Über die Möglichkeit, Gott zu erkennen: Gehalten am 31. Mai 1888 [Reprint 2019 ed.] 9783111575278, 9783111203171


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Vorträge der theologischen Konferenz; zu Gießen gehalten am 31. Mai 1888
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Über die Möglichkeit, Gott zu erkennen: Gehalten am 31. Mai 1888 [Reprint 2019 ed.]
 9783111575278, 9783111203171

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Vorträge der theologischen Sonferen; zu Gießen gehalten am 31. Mai 1888. (IV. Folge.)

Direktor Dr. Sachße (Herborn) : Über die Möglichkeit, Gott zu erkennen.

Gießen, I. Ricker'sche Buchhandlung.

1888.

Gott zu erkennen ist die Aufgabe der Theologie; alle

exegetischen und geschichtlichen Forschungen, alle dogma­ tischen und praktischen Arbeiten haben nur soviel Wert,

wie sie diesen Zweck fördern. erhaben wie schwierig.

Diese Aufgabe ist ebenso

Gott ist der höchste Gedanke, der

je eines Menschen Herz bewegt hat und darum ist die Theologie, wenn sie ihre Aufgabe löst, die höchste der Wissenschaften.

Aber wie ist es möglich, den zu erkennen,

der vor allen Nachforschungen zurückweicht?

den zu be­

greifen, den unsere Begriffe ebenso wenig fassen, wie unsre

Hand das Meer?

In der Hoheit des Gegenstandes liegt

die Schwierigkeit der Aufgabe, und jede andere Wissenschaft mag leichter Befriedigendes schaffen, weil ihr Ziel niedriger

gesteckt ist.

Theologen sind es, welche neuerdings an Lö­

sung der Aufgabe verzweifelt und deshalb sie anders ver­ standen haben : Die Theologie soll nur sein die Wissen­

schaft vom religiösen Leben der Menschheit, insonderheit vom Christentum. Aber entweder finden wir im Christentum

Gott

und

dann

giebt

die wissenschaftliche Betrachtung

desselben eine deutlichere Erkenntnis Gottes; oder es be­ steht in frommen Gefühlen, die nicht über dies empirische

1*

4 Dasein hinausführen.

Dann gäbe

eS allerdings

keine

Erkenntnis Gottes; aber damit verliert die Theologie das Recht des Daseins und ihre Disciplinen sind der Sprach­

wissenschaft, der Geschichte und der Philosophie zuzuweisen. Auch die Rettung kann nicht genügen, daß man sagt, alle Wissenschaft beruhe auf einem praktischen Bedürfnis und

habe ihm zu dienen : Die Jurisprudenz der Rechtsgemein­ schaft, die Medizin der leiblichen Gesundheit, so die Theo­ logie dem religiösen Leben.

Denn das ist ja eben die

Frage, ob die Religion ebenso notwendig und berechtigt ist, wie die Pflege des Rechts und der Gesundheit, an

deren Berechtigung niemand zweifelt.

Giebt eS keine Er­

kenntnis Gottes, so ist die Frömmigkeit nur ein ästhetisches Gefühl von untergeordnetem Wert, so beruht Religion und

Kirche auf einem Irrtum, der mit dem stetigen Fortschritt mehr schwinden wird und die Theologie ist das vergebliche

Bemühen, stützen.

einen absterbenden Wahn wissenschaftlich zn

Dann ist eS Zeit, daß religionslose Moral oder

ästhetische Weltbildung an die Stelle der veralteten Reli­ gion trete.

So hängt von der Beantwortung unsrer Frage

ebenso das gute Recht der Religion wie der Theologie ab; sie ist die fundamentale Frage der Gegenwart.

Indem ich mich anschicke, sie zu beantworten, ver­ gleiche ich sie einer unzugänglichen Festung.

Wir versuchen

zuerst, sie durch Frontalangriff zu nehmen, dabei werden wir uns die Köpfe zerschellen.

Dann wollen wir versuchen

auf einem Seitenwege einzudringen; dabei werden wir ihr

zwar näher kommen und

gleichsam einige Gräben über­

schreiten ; aber die Mauern bleiben zu hoch nnd die Pforte verschlossen.

So müssen wir den Versuch aufgeben; es

5 sei denn,

daß der Herr der Festung freiwillig die Pforte

öffnet und uns als Freunde einläßt. 1.

Frontalangriff nenne ich es, wenn man aus den

allen Menschen gemeinsamen Erfahrungen die Erkenntnis

GotteS schöpfen will.

Die s. g. Beweise

für das Dasein

Gottes sind das Resultat dieser Bemühung; wir haben

ihre Beweiskraft zu prüfen.

Daß der ontologische Beweis, wie ihn Anselm formu­

liert und Cartesius verbeffert hat, unhaltbar sei, darüber ist nach mehr.

der einschneidenden

Kritik Kants

kein Zweifel

„Ich habe die Vorstellung eines höchsten Wesens,

die Vorstellung des Höchsten schließt das Dasein ein, denn ein Höchstes, das ist, wäre höher, als ein Höchstes, daS

nicht ist; also ist mit der Vorstellung des höchsten Wesens gesetzt, daß es ist".

Sehr wohl, aber diese Setzung besagt

doch nur, daß, wenn ich die Vorstellung setze, ich sie als

daseiend setze; nicht aber, daß sie abgesehen von meiner Setzung Realität hat.

Schon Thomas von Aquino be­

merkt mit Recht (Summa I quaest 2 art 1) : aus dem

Begriff Gottes folge nur, daß er sei in apprehensione intellectus, nicht aber, daß er sei in rerum natura.

Um

von der Vorstellung zum Sein zu kommen, müßte zuvor ein doppeltes erwiesen werden : daß diese Vorstellung eine notwendige sei und daß jeder notwendigen Vorstellung ein

Sein entspreche.

Beide Ergänzungen hat Cartesius erstrebt,

aber nicht erreicht.

Er behauptet, die Vorstellung Gottes

sei jedem notwendig, weil sie von Gott selbst stamme; denn

wegen ihres

unendlichen Inhalts

könne sie nicht

unserm beschränkten Geiste stammen.

aus

Eine unbewiesene

6 und anfechtbare Behauptung; denn auch der endliche Geist kann durch fortgesetzte Aufhebung der Schranken zum Ge­

danken des Unendlichen sich erheben. Damit fällt die andere Ergänzung hin, daß dieser Vorstellung, weil sie notwendig sei, Dasein zukomme.

Wie

Anselm faßt er das Dasein als eine Vollkommenheit : das vollkommenste Wesen ohne Dasein vorstellen heißt : es

ohne Vollkommenheit vorstellen, was ein logischer Wider­ spruch wäre.

Also muß ich es daseiend vorstellen.

Gewiß,

solange und wenn ich es vorstelle; aber ob dieser Vor­

stellung ein Seiendes entspreche oder ob sie ein Einfall ist, darüber giebt die Vorstellung selbst keine Auskunft.

Gegen

diesen Schulwitz behauptet Kant mit Recht, jeder wider­

spruchslose Begriff zeigt nur die Möglichkeit eines Daseins an.

Ob dem Begriff ein wirlliches Sein entspricht, kann

niemals aus dem Begriff

herausgeklaubt,

durch Erfahrung ausgemacht werden.

sondern nur

Da nun Gottes

Wesen weder aus dem Begriff noch durch Erfahrung er­ kannt werden kann, so ist eine allgemein gültige Erkennt­

nis Gottes auf diesem Wege nicht zu erreichen.

Dieser

Einwand ist bisher nicht widerlegt worden, weil er un­

widerleglich ist. Aber durch Umgestaltung des

hat man ihn zu parieren gesucht.

ontologischen Beweises Schelling (System der

ges. Philos. Band VI, S. 131 ff.) legt folgende Behaup­ tung als Grundlage des Beweises : Die Scheidung von

Subjekt und Objekt ist ein durch Reflexion gesetzter Irr­ tum, es giebt nur ein Sein, welches zugleich weiß und gewußt

wird.

Die

Erkenntnis dieser unveränderlichen

Identität ist die Vernunft.

— Aber wer erkennt denn

7 diese Identität?

Doch nur das Subjekt, welches erkennend

sich aus jener Identität heraushebt, scheidet.

also sich vom Objekt

So setzt die Erkenntnis dieser Identität oder die immer

Vernunft

wieder

als Irrtum

jene

verworfene

Scheidung voraus; denn ohne das ist Erkenntnis unmög­ lich, weil mit dem erkennenden Subjekt die Erkenntnis

selbst aufgehoben wird. — Ja, sagt Schelling, eure auf irrtümlicher Scheidung beruhende reflektierende Erkenntnis!

Dafür aber gewinnen wir eine höhere : in der Vernunft — d. h. also : in der Erkenntnis der Identität von Sub­

jekt und Objekt — affirmiert die Idee des Absoluten sich selbst. Diese Erkenntnis ist keine reflektierte Überzeugung

von

etwas

anderem,

sondern

eine

kontemplative

intellektuale Anschauung. — Anschauung? schauung und wovon?

oder

Wessen An­

Doch wohl Anschauung des Sub­

jekts und zwar, wenn nicht von etwas anderem, so von

sich selbst, nachdem es sich vorher durch poetische und reli­

giöse Erhebung zum Absoluten

ausgeweitet

haben also eine Selbstanschauung

hat.

Wir

ohne Vorstellung und

Begriff, deren Wert wir jetzt nicht prüfen, die aber jeden­

falls nicht über das Ich hinausführt.

Wenn das Dasein

Gottes nur darin besteht, dann allerdings folgt aus dieser Selbstanschauung das Dasein GotteS; denn sie ist dieses Dasein.

Aber ist das ausgeweitete, sich selbst anschauende

Ich die Gottheit, die wir suchen? Hegel (in seinen Beweisen für das Dasein Gottes)

nimmt einen anderen Ausgang. „Begriff"

Er legt zuerst dem Worte

einen besonderen Sinn bei.

Begriff ist nicht

eine subjektive Abstraktton oder gar eine willkürliche Vor­

stellung, sondern ein Reales, welches dem Dasein seines

8 Inhalts vorausgeht.

ES ist das Wesen des Begriffs, sein

Dasein zu produzieren.

Er ist Bewegung, die Triebkraft

alles Lebendigen, der Prozeß sich zu objektivieren.

So ver­

steht Hegel unter Begriff ganz etwas andres, als Anselm

und wir : er ist eine schöpferische Potenz, die ihren Inhalt inS Dasein einführt.

Darum folgt aus jedem Begriff

notwendig sein Dasein; auch

aus dem Begriff Gottes.

Die Gottheit als Begriff setzt ihren Inhalt als Welt aus

sich heraus, um sich dadurch zum bewußten Fürsichsein und absoluten Geist zu entwickeln.

Darum folgt aus dem Be­

griff Gottes, zwar nicht daß er ist, aber daß er wird.

Aber indem Hegel nicht vom subjektiven Begriff, sondern

von einem fingierten Begriff als objektiver Potenz ausgeht, zerstört er die Grundlage des ontologischen Beweises, von

dem er das bloße Wort „Begriff" beibehält, mit dem er einen ganz anderen Sinn verbindet; und auf dieser neuen

Grundlage baut er eine phantastische Theogonie, aber keinen

Beweis für das Dasein Gottes. Trotz dieser

mißglückten Versuche sind

noch

heute

Theologen verschiedener Richtung bemüht, dem ontologi­

schen Beweise neue

Stützen

unterzuziehen;

Martensen

und Dörner, Pfleiderer und Biedermann halten ihn für lebensfähig, ohne indeß ihm zu neuem Leben verholfen zu haben.

2.

Sodann pflegt man im kosmologischen Beweise

vom Dasein der Welt auf ihre Ursache zu schließen.

Nichts

ist durch sich selbst, sondern alles hat seine zureichende

Ursache außer sich.

Das

ganze Weltgeschehen ist eine

lückenlose Kette von Ursachen und Wirkungen; der gegen­ wärtige Weltbestand ist also das Produkt des ihm vorher-

9 gehenden und so fort.

Dieser Rückgang am Faden der

Kausalität kann aber nicht ins Unendliche geschehen; end­ lich müssen wir auf etwas stoßen, das die Ursach aller

Dinge ist und zugleich seinen Grund in sich selbst hat.

Das Wesen ist Gott. — Wir können allerdings nach dem

Prinzip der Kausalität das Weltgeschehen eine Zeitlang rückwärts verfolgen, aber nicht sehr weit.

Die lebenden

Menschen stammen von ihren Voreltern, diese von einem noch früheren Geschlecht und so verfolgen wir die Spuren menschlichen Daseins bis in

aber

die geologische Tertiärzeit;

da hat unser Wissen ein Ende.

Früher kann der

Mensch nicht gelebt haben, weil dazu die Erde noch nicht

geeignet war, und auf dem Wege der Zeugung kann der erste Mensch nicht entstanden sein.

Entstehens aber ist uns unbekannt.

Eine andere Art seines Ob er erschaffen, ob

er aus niederen Organismen sich entwickelt, ob zuerst ein Paar gewesen oder durch dieselbe Ursache mehrere Paare

entstanden sind, darüber fehlt uns jedes Wissen.

Die

Spuren der Tiere, der Pflanzen, die Bildung der Erdrinde

verfolgen wir an bestimmten Thatsachen noch einige Perioden

weiter; dann aber hört jede Verbindung von Erfahrungen nach

dem Grundsatz der Kausalität auf, denn die Er­

fahrungen fehlen.

An ihre Stelle tritt nun die Vermu­

tung : es möchte wohl ursprünglich eine kolossale Dunst­

kugel, welche die Keime alles Werdens in sich enthielt, durch rotierende Bewegung glühend, feurige Ballen von

sich abgeschleudert haben und diese zu Planeten erkaltet

sein.

Es kann so gewesen sein, es kann auch anders ge­

wesen sein.

Vielleicht wird man über 100 Jahren diese

jetzt bevorzugte Vermutung abgethan und eine andere an

10 ihre Stelle gesetzt haben; aber wie man auch den Welt-

embrho sich vorstellen mag : woher kommt er selbst?

Da­

rüber hinaus hört selbst die Vermutung auf, ich sehe nur

finstere Nacht.

Ob dahinter eine erste Ursache ist, welche

zugleich Ursach ihres Daseins ist, ob diese erste Ursache

mechanische Kraft oder träumendes Wesen oder bewußter Geist ist, ob ein oder mehrere solche Wesen sind, darüber

kann ich keinerlei Auskunft finden.

Also ist auch dieser

Weg Gott zu erkennen vergeblich.

Aber schon Cicero hat versucht, diesen Beweis zu ver­

bessern, indem er nicht bloß auf das Dasein, sondern auf die Beschaffenheit der Welt achtete und daraus auf die

Beschaffenheit

des Welturhebers

schloß.

Er

sagt (de

natura deorum) : das Vernunftlose kann nicht daS Ver­

nünftige hervorbringen; nun hat die unbekannte Weltur­ sache den vernünftigen Menschen hervorgebracht, also muß

sie selbst vernünftig sein.

Akademiker Cotta :

Darauf antwortet freilich der

dann müsse Gott auch Flöte blasen,

denn dies sei vernünftiger als nicht Flöte blasen.

Aber

diese Antwort ist kein Einwand; denn wenn man sie ihrer Komik entkleidet, besagt sie nur, daß der Welturheber jeden­ falls selbst alle die Vorzüge besitzen müsse, die wir in

seiner Welt finden.

Und

das ist allerdings unabweislich.

Denn wenn man das Gegenteil annähme, daß der Welt­

urheber durch die Weltentwicklung Vorzüge erwirbt, die er vorher nicht besitzt, so müßte man über dem Welturheber noch einen Urgrund annehmen, der dem Welturheber diese

Entwicklungsfähigkeit eingepflanzt habe.

Auch hat diese

Ansicht in sich etwas Befriedigendes; denn wir wissen aus

Erfahrung,

daß

menschliche Vernunft

eine Reihe von

11 Wirkungen hervorbringen kann, die in ihr allein begründet So hat die Annahme, daß der Weltgrund ein ver­

sind.

nünftiges Wesen sei, in der That etwas voraus vor jeder anderen Hypothese, wie schon dem AnaxagoraS einleuchtete.

Aber jede Hypothese Gewißheit.

giebt nur Wahrscheinlichkeit,

Die Annahme

keine

eines Unbekannten zur Er­

klärung eines Bekannten ist keine Erkenntnis dieses Un­ bekannten, sondern höchstens eine Aufforderung, ihn weiter zu suchen.

3.

Aber die Betrachtung der natürlichen Verände­

rungen zeigt uns noch andere, ganz eigentümliche Gebilde.

Gewisse Bewegungen bringen einheitliche Lebewesen hervor, welche an Wert alle mechanischen Vorgänge übertreffen. Der Kern eignet sich aus Erde, Luft, Regen die nötigen

Stoffe an, verarbeitet sie nach seinem Bedarf und gestaltet

sich dadurch zu Keim, Reis, Baum, und der letztere über­

trifft alle aufgewandten Stoffe an Wert.

Der tierische

Embryo verarbeitet die ihm zugeführten Stoffe also, daß

ein lebensfähiges Wesen entsteht, mit Sinnen zur Wahr­ nehmung, mit Organen zur Ernährung, mit Gliedern zur

Bewegung, mit Waffen zum Schutz oder zur Verteidigung. Der Begriff des

noch nicht Vorhandenen bestimmt das

Thun des Embryo; das vollendete Tier war das Modell, nach welchem er unbewußt gearbeitet hat, und das Produkt dieser Arbeit ist im Verhältnis zu den verbrauchten Stoffen

so wertvoll, daß wir die Erzielung desselben als Ursache

der ganzen Bewegung ansehen müssen nach Art mensch­ licher Zwecksetzung.

Diese Betrachtung ist nicht, wie Kant

meint, eine subjektive Verknüpfung an sich unzusammen­ hängender Vorgänge,

sondern nur das Nachdenken des

12 objektiv vorliegenden Zusammenhangs.

Wäre die teleo­

logische Betrachtung nur ein subjektives Schema, das wir an die Dinge heranbringen, dann wäre es auf alle Vor­ Nun ist aber diese Betrachtung bei

gänge anwendbar.

vielen Veränderungen ganz unanwendbar, während sie bei

andern sich mit unwiderstehlicher Evidenz aufdrängt :

ein

Beweis, daß der Zweckgedanke nicht in uns, sondern in

den Dingen liegt.

Kant freilich verlangt, um dies zuzu­

geben, zuvor den Nachweis, daß diese Wirkungen unmög­

lich allein durch zufälliges Zusammenwirken mechanischer

Ursachen hätten hervorgebracht werden können.

Aber hier

hat ihn die sonst so maßvolle Besonnenheit verlassen.

Wer

verlangt den Beweis, daß ein gotischer Dom nicht habe

entstehen können durch ein zufälliges Zusammenwerfen von Steinen?

eine Uhr

nicht durch ein blindes Zusammen­

treffen von Metallstücken?

Schon Cicero fragt mit Recht:

ist es möglich, daß die Annalen des Ennius durch eine Zusammenwürfelung der 21 Buchstaben entstanden sind?

Wer kann darauf Ja antworten, wenn er bei gesunder Überlegung ist? Wenn aber gewisse Dinge zweckmäßig handeln, ohne selbst den Zweck zu wissen, so muß der Weltgrund, dem sie ihr Dasein verdanken, diesen Zweck gesetzt und dieses Handeln daraufhin geordnet haben; d. h.

der Weltgrund ist zwecksetzendes Wesen und das ist der

teleologische Beweis.

„Mag man

das

eine

Hypothese

nennen", sagt Herbart (Einleitung in die Phil.),

Unterschiede

von

einer

„im

wissenschaftlichen Demonstration,

immer beruht sie auf Tatsachen, die stark genug sind, eine Überzeugung zu tragen".

Wenn aber die Zwecksetzung für gewisse Veränderungen

13 als wahr erwiesen ist, folgt daraus, daß alles Naturge­

schehen zweckmäßig geordnet sei? läufig annehmen als

ein

Wir mögen das vor­

heuristisches

Prinzip,

durch

welches wir die Welt zu verstehen suchen; wenn wir den

Nachweis liefern könnten, daß die Welt ein System von

Zwecken sei, welche alle auf einen letzten Zweck hinarbeiten,

dann würden wir eine vollkommene Welterklärung gegeben haben. liefern

Aber leider wegen

können wir

der Unendlichkeit

diesen Nachweis nicht der Aufgabe.

Welcher

irdische Geist überschaut den letzten Zweck alles Geschehens

und den Beitrag, den jeder einzelne Vorgang dazu liefert? Ja unsere Annahme wird vielfach erschüttert durch unbe­ greifliche, selbst zweckwidrige Vorgänge.

Ist der Zweck der

Welt das Glück der Geschöpfe, wie reimt sich damit Elend

und Tod?

Ist

der Zweck die Kultur der Menschheit,

warum tritt so oft Barbarei an Stelle früherer Kultur? Oder welchen Zweck man sonst annehmen will, immer sind

die Vorgänge, welche ihn hindern und vereiteln, zahllos. Wie viele sind an der Zweckmäßigkeit des Weltgeschehens irre geworden durch die Verheerungen, welche das Erd­

beben von Lissabon anrichtete! durch die Barbarei, welche der Sieg des Halbmonds über blühende Länder heraufge­

führt hat!

Zu schweigen von persönlichen bitteren Er­

fahrungen. Wir sehen also

in

der Welt einen Kampf zweier

Prinzipien, einen zwecksetzenden, ordnenden Geist, dessen

Gebilde aber durch rohe, brutale Gewalten vielfach ge­ hemmt oder zerstört werden.

Diese Thatsachen nötigen zu

dem Schluß, daß dem Weltgeschehen nicht ein einheitlicher Urheber, sondern ein doppeltes Prinzip zu Grunde liegt :

14 ein verständiger, zwecksetzender Bildner, der die ungefügen Kräfte sich einigermaßen dienstbar macht, ohne sie bis jetzt Und diese zwei widerstrebenden Prin­

völlig zu bändigen.

zipien auf eins zurückzuführen, dazu

giebt uns die allge­

meine Welterfahrung keine Möglichkeit

und kein Recht.

Kraft unsrer christlichen Erziehung sind wir bereit,

einen

allweisen und allmächtigen Gott vorauszusetzen, der seine Zwecke unbehindert durchführt, auch dann, wenn wir sie

nicht verstehen.

Aber dieser Glaube, der unsrer Beschränkt­

heit so wohl ansteht, beruht nicht auf unserer WelterkenntniS, sondern wenn wir ihn haben, so behaupten wir

ihn aller Erfahrung zum Trotz, aus anderen Gründen. Also ein zweckvolles Geschehen erkennen wir nur in

einem kleinen Kreise; darüber hinaus liegt das große Ge­ biet

des zwecklosen

oder

gar zweckwidrigen Geschehens.

Wir können daher den Beweis nicht erbringen, daß alles

Weltgeschehen durch einen einheitlichen zwecksetzenden Ur­ heber regiert werde.

gescheitert

Und damit ist unser erster Anlauf

Die Betrachtung der Welt giebt

uns eine

Vermutung, die durch manche Thatsachen unterstützt, durch andere

widerlegt

wird;

also

keine

gewisse Erkenntnis.

Wollte man aber auch hoffen, mit dem Fortschritt der Erkenntnis das Zweckwidrige nach und nach als zweckvoll zu begreifen, immer haben wir nur eine Hypothese über den Weltgrund, keine gewisse Erkenntnis Gottes.

Als

Leverrier aus gewissen Störungen im Laufe des Uranus auf das Dasein eines unbekannten Planeten schloß, war

dies eine wahrscheinliche Hypothese, aber nicht mehr.

Erst

als in Folge eifrigen Suchens Neptun entdeckt und so die

Hypothese durch die Erfahrung bestätigt wurde, da hatte

15 man eine gewisse Erkenntnis.

So haben wir eine Hypo­

these, aber nicht mehr; damit sie zur gewissen Erkenntnis

werde, muß die Erfahrung hinzukommen und die kann

hier leider nicht gegeben werden, denn Gott erfährt man Das ist der

nicht auf eine allgemein überzeugende Weise.

garstige breite Graben, über den wir nicht hinüber können;

wir haben einen Jkarusflug gewagt und erfahren, daß wir kraftlos am Boden liegen.

Was sollen wir thun?

sich beruhen lassen?

Die Frage als unlösbar auf

Es giebt viele wichtige Fragen, die

wir wohl aufwerfen, aber nicht beantworten können.

möchte

nicht wissen,

Geistern bewohnt sind?

ob

die Sterne

Und doch verzichten wir auf die

Antwort, weil sie unser Vermögen übersteigt.

hier auch verzichten?

Wer

von vernünftigen Wollen wir

Wir können es nicht, denn uns

treibt mehr als Wißbegierde, uns treibt ein Lebensinteresse.

Wir möchten den unbekannten Gott erkennen, nicht um

unsere Erkenntnis zu erweitern, sondern um ihn zu ver­ ehren, um uns seiner Gnade und Huld zu erfreuen und

nicht, wie die Athener, ins Ungewisse ihm Altäre zu er­

bauen. 4.

So wollen wir den zweiten Versuch wagen. War vielleicht

unser erster Versuch so verkehrt

angestellt, daß er mißlingen mußte?

Erst stellten wir

uns einen unbekannten Gott außerhalb und hinter der

Welt vor,

dann

suchten wir sein Wesen

aus Welter­

fahrungen zu erschließen, zuletzt erklärten wir diese Schlüsse für bloße Hypothesen, weil die unmittelbare Erfahrung

des Gottes fehle, den wir erschlossen hatten.

Und eben

diese Erfahrung ist doch nach unserer eigenen Voraus-

16 setzung nicht möglich, weil dieser Gott ja außerhalb der

Welt d. h. über alle Erfahrung sein soll.

Um Gott zu

erkennen, müssen wir in der Welt bleiben : wenn wir ihn

da nicht finden, außerhalb der Welt werden wir ihn nie finden.

Das ist der richtige Grundgedanke, den die Spe­

kulation dem Dualismus Kants entgegen setzte.

Wie?

gebildet

Gott

aus

nur eine

wäre

dem Bedürfnis

Idee vom Menschen

nach Totalität

der Be­

dingungen, während doch sein Wesen verborgen bleibt?

Die

Sache

verhält

sich

gerade

umgekehrt,

die

Welt

als ein Ganzes ist zuerst; die Dinge sind nicht eine zu­ fällige Menge, ein zusammengewürfelter Haufen, den wir

erst ordnen müßten; sondern eine engverbundene Einheit, ein abgeschlossenes System, die sichtbare Darstellung des

unsichtbaren Weltgrundes.

Wir aber können diese Totali­

tät nicht in einer Anschauung auffassen; unsre Beschränkt­ heit nötigt uns, die Dinge zu zerlegen, wie ein Kind den

Satz seiner Fibel in Wörter, Silben, Buchstaben zerlegt,

um dann durch langsames Zusammensetzen nach und nach

die Anschauungen und Gedanken zu begreifen. scheiden wir zunächst

So unter­

uns selbst als Subjekt von allem

andern als den Objekten, wir isolieren uns; dann scheiden wir die Objekte nach Raum, Zeit, Merkmalen, um sie

hernach durch höhere Begriffe, durch Kategorien wieder zu verbinden.

Dabei stellen

wir nur den Zusammenhang

wieder her, den wir zuerst zerrissen hatten.

Aber nicht

nur ist die Einheit der Dinge das erste, sondern auch das Bewußtsein

dieser Einheit geht der

zergliedernden

Reflexion voraus und hat längst in religvsen Anschauungen

ihren Ausdruck gefunden, ehe das Zergliedern anfängt.

17 Ulrici sagt

mit Recht (Gott u. Natur S. 605) : keine

Reflexion hat zur Annahme eines Gottes geführt, sondern die Vorstellung einer göttlichen Macht hinter den Erschei­ nungen ist eine ursprüngliche Überzeugung, die nur mit bestimmten

Erscheinungen

in

Verbindung

gesetzt

wird.

Wie ein anderer Mensch nicht nur sinnlich auf mich wirkt, sondern durch die Summe der Einzelwirkungen sein Geist mir erkennbar wird, so erkenne ich im irdischen Geschehen

den darin waltenden Geist. Dies ist noch keine Erkennt­ nis Gottes, aber Überzeugung von seinem Dasein." —

Aber die Spekulation fordert einen weiteren Schritt. stellen

Wir

zwar den Zusammenhang der Welt wieder her,

wenn wir sie als Manifestation des einen Gottes betrach­

ten; aber wir selbst bleiben in der Isolierung des Ichbe­ wußtseins.

Wenn wir diese Spaltung zwischen dem Ich

und dem Andern überwinden, wenn wir aus dem Zustande

der isolierten Reflexion zurückkehren in den mütterlichen Schoß der Einheit, aus der wir uns losgerissen haben, dann erkennen wir Gott, indem wir mit ihm eins werden.

So lehrt Hegel (Beweise für das Dasein Gottes § 5) : „Jedes Erkennen stellt sich Gott gegenüber, ist also ein­

seitig. hebt

des

Die Erhebung

subjektiven Geistes zu Gott

auf."

diese Einseitigkeit

Weiter

(Religionsphilos.

S. 151) : „Solange ich Gott als jenseits, außer mir denke,

begrenze ich ihn; erst

wenn ich Gott und mein Bewußt­

sein als eins setze, mich als Moment in dem Prozeß Gottes weiß, ist die Religion vollendet."

Daher giebt er

dem kosmologischen Beweis folgende Fassung : „Das Sein

alles Endlichen ist nicht eignes Sein, sondern Dasein des

Unendlichen.

So

tritt

an

die Stelle

eines logischen

2

18 Schlusses der reale Übergang ins Jntelligible, die religiöse Erhebung. Der alte kosmologisch« Beweis stellt das Zufällige dem Notwendigen gleich; der reale Übergang von Geist zu Geist, das ist der wahre kosmologische Beweis."

Aber mit dem Aufheben des Unterschiedes von Sub­

jekt und Objekt ist alle Erkenntnis aufgehoben, die auf diesem Unterschied beruht, an ihre Stelle tritt ein unklares Vergessen

aller Unterschiede oder

Enthusiasmus.

ein gottheitstrunkener

Das giebt Schleiermacher, der den speku­

lativen Pantheismus nie abgestreift hat, ausdrücklich zu, wenn er behauptet : das Absolute lasse sich nicht erkennen,

weil es über dem Gegensatz von Subjekt und Objekt stehe;

es

gebe nur eine unmittelbare Gewißheit darüber durch

das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl.

In diesem Gefühl

soll eine Verschmelzung des Ich mit dem Absoluten gesetzt

sein, aber indem wir zum Bewußtsein derselben kommen,

unterscheiden wir uns vom Absoluten und schauen es mit Hülfe der Phantasie in Bildern an, die aus der sinnlichen

Erfahrung

genommen

und

deshalb

unzutreffend

sind.

Aber dann ist Erkenntnis Gottes subjektiv unmöglich; denn

erkennen kann ich nur ein Objekt; indem ich aber Gott als solches vorstelle, habe ich ihn schon verloren.

Ich kann

ihn nur finden durch jenes dunkle Gefühl, das jenseits

meines persönlichen Bewußtseins liegt und sich deshalb der begrifflichen Fassung entzieht.

Aber auch objektiv er-

llärt die Spekulation den Gott, den sie in der Welt erfassen will, für unerkennbar; denn er ist zwar der reale Grund alles Seins, aber selbst nichts von allem Seienden.

Er ist

der Grund aller denkenden und ausgedehnten Wesen, aber

selbst keins von beiden; er kann nur als das nackte Sein

19 bezeichnet werden ohne jede Qualität, welches alles Seiende aus sich heraussetzt und von dem daher alles abhängig ist.

So lehrt Schleiermacher : alles Empirische sei zu­ sammengesetzt aus Idealem und Realem,

Vernunft und

Sein; das eine lasse sich nicht aus dem andern ableiten;

aber die Harmonie beider nötige uns, einen gemeinsamen Grund

beider vorauszusetzen,

sei : das absolute Sein.

der aber keins von beiden

Ob man sich dieses als Person

vorstelle oder als die über alle Persönlichkeit hinausgestellte Notwendigkeit, die alles Sein produziere, immer bleibe es

ein unzureichender Versuch, die Gottheit vorzustellen, die wir im absoluten Abhängigkeitsgefühl erfahren.

Wie wenig hält diese Spekulation, was sie verspricht : sie verwirft den Dualismus, um uns Gott in der Welt er­

kennen zu lassen; dafür erklärt sie Gott aus objektiven und

subjektiven Gründen für unerkennbar und setzt an

die Stelle der Erkenntnis einen begrifflosen Enthusiasmus. Diese Spekulation ist

ebenso wertlos, wie schädlich.

Sie

hat statt besonnener Forschung willkürliche Phantasie an­

gespannt, um aus dem unbekannten Sein die Weltbewegung

abzuleiten, sei es als Produkt physischer Potenzen, sei es zu zwecklosem Spiel oder zur Selbstvollendung des Absolu­ ten.

So hat sie nach Herbarts treffendem Ausdruck die

Wasser der Poesie in das Bett der Philosophie geleitet und

mythologische Einfälle für wissenschaftliche Erkenntnis aus­ gegeben.

Sie hat die Energie des sittlichen Willens ge­

lähmt und ein träumerisches, genußreiches Dasein befördert, mochte sie nun das individuelle Dasein als Elend und Ab­

fall begreifen, das baldigst abzustreifen ist, oder mochte sie

ihm einen vorübergehenden Wert beilegen.

Vor allem aber 2*

20 hat sie die Frömmigkeit geschädigt; denn wenn das Indi­ viduum sich selbst zum absoluten Geist aufbläht, so macht

es sich zum Götzen und verfällt in die schlimmste Art des Hochmuts.

5.

Dennoch hat die Spekulation darin Recht, daß

wir Gott in der Welt finden müssen.

Wir finden da zwei

Arten des Seins : bewußtloses und bewußtes Sein; Na­ turleben und Geistesleben in der Menschheit.

Letzteres gestaltet sich zunächst als Gemeingeist in Fa­

milie und Volk aus durch Sitte und Gesetz, durch Kultus und Kunstübung.

Bei vielen Völkern bleibt der indivi­

duelle Geist unter diesen Gemeingeist gebunden und damit ist jede Entwicklung abgeschnitten; denn diese erfolgt nur, wenn der individuelle Geist sich gegen die Ordnungen des

Gemeingeistes auflehnt.

Wo aber dies geschieht, da ent­

wickelt sich aus dem Volksgeist das persönliche Geistesleben.

Und zwar erfolgt diese Auflehnung in dreifacher Weise. Der einzelne nimmt Anstoß an den überlieferten Vorstel­

lungen des Volksgeistes, er vergleicht sie unter sich oder mit andern Beobachtungen und ändert sie ab : der An­

fang der Wissenschaft.

Oder der einzelne löst sich von

der hergebrachten Kunstübung und bildet sie um nach ei­ nem eignen Bild der Schönheit : der Anfang der Kunst. Oder der einzelne nimmt Anstoß an herrschenden Sitten

und gültigen Gesetzen; ihm geht ein Begriff des guten

Handelns auf, nach welchem er sein Leben gestaltet : der

Anfang der

persönlichen Sittlichkeit.

Damit erhebt sich

der Mensch aus der Verflochtenheit in das Naturleben, aus den Banden des Familien- und Volkslebens. Person und führt ein persönliches Innenleben.

Er wird

Indem

21 er die Welt denkend sich aneignet, sammelt er einen Schatz

von Wahrheit, der ihn von der Umgebung unabhängig macht; indem er seine Umgebung und sein eignes Natur­ leben ordnet nach eigenen Grundsätzen, wirkt er schöpferisch und erlangt eine persönliche Macht über die Natur.

ist das Wesen der Persönlichkeit.

Das

Jeder ist nicht von selbst

Person, sondern wird es durch Bethätigung des sittlichen

Willens und in dem Maße, als es ihm gelingt, sein Leben einheitlich auSzugestalten und von dem passiven Bestimmt­ werden durch Natur und Umgebung sich frei zu machen. Bei keinem Volke bemerken wir den Fortschritt zur Persönlichkeit so deutlich, wie beim griechischen Volk.

ältesten Philosophen erheben

sich aus

den

Die

überlieferten

Vorstellungen zur denkenden Welterklärung; die Künstler

gestalten die alten Götterbilder zu idealer Schönheit um; endlich

aber erachten die Weltweisen seit Sokrates es für

ihre Aufgabe, ihre Schüler zum guten Handeln, zur sitt­ lichen Persönlichkeit zu bilden.

Das Wahre, Schöne und

Gute ist das Ziel des Personlebens; Wissenschaft, Kunst und Sittlichkeit das Gebiet seiner Bethätigung nach PlatoS Aufstellung und nur der ist tüchtig, welcher sein Leben

einheitlich p. 519.)

nach

diesem Ziele

gestaltet,

(republ. VII,

„Die sind weder bei Leitung des Staates noch

in der Erziehung zu gebrauchen, welche nicht in ihrem

Leben ein einheitliches Ziel haben,

das sie beständig im

Auge halten bei allem, was sie thun, es sei im Hause oder in der Öffentlichkeit." Wer so zum persönlichen Fürsichsein gelangt ist, daß

er sein Leben nach dem einheitlichen Zweck des Guten ordnet, der erfährt,

daß dies persönliche Leben wertvoller

22 ist als daS Naturleben und hat darin den Beweis, daß das

ganze Natursein nur Voraussetzung und Mittel zu diesem

Zweck ist.

Darin ist aber die Erkenntnis enthalten, daß

der Welturheber diesen Zweck beabsichtigt hat, d. h. daß

er zielbewußter, guter Wille ist.

Wo daS Personleben nur

in Reflexion über die Weltveränderungen besteht, da kann man beim rotierenden Feuerball stehen bleiben, in dem die

Keime alles Werdenden beschlossen sind oder man mag ein

Geistwesen mit unbewußtem Kunsttrieb postulieren; beides

Wer aber den

sind Hülfshhpothesen zur Welterklärung.

Wert deS Personlebenö im guten Willen erfahren hat, der erkennt darin den Zweck des ganzen Daseins und damit

den Urheber der Welt als zwecksetzenden, guten Willen d. h. als Gott; denn eine blinde Naturkraft, ein träumerisches Geistwesen kann nicht Gott genannt werden.

Was der

kosmologische Beweis wahrscheinlich machte, daß der Welt­ urheber ein selbstmächtiges, vernünftiges Wesen sei, was

der teleologische Beweis uns nahe legte,

trotz mancher

entgegenstehender Erfahrung, daß er zwecksetzender Wille

sei, daS wird uns durch die Erfahrung des sittlich-guten Personlebens zur Gewißheit; denn das sittlich Gute kann

nicht durch Zufall entstehen.

Und dadurch bekommt die

teleologische Betrachtung ihren Inhalt.

Denn wie viel­

fach sich auch die Zweckmäßigkeit einzelner Gebilde auf­ drängte, immer scheiterte diese Betrachtung an der Frage :

welches ist denn der letzte Zweck all dieser Naturgebilde? Auf diese Frage kann die Naturerkenntnis keine Antwort geben, weil dieser Zweck über die Natur hinaus liegen

muß, und dadurch wurde wieder in Frage gestellt.

die ganze Betrachtung

Die sittlich gute Person kennt diesen

23 Zweck, denn sie hat seine Verwirklichung an sich erfahren

und weiß dadurch, daß der Urheber der Natur über die

Natur erhaben,

d. h. mächtiger,

zwecksetzender,

guter

Wille ist. Diese Gotteserkenntnis läßt sich nicht durch sinnliche

oder logische Gründe erweisen; wer den Wert des guten Personlebens in sich nicht erfährt, dem bleibt sie verborgen. Daher finden wir bei allen Weltweisen von ernster Sitt­ lichkeit eine ungezweifelte Gottesüberzeugung; das Maß der Sittlichkeit ist das Maß der Gotteserkenntnis. Über

alle ragt um Haupteslänge hervor der unsterbliche Plato. Ihm sind die Ideen das Bleibende und Wertvolle in der

Flucht der Erscheinungen; die höchste Idee, der Grund aller anderen, ist Gott, der sie in sich zusammenfaßt.

„Es

ist dem Weisen unanständig anzunehmen, daß alles wie

zufällig aus dem Körperlichen entstehe, sondern sich selbst ehrend muß er die Vernunft für das Höchste und für die

größte Kraft halten und daher alles aus der vernünftigen

und göttlichen Ursache ableiten (Sophist S. 248).

In­

sonderheit ist Gott das Schöne und Gute, nach welchem strebend der Sterbliche an dem wahren Sein Teil hat

(Phädrus 246).

Wie die Sonne nicht nur bewirkt, daß

wir sehen, sondern auch, daß alles wächst und gedeiht, so

bewirkt das Gute nicht nur, daß wir es erkennen, sondern daß wir gut werden (republ. VI 506).

Die gleiche Beobachtung machen wir bei den Stoikern, wie folgende Sätze des Epictet zeigen :

Unser Glück besteht nicht in dem, was nicht in unsrer Gewalt ist, den irdischen Gütern, sondern in dem, was in

unsrer Gewalt ist: unsern Vorstellungen und Strebungen.

24 Alles, was dir äußerlich begegnet, ist weder gut noch böse,

darf also deine Seele nicht bewegen.

Nur dein Wille ist

gut, daher mußt du die Seele reinigen.

Deshalb wird

der Gute das Leben nicht unerträglich finden, sich über

niemand

beschweren, weder

Götter.

Gott ist gut und hat alles so eingerichtet, wie

es zu unserm Besten ist.

über Menschen

noch

über

Wollen wir nichts anderes, als

was Gott will, so sind wir wahrhaft frei und alles ge­ schieht nach unserm Willen.

Dies ist das Maß der Gotteserkenntnis, welches von Heiden, allerdings nur in einzelnen Fällen erreicht ist.

daß sie seine ewige Kraft

Auch Paulus bestätigt,

und

Gottheit ersehen nicht nur aus den Werken der Schöpfung, sondern mehr noch aus dem Gewissen, welches bezeugt,

daß Gottes Gesetz geschrieben sei in ihren Herzen (Röm.

2, 15).

Diese natürliche Gotteserkenntnis ist die Voraus­

setzung des Evangeliums, denn ich kann das Neue, welches das Evangelium von Gott verkündet, gar nicht verstehen,

wenn ich nicht zuvor einen Begriff von Gott habe; darum

knüpft auch Paulus zu Athen seine Heilspredigt an die

natürliche Gotteserkenntnis an (Act. 17, 23). Es ist ein großes Verdienst Kants, und darin darf

er dem Sokrates verglichen werden, daß er die Gotteser­ kenntnis

dem Gebiet

entnommen

und

des

wieder

interesselosen Naturerkennen«

auf

den

sittlichen Willen

ge­

In der Natur können wir weder einen

gründet hat.

allgemeinen Endzweck nachweisen noch führt die Naturbe­

trachtung auf einen über die Natur hinausliegenden End­ zweck.

Aber da tritt der Wert des Menschen ein : der

gute Wille

ist

daS allein Wertvolle

und darum End-

25 zweck alles Seins.

gesetzgebend

Deshalb muß

sein und als

und heilig gedacht werden

das oberste

allmächtig,

Prinzip

allwissend, ewig

(Kr. d. Urteilskr. S. 405 ff.).

Hier bekommt die teleologische Weltbetrachtung ihren In­ halt.

Die Organismen waren

wirkende Gebilde

als in sich

erkannt worden;

Zweck der Organismen?

zweckmäßig

aber welches ist der

Die Naturbetrachtung kann nur

irdisches Wohlbefinden angeben und in der That hat man

versucht, die ganze Moral als ein Mittel zu diesem Zwecke zu verstehen.

Die beiden obersten Gebote, das der Selbst­

beherrschung und der Nächstenliebe, dienen allerdings auch dem irdischen Wohlergehn; die zügellose Begierde stiftet

Unheil und die Verletzung der Nächstenliebe Unfrieden und Streit.

Dann wäre das Gewissen nichts anders als

eine durch das unmittelbare Bewußtsein von diesem Zu­

sammenhang gestellte Forderung der Vernunft.

Aber wenn

irdisches Wohlsein der höchste Zweck wäre, wie könnte ich mein und anderer Leben und Wohl der Moral nachsetzen und doch fordert die sittliche Pflicht das unbedingt.

Diese

souveräne Macht der Moral, welche Achtung und Ge­

horsam dem freien Willen abnvtigt, welche jedes Opfer fordert, nicht als ein besonderes Verdienst, sondern als

einfache Pflicht, hat Kant in seiner schlichten und darum ergreifenden Weise dem positiven Aufbau seiner Welter­

kenntnis zu Grunde gelegt.

Hier ist der feste Punkt, der

nicht wankt, nachdem er alle anderen Grundlagen der

Welterkenntnis kritisch erschüttert hat. „Pflicht! du erhabener großer Name, der du nichts beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst; doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im

26

Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen,

sondern bloß ein Gesetz aufstellest, welches von selbst im Gemüte Eingang findet und doch sich selbst wider Willen

Verehrung, wenngleich nicht immer Befolgung erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich im

Geheim ihm entgegenwirken, welches ist der deiner wür­

dige Ursprung?" (Prakt. B. S. 154).

Er findet den Grund

für die Hoheit der Pflicht in der intelligiblen Persönlichkeit,

welche, unabhängig

von dem ganzen Mechanismus der

Natur, kraft eigner Vernunftgesetze die empirische Person

Aber den nächstliegenden Weg zur Erkenntnis

beherrscht.

Gottes, daß nämlich der Welturheber diese Entwicklung

von

der empirischen zur

sittlichen Persönlichkeit

sowohl

durch den Naturmechanismus ermöglicht wie bezweckt habe, den verschmäht Kant, von der Überzeugung geleitet, daß

die Kategorien der Ursache und des Zwecks nicht über die Sinneserfahrung hinaus anwendbar sind.

Er macht des­

halb einen Umweg zu diesem Ziele. Wir sind so organisiert, daß wir sowohl nach Moralität wie nach Glückseligkeit streben : die auf moralischer Wür­

digkeit beruhende Glückseligkeit ist das höchste Gut. Glück­ seligkeit beruht auf Übereinstimmung der Natur mit unsern

Zwecken.

Nun hängt zwar unsre Moralität von unsrer

Freiheit ab; aber wir sind nicht die Urheber der Natur

und können

den

Zusammenhang

Glückseligkeit nicht herstellen.

zwischen Moral

und

Darum postulieren wir ein

über die Natur erhabenes Wesen, welches diesen Zusammen­

hang garantiert; welches also gut und allmächtig ist und das ist Gott (prakt. Ver. S. 223, Urteilskraft Teil II).

Gegen diesen Beweis wendet Herbart mit Recht ein ;

27 der Sieg der Moral ist ein achtungswerter Wunsch, aber keine Thatsache, aus der ich Schlüsse ziehen kann, sondern diese Überzeugung muß selbst erst begründet werden. Und

ebenso wenig beweist mein Verlangen nach Glückseligkeit,

daß

es werde befriedigt werden.

Kein Mensch erkennt

Gott daraus, weil er vorher seiner Glückseligkeit gewiß ist, sondern kann umgekehrt derselben erst gewiß sein, nach­

dem er Gott erkannt hat.

Der so begründete Gottesglaube

bleibt allerdings ein unerweisliches Postulat, ist keine Er­

Aber Kants Behauptung, daß Kausalität und

kenntnis.

Zweck nicht über

die sinnliche Erfahrung hinausreichen

und subjektive Kategorien seien, ist falsch;

dem

wider­

spricht schon seine eigene Voraussetzung, daß die Dinge

an sich reale Ursachen der Veränderung

welche uns als Wahrnehmung

in

uns seien,

bewußt wird.

So haben

wir, nachdem wir den Wert der sittlichen Persönlichkeit

kennen, darin die Gewißheit, daß sie der Zweck des WeltdaseinS ist; daß also der Welturheber diesen Zweck gesetzt hat, d. h. daß er allmächtiger, zwecksetzender guter Wille ist und darauf bauen wir die Überzeugung von dem end­ lichen Sieg der Moral und schließlichen Glückseligkeit.

Diese Erkenntnis Gottes ist keine uneigentliche oder

bildliche, sondern eine seinem Wesen entsprechende. bewegt sich

hier

in

einem

Kant

merkwürdigen Widerspruch.

Einerseits bekommt unsre Vernunft durch das praktische Gesetz, welches die Verwirklichung des höchsten Gutes in

der Welt fordert, einen Zuwachs an Erkenntnis, indem der sonst

problematische Begriff Gott dadurch assertorisch

wird, d. h.

zu einem solchen, dem ein Objekt zukommt;

aber nur dies leistet die praktische Vernunft, daß jener

28 Begriff real ist und sein Objekt hat; dagegen eine An­ schauung desselben gebe er nicht (prost. Ver. S. 242). Wir erkennen also nur, daß Gott ist, nicht was Gott

ist.

Aber wenn ich erkenne, daß Gott etwas durchsetzen

will, so erkenne ich ihn als intelligenten Willen; wenn ich erkenne, daß dieser Zweck gut ist, so erkenne ich damit

Gott als guten Willen.

Das ist in der That eine Er­

weiterung meiner Erkenntnis, die ich aus der'Naturbe­

trachtung nicht schöpfe.

Allerdings ist diese Erkenntnis

nicht anschaulich, sondern ein Denken durch Begriffe ohne Anschauung.

es giebt auch Erkennen ohne An­

Aber

schauung; letztere findet nur bei räumlichen Dingen statt, geistige Dinge, die eigene Seele, die Seelen anderer, Gott,

erkenne ich nur aus den Wirkungen, die sie hervorbringen und doch ist das eine wirkliche Erkenntnis derselben. also Kant meint : erkennen,

Wenn

„da wir Gott als moralisches Wesen

so müssen

wir bei ihm Verstand und Wille

voraussetzen, aber einen Verstand, der nicht denkt, sondern

anschaut, einen Willen, der auf Gegenstände gerichtet ist,

von deren Existenz seine Zufriedenheit nicht im mindesten abhängt" (prakt. V. S. 247), so hat er vollkommen Recht; wenn er aber weiter behauptet, „von diesen Eigenschaften

könnten wir uns gar keinen Begriff, zum Erkenntnis des Gegenstandes tauglich machen" (S. 248), so setzt er voraus, daß Erkenntnis eines Objekts nur durch empirische Er­ fahrung möglich sei, was doch nur bei Naturwesen zutrifft.

Bei Gott ist uns letztere versagt, wir erkennen ihn aber

aus den moralischen Wirkungen, die wir an uns erfahren haben. Das scheint auch Kant an anderer Stelle zuzugeben

29 (Urteilest. S. 461).

„Die Bestimmung des Begriffes

Gott kann nur durch Prädikate geschehen, die ob sie gleich

selbst nur aus einem übersinnlichen Grunde möglich sind, dennoch in der Erfahrung ihre Realität beweisen

Dergleichen ist nun der einzige in der menschlichen Ver­ nunft anzutreffende Begriff der Freiheit des Menschen

unter moralischen Gesetzen .... so daß eben aus dieser Idee auf die Existenz und Beschaffenheit jenes sonst gänz­

lich für uns verborgenen Wesens geschlossen werden kann." Erkenne ich also den moralischen Charakter der Menschen

als den vom Weltgrunde gewollten Zweck, so ist der Welt­

grund thatkräftiger Wille, der moralische Zwecke setzt und Mittel schafft sie auszuführen; er ist also selbstmächtiger,

guter, zweckmäßig wirkender Wille.

Das ist dann keine

subjektive Vermutung oder menschliche Anschauung, sondern objektive Wahrheit,

deren Thatbeweis

meine moralische

Persönlichkeit selbst liefert; ja, jener ist realer als ich, da

er mir erst zur Realität verholfen hat.

Nun kennen wir aus der Erfahrung nur ein Wesen, das des guten zielbewußten Willens fähig ist : die mensch­

liche Person.

Es fragt sich, ob wir Gott auch Person

nennen dürfen?

Die menschliche Person ist zeitlich und

endlich, nur im Gegensatz zu einem Nichtich kommt sie zum

Bewußtsein des Ich und seiner sittlichen Aufgabe; nur durch Überwindung der Hindernisse in Natur und Um­ gebung bildet sie ihren Charakter, nur in beschränktem Umfang nimmt sie das Weltdasein in sich auf und wirkt

bestimmend auf dasselbe ein.

Wenn diese Beschränktheit

dem Personbegriff wesentlich

ist, wenn er des anderen

bedarf, dann ist Gott nicht Person.

Aber diese Beschränkt-

30 heit ist nur wesentlich für die werdende Person.

Je mehr

der persönliche Charakter sich entwickelt, um so reicher wird

er in sich selbst, um so unabhängiger wird er von seiner Umgebung, um so kräftiger bestimmt er dieselbe.

Daher

setzen wir mit Lotze richtiger das Wesen der Person in das bewußte Fürsichsein, das mit Freiheit aus sich heraustritt.

Er sagt (Mikrokosmus III, S. 579) : Gelöstheit, das Wesen aller Persönlichkeit beruht nicht auf der Entgegen­

setzung des Ich gegen ein Nichtich, sondern besteht in einem unmittelbaren Fürsichsein, welches umgekehrt den Grund

der Möglichkeit jenes Gegensatzes, wo er auftritt, bildet. Selbstbewußtsein ist die durch die Mittel der Erkenntnis

zu Stande gekommene Deutung dieses Fürsichseins und auch diese ist keineswegs notwendig an die Unterscheidung des Ich von einem substantiell ihm gegenüberstehenden

Nichtich gebenden.

In der Natur des endlichen Geistes

als solchen liegt der Grund, daß die Entwicklung seines persönlichen Bewußtseins nur

durch Einwirkungen

des

Weltganzen, welches er nicht ist, also durch Anregung des

Nichtich geschehen kann,.... diese Beschränkung begegnet uns nicht in dem Wesen des Unendlichen; ihm allein ist deshalb ein Fürsichsein

möglich, welches weder der Ein­

leitung noch der fortdauernden Entwicklung durch etwas

bedarf, was nicht es selbst ist

Vollkommene Per­

sönlichkeit ist nur in Gott, allen endlichen Geistern nur

eine schwache Nachahmung derselben beschieden; die End­ lichkeit des Endlichen ist nicht eine erzeugende Bedingung

für sie, sondern eine hindernde Schranke ihrer Ausbildung.

Freilich will du Bois-Rehmond die Erlaubnis, Gott als Person zu fassen, von dem vorherigen Nachweis eines

31 dem geistigen Vermögen solcher Seele entsprechenden Con­ volutes von Ganglienzellen und Nervenfasern (Reden I. 129)

abhängig machen; da nach unsrer Erfahrung Denken an Gehirn, Willensäußerung an Nerven

gebunden sei.

Es

ist begreiflich, daß dem Naturforscher die Naturkräfte und

der bewußte Wille gleichartige Größen sind, sofern beide

sichtbare Veränderungen hervorbringen und daß die Gott­ heit ihm nur eine der möglichen Hypothesen zur Natur­

erklärung ist.

Dabei bleibt es denn unvermeidlich, daß er

diesen Gott nach Art einer sinnlichen, endlichen Person

neben andern vorstellt und ihn aus der Abhängigkeit von

Natursein nicht frei machen kann.

Wir aber unterscheiden

den Wert des Geschehens.

Eine gute That ist wertvoller

als alles Naturgeschehen;

darum ist das gute Handeln

Zweck

alles Naturgeschehens

und der Weltgrund selbst

guter Wille, der, erhaben über alles Natursein alles Natur­

geschehen zur Hervorbringung guter Persönlichkeiten geord­ net hat.

Ob es noch eine höhere Form des guten Willens

gebe als die Persönlichkeit, ist uns ebenso unbekannt, wie die vierte Dimension

des Raumes.

Eben deshalb wird

jeder Versuch, Gott nicht als Person zu denken, dahin

führen, ihn zur bewußtlosen Substanz oder unbewußten

Naturkraft zu degradieren, oder wer dies ernstlich vermeiden will, wie Biedermann, wird sich immer wieder auf der ab­ gelehnten Vorstellung betreffen lassen.

6. So hätten

wir

denn

Gott

als selbstmächtige,

zwecksetzende, thatkräftige, gute Persönlichkeit erkannt, welche

das Naturleben geordnet hat, damit moralisch gute Persön­ lichkeiten sich bilden.

Haben wir damit unser Ziel erreicht

und Gott erkannt? Eins fehlt uns noch, aber das Wich-

32 tigste : was ist denn das Gute, das die Einheit des mora­ lischen Charakters bilden soll? Diese Frage ist noch gar

nicht aufgeworfen, viel weniger beantwortet worden ; nur daS eine haben wir festgestellt, daß das Gute etwas andres ist als irdische Glückseligkeit.

Aber was ist eS denn? Plato

untersucht wiederholt den Begriff des Guten, ohne zu einer deutlichen Bestimmung zu kommen.

Er unterscheidet

(int GorgiaS) das Gute von dem Angenehmen und von Macht

und Besitz.

ES

besteht in einer Ordnung des

Handelns, welche wir Tugend nennen.

Wer diese Ordnung

einhält, ist besonnen; also besteht das Gutsein in der Be­ sonnenheit, während, der Zügellose schlecht ist.

Aber das

alles sind formale Bestimmungen; welche Ordnung des

Handelns gut sei, wird nicht weiter erklärt; Plato braucht

dafür nur die Ausdrücke : das Schickliche, das was sich gegen Götter und Menschen geziemet.

Aristoteles beschreibt

in der Nikomachischen Ethik die Tugend als die durch Übung erworbene Fertigkeit den rechten Mittelweg zwischen

entgegengesetzten Extremen

einzuhalten.

Aber nicht nur

die alten, auch die neuen Philosophen haben sich bisher vergeblich bemüht, den Begriff des Guten zu bestimmen.

Kant selbst dreht sich in einem Kreise von formalen Be­ stimmungen herum.

Zunächst behauptet er : alle prat

tischen Grundsätze, die ein Objekt voraussetzen, sind em­ pirisch und darum nicht geeignet zu moralischen Gesetzen,

weil alle Objekte Lust oder Unlust erwecken und also die

Selbstliebe erregen, welche das Gegenteil von Moralität

ist.

ES bleibt also nur die Form des allgemeinen Gesetzes,

aus welcher ich die Moralität eines Grundsatzes erkenne. „Handle nach solchen Maximen, welche geeignet sind all-

33 gemeine Gesetze zu werden."

Hieran haben wir gar kein

moralisches Prinzip, sondern nur einen Prüfstein, an welchem

sich daS Gute erkennen läßt.

Aber dieser Prüfstein ist gar

nicht apriorisch, sondern empirisch; denn daß ich überhaupt handeln soll und daß eine Anzahl Vernunftwesen zu ge­

meinschaftlichem Handeln verbunden sind, weiß ich nicht a priori, sondern aus Erfahrung;

welche Grundsätze zu

allgemeinen Gesetzen für diese Gemeinschaft geeignet sind,

beurteile ich ebenfalls nur nach Erfahrung. besehen ist dieser Prüfstein

ich dürfe

ein

Ja bei Licht

sogar egoistisch.

Kant sagt,

anvertrautes Depositum nicht ableugnen,

weil, wenn dies allgemeines Gesetz wäre, niemand mehr ein Depositum inachen würde.

Also um mich des Vorteils

nicht zu berauben, gelegentlich ein Depositum machen zu können, soll ich den Grundsatz befolgen, ein anvertrautes

Depositum zurückzugeben und das ist eine egoistische Erwä­ gung.

DaS wird besonders deutlich aus folgender Begrün­

dung (Met. der Tugendlehre § 30) : „Jeder Mensch, der sich in Not befindet, wünscht, daß ihm geholfen werde.

Wenn

er aber seine Maxime, andern wiederum in ihrer Not nicht

Beistand leisten zu wollen, laut werden ließe d. h. sie zum all­

gemeinen Erlaubnisgesetz machte, so würde ihm, wenn er in Not ist, jedermann gleichfalls seinen Beistand versagen." Also die moralischen Gesetze beruhen auf stiller Voraussetzung

der Gegenseitigkeit und damit wird der Egoismus wieder eingelassen, der vorher so entschieden herausgewiesen war.

Später hören wir : „Behandle andre Personen nie

So fragen

als Mittel, sondern als Zweck an sich selbst."

wir : welches ist denn der Selbstzweck der andern?

und

wieder empfangen wir die Antwort : daß sie frei von der

3

34 Sinnlichkeit

nach

dem Moralischen Gesetze

leben.

Da

sind wir wieder bei der ersten Frage nach dem moralischen

Gesetze angelangt und also durch lauter formale Bestim­

mungen im Kreise herumgeführt. Ihm folgt I. G. Fichte (System der Sittenlehre), wenn er

lehrt : das Gute

gegenüber

Ich

aller

ist die Selbständigkeit des

Naturbcstimmung.

Das ist

eine

negative Bestimmung; die positive lautet: Pflichterfüllung, aber ohne Angabe des Inhalts der Pflicht.

Erst in feinet

späteren Periode bezeichnet er das Heilige, Schöne und

Gute als Zweck des sittlichen Handelns. Schopenhauer, um den formalen Bestimmungen einen

Inhalt zu geben, nennt als obersten Grundsatz sittlichen

Handelns : neminem laede, imo quantum potes juva. Aber dies Prinzip ist zu eng, da die Pflicht der Mäßig­ keit und Keuschheit daraus nicht abgeleitet werden kann;

und auch zu unbestimmt; denn ich frage wieder : welcher

ist der Zweck des Nächsten, den ich fördern soll? Solange aber der Begriff des Guten nicht llar ist, ist die erstrebte Güte des Willens und die Einheit der

sittlichen Persönlichkeit nicht zu erreichen; damit wird aber unsrer Gotteserkenntnis

die sichere Grundlage entzogen.

Nun behauptet man zwar, was gut sei, das wisse

jeder unmittelbar, kraft des Gewissens und bedürfe des­ halb keiner begrifflichen Bestimmung.

Kant selbst sagt

(prakt. Vern. S. 277) : „Wenn man fragt, was

denn

eigentlich die reine Sittlichkeit ist, an der als dem Probe­ metall

man jeder Handlung moralischen Gehalt prüfen

müsse, so muß ich gestehen, daß nur Philosophen die Ent­ scheidung dieser Frage zweifelhaft machen können; denn

35 in der gemeinen Menschenvernunft ist sie, zwar nicht durch

abgezogene allgemeine Formeln, aber doch durch den ge­ wöhnlichen Gebrauch, gleichsam als der Unterschied zwischen

der

rechten und linken Hand, längst entschieden."

ist doch sehr zu bezweifeln.

Das

Nicht nur in früheren Zeiten

und bei verschiedenen Völkern war das sittliche Urteil ver­ schieden, sondern noch heute und bei uns gilt nicht allen dasselbe für gut.

Wenn z. B. Kant versichert, er würde

sich schämen, wenn einer ihn beim Gebet beträfe; wenn

dagegen andre Gebet und Kontemplation und

für die höchste

edelste Pflicht beurteilen, so sind das unvereinbare

Gegensätze.

WaS

ist

denn nun das Gute? Steht eS

vielleicht ebenso hoch über unsern Vorstellungen, wie die Sonne über unsern Häuptern? Wird vielleicht eine vollkommne Erkenntnis des Guten nur meine Unfähigkeit darthun, eS zu verwirllichen und so die Voraussetzung zerstören, als ob

mein Thun einen Wert habe auch nach dem Urteil des Welt­

urhebers ?

Soll vielleicht die Menschheit durch geschichtliche

Entwicklung nach und nach zur Erkenntnis des Guten geführt

und zu seiner Verwirklichung erzogen werden? Und ist dies« Erkenntnis des (Sitten der Menschheit schon aufgegangen oder

sind unsre Bemühungen um den guten Charakter nur vorläufige, unvollkommne Anläufe, denen die rechte Erkenntnis des

Guten noch fehlt? Wer will mir diese Fragen beantworten ?

So führt auch dieser, im Anfang so viel versprechende

Weg doch nicht zu dem gehofften Ziele und läßt uns in Ungewißheit; wir sehen gleichsam eine unsichere Spur, die

aber nicht weiter führt;

die Pforte schließt sich in dem

Augenblick, wo wir sie geöffnet zu haben glauben.

Wir

stehen gleichsam auf dunkler Sraße vor einem prächtigen

3*

36 Palast, wir hören Musik und Reigen, der Helle Lichtglanz

dringt durch die Fenster zu uns, wir ahnen den Reichtum und die Schönheit, die dort herrschen.

Aber wir können

nicht hinein, unsre Sehnsucht giebt uns nicht die Macht einzutreten.

Wir müssen draußen bleiben, wenn es nicht

etwa dem reichen Herrn gefällt, einen Boten zu senden

und uns die Pforte zu öffnen.

Und das ist geschehen :

in Jesu von Nazaret ist den Menschen das Gute

auf

überzeugende Weise deutlich geworden.

7. Jesus will das Gute unter den Menschen verwirk­ lichen,

darum straft er sie als arg und stellt ihnen Ver­

derben in Aussicht, wenn sie sich nicht ändern. Darum tritt er auf mit der Predigt : „Ändert eure Gesinnung!"

Oder mit der Forderung : „Ihr müsset von neuem geboren

werden." spricht

Das Prinzip der wahrhaft guten Gesinnung

er aus auf

die Frage

eines

wahrheitsuchenden

Schriftgelehrten nach dem vornehmsten Gebot.

Er ant­

wortet : Du sollst lieben Gott deinen Herrn von ganzem

Herzen und von ganzer Seele und aus aller Kraft! Marc. 12, 30. Völlige Hingabe des Herzens an Gott, das ist die

Willensrichtung, auf welche alle Gebote Jesu zurückführen. Wenn er seine Jünger beten lehrt : Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe, so ist die

Voraussetzung, daß der Eifer um Gottes Name, Reich und Willen ihre erste Sorge sei.

Andrerseits soll diese Hin­

gabe sich erweisen in kindlichem Vertrauen zu ihm als

dem Vater im Himmel,

der besser ist als ein irdischer

Vater: Wenn ihr, die ihr arg seid, euren Kindern gute

Gaben gebt, wieviel mehr wird der himmlische Vater Gutes

37

geben denen, die ihn bitten.

Darum fordert er uns auf,

zu bitten, damit uns gegeben, anzuklopfen, damit uns auf­ gethan werde. Mat. 7, 9.

alle guten Handlungen.

Aus diesem Prinzip ergeben sich Wer Gott liebt, ist damit erhoben

über die Versunkenheit in sinnliche Güter, mögen sie nun Reichtum oder Wohlleben

oder Ehre heißen; er ist in

dieser Liebe sich seines überirdischen Wesens bewußt und

benutzt die irdischen Dinge nur als Mittel für das wahre

Leben.

Wer Gott liebt, der richtet nicht nur seine Hand­

lungen und Worte, sondern auch die verborgenen Gedanken seines Herzens : Zorn.

den unreinen Blick, den aufwallenden

Wer Gott liebt,

der liebt auch die Brüder, weil

sie auch Gottes Kinder sind, der ist bereit, ihnen in aller Not beizustehn, ihnen ihre Fehler zu vergeben und sogar den Bösen Gutes zu thun wie sein Vater im Himmel.

Wer Gott liebt,

der will nicht durch diese Liebe einen andern Zweck erreichen;

denn daS würde keine Liebe mehr sein, sondern er ist in seiner

Liebe selig.

Er ist bereit,

aus Liebe alles zu thun und

hat sich doch nie genug gethan (Luc. 17, 10); er ist bereit, für diese Liebe

alles zu entbehren, alles

zu leiden und

achtet das für Gewinn und Ehre (Mat. 5,12). sem Prinzip als

enthalten,

der Mutter sind

In die­

alle Moralprinzipien

soweit sie wahr sind; die GotteSliebe ist die

Realdefinition des Guten.

Sie enthält die stoische Freiheit

von irdischem Glückseligkeitsstreben, sie ist die Maxime, welche sich zum allgemeinen Gesetz eignet, sie giebt die moralische Freiheit, welche Fichte erstrebt, sie schließt auch

die Nächstenliebe in sich, wovon Schopenhauer ein so be­ scheidenes

Teil

fordert.

Und

welche

Sittenlehre

man

sonst vorbringen mag, ihre Prinzipien sind nur entlehnte

38 Bruchstücke der großen Wahrheit, die Jesus so nachdrücküch verkündet.

Aber wo sind wir denn?

Wir möchten Gott erken­

nen, wir suchen seine Spuren, eine Ahnung seines We­ sens hat uns ergriffen und nun sollen wir auf einmal ihn

Wie kann ich lieben, den ich nicht kenne?

lieben!

Es

giebt wohl Augenblicke wo wir staunen vor der Allmacht, die uns umgiebt, Stunden großen Glücks wo die Thräne des Dankes uns im Auge schimmert, Stunden tiefster Trübsal, wo der Notschrei aus der hülflosen Seele sich

zum Himmel emporringt.

Aber aus diesen Spannungen

des Gefühls kehren wir bald in das gewohnte Gleichge­ wicht zurück und wenn wir uns auch der Freudenthräne

und des Notrufs nicht schämen, so wissen wir doch nicht,

ob der

unbekannte Gott davon Notiz genommen habe.

Und den sollen wir lieben?

Diese Forderung ist in der

That so sonderbar, daß ein außergewöhnliches Maß von Trägheit dazu gehört, um darüber nicht in das allergrößte

Erstaunen zu geraten.

Indeß da sie einmal aufgestellt ist,

so fragen wir : unter welchen Voraussetzungen ist es denk­

bar,

daß wir Gott lieben?

ihn bis

jetzt

Es sind zwei : 1) Da wir

nicht gefunden haben, so muß er uns auf

eine andere Weise erkennbar werden, wenn wir ihn lieben sollen.

2) Gott muß auf unzweifelhafte Weise seinen aus­

drücklichen Willen erklären, daß er von uns geliebt sein

will.

Werden diese beiden Bedingungen nicht erfüllt, so

ist die Forderung der Gottesliebe für uns ebenso unreali-

sirbar, wie etwa die Idee, zur Sonne zu fliegen.

Diese

beiden Voraussetzungen sind aber in Jesu erfüllt und nur

39 darum

stellt er diese Forderung an und, weil Gott in

seiner Person uns Menschen genaht ist.

Jesus unterscheidet sich von allen Menschen dadurch, daß sein inneres Leben die Grenzen der endlichen Welt

überschreitet : er kennt den Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, durch eine ursprüngliche Beziehung und lebt mit ihm in stetiger Liebesgemeinschaft.

weiß er

Darum

sich als „den Sohn", auf dem das Wohlgefallen des Vaters

im Himmel ruht.

Diese Gemeinschaft hat er nicht erst

durch Reflexion wie Buddha, oder Enthusiasmus wie Mu-

hamed sich zugeeignet, sondern er erlebt sie als Thatsache vor aller Reflexion; schon der zwölfjährige Knabe ist davon

erfüllt, daß er sein müsse im Hause seines Vaters.

Darum

hat Jesus auch die Thatsache nirgendwo erklärt, sonst hätte er über sich selbst als Phänomen erstaunen und reflektieren müssen; er hat sie einfach bezeugt.

Von den vielen Aus­

sprüchen Jesu führe ich nur zwei an : einen,

der durch

das kräftige Wahrheitsgefühl, einen anderen, der durch tief­

sinnigen Gehalt besondern Eindruck macht.

Zu den Juden,

die sich wider ihn kehrten, sagt Jesus einmal (Joh 8, 55) : Ich kenne Gott und wenn ich sagen wollte, daß ich ihn nicht kenne, würde ich ein Lügner sein gleich wie ihr; aber ich kenne ihn und halte sein Wort.

Und zu den

Jüngern sagt er, als diese ihm die Erfolge ihrer ersten

Arbeit voll Freude berichteten (Luc 10, 22) : Alles wurde mir übergeben von dem Vater, und niemand weiß, wer

der Sohn ist, als der Vater, noch, wer der Vater ist, als der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. Aus

dieser überweltlichen Gemeinschaft kommt ihm

die Gewißheit, daß er gegen

die Menschheit nur eine

40

Pflicht und einen Beruf habe, nämlich sie zur Erkenntnis

seines Vaters

und

zur Kindschaft bei ihm zu erheben.

Diese Aufgabe ist der einzige Zweck seines Erdenlebens :

dazu ist er in die Welt gekommen und wiederum wird er diese Welt verlassen, wenn er dies Werk vollendet hat.

Darum weiß er auch, daß er mehr ist als alle Knechte Gottes und das Ziel ihrer Hoffnungen.

Er stellt sich über

den Mittler des alten Bundes in dem nachdrücklich wieder­ holten Wort : ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist, ich aber sage euch ...

Er bezeugt von seiner Per­

son : er sei mehr als der Tempel, sei ein Herr auch des SabbatS (Mat 12, 7. 8).

Während alle bisherigen Boten

Gottes an die Menschheit nur Knechte waren, weiß er sich als den einzigen, geliebten Sohn, der den Weinberg erben

wird (Marc. 12, 6);

alle andern sind nur die Knechte,

welche zur Hochzeit laden, er aber ist der Sohn des Königs,

für den als Bräutigam (Mat. 22, 2).

die Hochzeit veranstaltet

wird

Er ist der erwartete Hirte, gesandt zu den

verlorenen Schafen

des Hauses

Israel

Mat.

10, 6;

15, 24; er bekennt sich als den verheißenen Gesalbten und

König vor den Jüngern wie zuletzt vor der geistlichen und

weltlichen Obrigkeit; er bezeugt den Jüngern : viele Pro­ pheten und Könige begehrten zu sehen, was ihr sehet und haben es nicht gesehen (Luc. 10, 24).

Darum genügt es

ihm auch nicht, wenn man ihn für Elias oder einen der alten Propheten achtet, sondern allein das Bekenntnis zu

ihm als dem Christ, dem Sohn des lebendigen Gottes, ist

seiner Stellung entsprechend (Mat. 16, 17).

So ist er

berufen, auf Erden ein geistiges Reich anzurichten, das

durch das Prinzip der Gottesliebe zusammengehalten wird :

41 das Reich

Gottes, zu dem Juden und Heiden berufen

sind (Marc. 1, 15).

Es ist kein Zweifel, daß diese Aussprüche nicht durch

die Verehrung der gläubigen Gemeinde Jesu erst später

in den Mund gelegt sind, sondern daß sie von ihm selbst herrühren und seine Anschauung über Wert und Aufgabe

seiner Person enthalten. durch drei Umstände.

Dies wird insonderheit bestätigt Er weiß, daß ihm Vollmacht ge­

geben ist, den Menschen auf Erden die Sünden zu ver­

geben (Marc. 2, 10); darum ist er auch berechtigt, diese Vollmacht seinen Aposteln zu übertragen (Mat. 16, 19; 18, 18).

Als ihm gewiß wird, daß sein Weg durch Leiden

und schmachvollen Tod geht, da wird er nicht wankend in seiner Überzeugung, sondern er begreift auch diese Führung Gottes als ein Mittel zur Herstellung der Sündenver­

gebung und des Gottesreichs (Marc. 9, 31; 10, 45; 14, 24).

Endlich lehrt er ausdrücklich, daß er der Ausrichter

des Gottesreiches sei (Marc. 9, 41)

Weltenrichter

zur

Vollendung

und

desselben

deshalb als

wiederkommen

werde (Marc. 14, 26). 8. Aber all diese Aussprüche beweisen nur, welche Überzeugung Jesus von sich selbst hatte; wie überzeugen

wir uns, daß diese Selbstbeurteilung Jesu Wahrheit ist? Hier stehen wir an der Kardinalfrage, welche die ganze Menschheit in zwei Hälften scheidet; an der Frage : wie dünket euch um Christo?

tismus verblendet ist,

Niemand, der nicht durch Fana­ kann

eine gewisse Wertschätzung

Christi versagen, aber nicht jede Anerkennung genügt.

Er

zeigt ein tiefes Gefühl für Gott, wie er sich bezeugt in den Werken

der Natur wie in

den heiligen Schriften

42 Israel-, und zugleich eine energische Thatkraft; eine innere Hoheit und doch herzgewinnende Demut; eine überwältigende

Kraft der Beredsamkeit, die in anschaulichster Form

die

innersten Vorgänge des Geistes und die letzten Ziele des WeltseinS darstellt; eine ungewöhnliche Geduld und Sanft­ mut gegen die Sünder, gegen die Schwerfälligkeit seiner

Jünger, gegen die Bosheit seiner Feinde; eine erhabene

Ruhe im schwersten Leid; und das alles sind nicht mühsam errungene Tugenden,

sondern der

natürliche Ausdruck

innerer Hoheit : das ist der Eindruck, den Jesus auf jeden machen muß.

Aber das alles sind Eigenschaften, die wir,

wenn auch vereinzelt und nicht in dieser Stärke, auch bei

anderen Menschen antreffen, das alles genügt nicht, den

Anspruch zu stützen, den er erhebt.

Aber durch eins erhebt

er sich über alle menschliche Größe : durch seine sündlose

Heiligkeit.

Er hat die durchdringendste Erkenntnis der

Sünde, er sieht die leisesten Regungen derselben, er fordert

von allen Menschen Umkehr, weil sie arg sind, er lehrt un-, täglich um Vergebung zu bitten, er macht das Be­

kenntnis

der

Sünde zur Bedingung

der Annahme bei

Gott, während er die abweist, die sich selbst für fromm

halten, er kennzeichnet die als Heuchler, welche die Sünde der andern sehen,

aber die eigene nicht gewahr werden.

Und bei alledem, hier stellt er sich nicht auf eine Stufe

mit den anderen Menschen, er bekennt keine Sünde, er redet nicht von einer erlebten Bekehrung, er bittet nie um

Vergebung, er weiß, daß des himmlischen Vaters Blick

wohlgefällig auf ihm ruht, er bietet andern die Vergebung an, die er selbst nicht bedarf.

Darin liegt seine einzigartige Hoheit, dadurch unter-

43 scheidet er sich von Plato und Moses, von JesaiaS und

Paulus, von Bernhard und Luther, die alle erst durch schmerzliche Kämpfe von der Herrschaft der sie umstrickenden

Sünde frei wurden und auch das nur nach der inneren Gesinnung.

Jesus hat diese Freiheit ursprünglich und

vollkommen gehabt, weder verloren noch wiedergewonnen, sondern sie nur behauptet gegen die Anfechtungen der Welt

und

die zunehmende Schwierigkeit seines Berufs.

sagt dagegen :

Man

wir kennen sein inneres Leben nicht so

genau, um dies Urteil fällen zu können.

Gewiß nicht,

und wenn wir seine Zeitgenossen gewesen und ihn auf

Schritt und Tritt verfolgt hätten, würde doch nicht sein inneres Leben bloß vor uns gelegen haben, wie vor Gottes

allwissendem Auge.

Aber er selbst mußte sich doch kennen

und wenn Sündiges in ihm war, mit seinen Brüdern sich einschließen in das Bekenntnis : Gott sei mir Sünder

gnädig!

Wer aber bei dieser durchdringenden Sünden-

und Selbsterkenntnis von sich sagen kann: ich und der Vater sind eins; wer mich siehet, siehet den Vater; der muß die vollkommene Heiligkeit sein, oder er bleibt das

größte psychologische Rätsel, das

die Welt gesehn; denn

eine solche Mischung von Wahrheit und Unwahrheit, von Demut und Überhebung kann nicht beisammen sein. Und

hier tritt die Entscheidung ein, die von dem Willen ab­ hängt.

Wer diese Hoheit in Christo sieht, aber sie nicht

als den höchsten Wert schätzen mag,

der wendet sich ab

und sucht sie zu verdunkeln oder zu leugnen.

die höchste Wahrheit

ein Geheimnis.

Dem bleibt

Wer aber diese

vollkommene Heiligkeit als das höchste Ideal der Mensch­

heit schätzt, der sieht hier den Weltzweck erfüllt, der erkennt.

44 daß

hier der verborgene Gott der Menschheit naht; er

wird von dieser Größe überwältigt und bekennt mit Pe­ trus : Herr, gehe von mir hinaus, ich bin ein sündiger

Mensch! Kant sagt : zwei Dinge erfüllen mich immer wieder mit neuer Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und an­

haltender daS Nachdenken sich damit beschäftigt : der ge­ stirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir (K. d. pr. V. S. 288).

und teilen sie; aber

Wir kennen diese Bewunderung

vielmehr Bewunderung erweckt die

Hoheit Jesu dem, der sie erkannt hat.

Diese Schätzung

Christi ist kein kühler Schluß aus Reflexion, sondern un­ mittelbare, überwältigende Anschauung.

Wir ziehen nicht

allen Vögeln die schönsten Federn aus, um diesen einen

Paradiesvogel damit zu

schmücken;

ein solcher geflickter

Paradiesvogel könnte kein Leben erwecken; sondern in ihm ist das heilige Leben als der wahren Sonne ain Geister­

himmel zusammengefaßt und was wir außer ihm in der

Menschheit an Güte und Heiligkeit sehen, das sind kleine Meteore, die sich abgesplittert haben.

Wir wissen, daß

wir darin nicht verstanden werden von allen, die Christo

fern sind, und ihnen als Enthusiasten erscheinen.

Wenn

ihre Augen geöffnet werden, werden sie auch schon Enthu­ siasten werden.

Indem wir Christum als den Heiligen erkennen, wird

er für uns die Offenbarung des verborgenen Gottes (Mat. 16, 17)

und die Aufnahme dieser Offenbarung ist der

Glaube; dies ist das Wesen der heiligen Persönlichkeit,

der Anfang eines neuen Menschen in uns.

barung

wirkt zugleich

demütigend und

Diese Offen­

erhebend.

Sie

45 demütigt, denn wir erkennen, daß wir nicht gegen eine Idee,

sondern gegen Gott gefehlt haben, daß wir nicht

nur einzelne Fehltritte, sondern ein ganz verkehrtes Leben

außer Gott geführt haben, und daß dieser Zustand nicht ohne unsere Schuld war, sowohl weil unser Wille ihm

zustimmte, als auch, weil wir schon lange dem Einfluß

Christi widerstrebt haben.

Aber sie erhebt uns auch, denn eben dieser Jesus bietet sich uns als Heiland dar, von Gott gesandt, er bietet uns als erstes die Sündenvergebung an, wir hören

seine freundliche Einladung an die Mühseligen und Schuld­ beladenen ; und seinen heiligen Worten können wir Glauben

nicht versagen.

So erfahren wir hier die Liebe des unbe­

kannten Gottes als auf uns gerichtet nnd indem wir diese

Liebe gläubig aufnehmen und

uns ihr liebend hingeben,

werden wir selbst neue geheiligte Persönlichkeiten.

Damit

Bisher hatten wir uns

wird unsere Erfahrung erweitert.

erkannt als Geisteswesen, welche zwar zu eignem Leben

kommen, aber als isolierte Geister zerstreut; nun

individuelles

aber

erfahren

Geistsein

in der leblosen Natur

wir, daß Natursein und

nur vorbereitende

Formen

sind,

durch welche wir zur Erkenntnis und freien Annahme der

Liebe geführt werden sollen, welche der innerste Grund alles Seins und Werdens ist.

So erkennen wir Gott

als heilige Liebe, welche Natur-

und Geisteswelt zu dem

Zweck in Dasein gerufen, damit er Geisteswesen seiner

Liebe mit Bewußtsein teilhaftig mache, sie zu heiligen Per­ sönlichkeiten erziehe und so eine Gemeinschaft geheiligter

Geister, die durch die Gottesliebe sich eins wissen, auf

Erden heranbilde : das Reich Gottes.

Das ist der letzte

46 für uns

erkennbare

Zweck

alles Weltgeschehens;

was

darüber etwa noch hinauSltegt, ist uns verborgen, darum ist mit dieser Erkeuntnis

unsere GotteSerkenntniS abge­

schlossen.

So erkennen wir Gott nicht durch unbeteiligte Re­ flexion, sondern durch erhöhte Lebenserfahrung; denn nur

diese überzeugt uns von dem letzten Zweck der Welt und unseres

eigenen Daseins.

Darum ist

die

Erkenntnis

Gottes und seines Gesandten Jesu Christi nichts anders

als das ewige Leben (Joh. 17, 3). als

das Leben nach

dem

Dies Leben ist reicher

strengen

Pflichtgebot

Kants,

welches sogar jede Liebe verbietet und das Herz starr macht; höher als die sittliche Freiheit Fichtes, bei der das Ich

isoliert auf sich selbst steht;

wahrer, als das angemaßte

absolute Bewußtsein Hegels;

denn es ist Gabe Gottes

und weil es nicht entsteht durch Reflexionen, deren nur Gebildete fähig sind, sondern durch

der Hoheit Christi,

innere Anschauung

für welche jedes aufrichtige Gemüt

befähigt ist, darnm ist diese Erkenntnis den Unmündigen und Einfältigen leichter zugänglich als den Weisen und

Klugen.

AuS demselben Grunde bleibt uns diese Erkennt­

nis Gottes nur so lange,

als die Liebe Gottes in diesem

neuen Leben sich wiederspiegelt; hört dies Leben in Gott auf, so hört auch unsere Erkenntnis Gottes auf und es bleibt nur eine kraftlose Vorstellung davon im Gedächtnis

haften.

Darum sagt Luther (Cat. major. 1. Gebot) :

„Gott kann weder mit Fingern ergriffen noch wie Geld im Beutel verwahrt noch wie ein

Kasten verschlossen

werden.

silbernes Gerät im

So aber

kann man Gott

haben und ergreifen, wenn man ihn mit ganzem Herzen

47 ergreift und des Menschen Geist ihm allein anhängt mit beständigem und unerschüttertem Vertrauen."

Und unsere

ganze Darlegung ist nichts anders, als eine Umschreibung

des Ausspruchs Luthers (Cat. maj. art. III) : „Die ganze Welt, obwohl sie mit emsigem Forschen schon von Anfang

an sich darum bemüht hat, wer Gott sei oder welche Ge­

sinnung er habe

oder welchen Zweck er erstrebe, konnte

dennoch nichts von diesen Dingen jemals durch Nachdenken

oder Vernunft erreichen.

Hier aber hast du dieses alles

reichlich in bestimmter Zahl (d. h. in den einzelnen Glie­

dern der drei Artikel).

Denn hier hat er selbst in allen

drei Artikeln den tiefsten Abgrund seines väterlichen Her­ zens und die reinen Flammen seiner brünstigen und un­

aussprechlichen Liebe geoffenbart und aufbewahrt.

Nämlich

zu dem Zweck hat er uns geschaffen, damit er uns erlöste und heiligte, und außer dem, was er uns zu Besitz und

Gebrauch unterworfen hat, was irgendwo im Hinunel und

auf Erden erblickt wird, hat er uns auch feinen Sohn und den heiligen Geist geschenkt, durch welche er uns zu Denn niemals hätten wir aus eigenen Kräften

sich zöge.

dahin kommen können, daß wir des Vaters Huld und

Gnade erkannten, außer durch Jesum Christum, unsern

Herrn, welcher der Spiegel seiner väterlichen Gesinnung gegen uns ist."

9.

Also ruht unsere Erkenntnis Gottes auf dem neuen

Lebm, das Chrfftus in uns wirkt.

Aber ist dieses Leben

nicht vielleicht eine Illusion? Illusion nennen wir eine Wahrnehmung, der kein

Objekt entspricht, oder eine Wertschätzung, die das Objekt überschätzt.

Hier ist das letztere gemeint.

Wir erkennen

48 in Christo die uns offenbarte Liebe Gottes, weil wir das von Christo empfangene Leben höher schätzen als alles

andere.

Ist diese Wertschätzung nicht zu hoch?

Beruht

sie vielleicht nur auf einem ästhetischen Genuß, ähnlich dem Eindruck eines schönen Bildes, eines erhabenen Ge­

dichtes?

Es ist wahr, etwas ähnliches wirkt der Anblick

Christi in unS; nur ist diese Freude viel tiefer und hei­ liger, als ein andrer Gegenstand sie gewährt, sie ist eine

Art von Seligkeit.

Aber sie ist noch mehr als das.

Der Glaube an Christum giebt nicht nur das höchste Glück, sondern auch die höchste sittliche Energie.

Weil

Gott die ganze Welt, Natur und Menschheit in sich be­ faßt, darum schließt die Gottesliebe auch alle von Gott

gesetzten Beziehungen zur Welt als Teile in sich und hei­ ligt sie.

Indem wir die Natur erkennen als die Werk­

stätte des göttlichen Geistes, ordnen wir unser Naturleben

dem Dienste Gottes unter und erlangen so die Herrschaft über die Natur.

Durch die

Gottesliebe umfassen wir

alle Menschen als berufene Gotteskinder mit brüderlicher

Liebe, daß wir ihnen nicht nur alle schuldige Pflicht von Herzen erweisen, sondern bereit sind Geduld zu üben, sogar Übelwollen und Feindschaft mit Sanftmut zu er­ tragen.

So werden die natürlichen Ordnungen in Fa­

milie, Staat und

Gesellschaft

gefestigt und geheiligt.

nicht aufgelöst,

sondern

Dadurch erweist sich das Reich

Gottes als der höchste Zweck, daß wir alles ihm einordnen können, ausgenommen die Sünde, während, wer dies Ziel

nicht kennt, es nie erreicht, die Einheit seiner Persönlichkeit

und der Welt ohne Rest zu erfassen.

Nur wer mit dem

Apostel sagen kann : was ich noch lebe im Fleisch, das

49 lebe ich im Glauben des Sohnes

damit die ganze Welt.

der umfaßt

Gottes,

Und diese einheitliche heilige Cha­

rakterbildung sehen wir nicht als unerreichbares Ideal vor

uns, sondern wir kommen ihm näher trotz aller Schwach­ heit : wir scheiden je länger je mehr aus, was uns von selbstsüchtigen Begierden anllebt; wir lernen uns behaupten

sowohl gegen die eignen Leidenschaften wie gegen verderb­ liche Einflüsse von außen.

Und das ist eine gewaltige

Wirkung : eine Macht, die das leistet, ist realer als irgend

welche materielle Kraft.

Ja wer dieses Leben hat, erfährt

es als das wahre Leben : das vorige Leben außer Christo

war Illusion, jetzt aber ist er aus dem Traum erwacht:

„die Nacht ist vergangen, der Tag ist herbeigekommen!"

Und der zweite Beweis für die Wahrheit dieses Lebens ist der, daß wir durch

dasselbe alles Leid überwinden.

Wie ein schriller Mißklang ist mit unserm Dasein das

Leid verbunden.

Ich meine nicht die kleinen

täglichen

Leiden, in die wir uns gefunden haben; sondern jene herzzerreißenden, glückzerstörenden Trübsale, die uns wie

ein dunkles Verhängnis drohen.

Jene unwürdigen Miß­

handlungen, jene langwierigen Krankheiten, jene herzbe­

drückenden Nöte

in der Familie,

die

jede Wirksamkeit

hindern, jede Freudigkeit lähmen, den Tod zu einer er­

wünschten Erlösung machen.

Dagegen giebtS im ganzen

Umkreis der Welt keine Hülfe.

Stumme Ergebung in das

Unbegreifliche, zähneknirschende Unterwerfung unter eine

brutale Notwendigkeit, vielleicht

eine schwache Hoffnung

auf eine zukünftige Lösung dieser Rätsel,

das sind

Waffen, die wir dem dunllen Unheil entgegensetzen.

durch

die Aber

die Liebe Gottes werden uns diese Rätsel gelöst,

4

50 diese Leiden besiegt.

Auch die Leiden

sind Mittel zur

Ausgestaltung des heiligen Charakters, welche die Liebe

Gottes uns darreicht und auch in der verkümmertsten Er­

scheinung kann sich eine Blume für die Ewigkeit entwickeln. Darum verstehen

wir in Christo

auch

die Leiden

als

Wohlthaten unseres Gottes und nehmen sie in geduldiger

Freudigkeit hin, denn Trübsal bringet Geduld, Geduld bringet Erfahrung, Erfahrung bringet Hoffnung.

Diese

Wirkung ist aber keine Illusion, sowenig die Trübsal eine Illusion ist, sondern eine Macht, dadurch wir die ganze Welt überwinden und im Leid schon den Siegesgesang anstimmen : ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben noch

irgend eine Kreatur uns

kann scheiden

GotteS in Jesu Christo unserm Herrn.

von

der Liebe

So haben wir

bereits in der Gegenwart, was Kant von seinem postu­ lierten Gott für die Zukunft erwartet : in diesem neuen

Leben ist vollkommene Sittlichkeit mit vollkommener Glück­ seligkeit verbunden.

Das ist der zureichende Beweis für

seine Wahrheit und für die Wahrheit der auf ihm be­

ruhenden Gotteserkenntnis. noch hält man uns die blendende Behaup­

Immer

tung Lessings entgegen, daß zufällige Geschichtswahrheiten

kein

Beweis

zufällige Gottes wenn

für

notwendige

Vernunftwahrheiten

Aber sehr mit Unrecht.

können.

Geschichtswahrheit notwendige

eine

die

in

noch

ist

die

Vernunftwahrheit.

Sinnlichkeit

sein

Weder ist Jesus eine

und Selbstsucht

Baterliebe

Vielmehr, versunkene

Menschheit zur Freiheit in Gott und sittlichen Beherr­ schung

der Welt

erhoben

werden

soll,

so kann dies

nur durch Anregung und Übung der sittlichen Freiheit

51

d. h. auf geschichtlichem Wege geschehen und bei der hart­

näckigen Verblendung

und Verkehrtheit der

empirischen

Menschheit kann ihre Umgestaltung in ein heiliges Gottes­

volk nur sehr langsam in einer zusammenhängenden Ent­

Diese

wicklung von vielen Jahrtausenden erwartet werdett.

Umwandlung hat in Christo begonnen; also ist die Er­ kenntnis Christi und der Zusammenhang

mit ihm die

Bedingung zur Erkenntnis Gottes und zur Verwirklichung

seiner Absichten mit uns.

Der Beweis für die allmächtige,

heilige Liebe, welche der Grund alles Daseins ist, wird gegeben durch das Dasein des Reiches Gottes.

Wenn

daS Reich Gottes in mir wirklich geworden ist, habe ich

diesen Beweis und noch heute gilt, was Tertullian

sagt

(apolog. 46) : bei den Christen kennt jeder Handwerker

Gott und

zeigt ihn anderen und dann bestätigt er alles,

was in Gott gesucht wird, durch die That; während Plato

versichert, eS sei nicht leicht, den Urheber des Weltalls zu finden und noch schwerer, ihn allen zu verkünden, nach­ dem man ihn gefunden (Timäus S. 28).

Aber dieses Reich Gottes ist nicht sinnlich, sondern geistig; es kann nicht mit Fingern gezeigt werden, denn es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.

Denen

gegenüber, welche dies Reich nicht sehen, ist der Beweis

für die Liebe Gottes nicht erbracht und kann auch nicht erbracht werden.

Ihnen gegenüber befinden wir uns etwa

in der Lage LeverrierS, ehe der Neptun entdeckt war, oder des Columbus, ehe das westliche Land sich den Blicken

zeigte.

Aber ihre Trägheit kann die Gewißheit unserer

Erkenntnis nicht erschüttern und der Erfolg wird zeigen, daß wir Recht haben.

Freilich wird aller Widerspruch erst

52

verstummen, wenn das Reich Gottes in Herrlichkeit vol­ lendet ist; bis dahin müssen wir ihn ertragen und die Wahrheit gegen Unverstand verteidigen. Aber ist das nicht eine hohe, ehrenvolle Aufgabe, wohl wert, die ganze Kraft dafür einzusetzen? Und wenn Gott so lange Ge­ duld übt, sollten nicht auch wir in Geduld warten innen, bis die Decke von ihren Augen genommen wird?