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German Pages 298 [308] Year 1973
Barbara Lange Die Sp radie von Schillers > Wallenstein
Wallenstein
Piccolomini< (ausgenommen V. 1488 ff.). Lyrisch und dennoch mit vorherrschend stumpfen Ausgängen ist allerdings die Stelle Picc. 1722 ff., wo Thekla von ihrer und Max' Liebe spricht (vgl. dazu Anm. 137 auf S. 62).
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S t u m p f e Versausgänge bei gleichzeitigem Enjambement dagegen sind offensichtlich für die lebhafte dramatische Erzählung bezeichnend, so vor allem für den Bericht des schwedischen Hauptmanns von Max Piccolominis Tod. Dort begegnet man zwei Partien von je 6 aufeinanderfolgenden stumpfen Versausgängen, deren Wirkung durch die ebenfalls meist männlichen Zäsuren im Versinnern noch unterstrichen wird (T. 3203 ff. und 3045 ff.). Als der Hauptmann dann jedoch die Bestattung Maxens beschreibt, überwiegen auf einmal die klingenden Versausgänge in seiner Rede (V. 3062 ff.). Die stumpfen Ausgänge kennzeichnen aber auch den kurzen soldatischen Ton, der besonders im mittleren Teil der Wallenstein-Trilogie, in den >PiccolominiTodWallenstein< immer „Generale" heißt und dieser Plural hier ja gleichfalls möglich wäre 113 . — Soldatische Härte drückt sidi ebenso in den stumpfen Ausgängen der folgenden Zeilen aus (wobei — wiederum ohne Ausgleich! — auch fast alle Zäsuren stumpf sind): Wallenstein: Was verdient der Offizier, Der eidvergessen seine Ordre bricht? Ilio: Den Tod! Wallenstein: Graf Piccolomini, was hat er Verdient? Max: Nadi des Gesetzes Wort — den Tod! Isolani: Den Tod! Buttler: Den Tod nach Kriegsrecht! (P. 1205 ff.) Eine schroffe Kürze des Ausdrucks paßt im allgemeinen am besten zu jenen Gestalten, die sich in übergeordneter Position befinden; den Untergebenen ist dafür eher ein anschmiegsamerer Ton eigen, in dem die weiblichen Versausgänge überwiegen (so besonders beim Kornett in der Szene V, 2 der >PiccolominiWallenstein< sind es maximal 25 solcher Komposita im weiblichen Versausgang, z. B. .Rachgier* (P. 1080), .Kriegstand' (P. 1203), .Handschuh' (P. 1415). Anders als die aus zwei Wörtern bestehenden Reime (vgl. L. 476 f.: Sag Er!/
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Aber freilidi gilt es zu beachten, in welchem Zusammenhang solche gleichsam geteilten klingenden Ausgänge stehen. Bei fast einem Drittel wird das Absinken des Tons auf der letzten unbetonten Silbe durch ein zügiges Enjambement wieder aufgehoben. Außerdem steht nie ein sinntragendes Wort an dieser wenig bedeutenden Stelle des Verses: Es sind enklitische Personalpronomen, gelegentlich auch Hilfsverben oder Partikel wie ,denn', ,ja' oder ,noch'117. Vor allem fällt der gleichsam aufgespaltene weibliche Versausgang deshalb nicht negativ auf, weil es sich dabei in der Regel um ganz natürlich klingende, oft der Umgangssprache entnommene Wendungen handelt: ... ... ... ... ...
Glaubt mir, Gár nichts? Was ist Euch? N u n dás noch! Verstéht sidi.
(P. (T. (T. (T. (P. 896 und T.
1955) 1280) 1724) 2011) 3301)
Die natürliche Melodie solcher Sätze mit ihrem starken Absinken des Tons und die normale Verskurve widersprechen sich hier keineswegs, sondern passen im Gegenteil ausgezeichnet zusammen. Dies kann als Beweis dafür verzeichnet werden, daß Schillers Blankverse keineswegs auf eine einheitlich pathetisdie Deklamation hin angelegt sind, was sich mit der — zunächst paradox erscheinenden — Tatsache trifft, daß Schiller auf die Stilisierung des Spiels offensichtlich weniger Wert legte als Goethe in seiner hochklassischen Zeit 118 . Vor allem im Vers
Lager), die trotz ihres immer häufigeren Auftretens in der Dichtung des 20. Jahrhunderts (ζ. B. bei Brecht) nodi immer die Aufmerksamkeit auf sidi lenken, dürften die klingenden Ausgänge, die aus zwei Wörtern oder einem Kompositum bestehen, im >Wallenstein< heute niemandem auffallen. 117
Nur zweimal handelt es sich um ein normales Verb (,drang', P. 1832; .liegt', P. 164). — Vgl. K. Ph. Moritz' Rangordnung der Wortarten in bezug auf ihre Stellung in der Senkung. Nie sollten einsilbige Substantive oder Adjektive in der Senkung stehen, bei Verben (die den 3. Platz einnehmen) sei es dagegen möglich. An letzter Stelle der Liste stehen Pronomina, Präpositionen und Artikel (a.a.O., S. 113 ff.).
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Vgl. J. Petersen, Schiller und die Bühne, S. 275 und 320. Auffallend dürfte in diesem Zusammenhang besonders die Bemerkung sein, die Schiller noch 1804 für die Aufführung eines Racine-Dramas macht: „Kleider und lebhafter Vortrag werden bei Mithridat noch das Beste tun m ü s s e n . . ( a n Goethe, 17. 1. 1804). — Die Wiedergabe und eingehende, zugleich sehr vor-
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des >Wallenstein< spiegelt sich dies wider. Zweigeteilte weibliche Versausgänge, die in sehr gehobener Sprache und Deklamationsart als unschön auffallen könnten 119 , werden von Schiller unbedenklich für den legeren Ton benutzt, der im >Wallenstein< immer wieder durchbricht. b) Zäsur Dafür, wie die stumpfen oder klingenden Ausgänge zu beurteilen sind, mußte oft schon die Melodie des ganzen Verses ins Auge gefaßt werden. Noch mehr in das Gesamtgefüge des Verses greifen dann die Zäsuren ein 120 . Die Zäsur kennt man vor allem bei den längeren Versmaßen wie dem Alexandriner, bei welchem sie ja sogar zum Gesetz des Verses gehört. Der französische „vers commun", der in Deutschland als gereimter fünfhebiger Jambus nachgeahmt wurde, schreibt ebenfalls eine feste Zäsur vor, und zwar nach der 4. Silbe; diese wirkte, wie wir sahen, auch auf die ersten deutschen Blankverse 121 . Aber ist die Zäsur bei diesem Versmaß überhaupt notwendig? Bodmer, Joh. Heinrich Schlegel122 und andere Pioniere des deutschen Blankverses sprechen zwar immer wieder von der Notwendigkeit, die Lage der Zäsuren abzuwechseln, setzen also ihr Vorhandensein stillschweigend voraus, und Henry Home behandelt in seinen — auch ins Deutsche übersetzten — >Elements of Criticism< weitläufig die „Pausen" in den englischen Fünf-Jamben-Versmaßen 123 . Aber bei Lessing ist dann weder in der Theorie
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sichtige Deutung aller Quellen, die auf Schillers Anforderungen an die theatralische Deklamation schließen lassen, findet sich bei Eberh. Stock, a. a. O., S. 109 ff. Deshalb sind sie wohl auch in der wirklichkeitsferneren >Jungfrau< kaum anzutreffen. Zur Terminologie: Die Zäsur, gelegentlich auch „Fuge" oder „Kadenz" genannt — den differenzierenden Begriff der „Diärese" möchten wir lieber ganz beiseite lassen — kann nach älteren Definitionen im Blankvers nur nach dem zweiten oder dritten Versfuß liegen. Hettich erweitert dann den Begriff auch auf die selteneren Pausen, die schon etwas früher oder später oder unmittelbar nach dem vierten Jambus eintreten (a.a.O., S. 17). S.o., S. 30, Anm.51.
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Der jüngere Bruder von Joh. Elias und Joh. Adolf Schlegel übersetzte die Trauerspiele von James Thomson in deutsche Blankverse (erschienen Leipzig 1758—64); in der Vorrede zur >Sophonisba< (1758) erläutert er seine Behandlung des Versmaßes. (Vgl. Sauer, a.a.O., S. 664)
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Bd. 2, S. 437 ff. der deutschen Ausgabe von 1763, die — zum Teil wenigstens — auch Schiller bekannt war.
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nodi in der Praxis etwas von einer Beachtung der Zäsur zu merken, und auch Schiller scheint sich keinerlei Gedanken über die Zäsur im fünffüßigen Jambus gemacht zu haben 124 . Doch unbewußt hat er sie — im Gegensatz zu Lessing — durchaus angewendet. Das bringt schon der ganz andere, im allgemeinen viel selbständigere Charakter seiner Verse mit sich. Eine Zäsur kann ja nur als solche empfunden werden, wenn in der Regel auch eine Endpause vorhanden ist. Diese jedodi fehlt in Lessings >Nathan< oft gänzlich, und die meist viel kräftigeren Pausen im Innern des Verses können deshalb nicht eigentlich als Zäsuren gewertet werden; die Einschnitte in seinen Jamben erscheinen deshalb als ganz beliebig. Die Zäsur verleiht dem Blankvers aber etwas Ausgewogenes, Harmonisches; der gewissermaßen erwartete kleine Ruhepunkt unterstreicht den Eindruck von einer erfüllten Gesetzmäßigkeit. Da er aber nie ganz in die Mitte des Verses fallen kann 125 und seine Lage ständig wechselt, so bleibt eine lebensvolle Spannung durchaus erhalten. So wichtig die Zäsur hiernach erscheinen mag, so häufig bei Schiller auch eine ausgesprochene Tendenz zur Fugenbildung zu beobachten ist 12e , gilt es dodi festzustellen, daß sich unter seinen Fünffüßlern audi Verse o h n e Zäsur finden (Schiller steht auch in diesem Punkt zwischen Lessing und Goethe). Das mag mit dem schwungvolleren Tempo zusammenhängen, in dem seine Verse gesprochen werden wollen und in dem sie sozusagen schon konzipiert sind. Bei erregten Wechselreden, wo sich Schillers Verstechnik ja auch sonst am ehesten derjenigen Lessings angleicht, vermag man leicht auf deutliche Endpausen und auf Zäsuren zu verzichten. Haben aber längere Partien regelmäßiger, feierlicher Verse ein richtiges „Blankversbewußtsein" im Leser entwickelt — so zum Beispiel im Prolog zum >Wallenstein< —, dann erwartet man auch eine Zäsur in jedem Vers, und ein emp124
Das glaubt man zumindest aus der folgenden Bemerkung Schillers, die Karl Aug. Böttiger überliefert, schließen zu dürfen: „Diese [die Senarios oder Trímetros] sind ihrer Zäsur wegen außerordentlich schwer, ob audi so sdiön und volltönend, daß es Schiller schwer wurde, zu den lahmen Fünffüßlern zurückzukehren." ( N A XLII, S. 334)
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Auch wenn bei zehnsilbigen Versen die Zäsur nach der fünften Silbe eintritt, liegt sie für das Gehör nicht in der Mitte, da auf der einen Seite der Zäsur zwei, auf der anderen aber drei Hebungen stehen.
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Z. B. durch die häufigen erweiterten Genitiv-Konstruktionen oder durch Parallelismen. Noch größer ist Goethes Neigung, den Blankvers durch allerlei syntaktische Umstellungen, Partizipialkonstruktionen etc. zu unterteilen (vgl. Hettidi, S. 157 ff.).
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findliches Ohr mag tatsächlich unbefriedigt sein, wenn sie ausbleibt: Mit leisbeweglichem Gefühl den Geist (In seiner flüchtigsten Erscheinung hascht?)127 (Prol. 30) Zwischen dem Wort ,Gefühl' und seinem Beiwort eine Pause zu madien, ist vom Sinn her nicht möglich; aber nach ,Gefühl' innezuhalten empfiehlt sich deshalb nicht, weil sonst nach der Zäsur nur zwei Silben übrig bleiben, die — in dieser Umgebung — nicht unmittelbar mit der folgenden Zeile in eins gelesen werden können; die Endpause verlangt hier vom Metrum wie auch vom Sinn her ihr Recht. A b w e c h s l u n g der Zäsuren ist die ausdrückliche oder implizite Forderung derer, die sich über den Blankvers theoretisch äußern. Auch Schiller erkennt sie indirekt an, wenn er folgende Stelle von Goethes >Iphigenie< zitiert: Lange konnte nicht die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyest des Bruders Bette. Rächend treibet Atreus ihn aus dem Reiche. Tückisch hatte schon . . . (V. 361 ff.) und dazu bemerkt, daß diese Verse „ganz unerträglich monotonisdi klingen, weil sie alle vier ihre Kadenz nach der fünften Silbe haben und aus drei Perioden bestehen, die gleichviel Silben haben" 128 . Schiller urteilt somit rein von der Form her und zieht gar nicht in Erwägung, daß eine gewisse E i n t ö n i g k e i t der Verse hier aber gerade zu Iphigenies Bericht von den unabwendbar sich wiederholenden Schrecknissen paßt 129 . Allein auch in diesem Fall steht Schillers Theorie, die vornehmlich auf Verstandesurteilen 127
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Der Sievers-Schüler Ernst Zitelmann scheint soldi ein besonders empfindliches Gehör besessen zu haben; in seiner Studie über den Rhythmus des fünffüßigen Jambus macht er auf diesen und andere zäsurlose Verse Schillers aufmerksam, an denen idi nicht immer etwas Störendes bemerken kann (Der Rhythmus des fünf-füßigen Jambus; in: Neue Jahrb. f. d. klass. Altertum, Gesch. und dt. Lit., 19, 1907, S. 510 ff.). Vielleicht kalkulierte Zitelmann auch nicht das Sprechtempo mit ein, das Schillers Verse verlangen. Ν Α X X I I , S. 226 f. Home hatte eine solche Entsprechung von Form und Inhalt sogar als Forderung aufgestellt, und zwar gerade in Hinblick auf die Zäsuren: „Wenn ähnliche Dinge oder Gegenstände in verschiedenen Versen ausgedrückt werden, so muß die Stellung dieser Verse so einförmig seyn, als es möglich ist, und besonders müssen die Pausen immer denselben Platz einnehmen." (Bd. 2, S. 444). — Vgl. hierzu auch Vers 761 f. der >Natürlichen Tochter< oder die Verse 1945 ff. der >Familie Schroffensteinc. Weniger angebracht ist eine Einförmigkeit der Zäsuren im >Nathan< (I, v. 266 ff.).
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beruht, ein mehr intuitives Vorgehen in der Praxis gegenüber: Eine ähnliche Ubereinstimmung zwischen einförmig gegliedertem Vers und einförmigem Inhalt wie hier in der >Iphigenie< finden wir dann nämlich auch im G a l lensteine Thekla: Wie heißt das Kloster? Hauptmann: Sankt Kathrinenstift. Thekla: Ists weit bis dahin? Hauptmann: Sieben Meilen zählt man. Thekla: Wie geht der Weg? Hauptmann: Man kommt bei Tirsdienreit Und Falkenberg durch unsre ersten Posten. Thekla: Wer kommandiert sie? (T. 3078 ff.) Die Fugenlage nach der fünften Silbe ordnet Home, der die einzelnen Zäsurarten zu charakterisieren sucht, vor allem der sanften und lieblichen Rede zu 130 . Wenn Theklas Rede auch nicht lieblich zu nennen ist, so stellt man sich ihre Fragen doch schon dem Rhythmus nach sanft und matt vor. Bereits der weiche Fall der klingenden Kadenzen läßt auf die Verzagtheit der Sprecherin schließen, und daß die Rede — in fast gleichgestalteten Halbversen — dennoch immer wieder aufgenommen wird, verdeutlicht die übermenschliche Anstrengung, die es Thekla kostet, sich zusammenzufassen und all diese sachlichen Fragen zu stellen. c) Enjambements Die Zahl der Enjambements ist, wie wir bereits andeuteten, im >Wallenstein< geringer als in Lessings >Nathan< und im >Don Carlos< m . Die Zeilensprünge treten vor allem nicht so gleichmäßig verteilt auf wie in jenen beiden früheren Blankversdramen, sie begegnen vielmehr stellenweise so gut wie gar nicht, dann aber wieder sehr gehäuft. Das deutet auf eine Funktionalisierung dieses Stilmittels, die zu einer genaueren Untersuchung herausfordert. Andreas Heusler nennt als diejenigen Merkmale, die den Blankvers am meisten der Prosa nähern, ausgiebige Enjambements und Auseinanderfallen von Vers- und Satzschluß182, also, im Extrem, Lessings Handhabung der 180 131
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Bd. 2, S. 454. Die Anzahl ist audi geringer als bei Klopstock und anderen Dichtern, die noch vor Lessing Blankverse benutzt hatten (s. o. S. 30). Die Kühnheit der Zeilensprünge ist dagegen in einzelnen Fällen noch gewachsen: 5mal wird im G a l lenstein« ein längeres Wort aus einer Zeile in die nächste hinübergenommen. Versgesdiidite, Bd. 3, S. 173 ff.
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fünfhebigen Jamben. Im realistischeren Dialog des >Wallenstein< begegnen wir ebenfalls einer solchen Wirkung der Enjambements. Außerdem können stumpfe Versausgänge in Verbindung mit dem Zeilensprung den Vers ganz verwischen und den Eindruck einer nüchternen, alltäglichen Sprache hervorrufen: Zwölf rüstige Dragoner sucht ihr aus, Bewaffnet sie mit Piken, denn kein Schuß Darf fallen — An dem Eßsaal nebenbei Versteckt ihr sie, und wenn der Nachtisch aufGesetzt, dringt ihr herein und ruft: Wer ist Gut kaiserlich? — . . . (T. 3203 ff.) Die Enjambements bringen hier eine völlig neue, nicht irgendwie ebenmäßige Aufteilung der Rede hervor. Trotz der gleichmäßig starken Ikten (jedes Wort bei diesem Befehl ist wichtig!) nähert sich die Sprache der Prosa 133 . Meist aber ist bei Schiller das Bewußtsein, es mit fünfhebigen Versen zu tun zu haben, durchaus vorhanden, und so kommt der Zeilensprung als solcher zur Geltung, d. h. er kann seine besondere Sprungwirkung tatsächlich ausüben. Damit stimmt überein, daß sich Schiller auch theoretisch gegen einen übermäßigen Gebrauch von Enjambements verwahrte 134 . Gewöhnlich treffen wir bei ihm also nicht ein verszerstörendes, sondern jenes versbetonende Enjambement an, das das Versmaß belebt, aber nicht aufhebt, und das besonders in längeren Perioden seinen Platz findet. Ein Beispiel hierfür wäre: Warum auch mußt er beim Empfange gleich Den Bann um sie verbreiten, gleich zum Opfer Den Engel schmücken, auf das heitre Herz Die traurge Bürde seines Standes werfen! (P. 1539 ff.) Man wird hier auf jeden Fall eine, wenn auch noch so kleine Endpause einhalten, die Erwartung eines wiederkehrenden Zusammenfalls von Versund Satzende begleitet sozusagen den Leser oder Hörer 135 . 1M
Andere Beispiele für solche, den Vers überschwemmende Enjambements finden sidi in Isolanis Rede zu Beginn der Bankettszene (bes. P. 1914 und P. 1921) oder in Unterhaltungen mit viel Antilaben (etwa T. 1362 ff. oder 1495 ff.). 134 An Körner, 26. 3.1790. iss Niemand wird bei Schiller also den „Stoß nach vorwärts" vermissen, wie es Fr. Th. Vischer bei Goethe tat. (Einiges über Vers und Sprache; in: GoetheJahrbudi 4, 1883, S. 16). — U m die Leistung deutlich zu machen, die Schillers Blankverse in ihrer sinnvollen Anwendung des Enjambements darstellen, wäre
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ö f t e r haben die Personen im Wallenstein-Drama frühere Erlebnisse mitzuteilen. Die Verse fließen dann harmonisch dahin, so zum Beispiel in Wallensteins Erzählung „Es gibt im Menschenleben Augenblicke..." (T. 897 ff.). Das Sprechtempo hat hier wohl etwas schneller als gewöhnlich, dabei aber keinesfalls gehetzt zu sein. Die Sätze sind recht lang, jedoch nicht kompliziert, denn — was sonst nicht oft begegnet —, die Verbindung der Sätze mit ,und' ist hier zugelassen. Zeilensprünge finden sich bei dem flüssigen Sprechtempo nicht selten, aber nur dreimal während der ganzen Rede sind eng zusammengehörige Satzglieder getrennt, so — besonders wirksam — an der Stelle: . . . ich sank, und über mir Hinweg, gleichgültig, setzten Roß und Reiter. 13 · (T. 928 ff.) Auffallend ist die Rolle der Zeilensprünge dann vor allem in dem bereits erwähnten Bericht des schwedischen Hauptmanns von dem Treffen, in dem Max seinen Tod fand: Zum Graben winkt er, sprengt, der erste, selbst Sein edles Roß darüber weg, ihm stürzt Das Regiment nach — doch — schon wars geschehn! Sein Pferd, von einer Partisan durchstoßen, bäumt Sich wütend, schleudert weit den Reiter ab, Und hoch weg über ihn geht die Gewalt Der Rosse, keinem Zügel mehr gehorchend. (T. 3045 ff.) In wirksamer Steigerung werden die Enjambements, als es auf den Höhepunkt der Schilderung zugeht, immer häufiger und kühner, audi mehren sich gleichzeitig die männlichen Zeilenausgänge, was — zusammen mit der weitgespannten Hypotaxe — ein schnelleres Sprechtempo bedingt. Dies alles versinnbildlicht sowohl die sich überstürzenden Ereignisse als auch die innere Anteilnahme des Sprechers. Nach dieser Klimax, wenn die Erregung des Sprechers wieder abklingt, werden Zeilensprünge bezeichnenderweise eine Zeitlang ganz vermieden.
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freilich ein Hinweis auf Kotzebues Versdramen geeigneter. Kotzebue, der nadi Schillers und Goethes Erfolgen auf diesem Gebiet ebenfalls Versdramen verfaßte, hat ζ. B. in >Regulus< einen schwerfälligen, klappernden fünfhebigen Jambus, der das fast vollständige Fehlen von Zeilensprüngen besonders fühlbar werden läßt. Zwar gibt es audi bei Shakespeare Dramen mit sehr wenig Enjambements (ζ. B. >Romeo und JuliaLagerWallenstein< die Grundlage dar. Diese sind in ihrer Art neu gegenüber dem >Don Carlos< und können einen zarten Zauber, ähnlich demjenigen der >IphigenieWallenstein< zur Wirkung kommen können. In seinem >Versudi einer deutschen Prosodie< von 1786 spricht Karl Philipp Moritz davon, daß der Wortakzent im deutschen Vers wichtiger sei als der Satzakzent (oder „Redeakzent" wie ihn Moritz nennt) 1430 . Das gilt aber zweifellos mehr für die Lyrik als für den Vers im Drama. Wenn nach Moritz die Empfindung ,mein Geliebter' lesen will der Gedanke aber ,mein Geliébter' 144 , dann steht der dramatische Blankvers im allgemeinen natürlich mehr dem verstandesmäßigen als dem gefühlsmäßigen Ausdruck nahe. Und dodi deutet diese Gegenüberstellung von „Gedanken"- und „Empfindungs"-Betonung bereits an, warum in ein und demselben Werk, in ein und demselben Versmaß die Ikten so verschieden behandelt sein können. Dazu kommt dann der Unterschied zwischen dem mehr umgangssprachlichen und dem gehobeneren Stil, der sich selbstverständlich ebenfalls auf die Verwirklichung der im Metrum angelegten Hebungen auswirkt. In der Prosa — vor allem in der alltäglichen Spradie — ist die Stärke der betonten Silben recht beträchtlich, ihre Anzahl dafür verhältnismäßig gering: Weniges wird akzentuiert, dies wenige dafür aber ziemlich nachdrücklich. Der Vers stellt in dieser Beziehung ein Mittel zwischen der normalen Prosa und vertonter Dichtung dar: Die Betonung gleicht sich bis zu einem gewissen Grad an das regelmäßige Metrum an, andrerseits gibt audi das Metrum dem natürlichen Satzakzent in einigem nach. Im Blankvers nun, der der Prosa näher steht als andere Versmaße, ist die Z a h l der Hauptikten normalerweise drei oder — gerade bei Schillers schwungvoller Verssprache — oftmals auch nur zwei. Die anderen Hebungen werden meist wesentlich schwächer betont oder fallen sogar ganz unter den Tisch — vornehmlich in sehr unmittelbar wirkender Diktion und entsprechender Versbehandlung. Dabei sind jedoch auch die verschiedenartigsten Abweichungen von dieser allgemeinen Tendenz anzutreffen. Ebenso variiert die S t ä r k e der Ikten. Besonders kräftige Akzente hat jeweils Max Piccolomini, und zwar sowohl in der begeisterten Rede, wie auch in seinen Äußerungen des inneren Widerstandes und der Verzweiflung. In der letzten Begegnung mit seinem Vater unterscheiden sich seine energischen Betonungen auffallend von Octavios schwebenden, wedi14S
° S. 135 ff. Ebd., S. 23 f.
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selnden Akzenten, durch die ein insinuierender, beschwörender Ton entsteht: Octavio: Erspare dir Die Qual der Trennung, der notwendigen. Komm mit mir! Komm, mein Sohn! Max: Nein! So wahr Gott lebt. (T. 1224 ff.) Auch in der zentralen Auseinandersetzung zwischen M a x und Wallenstein ist bei den beiden Sprechern eine ganz unterschiedliche Behandlung der Ikten zu beobachten 145 . Maxens kürzere Redeeinheiten, die durch Inversionen, Anakoluthe, Ellipsen und Wiederholungen entstanden sind und jeweils ein emphatisch betontes Wort enthalten, verursachen eine Häufung besonders starker Ikten. Gegen diesen harten, dringenden Ton hebt sich dann Wallensteins strömende Rede bestechend harmonisch und wohlklingend ab1«. c) Der Reim Im >Wallenstein< begegnet uns zum ersten Mal eine Besonderheit, die in Schillers späteren Dramen in noch viel reicherem Maße vorkommen wird: eingeschobene gereimte Verse. Im >Wallenstein< sind auch diese mit dem Endreim versehenen Verse jambische Fünfheber; nur Theklas Lied „Der Eidiwald b r a u s e t . . m a c h t hier eine Ausnahme. Der Reim in Bühnen werken war gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch ungewöhnlicher als Versdramen an sich. Höchstens Singspiele und Opern gab es in gereimter Form oder mit eingestreuten Reimpartien. Gereimte Dramen aber waren im deutschen Sprachraum schon bald nach der schweizerischen Polemik gegen den Reim im allgemeinen und den Alexandriner im besonderen selten geworden; dazu tat dann der englische Einfluß auf den Sturm und Drang das Seine 147 . Auch Wieland vermochte hieran nichts zu 145 146
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Besonders Vers 768 ff. Es sei hier noch die ergänzende Bemerkung eingerückt, daß — anders als man es vielleicht zunächst erwarten würde — regelmäßig verteilte, gleichmäßig starke Ikten weniger poetisch wirken als nuanciert abgestufte: Die gleichmäßig akzentuierten Hebungen zu Beginn der Wallenstein-Wrangel-Szene (T. I, 5) z. Bsp. wirken trocken und geschäftsmäßig im Vergleich zu der reichen Abstufung der Betonungsstärken im vorangegangenen Monolog Wallensteins. Auch hieran wird sichtbar, daß Variationen im Rahmen der allgemeinen Regel, d. h. die ästhetisch befriedigende Vereinigung von Freiheit und Gesetzmäßigkeit, Schiller in den Blankversen besonders gut gelingt. Young spricht in seinem Essay >Conjectures on Original Composition (1759) verächtlich von „tragedies fringed with rhyme", Tragödien mit einer Fransenborte aus Reimen (in: Engl. Critical Essays I, ed. by E. Jones, S. 300). Ohne eine solche originelle Formulierung, aber ebenso entschieden verwahrt sich Home drei Jahre später gegen den Reim im Drama (Bd. 3, S. 112 f.).
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ändern 148 , ebensowenig Goethe mit seinem >FaustWallenstein< umschrieben — er entspricht Schillers Tendenz zu immer geordneteren, gleichsam heileren Blankversen. Dabei wird aber der im Drama unentbehrliche Vorwärtsdrang nicht wesentlich beeinträchtigt. Zwar könnte der Reim durch den erwarteten Gleichklang am Zeilenende eine mehr statische als dynamische Wirkung hervorbringen, indem er die sich reimenden Zeilen zu einer Einheit zusammenschließt und gleichsam auf sich selbst zurückwirft. Dies war ja auch die Gefahr beim Alexandriner gewesen; Schiller aber weiß sie dadurch zu umgehen, daß er im >Wallenstein< zusammengehörige Reime möglichst nicht direkt aufeinanderfolgen läßt: Kreuzreime herrschen vor; Paare gibt es fast nur am Ende der Reimpartien, die in unserem Drama immer zugleich den Abschluß einer Szene oder sogar eines Aktes darstellen 152 , und dort ist dann der Haltepunkt durch das Reimpaar völlig gerechtfertigt. Der Reim betont nicht nur die Integrität der Verszeile, sondern hat auch seine zusätzliche Eigenwirkung. Dabei spielen Reime in Schillers Dichtung eine merkwürdige Doppelrolle: Entweder sie erzeugen einen lyrischen, 148
S. o. S. 32 f.
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Kritische Schriften, S. 72 f.
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In den >Piccolomini< V. 1757ff., 1887 ff. und 2650 f.; in >Wallensteins Tode V. 660 ff., 953 ff., 1740 ff., 2422 ff., 3161 ff. und 3385 ff. Versuch einer deutschen Prosodie, S. 98 und S. 108. Und zwar am Ende des 3. und 5. Aktes der >Piccolomini< und am Ende des 1. u. 3. Aktes von >Wallensteins Tode; nach T. II, 4 folgt ein Szenenwechsel — also ebenfalls ein bedeutender Einschnitt in die Handlung; Theklas gereimter Monolog IV, 12 wurde und wird vielfach als das eigentliche Ende des Aktes empfunden (vgl. Goethe an Schiller, 1 8 . 3 . 1 7 9 9 ; dazu S. 264 dieser Arbeit). Einmal wird diese abschließende Funktion des Reims durch Assonanzen ersetzt, und zwar am Ende der zweiten großen Auseinandersetzung zwischen Wallenstein und Max (III, 18): mit ,wirft / willst' und .Monden / loben / gegolten* klingen hier die Versenden aneinander an.
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melodiösen Tonfall oder sie haben einen rhetorischen, fast rationalen Anstrich — und das nicht nur im Lehrgedicht oder in der Gedankenlyrik, wo die Form für den Inhalt wirbt 153 . Die Reimform läßt Kompliziertes einfacher erscheinen, aber sie kann auch den gedanklichen Gehalt einer Aussage erhöhen, indem sie ihr eine Folgerichtigkeit verleiht, die sie sonst schwerlich erlangen könnte. — Solch eine doppelte Funktion hat nun auch der Reim im >Wallenstein< auszuüben. Drei Reimpartien, die zugleich die längsten von allen sind, gehören Thekla zu, und zwar das Lied im 7. Auftritt des zweiten Aktes der >Piccolomini< (10 Zeilen) und zwei Monologe, bei denen die Blankverse ziemlich bald in gereimte Fünffüßler übergehen (P. III, 9 in der Form des englischen Sonetts, also 14 Zeilen; T. IV, 12: 20 Zeilen). Bei Thekla nun wirkt der gereimte Vers mehr lyrisch als rhetorisch, und dies nicht nur in ihrem Lied, sondern auch in der Totenklage ihres letzten Monologs. Die Gemütskräfte des Hörers oder Lesers werden angesprochen — und trotzdem nicht überfordert; die Bedeutung der Ereignisse wird erst jetzt ganz erfaßt — und doch überwältigen sie den Zuschauer nicht völlig: „Wäre jene rührende Stelle nicht in Versen, wenigstens nicht gereimt, keinem Menschen wäre es eingefallen, an die Beschaffenheit der Deklamation zu denken; man hätte geschluchzt" 154 , mit diesen Worten mißbilligte ein Zeitgenosse Schillers den Reim in jenen bekannten — Theklas großem Monolog vergleichbaren — Strophen der Maria Stuart im Park von Fotheringhay (II, 1). Aber anders als diesem Kritiker, dem es offenbar als das Wünschenswerteste erschien, zum Schluchzen gebracht zu werden, war dem Autor selbst an realistischer Rührung, Rührung durch die „bloße und rohe Natur" 1 5 5 , wenig gelegen. Auch deshalb der Griff nach dem Reim: Er verwirklicht die paradoxe Kunstforderung Schillers, Abstand und somit Freiheit zu schaffen und zugleich eine äußerste Aufiss Vgl, Schiller über den »populären Vortrag": „[Wenn] die Sache die Form nicht in Schutz nehmen will, so muß die Form die Sache vertreten" (ΝΑ XXI, S. 7). Liegt dem Lehrgedicht Schillers audi nicht direkt eine solche didaktische Absicht zugrunde, so ist die Wirkung der Form im Ergebnis doch eine „werbende". — Vgl. auch die Alliterationen und reimenden Parallelen in den philosophischen Schriften (dazu E. Wilkinson, a.a.O., S. 408). 154 Braun III, S. 112. — Mit denselben Argumenten hatte schon Young den Reim im Drama abgelehnt; unzufrieden bemerkt er, daß man in Drydens Tragödien applaudiere und nicht weine. (Conjectures . . . ; a.a.O., S. 301) 165 Ganz im Sinne Schillers bezeichnet W. v. Humboldt mit diesen Worten jene Komponente, durch die Kotzebues Bühnenstück >Menschenhaß und Reue< so mächtig auf die Gemüter wirkte (an Schiller, 26. 4.1799).
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nahmefähigkeit des Zuschauers zu garantieren, denn „seine Künstlichkeit", wie es Wilhelm von Humboldt ausdrückte, „ . . . spannt unseren Geist in Erwartung und s e t z t . . . die Phantasie . . . in . . . Bewegung" 156 . Während bei Thekla der Reim nur in Monologen vorkommt, sind fast alle übrigen gereimten Verse im >Wallenstein< vom Sprecher an einen oder gar mehrere Gesprächspartner gerichtet. Meist drückt sich in jenen Reimpartien oder Verspaaren ein Entschluß aus: Max bekräftigt Octavio gegenüber sein Vorhaben, sich so schnell wie möglich Klarheit über Wallensteins Pläne zu verschaffen (P. V, 3), oder er verkündet den Pappenheimer Kürassieren seine Bereitschaft zum Todeskampf (T.III, 23); Wallenstein beschließt, „für sein Haupt und für sein Leben" zu kämpfen (T. III, 10), und Deveroux beendet schließlich die langen Bedenken wegen der geplanten Ermordung Wallensteins mit den Worten: Komm, Macdonald! Er soll als Feldherr enden, Und ehrlich fallen von Soldatenhänden. (T. V, 2) Eine lyrische Wirkung ist in all diesen Fällen natürlich ausgeschlossen, dafür ist aber das rhetorische Moment um so stärker ausgeprägt (bei Max' Abgang kommt allerdings nodi eine starke pathetische Komponente hinzu). Der Entschluß oder die so entschieden geäußerte Meinung soll auf diese Weise — für die Gesprächspartner wie für das Publikum — mehr Nachdruck erhalten. Die verschiedenen Reimpartien des >Wallenstein< haben das äußerliche Merkmal gemeinsam, daß sie alle an exponierter Stelle, am Ende eines Aktes oder einer Szene stehen. Ist deshalb — wie Jul. Petersen meint — der Grund für ihre Verwendung im technischen Problem des Szenen-Abgangs zu suchen? Wenn nämlich ein abschließendes Ereignis fehlt, sieht sich der Dichter, nach Petersen, auf rhetorische Mittel angewiesen, um dem Sprecher einen glanzvollen Abgang zu verschaffen 157 . — Für den >Wallenstein< erweist sich eine solche Deutung als nicht zutreffend. Dafür besitzen die gereimten Szenen- und Aktschlüsse aber eine inhaltliche Gemeinsamkeit: Es handelt sich immer um eine Vordeutung auf zukünftige Ereignisse, sei diese nun in einem Entschluß enthalten, in der Mahnung, die Tücke des Schicksals zu bedenken (T. I, 7), oder bestehe sie in einem bildlichen Hinweis auf kommendes Unheil (so in der Untergangsvision von Theklas erstem Monolog und in ihrem Lied)158. 158 157 158
An Schiller, 12. 3.1796. Schiller und die Bühne, S. 160. Auf den ersten Blick fallen hier allerdings die Verse 953 ff. im >Tod< aus der Reihe, mit denen Wallenstein die Diskussion über Octavios Zuverlässigkeit beendet. Aber der Reim ist nicht nur des nachdrücklichen Tonfalls wegen da,
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Nun ließe sich aber umgekehrt die Frage stellen, warum gerade diese spannungerregenden Vordeutungen, wichtige kompositionelle Elemente der beiden Dramen, in gereimter Versform erscheinen? Weil sie auf diese Weise eine stärkere Aufmerksamkeit auf sich lenken? — Einesteils wohl ja. Weil das Pathos von Theklas Vision und Max' Aufruf an seine Kameraden, sich mit ihm der Rachegöttin zu weihen, eine Stilisierung verlangen? Weil ein unumstößlicher Entsdiluß sich in geprägter Form am wirksamsten darstellt? — Auch dies kann bejaht werden. Außerdem darf angenommen werden, daß der Wunsch, Aufzüge oder entscheidende Szenen audi formal mit einem Höhepunkt abzuschließen, eine Rolle spielte 159 . Eine weitere Erklärungsmöglichkeit Sprache kommen.
soll im nächsten
Kapitel
zur
6. Die Leistung des Blankverses im >Wallenstein< Schiller wählt für den >Wallenstein< schließlich doch nicht die Prosaform, die dem Zeitgeschmack entsprochen hätte. Er wechselt auch nicht zwischen Prosa und Versen a b w o , wie es ihm das Vorbild Shakespeares hätte nahelegen können. Er nutzt jedoch, dem Gegenstand seines Dramas entsprechend, den weiten Raum versifikatorischer Möglichkeiten, die der fünfhebige Jambus bietet: Deutlich zeigte sich uns der Unterschied zwischen jenen ungezwungenen Blankversen, in denen von den Freiheiten, die dieses Metrum gewährt, reichlich Gebrauch gemacht wird, und anderen mehr oder weniger selbständigen und deshalb auch „ k u n s t m ä ß i g e r " wirkenden Versen. Eine ergreifende Nänie und eine kunstvoll berechnende Rhetorik finden in diesen Blankversen ebenso Platz wie der ungezwungenste oder realistisch heftigste Ausdruck. Schiller läßt Ilio sogar „vor Wut stammeln" (P. 2261), er läßt Seni halb auf Deutsch, halb auf Italienisch radebrechen (T. I, 1) ; die
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nicht nur, um die ruhige Sicherheit, in der Wallenstein sich wiegt, zu versinnbildlichen: Für den Zusdiauer, der die tragische Ironie dieser Zeilen spürt, weil er ja über Octavio genau Bescheid weiß, stellen Wallensteins Verse durchaus ein spannungserregendes Moment und eine indirekte Vordeutung auf den bevorstehenden Zusammenstoß von Wirklichkeit und Vorstellungswelt dar. Vgl. S. 263 f. Einzig die Eidesformel (Picc., nadi Vers 1931), die Wallensteins Generale unterschreiben sollen, ist in Prosa gehalten, in einem altertümlichen Deutsch, das weitgehend dem historischen Original folgt (Schiller hat hauptsächlich allzu schwerfällige, nicht ohne weiteres verständliche Konstruktionen vereinfacht).
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Ausrufe des Kellermeisters, der die Bedienten antreibt, faßt er in die Verse: Was steht ihr horchen? Will euch Beine machen. Seht nach den Tischen, nach den Flaschen! Da! Graf Palffy hat ein leeres Glas vor sich! (2052 ff.) die mit den schnellen Anläufen auf die starken Ikten zu und dem plötzlichen, eine wirksame Pause fordernden ,Da!' rhythmisch ungewöhnlich und doch so charakteristisch sind. Und wer hätte vor dem Wallenstein-Drama gedacht, daß sich der Ton des einfachen Mannes derart treffend in Blankversen wiedergeben ließe wie in den unmittelbar anschließenden Versen ebenderselben Szene? 2. Bedienter: Den großen Kelch verlangt man, Kellermeister, Den reichen, güldnen, mit dem böhmschen Wappen, Ihr wißt schon welchen, hat der Herr gesagt. Kellermeister:Der auf des Friedrichs seine Königskrönung Vom Meister Wilhelm ist verfertigt w o r d e n , . . . ? 2. Bedienter: Ja, den! Den Umtrunk wollen sie mit halten. Dies sind sogar ganz korrekte Blankverse, geeignet, die aus Shakespeares Dramen abgeleitete Behauptung zu widerlegen, daß der Vers sich für einfache Charaktere nicht eigne161. Frei ist der Vers normalerweise bei der Wiedergabe eines wirklichkeitsnahen Konversationstones oder bei emotioneller Erregung des Sprechers. Aber ist etwa nicht auch Thekla erregt, wenn sie ihre großen Monologe spricht oder Max, wenn er sich gegen die „unselge Falschheit" auflehnt und um sich herum nur „Betrug und Heuchelschein" wahrnimmt? Und in diesen Fällen kommt doch gerade die Kunstform in stärkerem Maße zur Geltung — ja, sie wird vielfach sogar nur mit der „Leidenschaftlichkeit" des Sprechers erklärt!1«2 Da gilt es zu differenzieren: Unmittelbar wirken Rhythmus und Sprache bei Höhepunkten der Handlung — wenn nämlich auf der Bühne etwas geschieht: wenn Max, außer sich über die Mitteilung von Wallensteins Rücktritt, mit beschwörenden Worten von einem der Generale zum anderen läuft (P. II, 7); wenn Ilio, aufgebracht durch Maxens Widerstreben, die Resolution zu unterschreiben, den Degen zückt (P. IV, 7); wenn Thekla vor ihrem Vater singen soll und, weil sie es nicht vermag, plötzlich fortstürzt (T. III, 4) ; wenn die Pappenheimer auf Buttlers hinterlistig vorgebrachte Mitteilung hin wortlos abmarschieren (T. III, 16) usw. Auch die 181 1,2
Z. B. bei Home, Bd. 3, S. 312. Vgl. hierzu die umfassendere Frage nach dem Verhältnis von Situation und Sprachform auf S. 230 ff.
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Mitteilung eines überraschenden Ereignisses könnte man in diesem Sinne als einen handlungsmäßigen Höhepunkt bezeichnen, so die Nachricht von der Gefangennahme des Unterhändlers Sesin (P. V, 2 und T. 1,1/2). In all diesen und vielen anderen entsprechenden Fällen wäre es fehl am Platze, wenn die beteiligten Personen in einer Sprache von unverletzten, deutlich voneinander abgesetzten Versen reagierten. Der Vers gleicht sich hier beweglich an den lebhaften Ton der Aussage an. Anders ist das bei jenen Höhepunkten, die nicht direkt mit äußeren Ereignissen zusammenfallen, sondern vielmehr innere Höhepunkte darstellen. Dabei handelt es sich nicht mehr um unmittelbare Reaktionen auf die Geschehnisse: Es geht dann vornehmlich darum, sie geistig zu bewältigen, oder es geht um grundsätzliche Auseinandersetzungen zwischen den Dialogpartnern, die uns vor Augen geführt werden. Weil hier die Aussage gedanklich anspruchsvoll ist, weil die Absicht, rednerisch zu wirken, vorliegt oder weil zu starke Emotionen nach einer entrückenden Stilisierung verlangen, ist der Vers sichtbarer geformt oder sogar durch den Endreim betont. Dies vermag uns zugleich einen wesentlichen Vorteil, den der Vers gegenüber der Prosa besitzt, zu zeigen. Im dramatischen Dialog zum Beispiel, wo es oft darum geht, den Partner mit allen Mitteln der Überredungskunst auf die eigene Seite herüberzuziehen, wo es also um rhetorische Wirkung geht, kann eine solche Absicht in der geprägten Versform deutlicher zutage treten als in der Prosa oder in nur locker gefaßten Versen1*3. Dies ist im Grunde eine Charakterisierung durch den Vers, zwar keine unmittelbare Charakterisierung wie in der realistischen Prosasprache, sondern eine indirekte Verdeutlichung. Aber der gewünschte Eindruck — in unserem Beispiel der Eindruck, es mit einem Sprecher zu tun zu haben, der auf die Wirkung seiner Worte sehr bedacht ist — kann durch die streng durchgeformten Verse nodi bestimmter hervorgerufen werden. Für diese Fähigkeit des Verses, auf indirekte Art zu charakterisieren, finden wir im >Wallenstein< zahlreiche Beispiele. Hier nur noch einige: Wenn im Streitgespräch zwischen Ilio und Questenberg die Verse auf einmal in regelmäßige Stichomythien übergehen, so erhöht diese mit scheinbarer Leichtigkeit gemeisterte, kunstvolle Form den Eindruck einer bewundernswerten Schlagfertigkeit in ihren Repliken 164 . Wenn in der Rede von Personen einfacher Herkunft, bei den Bedienten zum Beispiel, die Verseinheit 1,8 1,4
Vgl. S. 65 f. zu Wallensteins Gespräch mit Max (T. II, 2). Vgl. auch die Knittelversstidiomythien im >LagerIphigenie< fest, daß der Vers „schönere Wendungen und manchmal audi schönere Bilder" veranlaßt habe (an Körner, 1 4 . 1 0 . 1787). Größere Erhabenheit und größere Schönheit der Sprache scheinen nach diesen Bemerkungen das Wesentlichste zu sein, was der Vers der dramatischen Rede zu geben vermag. Auch Gustav Freytag meint, daß dergleichen bei der Versform wichtiger sei als „Kürze und Schärfe des Ausdrucks" (a.a.O. — s. S. 29, Anm. 47, — S. 275). Für den >Wallenstein< wird allerdings noch zu zeigen sein, daß — obwohl der Vers einerseits „in die Breite treibt" — durchaus auch eine bewundernswerte K o m primierung des Ausdrucks möglich ist (s. z. B. S. 102 f. und S. 133 ff.).
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Sowohl von Schiller (vgl. an Körner, 26. 3 . 1 7 9 0 ) wie von Goethe (zu Eckermann, 2 9 . 1 . 1 8 2 7 ) gibt es Äußerungen, in denen sie die Bedeutung des Verses auf Kosten des Inhalts stark relativieren. Andrerseits teilt Schiller im Jahre 1797 Goethe folgende Erkenntnis mit: „Man sollte wirklich alles, was sich über das gemeine erheben muß, in Versen, wenigstens anfänglich, conzipieren, denn das Platte kommt nirgends so ins Licht, als wenn es in gebundener Schreibart ausgesprochen wird." (24. 11.; dazu S. 251 f. dieser Arbeit).
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Schiller selbst hat den ersten Teil der Wallenstein-Trilogie als ein „Lustspiel" bezeichnet172, und für ein solches gelten nun hinsichtlich Form und Inhalt völlig andere Voraussetzungen 173 . Die Form läßt sich hier gleichsam freiwillig, spielerisch zum Inhalt herab, obwohl dieser seiner Bedeutung nach eine solche Verbindung nicht rechtfertigt. Sie gibt ihm den Reim, jenes Merkmal der gebundenen Rede, das den Abstand zwischen Kunst und Leben am sichtbarsten zu machen vermag. Wie im Scherz hebt sie den Gegenstand und fordert zugleich Bewunderung dafür, mit welcher Leichtigkeit solch unmittelbares, buntes Leben in die Kunstform gebannt werden konnte. Diesem Triumph der Form über das Leben steht aber gleichzeitig ein Triumph des Lebens über die Kunstform gegenüber: So augenfällig der Reim die Künstlichkeit macht, so wirkungsvoll wehrt sich doch auf der anderen Seite die robuste, naive Realität gegen die Stilisierung, die sie im Holterdiepolter-Rhythmus der Knittelverse immer wieder durchbricht, und gegen die sie auf ergötzliche Weise ihre Originalität und Vielfalt zu behaupten weiß. Erst diese Gegenbewegung — die sich freilich nicht nur im Rhythmus, sondern auch im Stil ausdrückt — macht den leicht parodistischen Charakter des >Lagers< aus; erst das Widerspiel von Formgebung und Lebensfülle schafft den Abstand, welcher die Voraussetzung dafür ist, daß beides, sowohl Lebensfülle wie Formgebung, zur rechten Wirkung kommt. Das >Lager< ist nun freilich kein für sich bestehendes, in sich abgerundetes Lustspiel; es ist auf die späteren Teile der Trilogie bezogen, und eine seiner wichtigsten Aufgaben in dieser Hinsicht ist die Vermittlung von Tatsachen und die Darstellung einer bestimmten historischen Situation. Es sei nun wirklich „ein sehr lebhaftes Gemälde eines Wallensteinschen Kriegslagers", konnte schließlich Schiller selbst befriedigt feststellen174. Für die Wiedergabe einer solchen Welt konnte kein Versmaß geeigneter sein als der volkstümliche, leicht eingängige Knittelvers, und ebenso geeignet ist er auch für die lustspielhafte Darstellung, die die Bedeutung dieser Welt relativiert und schon für die Aufnahme der späteren Ereignisse einen Bezugspunkt setzt. Der Knittelvers der Goethezeit, außer von Goethe selbst auch von einigen Dichtern des „Sturm und Drang", von Wieland und anderen 172
An Körner, 30. 9.1798. 173 Vgl. >Naive und sentimentale Dichtungc „In der Komödie geschieht durch den Gegenstand nichts und alles durch den Dichter" ( Ν Α X X , S. 445). — Eine echte Komödie nach dieser Definition ist das >Lager< jedoch insofern nicht, als der spielende Witz (das „Raisonnement") — nach Schiller der wesentlichste Unterschied zur Tragödie — hier nicht zum Zuge kommt. 174 An Körner, 30. 9. 1798.
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gelegentlich benutzt 175 , schließt sich ursprünglich an den volkstümlichen „freien" Knittel an und fließt dann zusammen mit der Nachahmung des mißverstandenen, an sich recht strengen Hans-Sachs-Verses (der ja immer 8 oder 9 Silben hat und höchstwahrscheinlich — ohne Rücksicht auf die Wortbetonungen — alternierend gelesen worden war) 176 . Im >Lager< erscheint er nun noch ungezwungener als bei Goethe 177 : Die Anzahl der Senkungssilben variiert noch mehr, und zwar ganz besonders in der Kapuzinerpredigt; regelmäßig alternierende Verse gibt es kaum — auch hier also wie beim Blankvers eine weitgehende Nutzung der Freiheiten. Außerdem kommen und gehen die Reime äußerst zwanglos; es gibt nicht nur Reimpaare wie im normalen Knittelvers 178 , wir stoßen im >Lager< auf Kreuzund umfassende Reime, auf die verschiedensten Arten von Dreier-Reimen und sogar auf einige sogenannte „Waisen". Die Unreinheit der Reime, die sonst bei Schiller auch dem im allgemeinen nicht sehr empfindlichen Hörer aufzufallen pflegt, stört hier keineswegs: sie gehört im >Lager< mit zu den stilbildenden Unvollkommenheiten der Versifikation, wiederum vor allem in der Predigt des Kapuziners, in der Schiller sich mit den ungefähren Reimen, Paronomasien und Wortspielen an Abraham a Santa Claras Benutzung solcher klanglichen Effekte anlehnt und dabei manches sogar einfach übernimmt 179 . Erscheinen die Reime selbst und auch ihre Verteilung aufs Ganze gesehen recht ungezwungen, so können sie an ihrem Ort doch oft von besonderer Wirkung sein. Da gibt es beispielsweise an jener Stelle, wo der Trompeter und der Wachtmeister sich im Eifer der Rede gegenseitig das Wort abschneiden, eine Versverschränkung durch plötzlich auftretenden Kreuzreim: Trompeter: Ja, es ist wieder was im Werke! Wachtmeister: Die Herrn Generäle und Kommendanten — Trompeter: Es ist gar nicht geheuer, wie ich merke. Wachtmeister: Die sich so dick hier zusammenfanden — (65 ff.) 175
178
Die früheren Etappen seiner Geschichte findet man bei Franz Saran, Dt. Verslehre, 1907 ( = Handbuch des dt. Unterrichts . . . III, 2), S. 321 ff. verzeichnet. Vgl. Ulrich Pretzel, in: Deutsche Philologie im Aufriß, Bd. 3, 21962, Spalte 2477 ff.
m Vgl. hierzu E. Feise, Der Knittelvers in „Wallensteins Lager"; in: Euphorion 17 (1910), S. 591. 178 Audi Goethe hatte im >Urfaust< nur Reimpaare, erst im >FaustWallensteins Lagere. 179 Vgl. ΝΑ VIII, S. 476 ff.
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Da sind die Reimpaare im Gespräch zwischen den Soldaten und dem Bürger, welcher zusammen mit dem Rekruten auftritt: Bürger:
Idi sage euch, er hat Vermögen und Mittel. Fühlt her, das feine Tüchlein am Kittel! Trompeter: Des Kaisers Rock ist der höchste Titel. Bürger: Er erbt eine kleine Mützenfabrik. Zweiter Jäger: Des Menschen Wille, das ist sein Glück. Bürger: Von der Großmutter einen Kram und Laden. Erster Jäger: Pfui! Wer handelt mit Schwefelfaden! etc. (400 ff.) Der Bürger setzt immer wieder neu ein, mit einem neuen Argument und einem neuen Reim, dodi stets findet einer der Soldaten sofort eine Antwort mit dem passenden Reimwort dazu und beweist auf diese Weise seinen Mutterwitz. Auch die komischen Nebenbemerkungen, die der erste Jäger zu den feierlich langen Reden des Wachtmeisters beisteuert, vollenden jeweils einen angefangenen Reim; dadurch erscheint die unvermittelte Unterbrechung der Tirade noch viel krasser: Wachtmeister: . . . Mit dem Helm da und Wehrgehäng Schließt er sich an eine würdige Meng. Muß ein fürnehmer Geist jetzt in ihn fahren. Erster Jäger: Muß besonders das Geld nicht sparen. (417 ff.) Die Einheit der Verszeile wird durch Enjambements selten angetastet, das würde in den gereimten Versen zu viel Unruhe geben und bei den Gestalten des Lagers auch zu kompliziert wirken (Kreuzreime und dergleichen sichern in diesem noch recht wenig dynamischen „Gemälde" die nötige Vorwärtsbewegung). Eine Ausnahme von dieser Regel macht, wie schon bemerkt, der redselige Wachtmeister, eine andere findet sidi am Ende der Kapuzinerpredigt in einem ausgezeichnet zur Situation passenden Zeilensprung: (Der Mönch, von den Soldaten aufs äußerste bedrängt, will seine Tirade auf Wallenstein um jeden Preis nodi schnell zu Ende bringen) Kapuziner: Und solang der Kaiser diesen Friedeland Läßt walten, so wird nicht Fried im Land. (623 f.) Entsprechend situationsbedingt sind auch die Antilaben des 9. Auftritts: Stimmen: Greift ihn, den Schelm! Schlagt zu! Schlagt zu! Lange, Wallenstein
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Des Bauern Stimme: Hilfe! Barmherzigkeit! Andre Stimmen: Friede! Ruh! Erster Jäger: Hol mich der Teufel! Da setzts Hiebe. Zweiter Jäger: Da muß ich dabei sein! Marketenderin: Schelmen und Diebe! (637 ff.) Daß hier ausnahmsweise einmal die einzelnen Knittelverse aufgeteilt sind und das erwartete Reimwort nicht von dem Sprecher kommt, der den Vers begonnen hat, sondern schon wieder von einem nächsten, das belebt den Vers ungemein. Die bisherigen Betrachtungen mögen als Hinweis dafür genügen, daß audi der Knittelvers des >Lagers< sich dem Inhalt anzupassen vermag, wenn natürlich audi nicht so beweglich wie der dafür besonders geeignete Blankvers; aber gerade das, was „in Jamben schwerlich gesagt werden kann", kann auf diese Weise nun in das „heitre Reich der Kunst" eingehen, von dem der Prolog des >Wallenstein< spricht.
SPRACHSCHICHTEN UND STILEBENEN Wenn ein Zeitgenosse Schillers die Sprache des >Wallenstein< ein „einförmig deklamatorisches Gewand" nannte 1 , so formulierte er damit zum ersten Mal einen Vorwurf gegen Schillers Dichtertum, der audi uns heute keineswegs fremd tönt. Aufmerksamere Hörer und Leser dagegen nehmen immer wieder Anstoß an der „Ungleichheit des Tons" 2 und stellen mißbilligend fest, daß die Sprache von Schillers Dramen, besonders die Sprache des >WallensteinLagers< (O. Fambach, Schiller und sein Kreis in der Kritik ihrer Zeit, S. 430); vgl. auch Otto Ludwigs Aussprudi von einer „eintönigen Feierlichkeit oder feierlichen Eintönigkeit bei Schiller" (Shakespeare und Schiller; in: Ges. Schriften, Bd. 5, 1891, S. 264). 2 So ein Rezensent der Jenaer Allgemeinen Literaturzeitung (Braun III, S. 37). * Caroline Sdilegel gibt in einem Brief an Friedrich diese Bemerkung ihres Mannes wieder (14.10.1798; in: Caroline. Briefe aus der Frühromantik, Leipzig 1913, Bd. 1, S. 457). 6*
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Sprachschichten und Stilebenen
Um die Rede zu beleben, greift Schiller auf die Sprache des Volkes und auf die gewöhnliche Umgangssprache zurück und läßt die Personen im >Lager< von ,Bissen und Trunk' (50), von ,Placken und Schinden' (256), von ,Gehudel' (956) oder von .Gäulen' sprechen und läßt sie Wörter wie ,auskramen' (560), ,sich um etwas scheren' (842), ,derweil' (182) und ,unser einer' (194) gebrauchen. Die Skala reicht von durchaus akzeptablen familiären Ausdrücken bis zu eindeutig groben wie ,Soff' (272) oder ,Hund' (als Schimpfwort; Vers 53); sie reicht von gewöhnlichen Ausrufen wie ,ei was!', ,i freilich!' (126) oder .recht so!' (412) bis zu allerlei Flüchen, die im >Lager< weit verschiedenartiger sind als die Flüche in den folgenden Teilen der Trilogie, wo es meist nur ,Tod und Teufel!' heißt4. Zum volkstümlichen Ausdruck gehören auch die reichlich angebrachten Zwillingsformeln (,mit Leib und Leben', 89; .gekocht und gebraut', 368; ,Beding und Pakt', 847)® und ebenso die Verwendung allgemein gebräuchlicher Wörter in speziell umgangssprachlicher Bedeutung: Der Spitzbub! der hat mich schön betrogen (155) Das Mädchen ist kein übler Bissen! (170) Zu dieser populären Ausdrucksweise, die das ganze Vorspiel durchdringt, gehören andere, auf den ersten Blick vielleicht weniger auffällige Merkmale: apokopierte Endungen oder Aphäresen und Synäresen wie: rum (so im Land rum führen) (838) drein (drein schlagen) (450) in = in die (legt die Hände in Schoß) (494) ungewöhnliche Flexionsformen wie die Fremdwortplurale auf '-er1 (Jesuiter', 942, und ,Kollette?-', 742) oder die häufigen femininen Dative auf '-en': . . . auf der Leipziger Messe« (123) Das fürcht sich auch vor der engen Stuben. (163) usw., 4
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Flüche und Kraftausdrücke im >Lager< sind zum Beispiel: ,beim Element* (171), .Wetter audi' (212), .Hol midi der Teufel' (639), ,zum Henker' (740), .Potz Wetter' (743), .beim Kuckuck' (761), .Prost Mahlzeit* (767). Nur zum Teil handelt es sich hierbei um Zwillingsformeln, die im Sprachschatz bereits ihren festen Platz haben (,Geld und Gut', 850); meist sind solche alten Formeln nur sehr geschickt nachgeahmt, häufig sogar mit dem für sie bezeichnenden Stabreim (,schmuck und stattlich', 1 2 1 ; ,flüchtig und flink', 392). O f t sind diese neuen Bildungen auf eine unbekümmert gemütliche A r t tautologisdi (.ehren und respektieren', 1 9 6 ; ,Glanz und Schimmer', 904; .begreifen und einsehn', 1 0 1 5 etc.). — Später kommen Zwillingsformeln in gehäuftem Maße bezeichnenderweise nur noch in der Mörderszene vor.
Zu Wortwahl und Wortform
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weiterhin Diminutive, die sich gleichsam anbiedern oder eine leichte Verachtung ausdrücken*: Laßt uns hier auch ein Plätzchen
nehmen.
Kinder und Enkelein um sich pflegen.
(178) (951)
und schließlich — besonders wirksam — allerlei für den familiären Ausdruck typische Partikel: Mit dem Gered da ists nicht getan . . . Ja, ihr gehört auch so zur ganzen Masse. Ich wills ihm nur sagen, die D i m ist mein.
(717) (199) (474)
Trotzdem ist die Sprache des >Lagers< anders als diejenige, die wir vom einfachen Mann zu hören gewohnt sind. Auch Schillers Zeitgenossen erging das bereits so, denn sparsam eingesetzte a l t e r t ü m l i c h e Sprache l e m e n t e geben das historische Kolorit und — mit dem Reim zusammen — zugleich die distanzierende Verfremdung 7 : (445)
Das macht, er tat sich baß hervor. Seht, ihr Herrn, das ist all recht gut, D a ß jeder das Nächste bedenken tut. Mit der güldenen
Gnadenkette.. .
H a b der hispanischen Monarchie Gedient... 4
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(726f.) (73) (937)
Vgl. auch den Vertraulichkeit suchenden Diminutiv im Gespräch Wallensteins mit den Pappenheimern: „ . . . ihr scheint mirs wert vor andern, / D a ß ich ein traulich Wörtlein zu euch rede" (T. 1979), oder die pejorativen Formen ,Gnadenkettlein' (T. 2172) und .Söhnlein' (P. 801). — Im allgemeinen ist für Schiller gerade das Fehlen von Verkleinerungsformen bezeichnend: „Kaum kannte er Diminutive grammatischer oder bildlicher Art. Man schaut in sein Universum wie durch ein Vergrößerungsglas", stellt Martin Dyck fest (a.a.O., S. 12). Differenziertere Angaben bei: Hch. Pfennig: Das Deminutivum bei Schiller und seinen Zeitgenossen; in: Zschr. f. dt. Wortforschung 6 (1904/5), S. 1—39. Es ist allerdings im einzelnen nicht so leicht zu entscheiden, was zu Schillers Zeit tatsächlich als altertümlich empfunden wurde. Die Wörterbücher und historischen Grammatiken geben über solche Nuancen selten Auskunft (als Beispiele dienen oft Stellen aus poetischen Werken, die für ihre Zeit nicht unbedingt die Norm darzustellen brauchen, da sie womöglich bewußt eine leichte Patina der Sprache pflegen); also sieht man sich genötigt, sich auf Vergleiche mit dem normalen Stil jener Zeit, am besten auf den Briefstil, zu stützen. Auch in der Mörderszene heißt es noch einmal „gulden" (T. 3251), der Kürassier im 11. Auftritt des >Lagers< spricht dagegen von „goldenen Bürden" (949). — Vgl. dazu S. 255.
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Spradisdiiditen und Stilebenen
Es handelt sich hierbei nicht um eine Wiederbelebung ausgestorbener Wörter wie Klopstock beispielsweise sie propagiert hatte; Schiller greift veraltete Wortformen und Konstruktionen auf, die — ganz anders als Klopstocks Archaismen — nicht etwa erhaben, sondern auf eine amüsante Art einfältig wirken; dazu gehört in erster Linie die häufige Umschreibung mit ,tun'». Historisches Kolorit geben im >Wallenstein< auch die vielen F r e m d w ö r t e r , die man sdion in den barocken Quellen so reichlicii findet, die aber auch in der Umgangssprache des ausgehenden 18. Jahrhunderts nodi sehr stark vertreten sind 10 : Die Wege sind noch nicht praktikabel. (109) Seit der Leipziger Fatalität... Doch unter des Friedländers
(280) Kriegspanieren
D a bin ich gewiß zu victorisieren. . . . mit Permiß zu s a g e n . . . 9
10
(L. 347 f.) (459)
Weil sich manche Archaismen (wie etwa die Umschreibung mit ,tun') in den einzelnen Dialekten erhalten haben, wäre denkbar, daß sie eher als m u n d a r t l i c h empfunden werden. Doch dem wirkt entgegen, daß Lautform und Flexionsendungen im >Lager< fast durchweg hochsprachlich sind. Als Ausnahmen wären etwa folgende zwei Verse der Kroaten anzuführen: Bleib da Pfäfflein, furcht dich nit, Sag dein Sprüche/ und teils uns mit, (L. 616 ff.) die auf den südostdeutschen Raum deuten; außerdem das ,Ne!' ( 945) des ersten Arkebusiers, das für den aus .Buchau am Federsee' (also aus Sdiwaben) stammenden Sprecher allerdings nicht gerade glücklich gewählt ist. Ausgesprochene Suevizismen wie sie in Schillers Jugenddichtungen nodi recht zahlreich waren, treffen wir im >Wallenstein< kaum nodi an; wenn doch, dann sind sie aber — ebenso wie beim frühen Schiller — unfreiwillig verwendet: Im Felde Da dringt die Gegenwart, (P. 454 f.) sagt Max, wobei ,dringt* für ,drängt' — ebenso wie .sdiänden' für ,schinden' (909) — darauf zurückzuführen ist, daß im Schwäbischen die Aussprache der beiden Verben weitgehend zusammenfällt. Wenn Schillers süddeutsdie Herkunft sich zeitlebens in der Aussprache und deshalb auch in den Reimen nicht verleugnete, so hat er sich im Wortschatz und in den Redewendungen doch sehr schnell der mitteldeutschen Umgangssprache angepaßt. In der familiären Sprache des >Wallenstein< finden sich wenige ausschließlich süddeutsdie Ausdrücke, dafür begegnen aber viele umgangssprachliche Wendungen, die eindeutig mittel- oder norddeutsch sind. Vgl. K. Ph. Moritz' Bemerkung in seinen >Vorlesungen über den deutschen Stile (Bd. 1, 1793, S. 166), daß die deutsche Sprache zur Aufnahme des Fremdartigen immer geschmeidiger wird, „je mehr die Vorstellungsart zum Niedrigen, Komischen herabsteigt." — Schiller brauchte die Fremdwörter, die
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Zu Wortwahl und Wortform
Schiller ahmt hierbei in der Wortform und der Schreibung sogar manchmal die volkstümliche Aussprache dieser Fremdwörter nach, so heißt es zum Beispiel .bankerott' (818), ,ordenanzen' (834) oder ,Schenie' (210). Auch in den >Piccolomini< und in >Wallensteins Tod< sind Fremdwörter noch ziemlich reichlich vertreten, und dies nicht nur, weil sie geeignet sind, die Welt des 17. Jahrhunderts heraufzubeschwören oder einen legeren U m gangston wiederzugeben: Sie gehören außerdem zur Sprache der Astrologie und des Kriegswesens, die doch beide im >Wallenstein< eine so große Rolle spielen. Ebenso kehren andere Eigentümlichkeiten des Wortschatzes aus dem >Lager< in den beiden Blankversteilen des >Wallenstein< wieder, besonders auffallend in der bereits erwähnten K e l l e r m e i s t e r - S z e n e .
Dort
begegnen archaisdie Wortformen: Mein gnädger Herre . . .
(P. 2 0 5 1 )
kolloquiale Wendungen: eine Pracht von einem Becher,
(2063)
oder dem familiären Ausdruck geläufige Fremdwörter: Jetzt wird der Flor erst angehn.
(2043)
Ebenso angebracht wie gut getroffen ist dann der burschikos populäre Tonfall der beiden Haudegen in der M ö r d e r s ζ e η e (T. V, 2) : Wenns nur der Chef nicht war, der uns so lang Gekommandiert hat und Respekt gefodert.
(3272 f.)
Ja, ja! In Ingolstadt war auch so einer, er im >Wallenstein< zu charakterisierenden Zwecken einsetzte, aber nicht alle aus den Quellen zu schöpfen oder seinen weniger gebildeten Zeitgenossen vom Munde abzulesen: Wie aus seinen Briefen zu ersehen oder aus Berichten über seinen Gesprächsstil zu erfahren ist (vgl. Schelling über die erste Begegnung mit Schiller; in: Schillers Gespräche, hrsg. v. J . Petersen, S. 268), war auch seine eigene Sprache reichlich mit Fremdwörtern durchsetzt, sowohl mit umgangssprachlichen als audi mit den lateinischen Begriffen des typischen Gelehrtenstils. In seiner Dichtung ist er im allgemeinen jedoch bemüht, Fremdwörter zu vermeiden — nicht aus einem strengen Purismus, wie ihn Campe vertrat, sondern wahrscheinlich, weil ihn die umgangssprachliche oder trocken wissenschaftliche Aura, die solche Wörter mitbringen, störte (vgl. an Körner über Wörter wie „Cultur" in gebundener Rede; 26. 3.1790). Die auffallende Tendenz zum anspruchsvollen, feierlichen Fremdwort in der Jugendlyrik ist nur als eine vorübergehende Erscheinung anzusehen. (Vgl. St. Przyklink, Das Fremdwort beim jungen Schiller, Diss. Greifswald, 1935. Weitere Literatur zum Fremdwort bei Schiller — wie überhaupt zu seinem Wortschatz — ist in der Bibliographie von Fr. Kainz zu finden: Dt. Wortgesdi. II, = Grundriß der germ. Philol. 17/2, Berlin, 2 1959, S. 403 ff.)
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Spradisdiichten und Stilebenen
Dem war die H a u t so fest wie S t a h l . . . (3340 f.) oder — man könnte immer weiter zitieren — : U n d einen kräftgen Segen drübersprechen. (3347) M a n sage nicht, Schillers Sprache sei stets blaß, allzu schön und lebensfern! Nicht nur die Gestalten der unteren Stände überraschen durch eine wirklichkeitsnahe Ausdrucksweise. Sdiiller, der zu Beginn der Arbeit am >Wallenstein< nichts so sehr fürchtete, wie in seine „ehemalige rhetorische Manier zu fallen" 1 1 , läßt die G e n e r a l e ebenfalls eine äußerst lebendige Sprache sprechen; das fällt besonders in den Bankettszenen (P. IV) und in der Auseinandersetzung mit Questenberg zu Beginn der >Piccolomini< auf. Schließlich hat auch der F e l d h e r r selbst teil an der umgangssprachlichen Ausdrucksweise. Anders als bei seinen Untergebenen, ist dies bei ihm aber nicht nur das Zeichen f ü r eine soldatisch ungezwungene Art, sich zu geben. Bei ihm deutet die realistische Sprache auf die Vielschichtigkeit seines Wesens und auf seine Verwandlungsfähigkeit; er kann ja auch ganz anders sprechen 12 . Wallenstein vermag sich absichtlich unkompliziert zu geben, andrerseits verrät er sich aber audi unbewußt durch eine populäre oder gar vulgäre Ausdrucksweise. Hier denken wir vor allem an die Szene Picc. II, 5, in der er Terzky von seinen Plänen spridit und ernstgemeinte Konzessionen an die Schweden strikt ablehnt. Er redet in wohltönenden Worten von dem „schönen deutschen Land", als dessen „Schirmer" er einmal geehrt sein möchte, verfällt aber, wenn auf die Schweden die Rede kommt, plötzlich auf ein so vulgäres Schimpfwort wie „diese Hungerleider" (P. 840) und auf so verächtliche Ausdrücke wie „nichts zu fischen haben" (P. 844). Die Deutung K u r t Mays scheint nahezuliegen, daß Schiller hier Wallensteins wenig ideale, selbstsüchtige Nebenabsidit durchscheinen lassen möchte 13 . Genau besehen jedoch träfen seine Schmähungen dann die Schweden mit ungerechtfertigter Heftigkeit 1 4 . Geht es Wallenstein wirklich mehr um sich selbst als um das Reich, dann kann er die Schweden nicht so sehr hassen, wie es seine 11 12
13 14
An Goethe, 2 . 1 0 . 1 7 9 7 . Zwar ist dies gelegentlich audi bei Ilio und Buttler der Fall. (Vgl. hierzu S. 173 ff.) Fr. Sdiiller. Idee und Wirklichkeit im Drama, S. 111. Seine temperamentvollen Ausbriidie scheinen ehrlicher, wenn sie das Kaiserhaus treffen, das sein Streben nadi Macht und Würde empfindlicher zu kränken vermag als die Schweden : Sie haben . . . . . . mir den Nachfolger schon gegeben. Der Ungarn König ists, der Ferdinand, Des Kaisers Söhnlein, der ist jetzt ihr H e i l a n d , . . . (P. 798 ff.)
Zu Wortwahl und Wortform
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Worte nahelegen möchten. Der Gedanke scheint einleuchtender, daß er, um die Reichsidee vor sich und den anderen hochzustellen, um sich von Terzkys so offenkundig
eigennützigen Vorschlägen abzusetzen und seinen Plänen ein
ideales Mäntelchen umzuhängen, seinen H a ß auf die Schweden übertreibt, sich deshalb also im Ton vergreift. Wenn ihn das zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht eigentlich zu entlarven vermag, so wird es den aufmerksamen Zuschauer doch stutzig machen und das Interesse auf die Frage nach der Ehrlichkeit von Wallensteins Äußerungen lenken 15 . Der umgangssprachliche Ton wird, je weiter es die soziale Stufenleiter hinaufgeht, immer glatter, gewandter und zeitnaher. Bei Wallensteins Mördern, den Bedienten und dem Kellermeister ist er volkstümlich naiv und zugleich mit allerlei Archaismen durchsetzt. Die Ausdrucksweise der Generale ist dann oft weniger einfach als zwanglos; Altertümliches gibt es bei ihnen kaum und bei Wallenstein in der Regel gar nicht mehr. Und doch stellen wir hier eine bezeichnende Ausnahme fest: In der S z e n e
mit
W r a η g e 1 und Wallenstein (T. I, 5) fällt auf, wie die beiden sich in einem biedermännisch wirkenden altertümlichen Deutsch begegnen, das zudem leicht an die Luther-Bibel erinnert und deshalb besonders gut für das Gespräch mit dem Protestanten zu passen scheint. 15
Womöglich ist Wallensteins Reaktion auf die Mitteilung des Liebesverhältnisses zwischen Max und Thekla ähnlich zu erklären (T. III, 4) : Liebt! Wen? (T. 1490) . . . Ist der Junge toll? (T. 1499) ruft Wallenstein aus; er stellt damit die Angelegenheit als kindisch dar und bekundet seine äußerst nüchterne Ansicht darüber. Seine Überraschung erscheint uns aber als fast zu stark: Wir könnten es wiederum mit einer gespielten, einer zu gut gespielten Reaktion zu tun haben. Dann wäre also die Annahme der Gräfin, daß Max und Thekla mit Berechnung zusammengeführt wurden, richtig. Freilich möchte der engagierte Leser oder Zuschauer — unwillkürlich um eine Rettung des Wallensteinbildes bemüht — dies nidit allzugern annehmen. Man ist deshalb auch versucht, in den folgenden Zeilen derselben Szene: Nein, sie ist mir ein lang gespartes Kleinod, Die höchste, letzte Münze meines Schatzes, Nicht niedriger fürwahr gedenk idi sie Als um ein Königsszepter loszuschlagen, (T. 1531 ff.) den erschreckend herzlosen Ausdruck Josschlagen' im Zusammenhang mit der eigenen Tochter n i â t so aufzufassen, wie er eigentlich aufgefaßt werden müßte. Man ist eher geneigt anzunehmen, daß hier der Dichter selbst seine Worte nicht ganz sorgfältig gewählt hat. .Losschlagen' auf Thekla bezogen, das müßte Zuneigung gänzlich ausschließen, aber eine Liebe Wallensteins zu Thekla, wenn auch eine im wesentlichen egoistische, auf Stolz beruhende — eben die Liebe des Realisten, der, was er liebt mit irdischen Gütern beglücken muß (ΝΑ X X , S. 497 f.) — wird doch andrerseits nicht ausgeschlossen.
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Sprachschichten und Stilebenen Wrangel sagt ,funfzehntausend' und ,fürtrefflich', er gebraucht das W o r t
.Volk' für ,Soldaten' 1 6 . Aber wichtig ist vor allem die Wortform: Elision des unbetonten „e" 1 7 und unflektiertes neutrales Adjektiv sind hier die Re-
w
Dies wird dann von Wallenstein aufgegriffen (.Volk* allerdings auch T. 2655 nodi einmal in dieser Bedeutung).
17
Der Konvenienz von Metrum und Reim wegen gestattet der Vers in vielen Fällen zweierlei Wortformen: unflektiertes statt flektiertem Adjektiv, volle oder verkürzte Formen beim Substantiv (s. Text) und beim Verb (z. B. ,siehet' für .sieht' oder das entwiddungsgeschiditlich falsche, aber in der Diditerspradie des 17. und 18. Jahrhunderts verbreitete Präteritum ,ich sähe', das nicht wie die anderen längeren Formen eine ältere Lautung darstellt); daneben gibt es Metaplasmen auch bei verschiedenen Arten von Komposita (.Herrscherplatz', P. 413, und ,Herrschplatz', P. 441), es gibt korrekte oder volkstümlich abgewandelte Namensformen (.dieser Questenberger', P. 72 und T. 885; mehrmals ,Sesin' für ,Sesina' etc.). — Schiller hält im Gebrauch der weniger üblichen Formen ein gutes Mittelmaß ein; Härten wie sie sich bei zweitrangigen Dichtern öfter finden, gibt es im >Wallenstein< nicht, ebensowenig die fast allzu lässigen Formen wie ,ne' für ,eine', die wir von M. Claudius, aber audi von Grillparzer her kennen. Die Vermeidung des Hiatus — wie uns heute scheinen will, sowieso eher eine Marotte allzu strenger Metriker — spielt für Schiller offenbar keine Rolle bei der Wahl verkürzter Formen, finden wir im >Wallenstein< doch Verse wie: . . . und mag sidhs Entscheiden wie es will, idi sehe ahnend Die unglückselige Entwicklung nahen, (P. 2636 ff.) mit vier Hiaten in zwei Zeilen! Schiller nimmt die verkürzten Formen offenbar auch selbstverständlicher als zum Beispiel Lessing oder A. W. Schlegel, denen sie als solche stets bewußt gewesen zu sein scheinen — Stichproben zeigten, daß es bei ihnen meist auf Vermeidung des Hiatus hinausläuft — und die deshalb auch immer ein Apostroph setzen. Bei Schiller stehen Apostrophe nur in den wenigsten Fällen. Im Vers verlieren die erweiterten oder komprimierten Formen normalerweise die Aura einer bestimmten Sprachschicht, die ihnen in der Prosa anhaften würde. So darf weder ein ,heut' anstatt .heute' als speziell umgangssprachlich, noch der Dativ .Glücke' anstatt .Glück* als besonders feierlich aufgefaßt werden — beides kommt vielmehr in ein und demselben Satz vor (P. 1497 f.). Kühnere Verkürzungen jedoch (z. B. Synäresen und Aphäresen) oder der häufige Gebrauch einer bestimmten Art von Formen können bei Schiller durchaus stilbildend wirken; so in der oben angeführten Wallenstein-Wrangel-Szene und an anderen Stellen, auf die bereits hingewiesen wurde (s. S. 53) ; außerdem werden fast immer dann, wenn Buttler, Isolani oder Ilio sprechen, die kürzeren Wortformen bevorzugt (vgl. auch Wallenstein zu Questenberg, P. II, 7), während bei Octavio, Max und Thekla eher die vollen oder gar erweiterten vorherrschen — eine dichterische Konvention wird mit neuem Sinn erfüllt.
Zu Wortwahl und Wortform
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gel; sogar am Ende des Verses, wo keine metrische Notwendigkeit angenommen werden kann, treffen wir dergleichen an: So laßt uns zueinander auch ein recht— Vertrauen fassen. (T. 255 f.) Er urteilt wie ein Schwed_ Ein Protestant.
und wie (T. 296 f.)
(Normalerweise hätte Schiller sicherlich die asyndetische Reihung bevorzugt: „wie ein Schwede, wie ein Protestant", aber auch das gemütlich wirkende ,und' mag ihm hier wohl ganz recht gewesen sein18.) . . . euch ists um die Sach_ (ähnlich Wrangel T. 275, 291, 342)1». Indem der Feldherr sich, um Vertrauen zu erwecken, geschmeidig an den altdeutsch-treuherzigen Ton anpaßt, bekundet er wieder einmal sein eminentes Schauspielertalent20. Finden sich im >Wallenstein< unter den Gestalten, die speziell umgangssprachliche Wörter und Wendungen gebrauchen, Vertreter aller sozialer Schichten — vom untersten Soldaten bis hinauf zum Herzog —, so gibt es doch audi andere Figuren, bei denen dieser Ton weitgehend fehlt: Es handelt sich hier um Max21, um die drei Frauengestalten, von denen nur die
18 w
Zur Asyndese Dies hat vor Versausgänge Gespräch mit (T. 2599) und
vgl. S. 131 f. allem in Anbetracht der grundsätzlichen Vorliebe für klingende Gewicht; vgl. auch die verkürzte Form .Kirch' in Wallensteins dem — ebenfalls protestantischen! — Bürgermeister von Eger Entsprechendes beim Kellermeister (s. o. S. 90, Anm. 16).
20
Auf eine weitere Raffinesse in Wallensteins Ausdrucksweise gegenüber Wrangel macht Wilh. Schneider aufmerksam (Stilistische deutsche Grammatik, S. 50 f.) : Wallenstein sagt, nachdem er den Namen des schwedischen Gesandten erfahren (bzw. bestätigt bekommen) hat: Ein Wrangel wars, der vor Stralsund viel Böses Mir zugefügt, durch tapfre Gegenwehr Schuld war, daß mir die Seestadt widerstanden. (T. 225 ff.) Dazu meint Schneider, es handle sich beim Gebrauch des unbestimmten Artikels um „eine feine Schmeichelei, die nicht geradezu, sondern auf einem Schleichweg an den Mann gebracht wird".
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Eine seiner wenigen Ausnahmen macht Max zu Anfang der >Piccolomini< im Gespräch mit Questenberg, gegen dessen schmeichlerische Schönrednerei er sich mit einer betont umgangssprachlichen Ausdrucks weise wehrt; er gebraucht Redensarten wie ,aus der Rolle fallen' (399), ,das Leben sauer machen' (567) und ,anschwärzen' (568).
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Spradisdiiditen und Stilebenen
Gräfin gelegentlich in einen legeren Redestil verfällt 22 , und schließlich um die beiden Personen, die dem kaiserlichen Hof am nächsten stehen, Questenberg und Octavio. Anders als für Lessing, der eine vom Alltäglichen abweichende Ausdrucksweise überhaupt von der Bühne verbannen wollte, ist für Schiller die realistische Sprache nur ein sorgfältig eingesetztes Charakterisierungsmittel. Anders auch als die Dichter des „Sturm und Drang", die die kernige Volkssprache mit dem Anspruch gebrauchten, daß dies die einzig glaubhafte und einzig wirksame Art sich auszudrücken sei, spricht der klassische Schiller diese Sprache nicht in seinem eigenen Namen. Wörter und Wendungen, die in den >Götz< oder auch noch in den >Egmont< passen würden, aber in den Jambendramen Goethes ganz undenkbar wären, finden somit Platz in der Wallenstein-Trilogie. Daneben treffen wir aber den klassischen Stil an, der sich bereits in Schillers Gedichten der 90ger Jahre herausgebildet hatte, mit seiner gleichmäßig gehobenen Sprache und einem Wortschatz, der alle Extreme vermeidet. Da gibt es nun nicht mehr die anspruchsvollen Zusammensetzungen, die „prachtgierigen" Adjektive 23 oder den gelegentlich krassen Naturalismus von Schillers Jugendlyrik. Ist diese Sprache aber deshalb blaß und nichtssagend?
2. Die
Epitheta
Als die Bedeutungsträger in den Sätzen des klassischen Schiller werden in der Regel die Nomina genannt. Tatsächlich gibt es zahlreiche Substantivierungen und Personifizierungen abstrakter Begriffe, die den naheliegenden verbalen Ausdruck verdrängen und eine gleichsam unerschütterliche Verfestigung der Aussage bewirken: Der Sekten Feindschaft, der Parteien Wut, Der alte Neid, die Eifersucht macht F r i e d e . . . Ein blutger H a ß entzweit auf ewge Tage Die Häuser Friedland, Piccolomini...
(T. 427 f.) (T. 2350 f.)
Diese Tendenz zum Nominalismus beschränkt sich nicht etwa auf abstrakte 22
23
Ein einziges Mal — vielleicht Schiller nicht bewußt — gleitet auch Thekla in einen sturm-und-dranghaft burschikosen Tonfall ab: „Heraus damit!" — so fordert sie die Gräfin auf, nicht in Andeutungen, sondern offen mit ihr zu sprechen (T. 1303). Ernst Müller, Der Herzog und das Genie. Friedr. Schillers Jugendjahre, Stuttg. 1955, S. 284.
Zu Wortwahl und Wortform
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und sententiöse Aussagen, sondern reicht sogar bis in die Beschreibungen hinein: Der Waffen dumpfes Rauschen unterbrach, Der Runden Ruf einförmig nur die Stille. (T. 905 f.) Und dodi haben audi diejenigen nicht Unrecht, die auf die Bedeutung der Verben hinweisen. Hofmannsthals Ausspruch, bei ihnen liege in Schillers Spradie „alle Gewalt seiner Seele" 24 , läßt sich zwar nicht vorbehaltlos unterschreiben. Aber völlig mit Recht korrigiert zum Beispiel Friedrich Blodier die pauschale Behauptung Kurt Mays, daß die Verben im >Wallenstein< erst am Sdiluß (besonders in der 3. Szene des V. Aktes) eine Rolle spielten, vorher dagegen die Nomina ganz im Vordergrund stünden 2S . Blodier madit dabei aber leider keinen Unterschied zwischen Verbalmetaphern und Verben, die in primärer Bedeutung Verwendung finden. Diese letzteren sind am Schluß des >WallensteinLager< spielt außerdem eine „blaue Mütz" (94) eine Rolle; volksliedhafte Epitheta ornantia sind: ,das gelbe Korn' (216) und .grüne Auen' (926). Vgl. Schiller zu Tieck über die seiner Meinung nadi geringe Bedeutung der Farben: sie seien nichts Beständiges, da sie sich mit wediselndem Licht verändern ( N A XLII, S. 328 f.). Erstaunlich häufig treten dafür Farben in der Lyrik Schillers auf. Die statistische Untersuchung von Karl und Marie Groos (Die optischen Qualitäten in der Lyrik Schillers; in: Zschr. f. Ästhetik IV, 1909, S. 559—572) ergibt, daß die Gedichte des jungen Schiller fast doppelt so viele „optische Qualitäten" aufweisen, wie diejenigen des frühen Goethe. Ein Großteil davon fällt aber auf Wörter, die Glanz und Schein bezeichnen, und auf solche, bei denen der Schmuckwert das Wesentliche ist (ζ. Β. ,purpurn' für ,rot', oder .golden' für ,gelb'). Später nehmen die „optischen Qualitäten" bei Schiller dann überdies stark ab.
Zu Wortwahl und Wortform
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In den >Piccolomini< und in >Wallensteins Tod< tauchen Farben deshalb nur nodi selten auf. Es gibt beispielsweise ,grün' als Epitheton ornans (wenn Max von den .grünen Maien, dem letzten Raub der Felder" spricht, P. 539) oder ,rot c als Unterscheidungsmerkmal im Sinne des >Lagers< (wenn die Bedienten die „rote Stube" erwähnen, P. 610). Ungewöhnlich differenziert sind sogar die Farbbezeichnungen für die Strahlungen einzelner Gestirne: .bleifarben' (P. 972) und ,trübgelb' (P. 1607), was zweifellos direkt aus der astrologischen Literatur übernommen ist. Aber all dies erscheint unbedeutend im Vergleich mit dem unheimlich feierlichen Rot des Teppichs, unter dem Wallensteins Leichnam schließlich über die Szene getragen wird; eindrucksvoll vorbereitet wird der Anblick dieses Requisits bereits durch das letzte Gespräch zwischen Wallenstein und der Gräfin (T. 3509 ff.). Dieser rote Teppich ist nicht Schillers Erfindung: eine seiner historischen Quellen erwähnt ihn bereits32. Aber wie ungeahnt bedeutungsvoll wird der rote Teppich im >Wallenstein< durch die ineinander übergehenden Vorstellungen von Liebe und Tod, königlidier Größe und ohnmächtig erlittener Gewalttätigkeit. Eine Farbe muß also symbolträchtig sein, ehe sie bei einem Dramatiker wie Schiller zu echter dichterischer Verwendung gelangen kann. Ähnliches gilt für das häufig im übertragenen Sinne gebrauchte Adjektiv ,schwarz', bei dem freilich das Element der Anschauung meist fehlt»3. Während im >Prolog< und im >Lager< schmückende Beiwörter noch recht selten sind, stoßen wir dann in den > P i c c o l o m i n i < und im > Τ o d < auf viele Passagen mit Epitheta, die die Aussage bereidiern. Sie gehören, wie zu erwarten, zu Beschreibungen ausmalender Art, so zu Max' Vision vom Beginn der Friedenszeit, und zu ausführlichen Bildern wie dem Vulkanvergleich, durch welchen Wallenstein charakterisiert wird (T. 2091 ff.). Sie 88 M
Vgl. N A VIII, S. 504. Schiller verwendet .schwarz' im allgemeinen ziemlidi unterschiedslos für alles Böse oder Negative, was zum Teil allerdings ein Erbe von Shakespeare oder Racine sein mag. In den Gedichten führt das zu so ungewöhnlichen Kombinationen wie „der schwarze Täter" (Ibykus) oder „die schwarzen und die heiteren Lose" (Glocke). Im >Wallenstein< ist dies Adjektiv sorgfältiger und vor allem nicht so unvermittelt gesetzt, denn in ungewöhnlichen Verbindungen steht es meist zu einem anderen bildlich zu nehmenden Begriff in Beziehung: Glänzend werden wir den Reinen Aus diesem schwarzen Argwohn treten sehn (P. 2553 f.) . . . den bösen Dämon zu vertreiben, Der um mein Haupt die schwarzen Flügel schlägt. (T. 1473 f.) Daneben freilich auch der konventionellere bildliche Ausdruck: Das ist schwarz, schwarz wie die Hölle! (T. 777 f.) Lange, Wallenstem
7
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Spradisdhichten und Stilebenen
finden sich aber audi bei starker Erregung des Sprechers, etwa in den pathetischen Reden des jüngeren Piccolomini oder bei Buttler, wenn dieser sich über die kränkende Behandlung durdi den Hof ereifert (T. 1117 ff.). Schließlich ist ein epithetareicher Stil bezeichnend für bestimmte Gestalten. Zum Beispiel tauchen gleich in den ersten Versen, die Octavio spricht, Wörter wie ,tränenvoller Krieg* und ,ruhmgekrönte Häupter' auf (P. 83 f.). Damit schlägt er bereits den mit höfischer Schmeichelei durchsetzten Ton an, den er anschließend, auf Vermittlung bedacht, auch im Gespräch mit Questenberg und den Generalen gebrauchen wird. Auf dieselbe Weise drückt sich dann der kaiserliche Abgesandte Max gegenüber aus — jenem Menschen, den er nun vor allen Dingen zu gewinnen bestrebt ist: (beider Hände fassend) Octavio — Max Piccolomini! Heilbringend, vorbedeutungsvolle Namen! (P. 394 f.) Auch in seinen nichtendenwollenden Reden, in denen er das ganze frühere Kriegsgeschehen und Wallensteins Rolle dabei rekapituliert, spielt das schmückende Beiwort eine Rolle (P. II, 7). Mit Hilfe von Adjektiven wie ,ruhmgekrönt' (das bei Octavio bereits vorkam!), kriegserfahren', .weise' scheint er zu loben, während er durch seine Art der Schilderung — mit Adjektiven wie ,leichenvoll', ,graus' und .fluchbeladen' — eine affektbetont redselige Mißbilligung des Kriegsgeschehens zeigt. In welchem Maße und mit welchem Geschick das ausmalende Epitheton in rednerischer Absicht eingesetzt werden kann, das vermag jedoch erst der große Meister des Worts, Wallenstein selbst, zu zeigen. Im Bewußtsein dessen, was von der Uberzeugungskraft der Rede an „seine" Pappenheimer abhängt, findet er die auf emotionelle Wirkung berechneten Worte: Seht, auf diese Brust Zielt man! Nach diesem greisem H a u p t e ! . . . (Aber Gordon gegenüber rühmt er sich dann, daß „über [seinem] braunen Scheitelhaar die schnellen Jahre machtlos hingegangen" — ein wohlberechneter Widerspruch, nicht etwa die Folge eines homerischen Schläfchens!) Darum warfen wir Die nackte Brust der Partisan' entgegen, Drum machten wir die eisbedeckte Erde, Den harten Stein zu unserm P f ü h l , . . . Ein ruheloser Marsch war unser Leben, Und wie des Windes Sausen, heimatlos, Durchstürmten wir die kriegbewegte Erde. Und jetzt, da wir die schwere Waffenarbeit,
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Die undankbare, fluchbeladene getan, Mit unermüdet treuem Arm des Krieges Last Gewälzt,... (T. 1917 ff.) Andere zu überzeugen, sie für den eigenen Standpunkt zu gewinnen, ist ja auch sonst im >Wallenstein< nur zu oft die treibende Kraft in den Diskussionen und Belehrungen. Der Stil, den Schiller dann einsetzt, um seine Gestalten und ihre Absichten zu charakterisieren, ist nicht unmittelbar dem Gesetz der Schönheit und Stimmigkeit unterworfen, wie es zum Beispiel beim >Prolog< der Fall ist, den der Dichter im eigenen Namen spricht. N u r im Großen muß sich dann alles wiederum harmonisch zusammenfügen, im einzelnen aber erscheinen die stilistischen Möglichkeiten fast unbegrenzt: Abgeschmacktes, Übertriebenes, allzu Gefühlvolles — all das ist hier erlaubt, soweit es nur zu den Gestalten paßt. Doch paßt es tatsächlich immer? Schiller gelingt die stilistische Charakterisierung einer übersteigerten Sentimentalität, einer unpassend hochtrabenden Ausdrucksweise oder einer handfesten Rhetorik gerade deshalb besonders gut, weil er hier Gefahren des eigenen Stils objektivieren kann. Die Ubergänge zum „echten" Schiller sind dabei aber fließend; es handelt sich ja nicht um Tendenzen, die von Schiller ein für allemal überwunden sind, so wie Shakespeare die spitzfindige Witzelei und Schönrednerei seiner Jugenddramen endgültig überwand, indem er sie in den Gestalten von >Love's Labour's Lost< lächerlich machte84. Dieser fließende Übergang zeigt sich zum Beispiel an der Figur des Octavio: Einerseits ist ihm der etwas gleisnerische, allzu schöne Redestil eigen; andrerseits läßt Schiller ja auch ihn — nicht nur Max — Dinge sagen, von denen er selbst wünscht, daß sie möglichst überzeugend klingen, und wirft dann das ganze Gewicht seiner Sprachkunst in die Waagschale. Aber gerade in solchen Fällen, wo man möglicherweise „mehr den Dichter als die redende Person hört" 35 , vermögen stilistische Unschönheiten oder Unstimmigkeiten zu stören, weil sie dann unbeabsichtigt erscheinen. Erstaunenswerte Wunder' (Octavio, P. 487), zum Beispiel, ist das nicht etwas zu viel des Guten? Gelegentliche Klisdieehaftigkeit und zu hoch gegriffene Worte bei Max ließen sich eventuell noch mit seiner jugendlichen, nicht allzu kritischen Begeisterung erklären. Aber wenn anspruchsvolle Adjektive bei den verschiedensten Charakteren wiederkehren, dann könnte dies doch auf Nachlässigkeit und mangelnde Differenzierung deuten: ,Köstlich unschätzbar' ist ein Beiwortgespann, das zu Octavio ausgezeichnet paßt (P. 464), weit weniger gut dagegen zum einfachen Kellermeister (P. 2091). Auch eine ungeM 35
Vgl. Wolfgang Clemen, The Development of Shakespeare's Imagery, S. 31. Körner an Schiller, 9. 4.1799. 7*
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Sprachsdiiditen und Stilebenen
rechtfertigte Häufung — womöglich noch gleichbedeutender — Epitheta mag mißfallen: U n d wenn mein gütig freundliches Geschick Aus seinem furchtbar ungeheuren Dasein Des Lebens Freude mir bereiten will. (P. 1807 ff.) Von einer „Uberladung des Dialogs durdi Epitheten", wie er sie doch selbst an der >Iphigenie< gerügt hatte 86 , kann Schiller also nicht immer freigesprochen werden 37 . Daran sind nicht zuletzt die bei ihm so beliebten Adjektive auf ,-voll', ,-wert' und ,-würdig' beteiligt 38 , aber auch die typischen Adjektiv-Koppelungen, wie sie in den zuletzt zitierten Zeilen begegneten 39 . Soviel zum Epitheton an sich und zur Gattung des ausschmückenden Epitheton im besonderen. Es bleibt nun noch die Frage nach Angemessenheit oder Unangemessenheit im einzelnen Fall, nach der Aussagekraft oder konventionellen Blässe des jeweils gewählten Beiwortes. Allgemein von einer Klischeehaftigkeit der Epitheta zu sprechen, geht für den >Wallenstein< nicht an, haben wir doch in gar nicht geringem Maße so ungewöhnliche und auch anschauungsgesättigte Adjektive oder Partizipien wie: ein so lastend feierliches Schweigen (P. 667) brüderliche Zwietracht, feueraugig,... (T. 2225) die alte hreitgetretne Fahrstraße der gemeinen Pflicht (P. 955 f.) 34 37
38
33
ΝΑ XXII, S. 212. Beiworthäufungen, die unter Umständen störend wirken, finden sich vor allem in der klassischen Lyrik Schillers (vgl. ζ. B. >Die Macht des Gesangesc oder >Die Würde der Frauenc) und — im Extrem — in der stark verbreiternden >MacbethWallenstein< oft in übertragener Bedeutung eine Rolle spielt. Dies Wortfeld umfaßt die Adjektive: ,düster', ,dunkel', ,finster', .nächtlich', ,schwarz', ,schwärzlich',,trübe' und ,blind'. Daneben läßt sich aber doch nicht übersehen, daß bestimmte Adjektive im >Wallenstein< recht häufig vorkommen. Zwar wird man bei solch üblichen und unentbehrlichen Beiwörtern wie ,groß', ,gut' oder ,alt', die ja auch in den verschiedensten Bedeutungen und Kombinationen auftreten können, eine Einförmigkeit kaum empfinden. Aber sozusagen betonte, das heißt wertende oder schmückende Epitheta, prägen sich dem aufmerksamen Leser — und vielleicht sogar auch dem Hörer — ein und können, wenn sie zu oft vorkommen, den Eindruck von einer stilistischen Armut hinterlassen; im >Wallenstein< kehren von solchen Adjektiven ζ. B. ,treu' oder ,blutig', aber auch ,schön' und ,böse' häufig wieder, und so mögen sich Zweifel an der künstlerischen Vollendung dieser Sprache einstellen, wenn zum Beispiel ,treu' nicht nur ein Epitheton zu ,Diener', ,Dienst', ,Herz' oder ,Seele' ist, sondern es — lediglich in >Wallensteins Tod< — auch eine „treue Brust", eine „treue Schulter", einen „treuen Arm", ein „treues Auge" und „treue Hände" gibt 40 . Aber bei einer Beurteilung ist hier Vorsicht nicht fehl am Platze. Unbedachte Wiederholung oder gar Selbstanleihe scheint beispielsweise auch dem häufigen Auftreten des Adjektivs ,blutig' zugrunde zu liegen: Wenn es in der großen Szene mit Questenberg (P. II, 7) als offenbar ebenso festes wie bedeutungsarmes Epitheton zu den Substantiven gehört, die Kampf und Krieg bezeichnen, wenn es dann im >Tod< noch weitere 9mal 40
Dazu kommen andere Beiwörter, die an sich in diesem Werk nidit häufig vertreten sind, aber in der Verbindung, in der sie auftaudien, bereits abgegriffen wirken: ein zartes Kind, in stillen Klostermauern, dieses jungfräulich blühende Haupt (P. 724 ff.) Besonders wenn von Thekla die Rede ist, begegnen solche abgegriffenen Adjektive; vgl. audi Max: . . . ich sah Ein glühend Rot die schönen Wangen färben. (P. 1504 f.) Dies mag mit Sdiillers „unglücklicher Liebe zur Anmut" (Herrn. Schneider, Sdiiller. Werk und Erbe, S. 31) zusammenhängen.
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Spradisdiiditen und Stilebenen
in anderen Verbindungen auftaucht, wird man, der Wiederholungen müde, womöglich gar nicht mehr auf den Stellenwert achten. Aber gerade der ist oft entscheidend! Wenn Questenberg von dem „blutig großen Kampfspiel" (P. 1037) oder dem „blutigen Kriegsspiel" (P. 1112) spricht, dann ist das sicherlich bereits mit Vorbehalt aufzunehmen, denn solches gehört zur konventionellen Ausdrucksweise des Höflings, und zugleich entlarvt es ihn: Er möchte sich zwar innerlich berührt zeigen, er betont sein Entsetzen vor dem Kriegsgeschehen, und doch ist es ihm nur ein „Spiel", das auf der „Kriegsbühne" (1093) stattfindet. — Andere Fälle, in denen das Beiwort ,blutig' vorkommt, sind: Vom „blutgen Lorbeer (P. 501) spricht Max und meint damit den mit Blutvergießen errungenen Lorbeer oder Kriegsruhm; „ein blutger H a ß " entzweie die Häuser Friedland und Piccolomini, wird Thekla später feststellen (T. 2350) — ein H a ß also, der bis zum Äußersten geht, der auch vor Blutvergießen nicht zurückschrecken würde; „nur blutige Gedanken" darf, wie er selbst sagt, Buttler haben (T. 2870), und er meint damit Gedanken an den Mord Wallensteins, wobei wahrscheinlich mitschwingt, daß die Vorstellung, Wunden zu schlagen und Blut fließen zu sehen, seine Rachegefühle anstachelt. Was auf den ersten Blick nur klischeehaft klingt, erweist sich in Wahrheit als eine bemerkenswerte Bedeutungskomprimierung, wie wir sie ja auch schon für die Adjektive des >Prologs< bemerkten. Solch eine intensive Nutzung an sich gebräuchlicher Beiwörter ist für Schiller äußerst bezeichnend. Mancher übertragene Adjektivgebrauch ist natürlich der vorhandenen Dichtersprache entnommen oder gar der normalen Sprache, der solches ja auch nicht fremd ist (,kühne Worte*, P. 1337; ,ein unglückselig Amt', P. 2508); anderes dagegen ist durchaus neu und ungewöhnlich 41 : Und, wie das glückliche Gestirn des Morgens Führst du die Lebenssonne mir herauf. . . . er hörte Im ahnungsvollen Ohr der Füße T r i t t . . .
(P. 757 f.) (T. 3497 f.)
Die stolze Tochter seines Glücks (P. 1882) (d. h. die Tochter, auf die er — Wallenstein — stolz ist), 41
Bei Goethe allerdings — wenn idi Hch. Schneiders Aufstellung (a.a.O., S. 158 f.) richtig deute — ist der Anwendungsbereich der einzelnen Adjektive noch größer als bei Schiller: Er gebraucht zwar in seinen Dramen weniger verschiedene Beiwörter als Schiller (s. o. Anm. 37), wendet diese aber auf mehr verschiedene Substantive an. Die ungewöhnlicheren, den Ausdruck verknappenden Fälle von Übertragungen finden sich aber dodi wohl bei diesem.
Zu Wortwahl und Wortform
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Die leichte Straße bahnen (P. 1674) (d. h. die Straße, auf der den Menschen das Fortkommen leicht -wird), Was? Diesen guten tapfren Degen Wollt Ihr in solchem Streite ziehn?
(T. 1095 f.)
Bei vielen von diesen Fällen ist für Schiller typisch, daß das Beiwort nicht direkt auf das Substantiv, bei dem es steht, bezieht, sondern auf Subjekt des Satzes oder oft sogar nur auf ein implizites Subjekt, d. h., die Person, die mit dem genannten Gegenstand irgendwie verbunden Gelegentlich wird auf diese Art fast zu sehr zusammengezogen: . . . wenn ich mit meinen Großmütgern Sternen nicht dazwischenträte
sich das auf ist.
(T. 3552 f.)
„mit meinen großmütgern Sternen" — das heißt dodi wohl soviel wie: mit meiner Großmut, mit meinen großzügigen Möglichkeiten, die mir von den Sternen, vom Schicksal gegeben sind. Die Dinge werden auf diese Weise zum Menschen in enge Beziehung gesetzt; sie erhalten Attribute, die nicht der konkreten Welt angehören, sondern werden sozusagen vergeistigt. Etwas überspitzt ausgedrückt könnte man sagen: Der Geist, der sich in den Dingen verkörpert — und sei es nur Buttlers Mut im „guten tapfern Degen" — verwandelt sich die Dinge an und zieht sie zu sich empor. Dies Ineinandergreifen von dinglicher und geistig-moralischer Sphäre bezeugen besonders eindrücklich die beiden folgenden Formulierungen:
wo es logischerweise ja gerade umgekehrt heißen müßte: „der reinen Quelle fromme Tat". In all diesen Fällen gehen die Adjektive so vollständig in der Aussage auf, daß es als ganz nebensächlich erscheint, ob sie an sich mehr oder weniger gebräuchlich sind. Irrelevant sind Abgegriffenheit und Häufigkeit auch bei denjenigen Epitheta, die miteinander in fester syntaktischer Verbindung stehen: bei polyptotonähnlicher Wiederholung desselben Adjektivs (eventuell auch im Komparativ oder Superlativ) und bei antithetischer Verwendung von a
Weniger gelungen die Enallage „der Begierde blinde Fessel" in den >Künstlern< (Vers 112).
104
Spradisdiiditen und Stilebenen
Gegensatzpaaren : (Wiederholung) Der seltne Mann will seltenes Vertrauen. (P. 444) Böses Gewerbe bringt bösen Lohn. (L. 652) Des bösen Dienstes böser Lohn . . .4S (T. 2748) (Steigerung) Unglücklich Kind! unglücklichere Mutter! (T. 2019) (Gegensatz) Dodi wahres Unglück bringt der falsche Wahn. (P.2363) dodi dieses falsche Herz Bringt Lug und Trug in den wahrhaftgen Himmel. (T. 1670 f.) Wir haben Des schönen Lebens öde Küste nur Wie ein umirrend Räubervolk befahren (P. 510 ff.) Namentlich adjektivische Gegensatzpaare verwendet Schiller, der ja auch sonst die Antithese liebt, häufig. Dabei entstehen dann die Komprimierungen des Sinnes, Zusammenfassungen von Wesentlichem auf kleinstem Raum, die für Schiller zumindest ebenso bezeichnend sind wie eine Ausschmückung durch Beiwörter, die mehr oder weniger sorgfältig und glücklich ausgesucht sind und ja häufig schon wegen ihrer zusammengesetzten Wortform eine Erweiterung und Aufschwellung des Ausdrucks bewirken. 3. Die Bedeutung des einzelnen
Wortes
Hugo von Hofmannsthal sagte von Schillers Adjektiven, sie wirkten „wie in der Hast des Laufens errafft" 4 4 — eine Formulierung, die unmittelbar einleuchtet, wenn mit ihr freilich auch nicht alle die verschiedenen stilistischen Möglichkeiten des Schillerschen Adjektivgebrauchs umrissen sein 43
44
N o d i weitere zwei Mal findet sich im >Wallenstein< das beliebte Wort ,böse* in strukturbildender Wiederholung: Nun wählt, ob Ihr mit uns die gute Sache, Mit ihm der Bösen böses Los wollt teilen? sagt Octavio zu Buttler (T. 1085 f.). Außerdem sei an das geflügelte Wort erinnert: Das eben ist der Fludi der bösen Tat, D a ß sie, fortzeugend, Böses muß gebären. (P. 2452 f.) Prosa II, 1951, S. 181. — Zur freilidi nur relativen Geltung der anschließenden Betrachtung (daß die „Gewalt der Seele" bei den Verben sei) s. o. S. 92 f.
Zu Wortwahl und Wortform
105
können. Aber trifft es nicht allgemein für Schiller zu, daß das einzelne Wort eher eine untergeordnete Rolle spielt? Es ist oft mit einem beträchtlichen Bedeutungsgehalt befrachtet und fordert doch kein langes Nachdenken, um diesen Gehalt zu erschließen. Die Bedeutung ergibt sich vielmehr wie von selbst durch die Stellung des Wortes im Satz 45 . Bisweilen aber erhält der einzelne Ausdruck Sinn und Berechtigung überhaupt erst durch seine Relation zu den benachbarten Wörtern — dann nämlich, wenn das Besondere der Aussage erst in der Häufung und Steigerung von gleichartigen Satzgliedern liegt. Betrachten wir in diesem Zusammenhang zuerst noch eine für Schiller typische Art des Adjektivgebrauchs, das D o p p e l a t t r i b u t in der Art von: der unbeugsam unbezähmte Mann (T. 1377) die unnatürlich frevelhafte Tat (T. 423) huldreich vertrauliche Herablassung (P. 655) diesem würdig braven Mann (T. 1448) (T. 1538) das schwindelnd schwanke Werk zwei hilflos schwache Weiber (T. 3106) der übermütig freche Bösewicht (T. 2836) mit liebend emsiger Zudringlichkeit (P. 547) Wenn einem Substantiv zwei Epitheta zugeordnet sind, so stehen sie also häufig nicht in gleicher Gestalt (d. h. mit gleicher Endung) nebeneinander, sondern das erste von ihnen erscheint unflektiert und dabei vom zweiten nur selten durch ein Komma geschieden. Theoretisch könnte das erste Glied solcher Gruppen zwar als Adverb aufgefaßt werden 46 , das liegt aber vom Sinn her selten nahe, und häufig verbietet es sich sogar ganz: Ein „unbeugsam unbezähmter Mann" ist sicherlich nicht als „auf unbeugsame Weise unbezähmt" zu verstehen; die inhaltlich oft eng verwandten Begriffe grenzen 45
48
Vgl. hierzu El. Wilkinson (im bereits mehrfach zitierten Aufsatz >Zur Sprache und Struktur der „Ästhetischen Briefe"WallensteinWallenstein< bespricht und audi diese Stelle analysiert, braucht auf die Vieldeutigkeit des Begriffes in diesen Versen gar nicht einzugehen. (Das Bild des Weges und die Sprache des Herzens. Zur strukturellen Funktion der sprachl. Bilder in Schillers „Wallenstein"; in: Beitr. zur geist. Uberlieferung V, 1965, S. 136 f.)
51
Marga Parzeller stellt bei Gelegenheit von Illos Ausdruck ,kordial' (P. 1949) — für ,ein Herz und eine Seele' (?) — die rhetorische Frage: „Sollte Schiller sich . . . gescheut haben, das hohe Wort hier zu setzen und die fremdsprachliche Form, die hier salopp-gemütlich wirkt, mit Bedacht gewählt haben?" (a.a.O., S. 309 f.). Solch eine „Scheu" wäre allerdings — sogar bei dem „mystischen W o r t " ,Herz' — ganz und gar untypisdi für Schiller. (Zum Fremdwortgebrauch vgl. oben S. 86 f.).
Zu Wortwahl und Wortform
109
Wiederholung, inhaltlich betrachtet jedodi nicht. Ähnliches läßt sich ja audi immer wieder an den philosophischen Schriften Schillers beobachten, wo ein Wort in den verschiedensten Bedeutungen vorkommen kann. Elizabeth Wilkinson macht darauf aufmerksam, daß dies im 18. Jahrhundert noch durchaus üblich gewesen sei; die Leidenschaft, die Sprache unzweideutig zu machen, sei damals noch nicht erwacht 52 ; aber auch, wenn man dies einkalkuliert, erstaunt immer wieder, mit welcher Unbekümmertheit Schiller einen bestimmten Begriff, den er eben erst genau definiert und dem er einen festen Platz in seinem philosophischen System zugewiesen hat, wenig später für etwas völlig anderes gebrauchen kann 53 . Dies ist über den Zeitgeist hinaus für Schiller persönlich bezeichnend. Er hängt für gewöhnlich nicht am einzelnen Wort, und ebensowenig tut das der normale Leser, der sich unbewußt schnell anpaßt. Selbst bei unrichtiger Verwendung der Wörter versteht man Schiller ohne Anstrengung richtig, seine Wortwahl ist meist so sehr vom Sinnganzen her bestimmt, daß „Falsches" auf so organische Weise „falsch" ist, daß es kaum als solches auffällt. Was das einzelne Wort für den Dichter des >Wallenstein< bedeutet oder nicht bedeutet, läßt sich schließlich auch seinen N e u b i l d u n g e n entnehmen. Wenn Schiller in den Kalliasbriefen das Problem von individueller Darstellung und allgemeiner Sprache behandelt, sieht er die Lösung, dem Individuellen gerecht zu werden, einzig in den unerschöpflichen syntaktischen Kombinationsmöglichkeiten. Der Gedanke, Neubildungen zu benützen, kommt ihm bezeichnenderweise gar nicht in den Sinn. Gewiß, die schon im Barock und dann wieder seit Klopstock weit verbreitete Möglichkeit, aus bekannten Wörtern neue Komposita zu bilden, wird auch von Schiller benutzt. Von den deutlich antikisierenden, episch wirkenden Epitheta abgesehen, sind die Neuschöpfungen des klassischen Schiller jedoch in der Regel wenig auffallend. Es sind den augenblicklichen Erfordernissen der Aussage untergeordnete Zusammenziehungen zweier Worte in einen Begriff : ,Schlangenpaar' (T. 2139), ,Doppelschuld' (T. 2138), ,Großmutsszene' « A.a.O., S. 399. ** Ζ. B. arbeitet Schiller in >Naive und sentimentalische Dichtung« den gattungsmäßigen Unterschied zwischen der Elegie (die Vergangenes besingt) und der Idylle (die eine erträumte harmonische Zukunft zum Gegenstand hat) heraus und erfüllt somit die beiden Begriffe mit neuem Gehalt; kurz danach verwendet er den Begriff „Idylle" jedoch wieder in der alten üblichen Bedeutung, wenn er von Miltons »Verlorenem Paradiese als von der „schönsten mir bekannten Idylle in der sentimentalischen Gattung" spricht (ΝΑ. X X , S. 471). — Vgl. hierzu auch E. Staiger, Fr. Schiller, S. 28.
110
Sprachschichten und Stilebenen
(T. 2072), ,Heerverderber' (T. 2794) etc.54, die als Neologismen kaum realisiert werden. Bisweilen enthalten sie zugleich eine Metapher oder tragen zu einem ausführlicheren Bild ihr Teil bei : Drum hab ich euch, ihr wißts, auch ehrenvoll Stets unterschieden in der Heereswoge . . . Daß jetzt Ein Engel mir vom Himmel niederstiege, Das Rechte mir, das unverfälschte, schöpfte Am reinen Lichtquell mit der reinen Hand!
(T. 1893 f.)
(T. 2297 ff.)
In solchen Fällen sind die Neufügungen noch weniger aus dem Zusammenhang herauszulösen als sonst. Bei anderen Dichtern, besonders bei Goethe, treffen wir öfter frappierende oder stimmungsträchtige Neologismen an. Wörter wie .Freudebeben' (Faust I, 492), .Wissensqualm' (ebd., 396), ,windebang' (wie Mörike von einer alten Hütte sagt) passen nicht nur wie die Schillerschen Neubildungen ausgezeichnet in den Zusammenhang, in dem sie vorkommen, sie lenken darüber hinaus die Aufmerksamkeit auf sich selbst: Der Leser merkt sogleich, daß hier etwas ins Wort gefaßt ist, was er selbst genau kennt und nur nicht so treffend benennen konnte; diese Neubildungen werden ihm womöglich in einer entsprechenden Situation später wieder einfallen, denn sie erfassen etwas allgemein Bekanntes und immer Wiederkehrendes. Die Stichworte „allgemein bekannt" und „immer wiederkehrend" lassen uns aufhorchen und an die Allgemeingültigkeit denken, nach der Schiller strebt. Doch jene Allgemeinheit, um die Schiller sidi bemüht, ist in der Regel umfassender: sie bezieht sich nicht auf die konkrete Welt, sondern wird durch Wörter wie ,hoch' oder ,treu', durch die Begriffe ,Herz', .Schicksal', ,Glück' oder .Unglück' und deren Ableitungen angedeutet. Schiller geht es nicht so sehr um ein Durchfühlen von Stimmungen, um das Betrachten der Umwelt und um die Freude an ihren vielfältigen Erscheinungen55. Bei ihm stehen Sinnerkennung und Sinngebung im Vordergrund, die mehr
54
Als Neubildungen nehme idi die Wörter, die im Grimmschen Wörterbuch entweder gar nicht oder nur mit dem betreffenden Zitat aus dem >Wallenstein< belegt sind. Vieles von dem, was Blocher als „ungewöhnliche Substantivbildungen" verzeichnet (a.a.O., S. 70), wäre demnach keineswegs zu den Neologismen zu zählen.
55
Ausführlicher zum Problem und zu den verschiedenen Arten der Allgemeinheit S. 238 ff.
Syntax und Syntaktische Figuren
111
als in den einzelnen Wörtern im Verhältnis der Wörter zueinander zum Ausdruck kommen.
II. Syntax und Syntaktische Figuren Wenn die Bedeutung des einzelnen Wortes oft relativ gering erscheint, dann werden seine Stellung im Satz und die allgemeinen syntaktischen Zusammenhänge sicherlich um so wichtiger sein. Am Satzbau des >Wallenstein< fällt jedoch auf den ersten Blick nicht viel Besonderes auf. Kaum einmal sind die Sätze weit gespannt, wie es öfter in der >Iphigenie< Goethes begegnet, kaum einmal durch Vorwegnahme untergeordneter Satzteile der normalen Syntax entfremdet wie in der >Natürlichen TochterKünstler< stellen nicht nur vom Inhalt her erhebliche Anforderungen an den Leser, und sogar in den Gedichten der reifen Zeit findet sich gelegentlich eine kunstvolle Verschränkung der Satzglieder. In den Dramen aber nimmt er sichtbar Rücksicht auf Leser und Publikum, und entsprechend verwahrt er sich auch theoretisch gegen eine zu „griechische" Syntax 58 . Das soll freilich nicht heißen, daß Schiller sich in der Regel mit der einfachen Parataxe zufrieden gibt. Größere Spannungsbögen — ein Mittel, den Hörer ganz in die Gewalt zu bekommen 59 — sind häufig vorhanden, 58
57
68
59
Typische Beispiele sind bereits die Eingangsverse der beiden genannten Dramen Goethes. Undenkbar wäre in Schillers Dramen eine „mixta verborum" folgender Art: Ein neuer Anfall, heiß, wie Wetterstrahl, Schmolz, dieser wuterfüllten Mavorstöchter Rings der Ätolier wackre Reihen hin. (Penthesilea, V. 246 ff.) (Zur Deutung vgl. H . Turk, Dramensprache als gesprochene Sprache; s. o. S. 14 Anm. 36.) So bereits in der >IphigenieLager< oder in der Hörderszene der Artikel kaum einmal: ,der Tilly', ,der Graf Isolani' etc. heißt es durchweg und beim Kapuziner sogar ,der Saul', ,der Josua', ,den Goliath'. Als Gegenbeispiel dazu wäre Questenberg anzuführen, der sich vornehm ausdrückt und nur ein einziges Mal den bestimmten Artikel bei einem Namen setzt. Von ihm aber, dem so wenig beliebten, heißt es unter den Generalen nur „der Questenberg(er)", was in diesem Fall nichts Familiäres, sondern eher etwas Herabsetzendes hat — so, als wolle man damit zeigen, daß man nicht gewillt ist, ihn ganz ernst zu nehmen. Auch von Max sprechen Terzky, Ilio und Buttler in den letzten Akten zu Wallenstein als von „der Piccolomini". Die Gräfin dagegen unterbricht schonend Wallensteins Reflexion in der 3. Szene des fünften Aktes mit den Worten: Du sprichst von Piccolomini. Wie starb er? (T. 3431) obwohl es in diesem Fall theoretisch ebenso gut „vom Piccolomini" heißen könnte, doch hier paßt nun tatsächlich die distanzierende, rein hochsprachliche Fügung weit besser. Der Artikelgebrauch kann also der Wiedergabe feinster Nuancen dienen, und dennoch darf eine durchgängige Differenzierung nicht erwartet
07 88
ihnen nahestanden, der Artikel beim Eigennamen keineswegs selten begegnet •—· womöglich wirkt sich hierin die süddeutsche Herkunft unserer Klassiker aus; eine Empfänglichkeit in dieser Beziehung fiel mir bezeichnenderweise besonders bei Wilhelm von Humboldt (s. Anm. 8) und bei A. W. Schlegel (in seiner Obersetzung des >Julius Caesan) auf. In der Mundart von Schillers Wahlheimat dagegen flektiert man lieber den Namen, als daß man den Artikel dazusetzt — ein Gebrauch, den wir von deutschen Klassikern her ja ebenfalls kennen. Im >Wallenstein< finden sich jedoch nur zwei Beispiele hierfür: Hast du von Buttlern Kundschaft? (T. 1580) (Außerdem in der Regieanweisung zu Beginn von P. 1,4: „Questenbergen") An Körner heißt es am 4. 7. 1794 sogar: „ . . . den Kant studieren". Eigennamen in der Anrede, die ja immer ohne Artikel erscheinen, wurden hier natürlich nicht mitgerechnet. Zur Bezeichnung des Dativ — einmal auch des Akkusativ — verwendet Schiller den bestimmten Artikel mehrere Male sogar in den Regieangaben: „Illo zum Octavio" (P. nach Vers 273), „Max versucht sich der Thekla zu nähern" (T., nach Vers 2412).
Syntax und Syntaktische Figuren
119
werden. Ähnliches gilt auch für die Verwendung des volkstümlichen kollektiven Singulars oder des üblicheren Plurals, wenn von feindlichen Truppen oder von Angehörigen einer bestimmten Nation die Rede ist 80 . Wir fühlen uns an Schillers stilistische Wachheit bei der Wahl verkürzter Wortformen erinnert, die ja ebenfalls der Konvenienz des Metrums dienen und zugleich — wenn sie sozusagen wirklich etwas herzugeben vermögen — als Charakteristikum eingesetzt werden können.
2. Abweichungen
von der üblichen
Wortfolge
Nicht davon, wie geschickt Schiller die Möglichkeit der Inversion im Deutschen nutzt und wie äußerst variabel sein Satzbau ist, soll hier die Rede sein; vielmehr sollen diejenigen Abweichungen von der üblichen Wortstellung behandelt werden, die in der neuhochdeutschen Prasa ungewöhnlich oder sogar falsch genannt werden müßten, die man im Vers aber ohne weiteres hinnimmt. Natürlich gilt es aber auch hier, genauer zu unterscheiden: Es gibt auf der einen Seite jene Vertauschungen der Satzglieder, die in den Versen von Gelegenheitsdichtern so peinlich berühren können, weil man nur zu deutlich den Zwang der Form dahinter spürt 70 , und auf der anderen Seite stehen unübliche Wortstellungen, die keineswegs den Eindruck von Unbeholfenheit hervorrufen, sondern recht eigentlich zu einer erhabenen Verssprache zu gehören scheinen. O f t sind es Relikte des ehemals freieren Satzbaus, die inzwischen so sehr zu Merkmalen eines Stils von künstlerischem Anspruch geworden sind, daß sie aus dem Vers sogar in eine bewußt durchgeformte Prosa zurückwandern können (so in Hölderlins >Hyperion< oder in Schillers >RäuberLager< die Vorwegnahme des Prädikats altertümlich und zugleich volks71
Auf eigentümliche Weise vermischen sidi in seiner Syntax ehrwürdige Altertümlichkeit und biblische Feierlichkeit mit mundartlicher Unkompliziertheit (das vorweggenommene Prädikat der Luthersprache hat sich im Alemannischen ja bis heute erhalten).
Syntax und Syntaktische Figuren
121
tiimlidi an. Doch ist sie auch in den Blankversen des >Wallenstein< zu finden; ihre Wirkung ist dann von anderer Art. Einmal können die gleichsam „entspannten" Sätze, in denen auf das Prädikat noch ein weiteres, an sich nicht unbedingt nötiges, Satzglied folgt, eine wirklichkeitsnahe Spontaneität des Ausdrucks nachahmen: Die Hand, die ihn dahin Gestellt, ist stark genug Ihn zu erhalten, Trotz Kaisern und Ministern
(P. 54 ff.)
Wer mag der schwarze Herr sein mit dem Kreuz . . . ? (P. 2132) Gottlob! Noch etwas weniges hat man Geflüchtet — vor den Fingern der Kroaten. (P. 149 f.) Wie diese Art der Epiphrase entsteht, kann man sich nur zu gut vorstellen: Es fällt dem Spredier, während er schon redet, nodi etwas ein, womit er das Gesagte verdeutlichen könnte; also hängt er an den bereits vollendeten Satz einfach nodi einen Teil an. Es gibt in den Blankversen Schillers jedoch audi ein vorweggenommenes Prädikat, das keineswegs spontan wirkt; die Ergänzung, die auf das Verb folgt, ist dann meist notwendiger Art. Bereits im Prolog begegnen die Verse: Drum muß er geizen mit der G e g e n w a r t . . . (Prol. 42) Und wie der Klang verhallet in dem Ohr . . . (Prol. 37) und dergleichen wird auch in den >Piccolomini< und im >Tod< nicht fehlen. Zunächst mag man versucht sein, hierin lediglich eine Eigentümlichkeit der gebundenen Rede zu sehen, die keine weitere Bedeutung hat, als dem Metrum entgegenzukommen. Dodi warum haben dann Lessing in seinem >Nathan< und Goethe in der >Iphigenie< kaum Wortumstellungen, die das Verbalgefüge betreffen? — Uber Goethe später. Für Lessing läßt sich vermuten, daß er es zu sehr auf einen ungezwungen wirkenden Konversationston anlegte, als daß er sich dergleichen gestattet hätte 72 — ein Beweis dafür, daß die Endstellung des Verbs sich in der normalen Sprache damals schon völlig durchgesetzt hatte. In Schillers Prosaschriften sowie in seinen Briefen ist das vorweggenommene Prädikat denn auch kaum nodi einmal anzutreffen. In seinem ersten Drama aber hatte Schiller von dem an sich bereits veralteten Satztypus noch sehr häufig Gebrauch gemacht, und an den >Räu72
Wie realistisch gerade das Nachklappen ergänzender Satzteile wirken kann (s.o.: „Wer mag der schwarze Herr sein mit dem Kreuz?" etc.), scheint Lessing nicht in den Sinn gekommen zu sein. Bei ihm ist der umgangssprachliche Tonfall im ganzen wahrscheinlich doch mehr konstruiert als intuitiv nachgeahmt.
122
Sprachschichten und Stilebenen
bern< läßt sich auch am besten beobachten, was sich durch diese Art von Umstellungen ausdrücken läßt: Die Vorwegnahme des Prädikats kann von einer biblischen Monumentalität sein wie in Franz Moors Schilderung seines apokalyptischen Traums („. . . und eine feurige Windsbraut fegte von hinnen Meer, Himmel und Erde"; V, 1). Doch auch Karl gebraucht in seinen Tiraden auf das „tintenklecksende Saeculum" denselben Satztypus: „Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnürbrust und meinen "Willen schnüren in Gesetze" (I, 2), und der alte Moor berichtet, man habe ihm den Tod seines Sohnes verkündet „und daß ihn mein Fluch gejagt hätte in Kampf und Tod und Verzweiflung" (V, 5). — In diesen Fällen wird die Umstellung schon durch das Pathos der Rede gerechtfertigt: Die Aussage wird dem Gefühl viel direkter zugänglich gemacht und erscheint viel nachdrücklicher, als wenn das Verb hübsch ordentlich am Ende eines besonnen durchgeformten Spannsatzes stünde 73 . Sowohl die verbale Klammer als auch die Endstellung des Verbs im Nebensatz dienen also — trotz der Gespanntheit der Sätze — nicht einem pathetischen und dramatischen Stil. Sie tragen am sichtbarsten dazu bei, im Deutschen „die Gleichzeitigkeit der nacheinander gesprochenen Wörter eines Satzes und damit dessen Einheit" zu sichern 74 , sie besitzen also eher etwas Statisches — eine Eigenschaft, der wir es wohl auch zuschreiben dürfen, daß diese Regeln in der >Iphigenie< Goethes so genau beachtet werden. Schiller dagegen gibt sie leichten Herzens auf und gewinnt dafür die Möglichkeit, die Aussage dynamischer zu gestalten. Oft scheint Schiller sogar nur deshalb umzustellen, um ein wichtiges Wort an eine Stelle des Satzes zu rücken, wo es besser zur Wirkung kommt: ans Ende der Periode in diesem Fall, was bei ihm ja oft zugleich mit dem Ende des Verses zusammenfällt 75 . So heißt es beispielsweise nicht: 73
Dies mag der Grund dafür sein, daß dieser Satztypus nicht nur beim jungen Schiller, sondern allgemein im „Sturm und D r a n g " auffallend oft vorkommt (vgl. Behaghel, Syntax I V , S. 85).
74
Duden, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, 2 1966, § 7025.
75
Das entscheidende Wort oder Satzglied an den Satzanfang zu rücken, entspricht nach Behaghel dem Bedürfnis und der Erregung des Redenden, die Schlußstellung dagegen nimmt Rücksicht auf den Hörer (Syntax I V , S. 8). Schiller weiß sowohl die Möglichkeiten der impulsiven Anfangsstellung wie der besonneneren Schlußstellung zu nützen. Ein typisches Beispiel für die Anfangsstellung wäre: (Gräfin:) Empört hat sich der Herzog, zu dem Feind H a t er sich schlagen wollen . . . (T. 1783 f.)
Syntax und Syntaktische Figuren
123
Gestehe denn, daß zwischen dir und ihm Die Rede nicht von Pflicht und Recht sein kann, sondern: Die Rede nicht kann sein von Pflicht und Recht (T. 624 f.) Schiller schreibt auch nicht: Wo war die Überlegung, Als wir dem Rasenden das Schwert vertraut, Und solche Macht in solche Hand gelegt! Er vertauscht vielmehr die Satzteile der letzten Zeile, wodurch eine nachdrücklich wirkende Symmetrie des Verses entsteht: Und solche Macht gelegt in solche Hand! (P. 303 ff.) Kann die Vorwegnahme des Prädikats bei Schiller von der verschiedenartigsten stilistischen Wirkung sein und deshalb auch in allen Teilen der Wallenstein-Trilogie auftauchen, so gibt es auch einige §atztypen, die nur im >Lager< anzutreffen sind. Häufig finden wir dort Hauptsätze nach dem Muster: Der Kroat es ganz anders trieb, Uns nur die Ñachíes übrig blieb. (L. 187 f.) Gäste dort zu bedienen sind (L. 196). Hier steht also — was sonst nur in untergeordneten Sätzen vorkommt ·—• das Verb, beziehungsweise die Personalform des Prädikats, erst ganz am Schluß. Solche Sätze haben eindeutig einen treuherzig-einfältigen Klang, obwohl sie, was das Merkwürdige ist, nicht im kolloquialen Ausdruck oder in einer der deutschen Mundarten verankert sind. Der Eindruck liebenswerter Primitivität beruht vielmehr auf einer dichterischen Konvention: Diese Wortstellung, die in der Prosa bereits in der althochdeutschen Zeit ausgestorben war, wurde in der Dichtung gelegentlich weiterbenutzt, vor allem — offensichtlich als Verlegenheitslösung — von Hans Sachs; dadurch wurde sie zu einem Charakteristikum des einfältigen, volkstümlichen Ausdrucks, und als ein solches ahmten sie die Knittelversdichter des 18. Jahrhunderts nach76. So finden sich auch im >Faust< und gelegentlich sogar in Schillers Balladen Sätze dieses Typs 77 . Ein Zeichen dafür, wie leicht, ja selbstver76
77
Diese Deutung wird durch. Ingerid Dal, Kurze deutsche Syntax, Tübingen 21962, § 128 (S. 175), nahegelegt. Behaghel weist zwar außerdem auf lateinischen Einfluß hin (für manche Schriftsteller des 16. Jahrhunderts, unter ihnen auch Luther; Syntax IV, S. 15 ff.). Dies scheint aber mehr eine episodenhafte Erscheinung zu sein. Bei Dichtern wie Lenau und Trakl sind sie dann besonders häufig (vgl. W. Schneider, Stilistische Grammatik, S. 396 ff.).
124
Sprachschichten und Stilebenen
ständlicb sich Schiller dergleichen aneignete, ist der folgende Satz, der nicht dem Text, sondern der Regieanweisung zum >Lager< entstammt: „Kroaten und Ulanen an einem Holzfeuer kochen" (1. Auftritt). Und doch erscheint diese Satzstellung nur dort, -wo sie wirklich hinpaßt; in den Blankversen des >Wallenstein< fehlen solche Sätze, wie bemerkt, ganz78. Dagegen gibt es in den >Piccolomini< und in >Wallensteins Tod< Wortstellungstypen, die wiederum im >Lager< kaum vorkommen. In erster Linie ist hier die Verschiebung des Personalpronomens zu nennen, die uns nicht nur von Schiller, sondern audi von Goethe und sogar von Lessings Blankversen her vertraut ist: Ich wüßte nicht, daß idi mein Innerstes Dir aufgetan — Der Kaiser, es ist wahr, Hat übel m i ó behandelt! (P. 864 ff.) Er will nur dir allein sich anvertraun. (T. 97) Genau so häufig ist die Versetzung von Partikeln oder Orts-, Zeit- und modalen Adverbien wie ,nur', ,schon', ,hier', ,nicht' usw. anzutreffen. Sie erscheinen im Vers häufig nicht vor dem Wort oder Satzteil, worauf sie sich beziehen, sondern danach: Ein König aber, einer, der es ist, Ward nie besiegt noch, als durch seinesgleichen . . . (P. 1223 f.) An derartige Anastrophen in der gebundenen Rede ist das Ohr bereits so sehr gewöhnt, daß sie einem kaum mehr auffallen; man muß sich erst einmal bewußt machen, daß es in der Prosa normalerweise nicht so heißen könnte79. Aber unbewußt wirken sie auf den Leser oder Hörer sicher als ein wesentlicher Faktor der gebundenen Sprache; sie sind ein konstituierendes Element des Verses. Bei den zuerst besprochenen Umstellungen, denjenigen im Verbalgefüge, entsteht — trotz der Abweichungen von den üblichen deutschen Wortstellungstypen — meist eine natürlichere Wortfolge, wobei die größere Natür78
79
Ebenso fehlen dort audi Hauptsätze vom Typ:
Und immer was Großes ist drauf geschehn, (L. 376) bei denen das Verb, respektive das Verbum finitum, also ebenfalls nicht an der üblichen, zweiten Stelle des Satzes steht. Allerdings kommt die Nachstellung von Partikeln und Adverbien bei Schiller gelegentlich auch in Prosa vor, sie hat dann aber eine ungewöhnlich emphatische Wirkung; vgl. den für lange Zeit letzten Brief an A. W. Schlegel: » . . . so lassen Sie mich überhaupt eine Verbindung abbrechen, die unter so bewandten Umständen gar zu sonderbar ist, und mein Vertrauen zu oft schon compromittierte." ( 3 1 . 5 . 1797)
Syntax und Syntaktische Figuren
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Iichkeit darin besteht, daß sie einer direkten Aufnahme der Aussage angemessener ist als der deutsche Spannsatz. Gerade das Umgekehrte haben aber die Nachstellung von Personalpronomen und Partikeln zur Folge: Nahezusammengehöriges wird auseinandergerissen (das Reflexivpronomen wird weiter als üblich vom Subjekt getrennt) oder der Bezugspunkt, unter dem ein Satz oder ein bestimmter Satzteil zu betrachten ist, erscheint verspätet (so die Adverbien oder die Pronomen, die sich meist auf ein persönliches Objekt beziehen). In all diesen Fällen kann die Aussage des Satzes noch weniger direkt aufgenommen werden, als das sonst im Deutschen möglich ist; sie vollzieht sich gleichsam in kleinen Hin-und-Her-Bewegungen — kleinen Schlangenlinien, könnte man sagen und dabei an Sdiillers Definition des zwecklos erscheinenden Schönen erinnern 80 . Wir haben also (wenn wir einmal von dem Knittelvers-Satztypus „Der Kroat es ganz anders trieb" absehen) zwei verschiedene Tendenzen in der Wortstellung von Schillers Versspradie zu unterscheiden: Auf der einen Seite legt es Sdiiller auf eine Vereinfachung des Satzbaus an und gebraucht — sei es nun, um einen bestimmten Redestil zu imitieren oder um des Rhythmus, des Pathos und des Nachdrucks willen — eine direktere Wortfolge als die übliche. Das zeigt sidi außer beim vorweggenommenen Prädikat zum Beispiel auch in den Relativsätzen, die — wie auch in Sdiillers Prosa sehr häufig — nicht direkt beim Bezugswort stehen, sondern erst, nachdem die wesentliche Aussage des Satzes gemacht ist, gleichsam wie ein neuer Gedanke folgen: Das Geriidit Von einer Schlacht erschreckte sie, worin Der kaiserliche Oberst sei gefallen 81 (T. 2916) Daneben stellen wir aber die entgegengesetzte Neigung fest, die Rede durch den Satzbau leicht zu verfremden und dem Publikum, wenn audi keine großen Gedankensprünge, so doch kleine Umwege bei der Aufnahme des Satzinhaltes zuzumuten. Diese Tendenz ist bezeichnenderweise in den Blankversen viel ausgeprägter als im >LagerKallias-Brief< vom 23. 3. 1793 an Körner (Jonas III, S. 283 f.).
81
Wenn der Relativsatz nicht ganz ans Ende gerückt, sondern nur um ein Stüde verschoben ist, erscheint dies weniger gerechtfertigt. Im Beispiel: Es schmerzt midi, deinen Glauben an den Mann, Der dir so wohl gegründet scheint, zu stürzen, (P. 2409 f.) ist überdies die Beziehung falsch — ein bei Schiller nicht alleine dastehender Fall.
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genannten Umstellungen von Personalpronomen und Adverbien noch eine ganze Reihe weiterer Beispiele dafür anführen. Schon der vorangestellte Genitiv, vor allem, wenn er auf echt Schillersehe A r t noch durch Epitheta erweitert wird, bedeutet ja bereits einen solchen „Umweg" für das direkte Verständnis: Der alten Ehrfurcht eingewachsnen Trieb Und des Gehorsams heilige Gewohnheit Soll ich versagen lernen deinem Namen? Nein! wende nicht dein Angesicht von mir, Es war mir immer eines Gottes Antlitz . . . (T. 737 ff.) So spricht Max zu Wallenstein mit freilich ungewöhnlich komplizierter "Wortstellung und ungewöhnlicher H ä u f u n g vorweggenommener Genitive. Aufs Ganze gesehen ist Schiller nämlich im >Wallenstein< zurückhaltender als sonst mit solchen leicht lebensfern wirkenden Konstruktionen 8 2 . Vorangestellte Genitive finden sich zwar in jenen längeren Reden über Themen, die dem Sprecher offenbar sehr am Herzen liegen, also beispielsweise in Octavios Lob der Ordnung (P. 463 ff.) oder in Wallensteins Verteidigung der Astrologie. Streckenweise aber, so vor allem im vierten A k t der >PiccolominiLager< durchschnittlich ein vorangestellter Genitiv auf je 50 Zeilen, in den >Piccolomini< „auf 34, im >Tod< bereits auf 27 Zeilen. Das steigert sich dann fast gleichmäßig über die >Maria Stuart< (20), die >Jungfrau< (16) bis zur >Braut von Messina« mit einem vorangestellten Genitiv auf je 7 Zeilen! Eine gewisse Ausnahme machen die allgemein üblichen vorangestellten Genitive bei N a m e n oder Personenbezeichnungen, die besonders im >Lager< häufig sind. D o r t und in der Kellermeister-Szene der >Piccolomini< begegnen auch Genitive mit zusätzlichem Possesivpronomen: „An des Ilio seinem Stuhl" (P. 2129). —· Den Gedichten Mörikes, die im Volkston gehalten sind, verleihen solche Konstruktionen — für unsere Ohren wenigstens ·—• den Tonfall einer liebenswürdigen Einfalt, die sich um Zierlichkeit und Vornehmheit des Ausdrudcs bemüht (wieviel gröber klingt „dem Schäfer sein H a u s " als „des Schäfers sein H a u s " , wie es bei Mörike heißt!). Nach Wunderlich (Deutsche Syntax, II, 3 1925, S. 168) verbietet es sich allerdings aus sprachhistorischen Gründen, diese A r t des possessiven Genitivs als ein Gemisch aus dem umgangsprachlichen possessiven D a t i v und dem hochsprachlichen reinen Genitiv zu erklären; dennoch ist es denkbar, daß nicht nur wir sie unwillkürlich so auffassen, sondern auch Mörike und sogar Schiller sie bereits so empfanden.
Syntax und Syntaktische Figuren
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matischen Kurve nach, denn gerade, wenn nicht viel geschieht, sind die vorangestellten Genitive zahlreich84. Als weitere Beispiele für einen nicht streng geradeaus gerichteten Satzverlauf wäre noch die Apposition 86 zu nennen, außerdem das verschobene Adverb 86 und schließlich auch die Trennung zusammengehöriger "Wörter ein und desselben Satzgliedes, das sogenannte Hyperbaton. In Blankversdramen ist es im allgemeinen wenig gebräuchlich, im >Wallenstein< aber — wie audi sonst bei Schiller — fällt es immer .wieder auf : Der Der Das Des
Waffen dumpfes Rauschen unterbrach, Runden Ruf einförmig nur die Stille. Ungemeine soll, das Höchste selbst... Tanzes freie Göttin und Gesangs. . ,
(T. 905 f.) (P. 453) (Pr. 130)
Meist handelt es sich dabei um Doppelsubjekte oder zweiteilige Objekte, die durch sich dazwischendrängende Satzglieder auseinandergerissen werden; seltener finden sich kompliziertere Konstruktionen wie die Trennung des Genitivs vom Beziehungswort: 84
In >Maria Stuart< und in der >Jungfrau< begegnen sie im vierten A k t weit seltener als im letzten •— ein Zeichen dafür, daß Schiller turbulente Ereignisse die eine unmittelbare Reaktion in wirklichkeitsnaher Rede hervorrufen) nicht gerne ganz an den Schluß verlegt. Im f ü n f t e n Akt läßt er seine Gestalten gerne noch einmal etwas hinter das unmittelbare Geschehen zurücktreten und legt ihnen ruhigere und besonnenere Reden in den Mund •— das Abstandnehmen, das Sicherheben über das dramatische Geschehen wird dem Zuschauer sozusagen vorgemacht. Für >Wallensteins Tod< stimmen diese Verhältnisse auf den ersten Blidt allerdings nicht: D o r t hat gerade der vierte Akt (zusammen mit den beiden ersten) die meisten vorangestellten Genitive, während der dritte am wenigsten von allen aufweist. Darin spiegelt sich aber nur der ursprüngliche A u f b a u der >WallensteinTod< sollte ja ursprünglich der vierte eines einteiligen >Wallenstein< werden, der jetzige vierte und f ü n f t e zusammen vertreten also die Stelle, die sonst der f ü n f t e alleine einnimmt.
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Appositionen ersdieinen uns als eines der gebräuchlichsten syntaktischen C h a r a k teristika der dichterischen Sprache, sie fallen kaum mehr auf. D a ß aber offenbar erst Schiller Wesentliches dazu beigetragen hat, sie gebräuchlich zu machen, geht aus einer zeitgenössischen Kritik des >Wallenstein< hervor: „einen . . . unangenehmen Eindruck macht auf Rez. das jetzt so zur Mode gewordene Stellen des beschreibenden Beiwortes hinter das H a u p t w o r t , das dem Genius unserer Sprache so unnatürlich i s t . . (Braun II, S. 139). Vgl. Max : . . . versprützen will ich Für ihn, f ü r diesen Wallenstein, mein Blut, Das letzte meines Herzens, tropfenweis . . . (P. 579 ff.)
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Sprachschichten und Stilebenen
Wars Unrecht, an dem Gaukelbilde midi Der königlichen H o f f n u n g zu ergötzen? (T. 150 f.) Solche Satzfügungen sind ganz besonders dazu geeignet, der Rede einen feierlich-großartigen, bedeutenden Klang zu verleihen 87 . 3. Syntaktische Mittel der Ausdruckssteigerung und
Ausdrucksverkürzung
Das vorige Unterkapitel befaßte sich mit der Anordnung der Wörter und Satzteile, wobei die einzelnen Versatzstücke gewissermaßen als gegeben vorausgesetzt wurden. Wenn nun noch einige besonders typische Charakteristika von Schillers Syntax zur Sprache kommen sollen, dann müssen wir in einer Hinsicht wiederum einen kleinen Schritt zurück gehen: vom Problem der Anordnung zurück zur Frage nach diesen Versatzstücken selbst, soweit sie f ü r sich bereits syntaktische Besonderheiten darstellen. Was hier im >Wallenstein< auffällt, läuft vor allem auf Ausdruckssteigerung hinaus, wobei diese Steigerung auf einem erregt-emphatischen, einem ernst-einprägsamen oder einem feierlich-ungewöhnlichen Tenor der Rede beruhen mag. Erreicht wird sie in erster Linie durch die verschiedensten Arten von Wortwiederholungen, die es bei dieser Gelegenheit etwas genauer zu betrachten gilt. Eine Intensivierung des Ausdrucks ist aber auch auf andere Art möglich: nicht durch Wiederholungen, sondern durch eine mehr oder weniger frappierende Verkürzung der Aussage, wie sie im Zeugma vorliegt oder in jener bei Schiller so außerordentlich häufigen Erscheinung, die man als grammatische Subjektivierung von sinngemäß untergeordneten Begriffen bezeichnen könnte. a) Wiederholungen Obwohl die Rhetorik zahlreiche Termini für die verschiedenen Figuren der Wiederholung anbietet, wird doch, wenn es um Schillers Stil geht, Einzelnes kaum unterschieden. Schiller neige überhaupt sehr zu Wiederholungen, 87
Folgt der zweite Teil eines doppelten Subjekts oder Objekts erst am Satzende, als Nachtrag sozusagen, dann ergibt sich selbstverständlich auch hier nicht eine verfremdende, sondern im Gegenteil eine sehr natürliche Wirkung: Nur Gallas fehlt uns nodi und Altringer. (P. 21) Wenn man die Predigt schwänzt und die Meß . . . (L. 535) Ähnliches kann auch für die Apposition und das nachgestellte Adverb gelten: Sein Chef gab ihm Befehl, ausdrücklichen, Nicht von dem Platz zu weichen . . . (P. 1200 f.)
Syntax und Syntaktische Figuren
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sagt zum Beispiel Melitta Gerhard; in seiner Euripides-Übersetzung etwa seien sie weit häufiger als im Original, im >Wallenstein< dagegen seltener als sonst bei Schiller88. Trifft dies aber für alle Arten von Wiederholungen zu? Oder was hat man sich hierbei genau vorzustellen? — Natürlich hätte es trotzdem wenig Sinn, rein nach rhetorischen Bezeichnungen vorzugehen. Wählen wir anstatt dessen den Mittelweg, einzelne Figuren zu Bedeutungsgruppen zusammenzufassen. Da gibt es erstens die d i r e k t e , d. h. unmittelbare und sinngleiche Wiederholung eines Wortes oder Satzteiles (die Epanalepse „Wir, wir haben . . L . 904, zum Beispiel). Bereits in Lessings Blankversen begegnet sie außerordentlich häufig, da sie der Natürlichkeit des Tonfalls zu dienen vermag; bisweilen jedoch kommt sie bei ihm offenbar nur den Erfordernissen des Metrums entgegen. Ähnlich wie im >Nathan< sind diese Geminationen dann auch in den emphatischen Reden des Don-Carlos-Dramas von einer Häufigkeit, die — entgegen der beabsichtigten Wirkung — zur Eintönigkeit zu werden droht 89 . Im >Wallenstein< ist dergleichen zurückgedämmt und stärker funktionalisiert. So finden sich Wiederholungen zum Beispiel im ungezwungenen Konversationston zu Beginn der >Piccolomini< (»Ja, ja "·, „Nun, nun . . . " ) , später ist es dann vor allem Max, bei dem sie begegnen. . . . o! davon — davon ist Auf unsrer wilden Fahrt uns nicht erschienen, Das denke ja nicht — Vater! Vater! Vater!
(P. 518 f.) (P. 2507)
Für diese Fälle darf an Karl Ph. Moritz' Erklärung der unmittelbaren Wiederholungen erinnert werden: „Die Empfindung möchte dadurch anzeigen, daß sie mehr auf einmal sagen will, als die betreffenden Worte auszudrücken vermögen" 80 . Offensichtlich eine Besonderheit Schillers ist die Wiederholung entscheidender Wörter oder Wortgruppen mit verschiedener, d. h. versetzter Versbetonung. So heißt es bei Lessing: Ihr Bruder! Kann nicht seyn! nicht seyn! (Nathan, V, v. 643) 88 89
Schiller und die griediisdie Tragödie, S. 34 f. und S. 52. D i e Wiederholungen des >Don Carlos< braudien allerdings nicht als bloße Nachahmung der >NathanFiescoWallenstein< zurückgehen, so finden sich dafür um so mehr von jenen Wiederholungen, die unter den einzelnen Satzteilen rationale Beziehungen herstellen: das Ρ o l y p t o t o n (oder polyptotonähnliche Figuren) und die A n a k l a s i s e 2 . Dem Polyptoton begegneten wir bereits bei der Besprechung der Adjektive. Außerdem kann es natürlich audi bei anderen Wortarten vorkommen — bei Substantiven: Der Krieg ernährt den Krieg. (P. 136) bei Komposita: Dem Herrscbtalent den Herrscbplatz zu erobern, (P. 441) oder bei verschiedenen Formen eines Verbs: . . . macht sich zermalmend Platz, um zu zermalmen. (P. 472) Solche variierenden Wiederholungen dienen weniger der Entladung des Gefühls als der bewußten Ausformung des Gedankens, die sinnbefrachteten Gleichklänge geben der Aussage ein festes Gerüst und eine größere Durchschlagskraft 93 . Wie eindrücklich kommt zum Beispiel in dem Satz: Im engen Kreis verengert sich der Sinn, (Prol. 59) mit seiner Repetition des sinntragenden Wortstammes „eng" das unentrinnbare Sich-Einspinnen in immer kleinere Kreise zum Ausdruck. Dem Polyptoton mit seinem Hin-und-Her-Wenden des entscheidenden Wortes ist die Anaklasis verwandt, die Wiederaufnahme eines Stichwortes durch den Dialogpartner. Sie ist — ähnlich wie der direkte Anschluß94 — ein Mittel, den Dialog lebendig und spannend zu gestalten; zugleich ist sie geeignet, den ernsthaftesten Diskussionen einen ornamentalen, fast spieleriM
Vgl. z . B . nodi: „Und du mußt auch, du m u ß t didi unterschreiben." (Ilio, P. 2227). t! Anapher, Epipher etc., auf die hier nidit näher eingegangen werden soll, stehen sozusagen in der Mitte zwischen den unmittelbaren Wiederholungen und dem Polyptoton: Es besteht Bedeutungsgleidiheit bei den wiederholten Wörtern, sie ziehen aber doch einen neuen Aussageinhalt heran. ,s Merkwürdigerweise beschränken sich diese an sich so verstandesmäßigen Figuren bei Schiller nicht allein auf die Verstandeswirkung, sondern können zugleich von einer starken klang-magisdien Faszination sein. Vgl. hierzu S. 226 ff. über rhetorische Figuren überhaupt und S. 71 f. über die Doppelaufgabe des Reims in Schillers Dichtung. »4 S . o . S . 113.
Syntax und Syntaktisdie Figuren
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sehen Charakter zu verleihen, ohne ihnen an Eindrüdslichkeit etwas zu nehmen: Octavio: denn eine Zeit ist jetzt, Wo sich die Guten eng verbinden sollten. Buttler: Die Gleichgesinnten können es allein Octavio: Und alle Guten nenn idi gleich gesinnt.95 (T. 1056 ff.) Als auf eine letzte Art der Wiederholung muß schließlich noch auf das „ e r w e i t e r t e A s y n d e t o n " eingegangen werden. Mit diesem Begriff seien Fälle wie der folgende bezeichnet: „Ohne die Armee ist das Reich, ist die Ordnung nicht denkbar." Dies ist ein Aussprudi Bismarcks, der ins >Deutsche Spruchwörterbuch< einging 96 und der sicherlich nur deshalb so bedeutend klingt, weil die beiden parallelen Satzglieder unverbunden nebeneinanderstehen, dafür aber das Verb wiederholt wird. Dergleichen treffen wir normalerweise nur in der gebundenen Rede an, vor allem von Schiller her ist es uns bekannt — man ist sogar versucht anzunehmen, Bismarck habe diese Konstruktion bei ihm abgeguckt. Es heißt also im >Wallenstein< beispielsweise: Grad aus geht des Blitzes, Geht des Kanonballs fürchterlicher Pfad — (P. 469 f.) und Max spricht nicht von dem „Glauben an der Gestirne und der Geister Macht", sondern er sagt: O ! nimmer will idi seinen Glauben schelten An der Gestirne, an der Geister Macht. (P. 1619 f.) Nicht nur das erweiterte Asyndeton ist häufig, sondern auch das normale, auf das bei dieser Gelegenheit kurz eingegangen werden soll. Die Unverbundenheit paralleler Satzglieder und Sätze ist bei Schiller sogar die Regel. Dabei fällt auf, daß auch die gewöhnliche Asyndese eher etwas ,s
Es gibt, genau genommen, natürlich verschiedene Arten von Wiederaufnahmen, also neben der Anaklasis, die der Lösung eines Problems oder der Weiterentwicklung eines Gedankens dient, auch die bloße Rückfrage (Waditm.: „s'ist eine Verschwörung, ein Komplott." — Mark.: Eine Versdiwörung? du lieber Gott! . . . L. 815 f.) oder das Aufnehmen der angebotenen Wörter aus Mangel an eigenen Ausdrucksformen (wie bei Deveroux und Macdonald). — Einige Male begegnet audi der wenig schöne, weil unfreiwillige Gleichlaut, der bei der Übernahme eines Wortes in völlig anderer Bedeutung entsteht (z. B. Thekla: „Sein Entschluß wird bald / Gefaßt sein, daran zweifelt nicht . . . " — Gräfin: „Faßt Euch, Idi höre / Die Mutter nahn", T. 1360 ff.; oder Deveroux: „Es geht nicht". — Macdonald: „Nein! es geht nidit." — Buttler: „Nun denn, so geht — und — schickt mir Pestalutzen" ; T. 3281 f.).
M
Berlin 1907 (Wiederabdruck 1962), S. 31. 9»
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Distanzierendes als etwas Lebensnah-Lebhaftes hat 9 7 ; sie ist dramatisdi-dynamisch und dodi o f t v o n verfremdender Wirkung. Wahrscheinlich ist dies der Grund dafür, daß es v o n Schiller so bevorzugt wird 9 8 . Außer dem sonst üblichen ,und' fehlen bei Schiller auch erstaunlich oft die Konjunktionen, die auf einen Gegensatz hinweisen, ,aberc, ,doch', .sondern' usw.: Ihnen steht es an, So zart zu denken, meinem Schwager ziemts, Sich immer groß und fürstlich zu beweisen. (P. 776 ff.) Der Fürst trägt Vatersorge für die Truppen, Wir sehen, wie's der Kaiser mit uns meint. (P. 193 f.) Adversative Konjunktionen, die dodi die Beziehungen sehr verdeutlichen helfen würden, umgeht Schiller wohl deshalb, weil sie zu sehr den Anstrich 97
98
Als Beispiel möge eine weitere Stelle aus Octavios Belehrung über den „Weg der Ordnung" dienen: Die Straße, die der Mensch befährt, Worauf der Segen wandelt, diese folgt Der Flüsse Lauf, der Täler freien Krümmen, Umgeht das Weizenfeld, den R e b e n h ü g e l , . . . (P. 473 f.) Wie andere Merkmale des gehobenen Stils dringt audi diese von Sdiiller so bevorzugte syntaktische Eigenart gelegentlich in die Äußerungen von Personen ein, zu denen sie nicht ganz paßt. Der Sprecher der Pappenheimer Kürassiere zum Beispiel ist durch seine Sprache als Mann einfacher Herkunft dargestellt, und seine Art zu reden ist darüber hinaus — wie es in der Regieanweisung ausdrücklich heißt — „treuherzig". Dazu passen aber dann die zahlreichen Asyndesen nicht, die in seinem Mund etwas gekünstelt wirken. (Zu Anfang spricht der Gefreite allerdings nodi nicht so, in den ersten Versen finden sich sogar nodi recht viele ,und', einmal sogar das bei Schiller äußerst seltene Polysyndeton — „wir haltens bloß / Für Lug und Trug und spanisdie Erfindung". In der Folge gerät er allerdings immer mehr in den echten Schiller-Stil hinein.) Die Syndese fehlt daneben freilich audi nicht ganz: Dem Prolog — besonders dem ersten Teil — verleiht sie eine Goethesdie Gelassenheit, die uns an die >Iphigenie< erinnert; im >Lager< gehört die Syndese nicht nur zu den so zahlreichen Zwillingsformeln, sondern unterstreicht auch einen populären Plauderstil in Erzählungen und längeren Betrachtungen; in Wallensteins Darstellung des Ereignisses, das ihm Octavios Zuverlässigkeit zu verbürgen scheint, bewirken die zahlreichen ,und' — ähnlich wie in den Balladen — einen sehr flüssigen Erzählstil (s. o. S. 60). — Im normalen Gespräch ist das Syndeton oft von einer harmlosen Gemütlichkeit, und das wird von den Gestalten des >Wallenstein< bisweilen geschickt ausgenützt. Wie verbindlich klingt es doch, wenn Octavio sidi auf dem Bankett der Generale Buttlers Zuneigung zu sichern sucht: Buttler: Ich muß gestehen, es ist nicht in meiner Art. Octavio: Auch nicht in meiner, kann ich Euch versichern, Und midi e r f r e u t s , . . . (P. 2172 ff.)
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von strenger Logik in die Verse bringen und an den Stil abstrakter Abhandlungen erinnern könnten. Was die Klarheit durch diesen Verzicht einbüßen könnte, wird normalerweise freilich durch die Wortstellung ausgeglichen. Wenn Schiller es auch sonst liebt, den wichtigsten Begriff durch Inversionen herauszuheben, so geschieht dies in besonders starkem Maße bei der Darstellung von Gegensätzen. Dabei entstehen dann die bekannten kunstvollen antithetischen Parallelismen und Chiasmen, auf die wir hier nicht weiter einzugehen brauchen, da ja gerade von ihnen in der Schiller-Literatur immer wieder die Rede ist. b) Zeugma und grammatische Subjektivierung Auch dies gehört zur merkwürdigen Doppelgesichtigkeit von Schillers Stil: daß neben der ausgesprochenen Tendenz zur Erweiterung die entgegengesetzte Tendenz zur Verkürzung des Ausdrucks vorhanden ist. Wir bemerkten bereits die komprimierende Wirkung derjenigen Adjektive, die sich nicht nur auf das jeweilige Substantiv beziehen. Auch Neubildungen dienen der Verkürzung des Ausdrucks. Im allgemeinen aber ist in dieser Hinsicht die Ebene der Wortwahl für Goethe wesentlicher, während bei Sdiiller mehr die Syntax im Vordergrund steht. Verkürzend wirkt ja bereits der so häufige vorangestellte Genitiv, der nur ein einziges Mal die Setzung des Artikels nötig macht. Ausdrudkverkürzend ist bei Sdiiller sogar der Nominalismus, der doch sonst eher die Gefahr der Breite mit sich bringt („So nimmt er/Sich seines Namens Ewigkeit voraus", heißt es zum Beispiel im Prolog vom Schauspieler; — wie könnte man dies anders so knapp ausdrücken?). Die typische syntaktische Figur ist hier aber das Zeugma, das im > Wallenstein < mit so eklatanten Fällen wie: Von einer ironischen Gemütlichkeit sind dagegen die kopulativen Konjunktionen in der Schilderung, welche die Gräfin dem Herzog von seinem Leben als verabschiedeter Feldherr gibt: Der König Von Ungarn wird erscheinen, und es wird sich Von selbst verstehen, daß der Herzog geht, . . . Der König wird die Truppen lassen schwören, Und alles wird in seiner Ordnung bleiben. . . . Dort wird er jagen, baun, Gestüte halten, . . . Und kurz, ein großer König sein — im Kleinen! Und weil er klug sich zu bescheiden w e i ß , . . . (T. 500 ff.) Nicht nur der Inhalt der Rede, auch der Tonfall ist geeignet, dem Mann, der nach großen Ereignissen und Taten dürstet, eine unüberwindliche Abscheu vor diesem Zukunftsbild einzuflößen.
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Ein Wort nimmt sich, ein Leben nie zurück. Der Ort nicht, sein Verhängnis tötet ihn. vertreten ist, aber auch sonst noch manches Mal vorkommt: So sah mich nur ihr Auge, nicht ihr Herz.
(T. 2710) (T. 2722) (P. 1529)
Es kann der Mord bisweilen Den Königen, der Mörder nie gefallen". (T. 2888 f.) Neuheit und doch Selbstverständlichkeit zeichnen das Zeugma aus. Durch die ungewohnte Kombination werden Zusammenhänge oder Gegensätze besonders deutlich herausgebracht, ein Problem oder ein Sachverhalt wird auf seinen eigentlichen Kern reduziert. Natürlich ergibt sich aufs Ganze gesehen nicht allzu oft Gelegenheit für diese so echt Schillersche Figur. Dafür begegnet aber fast auf Schritt und Tritt das verwandte Phänomen, daß auf Kosten des persönlichen Subjekts ein Gegenstand oder ein Abstraktum zum Handlungsträger im Satz erhoben wird 100 . So legt Buttler beispielsweise ausführlich dar, wie weit Wallensteins „Befehl" herrsche (P. 234 ff.); Questenberg gibt zu bedenken, „kaiserliche Herrschgewalt und Würde" sprächen aus seinem Munde, nicht etwa „eigene Kühnheit" (P. 1018 ff.); Max spricht vom „sanften Friedensmarsch", der „heimwärts schlägt" (P. 537), und Octavio sagt: Dies Manifest erklärt ihn in die Acht, Spricht los das Heer von des Gehorsams Pflichten, Und alle Gutgesinnten ruft es a u f . . . (T. 1081 ff.) Diese Erscheinung ist an sich nichts Ungewöhnliches, aber die Häufigkeit, mit der sie im >Wallenstein< vorkommt — wollte man alle Beispiele anführen, müßte man einen beträchtlichen Teil des Werkes zitieren! — und ebenso die Effekte, die Schiller dadurch gewinnt, machen sie zu einem entscheidenden Merkmal seines Stils. Wie wirksam ist gleich der bekannte Einsatz der >Piccolomini< mit der Formulierung: Der weite Weg, Graf Isolan, entschuldigt Euer Säumen101. Besonders häufig ist die grammatische Subjektivierung im gehobenen Stil. Im Prolog zum Beispiel ist sie die Regel und trägt wesentlich zu seiner *· Das Zeugma ist also das genaue Gegenstück zum erweiterten Asyndeton mit seiner an sich unnötigen Doppelsetzung des Verbs. 100 Die grammatische Subjektivierung ist zugleich ein häufiges, wenn audi kein notwendiges Merkmal des Zeugmas; dies hängt mit der Knappheit des Ausdrucks zusammen, die beiden Stilfiguren eigen ist. W1 Die ursprüngliche Fassung hatte an dieser Stelle einen ausgesprochen matten Satz mit persönlichem Subjekt in Haupt- und Nebensatz (s. N A VIII, S. 423 f.).
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Feierlichkeit bei, im >Lager< wird dagegen das Feld fast ganz von Sätzen mit persönlichem Subjekt beherrscht. Auf der anderen Seite kann diese Subjektivierung aber audi den Eindruck von Konkretheit der Vorstellungen und realistischer Schlagfertigkeit hervorrufen: Wenn Terzky bittet, nicht auf Ilio, aus dem „der Wein" spräche, zu hören, antwortet Isolani, indem er Terzkys Art der Formulierung aufgreift, lachend: Der Wein erfindet nichts, er schwatzts nur aus. (P. 2235) und Buttler rät Questenberg, sich nicht öffentlich zu zeigen, denn: . . . schwerlich möchte Sie Der goldne Schlüssel vor Mißhandlung schützen. (P. 1289 f.) Diese letzten Beispiele veranschaulichen zugleich wie unsicher die Grenze ist, die zwischen der grammatischen Subjektivierung und der Personifikation besteht. Sollte man vielleicht überhaupt nur von „Personifikationen" sprechen? Das wäre letztlich aber mißdeutend. Denn obwohl den subjektivierten Gegenständen oder Abstrakta sehr oft Tätigkeitsworte beigegeben sind, die sonst nur auf Menschen angewendet werden, handelt es sich doch eher um ein syntaktisches Problem als um einen Aspekt der Bildlichkeit102. Die Subjektivierung oder Personifikation dient viel mehr einer ausdrudkssteigernden Verkürzung des Satzes als der Anschaulichkeit. Und dodi sind hier neben der rein formalen noch andere Komponenten zu entdecken, die in tiefere Schichten unseres Sprachkunstwerks reichen. Ein Erstes ist, daß diese Art der Subjektivierung etwas, das man als feststehende Tatsache aufzufassen gewohnt ist, als dynamisch-dramatischen Vorgang zeigt. So heißt es beispielsweise nicht: „ich habe die Pflicht", sondern: „die Pflicht fordert von mir" (T. 2246); nicht: „Sie wollen ihrem Vaterland nicht dienen", sondern: „Sie treibt der Eifer nicht fürs Vaterland" (P. 225). — Dies sind freilich noch fast normale, an sich wenig bedeutende Beispiele. Anders wird es aber, sobald der Titelheld selbst spricht oder von ihm die Rede ist. Seiner Situation und seinem Charakter entsprechend erscheint Wallenstein in ein wahres Netz von Beziehungen verstrickt, und so zeigt sich auch im Sprachlichen, daß er nicht der aktive Mittelpunkt ist, sondern daß alles handelnd von außen an ihn herantritt. Das gilt sogar für die eigenen Triebe und Bestrebungen, die somit von seinem eigentlichen Selbst, das dadurch merkwürdig unfaßbar wird, getrennt erscheinen. Ich zitiere aus seinem großen Monolog (T. I, 4) : Die Freiheit reizte mich und das Vermögen.
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Zur Personifikation vgl. nodi S. 171, Anm. 182.
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Sprachschichten und Stilebenen Denn midi verklagt der Doppelsinn des Lebens Und — selbst der frommen Quelle reine Tat Wird der Verdacht, schlimmdeutend, mir vergiften. Kühn war das Wort, weil es die Tat nicht war Und was der Zorn, und was der frohe Mut Mich sprechen ließ im Überfluß des Herzens . . . Wie anders! da des Mutes freier Trieb Zur kühnen Tat midi zog, die rauh gebietend Die Not jetzt, die Erhaltung von mir heischt.. . l o s
Zugleich findet durch diese Umkehrung des üblichen Subjekt-Objekt-Verhältnisses, durch die Verselbständigung von Eigenschaften und Umständen eine bedeutungsvolle Transponierung des persönlichen Geschicks ins Oberpersönliche statt 104 . Ähnlich wie im mittelalterlichen und barocken Drama — und dann nodi einmal am Ende des >Faust< — wird auf diese Weise die Allgemeingültigkeit, die allgemeine Anwendbarkeit des Geschehens unterstrichen. „Werke" und „Glaube" im >JedermannWallenstein< — sie alle sind in ihrer mehr oder weniger großen Selbständigkeit nicht nur auf die betreffende Dramenfigur, sondern auch auf jeden anderen Menschen beziehbar1®5. So ist es kaum verwunderlich, daß die Subjekt-Objekt-Vertauschung, die neben der intensivierenden Ausdrucksverkürzung zugleich die Möglichkeit zu dramatisierender, diarakterzeichnerisdier und generalisierender Wirkung bietet, von Schiller so bevorzugt wird. los
Bereits zu Beginn der >PiccoIomini< sagt Ilio über Wallenstein:
Die Gelegenheit
Soll ihn verführen. Ist der große Schritt Nur erst getan, den sie zu Wien ihm nicht verzeihn,
So wird der Notzwang der Begebenheiten
Ihn weiter schon und weiter führen, nur Die Wahl ists, was ihm sdiwer wird; drängt die Not, Dann kommt ihm seine Stärke, seine Klarheit.
(P. 1364 ff.)
144
Ähnlich hierzu: V. Klotz, Geschlossene und offene Form im Drama, S. 63.
145
Bloch spricht für Schiller und die französischen Klassiker von der „Verpersönlichung des Objektiv-Sachlichen" durch „Bildabstrakta", denen „menschliche oder doch vegetativ-kreatürliche Eigenschaften" verliehen werden (a.a.O., S. 298 f.). Mit derselben Berechtigung ließe sich in den meisten Fällen aber auch von einer Εκί-Persönlichung sprechen, weil dadurch ja das persönliche Subjekt, d. h. der Mensch, selbst als Handlungsträger verdrängt wird (vgl. dazu S. 171).
Bildlichkeit
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Auch sonst fiel uns eine große Verschiedenartigkeit der Ausdruckswerte in Schillers Syntax auf. Als Haupttendenzen wären da zum Teil sogar ausgesprochene Gegensätze zu verzeichnen: eine charakterisierend-mimische Sprachgebung von bisweilen geradezu naturalistischen Gepräge gegenüber einer spürbaren Stilisierung; Abweichungen vom normalen Satzbau, die einerseits der Deutlichkeit der Aussage und einer unmittelbareren Aufnahme durch den Hörer, andrerseits der pathetischen Ausdruckssteigerung und Verfremdung dienen; rhythmische Qualitäten gegenüber Bestrebungen zu einer rationalen Verknappung der Aussage. Also wiederum alles andere als ein eindeutiges, leicht verwertbares Fazit.
III. Bildlichkeit Schillers Bilder haben bereits bei den Zeitgenossen — im positiven wie im negativen Sinne — viel Beachtung erfahren. An Angriffen auf Unnatürlichkeiten, unnötige Häufungen und Inkonsequenzen fehlt es besonders in den Rezensionen der Thalia-Fragmente des >Don Carlos< nicht: Die „Szene" werde alle Augenblicke verändert und mitten im Spiel würden „neue Kulissen eingeschoben", sagt einer der Kritiker. Ein anderer meint, daß sich Schillers Charaktere „auf halsbrecherische Weise auf Metaphern wie auf Luftbällen in den Wolken herumtummeln" 108 . Schiller scheint sich diese Vorwürfe zu Herzen genommen zu haben — in der endgültigen Fassung des >Don Carlos< ist die Bildersprache weit „normaler" als in der ursprünglichen —, grundsätzlich aber verteidigt er die dichterische Bildlichkeit, die für ihn ein wesentliches Element des Stils ist. Vor allem legt er immer wieder großen Wert auf die „Anschaulichkeit" seiner poetischen wie schriftstellerischen Werke: Hinsichtlich der >Künstler< meint er, daß sie durch „Üppigkeit der Ausführung" zu erlangen s e i . . , 107 ; „der Meister in der guten Darstellung" müsse „Begriffe in Bilder umzusetzen" verstehen, schreibt er in einem Brief an den Herzog von Augustenburg 108 . Daß ein solcher Vorrang der Anschaulichkeit im Sprachkunstwerk seine Berechtigung habe, ist nun freilich in unserer Zeit stark in Zweifel gezogen 146 107 108
Braun II, S. 31 und 71. An Körner, 25. 2.1789. 2 1 . 1 1 . 1 7 9 3 (Jonas III, S. 395 f.). — Dieser Gedanke taucht bei Schiller immer wieder auf, meist im Zusammenhang mit dem Problem der Darlegung philosophischer Probleme (s. o. S. 14 f. über die Kontroverse mit Fichte), beschränkt sich aber keineswegs nur hierauf.
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Sprach schichten und Stilebenen
worden. Besonders entschieden trat hier Fritz Strich auf 1 0 9 . Die deutsche Klassik, die sich nach der bildenden Kunst, vor allem nach der griechischen Plastik ausrichtete, habe für lange Zeit falsche Maßstäbe aufgestellt 110 . Es gehöre nicht zum Wesen der Dichtersprache, dem geistigen Gehalt eine bildliche, metaphorische Form zu geben; vielmehr habe eine derartige „Verwechslung von Poetik und Rhetorik" — so nennt es Strich 111 — der Dichtung oft zum großen Schaden gereicht, nicht zuletzt auch bei Schiller. Zur angedeuteten Kritik an Schillers Bildlichkeit scheint eine Beobachtung, die sich dem kühlen Leser unweigerlich aufdrängt, nur zu gut zu passen: die Beobachtung, daß es sich hier um einen Menschen handelt, bei dem für die Erfassung der Umwelt der Gesichtssinn eine erstaunlich geringe Rolle spielt 112 . Im Gegensatz zu so vielen anderen Dichtern kann man sich Schiller nicht selig im Schauen — gleichsam vom Schauen lebend — vorstellen. Die Folgerung drängt sich auf, daß bei einer solchen Veranlagung auch die bildliche Phantasie nicht sehr ausgeprägt sein kann. Und doch: Wie sollte man sich Schillers Stil ohne seine reiche Bildlichkeit denken? Sie darf nicht schlechthin als überflüssig bezeichnet werden. Sie entspringt sicherlich nicht — wie Strich das nahezulegen scheint — theoretischen Kunstforderungen, ist sie doch bereits in den Jugendwerken, die unbekümmert um jegliche Kunsttheorie geschaffen wurden, reichlich vertreten 113 . Sie gehört ganz wesentlich zu Schillers Stil — und zwar mit all ihren verschiedenen Aspekten, die kaum mit dem einzigen Stichwort „Anschaulichkeit" zu umfassen sind. Von Schiller die Aufgabe des bilderreichen meta® S o in >Dichtung und Sprachec; in: Fr. Stridi, D e r Dichter und die Zeit, Bern 1947, S. 50 f f . ; vgl. auch: Deutsche Klassik und R o m a n t i k , 2 1924, S. 187 f f . 1 1 0 D i e Einbildungskraft w a r allerdings schon lange v o r der Klassik h ä u f i g abgehandelt worden, im deutschen Sprachbereich v o r allem von Bodmer und Breitinger, die darin Addison nachfolgten. K l a u s Dockhorn weist darauf hin, daß diese Lehre von der „ I m a g i n a t i o n " ihren U r s p r u n g in der Rhetorik habe, der der G e d a n k e selbstverständlich sei, daß „ d a s Bild, der Augensinn, am unmittelbarsten auf die G e f ü h l e w i r k e " , (Die Rhetorik als Q u e l l e des vorromantischen Irrationalismus in der Literatur- und Geistesgeschichte; in: Nachrichten der A k a d . der Wiss., Göttingen, Phil.-hist. Klasse, 1949, S. 148). w
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Dichtung und Sprache, S. 56. Bekannt sind j a auch die Zeugnisse von Zeitgenossen darüber, wie wenig ihm zum Beispiel der Anblick einer Landschaft f ü r sich bedeutete, daß er aber d a f ü r Ideen „wahrzunehmen" schien. Freilich kann — zumal in den Jugendwerken — die Bildlichkeit auch unbewußt durch Vorbilder angeregt sein. Auf die Möglichkeit einer direkten Beeinflussung durch deutsche Barockdichtung macht E . Läudili a u f m e r k s a m (a.a.O., S. 2 3 ) ; der E i n f l u ß Hallers und Klopstocks darf als sicher gelten.
Bildlichkeit
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phorischen Stils zu fordern, hätte bedeutet, ihn um eines seiner wesentlichsten Ausdrucksmittel bringen zu wollen 114 . Damit stellen sich die Fragen, was die Bildlichkeit im >Wallenstein< tatsächlich leistet, in welchem Maße sie anschaulich oder welthaltig ist, ob sie der Charakterisierung oder unfreiwilligen Selbstenthüllung der Dramengestalten dient, oder welche Funktion sie sonst übernimmt.
1. Anschaulichkeit
der Bilder. Schillers Verhältnis
zur
Realität
Wenn es in Schillers Dramen auch nicht, wie in den philosophischen Schriften, um weitgehend abstrakte Dinge geht, die nach einem anschaulichen Beispiel verlangen oder den Vergleich mit etwas bereits Bekanntem geradezu fordern, so ist der Anteil der konkreten Welt am dramatischen Dichtungsgeschehen doch wesentlich geringer als bei anderen Gattungen wie lyrischen Naturbeschreibungen oder epischen Erlebnisberichten. Daß in den Dramen Schillers geistige Auseinandersetzungen einen so breiten Raum einnehmen, könnte zu einer Verarmung und Verblassung der dichterischen Sprache führen, die doch, wie Hebbel sagt, „dem Grund-Element nach sinnlich" ist oder es wenigstens sein soll115. Una Ellis-Fermor, eine gründliche Kennerin der angelsächsischen Schauspielliteratur, nennt in ähnlichem Sinne „poverty of detail" als eine Gefahr des Dramas, der durch die Bildlichkeit abgeholfen werden könne 116 . Auf welche Art kann aber, genau betrachtet, durch Bilder eine Verbindung zur Wirklichkeit hergestellt werden? Von den typisch e p i s c h e n , meist recht ausführlichen Vergleichen, die sich an einem einzigen Punkt der Ähnlichkeit entzünden und dann nur zu leicht verselbständigen, braucht hier nicht die Rede zu sein. Sie eröffnen eine ganz neue, weitgehend in sich abgeschlossene Sphäre der Wirklichkeit, mit der dem Drama wenig gedient wäre. Epiker wie Homer und Spenser können sich auf solch eine Art an 114
Allerdings soll hiermit nicht gesagt sein, daß es nicht in der Tat unnötige Auswüchse seines metaphorischen Stils gibt. Wenn Körner in einem gewissen Stadium von Schillers Entwicklung (und zwar gegen Ende der 80ger Jahre) behutsam auf ein Zurücksdineiden der allzu üppig wuchernden Metaphernsprache drängt, dann möchte man ihm noch nachträglich unbedingt zustimmen (vgl. beispielsweise den Brief vom 12. 4.1789).
115
Über den Stil des Dramas (Sämtl. Werke, hrsg. v. R. M. Werner, Bd. 11, Beri. »1904, S. 70).
116
The Frontiers of Drama, London 1945, S. 79.
Sprachschichten und Stilebenen
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die Bilder verlieren, gelegentlich auch der junge Shakespeare oder Grillparzer in ihren Dramen. Schiller liegt dergleichen fern 117 . Gelegentlidi finden wir in der dramatischen Bildlichkeit auch einen direkten Bezug auf die Realität, das heißt, der Vergleich wird aus der Umgebung, aus der Situation genommen. Zu Beginn des vierten Aktes von >Wallensteins Tod< sagt Buttler: Er ist herein. Ihn führte sein Verhängnis, Der Rechen ist gefallen hinter ihm, Und wie die Brücke, die ihn trug, beweglich, Sich niederließ und schwebend wieder hob, Ist jeder Rettungsweg ihm abgeschnitten118.
(T. 2428)
Es kann bei einem Vergleich — mit entsprechender Geste — sogar auf einen sichtbaren Gegenstand hingewiesen werden. In >Kabale und Liebe< zum Beispiel, wo dergleichen öfter begegnet, sagt Ferdinand: „Ich schaue durch deine Seele, wie durch das klare Wasser dieses Diamanten . . ." llfl . Im >Wallenstein< aber ließe sich etwas Entsprechendes höchstens im folgenden Gleichnis des Wachtmeisters wiederfinden: Zum Exempel, da hack mir einer Von den fünf Fingern, die ich hab, Hier an der Rechten den kleinen ab . . . (L. 757 ff.) Die Beispiele für einen direkten Wirklichkeitsbezug sind also äußerst spär117
Hierzu paßt die Beschreibung, die Wilhelm von Humboldt von Schillers Gesprädisstil gibt: „ . . . e r schwebte in vollkommener Freiheit über seinem Gegenstande. Daher benutzte er in leichter Heiterkeit jede sich darbietende Nebenbeziehung . . . Die Freiheit tat aber dem Gange der Untersuchung keinen Abbruch. Schiller hielt immer den Faden fest, der zu ihrem Endpunkt führen mußte . . (Vorerinnerung . . .; Briefwechsel, Bd. 1, S. 8). Melitta Gerhard macht zwar darauf aufmerksam, daß in Schillers klassische Dramen unter Nachahmung griechischer Vorbilder (Homer!) Gleichnisse eindringen, die bis ins einzelne durchgeführt sind; eigentlich selbständig oder „parenthetisch" (wie P. Steck, Schiller und Shakespeare; in: Shakespeare-Jhb. 71, S. 33, sagt) aber sind sie nicht. Vgl. dazu S. 170 f.
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Nur untergründig, d. h. nicht ausdrücklich hergestellt, ist die Verbindung des bildlichen Ausdrucks mit der Umgebung im folgenden Fall. In der Nacht seines Todes, deren Gewitterhimmel er eben erst beobachtet hat, legt Wallenstein Max' Untergang aus: . . . und abgeleitet ist Auf das geliebte reine Haupt der Blitz, Der mich zerschmetternd sollte niederschlagen. (T. 3594 f.)
u» Ν Α V, S. 13.
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lieh und wenig bedeutend 120 , die Verbindung zur Realität, die durch die Bilder hergestellt wird, muß anderer Art sein. Eine kurze grundsätzliche Besinnung auf die Möglichkeiten der Bildlichkeit soll uns hier weiterhelfen. Neben dem episch-selbständigen gibt es den d i d a k t i s c h e n Vergleich, für den das zitierte „Exempel" des Wachtmeisters als Beispiel stehen kann. Der didaktische Vergleich ist aus Lessings >Nathan< oder den Brechtsehen Lehrstücken bekannt, taucht verständlicherweise aber audi in den philosophischen Schriften Schillers immer wieder auf 121 . Man denke nur an ein so einprägsames Bild wie das folgende, welches den >Briefen über die Ästhetische Erziehung.. .< entstammt: „Wenn der Künstler an einem Uhrwerk zu bessern hat, so läßt er die Räder ablaufen; aber das lebendige Uhrwerk des Staats muß gebessert werden, indem es schlägt, und hier gilt es, das rollende Rad während seines Umschwunges auszutauschen." (ΝΑ XX, 314) So sehr dergleichen auch zur Bewunderung herausfordern mag: Die typisch Schillerschen Bilder sind anderer Art 122 . Beim didaktischen Vergleich kommt es darauf an, etwas Fremdes, gedanklich Neues dadurch näherzubringen, daß man es mit etwas Altbekanntem vergleicht. Der eigentlich d i c h t e r i s c h e Vergleich aber sucht das Ungewöhnliche, oder dodi etwas, das an sich bedeutungsvoll ist. Der lehrhafte Vergleich engt also ein, während der dichterische in die Weite führt und die konkrete Welt deshalb mit einbezieht, um einen weiteren Raum zu umgreifen. Wenn die didaktischen Vergleiche — ähnlich wie die spitzfindig-gescheiten und die ironisch-witzigen123 — in erster Linie den Verstand ansprechen, so wirken die dichterischen Vergleiche nach Schillers Art auf Phanta1!0
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lîS
Zur höchsten Wirkung kann die Möglichkeit, Reales ins Bild hereinzunehmen, bei Shakespeare kommen; zum Beispiel wenn Julia, die über Romeo im erleuchteten Fenster erscheint, von ihm mit einem Engel, der durch die Nacht schwebt, verglichen wird. Dabei gewinnen sowohl das Bild des Engels wie die reale Umgebung an Leuchtkraft (II, 2, v. 26 ff.). Audi die verhältnismäßig wenigen Vergleiche in den Briefen Schillers sind im Grunde meist lehrhafter Art, Schiller will mit ihnen dem Briefpartner etwas verständlich machen (vgl. z . B . 7 . 1 . oder 1 . 1 2 . 1 7 8 8 an Körner = Jonas III, S. 3 und S. 165). Das didaktische Element spielt aber natürlich in der Bildlichkeit der Sprache der Dramenfiguren eine Rolle, wenn es darum geht, andere von etwas Bestimmten zu überzeugen (Vgl. S. 181). Bilder werden zuweilen als eine Art Rätsel definiert, so bereits von Aristoteles (Rhetorik, 3. Budi, Kap. 2). — Auf weniger spielerische Art ist der Verstand an der Bildlichkeit des jungen Hdi. von Kleist beteiligt; er schult seinen Scharfsinn an der Auffindung von Ähnlichkeiten und hält auch seine Braut dazu an (vgl.
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Spradisdiiditen und Stilebenen
sie und Gefühl; diese werden in Bewegung gesetzt — und zwar weit stärker, als das beim episch-selbständigen Vergleich der Fall ist, wo nur ein Schritt zum Bild hin erfolgt und anschließend der Phantasie ein ruhiges Anschauen gewährt wird. Schillers Bilder sind, wenn sie ausführlich sind, beziehungsreich — sie sind dann nicht nur durch einen Strang mit dem Vergleichsobjekt verknüpft —, und wenn es sich nur um angedeutete Bilder und Metaphern handelt, dann treten sie gehäuft auf und fordern die Einbildungskraft zu jenem freien Hin- und Herschweifen auf, das Schiller immer wieder als unentbehrliche Wirkung der künstlerischen Darstellung erschien, da audi hier Freiheit und Schönheit untrennbar miteinander verbunden sind124. Was hinsichtlich der Beziehung zur Realität für die Vergleiche Schillers gilt, trifft ebenso für die zahlreichen M e t a p h e r n und M e t o n y m i e n zu, bei denen Lehrhaftigkeit oder die unmittelbare Anschaulichkeit des epischen Vergleichs ja schon der verkürzten Form wegen nicht in Frage kämen: Auch in ihnen deutet sich der Wunsch an, einen möglichst weiten Bereich des Wirklichen zu umfassen, indem geistige Vorgänge mit sinnlich wahrnehmbaren verknüpft oder gar ins Reale verlegt werden. Auch die Neigung, anstatt der Person selbst ,Arm', ,Haupt', .Gestalt' oder ähnliches zum Handlungsträger oder gar zum Subjekt des Satzes zu erheben, hängt hiermit zusammen: Wenn Schiller seine Figuren davon sprechen läßt, daß man etwas „vor den Fingern der Kroaten flüchten" müsse (P. 150), daß Wallensteins „edles Haupt der Sorge hingegeben" sei (P. 1796), daß „seine gütgen Hände Thekla schmückten" (P. 380), so weisen all diese Synekdochen auf eine gewisse Tendenz vom weniger Anschaulichen zum Anschaulicheren hin125. an W. von Zenge, 18.11.1800). — Die Kategorien der „gesdieiten" und der ironischen Vergleiche, die bei manchen Dichtern eine besonders große Rolle spielen, können für Schiller ganz außer acht gelassen werden. 184 Vgl. den Aufsatz >Über die notwendigen Grenzen . . .Iphigenie< entspricht. ,Seele' wäre Schiller sicherlich zu unfaßbar gewesen.
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An Schillers Bildlichkeit läßt sich nicht nur erkennen, wie er sich bemüht, seine Leser und Hörer auch mittels der Sprache in allen Schichten ihres Wesens zu erfassen. Wie bereits angedeutet, ist sie auf noch unmittelbarere Weise aufschlußreich für den Dichter selbst. Holen wir hier noch einmal etwas weiter aus. Wer sich an epische Vergleiche hinzugeben vermag, der scheint sich in naiv ungestörter Einheit mit der Wirklichkeit zu befinden. Wer didaktische Vergleiche gebraucht, verfügt offenbar problemlos über die Realität. Ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit läßt sich an Schillers Bildlichkeit ablesen. Selbst bei den vielen Metaphern, die im einzelnen wohl gar nicht mehr realisiert werden (weil sie abgegriffen sind oder zu dicht aufeinanderfolgen), glaubt man zu spüren, wie sich dieser Dichter immer wieder der Wirklichkeit zu versichern sucht, wie er sich gleichsam bemüht, die Verbindung zu ihr um keinen Preis zu verlieren. Dahinter verbirgt sich ein Hauptproblem des neuzeitlichen Menschen, dessen typischer Vertreter der sentimentalische Dichter ist: das schmerzliche Bewußtsein einer Getrenntheit von Sinnenwelt und Geisteswelt und der um so stärkere Wunsch, beide miteinander zu verbinden. Bei diesen Überlegungen drängt sich ein bekannter Vers Schillers auf, der den bisherigen Feststellungen zu widersprechen scheint, sie in Wirklichkeit aber nur leicht modifiziert. In den >Göttern Griechenlands< heißt es vom antiken Menschen: An der Liebe Busen sie zu drücken, Gab er höhern Adel der Natur.
(ΝΑ I, 196)
eine für Schiller äußerst aufschlußreiche Stelle! Die Wirklichkeit für sich genommen, ist offenbar nodi nicht der „Liebe" wert; der menschliche Geist muß erst eine Bedeutung in sie hineinlegen. Insofern ist die Anerkennung der Realität bei Schiller also nicht uneingeschränkt. Er fühlt zwar die Trennung von ihr, bemüht sich um sie, aber einer völligen Hingabe ist er letztlich doch nicht fähig. Auch dies zeigt sich wieder an den Bildern: Bei Schiller gibt es wohl eine formale Mischung von Abstraktem und Konkretem („der frommen Quelle reine Tat", s. o. S. 103 f.), nie aber werden wir bei ihm einen Vergleich wie jenen Eichendorffschen finden, in dem von den „wie jugendliche Gedanken hoch aufstrebenden Säulen" eines Tempels die Rede ist126. Was dem Romantiker ganz selbstverständlich ist, müßte Schiller wie eine Verschwendung erscheinen, so, als verschleudere er sein Eigenstes, Größe und Tiefe seiner Ideenwelt, an die Wirklichkeit. Selbstverständlich sind ihm 12S
Das Marmorbild; in: Werke, hrsg. von R. Dietz, Leipzig und Wien, o. J. (1891), Bd. 2, S. 358.
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deshalb die Bilder, in denen etwas Abstraktes durch Konkretes verkörpert wird, undenkbar aber das Umgekehrte, wie es uns in Eichendorffs Vergleich begegnet. In diesem Sinne ist auch ein dichterischer Rat, den August Wilh. Schlegel in bezug auf seinen >Prometheus< erhält, höchst aufschlußreich. Schiller würde dem Gedicht den Zusatz „eine Allegorie" als Untertitel geben, „um den Leser gleich an der Fronte des Gedichts in den rechten Standpunkt zu rücken . . u n d meint weiterhin: Der Schilderung des Feuers als Feuer würde ich nicht soviel Raum geben, weil es ja doch eine übersinnliche Bedeutung haben soll und die Imagination des Lesers durch alle jene Schilderungen, die dem Feuer als Feuer gelten, ins Gedränge kommt. (27. 7.1797) Bei aller nodi so deutlidi spürbaren Hinwendung zur Realität ist als Hauptkraft auch hier wieder Schillers „Selbsttätigkeit" am Werk. Diese Selbsttätigkeit verhindert, daß der Blick auf die Dinge immer völlig klar und offen ist. Schiller stellt sich nicht ganz auf sie ein, läßt sie nicht in ihrer Eigenart auf sidi wirken und zum Bild formen 127 . Mit deshalb drückt er sich auch nicht selten in Klischees aus und verstrickt sich immer wieder in Widersprüchlichkeiten. 2. Die Bereiche der
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Trotz aller Vorbehalte, die gegen Schillers Verhältnis zur Realität anzubringen sind, wird es sich aber lohnen, einmal gesondert zu betrachten, welche Bereiche der Wirklichkeit in Schillers Bilderwelt auftaudien. Schiller, sagten wir, strebt in seinen Bildern nach Größe und Bedeutsamkeit: Gestirne, die Elemente in ihrer ursprünglichen Mächtigkeit, mythologische Gestalten, Kampf- und Herrschaft — dies sind Bereiche, die in der Bildlichkeit des klassischen Schiller — vor allem in den Gedichten — auf den ersten Blick auffallen 128 . 127 Vgl, hierzu Goethes bekannte Bemerkung zu Eikermann, daß Schiller oft nicht die „hinlängliche Achtung vor dem Gegenstande" gezeigt habe (19.2. 1829), oder Körners Brief an Schiller vom 27. 9. 95, worin es heißt, er wünsche dem Freund mehr „Hang zu geistiger Wollust", um mehr „in den Bildern [seiner] Einbildungskraft zu schwelgen" (dies wird gegen Schillers Neigung zu abstrakten Untersuchungen ausgespielt, paßt aber ebenso gut auf seine Bildlichkeit). Friedrich Gundolf formuliert dies so, daß Schiller Bilder und Formen „heranzwinge". (Shakespeare und der dt. Geist, l l 1959, S. 262). 128
Dabei ist aber festzuhalten, daß bei diesem Hang zur Größe gegenüber den Jugendwerken eine Übersteigerung ins Hyperbolische und Drastisch-Grausame nun wegfällt. Im Vorwort zum Thalia-Fragment des >Don Carióse zum Beispiel hatte Schiller von einer Fürstin gesprochen, „deren Herz, deren ganze
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Für die vielsdiiditige Wallenstein-Trilogie trifft dies indessen nur teilweise zu. Im >LagerLagers< ist nicht vollkommen an sich — man spürt nicht wie in den derb-wirklichkeitsnahen Vergleichen des >GötzLeonce und Lena< unmittelbar das Temperament des Dichters. Vollkommen ist diese Sprache nur als vollkommen getroffene Nachahmung einer bestimmten Art des Ausdrucks, und vieles trägt hierzu die ihr eigene Bildlichkeit bei. Im >Lager< treten G e g e n s t ä n d e d e s t ä g l i c h e n L e b e n s in übertragener Bedeutung auf: Vom „Kriegsbesen, der einen fegt und schüttelt von Ort zu Ort" spricht zum Beispiel die Marketenderin (L. 135 f.), der Kapuziner vom Kometen, den der Herrgott „wie eine Rute" zum „Himmelsfenster" heraussteckt (L. 510 f.); und er gebraucht auch das folgende Bild, das nicht auf ein Vorbild bei Abraham a Santa Clara zurückgeht und doch so einzigartig dessen Ton trifft: Auf das Unrecht, da folgt das Übel, Wie die Trän auf den herben Zwiebel 129 . (529 f.) In den Blankversteilen des >Wallenstein< kommt Alltägliches weit weniger vor. Es ließe sich zwar einiges aus dem ersten Akt der >Piccolomini< anführen (bildliche Ausdrücke, die Buttler und Isolani gebrauchen); weiterhin die Redensarten, beziehungsweise aus Redensarten entstandenen Aussprüche Illos und Terzkys: Das Eisen muß Geschmiedet werden, weil es glüht. (P. 1377) . . . wenn e i n Strick reißt, ist schon ein andrer in Bereitschaft.
(P. 1381 f.)
weibliche Glückseligkeit einer traurigen Staatsmaxime hingeschlachtet worden" (S. Sdir. V/1, S. 3). Solches reicht noch bis in die Geschichtsschreibung und zum Teil sogar in die ästhetischen Schriften hinein. Um so mehr ist dann vom >Wallenstein< an ein ungeheurer Wille zur Mäßigung zu würdigen. 12 · Schiller ahmt Abraham a Santa Clara so trefflich nach, daß er sein Vorbild bisweilen sogar noch an Drastik übertrifft und ihn gleichsam mit den eigenen Waffen schlägt. In dessen Schrift >Reimb dich oder Ich liß d i c h . . .< kommt vor: „ . . . dann wann sie allda eine Kuhe stellen, so nemmen sie das Kalb für ein Zuwag" (vgl. Ν Α VIII, S. 478); bei Schiller lesen wir: Vor Euren Praktiken und bösen Kniffen, Ist das Geld nicht geborgen in der Truh, Das Kalb nicht sicher in der K u h . . . (L. 585 ff.) Lange, Wallenstein
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Meist aber ist die Konkretheit der Vergleichsgegenstände verlorengegangen1®0. So sagt Octavio, als er die Nachricht von der Gefangennahme Sesinas erfährt: Der Mann ist uns ein kostbares Gefäß, Das wichtige Dinge einschließt... (P. 2572 f.) Dasselbe Wort, das schon einmal beim Kapuziner in einem vollständigen, anschaulichen Bild auftauchte — Aber wessen das Gefäß ist gefüllt, D a v o n es sprudelt und überquillt — (579 f.) ist nun kaum noch etwas weiter als eine blasse, abgegriffene Metapher. Noch auf eine weitere Art kann die konkrete Welt in die Bildlichkeit hineinspielen, und wiederum ist es in erster Linie das >LagerLager< aber keine Sonderstellung zu, unterscheidet audi sonst nicht zwischen den einzelnen Stilschichten und übersieht vor allem, wie weit dergleidien oft schon der unmittelbaren Anschauung beraubt und zu Formeln des üblichen oder gar des gehobenen Ausdrucks geworden ist. Wer denkt, wenn Max zu Thekla sagt: „Leg alles, alles in die Waage, sprich / Und laß dein Herz entscheiden", schon an ein Kaufmannsgewölbe oder an einen Marktstand? Ist die Waage nicht audi sdion als Emblem der Justitia zu höherer Bedeutung gekommen? Ganz ähnliche, ja, sogar dieselben partes pro toto gibt es schon in Goethes frühen Prosadramen: „Kommt zu den Perücken!" schlägt Sickingen im >Götz< vor (IV, 3: Ein großer Saal auf dem Rathaus). Über Margarethe von Parma heißt es im >Egmont< in der ersten Volksszene: „Sie ist dodi mit Schuld, daß wir die vierzehn neue Bischofsmützen im Lande haben". Eine Abhängigkeit Schillers ist in diesen Fällen durchaus möglich, aber zugleich irrelevanter als jemals sonst, da es ja in beiden Fällen darum geht, einen bestimmten vorhandenen Redestil richtig nachzuahmen.
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hinweisen. Außerdem sei an den ironisch-scherzhaften Ausdruck „Befehlbuch" erinnert, mit dem der erste Jäger den Wachtmeister tituliert (720). Wiederum sind es in den >Piccolomini< die Generale, bei denen ähnliches noch in lebendigen Bildern auftaucht 132 , während es mit dem Weiterschreiten der Tragödienhandlung immer mehr verblaßt: Von der „Krone" oder den „Fahnen" ist viel die Rede, auch vom „Kriegsszepter" und dem „Feldherrnstab" als Symbolen der militärischen Macht. Ist der einfache Mann des >Lagers< geneigt, seine Mitmenschen mit ihrer Kleidung oder anderen äußeren Merkmalen zu identifizieren, so stehen in den >Piccolomini< und im >Tod< anstatt der Person oft die bereits erwähnten K ö r p e r t e i l - S y n e k d o c h e n , „Haupt", „Hand", „Arm", „Brust" und besonders oft natürlich „Herz" 1 3 3 . Teils handelt es sich um formelhafte Personifikationen, teils um ausgeführte Bilder, die durch idiomatische Wendungen angeregt sein mögen: Wie schwer trifft dieser Schlag das alte Haupt!
(T. 2764)
sagt Ilio von Octavio, und Gordon reflektiert über Wallenstein: . . . er streckt Die Hände nach der Königskrone a u s , . . . (T. 2575 f.) Der derben volkstümlichen Ausdrucksweise ist weiterhin die Τ i e r m e t a p h e r oder der Tiervergleich eigen; der — oft bereits redensartliche — Gebrauch beschränkt sich dabei gewöhnlich auf die Andeutung einer bestimmten Charaktereigenschaft (,Spürhund', L. 75; ,so ein listiger Fuchs Herodes', L. 6 1 4 ; ,Blutigel' für .Schmarotzer', P. 146; ,falsche Katze', P. 2207) oder auf eine pejorative Nuancengebung der Aussage durch Metonymien wie ,Krallen des Feindes' (L. 497). Trotz der Klischeehaftigkeit ist die Anschaulichkeit solcher metaphorischer Ausdrücke verhältnismäßig groß, weil jeweils ein bestimmtes, allgemein bekanntes Tier genannt oder durch Begriffe wie ,Klauen' oder .Krallen' direkt an seine Körperlichkeit erinnert wird. Anders verhält es sich mit den meisten Tiervergleichen und -metaphern, die in >Wallensteins Tod< vorkommen. Mitunter ist nur ganz allgemein von Tieren die Rede:
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Isolani begrüßt den endlich auf dem Bankett erscheinenden M a x : „Sie teilen / Dort an der Tafel Fürstenhüte aus, / Des Eggenberg, Slawata, Lichtenstein, / Des Sternbergs Güter werden angeboten . . . (P. 1917 ff.)
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Eine interessante Interpretation dieser Synekdochen, die allerdings auf den >Wallenstein< nicht anzuwenden ist, bietet Ilse Appelbaum-Graham (Die Struktur der Persönlichkeit in Schillers dramatischer Dichtung; in: Jhb. der dt. Sdiiller-Ges. IV, 1960, S. 288). 10»
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Was noch so wütend ringt, sich zu zerstören, Verträgt, vergleicht sich, den gemeinen Feind Der Menschlichkeit, das wilde Tier zu jagen, Das mordend einbricht in die sichre H ü r d e . . . (T. 429 ff.) Mit diesen Worten spricht Wallenstein Terzky gegenüber von der Untreue. Als er Octavios Abfall erfährt, bringt er den Vergleich: Religion ist in der Tiere Trieb. (T. 1678) Neben dieser Möglichkeit, nur von dem ,Tier' oder der ,Herde' zu sprechen, greift Schiller audi auf Lebewesen zurück, die entweder der Mythologie angehören, die ihre allegorische Bedeutung einem bestimmten Weltbild verdanken (.Salamander 1 , T. 795) oder schlechterdings seit eh und je in der Literatur beheimatet sind — also immer einer bereits vorgeformten Wirklichkeit entstammen. So spricht er — und das nicht nur im >Wallenstein< — immer wieder von dem niedrigen, falschen ,Wurm' oder der ,Schlange', die im allgemeinen Bewußtsein sicherlich mehr dank des religiösen und literarischen Schrifttums leben als dank ihres Vorkommens in der Wirklichkeit 134 . Konkrete Tiervergleiche und -metaphern haben oft etwas Derbes. Wenn sie im Lauf des >Wallenstein< mehr und mehr zurückgehen, so taudien dafür immer zahlreicher P f l a n z e n b i l d e r auf, die bezeichnenderweise im >Lager< noch ganz fehlen. Sie gehören einer gehobeneren Sprachsdiidit an, dafür sind sie freilich blasser, zumal es sich nie um bestimmte Pflanzen handelt, sondern nur von ,Samen', ,Wurzeln', ,Früchten' die Rede ist und die entsprechenden Verbalmetaphern auftauchen. Aus der Reihe fällt hier nur der Vergleich, den Wallenstein auf sich selbst anwendet, und dessen Großartigkeit nicht im geringsten zu mindern vermag, daß er in Wielands »Ober o ^ bereits einen Vorläufer hat 135 : Den Schmuck der Zweige habt ihr abgehaun, Da steh ich, ein entlaubter Stamm! Doch innen Im Marke lebt die schaffende Gewalt, Die sprossend eine Welt aus sich geboren. (T. 1791 ff.) 134
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Mit dem Bild vom „Schlangenpaar" („der Väter Doppelschuld und Freveltat"), von dem Max sagt, daß es ihn und Thekla „umwinde" (T. 2138 f.), greift Schiller dann sogar auf die griechische Sage zurück, ebenso, wenn er die böse Tat mit einer Aussaat von Drachenzähnen vergleicht (T. 649 f.) oder wenn er Wallenstein von Octavio sagen läßt: „Ich zog / Den Basilisken auf an meinem Busen, / Mit meinem Herzblut nährt ich ihn, er sog / sich schwelgend voll an meiner Liebe Brüsten. (T. 2109 ff.) Oberon VIII, Strophe 20: „Er steht, ein einsamer, vom Sturm entlaubter Baum". Vgl. auch >Antony und Cleopatra«: „ . . . and this pine is bark'd, that overtopp'd them all" (IV, 12, v. 23 f.).
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Freilich geht die Konkretheit audi hier nidit über die allgemeine Bezeichnung ,Baum' hinaus 136 . Wenn Schiller also, wie es sich bei den Tier- und Pflanzenbildern zeigte, für gewöhnlich entweder Objekte bevorzugt, die durch ihre Distanz zum Alltag bedeutend wirken oder solche, die durch eine vage Allgemeinheit der Ideenwelt nahestehen — Samen und Frucht an sich sind bedeutendere Vorstellungen als Samen und Frucht einer bestimmten Pflanze —, so paßt zu dieser Tendenz nur zu gut, daß im >Wallenstein< verhältnismäßig wenig Bilder aus der m i l i t ä r i s c h e n Umgebung stammen, in der sich die ganze Handlung doch abspielt. Dies trifft auch auf die Generale zu, die in ihrer Sprache sonst recht realistisch gezeichnet sind und mit ihren Gedanken nur in der kriegerischen Gegenwart zu leben scheinen. Eine Ausnahme macht Isolani, wenn er beim Bankett Octavio gegenüber militärische Redewendungen im übertragenen Sinne gebraucht: Recht, alter Vater! Fall ihm ins Gepäck! Schlag die Quartier ihm auf! Es ist nicht richtig. (P. 2188 f.) — Bilder, die ausgezeichnet zu Isolani passen (der überdies ja selbst dem schwedischen Transport ins „Gepäck" gefallen war) und zugleich noch einmal die Beobachtung bestätigen, daß das Nächstliegende in Bildlichkeit und Sprache bei Schiller in erster Linie in charakterisierend-humoristischem Sinne Verwendung findet. Vorhanden sind aber die allgemeinen Kampf- und Kriegsmetaphern, die für Schiller, die Kämpfernatur, welche alle Widerstände in ihrer ganzen Härte wahrnimmt, so bezeichnend sind187. Sie begegnen jedoch erst vom Anfang des >Tod< an, wo die Konflikte sich zuzuspitzen beginnen138. Einige Beispiele mögen genügen: 136
Kaum differenziert sind die Blumenbilder des >WallensteinPiccolomini< kommt lediglich in Theklas prophetischem Monolog das Kampf-Motiv vor: Und selbst die Liebe, wie in Stahl gerüstet, Zum Todeskampf gegürtet, tritt sie auf. (P. 1897 f.)
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Feindlich scheiden Die Wege sich. Mit Pflichten streiten Pflichten.
(T. 723)
Denn Krieg ist ewig zwischen List und Argwohn . . . (T. 2126) Bedeutend in dem Sinne wie die pflanzlichen Vorgänge in der Natur sind auch die E l e m e n t e , bei welchen meist nodi die Komponente der räumlichen Größe hinzukommt. Sie spielen schon deshalb im >Wallenstein< eine entscheidende Rolle, weil sie dem Thema und dem Charakter des Helden mit seinen großen Ambitionen angemessen sind, und sie erscheinen oft breit ausgeführt. — Am wenigsten gilt dies noch für die F e u e r m e t a p h e r n , die wie in Goethes >Egmont< — nur weniger originell als dort — meist für Krieg und Aufruhr eingesetzt werden. Gelegentlich dient das „Feuer", sozusagen als Zugabe, auch zur Verstärkung anderer Bilder: Nicht nur mit einem Rad, sondern mit einem „feurigen Rad", das unaufhaltsam dahinrollt, vergleicht die Herzogin ihren Gemahl (T. 1380 f.); mit dem Bild eines Schiffes, das durch Brand zugrunde geht, beschreibt Max den drohenden Untergang des Titelhelden (P. 2641 f.). Außerdem greift Schiller mehrere Male auf Naturerscheinungen wie Blitz und Unwetter zurück, wobei einmal sogar der Blitzableiter — freilich erst eine Errungenschaft des 18. Jahrhunderts und, von der Wallenstein-Zeit aus betrachtet, ein Anadironismuslse — mit ins Bild genommen wird : Und wie des Blitzes Funke sicher, schnell, Geleitet an der Wetterstange, läuft, Herrscht sein B e f e h l . . . vom . . . b i s . . . (P. 234 ff.) Wenn es zwei Szenen später bei Octavio heißt: Grad aus geht des Blitzes, Geht des Kanonballs fürchterlicher Pfad . . . (P. 469 f.) so mag die an sich unverständliche Behauptung vom geraden Weg, den der Blitz nimmt, beim Leser — so wie wahrscheinlich beim Dichter unwillkürlich auch — mit dem Blitz an der „Wetterstange", von dem kurz vorher die Rede war, in Zusammenhang gebracht werden und deshalb dodi nicht sinnlos erscheinen. Auch die E r d e kann in der Bildlichkeit des >Wallenstein< als verderbenbringendes Element ersdieinen — zuweilen ebenfalls in Verbindung mit dem Feuer — : Von „Flammen", die aus der „Erde" kommen, spricht Thekla 1M
In diesem Fall Iäßt sich ausnahmsweise einmal eine unmittelbare Verbindung zwischen Realität und dichterischem Bild herstellen: Im Mai des Jahres 1798 hatte Cotta den Schwager Schillers gebeten, auf seine Kosten einen sicheren Blitzableiter auf Schillers Haus anbringen zu lassen (G. v. Wilpert, SchillerChronik, S. 220).
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in ihrem ersten großen Monolog (P. 1910), vom „großen Erdstoß", der zu erwarten sei, redet Ilio (T. 90 f.). Am eindrücklichsten ist jedoch das breit ausgeführte Vulkangleichnis, worin Wallenstein als „das gemütlos blinde Element" erscheint: Weh denen, die auf dich vertraun, an dich Die sichre Hütte ihres Glückes lehnen, Gelockt von deiner gastlichen Gestalt! Schnell, unverhofft, bei nächtlich stiller Weile Gärts in dem tückschen Feuerschlunde, ladet Sich aus mit tobender Gewalt, und weg Treibt über alle Pflanzungen der Menschen Der wilde Strom in grausender Zerstörung. (T. 2091 ff.) Dies mutet an, wie der ins Schillersche umgesetzte >FaustRobert Guiskard< begegnet — dafür aber in keinem anderen Drama Kleists —, scheint völlig verständlich. Was aber sollen „Fluten" und „Schiffe" im >WallensteinWallenstein< zwar in meist nicht besonders einprägsamen Bildern vor, dafür spielt die Unermeßlichkeit des Meeres aber doch in die erstaunlidi häufigen S c h i f f s - V e r g l e i c h e mit hinein. Der Gedanke an solche Bilder wurde Schiller wahrscheinlich durch die geliebten Reisebeschreibungen und durch die Shakespeare-Lektüre nahegelegt 140 . Und weil das Ungewohnte die Phantasie des Dichters zu fesseln vermochte, versprach er sich davon wahrscheinlich auch eine große Wirkung auf die Einbildungskraft des Lesers. Viele der Schiffsvergleiche nämlich sind an zentralen Stellen eingesetzt: So in Illos großem Uberredungsversuch „O nimm die Stunde w a h r . . . " (P. 945 ff.), in dem bereits erwähnten Bild vom brennenden Schiff am Schluß der >Piccolomini< und in den folgenden Versen Gordons und Wallensteins: Gordon: Mein Fürst! Mit leichtem Mute knüpft der arme Fischer Den kleinen Nachen an im sichern Port, Sieht er im Sturm das große Meerschiff stranden. Wall.: So bist du schon im Hafen alter Mann? Ich nicht. Es treibt der ungeschwächte Mut Noch frisch und herrlich auf der Lebenswoge,... (T. 3555 ff.) 140
S. S. 165 f. — Eine Abhängigkeit vom deutschen Barockdrama (vgl. Blocher, a.a.O., S. 73) scheint mir weniger wahrscheinlich.
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Zu den einprägsamsten gehören wahrscheinlich jene Bilder, in denen die G e s t i r n e eine Rolle spielen. Diese sind freilich im >Wallenstein< nichts ganz und gar Neues. Wie gegenwärtig ist doch das Universum bereits in Schillers >AnthologieAn die Astronomen< aus: Schwatzet mir nicht so viel von Nebelflecken und Sonnen! Ist die N a t u r nur groß, weil sie zu zählen euch gibt? Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Räume, Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht 141 ! D a ß in der Bildlichkeit des >Wallenstein< — im Gegensatz zu den übrigen klassischen Dramen — die Gestirne dennoch eine soldi große Rolle spielen, wird also ganz andere Gründe haben als die Gegenwärtigkeit der Planeten und Himmelssphären in der Jugendlyrik. Zum einen ist natürlich eine Verbindung zum Astrologie-Motiv des >Wallenstein< vorhanden. Das macht sich besonders in Fügungen wie „Unglückssterne" (T. 1349), „Sterne", die „segenreich leuchten", (P. 397) oder „Glück winken die Planeten dir herunter" (T. 630) bemerkbar. Es ist gleichgültig, ob die Personen, die sich so ausdrücken, Wallensteins Glauben an die Astrologie teilen oder nicht. Die „Sterne" stehen hier lediglich für das „Schicksal"142 — ein Wort, das freilich im >Wallenstein< selbst immer nodi häufig genug vorkommt. Durch solche — bereits mehr oder weniger redensartlichen Fügungen — sind offenbar auch einige ungewöhnliche Bilder angeregt worden, so der bekannte Vers: Nacht muß es sein, wenn Friedlands Sterne strahlen. (T. 1743) oder jene Stelle, wo Max die Astrologie mit ästhetisch-psychologischen Gründen rechtfertigt und Thekla einstimmt: 141 142
S. Sehr. XI, S. 188. Wo zum Beispiel in der >Maria Stuart< von der „Fügung" oder dem „Besdiluß des Himmels" die Rede wäre, springen im >Wallenstein< meist die „Sterne" ein.
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Es ist ein holder, freundlicher Gedanke, Daß über uns, in unermeßnen Höhn, Der Liebe Kranz aus funkelnden Gestirnen, Da wir erst wurden, schon geflochten ward. (P. 1646 ff.) — ein Bild übrigens, das zu Beginn der betreffenden Szene schon von ganz anderer Seite her unauffällig vorbereitet wurde; Max sagt dort von Thekla: Und jene Diamanten schreckten mich, Die wie ein Kranz von Sternen Sie umgaben! (P. 1537 f.) Im allgemeinen sind aber jene Bilder eindrucksvoller, in denen die Gestirne nicht so sehr auf dem Hintergrund der Astrologie, als in selbständiger Bedeutung erscheinen: Mit den Worten „Feuerblick der Sonne" beschreibt die Gräfin Wallensteins Gesichtsausdruck im Zorn (P. 1876), später sagt sie zu ihm: „ . . . denn du bist unser Licht und unsre Sonne" (T. 3401), und Wallenstein selbst behauptet, sein Antlitz sei für die Truppen immer „ihre Sonne in dunkler Schlacht" gewesen (T. 2265). Max gesteht in der großen Auseinandersetzung mit Wallenstein, daß dieser ihm immer „wie der feste Stern des Pols" vorgeschienen habe (T. 734). Von Wallensteins „Meteor", der aufstieg und wieder fallen mußte, spricht Buttler im vierten Akt des >Tod< (T. 2435 ff.) ; großartiger und furchtbarer klingt Max Piccolominis Ausspruch, in dem sich das Bild eines weltzerstörerischen Kometen verbirgt: Denn dieser Königliche, wenn er fällt, Wird eine Welt im Sturze mit sich reißen. (P. 2639) Und noch gewaltiger ist Wallensteins eigener Vergleich, mit dem er Max die Unmöglichkeit, sich von ihm zu trennen, beweisen will : Und wenn der Stern, auf dem du lebst und wohnst, Aus seinem Gleise tritt, sich brennend wirft Auf eine nächste Welt und sie entzündet, Du kannst nicht wählen, ob du folgen willst, Fort reißt er dich in seines Schwunges Kraft, Samt seinem Ring und allen seinen Monden. (T. 2186 ff.) Dies sind die eindrücklichsten Beispiele für Bilder, die auf Gestirnen beruhen — alle beziehen sich auf den Titelhelden. Irdische Größe und auf irdische Macht gerichtete Ambitionen verkörpern sich also in dem Gewaltigsten, was wir in der realen Welt kennen 143 . Auf die M y t h o l o g i e und die antiken Sagen — sonst ein Gebiet, das Schiller reichlich Stoff für seine Bildersprache bietet — braucht hier nicht 143
Vergleichbar wäre hier Marlowes Usurpator Tamburlaine im gleichnamigen Schauspiel („For I, the chiefest lamp of all the e a r t h . . . " , Tl. 1, IV, 2). — Bei Shakespeare dagegen werden auf den Höhepunkten der Konflikte Gestirne und
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ausführlich eingegangen zu werden. Ganz frei von klassisch-klassizistischen Reminiszenzen ist freilich audi die Sprache des >Wallenstein< nicht, doch hält sidi Schiller hier mit derartigen Vergleichen und Anspielungen offensichtlich zurück 144 . Ausdrückliche Parallelen sowie Anklänge an antike Vorstellungen sind in der Regel nur im Monolog oder an Stellen mit ähnlich gehobener Sprache zu finden, und zwar weit mehr im >TodPiccolominiIphigenie< — konnten dank der Mythologie auf eine natürliche Art bildhaft sein; bei ihnen ersdieint als Realität, was spätere nur sinnbildlich umschrieben und durch eine Personifizierung oder „Vergöttlichung" abstrakter Begriffe ausgedrückt werden kann. Solches mag zwar in Gedichten von großer Aussagekraft sein, wirkt im Drama jedoch nur zu leicht unmotiviert und gekünstelt. Im >Wallenstein< löst sich dies
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Elemente direkt mit ins Geschehen einbezogen: Macbeth: Stars hide your fires! Let not light see my black and deep desires! (I, 4, v. 50 f.) Hamlet: Heaven's face doth glow. (Ill, 4, v. 50 f.) — eine kühne Mischung der Sphären, wie sie bei Schiller schon wegen seines andersgearteten, distanzierteren Verhältnisses zur Realität nicht möglich wäre. Zu Sonnen-Vergleidien als typisdi für Dramen der „geschlossenen Form" vgl. V. Klotz, a.a.O., S. 81. Einiges hat Schiller denn auch nachträglich nodi gestrichen, so die folgende Zeile in der Herausforderung, die Wallenstein an Max richtet: Laß zwischen uns den trotzgen Mars entscheiden (ursprünglich nach Vers 2237; vgl. Ν Α , VIII, S. 451). Wrangeis höfliche Abwehr von Wallensteins militärischen Komplimenten lautete zuerst: . . . Seine Freiheit Verteidigte der Baltische Neptun. Dies wurde dann geändert in: . . . Verteidigte mit Sturmes Macht der Belt (T. 229 f.; vgl. Ν Α VIII, S. 442). Ausgefallener ist lediglich die Erwähnung des „Typhon", dem „Menschenopfer bluteten" (T. 3588); das ist jedoch durch den Zusammenhang, die Reflexion über die „alten Heidenvölker" und deren Schicksalsbegriff, einigermaßen legitimiert.
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Problem aber wiederum durch das dichterisch so ergiebige Astrologie-Motiv. Jupiter, Mars und Venus sind jetzt nicht mehr so sehr mit der fernen Antike verknüpft als durdi ihre gleichzeitige astronomische Funktion mit der Gegenwart verbunden. Wo sich eine solche Verbindung nicht von selbst herstellt, erwähnt Schiller lieber Götter, deren antiken Namen er nicht nennt, deren Wirkungsbereich er aber durch eine zusätzliche Bezeichnung andeutet: Vom „Gott der Freude" spricht Thekla (P. 1911), vom „Kriegsgott" oder der „Rachegöttin" ist sonst einmal die Rede — Gestalten einer frei abgewandelten oder gar selbst erfundenen Mythologie. Lediglich „Fortuna", im späten Mittelalter wie im Barock wahrscheinlich die bestbekannte mythologische Figur, wird immer wieder bei Namen genannt, und zwar nur von einfachen Gestalten: vom Wachtmeister und einem Dragoner im >Lager< (421, 715), in den >Piccolomini< von Buttler (2011); im >Tod< sind es dann die beiden Mordknechte, die sich als „Soldaten der Fortuna" bezeichnen (T. 3239)146". Die anderen Gestalten sprechen — was in diesem Fall weit gehobenerer Redestil ist — lieber vom personifizierten „Glück". Außer den mythologischen Gestalten gibt es auch einige Prototypen der G e s c h i c h t e , die in die Vergleiche Eingang finden: Julius Caesar, der wie Wallenstein die ihm anvertraute Macht mißbrauchte (T. 835 ff.) und Heinrich IV. von Frankreich, der wie diese beiden ermordet wurde (T. 3490 ff.) 149 ; weniger essentiell, vielmehr als bloße Schönrednerei zu werten, sind die Attribute, die Wallenstein durch Wrangel beigegeben werden: Euer Gnaden sind Bekannt für einen hohen Kriegesfürsten Für einen zweiten Attila und Pyrrhus 147 . (T. 285 ff.) Der Kapuziner im >Lager< dagegen nimmt seine vielen Beispiele und Anspielungen natürlich aus der Bibel. Der biblisch-diristliche Bereich als soldier spielt in der Bildlichkeit des >Wallenstein< sonst fast keine Rolle, jedoch der r e l i g i ö s e n S p h ä r e wie ,Himmel', ,Hölle', ,Engel' sind reichlich »«α Von diesen ist der Aussprudi historisch überliefert (vgl. Chr. G. v. Murr, 149
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Bey träge zur Gesdi. des dreyßigjährigen Krieges, 1790, S. 279). Vgl. audi T. 419 ff., wo Wallenstein an „den königlichen Bourbon, der seines Volkes Feinde sich verkaufte", erinnert (dazu Ν Α VIII, S. 494). Gar nichts Wesentliches schließlich trifft die Bezeichnung „dieser steinerne Gast", mit der Isolani auf Max' geistige Abwesenheit beim Bankett der Generale anspielt (P. 2189) — eine recht realistisch anmutende, scherzhafte Verwendung allgemeinen Bildungsgutes, bei der, wie üblich, mehr vom bloßen Wortlaut als vom Gehalt ausgegangen wird. — D a ß es vielen Formulierungen und Versen Schillers in der Folge genauso erging, beweisen zum Beispiel die Schillerzitate, die nicht selten in Fontanes Dialogen auftauchen.
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anzutreffen. Teils dienen sie nur einer positiven oder negativen Einstufung von Ereignissen, Personen oder Eigenschaften; Formulierungen wie „Ich haß ihn wie den Pfuhl der Hölle" (T. 1973 f.) oder „ein Wunderwerk des Himmels" (P. 2626) mögen hierfür als Beispiele gelten. Die Wörter ,Himmel', ,Hölle' können aber — zusammen mit ,Zauber', ,Geist(er)', ,Dämon', ,Traum' etc. — auch auf die ü b e r - oder u n t e r i r d i s c h e n B e r e i c h e deuten, die im >Wallenstein< eine nicht zu übersehende Rolle spielen148. In den >Piccolomini< kommen zuerst noch ihre positiven Aspekte zur Geltung, wenn auch bereits mit einem wehmütigen Nebenton. So sagt Max über das Lagerleben, das ihm während seiner Reise so fremd geworden ist: So müßt es einem selgen Geiste sein, Der aus den Wohnungen der ewgen Freude Zu seinen Kinderspielen und Geschäften, Zu seinen Neigungen und Brüderschaften, Zur ganzen armen Menschheit wiederkehrte (P. 1443 ff.) Und ein wenig später: Auf einer Insel in des Äthers Höhn Hab ich gelebt in diesen letzten Tagen, Sie hat sich auf die Erd herabgelassen, Und diese Brücke, die zum alten Leben Zurück mich bringt, trennt mich von meinem Himmel. (P. 1561 ff.) Von Theklas erstem Monolog an herrschen aber eindeutig die unterirdischen Mächte in der Bildlichkeit vor und helfen die aufkommende unheimliche Atmosphäre verstärken: „Es geht ein finstrer Geist durch unser H a u s . . . " (P. 1899 ff.). Von „einer Macht der Hölle", die die Sinne seines Sohnes „umnebele", spricht Octavio im letzten Akt der >Piccolomini< (2299 f.). Dodi: Wallenstein seinerseits ist genauso bereit, alles, was sich ihm in den Weg stellt, als widernatürliche Einflüsse zu bezeichnen; von den „tückischen Mächten" redet er im Zusammenhang mit den bekannten Versen über „des Lebens Fremde" (T. 189 f.), und den abgesprungenen Octavio wird er später sogar als den „verstecktesten der Geister" bezeichnen, den der „Abgrund" ihm gesandt habe; durch „Höllenkunst" sei er getäuscht worden (T. 2105 148
Vgl. hierzu audi: Alfred Doppler, Das Motiv des Abgrunds in den Werken Fr. Schillers; in: Jhb. des Wiener Goethe-Vereins, N . F. 20, 1962; zum >Wallenstein< insbesondere S. 42 f. Zum Abgrund in den anderen Dramen Schillers außerdem Ilse Appelbaum-Graham, a.a.O. (s. Anm. 133), S. 283 f.
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£f.)149! Einmal allerdings gesteht er auch selbst ein, daß er sich von einem „bösen Dämon" bedrängt fühle, der „um [sein] Haupt die schwarzen Flügel schlägt" (T. 1473 f.); zweifellos schwingen hier moralische Empfindungen mit 150 . Wie aber sind die „dunkle Macht", die „bleichen hohlen Geisterbilder" zu deuten, die Thekla aus dem Haus, fort zum Grab des Geliebten zu treiben scheinen (T. 3145 ff.)? Die moralische Komponente fällt hier zweifellos fort, auch wenn Thekla selbst eine solche Deutung für ihre Vision findet („Unedler Säumnis klagen sie mich a n . . . " , T. 3157). Kämpfe dieser Art sind aber nun — am Ende des IV. Aktes — alle schon längst ausgekämpft; jetzt geht es nur nodi um die Erfüllung des Tragödienschicksals, und alle dichterischen Mittel werden eingesetzt, um dieses bedeutsam und eindringlich zu gestalten. Eine beträchtliche Vielzahl von Umweltsbereichen und Geistesgebieten spielt mittels der Bildlichkeit in das Wallenstein-Drama hinein; dabei verzeichnet die vorliegende Aufstellung bei weitem nicht alles Vorhandene, sondern nur die größeren Gruppen. Innerhalb dieser Vielfalt liegt das Hauptgewicht freilich auf an sich bedeutsamen Vergleichsgegenständen, und als Herkunftsbereich für die Bilder wird der unmittelbaren Wirklichkeit oft eine — durch Tradition und Literatur — bereits geformte Vorstellungswelt vorgezogen. Das heißt aber nicht, daß die Bilder ins Unanschauliche verstiegen 149
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Es fällt auch sonst auf, wie die negativen Mächte, die bösen Geister, in den Auseinandersetzungen immer wieder als Diskreditierungsmittel eingesetzt werden. Max mödite Wallenstein zur Umkehr bewegen: nur ein „böser Traum" seien seine verbrecherischen Pläne dann gewesen (T. 752). Im Lauf der langen Unterredung gibt Wallenstein schließlich zu: „Dem bösen Geist gehört die Erde, nicht dem guten", und entwickelt daraus seine These, daß man den „falschen Mächten" das Seine abzugewinnen trachten müsse (T. 799 ff.). Max' Reaktion ist heftig: „ . . . es sind Lügengeister", und sich mit ihnen einzulassen bedeute, in den Abgrund gezogen zu werden. — Die Gräfin andrerseits will das widerstrebende Element nur in Wallenstein selbst sehen — nicht in den „falschen" oder „tückischen" Mächten des Lebens; so kann sie es nämlich als leicht überwindbar, als bloßes Phantom darstellen: „Des Aberglaubens nächtliche Gespenster", spricht sie zu Wallenstein, sollten nicht Herr über ihn werden (T. 540 f.); damit meint sie die Gefühls- und Gewissenskräfte, an die dann gerade Max appellieren wird! Die auffallend ähnlichen Verse aus Goethes >IphigenieWallenstein< weist auch M. Jolies hin (Das Bild des Weges und die Sprache des Herzens; in: Dt. Beiträge zur geistigen Oberlieferung V, 1965, S. 109—142).
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Besonders zahlreich sind die Weg-Metaphern in Wallensteins großem Monolog, sie umrahmen ihn gleichsam. Noch im Beisein Terzkys und Illos sagt Wallenstein: Es kam zu schnell — Ich bin es nicht gewohnt, daß mich der Zufall Blind waltend, finster herrschend mit sich führe. (T. 135 ff.) Dann beginnt sein Selbstgespräch: . . . Ich müßte Die Tat vollbringen, weil ich sie gedadit, Die Wege bloß mir offen hab gehalten? — Und sah ich nicht den guten Weg zur Seite, Der mir die Rückhekr offen stets bewahrte? Wohin denn seh idi plötzlich mich geführt? Bahnlos liegts hinter mir, und eine Mauer Aus meinen eignen Werken baut sich auf, Die mir die Rückkehr türmend hemmt! — Je mehr Wallenstein die Situation bedenkt, desto mehr kommt er dazu, die Sdiuld für seine Lage bei den Umständen und bei den Mitmenschen zu suchen. Aber am Ende, kurz ehe Wrangel zur entscheidenden Unterredung eintritt, kehrt er — „den Blick nachdenkend auf die Tür geheftet" — noch einmal zur Weg-Metaphorik zurück: Noch ist sie rein — noch! Das Verbrechen kam Nicht über diese Schwelle noch — So schmal ist Die Grenze, die zwei Lebens/>/rti/e scheidet!
(T. 220 ff.)
Ebenso bezeichnend für die Konflikt-Situation ist audi das häufig figurativ gebrauchte Wort .Schritt'. Weiterhin hängen mit der Weg-Metaphorik jAbgrund' und hiermit wiederum die thematisch ebenfalls bedeutenden Begriffe ,Höhe' und ,Fall' zusammen, auf die besonders die Herzogin und Gordon bittend und warnend immer wieder zurückkommen 155 . Alle diese Komponenten und Verzweigungen der Weg-Bildlichkeit, die die beiden 155
Mit .Höhe' hängen wiederum .Staffeln', ,Leitern*, .Seil' und .Gipfel' zusammen, das wäre das ins Vertikale gewendete Weg-Motiv. — Zur Bedeutung der „Höhe" bei Schiller vgl. audi seinen Aufsatz >Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände< ( Ν Α X X , S. 222 ff.) und Martin Dycks bereits erwähntes Buch (s. auch Lit.-Verz.), das diesem Phänomen fast ausschließlich gewidmet ist.
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Blankversdramen durchziehen, vereinigen sich schließlich, wenn Gordon über Wallenstein spricht, zu einem neuen Bild: Und keck, wie einer der nicht straucheln kann, Lief er auf schwankem Seil des Lebens hin. Nachher führt' uns das Schicksal auseinander, . . . Er ging der Größe kühnen Weg, Mit schnellem Schritt, ich sah ihn schwindelnd gehn, Ward Graf und Fürst und Herzog und Diktator, Und jetzt ist alles ihm zu klein, er streckt Die Hände nach der Königskrone aus, Und stürzt in unermeßliches Verderben! (T. 2569 ff.) „Band" und „Weg", sowie die ihnen verwandten Begriffe haben als Vergleichsobjekte nichts von jener Großartigkeit, die Schiller in seiner Bildlichkeit sonst so wichtig zu sein scheint. Die Band- und Weg-Metaphern sind aber in der vorhandenen Sprache verankert; die Bilder scheinen wie von selbst aus ihr emporzusteigen — eine Abhängigkeit vom Sprachgebrauch, die sich freilich nicht nur auf diesen Aspekt der Bildlichkeit erstreckt, sondern in mandiem Sinne für Sdiiller überhaupt typisch ist (s. S. 166 f.). „Bande" und „Wege" sind aber noch weit über dies hinaus bezeichnend für den Dichter des >WallensteinEgmont< erinnert („Die Trommel gerühret, / Das Pfeifchen gespielt..." ; I, 3). 1ββ Die Formulierung „des Lebens öder Strand" kommt als Teil eines Bildes im >Nathan< (V, 3, v. 94) und in Schillers >Künstlern< vor (Vers 15). In den >Piccolomini< kehrt sie dann als „des schönen Lebens öde Küste" wieder (P. 511). 163
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o d e r S o p h o k l e s 1 8 7 z u nennen, a u ß e r d e m liefern die Geschichte 1 ® 8 , die m y stisch-naturwissenschaftliche L i t e r a t u r u n d die B i b e l 1 6 9 einige B i l d e r oder bieten doch die A n r e g u n g d a z u . A m w e i t a u s größten ist a b e r die A n z a h l der Bilder, die v o n S h a k e s p e a r e h e r s t a m m e n 1 7 0 , v o r allem aus den K ö n i g s d r a m e n u n d aus >Julius Caesar< scheint Schiller vieles ü b e r n o m m e n z u h a b e n 1 7 1 . E i n i g e der beeindruckendsten Vergleiche des >Wallenstein< haben V o r l ä u f e r bei S h a k e s p e a r e , so e t w a der „ M e t e o r " , der „durch den H i m m e l seinen G l a n z w e g " zieht u n d
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Illos „ O ! du bist blind mit deinen sehnden Augen!" (T. 890) tönt stark an das „Du selbst siehst sehenden Augen nichts!" von Teiresias im >König ödipusJulius Caesar< wird 1797 als drittes Stüde Shakespeares von A. W. Schlegel übersetzt, und Schiller nimmt daran lebhaften Anteil (vgl. an Goethe, 7 . 4 . 1 7 9 7 ) .
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wieder „sinken" muß 172 . Ein weiteres Beispiel: In der Auseinandersetzung zwischen Max und Wallenstein fallen die Worte: Ziemt solche Sprache mir Mit dir, der wie der feste Stern des Pols Mir als die Lebensregel vorgeschienen! (T. 733 ff.) Dieses Bild wird — sicherlich völlig zu Recht — mit den folgenden Versen im >Julius Caesar< in Zusammenhang gebracht: But I am constant as the northern star, Of whose true-fixed and resting quality There is no fellow in the firmament. (III, 1, v. 60 ff.) Dabei zeigt sich aber zugleich, daß Schiller in der Regel nicht einfach übernimmt und unselbständig nachahmt 173 . Der Zusammenhang — bei solchen Gegenüberstellungen meist außer adit gelassen — madit das noch deutlicher: Caesar selbst weist mit diesen Worten auf seine Unbeirrbarkeit und Unerbittlichkeit in einmal gefaßten Entschlüssen hin (es sei völlig sinnlos, immer wieder für Publius Cimber um die Rückkehr aus der Verbannung zu bitten), und das Bild vom Polarstern veranlaßt ihn dann, nicht nur von seiner Festigkeit, sondern mit unglaublicher Hybris auch von seiner Standfestigkeit, von der Unerschütterlichkeit seiner Position zu sprechen. Bei Sdiiller aber wird dieser wesentliche Aspekt des Shakespeareschen Bildes ganz beiseite gelassen und dafür ein völlig neues Element hervorgehoben: der Polarstern als Richtungsweiser. Es wird nur zu leicht übersehen, daß Shakespeares Bilder in diesem Sinne meist nur Bild-Material bieten. Für Sdiiller, der „so wenig Gelegenheit hat[te], von außen zu schöpfen" 174 , ersetzt die Lektüre das Erlebnis der Wirklichkeit; sie ist es auch, die ihn immer wieder auf Bereiche, die eindrückliche Bilder liefern, hinweist: auf die Meer- und Schiffahrtsthematik, auf die Welt der Gestirne usw. Ebensowenig geht Schiller ja auch vom direkten Leben aus, wenn er auf den metaphorischen Sprachgebrauch und gängige Vorstellungen zurückgreift. Schiller sdieint an der Blässe und Allgemeinheit der gängigen Bildersprache nicht zu leiden; vielmehr vermag auch sie ihm die unmittelbare Anschauung zu ersetzen. O f t führt er die in ihr angelegte Bildlichkeit weiter, 178 174
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T. 2434 ff. — Heinrich VIII., III, 2, v. 222 ff. Hermann Schneider spricht sogar von „einem seltsamen Mangel in Schillers Formbegabung", der ihn zum Borgen genötigt habe (Vom Wallenstein zum Demetrius, S. 18; speziell zu Schiller und Shakespeare s. audi: Schiller, Werk und Erbe, S. 41). Schiller an Goethe, 2 . 1 . 1 7 9 8 .
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gestaltet sie aus und kommt auf diesem Wege sogar zu ganz neuen Bildern. Dieser Vorgang läßt sich bisweilen noch genau nachvollziehen. So warnt Ilio vor zu langem Zögern mit einer üblichen figurativen Wendung: Sie werden unvermerkt die gute Meinung, Worauf du jetzo fußest, untergraben, Dir einen um den andern listig stehlen — (T. 87 ff.) und sieht sida (fast unwillkürlich, möchte man sagen) zum folgenden Bild weitergeführt: Bis, wenn der große Erdstoß nun geschieht, Der treulos mürbe Bau zusammenbricht. In solchen Fällen kann — trotz des konventionellen Ausgangspunktes — von Klischeehaftigkeit oder aufgesetzter Bildlichkeit nicht die Rede sein. Geht das Bild nicht vielmehr ganz natürlich aus der Sprache selbst hervor? Sprache und Gedanke, scheint es, entwickeln sich gegenseitig weiter. Weit mehr als allgemeine Urteile über die Bildlichkeit des klassischen Schiller vermuten machen 175 , läßt sich die Sprache des >Wallenstein< gegen den Vorwurf der Klischeehaftigkeit verteidigen. Dies gilt vornehmlich für die ausführlicheren Bilder. Obwohl sie selten aus ungewöhnlichen Bereichen stammen, können die Vorstellungen, die sie heraufbeschwören, doch von nachhaltiger Wirkung sein. Auch wenn die Bilder an die Sprache anderer Dichter oder an übliche Metaphern angelehnt sind, werden sie durch neue Bezugspunkte und eine ungeahnte Weiterentwicklung oft zu ganz eigenständigen Leistungen. Zudem hat es für die Wirkung des Kunstwerkes sicherlich kaum eine Bedeutung, ob einzelne ähnliche Bilder bereits früher einmal irgendwo auftauchten. Der Leser bemerkt dies selten, das Theaterpublikum noch weniger. U n d dürfte der Literaturhistoriker augenfällige Anklänge womöglich nicht auch als Schillers Reverenz vor einem anderen großen Dichter verstehen? Ähnlich wie bei den Klassikern öfters bewußt „homerisiert" wird, so könnte Schiller — obgleidi versteckter — ja auch ein wenig „shakespearisiert" haben. Anders sieht dies alles jedoch aus, sobald es sich anstelle von ausgeführten Bildern um metaphorische Ausdrücke handelt, die nicht auf einen bestimmten Dichter zurückzuführen sind, sondern als bloße Umschreibungen bereits zum Überdruß bekannt sind und doch durch ihren Anspruch auf eine poetisch erhabene Ausdrucksweise immer wieder die Aufmerksamkeit auf »75 Vgl. 2 . g Herrn. Schneider (vgl. Anm. 173) oder M. Dydts Bemerkung, Schiller scheine alle Bilder zu borgen — eine bewußte Umkehrung des Novalis-Aussprudies, der Dichter borge alle Mittel der Darstellung bis auf die Bilder (a.a.O., S. 11).
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sich lenken. Man denke an Fälle wie „Lorbeer" für „Ruhm" (P. 501 und T . 371) an die Wendung „den Kranz aufsetzen" für „vollenden" (T. 1530), audi an „Früchte" für „Resultat" oder „Erfolg" (ζ. Β. T. 1944), an die so häufig wiederkehrende verachtenswerte „Schlange" oder die anspruchsvolleren Körperteil-Synekdochen. Zugleich ist aber zu sagen, daß dergleichen im >Wallenstein< — im Gegensatz zu den meisten anderen Werken des klassischen Schiller — verhältnismäßig wenig vorhanden ist. Vielleicht würde es überhaupt nicht einmal auffallen, wenn man nicht durch den übermäßigen Gebrauch in den übrigen Dramen — vom Mißbrauch durch die Epigonen ganz abgesehen — überempfindlich geworden wäre. Beeindruckt durch die Anschaulichkeit von Bildern wie Max' Vulkanoder Schiffsvergleich, könnte man versucht sein, dies Drama stets mit im Geiste offenen Augen zu lesen. Dabei geriete man jedoch bald in Konflikte. Neben der Konventionalität zeigt sich bei Schillers üppiger und bisweilen schmuckhafter Bildlichkeit die Gefahr der Unstimmigkeit. Eigentlich schwierig sind seine Bilder nicht, sie sind ja nicht wegen einer Verschlüsselung des Sinnes schwer verständlich: Nur beim jungen Schiller entsteht Absurdität gelegentlich dadurch, daß die Bilder mit Bedeutungsgehalt überlastet werden, beim klassischen ist sie höchstens die Folge von Ungenauigkeit oder Bildervermischung. In Goethes >Iphigenie< stehen die Verse: . . . ach wüßtest du Wer vor dir steht, und weldi verwünschtes Haupt D u nährst und s c h ü t z e s t . . . (268 f.) Ein schiefes Bild? — Sicherlich nicht. Viel eher ist anzunehmen^ daß (Toethe, der normalerweise die „Keuschheit und Propretät der Tropen" verteidigt 176 , „nähren" hier noch in der alten Bedeutung von „retten" braucht. Bei schiefen Bildern Schillers aber verhelfen die Bereitschaft, das Mißverständnis bei sich selbst zu suchen, und sprachgeschichtliche Nachforschungen selten zu einer Rechtfertigung des Dichters. — So sagt Max, Wallenstein sei: Wie eine feste Säul, an die man sich Mit Lust mag schließen und mit Zuversicht (P. 419 f.) Dies ergibt kein vorstellbares Bild; offenbar vermischt sich hier die Redensart „sich an jemanden anschließen" mit der Vorstellung von einer unerschütterlich fest stehenden Säule. Dies ist freilich noch ein wenig gewichtiger Fall. Es mag auch angehen, daß ein andermal die Reihenfolge der einzelnen Bilder umgekehrt sein müßte: 174
Zum Kanzler von Müller, (15.) 4.1819.
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. . . sind alle In e i n e Schul gegangen, e i n e Milch H a t sie ernährt, e i n Herz belebt sie alle. (P. 220 ff.) Dies Hysteron proteron ließe sich sogar sehr einleuchtend damit erklären, daß Buttler, der hier von der Verbundenheit der Wallensteinschen Armee spricht, seiner Aussage immer noch mehr Beweiskraft und Eindrücklichkeit verleihen möchte und deshalb — im Bereich seines Bildes — zeitlich immer noch ein Stück weiter zurückgeht. Wie aber, wenn Schiller nicht nur zahlreiche Bilder für ein und dieselbe Sache, ein und denselben Gedanken gibt, sondern diese Bilder sich schlechterdings widersprechen? Beispiele hierfür begegnen bei ihm auf Schritt und Tritt. Octavio sagt zu Max: . . . du . . . hast jahrelang Gelebt in unbegreiflicher Verblendung. Das schwärzeste Komplott entspinnet sich Vor deinen Augen, eine Macht der Hölle Umnebelt deiner Sinne hellen Tag — Ich darf nicht länger schweigen, muß die Binde Von deinen Augen nehmen. (P. 2296 ff.) Dasjenige, was Max seit langem täuscht, wird einmal als „Verblendung", also als ein Überfluß an Licht, bezeichnet, dann wieder als „schwärzestes Komplott", das „umnebelt" und sich einer „Binde vor den Augen" vergleichen läßt — als ein Etwas also, das des Lichtes beraubt, das „der Sinne hellen Tag" beeinträchtigt 177 . Bei Schiller können sich auch „Fäden" zu einem „Früchteknoten" vereinigen (P. 934 ff.) 178 , „Samen" wird „in des Schicksals Hände" gelegt, und wird dort „aufgehen" (T. 662 f.), oder ein länger ausgeführtes Bild wird auf die folgende Weise plötzlich umgebrochen: Mit leisen Tritten schlich er seinen bösen Weg, So leis und schlau ist ihm die Rache nachgeschlichen. Schon steht sie ungesehen, finster hinter ihm, Ein Schritt nur noch und, schaudernd rühret er sie an! (P. 2477 ff.) Eine solche Inkonsequenz der Bildlichkeit ist bei Schiller keineswegs nur in den Dramen zu bemerken. Auch in seinen Gedichten ist sie reichlich vor177 178
Die Vermischung ebenderselben Metaphern noch einmal P. 2619 ff. Vgl. L. Bellermanns etwas hilflosen, aber ausführlichen Versuch, Schiller hier zu retten und das Bild botanisch zu erklären (Schillers Dramen. Beiträge zu ihrem Verständnis, 2. Teil, 2 1898, S. 161); in anderen Fällen resigniert Bellermann schon früher mit einer schlüssigen realistischen Deutung (vgl. S. 164 und 165).
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handen 179 . Im Drama aber kann sie noch am leichtesten eine allgemein gültige Rechtfertigung finden. Nicht nur, daß man mit Cecil Day-Lewis anführen kann, daß der dramatische Impetus beträchtliche Sprünge in der Bildlichkeit zu überwinden vermag 180 . Nach Schiller selbst sind solche Sprünge für die im Affekt vorgebrachte Rede geradezu gefordert. In seiner Rezension der Goetheschen >Iphigenie< hatte er nämlich die Frage gestellt: „Kann ihr [Iphigenies] Blut unmittelbar auf diese — ihr die allerwiditigste — Entdeckung ruhig genug sein, um ihre Empfindung in so zusammenhängenden Bildern . . . auszumalen" 181 ? Aber soll man auf diese Äußerung hin alle Widersprüche in Schillers Bildlichkeit für die bewußte Nachahmung bestimmter psychologischer Zustände nehmen? — Eine sinnlose Folgerung. Diese Eigentümlichkeit Schillers muß tiefere Gründe haben. Sie ist Ausdruck einer ganz wesentlichen Seite seines Talents, die nicht nur hier zum Vorschein kommt, sondern sich auch sonst in der Tendenz zu starken Bewegungen und Ubergängen aller Art zeigt. Ist es nicht auch bezeichnend, daß bei Schiller die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arten der Bildlichkeit, zwischen Vergleich und Metapher oftmals gar nicht möglich ist? Das bildliche Element durchdringt zuweilen die Sprache so sehr, daß sich Bildwirklichkeit und eigentliche Wirklichkeit fast unlösbar miteinander vermischen. Nicht selten geht die Aussage unmittelbar ins Bild über („Und wenn der Stern, auf dem du lebst und w o h n s t . . . " ) . Aber auch wenn das Vergleichswort „wie" dasteht, ist doch öfter nur ein Teil des Bildes ausdrücklicher Vergleich. Bereits bei den bisher zitierten Bildern begegneten immer wieder Beispiele hierfür: Wir haben Des schönen Lebens öde Küste nur Wie ein umirrend Räubervolk b e f a h r e n , . . .
(P. 510 ff.)
Zum Vergleichsobjekt „Räubervolk" gehört die „öde Küste", nicht aber „des schönen Lebens" Küste. 17
' Am auffallendsten in dem Gedicht >Die Klage der Ceres< (vgl. dazu E. Staigers Interpretation in: Weltbewohner und Weimaraner, Ernst Beutler zugedacht, Zürich 1960, S. 265 ff.). Wirklich störend sind diese Widersprüche, wenn ein ganzes Gedicht nur auf Bilder abgestellt ist, so in >Die Macht des Gesangesc, die von drei weitgespannten Wie-So-Vergleichen lebt. Wird dem Bild eine soldie zentrale Bedeutung anvertraut, dann tut Schiller die räumliche Beschränkung gut, wie sie in den Epigrammen >Das Tor< oder >Würden< eingehalten ist. 180 C. Day-Lewis, The Poetic Image, S. 47. 181
Ν Α , X X I I , S. 231.
Bildlichkeit
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Wie das gemütlos blinde Element, Das furchtbare, mit dem kein Bund zu schließen, Folgts du des Herzens wildem Trieb allein . . . (T. 2091 ff.) Ein Element, das „des Herzens wildem Trieb folgt" gibt es natürlich nicht. Namentlich die Verbalmetaphern Schillers können zur bildlichen Ausdrucksebene hinführen, indem sie Abstrakta zu scheinbaren Trägern der Handlung machen. Wenn sich bei Schiller auch sonst Konkretes und Abstraktes, direkter und figürlicher Ausdruck, gerne miteinander vermischen oder fast stufenlos ineinander übergehen, so begegnet nun gerade bei diesen grammatischen Subjektivierungen oder angedeuteten Personifizierungen 182 eine innige Verflechtung des geistigen und konkreten Bereiches besonders häufig. Wallenstein sagt zum Beispiel nicht, daß Gordon in seinem Eifer weit gehe, auch nicht — was für Schiller schon viel typischer wäre —, daß ihn sein Eifer weit führe; nein, wir lesen vielmehr: . . . des Eifers Wärme führt Euch weit. (T. 3652) Ähnlich heißt es: Denn blinder Mißverständnisse Gewalt Drängt oft den Besten aus dem rechten Gleise (T. 1062 f.) Soll man verwundert verzeichnen, wie weit hier die Konkretisierung getrieben ist (indem — wie bei „des Eifers Wärme" — die Eigenschaft einer Eigenschaft zum Handlungsträger werden kann), oder soll man umgekehrt von einer £«i-Konkretisierung sprechen, weil das abstrakte Element in die erste Position des Satzes eindringt und alle Konkretheit daraus verdrängt 183 ? Dies sind Dinge, die freilich nur bemerkt, wer ganz genau hinschaut und beim Lesen immer wieder nachdenkend verweilt. Wie aber wirkt Schil182
1βΛ
Zur „grammatischen Subjektivierung" s.o. S. 134 f. — Echte Personifikationen sind im >Wallenstein< nicht besonders häufig. Beispiele für Personifizierung durch personelle Prädikatsnomen oder Attribute wären: „Die T r e u e . . . ist jedem Menschen wie der nächste Blutsfreund" (T. 424 f.) oder „Soll brüderliche Zwietracht, feueraugig, durch ihre Straßen losgelassen toben?" (T. 2225 ff.). Logischerweise wären hierher auch Bilder wie „Jede Untat trägt ihren eignen Rache-Engel schon . . . unter ihrem Herzen" (T. 650 ff.) oder die häufigen Satzgegenstände „Schicksal" und „Glück" zu rechnen, die ja auch als Schicksalsoder Glücksgöttin auftauchen. Auch hier handelt es sich freilich zugleich um ein syntaktisch-stilistisches Problem: Im Subjekt wird im Grunde nur eine Eigenschaft zum vorangestellten Genitiv (dem eigentlichen Subjekt) gegeben, d. h. durch die Genitivfügung wird ein Adjektiv oder ein Relativsatz ersetzt. Der Leser oder Hörer faßt dies auch sicherlich sogleich richtig auf, vollzieht also nicht die komplizierte Satzkonstruktion mit ihrer vertauschten Rangordnung der Begriffe nach.
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lers Dramensprache auf die normalen Leser und auf die Zuschauer im Theater, für die sie doch beredinet ist? Wird man sich daran stoßen, daß immer wieder gängige Metaphern begegnen, daß „sich an eine feste Säul anschließen" kein vorstellbares Bild ergibt, daß „Verblendung" und „Schwärze" sich widersprechen? — Sicherlich nicht! Das Drama läßt selten Zeit, die Bilder im einzelnen nadizuvollziehen, vor allem nidit bei bloßen Metaphern und angedeuteten Bildern. Oft wird nur der besondere Klang der Rede wahrgenommen, der durch den indirekten Ausdruck hervorgerufen wurde — sei es nun ein volkstümlich-kräftiger oder ein gehoben-feierlicher Klang. Oder aber — und dies ist bei Schiller sehr häufig — das zentrale Wort des Bildes wird durch seine Stellung im Satz und im Vers so hervorgehoben, daß eigentlich nur dieses Wort allein mit seinem Vorstellungsgehalt auf den Leser oder Hörer wirkt. — Also ist hier das Einzelwort, dem bei der Besprechung der Wortwahl doch eine recht begrenzte Bedeutung zugesprochen wurde, entscheidend? Ja, und auch wieder nein. Wichtig ist es vor allem im Augenblick als Vorstellungsträger: die „Säule", die an antike Tempelruinen erinnern mag, erzeugt die Vorstellung von unerschütterlicher, die Zeit überdauernder Standhaftigkeit, aber damit ist die Aufgabe dieses Wortes auch erfüllt. Das Bild wird sofort wieder verlassen, und was bleibt, ist in diesem Fall nur die Assoziation, nicht der bildliche Gegenstand selbst. Der Dichter kann zu etwas Neuem übergehen, das vielleicht mit entgegengesetzten Anschauungen dieselbe Empfindung hervorruft. So fragt sich — um noch einmal ein anderes Beispiel zu bringen — Max in einem Atemzug, warum „der Väter Doppelschuld und Freveltat" ihn und Thekla „gräßlich wie ein Schlangenpaar umwinde" und warum „der Väter unversöhnter Haß" sie „zerreißend scheide" (T. 2137 ff.). Auf die Kontinuität der Empfindung kommt es Schiller an, nicht auf die Kontinuität der Anschauung. Deshalb oft die Bilderhäufung, über die sich schon Jean Paul so lustig machte184, dieser „immer wechselnde Grund", wie Schiller selbst sagt, der „Strom der Imagination", auf dem der „beredte Schriftsteller" ein „festes Gebäude errichtet" 185 . Wir haben im >Wallenstein< zum einen die mehr im Kleinen wirkende Bildlichkeit, die sich in üblichen Umschreibungen und nur angedeuteten Bildern äußert und oft mehr dadurch, daß sie überhaupt vorhanden ist, als 184
18s
In der >Vorschule der Ästhetik< fällt Jean Paul besonders über das Gedicht >Die Ideale< her und macht Vorschläge, was alles — außer dem Vorhandenen — noch zum Vergleich herangezogen werden könnte. (Werke, Bd. X I , 1935, S. 373 ff.) In >Über die notwendigen G r e n z e n . . .< (ΝΑ, X X I , S. 10).
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durch spezielle Vorstellungen zu wirken scheint. Daneben gibt es aber dodi auch zahlreiche Bilder, die durch ihren Inhalt einen anhaltenderen Eindruck hervorzurufen vermögen und die deshalb vornehmlich geeignet sind, sich in größere künstlerische Zusammenhänge einzuordnen: in die Darstellung der Charaktere, in die Grundthematik und Entwicklung der Dramenhandlung. Hiervon soll in den nächsten beiden Kapiteln die Rede sein. Dabei wird sich dann auch zeigen, daß sogar vieles von dem, was auf den ersten Blick als schmuckhafte Bildlichkeit von rasch verfliegender Wirkung angesehen werden mag, unterschwellig doch auf tiefere Zusammenhänge deuten kann, sofern es öfter vorkommt.
4. Das Verhältnis der Bildlichkeit zum Charakter und zur Situation Wolfgang Clemen hat darauf hingewiesen, wie psychologisch einfühlsam die Dramengestalten Shakespeares durch ihre Bildlichkeit charakterisiert sein können. So haben zum Beispiel in >Romeo und Julia< nicht nur die beiden Liebenden, sondern auch Mercurio und der alte Capulet ihre eigene Art des bildlichen Ausdrucks; man könnte ebenso auf die auffallenden Unterschiede bei Jago und Othello verweisen, auf die extrem realistische Bildlichkeit Hamlets — seine Bilder verraten, daß er keineswegs ein romantischer Träumer ist — oder auf die unfreiwilligen Selbstenthüllungen seines Stiefvaters, bei dem im figurativen Gebrauch immer wieder „Pest", „Gift" und „Krankheit" vorkommen. Eine solche Differenzierung und Hintergründigkeit wird man bei Schiller nicht erwarten, hat man dodi in seinen Dramen längst gewisse Grenzen der Psychologie festgestellt und akzeptieren gelernt. Wie steht es damit aber genau genommen im >Wallenstein