person vgl. Martin MOLL, NS-Eliten in der Steiermark und steirische NS-Eliten, in: Heimo HALBRAINER, Gerald LAMPRECHT, Ursula MINDLER (Hg.), NS-Herrschaft in der Steiermark. Positionen und Diskurse, Wien-Köln-Weimar 2012, S. 89–115. – Uiberreither wird als sehr selbstbewusste und streitbare Person mit einem notorischen Anti-Wien-Komplex beschrieben. StLA, Joanneum, Landesmuseum, K. 53, H. 225, Luftschutzmaßnahmen, Zl. 42/10-42 sowie Zl. 42/642 bzw. Zl. II Präs 10/222-42. Zum Beispiel: Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A 254/43, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei, 15.9.1943. Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1944, Zl. A 186/44, Bericht über Depotbereisungen, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei, 12.6.1944. Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1942, Zl. A. 289/1942, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Lichtbildstelle Alpenland, 11.11.1942. Zusätzlich Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A 104/1943, Fotorechnung, Zl. A 105/1943, Aufnahmen im Depot Gutenberg sowie Zl. A 155/1943,
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Abbildung 1: Fotobox Aflenz
Abbildung 2: Alte Inventarkarte zur heutigen Inv.-Nr. 467 mit der Standorteintragung links Aflenz
Stern der Lichtbildstelle der Reichsstatthalterei der Steiermark engagiert.14 In der Alten Galerie befindet sich bis heute eine schwarze Box mit der Aufschrift »Aflenz« (Abbildung 1). Darin lagern 155 Kuverts, die Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Objekte enthalten und nur geringfügig beschriftet sind. Erst über das sogenannte Alte Inventar Durchfotografieren Aflenz. Garzarolli-Thurnlackh scheint hier eigenmächtig einen Auftrag formuliert zu haben, um die Objekte zu dokumentieren. 14 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A 250/43, Karl Garzarolli-Thurnlackh an Alexander Stern, 15.9.1943.
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254 Karin Leitner-Ruhe (Abbildung 2) erhält man Hinweise, um welche Objekte es sich genau handelt und welcher Provenienz sie sind.15 Die Abteilungsvorstände waren vom Reichsstatthalter der Steiermark im Juli 1943 aufgefordert worden, über die geborgenen Gegenstände Verzeichnisse zu führen. Sollten die Auflistungen der Einzelobjekte aufgrund der zu großen Anzahl nicht möglich sein, stand es ihnen frei, eine summarische Aufstellung in vierfacher Ausfertigung zu erstellen, wobei »je ein Exemplar bei den geborgenen Gegenständen, bei der Museumsabteilung, bei der Direktion des Joanneums und in der Abteilung II d zu deponieren« war.16 Garzarolli-Thurnlackh sandte am 22. Jänner 1944 an die Verwalter beziehungsweise Eigentümer der Depots in Wildalpen, in der Propstei Zeiring, in Gutenberg und Aflenz die Verzeichnisse der jeweils untergebrachten Objekte.17 Die in der Abteilung gesammelten Verzeichnisse liegen heute noch in einem eigenen Akt »Depotverzeichnisse – Luftschutzdepots« (Abbildung 3) mit insgesamt 39 Seiten mit Listen im Archiv der Alten Galerie. Mit fortschreitendem Kriegsverlauf suchten neben den Museumsabteilungen weitere Institutionen Quartiere außerhalb der Gefahrenzone, was allerdings auch zu Konflikten mit den Aufsichtspersonen an den Bergungsorten führen konnte, wie im Folgenden auszuführen sein wird. So erhielten im Auftrag der Reichsstatthalterei Anfang 1944 alle Vermieter von Depoträumen vom Landrat18 ihres Kreises einen Bescheid, der sich auf das Reichsleistungsgesetz vom 1. September 1939 (RGBl. I S. 1645) bezog und die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten zur Unterbringung von Bergungsgut des Landesmuseums 15 Der Großteil der in der Box abgelichteten Werke befindet sich heute noch in der Alten Galerie und ist Teil der Dauerausstellung, was für die Qualität der Objekte spricht. Die mit »A« und »L« bezeichneten Kuverts zeigen Objekte aus dem beschlagnahmten kirchlichen Besitz von Stift Admont und Stift St. Lambrecht. Die Umschläge sind in der Nachkriegszeit bearbeitet, neu gereiht und zum Großteil entfernt worden. Die Fotos sind laut Stempel auf der Rückseite durchgehend von Alexander Stern angefertigt worden und mit einer Negativnummer versehen. 16 StLA, Joanneum, Landesmuseum, K. 53, H. 225, Luftschutzmaßnahmen, Zl. IId-371/I L 1/142, Der Reichsstatthalter der Steiermark an die Direktion des Joanneums, 20.7.1943. 17 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1944, Zl. A 31/44 (Wildalpen), Zl. A 32/44 (Propstei Zeiring), Zl. A 33/44 (Gutenberg) und A 34/44 (Aflenz). – Die heute noch in der Alten Galerie vorhandenen Verzeichnisse geben einerseits Aufschluss über die zahlenmäßige Verbringung, andererseits über Zuordnungen zu Privateigentum oder Galeriebesitz. Bei Letzterem werden die Inventarnummern verwendet, ohne die Herkunft, wie etwa Stift Admont, zu erwähnen. Die Listen sind geordnet nach Aflenz (327 Gemälde, 97 Skulpturen), Gutenberg (136 Gemälde, 56 Skulpturen), Wildalpen (86 Gemälde, 30 Skulpturen), Zeiring (163 Gemälde, 36 Skulpturen), Schloss Pux (2 Skulpturen) und Eggersdorf (3 Skulpturen). 18 Die Landräte waren laut Organisationsplan im Rahmen der Kulturpflege in ihrem Landkreis für die Luftschutzangelegenheiten zuständig. StLA, Joanneum, Landesmuseum, K. 52, H. 218, Umläufe, Erlässe etc., Zl. 32/63-43 bzw. (CdZ) Ia – 60 L 17/65 – 1943, Der Reichsstatthalter an die Landratsämter, 23.7.1943.
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Abbildung 3: Archiv Alte Galerie, Akte Depotverzeichnisse – Luftschutzdepots
auf unbestimmte Zeit beinhaltete. Damit waren die betreffenden Räume vor dem Zugriff anderer Stellen gesichert.19 Ein Mietzins konnte vereinbart werden. Sollte eine Einigung nicht erreicht werden, behielt sich der jeweilige Landrat die Entscheidung vor. Die nach den Richtlinien verfassten Mietverträge mussten dem Leiter der Unterabteilung II d, Kurt Pokorny, vorgelegt werden. Neben den Objekten galt es aber auch die Inventare mit den wichtigen Daten zu den Objekten zu sichern. So suchte Georg Wolfbauer, Leiter der Kulturhistorischen Sammlung, für die Deponierung derselben um neun Eisenkassen an, die sich im Landhaus befanden und nicht verwendet wurden.20 Auch die Akten mussten aus Graz weggebracht werden. Bei der Übersiedelung der Werke aus dem Vorschloss Gutenberg in 19 Archiv Alte Galerie, Graz, Posteingang 1944, Zl. 1 Z 1/1-1944: Als Beispiel dient hier der Bescheid, ausgestellt vom Landrat des Kreises Judenburg an Therese Wahl (Propstei Zeiring), den Bürgermeister in St. Oswald, an die Reichsstatthalterei in der Steiermark sowie abschriftlich an Karl Garzarolli-Thurnlackh, 29.1.1944. Vgl. Archiv Alte Galerie, Graz, Posteingang 1943, Zl. II d-371/I L 1/272-1944, Der Leiter der Unterabteilung II d, Kurt Pokorny, an den Direktor des Landesmuseums Joanneum, 31.1.1944. 20 StLA, L. Reg. 373-Ku-89/1941, Georg Wolfbauer an den Gaukämmerer Pagl, 19.2.1941.
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256 Karin Leitner-Ruhe die Propstei Zeiring konnte Garzarolli-Thurnlackh nicht auf die seinerzeit angelegten Dokumente zurückgreifen, da sämtliche Akten bis inklusive 1942 auftragsgemäß in das Hauptschloss Gutenberg verbracht worden waren.21 Die Anordnungen für Auslagerungen gingen bis zu den »nicht ständig voll ausgenützten« Schreibmaschinen, die »samt Schutzhaube, Kasten und dem dazugehörigen Schreibmaschinenbuch an das Hauptbüro mit Verzeichnis abgeliefert« werden mussten.22 Erste Auslagerungen der Gemäldegalerie aufgrund von Platzmangel
Im Joanneum machte die Abteilung Gemäldegalerie und Kupferstichkabinett den Anfang der Auslagerungen, die vor allem durch die Übernahme von Kunstgütern aus Stift St. Lambrecht und dem Schloss Röthelstein bei Admont 1938 notwendig geworden waren. Die räumlichen Kapazitäten des Museumsgebäudes in der Grazer Neutorgasse waren erschöpft. Abteilungsleiter Garzarolli-Thurnlackh beschrieb die Situation im Oktober 1938 ziemlich drastisch: »Meine Depots sind seit Einbringung der St. Lambrechter Kunstgüter derartig überfüllt, dass ich nicht in der Lage bin noch weitere Auffüllungen vorzunehmen. Es ist weder die Möglichkeit eines Überblickes der Depots heute gegeben noch auch für die gesundheitliche Obsorge der Objekte der entsprechende Raum vorhanden. Ein Bilderstapel lehnt auf dem anderen, eine Plastik drängt sich an der anderen.«23 Daher ersuchte er um die Zuweisung eines Saales für eine trockene und sichere Verwahrung der Kunstwerke. Da ein Vorschlag der Direktion Garzarolli-Thurnlackh nicht zusagte, schlug er am 1. Dezember 1938 der Direktion des Landesmuseums Joanneum das Refektorium im Dominikanerkloster in Graz vor.24 In den Abrechnungslisten aus den Jahren 1939 und 1940 ist eine monatliche Miete für das Dominikanerdepot mit je 50 Reichsmark angeführt.25 Auf denselben Listen 21 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A 286/43, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unter abteilung II d der Reichsstatthalterei, 30.10.1943. 22 StLA, Joanneum, Landesmuseum, K. 53, H. 225, Zl. 42/13-43, Reichsstatthalter der Steiermark an die Direktion des Joanneums, 6.9.1943. 23 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1938, o. Zl., Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Abteilung 11 in Graz, 4.10.1938. 24 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1938, o. Zl., Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 1.12.1938. 25 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1940, o. Zl., Abrechnung Gemäldegalerie – Kupferstichkabinett vom 16.5.1939 bis zum 12.10.1940, am 16.10.1940 von Garzarolli-Thurnlackh unterzeichnet. – Die Räumung des Refektoriums wurde im November 1941 veranlasst, da die Geschäftsstelle für Schülerheime des Reichsgaues Steiermark die Räume beanspruchte. Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1941, Zl. A. 212/41, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 5.11.1941.
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sind Mietzinszahlungen für ein Depot bei den Franziskanern (Oktober 1939 bis März 1940) und für das Luftschutzdepot in Stift Rein (ab dem 21. Februar 1940) notiert.26 Laut Brugger wurden 1938 außerdem ein Zimmer im dritten Stock und der Dachboden des Landhauses in der Herrengasse, also mitten in der Grazer Innenstadt, genutzt.27 Bei diesen Deponierungen handelte es sich rein um Auslagerungen aufgrund des Platzmangels, der durch die infolge der politischen Veränderungen hervorgerufenen Auflösungen der Stifte und Klöster bedingt war, und noch nicht um Luftschutzverlagerungen. Im Jänner 1940 schloss die Abteilung einen Mietvertrag mit Julius Schütz, dem Leiter der Steiermärkischen Landesbibliothek, ab. Dieser stellte zwei Räume seiner Privatwohnung im ersten Stock des Hauses Brunngasse 10 gegen eine monatliche Zahlung von zehn Reichsmark zur Verfügung.28 Zwei Monate später wandte sich Garzarolli-Thurnlackh an den Landeskonservator der Steiermark mit der Bitte, »im Falle einer späteren möglichen Wohnungsanforderung« diese Räume unter Denkmalschutz zu stellen.29 Diesen Wunsch wiederholte er am 2. Juli 1940, als er dem Landesdenkmalamt in Graz mitteilte, dass »in diesem Raume in den letzten Tagen 34 historische steirische Bildnisse (Gips und Terrakottabüsten) auch größeren Umfanges untergebracht« worden seien.30 Bergungsorte für Objekte der Gemäldegalerie Stift Rein
Nach einem nicht erhaltenen Auftrag der Direktion vom 21. Mai 1940 berichtete Garzarolli-Thurnlackh, dass er aus Luftschutzsicherungsgründen bereits in den ersten Septembertagen 1939 eine Reihe der kostbarsten Objekte der Gemäldegalerie in die alte Sakristei des Zisterzienserstiftes Rein in der Umgebung von Graz verbringen hatte lassen. Es stellte sich jedoch heraus, dass dieser Raum mit Feuchtigkeit und Sonneneinwirkung keine guten Bedingungen vor allem für die frühesten Kunstwerke, wohl aus dem Mittelalter, erfüllte. Daher »übernahm Landesrestaurator Prof. Richter die erkrankten Objekte und wurden die übrigen in einen im 1. Stock des Nordtraktes von 26 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1940, o. Zl., Abrechnung Gemäldegalerie – Kupferstichkabinett vom 16.5.1939 bis zum 12.10.1940, am 16.10.1940 von Garzarolli-Thurnlackh unterzeichnet. 27 Vgl. BRUGGER 2011, S. 153. 28 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1940, Zl. A-8, a/1940, Gedächtnisprotokoll und Mietvertrag, 15.1.1940. 29 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1940, Zl. A. 37/1940, Karl Garzarolli-Thurnlackh an den Landeskonservator der Steiermark in Graz, 15.3.1940. 30 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1940, Zl. A. 124/1940, Karl Garzarolli-Thurnlackh an das Landesdenkmalamt in Graz, 2.7.1940.
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258 Karin Leitner-Ruhe Stift Rein befindlichen, gesünderen Raum übertragen«.31 Garzarolli-Thurnlackh legte dem Schreiben eine heute nicht mehr vorhandene Liste von zwölf Objekten bei. Zwei der darin erwähnten Werke waren im März 1940 wieder ins Joanneum nach Graz zurück übernommen worden, »da ihnen der harte Winter Frostschäden zugefügt hatte. Somit befinden sich noch zehn hochwertige Kunstwerke in Rein deponiert.«32 Nach weiteren Beschwerden Garzarolli-Thurnlackhs dauerte es fast noch ein Jahr, bis diese zehn Werke, darunter die Admonter Madonna, das Reichenecker Epitaph oder die Rottaltafel, von Rein nach Schloss Gutenberg bei Weiz überstellt wurden.33 Schloss Gutenberg bei Weiz
Möglicherweise um die eher zögerlichen Entscheidungen über Bergungsorte von Seiten der Direktion voranzutreiben, brachte Garzarolli-Thurnlackh von sich aus eine Liste von acht Luftschutzdepots zum Vorschlag und betonte dabei, dass er diese nach sorgsamem Kartenstudium ausgewählt habe und sie außerhalb jeder Gefahrenzone für Luftangriffe liegen würden.34 Garzarolli-Thurnlackh besichtigte daraufhin einen Teil dieser vorgeschlagenen Gebäude. Am 20. Dezember 1940 berichtete er der Direktion über Schloss Gutenberg bei Weiz, dessen Räume wären durchaus als Depots geeignet. Bedenken meldete er nur im Falle eines Dachstuhlbrandes an.35 1941 kam es nach dem Auftrag des »Führers« zu umfangreichen Bergungsmaßnahmen. So erhielt Garzarolli-Thurnlackh am 7. April 1941 durch den Reichsstatthalter der Steiermark den Auftrag, »in Durchführung der vom Führer befohlenen Bergungsaktion zur Sicherung von Kunstschätzen gegen Luftangriffe […] die noch im Joanneum und im Stifte Rein befindlichen kostbaren Kunstwerke mittels Kraftwagen in 31 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1940, Zl. A. 100/1940, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 27.5.1940. 32 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1940, Zl. A. 100/1940, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 27.5.1940. 33 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1941, Zl. A 89/41, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 12.4.1941, mit der Mitteilung, dass das Reiner Depot mit 10. April 1941 aufgelöst wurde. 34 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1940, Zl. A. 117/1940, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum Graz, 17.6.1940. Garzarolli-Thurnlackh bringt folgende Orte in Vorschlag: 1. Schloss Buchau (zwischen Admont und St. Gallen), 2. Pusterwald (bei Oberzeiring bzw. St. Oswald), 3. St. Johann am Tauern, 4. Maria Zell, 5. Anger, 6. Pischelsdorf (beide bei Weiz), 7. Preding und 8. Gams (beide bei Stainz). 35 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1940, Zl. A. 228/1940, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum in Graz, 20.12.1940. Garzarolli-Thurnlackh wies noch darauf hin, dass der Verwalter Ing. Dolleschal einen Mietvertrag mit einer monatlichen Zahlung von 50 Reichsmark verlange. Der Vertrag solle auch gleich die Räumung des Objektes zwei Monate nach Kriegsende enthalten.
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Zu den Luftschutzmaßnahmen der Gemäldegalerie am Landesmuseum Joanneum Graz ab 1939 259
die Jagdschlösser des Reichsgaues Steiermark in Gstatterboden (Ennstal) und auf der Buchau (bei St. Gallen) zu schaffen«.36 Am 25. Juni 1941 teilte Garzarolli-Thurnlackh der Unterabteilung II d mit, dass nur mehr eine kleine Anzahl von Bildern in den Schauräumen ausgestellt, die Depots im Haupthaus aber noch relativ gefüllt seien.37 Hinzu kam, dass in diesem Jahr die Gemäldegalerie in eine Alte Galerie und eine Neue Galerie geteilt wurde. Das hieß wiederum, dass die Bestände ab 1800 separiert von denjenigen vor 1800 zu lagern waren. Garzarolli-Thurnlackh, der sich seit dem Vorjahr für das Thema der Luftschutzverbringungen vehement eingesetzt hatte, ersuchte am 24. Jänner 1941 die Direktion des Landesmuseums dringlich, »die Durchführung des anbefohlenen Abtransportes der mittelalterlichen Bildbestände der Landesgemäldegalerie zu beschleunigen. Ich sehe trotz meiner seit Mai ununterbrochenen Bemühungen und wiederholten Urgenzen kaum mehr die Möglichkeit im Zeitraume von 14 Tagen eine so kostbare Sammlung wie die mir unterstellte richtig zu verpacken und zu verbringen und bitte nunmehr keine weitere Zeitverzögerung eintreten zu lassen.«38 Er übernehme sonst nicht mehr die Verantwortung für die Sammlung. Drei Tage später erfolgte die Meldung, dass Garzarolli-Thurnlackh dem Auftrag der Reichsstatthalterei insofern zu entsprechen in der Lage sei, als er am Vortag die mittelalterlichen Tafelbilder nach Schloss Gutenberg bei Weiz transportiert und untergebracht habe. Der Transport sei ohne Schädigung der Objekte erfolgt. Außerdem habe er die Fenster der Depots mit schwarzem Papier verkleiden und Mausefallen aufstellen lassen. Dem Schreiben wurde eine Liste von 50 Positionen mittelalterlicher Holztafeln beigelegt, darunter Werke von Michael Pacher, dem Meister von Uttenheim und das Parisurteil Lukas Cranachs d. Ä.39 Der zweite Transport nach Gutenberg bei Weiz erfolgte am 18. März 1941. Darunter befanden sich Werke wie das Totenbildnis Maximilians, die beiden Holztafeln der Brüder Brueghel, Werke von Dosso Dossi, Bartholomäus Spranger und Giuseppe Arcimboldo.40 36 Archiv Alte Galerie, Graz, Posteingang 1941, Zl. II d – 371/I L 1/2-1941, Der Reichsstatthalter in der Steiermark an Karl Garzarolli-Thurnlackh, 7.4.1941. 37 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1941, Zl. A. 143/1941, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei in Graz in Bezug auf die Inbetriebnahme der Ventilationsanlage, 25.6.1941. 38 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1941, Zl. A. 14/1941, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktiondes Landesmuseums Joanneum, 24.1.1941. 39 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1941, Zl. A. 47/41, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 27.1.1941. 40 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1941, Zl. A. 68/41, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 19.3.1941.
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260 Karin Leitner-Ruhe Forsthaus Gstatterboden
Nachdem das Depot in Gutenberg damit beinahe voll war, fragte Garzarolli-Thurnlackh in Admont nach. Der dortige Forstmeister Franz Himmelstoß schlug von sich aus das »gaueigene Forsthaus Gstatterboden in der Gesäusestrasse« vor. GarzarolliThurnlackh schien davon aber nicht überzeugt zu sein. Er machte auf eine erhöhte Brandgefahr aufmerksam, da sich das Gebäude in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof und einem Sägewerk befand. Himmelstoß hatte ihn auch darauf hingewiesen, dass die Fenster unvergittert seien, was den Leiter der Bildergalerie jedoch nicht störte, da dort vor allem große Barockbilder lagern sollten. »Im Zusammenhange mit der Kriegserklärung Jugoslaviens«41 war offensichtlich Eile geboten. Garzarolli-Thurnlackh bat nämlich die Unterabteilung II d um den Auftrag für die Durchführung des Abtransportes der Bildbestände. Sollte sich das Gebäude in Gstatterboden als nicht geeignet erweisen, könne man später immer noch in das Jagdschloss Buchau übersiedeln.42 Am 7. und 8. April 1941 erfolgte der dritte Transport der Bildergalerie, diesmal ins Forsthaus Gstatterboden. Garzarolli-Thurnlackh konnte dabei erstmals die Räumlichkeiten sehen und teilte der Direktion des Joanneums mit, dass es sich dabei in keiner Weise um eine befriedigende Unterkunftsmöglichkeit handeln würde, »weil die durch den letzten nassen Schneefall eingetretene Luftfeuchtigkeit vorderhand nicht zu beseitigen ist«. Die Forstbeamten von Admont erklärten sich jedoch dazu bereit, regelmäßig nach den Bildern zu sehen und die Räume zu lüften. Der Meldung ist eine Liste von 91 Objekten beigefügt, die mittelalterliche sowie barocke Werke aufweist.43 Die Befürchtungen Garzarolli-Thurnlackhs wurden nicht entkräftet, sodass ein Umzug aus Gstatterboden unerlässlich war. Im September 1942 suchte er um Benzin zuweisung an, um die Objekte von Gstatterboden nach Wildalpen bringen zu lassen. Die schwankenden Feuchtigkeitsverhältnisse und örtliche Umstände ließen »ein Verbleiben der überaus kostbaren Museumsbestände nicht ratsam erscheinen«.44 Einen Monat später musste Garzarolli-Thurnlackh zudem erfahren, dass rund um die Depoträume Forstleute einquartiert worden waren, was sowohl konservatorisch als auch sicherheits41 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1942, Zl. A. 235/42, Karl Garzarolli-Thurnlackh an den Reichsstatthalter in Salzburg, Landeswirtschaftsamt, 11.9.1942. 42 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1941, Zl. A. 78/1941, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei in Graz, 1.4.1941. 43 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1941, Zl. 86/41 A, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 11.4.1941. 44 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1942, Zl. A. 235/1942, Karl Garzarolli-Thurnlackh an den Reichsstatthalter in Salzburg, Landeswirtschaftsamt, 11.9.1942.
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Zu den Luftschutzmaßnahmen der Gemäldegalerie am Landesmuseum Joanneum Graz ab 1939 261
technisch problematisch war. Er ersuchte am 24. Oktober 1942 die Unterabteilung II d, das Obergeschoss des Forsthauses Gstatterboden von Wohnparteien räumen zu lassen. 45 Dramatisch liest sich der Versuch, die Objekte am 20. Dezember 1942 von Gstatter boden nach Wildalpen zu transportieren. Aufgrund des Schnees und der Vereisung auf einer Strecke mit 22 Prozent Gefälle musste der Transport trotz des Einsatzes von Schneeketten abgebrochen werden, und die Werke kamen zurück nach Gstatterboden.46 Anfang April 1943 teilte Franz Himmelstoß Garzarolli-Thurnlackh mit, dass nun der Buchauersattel wieder befahrbar sei, und bat um die Übersiedelung der Objekte aus Gstatterboden. »Damit fällt Ihnen und mir ein Stein vom Herzen.«47 Die tatsächliche Übersiedelung nach Wildalpen fand allerdings erst vom 3. bis zum 9. Juni 1943 statt (s. u.).48 Propstei Aflenz
Fieberhaft wurde weiterhin nach Depotmöglichkeiten gesucht. Garzarolli-Thurnlackh berichtete am 29. April 1942 an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, dass er bei verschiedenen Schlosseigentümern telefonisch angefragt habe, aber deren Gebäude zumeist voll bewohnt oder zu klein für eine Besiedelung seien. Im selben Schreiben machte er jedoch auf eine neue Möglichkeit aufmerksam: »Bei meiner in der letzten Woche nach Aflenz und Turnau durchgeführten Dienstreise, liess ich mir indessen die Prälatur in der Propstei Aflenz aufsperren […]. Hiebei ergab sich, dass die Prälatur im Propsteigebäude drei grosse, absolut trockene Räume umfasst, die gesondert absperrbar sind und für Depositionszwecke ausgezeichnete Eignung aufweisen.«49 Die Anmietung und Besiedelung erfolgte innerhalb der nächsten Wochen, denn bereits am 18. Mai 1942 konnte der Leiter der Alten Galerie der übergeordneten Stelle melden, »daß die auftragsgemäße Verbringung aller museal wichtigen Objekte aus der Alten Galerie nunmehr abgeschlossen ist. Ausgenommen hievon sind lediglich jene Stücke, welche infolge ihrer Größe oder Gebrechlichkeit transportunfähig sind; die 45 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1942, Zl. A. 274/1942, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 24.10.1942. 46 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1942, Zl. A 332/1942, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 31.12.1942. 47 Archiv Alte Galerie, Graz, Posteingang 1943, o. Zl., Franz Himmelstoß, Forstmeister von Admont, an Karl Garzarolli-Thurnlackh, 1.4.1943. 48 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A. 180/1943, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 11.6.1943. 49 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1942, Zl. A 118/42, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unter abteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 29.4.1942.
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262 Karin Leitner-Ruhe Zahl diese[r] Stücke ist sehr gering und macht kein Dutzend aus.«50 Der Transport nach Aflenz umfasste Gemälde und Plastiken der Alten Galerie sowie Gemälde der Neuen Galerie. Die bei den Depots immer wieder angesprochene Brandbekämpfung war auch in Aflenz ein Thema. Garzarolli-Thurnlackh hatte dies mit dem dortigen Bürgermeister, Franz Seitner, besprochen, der vorschlug, das Depot in das Übungsprogramm der Ortsfeuerwehr Aflenz mit einzubeziehen.51 Ende Mai 1942 berichtete der für die Aufsicht vor Ort zuständige Thomas Wurzer an Garzarolli-Thurnlackh, dass er dreimal täglich die Räume inspiziert und gelüftet habe, wenn es Licht und Luft erlaubten. Er habe bereits in der ersten Woche die Verdunkelung bedeutend nachbessern müssen.52 Bei seinen Kontrollen der Depots musste Garzarolli-Thurnlackh 1944 allerdings feststellen, dass Seitner, ohne ihn zu informieren, in den vergangenen Monaten Umbauten rund um die Depoträume zur Unterbringung von Bombengeschädigten durchführen hatte lassen. Garzarolli-Thurnlackh ortete dadurch eine erhöhte Brandgefahr und ersuchte die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei, den Bau durch das Landesbauamt und den Gaukonservator in seiner Anwesenheit überprüfen zu lassen.53 Aufgrund der neuen Begebenheiten wurden die Objekte innerhalb der Propstei Aflenz umgesiedelt.54 Pfarrhof Wildalpen
Im Juli 1942 kam der Pfarrhof Wildalpen als Unterbringungsort ins Gespräch. Anlässlich einer Überprüfung vor Ort berichtete Norbert Alder, ein Mitarbeiter der Alten Galerie, dass die Straßen und Zufahrtsmöglichkeiten dorthin sehr gut seien. Die beiden vorgesehenen Räume seien vollkommen trocken und separat versperrbar. »Das Eindringen von Mäusen ist ebenso ausgeschlossen, der Herr Pfarrer hält in seinem 50 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1942, Zl. A. 127/1942, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 18.5.1942. 51 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1942, Zl. A. 127/1942, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 18.5.1942. 52 Archiv Alte Galerie, Graz, Posteingang 1942, o. Zl., Thomas Wurzer, Aflenz, an Karl Garzarolli-Thurnlackh, 29.5.1942. – Im Dezember 1942 musste Garzarolli-Thurnlackh die Unterabteilung II d darauf aufmerksam machen, dass sie es verabsäumt habe, den Mietzins für das Forstamt Aflenz zu zahlen. Seit 1. Juni 1942 mache das insgesamt 350 Reichsmark aus: Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1942, Zl. A. 321/1942, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 10.12.1942. 53 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1944, Zl. A 145/44, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unter abteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 15.4.1944. 54 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1944, Zl. A 163/44, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unter abteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 12.5.1944.
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Garten eine Ringelnatter [sic] und legt auch Gift gegen diese Schädlinge.«55 Anfang des Jahres 1943 konnte Garzarolli-Thurnlackh dem Geistlichen endlich mitteilen, dass ab 1. April dessen Räume angemietet werden würden. Der Pfarrer erhalte für den Verlust des vergangenen Jahres die Hälfte des Ausfalls bezahlt, da er die Räumlichkeiten nicht als Fremdenzimmer vermieten habe können. Man wolle ihm aber monatlich 40 Reichsmark »unter der Voraussetzung bezahlen, daß Herr Pfarrer die Wartung des Kunstgutes übernehme[n]. Unter dieser Wartung wird verstanden: öftere Nachschau in den Räumen ob die Verdunkelungen sich nicht gelockert haben und Licht einlassen, ob ferner kein Fenster vom Wind eingedrückt ist und Regenwasser eingedrungen ist, dann ob alle Handfeuerlöschgeräte (die mit den Bildern hinaufgebracht werden) in Ordnung sind.«56 Garzarolli-Thurnlackh machte noch darauf aufmerksam, »daß mit der Betreuung des Kunstgutes auch eine gewisse halbamtliche Eigenschaft dem Bürgermeister und Gendarmerieposten gegenüber verbunden ist«.57 Vom 3. bis zum 9. Juni 1943 erfolgte die Umsiedelung der Objekte von Gstatterboden nach Wildalpen. Garzarolli-Thurnlackh berichtete, dass der Transport im Wesentlichen ohne nennenswerte Schäden durchgeführt worden sei. Er gab aber zu bedenken, dass die mehrmalige Bewegung für die Objekte nicht gut wäre, und bat darum, dass diese so lange wie möglich in Wildalpen deponiert blieben. Dem Schreiben ist eine Liste mit 109 Gemälden aus der privaten Attemsschen Gemäldegalerie beigefügt. Was das Verzeichnis der Alten Galerie anbelangt, verwies Garzarolli-Thurnlackh nur auf die Liste, die er am 10. November 1942 für Gstatterboden erstellt hatte.58 Die Bedeutung der Luftschutzdepots des Museums wurde mit zunehmendem Zugriff auf Personen und Räume von staatlicher Seite nachvollziehbar: So wandte sich Pfarrer Gilbert Hlina im November 1943 verzweifelt an Garzarolli-Thurnlackh, da seine Haushälterin Ende des Monats zum Kriegseinsatz für die Landwirtschaft oder für kinderreiche Familien eingezogen werde. Ohne sie könne er die Aufsicht der Objekte nicht mehr gewährleisten.59 Elf Tage später bedankte sich Hlina herzlich bei 55 Archiv Alte Galerie, Graz, Posteingang 1942, o. Zl., Norbert Alder an Karl Garzarolli-Thurnlackh, 30.7.1942. 56 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A. 34/1943, Karl Garzarolli-Thurnlackh an Gilbert Hlina in Wildalpen, 25.1.1943. 57 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A. 34/1943, Karl Garzarolli-Thurnlackh an Gilbert Hlina in Wildalpen, 25.1.1943. 58 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A. 180/1943, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 11.6.1943. 59 Archiv Alte Galerie, Graz, Posteingang 1943, o. Zl., Gilbert Hlina an Karl Garzarolli-Thurnlackh, 17.11.1943.
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264 Karin Leitner-Ruhe Garzarolli-Thurnlackh, da die Kündigung aufgrund von dessen Eingabe gegenstandslos geworden sei.60 Propstei Zeiring
Im August 1943 kam ein weiteres Depot in der Propstei Zeiring hinzu. Der Landrat von Judenburg, Ferdinand Banholzer, meldete, dass es dort geeignete Räume zur Unterbringung von musealem Kunstgut gäbe. Leo Bokh war nach einer Begutachtung der Räume offensichtlich auch davon überzeugt. So entschied Garzarolli-Thurnlackh, das Kunstgut, das im Stubenbergschen Schloss Gutenberg bei Weiz gelagert war, nach Zeiring zu übersiedeln. In Gutenberg hatten sich die Lagerverhältnisse als nicht günstig herausgestellt.61 Mit dem Eigentümer der Propstei Zeiring, Alexander Wahl (1910–1994),62 tat Garzarolli-Thurnlackh insgesamt einen guten Griff, war dieser doch akademischer Bildhauer und dementsprechend mit dem Umgang mit Kunstwerken vertraut. Garzarolli-Thurnlackh zeigte sich ebenfalls sehr begeistert, nachdem er im September das Depot in Zeiring gesehen hatte, und freute sich vor allem über die Möglichkeit, die Objekte locker aufstellen zu können.63 Des Weiteren wurde Wahl ermächtigt, notwendig gewordene kleinere Reparaturen auf Kosten des Museums vorzunehmen. Vom 21. bis 23. Oktober 1943 wurden die Objekte aus dem Vorschloss Gutenberg nach Zeiring gebracht.64 Das Forstamt Gutenberg bot daraufhin Garzarolli-Thurnlackh als Ersatz zwei Räume im Hauptschloss an, was er zum Teil auch annahm.65 Die Begehrlichkeiten hinsichtlich zusätzlicher Räume wurden immer dringlicher. Im November 1944 schrieb Therese Wahl, die Frau des Bildhauers, an den Galerie 60 Archiv Alte Galerie, Graz, Posteingang 1943, o. Zl., Gilbert Hlina an Karl Garzarolli-Thurnlackh, 28.11.1943. 61 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A 210/43, Karl Garzarolli-Thurnlackh an Therese Wahl, Depot Propstei Zeiring, 11.8.1943. 62 Alexander Wahl wurde am 8. Mai 1910 in Berlin geboren, studierte ab 1933 in Wien u. a. bei Anton Hanak. Ab 1937 lebte er in der obersteirischen Propstei Zeiring. Es gibt von ihm zahlreiche Holz- und Steinskulpturen in Graz und der Steiermark. Vgl. Rudolf LIST, Kunst und Künstler in der Steiermark, Bd. 2, Ried im Innkreis 1971. 63 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A 244/43, Karl Garzarolli-Thurnlackh an Alexander Wahl in Zeiring, 14.9.1943. 64 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A 286/43, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unter abteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 30.10.1943. 65 Archiv Alte Galerie, Graz, Posteingang 1944, Zl. II d 373 Jo 3/38-1941, Ing. Doleschal, Graf Stubenbergsches Forstamt Gutenberg, an die Reichsstatthalterei Steiermark, die ihrerseits das Schreiben an Karl Garzarolli-Thurnlackh weiterleitete, 21.1.1944.
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direktor, dass sowohl der Kreisleiter als auch der neue Landrat Hartwiger persönlich bei ihr gewesen seien und vor allem Letzterer nahezu alle Zimmer in Beschlag nehmen wolle. Die Räume würden für die Bergung von nicht näher bezeichneten Archiven und zur Unterbringung von Flüchtlingen benötigt. So bat sie Garzarolli-Thurnlackh, einzuschreiten und die Angelegenheit von Graz aus zu regeln.66 Leo Bokh hatte bereits drei Tage zuvor an den Landrat von Judenburg geschrieben und darum gebeten, von einer Inanspruchnahme der Propstei Zeiring abzusehen. »Es sind dort so gut wie alle gotischen Bild- und Tafelwerke, die dem bedeutenden Judenburger Kunstkreis entstammen, verwahrt, so dass Sie schon aus einem gesunden Lokalpatriotismus heraus dieses Depot möglichst schonend und aufmerksam behandeln sollten. Sie können mir glauben, unser Museum verliert jede höhere Bedeutung, wenn die in Zeiring geborgenen Stücke den Krieg nicht gut überdauern.«67 Der weitere Kriegsverlauf scheint laut einer Meldung von Leo Bokh vom 30. Juni 1945 die Propstei Zeiring aber verschont zu haben.68 Am 27. September 1943 fasste Garzarolli-Thurnlackh für die Unterabteilung II d die Depotsituationen zusammen: Alle wesentlichen Gemälde und Plastiken seien in den Depots in Gutenberg, Wildalpen, Aflenz und Zeiring untergebracht. Ich bin der Meinung, dass auch nach diesem Eingriff noch immer eine größere Anzahl von Bildern und Skulpturen zurückbleiben wird über deren Verbleib, bzw. weitere Unterbringung ich Befehl erbitte. […] Ich erbitte daher Auftrag, was mit diesen, keineswegs kleinen Posten zu geschehen hat und wie sich die Unterabteilung II d zu einem allfälligen Verbleib im Hause oder Abtransport stellt.69 Schloss Pux bei Teufenbach
Beträchtlichere Schwierigkeiten hatte der Galeriedirektor mit der Bergung großer Skulpturen. Zur Freude von Garzarolli-Thurnlackh erklärte sich die Familie Pranckh im Herbst 1943 bereit, Schloss Pux zur Verfügung zu stellen. Der Galeri66 Archiv Alte Galerie, Graz, Posteingang 1944, o. Zl., Therese Wahl an Karl Garzarolli-Thurnlackh, 14.11.1944. 67 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1944, Zl. A 253/44, Leo Bokh an den Landrat von Judenburg, 11.11.1944. 68 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1945, o. Zl., Leo Bokh an Margarethe Kastner de Heusch, 30.6.1945. 69 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A 260/43, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unterabteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 27.9.1943. Welche Objekte noch im Museumsgebäude verblieben, müsste durch Abgleichen des alten Inventars mit den Depotlisten geklärt werden.
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266 Karin Leitner-Ruhe eleiter hatte offensichtlich versucht, die große Verkündigungsgruppe von Veit Königer70 in einer steirischen Kirche unterzubringen, was jedoch nicht gelang, ohne das Gesamtbild des Innenraums zu stören.71 Am 21. Oktober 1943 erfolgte die Unterbringung der Verkündigungsgruppe sowie der Martinsgruppe von Georg Remele72 in Schloss Pux.73 Kriegsende 1945
Die Korrespondenz des Jahres 1945 ist äußerst dürftig erhalten. Aus diesem Grund ist nicht klar, wann und auf welchen Wegen die geborgenen Kunstwerke wieder in das Museum zurückkamen beziehungsweise mit welchen Problemen und Herausforderungen die Museumsleitung in dieser Hinsicht konfrontiert war. Schreiben, die auf die Bergungsorte Bezug nehmen, sind erst mit Mai datiert. Am 25. Mai 1945 stellte Garzarolli-Thurnlackh seinem Mitarbeiter Otto Schwarz einen Amtsausweis aus und beauftragte diesen mit der Zustandskontrolle der Außendepots.74 Am 28. Juli 1945 stellte Garzarolli-Thurnlackh einen Kostenvoranschlag für die Alte Galerie für das zweite Halbjahr 1945 zusammen. Dieser weist ein bezeichnendes Abbild der Situation nach dem Krieg auf. Die Miete für die noch gefüllten Luftschutzdepots blieb aufrecht. Geld wurde für die notwendigen Hilfskräfte bei der »Einbringung des Kunstgutes aus den Depots« benötigt. Die Transporte selbst wurden »nach Mitteilung des englischen Kunstschutzbeauftragten mit englischen Militärlastautos anscheinend kostenlos« durchgeführt. Der größte Aufwand wurde für die »Konservierung und Restaurierung der jahrelang verbrachten und inzwischen zwangläufig pflegelosen Kunstwerke« notwendig. Von den Depots hat offensichtlich Schloss Gutenberg am meisten gelitten. Dort seien laut der Aufstellung des Galeriedirektors Bilder von Angehörigen der sowjetischen Armee mutwillig zerschnitten und grafisches Materi70 Der Engel der Verkündigungsgruppe misst 270 x 120 x 127 cm, Maria 200 x 131 x 109 cm, heute Alte Galerie: Inv.-Nr. P 305 und P 306. 71 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A 270/43, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Familie Pranckh, Schloss Pux, 18.10.1943. 72 Die Maße der Martinsgruppe von Georg Remele: 210 x 130 x 48 cm, heute Alte Galerie: Inv.-Nr. P 160. 73 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1943, Zl. A 287/43, Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Unter abteilung II d der Reichsstatthalterei Steiermark, 30.10.1943. 74 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1945, Zl. 23/45, Karl Garzarolli-Thurnlackh erstellt einen Amtsausweis für Otto Schwarz, 25.5.1945. – Otto Schwarz war auf mittelalterliche Kunst spezialisiert, leitete ab 1946 das Landeszeughaus, ab 1955 zusätzlich das Schloss Eggenberg und betreute ab 1950 die Mittelaltersammlung der Alten Galerie. Vgl. Kurt WOISETSCHLÄGER, Alte Galerie und Kupferstich kabinett. Zur Geschichte der Sammlungen 1911–1961, in: Festschrift 150 Jahre Joanneum 1811–1961 (= Joannea 2), Graz 1969, S. 179–181.
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al des Kupferstichkabinetts zerstört worden. Auch dafür setzte Garzarolli-Thurnlackh einen höheren Betrag an.75 Leo Bokh meldete am 8. Juli 1946 als Nachfolger von Karl Garzarolli-Thurnlackh der Direktion des Landesmuseums Joanneum, »dass die Alte Galerie die Depots in Gutenberg bei Weiz, in Zeiring, im Pfarrhof Wildalpen sowie im Schloss Pux bei Teuffenbach vollkommen aufgelösst [sic] hat, da aus diesen Orten sämtliche Kunstwerke nach Graz zurückgekehrt sind«.76 Dazu gibt es keine Liste der einzeln angeführten Kunstobjekte, wodurch Verluste durch die Außendeponierung nicht nachvollziehbar sind. Vier Fastentuchfragmente aus der Stadtpfarre Bruck an der Mur – ein dokumentierter Verlust
Auf der Liste »Nachtrag zum Verzeichnis der nach Gutenberg verbrachten Gemälde und Plastiken der Alten Galerie« im anfangs genannten Akt der Depotverzeichnisse finden sich drei Fragmente, deren letzter Nachweis mit 1943 heute für das Haus äußerst wichtig ist. Dabei handelt es sich um vier Fastentuchfragmente aus der Stadtpfarre Bruck an der Mur, die einem steirischen Meister um 1440 zugeschrieben werden. Drei Fragmente befinden sich heute noch im Inventar der Alten Galerie am Joanneum, das vierte jedoch in der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien.77 Laut Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark wurden 1857/58 »Vier Hungertücher mit Wasserfarben auf Leinwand« vom Brucker Stadtpfarrprobst Alois Laritz dem Historischen Verein zur Aufbewahrung übergeben.78 Der Verein erstellte 1859 ein Inventarbuch. Darin werden ab S. 157 die vier Fragmente mit ihrer Technik und Feldereinteilung der einzelnen ikonografischen Darstellungen genauer beschrieben.79 Mit der Gründung des Kulturhistorischen und Kunstgewerbemuseums Ende des 75 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1945, o. Zl., Karl Garzarolli-Thurnlackh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 28.7.1945. 76 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1946, o. Zl., Leo Bokh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 8.7.1946. 77 Alte Galerie, UMJ: Inv.-Nr. 431 (alte Inv.-Nr. KGM *56, AG 2184), Inv.-Nr. 435 (alte Inv.-Nr. KGM *55, AG 2183), Inv.-Nr. 436 (alte Inv.-Nr. KGM *54, AG 2182) sowie Österreichische Galerie, Belvedere: Inv.-Nr. 7719 (alte Inv.-Nr. KGM *53, AG 2181). – Erstmals publiziert: Karin LEITNER, … und der Vorhang zerriss… Über die Zusammenführung getrennter Fastentuchfragmente, in: Jahresbericht 1995, Landesmuseum Joanneum Graz NF 25 (1996), S. 53–60. 78 Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark 9 (1859), S. 40, Nr. 721. 79 Archiv der Kulturhistorischen Sammlungen, Inventarbuch des Historischen Vereins: Die erste Beschreibung ist jene des Tuches, das sich heute in der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien befindet. Die weiteren drei sind jene Fragmente, die sich im Joanneum in der Alten Galerie befinden.
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268 Karin Leitner-Ruhe 19. Jahrhunderts übernahm dieses auch die Leihgaben aus dem Historischen Verein. Die Fastentuchfragmente wurden in das Leihgabeninventarbuch eingetragen.80 Für die Abtretung der vier Fastentuchfragmente an die Landesbildergalerie beziehungsweise Alte Galerie gibt es zwei nicht erklärbar verschieden datierte Übergabelisten: Eine vom 5. November 1910 und eine aus dem Jahr 1942.81 Die vier Tücher wurden 1943 auf Listen der Luftschutzdepotakten verzeichnet.82 Wie bereits erwähnt, hatte Leo Bokh am 8. Juli 1946 der Direktion des Landesmuseums Joanneum unter anderem gemeldet, dass die Depots in Gutenberg bei Weiz aufgelöst worden wären, da aus diesen Orten sämtliche Kunstwerke nach Graz zurückgekehrt seien.83 Da es keine Liste der einzeln angeführten Kunstobjekte gibt, ist heute nicht nachvollziehbar, ob diese Äußerung wirklich stimmt. Die aus dem Luftschutzdepot zurückgekehrten Fragmente der Fastentücher wurden offensichtlich am Dachboden der Alten Galerie, Neutorgasse 45, in Graz deponiert. Bei der Neuinventarisierung in den 1960er Jahren wurde die Inv.-Nr. 431 (alte Inv.Nr. 2184) aufgenommen. Dabei handelt es sich um jenes Fragment, das separiert von den anderen in Stift Rein luftschutzsicher deponiert gewesen war. Gottfried Biedermann publizierte dieses Fragment im Katalog der mittelalterlichen Kunst 1982 unter der Kat.-Nr. 16. Zu diesem Zeitpunkt galten die anderen drei als verloren.84 Nach dem Auffinden zweier weiterer Fragmente am Dachboden der Alten Galerie wurden 1993 auch diese mit den Nummern 435 und 436 neu inventarisiert.
80 Inventarbuch Kulturhistorische Sammlung, Joanneum, Inv.-Nrn. *53-56. – Für die Zurverfügungstellung der Unterlagen aus der Kulturhistorischen Sammlung bedanke ich mich herzlich bei Peter Wagner. 81 Archiv Alte Galerie, Graz, Kunstgewerbemuseum – Übergabe der Bestände 1910 an die Bildergalerie: Liste, S. 13: Nr. 54, S. 19: Nr. 53, 55 und 56, sowie Archiv Alte Galerie, Graz, Alte Akten (Nr. 58), Diverses, 1920er Jahre, Zl. 12/50-42 und 17/33-42: Verzeichnis der vom Kulturhistorischen und Kunstgewerbemuseum an die Alte Galerie und Skulpturensammlung abzutretenden Inventarstücke. In der Gemäldegalerie wurden die einzelnen Tücher unter den Inventarnummern 2181 bis 2184 inventarisiert. Bei der Inv.-Nr. 2181 handelt es sich um jenes Fragment, das sich heute in der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien befindet. Die hohe Inventarnummer spricht eher für die Abtretung 1942. 82 Archiv Alte Galerie, Graz, Luftschutzdepot, ad Zl. 249/43 A: Nachtrag zum Verzeichnis der nach Gutenberg verbrachten Gemälde und Plastiken der Alten Galerie. Unter Nr. 133, 134 und 135 sind drei kleine Fastentücher eines steirischen Malers um 1435/40 genannt. Alte Inv.-Nr. 2181, 2182 und 2183. – Die Inv.-Nr. 2184 wurde separiert von den anderen drei Teilen ins Depot von Stift Rein nördlich von Graz verbracht – siehe Bleistiftnotiz auf der alten Inventarkarte. 83 Archiv Alte Galerie, Graz, Postausgang 1946, o. Zl., Leo Bokh an die Direktion des Landesmuseums Joanneum, 8.7.1946. 84 Vgl. Gottfried BIEDERMANN, Katalog der mittelalterlichen Kunst (= Joannea 5), Graz 1982, Kat.Nr. 16, S. 98–99.
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Die Österreichische Galerie erwarb 1988 den vierten Teil (Inv.-Nr. 7719) aus Privatbesitz.85 Dieses Fragment kann also 1943 bei den Luftschutzdepotakten zuletzt im Joanneum nachgewiesen werden. Es bleibt offen, wann genau dieser Teil aus den Beständen des Joanneums verschwunden ist. Anhand der Fastentuchfragmente zeigen sich die Auswirkungen der Bergungen auf das Joanneum bis heute. Eine Überprüfung in Form einer Abgleichung der Luftschutzdepotlisten mit dem alten Inventar würde vielleicht weitere Fälle ans Tageslicht bringen, was jedoch bedauerlicherweise an den nicht vorhandenen personellen Ressourcen im Joanneum scheitert.
85 Barbara WILD, Fastentuch, in: Mitteilungen der Österreichischen Galerie 76/77 (1988/89) 32/33, S. 66–67. – Aufgrund der neuesten Recherchen sind die Direktionen der Österreichischen Galerie Belvedere und des Universalmuseums Joanneum im Gespräch und prüfen die Rückgabe des fehlenden Teiles an das Joanneum.
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Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft Dresden im Zweiten Weltkrieg Notbetrieb, Bergung, »Sonderauftrag Linz« – und das Ende
Gilbert Lupfer und Christine Nagel
In der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 wurde die Innenstadt Dresdens bei mehreren Luftangriffen weitgehend zerstört (Abbildung 1). Eine Fläche von rund 15 Quadratkilometern lag nach dem Ende der Bombardements in Trümmern; auch die meisten historischen Gebäude in der Altstadt, wie die Frauenkirche, der Zwinger oder das Opernhaus, blieben als ausgebrannte, zum Teil eingestürzte Ruinen zurück.1 Die Zahl der Todesopfer lässt sich bis heute nicht genau bestimmen, da sich zum Zeitpunkt des Angriffes viele durchreisende Flüchtlinge in der Stadt befanden. Eine von der Stadt Dresden eingesetzte Historikerkommission schätzte nach Auswertung aller verfügbaren Quellen im Jahr 2010 die Zahl der Opfer auf rund 35.000.2 Unmittelbar nach dem Angriff wurde von der deutschen Propaganda die Geschichte des unerwarteten anglo-amerikanischen »Terrorangriffs«3 auf eine friedliche, arglose Kunstund Kulturstadt, die dabei völlig zerstört worden sei, lanciert.4 Diese Erzählung wurde von der DDR nahezu bruchlos übernommen und im Kalten Krieg als ideologische Waffe gegen die ehemaligen Westalliierten eingesetzt. Inzwischen zum Mythos Dresden ausgebaut, ist sie auch heute noch höchst lebendig und wird besonders von rechtsradikalen Kreisen in ganz Deutschland instrumentalisiert. Doch bei genauerer Betrachtung fällt der Mythos von der unschuldigen Stadt zumindest teilweise in sich zusammen:5 In Dresden waren wichtige feinmechanische und optische Zulieferbetriebe 1
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Vgl. Götz BERGANDER, Dresden im Luftkrieg, Köln-Weimar-Wien 1994; Oliver REINHARD, Matthias NEUTZNER, Wolfgang HESSE, Das rote Leuchten. Dresden und der Bombenkrieg, Dresden 2005; Holger STARKE (Hg.), Geschichte der Stadt Dresden, Bd. 3, Von der Reichsgründung bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006, S. 497–528. Vgl. Landeshauptstadt Dresden, Abschlussbericht der Historikerkommission zu den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945, Dresden 2010, siehe http://www.dresden.de/media/ pdf/infoblaetter/Historikerkommission_Dresden1945_Abschlussbericht_V1_14a.pdf (27.3.2015). Völkischer Beobachter, Berlin, 16.2.1945, S. 2, zit. nach Matthias NEUTZNER, Vom Alltäglichen zum Exemplarischen. Dresden als Chiffre für den Luftkrieg der Alliierten, in: REINHARD, NEUTZNER, HESSE 2005, S. 110–127, hier: S. 114. Vgl. Matthias NEUTZNER, Die Erzählung vom 13. Februar, in: Dresdner Hefte 84 (2005), Mythos Dresden. Faszination und Verklärung einer Stadt, S. 38–48. Vgl. Dresdner Hefte 35 (1993), Dresden 1933–1945. Zwischen Verblendung und Angst; Clemens
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272 Gilbert Lupfer und Christine Nagel
Abbildung 1: Dresden, Blick vom Rathausturm zum Residenzschloss und zur Hofkirche, 18. Juni 1945, Fotograf unbekannt
für die Rüstungsindustrie ansässig; in der Stadt befanden sich eine große Garnison und eine der wichtigsten Offiziersschulen der Wehrmacht.6 Schon vor 1933 hatte Dresden zu den Hochburgen der NSDAP gezählt. Der in Dresden residierende NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter Martin Mutschmann gehörte zu den besonders fanatischen Nationalsozialisten.7 In Dresden hatten 1933 eine der ersten Bücherverbrennungen und eine der ersten Ausstellungen sogenannter »Entarteter Kunst« 8 stattgefunden. Die Tagebücher des Romanisten Victor Klemperer9 sind ein bedrücken-
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VOLLNHALS (Hg.), Sachsen in der NS-Zeit, Leipzig 2002; Dresdner Hefte 77 (2004), Die Ausstellung »Entartete Kunst« und der Beginn der NS-Kulturbarbarei in Dresden; STARKE 2006, S. 425–494. Vgl. Dresdner Hefte 53 (1998), Dresden als Garnisonsstadt. Vgl. Mike SCHMEITZNER, Martin Mutschmann, Manfred von Killinger. Die »Führer der Provinz«, in: Christine PIEPER, Mike SCHMEITZNER, Gerhard NASER (Hg.), Braune Karrieren, Dresden 2012, S. 22–31. Vgl. Christoph ZUSCHLAG, Die Dresdner Ausstellung »Entartete Kunst« 1933–37, in: Dresdner Hefte 77 (2004), S. 17–25. Victor Klemperer (1881–1960), Sohn des Rabbiners Wilhelm Klemperer aus Landsberg an der Warthe, war von 1920 bis zu seiner Entlassung 1935 Professor für Romanistik an der Technischen Hochschule Dresden gewesen. Der Luftangriff auf Dresden vom 13. Februar 1945 verhinderte seine drohende Deportation in ein Konzentrationslager.
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des Zeugnis dafür, dass der Umgang mit jüdischen Bürgerinnen und Bürgern in der Kulturstadt Dresden nicht besser war als in irgendeiner anderen deutschen Stadt.10 Auch die in Dresden häufig anzutreffende Überzeugung, keine andere Stadt in Deutschland sei im Zweiten Weltkrieg so schwer getroffen und so stark zerstört worden, hält der Überprüfung nicht stand: Der Zerstörungsgrad Dresdens war nicht höher als der zahlreicher anderer Städte von Hamburg bis Stuttgart, von Aachen bis Frankfurt an der Oder und von Saarbrücken bis Wiener Neustadt. Auch der Verlust an bedeutender historischer Bausubstanz war letztendlich nicht größer (sofern man das überhaupt quantifizieren kann) als beispielsweise in Nürnberg, Kassel oder in Würzburg. 11 Die Relativierung oder gar Demontage des Mythos Dresden darf natürlich nicht den Blick auf das große Leid verstellen, das dieses Bombardement für die Bevölkerung gebracht hat. Gegenstand dieses Beitrages sind jedoch die Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die damals noch Staatliche Museen für Kunst und Wissenschaft hießen, während des Krieges. Wenn man bedenkt, dass ein großer Teil der historischen Innenstadt Dresdens rechts und links der Elbe – im Unterschied zu den Randgebieten und Vorstädten – stark zerstört wurde, so ließe sich schlussfolgern, dass die Luftangriffe auch für die Museen katastrophale Folgen hatten. Dies stimmt, soweit es die Museums bauten anbelangt; doch es stimmt glücklicherweise nicht, soweit es die Bestände der Museen betrifft. Von den zahlreichen museal genutzten Gebäuden im Dresdner Zentrum waren der Zwinger mit dem Mathematisch-Physikalischen Salon sowie einigen naturkundlichen Sammlungen, das Galeriegebäude (die Sempergalerie) mit der Gemäldegalerie und dem Kupferstich-Kabinett, das Residenzschloss mit dem Grünen Gewölbe und dem Münzkabinett,12 das Johanneum bei der Frauenkirche mit dem Historischen Museum (Rüstkammer) und der Porzellansammlung, das Japanische Palais mit der Landesbibliothek derart schwer in Mitleidenschaft gezogen, dass ihre museale Nutzung zunächst – und das heißt auch in den ersten Nachkriegsjahren, zum Teil sogar -jahrzehnten – ausgeschlossen war. Relativ wenig beschädigt war hingegen das Albertinum an der Brühlschen Terrasse, in dem die Skulpturensammlung untergebracht war. Die mächtige Vierflügelanlage, ein ehemaliges Arsenal, musste deshalb in den 10 Victor KLEMPERER, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933–1945, Bde. I–VI, Berlin 1995. 11 Vgl. u. a. Hartwig BESELER, Niels GUTSCHOW, Kriegsschicksale deutscher Architektur, 2 Bde., Neumünster 1988. 12 Vgl. Dresdner Hefte 38 (1994), Das Dresdner Schloß. Geschichte und Wiederaufbau.
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274 Gilbert Lupfer und Christine Nagel letzten Kriegs- und den ersten Nachkriegsmonaten die provisorische Verwaltung der Museen aufnehmen. Beschäftigte der Kunstsammlungen waren, soweit es bekannt ist, nicht unter den Opfern der Luftangriffe. Doch viele verloren ihre Wohnungen und mussten deshalb die Stadt verlassen. Zuvor schon war das Personal durch Einberufungen extrem reduziert worden, etliche Mitarbeiter waren gefallen. In den Monaten nach Kriegsende verließen dann die Wissenschaftler, die dem NS-Regime gedient hatten, nach und nach die Stadt: Der Direktor der Porzellansammlung und des Kunstgewerbemuseums, Fritz Fichtner, der sich besonders – auch im Umgang mit jüdischem Eigentum – als N SDAP-Aktivist profiliert hatte, tauchte in Bayern unter; in den 1950er Jahren begann er dann eine zweite, glanzvolle akademische Laufbahn an der Universität Erlangen.13 Der Galeriedirektor und »Sonderbeauftragte« Adolf Hitlers, Hermann Voss, flüchtete nach Wiesbaden, wurde von der US Army verhaftet, aber wieder freigelassen, weil er das Ausmaß seiner Verstrickung geschickt verschleiern konnte.14 Sein Mitarbeiter Robert Oertel ging nach Südwestdeutschland und machte eine bemerkenswerte Karriere an der Universität Freiburg und später an der West-Berliner Nationalgalerie.15 Die Liste ließe sich fortsetzen. Die letzten verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kunstsammlungen wurden im Sommer 1946 auf Geheiß der Sowjetischen Militäradministration entlassen, da sie angeblich Mitglieder von NS-Organisationen gewesen seien. Tatsächlich wünschte man einen – im Sinne des aufzubauenden sozialistischen Staates – ideologisch einwandfreien Neuanfang. An dieser Stelle muss an eine Mitarbeiterin der Staatlichen Kunstsammlungen erinnert werden, die dieser »Entnazifizierung« 1946 zum Opfer fiel, obwohl ihr keine Nähe zum NS-Regime unterstellt werden konnte: Ragna Enking. Die promovierte Archäologin hatte seit den 1920er Jahren in der Skulpturensammlung gearbeitet. Nach der Zerstörung ihrer Wohnung im Februar 1945 nahm sie vorübergehende Unterkunft im Albertinum. Als dann eine Trophäenbrigade der Roten Armee16 im Mai 1945 das Gebäude besetzte, musste Enking bei der Suche nach den ausgelagerten Museums 13 Vgl. Gilbert LUPFER, Die Staatlichen Sammlungen für Wissenschaft und Kunst von 1918 bis 1945, in: Dresdner Hefte, Sonderausgabe (2004), Die Dresdner Kunstsammlungen in fünf Jahrhunderten, S. 71–83. 14 Vgl. Kathrin ISELT, »Sonderbeauftragter des Führers«. Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss, Köln-Weimar-Wien 2010. 15 Vgl. Kathrin ISELT, Robert Oertel – Kustos der Gemäldegalerie Dresden 1939–1946. Eine biographische Skizze, in: Dresdener Kunstblätter 56 (2012) 1, S. 45–54. 16 Zu den sowjetischen Trophäenbrigaden siehe weiter unten S. 284–285.
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beständen mithelfen und wurde kurzerhand als Direktorin der Kunstsammlungen eingesetzt. In dieser Funktion fiel ihr im Sommer 1946 auch die Eröffnung einer ersten, noch eher provisorischen Ausstellung aus Restbeständen vor allem der Gemäldegalerie im Pillnitzer Schloss zu. Doch ihre Eröffnungsrede aus dem Geiste einer bürgerlichen, konservativen Wissenschaftlerin missfiel der Sowjetischen Militäradministration, woraufhin Ragna Enking wenige Tage später entlassen wurde.17 Sie ging zunächst nach Berlin ans Deutsche Archäologische Institut und später nach Rom, wo sie bis zu ihrem Tod Mitte der 1970er Jahre lebte. Im Folgenden soll die Aufmerksamkeit nun den Museumsbeständen gelten. Aus Sicht der Museen kam der Krieg nicht überraschend: Bereits im Sommer 1938, im Zusammenhang mit der sogenannten Sudetenkrise zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei und den damit verbundenen Kriegsvorbereitungen, wurden die Gemäldegalerie sowie das Grüne Gewölbe auf Anweisung der NSDAP-Gauleitung vorübergehend geschlossen. So packte man beispielsweise die empfindlichsten und wertvollsten Werke des Grünen Gewölbes in Kisten und deponierte sie in Kellerräumen des Residenzschlosses (Abbildung 2).18 Ebenfalls 1938 legte Fritz Fichtner, der Direktor der Porzellansammlung, einen Plan vor, die Bestände seines Museums aus dem Obergeschoss des Johanneums an einen sichereren Ort zu verlagern. Dies alles bedeutete jedoch keine Einstellung des Museumsbetriebs, vielmehr wurden die Sammlungen w enige Wochen später wieder zugänglich gemacht, die Bestände – nachdem die Kriegsgefahr zunächst gebannt schien – teilweise wieder eingeräumt.19 Im Sommer 1939 führte bereits einige Tage vor dem geplanten Beginn des Krieges eine Anordnung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zur – zumindest vorübergehenden – Schließung von Museen und zur ersten Sicherung der Bestände. Die Anordnung an die Landesregierung, die an die Museen 17 Vgl. Thomas RUDERT, Museale Praxis zwischen Besatzungsmacht und kulturellem Anspruch. Die Eröffnung des Pillnitzer Zentralmuseums des Landes Sachsen am 6. Juli 1945, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 36, Dresden 2010, S. 193–203; Ragna ENKING, Dresden im Mai 1945 – ein Bericht, in: Dresdner Hefte, Sonderausgabe (2004), Die Dresdner Kunstsammlungen in fünf Jahrhunderten, S. 84–92; die vollständige unpublizierte Fassung von »Georgia – Zwei Welten« von Ragna Enking, in: Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), 02/VA 174, Bd. 2. 18 Vgl. Dirk SYNDRAM, 1732 bis 1945 – eine Museumsgeschichte, in: Das Grüne Gewölbe im Schloss zu Dresden. Rückkehr eines barocken Gesamtkunstwerkes, hg. vom Staatsbetrieb Sächsisches Immobilienund Baumanagement und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Leipzig 2006, S. 22–34, hier: S. 34. 19 Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden (StA-D), 11125 (Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts), N 42, fol. 62r, Jahresbericht der Gemäldegalerie 1938–1941, fol. 9r, Jahres bericht des Grünen Gewölbes 1938–1941.
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Abbildung 2: Grünes Gewölbe, Silbervergoldetes Zimmer, Verpacken der Objekte für die Auslagerung, Herbst 1938, Fotograf unbekannt
weitergeleitet wurde, lautete: »Der Schutz von Kulturgütern und Kunstwerken, ist, soweit noch nicht geschehen, vorsorglich innerhalb der Museumsgebäude usw. vorzubereiten.«20 Daraufhin wurden in der Gemäldegalerie die »Galeriebilder«, also die üblicherweise ausgestellten, auch mit »Bergungsgruppe I« bezeichneten Werke, in den Kellern und Heizungsräumen des Semperbaus untergestellt, die Bilder der zweiten Kategorie hingegen in relativ geschützten Bereichen der Ausstellungsräume konzentriert. Für das Kupferstich-Kabinett, das sich ebenfalls im Semperbau befand, wurde ein Kellerraum ausgebaut und gesichert, in dem die Bestände der »Bergungsgruppe I« untergebracht wurden. Am 1. September 1939 meldete Fritz Fichtner an das Ministerium: »sämtliche Museen sind geschlossen«, und die Skulpturensammlung im Albertinum sowie das Grüne Gewölbe gaben an, dass die Bergungsarbeiten beendet seien.21
20 StA-D, 10701 (Staatskanzlei), 320/01, Vorsorglicher Schutz von Kulturgütern und Kunstwerken der Museen, Sammlungen und Schlösser, fol. 1r, Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 28.8.1939. 21 StA-D, 10701 (Staatskanzlei), 320/01, fol. 6r.
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Der Jahresbericht 1939 hielt für das Historische Museum fest, dass es zwischen dem 30. August und dem 31. Dezember 1939 geschlossen blieb.22 In dieser Zeit wurde der Lichthof des Museumsgebäudes, des Johanneums, geräumt. Das große »Türkenzelt«, heute das Prunkstück der Türckischen Cammer, wurde abgebaut, die bedeutendsten Werke, die »Bergungsgruppe I«, wurden verpackt und zusammen mit den kostbarsten Preziosen des Grünen Gewölbes ausgelagert. Nach einer Neuaufstellung der verbliebenen Objekte wurde der Museumsbetrieb in stark eingeschränktem Maße am 1. Januar 1940 wieder aufgenommen.23 Die Gemäldegalerie und das Kupferstich-Kabinett veranstalteten 1940 eine Ausstellung zum 100. Todestag Caspar David Friedrichs.24 Weitere Sonderausstellungen fanden noch Anfang der 1940er Jahre statt – übrigens ohne dass in deren Titeln oder Programmen eine besondere ideologische Ausrichtung zu erkennen gewesen wäre. Allerdings sahen die Museen durchaus ihre Aufgabe darin, durch ein verstärktes museumspädagogisches Programm ihren Beitrag zur moralischen Stärkung der Bevölkerung und nicht zuletzt auch der zahlreichen in Dresden stationierten Wehrmachtssoldaten sowie der Angehörigen der hiesigen Offiziersschule zu leisten. Neben einem deutlich erweiterten Angebot an thematischen Führungen wurden Museumswochen organisiert und ab 1942 regelmäßige Sonntagsvorträge vor Originalen und mit Dias angeboten. Der Dresdner Gemäldegalerie, oder präziser gesagt ihrem Direktor und einigen Mitarbeitern, kam eine zentrale Rolle im Kunstraub- und -beschaffungssystem des NS-Staates zu. Im Sommer 1939 wurde Hans Posse von Adolf Hitler persönlich zu seinem Sonderbeauftragten für ein geplantes »Führermuseum« in Linz an der Donau und darüber hinaus für die Beschaffung von Gemälden als Verteilungsmasse berufen.25 Diese Ernennung erstaunt zunächst, war doch Posse keineswegs für seine ideologische Nähe zum Nationalsozialismus bekannt gewesen, ja er stand sogar wegen seines mo-
22 StA-D, 11125 (Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts), N 42, fol. 77r, Jahresbericht 1938–1941 des Staatlichen Historischen Museums (maschinenschriftlich). 23 StA-D, 12624, Familiennachlass Grafen von Watzdorf, Nr. 150, Nachlass Dr. phil. Erna von Watzdorf 1900,1978, fol. 62v, handschriftliche Zuarbeit für den Jahresbericht 1939. 24 Caspar David Friedrich. Gedächtnisausstellung zum 100. Todestag 1940, Dresden 1940; Richard OERTEL, Caspar-David-Friedrich-Gedächtnisausstellung. Zum Todestag des Meisters, in: Dresdner Geschichtsblätter 48 (1940), S. 33–42. 25 Vgl. Birgit SCHWARZ, Hitlers Sonderbeauftragter Hans Posse, in: Dresdner Hefte 77 (2004), S. 77–85; Birgit SCHWARZ, Hitlers Museum. Die Fotoalben Gemäldegalerie Linz, Köln-Weimar-Wien 2004; Hanns Christian LÖHR, Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der Sonderauftrag Linz, Berlin 2005; ISELT 2010.
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278 Gilbert Lupfer und Christine Nagel deraten Engagements für moderne Kunst vor 1933 in heftiger Kritik.26 Doch Hitler ging es bei der Besetzung dieser einzigartigen Position offenkundig darum, einen erstklassigen Museumsmann und Kunsthistoriker in Dienst zu nehmen – und keinen Parteisoldaten. Posse erlag dieser Verführung und verstrickte sich, bei aller ideologischen Distanz, tief in das NS-System. Er führte vom Sommer 1939 bis zu seinem Tod Ende 1942 in Personalunion neben der Gemäldegalerie den »Sonderauftrag«, für den er nahezu unbegrenzte Geldmittel zur Verfügung hatte, sich aber auch aus beschlagnahmten jüdischen Privatsammlungen in Wien und anderswo bediente. Die Räume der Dresdner Gemäldegalerie fungierten quasi als Drehscheibe: Ein Teil der Erwerbungen kam zunächst zur Registrierung, zur fotografischen Erfassung und gegebenenfalls zur Restaurierung hierher, bevor die Gemälde in ein Depot im Münchner »Führerbau« weiter transportiert wurden. Auf die speziellen Bergungsmaßnahmen für den »Sonderauftrag« wird noch einzugehen sein. Den Kriegsalltag in Dresden betreffend versuchten die Museen, den Mangel an präsentierten Beständen auszugleichen und ihren Betrieb weiterzuführen (Abbildung 3). Allerdings war das mit wachsenden Problemen verbunden, wurde doch die Belegschaft durch Einberufungen zur Wehrmacht reduziert. Schon Anfang der 1940er Jahre war nur noch ein Notbetrieb möglich, und das dezimierte Personal bekam zunehmend andere Aufgaben zugewiesen: Ab Ende 1940 erfolgte die sukzessive Verlagerung der Bestände in sichere Auslagerungsdepots außerhalb Dresdens, denn die Gefahr von Luftangriffen ließ nun die Unterbringung in den Museumskellern als nicht mehr sicher erscheinen. Die Gemäldegalerie beispielsweise schickte im November 1940 einen ersten Transport mit 326 Werken auf die Meißener Albrechtsburg, weitere Transporte folgten. Ab Januar 1942 wurden auf Befehl des NSDAP-Gauleiters und Reichsstatthalters Martin Mutschmann die Museen der SKD nach und nach geschlossen.27 Auch das bereits genannte Historische Museum stellte am 16. Januar 1942 seinen Betrieb ein. Für die Auslagerung der Bestände in den Kategorien II und III des seit dem Tod Direktor Erich Haenels 1940 führungslosen Museums wurde die eigentlich als politisch unzuverlässig geltende Wissenschaftlerin Erna von Watzdorf zurückbe26 Vgl. Birgit DALBAJEWA, Hans Posse und sein Wirken für die »Moderne Galerie« in Dresden, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 36 (2010), S. 184–191. 27 Ab 16. Januar 1942 blieben die Skulpturensammlung und das Historische Museum geschlossen (vgl. Archiv der SKD, 02/VA, 50, fol. 132r), am 1. April 1942 schloss das Kupferstichkabinett, am 15. Juni 1942 das Grüne Gewölbe, am 31. Juli 1943 das Kunstgewerbemuseum und am 1. Mai 1944 das Landesmuseum für Vorgeschichte. Vgl. StA-D, 11125, fol. 151r, Jahresbericht der Staatlichen Sammlungen 1943/44.
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Abbildung 3: Jahresbericht für die Museen der Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft 1943–44, Auszug
ordert. Sie begann am 30. April 1942 mit den Vorarbeiten für die Auslagerung. Über die zahlreichen Schwierigkeiten nicht nur materieller, sondern auch persönlicher Art informiert das Diensttagebuch Erna von Watzdorfs ausführlich.28 Zunächst wurden mit Hilfe des Konservators des Grünen Gewölbes, Kurt Köhn, ganze Vitrinen und Räume im Johanneum fotografiert, um die Ausstellung vor dem Abbau zu dokumentieren. Anschließend sollten alle Objekte mit Pappschildchen ver28 StA-D, 12624 (Familiennachlass Grafen von Watzdorf ), Nr. 150, Nachlass Dr. phil. Erna von Watzdorf 1900–1978, fol. 67r–95v.
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Abbildung 4: Verpacken des letzten Harnischs im Historischen Museum am 4. August 1942, Erna von Watzdorf (dritte von rechts), Fotograf Kurt Köhn
sehen werden, auf denen der Standort angegeben war. Die Inventarnummern aller ausgestellten Objekte in der Kürze der Zeit festzustellen, erschien unmöglich. Doch über die Standorte würden sich später, so dachte man, die zugehörigen Inventarnummern leicht anhand der Unterlagen zuordnen lassen. Parallel dazu organisierte und berechnete Erna von Watzdorf die Maße und Mengen von Verpackungsmaterial, Kisten, Konservierungsmitteln sowie von Spezialbehältnissen, zum Beispiel für die kostbaren kurfürstlichen Gewänder. Sobald die ersten Kisten angeliefert wurden, begann das Verpacken, wobei hier aus Mangel an Fachpersonal Umsiedler aus Wolhynien eingesetzt wurden, die – so Erna von Watzdorf – unregelmäßig zum Dienst kamen und unzuverlässig arbeiteten (Abbildung 4). Erna von Watzdorf suchte und besichtigte parallel zu den Arbeiten im Johanneum mögliche Bergungsstätten, wie die Katakomben der Frauenkirche oder Orte außerhalb Dresdens, so zum Beispiel die Schlösser Weesenstein und Moritzburg. Nach dem Schließen der Kisten und dem Schreiben der Packzettel, die wiederum in heute als verloren geltende Listen übertragen wurden, erfolgte der Abtransport der ca. 500 Behältnisse, die zum überwiegenden Teil auf die als absolut sicher geltende Festung Königstein elbaufwärts gebracht wurden.
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Abbildung 5: Auslagerungsorte der Dresdner Museen während des Zweiten Weltkriegs
Für die anderen Museen der Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft waren zum Teil nach aufwändiger Suche rund vier Dutzend Auslagerungsorte in einem Umkreis von knapp 100 Kilometern festgelegt worden: die schon erwähnten Standorte Albrechtsburg in Meißen, Festung Königstein und Schloss Weesenstein sowie andere Schlösser, aber auch Eisenbahntunnel oder Bergwerksstollen (Abbildung 5). Die Bedingungen waren unterschiedlich und keineswegs überall optimal, allerdings nirgendwo katastrophal oder unverantwortlich. Die später – auch in der DDR – verbreitete sowjetoffizielle Sichtweise, die Dresdner Kunstschätze seien von den Nazis in unverantwortlicher Weise dem Verfall preisgegeben worden, lässt sich jedenfalls nicht verifizieren. Sie musste wohl eher als Begründung für den Abtransport herhalten, der in den Mythos von der Rettung der Kunstschätze durch die Rote Armee gekleidet wurde. Die Dresdner Museumsbestände überstanden den Krieg mit relativ wenigen Ausnahmen unbeschadet. Der größte Verlust ist – ironischerweise – gerade auf die Optimierung der Sicherungsmaßnahmen zurückzuführen. Infolge des Näherrückens der Roten Armee wurde im Januar 1945 damit begonnen, östlich der Elbe gelagerte Bestände in weiter westlich gelegene Depots umzusetzen. Einer der Transporter, der
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282 Gilbert Lupfer und Christine Nagel knapp 200 Gemälde sowie Uhren des Mathematisch-Physikalischen Salons vom ostelbischen Auslagerungsort Schloss Milkel nach dem westelbischen Schieritz bringen sollte, machte in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 Zwischenstation in Dresden und verbrannte. Alle geladenen Gemälde, darunter Gustave Courbets Steinklopfer, müssen als unwiederbringliche Verluste gelten. Etliche verkohlte Uhren aus diesem Transport wurden allerdings vor einigen Jahren von einem Dresdner Bürger dem Museum zurückgegeben.29 Eine Brandbombe richtete großen Schaden im Erdgeschoss des Johanneums an, wo einige Objekte des Historischen Museums hatten verbleiben müssen, weil sie zu groß und zu schwer für einen Transport gewesen waren. Zu den unwiederbringlichen Verlusten gehören ein altarähnliches »Positiv« aus sächsischen Landedelsteinen von dem Bildhauer Christoph Walther II., zwei über drei Meter hohe künstliche Bergstufen aus dem 16. Jahrhundert, die als Buffets für die Präsentation von silbernen Pokalen dienten, sowie mehrere Kutschen. Ein verzierter Marmortisch von Johann Maria Nosseni wurde schwer beschädigt.30 Doch dies blieben die einzigen größeren und wirklich schmerzhaften Kriegsverluste für die Dresdner Museen. Die Umlagerungen gingen indessen bis in die letzten Kriegswochen weiter. Gemälde aus der nicht mehr als sicher geltenden Albrechtsburg, darunter die Sixtinische Madonna, wurden in einem stillgelegten Eisenbahntunnel bei Pirna in eigens eingebauten Holzbaracken untergebracht (Abbildung 6). Nicht alle der rund vier Dutzend Auslagerungsdepots ließen sich ab April 1945 bewachen, weshalb es in den letzten Kriegs- und den ersten Nachkriegstagen an einigen Orten zu Plünderungen kam. Bis heute tauchen Kunstwerke auf, die aus den Auslagerungsdepots verschwunden waren.31 Erst kürzlich konnten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine Meißener Porzellanfigur wiedererlangen, die nach dem Kriegsende aus einer aufgebrochenen Kiste in einem erzgebirgischen Schloss gefehlt hatte. Sie war auf heute nicht mehr nachvollziehbaren Wegen in den New Yorker Kunsthandel und von dort in den 1970er Jahren in das Museum von Toledo, Ohio, gelangt.32 29 Dessen Vater hatte die verkohlten Uhren auf dem ausgebrannten LKW-Anhänger gefunden und sie geborgen. Einige von ihnen sind jetzt im Mathematisch-Physikalischen Salon ausgestellt. 30 Vgl. Dieter SCHAAL, Jutta BÄUMEL, Holger SCHUCKELT, Elfriede LIEBER, Vermisste Kunstwerke des Historischen Museums Dresden, Dresden 1990, S. 8, 84–85, 95–96; StA-D, 11125 (Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts), N 66, fol. 93v, Bericht Erna von Watzdorf an den Reichsstatthalter in Sachsen, 6.4.1945. 31 Vgl. Zurück in Dresden. Eine Ausstellung ehemals vermisster Werke aus Dresdner Museen, DresdenEurasburg 1998. 32 Vgl. Corinna SALLANI, Die schwierige Rekonstruktion eines hundertjährigen Leihverhältnisses – zum
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Abbildung 6: Anweisung zum Abtransport der auf der Albrechtsburg in Meißen eingelagerten Gemälde, 31. März 1945
Die Bergungsmaßnahmen für den »Sonderauftrag Linz« sind ein eigenes Kapitel. Sie wurden weitgehend separat abgewickelt und betrafen vor allem Kunstwerke, die sich nicht in Dresden befanden.33 Erste Auslagerungen vor allem aus dem Depot im Münchner »Führerbau« begannen im Sommer 1941; als Notquartiere dienten unter anderen Stift Kremsmünster, Stift Hohenfurth und Schloss Thürnthal. 1942 wurden die Bergungsdepots, vor allem Kremsmünster, mit großem Aufwand ausgebaut; sie sollten bomben- und einbruchsicher gemacht werden. Die praktische Organisation lag weitgehend bei dem wissenschaftlichen Mitarbeiter des »Sonderauftrags«, Gottfried Reimer, der in Absprache mit der Reichskanzlei handelte. Als Hans Posse 1942 schwer erkrankte, war Reimer alleine zuständig. Zu einem Konflikt kam es 1943 mit dem »Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg« (ERR): Der neue Sonderbeauftragte und Nachfolger Posses, Hermann Voss, reiste kurz nach seinem Amtsantritt im Frühjahr 1943 nach Schloss Neuschwanstein, wo sich ein Bergungsort des ERR befand, um die dort Schwanenservice des Grafen von Brühl, in: Dresdener Kunstblätter 56 (2012) 2, S. 123–129. Die Rückgewinnung des Stückes erfolgte mit der Unterstützung der US-amerikanischen Zollbehörde ICE. 33 Vgl. zum Folgenden ISELT 2010, S. 216–240, mit weiteren Literaturhinweisen.
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284 Gilbert Lupfer und Christine Nagel versammelten Werke zu besichtigen. Der Zutritt wurde ihm von Mitarbeitern des ERR ebenso verwehrt wie überhaupt der Zugriff auf den Kunst(raub-)schatz des ERR.34 1943 waren die Bestände des »Sonderauftrags« auf zahlreiche Auslagerungsorte in Süddeutschland und auf dem Gebiet Österreichs verteilt, sodass der Überblick über diese verstreuten Bestände von den Verantwortlichen kaum mehr zu behalten war und große sicherungstechnische Probleme auftauchten. Umso dringender wurde es nun, die nach Tausenden zählenden Kunstwerke in einem zentralen, gut gesicherten Depot zu konzentrieren. Ein solches wurde schließlich Ende 1943 im Salzbergwerk Aussee im Salzkammergut gefunden. Gottfried Reimer spielte bei der Einrichtung dieses Depots eine zentrale Rolle. Seit Anfang 1944 erfolgten die Transporte von München, aus den diversen Auslagerungsorten und schließlich auch direkt von Dresden aus nach Alt aussee. Die Geschäftsstelle des »Sonderauftrags«, bisher in der Dresdner Gemäldegalerie untergebracht, nahm nach dem 13. Februar 1945 ihren Sitz auf Schloss Weesenstein östlich von Dresden. Auch der »Sonderbeauftragte« Hermann Voss richtete sich dort seine Wohnung ein.35 Auf Weesenstein befanden sich nun die Akten und Karteien des »Sonderauftrags Linz« sowie einige wenige zufällig in Dresden verbliebene Kunstwerke, die nach dem Kriegsende von der Trophäenbrigade der Roten Armee beschlagnahmt und in die Sowjetunion abtransportiert wurden. Diese Trophäenbrigaden trafen kurz nach dem 8. Mai 1945 zusammen mit den ersten Einheiten der Roten Armee in Dresden ein. Sie waren sehr gut vorbereitet, mit Listen der zu beschlagnahmenden Kunstwerke ausgestattet und zum Teil mit Fachleuten aus Wissenschaft und Kunst besetzt. Mit den Informationen, die sie von einigen in Dresden verbliebenen Museumsmitarbeiterinnen wie Ragna Enking erhielten, begannen sie systematisch, die Auslagerungsdepots zu identifizieren, zu öffnen und zu leeren. Bis sie das am weitesten von Dresden entfernte Depot, ein Kalksteinwerk im Erzgebirge, erreichten, dauerte es mehrere Wochen, während derer es dort zu Plünderungen durch die Bevölkerung kam. Über den Zustand der Kunstwerke, darunter beispielsweise Tizians Zinsgroschen, gibt es bis heute unterschiedliche Versionen: Die ehemals sowjetische, heute russische lautet, die Werke wären in einem erbärmlichen Zustand gewesen, sie hätten vor Feuchtigkeit, Schimmel, Diebstahl und versprengten SSTruppen gerettet werden müssen. Sogar ein Film mit dem Titel Fünf Tage, fünf Nächte wurde 1961 als sowjetisch-deutsche Koproduktion gedreht. Darauf gründete der bis 34 Vgl. ISELT 2010, S. 222–230. 35 Vgl. ISELT 2010, S. 236–240.
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Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft Dresden im Zweiten Weltkrieg 285
heute in Russland lebendige Mythos von der Rettung der Dresdner Kunstschätze als edle, selbstlose Freundestat der Roten Armee.36 Tatsächlich gibt es aus Dresdner Sicht kaum Anhaltspunkte dafür, dass die Werke sich in einem derart schlechten Zustand befunden hätten und eine Erhaltung in Dresden aufgrund der unsicheren Lage nicht vertretbar gewesen wäre. Vielmehr handelte es sich bei diesem Abtransport offenkundig um die langfristig und planmäßig vorbereitete Gewinnung von Kriegsbeute als Kompensation für die enormen Verluste der Sowjetunion. Die Bestände der Dresdner Museen wurden von den Auslagerungsorten in das am Rande der Stadt gelegene, unzerstörte und leicht abzuriegelnde Schloss Pillnitz geschafft und dort für den Abtransport in die Sowjetunion vorbereitet. Am 31. Juli 1945 ging der erste Transport per Zug nach Moskau, er enthielt unter anderem 1.240 Gemälde, von denen der größte Teil dem Puschkin-Museum zugewiesen wurde. Zahlreiche weitere Transporte nach Moskau, nach Leningrad und nach Kiew folgten im Laufe des Sommers. Die Preziosen des Grünen Gewölbes, die auf der Festung Königstein eingelagert gewesen waren, wurden nicht auf Museen verteilt, sondern im Tresor des Moskauer Finanzministeriums sicher verwahrt. Zurück in Dresden blieben immerhin einige Stücke. Offenbar gab es in der sowjetischen Militäradministration die Überlegung, möglichst schnell wieder ein Museum zu eröffnen. Dazu beließ man ein Konvolut an Gemälden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts im Pillnitzer Schloss, während die Alten Meister komplett abtransportiert wurden. Für ziemlich genau ein Jahrzehnt war der Verbleib der Kunstwerke mit einem Tabu belegt, in der DDR wie in der UdSSR. Am 30. März 1955 kam der überraschende Beschluss des sowjetischen Ministerrats, die Dresdner Gemälde an die Regierung der DDR zurückzugeben, während von allen übrigen 1945 aus ostdeutschen Museen konfiszierten Kunstwerken keine Rede war.37 Dieser spektakuläre Akt war offensichtlich eine wohl überlegte Geste gegenüber der DDR, auf deren internationale Aufwertung die Sowjetunion großen Wert legte.38 Eine Auswahl der Dresdner Gemälde wurde 36 Vgl. Gilbert LUPFER, »Auferstehung einzigartiger Kunst durch edle Freundestat«. Die Erzählung von der Rettung der Dresdner Gemälde, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg (Hg.), Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg. Verlagerung – Auffindung – Rückführung, Magdeburg 2007, S. 267–279. 37 Vgl. Grigori KOZLOV, Entscheidung in Moskau, in: Dresdner Hefte 87 (2006), Rückkehr der Kunst. Dresden 1956/1958, S. 5–9; Gilbert LUPFER, Abtransport und Rückführung der Dresdner Museums bestände. Chronik der Ereignisse, in: Dresdner Hefte 87 (2006), Rückkehr der Kunst. Dresden 1956/1958, S. 85–90. 38 Vgl. Irina ALTER, Die Rolle der Dresdener Kunstsammlungen in den militärischen und politischen Machtspielen nach dem zweiten Weltkrieg, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 36 (2010), S. 204–213.
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286 Gilbert Lupfer und Christine Nagel vom 2. Mai bis Ende September 1955 im Moskauer Puschkin-Museum gezeigt. Es muss eine triumphale Präsentation mit weit über einer Million Besucherinnen und Besuchern gewesen sein, die Schlange standen, um vor allem die in Russland populäre Sixtinische Madonna zu sehen. Die Gemälde trafen mit zwei Zügen im Oktober 1955 in Berlin ein, wo wiederum eine Auswahl in der Nationalgalerie gezeigt wurde. Erst danach kamen sie nach Dresden zurück. Für ihre Präsentation wurde das zerstörte Galeriegebäude zunächst teilweise wieder aufgebaut. Am 3. Juni 1956 erfolgte die glanzvolle Wiedereröffnung.39 Der große Teil der sonstigen Bestände aus Dresden und aus den anderen ostdeutschen Museen kehrte im Herbst 1958 zurück, noch immer aber fehlen Zehntausende Werke. Viele davon dürften unwiederbringlich verloren sein, manche aber könnten sich noch in Russland oder der Ukraine befinden, in einigen bekannten Einzelfällen sogar in Museen in St. Petersburg, Moskau, Kiew, Lviv, Donezk oder Simferopol. Nach wie vor in Moskau befinden sich auch die Unterlagen des »Sonderauftrags«. Die Geschichte der kriegsbedingten Verlagerung von Kunstwerken ist also auch 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – zumindest aus Sicht der ostdeutschen Museen – noch nicht endgültig abgeschlossen.
39 Vgl. Gilbert LUPFER, Die Rückgabe der Dresdener Gemälde 1955, in: Dresdener Kunstblätter 49 (2005), S. 386–388.
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Rückführung geborgener Kunstgüter im zweifach besetzten Baden – amerikanische und französische Besatzungszone im Vergleich Tessa Friederike Rosebrock
Wenige Tage vor Kriegsbeginn begann der Abtransport der Werke und der Umzug in die Keller. Seitdem waren wir, wenn auch mit Unterbrechungen, immer auf der Flucht. […] Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe und ihre Straßburger Dienststelle haben während des Krieges über dreihundert Transporte durchgeführt, und Sie mögen sich daraus ein Bild machen, welche unvorstellbaren Mengen an Kulturgut in dieser Zeit in Europa und selbst in Amerika geborgen worden sind, im Schatten und unter der Drohung dieses unseligen Krieges, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt und beachtet, neben der Zerstörung, die Rettung des europäischen Erbes.1
Dieses Zitat aus der Rede des Direktors der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Kurt Martin (1899–1975), die er anlässlich der Eröffnung des ersten wiedereingerichteten Galerieflügels seines Hauses am 4. Dezember 1948 hielt, vermittelt einen Eindruck von den Geschicken der Karlsruher Sammlung während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass das Museum für diesen Zeitraum kaum Verluste zu beklagen hat, ist neben der frühzeitigen Verbringung der Kunstwerke in auswärtige Bergungsorte und ihrer sorgsamen Überwachung durch die damaligen Galerieangestellten auch der Umsicht der alliierten Kunstschutzoffiziere (Franzosen wie US-Amerikaner) zu verdanken, die die Werke nach Ende des Krieges in unterirdischen Depots aufgefunden, sortiert und schließlich an ihre Eigentümer_innen zurückgegeben haben. In einem chronologischen Abriss werden im Folgenden die zahlreichen Aus- und Umlagerungen der Kunsthallenbestände geschildert und anschließend ihre Rückbergungen aus der USamerikanischen und französischen Besatzungszone einander gegenübergestellt.
1
Der vorliegende Text basiert auf Tessa Friederike ROSEBROCK, Zwischen ideologischem und bau lichem Zusammenbruch. Die Kunsthalle im Nationalsozialismus, in: STAATLICHE KUNSTHALLE KARLSRUHE, Regine HESS (Hg.), Bauen und Zeigen. Aus Geschichte und Gegenwart der Kunsthalle Karlsruhe(Kat. Ausst. Karlsruhe), Bielefeld 2014, S. 234–255. GNN, DKA, Nachlass Kurt Martin, I B, Kurt Martin: Rede zur Wiedereröffnung der Kunsthalle, 4.12.1948.
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288 Tessa Friederike Rosebrock Kriegsankündigungen
Am 20. September 1938 ging bei der Direktion der Kunsthalle Karlsruhe ein dringendes Schreiben ein. Der »Führer und Reichkanzler« Adolf Hitler hatte angeordnet, dass für Galerien, die wertvolle Kunstschätze aufweisen, unverzüglich bombensichere Keller geschaffen werden sollten.2 Mit diesem per Eilbrief eingehenden Befehl hatte er den sich anbahnenden Krieg noch vor dem Münchner Abkommen vorausgesagt. Die Bau arbeiten in Karlsruhe wurden unmittelbar eingeleitet. Im Kellergeschoß verstärkte man die Decken, und durch Einziehen von Zwischenwänden wurde ein gangartiger Raum geschaffen, in dem alle Bilder untergebracht werden konnten.3 Im Folgejahr nahm die Bedrohung der Kunstwerke zu. Durch einen mit dem Stempel »geheim« versehenen Brief wurde Kurt Martin am 15. August 1939 mitgeteilt, dass er zum zuständigen Kommissar für Kunstbergung in ganz Baden ernannt worden war. Man trug ihm auf, »für das Volkstum unersetzliche Kunstwerke, Sammlungen, Archive gleichgültig ob sie sich in Besitz des Staates, Gemeinden, Kirchen oder privater Hand befinden, der Zerstörung oder dem Zugriff des Feindes im Ernstfalle zu entziehen […] und ihre Wegbeförderung« vorzubereiten.4 Martin interpretierte diesen Auftrag allem voran als Warnung für die Bestände der Kunsthalle. Kupferstichkabinett, Bibliothek und fast alle Gemälde wurden in den jüngst eingerichteten hauseigenen Luftschutzkeller verbracht. Weiter entschied man sich, eine Auswahl der wertvollsten Objekte in das leer stehende Amtsgefängnis Pfullendorf zu evakuieren – einem verkehrsmäßig, industriell und aller Voraussicht nach auch militärisch unwichtigen Ort nahe des Bodensees.5 Das Gebäude war feuersicher, die Zellen waren für Aufteilung, Lagerung und Kontrolle günstig; eine hohe Mauer um den Gefängnishof schirmte es nach außen ab und erleichterte die Überwachung. Transporte dorthin waren durch Freistellung von Möbelwagen und Fahrern im Mobilmachungsplan gewährleistet.6 Die Restauratorin der Kunsthalle, 2 3 4 5
6
Vgl. GLA 236, Nr. 42068, Reichsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst an alle Landesregierungen: Anordnung zur Einrichtung von Luftschutzkellern, 20.9.1938. Vgl. GLA 237, Nr. 42068, Badisches Bauamt an Kultusminister und Staatskanzlei: Luftschutzmaßnahmen für Galerien, 22.11.1938. GLA 441-3, Nr. 677, Badisches Kultusministerium an Kurt Martin: Auftrag zur Evakuierung der Kunstwerke, Sammlungen und Archive Badens und Freistellung Martins, 15.8.1939. Insgesamt wurden etwa 700 Nummern des Karlsruher Werkbestands nach Pfullendorf verbracht. Vgl. GLA 441-3, Nr. 644, Kurt Martin an Badisches Kultusministerium, 13.1.1940; Übersicht der ausgelagerten Werke vgl. GLA 441-3, Nr. 548, Gemälde und Kunstgut, das im Amtsgefängnis Pfullendorf geborgen worden ist, u. Bergungsliste, jeweils o. D. Vgl. Kurt MARTIN, Schicksale des Isenheimer Altars. Erinnerungen aus der Zeit von 1936 bis 1945, in: Cahiers Alsaciens d’Archéologie, d’Art et d’Histoire 11, Hommage à Hans Haug (1967), S. 211–216, hier: S. 212.
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Rückführung geborgener Kunstgüter im zweifach besetzten Baden 289
Margarete Eschenbach (1885–?), sollte die gesamte Kriegszeit über dort verweilen, auf die Werke achten und nebenbei diejenigen restaurieren, bei denen es nötig war.7 Da jedoch die Bevölkerung durch diese Maßnahmen nicht beunruhigt werden sollte, mussten die Transporte heimlich und somit nachts durchgeführt werden. Die Arbeiten begannen am 26. August 1939 um 21 Uhr.8 Mit Hitlers Angriff auf Polen am 1. September 1939 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs war Martin rückblickend froh, diese Vorkehrungen getroffen zu haben. An Ernst Holzinger (1901–1972), den Direktor des Städel Museums in Frankfurt, schrieb er Anfang 1940: »Die Kunsthalle ist völlig geräumt; alles transportable Kunstgut erster und zweiter Qualität wurde noch vor Kriegsbeginn an einen Bergungsort im Innern des Landes verbracht. Der Rest der Bilder ist einschließlich fast aller Bestände des Kupferstichkabinetts schon in unserem bereits im Herbst 1938 gebauten Luftschutzkeller besonderer Konstruktion untergestellt.«9 Doch das Gefühl der Sicherheit war nicht von Dauer. In der Nacht vom 2. auf den 3. September 1942 warfen britische Flieger Bomben über Karlsruhe ab. Zerstört wurden das Landesgewerbeamt, das Markgräfliche Palais, diverse Gebäude am Friedrichsplatz, die Christuskirche, die Westendstraße (heute Reinhold-Frank-Straße), die Körnerstraße, zahlreiche Betriebe im Rheinhafen sowie das dort befindliche städtische Getreidelager.10 986 Gebäude waren eingestürzt, 2.000 schwer und etwa 6.000 leichter beschädigt.11 In den alten Flügel der Kunsthalle war eine Brandbombe gefallen, die glücklicherweise auf einen Dachbalken prallte und deshalb den Dachboden nicht mehr durchschlagen konnte. Wachmannschaften hatten den Einschlag beobachtet und Löschvorgänge eingeleitet, wodurch das Gebäude gerettet werden konnte.12 In der Konsequenz entschied die Stadtverwaltung, dass die Kunsthalle ihre Räume sofort verschiedenen, für das Überleben der Bevölkerung wichtigen Ämtern (Ernährungs7
Vgl. GLA 411-3, Nr. 677, Kurt Martin an Bezirkswirtschaftsamt: Kohleforderung für den Bergungsort Pfullendorf, in dem sich Marga Eschenbach per ministeriellem Erlass für die Dauer des Krieges aufhalten sollte, 31.1.1940. In regelmäßigen Briefen berichtete Eschenbach Martin über den Fortgang ihrer Restaurierungsarbeit in Pfullendorf, vgl. GLA 441-3, Nr. 548–551. 8 Vgl. GLA 441-3, Nr. 677, Karl Oeftering an Badisches Kultusministerium: Staatswichtiger Transport (Bericht über Kunsttransporte von Karlsruhe nach Pfullendorf ), 28.8.1939. 9 GLA 441-3, Nr. 677, Kurt Martin an Ernst Holzinger, 30.5.1940. 10 Vgl. GLA 441-3, Nr. 643, Kurt Martin: Bericht über den englischen Fliegerangriff, 2./3. September 1942, 7.9.1942. 11 Vgl. GLA 441-3, Nr. 643, Kurt Martin: Nachtrag zum Bericht über den englischen Fliegerangriff, 2./3. September 1942, 16.9.1942. 12 Vgl. GLA 441-3, Nr. 643, Kurt Martin: Bericht über den englischen Fliegerangriff, 2./3. September 1942, 7.9.1942.
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290 Tessa Friederike Rosebrock amt, Feststellungsbehörde für Fliegerschäden, Wirtschaftsamt, Hochbauamt, Wohnungs- und Quartieramt) zur Verfügung stellen musste, die ihre eigenen Räumlichkeiten eingebüßt hatten. Kurt Martin bezeichnete den Vorgang als »Beschlagnahme des Museums«.13 Evakuierung des Museums
Die Kunsthalle musste binnen kürzester Zeit vollständig geräumt werden. Im Evakuierungsbescheid vom 12. September 1942 hieß es, »die Besichtigung der Räume in der Staatlichen Kunsthalle (Bildergalerie) [hat] ergeben, dass das städtische Ernährungsamt sofort in die für dieses Amt vorgesehenen Säle umziehen […] und der Umzug bis spätestens nächste Woche durchgeführt werden« kann.14 Martin suchte hände ringend nach neuen Bergungsorten und fand sie schließlich mit Hilfe des Markgrafen Berthold von Baden in verschiedenen, der markgräflichen Vermögensverwaltung unterstehenden Massivbauten der Region.15 Der Hauptbestandteil der Sammlung (die gesamte badische Malerei des 19. Jahrhunderts und, mit Ausnahme der Altdeutschen Zeichnungen und der Zeichnungen Hans Thomas, das gesamte Kupferstichkabinett, die Bibliothek und die Verwaltungsakten) gelangte nach Schloss Bauschlott bei Pforzheim.16 Weitere zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehende Auslagerungsorte waren Schloss Eberstein bei Gernsbach und das Prinz-Wilhelm-Palais in Karlsruhe.17 Dort, wie auch im Neuen Schloss Baden-Baden wurden unmittelbar Luftschutzvorkehrungen getroffen.18 Vom 17. September 1942 bis 3. Oktober 1942 liefen dann die Transporte von Karlsruhe in die verschiedenen Depots (vgl. Abbildung 1).
13 GLA 235/40258, Kurt Martin an Abteilung für Kultus und Unterricht Karlsruhe: Betr. Erlass Nr. A I 542 vom 6. Dezember 1945, 18.1.1946. 14 GLA 441-3, Nr. 720, Oberbürgermeister von Karlsruhe an Kurt Martin: Befehl zur sofortigen Räumung der Kunsthalle, 12.9.1942, Hervorheb. i. O. 15 Vgl. GLA 441-3, Nr. 720, Badisches Kultusministerium an Kurt Martin: Übermittlung, dass Graf Berthold von Baden Weisung erteilt habe, Schloss Bauschlott, Schloss Eberstein und das Prinz-Wilhelm-Palais in Karlsruhe als Bergungsorte für die Kunsthalle zur Verfügung zu stellen, 18.9.1942, u. Kurt Martin an Graf Berthold von Baden: Dankesbrief, 14.10.2014. 16 Vgl. GLA 441-3, Nr. 643, Kurt Martin an Robert Hiecke (Ministerialdirigent im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung): Suche nach einem Bauschlott hinsichtlich der Sicherheit überlegenen Bergungsort, 23.10.1942. 17 Vgl. GLA 441-3, Nr. 720, Badisches Kultusministerium an Kurt Martin: Übermittlung, dass Graf Berthold von Baden Weisung erteilt habe, Schloss Bauschlott, Schloss Eberstein und das Prinz-Wilhelm-Palais in Karlsruhe als Bergungsorte für die Kunsthalle zur Verfügung zu stellen, 18.9.1942. 18 Vgl. GLA 441-3, Nr. 720, Kurt Martin an Landesamt für Denkmalpflege Karlsruhe, 24.9.1942.
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Abbildung 1: Vollständige Evakuierung der Kunsthalle im September 1942
In Schloss Bauschlott war genügend Raum vorhanden, allerdings hatte man dort zuvor Getreide gelagert, woraus eine starke Staubbelastung für die Kunstwerke und Probleme mit Mäusen und Ratten resultierten.19 Zudem hat der Hals-über-KopfAuszug aus der Kunsthalle eine ordnungsgemäße Verpackung vieler Werke verhindert, auch Diebstahl- und Feuerschutzmaßnahmen konnten binnen einer Woche an den neuen Bergungsorten nicht umgesetzt werden.20 Umlagerungen
Nur zwei Jahre nachdem die neuen Quartiere bezogen worden waren, musste Bauschlott wieder geräumt werden. Das Krankenhaus Pforzheim beanspruchte die nahe19 Vgl. GLA 441-3, Nr. 720, Kurt Martin an Minister des Kultus und des Unterrichts: Auszug aus der Kunsthalle, 13.10.1942, u. Rechnung an die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe über 5 Pakete Rattengift, 10 Pakete Mäusegift, 15 Pakete Mottentafeln, 29.9.1942. 20 Vgl. GLA 441-3, Nr. 720, Kurt Martin an Minister des Kultus und des Unterrichts: Auszug aus der Kunsthalle, 13.10.1942.
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292 Tessa Friederike Rosebrock gelegenen Räume des Schlosses als Notlager für Verwundete,21 und so startete man im Frühling 1944 mit der Verlagerung der dortigen Bestände in die Salzbergwerke Heilbronn und Friedrichshall-Kochendorf. Bereits im Februar waren Bauarbeiten zur Schaffung von vor Luftangriffen sicheren Aufbewahrungsorten für die Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe in den Stollen durchgeführt worden.22 Die Bedingungen in den Salinen waren überraschenderweise hervorragend. Viele hundert Meter unter der Erde war unendlich viel Platz, und es herrschte eine kon stante Temperatur. Durch das Zuschütten der Schächte waren die Werke vor unbefugtem Eindringen geschützt, und Ungeziefer gab es unter Tage ebenfalls kaum.23 Diese Vorteile hatten neben der Kunsthalle auch andere Institutionen erkannt, und so sammelte sich in dem Bergwerk ein undenkbarer Kunst- und Werteschatz. In der oberste Ebene hatten unter anderen die Großunternehmen I. G. Farben, Fiat, Bosch, aber auch ein paar Privatsammler_innen, das Landesarchiv Schleswig-Holstein und die Universitätsbibliothek Heidelberg Abbaukammern belegt. In der zweiten Ebene, in der die Kunsthalle Karlsruhe ihr Depot einrichtete, lagerten außerdem Bestände des Badischen Landesarchivs und der Kunsthalle Mannheim. In Friedrichshall-Kochendorf hatte die Kunsthalle einen großen Teil des Kupferstichkabinetts geborgen. Dort waren außerdem die Staatsgalerie Stuttgart mit Grafikbeständen vertreten, das Museum Ulm und das Stuttgarter Staatstheater.24 Ein erster Transport mit Kunsthallenwerken von Bauschlott nach Heilbronn wurde am 25. April 1944 auf den Weg geschickt.25 Die allzu großformatigen Gemälde, das Mobiliar und die Verwaltungsunterlagen konnten jedoch nicht in das Salzwerk eingebracht werden. Für sie fand man Unterbringungsmöglichkeiten im Kloster St. Trudbert im Untermünstertal, im Kloster Erlenbad, in Schloss Adelsheim bei Buchen und im Neuen Schloss sowie der Ständigen Kunstausstellung Baden-Baden.26 Weitere Aus21 Vgl. GLA 441-3, Nr. 720, Badisches Kultusministerium an Oberbürgermeister Baden-Baden: Überführung der Bestände der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe aus Bauschlott ins Gebäude der Ständigen Kunstausstellung Baden-Baden, 16.5.1944. 22 Vgl. GLA 414-3, Nr. 720, Bauunternehmen Koch und Mayer, Heilbronn, an Staatliche Kunsthalle Karlsruhe: Rechnung, 29.2.1944. 23 Vgl. GLA 441-3, Nr. 718, Rudolf Schnellbach: Bericht über die Bergungsmöglichkeiten von Kunstgut im Salzbergwerk Friedrichshall/Kochendorf, o. D., u. ders.: Aktennotiz, 22.3.1944. 24 Vgl. Christhard SCHRENK, Schatzkammer Salzbergwerk. Kulturgüter überdauern in Heilbronn und Kochendorf den Zweiten Weltkrieg, Heilbronn 1997 (Einlagerungspläne der Salinen S. 356–358). 25 Vgl. GLA 441-3, Nr. 720, Kurt Martin an Badischen Gemeindeversicherungsverband: Bitte um Versicherung des eigens verantworteten Kunsttransports in Höhe von 952.000 RM, 24.4.1944. 26 Vgl. GLA 235/40258, Kurt Martin an Abteilung für Kultus und Unterricht Karlsruhe: Betr. Erlass Nr. A I 542 vom 6. Dezember 1945, 18.1.1946.
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Abbildung 2: Landkarte von Baden-Württemberg mit Depots der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
lagerungsorte waren Schloss Rastatt, nach wie vor Schloss Eberstein bei Gernsbach, und die Skulpturen des 19. Jahrhunderts sowie die historischen Kartons fanden Obhut im Keller eines Seitengebäudes des Karlsruher Schlosses.27 Bei Kriegsende war die 27 Vgl. GLA 441-3, Nr. 720, Luise Vernickel an Badische Gemeindeversicherung Karlsruhe: Anträge auf Versicherung von Kunsttransporten am 15., 16., 23., 24., 29. Mai, 28. August u. 3. Oktober 1944.
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294 Tessa Friederike Rosebrock Sammlung der Kunsthalle auf elf verschiedene Depots in Nord- und Südbaden verteilt (vgl. Abbildung 2).28 Nachdem die Oberbefehlshaber der vier alliierten Siegermächte am 5. Juni 1945 durch die Berliner Erklärung die oberste Regierungsgewalt über Gesamtdeutschland übernommen und die Besatzungszonen definiert hatten, befanden sich diese teilweise im US-amerikanischen und teilweise im französischen Kontroll sektor. Die Grenze verlief als West-Ost-Achse auf der Höhe von Rastatt mitten durch das Land. Amerikanischer Kontrollsektor
Im amerikanischen Kontrollsektor agierte die Monuments, Fine Arts and Archives Section (MFA&A) der US-Armee. Dabei handelte es sich um eine Abteilung zum Schutz von Kunstgütern während und nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Leitung von James Rorimer (1905–1966), dem späteren Direktor des Metropolitan Museum of Art in New York. Die Gruppe – maßgeblich Kunsthistoriker und Restauratoren – bestand von 1943 bis 1948. Sie war die historisch erste institutionalisierte Aktion, in der sich ein Land während eines Krieges im Feld für den Erhalt der Kulturgüter des Kriegsgegners einsetzte. Die sogenannten Monuments Men verstanden sich als eine Art »Rotes Kreuz für die Kunst«,29 dessen Ziel es war, Zerstörungen von Baudenkmälern, Museumsbeständen, Archivmaterial, Bibliotheken und privatem Kunstbesitz in Deutschland maximal einzudämmen und die Eigentumsverhältnisse der von Hitler in Kunstraubzügen zusammengetragenen Werke aufzuklären. Dafür markierten sie schützenswerte Gebäude und durchforsteten das Land nach Depots und Verstecken. Sie bargen unterirdisch eingelagerte Kulturgüter aus Salzminen, Bergwerken und Luftschutzkellern – darunter sowohl museale Sammlungen als auch NS-Raubkunst. Die Kunstwerke kamen in Sammelstellen, sogenannte Collecting Points, wo sie nach Ländern sortiert und hinsichtlich ihrer Provenienz überprüft wurden. Anschließend gab man sie – sofern eruierbar – ihren rechtmäßigen Eigentümer_innen (privat oder öffentlich, im In- und Ausland) zurück.30 28 Vgl. GLA 441-3, Nr. 1134, Übersicht der Staatlichen Depots, o. D. [1945]. 29 Rolf SCHMITT, Monuments Men. Eine Schatzsuche im Nachkriegsdeutschland, in: Thomas ADAM, Thomas MOOS, Rolf SCHMITT (Hg.), Oppenheimer. Eine jüdische Familie aus Bruchsal. Spuren – Geschichten – Begegnungen, Bruchsal 2013, S. 217–212, hier: S. 217. 30 Zu den sogenannten Monuments Men und ihrer Arbeit vgl. u. a. Tessa Friederike ROSEBROCK, Kurt Martin und das Musée des Beaux-Arts de Strasbourg. Museums- und Ausstellungspolitik im Dritten Reich und in der unmittelbaren Nachkriegszeit, Berlin 2012, S. 236–253; Tanja BERNSAU, Die Besatzer als Kuratoren. Der Central Collecting Point Wiesbaden als Drehscheibe für einen Wiederaufbau der Museumslandschaft nach 1945, Berlin 2013, sowie den Beitrag von Birgit KIRCHMAYR in diesem Band.
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Martins Liste
Im Mai 1945 fanden die Kunstschutzoffiziere das Lager in der Heilbronner Salzmine. So eindrucksvoll Menge und Qualität der hier geborgenen Kunstwerke waren, so problematisch war ihre Zuordnung. Alle Kisten waren mit Abkürzungen versehen und nummeriert, aber ob es sich bei ihrem Inhalt um Einlagerungsbestände von Institu tionen handelte, und wenn ja welcher, oder ob sich darunter vielleicht auch NS-Raubkunst aus jüdischen Privatsammlungen befand, war unersichtlich. Es hatte ein Ein lagerungsverzeichnis in der Saline gegeben, das jedoch durch einen Wassereinbruch in den Stollen unleserlich geworden war. Somit war zwar bekannt, dass dieses Kunstdepot einer gewissen Systematik unterlag, man wusste aber nicht, welcher. Ohne die Information, woher die unterirdisch deponierten circa 20.000 Kisten stammten und nach welchem Prinzip sie magaziniert worden waren, schien eine Rückübertragung an die rechtmäßigen Eigentümer_innen nahezu unmöglich. James Rorimer gelang es, Rudolf Schnellbach (1900–1980) vom Badischen Landesmuseum ausfindig zu machen, der zusammen mit Kurt Martin einen Großteil der Kunsteinlagerungen im Land koordiniert hatte. Dieser berichtete ihm, dass Martin, der sich in Waldheim bei Schienen am Bodensee befand, eine vollständige Abschrift der Einlagerungsliste besaß. Es dauerte vier ganze Monate bis Rorimer einen Passierschein für die französische Zone erhielt, doch im September 1945 traf er Martin in Waldheim. Dieser hatte von dem Wasserschaden gehört und daraufhin seinerseits versucht, die Liste nach Heilbronn zu bringen. Er war jedoch an den rigorosen Passage regelungen der Besatzungsmächte gescheitert. Gemeinsam fuhren Rorimer und Martin vom Bodensee nach Pfullendorf, wo neben der Restauratorin Margarete Eschenbach mittlerweile auch die Verwaltungsleiterin der Kunsthalle, Luise Vernickel (1902–1991), stationiert war. Sie besaß als einzige eine Schreibmaschine und erstellte über Nacht eine Abschrift der wertvollen, fünfzig Seiten umfassenden Liste, die Rorimer dann mit sich nahm.31 Diese Abschrift, die sich im Generallandesarchiv Karlsruhe erhalten hat, erwies den US-Amerikanern einen großen Dienst.32 In seinen Erinnerungen schrieb Rorimer über die Situation: Using these annotated lists we were able to single out the boxes in the Heilbronn saltmine containing works of art from France and Holland, and other boxes containing scrupulously kept entries, bills of sale and record books of all art transcriptions, parti31 Vgl. James Joseph RORIMER, Survival. The Salvage and Protection of Art in War, New York 1950, S. 144–146. 32 Vgl. GLA 441-3, Nr. 722, »Martin Lists«, o. D.
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296 Tessa Friederike Rosebrock cularly confiscated Jewish works of art from Alsace and elsewhere. Martin had made most praiseworthy efforts to preserve the objects and systematic records were evidence of his thoroughness and good intention.33
Die Kisten der unterschiedlichen Einlagerer wurden ans Tageslicht befördert und sortiert. Anhand von Martins Liste konnte nachvollzogen werden, welche Inhalte sich in welchen Kisten befanden. Die Altbestände der Museen wurden den jeweiligen Häusern zurücküberantwortet. Werke von Privateigentümer_innen und museale Neu erwerbungen während der Kriegsjahre wurden in den Collecting Point nach Wiesbaden verbracht. Collecting Points
Die Collecting Points waren Sammelstellen für Kunstwerke, deren Provenienz die Amerikaner überprüfen wollten. Insgesamt gab es drei davon – in Wiesbaden wurden vorrangig eingelagerte deutsche Museumsbestände überprüft, in Offenbach wurden Judaica auf ihre Herkunft untersucht und in München maßgeblich Raubkunst der NS-Behörden und Parteigrößen, bei der oft eine Restitution ins Ausland folgte. Da sämtliche während des Krieges in besetzten Gebieten durchgeführte Ankäufe mit dem Erlass der interalliierten Londoner Deklaration vom 5. Januar 1943 als ungültig erklärt worden waren, wurden die Werke an die Staaten restituiert, aus denen sie kamen. Hintergrund war nicht, dass alle diese Objekte ihren Eigentümer_innen NS-verfolgungsbedingt entzogen worden waren (wobei die Regelung auch diesem Problem begegnete) – der übergeordnete Leitgedanke war der Schutz des nationalen Kulturguts. Jedes Entfernen von Kulturgut durch die deutschen Besatzer, sei es durch Beschlagnahme, sei es durch ein formales Rechtsgeschäft, wurde als Verminderung des nationalen Kulturguts betrachtet. Bereits die Haager Landkriegsordnung von 1899 beziehungsweise 1907 hatte den Eigentumsschutz in Kriegssituationen im Völkerrecht grundlegend verankert. Demnach war jegliche Form von Konfiszierung, Plünderung oder absichtlicher Beschädigung kultureller Werte durch eine besetzende Macht untersagt. Die Ausweitung dieses Verbots auf Verkäufe im freien Handel erfolgte jedoch erst mit der Londoner Erklärung.34 Insbesondere der ungünstige Wechselkurs von 20:1, welchen die Nationalsozialisten der französischen Nationalbank aufgezwungen hatten, und die Einkäufe in den Niederlanden, bei denen viele Deutsche mit Besatzungsgeld, sogenannten Reichskassenscheinen, zahlten, lieferten die Grundlage für diesen Entschluss. 33 RORIMER 1950, S. 146. 34 Vgl. ROSEBROCK 2012, S. 257.
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Kurt Martin – gebürtiger Schweizer und kein Mitglied der NSDAP – hatte während des Krieges im Namen der Generalverwaltung der oberrheinischen Museen, der von 1940 bis 1944 sämtliche Museen Badens und des Elsass unterstanden, sowohl für die Kunsthalle Karlsruhe als auch für das Musée des Beaux-Arts de Strasbourg auf dem europäischen Kunstmarkt eingekauft. Obwohl er keinen Kontakt zu den Deutschen im Pariser Musée de Jeu de Paume hatte, er nie auf Auktionen steigerte, weil man dort schlechter nachvollziehen konnte, wem die Objekte vorher gehört hatten, und er stets darauf achtete, unbelastete Werke zu erwerben, fand sich unter seinen Akquisitionen nach Ende des Krieges auch ehemals jüdischer Privatbesitz.35 Seine Neuerwerbungen wurden nun von den Alliierten nach Herkunftsländern sortiert und auf ihre Provenienz hin überprüft. Ankäufe für Karlsruhe aus der Schweiz, aus Österreich und Deutschland gelangten in die Sammlung der Kunsthalle – hier gab es schließlich keine Probleme mit Wechselkursen oder Ähnlichem; Ankäufe für Karlsruhe aus Holland wurden an die Niederlande zurückgegeben, Gleiches galt für Kunstwerke, die Martin auf dem Pariser Kunstmarkt für Karlsruhe erworben hatte. Nach Abzug dieser im Ausland erworbenen Werke verblieben 3.025 Druckgraphiken, 1.823 Zeichnungen, zwölf Skulpturen und 165 Gemälde, die als unbelastete Neuerwerbungen seit 1939 an die Kunsthalle zurückgegeben wurden.36 Die komplexe Überprüfung von Provenienzen in den Collecting Points war eine organisatorische und verwaltungstechnische Meisterleistung. Der Wiesbadener Stützpunkt, der im dortigen Museum eingerichtet war, wurde erst von Walter Farmer (1911–1997) und später von Edith Standen (1905–1998) geleitet. Als Abgesandte Frankreichs war außerdem Rose Valland (1898–1980)37 häufig anwesend, und als Kenner der deutschen Museumslandschaft unterstützten Ernst Holzinger und gelegentlich auch Kurt Martin die Arbeit der Amerikaner (vgl. Abbildung 3). Die Kunstschutzoffiziere legten sogenannte Property Cards an. Jedes Werk wurde fotografiert, vermessen, beschrieben und die Information zu seiner Herkunft und Verkaufsgeschichte auf dieser Karteikarte vermerkt.38 35 Zu Martins Kunsteinkäufen im besetzten Ausland und deren Beurteilung vgl. ROSEBROCK 2012, S. 113–169, 338–347. Dass trotz Martins mutmaßlicher Vorsicht bei Erwerbungen aus dem Handel Überweisungen von Kunstwerken aus beschlagnahmten Beständen von der Devisenstelle und dem Polizeipräsidenten Karlsruhe an die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe durchgeführt worden sind, belegt ein neunseitiges, von Martin im Januar 1947 unterzeichnetes Dokument, das im Generallandesarchiv Karlsruheund in den National Archives in Washington konserviert wird. Vgl. GLA 441-3, Nr. 963, Kurt Martin: Verzeichnis der von der Staatl. Kunsthalle Karlsruhe seit 1933 aus juedischem Besitz erworbenen Gemaelde, Zeichnungen und druckgraphischen Blaetter, 28.1.1947. 36 Vgl. GNN, DKA, Nachlass Kurt Martin, I B, Kurt Martin: Rede zur Wiedereröffnung der Kunsthalle, 4.12.1948. 37 Eigentlich Rosa Antonia Valland, geb. in Saint-Etienne-de-Saint-Geoirs; gest. in Ris-Orangis. 38 Die Originale befinden sich in den National Archives in Washington, vgl. ROSEBROCK 2012, S. 243–250.
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Abbildung 3: Das Museum Wiesbaden 1945, Central Collecting Point der US-amerikanischen Militärregierung
Französischer Kontrollsektor
Im französisch besetzten Teil Deutschlands nahm sich die Commission de récupération artistique (CRA) der verlagerten Kunstobjekte an.39 Die 1944 gegründete Organisation unter der Leitung von Albert Henraux (1881–1953), dem Präsidenten des Freundeskreises des Louvre und Vize-Präsidenten des Zentralrates der französischen Staats39 Zur Commission de récupération artistique existiert eine überschaubare Anzahl an wichtigen Veröffentlichungen in französischer Sprache. Vgl. Marie HAMON, La récuperation des œuvres d’art spoliées 1944– 1993, Paris 1993 (unveröffentlichtes Typoskript, einsehbar in den Archives Diplomatiques de la Ministère des Affaires étrangères); Claude LORENTZ, La France et les restitutions allemandes au lendemain de la Seconde Guerre mondiale 1943–1954, Paris 1998; Isabel LE MASNE DE CHERMONT, Didier SCHULMANN, Le pillage en France pendant l’Occupation et la situation de 2000 œuvres confiées aux musées nationaux, Paris 2000; Isabel LE MASNE DE CHERMONT, Laurence KLAGSBALD-SIGAL, L’ampleur des restitutions de l’après-guerre. La politique de reconstitution des patrimoines artistiques des pays occupés, in: Isabel LE MASNE DE CHERMONT (Hg.), À qui appartenaient ces tableaux? La politique française de recherche de provenance de garde et de restitution des œuvres d’art pillées durant la Seconde Guerre mondiale (Kat. Ausst. Israel u. Paris), Paris 2008, S. 23–35, auch online veröffentlicht vgl. http://www.culture.gouv.fr/documentation/mnr/AH/MnR-apercu-hist.htm (17.4.2015); Corinne BOUCHOUX, »Si les tableaux pouvaient parler…«. Le traitement politique et médiatique des retours d’œuvres d’art pillées et spoliées par les Nazis (France 1945–2008), Rennes 2013.
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museen, sollte die Rückführung der aus Frankreich verbrachten Kunstgegenstände und die weitere Verteilung der Objekte realisieren. Unterstützt wurde Henraux von Michel Florisoone (1904–nach 1975?), der aufgrund langjähriger Beschäftigung beim Außenministerium Erfahrungen im interkulturellen Austausch mitbrachte und jetzt als Kustos am Louvre angestellt war, sowie von Rose Valland. Die Museumskonservatorin hatte trotz ihrer Zugehörigkeit zur französischen Résistance in ihrer politischen Einstellung unbemerkt während der gesamten Zeit der deutschen Besatzung im Pariser Musée de Jeu de Paume gearbeitet und dabei umfassende Kenntnisse über die Mechanismen der Entziehung französischen Kulturgutes durch den »Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg« (ERR) erlangt. Da sie deutsch sprach, hatte sie durch das Belauschen von Gesprächen vom Inhalt vieler Kunsttransporte und ihren Bestimmungsorten erfahren – Informationen, die sie über Jahre hinweg sorgfältig dokumentierte. Heimlich hatte sie Verzeichnisse der Kunstwerke aus den für Hermann Göring abgehaltenen privaten Raubkunstausstellungen erstellt und Abschriften von Inventaren angefertigt. Dieses Wissen half der Kommission nun bei der Wiederauffindung der nach Deutschland ausgeführten französischen Kulturgüter.40 Vor Ort im Südteil Badens waren es vor allem Maurice Jardot (1911–2002) und Michel François (Lebensdaten unbekannt), beide Mitglieder des Kunstressorts (Service des Beaux Arts) der französischen Militär regierung (Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation) unter der Leitung Pierre-Marie Koenigs (1898–1970), die als Ansprechpartner für die deutschen musealen Instanzen fungierten.41 Im französischen Kontrollsektor gab es keine so gigantischen Kunstbergungslager wie Heilbronn, Altaussee oder Neuschwanstein, und auch keine der NS-Größen hatte die Beute ihrer Raubzüge in dieses Gebiet verbracht. Stattdessen gab es viele kleinere Depots mit Museumsbeständen aus der eigenen und aus fremden alliierten Besatzungszonen stammend, Privatbesitz und von Deutschen im besetzten Ausland realisierte Neuankäufe. Das Auffinden und Sichten dieser zahlreichen Einlagerungsstätten, deren Inhalte unmittelbar nach ihrer Entdeckung von der Militärregierung beschlagnahmt wurden, nahm viel Zeit in Anspruch. Nach einer ersten Bestandaufnahme wurden einige Depots zu40 Die Spionagetätigkeit Rose Vallands im Jeu de Paume während der deutschen Besatzung ist vor allem durch ihre eigenen Aufzeichnungen dokumentiert. Vgl. Rose VALLAND, Le front de l’art. Défense des collections françaises 1939–1945, Paris 1961; Corinne BOUCHOUX, Rose Valland. La résistance au musée, Paris 2006. 41 Zur Organisation des Kunstressorts der französischen Militärregierung in Baden-Baden vgl. ROSEBROCK 2012, S. 288–289; zur Zusammenarbeit von Maurice Jardot und Michel François mit den deutschen Museen vgl. Kurt MARTIN, Abschiedsworte an zwei von uns scheidende Kunstfreunde, in: Das Kunstwerk 3 (1949) 7, S. 53.
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300 Tessa Friederike Rosebrock sammengelegt.42 Andere wurden aufgelöst, wie etwa das Amtsgefängnis Pfullendorf, das im Januar 1946 geräumt werden musste.43 Die dort eingelagerten Bestände der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe gelangten ins Schloss Rastatt, in dem sich neben verschiedenen Dienststellen auch das Tribunal Générale, das erstinstanzliche Gericht der französischen Militärregierung, befand. Hier wurden von 1946 bis 1954 die sogenannten Rastatter Prozesse auf der Grundlage des Kontrollratgesetzes Nr. 10 gegen die Verantwortlichen des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus abgehalten. Insgesamt gab es 20 große Strafverfahren gegen mehr als 2.000 Angeklagte.44 Für die Werke der Kunsthalle bedeutete dies, dass sie sich in einem Gebäude mit immensem Publikumsverkehr befanden. Die Restauratorin Marga Eschenbach bezog kurzerhand die Wohnung des Schlosshausmeisters, um zu Aufsichtszwecken ununterbrochen vor Ort sein zu können.45 Im Gegensatz zu der von vorne herein geplanten Untersuchung der Herkunft der Objekte innerhalb des amerikanischen Kontrollsektors bestand das Hauptanliegen der Franzosen darin, sämtliche Besitztümer, die während der zurückliegenden vier Jahre aus Frankreich ausgeführt worden waren, schnellstmöglich nach Paris zurück zu bringen. Alle Bürger_innen Frankreichs wurden über die Zeitung und das Radio dazu aufgerufen, Formulare auszufüllen, in denen sie ihre Verluste anführten.46 Auf der Grundlage der in Folge gestellten Rückgabegesuche entstand später das Répertoire des Biens spoliés. Das ist ein Katalog, in dem sämtliche Mobilien aufgeführt sind, die in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg vermisst wurden und nicht wieder aufgefunden werden konnten. Die insgesamt zehnbändige Publikation dieses Werks erfolgte zwischen 1947 und 1949 durch das zentrale Restitutionsbüro des französischen Oberkommandos in Deutschland. Die Bände Nr. 2 und 3, welche vermisste Kulturwerte verzeichnen, wurden an Museen und Galerien vor allem in Frankreich, Deutschland, Österreich und den Vereinigten Staaten verteilt, mit der Aufforderung, die darin verzeichneten Objekte bei Auffinden zurückzugeben.47
42 Vgl. MAE‚ 209 SUP, cart. 356, D 57, Etat des dépots d’objets d’art signalés antérieurement au 15 mars 1947 dans le Grand Duché de Bade (Liste der Einlagerungsorte). 43 Vgl. GLA 235/40258, Kurt Martin an Abteilung für Kultus und Unterricht Karlsruhe: Betr. Erlass Nr. A I 542 vom 6. Dezember 1945, 18.1.1946. 44 Vgl. Yveline PENDARIES, Les Procès de Rastatt (1946–1954). Le jugement des crimes de guerre en zone française d’occupation en Allemagne (Collection Contacts, Série II – Gallo-Germanica 16), Bern-BerlinFrankfurt am Main-New York 1995. 45 Vgl. GLA 441-3, Nr. 721, Arthur von Schneider an Städtisches Wohnungsamt Rastatt, 8.3.1946. 46 Vgl. MAE, 209 SUP, cart. 1–73, Dossiers individuels déposés à la CRA. 47 Vgl. http://www.culture.gouv.fr/documentation/mnr/MnR-rbs.htm (17.4.2015).
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Auch deutsche Museumsdirektoren und Privatleute traten an die französische Militärregierung heran und vermittelten den Lagerort ihrer Habe in der Hoffnung auf Rückübertragung. So verfasste Kurt Martin bereits im Mai 1945 einen umfassenden Bericht über die Badischen Kunstsammlungen und die Generalverwaltung der oberrheinischen Museen in deutscher und französischer Sprache, aus dem sämtliche Depots der Museen und ihre Inhalte hervorgingen und der außerdem genau vermittelte, welche Kunst ankäufe er in welchen Gebieten (besetzt oder nicht besetzt) für die Karlsruher Kunsthalle respektive die Straßburger Gemäldegalerie getätigt hatte.48 Aus diesen Listen stellten die Franzosen eigene Listen mit den darunter befindlichen Objekten französischer Pro venienz zusammen.49 Sofern es sich um Erwerbungen vom französischen Kunstmarkt während der deutschen Besatzungszeit handelte, wurden diese nach Paris geschickt. Ausgenommen davon waren die Werke, die Kurt Martin im Namen der Generalverwaltung innerhalb Frankreichs für das Musée des Beaux-Arts de Strasbourg gekauft hatte. Aufgrund einer Sonderregelung des französischen Staates wurden diese direkt an das Straßburger Museum übergeben, da das Elsass während der gesamten Kriegszeit zu Frankreich gehört hatte und das nationale Kulturgut Frankreichs durch Verkäufe von Kunstwerken, zum Beispiel aus Paris nach Straßburg, nicht vermindert worden war.50 Nach einiger Zeit erwies es sich, dass die gleichzeitige Betreuung der vielen Bergungsorte in der französischen Besatzungszone den Kunstschutzoffizieren Schwierigkeiten bereitete, zumal die Commission de récupération artistique anfangs nur 17, zum Ende ihrer Tätigkeit 30 Mitglieder zählte, die sich zwischen Deutschland und Paris verteilten.51 Erschwerend kam hinzu, dass aus Frankreich ausgeführte Kunstwerke, die in den anderen Besatzungszonen aufgefunden wurden, in den französischen Kontrollsektor überführt wurden.52 Die französische Militärregierung benötigte also eine Sammelstelle, eine Art Auffanglager oder Transitdepot für diese Objekte. Am 15. Februar 194653 wurde dazu das Neue Schloss Baden-Baden bestimmt – einer der größten Bergungsorte in unmittelbarer Nähe zur französischen Grenze.54 Da es sich als sinnvoll 48 Vgl. GLA 441-3, Nr. 1134, Kurt Martin: Bericht/Rapport, 20.5.1945; GLA 441-3, Nr. 548, Kurt Martin: Einlagerungsverzeichnis der Bergungsorte Baden-Baden, Heilbronn, Pfullendorf, etc., o. D. 49 Vgl. GLA 441-3, Nr. 548, Listes des œuvres d’art de provenance française à Baden-Baden, Heilbronn, Pfullendorf, etc., o. D. 50 Zur Erläuterung dieser Sonderregelung vgl. ROSEBROCK 2012, S. 250–253. 51 Vgl. LE MASNE DE CHERMONT, KLAGSBALD-SIGAL 2008, S. 27. 52 Vgl. MAE, 209 SUP, cart. 355, D 22A, Compte rendu de la réunion tenue le 17 mai à la sous direction des Beaux-Arts de Baden-Baden relative à la Récupération artistique, o. D. 53 Vgl. MAE, 209 SUP, cart. D 347, D 41 (CCP Baden-Baden I et II), dossier 4, Récupération artistique: Bericht, 15.7.1947. 54 Vgl. MAE, 209 SUP, cart. D 347, D 41 (CCP Baden-Baden I et II), Général Laffon, Adjoint pour
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302 Tessa Friederike Rosebrock erwies, die Provenienzen der vorhandenen Werke vor ihrer Verbringung nach Paris zu prüfen, richteten die Franzosen dort einen Collecting Point nach amerikanischem Vorbild ein. Die Leitung übernahm Madame M. Azambre.55 In Anbetracht der Tatsache, dass sich die französische und die US-amerikanische Besatzungsmacht nur in wenigen Punkten einig waren, ist diese Orientierung der Franzosen am amerikanischen Modell einigermaßen erstaunlich. Ein Aktenvermerk Rose Vallands vom September 1946 vermittelt, dass Albert Henraux explizit eine Organisation wie im Münchener CCP der Amerikaner wünschte: Un dépôt d’œuvres d’art devant être organisé à Baden-Baden, le Président de la Commission de récupération artistique serait très désireux, qu’avant de créer ce dépôt, le Directeur des Beaux-Arts de la Zone Française puisse prendre connaissance le plus rapidement possible de la magnifique organisation réalisée par les services américains de la 3ème Armée à Munich.56
Zu diesem Zeitpunkt existierten innerhalb des französischen Kontrollsektors noch acht Depots in Württemberg, drei in Baden und 15 in Rheinland-Pfalz.57 Die Kunstwerke wurden aus den umliegenden Provinzdepots herausgeholt und ins Neue Schloss Baden-Baden gebracht (vgl. Abbildung 4–5). Die Idee der US-amerikanischen Property Cards wurde übernommen, und nachdem die Objektinformationen anfangs auf einfachem Schreibmaschinenpapier festgehalten worden waren, führte man im April 1947 richtige Inventarkarten ein, die dem Münchener respektive Wiesbadener Vorbild stark ähnelten. Die Karten, die sich heute in den Archives Diplomatiques de la Ministère des Affaires Etrangères (MAE) in Paris befinden, wurden für jedes Objekt zweifach ausgefüllt. Mit einem Exemplar arbeitete man in Baden-Baden, die Zweitfassung wurde nach Paris geschickt. Jedes Kunstwerk, für das eine Inventarkarte ausgefüllt wurde, bekam zudem ein Etikett, das es als im Collecting Point Baden-Baden untersucht kennzeichnete (vgl. Abbildung 6).58 Da auf vielen der Karten die Information »Transit«
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le Gouvernement Militaire de la Zone Française d’Occupation an Gouverneur Hettier de Boislambert, Délégué Supérieur pour le Gouvernement Militaire de Rhenanie-Hesse Nassau, 26.2.1946. Der Name »Mme M. Azambre« scheint in den Akten immer wieder in Verbindung mit dieser Funktion auf. Trotz intensiver Recherche konnte weder ein vollständiger Vorname noch weitere Information zu der Person ermittelt werden. Vgl. MAE, 209 SUP, cart. D 347, D 41 (CCP Baden-Baden I et II), dossier 19. MAE, 209 SUP, cart. D 347, D 41, Rose Valland: Aktenvermerk, 2.9.1946. Vgl. MAE, 209 SUP, cart. D 347, D 41 (CCP Baden-Baden I et II), dossier 4, Récupération artistique: Bericht, 15.7.1947: »Il existait le 15 Février 1946, date de fondation du Collecting Point, 8 dépôts en Wurtemberg, 3 dépôts dans le Grand Duché de Bade, 15 dépôts dans l’Etat Rhéno Palatinat.« Vgl. MAE, 209 SUP, cart. 341, Mise en place de nouvelle fiche d’inventaire 1947 u. Instruction concernant l’emploi des fiches d’inventaires du Central Collecting Point, jeweils o. D.
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Abbildung 4: Das Neue Schloss Baden-Baden 1946, Collecting Point der französischen Militärregierung
Abbildung 5: Die Keller des französischen Collecting Point im Neuen Schloss Baden-Baden
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Abbildung 6: Prüfetikett des Collecting Point Baden-Baden
steht, muss davon ausgegangen werden, dass die Überprüfung der Objekte nicht ausschließlich im Neuen Schloss stattfand, sondern teilweise – so etwa bei den Kunstwerken aus dem Depot Neustadt – unmittelbar vor Ort durchgeführt worden ist. In diesem Fall kamen die Objekte bereits fertig überprüft zusammen mit ihren Property Cards nach Baden-Baden, um von dort nach Paris weitergeleitet zu werden. Der grundsätzliche Objektumschlag war wesentlich geringer als in der amerikanischen Zone. So befanden sich im Juli 1947 nur 756 Gemälde, sechs Skulpturen, elf Zeichnungen, 51 Möbelstücke und neun kunstgewerbliche Gegenstände in BadenBaden.59 Im August 1950 wurde der Collecting Point aus dem Neuen Schloss in die leer stehende Villa Meineck (ehemalige Villa Krupp) in der Kaiser-Wilhelm-Straße Nr. 20 in Baden-Baden verlegt.60 Trotz des offiziellen Endes der Arbeit der Commission in Paris am 31. Dezember 1949 wurden dort noch bis Juni 1952 Kunstwerke sortiert und verschickt.61 59 Vgl. MAE, 209 SUP, cart. D 347, D 41 (CCP Baden-Baden I et II), dossier 4, Récupération artistique: Bericht, 15.7.1947. 60 Vgl. MAE, 209 SUP, cart. D 347, D 41 (CCP Baden-Baden I et II), dossier 19, M. Azambre an Rose Valland, 10.8.1950: »J’ai l’honneur de vous confirmer que suivant vos instructions le transfert à la Villa Krupp des objets d’art restant au Central Collecting Point de Baden-Baden (Nouveau Château) a eu lieu le 2 août 1950.« 61 Vgl. MAE, 209 SUP, cart. D 347, D 41 (CCP Baden-Baden I et II), Dossier 19, Service de Remise en Place des Œuvres d’Art, Central Collecting Point Baden-Baden: Autorisations et Remises en Place, Années 1946 à 1952, 25.3.1952; GLA 441-3, Nr. 555, M. Azambre: Empfangsbestätigung eines Gemäldes »Segnender Christus, Italo-byzantinische Schule«, 7.3.1952.
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Rückführungen
In der US-amerikanischen Besatzungszone begann man Ende 1946 mit den Rückführungen. Im März 1947 waren die Unterstellräume des Heilbronner Salzwerkes geleert und alle dorthin verlagerten Kunstwerke der Kunsthalle überprüft. Zusammen mit den Beständen des Kupferstichkabinetts und der Bibliothek verbrachte man sie zur Zwischenlagerung ins Schloss Schwetzingen bei Mannheim,62 da in der Ruine des Karlsruher Museums noch bis Juli 1947 die städtischen Ämter residierten, während das Gebäude zeitgleich instandgesetzt wurde.63 Danach führte man die Werke allmählich zurück. Die Rückbergungen aus der französischen Besatzungszone nahmen mehr Zeit in Anspruch. Im September 1947 wurde als erstes der dorthin verlagerte Privatbesitz, den Karlsruher Bürger_innen der Kunsthalle vor Beginn des Krieges freiwillig zur Sicherheitsverwahrung anvertraut hatten, zur Rückführung freigegeben,64 nicht jedoch die Museumsbestände. Noch im April 1948 waren Kunstwerke des Karlsruher Museums auf insgesamt sieben Auslagerungsstätten verteilt. In Schloss Rastatt standen rund 100 erstklassige Gemälde (Matthias Grünewald, Hans Thoma, altdeutsche Meister, Peter Paul Rubens); in Schloss Eberstein lagerten 400 Gemälde sogenannter mittlerer Qualität (Holländische Meister, Wilhelm Trübner etc.); im Neuen Schloss BadenBaden waren die Großformate und die Thomakapelle untergebracht, und im Kloster Sankt Trudbert standen 45 Kisten mit diversen Kunstgütern, außerdem Großformate und Mobiliar. Auch im Rosgartenmuseum in Konstanz lagerten Werke – zum Beispiel Anselm Feuerbachs monumentale Assunta.65 Ungeachtet der vielen Bittbriefe Martins dauerte es von da an weitere anderthalb Jahre, bis diese Bestände, deren Transport insgesamt 90 Möbelwagen umfasste, vollständig nach Karlsruhe zurückgebracht werden konnten.66 Die hierfür erforderliche Vereinbarung für das Verbringen von öffentlichem Kunstgut von einer Zone in die 62 Vgl. GLA 235, Nr. 40231, Kurt Martin an Präsidenten des Landesbezirks Baden, Abtlg. Kultus und Unterricht, 1.3.1947. 63 Vgl. GNN, DKA, Nachlass Kurt Martin, I B, Kurt Martin: Rede zur Wiedereröffnung der Kunsthalle, 4.12.1948. 64 Vgl. GLA 441-3, Nr. 551, Commandant en Chef Français en Allemagne (Michel François) an Kurt Martin: Bescheid über die Freigabe von Privatbesitz zur Rückführung aus der französischen Besatzungszone nach Karlsruhe, 4.9.1947. 65 Vgl. GLA 235/40231, Aufstellung der Depots von verlagertem Kunstbesitz staatlicher badischer Museen im französischen Kontrollsektor, 15.8.1948. 66 Einige der Briefe, in denen Martin, aber auch Direktoren anderer Museen ihre in die französische Besatzungszone verlagerten Kunstbestände zurückerbitten, finden sich in GLA 441-3, Nr. 555.
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306 Tessa Friederike Rosebrock andere zwischen der US-amerikanischen und der französischen Militärregierung kam erst im November 1948 zustande.67 Der letzte Transport von Baden-Baden nach Karlsruhe fand Ende Januar 1949 statt.68 Im März 1951 war das Museumsgebäude der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe vollständig wiederhergestellt, und die weit gereisten Kunstwerke schmückten nach zwölf Jahren Ausstellungspause endlich wieder das eigene Haus.
67 Vgl. GLA 441-3, Nr. 551, Commandant en Chef Français en Allemagne (Jean de Lattre de Tassigny) an Kurt Martin: Bescheid über die Freigabe der in Bergungsorten der französischen Besetzungszone befindlichen Sammlungsbestände der Kunsthalle, 19.11.1948, u. Listes de peintures de la Staatliche Kunsthalle Karlsruhe retournées du dépôt de Rastatt à Karlsruhe le 19 novembre 1948, o. D. 68 Vgl. GLA 441-3, Nr. 555, Jan Lauts an M. Azambre, 28.1.1949.
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Kriegsbergungen der großen Wiener Bibliotheken Die Nationalbibliothek Wien und die Universitätsbibliothek Wien
Murray G. Hall und Christina Köstner-Pemsel
Die Kriegsbergungen in der Nationalbibliothek Wien (NB)1 und in der Universitätsbibliothek Wien (UB) stellen aus heutiger Sicht zwei konträre Fälle dar, wie Bergung während des Zweiten Weltkrieges ablaufen konnte.2 Die NB Wien mit ihren vielen wertvollen Beständen begann bereits Ende 1938 mit ersten Bergungen, die UB Wien als klassische Gebrauchsbibliothek wurde erst 1943 aufgefordert, ihre Bestände zu bergen, und zwar komplett. Wie sich die Bergungsgeschichte dieser beiden großen Wiener Bibliotheken im Detail abgespielt hat, soll im Folgenden behandelt und dabei auch die Zeit nach 1945 nicht außer Acht gelassen werden, denn an der UB Wien beschäftigen die indirekten Folgen der Kriegsbergung die Bibliothekar_innen noch heute. Große Bewegungen – Die Bergung an der Universitätsbibliothek Wien
Bis zu den intensiven Luftangriffen auf Wien und seine Umgebung im Jahre 1943 musste sich der Direktor der Universitätsbibliothek Alois Jesinger (1886–1964) nur am Rande mit dem Thema Bergung auseinandersetzen. Der vergleichsweise kleine Bestand an Zimelien3 war im Herbst 1939 im Keller der UB Wien verstaut worden, doch es galt in erster Linie die möglichst reibungslose Versorgung der Universitätsangehörigen mit Forschungsliteratur zu gewährleisten. Jesingers Position nach außen und innen war durch eine Reihe von Vorwürfen und Denunziationen vor allem aus dem Kreis seiner Mitarbeiter_innen um den Leiter der NS-Betriebszelle Rudolf Pettarin4 geschwächt. Er hatte im Juli 1938 die Stelle 1
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Die ehemalige Hofbibliothek in Wien wurde 1920 zur Nationalbibliothek umgestaltet und 1945 in Österreichische Nationalbibliothek umbenannt. Daher wird für die Zeit zwischen 1920 und 1945 der Begriff Nationalbibliothek Wien verwendet, für die Zeit nach 1945 aber die Abkürzung ÖNB für Österreichische Nationalbibliothek. Der Beitrag über die Nationalbibliothek Wien stammt von Murray G. Hall, jener über die Universitätsbibliothek Wien von Christina Köstner-Pemsel. Zimelien sind seltene und wertvolle alte Schriften und Drucke, wie etwa Handschriften oder Papyri, die in den Bibliotheken zumeist gesondert aufbewahrt werden. Vgl. Robert STUMPF, Bausteine der Wissensvermehrung: Alois Jesinger und die NS-Opposition an der Universitätsbibliothek Wien (1938–1945), in: Mitteilungen der VÖB 61 (2008) 4, S. 7–40.
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308 Murray G. Hall und Christina Köstner-Pemsel des abgesetzten Johann Gans (1886–1956) eingenommen, aber erst im Herbst 1940 erfolgte seine definitive Ernennung, im März 1941 wurde er als Direktor bestätigt. Jesinger hatte gegenüber Paul Heigl (1887–1945), dem Generaldirektor der NB Wien, somit wesentlich weniger Einfluss und Macht im zuständigen Reichserziehungsministerium (REM). Heigl kannte nicht nur den dortigen Referenten für das Bibliothekswesen Rudolf Kummer (1896–1987), mit dem er seit den späten 1920er Jahren bekannt war, sehr gut. Als Konsulent für Bibliotheksangelegenheiten war Heigl der »erste« Bibliothekar in der damaligen »Ostmark« und hatte sich auch bei zusätzlichen Aufgaben etwa als Kommissar für die wissenschaftlichen Bibliotheken in Jugoslawien, zu dem er am Tag des Einmarsches der Deutschen Wehrmacht in Belgrad im April 1941 von Kummer ernannt wurde, zur vollsten Zufriedenheit des REM bewährt. So verwundert es also nicht, dass von den beiden großen Wiener Bibliotheken die UB Wien das »Los« traf und sie angesichts zunehmender Zerstörungen durch die Bombardierung der Alliierten ihre gesamten Bestände verlagern musste. Die schweren Bombenschäden der Bayerischen Staatsbibliothek in München im März 1943 sowie einiger Universitätsbibliotheken im Deutschen Reich hatten dazu beigetragen, dass man sich im Berliner Reichserziehungsministerium für die Evakuierung einer der beiden großen Wiener Bibliotheken entschied. Die Anordnung aus Berlin erfolgte unter größtmöglicher Geheimhaltung.5 Nur aus einem Schreiben des Kurators der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien geht der Zeitpunkt der Anordnung und die Argumentationslinie des REM für die gesamte Bergung hervor: Bei Nachprüfung der Bergungsmassnahmen an den Wiener Hochschulen aus Anlass der neuerlichen Erlasse des Reichserziehungsministers ergab sich, dass die Luftgefährdung der Universitätsbibliothek nach der heutigen Sachlage Massnahmen erfordert, die bisher nicht in Angriff genommen werden konnten, da nach den bisherigen ministeriellen Weisungen der Hochschulbetrieb voll aufrecht zu erhalten war. Nun hat der Herr Reichserziehungsminister vor einigen Tagen angeordnet, dass die UB zu bergen ist und dass die Räumung der Bergungsbestände so rasch und intensiv als möglich betrieben wird.6
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Der tatsächliche Akt dazu konnte bis heute nicht gefunden werden. Auch Walter Pongratz zitiert in seiner UB Wien-Hausgeschichte einen Bericht von Direktor Johann Gans als Beleg für die beginnende Bergung. Siehe PONGRATZ 1977, S. 141, Anm. 170. Universitätsarchiv Wien (UAW), Universitätsbibliothek Wien (UBW), UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 142/Z-5/38 [Zl. 182/43], Kurator d. ws. Hochschulen in Wien an Reichsstatthalter Wien, 30.6.1943.
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Am 22. Mai 1943 fand die erste große Besprechung der »Vorsichtsmaßregeln gegen Gefährdung der UB durch Luftangriffe«, wie man die Bergung umschrieb, statt, an der Rektor Eduard Pernkopf (1888–1955), Oberregierungsrat Josef Goldberg vom Amt des Kurators, Regierungsrat Ludwig Berg von der Reichsstatthalterei Wien, Major von Rühle als Sachverständiger der Luftwaffe, Max Pausewang als Leiter des Universitätsbauamts und Alois Jesinger von Seiten der Bibliothek anwesend waren.7 Offizielle Begründung für die gesamte Bergung der UB Wien war die Tatsache, dass »alle Räume der UB keinen hinlänglichen Schutz gewähren« würden. Im Gegensatz zur Nationalbibliothek böten auch tiefer gelegene Räume nicht genug Schutz bei einem Bombentreffer. Um den Fortgang des Universitätsbetriebs und kriegswichtige Forschung zu ermöglichen, forderte Rektor Pernkopf, zumindest einen Teil der Bibliothek in einer Notbücherei zu belassen. Darin sollten die Handbibliothek des Lesesaals, Lehr- und Handbücher der kriegswichtigen Gebiete sowie eine Auswahl jüngerer Jahrgänge einiger wichtiger Zeitschriften in der Universität verbleiben. Für die Bergung der Bibliothek sollte die Reichsstatthalterei zwei Schlösser in Niederdonau zuweisen, so der Plan bei der ersten Besprechung.8 Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass eine Überführung in Kisten nicht möglich war und die Bücher daher als geschnürte Pakete und in Möbelwagen transportiert werden mussten. Unter Punkt 9 vermerkte Jesinger, dass man sich darüber einig war, »dass diese Bergung schwere Hindernisse zu überwinden haben wird und dass sie in ihrer zeitlichen Wirkung einer Zerstörung der Bibliothek nahe kommt«.9 Damit hatte der Bibliotheksdirektor recht, und nachträglich gesehen wäre es für die Bibliothek besser gewesen, wenn die Bücher an ihrem Standort geblieben wären. Insgesamt mussten in kurzer Zeit weit über 1,200.000 Bände verpackt und in geeignete Gebäude möglichst im Umkreis von Wien verlagert werden. Doch nicht nur die UB Wien war zu dieser Zeit auf der Suche nach trockenen Räumen in sicherer Umgebung. Neben den anderen Institutionen in Wien kam etwa auch aus Berlin eine Anfrage des Leiters der Berliner Reichstauschstelle Adolf Jürgens (1890–1945) an die Reichsstatthalterei Wien, ob sich nicht ein passender Bergungsort für Bestände des »Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg« in Niederdonau finden lassen könnte.10 Anfra7
UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/Z-1/38 [Zl. 105/43], Bericht an REM, Rektor der Universität Wien und Kurator d. ws. Hochschulen in Wien, 24.5.1943. 8 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/Z-1/38 [Zl. 105/43], Bericht an REM, Rektor der Universität Wien und Kurator d. ws. Hochschulen in Wien, 24.5.1943. 9 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/Z-1/38 [Zl. 105/43], Bericht an REM, Rektor der Universität Wien und Kurator d. ws. Hochschulen in Wien, 24.5.1943. 10 BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. Bergungsorte Notizen I 1942/1943, ERR, Adolf Jürgens an Ludwig Berg (Reichsstatthalterei in Wien), 5.2.1943.
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310 Murray G. Hall und Christina Köstner-Pemsel gen aus Berlin wurden aber nicht weiter beachtet, man hatte mit den Revierkämpfen unter den Wiener Institutionen genug Probleme. Die UB Wien teilte sich etwa nach einigem Hin und Her die Bergungsräume auf Gut Markhof bei Schönfeld11 mit dem damaligen Reichsarchiv.12 Die Besichtigung und die Verhandlung mit den Eigentümer_innen der potenziellen Bergungsorte übernahm Maximilian Kolbe,13 der damalige Direktionssekretär und spätere Vizedirektor der UB Wien. Am 8. Juni 1943 begann die Besichtigungstour in der Nähe von Hollabrunn, wo ihn Eugen Waldstein durch sein Schloss Mittergrabern14 führte und ihm zwei ebenerdige Räume und zwei Räume im 1. Stock (insgesamt 240 m2) zeigte, außerdem hatte die UB Wien die Möglichkeit, auch in den Gängen Bücher aufzustellen.15 Am selben Tag besichtigte Kolbe Schloss Therasburg16 und befand es ebenfalls für passend. Hier konnte die UB Wien am Ende knapp 3.500 Bücherpakete auf 160 m2 unterbringen.17 Aber etwa auch Schloss Wald in Pyhra südlich von St. Pölten wurde vom Reichsstatthalter am 22. Juni 1943 begutachtet und als für Bergungen geeignet eingestuft, wovon letztlich auch die UB Wien profitierte.18 Schließlich wurden folgende Bergungsorte im heutigen Niederösterreich ausgewählt: Schloss Ernstbrunn, Schloss Horn (ab April 1944), Gut Markhof in SchönfeldLassee, Schloss Mittergrabern bei Hollabrunn, Burg Niederranna bei Krems (bis April 1944), die Rosenburg (ab April 1944), Gut St. Christoph bei Gloggnitz, Schloss Stetteldorf bei Korneuburg, Therasburg bei Horn, Schloss Wald in Pyhra bei St. Pölten.
11 Das Gut Markhof liegt in der Gemeinde Marchegg in Niederösterreich. 12 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/55/43 [Zl. 342/43], Alois Jesinger an Josef Goldberg, 8.10.1943. 13 Dr. phil. Maximilian Kolbe (1889–1963) trat 1926 in den wissenschaftlichen Bibliotheksdienst ein und war seit 1928 im Dienst der UB Wien tätig. Von 1930 bis 1944 leitete er die Direktionskanzlei und war zuletzt als Vizedirektor tätig. Außerdem betreute er das Referat für Rechtswissenschaften. 1945 meldete er sich zwar zum Dienst, ging aber in Krankenstand. Außerdem hatte er als »Minderbelasteter« (NSDAP Mitglieds-Nr. 9,023.096 vom 1.9.1941) noch länger Probleme. Seit 1946 führte er neben dem rechtswissenschaftlichen auch das staatswissenschaftliche Referat. Mit Erreichen der Altersgrenze wurde er 1954 als Hofrat in den Ruhestand versetzt. Vgl. UB Wien, PA Max Kolbe, sowie Nachruf von W. P. [wahrscheinlich Walter Pongratz], in: Land Zeitung (Krems) 1963. 14 Das Schloss Mittergrabern liegt in der Gemeinde Grabern im Bezirk Hollabrunn, Niederösterreich. 15 BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. Mittergrabern, Zl. 6467/43, Aktenvermerk, 10.7.1943. 16 Das Schloss Therasburg liegt westlich der Stadtgemeinde Pulkau in der Gemeinde Theras, Niederösterreich. 17 BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. Therasburg, Zl. 3189/43, Reichsstatthalterei in Wien, Aktenvermerk, 11.6.1943. 18 BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. Wald, Prinz Karl Auersperg-Breunner’sche Gutsverwaltung Wald an Reichsstatthalterei in Wien, 27.7.1943.
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In einer Sitzung vom 7. Juli 1943 informierte Rektor Eduard Pernkopf die Dekane der Universität Wien von der Bergung der UB Wien. In dem darauffolgenden offiziellen Schreiben wurde – offenbar bewusst verklausuliert – von Reinigungsdiensten (!) gesprochen, für die die UB Wien Hilfe benötige.19 Daraufhin nannten die einzelnen Fakultäten diejenigen Mitarbeiter_innen, die von 15. Juli bis 31. August bei der Bergung helfen konnten. Insgesamt waren es 49 Personen, die unterschiedlich lange von Anfang August bis Ende September 1943 beschäftigt waren.20 Einige kamen nur für drei oder vier Tage zum Einsatz. Die Kollegen von der Gebäude-Inspektion, dem heutigen Raum- und Ressourcenmanagement, waren die ganze Zeit dabei. Unter den Helfer_innen findet sich als einziger Universitätsprofessor auch Josef Keil (1878–1963) vom Archäologischen Institut, der sich im April 1945 als provisorischer Rektor sehr verdient gemacht hat und zumindest einige Stunden mithalf. Ursprünglich hatte man von Seiten der Universitätsleitung auch daran gedacht, fünfzig Studierende für die Bergungsarbeiten heranzuziehen, doch bis Ende Juli 1943 hatten sich gerade einmal sechs Studenten freiwillig gemeldet, welche nicht einmal Angehörige der Universität Wien waren.21 Bis Mitte August konnte man immerhin zwölf Studierende engagieren.22 Aber auch einige Kriegsgefangene arbeiteten rund zwei Monate lang bei der Bergung.23 Die Bergungsverzeichnisse haben sich erhalten, doch die Angaben über den Umfang der Pakete variieren in den Akten. Es ist einerseits von 94.612 Paketen und 237 geschlossenen Kisten24 und andererseits von 91.700 Paketen und 468 Kisten25 die Rede, an anderer Stelle wiederum von 85.461 Paketen und 185 Kisten.26 In Summe dürfte es sich in etwa um die gleiche Menge Bücher handeln. Die Gesamtkosten des Transportes, der teilweise von Bibliothekspersonal, großteils aber von Speditions
19 UAW, UBW, SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/Z-13/38 [Zl. 170/43], Eduard Pernkopf an den Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen und der Philosophischen Fakultät, 9.7.1943. 20 UAW, UBW, Akten 1943/44 (K. 27), o. Zl., Liste der durch das Rektorat zugeteilten Mitarbeiter an der Bergung. 21 UAW, UBW, SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/23/38 [Zl. 217/43], Kurator d. ws. Hochschulen in Wien an Eduard Pernkopf, 27.7.1943. 22 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/34/38 [Zl. 248/43], Alois Jesinger an Kurator d. ws. Hochschulen in Wien, 14.8.1943. 23 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/53/38 [Zl. 328/43], Bericht von Karl Tinkl, 1.10.1943. 24 Walter PONGRATZ, Geschichte der Universitätsbibliothek Wien, Wien-Köln-Graz 1977, S. 141. 25 BDA-Archiv, M. Bergungsorte, Notizen I 1942/43, o. Zl., o. D. 26 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, o. Zl., Alois Jesinger an Kurator d. ws. Hochschulen in Wien, 9.11.1943.
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312 Murray G. Hall und Christina Köstner-Pemsel firmen durchgeführt wurde, beliefen sich auf ca. 100.000 Reichsmark.27 Die Miete für die Bergungsräume brachte die Reichsstatthalterei in Wien auf. Gezahlt wurde jeweils quartalsmäßig zwischen 30 und 100 Reichsmark pro Monat.28 Die wertvollsten Bestände der UB Wien, wie die Inkunabeln, blieben in Wien und konnten bereits ab Ende Mai 1943 in der Nationalbibliothek eingelagert werden.29 Im Kellerraum der neuen Hofburg im Bereich des Corps de Logis wurden in einem Bergungsraum ca. 150 Kisten untergebracht, die neben den Zimelien auch Kataloge und Arbeitsmaterialien der Referent_innen enthielten. Die wichtigsten Arbeitsbehelfe, wie Bibliothekskataloge, der bio- und bibliografische Handapparat, bedeutende Nachschlagewerke und Referatsbücher, wurden im untersten Parterremagazin untergestellt – insgesamt verblieben rund 36.700 Bände für den Studienbetrieb in der Universität und kamen wie die Bestände, die in der Nationalbibliothek eingelagert waren, unbeschädigt durch den Krieg. Denn die UB Wien wurde zwar mehrmals getroffen, doch es kam zu keinen schweren Zerstörungen, und der Betrieb konnte jedes Mal nach wenigen Tagen wieder geöffnet werden.30 Mitte Juli 1943 wurde die Bibliothek für die Benützer_innen geschlossen. Am 5. August fuhr der erste Transport nach Schloss Wald bei Pyhra ab, und spätestens Ende August sollte die Bergung abgeschlossen sein.31 Doch Ende Oktober 1943 musste eine der Transportfirmen der Direktion mitteilen, dass es seit Anfang Oktober zu Problemen mit den Transporten gekommen war, da Fahrer und auch Treibstoff abgezogen wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren aber noch ca. 22.000 Pakete zu bergen, für die in etwa 45 Fahrtage einzuberechnen waren.32 Allerdings hatten sich zwischenzeit27 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, o. Zl., Zusammenstellung der Auslagen für die Bergung der UBW [bis zum 28.6.1944]. 28 Für Schloss Ernstbrunn wurden für ca. 540 m² 100 Reichsmark/Monat gezahlt. Siehe BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. 10 Ernstbrunn; 50 Reichsmark/Monat zahlten sie für insgesamt 240 m² in Schloss Mittergrabern. Vgl. BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. Mittergrabern. 29 Nicht nur die UB Wien konnte wertvolle Bücher in der Nationalbibliothek einlagern, auch die Technische Hochschule Wien und die Bibliothek des Anatomischen Instituts nutzten diesen Bergungsort. ÖNB Archiv, Zl. 159/43, Bestätigung Robert Teichl, 26.1.1943, sowie Paul Heigl an Friedrich Ehmann, 17.4.1943. Selbst der ehemalige Leiter der Porträtsammlung und Direktor der UB Wien in den Jahren 1932/1933, Heinrich Röttinger, durfte mit Heigls Erlaubnis eine Kiste mit »einigen mir unersetzlichen Gegenstände[n]« in der NB lagern. Vgl. ÖNB Archiv, Zl. 159/43, Heinrich Röttinger an Paul Heigl, 25.8.1943. 30 Die Bibliothek wurde am 10.9.1944, 7., 10. und 21.2.1945 getroffen. Vgl. UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/193/45 [Zl. 422/45], Alois Jesinger an div. Adressaten, 8.3.1945, sowie Zl. 421/411/45 [Zl. 411/45], Alois Jesinger an Kurator d. ws. Hochschulen in Wien/Rektor etc., 12.2.1945. 31 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/6/38 [Zl. 184/43], Kurator d. ws. Hochschulen in Wien an Alois Jesinger, 5.7.1943. 32 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/64/43 [Zl. 375/43], Fa. Kirchner an Alois Jesinger,
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lich auch mehrere Universitätsinstitute sowie die Bibliothek der Technischen Hochschule der Bergung angeschlossen.33 Nach etlichen Interventionen konnte Jesinger Mitte Jänner 1944 den Abschluss der Hauptbergung verkünden, und die Bibliothek wurde wieder von 9:00 bis 16:30 Uhr geöffnet. Der Leihverkehr blieb allerdings weiterhin gesperrt.34 Mit der Bergung des Großteils der Bibliothek geriet Jesinger in einen Argumentationsnotstand gegenüber dem Rektor, der die Personalkosten für die nur sehr eingeschränkt benutzbare Bibliothek vor Augen hatte. In einem Schreiben von Februar 1944 wies Jesinger darauf hin, dass die Bibliothek zwar »eine gewisse Einschränkung« durch die Bergungsmaßnahmen erfahren habe, man aber nicht davon sprechen könne, dass die Bibliothek auf Kriegsdauer gesperrt sei. Die zurückbehaltenen Werke könnten jederzeit benutzt werden, und die Erwerbung ginge in vollem Umfang weiter, so der Bibliotheksdirektor.35 Dass in den Jahren 1944 und 1945 nur mehr rund 6.500 neue Bände ins Haus kamen, ließ Jesinger unerwähnt. Allerdings kam der Benutzerdienst zumindest zwischenzeitlich zum Erliegen. Außerdem mussten Ende 1944 beinahe alle jungen Mitarbeiterinnen als Wehrmachtshelferinnen oder Arbeiterinnen in Munitionsfabriken Kriegsdienst versehen. Alle wehrfähigen männlichen Mitarbeiter waren eingerückt, so konnte seit Anfang 1945 nicht mehr von einem geregelten Bibliotheksbetrieb die Rede sein, wie der Zeitzeuge Walter Pongratz (1912–1990) konstatiert. Die wenigen verbliebenen Bibliothekar_innen verrichteten hauptsächlich Luftschutzdienst.36 Dafür kam es zu teils absurden Aufträgen, wie die folgende Episode zeigt. Am 8. Jänner 1945 erhielt Jesinger eine Zuschrift des Reichsführers SS Reichssicherheitshauptamt/Militärisches Amt in Rheda in Westfahlen mit der Aufforderung, ein Buch, das es nur in der UB Wien gebe, unter allen Umständen »für einen sehr dringenden führungswichtigen Auftrag höchster Stellen der Wehrmacht« bereitzustellen. Daraufhin entsandte Jesinger zwei Aufseher zur Rosenburg und für einen Tag mit neuen 21.10.1943. 33 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/80/38 [Zl. 442/43], Josef Goldberg an Hauptwirtschaftsamt der Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien, 25.11.1943. Es handelte sich dabei um das Kunsthistorische, Urgeschichtliche, Orientalische, Indogermanische, Mathematische, Wirtschaftswissenschaftliche, Geographische und Rassenbiologische Institut sowie die Institute für Geschichte der Medizin, für Rechts- und Zeitungswissenschaften. 34 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/101/38, Zl. 520/44, Alois Jesinger an Eduard Pernkopf, 10.1.1944. 35 UAW, UBW, Akten 1943/44 (K. 27), Zl. 357/43–44, Alois Jesinger an Eduard Pernkopf, 26.2.1944. 36 PONGRATZ 1977, S. 140–141.
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Abbildung 1: Johann Gans, nach 1945
nweisungen einen weiteren dorthin. Selbst der Burgwart half bei der fünf Tage anA dauernden Suche mit.37 Ob das Buch je von der NS-Stelle konsultiert wurde, geht aus den Akten nicht hervor. Nach Kriegsende
Schon im Frühsommer 1945 kamen die ersten verheerenden Berichte über die Bergungsorte in der UB Wien an. Für den wieder ins Amt eingesetzten Direktor Johann Gans war neben der Personalsituation und den Schäden am Gebäude der Universität selbst eine der »Hauptsorgen« die Rückholung der geborgenen Bücher nach Wien. Das stellte sich als sehr schwierig heraus, denn es fehlte an Transportmöglichkeiten, Personal und der Genehmigung durch die sowjetischen Alliierten. Alle Bergungsorte lagen in der sogenannten »russischen Zone«, weshalb auch keine andere alliierte Armee um Hilfe gebeten werden konnte. 37 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/190/45 [Zl. 396/45], Alois Jesinger an Kurator d. ws. Hochschulen in Wien, 23.1.1945. Aus den Akten geht leider nicht hervor, um welches Buch es sich gehandelt hat.
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In seinem Diensttagebuch notierte Gans am 22. Mai 1945: »Dr. Helmut Lang – Herrengasse 11, NÖ. Landesregierung Zi. 82 erzählt vom Zustand in Ernstbrunn, wo sich die Bevölkerung an herumliegenden Büchern vergriffen hat. Er geht mit einer Empfehlung Do. d. 24. [Mai] ab, um beim Bürgermeister und Gendarmerie – soweit so etwas vorhanden ist zu intervenieren.«38 Und etwa ein Monat später berichtete Gans in einem Brief an Maximilian Kolbe, der vor 1945 für die Bergung zuständig war, von seinen ersten Eindrücken: »Gestern bin ich von einer ersten Inspektionsreise von Wald bei St. Pölten zurückgekommen. Traurige Verwüstungen durch SS und Russen. Von mehreren Bergungsorten wissen wir noch nichts.«39 In den ersten Monaten seiner neuerlichen Amtszeit versuchte Gans einerseits, die Bücher aus der Bergung möglichst schnell nach Wien bringen zu lassen, hatte andererseits aber das Problem, das er nicht wusste, wo er die Bücher unterbringen sollte, weil die Hauptmagazine und der Große Lesesaal infolge der Bombenschäden noch ohne Dach waren.40 Bei Gans’ Bittschreiben fällt auf, dass er vor allem gegenüber internationalen beziehungsweise alliierten Stellen die Entscheidung des REM kritisch kommentierte, wenn er etwa an den sowjetischen Stadtkommandanten General Alexej Blagodatov schrieb: »Deshalb glaubt der unterzeichnete Direktor auf ein wohlwollendes Entgegenkommen und Verständnis für die schwierige Lage rechnen zu dürfen, in die sich die Wiener UB durch die verfehlten Maßnahmen der früheren Machthaber gebracht sieht. Entgegen aller Vorstellungen musste der Bücherbestand außer Wien und gerade dorthin gebracht werden, wo er den Einwirkungen des Krieges besonders ausgesetzt war.«41 Gegenüber offiziellen österreichischen Stellen wie etwa der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, die er um Unterstützung bei der Rückführung der Bücher bat, hielt Gans jedoch nur trocken fest, dass die Bestände der UB Wien »dorthin [Anm. in die Bergungsorte] aus Besorgnis vor Bombenschäden in den Jahren 1943 und 1944 gebracht« worden seien.42 In Fällen persönlicher Bekanntschaft, wie etwa im Fall des Stetteldorfer Bürgermeisters, kommentierte er die Kriegsbergung folgendermaßen: »Als Direktor des Institutes, das ich in den Jahren 1933–1938 geleitet und das ich 38 39 40 41
UAW, UBW, NL Johann Gans, Diensttagebuch Johann Gans, Eintrag 22.5.1945. UB Wien, PA Maximilian Kolbe, Johann Gans an Maximilian Kolbe, 28.6.1945, Hervorheb. i. O. UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/245/45, Johann Gans an Ludwig Berg, 19.8.1945. UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/213/45 [Zl. 515/45], Johann Gans an Alexej Blagodatov, 5.7.1945. 42 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/Z-197/38 [Zl. 458/45], Johann Gans an Ferdinand Habel, Österreichische Wirtschaftsorganisationen, 17.5.1945.
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316 Murray G. Hall und Christina Köstner-Pemsel nun nach sieben Jahren in einem durch Bomben arg beschädigten Zustande fast ohne Bücher, die leichtsinniger Weise einem unsicheren Schicksale überantwortet wurden, übernommen habe […]«.43 Ende Juli 1945 konnte Gans sich zumindest ein Bild der Lage an den Bergungs orten machen, soweit sie von Wien aus erreichbar waren.44 Anfang August begab sich der junge UB-Mitarbeiter Walter Pongratz zu einem Lokalaugenschein nach Ernstbrunn und schrieb danach einen ernüchternden Bericht. Das Schloss wurde demnach nach Kriegsende vollkommen von den sowjetischen Truppen besetzt, und die eingelagerten Bestände der UB Wien erlitten größeren Schaden. Auch am Gut Markhof bei Lassee nördlich von Wien waren Bücher ins Freie geworfen und Kisten aufgebrochen worden. Unter dem Eindruck der Berichte aus den einzelnen Bergungsorten stellte Gans gegenüber Maria Schimke, der Eigentümerin des Gutes St. Christoph, fest: »Denn wenn der Schaden nur überall darin bestünde, dass Pakete aufgerissen wurden, so wären wir ja überglücklich. Aber leider ist dem nicht so. Krieg, und was noch viel trauriger ist, die einheimische Bevölkerung, hat in Verständnislosigkeit und – man glaubt es nicht – als Plünderer vielleicht noch mehr geschadet als die Russen. Auch das deutsche Militär ist nicht freizusprechen.«45 In Stetteldorf war bis zum 11. April 1945 alles intakt geblieben und die Bücher der UB Wien sowie des Orientalischen und Urgeschichtlichen Instituts gut untergebracht. Doch dann kamen Anfang April SS-Verbände ins Schloss, die es beim Abzug Anfang Mai plünderten und versuchten, die Kapelle anzuzünden. Nach dem 8. Mai plünderten sowjetische Truppen und durchziehende »Fremdarbeiter«46 das Schloss. Als Ende Mai kurz keine Sowjets im Schloss waren, versuchten der Schuldirektor und der Pfarrer, die im Freien liegenden Bücher wieder in das Gebäude zu bringen und diese Räume mit Brettern zu verbarrikadieren. Im sehr kalten Winter 1945/46 eskalierte die Lage, es wurden von den Dorfbewohnern sowohl Einrichtungsgegenstände als auch Bücher verheizt oder sogar aufs offene Feld getragen und dort angezündet.47 43 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/217/38 [Zl. 519/45], Johann Gans an Johann Strenn, 6.7.1945. 44 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/231/45 [Zl. 559/45], Johann Gans an GD Ernst R. Kaan (Bundesbahnen), 28.7.1945. 45 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/216/38 [Zl. 518/45], Johann Gans an Marie Schimke, Gut St. Christoph, 6.7.1945. 46 Gemeint sind vermutlich ehemalige Zwangsarbeiter. 47 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/38 [Zl. 318/45], Das Bücherlager der UBW in Stetteldorf am Wagram 1943–1946.
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Ende August 1945 sah sich die Leitung der UB Wien noch außerstande, eine offi zielle Stellungnahme gegenüber dem Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten über die Lage der Bücher in der Bergung abzugeben.48 Bereits am 15. September 1945 konnte nach vielen vergeblichen Versuchen mit Intervention von Ludwig Berg und Unterstützung der sowjetischen Alliierten der erste Rücktransport aus dem Gut Markhof bei Wien durchgeführt werden. Die Rote Armee brachte im September und Oktober 1945 aus Schönfeld-Lassee mit eigenen Lastautos 15049 bis 20050 Tonnen Bücher zurück in die Bibliothek. Erst im Sommer 1946 kamen die Rücktransporte gut und zügig voran, und an manchen Tagen gelangten etliche Eisenbahnwaggons und LKW-Ladungen gleichzeitig nach Wien. Spitzenreiter war der 26. Juli 1946, an dem allein 55 Tonnen Bücher entladen und in die Bibliothek gebracht wurden.51 Nur mit großen Schwierigkeiten konnte die Bewilligung zum Abtransport aus Ernstbrunn erreicht werden. Neben den Beständen der UB Wien waren die Bibliotheken von drei anderen Instituten dort untergebracht.52 Ende Sommer 1946 war Ernstbrunn vollständig geräumt. Auch von Schloss Wald53 und der Therasburg54 konnte die UB Wien im Spätsommer 1946 alle Bücher nach Wien zurückbringen. Aus Schloss Mittergrabern55 waren bis Herbst 1946, von der Rosenburg56 bis Ende 1946 alle Bücher wieder nach Wien geschickt worden. Im Jahr 1947 folgte noch Schloss Horn. Vereinzelte Bücherpakete kamen aber noch Jahre später in die UB Wien.57
48 UAW, UBW, Akten 1945 (K. 28), Zl. 386/626/44-45, Johann Gans an Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, 28.8.1945. 49 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/290/38 [Zl. 83/46], Johann Gans an Prof. Dr. Miroslavić, 12.2.1946. 50 UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 421/283/38 [Zl. 820/45], Johann Gans an Redaktion des Wiener Montag, 2.6.1946. 51 PONGRATZ 1977, S. 147 52 BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. 10 Ernstbrunn, BMU, Zl. 31971/II-6/46, Aktenvermerk. 53 BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. Wald, Zl. 8344/II-6/46, Staatsdenkmalamt, Aktenvermerk. 54 BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. Therasburg, BMU, Zl. 31971/II-6/46. 55 BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. Mittergrabern, BMU, Zl.31972/II-6/46, Bergungsmassnahmen. 56 BDA-Archiv, Kriegsbergungen, M. Rosenburg/Horn, BMU, Zl. 1439/II-6/47. 57 Im August 1951 kam etwa ein Paket mit Büchern, die im Gut Wald geborgen waren, in die UBW zurück. Vgl. UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, o. Zl., Johann Gans an Franz David (Wien), 16.8.1951, und im Jahr 1959 kamen weitere 200 Bände der UB Wien zurück, die sich noch in der Bibliothek des Schlosses Ernstbrunn befunden hatten. Im Gegenzug wurde ein Paket mit Büchern aus dem Besitz des Schlosseigentümers Heinrich IV. Reuß zurückgegeben. Vgl. UAW, UBW, UB SO 3.1. Bergungsakten, Zl. 586/59, Rudolf Dettelmaier an BMU, 11.11.1959, sowie Zl. 630/59, Rudolf Dettelmaier an BMU, 2.12.1959.
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318 Murray G. Hall und Christina Köstner-Pemsel Abbildung 2: Stempel Sammlung Tanzenberg
Damit war die Rückführung aller Bücher endlich abgeschlossen, doch am Ende musste man feststellen, dass etwa zehn Prozent des Gesamtbestandes, an die 130.000 Bände, verschollen oder zerstört waren.58 Nach Jahren des Wiederaufbaus kam der Eröffnung des Lesesaals im Juni 1951 eine besondere Bedeutung zu, denn es war das äußere Zeichen einer abgeschlossenen inneren Restaurierung. Ein Thema, das in diesen Jahren weitgehend ausgeblendet wurde, war der Bücherraub während der NS-Zeit, der auch in der UB Wien stattgefunden hatte. Wenige Vorbesitzer_innen erhielten in den ersten Nachkriegsjahren ihre Bücher aus der UB Wien wieder zurück, und die Aufarbeitung der NS-Zeit wurde jahrzehntelang nicht durchgeführt.59 Aufgrund der vielen Buchverluste gelang es Direktor Gans, das Unterrichtsministerium – in Abstimmung mit den sowjetischen Alliierten – davon zu überzeugen, konfiszierte NS-Literatur aus Schul- und Privatbibliotheken der UB Wien zugutekommen zu lassen.60 Außerdem kamen 1951 über 150.000 Bände, die später als »Sammlung Tanzenberg«61 bezeichnet wurden, von der Büchersortierungsstelle an die UB Wien. Diese Büchersortierungsstelle, die von 1949 bis 1952 in Räumen der ÖNB tätig war,
58 UAW, UBW, Zl. 539/47, Bericht von Johann Gans, Die Universitätsbibliothek in Wien im und nach dem Kriege. 59 Das Buch von Evelyn ADUNKA, Der Raub der Bücher. Plünderung in der NS-Zeit und Restitution nach 1945. Über Verschwinden und Vernichten von Bibliotheken in der NS-Zeit und ihre Restitution nach 1945 (= Bibliothek des Raubes 9), Wien 2002, stellte einen wesentlichen Anstoß dar, um die NSProvenienzforschung an der UB Wien in Gang zu setzen. Zu deren Resultaten siehe: Markus STUMPF, Ergebnisse der Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien, in: Bruno BAUER, Christina KÖSTNER-PEMSEL, Markus STUMPF (Hg.), NS-Provenienzforschung an österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit (= Schriften der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 10), Graz-Feldkirch 2011, S. 113–132, und die Website der NS-Provenienzforschung der UB Wien, http://bibliothek.univie.ac.at/provenienzforschung.html (Stand: 20.7.2015). 60 PONGRATZ 1977, S. 152. 61 Die als »Sammlung Tanzenberg« bezeichneten Bücher weisen verschiedene Provenienzen auf und kamen als »herrenlose« Bücher, das heißt (angeblich) ohne Besitzvermerk in die UB Wien. Im Rahmen der NSProvenienzforschung stellte sich jedoch heraus, dass einige doch Besitzvermerke tragen. Siehe dazu Peter MALINA, Die »Sammlung Tanzenberg«. »Ein riesiger Berg verschmutzter mit Schnüren verpackter Bücher«, in: BAUER, KÖSTNER-PEMSEL, STUMPF 2011, S. 133–154.
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wurde vom UB Wien-Direktor zwischen 1938 und 1945, Alois Jesinger, geleitet, der die Rückgabe als »herrenlos« geltender geraubter Bücher durchführte. Eine Wiedereinstellung von Jesinger in die UB Wien hatte Gans nicht erreichen können, doch den Einsatz seines ehemaligen Kollegen für diese spezielle Aufgabe konnte er einfädeln.62 Für Jesinger war es ein Schritt in Richtung Rehabilitierung, wenngleich er nie wieder in den Staatsdienst zurückkehren konnte.63 Mit der Aufarbeitung und Restitution der Sammlung Tanzenberg ist die NS-Provenienzforschung an der UB Wien bis in die Gegenwart beschäftigt, womit zumindest die indirekten Folgen der Bergung im Jahr 1943 bis heute gegeben sind. Die Nationalbibliothek Wien
Über die Bergungsmaßnahmen der Nationalbibliothek Wien im Zeitraum 1938– 194564 sind wir – dank einer Reihe von überlieferten Berichten der unmittelbar Beteiligten – relativ gut informiert. Die Berichte stammen von Generaldirektor Paul Heigl, Oberstaatsbibliothekar Ernst Trenkler und nicht zuletzt von Otto Brechler, dem Leiter der Handschriftensammlung. Wir wissen, dass die Bergungsaktionen, die sich, durch die Kriegslage bedingt, über mehrere Jahre zogen, einerseits für die Bibliothek eine außergewöhnliche Belastung darstellten, andererseits, dass die Bergungen, aufgrund der Heimlichtuerei des Bibliotheksleiters, nicht unbedingt und nicht immer in einer amikalen Atmosphäre stattfanden. Überraschend scheint der frühe Beginn der Bergungen, so als ob der Weltkrieg unausweichlich gewesen wäre. Gut siebzehn Monate vor dem deutschen Überfall auf Polen, der den Zweiten Weltkrieg auslöste, und fünf Jahre vor den ersten Luftangriffen auf Orte in der Nähe von Wien, erfolgte gegen Ende 1938 62 UAW, UBW, Nachlass Gans, K. 6, M. 3, Johann Gans an Alois Jesinger, 20.10.1949. 63 Im Jahr 1961 erhielt er das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik. 64 Eine umfassende Darstellung der Geschichte der Nationalbibliothek in der NS-Zeit findet sich in Murray G. HALL, Christina KÖSTNER, »… allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern …«. Eine österreichische Institution in der NS-Zeit, Wien-Köln-Weimar 2006. Zum Komplex »Führerbibliothek« siehe folgende Arbeiten von Murray G. HALL, The Untold Story of the »Führerbibliothek« and the Role of the National Library in Vienna, in: Mečislav BORAK (Hg.), The Future of the Lost Cultural Heritage. The documentation, identification and restitution of the cultural assets of WW II victims. Proceedings of the international academic conference in Český Krumlov (22.–24.11.2005), Prague 2006, S. 128– 132; Die »Führerbibliothek«. Ein Kapitel Bibliotheksgeschichte aus der NS-Zeit, in: Stefan NEUHAUS, Oliver RUF (Hg.), Perspektiven der Literaturvermittlung (= Angewandte Literaturwissenschaft 13), Innsbruck-Wien-Bozen 2011, S. 298–311; Die drittgrößte Bibliothek des Deutschen Reiches. Die National bibliothek Wien 1938–1945, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (2013), Sonderband: Selbstbehauptung – Anpassung – Gleichschaltung – Verstrickung: Die Preußische Staatsbibliothek und das deutsche Bibliothekswesen 1933–1945, S. 143–149.
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Abbildung 3: Bergung aus dem Prunksaal, 1943
die erste von vier Phasen der Bergung. So wurden die Zimelien der Handschriften und Inkunabeln in »Subkonstruktionen der Hofburg« untergebracht.65 Ende 1939, Anfang 1940 folgten alle Handschriften bis zu cod. 3000 sowie eine Anzahl weiterer Inkunabeln, die teilweise auch in den »Subkonstruktionen der Hofburg«, teilweise in den bombensicheren untersten Keller der NB gebracht wurden. Ihren Luftschutz führten die Albertina und die Nationalbibliothek bis August 1941 übrigens gemeinsam durch. Zum Betriebsluftschutzbeauftragten der Nationalbibliothek und der Albertina wurde der Leiter der Theatersammlung, Joseph Gregor (1888–1960), ernannt.66 Zu seinen Vertretern ernannte man den Mitarbeiter der Theatersammlung, Karl Ecker, und den 65 ÖNB Archiv, Otto Brechler: Bericht der Handschriftensammlung über die Jahre 1938–1944 (resp. Anfang 1945), 1945 u. 1946 mit 3 Beilagen, Feber 1947. Alle weiteren hier zitierten Aussagen Brechlers sind diesem Bericht entnommen. 66 Zu Joseph Gregor und der Theatersammlung siehe auch Christina GSCHIEL, Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien – rastlose Tätigkeit im Interesse der Sammlung, in: Eva BLIMLINGER, Heinz SCHÖDL (Hg.), Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 5), WienKöln-Weimar 2014, S. 263–297.
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Abbildung 4: Der geleerte Prunksaal, 1944
Leiter der Katalogabteilung, Emil Hoeper.67 Danach bestellte Heigl den Leiter der Musiksammlung, Robert Haas, zum Betriebsluftschutzleiter der Albertina.68 Die dritte Phase der Bergung erfolgte im August 1943 vor dem Hintergrund der alliierten Bombardierung von Zielen in der Nähe der Hauptstadt. Der Rest aller Handschriften und Inkunabeln (mit Ausnahme der Handbibliothek) wurde in hauseigene oder hausnahe Bergungsräume verbracht. Ebenfalls in diesem Jahr entschloss sich Paul Heigl, die Bestände im Prunksaal im Umfang von ca. 200.000 Bänden und die kostbarsten Objekte aus den Spezialsammlungen gemeinsam im Keller unter dem Prunksaal zu bergen. Im Frühjahr und Herbst 1944 schließlich wurde die sogenannte Handbibliothek in bombensichere Kellerräume verlagert. Als die Luftangriffe 1943 immer schwerer wurden, kamen die beiden ersten Gruppen der Handbibliothek in das Bergwerk Lauffen bei Bad Ischl. Ende Jänner 1945 brachte man die wertvollsten Handschriften und Druckwerke in 150 Kisten dorthin. 67 Mitteilungsblatt für die Gefolgschaft der Nationalbibliothek 3 (1941) 8, S. 7. 68 ÖNB Archiv, Zl. 277/1944, Paul Heigl an Wilhelm Furtwängler, 10.5.1944.
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Abbildung 5: Bergung in der Nationalbibliothek
Wie erwähnt, sorgte die höchste Geheimhaltung von Seiten Paul Heigls über den Transport für Unmut unter der Gefolgschaft. Otto Brechler nahm sich beispielsweise in seinem Bericht über die Handschriftensammlung während der Jahre 1938 bis 1946 kein Blatt vor den Mund. In seinem mit Feber 1947 datierten Bericht war er aber auch sichtlich bemüht, klarzustellen, dass er für die »große Zahl dubioser Zuwächse aus politischen Beschlagnahmungen etc.« keine Verantwortung trage. Im Gegenteil: »Der Unterzeichnete hat diese Art Objekte immer nur als ein Depot für künftige Zeiten, in denen eine Rückstellung an ihre rechtmäßigen Besitzer möglich sein wird, betrachtet.« Heigls Eigenmächtigkeit in Sachen Bergung kommentierte Brechler wie folgt: Gegen Maßnahmen des Generaldirektors waren mehrfach Proteste des Unterzeichneten, die unter Zeugen erfolgten notwendig, insbesondere gegen die Unterbringung der Wachräume bei den Depots, gegen Aufstellung der Kellerbergungsstücke außerhalb von Regalen und gegen den überstürzten Abtransport nach Lauffen, wobei eine Überprüfung der Liste und Beilegung von Kisteninhaltszetteln gegen Willen und Wissen des dermaligen Generaldirektors erfolgen musste. […] Die Verbringung der Bestände […] ins Salzkammergut (Lauffen bei Ischl) wurde im Herbst 1944 durchgeführt. Ins-
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besondere gegen die Einbeziehung der Zwischenglasstücke wurde nochmals – fruchtlos – remonstriert. Ebenso wurde das Ansuchen, wenigstens eine Person der Bibliothek zur Begleitung mitzugeben, abgewiesen.
Egal, wie man zur Person Heigls stehen mag, muss man festhalten, dass die Nationalbibliothek am Ende des Krieges keine Verluste zu beklagen hatte. Allfällige kleinere Verluste waren eher darauf zurückzuführen, dass außer Haus entlehnte Bände oder Objekte nicht retourniert wurden. Zur Bergung wäre noch hinzuzufügen, dass die im Salzkammergut gelagerten Bestände erst im Sommer 1946 nach Wien zurückgebracht werden konnten. Neben Lauffen wurden auch in Pulkau (Niederösterreich) Bestände der Porträtsammlung der NB (Porträts aus Ministerien etc.) geborgen. Sie kamen bereits im Juni 1946 wieder nach Wien zurück. Was die Musiksammlung betrifft, sind die wertvollen Handschriften in die Salzkammergut-Bergung gekommen, und die weniger wichtigen wurden in Kellern des Albertina-Gebäudes geborgen.69 Paul Heigl musste des Öfteren dem Reichserziehungsministerium in Berlin über den Fortgang der Bergung in seinem Haus Bericht erstatten, und diesen Berichten verdanken wir so manche Details. In einem Schreiben vom Oktober 1940 heißt es beispielsweise, dass sich die kostbarsten Bestände der Nationalbibliothek seit Kriegsbeginn in 90 großen Kisten verpackt – jedes Stück in Ölpapier eingeschlagen, die Kisten mit Wasserglas imprägniert – in vollständig gesicherten Schutzräumen befinden. Diese werden regelmäßig wöchentlich einmal auf den Feuchtigkeitsgehalt der Luft kontrolliert, die Kisten auch geöffnet und die Erhaltung des Materials überprüft. Es ergab sich bisher kein Anstand. Nur die in 2890 Kartons untergebrachten wertvollsten Portraits (Kupfer- und Stahlstiche, Schabblätter u. ä.) mußten aus ihren Bergungs räumen wieder in die Sammlung zurückgeholt werden, da das Papier die Feuchtigkeit zu stark anzog und zu leiden begann.70
In einem Bericht an den Reichsstatthalter vom 7. September 1943 ist die Bergung bereits weit fortgeschritten: Die wertvollsten Bestände an Handschriften, Autografen, Zeitungen u. ä. aus allen Abteilungen der Nationalbibliothek sind in zwei Kellerräumen und der Alten Burg (in der Nähe des Kesselhauses) in präparierten Kisten verstaut. 69 ÖNB Musiksammlung, Hans Jancik, Bericht über die Arbeiten an der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in der Zeit vom September 1945 bis Februar 1946, 26.2.1947. 70 BArch Berlin, R 4901, Signatur 13676, fol. 151, 151a. Auch ÖNB Archiv, Zl. 1196/1940. Der Bericht Heigls ist mit 5.12.1940 datiert.
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324 Murray G. Hall und Christina Köstner-Pemsel In dem großen, 12–16 m unter die Erde reichenden Gewölbe unter dem Westflügel des Prunksales [sic] ruhen zum Teil in Kisten, zum Teil in Regalen verstaut die restlichen großen Handschriften, ferner die Wiegendruckbestände, hunderte von Kassetten mit den Porträts der Porträtabteilung, wertvolles Material der Karten-, Musik- und Theaterabteilung und in großen Stößen geschichtet die 200.000 Bände aus dem großen Bibliothekssaal (Prunksaal). In den untersten, 16 m unter dem Straßenniveau gelegenen Geschoßen des Kellermagazins der Nationalbibliothek ist u. a. die Bibliothek des Prinz Eugen aufgestapelt. Material der Kartenabteilung, vornehmlich Globen u. ä. wurde in einem anderen Kellermagazin im Hauptgebäude der Nationalbibliothek selbst untergebracht. In hunderten von Kisten sind wertvolle Bücher aus den Beständen verschiedener Abteilungen der Nationalbibliothek im Ring 3 des Kellermagazins der Neuen Burg (an der Ringstraßenfront) geborgen. Dortselbst werden laufend auch die wichtigsten Bestände der der Nationalbibliothek eingegliederten ehemaligen Habsburgischen Fideikommissbibliothek aus der Porträtabteilung (ungefähr 80.000 Bände) in großen Stapeln verstaut.71
Zu den sehr vielen Objekten, die zur Sicherheit ins Salzkammergut verlagert wurden, zählten Werke des vielseitig begabten britischen Künstlers Edward Gordon Craig (1872–1966). Die Werke aus dem Besitz Craigs waren einerseits für die geplante Theaterabteilung beziehungsweise Theatersammlung des »Führermuseums« in Linz vorgesehen, andererseits sollten manche Werke im Bestand der Nationalbibliothek bleiben. Das war, so Paul Heigl, »ein wunderschönes Geschenk des Führers an die Nabi«.72 Glaubte er zumindest. Wie sich zeigt, verlief die erwartete oder zu erwartende Rückführung der Sammlung Craig nach Kriegsende in die Nationalbibliothek nach Wien nicht nach dem Wunsch des nochmaligen Generaldirektors Josef Bick (1880–1952) beziehungsweise seines Nachfolgers Josef Stummvoll (1902–1982). Die Theaterabteilung der NB unter Joseph Gregor hatte bereits in der ersten Hälfte der 1920er Jahre einige Dutzend Originalholzschnitte von Craig erworben. Obwohl die Bibliothek kaum die notwendigen Mittel hatte, verhandelte Gregor fast zwanzig Jahre später wegen des Ankaufs der ca. 10.000 Bände umfassenden Bibliothek Craigs, wobei Dubletten an die für Linz geplante Theatersammlung gehen sollten. Gregor fuhr im Auftrag Paul Heigls im 71 ÖNB Archiv, Zl. 159/618/1943, Paul Heigl an den Reichsstatthalter in Wien, 7.9.1943. 72 BArch R/4901, Sign. 13676, Paul Heigl an Rudolf Kummer, 7.6.1942. (Dieses Schreiben findet sich nicht im Archiv der ÖNB.) Eine ausführlichere Darstellung des Falls Craig findet sich bei HALL, KÖSTNER 2006, S. 131–138.
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Juni 1942 nach Paris, um die dort gelagerte und vom »Führer« (für Linz) angekaufte Theatersammlung Edward Gordon Craigs zu »bearbeiten« und aus der Sammlung ca. 150 Handzeichnungen für die NB auszusuchen, die dann als Grundlage für einen Band mit Reproduktionen Craigs dienen sollten. Sozusagen als Belohnung Hitlers, doch Heigl verstand dies falsch als »Dauerleihgabe« und entscheidende Vermehrung des B estandes seiner Theatersammlung. Seine Hoffnungen, von der Sammlung Craig weiter zu profitieren, wurden enttäuscht, denn statt die von Hitler erworbene Sammlung von Paris über Wien zu transportieren, wo man Gelegenheit gehabt hätte, Dubletten für sich auszusuchen, ging sie zunächst in das Kunstdepot in Kremsmünster. Zur aufwändigen Veröffentlichung eines Bandes mit Faksimiles der Zeichnungen Craigs ist es ebenfalls nicht gekommen. Papierbezug und Finanzierung waren nur zwei der Probleme. Somit kamen im Juni 1942 neun Kisten der Sammlung Craig nach Kremsmünster, und im November 1943 erfolgte ein weiterer Transport von fünf Kisten. Später wurde alles in das Salzbergwerk in Altaussee überstellt. Nach dem Krieg wurde der überwiegende Teil der Sammlung Craig – zum Verdruss des wiedereingesetzten Generaldirektors Josef Bick, der sie für die Nationalbibliothek beanspruchte, an die französische Regierung restituiert. Die Amerikaner waren nämlich der Meinung, dass der seinerzeitige Verkauf – indirekt an Hitler – dem Zeitpunkt der Freilassung Craigs aus einem Internierungslager in Besançon, wo er nach der Besetzung von Paris im Juni 1940 durch die deutschen Truppen mit seiner Frau und zwei Töchtern gebracht worden war, verdächtig nahe war und dass er unter Druck stattgefunden hatte. Unberührt von dieser Restitution blieben jene 62 Handzeichnungen, die sich bereits vor der Bergung der Sammlung Craig zu Reproduktionszwecken in der Theatersammlung befunden hatten und kurz nach Kriegsende auf Initiative von Joseph Gregor wieder den Weg in die Theatersammlung fanden. 1958 wollte Craig diese Blätter wieder zurück und stellte einen Antrag auf Rückgabe, da er der Meinung war, die NB hätte sie nicht redlich erworben. Der Generaldirektor der Bibliothek, Josef Stummvoll, der die Vorgänge nicht aus eigener Wahrnehmung verfolgt hatte, lehnte ab. Es würde sich um ehemalige deutsche Vermögenswerte oder Kriegsbeute handeln, und damit war der Fall erledigt. Craig verstarb 1966. Die 62 ob ihrer Erwerbungsgeschichte umstrittenen Handzeichnungen der Sammlung Craig werden nach wie vor im Theatermuseum (heute KHM) verwahrt.73
73 Um den Fall Craig endgültig beurteilen zu können, müsste noch unaufgearbeitetes Archivmaterial gesichtet werden.
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326 Murray G. Hall und Christina Köstner-Pemsel Das Schicksal der »Führerbibliothek«
Der Generaldirektor der Nationalbibliothek, Paul Heigl, war zu einem frühen Zeitpunkt über das Projekt »Sonderauftrag Linz« und insbesondere über den Wunsch Hitlers, in Linz eine große Universalbibliothek, die »Adolf-Hitler-Bibliothek« oder »Führerbibliothek« zu bauen, informiert. Ihm lag viel daran, seiner Bibliothek die Gunst Hitlers zu sichern. Wie er in einem Schreiben an Martin Bormann im Juni 1941 hervorhob, hätte er Hans Posse, Hitlers Beauftragtem für den Aufbau der Sammlungen in Linz, gegenüber mehrfach betont, »daß die Nationalbibliothek seit 1938 [!] alle wertvollen Doppelstücke für den Aufbau der großen Bibliothek in Linz a. D. bereithält und mit besonderer Freude gerade dieses künftige Kulturzentrum im Heimatgau des Führers mitausstatten wird«.74 Seine Bereitwilligkeit hat Heigl mehrfach unter Beweis gestellt. Die Dienststelle »Führerbibliothek« befand sich im »Führerbau« in München, doch angesichts der Luftangriffe der Briten auf die Stadt hat man bereits vor Mitte 1943 an einen Ausweichstandort gedacht. Die Wahl fiel in der ersten Juniwoche auf das entlegene Grundlsee im damaligen Gau Oberdonau, in der heutigen Steiermark. Die Bergungsarbeiten, das heißt der Transport der für die »Führerbibliothek« bereits gesammelten Bücher, begannen am 2. August. Nach dem Zwischenlager Schloss Kogl in St. Georgen wurde die Übersiedlung der Dienststelle (= Partei-Kanzlei) in den neuen Standort Haus Grundlsee (Villa Castiglioni)75 am 16. und 17. August durchgeführt. Bis zu den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurden dort geraubte oder gekaufte Bücher, die für die »Führerbibliothek« in Linz bestimmt waren, entgegengenommen, katalogisiert und dann unter anderem in das nahegelegene Salzbergwerk Altaussee ausgelagert, um für die neu ankommenden Bücher Platz zu machen. Als die Amerikaner im Jänner 1946 im Bergungsort Salzbergwerk Altaussee die vielen Einlagerungen in den unterirdischen Stollen inventarisierten, stießen sie unter anderem auf den Bestand Grundlsee-Partei-Kanzlei, insgesamt 171 Kisten (Bücher). Weitere 27 Kisten aus der Villa Castiglioni entdeckte man im Springerwerk und 38 Kisten im Oberen Kammergrafenwerk. Im Zeitraum von Juli 1944 bis Jänner 1945 hatte der für die »Führerbibliothek« verantwortliche Bibliothekar Friedrich Wolffhardt als Bestände der Partei-Kanzlei insgesamt 33 Kisten in Altaussee einlagern lassen. Die vielen Kisten und Pakete aus der Villa Castiglioni blieben dann bis Mai 1946 in Alt74 ÖNB Archiv, Zl. 305/1941, Paul Heigl an Martin Bormann, 6.6.1941. 75 Die Villa Castiglioni liegt am Grundlsee. Camillo Castiglioni war zwischen 1920 und 1937 Eigentümer dieser 1881 erbauten Villa.
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aussee. Am 14. Mai 1946 erfolgte der erste Abtransport »im Auftrag der Headquarters Document Center, Military Intelligence Service in Austria«.76 Aus dem Depot Springerwerk wurden Bücherkisten und Pakete, die vordem in Grundlsee lagerten, evakuiert, und zwar handelte es sich zusammen um 27 Kisten, zwei Pakete große Bücher, 16 Pakete, verschnürt, Musikalien und zwei Rollen Teppiche. Zwei Tage später fand der zweite Abtransport statt, diesmal aus dem Depot Probstenwerk. Umfang: 69 Kisten, 49 Pakete. Ein dritter Transport erfolgte am 21. Mai 1946 (66 Kisten) und der vierte und letzte Transport von Büchern, die aus der Villa Castiglioni stammten, am 24. Mai 1946 (37 Kisten, 41 Pakete). Es fehlen zwar Angaben zur Zahl der Bücher – eine spätere Schätzung dieser Bestände lautet auf 40.000 Bände –, am Umfang der Transporte kann man aber ermessen, welche riesigen Mengen an Büchern hier für die »Führerbibliothek« eingelagert waren: Insgesamt kamen 199 Kisten und 108 Pakete mit Büchern in die amerikanische Dienststelle nach Linz, wo NS- und Kriegsliteratur ausgesondert wurde. Was übrig blieb, kam im Jänner 1947 zum Central Art Collecting Point nach München und wurde später in die Büchersammelstelle nach Offenbach am Main gebracht. Es handelte sich um geschätzte 30.000 bis 50.000 Bücher.77 Pauschal formuliert, hat vieles von den geraubten Buchbeständen im Laufe der Jahre so oder so den Weg nach Österreich zurückgefunden, nicht zuletzt dank der Bemühungen des Salzburger Bibliothekars Franz Konrad Weber (1896–1981), der für Österreich mehrere Erkundungsmissionen nach Offenbach unternahm. Das Schicksal einer Erwerbung für die »Führerbibliothek«, an der die Nationalbibliothek beteiligt war – und es handelte sich nach Vorliegen aller Fakten augenscheinlich nicht um Raubgut – konnte erst in den letzten Jahren weitgehend geklärt werden. Im Jahre 1941 nahm der Antiquar (und Verleger) Rudolf Engel, der in der NS-Zeit mehrfach Geschäfte mit der Nationalbibliothek machte, mit Generaldirektor Heigl Kontakt auf und machte ihm ein sowohl für die »Nabi« als auch für die Bibliothek in Linz (die auch eine Theater abteilung aufweisen sollte) interessantes Angebot. In einem Schreiben vom 18. Oktober 1941 informierte Heigl Hans Posse über die Einzelheiten: Im Zusammenhang mit meinem Bestreben, am kommenden Aufbau der Bibliothek in Linz besonders mitzuarbeiten und dafür alle wertvollen Doppelstücke der Nationalbibliothek bereitzuhalten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass mir unlängst eine schöne Kollektion von etwa 3.000 Theaterstücken, Impressen, zum Ankauf angeboten wurden; […] Ich stelle Ihnen anheim, die mehr als 2700 gut erhaltenen Dramendrucke für 76 BDA-Archiv, Bergungsort Altaussee, K. 22/1, M. 18, »Sonderliste 7«. 77 ÖStA/AdR, BMVS, K. 128, Zl. 25.447-3/1947, Bestand der Bibliothek des ehem. NSDAP Hauptarchivs in O. Oe.
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328 Murray G. Hall und Christina Köstner-Pemsel Linz anzukaufen und bitte Sie mir kurz mitzuteilen, wenn Sie für die Sammlung, die dem Aufbau einer Theaterabteilung an der Linzer Bibliothek einen schönen Grundstock liefern würde, Interesse haben sollten. Ich würde dann die Verhandlungen mit dem Verkäufer entsprechend führen und Ihnen ein detailliertes Angebot zugehen lassen.78
Posse nahm das Angebot an, die 2.960 Bände wurden in Kisten verpackt und – laut Hinweisen im Archiv der ÖNB – an die Studienbibliothek in Linz überstellt. Doch Recherchen in deren Archiv ergaben keinen Hinweis auf den besagten Bestand. Das weitere Schicksal blieb ungeklärt, bis die Theaterwissenschaftlerin Brigitte Dalinger die Spur erneut aufnahm.79 Es stellte sich heraus, dass die Büchersammlung, von der oben die Rede ist, in der Kartause Mauerbach von 1969 bis 1996 eingelagert war. Trotz mancher (zum Teil halbherziger) Versuche, die Provenienz beziehungsweise den Vorbesitz dieser Sammlung zu bestimmen, blieb die Herkunft auch noch bis zur 1996 durchgeführten, sogenannten Mauerbach Benefizauktion durch das Auktionshaus Christie’s im Dunkeln. Die Theatersammlung »Komplex Mauerbach« – offiziell »herrenloses Kunstgut« – wurde dabei vom jetzigen Eigentümer, dem Don Juan Archiv Wien, erworben. »Von 2003 bis 2006 war der ›Komplex Mauerbach‹ zur Forschung dem Wiener Da Ponte Institut überlassen, 2007 wurde das Don Juan Archiv Wien mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung betraut.«80 Dalinger ging den Fragen nach, warum und unter welchen Umständen diese Sammlung von Theatralia, die über Vermittlung von Paul Heigl durch Rudolf Engel in den Bestand der »Führerbibliothek« gekommen war, Teil der Mauerbach Benefizauktion werden konnte. Der Verbleib der Sammlung zwischen der Zeit des Kaufes (etwa Oktober 1941) und der Zeit, wo sie im Salzbergwerk Altaussee (ab 1943?) in neun oder zehn Kisten eingelagert war, scheint noch ein Rätsel zu sein. Im Rahmen ihrer Forschungen konnte Dalinger feststellen, dass die Sammlung aus dem Besitz des Schauspielers und Theaterhistorikers Otto Rub stammte, der 1942 in Niederösterreich verstorben war. Obwohl sie zunächst an die Studienbibliothek Linz überstellt werden sollte, konnte im dortigen Archiv – wie erwähnt – keine weitere Spur gefunden werden. Es ließ sich auch nicht genau feststellen, wann der Bestand ins Salzbergwerk Altaussee gekommen ist, aber bekannt ist, dass die 78 ÖNB Archiv, Zl. 305/821/1941, Paul Heigl an Hans Posse, 18.10.1941. 79 Details dazu bei Brigitte DALINGER, Die Theatersammlung »Komplex Mauerbach«: Bericht von einer Spurensuche, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich 15 (2013), H. 2, S. 37–48. 80 DALINGER 2013, S. 38. Siehe dazu auch die Website des Don Juan Archivs, http://www.donjuanarchiv. at/historischer-bestand/komplex-mauerbach.html (Stand: 20.7.2015).
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amerikanischen Behörden nach dem Krieg dort »10 Kisten Theaterliteratur« vorfanden. Fast 25 Jahre später, im September 1969, wurde der Bestand in der in der Wiener Zeitung vom 2. September 1969 veröffentlichten »Liste der im Gewahrsam des Bundesdenkmalamtes befindlichen und unter § 1, Abs. 1 dieses Bundesgesetzes fallenden Kunst- und Kulturgegenstände, geordnet nach Art und Stückzahl« verzeichnet. Einige wenige Bände der Sammlung wurden in der Folge restituiert, obwohl nicht klar ist, ob die Leute, die sich als rechtmäßige Besitzer ausgaben, diese es auch tatsächlich waren. Auch in diesem Fall sind demnach noch Fragen offen. Obwohl die Kriegsbergung an der Universitätsbibliothek Wien vor mittlerweile über 70 Jahren stattfand, ist die Bibliothek noch heute von den Folgen betroffen. Denn durch die komplette Bergung ihrer Bestände verlor sie rund zehn Prozent ihres Bestandes und nahm beim Versuch, diesen Verlust auszugleichen, auch rechtlich fragwürdige Bücher auf. Die Nationalbibliothek Wien hingegen konnte viele ihrer wertvollen Bücher, etwa die 200.000 Bände des Prunksaals, in ihren Kellermagazinen unterbringen. Auch die Anfang 1945 in Lauffen geborgenen Zimelien kamen nach dem Krieg unbeschadet aus der Bergung nach Wien zurück. Der Vergleich der beiden großen Wiener Bibliotheken zeigt sehr deutlich, wie unterschiedlich eine Kriegsbergung während des Zweiten Weltkriegs ablaufen konnte.
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Raubgut für den Wiederaufbau Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken in Berlin
Sebastian Finsterwalder und Peter Pröl ß
Einleitung
»Die Berliner Bibliotheken haben durch den Krieg stark gelitten und sind auch jetzt noch dem ständigen Verfall preisgegeben. Wertvolle Buchbestände lagern unter Trümmern oder sind noch den Plünderungen ausgesetzt.«1 Die Sachabteilung Büchereiwesen stellte dies am 10. Juni 1945 in einem Brief an die vorgesetzte Abteilung Volksbildung fest und schlug »eine großzügige Bergungsaktion« vor.2 Nach zwölf Jahren Diktatur wollte der erste Berliner Nachkriegs-Magistrat eine schnelle Wiederbelebung des kulturellen Lebens initiieren, und die öffentlichen Bibliotheken sollten dazu einen Beitrag leisten.3 Doch diese lagen in Trümmern, die Bestände waren zerstört oder unerreichbar in weit entfernten Auslagerungsorten, wohin man sie zum Schutz vor Kriegshandlungen verlagert hatte. Jedoch waren umfangreiche Buchbestände im Stadtgebiet vorhanden, auf die man für den Wiederaufbau zurückgreifen konnte: Bibliotheken von Behörden und Einrichtungen der NSDAP, verstreute Bestände unbekannter Herkunft in Lagern, Kellern und in zerstörten Gebäuden, die als »herrenloses Gut« betrachtet w urden, 1
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Landesarchiv Berlin (LAB) C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 356–357, hier: Bl. 356, Schreiben der Sachabteilung Büchereiwesen an Otto Winzer, 10.6.1945. Vgl. Heike SCHROLL, Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken und Archive des Magistrats von Berlin, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin (2000), S. 135–154. Zu den genauen Umständen der Gründung der Bergungsstelle siehe SCHROLL 2000, S. 136–139. Alle hier zitierten Akten (LAB C Rep. 120, Nrn. 512–515, 515/1 und 522) zur Bergungsstelle finden sich online unter www.bergungsstelle.de – aus Gründen der Lesbarkeit wird im Folgenden auf Links zu einzelnen Blättern verzichtet. Der Begriff »Bergung« wird in diesem Aufsatz wie in allen zitierten Quellen im Sinne der Übernahme oder des Rücktransports von ausgelagerten, verstreuten und verschütteten Buchbeständen verwendet. »Nach 12 Jahren geistiger Verbildung und Verkrüppelung stehen wir vor der gewaltigen Aufgabe, das deutsche Volk umzuerziehen.« So Otto Winzer über das Thema »Volksbildung« laut Protokoll der 6. Magistratssitzung vom 11.6.1945, LAB (STA) Rep. 100, Nr. 751, lfd. S. 18–30, zitiert nach Dieter HANAUSKE (Bearb.), Die Sitzungsprotokolle des Magistrats der Stadt Berlin 1945/46. Kommentierte Quellenedition, Teil I: 1945 (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin 2), Berlin 1995, S. 122. Für das Büchereiwesen wurde eine Dienststelle bei der Abteilung für Volksbildung eingerichtet. Otto Winzer (1902–1975), als Mitglied der Gruppe Ulbricht aus der Sowjetunion zurückgekommen, wurde der erste Stadtrat für Volksbildung.
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332 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß s owie die Privatbibliotheken ehemaliger Parteimitglieder. Für die Sammlung all dieser unterschiedlichen Buchbestände und die anschließende Neuverteilung wurde die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken – im Folgenden kurz Bergungsstelle – gegründet.4 In der kurzen Zeitspanne von Juli 1945 bis Februar 1946 übernahm die Bergungsstelle komplette Bibliotheken und Sammlungen sowie durch Auslagerung und Kriegseinwirkung verstreute Buchbestände, die oft keinerlei Bestandszusammenhänge mehr hatten. Doch oft wurden selbst vollständig geborgene Sammlungen aufgeteilt und an verschiedene Institutionen abgegeben. Bücher einer Provenienz wurden so teilweise unwiederbringlich verstreut, Sammlungen aufgelöst und neu zusammengestellt. Die Folgen für die Berliner Bibliotheken sind noch heute spürbar. Unter den verteilten Büchern befand sich NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut (im Folgenden kurz NS-Raubgut) und kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut (Beutegut) aus den Beständen der am Entzug direkt beteiligten Organisationen oder den mit diesen in Verbindung stehenden Einrichtungen.5 Beim Wiederaufbau profitierten die Berliner Bibliotheken von den Lieferungen des Bergungsguts und damit nachträglich vom Kulturgutraub der Nationalsozialisten. Wie selbstverständlich übernahm man die Exemplare in die eigenen Bestände und schenkte der Herkunft und damit auch den ursprünglichen Eigentümer_innen keine große Beachtung. Die vier Empfängerbibliotheken mit den größten Liefermengen waren die Ratsbibliothek, die Berliner Stadtbibliothek (BStB) und die Volksbüchereien sowie die Staatsbibliothek.6 Heute befinden sich die Bestände von Ratsbibliothek und BStB sowie 4
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Die vollständige Bezeichnung lautet Magistrat der Stadt Berlin, Abteilung für Volksbildung, Büchereiwesen – Bergungsstelle für Bibliotheken und Archive. Ab September 1945 wurde der Zusatz »und Archive« weggelassen, da »wir infolge der alliierten Bestimmungen, im Allgemeinen nicht berechtigt sind, Archive zu bergen. Das schließt Sonderfälle nicht aus.« LAB C Rep. 120, Nr. 515/1, Bl. 51, Schreiben der Sachabteilung Büchereiwesen an Günter Elsner, 17.9.1945. In den Akten finden sich auch abweichende Bezeichnungen wie Zentrale Bergungsstelle für wertvolle Buchbestände, LAB C Rep. 120, Nr. 515, Bl. 4, Schreiben der Bewirtschaftungsstelle für Bergungsgut für den Bezirk Tempelhof, 6.9.1945. Die Verwaltungsstruktur änderte sich mehrmals, einen Überblick gibt SCHROLL 2000, S. 138; siehe LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 34–41, hier: Bl. 34, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946. Der Begriff »NS-Raubgut« ist problematisch, handelt es sich beim NS-verfolgungsbedingten Entzug nicht in allen Fällen um einen Raub im juristischen Sinne. Aufgrund der besseren Lesbarkeit folgen die Autoren jedoch dem allgemeinen Sprachgebrauch. Preußische Staatsbibliothek bis 1945; nach der Teilung der Stadt befand sie sich im Ostteil und wurde 1946 in Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek (1946–1954) umbenannt, Deutsche Staatsbibliothek (1954–1990), Deutsche Staatsbibliothek in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (1990/91); heute Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz. In fast allen Akten zur Bergungsstelle meist nur als Staatsbibliothek bezeichnet.
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Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken in Berlin 333
große Teile der Volksbüchereien in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB). Insbesondere die der BStB bilden die Basis für die vorliegende Auswertung. Die Exemplare aus den Bergungen wurden über die Jahrzehnte durch Tausch und Verkauf auf verschiedene Einrichtungen weit über Berlin hinaus verstreut, aber trotz der teils chaotischen Bedingungen bei der Bergung und Weitergabe kann ein Teil der 1945/46 verteilten Bücher noch immer eindeutig identifiziert werden: Die Bücher wurden mit handschriftlichen Nummern versehen, denen mit Hilfe der wenigen vorhandenen Akten konkrete Orte zugeordnet werden können. Die Provenienzforschung zu Raub- und Beutegut aus diesen Bergungsbeständen steht vor dem Problem, dass mit den Büchern auch die enthaltenen Informationen zu den Vorbesitzer_innen in Form von Provenienzmerkmalen verteilt wurden. Gemeinsame Kennzeichen, die nicht den Namen der ursprünglichen Sammlung oder der Einrichtung enthalten, wie Signaturensysteme, Einbandarten oder handschriftliche Nummerierungen, können nicht mehr ohne Weiteres miteinander in Verbindung gebracht werden. Die Onlineplattform www.bergungsstelle.de soll diese Informationen sammeln und es den forschenden Einrichtungen ermöglichen, sich über die Bergungsstelle zu informieren, Buchwege nachzuvollziehen, Erkenntnisse auszutauschen, und zur Rückgabe von Raub- und Beutegut beitragen. Forschungsstand
Die Tätigkeit der Bergungsstelle und die im Landesarchiv Berlin (LAB) überlieferten Akten sind nicht erst seit Kurzem bekannt. Im Jahr 2000 veröffentlichte die Mit arbeiterin des Landesarchivs Heike Schroll einen maßgeblichen Aufsatz über Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken und Archive des Magistrats von Berlin.7 In den Jahren zuvor war das Landesarchiv »in außergewöhnlichem Maße […] um Unterstützung bei der Suche nach im Zweiten Weltkrieg verschollenen Archiven, Bibliotheken und anderen Kulturgütern« angefragt worden.8 Forschungen zu kriegsbedingten Verlusten der Berliner Kultureinrichtungen, Klärung von Ansprüchen nach dem Vermögensgesetz und ein nach der Wiedervereinigung allgemein neu erwachtes Interesse an der eigenen Geschichte waren hierfür ausschlaggebend.9 Die Forschung im Zusammenhang mit der Suche nach NS-Raubgut setzte erst einige Jahre später ein. 7 8 9
SCHROLL 2000. SCHROLL 2000, S. 135. Die seit Anfang der 1990er Jahre gesetzlich geregelte Rückgabe von Kulturgut in den neuen Ländern erfolgt auf Grundlage des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen von 1990 sowie des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes von 1994.
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334 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß Mit den ersten Untersuchungen zu Raubgut in Berliner Bibliotheken, deren Ergebnisse auf der gleichnamigen Tagung 2006 präsentiert wurden, wurde die Bedeutung der Bergungsstelle für diese Fragestellung deutlich.10 Die Empfänger des Bergungsgutes waren aus den Akten und durch Schrolls Auswertung bekannt, dennoch wurden an keiner der betroffenen Bibliotheken systematische Recherchen unternommen, und eine Zusammenarbeit fand nur in Ansätzen statt. Erst mit der Gründung der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche /-forschung (AfP) als Reaktion auf die Causa Kirchner im Jahre 2008 und den damit verbundenen Fördermitteln begannen die deutschen öffentlichen Einrichtungen mit umfassenden Forschungsprojekten zu NS-Raubgut. Bis heute wurde nach Kenntnis der Autoren in folgenden Bibliotheken Bergungsgut ermittelt: Bibliothek der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Bibliothek der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, Stiftung Zentralund Landesbibliothek Berlin und in der Universitätsbibliothek Leipzig.11 Die Problematik des Bergungsguts ist somit bekannt, eine umfassende Forschung steht allerdings noch aus, und die Zusammenführung der ermittelten Ergebnisse ist noch nicht geschehen. Bergungsgut in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Die heutige Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) enthält den Bestand zweier Bibliotheken, die zu den wichtigsten Empfängerinnen der geborgenen Bücher gehörten: Die 1901 gegründete Berliner Stadtbibliothek (BStB) und die im Krieg fast völ10 Vgl. Heike SCHROLL, Die »Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken« und andere Quellen zur Provenienzforschung der Berliner Bibliotheken im Landesarchiv Berlin, in: Michael DÜRR, Annette GERLACH (Hg.), Raubgut in Berliner Bibliotheken. Workshop des Regionalverbands Berlin-Brandenburg des Vereins Deutscher Bibliothekare am 12. Juni 2006, Berlin 2007, S. 18–38. 11 Sandra BUTTE, Stefan WIEDERKEHR, »... da Mittel zur Anschaffung von Büchern überhaupt nicht zur Verfügung stehen.« NS-Raubgut in der Berliner Akademiebibliothek. Ein Werkstattbericht, in: Bibliothek. Forschung und Praxis 37 (2013), S. 220–228; Maria WINKLER, Geraubt und genutzt. Bücher von verfolgten und ermordeten Juden in Berliner Bibliotheken, Berlin 2014; Michaela SCHEIBE, NSRaubgut in der Erwerbungspolitik der Preußischen Staatsbibliothek nach 1933 – eine Zwischenbilanz, in: Claus-Dieter KROHN, Lutz WINCKLER (Hg.), Bibliotheken und Sammlungen im Exil (= Exilforschung 29), München 2011, S. 179–194; Sebastian FINSTERWALDER, Peter PRÖLß, Tracing the rightful owners. Nazi-looted books in the Central and Regional Library of Berlin, in: Mečislav BORÁK (Hg.), »The West« Versus »The East« or The United Europe? The different conceptions of provenance research, documentation and identification of looted cultural assets and the possibilities of international cooperation in Europe and worldwide, Prag 2014, S. 92–102; Cordula REUß (Hg.), NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Leipzig, in: Schriften aus der Universitätsbibliothek Leipzig 25 (2011), S. 33–37; Ringo NAREWSKI, Raub- und Beutegut in den Beständen des Bibliothekssystems der Freien Universität Berlin, in: Bibliotheksdienst 47 (2013), S. 408–425.
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Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken in Berlin 335
lig zerstörte und nach 1945 neu aufgebaute Ratsbibliothek.12 Ebenso erhielt die BStB regelmäßig Altbestände einzelner Volksbüchereien, für deren Wiederaufbau Bergungsgut zur Verfügung gestellt worden war. Im Jahr 2002 fanden sich in der ZLB 70 Bücher mit dem Stempel »Karl-MarxHaus Trier«, einer Bibliothek der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die an die Friedrich-Ebert-Stiftung als Rechtsnachfolgerin restituiert wurden. Die Exemplare waren in der 1945/46 aufgebauten und seitdem nur wenig benutzten Sammlung Franz-Mehring-Bibliothek entdeckt worden, die Literatur zur Arbeiterbewegung umfasst. Zusammengestellt wurde die »politische Bibliothek«,13 so die zeitgenössische Bezeichnung, zum großen Teil aus Bergungsgut. Mit diesem Fund begann in der ZLB die Suche nach NS-Raubgut, die weit mehr als nur verdächtiges Bergungsgut zu Tage brachte.14 Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde von 2009 bis 2013 ein AfP-gefördertes Forschungsprojekt zu NS-Raubgut im Bestand der ZLB durchgeführt.15 Im Mittelpunkt stand dabei weniger das Bergungsgut, als der Erwerb von 40.000 Büchern der deportierten Berliner Jüdinnen und Juden im Jahre 1943 durch die BStB. Nach deren Deportation war der zurückgebliebene Hausrat als dem Reich verfallen erklärt und an die Stadt Berlin verkauft worden. Im März 1943 kaufte die BStB die in der städtischen Pfandleihanstalt gelagerten Bücher, um ihre durch Auslagerung und Bombenkrieg stark dezimierten Bestände zu ersetzen.16 Bis zum 20. April 1945 wurden etwa 2.000 Exemplare in ein Zugangsbuch mit der Aufschrift »J« eingetragen und ebenso jedes einzelne Buch mit einer mit »J«
12 1955 wurde die Ratsbibliothek in die BStB eingegliedert. Nach der Teilung Berlins befand sich die BStB im Ostteil und wurde 1995 mit der 1954 im Westteil gegründeten Amerika-Gedenkbibliothek vereinigt. Zur Geschichte siehe Ulrike WAHLICH, Rückblick mit Zukunft. 100 Jahre Zentral- und Landesbibliothek Berlin, München 2001. Eine aktuelle Institutionengeschichte der ZLB, die auch die Verstrickungen im Nationalsozialismus umfasst, existiert nicht. 13 LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 215, Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion des Bundes archivesdes Eher-Verlages, Auftrag Nr. 27, 26.7.1945. 14 Im Kapitel »Rückgaben« wird genauer auf die Geschichte der SPD-Bibliotheken eingegangen. Die Forschung nach Fremdbesitz wurde vor allem durch Detlef Bockenkamm, Historische Sammlungen der ZLB, durchgeführt. Vgl. Annette GERLACH, NS-Raubgut in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, in: Bibliotheksdienst 40 (2006), S. 301–305, und Detlef BOCKENKAMM, Geraubt. Die Bücher der Berliner Juden, Berlin 2008. 15 Seit 2010 fördert zusätzlich der Berliner Senat die NS-Raubgutforschung der ZLB. 16 Vgl. BOCKENKAMM 2008, S. 16. Vgl. Peter PRÖLß, Buchwege. Projektergebnisse der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, in: Regine DEHNEL (Hg.), NS-Raubgut in Museen, Bibliotheken und Archiven. Viertes Hannoversches Symposium, Frankfurt am Main 2012, S. 455–472, hier: S. 460–461.
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336 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß beginnendenZugangsnummer versehen.17 Als im August 1945 die Arbeit in der BStB wieder begann, wurden die bis dahin noch nicht in den Bibliotheksbestand eingearbeiteten Bücher der Berliner Juden/Jüdinnen nicht mehr gesondert erfasst oder gekennzeichnet, sondern den »Geschenken« zugerechnet. Dementsprechend erhielten sie eine Zugangsnummer beginnend mit »G«. Die Zugangsbücher der »Geschenke« enthalten vom Sommer 1945 bis 1951 über 20.000 Einträge. Um tatsächliche Geschenke hat es sich in den wenigsten Fällen gehandelt: Es waren in der großen Mehrheit die eingelagerten Bücher der Berliner Juden/Jüdinnen und die Lieferungen der Bergungsstelle, die am 5. September 1945 zum ersten Mal als Lieferantin verzeichnet wurde.18 Der Eintrag »Bergungsstelle« ist im Zugangsbuch oft mit einer Nummer ergänzt. Diese Nummer findet sich ebenso in den Exemplaren selbst, handschriftlich im vorderen Teil der Bücher, meist auf dem Vorsatzblatt oder dem Schmutztitel. Diese mit Bleistift eingetragenen Nummern konnten durch die Auswertung der Akten im LAB einzelnen Bergungsaktionen zugeordnet werden. Bei der Autopsie – dem Überprüfen der einzelnen Exemplare auf Spuren von Vorbesitzern – dieser Lieferungen finden sich Provenienzmerkmale von jüdischen Gemeinden innerhalb und außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches, von verfolgten Privatpersonen, Parteien, Klöstern, Freimaurern und von geplünderten Bibliotheken aus den besetzten Ländern. Jedoch ist die Verzeichnung in den Zugangsbüchern weder fehlerfrei noch vollständig: Bergungsgut wurde undokumentiert zur Ergänzung von historischen Sammlungen verwendet und füllte Lücken, die durch Krieg und Verbringung durch die sowjetische Trophäenkommission19 entstanden waren. Auch heute noch besitzt die ZLB nicht erfasste Bestände, und bei der Überprüfung eines mehrere zehntausend Bände umfassenden Lagers in den Jahren 2011 bis 2013 durch die Autoren fand sich zahlreiches Bergungsgut, da runter eindeutiges Raub- und Beutegut. 17 Mit der Entdeckung des Zugangsbuches mit der Aufschrift »J« durch Detlef Bockenkamm war eine systematische Suche nach Raubgut im Bestand möglich geworden. 18 Von den 20.000 Eintragungen entfallen etwa 3.200 Zugangsnummern auf das nicht eindeutig identifizierte Kulturamt, 7.000 auf das Bücherlager und etwa 6.000 auf die Bergungsstelle. Die Verzeichnung ist nachweislich fehlerhaft, und selbst Angaben zum Lieferanten sind oft nicht korrekt. Zur Auswertung siehePRÖLß 2012, S. 463–464. Unter den »Geschenken« der Nachkriegszeit finden sich zahlreiche Bücher mit Provenienzmerkmalen, die bereits in Büchern aus dem Zugang »J« bekannt sind und die auf Opfer der Verfolgung verweisen, sodass die Zuordnung zum Kauf der Bücher der deportierten Berliner Juden/Jüdinnen von 1943 eindeutig belegt ist. Vgl. PRÖLß 2012, S. 464. 19 Einen Überblick zur kriegsbedingten Verbringung von Bibliotheksgut durch die sogenannte Trophäenkommission bieten Klaus-Dieter LEHMANN, Ingo KOLASA (Hg.), Die Trophäenkommissionen der Roten Armee. Eine Dokumentensammlung zur Verschleppung von Büchern aus deutschen Bibliotheken, Frankfurt am Main 1996.
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Ohne die Bücher der Deportierten und das Bergungsgut wäre der schnelle Wiederaufbau der BStB in den Nachkriegsjahren nicht möglich gewesen. Vom ursprünglichen Bestand von 350.000 Bänden waren 300.000 ausgelagert, der Rest überwiegend durch den Bombenkrieg zerstört, sodass zu Kriegsende wohl nur wenig mehr als 10.000 Exemplare zur Verfügung standen. Als man im Juni 1946 den regelmäßigen Betrieb wiederaufnahm, hatte die BStB wieder etwa 200.000 Exemplare im Bestand.20 In den Magazinen lagerten weitere 100.000 Bände, die unbearbeitet waren und deren Herkunft nicht bekannt ist – Bergungsgut befand sich mit Sicherheit darunter.21 Ein großer Teil des eigentlichen Hauptbestands kehrte erst ab 1952 aus den Auslagerungsorten in der ČSSR zurück.22 Die Ratsbibliothek, die nur noch auf wenige Reste der im März 1945 im Berliner Roten Rathaus verbrannten, ursprünglichen Ratsbibliothek zurückgreifen konnte, wurdevöllig neu zusammengestellt.23 Hier konnten bisher nur einzelne Teilbereiche, wie die eingangs erwähnte Franz-Mehring-Bibliothek, überprüft werden. Der Kern bestand der Ratsbibliothek entspricht der knapp 200.000 Bände umfassenden Bibliothek des Reichsministeriums des Inneren,24 ergänzt durch weiteres Bergungsgut aus unterschiedlichen Quellen. In der Ratsbibliothek haben sich keine Zugangsbücher erhalten, womit nur durch Autopsie und die Auswertung der enthaltenen Provenienzmerkmale die Herkunft eines Exemplars bestimmt werden kann. Die Akten der Bergungsstelle
Durch Autopsie kann einzelnes Raub- und Beutegut identifiziert werden, sofern Provenienzmerkmale der Vorbesitzer_innen vorhanden sind. Eine Aussage zu den Zwischenbesitzer_innen, in Form der am Raub beteiligten NS-Organisationen oder direkten Profiteure, oder den konkreten Lagerungsorten zu Kriegsende ist aber meist erst durch Abgleich mit den im LAB vorhandenen Akten25 zu treffen. 20 In einer Aufstellung der Berliner Bibliotheken und deren Schäden vom August 1945 wird eine Bestandsgröße von 10.000 Exemplaren an den Magistrat gemeldet. LAB C Rep.120, Nr. 522, Bl. 56, Schreiben von Günter Elsner an die Abteilung für Volksbildung, 21.6.1945. 21 Zur Situation in der Nachkriegszeit siehe WAHLICH 2001, S. 93–97. Als das Werk verfasst wurde, waren weder die Bücher der Deportierten noch die Lieferungen des Bergungsgutes bekannt. 22 Vgl. Wahlich 2001, S. 99. 23 Vgl. Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa: Bibliotheken in Berlin, http://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Bibliotheken_in_Berlin (26.2.2015). 24 LAB C Rep. 120, Nr. 513, Bl. 51, Aktenvermerk, Fritz Tinz, 1.10.1945. 25 Im Bestand C Ost-Berliner Behörden und Einrichtungen, Parteien und Massenorganisationen, Volkseigene Betriebe und Kombinate finden sich unter der Nummer 120 Magistrat von Berlin – Abteilung
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338 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß Gleich zu Beginn des Aktenkonvoluts befindet sich das wichtigste Dokument: Eine fünfseitige Liste der Bergungsaktionen – durchnummeriert von »1a Bibliothek des Reichsinnenministeriums« bis zur Nummer »209 Herrenlose Bestände aus der Emserstraße«.26 Einige der genannten Einrichtungen sind sofort als mögliche Ausgangspunkte für Raub- und Beutegut zu identifizieren, so zum Beispiel die Bibliotheken des Reichssippenamtes (Nr. 8), des Reichssicherheitshauptamtes (Nr. 15) oder des Institutes für Staatsforschung (Nr. 126) – bei anderen scheint eine Verbindung zu Raub- und Beutegut eher unwahrscheinlich, wie bei der Bibliothek der Straßenreinigung/Müllabfuhr (Nr. 6). Neben zahlreichen privaten Bibliotheken, von deren Eigentümer_innen oft nur der Nachname angegeben ist, finden sich Bezeichnungen von Auslagerungsorten wie »Herrenlose Bestände aus dem Zoobunker« (Nr. 90) und Sammelstellen, die nicht spezifiziert wurden. Die jeder Bergung zugeordnete Nummer wurde durchgehend für alle Berichte, Aktennotizen und in der Korrespondenz verwendet und »auch in jedes Buch zur Kontrolle eingetragen«.27 Nicht nur die Exemplare, die im Bestand der BStB in der ZLB ermittelt wurden, tragen diese Nummern, sondern auch die an die Staatsbibliothek abgegebenen, sodass man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass diese bei den Sortierarbeiten der Bergungs aktionen und nicht erst bei den Empfänger_innen angebracht wurden. Damit steht für die Provenienzforschung eine eindeutige Kennzeichnung zur Verfügung, mit der jedes damit versehene Exemplar einer konkreten Bergungsaktion zugeordnet werden kann. Aufbau und Aufgaben
Bevor genauer auf die einzelnen Berichte der Bergungsaktionen und deren Bedeutung für die Provenienzrecherche eingegangen wird, soll die aus den Archivalien rekonstruierte Geschichte der Bergungsstelle kurz vorgestellt werden.28 Die Bergung der Bücher ist dabei nur ein sehr kleiner Teil der allgemeinen Sicherstellung des sogenannten »herrenlosen Volksvermögens«, dessen Übernahme und Weitergabe durch den Magistrat ab Juni 1945 zentral verwaltet wurde.29 In diesem Rahmen wurden ab Juni 1945 vom Kulturamt des Bezirks Berlin-Mitte Bergungskolonnen zur »Erfassung des herumlie-
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Volksbildung verteilt auf sechs Konvolute, die Unterlagen der Bergungsstelle mit 1.789 Seiten auf 1.362 Blatt. LAB C Rep. 120, Nr. 512–515, 515/1 und 522. LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 1–5, zuerst veröffentlicht bei SCHROLL 2000, S. 139–144. LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 34–41, hier Bl. 38, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946. Die Darstellung basiert auf SCHROLL 2000, ergänzt durch Auswertungen der Autoren. Vgl. SCHROLL 2000, S. 136.
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Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken in Berlin 339
genden Schrifttums« eingesetzt.30 Laut einer Verordnung vom 17. Juli 1945 mussten Archivmaterialien bei der Abteilung Bücherei und Archivwesen gemeldet werden, am 5. August 1945 wurde die Meldepflicht auf Buchbestände ausgeweitet.31 Am 9. Juli 1945 wurde die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken durch Beschluss der Abteilung für Volksbildung geschaffen, und am 21. Juli 1945 wurden deren Richtlinien festgelegt.32 Das Aufgabengebiet umfasst alle Bibliotheken und Archive 1.) in ehemaligen Reichs- und Landesbehörden und sonstigen ehemalige [sic] NSDAP-Dienststellen im Stadtgebiet Berlin, 2.) in herrenlosen Instituten, 3.) in leerstehenden Schulen und Betrieben, 4.) in leerstehenden Gebäuden und Wohnungen, 5.) der aktiven NSDAP-Mitglieder [...], 6.) aller vor Kriegsende evakuierten Bestände der städtischen und staatlichen Bibliotheken und Archive.33
Die Beschlagnahmungen von Vermögen ehemaliger NSDAP-Mitglieder fanden auf Grundlage der »Verordnung über die Anmeldung und Beschlagnahme des Vermögens von Personen, die sich aktiv faschistisch betätigt haben« vom 2. Juli 1945, rückwirkend erlassen für den 1. Juli, statt.34 Die Leitung der Bergungsstelle oblag Günter Elsner und seinem Stellvertreter Bernhard Stern, die schon seit einigen Wochen für das Kulturamt Mitte »intensiv an der Bergung gearbeitet und einige tausende Bände sowie wertvolle Archive sichergestellt« hatten.35 Über die beiden Leiter ist wenig bekannt: August Johannes Günter Elsner (geb. 1912 in Dresden) arbeitete als Hilfsreferendar in Berlin und zog 1951 nach Frankfurt am Main; Bernhard Stern (geb. 1908 in Wittlich an der Mosel) war in Berlin als kaufmännischer Angestellter gemeldet
30 LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 34–41, hier: Bl. 34, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946; vgl. SCHROLL 2000, S. 135. 31 Vgl. Verordnungsblatt für Groß-Berlin, Nr. 6 vom 15.9.1945, zitiert nach SCHROLL 2000, S. 136–137. 32 Vgl. SCHROLL 2007, S. 19, sowie LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 60–61, hier: Bl. 60, Bericht von Günter Elsner, 4.1.1946; Bl. 34–41, hier: Bl. 34, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946. Dieser abschließende Bericht vom 28.2.1946 nennt abweichend den 15.7.1945 als Gründungsdatum der Bergungsstelle. 33 LAB C Rep. 120, 515/1, Bl. 89–92, hier: Bl. 89, Schreiben des Magistrats der Stadt Berlin an die Bergungsstelle für wertvolle Bibliotheken und Archive, 21.7.1945. 34 Vgl. Verordnungsblatt für Groß-Berlin, Nr. 4 vom 20.8.1945, zit. nach SCHROLL 2000, S. 136. 35 LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 356–357, hier: Bl. 356, Schreiben der Sachabteilung Büchereiwesen an Otto Winzer, 10.6.1945.
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Abbildung 1: Buch aus der Bergungsaktion Nr. 161 – Bücherbestände aus dem Margarinebunker: »Bestände des Bischofs (Hünfeld), u. andere herrenlose Bestände, die aufgeteilt wurden.« Das Signaturschild links verweist auf die im sogenannten Klostersturm 1941 geraubte Bibliothek des Bonifatiusklosters in Hünfeld, Hessen (LAB C Rep. 120, Nr. 513, Bl. 221)
und als Jude Verfolgter des NS-Regimes gewesen.36 Als Dienststelle wählte man das sogenannte E rmeler-Haus in der Breiten Straße 11 in Berlin Mitte, eine Zweigstelle des Märkischen Museums, in dem größere Lagerräume zur Verfügung standen, da die Museumsbestände größtenteils ausgelagert waren.37 Zeitweilig wurden Außenstellen eingerichtet, für die eigenständige Bergungsberichte und damit Bergungsnummern vorliegen. Zwei befanden sich in ehemaligen Bibliotheken des Reichssicherheitshaupt36 Vgl. SCHROLL 2000, S. 152. 37 Das Ermeler-Haus, benannt nach dem Tabakproduzenten Wilhelm Ferdinand Ermeler (1784–1866), war ab 1932 eine Zweigstelle des Märkischen Museums. 1967/68 wurde das Gebäude im Zuge der Umgestaltung des Stadtzentrums abgetragen und am Märkischen Ufer wieder aufgebaut. Vgl. http://www.luiseberlin.de/lexikon/mitte/e/ermelerhaus.htm (26.2.2015). Beim Auszug der Ratsbibliothek 1966 fand sich noch unbearbeitetes Bergungsgut im Ermeler-Haus, das in die Stapelbestände der BStB übernommen wurde. Vgl. BOCKENKAMM 2008, S. 18.
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Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken in Berlin 341
amts (RSHA): Eine in der Eisenacher Straße 11–13 in Berlin Schöneberg (Bergungsnummer 15) und die andere in der Emser Straße 10–11 in Berlin Wilmersdorf (Nr. 209). Ebenso wurde die Sortierung gleich vor Ort in einer Sammelstelle im sogenannten Margarinebunker am Hohenzollerndamm in Wilmersdorf vorgenommen (Nr. 161).38 Im Ermeler-Haus wurde auch die Zentralstelle zur Pflege und Erfassung von Kunstwerken eingerichtet, deren Aufgaben ähnlich gelagert waren. Gelegentliche Zusammenarbeit bei der Meldung von »herrenlosem Gut«, gegenseitige Hilfe bei Transporten und Übergaben fanden statt.39 Die Ratsbibliothek wurde ebenso in diesem Gebäude neu aufgebaut. Die Bergungsberichte und die Bergungen
Von den 211 in der Liste dokumentierten Bergungsaktionen wurden für 203 eigene Berichte angelegt. Teilweise fehlt ein Bericht, obwohl die Bergung nachweislich durchgeführt wurde und es sich wie etwa bei der Bibliothek des Luftfahrtministeriums (Nr. 7) um eine nicht zu vernachlässigende Menge gehandelt haben dürfte. Hingegen gibt es detaillierte Beschreibungen kleiner und kleinster Büchersammlungen, die meist aufgrund einer tatsächlichen oder vermuteten NSDAP-Mitgliedschaft des Eigentümers eingezogen wurden, wie etwa beispielhaft bei Nr. 138, der Bibliothek des Herrn Marcel Cremer. Dort wurden »174 Bände festgestellt. Zu erwähnen sind 12 gebundene Werke zahnärztlichen Inhalts. Ferner enthielt die Bücherei Unterhaltungsliteratur, einige moderne Romane und Schulbücher.«40 Die zweiseitigen Vordrucke wurden mit Schreibmaschine ausgefüllt und enthalten neben der Nummer des Auftrags den Namen der 38 Vgl. LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 34–41, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946. Vgl. SCHROLL 2000, S. 137–138. Der Margarinebunker hat seinen Namen von der nahegelegenen Fabrik. 39 Zur Kunstbergung siehe Dorothee GRAFAHREND, Sicherung im Dienste der Kunst. Kurt Reutti und die Werke ›entarteter‹ Kunst in Güstrow und Rostock, in: Meike HOFFMANN (Hg.), Ein Händler »entarteter« Kunst. Bernhard A. Böhmer und sein Nachlass (= Schriften der Forschungsstelle »Entartete Kunst« 3), Berlin 2008, S. 133–149, hier: S. 134–137. In den Bergungsakten findet sich u. a. eine Vollmacht vom März 1949 des Magistrats für Kurt Reutti vom Referat Rückführung von Kunstgütern zum Abtransport der Bestände des Reichssippenamtes in das Depot des Berliner Hauptstaatsarchivs. Vgl. LAB C Rep. 120, Nr. 515/1, Bl. 196. Zu Kurt Reutti und seiner Tätigkeit bei Kunstbergungen siehe GRAFAHREND 2008, S. 134–140. 40 LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 166, Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion der Bibliothek des Herrn Dr. Marcel Cremer, Auftrag Nr. 138, 5.11.1945. Diese unbedeutende Büchersammlung wurde vermutlich bei einer Suchaktion der Bergungsstelle eingezogen, bei der man von Haus zu Haus ging. Von dieser Art der Beschlagnahmung nahm man nach kurzer Zeit wieder Abstand.
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342 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß jeweiligen Bergungsaktion. Es finden sich Informationen zu »Ort und Lage, Keller usw.« und bei der Erkundung vorgenommene erste Schätzungen »über Anzahl, Zustand und Art der Bücher«. Das für die Bestandsmeldung von 1942 vorgesehene Feld, das heißt, bevor die Auslagerungen aus Luftschutzgründen durchgeführt wurden, ist nur einmal ausgefüllt worden. Die Bestände einer Einrichtung konnten auf verschiedene Orte verteilt worden sein. In der Rubrik »Falls evakuiert, wohin?« konnten diese bekannten oder vermuteten Auslagerungsorte aufgeführt werden. Hier finden sich selten Eintragungen. 41 Für die Provenienzforschung besonders interessant sind die Anzahl der Bücher (eingeteilt in »alt«, »neu« und »Zeitschriften«) sowie die »getroffenen Maßnahmen« und der kurze »Abschlußbericht und Verbleib der Bücher«. Hieraus ergibt sich, ob die aufgefundenen Buchbestände überhaupt übernommen wurden oder ob Konflikte mit Besatzungsmächten oder den Bezirken dies verhindert hatten. Der Abschlussbericht gibt Auskunft über die Verteilung der Exemplare und führt die Empfängerbibliotheken auf. Meist ist jedoch nur pauschal auf die Verteilung an »Rats-, Stadt und Volksbüchereien« verwiesen,42 manchmal finden sich spezifische Angaben.43 Ergänzt sind diese Bergungsberichte mit Aktennotizen und Korrespondenz zur betreffenden Bergungsaktion sowie Zwischenberichte für den Magistrat, Lohnabrechnungen und verschiedene Unterlagen zu einzelnen Transporten, für die keine Bergungsberichte vorliegen. Zu den Bergungsaktionen selbst ist bekannt, dass ein Erkundungstrupp die gemeldeten Buchbestände überprüfte und ebenso eigenständige Nachforschungen auf Grundlage alter Bibliotheksverzeichnisse unternahm. Die Bearbeitung erfolgte dann durch drei Kolonnen, die »in der Regel aus einem Kolonnenführer (männlich) mit zwölf Arbeitskräften (weiblich)« bestanden.44 Erfolgten die Transporte zunächst noch mit Handwagen und Pferdefuhrwerken, wurden angesichts der enormen Mengen sehr bald LKW eingesetzt.45 41 Die Bestandsangabe von 1942 wurde nur bei der Bergungsaktion des Seminars für orientalische Sprachen Nr. 153 mit 160.000 Bänden angegeben, von denen aber nur etwas mehr als 10.000 geborgen wurden, der Rest war an einem der Bergungsstelle bekannten Ort ausgelagert. Über eine Rückführung findet sich nichts in den Akten. Zum Seminar für orientalische Sprachen siehe Kapitel »Die Wege nach 1945: Abgaben, Tausch und Verkauf«. 42 Siehe zum Beispiel LAB C Rep. 120, Nr. 515, Bl. 19, Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion der Bibliothek des Herrn Lange, Auftrag Nr. 123, 26.10.1945. Auch über diese Bibliothek und ihren Eigentümer gibt es keine genauen Angaben in den Bergungsakten. 43 LAB C Rep. 120, Nr. 514, Bl. 65, Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion der Bibliothek des Reichsministers Speer, Auftrag Nr. 4, 17.8.1945. Die aus dieser »ehemaligen Dienststelle« geborgenen Bücher, deren Zahl nicht näher beziffert ist, wurden »der Bauabteilung des Magistrats (Prof. Scharoun) übergeben«. 44 LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 34–41, hier Bl. 34, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946. 45 LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 34–41, hier Bl. 34–35, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946. Vgl. SCHROLL 2000, S. 144–145.
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Die Bergungsaktionen waren nicht immer konfliktfrei, beruhten oft auf Zufällen,46 und insbesondere die Zusammenarbeit mit den einzelnen Bezirken gestaltete sich trotz des Magistratsbeschlusses oftmals schwierig.47 Während in den Bezirken Schöneberg, Tiergarten und Tempelhof die Kooperation mit den lokalen Kulturämtern gelang, fanden in weiten Teilen der Stadt keine Bergungsaktionen statt.48 Unter Einbeziehung der in den jeweiligen Bergungsberichten gemachten Angaben zum Verbleib der B ücher kann man nur in etwa 130 Fällen davon ausgehen, dass tatsächlich eine Bergung durchgeführt wurde, bei den übrigen geht dies aus den Berichten nicht hervor oder die Bergung wurde aus verschiedenen Gründen unterlassen. Nach Aktenlage wurde beispielsweise keine der Bergungsaktionen mit den Nummern 165–208 durchgeführt. Als Gründe wurden angegeben, dass die Bestände entweder unerreichbar ausgelagert oder vernichtet wären oder die jeweilige Bibliothek wiedereröffnet worden war. In einigen Fällen waren die Bestände bereits durch die Besatzungsmächte beschlagnahmt worden.49
46 Vgl. beispielhaft LAB C Rep. 120 Nr. 512 Bl. 162, Aktenvermerk von Dobler, 2.10.1945; zur Bergungsaktion Nr. 108, Herrenlose Bestände aus der Carmen Sylvastraße: »Am 1.10.45 war ich in dem Bewirtschaftungsamt für Bergungsgut, wo mir Herr Gunsch mitteilte, daß in einem früheren Fabrikgebäude in der Carmen Sylvastr. Herrenlose Bücher liegen. Da Herr Meyerhöfer von der Bergungsstelle für Kunstgegenstände mit einem Tempowagen dort war, fuhren wir in die Carmen Sylvastr. Und die ca. 200 Bücher wurden gleich verladen und im Ermelerhaus sichergestellt.« 47 Vgl. beispielhaft LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 239–240, Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion der Herrenlosen Bestände des Bezirksamts Frohnau, Auftrag Nr. 19, 30.7.1945, sowie den anhängigen Aktenvermerk von Heinrich, 27.7.1945. Im Auftrag des Bezirksamts Frohnau waren »bei ehemaligen Parteigenossen beschlagnahmte Privatbibliotheken«, die im Frohnauer Stadthaus lagerten, zum Aufbau einer privaten Leihbücherei verwendet worden. Die Bergungsstelle unterband dies und stellte die übrigen Bücher sicher. 48 Bezüglich der Verteilung der Bergungsorte auf die Stadt Berlin lässt sich feststellen, dass die etwa 25 geborgenen Institutionsbibliotheken mit nur einer Ausnahme im Stadtzentrum rund um das Reichpietschufer, Unter den Linden und die Wilhelmstraße durchgeführt wurden. Privatbibliotheken wurden hingegen hauptsächlich in Moabit (20 Bergungen) und Tempelhof (21) geborgen, und auch in diesen Stadtteilen hat sich die Bergungsstelle auf wenige Straßenzüge konzentriert. In den Stadtteilen Mitte, Kreuzberg, Charlottenburg, Wilmersdorf, Friedrichshain, Neukölln und Prenzlauer Berg wurden insgesamt nur vier Bergungen von Privatbibliotheken durchgeführt. 49 Ausgelagert war zum Beispiel die Bibliothek des Brandenburg-Preuß. Hausarchivs (Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion der Bibliothek des Brandenburg-Preuß. Hausarchivs, Auftrag Nr. 172, 26.2.1946; LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 147), vernichtet die Bibliothek des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete (Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion der Bibliothek des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete, Auftrag Nr. 200, 27.2.1946; LAB C Rep. 120, Nr. 515, Bl. 174), und die Bibliothek des Robert-Koch-Instituts war bereits wiedereröffnet (Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion der Bibliothek des Robert-Koch-Instituts, Reichsanstalt zur Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten, Auftrag Nr. 207, 27.2.1946; LAB C Rep. 120, Nr. 513, Bl. 132).
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344 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß Dass die Zusammenarbeit mit den konkurrierenden Bezirksämtern nicht immer reibungslos ablief, wird im Abschlussbericht Elsners vom Februar/März 1946 deutlich. Die von einigen Bezirksämtern durchgeführten Beschlagnahmungen seien »völlig ziel- und planlos von statten gegangen«. Diese hätten für die eigenen Volksbüchereien verwertbares Material übernommen und den Rest »großzügig« an die Bergungsstelle übergeben, Regressansprüche nach widerrechtlichen Beschlagnahmungen hingegen an die Zentrale weiterleitet.50 Verschiedene Personen verlangten vom Magistrat die Rückgabe ihrer Bibliotheken, wurden aber meist nur darauf hingewiesen, dass die Exemplare verteilt worden seien und nicht mehr ermittelt werden könnten. In einigen Fällen wurden Ersatzexemplare gestellt.51 Für die eigenmächtigen Bergungen durch die Bezirke sind keine schriftlichen Nachweise bekannt. Obwohl die Bergungsstelle nicht nur für das Stadtgebiet Berlins, sondern theoretisch auch für alle Auslagerungsorte zuständig war, finden sich in den Akten kaum Belege für außerhalb Berlins durchgeführte Bergungen.52 Auch hier scheiterte man an der mangelnden Zusammenarbeit mit lokalen Behörden, die einen Abtransport der Kulturgüter nach Berlin unterbinden wollten. Das Konkurrenzdenken verdeutlicht ein Runderlass des Präsidenten der Brandenburgischen Provinzialverwaltung. Er stellte fest, dass »ein gewisser Herr Stern im Auftrag des Magistrats Berlin Millionenwerte an Büchereien und Kunstgegenständen […] sichergestellt und nach Berlin geschafft habe«.53 Diese Aussage lässt sich anhand der Bergungsberichte nicht belegen, und es existiert auch kein Bericht über die Erkundungsfahrten, die Bernhard Stern, stellvertretender Leiter der Bergungsstelle, in Brandenburg unternommen hatte.54 In einigen 50 LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 34–41, hier Bl. 40, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946. 51 Vgl. Aktenvermerk zur Bergungsaktion der Bibliothek des Herrn Blasig, Auftrag Nr. 28, 22.2.1946; LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 57: »Als Ausgleich für die am 15.8.45 bei Herrn Blasig in seiner Wohnung sichergestellten Schulbücher wurden ihm am heutigen Tage zur Weiterführung seiner Studien 89 Schulbücher zur Verfügung gestellt«. Die Beschlagnahmungen fanden teilweise zu Unrecht auf Basis der Verordnung vom 2. Juli 1945 statt, die sich gegen aktive Parteimitglieder richtete. 52 Nicht in den Akten dokumentiert, aber durchgeführt wurde die Bergung einer Friedländschen Bibliothek aus Schloß Freienwalde, bei der seitens der Bergungsstelle irrtümlich eine Verbindung zum Herzog von Friedland, Wallenstein, angenommen wurde. 4.000 Bände konnten nach Berlin ins Ermeler-Haus gebracht werden, 30.000 waren zuvor schon auf Betreiben der sowjetischen Besatzungsmacht verbrannt worden. Vgl. Hans-Ulrich ENGEL, Die Friedländsche Bibliothek, in: Das Antiquariat 14 (1958), S. 81–82. Heute befinden sich 1.400 Bände in der Bibliothek des Museums der Viadrina in Frankfurt an der Oder, weitere 300 Bände im Odermuseum in Bad Freienwalde, vgl. https://fabian.sub.uni-goettingen. de/fabian?Museum_Viadrina (25.2.2015). 53 LAB C Rep. 120, Nr. 515/1, Bl. 190, Schreiben der Abteilung Volksbildung der Mark Brandenburg an die Landräte und Oberbürgermeister der Mark Brandenburg, 14.12.1945. Vgl. SCHROLL 2000, S. 148. 54 Lediglich für die Bibliothek des Dr. Zahler (Nr. 56), geborgen von Schloss Groß-Schönebeck, ist ein Trans-
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Fällen verweigerte die sowjetische Militärverwaltung die Genehmigung, wie bei der geplanten Rückführung der Sammlung des Orient-Forschungs-Instituts.55 Auch innerhalb des Stadtgebietes griffen die Alliierten direkt in die Bergungsaktionen ein, so untersagte die US-amerikanische Militärverwaltung den Abtransport aus dem RSHA-Depot in der Eisenacher Straße. Die Trophäenkommission entnahm mehrmals direkt geborgene Buchbestände, des Öfteren verhinderte die sowjetische Besatzungsmacht die Durchführung der Aktionen, so zum Beispiel bei den Beständen des Auswärtigen Amts in der Wilhelmsstraße, die »am 10.9.45 mittels Fuhrwerk abgefahren [wurden], was jedoch die Russen bei der der 3. Fahrt verhinderten und den Wagen wieder abladen ließen«.56 Durch Witterungseinflüsse, Diebstahl, Abtransporte und durch das eigenmächtige Handeln der Bezirke gingen der Bergungsstelle und damit den Berliner Bibliotheken Buchbestände in unbekannter Größe verloren. Doch auch die Entnahme durch eigene Mitarbeiter_innen ist zumindest in einem Fall nachgewiesen. Alfred Weiland, in der NS-Zeit als politisch Verfolgter zeitweilig in KZ-Haft, hatte seine umfangreiche Privatbibliothek durch Beschlagnahmung verloren.57 Nach seiner Entlassung 1934 stand er unter polizeilicher Überwachung und konnte sich einer erneuten Verhaftung nur durch Meldung zur Wehrmacht entziehen. Bereits ab Juli 1945 war er an der Bergungsaktion der ehemaligen RSHA-Dienststelle in der Eisenacher Straße beteiligt, wo er Bücher für seine private Sammlung entnahm. Ob dies mit oder ohne Wissen seiner port aus Brandenburg nach Berlin dokumentiert. In zwei weiteren Fällen, der Ungarischen Bibliothek der Halle-Wittenberger-Universität (Nr. 60) und der Bücherei der ehemaligen Zentralstelle des Deutschen Roten Kreuzes (Nr. 161a), gibt es in den Akten Erkundungsberichte und Planungen von Bergungsaktionen in Brandenburg. Ob die Bergungen tatsächlich durchgeführt wurden, ist aus den Akten nicht zu entnehmen. 55 Vgl. SCHROLL 2000, S. 148; LAB C Rep. 120, Nr. 513, Bl. 244–249, Schriftwechsel zwischen Günter Elsner, der Abteilung Büchereiwesen des Magistrats von Berlin und Werner Caskel von der Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung (Orient-Forschungs-Institut), 14.9.1945–12.11.1945. Der Transport scheint während des Bestehens der Bergungsstelle nicht durchgeführt worden zu sein, ein Bergungsbericht wurde nicht angelegt. 56 LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 7, Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion der Bibliothek des Auswärtigen Amtes, Auftrag Nr. 1, 12.9.1945. 57 Zu Alfred Weiland, geb. am 7.8.1906 in Berlin, gest. am 18.9.1978, und seiner umfangreichen Bibliothek siehe Sylvia KUBINA, Die Bibliothek des Berliner Rätekommunisten Alfred Weiland (1906–1978) (= Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin 4), Berlin 1995. Die Autorin hat bereits 1995 die Akten der Bergungsstelle ausgewertet und deren Bedeutung für die Provenienzforschung erkannt. Da Weiland die Exemplare direkt entnommen hatte und diese darum nicht durch die Bibliothekar_innen der Bergungsstelle bearbeitet wurden, enthalten sie keine Nummern der Bergungsaktion. Die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin hat seit 2010 aktiv aus den Beständen Weilands restituiert und Anfang 2015 mit einer systematischen Überprüfung aller verdächtigen Zugänge begonnen. Vgl. E-Mail von Ringo Narewski vom 26.2.2015 an die Autoren.
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346 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß Vorgesetzten geschah, ist nicht bekannt.58 Die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin kaufte 1979 die Sammlung Weiland, da mit ihr der eigene Bestand an Sozialistica ergänzt werden sollte. Davon sind heute noch 1.700 Bände (von ursprünglich 5.000) im Bestand der Universitätsbibliothek, in denen bislang 160 Provenienzen ermittelt wurden, die auf eine Herkunft aus dem RSHA-Depot hindeuten könnten.59 Verteilung
Laut Bericht der Bergungsstelle an den Magistrat vom 4. Januar 1946 erhielt die Rats bibliothek 350.000 Bände, die BStB 60.000 Bände und die Staatsbibliothek etwa 20.000 Bände. 10.000 gingen an die neu gegründete und nach nur einem Jahr wieder aufgelöste Kammer der Kunstschaffenden, 5.000 an das Hauptamt für Planung (»Prof. Scharoun«), 5.000 an die Marienkirche und 10.000 an das Geheime Staatsarchiv. Zu den weiteren Empfängern gehörten »[v]erschiedene Institute, Bibliotheken und Parteidienststellen, wie ZK der KPD, SPD, Volksbüchereihaus, Kongreßbücherei Washington, Verschieden[e] Dienststellen des Magistrats« mit ca. 60.000 Bänden.60 Diese Aufstellung, die Anfang Januar 1946 und somit kurz vor Beendigung der Bergungsaktionen verfasst wurde, ist unvollständig und enthält bei weitem nicht alle Verlagerungen von Bibliotheksgut. Direkte Transporte, die nicht über das Ermeler-Haus führten, sind meist nicht in Bergungsberichten erfasst, und die Transporte waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Alleine im Depot des RSHA in der Eisenacher Straße lagerten noch eine halbe Million Bücher, die nach und nach abtransportiert wurden.61 Die nur für den Zeitraum vom 2. bis 23. Januar 1946 vorhandenen Transportberichte geben keine genauen Bestandsbeschreibungen an, sondern enthalten nur noch grobe Mengenangaben wie die vom 15. Januar 1946: »Büchertransporte von der Eisenacherstr. [sic] 11–13 zur Stadtbibliothek und zur Staatsbibliothek (3 große Fuhren)«.62 Der 58 LAB C Rep. 120, Nr. 515/1, Bl. 130–133, hier: Bl. 131, Schreiben von Günter Elsner an das Generalreferat Aufbau, Beschaffung und Bergung der Abteilung für Volksbildung, 15.1.1946. Für »Abfindung für geleistete Buchbergungsarbeiten, Eisenacherstr.« erhielt Weiland am 10.11.1945 100 Reichsmark. Aus der Herkunft machte er in späteren Jahren kein Geheimnis. Vgl. KUBINA 1995, S. 23–24. 59 Unveröffentlichter Vortrag von Elena BRASILER und Sina LATZA, gehalten im Rahmen des 2. Treffens des Arbeitskreises Provenienzforschung und Restitution – Bibliotheken am 13.11.2014 an der Technischen Universität Berlin. Siehe auch KUBINA 1995, S. 25. 60 LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 60–61, hier: Bl. 60, Bericht von Günter Elsner, 4.1.1946. Das Volksbüchereihaus war als Zentrale für die Volksbüchereien geplant und im Ermeler-Haus aufgebaut worden. Später übernahm die BStB diese Aufgabe, und vermutlich erhielt diese damit auch die Altbestände. 61 LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 60–61, hier: Bl. 60, Bericht von Günter Elsner, 4.1.1946. 62 LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 31, Arbeitsbericht der Bergungsstelle, 14.1.1946–16.1.1946, an das Volksbüchereihaus, 17.1.1946.
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Leiter der Einrichtung stellte in seinem zusammenfassenden Bericht über die Tätigkeiten der Bergungsstelle an den Magistrat vom Februar/März 1946 fest, »daß durch die unermüdliche Arbeit der Bergungskolonnen ca. 1 ¾ Millionen Bücher, Broschüren, Zeitschriftenbände und Jahrgänge, Photoplatten, Buchbindereimaschinen, Regale, Mobiliar und sonstige Einrichtungsgegenstände für den Neuaufbau zahlreicher Berliner öffentlicher Bibliotheken und Volksbüchereien geborgen und sichergestellt wurden«.63 Wiewohl die Leistung der Bergungsstelle bei der Rettung der Buchbestände unter den Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit beeindruckend erscheint, handelten die Verantwortlichen insbesondere bei der Verteilung nicht ohne Eigennutz, und es kam zu »engster räumlicher, institutioneller und verwaltungstechnischer Zusammen arbeit von Stadtbibliothek, Ratsbibliothek, der Neugründung Mehring-Bibliothek und der Bergungsstelle des Magistrats«.64 Zuständig für die Verteilung des Bergungsguts war Gerhard Hermann, der zugleich Leiter der Ratsbibliothek war. Der Direktor der BStB, Erich Kürschner, war gleichzeitig Leiter des Amts für Büchereiwesen der Abteilung Volksbildung. Beide waren politische Verfolgte des NS-Regimes gewesen und hatten sich bei der Arbeit in der Bibliothek des Zuchthauses Brandenburg-Görden kennengelernt und angefreundet.65 Hermann und Kürschner nutzten ihre Positionen nach dem Krieg, um Buchbestände für ihre eigenen Bibliotheken zu erhalten, auch auf Kosten anderer Einrichtungen. Dies zeigt sich bei der Übernahme der Reste der Reichstags bibliothek. Deren ehemaliger Leiter, Eugen Fischer-Baling, setzte sich nach Kriegsende stark für den Aufbau der Dokumentationszentrale für Neueste Deutsche Geschichte ein, für welche die Reste der Bibliothek des Reichstags verwendet werden sollten. Die Dokumentationszentrale wurde von Hermann allerdings als mögliche Konkurrenz zur Ratsbibliothek gesehen, weshalb Hermann und Kürschner deren Aufbau unter FischerBaling verhinderten, bis dieser am 28. Februar 1946 schließlich kündigte.66 Diese Geschichte findet sich in Ansätzen in den Bergungsakten wieder.67 63 LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 34–41, hier Bl. 41, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946. 64 BOCKENKAMM 2008, S. 15. Da weder die Akten noch die Zugangsbücher der Ratsbibliothek überliefert sind, erschwert dies die Forschungen zu ihrem Bestandsaufbau aus Bergungsgut. 65 Gerhard HAHN, Die Reichstagsbibliothek zu Berlin – ein Spiegel deutscher Geschichte, Düsseldorf 1997, S. 517. 66 Eine vollständige und eindrucksvolle Schilderung dieser Episode findet sich in HAHN 1997, S. 511– 532, sowie in: Gerhard HAHN, Parlamentsbibliothek ohne Parlamentarismus, in: Bibliothek. Forschung und Praxis 19 (1995), S. 20–29. Die Bibliothek des Reichstags war noch am 2. Mai 1945, am letzten Tag der Kämpfe um Berlin, einem Brand zum Opfer gefallen. Nur etwa 8.000 von über 400.000 Bänden überstanden das Feuer. Vgl. HAHN 1997, S. 497–500. 67 Siehe LAB C Rep. 120, Nr. 515, Bl. 164–169, Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion
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348 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß Ab dem 1. Januar 1946 war die Bergungsstelle nicht mehr dem Magistrat von Berlin unterstellt und wurde als Behörde aufgelöst.68 Die Arbeit ging jedoch zunächst weiter, und die Akten werden lückenhaft einige Zeit weitergeführt, wenn auch nur wenige Monate und meist rückwirkend mit Bezug auf Tätigkeiten vor 1946. Elsner gründete ein Transportunternehmen und führte weiterhin Buchbergungen und Transporte im Auftrag des Magistrats und der Bibliotheken durch.69 Eine Dokumentation fand ab diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr statt. Rückgaben
Über Rückgaben von Raub- und Beutegut an die rechtmäßigen Eigentümer_innen finden sich nur wenige Angaben in den Akten. Ein Bericht vom 4. Januar 1946 nennt 60.000 Bände mit Eigentumsvermerken, die bei den Sortierarbeiten »angefallen« waren und »zu gegebener Zeit den ursprünglichen Besitzern«70 zurückgegeben werden sollten. Doch der Umfang der tatsächlichen Restitutionen ist unbekannt. Die Lieferungen der Bergungsaktion Nr. 15, im Bericht als »Bibliothek des SSReichssicherheitshauptamtes« bezeichnet, sind für die Suche nach Raub- und Beutegut als höchst verdächtig zu betrachten. In der Eisenacher Straße 11–13 befand sich ein ehemaliges Ordenshaus der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland, das vom RSHA Amt VII »Weltanschauliche Forschung und Auswertung« (ab 1941, vorher Amt II »Gegnerforschung«) zum Aufbau einer »Gegnerbibliothek« verwendet wurde. Zwei bis drei Millionen Exemplare geplünderter Bibliotheken aus ganz Europa wurden nach Berlin geschafft.71 Zu Kriegsende war dort laut Bericht der Bergungsstelle noch »ein Lager von ca. 500 000 beschlagnahmter [sic] Bücher der SS
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der Bibliothek des Reichstages, Auftrag Nr. 151, 16.2.1946, die zugehörigen Aktenvermerke von Fritz Tinz, 17.9.1945 und 1.10.1945, und ein Schreiben von Eugen Fischer-Baling an Gerhard Hermann, 11.9.1945; LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 222 sowie ein Schreiben von Gerhard Hermann an das Volksbildungsamt des Bezirksamts Wilmersdorf, 22.10.1945. LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 26. Vgl. SCHROLL 2007, S. 32. LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 60–61, Bericht von Günter Elsner, 4.1.1946. Werner SCHRÖDER, Strukturen des Bücherraubs. Die Bibliotheken des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), ihr Aufbau und ihr Verbleib, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 51 (2004), S. 316–324, hier: S. 323. Zu den Bibliotheken des RSHA siehe auch Gideon BOTSCH, Raub zum Zweck der Gegnerforschung, in: Inka BERTZ, Michael DORRMANN (Hg.), Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Göttingen 2008, S. 91–97, und Jörg RUDOLF, »Sämtliche Sendungen sind zu richten an: ...«. Das RSHA-Amt VII »Weltanschauliche Forschung und Auswertung« als Sammelstelle erbeuteter Archive und Bibliotheken, in: Michael WILDT (Hg.), Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, Hamburg 2003, S. 204–240.
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Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken in Berlin 349
Abbildung 2: Buch aus der Bergungsaktion Nr. 15 – Bibliothek des SSReichssicherheitshauptamtes. »Im Hause Eisenacherstr. 11–13 befindet sich eine größere Bibliothek des SS-Reichssicherheitshauptamtes, die von ihr im Laufe der Jahre beschlagnahmt und zusammen gestohlen wurde.« (LAB C Rep. 120, Nr. 515, Bl. 192)
untergebracht, das sich vorwiegend aus katholischen, jüdischen bezw. Logenbüchern zusammensetzte«.72 Der Erkundungstrupp der Bergungsstelle stieß dort auf Mitarbeiter_innen des Bezirksamtes Schöneberg, die bereits mit der Bearbeitung der Bestände begonnen hatten. Man einigte sich auf eine Zusammenarbeit, infolge der vermutlich die für die Volksbüchereien verwertbaren Bestände in Schöneberg blieben, der Rest ins 72 LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 34–41, hier: Bl. 39, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946. Nachdem die Auslagerungen im Juli 1943 begonnen hatten, zerstörte im November des gleichen Jahres ein Bombentreffer mindestens 250.000 Bände. Vgl. SCHRÖDER 2004, S. 231. Hingegen befanden sich im RSHA-Depot in der Emser Straße (Bergungsnummer 209) nur noch Restbestände, vgl. LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 219, Aktenvermerk von Günter Elsner, 26.1.1946. Die sowjetische Trophäenkommission entnahm Teile dieses Bestands. Vgl. Patricia KENNEDY GRIMSTED, Tracing Patterns of European Library Plunder. Books Still Not Home from the War, in: Regine DEHNEL (Hg.), Jüdischer Buchbesitz als Raubgut. Zweites Hannoversches Symposium. Frankfurt am Main 2006, S. 139–167, hier: S. 147–148.
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350 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß rmeler-Haus zur Sortierung und weiteren Verteilung gebracht wurde. Laut dem letzE ten erhaltenen Bericht der Bergungsstelle vom Februar/März 1946 konnte »[e]in Teil dieser Bestände […] den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben werden, bis eine erneute Beschlagnahmung seitens der amerikanischen Militärregierung die weitere Übergabe ausschloß«.73 Informationen über diese vom RSHA im Logenhaus in der Eisenacher Straße gelagerten Buchbestände finden sich auch in anderen Quellen. Ein Dokument der Monuments, Fine Arts, and Archives Section (MFA&A) aus der National Archives and Record Administration (NARA) über die »Nazi Library, Eisenacher Strasse« enthält eine durch das Bezirksamt Berlin Schöneberg an den Information Service überstellte Liste der übernommenen und weitergegebenen Bibliotheken vom 9. Februar 1946.74 Demnach wurden Bücher durch die Bergungsstelle unter anderem an den »Katholischen Bischof«, verschiedene Klöster, an den evangelischen Oberkirchenrat, an die Staatsbibliothek (»50 cbm Bücher aus allen Wissensgebieten, bei denen der Eigentümer nicht festzustellen war«) übergeben. Wer welche Transporte aus der Eisenacher Straße durchführte, ist noch ungeklärt. Ein Abgleich mit der Überlieferung im NARA zur Tätigkeit der MFA&A könnte zur Beantwortung dieser Frage beitragen. Im Februar 1946 scheint es zu einer Einigung gekommen zu sein, da die Transporte durch die Bergungsstelle wiederaufgenommen wurden. Aus dieser Zeit fehlen aussagekräftige Berichte, und die Transportlisten enthalten direkte Fahrten von der Eisenacher Straße zu den Empfängerbibliotheken, die, wie bereits erwähnt, nur noch grobe Angaben zum Umfang und darüber hinaus keine weiteren Informationen enthalten. Fest steht, dass die Berliner Bibliotheken Raub- und Beutegut über die Bergungs aktion Nr. 15 in unbekanntem Ausmaß erhielten und in ihre Bestände übernommen haben. Die Aktivitäten der MFA&A müssen noch weiter untersucht werden, denn selbst dort, wo Rückführungen erfolgten, waren diese nicht immer vollständig.75 73 LAB C Rep. 120, Nr. 522, Bl. 34–41, hier: Bl. 39, Arbeitsbericht der Bergungsstelle für Bibliotheken, 15.7.1945–28.2.1946. 74 Vgl. NARA, Records of the MFAA Section of the Preparations and Restitution Branch, OMGUS, 1945– 1951, Bl. 43, National Archives Identifier 1571282, abgerufen über www.fold3.com/image/290369288/ (25.2.2015). Am 28.12.1945 erhielt das Bezirksamt Schöneberg vom US-Hauptquartier die Erlaubnis »to restitute the books which have been found in this store to the former owners if identified, and to partition the rest to popular libraries and to the municipal library to be established in your district«. Unfoliiert, abgerufen über www.fold3.com/image/290369326/ (25.2.2015). Warum dies kurze Zeit später wieder untersagt wurde, ist unbekannt. 75 So beispielsweise die Bibliothek des Bonifatiusklosters Hünfeld, die 1941 dem sogenannten Klostersturm zum Opfer gefallen war. 1945/46 wurde sie durch die US-amerikanische Besatzungsmacht zurückgebracht, vgl. Ralf JEHMLICH, Das Kloster http://bonifatiuskloster.de/kloster/kloster-kirche.html
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Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken in Berlin 351
Dass in erster Linie der Wiederaufbau der Berliner Bibliotheken im Vordergrund stand und die Ansprüche der beraubten Eigentümer_innen von nachrangigem Inter esse waren, zeigt der Umgang mit den Bibliotheken der SPD. Mit einem Schreiben des Zentralausschusses der SPD an Elsner vom 24. September 1945 stellte dieser Nachforschungen nach dem Verbleib der Buchbestände der Partei an. Namentlich genannt sind sieben Bibliotheken, darunter die des Karl-Marx-Hauses Trier mit etwa 2.000 Bänden, der Redaktion des Vorwärts und der Reichstagsfraktion, die alle »signiert und daher leicht erkenntlich« seien.76 Die Bergungsstelle zeigte sich wenig kooperativ, übernahm die Bücher des Karl-Marx-Hauses sowie andere SPD-Bestände und transportierte sie ins Ermeler-Haus, wo sie letztendlich von der Trophäenkommission beschlagnahmt wurden. Der SPD teilte man am 29. Oktober 1945 mit, dass ohne das Eingreifen der Ratsbibliothek (als Empfängerin des Bergungsguts) die Bücher vernichtet worden wären und so »zum Mindesten ein moralischer Anspruch« bestanden hätte, es wäre »[d]urch das Eingreifen der Russen [...] die ganze Frage allerdings ziemlich belanglos geworden«.77 Die Ratsbibliothek hatte jedoch weit mehr als den in diesem Brief genannten »Rest von 50–60 Bücher[n]« erhalten und diese unter anderem für den Aufbau der Franz-Mehring-Bibliothek verwendet. Dort wurden die von der Bergungsstelle eingezogenen Bücher der SPD im Jahre 2002 von einem Mitarbeiter der ZLB gefunden. Die Wege nach 1945: Abgaben, Tausch und Verkauf
Mit der Ankunft der Bücher bei den Empfängerbibliotheken waren deren Wege oftmals noch nicht beendet. Durch Verkauf und Tausch wurden sie über die Jahrzehnte weit über die Grenzen Berlins hinaus verteilt und weitergegeben. Eine wichtige (25.2.2015). In der ZLB konnten bereits über 110 teils wertvolle Exemplare ermittelt und restituiert werden. Fast alle tragen Bergungsnummern. 76 LAB C Rep. 120, Nr. 515/1, Bl. 204, Schreiben des Archivs der SPD an Günter Elsner, 24.9.1945. Siehe hierzu Françoise MELIS, Auf der Suche nach der SPD-Bibliothek 1945/46. Eine späte Würdigung von Paul Neumann, in: Carl-Erich VOLLGRAF, Die Marx-Engels-Werkausgaben in der UdSSR und DDR (1945–1968) (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung NF 5), Hamburg 2006, S. 95–140. Die von Melis ermittelten Akten in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) ergänzen sich mit den Bergungsakten, wodurch die Wege einzelner SPD-Bibliotheken rekon struiert werden können. Die Autoren werden ihre ersten Ergebnisse auf www.bergungsstelle.de vorstellen. Von ursprünglich über 40.000 Bänden der zentralen Organe der SPD in Berlin konnten nur etwa 18.000 Bände zusammengetragen werden, vom Parteiarchiv 14–15.000 von ursprünglich 26.000. Vgl. MELIS 2006, S. 107–108. 77 SAPMO, SG Y 31 ME 6657, Bl. 1–39, Schreiben des Magistrats der Stadt Berlin an den Zentralausschuss der SPD, 15.11.1945, zit. nach Dokument Nr. 18, MELIS 2006, S. 127.
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352 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß Funktionhatte dabei die Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände (ZwA). Gegründet 1953 in Gotha, war sie ab 1959 eigenständige Dienststelle an der Staatsbibliothek für den Dublettentausch in der DDR zuständig. Nach der Wiedervereinigung verlor die ZwA an Bedeutung und wurde 1995 aufgelöst.78 Auf diesem Weg erhielt etwa die Universitätsbibliothek Leipzig Raubgut aus dem RSHA-Depot in der Eisenacher Straße. Die Bibliothek erwarb zwischen 1960 und 1966 »über die ZwA eine große Menge Bücher, darunter viele Hebraica«.79 Unter diesen befanden sich Exemplare des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel, dessen 3.600 Bände umfassende Bibliothek 1938 nach Berlin verbracht und zunächst im RSHA-Depot in der Emser Straße aufgestellt worden war.80 Warum sie letztendlich in der Eisenacher Straße geborgen und aus welcher Berliner Bibliothek sie in die ZwA abgegeben wurden, ist ungeklärt. Bibliotheksstempel sind nicht vorhanden, sodass hier von unbearbeitetem Depotbestand auszugehen ist. Bisher konnten in der Staatsbibliothek zu Berlin und in der ZLB einzelne Exemplare des Zentralvereins ermittelt werden.81 Die ZwA verteilte jedoch nicht nur Dubletten innerhalb der DDR, sondern belieferte auch das 1959 gegründete staatliche Zentralantiquariat der DDR in Leipzig, über das wertvolle Altbestände, darunter Bergungsgut, gegen Devisen ins Ausland verkauft wurden.82 Der Nachweis hierfür gelang Vera Bendt 2015 in ihrem Aufsatz über den 78 Eine zeitgenössische Darstellung zur ZwA bietet Andreas MÄLCK, Zum Wirken der Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände in Vergangenheit und Gegenwart, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 103 (1989), S. 537–544. Die ZwA übernahm nicht nur Altbestände aus der Zeit vor 1945, sondern auch die infolge der Bodenreform eingezogenen Adelsbibliotheken und andere durch Umgestaltungen der DDR »überflüssig« gewordene Bibliotheken, wie 1952 nach der Auslösung der Länder, als kleinere Landesbibliotheken aufgelöst wurden. Vgl. MÄLCK 1989, S. 539. 79 REUß 2011, S. 66. Nicht alle Exemplare sind mit der Bergungsnummer versehen. REUß 2011, S. 68. 80 Zur Geschichte des Zentralvereins siehe REUß 2011, S. 66–68. 81 REUß 2011, S. 68. Das von der AfP geförderte Forschungsprojekt »NS-Raubgut nach 1945: Die Rolle der Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände an der Staatsbibliothek« untersucht seit August 2014 für zunächst zwei Jahre die Verteilungsfunktion der ZwA. Zum Projekt siehe http://staatsbibliothekberlin.de/die-staatsbibliothek/abteilungen/historische-drucke/projekte/ns-raubgut-nach-1945/ (25.2.2015). 82 Zum Zentralantiquariat und anderen Maßnahmen zur Devisenbeschaffung siehe Björn BIESTER, Deutsch-deutsche Büchergeschäfte 1945–1989. Anmerkungen zur Rolle des Antiquariatsbuchhandels, in: Daniela LÜLFING (Hg.), 95. Deutscher Bibliothekartag in Dresden 2006. Netzwerk Bibliothek (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie Sonderbd. 92), Frankfurt am Main 2007, S. 249– 257. Zwischen 1960 und 1980 übergab die ZwA etwa drei Millionen Bücher, vgl. MÄLCK 1989, S. 543. In diesem Zusammenhang sei auf die Tätigkeit der Kommerziellen Koordinierung (KoKo) im Ministerium für Außenhandel der DDR hingewiesen, die im Februar 1973 eine Tochtergesellschaft Kunst- und Antiquitäten GmbH einrichtete (vgl. BIESTER 2007, S. 255–256). Das Ministerium für Staatssicherheit war in die Beschaffung von Kunstgegenständen involviert, so »daß es regelmäßig zur Pfändung von Kunstgegenständen zum Vorteil des Bereichs Kommerzielle Koordinierung kam.« Drucksache 12/3920
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Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken in Berlin 353
Amsterdamer Antiquar Willem Burgers.83 Dieser hatte 1970 vom Zentralantiquariat 836 Bücher erworben, darunter solche mit dem Stempel der Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt.84 Der Rabbiner Yehuda Aschkenasy kaufte 83 Bände für seine Bibliothek, die 2004 wiederum von der Universitätsbibliothek der Universität Potsdam erworben wurden. Ein Großteil dieser Exemplare enthält die Bergungsnummer 153 und kann somit mit der Bergungsaktion des Seminars für orientalische Sprachen vom Oktober 1945 in Verbindung gebracht werden, im Zuge deren aus dem Keller des Schinkelhauses (Schinkelsche Bauakademie) ca. 15.000 Bände abtransportiert wurden. Das 1887 gegründete Seminar für orientalische Sprachen war 1933 »gleichgeschaltet«, 1936 in Auslandshochschule umbenannt und ab 1940 mit der Deutschen Hochschule für Politik zur Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zusammengelegt worden.85 Nach der Bergung wurden knapp 12.000 Bände, davon 5.000 ältere Werke, »die fast restlos in den orientalischen Sprachen abgefasst [sind]«,86 und »6 805 Bände, betr. chinesische Literatur, und einige Werke orientalischen und russischen Inhalts«, geschlossen an die Staatsbibliothek abgegeben, der Rest »wie immer aufgeteilt« (das heißt zwischen Rats-, Stadtbibliothek und Volksbüchereien verteilt).87 In der ZLB konnten Exemplare mit Stempeln aller hier genannten Einrichtungen, einschließlich einiger der Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt, gefunden werden, und fast alle tragen die Nummer der Bergungsaktion 153.88 Die Hebraica, die 1970 vom
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Deutscher Bundestag – 12. Wahlperiode vom 9.12.1992, S. 9, http://dipbt.bundestag.de/dip21/ btd/12/039/1203920.pdf (20.2.2015). Zur Zusammenarbeit zwischen ZwA und Zentralantiquariat siehe auch Dirk SANGMEISTER, Ein Akt der grossen Kulturbarbarei. Die systematische Zerschlagung historischer Buchbestände in der DDR, in: Neue Zürcher Zeitung, 15.4.2002. Vera BENDT, Willem Burgers. Ein Amsterdamer Antiquar im Geiste von Spinoza, in: Imprimatur NF 24 (2015), S. 9–54. Frau Bendt gilt unser Dank für die freundliche Zusendung ihres Manuskripts. Zur Geschichte dieser bedeutenden Lehranstalt und ihrer Bibliothek vgl. BENDT 2015, S. 38–44, sowie Harry VAN DER LINDEN, Veitel Heine Ephraim. Hofjude Friedrichs II. (= Jüdische Miniaturen 139), Berlin 2013. Zum Bestand in der UB Potsdam siehe http://info.ub.uni-potsdam.de/projekte/veitelheine. php (25.2.2015). Vgl. BENDT 2015, S. 39. Im Bergungsbericht wird nur die Bibliothek des Seminars für orientalische Sprachen erwähnt, obwohl sich Exemplare mit Stempeln der Auslandshochschule und der Deutschen Hochschule für Politik unter dem Bergungsgut befanden, wie durch Autopsie an der ZLB festgestellt werden konnte. Zur Geschichte siehe Gideon BOTSCH, »Politische Wissenschaft« im Zweiten Weltkrieg. Die »Deutschen Auslandswissenschaften« im Einsatz 1940–1945, Paderborn 2006. LAB C Rep. 120, Nr. 514, Bl. 52, Aktenvermerk von Gerhard Krohn, 15.2.1946. LAB C Rep. 120, Nr. 514, Bl. 50, Aktenvermerk von Dobler, 3.12.1945. Der gesamte Vorgang zur Bergungsaktion 153 findet sich in LAB C Rep. 120, Nr. 514, Bl. 49–52. Abbildungen und weitere Informationen finden sich im ProvenienzWiki unter http://provenienz.gbv. de/Hauptseite und in der Raubgut-Datenbank der ZLB, die 2016 in die kooperative Datenbank Looted Cultural Assets überführt werden wird. Die ZLB hat die in ihrem Bestand ermittelten Exemplare der Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt als Dauerleihgabe an die Universitätsbibliothek Potsdam abgegeben.
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354 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß Zentralantiquariat der DDR an das Amsterdamer Antiquariat Spinoza verkauft wurden, stammen somit mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den knapp 12.000 Bänden, die 1945 der Staatsbibliothek übergeben worden waren. Die anderen rund 3.500 Bände, die zwischen BStB, Ratsbibliothek und Volksbüchereien aufgeteilt wurden, hatten »nur politischen Inhalt«.89 Die Tätigkeit der ZwA und die Verbindung zum Zentralantiquariat haben in bisher noch unbekanntem Ausmaß zur Verbreitung von Raub- und Beutegut beigetragen. Bei der von der Bergungsstelle übernommenen Bibliothek der Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt konnten nun von Vera Bendt exemplarisch die Mechanismen der Verteilung aufgezeigt werden, wenngleich es sich hier wohl nicht um NS-Raubgut handelt: Die Bibliothek war bereits vor 1933 aufgelöst worden. Noch bis weit in die 1990er Jahre wurden Dubletten und Depotbestände ungeprüft weitergegeben, zum Beispiel durch die BStB (und ab 1995 durch die ZLB), die den Büchertausch für Berlin und Brandenburg organisierte.90 Ausblick und Austausch
Die Forschung zu NS-Raub- und Beutegut darf die Wege der Objekte nach 1945 nicht ignorieren. Für die Bibliotheken in Berlin ist der entscheidende Ausgangspunkt dieser Wege die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken, über die sie große Mengen Raub- und Beutegut erhielten, das meist vollkommen aus den ursprünglichen Bestandszusammenhängen gerissen worden war. Durch die Auswertung der Provenienzmerkmale aus den Büchern können zwar Eigentümer_innen identifiziert werden, die Analyse zunächst nichtssagend erscheinender Spuren wie unbekannte Signaturen, Nummern und Bibliothekseinbände bleibt jedoch zeitaufwändig und schwierig. Bücher sind in der Regel keine Unikate, und Bibliotheksbestände umfassen oft hunderttausende verdächtige Exemplare. Betrachtet man jedoch die Wege der Bücher genauer und findet auf diese Art Konvolute mit gemeinsamen Spuren, kann die Auswertung eingegrenzt und damit erleichtert oder sogar erst ermöglicht werden. Die Nummern der Bergungsaktionen sind eindeutige Provenienzhinweise zur Rekonstruktion von Wegen und solchen (virtuellen) Konvoluten. Deutlich wurde den Autoren dies bei der Restitution von Büchern der Bibliothek des Internationaal Archief voor de Vrouwenbeweging (IAV) in Amsterdam. Die etwa 4.500 Bände umfassende Bibliothek war am 12. Juli 1940 durch die Sicherheitspolizei geraubt und nach Berlin ins RSHA verbracht worden. Nur ein geringer Teil 89 LAB C Rep. 120, Nr. 514, Bl. 50, Aktenvermerk von Dobler, 3.12.1945. 90 Vgl. GERLACH 2007, S. 45.
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Die Bergungsstelle für wissenschaftliche Bibliotheken in Berlin 355
kehrte 1947 in die Niederlande zurück.91 Einzelne Bände dieser Provenienz fanden sich 2012 bei der Überprüfung der Bestände der ZLB und waren durch Stempel und Exlibris eindeutig identifizierbar. Aber erst in Kooperation mit den niederländischen Kolleginnen des heute Atria genannten IAV konnten weitere Provenienzmerkmale wie Signaturschilder und Exemplarnummern identifiziert und damit weitere Exemplare der ursprünglichen Bibliothek des IAV zugeordnet werden. Augenfällig wurde ein gemeinsamer Lieferant, die Bergungsaktion Nr. 18 (Bibliothek des Deutschen Frauenwerkes/Reichsfrauenführung).92 Mit diesen zusätzlichen Informationen förderte eine erneute Überprüfung der bereits zuvor als von der Bergungsstelle Nr. 18 geliefert identifizierten Büchern in der ZLB weiteres NS-Raubgut aus den Beständen des IAV zu Tage. Ohne die Rückverknüpfung der heute auch in den Beständen der ZLB zusammenhangslos verteilten Bücher über den vormaligen Zwischenbesitzer, die Bergungsstelle Nr. 18, wären viele Bücher des IAV nicht erkannt worden. Im zugehörigen Bergungsbericht ist übrigens andeutungsweise von einer Restitution eines Teils der geborgenen Bestände die Rede. Die »übrige Literatur wurde wie üblich aufgeteilt, sodass die Rats- und Stadtbibliothek je einen Anteil erhielten«.93 Im dem Bergungsbericht beigefügten Aktenvermerk wurden die im Bericht noch unkonkret als zurückzugebendes »holländische[s] Schriftgut« bezeichneten Bücher zutreffend als 91 Zur Geschichte von Archiv und Bibliothek des IAV siehe Vilan VAN DE LOO, Moet terug. Privaat eigendom. De roof, het zoekraken en de uiteindelijke terugkeer van de IAV-archieven, Amsterdam 2003, sowie Francisca DE HAAN, A »Truly International« Archive for the Women’s Movement (IAV, now IIAV): From its Foundation in Amsterdam in 1935 to the Return of its Looted Archives in 2003, in: Journal of women’s history 16 (2004) 4, S. 148–172 – zum Entzug und zur Rückgabe eines Teilbestandes 1947 vgl. S. 156–158. 92 Die Bergung war aufgrund einer Meldung des Bezirksamtes Tiergarten-Süd erfolgt. Vgl. LAB C Rep. 120 Nr. 515/1, Bl. 35, Meldung des Amts für Volksbildung des Bezirksamts Tiergarten-Süd an die Sachabteilung Büchereiwesen, 22.10.1945. Der zugehörige Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion der Bibliothek des Deutschen Frauenwerkes, Auftrag Nr. 18, 25.2.1946, LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 173, nennt den Sitz der Reichsleitung der NS-Frauenschaft, Ziethenstraße 18, als Bergungsort, der zugehörige Aktenvermerk von Dobler vom 19.11.1945; LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 174 abweichend die Derfflingerstraße, ohne Hausnummer. Es handelt sich um ein von der Ziethenstraße unweit gelegenes Gebäude in der Derfflingerstraße 21, das 1905 als Privatklinik des Neurologen Ernst Unger (1875–1938) errichtet worden war. Unger war als Jude verfolgt und zum Verkauf der Klinik gedrängt worden, woraufhin das Gebäude 1936 umgebaut und bis Kriegsende von der NS-Frauenschaft genutzt wurde. Vgl. Rüdiger TRABANT, Enno Arndt WINKLER, Acht Jahrzehnte Medizingeschichte in der Derfflingerstraße. Ein Rückblick auf die Geschichte der Ungerschen Klinik und das Leben und Werk ihres Gründers, in: DBA 11 (1982), S. 960–970. 93 LAB C Rep. 120, Nr. 512, Bl. 173, Bericht von Günter Elsner über die Bergungsaktion der Bibliothek des Deutschen Frauenwerkes, Auftrag Nr. 18, 25.2.1946.
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356 Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß
Abbildung 3: Buch aus der Bergungsaktion Nr. 85 – Herrenlose Bestände aus der Levetzowstraße. »Da es herrenloses Gut ist, ist unter diesen Büchern keine Einheitlichkeit vorhanden, auch der Zustand der Bücher ist sehr unterschiedlich.« (LAB Rep. 120, Nr. 513, Bl. 207)
»Bibliothek des International Archief, Frauenbewegung, Amsterdam« bezeichnet. Eine vorherige eingehendere Prüfung der Akten hätte also bereits deutliche Hinweise auf geraubte Bestände geben können. Die Akten der Bergungsstelle wurden ab 2010 digitalisiert und in einer Ko operation zwischen dem Landesarchiv Berlin, der AfP und der ZLB 2011 auf www.bergungsstelle.de veröffentlicht.94 2015 wurde die Website neu konzipiert, sie bietet nun die technische Voraussetzung, als Onlineplattform für die Provenienzforschung zur Bergungsstelle zu fungieren. Perspektivisch soll die Website zentral alle Forschungsergebnisse zur Bergungsstelle sammeln und verfügbar machen, dem In94 Die Autoren möchten sich an dieser Stelle bei Uwe Schaper und Heike Schroll vom LAB für die Unterstützung bedanken.
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formationsaustausch zwischen Forscher_innen und Bibliotheken dienen und somit kooperatives Forschen ermöglichen.95 Im Zentrum steht zunächst die Tiefenerschließung der Akten, um gezielte Such anfragen nach Bergungsorten, Adressen, Mengen und Verbleib der Bücher beantworten zu können. Beispielbilder der Bergungsnummern werden eingebunden, um eine sichere Identifizierung dieser Spuren zu gewährleisten. Geplant ist eine topografische Darstellung der Bergungsorte unter Einbeziehung des zeitlichen Verlaufs, die die Buchwege nachvollziehbar werden lässt. Informationen und Literatur zu den geborgenen Bibliotheken und deren Vorbesitzern werden hinterlegt. Die in den einzelnen Einrichtungen durch Autopsie am Bestand und Recherchen gewonnenen Erkenntnisse müssen zugänglich gemacht und geteilt werden, um Doppelarbeit zu vermeiden und einzelne Fälle aufklären zu können. Denkbar ist hier konkret eine Verlinkung mit den Provenienzen verzeichnenden Onlineressourcen der forschenden Einrichtungen, wie etwa dem ProvenienzWiki des GBV oder der von Berliner Bibliotheken initiierten kooperativen Forschungsdatenbank Looted Cultural Assets.96 Die Provenienzforschung zu Raub- und Beutegut in Bibliotheken kann nur in Kooperation gelingen. Für die Forschung zu den Bergungsbüchern soll die Website www.bergungstelle.de zur Klärung der Provenienzen und zu Restitutionen beitragen.
95 Der Dank für die Konzeption und Umsetzung der neuen Webpräsenz gilt Alexander Zeisberg. 96 Siehe unter http://lootedculturalassets.de – diese Kooperation zwischen der Freien Universität Berlin, der Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum Berlin, der Universitätsbibliothek Potsdam und der ZLB ersetzt zukünftig die bislang unter http://raubgut.zlb.de erreichbare Datenbank.
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»Transport der Teile ohne zu schneiden« Die Bergung des Beethoven-Frieses aus der Sammlung Lederer in Schloss Thürnthal
Christina Gschiel
Gustav Klimt schuf den Beethoven-Fries in der Zeit von 1901 bis 1902 im linken Seitenraum der Wiener Secession anlässlich der XIV. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs1 (April – Juni 1902). Anders als der Stoclet-Fries in Brüssel wurdeer als ephemeres Kunstwerk konzipiert und in der Secco-Maltechnik auf einem schichtartig aufgebauten Bildträger aus einer Holzlattenkonstruktion, Schilfrohr und zweierlei Putzarten realisiert. Das Monumentalwerk misst in seinem heutigen Zustand, zerteilt in acht Teile,2 30,215 Meter in der Länge und 2,15 Meter in der Höhe.3 Nach dem Ende der Beethovenausstellung verblieb der Fries – im Gegensatz zu den übrigen dort gezeigten Kunstwerken, wie beispielsweise dem Wandfries von Ferdinand Andri, Mannesmut und Kampfesfreude, sowie dessen Pendant von Josef Maria Auchentaller, Freude, schöner Götterfunken4 – lediglich durch Tücher verhüllt, an seinem ursprünglichen Aufstellungsort im rechten Seitensaal der Secession, um anlässlich der Kollektiv-Ausstellung Gustav Klimt5 von November bis Dezember 1903 in seiner zweiten SecessionsAusstellung dem Publikum präsentiert zu werden.6 Nach Ende dieser Ausstellung hätte 1 2
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Vgl. Katalog zur XIV. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs, Secession Wien, Klinger – Beethoven, April–Juni 1902. Die acht Teilstücke des Beethoven-Frieses verfügen über folgende Bildmaße (Putz einschließlich Rand) und Gewichtsangaben: Teilstück 1: 215,5 x 300 x 8 cm und 70 kg; Teilstück 2: 216,5 x 453 x 8 cm und 580 kg; Teilstück 3: 216 x 276,5 x 8 cm und 360 kg; Teilstück 4: 216 x 370 x 7,5 cm und 480 kg; Teilstück 5: 213 x 319 x 8 cm und 430 kg; Teilstück 6: 212,5 x 321 x 8,5 cm und 430 kg; Teilstück 7: 215 x 518 x 13 cm und 680 kg; Teilstück 8: 214 x 485 x 14 cm und 700 kg. Vgl. Markus SANTNER, Zusammenfassender Bericht über die Konservierung und Restaurierung des Beethovenfries von Gustav Klimt (1974–1985), BDA, 21.7.2009, unveröffentlicht, S. 1–125, hier: S. 112. An dieser Stelle sei Markus Santner für die Unterstützung im Zuge der Recherchen herzlich gedankt. Vgl. Manfred KOLLER, Gustav Klimts Beethovenfries 1902–2002, Ein »provisorisches« Kunstwerk und sein Überleben bis heute, in: Belvedere. Zeitschrift für bildende Kunst 2 (2002), S. 18–33, hier: S. 24. Die Maßangaben stammen aus der Museumsdatenbank des Belvedere. Vgl. Ver Sacrum. Mitteilungen Vereinigung bildender Künstler Österreichs 11 (1902), S. 170. Vgl. Katalog zur XVIII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession Wien, Kollektiv-Ausstellung Gustav Klimt, November–Dezember 1903. Vgl. Margarethe SZELESS, Der Beethovenfries – Provenienz – und Ausstellungsgeschichte, in: Secession, Gustav Klimt. Beethovenfries, Wien 2002, S. 49–70, hier: S. 50.
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360 Christina Gschiel schließlich auch dem Fries die Abnahme von den Wänden der Secession und somit die Zerstörung gedroht, wenn nicht der Grazer Sammler Carl Reininghaus Interesse gezeigt und das Werk schließlich für seine eigene Sammlung erworben hätte.7 Die exakte Höhe der Kaufsumme ist nicht überliefert, aber Otto Wagner hatte den Wert des Frieses im Jahre 1902 auf mindestens 100.000 Kronen geschätzt.8 Im Zuge der Abnahme wurde »der ursprünglich aus drei Teilen bestehende Fries«9 durch »vertikales Zersägen entlang der Lattenrostfugen«10 in sieben Tafeln geteilt und nach Angaben von Erich Lederer in seinem unveröffentlichten Text Die acht Reisen des Beethovenfrieses unter der Aufsicht von Carl Moll »mit dem Kulissenwagen der Wiener Staatsoper – wie übrigens bei allen Transporten der Folgezeit« in ein Möbeldepot in Michelbeuern im 9. Wiener Bezirk gebracht.11 Das einzige heute nicht mehr erhaltene Teilstück12 war unbemalt und befand sich in der Ausstellung »über dem Durchblick zu Max Klingers Beethovenstatue«.13 Im Jahr 1907 sicherte Gustav Klimt dem Erwerber des Frieses zu: »Bei Ausbezahlung des Restbetrages K 5000.- […] von der Kaufsumme für den an Herrn Carl Reininghaus verkauften Fries wiederhole ich schriftlich meine schon früher mündlich abgegebene Erklärung, dass ich jederzeit bereit bin, bei endgiltiger Placierung [sic] des Werkes die Reparaturen, welche sich bei dessen heutigen Zustande als nötig heraus stellen, ohne Entgelt auszuführen.«14 Dieser Brief von Klimt, eine erhaltene Fotografie Moritz Nährs von dem Teilstück Die Feindlichen Gewalten,15 7
8 9 10 11 12 13 14 15
Vgl. Privatarchiv Marian Bisanz-Prakken, Erich LEDERER, Die acht Reisen des Beethovenfrieses, o. D., unveröffentlichtes Typoskript, ursprünglich gedacht für eine Publikation im Residenzverlag, S. 1–18. »Reininghaus kam am Tage nach der Schließung der Ausstellung in die Secession, um sich noch ein letztes Mal den Fries anzusehen. Dabei traf er auch auf Arbeiter mit Meißel und Spitzhacke und fragte entsetzt den Sekretär der Secession, was das zu bedeuten habe. Da erfuhr er – und in der Tat war es ja von Anfang an geplant gewesen –, daß die Ausstellung nunmehr beendet sei und also der Fries heruntergehackt werde. […] Nach mehreren Tagen, vielem Hin und Her und zahlreichen Besprechungen wurde der Fries das Eigentum von Carl Reininghaus.« Vielen herzlichen Dank an Marian Bisanz-Prakken für die freundliche Zurverfügungstellung dieses Typoskripts. Vgl. SZELESS 2002, S. 50. SANTNER 2009, S. 5. SANTNER 2009, S. 9. Vgl. Privatarchiv Marian Bisanz-Prakken, Erich LEDERER, Die acht Reisen des Beethovenfrieses, o. D., unveröffentlichtes Typoskript, S. 7. Dieses befand sich ursprünglich zwischen den heutigen Teilstücken 7 und 8. SANTNER 2009, S. 5. Wienbibliothek, Handschriftensammlung, H.I.N. 159.214, Gustav Klimt an Carl Reininghaus, 16.12.1907. ÖNB, Bildarchiv, Nr. 94919 E, Fotoreproduktion von Moritz Nähr nach Abnahme des Frieses vom linken Seitensaal (Schmalwand) anlässlich der XIV. Ausstellung der Wiener Secession. Gemäß der Information von Uwe Schlögl hat das Bildarchiv der ÖNB im Jahr 1943 mit der Einlaufzahl 796 ein Konvolut von Glasplattennegativen mit allen Rechten von Moritz Nähr erworben. In diesem Konvolut befindet sich auch die genannte Reproduktion des Beethoven-Frieses.
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Die Bergung des Beethoven-Frieses aus der Sammlung Lederer in Schloss Thürnthal 361
die sehr wahrscheinlich kurz nach der Abnahme des Frieses entstanden ist, die Einschätzungen der zuständigen Restauratoren des Bundesdenkmalamtes gemäß dem Restaurierungsbericht von 200916 sowie die Berichte von Carl Moll und Hugo Haberfeld17 zeigen, dass der Fries bereits durch die Abnahme von den Wänden der Secession Schaden genommen hatte. Das Schadensbild umfasste Bestoßungen an den Rändern und zumindest einen Riss, welcher selbst in einer Konversation zwischen Egon Schiele und Gustav Klimt überliefert ist. Ersterer habe nach einer Besichtigung des Werkes bemerkt: »Mir scheint die Poesie hat einen Riß«, worauf Klimt erwidert haben soll: »Ja die Poesie. Die ist die erste, die auf Franzen geht.«18 Zudem war das Kunstwerk 1912 gemäß einem Bericht des Kunsthistorikers Arpad Weixlgärtner »in einem ebenerdigen Depot untergebracht, wo es infolge der Erschütterung durch die elektrische Straßenbahn von unten auf zu zerbröckeln« begann.19 1915 verkaufte Carl Reininghaus den Beethoven-Fries über Vermittlung von Egon Schiele schließlich an den begeisterten Klimt-Sammler und Industriellen August Lederer. Der Aufbewahrungsort des Frieses blieb nach der Erwerbung durch Lederer unverändert im Depot der Möbelaufbewahrungsanstalt Wilhelm & Eisler in Wien Alsergrund. Im Zuge der Vorbereitungen zur Klimt-Gedächtnis-Ausstellung20 im Jahr 1928 wurde die Haupttafel des BeethovenFrieses, Die Feindlichen Gewalten, in die Secession transportiert, gelangte jedoch nie zur Disposition, da die Tafel auf persönlichen Wunsch von Lederers Ehefrau Serena noch vor Ausstellungsbeginn wieder nach Michelbeuern retourniert werden musste. Dennoch erfuhr das Teilstück anlässlich dieses Kurzbesuches in der Secession eine wesentliche Veränderung. Es wurde, um zukünftige Transporte zu erleichtern sowie die Substanz nicht weiter zu strapazieren, durch Fritz Wotruba und Franz Ullmann in der Mitte geteilt.21 Infolge wiederholter Räumungsaufforderungen22 bezüglich des Depots 16 Vgl. SANTNER 2009, S. 9. 17 Carl Moll und Hugo Haberfeld: »Wir konstatieren, dass nur eine Tafel, und zwar die Figur der ›Kunst‹ einen Riss durch die ganze Figur zeigt. Die übrigen Tafeln sind intakt und zeigen nur teilweise an den Rändern unbedeutende Verletzungen.« Wienbibliothek, Handschriftensammlung, H.I.N. 159.214. 18 Christian Michael NEBEHAY, Gustav Klimt. Dokumentation, Wien 1969, S. 300. 19 Arpad WEIXLGÄRTNER, Gustav Klimt, in: Die graphischen Künste 35 (1912) 1, S. 49–66, hier: S. 55. 20 Vgl. Katalog zur XCIX. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs, Secession Wien, Klimt-Gedächtnis-Ausstellung, 27. Juni 1928–31. Juli 1928, Wien 1928. 21 Vgl. Privatarchiv Marian Bisanz-Prakken, Erich LEDERER, Die acht Reisen des Beethovenfrieses, o. D., unveröffentlichtes Typoskript, S. 8–9. 22 Es gab eine Räumungsaufforderung der Firma Herba A. G., der neuen Eigentümerin des Gebäudetraktes, in welchem sich das Depot befand, gegenüber der Möbelaufbewahrungsanstalt Wilhelm & Eisler und in weiterer Folge eine gleichlautende Aufforderung von Wilhelm & Eisler gegenüber August Lederer. Vgl. BDA-Archiv, Topographische Materialien, Wien IX, K. 21, Zl. 3500/30, BDA an Herba A. G., 17.5.1930; RA Emil Winter an August Lederer, 23.5.1930. Mein herzlicher Dank gilt an dieser Stelle Anneliese Schallmeiner für die vielfältige Unterstützung im Zuge der Erstellung dieses Beitrages.
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362 Christina Gschiel in der Michelbeuerngasse 9a wandte sich August Lederer am 17. Mai 1930 an das Bundesdenkmalamt und bat um die Unterschutzstellung des Beethoven-Frieses mittels Bescheides gemäß § 3 Denkmalschutzgesetz.23 Noch am selben Tag folgte das Bundesdenkmalamt seinem Ansuchen und stellte fest, dass der in seinem »Eigentum befindliche Beethoven-Fries von Gustav Klimt wegen seines hervorragenden künstlerischen Wertes ein Denkmal darstellt, dessen Erhaltung im öffentlichen Interesse gelegen ist«.24 Zusätzlich wurde der Fries im Mai 1932 als unbewegliches Denkmal in das Denkmalkataster aufgenommen.25 Ungeachtet der Bemühungen August Lederers sowie der Unterstützung durch das Bundesdenkmalamt stand dem mehrteiligen Kunstwerk nur wenige Jahre später der einzige Umzug vor seiner Bergung in Schloss Thürnthal im Jahr 1943 bevor. Einem Brief der Spedition E. Bäuml an das Bundesdenkmalamt im Jahr 195326 zufolge übernahm die Firma am 20. August 1935 von Serena Lederer »7 Bilder, davon 1 Bild in zwei Teilen, also 8 Stück; 6 Verzierungen geschnitzt; 6 Leisten; 1 Kiste Teile; 1 Kiste leer« zur Einlagerung in das firmeneigene Lagerhaus in der Dresdnerstraße Nr. 26–28 im 20. Wiener Gemeindebezirk. Der Beethoven-Fries lagerte fortan über einen Zeitraum von fast acht Jahren in einem eigens für ihn umgebauten Raum, in dem sich die einzelnen Fries-Teile »unter Verschluss befanden«.27 Anders als dies Erich Lederer nach der Bergung dem Bundesdenkmalamt vorwerfen sollte, waren die acht Tafeln selbst während ihrer Aufbewahrung bei E. Bäuml nicht in Kisten verpackt gewesen.28 Nach dem Tod ihres Ehegatten am 30. April 1936 in Wien oblag fortan Serena Lederer die alleinige Verwaltung der umfassenden Kunstsammlung, selbst wenn sich das Verlassenschaftsverfahren nach August Lederer in Verbindung mit dem langwierigen Konkursverfahren noch über Jahre bis zur endgültigen Entscheidung hinziehen sollte.29 23 Vgl. BDA-Archiv, Topographische Materialien, Wien IX, K. 21, Zl. 3500/30, August Lederer an BDA, 17.5.1930. 24 BDA-Archiv, Topographische Materialien, Wien IX, K. 21, Zl. 3500/30, BDA an August Lederer, 17.5.1930. 25 Vgl. BDA-Archiv, Denkmalpflege, K. 4, Denkmälerverzeichnis 1931–1932, Zl. 2110/32, 4.5.1932. 26 Auf eine telefonische Anfrage des Bundesdenkmalamtes im März 1953 betreffend die Verlagerung des Beethoven-Frieses nach Thürnthal verfasste ein Mitarbeiter der Firma E. Bäuml eine ausführliche Aufstellung der Eckdaten der mehrfachen Verlagerungen des Kunstwerkes seit seiner Übernahme durch die Spedition im August 1935. Die angegebenen Daten stammen aus einem im Jahr 1953 noch vorhanden gewesenen Lagerakt zum Beethoven-Fries, der heute im Firmenarchiv des Nachfolgeunternehmens Kunsttrans nach Angaben von Gregor Kahr nicht mehr auffindbar ist. 27 BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 1863/53, E. Bäuml an BDA, 25.3.1953. 28 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 1308/53, Erich Lederer an BDA, 28.2.1953. 29 Vgl. WStLA, BG Wien I, Verlassenschaftsakt August Lederer, Zl. 22A 108/40.
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Die Bergung des Beethoven-Frieses aus der Sammlung Lederer in Schloss Thürnthal 363
Noch im Jahr des »Anschlusses« Österreichs an das Deutsche Reich erfolgte auf Antrag der Zentralstelle für Denkmalschutz, dem vormaligen Bundesdenkmalamt,30 mit 26. November 1938 die Sicherstellung der in der Wiener Wohnung von Serena Lederer – als Jüdin vom nationalsozialistischen Regime verfolgt – in der Bartensteingasse 8 im 1. Bezirk befindlichen Kunstgegenstände auf Grund von § 4a des Gesetzes betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen geschichtlicher, künstlerischer und kultureller Bedeutung.31 Die Magistratsabteilung 50 verfügte in diesem Bescheid, dass die Objekte an Ort und Stelle zu verbleiben hätten, da die Gefahr der Verbringung dieser Gegenstände ins Ausland, im Fall von Serena Lederer nach Ungarn, bestehe.32 Entsprechend einer undatierten Liste der sichergestellten Kunstgegenstände der Sammlung Serena Lederer wurde der Beethoven-Fries als Nummer 112 dem in der Bartensteingasse befindlichen Teil der umfangreichen Kunstsammlung Lederer zugerechnet und wie folgt beschrieben: »Gustav Klimt, Beethovenfries, verfertigt anlässlich der Klingerausstellung, Verzeichn. L. Bartensteing. Bl. 2 Nr. 3. Eingelagert bei der Speditionsfirma Bäuml.«33 Der Fries verblieb somit, wie im Sicherstellungsbescheid verfügt, an Ort und Stelle, jedoch nicht in der Wohnung, sondern weiterhin im Lagerraum der Spedition E. Bäuml in der Dresdnerstraße. Mittels Bescheides vom 27. Juni 1939 wurden die vorausgegangenen Sicherstellungsbescheide der Kunstgegenstände von Serena Lederer dahingehend geändert, dass ab diesem Tag »die Verwahrung der Kunstgegenstände aus dem Eigentum Serena Lederer nunmehr an die Zentralstelle für Denkmalschutz […] übertragen« wurde.34 Ungeachtet dieses Bescheides erklärte Herbert Seiberl, der Leiter des Institutes für Denkmalpflege, erst am 30 Das heutige Bundesdenkmalamt unterlag im Laufe des 20. Jahrhunderts diversen Namensänderungen: Ab 1911 Staatsdenkmalamt, ab 1920 Bundesdenkmalamt, ab 1934 Zentralstelle für Denkmalschutz, ab 1940 Institut für Denkmalpflege, ab Ende des Zweiten Weltkrieges Staatsdenkmalamt, ab der zweiten Jahreshälfte 1946 Bundesdenkmalamt. Vgl. Theodor BRÜCKLER, Die »Verländerung« der Österreichischen Denkmalpflege in der NS-Zeit und die Gründung des Instituts für Denkmalpflege 1940, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 44 (1990), S. 184–194; Theodor BRÜCKLER, Ulrike NIMETH, Personenlexikon zur Österreichischen Denkmalpflege (1850–1990), Wien 2001; http://www. bda.at/bda/126/0/5780/texte/Geschichte-der-Denkmalpflege-in-Oesterreich (6.6.2015). 31 BGBl. 80/1923. 32 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 1a, Zl. 130/Dsch/39, M. Abt. 2/ 9148/38, fol. 179, Sicherstellungsbescheid Serena Lederer Wohnung Bartensteingasse 8, 26.11.1938. Serena Lederer wurde am 20. Mai 1867 in Budapest geboren und war ungarische Staatsbürgerin. Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen der Bundespolizei Wien, Serena Lederer. 33 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2a, ad Zl. 2876/K/40, fol. 236–244, Sicherstellungsliste Lederer Serena, o. D. 34 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 1a, Zl. 3980/DSch./39, fol. 120, Änderungsbescheid der MA 50 Wien, 27.6.1939.
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364 Christina Gschiel 22. Februar 1942 gegenüber der Firma Bartz, dass der Beethoven-Fries aus dem Eigentum von Serena Lederer vom Denkmalamt in Verwahrung genommen werde.35 Die tatsächliche Verlagerung und Überführung des Frieses in die physische Verwahrung des Institutes für Denkmalpflege sollte allerdings erst über ein Jahr später erfolgen. Exkurs: Die Spedition E. Bäuml
Die Firma E. Bäuml war von Eliazim Bäuml als Speditionsunternehmen gegründet und im Jahr 1869 ins Wiener Handelsregister eingetragen worden.36 Nach diversen Leitungswechseln innerhalb der Familie Bäuml scheint ab dem Jahr 1937 Erich Bäuml als alleiniger Firmeninhaber auf, der das Unternehmen in der Kantgasse 2 in Wien weiterführte. Der Betrieb hatte sich in den 1930er Jahren zu einer internationalen Spedition für Kunst- und Möbeltransporte entwickelt und übernahm auch Einlagerungen von Kunstwerken wie beispielsweise dem Beethoven-Fries aus der Sammlung Lederer in ihrem Lagerhaus in der Dresdnerstraße.37 Nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich wurde die Spedition E. Bäuml auf Veranlassung der Vermögensverkehrsstelle »arisiert«,38 im Juni 1938 unter die kommissarische Verwaltung von Max Müller39 gestellt40 und schließlich von Alfons Bartz, einem Kaufmann aus Aachen, zunächst unter E. Bäuml Gesellschaft m. b. H.41 und schließlich als A. Bartz Ges. m. b. H.42 weitergeführt. Die Firma A. Bartz wurde, wie noch zu sehen sein wird, in den 35 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2, Zl. 62/K/43, fol. 68, Herbert Seiberl an Fa. Bartz, 22.2.1942. 36 Vgl. WStLA, Handelsregisterakt Fa. E. Bäuml, Registerakten Zl. A 9/29, Protokoll des k. k. Handelsgerichtes Wien, 4.8.1869. 37 Vgl. WStLA, Handelsregisterakt Fa. E. Bäuml, Registerakten Zl. A 9/29, fol. 14, 32, 47–50. 38 Vgl. WStLA, Handelsregisterakt Fa. E. Bäuml, Registerakten Zl. A 9/29, fol. 54, Max Müller an das Handelsgericht, 6.6.1938. 39 Max Müller (1882–1940) arbeitete von 1903 bis 1931 in der Speditionsfirma Schenker & Co. und wurde über die Jahre zum Vorstand der Kontrolle sowie der Verkehrsbuchhalter befördert. Nach seiner Entlassung war er bis 1938 arbeitslos. Er trat am 16.5.1932 mit der Mitgliedsnummer 1,084.205 in die NSDAP ein. Am 1. Juni 1938 wurde Müller, der seit April auch Kassenamtsleiter der Ortsgruppe NeuGersthof war, als kommissarischer Verwalter für »jüdische« Speditionsfirmen eingesetzt und führte in dieser Funktion bis 31. Dezember 1938 fünf Liquidationen und drei »Arisierungen« durch. Danach trat er wieder in die Firma Schenker & Co. Wien ein, aus der er 1940 krankheitshalber entlassen wurde. Vgl. ÖStA, ÖStA, AdR, ZNSZ, Gaupersonalamt Wien, Gauakt Max Müller, Zl. 297.546. 40 Vgl. WStLA, Handelsregisterakt Fa. E. Bäuml, Registerakten Zl. A 9/29, fol. 52, Der Staatskommissar in der Privatwirtschaft an Max Müller, 9.6.1938. 41 Vgl. WStLA, Handelsregisterakt Fa. E. Bäuml, Registerakten Zl. A 9/29, fol. 64–65, Eintragung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in das Handelsregister, 16.12.1938. 42 Vgl. WStLA, VEAV, 1. Bezirk Zl. 30, Anmeldung entzogener Vermögen von A. Bartz Ges. m. b. H. gegenüber E. Bäuml, 24.10.1946.
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Folgejahren vom Institut für Denkmalpflege mit der Durchführung von diversen Bergungstransporten beauftragt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte im Juni 1949 die Rückstellung der entzogenen Firma an Erich Bäuml, der mittlerweile in New York lebte.43 Der Bergungsort Schloss Thürnthal
Am 26. Juni 1943, also lediglich drei Tage, nachdem das gesamte Schloss Thürnthal44 bei Fels am Wagram (Abbildung 1) per 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz (RGBl I 1941, S. 722–724) der Familie Bunzel entzogen worden war,45 gestattete der Oberfinanzpräsident von Wien-Niederdonau dem Institut für Denkmalpflege »die Benützung des Schlosses Thürnthal auf Kriegsdauer für die Bergung von Kunstschätzen«. 43 Vgl. WStLA, VEAV, 1. Bezirk Zl. 30, Anmeldung entzogener Vermögen von A. Bartz Ges. m. b. H. gegenüber E. Bäuml, Erkenntnis der Rückstellungskommission beim Landesgericht für ZRS Wien, 23.6.1949. Als interessantes Detail am Rande kann noch erwähnt werden, dass sich die heute tätige Kunstspedition Kunsttrans nach eigenen Angaben aus dem Familienbetrieb E. Bäuml entwickelt habe. Vgl. http://www. kunsttrans.com/de (26.5.2015). 44 Das erstmals 1579 urkundlich erwähnte Schloss wurde um das Jahr 1725, einige Jahre nach einem Brand unglück im Jahre 1678, durch den Architekten Joseph Emanuel Fischer von Erlach revitalisiert und um den Schlosspark erweitert. Vgl. Theodor BRÜCKLER, Schloß Thürntal als Kunstgut-Bergungsort während des Zweiten Weltkrieges, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, Verein für Landeskunde von Niederösterreich NF 63/64 (1997/1998), S. 205–224. 45 Das Gut Thürnthal (Dürnthal), das neben dem Schloss Thürnthal noch diverse Ländereien umfasste, war gemäß der Niederösterreichischen Landtafel sowie der erhaltenen Abschrift des Kaufvertrages am 20. Juli 1911 von Guido Bunzel erworben worden. Im Jahr 1932 schenkte dieser das Schloss mitsamt Garten je zur Hälfte seinen Töchtern Emma und Antonia Bunzel und behielt für sich das Presshaus, einige Weingärten und einen Acker. Die Mitglieder der jüdischen Familie Bunzel unterlagen allerdings ab März 1938 der Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime. Emma Bunzel emigrierte als Einzige bereits im Juli 1938 über Rom nach England. Guido, seine Frau Friederike (geb. Bettelheim) und Antonia Bunzel verblieben offenbar in Wien, wurden im September 1942 deportiert und im Vernichtungslager Maly Trostinec ermordet. Das Schloss Thürnthal war von der Zentralstelle für Denkmalschutz am 21. April 1939 unter Denkmalschutz gestellt worden. Das Eigentumsrecht an dem Hälfteanteil des Schlosses und Gartens von Emma Bunzel wurde am 15. Mai 1942, Antonia Bunzels Anteil am 23. Juni 1943 aufgrund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz durch das Deutsche Reich entzogen und anschließend dem Oberfinanzpräsidenten von Wien-Niederdonau zur Verwaltung übertragen. Das Schloss diente während der NS-Zeit sowohl als Bergungsort als auch als Kriegsgefangenenlager. 1950 wurde es mit den dazu gehörigen Liegenschaften an die überlebende Tochter von Guido Bunzel, Emma Barber (geb. Bunzel), die nach wie vor in England lebte, zurückgestellt. Vgl. ÖStA/AdR, E-u. Reang, VVSt, VA Zl. 23.997, Guido Bunzel; FLD, Zl. 18270, Antonie, Emma, Friederike und Guido Bunzel. BDA-Archiv, Topographische Materialien, Niederösterreich, K. 75, M. Thürnthal Schloss; NÖLA, Niederösterreichische Landtafel, Urkunden zu Anlegungsakten EZ. 610, Abschrift des Kaufvertrages zu Gut Thürnthal, 20.7.1911; vgl. auch BRÜCKLER 1997/1998; Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names, 25.9.2014; DÖW Datenbank zur Personensuche, 25.9.2014.
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366 Christina Gschiel
Abbildung 1: Schloss Thürnthal bei Fels am Wagram, 1981
Die für die Benutzung des Schlosses als Bergungsort notwendigen Renovierungsarbeiten sollten jedoch auf Kosten des Institutes für Denkmalpflege vorgenommen werden. Der Oberfinanzpräsident erklärte sich lediglich dazu bereit, für die Instandsetzungsarbeiten für jene in Hinkunft nicht zu Bergungszwecken zu nutzenden Bereiche des Schlosses 25.000 Reichsmark zur Verfügung zu stellen.46 Gottfried Reimer, der Referent für den »Sonderauftrag Linz«, ermahnte Seiberl in diesem Zusammenhang, dass die Renovierungsarbeiten lediglich auf das Nötigste zu beschränken seien und ausschließlich der »luftschutzmäßigen Sicherung des Objektes« dienen sollten. Akzeptabel erschienen Reimer beispielsweise »notwendige Dachreparaturen, Vermauerungen von Fenstern, Ausräumen des Schuttes usw. […], wohingegen nur kunsthistorisch erwünschte Instandsetzungsarbeiten im Gebäude in der […] Kriegszeit unbedingt zurücktreten« müssten.47 Bereits eine Woche später, am 19. Juli 1943, konnte Her-
46 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1b, Zl. 0 5400 G–63-P6g, fol. 216, Oberfinanzpräsident Wien-Niederdonau an Institut für Denkmalpflege, 26.6.1943. 47 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1b, Zl. 252/K/43, fol. 201–202, Abschrift eines Schreibens von Gottfried Reimer an Herbert Seiberl, 12.7.1943.
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Die Bergung des Beethoven-Frieses aus der Sammlung Lederer in Schloss Thürnthal 367
bert Seiberl Reimer über die in Thürnthal begonnenen Bauarbeiten informieren.48 Im August erbat er die Unterstützung des Hauptwirtschaftsamtes, um für die im Schloss Thürnthal tätige Baufirma Reindl & Ruhs den benötigten Treibstoff zu erlangen. In diesem Zusammenhang hob er die Wichtigkeit dieses Bergungsortes aufgrund der steigenden Luftgefährdung Wiens hervor. Zusätzlich verwies er auf das zu erwartende äußerst kostbare Bergungsgut aus Wiener Baudenkmalen sowie auf »hervorragende Kunstsammlungen aus beschlagnahmten oder sichergestelltem Besitz, die der persönlichen Verfügung des Führers unterliegen« und die er »im Auftrage des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei zu verwalten habe«.49 Mit Ende September 1943 ist die erste Umbergung vom Bergungsort Immendorf ins Schloss Thürnthal dokumentiert. 14 Kisten und 14 frei transportierte Objekte aus der beschlagnahmten Sammlung Lanckoronski, darunter Gemälde, Skulpturen sowie Plastiken, die zuvor schon ab November 1942 in Schloss Immendorf untergebracht gewesen waren, wurden in das neu adaptierte Bergungsdepot bei Fels am Wagram übernommen.50 Neben der günstigen Lage, der geringen Sichtbarkeit aus der Luft und der hohen Brandsicherheit des Schlosses Thürnthal dürfte der tatsächliche Grund für die Umbergung dieser Objekte in der frühen, noch vor der Adaption des Schlosses vertretenen Argumentationslinie Herbert Seiberls liegen. Im Juli 1943 hatte der Leiter des Institutes für Denkmalpflege nämlich im Zuge eines Gespräches mit Gottfried Reimer als Begründung für die angestrebte Instandsetzung des Schlosses Thürnthal den »besonderen Befehl des Führers« angeführt, die Bestände der Kunstsammlung des Anton Lanckoronski »ausserhalb Wiens unterzubringen«.51 Ohne Erwähnung einer für Adolf Hitler interessanten Sammlung hätte Seiberl die Zustimmung zum Umbau dieses Schlosses möglicherweise nicht erlangt.
48 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1a, Zl. 319/K/42, fol. 148–148a, Herbert Seiberl an Gottfried Reimer, 19.7.1943. 49 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1b, Zl. 252/K/1943, fol. 192, Herbert Seiberl an Hauptwirtschaftsamt, 12.8.1943. 50 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 2a, o. Zl., fol. 188, Ergänzung zur Übergabsliste für die Bergung Lanckoronski nach Immendorf, 2.10.1943; Zl. 41/Res/42, fol. 189–192, Abschrift der Übergabsliste für die Bergung Lanckoronski nach Immendorf und der frei transportierten Gegenstände, 15.3.1943. Zur Sammlung Lanckoronski siehe auch den Beitrag von Pia SCHÖLNBERGER in diesem Band. Im Aktenbestand der Personenmappe Lanckoronski sind insgesamt zwölf Wagenladungen Bergungsobjekte aus der Sammlung dokumentiert, die von September bis Dezember 1943 in Schloss Thürnthal eingelagert wurden. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 26, PM. Lanckoronski, M. 4. 51 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1b, o. Zl., fol. 200–200a, Gottfried Reimer an Franz Lenikus, 13.7.1943. Vgl. BRÜCKLER 1997/1998, S. 208–210.
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368 Christina Gschiel Bevor mit den Bergungen in erweitertem Ausmaß fortgesetzt werden konnte, wurde am 19. November eine Besichtigung der einzelnen Räume des Schlosses durch den Chemiker Maximilian Eder des Institutes für Denkmalpflege, den Architekten Josef Friedl sowie den Depotverwalter Adolf Graf durchgeführt. Im Zuge dessen stellten sie im großen Bergungsraum im ersten Stock Pilzbefall an eingelagerten Bildern sowie erhöhte Luftfeuchtigkeit zwischen 85 und 90 Prozent fest. Zweiteres war auf die kurz zuvor betriebenen Maurerarbeiten zurückzuführen, die einen erhöhten Feuchtigkeitsgehalt der Wändeverursacht hatten, dem man durch verstärktes Beheizen der Räume entgegenwirken wollte. Der Kapellenraum des Schlosses, der insbesondere für den Beethoven-Fries von Bedeutung sein würde, wurde hingegen äußerst positiv bewertet, da sich »die Atmosphäre in diesem Raume […] fühlbar trockener und günstiger« zeigte als im Stockwerksraum.52 Am 20., 27. und 28. Dezember erfolgten weitere Bergungstransporte ins Schloss Thürnthal.53 Die eingelagerten Objekte umfassten erneut Stücke aus der Sammlung Lanckoronski sowie Bücher und die Ansichtensammlung des Institutes für Denkmalpflege. Bedeutung sollte Thürnthal auch für jenes Kunstgut erlangen, das ursprünglich im Stift Kremsmünster geborgen war und der persönlichen Verfügung des »Führers« unterlag.54 Es handelte sich hierbei um großformatige Gemälde von namhaften Künstlern wie Hans Makart, Eduard von Grützner, Charles Meynier, Jan Both sowie Friedrich Gauermann,55 die für das geplante – und letztlich nie realisierte – »Linzer Kunstmuseum« gedacht waren.56 Ergänzend kann festgehalten werden, dass neben den Kunstwerken der Sammlungen Lederer und Lanckoronski beispielsweise auch Objekte der Sammlungen Rudolf Gutmann, Louis und Alphonse Rothschild, Oskar Bondy sowie Emil und Helene Karpeles-Schenker im Laufe der Jahre in Schloss Thürnthal geborgen wurden. Über den Bestand der personenbezogenen Kunstsammlungen hinausgehend, verbrachten die Bergungsbeauftragten auch Objekte aus dem Wiener Neustädter Dom, diverse Materialien aus dem Institut für Denkmalpflege und die Engelsturz-Gruppe vom Vorbau 52 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1b, Zl. 11/Res/43, fol. 164, Bericht von Maximilian Eder, 20.11.1943. 53 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 2a, Zl. 11/Res/43, fol. 120, Institut für Denkmalpflege an Anton Graf, 20.12.1943; fol. 124, Aktenvermerk, 28.12.1943; fol. 118, Bergungsliste zu Büchern aus dem Institut für Denkmalpflege, 28.12.1943. 54 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 2a, o. Zl., fol. 117, Herbert Seiberl an Arbeitsamt in Stockerau, 30.12.1943. 55 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 00, Zl. 9726/49, fol. 53–55, List of large-sized paintings transferred from Kremsmünster to the repository Thürntal, o. D. 56 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 00, zu Zl. 9726/49, fol. 62, Einlageblatt von Otto Demus, 23.12.1949.
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der Michaelerkirche vor der drohenden Luftgefahr in Wien sowie bei der sogenannten »Aktion Bertha«57 erbeutete Kunstwerke in den Bergungsort bei Fels am Wagram.58 Die Bergung des Beethoven-Frieses
Der Restaurator und Mitarbeiter des Institutes für Denkmalpflege Emmerich Bergthold verfasste am 9. Dezember 1943 nach eingehender Besichtigung des Beethoven-Frieses einen Aktenvermerk über zwei mögliche Bergungsvarianten für dieses hinsichtlich Materialität und Größe der Einzelteile nicht alltägliche Bergungsgut. Die erste Möglichkeit für die Bergung umfasste das »Durchsägen der vier Langteile«. In Variante zwei wurde hingegen der »Transport der Teile ohne zu schneiden« beschrieben. Der Restaurator sprach sich schließlich für den zweiten Vorschlag aus und empfahl, die einzelnen Teile, »wie sie sind, gesichert auf Pölstern, im Kulissenwagen der Oper, an gefährdeten Stellen im Schritt fahrend, zu bergen«.59 Bergtholds Empfehlung wurde Folge geleistet und somit eine weitere Teilung der Wandtafeln verhindert. Franz Unterkirchner, ein weiterer für die Bergungen zuständiger Mitarbeiter des Institutes für Denkmalpflege,60 verfasste nach dem erfolgreichen Transport nach Niederdonau in das Schloss Thürnthal folgenden Kurzbericht: Der in acht Teile zerlegte Fries wurde am 21. Dezember aus dem Magazin der Firma Bartz in den großen Kulissenwagen des Burgtheaters verladen. Es zeigte sich dabei, daß durch einzelne Teile größere Sprünge hindurchgingen und daß, besonders an den Rändern, kleinere Mörtelstücke abgebrökelt [sic] waren. Beim Verladen konnten weitere Beschädigungen vermieden werden, außer daß da und dort ein kleineres Mörtelstück abfiel. Auch beim Transport selbst, der am 22. Dez. stattfand, blieben die einzelnen Stücke unversehrt. Sie wurden in Thürnthal in der linken rückwärtigen Ecke der Kapelle untergebracht.61
57 Die »Aktion Bertha« umfasste die Einrichtungsgegenstände zweier Villen des Barons Jean Cassel van Doorn in Cannes und Mont le Mare in Südfrankreich. Seine gesamten beweglichen Güter wurden nach seiner Flucht aus Frankreich vom Sicherheitsdienst geplündert und anschließend mit Eisenbahnwaggons in die »Ostmark« transportiert. Die Bestände wurden sowohl im Salzbergwerk Altaussee als auch im Schloss Thürnthal geborgen. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3/1, M. 11, z. Zl. 2002/46, fol. 164, Anmeldungserklärung des entzogenen Vermögenswertes der Aktion Bertha, 21.6.1946; BRÜCKLER 1997/1998, S. 214–215. 58 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 2b, o. Zl., fol. 1–26, Verzeichnis der im Schloss Thürnthal lagernden Kunstgegenstände, o. D. 59 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 3284/56, Emmerich Bergthold zur Bergung des Beethovenfries, 9.12.1943. 60 Vgl. BRÜCKLER, NIMETH 2001, S. 279. 61 BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, zu Zl. 1308/53, Vermerk Franz Unterkirchner, 23.12.1943.
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Abbildung 2: Entwurfsplan eines Kulissenwagens der Firma J. Rohrbacher, 1929
Exkurs zum Kulissenwagen der Staatstheater
Die sogenannten Kulissenwägen der Staatstheater wurden üblicherweise zum Transport von Bühnendekorationen, Kostümen und Requisiten von den Theatern zu den teils entfernt liegenden Depotstellen, beispielsweise in Breitensee im Westen Wiens oder bei der Schlachthausbrücke, benutzt.62 Im Jänner 1930 bestellte die Generaldirektion der österreichischen Bundestheater drei neue Kulissentransportwägen und einen Prospekttransportwagen bei der Wiener Wagenfabrik J. Rohrbacher.63 In den Unterlagen der Angebotslegung der Firma hat sich ein Entwurfsplan eines jener Kulissenwagenmodelle erhalten, das sehr wahrscheinlich zum Transport des Beethoven-Frieses nach Thürnthal im Jahre 1943 Verwendung fand (Abbildung 2).64 Am selben Tag bestellten die Bundestheater zusätzlich bei der Firma A. Fross-Büssing einen luftkammerbereiften Lastkraftwagen der Type IIIW mit einer Nutzlast von drei bis vier Tonnen, der wohl als Zugmaschine für die Kulissenwägen fungieren sollte (Abbildung 3).65
62 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, Bundestheaterverwaltung, Zl. 3222/39, Alfred Eckmann an Polizeipräsi dium, 21.9.1939. 63 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, BThV, Zl. 191/30, Generaldirektion der österreichischen Bundestheater an J. Rohrbacher, 16.1.1930. 64 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, BThV, Zl. 191/30, Plan eines Wagens zum Transport von Theaterrequisiten, Nr. 2683, 17.5.1929. 65 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, BThV, Zl. 191/30, A. Fross-Büssing an Generaldirektion der österreichischen Bundestheater, 22.1.1930.
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Abbildung 3: Lastkraftwagen der Type IIIW der Firma A. Fross-Büssing
Neben der außerordentlichen Nutzung eines Kulissenwagens der Staatstheater als Bergungsfahrzeug für den Beethoven-Fries fanden sich sowohl in den Akten der Bundestheaterverwaltung im Österreichischen Staatsarchiv als auch in den Restitutionsmaterialien im Archiv des Bundesdenkmalamtes weitere Hinweise zu einer fallweisen Nutzung dieser Fahrzeuge außerhalb des Theaterbetriebes. So wurde am 1. Dezember 1938 ein Kulissenwagen der Staatstheater dazu verwendet, ein sieben Meter langes und vier Meter breites Hochaltarkreuz mit einem Gewicht von 1.500 Kilogramm anlässlich einer Ausstellung des Kunsthistorischen Museums zum Thema Gotische Kunst des Donaulandes von Wimpassing an der Leitha nach Wien zu transportieren.66 Des Weiteren kam der Kulissenwagen des Burgtheaters67 auch im Zuge der Bergungsaktionen von
66 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, BThV, Zl. 4010/38, Dienstzettel des Ausstellungsleiters Erich Strohmer, 22.11.1938. 67 An anderer Stelle wird dieser Wagen auch als Kulissenwagen der Staatsoper bezeichnet. Diese Variabilität der Zugehörigkeitsangabe zum Burgtheater oder der Staatsoper ist auch bei diversen Transportangaben zum Beethoven-Fries festzustellen.
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372 Christina Gschiel kirchlichen Kunstdenkmalen zum Einsatz.68 Als Beispiel hierfür kann der vom Institut für Denkmalpflege im August 1943 koordinierte Bergungstransport von zehn Altarblättern von Wien in diverse Pfarrhöfe in Niederdonau dienen.69 Mögliche Gründe für die Bergung des Beethoven-Frieses in Schloss Thürnthal
Grundsätzlich stellt sich nun die Frage, warum der Beethoven-Fries Ende Dezember 1943 zur Bergung vor der erhöhten Luftgefahr in Wien gerade in das Schloss Thürnthal bei Fels am Wagram gebracht wurde. Zehn andere Werke Gustav Klimts aus der Sammlung Serena Lederer waren beispielsweise bereits am 3. April 1943 von Wien in den Bergungsort nach Immendorf gebracht worden. Darunter befanden sich Gemälde wie Die Freundinnen, Apfelbaum mit goldenen Äpfeln, Leda mit dem Schwan sowie die sogenannten Fakultätsbilder Die Philosophie und Die Jurisprudenz.70 Diese Kunstwerke sind alle, wie auch der Beethoven-Fries, auf derselben Sicherstellungsliste jenes Teiles der Sammlung Lederer nachweisbar, der in der Bartensteingasse 8 aufbewahrt worden war71 – mit dem einzigen Unterschied, dass sich der Fries nicht in der Wohnung selbst, sondern, wie erwähnt, im Lagerhaus der Spedition E. Bäuml72 befunden hatte. Zeitgleich mit den Gemälden aus der Lederer-Sammlung traf das Fakultätsbild Die Medizin aus dem Bestand der Österreichischen Galerie des 19. Jahrhunderts in Schloss Immendorf ein.73 Die aufgezählten Werke waren unmittelbar vor ihrer Bergung in Immendorf von 7. Februar bis 7. März 1943 in einer anlässlich des 80. Geburtstages von Gustav Klimt veranstalteten Gedächtnisausstellung im Ausstellungshaus Friedrichstrasse, wie die Wiener Secession in der Zeit des Nationalsozialismus hieß, gezeigt worden.74 Zur Ausstellung kamen auch die beiden Teilstücke Sehnsucht 68 Vgl. ÖStA/AdR, Unterricht, BThV, Zl. 3333a/43, Ludwig Berg an Verwaltung der Staatstheater, 12.8.1943. 69 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 28, M. 5, o. Zl., Versicherungspolizze der Wiener Allianz, 13.8.1943. 70 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 32 Immendorf, zu Zl. 11/Res/43, fol. 106, Bergungsliste der Klimtbilder aus der Slg. Lederer nach Immendorf, 3.4.1943. 71 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2a, ad Zl. 2876/K/1940, fol. 236–244, Sicherstellungsliste Lederer Serena, o. D. 72 Formal gesehen wurde der Beethoven-Fries nach der »Arisierung« der Spedition E. Bäuml im Lagerhaus der Firma A. Bartz verwahrt. 73 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 32 Immendorf, o. Zl., fol. 105, Bergungsliste Österreichische Galerie nach Immendorf, 3.4.1943. 74 Anlässlich dieser Ausstellung wurden die Gemälde von Gustav Klimt mit den Titeln Kruzifix im Walde/ Kreuz im Bauerngarten, Die Freundinnen, Bildnis eines jungen Mädchens mit entblößter Brust/Junge Dame (Profilbild)/Damenbildnis mit chinesischer Tapete, Garten mit Malven und Hühnern/Gartenweg mit Hühnern, Apfelbaum mit goldenen Äpfeln/Der goldene Apfelbaum, Leda mit dem Schwan, Die Musik, Schubert
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nach Glück und Mein Reich ist nicht von dieser Welt (heute bekannt unter Diesen Kuss der ganzen Welt) des Beethoven-Frieses.75 Die zwei Tafeln des Frieses wurden indes, anders als die übrigen aufgezählten Werke, nicht unmittelbar nach Ausstellungsende in den Bergungsort gebracht, sondern wieder ins Lagerhaus von A. Bartz retourniert.76 Erste Überlegungen zur Bergung des Beethoven-Frieses können gemäß einem Aktenvermerk des Bergungsbeauftragten der Reichsstatthalterei in Wien, Ludwig Berg, erst im Juni 1943 nachvollzogen werden. Die Kellerräumlichkeiten in der Neuen Burg am Wiener Heldenplatz schieden seiner Ansicht nach aus technischen und klimatischen Gründen aus. Berg zog daher vorerst sowohl für den Fries als auch für diverse Plastiken aus den staatlichen Museen, den ebenerdig zu erreichenden und als bombensicher geltenden Augustinerkeller unter der Albertina in Betracht. Vorteile wie die Einsparung hoher Kosten für Transporte in das Wiener Umland sowie für die Bewachung des Bergungsortes würden in dieser Variante entfallen.77 Diese Planungen gelangten jedoch zumindest in Bezug auf den Beethoven-Fries nicht zur Ausführung. Die Situation sollte sich allerdings sehr rasch und entscheidend ändern, als mit Dezember 1943 ein »Führerauftrag« zu den Bergungsmaßnahmen erging. Adolf Hitler hatte darin explizit »angeordnet, dass das gesamte Kulturgut in Wien, das geborgen werden kann, geborgen wird«. Besonderen Wert legte er in seiner Anweisung darauf, »dass auch alle letztrangigen Gemälde zu bergen sind«.78 Der Beethoven-Fries war trotz seiner Dimensionen und des beachtlichen Gewichtes der einzelnen Tafeln als transportables Kunstwerk anzusehen und konnte aus diesem Grund nicht vor Ort gesichert werden. Ein Beispiel für eine solche luftschutzmäßige Sicherung von ortsfesten Kunstwerken wären etwa die aufwendigen Verbauungsmaßnahmen an den Fresken Moritz
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am Klavier, Die philosophische Fakultät/Die Philosophie und Die Jurisprudenz aus der Sammlung Lederer ein letztes Mal der Öffentlichkeit präsentiert, bevor sie im Mai 1945 durch einen von SS-Truppen per Zeitzünder verursachten Brand in Schloss Immendorf zerstört wurden. Vgl. BDA-Archiv, Sicherstellungskartei, Nr. 102–111 von Serena Lederer; Künstlerhaus-Archiv, M. Klimt Ausstellung 1943, Liste mit Versicherungswerten erstellt von Fritz Novotny, 30.1.1943; Katalog zur »Gustav Klimt Ausstellung 1943«, Reichsstatthalter Wien, Ausstellungshaus Friedrichstrasse, 7.2.–7.3.1943, Wien 1943, Katalog-Nummern 6, 7, 9, 20, 22, 25, 51, 52, 56, 61; BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 1, M. 32 Immendorf, zu Zl. 11/Res/43, fol. 106, Bergungsliste der Klimtbilder aus der Slg. Lederer nach Immendorf, 3.4.1943; K. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 2265/50, fol. 90, Otto Demus an BMU, 13.3.1950. Vgl. Katalog zur Gustav Klimt Ausstellung 1943, Reichsstatthalter Wien, Ausstellungshaus Friedrich strasse, 7.2.–7.3.1943, Wien 1943. Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 1863/53, E. Bäuml an BDA, 25.3.1953. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 6, M. 6, Zl. 4284/43, fol. 153–153a, Ludwig Berg, Aktenvermerk, 8.6.1943. Mein herzlicher Dank gilt an dieser Stelle Pia Schölnberger für diesen Hinweis. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 28, M. 5, Zl. GK 8044-b/43, Alfred Eckmann an Herbert Seiberl, 16.12.1943.
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374 Christina Gschiel von Schwinds in der Wiener Staatsoper. Neben der Anbringung von Glaswollmatratzen und einem Eisenblech vor der Bildfläche wurden die straßenseitigen Öffnungen der Loggia der Staatsoper vermauert und zusätzlich zum Schutz der gewölbten Decke von oben eine 20 cm starke Schlackenschichte mit darauf liegendem Ziegelpflaster angeschüttet.79 Hinzu kommt der äußerst niedrige Marktwert des Beethoven-Frieses zu dieser Zeit, der gemäß der Sicherstellungskarteikarte lediglich im Bereich zwischen 1.500 und 3.000 Reichsmark lag.80 Er zählte somit mit Sicherheit nicht zu den Kunstwerken des ersten Ranges. Selbst im Jahr 1950 wurde in einem Aktenvermerk des Bundesministeriums für Unterricht noch festgehalten, der Beethoven-Fries besitze »überhaupt keinen internationalen Marktwert«.81 Zusammenfassend sprachen mehrere Argumente für die Bergung des Frieses in Schloss Thürnthal. Erstens handelte es sich um einen Bergungsort außerhalb Wiens, der bei der stetig steigenden Gefährdung der Hauptstadt durch Luftangriffe einer Bergung ebendort vorzuziehen war. Zweitens wurde das Schloss insbesondere zur Bergung von sichergestellten Kunstsammlungen sowie von »zweit- und drittrangigen« Kunstwerken verwendet.82 Drittens wurde der Bergungsort, wie auch die bereits zuvor erwähnten Umlagerungen der Sammlungsbestände Lanckoronski von Schloss Immendorf nach Thürnthal nahelegen, im September 1943 zweifellos als sicherer Verwahrungsort für Kunst- und Kulturgut eingeschätzt.83 Der vierte Punkt liegt in der ebenerdigen Zugänglichkeit des Bergungsraumes der Schlosskapelle, die eine Einlagerung der großformatigen Tafeln überhaupt erst ermöglichte. Zudem hatte eine neuerliche Überprüfung der klimatischen Verhältnisse in der Kapelle im Jahr 1944 ein äußerst günstiges Ergebnis von 70 Prozent Luftfeuchtigkeit bei drei Grad Wärme ergeben.84 Ergänzend kann erwähnt werden, dass eine Zerlegung des Frieses in kleinere Teile mit einem massiven Eingriff in die Struktur des Kunstwerkes sowie in die Malschicht verbunden gewesen wäre und seitens des zuständigen Restaurators Emmerich 79 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 6/1, M. 52, o. Zl., fol. 43, Niederschrift von Herbert Seiberl, 18.12.1943. 80 Vgl. BDA-Archiv, Sicherstellungskartei, Nr. 112 von Serena Lederer, Gustav Klimt, Beethovenfries. 81 Vgl. ÖStA/AdR, BMU/Kunstangelegenheiten, Sammelmappe 99 Lederer, Zl. 24857-II-6/50, Aktenvermerk des BMU, 25.5.1950. 82 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1a, o. Zl., fol. 105, Abschrift des Schreibens von Helmut von Hummel an Gottfried Reimer, 12.4.1944. 83 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 2a, Zl. 41/Res/42, fol. 192, Abschrift der Liste der frei transportierten Gegenstände, 15.3.1943. 84 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1a, o. Zl., fol. 142, Franz Sochor an Herbert Seiberl, 14.2.1944.
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Bergthold schon im Zuge der Bergungsplanung entschieden abgelehnt worden war. Eine Zerlegung eines Kunstwerkes in kleinere Teile praktizierte das Institut für Denkmalpflege offenbar nur bei darauf ausgelegten Kunstwerken, wie dem Urteil des Paris von Max Klinger aus dem Sammlungsbestand der Österreichischen Galerie.85 Dieses Werk konnte aufgrund seiner besonderen Konstruktion in sechs Teile zerlegt und in dieser Form wesentlich leichter in den Bergungsort Schloss Weinern transportiert werden.86 Die weiteren Entwicklungen bis zur Verlagerung ins Stift Altenburg
Herbert Seiberl gab im Juli 1944 der Spedition Kirchner den Auftrag, die wertvolleren Objekte der von dieser Firma eingelagerten Teile der Sammlung Lederer in Bergungsorte außerhalb Wiens zu bringen.87 Diese Anweisung sollte sich nur vier Tage später als äußerst begründet erweisen. So wurde nach Angaben der Spedition E. Bäuml am 10. Juli 1944 während eines Bombenangriffes auf Wien das firmeneigene Lagerhaus in der Dresdnerstraße mitsamt den »in unserem Lagerhaus verbliebenen Verzierungsleisten, und Teile[n] für die Anbringung« des Beethoven-Frieses zur Gänze zerstört.88 Eine übereinstimmende Information liefert auch das Formular zur Anmeldung entzogener Vermögen der Firma A. Bartz Ges. m. b. H. nach dem Krieg, die im Jahr 1946 angab, dass sowohl das Haus Dresdnerstraße 26 als auch Hausnummer 28 durch Fliegerbomben in den Jahren 1944 und 1945 »vollkommen zerstört« wurden.89 Der mittels Pfeil markierte weiße Bereich in der Häuserzeile des Luftbildes aus dem Jahr 1945 zeigt – infolge eines Abgleichs mit dem historischen Stadtplan der Kriegsschäden Wiens90 – den Bombentreffer auf die Liegenschaft Dresdnerstraße 28, wodurch die 85 Die online verfügbare Bilddatenbank der Österreichischen Galerie Belvedere »Digital belvedere« gibt über die Maße des Kunstwerkes Das Urteil des Paris mit der Inventarnummer 433i Auskunft: Gesamtmaße: 370 × 752 × 65 cm, Hauptgemälde: 200 × 559 cm, Himmel links: 45 × 271 cm, Himmel rechts: 42 × 282 cm, Boden links: 62 × 222 cm, Boden rechts: 62 × 220,5 cm, Seitengemälde links: 252,5 × 78 × 14 cm, Seitengemälde rechts: 252,5 × 75,5 × 14 cm, Figur links: 98 × 93 × 28 cm, Figur Mitte: 100 × 130 × 26 cm, Figur rechts: 130 × 120 × 40 cm. Vgl. http://digital.belvedere.at/emuseum/view/objects/asitem/ items$0040:6167 (15.12.2015). 86 Vgl. Archiv des Belvedere, Bergungsakten, M. Bergungsort Weinern, Liste zum Transport nach Weinern, 4.1.1944. 87 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2, fol. 30, Herbert Seiberl an Spedition Kirchner, 6.7.1944. 88 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 1863/53, E. Bäuml an BDA, 25.3.1953. 89 Vgl. WStLA, VEAV, 1. Bezirk Zl. 30, A. Bartz und E. Bäuml, 24.10.1946. 90 Vgl. https://www.wien.gv.at/kulturportal/public/grafik.aspx?bookmark=ucxuRuKeK0ZmpQFEviqUQx wZlCQ-b&lang=de&bmadr= (3.8.2015) .
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376 Christina Gschiel Abbildung 4: Luftbild mit dem zerstörten Lagerhaus der Firma A. Bartz in der Dresdnerstraße 26–28 im 20. Bezirk in Wien, 1945
Schilderungen über die Zerstörungen belegt wären (Abbildung 4). Damit illustriert die Aufnahme, welch erhebliche Bedeutung die Bergung des Beethoven-Frieses außerhalb Wiens für die Erhaltung des Kunstwerkes hatte. Hätte das Institut für Denkmalpflege dieses Werk der sichergestellten Kunstsammlung Lederer nicht für bergungswürdig befunden, wären heute nicht nur die Verzierungsleisten und die Anbringungsvorrichtungen des Frieses für immer verloren. Ende des Jahres 1944 wurde allerdings auch ein Fliegerangriff auf Schloss Thürnthal gemeldet.91 Es gingen vier Bomben auf das Schlossgelände nieder, wobei eine Bombe als Blindgänger verzeichnet wurde. Das Schlossgebäude und somit auch das Bergungsdepot nahmen glücklicherweise kaum Schaden. »Es wurden lediglich 24 Fensterscheiben zerbrochen und einige Steinsplitter aus dem getroffenen Wasserbassin fielen auf das Dach, wo sie einige Dachziegel zerschlugen.«92 Als Sofortmaßnahme nach dem Angriff beauftragte Architekt Josef Friedl eine Firma zur Wiederherstellung des Wasserbassins vor dem Schloss, das als zentraler Wasserspeicher zu den
91 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1a, o. Zl., fol. 33, Abschrift des Schreibens von Josef Friedl an Franz Österreicher, 19.12.1944. 92 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1a, Zl. 11/Res/44, fol. 153–153a, Herbert Seiberl an Gottfried Reimer, 10.1.1945.
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wesentlichen Brandschutzmaßnahmen für das Bergungsdepot zählte.93 In den diesbezüglich erhaltenen Berichten finden sich keinerlei Hinweise auf Beschädigungen oder gar Zerstörung von Bergungsgut. Zum Beethoven-Fries hat sich sogar ein positiver Bericht durch einen Aktenvermerk des nunmehrigen Staatsdenkmalamtes Ende des Jahres 1945 erhalten: »Wie vom Staatsdenkmalamte erst vor kurzem festgestellt worden ist, befindet sich auch dieses Kunstwerk in unversehrtem Erhaltungszustand.«94 Ein konträres Schicksal traf hingegen das Bergungsdepot in Schloss Immendorf. Ein Aktenvermerk des Staatsdenkmalamtes dokumentiert die vollständige Zerstörung des dort geborgenen Teiles der Sammlung Lederer infolge eines Brandes im Mai 1945.95 Einem Schreiben Otto Demus’ zufolge dürften die im Schloss Immendorf einquartierten SS-Truppen mit Hilfe von Zeitzündern das Bauwerk selbst in Brand gesetzt haben, und zwar nachdem das Depot durch sowjetische Truppen besetzt worden war.96 Schloss Thürnthal und sein heterogener Bergungsbestand wurden nach Angaben des Depotverwalters Adolf Graf bereits am 8. Mai 1945, also am Tag der Kapitulation der Truppen des Deutschen Reiches, von sowjetischen Militärs gestürmt. Die Soldaten schlugen die Kellertüren ein und drangen bis in die Erdgeschossebene vor. Dort zerstörten sie weitere Türen und nahmen verschiedenes Bergungsgut wie Essbestecke, Säbel sowie Pistolen an sich.97 Schloss Thürnthal lag nach Kriegsende in der sowjetischen Besatzungszone und wurde folglich mitsamt den darin eingelagerten Kunstgegenständen am 25. Juli 1946 von den Sowjetbehörden beschlagnahmt.98 Ein Aktenvermerk des Bundesdenkmalamtes von Ende Jänner 1947 zeigt allerdings, dass diese Beschlagnahme nur wenige Monate andauerte und die eingelagerten Kunst- und Kulturgüter, »soweit sie aus Österreich stamm[t]en und deren Besitzer bekannt« waren, von der sowjetischen Besatzungsmacht wieder freigegeben wurden.99 93 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1a, o. Zl., fol. 33, Abschrift des Schreibens von Josef Friedl an Franz Österreicher, 19.12.1944. 94 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2, Zl. 299/K/45, fol. 23, Staatsdenkmalamt an RA Przyborski, o. D. 95 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2, z. Zl. 299/K/45, fol. 15–15a, Aktenvermerk Staatsdenkmalamt/Erwin Hainisch, 5.1.1946. 96 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 2265/50, fol. 90, Otto Demus an BMU, 13.3.1950; Theodor BRÜCKLER, Kunstwerke zwischen Kunstraub und Kunstbergung: 1938–1945, in: ders. (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 19), Wien-Köln-Weimar 1999, S. 13–30, hier: S. 28–29. 97 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 1a, Zl. 11/Res/45, fol. 2–2a, Protokoll von Adolf Graf zum Bergungsort Schloss Thürnthal, 19.9.1945. 98 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 00, o. Zl., fol. 60, Memorandum, 7.12.1949. 99 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 3, Zl. 3575/46, fol. 57a, Hugo Kaucic, Aktenvermerk, 28.1.1947.
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378 Christina Gschiel Im Juli 1948 informierte das Bundesdenkmalamt den Leiter der Abteilung für Volksbildung des sowjetischen Teiles der Alliierten Kommission für Österreich, M. Sasonow, über den Abtransport der restlichen noch im Schloss Thürnthal verbliebenen Bergungsgüter. Es wurde dabei angemerkt, dass der »Beethovenfries aus dem Eigentum Lederer Wien […] in aller nächster Zeit nach Wien« gebracht werden würde und darauf folgend auch die Schließung des Depots geplant sei.100 Im August dieses Jahres richtete Hugo Kaucic vom Bundesdenkmalamt folgende Bitte an den mit der Masseverwaltung der Kunstsammlung Lederer betrauten Rechtsanwalt Martin Höberle: »Mit Beziehung auf die wiederholten diesbezüglichen Rücksprachen werden Sie neuerlich ersucht den Beethoven Fries von Gustav Klimt aus dem Besitz Serena Lederer, der zur Zeit in Schloß Thürntal lagert, ehestens abtransportieren zu lassen, da das dortige Depot mit 31. August aufgelassen wird und nach diesem Zeitpunkt der genannte Gegenstand ohne jede Aufsicht dort verbleiben würde.«101 Zusätzlich bot Kaucic für den notwendigen Abtransport des Frieses, der allerdings auf Kosten des Eigentümers erfolgen müsste, auch die Vermittlung des Kulissenwagens der Staatstheater an. Der Rechtsanwalt konnte das Angebot jedoch nicht annehmen und bat, ungeachtet der angekündigten Auflösung des Depots, um die weitere Verwahrung des Kunstwerkes in Schloss Thürnthal, da er seinerseits über »keine geeignete Unterbringungsmöglichkeit« verfügte.102 Im Jänner 1951 wurde seitens des Rechtsanwaltes Hans Popper gegenüber dem Bundesdenkmalamt erklärt, dass Serena Lederers Sohn Erich Lederer103 nach der Aufhebung der drei Sicherstellungsbescheide hinsichtlich der Kunstsammlung104 und dem Ende des Konkursverfahrens105 nun über den Beethoven-Fries von Gustav Klimt verfügungsberechtigt sei.106 100 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 6, Zl. 5931/48, fol. 85a, Otto Demus an M. Sasonow, 16.7.1948. 101 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2b, Zl. 6787/48, fol. 34, BDA an Martin Höberle, 12.8.1948. 102 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2b, Zl. 7261/48, fol. 33, Martin Höberle an Hugo Kaucic, 25.8.1948. 103 Serena Lederer war am 27. März 1943 in Budapest verstorben. Vgl. WStLA, Landesgericht für Straf sachen Wien I, Strafakt Serena Lederer u. a., Vr 369/40, Band 2, Zl. 106 Vr 369/40 und Hv 42/42, fol. 151, Richard Heiserer an Landesgericht Wien, 3.6.1943. 104 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2b, Zl. 3143/46, fol. 110 u. 117, Otto Demus an das Landesgericht für ZRS Wien, 12.9.1946. 105 Vgl. ÖStA/AdR, BMF-VS, Abt. 17B, 1967, Zl. 159.083/3-35a/51, Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Wien zur Aufhebung des Konkurses nach der Verlassenschaft von Serena Lederer, 7.12.1951; Zl. 159.083/6-35a/51, Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Wien zur Aufhebung des Konkurses nach der Verlassenschaft von August Lederer, 7.12.1951. 106 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 10209/50, fol. 27, Erwin Hainisch, Aktenvermerk, 10.1.1951.
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Die Bergung des Beethoven-Frieses aus der Sammlung Lederer in Schloss Thürnthal 379
Nachdem Erich Lederer über Jahre hinweg die durch das Bundesdenkmalamt gesetzten Fristen zur Übernahme des Beethoven-Frieses verstreichen hatte lassen, wandte sich dessen Präsident Otto Demus Anfang des Jahres 1952 an das zuständige Bezirksgericht in Kirchberg am Wagram, um aufgrund von § 1425 ABGB die gerichtliche Deponierung des Kunstwerkes in die Wege zu leiten.107 Erst im August 1955 kam es in dieser Angelegenheit zu einer finalen Entscheidung. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes wurde die Spedition E. Bäuml zur Verwahrerin des Frieses bestellt.108 In weiterer Folge erstellte Emmerich Bergthold einen Überblick über die für die weitere Verwahrung des Frieses in Frage kommenden Orte. Die Wahl des Restaurators fiel auf das Benediktinerstift Altenburg bei Horn in Niederösterreich, da sich im zweiten Hof an der rechten Seite ein gewölbter Raum befand, der hinsichtlich der klimatischen Bedingungen den Anforderungen entsprechen und auch bei der Anlieferung keine Probleme bereiten würde.109 Noch vor dem Abtransport aus Schloss Thürnthal wurde der Fries durch Bergthold auf seinen aktuellen Erhaltungszustand überprüft, der vermerkte, dass trotz der langen Verwahrung im Bergungsort das Kunstwerk seiner Ansicht nach in keiner Weise gelitten habe.110 Eine vergleichbare Einschätzung gaben auch Ludwig Berg und August Dauberger111 anlässlich einer Besichtigung des Kunstwerkes im Jahr 1951 ab. Soweit die Friesteile sichtbar waren, konnten keine Schäden infolge der Lagerung festgestellt sowie kein abgebröckeltes Material am Boden gesichtet werden. Bei einem 107 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 263/52, fol. 5–6, Otto Demus an BG Kirchberg am Wagram, 14.1.1952. 108 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, zu Zl. 6387/55, Beschluss BG Kirchberg am Wagram in Verwahrungssache Beethovenfries, 24.8.1955. 109 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, zu Zl. 3284/56, Vermerk von Emmerich Bergthold zu Unterbringungsmöglichkeit, o. D. 110 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 3284/56, Vermerk des BDA, o. D. 111 August Dauberger (1891–1965) war seit Jänner 1915 im Handelsministerium im Kanzleidienst tätig und arbeitete ab April 1938 zunächst als Kanzleioberoffizial und schließlich als Kanzleidirektor in der Abteilung für Bauwesen der Reichsstatthalterei in Wien. Im März 1931 war er erstmals in die NSDAP eingetreten, unterbrach jedoch die Mitgliedschaft im Frühjahr oder spätestens im November 1933. Seit 1. Juni 1938 war er erneut Parteianwärter und wurde am 1. Jänner 1941 erneut Parteimitglied, mit der Nummer 9,025.456. Gemäß Verbotsgesetz wurde er als minderbelastet eingestuft, allerdings bereits ab 1. November 1945 als Transportführer und Depotverwalter für das Bundesdenkmalamt tätig. Neben der Führung der Denkmalschutzkartei aller Bundesländer, der Leitung des Materialeinkaufes und der fachlichen Beaufsichtigung der Kunsttransporte verlagerter und zur Restaurierung bestimmter Objekte war er insbesondere für die Rückführung der geborgenen Kunstgegenstände von den verschiedenen Bergungsorten nach Wien sowie für die Verwaltung der Wiener Depots für Kunstgegenstände (Neue Burg, Löwelstraße 20 und Wollzeile 1) zuständig. Im Jahr 1956 trat er in den dauernden Ruhestand ein. Vgl. ÖStA/ AdR, BMU, PA August Dauberger, Zl. 3/26 u. Zl. 4/24; ZNSZ, Gaupersonalamt Wien, Gauakt August Dauberger, Zl. 111.510; BDA-Archiv, PA August Dauberger; Friedhofsdatenbank der Stadt Wien.
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380 Christina Gschiel
Abbildung 5: Aufnahme des Teilstückes 5 des Beethoven-Frieses im Innenhof des Schlosses Thürnthal, 1956
Teilstück stellten sie jedoch einen Sprung und bei einem anderen »an einer Kante eine durchlaufende Beschädigung der bemalten Partie« fest. »Es ist hier der Stuck in der Breite einer dicken Leiste in mehrere Teilstücke zerbröckelt. Diese beiden Schäden dürften bei der Abnahme des Frieses [von den Wänden der Wiener Secession nach Ende der Kollektiv-Ausstellung Gustav Klimt im Dezember 1903; Anmerkung d. Verf.] oder beim Transport entstanden sein.«112 Noch vor der Verlagerung nach Stift Altenburg fertigte ein Fotograf des Bundesdenkmalamtes im Innenhof des Schlosses Thürnthal sechs Fotografien einzelner Tafeln des Beethoven-Frieses an, die den damaligen Erhaltungszustand anschaulich dokumentieren (Abbildung 5 und 6).113 In den Archivalien zum Schloss Thürnthal haben sich Hinweise auf Filmarbeiten während dessen Nutzung als Bergungsort erhalten.114 Allerdings konnten diese Film112 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 1171/51, fol. 18, Aktenvermerk des Bundesdenkmalamtes, 8.2.1951. 113 BDA, Fotoarchiv, Negativnummern 6237 bis 6242. 114 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3, M. 2b, o. Zl., Bl. 11, fol. 45, Aufstellung über Bergungstransporte u. Schriftverkehr zu Thürnthal 1943–1945, o. D.
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Die Bergung des Beethoven-Frieses aus der Sammlung Lederer in Schloss Thürnthal 381
Abbildung 6: Aufnahme des Teilstückes 8 des Beethoven-Frieses im Innenhof des Schlosses Thürnthal, 1956
dokumente im Zuge der Recherchen nicht mehr aufgefunden werden. Daher zählen die sechs Aufnahmen des Frieses aus dem Fotoarchiv des Bundesdenkmalamtes zu den einzigen heute noch erhaltenen fotografischen Dokumenten aus der Zeit in Thürnthal, selbst wenn sie erst einige Jahre nach der Auflösung des Bergungsortes entstanden sind. Abschließend konnte am 6. August 1956 mit Hilfe eines Tiefladewagens des Wiener Burgtheaters der Transport des Beethoven-Frieses von Schloss Thürnthal in das Stift Altenburg »ohne jeden Schaden durchgeführt« werden.115 Resümee
Nach der in etwa fünfjährigen Lagerung des Kunstwerkes in Stift Altenburg endete das Verfahren über die Verwahrung des Beethoven-Frieses nach der Bezahlung aller bisher in diesem Zusammenhang angefallenen Kosten durch Erich Lederer im Juli 1961. Die Firma E. Bäuml übergab das Kunstwerk in weiterer Folge auf Anweisung des Bezirksgerichtes Kirchberg am Wagram an den Eigentümer, und der Fries kehrte, nach 115 BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, zu Zl. 3284/56, Vermerk von Emmerich Bergthold bezüglich Unterbringungsmöglichkeiten, o. D.
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382 Christina Gschiel beinaheachtzehn Jahren, am 13. September 1961 wieder nach Wien zurück; diesmal in den Prunkstall des Unteren Belvedere.116 Die über mehrere Jahre laufenden Ankaufsverhandlungen zwischen Erich Lederer und der Republik Österreich fanden im November 1972 mit dem Kaufvertrag über die Erwerbung des Kunstwerkes durch die Republik um den Kaufpreis von 15 Mio. Schilling ein Ende.117 Im Februar des folgenden Jahres wurde der Beethoven-Fries im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung in der Österreichischen Galerie inventarisiert.118 Nach einer langjährigen und aufwendigen Restaurierung durch die Restaurierwerkstätten des Bundesdenkmalamtes ist der Beethoven-Fries seit 1985, als Dauerleihgabe der Österreichischen Galerie Belvedere, in einem eigens für dieses Kunstwerk geschaffenen Klimaraum im Souterrain des Ausstellungsgebäudes der Wiener Secession aufgestellt.119 Die fallweise Nennung der Sammlung Lederer in den Listen der »Bergungen von privatem Kunstgut«120 oder auch ihre Bezeichnung als »Freiwilliges Bergungsgut«121 entbehrt bei Kenntnis des umfassenden Sachverhaltes, angefangen mit der Sicherstellung der Kunstsammlung über die Übertragung der sichergestellten Objekte in die Verwaltung des Institutes für Denkmalpflege bis zur anschließenden Bergung der Kunstwerke ohne Antragstellung durch die Eigentümerin oder ihre Nachkommen, jeglicher historischer Grundlage. Vielmehr entsprach die Bergung des Beethoven-Frieses einer ab Dezember 1943 intensivierten Bemühung des Institutes für Denkmalpflege, das vor dem Zugriff der Eigentümerin sichergestellte und ihm anvertraute Kunstwerk vor der Zerstörung in der luftgefährdeten Stadt Wien zu schützen.
116 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 5506/61, Finanzprokuratur an BDA, 12.7.1961. 117 ÖSTA/AdR, BMF, Zl. 117.743/1972 aus 107.409-2/1972, Kopie des Kaufvertrages zum BeethovenFries, November 1972. Der Beethoven-Fries wurde im Jahr 2014 einer neuerlichen Bearbeitung durch die Kommission für Provenienzforschung unterzogen und mit einstimmigem Beschluss des Kunstrückgabebeirates im März 2015 dem zuständigen Bundesminister eine Übereignung an die Rechtsnachfolger_innen nach Erich Lederer nicht empfohlen. Vgl. http://www.provenienzforschung.gv.at/wp-content/ uploads/2015/03/Lederer_Erich_2015-03-06.pdf (2.7.2015). 118 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. II, Zl. 1862/73, Leopold Obermann an Direktion der Österreichische Galerie, 20.2.1973. 119 Vgl. Stefan LEHNER, Katinka GRATZER-BAUMGÄRTNER, Der Beethovenfries von Gustav Klimt. Eine Chronologie 1900–1999, in: Agnes HUSSLEIN-ARCO, Alfred WEIDINGER (Hg.), 150 Jahre Gustav Klimt, Wien 2012, S. 305–319, hier: S. 315; SZELESS 2002, S. 62. 120 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 30/2, Zl. 11/Res, Umschlag zu den Hauptakten. 121 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 3/1, M. 4, o. Zl., fol. 87, Umschlag Freiwilliges Bergungsgut aus privatem Eigentum, 24.7.1946.
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Verschollene Miniaturen aus der Czerninschen Gemäldegalerie Ausgelagert – gestohlen/verloren – wiedergefunden
Imma Walderdor ff
Der vorliegende Beitrag behandelt das Wiederauffinden von sieben verschollenen Miniaturen aus der Sammlung Czernin, die im Zweiten Weltkrieg in Verlust geraten waren, 2014 wiederentdeckt und als Czerninsches Eigentum identifiziert wurden. 1 Die Galerie Czernin, Anfang des 19. Jahrhunderts von Johann Rudolf Graf Czernin von und zu Chudenitz (1757–1845) gegründet, umfasste über 360 Gemälde. 2 Die Altmeister-Gemäldesammlung beinhaltete Spitzenwerke, darunter Künstler wie Rembrandt, Rubens, Tizian und Vermeer sowie zeitgenössische Maler_innen wie Friedrich Amerling, Ferdinand Waldmüller oder Elisabeth Vigée-Lebrun. Bereits 1800 wurde die Gemäldesammlung öffentlich zugänglich gemacht. Ausgestellt war sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts im Wiener Palais am FriedrichSchmidt-Platz 4, wohin sie Eugen Graf Czernin von und zu Chudenitz (1796–1868) gebracht hatte. Mit Ausnahme einer Ausstellung von Meisterwerken der Sammlung im Kunsthistorischen Museum (KHM) – verblieben die Bilder bis zum Zweiten Weltkrieg in diesen Räumlichkeiten, nachdem Mitte der 1930er Jahre im Palais umfangreiche Umbauarbeiten stattfanden.3 Während des Zweiten Weltkriegs war es für die Zentralstelle für Denkmalschutz von 1
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Die Autorin arbeitete mit Roswitha Juffinger drei Jahre in einem Forschungsprojekt zur Sammlung Czernin: FWF P 22188–G18, Roswitha JUFFINGER, Imma WALDERDORFF, The Czernin Collection of Old Master Paintings, 2010–2013. Die Ergebnisse der Provenienzforschung wurden 2015 als Katalog publiziert: Roswitha JUFFINGER, Imma WALDERDORFF, Czernin. Verzeichnis der Gemälde, Wien 2015. Karl WILCZEK, Katalog der Graf Czernin’schen Gemäldegalerie in Wien, Wien 1936; Roswitha JUFFINGER, Christoph BRANDHUBER, Das unerkannte Meisterwerk. Aus der Provenienzgeschichte von Vermeers Malkunst, Wien 2010, S. 67–68; weiterführend Christoph BRANDHUBER, Johann Rudolph Graf Czernin von Chudenitz (1757–1845). Ein Leben für die Künste, in: Roswitha JUFFINGER, Residenzgalerie Salzburg, Gesamtverzeichnis der Gemälde, Salzburg 2010, S. 435–459; zum Bestand von 71 Gemälden aus der Galerie Czernin: JUFFINGER 2010. Imma WALDERDORFF, Die Czernin’sche Gemäldegalerie in Wien unter Eugen Czernin-Chudenitz, in: Susanne HEHENBERGER, Monika LÖSCHER (Hg.), Die verkaufte Malkunst. Jan Vermeers Gemälde im 20. Jahrhundert (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 4), Wien 2013, S. 241– 262.
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384 Imma Walderdorff Interesse, sich für die Sicherung und den Erhalt der Czerninschen Galerie einzusetzen, die seit 1924 unter Denkmalschutz stand und zum österreichischen Kulturgut gehörte. 1939 verlagerte Eugen Czernin (1892–1955) sieben Gemälde nach Vöstenhof bei Baden zu seiner Schwiegermutter Therese Schwarzenberg, darunter die bedeutendsten von Jan Vermeer, Albrecht Dürer und Paulus Potter.4 Die übrigen Gemälde verblieben im Wiener Palais. Als die Gefahr von Bombenangriffen stieg, entschloss sich Eugen Czernin im August 1941 dazu, die gesamte Galerie in sein Schloss in Jindřichův Hradec/Neuhaus ins Protektorat Böhmen und Mähren auszulagern. Walter Thomas, Generalkulturreferent bei Reichsstatthalter Baldur von Schirach, äußerte schwere Bedenken, weil der tschechoslowakische Staat die Galerie wiederholt mit der Begründung verbringen wollte, diese gehöre zum böhmischen Fideikommiss und sei als substanzielle Aufwertung der tschechoslowakischen Kulturgüter zu sehen.5 Eine Behinderung durch das Protektorat im Falle einer gewünschten Rückführung nach Wien wäre demzufolge zu befürchten.6 Die Zentralstelle für Denkmalschutz verweigerte Eugen Czernin daher eine Verlagerung der Galerie nach Neuhaus und äußerte zudem die Meinung, dass die Gefahr von Bombenangriffen in Wien zu diesem Zeitpunkt kaum gegeben sei.7 Im Falle einer plötzlich eintretenden Gefahr, so die Behörde, könne Czernin mit der Unterstützung durch Personal des KHM für eine sichere Verbringung der Gemälde
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BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Res/Akten I, 1935–1942, Zl. 989/K 41, Eugen Czernin an Herbert Seiberl, 28.8.1941, fol. 8; BDA-Archiv Wien, Fideikommissakten Czernin, ad Zl. 5330/39, 4.9.1939 (Tag der Auslagerung); Jan Vermeer, Die Malkunst [Wilczek Nr. 117], heute: KHM, Wien; Albrecht Dürer, Männliches Brustbild [Wilczek Nr. 164], heute: National Gallery of Art, Washington DC; Bartolomé Murillo, Christus am Kreuz [Wilczek Nr. 48], heute: San Diego CA; Paulus Potter, Viehaustrieb am Morgen [Wilczek Nr. 187], heute: Residenzgalerie Salzburg; Joshua Reynolds, Das Bildnis eines Admirals [Wilczek Nr. 280], 1962 über das Auktionshaus Christie’s verkauft; Peter Paul Rubens, Drei Frauen am Grab [Wilczek Nr. 168] heute: Norton Simon Museum, Pasadena CA; Tizian, Bildnis des Dogen Andrea Gritti [Wilczek Nr. 38], heute: National Gallery of Art, Washington DC. BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), Z/ GK-5993-b/42, Walter Thomas, Aktenvermerk, 15.8.1941, fol. 98; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Czernin Res/Akten I, 1935–1942, ad Zl. 3585/29/D, Memorandum vom 16.5.1929; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Czernin Res/Akten I, 1935– 1942, zu Zl. 989K, interne Notiz ohne Angabe eines Namens, 1.11.1941, fol. 7. BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, Karton 33/1, Czernin, Czernin Res/Akten I, 1935–1942, zu Zl. 989K 41, interne Notiz ohne Angabe eines Namens, 1.11.1941, fol. 7. BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Czernin Res/Akten I, 1935–1942, zu Zl. 1162/75 41, gez. Josef Zykan, 15.10.1941, fol. 3; Jindřichův Hradec/Neuhaus, Familienarchiv Czer nin, Galerieakten, K. 765, Eugen Czernin an Karl [Trauttmansdorff ] vom 13.3.1945, worin er abermals betont, dass er die Gemälde lieber nach Neuhaus verbracht hätte, fol. 166; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), Z/GK-5993-b/42, Walter Thomas, Aktenvermerk, 15.8.1941, fol. 98.
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Verschollene Miniaturen aus der Czerninschen Gemäldegalerie 385
rechnen.8 Ende Dezember 1941 besuchte Walter Thomas die Galerie und schlug vor, die Gemälde im Erdgeschoß zu lagern und die Fensterläden zu verstärken. Im September 1942 begann die verstärkte Phase der Bergungen staatlicher Kunstschätze unter Ludwig Berg.9 Geplant war, unmittelbar nach der Verbringung der Gemälde des KHM die Czerninsche Galerie bis 15. September zu bergen.10 Eugen Czernin nahm das Angebot der staatlichen Hilfe für die Sicherung seiner Galerie an, bestand jedoch darauf, dass seine Gemälde nicht mit anderen Beständen gemeinsam eingelagert würden und man ihn bei jeder weiteren Verlagerung verständigen müsse.11 Als Bergungsort war der Tresorraum der Länderbank im Palais Equitable am Stock im Eisen-Platz in Wien I vorgesehen.12 Unter der persönlichen Aufsicht des Eigentümers begann die Verbringung des ersten Teils, der 96 Gemälde umfasste. Der zweite Teil, 33 Gemälde und chinesisches Porzellan, kam am 2. Oktober 1942 in den Tresorraum.13 8
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Katharina HAMMER, Glanz im Dunkel, Die Bergung von Kunstschätzen im Salzkammergut am Ende des 2. Weltkrieges, Wien 1986, S. 55. Auch den Familien Harrach und Liechtenstein bot man für deren Gemäldesammlungen staatliche Hilfe an. BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), Z/ GK-5993-b/42, Notiz des Reichsstatthalters, fol. 96r. Zu den Bergungsmaßnahmen der Gemälde im KHM weiterführend: Herbert HAUPT, Die Rolle des Kunsthistorischen Museums bei der Beschlagnahme, Bergung und Rückführung von Kunstgut in den Jahren 1938–1945, in: Theodor BRÜCKLER (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 19), Wien-Köln-Weimar 1999, S. 53–75, bes. S. 63–71; HAMMER 1986, S. 21–22. Im März 1942 gab es erstmals Fliegeralarm in Wien. Zu den Bergungen des KHM 1942 siehe den Beitrag von Susanne HEHENBERGER und Monika LÖSCHER in diesem Band. HAMMER 1986, S. 12. Das KHM selbst verbrachte bereits am 31.8.1939 den ersten Transport nach Gaming; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942– 1946), Z/GK-5993-b/42, Ludwig Berg an Eugen Czernin, 21.8.1942, fol. 100. BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), Eugen Czernin an Ludwig Berg, Z/GK-5993-b/42, 9.8.1942, fol. 101; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), zu Zl. 6685/6 mit Hinweis auf Zl. 9468/6/42, in mehreren Abschriften: »Verzeichnis der Gemälde, welche in den Bergungsraum Equitable Palais abgegeben werden«. Laut diesem kamen 96 Gemälde in den Tresorraum, 7.9.1942, fol. 103–116. Die sechs in Vöstenhof ausgelagerten Gemälde dürften dort verblieben sein, da sie auf den Listen nicht aufscheinen. Das Gebäude war 1887–1891 für die New Yorker Lebensversicherungsanstalt Equitable errichtet worden. BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), Aktenvermerk, Z/GK 6685-b/42, fol. 91; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), ohne Aktenzahl, »Verzeichnis des Graf Czerninschen Porzellans« vom 29.3.1943, fol. 84 und fol. 133; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), ohne Aktenzahl, »I. Verzeichnis der Gemälde, welche in den Bergungsraum Equitable Palais eingegeben werden«, fol. 112–116; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), ohne Aktenzahl, »II. Liste der Gemälde welche in den Bergungsraum gebracht werden«, mit 33 weiteren Gemälden, fol. 117–118; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), Z/GK-7652-b/42, mit der Bestätigung der Einlagerung des. II. Teils am 2.10.1942
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386 Imma Walderdorff Am 10. September 1944 traf eine Fliegerbombe das Czerninsche Palais an der Ecke Friedrich-Schmidt-Platz/Schmidgasse, womit die umgehende Auslagerung weiterer Werke erforderlich wurde. Die Bergung von 124 Gemälden, private Gemälde und Gemälde der Galerie, sowie von zwölf Aquarellen aus dem Palais begann am 2. Oktober 1944.14 Die Kunstwerke verbrachte man vorerst in die Kartause Gaming, im Bezirk Scheibbs in Niederösterreich.15 Die dortige Ankunft der Gemälde am 31. Oktober 1944 wurde von Karl Pollhammer bestätigt.16 Eugen Czernin favorisierte weiterhin einen Transport nach Schloss Jindřichův Hradec/Neuhaus und schrieb an seinen Anwalt Karl Trauttmansdorff: »Wäre es nicht möglich, in Hinblick auf die sehr gefährliche Lage […], dass die Bilder nach Neuhaus geschafft werden […]. Schließlich sind ja die Bilder mein Eigentum und müsste ich wohl das Recht haben […], dass sie bei mir untergebracht werden.«17 Eine Ausfuhr wurde vom Institut für Denkmalpflege aus bereits genannten Gründen jedoch weiterhin nicht genehmigt. Zu Czernins großem Unverständnis und Ärgernis verbrachten Baldur von Schirach und Hermann Stuppäck Mitte April 1945 in Zusammenhang mit Verlagerungen von Beständen des KHM auch jene in der Kartause Gaming untergebrachten Kunstgüter ohne sein Wissen in das Salzbergwerk nach Lauffen bei Bad Ischl im Salzkammergut, wo sie bis zum Ende
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und der Bestätigung, dass Czernin die Kosten von 2.000 Reichsmark/Jahr »aus freien Stücken« übernehmen werde, fol. 125. Der Gemäldebestand der Familie Czernin unterteilte sich in die unter Denkmalschutz gestellten »Galerie Gemälde«, jene 336 bei Karl Wilczek angeführten, und in jenen Bestand, der als Privatbesitz galt, vorwiegend Ankäufe nach Johann Rudolph Czernin. BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), ohne Aktenzahl, Czernin Bergung vom 2.10.1944, fol. 23–28; BDA-Archiv Wien, Historische Akten, Personalakt Dr. Berg, K. 2A, Bericht über die Bergungsmaßnahmen 1938–1945, Zl. 1974/II-3/46, fol. 5. BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), Zl. 2628-II-3/45 und Zl. 2363-II-3/45. Teile wurden laut den Unterlagen in der Folge Ende April 1945 von Reichsstatthalter Baldur von Schirach nach Bad Ischl verbracht und dort Bergungsleuten vom KHM übergeben, fol. 48, 59 und 59r; weiterführend zu Gaming als Bergungsort, unter dem Decknamen Schloß: Herbert HAUPT, Die Bergung von Kunstgütern in der Kartause Gaming während des Zweiten Weltkriegs, in: Walter HILDEBRAND, 650 Jahre Kartause Gaming, Vielfalt des Heilens, Ausstellung vom 8. Mai bis 31. Oktober 1992, o. O. 1992, S. 617–622. Trotz der sehr genauen Listen im Bergungsort Gaming lässt sich nicht mehr rekonstruieren, in welchen Räumen man die Gemälde verwahrte. KHM-Archiv, XIII, Fasz. 12, M. 2. BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), ohne Aktenzahl, Karl Pollhammer an Ludwig Berg, 31.10.1944, fol. 66. Karl Pollhammer stammte aus Golling und war von 1940 bis 1945 Bergungsleiter. HAUPT 1992, S. 618; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), Zl. GK-5906-b/44, Rechnung vom 16.10.1944, fol. 70–72. Jindřichův Hradec/Neuhaus, Familienarchiv Czernin, Galerieakten, K. 765, Eugen Czernin an Karl Trauttmansdorff, Petersburg, 13.3.1945, fol. 166.
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des Krieges blieben.18 Nach dem Krieg kamen die aus Lauffen nach Wien rückgeführten Gemälde vorerst in die Neue Burg in Wien, im Juli 1947 erfolgte die Freigabe durch das Bundesministerium für Vermögenssicherung.19 Nach der Besichtigung durch Eugen Czernin und deren Rückgabe durch das Bundesdenkmalamt (BDA) beanstandete Eugen Czernin 1948 das Fehlen von insgesamt vierzehn Gemälden – zehn Galerie-Gemälden und vier aus seinem Privatbesitz –, weshalb er das BDA um Unterstützung bei deren Wiederauffindung bat.20 Drei Jahre später erstattete er Anzeige bei der Polizei die vierzehn Stücke betreffend. Das BDA konnte, wie aus einer amtsinternen Notiz ersichtlich, Plünderungen oder Verluste während der unter großem Zeitdruck stehenden Umlagerung von Gaming nach Lauffen nicht ausschließen und ließ die Gemälde bei Kunsthändlern und Versteigerungsanstalten registrieren. Die Gemälde wurden als Verluste vermerkt und später in die Claim-Liste für Karlsruhe, Abteilung unter der Jurisdiktion der United State Forces in Austria (USFA) stehende Kunstwerke, aufgenommen.21 Der letzte Hinweis auf die Vollständigkeit des Bestandes hatte sich bei dessen Einlagerung in Gaming gefunden. Wie im Beitrag der Autorin im Band 4 der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 2013 erörtert, beantragte Eugen Czernin 1955 für eines der zuvor in Verlust geratenen Gemälde, und zwar Cornelius Dusarts Bauernpaar vor einem Hause [Wilczek, Nr. 82], eine Ausfuhrgenehmigung, woraus sich schließen lässt, dass das Ge18 Weiterführend: HAUPT 1999, S. 69; Theodor BRÜCKLER, Gefährdung und Rettung der Kunstschätze: Versuch einer kritischen Rekonstruktion, in: Eva FRODL–KRAFT, Gefährdetes Erbe, Österreichs Denkmalschutz und Denkmalpflege 1918–1945 im Prisma der Zeitgeschichte (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 16), Wien-Köln-Weimar 1997, S. 363–383; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), ohne Aktenzahl, »Lauffener Inventar«, »Abschrift«, »verschiedene Besitzer«, fol. 55; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czer nin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), Zl. 2510-II/45, fol. 48 und Zl. 2363-II/3/45, fol. 59; Herbert HAUPT, Das Kunsthistorische Museum, Die Geschichte des Hauses am Ring. Hundert Jahre im Spiegel historischer Ereignisse, Wien 1991, S. 161. Es kamen 928 Gemälde zwischen 20. und 25.4.1945 nach Lauffen, 184 Gemälde wurden nach Mittersill in Salzburg weitertransportiert; HAMMER 1986, S. 139, S. 146–149. 19 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), fol. 19 (ohne Aktenzahl) und fol. 30, Zl. 5026/46. Noch im Jänner fragte Eugen Czernin nach, ab wann er mit einer Rückstellung der Gemälde rechnen könne. BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. II (1947–1953), fol. 119–125 (Zl. 29403-II-6/47), 135–138 (Zl. 4418/47), 144–148, 150–151 (Zl. 595/47); HAMMER 1986, S. 237–238; KHM-Archiv, I, 42/ED/47, Rückgabeliste. 20 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. II (1947–1953), Geschäftszahl 9770/48, 20.12.1948, gez. Dr. Otto Demus (1902–1990), fol. 81–85, bes. fol. 82, handschriftl. Notiz »Eugen Czernin, 333 Koenig, Landsch. mit Opferung Abrahams«. 21 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. II (1947–1953), Geschäftszahl 9331-II-6/50, 17.3.1950, fol. 40 und Geschäftszahl 9770/48, 27.12.48.
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388 Imma Walderdorff mälde offensichtlich wieder in seinem Besitz stand. Es bleibt ungeklärt, weshalb dessen Wiederauffinden beim BDA nicht vermerkt wurde. Aus den Beständen der Galerie fehlten laut Eugen Czernin mit Stichtag 20. November 1948 insgesamt vierzehn Gemälde, davon folgende zehn Bilder aus der Galerie:22 - Deutsch, Mitte 19. Jh., Frauenbildnis (Kniestück), Miniatur, Pergament, 11,6 x 9,8 cm [Wilczek Nr. 309]. Von diesem Gemälde gibt es keine Abbildung. - Cornelius Dusart, Bauernpaar von einem Haus, 24,5 x 19,5 cm [Wilczek Nr. 82].23 - Johann Koenig, Landschaft mit Opferung Abrahams, bunter Stein, 16,6 x 11 cm [Wilczek Nr. 333]24 (Abbildung 1) - Franz von Mieris, Bildnis einer Dame, Kupfer, 7,5 x 6,3 cm [Wilczek Nr. 311] - Niederländisch, 1. H. 17. Jh., Männerbildnis, Brustbild, Holz, 8,4 x 6 cm [Wilczek Nr. 102] - Niederländisch, 2. H. 17 Jh., Jünglingskopf, Metall, 11 x 8,3 cm [Wilczek Nr. 334] (Abbildung 2) - Oberitalienisch, 17. Jh., Kleiner Engelskopf, 15,5 x 14 cm [Wilczek Nr. 310]. Von diesem Gemälde existiert ebenfalls keine Abbildung. - Pourbus (fraglich; Franz d.J. Pourbus, 1570–1622), Bildnis eines Kardinals, Kupfer, 8,6 x 7,1 cm [Wilczek Nr. 99] - Nachahmer des Rembrandt, Bärtiger Männerkopf mit Mütze, Holz, 12 x 10 cm [Wilczek Nr. 101] (Abbildung 3) - Hendrik van Steenwijck, Befreiung Petri aus dem Gefängnis, Holz, 15,5 x 21,3 cm [Wilczek Nr. 219] (Abbildung 4)
22 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), zu Zl. 5026/46, Liste von Gemälden, die am 2.10.1944 aus dem Palais gebracht wurden, fol. 2; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. II (1947–1953), Geschäftszahl 9770/48, 20.12.1948, gez. Otto Demus, fol. 81–85. Die Gemälde von Cornelius Dusart, Johann Koenig, Franz von Mieris, Niederländisch (Nr. 102) und Pourbus sind im Beitrag der Autorin, WALDERDORFF 2013, abgebildet worden. 23 WALDERDORFF 2013; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. II (1947–1953), Zl. 9770/48, 20.12.1948, gez. Otto Demus, fol. 81–85; WILCZEK 1936, S. 35; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Anhang 1956/57, o. fol., zu Zl. 2674/55, Ansuchen um Ausscheiden von elf Gemälden, Eugen Czernin an das BDA, 4.4.1955, »[…] mit Rücksicht auf ihre geringe Bedeutung für den Bestand der Galerie Czernin auszuscheiden und mir dadurch den Verkauf zu ermöglichen«. 24 Abgebildet bei WALDERDORFF 2013, Abbildung 5.
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Verschollene Miniaturen aus der Czerninschen Gemäldegalerie 389
Abbildung 1: Johann Koenig, »Landschaft mit Opferung Abrahams«, verschollen
Abbildung 2: Niederländisch, Jünglingskopf, versteigert als »Dutch School, Porträt eines Jugendlichen, Brustbild in Profilansicht, in braunem Rock mit geschlitzten Ärmeln und Halskrause«
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390 Imma Walderdorff Zudem fehlten noch vier weitere aus dem Czerninschen Privatbesitz:25 - P 4: Dame mit schwarzen Schleier und blauen Band, Öl/Pappe, Wien, um 1850, Oval, 20 x 15 cm (Abbildung 5) - P 5: Caroline und Eugen Czernin als Kinder, Aquarell, 21 x 17 cm, sign. Gaupmann, 1852 - P 6: Johann Rudolf Czernin, Aquarell, 18 x 23 cm, sign. C. Kummel, 1813 - P 7: Beschneidung Christi, Öl/Holz, XVI. Jh. Oberital., 76 x 92 cm Die 1948 in Verlust geratenen Gemälde galten – mit Ausnahme des Dusart – bis 2014 als verschollen. Im Zuge der Recherche zum derzeitigen Forschungsprojekt »Klessheim Castle as The Fuehrer’s Guesthouse, 1938–1945« tauchten im Salzburger Landesarchiv (SLA) im Bestand »US Akten« Listen und Abbildungen von sieben Miniaturen aus Zell am See auf, die 1946 bei einem unbekannten Soldaten gefunden und ihm abgenommen worden waren.26 Es handelte sich um folgende Werke: - - - -
Damen Porträt, frz., E. 17. Jh., mit Abbildung Porträt eines bärtigen Mannes mit Spitzenkragen, frz. (?), E. 17 Jh., mit Abbildung Bildnis eines Kardinals, frz., E. 17. Jh., mit Abbildung Männerkopf mit geöffneten [sic] Mund und Pelzmütze, Nachfolge Browers, 17. Jh., mit Abbildung - Porträt eines Jünglings mit Halskrause, holländisch (?), mit Abbildung - Dame mit schwarzen Spitzenschleier, frz., A. 19. Jh., mit Abbildung - Architekturdarstellung mit Befreiung Petri, Peter Neev [sic], mit Abbildung, deren Qualität zu gering ist, um das Motiv zu erkennen. 25 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. II (1947–1953), Zl. 9770/48, 20.12.1948, gez. Otto Demus, fol. 83; Eugen Czernin gab an, dass P 6 von Josef Kriehuber und P 5 von Thomas Ender wären, wobei P 5 laut der Auslagerungsliste mit Rudolf Gaupmann und P 6 mit C. Kummel signiert wären, wobei fraglich ist, um wen es sich bei Letzterem handelt. Von den Gemälden P 5–P 7 existieren keine Abbildungen. 26 SLA, US Akten 1514, Field Report Period 27 June to 2 July 48, o. fol. Es handelt sich hierbei um Kopien von US-amerikanischen Akten; Imma WALDERDORFF, FWF, P 25211-G15, Kleßheim Castle as »The Fuehrer’s Guesthouse« 1938–1945. BDA-Archiv Wien, K. Institut für Denkmalpflege 27/1, Zl. 4158/48, Otto Demus an James Garrison, 26.5.1948, fol. 25; Otto FRITSCHER, Kontroversen um den »Mauerbach-Schatz«. Die Restitutionsverfahren von 1969 bis 1986, Wien 2012, S. 315. Otto Fritscher war von 1964 bis 2004 Richter und Senatspräsident des Oberlandesgerichts in Wien und war mit Restitutionsangelegenheiten betraut, nach seiner Pensionierung studierte er Geschichte an der Universität Wien und dissertierte über den »Mauerbach-Schatz«. In seinem Buch analysiert Fritscher, dass die Probleme der schwierigen Rückgabe an Fehlern der Gesetzgebung und nicht bei der Justiz lagen.
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Laut Polizeibericht wurden die Miniaturen am 7. Juni 1946 in der Wohnung eines gewissen Georg Schmidt in Zell am See sichergestellt. Angeblich hätte Schmidt die Gemälde von einer Frau Müller bekommen, die diese wiederum von oben erwähntem »unbekannten Soldaten« zur Aufbewahrung erhalten haben soll. Die US-Amerikaner brachten die Miniaturen in das Depot der Militärregierung in der Salzburger Residenz, wo bereits weitere sichergestellte Gemälde, die man in den Central Collecting Point (CCP) nach München bringen wollte, eingelagert waren. Otto Demus gab Ende Juni/ Anfang Juli 1948 gegenüber Evelyn Tucker, Offizierin der Monuments, Fine Arts and Archives Section (MFAA) der US-Armee, an, dass er die Gemälde nicht als österreichischen Kunstbesitz identifizieren könne.27 Die Gegenstände kamen jedoch nie nach München in den CCP. Das Depot in der Salzburger Residenz wurde am 7. April 1949 den österreichischen Behörden übergeben und 1963 aus Salzburg in die Löwelstraße Nr. 20 in den Bergungsraum der ehemaligen Bodenkreditanstalt (nun Newag) in Wien verlagert. Hinsichtlich der Miniaturen wurde vermerkt, dass diese »offenbar von einem Kenner gesammelt und nach der einheitlichen, relativ voluminösen Rahmung zu schließen aus einem Privatbesitze stammen und gehängt [waren]. Als seltene Exemplare früher, besonders niederländischer Miniaturmalerei [seien sie] von musealem Interesse«.28 Besonders Franz von Mieris, Pieter Neeffs – wie man den Steenwijck in dieser Liste bezeichnete – und die Miniatur aus dem Brouwer Kreis, in der Czerninschen Galerie als Nachahmer des Rembrandt verzeichnet, galten als museumswürdig. Geschätzt wurden die Miniaturen 1947 auf einen Gesamtwert von 15.000 Schilling. Zudem äußerte Margarethe Witternig, Landeskonservatorin von Salzburg, den Verdacht, dass es sich um »verschlepptes Kunstgut« handeln könnte.29 Am 25. Oktober 1966 kamen die Gemälde aus der Löwelstraße in die Kartause Mauerbach.30 Unklar ist bislang, weshalb keines der als museumswürdig geltenden Gemälde einem Museum übergeben wurde.
27 SLA, US Akten 1514, Field Report Period 27 June to 2 July 48, o. fol. »Dr. Demus says they have been unable to identify them as Austrian«, gez. Evelyn Tucker. 28 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 12/4, Depot Salzburg Residenz, fol. 36, Zl. 4389/63, Hervorheb. i. O.; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 12/4, Depot Salzburg Residenz, zu Zl. 756-351, Zl. 4411/51 [mit Bleistift ergänzt] Denkmalamt Linz, Globalschätzung: darin wurden sie auf 7.000 Schilling geschätzt. 29 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 27/1, Übernahme und Verwahrung von Kunstgegenständen, Landesregierung Salzburg, LK-461/47, fol. 42 und fol. 48, gez. Margarethe Witternigg [verh. Demus, 1911–1951; 1945–1949 Landeskonservatorin für Salzburg]. 30 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 27, zu Zl. 4158/48, fol. 25–28.
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392 Imma Walderdorff Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die Kunstanstalt J. Löwy die Czerninsche Galerie fotografiert. Weitere Aufnahmen stammen von 1934, aufgenommen vom Kunstverlag Wolfrum in Wien, der bis heute die Bildrechte besitzt. Die Fotobestände der Kunstanstalt Löwy befinden sich gegenwärtig ebenfalls im Besitz des Kunstverlags Wolfrum. Ein Teil der Fotos publizierte Karl Wilczek im Katalog der Czerninschen Galerie von 1936, worin die hier erwähnten Miniaturen allerdings nicht enthalten sind. Mit Hilfe des Vergleichs der Fotografien in den US-amerikanischen Akten im SLA mit den noch unpublizierten Fotografien des Kunstverlags Wolfrum konnten die aus dem Bestand der Galerie Czernin stammenden Werke zweifelsfrei identifiziert werden.31 Auch wenn nicht von allen verschollenen Miniaturen Abbildungen existieren, gibt es einerseits die Übereinstimmung der Beschreibungen, Bildtitel und Maße und andererseits den oben erwähnten Hinweis aus den BDA-Akten, dass die wiedergefundenen Miniaturen aus einem Bestand waren. Dies lässt den Rückschluss zu, dass es sich bei sechs Werken um Miniaturen aus Galerie-Bestand handelt und bei einem die Beschreibung mit der eines Gemäldes aus der Czerninschen Privatsammlung übereinstimmt.32 Diese sieben Gemälde lagerten bis zum Jahre 1978 unberührt in der Kartause Mauerbach. Über 8.000 nicht rückgestellte Kunstgüter, deren ursprüngliche Eigentümer_innen nicht ausfindig gemacht werden konnten, wurden 1966 in der Sammelstelle der Kartause Mauerbach in Niederösterreich gelagert. Im selben Jahr legte das österreichische Finanzministerium einen Gesetzesentwurf vor, um eine rechtliche Grundlage für Rückstellungsansprüche zu schaffen. 1969 beschloss man das auf diesem Entwurf basierende 1. Kunst- und Kulturbereinigungsgesetz (KK1). 33 Um mögliche Anspruchsberechtige zu erreichen, veröffentlichte man noch im selben Jahr eine Liste der Gegenstände in der Wiener Zeitung, die Anspruchsfrist lief bis 31. Dezember 1970 und wurde anschließend um weitere zwei Jahre verlängert. In dieser Zeit wurden 270 Gegenstände restituiert, die restlichen Objekte verblieben weiterhin in der Kartause. Im Dezember 1985 beschloss der Nationalrat das 2. Kunst- und Kulturbereinigungsgesetz (KK2),34 um weiteren Personen die Möglichkeit zu geben, ihre Ansprüche zu stel31 SLA, US Akten 1514, o. fol., Otto Demus an James Garrison, 26.5.1948; Jindřichův Hradec/Neuhaus, Familienarchiv Czernin, Galerieakten, K. 765, fol. 107–110. An dieser Stelle sei Herrn Hubert Wolfrum, Kunstverlag Wolfrum, Wien, für die Abbildungserlaubnis gedankt. 32 Die Identifizierung erfolgte in Zusammenarbeit mit Roswitha Juffinger. Für die Unterstützung im Bestand Mauerbach und im Österreichischen Staatsarchiv sei an dieser Stelle Sabine Loitfellner von der IKG Wien, Anita Stelzl-Gallian und Leonhard Weidinger, beide von der Kommission für Provenienzforschung beim Bundeskanzleramt, gedankt. 33 BGBl. 1969/294. 34 BGBl. 1986/2.
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Abbildung 3: Nachahmer der Rembrandt, Bärtiger Männerkopf mit Mütze, restituiert als Nachfolger des Brouwer, »Mann mit offenem Mund und Pelzmütze«
len, abermals veröffentlichte man eine Liste der Objekte in der Wiener Zeitung, aber auch diesmal konnten nur wenige Gegenstände rückgestellt werden. Per Gesetz (BGBl. 515/1995) übereignete die Republik Österreich den Mauerbach-Bestand an den Bundesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs. In Erfüllung des entsprechenden gesetzlichen Auftrages ließ der Bundesverband die Gegenstände zugunsten von NS-Opfern versteigern. Durchgeführt wurde diese Auktion am 29. und 30. Oktober 1996 durch das Auktionshaus Christie’s. Wie bereits erwähnt, waren die sieben Czerninschen Miniaturen in der Kartause Mauerbach eingelagert worden. Eine Reihe von Zuordnungsfehlern führte dazu, dass vier der Miniaturen zwischen 1978 und 1995 an unterschiedliche Antragsteller restituiert wurden und drei in die sogenannte Mauerbach-Versteigerung gelangten. Keines der Gemälde ging an den rechtmäßigen Eigentümer zurück, zu diesem Zeitpunkt Rudolf Czernin (1924–2004), der Erbe nach Eugen Czernin. Die erste ausgefolgte Miniatur betraf den Nachahmer des Rembrandt, Bärtiger Männerkopf mit Mütze, Wilczek, Nr. 101 (Abbildung 3). 1970 machte ein Berliner Antiquitätenhändler die Angabe, dass er neben 31 weiteren Gegenständen ein Gemälde aus seinem Chefzimmer suche: »ein ziemlich dunkles Bild mit einem sehr niedrigen Preis. […] Es sei ein Brustbild gewesen, der Mann habe keine Halskrause gehabt, es habe sich um einen Bauerntyp gehandelt. Seine Kleidung sei ausgesprochen bäuerlich
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Abbildung 4: Hendrik van Steenwyck d. J., »Befreiung Petri aus dem Gefängnis«, restituiert als Pieter Neeffs
gewesen.«35 Nachdem man ihm ein Foto des in der Wiener Zeitung 1969 unter Nr. 53 Mann mit offenem Mund und Pelzmütze Bildes gezeigt hatte, beanspruchte er dieses als sein Eigentum und meinte, es sei bei einer Neurahmung auch gereinigt worden. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen protokollierte Widersprüche in den Angaben des Antragstellers. Bei Otto Fritschers Publikation über den »Mauerbach Schatz« ist zudem nachzulesen, dass das Gericht den Antragsteller für unglaubwürdig hielt, weshalb es eine Herausgabe verweigerte.36 Das Oberlandesgericht Wien änderte jedoch im Mai 1978 den drei Monate zuvor gefassten Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen und bestimmte die »Rückgabe« des Gemäldes an den Berliner Antiquitätenhändler.37 Anzumerken ist, dass sämtliche Gemälde der Czerninschen Galerie mittig am Rahmen auf der Vorderseite die Galerienummer trugen, und auf der Abbildung des 35 ÖStA/AdR, KK1, Zl. 7182/70, Browers [sic] Nachfolger. Der Antragsteller gab an, dass das Gemälde Ende November 1943 durch die Gestapo beschlagnahmt worden sei, 3. April 1970, fol. 6r; FRITSCHER 2012, S. 315–325. 36 FRITSCHER 2012, S. 319. 37 FRITSCHER 2012, S. 316–319, bes. S. 318, Beschluss vom 8.2.1978. Im Akt ÖStA, KK1, Zahl 7182/70, konnten diese Angaben jedoch nicht verifiziert werden.
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Gemäldes ist das Nagelloch am Rahmen noch zu erkennen. Dies ist ein weiterer Hinweis, dass es sich hierbei um eine Miniatur aus der Galerie Czernin handelt. Nach dem 2. Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz von 1986 wurden weitere Czerninsche Gemälde an unterschiedliche Antragsteller ausgefolgt. Die erste Rückstellung betraf das Gemälde von Hendrik van Steenwyck d. J., Befreiung Petri aus dem Gefängnis, Wilczek, Nr. 219 (Abbildung 4). 1987 forderte ein nun in England lebender Österreicher die Rückgabe der in der Wiener Zeitung 1986 unter Nr. 26, 318 und 319 verzeichneten Gemälde, wovon Nr. 318 nun Pieter Neeffs zugeschrieben war.38 In der Czerninschen Galerie war das Gemälde unter Hendrik van Steenwyck d. J. zu finden gewesen und stammte ursprünglich aus der Sammlung des dänischen Botschafters Armand François Louis de Mestral de Saint Saphorin, aus dessen Sammlung Johann Rudolf Graf Czernin 1805 einige Meisterwerke erstanden hatte.39 Da in den 1980er Jahren mehrere Personen Anspruch auf das Gemälde erhoben, kam es vorerst zu keiner Rückstellung. Der Antragsteller untermauerte seinen Anspruch auf das Gemälde mit Abbildungen von Gemälden aus seinem in England befindlichen Besitz von denselben niederländischen Meistern wie die beanspruchten Werke und – laut Gerichtsbeschluss – folgender Beschreibung des vermissten Gemäldes: »Kirchen inneres, dunkelbraun, dargestellt Petrus und Figuren. Öl auf Holz. Sehr kleines Bild mit mittelalterlichen Holzrahmen.«40 Die beigelegten Dokumente überzeugten das Gericht davon, dass der Antragsteller zu Recht Anspruch auf dieses Gemälde erhob. 1990 beschloss das Landesgericht für Zivilrechtssachen die »Restitution« des Gemäldes Nr. 318 an den Antragsteller.41 Der Beschluss wurde damit begründet, dass das Bild unzweifelhaft den Eltern des Antragstellers gehört habe und sich noch ein weiteres Gemälde desselben Malers in seinem Eigentum befinde. Der Anspruch eines griechischen Oberrabbiners an demselben Bild wurde abgelehnt, da dieser außer den in der Wiener Zeitung veröffentlichten Informationen keine zusätzlichen Angaben machen konnte.42 Der Wortlaut jenes Antragstellers, dem das Bild letztlich zufiel, ist gegenüber dem Text in der Wiener Zeitung: Architekturdarstellung mit der Befreiung Petri, allerdings ebenfalls nur geringfügig detaillierter, und die oben erwähnte Beschreibung 38 Wiener Zeitung 1969: Nr. 335; Wiener Zeitung 1986: Nr. 318, »Architekturdarstellung mit der Befreiung Petri«; ÖStA/AdR, KK2, Zl. 10024. 39 WILCZEK 1936, S. 84–85, Nr. 219. 40 ÖStA/AdR, KK2, Zl. 10024, fol. 2A. 41 ÖStA/AdR, KK2, Zl. 10024, Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen vom 8.6.1990, Zahl 50b Nc 1056/87, o. fol. 42 ÖStA/AdR, KK2, Zl. 10024, Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen vom 8.6.1990, Zahl 50b Nc 1056/87, o. fol.
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396 Imma Walderdorff des Gemäldes war eine Beschreibung zu seinem Gemälde in England und bot keineswegs nähere Angaben zu dem von ihm »rück«-geforderten Werk Nr. 318. Die zweite fälschliche Rückstellung betraf die Miniatur von Franz von Mieris d. Ä., Bildnis einer Dame, Wilczek Nr. 311. Am 17. Juni 1987 stellte eine in den USA lebende Wienerin den Antrag auf Herausgabe von 74 Gemälden, darunter das als Nr. 304 in der Wiener Zeitung von 1986 gelistete Werk, welches ihren Angaben zufolge im Schlafzimmer ihres von den Nationalsozialisten vertriebenen Onkels gehangen hatte.43 Auch hier wurde ein Erstantrag abgelehnt, da drei weitere Antragsteller Anspruch erhoben. Im März 1990 beschrieb die Antragstellerin das Gemälde wie folgt: Die Frau schaut nach links, es ist kein volles Bild, nur eine Büste. Das Bild ist oval. Es hat einen mit Ornamenten verzierten Rahmen, der sehr breit ist. An die Farbe des Kleides kann ich mich nicht mehr erinnern, auch den Hintergrund weiß ich nicht mehr. Die Dame hatte nichts auf dem Kopf. Sie hatte kleine Ohrringe und eine Perlenkette. Beide Augen sind sichtbar. Der Mund ist mir nicht mehr innerlich.44
Im Unterschied zu den zuvor beschriebenen Fällen trifft die Beschreibung dieser Miniatur zu. Nach einer Besichtigung des Gemäldes in der Kartause Mauerbach identifizierte die Antragstellerin die Miniatur als Eigentum ihres Onkels. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen beschloss 1994 die Herausgabe des Bildes. Die dritte nach dem 2. Kunst- und Kulturbereinigungsgesetz restituierte Miniatur betraf das Bild mit dem Titel Niederländisch, Männerbildnis, Wilczek Nr. 102. 1987 forderte ein Ungar die Restitution des in der Wiener Zeitung 1986 unter Nr. 561 genannten Gemäldes Porträt eines bärtigen Herren mit Spitzenkragen, angeblich französisch.45 Bei dieser Miniatur konnte der Antragsteller selbst keine Beschreibung abgeben, da er erst 1948 geboren wurde. Freunde der Familie beschrieben das Gemälde, welches bis 1944 im Besitz der Eltern des Antragstellers gewesen sei, folgend: »Die Miniatur zeigt einen ca. 40 jährigen Mann. Der dunkle Anzug und der Bart bringt [sic] den detaillierten strahlendweißen Spitzenkragen in starken Kontrast hervor«.46 Das Landesgericht für Zivilrechtssachen beschloss 1995 die Rückgabe des Bildes an den minderjährigen Sohn des zwischenzeitlich bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Antragstellers. Als Beweiswürdigung führte das Gericht an:
43 ÖStA/AdR, KK2, Zl. 10091; Wiener Zeitung 1969: Nr. 318; Wiener Zeitung 1986: Nr. 304, »Porträt einer jungen Dame im tiefdekolltiertem [sic] Spitzenkleid«; WILCZEK 1936, S. 58. 44 ÖStA/AdR, KK2, Zl. 10091, Zl. 50 b Nc 1165/87, Beschluss vom 12.8.1995. 45 ÖStA/AdR, KK2, Zl. 10300; Wiener Zeitung 1969: Nr. 589; Wiener Zeitung 1986: Nr. 561. 46 ÖStA/AdR, KK2, Zl. 10300, 50 b Nc 1123/87; WILCZEK 1939, S. 62.
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So konnte durchaus davon ausgegangen werden, daß die Familie des Antragstellers sehr vermögend war und zahlreiche wertvolle Kunstgegenstände besaß. Dem ursprünglichen Antragsteller konnte auch dahingehend gefolgt werden, daß seine Familie während der NS Zeit ihr gesamtes Vermögen verloren hat und schweres Leid ertragen musste.47
Diese Argumentation ist insofern bemerkenswert, als 1990 bei der Befreiung Petri an den griechischen Oberrabbiner wie folgt argumentiert worden war: Es besteht kein Zweifel daran, daß dem Zweitantragsteller [dem die Herausgabe des Bildes verweigert wurde; Ergänzung der Verfasserin] so wie vielen anderen Menschen durch die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Naziherrschaft Schreckliches widerfahren ist und er und seine Familie sehr viel Leid erdulden mußte. Dennoch darf sich das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung nicht durch diese furchtbaren Ereignisse beeinflussen lassen, weil es in den Verfahren nach dem 2. Kunst- und Kultur bereinigungsgesetz (von 1986) um die Rückstellung ehemaligen Eigentums (und zwar ganz konkreter Gegenstände) und nicht um eine Art Entschädigung für ertragenes Leid und erlittenen Kummer geht.48
Betreffend Nr. 561 wurde im Akt festgehalten, dass es dazu keine Karteikarte aus dem CCP in München gäbe. Zur Erklärung sei angeführt, dass die US-Amerikaner im CCP zu jedem Gemälde auf Karteikarten eine Provenienz zu erstellen bemüht waren; da aber diese Miniatur niemals in München gewesen war, sondern aus dem Depot in der Salzburger Residenz kam, konnte im CCP, wie bei allen anderen hier erwähnten Gemälden, keine Karteikarte existieren. Die übrigen drei Gemälde aus der Sammlung Czernin, die nach Abschluss des KK2 immer noch in der Kartause Mauerbach lagerten, wurden im Rahmen der sogenannten Mauerbach-Versteigerung, wie oben erwähnt einer 1996 vom Auktionshaus Christie’s durchgeführten »Versteigerung der von den Nationalsozialisten konfiszierten Kunstwerke zugunsten der Opfer des Holocaust«, auktioniert.49 Bei Los Nr. 20, Italienische Schule, Porträtminiatur eines Geistlichen,50 handelt es sich um folgendes Gemälde aus der Sammlung Czernin: Pourbus (fraglich; Franz d. J.
47 ÖStA/AdR, KK2, Zl., 10300, Beschluss vom 3.11.1995, S. 6. 48 ÖStA/AdR, KK2, Zl. 10024, Beschluss vom 8.6.1990, S. 7r. 49 MAUERBACH, Benefit Sale, Versteigerung der von den Nationalsozialisten konfiszierten Kunstwerke zugunsten der Opfer des Holocaust, MAK-Österreichisches Museum für angewandte Kunst, Vienna, 29 and 30 October 1996, Christie’s. 50 MAUERBACH 1996, S. 26, Lot 20, ohne Abb.; Wiener Zeitung 1969: Nr. 590; Wiener Zeitung 1986: Nr. 562, »Porträt eines hohen kirchlichen Würdenträgers aus der Mitte des 17. Jahrhunderts«.
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398 Imma Walderdorff Pourbus, 1570–1622), Bildnis eines Kardinals, Kupfer, 8,6 x 7,1 cm, Nr. 99.51 Die Miniatur wurde um 36.000 Schilling versteigert.52 Los Nr. 96, Holländische Schule, Porträt eines Jugendlichen53 (Abbildung 2) hieß in der Czerninschen Galerie Niederländisch, 2. Hälfte 17. Jh., Jünglingskopf, Metall, 11 x 8,3 cm, Nr. 334.54 Die Miniatur wurde um 30.000 Schilling versteigert.55 Auf der Vorderseite des Bilderrahmens ist das Nagelloch der Galerienummer erkennbar, wie bereits beim Nachahmer des Rembrandt, jenem Gemälde, welches 1978 nach Berlin »restituiert« wurde. Bei Los Nr. 412f, Deutsche Schule, Porträt einer Dame im Pelzmantel und blauer Haube56 (Abbildung 5), handelt es sich um das Gemälde aus Privatbesitz (P 4) Dame mit schwarzen Schleier und blauen Band, Öl/Pappe, Wien, um 1850, Oval, 20 x 15 cm, das gemeinsam mit weiteren fünf Miniaturen um 35.000 Schilling versteigert wurde.57 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die in Zell am See aufgefundenen sieben Miniaturen zweifelsfrei aus den Kunstsammlungen der Familie und der Galerie Czerninstammen.58 Die Gemälde waren nicht enteignet, sondern im Zuge der kriegsbedingten Verlagerung der Czerninschen Gemäldegalerie im Verlauf des Zweiten Weltkrieges gestohlen worden, wobei der exakte Zeitpunkt, der genaue Ort und der (oder die) tatsächliche(n) Täter_in(nen) nicht mehr eruierbar sind. Tatsache ist, dass die 51 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), ohne Aktenzahl, Liste von Gemälden, die am 2.10.1944 aus dem Palais gebracht wurden, fol. 27; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. II (1947–1953), Geschäftszahl 9770/48, 20.12.1948, gez. Demus, fol. 81–85; WILCZEK 1936, S. 68–69. 52 Erlösauskunft Sabine Loitfellner, IKG Wien. 53 MAUERBACH 1996, S. 70–71, Lot 96; Wiener Zeitung 1969: Nr. 597; Wiener Zeitung 1986: Nr. 569, »Porträt eines Jünglings mit Halskrause«. 54 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. I (1942–1946), ohne Aktenzahl, Liste von Gemälden, die am 2.10.1944 aus dem Palais gebracht wurden, fol. 27; BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. II (1947–1953), Geschäftszahl 9770/48, 20.12.1948, gez. Demus, fol. 81–85; WILCZEK 1936, S. 62. 55 MAUERBACH 1996, S. 70–71, Lot. 96; Erlösauskunft Sabine Loitfellner, IKG Wien. 56 MAUERBACH 1996, S. 206–207, Lot 412f; Wiener Zeitung 1969: Nr. 582; Wiener Zeitung 1986: Nr. 554, »Porträt einer älteren Dame im Schutenhut, Spitzenschleier und Pelzmantel«. 57 BDA-Archiv Wien, Restitutionsmaterialien, K. 33/1, Czernin, Eugen Czernin, M. II (1947–1953), Zl. 9770/48, 20.12.1948, gez. Otto Demus, fol. 81–85; Erlösauskunft Sabine Loitfellner, IKG Wien. 58 Die während der Tagung im November 2014 zu »Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus« in Wien aufgeworfene Frage, weshalb die Erben von Eugen Czernin nach der Veröffentlichung der Gemälde in der Wiener Zeitung 1969 und 1986 sowie nach Bekanntgabe der Objekte vor der Mauerbach-Auktion keinen Antrag auf Herausgabe stellten, ist nicht Gegenstand dieses Beitrages.
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Abbildung 5: Wien, »Dame mit schwarzem Schleier und blauem Band«, Privatbesitz, versteigert als German School, Porträt einer Dame im Pelzmantel und blauer Haube
Werke 1942 in Gaming ankamen und aus Lauffen bei Bad Ischl nicht mehr an die Familie Czernin zurückgestellt wurden. Es würde naheliegen, dass sie, da in Zell am See aufgefunden, erst in Lauffen gestohlen wurden. Auch ist nicht bekannt, welcher Nationalität der »unbekannte Soldat« war. Alle aufgefundenen Gemälde wurden vorerst in Salzburg, dann in Wien und anschließend in der Kartause Mauerbach eingelagert, vier Miniaturen wurden nach dem 1. und 2. Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz an die falschen Eigentümer_innen »restituiert« und drei im Rahmen der Mauerbach Auktion 1996 versteigert. Es ist einem Zufall zu verdanken, dass im Verlauf der Recherchen zu Schloss Kleßheim das Schicksal der verschollenen Czerninschen Miniaturen im Aktenbestand »US Akten« im SLA, die den Bestand der Salzburger Residenz betreffen, geklärt werden konnte.59 Dazu war ein detailliertes Wissen über den Czerninschen Sammlungsbestand in Verbindung mit bislang unpublizierten Abbildungen des Kunstverlags Wolfrum unabdingbar erforderlich. Das Identifizieren der zum Teil nur schemenhaft erkennbaren Abbildungen auf den Kopien der US-Akten kam erschwerend hinzu. Selbst nach der Publikation der in Verlust geratenen Gemälde und der im Beitrag im Band 4 der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung durch die Au59 SLA, US Akten 1514.
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400 Imma Walderdorff torin abgebildeten Miniaturen im Jahre 2013 gab es keinerlei Veranlassung, diese im Bestand der Kartause Mauerbach oder in den dazu angelegten Akten zu restituierten Werken zu suchen.60 66 Jahre nach der ersten Verlustmeldung von insgesamt vierzehn Gemälden durch Eugen Czernin ist mit Stichtag 1. Februar 2015 der Standort von sechs Czerninschen Gemälden nach wie vor unbekannt. Bedauerlicherweise gibt es nur von Johann Koenigs Landschaft mit Opferung Abrahams eine Abbildung (Abbildung 1).61
60 WALDERDORFF 2013. 61 WILCZEK 1936, S. 48, Nr. 333.
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Verboten und verborgen Lagerorte »Entarteter Kunst«
Meike Hoffmann
Im Juni 1937 begann in Deutschland ein beispielloser Feldzug gegen die moderne Kunst. Eine von Joseph Goebbels einberufene Kommission beschlagnahmte auf Grundlage von zwei »Führererlässen« innerhalb von nur wenigen Monaten in zwei kurz aufeinander folgenden Aktionen nahezu alles an moderner Kunst, was in deutschen Museen und öffentlichen Sammlungen vorhanden war. Nach bisherigem Kenntnisstand der Forschungsstelle »Entartete Kunst« an der Freien Universität Berlin fielen der Beschlagnahme 21.558 Kunstwerke von rund 1.400 Künstler_innen aus 101 In stitutionen zum Opfer, darunter 2.377 Gemälde, 364 Skulpturen und Plastiken, 2.114 Aquarelle, 1.637 Zeichnungen, 14.975 Druckgraphiken, 28 Bücher, neun Fotografien, drei Mosaike, elf Textilen und 40 Varia.1 Wo wurden all diese Werke gelagert, was wissen wir über die Orte und welche Rolle spielen sie bei der Erforschung der Schicksalswege der betroffenen Kunst? Die Verwertung »Entarteter Kunst«
Nachdem die Beschlagnahmekommission alle in Deutschland infrage kommenden Museumsbestände durchsucht hatte, wurden die Leiter und Direktoren der Institutionen angewiesen, die als »entartet« deklarierten und auf Listen festgehaltenen Werke in die Köpenicker Straße 24 in Berlin Kreuzberg transportieren zu lassen. Dort fand das Beschlagnahmegut im Viktoria-Speicher der Berliner Hafen- und Lagergesellschaft (BEHALA) seinen ersten Sammelort (Abbildung 1). Im Januar 1938 besuchte Adolf Hitler das Depot. Joseph Goebbels, der ihn begleitet hatte, notierte in seinem Tagebuch: »Kein Bild findet Gnade«.2 Das Schicksal der beschlagnahmten Kunst war damit besiegelt. Keines der Werke wurde vom Urteil der Entartung freigesprochen und sollte während der Zeit des Terror-Regimes wieder zurück in seine ursprüngliche
1
2
Datenbank zum Beschlagnahmeinventar der Aktion »Entartete Kunst«, Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin, www.entartetekunst.geschkult.fu-berlin.de (30.5.2015). Elke FRÖHLICH (Hg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Sämtliche Fragmente, Teil I, Bd. 3, München 1987, Eintrag am 14.1.1938, S. 401.
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402 Meike Hoffmann Abbildung 1: Adolf Hitler im Sammel depot »Entarteter Kunst« im ViktoriaSpeicher der BEHALA in Berlin, Köpenicker Straße 24, 13.1.1938
Schausammlung finden. Damit war eine Entscheidung gefordert, was mit den Werken geschehen sollte. Bei der Beschlagnahme stand das weitere Procedere noch keinesfalls fest. Hermann Göring hatte zuerst angeregt, die Werke gegen Devisen ins Ausland zu verkaufen. »Wir hoffen, dabei noch Geld mit dem Mist zu verdienen«, griff Goebbels die Idee auf.3 Daraufhin wurde im Frühjahr 1938 eine zweite Kommission einberufen, die aus dem gesamten Bestand die für »international verwertbar« erachteten Werke aussortieren sowie über die Nutzung der übrigen Werke entscheiden sollte. Zu den Mitgliedern dieser Verwertungskommission gehörten der Maler Adolf Ziegler (Präsident der Reichskammer der bildenden Künste), der bereits die Beschlagnahmekommission geleitet hatte, daneben der Grafiker Hans Schweitzer (Reichsbeauftragter für künstlerische Formgebung), der Fotograf Heinrich Hoffmann (Reichsbildberichterstatter), der Kunstschriftsteller Robert Scholz (Leiter der Hauptstelle Bildende Kunst im Amt Rosenberg), sowie die beiden Berliner Kunsthändler Karl Haberstock und Carl Meder (Referent für Kunsthandel in der Reichskammer der bildenden Künste) und der Münchner Antiquitätenhändler Max Taeuber. Den Vorsitz der Kommission hatte Joseph Goebbels inne, und als Geschäfts3
FRÖHLICH 1987, Eintrag am 29.7.1938, S. 494.
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Lagerorte »Entarteter Kunst« 403
führer wurde der Kunsthistoriker Franz Hofmann (Leiter der Abteilung IX – Bildende Kunst – im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda) bestimmt. Am 31. Mai 1938 wurde das »Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst« (RGBl. I, 1938, S. 612) erlassen, das den entschädigungslosen Entzug der beschlagnahmten Werke verfügte und sie damit für die Verwertung durch das Reich freistellte. Kurz zuvor war die »Entartete Kunst« dem Amtsbereich der Abteilung IX im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) übertragen worden, während die Beschlagnahme selbst noch Sache der Reichskammer der bildenden Künste gewesen war. Nach Erlass des Gesetzes erfolgte die Einteilung der Objekte in sechs unterschiedliche Verwertungsgruppen, die neben dem Sammellager in der Köpenicker Straße an drei weiteren Orten deponiert wurden. Für die Organisation der Einteilung und Verlagerung waren hauptsächlich zwei Personen zuständig: der promovierte Jurist und Kunsthistoriker Rolf Hetsch (1903–1946) sowie der Kirchenmaler und Bühnenbildner Michael Albin Günter Ranft (1901–1945). Hetsch hatte schon im August 1937 den Auftrag zur Katalogisierung und Inventarisierung der sichergestellten Werke erhalten. Er verfasste zunächst ein grundlegendes Verzeichnis und vergab die Inventarnummern – die heute sogenannten EK (= »Entartete Kunst«)-Nummern. Anhand dieses Basis-Inventars erstellte Hetsch Listen der verschiedenen Verwertungsgruppen an ihren unterschiedlichen Lagerorten. Alle Listen sind heute nur noch in Fragmenten vorhanden, lediglich das Basis-Inventar ist in e iner Abschrift – der Harry-Fischer-Liste von 1941/42 im Victoria and Albert Museum – erhalten.4 Ranft war ab 1938 für das RMVP tätig und Hetsch quasi als Expedient und Mitarbeiter in den Depots der »Entarteten Kunst« zugeteilt. Ihm verdanken wir neben der schriftlichen Dokumentation von Hetsch die fotografische Aufnahme der beschlagnahmten Werke an ihren Lagerorten.5 Lagerorte der »Entarteten Kunst«
Zunächst sonderte die Kommission die »international verwertbaren« Werke aus, das heißt knapp 5.000 Kunstwerke, die geeignet erschienen, gegen Devisen ins Ausland ver4
5
Archiv Victoria & Albert-Museum, London, »Entartete Kunst«, Vol. 1, 2 (sog. Harry-Fischer-Liste). Die Abschrift stammt aus dem Nachlass des Wiener Buch- und Kunsthändlers Heinrich Robert »Harry« Fischer (1903–1977), der 1938 nach England emigrierte und 1946 die Galerie Malborough Fine Art in London mitbegründete. BArch Berlin, R 55/21015, Bl. 61, 81, Briefwechsel Rolf Hetsch – Hildebrand Gurlitt, 11.1.1940, 17.10.1940; vgl. auch Archiv Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin, Jeanpaul Goergen: Interview mit Gert Werneburg, o. D., S. 2.
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Abbildung 2: Blick in den Gartensaal im Schloss Schönhausen mit »international verwertbaren« Werken von Lovis Corinth und Wilhelm Lehmbruck aus dem Beschlagnahmegut, 1938/39 (Foto: Günter Ranft)
kauft zu werden. Hetsch hatte sie in Band V des Beschlagnahmeinventars zusammengefasst.6 Zum Handel mit »Entarteter Kunst« erhielten im Wesentlichen vier Händler die Genehmigung: Ferdinand Möller (1882–1956) und Karl Buchholz (1901–1992) aus Berlin, Bernhard A. Böhmer (1892–1945) aus Güstrow und Hildebrand Gurlitt (1895–1956) aus Hamburg. Als Auftakt der Verkaufsaktion richtete der Schweizer Galerist Theodor Fischer am 30. Juni 1939 eine Versteigerung mit 125 Meisterwerken aus dem Beschlagnahmegut im Grand Hôtel National in Luzern aus. 6
BArch Berlin, R 55/21020, Bl. 38–40, Franz Hofmann an Joseph Goebbels, Betrifft: Kommission zur Verwertung der eingezogenen Produkte entarteter Kunst, 22.7.1938; R 55/21015, Bl. 26–50, Band V »Bestand in Nieder-Schönhausen«.
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Neben den »international verwertbaren« Werken wurde im Schloss Schönhausen die im Berliner Kupferstichkabinett beschlagnahmte Grafik moderner Künstler_innen untergebracht, rund 600 Blatt und damit annähernd der gesamte Bestand dieser Institution. Sie waren explizit nicht für den Verkauf gegen Devisen ins Ausland vorgesehen, sondern zu Ausstellungszwecken. Im Inventar von Hetsch sind die Werke als »Ausstellung Entartete Kunst (Sammlung für Zeitgeschichte)« deklariert. Sie waren demnach auch nicht für die Wanderausstellung Entartete Kunst gedacht, vielmehr verweist der in Klammern gehaltene Zusatz auf eine Dauerpräsentation im geplanten »Museum für Zeitgeschichte« in München, das letztendlich nicht realisiert wurde. Beide Werkgruppen – die der »international verwertbaren« und die der »Sammlung für Zeitgeschichte« – wurden von der Gesamtmasse im Sammeldepot in der Köpenicker Straße getrennt und zwischen August und Mitte September 1938 in die weitaus repräsentativeren Gartensäle des Schlosses Schönhausen nördlich von Berlin verlagert (Abbildung 2).7 Das Schloss stand der Reichskammer der bildenden Künste als Ausstellungsort zur Verfügung. Seit dem 1. April 1938 verwaltete der Kunstdienst das Gebäude und den gesamten Ausstellungsbetrieb.8 Der Kunstdienst war 1928 von dem Buchhändler Gotthold Schneider (1899–1975) in Dresden als ein eingetragener Verein der evangelischen Kirche gegründet worden, um die Reformierung der Kirchenkunst voranzutreiben. 1933 übersiedelte der Verein von Dresden nach Berlin. Im Zuge der »Gleichschaltungs«-Maßnahmen wurde unter Federführung des Kunstdienstes ein Reichsamt für kirchliche Kunst eingerichtet und 1934 als Abteilung II der Reichskammer der bildenden Künste einverleibt. Für die Zeit der Verwertung »Entarteter Kunst« erhielt der Kunstdienst zwischen April 1938 und Juli 1941 eine Anbindung an das RMVP mit einem eigenen Haushalt und heuerte aus diesem Anlass weitere Kräfte an, so Günter Ranft zunächst als freien Mitarbeiter und zum 1. April 1940 auf Intervention von Rolf Hetsch als Angestellten.9 Neben Ranft wirkte die Ausstellungsmacherin Gertrud (gen. Gert) Werneburg (1902–1993) vor Ort. Sie kuratierte für den Kunstdienst die Ausstellungen im Schloss und bot Führungen für Besucher_innen an. Seit dem 1. September 1938 kümmerte sie sich um die eingelagerte »Entartete Kunst«, fertigte Listen an, führte die zum Verkauf autorisierten Händler, hin und wieder auch interessierte Sammler_innen durch die Bestände und stellte die angeforderten Konvolute zur Aus7 8 9
Franz Hofmann hatte das Schloss Schönhausen als Lagerort für die »international verwertbaren« Werke vorgeschlagen, vgl. BArch Berlin, R 55/21020, Bl. 38–40, Franz Hofmann an Joseph Goebbels, 22.7.1938. BArch Berlin R 55/698, Bl. 51, Franz Hofmann an Regierungsrat Arnold im RMVP, 11.1.1940. BArch Berlin R 55/168, Bl. 47–48, Gotthold Schneider, Kunstdienst, an das RMVP, 29.10.1940. Ranft begann als freier Mitarbeiter beim Kunstdienst am 1. April 1938.
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Abbildung 3: Blick in einen der Räume im zweiten Oberstock im Schloss Schönhausen mit »international verwertbaren« Werken von Pablo Picasso, Wilhelm Lehmbruck, Edvard Munch und anderen aus dem Beschlagnahmegut, 1939 (Foto: Günter Ranft)
lieferung zusammen.10 Werneburg war nur bis Pfingsten 1939 im Schloss tätig, danach wurden die Lagerbestände der »Entarteten Kunst« in die oberen Räume verfrachtet (Abbildung 3), Ranft oblag fortan die Verwaltung der Bestände vor Ort, und der Wochenlöhner Bruno Manthey aus der Köpenicker Straße wurde ihm als Hilfe zur Seite gestellt.11 10 Archiv Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin, Jeanpaul Goergen: Interview mit Gert Werneburg, o. D. 11 Archiv Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin, Jeanpaul Goergen: Interview mit Gert Werneburg, o. D.
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Die dritte von der Verwertungskommission bestimmte Gruppe umfasste die Exponate für die oben schon erwähnte Wanderausstellung Entartete Kunst. Die Nutzung der beschlagnahmten Werke zu Propagandazwecken war von Anfang an der treibende Gedanke gewesen. Goebbels gab am 30. Juni 1937 die Anweisung, »die im Reichs-, Länder- und Kommunalbesitz befindlichen Werke deutscher Verfallskunst seit 1910 auf dem Gebiet der Malerei und Bildhauerei zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen und sicherzustellen«.12 An die 700 Werke aus 32 Museen wurden in den folgenden zwei, drei Wochen eingezogen und in München deponiert, wo ein Großteil von ihnen kurz darauf ab dem 19. Juli in der Ausstellung Entartete Kunst in der Abgusssammlung des Archäologischen Instituts in den Hofgartenarkaden zu sehen war. Die Werke galten quasi als Beweis für den Verfall der Kunst, für den angeblich eine »kulturbolschewistische« Weltverschwörung verantwortlich sei. Erst im Verlauf dieser ersten Präsentation entschied man sich aufgrund des großen Andrangs von angeblich 2,000.000 Besucher_innen, die Femeschau durch weitere Städte touren zu lassen.13 Die zweite Station fand auf Anweisung von Joseph Goebbels in Berlin (Haus der Kunst, 26.2.–8.5.1938) statt, danach schlossen sich Präsentationen in Leipzig, Düsseldorf, Hamburg, Stettin, Weimar, Frankfurt am Main, Chemnitz, Waldenburg, Görlitz und Halle an der Saale an. Nach dem »Anschluss« Österreichs war die Entartete Kunst auch dort, und zwar im September/Oktober 1938 im Festspielhaus in Salzburg und im Mai/Juni im Künstlerhaus in Wien ausgestellt. Im Zuge einer verstärkten Propaganda in den »deutschen« Ostgebieten, nach einer erneuten Teilung Schlesiens in Niederund Oberschlesien im Januar 1941, wanderte die Ausstellung, wie jüngste Forschungen ergaben, in geteilter Form nach Liegnitz, Oppeln und Beuthen.14 Die Ausstellungen wechselten von Station zu Station ihren Schwerpunkt und Umfang. Dafür wurde ein Fundus bereitgehalten, aus dem auch Exponate der Propagandaausstellungen Der ewige Jude (1937–1941) oder Bolschewismus ohne Maske (1937–1939) entnommen wurden. Gelagert wurden die Werke getrennt von den bisher genannten Gruppen. Während die Ausstellung Entartete Kunst an ihrer ersten Station in München vom RMVP betrieben wurde, das die dafür vorgesehenen Werke im Magazin der Bayerischen Staatsgemäldesammlung lagerte sowie einzelne Stücke bei 12 BArch Berlin, R 2/RFM/4868, Bl. 110, 222, Joseph Goebbels, Erlass, 30.6.1937. 13 Christoph ZUSCHLAG, »Entartete Kunst« – Ausstellungsstrategien im Nazi-Deutschland, Worms 1995, S. 190–205. 14 Christoph ZUSCHLAG, 75 Jahre Ausstellung »Entartete Kunst«, in: Matthias WEMHOFF, Dieter SCHOLZ, Meike HOFFMANN (Hg.), Der Berliner Skulpturenfund – »Entartete Kunst« im Bombenschutt – Entdeckung. Deutung. Perspektive, Regensburg 2012, S. 37–51.
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408 Meike Hoffmann der Spedition Wetsch unterstellte, übernahm ab 1938 die Reichspropagandaleitung der NSDAP in München die weitere Organisation.15 Die Verwaltung der Exponate delegierte sie an das Institut für Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda (IDKWP) in Berlin, das allgemein vom Amt für Messen und Ausstellungswesen vom RMVP für die Durchführung von Ausstellungen betraut war. Das Institut hatte seinen Sitz in BerlinCharlottenburg in der Platanenallee 16/16a.16 Das Lager für die Kunstwerke befand sich außerhalb von Berlin in Velten in der Mark.17 Bis heute konnte kaum etwas über dieses Lager in Erfahrung gebracht werden. In Velten lag auch das Flakbarackenlager des Regiments General Göring. Ob Gebäudeteile auf dem Gelände für andere Institutionen zur Verfügung gestellt wurden, harrt der Forschung, 1943 erwarb die Deutsche Kulturpropaganda GmbH als eine Abteilung des IDKWP in Velten in der Friedrich straße 7 (heute Rosa-Luxemburg-Straße 108/110) ein eventuell schon vorher genutztes Grundstück.18 Neben den »international verwertbaren« Werken und der »Sammlung für Zeitgeschichte« im Schloss Schönhausen sowie den für die Propagandaausstellungen bereitgehaltenen Exponaten gab es eine vierte Gruppe, einen Sonderbestand, im Inventar von Rolf Hetsch mit der Initiale »B« als »Bestand im Magazin des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda« gekennzeichnet. Diese Objekte – hauptsächlich Arbeiten weniger bekannter Künstler_innen, aber auch zahlreiche Werke von Max Pechstein und alle beschlagnahmten Stücke von Oskar Schlemmer, annähernd 1.800 Positionen – wurden im Keller des Hauptgebäudes am Wilhelmsplatz 8/9 aufbewahrt (Abbildung 4). Welche Bestimmung für diese Gruppe ursprünglich vorgesehen war, ist bis heute nicht geklärt.19
15 Anita Lehmbruck, Korrespondenz mit dem Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, 1937– 1940, abgedruckt in: Diether SCHMIDT, In letzter Stunde – Künstlerschriften II 1933 bis 1945, Dresden 1964, S. 120–150. 16 BArch Berlin R 55/20744, R 55/20745, Rolf Hetsch: »Verzeichnis der im Jahre 1937 sichergestellten Werke entarteter Kunst aus deutschem Museumsbesitz und der Abwicklungsmaßnahmen1938/41 – Bearbeitet im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Abteilung bildende Kunst, Abgeschlossen am 30. Juni 1941«. 17 BArch Berlin R 55/21018, Bl. 37, Auftragsformular der Gebrüder Hertling Spediteure über eine Lieferung aus dem Lager Velten des IDKWP nach Berlin, 11.11.1941. 18 Stadtverwaltung Velten, Archiv, mit herzlichem Dank an Sabine Löffler, Fachdienstleiterin für die Übermittlung von Dokumenten, 16.1.2012. 19 Vgl. Andreas HÜNEKE, Beschlagnahmte Kunstwerke im Atelier Ernst Barlachs, in: Meike HOFFMANN (Hg.), Ein Händler »entarteter« Kunst. Bernhard A. Böhmer und sein Nachlass (= Schriftenreihe der Forschungsstelle »Entartete Kunst« 3), Berlin 2010, S. 73–88, hier: S. 78–79.
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Abbildung 4: Oskar Schlemmers Gemälde »Konzentrische Gruppe«, 1925 (ehem. Nationalgalerie Berlin, EK 16176) mit anderen Gemälden aus dem Sonderbestand, »B« Magazin des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, Berlin, Wilhelmsplatz 8/9, um 1939 (Foto: Günter Ranft)
Eine weitere Gruppe betrifft die Rückgaben. Trotz des gnadenlosen Urteils von Adolf Hitler bei seiner Besichtigung der Beschlagnahmebestände in der Köpenicker Straße genehmigte die Verwertungskommission bei 244 Werken eine Rückführung an ihre ehemaligen Eigentümer_innen. Um aus diplomatischen Gründen auf Problemfällereagieren zu können, war in das »Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst« eine »Härteklausel« eingebaut.20 Darunter fielen Werke von ausländischen Künstlern oder deren Leihgeber_innen, auch Leihgaben aus deutschem Privatbesitz, sofern sich die Sammler_innen mit einem strikten Präsentationsverbot in der Öffentlichkeit einverstanden erklärten. Außerdem gab es ästhetische »Grenzfälle«, bei denen auf wiederholtes Nachhaken die Beschlagnahme aufgehoben wurde, genauso wie bei Künstlern, die als Soldaten im Ersten Weltkrieg für Deutschland gefallen wa20 BArch Berlin, R 55/21020, Bl. 14–15, Franz Hofmann an Joseph Goebbels: »Bericht über die Verwertung von Produkten entarteter Kunst«, Berlin 22.2.1939.
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410 Meike Hoffmann ren, wie im Falle von Franz Marc und Wilhelm Morgner. Diese Gruppe hatte keinen eigenen Lagerort, die Werke wurden aus den Depots ihrer eigentlichen Gruppeneinteilung nach Erlass eines entsprechenden Bescheids ausgelöst. Nachdem die bisher genannten fünf Werkgruppen an die entsprechenden Lagerorte verbracht worden waren, blieb im Viktoria-Speicher in der Köpenicker Straße ein Kon volut zurück, aus dem die zum Verkauf herangezogenen Kunsthändler Karl Buchholz und Ferdinand Möller noch einmal Kommissionsware übernehmen und an ihren Geschäftsort überführen durften. Danach blieben ca. 5.000 Werke übrig. Franz Hofmann, Leiter der Abteilung IX im RMVP, dem die »Entartete Kunst« unterstellt war, drängte zur Vernichtung der Werke. Er sah sich einem Lagerproblem gegenüber. Die BEHALA hatte von der Baupolizei einen Räumungsbeschluss erhalten. Das Gebäude in der Köpenicker Straße wies gravierende Baumängel auf und musste dringend saniert werden. Am 1. März 1939 wurde dem RMVP der Mietvertrag über die »innegehabten Räume in Block I« angesichts einer »akuten Einsturzgefahr« fristlos gekündigt.21 Unter Verschweigen des eigentlichen Grundes drängte Hofmann auf Vernichtung der dort noch lagernden Bestände »Entarteter Kunst« und erhielt nach mehrmaligen Anfragen die Erlaubnis von Joseph Goebbels: »Ich erbitte Ihre Zustimmung, dass ich den nach dieser letzten Überprüfung als unverwertbar verbleibenden Rest dann umgehend verbrennen darf, um das Depot für den dringenden Bedarf als Getreidespeicher frei zu machen.«22 Der Viktoria-Speicher wurde geräumt und die Fracht am 30. März 1939 in der Berliner Hauptfeuerwache im Stadtteil Kreuzberg verbrannt. Die Vernichtung fand – anders als die Bücherverbrennung gleich zu Beginn des nationalsozialistischen Regimes – unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die dafür vorgesehenen Werke wurden mit einem »X« im Beschlagnahmeinventar gekennzeichnet. Gert Werneburg und Bruno Manthey haben eine Liste der für die Vernichtung vorgesehenen Werke erstellt, die bis heute nicht aufgefunden werden konnte.23 21 Jeanpaul Goergen Archiv, Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin, Der Oberbürgermeister der Reichshauptstadt Berlin, Haupttiefbau-Verwaltung, Bauamt Berlin an die BEHALA, Berliner Hafen- und Lagerhausbetriebe, 24.2.1939; Berliner Hafen- und Lagerhausbetriebe an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Abteilung IX, 1.3.1939. 22 BArch Berlin, R 55/21020, Bl. 14–15, Franz Hofmann an Joseph Goebbels: »Bericht über die Verwertung von Produkten entarteter Kunst«, Berlin 22.2.1939. 23 BArch Berlin, R 55/20744, R 55/20745, Rolf Hetsch: »Verzeichnis der im Jahre 1937 sichergestellten Werke entarteter Kunst aus deutschem Museumsbesitz und der Abwicklungsmaßnahmen 1938/41 – Bearbeitet im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Abteilung bildende Kunst, Abgeschlossen am 30. Juni 1941«; Archiv Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin, Jeanpaul Goergen: Interview mit Gert Werneburg, o. D., S. 6. Etwas mehr als 150 Werke, die laut dieser Kennzeichnung zur Vernichtung vorgesehen waren, konnten bis heute von Andreas Hüneke und Meike Hoffmann im Rahmen ihrer Forschungen wiederentdeckt werden.
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Auslagerung der Restbestände
Gut zwei Jahre später, am 30. Juni 1941, fand die Verwertungsaktion ihren offiziellen Abschluss.24 Nach Prüfung aller bisher bekannten historischen Dokumente der Beschlagnahmeaktion – die über ihre fragmentierte Überlieferung hinaus in sich nicht stimmig, fehler- und lückenhaft sind – lassen sich folgende Zahlen nennen: Von den rund 21.000 beschlagnahmten Werken kamen zirka 76 Prozent zur Verwertung (Verkauf/Tausch: ca. 42,5 Prozent; vernichtet: ca. 32 Prozent; Rückgaben: ca. 1,5 Prozent), somit verblieben an Restbeständen an die 24 Prozent in der Verwaltung des RMVP. Für diesen Bestand müssen die anfangs gestellten Fragen wiederholt werden: Wo wurden die Restbestände der »Entarteten Kunst« gelagert und welche Hinweise liefern uns diese Orte über das weitere Schicksal der Werke? Rolf Hetsch hatte bereits am 31. Januar 1941 die nicht verkauften Kommissionsbestände von den Kunsthändlern zurückgerufen. Laut »Bericht über die Sitzung der ›Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst‹ am 11. Dezember 1940« befanden sich bei Karl Buchholz in Berlin noch 426 Werke, bei Bernhard A. Böhmer in Güstrow 346 Werke und bei Ferdinand Möller in Berlin 29 Werke als Kommissionsware. Hildebrand Gurlitt hatte von Anfang an die Werke aus dem Beschlagnahmegut im Tausch oder Kauf erworben, insofern erging an ihn keine Rückforderung, dafür lagerte bei Theodor Fischer in Luzern noch eine unbezifferte Anzahl von Werken, die bei der Auktion von 1939 nicht zugeschlagen wurden beziehungsweise die er danach auf Kommissionsbasis übernommen hatte.25 Darüber hinaus hielt man im Bericht über die Sitzung im Dezember 1941 fest, dass sich in Schloss Schönhausen an unverkauften Beständen noch »95 Gemälde / 5 Plastiken / 1360 Graphiken / 59 Mappenwerke« befanden. Zusammen mit den Rückflüssen von den Kunsthändlern sollten diese Werke nach einer Inventur (Liste = 1.004 Kunstwerke) im Keller des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda unter Verschluss eingelagert werden.26 24 BArch Berlin, R 55/20744, R 55/20745, Rolf Hetsch: »Verzeichnis der im Jahre 1937 sichergestellten Werke entarteter Kunst aus deutschem Museumsbesitz und der Abwicklungsmaßnahmen 1938/41 – Bearbeitet im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Abteilung bildende Kunst, Abgeschlossen am 30. Juni 1941«; R 55/21020, Bl. 2, Rolf Hetsch an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 12.5.1944. 25 Vgl. BArch Berlin, R 55/21015, Galerien Gurlitt in Berlin und Hamburg (Schriftwechsel, Händlerlisten); R 55/21020, Bl. 2–5, hier: Bl. 3, Bericht über die Sitzung der »Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst« am 11. Dezember 1940. 26 BArch Berlin, R 55/21020, Bl. 2–5, hier: Bl. 3, Bericht über die Sitzung der »Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst« am 11. Dezember 1940.
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412 Meike Hoffmann Damit stellten sich erneut massive Platzprobleme ein. Der Keller im RMVP, wo nach wie vor der Bestand »B« der »Entarteten Kunst« lagerte, war nicht annähernd groß genug, um alle Rückläufe aufnehmen zu können. Als nun im November 1941 von der Reichspropagandaleitung die Ausstellungsexponate aus dem Lager des IDKWP in Velten zur Rücksendung nach Berlin avisiert wurden, lenkte Hetsch den Transport unmittelbar an seine Dienstelle, die Abteilung IX – Bildende Kunst – des RMVP mit Sitz in der Krausenstraße 1 um, wo er mittlerweile als Oberregierungsrat fungierte.27 Das dazugehörige Auftragsformular der Berliner Spedition Gebrüder Hertling vom 11. November 1941 samt Lieferschein des darauffolgenden Tages nennt nur ungenau den Umfang. Anhand einer von der Propagandaleitung nachgereichten Liste mit Angaben zu den Künstlernamen, Werktiteln, Herkunftsmuseen und EK-Nummern lässt sich die Rückfracht exakt rekonstruieren: Insgesamt wurden am 12. November 1941 aus dem Lager in Velten 51 Ölgemälde, sieben Bildwerke und 183 Arbeiten auf Papier in die Krausenstraße geliefert und von Irene Koska (1912– 1946), einer Mitarbeiterin von Rolf Hetsch, entgegen genommen.28 Gut ein halbes Jahr später, am 29. Juli 1942, kündigte die Reichspropagandaleitung eine weitere Lieferung der restlichen Exponate der Ausstellung Entartete Kunst an. Die Sendung wurde Anfang September 1942 in die Königstraße 50 bestellt.29 Bei dem Gebäude handelt es sich um eines der großzügigen Wohn- und Geschäftshäuser der Straße, es lag direkt gegenüber dem Roten Rathaus von Berlin (Abbildung 5). Eigentümerin war ursprünglich Edith Steinitz, geb. Gadiel, gewesen, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft 1939 nach Holland flüchtete. Im Mai 1941 wurde das Gebäude von der Geheimen Staatspolizei beschlagnahmt und ein Jahr später dem Deutschen Reich überschrieben.30 Das rasch wachsende Propagandaministerium litt unter chronischem Platzmangel und bewarb sich ununterbrochen um neue Räumlichkeiten. 27 Bei dem Gebäude in der Krausenstraße 1 handelt es sich um ein zuvor betriebenes Hotel (Weißes Haus, Eigentümerin Frau F. Werda), das 1937 an die Finanzverwaltung des Reichs überging. Vgl. Berliner Adressbücher für die Jahre 1937–1939, Berlin 1896–1943, www.zlb.de/besondere-angebote/berlineradressbuecher.html (30.6.2015). 28 Die promovierte Kunsthistorikerin Irmgard Koska (seit Juni 1938 Mitglied der NSDAP, Nr. 5,942.721) war seit November 1940 als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin und später als Referentin in der Abteilung. Bildende Kunst im RMVP tätig. Vgl. BArch Berlin, ehem. Berlin Document Center, Mitarbeiter der Abteilung Bildenden Kunst (BK), 1.11.1942, S. 44, Kopie in Jeanpaul Goergen Archiv, Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin. 29 BArch Berlin, R 55/21018, Bl. 38, Die Hausverwaltung des RMVP an die Reichspropagandaleitung, Hauptamt Propaganda (Dr. Ludwig Wang), 14.8.1942. 30 BArch Berlin, R 4606/3448, Bezirksamt Mitte von Berlin, Stadtentwicklungsamt, Grundbuch Berlin, Bd. 2, Bl. 12.
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Abbildung 5: Ansicht der Königstraße 50 (drittes Haus von rechts), 1926. Die Restbestände »Entarteter Kunst« könnten im III. oder V. Stock eingelagert gewesen sein.
inem Schreiben der Hausverwaltung des RMVP gemäß wurde eine der Wohnungen E ab 1942 als Lager verwendet, das nun zur Deponierung der Restbestände »Entarteter Kunst« zur Verfügung gestellt wurde.31 Mehr als ein halbes Jahrhundert später – im Jahr 2010 – konnten bei archäologischen Ausgrabungen im Vorfeld von U-Bahn-Bauarbeiten vor dem Roten Rathaus noch 16 Skulpturen und Plastiken von den damals eingelagerten Beständen geborgen werden. Im Sommer 1944 war das Gebäude in der Königstraße 50, durch Bomben getroffen, vollständig ausgebrannt. Seitdem über dauerten die zum Teil stark fragmentierten Bildwerke in den mit Bauschutt verfüllten Kellern des Grundstückes.32 31 BArch Berlin, R 55/21018, Bl. 38, Die Hausverwaltung des RMVP an die Reichspropagandaleitung, Hauptamt Propaganda (Dr. Ludwig Wang), 14.8.1942. 32 Der »Berliner Skulpturenfund« ist von 2010 bis 2012 unter Federführung von Matthias Wemhoff (Landesarchäologe, Direktor Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin), Dieter Scholz (Kurator der Nationalgalerie Berlin) und Meike Hoffmann (Projektkoordinatorin der Forschungsstelle »Entartete Kunst« an der FU Berlin) erforscht worden. Zum Abschluss des Projektes fand im März 2012 ein zweitägiges Symposium in Berlin statt. Vgl. WEMHOFF, SCHOLZ, HOFFMANN 2012.
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414 Meike Hoffmann Unter den aufgefundenen Werken waren sowohl Teile der Ausstellungsexponate, die 1941 aus Velten zunächst in die Krausenstraße geliefert worden waren, als auch Skulpturen aus dem ehemaligen Kommissionsbesitz der Händler, die im Keller des RMVP ein Zwischenlager gefunden hatten und auf der oben erwähnten Inventurliste von 1941 verzeichnet sind. Bei den übrigen Werken handelt es sich um Ausstellungsexponate, die jedoch nicht auf der Liste der ersten Lieferung aus Velten erscheinen und somit höchstwahrscheinlich zum zweiten Transport direkt in die Königstraße Anfang September 1942 gehörten, zu dem kein Verzeichnis überliefert ist. Mittels labortechnischer Untersuchungen der Brandrückstände von der Grabungsfläche 2010/2012 konnten Reste von Holz, Papier und mit Ölfarben bemalter Leinwand nachgewiesen werden, sodass höchstwahrscheinlich auch Gemälde, Grafiken und Holzskulpturen dort aufbewahrt wurden.33 Ob alle Werke aus dem Keller des RMVP und der Krausenstraße in die Königstraße gelangt waren, konnte bis heute nicht geklärt werden. Zu dieser Zeit gab es noch einen anderen Ort in Berlin, an dem Werke aus dem Beschlagnahmegut »Entarteter Kunst« lagerten. Spätestens 1941 hat sich Bernhard Alois Böhmer, einer der zum Verkauf »Entarteter Kunst« vom Reich autorisierten Händler, in der Tiergartenstraße 8 in eine der Stadt Berlin gehörende großbürgerliche Villa eingemietet. Im Jahr darauf war er für den Seitenflügel des Gebäudes 8a gemeldet, der bis 1938 der Erbengemeinschaft von Benoit Oppenheim gehörte und danach auf das Deutsche Reich überschrieben wurde.34 An sich lag Böhmers Hauptsitz als Händler in Güstrow nahe der Ostsee, auf dem ehemaligen Grundstück von Ernst Barlach am Heidberg 15. Böhmer war für Barlach bis zu dessen Tod 1938 als eine Art Assistent und Händler tätig gewesen. Über seine Versuche, Barlachs beschlagnahmte Werke für den Nachlass des Künstlers zurückzuerwerben, kam er an den Handel mit Werken anderer Künstler aus der »Entarteten Kunst«-Masse. Für die Tiergartenstraße 8 und 8a war er mit seinem eigentlichen Beruf als Bildhauer gemeldet. Dass er dort jedoch auch gehandelt hat, ist in den Erinnerungen eines Sammlers überliefert: Durch einen gottgewollten Zufall geriet ich in eins von Böhmers Bilderlagern, die er in einer großen Villa im Tiergarten angelegt hatte. Ich konnte von ihm in einem ersten Ansturm – und das mit geringen Mitteln! – erwerben: zwei Blumenbilder von Nolde »Feuerlilien«, »Rittersporn«, erstes früher im Museum Altona, letzteres in Berlin im 33 WEMHOFF, SCHOLZ, HOFFMANN 2012, S. 21–22. 34 Vgl. Berliner Adressbücher für die Jahre 1937–1939, Berlin 1896–1943, www.zlb.de/besondere-angebo te/berliner-adressbuecher.html (30.6.2015). Ein Eintrag in der historischen Einwohnermelde-Kartei von Berlin ist nicht erhalten, Landesarchiv Berlin, B Rep 202, 3729.
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Kronprinzenpalais, sowie Corinth »Walchensee, Stimmung in Silbergrau« [...], von Erich Heckel: Titisee, seit jeher mein Lieblingsbild in der Stuttgarter Staatsgalerie.35
In der Tiergartenstraße 8a hatte vor Böhmer der Verleger Ulrich Riemerschmidt (1912–1989) gewohnt, mit dem das Barlach-Nachlass-Gremium seit 1939 auf Vorschlag von Böhmer in Verhandlungen zur Herausgabe der Werkverzeichnisse von Ernst Barlach stand. 1940 wurde Ulrich Riemerschmidt zur Wehrmacht eingezogen, wahrscheinlich übernahm Böhmer danach dessen Wohnung.36 Bisher ist ungeklärt, nach welchem Plan Böhmer die Werke »Entarteter Kunst« zwischen seinen beiden Wohn- und Handelsorten aufgeteilt hat. Auch bleibt ungewiss, ob er seine nicht verkaufte Kommissionsware überhaupt nach 1941 ans RMVP zurückgeführt hatte. Plausibler ist das Gegenteil. Auf der oben erwähnten Inventurliste von Mai 1941 sind lediglich der Bestand »B« aus dem Keller des Ministeriums und die Kommissionsware von Buchholz verzeichnet. Böhmer war eng mit Rolf Hetsch befreundet und genoss dessen volles Vertrauen. Zusammen mit Gotthold Schneider und Stephan Hirzel vom Kunstdienst, die Böhmer spätestens seit 1933 kannte, bildete er eine I nteressensgemeinschaft (Abbildung 6). So verschafften ihm diese guten Kontakte ungehemmten Zutritt zum Schloss Schönhausen und den »international verwertbaren« Werken, wie sich Gert Werneburg später erinnerte: »Böhmer war ein Gangster, das ist zugegeben, ein ganz eleganter, charmanter Mann, der war furchtbar VIEL bei uns«. Laut Werneburg hat Böhmer »unentwegt« Werke aus dem Schloss und aus der K öpenicker Straße abtransportieren lassen. Böhmer sei bei ihr »ein und aus gegangen«.37 Man darf wohl annehmen, dass Böhmer diese Praxis auch nach Werneburgs Weggang im Frühjahr 1939 fortführte. Insofern wird eine Adresse in Berlin für Böhmer aus rein logistischen Gründen als Zwischenlager vor dem Weitertransport nach Güstrow sehr nützlich gewesen sein. Eventuell konnte auch Hetsch für die Unterbringung der Restbestände »Entarteter Kunst« auf die Lagermöglichkeit seines Freundes in der Tiergartenstraße 8 und 8a zurückgreifen. 1942 übernahm der Kunstdienst in Güstrow eine im Auftrag von Goebbels erbaute Bauernkate ganz in der Nähe des Barlach-Ateliers am Heidberg. Im selben Jahr begann Hetsch seinen privaten Besitz nach Güstrow zu überführen. In dieser Zeit war es unter den Beteiligten schon eine ausgemachte Sache, die Restbestände der »Ent 35 Willy HAHN, Lebenserinnerungen, 1980er Jahre, S. 74–75, unveröffentlichtes Manuskript, Privatbesitz. 36 Ernst Barlach Stiftung, Güstrow, Archiv, FSN A 149, Protokolle der Ernst Barlach Nachlass Gremiums Sitzungen, 1939–1945. 37 Archiv Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin, Jeanpaul Goergen: Interview mit Gert Werneburg, o. D., S. 7–8.
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416 Meike Hoffmann arteten Kunst« nach Güstrow auszulagern. Aufgrund erhaltener Fotos kann geschlossen werden, dass diese Aktion spätestens 1943 begann. Dokumente darüber scheint Hetsch bewusst nicht angelegt zu haben. Vielmehr versicherte er den Reichsbehörden bis 1944, weiterhin den Verkauf aus den Restbeständen zu befördern. Tatsächlich sind an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, das für die Verwaltung der Erlöse zuständig war, nach März 1942 noch Zahlungen von Hildebrand Gurlitt (600,– RM) und Bernhard A. Böhmer (1.912,35 RM) abgeführt worden.38 Danach versiegten die Quellen ganz. Dennoch hielt Hetsch am Vorhaben fest: Infolge der erschwerten Kriegsverhältnisse sind trotz Anmahnungen während des letzten Jahres keine weiteren Verkaufserlöse eingegangen. Die beauftragten Kommissionäre bemühen sich jedoch nach Kräften, die Verkäufe in die wenig übrig gebliebenen und an den Objekten interessierten neutralen Länder durchzuführen. Die Verhandlungen stocken stellenweise monatelang. Trotzdem ist den Kommissionären weiterhin die Möglichkeit zu geben, alle irgend noch gangbaren Wege zu beschreiten. Inzwischen sind die in Betracht kommenden Kunsthändler nochmals aufgefordert worden, ihre Bemühungen zu verstärken, bzw. bei gänzlicher Unmöglichkeit des Absatzes die Objekte wieder zurückzuliefern.39
Das schrieb Hetsch an das Reichserziehungsministerium im Mai 1944. Die Rest bestände »Entarteter Kunst« waren seit Monaten in Güstrow ausgelagert, aber so konnte er immer wieder einen endgültigen Abschlussbericht über deren Umfang hinauszögern. Einen genauen Überblick hatte keiner mehr darüber, zumal sich alle im Laufe der Zeit Werke aus dem Beschlagnahmegut angeeignet hatten, wie Gert Werneburg später offen darlegte, die selbst Grafik von Böhmer zum Abschluss ihrer Tätigkeit geschenkt bekommen hatte.40 Nach erneuter Mahnung äußerte Hetsch sich am 18. September 1944 in knapper Weise ein letztes Mal zu den Restbeständen: »Die Angelegenheit ist nicht kriegswichtig [...] Wiedervorzulegen nach 6 Monaten«.41 Mitte März 1945 kümmerte sich in Berlin jedoch keine Behörde mehr um die Restbestände der »Entarteten Kunst«.
38 BArch Berlin, R 55/21020, Bl. 3, 4, Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, 27.6.1944. 39 BArch Berlin, R 55/21020, Bl. 2, Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (Rolf Hetsch) an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 4.5.1944. 40 Archiv Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin, Jeanpaul Goergen: Interview mit Gert Werneburg, o. D. 41 BArch Berlin, R 55/21020, Bl. 4, Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (Rolf Hetsch) an den Herrn Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 4.5.1944.
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Abbildung 6: Gotthold Schneider, Bernhard A. Böhmer, Rolf Hetsch, Stephan Hirzel, Hugo Körtzinger, vom Barlach-Nachlass-Gremium, vermutl. Güstrow um 1940 (Foto: Hella Böhmer)
Bergung der Restbestände »Entarteter Kunst«
In Güstrow war eineinhalb Monate später der Krieg zu Ende. Die Bürger hatten sich am 2. Mai 1945 der Roten Armee kampflos ergeben. Kurz darauf besetzten Sowjet truppen das Atelierhaus von Ernst Barlach am Heidberg 15. Sie nutzten das große Atelier als Autowerkstatt, trugen die dort gelagerten Kunstwerke ins Freie, bemalten Rückseiten von Gemälden als Straßenschilder und verstreuten Grafikkonvolute im Wald.42 Böhmer und seine zweite Ehefrau Hella (1902–1945), die dort mit ihrem Sohn Peter (1932–2007) wohnten, nahmen sich am Tag darauf das Leben. Der Güstrower Zeichenlehrer und ehemalige Barlach-Freund Friedrich Schult (1889–1978), der die Übergabe der Stadt entscheidend mit vorbereitet hatte, traf sofort Maßnahmen, um die Nachlässe von Ernst Barlach und Bernhard A. Böhmer zu bergen. Zusammen mit Marga Böhmer (1887–1969), Bernhards erster Ehefrau und spätere Lebensge-
42 Vgl. Meike HOFFMANN, Geplündert, geborgen sichergestellt, verkauft. Der Nachlass von Bernhard A. Böhmer, in: HOFFMANN 2010, S. 97–131, hier: S. 99.
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418 Meike Hoffmann fährtin von Barlach, die gleich nebenan am Heidberg 11 ein Haus besaß, sowie mit Hilfe anderer Nachbarn gelang es Schult, Werke »Entarteter Kunst« im Atelierhaus, im großen und kleinen Schuppen und darüber hinaus in der Umgebung des BarlachGrundstückes zu sichern. Hetsch und Böhmer hatten Teile der Restbestände auf dem Pachtgehöft Magdalenenlust, dem im 17. Jahrhundert erbauten Sommersitz der Herzogin von Mecklenburg-Güstrow, Magdalena Sibylle, untergebracht. Außerdem bot die seit Jahrzehnten als Gaststätte genutzte Grenzburg Lagerräume für Kunstwerke. Schult barg auch die Werke, die er im Haus des Kunstdienstes in Schabernack, nur wenige Gehminuten vom Haus am Heidberg entfernt, finden konnte. Schult übergab den Großteil der von ihm geborgenen Werke »Entarteter Kunst« an Wilma Zelck (1910–1962), der Schwester von Böhmers zweiter Ehefrau, die per Testament zum Vormund des zwölfjährigen Sohnes Peter bestimmt war. Die in Magdalenenlust und Schabernack geborgenen Werke ließ Schult im Kulturamt der Stadt Güstrow sicherstellen, da er die Eigentumsverhältnisse nicht zu beurteilen vermochte. 1947 beauftragte die Sowjetische Militäradministration den Berliner Bildhauer Kurt Reutti (1900–1967) mit der Fahndung nach »Entarteter Kunst« in der von ihr besetzten Zone. Reutti hatte nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Berlin die »Zentralstelle zur Rückführung von verlagerten Kunstwerken« gegründet, insbesondere hatte er sich der »Entarteten Kunst« angenommen.43 Im Magistrat von Berlin standen ihm die Originalinventare von Rolf Hetsch zur Verfügung. Er beobachtete den Kunstmarkt, meldete Angebote »Entarteter Kunst« und versuchte in allen vier Zonen eine Sicherstellung ehemals aus deutschen Museen beschlagnahmter Werke zu erwirken. Aber sowohl der Alliierte Kontrollrat als auch der Nordwestdeutsche Museumsbund entschieden sich gegen eine Rückabwicklung der Beschlagnahmeaktion, da die Werke der modernen Kunst nicht aufgrund einer rassistisch bedingten Verfolgungssituation durch die Nationalsozialisten von Privatsammler_innen eingezogen worden waren, sondern aus stilistischen Gründen von öffentlichen Institutionen. Nur in der sowjetischen Besatzungszone fand Reutti mit seinem Anliegen Gehör. Zwei Orte kamen für ihn in Frage: Zermützel in der Nähe Neuruppins, wohin Ferdinand Möller 1943 mit seiner Familie aus dem von Kriegszerstörungen bedrohten Berlin geflüchtet war, und Güstrow. Im März 1947 reiste Reutti ein erstes Mal nach Mecklenburg, um die Restbestände »Entarteter Kunst« im Nachlass von Böhmer zu inventarisieren und gegen jede Bewegung sicherzustellen. Gemeinsam mit Friedrich Schult konnte er die noch in Güstrow 43 Dorothee GRAFAHREND, Sicherung im Dienste der Kunst – Kurt Reutti und die Werke »entarteter« Kunst in Güstrow und Rostock, in: HOFFMANN 2010, S. 133–149.
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Lagerorte »Entarteter Kunst« 419
lagernden Werke bergen. Bei Wilma Zelck, die mit Peter Böhmer in Rostock wohnte, hatte er nur mäßig Erfolg. Ein Großteil des Nachlasses wurde ihm vorenthalten. Zelck übersiedelte 1949 mit Peter nach Westberlin und schleuste die verschwiegenen Werke nach und nach in den Kunstmarkt.44 Immerhin hatte Reutti zuvor insgesamt 1.162 Werke gesichert und sie in das Museum der Stadt Rostock überführt, noch heute befinden sich dort 613 Gemälde, Plastiken und Grafiken aus Böhmers Nachlass. Im November 1948 setzte Reutti seine Recherchen bei Ferdinand Möller in Zermützel fort. Reutti fand bei ihm, der im Vergleich mit seinen Händlerkollegen an »Entarteter Kunst« die geringste Anzahl erworben hatte, noch 19 Gemälde und 267 Blatt Grafik. Im Jahr darauf setzte sich Möller mit den Beständen »Entarteter Kunst« erfolgreich nach Köln ab. Karl Buchholz war nach bisherigem Kenntnisstand der einzige, der im Frühjahr 1941 Restbestände seiner nicht verkauften Kommissionsware an das RMVP zurückführte. Zwischen ihm und Rolf Hetsch war es immer wieder zu Missstimmungen gekommen, da Abrechnungen nicht fristgerecht und ungenau eingereicht wurden. Buchholz’ ehemaliger Mitarbeiter Curt Valentin (1902–1954) war nach New York emigriert und hatte dort im Frühjahr 1937 eine Zweigstelle, die Buchholz Gallery/Curt Valentin aufgebaut. Letztendlich blieb Buchholz dem RMVP einen Betrag in Höhe von 5.225 US-Dollar schuldig, der – wie der Händler versicherte – in Amerika als Anteil der Schuld des Deutschen Reichs beschlagnahmt wurde.45 Im Januar 1945 setzte sich Buchholz nach Madrid ab, 1951 übersiedelte er nach Bogotá in Kolumbien und kehrte nicht wieder dauerhaft nach Deutschland zurück. Der vierte unter den Kunsthändlern der beschlagnahmten Museumsware, Hildebrand Gurlitt, der nach der Verwertungsaktion der »Entarteten Kunst« in den besetzten Westgebieten für das Reich als Händler aktiv geworden war, floh im Februar 1945 mit seiner Familie aus dem brennenden Dresden nach Aschbach in Oberfranken, wo er von Baron von Pölnitz auf seinem Schloss aufgenommen wurde. Im Sommer 1945 zogen die US-amerikanischen Alliierten Gurlitts mitgeführten Kunstbesitz ein 44 In den Jahren von 2007 bis 2010 konnte die Forschungsstelle »Entartete Kunst« in Kooperation mit dem Kulturhistorischen Museum in Rostock insgesamt 1.800 Werke »Entarteter Kunst« in Böhmers Nachlass nachweisen, davon mehr als 1.000 aus den Restbeständen, also den Kriegsauslagerungen 1943/44. Vgl. Meike HOFFMANN, Werke »entarteter« Kunst im Nachlass von Bernhard A. Böhmer, in: HOFFMANN 2010, S. 241–449. 45 Anja TIEDEMANN, Karl Buchholz – Ein Saboteur nationalsozialistischer Kunstpolitik mit Auftrag zur »Verwertung entarteter Kunst«, in: Eva BLIMLINGER, Monika MAYER (Hg.), Kunst sammeln, Kunst handeln. Beiträge des Internationalen Symposiums in Wien (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 3), Wien-Köln-Weimar 2012, S. 209–220, hier: S. 218.
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420 Meike Hoffmann und überführten ihn zur Prüfung in den Central Collecting Point in Wiesbaden. Die Werke »Entarteter Kunst« – durchweg im Kauf oder Tausch erworben, ehemals etwas mehr als 4.000 Stück – blieben von den Kunstschutzoffizieren zunächst unberücksichtigt, sie wurden lediglich als Vermögenswerte festgesetzt, aber nicht als illegaler Besitz deklariert. Im Januar 1947 erließ die Restitutionsabteilung der Office of Military Government for Germany U. S. (OMGUS) jedoch eine neue Regelung: »Works of art clearly identifiable as having been removed from a public collection as specimens of ›Entartete Kunst‹, should be taken into custody when identified in the possession of a dealer.«46 Bis die Regelung in allen Dienstsitzen der MFA&A und bei allen Mitarbeiter_innen verinnerlicht war, erhielt Gurlitt seine eingezogene Sammlung zurück, und sein Arrest wurde aufgehoben. Noch ungefähr 400 Werke, hauptsächlich Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken, befinden sich bis heute in der Gurlitt-Sammlung, die zuletzt Hildebrand Gurlitts Sohn Cornelius (1932–2014) verwaltet hatte, wie seit Veröffentlichung des »Schwabinger Kunstfundes« im November 2013 allgemein bekannt ist. Obwohl die Lagerung der Werke »Entarteter Kunst« während der Verwertungs aktion sowie die Wege und Bergung der Restbestände gut nachvollziehbar sind und darüber hinaus die spektakulären Entdeckungen in den letzten Jahren, wie der »Berliner Skulpturenfund« und der »Schwabinger Kunstfund« der Forschung neue Wege gewiesen haben, kann bis heute keine absolute Bilanz gezogen werden. Nach wie vor fehlen Spuren von zahlreichen Meisterwerken, deren Verlust noch immer eine Lücke in den ehemaligen Sammlungen hinterlässt.
46 NARA, Washington, Ardelia Hall Collection, Headquarters, Office of Military Government, Wuerttemberg-Bayern, Information Control Division, APO 154, US Army, 25.1.1947, abgerufen über fold3 (24.3.2013).
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Traces of Matisse’s »Odalisque au tambourin« during the Second World War Emmanuelle Pol ack
The protection of French art collections during the Second World War is best viewed from two angles: public and private. Jacques Jaujard, Director of the French National Museums, conceived and carried out an extraordinary plan to protect public collections, thus enabling them to resist the hazards of the war without incurring heavy damage. On the other hand, private collections were extensively plundered, and the consequences can still be felt today. To explain this plundering of private collections, we will focus on the case of Odalisque au Tambourin, which was taken from the collection of Paul Rosenberg. In 2009, the exhibition Le Louvre pendant la guerre1 presented a selection of 56 photographs taken between 1938, the beginning of the evacuation of artworks, and 1947, the year of the reopening of the Grande Galerie. These photographs show the famous Parisian museum emptied of numerous works, partially closed, with only a few visitors, and those for the most part German soldiers. It is a little-known period in the history of public collections, even in France: what happened during the war and how were the works of the major public collections saved? The works held in public collections were not kept in place. On August 28, 1939, the Monna Lisa, which was at the top of a list of 50 paintings that were to be evacuated at the first sign of an alert, was moved from the Louvre to the Chateau of Chambord in the Loire Valley. In the 2009 exhibition, several photographs illustrate the transfer of the works to various chateaux in the west and in the south of France. This plan to save art was largely designed by Jacques Jaujard, Assistant Director of the National Museums.2 His promotion to Director, in December 1939, granted him the authority to undertake any actions needed to save the collections. Faced with the menace of aerial bombardments, the Louvre staff packed up artwork in order to transport it by truck to warehouses in the countryside. The boxes were inventoried anonymously in an effort 1 2
Le Louvre Pendant la Guerre. Regards Photographiques 1938–1947, organized by Guillaume FONKENELL, Paris, Musée du Louvre, 2009. Françoise des VARENNES, Jacques Jaujard, Un Bienfaiteur de la Culture, Paris 1984; Christiane DESROCHES NOBLECOURT, Un Très Grand Directeur. Jacques Jaujard in: Pillages et Restitutions, le Destin des Œuvres d’Art Sorties de France Pendant la Seconde Guerre Mondiale, Actes du colloque organisé par la direction des musées de France le 18 novembre 1996, Paris 1997, p. 23–29.
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422 Emmanuelle Polack Fig. 1: The »Victoire de Samothrace« removed from its stone prow in order to be packed and sent for protection to the Chateau of Valençay. Photograph by Marc Vaux, dated September 1939
to complicate any future tracking efforts of public collections by the Germans, as well as to dissuade theft. Only the color-coordination of the packing lists allowed for the identification of the inventoried contents.3 A great organizational feat, this immense enterprise was largely completed by the end of September 1939. Not all of the works, however, were relocated. The Department of Painting evacuated 3,691 paintings,4 while other departments, for logistical reasons, were forced to only select key works, using several criteria. Priority was given to masterpieces and to maintaining a complete art historical narrative, as well as practical considerations concerning the conservation of works: for obvious reasons some extremely fragile pieces were left behind. For example, the marble statue entitled both, La Diane à la biche, and Diana of Versailles, which had undergone many restorations over the centuries and was thus too fragile to be transported, had to remain in the 3 4
FONKENELL 2009, p. 69. René HUYGHE, Une vie pour l’art. De Léonard à Picasso, Paris 1994; Germain BAZIN, Souvenirs de l’exode du Louvre, 1940–1945, Paris 1992.
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Traces of Matisse’s »Odalisque au tambourin« during the Second World War 423
museum. It was however, surrounded by sandbags in order to protect it against any potential bombardment. A photograph of the Venus de Milo wrapped in rope on top of a wooden plank, ready to be transported to the Chateau Valençay clearly demonstrates the scale of this great exodus.5 Four movers transport the Venus from a dolly to the wooden plank at the base of the crate. The statue has rope wrapped around its waist to assure a better grip. Despite its fragility, the life-sized statue does not seem to have posed any serious logistical problems to the movers, in contrast to the Winged Victory of Samothrace. At 3:00 pm on September 3, 1939, the same day as the declaration of war by France against Germany, the Winged Victory of Samothrace was removed from its stone pedestal. A massive effort was required to move the masterpiece: ten meters of scaffolding were set up in order to construct the crate that allowed for the statue’s relocation to the Chateau Valençay. The architect Albert Ferran6 had already designed a complex wooden scaffolding system for the work when the Daru staircase was reorganized between 1931 and 1933. His experience allowed him to quickly recreate the structure when the need arose. The scaffolding would remain in place until the return of the Winged Victory while it protected the pedestal, it also drew attention to the painful implication of its absence.7 On October 3, 1939, a truck left the Louvre containing these two masterpieces of sculpture.8 The truck was requisitioned from the department stores that were located near the museum, the Bazar de l’Hôtel de Ville and the Samaritaine.9 The spare tire attached to the top of the truck indicated that the adventure was only beginning, and that the route would be long on the way to reinstalling the works at the Château Valençay. A total of 37 convoys, each composed of between 5 and 8 vehicles, left Paris between September and December of 1939. They not only held works from the Louvre, but works from other museums as well as art from private collections that had been entrusted to the state for safe-keeping.10 5
Laure Albin-Guillot or Marc Vaux? [Sept. 1939], Original prints, 18.2 x 13 cm, Fonds Aulanier, photo no. 4021. Another print of no. 23 is in the Archives des Musées Nationaux, photo no. 7. 6 Albert Ferran (1886–1952) an architect attaché to the Louvre and author of La Philosophie de la Composition Architecturale, Paris 1955. Anne MOREL, Aurélia DEPOST, Albert Ferran, Mémoire de l’École du Louvre, Paris 1992, p. 16–20. 7 FONKENELL 2009, p. 73. 8 Marc Vaux [Oct. 3, 1939]. Original print, 17.8 x 11.1 cm. 9 HUYGHE 1994, p. 113. 10 Rose VALLAND, Le Front de l’art. Défense des collections françaises. 1939–1945, re-edition, Paris 1997, p. 4; Lucie MAZAURIC, Ma vie de châteaux, Paris 1967, p. 29.
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424 Emmanuelle Polack
Fig. 2: In the Musée du Louvre, the gallery of the 17th century Dutch School emptied of its works. Only the chalk inscriptions on the wall bear witness to their former presence. Photograph by Pasi, around 1942
After having been closed for one year, the Louvre was reopened in an official ceremony, presided over by the Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt on Sunday, September 29, 1940. The reopening was intended to convey to the public a return to normalcy in the occupied capital. The Louvre however did not resemble its former self. A photograph11 from the period shows the German Commander of the Western Armies in the sculpture gallery of the Denon pavilion, the present-day Salle des Caryatides, standing next to the famous Diana of Versailles, an antique from the royal collection, which, as mentioned above, had been too fragile to transport. The Louvre was available for visitors from the general public on Tuesday, October 3, 1940. The entrance was free for Germans, but not for French citizens, who saw the price of admission rise to one franc. This seemingly small, but in fact very painful indignity was much resented by the French, who have always held the Louvre as an example of the national concern for and love of the arts. Museum guides were also translated into German, and the famous Diana of Versailles was displayed on the cover. 11 Anonymous, [Sept. 29, 1940]. Modern print, Fonds LAPI: Roger-Viollet, image no. 2145-11.
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Traces of Matisse’s »Odalisque au tambourin« during the Second World War 425
A photograph of one of the small rooms dedicated to 17th century Dutch art reveals bare walls with the names of the missing paintings written in chalk where they had once hung.12 This view provides us with an idea of how the museum appeared during this period. The empty frames hung as phantoms, left as reminders of the majesty of the works formerly on display. During the summer of 1940, a policy was initiated under the supervision of the German Embassy in Paris to systematically seize works of art from private Jewish collections. Otto Abetz13 and his men confiscated the internationally renowned collections of the Rothschilds, Alphonse Kann, Paul Rosenberg, the Seligmann brothers, and the Weil-Picard family, among others. Thus some 450 crates containing French artistic heritage were stored in the cellars of the German Embassy, until October 6, 1940, when the space became too cramped. Subsequently everything was transferred to three empty rooms on the ground floor of the courtyard of the Louvre Carrousel. This large scale and very organized operation of looting private cultural property soon passed under the authority of Alfred Rosenberg, ideologue of National Socialism and head of the so-called »Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg« (ERR), an organization founded in July 1940 in Paris to carry out the looting of private collections in occupied Europe. But even the three rooms of the Louvre were soon no longer sufficient to accommodate the huge amount of objects contained in the confiscated collections, and so the ERR chose an inconspicuous area of the Tuileries gardens, the Jeu de Paume museum, which had formerly been the Museum of Contemporary Foreign Art, and turned it into a temporary storage place for the looted works, before their transportation to Germany. Thanks to the perseverance of Jaujard, who managed to stall the Germans in their attempts to transfer the public collections to eastern France, the museum was able to reopen its doors in July of 1945. The return of the artwork is not nearly as well documented as the heroic tales of its departure in 1939. The homecoming of the works was more drawn-out and staggered, due to a lack of personnel following the war, and their preoccupation with assuring the security of the art in its transport back from the warehouses in the countryside. In addition to this, gasoline was in short supply: both for the actual transportation of the pieces, and also for the heating of the rooms of the museum.14
12 Pasi, Original print [1942?], 23.6 x 16.1 cm. 13 Otto Abetz (1903–1958): German Ambassador in occupied France 1940–1944. 14 FONKENELL 2009, p. 50.
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426 Emmanuelle Polack
Fig. 3: Back from exile, »La Joconde« is the object of a condition report realized under the direction of Jacques Jaujard, Director of the National Museums. Photograph by Pierre Jahan, dated from June 1945
The Monna Lisa returned to the Louvre on June 16, 1945, after 70 months in exile. In September of 1938, the Monna Lisa had left for Chambord for the first time. It returned to the museum in October, when the Munich Accords had appeared to preserve the peace in Europe.15 The 28th of August in 1939, the Monna Lisa once again left
15 Otages de Guerre. Chambord, 1939–1945, exhibition Domaine National de Chambord, October 9, 2009–May 10, 2010, organized by Alexandra FLEURY, Chambord 2009, p. 21.
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Traces of Matisse’s »Odalisque au tambourin« during the Second World War 427
Paris for Chambord. After numerous moves,16 the painting returned to the capital in June 1945. During this period, only the empty wall where it had previously been exhibited was photographed.17 A photograph of the return of the Monna Lisa18 portrays many of the different actors of the National Museums performing an analysis of the work. It is painted on a type of poplar wood sensitive to hygrometric variations, and it had suffered damage during its journey. As such, it was the object of careful restoration during the 1950s. During the Exhibition of Masterpieces,19 beginning in July 1945, the Monna Lisa was placed behind a special picture rail, built for the occasion. With this added protection, it was back at the center of the collection. This long introduction is necessary to understand the importance of the plan put in place by the French National Museums in order to protect public art collections. In order to compare this to the treatment of private collections belonging to Jewish families, the case of a masterpiece by Matisse, which entered a private collection in 1937 should be examined. On the right bank of the Seine in Paris, many art galleries flourished during the first half of the 20th century. Among them was the gallery of the famous art dealer Paul Rosenberg,20 a defender of modern art. His exhibitions were always major events in the art world. At 21, rue La Boétie, from October to November of 1938 there was one such exhibition. On this occasion adorning the walls of the gallery were Matisse’s: l’Odalisque au Tambourin, Femme à l’Ombrelle au Balcon, l’Odalisque and le Vase de Fleurs sur fond Bleu, as well as many others. Starting on June 21, 1940, National Socialist officers set their sights on the major art galleries in Paris. The looting of the Paul Rosenberg collection took place in three locations: the aforementioned gallery at 21, Rue la Boétie in Paris, the Castel in Floirac, and at a safe in the National Bank for Commerce and Industry in Libourne. It is important to take note of how much care and organization went into the looting of artworks by the Nazis, especially the ERR, and to investigate the different methods they used. 16 On November 14, the Joconde left Chambord for Louvigny. Then, June 3, 1940, the painting left for the Abbaye of Loc-Dieu in Aveyron, where it arrived on June 5. On October 3, it was transported to the Musée Ingres in Montauban. From there it traveled from March 3 to 15, 1943, to the Château de Montal. On June 15, 1945, the Joconde left the Chateau de Montal for Paris, where it arrived the next day. 17 Archives des Musées Nationaux, Paris, T2A, photo no. 4. 18 Pierre Jahan, [June 17, 1945?], Original print, 18 x 18.7 cm, Fonds Histoire du Louvre, photo no. 20058, Johan call number: MUS 19 no. 60. 19 Fonds Aulanier, description of photos nos. 1630 and 1646. 20 Paul Rosenberg (1881–1959) was one of the most famous art dealers of the 20th century. On this subject, see: Anne SINCLAIR, 21, rue La Boétie, Paris 2012. There is no relation between Alfred Rosenberg, theoretician of the so-called Third Reich and Paul Rosenberg, art dealer.
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428 Emmanuelle Polack The Libourne Safe
In the spring of 1940, in order to protect his collection from bombing raids, Paul Rosenberg had 200 of his paintings transported to Gironde in south-eastern France, a small town near Bordeaux, to a property called Castel Floirac. Paul Rosenberg left France on the 17th of June 1940, but not before depositing 162 of the paintings, that he had stored on the Floirac premises, into a safety deposit box at the National Bank of Commerce and Industry in Libourne. The Libourne safe was broken into on the 28th of April 1941 in the presence of the occupying authorities. On the 6th of May 1941, an inventory was meticulously drawn up by François-Maurice Roganeau, director of the School of Fine Arts of Bordeaux.21 His expertise led to the transcription of important details related to each artwork, such as the painting technique, the artist, the title of the work and its dimensions, as well as its estimated value. On the 5th of September 1941, under the orders of Wolf Braumüller22 from the Devisenschutzkommando, the contents of the safe were transported to Paris, to the Jeu de Paume museum,23 by the Reich Ministry of the Occupied Eastern Territories, which at that time had its offices at 54, Avenue d’Iéna in Paris.24 The trade-off: One Brueghel in exchange for works by Matisse
The practice of denouncing artworks as »degenerate art«, which had taken place in 1937 at the exhibition titled Entartete Kunst, in Munich, was repeated to a lesser extent at the Jeu de Paume museum in Paris. As the National Socialist regime did not allow certain paintings considered by their aesthetic criteria to be examples of »degenerate art« to enter its territory, these paintings were relegated to a corner of the Jeu de Paume museum, in a room far apart from the others called la salle des martyrs. Soon enough, the ERR decided to sacrifice such ideological considerations in favour of commercial 21 François-Maurice Roganeau (1883–1973), painter and director of the Ecole des Beaux Arts in Bordeaux from 1929 to 1958. The Roganeau inventory is an indispensable document for virtually reconstructing the looted collection of Paul Rosenberg. It can be found at the Archives du Ministère des Affaires Etrangères, under the call number 209 SUP RA 1. 22 Wolf Braumüller, Chief of service, acting under the orders of Kurt von Behr. Beginning in October 1940, he is present in the general staff of the ERR in Bordeaux. Rose Valland indicated his membership in the Gestapo. 23 On this subject, see: Emmanuelle POLACK, Philippe DAGEN, Les Carnets de Rose Valland. Le Pillage des Collections Privées d’œuvres d’Art en France durant la Seconde Guerre Mondiale, Lyons 2011. 24 At this address the ERR had run their headquarters before they moved to rue Dumont d’Urville.
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Traces of Matisse’s »Odalisque au tambourin« during the Second World War 429
Fig. 4: In the Musée du Jeu de Paume in Paris, Hermann Goering during the exchange on December 3, 1941, of two paintings by Henri Matisse: »Marguerites«, 1939, and »L’Odalisque au Tambourin«, 1926, catalogued as belonging to the collection of Paul Rosenberg. Walter Andreas Hofer, curator of the Reichsmarschall’s collection is invited to give his opinion.
exploitation, as works of modern art constituted a method of payment in exchange for paintings by the Old Masters. The Nazi officers saw an opportunity to use these confiscated works as a way to enrich their personal art collections at a very low cost. Among them, the Reichsmarschall Hermann Goering, the inconspicuous leader of the art black market at the time, surrounded himself with scouts in order to flush out highly valued art collections. Bruno Lohse, an art historian and specialist of 17th century Flemish and Dutch masters, impressed Goering with his connections and became his associate. Bruno Lohse seems to have been the instigator of at least thirty such exchanges that were carried out by the ERR from March 1941 to November 1943. The major part of these exchanges seems to have been carried out for Hermann Goering’s personal gain.25 A photograph, held at the Archives of the National Museums of France, illustrates an exchange that took place in favour of Hermann Goering, almost certainly on the 3rd 25 On this subject, see Nancy H. YEIDE, Beyond the dreams of avarice. The Hermann Goering Collection, Dallas 2009, and more specifically the notice A1134.
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430 Emmanuelle Polack Fig. 6: Henri Matisse, »L’Odalisque au Tambourin«, 1926
of December 1941. The Reichsmarschall shamelessly took advantage of an opportunity to improve his personal collection at very little cost by taking a work of art from the Room of Martyrs of the Jeu de Paume museum. It is possible to identify the painting that he holds in his hands: an oil on canvas by Jan Brueghel, the Port d’Anvers, whose dimensions are 17 x 26.5 cm. Similarly, one can very clearly see another oil painting, the Danseuse au Tambourin, painted in 1926 by Henri Matisse, which had been a part of the Paul Rosenberg collection; also, Les Marguerites, painted in 1939 by Henri Matisse, whose owner was also definitely Paul Rosenberg. La Danseuse au Tambourin26 from 1926, also called Harmony in Blue, currently exhibited at the Norton Simon Foundation in Pasadena, California, entered the Paul Rosenberg collection in 1937,27 after having been a part of a joint account between the Pierre and the Alfred Daber galleries,28 before having probably been passed onto 26 Norton Simon Museum, Pasadena, M.1966.07.P. 27 SINCLAIR 2012, p. 144. 28 Institut National d’Histoire de l’art, Paris, Archives Gallery Pierre, Invoice 8.12.1936.
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Traces of Matisse’s »Odalisque au tambourin« during the Second World War 431
the Joseph Hessel gallery. In the Paul Rosenberg collection inventory, the canvas was numbered 3605. Paul Rosenberg attempted to safeguard it along with seventeen other Matisses in safety deposit box number seven at the National Bank of Commerce and Industry in Libourne. According to the inventory drawn up on the 6th of May 1941 by the Director of the Fine Arts school of Bordeaux, La Danseuse au Tambourin’s value was estimated at 30,000 francs, which was six to seven times less than its value before the war.29 The artwork was then transferred to the Jeu de Paume museum, and on the 5th of September 1941 was given the new identification number of P. R. 31,30 (the P. R. standing for Paul Rosenberg). The new number was assigned to the painting by two German art historians who were working for the ERR: Helga Eggemann and Anne-Marie Tomforde. As soon as the war was over, Paul Rosenberg sought to reclaim La Danseuse au Tambourin.31 However, as involved as he was within the art market, he knew that his painting would probably have gone through several intermediaries who might have sold it outside of France. After having obtained the painting in a trade, Gustav Rochlitz had sold La Danseuse au Tambourin to Max Stöcklin,32 who then passed it to Georges Schmid33 in Zurich. After that, the painting was found at the Neupert gallery, which subsequently sold it to the Toni Aktuaryus gallery in Zurich for approximately 12,000 Swiss francs, before it was integrated into the collection of Emil Bührle34 at the price of 14,000 Swiss francs. It was only after a federal court judgement in Berne that the restitution of the artwork to Paul Rosenberg was ordered on the 3rd of June 1948.35
29 Archives of the Ministry of Foreign Affairs, Paris, box RA 1. 30 http://www.errproject.org/jeudepaume/card_view.php?CardId=14615 (20.5.2015). 31 After the liberation of Paris, Paul Rosenberg, who had spent the wartime years in the United States together with his wife and daughter, wished to recover all of the works stolen from him during the war. Some of them could be identified as being in France and Germany. His two brothers who had stayed in France declared property losses to the Commission de Récupération Artistique and Rosenberg initiated claims before the civil court in France. In September 1945 Paul Rosenberg traveled to Switzerland to make a tour through the art galleries where he saw that many of the artworks he had owned before the war were up for sale. Archives of the Ministry of Foreign Affairs, Paris, box RA 1. 32 Max Stöcklin was a German born, naturalized Swiss, executed by the French Governement as a German agent. NARA, WWII OSS Art Looting Investigation Reports, Final Report, p. 141 (Fold 3). 33 Georges Schmid was a relatively unknown art dealer. Archives of the Ministry of Foreign Affairs, Paris, box RA 1. 34 Emil Georg Bührle (1890–1956), German born, naturalized Swiss, arms manufacturer settled in Zurich. Getty Research Institute, Los Angeles, 910130, box 6, Cooper Investigation of Loot in Switzerland. 35 Archives of the Ministry of Foreign Affairs, Paris, box RA 549, Bern Court decision, 3.6.1948.
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432 Emmanuelle Polack This article seeks to compare the effectiveness of the plan Jacques Jaujard had developed to safeguard the French National Collections, which, when all is said and done, suffered very little during the war, and the scale to which the private collections belonging to Jewish families were decimated. The history of »peregrinations« of La Danseuse au Tambourin illustrates the dispersion of private collections during the Second World War and serves to underline the difficulties faced, even today, by the owners and their heirs when they try to locate and regain possession of these looted works.
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Abkürzungsverzeichnis AbKW Akademie der bildenden Künste Wien Abt. Abteilung AdR Archiv der Republik AfP Arbeitsstelle für Provenienzforschung ALIU Art Looting Investigation Unit AV Aktenvermerk BArch Bundesarchiv (Berlin, Koblenz) BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv BDA Bundesdenkmalamt BDM Bund Deutscher Mädel BEHALA Berliner Hafen- und Lagergesellschaft BG Bezirksgericht BGBl. Bundesgesetzblatt BMU Bundesministerium für Unterricht BStB Berliner Stadtbibliothek BThV Bundestheaterverwaltung CCP Central Collecting Point CIC Counter Intelligence Corps CIR Consolidated Interrogation Report CRA Commission de récupération artistique ČSSR Československá Socialistická Republika DHM Deutsches Historisches Museum DP Displaced Person ED Erster Direktor DDR Deutsche Demokratische Republik DÖW Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes EK »Entartete Kunst« ERR Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg FAB Freiheitsaktion Bayern Fasz. Faszikel fol. Folio FWF Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Wien GBlÖ Gesetzblatt für das Land Österreich GBV Gemeinsamer Bibliotheksverbund GG Gemäldegalerie
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434 Abkürzungsverzeichnis GLA Generallandesarchiv Karlsruhe GNM, DKA Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv IAV Internationaal Archief voor de Vrouwenbeweging IIAV Internationaal Informatiecentrum en Archief voor de Vrouwenbeweging IDKWP Institut für Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda IKG Israelitische Kultusgemeinde, Wien K. Karton KHI Kunsthistorischen Instituts in Florenz KHM Kunsthistorisches Museum Wien KK1 1. Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz 1969 KK2 2. Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz 1986 KL Kommissarischer Leiter KoKo Kommerzielle Koordinierung KPD Kommunistische Partei Deutschlands LAB (STA) Landesarchiv Berlin, Stadtarchiv LGSt Landesgericht für Strafsachen LKW Lastkraftwagen M. Mappe MAE Archives Diplomatiques de la Ministère des Affaires Etrangères MAK MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst MFA&A Monuments, Fine Arts, and Archives Section NARA National Archives and Record Administration NEWAG Niederösterreichische Elektrizitätswirtschaft Aktiengesellschaft NHMW Naturhistorisches Museum Wien NÖLA Niederösterreichisches Landesarchiv NSDAP Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt o. D. ohne Datum OMGUS Office of Military Government for Germany U. S. ÖNB Österreichische Nationalbibliothek OÖLA Oberösterreichisches Landesarchiv OSS Office of Strategic Services ÖStA Österreichisches Staatsarchiv PA Personalakt PM Personenmappe r recto RDB Reichsbund der Deutschen Beamten REM Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
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Abkürzungsverzeichnis 435
RGBl. Reichsgesetzblatt RKK Reichskulturkammer RMVP Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda RSHA Reichssicherheitshauptamt RStH Reichsstatthalter S. Seite SAPMO Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR SD Sicherheitsdienst SKD Staatliche Kunstsammlungen Dresden SLA Salzburger Landesarchiv SLUB Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel StA-D Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden StLA Steiermärkisches Landesarchiv TEFAF The European Fine Art Foundation UAAbKW Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien UAW Universitätsarchiv Wien UBW Universitätsbibliothek Wien UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UK unabkömmlich UMJ Universalmuseum Joanneum USACA US Allied Commission Austria WBR Wienbibliothek im Rathaus WStLA Wiener Stadt- und Landesarchiv v verso VK Verwaltungskanzlei ZK Zentralkomitee ZI Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München Zl. Zahl ZLB Zentral- und Landesbibliothek Berlin ZNSZ Zivilakten der NS-Zeit ZwA Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände
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Bildnachweis Beitrag von Birgit Kirchmayr Abbildung 1, 2: 20th Century Fox Abbildung 3: Craig Hugh SMYTH, Repatriation of Art from the Collecting Point in Munich after World War II, Maarssen 1988 Abbildung 4: Elizabeth SIMPSON (Hg.), The Spoils of War. World War II and its Aftermath: The Loss, Reappearance and Recovery of Cultural Property, New York 1997 Abbildung 5, 6: Sonderauftrag Linz, Ö 1999, Cultfilm Wien Beitrag von Susanne Hehenberger und Monika Löscher Abbildung 1–4: © KHM-Archiv, IV 96, 2 Abbildung 5: © KHM-Archiv, XIII 18 Beitrag von Meike Hopp und Stephan Klingen Abbildung 1, 3, 4: Zentralinstitut für Kunstgeschichte Abbildung 2: © Lee Miller Archives, England 2015. All rights reserved, www.leemiller.co.uk Abbildung 5: NARA M1946, Ardelia Hall Collection, Munich Central Collecting Point, 1945–1951, Administrative records […], Roll: 0141, Restitution Research Records, compiled 1945–1950, Linz Museum: Lists and Reports 1945–1950 Beitrag von Christian Fuhrmeister Abbildung 1: Soprintendenza per i Beni Storici Artistici Etnoantropologici, Mailand, Grafik: Michele Izzo, reproduziert nach: Cecilia GHIBAUDI, Pinacoteca di Brera, Mailand 1943– 1945. Die Schutzmaßnahmen der Soprintendenza alle Gallerie und ihr Verhältnis zum deutschen »Kunstschutz«, in: Christian FUHRMEISTER, Johannes GRIEBEL, Stephan KLINGEN, Ralf PETERS (Hg.), Kunsthistoriker im Krieg. Deutscher Militärischer Kunstschutz in Italien 1943–1945 (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 29), Köln 2012, S. 129–152, hier: S. 137 Abbildung 2: Reproduziert nach: Charles R. S. HARRIS, Allied Military Administration of Italy 1943–1945, London 1957, M. 17 Abbildung 3, 4: Document conservé aux Archives Nationales, Pierrefitte-Sur-Seine, AJ 40/573, Aufnahme Fuhrmeister Beitrag von Anneliese Schallmeiner Abbildung 1, 3: Bundesdenkmalamt, Wien, Archiv Abbildung 2: Fotos Bundesdenkmalamt, Wien
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Bildnachweis 437
Beitrag von Pia Schölnberger Abbildung 1: Albertina, Wien, Inv. Nr. 30131 Abbildung 2: ÖStA, Sign. AdR, BMU, Personalakten, K. 3/11, Ludwig Berg Abbildung 3: © Lee Miller Archives, England 2015. All rights reserved, www.leemiller.co.uk Abbildung 4: Bundesdenkmalamt, Wien, Archiv, Sign. Sicherstellungskartei, K. 60/4 Abbildung 5: ÖNB, Literaturarchiv, Sign. 86/L8 Beitrag von René Schober Abbildung 1: ÖStA/AdR, BMU, PA zu Prof. Dr. Robert Eigenberger, *14.2.1890 Abbildung 2: UAAbKW, Inv. Nr. A-168-2, Fotograf: Meyer Industrie-Photograph Abbildung 3–5: Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien Beitrag von Monika Mayer Abbildung 1: © ÖNB, Bildarchiv, OEGZ_S643_23 Abbildung 2, 3: © Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien Abbildung 4: © Wiener Stadt- und Landesarchiv, Fotoarchiv Gerlach, FC1: 9627M Abbildung 5: © Foto Bundesdenkmalamt, Wien, N 455 Abbildung 6: © ÖNB, Bildarchiv, OEGZ_H8546_7 Beitrag von Leonhard Weidinger Abbildung 1: © MAK Abbildung 2: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Moechlinger_Schrein.jpg (23.7.2015) Abbildung 3: © Leonhard Weidinger Abbildung 4: Luftbilddatenbank, Flug-Nr. 23-009L, Bildnummer 4165, 10.5.1945, Ausschnitt Beitrag von Gerhard Milchram und Michael Wladika Abbildung 1: Wien Museum Abbildung 2, 3, 5b, 6: Foto: Gerhard Milchram Abbildung 4: NÖLA Abbildung 5a: Städtisches Museum Neunkirchen Karin Leitner-Ruhe Abbildung 1–3: Fotos: Karin Leitner-Ruhe Beitrag von Gilbert Lupfer und Christine Nagel Abbildung 1: SLUB Dresden, Deutsche Fotothek, df_hauptkatalog_0102950 Abbildung 2: SLUB Dresden, Deutsche Fotothek, df_hauptkatalog_0141902
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438 Bildnachweis Abbildung 3: StA-D, 11125, Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, N 42, fol. 149r Abbildung 4: SLUB Dresden, Deutsche Fotothek, df_hauptkatalog_0140011 Abbildung 5: SLUB Dresden, Deutsche Fotothek, df_hauptkatalog_0134312 Abbildung 6: Archiv der SKD, Fotoarchiv, 301, M. 7, Foto 571 Beitrag von Tessa Friederike Rosebrock Abbildung 1: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Archiv Abbildung 2: Tessa Friederike Rosebrock Abbildung 3: Stadtmuseum Wiesbaden Abbildung 4: MAE, 209 SUP, 1044_011 Abbildung 5: MAE, 209 SUP, 1044_019 Abbildung 6: Rheinisches Landesmuseum Bonn mit Dank an Marion Widmann Beitrag von Murray G. Hall, Christina Köstner-Pemsel Abbildung 1: UAW Abbildung 2: UB Wien Abbildung 3–5: ÖNB Bildarchiv Beitrag von Christina Gschiel Abbildung 1: Foto Bundesdenkmalamt, Wien, N 81.897 Abbildung 2: ÖStA/AdR, Unterricht, BThV, Zl. 191/1930 Abbildung 3: ÖStA/AdR, Unterricht, BThV, Zl. 2690/1934 Abbildung 4: Stadt Wien – data.wien.gv.at, MA 41-Stadtvermessung, Historisches Luftbild des 20. Bezirkes im Jahr 1945, Zl. 1945-3169 Abbildung 5: Foto Bundesdenkmalamt, Wien, N 6237 Abbildung 6: Foto Bundesdenkmalamt, Wien, N 6239 Beitrag von Imma Walderdorff Abbildung 1, 4: Kunstverlag Wolfrum, Wien Abbildung 2, 5: Christie’s Images Limited (1996) Abbildung 3: Foto Bundesdenkmalamt, Wien Beitrag von Meike Hoffmann Abbildung 1: NARA, Washington, Abzug: Archiv Andreas Hüneke, Potsdam Abbildung 2–4: Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv Abbildung 5: Berlin Mitte Archiv Abbildung 6: Archiv Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin
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Bildnachweis 439
Beitrag von Emmanuelle Polack Fig. 1, 2 © Roger-Viollet Fig. 3 © Pierre Jahan/Roger-Viollet Fig. 4 © Archives Nationales de France Fig. 5 © Reproduced with the kind authorization of the Matisse heirs
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Kurzbiografien Eva Blimlinger, Historikerin; 1999–2004 Forschungskoordinatorin der Historikerkommis sion der Republik Österreich, 2004–2011 Leiterin der Abteilung für Projektkoordination und Prozessmanagement Kunst- und Forschungsförderung der Universität für angewandte Kunst, seit 2011 Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien, seit 2008 Wissenschaftliche Koordinatorin der Kommission für Provenienzforschung, seit 2008 stellvertretende Vorsitzende im Kunstrückgabebeirat des Bundes; langjährige Lehrtätigkeit an österreichischen Universitäten; zahlreiche Veröffentlichungen zu Frauengeschichte, Nationalsozialismus und zur Zweiten Republik. [email protected] Sebastian Finsterwalder, Fachangestellter für Medien und Informationsdienste; arbeitet seit 2006 in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) und ist seit Mai 2010 im Referat Provenienzforschung der ZLB für die Ermittlung und Restitution von NS-Raubgut zuständig. [email protected] Christian Fuhrmeister, Studium der Anglistik sowie Kunst und Kunstgeschichte in Oldenburg, Hamburg und Towson/Baltimore, Promotion Universität Hamburg 1998; Volontariat Sprengel Museum Hannover 2000–2002; seit 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München; 2013 Habilitation LMU München (Der Deutsche Militärische Kunstschutz in Italien 1943–1945 als kunsthistorisches Praxisfeld. Ein Beitrag zur Geschichte der Kunstgeschichte in den Jahren 1936–1963). [email protected] Christina Gschiel, Studium der Kunstgeschichte mit vertiefendem Schwerpunkt an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität in Graz, Diplomarbeit zum Thema Sammlung Heinrich Rothberger aus Sicht der Restitution (2008); seit 2009 Provenienzforscherin im Theatermuseum, 2014 zwischenzeitlich Provenienzforscherin in der Österreichischen Galerie Belvedere (beides im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung); Mitherausgeberin des Bandes Schneidern und sammeln – Die Wiener Familie Rothberger (2010) in dieser Schriftenreihe. Co-Redakteurin der »Datenbank der Provenienzmerkmale«. [email protected] Murray G. Hall, Studium der Germanistik, Romanistik und Anglistik, Promotion 1975, Habilitation 1987; seit 2000 Ao. Univ.-Prof. am Institut für Germanistik der Universität Wien; Mitbegründer der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich, Mitherausgeber der Reihe Buchforschung. Beiträge zum Buchwesen in Österreich (Harrassowitz); zahlreiche Publikationen unter
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Kurzbiografien 441
anderem zur Buchhandels- und Verlagsgeschichte, Bibliotheksgeschichte, Provenienzforschung, deutschsprachige Verlage in den böhmischen Ländern 1919–1945. [email protected] Susanne Hehenberger, Historikerin; Promotion 2003; seit 1999 Mitarbeit an verschiedenen Forschungsprojekten zur (Frühen) Neuzeit; seit 2002 Lehrbeauftragte am Institut für Geschichte der Universität Wien; 2001–2003 DOC-Stipendiatin der ÖAW, Michael Mitterauer-Förderungspreis 2004 für die Dissertation; Mitherausgeberin der »Frühneuzeit-Info« und Vorstandsmitglied des Instituts für die Erforschung der Frühen Neuzeit; seit 2009 Provenienzforscherin im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung, seit 2015 auch Archivarin im Kunsthistorischen Museum in Wien. [email protected] Meike Hoffmann, Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie, Volkskunde und Bibliothekswissenschaften in Kiel und Berlin; 1995–1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Brücke-Museum Berlin; 2005 Promotion an der FU Berlin (Leben und Schaffen der Künstlergruppe »Brücke«, Reimer Verlag 2005); seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin der Forschungsstelle »Entartete Kunst« an der FU Berlin; 2011 Etablierung des weltweit ersten akademischen Ausbildungsprogramms an der FU; 2012–214 Sachverständige zur Sammlung Cornelius Gurlitt; seit 2013 Offizielles Mitglied der Taskforce »Schwabinger Kunstfund«. [email protected] Meike Hopp, Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Theaterwissenschaften in München; 2008 Heinrich-Wölfflin-Preis; 2012 Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Thema Kunsthandel im Nationalsozialismus. Adolf Weinmüller in München und Wien; seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) in München im Rahmen verschiedener Projekte zur Provenienzforschung in Kooperation mit Neumeister Kunstauktionen München und der Staatlichen Graphischen Sammlung in München; Lehrbeauftragte der LMU München. [email protected] Birgit Kirchmayr, Assistenzprofessorin am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz; Provenienzforscherin und Gutachterin (OÖ Landesmuseum); Ausstellungskuratorin (unter anderem Kulturhauptstadt des Führers. Kunst und Nationalsozialismus in Linz und Oberösterreich, Linz 2009); Mitarbeiterin in zeitgeschichtlichen Forschungsprojekten und Dokumentarfilmen; Forschungsschwerpunkte: Nationalsozialismus, Kunst- und Kulturpolitik, Auto-/Biografieforschung. [email protected]
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442 Kurzbiografien Stephan Klingen, Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Volkskunde in Köln und Bonn; 1993 Promotion an der Universität Bonn; 1994–1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau; seit 1995 am Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) in München, zunächst im Rahmen eines DFG-Projekts; seit 1996 Leiter der EDV-Abteilung und seit 1999 außerdem Leiter der Photothek. [email protected] Christina Köstner-Pemsel, Studium der Germanistik und Romanistik in Wien und Turin; 2006 Promotion an der Universität Wien (Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek in der NS-Zeit); Bibliothekarin und Provenienzforscherin an der Universitätsbibliothek Wien; zuletzt erschienen: NS-Provenienzforschung an Österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit, Graz-Feldkirch 2011 (gem. mit Bruno Bauer und Markus Stumpf ). [email protected] Karin Leitner-Ruhe, Chefkuratorin der Alten Galerie am Universalmuseum Joanneum (UMJ) in Graz; Kuratorin zahlreicher Grafikausstellungen; seit 1995 Lehrbeauftragte am Kunsthistorischen Institut der Karl-Franzens-Universität in Graz, 2002–2004 Lehrbeauftragte am Kunsthistorischen Institut der Technischen Universität in Graz; seit 1998 für die Provenienzforschung am UMJ tätig; Mitherausgeberin des Restitutionsberichtes 2010 am UMJ sowie weitere zahlreiche Publikationen zur Provenienzforschung am UMJ, zur mittelalterlichen Kunst in Österreich und Slowenien und zur steirischen Druckgrafik. [email protected] Sabine Loitfellner, Historikerin und Politologin; seit 2002 Mitarbeiterin der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Abteilung für Restitutionsangelegenheiten im Bereich Kunstrestitution/ Provenienzforschung; zuvor unter anderem langjährige Mitarbeit bei Forschungsprojekten (FWF, Jubiläumsfonds ÖNB) zum Thema Umgang mit NS-Verbrechen nach 1945 beziehungsweise Vergangenheitspolitik in Österreich sowie Mitarbeiterin der Österreichischen Historikerkommission (NS-Vermögensentzug und Restitution in Österreich); Arbeit an einer Dissertation zum Thema Österreichische Ermittlungen und Gerichtsverfahren gegen NS-TäterInnen im KZ Komplex Auschwitz. [email protected] Monika Löscher, Historikerin; 1998–2000 freie Mitarbeiterin der Kommission für Provenienzforschung am Museum für Völkerkunde in Wien; 2000–2003 Referentin beim Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus; 2003–2004 DOC-Stipendiatin der Akademie der Wissenschaften; 2004–2007 DFG Forschungsprojekt über Eugenik und Rassenhygiene im katholischen Milieu in Deutschland und in Österreich; 2007–2008 Mitarbeiterin
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Kurzbiografien 443
des Projekts Provenienzforschung an den Fachbereichs- und Institutsbibliotheken der Universitätsbibliothek Wien; seit 2009 Provenienzforscherin im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung im Kunsthistorischen Museum in Wien. [email protected] Gilbert Lupfer, Promotion im Fach Kunstgeschichte 1995 in Tübingen, Habilitation 2002 in Dresden; 1993–2002 wissenschaftlicher Assistent an der TU Dresden, seit 2007 ebd. apl. Professor für Kunstgeschichte; 2002 Mitarbeiter der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden; 2008 Leiter des Provenienzforschungsprojektes »Daphne« und seit 2013 Leiter der Abteilung Forschung und wissenschaftliche Kooperation ebendort; Mitglied des Beirats der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste. [email protected] Monika Mayer, Historikerin; Leiterin des Archivs der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien; Mitglied der Kommission für Provenienzforschung; zahlreiche Publikationen und Vorträge zur Museumsgeschichte, Provenienzforschung und zur Kunstpolitik im Austrofaschismus und Nationalsozialismus; 2012 mit Eva Blimlinger Herausgeberin von Kunst sammeln – Kunst handeln. Beiträge des internationalen Symposiums in Wien (Band 3 der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung). [email protected] Gerhard Milchram, Studium der Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien, 1997 Sponsion; 2001 Absolvent der internationalen Sommerakademie für Museologie der Universitäten Klagenfurt, Wien, Graz und Innsbruck; 1997–2010 Kurator im Jüdischen Museum Wien; seit 2011 Kurator im Wien Museum, Sammlungszuständigkeiten: Politische Geschichte und Stadtchronik, Restitution (gemeinsam mit Michael Wladika). [email protected] Christine Nagel, Studium der Kunstgeschichte und Geschichte an der Technischen Universität Dresden, 2009 Promotion über Schmuck der sächsischen Kurfürsten um 1600. Untersuchung zum Umgang mit Schmuck und dessen Funktion im Rahmen fürstlicher Repräsentation und Kommunikation; 2004–2006 Museumsmitarbeiterin Grünes Gewölbe; 2008–2014 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Provenienzrechercheprojekt »Daphne« an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (Rüstkammer); seit 2015 Wissenschaftliche Mitarbeiterin Grünes Gewölbe. [email protected] Emmanuelle Polack studied history and history of art at the University of Montréal (Canada) and The Sorbonne (France); 2004–2012, she was head of the archives at the Museum of French
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444 Kurzbiografien Monuments, Paris; in 2012, she was awarded a grant by the Fondation Mémoire de la Shoah, since then she works as research associate at the Institut National d’Histoire de l’Art, Paris; as such she also does provenance research for the »Taskforce Schwabinger Kunstfund«; her current field of research is on the art market in Paris under the National Socialist Occupation; she is author/editor of Les Carnets de Rose Valland and Front de l’art of Rose Valland. [email protected] Peter Prölß, seit 2013 tätig als Historiker im von der Arbeitsstelle für Provenienzforschung (AfP) geförderten Projekt »Provenienzen, Erwerbungskontexte, Erbenermittlung − Recherchen zu Verdachtsfällen NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter in den Beständen der Klassik Stiftung Weimar«; 2009–2013 Provenienzforscher bei der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. [email protected] Tessa Friederike Rosebrock, Studium der Kunstgeschichte und Germanistik in München, Paris und Berlin. 2002 Magister Artium an der Humboldt-Universität, 2010 Promotion an der FreienUniversität Berlin. Langjährige Mitarbeit in Galerien, diverse Museumspraktika sowie freiberufliche journalistische Tätigkeit. 2004 sammlungsgeschichtliches Forschungsprojekt am Musée des Beaux-Arts de Strasbourg; 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin der HumboldtUniversität Berlin; seit 2010 Provenienzforscherin an der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, seit 2015 dort auch Kuratorin. Publikationen zur deutsch-französischen Museumsgeschichte ins besondere im Nationalsozialismus; Provenienzforschung; Zeitgenössische Kunst. [email protected] Anneliese Schallmeiner, Kunsthistorikerin; seit 1998 Tätigkeit für die Kommission für Pro venienzforschung und Mitarbeit im Archiv des Bundesdenkmalamts; seit 2012 Betreuung desselben; 1999–2007 redaktionelle Tätigkeit für diverse Ausstellungskataloge und Publikationen; 2008–2011 Lehrbeauftragte an der Donauuniversität Krems, Zentrum für Bildwissenschaften: Visuelle Kompetenzen – Provenienzforschung. [email protected] René Schober, Jurist und Kunsthistoriker mit Schwerpunkten in Kulturrecht, Provenienz forschung, bildender und angewandter Kunst des 20. Jahrhunderts und Plakatkunst; 2009– 2015 Provenienzforschung, wissenschaftliche Mitarbeit und Projektarbeit in der Kunstsammlung der Universität für angewandte Kunst Wien; seit 2013 Provenienzforschung in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung; Co-Redakteur der Datenbank der Provenienzmerkmale. [email protected]
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Kurzbiografien 445
Heinz Schödl, Studium der Rechtswissenschaften, der Geschichte, der Philosophie und der Kunstgeschichte in Wien, Basel und Cambridge; ab 2005 im Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, seit 2014 Bundeskanzleramt; seit 2015 administrativer Leiter der Kommission für Provenienzforschung beim Bundeskanzleramt; Vertreter Österreichs bei der UNESCO; 2011 Promotion mit einer Dissertation zu dem Kunsthistoriker Josef Strzygowski; Mitherausgeber der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung (gemeinsam mit Eva Blimlinger), diverse Publikationen zu Josef Strzygowski. [email protected] Pia Schölnberger, Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Wien; unter anderem Mitarbeit beim Allgemeinen Entschädigungsfonds sowie in den NS-»Euthanasie«Gedenkstätten Hartheim und »Am Spiegelgrund«; 2008–2011 Projektmitarbeit zu politisch motiviertem Vermögensentzug in Wien 1933–1938 am Institut für Rechts- und Verfassungs geschichte der Universität Wien; Promotion mit einer Arbeit zum austrofaschistischen Anhalte lager Wöllersdorf; Lehraufträge an der Universität Wien; seit 2011 Provenienzforscherin in der Albertina im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung. [email protected] Imma Walderdorff, Holzrestauratorin, Studium der Kunstgeschichte und Geschichte in Salzburg und Wien; mehrere FWF-Projekte: (P 18670-G13)/Universität Salzburg: »Bau-, Ausstattungs- und Kulturgeschichte der ehemaligen Fürsterzbischöflichen Residenz in Salzburg vom 16. Jahrhundert bis 1803«; FWF (P 22188-G18)/Roswitha Juffinger: »The Czernin collection of Old Master paintings«; FWF (P 25211-G15) »Klessheim Castle as ›The Fuehrer’s Guesthouse‹ 1938–1945«; Forschungsschwerpunkte: Provenienzforschung, Beute- und Raubkunst, Rekonstruktion von Sammlungen. [email protected] Leonhard Weidinger, selbständiger Historiker und Multimedia-/Web-Producer in Wien; seit 2005 Provenienzforscher im MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst; 2011–2013 Mitarbeit am Projekt »German Sales 1930–1945«; Mitherausgeber der Bände 1 (2009) und 2 (2010) der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung; diverse Publikationen und Produktionen in verschiedenen Medien; Lehraufträge an der Universität Wien; Forschungsschwerpunkte: österreichische Kulturgeschichte im 20. Jahrhundert, digitale Medien in der Geschichtswissenschaft. [email protected]
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446 Kurzbiografien Michael Wladika, Jurist und Historiker; unter anderem Mitarbeiter der Österreichischen Historikerkommission; Forschungen und Publikationen zur Geschichte des Nationalsozialismus in Österreich, NS-Kunstraub und Rückstellungsrecht, zu politischen Parteien und historischer Fotografie; seit 1999 Provenienzforschung für die Museen der Stadt Wien; seit 2008 Gemeinsame Provenienzforschung LMPS – BKA in der Leopold Museum Privatstiftung. [email protected]
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BIRGIT SCHWARZ
GENIEWAHN: HITLER UND DIE KUNST 2., DURCHGES. AUFLAGE
Zu den folgenreichsten Eigenschaften Hitlers gehörte, dass er sich für ein Genie hielt. Übernommen hatte er die Genievorstellung bereits in seiner Jugend aus Künstlerbiographien des 19. Jahrhunderts. Nach seiner Ablehnung an der Wiener Akademie verinnerlichte er sie im Konzept des verkannten Künstlers. Das romantische Geniekonzept, das sich längst ideologisiert und mit nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Inhalten aufgeladen hatte, bildete die Basis seiner Weltanschauung und Selbstkonzeption als »Führer«, Künstler-Politiker und Stratege. Künstlertum und Geniewahn erzeugten auch die Notwendigkeit der ständigen Selbstbestätigung und Selbstdarstellung als Kunstfreund und Mäzen und bildeten damit die Grundlage für die Kulturbesessenheit des Dritten Reiches. War die Architektur das Medium des NS-Staates, so dienten historische Gemälde Hitlers persönlicher Imagepflege. Erstmalig werden die Gemäldekollektionen in Hitlers Wohnungen und diversen Residenzen vorgestellt und ihre Bedeutung rekonstruiert, die die Hauptwerke für den Diktator hatten. 2011. 397 S. 114 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78819-5
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com
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Christian Fuhrmeister / Johannes Griebel / stephan KlinGen / r alF peters (hG.)
KunsthistoriKer im KrieG DeutsCher militärisCher KunstsChutz in italien 1943–1945
Nach der Landung der Alliierten auf Sizilien im Juli 1943 und der Amtsenthebung Mussolinis besetzten deutsche Truppen Italien. Gemäß der Haager Landkriegsordnung wurde im Herbst 1943 im Rahmen der deutschen Militärverwaltung eine Abteilung für »Kunst-, Archiv- und Bibliotheksschutz« eingerichtet. Namhafte deutsche Kunsthistoriker arbeiteten in den Dienststellen des Kunstschutzes in Rom und Florenz, Mailand und zuletzt Fasano del Garda. Zu ihren Aufgaben zählte die Erfassung schützenswerter Bauwerke, die Errichtung von Schutzbauten sowie die Auslagerung beweglicher Kunstgegenstände in Depots. Ab Sommer 1944 rückte indes die fotografische Dokumentation der durch alliierte Luftangriffe verursachten Schäden an Kulturdenkmälern in den Vordergrund. Diese Wendung zur Kulturpropaganda veranschaulichen die rund 2000 Aufnahmen des kürzlich aufgefundenen »Fotoarchivs zerstörter Kunstwerke«. Mit den Voraussetzungen, Bedingungen und der Durchführung des »Kunstschutzes« in Italien sowie den Grenzen kunsthistorischer und denkmalpflegerischer Tätigkeit im Krieg beschäftigen sich die Beiträge in diesem Band. Er stellt zudem eine exemplarische Auswahl des Fotokonvoluts vor. 2012. 450 S. 298 S/w-Abb. und FAkSimileS. FrAnz. br. 170 x 240 mm. iSbn 978-3-412-20804-2
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