Über Schillers Wallenstein in Hinsicht auf griechische Tragödie [Reprint 2021 ed.]
 9783112438787, 9783112438770

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ü b e r S c h i l l e r s

W a 11 e n s t e i 11 in

Hinsicht auf

g r i e c h i s c h e

T r a g ö d i e .

Von W.



Süvern.

.«ca — Berlin,

» igoo.

In der Buchhandlung der Königl.

Realuchnlfr.

D i e alte Tragödie ist uns gröfstentheils noch verschlossen, von Wenigen ist sie gekannt, von W e nigem verstanden. Ehe wir nicht in diese eine vollkommene Einsicht gewonnen haben, werden wir in Ansehung der Tragödie überhaupt im Dunkeln bleiben. D e n n unsre modernen Trauerspiele sind eben so wenig Tragödien, als das Heldengedicht ein Epos ist, und Shakespeare s Hauptseite ist mehr

IV

das Romantische, als das rein Tragische. Der

TVallenstein

war

mir

bey

der Mangelhaftigkeit unserer Kunstlehren Aufforderung, gegenwärtigen Versuch bekannt zu machen. Er soll nicht Vorläufer eines neuen Systems von Regeln seyn, da ich nur zu gut weifs, auf welchem groben Mifsverständnisse unsere Kunstlehren und Poetiken beruhn. Das Einzige, was man thun kann, ist, ein schon vorhandnes, durch eigne Schöpfungskraft erzeugtes Kunstwerk genetisch erklären. So hat jedes Gedicht seine eigene Poetik wie seine eigne Erklärung, und jede Dichtungsart eine allgemeine Theorie ihrer Entstehung, die sich nie in Regeln und For-

mein verwandeln läfst, ohne alle Entfremdung vom Geiste der Poe»sie. Die Muse wie die Religion sind Über alles System unendlich erhaben; beyde sind nur für kindliche Gemüther, wie sie auch nur in diese ihre heiligsten OJfejiba*iungen ergiefsen. Eben so wenig wünsch© ich, dafs er als durchgeführte Kritik angesehen und beurtheilt werde. Als Probe einer gröfs6rn Schrift über das tragische Theater der Griechen mag er gelten, v/o man auch ausführlichere Entwickelung und gründliche Bestätigung der hier nur kurz und dürftig angedeuteten Ideen erwarten kann. In Ansehung der Übersetzungen erinnere ich n o c h , dafs sie «ichi

VI

durchaus als Probe dienen kön» nen. W o es auf genaue antike Nachbildung und treue Darstellung eines alten Tragikers ankäme, würde ich theils, a u t e r sorgfältiger Vermeidung andrer Inkorrektheit e n f den trimetrischen, nicht den fünffüfsigen, Jambus gebrauchen, theils auf die Chorgesänge Grundsätze a n w e n d e n , die mir selbst eist während dieser Arbeit ganz deutlich geworden sind.

Mdvnv^uv Schol.

»rffos Sopftoi.

'trat, ad -4iac.

i>-

Jedes ächte Kunstwerk beruht, wie alles Organische, auf einem Mittel» puncte, einem Triebe, von welchem sein ganzes Leben und seine Bedeutsamkeit ausfliefsen, aus welchem das Ganze sich bildet, und zu welchem alle seine Theile wieder zurückdrängen. Diese seine Beschaffenheit, nach welcher sich Alles vollständig und bestimmt aus einem solchen Puncto, durch einen so]-

2

chen ihn

Trieb",

organisirt hat,

allein auch

nach

welcher

wieder

und auf

zurückweiset,

es sich weder

disseits

noch jenseits des Wirkungskreises desselben ausdehnt, sondern gerade diesen ausfüllt, macht

seine ästhetische

heit Und Selbstständigkeit

Ein-

aus.

Diesen einen Punct des Lebens ge^ funden,

ihn in der Anschauung klar

aufgefaßt, und in seinem Bildungsgang ge verfolgt zu haben> heifst, ein Kunstwerk

verstehen.

achtes

Ohne dies ist kein

Verständniis desselben möglich;

und nur wer seine Organisation so ab* und

zurückzuleiten vermag, ist beru»

f e n , es zu erklär en* Wie dies geschehe > und durch welfche Functionen des Geistes es bewirkt werde, meneutik

hätte

eine

allgemeine

nachzuweisen*

die

Herwir bis

5 jétzt in diesem Sinne noch nicht kennen.

So

viel können wir s e h n ,

man durch S e l b s t t ä t i g k e i t

des

dafs

Geistes

(welche von der Thätigkeit des Künstlers nur

darin unterschieden i s t , da Ts dieser

völlig frey s c h a f f e n d , der Beschauer hingegen,

geleitet

durch

das

beschauete

W e r k und folgend jener freyen Thätigkeit,

bildet)

das

Kunstwerk

glcichsam produciré, Punkt

hebe,

wächst

und

in

sich

sich so auf

den

aus welchem es hervorman

in

sein inneres

heimnifs blicken k a n n ,

Ge-

und es in allen

seinen Zweigen begränzt

sich zur An-

schauung hinstelle. Ist

dies

gelungen

und

gehörig

durchgeführt, so ist die Einsicht in das Kunstwerk sen,

an u n d für sich abgeschlos-

und dies ist die erste Stujfe

Verstehen«.

des

4 Dafs auf dieser jeder stehe, cher sich

Beurtheilung

wel-

desselben an®

maafst, ist das Geringste, was der Autor,

der

Künstler fordern kann.

Ei

kann darauf dringen, dafs man das beschauete Werk rein und unverfälscht, wie

er es gegeben,

vor den Augen

«.eines Geistes entwerfe, viel

Gewalt

über

dafs man so

sich gewinne,

es

gänzlich abgetrennt von seinen subjecti« ven Gefühlen,

Ansichten,

zu betrachten,

und aus sich selbst zu

beurth eilen;

und dafs,

Meinungen

wer dies nicht

vermag, oder gar nicht versteht, was es heifse,

sich seines Urtheils geziemend

bescheide.

Und 'Johne Widerrede darf

der würdige Autor Anspruch dafs man eher strebe,

raachen,

sein Werk aufs

Würdigste zti verstehn, sich zu ihm i n erheben,

als man sich vermesse,

über

5 irgend

etwas,

seinem Gauntètì nicht

gleich Behagliches, zu richten. Ob

eine

sem

man sich

sondern die ErfahHohén mit

der

Göttlichen nämlichen

Keckheit, wie dem Niedrigen, nen;

der

leichtfertige Beyfall

Gemeiklebt

mit ärmlicher Genügsamkeit am Staube, wie der kleinliche Tadel; einer

milzsüchtigen

Kritik

diirch Hülfe Verwandelt

sich schnell das grofse Idéal ini S iurte

6 der M e n g e in die gemeinste Alltäglichkeit,

und

mit

wohl sprecheh: Schönen

auf

Wehmuth

mag

map,

„ D a s ist das L.oos des

der E r d e ! "

D a r u m ruht

auch in den edelsten Meisterwerken die B l u m e der Kunst ihren Augen verborgen,

wie die Antike in dem geweihten

Baden

H e s p e r i e n s ! —^ über ihm wan-

deln die Sterblichen h i n , b e n zu a h n e n ,

ohne d