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German Pages 350 [357] Year 1801
ü b e r S c h i l l e r s
W a 11 e n s t e i 11 in
Hinsicht auf
g r i e c h i s c h e
T r a g ö d i e .
Von W.
—
Süvern.
.«ca — Berlin,
» igoo.
In der Buchhandlung der Königl.
Realuchnlfr.
D i e alte Tragödie ist uns gröfstentheils noch verschlossen, von Wenigen ist sie gekannt, von W e nigem verstanden. Ehe wir nicht in diese eine vollkommene Einsicht gewonnen haben, werden wir in Ansehung der Tragödie überhaupt im Dunkeln bleiben. D e n n unsre modernen Trauerspiele sind eben so wenig Tragödien, als das Heldengedicht ein Epos ist, und Shakespeare s Hauptseite ist mehr
IV
das Romantische, als das rein Tragische. Der
TVallenstein
war
mir
bey
der Mangelhaftigkeit unserer Kunstlehren Aufforderung, gegenwärtigen Versuch bekannt zu machen. Er soll nicht Vorläufer eines neuen Systems von Regeln seyn, da ich nur zu gut weifs, auf welchem groben Mifsverständnisse unsere Kunstlehren und Poetiken beruhn. Das Einzige, was man thun kann, ist, ein schon vorhandnes, durch eigne Schöpfungskraft erzeugtes Kunstwerk genetisch erklären. So hat jedes Gedicht seine eigene Poetik wie seine eigne Erklärung, und jede Dichtungsart eine allgemeine Theorie ihrer Entstehung, die sich nie in Regeln und For-
mein verwandeln läfst, ohne alle Entfremdung vom Geiste der Poe»sie. Die Muse wie die Religion sind Über alles System unendlich erhaben; beyde sind nur für kindliche Gemüther, wie sie auch nur in diese ihre heiligsten OJfejiba*iungen ergiefsen. Eben so wenig wünsch© ich, dafs er als durchgeführte Kritik angesehen und beurtheilt werde. Als Probe einer gröfs6rn Schrift über das tragische Theater der Griechen mag er gelten, v/o man auch ausführlichere Entwickelung und gründliche Bestätigung der hier nur kurz und dürftig angedeuteten Ideen erwarten kann. In Ansehung der Übersetzungen erinnere ich n o c h , dafs sie «ichi
VI
durchaus als Probe dienen kön» nen. W o es auf genaue antike Nachbildung und treue Darstellung eines alten Tragikers ankäme, würde ich theils, a u t e r sorgfältiger Vermeidung andrer Inkorrektheit e n f den trimetrischen, nicht den fünffüfsigen, Jambus gebrauchen, theils auf die Chorgesänge Grundsätze a n w e n d e n , die mir selbst eist während dieser Arbeit ganz deutlich geworden sind.
Mdvnv^uv Schol.
»rffos Sopftoi.
'trat, ad -4iac.
i>-
Jedes ächte Kunstwerk beruht, wie alles Organische, auf einem Mittel» puncte, einem Triebe, von welchem sein ganzes Leben und seine Bedeutsamkeit ausfliefsen, aus welchem das Ganze sich bildet, und zu welchem alle seine Theile wieder zurückdrängen. Diese seine Beschaffenheit, nach welcher sich Alles vollständig und bestimmt aus einem solchen Puncto, durch einen so]-
2
chen ihn
Trieb",
organisirt hat,
allein auch
nach
welcher
wieder
und auf
zurückweiset,
es sich weder
disseits
noch jenseits des Wirkungskreises desselben ausdehnt, sondern gerade diesen ausfüllt, macht
seine ästhetische
heit Und Selbstständigkeit
Ein-
aus.
Diesen einen Punct des Lebens ge^ funden,
ihn in der Anschauung klar
aufgefaßt, und in seinem Bildungsgang ge verfolgt zu haben> heifst, ein Kunstwerk
verstehen.
achtes
Ohne dies ist kein
Verständniis desselben möglich;
und nur wer seine Organisation so ab* und
zurückzuleiten vermag, ist beru»
f e n , es zu erklär en* Wie dies geschehe > und durch welfche Functionen des Geistes es bewirkt werde, meneutik
hätte
eine
allgemeine
nachzuweisen*
die
Herwir bis
5 jétzt in diesem Sinne noch nicht kennen.
So
viel können wir s e h n ,
man durch S e l b s t t ä t i g k e i t
des
dafs
Geistes
(welche von der Thätigkeit des Künstlers nur
darin unterschieden i s t , da Ts dieser
völlig frey s c h a f f e n d , der Beschauer hingegen,
geleitet
durch
das
beschauete
W e r k und folgend jener freyen Thätigkeit,
bildet)
das
Kunstwerk
glcichsam produciré, Punkt
hebe,
wächst
und
in
sich
sich so auf
den
aus welchem es hervorman
in
sein inneres
heimnifs blicken k a n n ,
Ge-
und es in allen
seinen Zweigen begränzt
sich zur An-
schauung hinstelle. Ist
dies
gelungen
und
gehörig
durchgeführt, so ist die Einsicht in das Kunstwerk sen,
an u n d für sich abgeschlos-
und dies ist die erste Stujfe
Verstehen«.
des
4 Dafs auf dieser jeder stehe, cher sich
Beurtheilung
wel-
desselben an®
maafst, ist das Geringste, was der Autor,
der
Künstler fordern kann.
Ei
kann darauf dringen, dafs man das beschauete Werk rein und unverfälscht, wie
er es gegeben,
vor den Augen
«.eines Geistes entwerfe, viel
Gewalt
über
dafs man so
sich gewinne,
es
gänzlich abgetrennt von seinen subjecti« ven Gefühlen,
Ansichten,
zu betrachten,
und aus sich selbst zu
beurth eilen;
und dafs,
Meinungen
wer dies nicht
vermag, oder gar nicht versteht, was es heifse,
sich seines Urtheils geziemend
bescheide.
Und 'Johne Widerrede darf
der würdige Autor Anspruch dafs man eher strebe,
raachen,
sein Werk aufs
Würdigste zti verstehn, sich zu ihm i n erheben,
als man sich vermesse,
über
5 irgend
etwas,
seinem Gauntètì nicht
gleich Behagliches, zu richten. Ob
eine
sem
man sich
sondern die ErfahHohén mit
der
Göttlichen nämlichen
Keckheit, wie dem Niedrigen, nen;
der
leichtfertige Beyfall
Gemeiklebt
mit ärmlicher Genügsamkeit am Staube, wie der kleinliche Tadel; einer
milzsüchtigen
Kritik
diirch Hülfe Verwandelt
sich schnell das grofse Idéal ini S iurte
6 der M e n g e in die gemeinste Alltäglichkeit,
und
mit
wohl sprecheh: Schönen
auf
Wehmuth
mag
map,
„ D a s ist das L.oos des
der E r d e ! "
D a r u m ruht
auch in den edelsten Meisterwerken die B l u m e der Kunst ihren Augen verborgen,
wie die Antike in dem geweihten
Baden
H e s p e r i e n s ! —^ über ihm wan-
deln die Sterblichen h i n , b e n zu a h n e n ,
ohne d